Allgemeine Schutzmaßnahmen des europäischen Habitatschutzrechts: Eine rechtsdogmatische Untersuchung der zentralen Erhaltungs- und Vermeidungspflichten des Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-Richtlinie mit ergänzenden Reformvorschlägen. [1 ed.] 342819036X, 9783428190362

Das Ziel der FFH-Richtlinie, einen günstigen Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen herzustellen, wurde auch üb

130 69 1MB

German Pages 282 [283] Year 2023

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Allgemeine Schutzmaßnahmen des europäischen Habitatschutzrechts: Eine rechtsdogmatische Untersuchung der zentralen Erhaltungs- und Vermeidungspflichten des Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-Richtlinie mit ergänzenden Reformvorschlägen. [1 ed.]
 342819036X, 9783428190362

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Schriften zum Umweltrecht Band 204

Allgemeine Schutzmaßnahmen des europäischen Habitatschutzrechts Eine rechtsdogmatische Untersuchung der zentralen Erhaltungs- und Vermeidungspflichten des Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-Richtlinie mit ergänzenden Reformvorschlägen

Von

Layla Mihatsch

Duncker & Humblot · Berlin

LAYLA MIHATSCH

Allgemeine Schutzmaßnahmen des europäischen Habitatschutzrechts

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin

Band 204

Allgemeine Schutzmaßnahmen des europäischen Habitatschutzrechts Eine rechtsdogmatische Untersuchung der zentralen Erhaltungs- und Vermeidungspflichten des Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-Richtlinie mit ergänzenden Reformvorschlägen

Von

Layla Mihatsch

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2023 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2024 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 978-3-428-19036-2 (Print) ISBN 978-3-428-58036-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Fred und Albert

Vorwort Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den allgemeinen Schutzmaßnahmen des FFH-Gebietsschutzes und versucht über den Weg der Auslegung, aber auch der rechtspolitischen Weiterentwicklung des Normtextes der Richtlinie einen Weg zu wirksamen Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen aufzuzeigen. Aufgrund der vielschichtigen Materie liegt der Fokus der Arbeit auf der europarechtlichen Sichtweise. Die FFH-Richtlinie steht regelmäßig auf dem Prüfstand. Der Diskurs ist jedoch oft von Motiven wie dem Bürokratieabbau und dem wirtschaftlichen Fortschritt bestimmt. Der vorliegenden Arbeit liegt die Hoffnung zu Grunde, Denkansätze zu formulieren, die aus rechtlicher Perspektive dem fortschreitenden Biodiversitätsverlust entgegenwirken können. Naturschutz ist nicht nur „Verhinderer“, sondern ermöglicht uns allen eine lebenswerte Zukunft. Die Dissertation entstand während meiner Zeit am Lehrstuhl für Öffentliches Recht bei Prof. Dr. Shirvani an der Universität Bonn. Ihm möchte ich sehr herzlich für die engagierte Betreuung meiner Arbeit und die außergewöhnlich schnelle Erstellung des Erstgutachtens danken. Das Arbeitsverhältnis am Lehrstuhl und die Betreuung der Dissertation waren stets durch anspruchsvolle Hinweise und gegenseitigen Respekt geprägt, den ich sehr zu schätzen weiß. Auch Prof. Dr. Dr. Spranger danke ich herzlich für die zügige Erstellung seines Zweitgutachtens, das weitere weiterführende Hinweise enthielt, sowie Prof. Dr. Hillgruber für die Leitung der Prüfungskommission. Die Drucklegung der Arbeit wurde durch einen Druckkostenzuschuss der Konrad-Redeker-Stiftung gefördert, für den ich mich ebenfalls herzlich bedanke. Prof. Dr. Dr. Durner danke ich für seine Hilfe als Vertrauensdozent der Stiftung an der Universität Bonn. Schließlich möchte ich mich bei den Menschen bedanken, die mich im privaten Umfeld während der Promotion unterstützt haben. Meinen Eltern und meinem Freund danke ich für den steten Rückhalt. Dr. Eric Hoeveler möchte ich danken, dass er mich als Promotionsgefährte durch gemeinsame Bibliotheksbesuche und fröhliche Mittagspausen begleitet hat und gleichzeitig ein offenes Ohr für die gemeinsamen Sorgen hatte. Teresa Oberbrinkmann und Astrid Günther danke ich, dass sie mich in der Zeit vor der mündlichen Prüfung motiviert und beruhigt haben.

8 Vorwort

Die Arbeit wurde im Herbst 2022 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn zur Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung fand am 15. Mai 2023 statt. Das Manuskript wurde für die Drucklegung aktualisiert und befindet sich auf dem Stand des 28. Juli 2023. Dementsprechend konnte die Entscheidung des EuGH, Urt. v. 21.09.2023, C-116/22 nicht mehr berücksichtigt werden, allerdings wurden die Schlussanträge der Generalanwältin vom 20.4.2023 zum Verfahren eingearbeitet. Bonn, im September 2023

Layla Mithatsch

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 

15

Kapitel 1

Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 

A. Die Umweltpolitik der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Genese einer umfassenden Umweltpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Vorsorgeprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Hohes Schutzniveau und nachhaltige Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20 21 21 24 28

B. Erlass der FFH-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Politischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. Vom Entwurf bis zum heutigen Normtext der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . 31 C. Ziel und Zweck der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutz der Biodiversität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Netz Natura 2000 und Schutzgebietsausweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der günstige Erhaltungszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 36 36 39

D. Die gebietsspezifischen Erhaltungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt der Erhaltungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Bewirtschaftungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Erhaltungsziele als Grundlage weiterer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . V. Balanceakt zwischen Verbindlichkeit und Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . .

42 42 43 44 46 48

Kapitel 2

Evaluation der FFH-Richtlinie 

51

A. Bilanz der FFH-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I. Fortgesetzter Biodiversitätsrückgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 II. Ausgebliebene Stabilisierung der Erhaltungszustände . . . . . . . . . . . . . . . . 54 III. Vollzugsdefizit im Gebietsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichender Erhaltungsziele . 58 2. Mangelnde Effektivität der allgemeinen Schutzmaßnahmen . . . . . . . . 59 B. Bisher erfolgte Ursachenforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 I. Der so genannte „fitness check“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

10 Inhaltsverzeichnis II. Bereits identifizierte Fehlerquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 III. Forschungslücke bezüglich rechtlicher Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 IV. Forschungsstand über die allgemeinen Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . 68 C. Reaktion der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Biodiversitätsstrategie 2030 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verordnung zur Wiederherstellung der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Leitfäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71 71 72 73 75

Kapitel 3

Rechtsdogmatische Untersuchung der allgemeinen Schutzmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-RL  

A. Die Erhaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Inhalt der Erhaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die ökologischen Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wiederherstellung als Teil des Erhaltungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erhaltungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Flexible Zielvorgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reformvorschlag: Abgrenzung der Begriffe und gemeinsamer Oberbegriff der „Bewirtschaftungsmaßnahmen“ . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung der Erhaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verfahrensschritte des Gebietsmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Enger Regelungsbereich des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL . . . . . . . . . . . . b) Reformvorschlag: Pflichtenkatalog ausweiten . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Berücksichtigung überörtlicher Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grenzen der ökologischen Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reformvorschlag: Einschränkung der Gestaltungsspielräume zu Gunsten eines holistischen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erforderlichkeit von obligatorischen, rechtsförmlichen Bewirtschaftungsplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verpflichtend zu nutzendes Instrument des Bewirtschaftungsplans . . . 2. Rechtsverbindliche Erhaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reformvorschlag: Ausdrückliche Pflicht zur rechtsverbindlichen Bewirtschaftungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fristenregelungen für die Erhaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestehende Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die FFH-Berichterstattung als Gegenmodell zu weiteren Fristen . . . . 3. Reformvorschlag: Anpassungspflicht innerhalb des nächsten Berichtszeitraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Qualitätssicherung der Erhaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78 79 81 81 84 84 87 89 91 92 93 95 95 96 99 101 101 104 107 108 109 109 113 114 118

Inhaltsverzeichnis11 1. Mangelnde Überprüfbarkeit der Erhaltungsmaßnahmen aufgrund des Gebietsverwaltungsprivilegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Die unscharfen Tatbestandsmerkmale des Verwaltungsprivilegs  . 119 aa) Diffuser Begriff der „Verwaltung“ des Gebietes . . . . . . . . . . . 120 (1) Weiter Verwaltungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (2) Schädigende Verwaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (a) Umstrittene Reichweite des Verwaltungsbegriffs . . . . 124 (b) Unzureichende Problembewältigung durch Priorisierung von Erhaltungszielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (c) Einschränkende Auslegung im Rahmen der richter­ lichen ­Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 bb) Bisher konturlos gebliebene Begriffe der Unmittelbarkeit und Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (1) Umstrittene Bedeutung der Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . . 131 (2) Weite Auslegung der Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (3) Mischpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 cc) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Das überschätzte Konstrukt der „Konformitätsprüfung“ . . . . . . . . . 138 aa) Schwächen der Konformitätsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (1) Zu enger Prüfinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (2) Mangelnde Verfahrensvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (a) Fehlende Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . 140 (b) Freistellung von etwaiger Minderung und Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (c) Mangelnde Überprüfbarkeit durch behördeninternes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Reformvorschlag: Streichung des Gebietsverwaltungsprivilegs . . . . . . 145 4. Die Ausnahmegenehmigung als geeignetes Instrument . . . . . . . . . . . . 147 5. Reduzierte Effektivität alternativer Umweltprüfungen . . . . . . . . . . . . . 148 6. Fallbeispiel: Kalamitätseinschläge als Verwaltungsmaßnahme? – OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19 . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Zum Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Zur Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 aa) Kritische Analyse der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (1) Fehlende Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (2) Ungeklärter funktionaler Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . 156 (a) Unionsrechtlich determinierter Umgang mit fach­ lichen Kontroversen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (b) Praktische Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 bb) Falllösung entsprechend den Vorschlägen zur Streichung des Gebietsverwaltungsprivilegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

12 Inhaltsverzeichnis B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 I. Inhalt der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Verschlechterung und Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Präventiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 II. Vermeidungsmaßnahmen außerhalb von Schutzgebieten  . . . . . . . . . . . . . 170 III. Die Vermeidungsmaßnahme im System des Art. 6 FFH-RL . . . . . . . . . . . 174 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Vergleich der Vorschriften des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL . . . . . . . . 176 a) Schutzniveau der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen . . . . . . . . 177 aa) Dasselbe Schutzniveau trotz missverständlichen Wortlauts . . . 177 bb) Reformvorschlag: Harmonisierung des Wortlauts . . . . . . . . . . 179 b) Prüfumfang bei allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen . . . . . . . . . . 180 c) Auswahlermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Unklare Abgrenzung von Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 FFH-RL . . . . . . . . 185 a) Keine Exklusivität des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bei Projekten und Plänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 aa) Projekt- und Planbegriff als Abgrenzungskriterium . . . . . . . . . 186 bb) Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auf Projekte und Pläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Ausschließliche Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bei sonstigen Einwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Genehmigungserfordernis als unzureichendes Abgrenzungskrite­ rium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . 193 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (1) Kein Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten . . . . . . . . 196 (2) Dogmatische Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (3) Keine unmittelbare Übertragbarkeit der Begrifflichkeiten der UVP-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 e) Systematische Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 f) Folgen für den Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten . . . . . . . 202 g) Reformvorschlag: Ausdrücklicher Hinweis auf den systematischen Zusammenhang des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL . . . . . . . . . 205 4. Folgeprobleme der Abgrenzungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Umsetzungsschwierigkeiten durch ungeklärtes Verhältnis der Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Ausnahmen vom allgemeinen Vermeidungsgebot . . . . . . . . . . . . . . 207 aa) Unzulässige analoge Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL . 208 (1) Kein vergleichbarer Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (2) Keine planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 bb) Begrenzte sonstige Abweichungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . 216 cc) Anhaltende Rechtsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

Inhaltsverzeichnis13 dd) Reformvorschlag: Normierung der Abweichungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 c) Einordnung der sog. Schadensminimierungsmaßnahmen . . . . . . . . 222 d) Vermeidungsmaßnahmen bei bereits andauernden Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Anerkennung des wirkungsbezogenen Ansatzes zur Bestimmung einheitlicher Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 bb) Folgen für die allgemeinere Bestimmung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 e) Rückblick: Gebietsverwaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 5. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 6. Zusammenfassender Reformvorschlag: Neufassung des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 7. Fallbeispiel: Fortlaufende Grundwasserabsenkung als zu vermeidende Beeinträchtigung – EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19 . . . . . . . . . 236 a) Zum Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 b) Zur Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 aa) Kritische Analyse der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (1) Prüfumfang entspricht Verträglichkeitsprüfung . . . . . . . . . 240 (2) Keine ausschließliche Anwendung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (3) Anwendung der Ausnahmevorschrift nur bei Art. 6 Abs. 3 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 (4) Klimawandel als Ent- oder Belastung des beklagten Mitgliedstaates? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 bb) Falllösung entsprechend den Vorschlägen zur Reform des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

Fazit und zusammenfassende Thesen 

249

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

Einleitung Es ist eine der ureigenen Aufgabe des Rechts, erhaltenswerte Schutzgüter, inklusive solcher, die der Allgemeinheit dienen, zu bewahren. Regelungen aus dem Bereich des Naturschutzrechtes finden sich bereits seit dem 19. Jahrhundert und haben den Zweck, eine lebenswerte natürliche Umgebung auch für künftige Generationen zu erhalten.1 Inzwischen prägt das Recht der Europäischen Union das Naturschutzrecht aller Mitgliedstaaten. Ein besonders hervorzuhebender Rechtsakt der Union im Bereich des Naturschutzes ist die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie2. Sie feierte im Mai 2022 ihr dreißigjähriges Bestehen. Die Richtlinie wurde 1992 als zielorientierte Richtlinie erlassen, um gemeinsam mit der Vogelschutzrichtlinie3 ein zusammenhängendes Netzwerk von natürlichen Lebensräumen zu schaffen und eine Reihe von Arten besonders zu schützen. So genannte „besondere Schutzgebiete“4 wurden ausgewiesen, deren Schutzgüter die in der Richtlinie eigens bezeichneten Arten und Lebensräume sind. Ziel der Richtlinie ist es, zur Wahrung der biologischen Vielfalt Tier- und Pflanzenarten und ihre Lebensräume in einen günstigen Erhaltungszustand zu versetzen,5 oder, wenn dieser bereits erreicht ist, ihn beizubehalten.6 Dieses Ziel konnte allerdings bisher nicht erreicht werden. In der Vergangenheit waren kontinuierlich Umsetzungsprobleme im europäischen Gebietsschutz zu beobachten. Aufgrund des anhaltenden Biodiversitätsverlusts sieht die aktuelle Biodiversitätsstrategie 2030 der Europäischen Union einen dringenden Handlungsbedarf. Ein zentraler Aspekt für einen wirksamen Schutz der Arten und Lebensräume sei die „wirksame Bewirtschaftung aller Schutzgebiete“.7 Umweltrecht, § 1 Rn. 8 ff., § 2 Rn. 5. 92/43/EWG des Rates v. 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. EG L 206/7 v. 22.7.1992, im Folgenden „FFH-Richtlinie“, zitiert als „FFH-RL“. 3  Richtlinie 79/409/EWG v. 2.4.1979, ABl. EG L 103/1 v. 25.4.1979, heute kodifiziert durch Richtlinie 2009/147/EG v. 30.11.2009, ABl. EU L 20/7 v. 26.1.2010. 4  Art. 1 lit. l FFH-RL. 5  Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 12 Rn. 59 ff. 6  Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 31 Rn. 3 f. 7  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, unter 2.1. 1  Schlacke,

2  Richtlinie

16 Einleitung

Der anhaltende Biodiversitätsverlust in der Europäischen Union ist Anlass, der Frage nachzugehen, warum die Richtlinie als zentrales Rechtsinstrument im europäischen Naturschutz ihre Ziele nicht oder nur verspätet erreicht. Diese Frage ist Motivation der vorliegenden Arbeit. Der Druck auf bestehende Richtlinien, optimale Wirksamkeit zu entfalten, ist hoch. Jüngst wurde von der Europäischen Union das umstrittene „one-in-one-out“-Verfahren eingeführt, nach dem nach quantitativen Gesichtspunkten möglichst keine zusätzlichen Regularien des Unionsgesetzgebers erlassen werden sollen, ohne eine bestehende Regelung aufzuheben.8 Die Europäische Kommission kündigte darüber hinaus an, umweltrelevante Rechtsvorschriften der Union erforderlichenfalls erneut zu überprüfen und zu überarbeiten.9 Da die Richtlinie gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV grundsätzlich keinen im Verhältnis zum Bürger unmittelbar anwendbaren Rechtsakt darstellt,10 müssen die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der Richtlinie in ihr nationales Recht umsetzen. In Deutschland finden sich die entsprechenden Regelungen zum europäischen Gebietsschutz in den §§ 31–36 BNatSchG. Dennoch bildet die FFH-Richtlinie selbst den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Namentlich werden die Bestimmungen zum Gebietsschutz und insbesondere der in der Richtlinie zentrale Art. 6 FFH-RL näher beleuchtet. Offene Rechtsfragen sind im unionsrechtlich geprägten Umweltrecht nicht ohne Analyse des einschlägigen Sekundärrechts zu beantworten, das wiederum richtlinienkonform auszulegen ist. Die FFH-Richtlinie ist durch ausführliche Regelungen und konkrete Pflichten der Mitgliedstaaten geprägt. Um diese herauszuarbeiten, kann nur auf den Richtlinientext abgestellt werden. Um eine umfassende rechtsdogmatische Analyse der Richtlinienbestimmungen gewährleisten zu können, ist der Untersuchungsgegenstand der Arbeit aber noch weiter einzugrenzen. In Ansehung des bisherigen Forschungsstandes nach über 30 Jahren, in denen die Richtlinie angewendet wurde, legt die Arbeit den Fokus auf Aspekte, die bisher weniger im Zentrum der wissenschaftlichen Diskussion standen, für den Erfolg der Richtlinie aber nicht minder essentiell sind. Die Arbeit wird sich mit der Bewirtschaftung der Schutzgebiete beschäftigen und die allgemeinen Schutzmaßnahmen des europäischen Gebietsschutzes beleuchten. Diese werden als Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen bezeichnet und in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 FFH-RL geregelt. Über die allge8  Europäische Kommission, The Working Methods of the European Commission, P(2019) 2, S. 11. 9  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, unter 3.2. 10  Haag/Kotzur, in: Bieber/Epiney/Haag/Kotzur, Die Europäische Union, §  6 Rn.  29 ff.; Schlacke, Umweltrecht, § 7 Rn. 15.

Einleitung17

meinen Schutzmaßnahmen werden die Habitate von geschützten Arten und die typischen Biotope eines Lebensraumes in den Schutzgebieten durch Naturschutzmaßnahmen aufrechterhalten und vor allgemeinen Beeinträchtigungen geschützt. Maßgeblich ist dabei der Erhaltungszustand der von der Richtlinie erfassten Arten und Lebensraumtypen, der verbessert oder, wenn bereits günstig, erhalten werden soll. Die rechtsdogmatischen Aspekte der Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen des Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-RL bilden den Kern der Analyse. Eine solche umfassende Untersuchung der rechtlichen Aspekte der allgemeinen Schutzmaßnahmen steht bisher aus. Es besteht jedoch Bedarf, diese Lücke zu schließen. Denn um das bisher weitgehend unerreichte Vorhaben der Erhaltung und Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes der Arten und Lebensräume zu verwirklichen, müssen diese Maßnahmen effektiv umgesetzt werden. Die Mitgliedstaaten müssen das jeweilige Schutzgebiet durch die allgemeinen Schutzmaßnahmen (wieder-)herstellen und bewahren.11 Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich daher mit den Rechtsfragen einer solchen wirksamen Bewirtschaftung in den FFH-Schutzgebieten. Die in Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-RL normierten Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen gewinnen aktuell zunehmend an Bedeutung. In mehreren aktuellen Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland bemängelt die Europäische Kommission die fehlende Umsetzung der Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen.12 Durch den Klimawandel nimmt die Beeinträchtigung der Gebiete weiter zu, sodass die Abwehr von Schäden und der Umgang mit natürlichen Veränderungen der Gebiete als Gegenstand der allgemeinen Schutzmaßnahmen in den Fokus rückt. Ziel der Arbeit ist, vor dem geschilderten Hintergrund und aufgrund der immer neu auftretenden Forderungen nach Reformen der Richtlinie13 den Diskurs um einen rechtswissenschaftlichen Blickwinkel zu ergänzen, der bestehende dogmatische Probleme im Bereich des Gebietsschutzes analysiert und ergänzend Schwachstellen des Richtlinientextes aufdeckt, die den Fortschritt beim Erhalt der biologischen Vielfalt hemmen können. Als rechtswissenschaftliche Untersuchung liegt dabei der Fokus auf dem Regelwerk als solchem und den dogmatischen Fragestellungen.

11  Vgl.

etwa Art. 2 Abs. 2 FFH-RL. Rs. C-116/22, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2019/2145. 13  Vgl. etwa Dänisches Ministerium für Klima, Energie und Versorgung, Coexistence between renewable energy and biodiversity (Informationspapier für den Energierat), S. 2; Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation; siehe auch SPD/Bündnis 90/Die Grünen/FDP, Mehr Fortschritt wagen – Koalitionsvertrag 2021–2025, S. 56. 12  Anhängige

18 Einleitung

Zu analysieren ist, ob die Richtlinie normativ ausreichend sicherstellt, dass die vorgesehenen Maßnahmen volle Wirksamkeit entfalten und ob erarbeitete Auslegungsmuster nachjustiert werden sollten. Zunächst gilt es, die Interpretationen herauszuarbeiten, die auf die Anforderungen der Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie auf die regionalen Besonderheiten gemäß Art. 2 Abs. 3 FFH-RL Rücksicht nehmen, dem Ziel der Richtlinie aber den höchstmöglichen Wirkungsgrad einräumen. Unter Anwendung der klassischen Auslegungsmethoden werden die Besonderheiten und Grundsätze des europarechtlichen Naturschutzes hervorgehoben, um Auslegungsvarianten aufzuzeigen, die zu einer wirksameren Umsetzung des FFH-Rechts beisteuern können. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang auch der gewachsenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu. Die Arbeit soll so herausarbeiten, ob über die Auslegung der gegenwärtigen Bestimmungen effektive, wirksame Maßnahmen zu erwarten sind und rechtsdogmatisch hervorheben, inwiefern bestehende Regelungen problematisch sind. Falls es erforderlich ist, die Richtlinie anzupassen, wird ergänzend das weitere Steuerungspotential der Richtlinie durch Novellierungsvorschläge aufgezeigt, um auch rechtspolitisch das Bedürfnis nach Richtlinienbestimmungen zu beschreiben, die den Naturschutz effektiv fördern. Aus formellen Gesichtspunkten sprechen dabei für die Qualität eines Rechtsaktes die stringente Verwendung von Begriffen, eine klare Struktur und verständliche Sprache.14 Viele Sekundärrechtsakte der Union gelten als komplex und unübersichtlich.15 Gleichzeitig beklagen einige Stimmen zu unbestimmte Regelungen.16 In materieller Hinsicht ist entscheidend, ob die Rechtsakte geeignet sind, den angestrebten Zweck zu erfüllen und ob sie Lücken und Widersprüche aufweisen.17 Ziel von Rechtsänderungen muss es daher stets sein, praktikable und eindeutige Regelungen zu schaffen, die die rechtskonforme und möglichst umsetzungsstärkste Anwendung der Richtlinie zur Folge haben und bestehende Unsicherheiten im Vollzug der Richtlinie beseitigen. Die chronologische Vorgehensweise der Arbeit besteht darin, zunächst in einem ersten Schritt für die Analyse entscheidende entstehungsgeschichtliche Hintergründe und grundlegende rechtliche Paradigmen des europäischen Gebietsschutzes aufzuzeigen. In diesem ersten Kapitel wird ein besonderer Fokus auf die Ziele der Richtlinie zu legen sein, da nicht nur methodisch die 14  Krajewski/Rösslein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 62. EL 2017, Art. 289 AEUV, Rn. 37; BMJ (Hrsg.), Handbuch der Rechtsförmlichkeit, S.  62 ff. 15  Bunge/Schumacher, NuR 2016, 307, 307 f. 16  Rengeling/Gellermann, in: Di Fabio/Marburger/Schröder (Hrsg.), Jb. UTR 1996, 19 ff.; Kloepfer, NVwZ 2002, 645, 648 ff. 17  Fliedner, Rechtssetzung in Deutschland, S. 75 ff.

Einleitung19

teleologische Auslegungsmethode in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine besondere Stellung einnimmt,18 sondern die Zielbestimmungen der Richtlinie auch den Maßstab für die zu analysierenden Maßnahmen bilden. Im zweiten Kapitel folgt eine kritische Bestandsaufnahme der bisherigen Erfolge und Misserfolge der Richtlinie. Das Kapitel beschreibt den fortgesetzten, ungebremsten Biodiversitätsrückgang in der Europäischen Union und stellt die Ineffektivität der Maßnahmen im Gebietsschutz heraus. Die ausbleibenden Fortschritte bei der Erhaltung der Arten und Lebensräume und die Ineffektivität der Schutzmaßnahmen begründen den Forschungsbedarf für diese Arbeit. Als Forschungslücke wird in diesem zweiten Kapitel die bisher weitgehend fehlende rechtliche Ursachenforschung ausgemacht. Das dritte Kapitel der Arbeit bildet das Kernstück der Auseinandersetzung. In diesem Kapitel werden die Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen, die im Gebietsschutz vorgesehen sind, und ihre rechtlichen Besonderheiten erörtert. Die Vorgehensweise wird darin bestehen, jeweils die Richtlinienbestimmungen auszulegen und erkannte Fragestellungen mit Blick auf mögliche Hindernisse für eine effektive Anwendung der Richtlinie zu diskutieren, um, wenn für notwendig erachtet, anschließend ergänzend Reformvorschläge zu formulieren. Abschließend fasst das Schlussfazit die erarbeiteten Erkenntnisse zusammen. Auch die Novellierungsvorschläge zu Art. 6 FFH-RL werden gebündelt wiedergegeben.

18  Streinz, Europarecht, Rn. 632; Epiney, in: Bieber/Epiney/Haag/Kotzur, Die Europäische Union, § 9 Rn. 17, einschränkend aber Rn. 19.

Kapitel 1

Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie Im ersten Teil der Arbeit sind einige grundlegende Erläuterungen zum unionsrechtlichen Gebietsschutz unabdingbar. Der Fokus wird hierbei auf diejenigen Themen gelegt, die zum späteren Verständnis der Ausführungen beitragen. Schon der Name der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie gibt Aufschluss über ihren Regelungsgehalt. So erließ der Rat im Jahr 1992 mit der FFH-Richtlinie eine Richtlinie, die nicht nur dem Schutz von Tieren und Pflanzen, sondern auch dem Schutz ihrer Lebensräume dient.1 Besonders gefährdete oder vulnerable Arten und Lebensraumtypen sowie solche, die besonders selten, endemisch2 oder typisch für eine biogeographische Region sind, sind von der Richtlinie erfasst.3 In der FFH-Richtlinie stehen Arten- und Gebietsschutz als selbstständige Teilbereiche nebeneinander. Doch selbst in dem hier im Fokus stehenden Gebietsschutzteil der Richtlinie lassen sich Flächenschutz und Artenschutz nicht vollkommen trennen.4 Die Gebiete werden sowohl wegen vorhandener Lebensraumtypen als auch im Gebiet vorkommender Arten unter Schutz gestellt. Neben der Verschlechterung der spezifischen Lebensraumtypen und Habitate5 sollen auch Störungen der Arten vermieden werden.6 Die FFH-Richtlinie schützt als erste Naturschutzrichtlinie der Europäischen Union damit sowohl spezifische Lebensraumtypen als auch Arten.7 Wie es zu dieser Neuerung kam, soll im Folgenden näher betrachtet werden. NuR 2012, 385, 386; Jans/Vedder, European Environmental Law, S. 513. aus der Biologie: nur in einem begrenzten Gebiet verbreitet. 3  EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 35. 4  Siehe zur grundsätzlich problematischen Trennung von Arten- und Gebietsschutz Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 88. EL 2018, Vorbemerkung vor §§ 37–55 Rn. 1. 5  Zur Definition siehe Art. 1 lit. f FFH-RL; als Habitat bezeichnet man den durch spezifische Faktoren bestimmten Lebensraum einer Art. 6  Vgl. Art. 6 Abs. 2 FFH Richtlinie; die Arten, die dem Gebietsschutz unterfallen, finden sich in Anhang II der Richtlinie. 7  Berner, Der Habitatschutz im europäischen und deutschen Recht, S. 38; Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, S. 269; von Zingler, Anpassung des euro­ päischen und des nationalen Gebietsschutzes an die Folgen des Klimawandels, S. 124. 1  Louis,

2  Begriff



A. Die Umweltpolitik der Union21

A. Die Umweltpolitik der Union In den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts begann eine Zeit voll rechtlicher Neuerungen im Naturschutzrecht. Nun erkannte man, dass wirksamer Naturschutz nur auf internationaler Ebene geleistet werden kann. Wandernde Tierarten sowie die wachsenden Handelsbeziehungen machten völkerrechtliche Abkommen und Rechtsakte der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unentbehrlich.8

I. Genese einer umfassenden Umweltpolitik Diese Entwicklung war aufgrund des gestiegenen Handelsaufkommens wechselseitig bedingt: Einerseits verursachte die geschaffene Warenverkehrsfreiheit neue Umweltprobleme.9 Andererseits sollten die Wettbewerbsbedingungen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angeglichen werden, um nicht durch verschiedene Umweltstandards den Wettbewerb zu erschweren.10 Bestimmte globale Umweltprobleme ließen sich trotz Beachtung des Subsidiaritätsprinzips am sinnvollsten auf übergeordneter, europaweiter Ebene lösen.11 Hierzu zählten neben Schäden, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft durch Entscheidungen in anderen Politikbereichen, wie etwa der Verwirklichung eines gemeinsamen Binnenmarktes, selbst verursachte, auch die Schäden, die die Mitgliedstaaten als Einzelstaaten hervorriefen, aber dennoch ein gemeinsames Problem darstellten, wie beispielsweise die traditionelle Jagd auf bestimmte europäisch bedeutsame Arten.12 Natur8  Emonds, NuR 1979, 52, 52 ff.; Präambel zum Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen, BGBl. 1975 II, S. 777; Bendomir-Kahlo, in: Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch (Hrsg.), BNatSchG Kommentar, Vor § 39 Rn. 1; vgl. z. B. Empfehlung 32 der UN-Umweltkonferenz Stockholm 1972 zum Schutz wandernder wildlebender Tierarten. 9  Zur Umweltbelastung durch Güterverkehr siehe: Jahns-Böhm/Breier, EuZW 1992, 523, 525 f.; zu der Bedrohung des Artenschutzes siehe: Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen, BGBl. 1975 II, S. 777; zusammenfassend Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 2. Kap. Rn. 3; Bader/May, EG und Naturschutz, S. 32 f. 10  Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 2. Kap. Rn. 3; Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 191 Rn. 1. 11  Bader/May, EG und Naturschutz, S. 34; Begründung zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten, abgedruckt in BR Drucks. 445/88, S. 1 f. 12  Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 2. Kap. Rn. 3; Bader/May, EG und Naturschutz, S. 34 f.; vgl. zu Umweltschäden, die der europäische Markt verursacht (unter dem Stichwort „Korrektur des Marktversagens“) auch Koch, Das Subsidiaritätsprinzip im europäischen Umweltrecht, S. 47 ff.

22

Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

wissenschaftlich betrachtet sind die Ökosysteme der Mitgliedstaaten ohnehin nicht trennbar.13 Die in den siebziger Jahren abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge beeinflussten den europäischen Naturschutz nachhaltig. Als für die spätere FFH-Richtlinie relevantes Abkommen ist beispielsweise das Ramsar-Abkommen14 von 1971 zum Schutz von Feuchtgebieten zu nennen.15 Weitere wichtige Weichenstellungen für den europäischen Gebietsschutz waren außerdem das Washingtoner Artenschutzübereinkommen16 aus dem Jahre 1973 zu Handelsbeschränkungen mit bestimmten Tier- und Pflanzenarten und das Bonner Übereinkommen17 von 1979 zum Schutz von regelmäßig über die Landesgrenzen wandernden Arten.18 Das Bonner Übereinkommen veranlasste weitere bis heute bedeutsame internationale Abkommen über die erfassten Tierarten.19 Ebenfalls Ende der siebziger Jahre wurden auch im Europarat durch das Berner Übereinkommen Vereinbarungen zum Arten- und Habitatschutz getroffen.20 Zeitgleich zur FFH-Richtlinie wurde auf völkerrechtlicher Ebene das Übereinkommen über die biologische Vielfalt21 erarbeitet, welches ebenfalls Bestimmungen zur Erhaltung und Wiederherstellung von Ökosystemen mit dem Ziel der Bewahrung der Biodiversität vorsieht.22 Die Naturschutzpolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nahm im Jahr 1970 ihren Anfang. Die Europäische Kommission empfahl harmoni-

EG und Naturschutz, S. 31. über Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung v. 2.2.1971, abgedruckt in BGBl. 1976 II, S. 1265 ff. 15  Wormit, NuR 2021, 739, 743 f., 746; vgl. auch Gärditz, AVR 2016, 413, 433. 16  Übereinkommen v. 3.3.1973 über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (CITES), abgedruckt in BGBl. 1975 II, S.  777 ff. 17  Übereinkommen v. 23.6.1979 zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten, abgedruckt in BGBl. 1984 II, S. 569 ff. 18  Vgl. dazu Berner, Der Habitatschutz im europäischen und deutschen Recht, S.  36 ff.; Emonds, NuR 1979, 52, 53 f. 19  EUROBATS-Übereinkommen (Abkommen zur Erhaltung der europäische Fledermauspopulationen v. 4.12.1991); AEWA (Abkommen zur Erhaltung der afrikanisch-eurasischen wandernden Wasservögel in der Fassung v. 4.12.2018). 20  Übereinkommen v. 19.9.1979 über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume, abgedruckt in BGBl. 1984 II, S.  620 ff. 21  Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) v. 5.6.1992, abgedruckt in BGBl. 1993 II, S. 1741 ff. 22  Hendrischke, in: Schlacke (Hrsg.) GK-BNatSchG, Vorbem. Zu §§  20–30, Rn. 17; Czybulka, ­EurUP 2021, 2, 12 f.; die Biodiversitätsstrategien der Bundesregierung beruhen auf der Umsetzung des CBD. 13  Bader/May,

14  Übereinkommen



A. Die Umweltpolitik der Union23

sierte Regelungen zur Reinhaltung der Flüsse.23 Im darauffolgenden Jahr erklärte die Kommission den Umweltschutz zu einer Gemeinschaftsaufgabe.24 Bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war eine gemeinsame Naturschutzpolitik nämlich nicht vorgesehen gewesen.25 Auch von Seiten der Mitgliedstaaten verdichtete sich der Wunsch nach einem gemeinsamen Aktionsrahmen im Umweltbereich,26 sodass im Jahr 1972 auf der Pariser Konferenz ein konkretes Aktionsprogramm mit einem Zeitrahmen von den Staats- und Regierungschefs gefordert und im Jahr 1973 verabschiedet wurde.27 Inzwischen wurden bereits acht Umweltaktionsprogramme erlassen. Sie geben jeweils Aufschluss über Ziele und Maßnahmen, die die Staatengemeinschaft in den nächsten fünf bis zehn Jahren anvisiert.28 Die FFH-Richtlinie beruht auf dem vierten Umweltaktionsprogramm.29 Dort wurde unter dem Stichpunkt der besseren Bewirtschaftung der Ressourcen die Absicht kundgetan, Umweltzonen von gemeinschaftlicher Bedeutung zu schützen und zu regenerieren.30 23  Vgl.

Abl. EG C 143/30 v. 3.12.1970 und C 2/22 v. 11.1.1972. Kommission, Erste Mitteilung der Kommission über die Politik der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Umweltschutzes, abgedruckt in BR Drucks. 463/71, S.  3 ff.; Behrens, Rechtsgrundlagen der Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaften, S. 26. 25  Bader/May, EG und Naturschutz, S. 45; Begründung zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten, abgedruckt in BR Drucks. 445/88, S. 2; zu umweltrelevanten Rechtsakten vor 1972 wie dem Gesundheitsschutz durch ionisierende Strahlen auf Grundlage der Art. 30 ff. EAGV vgl. Behrens, Rechtsgrundlagen der Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaften, S. 25 f. 26  Vgl. aber Krämer, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, Band 3 (1991), Vorbemerkung zu den Artikeln 130 r bis 130 t, Rn. 4, der darauf hinweist, dass Frankreich weiterhin auf eine zwischenstaatliche Lösung setzte. 27  ABl. Nr. C112/1 v. 20.12.1973; Grabitz/Zacker, NVwZ 1989, 297, 297; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Deutschland auf der Basis europarechtlicher Vorgaben, S.  15 f.; Bader/May, EG und Naturschutz, S. 38. 28  Appel, in: Koch, Umweltrecht, § 2 Rn. 22. 29  Entschließung des Rates der Europäischen Gemeinschaften und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten zur Fortschreibung und Durchführung einer Umweltpolitik und eines Aktionsprogramms der europäischen Gemeinschaften für den Umweltschutz (1987–1992) v. 19.10.1987, ABl. EG C 328/1 v. 7.12.1987; vgl. EWG 2 FFH-RL; Begründung zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten, abgedruckt in BR Drucks. 445/88, S. 2; Grabitz/Zacker, NVwZ 1989, 297, 297; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Deutschland auf Basis europarechtlicher Vorgaben, S. 28. 30  Entschließung des Rates der Europäischen Gemeinschaften und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten zur Fortschreibung und Durchführung einer Umweltpolitik und eines Aktionsprogramms der europäischen Gemein24  Europäische

24

Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

Der Anstoß für eine gemeinsamen Umweltpolitik und der wachsende Druck durch internationale Abkommen führten schließlich zu einer Vielzahl von konkreten umweltpolitischen Rechtsakten, von denen vorliegend nur solche genannt werden sollen, die für die spätere FFH-Richtlinie besonders relevant sind.31 Hierzu zählen die Umsetzungen des Berner sowie des Bonner Übereinkommens.32 Besonders grundlegend für die FFH-Richtlinie war auch die Verabschiedung der Vogelschutzrichtlinie im Jahr 1979, die gemeinsam mit weiteren sekundären Rechtsakten unter anderem das Washingtoner Artenschutzabkommen umsetzt.33 Die Vogelschutzrichtlinie sieht seitdem den länderübergreifenden Schutz von in der Europäischen Union heimischen Vogelarten und ihren Habitaten vor.34 Sie konnte sich allerdings noch nicht auf eine kompetenzrechtliche Grundlage eigens für den Bereich „Umwelt“ stützen.35 Ein ausdrücklicher Kompetenztitel für den Bereich „Umwelt“ wurde schließlich 1987 durch die Einheitliche Europäische Akte eingeführt.36 Die neu geschaffene Kompetenzgrundlage (ex-Art. 130r-t EWGV) formulierte auch bereits Ziele und Grundsätze der Umweltpolitik. Auf die Prinzipien, nach denen die Umweltpolitik der Union ausgerichtet ist, soll nun noch genauer eingegangen werden.

II. Das Vorsorgeprinzip Die Umweltpolitik der Union richtet sich heute gemäß Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV nach den Grundsätzen der Vorsorge und der Vorbeugung, dem Grundschaften für den Umweltschutz (1987–1992) v. 19.10.1987, ABl. EG C-328/3 v. 7.12.1987. 31  Grabitz/Zacker, NVwZ 1989, 297, 297; Bader/May, EG und Naturschutz, S. 39; Jans/von der Heide, Europäisches Umweltrecht, S. 3; Nitschke, Harmonisierung des nationalen Verwaltungsvollzugs von EG-Umweltrecht, S. 13; Begründung zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten, abgedruckt in BR Drucks. 445/88, S. 2. 32  Beschl. 82/72/EWG über den Abschluss des Übereinkommens zur Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume; Beschl. 82/461/EWG über den Abschluss des Übereinkommens zur Erhaltung der wandernden wild lebenden Tierarten. 33  Emonds, NuR 1979, 52, 55 f.; Berner, Der Habitatschutz im europäischen und deutschen Recht, S. 37; Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, S. 262 f. 34  Emonds, NuR 1979, 52, 55 f.; Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, § 13 Rn. 22; vgl. Art. 1 Abs. 2 VRL. 35  Grabitz/Zacker, NVwZ 1989, 297; Grundlage für die Vogelschutzrichtlinie war noch Art. 235 EWGV, siehe Richtlinie 79/409/EWG, Abl. EG L 103/1 v. 25.4.1979. 36  Wagner, NuR 1990, 396, 396; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Deutschland auf der Basis europarechtlicher Vorgaben, S. 16 f.; Bader/May, EG und Naturschutz, S. 46 ff.



A. Die Umweltpolitik der Union25

satz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen sowie dem Verursacherprinzip. Bei der Auslegung der Richtlinie sind diese primärrechtlichen Vorgaben des Unionsrechts zu beachten. Das Primärrecht enthält Grundsätze, denen die Umweltpolitik und damit auch die Umweltrechtsetzung der Union folgen muss und bestimmt das Schutzniveau, das durch das Sekundärrecht erreicht werden soll. Das Vorsorgeprinzip wird vom Europäischen Gerichtshof mittlerweile regelmäßig zur Auslegung der FFHRichtlinie herangezogen und steht dementsprechend im Folgenden im Fokus.37 Die primärrechtlichen Prinzipien prägen die FFH-Richtlinie, die die Umweltgrundsätze teilweise konkretisiert und spezifische Pflichten ausformt. Sie bestimmen die Auslegung des Sekundärrechtsaktes und namentlich der Bestimmungen über die Maßnahmen im Gebietsschutz grundlegend und sind in dieser ausdifferenzierten Form voll justiziabel.38 Die Unionsorgane selbst müssen sich bei der Verabschiedung der Richtlinie verbindlich an die Grundsätze halten.39 Die Richtlinie kann somit unionsrechtskonform nur im Lichte der primärrechtlichen Umweltgrundsätze autonom interpretiert werden und ist durch die Mitgliedstaaten im Sinne der Prinzipien umzusetzen.40 Das Vorsorgeprinzip ist dabei für die Interpretation der Richtlinienbestimmungen von besonders entscheidender Bedeutung.41 Der im Jahr 1992 geltende Art. 130r Abs. 2 EWGV beinhaltete das Vorsorgeprinzip noch nicht.42 Es wurde im internationalen Rahmen erstmals ausdrücklich bei der Konferenz der Vereinten Nationen von Rio de Janeiro formuliert.43 „Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechte37  Z. B. EuGH, Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 41; Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn.  57 f. 38  Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, S. 261 f.; 284; Jans/von der Heide, Europäisches Umweltrecht, S. 34; Schröder, NVwZ 1996, 833, 833, 834 f. 39  Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 191 Rn. 51; Jans/von der Heide, Europäisches Umweltrecht, S. 34. 40  Epiney, in: Rengeling (Hrsg.), EUDUR I, § 30 Rn. 31 f.; Epiney, in: Gaitanides/ Kadelbach/Rodriguez Iglesias (Hrsg.), Europa und seine Verfassung – FS Zuleeg, S.  638 ff.; Jans/von der Heide, Europäisches Umweltrecht, S. 34; a. A. Schröder, in: Rengeling (Hrsg.), EUDUR I, § 31 Rn. 12 ff. 41  Siehe z. B. EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02 Rn. 44. 42  A.  A. unter Berufung auf den Vorbeugegrundsatz Rengeling, Umweltvorsorge und ihre Grenzen im EWG-Recht, S. 12 ff. 43  Zuvor war das Vorsorgeprinzip in den Ministererklärungen der zweiten (1987) und dritten (1990) internationalen Konferenz zum Schutz der Nordsee angeklungen, allerdings ohne als Prinzip herausgestellt zu werden; Werner, UPR 2001, 335, 335.

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Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

rungen aufzuschieben“, heißt es in der Rio-Erklärung.44 Durch den Maas­ trichter Vertrag wurde das Vorsorgeprinzip schließlich in das europäische Primärrecht aufgenommen45 und ist heute auf Unionsebene zum allgemeinen Rechtsprinzip erstarkt.46 Nach dem unionsrechtlichen Vorsorgeprinzip sollen Schäden an der Umwelt nach Möglichkeit nicht erst entstehen und im Nachgang behoben werden, sondern der Schadenseintritt soll bereits verhindert werden.47 Insofern spielt das Vorsorgeprinzip bei der Vermeidung von Schäden an der Natur und der Zulassung von Vorhaben eine bedeutende Rolle.48 Um bereits den Schadenseintritt zu verhindern, verpflichtet entsprechend dem Vorsorgeprinzip bereits das Risiko49 einer Beeinträchtigung zu einer Handlung. Die Handlungspflicht entsteht damit früher als im nationalen allgemeinen Ordnungsrecht, das grundsätzlich ein Handeln erst zur Abwehr von Gefahren vorsieht.50 Während die „Gefahr“ eine hinreichende Wahrscheinlichkeit verlangt, reicht für die Annahme eines „Risikos“ im Rahmen des Vorsorgeprinzips die prognostizierbare Möglichkeit eines Schadenseintritts aus.51 Nach dem Vorsorgegedanken erfordern auch lediglich potenzielle Gefahren Abwehrmaßnahmen. 44  Konferenz der Vereinten Nationen, Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung, Grundsatz 15, abgedr. u. a. in Breuer/Kloepfer/Marburger/Schröder (Hrsg.), Jahrbuch des Umwelt-und Technikrechts 1993, S. 411 f. 45  Vertrag über die Europäische Union, unterzeichnet zu Maastricht v. 7.2.1992, Abl. EG C 191/29 v. 29.7.1992; Werner, UPR 2001, 335, 335, 337. 46  Vgl. EuGH, Urt. v. 14.7.1998, C-284/95, Rn. 35; Urt. v. 14.7.1998, C-341/95 Rn. 33; Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 2.2.2000 über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, KOM 2000/1 unter 3.; Calliess, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder (Hrsg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 2006, S. 98 f.; kritisch Appel, NVwZ 2001, 395, 397 f. 47  Frenz, Europäisches Umweltrecht, S. 47. 48  EuGH, Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 41; Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 57 f. 49  Zur wissenschaftlichen Bestimmung eines „Risikos“ im Umweltbereich siehe z. B. SRU, Umweltgutachten 2016, Kap. 6, S. 373. 50  Man könnte stattdessen auch von einem europarechtlichen Gefahrbegriff sprechen, vgl. st. Rspr. d. EuGH z. B. EuGH, Urt. v. 29.7.2019, C-411/17, Rn. 158 u. Urt. v. 14.1.2016, C-141/14, Rn. 58; Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, S. 287; Köck, ZUR 2005, 466, 467; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 2 Rn. 19; die ressourcenökonomische Dimension des Vorsorgeprinzips geht im Unionsrecht in dessen Risikodimension auf – auch diese verlangt, dass Belastungsschwellen nicht voll ausgenutzt werden, sondern ein Spielraum verbleibt, vgl. GA Kokott, Schlussanträge v. 25.7.2018, C-293/17 u. C-294/17, Nr. 56 ff. Die ressourcenökonomische Dimension nicht erfasst sehen Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 2 Rn. 22. Anders unter Kritik an der Mitteilung der Kommission über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips Appel, NVwZ 2001, 395, 397. 51  Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 191 Rn. 33; strenger: Storm, Umweltrecht, Rn. 33, der unter Bezugnahme auf BVerfGE 49, 89, 137 ff. eine



A. Die Umweltpolitik der Union27

Da das Vorsorgeprinzip bereits die Risikovorsorge einschließt, sieht sich das Prinzip mit dem Problem der Prognoseunsicherheit konfrontiert. Bei der naturwissenschaftlichen Ermittlung von Risiken kann man nicht jedes Risiko ausschließen und oft keine sicheren Befunde angeben.52 Prognoseunsicherheiten können sich aufgrund von wissenschaftlichen Unsicherheiten bei den Erfassungsmethoden und -quellen ergeben oder aufgrund fachlicher Uneinigkeit.53 Gegebenenfalls fehlen Daten sogar gänzlich. Dies kann so weit gehen, dass nicht geklärt werden kann, ob ein Risiko überhaupt besteht.54 Folglich steht, wie auch bereits in der Erklärung der Konferenz der Vereinten Nationen von Rio de Janeiro, die Frage im Vordergrund, wie bei Unsicherheiten verfahren werden muss.55 Das Vorsorgeprinzip kann für ein breites Spektrum von Abwehrmaßnahmen herangezogen werden, die alle unter das Stichwort des „Risikomanagements“56 gefasst werden können.57 Es sind somit vielfältige Schutzmaßnahmen möglich, um ein Risiko zu mindern und einen dennoch eintretenden Schaden aufzufangen. Im Gebietsschutz der FFH-Richtlinie sind die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen und das mehrstufige Zulassungsverfahren für Projekte und Pläne Ausdruck des Vorsorgeprinzips.58 Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebietet den Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um Schäden am Gebiet vorzubeugen. Ein potentieller Schadenseintritt muss nicht nachgewiesen, sondern möglich sein.59 Aus diesem Grund ist auch eine VerträglichkeitsprüWahrscheinlichkeit über dem Restrisiko verlangt. Seine Ausführungen könnten sich somit auf die deutsche Auslegung des Vorsorgeprinzip beschränken. 52  Murswiek, VVDStRL 1990, 207, 211 f. 53  Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 2.2.2000 über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, KOM 2000/1 unter 5.1.3., 6.2.; fachliche Uneinigkeit entspringt auch durch wissenschaftlichen Fortschritt: siehe hierzu Murswiek, VVDStRL, 1990, 207 ff. m. w. N. 54  Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 2.2.2000 über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, KOM 2000/1 unter 5.2. 55  Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 2.2.2000 über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, KOM 2000/1 unter 5.; Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, S. 72, 127; Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, S. 286. 56  Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 2.2.2000 über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, KOM 2000/1 Zusammenfassung unter 4.; EuG, Urt. v. 11.9.2002, T-13/99, Rn. 163. 57  Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 2.2.2000 über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, KOM 2000/1 unter 5.2.2.; vgl. z. B. BVerwGE 128, 1, 27 f. 58  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 17. 59  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 155; Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 29; Urt. v. 14.1.2016, C-141/14, Rn. 58; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 142.

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Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

fung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bereits notwendig, wenn ein erheblicher Schaden am Gebiet nur möglich erscheint.60 Die Mitgliedstaaten dürfen ein Vorhaben nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL außerdem nur zulassen, wenn sie dessen Gebietsverträglichkeit festgestellt haben, das heißt, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel an dem Ausbleiben einer Verschlechterung besteht.61 Dem Mitgliedstaat obliegt die Beweislast, etwaige Zweifel auszuschließen.62 Daher muss sich auch die Behörde bei der Zulassung eines Vorhabens entsprechend vergewissern, dass der Plan oder das Projekt die Erhaltungsziele im Gebiet nicht beeinträchtigen kann.63 Entsprechend darf in gerichtlichen Verfahren, die die Zulässigkeit des Vorhabens zum Gegenstand haben, kein wissenschaftlich begründeter Zweifel an der Vereinbarkeit des Projektes oder Plans mit den Erhaltungszielen bestehen.64 Wohl von demselben Verständnis des Vorsorgeprinzips ausgehend bezieht die Präambel des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt das Vorsorgeprinzip folgendermaßen in die der Konvention zugrundeliegenden Erwägungen ein: Die Vertragsparteien haben sich „(…) in Anbetracht dessen, daß in den Fällen, in denen eine erhebliche Verringerung der biologischen Vielfalt oder ein erheblicher Verlust an biologischer Vielfalt droht, das Fehlen einer völligen wissenschaftlichen Gewißheit nicht als Grund für das Aufschieben von Maßnahmen zur Vermeidung oder weitestgehenden Verringerung einer solchen Bedrohung dienen sollte …“ entschieden, das Übereinkommen zu beschließen.65

III. Hohes Schutzniveau und nachhaltige Entwicklung Im Zuge des Maastrichter Vertrages erfuhr das Primärrecht der damaligen Europäischen Gemeinschaft neben der Normierung des Vorsorgeprinzips eine 60  EuGH, st. Rspr. z. B. Urt. v. 7. 11.2004, C-127/02, Rn. 44; Jans/Vedder, European Environmental Law, S. 515. 61  EuGH, st. Rspr., z. B. Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 170. 62  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 155; Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 29; Urt. v. 14.1.2016, C-141/14, Rn. 58; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 142. 63  Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 29.1.2004, C-209/02, Rn. 25 f.; BVerwGE 128, 1, 27; Fellenberg, NVwZ 2019, 177, 184. 64  Vgl. Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 526; vgl. EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 170; vgl. auch EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-141/14, Rn. 58; Urt. v. 24.11.2011, C‑404/09, Rn. 142. 65  Präambel des Übereinkommens über die biologische Vielfalt v. 5.6.1992, abgedruckt in BGBl. 1993 II, S. 1742 f. – die Kursivschreibung stammt nicht aus der Präambel, sondern wurde zur Hervorhebung vorgenommen; Frenz, Europäisches Umweltrecht, S. 47 f.; nach Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, S. 21, stellt die Minimierung eines Risikos ein Minus zur Verhinderung dar, diese sei stattdessen nach dem Vorbeugeprinzip gefordert.



A. Die Umweltpolitik der Union29

weitere wichtige Neuerung. Art 130r Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 EGV-Maastricht verpflichtete die Kommission, ein hohes Schutzniveau ihrer Umweltpolitik anzustreben.66 Beim Erlass umweltrelevanter Vorschriften muss das durch den Sekundärrechtsakt angestrebte Ziel somit eines sein, das einem hohen Schutzniveau entspricht. Die FFH-Richtlinie entstand zwar, bevor der Maastrichter Vertrag in Kraft trat. Eine historische Auslegung dergestalt, dass der Gesetzgeber mit der FFH-Richtlinie ein hohes Schutzniveau im Sinne des europäischen Vertragsrechts angestrebt habe, scheidet daher aus. Dennoch wird die derzeitige Umweltpolitik der Union, zu der auch die FFH-Richtlinie zählt, durch das geltende Primärrecht dirigiert. Das hohe Schutzniveau der europäischen Umweltpolitik ist heute in Art. 191 Abs. 2 S. 1 AEUV normiert.67 Den Zielen der FFH-Richtlinie wird durch das angestrebte hohe Schutzniveau ein bestimmtes Gewicht verliehen. Dennoch taucht immer wieder die Frage nach der Gewichtung des Belangs „Umwelt“ gegenüber anderen Belangen auf.68 Die von der Union erlassenen Sekundärrechtsakte werden zumeist zur Stärkung eines bestimmten Belangs erlassen. In der FFH-Richtlinie ist es der Schutz der Biodiversität, der Schutz von Lebensräumen und Arten. Dieser Schutz wurde bei Erlass der Richtlinie mit anderen entgegenstehenden Belangen, namentlich wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Belangen in Bezug gesetzt. Der Gesetzgeber versuchte, mit dem Schutzziel im Blick, allen Belangen die größtmögliche Wirksamkeit zu verleihen. Die Umweltschutzrichtlinien enthalten ihrerseits Öffnungen und Abwägungen zu Gunsten kollidierender Belange. Die Möglichkeit, eine FFH-Verträglichkeitsprüfung von Plänen und Projekten im Gebiet durchzuführen und eine Ausnahmegenehmigung in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zu erlassen, berücksichtigt entgegenstehende Interessen. Dies spricht dafür, dass die Regelungen der Richtlinie selbst Ausdruck eines verhältnismäßigen Gesetzgebungsaktes sind. Insbesondere im Gebietsschutz prägen außerdem die regionalen Gegebenheiten die Bestimmung des Schutzniveaus, Art. 191 Abs. 2 S. 1 AEUV. Bereits die durch die Mitgliedstaaten anhand bestimmter Kriterien durchgeführte Schutzgebietsauswahl nimmt auf diesen Umstand Rücksicht.69 Außerhalb der Schutzgebiete und abgesehen von dem Schutz bestimmter Arten verbleibt ein großer Freiraum für umweltschutzfremde Schwerpunkte. Zudem können die Mitgliedstaaten Gebiete priorisieren und deren Aufwertung im in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, AEUV Art. 191 Rn. 6 ff. EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 74. 68  Siehe hierzu Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 191 Rn. 19 f. 69  Vgl. Anhang III (Phase 1) FFH-RL; siehe hierzu auch von Zingler, Anpassung des europäischen und des nationalen Gebietsschutzrechts an die Folgen des Klimawandels, S. 132. 66  Kahl, 67  Vgl.

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Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

Gesamtverbund planen, um auf regionale Unterschiede und Begebenheiten reagieren zu können.70 Das von der Union angestrebte hohe Schutzniveau ist zudem als Teil des Gesamtbilds ihrer Politik einzuordnen. Die Europäische Union strebt eine nachhaltige Entwicklung an.71 Somit ist der angestrebte Umweltschutz im Kontext der nachhaltigen Entwicklung zu sehen. Das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung sieht eine Harmonisierung von wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Belangen vor. Laut dem dritten Erwägungsgrund der FFHRL soll auch die FFH-Richtlinie zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Es entspricht daher keiner nachhaltigen Entwicklung, die unterschied­ lichen Belange gegeneinander „auszuspielen“.72 Stattdessen sollten langfristige Entwicklungen bei den in der Richtlinie vorgesehenen Abwägungen ins Blickfeld rücken, durch die deutlich wird, dass auch wirtschaftliche und soziale Belange auf lange Sicht vom Umweltschutz profitieren können.

B. Erlass der FFH-Richtlinie Nachdem die einschlägigen Grundsätze und Prinzipien der Umweltgesetzgebung der Europäischen Union näher betrachtet wurden, soll nun der Fokus auf die FFH-Richtlinie selbst gelenkt werden.

I. Politischer Hintergrund Die Umweltschutzpolitik der Union wird durch Umweltaktionspläne geformt. Biodiversitätsstrategien knüpfen an diese an und formulieren die nächsten politischen Aufträge.73 Als rechtliche Umsetzung dieser politischen Konzepte dient das sekundäre Unionsrecht.74 Die FFH-Richtlinie basiert auf dem vierten Umweltaktionsprogramm, in dem die Sicherung der Biodiversität und des Naturerbes der Union mit ihren regionaltypischen Ökosystemen benannt werden.75 Das Umweltaktionsprogramm sah vor, zum Schutz des 70  Vgl.

Art. 4 Abs. 4 FFH-RL. Art. 11 AEUV; siehe auch aktuell EEA, Reflecting on green growth, S. 9 ff. 72  Das Problem zeigt sich aktuell bspw. in der Klimapolitik, deren große Herausforderung es ist, die Biodiversitäts- und Klimakrise als sich bedingende Problemstellungen gemeinsam zu bewältigen. 73  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, Einleitung. 74  Vgl. Grabitz/Zacker, NVwZ 1989, 297, 297 f. 75  Vgl. EWG 2 und 3 FFH-RL; EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 78; Urt. v. 6.9.2011, C-383/09, Rn. 2; Freytag/Iven, NuR 1995, 109, 109; Bader/May, EG und 71  Vgl.



B. Erlass der FFH-Richtlinie31

gemeinschaftlichen Naturerbes die Umwelt innerhalb von Zonen von gemeinschaftlicher Bedeutung zu regenerieren und zu fördern.76

II. Vom Entwurf bis zum heutigen Normtext der Richtlinie Auf Grundlage des vierten Umweltaktionsprogramms legte die Europäische Kommission dem Rat basierend auf der neu geschaffenen Rechtssetzungskompetenz des Art. 130s EWGV Mitte des Jahres 1988 den Entwurf77 der FFH-Richtlinie vor.78 Sie wurde schließlich am 21.5.1992 erlassen.79 Um sich dem Inhalt des Rechtsaktes anzunähern, soll nun der Normtext genauer vorgestellt und ein Überblick über die Systematik der Vorschriften gegeben werden. Zu diesem Zweck wird auch ein Blick auf den Entwurfstext aus dem Gesetzgebungsverfahren der FFH-Richtlinie geworfen. Die Entwurfsfassung gibt einen Einblick, aus welchen Gründen der heutige Normtext seine spezifische Form aufweist. Der Kommissionsentwurf von 1988 war bereits in einen Habitatschutzteil und einen Artenschutzteil aufgeteilt und endete mit verfahrenstechnischen Regelungen zu Forschung und Überwachung. Dieser Aufbau wurde bis zur heutigen Fassung beibehalten. Die üblichen Eingangsbestimmungen, die Definitionen und Ziele formulieren, wurden im Gegensatz zum ersten Entwurf der Kommission80 im kodifizierten Richtlinientext81 präzisiert. Art. 1 FFHRL enthält nun die Begriffsbestimmungen. Er definiert etwa den Begriff der Naturschutz, S. 32; Lau, in: Rehbinder/Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, § 11 Rn. 66. 76  Entschließung des Rates der Europäischen Gemeinschaften und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten zur Fortschreibung und Durchführung einer Umweltpolitik und eines Aktionsprogramms der europäischen Gemeinschaften für den Umweltschutz (1987–1992) v. 19.10.1987, ABl. EG C 328/3 v. 7.12.1987. 77  EG-Kommission, Einleitung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten v. 16.8.1988, Abl. EG C 247/3 v. 21.9.1988. 78  Wagner, Die planbezogene Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Entwurf der EG-Richtlinie „Fauna, Flora, Habitat“, S. 14; Krämer, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, Band 3 (1991), Vorbemerkung zu den Artikeln 130 r bis 130 t, Rn. 91. 79  ABl. EG L 206 v. 22.7.1992, S. 7. 80  Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten v. 16.8.1988, Abl. C 247/3 v. 21.9.1988. 81  Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in der Fassung v. 21.5.1992, Abl. EG L 206/07 v. 22.7.1992.

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Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

„Erhaltung“ in Art. 1 lit. a FFH-RL und nennt die Definition eines besonderen Schutzgebietes, mithin eines FFH-Gebietes, in Art. 1 lit. l FFH-RL. Die geschützten Lebensräume und Arten werden in inzwischen teilweise aktualisierten Anhängen gelistet. Während die Liste der Arten Pflanzen und Tier­ arten der verschiedensten Formen umfasst, teilt die Richtlinie die natürlichen Lebensräume in Kategorien ein, die von trockenen europäischen Heiden bis zu Lorbeer-Gebüschen zahlreiche in der Europäischen Union heimische Biotope typisieren. Bereits der Richtlinienentwurf formulierte als Ziel des Rechtsakts, die natürlichen und naturnahen Lebensräume und wildlebenden Arten zu erhalten und die Artenvielfalt zu fördern. Der beschlossene Richtlinientext konkretisiert dieses Ziel in Art. 2 Abs. 2 FFH-RL. Ein günstiger Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen ist zu erreichen. Im Abschnitt über den Gebietsschutz in der heutigen Richtlinie verpflichtet Art. 3 FFH-RL die Mitgliedstaaten zudem, ein zusammenhängendes, „kohärentes“ Schutzgebietsnetz zu errichten, das in Zusammenschau mit den Vogelschutzgebieten als Netz „Natura 2000“ bezeichnet wird. An Art. 3 FFH-RL anschließend beschäftigt sich die Richtlinie ausführlich über mehrere Artikel hinweg mit der Auswahl und Ausweisung der Schutzgebiete. Nachdem die Kommission neun Jahre nach Bekanntgabe der Richtlinie die vollständigen Listen der Gebiete vom gemeinschaftlicher Bedeutung erstellt hat (Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2, Abs. 3 FFH-RL),82 mussten die Mitgliedstaaten die Gebiete innerhalb von sechs Jahren ausweisen, Art. 4 Abs. 4 FFH-RL. Bereits durch die Aufnahme eines Gebietes in die Liste der Europäischen Kommission erhält ein Gebiet den Status eines Gebietes von gemeinschaftlicher Bedeutung und unterliegt den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2–4 FFH-RL.83 Durch die Schutzgebietsausweisung werden die Gebiete schließlich zu besonderen Schutzgebieten.84 Der Mitgliedstaat ist nun verpflichtet, sämtliche Schutzmaßnahmen anzuwenden.85 Die Maßnahmen, die in dieser Arbeit behandelt werden, finden sich im zentralen Artikel des Gebietsschutzes, dem Art. 6 FFH-RL. Der heute das europäische Gebietsschutzrecht bestimmende Artikel war in dem Kommis­ 82  Die Frist für die Ausweisung der Gebiete ist 2014 abgelaufen, Europäische Kommission, Ergänzendes Aufforderungsschreiben, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S. 8; vgl. hierzu auch tabellarisch dargestellt Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, Vorbem. zu §§ 31–36 BNatSchG, Rn. 12; vgl. Art. 3 Abs. 1, 2 FFH-RL. 83  Art. 4 Abs. 5 FFH-RL; EuGH, Urt. v. 13.1.2005, C-117/03, Rn. 21 ff. 84  Siehe die Definition in Art. 1 lit. l FFH-RL. 85  Siehe zu den Stufen der Ausweisung auch EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 45.



B. Erlass der FFH-Richtlinie33

sionsentwurf noch über verschiedene Artikel verteilt. Er enthält Handlungsanweisungen und Verfahren, die für die mitgliedstaatlichen Behörden bei der Verwaltung der besonderen Schutzgebiete verbindlich sind. Nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL sind die nötigen Erhaltungsmaßnahmen nach den ökologischen Erfordernissen der geschützten Arten und Lebensraum­ typen durch die Mitgliedstaaten festzulegen. Die Erhaltungsmaßnahmen dienen dazu, den günstigen Erhaltungszustand in den Gebieten herzustellen oder zu erhalten. Als Beispiele für Erhaltungsmaßnahmen sind eine regelmäßige schonende Mahd oder die Beweidung einer Grünlandfläche zu nennen. Der nächste Absatz, Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, reglementiert einen allgemeinen Schutz vor Störungen und Beeinträchtigungen der geschützten Gebietsbestandteile. Zu diesem Zweck müssen die Mitgliedstaaten sogenannte Vermeidungsmaßnahmen durchführen, wie etwa Verbote bestimmter Tätigkeiten in den Gebieten festsetzen. Diese allgemeinen Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen sind als zentrale Maßnahmen des Gebietsmanagements Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Die weiteren Absätze des Art. 6 regeln die Zulassung von Projekten und Plänen, die sich im Gebiet auswirken können. Da auch das Verhältnis der Vorschriften zueinander für die Auslegung der Bestimmungen von Bedeutung ist, seien auch diese Regelungen kurz erläutert. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL statuiert eine Prüfung von Projekten und Plänen, ob sie das Gebiet als solches erheblich beeinträchtigen. Sofern eine Vorprüfung nicht bereits eine Beeinträchtigung durch das Vorhaben offensichtlich ausschließen kann, ist eine vertiefte Verträglichkeitsprüfung durchzuführen.86 Die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dürfen einem Plan bzw. Projekt dementsprechend nur zustimmen, wenn sie „festgestellt“ haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird (Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL). Die Verträglichkeitsprüfung darf daher nicht lückenhaft sein und muss nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vollständige, präzise und endgültige Feststellungen enthalten, „die geeignet sind, jeden vernünftigen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der in dem betreffenden Schutzgebiet geplanten Auswirkungen auszuräumen“.87 Unter „Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse“ sind nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL „sämtliche Gesichtspunkte des Plans oder Projekts zu ermitteln“, 86  Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 72. EL 2014, § 34 Rn. 9; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 152. EL 2020, § 34 Rn. 53. 87  EuGH, Urt. v. 21.7.2016, C‑387/15 und C‑388/15, Rn. 50; Urt. v. 15.5.2014, C-521/12, Rn. 27; Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 44; insbesondere zur Begründungspflicht der mitgliedstaatlichen Behörden siehe EuGH, Urt. v. 15.06.2023, C-721/21, Rn.  40 ff.

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Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

„die für sich oder in Verbindung mit anderen Plänen oder Projekten die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele beeinträchtigen können“.88 Insbesondere die Verträglichkeitsprüfung wurde vom Entwurf bis zum heutigen Normtext grundlegend überarbeitet. Der Entwurf der Kommission sah die Verträglichkeitsprüfung des heutigen Art. 6 Abs. 3 FFH-RL als eine Ergänzung der Richtlinie zum Verfahren der allgemeinen Umweltverträglichkeitsprüfung89 (UVP) vor, um die Schutzgebiete auch verfahrensrechtlich abzusichern.90 Die Überprüfung eines „Projektes“ anhand der FFH-Erhaltungsziele sollte sich in die allgemeine Umweltverträglichkeitsprüfung bei Genehmigungsverfahren einfügen.91 Heute ist die Prüfpflicht selbstständig in der FFH-Richtlinie normiert und von einer etwaigen (zusätzlichen) UVPPflicht unabhängig.92 Ein Projekt im Sinne des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist heute über die Definition der UVP-Richtlinie hinaus rein wirkungsbezogen zu verstehen. Der Begriff umfasst alle Vorhaben – mit Ausnahme der eigens bezeichneten Pläne –, die Auswirkungen auf ein Schutzgebiet haben können.93 Sowohl der erste Richtlinienentwurf als auch die heutige Fassung berücksichtigen jedoch, dass durch die angestrebten Regelungen gegenläufige Interessen berührt werden können und sehen entsprechende Ausnahmeregelungen vor.94 Der heutige Art. 6 Abs. 3 FFH-RL enthält selbst eine tatbestandliche Anwendungsausnahme, nach der Maßnahmen zur Verwaltung des Gebietes unter bestimmten Voraussetzungen keiner Verträglichkeitsprüfung bedürfen. Nur „Pläne und Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Ge88  EuGH, Urt. v. 21.7.2016, C‑387/15 und C‑388/15, Rn. 51; Urt. v. 14.1.2016, C 399/14, Rn. 49. 89  Richtlinie 85/337/EWG des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten v. 27.6.1985, ABl. EG L 175/40 v. 5.7.1985. 90  Wagner, NuR 1990, 396, 399; Jackson, Conserving Europe’s Wildlife, S. 149. 91  Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten v. 16.8.1988, ABl. EG C 247/03 v. 21.9.1988, Art. 11. 92  Auch nach dem ersten Kommissionsentwurf war ein Vorhaben unabhängig seiner Schutzgebietsrelevanz ggf. noch zusätzlich nach den Bestimmungen der UVP prüfungspflichtig, Wagner, NuR 1990, 396, 399. 93  Frenz, NuR 2020, 1, 2 ff.; Möckel, ZUR 2008, 57, 58; Kahl/Gärditz, Umweltrecht, § 10 Rn. 120; vgl. EuGH, Urt. v. 10.01.2006, C-98/03. 94  Begründung zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten, abgedruckt in BR Drucks. 445/88, S. 3; vgl. z. B. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten v. 16.8.1988, ABl. EG 88 Nr. C 247/03 v. 21.9.1988, Art. 5 Abs. 5; heute Art. 6 Abs. 4 FFH-RL.



C. Ziel und Zweck der Richtlinie35

biets in Verbindung stehen oder hierfür notwendig sind“, sind einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Auch Art. 6 Abs. 4 FFH-RL berücksichtigt als Ausnahmeregelung gegenläufige Interessen. Der letzte Absatz des Art. 6 FFH-RL stellt klar, dass eine Ausnahme von den Vorgaben der Gebietsverträglichkeit bei zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses möglich ist, sofern keine Alternativlösung vorhanden ist. Für diesen Fall ist jedoch die Kohärenz des Schutzgebietsnetzes sicherzustellen (Art. 6 Abs. 4 S. 1 FFH-RL). Abseits der Schutzvorschriften kennt die Richtlinie darüber hinaus bestimmte Überwachungs- und Meldepflichten der Mitgliedstaaten. Um die Fortschritte des Gebietsmanagements beurteilen zu können, überwachen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 11 FFH-RL die Erhaltungszustände der Arten und Lebensraumtypen im Gebiet und melden diese in turnusmäßigen nationalen Berichten an die Kommission, Art. 17 Abs. 1 FFH-RL. Ähnliche Überwachungspflichten finden sich bereits im Richtlinienentwurf von 1988. Der Rückblick auf den Entwurfstext der Richtlinie verdeutlicht die Bedeutung des Gebietsmanagements für die Schutzgebiete. Vom Entwurfstext bis zur kodifizierten Richtlinie wurde insbesondere die Systematik der Vorschriften überarbeitet, sodass das Regelungsgefüge des Art. 6 FFH-RL mit seinen vier Absätzen nun die zentrale Vorschrift des Gebietsschutzes bildet.

C. Ziel und Zweck der Richtlinie Nachdem das Regelungsgefüge der Richtlinie vorgestellt wurde, soll nun das Ziel der Richtlinie eingehender erläutert werden. Denn das Telos stellt im Unionsrecht neben dem Wortlaut und der Systematik die zentrale Auslegungsmethode dar.95 Richtlinien sind, obwohl sie den Mitgliedstaaten grundsätzlich Umsetzungsspielräume eröffnen, außerdem hinsichtlich dieser Zielvorstellungen in jedem Fall verbindlich, Art. 288 UAbs. 3 AEUV.96

95  Vgl. z.  B. EuGH, Urt. v. 28.10.2021, C-357/20, Rn. 20; Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 45; Urt. v. 2.7.2020, C-477/19, Rn. 23; Urt. v. 11.6.2020, C-88/19, Rn. 29; Streinz, Europarecht, Rn. 632; Epiney, in: Bieber/Epiney/Haag/Kotzur, Die Europäische Union, § 9 Rn. 17, einschränkend aber Rn. 19. 96  Wagner, NuR 1990, 396, 397; Louis, NuR 2012, 385, 386; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 31 Rn. 5; Dietrich/Au/Dreher, Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften, S. 25.

36

Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

I. Schutz der Biodiversität Die FFH-Richtline normiert ausdrücklich die Artenvielfalt als übergeordneten Zweck der Richtlinie (Art. 2 Abs. 1 FFH-RL). Das erklärte Ziel der „Sicherung der Artenvielfalt“97 beinhaltet zweckgerichtet verstanden den Schutz der gesamten Biodiversität.98 Die FFH-Richtlinie wurde als eine der zentralen Umweltschutzrichtlinien der Union erlassen, um das gemeinsame Naturerbe zu erhalten und den Biodiversitätsrückgang aufzuhalten. Doch der Unionsgesetzgeber bestimmte auch konkret, wie die Richtlinie dieses Ziel erreichen soll. Er wählte den Weg, die in den Anhängen der Richtlinie aufgelisteten Arten und Lebensraumtypen durch den Schutz bestimmter Gebiete zu erhalten und sie so in einen langfristig vielversprechenden Erhaltungszustand zu versetzen. Im Folgenden soll auf die Ausweisung des Schutzgebietsnetzes und seine Bedeutung näher eingegangen werden.

II. Netz Natura 2000 und Schutzgebietsausweisung Um die Biodiversität zu erhalten, setzt die FFH-Richtlinie auf zwei sich gegenseitig bedingende Mittel. Im Vordergrund steht die Errichtung des Netzes Natura 2000, eines umfassenden Schutzgebietsnetzes für die Europäische Union. Die Mitgliedstaaten weisen zu diesem Zweck Schutzgebiete aus.99 Diese sollen dann in einem zweiten Schritt gemeinsam mit den nach der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenen Schutzgebieten ein zusammenhängendes Schutzgebietsnetz bilden, welches mindestens in Form eines „Tritt­ steinprinzips“100 nicht nur Einzellebensräume, sondern auch die Verbindungen zwischen Habitaten und Lebensräumen berücksichtigt.101 Im Vertragsverletzungsverfahren C-116/22 beanstandet die Europäische Kommission, dass Deutschland noch nicht alle Gebiete vollständig ausgewiesen hat. Die Ausweisung sollte schon bis zum Jahre 2014 abgeschlossen werden.102

97  Art. 2

Abs. 1 FFH-RL. Urt. v. 9.6.2011, C-383/09, Rn. 2. 99  Vgl. Art. 3 Abs. 1, 2 FFH-RL. 100  Freytag/Iven, NuR 1995, 109, 109; Bosso/Rebelo/Garonna/Russo, Nature Conversation 2013, 72, 78 f. 101  Vgl. „Phase 2“ Nr. 2 lit. b Anhang III FFH-RL. 102  Siehe auch Europäische Kommission, Ergänzendes Aufforderungsschreiben, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S. 8; vgl. hierzu auch tabellarisch dargestellt Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, Vorbem. Zu §§ 31–36 BNatSchG, Rn. 12. 98  EuGH,



C. Ziel und Zweck der Richtlinie37

Zuvor wurden die Gebiete nach dem in Art. 4 FFH-Richtlinie festgelegten Verfahren ausgewählt.103 In dieser ersten Phase der Gebietsauswahl war die so genannte relative Bedeutung der Gebiete entscheidend, die die Bedeutung der Gebiete für die gelisteten, in den Gebieten vorkommenden Lebensraumtypen und Arten herausstellt.104 Nach den so vorgegebenen Kriterien legten die Mitgliedstaaten der Kommission eine Liste von geeigneten Gebieten vor. Die Kommission setzte dann in Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten fest, welche Gebiete auszuweisen sind.105 In dieser zweiten Auswahlphase wurde die gemeinschaftliche Bedeutung des Gebietes und damit sein Beitrag zum günstigen Erhaltungszustand von Lebensräumen und Arten sowie zur Vernetzung des Schutzgebietsnetzes bestimmt.106 Zentral bei der Auswahl der Gebiete war somit der Beitrag eines Gebietes zur Gesamtwirksamkeit des Schutzgebietsnetzes für die Arten und Lebensraumtypen sowie der Beitrag zur Kohärenz des Biotopverbundes. In Deutschland liegt ein Schwerpunkt des Schutzes auf den Buchenwäldern, da deren Hauptverbreitungsschwerpunkt hierzulande verortet ist.107 Die Vernetzung der einzelnen Gebiete soll durch die Mitgliedstaaten zusätzlich durch den Schutz verbindender Naturelemente, wie Fließgewässern und Auen, die durch mehrere Gebiete führen, gefördert werden.108 So soll dem Umstand entgegen getreten werden, dass einzelne isolierte Schutzgebiete zwischen Nutzflächen keinen ausreichenden Lebensraum für die meisten Tierarten bieten.109 Schon die Mütter und Väter des Bonner Übereinkommens stellten zudem fest, dass auch die wandernden Tierarten die so geschaf103  Siehe hierzu auch EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn.  45; Urt. v. 17.12.2020, C-849/19 Rn. 43; Urt. v. 12.6.2019, C-43/18, Rn. 37. 104  Vgl. „Phase 1“ Anhang III FFH-RL. 105  Freytag/Iven, NuR 1995, 109, 110; Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, § 13 Rn. 49 ff.; Evans, Nature Conservation 2012, 11, 13 ff.; Schumacher, ­EurUP 2005, 258, 261; vgl. bspw. Entscheidung 2006/613/EG der Kommission v. 19.7.2006 zur Festlegung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der mediterranen biogeografischen Region gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates. 106  Vgl. „Phase 2“ Anhang III FFH-RL; für die Bewertung der Gebiete ist ein Standarddatenbogen vorgesehen, nach dem die Informationen zu den Gebieten auch laufend aktualisiert werden sollen, siehe Durchführungsbeschluss der Kommission (2011/484/EU) über den Datenbogen für die Übermittlung von Informationen zu Natura-2000-Gebieten v. 11.7.2011. 107  Panek, Naturschutz und Landschaftsplanung 2020, 236, 236 ff.; Steer/Scherfose/Balzer, NuL 2008, 93, 96. 108  Vgl. Art. 3 Abs. 3, 10 FFH-RL; Ssymank, ­EurUP 2008, 158, 158 f.; zu vorgeschlagenen Maßnahmen, die die ökologische Verbundenheit stärken sollen, und ihrer Bedeutung insbesondere für den Klimawandel siehe Kettunen/Terry/Tucker/Jones, Guidance on the maintenance of landscape connectivity features of major importance for wild flora and fauna. 109  Gellermann, Natura 2000, S. 13 f.; Kahl/Gärditz, Umweltrecht, § 10 Rn. 135.

38

Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

fenen Verbundkorridore benötigen.110 Die verbindenden Elemente des Natura 2000-Netzes sollen die Überwindbarkeit der Gebietsgrenzen gewährleisten und einen Austausch zwischen den Gebieten ermöglichen. Bei kleinen Schutzgebieten, die keine großen zusammenhängenden Flächen erfassen, ist die Einwirkung von außen einschneidender und die Verbindung zum Schutzgebietsnetz umso entscheidender.111 Ein rechtliches Problem ergibt sich hierbei, wenn die Gebiete nicht entsprechend der genannten Kriterien der ersten Auswahlphase abgegrenzt wurden.112 Naturwissenschaftlich betrachtet sind kleine isolierte Gebiete grundsätzlich als vulnerabler zu beurteilen. Insbesondere kleinere Gebiete von ­einer Größe unter 100 ha können Einwirkungen von außen nicht wirksam begegnen.113 Kleine Gebiete sind stärker von Landnutzungs- und Landschaftsveränderungen betroffen, während sich in großen Schutzgebieten ­positiv wirkende Naturschutzmaßnahmen stärker durchsetzen.114 Äußerliche Einwirkungen sind indes nicht selten vorhanden. Die meisten FFH-Gebiete sind keine Gebiete unberührter Wildnis, sondern sind von Land- und Forstwirtschaft geprägt,115 die selten außerhalb der Gebietsgrenzen naturnäher wird. Schutzgebiete sind somit keineswegs ursprüngliche Naturinseln, sondern durch ihre Umgebung unmittelbar beeinflusst, und dies umso einschneidender, je kleiner das Schutzgebiet ausfällt.116 Bei kleinen Schutzgebieten steigt damit die Bedeutung von Pufferzonen außerhalb des Schutzgebietes.117 Vor diesem Hintergrund ist es besonders bedenklich, dass in Deutschland

110  Berner, Der Habitatschutz im europäischen und deutschen Recht, S. 36; Begründung zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten, abgedruckt in BR Drucks. 445/88, S. 1. 111  Maiorano/Falcucci/Boitani, Proceedings of the Royal Society B 2008, 1297, 1302; Geyer/Kreft/Jeltsch/Ibisch, PLoS ONE 2017, e0185972. 112  Siehe zum Schutz sog. „potenzieller FFH-Gebiete“ Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32, Rn. 47. 113  Maiorano/Falcucci/Boitani, Proceedings of the Royal Society B 2008, 1297, 1302; vgl. insbesondere zur Vulnerabilität durch den Klimawandel Geyer/Kreft/ Jeltsch/Ibisch, Plos One 2017, e0185972. 114  Maiorano/Falcucci/Boitani, Proceedings of the Royal Society B 2008, 1297, 1302. 115  EEA, State of Nature in the EU (2015), S. 34 ff.; Meßerschmidt, ­EurUP 2018, 336, 336; Ssymank, ­EurUP 2008, 158, 161; Knapp, ­EurUP 2021, 29, 40; Möckel, AUR 2021, 2, 3. 116  Möckel, ZUR 2017, 195, 197; vgl. auch Bosso/Rebelo/Garonna/Russo, Nature Conversation 2013, 72, 78 f. 117  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 24 f.; EEA, State of Nature (2020), S. 123.



C. Ziel und Zweck der Richtlinie39

hauptsächlich kleine, isolierte Gebiete ausgewiesen wurden.118 Andere Mitgliedstaaten, wie etwa Spanien, verfolgten bei der Auswahl und Abgrenzung der Gebiete eine holistische Herangehensweise, sodass verbindende Elemente zwischen den einzelnen Habitaten ebenfalls unter den Gebietsschutz gestellt wurden.119 Unabhängig von der Größe der Areale ist die Ausweisung der Schutzgebiete als Grundlage für alle in FFH-Gebieten geltenden Schutzmaßstäbe zeitnah abzuschließen.120 Die FFH-Richtlinie ist zentraler Rechtsakt in einer Reihe von umweltpolitischen Versuchen der Union, die Biodiversität in den regionaltypischen europäischen Naturgebieten zu bewahren.121 Durch sie werden die völkerrechtlichen Aufträge der Union zum Schutz der biologischen Vielfalt konkretisiert.122 Dennoch ist mit der Ausweisung der Gebiete allein noch nichts erreicht.123 Verbindliches Ziel der Richtlinie ist die Erhaltung oder Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes von in den Anhängen bezeichneten Lebensräumen und Arten. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein wirksames Gebietsmanagement und der Schutz der Gebiete vor den zahlreichen Beeinträchtigungen von außerhalb und innerhalb der Gebiete unerlässlich.

III. Der günstige Erhaltungszustand Art. 2 Abs. 2 FFH-RL lautet: „Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, zu bewahren oder wiederherzustellen.“ Der „günstige Erhaltungszustand“ der Arten und Lebensraumtypen konkretisiert das Ziel des Biodiversitätsschutzes. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, ihn beizubehalten oder wieder herbeizufüh-

118  Vgl. BfN, FFH-Gebiete in Deutschland, Kartenanwendung, abrufbar unter ­https://www.bfn.de/karten-und-daten/kartenanwendung-schutzgebiete-deutschland; Raths/Balzer/Ersfeld/Euler, NuL 2006, 68, 69 ff. 119  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 24 f. 120  EuGH, Urt. v. 27.2.2003, C-415/01, Rn. 26. 121  Europäische Kommission, Biodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, unter 2.2.1.; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 5 ff. 122  Übereinkommen v. 19.9.1979 über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume, abgedruckt in BGBl. 1984 II, S.  620 ff.; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 6. 123  Ssymank, ­EurUP 2008, 158, 161.

40

Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

ren. Auf den Inhalt und die Bedeutung des günstigen Erhaltungszustandes soll im Folgenden eingegangen werden. Alle in den Anhängen der FFH-Richtlinie gelisteten Arten und Lebensraumtypen sind in einen günstigen Erhaltungszustand zu versetzen.124 Für den Gebietsschutz sind die Lebensraumtypen nach Anhang I und die Arten nach Anhang II FFH-RL relevant. Um das Ziel des günstigen Erhaltungszustands zu erreichen, sind die Mitgliedstaaten zu den allgemeinen Schutzmaßnahmen Maßnahmen verpflichtet, und sie orientieren sich dementsprechend an der Zielvorgabe.125 Beispielsweise muss ein Mitgliedstaat in einem Gebiet, in dem die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der Steppenbirkenmaus (Sicista subtilis) aus Anhang II FFH-RL Schutzziel ist, Erhaltungsmaßnahmen durchführen, um diese Mäuseart in den beschriebenen Erhaltungszustand zu versetzen, und Vermeidungsmaßnahmen ergreifen, um die erreichten Forstschritte zu verteidigen. Die FFH-Richtlinie selbst enthält Definitionen für die Erhaltung (Art. 1 lit. a FFH-RL) und den Erhaltungszustand (Art. 1 lit. e UAbs. 1 bzw. lit. i UAbs. 1 FFH-RL), sowie Kriterien, wann dieser als günstig einzustufen ist (Art. 1 lit. e UAbs. 2 bzw. lit. i UAbs. 2 FFH-RL). Diese werden im Folgenden vorgestellt. Die Definitionen, die die Lebensräume und die Arten betreffen, weisen dabei einige Parallelen auf. Die inhaltliche Auswertung des „günstigen Erhaltungszustandes“ beschränkt sich an dieser Stelle daher auf die Arten. Unter „Erhaltungszustand einer Art“ ist gemäß Art. 1 lit. i UAbs. 1 FFHRL die Gesamtheit der Einwirkungen zu verstehen, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der Art auswirken können. Als „günstig“ ist der Erhaltungszustand einzustufen, wenn ein langfristiger Fortbestand anhand der Populationsdynamik, des Verbreitungsgebietes und eines ausreichenden Lebensraums absehbar ist, Art. 1 lit. i UAbs. 2 FFHRL.126 In der Zusammenschau beider Begriffe verdeutlicht sich, dass es sich bei dem Terminus des günstigen Erhaltungszustandes um die Gesamtheit der positiven und negativen Einflüssen auf das Gebiet handelt,127 und nicht al124  Wagner, NuR 1990, 396, 397; Louis, NuR 2012, 385, 386; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 31 Rn. 5; Dietrich/Au/Dreher, Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften, S. 25; Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt (Hrsg.), BeckOK Umweltrecht, BNatschG, § 32 Rn. 11. 125  Vgl. Art. 2 Abs. 2 FFH-RL; Keller, in: Düsing/Martinez (Hrsg.), Agrarrecht, BNatSchG, § 7 Rn. 9; Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 86; EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, S. 9. 126  Der Erhaltungszustand eines Lebensraumtyps gilt als günstig, wenn ein langfristiger Fortbestand in Fläche, Struktur und Funktion des Lebensraumes inklusive seiner charakteristischen Arten absehbar ist, Art. 1 lit. e UAbs. 2 FFH-RL. 127  So auch Freytag/Iven, NuR 1995, 109, 109.



C. Ziel und Zweck der Richtlinie41

leine um die Beschaffenheit des Gebietes selbst. Bewertet man den Erhaltungszustand einer Art, misst man folglich neben dem naturwissenschaftlichen Zustand der Art, der Parameter wie Populationsentwicklungen und Habitatstrukturen beinhaltet, negative und positive Einwirkungen auf das Gebiet. Diese Einwirkungen umfassen Beeinträchtigungen und Gefährdungen, aber auch die positive Wirkung der Erhaltungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen.128 Als Versuch einer alle Faktoren integrierenden Definition lässt sich somit formulieren, dass der günstige Erhaltungszustand dann erreicht ist, wenn diese Einwirkungen in der Summation die Prognose zulassen, dass die Populationsdynamik, das Verbreitungsgebiet und der ausreichend große Lebensraum einer Art für die absehbare Zukunft gewahrt erscheinen. Die Kriterien, mit denen der Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen eingeordnet werden kann, sind inzwischen weitgehend vereinheitlicht worden.129 Sie bestimmen als Grundlage der nationalen Statusberichte nach Art. 17 Abs. 1 FFH-RL die Merkmale, nach denen die Gebiete und überregional die Verbreitungsregionen der Lebensraumtypen und Populationen zu bewerten sind.130 Die Mitgliedstaaten werten die spezifischen Strukturen der Lebensräume, ihr typisches Arteninventar und die Beeinträchtigungen, wie etwa nicht nachhaltige Nutzungen, denen Arten und Lebensraumtypen ausgesetzt sind, aus.131 Man berechnet den gegenwärtigen Erhaltungszustand schließlich durch eine Gesamtaufstellung. Die Europäische Union fasst ihn bezüglich der Arten in den Kategorien des Verbreitungsgebietes, der Population, der Habitatgröße und den, die Beeinträchtigungen miteinbeziehenden Zukunftsaussichten zusammen.132 Die Mitgliedstaaten haben für ihr Hoheitsgebiet außerdem Referenzwerte für die einzelnen Schutzgüter erarbeitet, die sie in ihrem Staatsgebiet für den langfristigen Erhalt der Art oder des Lebensraumtyps erreichen müssen.133 128  Vgl. auf nationaler Ebene Ellwanger/Raths/Benz et al. (Hrsg.), Der nationale Bericht 2019 zur FFH-Richtlinie Teil 1, BfN-Skripten 583, S. 11; vgl. auf Unionsebene, auf der die Beeinträchtigungen von dem Kriterium der Zukunftsaussichten erfasst sind, EEA, Report Format for the period 2013–2018 sowie Reporting Guide­ lines for the period 2013–2018; EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 47. 129  Siehe aber zur abweichenden Methodik in Bayern, die Teil des Vertragsverletzungsverfahrens Nr. 2014/2262 ist, Europäische Kommission, Ergänzendes Aufforderungsschreiben, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S.  47 ff. 130  Ssymank, ­EurUP 2008, 158, 160 f. 131  BfN/BLAK, Bewertungsschemata für die Bewertung des Erhaltungsgrades von Arten und Lebensraumtypen, Teil II; Ssymank, ­EurUP 2008, 158, 159 f. 132  Vgl. EEA, Report Format for the period 2013–2018 sowie Reporting Guide­ lines for the period 2013–2018, S. 18; Ssymank, ­EurUP 2008, 158, 163. 133  Europäische Kommission, Reporting under Article 17 of the Habitats Directive, S. 157, 159.

42

Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

D. Die gebietsspezifischen Erhaltungsziele Das Ziel des günstigen Erhaltungszustands der gelisteten Arten und Lebensraumtypen muss durch die Mitgliedstaaten allerdings noch weiter konkretisiert werden.134 Unterschiedliche örtliche Begebenheiten in den Mitgliedstaaten verlangen eine Spezifizierung der Ziele in den einzelnen Gebieten. Jeder Mitgliedstaat kann andere Arten und Lebensraumtypen beher­ bergen, zu deren Schutz ihn die Richtlinie verpflichtet. Schutzgüter, Landschaften und Einflüsse unterscheiden sich sogar in jedem einzelnen Gebiet. Dementsprechend ist es notwendig, für jedes Gebiet spezifische Erhaltungsziele aufzustellen (sog. gebietsspezifische Erhaltungsziele).135 Die gebietsspezifischen Erhaltungsziele bilden den Kern aller gebietsrelevanten Entscheidungen. Daher sind ihre rechtlichen Grundlagen, die Anforderungen an ihren Inhalt und ihre Bedeutung für den Schutz der Gebiete herauszuarbeiten.

I. Rechtliche Grundlage Obwohl im Richtlinientext keine Vorschrift zu finden ist, die ihrem Wortlaut nach die Mitgliedstaaten verpflichtet, gebietsspezifische Erhaltungsziele zu formulieren,136 ergibt sich diese Notwendigkeit aus dem Telos und der Systematik der Bestimmungen der Richtlinie.137 Nach Art. 4 Abs. 4 FFH-RL muss der Mitgliedstaat die besonderen Schutzgebiete ausweisen, die die Kommission bezeichnet hat und diese nach ihrer Bedeutung priorisieren.138 Neben der Rolle, die die Gebiete spielen, um einen günstigen Erhaltungszustand für die Arten und Lebensraumtypen zu erreichen, sind auch die Bedrohungen und negative Einflüsse auf die Schutzgüter und der Beitrag der Gebiete zur Kohärenz des Schutzgebietsnetzes zu beachten. Um die in den Gebieten erreichbaren Fortschritte messen und den Beitrag der Gebiete zum Ziel des günstigen Erhaltungszustandes beurteilen zu können, sind daher die Erhaltungsziele für jedes einzelne Gebiet zu erarNVwZ 2008, 126, 127. EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 50; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 79; mit Nachdruck Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S. 11; vgl. auch § 7 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG. 136  EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 64; Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 46. 137  EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 65; Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 50. 138  EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 64. 134  Niederstadt, 135  Vgl.



D. Die gebietsspezifischen Erhaltungsziele43

beiten.139 Bereits in Art. 4 Abs. 4 FFH-RL wird damit vorausgesetzt, dass der Mitgliedstaat gebietsspezifische Erhaltungsziele aufstellt.140 Auch der für den Gebietsschutz zentrale Art. 6 FFH-RL setzt notwendigerweise die Existenz von Erhaltungszielen in jedem Gebiet voraus. Seine richtlinienkonforme Umsetzung ist gefährdet, wenn die mitgliedstaatlichen Behörden die Erhaltungsziele nicht ausreichend definieren.141 So formuliert auch der achte Erwägungsgrund der Richtlinie: „In jedem ausgewiesenen Gebiet sind entsprechend den einschlägigen Erhaltungszielen die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen.“ Die erforderlichen Maßnahmen finden sich in jedem Absatz des Art. 6 FFH-RL. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL erwähnt die Erhaltungsziele als Grundlage einer Verträglichkeitsprüfung ausdrücklich. An der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Erhaltungsziele in den Schutzgebieten festzulegen, besteht daher kein Zweifel.

II. Inhalt der Erhaltungsziele Die Zielvorgaben in den Schutzgebieten müssen derart operationalisiert werden, dass sie die Ziele im einzelnen Gebiet abbilden und obendrein als Richtwert der an den Erhaltungszielen orientierten Maßnahmen fungieren können. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, müssen die Erhaltungsziele die Gebietsbestandteile benennen. Sie müssen eine Beschreibung der Vorkommen sowie des Zustandes der Arten und ihrer Habitate sowie der verschiedenen Lebensraumtypen, ihrer Untergruppierungen und der charakteristischen Arten, die in ihnen zu finden sind, enthalten.142 So werden die Schutzgüter des Gebietes bestimmt.143 Grundlage sind die Lebensraumtypen und Habitate der Arten, für die das Gebiet ausgewiesen wurde.144 Für die so bestimmten erhaltenswerten Gebietsbestandteile ist des Weiteren in jedem Gebiet ein Schutzkonzept aufzustellen, welches Auskunft darüber gibt, wie 139  Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFHRichtlinie 92/43/EWG, S. 39. 140  EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 18, 64 ff. 141  EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 48 ff.; a. A. offenbar die Bundesrepublik Deutschland im Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, siehe Europäische Kommission, Ergänzendes Aufforderungsschreiben, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S. 11 f. 142  Czybulka, E ­ urUP 2016, 276, 284. 143  Ackermann/Streitberger/Lehrke, BfN Skripten 449, S. 12; vgl. z. B. Ackermann/ Streitberger/Lehrke, Managementkonzept LRT 2190 Feuchte Dünentäler, S. 1. 144  Vgl. Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Ausweisung besonderer Schutzgebiete, S. 4; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 12.

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Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

sich das Gebiet weiterentwickeln soll. Die gebietsspezifischen Erhaltungsziele geben vor, welche Fortschritte im Gebiet konkret anvisiert werden. Neben dem Ist-Zustand ist daher der Soll-Zustand messbar aufzuschlüsseln. Die Richtlinie fordert ihrem Sinn und Zweck nach messbare und überprüfbare Erhaltungsziele in jedem Gebiet.145 Nur indem spezifische Ziele für ein Gebiet festgelegt sind, kann dieses sinnvoll verwaltet und entwickelt werden. Die Erhaltungsziele können beispielsweise eine angestrebte Flächenausbreitung eines Heidelebensraumtyps enthalten oder ein bestimmtes Durchschnittsalter von Bäumen einer Zielart.

III. Der Bewirtschaftungsplan Es ist zu empfehlen, die spezifischen Erhaltungsziele gemeinsam mit einem „Bewirtschaftungsplan“ aufzustellen, sodass ein umfassendes Ziel- und Managementkonzept, ein Maßnahmenplan für den Lebensraum erarbeitet wird.146 Der Bewirtschaftungsplan wird in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL im Zusammenhang mit den Erhaltungsmaßnahmen in einem Schutzgebiet genannt. Im nationalen Recht kann ein Bewirtschaftungsplan nach § 32 Abs. 5 BNatSchG aufgestellt werden. Er stellt eine Maßnahmenplanung dar, die sich mit der Entwicklung und Pflege, aber auch den nutzenden Aktivitäten im Gebiet auseinandersetzt und darauf ausgerichtet ist, die Erhaltungsziele zu erreichen.147 Aus diesem Grund wird er auch als Managementplan oder Maßnahmenkonzept bezeichnet. Vorliegend wird der Begriff des „Bewirtschaftungsplanes“ verwendet, da er sich im Richtlinientext wiederfindet. Die Ziele und Maßnahmen sind zeitgleich zur Gebietsausweisung festzulegen.148 Auch der Beitrag des Gebietes zum Gesamterhaltungszustand und zur Kohärenz des Schutzgebietsnetzes ist bei der Bewirtschaftungsplanung zu beachten, da diese Faktoren entscheidenden Einfluss auf die Ausweisung 145  EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 50 ff.; Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungszielen für Natura-2000-Gebiete, S. 8; Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFHRichtlinie 92/43/EWG, S. 40; Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 87; EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, S. 9; siehe zur näheren Bestimmung der hinreichenden Spezifizierung der Erhaltungsziele den Rechtsstreit C-116/22, zuletzt GA Ćapeta, Schlussanträge v. 20.4.2023, C-116/22, Nr. 48, 82. 146  Vgl. Cortina/Boggia, Journal of Environmental Management 2014, 138, 138 ff. 147  Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, S. 102. 148  Vgl. EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 53; insofern bietet die verspätete Ziel- und Maßnahmenplanung Deutschlands die Gelegenheit, die Gebietsabgrenzungen nachzubessern und Gebiete nachzumelden.



D. Die gebietsspezifischen Erhaltungsziele45

hatten.149 Die verbindenden Landschaftselemente zwischen den Schutzgebieten sind, soweit erforderlich, bei der Bewirtschaftungsplanung ebenfalls zu berücksichtigen.150 Aus der Zusammenschau von Bewirtschaftungsplan und Erhaltungszielen muss sich ergeben, was in welchem Umfang im Lebensraum erreicht werden soll, und welche Maßnahmen hierfür notwendig sind.151 Je nach Lebensraumtypus, Habitat und Art erlangt der günstige Erhaltungszustand eine andere Bedeutung und es bedarf anderer Maßnahmen, um ihn zu erwirken. Jeder Lebensraumtyp und jede Art hat andere Ansprüche und erfordert andere Maßnahmen.152 So ist die Offenhaltung der Flächen für den Lebensraumtyp der trockenen Heidegebiete essenziell, im Waldmeister-Buchenwald aber nicht wünschenswert.153 Um eine Heidelandschaft dauerhaft zu erhalten, kann beispielsweise die Beweidung zum Zwecke der Heideverjüngung festgelegt werden.154 Für den Maßnahmenerfolg ist es außerdem entscheidend festzulegen, in welchem Umfang Ziele erreicht werden sollen, das heißt, die Behörde muss etwa Mindestflächen oder Populationsgrößen im Bewirtschaftungsplan nennen. Ansonsten würde ein „Ping-Pong-Spiel“ auf der Ebene der Erhaltungsmaßnahmen zwischen verschiedenen, entgegengesetzten Erhaltungszielen drohen. Die entgegenstehenden Erhaltungsmaßnahmen könnten sich gegenseitig aufheben.155 Da die Erhaltungsziele rechtssicher festzulegen sind, betrifft dies auch ihre Gewichtung untereinander. Dies hat mehrere Vorteile. Abgesehen von der stärkeren Geltungskraft durch eine verbindliche recht­ liche Festsetzung wird die Beteiligung der Öffentlichkeit gefördert und die 149  Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungszielen für Natura-2000-Gebiete, S. 6 f.; Europäische Kommission, Erläuterungen zum Durchführungsbeschluss der Kommission v. 11.7.2011 über den Datenbogen für die Übermittlung von Informationen zu Natura-2000-Gebieten (2011/484/ EU), L 198/39, S. 65, 67. 150  Vgl. Art. 3 Abs. 3, Art. 10 FFH-RL; alternativ zum gebietsspezifischen Managementplan können sich Festsetzungen auf übergeordneter Ebene mit der Kohärenz befassen; Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungszielen für Natura-2000-Gebiete, S. 7. 151  Ackermann/Streitberger/Lehrke, BfN Skripten 449, S. 12 ff.; vgl. z. B. Ackermann/Streitberger/Lehrke, Managementkonzept LRT 2310 Sandheiden mit Besenheide und Ginster auf Binnendünen, S. 6 ff. 152  Niederstadt, NVwZ 2008, 126, 127. 153  Vgl. z. B. Stadt Köln, Landschaftsplan Wahner Heide, Text und Erläuterung zur Entwicklungs- und Festsetzungskarte, S. 16, 18; Ssymank/Ellwanger/Ersfeld et al., Das europäische Schutzgebietssystem Natura 2000, Band 2.1: Lebensraumtypen der Meere und Küsten, der Binnengewässer sowie der Heiden und Gebüsche. 154  Vgl. z. B. Ackermann/Streitberger/Lehrke, Managementkonzept LRT 2310 Sandheiden mit Besenheide und Ginster auf Binnendünen, S. 7 f. 155  Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 260.

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Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

Möglichkeiten zur Klage bei Mängeln in der Gewichtung der verschiedenen Ziele werden unterstützt.156

IV. Erhaltungsziele als Grundlage weiterer Entscheidungen Die gebietsspezifischen Erhaltungsziele sind die Grundlage der weiteren Gebiets­ent­wicklung und jeder Entscheidung, ob ein Vorhaben gebietsverträglich ist. Zunächst sind die gebietsspezifischen Ziele der Maßstab für die Pflege des Gebietes nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL, da der günstige Erhaltungszustand als solcher stets einer Konkretisierung bedarf.157 Die ökologischen Anforderungen der Lebensraumtypen und Arten sind in die Festsetzung der Erhaltungsziele aufzunehmen, da die Erhaltungsmaßnahmen gemäß Art. 6 Abs. 1 FFHRL an ihnen ausgerichtet werden müssen. Ohne präzise Zielvorgaben laufen Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung ins Leere. Die zuständige Behörde kann nicht beurteilen, ob und wie weit sie beispielsweise einen Buchenwald erweitern soll. Ohne gebietsspezifische Erhaltungsziele kann auch nicht beurteilt werden, ob ein drohender negativer Einfluss auf das Gebiet die Schutzgüter maßgeblich beeinträchtigt und Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ergriffen werden müssen. Denn für diese Beurteilung ist ausschlaggebend, ob die Erhaltungsziele im Gebiet gefährdet werden können. Um einen Überblick über die Einflüsse im Gebiet zu ermöglichen, bietet es sich an, die bisherigen Beeinträchtigungen im Zielkonzept aufzunehmen.158 Jedes Gebiet unterliegt speziellen Beeinträchtigungen, denen sich das Gebietsmanagement im Sinne der Schutzziele stellen muss. Beispiele für Beeinträchtigungen sind die Landund Forstwirtschaft, Freizeitnutzungen, Luftverschmutzungen, Klimaveränderungen oder invasive Arten, die sich im Gebiet ausbreiten. Auf diesem Wege können erkennbare Konflikte offengelegt werden, um eine erhaltungsorientierte Bewirtschaftung zu ermöglichen. Ebenso dienen die gebietsspezifischen Erhaltungsziele als Maßstab für die Zulässigkeit von Projekten nach den Vorgaben der Richtlinie und alle in die156  Vgl. GA Kokott, Schlussanträge v. 23.4.2009, C-254/08, Nr. 58; §§ 64, 63 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG. 157  EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 156 f.; Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn.  48 ff.; Heugel, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 7 Rn. 15. 158  Durchführungsbeschluss der Kommission (2011/484/EU) über den Datenbogen für die Übermittlung von Informationen zu Natura-2000-Gebieten v. 11.7.2011; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 16; Czybulka, ­EurUP 2016, 276, 284; Cortina/Boggia, Journal of Environmental Management 2014, 138, 138 ff.



D. Die gebietsspezifischen Erhaltungsziele47

sem Zusammenhang auftretenden Maßnahmen.159 Art. 6 Abs. 3 FFH-RL schreibt vor, dass Projekte und Pläne eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den „für das Gebiet festgelegten Erhaltungszielen“ erfordern. Folglich kommt es für die Verträglichkeit von Projekten und Plänen auf ihre Vereinbarkeit mit den spezifischen Erhaltungszielen an, sodass es nicht zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes eines Lebensraumes oder einer Art kommen muss, damit das Projekt oder der Plan unzulässig ist. Vielmehr bestimmen die Erhaltungsziele, die auch die Verbesserung des Gebietes vorschreiben können und gegebenenfalls müssen, ob das Projekt diesen Zielen hinderlich ist.160 Sind die Erhaltungsziele beeinträchtigt, ist davon auszugehen, dass ein Projekt unzulässig ist.161 Auch Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen, die mit einem Projekt in Zusammenhang stehen, müssen sich an den Erhaltungszielen im Gebiet orientieren. Der zentrale Art. 6 FFH-RL setzt damit mehrfach die gebietsspezifischen Erhaltungsziele voraus. Zusätzlich erfordert die Berichterstattung der Mitgliedstaaten nach Art. 17 FFH-RL, dass die Mitgliedstaaten messbare, konkrete Daten in ihren Schutzgebieten sammeln und den Beitrag der Gebiete zum günstigen Erhaltungszustand einschätzen können. Dies erfordert gebietsspezifische Erhaltungsziele, die operationalisierbar gestaltet sind. Die Mitgliedstaaten können nur so ihrer Berichtspflicht über den Status der Gebiete und den Erfolg der in ihnen durchgeführten Maßnahmen aus Art. 17 FFH-RL nachkommen. Die Definitionen des günstigen Erhaltungszustandes in Art. 1 lit. e und i FFH-RL, die auf Parameter wie Flächenausbreitung und Populationsstärke, aber auch auf die spezifischen Funktionen und Strukturen der Lebensraum­ typen und Arten abstellen, zeigen auf, welche Faktoren in die Bewertung des Erhaltungszustandes einfließen. Es handelt sich um quantitativ und qualitativ messbare Werte und Daten,162 die der Mitgliedstaat in jedem Gebiet erheben können muss. Die Europäische Kommission empfiehlt, für jeden der Parameter, die den günstigen Erhaltungszustand bestimmen, messbare Zielvorgaben 159  EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 48; Europäische Kommission, Er­ gänzendes Aufforderungsschreiben, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S. 9; EuGH, Urt. v. 7.4.2018, C-441/17, juris Rn. 143; Czybulka, ­EurUP 2016, 276, 277; a. A. offenbar Bundesrepublik Deutschland, Ergänzende Antwort auf das ergänzende Aufforderungsschreiben Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, S. 12. 160  Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 9. Kap., Rn. 67; Wirths, ZUR 2000, 190, 192; Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S. 46; Gellermann, in: Rengeling (Hrsg.), EUDUR II, § 78 Rn. 30; Gellermann, Natura 2000, S. 82 f. 161  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 112. 162  Europäische Kommission, Ergänzendes Aufforderungsschreiben, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S. 19.

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Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

zu bestimmen.163 Die angestrebte Flächenausbreitung ist beispielsweise genau festzulegen, die spezifischen Funktionen können etwa bei Waldlebensraumtypen mit einem durchschnittlichen Mindestalter der Bäume gemessen werden. Im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland vertritt die Kommission daher die Auffassung, dass die Erhaltungsziele quantifizierbar sein müssen.164 Von den Mitgliedstaaten ist jedenfalls ein ausreichend detailliertes Zielkonzept mit messbaren Vorgaben gefordert, das angibt, welches Ziel an welchem Ort zu welcher Zeit zu erreichen ist. Die Messbarkeit von Qualität wird erschwert, wenn zahlenmäßige Vorgaben fehlen.

V. Balanceakt zwischen Verbindlichkeit und Flexibilität Die Erhaltungsziele müssen nicht nur operationalisierbar und ausreichend detailliert, sondern auch rechtsverbindlich festgesetzt werden, um das Schutzregime des Art. 6 Abs. 1 bis 4 FFFH-RL nicht aufzuweichen.165 Sie bilden, wie aufgezeigt, die Grundlage von Vermeidungs- und Erhaltungsmaßnahmen und sind auch bei der Prüfung auf Verträglichkeit eines Vorhabens mit dem Schutzgebiet entscheidend. Dass die Behörden die Erhaltungsziele rechtsverbindlich festsetzen, ist demnach unionsrechtlich geboten, da Rechte und Pflichten Dritter begründet werden.166 Die rechtsförmliche Festsetzung kann in der Schutzgebietsausweisung selbst oder in einem begleitenden Rechtsakt geschehen; die Mitgliedstaaten sind ansonsten frei in der Wahl der Form.167 Dementsprechend ist beispielsweise eine Festsetzung durch Rechtsverordnung oder im Landschaftsplan als Satzung möglich.168 Nicht zulässig dürfte es indes sein, die Erhaltungsziele in rechtsverbindlicher Form nur allgemein festzulegen, und spezifischere Pflichten auf die Ebene der Bewirtschaftungsplanung zu verlagern, da die

163  Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFHRichtlinie 92/43/EWG, S. 11, 40 ff. 164  A. A. GA Ćapeta, Schlussanträge v. 20.4.2023, C-116/22, Nr. 47 ff. 165  Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Ausweisung besonderer Schutzgebiete, S. 5; a. A. GA Ćapeta, Schlussanträge v. 20.4.2023, C-116/22, Nr. 105. 166  Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Ausweisung besonderer Schutzgebiete, S. 5; Niederstadt, NVwZ 2008, 126, 131; Czybulka, ­EurUP 2008, 181, 184 unter Verweis auf Fischer-Hüftle, NuR 2008, 213, 217; a. A. GA Ćapeta, Schlussanträge v. 20.4.2023, C-116/22, Nr. 105. 167  Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Ausweisung besonderer Schutzgebiete, S. 4. 168  Niederstadt, NVwZ 2008, 126, 128 ff.



D. Die gebietsspezifischen Erhaltungsziele49

Erhaltungsziele in einem solchen Fall keinen vollständigen verbindlichen Maßstab für weitere Maßnahmen bilden können.169 Zentrale Anforderung ist, dass das gewählte Instrument unter Berücksichtigung des Ziels der FFH-Richtlinie geeignet ist.170 Die in Art. 288 Abs. 3 AEUV gewährte Wahlfreiheit der Mittel und der Form für die Mitgliedstaaten wird durch die Zielvorgabe der Richtlinie begrenzt. Die Mitgliedstaaten führen im Bereich des FFH-Gebietsschutzes Unionsrecht zum Schutz des gemeinschaftlichen Naturerbes jeweils auf ihrem Hoheitsgebiet durch. Aus diesem Grunde sind sogar besonders strenge Maßstäbe an die rechtssichere Umsetzung zu setzen.171 Bewirtschaftungspläne fallen, unabhängig von der vom jeweiligen Mitgliedstaat gewählten Form und Ausgestaltung, außerdem zusätzlich unter die Veröffentlichungspflicht der Umweltinformationsricht­ linie der Europäischen Union und sind dementsprechend öffentlich zur Verfügung zu stellen.172 Trotz der notwendigen Verbindlichkeit und Detailschärfe der Erhaltungsziele ist es dennoch notwendig, eine gewisse Flexibilität in den Festsetzungen zu wahren. Sowohl die Erhaltungsziele als auch die Maßnahmen im Bewirtschaftungsplan sollten daher adaptionsfähig gestaltet werden.173 Gebietsschutz ist Naturschutz und die Natur ist stetigen Veränderungen unterworfen. Zurzeit ist der Klimawandel als aktuelles Beispiel zu nennen, der viele Gebiete grundlegend verändern und Lebensräume „verschieben“ wird.174 Die Aufnahme umfassender Angaben birgt die Gefahr der mangelnden Aktualität. Eine umfangreiche Datensammlung beispielsweise über (Vor-)Belastungen eines Gebietes ist nur dann sinnvoll, wenn diese – im 169  A. A.

GA Ćapeta, Schlussanträge v. 20.4.2023, C-116/22, Nr. 105. st. Rspr. seit Urt. v. 8.4.1976, Rs. 48–75, Rn. 69/73; Rengeling, in: Rengeling (Hrsg.), EUDUR I, § 28 Rn. 19; Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S.  83 ff.; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 Rn. 16. 171  Vgl. EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 78; Urt. v. 20.10.2005, C-6/04, Rn. 25. 172  Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.1.2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates; siehe zur möglichen Vertragsverletzung Deutschlands diesbezüglich Europäische Kommission, Ergänzendes Aufforderungsschreiben Vertragsverletzung Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S. 50 ff. 173  EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, S.  8 ff. 174  Vohland, Auswirkungen des Klimawandels auf gefährdete Biotoptypen und Schutzgebiete, Kurzzusammenfassungen zum 29. Naturschutztag, S. 15; Möckel/ Köck, NuR 2009, 318, 320; siehe zur räumlichen Anpassung von Natura 2000-Gebieten ausführlich von Zingler, Anpassung des europäischen und des nationalen Gebietsschutzrechts an die Folgen des Klimawandels, S. 147 ff.; Gellermann, Natura 2000, S.  130 ff. 170  EuGH

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Kap. 1: Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

besten Fall automatisch – nachgepflegt wird. Anderenfalls hat sie den gegenteiligen Effekt und gibt vermeintlich belastbare Auskunft über weniger Beeinträchtigungen als tatsächlich im Gebiet zu finden sind. Die Mitgliedstaaten müssen einen Balanceakt zwischen der Verbindlichkeit und der Aktualität und dafür erforderlichen Flexibilität der Erhaltungsziele und Bewirtschaftungspläne meistern. Teilziele und alternative Maßnahmen sind grundsätzlich empfehlenswert. Bei maßgeblichen Veränderungen im Gebiet ist darüber hinaus eine Anpassung der Erhaltungsziele und des Bewirtschaftungsplans notwendig.175

175  Siehe hierzu ausführlich von Zingler, Anpassung des europäischen und des nationalen Gebietsschutzrechts an die Folgen des Klimawandels, S. 183 ff.; Kment, ZUR 2016, 331, 337.

Kapitel 2

Evaluation der FFH-Richtlinie Die aktuelle Biodiversitätsstrategie der Europäischen Union erklärt es zum politischen Ziel der Union, in den nächsten 10 Jahren bei mindestens 30  % der Arten oder Lebensraumtypen eine positive Entwicklung der Erhaltungszustände zu erreichen.1 Bemerkenswert sind diese Forderungen und Quoren, da die FFH-Richtlinie als in ihren Zielvorgaben verbindliches Unionsrecht bereits die Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes aller FFH-Arten und Lebensraumtypen und ein vollständiges Schutzgebietsnetz seit über 30 Jahren obligatorisch fordert. Das folgende Kapitel zieht daher Bilanz, inwieweit die von der FFH-Richtlinie anvisierten Ziele erreicht wurden. Anschließend werden bereits bekannte Fehlerquellen und Lösungsansätze vorgestellt, um schließlich den weiteren Forschungsbedarf zu skizzieren.

A. Bilanz der FFH-Richtlinie I. Fortgesetzter Biodiversitätsrückgang Die Erwägungsgründe der FFH-Richtlinie nennen, wie dargestellt, die „Biodiversität“ entsprechend den vorgelagerten politischen Anstrengungen der Union als angestrebtes Ziel.2 Dennoch ist es um die Biodiversität auch heute noch nicht gut bestellt. Bereits über 75  % der Landfläche des Planeten ist dauerhaft verändert, der Verlust der Artenvielfalt schreitet mit alarmierender Geschwindigkeit voran.3 Zahlreiche Arten kommen bereits heute weniger häufig und ausschließ-

1  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, unter 2.2.1.; siehe auch Art. 4 ff. des Vorschlags für eine Verordnung über die Wiederherstellung der Natur (COM(2022) 304 final). 2  EWG 3 FFH-RL. 3  IPBES (Hrsg.), Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services, Chap. 2.2, S. 206 ff.; EEA, The European environment – state and outlook 2020, S.  74 ff.; EEA, The European environment – state and outlook 2020, S. 38; UNEP (Hrsg.), 6th Global Environmental Outlook, Kap. 6.4.2.

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Kap. 2: Evaluation der FFH-Richtlinie

lich an bestimmten Orten vor.4 Sie werden vermutlich in den nächsten zehn bis dreißig Jahren aussterben.5 Es zeichnet sich ab, dass sich langfristig lediglich einige wenige, anpassungsfähige Generalisten durchsetzen.6 Derzeit sind mehr Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht als zu jedem anderen Zeitpunkt des anthropogenen Zeitalters.7 Diese Entwicklung betrifft bereits 40   % der Insektenarten und zahlreiche Vögel und Wirbeltiere.8 Gleichzeitig ist auch die Anzahl der Populationen und somit die absolute Zahl von wildlebenden Tieren von 1970 bis 2018 um 60  % zurückgegangen.9 Die Aussichten für die Zukunft sind global und auf europäischem Raum für natürliche Ökosysteme und wildlebende Arten düster.10 Das Ausmaß des Artenrückgangs ist zwar in den besonders artenreichen Regionen der Erde am dramatischsten, Europa und spezieller die Europäische Union bilden jedoch keine Ausnahme vom negativem Trend.11 Besonders die Meeressäugetiere 4  Barnosky/Matzke/Tomiya et al., Nature 2011, 51, 51  ff.; Pimm/Raven, Nature 2000, 843, 843 ff. 5  Ripple/Wolf/Newsome und 15351 weitere Unterzeichner, BioScience 2017, 1026, 1026; Sánchez-Bayo/Wyckhuys, Biological Conservation 2019, 8, 10 ff.; EEA, The European environment – state and outlook 2020, S. 38; UNEP (Hrsg.), 6th Global Environmental Outlook, Kap. 6.5.1.–6.5.8. 6  Staude/Pereira/Daskalova et al., Ecology Letters 2021, 1, 1 ff.; Gregory, Significance 2006, 106, 108; Sánchez-Bayo/Wyckhuys, Biological Conservation 2019, 8, 15; Dennis/Dapporto/Fattorini/Cook, Biological Journal of the Linnean Society 2011, 725 ff. 7  EEA, The European environment – state and outlook 2020, S. 38; EEA, The European environment – state and outlook 2020, S. 38; UNEP (Hrsg.), 6th Global Environmental Outlook, Kap. 6.4.2. 8  Sánchez-Bayo/Wyckhuys, Biological Conservation 2019, 8, 8, 10 ff.; Ceballos/ Ehrlich, Science 2002, 904, 904 ff.; Loh/Harmon, Biocultural Diversity – Threatened species, endangered languages, S. 31; Young/McCauly/Galetti/Dirzo, Review in Advance 2016, 333, 336 ff.; Ceballos/Ehrlich/Dirzo, PNAS 2017, E6089, E6090 ff.; Saha/McRae/Dodd et al., Journal of Herpetology 2018, 259, 260 ff.; EEA, The European environment – state and outlook 2020, S. 38, 71 ff.; UNEP (Hrsg.), 6th Global Environmental Outlook, Kap. 6.4.2.; Eurostat, Common bird indices, EU, 1990–2018. 9  WWF, Living Planet Report, S. 11; WWF/ZSL, Living Planet Index, Datenportal, abrufbar unter https://www.livingplanetindex.org/data_portal. 10  UNEP (Hrsg.), 6th Global Environmental Outlook, Kap. 6.4.; EEA, The European environment – state and outlook 2020, executive summary, Figure ES.1; EEA, The European environment – state and outlook 2020, S. 38. 11  EEA, The European environment – state and outlook 2020, S. 74, 289; vgl. auch Übereinkommen über die biologische Vielfalt v. 5.6.1992, abgedruckt in BGBl. 1993, II S. 1741 ff.; vgl. auch die 2020 auslaufenden Ambitionen der EU: Beschluss Nr. 1386/2013/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über ein allgemeines Umweltaktionsprogramm der Union für die Zeit bis 2020 v. 20.11.2013, ABl. EU Nr. L 354/171 v. 28.12.2013; sowie Europäische Kommission, Die Biodiversitätsstrategie der EU bis 2020.



A. Bilanz der FFH-Richtlinie53

sind in Europa zunehmend bedroht, doch auch etwa 20  % der europäischen Amphibien- und Reptilienarten sterben aus.12 15  % Prozent der Landsäugetiere finden sich bereits auf den europäischen Roten Listen.13 Auch bei Vögeln und Insekten ist ein starker Populationsrückgang zu verzeichnen.14 Der Artenrückgang erfasst ebenso die Pflanzenwelt, die durch Stickstoffeintrag und Übernutzung beeinträchtigt ist.15 Die Zahl der zunehmenden Populationen liegt je nach Klasse nur zwischen 2,4 und 10  %, weitaus mehr Arten unterfallen einer negativen Zukunftsbilanz.16 Auch die Zahl der natürlichen Lebensräume nimmt durch den zunehmenden Flächenverbrauch immer weiter ab.17 Die negativen Einflüsse auf die natürliche Vielfalt sind fast durchweg anthropogener Natur.18 Man spricht von einer „anthropozänen Defaunation“.19 Der globale Flächenverbrauch und die Landveränderung von natürlicher Umgebung hin zu künstlichen Landschaften scheinen die Wurzel des negativen Biodiversitätstrends zu sein.20 Die Land- bzw. Meeresnutzung und die 12  EEA, EU 2010 Biodiversity Baseline, Annex S. 7, 14; IUCN (Hrsg.), European Red List of Amphibians, S. 7; IUCN (Hrsg.), European Red List of Reptiles, S. 7. 13  EEA, EU 2010 Biodiversity Baseline, Annex S. 7, 14. 14  IUCN (Hrsg.), European Red List of Grasshoppers, Crickets, and Bush-crickets, S.  15 ff.; IUCN (Hrsg.), European Red List of Saproxylic Beetles, S. 5; Europäische Kommission (Hrsg.), European Red List of Birds, S. 13 f.; EEA, EU 2010 Biodiversity Baseline, Annex S. 7, 14; Eurostat, Index weit verbreiteter Vogelarten nach Spezies – EU Aggregat, abrufbar unter https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-data sets/-/sdg_15_60; Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht 13/2020, Biodiversität landwirtschaftlicher Nutzflächen: Der Beitrag der GAP hat den Rückgang nicht gestoppt, 2020/C 193/09, S. 8. 15  Z. B. IUCN (Hrsg.), European Red List of Lycopods and Ferns, S. 17 ff.; IUCN (Hrsg.), European Red List of selected endemic Shrubs, S. 7 ff. 16  EEA, EU 2010 Biodiversity Baseline, Annex S. 15; De Heer/Kapos/Ten Brink, Philosophical Transactions of the Royal Society B 2005, 297, 302 ff. 17  EEA, EU 2010 Biodiversity Baseline, Annex S. 8; Europäische Kommission (Hrsg.), European Red List of Habitats, Part 1. Marine Habitats, S. 9 ff.; Europäische Kommission (Hrsg.), European Red List of Habitats, Part 2, Terrestrial and freshwater habitats, S. 7. 18  Vgl. WBGU, Welt im Wandel – Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biosphäre – Jahresgutachten 1999, S. 9 ff. insb. 33; sowie bekennend UN, Statement from the Conference Parties to the Convention on Biological Diversity to the 4. ITCPGR, ITCPGR/96/Rep., Appendix B Ziff. 1; Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 30; EEA, State of Nature in the EU (2020), 71 f. 80 f. 19  Dirzo/Young/Galetti et al., Defaunation in the Anthropocene, Science 2014, 401, 401 ff.; Young/McCauly/Galetti/Dirzo, Review in Advance 2016, 333, 333 ff.; siehe hierzu auch IPBES (Hrsg.), Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services, Chap. 2.1.13, S. 119 f. 20  Maiorano/Falcucci/Boitani, Proceedings of the Royal Society B 2008, 1297, 1302.

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Kap. 2: Evaluation der FFH-Richtlinie

damit einhergehende Umgestaltung der natürlichen Umgebung und Nutzung der natürlichen Ressourcen waren bereits beim Erlass der FFH-Richtlinie und sind bis heute die größten Bedrohungen für die Biodiversität.21 Hauptursachen für den Biodiversitätsverlust sind die intensive Bewirtschaftung in Land- und Forstwirtschaft, die Industrialisierung, die zunehmende Urbanisierung und der mit ihr zusammenhängende Druck auf die umliegende Natur.22 All diese Faktoren führen zum derzeit größten Verhängnis für die Artenvielfalt, nämlich zum Habitatverlust und zur Fragmentierung von Lebensräumen für wildlebende Tier- und Pflanzenarten.23

II. Ausgebliebene Stabilisierung der Erhaltungszustände Um dem wachsenden Habitatverlust und dem voranschreitenden Artensterben entgegenzutreten, stellt die FFH-Richtlinie einen der grundlegenden Gesetzgebungsakte der Union dar. Sie ist eine Reaktion auf die stagnierende Entwicklung der Lebensräume und auf die zunehmende Anzahl bedrohter Arten.24 In Zeiten der „Biodiversitätskrise“25 ist die Wirkung der Richtlinie zu überprüfen, um festzustellen, warum ihr Ziel, die Erhaltung der biologischen Vielfalt, bisher nicht erreicht wurde. Die FFH-Richtlinie konzentriert sich, wie dargestellt, auf die Erhaltung und Wiederherstellung natürlicher Lebensräume und der wildlebenden Tiere und Pflanzen, Art. 2 Abs. 1, 2 FFH-RL. Es soll gemäß Art. 3 Abs. 2 FFH-RL ein Netz geschützter Lebensräume geschaffen werden, um Habitatverlust und -zersplitterung vorzubeugen und entgegenzuwirken. Inwieweit hat sich die Lage der geschützten Arten und Lebensräume im Wirkungsbereich der Richtlinie über 30 Jahre nach ihrem Inkrafttreten geändert? Die Mitgliedstaaten erstellen ausgehend von den Ergebnissen des FFHMonitorings gemäß Art. 11 FFH-RL alle sechs Jahre einen nationalen FFHBericht über den Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen auf ih21  IPBES (Hrsg.), Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services, Chap. 2.1.12, S. 125 ff.; als neue Bedrohungen sind der Klimawandel und der Einfluss invasiver Arten zu nennen, ebenda; EEA, State of Nature in the EU (2015), S. 141; EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 71 ff. 22  Sánchez-Bayo/Wyckhuys, Biological Conservation 2019, 8, 8, 19  ff.; IPBES (Hrsg.), Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services, Chap. 2.1.13, S. 119 ff.; Ceballos/Ehrlich/Dirzo, PNAS 2017, E6089, E6090. 23  Young/McCauly/Galetti/Dirzo, Review in Advance 2016, 333, 341; Ceballos/ Ehrlich/Dirzo, PNAS 2017, E6089, E6090; UNEP (Hrsg.), 6th Global Environmental Outlook, Kap. 6.3.1., Figure 6.2.; weiterführend zum Habitatverlust und seinen Folgen m. w. N. Horwáth/Ptacnik/Vad/Chase, Ecology Letters 2019, 1019, 1019 ff. 24  EWG 2–4 FFH-RL. 25  So Meßerschmidt, ­EurUP 2018, 336, 336.



A. Bilanz der FFH-Richtlinie55

rem Staatsgebiet, der durchgeführten Maßnahmen und ihrer Wirkung und übermitteln diesen der Europäischen Kommission, Art. 17 Abs. 1 FFH-RL. Die letzte Berichtsperiode betrifft den Zeitraum von 2013 bis 2018, sodass inzwischen vollständige Daten vorliegen. Der nationale Bericht Deutschlands ergab, dass der Erhaltungszustand eines überwiegenden Teils der geschützten Lebensraumtypen und Arten auch heute im Bereich „unzureichend bis schlecht“ einzustufen ist.26 Flankierend zu den Ergebnissen des nationalen Monitorings verdeutlicht eine Studie zur Insektenbiomasse den Rückgang der Artenvielfalt. Über 27 Jahre hinweg – etwa die Dauer des Geltungszeitraumes der FFH-Richtlinie – wurde die Gesamtbiomasse von Fluginsekten in deutschen Schutzgebieten gemessen.27 Ein überwiegender Teil der Schutzgebiete ist als FFH-Gebiet ausgewiesen. Der Rückgang der Biomasse während der Insektenflugzeit beträgt inzwischen 76,7  %.28 Die Europäische Umweltagentur fasste die nationalen Berichtsdaten aus dem Zeitraum 2013 bis 2018 für ihren Bericht über den Zustand der Natur 2020 in der Europäischen Union zusammen. Insgesamt befinden sich derzeit 15  % der Lebensraumtypen und 27  % der Arten in einem günstigen Erhaltungszustand, wohingegen 81  % der Lebensraumtypen und 63  % der Arten einen ungünstigen Zustand aufweisen.29 Um die Wirksamkeit der FFH-Richtlinie zu beurteilen, ist ein Vergleich mit den vorigen Berichtszeiträumen entscheidend. Nach Analyse der bisher drei aussagekräftigen Berichtszeiträume zeichnet sich ein klares Bild ab. Im Zeitraum 2001–2006 waren 65  % der Lebensraumtypen und 52  % der Arten in ungünstigem Erhaltungszustand,30 2007–2012 waren es bereits 77  % der Lebensraumtypen und 60  % der Arten.31 Der neuste zusammenfassende Be26  BMUV/BfN (Hrsg.), Die Lage der Natur in Deutschland, S. 4 ff.; siehe auch Europäische Kommission/Deutschland Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2019/2145. 27  Hallmann/Sorg/Jongejans et al., Plos One 2017, E0185809, S. 10. 28  Hallmann/Sorg/Jongejans et al., Plos One 2017, E0185809, S. 2; siehe hierzu aber auch Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht 13/2020, Biodiversität landwirtschaftlicher Nutzflächen: Der Beitrag der GAP hat den Rückgang nicht gestoppt, 2020/C 193/09, S. 6 f. unter Hinweis auf Early, The Ecologist, News 3rd November 2017, m. w. N. 29  Konkret beziehen sich die Prozentangaben auf die Prozente der Anzahl der von den Mitgliedstaaten eingereichten Bewertungen; der Erhaltungszustand der übrigen Prozent ist unbekannt; EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 41, 46. 30  Europäische Kommission, Zusammenfassender Bericht über den Erhaltungszustand von Arten und Lebensraumtypen gemäß Artikel 17 der Habitatrichtlinie, COM(2009) 0358 final. 31  Europäische Kommission, Bericht über den Zustand der Natur – Bericht über den Zustand und die Trends von unter die Vogelschutz- und die Habitat-Richtlinie fallen-

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Kap. 2: Evaluation der FFH-Richtlinie

richt führt den negativen Trend fort. Zudem wird eine negative Entwicklung auch für die Zukunft prognostiziert. Von den Lebensräumen und Arten im ungünstigen Erhaltungszustand weisen jeweils unter 10  % eine positive Zukunftsbilanz auf, jeweils über ein Drittel der Schutzgüter verschlechtert sich weiter.32 Dabei ist erschwerend zu beachten, dass die zugrundeliegenden Daten Selbstauskünfte der Mitgliedstaaten sind. Dem verheerenden Zustand der Biodiversität konnte die FFH-Richtlinie bisher nicht viel entgegensetzen. Insbesondere die Entwicklung der Erhaltungszustände der von der Richtlinie geschützten Arten und Lebensraum­ typen zeigt, dass keine Trendwende erreicht wurde. Lediglich kleine Erfolge sind sichtbar. Einige Bestände in Schutzgebieten, deren Management vorbildlich abläuft, erholen sich.33 Unabhängige Studien bestätigen, dass das Natura 2000-Netzwerk die Gebiete vor grundlegenden Landveränderungen schützt.34 Es gibt Hinweise, dass die Umsetzung der Richtlinie den Artenrückgang verlangsamt und Beeinträchtigungen reduziert.35 Schutzgebiete, in denen die Richtlinie vollständig und ordnungsgemäß umgesetzt wurde, leisten einen positiven Beitrag zur Biodiversität.36 Die Vorteile, die die Konservierung von Lebensräumen bietet, liegen unter anderem in der Unterstützung von Spezialisten37 unter den Arten und Lebensraumtypen und der Erhaltung gesunder Ökosysteme.38 Die nationalen Schutzgebiete waren vor der Impleden Lebensraumtypen und Arten für den Zeitraum 2007–2012 gemäß Artikel 17 der Habitat-Richtlinie und Artikel 12 der Vogelschutzrichtlinie, COM(2015) 219 final. 32  EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 41, 46; Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht 13/2020, Biodiversität landwirtschaftlicher Nutzflächen: Der Beitrag der GAP hat den Rückgang nicht gestoppt, 2020/C 193/09, S. 9. 33  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 37. 34  Maiorano/Falcucci/Boitani, Proceedings of the Royal Society B 2008, 1297, 1301; Kallimanis/Touloumis/Tzanopoulos et al., Biodiversity and Conservation 2015, 579, 586 f. 35  Kallimanis/Touloumis/Tzanopoulos et al., Biodiversity and Conservation 2015, 579, 586 ff.; Maiorano/Falcucci/Boitani, Proceedings of the Royal Society B 2008, 1297, 1301; Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 6, 37; EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 118 ff. 36  Alterra Wageningen UR (Hrsg.), How much Biodiversity is in Natura 2000? The „Umbrella Effect“ of the European Natura 2000 protected area network, S. 101 ff.; Rat der Europäischen Union, Outcome of the 3441st Council Meeting, S. 7 f.; Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 42; siehe aber auch z. B. Iojă/Pătroescu/Rozylowicz et al., Biological Conservation 2010, 2468, 2474 f. 37  Begriff aus der Biologie: Organismen, die im Gegensatz zu sog. Generalisten nur eine sehr begrenzte ökologische Nische besetzen und somit von bestimmten Umweltfaktoren abhängig sind. 38  EEA, State of Nature in the EU (2015), S. 140; Lawton/Brown/Elphick et al., Making Space for Nature: a review of England’s wildlife sites and ecological network, S. vi.



A. Bilanz der FFH-Richtlinie57

mentierung der Richtlinie noch stärker der Gefahr von Habitatveränderungen ausgesetzt oder deckten die Arten und Lebensraumtypen nicht ausreichend ab.39 Diese positiven Aspekte verdeutlichen, dass das Bedürfnis nach einer wirksamen Umweltgesetzgebung zum europäischen Gebietsschutz weiterhin besteht und die FFH-Richtlinie einen notwendigen Beitrag leistet. Der Gesamttrend, dass immer mehr Arten und Lebensraumtypen einen ungünstigen Erhaltungszustand aufweisen und zu verschwinden drohen, bleibt dennoch bestehen.40 Bisher erschöpft sich die Wirkung der Richtlinie darin, dass Negativtrends verlangsamt werden.41 Eine Trendwende ist nur in Einzelfällen messbar.42 Die Lage spitzt sich weiter zu. Bisher wurden die gesetzgeberischen Ziele nicht erreicht und es ist auch nicht absehbar, ob und wann dies eintreten wird.43

III. Vollzugsdefizit im Gebietsschutz Neben dem fortgesetzten Biodiversitätsrückgang auch in den Schutzgebieten und der zunehmenden Beeinträchtigung der Gebiete von außen ist außerdem ein erhebliches Defizit im Hinblick auf den Vollzug der Schutzbestimmungen auszumachen.44 In Deutschland betrifft das Vollzugsdefizit sowohl die Grundlage aller FFH-Schutzmaßnahmen im Gebiet, die Erarbeitung gebietsspezifischer Erhaltungsziele, als auch den Vollzug der allgemeinen Schutzmaßnahmen selbst.

39  EEA, Europe’s Environment – The Dobris Assessment (1995), Kap. 9, Ecosystems; Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 17, 84. 40  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 38. 41  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 37. 42  EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 42, 48, 56, 62 ff. 43  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 15, 33, 38. 44  Vgl. Schumacher/Schumacher, NuR 2022, 298, 305; zum Vollzugsdefizit im (europäischen) Umweltrecht siehe Europäische Kommission, Monitoring the Application of European Union Law, Annual Report 2019, Commission Staff Working Document Part II, S. 26 ff.; Wegener, ZUR 2011, 363, 364 f.; Schröder, NVwZ 2006, 389, 389 f.; Köck, ZUR 2021, 298, 300; speziell zur FFH-Richtlinie siehe Milieu/IEEP/ ICF, Evaluation Study to support the Fitness Check of the Birds and Habitats Directives, Kap. 5.1. S. 94, Kap. 10.2.2. S. 573 ff., Kap. 10.4. S. 578.

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Kap. 2: Evaluation der FFH-Richtlinie

1. Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichender Erhaltungsziele Bisher ist es in Deutschland nicht gelungen, den Anforderungen entsprechende Erhaltungsziele in den Schutzgebieten festzulegen. Die Kommission rügt in einem vor dem Europäischen Gerichtshof anhängigen Vertragsverletzungsverfahren zu Recht eine allgemeine und strukturelle Verletzung der Pflicht, ausreichende Erhaltungsziele für die Schutzgebiete aufzustellen.45 Die Ziele für die Schutzgebiete wurden systematisch nicht zu spezifischen Erhaltungszielen konkretisiert. Die Erhaltungsziele für das FFH-Gebiet „Wiesengebiete und Wälder um den Brotjackelriegel und um Schöllnach“ füllen beispielsweise nur eine Din-A4-Seite. Pro im Gebiet vorkommendem Lebensraumtyp wird ein Ziel formuliert, das sich in dem „Erhalt ggf. Wiederherstellung der Hainsimsen-Buchenwälder“ erschöpft.46 Einige Schutzgebietsverordnungen und Bewirtschaftungspläne in Deutschland wurden erst jüngst überarbeitet, um dem Unionsrecht zu entsprechen. Dies ist allerdings regelmäßig nicht geglückt. Der Bewirtschaftungsplan zum Schutzgebiet „Basaltsteinbruch Eitorf/Stein“47 hat sich etwa vielfach auf die „Wiederherstellung“ der Lebensraumtypen festgelegt, konkretisiert diese Vorgabe aber in keiner Weise.48 So ist nicht messbar, wann das Ziel gefördert oder erreicht wurde. Die Schutzgebietsverordnung, die die Erhaltungsziele verbindlich umsetzen soll und die erst 2021 überarbeitet wurde, bleibt noch hinter den Vorgaben des Bewirtschaftungsplans zurück und nennt als Schutzzweck die „Erhaltung, Entwicklung und Wiederherstellung“ des günstigen Erhaltungszustandes der Schutzgüter.49 Beeinträchtigt ein Vorhaben, das die Wiederherstellung, aber nicht die Erhaltung eines Schutzgutes verhindert, dieses Erhaltungsziel? Die Vorgaben lassen keinen Abgleich einer Maßnahme oder eines Projektes mit den Erhaltungszielen zu.50

45  Europäische Kommission, Ergänzendes Aufforderungsschreiben, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S. 12; a. A. GA Ćapeta, Schlussanträge v. 20.4.2023, C-116/22, Nr. 42 ff.; siehe auch Czybulka, ­EurUP 2016, 276, 285; Schumacher/Schumacher, NuR 2022, 298, 304 f. 46  Bayerisches Landesamt für Umwelt, Natura 2000 in Bayern – Gebietsbezogene Konkretisierungen der Erhaltungsziele (Vollzugshinweise), Gebietsnr. 7145-371, S. 2; Europäische Kommission, Ergänzendes Aufforderungsschreiben, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S. 13. 47  FFH-Schutzgebietsnummer DE-5210-304. 48  Maßnahmenkonzept DE-5210-304 „Basaltsteinbruch Eitorf/Stein“. 49  § 3 Ordnungsbehördliche Verordnung über das Naturschutzgebiet Basaltsteinbruch Eitorf-Stein v. 18.2.2021. 50  A. A. GA Ćapeta, Schlussanträge v. 20.4.2023, C-116/22, Nr. 42 ff.



A. Bilanz der FFH-Richtlinie59

Der Europäische Gerichtshof entschied Ende 2020 in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland in einem ähnlichen Fall, wie er im vor dem Europäischen Gerichtshof anhängigen Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland vorliegt.51 Er stellte ausdrücklich heraus, dass es nicht ausreichend ist, wenn die Zielkonzepte pauschal den günstigen Erhaltungszustand des Gebietes fordern.52 Dies genügt weder den unionsrechtlichen Anforderungen an die Detailliertheit und Vollständigkeit noch an deren Messbarkeit und die damit zusammenhängende Überprüfbarkeit.53 Die über die Ausweisungspflichten hinausgehenden mitgliedstaatlichen Pflichten der angemessenen Verwaltung der FFH-Gebiete, der Vermeidung von Beeinträchtigungen und der Berichterstattung über den Fortschritt in den Gebieten können so ebenfalls nicht hinreichend erfüllt werden.54 Positive Beispiele für spezifisch formulierte Erhaltungsziele finden sich in Deutschland kaum.55 Operationalisierbare Angaben sind jedoch in der Naturwissenschaft vorhanden und wurden teilweise auch für den nationalen FFH-Bericht erarbeitet.56 Im einzelnen Schutzgebiet ist die Anwendung des FFH-Rechts jedoch oftmals durch unspezifisch formulierte Zielvorgaben für das Gebiet erschwert. Der Vollzug der FFH-Richtline scheitert daher in Deutschland bereits daran, dass die Erhaltungsziele vielerorts nicht entsprechend festgelegt wurden.57 2. Mangelnde Effektivität der allgemeinen Schutzmaßnahmen Das Vollzugsdefizit im Gebietsschutz betrifft außerdem die Pflege der Gebiete durch Erhaltungsmaßnahmen und den Schutz durch Vermeidungsmaßnahmen.58 51  Rs. C-116/22,

Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262. Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 58 f. 53  A. A. GA Ćapeta, Schlussanträge v. 20.4.2023, C-116/22, Nr. 48 ff.; 82 ff. 54  EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 46 ff. 55  Hervorgehoben wurden aber die LIFE-Projekte Biosphärenreservat Rhön und Grindenschwarzwald, Europäische Union, Good practices in managing Natura 2000 sites, abrufbar unter https://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/ gp/index.html; siehe auch zur Kritik an Frankreichs Managementplänen Dige/Gerritsen/Klimmek/Whiteoak, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, Technical Report, S. 50. 56  Vgl. Ellwanger/Raths/Benz et al. (Hrsg.), Der nationale Bericht 2019 zur FFHRichtlinie Teil 1, BfN-Skripten 583, S. 5 ff.; BfN/BLAK, Bewertungsschemata für die Bewertung des Erhaltungsgrades von Arten und Lebensraumtypen, Teil I und II. 57  A. A. GA Ćapeta, Schlussanträge v. 20.4.2023, C-116/22, Nr. 61. 58  EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 41, 46; Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht 13/2020, Biodiversität landwirtschaftlicher Nutzflächen: Der Beitrag 52  EuGH,

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Kap. 2: Evaluation der FFH-Richtlinie

Die Gebiete benötigen zum einen den Schutz vor Beeinträchtigungen, andererseits aber vielerorts auch eine nachhaltige Bewirtschaftung. Viele Lebensräume sind beispielsweise von einer kleinbäuerlichen, extensiven Kulturlandschaft abhängig. Daher sieht die Richtlinie positiv wirkende Bewirtschaftungs- und schützende Vermeidungsmaßnahmen vor. Werden die Maßnahmen nicht wirksam durchgeführt, werden Lebensräume durch mangelnde Pflege und negative Einwirkungen beträchtlich geschädigt, wodurch die Zielsetzung der Richtlinie gefährdet wird.59 Es wurde bereits mehrfach betont, dass das Ziel der aktiven Wiederherstellung eines Gebietes ohne effektive Maßnahmen im Gebiet unerreichbar ist. Selbst der Status quo wäre aufgrund dauerhafter Einwirkungen von außen gefährdet.60 Schutzgebiete ohne wirksame Maßnahmen fungieren letztlich nur als so genannte „paper sites“61, als Schutzgebiete, die zwar ausgewiesen auf dem Papier bestehen, allerdings in der Natur nicht wahrnehmbar sind und keinen Mehrwert für die Schutzgüter des Gebietes bieten. Die Ausweisung der Gebiete als besonderes Schutzgebiet würde keine praktische Veränderung im Gebiet mit sich bringen. Das Ziel des günstigen Erhaltungszustandes und die damit einhergehende Wiederherstellung der natürlichen Lebensräume erlangt seine praktische Wirksamkeit erst durch die in der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen.62 Betrachtet man den Stand der Umsetzung dieser essentiellen Managementmaßnahmen, zeigt sich, dass sie bisher selten wirksam durchgeführt werden. In den zusammenfassenden Berichten über die bisher durchgeführten Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen der Berichtsperioden bis 2018 wurden durch die Mitgliedstaaten zwar kaum Maßnahmen als gescheitert beurteilt, die gemeldeten „Maßnahmen“ erschöpften sich aber zum Großteil in der Ausweisung der Gebiete und weiteren administrativen Tätigkeiten.63 Die Schutzgebietsausweisung und administrative Tätigkeiten sind eher der Durchsetzung der Maßnahmen zuzuordnen und nicht selbst als Maßnahme zu qualifizieren.64 Praktische Tätigkeiten im Gebiet wurden bei weitem seltener vorgenommen. Die ausschlaggebenden wiederkehrenden Maßnahmen der GAP hat den Rückgang nicht gestoppt, 2020/C 193/09, S. 9; Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 38. 59  Vgl. EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 213 ff. 60  Vgl. Freytag/Iven, NuR 1995, 109, 112. 61  Vgl. Weyland, Naturschutz und Landschaftsplanung 2021, Heft 2, 10, 10. 62  EuGH, Urt. v. 02.03.2023, C-432/21, Rn. 107; Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 77; Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 213; GA Sharpston, Schlussanträge v. 22.11.2012, C-258/11, Rn. 41. 63  EEA, State of Nature in the EU (2015), S. 132 ff.; EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 3. 64  Siehe hierzu Kap. 3 A. I. 4.



A. Bilanz der FFH-Richtlinie61

zur Gebietsbewirtschaftung waren stark unterrepräsentiert.65 Rein administrative Verwaltungstätigkeiten können, abgesehen von Verboten, die negativ wirkende Tätigkeiten unterbinden, keine ökologischen Bedürfnisse der Lebensraumtypen erfüllen. Stattdessen sind Realakte erforderlich, die in den Gebieten praktischen Naturschutz bewirken. Im neuesten vor dem Europäischen Gerichtshof anhängigen Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland rügt die Kommission neben der fehlenden Spezifikation der Erhaltungsziele daher die mangelnde Umsetzung von Erhaltungsmaßnahmen zur Pflege der geschützten Gebiete.66 Jüngst rief die Europäische Kommission den Europäischen Gerichtshof außerdem wegen eines weiteren Verstoßes der Bundesrepublik gegen die Vorgaben der FFHRichtlinie an. Die Europäische Kommission konzentriert sich in diesem Verfahren auf den Lebensraumtyp der blütenreichen Mähwiesen. Sie stellte fest, dass es Deutschland nicht gelungen ist, den Erhaltungszustand des artenreichen Grünlandes zu verbessern und wirft der Bundesrepublik vor, keine ausreichenden Vermeidungsmaßnahmen ergriffen zu haben.67 Auch einigen anderen Mitgliedstaaten droht derzeit eine Verurteilung wegen unzureichender Umsetzung der Schutzmaßnahmen.68 Die verspätete und mangelhafte Durchführung von Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen ist auch außerhalb Deutschlands ein Problem.69 Das im Umweltrecht vielfältig bezeichnete Vollzugsdefizit70 scheint sich trotz laufender Vertragsverletzungsverfahren und zunehmender Kontrolle durch die europäische Bevölkerung fortzusetzen. 65  EEA, State of Nature in the EU (2015), S. 135; ggf. besteht ein Zusammenhang zu den Kosten wiederkehrender Maßnahmen, hierzu Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 46 f. 66  Europäische Kommission, Ergänzendes Aufforderungsschreiben Vertragsverletzung Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S. 44 ff., Rs. C-116/22; vgl. Art. 6 Abs. 1 FFH-RL; Schumacher/Schumacher, NuR 2022, 298, 304 f. 67  Europäische Kommission, Pressemitteilung, Naturschutz: Unzureichender Schutz von blütenreichen Wiesen in Natura-2000-Gebieten (Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2019/2145); Schumacher/Schumacher, NuR 2022, 298, 305. 68  Z.  B. Kommission/Österreich, Vertragsverletzungsverfahren Nr.  2045/2023; Kommission/Bulgarien Rs. C‑85/22; Europäische Kommission/Spanien, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2015/2003; siehe auch GA Ćapeta, Schlussanträge v. 9.2.2023, C-444/21, Fn. 10; zur Vertragsverletzung Portugals siehe EuGH, Urt. v. 5.9.2019, C-290/18, Rn. 39 ff.; zur Vertragsverletzung Irlands siehe EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 138–154. 69  Vgl. EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 138–154; Urt. v. 22.6.2022, C-661/ 20 Rn. 78 ff.; Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 62 ff.; Urt. v. 5.9.2019, C-290/18, Rn.  50 ff. 70  Möckel, ZUR 2016, 513, 513 ff.; siehe zum Streit über den Maßstab des Defizits Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 52.

62

Kap. 2: Evaluation der FFH-Richtlinie

B. Bisher erfolgte Ursachenforschung Aufgrund der ausbleibenden Erfolge der FFH-Richtlinie als einer der klassischen Umweltschutzrichtlinien der Union und des enormen Vollzugsdefizits bei den Schutzmaßnahmen ist es erforderlich, die Gründe für den Missstand zu analysieren. Zunächst ist die bereits durchgeführte Ursachenforschung darzustellen.

I. Der so genannte „fitness check“ In den Jahren 2014 bis 2016 wurden die Natura 2000-Richtlinien einem so genannten „fitness check“ unterzogen. Die Europäische Kommission strebte an, das Sekundärrecht zu vereinfachen sowie eine Kosten-Nutzen-Analyse durchzuführen.71 Sie beabsichtigte, die FFH- und Vogelschutzrichtlinie zu vereinfachen und die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sekundärgesetzgebungsakte zu verringern.72 Der Auftrag des damaligen Kommissionspräsidenten Juncker lautete, bürokratische Hürden abzubauen und die Richtlinien zu „modernisieren“.73 Es erscheint naheliegend, dass die Naturschutzricht­ linien dem angestrebten Wirtschaftswachstum im Wege standen.74 Im Rahmen des zweijährigen „fitness checks“ überprüfte zunächst eine Evaluationsstudie mit verschiedensten Interessengruppen die FFH- und Vogelschutzrichtlinie auf ihre Wirksamkeit und mögliche Defizite.75 Die Studie war unterteilt in die Eckpunkte der Wirksamkeit, der Effizienz im Sinne einer Kostenanalyse, der Untersuchung der Relevanz, der Kohärenz zu anderen Rechtsakten der Union und des Mehrwerts der unionsweiten Regelung für die Europäische Union.76 Im Anschluss an die Evaluationsstudie führte die Kommission eine Online-Konsultation der europäischen Bevölkerung durch. 71  Sog. REFIT-Programm der Kommission, siehe https://ec.europa.eu/info/law/ law-making-process/evaluating-and-improving-existing-laws/refit-making-eu-lawsimpler-less-costly-and-future-proof_en. 72  Europäische Kommission, Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions, EU regulatory fitness, COM(2012) 746 final, S. 1, 4, 11; Krajewski/Rösslein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 62. EL 2017, Art. 289 AEUV, Rn. 40; Bunge/Schumacher, NuR 2016, 307, 307. 73  Kreiser/Mayr/Barnes/Weyland, NuL 2018, 510, 511; Mayr/Weyland, NuR 2016, 96, 98. 74  Mayr/Weyland, NuR 2016, 96, 98. 75  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 5, 18 ff., 115 ff.; Milieu/IEEP/ICF, Evaluation Study to support the Fitness Check of the Birds and Habitats Directives, S. 13, Kap. 4 S. 71 ff. 76  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 32 ff.



B. Bisher erfolgte Ursachenforschung63

Ziel der Studie war es, den Zusammenhang zwischen den unternommenen Anstrengungen und den Resultaten in Erfahrung zu bringen und zu beschreiben.77 Die Kommission verglich bisher Erreichtes mit dem beabsichtigten und erhofften Fortschritt bei Erlass der Richtlinie.78 Der Bedarf an einem unionsweiten, konsistenten Schutz wurde im „fitness check“ bestätigt.79 Nach einer weitreichenden Beteiligung durch die Bevölkerung und positiver Voten des Ausschusses der Regionen, des Europäischen Parlamentes und eines Briefes von neun Umweltministern der Mitgliedstaaten attestierte die Kommission der FFH- und Vogelschutzrichtlinie, sie seien „fit for purpose“ und bedürften keiner Änderung.80 Die länderübergreifenden Verbreitungsräume von Tieren, Pflanzen und Lebensraumtypen sowie der für die Biodiversität wesentliche globale Biotopverbund machten eine Regelung auf Ebene der Europäischen Union unerlässlich.81 Unter wirtschaftlichen Aspekten müsse ein „race to the bottom“ zwischen den Mitgliedstaaten vermieden werden.82 Gleichwohl deckte der „fitness check“ bedeutende Defizite auf. Auch er stellte fest, dass die bisherigen Fortschritte weitaus hinter dem erhofften Zeitplan und dem gesteckten Ziel zurückgeblieben sind.83 Als Folge der verspäteten Ausweisung der Gebiete und der unzureichenden Schutzmaßnahmen habe weder der Erhaltungszustand der gelisteten Arten und Lebensraumtypen bisher nennenswert verbessert werden können, noch der Biodiversitätsverlust wirksam aufgehalten werden können.84

II. Bereits identifizierte Fehlerquellen Fraglich ist, welche Ursache der beschriebene Missstand hat. Warum werden die FFH-Gebiete selten vorbildlich bewirtschaftet und vor Beeinträchtigungen bewahrt? Ein Grund für die mangelnde Wirksamkeit der Richtlinie liegt bereits in der von den Mitgliedstaaten durchgeführten Auswahl, dem Zuschnitt und der verspäteten Ausweisung der Schutzgebiete.85 Die Schutzgebietsausweisung 77  Europäische

22.

Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 18 f.,

Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 10 ff. Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 7. 80  Kreiser/Mayr/Barnes/Weyland, NuL 2018, 510, 511. 81  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 10 ff. 82  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 79. 83  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 38. 84  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 5, 37 f. 85  EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 122. 78  Europäische 79  Europäische

64

Kap. 2: Evaluation der FFH-Richtlinie

selbst wird erst sehr zeitverzögert abgeschlossen sein.86 Die Schutzgebiete müssen die Lebensraumtypen und Habitate der Arten hinreichend abdecken, deren Schutz die FFH-Richtlinie vorsieht. Hierbei ist bei einigen Lebensraumtypen Ergänzungsbedarf bemängelt worden.87 Auch einige Arten waren bei der Auswahl der unter Schutz gestellten Habitate lange Zeit unterrepräsentiert.88 Die mangelnde Abdeckung aller geschützten Arten durch das Schutzgebietsnetz war in den geographischen Arealen besonders ausgeprägt, in denen die Erhaltungszustände heute besonders ungünstig sind.89 Ein entsprechender Zusammenhang liegt auf der Hand. Die Bestimmung eines FFHGebiets wurde oftmals von ökonomischen Interessen überlagert, Schutzgebiete wurden verkleinert und zerschnitten.90 Schutzgebiete müssen eine hinreichende Größe haben, um den ökologischen Zyklus der Arten aufrecht erhalten zu können, und ausreichend vernetzt sein, sodass die Fragmentierung der Gebiete durch menschlichen Einfluss nicht dazu führt, dass kein genetischer Austausch durch Fortpflanzung oder Bestäubung mehr möglich ist.91 Bestenfalls sollte das Schutzgebietsnetz derart beschaffen sein, dass sich die ökologischen Funktionen langfristig eigenständig resilient aufrecht erhalten können.92 Insofern liegt bereits in der flächenmäßig beschränkten Reichweite des Schutzes ein Grund für die ausbleibenden Erfolge der Richtlinie. Aber nicht nur der ausreichende Zuschnitt der Schutzgebiete trägt zu einem wirksamen Schutz bei. Auch Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen müssen den ökologischen Erfordernissen der Schutzgüter entsprechen. Sie müssen effektiv durch- und umgesetzt werden. Deckt sich der Gebietsschutz 86  Siehe hierzu Kap. 1 C. 2.; CEEweb, Where Natura 2000 went wrong, S. 5; ECA, More efforts needed to implement the Natura 2000 network to its full potential, S. 23; Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 23, 33 f. 87  Europäische Kommission/Malta Vertragsverletzungsverfahren Nr.  2020/2280; Mazaris/Almpanidou/Giakoumi/Katsanevakis, ICES Journal of Marine Science 2018, 190, 195; EEA, State of Nature in the EU (2015), S. 138; Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 5, 33. 88  Trochet/Schmeller, Nature Conservation 2013, 35, 38, 46  f.; Chefaoui/Lobo, Journal of Wildlife Management 2007, 2507, 2512; Bosso/Rebelo/Garonna/Russo, Nature Conversation 2013, 72, 78; Iojă/Pătroescu/Rozylowicz et al., Biological Conservation 2010, 2468, 2471; siehe nun aber Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 32. 89  Trochet/Schmeller, Nature Conservation 2013, 35, 47. 90  Trochet/Schmeller, Nature Conservation, 35, 47 f. 91  Lawton/Brown/Elphick et al., Making Space for Nature: a review of England’s wildlife sites and ecological network, S. vi f., 19 f.; Bosso/Rebelo/Garonna/Russo, Nature Conversation 2013, 72, 78 f. 92  Lawton/Brown/Elphick et al., Making Space for Nature: a review of England’s wildlife sites and ecological network, S. 20.



B. Bisher erfolgte Ursachenforschung65

mit den ökologischen Erfordernissen der Lebensraumtypen und Arten, trägt er langfristig zum günstigen Erhaltungszustand bei, indem sich die Lebewesen erholen. Im so genannten „fitness check“ konnten zwei Ursachen für das Vollzugsdefizit und die mangelnde Effektivität der Schutzmaßnahmen festgestellt werden. Der „fitness check“ machte zum einen die insuffiziente Finanzierung der Maßnahmen im Gebietsschutz als Hemmnis einer gelungenen Umsetzung aus. Neben den aus Naturschutzsicht in großen Teilen fehlgeleiteten Landwirtschaftssubventionen, die die Erfolge in den Schutzgebieten konterkarie­ ren,93 wurden erhebliche Lücken in der Finanzierung von Natura 2000 aufgedeckt. Diese Lücken betreffen im Besonderen die Bereiche, in denen die Schutzmaßnahmen angesetzt werden.94 Die nationalen Naturschutzbehörden beklagen in diesem Zusammenhang auch die fehlende Ausstattung mit Personal.95 Beispielsweise sind Finanzmittel für laufende Kosten unterrepräsentiert. Die bisherigen Zahlungen konzentrierten sich darauf, das Schutzgebietsnetz zu errichten.96 Zweckgebundene Finanzhilfen für konkrete Maßnahmen stehen aus.97 Die Europäische Kommission rät, den finanziellen Nutzen des Gebietsschutzes zu verdeutlichen. Kosten und Erträge könnten in den Bewirtschaftungsplänen aufgeschlüsselt werden. Oft wird die Unterschutzstellung eines Gebietes ausschließlich mit Restriktionen verbunden, obwohl auch zahlreiche geldwerte Vorteile durch Förderungen, Erwerbsmöglichkeiten und die natürlichen Funktionen des Naturhaushaltes, wie etwa das Bestäuben durch Insekten oder den natürlichen Hochwasserschutz, entstehen. Wo investiert wird, sollte auch der Profit gekennzeichnet werden.98 Neben der unzureichenden Kostendeckung sind laut dem „fitness check“ zum anderen Wissenslücken für die allzu geringe Wirksamkeit der Maßnahmen ursächlich.99 Arten und Habitate sowie ihre präzisen Standorte sind den One Earth 2020, 237, 250. Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 51 f.; Europäische Kommission, Ein Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft, COM(2017) 198 final, S. 12, 23. 95  Vgl. Wegener, ZUR 2011, 363, 364; Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 74. 96  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 51, 53. 97  IEEP (Hrsg.), Biodiversity protection through result based remuneration of ecological achievement, S. 107 ff.; vgl. auch Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 52 sowie zu Art. 8 FFH-RL S. 80 ff. 98  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 51; EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 8. 99  Europäische Kommission, Ein Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft, COM(2017) 198 final, S. 21, 23; Dige/Gerritsen/Klimmek/Whiteoak, Manage93  Scown/Brady/Nicholas, 94  Europäische

66

Kap. 2: Evaluation der FFH-Richtlinie

Behörden zuweilen unbekannt.100 Dies führte in der Vergangenheit insbesondere dazu, dass die öffentliche Hand die Erhaltung dieser Arten und Lebensraumtypen nicht als quantifizierbare Erhaltungsziele formulieren konnte.101 Die Erhaltungsmaßnahmen bedürfen der Abstimmung mit eben jenen Erhaltungszielen, sonst sind sie in ihrer Wirksamkeit stark eingeschränkt. Die ökologischen Anforderungen der Arten und Lebensraumtypen sind den Behörden oft nicht hinreichend bekannt, sodass die Grundlage für wirksame Maßnahmen fehlt.102 Auch Vermeidungsmaßnahmen können nicht angesetzt werden, wenn die Beeinträchtigungen aufgrund mangelnder Kenntnisse nicht eingeschätzt werden können. Wenn die Behörden über keinen gesicherten Kenntnisstand über die Vorkommen im Gebiet verfügen, müssen Projektträger diese Kenntnisse zum Beispiel durch Kartierungen selbst erarbeiten, ein Aspekt, der Kosten verursacht und zeitaufwändig ist,103 aber auch die Überprüfbarkeit der Ergebnisse durch die Behörden einschränkt. Die FFH-Verträglichkeitsprüfung obliegt schließlich der Behörde und kann nicht allein der gutachterlichen Darstellung Dritter überlassen bleiben. Die im „fitness check“ ausgemachten Faktoren der unzureichenden Kostendeckung und der noch bestehenden Wissenslücken beschreiben zweifelsohne einige der Ursachen für die Vollzugsdefizite im Bereich des Gebietsschutzes. Der „fitness check“ stellt allerdings nur eine partielle Ursachenforschung dar.

III. Forschungslücke bezüglich rechtlicher Ursachen Der „fitness check“ beschränkte sich trotz des grundlegenden Ansatzes, die FFH-Richtlinie als Rechtsakt zu überprüfen, im Wesentlichen auf die Zweckmäßigkeit der FFH-Richtlinie in der Praxis.104 Umfassend rechtlich untersucht wurde nur die Frage, ob die Richtlinie mit dem sonstigen sekundären Umweltrecht der Union kohärent sei.105 Dies wurde positiv bestätigt. ment effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, Technical Report, S.  29 ff.; Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 81. 100  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 59; EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 6. 101  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 59. 102  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 59. 103  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 59. 104  Vgl. Milieu/IEEP/ICF, Evaluation Study to support the Fitness Check of the Birds and Habitats Directives, Kap. 8.7 S. 497. 105  Vgl. Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 82.



B. Bisher erfolgte Ursachenforschung67

Es wurden keine Widersprüche aufgedeckt.106 Eine rechtsdogmatische Überprüfung auf Mängel der Richtlinie selbst oder eine Analyse offener Rechtsfragen wurde indes nicht vorgenommen.107 Aber auch offene rechtliche Fragestellungen können ursächlich dafür sein, dass die Richtlinie bisher nicht als effektiv eingestuft werden kann.108 Es besteht eine erhebliche Rechtsunsicherheit, die auch nach Jahrzehnten eine rechtssichere Anwendung der Richtlinie durch die Entscheidungsträger verhindert. Nationale Behörden und Gerichte wählen in der Folge oftmals Auslegungsvarianten der Richtlinienbestimmungen, die in der Gesamtschau keine Gewähr dafür bieten, die Wirksamkeit der Maßnahmen sicherzustellen.109 Die Maßnahmen gehen dann entweder bereits fehl, wenn sie nicht entsprechend der Normintention festgelegt werden, oder scheitern in ihrer langfristigen Wirksamkeit. Der bestehende rechtliche Diskussionsbedarf lässt sich besonders anschaulich anhand eines der bereits beschriebenen, aktuell anhängigen Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland illustrieren.110 Ein Vertragsverletzungsverfahren wird beispielsweise dann eröffnet, wenn die Kommission eine systematisch praktizierte Verwaltungspraxis feststellt, der eine abweichende Rechtsmeinung des betreffenden Mitgliedstaates zugrunde liegt.111 Seit 2014 wirft die Kommission Deutschland vor, die Erhaltungsziele nicht ausreichend spezifisch festgelegt zu haben. Darüber hinaus rügt die Kommission insbesondere die mangelnde Umsetzung von Erhaltungsmaßnahmen zur Pflege der geschützten Gebiete.112 Deutschland vertritt in seiner Antwort zum ergänzenden Aufforderungsschreiben im Vertragsverletzungsverfahren zu beiKommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 69 ff. Evaluation Study to support the Fitness Check of the Birds and Habitats Directives, Kap. 8.7 S. 497; mit Ausnahme der Kohärenz zu anderen EU-Naturschutzrichtlinien, Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 17. 108  Vgl. zu offenen Rechtsfragen auch Fellenberg, NVwZ 2019, 177, 177  ff.; Korbmacher, UPR 2018, 1, 1. 109  Vgl. neben den bereits zitierten Entscheidungen z. B. EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-461/17 Rn. 34 ff.; Urt. v. 25.7.2018, C-164/17 Rn. 13, 17, 37, 45 ff.; Urt. v. 12.4.2018, C-323/17 Rn. 25, 30, 34 ff.; Urt. v. 24.11.2016, C-461/14 Rn. 87 ff. 110  Rs. C-116/22. 111  Vgl. Europäische Kommission, Ergänzendes Mahnschreiben Vertragsverletzung Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S. 12, 47, 50; Europäische Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme Vertragsverletzung Nr. 2014/2262, COM(2020) 261 final, S. 6; EuGH, Urt. v. 26.4.2005, C-494/01, Rn. 26 f.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 29.4.2004, C-387/99, Rn. 9. 112  Europäische Kommission, Ergänzendes Aufforderungsschreiben Vertragsverletzung Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S. 44 ff.; vgl. Art. 6 Abs. 1 FFH-RL; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 31 Rn. 13. 106  Europäische

107  Milieu/IEEP/ICF,

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Kap. 2: Evaluation der FFH-Richtlinie

den Rügen der Kommission eine andere Rechtsauffassung. Die Bundesrepublik formuliert in ihrer Antwort unter anderem die These, es sei für den Erfolg der Gebietsverwaltung nicht von Belang, zwischen dem Ziel der Erhaltung und der Wiederherstellung zu unterscheiden. Zudem argumentiert die Bundesregierung, dass die Erhaltungsmaßnahmen nicht auf den Erhaltungszielen aufbauen und die Bewirtschaftungspläne keine Kontrolle ihrer Effektivität anhand quantifizierbarer, präziser Aufgabenzuweisung ermöglichen müssten.113 Das Antwortschreiben enthält eine umfassende rechtliche Begründung mit Rechtsprechungsanalyse und verweist vielfach auf die allgemein gehaltenen Aussagen im Richtlinientext.114 Insbesondere bezüglich der Rüge der Kommission, Deutschland habe seine Erhaltungsziele nicht spezifisch genug formuliert und dementsprechend keine wirksamen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt, vertritt die Bundesrepublik eine andere Rechtsauffassung als die Europäische Kommission. Das laufende Vertragsverletzungsverfahren zeigt daher beispielhaft auf, dass die rechtsdogmatische Auslegung der Bestimmungen über die zentralen Schutzmaßnahmen im europäischen Gebietsschutz weiterhin Schwierigkeiten bereitet. Die zahlreichen und scheinbar endlosen Verfahren vor dem Euro­ päischen Gerichtshof zu Art. 6 FFH-RL verdeutlichen dies kontinuierlich.115 Eine rechtsdogmatische Analyse, ob durch Auslegung der Bestimmungen oder hilfsweise durch Reformen des Richtlinientextes das Ziel der Richtlinie gefördert werden könnte, steht bisher aus. In Anbetracht des dringenden Bedürfnisses nach wirksamen Regelungen im europäischen Gebietsschutz ist es notwendig, auch die rechtlichen Ursachen für die ausgebliebene Stabilisierung der Erhaltungszustände zu untersuchen. Aufgrund des Vollzugsdefizits bezüglich der allgemeinen Schutzmaßnahmen und ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Erhaltungszustände sollen die offenen Rechtsfragen, die die allgemeinen Schutzmaßnahmen betreffen, im Zentrum dieser Arbeit stehen.

IV. Forschungsstand über die allgemeinen Schutzmaßnahmen Rechtliche Fragestellungen bezüglich der FFH-Richtlinie sind bereits seit den Ent­stehungsjahren des Rechtaktes Gegenstand der rechtswissenschaft­ lichen Debatte. Daher ist im Vorfeld einer entsprechenden Analyse auch zu prüfen, inwiefern die Richtlinie und insbesondere die in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehenden Schutzmaßnahmen bereits Inhalt von rechtswissen113  Bundesrepublik Deutschland, Ergänzende Antwort auf das ergänzende Aufforderungsschreiben Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, S. 12 f. 114  Bundesrepublik Deutschland, Ergänzende Antwort auf das ergänzende Aufforderungsschreiben Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, S. 4, 12. 115  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 23 ff.



B. Bisher erfolgte Ursachenforschung69

schaftlichen Arbeiten waren, um bestehende Forschungslücken zu identifizieren. Einen abstrakten Überblick über die allgemeinen Schutzmaßnahmen verschaffen allgemein zum FFH-Gebietsschutz verfasste Werke wie dasjenige von Epiney und Gammenthaler oder schon länger zurückliegend die Analyse der FFH-Richtlinie von Gellermann und die Dissertation Rödiger-Vorwerks.116 Diese Werke behandeln aber nicht die Maßnahmen als solche im Schwerpunkt, sondern konzentrieren sich auf die Anwendung der gesamten Richtlinie. Daher fällt die Untersuchung der Maßnahmen im Gebietsschutz knapp aus. Andere Werke setzen neue Schwerpunkte. Die politischen Hintergründe und der Gesetzgebungsprozess der FFH-Richtlinie sind zentrale Aspekte der Monographie Jacksons.117 Häufig ist außerdem die Umsetzung in das jeweilige nationale Recht Gegenstand wissenschaftlicher Analysen, wie etwa bei Scannell unter Mitarbeit von Cannon, Clarke und Doyle oder als rechtsvergleichender Ansatz bei Backes, Freriks und Nijmeijer.118 Spezifischere rechtliche Auseinandersetzungen findet man teilweise bei Wulfert.119 Sie forschte unter anderem zum Abweichungsverfahren im FFH-Gebietsschutz, das keine allgemeinen Schutzmaßnahmen voraussetzt. Auch Koch analysierte die FFHRichtlinie im Spannungsfeld der verschiedenen Belange und ging dabei auch überblicksartig auf die Ausgleichsmaßnahme ein.120 Das Rechtsinstitut der Maßnahme wurde, soweit dies überblickt werden kann, bisher aber nicht als solches zum Gegenstand einer Dissertation. Die allgemeinen Schutzmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-RL werden in den allgemeinen Werken zur FFH-Richtlinie durchweg weniger ausführlich behandelt. Die rechtswissenschaftliche Diskussion in den europäischen Mitgliedstaaten befasst sich bisher vordergründig mit Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL, die die Zulassung von beeinträchtigenden Vorhaben betreffen.121 116  Epniey/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete; Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht; Gellermann, Natura 2000. 117  Jackson, Conserving Europe’s Wildlife. 118  Scannell/Cannon/Clarke/Doyle, The Habitats Directive in Ireland; Backes/Freriks/Nijmeijer, A comparative law study on the implementation of art. 6 Habitats Directive in some member states. 119  Wulfert, FFH-Abweichungsverfahren und artenschutzrechtliche Ausnahmeverfahren. 120  Koch, in: Bruha/Oeter (Hrsg.), Die FFH-Richtlinie im Spannungsfeld ökologischer und nicht-ökologischer Belange, Europäisches und Internationales Integrationsrecht, Band 9, S. 85–97. 121  Backes, Besondere Schutzgebiete in Europa – rechtsvergleichende Bemerkungen zur Umsetzung und Anwendung des Artikels 6 FFH-Richtlinie, E ­ urUP 2005, 265, 268.

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Kap. 2: Evaluation der FFH-Richtlinie

Die vorliegende Arbeit soll, wie erwähnt, diese Lücke füllen und darlegen, ob die Vorgaben der Richtlinie ausreichend sind, um die Ziele der Richtlinie zu erreichen. Einen verwandten Ansatz verfolgt teilweise Sußmann, die Ursachen für Vollzugsdefizite im Umweltrecht herausarbeitet.122 Sie untersucht das deutsche Rechtssystem auf Vollzugshemmnisse und stellt die mehrschichtige Gesetzgebungskompetenzverteilung im Umweltrecht und unzureichend klare Vorgaben, die die Rechtsanwendung durch oftmals mangelhaft ausgestattete Vollzugsbehörden erschweren, als Hemmnisse auch für die Wirksamkeit unionsrechtlicher Vorgaben heraus.123 Im europäischen Mehrebenensystem ging sie insbesondere auf die politisch motivierte, verspätete oder unrichtige Umsetzung von Richtlinien in das nationale Recht der Mitgliedstaaten und die mangelnde Vollzugskontrolle durch die Organe der Union ein.124 Sußmann stellte damit einige allgemeingültige Hindernisse für die wirksame Anwendung des europäischen Umweltrechts heraus, untersuchte aber nicht bestimmte Richtlinien auf rechtliche Vollzugshemmnisse und behandelte daher auch nicht die Maßnahmen im FFH-Recht. Einen kritischen Ansatz bezüglich der FFH-Richtlinie formuliert dagegen das von Born, Cliquet, Schoukens, Misonne und Van Hoorick herausgegebene Gemeinschaftswerk.125 Dieses Werk behandelt vor dem Hintergrund der mangelnden Erfolge der Richtlinie verschiedene Fragestellungen. Es wird beispielsweise analysiert, ob es eine weiterführende Definition der Erhaltungsziele bräuchte oder inwiefern der FFH-Gebietsschutz besser in die Raumplanung integriert werden müsste.126 Die Regelungen über die allgemeinen Schutzmaßnahmen werden nicht kritisch hinterfragt.

122  Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 52 ff.; ähnlich in Aufsatzform auch Schröder, NVwZ 2006, 389, 389 ff. 123  Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 53 ff., insb. S. 84, allerdings noch unter Bezugnahme auf die Rahmengesetzgebung. 124  Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 81 ff. 125  Born/Cliquet/Schoukens/Misonne/Van Hoorick (Hrsg.), The Habitats Directive in its EU Environmental Law Context. 126  Born/Cliquet/Schoukens/Misonne/Van Hoorick (Hrsg.), The Habitats Directive in its EU Environmental Law Context, S. 56 ff. und 93 ff.



C. Reaktion der Europäischen Union71

C. Reaktion der Europäischen Union Als Reaktion auf die mangelnden Erfolge der FFH-Richtlinie hat die Europäische Union bereits mehrere politische Absichtserklärungen127 verfasst, nach denen der Rückgang der biologischen Vielfalt bereits vor etlichen Jahren gestoppt werden sollte.128 Als wesentliche politische Instrumente sind der „Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft“ und die aktuelle Biodiversitätsstrategie zu nennen. Auf Grundlage der Biodiversitätsstrategie 2030 erarbeitet die Europäische Union derzeit außerdem eine Verordnung zur Wiederherstellung der Natur, die die FFH-Schutzgüter einbezieht.129 Außerdem versucht die Kommission mit der Veröffentlichung von Leitfäden Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Den genannten Instrumenten und ihrer Wirkung widmet sich dieser Abschnitt. Es ist zu hinterfragen, ob die genutzten Mittel ausreichend sind, um das Ziel der Richtlinie zu erreichen und insbesondere die offenen rechtlichen Fragestellungen zu beantworten, oder ob weiterer Forschungsbedarf besteht.

I. Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft Im Anschluss an die Ergebnisse des „fitness checks“ veröffentlichte die Europäische Kommission ein Aktionspapier, um die im Rahmen der Studie festgestellten Defizite aufzuarbeiten.130 Der „Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft“ definiert fünfzehn Maßnahmen in vier Schwerpunktbereichen, die durch eine Fülle von Einzelmaßnahmen umgesetzt werden sollen, die sog. „fact sheets“ entnommen werden können.131 Die Maßnahmen umfassen das Füllen von Wissenslücken innerhalb der mitgliedstaatlichen Behörden, um eine einheitlichere Rechtsanwendung zu gewährleisten, sowie die erneute Mahnung, die Natura 2000-Gebiete vollständig auszuweisen und 127  Gemeint sind die Mitteilungen der Kommission, siehe hierzu Brohm, Die „Mitteilungen“ der Kommission im Europäischen Verwaltungs- und Wirtschaftsraum, S.  59 f.; von Bogdandy/Bast/Arndt, ZaöRV 2002, 77, 118; siehe aber auch zur Anfechtbarkeit EuGH, Urt. v. 16.6.1993, C-325/91. 128  Z. B. Europäische Kommission, Nachhaltige Entwicklung in Europa für eine bessere Welt: Strategie der Europäischen Union für die nachhaltige Entwicklung (Vorschlag der Kommission für den Europäischen Rat in Göteborg), COM(2001) 0264 final; Europäische Kommission, Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 – und darüber hinaus, COM(2006) 216 final, Anhang I; Europäische Kommission, Die Biodiversitätsstrategie der EU bis 2020. 129  Siehe Gesetzgebungsverfahren 2022/0195(COD). 130  Europäische Kommission, Ein Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft, COM(2017) 198 final, S. 7. 131  Europäische Kommission, Ein Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft, COM(2017) 198 final, S. 7; Kreiser/Mayr/Barnes/Weyand, NuL 2018, 510, 514.

72

Kap. 2: Evaluation der FFH-Richtlinie

die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen durchzuführen.132 Auch die Finanzierungsinstrumente und die Kommunikation mit Interessenträgern und Bürgern vor Ort soll verbessert werden.133 Aufgrund des begrenzten Untersuchungsgegenstandes des „fitness checks“ knüpfen die Maßnahmen des Ak­ tionsplanes aber nicht an rechtsdogmatische Fragen an.

II. Biodiversitätsstrategie 2030 Als ein weiteres politisches Instrument soll die aktuelle Biodiversitätsstrategie der Europäischen Union dazu beitragen, die Ziele der Richtlinie zu erreichen. Die Biodiversitätsstrategie 2030 der Union strebt das übergeordnete Ziel an, bis 2050 alle Ökosysteme wiederherzustellen. Bislang ist man aber keineswegs in der Lage, Schäden an der Natur auch nur aufzuhalten und den negativen Trend stagnieren zu lassen. Die bereits seit Jahrzehnten bestehenden Rechtsakte zum Schutze der Biodiversität sind nach wie vor nicht vollständig umgesetzt und damit nicht zu voller Wirksamkeit erstarkt.134 Im Gegensatz zu den ehrgeizigen politischen Entschlüssen wurden konkrete und messbare Ziele aus naturwissenschaftlicher Perspektive bisher bei weitem zu niedrig gesteckt.135 Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck, dass durch hoch angesetzte Vorsätze die Defizite in der Vergangenheit kaschiert werden sollen, während die tatsächliche Umsetzung weiterhin nur schleppend fortschreitet. Die Biodiversitätsstrategie 2030 enthält aber auch durchaus messbare Programmsätze und identifiziert bestehende Fehlerquellen.136 Sie bemängelt Regulierungslücken der bestehenden Rechtsakte, sodass Ziele und Fristen fehlten oder unklar geregelt seien.137 Das Strategiepapier kündigt daher weitere Gesetzesvorhaben an, um den globalen Verpflichtungen der Europäischen Union zur Bekämpfung des Biodiversitätsverlustes nachzukommen.138 132  Europäische Kommission, Ein Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft, COM(2017) 198 final, S. 8, 10. 133  Europäische Kommission, Ein Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft, COM(2017) 198 final, S. 12, 14. 134  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie 2030, unter 2.2.1., 3.2. 135  Z. B. Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie 2030, unter 2.1. bezüglich der Conference of the parties to the convention of biological diversity, The Strategic Plan für Biodiversity 2011–2020 and the Aichi Biodiversity targets, UNEP/ CBD/COP/DEC/X2, strategic goal C Target 11. 136  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie 2030, z.  B. unter 2.1., 2.2.1., 3.2., 4.1., 4.2. 137  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie 2030, unter 2.2.1. 138  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie 2030, unter 3.1., 4.1.; Übereinkommen der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt, abgedr. in



C. Reaktion der Europäischen Union73

Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Gesetzesvorhaben auf offene Rechtsfragen innerhalb der FFH-Richtlinie reagieren und Rechtsunsicherheiten ausräumen können.

III. Verordnung zur Wiederherstellung der Natur Aktuell arbeitet die Europäische Union an einer Verordnung zur Wiederherstellung der Natur mit rechtlich verbindlichen Renaturierungszielen.139 Der politische Grundstein für die Verordnung wurde bereits in der Biodiversitätsstrategie gelegt, die eine Stärkung des unionsrechtlichen Rechtsrahmens zur Wiederherstellung der Natur ankündigte.140 Der am 22.6.2022 von der Europäischen Kommission veröffentlichte Entwurf der Verordnung141 formuliert in Art. 1 als übergeordnetes Ziel, einen Rahmen zu schaffen, durch den bis 2030 auf 20  % der Land- und Meeresgebiete der Union und bis 2050 auf allen Flächen, die einer Wiederherstellung bedürfen, Maßnahmen zur Renaturierung der Ökosysteme durchgeführt werden. Die Verordnung soll dazu beitragen, die Biodiversität nachhaltig zu erhalten, die Ziele der Union bezüglich des Klimaschutzes zu erreichen und die internationalen Verpflichtungen der Union zu erfüllen.142 In Art. 4–10 WiederherstellungsVO-E folgen fristgebundene Unterziele für verschiedene Ökosysteme innerhalb und außerhalb von europäischen Schutzgebieten, die wiederherzustellen sind. Der Verordnungsentwurf der Kommission legt einen besonderen Fokus auf so genannte „Wiederherstellungsmaßnahmen“.143 Sie bilden nach der Konzeption der Verordnung neben den Wiederherstellungsplänen, die gemäß Art. 11  f. WiederherstellungsVO-E die Wiederherstellungsmaßnahmen vorbereiten, ermitteln und überwachen, das Kernstück der mitgliedstaatlichen Aufgaben, um die Ziele der Verordnung zu erreichen. BGBl. 1993 II, S. 1741 ff.; Friedland/Prall, ZUR 2004, 193, 196; siehe auch Durner, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Umweltverfassungsrecht, 76.  EL 2015, Rn.  178 ff.; sowie Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatschG, 88. EL 2018, Vorbemerkung vor §§ 37–55, Rn. 7; siehe auch UN, A/RES/70/1, Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung v. 25.9.2015, Goal 15; zu Letzterer Huck, EuZW 2019, 581, 581 ff. 139  Vgl. hierzu auch Weyland, Naturschutz und Landschaftsplanung 2022, Heft 8, 12, 12 f.; Falke, ZUR 2022, 503, 507. 140  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie 2030, unter 2.2.1 141  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur, COM(2022) 304 final, v. 22.6.2022, im Folgenden zitiert als „WiederherstellungsVO-E“; siehe zum aktuellen Stand des Gesetzgebungsverfahrens unter der Verfahrensnummer 2022/0195/COD. 142  Art. 1 WiederherstellungsVO-E. 143  Vgl. bereits Art. 1 Abs. 2 WiederherstellungsVO-E.

74

Kap. 2: Evaluation der FFH-Richtlinie

Die Verordnung soll über die besonderen Schutzgebiete hinaus der Degradation der Landschaften entgegenwirken und so die Natura 2000-Richtlinien ergänzen.144 Die Verordnung ist aber auch unmissverständlich als ein Versuch der Nachbesserung der FFH- und Vogelschutzrichtlinie zu sehen. Dabei ist der Rechtsakt zwar als Verordnung geplant, um keine langfristigen Umsetzungsverfahren in das Recht der Mitgliedstaaten auszulösen.145 Teilweise sind der Verordnungsentwurf und der Text der Natura 2000-Richtlinien aber regelungstechnisch identisch, indem sie Handlungsanweisungen für die Mitgliedstaaten zum Schutz der Natur normieren. Die Rechtsakte enthalten daher grundsätzlich parallele Verpflichtungen der Mitgliedstaaten. Der Entwurf regelt insbesondere die Renaturierung von terrestrischen Ökosystemen (Art. 4 WiederherstellungsVO-E) und von Meeresökosystemen (Art. 5 WiederherstellungsVO-E), die ebenfalls unter die FFH-Richtlinie fallen. Er bezieht die Lebensraumtypen der FFH-Richtlinie in seinen Anhängen mit ein146 und verpflichtet die Mitgliedstaaten ausdrücklich, die Wiederherstellungsmaßnahmen auch für die Lebensraumtypen und Habitate der Arten, die bereits durch die Richtlinien geschützt sind, zu ergreifen.147 Die Mitgliedstaaten werden erneut zu Maßnahmen in den Schutzgebieten verpflichtet, die den günstigen Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen herstellen und Verschlechterungen vermeiden.148 Der Verordnungsentwurf geht aber auch teilweise über die Vorgaben der FFH-Richtlinie hinaus. Er sieht Fristen vor, zu denen die Mitgliedstaaten auf bestimmten Flächenanteilen Maßnahmen durchgeführt haben müssen.149 Zudem erhält die Europäische Kommission in Art. 14 WiederherstellungsVO-E das Recht, die Wiederherstellungspläne der Mitgliedstaaten daraufhin zu überprüfen, ob sie die Ziele und Verpflichtungen der Verordnung erfüllen. Die Mitgliedstaaten müssen etwaigen Anmerkungen der Kommission gebührend Rechnung tragen.150 144  Vgl. Begründung Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur, COM(2022) 304 final, v. 22.6.2022, S. 5. 145  Vgl. Begründung Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur, COM(2022) 304 final, v. 22.6.2022, S.  9 f. 146  Art. 4 Abs. 1 u. 2 i. V. m. Anhang I, Art. 5 Abs. 1 u. 2 i. V. m. Anhang II WiederherstellungsVO-E. 147  Art. 4 Abs. 1–3, Art. 5 Abs. 1–3 WiederherstellungsVO-E. 148  Art. 4 Abs. 1–3, Abs. 6 S. 2, Abs. 7 und Art. 5 Abs. 1–3, Abs. 6 S. 2, Abs. 7 WiederherstellungsVO-E. 149  Art. 4 Abs. 1 u. 2, Art. 5 Abs. 1 u. 2 WiederherstellungsVO; siehe auch EWG 26, 27. 150  Art. 14 Abs. 5 WiederherstellungsVO-E.



C. Reaktion der Europäischen Union75

Das Verhältnis der FFH-Richtlinie und der geplanten Wiederherstellungsverordnung wird in den Erwägungsgründen des Verordnungsentwurfes näher beschrieben. Laut Erwägungsgrund 25 sollen die im Entwurf geregelten Wiederherstellungsmaßnahmen auch dazu dienen, die Ziele der Natura 2000-Richtlinien zu erreichen. In den Erwägungsgründen 31–34 heißt es, der Zweck der Wiederherstellungsmaßnahmen liege auch in der Verbesserung des Erhaltungszustandes der Lebensraumtypen und Arten, die in den Anwendungsbereich der FFH-Richtlinie fallen. Dabei sollen Synergien zwischen den Rechtsakten genutzt werden. So baut etwa das im Verordnungsentwurf eingeführte System zur Bewertung des Zustands der Lebensraumtypen und Arten auf den zur FFH-Richtlinie entwickelten Leitlinien und Erhebungen auf.151 Bei der Erstellung der Wiederherstellungspläne sind außerdem die Erhaltungsmaßnahmen, die die FFH-Richtlinie vorsieht, zu berücksichtigen.152 Der Verordnungsentwurf regelt mitgliedstaatliche Pflichten, die bereits die FFH-Richtlinie normiert, neu und verschärft sie. Diese Vorgehensweise dürfte zwar keinen rechtlichen Widerspruch auslösen, die doppelte Verpflichtung der Mitgliedstaaten kann aber erneute Rechtsunsicherheit hervorrufen und weitere Rechtsfragen aufwerfen. Es wird nicht immer gelingen, zwischen den Pflichten der Mitgliedstaaten nach der Verordnung und den Richtlinien zu differenzieren, beispielsweise wenn sich Erhaltungsmaßnahmen der FFHRichtlinie und Wiederherstellungsmaßnahmen der Wiederherstellungsverordnung überschneiden. Der Entwurf eines neuen Naturschutzgesetzgebungsaktes der Union belegt die Brisanz des Forschungsthemas und die Relevanz der in dieser Arbeit untersuchten Problemstellung. Die Europäische Kommission hat erkannt, dass auch rechtlicher Nachbesserungsbedarf besteht. Der eingeschlagene Weg, einen Rechtsakt durch Erlass einer neuen Verordnung faktisch nachzubessern, ist allerdings ungewöhnlich. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich daher auf die FFH-Richtlinie selbst und wird die dogmatischen Fragestellungen, die den Wirksamkeitsdefiziten zugrunde liegen, herausarbeiten und auf weiteren Reformbedarf an der Richtlinie selbst hinweisen.

IV. Leitfäden Die Europäische Kommission nutzt zudem Instrumente des „soft law“, um weitere Fortschritte bei der Umsetzung der Natura 2000-Richtlinien zu erreichen. Sie erlässt laufend aktualisierte Leitfäden zum Vollzug und zur Auslegung der Rechtsakte. Teilweise sind die Leitfäden als Bekanntmachungen 151  Vgl.

EWG 24 u. 66; siehe auch Art. 18 Abs. 5 S. 2 WiederherstellungsVO-E. Abs. 7 lit. a WiederherstellungsVO-E.

152  Art. 11

76

Kap. 2: Evaluation der FFH-Richtlinie

beziehungsweise Mitteilungen der Kommission gekennzeichnet153 und werden im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.154 Andere Leitfäden sind als überblicksartige Zusammenfassungen ausschließlich auf den Internetseiten der Kommission zu finden.155 In beiden Fällen sind die Leitfäden jedoch nicht ausreichend, um den erhofften Fortschritt bei der Umsetzung der Richtlinien herbeizuführen. Die Leitfaden können zwar eine praktische Wirkung entfalten, insbesondere, da die Rechtsauffassung der Europäische Kommission aufgrund ihrer Position als „Hüterin der Verträge“ auch im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren Bedeutung erlangen kann.156 Zudem können die Leitfäden im Rahmen einer historischen Auslegung Aussagen über den Willen des europäischen Gesetzgebers zulassen, da die Kommission mit einem Initiativrecht ausgestattet ist (Art. 17 Abs. 2 EUV) und in der Europäischen Union im Schwerpunkt für die Gesetzgebungsvorschläge zuständig ist.157 Auch die FFH-Richtlinie geht auf einen Vorschlag der Kommission zurück.158 Der Europäische Gerichtshof zieht die Leitfäden der Europäischen Kommission daher vereinzelt in seinen jüngeren Entscheidungen zur Auslegung der Richtlinie heran.159 Allerdings haben auch die als Mitteilung der Kommission verfassten Leitfäden den Mitgliedstaaten gegenüber eine ausschließlich erläuternde Funktion. Sie sollen die Mitgliedstaaten beim Vollzug der FFH-Richtlinie unterstützen, erzeugen jedoch keine Bindungswirkung gegenüber den innerstaat­ lichen Vollzugsbehörden160 und sind keine durchsetzbare Handlungsanwei153  Z. B. Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG. 154  Z. B. Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1; Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, C 496/1. 155  Z. B. Europäische Kommission, Leitfaden zum Aufbau des Natura-2000-Netzes in der Meeresumwelt; siehe hierzu auch Brohm, Die „Mitteilungen“ der Kommission im Europäischen Verwaltungs- und Wirtschaftsraum, S. 51 f. 156  Vgl. EuG, Urt. v. 20.5.2010, Rs. T-258/06, Rn. 159; Kugelmann, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 17 EUV, Rn. 62. 157  Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347, 347; siehe zum Initiativrecht der Kommission Bieber, in: Bieber/Epiney/Haag/Kotzur, Die Europäische Union, § 7 Rn. 7. 158  Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten v. 16.8.1988, ABl. EG C 247/3 v. 21.9.1988. 159  EuGH, Urt. v. 28.10.2021, C-357/20, Rn. 26, 40, 48; Urt. v. 2.7.2020, C-477/19, Rn. 30; vgl. zum Leitfaden als „Auslegungshilfe“ auch Korbmacher, UPR 2018, 1, 4. 160  EuG, Urt. v. 20.5.2010, Rs. T-258/06, Rn. 153; Schwarze, EuR 2011, 3, 9.



C. Reaktion der Europäischen Union77

sung von Seiten der Europäischen Kommission.161 Die Kommission hat auch keine entsprechende Weisungsbefugnis gegenüber den Mitgliedstaaten.162 Die Leitfäden dienen demnach dazu, die Mitgliedstaaten über die Rechtsauffassung der Kommission zu informieren. Die Kommission selbst betont in den Leitfäden, dass diese nicht rechtsverbindlich seien und lediglich die Position der zuständigen Kommissionsdienststellen wiedergeben.163 Die Aus­ legung des Rechts durch die Kommission, die sie in ihren Leitfäden zum Ausdruck bringt, ist daher nur eine von mehreren möglichen Interpretationen der Richtlinie.164 Der Europäische Gerichtshof ist das einzige Organ der Europäischen Union, das verbindlich über die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten aus dem Unionsrecht entscheidet (Art. 258 und Art. 267 AEUV). Dementsprechend vertreten die Mitgliedstaaten insbesondere in noch offenen Fragestellungen zur Auslegung der FFH-Richtlinie regelmäßig eine andere Rechtsauffassung als die Europäische Kommission. Die Leitfäden werden nach Recherche der Kommission auch nicht flächendeckend genutzt165 und von den Mitgliedstaaten teilweise als einseitige Position der Kommission wahrgenommen, sodass sie auch nach Erlass der Leitfäden ihre Auffassungen aufrecht erhalten.166 Die Leitfäden stellen daher einen Beitrag zur wissenschaftlichen und politischen Diskussion dar, können aber das Vollzugsproblem aufgrund offener Rechtsfragen nicht lösen. Die bisherigen politischen Reaktionen und Instrumente des „soft law“ konnten die Vollzugsdefizite im FFH-Recht bisher nicht ausräumen. Es existieren weiterhin offene rechtliche Fragestellungen, die den effektiven Vollzug der Richtlinie hemmen. Daher besteht weiterer Forschungsbedarf für eine rechtsdogmatische Untersuchung der allgemeinen Schutzmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-RL. EuR 2011, 3, 5. Die „Mitteilungen“ der Kommission im Europäischen Verwaltungsund Wirtschaftsraum, S. 102. 163  Z. B. Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S. 4; Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFHRichtlinie 92/43/EWG, C 496/1, S. 3. 164  Vgl. Brohm, Die „Mitteilungen“ der Kommission im Europäischen Verwaltungs- und Wirtschaftsraum, S. 94. 165  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 34. 166  Vgl. Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG (2007), S. 4; Bundesrepublik Deutschland, Ergänzende Antwort auf das ergänzende Aufforderungsschreiben Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, S. 5; inzwischen Rs. C-116/22; Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347, 347. 161  Schwarze, 162  Brohm,

Kapitel 3

Rechtsdogmatische Untersuchung der allgemeinen Schutzmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-RL Das folgende Kapitel erörtert die Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen, die im Gebietsschutz vorgesehen sind. Die Vorgehensweise ist, die jeweiligen rechtsdogmatischen Fragestellungen herauszuarbeiten und im Hinblick auf eine effektive Anwendung der Richtlinie zu diskutieren. Falls eine effektive Anwendung nicht über die Auslegung erreichbar ist oder Änderungen im Richtlinientext zur effektiven Rechtsanwendung beitragen könnten, werden ergänzend Reformvorschläge formuliert. Die zentrale Richtlinienbestimmung für die Erhaltung und Verwaltung der Gebiete ist Art. 6 FFH-RL, der grundlegende Vorgaben über das Verhältnis von den Erhaltungszielen und gegenläufigen Belangen regelt.1 Art. 6 FFHRL konkretisiert einen Großteil der allgemeinen Bestimmungen der Richt­ linie, nach denen der günstige Erhaltungszustand unter Berücksichtigung entgegenstehender Belange und der regionalen Erfordernisse erreicht werden soll, um so zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen.2 Um die widerstreitenden Interessen in einen Ausgleich zu bringen und gleichzeitig den günstigen Erhaltungszustand herzustellen, sind in Art. 6 FFH-RL proaktive und präventive Maßnahmen vorgesehen, die der Mitgliedstaat durchführen muss.3 Die zahlreichen Streitpunkte bezüglich der Maßnahmen im Gebietsschutzteil der Richtlinie betreffen Auslegungsfragen im Kontext des Art. 6 FFH-RL. Bei der Analyse der Managementmaßnahmen soll in der Reihenfolge vorgegangen werden, die die Richtlinie wählt. Grundsätzlich schreibt die Richtlinie Maßnahmen vor, die das Gebiet ertüchtigen, sowie solche, die das bereits erreichte Schutzniveau im Gebiet verteidigen sollen. Im ersten Absatz des Art. 6 sind zunächst Erhaltungsmaßnahmen und anschließend in Art. 6 1  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 17 ff., 24 ff. 2  Vgl. Art. 2 FFH-RL sowie EWG 3; Falke, ZUR 2019, 312, 314; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 5. 3  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 5.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen79

Abs. 2 FFH-RL allgemeine Vermeidungsmaßnahmen genannt. Die Analyse wird sich daher zunächst auf die Erhaltungsmaßnahmen konzentrieren. Erhaltungsmaßnahmen dienen der Entwicklung des Lebensraumes hin zum günstigen Erhaltungszustand und sind somit positiv wirkende Ertüchtigungsmaßnahmen wie etwa Pflegemaßnahmen für das Gebiet.4 Sie werden in den angesprochenen Bewirtschaftungsplänen festgelegt. Da sie die einzigen Maßnahmen darstellen, die das Gebiet aktiv weiterentwickeln und es in einen günstigen Erhaltungszustand versetzen können, sind sie entscheidend für den Erfolg der Richtlinie.5 Die Vermeidungsmaßnahmen im zweiten Absatz des Art. 6 FFH-RL dienen der allgemeinen Abwehr von negativen Einflüssen.6 Der Mitgliedstaat kann als allgemeine Schutzmaßnahmen beispielsweise geeignete Ver- und Gebote im Schutzgebiet als allgemeine Vermeidungsmaßnahmen erlassen.7 Diese Maßnahmen wirken präventiv oder nachsorgend, indem sie Störungen möglichst von vornherein beziehungsweise sobald sie erkennbar werden im Sinne des Vorsorgeprinzips zu verhindern suchen.8 Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen werden in einem zweiten Schritt Gegenstand der Analyse sein.

A. Die Erhaltungsmaßnahmen Nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL legen die Mitgliedstaaten für die besonderen Schutzgebiete „die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.“ Die entsprechende Umsetzungsvorschrift findet sich im deutschen Recht in § 32 Abs. 3 S. 3 und Abs. 5 BNatSchG. Nach § 32 Abs. 3 S. 3 BNatSchG ist durch geeignete Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen sicherzustellen, dass Art. 6 FFH-RL entsprochen wird. Nach § 32 Abs. 5 BNatSchG können Bewirtschaftungspläne aufgestellt werden.

ZUR 2019, 312, 314. Leitfaden Ausweisung von Schutzgebieten für das Schutzgebietsnetz Natura 2000, S. 5; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 33 Rn. 104. 6  Falke, ZUR 2019, 312, 314. 7  Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt (Hrsg.), BeckOK BNatSchG, §  32 Rn. 10. 8  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 17 f. 4  Falke,

5  Niederstadt,

80

Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Bei den Erhaltungsmaßnahmen handelt es sich, wie erwähnt, um die erforderlichen Tätigkeiten zur Pflege und Wiederherstellung der Schutzgüter im Gebiet.9 Da diese Maßnahmen oftmals eine bestimmte Form der nachhaltigen Bewirtschaftung und „Nutzung“ bei typischen Biotopen der naturnahen Kulturlandschaft einschließen, wird auch von „Bewirtschaftungsmaßnahmen“ gesprochen.10 So können etwa bestimmte Grünlandlebensraumtypen nur durch regelmäßige schonende Mahd erhalten werden. Aus administrativer Sicht ist hingegen der Ausdruck des „(Reservat-)Managements“ passend, da die öffentliche Hand die Erhaltungsmaßnahmen verwaltet.11 Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, diejenigen Erhaltungsmaßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um den günstigen Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen im Gebiet zu erreichen.12 Die Erhaltungsmaßnahmen reichen von Tätigkeiten, um Totholz zu entwickeln oder Überschwemmungsbereiche vorzuhalten bis hin zur genannten stufenweisen Mahd artenreichen Grünlandes. Allein die Erhaltungsmaßnahmen können aktiv dazu beitragen, dass sich der Status der Schutzgebiete positiv weiterentwickelt. Gleichzeitig bedeuten verfehlte Erhaltungsmaßnahmen ausbleibende positive Veränderungen im Gebiet.13 Die effektive Wiederherstellung der Schutzgebiete und deren Management sind, nachdem die Ausweisung der Gebiete inzwischen voranschreitet, die anstehenden Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt.14 Aus diesem Grund definiert die Europäische Kommission in ihrer letzten Biodiversitätsstrategie als eines der drei Kernziele bis zum Jahre 2030 „effectively manage all protected areas, defining clear conservation objectives and measures, and monitoring them appropriately“.15 9  Vgl. auch § 32 Abs. 3 S. 3 BNatSchG; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GKBNatSchG, § 32 Rn. 98; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 59. EL 2010, § 32 Rn. 11. 10  Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, S. 103; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GKBNatschG, § 32 Rn. 98, 103; vgl. auch EWG 3 FFH-RL; kritisch zum Begriff z. B. Czybulka, E ­ urUP 2016, 276, 278 f.; sowie Damohorský/Novák, ­EurUP 2021, 21, 26. 11  Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 59. EL 2010, § 32 Rn. 11; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 4. 12  EuGH, Urt. v. 10.5.2007, C-508/04, Rn. 76; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GKBNatschG, § 32 Rn. 103; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 59. EL 2010, § 32 Rn. 11; Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt (Hrsg.), BeckOK BNatSchG, § 31 Rn. 3. 13  EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 121 f.; ECA, More Efforts needed to implement the Natura 2000 network to its full potential, S. 23. 14  EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, Key messages.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen81

Der Gang der Untersuchung wird sein, zunächst im ersten Teil des Kapitels (I. 1.) die Pflicht der Mitgliedstaaten, Erhaltungsmaßnahmen zu ergreifen, inhaltlich näher zu bestimmen. Der Fokus liegt dabei auf Aspekten, die in laufenden Vertragsverletzungsverfahren relevant sind. In diesem Abschnitt ist der Frage nachzugehen, warum die Erhaltungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten nur selten zu einer tatsächlichen Entwicklung der Gebiete beitragen. Der zweite Abschnitt (I. 2.) diskutiert die Möglichkeiten, wie der Gebietsschutz auch über die Grenzen der einzelnen Schutzgebiete wirken kann und muss. Anschließend werden die Erfordernisse einer erfolgreichen Bewirtschaftungsplanung analysiert (I. 3.) und Fristen für die Erhaltungsmaßnahmen erörtert (I. 4.). Schließlich werden fehlschlagende Verwaltungsmaßnahmen behandelt, die ihrerseits Schädigungspotential aufweisen und trotzdem von einer Verträglichkeitsprüfung per se ausgeschlossen sind (I. 5.).

I. Inhalt der Erhaltungsmaßnahmen Zunächst ist ein genauer Blick auf den Inhalt der in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL festgelegten Erhaltungsmaßnahme zu werfen. Die „Erhaltung“ ist in Art. 1 lit. a FFH-Richtlinie definiert als „Maßnahmen, die erforderlich sind, um die natürlichen Lebensräume und die Populationen wildlebender Tier- und Pflanzenarten in einem günstigen Erhaltungszustand (…) zu erhalten oder diesen wiederherzustellen“. Die Definition greift somit unmittelbar auf den Maßnahmenbegriff zurück. Entsprechend sind es die Erhaltungsmaßnahmen, die erforderlich sind, um den günstigen Erhaltungszustand der Schutzgüter zu erhalten oder wiederherzustellen.16 1. Die ökologischen Erfordernisse Die Gestalt der Erhaltungsmaßnahmen gemäß Art. 6 Abs. 1 FFH-RL richtet sich nach den gebietsspezifischen Erhaltungszielen. Die Erhaltungsziele bestimmen, welche Schutzgüter das Gebietsmanagement im Gebiet in welchem Maß fördert. Wie eine Art oder ein Lebensraumtyp unterstützt werden kann, ist dabei durch Analyse der ökologischen Erfordernisse der Arten und Lebensraumtypen, die in dem jeweiligen Gebiet vorkommen, festzustellen. Die ökologischen Erfordernisse stellen die Bedürfnisse der Lebensraumtypen und Arten dar und sind damit Kernstück aller gebietsbetreffenden Entscheidungen. Sie flankieren die Erhaltungsziele, da die Bedürfnisse der Zielarten 15  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, 2.1. 16  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 11; Dolde/Lange, VBlBW 2015, 1, 1.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

und -lebensraumtypen erfüllt werden müssen, um sie zu erhalten oder wiederherzustellen. Die Mitgliedstaaten haben nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL daher diejenigen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II der Richtlinie entsprechen. Der Richtlinienentwurf von 1988, den die Kommission dem Rat vorlegte, verwendete die Bezeichnung „ökologische Ansprüche“.17 Nach dem Sinn und Zweck der Erhaltungsmaßnahmen, die den günstigen Erhaltungszustand aktiv verwirklichen sollen, sind die ökologischen Erfordernisse diejenigen Anforderungen, die erfüllt werden müssen, um die Lebensraumtypen oder Habitate der Arten qualitativ aufzuwerten. Unter den ökologischen Erfordernissen versteht man somit die biotischen und abiotischen Bedürfnisse eines Lebensraumtyps oder einer Art, mithin beispielsweise Luft- und Wasserqualität oder bestimmte Ansprüche an die Vegetation wie Freiflächen, Hecken oder Totholz, die für die Erhaltung oder Wiederherstellung des Lebensraumtyps oder der Art erfüllt werden müssen.18 Aus dieser Definition ergibt sich, dass die ökologischen Anforderungen inhaltlich nur naturwissenschaftlich ausgefüllt werden können.19 Neben klassischen Abhängigkeitsmustern der Lebensraumtypen und Arten etwa von Nahrung und Wasser müssen die Mitgliedstaaten auch die einzelnen Gegebenheiten im Gebiet miteinbeziehen. So sind etwa Beutetiere, aber auch Fortpflanzungs- und Ruhestätten wie Höhlen oder Bäume oder saubere Luft und sauberes Wasser für den Erhalt von Arten und Lebensraumtypen entscheidend. Daher sind auch alle sonstigen im Gebiet vorkommenden Arten und Lebensraumtypen zu erhalten, sofern sie notwendig sind, um die ökologischen Bedürfnisse der Zielarten und -lebensraumtypen zu erfüllen.20 Die ökologischen Anforderungen sind damit als Voraussetzungen für den günstigen Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen ebenfalls zu erhalten oder zu verbessern.21 Die Maßnahmen müssen ausreichend konkret gefasst 17  Art. 7 Abs. 2 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natür­lichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten v. 16.08.1988, ABl. EG C 247/3 v. 21.9.1988. 18  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 15; Europäische Kommission, Vermerk über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen, S. 2. 19  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 15; Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, S. 102; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GKBNatschG, § 32 Rn. 103. 20  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-461/17, Rn. 39; Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 85 f. 21  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 15; Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 86.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen83

sein, um den Zusammenhang zu den ökologischen Anforderungen einer Zielart oder eines LRT abzubilden.22 Aufgrund überschneidender Bedürfnisse können Erhaltungsmaßnahmen allerdings mehrere Arten oder Lebensraum­ typen fördern. Die Bedürfnisse der im Gebiet vorkommenden Arten dürfen aber nicht unvollständig durch die Maßnahmen abgebildet werden.23 Obwohl nur in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL ausdrücklich genannt, sind die ökologischen Erfordernisse der Lebensräumtypen und Arten auch bei der Vermeidung von Beeinträchtigungen nach den Absätzen 2–4 grundlegend. Werden die ökologischen Erfordernisse eines Lebensraumtyps oder einer Art missachtet und kann das Schutzgut aufgrund dessen nicht erhalten oder wiederhergestellt werden, stellt dieser Eingriff eine erhebliche Beeinträchtigung dar. Schließlich müssen die ökologischen Bedürfnisse erfüllt werden, um die essentiellen Merkmale des Gebietes aufrecht zu erhalten.24 So kann exemplarisch der Verlust von Beutetieren von Fledermäusen durchaus zu einer Beeinträchtigung des Gebietes führen, auch wenn lediglich die Fledermauspopulation zu den Erhaltungszielen des Gebietes gehört.25 Relevant sind aber auch andere Einflüsse wie Lärm, Licht, Pestizide oder die Anwesenheit von Menschen, die bei vielen Arten ein Meide- und Fluchtverhalten auslösen. Die ökologischen Erfordernisse sind somit nicht nur erkenntnisleitend für die festzusetzenden Erhaltungsziele und Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL, sondern müssen auch für Maßnahmen der Vermeidung bekannt sein.26 Die Habitate der Arten werden als unersetzliches ökologisches Erfordernis im Richtlinientext sogar benannt, indem den Mitgliedstaaten aufgegeben wird, auch diese vor einer Verschlechterung zu bewahren, Art. 6 Abs. 2 FFH-RL.

22  Die konkrete Ausgestaltung der Erhaltungsmaßnahmen ist derzeit Gegenstand der Diskussion zwischen Deutschland und der Europäischen Kommission im Vertragsverletzungsverfahren C-116/22; siehe zur Argumentation beider Seiten auch EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 107 ff., Erhaltungsmaßnahmen die etwa lediglich die „Regelung der Wasserstände“ (Rn. 114) vorschreiben, dürften für die Akteure nicht erkennen lassen, welcher Wasserstand den ökologischen Anforderungen der Zielarten oder Lebensraumtypen entspricht. 23  EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 153; Urt. v. 5.9.2019, C-290/18, Rn. 55. 24  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-461/17, Rn. 35 ff.; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 21. 25  Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 86; vgl. auch EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-461/17, Rn. 39 f.; sowie Urt. v. 7.11.2004, C-127/02, Rn. 13, 25; Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – MethodikLeitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S. 44. 26  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-461/17, Rn. 37 ff.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

2. Wiederherstellung als Teil des Erhaltungsbegriffs Im aktuellen Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ist unter anderem streitig, wie die Richtlinie zwischen der Wiederherstellung und der Erhaltung unterscheidet und welche Pflichten die Mitgliedstaaten zu erfüllen haben.27 Die Bundesrepublik Deutschland spricht in einem Antwortschreiben in dem vor dem Gerichtshof anhängigen Vertragsverletzungsverfahren wegen nicht hinreichender Umsetzung der FFH-Richtlinie gar davon, die Richtlinie unterscheide nicht zwischen der Erhaltung und der Wiederherstellung.28 In vielen Schutzgebieten in der Bundesrepublik wird in der Folge gänzlich offengelassen, ob die Erhaltung oder die Wiederherstellung der Natur zum Erhaltungsziel des Gebietes erklärt wird.29 Daher ist fraglich, inwiefern die Mitgliedstaaten zur Wiederherstellung oder Erhaltung verpflichtet sind und warum diese Abgrenzung in der Bundesrepublik nicht gelingt. a) Erhaltungsbegriff Die Richtlinie adressiert die in Frage stehende Pflicht zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Mitgliedstaaten an verschiedenen Stellen. Daher sind die Vorschriften auszulegen. Der Wortlaut der Richtlinie ist teilweise missverständlich. Zunächst ist die Erhaltungsdefinition in Art. 1 lit. a FFH-RL zu nennen. Art. 1 lit. a FFH-RL definiert die „Erhaltung“ als „Maßnahmen, die erforderlich sind, um die natürlichen Lebensräume und die Populationen wildlebender Tier- und Pflanzenarten in einem günstigen Erhaltungszustand (…) zu erhalten oder diesen wiederherzustellen“. Die Erhaltungsdefinition umfasst damit die Wiederherstellung der Schutzgüter. Eine darüber hinausgehende Aussage enthält die Definition nicht, da sich der weitere Regelungsgehalt darin erschöpft, das Substantiv der „Erhaltung“ als Maßnahmen zu definieren, die den günstigen Erhaltungszustand „erhalten“. Die Definition unterscheidet aber explizit zwischen der Erhaltung und Wiederherstellung und vereint die Begriffe in der Erhaltungsdefinition. Auffällig ist, dass die Definition in der Folge zwei Erhaltungsbegriffe schafft. Die in Art. 1 lit. a FFH-RL definierte Erhaltung im 27  Bundesrepublik Deutschland, Ergänzende Antwort auf das ergänzende Auf­ forderungsschreiben Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, S. 5; inzwischen Rs. C-116/22. 28  Bundesrepublik Deutschland, Ergänzende Antwort auf das ergänzende Auf­ forderungsschreiben Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, S. 5; inzwischen Rs. C-116/22. 29  Europäische Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme Vertragsverletzung Nr. 2014/2262, COM(2020) 261 final, S. 11 ff.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen85

weiteren Sinne umfasst die Erhaltung im engeren Sinne und die Wiederherstellung. Der weitere Richtlinientext umschreibt die Pflichten der Mitgliedstaaten mit wiederum anderen Begriffen. Art. 1 lit. l FFH-RL definiert die besonderen Schutzgebiete als Gebiete, in denen die Maßnahmen, die zur „Wahrung oder Wiederherstellung“ eines günstigen Erhaltungszustandes der Arten und Lebensraumtypen erforderlich sind, durchgeführt werden. Art. 2 Abs. 2 FFHRL hebt ebenfalls zwei Pflichten hervor und gibt den Mitgliedstaaten auf, den günstigen Erhaltungszustand zu „bewahren oder wiederzustellen“. Nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 FFH-RL muss das Schutzgebietsnetz den „Fortbestand“ oder die „Wiederherstellung“ des günstigen Erhaltungszustandes gewährleisten. Die Richtlinie formuliert in diesen Artikeln eine flexible Zielvorgabe. Auffällig ist, dass Art. 1 lit. l, Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 FFHRL nicht auf die Erhaltungsdefinition zurückgreifen. Sie nutzen zudem andere Begrifflichkeiten, um die „Erhaltung“ im engeren Sinne zu beschreiben. Die verwendeten Ausdrücke sind „Wahrung“, „bewahren“ und „Fortbestand“. Es wird stets zwischen der Bewahrung des erreichten günstigen Erhaltungszustandes und der Wiederherstellung unterschieden. In Art. 6 Abs. 1 FFH-RL, der die zentrale Pflicht der Mitgliedstaaten, die Gebiete angemessen zu pflegen, normiert, hat sich der Gesetzgeber wiederum für eine andere Formulierung entschieden. Er verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht zu „Bewahrungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen“, sondern zu „Erhaltungsmaßnahmen“. Fraglich ist nun, ob der Ausdruck auf die Erhaltungsdefinition in Art. 1 lit. a FFH-RL verweist und die Mitgliedstaaten auch zur Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes verpflichtet. Da die Definition auch einen Erhaltungsbegriff im engeren Sinne umfasst, der von der Wiederherstellung zu unterscheiden ist, ist der Bezugspunkt in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL zunächst unklar. Ein Blick in die englische Fassung der Richtlinie kann zum weitergehenden Begriffsverständnis beitragen. Bei der Wortlautauslegung einer Vorschrift des sekundären Gemeinschaftsrechts ist auch auf andere Sprachfassungen abzustellen, um eine einheitliche Auslegung in der Union zu gewährleisten.30 In der englischen Fassung ist der Begriff der „conservation“ in Art. 1 lit. a FFH-RL definiert als “measures required to maintain or restore the ­natural habitats and the populations of species of wild fauna and flora at a favourable status (…)“. Die Begriffswahl ist innerhalb des sonstigen Richt­ linientextes kohärent. Art. 1 lit. l FFH-RL unterscheidet zwischen „mainte30  Vgl. EuGH, Urt. v. 27.3.1990, Rs. 372/88, Rn. 19; Urt. v. 27.10.1977, Rs. 30/ 77, Rn. 13/14.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

nance“ und „restoration“. Auch Art. 2 Abs. 1 FFH-RL und Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 FFH-RL nutzen die Begriffe „maintain“ und „restore“. Wenn Art. 6 Abs.1 FFH-RL nun „conservation measures“ anordnet, kann als Ergebnis einer Auslegung nach dem Wortlaut der Richtlinie nur der weite Oberbegriff der „conservation“ aus Art. 1 lit. a FFH-RL Bezugspunkt sein. Mithin umfasst die Erhaltungsmaßnahme die Bewahrung und Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes. Unter die Erhaltungsmaßnahmen fallen demnach auch „Wiederherstellungs-„ bzw. „Entwicklungs-“31 oder „Ertüchtigungsmaßnahmen“32, die einen über die Erhaltung hinausgehenden stärkenden Effekt auf die Begebenheiten des Gebietes haben.33 Auch historische, teleologische und systematische Argumente führen zu keinem anderen Ergebnis. Bereits im Entwurfstext des Richtlinienentwurfes der Kommission von 1988 wird die Wiederherstellung als ausdrückliche Pflicht in Art. 7 Abs. 3 FFH-RL-E benannt.34 Insbesondere, wenn die verschiedensprachigen Fassungen der Richtlinie voneinander abweichen, ist auf das Telos des Sekundärrechtsaktes abzustellen.35 Art. 6 Abs. 1 FFH-RL regelt die zentralen Pflichten der Mitgliedstaaten. Die Richtlinie normiert auch die Wiederherstellung zerstörter Ökosysteme als Ziel des Gesetzgebungs­ aktes (Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 FFH-RL). Daher wäre der Gesetzestext lückenhaft, wenn er keine Pflicht der Mitgliedstaaten normieren würde, die Schutzgüter wiederherzustellen. Der passende Regelungsort für eine solche Pflicht ist Art. 6 FFH-RL. Die Auslegung der Richtlinie führt daher zu dem Ergebnis, dass Art. 6 Abs. 1 FFH-RL auch Wiederherstellungsmaßnahmen anordnet. Für ein hinreichendes Normverständnis der Anwender ist es von Nachteil, dass die Begrifflichkeiten in der deutschen Fassung der Richtlinie inkohärent verwendet werden. Auch in der deutschen Version unterscheidet die Richtlinie aber immerhin deutlich zwischen den Pflichten der Bewahrung und Wiederherstellung.

31  So

in § 32 Abs. 3 S. 3 BNatSchG. Kokott, Schlussanträge v. 25.7.2018, C-293/17 u. C-294/17, I. Einleitung. 33  Gellermann, Natura 2000, S. 68; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 78. 34  Art. 7 Abs. 3 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natür­lichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten v. 16.08.1988, ABl. EG C 247/3 v. 21.09.1988. 35  EuGH, Urt. v. 1.4.2004, C-1/02, Rn. 25; Urt. v. 9.3.2000, C-437/97, Rn. 42; Urt. v. 27.3.1990, Rs. 372/88, Rn. 19. 32  GA



A. Die Erhaltungsmaßnahmen87

b) Flexible Zielvorgabe Die Erhaltungsmaßnahmen müssen demnach das Schutzgebiet in einem günstigen Erhaltungszustand erhalten oder diesen wiederherstellen. Doch wann ordnet die Richtlinie an, den günstigen Erhaltungszustand zu bewahren, und wann ist er wiederherzustellen? Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL gibt keine Auskunft darüber, von welchen Bedingungen es abhängt, ob der Mitgliedstaat Gebiete erhalten oder wiederherstellen muss. Anders ist es bei den Art. 1 lit. a, l, Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 FFH-RL. In all diesen Artikeln ist der günstige Erhaltungszustand der Bezugspunkt für die zu ergreifenden Maßnahmen. Die Regelungen sind von der im Unionsrecht üblichen finalen Regelungstechnik geprägt, bei der die Zielvorgabe die Pflicht der Mitgliedstaaten bestimmt. Der günstige Erhaltungszustand ist danach immer das maßgebliche Ziel, und die Maßnahmen müssen ihn herbeiführen oder erhalten, je nach dem, in welchem Zustand die Lebensräume in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet bisher einzustufen sind. Denn wenn kein günstiger Erhaltungszustand besteht, kann ein Mitgliedstaat diesen nicht „erhalten“. Ob in einem Schutzgebiet als Teil eines Verbreitungsgebiets der günstige Erhaltungszustand seiner Schutzgüter anzustreben ist, bestimmt sich daher allein danach, ob sich der Lebensraumtyp oder die Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet bereits in einem günstigen Erhaltungszustand befindet.36 Die Richtlinie lässt es damit nicht offen, ob die Mitgliedstaaten die Arten und Lebensraumtypen erhalten oder wiederherstellen müssen. Der Zustand des Schutzgutes markiert in verbindlicher Weise die Pflicht der Mitgliedstaaten. Die Erhaltungsziele in den Gebieten müssen das entsprechende Ziel abbilden. Die teleologische Auslegung der Richtlinie bekräftigt dieses Ergebnis. Denn das Ziel der Richtlinie ist es gemäß Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 FFH-RL, alle gelisteten Arten und Lebensraumtypen in einen günstigen Erhaltungszustand zu versetzen.37 Eine Entwicklung des Gebietes scheint von vornherein ausgeschlossen, wenn die Zielvorgaben für das Gebiet offenlassen, ob eine Verbesserung oder nur eine Beibehaltung des Status quo angestrebt wird.38

36  Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 79; vgl. auch Art. 4 Abs. 4 FFH-RL. 37  Vgl. auch EWG 6; Europäische Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme Vertragsverletzung Nr. 2014/2262, COM (2020) 261 final, S. 18. 38  Europäische Kommission, Ergänzendes Aufforderungsschreiben, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S. 10.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Die Mitgliedstaaten legen zwar für jedes einzelne Gebiet fest, in welchem Maß die im Gebiet vorkommenden Lebensraumtypen und Arten erhalten oder wiederhergestellt werden sollen.39 Die gebietsspezifischen Erhaltungsziele konkretisieren dieses Ziel für die Schutzgüter in den Gebieten.40 Sie bilden daher durch qualitative und quantitative Vorgaben ab, ob die Wiederherstellung oder Erhaltung angestrebt wird. Die Mitgliedstaaten können einige Gebiete priorisieren, wobei sie sich aber wiederum am Telos der Richtlinie orientieren müssen und die „Wichtigkeit der Gebiete für die Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes“ der Arten und Lebensraumtypen und der Bedrohungsgrad der Gebiete ausschlaggebend sind.41 Die Flexibilität des Zieles darf nicht mit einer Wahlmöglichkeit etwa im Sinne einer Ermessensvorschrift verwechselt werden. Bereits nach dem Entwurfstext der FFH-Richtlinie hatten die Mitgliedstaaten die Wiederherstellung zerstörter oder beeinträchtigter Biotope vorzusehen, „falls es zur Gewährleistung des Erhaltungsstatus einer Art notwendig ist“.42 Auch heute weist die Richtlinie den Erhaltungsmaßnahmen mehrfach die Aufgabe zu, den günstigen Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen herzustellen,43 und geht damit in ihren Zielvorstellungen über eine Beibehaltung des Status quo hinaus. Im Ergebnis bestimmt daher die Zielvorgabe der Richtlinie, ob der Mitgliedstaat verpflichtet ist, wiederherstellend oder erhaltend aktiv zu werden. Jede Maßnahme im Gebiet muss auf den günstigen Erhaltungszustand im Verbreitungsgebiet der Art oder des Lebensraumtyps hinwirken. Erst, wenn dieser erreicht ist, ist es nur noch notwendig, ihn zu erhalten.44

39  Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFHRichtlinie 92/43/EWG, S. 41. 40  A. A. GA Ćapeta, Schlussanträge v. 20.4.2023, C-116/22, Nr. 95, die die Unterscheidung zwischen Erhaltung und Wiederherstellung erst auf der Ebene der Erhaltungsmaßnahmen fordert. 41  Art. 4 Abs. 4 FFH-RL; es steht den Mitgliedstaaten über diese Pflicht hinausgehend frei, weitere Verbesserungen des Erhaltungszustandes anzustreben. Ein besonders günstiger Erhaltungszustand ist eine bessere Grundlage für eventuelle Eingriffe als ein noch nicht gut entwickeltes Gebiet; Art. 193 AEUV; Nettesheim, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 44. EL 2011, Art. 193 AEUV, Rn. 13; Koch, Die FFH-Richtlinie im Spannungsfeld ökologischer und nicht-ökologischer Belange, S. 1. 42  Art. 7 Abs. 3 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natür­lichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten v. 16.08.1988, ABl. EG C 247/3 v. 21.09.1988. 43  Vgl. EWG 8, 11; Art. 1 lit. a, 2 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 FFH-RL. 44  Vgl. Art. 1 lit. l FFH-RL; Heugel, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 7 Rn. 15; vgl. EuGH, Urt. v. 2.8.1993, C-355/90, Rn. 15; vgl. Gellermann, Natura



A. Die Erhaltungsmaßnahmen89

Die Arten und Lebensraumtypen in der Bundesrepublik und auch in der gesamten Union sind mehrheitlich noch nicht in günstigem Erhaltungszustand.45 Das Ziel der Richtlinie verdichtet sich somit überwiegend zum Ziel der Verbesserung des Erhaltungszustandes der Lebensräume und Arten, bis ein günstiger Erhaltungszustand erreicht wurde.46 Die meisten Populationen und Lebensräume müssen aufgrund ihres schlechten Erhaltungszustandes wiederhergestellt werden.47 Dem steht widersprüchlicher Weise die Wirklichkeit gegenüber: Weit mehr Erhaltungsmaßnahmen sind darauf angelegt, den Status der Gebiete zu erhalten, als ihn zu verbessern.48 c) Reformvorschlag: Abgrenzung der Begriffe und gemeinsamer Oberbegriff der „Bewirtschaftungsmaßnahmen“ Obwohl in diesem Abschnitt herausgearbeitet werden konnte, dass die Richtlinie es weder offen lässt, ob ein Mitgliedstaat Schutzgüter erhalten oder wiederherstellen muss, noch dies in das Ermessen der Mitgliedstaaten stellt, sondern den Status der Gebiete als konkreten Bezugspunkt nennt, ist festzuhalten, dass die Termini in der deutschen Richtlinienfassung missverständlich gewählt sind. Dies führt dazu, dass die Wortlautauslegung des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL zu keinem klaren Ergebnis kommt, ohne dass andere Sprachfassungen herangezogen werden. Aus Art. 1 lit. a, l, Art. 2 Abs. 2 und 3 Abs. 1 FFH-RL, in denen die Richtlinie dennoch zwischen der Erhaltung und Wiederherstellung unterscheidet, könnte außerdem deutlicher hervorgehen, wann die Erhaltung – im engeren Sinne – und wann die Wiederherstellung verpflichtend ist. Um eine Unterscheidung zwischen der Erhaltung und der Wiederherstellung und den damit verbundenen Maßnahmen zu ermöglichen und die bestehenden Vollzugsdefizite, die auch das laufende Vertragsverletzungsverfahren offenlegt, zu redu2000, S. 130; Europäische Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme Vertragsverletzung Nr. 2014/2262, COM(2020) 261 final, S. 17. 45  Ellwanger/Raths/Benz et al. (Hrsg.), Der nationale Bericht 2019 zur FFH-Richtlinie Teil 1, BfN-Skripten 583, S. 36 ff.; Ellwanger/Raths/Benz et al. (Hrsg.), BfNSkripten 584, S. 24 ff.; EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 41, 46. 46  Siehe zu dieser Zielvorgabe auf EU-Ebene Europäische Kommission, Die Biodiversitätsstrategie der EU bis 2020, S. 12; siehe auch EuGH, Urt. v. 13.6.2002, C-117/00, Rn. 31. 47  Der Entwurf einer Wiederherstellungsverordnung der Europäischen Union regelt wiederum eigene Wiederherstellungsmaßnahmen, die auch in Natura 2000-Gebieten Anwendung finden, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur, COM(2022) 304 final, v. 22.6.2022. 48  EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 70, 88 f.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

zieren, könnten die Begriffe eigenständig verwendet werden und deutlicher als im sonstigen Richtlinientext den Bezug zum bisherigen Erhaltungszustand herstellen. Der Begriff der Erhaltung soll laut Richtliniendefinition in Art. 1 lit. a FFH-RL die Erhaltung und Wiederherstellung umfassen. Gesetzgebungstechnisch passender wäre es, auch in der deutschen Fassung einen gemeinsamen Oberbegriff zu definieren, der die Erhaltung und Wiederherstellung als Varianten beinhaltet. So wäre es möglich, Erhaltung und Wiederherstellung im Richtlinientext voneinander abzugrenzen. Der Normtext würde verdeutlichen, dass beide Pflichten gleichrangige Handlungspflichten darstellen. Ein gemeinsamer Oberbegriff sollte neutral beide Unterbegriffe umfassen. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle nicht lediglich vorgeschlagen werden, die deutsche Sprachfassung der englischen anzugleichen und die Begriffe kohärent zu verwenden. Auch der Begriff „conservation“ bedeutet gemeinhin, den Gehalt des gegenwärtigen Zustandes soweit und so lang wie möglich beizubehalten. Dass die Gebiete entwickelt werden müssen, ist begrifflich nicht enthalten. Die Richtlinie könnte stattdessen einen gemeinsamen Oberbegriff für die Erhaltung und Wiederherstellung formulieren. Zudem bietet es sich an, unmittelbar auf die Maßnahmen abzustellen, die die Richtlinie in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL vorschreibt. Als gemeinsamen Oberbegriff für Erhaltungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen könnte die Richtlinie etwa den insofern neutralen Begriff der „Bewirtschaftungsmaßnahmen“ definieren. Die anschließende Definition könnte in Form einer konditionalen Vorschrift verdeutlichen, wann Erhaltungs- und wann Wiederherstellungsmaßnahmen angezeigt sind. Die kondi­ tionale Regelungstechnik ist im klassischen Verwaltungsrecht der Bundesrepublik verbreitet und bietet den Vorteil, dass dem Normanwender die konkreten Voraussetzungen seines Handelns vor Augen geführt werden.49 Die „Bewirtschaftungsmaßnahmen“ wären demnach alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um die natürlichen Lebensräume und die Populationen wildlebender Tier- und Pflanzenarten in einem günstigen Erhaltungszustand zu erhalten oder, wenn dieser Zustand noch nicht erreicht ist, ihn wiederherzustellen. Art. 6 Abs. 1 FFH-RL könnte parallel die nötigen Bewirtschaftungsmaßnahmen anordnen. So würde betont, dass sich die Pflicht der Mitgliedstaaten nicht darin erschöpft, den jeweiligen Status der Gebiete zu erhalten.

49  Vgl.

Breuer, AöR 2002, S. 523, 525 f.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen91

3. Abgrenzung der Erhaltungsmaßnahmen Als Gegenstück zu der Aufgabe der Erhaltung und Wiederherstellung fällt die Abwehr von aufkommenden Schäden unter die von den Erhaltungsmaßnahmen zu unterscheidenden Vermeidungsmaßnahmen. Um der Pflicht der Mitgliedstaaten, Erhaltungsmaßnahmen50 zu ergreifen, weiter Kontur zu verleihen, sind sie auch von den Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL abzugrenzen. Aufgrund ihrer regelmäßigen und durchaus sinnvollen gemeinsamen Verortung im Bewirtschaftungsplan und ihrer notwendigen logischen Verflochtenheit werden Erhaltungsmaßnahmen und Vermeidungsmaßnahmen oft in einem Atemzug genannt.51 Dies führt jedoch auch dazu, dass ihre Begrifflichkeiten verschwimmen. So zählen aktuelle Maßnahmenkonzepte in Deutschland, etwa das Entfernen von Störarten oder ein Kahlschlagsverbot, explizit zu den „Erhaltungsmaßnahmen“.52 Es ist zu untersuchen, ob die Unterschiede zwischen den Maßnahmen präzisiert werden können, um die Pflichten zu verdeutlichen, die den Mitgliedstaaten jeweils erwachsen. In Abgrenzung zu den Vermeidungsmaßnahmen sind die Erhaltungsmaßnahmen ausschließlich positiv durchzuführende Maßnahmen.53 Durch sie werden die Erhaltungsziele des Gebietes aktiv verwirklicht.54 In der Richt­ linie findet sich die Definition der „Erhaltung“, die auch im Rahmen dieser Arbeit bereits herangezogen wurde, um den Inhalt der Erhaltungsmaßnahme zu bestimmen. Der Begriff der „Vermeidung“ wird nicht definiert und ist daher nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen.55 Durch Vermeidungsmaßnahmen ist demnach der Eintritt eines Schadens zu verhindern. Da Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen unabhängig voneinander durchzuführende Pflichten darstellen, lassen sich beide Begriffe außerdem durch Auslegung voneinander abgrenzen. Konsequent differenziert kann man formulieren, dass Erhaltungsmaßnahmen nur – insbesondere, wenn sie Gebiete wiederherstellen – bestehende Schäden beheben, nicht aber auf drohende Beeinträchtigungen reagieren. Sie entwickeln ein Gebiet über den 50  Im Folgenden wird weiterhin der von der Richtlinie verwendete Begriff der „Erhaltungsmaßnahmen“ verwendet. 51  Vgl. auch § 32 Abs. 3 S. 3 BNatSchG. 52  Vgl. etwa Maßnahmenkonzept DE-5210-304, alle Seiten; vgl. auch die Argumentation Deutschlands im Vertragsverletzungsverfahren gegen Irland: EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 91 f. 53  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 11, 13; EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 214. 54  GA Sharpston, Schlussanträge v. 22.11.2012, C-258/11, Nr. 42. 55  Vgl. EuGH, Urt. v. 28.10.2021, C-357/20, Rn. 46.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Status quo hinaus.56 Die Aufgabe, weitere Verschlechterungen des Erhaltungszustandes von Lebensräumen und Arten durch die Abwehr von Bedrohungen zu verhindern, ist dagegen begriffsnotwendig bei den Vermeidungsmaßnahmen zu verorten.57 Allerdings ist die Abgrenzung beider Managementmaßnahmen nur bis zu einem gewissen Grad möglich.58 Da Erhaltungsmaßnahmen mit positiver Wirkung im Schutzgebiet einen bestimmten Status erhalten, verhindern auch sie negative Veränderungen. Eine extensive Mahd führt etwa dazu, dass das Gebiet nicht verbuscht, sondern als artenreiches Grünland erhalten bleibt.59 Möchte man die Abgrenzung zuspitzen, liegt eine Erhaltungsmaßnahme vor, wenn ein Gebiet bereits verbuscht ist und gemäht wird, um den Erhaltungszustand der Wiesenlebensraumtypen zu fördern, während die Mahd, um die Freifläche zu erhalten und einen Rückschritt zu verhindern, eine Vermeidungsmaßnahme darstellt. Die Unterscheidung zwischen Erhaltung und Vermeidung würde so ad absurdum geführt. Der Versuch einer derart starren Abgrenzung von Erhaltung und Vermeidung ist daher eine dogmatische Fragestellung, die nicht zur Klarheit über den Pflichtenkatalog der Mitgliedstaaten beiträgt. Festhalten lässt sich aber, dass die Erhaltungsmaßnahmen über die bloße Vermeidung von weiteren Schäden hinausgehen und zu einer Qualitätsverbesserung der Lebensräume und Habitate führen müssen.60 Um ein Gebiet vor Verschlechterungen insbesondere durch äußere Einflüsse zu bewahren, müssen zusätzlich Vermeidungsmaßnahmen angesetzt werden.61 4. Verfahrensschritte des Gebietsmanagements Nachdem die Erhaltungsmaßnahmen in ihrem Inhalt näher bestimmt wurden, wird im Folgenden näher darauf eingegangen, welche Verfahrensschritte die Richtlinie vorsieht, um eine Erhaltungsbewirtschaftung zu normieren, die schließlich in den Flächen wirksam ist und die Erhaltungszustände der Arten und Lebensraumtypen aufwertet.

Sharpston, Schlussanträge v. 27.2.2014, C-521/12, Nr. 32. Urt. v. 13.12.2007, C-418/04, Rn. 208, 214. 58  Vgl. auch EuGH, Urt. v. 22.6.2022, C-661/20 Rn. 100 ff. 59  Siehe zu dieser „vermeidenden“ Seite der Erhaltungsmaßnahmen Gellermann, Natura 2000, S. 73; Epiney, UPR 1997, 303, 308; Freytag/Iven, NuR 1995, 109, 112. 60  GA Sharpston, Schlussanträge v. 27.2.2014, C-521/12, Nr. 31; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 78; Iven, NuR 1996, 373, 377. 61  Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 81. 56  GA

57  EuGH,



A. Die Erhaltungsmaßnahmen93

a) Enger Regelungsbereich des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL Der erste Schritt des Gebietsschutzes ist, dass die Mitgliedstaaten Erhaltungsziele festlegen.62 Es sei an die bereits beschriebene Problematik er­ innert, dass der Richtlinientext diesen Verfahrensschritt nicht ausdrücklich formuliert, sondern die Erhaltungsziele an verschiedenen Stellen voraussetzt.63 Art. 6 Abs. 1 FFH-RL knüpft systematisch an die festgelegten Erhaltungsziele an, indem er die Erhaltungsmaßnahmen vorschreibt, die diese Ziele umsetzen sollen. Der Richtlinientext in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL normiert allerdings seinem Wortlaut nach nur den zweiten Verfahrensschritt des Gebietsmanagements. Er gibt vor, dass die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen „festleg[t]en“. Außerdem suggeriert der Richtlinientext, dass die Erhaltungsmaßnahmen „Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art“ umfassten. Obwohl die Pflicht der Mitgliedstaaten dem Wortlaut nach nicht weiter gefasst ist, ist es nicht ausreichend, die Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, sie müssen vielmehr anschließend auch aktiv durchgeführt werden. Dies ergibt sich zunächst aus dem Telos der Vorschrift. Denn ohne, dass der Mitgliedstaat Erhaltungsmaßnahmen durchführt, ist naturgemäß für die Lebensraumtypen und Arten keine Verbesserung möglich.64 Die Bestimmungen würden jeglicher praktischer Wirksamkeit entbehren.65 In einem dritten Schritt müssen die Mitgliedstaaten die Erhaltungsmaßnahmen daher zusätzlich in den Flächen anwenden und umsetzen und anschließend ihre Fortschritte gemäß Art. 17 Abs. 1 FFH-RL an die Kommission melden. Zudem wird im sonstigen Richtlinientext im Gegensatz zur Formulierung des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL deutlich, dass die Erhaltungsmaßnahmen nicht nur „festzulegen“ sind. So werden in Art. 1 Abs. 1 lit. l FFH-RL die „besonderen Schutzgebiete“ definiert. Art. 1 lit. l FFH-RL bezeichnet das besondere Schutzgebiet als ein Gebiet, in dem die erforderlichen Maßnahmen „durchgeführt“ werden. Auch der achte Erwägungsgrund gibt den Mitgliedstaaten auf, in jedem ausgewiesenen Gebiet die entsprechenden Maßnahmen „durchzuführen“. Die Mitgliedstaaten müssen die „durchgeführten Maßnahmen“ im FFH-Bericht melden, Art. 17 Abs. 1 S. 1 FFH-RL.

62  EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 155–157, einschränkend aber Rn. 159; Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 49. 63  Siehe Kap. 1 C. IV. 2. 64  EuGH, Urt. v. 2.3.2023, C-432/21, Rn. 107; Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 76; Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 213; Urt. v. 10.5.2007, C-508/04, Rn. 87. 65  Vgl. EuGH, Urt. v. 22.6.2022, C-661/20 Rn. 128; Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 213.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Die Auslegung der Richtlinie führt daher zu dem Ergebnis, dass die Mitgliedstaaten auch dazu verpflichtet sind, die Maßnahmen wirksam umzu­ setzen,66 auch wenn der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL dies nicht ausdrücklich vorschreibt. Die Erhaltungsmaßnahmen müssen nachweislich zum günstigen Erhaltungszustand der Lebensraumtypen und Arten beitragen.67 Die Mitgliedstaaten haben dies im nationalen FFH-Bericht auch nachzuweisen.68 Der Richtlinientext impliziert weiterhin, dass es sich bei den aufgezählten Instrumenten des Bewirtschaftungsplans und anderer „Maßnahmen recht­ licher, administrativer oder vertraglicher Art“ um Erhaltungsmaßnahmen handele. Art. 6 Abs. 1 FFH-RL gibt an, dass die Erhaltungsmaßnahmen „Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen“. Bewirtschaftungspläne und Durchsetzungsakte werden wie Beispiele für Erhaltungsmaßnahmen aufgezählt, obwohl auch sie ausschließlich Tätigkeiten des zweiten Verfahrensschritts, der Festsetzung der Maßnahmen, darstellen. Die Erhaltungsmaßnahme selbst setzt aber eine aktive Bewirtschaftung in Form eines Realaktes voraus. Die Verwaltung kann zwar administrative, vertragliche und andere Mittel nutzen, um weitere Akteure wie beispielsweise die Flächeneigentümer zu verpflichten. Es kann sich beispielsweise anbieten, dass der Landwirt vor Ort auch die nachhaltige Bewirtschaftung des artenreichen Grünlands im Schutzgebiet übernimmt. Der Mitgliedstaat hat aber nicht schon dadurch seine Verpflichtung aus der Richtlinie erfüllt, dass er weitere Akteure einbindet. Unionsrechtlich ist entscheidend, dass die Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden und Wirkung zeigen. Eine tatsächliche, aktive Umsetzung der Erhaltungsmaßnahmen zur Gebietsentwicklung ist von zen­ traler Bedeutung.69 Dies setzt eine positiv wirkende, aktive Erhaltungsbewirtschaftung voraus.70 Administrative, vertragliche und rechtliche Mittel sind demnach keine Erhaltungsmaßnahmen,71 sondern dienen lediglich der 66  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 213 f.; Urt. v. 10.5.2007, C-508/04, Rn. 87; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S.  77 ff.; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 104. 67  Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 104; Epiney, in: Epiney/ Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 77 ff. 68  Art. 17 Abs. 1 FFH-RL; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 104. 69  Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatschG, § 32 Rn. 104; Epiney, in: Epiney/ Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 79. 70  GA Sharpston, Schlussanträge v. 27.2.2014, C-521/12, Rn. 32. 71  Insofern missverständlich Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatschG, § 32 Rn. 98; a. A. auch Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 17; sowie Freytag/Iven, NuR 1995, 109, 111.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen95

Durchführung dieser, indem sie beispielsweise einen Akteur vor Ort verpflichten. b) Reformvorschlag: Pflichtenkatalog ausweiten Die Richtlinie formuliert die einzelnen Pflichten der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Erhaltungsmaßnahmen in recht umständlicher Weise. Im zentralen Art. 6 FFH-RL werden die Mitgliedstaaten dem Wortlaut nach nur verpflichtet, Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, indem sie Bewirtschaftungspläne aufstellen oder andere geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art ergreifen. Der Richtlinientext ist insofern lückenhaft. Das mangelhafte Gebietsmanagement lässt sich daher zumindest teilweise auch mit der rahmenartigen Gesetzgebungstechnik der Richtlinie begründen, die nur einige der notwendigen Verfahrensschritte ausdrücklich nennt und die Stadien des Gebietsmanagements nicht systematisch als Pflichtenkatalog auflistet. Die Richtlinie sollte in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL ausdrücklich die verschiedenen Verfahrensschritte nennen. Zunächst sind gebietsspezifische Erhaltungsziele festzulegen und anschließend Maßnahmen zu definieren, die die Erhaltungsziele umsetzen sollen. Parallel zu den genannten Bestimmungen in Art. 1 lit. l und Art. 17 Abs. 1 S. 1 FFH-RL sollte Art. 6 Abs. 1 FFHRL außerdem formulieren, dass die Mitgliedstaaten die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen anschließend durchführen. Der vierte Schritt, das Monitoring und der FFH-Bericht über die durch die Maßnahmen erzielten Fortschritte nach Art. 11, 17 Abs. 1 FFH-RL ist dort systematisch passend und ausdrücklich normiert. Eine Reform des Richtlinientextes könnte außerdem hinsichtlich der Aufzählung der Bewirtschaftungspläne und anderer geeigneter Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art Klarheit schaffen. Recht­ liche, administrative oder vertragliche Mittel ersetzen nicht die Durchführung der Erhaltungsmaßnahmen in den Flächen in Form von Realakten. Der bisher missverständliche Richtlinientext sollte herausstellen, dass die Erhaltungsmaßnahmen von Mitteln der Planung oder Durchsetzung zu unterscheiden sind.

II. Berücksichtigung überörtlicher Faktoren Die Habitatrichtlinie formuliert das Ziel, ein kohärentes Schutzgebietsnetz zu errichten. Das zusammenhängende Netz „Natura 2000“ soll über den Schutz der einzelnen Gebiete hinaus die Biodiversität fördern. Zu diesem Zweck hat der Unionsgesetzgeber das Schutzgebiet nicht als isoliertes Refu-

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

gium vorgesehen, sondern als Teil eines Natursystems. Es ist daher zu untersuchen, inwiefern überörtliche, über die Gebietsgrenzen hinausgehende Aspekte auch im Gebietsschutz zu beachten sind. Zu diesen überörtlichen Aspekten zählen neben der Kohärenz des Schutzgebietsnetzes auch Arten und Lebensraumtypen außerhalb des Gebietes oder aktuelle Verschiebungen der Lebensräume aufgrund des Klimawandels.72 Daher ist abzusehen, dass der Schutz von Landschaftselementen sowie von Arten und Lebensraumtypen außerhalb der Gebietsgrenzen an Relevanz gewinnen wird. Bisher ist es weder gelungen, ein kohärentes Schutzgebietsnetz zu errichten, noch abschirmende Randzonen und an Schutzgebiete angrenzende Populationen effektiv zu erhalten.73 Nur wenige Mitgliedstaaten haben die Schutzgebiete auf diese so genannten „Pufferzonen“ und Verbundkorridore erstreckt und damit mehr Flächen einbezogen, als die unmittelbaren Verbreitungsgebiete (sog. holistischer Ansatz).74 Im Folgenden wird daher untersucht, ob der entsprechende Schutz über die Erhaltungsmaßnahmen erreicht werden kann und inwiefern die Mitgliedstaaten über die Gebietsgrenzen hinausgehende Aspekte bei den Erhaltungsmaßnahmen berücksichtigen können und müssen. Anschließend wird die Rechtsgrundlage für die bisherigen Bemühungen der Mitgliedstaaten, verbindende Landschaftselemente zu erhalten, kritisch überprüft. 1. Grenzen der ökologischen Erfordernisse Die ökologischen Erfordernisse der geschützten Arten und Lebensraum­ typen in den Gebieten könnten einen Anhaltspunkt bieten, die Erhaltungsmaßnahmen über die Gebietsgrenzen hinaus zu erstrecken. Die Mitgliedstaaten sind nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL dazu verpflichtet, Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, die den ökologischen Erfordernissen der im einzelnen Gebiet vorkommenden Schutzgüter entsprechen. Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL bezieht sich zwar ausdrücklich auf die im betreffenden Gebiet vorkommenden Arten und Lebensraumtypen. Überörtliche Faktoren können aber die ökologischen Bedürfnisse der Arten und Lebensraumtypen, für die das Gebiet ausgewiesen wurde, beeinflussen, und sind in diesem Fall im Rahmen der Erhaltungsmaßnahmen zu berücksichtigen.75 Der Beitrag eines Gebietes zum Schutzgebietsnetz ist beispielsweise schützenswert, soweit die Arten oder Lebensraumtypen im Gebiet die Eingliederung in das Schutzge72  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-461/17, Rn. 39 f.; Hendler/Rödder/Veith, NuR 2010, 685, 685 ff. 73  EEA, State of Nature (2020), S. 122; Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, unter 2.1. 74  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 24 f. 75  Vgl. Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 20.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen97

bietsnetz benötigen.76 Die Erhaltung einer Art kann entscheidend vom Biotopverbund abhängen.77 In diesem Fall müssen die Mitgliedstaaten die Vernetzung der Lebensräume auch mit außerhalb des Gebiets gelegenen Arealen in die gebietsspezifischen Erhaltungsziele aufnehmen oder etwa angestrebte Austauschraten zwischen Populationen inner- und außerhalb der Gebietsgrenzen in den Erhaltungszielen festlegen, um einer Isolation der Arten im Gebiet vorzubeugen.78 Bei Teilpopulationen von erhaltungszielrelevanten Arten wird es sogar nur selten der Fall sein, dass es die Erhaltungsziele nicht fördert, ihren Bestand in unmittelbarer Umgebung zum Gebiet zu schützen, da der genetische Austausch der Individuen dem Fortbestand der Art dient.79 Fraglich ist aber, ob überörtliche Faktoren darüber hinausgehend auch unabhängig von den Arten und Lebensraumtypen im Gebiet selbst Gegenstand der Erhaltungsmaßnahmen sein können. Zu untersuchen ist, ob ein Bezug zu den gebietseigenen Erhaltungszielen bestehen muss und wie eng der Zusammenhang zum Schutzgebiet bleiben muss. Wandernde Tierarten oder Arten mit sehr großen Verbreitungsgebieten wie der Wolf sind Beispiele dafür, dass ein Gebiet gegebenenfalls weder einen klassischen Lebensraum für diese Tiere darstellt, noch die Tiere als Zielart im Gebiet selbst oder einem angrenzenden Gebiet notwendigerweise erfasst wurden.80 Gleichwohl kann das Gebiet für das Überleben dieser Arten von entscheidender Bedeutung sein. Zu hinterfragen ist daher, ob der Gebietsschutz und namentlich die Erhaltungsmaßnahmen auch weitab des geschützten Gebietes wirken müssen und wie unmittelbar der Zusammenhang zu den im Gebiet vorkommenden Individuen und Lebensraumtypen sein muss. Sind beispielsweise Populationen außerhalb der Gebietsgrenzen zu erhalten, auch wenn kein direkter genetischer Austausch mit einer Population im Gebiet möglich ist? Für einen solchen Ansatz spricht, dass die FFH-Richtlinie nicht bewirken soll, dass Arten in die für sie ausgewiesenen Schutzgebiete „zurückgedrängt“ werden. Die FFH-Richtlinie soll gemäß Art. 3 Abs. 1 FFH-RL nicht nur einzelne Gebiete schützen, sondern dazu beitragen, ein kohärentes europäisches Schutzgebietsnetz zu errichten. Mit den Schutzgebieten soll somit ein Grundstein für eine kohärente Naturkulisse geschaffen werden. Allerdings spricht sowohl der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL als auch die Konzeption des Gebietsschutzes als Gegenmodell zum Artenschutz gegen Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 12. Berner, Der Habitatschutz im europäischen und deutschen Recht, S. 36; Mecklenburg, in: LNV Schleswig-Holstein (Hrsg.), Flora Fauna Habitate, S. 30. 78  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 20. 79  Vgl. auch Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 13. 80  Vgl. Art. 4 Abs. 1 FFH-RL. 76  Europäische 77  Z. B.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

eine Auslegung, die dazu verpflichtet, Erhaltungsmaßnahmen außerhalb der Gebiete durchzuführen, die keine direkte Auswirkung auf die Erhaltungsziele im jeweiligen Gebiet haben. Art. 6 Abs. 1 FFH-RL normiert, dass die Mitgliedstaaten „[f]ür die besonderen Schutzgebiete (…) die nötigen Erhaltungsmaßnahmen“ festlegen, „die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.“ Die Erhaltungsmaßnahmen für jedes Gebiet entsprechen demnach den im Gebiet selbst vorkommenden Lebensraumtypen und Arten und ihrer Bedürfnisse. In jedem Gebiet sind die Erhaltungsmaßnahmen anzusetzen, die die Schutzgüter im Gebiet selbst fördern. Diese Erkenntnis belegt auch der Hinweis in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL, der Mitgliedstaat könne „eigens für die Gebiete aufgestellte“ Bewirtschaftungspläne erlassen. Die Maßnahmenkonzepte sollen Maßnahmen vorsehen, die einen Bezug zum Gebiet haben. Die FFH-Richtlinie sieht zudem zwei voneinander abzugrenzende Schutzmechanismen vor. Neben dem Gebietsschutz normiert sie den Schutz bestimmter Arten auch unabhängig von Schutzgebietsgrenzen in Art. 12 ff. i. V. m. Anhang IV FFH-RL. Diesem System von zwei nebeneinander stehenden „Säulen“ des Schutzes würde es widersprechen, wenn die über den Gebietsschutz geschützten Arten auch außerhalb der Gebietsgrenzen umfassend geschützt wären. Gebietsspezifische Erhaltungsmaßnahmen müssen demnach nicht dazu genutzt werden, ein großzügiges Schutzgebietsnetz anderenorts ohne Bezug zum Gebiet herzustellen oder zu erhalten. Die Kohärenz des Schutzgebietsnetzes, Pufferzonen und Ausweichflächen sind aber nichtsdestotrotz von besonderer Bedeutung für die Funktionalität des Schutzgebietsnetzes. Der Unionsgesetzgeber hat sich daher dazu entschieden, die Mitgliedstaaten über den Schutz der einzelnen Gebiete hinaus dazu zu verpflichten, das Schutzgebietsnetz als solches zu fördern, Art. 3 Abs. 3, Art. 10 FFH-RL.81 Allerdings ist diese Pflicht denkbar weich ausgestaltet. Die Mitgliedstaaten müssen sich derzeit lediglich „bemühen“, die ökologische Kohärenz des Schutzgebietsnetzes zu verbessern, wo sie es für „erforderlich halten“. Die Europäische Umweltagentur hat in ihrem Umweltzustandsbericht auf die bisher deutlich zu geringe Kohärenz des Netzes hingewiesen und strengere Regeln gefordert.82 Um die Ziele der FFH-Richtlinie zu erreichen, könnte es erforderlich sein, auch den allgemeinen Biotopverbund, verbindliche Aus81  Siehe hierzu in Umsetzung der aktuellen Biodiversitätsstrategie (unter 2.1.) auch Europäische Kommission, Criteria and guidance for protected areas designations (Commission staff working document), S. 3 ff., 8. 82  EEA, State of Nature (2020), S. 122; siehe auch Europäische Kommission, EUBiodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, unter 2.1.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen99

weichflächen und Pufferzonen in den Gebietsschutz miteinzubeziehen. Es haben, wie erwähnt, nur wenige Mitgliedstaaten einen solchen holistischen Ansatz bei der Schutzgebietsausweisung selbst verfolgt, der neben den Schutzgebieten den Biotopverbund zwischen den Gebieten und die Pufferzonen berücksichtigt. Die Mitgliedstaaten sind bislang nicht dazu verpflichtet, die Gebietsgrenzen über die Flächen, die den Kriterien zur Gebietsmeldung entsprechen, auszudehnen.83 Bei der Ausweisung der Gebiete steht ihnen über die Flächen der Gebietsmeldung hinaus ein weiter Gestaltungsspielraum zu. In Deutschland sind es regelmäßig die Verordnungsgeber der Schutzgebietsverordnung, die die Grenzen eines Schutzgebietes bestimmen.84 2. Reformvorschlag: Einschränkung der Gestaltungsspielräume zu Gunsten eines holistischen Ansatzes Auch die Europäische Kommission will mit ihrer zukünftigen Gesetzgebung auf die mangelnde Ausbreitung von Naturflächen und die fehlende Kohärenz des Schutzgebietsnetzes reagieren. Der Entwurf einer Wiederherstellungsverordnung der Europäischen Union85 verfolgt einen übergreifenden Ansatz, um die Wiederherstellung der Ökosysteme Europas zu gewährleisten. Die FFH-Lebensraumtypen sind auch dort zu fördern, wo sie bislang nicht aufzufinden sind.86 Der übergreifende Ansatz des Verordnungsentwurfes zeigt, dass auch die dem Gebietsschutz der FFH-Richtlinie unterfallenden Schutzgüter nicht allein durch den Schutz der Gebiete erhalten werden können. Die Kommission betont, dass auch die im Entwurf vorgesehenen Maßnahmen zur Wald- und Agrarökologie den Zielen von Natura 2000 dienen.87 Unabhängig vom einzelnen Gebiet und den dort beheimateten Lebensraumtypen und Arten könnte eine weitergehende Verpflichtung der Mitgliedstaaten aber auch unmittelbar durch eine Reform des Richtlinientextes des FFH-Richtlinie erreicht werden. Verpflichtende Maßnahmen zur Steigerung der Kohärenz und anderer übergeordneter Faktoren wären ein wesentlicher 83  Vgl. auch Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S.  24 f. 84  Vgl. z. B. zum Gestaltungsspielraum bei der Ausweisung einer Pufferzone eines NSGs BVerwG, NVwZ 2009, 719, Rn. 33. 85  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur, COM(2022) 304 final, v. 22.6.2022; Verfahren 2022/0195(COD). 86  Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 2 WiederherstellungsVO-E. 87  Begründung des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur, COM(2022) 304 final, v. 22.6.2022, S. 5.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Beitrag zu den Zielen der Richtlinie.88 Da das Schutzgebietsnetz bisweilen nicht kohärent ist und die Zielarten und Lebensraumtypen durch die Nähe zu menschlichen Einflüssen beeinträchtigt werden, Arten aufgrund des Klimawandels wandern oder Lebensräume sich verschieben können, sind Faktoren außerhalb der Gebietsgrenzen auch bei der Entwicklung der Gebiete stärker zu berücksichtigen. Dies ist über zwei Wege zu erreichen. Zum einen kann der holistische Ansatz, der auch Pufferzonen und Verbundkorridore in die Gebietskulisse einbezieht, verpflichtend vorgeschrieben werden. Diese Flächen haben sich als essentiell erwiesen, um den Schutz der Arten und Lebensräume zu gewährleisten.89 Pufferzonen und Verbundkorridore würden so Teil der Schutzgebiete werden. Ziel wäre, das Netz der durch Natura 2000-Gebiete geschützten Flächen selbst so weitreichend zu spannen und zu verbinden, dass ein ausreichender Schutz vor Außenwirkungen und der Schutz der Verbundflächen unmittelbar durch den Gebietsschutz gegeben wäre. Dieser Schritt würde nicht nur die Kohärenz des Schutzgebietsnetzes stärken, sondern auch bei Verschiebungen von Habitaten und Lebensraum­ typen einen flexibleren Umgang ermöglichen. Zum anderen könnte die Richtlinie den Spielraum einschränken, den sie den Mitgliedstaaten gewährt, um die Kohärenz des Schutzgebietsnetzes zu fördern. Die allgemeinen Bestimmungen in Art. 3 Abs. 3, Art. 10 FFH-RL belassen den Mitgliedstaaten bisher einen weiten Umsetzungsspielraum. Im Besonderen ist es problematisch, dass nach dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 3 und von Art. 10 FFH-RL die Mitgliedstaaten entscheiden, wann sie es „für erforderlich halten“, den Biotopverbund zu fördern. Ob das Schutzgebietsnetz für die gelisteten Arten und Lebensraumtypen ein zusammenhängendes Verbundsystem bildet, ist allerdings wissenschaftlich überprüfbar. Ob es erforderlich ist, den Biotopverbund wiederherzustellen ist daher keine Frage, die einen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten voraussetzt. Die Mitgliedstaaten sind obendrein nur verpflichtet, sich zu „bemühen“ die ökologische Kohärenz des Schutzgebietsnetzes zu verbessern. Damit sind sie nicht zum Erfolg verpflichtet. Überall dort, wo das Schutzgebietsnetz bisher naturwissenschaftlich relevante Lücken aufweist, sollte die Richtlinie daher normieren, derartige Bemühungen anzustellen. Entgegenstehende Belange und örtliche Verhältnisse können noch berücksichtigt werden, da die Mitgliedstaaten nur ernsthaftes Bemühen schulden.

88  Art. 3, EWG 7 FFH-RL; Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, unter 2.1. 89  Vgl. Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S.  24 f.; EEA, State of Nature (2020), S. 123.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen101

III. Erforderlichkeit von obligatorischen, rechtsförmlichen Bewirtschaftungsplänen Der folgende Abschnitt analysiert das von der Richtlinie eingeführte Instrument des Bewirtschaftungsplans. Die Bewirtschaftungspläne werden in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL genannt und können von den Mitgliedstaaten genutzt werden, um die allgemeinen Schutzmaßnahmen zu planen und zu beschreiben. Die Mitgliedstaaten sind nach überwiegender Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung bisher nicht verpflichtet, einen Bewirtschaftungsplan aufzustellen.90 Wenn sie das Instrument nutzen, sei ihnen zudem freigestellt, in welcher Form sie die Maßnahmen planen.91 Es könnten allerdings unionsrecht­ liche Bedenken bestehen, wenn die Mitgliedstaaten diese Wahlfreiheiten nutzen. Möglicherweise ist zu fordern, dass Bewirtschaftungspläne stets anzufertigen sind und einer bestimmten Form bedürfen. 1. Verpflichtend zu nutzendes Instrument des Bewirtschaftungsplans Der Bewirtschaftungsplan stellt das umfassende Managementkonzept für ein Gebiet dar.92 Die Bewirtschaftungspläne bauen auf einer eingehenden Analyse der ökologischen Merkmale des Gebietes auf, legen idealerweise die ökologischen Erfordernisse, die bisherigen Beeinträchtigungen und die zu erreichenden Erhaltungsziele ausdrücklich zugrunde und benennen die Maßnahmen, um die Erhaltungsziele zu erreichen.93 Sie umfassen sowohl Erhaltungsmaßnahmen, die neben der Erhaltung auch Maßnahmen zur Wiederherstellung des Gebietes beinhalten können, als auch Vermeidungsmaßnahmen, um das Gebiet vor erkannten möglichen Beeinträchtigungen zu schützen. Die Richtlinie verweist in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL auf den Bewirtschaftungsplan. Die Mitgliedstaaten können demnach „gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne“ nutzen. 90  Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt (Hrsg.), BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 32 Rn. 12; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechts­regime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 76; Gellermann, Natura 2000, S. 75; Euro­päische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 16; EuGH, Urt. v. 10.5.2007, C-508/04, Rn. 76. 91  Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 103; Rehbinder, ZUR 2008, 178, 181; Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt (Hrsg.), BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 32 Rn. 12; a.  A. Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-HabitatRichtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, S. 96 92  Vgl. Cortina/Boggia, Journal of Environmental Management 2014, 138, 138 ff. 93  Fischer-Hüftle/Gellermann, NuR 2018, 602, 606; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 15.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Wenngleich die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten dringend empfiehlt, Bewirtschaftungspläne einzusetzen, sind diese nach herrschender Meinung nicht obligatorisch von den Mitgliedstaaten zu verwenden.94 Der Richtlinientext weist seinem Wortlaut nach nur daraufhin, dass sich Bewirtschaftungspläne „gegebenenfalls“ anbieten. Damit ist es den Mitgliedstaaten zumindest dem Wortlaut der Bestimmung nach freigestellt, ob sie verschiedene Einzelinstrumente wie den Vertragsnaturschutz oder Verwaltungsakte nutzen, um die Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, oder ein Gesamtkonzept, den Bewirtschaftungsplan, anfertigen.95 Für die rein fakultative Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Bewirtschaftungsmaßnahmen zu nutzen, spricht auch, dass Art. 6 Abs. 1 FFH-RL von der zielbezogenen Regelungstechnik der Richtlinie geprägt ist. Die Erhaltungsmaßnahmen sind zwar obligatorisch durch die Mitgliedstaaten festzusetzen, bei der Wahl der Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, sind die Mitgliedstaaten aber grundsätzlich mit einem Gestaltungsspielraum ausgestattet.96 Dass der Mitgliedstaat Bewirtschaftungspläne festlegt, erscheint damit aus Sicht des ­Unionsrechts fakultativ. Bisher wird der Bewirtschaftungsplan zwar von den meisten Mitgliedstaaten als praktikables Instrument anerkannt, jedoch selten flächendeckend effektiv und transparent eingesetzt.97 Dafür, die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten enger auszulegen, lassen sich aber ebenfalls Argumente anführen. Zwar bedeuten mangelnde Verfahrensund Formvorgaben seitens der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten Verfahren und Form selbstständig auf Grundlage ihrer nationalen Vorschriften wählen.98 Dieser Rückgriff auf das nationale Recht ist aber durch den Effektivitätsgrundsatz des Primärrechts beschränkt, der es verbietet, ein Verfahren oder eine Form zu wählen, die die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert.99 Dabei gilt der Effektivitätsgrundsatz nicht nur für die Durchsetzung der Rechte Einzelner, sondern schützt auch die Funk­ 94  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 16; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 76; Gellermann, Natura 2000, S. 75; EuGH, Urt. v. 10.5.2007, C-508/04, Rn. 76. 95  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 16. 96  Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen, S. 3; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 103; Rehbinder, ZUR 2008, 178, 181. 97  Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen für Natura-2000-Gebiete, S. 4; EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, S. 6. 98  Kulms, Der Effektivitätsgrundsatz, S. 26, 30. 99  EuGH, st. Rspr., z. B. Urt. v. 21.01.1999, C-120/97, Rn. 32; Urt. v. 10.07.1997, C-261/95, Rn. 27; Kulms, Der Effektivitätsgrundsatz, S. 21, 26, 30 ff.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen103

tionsfähigkeit der Union als solcher, indem das Unionsrecht zur praktischen Anwendung gebracht wird.100 Der Grundsatz soll daher auch gewährleisten, dass die Ziele des Sekundärrechts nicht durch Verfahrensautonomien konterkariert werden, die den Mitgliedstaaten eingeräumt werden.101 Die stetig abnehmende Biodiversität und die laufenden Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelhafter Durchführung der Maßnahmen sprechen dafür, die Wirksamkeit der bisher genutzten Instrumente zu hinterfragen. Nach dem Effektivitätsgrundsatz ist es unumgänglich, Bewirtschaftungspläne zu erstellen und diese einer bestimmten Form zu unterwerfen, um gewährleisten zu können, dass das Ziel der Richtlinie einen günstigen Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen herzustellen, noch erreicht werden kann. Der Gedanke soll nun vertieft werden. Wird kein Bewirtschaftungsplan aufgestellt, ist kein Gesamtkonzept vorhanden, sondern die Behörde nutzt ausschließlich verschiedene Einzelmaßnahmen, wie den Vertragsnaturschutz oder Verwaltungsakte, um die Maßnahmen festzulegen. Bei den regelmäßig zeitlich begrenzten Verträgen oder bei einem Wechsel der Grundstückseigentümer oder Pächter ist dann allerdings die langfristige Sicherung der Maßnahme gefährdet.102 Dies gilt zunächst in finanzieller Hinsicht. Die Behörde muss eine dauerhafte Finanzierung des Vertragsnaturschutzes bereits im Vorhinein sicherstellen, ohne zu wissen, welche Vereinbarungen mit welchen Flächeneigentümern geschlossen werden können.103 Die Finanzierung kann daher ohne Gesamtkonzeption nicht korrekt bemessen werden und die mangelnde Finanzierbarkeit ein Hindernis für ausreichend ausgestaltete Verträge darstellen. Die langfristige Wirksamkeit der Maßnahmen ist allerdings auch durch eine mangelnde Kontrolle gefährdet, falls kein Bewirtschaftungsplan vorhanden ist. Verträge und administrative Anweisungen können als Individualabreden bzw. adressatengerichtete Verwaltungsakte nicht von außen nachvollzogen und überprüft werden. Aber auch die langfristige Kontrolle durch die Verwaltung selbst wird durch eine Fülle von Einzelverträgen und -anordnungen mit dem Inhalt, einen Teilbeitrag zu den Erhaltungszielen zu leisten, er100  GA Bot, Schlussanträge v. 6.5.2008, C-455/06, Nr. 115; Kulms, Der Effektivitätsgrundsatz, S. 38, 110; Epiney, in: Bieber/Epiney/Haag/Kotzur, Die Europäische Union, § 9 Rn. 18. 101  GA Bot, Schlussanträge v. 6.5.2008, C-455/06, Nr. 115; Epiney, in: Bieber/ Epiney/Haag/Kotzur, Die Europäische Union, § 9 Rn. 18. 102  Niederstadt, NVwZ 2008, 126, 133; Wolf, ZUR 2005, 449, 452. 103  Niederstadt, NVwZ 2008, 126, 133; vgl. zum Vorbehalt der Finanzierung des Vertragsnaturschutzes Heß/Wulff, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 95. EL 2021, § 3 Rn. 36.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

schwert.104 Weiteren Behörden, die etwa die Landwirtschaft im Gebiet steuern, wird es zudem erschwert, die Anforderungen des Gebietsschutzes nachzuvollziehen.105 Die Praxis, die Bewirtschaftung der Gebiete erst durch Einzelakte zu definieren, führt zu einer unkontrollierbaren Lage, sodass die Wirksamkeit der Erhaltungsmaßnahmen nicht sichergestellt ist und nicht überprüft werden kann. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der bisher praktizierte Maßnahmenmix zu vielen Einzelverfahren und einer unüberschaubaren Fülle von einzeln angeordneten Maßnahmen geführt hat und die Bewirtschaftungsmaßnahmen daher selten wirksam durchgeführt werden. Da der Bewirtschaftungsplan als Gesamtkonzept nach herrschender Ansicht fakultativ ist, fehlt in vielen Mitgliedstaaten sogar ein Überblick, in welchen Schutzgebieten überhaupt Managementpläne aufgestellt wurden.106 Die aufgezählten praktischen Schwierigkeiten untermauern die hier vertretene These, dass nur eine umfassende Bewirtschaftungsplanung das Richtlinienziel wirksam fördert. Der Bewirtschaftungsplan ist als zusammenführendes Gesamtkonzept, das eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit ermöglicht, aus rechtlicher und tatsächlicher Sicht unerlässlich. Art. 6 Abs. 1 FFH-RL ist dahingehend einschränkend auszulegen, sodass Bewirtschaftungspläne nicht nur „gegebenenfalls“ sondern grundsätzlich obligatorisch aufzustellen sind. 2. Rechtsverbindliche Erhaltungsmaßnahmen Möglicherweise ist die Richtlinie außerdem dahingehend auszulegen, dass die Bewirtschaftungspläne in einer bestimmten Form zu erlassen sind. Nach herrschender Ansicht gibt Art. 6 Abs. 1 FFH-RL keine bestimmte Form vor, in der Erhaltungsmaßnahmen festzusetzen sind, sondern verleiht den Mitgliedstaaten die Freiheit zu wählen, in welcher Form sie die einzelnen, notwendigen gebietsspezifischen Erhaltungsmaßnahmen bestimmen.107 Die Erhaltungsmaßnahmen müssten nach dieser Ansicht derzeit somit nicht als verbindliche Rechtssätze mit Außenwirkung festgelegt werden. Die Mitgliedstaaten seien frei in der Wahl der Form des Bewirtschaftungsplanes, der die NVwZ 2008, 126, 132. Dige/Gerritsen/Klimmek/Whiteoak, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, Technical Report, S. 39. 106  EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, State of play of management effectiveness of protected areas in the EU; vgl. auch Damohorský/Novák, ­EurUP 2021, 21, 26. 107  Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 103; Rehbinder, ZUR 2008, 178, 181; a. A. Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, S. 96. 104  Niederstadt, 105  Vgl.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen105

Maßnahmen ausformuliert.108 Die bisweilen in Deutschland aufgestellten Bewirtschaftungspläne, die die Erhaltungsmaßnahmen festlegen, enthalten für gewöhnlich unverbindliche Empfehlungen und entfalten so allenfalls verwaltungsinterne Bindungswirkung.109 Im Folgenden wird ausgeführt, warum die Erhaltungsmaßnahmen entgegen der herrschenden Ansicht in Rechtsform festzulegen sind. Erhaltungsmaßnahmen werden als Maßnahmen der Bewirtschaftung eines Gebietes oft Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen und Verhandlungen mit den Akteuren vor Ort.110 Die Erhaltungsmaßnahmen werden Dritten gegenüber so nur unmittelbar rechtswirksam, wenn sie anschließend in die Schutzgebietsverordnung integriert werden, oder die zuständige Behörde mit konkreten Nutzern Bewirtschaftungsverträge abschließt oder ihnen gegenüber Verwaltungsakte erlässt.111 Bei durch Vertragsnaturschutz oder Verwaltungsakte festgelegten Pflichten einzelner Beteiligter im Schutzgebiet besteht aber die Gefahr, dass die Maßnahmen im Rahmen des Vertragsschlusses verhandelt werden und zur Disposition der Vertragspartner gestellt werden, obwohl die Richtlinie auch in der derzeitigen Fassung fordert, dass alle nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest- und umgesetzt werden und sie die Entscheidung darüber nicht als Gegenstand von Vertragsverhandlungen freistellt. Wenn die Maßnahmen erst in einem zweiten Schritt nach der Konzepterstellung rechtsverbindlich werden, sind grundsätzlich auch nur die nachgelagerten Rechtsakte etwaigem Rechtsschutz zugänglich, sodass Rechtsstreitigkeiten zu einem zu späten Zeitpunkt und losgelöst von der Gesamtkonzeption der Maßnahmen geführt werden. Der effektive Rechtsschutz, der gewährleistet, dass Richtlinienrecht umgesetzt wird, ist eine Voraussetzung für die Wirksamkeit von sekundärem Unionsrecht.112 Dass die Maßnahmen und ihr 108  Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt (Hrsg.), BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 32 Rn. 12; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 76; Gellermann, Natura 2000, S. 75. 109  LANUV, Handbuch Natura 2000-Maßnahmen, S. 2; LAU, Handbuch der FaunaFlora-Habitat-Gebiete Sachsen-Anhalts, S. 24 f.; TMUEN, Hinweise zur Umsetzung des Europäischen Schutzgebietsnetzes „Natura 2000“ in Thüringen (Verwaltungsvorschrift 56-41462), S. 9; Lau, in: Rehbinder/Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, § 11, Rn. 70; Dolde/Lange, VBlBW 2015, 1, 4; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 99; zur fraglichen Bindungswirkung gegenüber anderen Behörden Czybulka, ­EurUP 2016, 276, 285 f.; ebenso mit Bezug auf eine parallele Situation in Tschechien Damohorský/Novák, ­EurUP 2021, 21, 26. 110  Am Beispiel der Landesverordnung Mecklenburg-Vorpommerns aufgezeigt von Czybulka, ­EurUP 2016, 276, 287; am Beispiel Baden-Württembergs Dolde/Lange, VBlBW 2015, 1, 2; siehe auch GA Ćapeta, Schlussanträge v. 20.4.2023, C-116/22, Nr. 103. 111  Czybulka, ­EurUP 2016, 276, 289. 112  Epiney, in: Bieber/Epiney/Haag/Kotzur, Die Europäische Union, § 8 Rn. 26.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Umfang nicht zur Disposition gestellt werden dürfen und auch mit den Mitteln des Rechtsschutzes durchgesetzt werden können müssen, spricht damit bereits dafür, dass die Erhaltungsmaßnahmen rechtsverbindlich festzusetzen sind. Die Pflicht zu rechtsverbindlichen Erhaltungsmaßnahmen findet ihre Stütze aber auch in der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes.113 Bei der Ausweisung der Schutzgebiete und der Auswahl der Erhaltungsziele ist bereits Konsens, dass diese rechtsverbindlich erfolgen müssen.114 Der Europäische Gerichtshof hatte einige Verfahren zu diesen Rechtsfragen bezüglich der Vogelschutzrichtlinie zu entscheiden.115 Hintergrund dieser Entscheidungen ist, dass die Mitgliedstaaten den effektiven, durchsetzungsstarken Schutz der Gebiete gewährleisten müssen.116 Dies erfordere nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs einen auch Dritten gegenüber rechtswirksamen Status der Gebiete.117 Ohne unbestreitbare Verbindlichkeit könne die räumliche Abgrenzung der Gebiete angezweifelt und das Schutzziel der Richtlinie gefährdet werden.118 In den Entscheidungen wird deutlich, dass nach der Ansicht des Gerichtshofes dort unbestreitbare Verbindlichkeit Dritten gegenüber erforderlich ist, wo Rechte und Pflichten Einzelner begründet werden und es besonderer Rechtssicherheit bedarf, um die Ziele der Richtlinie abzusichern.119 Behördeninterne Verwaltungsvorschriften und vertragliche Vereinbarungen mit einzelnen Eigentümern im Gebiet könnten nicht denselben Schutz wie normative Vorgaben gewährleis-

113  A. A.

GA Ćapeta, Schlussanträge v. 20.4.2023, C-116/22, Nr. 105. Kap. 1 C. IV. 3.; vgl. auch jeweils im Rahmen der Vogelschutz-Richtlinie EuGH, Urt. v. 14.10.2010, C-535/07, Rn. 64; zuvor bereits für die verbindliche Festlegung der Gebietsgrenzen EuGH, Urt. v. 27.2.2003, C-415/01, Rn. 22; Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Ausweisung besonderer Schutzgebiete, S.  4 ff.; Niederstadt, NVwZ 2008, 126, 130; vgl. § 32 Abs. 3 BNatSchG, hierzu Fischer-Hüftle, NuR 2008, 213, 217; Czybulka, ­EurUP 2008, 181, 184. 115  EuGH, Urt. v. 14.10.2010, C-535/07; Urt. v. 27.2.2003, C-415/01; diese Feststellungen sind trotz der Regelung des Art. 1 lit. l FFH-RL auf die FFH-Richtlinie übertragbar, vgl. Gellermann, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, BNatSchG, 59. EL 2010, § 32 Rn. 9; GA Sharpston, Schlussanträge v. 25.2.2010, C-535/07, Nr. 59, 70; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 44; der Wortlaut des Art. 1 lit. l FFH-RL ist per­ spektivisch anzupassen. 116  Niederstadt, NVwZ 2008, 126, 130. 117  Vgl. EuGH, Urt. v. 18.3.1999, C-166/97, Rn. 21. 118  EuGH, Urt. v. 27.2.2003, C-415/01, Rn. 22. 119  Europäische Kommission, Vermerk über die Ausweisung besonderer Schutzgebiete, S. 4 f.; EuGH, Urt. v. 27.2.2003, C-415/01, Rn. 22. 114  Vgl.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen107

ten.120 Wenn die Bewirtschaftungspläne Erhaltungsziele konkretisieren, sind sie daher entsprechend den Entscheidungen des Gerichtshofs rechtsverbindlich zu gestalten. Die Ausführungen des Gerichtshofs sind außerdem allgemein auf die Festsetzung der Erhaltungsmaßnahmen übertragbar.121 Auch wenn die Behörden Erhaltungsmaßnahmen festlegen, lösen diese je nach Akteur zumindest Duldungspflichten der Nutzer im Schutzgebiet aus. Daher müssen die Erhaltungsmaßnahmen in ihrem Umfang und ihrer Erforderlichkeit rechtssicher festgelegt werden.122 Sie müssen so konkret gefasst sein, dass ihnen ausreichende Handlungsanweisungen entnommen werden können, um die Erhaltungsziele zu verwirklichen.123 Entsprechendes wird auch für die Vermeidungsmaßnahmen gelten, die das Gebiet vor Beeinträchtigungen schützen. Diese stellen regelmäßig Dritten gegenüber ergehende Verbote dar und müssen außenwirksam verbindlich aufgestellt werden.124 Die zum Erreichen der Erhaltungsziele erforderlichen Maßnahmen könnten ebenso wie die Gebietsabgrenzungen sonst „jederzeit in Frage gestellt werden“125. Demnach sind die Erhaltungs- und auch die Vermeidungsmaßnahmen ebenso wie die Gebietsgrenzen und die Erhaltungsziele rechtsverbindlich festzulegen. Sofern der Bewirtschaftungsplan als Gesamtkonzept die Maßnahmen bestimmt, ist er daher als Rechtsnorm auszugestalten. 3. Zwischenfazit Zusammenfassend lässt sich damit feststellen, dass es de lege lata zur wirksamen Anwendung der FFH-Richtlinie entgegen der herrschenden Ansicht erforderlich ist, einen normativen Bewirtschaftungsplan für jedes Gebiet aufzustellen. Bewirtschaftungspläne sind stets anzufertigen und als Gesamtkonzept der Maßnahmenplanung bedürfen sie der Rechtsform. 120  Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, S. 96; vgl. EuGH, Urt. v. 27.2.2003, C-415/01, Rn. 23; ähnlich Wolf, ZUR 2005, 449, 452. 121  Siehe hierzu GA Ćapeta, Schlussanträge v. 20.4.2023, C-116/22, Nr. 98  ff.; siehe auch Niederstadt, NVwZ 2008, 126, 131. 122  Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, S. 96. 123  Siehe zu dieser Problematik EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 107 ff. 124  Bzgl. der notwendigen Rechtsverbindlichkeit von Vermeidungsmaßnahmen auch aufgrund nationaler Vorgaben siehe Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 88; Niederstadt, NVwZ 2008, 126, 131; a. A. Rehbinder, ZUR 2008, 178, 181. 125  EuGH, Urt. v. 27.2.2003, C-415/01, Rn. 22; siehe auch Epiney, in: Epiney/ Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 27; Gellermann, in: Rengeling (Hrsg.), EUDUR II, § 78 Rn. 20.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

4. Reformvorschlag: Ausdrückliche Pflicht zur rechtsverbindlichen Bewirtschaftungsplanung Der Richtlinientext kann reformiert werden, um Rechtsunsicherheiten aufgrund des weiten Wortlauts zu beseitigen. Da der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL bisher auf einen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten schließen lässt, würde eine Klarstellung einigen Umsetzungsproblemen abhelfen. Die Richtlinie könnte auf eine Verbesserung der Zustände hinwirken, indem sie bereits im Richtlinientext ausdrücklich verlangt, dass Erhaltungsmaßnahmen einer rechtsverbindlichen Festsetzung bedürfen. Um weniger geeignete Instrumente des Richtlinienvollzuges mit Blick auf die auch nach über 30 Jahren noch mangelhafte Bilanz der Erhaltungszustände auszuschließen, sollte auf unionsrechtlicher Ebene ausdrücklich ein rechtsverbindlicher Bewirtschaftungsplan gefordert werden. Weder Verwaltungsvorschriften noch Trägerschaft der öffentlichen oder gemeinnützigen Hand oder vertragliche Vereinbarungen sind ebenso wirksam und geeignet.126 Der Bewirtschaftungsplan ist unerlässlich, um Vorgaben, die gesteigerter Verbindlichkeit bedürfen, zusammenzufassen. Die Europäische Kommission hat in der geplanten Wiederherstellungsverordnung127 die Wiederherstellungspläne als von den Mitgliedstaaten verbindlich durchzuführende Planung ausgestaltet.128 Der Verordnungsentwurf gibt den Mindestinhalt der Wiederherstellungspläne vor und bestimmt den Zeitrahmen, den der Plan abdecken muss.129 Die Pläne müssen einen Zeitplan für die Wiederherstellungsmaßnahmen enthalten und räumlich-explizit ausgestaltet werden.130 Sie sind regelmäßig zu überprüfen und nachzubessern.131

126  Vgl. Möckel, ZUR 2017, 195, 199; vgl. mit ähnlichen Gedanken zur Unterschutzstellung aber unter a. A. bezüglich der Managementmaßnahmen Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 94; Niederstadt, NVwZ 2008, 126, 132 f.; Rehbinder, ZUR 2008, 178, 181 spricht sich unter Hinweis auf die Gleichstellung in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL der verschiedenen Instrumente gegen eine kategorische Ablehnung der Gleichwertigkeit aus. Allein die Nennung durch den Gesetzgeber verschiedener Instrumente als gleichwertig gewährleistet aber nicht deren gleichwertige Effektivität in der Praxis. 127  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur, COM(2022) 304 final, v. 22.6.2022; siehe zum Verfahrensstand Gesetzgebungsverfahren Nr. 2022/0195/COD. 128  Art. 11 Abs. 1 WiederherstellungsVO-E. 129  Art. 12 WiederherstellungsVO-E. 130  Art. 12 Abs. 2 lit. a, b, f WiederherstellungsVO-E. 131  Art. 15 WiederherstellungsVO-E.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen109

Auch der Wortlaut der FFH-Richtlinie könnte anordnen, dass ein Bewirtschaftungsplan zwingend anzufertigen ist. Darüber hinaus sollten die Bewirtschaftungspläne eine außenverbindliche Rechtsform aufweisen müssen. Der neu gefasste Richtlinientext könnte lauten: „Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen außenwirksam und rechtsverbindlich in einem Bewirtschaftungsplan fest.“ So wäre deutlich, dass der Bewirtschaftungsplan als Konzept mit Zeitplanung, Finanzierung und Flächenplanung unerlässlich ist. Er ist auch für eine regelmäßige Evaluation der Maßnahmen und Ergebnisse entscheidend.132 Zusätzlich sollte seine rechtliche Verbindlichkeit durch die Richtlinie gefordert werden. Weitere geeignete Instrumente administrativer oder vertraglicher Art können anschließend zur Durchsetzung der rechtlich bereits festgelegten gebietsspezifischen Maßnahmen genutzt werden,133 diese aber nicht gleichwertig ersetzen.

IV. Fristenregelungen für die Erhaltungsmaßnahmen Auffällig ist, dass die FFH-Richtlinie im Gegensatz zu anderen umwelt­ relevanten Rechtsakten der Union keine Frist statuiert, ab der ihr Ziel erreicht werden muss.134 Es ist nicht festgelegt, ab wann die Schutzgebiete einen günstigen Erhaltungszustand erreicht haben und die Erhaltungsmaßnahmen wirken müssen.135 Daher ist zu prüfen, welche Vorgaben die Richtlinie stattdessen macht und inwiefern diese den mitgliedstaatlichen Pflichten Nachdruck verleihen. 1. Bestehende Fristen Zunächst sollen die in der Richtlinie normierten Fristen vorgestellt werden. Welche Fristen unionsrechtlich vorgegeben sind, lässt sich mit einem Blick in den Richtlinientext beantworten. Dem Wortlaut der Richtlinie kann zunächst nur die Frist für die Ausweisung der Schutzgebiete sowie für die Priorisierung der Gebiete entnommen 132  EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, S. 6. 133  Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, S. 96; vgl. Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 16. 134  Siehe z. B. Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.10.2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (ABl. EG L 327/1 v. 22.12.2000). 135  Art. 23 FFH-RL bezieht sich auf die Implementierung in nationales Recht, EuGH, Urt. v. 11.12.1997, C-83/97, Rn. 10.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

werden. Laut Art. 4 Abs. 4 FFH-RL haben die Mitgliedstaaten binnen sechs Jahren nach Aufnahme eines Gebietes in die Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung dieses als besonderes Schutzgebiet auszuweisen. Man kann aus den Richtlinienbestimmungen aber außerdem schlussfolgern, dass ab Ausweisung der Gebiete als Schutzgebiete Erhaltungsmaßnahmen anzuwenden sind. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus Art. 4 Abs. 5 FFH-RL, der anordnet, dass Art. 6 Abs. 2–4 FFH-RL bereits anzuwenden sind, wenn ein Gebiet in die Liste der Kommission aufgenommen wurde. Spätestens ab dem Zeitpunkt der Schutzgebietsausweisung müssen anschließend die übrigen mitgliedstaatlichen Pflichten der Richtlinie und damit auch Art. 6 Abs. 1 FFH-RL aktiviert werden. Gemäß Art. 4 Abs. 4 FFH-RL haben die Mitgliedstaaten 6 Jahre nach der Listung der Gebiete durch die Kommission Zeit, um die Schutzgebiete auszuweisen. Die Europäische Kommission geht mit Blick auf Art. 4 Abs. 4 FFH-RL daher ebenfalls von einer 6-Jahres-Frist zur Festlegung der Erhaltungsmaßnahmen aus.136 Wenn die Mitgliedstaaten sechs Jahre Zeit hatten, die Schutzgebiete auszuweisen und ab dem Zeitpunkt der Ausweisung Erhaltungsmaßnahmen anzuwenden sind, müssen die Mitgliedstaaten innerhalb der 6-Jahres-Frist außerdem die Erhaltungsziele bestimmen.137 Die Erhaltungsmaßnahmen beruhen auf den spezifisch festzuschreibenden Erhaltungszielen. Die ursprünglich sechsjährige Phase zwischen der Einstufung des Gebietes als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung durch die Kommission und der Ausweisung im Mitgliedstaat muss mithin zwingend dazu genutzt werden, operationalisierbare Erhaltungsziele und entsprechende Maßnahmen festzulegen.138 Ansonsten kann der Mitgliedstaat die Erhaltungsmaßnahmen anschließend nicht zielgerichtet und überprüfbar durchführen, wozu er aber ab dem Zeitpunkt der Ausweisung verpflichtet ist.139 Der Europäische Gerichtshof hat allerdings keine eigenständige Vertragsverletzung in den Fällen angenommen, in denen die Erhaltungsmaßnahmen zwar materiell den Erhaltungszielen entsprechen, die Erhaltungsziele aber

136  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 17; Europäische Kommission, Vermerk über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen, S. 3; ebenso Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 88; Möckel, Schlacke (Hrsg.), GKBNatSchG, § 32 Rn. 102; siehe auch EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 138– 154. 137  Vgl. auch EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 67; Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 53. 138  EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 67; Europäische Kommission, Vermerk über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen, S. 3. 139  So die Argumentation der Europäischen Kommission in EuGH, Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 96 ff., 105 f.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen111

erst nach Durchführung der Maßnahmen formal festgesetzt wurden.140 Er geht von der Prämisse aus, dass der Mitgliedstaat die Erhaltungsziele in diesen Fällen zwar noch nicht in einem förmlichen Verfahren festgelegt hat, die für einen günstigen Erhaltungszustand notwendigen Anforderungen aber bereits bekannt sind.141 Daher kann nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits mit der Durchführung der Erhaltungsmaßnahmen begonnen werden, ohne dass spezifische Erhaltungsziele für ein Gebiet formal existent sind. Dies entbindet den Mitgliedstaat allerdings nicht von der fristgerechten Festlegung der Erhaltungsziele und Umsetzung der Erhaltungsmaßnahmen. Im vor dem Gerichtshof anhängigen Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland bemängelt die Europäische Kommission dementsprechend nicht nur die verstrichene Frist, um die Gebiete als besondere Schutzgebiete auszuweisen, sondern auch, dass die Bundesrepublik und die Länder die Erhaltungsziele nicht fristgerecht bestimmt haben.142 Das Versäumnis, geeignete Erhaltungsmaßnahmen zu ergreifen, stellt darauf aufbauend eine weitere Vertragsverletzung dar.143 Abgesehen von der konkreten Fristvorgabe in Art. 4 Abs. 4 FFH-RL finden sich in der Richtlinie noch weitere Vorgaben, die bestimmen, wann Maßnahmen ergriffen werden müssen. Mit der Vorgabe des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL, die „nötigen“ Erhaltungsmaßnahmen müssten festgelegt werden, setzt die Richtlinie einen Maßstab, der nicht unterschätzt werden darf und bei genauer Betrachtung auch einige Anforderungen an den Zeitpunkt der Festsetzung der Erhaltungsmaßnahmen und deren Aktualität beinhaltet. Eine Maßnahme ist nämlich zu dem Zeitpunkt „nötig“, in dem sie erforderlich ist, um den günstigen Erhaltungszustand beizubehalten oder zu erreichen.144 Es sind mindestens alle für den günstigen Erhaltungszustand notwendigen Maßnahmen festzulegen,145 bis das gesamte Verbreitungsgebiet den gewünschten Zustand erreicht hat. Dies ist unabdingbar und hat in richtlinienkonformer Weise zu geschehen. Die Maßnahmen müssen rechtzeitig, das heißt zu dem Zeitpunkt festgelegt und durchgeführt werden, zu dem ihre Umsetzung auf140  EuGH,

Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 155 ff. Urt. v. 29.6.2023, C-444/21, Rn. 159 unter Verweis auf GA Ćapeta, Schlussanträge v. 9.2.2023, C-444/21, Nr. 86. 142  Europäische Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme Vertragsverletzung Nr. 2014/2262, COM(2020) 261 final, S. 19; vgl. auch EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 85. 143  Europäische Kommission, Mit Gründen versehene Stellungnahme Vertragsverletzung Nr. 2014/2262, COM(2020) 261 final, S. 68; EuGH, Urt. v. 22.11.2011, C-90/10, Tenor 1 Spiegelstr. 2. 144  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 25; Dolde/Lange, VBlBW 2015, 1, 1. 145  Vgl. hierzu auch GA Ćapeta, Schlussanträge v. 9.2.2023, C-444/21, Rn. 49. 141  EuGH,

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

grund der Vorgaben der gebietsspezifischen Erhaltungsziele geboten ist. Die Vorgabe, die „nötigen“ Erhaltungsmaßnahmen seien durchzuführen, enthält damit auch eine Aussage über den Zeitpunkt der jeweiligen Maßnahmen im einzelnen Gebiet. Die rechtzeitige Durchführung der Maßnahmen setzt einen Zeitplan und Zwischenziele voraus, um einen Überblick über die verschiedenen Bewirtschaftungsschritte und ein Entwicklungskonzept zur Hand zu haben.146 Anderenfalls werden gegebenenfalls noch Erhaltungsmaßnahmen etwa aus dem Anfangsstadium des Schutzgebietes durchgeführt, während das Gebiet längst angepasste Maßnahmen benötigt.147 Unterlässt man es, den Bewirtschaftungsplan anzupassen, wird das Ziel der Verbesserung des Erhaltungszustandes faktisch nicht weiterverfolgt.148 Der Teilerfolg wird zum Endergebnis, das sich im schlimmsten Fall wieder verflüchtigt. Selbst der bisher erarbeitete Status quo ist gefährdet, wenn nicht auf Gebietsveränderungen reagiert wird. Dies würde den durch die Richtlinie begründeten Pflichten widersprechen. Das Vermeidungsgebot verbietet eine Verschlechterung des Gebietes, auch wenn zuvor eine Verbesserung erfolgte. Negativen Entwicklungen muss durch eine frühe Einsicht und Prävention entgegengewirkt werden.149 Festgelegte Erhaltungsmaßnahmen müssen somit ohnehin in jedem Gebiet beständig überprüft und angepasst werden, damit sich die Erhaltungszustände nicht wieder verschlechtern.150 Somit geben auch die materiellen Vorgaben der Richtlinie bestimmte „Fristen“ vor. Dementsprechend sind der Richtlinie zunächst Fristen zu entnehmen, die die Ausweisung und Priorisierung der Schutzgebiete betreffen. Außerdem gibt diese Frist Auskunft darüber, wann die Mitgliedstaaten die Erhaltungsziele festgelegt und die Erhaltungsmaßnahmen bestimmt haben müssen. 146  Europäische Kommission, Vermerk über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen, S. 8; EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, S. 9; auch im Haushaltsplan der EU wird die zeitlich festgelegte Umsetzung von Maßnahmen empfohlen, Art. 33 Abs. 3 EU-Haushaltsordnung 2018 – dies kann auf Erhaltungsmaßnahmen übertragen werden, da sie durch EU-Fonds gefördert werden (z. B. LIFE und ELER); so ebenfalls übertragen bei Möckel, Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 98. 147  EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, S. 3 bestätigt, dass dies oftmals der Fall ist; siehe auch EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 215. 148  Im FFH-Gebiet „Villewälder bei Bornheim“ DE-5207-304 ist beispielsweise ein Planungszeitraum bis 2012 angegeben, Wald und Holz NRW, Maßnahmenkonzept (Bericht), S. 3. 149  Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 88. 150  Vgl. EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, S. 8 ff.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen113

Durch die materiellen Anforderungen an die Maßnahmen ergibt sich des Weiteren, zu welchem Zeitpunkt die Mitgliedstaaten diese ergreifen müssen. 2. Die FFH-Berichterstattung als Gegenmodell zu weiteren Fristen Die ermittelten Fristvorgaben der Richtlinie betreffen allerdings nicht den Zeitpunkt, zu dem das Ziel der Richtlinie, den günstigen Erhaltungszustand der in den Anhängen der Richtlinie gelisteten Lebensraumtypen und Arten herzustellen, erreicht sein muss. Der Vergleich mit anderen Rechtsakten der Union und mit der bestehenden Frist der FFH-Richtlinie für die Ausweisung der Schutzgebiete zeigt, dass entsprechende Fristenregelungen nur bedingt wirken und die Mitgliedstaaten die Fristen oftmals über Jahrzehnte nicht einhalten.151 Auch wiederholte und jahrelange Vertragsverletzungsverfahren scheinen nur bedingt zur Rechts­ treue beizutragen. Aus diesem Grunde setzte der europäische Gesetzgeber bezüglich der Wirksamkeit der Erhaltungsmaßnahmen und des Zustandes der Gebiete im FFH-Recht auf periodische Berichterstattung und Rechtfertigung seitens der Mitgliedstaaten als Kontrollinstrument. Die Mitgliedstaaten müssen nach Art. 17 Abs. 1 FFH-RL einen Bericht über den Stand der Durchführung der Richtlinie erstellen, in dem insbesondere die Erhaltungsmaßnahmen und ihre Auswirkungen beschrieben werden.152 Dieser Bericht ist an die Kommission weiterzuleiten, die wiederum auf der Grundlage der nationalen FFH-Berichte den Beitrag des Schutzgebietsnetzes zum Richtlinienziel, dem günstigen Erhaltungszustand, beurteilt, Art. 17 Abs. 2 FFH-RL. Die verbindliche wiederholte Überprüfung des Fortschritts, den die Mitgliedstaaten erzielt haben, kann starre Fristenregelungen und feste Zeitpunkte, zu denen etwas erreicht sein muss, ersetzen. Ist der Zeitpunkt erst einmal überschritten und die Frist nicht mehr gewahrt, entfalten Fristen nur noch wenig Druckwirkung. Die turnusmäßigen FFH-Berichte der Mitgliedstaaten können stets erneut Anreiz zu Fortschritten geben und gewährleisten eine regelmäßige Revision des Erreichten. Dennoch muss auch die Anreizwirkung der regelmäßigen Berichterstattung im europäischen Gebietsschutz als weitgehend gescheitert eingeordnet werden, wenn man bedenkt, wie gering die bisher erreichten Fortschritte für den Schutz der Biodiversität ausfallen und wie verspätet die Mitgliedstaaten be151  Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 31 Rn. 4 ff.; Europäische Kommission, Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) und der Hochwasserrichtlinie (2007/60/EG), COM(2019) 95 final, unter 2., 4., 6. 152  Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen, S. 9; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 104.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

stehende Pflichten umsetzen.153 Ursächlich könnte zum einen die mangelnde Verbindlichkeit von messbaren Fortschritten sein,154 zum anderen sind es gemeinhin nicht die Berichterstatter, die die konkrete Arbeit in den Schutzgebieten anordnen und die Bewirtschaftungspläne aufstellen.155 Am Beispiel Deutschlands sind insbesondere die Kreise als untere Naturschutzbehörden für die Bewirtschaftungspläne zuständig, zum Beispiel gemäß §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 31, 32 Abs. 5 BNatSchG i. V. m. § 2 LNatSchG NRW (Bsp. NordrheinWestfalen) beziehungsweise § 32 NNatSchG (Bsp. Niedersachsen). Der Bund erstattet der Kommission Bericht, nachdem die Länder ihm ihre Einzelberichte zur Verfügung gestellt haben. Es wird dementsprechend nur akkumuliert berichtet, die Einzelnachweise werden nach Art und Lebensraumtyp zusammengefasst. Die Europäische Umweltagentur weist dementsprechend darauf hin, dass die derzeitigen Berichtsinstrumente Lücken aufweisen und die Effektivität des Gebietsmanagements und dessen Evaluation nicht ausreichend abfragen.156 Auch ein von den Mitgliedstaaten unabhängiges Kontrollgremium, das parallel eigene Berichte erstellt, fehlt bisher.157 3. Reformvorschlag: Anpassungspflicht innerhalb des nächsten Berichtszeitraums Um konkrete Auswirkungen in den Schutzgebieten zu entfalten, sollten daher weitergehende Fristenregelungen mit ausreichenden Sanktionsmöglichkeiten bei einem Fristversäumnis geschaffen werden.158 Diese sollten die Ebene der Bewirtschaftungsplanung betreffen, um dort anzusetzen, wo kontrolliert und nachgesteuert werden muss. Die wiederholte Evaluation sollte

153  Zu Letzterem Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt (Hrsg.), BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 31 Rn. 5; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatschG, 70. EL 2018, Vorbemerkung vor §§ 31–36, Rn. 8 ff.; Europäische Kommission, Bericht der Kommission über die Umsetzung der Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen, COM(2003) 845 final. 154  Vgl. hierzu Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, 2.2.1.; Dige/Gerritsen/Klimmek/Whiteoak, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, Technical Report, S. 79. 155  Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 104; vgl. zum interna­ tionalen Einblick Europäische Kommission, Bericht der Kommission über die Umsetzung der Richtlinie 92/43/EWG (2003), COM(2003) 845 final. 156  Dige/Gerritsen/Klimmek/Whiteoak, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, Technical Report, S. 28. 157  Siehe zu den Gründen hierfür Schröder, NVwZ 2006, 389, 392 f. 158  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, 2.2.1.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen115

beibehalten werden, aber um eine ausdrückliche Pflicht ergänzt werden, die Erhaltungsmaßnahmen an festgestellte Ergebnisse anzupassen.159 Der Entwurf einer Wiederherstellungsverordnung der Europäischen Kommission160 scheint einen ähnlichen Ansatz zu verfolgen. Der geplante Gesetzgebungsakt bezweckt die Wiederherstellung der Natur inner- und außerhalb von europäischen Schutzgebieten. Er verpflichtet die Mitgliedstaaten zu Wiederherstellungsmaßnahmen, die, ebenso wie die Maßnahmen der FFHRichtlinie eine langfristige Erhaltung der Arten und Lebensraumtypen herbeiführen sollen.161 Anders als die FFH-Richtline sieht der Verordnungsentwurf eine Frist vor, innerhalb der die Wiederherstellungsmaßnahmen ergriffen werden müssen.162 Der Entwurf fordert einen kontinuierlichen Fortschritt und einen positiven Trend der Erhaltungszustände.163 Die im Verordnungsentwurf normierte Maßnahmenplanung soll Zwischenfristen enthalten und eine kontinuierliche, langfristige und nachhaltige Wirkung der Wiederherstellungsmaßnahmen gewährleisten.164 Die Mitgliedstaaten sind nach dem Entwurf der Wiederherstellungsverordnung auch bei der Erstellung der Wiederherstellungspläne an Fristen gebunden.165 Die Europäische Kommission ­bewertet die Wiederherstellungspläne und kann Anmerkungen an die Mitgliedstaaten übermitteln, die gebührend zu berücksichtigen sind.166 Die Mitgliedstaaten müssen ihre Wiederherstellungspläne aber auch selbst mindestens alle 10 Jahre daraufhin überprüfen, ob die Fortschritte ausreichen, um die Ziele der Verordnung zu erfüllen.167 Der Entwurf der Wiederherstellungsverordnung sieht zusätzlich eine Berichterstattung der Mitgliedstaaten im 3-Jahres-Rhythmus über die Fortschritte bei der Umsetzung des Wiederherstellungsplans und der Durchführung der Wiederherstellungsmaßnahmen vor.168 Im Anwendungsbereich der Verordnung ist die Kommission aber

159  Vgl. EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, S. 4 ff. 160  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur, COM(2022) 304 final, v. 22.6.2022, in Folgendem „WiederherstellungsVO-E“; siehe zum Verfahrensstand die Verfahrensnummer 2022/0195/COD. 161  Vgl. Art. 3 Nr. 4 WiederherstellungsVO-E. 162  Art. 4 Abs. 1 u. 2, Art. 5 Abs. 1 u. 2 WiederherstellungsVO-E. 163  Art. 4 Abs. 6, 7, Art. 5 Abs. 6, 7 WiederherstellungsVO-E. 164  Art. 12 Abs. 1, 2 lit. i WiederherstellungsVO-E. 165  Art. 13, Art. 14 Abs. 6 WiederherstellungsVO-E. 166  Art. 14 Abs. 5 WiederherstellungsVO-E. 167  Art. 15 Abs. 1 WiederherstellungsVO-E. 168  Art. 18 Abs. 2 lit. a WiederherstellungsVO-E; die allgemeine Ausrichtung des Rates sieht einen 6-Jahres-Rhythmus vor.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

ausdrücklich ermächtigt, zu verlangen, dass die Pläne überarbeitet werden, wenn sich abzeichnet, dass die Ziele nicht fristgerecht erreicht werden.169 Der Vorschlag der Kommission zeigt erneut auf, dass es den Natura 2000-Richtlinien bisher an einem ähnlichen Mechanismus der zeitgebunden Revision mit einer Frist, um messbare Fortschritte zu erzielen, mangelt.170 Daher ist zu hinterfragen, wie der europäische Gesetzgeber die FFH-Richt­ linie selbst ändern könnte, um die beschriebenen Probleme anzugehen. Die Richtlinie könnte fordern, binnen des nächsten Berichtszeitraums171 erkannte Defizite anzugehen und innerhalb der Bewirtschaftungspläne nachzusteuern, was dann beim nächsten nationalen Bericht zu belegen wäre. Naturschutzfachlich wäre die Frist zur Evaluation und Überarbeitung der Bewirtschaftungspläne zwar als Einzelfallentscheidung nach Maßgabe der vorgesehenen Maßnahmen und ihrer Wirkungsdauer zu bestimmen.172 Die Naturräume unterliegen auch an sich dynamischen Veränderungen ihrer Beschaffenheiten und Standorte, auf die ein Bewirtschaftungsplan kontinuierlich reagieren muss. Eine kritische Prüfung der gesamten Bewirtschaftungspläne für FFHGebiete wäre aber dennoch nach einem Berichtszeitraum von 6 Jahren zweckdienlich,173 da die Schutzgebiete für den FFH-Bericht in diesem 6-Jahreszyklus ohnehin fristgerecht analysiert werden müssen.174 Das wiederkehrend durchgeführte Monitoring im Rahmen des nationalen FFH-Berichts hat bisher keine Auswirkungen auf die Bewirtschaftungspläne in den Gebieten.175 Die hierfür erforderlichen Fristen und Anpassungspflichten in der Richt­ linie festzulegen, vermeidet es, Vertragsverletzungen auszulösen. Da bisher kaum zeitnahe Erfolge erzielt werden und Erhaltungsmaßnahmen scheitern, sollte die Richtlinie selbst eine Pflicht statuieren, die Managementpläne periodisch zu evaluieren und anzupassen. Die zeitnahe Durchsetzbarkeit einer derartigen Verpflichtung wirft allerdings weitere Fragestellungen auf. Die effektive Sanktionierbarkeit von Vertragsverletzungen der Mitgliedstaaten scheint ein bisher noch nicht gelöstes Problem der Europäischen Rechtsgemeinschaft darzustellen.176 169  Art. 15

Abs. 3 WiederherstellungsVO-E. auch EWG 26, 27 WiederherstellungsVO-E. 171  Czybulka, ­EurUP 2016, 276, 285 schlägt diesen Zeitrahmen zur Überarbeitung vor. 172  Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 102. 173  Czybulka, ­EurUP 2016, 276, 285. 174  Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 89; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 20. 175  Czybulka, NuR 2020, 73, 82. 176  Eingehend hierzu Rengeling/Gellermann, in: Di Fabio/Marburger/Schröder (Hrsg.), Jb. UTR 1996, 22 ff.; Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Um170  Vgl.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen117

Ein weiteres Problem könnte bei Bewirtschaftungsplänen in Rechtsform, beispielsweise als Teil der Schutzgebietsverordnung, langfristige Änderungsverfahren aufwerfen,177 wenn nach jedem Berichtszeitraum die Bewirtschaftungspläne zu evaluieren und gegebenenfalls anzupassen sind. Eine geeignete Bewirtschaftungsplanung verlangt folglich flexible, vorausschauende Regelungen.178 Die gebotene normative Festsetzung der Maßnahmen erfordert eine hinreichende Flexibilität des Bewirtschaftungsplans, so dass Etappenziele und daran anknüpfende Möglichkeiten zur Anpassung und Auffang­op­ tionen bereits mit festgelegt werden sollten. Überwachungsinstrumente und Zeitpunkte dürfen in den Bewirtschaftungsplänen nicht fehlen. Sie sollten zunächst zum Ziel haben, nachzuvollziehen, ob die Akteure die festgelegten Erhaltungsmaßnahmen tatsächlich durchführen. Gleichzeitig muss der Zustand des Gebietes überwacht werden und der Effekt, den die umgesetzten Maßnahmen auf dieses bereits haben.179 Dann kann entsprechend den im Bewirtschaftungsplan rechtlich festgelegten Schritten weiterverfahren werden und eine Anpassung müsste nur dann stattfinden, wenn das Konzept ausgereizt ist. In jedem wirtschaftlich geprägten Bereich werden Bewirtschaftungspläne einer regelmäßigen Revision und Anpassung unterzogen.180 Im Naturschutz im engeren Sinne – im Wasserrecht sind die Vorgaben aufgrund der näheren Verknüpfung zu menschlichen Bedürfnissen oft strenger – sind periodische Aktualisierungen grundsätzlich keine gängige Praxis.181 Oftmals formulieren die Akteure nur einige vage Fristen im Zusammenhang mit der Aktualisierung von Bewirtschaftungsplänen. Diese sind teilweise unverbindlich, sodass eine Aktualisierung selten umgesetzt wird, oder die Vorgaben erschöpfen sich darin, den Bewirtschaftungsplan insgesamt zu befristen.182 Den zuständigen Behörden ist teilweise unbekannt, was nach Ablauf der Frist geschehen soll. Dies führt zu einer mangelnden Aktualität der Bewirtschaftungspläne

weltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S.  93 ff. 177  Vgl. Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, S. 103. 178  Dige/Gerritsen/Klimmek/Whiteoak, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, Technical Report, S. 50. 179  Europäische Kommission, Vermerk über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen, S. 9. 180  Beispiel: Forstbetriebspläne im Unterschied zu den FFH-Maßnahmenkonzepten zu Waldlebensräumen, siehe z. B. im Fall VG Leipzig, Beschl. v. 9.4.2019, 1 L 1315/ 18, juris Rn. 7 ff. 181  Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 89. 182  Siehe z. B. LANUV, Handbuch Natura 2000-Maßnahmen, S. 2.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

und schlussendlich zur Unwirksamkeit der Maßnahmen.183 Die fristgebundene Überprüfung der Erhaltungsmaßnahmen innerhalb eines Berichtzeitraums von sechs Jahren und die Pflicht, die Bewirtschaftungspläne zu überarbeiten und Defizite auszuräumen, würden dagegen zur Aktualität der Maß­nahmenplanung beisteuern.

V. Qualitätssicherung der Erhaltungsmaßnahmen Die Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL sollen den günstigen Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen erhalten oder wiederherstellen. Daher wurde bisher ihr Nutzen und ihre Unabdingbarkeit für die Biodiversität in den Schutzgebieten betont. Um ihre volle Wirkung zu entfalten, ist es allerdings notwendig, dass die Erhaltungsmaßnahmen naturschutzfachlich geeignet sind und nicht selbst Schäden an den Schutzgütern im Gebiet hervorrufen. 1. Mangelnde Überprüfbarkeit der Erhaltungsmaßnahmen aufgrund des Gebietsverwaltungsprivilegs Setzen die zuständigen Behörden die Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung eines Gebietes nicht mit ausreichender Sorgfalt fest, leidet die Qualität der Erhaltungsmaßnahmen. Sie können die ökologischen Erfordernisse der Arten und Lebensraumtypen nicht erfüllen oder beeinträchtigen die Schutzgüter sogar. Eine Erhaltungsmaßnahme, die sich möglicherweise negativ auf die Erhaltungsziele im Gebiet auswirkt, ist dabei als Projekt einzustufen. Denn der wirkungsbezogene Projektbegriff des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist weit zu verstehen und umfasst all jene Einwirkungen, die Auswirkungen auf ein Schutzgebiet haben könnten.184 Daher können grundsätzlich auch Erhaltungsmaßnahmen erfasst sein. Allerdings sind nach Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL nur Projekte und Pläne, „die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind“ einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Daher sind Maßnahmen der Gebietsverwaltung gegenüber anderen Projekten privilegiert und von einer Prüfung ihrer Verträglichkeit mit den gebietsspezifischen Erhaltungszielen freigestellt. Die 183  Im FFH-Gebiet „Villewälder bei Bornheim“ DE-5207-304 endet der Planungszeitraum bspw. im Jahr 2012, Wald und Holz NRW, Maßnahmenkonzept (Bericht), S. 3. 184  EuGH, Urt. v. 10.11.2022, C-278/21, Rn. 34; Frenz, NuR 2020, 1, 2 ff.; Möckel, ZUR 2008, 57, 58; Kahl/Gärditz, Umweltrecht, § 10 Rn. 120; vgl. auch EuGH, Urt. v. 10.01.2006, C-98/03.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen119

deutsche Umsetzungsvorschrift dieser Regelung findet sich in § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG. Die Privilegierung der Verwaltungsmaßnahmen kann den negativen Effekt haben, dass Maßnahmen, die als Naturschutzmaßnahmen gedacht waren, stattdessen eine schädigende Wirkung entfalten, da sie keiner Prüfung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen unterliegen. Maßnahmen, die zur Förderung des günstigen Erhaltungszustandes festgelegt wurden, könnten die Schutzgüter folglich stattdessen beeinträchtigen. Das Gebietsverwaltungsprivileg kann so Einfallstor für schädigende statt positiv wirkende Maßnahmen sein. Die Zielsetzung der Richtlinie, den günstigen Erhaltungszustand der Arten- und Lebensraumtypen zu erreichen, könnte gefährdet werden. Es ist kritisch zu untersuchen, ob die Privilegierung bei sorgsamer, den Vorsorgegrundsatz einschließender Auslegung die Gewähr dafür bietet, dass Verwaltungsmaßnahmen das Gebiet nicht beeinträchtigen. Kann die Privilegierung dies nicht gewährleisten, ist in einem weiteren Schritt die Berechtigung der Freistellung der Verwaltungsmaßnahmen zu hinterfragen. Die Freistellung des Gebietsmanagements vom Erfordernis einer Verträglichkeitsprüfung gilt nur, soweit die fraglichen Maßnahmen unmittelbar mit der Verwaltung in Verbindung stehen und für diese notwendig sind, Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL. Die Vorgehensweise der Untersuchung wird daher sein, zunächst die Reichweite des Gebietsverwaltungsprivilegs anhand seiner Tatbestandsmerkmale zu analysieren (unter 1. a)). Anschließend wird aufgezeigt, dass die Verwaltungsmaßnahmen bisher nicht ausreichend überprüft werden können (unter 1. b)). Nach einer zusammenfassenden Darstellung der so gewonnenen Erkenntnisse (2.) wird ein Reformvorschlag formuliert (3.). Die Folgen des Vorschlags und mögliche Alternativen werden besprochen (4. und 5.). Abschließend führt der Abschnitt ein Beispiel aus der nationalen Rechtsprechung der letzten Jahre an, das die praktische Relevanz der Problemstellung unterstreicht (6.). a) Die unscharfen Tatbestandsmerkmale des Verwaltungsprivilegs Zunächst ist die Reichweite des Privilegs anhand seiner Tatbestandsvoraussetzungen zu bestimmen. Grundsätzlich sind alle Projekte den strengen Anforderungen der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL unterstellt, mit der festgestellt wird, ob das Vorhaben Auswirkungen auf die gebietsspezifischen Erhaltungsziele haben könnte. Ausgenommen von einer Verträglichkeitsprüfung werden nur Maßnahmen der Verwaltung des Gebietes, die unmittelbar mit der Verwaltung eines Gebietes in Verbindung stehen oder für diese notwendig sind, Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

aa) Diffuser Begriff der „Verwaltung“ des Gebietes Beschäftigt man sich mit der Privilegierungsbestimmung, stellt sich zuvorderst die Frage nach dem Inhalt der „Verwaltung des Gebietes“. Über die Zuordnung einer Maßnahme als Verwaltungsmaßnahme wird bestimmt, welche Rechtsakte und Maßnahmen der Verträglichkeitsprüfung von vornherein entzogen werden. In dem im Jahr 2018 vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Verfahren zum polnischen Natura 2000-Gebiet Puszcza ­ Białowieska wurde deutlich, dass die Zuordnung einer Maßnahme unter den Verwaltungsbegriff eine häufige Fehlerquelle darstellt. Die Republik Polen ließ die Zuordnung offen und ordnete Fällmaßnahmen im FFH-Gebiet ­Puszcza Białowieska einerseits als Verwaltungsmaßnahmen und andererseits hilfsweise als verträglichkeitsprüfungspflichtiges Projekt ein.185 Grundsätzlich versteht man unter den Maßnahmen der Gebietsverwaltung das Management zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Gebietes, worunter nach herrschender Meinung jedenfalls die Erhaltungsmaßnahmen fallen.186 Die Auslegung der Privilegierungsbestimmung lässt weitere Schlüsse zu. (1) Weiter Verwaltungsbegriff Zunächst ist auf den Wortlaut der Vorschrift abzustellen. Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL spricht von der „Verwaltung des Gebietes“.187 Unter die „Verwaltung des Gebietes“ scheinen in jedem Fall behördlich veranlasste Maßnahmen zu fallen, die die Modalitäten des Gebietes regeln.188 Diese betreffen den Kern des Gebietsmanagements. Diesbezüglich ist zunächst an die Fest­ legung der Erhaltungsziele und -maßnahmen zu denken.189

Bot, Schlussanträge v. 20.2.2018, C-441/17, Nr. 137 f. Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 26; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 93; Albrecht/Gieß, NuR 2014, 235, 240; Frenz, in: Frenz/Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG, § 34 Rn. 2; Czybulka, ­ EurUP 2016, 276, 286; Schumacher/Schaper, ­­EurUP 2021, 88, 91. 187  Zur Auslegung der Begrifflichkeit auch Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 21 ff. 188  Lau, NuR 2020, 542, 542. 189  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 26 f.; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 72. EL 2014, § 34 Rn. 15; Frenz, in Müggenborg/Frenz (Hrsg,), BNatSchG, § 34 Rn. 9; Schumacher/ Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, § 34 Rn. 20. 185  GA

186  Europäische



A. Die Erhaltungsmaßnahmen121

Sieht man im Begriff der „Verwaltung“ eher die hoheitliche Komponente betont,190 könnte das Verwaltungsprivileg auf staatliche Maßnahmen abstellen. Damit wären alle Maßnahmen erfasst, die eine Behörde in Umsetzung der Richtlinie durchführt. Nach dieser Auslegung wäre eine Reihe staatlicher Maßnahmen privilegiert, wie beispielsweise auch die behördlichen Monitoringmaßnahmen nach Art. 11 FFH-RL, um die Erfolge im Schutzgebiet zu überwachen. Der Wortlaut restringiert den Anwendungsbereich der Verwaltungsmaßnahme nicht zwingend auf Maßnahmen im Rahmen des Art. 6 FFH-RL. Auch die in Praxis und Literatur weit vertretene Beschränkung auf Maßnahmen des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL191 ist dem Wortlaut nicht eindeutig zu entnehmen. Allein die Einschränkung auf „notwendige“ Verwaltungsmaßnahmen könnte einen Bezug zu den „nötigen“ Erhaltungsmaßnahmen in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL herstellen. In anderen Sprachfassungen der Richtlinie fallen diese Bezeichnungen nicht auseinander. Im Englischen heißt es zum Beispiel „necessary conservation measures“ und anschließend „necessary to the management of the site“. Einen eindeutigen Befund lässt dies jedoch nicht zu. Das Gebietsverwaltungsprivileg ist als Ausnahmebestimmung zwar eng auszulegen.192 Dies vermag jedoch nicht gänzlich der Problematik entgegenzuwirken, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Ausnahmebestimmung weit gefasst sind. Bestimmte Maßnahmen auszuklammern würde voraussetzen, dass eine entsprechende Abgrenzung durch Auslegung der Bestimmung zu begründen ist. Auch die, oftmals in den Schutzgebietsverordnungen als Verbote statuierten, präventiven Vermeidungsmaßnahmen stellen notwendige Maßnahmen zum Schutz des Gebiets vor Beeinträchtigungen dar. Sie können damit nach dem Wortlaut der Vorschrift ebenfalls unter die „Verwaltung des Gebietes“ zu subsumieren sein. Denkbare Verwaltungsmaßnahmen umfassen daher ein weites Spektrum, von der Festsetzung von Erhaltungs- oder Ver190  Mühlbauer, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel (Hrsg.), Naturschutzrecht, § 34 Rn. 4. 191  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 26; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 93; Albrecht/Gieß, NuR 2014, 235, 240; Frenz, in: Frenz/Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG, § 34 Rn. 2; Czybulka, ­ EurUP 2016, 276, 286; Schumacher/Schaper, ­­EurUP 2021, 88, 91. 192  Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 93; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 72. EL 2014, § 34 Rn. 15; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 34 Rn. 46; der EuGH vertritt diese Ansicht zu Ausnahmebestimmungen im Unionsrecht in st. Rspr., z. B. Urt. v. 15.5.1986, Rs. 222/84, Rn. 38; Urt. v. 14.12.1962, Rs. 2 u. 3/62, S. 881, 884.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

meidungsmaßnahmen über Durchsetzungsakte, wie die öffentlich-rechtlichen Verträge mit den Nutzern im Gebiet, bis zur Durchführung der Maßnahmen selbst.193 Um dem Ausdruck der „Verwaltung“ die notwendige Kontur zu verleihen, kann darüber hinaus ein Blick auf die englische und französische Fassung der Richtlinienbestimmung geworfen werden. Die englische Fassung, der als in der Union führenden Sprache eine besondere Bedeutung zukommt,194 verwendet das Wort „management“, die französische Fassung spricht von „gestion“, welches mit „Management“, „Verwaltung“, „Leitung“ oder auch „Bewirtschaftung“ übersetzt werden kann. Die Zusammenschau der Bezeichnungen ergibt, dass unter das Verwaltungsprivileg nach seinem weiten Wortlaut alle administrativen Tätigkeiten fallen könnten, die der Mitgliedstaat im Gebiet durchführt. Dies betrifft Regeln und Pläne, die für das Gebiet aufgestellt werden, Durchsetzungsakte gegenüber den Nutzern des Gebietes sowie die reale Bewirtschaftung der Flächen. Folglich ist nach dem Wortlaut jedenfalls die gesamte Bandbreite von der Aufstellung der Erhaltungsziele und Auswahl der Erhaltungsmaßnahmen bis zur Umsetzung des Bewirtschaftungsplanes erfasst. Auch durch historische und systematische Überlegungen lässt sich kein greifbareres Resultat mit klaren Abgrenzungen erzielen. Sowohl die Erwägungsgründe als auch die Entwurfsfassung der Richtlinie195 beinhalten das Gebietsverwaltungsprivileg nicht. Die systematische Stellung des Gebietsverwaltungsprivilegs weist die Maßnahmen der „Verwaltung“ nicht eindeutig einer Maßnahmengruppe zu. Es ist stattdessen bei der Verträglichkeitsprüfung verortet, von der es eine Anwendungsausnahme darstellt. Dagegen lässt das Telos der Vorschrift weitere Schlüsse zu. Der teleologischen Auslegungsmethode ist im Unionsrecht besondere Bedeutung zuzumessen.196 Sinn und Zweck des Privilegs ist es, Maßnahmen, die das Gebiet entwickeln sollen, vom Aufwand einer Verträglichkeitsprüfung zu befreien. Nach dem Telos der Privilegierungsbestimmung sind nur solche Maßnahmen freigestellt, die die Erhaltungsziele im Gebiet verwirklichen sollen.197 Aus193  Vgl. Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-­Schutzgebiete, S.  93. 194  Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 26; siehe aber EuGH, Urt. v. 27.3.1990, Rs. 372/88, Rn. 18. 195  Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und natur­ nahen Lebensräume sowie der Tier- und Pflanzenarten, Amtsbl. Nr. C 247/3 v. 21.9.88. 196  Streinz, Europarecht, Rn. 632; Epiney, in: Bieber/Epiney/Haag/Kotzur, Die Europäische Union, § 9 Rn. 17, einschränkend aber Rn. 19. 197  Czybulka, ­ EurUP 2016, 276, 286 f.; Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S. 16.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen123

schließlich bei diesen Maßnahmen kann eine Verträglichkeitsprüfung grundsätzlich entbehrlich sein. Es ist nicht Sinn und Zweck der Vorschrift, den Staat als administrativ Handelnden bevorzugt zu behandeln, sondern Maßnahmen der Schutzgebietsentwicklung zu privilegieren. Das Telos der Bestimmung verengt den möglichen Anwendungsbereich des Gebietsverwaltungsprivilegs von jedweden administrativen Maßnahmen, zu denen der Mitgliedstaat durch die Richtlinie verpflichtet ist, auf diejenigen, die das Schutzgebiet entwickeln.198 Führt man sich vor Augen, welche Maßnahmen ein Schutzgebiet entwickeln, wird deutlich, dass trotz dieses Ergebnisses weiterhin ein breites Maßnahmenspektrum erfasst ist. Dabei ist auch das Aufstellen der Erhaltungsziele selbst als wesentlicher Teil der Maßnahmenentwicklung freigestellt. Die Behörde kann sich bei der Auswahl von Erhaltungszielen in Form einer Optimierung des Gebietes sogar gegen andere Lebensraumtypen und Arten entscheiden.199 Den darauffolgenden Erhaltungsmaßnahmen wird dann ebenfalls eine Gebietsverträglichkeit unterstellt, die sich in der Privilegierung dieser äußert.200 Dem Zweck der Gebietsentwicklung entsprechen neben den Erhaltungsmaßnahmen außerdem die Vermeidungsmaßnahmen. Auch Vermeidungsmaßnahmen können bestimmte, ausgewählte Erhaltungsziele fördern und schützen. Sie könnten nach Sinn und Zweck des Gebietsverwaltungsprivilegs demnach ebenfalls unter den Begriff der „Verwaltungsmaßnahme“ fallen.201 Auch zeigt sich, dass die betreffenden Maßnahmen in ihrer ganzen Bandbreite von Festlegung bis Durchführung erfasst sind. Die klassischen Auslegungsmethoden vermögen dem Terminus der „Verwaltung“ des Gebietes nur beschränkt Kontur zu verleihen. Es wird vielmehr deutlich, dass neben Erhaltungsmaßnahmen auch andere Maßnahmen der Gebietsverwaltung unterfallen könnten, da weder Wortlaut noch Telos einen gegenteiligen Schluss zulassen. Insbesondere da es sich beim Gebietsverwaltungsprivileg um eine Ausnahmebestimmung handelt, ist die Unbestimmtheit der Bezeichnung der „Verwaltung“ und damit der erfassten Maßnahmen kritisch zu beurteilen. Er ist von Seiten des Unionsgesetzgebers nicht definiert worden und konnte trotz jahrzehntelanger Anwendung bisher keine ausreichende Kontur gewinnen.

198  Im

Ergebnis ebenso Lau, NuR 2020, 542, 542. Natura 2000, S. 77; Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 26; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 19. 200  Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 26. 201  Vermeidungsmaßnahmen ebenfalls unter das Gebietsmanagement fassend BVerwGE 158, 1, 70; Lau, NuR 2020, 542, 542. 199  Gellermann,

124

Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

(2) Schädigende Verwaltungsmaßnahmen Fraglich ist die Einordnung einer Maßnahme als Verwaltungsmaßnahme insbesondere bei denjenigen Maßnahmen, die, obwohl sie Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL oder Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verkörpern, andere Schutzgüter des Gebietes beeinträchtigen. So kann etwa eine regelmäßige Mahd eine blütenreiche Wiese202 fördern, bei einigen Arten aber Störwirkungen hervorrufen. Die Gründe für einen Widerspruch einer solchen Erhaltungsmaßnahme und eines Erhaltungsziels sind vielfältig. Die vorher festgelegten Erhaltungsziele können beispielsweise nicht ausreichend detailliert priorisiert worden sein. Die Mitgliedstaaten haben es in diesem Fall versäumt, in den Erhaltungszielen festzulegen, ob an Ort und Stelle das Erhaltungsziel der blütenreichen Mähwiese oder die betreffende Tierart zu fördern ist. Ein weiterer Konflikt zwischen Erhaltungszielen und Erhaltungsmaßnahmen kann aufgrund von fachlich strittigen Maßnahmen oder mangelnder Flächenverfügbarkeit auftreten.203 So kann es etwa für ein Schutzgebiet umstritten sein, ob Fällmaßnahmen notwendig sind oder sich gar schädigend auf Waldlebensraumtypen auswirken. Die Folge solcher fehljustierter Maßnahmen kann sein, dass ihre positive Wirkung auf ein Erhaltungsziel ausbleibt. Wie sich das Gebietsverwaltungsprivileg auf die Beurteilung dieser mög­ licherweise schädigenden Maßnahmen auswirkt, wird unterschiedlich beurteilt. Im Kern geht es um die Frage, ob schädigende Maßnahmen als Verwaltungsmaßnahmen im Sinne des Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL eingestuft werden können. (a) Umstrittene Reichweite des Verwaltungsbegriffs In der Literatur wird das Gebietsverwaltungsprivileg umfassend interpretiert und als unwiderlegliche Vermutung für die Gebietsverträglichkeit von Maßnahmen verstanden, die auch bei möglichen Schäden für das Gebiet greift.204 Der Europäische Gerichtshof scheint hingegen Maßnahmen, die (auch) schädigende Auswirkungen auf das Gebiet haben, grundsätzlich nicht als Verwaltungsmaßnahmen im Sinne des Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL zu klas202  Z. B.

LRT 6510, vgl. Anhang I FFH-RL. hierzu Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 255. 204  Lau, NuR 2020, 542, 542; Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 26; Frenz, in: Frenz/ Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG, § 34 Rn. 9; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 72. EL 2014, § 34 Rn. 15; Gellermann, Natura 2000, S. 77. 203  Siehe



A. Die Erhaltungsmaßnahmen125

sifizieren.205 Er verweist auf die Erhaltungsziele, die Konflikte zu entscheiden und nachranginge Erhaltungsziele zurückzustellen hätten. So könnten Maßnahmen der Verwaltung, die diese Ziele umsetzen, grundsätzlich keine schädigende Wirkung entfalten.206 Auch, wenn der Gerichtshof in den betreffenden Entscheidungen die Einschlägigkeit der Privilegierung im Ergebnis zu Recht ablehnte, sei angemerkt, dass die Annahme, jede Verwaltungsmaßnahme sei mit den Erhaltungszielen optimal abgestimmt, die Realität nicht wirklichkeitsgetreu abbildet.207 Daher beruht die Auslegung des Europäischen Gerichtshofs auf einer unzutreffenden Prämisse. Dies soll unter (b) dargestellt werden. Unter (c) wird darüber hinausgehend untersucht, ob die Vorgehensweise des Europäischen Gerichtshofs dogmatisch plausibel ist, um schließlich abschließend Stellung zu der Frage zu nehmen, ob schädigende Maßnahmen unter den Begriff der „Verwaltung“ zu subsumieren sind. (b) U  nzureichende Problembewältigung durch Priorisierung von Erhaltungszielen Wie ein Konflikt zwischen Erhaltungszielen entsteht und warum dieser nicht immer auf der Planungsebene gelöst werden kann, ist Gegenstand der folgenden Überlegungen. Dass eine Verwaltungsmaßnahme einem Erhaltungsziel dient und ein anderes beeinträchtigt, ist im Regelfall auf sich bereits widersprechende Erhaltungsziele zurückzuführen.208 Konflikte treten andernfalls spätestens auf, wenn die Naturschutzbehörden die Verwaltungsmaßnahmen festlegen.209 Dies kann an einem Beispiel verdeutlicht werden. Im Falle eines Entwicklungsplanes einer Flussaue können sich exemplarisch die Lebensraumtypen der Glatthaferwiese210 und des Auenwaldes211 als Ziellebensraumtypen kon­ fligierend gegenüberstehen. Bei der Festsetzung der Erhaltungsziele sollte, wenn möglich, eine Zielplanung für das Gebiet entwickelt werden, die bereits entscheidet, auf welcher Fläche welcher Lebensraumtyp entstehen soll und 205  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 218, 123 f., 126 f.; Urt. v. 21.7.2016, C-387/15 u. 388/15, Rn. 38; Urt. v. 4.3.2010, C-241/08 Rn. 50–55; dies ebenfalls anzweifelnd Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 528 f. 206  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 126, 173; Urt. v. 4.3.2010, C-241/08 Rn. 53. 207  Vgl. wohl aus diesem Grund auch GA Kokott, Schlussanträge v. 25.6.2009, C-241/08, Nr. 71. 208  Vgl. EuGH, Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 52. 209  Niederstadt, Leitfaden Ausweisung von Schutzgebieten für das Schutzgebietsnetz Natura 2000, S. 30. 210  LRT 6510. 211  Bspw. LRT 91E0* oder 91F0.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

diese Anteile parzellengenau aufführt.212 Nur so können die verschiedenen Erhaltungsziele – sowohl Glatthaferwiese als auch Auenwald wiederherzustellen – sinnvoll verfolgt werden. Aus diesem Grund weist der Europäische Gerichtshof darauf hin,213 vornehmlich bei standardmäßig auftretenden Zielkonflikten seien diese verbindlich bereits auf der Ebene der Erhaltungsziele aufzulösen.214 In der Folge subsumiert er Maßnahmen, die einem Erhaltungsziel dienen, aber einem anderen widersprechen, nicht unter die „Verwaltung des Gebietes“ im Sinne des Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL.215 Dies ist jedoch abzulehnen. Denn es besteht die Möglichkeit, dass beide Erhaltungsziele für den Gebietsbestandteil erhalten bleiben.216 Dies ist selbst dann denkbar, wenn man den Faktor der Nachlässigkeit außer Acht lässt. Insbesondere verschiedene Arten können nebeneinander und gleichzeitig Zielart eines Gebietes sein, auch wenn einzelne Erhaltungsmaßnahmen der einen Art dienen und der anderen schaden. Folglich kann es beispielsweise zweckmäßig sein, die Erhaltungsziele nur für den Zweifelsfall, dass nicht beide Ziele verfolgt werden können, gegeneinander abzuwägen und zu priorisieren. Bleiben trotz Priorisierung eines Ziels beide widerstreitenden Erhaltungsziele für das Gebiet bestehen, sollte diesem Umstand anschließend auf der Maßnahmenebene Rechnung getragen werden. Auch das partiell zurückgestellte Erhaltungsziel kann eine nicht zu verleugnende Wichtigkeit aufweisen, die dadurch ausgedrückt wurde, dass der Mitgliedstaat es zwar gegenüber einem anderen Ziel zurückgestellt, es jedoch nicht gänzlich aufgehoben hat. Gegebenenfalls stehen beide Lebensraumtypen oder Arten sogar in einem notwendigen Wechselspiel; sie könnten etwa voneinander abhängen und die Nachbarschaft des anderen benötigen. Zwar besteht im angesprochenen Beispiel womöglich eine größere Notwendigkeit, den Auenwald zu entwickeln, die Glatthaferwiesen am Rande des Auenwaldes stellen aber ebenfalls ein wichtiges Biotop dar. Die Erhaltungsziele entscheiden im Idealfall parzellengenau, welcher Lebensraumtyp vorzuziehen ist. Ein echter Konflikt tritt hier nur durch die begrenzte Flächenverfügbarkeit auf. Ziel der Gebietsentwicklung kann es daher nicht sein, zugunsten des Auenwaldes den Glatthaferwiesentyp gänzlich aus 212  Fischer-Hüftle/Gellermann, NuR 2018, 602, 606; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 100; Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 89. 213  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 126, 173; Urt. v. 4.3.2010, C-241/08 Rn. 53. 214  EuGH, Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn.  53; GA Kokott, Schlussanträge v. 25.6.2009, C-241/08, Nr. 43, 71; Fischer-Hüftle/Gellermann, NuR 2018, 602, 606; Schumacher/Schumacher, Naturschutz und Landschaftsplanung 2020, 242, 243. 215  Siehe bereits unter Kap. 3 A. V. 1. aa) (2). 216  Anders insofern EuGH, Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 53 sowie GA Kokott, Schlussanträge v. 25.6.2009, C-241/08, Nr. 43, 71.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen127

dem Gebiet zu verbannen; stattdessen ist es im Hinblick auf die Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes dieser Lebensraumtypen angezeigt, beide Zielarten gegenüber anderen Flächennutzungen durchzusetzen. Setzt die Schutzerklärung diese Vorstellung um, zeigt sie deutlich, dass eine Maßnahme, die Auenwald statt Glatthaferwiese umsetzt, nicht vollumfänglich der Zielvorgabe entspricht, auch wenn der Auenwald gegenüber den Glatthaferwiesen im Zweifel vorzugswürdig ist. Stattdessen sind aus Sicht des Erhaltungskonzepts, das beide Lebensraumtypen als Ziel nennt, Erhaltungsmaßnahmen zu wählen, die nicht beide Lebensraumtypen gegeneinander ausspielen, sondern sie auf noch nicht besetzten oder anders genutzten Flächen umsetzen. Konflikte entstehen außerdem aufgrund unvorhergesehener Ereignisse. Ein Konflikt tritt möglicherweise erst durch bestimmte Maßnahmen zu Tage und die Erhaltungsziele erweisen sich als nicht flexibel genug. Es ist bei aller Weitsicht und Flexibilität des Bewirtschaftungsplanes nicht möglich, jeden Zielkonflikt bereits auf der Ebene der Erhaltungsziele zu entscheiden. Gegebenenfalls wird man bestimmte Zielkonflikte erst nach einiger Zeit bemerken, oder es treten neue, nicht vorhersehbare Bedrohungssituationen, wie etwa ein neuartiger Schädling, auf, die zu Konflikten führen. Die Realität der Bewirtschaftungsplanung zeigt außerdem, dass die Erhaltungsziele bislang nicht parzellengenau ausgearbeitet sind. Bisher ist es auch nicht allen Mitgliedstaaten gelungen, gebietsspezifische Erhaltungsziele gemäß den Vorgaben der Richtlinie einzuführen.217 Zudem sind viele Erhaltungsziele allgemein und nicht ausreichend operationalisierbar gestaltet. Bei allgemein gehaltenen Erhaltungszielen ohne parzellengenaues Gesamtkonzept treten zwangsläufig Widersprüche zu anderen Erhaltungszielen auf. Insofern ist es derzeit noch nicht möglich, Verwaltungsmaßnahmen zu entwickeln, die parzellenscharf der Priorisierung von Erhaltungszielen entsprechen. Die entsprechenden parzellenscharfen Erhaltungsziele sind womöglich nicht vorhanden. Verwaltungsmaßnahmen, die ein Erhaltungsziel fördern, aber ein anderes entgegen den Zielbestimmungen im Gebiet schädigen, bleiben damit in der Praxis bedeutsam. Es sind bisher kaum Maßnahmenkonzepte vorhanden, die so differenziert ausgestaltet wurden, dass sie als operationalisierbare Grundlage für das Gebietsmanagement dienen können. Der Europäische Gerichtshof setzt voraus, dass eine Gesamtkonzeption vorhanden ist, die vorgibt, an welchen Standorten bestimmte Maßnahmen ein konkretes Erhaltungsziel in 217  EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C-849/19, Rn. 58 f.; Europäische Kommission, Ergänzendes Aufforderungsschreiben, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, COM(2019) 540 final, S. 12.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

einem bestimmten Maß fördern.218 Denn nur dann können die Verwaltungsmaßnahmen, die auf diesem Konzept beruhen, mit den Erhaltungszielen in Einklang stehen. Aber selbst in diesem Idealfall können verschiedene Zielarten oder -lebensraumtypen in einem notwendigen Wechselspiel stehen. Die mangelnde Flächenverfügbarkeit kann die Behörde zwingen, ein zurückgestelltes Erhaltungsziel im Gesamtkonzept beizubehalten. Überraschende Ereignisse, die nicht vorhergesehene Entwicklung des Gebietes oder bestimmte Projekte können außerdem neue Zielkonflikte herbeiführen. Der Prämisse des Europäischen Gerichtshofs, ein Konflikt zwischen Erhaltungszielen sei stets auf Ebene der Erhaltungsziele zu lösen, kann daher nicht gefolgt werden. Auch Maßnahmen, die ein Erhaltungsziel schädigen, sind als Verwaltungsmaßnahmen im Sinne des Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL einzuordnen. In Literatur und Rechtsprechung klingt daher der Vorschlag an, bei kurzfristig angesetzten Maßnahmen die Abwägung erst auf Maßnahmenebene durchzuführen und die Erhaltungsziele neu zu gewichten.219 Allerdings haben die Fachbehörden die Erhaltungsziele meist zumindest grob abgestimmt und ein Konzept entwickelt, sodass der Vorschlag dieser Abstimmung nachträglich jede Geltungskraft rauben würde.220 Bei jeder Maßnahme würden die Erhaltungsziele neu gewichtet und gegeneinander abgewogen, ohne dass die Abwägungsentscheidung einer Überprüfung zugänglich wäre. Stattdessen ist auf die bereits festgesetzten Erhaltungsziele zurückzugreifen. Diese sind bestmöglich auszulegen. Bei Zweifeln ist im Sinne des Vorsorgeprinzips eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen. Sollte der genannte Vorschlag, sich von den festgesetzten Erhaltungszielen zu lösen, dem Gedanken entspringen, dass zahlreiche Erhaltungsziele noch nicht priorisiert oder überhaupt ausdifferenziert wurden,221 ist dennoch zu fordern, dass eine dogmatische Lösung auch für den anzustrebenden Fall anwendbar ist, dass ausdifferenzierte, operationalisierbare Erhaltungsziele festgelegt wurden. (c) E  inschränkende Auslegung im Rahmen der richterlichen ­Rechtsfortbildung Der Europäische Gerichtshof schränkt auf seiner zuvor erwähnten Prämisse aufbauend den Begriff der „Verwaltungsmaßnahme“ ein. Als Anwen218  Vgl. EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 126, 173; Urt. v. 4.3.2010, C-241/ 08 Rn. 53. 219  OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 35; Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 259; vgl. ebenfalls ablehnend auch Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 529. 220  Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 529. 221  Siehe hierzu Vertragsverletzungsverfahren Kommission/Deutschland Nr. 2262/ 2014.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen129

dungsbereich des Gebietsverwaltungsprivilegs verbleiben nach seiner Ansicht lediglich ausschließlich positiv wirkende Maßnahmen. Negativ wirkende Maßnahmen, die das Schutzgebiet gleichzeitig beeinträchtigen, fallen nach Ansicht des Gerichtshofs nicht unter die Gebietsverwaltung.222 Als Beispiel kann eine vielzitierte Entscheidung des Gerichtshofs in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich dienen. Hier wies er als Gegenargument zur Qualifikation der gewerblichen Salzproduktion als Verwaltungsmaßnahme in einem Schutzgebiet darauf hin, dass zwar einige Arten durch die Salzgewinnung gefördert würden, andere aber Schaden nähmen.223 Da Schutzgüter des Gebiets beeinträchtigt würden, könne es sich nach Ansicht des Gerichtshofs daher nicht um eine Verwaltungsmaßnahme handeln. Aus welchem Grund dieser Auslegung des Europäischen Gerichtshofs nicht gefolgt werden kann, soll nun dargestellt werden. Lediglich positiv wirkende Maßnahmen über die Auslegung des Begriffs der Verwaltungsmaßnahme einbeziehen zu wollen, beruht, wie zuvor dargestellt, auf der unzutreffenden Annahme, die Maßnahmenplanung in den Mitgliedstaaten sei vollständig und präzise durchgeführt worden. Zusätzlich sind etwa unvorhergesehene Ereignisse möglich, die im Zielkonzept bisher nicht abgebildet sind. Zum anderen ist ein Verständnis der Richtlinie, nach dem Maßnahmen der Verwaltung, die neben ihrer positiven Wirkung auf Erhaltungsziele auch negative Effekte haben, nicht als Verwaltungsmaßnahme zu qualifizieren, auch aus dogmatischer Sicht problematisch. Die Auslegung des Europäischen Gerichtshofs ist als teleologische Reduktion des Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL zu verstehen. Er schränkt den weiten Wortlaut zugunsten eines vermeint­ lichen Zwecks der Vorschrift ein. Diese Auslegung stößt hier jedoch an die Grenzen des Wortlauts.224 Wie bereits ausführlich dargestellt, ist der Begriff der „Verwaltungsmaßnahme“ seiner wörtlichen Bedeutung nach ein weiter Begriff, der alle Managementmaßnahmen einschließt, die das Gebiet entwickeln.

222  Vgl. EuGH Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 123, 126; Urt. v. 4.3.2010, C-241/08 Rn. 52, 56; so im Ergebnis auch Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 528, 530; Schumacher/Schaper, ­EurUP 2021, 88, 92; so auch OVG Weimar, Beschl. v. 2.7.2020, 1 EO 150/20, Rn. 37; Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S. 16; vgl. auch Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, § 33 Rn. 47. 223  EuGH, Urt. v. 4.3.2010, C-241/08 Rn. 52. 224  Vgl. allgemein zu den Grenzen der Auslegung Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 10. Kap. § 78; vgl. auch EuGH zu den Grenzen der Auslegung für die nationalen Gerichte Urt. v. 4.7.2006, C-212/04, Rn. 110.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Die Auslegung des Europäischen Gerichtshofs würde außerdem zu einem Widerspruch führen. Der Gerichtshof geht scheinbar davon aus, das Gebietsverwaltungsprivileg habe ausschließlich zum Zweck, rein positiv wirkende Maßnahmen von der Verträglichkeitsprüfung zu befreien. Die Privilegierung differenziert ihrem Wortlaut nach aber nicht und stellt, ausgehend von der Vermutung, dass Verwaltungsmaßnahmen das Gebiet im Ergebnis nicht erheblich beeinträchtigen, diese auch in zweifelhaften Fällen von einer Verträglichkeitsprüfung frei.225 Wenn die Vermutung nur bei erwiesen unschädlichen Maßnahmen greifen würde, liefe sie ins Leere.226 Denn dann müsste der Maßnahmenträger die Unschädlichkeit einer Maßnahme beweisen, um von einer Verträglichkeitsprüfung befreit zu werden, die eben jenen Beweis zum Gegenstand hat. Es kann somit nicht ursprünglicher Sinn und Zweck des Privilegs sein, ausschließlich positiv wirkende Maßnahmen zu befreien. Eine teleologische Reduktion verhindert in diesem Fall – dogmatisch gesehen – kein vom Gesetzgeber nicht angestrebtes Ergebnis, sondern führt zu einem sinnwidrigen Zirkelschluss. Des Weiteren kann gegen diese, nur ausschließlich positiv wirkende Maßnahmen als Verwaltungsmaßnahmen klassifizierende Auslegung ein systematisches Argument eingewandt werden. Die Privilegierung stellt eine Anwendungsausnahme von der Pflicht zur Prüfung auf Gebietsverträglichkeit für Pläne und Projekte dar. Das Gebietsverwaltungsprivileg nimmt „Pläne und Projekte“, die unmittelbar der Verwaltung des Gebietes dienen, von einer Verträglichkeitsprüfung aus. Nach dem wirkungsbezogenen Projektbegriff qualifiziert die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Erhaltungsziele im Schutzgebiet ein Vorhaben als Projekt. Daher ist der Verwaltungsmaßnahme als „Projekt“ eine mögliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele immanent. Der Europäische Gerichtshof versucht offenbar, ergebnisorientiert die Bestimmung entgegen ihrem Wortlaut auszulegen. Allerdings ist dieses Ergebnis nicht über eine einschränkende Auslegung des Verwaltungsbegriffs erreichbar, da eine solche zu dogmatischen Widersprüchen führt. Es sind den vorigen Ausführungen folgend auch möglicherweise schädigende Verwaltungsmaßnahmen denkbar, die unter das Gebietsverwaltungsprivileg fallen.

NuR 2016, 21, 26; Albrecht/Gieß, NuR 2014, 235, 240. NuR 2020, 542, 543.

225  Meßerschmidt, 226  Lau,



A. Die Erhaltungsmaßnahmen131

bb) Bisher konturlos gebliebene Begriffe der Unmittelbarkeit und Notwendigkeit Neben dem Begriff der „Verwaltung“ prägen weitere Tatbestandsmerkmale die Privilegierungsbestimmung. Das Gebietsverwaltungsprivileg aus Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL erstreckt sich nur auf Maßnahmen, die unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür notwendig sind. Es privilegiert Maßnahmen, die für die Gebietsverwaltung notwendig sind oder zumindest zu dieser in einem engen Zusammenhang stehen. Es ist fraglich, ob diese Kriterien ausreichend sicherstellen, dass keine schädigenden Verwaltungsmaßnahmen durchgeführt werden. (1) Umstrittene Bedeutung der Unmittelbarkeit Zunächst soll nun das Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit genauer untersucht werden. Es soll Maßnahmen ausschließen, die nur zufällig oder indirekt mit den Erhaltungszielen zusammenfallen. Daher qualifiziert die bloße Vereinbarkeit einer Tätigkeit mit den Erhaltungszielen sie noch nicht als unmittelbar mit der Verwaltung in Verbindung stehend.227 Exemplarisch ist die extensive Grünlandbewirtschaftung durch einen Landwirt im Gebiet zu nennen, die nicht eigens als Erhaltungsmaßnahme angesetzt wurde, sondern nur zufällig den gewünschten Lebensraumtypen zuträglich ist. Selbst Tätigkeiten, die die Erhaltungsziele fördern, sind damit nicht per se privilegiert.228 Um unmittelbar mit der Verwaltung in Verbindung zu stehen, muss nach den Ausführungen von Generalanwältin Kokott ein enger Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und der Gebietsverwaltung bestehen.229 Meßerschmidt verlangt, die Relation zwischen Tätigkeit und Verwaltung sei so eng bemessen, dass lediglich der Kernbereich der Gebietsverwaltung vom Privileg erfasst sei.230 Die erwähnten Voraussetzungen lassen allerdings eine klar abgrenzbare Schwelle missen. Es gilt zu bestimmen, ob das in Frage stehende Projekt eine die Erhaltungsziele umsetzende Verwaltungsmaßnahme darstellt und von der zuständigen Behörde entsprechend vorgesehen wurde. Weder der „enge Zusammenhang“ zwischen Tätigkeit und Gebietsverwaltung noch der „Kernbereich der Gebietsverwaltung“ lassen eindeutige Schlüsse für den 227  EuGH, Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 51; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GKBNatSchG, § 34 Rn. 46. 228  EuGH, Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 52. 229  GA Kokott, Schlussanträge v. 25.6.2009, C-241/08, Rn. 72. 230  Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 27.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Einzelfall zu. Tatsächlich ist es, auch in Ansehung der immer wieder betonten restriktiven Auslegung der Anwendungsausnahme nur zielführend, einer Mindermeinung folgend ausschließlich Maßnahmen als unmittelbar mit der Verwaltung in Verbindung stehend zu qualifizieren, die Teil der Managementplanung im Gebiet sind.231 Folgt man dieser restriktiven Auffassung, müsste die extensive Grünlandbewirtschaftung des genannten Beispiels im Bewirtschaftungsplan vorgesehen sein, um als unmittelbar der Verwaltung des Gebietes dienend eingestuft zu werden. Der einschränkenden Auslegung des Unmittelbarkeitskriteriums wird zuweilen entgegen gehalten, dass de lege lata keine Pflicht zur Bewirtschaftungsplanung bestehe.232 Dieser Einwand kann sich aber nur auf den Bewirtschaftungsplan als Instrumentarium beziehen. Dass Erhaltungsmaßnahmen festzulegen und durchzuführen sind, steht außer Frage. Den Erhaltungsmaßnahmen liegt daher immer ein Konzept zugrunde, auch wenn dieses nur aus den Entscheidungen der zuständigen Behörde zu bestimmten Maßnahmen bestehen mag. Insofern ist die Ansicht vorzugswürdig, die das Kriterium der Unmittelbarkeit eng auslegt. Damit eine Maßnahme unmittelbar der Verwaltung des Gebietes zuzuordnen ist, muss die Maßnahme eindeutig diesem Konzept zuzuordnen sein. Wenn eine fragliche Tätigkeit nicht im Konzept der zuständigen Behörde auftaucht, wurde sie nicht ursprünglich zur Gebietserhaltung vorgesehen und auch nicht dementsprechend validiert. Nur Maßnahmen, die die Naturschutzbehörde als Maßnahmen im Rahmen des Gebietsmanagements vorgesehen hat und die dementsprechend auch aus hierzu bestimmten Mitteln finanziert werden, erfüllen das Kriterium der Unmittelbarkeit.233 Geben Erhaltungsziele und Bewirtschaftungsplan keine passgenaue Auskunft, sind sie auszulegen. Das Erfordernis eines detaillierten, mit den Erhaltungszielen abgestimmten Bewirtschaftungsplanes, der alle bekannten ökologischen Erfordernisse nennt, gewinnt erneut an Bedeutung. (2) Weite Auslegung der Notwendigkeit Neben dem von der Richtlinie geforderten engen, unmittelbaren Zusammenhang einer Tätigkeit zur Gebietsverwaltung beinhaltet die Privilegierungs231  Mühlbauer, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel (Hrsg.), Naturschutzrecht, § 34 Rn. 4; a. A. Lau, NuR 2020, 542, 543; a. A. auch Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 526, 528. 232  Lau, NuR 2020, 542, 543; siehe auch Cortina/Boggia, Journal of Environmental Management 2014, 138, 138 ff. 233  Vgl. Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et  al., NaBiV 140, S.  255 f.; Czybulka, ­EurUP 2016, 276, 286 f.; Fischer-Hüftle, ­EurUP 2021, 42, 45 f.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen133

bestimmung in Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL auch eine funktionale Komponente.234 Diese funktionale Komponente wird durch das Kriterium der Notwendigkeit normiert, sodass Maßnahmen nur unter das Gebietsverwaltungsprivileg fallen, wenn sie für die Verwaltung des Gebietes notwendig sind. Das Kriterium der Notwendigkeit schließt zum einen, ebenso wie der unmittelbare Zusammenhang einer Tätigkeit zur Gebietsverwaltung, den Naturschutzmaßnahmen aufgesattelte Tätigkeiten aus, sodass Maßnahmen, die nicht der Verwirklichung der Erhaltungsziele dienen, einer Verträglichkeitsprüfung bedürfen und nicht privilegiert sind. In diesem Sinne schlägt das Erfordernis der Notwendigkeit in dieselbe Kerbe wie der geforderte unmittelbare Zusammenhang zur Verwaltung des Gebietes. So ist etwa die kommerzielle Holzertragswirtschaft nicht freigestellt, auch wenn einzelne Arbeiten den Erhaltungszielen dienen. Zum anderen dient das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit aber auch der Qualitätssicherung der Managementmaßnahmen. Zum Zwecke der Qualitätssicherung wird angenommen, dass es nicht ausreicht, dass die Behörde eine Maßnahme zur Umsetzung der Erhaltungsziele vorgesehen hat. Vielmehr muss die Maßnahme nach allgemeiner Ansicht zumindest geeignet sein, das Erhaltungsziel umzusetzen, um für die Verwaltung des Gebiets „notwendig“ zu sein.235 Das Verwaltungsprivileg beschränkt sich zwar nicht auf unabdingbare Maßnahmen. Ziel ist es, auch sonstige förderliche, unbedenkliche Maß­ nahmen freizustellen.236 Auch umfasst die Privilegierung kein Gebot, stets die wirksamste Verwaltungsmaßnahme einzusetzen.237 Allerdings muss die Nützlichkeit der Maßnahme feststehen.238 Das Gebietsverwaltungsprivileg schließt daher über das Kriterium der Notwendigkeit zumindest Maßnahmen aus, die ein Erhaltungsziel schädigen, statt es zu fördern. Das Telos der Bestimmung verdeutlicht, dass zwar nicht ausschließlich unverzichtbare Maßnahmen oder ausschließlich die nützlichsten Maßnahmen erfasst sind, allerdings jede privilegierte Maßnahme die Erhaltungsziele umsetzen muss.239 NuR 2016, 21, 26; Lau, NuR 2020, 542, 542. in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 258. 236  A. A. Fischer-Hüftle, ­EurUP 2021, 42, 46; dass auch „nur“ nützliche Maßnahmen als Verwaltungsmaßnahmen angesetzt werden können, ist zu trennen von der Frage, dass diese zu dem Zweck der Gebietserhaltung festgelegt worden sein müssen – dies wird hier ebenso vertreten. 237  Die Wahl der Maßnahmen steht stattdessen im Ermessen des Mitgliedstaates, Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen, S. 3; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 32 Rn. 103. 238  Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 258. 239  Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 26. 234  Meßerschmidt, 235  Bernotat,

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

An diese Erkenntnis schließen sich weitere Fragestellungen an. Inwieweit muss der Nachweis der Nützlichkeit erbracht werden? Wie ist bei Zweifeln an der Zuträglichkeit der Maßnahme für das Erhaltungsziel zu verfahren? Die zugrundeliegenden Erhaltungsziele bilden den Maßstab für den Nutzen einer Maßnahme. Die Frage, ob eine Maßnahme die Erhaltungsziele fördert, ist zwar eine naturschutzfachliche, es sind jedoch einige rechtliche Parameter vorgegeben. Ein mit dem Sachverhalt betrautes Gericht muss daher weder die Unabdingbarkeit einer Maßnahme feststellen noch den genauen Nutzen messen. Im Zulassungsverfahren müssen die positiven Effekte der Maßnahme nachgewiesen sein.240 Es kann allerdings fachlich strittig sein, ob eine Maßnahme ein Erhaltungsziel fördert. Dabei sollte im Zweifelsfall gegen eine Privilegierung entschieden werden.241 Die Maßnahme könnte das Erhaltungsziel möglicherweise gefährden und eine Verträglichkeitsprüfung ist im Zweifelsfall durchzuführen. Die bereits skizzierten, allgemeinen Vorgaben des Vorsorgeprinzips sind anzuwenden. Bisher weitgehend ungeklärt ist allerdings die Frage, ob eine Verwaltungsmaßnahme noch „notwendig“ ist, wenn die Maßnahme ein Erhaltungsziel fördert, aber andere Erhaltungsziele beeinträchtigt. Wie festgestellt, kann ein Konflikt zwischen verschiedenen Erhaltungszielen auch nach erfolgter Priorisierung auftreten oder die Erhaltungsziele sind unzureichend und geben keine Auskunft, wie ein Konflikt zu lösen ist. Ein überwiegender Teil der Literatur geht daher davon aus, dass auch möglicherweise gleichzeitig schädigende Verwaltungsmaßnahmen als notwendig eingestuft werden können, sofern sie ein Erhaltungsziel nachweislich fördern.242 Dementsprechend könnte etwa die Glatthaferwiese zu Gunsten des Auenwaldes im Gebiet reduziert werden, wenn die Erhaltungsziele keine passgenaue Auskunft geben, ohne dass die Maßnahme einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen wäre. Teilweise wird immerhin vertreten, in einem solchen Fall sei die Lage zu evaluieren und eine Maßnahme zu wählen, die möglichst wenig Schaden anrichte.243 Dieser Befund zeigt auf, dass auch das Kriterium der Notwendigkeit bisweilen nicht sicherstellt, dass die Gebietsverwaltungsmaßnahmen keine wei240  Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 526; vgl. EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 170; vgl. auch EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-141/14, Rn. 58; Urt. v. 24.11.2011, C‑404/09, Rn. 142. 241  Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 529. 242  Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 72. EL 2014, § 34 Rn. 15; Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 26; Gellermann, Natura 2000, S. 77. 243  Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 259; hier wird die Auffassung vertreten, dass die nicht formalisierte Konformitätsprüfung diese Anforderung nicht zuverlässig umsetzen kann.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen135

teren Erhaltungsziele beeinträchtigen. Der Konflikt besteht insbesondere, wenn mehrere Erhaltungsziele einander an Ort und Stelle widersprechen. Es ist dringend geboten, die Erhaltungsziele operationalisierbar auszugestalten und erforderliche, vorhersehbare Konflikte durch eine parzellenscharfe Priorisierung der Erhaltungsziele zu entscheiden. Aufgrund der Tatsache, dass auch kurzfristige Konflikte auftreten können oder Schutzgüter von einer gegenseitigen Konkurrenz abhängig sind, ist die Privilegierungsbestimmung nicht nur aufgrund des aktuellen Stands der Erhaltungsziele, sondern grundsätzlich kritisch zu bewerten. Sie ermöglicht, dass Verwaltungsmaßnahmen, von deren positiver Wirkung der Gebietsschutz abhängig ist, im Gegenteil schädigend wirken. (3) Mischpläne Da Bewirtschaftungspläne, die Verwaltungsmaßnahmen enthalten, auch als integrierter Teil eines anderen Plankonzepts erstellt werden können,244 taucht regelmäßig die Fragestellung auf, wie mit solchen „Maßnahmenpaketen“ oder „Mischplänen“ zu verfahren ist und ob auch diese von einer Verträglichkeitsprüfung freigestellt sind. Zudem werden in einem zweiten Schritt Durchsetzungsmechanismen, wie Verträge mit den Nutzern des Schutzgebietes, oft mit anderen Bestandteilen des Mischplans kombiniert. Nach herrschender Meinung ist richtigerweise bei allen Formen von Maßnahmenpaketen und Mischplänen zu beachten, dass lediglich der unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehende Teil von einer Verträglichkeitsprüfung befreit sein kann.245 Jegliche Pläne und Vorhaben, die nicht zum mit den Erhaltungszielen abgestimmten Bewirtschaftungsplan gehören oder diesen durch- oder umsetzen, sind auf ihre Verträglichkeit mit dem Schutzgebiet zu überprüfen.246 Ein klassisches Beispiel für Mischpläne sind Forstbetriebspläne, in die ein Bewirtschaftungsplan zum Waldlebensraum eingebettet wird. Der wirtschaftliche Teil des Forstbetriebsplanes bleibt prüfpflichtig.247 Umgekehrt sind auch Elemente eines Bewirtschaftungsplanes, die nicht ausschließlich der Umsetzung der Erhaltungsziele dienen und 244  Vgl. Art. 6 Abs. 1 FFH-RL, zu den Vorteilen siehe EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, S. 10. 245  Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFHRichtlinie 92/43/EWG, S. 16; OVG Bautzen, Beschl. v. 9.6.2020, 4 B 126/19, Rn. 73. 246  Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 93; Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 89; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 26. 247  Siehe zur Projekteigenschaft eines Forstbetriebsplanes Lukas/Schröter, Naturschutz und Landschaftsplanung 2022, 36, 37.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

dem Bewirtschaftungsplan somit angehängt wurden, auf ihre Gebietsverträglichkeit zu überprüfen.248 Ob eine im Mischplan der für die Gebietsverwaltung zuständigen Behörde vorgesehene Maßnahme unmittelbar der Verwaltung dient oder dem prüfpflichtigen Teil zugeordnet werden muss, entscheiden der Zweck und die Bestimmung der Maßnahme.249 Ist ihr Ziel ein für das Gebiet benanntes Erhaltungsziel und ist sie für diesen Zweck vorgesehen, handelt es sich um eine unmittelbar der Verwaltung dienende Maßnahme. Nebenzwecke sind dabei insofern unschädlich, als dass eine final angesetzte Maßnahme, die ein Er­ haltungsziel verwirklichen soll, gleichzeitig andere Zwecke verwirklichen kann.250 Enthält die Tätigkeit jedoch Elemente oder Modalitäten, die nicht ohne Zwischenschritte der Umsetzung der Erhaltungsziele zugeordnet werden können, ist sie der Verträglichkeitsprüfung zu unterwerfen. Die Finalität ist entscheidend. Die gewerbliche Salz- oder Holzproduktion, die einige ­Arten und Lebensraumtypen bewahrt, ist exemplarisch über diesen erhaltenden Teil hinaus rein gewerblicher Natur und damit nicht privilegiert.251 Gleiches gilt etwa für die Landwirtschaft zum Zwecke der Nahrungsmittelerwirtschaftung. Da es in Deutschland insbesondere bei der Verwaltung der Waldlebensräume üblich ist, diese den staatlichen Forstbetrieben zu überlassen – in Nordrhein-Westfalen stellt beispielsweise der Landesbetrieb Wald und Holz die Bewirtschaftungspläne für Gebiete auf, die hauptsächlich Wald umfassen252 – stellt sich hier im Besonderen die Frage, wie diese gemischten Forstbetriebspläne zu beurteilen sind. Dabei rückt die Problemstellung in den Fokus, ob Elemente des Plans, die nicht der Gebietserhaltung dienen, den gesamten Betriebsplan prüfpflichtig werden lassen. Teilweise wird vertreten, das Maßnahmenpaket oder den Plan in einen prüfpflichtigen und einen freigestellten Teil aufzuspalten.253 Der Gebiets­ erhaltung fremde Komponenten seien von der Erhaltungsbewirtschaftung unabhängig zu betrachten. Andere Stimmen weisen darauf hin, dass es sich 248  EuGH,

89.

Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 122 f.; Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84,

249  Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 256; Schumacher/Schumacher, Naturschutz und Landschaftsplanung 2020, 242, 242. 250  Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 29. 251  Vgl. EuGH, Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 52. 252  LANUV, Handbuch Natura 2000-Maßnahmen, S. 2 253  Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 93; Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S. 16.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen137

bei den Betriebsplänen um ein Gesamtkonzept handele, dessen Komponenten nicht isoliert betrachtet werden könnten.254 Letzterer Ansicht ist insofern beizupflichten, als dass das Gesamtkonzept eines Betriebsplanes Aufschluss über den Zweck der einzelnen Maßnahmen gibt. Zudem ist im Zweifel die Prüfpflicht eher großzügig auszulegen, als dass eine möglicherweise schädigende Maßnahme unbesehen zugelassen wird. Dies gebietet das Vorsorgeprinzip und die damit einhergehende enge Auslegung von Ausnahmebestimmungen in der FFH-Richtlinie.255 Es dürfte zudem von Interesse sein, gemischte Pläne wie die Forstbetriebspläne besonders rechtssicher zu gestalten und daher in ihrer Gesamtheit einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen,256 gerade wenn sie nicht von den Naturschutzbehörden, die üblicherweise für die Erhaltung und Wiederherstellung der Schutzgebiete zuständig sind, erlassen werden. cc) Zwischenfazit Als Zwischenergebnis lässt sich zusammenfassen, dass die Tatbestands­ voraussetzungen des Gebietsverwaltungsprivilegs ein weites Begriffsverständnis zulassen, das es ermöglicht, Maßnahmen von der Verträglichkeitsprüfung freizustellen, die sich negativ auf andere Erhaltungsziele auswirken. Die unscharfen Begrifflichkeiten der Privilegierung begünstigen zudem Missverständnisse der Freistellung in der Praxis. Dennoch kann eine einschränkende Auslegung aus dogmatischer Sicht entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht anhand des Begriffes der „Verwaltung“ geschehen. Das Kriterium der Unmittelbarkeit kann allerdings weiter konkretisiert werden und sollte entsprechend einiger Stimmen in der Literatur eng ausgelegt werden. Es ist zu fordern, dass eine Maßnahme eindeutig der Gebietsverwaltung und dem ihr zugrundeliegenden Konzept zuzuordnen ist. Eine gewisse qualitätssichernde Komponente bietet auch das Kriterium der Notwendigkeit. Dass eine Maßnahme zur Verwaltung des Gebietes notwendig ist, soll Maßnahmen ausschließen, die das anvisierte Erhaltungsziel nicht fördern. Das Kriterium vermag aber keine Verwaltungsmaßnahmen auszuschließen, die möglicherweise andere Erhaltungsziele unterlaufen. Die Privilegierungsbestimmung bietet daher keine Gewähr dafür, dass die Verwaltungsmaßnahmen ausschließlich positive Effekte auf die Schutzgüter im Gebiet haben.

254  OVG

Bautzen, Beschl. v. 9.6.2020, 4 B 126/19, Rn. 73. etwa EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 73; Urt. v. 16.2.2012, C‑182/10 Rn. 73. 256  Lukas/Schröter, Naturschutz und Landschaftsplanung 2022, 36, 37. 255  Vgl.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

b) Das überschätzte Konstrukt der „Konformitätsprüfung“ Negative Effekte auf die Schutzgüter im Gebiet lassen sich auch durch die sogenannte Konformitätsprüfung257 nicht auszuschließen. Mit der Konformitätsprüfung prüft die Behörde, die die Verwaltungsmaßnahmen erarbeitet, in einem verwaltungsinternen Prüfverfahren die Maßnahmen auf ihre Eignung zur Gebietsentwicklung. In der Praxis wird die Konformitätsprüfung außerdem genutzt, um als mit der Verträglichkeitsprüfung vergleichbare Prüfung sicherzustellen, dass Maßnahmen „mit den Zielvorgaben der Schutzgebietsausweisung vereinbar“ sind.258 Ob die Konformitätsprüfung das geeignete Instrument ist, um Schäden im Gebiet durch beeinträchtigende Verwaltungsmaßnahmen entgegenzuwirken, ist zu untersuchen. Dabei soll zunächst auf den Prüfinhalt und das Verfahren der Konformitätsprüfung eingegangen werden, um auch die Unterschiede zur Verträglichkeitsprüfung aufzuzeigen. aa) Schwächen der Konformitätsprüfung (1) Zu enger Prüfinhalt Die Konformitätsprüfung ist in der FFH-Richtlinie nicht ausdrücklich geregelt. Da aber nur privilegierte Maßnahmen keiner Verträglichkeitsprüfung bedürfen, müssen alle Maßnahmen daraufhin überprüft werden, ob sie die Tatbestandsmerkmale des Verwaltungsprivilegs in Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL erfüllen, das heißt, ob es sich um eine notwendige Verwaltungsmaßnahme handelt, die unmittelbar einem Erhaltungsziel dient.259 Diesem Ziel dient die Konformitätsprüfung. Der Begriff der „Konformitätsprüfung“ bezeichnet da­ her nichts anderes, als die behördeninterne Prüfung, ob die Tatbestandsmerkmale des Gebietsverwaltungsprivilegs in Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL vorliegen. Die Behörde untersucht innerhalb der Managementplanung die Maßnahme, um festzustellen, ob sie als Teil des Gebietsmanagements die Erhaltungsziele im Gebiet umsetzt.260 So soll eine integrierte Prüfung innerhalb des Planungsprozesses gewährleistet werden.261 Diese kann allerdings durch ihren eingeschränkten Prüfinhalt nicht ausreichend verhindern, dass Schäden an den Schutzgütern durch Verwaltungsmaßnahmen entstehen. 257  Siehe etwa OVG Bautzen, Beschl. v. 9.6.2020, 4 B 126/19, Rn. 24; in Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 254 ff. als „Kongruenzprüfung“ bezeichnet. 258  OVG Bautzen, Beschl. v. 9.6.2020, 4 B 126/19, Vortrag des Antragsstellers in Rn. 24. 259  Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 254. 260  Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 254. 261  Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 254.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen139

Während der Nachweis der Unmittelbarkeit eher einen formalen Abgleich mit dem Maßnahmenkonzept erfordert, hat die Behörde im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit zwar nachzuweisen, dass eine Maßnahme ein für das Gebiet festgelegtes Erhaltungsziel fördert. Dabei ist es aber ausreichend, dass die Maßnahme eindeutig Naturschutzinteressen im Sinne der FFH-Schutzziele262 umsetzt, um für die Gebietsverwaltung notwendig zu sein.263 Sind noch keine Erhaltungsziele und Bewirtschaftungspläne vorhanden, ist auf die Standarddatenbögen der Gebietsmeldung zurückzugreifen.264 Nur negative Auswirkungen auf dasselbe Schutzziel werden insofern relevant, da in diesem Fall eine Gesamtabwägung durchzuführen ist, ob die Maßnahme das Ziel insgesamt fördert. Eine Maßnahme kann beispielsweise zu kurzfristigen Schädigungen des Erhaltungsziels führen, indem exemplarisch Jungbäume der Zielart bei der Fällung einzelner erhaltungszielbeeinträchtigender anderer Bäume beschädigt werden. Die Maßnahme kann in ihrer Wirkung aber dennoch deutliche Verbesserungen für das Erhaltungsziel bewirken, da sich die gewünschte Art anschließend ungehindert verbreiten kann. Eine Prüfung der Maßnahme auf ihre Vereinbarkeit mit den anderen Erhaltungszielen für das Schutzgebiet muss jedoch nicht stattfinden, um das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit zu erfüllen. Die Konformitätsprüfung hat damit einen grundsätzlich anderen Prüfgegenstand zum Inhalt als die FFH-Verträglichkeitsprüfung.265 Bei der Verträglichkeitsprüfung prüft die Behörde, ob das Vorhaben mit allen für das Gebiet festgelegten Erhaltungszielen vereinbar ist und ob es insgesamt zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebietes führen könnte.266 Im Gegensatz zu der Prüfung auf Vereinbarkeit mit den Erhaltungszielen verifiziert die Konformitätsprüfung, dass nur unmittelbar der Verwaltung dienende Maßnahmen als Verwaltungsmaßnahmen durchgeführt werden. Die Konformitätsprüfung beschränkt sich darauf, die Förderung jedes einzelnen Erhaltungsziels einzuschätzen. Eine Maßnahme wird im Rahmen der Konformitätsprüfung bisher nicht standardmäßig zusätzlich darauf überprüft, ob sie andere Erhaltungs-

262  Sonstige Naturschutzmaßnahmen sind wie andere Vorhaben zu behandeln und somit prüfpflichtig. 263  Vgl. Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et  al., NaBiV 140, S. 258. 264  2018 waren erst für 55  % der deutschen FFH-Gebiete Bewirtschaftungspläne aufgestellt, Kreiser/Mayr/Barnes/Weyland, NuL 2018, 510, 511; vgl. auch Lau, in: Rehbinder/Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, § 11 Rn. 75; vgl. auch Sparwasser/Engel/Voßkuhle (Hrsg.), Umweltrecht, § 6 Rn. 236. 265  Vgl. Lau, NuR 2020, 542, 542. 266  Sparwasser/Engel/Voßkuhle (Hrsg.), Umweltrecht, § 6 Rn. 236; Lau, in: Rehbinder/Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, § 11 Rn. 75.

140

Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

ziele schädigen könnte.267 Eine vertiefte, formalisierte Prüfung der möglichen anderweitigen Schäden kann daher nicht stattfinden. (2) Mangelnde Verfahrensvorgaben Der Richtlinientext sieht die Konformitätsprüfung nicht ausdrücklich vor. Er definiert lediglich, dass ausschließlich unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehende oder hierfür notwendige Maßnahmen von der Verträglichkeitsprüfung befreit sind. Insofern setzt die Richtlinie eine Konformitätsprüfung zwar voraus, da sichergestellt werden muss, dass die Maßnahmen die Tatbestandsvoraussetzungen des Verwaltungsprivilegs auch faktisch erfüllen. Bereits die mangelnde Erwähnung der Konformitätsprüfung im Richtlinientext könnte aber problematisch sein, da nicht deutlich wird, dass diese Prüfung obligatorisch ist und was sie im Gegensatz zur Verträglichkeitsprüfung zu leisten hat und was nicht. Man kann lediglich entnehmen, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen sollen, dass Verwaltungsmaßnahmen tatsächlich mit der Verwaltung unmittelbar in Verbindung stehen oder für diese notwendig sind. Die Richtlinie legt dementsprechend auch keine obligatorischen Verfahrensschritte für die Aufstellung und Prüfung von Verwaltungsmaßnahmen fest. Die FFH-Richtlinie ähnelt in ihrer Regelungsweise den Rahmenricht­ linien, indem sie den Mitgliedstaaten Ziele vorgibt, aber wenig beschreibend gestaltet ist und nur vereinzelt Verfahrensvorgaben enthält.268 Durch den mangelnden Verfahrensbezug handelt es sich bei der Konformitätsprüfung nach den Regelungen des FFH-Rechts mangels weiterer Vorgaben um ein verwaltungsinternes Prüfverfahren, das grundsätzlich keine Beteiligung der Öffentlichkeit vorsieht.269 (a) Fehlende Öffentlichkeitsbeteiligung Insbesondere die Tatsache, dass die Behörde nicht verpflichtet ist, im Rahmen der Konformitätsprüfung eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen, unterscheidet diese Prüfung in praxisrelevanter Weise von der Verträglichkeitsprüfung.270 Für das Aufstellen eines Bewirtschaftungsplans, der das in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 256 f. Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected

267  Bernotat, 268  EEA,

areas, S. 5. 269  Siehe aber EuGH, Urt. v. 12.6.2019, C-43/18, Rn. 52; Lau, NuR 2020, 542, 542. 270  Die Pflicht zur Öffentlichkeitsbeteiligung folgt für die Verträglichkeitsprüfung aus Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL i. V. m. Art 6 I lit. b, III, IV, VII AK (Übereinkommen



A. Die Erhaltungsmaßnahmen141

Konzept der Gebietsverwaltung darstellt, wird eine frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit und der betroffenen Interessenträger zwar als besonders hilfreich und erstrebenswert eingeschätzt, die Richtlinie verpflichtet die Behörden aber nicht explizit zu einer Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Fest­ legung der Verwaltungsmaßnahmen.271 Da keine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wird, sind die Behörden auch nicht gemäß Art. 6 Abs. 3 FFHRL zur Beteiligung der Öffentlichkeit verpflichtet. Dies behindert den Rechtsschutz gegen die Bewirtschaftungspläne, die als von der Verträglichkeitsprüfung ausgenommene unverbindliche Veröffentlichungen ohnehin nicht als solche gerichtlich überprüfbar sind. Da sowohl Erhaltungs- als auch Vermeidungsmaßnahmen in Vertragsverletzungsverfahren immer wieder als fehlerhaft eingestuft werden, ist ihre mangelnde Überprüfbarkeit innerhalb der Bewirtschaftungsplanung besonders bedenklich.272 Die Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen bilden den Grundstein, um die Erhaltungsziele zu erreichen und ein umfangreiches, umsetzbares, abgestimmtes, quantifizierbares und operationalisierbares Maßnahmenkonzept zu erarbeiten. Die zuständige Behörde muss einen besonderen, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechenden Sachverstand in Naturschutzfragen zur Anwendung bringen.273 Auch aus diesem Grund empfiehlt die Europäische Kommission, die Öffentlichkeit bei der Aufstellung der Bewirtschaftungspläne zu beteiligen. Die Öffentlichkeitsbeteiligung begünstigt nicht nur den Austausch mit den verschiedenen Interessenträgern,274 sondern ermöglicht auch den Zugriff auf deren Sachverstand. Im deutschen Naturschutzrecht ist es Tradition, dass anerkannte Naturschutzverbände bei beder Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten v. 25.6.1998), EuGH, Urt. v. 8.11.2016, C-243/15 Rn. 49; Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S. 72. 271  Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen, S. 6 f.; siehe aber zur möglichen Öffentlichkeitsbeteiligung, wenn die Maßnahmenkonzepte bspw. SUP-pflichtig sind, EuGH, Urt. v. 12.6.2019, C-43/18, Rn.  52 ff.; Lau, NuR 2020, 542, 542. 272  Z. B. aktuell Europäische Kommission/Rumänien, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2020/2297; Europäische Kommission/Deutschland, Vertragsverletzungsverfahren 2014/2262; Europäische Kommission/Deutschland Vertragsverletzungsverfahren 2019/2145; Europäische Kommission/Bulgarien, Vertragsverletzungsverfahren 2008/4461. 273  Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen, S. 8; EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas. 274  Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen, S.  6 f.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

stimmten Verfahren mitwirken und so über Stellungnahmen, Einsichtnahme und Beteiligung ihre Fachkenntnisse in das Verfahren einfließen lassen.275 Europarechtlich wurde diese Tradition noch einmal bestärkt und unterfüttert.276 Die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL sieht in Verbindung mit den durch Unionsrecht umgesetzten Vorschriften der Århuskonvention277 daher eine effektive frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme obligatorisch vor.278 (b) Freistellung von etwaiger Minderung und Kompensation Auch abseits der Problematik der fehlenden Pflicht zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung sind die Vorgaben für das Verfahren der Konformitätsprüfung weniger ausgeprägt als bei der Verträglichkeitsprüfung. Bei der Verträglichkeitsprüfung als zentralem Schritt zur Zulassung von Projekten hat sich inzwischen ein Kanon an Verfahrensschritten herausgebildet, den die Behörden zu befolgen haben. Diese Verfahrensschritte sehen eine zweistufige Prüfung und ein Ausnahmeverfahren vor.279 Auch geprägt durch die umfangreiche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs können bei einer möglichen Schutzgebietsbeeinträchtigung Schadensminimierungsmaßnahmen und Ausgleichsmaßnahmen notwendig werden.280 Das Gebietsverwaltungsprivileg befreit Verwaltungsmaßnahmen von den Verfahrensschritten, die nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL notwendig wären. Dies ist auch Sinn und Zweck der Privilegierung, sodass auch nicht auf das allgemeine Vermeidungsgebot nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als Auffangbestimmung zurückgegriffen werden kann. Schadensminimierungs- und Ausgleichsmaßnahmen setzen schließlich auch eine eingehende Prüfung der Auswirkungen eines Vorhabens – die Verträglichkeitsprüfung – voraus.281 275  Schlacke, Umweltrecht, § 3 Rn. 20; Kloepfer, Umweltrecht, § 8 Rn. 82 ff., § 12 Rn.  528 ff. 276  Kloepfer, Umweltrecht, § 8 Rn. 97 ff. 277  Verordnung EG/1367/06 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft v. 6.9.2006. 278  Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL i. V. m. Art. 6 Abs. 1 lit. b, Abs. 3, 4, 7 Århus-Konvention; EuGH, Urt. v. 8.11.2016, C-243/15, Rn. 45 ff.; siehe auch OVG Bautzen, Beschl. v. 9.6.2020, 4 B 126/19, Rn. 50 f.; a. A. noch BVerwGE 152, 10, 21. 279  Ewer, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 34 Rn. 13 ff.; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 34 Rn. 47 ff. 280  Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 72. EL 2014, § 34 Rn. 32 f. 281  Vgl. EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 77; Urt. v. 14.1.2016, C‑399/14, Rn. 57; Urt. v. 15.3.2014, C-521/12, Rn. 36; Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 35;



A. Die Erhaltungsmaßnahmen143

Für die freigestellten Verwaltungsmaßnahmen sieht die Richtlinie daher nicht vor, dass Schäden, die durch Verwaltungsmaßnahmen entstehen, zu minimieren oder zu kompensieren sind. Dennoch schreiben Stimmen aus der Praxis der Konformitätsprüfung Verfahrensschritte zu, die der Verträglichkeitsprüfung entstammen. Die Verwaltungsmaßnahmen sollen „optimiert“ werden, um einen möglichst geringen Schaden zu verursachen.282 Zu diesem Zweck könnten auch Schadensminimierungsmaßnahmen angesetzt werden.283 Sogar die Voraussetzungen einer Ausnahmegenehmigung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL sollten zu übernehmen sein, indem Alternativen zu analysieren und gegebenenfalls vorzuziehen seien.284 So sollen vermutlich im Ergebnis keine schädigenden Maßnahmen als Verwaltungsmaßnahmen zugelassen werden. Die beschriebenen Verfahrensschritte ähneln aber nicht nur denen einer Verträglichkeitsprüfung und einer etwaigen Ausnahmegenehmigung, sie setzen letztlich deren Vorgaben um, obwohl die Verwaltungsmaßnahmen von eben jenen Vorgaben befreit sind. Dass die Anforderungen der Verträglichkeitsprüfung dennoch in der Praxis teilweise auf die Verwaltungsmaßnahmen übertragen werden, verdeutlicht das Bedürfnis nach einer standardmäßigen Prüfung der Verträglichkeit der Verwaltungsmaßnahmen. (c) Mangelnde Überprüfbarkeit durch behördeninternes Verfahren Die Konformitätsprüfung stellt außerdem ein informelles Verfahren dar und kann daher nicht gewährleisten, dass die entsprechenden Prüfschritte sachgemäß durchgeführt werden. Als Beispiel kann an dieser Stelle ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Weimar dienen.285 Das Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz argumentierte in diesem Fall, der Abschuss einer Wölfin, die Herdenschutzzäune zu überwinden vermochte, diene auch dem Erhaltungsziel des gegenständlichen FFH-Gebiets, die Wölfe zu erhalten, da die Wölfin ihre Jagdkenntnisse nicht an ihre Jungen weitergeben könne und die Akzeptanz der Bevölkerung für die Wiederansiedelung des Wolfes durch den Abschuss gestärkt werde.286 Es handele EuGH, Urt. v. 11.9.2012, C-43/10, Rn. 114; Urt. v. 16.2.2012, C‑182/10, Rn. 74; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 152. EL 2020, § 34 Rn. 59. 282  Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 256, 259. 283  Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 259. 284  Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 259. 285  OVG Weimar, Beschl. v. 2.7.2020, 1 EO 150/20; siehe zum Verfahren auch Lau, NuR 2020, 542, 544 f. 286  OVG Weimar, Beschl. v. 2.7.2020, 1 EO 150/20, Rn. 44; Lau, NuR 2020, 542, 544.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

sich dementsprechend um eine privilegierte Verwaltungsmaßnahme. Dass die Zielart durch einen Abschuss aber unmittelbar beeinträchtigt wurde und die positiven Folgen nur sehr indirekt wirkten, thematisierte die Behörde nicht. Der Thüringer Fall des Wolfsabschusses zeigt auf, dass die notwendige Bilanzierung der Vor- und Nachteile einer Maßnahme, die die Konformitätsprüfung verlangt, von den Behörden leicht durch sachfremde Argumente aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann. Die Konformitätsprüfung ist nicht in der Lage, derartige Defizite aufzudecken. Als informelles Verfahren gewährleistet sie keine umfänglich nachvollziehbare Überprüfbarkeit der im Gebiet geplanten Maßnahmen. Eine Prüfung, deren Verfahrensschritte nicht normiert sind und von denen daher jederzeit abgewichen werden kann, erscheint nicht geeignet, schädigenden Verwaltungsmaßnahmen, wie etwa bestimmten Erhaltungszielen zuwiderlaufendem Umweltschutz, den Schutzmaßstäben der FFH-Richtlinie entsprechend zu begegnen. Ohne standardmäßiges Verfahren und ohne Anwendbarkeit der Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL ist nicht gewährleistet, dass die Behörde die Unschädlichkeit gesichert feststellen und nachweisen muss.287 Aus diesem Grund sind zudem gegebenenfalls erfolgte Schadensminimierungsmaßnahmen in ihrer Wirkung nicht gesichert. In welchen Fällen Kohärenzsicherungsmaßnahmen zum Ausgleich erfolgter Schäden notwendig sind, kann ebenfalls kaum festgestellt werden. Denn dieser Verfahrensschritt entbehrt jeglicher gesicherten Grundlage, da ohne Verträglichkeitsprüfung auch keine Ausnahmegenehmigung, wie sie in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zu finden ist, prüfbar ist. Die Konformitätsprüfung sollte daher nicht mit den Anforderungen der Verträglichkeitsprüfung oder der Ausnahme überfrachtet werden. bb) Zwischenfazit Als Argument für die Freistellung der Verwaltungsmaßnahmen von der Verträglichkeitsprüfung wird oftmals angeführt, dass eine Doppelprüfung vermieden werden soll.288 Verwaltungsmaßnahmen seien keiner Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen, da sie innerhalb der Konformitätsprüfung mit den Erhaltungszielen abgestimmt würden. Das Argument ist aber nur dann stichhaltig, wenn die Konformitätsprüfung die strittigen Punkte zu bewältigen vermag. Die Konformitätsprüfung kann dies nicht leisten, da sie einen anderen Prüfgegenstand als die Verträglichkeitsprüfung hat und ohne festge287  Zum Feststellungserfordernis im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung siehe EuGH, Urt. v. 21.7.2016, C-387/15 u. C-388/15, Rn. 50  ff.; Urt. v. 15.5.2014, C-521/12, Rn. 30. 288  GA Kokott, Schlussanträge v. 25.6.2009, C-241/08, Nr. 70; Fischer-Hüftle/Gellermann, NuR 2018, 602, 606; Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 528.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen145

legte, obligatorische Verfahrensschritte nicht denselben Schutzmaßstab garantieren kann wie die Verträglichkeitsprüfung. 2. Zusammenfassung Es sind, wie aufgezeigt, Verwaltungsmaßnahmen denkbar, die trotz ihrer positiven Wirkung auf die Erhaltungsziele das Gebiet gleichzeitig beeinträchtigen. Ein Schaden durch eine Verwaltungsmaßnahme ist immer dann möglich, wenn die Erhaltungsziele und -maßnahmen nicht genau abgestimmt sind.289 Auch die Konformitätsprüfung, die bei der Bewirtschaftungsplanung durchgeführt wird, kann nur begrenzt sicherstellen, dass Verwaltungsmaßnahmen nicht schädigend wirken. Sie hat insbesondere nicht zum Gegenstand, festzustellen, dass keine anderen Erhaltungsziele durch die Maßnahme beeinträchtigt werden. Dennoch fallen diese möglicherweise schädigenden Maßnahmen entgegen der Ansicht des Europäischen Gerichtshofs unter den Begriff der „Verwaltung“ des Gebietes.290 3. Reformvorschlag: Streichung des Gebietsverwaltungsprivilegs Die Vorgehensweise des Gerichtshofs, (teilweise) schädigende Maßnahmen nicht unter den Verwaltungsbegriff zu subsumieren,291 widerspricht der Systematik und dem Sinn und Zweck der Privilegierung und weist letztlich auf den Reformbedarf des Richtlinientextes hin. Maßnahmen, die nicht widerspruchsfrei mit allen Erhaltungszielen des Gebietes übereinstimmen, gilt es durch die Richtlinie einer Verträglichkeitsprüfung zu unterstellen, sobald sie ein Erhaltungsziel beeinträchtigen könnten.292 Die rechtspolitische Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, Verwaltungsmaßnahmen grundsätzlich zu privilegieren, sollte aufgrund ihrer unerwünschten Folgen im Rahmen einer Reform der Richtlinie korrigiert werden. Auch im Sinne der Rechtsklarheit und zum Schutz der Gebiete sollte die Richtlinie möglicherweise negativ wirkende Maßnahmen deutlich einer umfänglichen Verträglichkeitsprüfung unterwerfen, um Schäden an den Schutzgütern auszuschließen. in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 255. Kap. 3 A. V. 1. a) aa) (2); so wohl auch Gellermann, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 72. EL 2014, § 34 Rn. 15; Gellermann, Natura 2000, S. 77; Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 26. 291  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 218, 123 f., 126 f.; Urt. v. 21.7.2016, C-387/15 u. 388/15, Rn. 38; Urt. v. 4.3.2010, C-241/08 Rn. 50–55; siehe hierzu auch unter Kap. 3 A. V. 1. a) aa) (2). 292  A. A. EuGH, Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 53 sowie GA Kokott, Schlussanträge v. 25.6.2009, C-241/08, Nr. 43, 71. 289  Bernotat, 290  Siehe

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Die vollumfängliche Streichung des Gebietsverwaltungsprivilegs würde die notwendigen Änderungen auslösen. Aufgrund der Regelungen der Verträglichkeitsprüfung in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL wären alle Verwaltungsmaßnahmen anschließend zumindest einer FFH-Vorprüfung zu unterziehen. Sollte nicht auf den ersten Blick erkennbar sein, dass keine Schutzgüter beeinträchtigt werden können, wäre eine Verträglichkeitsprüfung verpflichtend. Die erste Phase der Verträglichkeitsprüfung, die sogenannte Vorprüfung, in der die Behörde feststellt, ob ein Vorhaben möglicherweise die Erhaltungsziele schädigen könnte, könnte nach Abschaffung der Privilegierung bereits während der Bewirtschaftungsplanung durchgeführt werden. Bisher ist eine solche Prüfung aufgrund des Verwaltungsprivilegs nicht vorgeschrieben. Stimmen in der Literatur schlagen bereits vor, bei der Bewirtschaftungs­ planung eine „vorgezogene Verträglichkeitsprüfung“ durchzuführen.293 Dieser Vorschlag bezieht sich allerdings nur auf bestimmte Eingriffe, die gerade keine Verwaltungsmaßnahmen darstellen, aber typischerweise Teil von Mischplänen und Maßnahmenpaketen sind. Dennoch würde sich die Bewirtschaftungsplanung als Zeitpunkt anbieten, auch die Verwaltungsmaßnahmen einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Wenn anhand objektiver Umstände mögliche Auswirkungen auf die Erhaltungsziele nicht durch die Vorprüfung ausgeschlossen werden können, ist eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, bis eine entsprechende Feststellung erfolgt ist.294 Berücksichtigt man die vorhergehenden Ausführungen zur Anwendung des Vorsorgeprinzips ist eine vertieftere Verträglichkeitsprüfung bereits erforderlich, wenn nicht offensichtlich ausgeschlossen werden kann, dass Erhaltungsziele beeinträchtigt werden. Insofern ist eine „summarische Prüfung“295 nur ausreichend, wenn sich die zu summierenden Anhaltspunkte außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung bewegen. Wurde etwa der Konflikt auf Zielebene bereits zeitpunkt- und parzellengenau entschieden, ist nur zu überprüfen, ob die Maßnahme sich nach diesen Vorgaben richtet.296 Geben die Erhaltungsziele beispielweise genau vor, dass an Ort und Stelle die von der Maßnahme begünstigte Art bzw. der begünstigte Lebensraumtyp Zielart bzw. Ziellebensraumtyp ist, ist die Maßnahme mit den Erhaltungszielen verträglich und kann zugelassen werden. Hat der Verord293  Fischer-Hüftle/Gellermann, NuR 2018, 602, 606; Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 27; Czybulka, ­ EurUP 2016, 276, 286 f.; vgl. auch Gellermann/Stoll/Czybulka, Handbuch des Meeresnaturschutzrechts in der Nord- und Ostsee, S. 343. 294  EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 44. 295  Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 34 Rn. 47. 296  Fischer-Hüftle/GellermannNuR 2018, 602, 606; Schumacher/Schumacher, Naturschutz und Landschaftsplanung 2020, 242, 243; Bernotat, in: Vischer-Leopold/ Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 258.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen147

nungsgeber allerdings Ziellebensraumtypen oder -arten benannt, die trotz Widerspruchs beide im Gebiet umgesetzt werden sollen, ist eine Beeinträchtigung des einen Erhaltungsziels möglich. Schadensminimierungsmaßnahmen und eine Ausnahmegenehmigung sind gegebenenfalls erforderlich. Die Verwaltungsmaßnahmen nicht mehr zu privilegieren und damit der Verträglichkeitsprüfung zu unterstellen, hätte zwar einen Mehraufwand bei der Festsetzung von Erhaltungsmaßnahmen zur Folge.297 Die Behörden müssten alle Maßnahmen einer Vorprüfung unterziehen, die aufzeigt, ob offensichtlich ausgeschlossen werden kann, dass sie das Gebiet als solches beeinträchtigen. Dies ist jedoch keineswegs nur ein Nachteil. Stattdessen könnte es die Behörden motivieren, Erhaltungsziele und Maßnahmen detailliert und abgestimmt festzusetzen. Sie wären gehalten, Konflikte zwischen verschiedenen Erhaltungszielen vorrangig auf der Ebene der Erhaltungsziele zu bewältigen. Die standortgenaue und mit den Erhaltungszielen abgestimmte Festlegung der Erhaltungsmaßnahmen, mit der Folge, dass Beeinträchtigungen eines anderen Erhaltungszieles vermieden werden, hätte zudem den Vorzug der Rechtssicherheit für die Anwender der Maßnahmen. Die den Erhaltungszielen zuträgliche Bewirtschaftung wäre bereits als Erhaltungsmaßnahme auf ihre Gebietsverträglichkeit untersucht worden.298 Zudem sollte die Praxis gefördert werden, vorrangig Erhaltungsmaßnahmen zu veranschlagen, die keine anderen Erhaltungsziele beeinträchtigen. Der Druck, sachfremde Nutzungen im Gebiet zu verdrängen, würde sich erhöhen. Es sei an dieser Stelle erneut darauf hingewiesen, dass es sich bei FFH-Gebieten regelmäßig nicht um unberührte Wildnisgebiete oder aus Naturschutzsicht optimale kleinbäuerliche Naturlandschaften handelt. Oft besteht nur ein Bruchteil der Landschaft in den Gebieten aus Flächen der Lebensraumtypen und Habitaten der Arten der Anhänge der Richtlinie.299 Es sind andere Flächen vorhanden, die Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen zugänglich sind. Da Konflikte mit Nutzern und Eigentümern gescheut werden, wird jedoch oftmals eher der Konflikt mit anderen Erhaltungszielen präferiert. Dieser Praxis könnte durch Streichung des Verwaltungsprivilegs entgegengewirkt werden. 4. Die Ausnahmegenehmigung als geeignetes Instrument Wenn Verwaltungsmaßnahmen – nach dem hier vorgestellten Reformvorschlag – einer Verträglichkeitsprüfung unterzogen würden und diese Prüfung 297  Vgl.

Fischer-Hüftle/Gellermann, NuR 2018, 602, 606. auch zu den Vorteilen gegenüber der Anzeigepflicht in § 34 Abs. 6 BNatSchG Fischer-Hüftle/Gellermann, NuR 2018, 602, 606. 299  EEA, State of Nature in the EU (2015), S. 34 ff.; Meßerschmidt, ­EurUP 2018, 336, 336; Ssymank, E ­ urUP 2008, 158, 161. 298  Vgl.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

zu dem Ergebnis käme, dass die Maßnahmen Erhaltungszielen widersprechen, stände damit noch nicht eine abschließende Unzulässigkeit fest. Die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und eine mögliche Ausnahmezulassung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL setzen aber Verfahrensschritte voraus, die den Gebieten zugutekommen können. Innerhalb der Verträglichkeitsprüfung kann die Behörde Schadensminimierungsmaßnahmen durchführen, um konfligierende Erhaltungsziele bestmöglich zu schonen. Im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung kann die Maßnahme trotz negativen Effekts auf die Erhaltungsziele zugelassen werden, wenn festgestellt wird, dass sie einem höherrangigen Erhaltungsziel dient. Die Verfolgung eines höherrangigen Erhaltungszieles wird ein überwiegendes öffentliches Interesse darstellen. Im Zuge der Ausnahmegenehmigung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL müssen zudem alternative, die zurückgestellten Erhaltungsziele weniger beeinträchtigende Maßnahmen geprüft und vorrangig angewandt werden. Zusätzlich muss die Behörde Kohärenzsicherungsmaßnahmen veranschlagen. All dies trüge dem Umstand Rechnung, dass eine Zielart oder ein Ziellebensraumtyp des Gebietes beeinträchtigt wurde. Eine Beeinträchtigung wird nicht deshalb irrelevant, weil sie auch positive Auswirkungen hat. Viele Projekte dienen öffentlichen Interessen, sei es der Freizeiterholung oder der Schaffung von Arbeitsplätzen. Aus diesem Grunde sieht die Richtlinie die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung vor.300 Dennoch müssen diese Vorhaben einer Verträglichkeitsprüfung mit all ihren Folgen unterzogen werden. Die Richtlinie zielt darauf ab, Schäden an den Gebieten auch bei überwiegenden Interessen dienenden Beeinträchtigungen zu vermeiden und auszugleichen und die Projekte dennoch zu ermöglichen. Dieses Prinzip sollte fortgeführt werden, selbst wenn die überwiegenden Interessen ökologischer Art sind.301 Sieht man davon ab, findet kein Ausgleich der Beeinträchtigung des divergierenden Erhaltungszieles statt. 5. Reduzierte Effektivität alternativer Umweltprüfungen Zum Abschluss dieses Abschnitts sei noch darauf hingewiesen, dass auch unter das Gebietsverwaltungsprivileg fallende Maßnahmen de lege lata freilich nicht gänzlich von einer Umweltprüfung befreit sind. Sie können sowohl einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach der UVP-Richtlinie302 als auch einer Strategischen Umweltprüfung nach der Richtlinie über die Strategische 300  Siehe hierzu Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 257. 301  Siehe zu privilegierten Umweltschutzmaßnahmen allgemein Kloepfer (Hrsg.), Umweltschutz als Rechtsprivileg, S. 9 ff. 302  RL 2011/92/EU.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen149

Umweltprüfung303 bedürfen.304 Allerdings sind die Ergebnisse dieser Prüfungen in den Behördenentscheidungen lediglich zu berücksichtigen.305 Unabhängig von der Reichweite des Einflusses der Berücksichtigung306 stellt die Verträglichkeitsprüfung im Rahmen der FFH-Richtlinie in jedem Fall ein weitaus schärferes Schwert dar. Die Verträglichkeitsprüfung verlangt ein hohes Maß an wissenschaftlicher Aufklärung und Sicherheit bei einer Zulassungsentscheidung. Bei einer Ausnahme sind die erwähnten Voraussetzungen der Alternativenprüfung, des überwiegenden öffentlichen Interesses und der Kohärenzsicherungsmaßnahmen maßgeblich. Die genannten Umweltprüfungen werden von Generalanwältin Kokott für Maßnahmen der Gebietsverwaltung mit dem Argument befürwortet, dass auch die Gebietsverwaltung die Gebiete erheblich beeinträchtigen könnte.307 Allein die Zielvorstellung der Verwaltung des Gebietes mache eine Maßnahme nicht unschädlich.308 Eben dieses Argument zeigt, dass auch Verwaltungsmaßnahmen die Erhaltungsziele schädigen können. Diesen Wertungswiderspruch kann man jedoch nicht durch den Hinweis auf weniger effektive Umweltprüfungen auflösen.309 6. Fallbeispiel: Kalamitätseinschläge als Verwaltungsmaßnahme? – OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19 Die praktische Relevanz des Gebietsverwaltungsprivilegs soll nun an einem Fallbeispiel verdeutlicht werden. Als Grundlage soll ein Fall umstrittener Fällungen von mit Schädlingen befallenen Bäumen im FFH-Gebiet Siebengebirge310 dienen, der im Eilverfahren vor dem OVG Münster entschieden wurde. Das Beispiel zeigt typische Anwendungsprobleme auf, die die Kritik an der Privilegierung untermauern.

303  RL

2001/42/EG. Urt. v. 12.6.2019, C-43/18, Rn. 38 f.; Urt. v. 25.6.2008, C-142/07, Rn. 41; siehe aber Urt. v. 12.6.2019, C-321/18, Rn. 29 ff.; Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 30; die UVP und SUP sind insbesondere bei Konflikten mit anderen Schutzgütern (z. B. Boden/Wasser) sinnvoll. 305  Erbguth/Schink, Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, Vor §§ 5–12 Rn. 3; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 496  ff.; Rehbinder, in: Rehbinder/Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 3. Rn. 124 ff. 306  Lange, DÖV 1992, 780, 780 ff. 307  GA Kokott, Schlussanträge v. 24.1.2019, C-43/18, Nr. 60, 63. 308  GA Kokott, Schlussanträge v. 24.1.2019, C-43/18, Nr. 60, 63. 309  Siehe insofern GA Kokott, Schlussanträge v. 24.1.2019, C-43/18, Nr. 61, 65. 310  FFH-Gebiet DE-5309-301. 304  EuGH,

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

a) Zum Sachverhalt Das Waldsterben und der Klimawandel sind in der Wissenschaft viel diskutierte Probleme, auf die auch in FFH-Gebieten Antworten zu finden sind.311 Aufeinanderfolgende heiße und trockene Sommer haben nicht nur der Landwirtschaft, sondern auch den Wäldern erheblich zugesetzt. Für den Borkenkäfer brachte die Situation allerdings Vorteile. Der Fichtenschädling profitiert von den geschwächten Bäumen und wird mehr und mehr als Bedrohung der (bewirtschafteten) Wälder und der Forstwirtschaft wahrgenommen.312 Wie dieser vermeintlichen Bedrohung begegnet werden soll, stößt auf kontroverse Diskussionen.313 Fällungen im großen Stil, mitunter sogar Rodungen, sind eine Reaktion – selbst in FFH-Gebieten. Auch im Siebengebirge kam es infolge der Trockenperioden der letzten Jahre im Jahr 2019 zu einem großflächigen Borkenkäferbefall, der große Flächen des Fichtenbestandes im Stadtwald der Gemeinde Bad Honnef betraf. Das Siebengebirge ist ein Mittelgebirgszug und nördlicher Abschluss des Mittelrheins. Das FFH-Gebiet zeichnet sich durch zahlreiche Waldlebensraumtypen aus. Besonders bedeutsam sind die Buchenwaldlebensraumtypen mit ihren charakteristischen Arten, die inselartig im Wechsel zu den Fichtenbeständen vorkommen. Die standorttypischen Wälder gehören zu den bundesweit repräsentativen Laubwäldern.314 Das Gebiet beherbergt die FFHLebensraumtypen Hainsimsen-, Waldmeister- und Orchideen-Kalk-Buchenwald sowie die von ihnen abhängigen Specht- und Fledermausarten. Im FFH-Gebiet Siebengebirge, zu dem auch Teile des Stadtwalds der Stadt Bad Honnef gehören, fällte die Gemeinde zur Bekämpfung des Käfers auf etwa 109 ha Fichten durch Kahlschlag,315 ohne eine FFH-Verträglichkeitsprüfung und gegebenenfalls eine Ausnahmegenehmigung einzuholen.316

311  Siehe z. B. Köck, ZUR 2007, 393, 400; Hendler/Rödder/Veith, NuR 2010, 685, 685 ff.; Schumacher/Schumacher, NuR 2013, 377, 378 ff.; EEA, State of Nature in the EU (2015), S. 142, m. w. N. 312  Tomiczek/Pfister, in: BFW (Hrsg.), BFW-Praxisinformation 17, S. 23; Hoch/ Chech/Perny, in: BFW (Hrsg.), BFW-Praxisinformation 40, S. 9 ff.; Biedermann/Müller/Grégoire et al., Trends in Ecology and Evolution 2019, 914 ff.; Kolb/KeefoverRing/Burr et al., Journal of Chemical Ecology 2019, 888, 888 ff.; Wong/Daniels, Global Change Biology 2017, 1926, 1935 ff.; vgl. zur Problematik auch Schaper/ Schumacher, NuR 2020, 524, 529. 313  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 31; Ibisch/Blumroeder/Hobson/Hauck, e-letter zu Thorn/Müller/Leverkus, Science 2019, 1388, 1388; Jónášová/Prach, Biological Conversation 2008, 1525, 1529 ff. 314  Maßnahmenkonzept DE-5309-301, S. 17. 315  In Summation wurden mehrere hundert Hektar Fichten gefällt; siehe zum Begriff des „Kahlschlags“ Endres, BWaldG, § 12 Rn. 26.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen151

Daraufhin begehrte ein nach § 3 Abs. 1 UmwRG anerkannter Umweltverband Rechtsschutz gegen die Fällungen, da eine Beeinträchtigung der Buchenwaldlebensraumtypen und seiner charakteristischen Arten durch die Fällungen möglich war. Der Borkenkäfer befällt zwar Fichten und nicht Buchen, insofern waren die Buchen der geschützten Lebensräume nicht unmittelbar von den Fällungen betroffen. Allerdings sind die, für die Buchenwälder charakteristischen Tierarten im mosaikartig mit Fichtenbeständen verwobenen Laubwald des Siebengebirges natürlicherweise nicht auf die Buchen­ inseln beschränkt, sondern nutzen in gewissen Lebenszyklen auch die übrigen Bäume. So nutzt etwa der Schwarzspecht die Fichte als Nahrungsbasis. Unstrittig bilden die Fichten zudem einen für die empfindliche Buche essenziellen Schirm.317 Sonne und Wind können bei der freistehenden Buche erhebliche Schäden verursachen.318 b) Zur Entscheidung Der Naturschutzverband beantragte eine einstweilige Regelungsanordnung des Gerichtes. Er begehrte, dass das Gericht dem Kreis als Antragsgegner aufgebe, durch seine untere Naturschutzbehörde mit sofort vollziehbarem Bescheid die fraglichen Arbeiten abseits der Wege im Stadtwald der Gemeinde vorläufig einstellen zu lassen.319 § 3 Abs. 2 BNatSchG formuliert die Ermächtigungsgrundlage der Naturschutzbehörde, bei Verstößen gegen das Bundesnaturschutzgesetz nach pflichtgemäßem Ermessen einzuschreiten. Bei dem strittigen Gesetzesverstoß handelte es sich um die möglicherweise zu Unrecht unterlassene FFH-Verträglichkeitsprüfung für die Fäll- und Rücke­ arbeiten320 im Schutzgebiet. Der Schwerpunkt des Falls bildete die Frage, ob es sich bei den fraglichen Arbeiten um privilegierte Verwaltungsmaßnahmen, die keiner Verträglichkeitsprüfung bedürfen, handelte. Zwei Gerichte lehnten den Eilantrag auf Einstellung der Arbeiten im Gebiet ab. Der Antragssteller scheiterte zunächst vor dem Verwaltungsgericht Köln und im Beschwerdeverfahren schließlich vor dem Oberverwaltungsgericht Münster, die einen Anordnungsanspruch verneinten. Grundlage der ablehnenden Entscheidung war, dass die Gerichte keinen Verstoß gegen FFH316  OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 24, 37; siehe zur Schilderung des Falls auch Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 524 f.; sowie Lau, NuR 2020, 542, 543 f. 317  OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 13, 44–46; VG Köln, Beschl. v. 25.9.2019, 4 L 1800/19, Rn. 16. 318  Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 524, 528; siehe auch Panek, Naturschutz und Landschaftsplanung 2020, 566, 566 f. 319  Siehe § 2 Abs. 1 LNatSchG NRW. 320  Es handelt sich um Arbeiten, um die gefällten Bäume zu entfernen.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Recht in Gestalt der nationalen Umsetzungsvorschrift des § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG annahmen.321 Während das Verwaltungsgericht Köln bereits die Projekteigenschaft von Fällarbeiten im FFH-Gebiet verneinte,322 sah das mit der Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung befasste Oberverwaltungsgericht Münster die Maßnahmen als unmittelbar dem Gebiet dienende Verwaltungsmaßnahmen an. Eine Verträglichkeitsprüfung sei laut dem Oberverwaltungsgericht nicht erforderlich gewesen, da es sich bei den Maßnahmen um unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehende Maßnahmen handele.323 Dieser Einschätzung kann nach den vorangegangen Darstellungen zum Gebietsverwaltungsprivileg nicht gefolgt werden. aa) Kritische Analyse der Entscheidung Zentraler Punkt des Falls ist die Frage, ob die Fällarbeiten von der FFHVerträglichkeitsprüfung befreite Gebietsverwaltungsmaßnahmen darstellen, oder ob eine Verträglichkeitsprüfung hätte durchgeführt werden müssen. Die Bedeutung und Reichweite der Begriffsmerkmale der unmittelbaren, mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehenden Maßnahmen ist entscheidend. (1) Fehlende Unmittelbarkeit Die erste hier relevante Tatbestandsvoraussetzung des Gebietsverwaltungsprivilegs ist der unmittelbare Zusammenhang einer Tätigkeit mit der Gebietsverwaltung. Voraussetzung für einen unmittelbaren Zusammenhang ist, dass die für die Gebietsverwaltung zuständige Behörde die Maßnahme festlegt, um die Erhaltungsziele zu fördern, und sie aus hierzu bestimmten Mitteln finanziert wird.324 Im vorliegenden Fall setzte jedoch nicht der Kreis als untere Naturschutzbehörde die Maßnahmen an, sondern die Gemeinde als Flächeneigentümerin.325 Die Gemeinde handelte im vorliegenden Fall ausdrücklich in ihrer Eigenschaft als Eigentümerin des Waldes und nicht administrativ in Ausfüh321  OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 19; VG Köln, Beschl. v. 25.9.2019, 4 L 1800/19, Rn. 8. 322  VG Köln, Beschl. v. 25.9.2019, 4 L 1800/19, Rn. 14. 323  OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 24, 39, 62. 324  Siehe Kap. 3 A. V. 1. a) bb) (1); vgl. auch Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 255 f.; Czybulka, ­EurUP 2016, 276, 286 f.; Fischer-Hüftle, ­EurUP 2021, 42, 45 f. 325  Vgl. OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 17, 38; Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 255 ff.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen153

rung ihrer Aufgabe als Erhaltungsbewirtschafterin.326 Das OVG Münster stufte diese Tatsache als unbeachtlich ein. Die Gemeinde sei als Teil der öffentlichen Hand ohnehin verpflichtet, die Schutzgebietsverordnung zu achten.327 Sinn und Zweck des Verwaltungsprivilegs ist es aber, andere Interessen, die beispielsweise ein wirtschaftender Waldeigentümer verfolgen kann, von den Interessen der Erhaltung und Entwicklung des Gebietes zu trennen. Lediglich wenn die für die Erhaltung des Gebietes zuständige Behörde handelt oder die Handlung veranlasst hat, kann es sich bei der Tätigkeit um eine unmittelbar der Verwaltung des Gebietes dienende Tätigkeit handeln. Daher kann zwar auch die Gemeinde als Eigentümerin Erhaltungsmaßnahmen durchführen, diese müssten jedoch erst administrativ durch die Naturschutzbehörde, die in diesem Fall der Rhein-Sieg-Kreis ist, vorgesehen werden.328 Eine entsprechende Anordnung vom Kreis an die Gemeinde lag im vorliegenden Fall nicht vor. Es erscheint bereits an dieser Stelle zweifelhaft, dass das Gebietsverwaltungsprivileg die Fällungen im FFH-Gebiet Siebengebirge von einer Verträglichkeitsprüfung frei stellte. Auch ein Abgleich mit den Ziel- und Maßnahmenkonzepten für das Schutzgebiet lässt keinen anderen Schluss zu. Die Konzepte müssten die Kahlschläge als Gebietsverwaltung zur Förderung der Erhaltungsziele vorsehen. Das Schutzgebiet Siebengebirge ist durch Naturschutzgebietsverordnung ausgewiesen und sein Management ist in einem Maßnahmenkonzept geregelt. Die dem Gebiet zugrunde liegende Naturschutzgebietsverordnung und das Maßnahmenkonzept enthalten keine eindeutige Aussage speziell zum Umgang mit Schädlingsbefall und definieren lediglich die Buchenwaldlebensraumtypen mit ihren charakteristischen Arten als Erhaltungsziel.329 Auch der im Rahmen einer Naturschutzförderung erstellte Pflege- und Entwicklungsplan330 mit begleitender sozioökonomischer Analyse, der die detaillierteste Auseinandersetzung mit den Erhaltungsmaßnahmen enthält, hat eine 326  Vgl. OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 17, 38; Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 255 ff. 327  OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 38. 328  Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 34 Rn. 46; Czybulka, ­EurUP 2016, 276, 287; a. A. Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 28. 329  § 3 lit. a Spiegelstr. 3, lit. b Spiegelstr. 5–8 Ordnungsbehördliche Verordnung über das Naturschutzgebiet „Siebengebirge“ Städte Königswinter und Bad Honnef, Rhein-Sieg-Kreis v. 12.5.2005, ABl. Reg. K 2005, S. 262 in der Fassung der Änderung v. 8.5.2012, ABl. Reg. K 2012, S. 235; MAKO-Erläuterungsbericht DE-5309301, S. 18 ff., abrufbar unter http://natura2000-meldedok.naturschutzinformationen. nrw.de/natura2000-meldedok/de/fachinfo/listen/meldedok/DE-5309-301. 330  Nicht rechtsverbindliche Planung, die dem übergeordneten Naturschutzgroßprojekt chance.natur „Natur- und Kulturlandschaft zwischen Siebengebirge und Sieg“ dient; vgl. Richtlinien zur Förderung der Errichtung und Sicherung schutzwürdiger Teile von Natur und Landschaft mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Lage wie den Borkenkäferbefall nicht vorhergesehen.331 Der Bewirtschaftungsplanung sind demnach keine eindeutigen Aussagen zu entnehmen, wie mit der Ausbreitung eines Fichtenschädlings zu verfahren sei. Seine sonstigen Vorgaben sind daher auszulegen. Erhaltungsziel für alle Buchenwaldlebensraumtypen im Gebiet ist die „Erhaltung“, wobei ausdrücklich Maßnahmen zur Vermehrung des Lebensraumtyps durch Waldumbau auf potenziellen, momentan mit nicht lebensraum­ typischen Gehölzen bewachsenen Flächen vorgesehen sind.332 Das Konzept sieht dementsprechend den Waldumbau von Fichten auf lebensraumtypische Gehölze vor und billigt daher die stellenweise oder vereinzelte Entnahme von Fichten.333 Allerdings geht das Dokument von einem stufenweisen, langsamen, störungsarmen und kleinräumigen Umbau von Fichten- auf Buchenwaldbestand aus.334 Kahlschläge über 0,3 ha verbietet es,335 da diese frei stehende Buchen zur Folge hätten. Buchen benötigen einen schützenden Schirm aus weiteren Gehölzen und vertragen es nicht, exponiert auf einer Freifläche zu stehen. Daher legt das Konzept zusätzlich gestufte Waldränder, die einen Übergang von Wald zu Offenland bieten, sowie die Beibehaltung und Anlage von abschirmenden Pufferzonen fest.336 Daraus folgt, dass der Fichtenwald zwar Stück für Stück reduziert werden soll,337 allerdings nicht durch Kahlschläge. Die Kahlschläge zur Schädlingsbekämpfung sind daher nicht zur Förderung des Erhaltungsziels in den Maßnahmenkonzepten des Gebietes vorge­ sehen, sondern es stimmen nur einzelne Effekte der Fällungen mit Zielen des Maßnahmenkonzepts, etwa dem des Waldumbaus und der Entnahme der Fichten zu diesem Zweck, überein. Dieses zufällige Zusammenfallen ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht hinreichend.338 Wenn eine zufällige Übereinstimmung mit den Schutzzwecken ausreichen würde, müsste der Vorhabenträger selbst darüber befinden, ob seine Maßnahme den Erhaltungszielen zuträglich ist oder er eine Genehmigung bean„chance.natur – Bundesförderung Naturschutz“ (Förderrichtlinien für Naturschutzgroßprojekte nach den §§ 23 und 44 der Bundeshaushaltsordnung). 331  Siehe auch Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 527; siehe zu übergeordneten Plänen, die den Bewirtschaftungsplan teilweise ersetzen, Bernotat, in: VischerLeopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 254, 256. 332  Erhaltungsziele und -Maßnahmen DE-5309-301, S. 17–22. 333  Erhaltungsziele und -Maßnahmen DE-5309-301, S. 17 f., 19 f. 334  Erhaltungsziele und -Maßnahmen DE-5309-301, S. 18, 20 ff. 335  Erhaltungsziele und -Maßnahmen DE-5309-301, S. 17, 19, 21. 336  Erhaltungsziele und -Maßnahmen DE-5309-301, S. 17–22. 337  OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 54. 338  EuGH, Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 51, 55; OVG Bautzen, Beschl. v. 9.6.2020, 4 B 126/19, Rn. 67.



A. Die Erhaltungsmaßnahmen155

tragen sollte.339 Es kann nicht ausreichen, dass Maßnahmen auf die ein oder andere Weise nützlich sind, um sie als unmittelbar mit der Verwaltung in Verbindung stehend anzuerkennen.340 Dies würde das Erfordernis der Verträglichkeitsprüfung und ihre gesetzlich determinierten Folgen umgehen. Lediglich der Kernbereich der Verwaltung des Gebietes soll durch die Privilegierung von der Verträglichkeitsprüfung freigestellt werden.341 Wenn demnach zufällig den Erhaltungszielen dienende Maßnahmen nicht unmittelbar mit der Verwaltung in Zusammenhang stehen, erfüllen nur solche Maßnahmen das Kriterium der Unmittelbarkeit, die zu diesem Zweck vorgesehen wurden.342 Bei kurzfristig umgesetzten Vorhaben wird dies nur der Fall sein, wenn das Maßnahmenkonzept besonders flexibel und weitsichtig gestaltet ist.343 Regelmäßig werden kurzfristig beschlossene Bewirtschaftungsmaßnahmen, wie etwa im Fall von unvorhergesehenen Ereignissen wie einer starken Borkenkäferkalamität, einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen sein.344 Die Gemeinde handelte damit nicht als Gebietsverwalterin und auch nicht nach den Vorgaben des Maßnahmenkonzepts. Darüber hinaus ist zumindest fragwürdig, inwiefern die Gemeinde bezweckt haben kann, mit den Fällungen den Buchenwaldlebensraumtyp zu fördern und damit ein Zusammenhang zur Gebietsverwaltung bestehen kann. Der Schutz der Fichten kam in vorliegendem Rechtsstreit auch der von der Fichte abhängigen Forstwirtschaft im Stadtwald zugute. Auf den durch die Kahlschläge entstandenen Freiflächen ist keine Anpflanzung von Buchen möglich, da diese abschirmende Umgebungsbäume als Wetterschutz benötigen.345 Aus diesem Grund waren keine Buchen, sondern neben eigentlich vom Bewirtschaftungsplan als Nebenbaumarten zurückgestellten Eichen auch forstwirtschaftlich nutzbare Douglasien von der Gemeinde auf den Freiflächen vorgesehen.346 Wirtschaftlich motivierte Ausführungsmodalitäten oder Neben- beziehungsweise Folgemaßnahmen,347 die im Gebiet wirken, ­EurUP 2021, 42, 46. aber OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 37 ff. 341  Meßerschmidt, NuR 2016, 21, 27. 342  Ebenso Fischer-Hüftle, ­EurUP 2021, 42, 45. 343  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 122  f.; OVG Bautzen, Beschl. v. 9.6.2020, 4 B 126/19, Rn. 67; a. A. Lau, NuR 2020, 542, 543. 344  Europäische Kommission, Natura 2000 und Wälder, S. 85; vgl. auch FischerHüftle, NuR 2020, 84, 85. 345  Vgl. Hohnwald/Indreica/Walentowski/Leuschner, Forests 2020, 919, 919 ff. 346  Zur Einschätzung der Aufforstung mit der Douglasie auch in FFH-Laubwaldlebensraumtypen aus naturschutzfachlicher Sicht siehe Höltermann/Nehring/Herberg/ Krug, AFZ-Der Wald 2016, 34, 34 ff. 347  Auf die einschneidende Vorgehensweise durch großflächige Entwaldung und Großmaschinen weisen Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 525 hin. 339  Fischer-Hüftle, 340  So

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

wie invasive Räumungen und exotische Naturverjüngung und Nachpflanzungen südeuropäischer Arten, dienen in jedem Fall ausschließlich dem Nebenzweck und nicht der Gebietserhaltung. Sie sind von den Fällungen selbst zu trennen und einer Verträglichkeitsprüfung zu unterstellen. Das Oberverwaltungsgericht Münster verweist zur Begründung des unmittelbaren Zusammenhangs auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig, in der ein Forstbetriebsplan als Verwaltungsmaßnahme qualifiziert wurde.348 Forstbetriebspläne sind allerdings als allenfalls gemischte Pläne einzuordnen, deren wirtschaftlicher Teil abzuspalten und einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist.349 Auch im Leipziger Fall ging unter Hinweis auf den dortigen Bewirtschaftungsplan die Einordnung des Forstbetriebsplans als privilegierte Verwaltungsmaßnahme fehl. Die Entscheidung wurde inzwischen aufgehoben.350 (2) Ungeklärter funktionaler Zusammenhang Auch der notwendige funktionale Zusammenhang der Fällmaßnahmen mit den Erhaltungszielen ist in vorliegendem Fall fragwürdig. Der funktionale Zusammenhang einer Maßnahme mit der Gebietsverwaltung wird durch das Tatbestandskriterium der Notwendigkeit ausgedrückt und liegt vor, wenn die Maßnahme das Erhaltungsziel nachweislich fördert.351 Die Argumentation der Gemeinde, wonach die Bekämpfung des Borkenkäfers den Erhaltungszielen, der Entwicklung des Buchenwaldes, dienen sollte, ist nur schwer nachvollziehbar. Im Vertragsverletzungsverletzungsverfahren gegen Polen zum FFH-Gebiet Puszcza Białowieska standen ebenfalls Fällungen aufgrund der Borkenkäferausbreitung zur Debatte. Der Europäische Gerichtshof lehnte die Einordnung als unmittelbar dem Gebiet dienende Verwaltungsmaßnahme knapp mit dem Hinweis ab, die Eindämmung des Käfers sei kein Erhaltungsziel im Gebiet.352 Im vorliegenden Fall gab die beigeladene Gemeinde daher an, mit den Kahlschlägen die Buchenwaldlebensraumtypen fördern zu wollen. Sie argu348  VG Leipzig, Beschl. v. 9.4.2019, 1 L 1315/18; siehe zu diesem Verfahren auch Lau, NuR 2020, 542, 544; sowie Heß/Wulff, Recht der Natur Schnellbrief Juli/August 2020, 45 ff. 349  Vgl. hierzu Kap. 3 A. V. 1. a) bb) (3); vgl. hierzu auch Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 85 f.; Schumacher, NuR 2020, 539, 540; zu im Einzelfall untrennbaren Wirtschaftsplänen: OVG Bautzen, Beschl. v. 9.6.2020, 4 B 126/19, Rn. 68 ff., 73. 350  OVG Bautzen, Beschl. v. 9.6.2020, 4 B 126/19, Rn. 67, revidierend zu VG Leipzig, Beschl. v. 9.4.2019, 1 L 1315/18, Rn. 139. 351  Bernotat, in: Vischer-Leopold/Ellwanger/Ssymank et al., NaBiV 140, S. 258. 352  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 127.



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mentierte, die Ausbreitung des Borkenkäfers auf gesunde Fichten verhindern zu wollen, um die Buchen, die unstrittig einen schützenden Schirm aus anderen Bäumen benötigen, zu erhalten.353 Daher wurden Buchen in der Nachbarschaft von befallenen Fichten freigestellt, um Bucheninseln, die von noch gesunden Fichten umgeben sind, zu erhalten. Ob diese sehr mittelbare Form der Dienlichkeit ausreichend ist, darf bezweifelt werden. Zudem kann die Freistellung der Buchen im Gegenteil schädigend für den Lebensraumtyp wirken. Für die Buchenwaldlebensraumtypen gibt das Bundesamt für Naturschutz typische Gefährdungsfaktoren an. Für den Hainsimsen-Buchenwald wird eine zu intensive Forstwirtschaft als typische Beeinträchtigung angesehen. Gleichzeitig sei eine Bewirtschaftung des Lebensraumtyps als Erhaltungsmaßnahme nicht erforderlich, sondern es seien mindestens Teilbereiche gänzlich ohne Bewirtschaftung notwendig.354 Die Gemeinde hätte die Vor- und Nachteile der Fällungen für die Buchen daher im Gerichtsverfahren nachvollziehbar bilanzieren müssen um darzulegen, inwiefern die Buchenwaldlebensraumtypen insgesamt gefördert wurden. Zudem war auch der positive Nutzen der Kahlschläge im Siebengebirge fachlich äußerst strittig: Der Antragsteller des Verfahrens wies darauf hin, dass ein Waldumbau zum Buchenwald unter einem Schirm aus toten Fichten noch möglich ist und auch tote Fichten noch eine gewisse abschirmende Funktion wahrnehmen können.355 Die Fichten wurden jedoch aus dem Wald entnommen. Des Weiteren wurde angezweifelt, ob die Entnahme der kranken Bäume im Hinblick auf die anhaltende Trockenheit und das Ausbreitungsverhalten des Käfers dem Befall tatsächlich etwas entgegensetzen kann und die Fällung und Entnahme der Bäume daher geeignet sind, die gesunden Fichten zu erhalten.356 Es ist fachlich höchst umstritten und bisher wissenschaftlich nicht gesichert feststellbar, wie die Borkenkäferausbreitung wirksam verhindert werden kann.357 Der Europäische Gerichtshof hat das naturschutzfachliche Erkenntnisdefizit bezüglich der tauglichen Bekämpfung von Borkenkäfern bereits als solches anerkannt.358 Das Erkenntnisdefizit wirkt sich im vorliegenden Fall auf das Kriterium der Notwendigkeit und dessen behördli353  VG Köln, Beschl. v. 25.9.2019, 14 L 1800/19, Rn. 12; OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 46. 354  BfN (Hrsg.), Das europäische Schutzgebietssystem NATURA 2000, S. 336. 355  A. A. OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 46. 356  Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 529; Schumacher/Schaper, ­EurUP 2021, 88, 93. 357  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 179; dagegen VG Köln, Beschl. v. 25.9.2019, 4 L 1800/19, Rn. 24. 358  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 179.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

che sowie gerichtliche Feststellung aus. Es war wegen mangelnder fachlicher Erkenntnis über diesen Streitpunkt sachlich nicht feststellbar, ob die Fällungen das Erhaltungsziel fördern. Um zum Vorgehen des Gerichtes und seiner Auslegung des Verwaltungsprivilegs im Fall vollumfänglich Stellung nehmen zu können, ist zu klären, wie sich diese Unsicherheit rechtlich auswirkt. (a) Unionsrechtlich determinierter Umgang mit fachlichen Kontroversen Im Naturschutzrecht finden sich zahlreiche Tatbestände, die naturschutzfachlicher Beurteilung bedürfen. Die Entscheidung von Sachverhalten wird besonders diffizil, wenn keine gefestigten Maßstäbe existieren und aus wissenschaftlicher Sicht bisher keine gesicherte Erkenntnislage besteht. Es mangelt trotz vielfältiger naturwissenschaftlicher Bewertungsentscheidungen auf Tatbestandsebene regelmäßig an einer gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnislage zu bestimmten Fragestellungen, an denen sich die Behörden bei ihrer Einschätzung orientieren können.359 Besteht kein herausgebildeter eindeutiger Erkenntnisstand in der Wissenschaft, ist die Entscheidung der Behörde nicht an einem solchen messbar.360 Im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren kann es zu der Situation kommen, dass sich mehrere nach aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand vertretbare Auffassungen gegenüberstehen.361 In der Folge geht die nationale Rechtsprechung bei einer nach dem aktuellen naturschutzfachlichen Kenntnisstand unsicheren Tatsachengrundlage von einer „Letztentscheidungsbefugnis“362 der Behörden aus, die freilich durch die Vorgaben der Verfassung begrenzt sei.363 Eine unsichere Tatsachengrundlange, die zu mehreren wissenschaftlich vertretbaren Auffassungen führt, die sich im Gerichtsverfahren gegenüberstehen, lag auch im beschriebenen Fall vor. Der Europäischen Gerichtshof hat erst kürzlich die fachliche Kontroverse im Umgang mit dem Borkenkäfer im Vertragsverletzungsverletzungsverfahren gegen Polen zum FFH-Gebiet Puszcza Białowieska beschrieben.364 Ohne dieses Erkenntnisdefizit zu benennen, schenkten die nationalen Gerichte beider Instanzen im Fall „Siebengebirge“ 359  BVerwGE

147, 118, 126; Meßerschmidt, NuR 2013, 168, 171. 149, 407, 413 f., 418; BVerwGE 131, 274, 296. 361  BVerwGE 131, 274, 296; BVerwG, NVwZ 2014, 524, 525; BVerfGE 149, 407, 418. 362  BVerfGK 16, 418, 437; vgl. aber zur Begrifflichkeit BVerfGE 149, 407, 415. 363  BVerfGE 149, 407, 413 f., 418; BVerwGE 131, 274, 296; Jacob/Lau, NVwZ 2015, 241, 241 ff.; Dolde, NVwZ 2019, 1567, 1568; Stüer/Stüer, DVBl. 2018, 1367, 1367. 364  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 179; Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 525, 528. 360  BVerfGE



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den Einschätzungen der Gemeinde unbesehen Glauben.365 Auch nach nationalem Recht wäre allerdings der ungesicherte Erkenntnisstand zunächst festzustellen gewesen und die Behördenentscheidung hätte daraufhin überprüft werden müssen, ob die Behörde den Sachverhalt vollständig und treffend ermittelt, die einschlägigen Verfahrensbestimmungen korrekt angewandt hat, von einem richtigen Verständnis der gesetzlichen Begrifflichkeiten ausgegangen ist und zudem die allgemeinen Wertungsmaßstäbe zugrunde gelegt hat.366 Die Behörde muss das „Erkenntnisvakuum“367, auf dem ihre Entscheidung fußt, erkannt und dementsprechend entschieden haben. Auch bei offenen Sachverhalten müssen die Gerichte nachvollziehen, ob die Verwaltung mit dem „Erkenntnisvakuum“ rechtsfehlerfrei verfahren ist.368 Hat die Verwaltung die Risiken bestmöglich ermittelt und entsprechend den indivi­ duellen rechtlichen Vorgaben bewertet?369 Einige zusätzliche Anforderungen ergeben sich überdies daraus, dass der Gebietsschutz europarechtliche Vorgaben umsetzt. Auch das Bundesverfassungsgericht beschreibt die Möglichkeit, Regeln für den Umgang mit dem wissenschaftlichen „Erkenntnisvakuum“ aufzustellen.370 Derartige Regeln finden sich im Unionsrecht. Fachliche Kontroversen sind ein klassischer Anwendungsfall des unionsrechtlichen Vorsorgeprinzips. Wissenschaftliche Unsicherheit ist eine Fallgruppe der Prognoseunsicherheiten, bei denen das Vorsorgeprinzip einschlägig ist.371 Die Prognoseunsicherheit bezüglich des Umgangs mit Borkenkäferkalamitäten betrifft die Deutungsebene, sodass bereits strittig ist, ob der Käfer eine Gefahr für die Buchen darstellt, indem er den schützenden Fichtenbestand dezimiert, oder ob er Teil eines natürlichen Zyklus ist,372 in dem auch abgestorbene Fichten die Funktion eines Schirmes noch wahrnehmen 365  OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 60; VG Köln, Beschl. v. 25.9.2019, 14 L 1800/19, Rn. 12. 366  BVerfGE 149, 407, 416 ff.; BVerwG NVwZ 2014, 524, Rn. 19; BVerfGK 19, 229, Rn. 40; BVerwGE 131, 274, 296 ff.; vgl. auch BVerwGE 154, 377, 385; Gassner, DVBl 2019, 1370, 1373; vgl. auch Ossenbühl, in: Erichsen/Hoppe/von Mutius (Hrsg.), System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes – Festschrift Menger 1985, S.  744 ff. 367  BVerfGE 149, 407, 416. 368  Gassner, DVBl 2019, 1370, 1372  ff.; Meßerschmidt, NuR 2013, 168, 173; Ramsauer, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch et al. (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 699, 722  ff.; Ramsauer, in: Denninger/Hoffmann-Riem/ Schneider/Stein (Hrsg.), AK-GG, GW 2001, Art. 19 Abs. 4, Rn. 110. 369  BVerfGE 149, 407, 420; Dolde, NVwZ 2019, 1567, 1568. 370  BVerfGE 149, 407, 415 f. 371  Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 2.2.2000 über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, KOM 2000/1 unter 5.1.3., 6.2. 372  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 85.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

können.373 Die isolierte Beeinträchtigung der Fichten wäre im konkreten Fall, da sie nicht Schutzziel des Gebietes sind, sondern wirtschaftlichen Interessen dienen, hinnehmbar, wenn nicht im Hinblick auf das Entwicklungskonzept des Gebietes sogar wünschenswert. Die Frage, ob Schutzziele beeinträchtigt werden, ist freilich im Einzelfall zu entscheiden, sodass auch Fälle denkbar sind, in denen der Borkenkäfer selbst die Erhaltungsziele eines Gebietes gefährdet374 und Maßnahmen gegen ihn Verwaltungsmaßnahmen darstellen.375 Die fachliche Kontroverse betrifft aber auch und im Besonderen die Ebene des Risikomanagements und die Frage, wie mit dem Risiko des Borkenkäferbefalls zu verfahren ist. Während ein Teil der Wissenschaft die Borkenkäferkalamität als ein Ereignis einordnet, dem nur durch massive menschliche Eingriffe begegnet werden kann, sieht ein anderer Teil der Naturwissenschaftler in den Kalamitäten einen natürlichen Zyklus, der, wenn auch durch die Trockenheit der letzten Jahre bestärkt, der Dynamik des Naturwaldes entspricht und ohne Eingreifen wieder abnimmt.376 Das unionsrechtliche Vorsorgeprinzip gibt in einem solchen Fall der wissenschaftlichen Unsicherheit vor, mögliche Risiken bestmöglich zu bewerten und das Risiko für das Schutzgut so weit wie möglich zu reduzieren. Es bestimmt, wie in Zweifelsfällen zu verfahren ist, und dass die Schutzgüter keinem vermeidbaren Risiko ausgesetzt werden dürfen.377 Neben dem allgemeinen Vorsorgeprinzip finden sich konkrete Vorgaben über die Zulässigkeit von Vorhaben in Zweifelsfällen im FFH-Recht.378 Das Gebietsverwaltungsprivileg stellt eine Anwendungsausnahme von der Verträglichkeitsprüfung dar. Bei der Verträglichkeitsprüfung wird von der Behörde gefordert, dass sie ohne einen verbleibenden, wissenschaftlich begründeten Zweifel feststellen muss, dass das Gebiet nicht als solches beeinträchNuR 2020, 524, 525, 528. etwa der Lebensraumtyp 9410 „Montane bis alpine bodensaure Fichtenwälder“ betroffen ist. 375  Vgl. EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 171. 376  EuGH, Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 179; vgl. z. B. Biedermann/Müller/ Grégoire et al., Trends in Ecology and Evolution 2019, 914 ff.; Kolb/Keefover-Ring/ Burr et al., Journal of Chemical Ecology 2019, 888, 888 ff.; Ibisch/Blumroeder/Hobson/Hauck, e-letter zu Thorn/Müller/Leverkus, Science 2019, 1388, 1388; Tomiczek/ Pfister, in: BFW (Hrsg.), BFW-Praxisinformation 17, S. 23; Hoch/Chech/Perny, in: BFW (Hrsg.), BFW-Praxisinformation 40, S. 9 ff.; Stadelmann/Meier/Bigler, Wald und Holz 2014, 25, 26 ff. 377  Vgl. EuGH, Urt. v. 15.5.2014, C-521/12, Rn. 26; Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 41; Urt. v. 26.5.2011, C-538/09, Rn. 39; Urt. v. 7.11.2004, C-127/02, Rn. 58; Urt. v. 5.5.1998, C-157/96, Rn. 63 ff. 378  GA Kokott, Schlussanträge v. 29.1.2004, C-127/02, Nr. 100; Meßerschmidt, NuR 2013, 168, 173; BVerwGE 128, 1, 27, 31. 373  Schaper/Schumacher, 374  Wenn



A. Die Erhaltungsmaßnahmen161

tigt ist. Kann sie diese Feststellung nicht mit Gewissheit treffen, ist sie ­verpflichtet, die Zulassung des Projektes zu versagen.379 Meßerschmidt formuliert hierzu treffend, dass bei der Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens „das Risiko der Unaufklärbarkeit zu Lasten des Vorhabenträgers geht“380. Auch im Gerichtsverfahren muss die Beeinträchtigung durch die Maßnahmen nicht nachgewiesen werden, lediglich die mögliche Gefahr ist durch den Antragssteller aufzuzeigen.381 Die Richtlinie bewirkt eine Beweislastumkehr. Das Gebietsverwaltungsprivileg als Anwendungsausnahme zur Verträglichkeitsprüfung kann daher ebenfalls nur einschlägig sein, wenn festgestellt wurde, dass seine Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Es kann argumentiert werden, dass sich die Wertungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL auch auf die Privilegierung erstrecken. An den positiven Auswirkungen einer Verwaltungsmaßnahme auf das Erhaltungsziel, das mit der Maßnahme verfolgt wird, darf daher kein vernünftiger wissenschaftlicher Zweifel bestehen.382 Im Zweifelsfall müssen Behörden und Gerichte gegen eine Privilegierung entscheiden.383 Dieses Ergebnis wird auch durch den Umstand bestätigt, dass Ausnahmebestimmungen der Richtlinie bereits grundsätzlich eng auszulegen sind.384 Das unionsrechtliche Vorsorgeprinzip und die Richtlinienbestimmungen selbst stellen somit Postulate für die Entscheidung der Behörde im „Erkenntnisvakuum“ auf. Ob die behördliche Entscheidung diesen Vorgaben entspricht, ist gerichtlich überprüfbar und muss zur effektiven Anwendung des Unionsrechts vollumfänglich evaluiert werden. Durch die Vorgaben des Unionsrechts zum Vorsorgeprinzip und die Vorgaben der Richtlinie selbst kann bei unklaren Bewertungsfragen nicht das durch die nationale Rechtsprechung entwickelte Letztentscheidungsrecht der Behörde Anwendung finden. Der Unionsgesetzgeber überlässt nicht der Verwaltung die Entscheidung in einer ungeklärten Tatsachenfrage,385 sondern gibt Regeln für die 379  EuGH, st. Rspr., z. B. Urt. v. 29.7.2019, C-411/17, Rn. 117; Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 108; Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 41; Urt. v. 11.11.2012, C-43/10; Urt. v. 20.11.2007, C-304/05, Rn. 58; Urt. v. 7.11.2004, C-127/02, Rn. 57; siehe auch BVerwGE 128, 1, 30. 380  Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. EL 2019, § 34 Rn. 91; vgl. auch BVerwGE 128, 1, 27. 381  Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 29.1.2004, C-209/02, Rn. 25 f.; BVerwGE 128, 1, 27; Fellenberg, NVwZ 2019, 177, 184. 382  Schaper/Schumacher, NuR 2020, 524, 529. 383  Vgl. Meßerschmidt, NuR 2013, 168, 173. 384  EuGH, st. Rspr., z. B. Urt. v. 15.5.1986, Rs. 222/84, Rn. 38; Urt. v. 14.12.1962, Rs. 2 u. 3/62, S. 881, 884. 385  So etwa für das Artenschutzrecht angenommen in BVerwG, NVwZ 2014, 524, 525.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Entscheidung und die Tatsachenbewertung bei wissenschaftlicher Unsicherheit vor. (b) Praktische Folgen Im vorliegenden Fall hätte die Behörde daher im Gerichtsverfahren dar­ legen müssen, ob die Maßnahmen dem Erhaltungsziel der Erhaltung und Erweiterung der Buchenwaldlebensraumtypen unmittelbar dienen. Es war unumstritten, dass die Buchen den schützenden Schirm von Fremdbäumen benötigen.386 Die Behörde hätte den Beweis erbringen müssen, dass die Kahlschläge die gesunden Fichtenschirme erhalten können und so nach summarischer Betrachtung der Buchenwaldlebensraumtyp gefördert wird. Der Entscheidung ist keine Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile für den Buchenwald durch die Behörde zu entnehmen.387 Dennoch nahm das Gericht die Notwendigkeit der Maßnahme an und folgte auch der Einschätzung des Antragsgegners zum fachgerechten Umgang mit dem Borkenkäferbefall, ohne die auch vom Europäischen Gerichtshof benannte ungesicherte Erkenntnislage anzuerkennen.388 Dieses Ergebnis erscheint fragwürdig, da durch die ungesicherte Erkenntnislage zum Umgang mit Borkenkäferbefall und der mangelnden Bilanzierung der Vor- und Nachteile für das Schutzgut in zweierlei Hinsicht nicht zweifelsfrei erwiesen war, dass die Kahlschläge für die Verwaltung des Gebiets notwendig waren. Eine Verträglichkeitsprüfung war durchzuführen. Als praktische Folge der Verträglichkeitsprüfung wären an Ort und Stelle Schadensminimierungsmaßnahmen notwendig geworden. Diese könnten den Schaden an den Buchen mindern oder beheben. Auch das OVG Münster und der Antragsgegner gehen davon aus, dass ein Fichtenstreifen am Rande der Laubwälder zu erhalten sei,389 obwohl dies den Nutzen der Kahlschläge, die Bekämpfung des Borkenkäfers durch Entnahme seiner Lebensraumbäume, wohl vollumfänglich dezimieren würde. Angeordnete Schadensminimierungsmaßnahmen sind zudem ein Indiz für eine notwendige Verträglichkeitsprüfung. Sie setzten schließlich einen möglichen Schaden an den Erhaltungszielen voraus.390 Geeignete Schadensminimierungsmaßnahmen wären aber auch der Schutz der Buchen vor Sonnenschäden durch Juteummantelungen oder Vorrichtungen, die den Waldrand gegen Sturm und vor dem thermischen Sog durch die Freifläche schützen. 386  OVG

Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 13, 46, 58. Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 46 ff. 388  OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 58 ff. 389  OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2019, 21 B 1341/19, Rn. 58. 390  Daher ist der Vorschlag eher als Kompromiss im Verfahren einzuordnen. 387  OVG



A. Die Erhaltungsmaßnahmen163

Wäre die Verträglichkeitsprüfung zu dem Ergebnis gekommen, die Erhaltungsziele im Gebiet seien möglicherweise beeinträchtigt, wäre auch eine Ausnahmegenehmigung erforderlich geworden. Eine Ausnahmegenehmigung würde eine vorgeschaltete Prüfung von milderen Alternativlösungen beinhalten, sodass der Vorschlag, die verstorbenen und befallenen Bäume zu erhalten und die Kalamität gewähren zu lassen, untersucht werden müsste. Hierbei ist entscheidend, was das Ziel des Projektes ist. Weiterhin wäre sicherzustellen, dass nur die tatsächlich erforderlichen Fällungen und Entnahmen vorgenommen werden. Die Fällungen und das Entfernen der Bäume aus dem Wald müssten so schonend wie möglich durchgeführt werden, sodass beispielsweise Rückepferde gegenüber Großmaschinen zu bevorzugen sind oder jahreszeitliche Beschränkungen sinnvoll sind.391 Die bestehenden Jungbäume unter dem Fichtenschirm wären gezielt zu erhalten. Schließlich wären auch Kohärenzsicherungsmaßnahmen zu prüfen gewesen. bb) Falllösung entsprechend den Vorschlägen zur Streichung des Gebietsverwaltungsprivilegs Mit der Streichung des Gebietsverwaltungsprivilegs wären Gebietsverwaltungsmaßnahmen jeglicher Art nicht mehr von einer Verträglichkeitsprüfung freigestellt. Als Projekte wären Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen, sofern sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten ein FFH-Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnten. Auf den Beispielsfall bezogen hätte sich die Diskussion, ob die Kahlschläge der Fichten den Buchenwaldlebensraumtypen nützen oder schaden auf die Ebene der Verträglichkeitsprüfung verlagert. Da eine Beeinträchtigung möglich erscheint, hätte die untere Naturschutzbehörde unzweifelhaft in der Verträglichkeitsprüfung den Gegenbeweis erbringen müssen, der eine solche Beeinträchtigung auszuschließen vermag.392 Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof hat die Anforderungen an die Verträglichkeitsprüfung maßgeblich ausgestaltet. Inzwischen ist weitgehend unstreitig, dass die Behörde ein Projekt oder einen Plan nur zulassen darf, wenn sie ohne wissenschaftlich begründete Zweifel und nachdem sie die besten einschlägigen wissenschaft­ lichen Erkenntnisse ausgewertet hat, vollständig, präzise und endgültig feststellt, dass die Erhaltungsziele im Gebiet nicht beeinträchtigt werden.393 Nicht 391  Siehe

hierzu auch Czybulka, NuR 2020, 73, 83. Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt (Hrsg.), BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 11. 393  EuGH, st. Rspr., z. B. Urt. v. 29.7.2019, C-411/17, Rn. 117; Urt. v. 17.4.2018, C-441/17, Rn. 108; Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 41; Urt. v. 11.11.2012, C-43/10; 392  Vgl.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

die Möglichkeit einer relevanten Beeinträchtigung ist im Hinblick auf die Zulassung eines Vorhabens zu beweisen, sondern ihr Ausbleiben.394 Daher ist bei bestehenden Unsicherheiten das Vorhaben abzulehnen.395 Nach Aufhebung des Gebietsverwaltungsprivilegs würden diese Anforderungen und die Beweislastverteilung innerhalb der Verträglichkeitsprüfung zweifelsfrei angewandt. Hier wurde vertreten, dass die Beweislastumkehr der Verträglichkeitsprüfung auf das Gebietsverwaltungsprivileg übertragen werden muss, da die Wertungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL auch die Frage betreffen, ob das Gebietsverwaltungsprivileg einschlägig ist. Auf diese Problematik würde es nicht mehr ankommen, würde man das Gebietsverwaltungsprivileg aufgeben. Der besprochene Fall zeigt auf, dass das Verwaltungsprivileg zahlreiche neue Rechtsfragen aufwirft und so dazu beiträgt, dass durch eine zu weite Auslegung und Unsicherheit im Umgang mit den Vorgaben schädigende Verwaltungsmaßnahmen unbesehen zugelassen werden. Das Gebietsverwaltungsprivileg schwächt damit auch die positive Entwicklung der Gebiete, indem die positive Wirkung von Maßnahmen nicht ausreichend nachzuweisen ist. Sein Wortlaut ist zu weit bemessen und die Einhaltung seiner Vo­ raussetzungen ist durch mangelnde Verfahrensanforderungen nicht sichergestellt.

B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen Deutschland wird aktuell nicht nur bezüglich der Erhaltungsmaßnahmen die Missachtung des Unionsrechts vorgeworfen.396 Zusätzlich rief die Europäische Kommission den Europäischen Gerichtshof auch wegen unzureichender Vermeidungsmaßnahmen in deutschen FFH-Schutzgebieten an.397 Die Kommission bemängelt die unzureichenden Bemühungen Deutschlands, artenreiche Mähwiesen vor der Zerstörung zu bewahren. Der Erhaltungszustand der schwerpunktmäßig in Deutschland vorkommenden Lebensraum­ Urt. v. 20.11.2007, C-304/05, Rn. 58; Urt. v. 7.11.2004, C-127/02, Rn. 57; siehe auch BVerwGE 128, 1, 30. 394  Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 72. EL 2014, § 34 Rn. 26; a. A. noch Jarass, NuR 2007, 371, 374; OVG Lüneburg, NuR 2006, 115, 121. 395  EuGH, st. Rspr., z.  B. Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 155, 170; Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 29; Urt. v. 14.1.2016, C-141/14, Rn. 58; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 142. 396  Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262 bzw. Rs. C-116/22. 397  Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2019/2145.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen165

typen ist ungünstig.398 Die Abwehr von Beeinträchtigungen der Schutzgebiete ist eine wesentliche Aufgabe der Mitgliedstaaten, die in den nächsten Jahren aufgrund des Klimawandels und der mit ihm zusammenhängenden natürlichen Veränderungen der Umwelt noch an Relevanz gewinnen wird.399 Die Effektivität des Schutzgebietsnetzes hängt entscheidend davon ab, inwieweit die Mitgliedstaaten Beeinträchtigungen der Schutzgebiete wirksam vermeiden können.400 Da die Ausweisung der Schutzgebiete in vielen Mitgliedstaaten bald vollständig abgeschlossen ist, gilt es nun, diese Gebiete vor Schäden und Beeinträchtigungen effektiv zu schützen. Es wurde bereits ausführlich erläutert, dass die Erhaltungszustände der Arten und Lebensraumtypen sich trotz fortschreitender Ausweisung der Schutzgebiete weiter verschlechtern.401 Die negativen Einflussfaktoren auf Schutzgebiete sind enorm und nehmen weiter zu.402 Die Europäische Kommission strebt an, die Belastungen der Ökosysteme zu verringern, um den vielfältigen Bedrohungen der Natur entgegenzuwirken. So sei etwa die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden zu verhindern und gegen invasive Arten vorzugehen.403 Für die FFH-Schutzgebiete bedeutet dies die effektive Umsetzung von Vermeidungsmaßnahmen. Das Ziel ist, dass sich die Erhaltungszustände der Arten und Lebensraumtypen bis 2030 nicht weiter verschlechtern.404 Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen sind im Folgenden Gegenstand der Analyse. Dogmatisch ist insbesondere das Verhältnis zwischen den allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen und der Verhältnismäßigkeitsprüfung in vielen Details ungeklärt. Nachdem daher einige grundlegende Erläuterungen zum Inhalt der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen erfolgen, wird im Hauptteil dieses Teils der Arbeit die Systematik der Vorschriften analysiert. Der Abschnitt erörtert einige Konstellationen, die zu Auslegungsschwierigkeiten ­bezüglich der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen in der Praxis führen. Et­ waige Reformvorschläge finden sich nach den einzelnen dogmatischen Frage398  Europäische Kommission, Pressemitteilung, Naturschutz: Unzureichender Schutz von blütenreichen Wiesen in Natura-2000-Gebieten. 399  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, unter 1.; siehe auch Schumacher/Schumacher, NuR 2013, 377, 378 ff. sowie 383; vgl. auch Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, § 33 Rn. 22; Badeck/Böhning-Gaese/Cramer et al., NaBiV 2007, 151, 151 ff. 400  EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 121. 401  Siehe Kap. 2 A. 2. 402  EEA, State of Nature in the EU (2020), S. 71 ff. 403  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, unter 2.2. 404  Europäische Kommission, EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, COM(2020) 380 final, unter 2.2.1.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

stellungen. Zuletzt wird die Problematik an einem Beispielsfall aus der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verdeutlicht.

I. Inhalt der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen Die Pflicht, Maßnahmen zu treffen, um die FFH-Schutzgüter vor einer Beeinträchtigung zu schützen, ist in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL normiert. Nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL treffen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen, „um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.“ Art. 6 Abs. 2 FFH-RL enthält eine Handlungsverpflichtung der Mitgliedstaaten, entsprechende Vermeidungsmaßnahmen zu treffen, um eine Verschlechterung oder Störung, die sich auf die Erhaltungsziele im Gebiet auswirken kann, zu verhindern. Anders als die nationale Umsetzungsvorschrift des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG, nach der „[a]lle Veränderungen und Störungen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Natura 2000-Gebietes in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen können“, „unzulässig“ sind, handelt es sich bei Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht um ein an jeden möglichen Verursacher gerichtetes allgemeines Verbot.405 Art. 6 Abs. 2 FFH-RL richtet sich ausschließlich an die Mitgliedstaaten. Er verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die das Gebiet vor Verschlechterungen und Störungen schützen.406 Die Pflicht der Mitgliedstaaten, gemäß Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen, besteht bereits ab Listung der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung durch die Kommission und liegt nicht im Ermessen der Mitgliedstaaten. Art. 4 Abs. 5 FFH-RL regelt die zeitliche Geltung ausdrücklich für Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL. Ab dem Zeitpunkt, zu dem die Europäische Kommission ein Gebiet als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung listet, muss der Mitgliedstaat alle geeigneten Maßnahmen treffen, um eine Beeinträchtigung des Gebietes zu vermeiden. Ähnlich der Regelung in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL, die besagt, dass alle „nötigen“ Erhaltungsmaßnahmen zu treffen sind, sieht die Regelung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, wonach „geeignete“ Maßnahmen zu ergreifen sind, außerdem keinen Entscheidungsspielraum der Mitgliedstaaten hinsichtlich der 405  Vgl.

Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 33 Rn. 3. Urt. v. 10.5.2007, C-508/04, Rn. 100.

406  EuGH,



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen167

Frage vor, ob die Mitgliedstaaten Vermeidungsmaßnahmen durchführen.407 Die Mitgliedstaaten haben bereits gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verstoßen, wenn die Möglichkeit oder die Gefahr besteht, dass die Erhaltungsziele im Gebiet beeinträchtigt werden und sie keine entsprechenden Vorkehrungen zur Vermeidung getroffen haben.408 Der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten erstreckt sich lediglich auf die konkrete Ausgestaltung der Vermeidungsmaßnahmen, während die Zielvorgabe von der Richtlinie festgelegt ist.409 Geeignete Vermeidungsmaßnahmen können etwa die Festsetzung von Tabuzonen im Schutzgebiet oder die Bekämpfung invasiver Arten darstellen.410 1. Verschlechterung und Störung Um dem Begriff der „Vermeidungsmaßnahme“ Kontur zu verleihen, ist auch darauf einzugehen, welches Resultat die Mitgliedstaaten konkret verhindern müssen. Zu vermeiden ist zunächst eine Verschlechterung der natürlichen Lebensraumtypen und der Habitate der Arten, für die ein Gebiet ausgewiesen ist. Gleichzeitig dürfen die Arten nicht gestört werden, sofern sich eine solche Störung auf die Ziele der Richtlinie erheblich auswirken kann. Die Begriffe der „Verschlechterung“ und „Störung“ sollen zunächst Gegenstand der hiesigen Untersuchung sein. Weder der Begriff der Verschlechterung noch der Begriff der Störung ist in der Richtlinie definiert. Vor dem Hintergrund des Telos der Vorschrift kann den Begriffen dennoch ausreichend Kontur verliehen werden. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL soll bewirken, dass sich der Erhaltungszustand der Lebensraum­ typen und Arten, deren Bewahrung oder Wiederherstellung Erhaltungsziel des jeweiligen Gebietes ist, nicht weiter verschlechtert.411 Entscheidende 407  Vgl. zu Art. 6 Abs. 1 FFH-RL EuGH, Urt. v. 10.5.2007, C-508/04, Rn. 76; Lau, in: Rehbinder/Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, § 11 Rn. 70; von Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, S. 75. 408  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 155; Urt. v. 24.11.2016, C-461/14, Rn. 97; Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 55; Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 42; Urt. v. 14.1.2016, C-141/14, Rn. 58; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 142; Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 32; Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, § 33 Rn. 21. 409  Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, S. 107 f.; von Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, S. 75. 410  Zu zuerst Genanntem Iven, NuR 1996, 373, 377; nach Art. 3 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 ist eine „gebietsfremde invasive Art“ „eine Art, deren Einbringung oder Ausbreitung die Biodiversität und die damit verbundenen Ökosystemdienstleistungen gefährdet oder nachteilig beeinflusst“. 411  Lau, in: Rehbinder/Schink (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, § 11 Rn. 70.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Kriterien für eine Verschlechterung sind daher der Erhaltungszustand der Lebensraumtypen und Arten und die Erhaltungsziele im Gebiet.412 Um die negativen Auswirkungen auf den Erhaltungszustand zu messen, sind die von der Richtlinie festgelegten Parameter für den günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und Arten richtungsweisend.413 Diese sind in Art. 1 lit. e FFH-RL für die Lebensraumtypen bzw. Art. 1 lit. i FFH-RL für die Arten festgelegt und umfassen etwa die langfristige stabile Populationsdynamik sowie ein ausreichendes Verbreitungsgebiet. Flankierend werden in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL die Habitate der Arten genannt, für die das Gebiet ausgewiesen worden ist. Auch eine Verschlechterung der Habitate ist daher von den Mitgliedstaaten zu vermeiden. Die gebietsspezifischen Erhaltungsziele konkretisieren das allgemeine Ziel der Richtlinie, die Arten und Lebensraumtypen in einen günstigen Erhaltungszustand zu versetzen, für das jeweilige Gebiet und die im Gebiet vorkommenden Schutzgüter. Wenn die Erhaltungsziele etwa eine Ausbreitung von Flechtenarten von 20 ha vorsehen und dieser Wert nicht mehr erreicht wird, liegt eine Verschlechterung vor. Während die Lebensräume und Habitate der Arten umfassend vor einer Verschlechterung geschützt sind, ist eine Störung der Arten nur beachtlich, sofern sie sich im Hinblick auf die Ziele der FFH-Richtlinie „erheblich auswirken“ kann.414 Insofern ist fraglich, ob die Tatbestandsalternativen ein unterschiedliches Schutzniveau gewährleisten. Möglicherweise ist der Begriff der Störung weiter gefasst als der der Verschlechterung, sodass es der von der Richtlinie vorgenommenen Einschränkung bedarf. Die deutsche Kommentarliteratur stellt zur Definition der „Störung“ vorwiegend auf den Störungsbegriff des Artenschutzrechtes ab, nach dem eine psychische Beeinträchtigung von Tieren, die sich beispielsweise in Schreckreaktionen äußert, ausreichend ist.415 Sie geht damit von einem sehr weiten Störungsbegriff aus. Weitere Stimmen, zu denen auch die Europäische Kommission zählt, differenzieren passend zum weiten Störungsbegriff zwischen der Störung und der Verschlechterung, indem sie annehmen, dass die Störung, anders als die Verschlechterung, keine unmittelbare physische BeeinNuR 2013, 168, 173. Kommission, Natura 2000 Gebietsmanagement, S. 21 f.; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 33 Rn. 27; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, 1, 2; vgl. Fischer-Hüftle, ZUR 1999, 66, 69. 414  Art. 6 Abs. 2 FFH-RL; zur Differenzierung siehe Epiney, UPR 1997, 303, 308; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, 1, 2. 415  Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 82. EL 2017, § 33 Rn. 8; Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 33 Rn. 5. 412  Meßerschmidt, 413  Europäische



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen169

trächtigung des Gebietes verlange.416 Hierbei fällt auf, dass der Störungsbegriff bei Pflanzenarten, die nach Anhang II auch durch den FFH-Gebietsschutz geschützt sind, bisher keine ausreichende Konturierung erfahren hat. Pflanzenarten könnten etwa gestört sein, wenn Einwirkungen bestehen, die sich langfristig auf den Erhaltungszustand der Art negativ auswirken könnten, wie beispielsweise Hitze- oder Schadstoffeinwirkungen oder der Verlust des (potentiellen) Lebensraumes. Begrifflich umfasst der Begriff der Störung ohne die von der Richtlinie vorgenommene Einschränkung jedenfalls bereits jedwede negative Einwirkung, auch wenn ihr Einfluss temporär ist und den Erhaltungszustand der Art in keiner Weise beeinflusst. Eine Verschlechterung muss sich hingegen begriffsnotwendig durch einen schlechteren Zustand des Lebensraums ausdrücken. Erst durch die Ergänzung, dass eine Störung sich erheblich auf die Ziele der Richtlinie auswirken muss, um Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu unter­ fallen, wird die Störung der Verschlechterung in ihrer Wirkungsintensität gleichgestellt. Die Vermeidung sowohl von Verschlechterungen als auch von Störungen, die sich im Hinblick auf die Ziele der Richtlinie erheblich auswirken könnten, gewährleistet damit gleichermaßen, dass die Erhaltungsziele im Gebiet verwirklicht werden. 2. Präventiver Ansatz Die allgemeine Pflicht der Mitgliedstaaten, Schäden im Schutzgebiet zu vermeiden, ist eine fortlaufende, ständige Verpflichtung,417 die bei allen drohenden Beeinträchtigungen zu erfüllen ist, die vom Mitgliedstaat vorhersehbar sind.418 Art. 6 Abs. 2 FFH-RL weist die Mitgliedstaaten an, negative Einflüsse bereits im Vorfeld einer Verschlechterung oder relevanten Störung zu verhindern. Als Ausprägung des Vorsorgeprinzips müssen die Vermeidungsmaßnahmen in erster Linie präventiv wirken, um Beeinträchtigungen abzuwehren.419 Die Vermeidungsmaßnahmen sollen Beeinträchtigungen des Gebietes vorbeugen, bevor sie entstehen.420 Der Mitgliedstaat muss auf 416  Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt (Hrsg.), BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 33 Rn. 3; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 137. EL 2017, § 33 Rn. 10; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 22. 417  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 37; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 18; Beier, NVwZ 2016, 575, 576. 418  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 18; Heugel, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 33 Rn. 6; vgl. auch Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Schutzregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 88. 419  Europäische Kommission, Natura 2000 Gebietsmanagement, S. 17; EuGH, Urt. v. 13.12.2007, C-418/04, Rn. 208. 420  EuGH, Urt. v. 13.12.2007, C-418/04, Rn. 208, 217.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Grund des Vorsorgeprinzips bereits reagieren und Vermeidungsmaßnahmen durchführen, wenn ein Risiko besteht, dass die Erhaltungsziele im Gebiet beeinträchtigt werden könnten.421 Aus der Sicht des Vorsorgeprinzips sind Vermeidungsmaßnahmen demnach der erste Schritt, um Beeinträchtigungen der Gebiete im Ergebnis möglichst zu verhindern. Denn die Vermeidung von Schäden ist nach dem Vorsorgegrundsatz und der Systematik des Art. 6 FFH-RL vorrangig gegenüber der Minderung der Auswirkungen einer Beeinträchtigung und vor ihrem Ausgleich.422 Nur aufgrund besonderer überwiegender öffentlichen Interessen darf ein Schaden im Gebiet gemäß Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL zugelassen werden. In diesen Fällen ist er so weit wie möglich zu mindern und auszugleichen. Der Grundsatz der vorrangigen Vermeidung wird auch durch das ebenfalls in Art. 191 Abs. 2 AEUV verankerte Ursprungsprinzip bekräftigt, nach dem eine Beeinträchtigung vorrangig an deren Ursprung zu bekämpfen ist.423 Die Mitgliedstaaten können mit den Vermeidungsmaßnahmen daher nicht bereits entstandene Schäden beseitigen. Diese Funktion können nur die Erhaltungsmaßnahmen erfüllen, wenn sie ein Gebiet wiederherstellen.424 Vermeidungsmaßnahmen müssen stattdessen künftige Schäden bereits im Vorfeld wirksam verhindern. Die grundlegenden Eigenschaften des Gebietes und damit die ökologischen Erfordernisse der Schutzgüter sollen so dauerhaft erhalten werden.425

II. Vermeidungsmaßnahmen außerhalb von Schutzgebieten Der vorangegangene Abschnitt hat die Pflicht der Mitgliedstaaten, Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen, inhaltlich ausgeführt, in ihrem präventiven Charakter beschrieben und ihren zeitlichen Anwendungsbereich dargelegt. Im Folgenden werden Überlegungen zum räumlichen Anwendungsbereich der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen angestellt. Die Schutzgebiete sind, wie bereits erwähnt, vielfältigen Beeinträchtigungen ausgesetzt, die jenseits 421  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 170; Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 42; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 142; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Schutzregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 85. 422  GA Sharpston, Schlussanträge v. 27.2.2014, C-521/12, Nr. 31 f., unter Verweis auf DEFRA, Biodiversity Offsetting Pilots, S. 3 Nr. 16, die die Bezeichnung „Minderungshierachie“ („mitigation hierachy“) verwendet; Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leit­ linien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S. 61. 423  Siehe hierzu auch EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 154. 424  Vgl. Kap. 3 A. I. 3.; EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 164. 425  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 166.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen171

der Gebietsgrenzen ihren Ursprung haben.426 Als Beispiele lassen sich etwa Veränderungen des Wasserregimes oder die Stickstoffbelastung, die durch Luft oder Wasser in das Gebiet getragen wird, nennen.427 Auch invasive Arten sollten nicht erst in das Gebiet gelangen. Oft verhindern Beeinträchtigungen, die von außen auf ein Gebiet einwirken, dass die Erhaltungsziele im Gebiet erreicht werden.428 So, wie im Rahmen der Zulassung von Projekten mittlerweile anerkannt ist, dass auch Projekte, die außerhalb des Schutzgebietes verortet sind, aber im Schutzgebiet negative Wirkungen entfalten, der Verträglichkeitsprüfung unterfallen,429 ist es ebenfalls inzwischen überwiegend Konsens, dass auch allgemeine Vermeidungsmaßnahmen auf Beeinträchtigungen eines Gebietes „von außen“ reagieren müssen und damit auch außerhalb der Gebietsgrenzen angesetzt werden können.430 Die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auf Beeinträchtigungen, die außerhalb der Gebietsgrenzen ihren Ursprung haben, wird damit überwiegend befürwortet. Der Wortlaut, nach dem die Mitgliedstaaten Verschlechterungen und Störungen „in den besonderen Schutzgebieten“ vermeiden müssen, steht dem nicht entgegen.431 Wie auch im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist eine Beeinträchtigung wirkungsbezogen zu beurteilen und ist zu vermeiden, sofern sie sich negativ auf die Erhaltungsziele im Gebiet auswirkt.432 Bereits das unionsrechtliche Vorsorgeprinzip gebietet es, Schäden an den Gebieten nicht erst im Nachgang zu beheben, sondern bereits im Vorfeld 426  EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, S. 7. 427  EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, S. 7. 428  EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, S. 7. 429  Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 34 Rn. 2; EuGH, Urt. v. 29.7.2019, C-411/17, Rn. 136; Urt. v. 26.4.2017, C‑142/16, Rn. 29; Urt. v. 10.1.2006, C‑98/03, Rn. 44 und 51. 430  von Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, S. 75; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 236; Gellermann, NVwZ 2001, 500, 504; Gellermann, Natura 2000, S. 71 f.; Gellermann, in: Rengeling (Hrsg.), EUDUR II, § 78 Rn. 27; Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, § 33 Rn. 43, 54; Niederstadt, NuR 1998, 515, 520; Fischer-Hüftle, ZUR 1999, 66, 68 Fn. 10; BVerwG, NuR 1998, 261, 265; a. A. noch Schumacher/Schumacher, NuR 2013, 377, 383; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 387; Gellermann, NuR 1996, 548, 550; Erhaltungsmaßnahmen sind nur dann außerhalb der Gebiete durchzuführen, wenn sie direkte Auswirkung auf die Erhaltungsziele im jeweiligen Gebiet haben. Siehe hierzu Kap. 3. A. II. 431  Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 236 f.; a. A. noch Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 387. 432  Vgl. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 237.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

abzuwehren.433 Art. 6 Abs. 2 FFH-RL setzt dieses Prinzip um und gebietet den Mitgliedstaaten, bereits auf Bedrohungssituationen zu reagieren.434 Die zuständigen Behörden müssen daher bereits außerhalb der Gebietsgrenzen gegen Beeinträchtigungen vorgehen, bevor das Gebiet einer Gefahr ausgesetzt ist. Da die Vermeidung an der Quelle im Unionsrecht im Vordergrund steht, lässt sich hieran die notwendige Schlussfolgerung anknüpfen, dass allgemeine Vermeidungsmaßnahmen auch außerhalb des Gebietes angesetzt werden können, um Beeinträchtigungen im Gebiet zu verhindern.435 Aber nicht nur die Beeinträchtigung eines Schutzgebietes kann außerhalb des Schutzgebietes ihren Ursprung haben. Es ist auch auf die Frage einzugehen, ob Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auf Schutzgüter außerhalb des Gebietes anwendbar ist. Namentlich ist zu untersuchen, inwiefern Lebensraumtypen und Arten geschützt sind, die nur dem Gebietsschutz und nicht dem Artenschutz unterfallen, aber außerhalb der Schutzgebiete vorkommen, oder inwiefern die Beeinträchtigung von Verbundkorridoren zwischen Schutzgebieten zu vermeiden ist. Grundsätzlich sind außerhalb der Schutzgebiete nur solche Arten durch die FFH-RL geschützt, die dem besonderen Artenschutz unterfallen und in Anhang IV der Richtlinie gelistet sind.436 Dies ergibt sich aus der Konzeption von Schutzgebieten und flächenunabhängigem, individuenbezogenen Artenschutz. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof für die Verträglichkeitsprüfung von Plänen und Projekten nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL überzeugend entschieden, dass sämtliche Auswirkungen eines Vorhabens in die Verträglichkeitsprüfung einzubeziehen sind, die Erhaltungsziele im Gebiet beeinträchtigen können. Er schließt ausdrücklich auch Auswirkungen auf ­Arten und Lebensraumtypen ein, die außerhalb der Gebietsgrenzen vorkom­ men.437 Die Argumentation überzeugt insofern, als dass das Telos der Richtlinie ist, die gelisteten Arten und Lebensraumtypen in einen günstigen Erhaltungszustand zu versetzen und so die biologische Vielfalt zu schützen.438 Die beEuropäisches Umweltrecht, Rn. 141. Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 18; Heugel, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 33 Rn. 6; vgl. auch Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Schutzregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 88. 435  von Keitz, Rechtsschutz Privater gegen FFH-Gebiete, S.  75; Gellermann, NVwZ 2001, 500, 504. 436  Schröder/Ssymank/Vischer-Leopold/Ersfeld, Environmental Science Europe 2008, 264, 265. 437  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-461/17, Rn. 40; Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 85 f. 438  Art. 2 Abs. 1 FFH-RL. 433  Frenz,

434  Europäische



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen173

sonderen Schutzgebiete sollen dazu beitragen, den Fortbestand der natür­ lichen Lebensraumtypen und Arten zu gewährleisten.439 Es ist allerdings ausdrücklich nicht Ziel der Richtlinie, die Arten und Lebensraumtypen in die Gebiete zurückzudrängen.440 Vielmehr sollen Resorts geschaffen werden, um auch außerhalb der Schutzgebiete eine vielfältige Umwelt wiederherzustellen. Um dies effektiv gewährleisten zu können, sind nicht nur einzelne „Oasen“ vorgesehen, sondern ein Schutzgebietsnetz, das auch die Konnektivität der Schutzgebiete umfasst.441 Außerdem ist der günstige Erhaltungszustand einer Art oder eines Lebensraumtyps immer auch in Bezug auf das gesamte Verbreitungsgebiet der Art bzw. des Lebensraumtyps zu bestimmen, sodass das einzelne Schutzgebiet als Baustein des Verbreitungsgebietes zu sehen ist.442 Die angestrebte allgemeine biologische Vielfalt erstreckt sich ausweislich der Zielbestimmungen der Richtlinie räumlich nicht nur auf die Schutzgebiete und inhaltlich nicht nur auf die Arten des besonderen Artenschutzes.443 Diese teleologische Argumentation lässt sich nicht nur auf die Verträglichkeitsprüfung anwenden. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen dienen explizit dem Zweck, die Schutzgüter im Gebiet vor solchen Beeinträchtigungen zu schützen, die die Erhaltungsziele gefährden könnten. Daher müssen die Mitgliedstaaten außerhalb der Gebietsgrenzen gelegene Areale auch durch allgemeine Vermeidungsmaßnahmen schützen, sofern die Erhaltungsziele dies erfordern.444 Der Schutz ist in diesem Fall auf Lebensraumtypen und Arten außerhalb der Gebiete und den Biotopverbund zu erstrecken. Lebt beispielsweise eine Teilpopulation einer Art außerhalb der Gebietsgrenzen, muss diese gegebenenfalls über die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen geschützt werden.445 Der genetische Austausch zwischen den Teilpopulationen kann für den Erhalt einer Art essentiell sein.446 Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen ermöglichen, dynamisch bereits im Vorfeld einer Anpassung der Gebietsgrenzen Verbundkorridore miteinzubeziehen und auf Verän439  Art. 3

Abs. 1 FFH-RL.

Utrecht Law Review, 158, 163. Art. 3 Abs. 1 FFH-RL; hierzu Schumacher/Schumacher, NuR 2013, 377,

440  Cliquet/Backes/Harris/Howsam, 441  Vgl.

386.

442  Art. 1 lit. e bzw. i FFH-RL; vgl. Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 31 Rn. 13. 443  Siehe Kap. 1 A. 1. 444  Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 33 Rn. 22; a. A. Dolde/Lange, VBlBW 2015, 1, 3. 445  Vgl. Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFHRichtlinie 92/43/EWG, S. 18. 446  Vgl. Möckel, Nature Conservation 2017, 31, 6.1.1.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

derungen des Gebietsbestandes zu reagieren.447 Hier ist eine Parallele zu den Erhaltungsmaßnahmen erkennbar, die ebenfalls außerhalb der Gebietsgrenzen zu ergreifen sind, wenn die Mitgliedstaaten so die Erhaltungsziele im Gebiet erreichen.448 Die Grenze der weiten Auslegung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ist erreicht, sobald die Lebensraumtypen und Arten außerhalb der Gebietsgrenzen keinerlei Bezug mehr zu den Erhaltungszielen im Gebiet aufweisen.449 Der Wortlaut der Bestimmung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bezieht sich ausdrücklich auf die Lebensräume und Arten, für die das Gebiet ausgewiesen wurde und lässt daher keine andere Interpretation zu. Ebenso betonte der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung zur räumlichen Reichweite der Verträglichkeitsprüfung, dass die Verträglichkeitsprüfung nur solche Einwirkungen eines Projektes auf Arten und Lebensraumtypen außerhalb der Gebietsgrenzen erörtern muss, die geeignet sind, die Erhaltungsziele des Gebietes zu beeinträchtigen. Die Verträglichkeitsprüfung solle gewährleisten, dass ein Projekt oder Plan nicht die Erhaltungsziele eines Gebietes vereitelt.450

III. Die Vermeidungsmaßnahme im System des Art. 6 FFH-RL Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit den allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen innerhalb der Systematik des Art. 6 FFH-RL. Das Verhältnis von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL, mithin der systematische Zusammenhang der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen und dem Verfahren der Verträglichkeitsprüfung sowie der Zulassung von Projekten und Plänen, werfen zahlreiche Rechtfragen auf. Das in seinen Einzelheiten unklare Verhältnis der Vorschriften451 führt zu Abgrenzungsschwierigkeiten und Folgeproblemen. Es ist oftmals nicht abschließend geklärt, in welchen Fällen eine Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL durchzuführen ist, und wann auf die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zurück­ gegriffen werden muss. Die niederländischen Behörden haben exemplarisch lange Zeit die Zulässigkeit von Plänen und Projekten an Art. 6 Abs. 2 FFH‑RL und nicht an Art. 6 Abs. 3 FFH-RL gemessen, während in anderen Mitglied447  Vgl. zu den Schwierigkeiten bzgl. neuer Gebietsausweisungen Cliquet/Backes/ Harris/Howsam, Utrecht Law Review, 158, 163. 448  Siehe Kap. 3 A. 2. 449  Siehe Kap. 3 A. II. 1. 450  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-461/17, Rn. 31, 33, 40; siehe ergänzend zum Schutz nicht ausgewiesener und nicht gemeldeter FFH-Gebiete (sog. „potentielle FFH-Gebiete“) Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 70. EL 2013, Vorbemerkung vor §§ 31–36, Rn. 18 ff. 451  Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 137. EL 2017, § 33 Rn. 16.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen175

staaten die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen in Zulassungsverfahren selten eine Rolle spielen.452 Eine praktische Konsequenz einer solchen Zuordnung der Projektzulassung zu Art. 6 Abs. 3 FFH‑RL ist beispielsweise die Möglichkeit, Ausnahmegenehmigungen nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zu erteilen. Daher ist das Verhältnis der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen zu den Regelungen über die Verträglichkeitsprüfung in der FFH-Richtlinie näher zu untersuchen. Nachfolgend wird zunächst die grundlegende Systematik der Vorschriften vorgestellt (unter 1.). Anschließend werden die Vorschriften inhaltlich verglichen. Hierzu untersuchen die folgenden Abschnitte das Schutzniveau der Vorschriften, den Prüfumfang bei der Durchführung von allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen und der Verträglichkeitsprüfung, sowie das den mitgliedstaatlichen Behörden jeweils zustehende Auswahlermessen (unter 2.). Anschließend werden einzelne Kriterien zur Abgrenzung des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL bewertet (unter 3.). Der Abschnitt 4. beschäftigt sich mit den Folgeproblemen des ungeklärten Verhältnisses der Vorschriften. Etwaiger Reformbedarf an der Richtlinie wird im Anschluss an die jeweilige Fragestellung erörtert. Abschließend werden die Ergebnisse und Reformvorschläge zusammengefasst (5. und 6.) und ein Fallbeispiel angeführt (7.). 1. Grundlagen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten „Verschlechterungen der natürlichen Lebensräume und Habitate […] sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden“. Die Vermeidungsmaßnahmen schützen allgemein vor Verschlechterungen der Lebensraumtypen und Habitate und Störungen der Arten. Der bisher, auch durch positiv wirkende Ertüchtigungsmaßnahmen erreichte Erhaltungszustand ist zu wahren.453 Im nächsten Absatz des für den Gebietsschutz zentralen Art. 6 FFH-RL findet sich die Verträglichkeitsprüfung für Pläne und Projekte. Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL verlangt, wie erwähnt, dass die Mitgliedstaaten Pläne und Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür notwendig sind, das Gebiet aber erheblich beeinträchtigen könnten, einer Prüfung auf ihre Verträglichkeit mit den für das Gebiet festgelegten Erhaltungszielen unterziehen. Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, Pläne und Projekte, die ein Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, erst dann zuzulassen, wenn sie sich davon überzeugt haben, dass das Gebiet als 452  Backes,

E ­ urUP 2005, 265, 268. NuR 2020, 84, 87.

453  Fischer-Hüftle,

176

Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

solches nicht beeinträchtigt wird, Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL. Eine Ausnahme ist nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL unter bestimmten Voraussetzungen möglich, nachdem eine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde. Bei der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL handelt es sich um eine spezielle Form der Vermeidungsmaßnahme, die die besondere Beeinträchtigung des Projektes oder Planes einer Prüfung mit den Erhaltungszielen unterstellt und – abgesehen von der Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL – keine Zulassung ermöglicht, wenn eine Beeinträchtigung der gebietsspezifischen Erhaltungsziele nicht ausgeschlossen werden kann.454 Wenn eine Beeinträchtigung ausgeschlossen ist, liegt auch keine Verschlechterung oder Störung im Sinne des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL vor und die Mitgliedstaaten haben ihre Pflicht zur Vermeidung erfüllt. Pläne oder Projekte, die nach Feststellung der Behörde keine erhebliche Beeinträchtigung hervorrufen können, sind auch nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht zu vermeiden.455 Ebenso ist ein über eine Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugelassenes Projekt nicht nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu vermeiden.456 Eine Genehmigung, die entgegen den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL erteilt wird, verstößt immer auch gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL.457 Die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur beschreibt das Verhältnis der Vorschriften auf dieser Grundlage als Spezialitätsverhältnis, in dem Art. 6 Abs. 3 FFH-RL die lex specialis zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL darstelle.458 Ob dieser Einschätzung gefolgt werden kann, wird sich im Laufe der Untersuchung herausstellen. 2. Vergleich der Vorschriften des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL Zunächst sollen die Vorschriften des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL gegenübergestellt werden. Zu diesem Zweck wird ein genauerer Blick auf das von den Vorschriften angestrebte Schutzniveau und die von den Mitgliedstaaten zu leistende Prüfung von Beeinträchtigungen geworfen. Des Weiteren wird NuR 2020, 84, 84. ­EurUP 2005, 258, 263. 456  EuGH, Urt. v. 24.11.2011, C-404/09 Rn. 156; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 33 Rn. 21; Schumacher, ­EurUP 2005, 258, 263. 457  EuGH, Urt. v. 20.9.2007, C-304/05, Rn. 94; vgl. auch Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 124; Urt. v. 13.12.2007, C-418/04, Rn. 263; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, 1, 2. 458  Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 84; Epiney/Semmelmann, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Gebiete, S. 92, 209; Gellermann, Natura 2000, S. 75; Schumacher, ­EurUP 2005, 258, 263; Wirths, ZUR 2000, 190, 191; offen gelassen in EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 32 ff.; später bestätigt in EuGH, Urt. v. 20.9.2007, C-304/05, Rn. 94; vgl. auch Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 124; Urt. v. 13.12.2007, C-418/04, Rn. 263. 454  Fischer-Hüftle, 455  Schumacher,



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen177

diskutiert, inwiefern den Mitgliedstaaten im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL ein Auswahlermessen zusteht. a) Schutzniveau der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen Der Europäische Gerichtshof betont regelmäßig, die Regelungen der Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL stellten trotz unterschiedlichen Wortlauts auf dasselbe Schutzniveau in den Gebieten ab.459 Es ist zu untersuchen, inwiefern diese Aussage zutrifft und wie das erwähnte Schutzniveau zu bestimmen ist. aa) Dasselbe Schutzniveau trotz missverständlichen Wortlauts Ziel der Verträglichkeitsprüfung ist es, die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebiets zu verhindern.460 Ein Projekt oder Plan darf nur zugelassen werden, wenn die Behörde festgestellt hat, dass „das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird“, Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL. Eine maß­ gebliche Beeinträchtigung ist gegeben, wenn die Erhaltungsziele im Gebiet durch den Plan oder das Projekt vereitelt werden könnten.461 Dies impliziert auch der erste Satz des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, nach dem die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, die Pläne und Projekte auf ihre „Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen“ zu überprüfen. Auch im Rahmen der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bilden die gebietsspezifischen Erhaltungsziele den Prüfungsmaßstab. Sie konkretisieren den angestrebten günstigen Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen im Gebiet und geben genaue Vorgaben, welche Zielvorgaben im Gebiet umzusetzen sind. Die Vorschriften orientieren sich damit gleichsam an den gebietsspezifischen Erhaltungszielen und sind darauf ausgelegt, eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele zu verhindern. Das Telos der Vorschriften ist dasselbe. Auch unter systematischen Gesichtspunkten ergibt sich jedenfalls kein Widerspruch.

459  EuGH, Urt. v. 22.6.2022, C-661/20, Rn. 101; Urt. v. 24.6.2021, C-559/17, Rn. 156; Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. 294/17, Rn. 87; Urt. v. 12.4.2018, C-323/17, Rn. 24; Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 52; Urt. v. 15.4.2014, C-521/12, Rn. 19; Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 32; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 142. 460  GA Kokott, Schlussanträge v. 30.4.2020, C-254/19, Nr. 46; GA Kokott, Schluss­ anträge v. 25.7.2018, C-293/17 u. C-294/17, Nr. 136. 461  EuGH, Urt. v. 15.5.2014, C-521/12, Rn. 20; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 152. EL 2020, § 34 Rn. 65 ff.; Halama, in: Berkemann/Halama, Handbuch zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EU, S. 792; Schumacher/Schumacher, NuR 2013, 377, 383.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Bemerkenswert ist aber der vollkommen unterschiedliche Wortlaut der Vorschriften. Während Art. 6 Abs. 2 FFH-RL von einer Verschlechterung der Lebensräume oder einer Störung von Arten, die sich im Hinblick auf die Ziele der Richtlinie erheblich auswirken könnte, spricht, wird in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL auf das Gebiet als solches abgestellt, das laut der Richtlinienbestimmung nicht erheblich beeinträchtigt werden darf. Dass so unterschiedlich formulierte Regelungen so eng miteinander verknüpft sind und dasselbe Schutzniveau gewährleisten, erstaunt. Ein Blick auf die Historie der Vorschriften führt weiter. Im Richtlinienentwurf von 1988462 waren die Vorschriften noch nicht als gemeinsames Regelungsgefüge vorgesehen. In Art. 7 FFH-RL-E waren zunächst die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen angelegt. Die Vorschrift war ähnlich gestaltet wie der aktuelle Art. 6 Abs. 2 FFH-RL und verpflichtete die Mitgliedstaaten, „die geeigneten Maßnahmen“ zu treffen, „um die Belastung und Beeinträchtigung von Habitaten oder Störungen von wildlebenden Tieren- und Pflanzenarten zu verhindern, soweit diese im Sinne der Zielsetzung der vorliegenden Richtlinie wesentliche Auswirkungen auf die Arten oder Habitattypen haben, für die das Gebiet ausgewiesen wurde.“ Zwar wurden einige Satzteile bis zur verkündeten Richtlinienfassung umgestellt, der Sinngehalt der Vorschrift blieb aber weitgehend erhalten. Die Regelungen zur Verträglichkeitsprüfung wurden allerdings vom Entwurfstext bis zur Fassung des heutigen Art. 6 Abs. 3 FFH-RL grundlegend überarbeitet. Die Verträglichkeitsprüfung knüpfte nicht an Art. 7 FFH-RL-E an. Art. 11 FFH-RL-E sah stattdessen eine Ergänzung der Richtlinie zum Verfahren der allgemeinen Umweltverträglichkeitsprüfung463 (UVP) vor. Projekte und „Entwicklungspläne und -programme“, „von denen angenommen werden kann, daß sie das Erhaltungspotential eines […] Gebietes beeinträchtigen können“, sollten einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne der UVP-Richtlinie unterzogen werden. Die Verträglichkeitsprüfung war damals als verfahrensrechtliche Inkorporation der Anforderungen des FFHRechts in die UVP-Richtlinie vorgesehen.464 Erst später erhob der Richt­ liniengesetzgeber die UVP-Pflicht von Projekten zu einer eigenständigen Verträglichkeitsprüfung innerhalb der FFH-Richtlinie.

462  Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten v. 16.8.1988, ABl. EG C 247/3 v. 21.9.1988. 463  Richtlinie 85/337/EWG des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten v. 27.6.1985, ABl. EG L 175/40 v. 5.7.1985. 464  Wagner, NuR 1990, 396, 399.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen179

Die Verträglichkeitsprüfung ist nun in einem dritten Absatz des Art. 6 FFH‑RL nach den allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen vorgeschrieben. Der Wortlaut der Vorschrift wurde aber nur soweit angeglichen, wie es das neu geschaffene Verfahren, das keinen Teil der UVP mehr bildet, voraussetzte. Eine Harmonisierung innerhalb des Art. 6 FFH-RL fand nicht statt. Es ist mithin auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zurückzuführen, dass Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 FFH-RL einen unterschiedlichen Wortlaut aufweisen. Der Befund spricht daher nicht gegen einen gemeinsamen Schutzgegenstand der Absätze. Es kann angenommen werden, dass Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL dasselbe Schutzniveau gewährleisten. bb) Reformvorschlag: Harmonisierung des Wortlauts Nichtsdestotrotz kann dieses Ergebnis nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Bestimmungen hergeleitet werden. Dies mag auch ein Grund sein, warum der Europäische Gerichtshof das übereinstimmende Schutzniveau der Absätze so regelmäßig betont. Vor dem soeben geschilderten dogmatischen Hintergrund ist aus rechtspolitischer Sicht Reformbedarf zu sehen, um den Regelungsgehalt der Richtlinie zu verdeutlichen. Eine Reform der Richtlinie sollte am Wortlaut der Vorschriften ansetzen und diesen angleichen. Der historische Rückblick auf den Richtlinienentwurf aus dem Jahre 1988 und der Vergleich zum heutigen Normtext hat gezeigt, dass nur geringfügige Änderungen am Wortlaut erfolgten, wenngleich der Gesetzgeber den Sinngehalt der Verträglichkeitsprüfung grundlegend überarbeitete. Er versäumte damit aber einen entscheidenden Schritt, der zur rechtssicheren Anwendung der Richtlinie beigetragen hätte. Es ist ohnehin fraglich, warum der Richtlinientext die Erhaltungsziele in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht nennt, sondern die Begriffe der Verschlechterung oder Störung nutzt, die ihrerseits nicht von der Richtlinie definiert werden. Darüber hinaus sollte derselbe Prüfungsmaßstab sich auch durch dieselbe Formulierung in Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL niederschlagen. Der Normtext beider Absätze sollte ausdrücken, dass Maßstab einer Beeinträchtigung die gebietsspezifischen Erhaltungsziele sind, die das Ziel des günstigen Erhaltungszustands der in der Richtlinie gelisteten Arten und Lebensraumtypen konkretisieren. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL könnte entsprechend lauten: „Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten Beeinträchtigungen zu vermeiden, die sich im Hinblick auf die gebietsspezifischen Erhaltungsziele negativ auswirken könnten.“ Art. 6 Abs. 3 FFH-RL könnte parallel statt von einer „erheblichen Beeinträchtigung“ von einer möglichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele ausgehen. So wäre der Maßstab einer Beeinträchtigung konkret vorgegeben

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

und der Wortlaut beider Absätze angeglichen, um dasselbe Schutzniveau, das sie gewährleisten, hervorzuheben. b) Prüfumfang bei allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen Nachdem vorausgehend festgestellt wurde, dass Art. 6 Abs. 2 und 3 FFHRL dasselbe Schutzniveau gewährleisten, schließt sich nun die Frage an, ob die Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 2 FFH‑RL im gleichen Umfang wie bei der Verträglichkeitsprüfung verpflichtet sind, durch entsprechende Untersuchungen eine Beeinträchtigung auszuschließen. Die FFH-Richtlinie beruht auf dem Grundsatz der Vorsorge, sodass die Mitgliedstaaten im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachweisen müssen, dass die Erhaltungsziele im Gebiet durch das Vorhaben nicht beeinträchtigt werden können. Sie müssen die Gewissheit erlangen, dass das Gebiet als solches durch das Vorhaben nicht beeinträchtigt werden würde und dies, ohne dass ein vernünftiger Zweifel begründet werden kann, feststellen.465 Die Mitgliedstaaten müssen daher eine umfangreiche Prüfung unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse gewährleisten.466 Im Hinblick auf das Vorsorgeprinzip müssen die Mitgliedstaaten eine erhebliche Beeinträchtigung auch durch allgemeine Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ausschließen können.467 Eine Tätigkeit ist nur dann mit Art. 6 Abs. 2 FFH-RL vereinbar, wenn sichergestellt ist, dass sie keine Auswirkungen aufweist, die die Ziele der Richtlinie, namentlich die Erhaltung der Arten und Lebensräume, konkretisiert durch die Erhaltungsziele im jeweiligen Gebiet, beeinträchtigen können.468 Denn auch nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, jede Beeinträchtigung der Erhaltungsziele im Gebiet wirksam zu verhindern und können Einwirkungen nur dulden, wenn sie keine solche Beeinträchtigung darstellen.469 465  Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFHRichtlinie 92/43/EWG, S. 10. 466  EuGH, st. Rspr. siehe z. B. Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 61; Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S. 11. 467  Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 82. EL 2017, § 33 Rn. 9; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 33 Rn. 25. 468  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-141/14, Rn. 56; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 126; Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 32. 469  EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 28; Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 32.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen181

Durch allgemeine Vermeidungsmaßnahmen ist, wie festgestellt, dasselbe Schutzniveau zu gewährleisten wie im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL.470 Dennoch verpflichtet nur der Wortlaut des spezielleren Art. 6 Abs. 3 FFHRL ausdrücklich zu einer Verträglichkeitsprüfung. Dadurch wird die Frage aufgeworfen, wie die Mitgliedstaaten die erforderlichen Feststellungen treffen, die auch bei den allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen von ihnen verlangt werden, und inwiefern eine Prüfung von Auswirkungen und Betroffenheiten auch im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu leisten ist und welchen Umfang diese haben muss. Zunächst ist festzustellen, dass durchaus Fälle denkbar sind, in denen auch Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als geeignete Vermeidungsmaßnahme eine mit den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vergleichbare Prüfung verlangt. Eine solche wäre in jedem Fall erforderlich, wenn eine entsprechende Untersuchung die einzige geeignete Vermeidungsmaßnahme darstellt, um eine Verschlechterung oder erhebliche Störung zu verhindern.471 Wenn beispielsweise die Auswirkungen auf ein Gebiet erst genau evaluiert werden müssen, um Vorkehrungen gegen Schäden treffen zu können, muss der Mitgliedstaat eine entsprechende Prüfung durchführen. Dies ergibt sich bereits aus dem materiellen Gehalt von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL. Eine den Anforderungen der Verträglichkeitsprüfung entsprechende Prüfung von Einwirkungen auf das Gebiet ist aber nicht immer die einzige geeignete Vermeidungsmaßnahme. Denn Art. 6 Abs. 2 FFH-RL schützt auch vor sämtlichen nicht planbaren und sogar natürlichen Einwirkungen auf das Schutzgebiet, bei denen eine Verträglichkeitsprüfung nicht möglich ist. Daher wird sie von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auch nicht allgemein vorgeschrieben. In den meisten derartigen Fällen natürlicher oder nicht planbarer Einwirkungen wird ein allgemeines Verbot einen geeigneten Schutz darstellen. Daher ermöglicht es Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auch, bestimmte Tätigkeiten ohne eine eingehende Prüfung zu untersagen und in den Schutzgebieten allgemeine Verbote vorzusehen. Die Mitgliedstaaten entsprechen ihrer Pflicht nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ebenso, wenn sie andere geeignete Vermeidungsmaßnahmen durchführen, die sogar ohne entsprechenden Nachweis der negativen Effekte einer Einwirkung möglich sind.472

470  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/17, Rn. 156; Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. 294/17, Rn. 87; Urt. v. 12.4.2018, C-323/17, Rn. 24; Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 52; Urt. v. 15.4.2014, C-521/12, Rn. 19; Urt. v. 11.4.2013, C-258/11 Rn. 32; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 142. 471  Vgl. EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 44 ff.; Heugel, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 33 Rn. 4. 472  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 20.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Um drohende Beeinträchtigungen zu ermitteln, die der Mitgliedstaat nach Art. 6 Abs. 2 FFH‑RL vermeiden muss, ist allerdings eine ständige Überwachung des Gebietes notwendig.473 Anders als bei Projekten und Plänen erlangt die zuständige Behörde nicht durch den Antrag des Vorhabenträgers Kenntnis von möglichen sonstigen Beeinträchtigungen, wie etwa der Gefahr, dass das Gebiet aufgrund des Klimawandels austrocknet. Um alle notwendigen allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen umsetzen zu können, muss sie daher ein dauerhaftes Monitoring durchführen. Der Europäische Gerichtshof spricht in diesem Zusammenhang von „Überwachung und Kontrolle“ durch die Mitgliedstaaten.474 Auch diese laufende Kontrolle muss gewährleisten, dass der Mitgliedstaat keine negativen Einwirkungen übersieht. Die Regelungen in Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL unterscheiden sich hinsichtlich der von den Mitgliedstaaten geforderten Prüfpflicht somit hauptsächlich darin, dass Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine fortlaufende Verpflichtung zur Ermittlung von möglichen Beeinträchtigungen vorsieht, da jede Vermeidungsmaßnahme die Kenntnis voraussetzt, vor welchen Einflüssen das Gebiet geschützt werden muss, während Art. 6 Abs. 3 FFH-RL eine anlassbezogene Prüfung darstellt. Der Vorhabenträger stellt sein möglicherweise beeinträchtigendes Projekt im Regelfall der Behörde vor.475 Dementsprechend handelt es sich bei der Verträglichkeitsprüfung auch immer um eine Prüfung eines Vorhabens im Einzelfall.476 Die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL endet daneben mit einer Ablehnung oder Zulassung, sodass dem Projektträger oder Plangeber Rechtssicherheit gewährt wird. Dies be­ inhaltet ferner insofern eine Privilegierung, als dass die Projekte und Pläne im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, auch wenn die Zulassungsbehörden eine erhebliche Beeinträchtigung ermittelt haben, noch ausnahmsweise nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugelassen werden können. c) Auswahlermessen Sowohl im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als auch von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL kann zudem begründet werden, dass die Regelungen ein Auswahl­ ermessen der mitgliedstaatlichen Behörden vorsehen, welche Maßnahmen sie ergreifen, um das erforderliche Schutzniveau zu erhalten. 473  Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, § 33 Rn. 14 f. 474  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 137. 475  Europäische Kommission, C 33/1, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 23. 476  Dennoch sind sowohl bei allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen als auch bei der Verträglichkeitsprüfung kumulative Einwirkungen miteinzubeziehen, siehe BVerwG, NVwZ 2010, 319, Rn. 3.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen183

Nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL treffen die Mitgliedstaaten „die geeigneten Maßnahmen“, um in den besonderen Schutzgebieten eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele zu vermeiden. Die Richtlinie gewährt den Mitgliedstaaten damit nach einhelliger Auffassung ein Ermessen, welche Maßnahmen sie nutzen, um Verschlechterungen und Störungen zu verhindern.477 Daher können nicht nur Ge- und Verbote als Vermeidungsmaßnahmen dienen, sondern auch mildere Mittel und Schutzmaßnahmen. Allerdings muss gewährleistet sein, dass die Maßnahmen „geeignet“ sind, die Gebiete ausreichend zu schützen, sodass die Erhaltungsziele im Gebiet nicht beeinträchtigt werden.478 Das Ziel, die besonderen Schutzgebiete vor Verschlechterungen der Lebensräume und Habitate sowie vor Störungen der Arten zu bewahren, ist demnach vorgegeben und die Mitgliedstaaten können von dieser Zielvorgabe nicht abweichen. Das Ermessen bezieht sich daher lediglich auf die Auswahl der insofern geeigneten Vermeidungsmaßnahmen. Verschiedene Argumente sprechen für die Annahme, dass dieses Auswahlermessen ebenso besteht, wenn es sich bei der Beeinträchtigung um einen Plan oder ein Projekt handelt und Art. 6 Abs. 3 FFH-RL anwendbar ist. Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, wonach die zuständigen einzelstaatlichen Behörden einem Projekt oder Plan nur zustimmen, wenn sie mittels einer Verträglichkeitsprüfung festgestellt haben, dass es das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt, deutet bereits auf einen Ermessensspielraum der mitgliedstaatlichen Behörden hin.479 Allerdings lässt der Wortlaut keine eindeutigen Schlüsse zu, da lediglich eine negative Voraussetzung der Zulassung formuliert wird. Aus systematischen Gesichtspunkten schreibt zunächst Art. 6 Abs. 2 FFHRL den Mitgliedstaaten vor, jegliche Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele im Gebiet zu vermeiden. Anschließend wird für beeinträchtigende Projekte und Pläne eine Verträglichkeitsprüfung angeordnet, ohne deren Durchführung sie nicht zugelassen werden dürfen. Die Verträglichkeitsprüfung und eine etwaige Zulassung eines Projektes oder Plans stellen daher die Ausnahme vom Gebot der Vermeidung von Beeinträchtigungen dar. Es ist grundsätzlich Sinn und Zweck der Vorschriften der FFH-Richtlinie, die FFH-Gebiete vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Schutzgüter weiterzuentwickeln. Die 477  Europäische

S. 20.

Kommission, C 33/1, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1,

478  Vgl. EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 41; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 126; Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 32. 479  Vgl. für die insoweit ähnliche Formulierung des § 34 Abs. 3 BNatSchG „darf ein Projekt nur zugelassen oder durchgeführt werden“ Ewer, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 34 Rn. 63; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 153. EL 2021, § 34 Rn. 140.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Ausnahme von diesem Grundsatz für Projekte und Pläne ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten. Dies verlangt aber noch keine Auslegung, die den Vorhabenträgern einen Anspruch zuweist, das Projekt oder den Plan auszuführen. Stattdessen kann im Hinblick auf das Telos des Art. 6 FFH-RL, nach dem die Schutzgebiete von Beeinträchtigungen möglichst freizuhalten und ihre Schutzgüter weiterzugentwickeln sind, davon ausgegangen werden, dass die Verwirklichung von neuen Vorhaben im Schutzgebiet grundsätzlich reduziert werden soll. Ein Ermessensspielraum gibt den innerstaatlichen Behörden die Möglichkeit, trotz begrenzter Flächenverfügbarkeit innerhalb der Schutzgebiete die Ziele der Richtlinie zu verfolgen. Ebenso verfügt das durch Außengrenzen räumlich beschränkte Schutzgebiet über limitierte sonstige natürliche Ressourcen, wie etwa Luft und Wasser. Die zur Bewirtschaftung des Gebiets verpflichtete Behörde hat den Auftrag, einen Managementplan zu entwerfen und die schützenswerten Gebietsbestandteile zu entwickeln. Daher muss ihr ein Entscheidungsspielraum zustehen, über die Ressourcen, die im und für das Gebiet zur Verfügung stehen, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.480 Auch im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL muss der Mitgliedstaat das Vorhaben verbieten oder andere Schutzmaßnahmen vorsehen können. Die Ermessensentscheidung der Behörde muss allerdings dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist der Mitgliedstaat nicht verpflichtet, eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, wenn er die Ziele der FFH-Richtlinie verfolgt. Der Gerichtshof entschied bereits in einem Verfahren aus dem Jahr 2011, dass Art. 6 Abs. 3 FFH-RL einer „nationalen verstärkten Schutzmaßnahme“ nicht entgegen stehe, die ein „uneingeschränktes Verbot“ eines bestimmten Projektes vorsah, ohne dieses auf seine Verträglichkeit mit den gebietsspezifischen Erhaltungszielen zu überprüfen.481 Daher ist nur eine etwaige Zulassung an die Voraussetzung einer vorigen Verträglichkeitsprüfung geknüpft.482 In der deutschen Literatur wird das Ermessen der Behörden insbesondere bei einer Ausnahmegenehmigung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG diskutiert, der die nationale Umsetzungsvorschrift des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL darstellt.483 Dass diese Diskussion in der deutschen Literatur nicht, wie zuvor dargestellt, 480  Vgl.

zum Erlaubnisverfahren im deutschen Wasserrecht BVerfGE 58, 300, 347. Urt. v. 21.7.2011, C-2/10, Rn. 58. 482  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 37. 483  Für ein Ermessen der Behörde Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 34 Rn. 136; Mühlbauer, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel (Hrsg.), Naturschutzrecht, §  34 Rn.  19; dagegen Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 153. EL 2021, § 34 Rn. 140; Ewer, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 34 Rn. 63. 481  EuGH,



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen185

im Rahmen der Zulassung nach einer Verträglichkeitsprüfung, sondern im Rahmen der Ausnahmeentscheidung geführt wird, lässt sich damit begründen, dass ein Projekt, das das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt, nach deutschem Recht keiner eigenständigen Zulassung bedarf.484 Der Europäische Gerichtshof hat auch bezüglich einer Ausnahmeentscheidung entschieden, dass es im Ermessen der nationalen Behörden steht, bei Gebietsunverträglichkeit eine Ausnahmegenehmigung zu prüfen, oder das Vorhaben zu verbieten.485 Den nationalen Behörden der Mitgliedstaaten kommt demnach sowohl nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als auch nach Art. 3 FFH-RL ein Ermessensspielraum zu, ob sie mögliche Beeinträchtigungen prüfen oder als schärfere Vermeidungsmaßnahme verbieten. Selbst im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL ist nach der Konzeption der Richtlinie ein Ermessen vorgesehen. 3. Unklare Abgrenzung von Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 FFH-RL Zu Beginn des Kapitels wurde bereits erläutert, dass eine überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur das Verhältnis von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL als ein lex specialis-Verhältnis beschreibt.486 In seinen Einzelheiten wirft die Systematik der Vorschriften aber noch ungeklärte Fragen auf, obwohl sich der Europäische Gerichtshof bereits in einigen Entscheidungen zum Verhältnis der Regelungen geäußert hat. Bisher nicht vollständig geklärt ist dabei insbesondere, wie die Vorschriften des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL voneinander abgegrenzt werden können. Für den effektiven Schutz der Schutzgebiete ist entscheidend, inwiefern die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen parallel zu Art. 6 Abs. 3 FFH-RL eine Schutz- und Auffangfunktion beinhalten. Namentlich ist zu bestimmen, wann der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL eröffnet ist und ob in diesen Fällen noch auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zurückgegriffen werden kann.

Bundesnaturschutzrecht, 153. EL 2021, § 34 Rn. 136a. Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 72; Urt. v. 16.10.2006, C-239/04,

484  Meßerschmidt, 485  EuGH,

Rn. 25. 486  Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 84; Epiney/Semmelmann, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Gebiete, S. 92, 209; Gellermann, Natura 2000, S. 75; Schumacher, ­EurUP 2005, 258, 263; Wirths, ZUR 2000, 190, 191; offen gelassen in EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 32 ff.; später bestätigt in EuGH, Urt. v. 20.9.2007, C-304/05, Rn. 94; vgl. auch Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 124; Urt. v. 13.12.2007, C-418/04, Rn. 263.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

a) Keine Exklusivität des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bei Projekten und Plänen Im folgenden Abschnitt soll zunächst geklärt werden, inwiefern die Einstufung eines Vorhabens als Projekt oder Plan im Detail Auswirkungen auf die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL hat. Mit Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist eine spezielle Vorschrift geschaffen worden, die ausschließlich für Projekte und Pläne gilt. Aus diesem Grund wird teilweise pauschal darauf abgestellt, ob es sich um einen Plan oder ein Projekt handelt, um den Anwendungs­ bereich von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL voneinander abzugrenzen.487 Daher soll mit Blick auf diese Auffassung zunächst auf den Plan- beziehungsweise Projektbegriff als Abgrenzungskriterium selbst eingegangen werden, um anschließend zu erläutern, inwiefern die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 3 FFHRL auf Projekte und Pläne die Anwendbarkeit des allgemeineren Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ausschließt. aa) Projekt- und Planbegriff als Abgrenzungskriterium Die Richtlinie gibt vor, dass Projekte oder Pläne, die ein Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, eine Prüfung auf Verträglichkeit erfordern. Damit ist der Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL eröffnet, wenn ein Plan oder Projekt vorliegt. Wann dies der Fall ist, soll eingangs erörtert werden. Weder der Projekt- noch der Planbegriff werden in der Richtlinie definiert.488 Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs werden sämtliche Vorhaben vom Projektbegriff erfasst, die die Schutzziele im Gebiet gefährden könnten.489 Unter einem „Plan“ ist ein vorbereitender Akt zu verstehen, der für die Zulassung von schutzgebietsrelevanten Tätigkeiten bedeutsam sein kann.490 Die genannten Definitionen geben damit zunächst vor, wann der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL eröffnet ist. Das Bundesverwaltungsgericht modifiziert den Projektbegriff weiter, um den Anwendungsbereich der Vorschrift anzupassen. Es schränkt hierzu den Projektbegriff dahingehend ein, dass nur planmäßige Einwirkungen auf ein 487  So etwa Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 137. EL 2017, § 33 Rn. 16; Müller, Das Umwelt- und Naturschutzrecht in der Republik Litauen und seine Konformität mit dem Europäischen Naturschutzrecht, S. 108. 488  EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 23. 489  EuGH, st. Rspr., siehe etwa Urt. v. 7.11.2018, C.293/17 u. C-294/17, Rn. 67; zuvor z. B. Urt. v. 14.1.2010, C-226/08, Rn. 39; Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 24 ff. 490  Kloepfer, Umweltrecht, Rn. 391.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen187

Schutzgebiet erfasst seien. Nur „Planungen, Konzepte oder eine feststehende Praxis“ seien durch die Behörden im Rahmen einer Verträglichkeitsprüfung überprüfbar.491 Spontane Maßnahmen, wie etwa einzelne „ad hoc“ durchgeführte Tiefflüge seien hingegen nicht von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL erfasst.492 Durch einen engeren Projektbegriff wird so auch der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL begrenzt. Die Vorgabe, Projekte und Pläne einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen, setzt in der Tat voraus, dass Projekte und Pläne überprüfbare Konzepte sind.493 Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Einschränkung geht indes zu weit.494 Der besondere Fokus des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL auf Pläne und Projekte ist historisch zu erklären. Der Terminus des „Projektes“ wurde im Entwurf der Richtlinie verwendet, in dem die Verträglichkeitsprüfung der UVP-Richtlinie unterstellt werden sollte. Daher ist der Projektbegriff historisch gesehen da­ rauf zurückzuführen, dass im Entwurf des Richtlinientextes eine Änderung der UVP-Richtlinie vorgesehen war, die vom „Projekt“ als zentralem Begriff ausgeht.495 Insofern bediente man sich der Terminologie der UVP-Richtlinie, die einen Katalog von Eingriffen bereitstellt, die als „Projekt“ im Sinne der UVP-Richtlinie einzustufen sind.496 Nachdem die Verträglichkeitsprüfung jedoch in die FFH-Richtlinie integriert wurde, stellt sie eine spezielle Ausprägung des Vermeidungsgedankens dar. Der Projektbegriff ist demnach heute allein wirkungsbezogen zu verstehen.497 Allein die Möglichkeit, menschliches Verhalten, das naturgemäß einem Willensbildungsprozesses unterliegt, einer vorherigen Zulassung zu unterstellen, hebt das Projekt oder den Plan als Form der Beeinträchtigung besonders hervor. Projekte und Pläne können der FFH-Verträglichkeitsprüfung unterstellt werden, da sie neben ihrer wirkungsbezogenen Komponente als Produkte menschlich gesteuerten Verhaltens auch die Möglichkeit zur vorherigen 491  BVerwGE 149, 31, 50; BVerwG, Beschl. v. 24.3.2015, 24 BN 32.13, Rn. 35 (juris); offen gelassen noch in BVerwGE 146, 176, 188; ebenso Ewer, in: Lütkes/ Ewer (Hrsg.), BNatschG, § 34 Rn. 4; Korbmacher, UPR 2018, 1, 1 f. 492  BVerwGE 149, 31, 50; BVerwG, Beschl. v. 24.3.2015, 24 BN 32.13, Rn. 35 (juris); offen gelassen noch in BVerwGE 146, 176, 188. 493  Fischer-Hüftle, ­EurUP 2021, 42, 42. 494  So auch Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 34 Rn. 20 ff.; EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 65. 495  Die Strategische Umweltprüfung für Pläne und Programme wurde erst im Jahr 2001 geregelt, sodass „Entwicklungspläne und -programme“ den Projekten innerhalb der UVP-Richtlinie durch Art. 11 FFH-RL-E gleichgestellt wurden; vgl. zum Anwendungsbereich der SUP-RL Bunge, NuR 2017, 447, 447. 496  Vgl. Kap. 1 B.; siehe Art. 1 Abs. 2 lit. a UVP-RL. 497  Frenz, NuR 2020, 1, 2 ff.; Möckel, ZUR 2008, 57, 58; Kahl/Gärditz, Umweltrecht, § 10 Rn. 120; vgl. EuGH, Urt. v. 10.01.2006, C-98/03.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Genehmigung dieses Verhaltens beinhalten.498 Vorhaben, die auf ein Gebiet wirken, unterliegen gewöhnlich vorherigen Konzepten, mindestens aber einem menschlichen Willensbildungsprozess.499 Dies macht es möglich, für die spezielle Beeinträchtigungen des Projektes und des Plans ein Prüfungs- und Genehmigungsverfahren vorauszusetzen und auf die Akteure einzuwirken. Vom Menschen verursachte Beeinträchtigungen sollen nach dem Willen des Unionsgesetzgebers generell einem vorherigen Verfahren – der Verträglichkeitsprüfung – unterliegen.500 Daher umfasst der Projektbegriff jede menschliche Tätigkeit, die zu relevanten Schäden am Gebiet führen kann.501 Stuft man mit dem Bundesverwaltungsgericht spontane menschliche Handlungen nicht als Projekt ein, wären diejenigen, die sich spontan zu einer Handlung entscheiden, die auf das Gebiet einwirkt, von dem Erfordernis einer Verträglichkeitsprüfung grundsätzlich befreit. Der Europäische Gerichtshof geht aber von einer Pflicht zur Verträglichkeitsprüfung aus, sobald „die Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr besteht, dass sie das betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigen.“502 Nationale Gerichte können den Projektbegriff nicht abweichend von den Vorgaben der Richtlinie einschränken. Die einseitig von einem Mitgliedstaat vorgenommene restriktive Auslegung eines unionsrechtlichen Begriffs widerspricht der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts, zu der die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet sind.503 Deutschland wurde bereits im Jahr 2006 vom Europäischen Gerichtshof verurteilt, da das deutsche Recht eine zu enge Projektdefinition enthielt.504 Seitdem verzichtet das BNatSchG auf eine eigene Definition, sodass sich die Auslegung des Begriffs unmittelbar an den unionsrechtlichen Vorgaben orientiert.505 Mangels 498  Vgl. Kahl/Gärditz, Umweltrecht, § 10 Rn. 120; vgl. auch Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. EL 2019, § 34 Rn. 34a.; OVG Bautzen, Beschl. v. 9.6.2020, 4 B 126/19, Rn. 57; vgl. auch EuGH, Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 122 ff. insb. 135; Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 34; offen gelassen von Lüttgau/Kockler, in: Gies­berts/Reinhardt (Hrsg.), BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 2 unter Bezug auf BVerwGE 146, 176. 499  Vgl. enger Kahl/Gärditz, Umweltrecht, § 10 Rn. 120; enger auch BVerwGE 149, 31, 50. 500  Fischer-Hüftle, NuR 2020, 84, 85. 501  Die Beschreibbarkeit einer Aktivität voraussetzend Fischer-Hütfle, ­EurUP 2021, 42, 44. 502  EuGH, Urt. v. 10.1.2006, C-98/03, Rn. 40. 503  Vgl. zur einheitlichen Anwendung des Unionsrechts Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, EUV Art. 4 Rn. 33 f. 504  EuGH, Urt. v. 10.1.2006, C-98/03, Rn. 41. 505  Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 72. EL 2014, § 34 Rn. 6.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen189

Definition des Projektbegriffs in der Richtlinie selbst506 ist vorliegend die Auslegung des Europäischen Gerichtshofs maßgeblich.507 Auch spontane Aktivitäten sind daher im Einklang mit dem wirkungsbezogenen Projektbegriff als Projekte einzustufen, sofern sie eine Gefährdung der Erhaltungsziele im Gebiet bewirken können. Trotz der Einordnung auch spontaner Aktivitäten als Projekt ist allerdings das Problem der Überprüfbarkeit solchen Verhaltens nicht von der Hand zu weisen. Die Grenze der Überprüfbarkeit ist schließlich im Grundsatz „ultra posse nemo obligatur“ zu ziehen, denn die Behörde kann nicht zu Unmöglichem verpflichtet werden. Auch das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass „[d]ie Pflicht zur Prüfung der Verträglichkeit von möglicherweise ein Schutzgebiet beeinträchtigenden menschlichen Tätigkeiten“ davon abhänge, „dass diese Pflicht auch erfüllt werden könne“.508 Dem ist in den engen Grenzen des Grundsatzes zuzustimmen. Verbote, Aufklärung, Kontrollen und Regelungen wie Anzeigepflichten können verlangt werden, um auch einzelne Projekte zu erfassen, die nicht Teil eines planmäßigen Konzeptes sind.509 Ist es objektiv unmöglich, Handlungen im Gebiet zu erfassen, ist ein Versäumnis nicht als Pflichtverletzung des Mitgliedstaates einzustufen. Der „ultra posse nemo obligatur“-Grundsatz rechtfertigt aber keine Einschränkung des Projektbegriffs durch nationale Gerichte. Der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL kann nicht durch einen weiteren oder engeren Projektbegriff, als ihn das Unionsrecht vorsieht, modifiziert werden. bb) Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auf Projekte und Pläne Nachdem das Abgrenzungskriterium des Plans beziehungsweise Projektes näher bestimmt wurde, soll nun erläutert werden, ob die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL die Anwendung des allgemeineren Art. 6 Abs. 2 FFHRL verdrängt. Teilweise wird eine pauschale Abgrenzung der Vorschriften vorgenommen, je nachdem ob ein Plan oder Projekt vorliegt.510 Folgt man dieser Ansicht, wäre in den Fällen von „ad hoc“ Tiefflügen, wie sie das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden hatte, der Rückgriff auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nur aufgrund der vom Gericht vorgenommen Einschränkung des 506  Vgl.

Korbmacher, UPR 2018, 1, 1. in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 72. EL 2014, § 34 Rn. 6 f. 508  BVerwGE 149, 31, 50; vgl. auch Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsverwaltung, S. 18. 509  Vgl. Fischer-Hüftle, NuR 2009, 101, 101 ff. 510  So etwa Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 137. EL 2017, § 33 Rn. 16; Müller, Das Umwelt- und Naturschutzrecht in der Republik Litauen und seine Konformität mit dem Europäischen Naturschutzrecht, S. 108. 507  Gellermann,

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Projektbegriffes möglich. Dogmatisch überzeugender ist es jedoch, die Anwendbarkeit der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL grundsätzlich auch anzunehmen, wenn ein Projekt oder ein Plan vorliegt. Eine Einschränkung des Projektbegriffs, um anschließend auf allgemeine Vermeidungsmaßnahmen zurückgreifen zu können, erübrigt sich, hält man Art. 6 Abs. 2 FFH-RL und die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL für parallel anwendbar, sobald ein Projekt oder ein Plan vorliegt.511 Namentlich der zuvor genannte Fall spontaner Aktivitäten zeigt auf, dass die Mitgliedstaaten bei mangelnder Überprüfbarkeit im Rahmen einer Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL auf die präventiven Maßnahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zurückgreifen müssen, auch wenn ein Projekt vorliegt. Das Verbot von bestimmten Verhaltensweisen in der Schutzgebietsausweisung ermöglicht es beispielsweise, Beeinträchtigungen der Schutzgüter durch spontane Aktivitäten, die die Mitgliedstaaten aufgrund des „ultra posse nemo obligatur“-Grundsatzes keiner Verträglichkeitsprüfung unterziehen müssen, zu vermeiden. Die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 FFHRL trotz Projekteigenschaft der Tätigkeit ist insbesondere dann von Nöten, wenn ansonsten Schutzlücken entstehen, etwa weil das Projekt wie in den aufgezeigten Fällen nicht im Vorhinein überprüfbar ist. Das Vermeidungsgebot gilt in Umsetzung des Vorsorgegedankens uneingeschränkt und verlangt, dass der Mitgliedstaat Auffangmaßnahmen bei fehlgeschlagenen Maßnahmen ergreift, damit kein Schaden in der Natur verbleibt oder entsteht.512 Der Rückgriff auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ist aber nicht nur dann anzunehmen, wenn Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nicht anwendbar ist, etwa wegen Unmöglichkeit einer Verträglichkeitsprüfung. Vielmehr steht den mitgliedstaatlichen Behörden, wie dargestellt, ein Ermessensspielraum zu, ob sie ein Projekt oder einen Plan auf seine Verträglichkeit mit den gebietsspezifischen Erhaltungszielen prüfen, oder nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL grundsätzlich verbieten.513 Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen können von den Mitgliedstaaten als präventives Mittel genutzt werden, um Beeinträchtigungen von Plänen und Projekten zu verhindern. So können unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch Tätigkeiten adressiert werden, deren Folgen für die Umwelt noch unerforscht sind und die daher in besonders schutzbedürftigen Gebieten vermieden werden 511  Vgl. Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 33 Rn. 18; a.  A. BTDrucks. 16/12274, S. 64; Gellermann, in: Rengeling (Hrsg.) EUDUR II, § 78 Rn. 28; EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 38; nicht festgelegt Meßerschmidt, Bundes­ naturschutzrecht, 137. EL 2017, § 33 Rn. 16. 512  EuGH, Urt. v. 7.11.2004, C-127/02, Rn. 37. 513  EuGH, Urt. v. 21.7.2011, C-2/10, Rn. 58; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 37.



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sollen514 oder die aufgrund begrenzter Ressourcen nicht im Gebiet durchgeführt werden sollen. Der Anwendungsbereich der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen ist damit sehr weit. Selbst bei Projekten kann auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zurückgegriffen werden. Eine pauschale Abgrenzung zwischen Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL, nach der sich die Anwendbarkeit ausschließlich danach richte, ob ein Projekt oder Plan vorliegt, ist nicht möglich.515 Zwar ist Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur auf Projekte und Pläne anwendbar. Dies ermöglicht aber noch nicht den Rückschluss, dass Art. 6 Abs. 2 FFH-RL beim Vorliegen eines Projektes oder Plans unanwendbar wird. b) Ausschließliche Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bei sonstigen Einwirkungen Ferner fällt die Abwehr von Beeinträchtigungen, die nicht unmittelbar von Menschen verursacht werden, in den weiten Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL. Die Mitgliedstaaten müssen auch natürliche Einwirkungen verhindern, die zu einer Verschlechterung oder Störung der relevanten Gebietsbestandteile führen könnten.516 Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL differenziert nicht nach der Art der Beeinträchtigung, sondern ist rein wirkungsbezogen zu verstehen. Demnach sind auch natürliche Veränderungen, wie etwa die Folgen von Dürren oder des Klimawandels oder die Folgen einer Katastrophenerscheinung, wie eines Sturms, nach Art. 6 Abs. 2 FFH‑RL zu vermeiden und möglichst gering zu halten, wenn sich diese negativ auf die Erhaltungsziele auswirken.517 Sobald eine Beeinträchtigung erkennbar wird und ein Risiko für den Lebensraum oder die Art absehbar, fallen die gegen sie zu ergreifenden Maßnahmen unter die Vermeidungsmaßnahmen.518 514  So wohl im Fall des Fracking-Verbots in § 33 Abs. 1a BNatSchG, siehe hierzu BT-Drucks. 18/4713, S. 30 sowie Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 33 Rn. 14. 515  Vgl. auch EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 19, 31 ff. 516  EuGH, Urt. v. 20.10.2005, C-6/04 Rn. 34; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 137. EL 2017, § 33 Rn. 13; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 85 f.; Schumacher/Schumacher, NuR 2013, 377, 383; a. A. noch Gellermann, Natura 2000, S. 73 f. 517  Z. B. Sperle/Bruelheide, Diversity and Distributions 2021, 282, 282 ff.; siehe auch Schumacher/Schumacher, NuR 2013, 377, 378 ff. sowie 383; restriktiver in Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 18, die Kommission sieht nur relative „Vorsichtsmaßnahmen zur Minderung des Risikos der Katastrophen“ als geboten an. 518  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 18; Heugel, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 33 Rn. 6.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Da Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur für Projekte und Pläne eine Verträglichkeitsprüfung vorsieht, gelingt in den Fällen natürlicher, nicht menschlicher Beeinträchtigungen die Differenzierung zwischen den Anwendungsbereichen der Vorschriften exakt. Die Abwehr dieser Naturereignisse würde nämlich nur dann unter Art. 6 Abs. 3 FFH-RL fallen, wenn die überprüfbare, durch menschlichen Willensbildungsprozess gesteuerte Entscheidung der Behörde, Vermeidungsmaßnahmen zu unterlassen, als Projekt einzustufen wäre. Dies ist jedoch abzulehnen. Wenn das Unterlassen des Vermeidens ein Projekt wäre, würde die Differenzierung zwischen Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL gänzlich aufgehoben. Denn dann wäre es auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, die Abwehr sonstiger Beeinträchtigungen zu unterlassen, etwa die der natürlichen Veränderungen. Natürliche, nicht unmittelbar menschlich verursachte Beeinträchtigungen sind im Ergebnis ausschließlich nach den Vorgaben Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu vermeiden. Dieser Befund bestätigt, dass Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur in denjenigen Fällen anwendbar ist, in denen eine Beeinträchtigung den Charakter eines Plans oder Projektes hat. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL hat dagegen einen weiteren Anwendungsbereich. c) Genehmigungserfordernis als unzureichendes Abgrenzungskriterium Der Europäische Gerichtshof hat sich bereits mehrfach mit Fragen rund um die Abgrenzung der Vorschriften des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL aus­ einandergesetzt. In einigen Verfahren knüpfte er daran an, ob die mitgliedstaatlichen Behörden ein Vorhaben genehmigten. Nur in diesem Fall sei eine Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vorgesehen.519 In anderen Verfahren betonte der Gerichtshof hingegen, dass das Erfordernis einer Verträglichkeitsprüfung nicht davon abhängen könne, ob das entsprechende Vorhaben nach nationalem Recht einer Anzeige- oder Genehmigungspflicht unterliege.520 Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu dieser Problemstellung erscheint uneinheitlich. Sie soll nun skizziert und diskutiert werden. Im Fokus steht dabei das Genehmigungserfordernis als vom Euro­ päischen Gerichtshof herangezogenes Abgrenzungskriterium.

519  EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn.  120  ff.; ähnlich auch Urt. v. 20.10.2005, C-6/04, Rn. 58 ff. 520  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 69; Urt. v. 10.1.2006, C-98/03, Rn. 43.



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aa) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Bereits im Jahr 2004 war die Abgrenzung von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL Gegenstand von Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. In diesem Jahr ersuchte der niederländische Staatsrat (Raad van State) den Gerichtshof um Vorabentscheidung nach Art. 234 EGV (jetzt Art. 267 AEUV). Er stellte spezifische Fragen zur Abgrenzung der Bestimmungen. Zunächst wollte der Staatsrat wissen, ob es sich bei Art. 6 Abs. 3 FFH-RL um einen Sonderfall der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL oder um eine autonome Vorschrift mit einem von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unabhängigen Anwendungsbereich handele. Sollte es sich bei Art. 6 Abs. 3 FFH-RL um einen Sonderfall der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen handeln, fragte das Gericht nach Abgrenzungskriterien zur Anwendung der Vorschriften.521 Es führte etwa die Unterscheidung zwischen Verwaltungsmaßnahmen und anderen Entscheidungen oder die Projekt- oder Planeigenschaft als mögliche Kriterien zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche an. Die Antwort des Europäischen Gerichtshofs auf diese konkreten dogmatischen Vorlagefragen fiel vergleichsweise knapp aus. Er ging nicht auf die vom Staatsrat aufgeführten verschiedenen Abgrenzungskriterien, wie etwa den Projekt- und Planbegriff ein.522 Zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche finden sich allerdings in späteren Entscheidungen weiterführende Aussagen. In einigen Verfahren stellt er mitunter darauf ab, ob die zuständigen mitgliedstaatlichen Behörden ein Genehmigungsverfahren durchgeführt haben. Zwei relevante Entscheidungen werden nun vorgestellt. In einem Verfahren aus dem Jahr 2016 ging der Gerichtshof zur Abgrenzung des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL davon aus, dass Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur anwendbar sei, wenn die Behörde ein Vorhaben genehmige.523 In dem bekannten Urteil, in dem verschiedenste Vorhaben in einem griechischen FFH-Schutzgebiet Gegenstand waren, das unter anderem zum Schutz der Meeresschildkröte Caretta caretta ausgewiesen wurde, hatte der Gerichtshof zu entscheiden, welche Vorhaben gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verstießen, und bei welchen Vorhaben der Mitgliedstaat es zusätzlich versäumte, eine Verträglichkeitsprüfung nach Art 6 Abs. 3 FFH-RL durchzuführen. Der Europäische Gerichtshof orientierte sich am Wortlaut der Bestimmungen. Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL normiert, dass Pläne und Projekte, die ein 521  EuGH,

Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 19, Vorlagefragen 2a und 2b. Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 32 ff. 523  EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn.  120  ff.; ähnlich auch Urt. v. 20.10.2005, C-6/04 Rn. 58 ff.; ebenso Frenz, NVwZ 2011, 275, 277; Schumacher/ Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, § 33 Rn. 34; vgl. zu Änderungen von Vorhaben auch Wirths, ZUR 2000, 190, 191. 522  EuGH,

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, eine Prüfung auf ihre Verträglichkeit mit den für das Gebiet festgelegten Erhaltungszielen erfordern. Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL gibt vor, dass die Behörden dem Projekt oder Plan nur zustimmen dürfen, wenn sie festgestellt haben, dass das Projekt oder der Plan das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt. Der Gerichtshof hielt daher Art. 6 Abs. 3 FFH-RL in dem beschriebenen Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland nur für einschlägig, wenn der Mitgliedstaat ein Vorhaben genehmige. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ordne an, dass einer Genehmigung durch die zuständige Behörde eine Prüfung des Projektes oder Plans auf Verträglichkeit mit dem betroffenen Gebiet vorausgehe.524 Damit wäre das Erfordernis einer Genehmigung ausschlaggebend, um die Pflicht einer Verträglichkeitsprüfung auszulösen und die Zulässigkeit des Vorhabens nicht ausschließlich nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu beurteilen. Auch in aktuellen Entscheidungen zieht der Europäische Gerichtshof die Genehmigung durch die mitgliedstaatlichen Behörden als Kriterium heran, um zu ermitteln, wann eine Verträglichkeitsprüfung erforderlich ist. In einem Vorabentscheidungsersuchen des Irländischen High Court bestätigte der Gerichtshof kürzlich, dass er den Begriff der „Zustimmung“ in Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL mit dem der „Genehmigung“ aus Art. 1 Abs. 2 lit. c der UVPRichtlinie gleichsetzt.525 Eine Genehmigung nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. c UVP-RL liegt bei einer Entscheidung der zuständigen Behörden vor, die dem Vorhabenträger das Recht verleiht, sein Vorhaben umzusetzen.526 Damit entwickelt der Europäische Gerichtshof zwar eine unionsrechtliche Definition der „Genehmigung“. Ob der Mitgliedstaat ein entsprechendes Verfahren voraussetzt, das dem Vorhabenträger das Recht verleiht, sein Vorhaben durchzuführen, ist nach seiner Rechtsprechung aber weiter nach dem nationalen Recht des Mitgliedsstaates zu beurteilen. Die Urteilsgründe der Vorabentscheidung zum Verfahren in Irland verweisen dementsprechend auf ein Urteil aus dem Jahr 2004. In diesem Urteil stellte der Gerichtshof fest, dass, wenn „für die Fortsetzung der Tätigkeit eine neuerliche Genehmigung erforderlich“ ist, die Entscheidung der nationalen Behörde, „die die Fortsetzung dieser Tätigkeit ermöglichte“, eine Zustimmung im Sinne der FFHRichtlinie darstelle.527 Wenn das nationale Recht des Mitgliedstaates damit eine Genehmigung des Vorhabens verlangt, sei eine Entscheidung, die das Vorhaben zulasse, eine Zustimmung bzw. Genehmigung im Sinne des Art. 6 524  EuGH,

Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 121. Urt. v. 9.11.2020, C‑254/19, Rn. 42 f. 526  Art. 1 Abs. 2 lit. c UVP-RL; EuGH, Urt. v. 9.11.2020, C‑254/19, Rn. 43; siehe auch Urt. v. 24.2.2022, C-463/20, Rn. 43 ff.; vgl. mit Bsp. auch Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 152. EL 2020, § 34 Rn. 48a. 527  EuGH, Urt. v. 9.11.2020, C‑254/19, Rn. 44 (Zitat). 525  EuGH,



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen195

Abs. 3 S. 2 FFH-RL bzw. Art. 1 Abs. 2 Buchst. c UVP-RL. Der Europäische Gerichtshof macht in der genannten Entscheidung die Pflicht der Mitgliedstaaten, eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, von der Voraussetzung abhängig, dass ein innerstaatliches Genehmigungsverfahren durchgeführt wird. Ein solches Ergebnis steht im Widerspruch zu anderweitigen Aussagen des Europäischen Gerichtshofes, nach denen das Erfordernis einer Verträglichkeitsprüfung nicht davon abhängen kann, ob das entsprechende Vorhaben nach nationalem Recht an eine Anzeige- oder Genehmigungspflicht geknüpft ist.528 In diesem Zusammenhang sind insbesondere zwei Entscheidungen des Gerichtshofs relevant. In einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland entschied der Gerichtshof im Jahr 2006, dass das deutsche Recht nicht solche Vorhaben vom Projektbegriff ausschließen dürfe, die nach dem Bundesimmissionsschutz- und Wasserrecht keiner Genehmigung unterliegen.529 Die Voraussetzungen der Genehmigungspflicht stellten nicht ausreichend sicher, dass das Gebiet nicht als solches geschädigt werde.530 Im Jahr 2016 entschied der Europäische Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren, initiiert ebenfalls von deutschen Gerichten, außerdem, dass auch innerstaatliche Verfahrensregeln wie die Unanfechtbarkeit von Verwaltungsentscheidungen keinen Einfluss darauf haben könnten, die Vorgaben der Richtlinie umzusetzen.531 bb) Kritik Soweit der Europäische Gerichtshof die behördliche „Zustimmung“ zu einem Projekt oder Plan in Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL als behördliche Genehmigung interpretiert,532 widerspricht dies dem Erfordernis, die Richtlinie in den Mitgliedstaaten einheitlich anzuwenden und der notwendigen autonomen Auslegung der Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL. Auch systematische und historische Argumente bekräftigen, dass nicht das mitgliedstaatliche Genehmigungserfordernis den Anwendungsbereich von Art. 6 528  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 69; Urt. v. 10.1.2006, C-98/03, Rn. 43; siehe auch Urt. v. 22.6.2022, C-661/20, Rn. 69; so auch Fischer-Hüftle, ­EurUP 2021, 42, 42. 529  EuGH, Urt. v. 10.1.2006, C-98/03, Rn. 43; Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 4. 530  EuGH, Urt. v. 10.1.2006, C-98/03, Rn. 43; Epiney, NVwZ 2007, 1012, 1022. 531  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 69. 532  EuGH, Urt. v. 9.11.2020, C‑254/19, Rn. 42  f.; Urt. v. 29.7.2019, C‑411/17, Rn. 142.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Abs. 3 FFH-RL bestimmen kann. Stattdessen ist den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes zuzustimmen, die klarstellen, dass nicht nationale Verfahrensregeln den Anwendungsbereich der Richtlinienvorschriften bestimmen. Auf die verschiedenen Argumente wird im Folgenden eingegangen. (1) Kein Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass den Mitgliedstaaten kein Umsetzungsspielraum zusteht, den Anwendungsbereich der Verträglichkeitsprüfung auszugestalten. Aufgrund der detaillierten Regelungsweise und normativen Dichte der FFH-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten nur noch wenige derartige Spielräume. Diese sollen lediglich dazu dienen, die Vorschriften der Richtlinie, vorliegend Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL, in das nationale Verfahrensrecht zu integrieren.533 Dabei sind die Vorgaben der Richtlinie aber nicht weniger verbindlich. Die praktische Wirksamkeit der FFH-Richtlinie würde gefährdet, würde die Anwendung der Bestimmungen über die Verträglichkeitsprüfung von nationalen Verfahrensregelungen abhängig gemacht.534 Die Richtlinie gibt verpflichtend vor, wann die Mitgliedstaaten ein Vorhaben auf seine Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen prüfen müssen.535 Die Mitgliedstaaten müssen aufgrund der Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL eine Verträglichkeitsprüfung in ihren nationalen Rechtsordnungen vorsehen,536 die zum von der Richtlinie bestimmten Zeitpunkt durchzuführen ist. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ordnet eine Verträglichkeitsprüfung an, wenn die Mitgliedstaaten einem Plan oder Projekt „zustimmen“ wollen. Nach der Richtlinie löst daher die „Zustimmung“ zu einem Plan oder Projekt die Verträglichkeitsprüfung aus. Was unter der „Zustimmung“ in Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL zu verstehen ist, kann dementsprechend nur durch eine autonome unionsrechtliche Auslegung bestimmt werden. Die autonome Interpretation beruht auf der Prämisse, dass Rechtsakte der Europäischen Union grundsätzlich unabhängig von den Begrifflichkeiten des nationalen Rechts der verschiedenen Mitgliedstaaten auszulegen sind. Stattdessen sind der sonstige Wortlaut, der Regelungszusammenhang und die Zielsetzung des Unionsrechtsaktes und der gesamten Rechtsordnung der Europäischen Union erkenntnisleitend. So soll die einheitliche, mit dem unionsrechtlichen Gleichheitssatz übereinstimmende Anin: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, AEUV, Art. 288 Rn. 24, 26. EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 69. 535  Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 34 Rn. 18. 536  Im deutschen Recht § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG. 533  Ruffert, 534  Vgl.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen197

wendung und die effektive Geltung des Unionsrechts gewährleistet werden.537 Eine Ausnahme bilden nur solche Vorschriften des Sekundärrechts, die ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, um ihren Sinngehalt und ihre Reichweite zu bestimmen.538 Über Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL soll kein solcher Verweis auf das mitgliedstaatliche Recht erfolgen. Die Verträglichkeitsprüfung ist eine zentrale Säule des Gebietsschutzes und von den Mitgliedstaaten daher verbindlich durchzuführen. Die Richtlinie würde bei einer anderen Interpretation nicht einheitlich angewendet, sondern in jedem Mitgliedstaat wären andere Vorhaben einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen, je nachdem, ob diese Vorhaben nach innerstaatlichem Recht einer Zulassung bedürfen. Dies würde die Wirksamkeit der Richtlinie schwächen und könnte dem Gleichheitssatz aus Art. 20 GRCh und gegebenenfalls speziellen primärrechtlichen marktbezogenen Diskriminierungsverboten widersprechen, auf die sich benachteiligte Vorhabenträger berufen könnten. Auch der Europäische Gerichtshof hat in einigen Entscheidungen bestätigt, dass es nicht den Mitgliedstaaten überlassen ist, festzulegen, wann eine Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL durchzuführen ist. In seinen Entscheidungen zum Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland aus dem Jahr 2006 und dem Vorabent­ scheidungsersuchen aus dem Jahr 2016 betont er, dass nicht „interne Verfahrensregeln“ oder nationale Kriterien den Anwendungsbereich der sekundärrechtlichen Vorschriften bestimmen.539 Die angeführten Argumente sprechen dagegen, dass die Richtlinie über den Begriff der „Zustimmung“ auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, um die Reichweite der Verträglichkeitsprüfung zu bestimmen. Die Vorgaben der Richtlinie sollen hingegen einheitlich in allen Mitgliedstaaten zur Anwendung kommen und effektiv den günstigen Erhaltungszustand der Lebensraumtypen und Arten herbeiführen. (2) Dogmatische Widersprüche Neben dem Einwand der einheitlichen und effektiven Geltung des Unionsrechts sprechen auch dogmatische Widersprüche gegen eine Auslegung des Begriffs der „Zustimmung“ als Genehmigung nach innerstaatlichem Recht. Eine zu Unrecht erteilte Genehmigung, die die Vorgaben der Verträglichkeitsprüfung nicht oder nur unzureichend umsetzt, würde nach Ansicht des 537  EuGH, st. Rspr., siehe z.  B. Urt. v. 7.1.2004, C-201/02, Rn. 37; Urt. v. 18.1.1984, Rs. 327/82, Rn. 11; Urt. v. 1.2.1972, Rs. 50/71, Rn. 6. 538  EuGH, Urt. v. 7.1.2004, C-201/02, Rn. 37; Urt. v. 18.1.1984, Rs. 327/82, Rn. 11; Urt. v. 1.2.1972, Rs. 50/71, Rn. 6. 539  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 69; Urt. v. 10.1.2006, C-98/03, Rn. 42.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Gerichtshofs vorrangig gegen Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL und nicht Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verstoßen. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL wäre stattdessen verletzt, wenn eine Tätigkeit rechtswidrig ist und ohne Genehmigungsverfahren geduldet wird.540 Allerdings verletzt der Mitgliedstaat auch ohne ausdrückliche Gestattung eines Projekts oder Plans nicht nur seine Pflicht zur Vermeidung schädlicher Tätigkeiten (Art. 6 Abs. 2 FFH-RL), sondern auch seine Pflicht, eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen (Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL) und gegebenenfalls eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Wenn der Mitgliedstaat überhaupt kein Verfahren zur Gestattung vorsieht, verstößt er tatsächlich nicht nur gegen seine Pflicht, Beeinträchtigungen zu vermeiden, sondern auch gegen die Pflicht, das vorgesehene Verfahren zu durchlaufen, um ein Vorhaben richtlinienkonform zuzulassen. Als Beispiel lassen sich die rechtswidrig errichteten Bauwerke und Tätigkeiten am Strand von Kyparissia in Griechenland heranziehen. Es wurden zahlreiche Projekte durchgeführt, die das dortige Schutzgebiet beeinträchtigen. Die Projekte waren vielfältiger Gestalt und erfassten etwa wildes Campen sowie die Errichtung und den Betrieb von Bars und Ferienhäusern am Strand.541 Auf Antrag der Kommission prüfte der Gerichtshof sowohl, ob die Projekte gegen das allgemeine Vermeidungsgebot verstießen, als auch, ob sie unter Verletzung des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL durchgeführt wurden.542 Der Gerichtshof stellte bei fast allen Projekten einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL fest.543 Gegen Art. 6 Abs. 3 FFH-RL sollten dagegen nur wenige Tätigkeiten verstoßen, nämlich diejenigen, bei denen die zuständige Behörde im Vorfeld ein Genehmigungsverfahren durchgeführt hatte.544 Dies führt zu dem widersprüchlichen Ergebnis, dass scheinbar zufällig einzelne Vorhaben gegen Art. 6 Abs. 3 und Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verstießen, andere nur gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, und dies, obwohl alle Projekte entgegen den Vorgaben der Richtlinie ohne Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurden. (3) K  eine unmittelbare Übertragbarkeit der Begrifflichkeiten der UVP-Richtlinie Neben diesen dogmatischen Widersprüchen führt auch der Verweis des Europäischen Gerichtshofs auf die Definition der UVP-Richtlinie nicht weiter. Anders als die Umweltverträglichkeitsprüfung nach der UVP-Richtlinie ist die FFH-Verträglichkeitsprüfung eine eigenständige Prüfung, deren Er540  So

in EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 122. Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 31 ff. 542  EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 27 ff. bzw. 115 ff. 543  EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 114. 544  EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 121 ff. 541  EuGH,



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen199

gebnisse unmittelbar über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Vorhabens entscheiden.545 Die Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsprüfung sind dagegen bei der Zulassungsentscheidung lediglich gebührend zu berücksichtigen.546 Die FFH-Verträglichkeitsprüfung hat damit im Unterschied zur Umweltverträglichkeitsprüfung nach der UVP-Richtlinie umfassende materielle Wirkung.547 Rechtsprechung und Literatur verweisen zwar bei der Auslegung der FFH-Richtlinie oftmals auf die Begrifflichkeiten der UVP-Richtlinie, da die Richtlinien historisch verknüpft sind. Der Entwurf der Richtlinie sah die Verträglichkeitsprüfung, wie dargestellt, als eine Ergänzung der Richtlinie zum Verfahren der allgemeinen Umweltverträglichkeitsprüfung vor.548 Die Umweltverträglichkeitsprüfung sollte nach dem Vorschlag der Kommission auch die Verträglichkeit eines Vorhabens mit den FFH-Erhaltungszielen prüfen.549 Die Verknüpfung zwischen der FFH-Verträglichkeitsprüfung und der Umweltverträglichkeitsprüfung nach der UVP-Richtlinie wurde allerdings in der beschlossenen Richtlinie aufgehoben. Heute betont auch der Europäische Gerichtshof, dass Begrifflichkeiten, wie etwa das „Projekt“, in der FFH-Richtlinie eine andere, weitergehende Bedeutung erfahren, als in der UVP-Richtlinie.550 Die FFH-Richtlinie verfolgt einen wirkungsbezogenen Ansatz. Die mögliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele löst die Pflicht zur Verträglichkeitsprüfung aus. Eine Verträglichkeitsprüfung ist nach dem wirkungsbezogenen Ansatz damit dann durchzuführen, wenn die Möglichkeit besteht, dass ein Vorhaben das Gebiet erheblich beeinträchtigt.551 Seinen Ursprung hat der wirkungsbezogene Ansatz in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, wonach die Erhaltungsziele im Gebiet nicht beeinträchtigt werden dürfen. Für Projekte und Pläne sieht Art. 6 Abs. 3 FFH-RL die Verträglichkeitsprüfung vor. Hierbei kann 545  Mitschang, in: Schink/Reidt/Mitschang (Hrsg.), UVPG/UmwRG, § 4, Rn. 1 f.; Mühlbauer, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 1 f. 546  Vgl. § 25 Abs. 2, 1 UVPG; Art. 8 UVP-RL; BT-Drucks. 18/11499, S. 93 f. 547  Mühlbauer, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 2. 548  Wagner, NuR 1990, 396, 399; vor dem Hintergrund, dass die FFH-Verträglichkeitsprüfung als neuer Teil der UVP erdacht war, erscheint es naheliegend, dass der Begriff des „Projektes“ der FFH-Richtlinie zunächst mit dem der UVP-Richtlinie gleichgesetzt wurde. Inzwischen hat der EuGH aber klargestellt, dass dieser nur den Mindestumfang des FFH-rechtlichen Projektbegriffes darstellt. 549  Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten v. 16.8.1988, ABl. EG C 247/3 v. 21.9.1988, Art. 11. 550  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 66 ff.; Urt. v. 7.9.2004, C‑127/02, Rn.  27 f. 551  EuGH, Urt. v. 10.1.2006, C-98/03, Rn. 40; Urt. v. 20.10.2005, C-6/04, Rn. 54.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

aber nicht die Genehmigung, mithin die formelle Gestattung nach nationalem Recht entscheidend sein, sondern, dass ein Projekt oder ein Plan Einwirkungen entfaltet. Denn die materielle Vorgabe des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL ist, dass die Mitgliedstaaten sämtliche erhebliche negative Einwirkungen auf die Schutzgebiete vermeiden müssen. Die mögliche Beeinträchtigung der Schutzgebiete ist damit entscheidend, nicht die Genehmigung durch die natio­nalen Behörden. Von dieser wirkungsbezogenen Betrachtungsweise ausgehend sind die mitgliedstaatlichen Behörden auch dann zu einer Verträglichkeitsprüfung verpflichtet, wenn dem fraglichen Vorhaben kein Genehmigungsverfahren vorausging. Es ist entscheidend, dass das Vorhaben Wirkung im Schutzgebiet entfaltet. Allerdings kann der Mitgliedstaat nur zur Prüfung von Projekten und Plänen verpflichtet sein, von denen er Kenntnis hat oder haben müsste. Daher sollte statt der behördlichen Gestattung eines Vorhabens die Duldung eines Vorhabens mit dem Wissen oder der fahrlässigen Unkenntnis der Behörden ausschlaggebend sein. Wenn ein Mitgliedstaat einen Plan oder ein Projekt duldet, auch ohne, dass dem Vorhabenträger innerstaatlich das Recht zur Durchführung, etwa durch ein Zulassungsverfahren, gewährt wird, muss hierfür eine Verträglichkeitsprüfung und bei negativem Ergebnis eine Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL erforderlich sein. Für andere Projekte und Pläne bleibt nur die Verpflichtung, allgemeine Vermeidungsmaßnahmen durchzuführen, um unvorhersehbare Schäden an den Schutzgebieten abzuwenden. Die „Zustimmung“ zu einem Projekt oder Plan ist damit entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht als behördliche Genehmigung eines Vorhabens im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Buchst. c UVP-RL auszulegen. Die Begrifflichkeiten der FFH-RL sind endgültig von denen der UVP-Richtlinie zu entkoppeln und autonom nach dem Sinn und Zweck der Natura 2000-Vorschriften und ihrer eigenen Systematik zu interpretieren. d) Zwischenfazit Die vorangegangen Überlegungen haben aufgezeigt, dass auch bei Plänen und Projekten auf den allgemeineren Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zurückgegriffen werden kann. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist aber nur auf diese Beeinträchtigungen, die Pläne oder Projekte, anwendbar. Die Mitgliedstaaten können das Verfahren des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL durchlaufen, um ein Projekt oder einen Plan nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL abweichend vom Vermeidungsgebot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zuzulassen. Hierbei ist nicht die Form der Zulassung entscheidend, sondern die Frage, ob der Plan oder das Projekt Auswirkungen im Schutzgebiet entfaltet. Die Mitgliedstaaten sind auch zur Verträglichkeits-



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen201

prüfung verpflichtet, wenn sie ein Projekt oder einen Plan ohne Zulassungsverfahren dulden. e) Systematische Schlussfolgerungen Auf Grundlage dieser Feststellungen kann das Verhältnis von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu Art. 6 Abs. 3 FFH-RL näher bestimmt werden. Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL stellen einen „zusammenhängenden Normkomplex“ dar, der auf die Abwehr von Beeinträchtigungen gerichtet ist.552 Die Vorschriften können in der Dogmatik der verschiedenen Arten von Zulassungen aber noch weiter charakterisiert werden. Das Verhältnis der Regelungen zeichnet sich dadurch aus, dass Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine materiell-rechtliche Vorgabe macht.553 Auf diese nimmt Art. 6 Abs. 3 FFH-RL Bezug und gibt ein Verfahren vor, das die Mitgliedstaaten nutzen können, um Pläne und Projekte – mithin Vorhaben, hinter denen menschliche Absichten stehen – mit Blick auf eine etwaige Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL genauer zu prüfen.554 Die Mitgliedstaaten können ein Projekt oder einen Plan aber auch grundsätzlich verbieten und zu diesem Zweck die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen nutzen. Ihnen steht mithin nach dem Richtlinienrecht ein Ermessensspielraum zu, ob sie eine Verträglichkeitsprüfung durchführen oder ein Projekt oder einen Plan untersagen.555 Das Ermessen ist durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Den Schutzzielen in den FFH-Gebieten stehen etwaig betroffene Rechte, wie das Eigentumsgrundrecht, gegenüber. Eine etwaige Zulassung ist an die Voraussetzung einer vorigen Verträglichkeitsprüfung geknüpft.556 Beeinträchtigt ein Vorhaben ein Gebiet in seinen gebietsspezifischen Erhaltungszielen, liegt es darüber hinaus im Ermessen des Mitgliedstaates, ob er, soweit alle Voraussetzungen vorliegen, eine Ausnahmegenehmigung unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL erteilt oder nicht.557 Auch im Rahmen einer Ausnahmeentscheidung muss die mitgliedstaatliche Behörde ihr Ermessen verhältnismäßig ausüben. 552  EuGH, Urt. v. 12.4.2018, C-323/17, Rn. 24; Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 52; Urt. v. 15.4.2014, C-521/12, Rn. 19; Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 32. 553  Jarass, ZUR 2000, 183, 185. 554  Vgl. Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFHRichtlinie 92/43/EWG, S. 7. 555  Vgl. EuGH, Urt. v. 21.7.2011, C-2/10, Rn. 58. 556  Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 37; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 152. EL 2020, § 34 Rn. 79. 557  EuGH, Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 72; a.  A. vgl. Ewer, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 34 Rn. 63.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Zwar sind die Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL damit die spezielleren Normen, weil sie ein weitergehendes Verfahren nur für bestimmte Beeinträchtigungen erlauben. Das Schutzregime des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL lässt sich aber noch konkreter kategorisieren. Die Terminologie des deutschen Rechts bietet zur Kategorisierung der verschiedenen Erlaubnisarten die Unterscheidung zwischen dem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und dem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt.558 Zwar richtet sich die Richtlinie grundsätzlich ausschließlich an die Mitgliedstaaten. Sie enthält in Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL aber gleichzeitig eine konkrete Vorgabe bezüglich der Zulassung eines Projekts oder Plans durch innerstaatliche Behörden. Daher kann die dogmatische Einordnung dieser in der Richtlinie vorgesehenen Zulassungsentscheidung die Auslegung und Umsetzung der Bestimmungen erleichtern. Die Systematik der Vorschriften des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL lässt sich, soweit man die deutsche Terminologie in diesem begrenzten Rahmen übertragen kann, als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt beschreiben.559 Die Schutzgebiete sollen von Beeinträchtigungen grundsätzlich frei gehalten werden. Alle Verschlechterungen und Störungen – auch Projekte und Pläne – sind durch die Mitgliedstaaten prinzipiell zu vermeiden. Der Befreiungsvorbehalt in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL gilt nur für Projekte und Pläne. Sollen Projekte oder Pläne abweichend vom Grundsatz der Vermeidung durchgeführt werden, ist die Durchführung an strenge Zulassungsvoraussetzungen geknüpft. Die Ausnahmebestimmung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL ist eine Ausnahme für den Einzelfall. Auch bei Gebietsverträglichkeit besteht kein Anspruch auf Zulassung eines Vorhabens. f) Folgen für den Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten Wenn sich das Regelungsgefüge des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL im Richtlinienrecht als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt beschreiben lässt, nach dem kein Anspruch auf Zulassung besteht, sondern die Beeinträchtigung der Schutzgebiete allgemein untersagt ist und bei Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen von den zuständigen Behörden nach pflichtgemäßem Ermessen eine Genehmigung erteilt werden kann, stellt sich auch die 558  Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 52 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 211 ff. 559  A. A. jedenfalls bezüglich der deutschen Umsetzung des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL Kahl/Gärditz, Umweltrecht, § 10 Rn. 124; Schlacke, Umweltrecht, § 10 Rn. 54; VGH Kassel, NVwZ-RR 2017, 324, 325; Gellermann, NuR 1996, 548, 552; Carlsen, in: Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft, Neue Entwicklungen im Umweltrecht, 1997, S. 197, 212; Wirths, ZUR 2000, 192.



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Frage, inwiefern die Mitgliedstaaten mit einem Gestaltungsspielraum ausgestattet sind, wenn sie das Genehmigungsverfahren in das nationale Recht umsetzen. Im deutschen Recht wird die Verträglichkeitsprüfung an das nach nationalem Recht einschlägige Genehmigungsverfahren angegliedert.560 Die Art der Zulassung und die Frage, ob es sich um eine gebundene oder eine Ermessensentscheidung handelt, richtet sich demnach nach dem jeweiligen Fachrecht. Im Falle einer Baugenehmigung wäre beispielsweise eine solche zu erteilen, wenn keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften, wie etwa solche des FFH-Rechts, entgegenstehen. Im deutschen Recht stellt die Verträglichkeitsprüfung daher lediglich eine Bedingung zur Zulassung des Vorhabens dar. Das grundsätzliche Verbot von Projekten, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebiets führen können, wird daher im Schrifttum teilweise nicht als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt, sondern als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt klassifiziert.561 Vor dem Hintergrund, dass Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL aber als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt verstanden werden können, welches den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum eröffnet, stellt sich die Frage, ob eine nationale Regelung, die bei Gebietsverträglichkeit eine gebundene Entscheidung der zuständigen Behörde anordnet, unionsrechtskonform ist. Für die Zulässigkeit einer solchen Regelung im nationalen Recht spricht die grundsätzliche Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. Das Instrument der Richtlinie soll den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnen, deren Bestimmungen in ihre nationalen Rechtsordnungen einzugliedern und das nationale Verfahrensrecht dazu zu nutzen, die sekundärrechtlichen Vorgaben umzusetzen.562 Bei den entsprechenden Vorhaben könnte es sich außerdem um die Ausübung grundrechtlich geschützter Tätigkeiten handeln, beispielsweise um die nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Freiheit, das Grund­ eigentum den Maßgaben des Rechts und der Planung entsprechend zu be­ bauen.563 Daher könnten auch Verhältnismäßigkeitserwägungen dafür spre560  Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 152. EL 2020, Rn. 52 und 153. EL 2021, Rn. 136a. 561  So etwa Schlacke, Umweltrecht, § 10 Rn. 54; Kahl/Gärditz, Umweltrecht, § 10 Rn. 124; ähnlich VGH Kassel, NVwZ-RR 2017, 324, 325. 562  Vgl. Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFHRichtlinie 92/43/EWG, S. 4; vgl. auch Ludwigs, NVwZ 2018, 1417, 1417 f.; Schoch, in: Schoch/Schneider (Hrsg.), Verwaltungsrecht, GW 2020, Rn. 381. 563  Vgl. zur Baufreiheit Erbguth/Schubert, Öffentliches Baurecht, § 2 Rn. 24 ff.; Papier/Shirvani, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, 83. EL 2018, Art. 14 Rn. 164 f.; BVerfGE 35, 263, 276.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

chen, den Entscheidungsspielraum der Behörden innerstaatlich zu begrenzen.564 Zudem lässt der Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL keine eindeutigen Schlüsse zu. Die Richtlinie formuliert eine negative Voraussetzung, nach der die mitgliedstaatlichen Behörden einen Plan oder ein Projekt nur zulassen dürfen, wenn sie festgestellt haben, dass es das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt. Allerdings begrenzt der Effektivitätsgrundsatz, der auch die einheitliche Geltung des Unionsrechts anordnet, die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten.565 Unterschiedliche Regelungen zum Ermessensspielraum der Behörden innerhalb der Mitgliedstaaten könnten zu unterschiedlichen Schutzstandards führen. Zudem ist fraglich, ob die FFH-Richtlinie nicht bereits eine Vorgabe macht, von der die Mitgliedstaaten nicht eigenmächtig zugunsten anderer Belange abweichen dürfen.566 Nimmt man mit der hier vertretenen Ansicht an, dass Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt verstanden werden können, das die mitgliedstaatlichen Behörden nach der Konzeption der Richtlinie mit einem Ermessensspielraum ausstattet, könnte diese Vorgabe die Autonomie der Mitgliedstaaten begrenzen. Die Mitgliedstaaten sind nicht nur dazu verpflichtet, die Gebiete vor Beeinträchtigungen zu schützen, sondern müssen diese aufgrund des mangelhaften Erhaltungszustandes der Arten und Lebensraumtypen oftmals auch weiterentwickeln. Die begrenzte Verfügbarkeit von Flächen und sonstigen Umweltressourcen begründet daher einen unionsrechtlich begründeten Ermessensspielraum der zuständigen Behörde, ob sie ein Vorhaben, das auf das Gebiet einwirkt, zulässt. Schließlich stehen auch die Grundrechte den Berechtigten nicht schrankenlos zu. Vielmehr kann das Recht etwa die Befugnisse des Eigentümers begrenzen und dementsprechend ein Ermessen der zuständigen Behörde vorsehen.567 Bei der Betroffenheit von Grundrechten kann das Ermessen der Behörde im Einzelfall auf Null reduziert sein, sodass sie eine Genehmigung zu erteilen hat. In der Summe lassen sich sowohl Argumente für und gegen einen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten finden. Bisher ist der Europäische Gerichtshof der Praxis in Deutschland, die Verträglichkeitsprüfung auch in Verfahren einzugliedern, die in eine gebundene Entscheidung münden, nicht entgegengetreten. 564  Vgl. zu dieser Argumentation bezüglich einer gebietsschutzrechtlichen Ausnahme nach § 34 Abs. 3 BNatSchG Ewer, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 34 Rn. 63. 565  Schoch, in: Schoch/Schneider (Hrsg.), Verwaltungsrecht, GW 2020, Rn. 382. 566  Vgl. bereits zur Vogelschutzrichtlinie, EuGH, Urt. v. 2.8.1993, C-355/90, Ls. 2, Rn. 18; Urt. v. 28.2.1991, C-57/89, Rn. 20. 567  Vgl. für das deutsche Recht BVerfGE 58, 300, 347; siehe auch Erbguth/Schubert, Öffentliches Baurecht, § 2 Rn. 25.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen205

g) Reformvorschlag: Ausdrücklicher Hinweis auf den systematischen Zusammenhang des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL Bereits die historische Betrachtung der Vorschriften des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL hat gezeigt, dass die Regelungstechnik der Artikel in weiten Teilen divergiert. Eine Angleichung des Wortlauts wurde bereits zu Beginn des zweiten Hauptteils dieser Untersuchung gefordert, um das einheitliche Schutzniveau herauszustellen, das die Vorschriften gewährleisten sollen. Ebenso entscheidend ist, dem Regelungsgefüge des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL gesetzgebungstechnisch Ausdruck zu verleihen. Die Vorschriften wurden in der vorausgegangenen Untersuchung als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt für Pläne und Projekte eingeordnet. Eine Reform des Art. 6 FFH-RL kann dies berücksichtigen und betonen. Eine Möglichkeit wäre, den Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als Verbot zu formulieren, das sich an jedermann richtet und für dessen Durchsetzung die Mitgliedstaaten verantwortlich sind. Dies hätte allerdings den Nachteil, dass die aktive Rolle der Mitgliedstaaten, alle geeigneten Vermeidungsmaßnahmen durchzuführen, nicht mehr angesprochen wäre. Die Aufgabe der Mitgliedstaaten liegt gerade darin, die erheblichen Beeinträchtigungen zu ermitteln und für jedes Schutzgebiet Lösungen zu erarbeiten. Der aktuelle Wortlaut hebt diese Pflicht, aktiv Maßnahmen zum Schutz der Gebiete zu treffen, hervor. Eine weitere Möglichkeit, das Verhältnis der Abs. 2 und 3 des Art. 6 FFHRL herauszustellen, wäre es, dass sich die Absätze in ihrem Wortlaut ähnlich der Regelungstechnik in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL aufeinander beziehen. Nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL wären dann vorbehaltlich einer Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL alle geeigneten Vermeidungsmaßnahmen zu treffen, um eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele zu vermeiden. Auch Art. 6 Abs. 3 FFH-RL könnte den Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nennen und regeln, dass abweichend von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Projekte und Pläne über eine Verträglichkeitsprüfung und, wenn notwendig, eine Ausnahmegenehmigung, zugelassen werden können. Durch eine derartige Formulierung wäre das Verhältnis der Regelungen angesprochen. Es würde betont, dass es sich bei Art. 6 Abs. 2 FFH-RL um einen allgemeinen Grundsatz handelt, von dem unter den Bedingungen der Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL abgewichen werden darf.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

4. Folgeprobleme der Abgrenzungsproblematik Das Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL wirft auch über die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der Absätze hinaus noch weitere Folgefragen auf. Ob ein Vorhaben nach Art. 6 Abs. 2 oder Abs. 3 FFH-RL be­ urteilt wird, ist in der Praxis insbesondere für die korrekte Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht, die Anwendung der Ausnahmebestimmungen und den Rückgriff auf allgemeine Vermeidungsmaßnahmen bei Fehlschlägen und andauernden Beeinträchtigungen von Bedeutung. Diese praxisrelevanten Fragestellungen werden Gegenstand der nächsten Abschnitte a) bis d) sein. Zuvorderst wird geschildert, inwiefern das dogmatische Problem sich bereits in der Umsetzung der Richtlinienvorschriften in nationales Recht niedergeschlagen hat. a) Umsetzungsschwierigkeiten durch ungeklärtes Verhältnis der Vorschriften Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten zu vermeiden, sofern diese sich auf die Erhaltungsziele auswirken könnten. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL wird in Deutschland durch zwei nationale Vorschriften umgesetzt.568 § 32 Abs. 3 S. 3 BNatSchG bestimmt, dass durch geeignete Ver- und Gebote sicherzustellen ist, dass den Anforderungen der FFH-RL entsprochen wird. Die andere, zentrale nationale Umsetzungsvorschrift des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL findet sich in § 33 BNatSchG.569 Dieser schreibt in § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG vor, dass alle Veränderungen und Störungen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Natura 2000-Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen können, unzulässig sind. Dieses absolute, an jedermann gerichtete Verbot geht zunächst zulässigerweise in seinem Schutzumfang über die Verpflichtung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL hinaus.570 Überraschend ist aber der nächste Satz des § 33 Abs. 1 BNatSchG. Nach § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG kann die zuständige Behörde nach den nationalen Umsetzungsvorschriften des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL, der Ausnahmeregelung für Projekte und Pläne in § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG, Ausnahmen vom Verschlechterungs- und Störungsverbot zulassen. Die nationale Umsetzung verin: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 32 Rn. 9, § 33 Rn. 2. 16/12274, S. 64. 570  Siehe Art.  193 AEUV; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 82. EL 2017, § 33 Rn. 12. 568  Heugel,

569  BT-Drucks.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen207

mischt an dieser Stelle die Regelungen des Art. 6 Abs. 2, Art. 6 Abs. 3 und Art. 6 Abs. 4 FFH-RL und ist unionsrechtlich bedenklich, da die FFH-Richtlinie die Ausnahme grundsätzlich an eine zuvor durchgeführte Verträglichkeitsprüfung knüpft.571 Auch Umsetzungsvorschriften in den Naturschutzgesetzen der Länder zeigen auf, dass die Systematik der Richtlinie unklar geblieben ist und dies zu unionsrechtswidrigen Umsetzungen der Richtlinie führte. Als erstes Beispiel kann das Schleswig-Holsteinische Naturschutzgesetz herangezogen werden. In § 24 Abs. 1 S. 3 LNatSchG SH werden Ausgleichsmaßnahmen im Rahmen des Verschlechterungsverbotes zugelassen, die nach den Vorgaben der Richtlinie nur für Projekte und Pläne, die das Verfahren nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL durchlaufen haben, möglich sind.572 Zudem wird in § 24 Abs. 1 S. 4 LNatSchG SH die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung „in der Regel“ freigestellt. Neben der Problematik einer solchen Freistellung im Allgemeinen573 verwundert die Regelung an dieser Stelle. Bei der land‑, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung handelt es sich um Projekte, die einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind, sollten sie sich erheblich auf die Schutzgebiete auswirken können. Das Land Schleswig-Holstein stellt sie aber hier nicht in Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes574 von der Verträglichkeitsprüfung „in der Regel“ frei, sondern bereits vom allgemeinen Verschlechterungs- und Störungsverbot. Auch hier misslingt die Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL. Die Umsetzungsdefizite sind Ausdruck des in seinen Einzelheiten unklaren Verhältnisses der Vorschriften. b) Ausnahmen vom allgemeinen Vermeidungsgebot Die beschriebenen Umsetzungsdefizite deuten das Bedürfnis der Mitgliedstaaten an, Ausnahmen von den allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen zu­ zulassen. Maßnahmen zur Vermeidung von Beeinträchtigungen in einem Schutzgebiet geraten regelmäßig in Konflikt mit gegenläufigen Interessen. Entgegenstehende Belange können daher nicht nur im Anwendungsbereich 571  Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 21; vgl. Semmelmann, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 202; a. A. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 82. EL 2017, § 33 Rn. 12; Louis, NuR 2010, 77, 85; siehe hierzu auch Kap. 3 B. III. 4. b). 572  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 125; Urt. v. 25.7.2018, C‑164/17, Rn. 47; Urt. v. 21.7.2016, C‑387/15, Rn. 52 ff.; Urt. v. 15.5.2014, C‑521/12, Rn. 28 ff., insb. 30. 573  Siehe hierzu Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 16; EuGH, Urt. v. 02.03.2023, C-432/21, Rn. 104 ff. 574  BVerwGE 145, 40, 60.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, sondern auch im Rahmen der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen bedeutsam werden. Sofern die Grundrechte der Grundrechtecharta oder Grundfreiheiten betroffen sind, sind dem Naturschutz gegenläufige Belange sogar primärrechtlich verankert. Das allgemeine Verschlechterungs- und Störungsverbot des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG ist ein eindrucksvolles Beispiel für eine Vermeidungsmaßnahme, die Konflikte mit anderen rechtlichen Belangen hervorruft, da es grundsätzlich alle Verschlechterungen und Störungen der relevanten Gebietsbestandteile untersagt. Aber auch sonstige Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, wie etwa konkrete Verbote in Schutzgebietsausweisungen, können die Frage aufwerfen, inwiefern Ausnahmen von der strikten Vermeidung aller Beeinträchtigungen nach der FFH-Richtlinie möglich sind. Im Folgenden soll deshalb darauf eingegangen werden, ob und inwiefern nach geltendem Recht Ausnahmen von der in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL normierten Verpflichtung der Mitgliedstaaten zugelassen werden können, alle Verschlechterungen und erheblichen Störungen in den Schutzgebieten zu vermeiden. Die Auslegung der Vorschriften gibt Aufschluss darüber, wann Ausnahmen notwendig und möglich sind. aa) Unzulässige analoge Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL Die Mitgliedstaaten sind grundsätzlich dazu verpflichtet, alle Verschlechterungen und Störungen, die sich auf die Erhaltungsziele im Gebiet auswirken könnten, zu unterbinden. Demnach beruhen die Verbote, die in den einzelnen Schutzgebietsverordnungen geregelt werden, auf der Pflicht der Mitgliedstaaten, gemäß Art. 6 Abs. 2 FFH-RL die erforderlichen Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen. Sämtliche Tätigkeiten im Gebiet, die zu einer relevanten Verschlechterung oder Störung führen können, sind zu versagen. Schutzgebietsverordnungen enthalten aber regelmäßig auch Ausnahmen von den Verboten. Sofern die Ausnahmen nur den Rahmen beschreiben, in dem eine Tätigkeit noch keine Verschlechterung oder Störung darstellt, sind sie unproblematisch. Wenn aber eine Ausnahme in der Schutzgebietsverordnung eine gebietsschädigende Tätigkeit etwa aufgrund eines überwiegenden öffent­ lichen Interesses freistellt, bedarf es für eine solche Abweichung von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL einer rechtlichen Grundlage. Fraglich ist, ob die Ausnahmebestimmung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL anwendbar ist. Die Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL normiert, dass ein Plan oder Projekt „trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art“ durchgeführt werden kann,



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen209

sofern keine Alternativlösung vorhanden ist und der Mitgliedstaat die notwendigen Kohärenzsicherungsmaßnahmen ergreift. Pläne und Projekte können damit über die Ausnahmebestimmung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL unter bestimmten Bedingungen zugelassen werden, obwohl eine Verträglichkeitsprüfung zu einem negativen Ergebnis gelangt ist.575 Aber wie verhält es sich bei Vorhaben, die dem Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unterfallen und die keiner Verträglichkeitsprüfung unterzogen wurden? Grundsätzlich kommt nur eine analoge Anwendung in Frage. Die Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL ist ihrem Wortlaut nach nur auf Pläne und Projekte anwendbar, die außerdem zuvor einer Verträglichkeitsprüfung unterzogen worden sind.576 Auch Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL verweist auf Art. 6 Abs. 4 FFH-RL. Die Ausnahmevorschrift bezieht sich wiederum auf die ansonsten zu versagende Zulassung in Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL.577 Es ist aber fraglich, ob Art. 6 Abs. 4 FFH-RL in analoger Anwendung auch die Grundlage für Ausnahmen von den allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bilden kann. Das deutsche Recht geht von einer solchen analogen Anwendbarkeit aus. Die nationale Umsetzungsvorschrift des § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG verweist ausdrücklich auf die Möglichkeit, eine Ausnahme nach den nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 6 Abs. 4 FFH-RL, dem § 34 Abs. 3–5 BNatSchG, auch bei allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen zuzulassen. Der Analogieschluss wird mit dem Argument befürwortet, es führe zu einem Wertungswiderspruch, wenn Pläne und Projekte nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ausnahmsweise zugelassen werden könnten, und andere Vorhaben nicht.578 Zudem gebiete der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine analoge Anwendbarkeit,579 da subjektive Rechte, wie etwa Grundrechte, betroffen 575  Gellermann, Natura 2000, S. 75; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 41; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 33 Rn. 33 ff., auch unter Hinweis auf die nationale Rechtslage, die bisher nicht im Einklang mit Unionsrecht ist; siehe hierzu auch Semmelmann, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 202. 576  Siehe auch Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S. 8 f. 577  So ausdrücklich EuGH, Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 32; Urt. v. 15.3.2014, C-521/12, Rn. 19. 578  Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, 63, 68; Meßerschmidt, BNatSchG, 137. EG 2017, § 33 Rn. 23 f.; Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 480; Heugel, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 33 Rn. 7; a. A. Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Deutschland auf der Basis europarechtlicher Vor­ gaben, S. 110. 579  BT-Drucks. 16/12274, S. 64; Heugel, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 33 Rn. 7; befürwortend auch Gellermann, in: Landmann/Rohmer, BNatSchG, 82. EL

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

sein könnten. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen könnten beispielsweise Nutzungsbeschränkungen des Eigentumsrechts aus Art. 17 GRCh bzw. Art. 14 GG zur Folge haben.580 Auch das Recht auf wirtschaftliche Betätigung nach Art. 16 GRCh oder die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG könnten betroffen sein,581 sowie bei Sachverhalten mit Unionsbezug die Grundfreiheiten des AEUV. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann daher grundsätzlich Ausnahmeregelungen erfordern.582 Die dogmatische Herleitung einer Ausnahme über Art. 6 Abs. 4 FFH-RL analog ist allerdings zu hinterfragen. Die analoge Anwendung ist anderweitig unionsrechtlich problematisch. Der Analogieschluss ist auch im Unionsrecht nicht voraussetzungslos zulässig. Der Europäische Gerichtshof verlangt für die Annahme einer Analogie im Sekundärrecht der Union einen vergleichbaren Sachverhalt und einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz oder das sonstige Primärrecht durch eine ansonsten verbleibende Lücke im geschriebenen Recht.583 Übertragen auf die deutsche Terminologie ist anzunehmen, dass eine „planwidrige Rege­ lungslücke“584 im Unionsrecht nur dort angenommen werden kann, wo ansonsten ein Verstoß gegen Primärrecht entstehen würde, wie etwa eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem ohne objektive Rechtfertigung.585 Außerdem kommt eine Analogie in Betracht, wenn eine Norm des Sekundär2017, § 33 Rn. 12; Louis, NuR 2010, 77, 85; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 137. EL 2017, § 33 Rn. 23 f.; Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 480; Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, § 33 Rn. 13; vgl. auch Kahl/Gärditz, Umweltrecht, § 10 Rn. 119, wonach auch eine Befreiung nach § 67 Abs. 2 BNatSchG möglich sei; ablehnend noch Gellermann, NVwZ 2010, 73, 77; Fischer-Hüftle, NuR 2008, 213, 218; befürwortend auch Möckel, AUR 2021, 2, 6. 580  Vgl. Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRCh; vgl. Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 17 Rn. 36; Shirvani, VerwArch 2013, 83, 94. 581  Vgl. Shirvani, in: Nowak (Hrsg.), Konsolidierung und Entwicklungsperspektiven des Europäischen Umweltrechts, S. 417. 582  EuGH, Urt. v. 26.11.1996, C-68/95, Rn. 40, 42; Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 17 Rn. 38. 583  EuGH, Urt. v. 26.9.2013, C-509/11, Rn. 47 f.; Urt. v. 19.11.2009, C-402/07 u. C-432/07, Rn. 40 ff.; Urt. v. 12.12.1985, Rs. 165/84, Rn. 14; Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 12 Rn. 32 ff. 584  Siehe hierzu allgemein Bydlinski/Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, S.  85 ff. 585  Vgl. EuGH, Urt. v. 26.9.2013, C-509/11, Rn. 47 f.; Urt. v. 19.11.2009, C-402/07 u. C-432/07, Rn. 40 ff.; EuGH, Urt. v. 12.12.1985, Rs. 165/84, Rn. 14, 23; Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 12 Rn. 33; siehe zum allgemeinen Gleichheitssatz im Unionsrecht Wollenschläger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 20 ff.; siehe auch u. a. EuGH, Urt. v. 7.3.2017, C-390/15, Rn. 41; Urt. v. 12.11.2014, C-580/12, Rn. 51; Urt. v. 18.7.2013, C-234/12, Rn. 15;



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen211

rechts ohne entsprechende Rechtsfortbildung unverhältnismäßig wäre.586 Im vorliegenden Fall könnten auf den ersten Blick beide Argumente für eine Analogie angeführt werden, da Vorhaben nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ohne Ausnahmemöglichkeit mehr beschränkt würden als Projekte und Pläne nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, was gegebenenfalls im Einzelfall als Gleichheitsverstoß zu werten wäre und unverhältnismäßig sein könnte. Ob tatsächlich ein vergleichbarer Sachverhalt und eine planwidrige Regelungslücke vorliegen, soll nun untersucht werden. (1) Kein vergleichbarer Sachverhalt Zunächst ist festzustellen, ob ein vergleichbarer Sachverhalt in Fällen vorliegt, die unter Art. 6 Abs. 2 FFH-RL oder Art. 6 Abs. 3 FFH-RL fallen. Es sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Die erste Konstellation betrifft Beeinträchtigungen, die nicht durch Pläne und Projekte hervorgerufen werden, wie etwa Naturereignisse, deren Folgen für das Schutzgebiet der Mitgliedstaat aufgrund des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL vermeiden muss. In diesen Fällen ist kein vergleichbarer Sachverhalt gegeben, der eine analoge Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL begründen würde. Der europäische Gesetzgeber hat die Ausnahmevorschrift geschaffen, um die Ausübung menschlicher Aktivitäten einschließlich wirtschaftlicher oder sozialer Interessen zu ermöglichen. Die zweite Konstellation betrifft Beeinträchtigungen durch Projekte und Pläne. Der Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, in dem sich die Frage nach einer Ausnahmegenehmigung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL analog stellen könnte, ist allgemein bereits sehr begrenzt. Aufgrund des weiten Projektbegriffes, nach dem wirkungsbezogen alle menschlichen Eingriffe in Natur und Landschaft erfasst sind,587 verbleiben kaum Anwendungsfälle, in denen ein Projekt oder Plan vorliegt, ohne dass Art. 6 Abs. 3 FFH-RL anwendbar ist.588 Stattdessen ist regelmäßig das klassische Verfahren nach den nationalen Umsetzungsvorschriften des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL zu durchlaufen. Klassische Eingriffe, wie wirtschaftliche Tätigkeiten mit Auswirkungen auf das Schutzgebiet, die etwa in den Schutzbereich von Art. 16 Urt. v. 16.9.2010, C-149/10, Rn. 64; Urt. v. 14.9.2010, C-550/07, Rn. 54 f.; Urt. v. 13.4.2000, C-292/97, Rn. 39. 586  Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 12 Rn. 32, 43 ff. 587  EuGH, st. Rspr., z. B. Urt. v. 14.1.2010, C-226/08, Rn. 39; Urt. v. 10.1.2006, C-98/03, Rn. 40. 588  Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 88.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

oder Art. 17 GRCh fallen, sind daher regelmäßig als Projekte einzustufen und können über eine Ausnahmegenehmigung zugelassen werden. Denn sobald eine Tätigkeit nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zu beurteilen ist, ist die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL unstrittig.589 Der weite Projektbegriff eröffnet daher auch regelmäßig die Möglichkeit, ein Vorhaben auch im Ausnahmefall zuzulassen.590 Einen verbleibenden Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, der mit Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vergleichbar sein könnte, bilden die Fälle, bei denen eine Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL aufgrund des zeitlichen Anwendungsbereichs der Bestimmungen noch nicht durchzuführen war. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist ein Vorhaben, das vor der Aufnahme des Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung zugelassen wurde, nach Anwendbarkeit der Richtlinie grundsätzlich nur nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu beurteilen.591 Projekte und Pläne, die vor Listung des Gebietes durch die Europäische Kommission zugelassen wurden, sollen keiner nachträglichen Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL unterstellt werden,592 da dies einen enormen nachträglichen Prüfaufwand zur Folge hätte.593 Auch nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL muss bei diesen Vorhaben allerdings sichergestellt werden, dass keine erheblichen Beeinträchtigungen des Gebietes entstehen,594 sodass sogar eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechende Prüfung des Vorhabens als allgemeine Vermeidungsmaßnahme nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL geboten sein kann,595 um eine erhebliche Beeinträchtigung auszuschließen. In diesen Fällen ist das Vorgehen mit den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL weitgehend kongruent.596 Die Abwägung zwischen der Beeinträchtigung der FFH-Schutzgüter und den Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, wie sie in der Aus589  Vgl. EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/16, Rn. 77; vgl. auch Fischer-Hüftle, NuR 2008, 213, 218. 590  Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 152. EL 2020, § 34 Rn. 23. 591  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 33; Urt. v. 24.11.2011, C‑404/09, Rn. 124 f.; Urt. v. 14.1.2010, C‑226/08, Rn. 48 f. 592  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 163; Urt. v. 24.11.2011, C‑404/09, Rn. 125; Urt. v. 14.1.2010, C‑226/08, Rn. 48; siehe zu den Pflichten während der einzelnen Verfahrensschritte ausführlich Beier, NVwZ 2016, 575, 576 ff. 593  Vgl. EuGH, Urt. v. 23.5.2006, C-209/04, Rn. 57; GA Kokott, Schlussanträge v. 30.4.2020, C-254/19, Nr. 33. 594  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 43; vgl. hierzu auch Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, 63, 68 f. 595  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 52 f., 56; Urt. v. 11.9.2012, C-43/10, Rn. 114; Urt. v. 20.10.2005, C-6/04, Rn. 58. 596  Vgl. EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 47 ff.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen213

nahmegenehmigung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL erforderlich ist, ist nur möglich, wenn Informationen über die Beeinträchtigungen zuvor im Rahmen einer Verträglichkeitsprüfung ermittelt wurden.597 Der Europäische Gerichtshof stellt hierzu fest: „Die Prüfung etwaiger zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses und der Frage, ob weniger nachteilige Alternativen bestehen, erfordert […] eine Abwägung mit den Beeinträchtigungen, die für das Gebiet durch den vorgesehenen Plan oder das vorgesehene Projekt entstünden. Außerdem müssen die Beeinträchtigungen des Gebiets genau identifiziert werden, um die Art etwaiger Ausgleichsmaßnahmen bestimmen zu können.“598 Art. 6 Abs. 4 FFH-RL setzt zudem voraus, dass im Einzelfall geprüft wird, ob weniger beeinträchtigende Alternativen zum Vorhaben bestehen. Die Prüfung baut auf einer vorangegangenen Prüfung der geschädigten Schutzgüter auf.599 Diese Daten werden durch die Verträglichkeitsprüfung ermittelt. Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt daher in den Fällen einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL vor. Der Europäische Gerichtshof hat die analoge Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL in denjenigen Fällen bestätigt, in denen Art. 6 Abs. 3 FFHRL aufgrund mangelnder Listung des Gebietes noch nicht anwendbar war und nach Aufnahme in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zurückgegriffen wird.600 (2) Keine planwidrige Regelungslücke Nur in den beschriebenen Fällen, die einen vergleichbaren Sachverhalt darstellen, ist eine analoge Anwendung der Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auch aufgrund des Gleichheitssatzes und der Verhältnismäßigkeit geboten. Wie bei allen außenwirksamen Handlungen der Europäischen Union ist auch beim Erlass von Sekundärrecht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.601 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts und „verlangt, dass die von einer Gemeinschafts597  EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 77; Urt. v. 14.1.2016, C‑399/14, Rn. 57; Urt. v. 15.3.2014, C-521/12, Rn. 36; Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 35. 598  EuGH, Urt. v. 11.9.2012, C-43/10, Rn. 114; siehe hierzu auch Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, § 34 Rn. 131. 599  EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 77. 600  EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 41; Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 38 ff., 55; Urt. v. 3.4.2014, C-301/13, Rn. 34; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 156. 601  Pache, in: Pechstein/Nowak/Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV, Art. 5 EUV Rn. 134; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, S.  830 f.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

bestimmung eingesetzten Mittel zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziele geeignet sind und nicht über das dazu Erforder­ liche hinausgehen.“602 Er ist bei der Auslegung der sekundärrechtlichen Bestimmungen heranzuziehen.603 Auch die etwaig betroffenen unionsrechtlichen Grundrechte erfordern neben der im Falle der FFH-Richtlinie unstreitig vorliegenden gesetzlichen Grundlage und des verfolgten Allgemeinwohlziels die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffes.604 Ein Verstoß gegen Primärrecht wegen Missachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes wäre gegeben, wenn die Ungleichbehandlung von Sachverhalten, die unter Art. 6 Abs. 2 oder Abs. 3 FFH-RL fallen, nicht objektiv gerechtfertigt wäre. Eine objektive Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung liegt allgemein vor, wenn die Ungleichbehandlung nicht willkürlich erfolgt, sondern mit objektiven Gründen erklärt werden kann und die Ungleichbehandlung und ihr Grund in einem angemessenen Verhältnis stehen.605 Im Fall von Projekten und Plänen kann der Vorhabenträger im Regelfall in direkter Anwendung des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL eine Zulassung beantragen. Der Richtliniengesetzgeber hat bei Erlass der FFH-Richtlinie die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Anforderungen bereits berücksichtigt.606 Die FFH-Richtlinie sieht zu diesem Zweck die Ausnahmegenehmigung bei Plänen und Projekten vor, die mitsamt den von ihnen ausgehenden Beeinträchtigungen in einem vorgegebenen Verfahren – der Verträglichkeitsprüfung – eruiert werden und knüpft eine Ausnahme an ein Genehmigungsverfahren, bei dem bestimmte Schritte, wie etwa die Alternativenprüfung, obligatorisch sind. Für Tätigkeiten, die in den Schutzbereich der primärrechtlich verankerten Grundrechte oder Grundfreiheiten fallen, sieht die Richtlinie mit der Ausnahmebestimmung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL regelmäßig die Möglichkeit vor, von dem Grundsatz der Vermeidung im Einzelfall abzuweichen. Eine Ausnahme bilden die Fälle, in denen mangels 602  EuGH, Urt. v. 8.6.2010, C-58/08, Rn. 51 (Zitat); Urt. v. 6.12.2005, C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04, Rn. 68; Urt. v. 14.12.2004, C-210/03, Rn. 47 m. w. N.; Urt. v. 14.12.2004, C-434/02, Rn. 45 m. w. N. 603  Pache, NVwZ 1999, 1033, 1036 f.; von Danwitz, EWS 2003, 393, 394 f.; Pache, in: Pechstein/Nowak/Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV, Art. 5 EUV Rn. 134; vgl. EuGH, Urt. v. 18.10.1989, Rs. 374/87, Rn. 28; GA Kokott, Schlussanträge v. 29.1.2004, C-127/02, Nr. 104. 604  EuGH, Urt. v. 17.7.1997, C-248/95 u. C-249/95, Rn. 72; Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 17 Rn. 34 ff.; Shirvani, VerwArch 2013, 83, 97. 605  Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 41. EL 2010, Nach Art. 6 EUV Grundrechtsschutz und rechtsstaatliche Grundsätze, Rn. 227; Lemke, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, GRC, Art. 20 Rn. 16. 606  EWG 3; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Deutschland auf der Basis europarechtlicher Vorgaben, S. 110 f.; Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GKBNatSchG, § 34 Rn. 134; EuGH, Urt. v. 11.9.2012, C-43/10, Rn. 137.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen215

zeitlicher Anwendbarkeit der Richtlinie noch keine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde, eine entsprechende Prüfung aber unter Anwendung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nachgeholt wird. In diesen Fällen entsteht eine planwidrige Regelungslücke, die einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darstellen würde. Eine analoge Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ist daher in diesen Einzelfällen geboten. Die sonstigen Fälle allgemeiner Vermeidungsmaßnahmen stellen, wie dargestellt, bereits keinen vergleichbaren Sachverhalt dar. Da die Ausnahmevorschrift auf Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und eine durchgeführte Verträglichkeitsprüfung zugeschnitten ist und diese auch inhaltlich voraussetzt, gebieten darüber hinaus weder der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch der Gleichheitssatz die analoge Anwendung dieser konkreten Ausnahmevorschrift. Denn im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bestehen verfahrensrechtliche Vorgaben, die bei der allgemeinen Anwendung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht allgemein vorgeschrieben sind. Diese Verfahrensbestimmungen sollen sicherstellen, dass das Ziel der Richtlinie, der Erhalt der Biodiversität erreicht wird. Der Erhalt der Biodiversität ist wiederum ein schützenswerter, primärrechtlich fundierter Allgemeinwohlbelang, der es rechtfertigt, eine Ausnahme an eine entsprechende Prüfung zu knüpfen. Bei der Bildung eines Analogieschlusses ist außerdem zu beachten, in welchem systematischen Zusammenhang die Rechtsvorschriften stehen und welchen Zweck die Norm und der Rechtsakt verfolgen.607 Die Richtlinie bezweckt ein hohes Schutzniveau der unter Schutz gestellten Umweltgüter. Die Mitgliedstaaten müssen nicht nur die Verschlechterung der Erhaltungszustände vermeiden, die Arten und Lebensraumtypen müssen vielmehr aktiv in einen günstigen Erhaltungszustand versetzt werden. Ausnahmen, die diesem Ziel abträglich sind, sind demnach eng zu begrenzen.608 Dieser Befund bestätigt die bisherigen Ergebnisse. Die beschriebenen Fälle zeigen, dass Art. 6 Abs. 4 FFH-RL aus systematischen Gründen und aufgrund seiner tatbestandlichen Voraussetzungen auf den Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und eine vorangegangene Verträglichkeitsprüfung zugeschnitten ist. Die analoge Anwendbarkeit ist nur in den Fällen sinnvoll, 607  EuGH, Urt. v. 26.9.2013, C-509/11, Rn. 51; Urt. v. 19.11.2009, C-402/07 u. 432/07, Rn. 41. 608  Vgl. EuGH, Urt. v. 20.9.2007, C-304/05, Rn. 82; Urt. v. 26.10.2006, C-239/04, Rn. 35; Urt. v. 11.5.2006, C-340/04, Rn. 55; vgl. auch Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 93; der EuGH vertritt diese Ansicht zu Ausnahmebestimmungen im Unionsrecht in st. Rspr., z. B. Urt. v. 14.12.1962, Rs. 2 u. 3/62, S. 881, 884; Urt. v. 15.5.1986, Rs. 222/84, Rn. 38.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

in denen ein Projekt nach den Maßstäben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL überprüft wird, obwohl dieser nicht anwendbar ist und auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zurückzugreifen ist. Dann kann ein vergleichbarer Sachverhalt angenommen werden und die Verwehrung einer Ausnahme könnte gegen Primärrecht verstoßen. Die analoge Anwendung der Ausnahmebestimmung wurde in diesem Fall vom Europäischen Gerichtshof ausdrücklich bestätigt.609 bb) Begrenzte sonstige Abweichungsmöglichkeiten Eine analoge Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auf die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen scheidet damit, mit Ausnahme der Fälle, in denen das Verfahren einer Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL gleicht, aus. Eine absolute Verpflichtung der Mitgliedstaaten, alle sonstigen erheblichen Beeinträchtigungen zu vermeiden, könnte allerdings dennoch unverhältnismäßig und folglich primärrechtswidrig sein.610 Teilweise wird vertreten, insbesondere natürliche Veränderungen seien nur insoweit zu verhindern, wie dies verhältnismäßig sei.611 Einige Stimmen fordern auch, die in Art. 2 Abs. 3 FFH-RL genannten Anforderungen der Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und der regionalen und örtlichen Besonderheiten im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL heranzuziehen.612 Daher ist zu prüfen, ob die Richtlinie dahingehend auszulegen ist, dass eine ungeschriebene Ausnahme von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL geboten ist und, da eine analoge Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL mit den angeführten Argumenten abzulehnen ist, welche Voraussetzungen eine solche Ausnahme hat. Bei sonstigen, nicht durch eine Verträglichkeitsprüfung eruierbaren Beeinträchtigungen sieht Art. 6 Abs. 2 FFH-RL einen grundsätzlich umfassenden Schutz vor.613 Dieses absolute Gebot, sämtliche sonstige Beeinträchtigungen 609  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 38 ff., 55; Urt. v. 3.4.2014, C-301/13, Rn. 34; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 156; siehe auch Urt. v. 20.9.2007, C-388/05, Rn. 27. 610  BT-Drucks. 16/12274, S. 64; Heugel, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 33 Rn. 7; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, BNatSchG, 82. EL 2017, § 33 Rn. 12; Louis, NuR 2010, 77, 85; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 137. EL 2017, § 33 Rn.  23 f.; Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 480; Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, § 33 Rn. 13. 611  Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 4; Schumacher/Schumacher, NuR 2013, 377, 383. 612  Vgl. Jarass, ZUR 2000, 183, 184 f.; offen gelassen bei Wolf, ZUR 2005, 449, 452. 613  Gellermann, Natura 2000, S. 74 f.; Epiney, UPR 1997, 303, 308; Beckmann/ Lambrecht, ZUR 2000, 1, 2; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 387.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen217

zu vermeiden, die sich auf die Erhaltungsziele im Gebiet auswirken können, kann im Einzelfall aus primärrechtlicher Sicht eine Abweichung erfordern. Als Beispiel kann eine unvorhersehbare Naturkatastrophe dienen, die sowohl ein FFH-Gebiet als auch eine Siedlung akut bedroht. Für diesen Beispielsfall soll angenommen werden, die Ressourcen zum Schutz reichten nur alternativ für die Siedlung oder das Schutzgebiet aus. In einem solchen Fall gebieten es die Schutzpflichten der Mitgliedstaaten und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, von den abschließenden Regelungen der Richtlinie Ausnahmen zuzulassen. Auch der Europäische Gerichtshof hat die Überschwemmungsgefahr oder den Küstenschutz als außerordentliche Gründe für eine Abweichung von Sekundärrecht akzeptiert.614 Es ist allerdings erforderlich, dass die Gründe für eine Abweichung von derartiger Dringlichkeit sind, dass sie grundsätzlich ein vom Richtlinienrecht abweichendes Handeln erfordern. Das Ziel der Richtlinie wäre maßgeblich gefährdet, wenn der vorgegebene Schutzmaßstab durch gegenläufige Interessen außerhalb der normierten Ausnahmen stets noch einer Abwägung unterzogen werden würde.615 Die Mitgliedstaaten haben das Sekundärrecht grundsätzlich entsprechend der Gewichtungen des Unionsgesetzgebers umzusetzen. Wenn eine Richtlinie beispielsweise der Volksgesundheit im Zweifelsfall den Vorrang einräumt, kann ein Mitgliedstaat grundsätzlich nicht unter Berufung auf entgegenstehende Belange eine andere Gewichtung vornehmen. Eine ungeschriebene Ausnahme muss daher die in der FFH-Richtlinie angestrebten Ziele und Gewichtungen der Belange respektieren. Der Europäische Gerichtshof hatte im Jahr 1991 in einem Verfahren zur Vogelschutzrichtlinie zu entscheiden, aus welchen Gründen von den in dieser Richtlinie ebenso vorgesehenen allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen abgewichen werden kann. Das Urteil ist auf die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen nach FFH-Recht übertragbar. Die in dem Vertragsverletzungsverfahren beklagte Bundesregierung Deutschlands führte damals an, bei den strittigen Deichsicherungsmaßnahmen die Belange des Küstenschutzes gegen die des Vogelschutzes in einer ihr zustehenden Rechtsgüterabwägung miteinander ins Verhältnis gesetzt zu haben.616 Der Gerichtshof stellte dagegen fest, dass 614  EuGH,

Urt. v. 28.2.1991, C-57/89, Rn. 23. EuGH, Urt. v. 17.7.1997, C-183/95, Rn. 43; vgl. Urt. v. 2.8.1993, C-355/90, Rn. 18; vgl. auch Urt. v. 28.2.1991, C-57/89, Rn. 25; Urt. v. 8.7.1987, Rs. 247/85 u. 262/85 Rn. 34; Gellermann, Natura 2000, S. 75; Epiney, in: Epiney/ Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 86; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 238; Epiney, UPR 1997, 303, 308; a. A. Jarass, ZUR 2000, 183, 184 f. 616  EuGH, Urt. v. 28.2.1991, C-57/89, Rn. 11 f. 615  Vgl.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

die Mitgliedstaaten sich nicht einseitig den Verpflichtungen der Richtlinie entziehen könnten. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sei eine Abweichung von den Vorgaben des Sekundärrechts aber aus „außerordentliche[n] Gründe des Gemeinwohls“ möglich, „die Vorrang vor den mit der Richtlinie verfolgten Umweltbelangen haben“.617 Die vom Gerichtshof formulierten hohen Anforderungen an eine ungeschriebene Ausnahme sind dadurch gerechtfertigt, dass die Richtlinie gegenläufige Belange über die Regelungen zu Projekten und Plänen bereits berücksichtigt und die Fälle, in denen eine Abweichung von den allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen primärrechtlich geboten ist, daher nur unvorhersehbare Einzelfälle sind. Zudem ist eine beliebige nachträgliche Abwägung der normierten Anforderungen der Richtlinie mit entgegenstehenden Belangen aus den beschriebenen Gründen nicht angezeigt. Die „außerordentlichen Gründe“ erfassen nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs ausdrücklich nicht „wirtschaftliche oder freizeitbedingte Erfordernisse“618 und damit nicht alle in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL genannten öffentlichen Interessen.619 Das unterschiedliche Gewicht der entgegenstehenden Belange, das bei einer Abweichung von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL im Gegensatz zum Art. 6 Abs. 4 FFH-RL gefordert wird, ergibt sich daraus, dass Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auf einer vorangegangenen Prüfung der Einwirkungen beruht und selbst ein Verfahren bereitstellt, das die Schutzgüter des Gebietes trotz Ausnahmezulassung möglichst vor Beeinträchtigungen schützen soll.620 Durch die normierten Voraussetzungen und die vertiefte Prüfung ist ein weitgehender Schutz des Gebietes gewährleistet. Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL stellen trotz unterschiedlichen Wortlauts auf dasselbe Schutzniveau ab.621 Um in beiden Absätzen dasselbe Schutzniveau zu gewährleisten, muss die ungeschriebene Abweichungsmöglichkeit von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL sehr eng begrenzt werden.

617  Vgl. EuGH, Urt. v. 11.7.1996, C-44/95, Rn. 29; Urt. v. 28.2.1992, C-57/89, Rn.  21 f.; vgl. Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 88, die „besonders wichtige Allgemeinwohlinteressen“ anführt und ebenfalls den Bezug zu den genannten Urteilen des EuGH herstellt. 618  EuGH, Urt. v. 2.8.1993, C-355/90, Rn. 19; Urt. v. 28.2.1991, C-57/89, Rn. 2; siehe auch Urt. v. 11.7.1996, C-44/95, Rn. 25. 619  Vgl. auch Jarass, ZUR 2000, 183, 187; Wormit, NuR 2021, 739, 744. 620  Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 87; Jarass, ZUR 2000, 183, 184. 621  Siehe Kap. 3 B. III. 2. a) aa); EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. 294/17, Rn. 87; Urt. v. 12.4.2018, C-323/17, Rn. 24; Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 52; Urt. v. 15.4.2014, C-521/12, Rn. 19; Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 32; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 142.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen219

Dieser Befund wird durch die unionsrechtliche Prämisse bekräftigt, dass Ausnahmen eng auszulegen sind und stets die Auslegungsvariante zu wählen ist, die dem Rechtsakt ausreichende praktische Wirksamkeit einräumt, ohne dabei gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu verstoßen.622 Zudem prägt der Vorsorgegrundsatz die Auslegung der Bestimmungen.623 Dementsprechend ist auch eine Abweichung von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unter größtmöglicher Schonung der Schutzgüter durchzuführen und die Beeinträchtigung möglichst gering zu halten.624 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine ungeschriebene Ausnahme von den allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bei sonstigen Beeinträchtigungen, die keiner Verträglichkeitsprüfung zugänglich sind, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit abweichend vom Wortlaut im Einzelfall geboten sein kann. In bestimmten Ausnahmefällen können Mitgliedstaaten von den allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen aufgrund einer ungeschriebenen Abweichungskompetenz absehen, allerdings nur, wenn „außerordentliche[n] Gründe des Gemeinwohls“, „die Vorrang vor den mit der Richtlinie verfolgten Umweltbelangen haben“625 es erfordern und die Schutzgüter größtmöglich geschont werden. cc) Anhaltende Rechtsunsicherheit Der vorangegangene Abschnitt kam zu dem Ergebnis, dass es nur unter engen Voraussetzungen möglich ist, von dem absoluten Vermeidungsgebot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL abzuweichen. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL kann in den Fällen analog angewendet werden, in denen die Situation und das Verfahren einer Verträglichkeitsprüfung eines Projektes oder Planes mit negativem Ausgang entsprechen. Die analoge Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL erfordert die entsprechende Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen. Abseits dieser Fälle ist, wie beschrieben, eine Abweichung von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nur möglich, wenn außerordentliche Umstände dies erfordern. Dieses Ergebnis ist indes, wie dargelegt, nicht unumstritten. Die deutsche Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL umfasst eine Ausnahmemöglichkeit, die der analogen Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL entspricht.626 Auch 622  Vgl. EuGH, Urt. v. 11.5.2006, C-340/04, Rn. 55; Urt. v. 14.10.1999, C-223/98, Rn. 24; Urt. v. 22.9.1988, Rs. 187/87, Rn. 19; Potacs, EuR 2009, 465, 478. 623  Europäische Kommission, Natura 2000 Gebietsmanagement, S. 17. 624  Vgl. EuGH, Urt. v. 28.2.1991, C-57/89, Rn. 23. 625  Vgl. EuGH, Urt. v. 11.7.1996, C-44/95, Rn. 29; Urt. v. 28.2.1992, C-57/89, Rn.  21 f.; vgl. Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 88. 626  BT-Drucks. 16/12274, S. 64.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

in Frankreich sind nach nationalem Recht Ausnahmen vom allgemeinen Vermeidungsgebot möglich.627 In Deutschland setzt § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG die Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL um, indem er ein allgemeines Veränderungs- und Störungsverbot normiert. Darüber hinaus haben die Behörden nach § 32 Abs. 3 S. 3 BNatSchG durch geeignete Ge- und Verbote sicherzustellen, dass den An­ forderungen der FFH-Richtlinie entsprochen wird. Die zuständige Behörde kann allerdings nach § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG eine Ausnahme von den Vermeidungsmaßnahmen nach § 32 Abs. 3 BNatSchG und § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 3–5 BNatSchG zulassen, der die nationale Umsetzung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL darstellt.628 Auch im französischen „code de l’environnement“ ist in Art. L414-1 Abs. 5 UAbs. 3 S. 1 geregelt, dass die in Art. L414-1 Abs. 5 UAbs. 1 S. 2 CE normierten Vermeidungsmaßnahmen „den wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und verteidigungspolitischen Erfordernissen sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung“629 tragen. Die Vorschrift verpflichtet die zuständigen Behörden, die genannten Erfordernisse bei den allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen zu berücksichtigen, obwohl Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine derartige Abwägung mit sonstigen Belangen nicht vorsieht.630 Die beiden Beispiele aus der nationalen Gesetzgebung zweier Mitgliedstaaten zeigen, dass in der Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL die Frage nach einer Ausnahmemöglichkeit von den allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unterschiedlich beantwortet wird. In der deutschen Umsetzung wird eine analoge Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFHRL für geboten erachtet, während in der französischen Umsetzung direkt auf entgegenstehende Belange eingegangen wird, was voraussetzt, dass die Richtlinie eine solche Abweichung vom absoluten Vermeidungsgebot zulässt. Insbesondere die Auslegung des französischen Gesetzgebers könnte darauf zurückzuführen sein, dass Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht als Verbot formuliert ist, sondern als Verpflichtung der Mitgliedstaaten. Dies könnte auf einen 627  Art. L414-1

Abs. 5 UAbs. 3 S. 1 code de l’environnement. zur partiellen Unionsrechtswidrigkeit Möckel, in: Schlacke (Hrsg.), GKBNatSchG, Art. 33 Rn. 34. 629  Im Original „Elles tiennent compte des exigences économiques, sociales, culturelles et de défense, ainsi que des particularités régionales et locales“, Art. L414-1 Abs. 5 UAbs. 3. 630  Siehe ausführlicher zur Vorschrift und deren Unionsrechtswidrigkeit Faeh/ Gammenthaler/Semmelmann, in: Epiney/Gammenthaler, S. 156; siehe zum damaligen Art. L414‑1 Abs. 5 UAbbs. 3 S. 4 auch EuGH, Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 26 ff.; die Vorschrift bezieht sich auch auf die Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL und dürfte auch in diesem Zusammenhang unionsrechtswidrig sein. 628  Siehe



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen221

Spielraum der Mitgliedstaaten hindeuten, wie sie diese Aufgabe auszufüllen haben. Auch die Formulierung, der Mitgliedstaat müsse die „geeigneten“ Maßnahmen treffen, deutet auf einen Gestaltungsspielraum hin.631 Indes betrifft dieser Gestaltungsspielraum nur die Auswahl der konkreten Maßnahmen, das Maß des Schutzes ist allerdings durch die Richtlinie vorgegeben. Es müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, um die in Art. 6 Abs. 2 FFHRL beschriebene Verschlechterung oder Störung zu verhindern.632 dd) Reformvorschlag: Normierung der Abweichungsmöglichkeiten Die anhaltende Rechtsunsicherheit bezüglich der Abweichungsmöglich­ keiten von dem allgemeinen Vermeidungsgebot könnte auch durch eine Reform des Richtlinientextes beseitigt werden. Der Richtliniengesetzgeber könnte so eindeutig Stellung zu dem Problem beziehen. Art. 6 Abs. 2 FFHRL sollte dementsprechend um eine Klarstellung ergänzt werden, dass von seiner Vorgabe nicht aus wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder regionalen Belangen abgewichen werden darf, sondern nur aus außerordentlichen Gründen und zum Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter. Die Normierung dieser Abweichungsmöglichkeit hat, folgt man der hier vertretenen Herleitung, eher deklaratorischen Charakter, da sie aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit herzuleiten ist und durch Primärrecht, etwa durch das Vorsorgeprinzip, begrenzt ist. Der Vorteil einer Normierung liegt aber darin, rechtliche Unsicherheiten zu beseitigen und damit die Schutzwirkung der Richtlinie zu verstärken. Gegenüber einer ungeschriebenen Abweichungsmöglichkeit hätte eine Regelung außerdem den Vorteil, dass man durch Verfahrensvorgaben einen geordneten rechtlichen Rahmen für eine Abweichung schaffen kann.633 Auch in materieller Hinsicht kann es einen Mehrwert haben, den Richtlinientext zu ergänzen, da die inhaltlichen Voraussetzungen einer Ausnahme dahingehend, dass die Abweichung auf das Notwendigste beschränkt bleiben muss und unter größtmög­ licher Schonung der Schutzgüter zu erfolgen hat, herausgestellt werden.634

631  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 40; Europäische Kommission, Natura 2000 Gebietsmanagement, S. 19. 632  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14 Rn. 41; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 126; Urt. v. 4.3.2010, C-241/08, Rn. 32. 633  Vgl. Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 87. 634  Vgl. EuGH, Urt. v. 28.2.1991, C-57/89, Rn. 23.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

c) Einordnung der sog. Schadensminimierungsmaßnahmen In der Praxis spielen Schadensminimierungsmaßnahmen bei der Zulassung von Projekten und Plänen eine maßgebende Rolle. Schadenminimierungsmaßnahmen sind Maßnahmen, die den negativen Effekt eines Vorhabens abschwächen.635 So soll erreicht werden, dass die Erhaltungsziele im Gebiet nicht beeinträchtigt werden und das Vorhaben bereits nach den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zulässig ist. Die Schadensminimierungsmaßnahmen sind, wenngleich unter vielfältigen Begriffen bekannt, mittlerweile in Rechtsprechung und Literatur anerkannt.636 Die Schadensminimierungsmaßnahmen sind aber nicht nur ein Instrument, um Vorhaben in den Gebieten zuzulassen. Sie entsprechen dem Grundsatz der Schadensvermeidung nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL. Neben der vollständigen Vermeidung gebietet die Pflicht zu allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen auch, nicht zu vermeidende Schäden bestmöglich abzumildern. Schadens­ minimierungsmaßnahmen lassen sich daher aus dem Regelungsgefüge des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL herleiten und können unmittelbar aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL hergeleitet werden. Dies lässt Rückschlüsse darauf zu, wann und in welcher Form Schadensminimierungsmaßnahmen zulässig sind. Der früher bestehende Streit um die Abgrenzung zwischen Schadensminimierungsmaßnahmen, die den negativen Effekt eines Vorhabens mindern, und Ausgleichs- beziehungsweise Kompensationsmaßnahmen ist spätestens seit einer Leitentscheidung des Europäischen Gerichtshofs in einem Vorabent­ scheidungsersuchen der Niederlande beigelegt.637 Der Gerichtshof stellte klar, dass Maßnahmen, die nicht an der konkreten Schadensquelle ansetzen, um den Schaden zu mindern, sondern an anderer Stelle ökologische Kompensationen vorsehen, nicht als Schadensminimierungsmaßnahmen im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung berücksichtigt werden können.638 Ökologische Kompensationsmaßnahmen wie etwa die Neuanlage von Biotopflächen 635  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 71; Urt. v. 21.7.2016, C‑387/15 u. C‑388/15, Rn. 54; Urt. v. 15.5.2014, C‑521/12, Rn. 28; Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S.  60 f. 636  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 71; Urt. v. 21.7.2016, C‑387/15 u. C‑388/15, Rn. 54; Urt. v. 15.5.2014, C‑521/12, Rn. 28; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 72. EL 2014, § 34 Rn. 32 f.; Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 33 ff.; Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt (Hrsg.), BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 14. 637  EuGH, Urt. v. 15.5.2014, C‑521/12, Rn. 28 ff. 638  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn.  71  ff., 83; Urt. v. 21.7.2016, C‑387/15 u. C‑388/15, Rn. 56 ff.; Urt. v. 15.5.2014, C‑521/12, Rn. 31.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen223

vermeiden nicht den Schaden selbst, sondern bieten Ersatz für den entstandenen Schaden. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als rechtliche Grundlage der Schadensminimierungsmaßnahmen verdeutlicht, dass es sich bei derartigen Maßnahmen nur um Maßnahmen handeln kann, die die Gefahr einer Beeinträchtigung des Schutzgebietes bestmöglich mindern und so Schäden minimieren. Die Kompensation eines Schadens ist dagegen nicht in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL vorgesehen. Ausgleichsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL sind nur im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung eines Planes oder Projektes einsetzbar. Erst nachdem das Verfahren des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL durchlaufen wurde und damit – abweichend vom Grundsatz der Vermeidung in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL – ein Vorhaben im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände zugelassen wurde, wird der entstandene Schaden ausgeglichen. Die Richtlinie priorisiert damit die Vermeidung von Schäden vor deren Ausgleich und lässt eine ökologische Kompensation nur im Falle der insofern privilegierten Pläne und Projekte zu.639 Um ein Gebiet anderweitig wiederherzustellen, hat der Mitgliedstaat die Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL zu ergreifen. Auch die Erhaltungsmaßnahmen dürfen nicht unter dem Deckmantel eines „vorgezogenen Ausgleichs“ dafür eingesetzt werden, Schäden im Gebiet zu ermöglichen.640 d) Vermeidungsmaßnahmen bei bereits andauernden Beeinträchtigungen Eine weitere Folgefrage, die auf das in seinen Einzelheiten unklare Verhältnis von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL zurückzuführen ist, ist diejenige, inwiefern die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen bei andauernden, fortlaufenden oder wiederkehrenden Beeinträchtigungen anzuwenden sind. Bei fortlaufenden Beeinträchtigungen eines Schutzgebietes ist die Rechtslage besonders vielschichtig. Im Folgenden soll zunächst die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu wiederkehrenden Tätigkeiten als Projekten nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL erörtert werden, um anschließend die Auswirkungen dieser Rechtsprechung auf die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu analysieren.

639  A. A. Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, § 33 Rn. 30 unter Bezug auf EuGH, Urt. v. 28.2.1991, C-57/89, Rn. 26, in der der EuGH sich aber auf die Rechtfertigungsgründe einer Abweichungsentscheidung bezieht. 640  A. A. wohl GA Kokott, Schlussanträge v. 25.7.2018, C-293/17 u. C-294/17, Nr. 91.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

aa) Anerkennung des wirkungsbezogenen Ansatzes zur Bestimmung einheitlicher Projekte Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu andauernden Tätigkeiten und Vorhaben ist durch die Fragestellung geprägt, ob die in Rede stehende Beeinträchtigung ein einheitliches Projekt darstellt oder einer erneuten Prüfung bedarf. Bei fortlaufenden, meist über viele Jahrzehnte andauernden Vorhaben oder wiederkehrenden Tätigkeiten ist regelmäßig die Frage aufzuwerfen, inwiefern sich diese Beeinträchtigungen noch im Rahmen der Genehmigung des Projektes bewegen. Hat sich das Vorhaben in einer Weise weiterentwickelt, die bisher nicht von der zuständigen Behörde überprüft und genehmigt wurde, ist zur weiteren Zulassung der Tätigkeit eine erneute Verträglichkeitsprüfung erforderlich. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu der Problematik, wann ein einheitliches Projekt vorliegt und wann eine neue Verträglichkeitsprüfung anzusetzen ist, ist mittlerweile als gefestigt anzusehen.641 Bereits im Jahr 2004 beschäftigte sich der Europäische Gerichtshof mit der Frage, ob die regelmäßig ausgeübte mechanische Herzmuschelfischerei bei jeder weiteren Ausübung einer Verträglichkeitsprüfung bedarf, oder ob sie aufgrund ihrer Regelmäßigkeit als einheitliches Projekt von einer neuen Überprüfung befreit ist.642 Im betreffenden Sachverhalt wurde die Fischerei jeweils für einen begrenzten Zeitraum befristet zugelassen, anschließend musste ein neuer Zulassungsantrag gestellt werden.643 Der Gerichtshof entschied, dass es jedenfalls nicht ausgeschlossen sei, die Fischerei im beantragten Zeitraum bei jeder erneuten Antragsstellung als eigenständiges Projekt zu bewerten.644 Abschließend beantworten musste der Gerichtshof aber nur, ob die Herzmuschelfischerei grundsätzlich unter den Projektbegriff fällt, was er bejahte.645 Einige Zeit später, im Jahr 2010, zeigte der Europäische Gerichtshof auf, unter welchen Umständen er hingegen von einem einzigen, einheitlichen Projekt ausgeht. Das Verfahren betraf eine Vorlage zur Vorabentscheidung des Verwaltungsgerichts Oldenburg. Gegenstand des Verfahrens waren unter anderem die bereits genehmigten Ausbaggerungen der Ems auf einem Abschnitt bei Papenburg, die jeweils bei Bedarf die Fahrrinne für größere

641  Siehe

auch Heugel, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 33 Rn. 4. Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 21. 643  EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 21. 644  EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 21. 645  EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 29; siehe hierzu Gellermann, NuR 2004, 769, 771. 642  EuGH,



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen225

Schiffe vertieften.646 Die Besonderheit des Verfahrens war, dass die Ausbaggerungen bereits vor Anwendbarkeit der FFH-Richtlinie genehmigt worden waren. Projekte, die vor Listung des Gebietes durch die Europäische Kommission zugelassen wurden, werden insofern privilegiert, als dass keine nachträgliche Verträglichkeitsprüfung des Projektes nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL durchzuführen ist.647 Ein prominentes Beispiel in dieser Kategorie ist auch der Fall der Waldschlösschenbrücke in Sachsen.648 Die Brücke war genehmigt worden, bevor das Gebiet, in dem sie liegt, durch die Kommission in die Schutzgebietsliste aufgenommen wurde.649 Gebaut wurde sie nach Ausweisung des Gebietes. In diesem speziellen Fall wird die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vollumfänglich ausgeschlossen.650 Ziel der Privilegierung ist, dass die Projektentwickler vor der nachträglichen Zusatzbelastung einer umfänglichen Verträglichkeitsprüfung aller bestehenden Projekte in FFH-Gebieten geschützt werden sollen.651 Wenn sich eine neuerliche Beeinträchtigung ergibt, die nicht von der Genehmigung berücksichtigt wurde, ist eine Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL durchzuführen.652 Um herauszuarbeiten, was die ursprüngliche Genehmigung abdeckt, griff der Europäische Gerichtshof auch im Falle der Ausbaggerungen der Ems bei Papenburg auf die Rechtsprechung zum einheitlichen Projektbegriff zurück. Er entwickelte bestimmte Kriterien, nach denen es sich bei einer wiederkehrenden Tätigkeit um ein einheitliches Projekt handele. Dabei soll entscheidend sein, dass es sich um eine regelmäßige, wiederkehrende Ausübung handelt, die nach der Art und den Umständen der Ausführung als einheitlich anzusehen ist und einem einzigen Zweck dient.653 Der Gerichtshof ent646  EuGH,

Urt. v. 14.1.2010, C-226/08, Rn. 11, 35. Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 163; Urt. v. 24.11.2011, C‑404/09, Rn. 125; Urt. v. 14.1.2010, C‑226/08, Rn. 48; siehe hierzu auch Kap. 3 B. III. 4. b) aa) (1). 648  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14; siehe auch Beier, NVwZ 2016, 575, 575 ff.; zur Diskussion im Vorfeld der Entscheidung des EuGH Wirths, ZUR 2000, 190, 192. 649  Siehe Art. 4 Abs. 5 FFH-RL; EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 32. 650  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 34; Urt. v. 14.1.2010, C‑226/08, Rn.  48 f. 651  EuGH, Urt. v. 23.5.2006, C-209/04, Rn. 57; GA Kokott, Schlussanträge v. 30.4.2020, C-254/19, Nr. 33. 652  EuGH, Urt. v. 14.1.2010, C‑226/08, Rn. 44; Frenz, NuR 2020, 1, 4. 653  EuGH, Urt. v. 14.1.2010, C-226/08, Rn. 47, 51; Albrecht/Gies, NuR 2014, 235, 241; Ewer, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 34 Rn. 5; Halama, in: Berkemann/ Halama, Handbuch zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EU, S. 791. 647  EuGH,

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

schied, dass eine regelmäßige Ausbaggerung des Flusses, um eine bestimmte Fahrrinnentiefe zu erhalten, ein einheitliches Projekt darstellen könne.654 Das nationale Gericht hatte zu prüfen, ob die Ausbaggerung tatsächlich die erforderliche Regelmäßigkeit und Einheitlichkeit aufwies.655 An den Kriterien der einheitlichen Ausführung hält der Europäische Gerichtshof auch in seiner jüngeren Rechtsprechung fest.656 Im Rahmen einer Entscheidung des Gerichtshofes über das regelmäßige Ausbringen von Düngemitteln in der Landwirtschaft sah er sich veranlasst, seine Vorgaben noch zu präzisieren.657 Der Raad van State als vorlegendes Gericht aus den Niederlanden fragte danach, ob das wiederkehrende Ausbringen von Düngemitteln auf Felder als einheitliches Projekt einzustufen oder erneut nach den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3–4 FFH-RL zu beurteilen sei.658 Dabei war zu beachten, dass die genauen Standorte, Mengen und Techniken der Düngung in den Jahren variieren konnten.659 Der Europäische Gerichtshof beurteilte die Frage, wann eine fortlaufende Tätigkeit erneut nach Art. 6 Abs. 3–4 FFH-RL zu überprüfen ist, danach, ob bei einer Tätigkeit nicht mehr von einer einheitlichen Ausführung am selben Ort und unter denselben Umständen mit derselben Regelmäßigkeit auszugehen ist. Dann liege ein neues Vorhaben, ein neues Projekt vor. Es bedürfe einer eigenen Verträglichkeitsprüfung und gegebenenfalls einer Ausnahmegenehmigung.660 Sowohl der wiederkehrende Charakter, unveränderte Ausführungsumstände und -orte, als auch ein gemeinsamer, einheitlicher Zweck könnten Indizien dafür sein, dass es sich um dasselbe Projekt handele.661 Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, die dem Grunde nach auf die einheitliche Ausführung des Vorhabens abstellt, erscheint zweifelhaft und kann präzisiert werden. Die maßgebliche Fragestellung in Fällen 654  EuGH,

Urt. v. 14.1.2010, C-226/08, Rn. 51. NuR 2010, 316, 318. 656  EuGH, Urt. v. 10.11.2022, C-278/21, Rn. 35 ff.; Urt. v. 9.9.2020, C-254/19, Rn. 35; Urt. v. 29.7.2019, C‑411/17, Rn. 128 ff.; Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 78. 657  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 74 ff. 658  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 74. 659  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 81; Möckel, AUR 2021, 2, 6. 660  EuGH, Urt. v. 9.9.2020, C-254/19, Rn. 35; Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 78; EuGH, Urt. v. 14.1.2010, C-226/08, Rn. 47; Schumacher/Schumacher, Naturschutz und Landschaftsplanung, 44, 44; die Kriterien aufgreifend FischerHüftle, ­EurUP 2021, 42, 43. 661  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 78 ff.; Schumacher/Schumacher, Naturschutz und Landschaftsplanung 2019, 44, 44; vgl. aber auch EuGH, Urt. v. 7.10.2004, C-127/02, Rn. 28. 655  Würtenberger,



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen227

wiederkehrender Tätigkeiten ist, ob die ursprüngliche Genehmigung alle Beeinträchtigungen erfasst. Die Frage nach einem einheitlichen Projekt stellt sich nur, weil man untersuchen muss, ob die fragliche Beeinträchtigung bereits einer Verträglichkeitsprüfung unterzogen und genehmigt wurde.662 Zur Beantwortung der Frage, ob die Tätigkeit sich noch im Rahmen der Genehmigung bewegt, kann nur entscheidend sein, ob die Erhaltungsziele im Gebiet durch die Tätigkeit erneut möglicherweise beeinträchtigt werden.663 Unter Anwendung des Vorsorgegrundsatzes ist einzig ausschlaggebend, ob die Fortführung des Projektes das Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnte und ob ein neuer Eingriff in die FFH-Schutzgüter durch das Vorhaben entsteht.664 Es bleibt beim wirkungsbezogenen Projektbegriff.665 Von einem solchen wirkungsbezogenen Verständnis des Projektbegriffes ausgehend ist es nicht überzeugend, bei wiederkehrenden Tätigkeiten danach zu differenzieren, ob jeder Eingriff gleich abläuft, wie der vorige. Die wiederkehrende Herzmuschelfischerei beeinträchtigt die Erhaltungsziele im Gebiet in jeder Saison erneut, ebenso wie die Vertiefung der Ems den Fluss bei jedem Eingriff neu aufwühlt und die Schutzgüter schädigt. Jede erneute Ausbaggerung stellt faktisch eine weitere Beeinträchtigung dar, da der Lebensraum auf dem Grund des Flusses aufgebrochen wird. Auch Forstbetriebspläne werden in den seltensten Fällen ein einheitliches Projekt darstellen, da sie sich stets neu an den natürlichen Gegebenheiten orientieren und naturgemäß neue Veränderungen der Natur vorsehen.666 Auch hier ist eine wirkungsbezogene Betrachtungsweise ausschlaggebend. Eine frühere Verträglichkeitsprüfung kann eine erneute Beeinträchtigung nur ausschließen, wenn sie vollständige und abschließende Feststellungen enthält, dass auch bezüglich der nun in Frage stehenden Fortführung der Tätigkeit nach den besten zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen keine vernünftigen Zweifel an der Verträglichkeit der Tätigkeit mit den Erhaltungszielen bestehen.667 Ausschlaggebend ist, ob die ursprüng662  Vgl. EuGH, Urt. v. 9.11.2020, C-254/19, Rn. 35; Urt. v. 29.7.2019, C-411/17, Rn. 128. 663  Weniger streng Frenz, NuR 2020, 1, 4 f. 664  Albrecht/Gies, NuR 2014, 235, 241; vgl. auch EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 82 f.; EuGH, Urt. v. 14.1.2010, C-226/08, Rn. 41 f. 665  Vgl. Albrecht/Gies, NuR 2014, 235, 241; siehe zum wirkungsbezogenen Projektbegriff Kahl/Gärditz, Umweltrecht, § 10 Rn. 120; Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, § 34, Rn. 16. 666  VG Leipzig, Beschl. v. 9.4.2019, 1 L 1315/18, juris Rn. 130; OVG Bautzen, Beschl. v. 9.6.2020, 4 B 126/19, Rn. 57 f., 66. 667  Vgl. EuGH, st. Rspr., etwa Urt. v. 21.7.2016, C-387/15 u. C-388/15, Rn. 51; Urt. v. 15.5.2014, C-521/12, Rn. 20 f.; Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 40.

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

liche Genehmigung eine Tätigkeit als wiederkehrendes Phänomen eingestuft und die Behörde die Tätigkeit als solche geprüft und zugelassen hat.668 Bei Änderungen des Vorhabens kann eine neue Genehmigung mit Verträglichkeitsprüfung erforderlich sein, wenn die ursprüngliche Genehmigung diese nicht erfasst.669 Dabei ist zu beachten, dass selbst feste Bauwerke Veränderungen erstens ihrer Nutzung, zweitens ihrer Umgestaltung und drittens ihrer Umgebung unterliegen.670 So kann sich die Auswirkung einer Straße oder eines Fahrradweges innerhalb ihrer langen Betriebszeit grundlegend ändern, sodass eine erneute Verträglichkeitsprüfung notwendig wird, sofern etwa ein erhöhtes Verkehrsaufkommen nicht in der ursprünglichen Prüfung berücksichtigt wurde. Derartige veränderte Umstände können eine erneute Prüfung notwendig werden lassen. Veränderungen zeigen sich besonders deutlich bei nach Pausen wiederkehrenden Tätigkeiten. Die Behörde muss demgemäß feststellen, ob es sich bei einer Tätigkeit oder einem Vorhaben um das Projekt handelt, das bereits zugelassen wurde, oder ob die Genehmigung weniger Beeinträchtigungen zulässt, als erfolgen. Ist eine Genehmigung zeitlich begrenzt oder umfasst sie die Beeinträchtigung nicht mehr in vollem Umfang, ist das Vorhaben erneut zu überprüfen.671 Der Europäische Gerichtshof bestätigte die erneute Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL sowohl im Falle der Verlängerung des Betriebes von Atomkraftwerken in Belgien, die obendrein mit umfangreichen Arbeiten an den Kraftwerken verbunden waren, als auch im Falle einer erneuten Genehmigung für den Bau eines Wiederverdampfungsterminals für verflüssigtes Erdgas in Irland.672 Auch die landwirtschaftliche Bodennutzung kann hier als Beispiel angeführt werden. Im Falle der landwirtschaftlichen Bodennutzung ist ebenfalls entscheidend, dass sich die Ausführungsumstände durch die gesteigerte Intensität grundlegend geändert haben und nicht mehr von der ursprünglichen Genehmigung erfasst sind.673 668  Frenz, NVwZ 2011, 275, 277; Frenz, NuR 2020, 1, 4; Würtenberger, NuR 2010, 316, 318. 669  EuGH, Urt. v. 9.9.2020, C-254/19, Rn. 49 ff.; Möckel, AUR 2021, 2, 6 f. 670  Vgl. EuGH, Urt. v. 29.7.2019, C-411/17, Rn.  131; Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 41; anders als in der UVP-Richtlinie ist eine Änderung des materiellen Zustandes des Gebietes für die Einordnung als Projekt aber nicht erforderlich, GA Kokott, Schlussanträge v. 30.4.2020, C-254/19, Nr. 29; EuGH, Urt. v. 29.7.2019, C-411/17, Rn. 62, 94, 122 ff.; Urt. v. 19.4.2012, C-121/11, Rn. 31 f.; Urt. v. 17.3.2011, C-275/09, Rn. 24; GA Kokott, Schlussanträge v. 19.11.2018, C-411/17, Rn. 168 ff. 671  EuGH, Urt. v. 9.9.2020, C-254/19, Rn. 55, siehe hierzu auch Berkemann, ZUR 2021, 149, 149 ff. 672  EuGH, Urt. v. 9.9.2020, C-254/19, Rn. 59; Urt. v. 29.7.2019, C-411/17, Rn. 139; siehe auch Berkemann, ZUR 2021, 149, 151; Frenz, NuR 2020, 1, 4. 673  Möckel, AUR 2021, 2, 6; vgl. auch EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn.  82 ff.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen229

Die Kriterien des Europäischen Gerichtshofs zum einheitlichen Projekt­ begriff sollen dazu dienen, festzustellen, wann sich eine Tätigkeit noch im Rahmen des ursprünglich genehmigten Projektes bewegt. In der frühen Entscheidung zur Herzmuschelfischerei ging der Gerichtshof noch von einer rein wirkungsbezogenen Betrachtungsweise aus und entschied, dass die regelmäßige Ausübung einer Tätigkeit nicht von der Verträglichkeitsprüfung befreie.674 Auch betonte er in seiner Vorabentscheidung zum Verfahren zur landwirtschaftlichen Düngung aus den Niederlanden, es komme letztlich nur darauf an, dass „die Möglichkeit besteh[e], dass das Projekt ein Schutzgebiet erheblich beeinträchtig[e]“.675 Die zugleich aufgestellten Kriterien zum einheitlichen Projekt mit seinen einheitlichen Ausführungsmodalitäten und seiner regelmäßigen Wiederkehr sind aber irreführend, da darauf abgestellt wird, wie gleichförmig die Tätigkeit ausgeübt wird, und nicht einzig die Frage einer von der Genehmigung nicht erfassten Beeinträchtigung ausschlaggebend ist.676 Zur Beantwortung der Frage, ob eine Genehmigung das Vorhaben gänzlich erfasst oder ein neuer Eingriff vorliegt, ist auf die bekannten Voraussetzungen der Verträglichkeitsentscheidung abzustellen. Nur wenn die Genehmigung auf Grundlage aller bekannten Erkenntnisse gesichert feststellt, dass das vollständige Vorhaben das Gebiet als solches nicht erheblich beeinträchtigt und alle Zweifel hinsichtlich der Auswirkungen ausgeräumt sind, deckt sie das Projekt vollumfänglich ab.677 Wechselnde Orte und Zeiten, zu denen eine Tätigkeit ausgeübt wird, zeigen nicht auf, ob diese Tätigkeit in vollem Umfang genehmigt ist. Vielmehr wäre danach zu fragen, ob die Genehmigung die veränderten Ausführungsmodalitäten umfasst und ob sie dies zu leisten vermag. Eine Verträglichkeitsprüfung, die für einen mehrjährigen Zeitraum feststellen muss, inwiefern das Schutzgebiet beeinträchtigt wird, insbesondere wenn zwischen der Ausübung der Tätigkeit Pausen entstehen, in denen sich die Natur erholt und verändert, ist fehleranfällig. bb) Folgen für die allgemeinere Bestimmung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum einheitlichen Projektbegriff betrifft auch entscheidend das Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL. Wenn der Europäische Gerichtshof Einwirkungen, die 674  EuGH,

Urt. v. 7.11.2004, C-127/02, Rn. 28. Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 82; siehe auch Urt. v. 29.7.2019, C-411/17, Rn. 134 ff. 676  Albrecht/Gies, NuR 2014, 235, 241. 677  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 44. 675  EuGH,

230

Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

nicht mehr als einheitliche Fortführung einer Tätigkeit begriffen werden können, als neues Projekt einstuft, erklärt er den Art. 6 Abs. 3 FFH-RL für erneut anwendbar.678 Neben den Vorgaben des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL wäre eine Verträglichkeitsprüfung und eine Ausnahme nach Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL möglich. Auf die Folgen der inzwischen etablierten Rechtsprechung für das Verhältnis der Vorschriften soll nun genauer eingegangen werden. Besonders hervorzuheben ist die Rechtsprechung zu wiederkehrenden Tätigkeiten dahingehend, dass der Gerichtshof mit ihr möglicherweise einen neuen Weg der Abgrenzung des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL eingeschlagen hat. Zuvor wurde nach abgeschlossenem oder versäumtem Genehmigungsverfahren mit Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ausschließlich auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zurückgegriffen, um die Pflicht der Mitgliedstaaten zu begründen, neuerliche Beeinträchtigungen des Schutzgebietes zu vermeiden.679 Im Fall der wiederkehrenden Tätigkeiten hält der Europäische Gerichtshof aber Art. 6 Abs. 3 FFH-RL für erneut anwendbar.680 Damit stellt sich die Frage, wann Art. 6 Abs. 3 FFH-RL im allgemeinen erneut anwendbar ist und eine Zulassung des Vorhabens ermöglicht. Der Gerichtshof thematisierte das Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL bereits im Urteil zur Projekteigenschaft der wiederkehrenden Herzmuschelfischerei.681 Er entschied, dass nach Abschluss eines Genehmigungsverfahrens auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als fortlaufende Dauerpflicht zurückgegriffen werden könne.682 Ein erneutes Genehmigungsverfahren nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL thematisierte der Gerichtshof nicht. Auch bei Altprojekten, bei denen noch keine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen war, verweist der Europäische Gerichtshof auf das allgemeine Vermeidungsgebot, welches das Schutzniveau dauerhaft gewährleisten solle.683 Teile der Literatur stellen außerdem bei fehlgeschlagenen Schadensvermeidungsmaßnahmen im Rah678  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 83; Urt. v. 14.1.2010, C‑226/08, Rn. 44. 679  EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 37. 680  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 83; Urt. v. 14.1.2010, C‑226/08, Rn. 44. 681  EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 31 ff. 682  EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 37; siehe insbesondere GA Kokott, Schlussanträge v. 29.1.2004, C-127/02, Nr. 60; hierzu auch Gellermann, NuR 2004, 769, 770 f.; nach der Entscheidung EuGH, Urt. v. 10.11.2022, C-278/21, Rn. 40 ist Art. 6 Abs. 2 FFH-RL anwendbar, wenn eine bereits erteilte Genehmigung den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL nicht genügt. 683  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 170; Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 85; Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 42 f.; Urt. v. 24.11.2011, C‑404/09, Rn. 126; Urt. v. 14.1.2010, C‑226/08, Rn. 48 f.; Frenz, NVwZ 2011, 275, 277; Frenz, NuR 2020, 1, 5.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen231

men der Verträglichkeitsprüfung oder von Kohärenzausgleichsmaßnahmen auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ab.684 Mit seiner neueren Rechtsprechung zu den einheitlichen Projekten geht der Europäische Gerichtshof nun einen anderen Weg und greift nicht auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zurück, sondern erklärt eine erneute Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL für angezeigt. Dies gilt, sobald eine Tätigkeit sich nicht mehr im Rahmen des bereits zugelassenen Projektes bewegt. Wie dargestellt und vom Europäischen Gerichtshof teilweise auch dementsprechend ausgeführt,685 ist entscheidend, ob die Erhaltungsziele erneut beeinträchtigt werden können, um den Mitgliedstaat zu einer erneuten Verträglichkeitsprüfung zu verpflichten. Der Gerichtshof stellt nun nicht mehr auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ab, sondern hält eine neue Verträglichkeitsprüfung für angezeigt. Es kann allerdings noch nicht abschließend beurteilt werden, ob der Europäische Gerichtshof mit den genannten Entscheidungen tatsächlich eine neue Rechtsprechungslinie entwickelt. Bisher scheint die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL inkohärent. Die Inkohärenz zeigt sich mitunter darin, dass der Gerichtshof sowohl von einer „allgemeinen Schutzpflicht“686 und auch in jüngerer Zeit von einer „laufenden Verpflichtung“687 im Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 2 FFH-RL spricht, gleichzeitig aber eine parallele Anwendbarkeit der Bestimmungen ablehnt.688 Eine klare Linie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Verhältnis der Vorschriften lässt sich noch nicht ausmachen. Dementsprechend ist auch heute noch nicht abschließend geklärt, wann nach Ansicht des Gerichtshofs Art. 6 Abs. 3 FFH-RL erneut anwendbar ist, und wann ausschließlich die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen sind. Da beide Vorschriften dasselbe Schutzniveau gewährleisten, mag man auf den ersten Blick von einem rein dogmatischen Problem ohne praktische Unterschiede ausgehen. Das Verfahren des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL gewährt aber, wie dargestellt, deutlich mehr Rechtssicherheit und zudem die Ausnahmemöglichkeit nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL. Es ist, wie dargestellt, durchzuführen, sobald ein Plan oder Projekt zugelassen werden soll, das Auswirkungen 684  Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundes­ naturschutzgesetz, § 33 Rn. 17; Möckel/Köck, NuR 2009, 318, 320 f.; Freytag/Iven, NuR 1995, 109, 112; a. A. noch Gellermann, Natura 2000, S 73; sowie Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 386. 685  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 82. 686  EuGH, Urt. v. 14.1.2010, C-226/08, Rn. 49. 687  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 37. 688  EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 38.

232

Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

auf die Erhaltungsziele im Schutzgebiet hat, die nicht bereits vollständig auf ihre Verträglichkeit überprüft und anschließend genehmigt wurden. e) Rückblick: Gebietsverwaltungsmaßnahmen Wenn nach den vorangegangenen Überlegungen im Grundsatz davon auszugehen ist, dass Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 FFH-RL ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt darstellen, ist auch ein Blick zurück auf die in Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL genannten Gebietsverwaltungsmaßnahmen zu werfen. Die Gebietsverwaltungsmaßnahmen wurden bereits im Abschnitt über die Erhaltungsmaßnahmen ausführlich diskutiert.689 Die Maßnahmen zur Verwaltung des Gebietes sind laut Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL von einer Prüfung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des Gebietes befreit. Sie werden aus dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ausgenommen. Soweit die Gebietsverwaltungsmaßnahmen demnach nicht Art. 6 Abs. 3 FFH-RL unterfallen, ist zu untersuchen, inwiefern sie noch von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erfasst werden. Der Inhalt und der Zweck der Bestimmungen können weiteren Aufschluss geben. Primärer Sinngehalt des Gebietsverwaltungsprivilegs ist es, dass Maßnahmen der Gebietsverwaltung keiner Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind. Dementsprechend ist eine Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nach dem Zweck der Bestimmung sinnwidrig, sofern sie eine entsprechende Prüfung der Verwaltungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verlangen würde. Eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechende Prüfung kann im Einzelfall eine geeignete Vermeidungsmaßnahme nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL darstellen. Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL gewährleisten dasselbe Schutzniveau.690 Eine der Verträglichkeitsprüfung in ihrem Prüfumfang gleichgestellte Prüfung nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL691 würde das Verwaltungsprivileg obsolet werden lassen. Schließlich kann man für die Anwendung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auch nicht anführen, die Vermutung, Verwaltungsmaßnahmen förderten in der Regel die Erhaltungsziele und seien entsprechend gebietsverträglich, entbinde nicht von der Pflicht, dass sie diese Voraussetzung auch im Einzelfall erfüllten. Das Gebietsverwaltungsprivileg hat nämlich den Hintergrund, dass 689  Kap. 3

A. 5. Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 142; Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 32; Urt. v. 15.4.2014, C-521/12, Rn. 19; Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 52; Urt. v. 12.4.2018, C-323/17, Rn. 24; Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. 294/17, Rn. 87. 691  Vgl. EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 52  f., 56; Urt. v. 11.9.2012, C-43/10, Rn. 114; Urt. v. 20.10.2005, C-6/04, Rn. 58. 690  EuGH,



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen233

den Maßnahmen, die der Verwaltung, also der Entwicklung und dem Erhalt des Gebietes dienen sollen, die Gebietsverträglichkeit unterstellt wird.692 Aus diesem Grund werden sie von einer Verträglichkeitsprüfung befreit und der mit einer derartigen Prüfung einhergehende Verwaltungsaufwand wird den Behörden erspart. Es kann daher nicht Ziel der Privilegierung sein, dass die Verantwortung für erhaltungszielkonforme Verwaltungsmaßnahmen durch die Freistellung von der Verträglichkeitsprüfung nur auf eine andere Ebene, die Ebene der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen verlagert wird. Im Ergebnis sind Maßnahmen der Gebietsverwaltung damit auch nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht zu vermeiden und auch keiner Prüfung auf ihre Verträglichkeit mit den Schutzzielen im Gebiet unterstellt. Die bereits geäußerten Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Gebietsverwaltungsprivilegs verstärken sich durch diesen Befund.693 5. Zwischenfazit Das Verhältnis von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL wirft im Detail einige Fragestellungen auf, die bisher nicht abschließend geklärt sind. Bereits anerkannt ist, dass Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL dasselbe Schutzniveau gewährleisten, da beide Absätze auf die gebietsspezifischen Erhaltungsziele als Maßstab für eine Beeinträchtigung abstellen. Außerdem ist unstrittig, dass die Mitgliedstaaten zur Vermeidung von Verschlechterungen und Störungen auch nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine Überwachungspflicht haben. Sie müssen fortlaufend prüfen, ob Beeinträchtigungen des Schutzgebietes drohen. Die Systematik der Vorschriften lässt sich darüber hinaus nach Analyse verschiedener, von Literatur und Rechtsprechung angeführter Abgrenzungskriterien als gemeinsames Regelungsgefüge beschreiben, das als ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt für Projekte und Pläne aufgebaut ist. Es ist nicht möglich, die Regelungen pauschal danach abzugrenzen, dass, sobald ein Plan oder ein Projekt vorliegt, ausschließlich Art. 6 Abs. 3 FFH-RL anwendbar wäre. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bietet vielmehr die Möglichkeit, für Pläne und Projekte eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, um anschließend bei negativem Ergebnis eine Ausnahme im Einzelfall nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zuzulassen. Auch die vom Europäischen Gerichtshof teilweise vorgenommene Abgrenzung über die behördliche Gestattung eines Vorhabens greift nicht weit genug, da sie die Anwendbarkeit der Vorschriften von natio­ nalen Gestattungsvorschriften abhängig machen würde. Die bloße Duldung eines beeinträchtigenden Vorhabens verpflichtet den Mitgliedstaat ebenfalls, NuR 2016, 21, 26. Kap. 3 A. V. 2.

692  Meßerschmidt, 693  Siehe

234

Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen und gegebenenfalls eine Ausnahme zu erlassen. Das Regelungsgefüge, in dem die Vorschriften des Art. 6 Abs. 2–4 FFHRL heute stehen, ist erst zustande gekommen, als die im Richtlinienentwurf von 1988694 bisher nicht im Zusammenhang stehenden Vorschriften zu einem Artikel zusammengefasst wurden. Dabei wurden Änderungen am Wortlaut vorgenommen, namentlich um die FFH-Verträglichkeitsprüfung als eigenständige Prüfung und nicht als Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne der UVP-Richtlinie auszugestalten. Beiden Absätzen ist aber ihr Ursprung noch deutlich anzumerken. Ihre jetzige systematische Stellung in einem Artikel der Richtlinie kann das Problem nicht ausräumen, dass die Vorschriften zunächst nicht als systematische Einheit konzipiert wurden. Der Richtliniengesetzgeber hat es vom Entwurf bis zur beschlossenen Fassung versäumt, die Absätze des Art. 6 FFH-RL aufeinander abzustimmen. In der Folge ergeben sich weiterhin Fragestellungen zum Verhältnis der Vorschriften. Praktisch relevant ist die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL ist indes nicht auf den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFHRL zugeschnitten. Die Mitgliedstaaten können nur aus gewichtigen, besonderen Gründen von der Pflicht, allgemeine Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen, abweichen. Schließlich wird das Abgrenzungsproblem durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu wiederkehrenden Maßnahmen verschärft. Der Gerichtshof sieht eine Pflicht zur erneuten Verträglichkeitsprüfung bei Vorhaben, die nicht mehr einem einheitlichen Projekt zugerechnet werden können. Als maßgebliches Kriterium herauszustellen ist hierbei, dass die Pflicht zur erneuten Verträglichkeitsprüfung zur Zulassung eines Projektes immer dann besteht, wenn das Projekt eine Beeinträchtigung darstellt, die bisher nicht durch Verträglichkeitsprüfung und Zulassung erfasst wurde. Dieses Kriterium ist auch auf die Fälle fehlgeschlagener Schutzmaßnahmen und inkorrekter Prognosen innerhalb der Verträglichkeitsprüfung anzuwenden. 6. Zusammenfassender Reformvorschlag: Neufassung des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL Die Inkohärenz des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL ist durch seine Entstehungsgeschichte begründet und bis heute Ursprung zahlreicher Auslegungs694  Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten v. 16.8.1988, ABl. EG C 247/3 v. 21.9.1988.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen235

probleme. Die Anwendbarkeit und Abgrenzung der beiden Absätze ist ein dogmatisches Problem, das durch gesetzgeberische Regelungstechnik entschärft werden könnte. Da die Untersuchung aufgezeigt hat, dass die meisten rechtlichen Unsicherheiten bezüglich der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen in dem unklaren Verhältnis von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL begründet sind, könnte eine Reform an diesem Punkt ansetzen. Im Folgenden wird ein Vorschlag für eine alternative Fassung formuliert, um das Verhältnis der Absätze auch sprachlich und systematisch hervorzuheben. Zunächst sollte, wie bereits dargestellt, der Wortlaut der Vorschriften angeglichen werden, sodass das einheitliche Schutzniveau, das Art. 6 Abs. 2 und 3 gewährleisten sollen, hervorgehoben wird. Zudem ist herauszustellen, dass nur im Fall von Projekten und Plänen Ausnahmen im Einzelfall möglich sind und diese Vorhaben ein spezifisches Verfahren durchlaufen müssen. Außerdem sollte ein Regelungsvorschlag auch ausdrücklich das Verhältnis der Vorschriften betonen. Die Analyse der Systematik der Vorschriften hat außerdem bestätigt, dass das Verwaltungsprivileg in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL gestrichen werden sollte, sodass es sich im hier formulierten Regelungsvorschlag nicht wiederfindet. Der Normtext könnte lauten: Art. 6 Abs. 2 FFH-RL-E: „Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten Beeinträchtigungen zu vermeiden, die sich im Hinblick auf die gebietsspezifischen Erhaltungsziele negativ auswirken könnten. Vorbehaltlich des Absatzes 3 darf von diesen Vorgaben nur aus außergewöhnlichen Gründen und zum Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter abgewichen werden.“ Art. 6 Abs. 3 FFH-RL-E: „Pläne oder Projekte, die sich im Hinblick auf die gebietsspezifischen Erhaltungsziele einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten negativ auswirken könnten, dürfen abweichend von Absatz 2 durchgeführt werden, wenn zuvor eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen erfolgt ist. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass die Erhaltungsziele des Gebietes nicht beeinträchtigt werden, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.“ Durch eine derartige Formulierung wäre das Verhältnis der Regelungen zueinander angesprochen. Das Telos der Richtlinie, Beeinträchtigungen zu vermeiden, wäre betont. Auch würde hervorgehoben, dass den Mitgliedstaaten bei Projekten und Plänen ein Ermessenspielraum eingeräumt wird, diese abweichend von dem Grundsatz, alle Beeinträchtigungen zu vermeiden, unter bestimmten Bedingungen zuzulassen. Im ersten Satz des Art. 6 Abs. 3 FFH-

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

RL-E wird zudem auf die Durchführung des Projektes abgestellt, sodass entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes klargestellt ist, dass das Verfahren des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL unabhängig von dem Erfordernis einer Gestattung des Projektes im nationalen Recht durchlaufen werden muss. Der Blick auf den Richtlinienentwurf von 1988 hat verdeutlicht, warum die Schwierigkeiten, das Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL zu bestimmen, auch im Richtlinientext angelegt sind. Bei einer Reform der Richtlinie sollte der Gesetzgeber dieses Problem offensiv angehen. 7. Fallbeispiel: Fortlaufende Grundwasserabsenkung als zu vermeidende Beeinträchtigung – EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19 Art. 6 Abs. 2 FFH-RL wirft viele Fragestellungen auf, die die Behörden und Gerichte beschäftigen. Ein kürzlich vom Europäischen Gerichtshof entschiedener Fall verknüpft viele der zuvor schwerpunktmäßig behandelten Aspekte. Im folgenden Abschnitt soll zunächst der Sachverhalt des Verfahrens dargestellt werden, um anschließend die aus Sicht des FFH-Rechts wichtigen Entscheidungsgründe wiederzugeben. Anschließend wird der Fall auf der Grundlage der bisher gewonnenen Erkenntnisse erörtert und das Urteil kritisch hinterfragt. Abschließend wird aufgezeigt, inwiefern die Reformvorschläge Auswirkungen auf einen solchen Fall hätten. a) Zum Sachverhalt Im Südwesten Spaniens, in der Region Andalusien, liegt der Naturraum Doñana, der insbesondere wegen seiner zahlreichen Feuchtgebiete von besonderer ökologischer Bedeutung ist. In der Gegend sind drei FFH-Gebiete zum Schutz von Lebensraumtypen ausgewiesen, die von den Flachgewässern und der feuchten Umgebung abhängig sind.695 So findet sich beispielsweise der prioritäre Lebensraumtyp der Temporären mediterranen Flachgewässer696 in allen drei Schutzgebieten.697 Aber auch die Landwirtschaft profitiert seit Jahrhunderten von den Bedingungen in der Region.698 Doñana ist eines der wichtigsten Anbaugebiete Spaniens für Früchte. Für die Bewässe695  Schutzgebiete Doñana (ES0000024), Doñana Norte y Oeste (ES6150009) und Dehesa del Estero y Montes de Moguer (ES6150012). 696  LRT 3170*. 697  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 12. 698  Vgl. EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 163.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen237

rung der Plantagen werden seit etlichen Jahren erhebliche Mengen Grundwasser entnommen, wodurch der Grundwasserpegel stetig sinkt.699 Bereits im Jahr 2009, kurz nach der Ausweisung der Schutzgebiete im Jahr 2006, wiesen zahlreiche Beschwerden die Europäischen Kommission auf die Übernutzung des Grundwassers und die Folgen für die Schutzgüter der Gebiete in der Region hin.700 Im Jahr 2019 eröffnete die Kommission schließlich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Spanien. Sie rügte Verstöße gegen die Wasserrahmenrichtlinie701 und gegen das Vermeidungsgebot aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL.702 b) Zur Entscheidung Im Verfahren ging es damit in zweifacher Hinsicht um eine mögliche „Verschlechterung“. Der Europäische Gerichtshof hatte zum einen zu entscheiden, ob es eine Verschlechterung im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie darstellt, wenn sich der Grundwasserspiegel durch die Übernutzung des Grundwassers absenkt.703 In Bezug auf die FFH-Richtlinie urteilte er zum anderen darüber, ob das Königreich Spanien gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verstieß, indem es keine ausreichenden Maßnahmen unternahm, um die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume in den Schutzgebieten durch die Austrocknung in Folge des gesunkenen Grundwasserspiegels zu verhindern.704 Die Ausführungen des Gerichtshofs zu letzterer Frage sollen nun erläutert werden. Zentraler Problemschwerpunkt des Urteils war der Umfang sowohl der Beweislast der Europäischen Kommission als Initiatorin des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV als auch der Entkräftung der Vorwürfe durch das Königreich Spanien. Die Europäische Kommission legte Studien aus der Region vor, die belegen sollten, dass einerseits die Grundwasserentnahme dazu führe, dass die Feuchtgebiete austrockneten, und dies andererseits die Lebensraumtypen im Gebiet negativ beeinflusse.705 Spanien entgegnete, dass die Grundwasserentnahmen schon seit Jahrhunderten durchgeführt würden und die rückläufigen Niederschlagsmengen aufgrund des Kli-

Kokott, Schlussanträge v. 3.12.2020, C-559/19, Nr. 1, 22. Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 14 ff. 701  Richtlinie 2000/60/EG v. 23.10.2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik. 702  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 1. 703  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 35 ff. 704  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 152 ff. 705  GA Kokott, Schlussanträge v. 3.12.2020, C-559/19, Nr. 53 f. 699  GA

700  EuGH,

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

mawandels ein Grund für die zunehmende Trockenheit in den Feuchtgebieten seien.706 Der Gerichtshof stellte zunächst in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass die Kommission den Kausalzusammenhang zwischen der Tätigkeit und der Verschlechterung nicht vollumfänglich nachzuweisen hat, sondern vor dem Hintergrund des Vorsorgeprinzips nur die Möglichkeit einer Beeinträchtigung darlegen muss.707 Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Tätigkeit eine Verschlechterung verursacht, ist ausreichend, um einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu belegen.708 Anschließend ging der Europäische Gerichtshof auf die Erwiderung Spa­ niens ein. Er folgte den Ausführungen des Mitgliedstaats insofern, dass Schäden aus den letzten Jahrhunderten durch die Grundwasserentnahmen nicht nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu beheben seien.709 Damit bestätigte der Gerichtshof, dass die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen auf drohende, bevorstehende Beeinträchtigungen reagieren und nicht auf bereits entstandene Schäden.710 Allerdings wurde der Europäische Gerichtshof sehr viel deutlicher, als er die Grundwasserentnahmen ansprach, die seit der Ausweisung der Schutzgebiete erfolgt waren. Trotz Vorbelastung des Gebietes sei eine fortbestehende negative Beeinträchtigung eine weitere Verschlechterung, die von den Mitgliedstaaten zu vermeiden sei.711 Damit können nicht nur wiederkehrende Maßnahmen wie die Düngung in der Landwirtschaft als erneute Beeinträchtigung zu werten sein,712 sondern auch fortlaufende Einwirkungen, die bereits vor der Listung und Ausweisung des Gebietes begonnen haben. Entscheidend ist lediglich, dass die Gefahr einer weiteren Verschlechterung des 706  EuGH,

Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 144, 163. Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 155; siehe auch Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 29; Urt. v. 14.1.2016, C-141/14, Rn. 58; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 142. 708  EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-141/14, Rn. 58; Urt. v. 24.11.2011, C‑404/09, Rn. 142. 709  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 164. 710  EuGH, Urt. v. 13.1.2005, C-117/03, Rn. 30; Gellermann, Natura 2000, S. 72 f.; Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, S. 106 f.; a. A. Fellenberg, NVwZ 2019, 177, 180; zur Pflicht, Wiederherstellungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL zu ergreifen, siehe Kap. 3 A. I. 2. Der Erhaltungszustand der Uferlebensräume in den fraglichen Gebieten wird derzeit als ungünstig bis schlecht eingestuft, siehe GA Kokott, Schlussanträge v. 3.12.2020, C-559/19, Nr. 67. 711  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 169, vgl. auch EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 100. 712  EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 85 f. 707  EuGH,



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen239

Gebietes vorliegt, die vor der Anwendbarkeit des Art. 6 FFH-RL noch nicht bestand.713 Art. 6 Abs. 2 FFH-RL kann damit auch dazu verpflichten, eine „zuvor praktizierte Grundwasserentnahme zu reduzieren oder einzustellen“, sofern eine solche zu einer weiteren Verschlechterung des Zustandes führen würde.714 Spanien hat es nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs nicht geschafft, den Vorwurf der Kommission, dass eine solche Gefahr der Verschlechterung bestehe, zu entkräften. Die von Spanien ergriffenen Maßnahmen haben nach Ansicht des Gerichtshofs die Verschlechterungen nicht verhindert.715 Spanien habe keine Beweise vorgelegt, die die Feststellung zuließen, dass die Wasserentnahme nicht zu einer Verschlechterung der Feuchtgebietlebensraumtypen führen könne, oder dass aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel an dem Ausbleiben einer Verschlechterung bestehe.716 Folglich stellte der Europäische Gerichtshof abschließend fest, dass das Königreich Spanien gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verstoßen habe, indem es keine Maßnahmen ergriffen habe, die eine Verschlechterung der betreffenden Lebensraumtypen in den Schutzgebieten verhinderten.717 aa) Kritische Analyse der Entscheidung Das Urteil gibt Anlass, einige Fragestellungen anhand des Falls erneut zu beleuchten. Zunächst ist in einem ersten Schritt auf den vom Gerichtshof ausführlich beschriebenen Prüfumfang bei den allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen einzugehen. Die Ausführungen des Gerichtshofs zum Verhältnis der Art. 6 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 3 FFH-RL fallen dagegen sehr knapp aus. In einem zweiten Schritt soll dementsprechend genauer erörtert werden, inwiefern die Vorschriften auf vorliegenden Fall anwendbar sind. Anschließend soll in einem dritten Schritt die Möglichkeit, eine Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zuzulassen, diskutiert werden. Viertens soll auf das Argument Spaniens eingegangen werden, der Klimawandel und die rückläufigen Niederschläge seien mitursächlich für das Sinken des Grundwasserspiegels. Die Abwehr natürlicher Veränderungen über Art 6 Abs. 2 FFH-RL wird durch die zunehmenden Klimaveränderungen zukünftig an Bedeutung gewinnen.

713  EuGH,

Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 169. GA Kokott, Schlussanträge v. 3.13.2020, Nr. 61 (Zitat). 715  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 169. 716  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 170. 717  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 174 Spiegelstr. 3. 714  Missverständlich

240

Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

(1) Prüfumfang entspricht Verträglichkeitsprüfung Indem der Europäische Gerichtshof sich zur Beweislast der Europäischen Kommission im Fall der Grundwasserentnahmen in Spanien äußerte, bezog er auch abermals Stellung zum Prüfumfang im Rahmen von allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen. Der Gerichtshof ging auf den Vortrag der Kommission ein. Der Nachweis der Gefahr oder der Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung sei ausreichend, um einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu belegen. Dieser Maßstab ergibt sich ebenso wie bei Art. 6 Abs. 3 FFH-RL daraus, dass die Mitgliedstaaten eine Tätigkeit nur zulassen dürfen, wenn sie Gewissheit da­ rüber erlangt haben, dass diese keine Schäden im Gebiet verursachen kann. Nach Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL dürfen die mitgliedstaatlichen Behörden einem Plan oder Projekt nur zustimmen, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird. Bereits bei der Möglichkeit, dass eine Beeinträchtigung des Gebietes eintritt, darf der Mitgliedstaat das Projekt oder den Plan nicht mehr zulassen. Die zuständigen Behörden müssen „nach Ermittlung sämtlicher Gesichtspunkte des betreffenden Plans oder Projekts, die die […] für das Gebiet festgelegten Erhaltungsziele beeinträchtigen können, und unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse Gewissheit darüber erlangt haben, dass sich der Plan oder das Projekt nicht dauerhaft nachteilig auf das betreffende Gebiet als solches auswirkt.“718 Die Anforderungen an die Gewissheit der Behörde ergeben sich aus dem Tatbestandsmerkmal des „Feststellens“.719 Der erforderliche Grad an Sicherheit ist nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs dann gegeben, wenn „aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel“ am Ausbleiben einer Beeinträchtigung der Erhaltungsziele besteht.720 Der Vorsorgegrundsatz ist zu beachten.721 Denselben Maßstab legte der Europäische Gerichtshof im vorliegenden Urteil auch bei Art. 6 Abs. 2 FFH-RL an. Auch Art. 6 Abs. 2 FFH-RL fordere die Gewissheit, dass eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele ausbleibe.722 Die grundlegenden Eigenschaften des Gebietes müssten dauerhaft erhalten 718  St. Rspr., Zitat: EuGH, Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 40; Europäische Kommission, Prüfung von Plänen und Projekten in Bezug auf Natura-2000-Gebiete – Methodik-Leitlinien zu Artikel 6 Absätze 3 und 4 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S. 10; Möckel, NuR 2019, 152, 157. 719  EuGH, Urt. v. 21.7.2016, C-387/15 u. C-388/15, Rn. 50 ff.; Urt. v. 14.1.2016, C‑399/14, Rn. 50; Urt. v. 15.5.2014, C-521/12, Rn. 30. 720  EuGH, Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 40. 721  EuGH, Urt. v. 11.4.2013, C-258/11, Rn. 41; Möckel, NuR 2019, 152, 157. 722  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 156.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen241

werden.723 Das Vorbringen der Kommission, die die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Lebensraumtypen durch das Absinken des Grundwasserspiegels nachwies, reichte demnach aus, um einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu belegen. Dass eine Beeinträchtigung möglich war, hätte nur entkräftet werden können, wenn Spanien seinerseits Beweise vorgelegt hätte, die aus wissenschaftlicher Sicht keinen vernünftiger Zweifel am Ausbleiben einer Beeinträchtigung der Erhaltungsziele zuließen.724 Der Gerichtshof führte explizit aus, es gelte derselbe Prüfmaßstab wie bei Art. 6 Abs. 3 FFH-RL.725 Die bisher aufgeführten Feststellungen des Gerichtshofs sind nicht neu.726 Sie entsprechen der Rechtsprechungslinie, das Schutzniveau der Absätze einheitlich zu beschreiben. Die Entscheidung bestätigt, dass Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL als einheitliches Regelungsgefüge anzusehen sind. (2) Keine ausschließliche Anwendung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Das Urteil gibt aber Anlass, erneut einen kritischen Blick darauf zu werfen, wie der Gerichtshof Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL voneinander abgrenzt. Anders als in vielen vorangegangen Urteilen geht der Europäische Gerichtshof im Falle der Grundwasserentnahmen in Spanien nicht ausführlich darauf ein, warum er Art. 6 Abs. 2 FFH-RL für einschlägig erachtet. Zwar verbietet der Grundsatz ne ultra petita eine Verurteilung eines Mitgliedstaates im Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 Abs. 1 AEUV wegen über den Klageantrag hinausgehender Verstöße. Der Gerichtshof kann keine Verstöße ahnden, die nicht bereits von der Europäischen Kommission vorgetragen wurden.727 Das Mahnschreiben der Kommission grenzt den Verfahrensgegenstand ein.728 Der Gerichtshof sah im vorliegenden Fall aber eine neuerliche Beeinträchtigung als gegeben an und hielt dennoch Art. 6 Abs. 2 FFH-RL für einschlägig.729 Im Fall der regelmäßigen Düngung in den Niederlanden730 hatte der Gerichtshof dagegen auf Art. 6 Abs. 3 FFH-RL abgestellt. Aufgrund dessen, dass der Europäische Gerichtshof die „parallele An723  EuGH,

Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 166. Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 170. 725  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 156. 726  Siehe bereits EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 29; Urt. v. 14.1.2016, C-141/14, Rn. 58; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 142. 727  Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 65. EL 2018, Art. 258 AEUV, Rn. 78; EuGH, Urt. v. 16.7.2009, C-165,08, Rn. 42. 728  Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), AEUV/EUV, Art. 258 Rn. 16. 729  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 169. 730  C-293/17 u. C-294/17, Rn. 83 ff. 724  EuGH,

242

Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

wendbarkeit“ der Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL in einer vorigen Entscheidung ablehnte,731 wäre damit zu rechnen gewesen, dass er im Falle der Grundwasserentnahmen in Spanien ebenfalls auf Art. 6 Abs. 3 FFH-RL abstellte. Die Verurteilung des Mitgliedstaats wegen Verletzung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ist näher zu beleuchten. Wie zuvor herausgearbeitet, stellt der Europäische Gerichtshof in einigen seiner Verfahren darauf ab, ob ein behördliches Gestattungsverfahren durchgeführt wurde, um Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL voneinander abzugrenzen.732 In einer Entscheidung aus dem Jahr 2016 ging er etwa davon aus, dass Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur anwendbar sei, wenn die Behörde ein Vorhaben genehmige.733 Dieses systematische Verständnis des Gerichtshofs könnte der Grund sein, warum er in der Entscheidung zu den Grundwasserentnahmen in Doñana auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL abstellt. Die Entnahme von Grundwasser erforderte in Spanien bis 1985 keine Zulassung. Stattdessen war der unbefristete Erwerb eines privaten Grundwassernutzungsrechts möglich, das auch nach aktuellem Recht fortgilt.734 Dem Urteil lässt sich entnehmen, dass die landwirtschaftlichen Betriebe bereits seit Jahrhunderten Grundwasser ableiten. Daher könnte ein Großteil der Entnahmen von den privaten Nutzungsrechten gedeckt sein. In diesem Fall wäre nach spanischem Recht keine Genehmigung erforderlich. Einige der Grundwasserentnahmen könnten noch immer ohne Genehmigungsverfahren ablaufen. Andere Grundwasserentnahmen im Gebiet wurden laut Urteilsbegründung rechtswidrig ohne Genehmigung durchgeführt.735 Wenn die Grundwasserentnahmen im vorliegenden Fall aufgrund der beschriebenen privaten Nutzungsrechte oder rechtswidrig ohne Zulassung erfolgten, würde die Verurteilung des Mitgliedstaats wegen Verletzung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entsprechen. Diese Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Art. 6 Abs. 2 und 3 FFHRL anhand des Genehmigungserfordernisses wurde bereits zuvor kritisch hinterfragt.736 Besonders zweifelhaft erscheint, den Anwendungsbereich der Vorschriften durch das nationale Recht der Mitgliedstaaten zu bestimmen. Auch der Europäische Gerichtshof weist in anderen Entscheidungen darauf 731  EuGH,

Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 38. Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn.  120  ff.; ähnlich auch Urt. v. 20.10.2005, C-6/04 Rn. 58 ff.; ebenso Frenz, NVwZ 2011, 275, 277; Schumacher/ Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, § 33 Rn. 34. 733  EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 120 ff.; ähnlich auch Urt. v. 20.10. 2005, C-6/04 Rn. 58 ff.; Frenz, NVwZ 2011, 275, 277. 734  Zoth, Rechtliche Instrumente für das Dürre-Management, S. 164 f. 735  Vgl. EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 113, 118, 121. 736  Siehe Kap. 3 B. III. 3. c). 732  EuGH,



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen243

hin, dass das nationale Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten nicht die Anwendbarkeit der Richtlinienbestimmungen determinieren könne.737 Ob eine Verträglichkeitsprüfung erforderlich ist, ist stattdessen durch eine wirkungsbezogene Betrachtung festzustellen. Diese prägt den Projektbegriff, der den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL eröffnet.738 Dabei ist nicht entscheidend, ob der Mitgliedstaat eine formelle Zulassung durchführt, sondern ob ein Projekt ein Gebiet erheblich beeinträchtigen könnte. (3) Anwendung der Ausnahmevorschrift nur bei Art. 6 Abs. 3 FFH-RL Der Europäische Gerichtshof sah in der Duldung der Grundwasserentnahmen, die die Lebensraumtypen in den Schutzgebieten in Doñana beeinträchtigen, einen Verstoß des Königreichs gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL. Er wies darauf hin, dass Spanien durch eine weitergehende Prüfung, die den Anforderungen einer Verträglichkeitsprüfung genügen müsse, die Vorwürfe entkräften könne.739 Der Gerichtshof machte, nachdem er den Verstoß Spaniens gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL feststellte, auf die Möglichkeit einer „Verträglichkeitsprüfung, wie sie nach Art. 6 Abs. 3 [FFH-RL] durchzuführen ist“, aufmerksam.740 Auf die etwaige Option einer Ausnahme für die Grundwasserentnahmen, von denen die Landwirtschaft in der Region abhängig ist, ging der Gerichtshof nicht ein. In den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott finden sich allerdings Überlegungen hierzu. Die Generalanwältin führte in ihren Schlussanträgen aus, dass ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL noch nicht die endgültige Unvereinbarkeit eines Vorhabens mit der Richtlinie bedeute. Der Mitgliedstaat könne durch vertiefte Prüfung feststellen, dass doch keine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele möglich sei oder aber alternativ „die Aktivität nach Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie rechtfertigen“.741 Abzulehnen wäre eine Auslegung dieses Hinweises der Generalanwältin, die ihn als Bestätigung der Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL deuten würde. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL ist auf Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zugeschnitten und weder direkt noch analog auf die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen anwendbar.742 Das Urteil des Gerichtshofs bezieht sich zudem nun ausdrücklich auf die Verträglichkeitsprüfung des 737  EuGH,

Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 69; Urt. v. 10.1.2006, C-98/03, Rn. 43. Umweltrecht, § 10 Rn. 120, 122; Gellermann, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, 72. EL 2014, § 34 Rn. 7. 739  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 170. 740  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 170. 741  GA Kokott, Schlussanträge v. 3.12.2020, C-559/19, Nr. 45. 742  Siehe Kap. 3 B. III. 4. b). 738  Kahl/Gärditz,

244

Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Art. 6 Abs. 3 FFH-RL. Daher bestätigt das vorliegende Urteil, dass die Ausnahmebestimmung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auch nach Ansicht des Euro­ päischen Gerichtshofs im Regelfall nicht auf die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL anwendbar ist. Die Ausführungen des Gerichtshofs und der Generalanwältin sind dementsprechend dahingehend zu deuten, dass Art. 6 Abs. 2 FFH-RL einen allgemeinen Grundsatz der Vermeidung formuliert. Der hier getätigte Urteilsspruch bestätigt, dass es mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs übereinstimmt, Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL als ein Regelungsgefüge zu beschreiben, dass als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt ausgestaltet ist.743 Von dem Grundsatz der Vermeidung kann nur abgewichen werden, wenn es sich um einen Plan oder ein Projekt handelt, eine Verträglichkeitsprüfung die Gebietsverträglichkeit bestätigt oder aber bei Gebietsunverträglichkeit eine Ausnahme zugelassen werden kann. Soll ein Projekt oder Plan umgesetzt werden, ist daher eine Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und wenn notwendig eine Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL Voraussetzung. Die Vorschriften des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL eröffnen für Projekte und Pläne abweichend von den Vorgaben des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine Möglichkeit, diese zuzulassen. (4) Klimawandel als Ent- oder Belastung des beklagten Mitgliedstaates? Abschließend soll noch auf den Klimawandel als zusätzliche Belastung für die Feuchtlebensräume in Doñana eingegangen werden. Spanien führte im Verfahren an, dass nicht nur die Grundwasserentnahmen der Landwirtschaft im Gebiet, sondern auch der fortschreitende Klimawandel ursächlich für den sinkenden Grundwasserspiegel seien.744 Die Kommission wendete dagegen ein, dies sei kein Grund, weitere Grundwasserentnahmen über die Menge hinaus, die sich natürlicherweise neu bildet, zu dulden. Dies gelte insbesondere dann, wenn sich der gesunkene Grundwasserspiegel negativ auf die Lebensraumtypen in den Gebieten auswirke, indem die Feuchtlebensräume austrockneten.745 Der Europäische Gerichtshof ging auf den Klimawandel, der nach Aussage Spaniens mitursächlich für den Zustand in den Gebieten sei, nicht weiter ein. Er beschränkte sich auf den Hinweis, die Mitgliedstaaten müssten jedwede mögliche Verschlechterung abwenden.746 Dem Europäischen Gerichtshof und 743  Siehe

Kap. 3 B. III. 3. e). Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 144. 745  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 143 f. 746  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 165 ff. 744  EuGH,



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen245

der Kommission ist zunächst zuzustimmen. Eine mitursächliche natürliche Veränderung befreit nicht von der Pflicht nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, weitere Verschlechterungen der Lebensraumtypen zu verhindern. Die Kommission hat die Grundwasserentnahmen als Ursache für die Trockenheit in den Gebieten ausreichend dargelegt.747 Sie legte Studien vor, die belegten, dass die Flachgewässer in den Schutzgebieten aufgrund der Grundwasserentnahme durch die Landwirtschaft weniger Wasser führen und inzwischen abhängig von Niederschlagswasser sind.748 Die Niederschläge nehmen aber aufgrund des Klimawandels immer weiter ab.749 Der Einwand Spaniens, auch der Klimawandel sei ursächlich für die Trockenheit in den Schutzgebieten, kann damit sogar über die Urteilsgründe hinaus als weiterer Verstoß des Mitgliedstaates gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gewertet werden, da Spanien es unterlassen hat, die Folgen für die Schutzgüter im Gebiet durch die zurückgehenden Niederschläge zu verhindern. Denn Spanien hätte Maßnahmen gegen die natürlichen Veränderungen im Gebiet, ausgelöst namentlich durch die Trockenheitsperioden und die abnehmenden Niederschlagsmengen, ergreifen müssen. Die Kommission hat durch Studien belegt, dass die Lebensraumtypen inzwischen vom Niederschlagswasser abhängig sind und durch Trockenheitsperioden dementsprechend stark beeinträchtigt werden.750 Aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ergibt sich die Pflicht der Mitgliedstaaten, negative Veränderungen der Schutzgüter zu verhindern, ohne dass es darauf ankommt, ob ein (menschlicher) Verursacher auszumachen ist. Die Mitgliedstaaten müssen auch natürliche Beeinträchtigungen vermeiden, die zu einer Verschlechterung oder Störung der relevanten Gebietsbestandteile führen könnten.751 Auch die natürlichen Veränderungen in Folge des Klimawandels sind abzuwehren und möglichst gering zu halten, wenn sich diese negativ auf die 747  EuGH,

Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 172. Limnetica 2015, 407, 407 ff.; Bustamante/Aragonés/ Afán, Remote Sensing 2016, 867; GA Kokott, Schlussanträge v. 3.12.2020, C-559/19, Nr. 53. 749  Spanisches Amt für Klimawandel/Spanisches Umweltministerium, Plan national de adapcion al cambio climatico, S. 26; Wertmann, NuR 2021, 328, 328; Zoth, Rechtliche Instrumente für das Dürre-Mangagement, S. 136 m. w. N. 750  Díaz-Paniagua/Aragonés, Limnetica 2015, 407, 407 ff.; Bustamante/Aragonés/ Afán, Remote Sensing 2016, 867; GA Kokott, Schlussanträge v. 3.12.2020, C-559/19, Nr. 53. 751  EuGH, Urt. v. 20.10.2005, C-6/04 Rn. 34; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 137. EL 2017, § 33 Rn. 13; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler (Hrsg.), Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, S. 85 f. 748  Díaz-Paniagua/Aragonés,

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Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

Erhaltungsziele auswirken.752 Dabei ist kein Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den Folgen des Klimawandels und der Beeinträchtigung der Arten oder Lebensraumtypen zu fordern, sondern es reicht bereits der Nachweis der Gefahr oder Wahrscheinlichkeit, dass eine Verschlechterung oder Erhebliche Störung durch die Ursache bedingt ist.753 Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Beeinträchtigung ist spätestens durch die Studien der Kommission belegt. Diese zeigte sowohl die Abhängigkeit der Feuchtgebiete vom Niederschlag und die negativen Wirkungen der Trockenheitsperioden auf, als auch die Beeinträchtigung der wasserabhängigen Lebensraumtypen.754 Spanien hätte Maßnahmen ergreifen müssen, um eine derartige Beeinträchtigung zu verhindern. Dabei ist der Mitgliedstaat nicht zu Maßnahmen „ins Blaue hinein“ verpflichtet, aber zu allen Maßnahmen, bei deren Unterbleiben eine weitere Verschlechterung wahrscheinlich ist.755 Mögliche Maßnahmen können beispielsweise die Rücknahme von Versiegelungen sein, um zu gewährleisten, dass ausreichend Niederschläge im Boden versickern können. In Spanien gibt es zudem bereits einige wasserrechtliche Instrumente, um Dürreperioden entgegenzuwirken.756 Naheliegend wäre es, bei einer solchen Gefährdung der Lebensraumtypen durch zurückgehende Niederschläge zu gewährleisten, dass andere Wasserquellen, insbesondere das Grundwasser, den Lebensräumen in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, um Schäden aufgrund ausbleibender Niederschläge vorbeugen zu können. In der Folge wären die Grundwasserentnahmen zu begrenzen. Auch allgemeine Maßnahmen gegen den Klimawandel sind im Sinne des unionsrechtlichen Prinzips, Beeinträchtigungen an ihrem Ursprung zu bekämpfen, angezeigt.

752  Z. B. Sperle/Bruelheide, Diversity and Distributions 2021, 282, 282 ff.; siehe auch Schumacher/Schumacher, NuR 2013, 377, 378 ff. sowie 383; restriktiver in Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 18, die Kommission sieht nur relative „Vorsichtsmaßnahmen zur Minderung des Risikos der Katastrophen“ als geboten an. 753  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 155; Urt. v. 14.1.2016, C-141/14, Rn. 58; Urt. v. 24.11.2011, C‑404/09, Rn. 142; Europäische Kommission, Natura 2000 – Gebietsmanagement, C 33/1, S. 18; Heugel, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 33 Rn. 6. 754  Díaz-Paniagua/Aragonés, Limnetica 2015, 407, 407 ff.; Bustamante/Aragonés/ Afán, Remote Sensing 2016, 867; GA Kokott, Schlussanträge v. 3.12.2020, C-559/19, Nr. 53. 755  Vgl. EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 155. 756  Zoth, Rechtliche Instrumente für das Dürre-Management, S. 152 ff.



B. Die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen247

bb) Falllösung entsprechend den Vorschlägen zur Reform des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL Im Folgenden soll abschließend aufgezeigt werden, inwiefern der Reformvorschlag betreffend Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL Auswirkungen entfaltet. Das Vertragsverletzungsverfahren gegen Spanien wegen andauernder Grundwasserentnahmen in der Region Doñana757 dient als konkretes Fallbeispiel. Der Reformvorschlag zielt insbesondere darauf ab, das Verhältnis von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL abzubilden, um damit zu einer rechtssicheren und weniger fehleranfälligen Umsetzung der Bestimmungen beizutragen. Der Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 des Vorschlags verpflichtet die Mitgliedstaaten außerdem zu einer Verträglichkeitsprüfung, sofern das Vorhaben durchgeführt werden soll. Die Verträglichkeitsprüfung ist damit ausdrücklich nicht an die Genehmigung eines Projektes durch den Mitgliedstaat geknüpft. Im Fall des besprochenen Vertragsverletzungsverfahrens gegen Spanien stellte der Europäische Gerichtshof nur eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL fest. Er wies lediglich darauf hin, dass Spanien den Verstoß beseitigen könne, indem es eine Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nachhole.758 Der Mitgliedstaat kann demnach den Eingriff einstellen oder eine Verträglichkeitsprüfung nachholen, die entweder aufzeigt, dass das Vorhaben das Gebiet nicht als solches beeinträchtigt oder eine anschließende Ausnahmegenehmigung ermöglicht. Es ist an sich schon fragwürdig, warum der Mitgliedstaat den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL beheben kann, indem er ein Verfahren nachholt, zu dem er nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs nicht verpflichtet war. Dieses Ergebnis entspricht aber, wie dargestellt, der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.759 Der Richtlinienvorschlag soll diese Rechtsprechung korrigieren. Indem der Vorschlag zur Neufassung des Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL darauf abstellt, dass Projekte durchgeführt werden, verdeutlicht er, dass es nicht auf die behördliche Gestattung, sondern die tatsächliche Umsetzung eines Vorhabens ankommt. Die im Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL belassene „Zustimmung“ der Behörden erfasst demnach auch eine Duldung des Projektes, da eine Durchführung ohne „Zustimmung“ mit der Feststellung der Gebietsverträglichkeit nicht möglich ist. In der praktischen Anwendung der Richtlinie hätte eine Fassung der Richtlinie damit entsprechend dem Reformvorschlag zur Folge, dass Mitgliedstaaten, die Beeinträchtigungen der Gebiete wenig Aufmerksamkeit schenken, 757  EuGH,

Urt. v. 24.6.2021, C-559/19. Urt. v. 24.6.2021, C-559/19, Rn. 170. 759  Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 30, 41, 77. 758  EuGH,

248

Kap. 3: Rechtsdogmatische Untersuchung der allg. Schutzmaßnahmen

nicht nur wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, sondern auch wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 3 und gegebenenfalls 4 FFH-RL verurteilt werden könnten. Der Reformvorschlag zielt darauf ab, entgegen der Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits die Duldung beeinträchtigender Projekte als Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 FFH-RL einzuordnen und damit das Verfahren der Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL zu stärken. Im Verfahren um die Grundwasserentnahmen in Doñana hätte die Kommission nach dem Reformvorschlag zusätzlich beantragen können, Spanien wegen des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL zu verurteilen, da sie die Grundwasserentnahmen ohne Verträglichkeitsprüfung und Ausnahmegenehmigung duldeten. Eine Verurteilung wäre bei entsprechender Beweisführung möglich gewesen. Den Mitgliedstaat ausdrücklich dazu zu verpflichten, Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL anzuwenden und eine Verträglichkeitsprüfung und, wenn diese eine Beeinträchtigung im Gebiet feststellt, eine Ausnahme zu erteilen, verweist den Mitgliedstaat auf die genannten Schritte. Die Verträglichkeitsprüfung und die Voraussetzungen einer Ausnahme kommen der Natur konkret zu Gute. Die Praxis, keine Verfahren durchzuführen und ohne Verträglichkeitsprüfung „ins Blaue hinein“ zu behaupten, ein Vorhaben beeinträchtige ein Gebiet nicht, kann durch den Regelungsvorschlag verhindert werden. Durch die Verträglichkeitsprüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung ist nachzuweisen, dass tatsächlich keine Beeinträchtigungen vorliegen, wenn ein Vorhaben ermöglicht werden soll. Nach alldem trägt der Reformvorschlag demnach nicht nur dazu bei, dass dogmatische Widersprüche im Verhältnis der Pflichten des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL ausgeräumt werden. Er verdeutlicht den Mitgliedstaaten auch, welche Pflichten tatsächlich bestehen, um die biologische Vielfalt nach den Vorgaben des Rechts zu erhalten.

Fazit und zusammenfassende Thesen I. Fazit Die wirksame Durchführung der allgemeinen Schutzmaßnahmen im FFHGebietsschutz ist eine noch immer ausstehende Herausforderung, die die Mitgliedstaaten bewältigen müssen.1 Den Maßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-RL kommt die entscheidende Rolle zu, um den günstigen Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen nach Anhang I und II FFH-RL zu erreichen. Dennoch konnten die allgemeinen Schutzmaßnahmen ihr Potential bisher nicht voll entfalten. Es besteht ein enormes Vollzugsdefizit. Das von der Richtlinie angestrebte Ziel wurde bislang nicht erreicht. Neben vorherrschendem politischen Unwillen und fehlenden Personal- und Finanzressourcen2 kann die merkliche Unsicherheit in der Rechtsanwendung der Richtlinie als Ursache für das Defizit benannt werden. Zahlreiche Vorabentscheidungsersuchen bezüglich der allgemeinen Schutzmaßnahmen im europäischen Gebietsschutz, häufig zu ähnlichen Fragestellungen, belegen dies.3 Hinzu kommen etliche Bürgerbeschwerden und Vertragsverletzungsverfahren.4 Daher besteht selbst über 30 Jahre nach dem Inkrafttreten der FFH-Richtlinie noch rechtlicher Klärungsbedarf, um die Wirksamkeit der allgemeinen Schutzmaßnahmen zu gewährleisten. Die vorliegende Arbeit konnte zu einigen offenen Rechtsfragen Stellung beziehen. 1  Vgl. EEA, Management effectiveness in the EU’s Natura 2000 network of protected areas, Key messages. 2  ECA, More efforts needed to implement the Natura 2000 network to its full potential, S. 29; Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 6. 3  Man vergleiche bspw. die Entscheidungen EuGH, Urt. v. 15.5.2014, C-521/12; Urt. v. 21.7.2016, C-387/15 u. C-388/15; Urt. v. 12.4.2018, C-323/17; siehe auch Korbmacher, UPR 2018, 1, 1 ff. 4  Europäische Kommission, Fitness Check of the EU Nature Legislation, S. 22 f.; bereits 1995 wurden nur 91  % der Umweltrichtlinien der EU durchgeführt und 265 Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission zur Durchführung des Umweltrechts der Gemeinschaft v. 22.10.1996, COM(96) 500 final, S. 4; Nitschke, Harmonisierung des nationalen Verwaltungsvollzugs von EG-Umweltrecht, S. 14; noch heute bearbeitet die Kommission bei weitem die meisten Vertragsverletzungsverfahren im Umweltrecht, Europäische Kommission, Monitoring the Application of European Union Law, Annual Report 2019, Commission Staff Working Document Part II, S. 24 ff.; Backes, ­EurUP 2005, 265, 265.

250

Fazit und zusammenfassende Thesen

Die Auslegung der Richtlinie und des Begriffs der „Erhaltungsmaßnahme“ kam zunächst zu dem Ergebnis, dass Art. 6 Abs. 1 FFH-RL entgegen der Auffassung der Bundesrepublik in der laufenden Rechtssache vor dem Europäischen Gerichtshof5 auch Wiederherstellungsmaßnahmen anordnet. Von den Mitgliedstaaten werden überwiegend Maßnahmen gefordert, die den günstigen Erhaltungszustand der gelisteten Arten und Lebensraumtypen wiederherstellen und nicht nur den Status quo erhalten. Die umfangreiche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterstützt zudem die These, dass die Mitgliedstaaten auch zu allgemeinen Schutzmaßnahmen außerhalb der Schutzgebietsgrenzen verpflichtet sind.6 Darüber hinaus ist das Instrument der Bewirtschaftungsplanung in der praktischen Umsetzung des Gebietsschutzes unerlässlich. Die Schutzmaßnahmen begründen Pflichten Dritter und müssen daher in einem rechtsförmlichem Konzept niedergelegt werden. Schließlich ist das Gebietsverwaltungsprivileg in Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL kritisch einzuordnen. Es ermöglicht, dass schädigende, qualitativ nicht geeignete Maßnahmen ohne Verträglichkeitsprüfung in den Gebieten zugelassen werden. Eine einschränkende Auslegung der Privilegierungsbestimmung erscheint nicht möglich. Offene Rechtsfragen bestehen weiter bezüglich des Verhältnisses von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL. Obwohl bereits umfangreiche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum systematischen Verhältnis der Normen existiert,7 sind das Verhältnis und die Abgrenzung der Vorschriften weiterhin ungeklärt. So kann nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass Art. 6 Abs. 3 FFH-RL auf Pläne und Projekte und der allgemeinere Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nur auf sonstige Vorhaben anwendbar sei.8 Auch das Kriterium, dass Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur anzuwenden sei, wenn das Vorhaben ein behördliches Genehmigungsverfahren durchlaufe, stößt auf dogmatische Bedenken.9

5  Anhängige

Rs. C-116/22, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2019/2145. Urt. v. 29.7.2019, C-411/17, Rn. 136; Urt. v. 26.4.2017, C‑142/16, Rn. 29; Urt. v. 10.1.2006, C‑98/03, Rn. 44 und 51. 7  EuGH, Urt. v. 24.6.2021, C-559/17, Rn. 156; Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. 294/17, Rn. 87; Urt. v. 12.4.2018, C-323/17, Rn. 24; Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 124; Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 52; Urt. v. 15.4.2014, C-521/12, Rn. 19; Urt. v. 11.4.2013, C-258/11 Rn. 32; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 142; Urt. v. 13.12.2007, C-418/04, Rn. 263; Urt. v. 20.9.2007, C-304/05, Rn. 94. 8  So etwa Müller, Das Umwelt- und Naturschutzrecht in der Republik Litauen und seine Konformität mit dem Europäischen Naturschutzrecht, S. 108. 9  Abgrenzung über das Vorliegen eines Genehmigungsverfahrens in EuGH, Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 120  ff.; ähnlich auch Urt. v. 20.10.2005, C-6/04 Rn. 58 ff.; dem widersprechend in EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 69; Urt. v. 10.1.2006, C-98/03, Rn. 43. 6  EuGH,



Fazit und zusammenfassende Thesen251

Die Problematik, wie die beiden Absätze in allen Einzelfragen abzugrenzen sind, hat praktische Auswirkungen. So wird etwa vertreten, dass die auf Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zugeschnittene Ausnahme des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auch auf die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFHRL anwendbar sei.10 Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung liegen allerdings nur in bestimmten Einzelfällen vor.11 Bei über lange Zeiträume andauernden oder wiederkehrenden Beeinträchtigungen stellt sich darüber hinaus die Frage, ob ab einem bestimmten Zeitpunkt eine erneute Verträglichkeitsprüfung notwendig ist oder der Mitgliedstaat fortlaufend zu allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen verpflichtet ist. Ausschlaggebend kann hier nur die Wirkung des Vorhabens sein und damit, ob das Schutzgebiet als solches möglicherweise erneut beeinträchtigt wird.12 Sofern die Auslegung der Richtlinienbestimmungen im Hinblick auf einen wirksamen Schutz der Arten und Lebensraumtypen an ihre Grenzen stößt, wurde auf der Grundlage der dogmatischen Fragestellungen Änderungsbedarf an der Richtlinie herausgestellt. Die vorliegende Untersuchung konnte Lücken im Richtlinientext ausmachen, die mit Blick auf die grundsätzlich hohe Regelungsdichte besonders schwer wiegen. Die Richtlinie verzichtet oftmals darauf, entscheidende Verfahrensschritte und Pflichten der Mitgliedstaaten ausdrücklich zu normieren, sondern setzt voraus, dass die Mitgliedstaaten die Vorgaben aus der Regelungssystematik und dem Telos der Vorschriften ableiten. Reformbemühungen sind naturgemäß mit der Befürchtung von Abschwächungen und rechtlichen Einbußen zulasten des Naturschutzes verbunden. Aus diesem Grunde hält diese Arbeit auf der Grundlage der dogmatisch erarbeiteten Lösungsansätze Vorschläge bereit, wie die bisherigen Vorgaben der Richtlinie noch wirksamer und rechtssicherer gestaltet werden können. Die Gefahr einer Schwächung des Naturschutzes wurde bei der Analyse der Normen und der dargestellten Änderungsansätze berücksichtigt. Daher wird keine grundlegende Reform der Richtlinie angestrebt, sondern es werden 10  Vgl. zur deutschen Umsetzungsregelung BT-Drucks. 16/12274, S. 64; Möckel, AUR 2021, 2, 6; Heugel, in: Lütkes/Ewer (Hrsg.), BNatSchG, § 33 Rn. 7; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, BNatSchG, 82. EL 2017, § 33 Rn. 12; Louis, NuR 2010, 77, 85; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 137. EL 2017, § 33 Rn. 23 f.; Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 480; Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, § 33 Rn. 13; ablehnend noch Gellermann, NVwZ 2010, 73, 77; Fischer-Hüftle, NuR 2008, 213, 218. 11  Siehe EuGH, Urt. v. 14.1.2016, C-399/14, Rn. 38  ff., 55; Urt. v. 3.4.2014, C-301/13, Rn. 34; Urt. v. 24.11.2011, C-404/09, Rn. 156; Urt. v. 10.11.2016, C-504/14, Rn. 41. 12  Siehe hierzu EuGH, Urt. v. 7.11.2018, C-293/17 u. C-294/17, Rn. 82 f.; Urt. v. 14.1.2010, C‑226/08, Rn. 44; Urt. v. 7.9.2004, C-127/02, Rn. 37.

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Fazit und zusammenfassende Thesen

Vorschläge zur Effektivitätssteigerung zentraler Bestimmungen über die allgemeinen Schutzmaßnahmen getätigt. Es ist dringend geboten, dass die Richtlinie vollumfänglich Wirksamkeit entfaltet. Denn die planetaren Grenzen sind insbesondere im Bereich der biologischen Vielfalt weit überschritten. In Zukunft wird voraussichtlich die Gesetzgebung zur Wiederherstellung der Natur13 der Europäischen Union den Schutz der FFH-Richtlinie ergänzen.14 Der Gesetzgebungsvorschlag der Europäischen Kommission adressiert einige der im Verlauf dieser Arbeit ausgemachten offenen Rechtsfragen und stellt so im Besonderen den Reformbedarf der Natura 2000-Richtlinien heraus. Der Entwurf der Wiederherstellungsverordnung weist einen engen Zusammenhang mit der Natura 2000-Gesetzgebung auf. Die Gesetzgebungsakte dienen nicht nur gemeinsam dem Ziel, den Biodiversitätsverlust aufzuhalten und geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen. Der Entwurf der Wiederherstellungsverordnung nimmt auch explizit Bezug auf die Natura 2000-Richtlinien und greift auf die Erkenntnisse aus der Verwaltung der Schutzgebiete zurück. Der am 22.6.2022 veröffentlichte Verordnungsentwurf zeigt auf, dass einige der hier erarbeiteten kritischen Aspekte durch die Verordnung eine neue Dynamik aufweisen werden. Nach dem Entwurf werden die Mitgliedstaaten unter anderem erneut verpflichtet, parallel zur FFHRichtlinie Wiederherstellungsmaßnahmen in den besonderen Schutzgebieten zu ergreifen und den günstigen Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen herzustellen. Der Verordnungsentwurf gibt zu diesem Zweck klare Zielvorgaben und Fristen vor, wie sie in der FFH-Richtlinie bisher nicht zu finden sind. Die Pflichten der Mitgliedstaaten, wie sie die FFHRichtlinie vorsieht, werden durch die Wiederherstellungsverordnung modifiziert. Dieses ungewöhnliche Modell, eine Richtlinie nicht selbst zu über­ arbeiten, sondern über einen neuen übergreifenden Rechtsakt faktisch nachzuschärfen, wirft weitere Rechtsfragen auf, die in Zukunft neuerlichen Forschungsbedarf begründen. Die in der vorliegenden Arbeit diskutierten dogmatischen Problemstellungen und Reformvorschläge können auch im Ausblick auf diese zu erwartenden Forschungsfragen und anstehenden Rechtsakte der Europäischen Union einen Beitrag zur weiteren wissenschaftlichen Diskussion leisten, nicht zuletzt, um eine harmonische Rechtsanwendung sicherzustellen.

13  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur, COM(2022) 304 final, v. 22.6.2022; siehe zum Verfahrensstand unter der Verfahrensnr. 2022/0195/COD. 14  Siehe hierzu Kap. 2 C. 3., Kap. 3 A. II. 2., III. 4. und IV. 3.



Fazit und zusammenfassende Thesen253

II. Zusammenfassende Thesen 1. Das Ziel der FFH-Richtlinie, einen günstigen Erhaltungszustand der gelisteten Arten und Lebensraumtypen herzustellen, konnte bisher nicht erreicht werden. Auch die von der Richtlinie vorgesehenen allgemeinen Schutzmaßnahmen, namentlich die Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen, konnten ihr Potential noch nicht entfalten. Hierfür sind auch rechtliche Probleme ursächlich. 2. Die FFH-Richtlinie fasst die Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes der Schutzgüter unter den Begriff der Erhaltung. Zwar sind die Mitgliedstaaten ausdrücklich auch zur Wiederherstellung all jener Schutzgüter verpflichtet, die noch keinen günstigen Erhaltungszustand aufweisen. Allerdings führt die beide Begriffe einschließende Definition dazu, dass die voneinander zu unterscheidenden Pflichten der Erhaltung und Wiederherstellung im weiteren Richtlinientext verschwimmen. 3. Die FFH-Richtlinie enthält, abgesehen von den Vorschriften über die Gebietsauswahl in Art. 4 und Art. 5, kaum verfahrensrechtliche Vorgaben. Auch Art. 6 Abs. 1 FFH-RL ist in dieser Hinsicht lückenhaft und nennt von drei notwendigen Verfahrensschritten nur die Pflicht der Mitgliedstaaten, die Erhaltungsmaßnahmen festzulegen. 4. Die Erhaltungsmaßnahmen sind ebenso wie die Schutzgebietsgrenzen und die Erhaltungsziele rechtsverbindlich festzusetzen. Die Rechtsprechung des EuGH über die Gebietsbegrenzung von Vogelschutzgebieten ist auf die Schutzmaßnahmen übertragbar, da auch die Schutzmaßnahmen Rechts­pflichten Dritter begründen. 5. Die Bewirtschaftungspläne stellen das Gesamtkonzept des Gebietsmanagements dar und sind entgegen der vorherrschenden Meinung unionsrechtlich unerlässlich, um das Ziel der Richtlinie zu erreichen. Der primärrechtliche Effektivitätsgrundsatz begrenzt an dieser Stelle die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. Sofern die Erhaltungs- und Vermeidungsmaßnahmen nur in den Bewirtschaftungsplänen operationalisierbar festgelegt werden, müssen auch die Bewirtschaftungspläne verbindliche Außenwirkung aufweisen. 6. Eine Fristbestimmung, nach der die Mitgliedstaaten das zentrale Ziel der Richtlinie, den günstigen Erhaltungszustand der gelisteten Arten und Lebensraumtypen herzustellen, zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht haben müssen, normiert die FFH-Richtlinie nicht. Sie sieht statt einer Frist eine regelmäßige FFH-Berichterstattung der Mitgliedstaaten vor. Die periodisch einzureichenden Berichte über die Fortschritte in den

254

Fazit und zusammenfassende Thesen

Schutzgebieten sollen die Mitgliedstaaten veranlassen, den Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen kontinuierlich zu verbessern. Die FFH-Berichterstattung hat allerdings bisher nicht die erhofften Beiträge zum günstigen Erhaltungszustand bewirkt und weist Lücken auf. 7. Das Gebietsverwaltungsprivileg nach Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL begünstigt die Zulassung schädigender Maßnahmen im Gebiet. Seine Tatbestandsvoraussetzungen und die sie verifizierende Konformitätsprüfung können die negative Wirkung fehlgehender Verwaltungsmaßnahmen nur eingeschränkt innerhalb der Grenzen von Wortlaut und Zweck der Bestimmung begrenzen. 8. Die Auffassung des Europäischen Gerichtshofs, Konflikte zwischen Verwaltungsmaßnahmen und Erhaltungszielen seien auf der Ebene der Festlegung der Erhaltungsziele zu entscheiden, lässt außer Acht, dass die Erhaltungsziele in vielen Mitgliedstaaten nicht in diesem Sinne ausgearbeitet sind und Konflikte außerdem aufgrund unvorhergesehener Ereignisse und mangelnder Flächenverfügbarkeit entstehen. 9. Ebenso geht die Auslegung des Europäischen Gerichtshofs fehl, möglicherweise schädigende Maßnahmen nicht als Verwaltungsmaßnahmen zu qualifizieren. Sie führt zu einem Zirkelschluss, da das Verwaltungspri­ vileg den Sinn und Zweck hat, die Verwaltungsmaßnahmen von einer Prüfung auf ihre Gebietsverträglichkeit freizustellen. 10. Auch die Regelung der allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen wirft zahlreiche Rechtsfragen auf. Diese haben ihren Ursprung überwiegend im Verhältnis von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL. Diese Unklarheiten führen zu Abgrenzungsproblemen zwischen den allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL und den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL. 11. Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL stellen auf dasselbe Schutzniveau ab. Der unterschiedliche Wortlaut der Vorschriften ist auf ihre Entstehungsgeschichte zurückzuführen. Eine Harmonisierung ist bislang ausgeblieben. 12. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten zu einer fortlaufenden Überwachung des Gebietes, während die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL eine anlassbezogene Prüfung darstellt. Die Anforderungen an die Gewissheit, mit der eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele durch die Mitgliedstaaten auszuschließen ist, entsprechen den Anforderungen des Vorsorgeprinzips und sind identisch. 13. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL hat einen weiten Anwendungsbereich und ist neben natürlichen Veränderungen auch auf Pläne und Projekte anwendbar. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist dagegen enger gefasst und an das Vorliegen eines Plans oder Projektes geknüpft.



Fazit und zusammenfassende Thesen255

14. Die Rechtsprechung des EuGH, nach der Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur anzuwenden sei, wenn der Mitgliedstaat ein Genehmigungsverfahren durchführe, ist kritikwürdig. Die Vorgaben der FFH-Richtlinie sind autonom zu interpretieren und können von den Begrifflichkeiten der UVPRichtlinie abweichen. Die Auslegung, wonach die in Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL geforderte „Zustimmung“ der Mitgliedstaaten als innerstaatliche Genehmigung zu verstehen sei, würde es den Mitgliedstaaten gestatten, den Anwendungsbereich der Verträglichkeitsprüfung eigenmächtig auszugestalten. 15. Das Verhältnis der Vorschriften des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL zeichnet sich dadurch aus, dass Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine materiell-rechtliche Vorgabe macht, auf die sich Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bezieht und für Projekte und Pläne das Verfahren der Verträglichkeitsprüfung vorsieht, wenn die Mitgliedstaaten Projekte oder Pläne abweichend von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zulassen möchten. Das Schutzregime des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL kann als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt qualifiziert werden. 16. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL ist entgegen der vorherrschenden Meinung grundsätzlich nicht analog auf die allgemeinen Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL anwendbar. Sofern keine Sondersituation vorliegt, in der eine der Verträglichkeitsprüfung entsprechende Prüfung im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL durchgeführt wird, sind die Voraussetzungen für einen Analogieschlusses nicht erfüllt. 17. Eine Ausnahme von der Pflicht der Mitgliedstaaten, Verschlechterungen und Störungen im Sinne des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu vermeiden, ist nur zum Schutz von überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern und bei außerordentlichen Umständen sowie unter größtmöglicher Schonung der Gebietsbestandteile zulässig. 18. Die bei der Bewertung eines Vorhabens im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung zu berücksichtigenden Schadensminimierungsmaßnahmen entsprechen dem Regelungsgefüge des Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL als repressivem Verbot mit Befreiungsvorbehalt und sind aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL herleitbar. Dies unterstreicht die notwendige Abgrenzung der Schadensminimierungsmaßnahme zu etwaigen Kompensationsmaßnahmen. 19. Zur Beurteilung, ob eine Genehmigung ein andauerndes oder sich wiederholendes Vorhaben noch erfasst, ist nicht allein auf die einheitliche Ausführung des Vorhabens abzustellen, sondern in erster Linie auf die Wirkung des Vorhabens und auf die Frage, ob das Schutzgebiet als solches möglicherweise erneut beeinträchtigt wird. Der wirkungsbezogene

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Fazit und zusammenfassende Thesen

Projektbegriff und die Anforderungen an die Feststellungen der Verträglichkeitsprüfung sind heranzuziehen. 20. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 oder 3 FFH-RL ist nicht konsistent. Allerdings ist ein Trend erkennbar, die neuerliche Beeinträchtigung durch ein Vorhaben bei fortlaufenden, andauernden oder wiederkehrenden Projekten einer erneuten Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zu unterwerfen und nicht lediglich auf die fortlaufende Pflicht nach Art. 6 Abs. 2 FFHRL abzustellen. 21. Der europäische Gebietsschutz steht vor wachsenden Herausforderungen. Die entsprechenden Bestimmungen in der FFH-Richtlinie sind auch dreißig Jahre nach ihrem Erlass Gegenstand dogmatischer Diskussionen und rechtlicher Fragestellungen. Ihre wirksame Umsetzung kann teilweise durch das Instrument der Auslegung herbeigeführt werden, teilweise sind weitergehende Regelungen notwendig, um das Ziel der Richtlinie zu erreichen.

III. Reformvorschläge15 Artikel 1 Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet: a) „Bewirtschaftungsmaßnahmen“: alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um die natürlichen Lebensräume und die Populationen wildlebender Tierund Pflanzenarten in einem günstigen Erhaltungszustand im Sinne des Buchstabens e) oder i) zu erhalten oder, wenn dieser Zustand noch nicht erreicht ist, ihn wiederherzustellen. (…) Artikel 3 (…) (3) Die Mitgliedstaaten werden sich dort, wo dies erforderlich ist, um den günstigen Erhaltungszustand der in Absatz 1 genannten natürlichen Lebensraumtypen und Arten zu erreichen, bemühen, die ökologische Kohärenz von Natura 2000 durch die Erhaltung und gegebenenfalls die Schaffung der in Artikel 10 genannten Landschaftselemente, die von ausschlaggebender Bedeutung für wildlebende Tiere und Pflanzen sind, zu verbessern.

15  Die

erarbeiteten Reformvorschläge sind kursiv hervorgehoben.



Fazit und zusammenfassende Thesen257

Artikel 4 (1) Anhand der in Anhang III (Phase 1) festgelegten Kriterien und einschlägiger wissenschaftlicher Informationen legt jeder Mitgliedstaat eine Liste von Gebieten vor, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und einheimischen Arten des Anhangs II aufgeführt sind. Die Gebietsfläche ist anhand der in Anhang III (Phase 1) festgelegten Kriterien, einschließlich notwendiger Pufferzonen, Ausweichflächen und Verbundkorridore zu bestimmen. Bei Tierarten, die große Lebensräume beanspruchen, entsprechen diese Gebiete den Orten im natürlichen Verbreitungsgebiet dieser Arten, welche die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweisen. Für im Wasser lebende Tierarten, die große Lebensräume beanspruchen, werden solche Gebiete nur vorgeschlagen, wenn sich ein Raum klar abgrenzen läßt, der die für das Leben und die Fortpflanzung dieser Arten ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweist. Die Mitgliedstaaten schlagen gegebenenfalls die Anpassung dieser Liste im Lichte der Ergebnisse der in Artikel 11 genannten Überwachung vor. (…) Artikel 6 (1) Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Bewirtschaftungsmaßnahmen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen, außenwirksam und rechtsverbindlich entsprechend den gebietsspezifischen Erhaltungszielen in einem Bewirtschaftungsplan fest und führen diese Maßnahmen ab Ausweisung des Gebietes zu einem besonderen Schutzgebiet durch. (2) Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten Beeinträchtigungen zu vermeiden, die sich im Hinblick auf die gebietsspezifischen Erhaltungsziele negativ auswirken könnten. Vorbehaltlich des Absatzes 3 darf von diesen Vorgaben nur aus außergewöhnlichen Gründen und zum Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter abgewichen werden. (3) Pläne oder Projekte, die die sich im Hinblick auf die gebietsspezifischen Erhaltungsziele einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten negativ auswirken könnten, dürfen abweichend von Absatz 2 durchgeführt werden, wenn zuvor eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen erfolgt ist. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw.

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Fazit und zusammenfassende Thesen

Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass die Erhaltungsziele des Gebietes nicht beeinträchtigt werden, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben. (…) Artikel 10 Die Mitgliedstaaten werden sich dort, wo dies zur Verbesserung der ökologischen Kohärenz von Natura 2000 erforderlich ist, bemühen, die Pflege von Landschaftselementen, die von ausschlaggebender Bedeutung für wildlebende Tiere und Pflanzen sind, zu fördern. Hierbei handelt es sich um Landschaftselemente, die aufgrund ihrer linearen, fortlaufenden Struktur (z. B. Flüsse mit ihren Ufern oder herkömmlichen Feldrainen) oder ihrer Vernetzungsfunktion (z. B. Teiche oder Gehölze) für die Wanderung, die geographische Verbreitung und den genetischen Austausch wildlebender Arten wesentlich sind. Artikel 11 (1) Die Mitgliedstaaten überwachen den Erhaltungszustand der in Artikel 2 genannten Arten und Lebensräume, wobei sie die prioritären natürlichen Lebensraumtypen und die prioritären Arten besonders berücksichtigen. (2) Die Mitgliedstaaten evaluieren ihre Bewirtschaftungspläne anhand der Ergebnisse des Berichtes nach Artikel 17 Absatz 1 und passen diese innerhalb des nächsten Meldezeitraums entsprechend an, um das in Artikel 2 Absatz 2 genannte Ziel zu erreichen. Artikel 17 (1) Alle sechs Jahre nach Ablauf der in Artikel 23 vorgesehenen Frist erstellen die Mitgliedstaaten einen Bericht über die Durchführung der im Rahmen dieser Richtlinie durchgeführten Maßnahmen. Dieser Bericht enthält insbesondere Informationen über die in Artikel 6 Absatz 1 genannten Erhaltungsmaßnahmen sowie die Bewertung der Auswirkungen dieser Maßnahmen auf den Erhaltungszustand der Lebensraumtypen des Anhangs I und der Arten des Anhangs II sowie die wichtigsten Ergebnisse der in Artikel 11 genannten Überwachung und Anpassung nach jedem Berichtszeitraum. Dieser Bericht, dessen Form mit dem vom Ausschuss aufgestellten Modell übereinstimmt, wird der Kommission übermittelt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. (…)

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Stichwortverzeichnis Ad hoc-Maßnahmen  187 ff. –– Tiefflüge  187, 189 Allgemeiner Gleichheitssatz –– bei der analogen Anwendung der Ausnahme  211 ff. –– bei der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts  197 f. –– bei einem Analogieschluss allgemein  210 Alternativenprüfung  149, 214 Anordnungsanspruch  151 Aue –– als verbindendes Naturelement  37 –– Auenwald in Konkurrenz zur Glatt­ haferwiese  125 ff., 134 Ausgleichsmaßnahme –– fehlgeschlagene  231 –– Freistellung der Verwaltungsmaß­ nahmen  142 –– in Schleswig-Holstein  207 –– Verhältnis zur Verträglichkeitsprüfung  213, 223, 231 Ausnahme(-genehmigung) –– bei den Kahlschlägen im Sieben­ gebirge  163 –– enge Auslegung  137, 161 –– Ermessen  184 f. –– in der Konformitätsprüfung  142 ff., 147 ff. –– nach Verträglichkeitsprüfung  175 f., 198, 201 f., 205, 207 ff. –– von dem allgemeinen Vermeidungs­ gebot  207 ff. Außerordentliche Gründe des Gemeinwohls  218 f. Auswahl der Schutzgebiete –– Repräsentation der Arten  64

–– Phasen der Ausweisung  29, 32, 37 ff., 59 –– verfahrensrechtliche Vorgabe  253 Auswahlermessen –– im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 und 3  182 f. Ausweisung –– als Maßstab der Konformitätsprüfung  138 –– Festsetzung mit Erhaltungszielen  48 –– Genehmigung eines Projekts vor Aufnahme in die Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung, Durchführung nach Ausweisung  225 –– im Fall Doñana  237 f. –– Phasen der Ausweisung  32, 36 ff. –– rechtverbindlich  106 –– verspätet  63, 80, 165 –– Zusammenhang zu Maßnahmen  39, 44, 59 f., 63, 80, 110 ff., 165, 190 –– Zuschnitt der Gebiete  80, 99 Berufsfreiheit  210 Beweislast –– bei privilegierten Verwaltungsmaßnahmen  164 –– in der Verträglichkeitsprüfung  28, 164 –– Umfang im Vertragsverletzungsverfahren  28, 237, 240 –– Umkehr  161, 164 Biodiversitätsstrategie  15, 51, 71 ff. Biotopverbund  37, 63, 98 ff., 173 Buchenwald  37, 46, 58, 150 ff. Caretta caretta  193 Charakteristische Arten  40, 150 ff.

Stichwortverzeichnis279 Doñana  236 ff. Doppelprüfung  144 Düngung –– als regelmäßige Tätigkeit  226, 229, 238, 241 Dürre  191, 246, Effektivitätsgrundsatz –– Beschränkung der Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten  102, 103, 204, 253 –– Schutzfunktion  103 Eigentum  201, 203, 210 Einheitliche Ausführung –– eines Vorhabens  226, 255 Einstweilige Anordnung  151 Entscheidungsspielraum der Mitgliedstaaten –– bei der Auswahl von Vermeidungsmaßnahmen  166 f., 184 –– bei der Entscheidung, ob Vermeidungsmaßnahmen durchgeführt werden  166 f. –– Grenzen 204 Erkenntnisdefizit siehe Erkenntnis­ vakuum Erkenntnisvakuum –– Behördenentscheidung  159 –– bei der Bekämpfung des Borkenkäfers  157 f. –– gerichtliche Überprüfbarkeit  159 –– im Unionsrecht  161 Ermessen –– Auswahlermessen bei der Wahl von Schutzmaßnahmen  133, 182 ff. –– bei der Wahl zwischen Erhaltung und Wiederherstellung  88 f. –– nach § 3 Abs. 2 BNatSchG Evaluationsstudie  62 Fällungen  139, 149 ff. FFH-Bericht –– Inhalt  59, 93 ff. –– statt einer Frist  113 ff., 253 f.

Flächenverbrauch  53 Flachgewässer  236, 245 Forstbetriebspläne –– als einheitliches Projekt  227 –– als Mischplan  135 ff. –– als Verwaltungsmaßnahme  135 ff., 156 –– regelmäßige Überprüfung  117 Forstwirtschaft –– als Einwirkung auf FFH-Gebiete  38, 46, 54 –– Borkenkäfer  150 –– im Fall Siebengebirge  155 ff. Fortlaufende Tätigkeit  224 ff. Fortpflanzungsstätte  82 Fracking-Verbot  191 Fragmentierung –– von Lebensräumen  54, 64 Gebietsauswahl siehe Auswahl der Schutzgebiete Gebietsgrenzen –– Bedeutung für Erhaltungsmaßnahmen  96 ff., 250 –– Bedeutung für Vermeidungsmaß­ nahmen  170 ff., 250 –– Überwindung durch verbindende Elemente  38 –– Vulnerabilität durch Einflüsse von außen  38 –– Verbindlichkeit  106 f., 253 Gebietsmeldung –– Kriterien  99 –– Standarddatenbögen  139 Genetischer Austausch  64, 97, 173, 258 Gestaltungsspielraum der Mitglied­ staaten –– bei der Ausgestaltung von Vermeidungsmaßnahmen  167, 221 –– bei der Ausweisung der Gebiete  99 –– bei der Umsetzung der Regelungen zur Verträglichkeitsprüfung ins nationale Recht  203 f.

280 Stichwortverzeichnis –– bei der Wahl der Mittel zur Fest­ setzung von Erhaltungsmaßnahmen  102, 108 –– bei der Wiederherstellung des Biotopverbunds  100 Glatthaferwiese  125 ff., 134 Gleichheitssatz siehe Allgemeiner Gleichheitssatz Grenzen siehe Gebietsgrenzen Grundwasser  236 ff. Grünland –– artenreiches  61, 80, 92, 94 –– Bewirtschaftung  94, 131 f. –– Lebensraumtypen  80 –– Mahd  33, 80 Habitat –– als Erhaltungsziel  43, 45, 82, 92 –– Bewertung des Erhaltungszustands einer Art  41, 54, 57, 64 –– Definition  20 –– Geschichte des Habitatschutzes  31 –– Habitatverlust als negative Einwirkung  54, 57, 64, 83, 166 ff. –– Verbindungen zwischen Habitaten  36, 39 –– Verschiebung von Habitaten  49, 96, 100 Heide  32, 44 f. Herzmuschelfischerei  224 ff. Holistischer Ansatz  10, 39, 99 f. Industrialisierung  50 Invasive Art  46, 54, 156, 165, 167, 171 Kahlschlag  91, 150 ff. Klimawandel –– als Gefährdungsfaktor  49, 150, 165, 182, 239, 244 ff. –– Vermeidungsmaßnahmen gegen Klimawandelfolgen  17, 165, 182, 191, 239, 244 ff. –– Verschiebung der Lebensräume  49, 96, 100

Kohärenz –– der Vogelschutz- und FFH-RL  62, 67 –– des Schutzgebietsnetzes  35, 37, 42, 44 f., 96, 98 ff. –– Kohärenzsicherungsmaßnahmen  148 f., 163, 209, 231 –– Rechtsprechung des EuGH  231, 234 Konformitätsprüfung  138 ff. Kongruenzprüfung siehe Konformitätsprüfung Kosten-Nutzen-Analyse  62 Landwirtschaft  104, 136, 150, 236 –– Bodennutzung  228 f., 238 –– Grundwasserentnahmen  242 ff. –– in der Wiederherstellungsverordnung  99 –– Subventionen  65 Lärm  83 Letztentscheidungsbefugnis  158 Licht  83 Mahd  33, 80, 92, 124 Mähwiesen  61, 124, 164 Maßnahmenpakete  135 f., 146 Meldung siehe Gebietsmeldung Mitteilungen  75 ff. Monitoring –– als Grundlage für Vermeidungsmaßnahmen  182 –– für den FFH-Bericht  54 f., 116 Naturerbe  30 f., 36, 49 Öffentlichkeitsbeteiligung –– bei der Festsetzung von Erhaltungsmaßnahmen  45, 104, 140 ff. –– bei der Verträglichkeitsprüfung  248 One-in-one-out-Verfahren  16 Papenburg  224 f. Paper sites  60 Planmäßige Einwirkung  186, 189 Potentielle FFH-Gebiete  174

Stichwortverzeichnis281 Praktische Wirksamkeit –– der Richtlinie  60, 93, 196 –– des Unionsrechts allgemein  103, 219 Präventives Verbot mit Erlaubnisvor­ behalt  202 f. Priorisierung –– von Erhaltungszielen  124 ff., 134 –– von Gebieten  29, 42, 88, 109, 112 Projektbegriff  118, 130, 186 ff., 195, 199, 212, 224 ff., 243, 256 Prüfumfang –– bei allgemeinen Vermeidungsmaß­ nahmen  180 ff., 239 f. –– bei Verwaltungsmaßnahmen  232 Pufferzone  38, 96, 98 ff., 154 Puszcza Białowieska  120, 156, 160 Race-to-the-bottom  63 Realakt  60, 94 f. Recht auf wirtschaftliche Betätigung  210 Rechtsschutz  105 f., 141, 151, 159 REFIT-Programm  62 Renaturierung  73 f., siehe Wiederherstellungsverordnung Repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt  202 ff., 232, 244, 256 Restoration law siehe Wiederher­ stellungsverordnung Richtlinienentwurf –– von 1988  31 ff., 82, 86, 88, 122, 178 f., 187, 199, 234, 236 Rückearbeiten  151, 163 Ruhestätte  82 Schutzgebietsausweisung siehe Aus­ weisung Schutzgebietsnetz  35 ff., 42, 44, 64 f., 85, 95 ff., 105, 113, 165, 173 Schutzgebietsverordnung  59, 99, 105, 117, 121, 153, 208 Schutzniveau –– dasselbe Schutzniveau in Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL  78, 176 ff., 205, 218 f., 230 ff., 241, 254

–– hohes Schutzniveau der europäischen Umweltpolitik  25, 28 ff., 215 –– Verschlechterung und Störung  168 Schwarzspecht  151 Standarddatenbogen  37, 139 Steppenbirkenmaus 40 Stickstoffeintrag  54, 170 Strategische Umweltprüfung  141, 148, 187 Subvention  65 Trittsteinprinzip  36 Ultra posse nemo obligatur  189 Umsetzungsspielraum  100, 196 ff., 202 ff. Umweltaktionsplan  23, 30 f., 52 Umweltaktionsprogramm siehe Umweltaktionsplan Umweltinformation  49 Umweltverträglichkeitsprüfung –– Definition der Genehmigung  194 f., 198 ff., 255 –– geschichtliche Verbindung  34, 178 f., 198, 234 –– Projektbegriff  34, 187, 228, 234 –– Prüfpflicht bei Gebietsverwaltungsmaßnahmen  148 f. Urbanisierung  54 Ursprungsprinzip  25, 170, 246 Verbindende Landschaftselemente  45, 96, 256, 258 Verbundkorridor  38, 96, 100, 172 f., 25734, 234 Verfahrensautonomie  103, 203 f. Vermeidungsgebot  112, 142, 198, 200, 207 ff., 219 ff., 230, 237 Verschiebung von Habitaten  49, 96, 100 Vertragsnaturschutz  102 ff., 122, 135 Vertragsverletzungsverfahren –– Bedeutung von Leitfäden  76 –– C-98/03

282 Stichwortverzeichnis –– C-116/22  17, 32, 36, 41, 43, 47 f., 58 f., 67 f., 77, 81, 83 ff., 89, 127 f., 164 –– C-444/21  91 –– C-504/14  194 –– C-559/19  237, 247 –– ne ultra petita  241 –– Nr. 2019/2145  17, 55, 61, 67 f., 81, 141 –– Vollzugsdefizit im Umweltrecht  89, 103, 113, 141, 249 f. Verwaltungsvorschriften 104 Vollzugsdefizit  57 ff., 59, 61 f., 65 f., 68, 70, 77, 89, 249 Vorbelastung  238 Vorbeugeprinzip  25, 28 Vorprüfung  33, 146 f. Vorsorgeprinzip  24 ff., 79, 128, 134, 146, 159 ff., 169 ff., 180, 221, 238, 254 Wald –– Auenwald siehe Aue

–– Best practice  59 –– Bewirtschaftungsplan  117, 135 f. –– Borkenkäfer  150 ff. –– Buchenwald  46, 150 ff. –– Villewälder bei Bornheim  112, 118 –– Waldlebensraumtypen  48, 124, 150 Waldschlösschenbrücke  225 Wandernde Tierart  20 ff., 38, 97 Wiederherstellungspläne 73 ff., 107, 115 Wiederherstellungsverordnung  73 ff., 89, 99, 108, 115, 252 Wirkungsbezogener Ansatz –– Art. 6 Abs. 2 FFH-RL  191, 211 –– Beeinträchtigungen von außerhalb der Gebietsgrenzen  171 –– einheitliche Projekte  224 ff., 255 –– Erhaltungsmaßnahmen als Projekt  118, 130 –– spontane Aktivitäten  189 –– UVP-RL  34, 187, 199 –– Zustimmung zu einem Projekt  200 Zeitplan  63, 109, 112