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German Pages [186] Year 2014
Alexander Emmerich
Alles Mythos! 20 populäre Irrtümer über Hollywood
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Konrad Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG. © 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Lektorat: Ricarda Berthold, Freiburg Satz: Satzpunkt Ursula Ewert GmbH, Bayreuth Einbandabbildung: © blickwinkel/mm-images; Perseomedusa/fotolia.com Einbandgestaltung: Stefan Schmid Design, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-2717-8 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-2923-3 eBook (epub): 978-3-8062-2924-0
Inhalt Einleitung
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I R RTU M 1:
Hollywood wurde von einem Amerikaner gegründet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
I R RTU M 2:
Stars und Studios – alle finden sich in Hollywood . 24
I R RTU M 3:
„Star Wars“ ist Hollywoodkino . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
I R RTU M 4:
Amerikanische Filme sind oberflächlich . . . . . . . . . 50
I R RTU M 5:
Der Hollywood-Schriftzug ist beleuchtet . . . . . . . . 59
I R RTU M 6:
Noch nie hat ein deutscher Schauspieler den Oscar gewonnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
I R RTU M 7:
Walt Disney gab dem „Oscar“ seinen Namen . . . . . 72
I R RTU M 8:
Avatar ist der erfolgreichste Film aller Zeiten . . . . . 83
I R RTU M 9:
James Bond stammt aus Hollywood . . . . . . . . . . . . 92
I R RT U M 10 :
Die Erfindung des Tonfilms überraschte die Filmindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
I R RT U M 11 :
Hitchcock trat in allen seinen Filmen auf . . . . . . . . 108
I R RT U M 12 :
James Deans Unfallauto tötete mehrere Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
I R RT U M 13 :
Bei den Dreharbeiten zu „Ben Hur“ starb ein Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
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I N H A LT
I R RT U M 14 :
Der Horrorfilm wurde in Hollywood erfunden . . . 130
I R RT U M 15 :
„Casablanca“ war als Kassenschlager geplant . . . . 137
I R RT U M 16 :
Marilyn Monroe war eine naive Blondine . . . . . . . . 144
I R RT U M 17 :
Die 3D-Technik entstand in den 2000er Jahren . . . 150
I R RT U M 19 :
Der Western ist ein eigenes Genre und es ist tot . . . 159
I R RT U M 19 :
Hollywood ist patriotisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
I R RTU M 20:
Es gibt eine Erfolgsformel für Filme. . . . . . . . . . . . . 174
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Einleitung „Hollywood, California!“ Dieser Name weckt in uns unendlich viele Bilder, Assoziationen und Vorstellungen. Er ruft Gedanken an Stars, Luxus, Glamour und Schönheit hervor, an Geld und Unterhaltung. Hören wir den Namen „Hollywood“, denken wir an den berühmten Schriftzug hoch über der Stadt Los Angeles, an Filmklassiker, Kinoabende und Blockbuster. Auch tragische Schicksale kommen uns in den Sinn, vom Aufstieg und Fall von Stars und Sternchen. Hollywood ist der Ort, an dem durch die Bilder der Filmemacher für viele eine eigene Vorstellung von der Welt entsteht, die sie niemals selbst erfahren können. Die Filmindustrie produziert Bilder, die sich tief in unser Gedächtnis einprägen – sei es von historischen Begebenheiten oder von fremden Ländern. Doch hat Hollywood überhaupt den Anspruch authentisch und historisch korrekt zu sein? Was bewegt die die Filmschaffenden in Hollywood? Was treibt Schauspieler und Künstler an? Ruft man sich den Glamour des Filmgeschäfts vor Augen, so erscheint „Hollywood“ eher wie ein Traumland, nicht wie ein Ort von dieser Welt. Aber ist es nicht im Grunde ganz leicht zu bestimmen, wo Hollywood liegt? Ist es nicht ein Stadtteil von Los Angeles? Ja, diesen Vorort gibt zwar durchaus, aber besucht man ihn, wird man ernüchtert feststellen, dass wenig bis nichts vom Ruhm und dem Glamour dort zu finden ist, alles ist eher heruntergekommen und ärmlich. Wenn nicht wo, was ist dann Hollywood: Ein Synonym für eine ganze Industrie? Eine Traumfabrik? Ein Markenzeichen? Oder nur ein Mythos, der nur in unseren Köpfen entsteht?
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EINLEITUNG
Über Jahrzehnte haben uns Filmstars wie Charlie Chaplin, James Stewart, Cary Grant und Marilyn Monroe, später Arnold Schwarzenegger, Denzel Washington, Forest Whitaker und Meryl Streep unterhalten. Sie verkörpern für uns Hollywood, sie sind Hollywood. Wir haben mit ihnen gelacht und geweint, getrauert und triumphiert. Sie und viele andere haben dazu beigetragen, dass „Hollywood“ weltweit bekannt und zum Inbegriff für die amerikanische Unterhaltungsindustrie wurde. Doch wo es viel Licht ist, gibt es bekanntlich viel Schatten. So hat auch die Filmindustrie ein zweites Gesicht. Nirgendwo sind Erfolg und Misserfolg, Ruhm und Bedeutungslosigkeit, Reichtum und Armut, Illusion und Wirklichkeit so dicht beieinander wie in den Bergen oberhalb von Los Angeles. Denn auch diese Bilder sind uns vertraut: schamlos zur Schau gestellter Reichtum, geschmackloser Protz und Maßlosigkeit, Gesichter, die mit Hilfe eines Schönheitschirurgen fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurden, Alkohol- und Drogenexzesse, gebrochene Persönlichkeiten, die ihre Popularität nicht mehr aushalten, und tragische Schicksale, über die wir von der Boulevardpresse ebenso auf dem Laufenden gehalten werden wie über die belanglosen Nichtigkeiten, die von Stars und Paparazzi zu großen Problemen aufgebauscht werden. Dort, wo das ganze Jahr über die Sonne scheint, wo man an der Pazifikküste Kaliforniens entspannen kann, leben die Stars. Wie oft wollte man sein eigenes Leben gegen das seines Lieblingsstars tauschen, das weiß jeder selbst am besten. In den fünfziger Jahren träumten die Menschen davon, so cool wie Humphrey Bogart oder so schön wie Grace Kelly zu sein. Dann wurde James Dean zum Idol der Jugend, gefolgt John Wayne, Marylin Monroe, Steve McQueen, Audrey Hepburn, Clint Eastwood. Jede Generation hat ihre Stars; so identifizieren sich heute die Zuschauer mit Harrison Ford, Brad Pitt, Johnny Depp, Nicole Kidman, Halle Berry und vielen anderen. Die Rollen werden Wirklichkeit, Fiktion vermischt sich mit Realität, bis wir glauben, dass die dargestellten Charaktere mit ihren Werten, ihren Haltungen und ihren Problemen dem Leben unserer Lieblingsschauspieler entstammen.
EINLEITUNG
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Im Grunde genommen ist der Begriff „Hollywood“ selbst ein Mythos. Deshalb muss man damit rechnen, dass alles was mit der Filmstadt verbunden ist, unter dem Schein der Verklärung zu sehen ist. Und in der Tat liegt es in der Natur einer Filmstadt, dass sie ein Produkt erzeugt, das eine Welt vorgaukelt, die es so nicht gibt. Hollywood tut das in großem Maße – vor und hinter den Kulissen. Doch bleiben wir bei der Frage: Was und wo ist Hollywood? Lässt sich das Phänomen Hollywood lokalisieren und erklären? Warum verbinden wir nicht Los Angeles mit dem Filmgeschäft? Was für Schicksale stecken hinter den kometenhaften Karrieren der Filmschaffenden? Was verbirgt sich hinter den Geschichten, die von Filmfreunden seit Jahrzehnten immer und immer wieder erzählt und weitergetragen werden? Auf diese grundsätzlichen und andere konkrete Fragen will dieses Buch Antworten geben. Machen Sie sich bereit für eine Reise durch die amerikanische Filmgeschichte bis hin zu den Anfängen, als für die wenigen Einwohner der neuspanischen Missionssiedlung „La Ciudad de Los Angeles“ das Wort „Hollywood“ staubige Hügel in einem abgelegenen Tal bedeutete. Niemand hätte sich damals vorstellen können, was auf und um diese Hügel herum einmal entstehen würde.
I R RTU M 1:
Hollywood wurde von einem Amerikaner gegründet „Nichts ist amerikanischer als die Traumfabrik Hollywood selbst.“ Darüber ist man im Grunde genommen weltweit einer Meinung. Denn die dort produzierten Filme transportieren amerikanische Werte, amerikanische Mythen und amerikanische Produkte und exportieren sie in die ganze Welt. Europäische Kinogänger schütteln nicht selten den Kopf über allzu bombastische und furiose Finale: „typisch amerikanisch“ eben. Andere wiederum scheinen eine große Abneigung gegen das amerikanische Kino zu hegen und lehnen die US-Filme made in Hollywood grundweg ab. Sie sind ihnen zu patriotisch, zu heldenhaft und zu actiongeladen. Zudem scheinen Thematik und die Anliegen der Charaktere Europäern häufig fremd. Doch trotz dieser kritischen Töne von eher intellektuellen Cineasten sind die Faszination und die Begeisterung für amerikanische Filme ungebrochen – das beweist der Erfolg an den Kinokassen. Hollywoods Produktionen sind in fast jeder Hinsicht größer, bombastischer – und begeisternder. Hollywood scheint ein Konzept gefunden zu haben, mit dem seine Macher ihr Publikum weltweit erreichen. Ist dieses Konzept denn wirklich „typisch amerikanisch“ oder ist Hollywood doch eher universell? Und wie amerikanisch ist die Traumfabrik eigentlich selbst, die Ursprünge der Filmstadt? Wer hat Hollywood eigentlich gegründet? Wenn die Vereinigten Staaten eine Nation sind, in der vor allem die
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Nachfahren der europäischen Einwanderer – hauptsächlich aus England, Irland und Deutschland – leben, ist Hollywood dann vielleicht mehr europäisch? Oder flossen auch in Hollywood die Einflüsse zahlreicher Nationen zusammen?
Die Ursprünge des Namens „Hollywood“ Übersetzt man Hollywood wörtlich ins Deutsche klingt das Ergebnis zunächst wenig einladend. holly bedeutet Stechpalme und wood Holz, Gehölz oder auch Wald. Der Name der Traumfabrik mag heute viele schöne Assoziationen in sich bergen, doch ursprünglich war Hollywood ein Ort, an dem Stechpalmen wuchsen, trocken, karg und abweisend. Der Name entsprach wohl der Beschaffenheit der Gegend, sonst hätten die ersten englischsprachigen Siedler sicher einen anderen Namen gewählt. Weltweit existieren über 200 Arten dieser Gewächse, die in allen Klimazonen gedeihen. Hierzulande heißen die Stechpalmen auch Christdorn oder Hülsdorn. Obwohl sie unter Schutz stehen, verwendet man die immergrünen Blätter und die roten Beeren zur Weihnachtszeit um Türen und Eingänge zu dekorieren. Darüber, wie die Region oberhalb von Los Angeles zu ihrem Namen „Hollywood“ kam, gibt es mindestens zwei populäre Versionen. Beide Geschichten gehen auf das 19. Jahrhundert zurück, als Siedler in diese Gegend kamen, in der noch kaum jemand lebte und die aus nichts außer ein paar staubigen Hügeln bestand. Jeder hätte den Kopf geschüttelt, wenn man behauptet hätte, dass es einmal eine Zeit geben würde, in der dieses Land Millionen wert und weltweit bekannt sein würde. Der einen Version zufolge geht der Name auf die Familie Whitley zurück, die aus dem Osten an die Pazifikküste kam und sich in Cahuenga, einem Hügel samt Passstraße, an die heute noch der Cahuenga Boulevard erinnert, niederließ. Warum die Familie sich für den Namen Hollywood entschied, ruht jedoch im Dunkeln der Geschichte.
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Die andere Version stellt Mrs. Horace Henderson Wilcox als Namensgeberin dar, die gemeinsam mit ihrem Mann in den Hügeln eine Ranch betrieb. Von ihr soll der Name stammen, auf den sie ihre neue Umgebung taufte. Dass damit einmal mal nicht nur die karge Hügellandschaft um sie herum gemeint sein würde, konnte Mrs. Wilcox nicht erahnen.
Urbane Anfänge von Hollywood Um 1900 existierte in der Hügellandschaft schon eine kleine Gemeinde, die sich Hollywood nannte. Sie bestand aus einem Postamt, einer Zeitungsredaktion, einem Hotel, zwei Märkten sowie insgesamt 500 Einwohnern. Das Leben in Hollywood war beschaulich und ruhig. Aber es war die Ruhe vor dem Sturm. Kein Einwohner der Gemeinde ahnte allerdings, dass die nächsten beiden Jahrzehnte die Gegend grundlegend verändern würden, dass die wüstenartige Hügellandschaft bald die Unterhaltungsmetropole schlechthin sein würde. Deshalb votierten die Bewohner der Gemeinde im Jahr 1910 in einer Volksabstimmung dafür, sich unter die Verwaltung der benachbarten Stadt Los Angeles zu begeben. Die war zwar selbst nicht sonderlich groß, aber unter deren Dach, so hofften sie, könnten die dringendsten Probleme gelöst werden. Hollywoods Einwohner erreichten damit vor allem den Zugang zur Wasserversorgung von Los Angeles. Denn im trockenen und heißen Klima Südkaliforniens war Trinkwasser ein kostbares und kostspieliges Gut. Seit 1908 war nämlich an einem Aquädukt gebaut worden, so dass 1910 endlich Trinkwasser relativ preiswert aus dem Owens Valley nach Los Angeles fließen konnte. Mit Hilfe dieses Wassers war das Städtchen Los Angeles in der Lage, eine Vielzahl von Nachbargemeinden aufzunehmen. Dies war gewissermaßen die Grundlage für den weiteren Aufstieg der Stadt sowie für die Erschließung des ganzen Gebietes, das sich heute „Großraum Los Angeles“ nennt und vollständig besiedelt ist. Die Verkehrswege von Los Angeles nach Hollywood blieben jedoch noch für viele Jahre schlecht. Lediglich eine Piste führte die acht Meilen hinauf in die Berge. Öffent-
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liche Verkehrsverbindungen oder gar eine Zuglinie gab es nicht. Hollywood war ein verschlafenes Nest, und noch schien es das zu bleiben.
Monopolisierung der Filmindustrie: Thomas Alva Edison Die Geschehnisse, die sich weit entfernt an der Ostküste in New York abspielten, waren für die Entwicklung Hollywoods zur Filmstadt und den Aufstieg von Los Angeles zu einer Weltmetropole verantwortlich. Dass die amerikanische Filmindustrie sich aus New York zurückzog und an der Westküste ansiedelte, hat viel mit dem gefeierten amerikanischen Erfinder Thomas Alva Edison zu tun. Nicht dass er das Startsignal für die Umsiedlung an die Westküste gab, sein für viele Filmschaffende unerträgliches Gebaren war vielmehr der Grund, der die unabhängigen Filmemacher geradezu vor ihm flüchten ließ. Edison gelang es zeitlebens die Öffentlichkeit über seine Absichten zu täuschen und seine betrügerischen Machenschaften zu verbergen. So verhielt es sich auch mit seinen Erfindungen zur Entwicklung der Filmtechnik. Edison ernannte sich selbst zum Erfinder dieser neuen Technologie. Sieht man aber genauer auf die Entwicklung und die Patente dieser Zeit, so wird man feststellen, dass er eigentlich erstaunlich wenig dazu beigetragen hat, was in dieser neuen Technik zum Einsatz kam. Doch dies hinderte ihn nicht daran, das Urheberrecht auf die gesamte Technologie zu beanspruchen und allem sein Copyright aufzudrücken. „Jeder in der Industrie und im Handel stiehlt“, ist einer seiner berühmtesten Sprüche. „Ich selbst habe viel gestohlen. Es kommt darauf an, zu wissen, wie man stiehlt.“ Edison wusste das besser als jeder andere. Er schaltete seine Konkurrenz durch gnadenlose Patentkriege aus. Viele wurden dadurch aus dem Markt gedrängt oder mussten Lizenznehmer Edisons werden. Er vertrieb dann ihre Filme, und sie mussten hohe Tantiemen für die Rechte bezahlen. Wer aufbegehrte, verlor die Lizenz. 1908 entstand unter Edisons Führung die Motion Picture Patents Company (MPPC), ein Zusammenschluss der wichtigsten Produkti-
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onsfirmen und Patenthalter des jungen Filmgeschäfts. Wer unabhängig bleiben wollte und weder die Knebelverträge unterschreiben noch überzogene Lizenzgebühren bezahlen wollte, musste damit rechnen, bei Überfällen von Gangsterbanden krankenhausreif geschlagen zu werden. Ihre Ausrüstung und Kinos wurden nicht nur einmal zerstört. Edison und seine Handlanger wollten mit aller Gewalt die Filmschaffenden in ihre Riege zwingen und die gesamte Produktion kontrollieren. Doch solch rücksichtslose Drohgebärden riefen schon immer Widerstand auf den Plan. Viele der noch unabhängigen Filmschaffenden, Kinobesitzer, Produzenten und Verleiher waren entsetzt. Sie weigerten sich Edison zu folgen und sahen sich nun durch seine Gangstermethoden verfolgt und durch seine Klagen vor den Gerichten in ihrer Existenz bedroht. Einige wichen dem Problem aus, indem sie Kameras und Vorführgeräte lizenzfrei aus Europa importierten. Andere versteckten nach dem Dreh die Kameras in Kühlboxen, Schachteln und Automobilen. Edison ließ nicht locker, er ließ die „Aufmüpfigen“ von seinen Leuten aufspüren und brachte sie unbarmherzig vor den Richter.
Filmindustrie als Unterhaltungsbranche – Carl Laemmle Die Unabhängigen, die Independents, fanden schließlich Unterstützung in dem Filmtheaterbesitzer Carl Laemmle, einem deutschen Einwanderer, der aus Laupheim bei Ulm im heutigen Baden-Württemberg stammte. Er hatte über einige Umwege seine Leidenschaft für den Film entdeckt. Laemmle arbeitete für ein jüdisches Bekleidungsgeschäft in Oshkosh, Wisconsin – er war für die Werbung zuständig und fiel durch außergewöhnliche Aktionen auf –, als er 1906 in Chicago per Zufall auf ein Nickelodeon stieß. Dieses Nickelodeon, in das man für einen nickel, also für 5 Cent, eintreten durfte und in dem Kurzfilme und kleine Bühnenaufführungen gezeigt wurden, faszinierte Laemmle. Noch begeisterter war er von den Menschen, die vor
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jenem Nickelodeon anstanden. Sie amüsierten sich köstlich, johlten und krakeelten. Laemmle witterte ein gutes Geschäft. Er kaufte einen alten Laden und baute ihn zum White Front Theatre um. Laemmle setzte nun alle Werbetricks ein, die er aus seiner Zeit in Oshkosh kannte. Schon bald konnte er ein zweites Nickelodeon eröffnen, bald ein drittes und bald waren es rund 200. Zugleich expandierte er in eine andere Richtung: Er stieg in den Verleih von Filmen ein. Als Filmvorführer und Besitzer von Nickelodeons war auf den steten Nachschub an Filmen angewiesen. Die Versorgung mit neuen Filmen brach jedoch zeitweise regelrecht zusammen. Nach dem Motto „nichts ist älter als die Filme von gestern“ begehrte das Publikum immer neue Streifen. Der Filmverleih in dieser Zeit konnte den Bedarf nicht annähernd decken – und Laemmle stand bisweilen ohne neue Filme da. Der clevere Schwabe war jedoch ein Mann der Tat: Kurzerhand gründete er den Laemmle Film Service und stieg damit innerhalb weniger Wochen zu einem der bedeutendsten Filmverleiher in Nordamerika auf. Genau zu diesem Zeitpunkt trafen die Kontrahenten aufeinander: der gefeierte amerikanische Erfinder Edison, der eigentlich ein korrupter Monopolist war, und der schwäbische selfmade man Carl Laemmle, der für einen freien Markt im Filmgeschäft eintrat.
Der Kampf gegen den Trust Gewitzt, charmant, clever und charismatisch verstand es Laemmle, all diejenigen, die sich Edisons Druck widersetzten und ihm die Tributzahlungen verweigerten, hinter sich zu sammeln. In Karikaturen und Leitartikeln wies er immer wieder auf die Missstände und dunklen Machenschaften von Edisons MPPC hin und forderte, dass Verleiher, Vorführer und Produzenten frei ihrer Arbeit nachgehen durften. Doch Edison ließ nicht locker. Er drohte Laemmle und hetzte ihm seine Gangster auf den Hals, so dass Laemmle zunächst nach Florida und Kuba flüchten musste – und er zerrte Laemmle vor Gericht. In mehr als 3000 einzelnen Verfahren stritten die beiden Kontrahenten vor Gericht gegeneinander.
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In der Zwischenzeit fand Laemmles Aufrichtigkeit bei vielen Filmemachern gefallen. Immer mehr schlossen sich Laemmles unabhängigen Filmemachern an. Doch der Kampf gegen den Trust kostete den Schwaben viel Kraft. Unter dem Druck seiner Gegner wurde es immer mühsamer und gefährlicher, unabhängige Filme für den Laemmle Film Service zu erhalten. Daher entschloss sich Laemmle abermals zu handeln. Er gründete seine eigene Produktionsfirma: Die Independent Motion Pictures, kurz IMP. Mit ihr produzierte Laemmle nun selbst Filme, ganz gleich, ob Edison das erlaubte oder nicht. Schließlich kam 1913 mit Woodrow Wilson ein neuer Präsident und damit seit langer Zeit einmal wieder die demokratische Partei an die Macht. Politisch hatte sich Wilson zum Ziel gesetzt, die Monopolbildungen in der amerikanischen Wirtschaft zu beseitigen. Unter seinem Druck brach schließlich auch Edisons Trust zusammen, und Carl Laemmle erhielt vor Gericht nun offiziell das Recht Filme zu produzieren, zu verleihen und vorzuführen. Auch alle anderen Independents profitierten davon. Laemmles Einsatz und seine Hartnäckigkeit hatten in hohem Maße dazu beigetragen, dass das Filmgeschäft nun frei und unabhängig war.
Warum Kalifornien? Bislang war die Ostküste, vor allem New York, das Zentrum der Filmindustrie gewesen. Hier hatte auch Carl Laemmle sein Büro, von hier aus agierten die meisten Unabhängigen, hier zog aber auch Edison seine Fäden. Denn trotz der offiziellen Zerschlagung des Trusts, bestanden die Verbindungen von Edison, Kodak und den anderen Monopolisten weiterhin. Und keiner von ihnen gönnte Laemmle und den Independents den Erfolg. Bereits während der Auseinandersetzung mit dem Trust war Kalifornien in Laemmles Blickfeld geraten. In dieser Zeit war er mehrfach vor den Gangstern des Trusts nach Kuba und Florida ausgewichen, um weit weg von New York und bei besseren Lichtverhältnissen Aufnahmen für seine Filme zu machen. Auch jetzt dachte er daran, seine
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Produktionen künftig an einen sonnigen Ort zu verlegen. Doch Kuba war zu weit weg, und das Klima in Florida zu tropisch. Beide Regionen wurden zudem regelmäßig von Unwettern und tropischen Stürmen heimgesucht. Das wusste Laemmle, denn bereits zuvor waren seine Produktionsteams mehrfach in Unwetter geraten. Daher dachte Laemmle über Kalifornien nach. Der sogenannte „Golden State“ hatte mehrere Vorteile: Er war zum einen weit weg von Edison und seinen Partnern und ein sicherer Platz für unabhängige Filmproduzenten. Verglichen mit New York oder Chicago bot Kalifornien zudem das ganze Jahr über schönstes Wetter für Außendrehs. Man musste die Studios kaum heizen und konnte durch Öffnungen in den Studiodächern das Sonnenlicht für die Innendrehs nutzen, was zusätzlich Kosten sparte. In Kalifornien konnte außerdem das ganze Jahr über gedreht werden, während in den Städten des Ostens im Winter eine witterungsbedingte Pause eingehalten werden musste. Im Gegensatz zu Florida und Kuba war das kalifornische Klima weniger schwül und viel trockener, was das Leben dort viel angenehmer machen würde. Ein weiteres Argument für Kalifornien war die einzigartige Landschaft. Ohne große Mühen konnten die Filmschaffenden die verschiedensten Szenerien in einem relativ kleinen Umkreis finden. In den Bergen und Schluchten konnten Western gedreht werden, in den Wüsten Märchen aus „1001 Nacht“, der Strand bot Raum für Romantik und Piratengeschichten und die ehemaligen, teilweise zerfallenen spanischen Missionsgebäude dienten als Ruinen. Da Kalifornien noch verhältnismäßig dünn besiedelt war, hielten sich auch die Grundstückspreise in Grenzen. Für Filmgesellschaften, die ja einen großen Flächenbedarf hatten, waren diese Preise sehr verlockend. Bevor Laemmle nach Kalifornien zog, gab es dort bereits ein paar kleinere Studios. Das erste war 1906 von dem früheren Zauberer William Selig in der Alessandro Street in Los Angeles gegründet worden. Im Grunde war dieses Studio aber eher ein schäbiges Blockhaus als eine Filmproduktionsstätte. In Hollywood selbst eröffnete ein englisches Brüderpaar, William und David Horsley, im Oktober 1911 sein erstes Atelier. Aber auch dieses verdiente eigentlich nicht die Bezeich-
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nung „Studio“. Noch im Jahr 1910 kam der Filmregisseur D. W. Griffith aus New York mit seiner Schauspielertruppe nach Hollywood, um Filmaufnahmen zu machen. Es entstand der erste dort gedrehte Film „In Old California“. Er wurde am 10. März 1910 uraufgeführt. Griffith und seine Mitarbeiter blieben mehrere Monate und stellten eine Reihe von Filmen fertig, bevor sie nach New York zurückkehrten. Sie hatten zehn Studiogebäude errichtet, die eher Hütten aus dem Wilden Westen glichen, sieben davon waren nur vorübergehend eingerichtet. Mit den drei anderen planten sie, irgendwann einmal ein großes Studio zu eröffnen. Als nun Carl Laemmle nach Kalifornien kam, sah er sich nach einem geeigneten Ort um. Auf dem Gebiet der kleinen Gemeinde Hollywood wurde er fündig. In dieser abgeschiedenen Gegend, wo es weder Geschäfte noch Restaurants gab, wollte Laemmle eine ganze Filmstadt aus dem Boden stampfen. 1912 eröffnete er als erster Filmproduzent in Hollywood ein großes, dauerhaft eingerichtetes Studio und verlegte alle Produktionseinheiten von New York und Chicago an die Westküste. Damit gab er den Startschuss, der den abgelegenen Vorort von Los Angeles in den Santa Monica Mountains innerhalb von fünf Jahren in eine Filmwelt verwanden sollte.
Die Gründung von Universal Pictures Noch während der Auseinandersetzung mit dem Trust beschlossen die Independents, sich zu organisieren. Im Juni 1912 verkündete Carl Laemmle die Gründung eines neuen Unternehmens: Die Universal Film Manufacturing Company. Sie bildete das Dach für die bisherigen Produktionsfirmen IMP, Crystal, Frontier, Mecca, Victor, Yankee, Champion, Nestor, Éclair, Powers, Rex, Ambrosio, Itala sowie die New York Motion Picture Company. Genau wie zuvor bei IMP wollte Laemmle mit der Namensgebung der neuen Firma einen Gründungsmythos verleihen. Außerdem sollte der neue Name nicht von einem der bisherigen Unternehmen abgeleitet werden, um Verwechslungen zu vermeiden und bei ihren Werbe-
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kampagnen keine Schwierigkeiten zu bekommen. Der Name sollte alles umspannen und einfach zu merken sein. Laemmle beschrieb später mehrfach in Interviews und Artikeln den Moment, in dem der die Idee dazu hatte. Die Mitglieder der neuen Firma saßen zusammen, diskutierten und suchten händeringend nach einer intelligenten Idee. Unzählige Namen wurden diskutiert. Plötzlich drehte sich Laemmle vom Fenster weg, durch das er hinausgeschaut hatte, und jubelte: „Jungs, ich hab’s: Universal! Was könnte universeller sein als die Unterhaltung der Massen?“ Die Anwesenden stimmten begeistert zu und applaudierten. Sie waren sofort einverstanden. Auf die Nachfrage, wie er denn auf den Namen gekommen sei, antwortete Laemmle: „Pst! Ich bin nicht darauf gekommen! Ein Lastwagen fuhr gerade vorbei, auf ihm stand – Universal Pipe Fittings oder etwas Ähnliches – aber irgendwie musste ich die Jungs ja beruhigen!“ Laemmle hatte mit diesem Namen auch sofort ein Motto für die Vermarktung des neuen Unternehmens: „Universal Entertainment for the Universe!“ Laemmle übernahm den Posten des Präsidenten von Universal. Unter den verbliebenen Unabhängigen hielt man ihn für den richtigen Mann für diesen Job, weil jeder seine Führungsqualitäten anerkannte. Außerdem besaß er die notwendige Erfahrung und auch die Leidenschaft für das Filmbusiness. Diesen Punkten stimmten auch seine Konkurrenten zu: „Ausgestattet mit einer erstaunlichen Leistungsfähigkeit bei harter Arbeit, war er hier, dort und überall, und brachte seine Persönlichkeit in jede Phase und jeden Aspekt seines schnell expandierenden Geschäfts ein. Es gab kein Detail, mit dem er nicht vertraut war, egal ob es mit dem Produktionsablauf oder dem Vertrieb zu tun hatte. Seine Kräfte waren eine nie endende Quelle an Wundern für seine Angestellten. Es schien so, als hätte er buchstäblich alles in seiner Hand.“
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Das erste große Filmstudio Bei der Verlegung der Filmproduktion an die Westküste griff Laemmle auf die Erfahrung von David Horsleys Nestor Company aus dem Lager der Independents zurück, die jetzt zu Universal gehörte. Seit 1911 hatte Nestor gelegentlich in Kalifornien produziert. Horsley hatte hierzu die Blondeau Tavern in Hollywood gemietet und sie als Produktionsbüro eingerichtet. Man darf sich darunter allerdings weder ein modernes Studio noch zeitgemäße Geschäftsräume vorstellen. Im Grunde handelte es sich dabei um eine klapprige Blockhütte. Dieses „Produktionsbüro“ übernahm Laemmle nun, und es diente ihm als erster Stützpunkt für seinen Umzug an die Westküste. Laemmle hatte Großes vor. Er hatte die Vision eines Ortes, an dem die Filmschaffenden wohnen und zugleich arbeiten konnten – und das alles in Ruhe und in Sicherheit vor Edisons Männern. So kam der Schwabe auf die Idee einer „Filmranch“ mit verschiedenen Kulissen und Studiobühnen. Im Dezember 1912 eröffnete er das Oak Crest Ranch Studio als erstes Studio von Universal Pictures in Hollywood. Doch schon bald merkte er, dass dies nicht ausreichte und er größer planen musste. 1913 ließ er die Ranch in eine Filmstadt umbauen und nannte sie Universal City. Das neue Studio war nun das größte und modernste Studio der Vereinigten Staaten und produzierte 25 000 Fuß (ca. 7 600 Meter) fertigen Films jeden Tag. Aber das war erst der Anfang. Auch dieses Studio genügte seinen Ansprüchen und Plänen bald nicht mehr. Laemmle dachte in größeren Kategorien. Im Februar 1914 sah er sich nach einem neuen Standort für seine Studiostadt um. Die Oak Crest Ranch konnte den Bedarf an Flächen nicht decken. Er fand nun die Taylor Ranch, eine Hühnerfarm von 230 Acres im San Fernando Valley am Cahuenga Pass. Viele Zeitgenossen schüttelten den Kopf, was Laemmle in diesem abgelegenen Gebiet wollte. Damals verstand niemand Laemmles Plan, im Nachhinein erwies er sich natürlich als richtig. Seine Vorstellung von einem modernen Studio war so visionär, dass beinahe jedes größere Studio bis heute seinem Vorbild gefolgt ist. Das Universal Studio wurde zum Prototyp der großen Filmstudios.
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Mit Werbeanzeigen in den Zeitungen und Werbeaktionen vor Ort lockte Laemmle das Filmpublikum zur Eröffnung von Universal City aus der Stadt in die Berge Hollywoods: „Kommen Sie am 15. März nach Universal City! Bieten Sie Ihren Kindern und Ihrer Frau etwas Außergewöhnliches, indem Sie sie in die Stadt der Wunder bringen! Denken Sie daran, was es Ihrer Familie und Ihnen selbst bedeuten wird, wenn Sie hinter die Kulissen des größten Filmunternehmens der Welt blicken können. Eine ganze Stadt, in der sich alles um das Filmemachen dreht, ein Märchenland, wo die verrücktesten Dinge passieren – ein Ort, über den Sie den Rest Ihres Lebens reden werden!“
Die Eröffnung von Universal City Am 15. März 1915 wurde Laemmles Filmstadt feierlich eröffnet. 20 000 Schaulustige waren seinem Aufruf gefolgt, hatten sich in Autos oder zu Pferd auf den staubigen Weg von Los Angeles über den Cahuenga Pass zum Tor von Universal City gemacht. Alle waren begierig darauf, einen ersten Blick hinter die Kulissen des Filmgeschäfts zu werfen. Innerhalb von Universal City bot sich den Zuschauern und Ehrengästen ein beeindruckendes Spektakel, das man heute wohl wiederum als „typisch amerikanisch“ bezeichnen würde. Die Massen drängten sich entlang des eine Meile langen Laemmle Boulevards, der die Hauptstraße der Studioanlagen bildete, und der vom Eingangstor bis zur Back Ranch, dem hintersten Drehort von Universal City, führte. Gleich zu Beginn konnten die Zuschauer eine riesige Studiobühne bestaunen, an der mehrere Produktionsteams an ihren Sets standen und darauf warteten, dem Publikum zu zeigen, „wie Filme gemacht werden“. Daneben waren überall Schauspieler von Universal in ihren Kostümen als Cowboys, Indianer und Kavallerie-Offiziere zu sehen und boten eine bunte Mischung aus Stunts, Explosionen und vielen Überraschungen dar. Wie in seinen Werbeanzeigen angekündigt wartete auf das Publikum ein absoluter Höhepunkt: Eine gewaltige Flut aus Millionen Li-
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tern Wasser sollte eine Naturkatastrophe darstellen, wie sie laut Laemmle in einem der nächsten Universal-Filme vorkommen sollte. Im trockenen und wasserarmen Kalifornien wäre niemand auf die Idee gekommen, so viel Wasser für einen Showeffekt zu verwenden. Auch konnte sich niemand vorstellen, ein ganzes Dorf nur für den Zweck errichten zu lassen, damit es durch Wassermassen zerstört würde. Genau das war es aber, was Laemmle zeigen wollte. Die Zuschauer sollten über die „Wunder, die es bei Universal zu sehen gab“ staunen. Nachdem das Publikum Zeuge der Flut geworden war, konnte es zur nächsten Attraktion weiterziehen, wo ihnen Stunts und Schießereien aus Western geboten wurden. Neben verschiedenen Filmszenen hatte Universal aber noch Weiteres zu bieten: beispielsweise einen eigenen Zoo. Hier arbeiteten Tierpfleger und Dompteure mit Tieren, die in künftigen Filmproduktionen eine Rolle spielen sollten. Die Zuschauer bewunderten Elefanten, Kamele, Löwen, Tiger, Affen, Schlangen und viele andere mehr. Carl Laemmle selbst lag aber ein anderer Ort der weitläufigen Anlage am meisten am Herzen: die sogenannten „Straßen der Welt“, die sich weit hinten bei der Back Ranch am Laemmle Boulevard befanden. Dahinter ersteckte sich ein ausgedehntes Areal mit mehreren Straßen. Jede der Straßen war unterschiedlich gestaltet und hatte jeweils landestypische Gebäude. Eine Straße stellte Paris dar, eine andere New York, wiederum eine andere London, so dass Laemmles Filme künftig in allen möglichen Metropolen der Welt spielen konnten, aber quasi vor der Haustüre gedreht wurden. Nach den großen Feierlichkeiten kehrten die Angestellten von Universal City wieder in ihren Alltag zurück. Dabei zeigte sich, dass Laemmles Idee, das Studio wie eine Stadt zu planen und zu bauen, für die Produktion brillant war. Neben den neunzig Sets, den Straßen der Welt, der Ranch und dem Zoo hatte Laemmle ein Postamt – hauptsächlich für Fanpost – bauen, eine Feuerwache und ein kleines Krankenhaus einrichten lassen und ein Bus-System etabliert, mit dem die Angestellten fahren und auch Filmutensilien vom einen Set zum anderen transportiert werden konnten. Daneben gab es verschiedene
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Cafés und Restaurants, Geschäfte und Dienstleistungen, wie sie in jeder Stadt üblich sind. In den nachfolgenden Jahren fügte Laemmle seiner Stadt noch weitere Einrichtungen hinzu, die in der Stummfilmzeit noch nicht selbstverständlich für das Filmgeschäft waren: eine Mühle, ein Versorgungsgebäude, eine Energiegewinnungsanlage, Bürogebäude für die Verwaltung, das Setdesign, die Technik und eine Abteilung, die sich nur damit beschäftigte, Räume in historischen Filmen originalgetreu auszustatten. Da auch immer mehr Regisseure und Schauspieler für Universal arbeiteten, ließ Laemmle eine ganze Kolonie Privathäuser erbauen und nannte sie „The Bungalow Row“. Hinzu kam eine eigene Polizeiwache, die mit zehn Beamten besetzt war. Letztlich ließ Laemmle eine Bibliothek für den privaten wie dienstlichen Gebrauch der Bewohner von Universal City errichten sowie mehrere Kinos, die zu Testvorführungen der Universal-Filme genutzt wurden. Die Hühnerfarm, die sich schon auf dem Land befand, als Laemmle das Areal kaufte, beließ er auch weiterhin dort – an der Seite seiner Studiowelt. Das trug ihm mehrere witzige Bemerkungen ein: Sollte es mit dem Filmgeschäft nicht klappen, wurde gespottet, hätte er ja immer noch die Hühnerfarm als Sicherheit, denn die Zukunft und der Erfolg von Universal war am Tag der Eröffnung noch nicht garantiert.
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Stars und Studios – alle finden sich in Hollywood „Live from Hollywood, California!“, so tönt es in unseren Ohren, wenn wir an die Oscar-Verleihung und andere Großereignisse aus der Filmbranche denken. Jeder Taxifahrer hat ein Drehbuch unter seinem Sitz und ist für den Fall gerüstet, wenn einmal ein berühmter Produzent in seinen Wagen steigt. Man schätzt, dass in Los Angeles über 300 000 Schauspieler und ebenso viele Drehbuchautoren leben, die sich mit Gelegenheitsjobs und anderen Tätigkeiten über Wasser halten, bis sie entdeckt werden und sich ihr großer Traum erfüllt. Als Außenstehender hat man den Eindruck, dass sich in Hollywood alles um das Filmgeschäft dreht – selbst wenn es sich nur um Laienschauspieler in Batman-Kostümen oder in der Aufmachung anderer Filmfiguren handelt, die sich von den Touristen für einen Dollar ablichten lassen. Doch wie sieht Hollywood wirklich aus? Gibt es einen Ort, der unserer Vorstellung von Hollywood gleichkommt? Und sind alle Filmstudios am Hollywood Boulevard? Aus den vielen kleinen Produktionsfirmen der Zeit nach der Jahrhundertwende bildeten sich in wenigen Jahren die „Großen Acht“ heraus, die das Studio-Zeitalter bis weit in die sechziger Jahre hinein bestimmen sollten: Warner Bros., Metro-Goldwyn-Mayer, RKO Pictures, Paramount, 20th Century Fox, Columbia Pictures, Universal Pictures und United Artists. Neben diesen großen Studios entstanden weitere, die mittlerweile Teile der „Großen Acht“ aufgekauft haben oder von
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einem der anderen Studios aufgekauft wurden. Hierzu zählen Sony Pictures, Walt Disney, Lucasfilm, Miramax und New Line Cinema. Sie alle stehen für Hollywood, doch produzieren sie auch in Hollywood? Im Grunde ist die Antwort einfach: Nur wenige Studios befinden sich tatsächlich in Hollywood. Der kleine Ort hätte auch nicht die Kapazität, die gesamte Filmindustrie aufzunehmen. Deshalb gilt: Hollywood in diesem Sinne ist weniger ein realer Ort als eine Vision, eine Projektionsfläche für Millionen. Geografisch richtiger müsste Los Angeles als die Filmstadt bezeichnet werden, weil sie mittlerweile die großen Studios beherbergt. Das liegt an der Entwicklung der Stadt. Lag Hollywood zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch weit außerhalb von Los Angeles, so erstreckt sich die Metropole heute über die ganze Region und hat Hollywood gewissermaßen einkassiert.
L. A. und die Filmstadt Die Anfänge der Filmindustrie im Süden Kaliforniens waren nicht leicht, denn die eher konservativen Bewohner von Los Angeles, mehrheitlich ruhige und religiöse Einwohner, konnten sich nicht so schnell mit den exzentrischen Filmleuten anfreunden, die ab den zwanziger Jahren in Massen an die Pazifikküste strömten. Nicht selten fand man Schilder vor den Häusern mit der Aufschrift wie „No movie people“. Einige Besitzer von Apartmenthäusern weigerten sich gar, an Filmschaffende zu vermieten. Erst mit dem internationalen Aufstieg der amerikanischen Filmindustrie arrangierten sich die Einwohner von Los Angeles mit den Filmschaffenden, die nach Hollywood wollten. Aber Hollywood konnte schon damals nicht alle aufnehmen. Sie wohnten deshalb zum Teil in Los Angeles oder zogen in die besseren Wohngegenden wie Beverly Hills. Ähnlich verhält es sich mit den Studios. Nur wenige, allen voran Universal und Paramount, sind noch in Hollywood. Die anderen sind längst nach Culver City oder Burbank ausgewichen. Dennoch blieb Hollywood der Inbegriff des amerikanischen Filmgeschäfts, der sich
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in späteren Jahrzehnten sogar noch auf die Musikszene und das Fernsehen ausdehnte.
Los Angeles – die Stadt der Engel Los Angeles ist nach New York die zweitgrößte Stadt der Vereinigten Staaten. Vier Millionen Menschen leben innerhalb der Stadtgrenzen. Der urbane Großraum Los Angeles umfasst sogar 13 Millionen. Viele, die die Stadt besucht haben, empfanden diese Größe als bedrückend. Kaum eine Großstadt hat bei Touristen einen so schlechten Ruf. Und dennoch steht die Stadt als Symbol für ewige Jugend, Schönheit, Strände und internationales Flair. Verglichen mit europäischen Metropolen ist Los Angeles eine relativ junge Stadt. Sie wurde zur Zeit der spanischen Kolonialherrschaft über Mittelamerika gegründet. Der erste Europäer, der in die Gegend kam war 1542 der Entdecker Juan Rodrigues Cabrillo. Danach versuchten die Spanier eine Kette von Missionsstationen entlang des Pazifiks zu errichten. Der spanische Gouverneur Felipe de Neve gab 1781 an 44 Siedler und Mönche aus dem Franziskanerorden den Auftrag, eine Missionsstation unter dem Namen „El Pueblo de Nuestra Señora de la Reina de Los Angeles“ (Das Dorf unserer Frau (Maria), der Königin der Engel) zu gründen. Die Spanier mussten für ihr Vorhaben den Stamm der Tongvá verdrängen, der bis zu diesem Zeitpunkt in der Region gelebt hat. Nachdem Mexiko 1821 die Unabhängigkeit von Spanien erlangt hatte, wurde Kalifornien und damit auch Los Angeles für 25 Jahre mexikanisch. Los Angeles erlebte dabei einen kurzen Aufschwung, weil die Stadt zur Provinzhauptstadt von Alta California erhoben wurde. Zwischen 1846 und 1848 tobte der mexikanisch-amerikanische Krieg, in dem Mexiko letztlich den Vereinigten Staaten unterlag und viele seiner nördlichen, von Mexikanern fast unbewohnten Gebiete an die USA abtreten musste. Unter diesen Gebieten war auch Alta California – somit wurde Los Angeles US-amerikanisch.
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Aufstieg zur Metropole Der Goldrausch der Jahre 1848/49 brachte viele Einwanderer und Glücksritter aus dem Osten der USA nach Kalifornien, doch zumeist ließen sie sich im nördlicheren Teil nahe San Francisco nieder. Erst als Los Angeles 1876 an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurde, zogen weitere Menschen in die Stadt. Ein Zuwanderungsboom wurde durch den Ölfund von 1892 ausgelöst, als Öl innerhalb der Stadtgrenzen entdeckt wurde, so dass Ende des 19. Jahrhunderts nahezu 100 000 Menschen in Los Angeles lebten. Hundert Jahre zuvor waren es gerade einmal hundert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sorgte neben Gold und Öl vor allem die Filmindustrie für einen Anstieg der Bevölkerung. Sie hatte sich in dem kleinen und entlegenen Vorort Hollywood niedergelassen und brauchte ab 1910 viele tausend Arbeitskräfte. 1920 zählte die südkalifornische Stadt bereits über eine Million Einwohner. Heute ist Los Angeles ein wahrer Schmelztiegel der Kulturen. Zu den Einwanderungswellen aus Europa kamen Menschen aus Asien, Lateinamerika und Afrika und ließen die Stadt rasant wachsen. In keiner anderen Metropole leben Menschen aus so vielen Nationen zusammen wie in Los Angeles, und kaum eine andere Stadt hat so viele Impulse für das moderne Zeitalter gegeben.
Paramount Das zweitälteste Studio nach Universal, das heute noch existiert, ist Paramount. Es ist einem großen Publikum bekannt und eine weltweit anerkannte Filmmarke. Man erkennt die Filme aus dem Hause Paramount an seinem berühmten Logo, das zu Beginn jedes Films im Vorspann gezeigt wird: ein hoher Berg, der Paramount Mountain, umringt von Wolken. Die erste Variante dieses Logos wurde 1914 von William Wadsworth Hodkinson, einem damaligen Geschäftspartner des Paramount-Gründers Zukor, während eines Telefonats skizziert. Laut Hodkinson soll es sich bei diesem Berg um den Ben
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Lomond Mountain in Utah handeln, den er aus seiner Kindheit kannte. Bis heute sind, je nach Zeitgeist, neun Varianten entworfen worden, die sich nicht nur in der Silhouette des Berges, sondern auch durch die Farbgebung und die Wolkenkonstellation unterscheiden. Paramount drehte auch einen Vorspann mit einem wirklichen Berg und wählte dafür den Artesonraju in Peru und fügte je nach Jubiläum, die Schriftzüge „75 Jahre“, „90 Jahre“ und in der neuesten Version „100 Jahre“ hinzu. Die Geschichte von Paramount reicht zurück bis ins Jahr 1912. Damals gründete der ungarisch-jüdische Einwanderer Adolph Zukor die Filmgesellschaft Famous Players. 1914 übertrug Zukor den Verleih seiner Filme auf die neu gegründete Paramount Pictures Corporation. Zu deren Mitbegründern gehörten Jesse L. Lasky und William Wadsworth Hodkinson, der bereits unter Edisons Trust erste Erfahrungen im Filmgeschäft gesammelt hatte, bald aber von Zukor und Lasky aus dem Unternehmen verdrängt wurde. Zunächst firmierten die beiden unter dem Namen Famous Player-Lasky Corporation mit Zukor als Präsidenten und Lasky als Vizepräsidenten. Doch in den nächsten Jahren kamen weitere, kleinere Filmgesellschaften hinzu und fusionierten mit Famous Players-Lasky, so dass das Unternehmen schnell wuchs. Paramount verfügte über einen exzellenten Vertrieb und besaß eine landesweite Kinokette, deren Kinos die Paramount-Filme zeigten. Mit der Kinokette als Basis und Rückgrat stieg das Unternehmen schnell zu einer der wichtigsten Filmproduktionsstätten in den Vereinigten Staaten auf. Im Jahre 1927 wurde die Gesellschaft in Paramount Famous Lasky Corporation und drei Jahre später in Paramount Publix Corporation umbenannt. Den meisten war sie aber ohnehin nur als Paramount bekannt. Mit dem Aufkommen des Tonfilms war Paramount gezwungen, fast den gesamten Bestand an Stars innerhalb von gut zwei Jahren auszutauschen. Darüber hinaus musste die Kinokette umgerüstet, mit Lautsprechern versehen und so auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden. Trotz dieser großen finanziellen Anstrengungen machte das Unternehmen in der Folge mehrere Millionen Dollar Ge-
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winn. Doch als die Weltwirtschaftskrise einige Jahre nach dem Schwarzen Freitag von 1929 Hollywood erreichte, geriet auch Paramount in ernste Schwierigkeiten. Der finanzielle Niedergang des Studios begann. Die Gewinne aus den Tonfilmen konnten die Bankrotterklärung im Jahr 1933 nicht verhindern. 1935 erfolgte die Reorganisation der Firma unter dem Namen Paramount Pictures, Inc. Bis in die Gegenwart produziert das Studio große Klassiker und behauptet mit Stolz, zu den ersten Produktionsstätten in Hollywood gehört zu haben. Mittlerweile blickt man bei Paramount auf über 100 Jahre Filmgeschäft zurück. Dieser Tradition bewusst liegt das Studio an der 5555 Melrose Avenue mit Blick auf den Hollywoodschriftzug in Hollywood.
Metro-Goldwyn-Meyer Wie viele der heute noch existierenden großen Filmstudios entstand auch Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) aus einem Zusammenschluss. Im Jahr 1924 vereinigten sich die Produktionsgesellschaften Metro Pictures Corporation, Goldwyn Pictures und Louis B. Mayer Pictures zu einem großen Unternehmen. Als offizielles Gründungsdatum gilt heute der 17. Mai 1924. Mit dieser Fusion wollten die drei Produktionsgesellschaften ihre Stärken zusammenlegen. Metro Pictures verfügte über berühmte Schauspieler und Regisseure, Goldwyn brachte die Studios und das noch heute bekannte Löwen-Logo ein. Louis B. Mayer Pictures steuerte Geschäftsleute und Manager bei, zu denen auch der Firmengründer Louis B. Mayer selbst gehörte. Mit dieser Fusion wurde ein mächtiges Unternehmen geschaffen, das schnell dem bisherigen Platzhirsch Paramount den Rang ablief. Zudem definierten spätere Filmhistoriker, dass mit der Gründung von MGM das Zeitalter des klassischen Studiosystems begann. Louis B. Mayer wurde Studiochef der MGM. Ihm gelang es, den 24-jährigen Irving Thalberg von Universal loszueisen und als Produktionschef für MGM zu gewinnen. Thalberg war zwar noch sehr jung, dafür war er unglaublich talentiert. Gemeinsam mit Mayer verstand
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er es, die richtigen Drehbücher, Filmcrews und Schauspieler auszuwählen, so dass MGM bald auf einer Welle des Erfolges schwamm. Auch wenn es später zum Zerwürfnis zwischen Thalberg und Mayer kam, so fuhr das Studio bis in die vierziger Jahre regelmäßig die größten Gewinne aller Studios ein. Louis B. Mayer verfolgte ein ambitioniertes Konzept. Er wollte nicht nur Filme für die ganze Familie machen, er konzipierte das ganze Unternehmen wie eine Familie: MGM sollte nach außen hin wirken wie eine große, glückliche Familie. Er selbst inszenierte sich als Patriarch, und es gelang ihm, Filmschaffende wie Schauspieler eng an MGM zu binden. Zwischen ihnen herrschte eine größere Loyalität, als es sonst in der Branche üblich war. Viele waren über Jahrzehnte exklusiv bei MGM beschäftigt und sorgten so für die Wiedererkennung des Studios auf dem Markt und den damit verbundenen Erfolg. Obwohl MGM in den zwanziger bis vierziger Jahren gewissermaßen als Aushängeschild Hollywoods galt und dessen weltweites Image entschieden mit prägte, lag das Studio nicht in Hollywood. Gleich nach der Gründung des Unternehmens hatte MGM in Culver City, einem anderen Stadtteil von Los Angeles, das ehemalige Studiogelände von Goldwyn Pictures bezogen und das Gelände in den folgenden Jahren zu einem riesigen Studiokomplex ausgeweitet. Verstünde man Hollywood also als einen geografischen Begriff und nicht als Symbol für die amerikanische Filmbranche, dann gehörte MGM nicht zu Hollywood, sondern zu Culver City – und wer kennt das schon?
20th Century Fox Auch die Geburtsstunde der 20th Century Fox markiert ein Zusammenschluss, wie der Name unschwer zu erkennen gibt. Das Studio entstand demnach aus der Fusion der Fox Film Corporation und der Twentieth Century Pictures am 31. Mai 1935. Vor allem der von William Fox geführte Teil ging auf eine schon über 20-jährige Tradition zurück. Er hatte 1913 die Produktionsfirma Fox Office Attractions Company gegründet, die 1915 zur Fox Film Company wurde. Vier Jahre später sie-
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delte er sich in Kalifornien an und tat es damit den anderen großen Filmunternehmen seiner Zeit gleich. Allerdings verlor Fox seine Firma im Strudel der Weltwirtschaftskrise. 20th Century Pictures wurde 1930 von dem Produzenten Joseph Schenck und dem Regisseur Darryl F. Zanuck gegründet. Bereits vier Jahre später stand die Firma vor dem Bankrott. Erst die Fusion mit Fox rettete beide Unternehmen und ebnete den Weg in eine erfolgreiche Zukunft. Von diesem Zeitpunkt an arbeitete sich 20th Century Fox stetig weiter nach oben. Neben vielen anderen Welterfolgen produzierte das Studio auch eine ganze Reihe bekannter Science-Fiction-Filme wie „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ aus dem Jahre 1951, „Planet der Affen“ (1968), „Krieg der Sterne“ (1977) und „Alien“ (1979). Mit dem Film „Titanic“ aus dem Jahre 1997 schickte es einen der wirtschaftlich erfolgreichsten Filme ins Rennen um die Zuschauergunst. Und mit „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ brach das Studio 2009 abermals sämtliche Besucherrekorde. Das unverwechselbare Erkennungszeichen von 20th Century Fox ist das Firmenlogo, das aus einem Art-Déco-Gebäude in Form des Firmennamens besteht und von beweglichen Scheinwerfern angeleuchtet wird. Dazu ertönt die von Alfred Newmann komponierte Fox-Fanfare, die ebenfalls zu einem Markenzeichen geworden ist. 20th Century Fox gilt heute als eines der größten und bekanntesten Hollywoodstudios. Dennoch hat auch dieses Unternehmen seinen Firmensitz einige Meilen weiter westlich in der Century City, einem großen Geschäfts- und Wohnbezirk im Westen von Los Angeles. Dieser Bezirk wurde ab den sechziger Jahren nach und nach auf Teilen des Studiogeländes von 20th Century Fox errichtet. Heute ist er ein bedeutendes Geschäftszentrum, in dem sich viele Unternehmen niedergelassen haben. Neben Downtown L. A. stehen vor allem hier die meisten Hochhäuser der Stadt.
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United Artists Eine ganz andere Unternehmensgeschichte haben die United Artists, die heute zu MGM und damit zu Sony gehören. Es war die Reaktion einiger Schauspieler auf die Kartellbildung von mehreren Produzenten. Diese Schauspieler waren Charles Chaplin, Douglas Fairbanks sen., Mary Pickford und David Griffith. Sie schlossen sich zusammen, um mit ihrer Firma den Filmkünstlern die Kontrolle über ihre eigenen Filme zu ermöglichen und unabhängige Produktionen zu vertreiben. Die offizielle Gründung von United Artists fand schließlich am 17. April 1919 statt. Die vier Gründer vereinbarten, dass United Artists künftig alle ihre Filme in den Verleih bringen sollte. Zuvor mussten sie jedoch ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren bisherigen Studios erfüllen. Zunächst planten die vier, dass jeder Teilhaber des Unternehmens fünf neue Kinofilme pro Jahr produzieren sollte. Doch der wachsende Aufwand und die damit verbundenen Kosten machten dies unmöglich. David Griffith stieg deshalb schon 1924 wieder aus und verkaufte seinen Anteil an United Artists den drei übrigen Teilhabern. Doch unter den verbliebenen Inhabern entstanden Meinungsverschiedenheiten über die Ausrichtung der Firma. Fairbanks und Pickford schafften den Sprung in die Tonfilmzeit nicht, und ihre Karrieren endeten mit dessen Einführung. Auch Chaplins Karriere verlief nicht reibungslos. Er nahm sich viele Jahre Zeit für sein Tonfilmdebüt, das er erst 1940 mit „Der große Diktator“ gab. Fairbanks verließ das Studio, so dass nur noch Chaplin und Pickford übrig waren. In den fünfziger Jahren sahen sie sich mit der Herausforderung, die durch das Fernsehen entstanden war, konfrontiert. Viele unabhängige Produzenten verließen United Artists, und die Einnahmen sanken. Daher wurden im Februar 1951 zwei neue Manager eingestellt, die die Firma zu neuem Glanz führen sollten: Arthur Krim und Robert Benjamin. Mit der Neuausrichtung der Firma stieg auch die Zahl der jährlichen Neuproduktionen. 1957 beschloss man zudem, an die Börse zu gehen. Die dabei gewonnenen Gelder wurden eingesetzt, um zwei Ableger zu gründen: United Artists Records und United Artists Television.
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Ab 1973 interessierte sich MGM für United Artists. Bereits zuvor war jedoch die Versicherungsgesellschaft Transamerica Corporation bei United Artists eingestiegen, zog sich aber nun zurück. Das kam MGM gelegen. 1980 kaufte Metro-Goldwyn-Mayer schließlich United Artists. Das Unternehmen musste in der Folge sein internationales Vertriebsnetz aufgeben, da Metro-Goldwyn-Mayer schon einen Vertriebsvertrag für das nichtamerikanische Ausland abgeschlossen hatte.
Columbia Das heute unter dem Namen Columbia-Tristar bekannte Studio war 1919 unter dem Namen Cohn-Brandt-Cohn Film von den Brüdern Jack und Harry Cohn sowie dem Anwalt Joe Brandt in New York gegründet worden. Brandt und Jack Cohn blieben in New York, um sich um den Vertrieb, die Werbung und die Geschäftseinnahmen zu kümmern, während Harry Cohn in Hollywood ein Studio anmietete, um die Filme zu drehen. Zunächst produzierten sie ausschließlich Low-BudgetFilme, als man aber das Ansehen des Studios verbessern wollte, entwickelte Cohn-Brandt-Cohn ab 1924 eine neue Strategie. Im Zuge der Umsetzung dieser Strategie wurde das Studio in Columbia Pictures Corporation umbenannt. Columbia ließ sich am Sunset Boulevard nieder, produzierte jedoch weiter B-Movies, so dass sich das Image des Studios nicht besserte. Von Anfang an stand Brandt als Präsident zwischen den beiden polarisierenden Brüdern. In den ersten Jahren konnte er noch zwischen den beiden vermitteln, ließ sich aber 1932 von Harry Cohn auskaufen, der in der Folge das Unternehmen führte. Columbias Aufstieg begann schließlich, als man den ehrgeizigen Regisseur Frank Capra für sich gewinnen konnte. Capra brachte das Studio auf Vordermann, und es gelang ihm, die Cohns dazu zu bewegen, mehr Geld in ihre Filme zu investieren. Besonders in den Jahren des Zweiten Weltkriegs florierte das Studio – wie die meisten Hollywoodstudios. Das Bedürfnis nach Ablenkung und die Propagandamaschinerie der Regierung sorgten für zahlreiche Aufträge.
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Da Columbia über keine eigene Kinokette verfügte, hielten sich die Verluste in der Krisenzeit der fünfziger Jahre in Grenzen. Erst nach dem Tod der beiden Brüder 1956 und 1958 geriet das Unternehmen für einige Zeit ins Schlingern. Bergauf ging es erst wieder in den achtziger Jahren, als Columbia von der Coca-Cola-Company aufgekauft wurde. Die erfolgreichsten Filme aus dieser Zeit waren „Ghostbusters“ (1984) und „Der letzte Kaiser“ (1987). Als sich Coca-Cola 1989 aus dem Filmgeschäft zurückzog, fusionierte Columbia schließlich mit Tri-Star Pictures zur Columbia TriStar Motion Picture Group, aber zugleich wurde das Studio von der Sony Corporation of America aufgekauft.
Warner Brothers Die Geschichte von Warner reicht weit zurück in die Anfangszeit des amerikanischen Filmgeschäfts. Der Gründungslegende zufolge sollen die vier Brüder Jack, Samuel, Harry und Albert Warner gemeinsam ihren Vater überzeugt haben, sein Pferd sowie eine goldene Uhr zu versetzen. Den Erlös investierten die vier Brüder in einen Filmprojektor von Edisons Trust. Mit dem Projektor gingen sie auf Reisen und führten überall im Land kleinere Filmchen vor, da es erst in wenigen Städten Nickelodeons gab. Mit diesem fahrenden Kino legten die Warner Brothers den finanziellen Grundstein für ihr späteres Studio. Im Jahr 1918 konnten sie schließlich ein eigenes Filmstudio am Sunset Boulevard eröffnen. Fünf Jahre später erfolgte die offizielle Gründung der Warner Brothers Pictures Inc. in Hollywood, Kalifornien. Schon bald gehörten sie zu den erfolgreichen Produktionsfirmen. Filmgeschichte schrieben sie 1927 mit dem Film „The Jazz Singer“, der als erster Tonfilm der Geschichte gilt. Ab den dreißiger Jahren produzierten sie zudem Zeichentrickfilme, die als „Looney Tunes“ bekannt wurden. Ihre berühmtesten Trickfiguren waren Schweinchen Dick, Daffy Duck und Bugs Bunny. Der Zweite Weltkrieg verhalf auch diesem Studio zu einem Aufschwung. Viele politische Filme entstanden bei Warner, von denen
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„Casablanca“, der Klassiker mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann, wohl der heute noch bekannteste ist. Ab den sechziger Jahren erfuhr das Unternehmen mehrere Übernahmen und Fusionen. Ab 1989 firmierte Warner als Time Warner, sieben Jahre später schloss man sich mit Ted Turners Broadcasting System (TBS) zusammen, das wiederum Rechte an alten Filmen, unter denen sich auch die Warner Produktionen vor 1948 befanden, wieder mit ins Unternehmen brachte.
Stars zum Anfassen – ein Widerspruch? Hollywood macht Stars – und Hollywood lässt die Stars wieder fallen. Alljährlich strömen Tausende talentierte Schauspieler, Autoren und Filmschaffende aller Sparten in die Stadt, in der Hoffnung, entdeckt zu werden und eine große Karriere zu machen. Aus ganz wenigen werden Stars oder zumindest beschäftigte Schauspieler, andere erleben in Los Angeles eine ganz andere Realität. Sie müssen sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Von den etwa 300 000 Schauspielern in Los Angeles haben nur rund fünf Prozent einen Job in der Filmbranche. Viele arbeiten deswegen als Kellner, sind Künstler oder Fotografen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Denn nur die großen Stars können wirklich von der Schauspielerei leben. Dann muss es von ihnen doch in Hollywood wimmeln, oder doch nicht? Ein „Star zum Anfassen“ ist streng genommen ein Widerspruch in sich. Denn wenn ein Star so bekannt ist, dass ihn jeder erkennt und sich trotzdem gewissermaßen von jedem anfassen lässt, dann verliert der Star seine Besonderheit. Ein Star zeichnet sich eben dadurch aus, dass er sich dem Publikum entzieht und unnahbar ist. Nüchtern muss man feststellen, dass der Star das Produkt eines Studios ist, das von der PRAbteilung inszeniert wird. Das Auftreten in der Öffentlichkeit, die Medienpräsenz und die Interviews werden akribisch geplant und stets so gestaltet, dass dadurch der nächste Film promotet wird. Für das Publikum sind Stars zudem eine Projektionsfläche für die eigenen Träume. Durch die Bewunderung für einen Star und das An-
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himmeln kann der Anhänger für kurze Zeit dem grauen Alltag entfliehen. Die Sehnsüchte, die damit verbunden werden, haben jedoch nichts mit der Wirklichkeit zu tun, denn die Projektionsflächen sind lediglich Abbilder der „echten“ Menschen, die Stars in ihrem Alltag sind. Was uns, dem Publikum vermittelt wird, ist ein durch geschickte Fotografien, durch Styling des Outfits, durch Make-up und Kulissen manipuliertes Abbild, das die PR-Agenturen um den Globus jagen. Diese Bilder entfalten bei uns ihre Wirkung und erwecken eine Faszination, der immer wieder viele erliegen. Das war in der Stummfilmzeit genauso wie es in der heutigen Medienlandschaft ist. Von tausend Schauspielern oder Schauspielerinnen hat nur ein winziger Bruchteil die undefinierbare Eigenschaft, die die Studios „Star Power“ nennen. Bei manchen verblasst die „Star Power“ schon nach kurzer Zeit, bei anderen hält sie über den Tod und nahezu ewig an. Dann wird aus einem Star ein Mythos.
Hollywood Walk of Fame Um die Stars in Hollywood jedermann zugänglich zu machen, haben sich die Stadtoberen eine heute weltweit bekannte Touristenattraktion ausgedacht: Den Walk of Fame am berühmten Hollywood Boulevard. Dabei handelt es sich um einen Gehweg in Hollywood, der sich über 18 Häuserblocks auf beiden Seiten des Hollywood Boulevards erstreckt. Er beginnt an der Gower Street und reicht zur Zeit bis zur La Brea Avenue. An einigen Stellen wie der Vine Street weichen die berühmten Sterne ab und reichen sogar einige Blocks weiter nach Norden wie nach Süden. Heute befinden sich auf den Walk of Fame über 2500 Sterne für die Stars der Unterhaltungsbranche. Dabei werden die Sterne in fünf Kategorien vergeben. Mit einem entsprechenden Symbol auf dem Stern aus Messing ist dies gekennzeichnet und in der Regel unterhalb des Namens platziert. Es gibt die Kategorien „Film“, „Fernsehen“, „Musik“, „Radio“ und „Theater“. Die Handelskammer Hollywoods entwickelte 1957/58 die Idee für den Walk of Fame. Damit wollte man dem Tourismus wie auch der
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Filmindustrie Aufschwung verleihen. Um die erste Neugier zu befriedigen wurden die Sterne von acht Künstlern im August 1958 entlang der Straße ausgestellt. Doch erst im Februar 1960 wurde mit den Bauarbeiten begonnen, und im März der erste Stern verlegt. Ihn ziert der Name des Regisseurs und Produzenten Stanley Kramer. Offiziell eingeweiht wurde der Walk of Fame jedoch erst im November 1960. Um einen Stern auf dem Walk of Fame zu erhalten, gibt es drei Kriterien: Der Bewerber oder die Bewerberin muss außerordentliche Erfolge in der jeweiligen Kategorie vorweisen, muss mindestens fünf Jahre dauerhaft präsent im Showbusiness gewesen sein und muss gemeinnützige Beiträge geleistet haben. Zur Bewerbung gehört ebenfalls, dass an den Hollywood Historic Trust eine Bewerbungsgebühr von 30 000 US-Dollar zu entrichten ist, was aber meistens von den Filmstudios übernommen wird. Bewerbungsschluss ist jeweils der 31. Mai jeden Jahres; danach fällt das fünfköpfige Auswahlkomitee seine Entscheidungen. Diese müssen anschließend vom Direktorium der Handelskammer und vom Stadtrat von Los Angeles bestätigt werden, bevor sie offiziell bekanntgegeben werden. Kandidaten, die abgelehnt wurden, bekommen automatisch im Folgejahr erneut eine Chance. Kommt es allerdings wieder zu einer Ablehnung muss bei einem weiteren Versuch eine neue Bewerbung eingereicht werden. Wo es um Ruhm und Ehren geht, gibt es natürlich auch Kurioses und Anekdoten. So gibt es drei Sterne, die keiner der fünf verpflichtenden Kategorien zuzuordnen sind. Einer ist dem ehemaligen Bürgermeister von Los Angeles, Tom Bradley, gewidmet, der zweite ging anlässlich seines 50. Jubiläums an den Vergnügungspark Disneyland und der dritte Stern ist sieben Polizisten des Los Angeles Police Department gewidmet, die im Dienst ums Leben kamen. Die Besatzung von Apollo 11, die als Erste den Mond betreten haben, bekamen einen Stern in der Kategorie „Fernsehen“ und man verwendete anstelle eines Sterns eine komplette Platte mit einer Bronzeplakette in Mondform. Der bislang einzige Künstler, der in allen fünf Kategorien ausgezeichnet wurde und somit auch fünf Sterne auf dem Hollywood Boulevard besitzt, ist Gene Autry. Diese Leistung wird wohl von nieman-
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dem mehr erreicht werden. Eine weitere Kuriosität ist der Stern von Muhammad Ali. Der Boxer wollte nicht, dass Leute, die keinen Respekt vor ihm als Menschen haben, auf seinem Namen herumtrampeln. Daher ist sein Stern nicht wie die anderen in den Boden eingelassen, sondern befindet sich in der Fassade des Dolby Theatre.
Wo wohnen die Stars? Wem der Hollywood Boulevard nicht reicht, kann einer anderen Touristenattraktion folgen. Überall werden Touren zu den Türen der berühmten Stars angeboten. Man bucht einen motorisierten Führer – und er kutschiert einen dann vor die Häuser der Stars, die in den Hügeln um Hollywood, genau genommen in Beverly Hills leben. Doch mehr als ein paar Haustüren wird man nicht zu Gesicht bekommen. Grundsätzlich gilt in ganz Los Angeles die Regel: Je mehr Touristen an einem Ort sind, desto weniger Stars wird man dort finden. In Hollywood, entlang des Walk of Fame oder vor dem Kodak Theatre wird man daher vergeblich nach seinem TV-Liebling oder seinem Filmstar Ausschau halten. Aber auch wenn man sich abseits der Touristenattraktionen aufhält, muss man nicht unbedingt auf Prominente stoßen. Sollte dies aber doch einmal der Fall sein, wird man es vielleicht nicht einmal bemerken. Denn die Filmstars sehen in ihrem Alltag meist so gewöhnlich aus, dass sie nicht weiter auffallen. Wer den Stars aber dennoch nahe sein möchte, dem bleibt folgende Adresse: 1218 Glendon Avenue in Westwood. Zwischen Wilshire Boulevard und Wellworth Avenue sind keine Touristengruppen und lauern keine Fans. Dort liegt der Westwood Village Memorial Park Cemetery, der Friedhof der Stars. Hier kann man in Ruhe entlangspazieren und in Nostalgie und Melancholie schwelgen. Bei manch einem Namen wird man sich erinnern, wie bekannt die dort begrabenen Stars einmal waren und welche von ihnen noch heute im Gedächtnis und zu Mythen und Legenden geworden sind. Die wirklichen Stars wird man in Hollywood also kaum treffen. Einige von ihnen haben sich in ihren Villen in Beverly Hills oder Mali-
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bu verschanzt, andere wohnen ganz woanders und fliegen nur für einzelne Drehtage um die halbe Welt nach Los Angeles. Man findet die Stars heute weltweit in den nobelsten Vierteln: in den Hamptons auf Long Island, im Londoner West End oder in Aspen, Colorado, dort stehen die prunkvollen und extravaganten Häuser von Stars und Starlets.
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„Star Wars“ ist HollywoodKino Mehr als 30 Jahre nach dem Kinoerfolg des ersten Krieg-der-SterneFilms, der heute unter dem Namen „Star Wars Episode IV: A New Hope“ geführt wird, scheint die Welle der Begeisterung für das Weltraummärchen von George Lucas immer noch nicht versiegt zu sein. Wohin man auch schaut, in jedem Kaufhaus, in jedem Spielwarenladen wimmelt es noch immer von Merchandise-Artikeln aus der „Galaxis weit, weit entfernt“. Der Erfolg des ersten Films zog zwei Fortsetzungen nach sich, dann eine weitere Trilogie und neuerdings auch die Ankündigung für neue Filme ab 2015. Das Geschäft mit „Star Wars“ boomt also nach wie vor. Oberflächlich betrachtet könnte man behaupten, dass „Star Wars“ Hollywood-Kino par excellence sei. Die mehrteilige Saga verkörpert alles, was man heute gemeinhin mit Hollywood verbindet: bombastisches Kino, immenser und anhaltender Erfolg, ein Sammelsurium an Merchandise-Artikeln, Bücher zum Film, Hörspielversionen, Comics und eine große Auswahl an Spielzeug für jedes Alter. „Star Wars“ gewann mehrere Oscars und durchdrang die Populärkultur wie kein anderer Film zuvor oder danach. Viele Filmhistoriker sehen deshalb den 25. Mai 1977 als eine Zäsur in der Filmgeschichte, weil „Star Wars“ alles auf den Kopf stellte, was bisher für möglich gehalten wurde. Ruft man sich den Erfolg der ersten drei Filme ins Gedächtnis, wird man erstaunt sein, dass „Star Wars“ im Grunde ein un-
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derdog war. Alle großen Studios hatten das Drehbuch abgelehnt; sein Erfolg ist also einzig und alleine George Lucas zu verdanken, der „Star Wars“ dann als unabhängigen Film selbst produzierte. Lediglich für den Verleih konnte er 20th Century Fox gewinnen.
Das Erfolgsrezept – im Nachhinein betrachtet George Lucas schuf ein modernes Weltraummärchen, das in vielen verschieden Kulturen weltweit verstanden wurde. „Vielleicht sollte man ‚Krieg der Sterne‘ in die Kategorie Märchenfilme einreihen“, sagte Lucas einmal. „Es ist ein Märchen ohne utopisches Versprechen. Das Drehbuch könnte von den Gebrüdern Grimm stammen, zeitversetzt um einige Jahrtausende.“ Am 3. Januar 1973 begann George Lucas an dem Skript für „Star Wars“ zu arbeiten. Immer wieder überarbeitete er seine Geschichte, kürzte die Handlung und jonglierte mit den einzelnen Charakteren. Er wollte eine Geschichte erzählen, ohne dass er die Umgebung und die politische Situation seiner Protagonisten allzu deutlich ausführen musste. Es war ihm wichtig, eher einen Märchen- als einen ScienceFiction-Film zu schaffen, der mit klaren, klassischen Archetypen auskommen sollte. Zum Vorbild nahm sich Lucas Filmserien der dreißiger Jahre wie „Flash Gordon“ oder „Buck Rogers“, die er als Kind geliebt hatte. Mitte 1975 hatte er schließlich die endgültige Drehbuchfassung fertiggestellt. Viele Ideen für Figuren und Handlungsstränge, die er jetzt nicht weiter verfolgen konnte, sparte er für spätere Filme auf. In den siebziger Jahren, als George Lucas die Figuren und die Geschichte zu „Star Wars“ entwarf, war die amerikanische Gesellschaft durch die Watergate-Affäre und den Vietnamkrieg von ihren Führungspersonen enttäuscht. Dies spiegelte sich auch in den amerikanischen Filmen wieder: Ein verschwitzter und verkaterter Antiheld hatte in den letzten Jahren die Kinoleinwand erobert und dekonstruierte das Bild des strahlenden amerikanischen Helden, des Einen, der aus-
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zog, die Gemeinschaft zu retten. Basierend auf den Theorien von Joseph Campbell und dem Sigmund Freud-Schüler Carl Gustav Jung schuf George Lucas eine mustergültige Handlung mit einem neuen Helden, einer lieblichen, makellosen Prinzessin und einem starken, eindeutigen Bösewicht. Die Reise des Helden Luke Skywalker entspricht ganz dem Vorbild aus den klassischen Sagen des Altertums, den Rittergeschichten oder Abenteuerfilmen. Luke wächst als Waisenkind bei seinem Onkel Owen und dessen Frau Beru auf. Äußerlich ist er durchdrungen von dem Wunsch auf die Pilotenakademie zu gehen, um Abenteuer zu erleben. Das von Anfang an klar gezeichnete, sich aber erst in „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ (1983) auflösende innere Bedürfnis ist jedoch die Suche nach seinem Vater. Lukes Geschichte wird also von Motiven bestimmt, die überall auf der Welt verstanden werden und die wir bereits aus der Mythologie des klassischen Altertums kennen. Das macht eine Identifikation mit der Hauptfigur der Geschichte so leicht. Darüber hinaus liegt auch den anderen Protagonisten in „Star Wars“ jeweils ein archetypischer Charakter zugrunde, so dass eine Konstellation entsteht, die dem Zuschauer in gewisser Weise vertraut erscheint, und jeder eine passende Identifikationsfigur geboten bekommt. Aber auch der Plot unterscheidet sich von Vorläufern aus dem Science-Fiction-Genre. Star Wars beinhaltet nämlich keine Utopie, die eine bessere, friedlichere Zukunft verspricht. Es geht vielmehr um den Aufstieg und den Fall einer Diktatur, die sich selbst „das Imperium“ nennt, und ist somit eine höchst politische und historisch fundierte Parabel. Die Krise, die Kanzler Palpatine heimlich als dunkler Sith Lord auslöst, um die seit 25 000 Jahren bestehende Demokratie mit Attentaten, Zollstreitigkeiten und schließlich mit den Klonkriegen, Notstandsgesetzen und Pogromen zu überziehen, weist nur allzu deutliche Parallelen beispielsweise zu Hitlers Machtergreifung und seiner Herrschaft im Dritten Reich auf. Wie stereotyp die Dialoge mitunter sind, zeigt Anakin Skywalkers Drohung gegenüber seinem ehemaligen Mentor Obi-Wan Kenobi: „If you are not with us you are against us“. Dieses Zitat erlangte in der jüngeren amerikanischen Ge-
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schichte noch einmal Bedeutung, als George W. Bush den europäischen Nationen, die seinen Krieg gegen den Terror nicht mittragen wollten, mit genau diesen Worte drohte. So lassen sich viele Bezüge zu Politik und Geschichte – nicht nur in die Vergangenheit – herstellen, was auf den ersten Blick vielleicht nicht offensichtlich ist: zur Diktatur Julius Caesars, zum Niedergang des römischen Kaiserreiches und der Entstehung der christlichen Kirchen, zum Dritten Reich, zu McCarthys Säuberungen in den fünfziger Jahren, zum Kalten Krieg und nicht zuletzt, wie erwähnt, zum Kampf gegen den Terror nach 9/11.
George Lucas – der underdog gegen das establishment Bis Filmkritiker und Medienwissenschaftler die Figuren und die Handlung von „Star Wars“ analysieren konnten, war es noch ein weiter Weg. George Lucas bot sein Drehbuch allen großen Studios und Produzenten an, nur um von ihnen zu hören, dass ein solcher Film ein grandioser Flop werden würde. Alle lehnten das Projekt ab. Es blieb Lucas also nichts anderes übrig, als den Film selbst und in Eigenregie zu produzieren. Im Laufe der Produktion ging Lucas immer wieder bis an die Grenze seiner Kräfte. Aber der nachhaltige Erfolg seiner Idee gab ihm nicht nur Recht, sondern veränderte die amerikanische Filmindustrie nachhaltig. Um all seine Ideen umsetzen zu können, gründete er für die verschiedenen Produktionsbereiche einzelne Firmen: Industrial Light & Magic für die Spezialeffekte, Skywalker Sound für Toneffekte und Musik, THX, Pixar für Computeranimationen, Lucasfilm und LucasArts, die noch heute in ihren Bereichen ständig neue Standards setzen. Lucas läutete mit seinem Konzept nicht nur die digitale Revolution im Filmbusiness ein, er entwarf auch neue Marketingstrategien für seinen Film. Während das alteingesessene Hollywood „Star Wars“ bereits vor seiner Premiere als einen Misserfolg abtat, ließ Lucas schon ein halbes Jahr vor der Premiere des Films in den Kinos mit dem
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Slogan werben: „Dieser Film ist seiner Zeit um Lichtjahre voraus.“ So baute Lucas eine Spannung auf, die nicht nur viele Comic- und Science-Fiction-Fans, sondern Kinobesucher jeden Alters auf das Weltraummärchen vorbereitete und dafür begeisterte. Nachdem die Produktion des Filmes schließlich nach vielen Schwierigkeiten abgeschlossen war, legten die Verantwortlichen die Premiere des Films auf den ungewöhnlichen Termin vor dem Memorial Day. Die Studiobosse schüttelten den Kopf: Die üblichen Premierentermine für die großen Produktionen lagen bis dahin immer in den Ferien, entweder kurz vor Weihnachten oder um den amerikanischen Nationalfeiertag am 4. Juli. Lucas aber setzte auf die Jugend. Er wollte, dass sich die Schüler auf dem Pausenhof über den Film unterhalten konnten, und diese „Mund-zu-Mund-Propaganda“ die Werbung wirksamer machte als die übliche Plakatwerbung. Nach all diesen eigenwilligen Aktionen wollten zunächst nur wenige amerikanische Filmtheater diesen merkwürdigen Film, einen eigenartigen Verschnitt aus „2001 – Odyssee im Weltraum“ und den alten Flash Gordon Serien, in ihr Programm aufnehmen. Und so lief der Film lediglich in wenigen Kinos an.
Die Geburtsstunde des Blockbusters Als sich am 25. Mai 1977, dem Mittwoch vor dem amerikanischen Memorial Day, zur Premiere des Films vor den amerikanischen Filmtheatern kilometerlange Warteschlagen bildeten, die sich um mehrere Blocks zogen, ahnten die wartenden Film-Fans nicht, dass sie damit ein neues Phänomen geschaffen hatten: den Blockbuster. Der Andrang an den Kassen war ähnlich hoch wie zwei Jahre zuvor bei Steven Spielbergs Film „Jaws“ (Der weiße Hai). Diesen beiden Premieren haben wir den heute geläufigen Begriff des Blockbuster zu verdanken. George Lucas wird immer wieder zitiert, dass er selbst nie die Absicht hatte, einen so massentauglichen Film entstehen zu lassen. Mit dem Erfolg des Filmes kam auch der wirtschaftliche Erfolg und machte Lucas’ Unternehmen Lucasfilm und Industrial Light and Magic zu anerkannten und einflussreichen Unternehmen im Filmgeschäft. So konn-
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te er sich als unabhängiger Filmemacher gegenüber den etablierten Hollywoodstudios durchsetzen. Heute kommen Firmen aus dem Süden Kaliforniens zu ihm auf die Skywalker Ranch in Marin County in der Nähe von San Francisco, wenn sie außergewöhnliche und perfekt gestaltete Spezialeffekte für einen Hollywood-Blockbuster brauchen.
Der Erfolg von „Star Wars“ Um den Erfolg von „Star Wars“ besser verstehen zu können, ist es notwendig, sich in die Gesellschaft, Politik und Kultur der Vereinigten Staaten Mitte der siebziger Jahre hineinzuversetzen. Es gab weder Mobiltelefone noch PCs oder Internet, die Videospielkonsolen waren gerade in den Kinderschuhen, der Wettlauf zwischen Ost und West um das All war vorüber und die amerikanische Gesellschaft fühlte sich aufgrund des Vietnamkrieges und der Watergate-Affäre von ihrer Regierung verraten und reagierte zynisch auf Politiker. In den Kinos spiegelte sich diese Zerrissenheit in Filmen wie „Erdbeben“ (1974), „Flammendes Inferno“ (1974), „Chinatown“ (1974) und „M.A.S.H.“ (1970) wider. Anstelle des strahlenden Helden, der seit der Erfindung des Films stets ausgezogen war, um die Gesellschaft, in der er lebte, zu retten und für Gerechtigkeit zu sorgen, dominierten nun in den Hollywoodproduktionen abgebrühte, ungewaschene und verkaterte Antihelden, die gegen jede Regel verstießen. „Star Wars“ durchbrach diese Erzählmuster. Mit klar definierten Helden und Schurken und einer ebenso klar ausgerichteten Handlung stieß er beim Publikum auf ein Interesse, das zwar auch in den siebziger Jahren immer da war, aber von der Unterhaltungsindustrie nicht mehr bedient worden war. Das Publikum sehnte sich nach einer Heldensaga, um den gesellschaftlichen Umbrüchen und politischen Skandalen der Gegenwart zu entkommen. Star Wars kam daher zur rechten Zeit und leitete eine bis heute andauernde Wende im Kino ein. Neu war auch die Ausrichtung des Films auf Jugendliche. Zwar gab es auch zuvor Kinderfilme oder Filme, die jugendliche Themen aufarbeiteten, „Star Wars“ jedoch war keines von beidem. Er war ein-
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fach nur Unterhaltung für Jugendliche. Die Filmindustrie griff diesen Trend natürlich sofort auf und produzierte vor allem in den achtziger Jahren Filme, die gezielt für Jugendliche gedacht waren. Der Erfolg der Filme wie „Ghostbusters“, „Zurück in die Zukunft“, „Gremlins“ oder „E.T.“ gab den Studios Recht. Besonders tat sich Steven Spielberg hervor, der die meisten dieser Filme produzierte oder in einigen Fällen auch Regie führte. Geadelt wurde „Star Wars“ schließlich über ein halbes Jahr später bei der Oscar-Verleihung im Frühjahr 1978, als der Film noch immer in den Kinos lief. Er schaffte etwas, was nur sehr wenigen seines Genres vergönnt ist: Er wurde am 3. April 1978 mit sieben Auszeichnungen zum Gewinner der Oscar-Nacht. Zwar waren weder George Lucas für die Regie oder den besten Film noch einer der Schauspieler für eine der Hauptrollen ausgezeichnet worden, aber immerhin erhielt Sir Alec Guinness eine Nominierung für den besten Nebendarsteller. In nahezu allen anderen Hauptkategorien ging der Oscar an „Star Wars“.
Ein Blockbuster für die ganze Familie „Star Wars“ brachte eine ganze Reihe von Veränderungen für die Filmindustrie. Vor allem die Spezialeffekte, mit denen Lucas das Kinopublikum überraschte, setzten einen Standard, hinter den kein größerer Film in dem Genre mehr zurück konnte. Spätere Produktionen konnten die Erfahrungen nutzen, die George Lucas’ Team bei der Produktion von „Star Wars“ gemacht hatte, denn der Regisseur gründete ein Unternehmen für Spezialeffekte, Industrial Light & Magic (ILM), das fortan zu den Großen im Showgeschäft zählte. ILM hat bis heute eine Unmenge an Auszeichnungen bekommen, unter ihnen viele Oscars. Das Unternehmen wurde so erfolgreich, dass es für die Spezialeffekte in jedem größeren Blockbuster verantwortlich war. Sein Einfluss auf die weitere Entwicklung der Filmindustrie kann deshalb kaum unterschätzt werden. Allerdings kamen immer neue Herausforderungen auf die Spezialisten von ILM zu. Jeder neue Film musste spektakulärere Szenen und
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noch atemberaubendere Sequenzen aufweisen. Dies leitete eine Entwicklung ein, die bis heute deutlich zu spüren ist. Seit „Star Wars“ müssen die Filme noch mehr Explosionen, noch mehr Action und noch bessere Effekte haben. Nur so bestehen sie in der Zuschauergunst. Die differenzierte Zeichnung des Charakters der Hauptperson verlor seine Bedeutung, was zählte waren die „coolsten Action-Szenen“, die spektakulärsten Explosionen und die irrsinnigsten Effekte. Mit der Weiterentwicklung der Computertechnik wurde es möglich, ganze Szenen völlig virtuell herzustellen. Die Einführung der Computer generierten Bilder (CGI) machte im Kino rein optisch alles möglich – und das Publikum war begierig auf eine Unterhaltung, die rein auf den Nervenkitzel und das Staunen ausgerichtet war. Dass darunter jedoch die Geschichten massiv vernachlässigt wurden, spürt die Filmindustrie mittlerweile auch an der Kinokasse. „Star Wars“ brachte eine Entwicklung ins Rollen, die auf die Unterhaltung der ganzen Familie, vor allem aber der Jugend ausgelegt war. Deshalb wird „Star Wars“ auch dafür verantwortlich gemacht, dass jeder Blockbuster heute von einer Flut an Merchandise-Artikeln und Werbematerialien begleitet wird. Tatsächlich hatte George Lucas für „Star Wars“ im Laufe der Zeit zahlreiche Lizenzen für die Herstellung von Spielzeugfiguren und Raumschiffen vergeben. Eine der Lizenzen erwarb 1978 der Spielzeughersteller Kenner, der später von Hasbro aufgekauft wurde. Er war der Erste, der in großem Stil StarWars-Spielzeuge herausbrachte. Kenner war selbst überrascht von dem reißenden Absatz und hatte zu Beginn viel zu wenige von den Figuren anfertigen lassen. Das Unternehmen nahm allein mit diesen Püppchen im Jahr 1978 die sagenhafte Summe von 100 Millionen Dollar ein. Die Spielsets wiederum warben für die Fortsetzungen der Saga und für die Wiederholungen, die immer wieder das Publikum in die Kinosäle lockten. Der Erfolg der ersten Star-Wars-Trilogie dauerte bis zur Mitte der achtziger Jahre. Nach einer Pause von einigen Jahren wurden die Filme 1997 mit einer Special-Edition neu aufgelegt, und ab 1999 folgten drei Prequels. Heute hat das Geschäft mit Merchan-dise-Artikeln und Actionfiguren die Filmindustrie längst durchdrungen. Spielzeughersteller wie Hasbro co-produzieren sogar große
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Hollywoodfilme, wie beispielsweise bei der Neuverfilmung von „GI Joe“. Man muss sich im Grunde fragen, was Produkt und was Werbung ist. Sind die Blockbuster nur noch eine zweieinhalbstündige Werbeveranstaltung für die Spielzeugindustrie? Kritiker verfolgten diese Entwicklung von Anfang an mit Skepsis. Sie sahen es als verhängnisvoll an, dass „Star Wars“ nicht für ein Nischenpublikum produziert worden war, sondern für die ganze Familie. Damit hatte Lucas eine neue Art von Hollywoodfilm geschaffen, der ein breites und undifferenziertes Publikum ansprach und an dessen Erfolg sich nun die nachfolgenden Sommerblockbuster messen lassen mussten. Diese Filme sind vor allem laut und auf visuelle Effekte angelegt. Das Publikum liebt sie. Darüber hinaus müssen diese Filme nicht mehr nur zwei Stunden Unterhaltung in einem Kino bieten; sie müssen in die Popkultur hinein wirken. Man muss sie als Videospiele, Bücher oder Actionfiguren umsetzen können, damit das Geschäft außerhalb der Kinosäle genauso blüht. Nischenfilme wurden seltener und wurden nur noch außerhalb von Hollywood produziert. Das Kinomärchen „Star Wars“ ist seit seiner Premiere 1977 ein fester Bestandteil der Populärkultur geworden. Noch heute, dreißig Jahre nach seiner Entstehung, findet man in den Geschäften die unterschiedlichsten Artikel von Halloween-Kostümen über Buchadaptionen, Videospiele, Trading Cards und vieles andere mehr. So wird es auch weiterhin bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen wie bei den Fans der ersten Stunde aktuell gehalten.
Der endgültige Durchbruch zum Mainstream Heute zählen die Star-Wars-Filme zum Mainstream. Das unterstreicht schon allein die Übernahme der Filmrechte durch Disney im Herbst 2012. Als George Lucas Mitte der siebziger Jahre eine Produktionsfirma für seine Filmidee suchte, hatte keiner der großen Studiobosse ein Gespür für deren Potential. Keines der Studios traute ihm damals den Erfolg zu, den er dann haben sollte. Mitte der achtziger Jahre wurde
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es stiller um „Star Wars“. Gelegentlich tauchten Gerüchte auf, George Lucas plane eine weitere Folge oder gar eine ganze Trilogie, die vor der bestehenden spielen sollte. Ohne das Internet in seiner heutigen Form waren die Fans der Filme noch nicht so gut vernetzt und organisiert, wie es heute der Fall ist. Die Gerüchte breiteten sich zwar langsamer aus, hielten sich dafür aber länger unter den Fans. Jahr für Jahr verstrich, doch eine offizielle Erklärung von Lucasfilm ließ auf sich warten. Der Hunger der Fans schien langsam zu verebben. Doch bei Lucasfilm arbeitete man tatsächlich an einer Neuauflage in Form einer Trilogie. 1997 lancierte man eine Special Edition der drei ersten Filme und konnte das Star-Wars-Fieber erneut entfachen. Dann kam 1999 den lang ersehnte vierte Teil in die Kinos: „Star Wars Episode I: The Phantom Menace“. Ganze 19 Jahre hatten die Fans auf die Fortsetzung der Reihe warten müssen. Bei dieser Weiterführung der Filmreihe handelte es sich jedoch nicht um eine Fortsetzung der Geschichte. George Lucas widmet sich in dieser Trilogie der Vorgeschichte seiner ersten Filme. Und ein weiteres Mal sollte der Erfolg ihm Recht geben. Der Verkauf von Artikeln zum Film übertraf wie die Einnahmen aus Verleih und Vorführungen die der ersten Filme. Inhaltlich waren sie jedoch umstritten und konnten an die Popularität der Vorgänger nicht voll anknüpfen. Im Jahr 2015, zehn Jahre nachdem George Lucas seine zweite Trilogie beendet hatte, soll nun der erste Teil einer dritten Trilogie auf den Markt kommen. Wieder wird die Reihe von Lucasfilm produziert, das mittlerweile zum Disneykonzern gehört. Man darf gespannt sein, wie diese neuen Filme an die alten anknüpfen. Lucas hatte sein Epos zwar schon ursprünglich auf neun Teile angelegt – es gab sogar Gerüchte über zwölf Episoden –, aber in Episode VI setzte er ein so endgültiges Happy End, von dem kein Zurück möglich schien. Die Guten ließ er auf ganzer Linie siegen und die Inkarnation des Bösen, Luke Skywalkers Vater Darth Vader, starb. Die Sequel Trilogie, also die kommenden Episoden VII bis IX, hätte sich in der Urversion um Luke Skywalkers Suche nach dem Imperator drehen sollen. Wer könnte also „die Rückkehr der Jedi-Ritter“ überlebt haben? Oder wird sich einer der Mitstreiter Luke Skywalkers auf die dunkle Seite der Macht stellen?
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Amerikanische Filme sind oberflächlich Amerikanische Filme sind Unterhaltung, reine Unterhaltung. Nachdenken über Probleme ist nicht deren Sache. Dafür gibt es ja Helden. Sie zeigen, wie man alle Schwierigkeiten überwindet, Probleme löst und das Böse besiegt, und sie geben den Zuschauern die Hoffnung und Zuversicht, dass sich am Ende auch im wirklichen Leben alles zum Guten wenden wird. Die Vorurteile über das amerikanische Kino sind beinahe genauso alt wie die Filmindustrie selbst – und die Kritik an der US-amerikanischen Kultur ist noch älter. Sie existiert beinahe so lange wie die Nation selbst. Schon immer sahen vor allem die Deutschen auf die Vereinigten Staaten herab und warfen ihnen vor, sie besäßen überhaupt keine Kultur. Und schon immer prallte diese Kritik an den selbstbewussten Amerikanern ab. Um den amerikanischen Film und seine Intentionen besser verstehen zu können, muss man sich tief in das Land, seine Menschen und ihre Kultur und Mentalität hineinversetzen. Schon die für Europäer kaum vorstellbare Größe des Landes, das sich über mehrere Zeitzonen erstreckt, dann vor allem die Geschichte der USA als Einwanderungsland, die vielen mit- oder nebeneinander existierenden Kulturen führen zu einem anderen Verständnis von sich selbst und der Welt, das nicht mit deutschen oder europäischen Ansichten zu vergleichen ist.
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Was ist ein oberflächlicher Film? Auf den ersten Blick erscheint es schwer zu definieren, was oberflächlich ist und was nicht. So hat doch jeder Kinogänger seine eigenen Erwartungen an einen Film und seine eigene Weise, wie er einen Film interpretiert. Der eine identifiziert sich mehr mit dem Helden einer Liebesgeschichte, der andere wiederum fühlt sich den Charakteren in Thrillern oder Actionfilmen näher. Was er dabei als oberflächlich oder tiefgründig empfindet, bleibt Sache jedes einzelnen Betrachters. Und dennoch haben Kinogänger das Gefühl, dass Filme aus Frankreich generell eher tiefgründig sind, Filme aus Deutschland meistens Liebeskomödien, und amerikanische Produktionen ihre Spannung aus Action und Spezialeffekten beziehen. Diese subjektive – und wiederum sehr oberflächliche – Wahrnehmung der internationalen Filmszene trifft aber durchaus zu. Was empfinden wir denn nun generell als oberflächlich an einem Film? Oder andersherum gefragt: Was braucht ein Film um tiefgründig zu sein? Die Literatur- und Medienwissenschaftler wie auch die Filmkritiker haben sich damit ausführlich beschäftigt. Filmgeschichten basieren meist auf einer literarischen Vorlage oder einer wahren Begebenheit. Um für einen guten Film tauglich zu sein, muss die Geschichte eine äußere Handlung haben, in der die Hauptfigur einer äußeren Motivation folgt. Beispielsweise muss er einen Gegenspieler bezwingen, eine Bombe entschärfen, Drachen töten, die Welt retten oder den Todesstern in die Luft jagen. Dies alles sind Aufgaben, die den oder die Protagonisten in ein Abenteuer treiben, das den Spannungsbogen aufrecht erhält und in einer letzten, alles entscheidenden Prüfung kulminiert. Dem gegenüber steht die innere Handlung, die sich, wie die Bezeichnung schon sagt, in der inneren Motivation der Heldenfigur, in seiner Seele abspielt, und eine charakterliche Reifung, eine innere Umkehr hervorruft. Er oder sie findet die große, alles überwindende Liebe, kommt über einen Verlust hinweg und findet zurück ins Leben, erkennt den Wert einer wahren Freundschaft, versöhnt sich mit einem Widersacher und durchbricht die endlose Kette von Rache und Vergeltung, lernt wieder Vertrauen in sich und die Umwelt zu haben.
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Ein ausgewogener Filmcharakter besitzt beide Motivationen. So bekommt der Actionheld, der eine Bombe entschärfen muss, die Lösung der Beziehungskrise mit seiner Frau als innere Aufgabe, die just in den heikelsten Momenten die Situation eskalieren lässt. So muss Luke Skywalker nicht nur den Todesstern zerstören, sondern ist – bewusst oder unbewusst – auf der Suche nach seinem Vater. Wenn Charaktere nur einer äußeren Motivation folgen, kann man von einem durch und durch oberflächlichen Film sprechen, seien es harmlose Komödien oder reine Actionthriller. Die ganze Reihe von James BondFilmen (außer den letzten mit Daniel Craig in der Hauptrolle) war beispielsweise so angelegt. Zwar muss der Held viele spannend inszenierte, zum Teil haarsträubende Abenteuer bestehen, um die Welt zu retten, eine innere Motivation gibt es bei ihm nicht. Nach demselben Muster gestrickt sind Actionfilme wie „The Fast and the Furious“. Die Gewichtung der beiden Ebenen macht den Tiefgang eines Films aus. Je weniger ausgeprägt die innere Entwicklung beziehungsweise die innere Motivation, als umso seichter werden die Filme empfunden. Es handelt sich dann wirklich um reine Unterhaltung. Der Zuschauer hat eine schöne Zeit im Kino, wird von der Alltäglichkeit seines eigenen Lebens abgelenkt und darf eine kurze Zeit in eine Welt entfliehen, in der das Gute am Ende die Oberhand gewinnt.
Sind amerikanische Filmcharaktere oberflächlich? Nun stellt sich natürlich die Frage, ob denn die Protagonisten in amerikanischen Filmen immer so angelegt sind, dass sie über besonders wenig innere Motivation verfügen. Oder hängt es letztlich vom Genre ab, wie die Hauptcharaktere motiviert sind? Ein Actionfilm konzentriert sich schließlich aufgrund seiner genreeigenen Vorgaben auf ein äußeres Problem und damit auf die äußere Motivation der Hauptfigur. Hingegen geht es bei einem Psychothriller immer um die charakterliche Seite einer Figur. In diesem Genre spielt zumeist die innere Motivation der Protagonisten die bedeutendere Rolle und lässt die
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Charaktere daher tiefer wirken als wenn sie nur nach einem äußeren Ziel streben. Oder spielt vielleicht das Geld die maßgebliche Rolle? Gilt die Formel: Je teurer ein Film, desto oberflächlicher die Figuren? Sicher kann man sagen, dass die amerikanischen Produktionen mit den größten Budgets ausgestattet sind. Das erlaubt ihnen die aufwendigsten Szenerien und die kostspieligsten Spezialeffekte. Wenn man die großen Blockbuster aber genauer untersucht, so sind viele von ihnen gar nicht so oberflächlich, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Es wird zumindest versucht, den Figuren Tiefgang zu verleihen. Die Helden dieser Filme verfügen über innere Motivationen, die von Themen wie Rache, Erwachsenwerden oder Verlust bestimmt werden, auch wenn die äußere Motivation deutlich dominiert. Warum aber sind so viele amerikanische Filme nach diesem Muster gestrickt? Sind etwa die Amerikaner selbst oberflächlich?
Ist Amerika oberflächlich? Der europäische Blick auf die Vereinigten Staaten ist vor allem von Vorurteilen geprägt, die sich natürlich auch auf die Filmproduktionen beziehen. In der Alten Welt stellt man sich den Amerikaner meist freundlich und unverbindlich, nicht sehr gebildet, mitunter schießwütig und ignorant vor. Sie ernähren sich schlecht, sind übergewichtig bis fettleibig und kennen von der Welt nicht mehr als die Dörfer und Städte in ihrem County. Bei manchem Präsidenten wurden diese Vorurteile sogar unmittelbar auf seine Person projiziert. So war es zum Beispiel in den Jahren 2001 bis 2009, als George W. Bush im Weißen Haus regierte. Nicht nur, dass er durch sein Auftreten die meisten Vorurteile scheinbar bestätigte; er selbst schien die Welt so oberflächlich zu sehen, wie sie in manchen amerikanischen Filmen dargestellt wird: Es gibt das Gute in der Welt, und es gibt das Böse in der Welt – und das muss unter allen Umständen besiegt werden. Deshalb erlebte in der Amtszeit des 43. US-Präsidenten der Antiamerikanismus in Europa, dabei in besonderem Maße in Deutschland, einen einzigartigen
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Höhenflug: Sogar in konservativen Kreisen war es plötzlich salonfähig, über die USA zu schimpfen. Die Wahl von Barack Obama wurde dagegen in Europa frenetisch gefeiert. Diesem gebildeten, eloquenten und charismatischen Mann, der sich aus einfachsten Verhältnissen als Schwarzer in Chicago hochgearbeitete hatte, konnte man nun nicht mehr Oberflächlichkeit und Ignoranz unterstellen. Und dennoch blieben die Vorurteile gegenüber „den Amerikanern an sich“ bestehen. Der Vorwurf der Oberflächlichkeit hat tiefe Wurzeln. Sie reichen bis vor die Gründung der Vereinigten Staaten, bis in die Zeiten der Pilgrim Fathers zurück. Vergegenwärtigen wir uns, wer und aus welchem Grunde er in die Neue Welt aufbrach: Die ersten Siedler waren religiöse Flüchtlinge. Sie wollten ein arbeitsames, bescheidenes und gottesfürchtiges Leben nach ihren eigenen strengen Regeln führen. Ihre kleinen Gemeinschaften überlebten durch engen Zusammenhalt und die Konzentration auf das Nötige. Welchen Platz sollte die Hochkultur hier einnehmen? Später folgten Wirtschaftsflüchtlinge. Wer im Europa der industriellen Umbrüche den Anschluss verpasste, machte sich auf, sein Glück in der Ferne zu suchen. Die arme Landbevölkerung und einfache Handwerker nahmen nun auch nicht gerade die klassische Musik, schöngeistige Literatur sowie wertvolle Gemälde mit über den Atlantik. Zwar bauten die Einwanderer in recht kurzer Zeit eine florierende Wirtschaft und ein großartiges politisches System auf, eine Kunst, wie sie im Rahmen des europäischen Adels und der Katholischen Kirche entstehen konnte, hatte hier keinen Platz. Währenddessen träumten die Zurückgebliebenen von einer besseren Zukunft. Sie hörten die Erfolgsgeschichten von denen, die die Alte Welt hinter sich gelassen und den Blick nach vorne gerichtet hatten. Voller Neid priesen sie nun, was den „Neureichen“ in Amerika doch fehlen musste: Sie hatten weder die Gemälde von Dürer noch von Rembrandt, weder die Musik von Mozart noch von Beethoven, weder die Literatur von Goethe noch von Schiller. Aber das sollte sich ändern – und die Deutschen waren daran maßgeblich beteiligt. Als im Laufe des 19. Jahrhunderts Millionen von Deutschen in die neue Welt auswanderten, brachten sie auch ihre Bil-
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dung, ihre Freude an der Kunst und Literatur, mit einem Wort: die Hochkultur mit. Die Judenverfolgung unter den Nationalsozialisten im 20. Jahrhundert trieb den Exodus zum Höhepunkt, wobei nur einem Bruchteil der Bedrohten und Verfolgten die Einreise in die USA gewährt wurde. Die meisten fielen den Nationalsozialisten zum Opfer. Unter ihnen war ein Großteil von Deutschlands besten Intellektuellen, Wissenschaftlern und Künstlern: Schriftsteller, Musiker und Maler, Physiker und Philosophen, sowie Schauspieler, Regisseure und Theater- und Filmschaffende. Sie legten den Grundstein für Amerikas kulturelle Entwicklung. Die Vorurteile aber blieben. Deutschland hatte die Kultur aus Europa vertrieben und vernichtet und fand nach dem Dritten Reich nicht annähernd zu seiner vormaligen Größe zurück. Heute liegen die besten Universitäten der Welt in den Vereinigten Staaten. Das Land hat mit Abstand die meisten Nobelpreise gewonnen. Die Kunst- und Kulturszene floriert, die bedeutendsten Museen und Opernhäuser findet man hier, und jeder Musiker oder Sänger ist erst in den Olymp aufgenommen, wenn er an der New Yorker Met auftreten durfte. Bereist man allerdings die USA, findet man trotzdem die eigenen Vorurteile bestätigt. Der Abstand zwischen der geistigen Elite und „Normalbürgern“ oder gar den Unterschichten ist enorm. Und es ist wahr: Bei den meisten Amerikanern zuhause läuft permanent der Fernseher, sie sind übergewichtig, sie bewegen sich fast ausschließlich mit dem Auto und ihr eigenes Land ist ihnen groß genug als dass die Welt jenseits sie interessierten würde. Auch Austauschschüler tragen immer wieder dazu bei, die Vorurteile zu bestätigen. Doch sollte man sich nicht lieber an die eigene Nase fassen: Ist es nicht viel leichter, die eigenen Vorurteile zu bestätigen, als ein Feingefühl für andere Kulturen zu entwickeln? Da sollte man es doch zumindest mit dem mittlerweile verstorbenen TV-Journalisten Hans Joachim Friedrichs halten: „Amerika ist so groß – was immer du darüber sagst, stimmt. Und das Gegenteil vermutlich auch.“
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Deutsche Kritik an amerikanischen Filmen Carl Laemmle, der Gründer und Präsident von Universal, war einer der deutschstämmigen Juden, die Deutschland den Rücken gekehrt hatten und in Amerika eine kulturelle Institution schufen. Er hielt Kontakte zur alten Heimat und holte immer wieder junge Talente und etablierte Schauspieler und Regisseure nach Hollywood, um ihnen auch hier eine Chance zu geben. Über die Jahre arbeiteten so viele Deutsche in Universal City, dass ein Viertel der Belegschaft deutsch sprach. Jenseits des Atlantiks sparten die Kritiker in den Zeitungen nicht mit Hohn und Vorwürfen, wie man sich der schnelllebigen und oberflächlichen amerikanischen Filmwirtschaft so bedingungslos hingeben konnte. Dies traf etablierte Stars genauso wie Newcomer. Der gefeierte deutsche Schauspieler Conrad Veidt wurde 1926 von Laemmle nach Hollywood verpflichtet. Einige Wochen zuvor war er noch für seine Theater- und Filmrollen in der deutschen Presse hoch gepriesen worden, nun erntete er Schmähschriften. Man warf ihm vor, in den Vereinigten Staaten oberflächliche Rollen zu spielen. Später trat Veidt unter anderem in „Casablanca“ (1942) auf, einem Klassiker der Filmgeschichte, dem heute wohl einhellig Tiefgang bescheinigt wird. Ähnlich erging es dem Regisseur Paul Leni. Er galt als einer der Vorreiter des expressionistischen Films in Deutschland. Als Hollywood an seine Tür klopfte, nutzte auch er die Gelegenheit in Amerika zu drehen. Wie Veidt erntete er viel Kritik an diesem Entschluss. In Hollywood konnte er seine filmischen Visionen besser umsetzen, weil er bei Universal über ein größeres Budget verfügte und ein Großprojekt in Szene setzen konnte. Nach dem „Glöckner von Notre Dame“ (1923) hatten sich die Produzenten ein weiteres Melodram aus der Feder von Victor Hugo gesichert: „L’homme qui rit“. Paul Leni brachte seine expressionistische Düsterkeit zum Ausdruck und schuf den Stummfilmklassiker „The Man Who Laughs“ (1928). Auch dieser Film wurde von den deutschen Kritikern völlig verrissen. Wie lässt sich diese Reaktion erklären? Die deutsche Hauptstadt Berlin war in den Zwanzigern einer der Hot Spots der Moderne. Die neue Freiheit der Weimarer Republik ließ
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Künstler und Intellektuelle aufblühen. Nie wieder danach war der deutsche Film international so angesehen wie in dieser Zeit. In allen Bereichen der Kunst wurde mit völlig neuen Formen experimentiert. Aus dem Impressionismus war der Expressionismus geworden, der nun vom Kubismus ad absurdum geführt wurde. Die Zwölftonmusik sprengte den Rahmen der melodiösen Hörgewohnheiten, und der Dadaismus verwandelte Sprache in ein buntes Durcheinander von Worten, Buchstaben und Geräuschen. Auch im Theater und der Filmproduktion wurden neue Ausdrucksformen gesucht. Deutsche Filme wie der expressionistische Stummfilm „Das Cabinet des Dr. Caligari“ gelten gemeinhin als Meilenstein. Von den einen wurden diese Innovationen begeistert gefeiert, von anderen aber als fehlgeleitet, irre oder „entartet“ geradezu verteufelt. Mit der sich verschärfenden wirtschaftlichen Krise, der steigenden Zahl der Arbeitslosen wuchs der Einfluss der völkisch-nationalen Kräfte. Mit ihren Freicorps verfügten sie über ein ‚schlagkräftiges‘ Argument gegen die kulturellen Auswüchse. Die künstlerische Avantgarde wurde ebenso bedroht wie die Redaktionen der Zeitungen, die versuchten, unabhängigen Journalismus zu praktizieren. Was bis 1933 verurteilt und bedroht wurde, wurde nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ‚ausgemerzt‘.
Filme für die ganze Welt Von Anfang an funktionierte die amerikanische Filmindustrie anders als die europäische. Zwar konzentrierte sie sich auch hier anfangs nur auf den heimischen Markt und die eigenen Zuschauer. Doch anders als in Europa beschränkte sich dies nicht auf eine Nationalität. Um die Jahrhundertwende lagen die großen Einwanderungswellen gerade einmal wenige Jahre zurück. Die amerikanische Gesellschaft war weder gefestigt noch homogen. Sie hatte zwar ein gemeinsames Fundament, bestand aber aus vielen einzelnen ethnischen Gruppen, die teilweise mehr, teilweise weniger amerikanisiert waren.
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Um mit ihren Filmen ein möglichst großes Publikum zu erreichen, mussten die amerikanischen Autoren und Produzenten Geschichten entwickeln, die Menschen unterschiedlicher Herkunft erreichten, und Zuschauer mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund verstehen konnten. Nicht umsonst nannte Carl Laemmle sein Unternehmen entsprechend Universal. Er folgte dem Anspruch „movies for the universe“ machen zu wollen und hegte keine Zweifel mehr, als ihm dieser Name für sein Studio eingefallen war. Schnell begriff die amerikanische Filmindustrie, dass sie mit dem universellen Anspruch auch die Märkte in Europa, ja sogar in anderen Erdteilen erreichen konnte. Es wurden Verleihketten aufgebaut, um die Filme in andere Länder zu verbreiten. Die Einführung des Tonfilms Ende der zwanziger Jahre stellte die Filmindustrie zunächst vor ein Problem und erschwerte den Export amerikanischer, also englischsprachiger Filme kurzfristig. Langfristig stellte das jedoch kein Hindernis dar. Die Suche nach weltweit gültigen Themen und überall gängigen Erzählweisen beschäftigte die ganze Filmindustrie, und man versuchte, ein universelles Rezept zu finden. Für die Distribution der Filme nutzte man internationale Handelsbeziehungen und baute kulturelle Brücken, aus denen unter anderem der transatlantische Filmmarkt zwischen Nordamerika und Europa hervorging. Die Europäer konzentrierten sich derweil weiterhin nur auf den heimischen Markt. So gewannen die Amerikaner innerhalb von zwei Jahrzehnten die Oberhand im internationalen Filmgeschäft – und diese Vormachtstellung hat Hollywood bis heute inne.
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Der Hollywood-Schriftzug ist beleuchtet Groß und hell leuchtend stehen die neun Buchstaben an einem kargen, vertrockneten Hang über Los Angeles: „H O L L Y W O O D“. Sie sind nicht nur Logo und Überschrift der Filmindustrie, sondern strahlen in die ganze Welt hinaus. Überall verbinden Menschen mit diesen Buchstaben den Glanz und den Glamour der amerikanischen Filmindustrie. Weltweit ist er Inbegriff und Projektionsfläche für ehrgeizige Träume und tiefgreifende Sehnsüchte vieler Menschen. Dabei sind die Buchstaben recht simpel konstruiert und bestehen aus schlichtem Stahl, der weiß übertüncht ist. Das Konstrukt alleine weckt die Phantasien der Filmfans sicher nicht. Aber dennoch verfehlen die Buchstaben ihre Wirkung nicht. Von vielen Stellen in Los Angeles kann man den Schriftzug gut erkennen – auch wenn man fast enttäuscht ist, weil die Schrift viel kleiner ist, als man sie sich vorgestellt hat – Teleobjektiven sei Dank. Fotografiert wurden die Buchstaben jedenfalls millionenfach. Der Schriftzug befindet sich am Mount Lee in den Hollywood Hills über Hollywood. Jeder Buchstabe ist 15 Meter hoch, und zusammen sind sie 137 Meter lang. Rund 220 Tonnen wiegt der gesamte Aufbau. Neben der Freiheitsstatue und den Präsidentenköpfen von Mount Rushmore gehört der Hollywood-Schriftzug zu den bekanntesten Erinnerungsorten in den Vereinigten Staaten. Mancher mag sogar Bilder im Kopf haben, wie dieser Schriftzug hell erleuchtet über der
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Filmstadt thront. Doch wer einmal in Los Angeles war und den Hollywood-Schriftzug in der Nacht fotografieren wollte, der musste zu seinem Leidwesen feststellen, dass die Schrift keineswegs beleuchtet ist. Trügt die Erinnerung? Verwechselt man H O L L Y W O O D mit anderen Schriftzügen zum Beispiel aus Las Vegas, wo ja scheinbar alles beleuchtet ist?
„Hollywoodland“ – eine Werbeaktion Als die Filmindustrie in Hollywood noch in den Kinderschuhen steckte, gab es an dieser gut sichtbaren Stelle schon diesen Schriftzug. Allerdings waren es nicht neun Buchstaben, sondern 13, und er lautete „H O L L Y W O O D L A N D“. Doch daran erinnert sich heute fast niemand mehr. Los Angeles war schon immer eine Stadt der Träume und Visionen. Viele gingen sogar in Erfüllung. Auch der Herausgeber der Los Angeles Times, Harry Chandler, wollte seine Vision wahr werden lassen. Gegenüber dem Mount Lee wollte er 1923 die vornehmste Wohnsiedlung von Los Angeles entstehen lassen, einen Traum für gehobene Ansprüche. Seine Firma wollte dieses Gebiet erschließen und gab dem Projekt den Namen „Hollywoodland“. Um auf seine Immobilien aufmerksam zu machen, ließ er hoch über dem Bauplatz aus Telefonmasten, Stoff- und Holzresten ein Provisorium zimmern, mit dem er für die Grundstücke werben wollte. Um einen wirklich grandiosen Effekt zu erzielen, ließ er 4000 Glühbirnen an den riesigen Buchstaben anbringen, die am Nachthimmel von Los Angeles weithin sichtbar abwechselnd „H O L L Y“, „W O O D“ und „L A N D“ erleuchten ließen. Aber Hollywoodland und seinem Initiator war das Glück nicht hold. Nachdem entlang des Beachwood Drive ein paar Hundert Häuser entstanden waren, setzte die Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre den großen Immobilienträumen ein Ende. Das Planungsunternehmen ging Pleite, die Nobelsiedlung „Hollywoodland“ verwaiste. Was übrig blieb war der Hollywoodland-Schriftzug, den nun auch niemand mehr abbaute.
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Im Laufe der Jahre versiegte das Interesse an Hollywoodland. Aber es sollte noch einige Jahrzehnte dauern, bis die Filmindustrie in Hollywood das Symbol für sich vereinnahmte. Zwischenzeitlich verfielen die Buchstaben und rückten nur selten ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Ein Ereignis, leider ein tragisches, in den frühen dreißiger Jahren rief sie zurück ins Rampenlicht. Am Abend des 18. September 1932 stieg die in Hollywood gescheiterte 24-jährige New Yorker Schauspielerin Peg Entwistle mit Hilfe einer Leiter auf die obere Kante des „H“ und stürzte sich in den Tod. Mit diesem verzweifelten Schritt verewigte sie sich in der Geschichte Hollywoods und wurde postum zum „Hollywood Sign Girl“. So wurde der Schriftzug erstmals mit der Filmindustrie in Verbindung gebracht und erfuhr nach und nach einen Bedeutungswandel.
Der Erhalt des Markenzeichens Als in den vierziger Jahren der Schriftzug verfiel, fühlte sich niemand zuständig, da er ja niemandem mehr gehörte. Ende der vierziger Jahre konnte man über den Verfall nicht mehr hinwegsehen, als schließlich das „H“ umkippte. Auch die anderen Buchstaben neigten sich bedrohlich zur Seite und zeigten deutliche Spuren ihres Alterungsprozesses. Das Material verrottete, die Farbe bröckelte ab. Die Glühbirnen, die den Schriftzug einst beleuchteten, waren längst geplatzt oder gestohlen. Schließlich übernahm die Stadt Los Angeles die Verantwortung für die verwitterte Ruine. 1949 wurden die hinteren vier Buchstaben abgerissen und der Rest von der örtlichen Handelskammer notdürftig repariert. Aus „HOLLYWOODLAND“ wurde „HOLLYWOOD“. Im heute bekannten Glanz erstrahlen die neun Buchstaben erst seit 1978. Der mittlerweile zum Wahrzeichen von Hollywood gewordene Schriftzug wurde völlig neu errichtet. In den sechziger Jahren hatte ein Großteil der Filmindustrie dem Stadtteil Hollywood den Rücken gekehrt und sich dort das Rotlichtmilieu breit gemacht. Die Buchstaben verfielen abermals, und wieder fühlte sich niemand für
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den Schriftzug zuständig. Auch die Stadt lehnte dieses Mal ein Engagement strikt ab. Nicht das „H“ kippte jetzt als Erstes, das „O“ war schneller, auch das „D“ knickte in sich zusammen. Einer jedoch fand sich, der dem nicht länger zusehen wollte. Der Playboy-Gründer Hugh Hefner organisierte 1978 in seinem Playboy-Mansion eine ausschweifende Party, zu der er einlud, wer Geld und Namen hatte. Jeder Gast sollte mit einer Spende zum Erhalt des Monumentes beitragen. Hefner selbst legte 28 000 Dollar auf den Tisch, um den mittleren Buchstaben, das „Y“, zu retten. Seinem Aufruf folgten sowohl einzelne Stars und wie auch ganze Firmen. Rockstar Alice Cooper zum Beispiel stand Pate für das erste „O“ des Doppelvokals, die Plattenfirma Warner Bros investierte in das „O“ daneben. Seither strahlen die Buchstaben oberhalb Hollywoods leuchtend weiß auf die Stadt herab. Künstlich beleuchtet sind sie allerdings nicht mehr. Obwohl sich sicherlich Generationen von Touristen dies für ihr Urlaubsfoto „Hollywood bei Nacht“ wünschen würden.
Tourismusattraktion Im Laufe der Jahrzehnte und mit der Zunahme des Tourismus in Los Angeles wurde der Schriftzug international zu einem bekannten Wahrzeichen. Zahlreiche Touristen aber auch Stars lassen sich immer wieder vor ihm Fotografieren. So rangiert die ehemalige Werbeaktion heute in einer Liga mit dem Eifelturm, dem „Schiefen Turm von Pisa“ und der Freiheitsstatue als eines der meistfotografierten und am häufigsten abgebildeten Symbole der westlichen Welt. Auch wenn die meisten Menschen es mit dem Glanz der Hollywoodfilmwelt verbinden, ist dieses Wahrzeichen von Los Angeles auch ein Symbol des Scheiterns und der zerbrochenen Träume, wie das Scheitern von „Hollywoodland“ und der Tod von Peg Entwistle eindrücklich zeigten. Sollten Sie einmal nach Los Angeles kommen und erwarten, die „Touristenattraktion“ besuchen zu können – seien Sie gewarnt. Jeder kennt das „Hollywood Sign“, aber niemand kann Ihnen sagen, wie man dort hinkommt. Ist man in Europa gewöhnt, von einer Vielzahl
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von Hinweisschildern zu den Sehenswürdigkeiten geleitet zu werden, findet man hier nur Straßenschilder mit dem Hinweis „No access to Hollywood Sign“ – immerhin ein Hinweis, dass man nicht ganz falsch ist. Da aber um die berühmten Buchstaben alles abgesperrt ist und mit Videokameras, Bewegungsmeldern und Alarmanlagen überwacht wird, sollte man tunlichst vermeiden, auf das Gelände vorzudringen. Bereits der Zugang zu dem Berg weit unterhalb ist verboten. Wenn Sie hier dennoch eine Sehenswürdigkeit besuchen wollen, empfehlen wir Ihnen das „Historic-Cultural Monument No. 20“. An der Einfahrt nach Beachwood Canyon, wie die Siedlung des ehemaligen „Hollywoodland“ heute heißt, steht ein nach mittelalterlichem Vorbild gestaltetes Tor, das in den zwanziger Jahren dort als Eingang für die Luxussiedlung errichtet wurde. Dahinter liegt ein kleiner Platz mit dem „Village Coffee Shop“, der aussieht wie aus den fünfziger Jahren. Zwei Bänke auf dem Bürgersteig davor laden zum Rasten ein, ruhig ist es hier, grün und friedlich. Die Bewohner grüßen Fremde und Touristen wie auf dem Dorf. Sicherheit ist hier eines der Hauptanliegen, und vielfach weisen sie darauf hin, dass die „Bel-Air Patrol“ durch die Gegend streift. Nur die auffällig vielen Schilder in den Fenstern, auf denen „For Sale“ oder „For Rent“ steht, lassen erahnen, wie sehr die Wucht der Immobilienkrise auch diese Idylle getroffen hat. Wir wollen aber nicht verschweigen, dass es doch einige Geheimtipps gibt, von wo man zumindest einen schönen Blick auf das berühmte Objekt hat. Aber es empfiehlt sich, ein Fernglas oder ein gutes Teleobjektiv mitzunehmen, da die Buchstaben weiter entfernt sind, als man zunächst vermutet. Von der Galerie der Hollywood & Highland Mall auf dem Hollywood Boulevard neben dem Kodak Theatre hat man freie Sicht auf den Schriftzug. Auch von der Terrasse des Griffith Observatorium im Griffith Park lohnt sich eine Aufnahme. Hier können Sie auch in der Nacht über das Lichtermeer von Los Angeles blicken, während sich die berühmten Buchstaben an den Hängen über der Stadt in der Dunkelheit verstecken.
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Noch nie hat ein deutscher Schauspieler den Oscar gewonnen Bis zur 82. Oscar-Verleihung am 7. März 2010, mag mancher Leser einwenden, war die Behauptung wohl richtig, dass kein deutscher Schauspieler je den Oscar gewonnen habe. Die deutschen Medien hatten denn auch im Vorfeld schon gewaltig getrommelt, und das Filmpublikum in Deutschland zitterte mit und drückte die Daumen. An diesem denkwürdigen Tag ging scheinbar für die deutsche Kinowelt ein Traum in Erfüllung: Christoph Waltz wurde für seine brillante Darstellung des judenhassenden Nazis Hans Landa in Quentin Tarantinos Film „Inglourious Basterds“ (2009) mit dem Oscar für den besten Nebendarsteller ausgezeichnet. Nachdem er in vielen deutschsprachigen Kino- und Fernsehfilmen mitgewirkt hatte, war der amerikanische Regisseur auf ihn aufmerksam geworden. Tarantino plante einen Film, der im Dritten Reich spielen sollte, und was lag da näher, als sich auch unter deutschen Schauspielern umzusehen, zumal er den Film in Deutschland, in den Studios von Babelsberg drehen wollte. Christoph Waltz war in dem Streifen nur einer unter etlichen deutschen Schauspielern, aber er verkörperte die aalglatte Kälte des Nazis in so eindrücklicher Weise, dass seine Leistung die aller anderen überragte. Mittlerweile ist Waltz ein international gefeierter Schauspieler und hat sogar einen zweiten Oscar bekommen.
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Leider war der Medienrummel und die Euphorie der Deutschen aber genau genommen fehl am Platze. Christoph Waltz ist zwar ein deutschsprachiger Schauspieler, deutscher Staatsbürger ist er nicht. Er wurde 1956 in Wien geboren, ist dort aufgewachsen und wurde dort zum Schauspieler. Da sein Vater Deutscher war, erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft, fühlte sich aber dennoch immer als Österreicher. Im Sommer 2010 wurde ihm schließlich die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Aber ohne die gemeinsame deutsch-österreichische Geschichte zu sehr zu bemühen, birgt diese Geschichte noch mehrere andere Punkte, die genauer beleuchtet werden müssen.
Die 82. Oscar-Verleihung 2010 – eine deutsche Veranstaltung? Die Deutschen hatten Christoph Waltz 2010 zu ihrer Galionsfigur erkoren, obwohl er ja Österreicher war und außerdem für einen amerikanischen Film ins Rennen ging. Der offizielle deutsche Oscar-Beitrag war ein anderer: Michael Hanekes Film „Das weiße Band“, der in den Sparten „Bester fremdsprachiger Film“ und „Beste Kamera“ nominiert war. Das „Weiße Band“ war ein stiller und sehr tiefgründiger Film, dem im Vergleich zu „Inglourious Basterds“ der Glamour-Faktor fehlte. Darüber hinaus rechnete man sich in Deutschland keine großen Chancen für Michael Haneke aus, da das konkurrierende Feld ausgesprochen gut besetzt war. Dies vergrößerte die Aufmerksamkeit um die Entscheidungen in Los Angeles zwar, Christoph Waltz blieb aber das Zugpferd der Boulevardpresse. Hatte er doch in einem Film, der von dem erfolgreichen amerikanischen Regisseur Quentin Tarantino inszeniert worden war, alle anderen an die Wand gespielt. Da in Tarantinos Film etliche deutsche Schauspieler gespielt hatten und der Film in Deutschland produziert worden war, konzentrierte sich alles auf „Inglourious Basterds“. Betrachtet man alle Kategorien der Oscar-Verleihung und weitet die Kriterien für unsere Kompilation auf die Beteiligung deutscher Filmschaffender und Financiers aus, kommt man für das Jahr 2010
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sogar auf 13 deutsche Oscar-Nominierungen. Einige euphorische Berichterstatter führten nicht nur „Das weiße Band“ und „Inglourious Basterds“ als „deutsche“ Oscar-Beiträge auf, sondern bezogen auch den israelischen Film „Ajami“, den polnischen Dokumentarfilm „Rabbit à la Berlin“ und das US-Drama „The Last Station“ in ihre Aufstellung ein. Sie waren unter Beteiligung von Filmschaffenden aus Deutschland entstanden und dienten daher auch als Projektionsfläche des eigenen Ruhms.
Eine deutsche Schauspielerin, die den Oscar gewann? Bei all den Bemühungen, den deutschen Film im Glanz des Oscars scheinen zu lassen, wird meist eine Schauspielerin übersehen, bei der das Argument, sie sei eine deutsche Schauspielerin, gar nicht so bemüht wirken würde: Sandra Bullock. Selbst im Jahr 2010, als man jeden möglichen Film mit Deutschland in Verbindung bringen wollte, ging sie in der Euphorie unter. Dabei hätte die deutsche Presse auch sie als „Deutsche, die den Oscar gewann“ stilisieren können. Denn Sandra Bullock wurde 1964 als Tochter der deutschen Opernsängerin Helga Meyer und des Amerikaners John Bullock zwar in Amerika geboren. Ihre ersten zwölf Lebensjahre verbrachte sie aber vorwiegend in Nürnberg, wo ihre Mutter ein Engagement am Theater hatte. Mit 18 Jahren musste sie sich für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden, und sie beschloss, die deutsche aufzugeben. Seither ist sie nur noch US-Amerikanerin. Aber nach wie vor spricht sie fließend deutsch, wie sie es dem deutschen Publikum bei Interviews oder TVAuftritten immer wieder demonstriert. Zurück in den Vereinigten Staaten beschloss sie schon früh, Schauspielerin zu werden. Sie studierte Schauspiel und zog dann aber nach New York, um lieber in der Praxis ihre Erfahrungen zu machen. 1989 entschied sie sich, wie so viele vor ihr, nach Los Angeles zu gehen und dort ihr Glück zu versuchen. Dort konnte sie zunächst kleinere Rollen ergattern, bis ihr 1994 mit dem Actionfilm „Speed“ an der Seite von
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Keanu Reeves der große Durchbruch gelang. Seither ist Sandra Bullock eine der gefragtesten Schauspielerinnen und mittlerweile auch als Produzentin tätig. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde sie mit Preisen und Nominierungen geradezu überhäuft, darunter der „Golden Globe“, der „MTV Movie Award“ und der „People’s Choice Award“ wie auch das deutsche „Bambi“. Den schauspielerischen Ritterschlag erhielt Sandra Bullock aber ausgerechnet 2010 bei der 82. Oscar-Verleihung. Sie war für die Rolle als Adoptivmutter des Football-Stars Michael Oher in dem Film „Blind Side – Die große Chance“ für den Oscar nominiert und wurde in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ ausgezeichnet. Doch die deutsche Presse nahm dies kaum wahr, sie konzentrierte sich nur auf „Inglourious Basterds“. Dass Sandra Bullock Humor besitzt, bewies sie im gleichen Jahr. Für den Film „Verrückt nach Steve“ war sie für die „Goldene Himbeere“ nominiert worden. Dieser Preis wird alljährlich parallel zu den Oscars für die schlechtesten Leistungen auf der Kinoleinwand vergeben. Die meisten Stars versuchen, diese Auszeichnung zu ignorieren und nehmen ihn nicht persönlich entgegen. Nicht so Sandra Bullock. Laut eigener Aussage, wollte sie sich auch diese Verleihung nicht entgehen lassen. Am Tag vor der Oscar-Verleihung nahm sie die „Goldene Himbeere“ persönlich entgegen.
Verdrängt und vergessen – der Oscar für Emil Jannings Zweifelsohne ist Christoph Waltz ein deutschsprachiger Schauspieler, der auf deutschen Bühnen, im deutschen Fernsehen und im deutschen Kino seine Karriere aufbaute, bis er schließlich auf die internationale Bühne wechselte und den Oscar gewann – und dies mittlerweile zweimal. Dennoch war er nicht der erste, dem dies gelang. Der Erfolg eines Deutschen liegt weit in der Vergangenheit und wird zudem von einer Zeit verdunkelt, an die man sich nicht gerne erinnert. Man muss in der Historie der Oscar-Verleihungen weit zurückgehen, bis zu den Anfängen. Hier stößt man auf den Namen Emil Jannings.
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1929 hatte er den ersten Oscar überhaupt als „bester Hauptdarsteller“ für seine Darbietung in zwei verschiedenen Filmen erhalten. Jannings wurde 1884 unter dem Namen Theodor Friedrich Emil Janenz im schweizerischen Rorschach geboren, war aber zeitlebens deutscher Staatsbürger. Er wuchs in Leipzig und später in Görlitz auf, wo er gegen den Willen seiner Eltern mit dem Schauspielern begann. Das örtliche Theater legte ihm allerdings nahe, seine Entscheidung zu überdenken, sein Talent sei nicht ausreichend. Doch Jannings war ein Kämpfer. Er schloss sich verschiedenen Schauspielergruppen an, reiste mit ihnen durch den gesamten deutschsprachigen Raum und sammelte Erfahrung. Schließlich kam er nach Berlin und reifte unter Max Reinhardt am Deutschen Theater zum Charakterschauspieler. In den darauffolgenden „Goldenen Zwanziger Jahren“ war Jannings Teil der kultur-schaffenden Berliner Gesellschaft, die in der Kunst neue Akzente setzte. Dem Film, besonders dem Stummfilm, stand Jannings immer eher reserviert gegenüber, seine Welt war die des Theaters. Zum einen hatte er eine ausdrucksstarke Stimme, die im Stummfilm nicht zur Geltung kam, zum anderen brauchte er ein direktes Publikum. Da die Gagen im Filmgeschäft aber höher lagen als beim Theater, spielte auch Jannings bald in vielen Produktionen der UFA mit. Binnen kurzer Zeit war Jannings so beliebt, dass er in Deutschland mit der Auszeichnung „Bester Schauspieler der Welt“ bedacht wurde. Über befreundete Kollegen, die schon nach Amerika gegangen waren, bekam Jannings schließlich einen Vertrag mit Paramount. Unter der Regie von Victor Fleming gab er sein Debüt in „Der Weg allen Fleisches“, der 1927 ein großer Erfolg wurde. Ein Jahr später folgte „Sein letzter Befehl“. Für seine schauspielerische Leistung in beiden Filme zusammen wurde er 1929 für den Oscar nominiert und ausgezeichnet. Mit dem Aufkommen des Tonfilms wirkte Jannings Art zu spielen plötzlich übertrieben. Er kehrte nach Deutschland zurück, und hier feierte er in „Der Blaue Engel“ an der Seite von Marlene Dietrich sein Tonfilmdebut, das wieder ein großer Erfolg wurde. Er hatte den Schritt in die neue Ära geschafft. Auch die nächste Hürde auf dem Karriereweg nahm er: Als 1933 Adolf Hitler die Macht ergriff, war er
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von Anfang an dabei, spielte in Propagandafilmen und allem, was die gleichgeschaltete Filmindustrie ihm bot. Seinen letzten Film konnte er 1945 nicht mehr beenden. Die Alliierten verhängten sofort nach Kriegsende ein lebenslanges Berufsverbot gegen ihn. Nur wenige Jahre später, 1950, starb er in Österreich. Emil Jannings Filme werden heute in Deutschland kaum mehr gezeigt. Seine größten Erfolge hatte er schließlich im Dritten Reich gefeiert. Dennoch war er ein wirklich großartiger Schauspieler, der die Auszeichnung als „Bester Hauptdarsteller“ wohl verdient hatte. Und bis heute ist er der einzige Deutsche, der in dieser Kategorie, die ja die höchste Ehre für Schauspieler überhaupt ist, gewonnen hat. Die Erinnerung an ihn ist in Deutschland verblasst, in Los Angeles erinnert ein Stern auf dem Hollywood Walk of Fame an den ersten Oscar-Gewinner.
Deutsche Oscar-Gewinner aller Sparten Mit seinem Oscar in der Kategorie „Bester Hauptdarsteller“ legte Emil Jannings die Messlatte für alle späteren deutschen Anwärter sehr hoch. Doch gibt es in der über 80-jährigen Geschichte des begehrten Filmpreises einige Gewinner in anderen Kategorien. Zu den frühen Oscar-Gewinnern aus dem deutschsprachigen Raum zählt Carl Laemmle, der als Chef von Universal die Auszeichnung in der Kategorie „Bester Film“ für „Im Westen Nichts Neues“ erhielt. 1938 folgte der Kameramann Karl Freund für das Melodram „The Good Earth“. Freund wurde 1955 abermals ausgezeichnet. Hier galt der Preis einer technischen Errungenschaft, nämlich dem Multicam-System, durch das drei Filmkameras gleichzeitig drehen konnten. Ernst Lubitsch – ein deutschstämmiger Schauspieler und Regisseur – erhielt 1947 den Ehren-Oscar. Ein Jahr später wurde Alfred Junge als Art Director in der Sparte „Art Direction – Color“ ausgezeichnet. In den Jahren 1951 und 1952 gewann der Komponist Franz Wachsmann in Folge den Oscar für die beste Filmmusik, die er für „Sunset Boulevard“ (1950) und „Ein Platz an der Sonne“ (1951) geschrieben hatte. Weitere deutsche OscarGewinner waren der Tierforscher Professor Bernhard Grzimek für sei-
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nen Dokumentarfilm „Die Serengeti darf nicht sterben“ (1959), sowie 1967 August Arnold in der Kategorie „Scientific or Technical Award“ für die Erfindung der ersten serienmäßig gefertigten 35-mm-Spiegelreflexkamera. 1972 bekam der Filmarchitekt Rolf Zehetbauer den Preis für die Ausstattung des Musical-Films „Cabaret“ mit Liza Minelli. In den 1990er und 2000er Jahren wurde abermals eine ganze Reihe deutscher Filmschaffender in Los Angeles ausgezeichnet: Wolfgang und Christoph Lauenstein für „Balance“ (Animationsfilm, 1990), Erich Kästner für sein Lebenswerk als Kamerakonstrukteur (Gordon E. Sawyer Award, 1990), Pepe Danquart für „Schwarzfahrer“ (Kurzfilm, 1994), Hans Zimmer für „König der Löwen“ (Filmmusik, 1995), Thomas Stellmach und Tyron Montgomery für „Quest“ (Zeichentrick-Kurzfilm, 1997) sowie Volker Engel für „Independence Day“ (Visual Effects, 1997). 2001 erhielt Florian Gallenberger für „Quiero Ser“ den Oscar für den besten Kurzfilm. Technik-Oscars erhielten Horst Burbulla für die Entwicklung eines Teleskop-Kamera-Krans (2005) und Hildegard Ebbesmeier, Nicole Wemken, Michael Anderer und Udo Schauss für die Entwicklung eines neuen Kino-Projektionsobjektivs (2006). Drei deutsche Regisseure konnten bisher die Auszeichnung in der Sparte „Bester fremdsprachiger Film“ gewinnen. Sie gelten als Krönung der deutschen Oscar-Gewinne. Den Anfang machte Volker Schlöndorf im Jahre 1980 mit seiner Literaturverfilmung der „Blechtrommel“ von Günther Grass. Danach musste das deutsche Kinopublikum mehr als zwei Jahrzehnte warten, bis ein ähnlicher Triumph wiederholt werden konnte. Caroline Link gewann schließlich 2003 für ihre Verfilmung des Bestsellers „Nirgendwo in Afrika“ von Stefanie Zweig den Oscar. Vier Jahre später wiederholte Florian Henckel von Donnersmarck diesen Erfolg und feierte 2007 mit „Das Leben der Anderen“ seinen Oscar-Gewinn.
Deutsche Filmschaffende in Hollywood Der deutsche Einfluss auf die Entstehung von Hollywood wird oft unterschätzt oder gar ignoriert. Man kann aber ohne Übertreibung be-
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haupten, dass Hollywood ohne die Filmschaffenden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht das Zentrum des globalen Filmgeschäfts geworden wäre. Der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Hollywood und der deutschen Filmindustrie hatten in der Stummfilmzeit der Zwanziger Jahre ihren frühen Höhepunkt. Damals war Berlin eine der quirligsten Metropolen der Welt. Viele amerikanische Schauspieler kamen hierher, um bei deutschen Produktionen etwas dazuzulernen und sich Anregungen zu holen. Dennoch war auch Hollywood schon damals für die Deutschen so attraktiv, dass Größen wie Ernst Lubitsch oder der Schauspieler Conrad Veidt nach Kalifornien kamen, ebenso die Regisseure William Wyler, der später „Ben Hur“ drehen sollte, und Michael Curtiz aus Österreich-Ungarn, der mit „Casablanca“ Filmgeschichte schreiben sollte. Viele blieben allerdings in Hollywood, weil die Lage in Deutschland für Künstler mit innovativen Ideen zunehmend schwieriger wurde. In den dreißiger Jahren schwoll der Strom der deutschen Flüchtlinge vor dem nationalsozialistischen Regime an, besonders deutschjüdische Flüchtlinge kamen und gaben neue Impulse. Sie alle verließen aufgrund der Bedrohung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten ihre Heimat in Deutschland, Österreich und den von den Deutschen besetzten Gebieten. Unter ihnen waren Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau, Peter Lorre, Billy Wilder, Marlene Dietrich, der Star-Regisseur Josef von Sternberg sowie viele weitere. Durch den Wegzug der Filmschaffenden verlor Deutschland seinen Status, den es nie wieder erreichte. Wer heute als deutscher Regisseur oder Schauspieler nach Hollywood geht, wie in jüngeren Jahren Arnold Schwarzenegger, Roland Emmerich, Wolfgang Petersen, Michael Ballhaus oder Diane Krüger tut es, um den internationalen Durchbruch zu schaffen.
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Walt Disney gab dem „Oscar“ seinen Namen Jedes Jahr im Frühling wird er verliehen, der Oscar, und die Bilder der glücklichen Preisträger, die jubelnd die goldene Statuette in die Höhe recken, gehen um die Welt. Er ist nicht nur eine Auszeichnung, er steht für den Erfolg in der Filmindustrie schlechthin, für die Erfüllung von Sehnsüchten und Träumen, die mit Hollywood verbunden sind. Wie kommt aber ein so renommierter Preis zu einem so banalen Namen? Wem mangelte der Respekt vor der goldenen Figur, dass er ihn einfach „Oscar“ nannte? Eine der Legenden nennt Walt Disney, der während seiner Dankesrede 1934, die er für die Zuerkennung des Preises für den Zeichentrickfilm „Drei kleine Schweinchen“ hielt, ihn als Erster als Oscar bezeichnet haben soll. Noch am gleichen Tag erschien ein Artikel, in dem ebenfalls dieser Name erwähnt wurde. War Disney also derjenige, der den begehrtesten Filmpreis der Welt auf diesen Namen „taufte“? Natürlich ist auch diese Frage nicht ganz so einfach zu beantworten, gibt es doch einige Legenden, die sich um den Namen ranken. Sicher ist nur, dass der Preis in den ersten Jahren seiner Existenz ausschließlich „Academy Award of Merit“ hieß und dies auch heute noch die offizielle Bezeichnung ist. Doch wann wurde er zum ersten Mal ausgelobt? Seit wann gibt es den Oscar? Wer hat ihn initiiert, und warum wurde er eingeführt? Wer kann nominiert werden und nach wel-
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chen Kriterien geschieht dies? Dominieren in dem kalifornischen Spektakel nicht zwangsläufig US-amerikanische Produktionen?
Der erste Filmpreis Bereits vor dem Oscar gab es in den USA einen Preis für besonders gelungene Filme: den 1920 eingeführten „Photoplay Award“. Er gilt gemeinhin als erster Filmpreis überhaupt und wurde von der 1911 in Chicago gegründeten Filmzeitschrift Photoplay verliehen. Von 1920 bis 1939 wählten die Leser des Magazins den „Besten Film“ des Jahres, der dann die „Photoplay Gold Medal“ beziehungsweise die „Photoplay Medal of Honor“ erhielt. Danach pausierte der Preis wegen des Zweiten Weltkriegs und wurde erst 1944 wieder vergeben. Ab diesem Zeitpunkt entschied eine Meinungsumfrage über die Vergabe des Preises. Auch fügte man der Kategorie „Bester Film“ weitere hinzu wie „Populärster männlicher Star“ und „Populärster weiblicher Star“. Unter den Preisträgern waren Hollywoodgrößen wie Ingrid Bergman, Bing Crosby, Richard Chamberlain, Doris Day, Rock Hudson und Marilyn Monroe. Bisweilen vergab Photoplay auch Sonderpreise. Die Preise wurde nach der Beliebtheit der Schauspieler oder Filme vergeben und nicht wie beim Oscar von einer Jury für verschiedene besondere Leistungen. Daher gelten die „Photoplay Awards“ auch eher als Vorläufer der heutigen „People’s Choice Awards“. Durch die Konkurrenz des Oscars und anderer Kritikerpreise verlor der „Photoplay Award“ in den sechziger Jahren an Bedeutung und wurde 1968 zum letzten Mal vergeben.
Professionalisierung der Filmkunst – die Gründung der „Academy“ Als sich die US-amerikanische Filmindustrie Ende der zwanziger Jahre in der Krise befand, die vom Zusammenbruch der New Yorker Börse aber auch vom Aufkommen des Radios ausgelöst wurde, suchten
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die Filmschaffenden nach neuen Möglichkeiten, die eigenen Produktionen zu vermarkten. Ihre Situation war in den letzten Jahren ungleich schwieriger geworden. Das Kino war kein Selbstläufer mehr wie in den Jahren zuvor. Auch in der Filmindustrie hatten sich Gewerkschaften gebildet, die für angemessene Bezahlung und geregelte Arbeitsverhältnisse kämpften. Dadurch erschwerten und verteuerten sich die Produktionen für die Studios. Hinzu kam die Zensur, die den Studios Schwierigkeiten bereitete, denn bereits mit dem Aufkommen der ersten Nickelodeons gab es – zunächst nur lokale und keinesfalls staatliche – Zensurbehörden, die darüber wachten, dass Filme in keiner Weise obszön, vulgär, kriminalitätsverherrlichend, diskriminierend oder gar blasphemisch waren. Um in dieser Lage wieder offensiv zu werden, traf sich Louis B. Mayer, der Leiter von Metro-Goldwyn-Mayer, mit den Filmschaffenden Conrad Nagel und Fred Niblo. Gemeinsam dachten sie über neue Strategien nach, wie sie die Filme besser vermarkten könnten. Sie ersannen ein Instrument, mit dem sie die Interessen der Filmschaffenden besser bündeln konnten und das zugleich unterstrich, dass es sich bei ihren Filmproduktionen um Kunst handelte. Die Idee war, eine Akademie für die Filmindustrie zu gründen. Bei einem feierlichen Gala-Dinner, in Anwesenheit von 33 einflussreichen und namhaften Filmgrößen, gründete Mayer am 11. Januar 1927 die Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Danach wurden die Akademie-Statuten ausgearbeitet und festgehalten, um der Institution Seriosität und eine Mission zu geben. Schließlich lobten die Gründer noch einen Filmpreis aus, der vor allem in die Öffentlichkeit wirken sollte. Er wurde am 16. Mai 1929 zum ersten Mal verliehen.
Geheimniskrämerei um die Gewinner Jedes Jahr im Frühling erleben wir das gleiche Spektakel. Zunächst wird ein großes Geheimnis um die Oscar-Nominierungen gemacht; stehen diese fest, gehen die öffentlichen Spekulationen in den Medien
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weiter, bis schließlich die Gewinner bei der großen Gala verkündet werden: „… and … the the Oscar goes to …“. Doch das war nicht immer so. Bei der ersten Verleihung wurden die Prämierungen schon drei Monate vorher bekannt gegeben, und jeder Nominierte wusste schon im Vorfeld, ob er den Oscar erhalten wird. Emil Jannings, der Gewinner des ersten Oscars, hatte schon vor dem Abend der Verleihung wieder nach Deutschland zurückkehren müssen. Deshalb bat er die Akademie, ob er die Trophäe nicht vorher ausgehändigt bekommen könnte. Und so geschah es; nur deshalb ist er der erste Preisträger überhaupt. Der Academy war jedoch gleich klar: Um der Oscar-Verleihung mehr Bedeutung zu verschaffen, musste man mehr öffentliches Interesse erregen. Man musste die Veranstaltung spannender gestalten. Schon im nächsten Jahr wurden die Namen nicht mehr vor der Übergabe veröffentlicht. Die Academy gab allerdings eine Liste der Preisträger an die Presse, die sie aber nicht vor 23 Uhr des Abends der Verleihung herausbringen durfte. 1940 patzte jedoch die Los Angeles Times. Sie druckte die Liste schon in ihrer Nachmittagsausgabe, so dass die Öffentlichkeit vor Beginn der Veranstaltung und somit auch die Gewinner Bescheid wussten. Daher werden die Namen der Preisträger seit 1941 nach der Entscheidung der Jury in versiegelten Umschlägen verwahrt, die erst in der Zeremonie direkt vor dem Publikum und den versammelten Stars geöffnet werden. Lediglich ein kleinster Kreis, der aus der Jury und Notaren besteht, kennt die Ergebnisse im Vorfeld. Das Interesse an der Oscar-Verleihung wird auf diese Weise jedes Jahr aufs Neue geschürt. Die Popularität des Oscar wuchs, so dass ab 1953 die Verleihung im Fernsehen übertragen wurde. Auch sechzig Jahre später ist das Interesse ungebrochen. Heute verfolgen schätzungsweise 800 Millionen Menschen in nahezu allen Ländern der Erde die Oscar-Verleihungen live im Fernsehen.
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Die Dominanz amerikanischer Produktionen Es ist nicht zu übersehen: US-Amerikanische Produktionen haben bei den Oscar-Verleihungen – und bereits bei den Nominierungen – die Nase vorn. Da drängt sich natürlich der Gedanke auf, dass es sich bei der Veranstaltung eher um einen nationalen Wettbewerb innerhalb der Vereinigten Staaten handelt. Schließlich weist auch die Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ in diese Richtung. Betrachtet man jedoch die Kriterien für die Zulassung der Filme, wird man zugeben müssen, dass jeder Film eine Chance bekommt. Spielfilme müssen länger als vierzig Minuten sein und das Filmmaterial muss die Projektionsqualität für ein Filmtheater besitzen. Er muss im vorangegangenen Jahr mindestens sieben Tage lang in einem öffentlichen Kino im Gebiet von Los Angeles kommerziell gelaufen sein und nur nach den üblichen Regeln vermarktet worden sein. Die Kinoproduktion darf vor allem aber nicht vor dem Kinostart in einem anderen Medium (im Fernsehen, auf DVD) veröffentlicht worden sein und zumindest englische Untertitel haben. Zwar kommen de facto meist englischsprachige Produktionen in die engere Auswahl, doch die formellen Voraussetzungen sind keineswegs an ein Herkunftsland gebunden. Betrachtet man die Listen der Preisträger, so finden sich durchaus auch Produktionen oder Co-Produktionen aus anderen Ländern. Eines der bekanntesten Beispiele ist wohl die „Herr-der-Ringe-Trilogie“. Der dritte Teil „Die Rückkehr des Königs“ aus dem Jahr 2003, der bei der Oscar-Verleihung 2004 elf Auszeichnungen erhielt und damit einer der Spitzenreiter ist. Er ist in erster Linie eine neuseeländische Produktion mit britischer und US-amerikanischer Beteiligung, also weder ein amerikanischer Film noch in Hollywood entstanden. Es gibt viele weitere Beispiele, doch muss man auch klar einräumen, dass amerikanische Produktionen im Übermaß repräsentiert sind.
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Preisträger, die den Preis ablehnten In den siebziger Jahren war die Oscar-Verleihung so populär geworden, dass sie mitunter auch als Forum für öffentlichkeitswirksame Auftritte mit gesellschaftskritischen oder politischen Untertönen genutzt wurde. Zum Teil wiesen die Prämierten in ihrer Dankesrede auf soziale Missstände hin oder gaben ein politisches Statement ab. Es gab aber auch Schauspieler, die die Annahme des Preises ganz verweigerten. Der Erste war der Schauspieler George C. Scott. Er war auf dem Höhepunkt seiner Karriere, als er für die Hauptrolle in „Patton – Rebell in Uniform“ (1970) 1971 als „Bester Hauptdarsteller“ ausgezeichnet wurde. Goldie Horn, in einem zarten Kleid mit Rosen am Décolleté und im Haar, präsentierte den Gewinner mit einem verzückten „Oh God, it’s George C. Scott!“. Er war allerdings der Verleihung ferngeblieben. An seiner Stelle nahm der Produzent Frank McCarthy, den Oscar in Empfang und dankte in kurzen Worten. Am nächsten Tag gab McCarthy Scotts Oscar jedoch an die Academy zurück. Später begründete Scott seine Ablehnung in einem Brief. Hier führt er aus, dass er es als unwürdig erachtete, sich mit anderen Schauspielern in einem Wettstreit zu messen. Auch kritisierte er die grundsätzliche Entwicklung der Schauspielkunst, die sich nach seiner Meinung immer mehr in eine „Fleischbeschau“ (meat parade) verwandelte. Einen weiteren Grund nannte seine spätere Ehefrau Trish Van Devere. Sie behauptete, dass der eigentliche Grund für die Ablehnung seine verletzte Eitelkeit sei: Er sei immer noch darüber verbittert, dass er für seine Darstellung in „Anatomie eines Mordes“ (1959) den Oscar nicht bekommen hatte. War die Verweigerung nun ein Statement gegen die Auswüchse der Filmindustrie und der Academy im Speziellen oder ein Akt der Eitelkeit, mutig war es allemal. Wesentlich deutlicher demonstrierte Marlon Brando seine Gründe zwei Jahre später, als er für die Hauptrolle in „Der Pate“ (The Godfather) mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Auch er war nicht selbst in Los Angeles erschienen, sondern schickte die Indianerin Sacheen Littlefeather, eine Aktivistin des American-Indian Movement, auf die Büh-
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ne. Sie erschien in einer traditionellen Tracht der Apachen und überraschte damit Medien und Publikum. Littlefeather erklärte, dass Marlon Brando den Preis aus Solidarität mit der Indianerbewegung ablehnte und dass er sie mit einer vorbereiteten Rede beauftragt hätte, die sie auf einem Blatt Papier in der Hand hielt. Hier könne sie aus Zeitgründen nur kurz darauf hinweisen, dass sich ihr Protest gegen die Behandlung und Darstellung der indigenen Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Amerika durch die internationale Filmindustrie richte. Sie sei aber gerne bereit, den gesamten Text Brandos nach der Veranstaltung den anwesenden Journalisten vorzulesen. Brando und Littlefeather ging es vor allem darum, ein demonstratives Zeichen für die Bürgerrechte der Native Americans in den USA zu setzen. Das Interesse der weltweiten Öffentlichkeit sollte zudem auf die zur gleichen Zeit stattfindende Besetzung des Dorfes Wounded Knee in South Dakota hinweisen, die vom American-Indian Movement inszeniert worden war.
Die Trophäe Die Oscar-Statuette ist ein Meisterwerk modernen Designs. Zurückgeführt auf einfache und klare Formen spiegeln sich in seinem Gold im wörtlichen Sinne Glanz und Glamour Hollywoods. Dabei ist er gerade einmal 13,5 inches (genau 34,29 Zentimeter) hoch, wiegt dabei aber 3,85 Kilogramm (8,5 pounds). Sein Körper bestand ursprünglich aus Bronze, heute wird er aus einer Metalllegierung hergestellt und ist mit 24-karätigem Gold überzogen. Der Materialwert beläuft sich auf ungefähr 300 Dollar. Während des Zweiten Weltkriegs war Metall zeitweise so knapp, dass als Oscar nur bemalte Gipsabgüsse vergeben wurden. Natürlich durften die Preisträger ihre Figuren gegen metallene eintauschen, sobald sich die Rohstofflage wieder gebessert hatte. Die Statue zeigt einen stilisierten Ritter, der seine Hände auf ein vor sich gestelltes, langes Schwert stützt. Es bezieht sich auf das bedeutungsvolle Schwert der Kreuzritter und gibt so der Figur und dem Preis symbolisch eine Mission. Der Ritter steht auf einem Sockel, der
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eine Filmrolle darstellen soll, die radial in fünf Felder eingeteilt ist. Diese Felder stehen für die fünf ursprünglichen Disziplinen, an die der Award vergeben wurde: Schauspieler, Regisseure, Produzenten, Techniker und Autoren. Schon in ihrer Gründungssitzung hatten die Mitglieder der neuen Akademie die Idee, die Qualität in der Filmproduktion durch einen Wettbewerb anzustacheln. Da Conrad Nagel eine einfache Urkunde als nicht eindrücklich genug ablehnte, beauftragte er Cedric Gibbons, den damaligen Art Director bei Metro-Goldwyn-Mayer, mit dem Entwurf einer Statuette. Gibbons entwarf die bis heute unverändert gebliebene Figur, die er dann von dem Bildhauer George Stanley anfertigen ließ.
Veranstaltungsort und Verleihungszeremonie Nur wenigen ist bekannt, dass der Veranstaltungsort der Oscar-Verleihung immer wieder wechselte, denn heute hat man den Eindruck, dass die Veranstaltung schon immer im Kodak Theatre am Hollywood Boulevard stattfindet. Tatsächlich beherbergt das ehemalige Kodak Theatre, heute Dolby Theatre, die Oscar-Verleihung erst seit 2002. Zuvor fand die Veranstaltung in den unterschiedlichsten Sälen in Hotels, Theatern oder Auditorien statt. Zum ersten Mal traf sich das Filmbusiness 1929 im Hollywood Roosevelt Hotel. Dort gastierte man jedoch nur ein einziges Mal. In den nächsten Jahren waren verschiedene Bankettsäle des Ambassador Hotel und des Biltmore Hotel auserkoren. Später fand die Zeremonie auch im Grauman’s Chinese Theatre, im Shrien Civic Auditorium oder im Santa Monica Civic Auditorium statt. Die 25. bis 29. Verleihung erfuhr eine Neuerung. Diese Veranstaltungen fanden zeitgleich an zwei Orten statt. Man feierte nicht nur in Los Angeles, sondern auch in New York. Ab 1958 beschränkte sich die Academy aber wieder auf den Austragungsort in Kalifornien. Die Moderation der Verleihungszeremonie hatte in der Anfangszeit stets der jeweilige Präsident der Academy inne. In den fünfziger
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Jahren änderte man dies und setzte gleich eine ganze Riege an Moderatoren ein. Das Publikum war davon allerdings nicht begeistert. Ab den siebziger Jahren setzte sich allmählich das Format durch, das wir heute kennen. Ein oder zwei Moderatoren (hosts) führen durch das Programm. Für die Verleihung jedes einzelnen Oscars kommt ein cohost auf die Bühne, meist eine andere bekannte Persönlichkeit aus dem Showbusiness, in den Darstellerkategorien übernehmen dies oft die Gewinner des Vorjahres. Am häufigsten war der Entertainer Bob Hope als Moderator der Oscar-Verleihung zu sehen. Er führte insgesamt 17 Mal durch die Veranstaltung. Billy Crystal wurde für seine Ansagen schon mehrfach mit dem Fernsehpreis „Emmy“ ausgezeichnet. Er moderierte die Oscar Verleihung insgesamt neun Mal. In der knapp 85-jährigen Geschichte der Academy Awards gab es bis heute lediglich zwei Moderatorinnen, die alleine durch die Show führen durften: Whoopi Goldberg war diese Ehre viermal seit 1994 zuteil, und Ellen DeGeneres war 2007 die Auserwählte und wird es 2014 wieder sein.
Oscar-Rekorde Für mehr als zwei Jahrzehnte war der Film „Vom Winde verweht“ aus dem Jahr 1939 mit zehn Oscars der zahlenmäßig erfolgreichste Film in der Geschichte der Academy. Es sollte bis zur Oscar-Verleihung 1960 dauern, als „Ben Hur“ mit elf Trophäen ausgezeichnet wurde. Bislang schaffte kein Film zwölf Auszeichnungen, doch zogen „Titanic“ (1997) und „Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs“ (2003) gleich. Der dritte Teil der „Herr-der-Ringe“-Saga war dabei einer der ganz wenigen Filme, der alle Nominierungen auch in Auszeichnungen umsetzen konnte. Die meisten Nominierungen erhielten die Filme „Eva“ (1950) und „Titanic“ (1997) mit jeweils 14 Nennungen. Auf Platz zwei mit jeweils 13 Nominierungen liegen „Vom Winde verweht“ (1939), „Verdammt in alle Ewigkeit“ (1953), „Mary Poppins“ (1964), „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ (1966), „Forrest Gump“ (1994), „Shakespeare in
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Love“ (1998), „Der Herr der Ringe: Die Gefährten“ (2001), „Chicago“ (2002) und „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ (2008). Bisher am häufigsten mit Darsteller-Auszeichnungen geehrt wurde die US-amerikanische Schauspielerin Katharine Hepburn. Zwischen 1934 und 1982 erhielt sie insgesamt viermal den Oscar als „Beste Hauptdarstellerin“. Meryl Streep kann die meisten Nominierungen aufweisen. Bislang erhielt sie in ihrer Karriere 17 Mal diese Ehre. Dreimal konnte sie sich gegen die Konkurrenz durchsetzen und bekam den Oscar tatsächlich. Bei den Männern gewannen die Schauspieler Jack Nicholson, Daniel Day-Lewis und Walter Brennan jeweils dreimal den Academy Award. Nicholson hält gleichzeitig den Nominierungsrekord unter den Männern mit zwölf Nominierungen. Der generell am häufigsten ausgezeichnete Filmschaffende ist Walt Disney. Im Laufe seiner Karriere erhielt er 22 Oscars und vier Ehren-Oscars. Dieser Rekord für die Ewigkeit wird von einem anderen Rekord unterstrichen. Disney gewann 1954 mit vier Auszeichnungen bislang die meisten Oscars in einem Jahr. So kommen wir mit Walt Disney wieder zu unserer Ausgangsfrage zurück. Aber …
Wer war denn nun wirklich der Namensgeber des Oscar? Dass Walt Disney als Erster den „Academy Award of Merit“ bei seinem Spitznamen nannte, haben wir oben schon erfahren. Doch hatte er ihn auch erfunden? Es mag einige Legenden um den nickname der glitzernden Trophäe geben, am plausibelsten scheint die Version, die auch von Academy vertreten wird. Nach ihr soll der Name auf die ehemalige Bibliothekarin und spätere Direktorin der Academy, Margaret Herrick, zurückgehen. Sie soll beim ersten Anblick der Statuette belustigt ausgerufen haben, dass der Filmpreis aussehe wie ihr Onkel Oscar. Die Anwesenden und Mitarbeiter der Academy fanden die Idee urkomisch und übernahmen sofort den Spitznamen inoffiziell, der sich in der Folge auch außerhalb der Akademie herumsprach. Sei es aufgrund ihrer Bedeutung für die Frühgeschichte der Academy, sei es
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dass es einfach glaubhaft klingt, sie wird in der Historie der Institution immer als die Namensgeberin des Oscar dargestellt. So war der Spitzname inoffiziell schon weit verbreitet als der Filmkolumnist Sidney Skolsky ihn als Erster in einem Artikel über den Oscargewinn von Katherine Hepburn erwähnte. Das war am 16. März 1934, eben am selben Tag, als auch Walt Disney die Bezeichnung in seiner Dankesrede herausrutschte. Dass auch weitere Stars von Journalisten in die Kategorie Namensgeber aufgenommen wurden, zeigt die Geschichte von Bette Davis. Auch sie stellte eine Ähnlichkeit zwischen der Ritterfigur und einer lebenden Person namens Oscar fest, nämlich ihrem ersten Mann Harmon Oscar Nelson. Aber sie kam für eine Urheberschaft nicht in Frage, hatte doch Scholsky seinen Artikel bereits Jahre zuvor veröffentlicht. Letztlich nahm auch die Academy of Motion Picture Arts and Sciences 1939 die Bezeichnung „Oscar“ als Spitznamen für den Filmpreis an und ließ ihn 1979 markenrechtlich schützen. Allerdings wird die Academy bis heute nicht müde, immer wieder zu betonen, dass die offizielle Bezeichnung des Preises „Academy Award of Merits“ sei.
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„Avatar“ ist der erfolgreichste Film aller Zeiten „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ ist der Kassenschlager schlechthin und der erfolgreichste Film aller Zeiten. Um diese Aussage zu stützen oder zu widerlegen, sollte man zunächst hinterfragen, wie sich der Erfolg eines Kinofilms eigentlich messen lässt. Sicherlich könnte man auch die drei Filme, die mit jeweils elf Oscars ausgezeichnet wurden, also „Titanic“ (1998), „Ben Hur“ (1959) und „Die Rückkehr des Königs“ (2003), als die drei erfolgreichsten Filme aller Zeiten bezeichnen. Doch so einfach ist die Sache nicht. Hinter dem Titel „die erfolgreichsten Filme aller Zeiten“ verbirgt sich in aller Regel der Aspekt des kommerziellen Erfolges. Was aber zählt dazu, was muss abgezogen werden, um auf ein vergleichbares Ergebnis zu kommen? Misst man das reine Einspielergebnis – wie es für die „Liste der 100 erfolgreichsten Filme aller Zeiten“ die Regel ist, so ist der Film „Avatar“ aus dem Jahr 2009 derzeit tatsächlich der erfolgreichste. Sieht man sich diese Liste an, in der das Einspielergebnis weltweit in Dollar aufgezeichnet wird, wird man jedoch stutzig: Fast neunzig Prozent dieser Filme stammen aus dem 21. Jahrhundert. So könnte man annehmen, dass Filme, je später sie gedreht werden, desto mehr Aussicht auf Erfolg haben. Aber das scheint ja wohl absurd. Gerade was die Ökonomie und vor allem den Geldwert betrifft kann es schon in kurzen Zeitabständen große Veränderungen ge-
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ben. Oder denken wir nur an ein Extrembeispiel: Wie viel Reichsmark mag wohl ein Film in Deutschland 1923 eingespielt haben, als während der Hyperinflation eine Kinokarte schon mehrere Milliarden kostete? Zugegeben, umgerechnet in Dollar hätte sich das wieder ausgeglichen. Aber tatsächlich spielen neuere Filme bedingt durch die stetige Inflation mehr Dollar ein als Filme in der Vergangenheit, in der das Geld einen höheren Wert hatte. Der Preis für eine Kinokarte ist beispielsweise über die Jahrzehnte hinweg deutlich gestiegen. Zahlte man für einen Eintritt kurz vor dem zweiten Weltkrieg in den USA im Schnitt 0,23 Dollar, lässt man heute meist über acht Dollar an der Kinokasse. Hinzu kommt, dass es bei manchen Filmen mittlerweile Zuschläge gibt, sei es für Überlänge oder 3D. Auch so steigen Einnahmen in der Statistik. Wer wird die Liste der erfolgreichsten Filme aber anführen, wenn man die Statistik bereinigt und die Inflation herausrechnet?
Die Nummer 1 – Avatar? Seit einigen Jahren wird es immer wieder kolportiert: „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ ist der erfolgreichste Film aller Zeiten, und man darf gespannt sein auf die beiden geplanten Fortsetzungen, die sicherlich auch ihren Weg in die Charts finden werden. Avatar, so hieß es, war kein kalkulierter Welterfolg, sondern ein Experiment. Er ging in der Technik völlig neue Wege, indem mit üblicher Kameratechnik gedrehte Szenen mit computeranimierten überschnitten und gemischt wurden. Es entstand so ein völlig neuer, viel authentischerer Eindruck der dargestellten virtuellen Welt. Der Werbeaufwand, mit dem der Film angekündigt wurde, spricht jedoch eine andere Sprache. Auch die Marketingkosten übertreffen die aller anderen Filme. Zudem basiert der Film auf einem altbekannten und altbewährten Erzählmuster. Ein unentschlossener und unerfahrener Mann kommt in eine neue Welt, die ihm zunächst feindselig und fremd erscheint. Dies ändert sich, als er eine Eingeborene kennenlernt, die ihm die schönen Seiten dieser Welt zeigt. Von ihr lernt er, sich in dieser Welt zurecht-
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zufinden, und sie ist auch die Brücke zu den Fremden. Dadurch vollzieht der Mann einen inneren Wandel. Plötzlich beginnt er sich für die zuvor als feindlich empfundene Umgebung einzusetzen. Er riskiert sein Leben für die Fremden, die ihn nun wiederum anerkennen. So wird er zu einem der Ihren, macht ihre Anliegen zu den Seinen und stellt sich schließlich gegen seine eigene Welt, aus der er stammt, weil er sie als die schlechtere erkennt. Mit diesem Erzählmuster war schon Karl May mit „Winnetou 1“ (1963) erfolgreich, „Der 13te Krieger“ (1999) mit Antonio Banderas weist eine ähnliche Struktur auf. Das Faszinierende daran ist, dass diese Handlungsstruktur bereits existiert, seit sich Menschen Geschichten erzählen. Und immer wieder reißen diese Geschichten die Leser, Zuhörer oder Zuschauer mit. Wird James Cameron – der zuvor „Titanic“ inszeniert hatte – als Produzent, Drehbuchautor und Produzent nicht doch mit einem Kassenschlager gerechnet haben?
Die Filme mit dem weltweit größten Einspielergebnis Unangefochten liegt James Camerons „Avatar“ an erster Stelle, wenn es um die reinen Einspielergebnisse ohne jede Relativierung geht. Der Film spielte insgesamt fast 2,8 Milliarden Dollar ein. Ihm folgt „Titanic“, ebenfalls von James Cameron, auf Platz zwei. Dieser Film wurde 1997/98 veröffentlicht und erreichte damals Einkünfte an den Kinokassen von insgesamt mehr als 1,8 Milliarden Dollar. Seine Wiederaufführung in 3D im Jahre 2012 brachte einen weiteren Gewinn von 343 Millionen Dollar, so dass auch er als zweiter und bislang letzter Film die Zwei-Milliarden-Marke knacken konnte. Auf den weiteren Plätzen der Top Ten folgen: „The Avengers“ (2012), „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 2“ (2011), „Iron Man 3“ (2013), „Transformers 3“ (2013), „Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs“ (2003), „James Bond 007: Skyfall“ (2012), „The Dark Knight Rises“ (2012) und „Pirates of the Caribean 2“ (2006). Sie alle überschritten die magische Hürde von einer Milliarde Dollar.
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Die folgenden Plätze belegen auch fast ausschließlich Filme aus dem 21. Jahrhundert. Die meisten von ihnen gehören zu Sequels, deren jeweils neuester Teil in den Top Ten gelistet ist, darunter „Herr der Ringe“, „Harry Potter“ und „Piraten der Karibik“. Nur wenige Filme des 20. Jahrhunderts belegen noch einen Platz unter den Top 100. Zu ihnen gehören „Star Wars – Episode 1: Die dunkle Bedrohung“ (1999) auf Platz 13, „Jurassic Park“ (1993) auf Platz 18, „König der Löwen“ (1994) auf Platz 21 und „Independence Day“ (1996) auf Platz 39. Es ist zu erwarten, dass die geplanten Fortsetzungen der Top-Ten-Filme sich in den nächsten Jahren unter die ersten zwanzig Plätze mischen und wiederum ältere Filme auf die hinteren Plätze drängen werden.
Die historisch Erstplatzierten Seit 1915 wird die Liste der weltweit erfolgreichsten Filme geführt. Wer diese jemals anführte, wird in die „Liste der historisch Erstplatzierten“ aufgenommen. Den Anfang machte der amerikanische Stummfilmklassiker „Birth of a Nation“ (1915), der von David W. Griffith inszeniert wurde. Er setzte sich mit dem amerikanischen Bürgerkrieg und der Zeit der reconstruction in den amerikanischen Südstaaten auseinander. Aus heutiger Sicht liefert er jedoch ein eher umstrittenes Bild dieser Zeit. Im Jahre 1915 war er ein Kassenschlager, der darüber hinaus mit neuester Film- und Kameratechnik glänzte. Bereits 1918 musste er seinen Titel als erfolgreichster Film an „Mickey“ abtreten. Ihm folgte zwei Jahrzehnte später der Walt-Disney-Zeichentrickfilm „Schneewittchen“ (1937) in Farbe, der schon 1939/40 von „Vom Winde verweht“ beerbt wurde. Dieser Filmklassiker darf bis heute beanspruchen, dass er am längsten den Titel des erfolgreichsten Films aller Zeiten innehatte. Er wurde 1973 durch „Der Exorzist“ abgelöst. Nachdem das Duo Steven Spielberg und George Lucas die Filmbühne betraten, ging es in den folgenden Jahren Schlag auf Schlag. Im Jahre 1975 schaffte es Spielbergs „Der weiße Hai“ auf Platz 1. Zwei Jahre später löste ihn George Lucas mit „Krieg der Sterne“ (1977) ab,
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nur um 1983 mit „E.T. – Der Außerirdische“ wieder von Spielberg übertroffen zu werden. Es folgten die bereits erwähnten „Jurassic Park“ (1993), „Titanic“ (1997) und „Avatar“ (2010).
Die erfolgreichsten Filmreihen aller Zeiten Unter den zwanzig erfolgreichsten Filmen befinden sich auffallend viele Fortsetzungen. Aus wirtschaftlicher Hinsicht mag das nicht verwundern, denn, läuft ein Film erfolgreich an den Kinokassen, ist es meist leichter, Geldgeber für eine Fortsetzung zu finden, als für einen völlig neuen Film. Ein Flop scheint eher unwahrscheinlich, wenn viele Kinobesucher die Protagonisten schon kennen und einem weiteren Abenteuer ihrer Helden entgegenfiebern. Unangefochten an erster Stelle steht die „Harry-Potter“-Reihe. Acht abendfüllende Kinofilme der insgesamt sieben literarischen Vorlagen haben ihren Erfolg nicht zuletzt der Buchvorlage zu verdanken. Aber auch die Umsetzung des Stoffes war überaus gelungen. An zweiter Stelle folgt die „James-Bond“-Reihe. Dies mag wenig verwundern, da die Reihe bereits seit den sechziger Jahren läuft und mit 23 Filmen beinahe dreimal so viele Kinoproduktionen hervorgebracht hat wie die „Harry-Potter“-Reihe. James Bond war über lange Zeit erfolgreich. Jedoch spielten die Filme nie so viel ein, dass ein einzelner von ihnen in die Top Ten der erfolgreichsten Filme aller Zeiten gelangte. Vielmehr ist es den Filmen mit Daniel Craig in der Rolle des britischen Agenten zu verdanken, dass die Reihe nun den zweiten Platz belegt. Seine bislang drei „James-Bond“-Filme spielten nahezu ebenso viel ein wie die Filme mit Connery, Moore, Lazenby, Dalton und Brosnan zusammen. Sie zeichnen für etwa drei Milliarden Dollar verantwortlich, wobei die gesamte Reihe auf etwas über sechs Milliarden Dollar Einspielergebnis kommt. An dritter Stelle folgt das „Marvel Cineastic Universe“ aus dem Hause Disney. Dieses Universum ist weniger als fortlaufende Reihe zu betrachten denn als Zusammenschluss mehrerer Filme und Reihen
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wie „The Avengers“ (2012), „Iron Man 1–3“, „Captain America“ (2011) und „Thor“ (2011). Weitere Fortsetzungen sind in allen Reihen geplant. Obwohl die Comics um „Spider Man“ im Verlag von Marvel erscheinen, gehört diese Filmreihe nicht zum „Marvel Cineastic Universe“, da die Filmrechte bei Sony und nicht bei Disney liegen. Auf dem vierten Platz liegen die „Star-Wars“-Filme. Bedenkt man, dass die ersten drei Filme in den siebziger und achtziger Jahren in den Kinos liefen, erstaunt die Höhe der Einspielergebnisse. Da die Reihe jedoch mit der Veröffentlichung jedes neuen Teils wieder zu den erfolgreichsten Filmen zählte, schafft sie es gemeinsam auf den vierten Platz. Der Verkauf der Produktionsfirma Lucasfilm an Disney und die Ankündigung von neuen Filmen wird der Serie einen neuen Höhenflug bereiten. Gleich hinter „Star Wars“ reiht sich das Mittelerde-Epos aus der Feder von J.R.R. Tolkien ein, für das der neuseeländische Regisseur Peter Jackson die drei „Herr-der-Ringe“-Bücher und den ersten Teil der „Hobbit“-Trilogie bereits inszeniert hat. Zwei weitere Filme werden noch folgen und damit die Reihe für die nächsten Jahre fest in den Top Five der erfolgreichsten Filmreihen aller Zeiten verankern.
Die erfolgreichsten Filme in Deutschland Doch wie sieht es denn hierzulande und im deutschsprachigen Raum aus? Unterscheidet sich die Liste der erfolgreichsten Filme Deutschlands von der weltweit? Eine spezielle Liste für Deutschland wird erst seit 1968 geführt. Sie beruht nicht wie die US-dominierte Liste auf dem Einspielergebnis, sondern auf der Besucherzahl. Insofern erhält man ein ausgewogeneres Bild. Hier verdrängen nicht die neuesten Filme die älteren, es sind Filme aus allen Zeiten vertreten. Allerdings beinhaltet die Aufstellung die Besucherzahlen in der damaligen DDR nicht, da von dort darüber keine verlässlichen Statistiken bekannt sind. An der Spitze dieser Zusammenstellung steht Walt Disneys „Das Dschungelbuch“ (1968). Der Zeichentrick-Klassiker erlebte mehrere
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Wiederaufführungen und konnte so ein Kinopublikum von über 27 Millionen Zuschauern erreichen. Ihm folgen auf Platz zwei „Titanic“ und auf Platz drei „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1969). Der erste Teil der „Harry-Potter“-Reihe „Harry Potter und der Stein der Weisen“ (2001) schaffte es mit 12,5 Millionen Zuschauern in Deutschland auf Platz vier und die Western-Komödie „Vier Fäuste für ein Halleluja“ (1972) mit Terence Hill und Bud Spencer auf Platz fünf. Es gibt natürlich viele großartige und erfolgreiche Filme, die vor 1968 entstanden sind. Ihre Besucherzahlen können jedoch nur noch geschätzt werden, so dass sie nicht in die Liste aufgenommen sind. Die Schätzungen sind mitunter erstaunlich hoch, man muss aber bedenken, dass es in der Zeit noch kein Fernsehen gab, oder es erst in den Kinderschuhen steckte. Diese Zahlen würden die Platzierungen mächtig durcheinanderwirbeln. Darunter sind beispielsweise die österreichische Produktion „Echo der Berge“ (1954) mit geschätzten 28 Millionen Zuschauern, „Sissi“ (1955) mit 20 bis 25 Millionen, „Winnetou Teil 1“ (1963) mit 18 Millionen und sein Vorgänger „Der Schatz im Silbersee“ (1962) mit 17 Millionen Besuchern. Auch „Doktor Schiwago“ (1965), „Goldfinger“ (1964) und „Vom Winde verweht“ (1939) würden sich ganz vorne finden. Werfen wir nun noch einen Blick auf die erfolgreichsten deutschen Filme, in Deutschland und wiederum ab 1968 ohne Ergebnisse aus der damaligen DDR. Hier führt die Komödie „Der Schuh das Manitu“ (2001) die besten Zehn mit fast zwölf Millionen Zuschauern an. Ihm folgt „(T)Raumschiff Surprise“ (2004), der ebenfalls von Michael „Bully“ Herbig inszeniert wurde. Auf Platz drei und vier liegen „Otto – Der Film“ (1985) und „Schulmädchen-Report: Was Eltern nicht für möglich halten“ (1970). Diese beiden Filme stammen aus der Zeit vor der Wiedervereinigung, liefern also nur die westdeutschen Zahlen. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung ist der Erfolg deshalb eigentlich höher einzuschätzen. Die nächsten Plätze belegen Ottos „7 Zwerge – Männer allein im Wald“ (2004) und „Good Bye, Lenin!“ (2003). Auch hier würden die Besucherzahlen der Filme vor 1968 die Liste grundlegend verändern. „Die große Liebe“ von 1947 würde mit 27 Millionen Besuchern alle anderen Filme in den Schatten stellen, und selbst „Das
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Schwarzwaldmädel“ (1950) läge mit 14 bis 16 Millionen Zuschauern noch weit vor dem „Schuh des Manitu“. Zu guter Letzt noch die fünf erfolgreichsten Filme der DDR: Hier finden sich „Die Geschichte vom kleinen Muck“ (1953) mit knapp 13 Millionen Zuschauern, „Ehe im Schatten“ (1947) mit gerade einmal 100 000 weniger, danach „Das kalte Herz“ (1950), „Die Söhne der Großen Bärin“ (1966) und „Razzia“ (1947). Sie brachten es jeweils auf acht bis zehn Millionen Zuschauer. Rufen wir uns aber ins Gedächtnis, dass die Gesamtbevölkerung der DDR nur etwa 15 Millionen Menschen betrug, so sind die Zuschauerzahlen mehr als beachtenswert.
Die wirklich erfolgreichsten Filme aller Zeiten – inflationsbereinigt Nun haben wir Listen über Listen von besten Filmen referiert und immer blieb ein ungutes Gefühl. Da wurden Filme aus ganz unterschiedlichen Zeiten nach Geldsummen oder Zuschauerzahlen miteinander verglichen. Aber weder ist der Geldwert über die Jahrzehnte konstant geblieben, noch sind die Bevölkerungszahlen oder die zur Verfügung stehenden Kinoplätze zufriedenstellend vergleichbare Größen. Deshalb soll hier noch eine letzte Liste vorgestellt werden: die inflationsbereinigte Statistik. An erster Stelle steht hier der Klassiker „Vom Winde verweht“ aus dem Jahr 1939. An zweiter Stelle folgt „Krieg der Sterne“ (1977), der Auftakt der „Star-Wars“-Reihe von George Lucas. Ihm folgt ein Film aus den sechziger Jahren: „The Sound of Music“ (1965), der hierzulande unter dem Titel „Die Trapp-Familie“ lief. Auf den weiteren Plätzen folgen „E.T. – Der Außerirdische“ (1982), „Titanic“ (1997), „Die 10 Gebote“ (1956), „Der weiße Hai“ (1975), „Dr. Schiwago“ (1965), „Der Exorzist“ (1973) und „Schneewittchen und die Sieben Zwerge“ (1937). Die zehn besten Filme stammen also aus völlig unterschiedlichen Zeiten. Filme aus dem 21. Jahrhundert sind nur unter „ferner liefen“ vertreten. So findet sich „Avatar“ erst auf Platz 14 und „The Avengers“ auf Platz 27, gefolgt von „The Dark
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Knight“ auf Platz 29. Unter den Top 30 sind keine weiteren der neuesten Blockbuster. So relativiert sich das Bild von den erfolgreichsten Filmen aller Zeiten, und es wird klar, dass die viel zitierte Liste in erster Linie der Vermarktung der nächsten neuen Filmproduktionen dient.
I R RTU M 9:
James Bond stammt aus Hollywood „Mein Name ist Bond, James Bond.“ Wenn sich ein Gentleman auf der Kinoleinwand mit diesen Worten vorstellt, ist Vorsicht angebracht. Es könnte gleich turbulent werden. Er ist nämlich der englische Agent mit der Lizenz zum Töten, einer Vorliebe für Frauen sowie trockene Martini, geschüttelt, nicht gerührt. Seit über fünfzig Jahren und in 23 offiziellen Verfilmungen hat er sich fest in der Populärkultur verankert. Mit ihm verbinden die Kinogänger großartige Action, Spannung, Spaß, Luxus – und seit Daniel Craig die Hauptrolle spielt – auch ein wenig Tragik. Die Erfolgsgeschichte von James Bond begann mit der literarischen Vorlage aus der Feder von Ian Fleming, der seine Spionagegeschichten von 1953 bis 1966 – mitten im Kalten Krieg – veröffentlichte. Mit seinem Erstling lieferte eine Grundlage, auf der er weitere Bücher aufbauen konnte, die dann geradezu prädestiniert für eine Filmreihe waren. Da es die Produzenten von Bond verstanden, sich immer wieder dem Zeitgeist und der politischen Wetterlage anzupassen, überlebte 007 bis heute alle Trends und Politikwechsel. Selbst dem Kalten Krieg, aus dem er stammte, entkam James Bond nahezu unbeschadet. Doch ist James Bond ganz großes „Hollywood-Kino“? Gut gemachte Action gibt es am laufenden Band sowie halsbrecherische Stunts und Verfolgungsjagden in atemberaubenden Landschaften. Mit je-
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dem Film werden die Ausstattung, die Szenerien, die Effekte unglaublicher. Und erscheint nicht zu Beginn der Filmvorführung das MGMLogo oder das Logo der United Artists?
Die literarische Vorlage Der literarische Vater von James Bond, der Engländer Ian Lancaster Fleming, wurde am 28. Mai 1908 in London geboren. Er genoss eine gehobene Erziehung am berühmten Eton College und arbeitete während des Zweiten Weltkriegs für den britischen Nachrichtendienst. Aus dieser Zeit stammt seine erste Inspiration für den Agenten Bond. Den Namen James Bond entlieh sich Fleming von einem Ornithologen, als er nach einem „belanglosen Allerweltsnamen“ suchte. Insgesamt verfasste Fleming zwölf Romane und zwei Bände mit Kurzgeschichten. Sie sind alle lose miteinander verbunden und bauen aufeinander auf. Jedoch ist es für das Verständnis eines Bandes nicht notwendig, alle Vorgänger zu kennen oder sie in der Reihenfolge ihres Erscheinens zu lesen. Bereits die Romane haben die Besonderheit, dass sie immer demselben Aufbau folgen. Es gibt ständig wiederkehrende Elemente und Eigenschaften, die Bond bereits im ersten Buch auszeichnen. In den Filmen wurde dies später übernommen. Diese Ritualisierung der Geschichten mag ein entscheidendes Moment für den nachhaltigen Erfolg der Reihe als Buch wie auf der Leinwand sein.
Der Kalte Krieg im Kino Von Beginn an war der Kalte Krieg auch ein Wettkampf der Kulturen. Dabei fand der Kalte Krieg im Kino auf zwei unterschiedlichen Ebenen statt. Zum einen wurden auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs Filme produziert, die den Kalten Krieg zum Inhalt hatten oder ihn als Rahmen für die Handlung verwendeten. Hier diente in Action- und Spionagefilmen die jeweils andere Seite als Bösewicht, der die eigene
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Existenz bedrohte. Für Filmemacher bot der Kalte Krieg deshalb ein hervorragendes Spannungsfeld, in dem sie ihre Geschichten ansiedeln konnten. Auf einer anderen, übergeordneten Ebene wurden aber auch Filme produziert, die vermeintlich nichts mit dem Kalten Krieg zu tun hatten, den Zuschauer aber gerade deshalb im Geheimen und unbewusst politisieren sollten. Sie sollten unterschwellig Propaganda verbreiten. Hauptmotive der Filme im Kalten Krieg waren die Frage nach der besseren Gesellschaftsordnung, die die Filmindustrien beider Seiten jeweils unterschiedlich beantworteten. Hinzu kam die permanente Bedrohung durch atomare Waffen, wie in den Filmen „War Games“ (1983) oder „The Day After“ (1983) sowie die Frage nach der Stellung und Verantwortung des Individuums im Kalten Krieg. Das westliche Kino, allen voran amerikanische und britische Filme, hatten es im Kalten Krieg leicht. Die geteilte Welt lieferte einen klaren und für jeden verständlichen Hintergrund für große Erzählungen und konnte deutlich in der reduzierten Wirklichkeit der Filmwelten abgebildet werden. Die eigenen Helden mussten nicht als vielschichtige Charaktere gezeichnet werden, sie mussten einfach nur gut sein, weil es einen wirklich bösen Gegenspieler gab, so wie er vielleicht nur noch im Märchen oder der Phantastik existiert. In diese Kategorie fallen auch die „James-Bond“-Filme der sechziger bis achtziger Jahre. Nicht in allen, aber in vielen Filmen der Reihe sind die Gegenspieler Bonds mittelbar oder direkt Werkzeug des Kalten Krieges, obwohl sie in erster Linie von ihrer Boshaftigkeit und Gier nach Macht getrieben scheinen. Sie haben zwar keine „realen“ und wirklich erreichbaren Ziele, aber die Bedrohung durch diese Figuren entstand im Kopf der Zuschauer, die sie unbewusst mit der realen Bedrohung im Kalten Krieg verbanden. Das Kino dieser Zeit malte schwarz-weiß, genauso wie es die Politik tat.
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Bonds Erfolgsrezeptur Rund um die Figur des James Bond schufen Harry Saltzman und Albert R. Broccoli, die Macher der Serie, eine Filmstruktur sowie ein eigenes Bond-Universum, die sich im Nachhinein als Erfolgsgaranten erwiesen. Sie etablierten ein festes Schema für ihre Filme, das bis heute eingehalten wird. Bisweilen kommt es zu leichten Veränderungen, doch dies sind nur Variationen des gleichen Themas. Am 5. Oktober 1962 war es soweit: Der erste James-Bond-Film „James Bond jagt Dr. No“ hatte Premiere. Dieses erste Abenteuer um den Geheimagenten im Dienste ihrer Majestät hatte bereits alles, was das Bond-Universum bis heute ausmacht. Im Mittelpunkt steht immer der gutaussehende, elegante und unbesiegbare Held, der sich in der High Society, in Casinos und auf Partys tummelt. Er ist ein Playboy und lebt ein Jet-SetLeben, von dem Männer träumen. Er bewegt sich sicher und selbstbewusst durch eine glamouröse Welt, weiß sich sowohl im Casino wie im Dschungel zu benehmen, verführt charmant die attraktivsten Damen, gewinnt zwar nicht sofort jeden Zweikampf, doch bleibt er am Ende immer der Sieger. Er ist eine Art englischer Superheld, mit dem sich das Kinopublikum jederzeit identifizierte. Eine weitere Zutat zum Erfolgsrezept sind die spektakulären Schauplätze, an die die Handlung ihre Antagonisten führt. Sie sind stets sorgsam ausgewählt und zeigen Orte, die in der jeweiligen Zeit noch nicht für jedermann erreichbar waren. Auch das erwies sich als Glücksgriff. Mit der zunehmenden Mobilität wurden die Drehorte, die über die ganze Welt verstreut liegen, zu Touristenmagneten und halten die Filmfigur in aller Welt präsent. In den sechziger Jahren lagen die Schauplätze zum Beispiel in der Karibik oder in Ostasien und zeigten Traumstrände. In der jüngsten Produktion „Skyfall“, die 2012 entstand, wird dieses Motiv weiterentwickelt. Es steht zwar wieder eine Insel im Mittelpunkt, aber sie hat ihre Schönheit und Unberührtheit eingebüßt. Sie ist bombardiert und zerstört worden. Ist auch dies ein Blick in die Zukunft? Heute können die Menschen den letzten Winkel der Erde bereisen. Ist die Folge die Zerstörung des Paradieses?
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Dritte Ingredienz sind die Locations der Kommandozentralen des Bösen, die von Anfang an symbolisch aufgeladen waren und durch spektakuläre Filmarchitektur gekennzeichnet sind. Sie unterstreichen den Charakter und die Intention des Gegenspielers schon allein dadurch, dass sie im Inneren eines Vulkans, am Meeresgrund oder im ewigen Eis des Nordpols angesiedelt sind. Wenn die Handlung auf den Höhepunkt zusteuert, findet James Bond die Trutzburg des Bösen, kann in sie eindringen und sie schließlich in einem sensationellen Showdown zerstören, aus dem er in letzter Sekunde mit dem „Bondgirl“ entkommt. Apropos Bondgirl: die letzte unverzichtbare Zutat für den filmischen Erfolg. Unvergessen ist der Auftritt der Schweizer Schauspielerin Ursula Andress im ersten Film, als sie wie eine Venus aus den Schaumkronen der leichten Wellen am paradiesischen Strand auftaucht, im weißen Bikini, mit Taucherbrille und Schnorchel. Sie gilt als Urmutter aller Bondgirls. Bis heute reißen sich junge Schauspielerinnen darum, die Rolle in einem der Filme zu ergattern. Diese Rolle ist nicht nur ein einfacher Schritt auf der Karriereleiter, die Schauspielerinnen werden Teil des Bond-Universums und verewigen sich somit in der Filmgeschichte. Alle James Bond-Filme zeigen diese Muster und sind streng ritualisiert. Die wiederkehrenden Motive, Sprüche und Handlungen gewähren dem Zuschauer Vertrautheit und damit Sicherheit. Man fühlt sich nicht nur als Zuschauer, sondern als Teil des Bond-Universums. Schon das Intro mit dem typisch klingenden Song sorgt für Wiedererkennung. Vernimmt man die Worte „Bond, James Bond“ und wird der Martini „geschüttelt, und nicht gerührt“ bestellt, befindet man sich mittendrin. Und am Ende steht das ewige Versprechen: „James Bond will return“.
Bond im Wandel der Zeiten Bond übernahm seinen ersten Auftrag 1962, als die Welt an der Schwelle zum Dritten Weltkrieg stand. In diesem Spannungsfeld, in dem ein kleiner Funke den Kalten in einen Heißen Krieg verwandeln
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konnte, rettete er die Welt, indem der eben diesen Funken vernichtete. Die Ziele der Gegenspieler veränderten sich im Laufe der Jahrzehnte deutlich. In den sechziger Jahren ging es eben um den Auslöser für einen Dritten Weltkrieg, in den siebziger Jahren, als ein Gleichgewicht im Bedrohungspotential erreicht war, beanspruchten die Antagonisten Bonds die Weltherrschaft für sich. Die vom Westen empfundene Bedrohung durch den Ostblock wurde in ein skurriles Imperium übersetzt, dessen Herrscher überzogene, wahnsinnige Züge erhielt und der über ein Heer an willenlosen, roboterartigen Untertanen sowie eine Wunderwaffe zur Vernichtung der Welt verfügte. Aber auch das hat sich geändert. Das Ende des Kalten Krieges 1989/90 bedeutete auch das Ende dieses Spannungsfeldes, in dem sich so gut Geschichten erzählen ließen. Langsam passten sich die Bondfilme an die neue Großwetterlage an und wandten sich der Thematik des internationalen Terrorismus zu. Nun geht es nicht mehr um politische und gesellschaftliche Utopien, es geht um Cyberterrorismus und Terrorismus von innen. Und es geht um persönliche Dinge: um Rache, um das Streben nach persönlichem Reichtum und um den Willen, die Gesellschaft zu erschüttern, die der Gegenspieler für sein eigenes Scheitern verantwortlich macht. Die Motive, die die Terroristen im gegenwärtigen Bond-Universum antreiben, haben nichts mehr gemein mit dem überlebensgroßen Ernst Stavro Blofeld mit seiner weißen Katze. Bösewichte wie er haben ausgedient. Heute würde er höchstens noch als „Gentleman-Verbrecher“ durchgehen. Aber auch der Charakter James Bond selbst musste sich verändern. Mit Daniel Craig kam erstens ein anderer Typ Mann zum Zug. Zweitens hat er eine Lebensgeschichte bekommen, ein Innenleben und wird dadurch verletzlich und verwundbar. Er ist nicht mehr so bedingungslos unbesiegbar wie seine Vorgänger. Auch das ist dem Zeitgeist geschuldet und es erleichtert den heutigen Zuschauern die Identifikation mit der Heldenfigur. Auf die Spitze getrieben wurde das Eindringen des Persönlichen im bislang letzten Bond-Film „Skyfall“. Die finale Auseinandersetzung findet nicht mehr in der Sphäre des Bösen statt und endet mit dessen Vernichtung, Bond kehrt in sein
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verlassenes und halb verfallenes Elternhaus zurück und kämpft quasi im Schutze seiner und für seine Familie.
Die Köpfe hinter Bond Neben vielen Filmschaffenden waren es vor allem vier Köpfe, die seit über fünfzig Jahren für den Erfolg der Bondfilme verantwortlich zeichnen. An erster Stelle muss der Italo-Amerikaner Albert Romolo Broccoli, genannt Cubby, erwähnt werden, zum anderen ist da Harry Saltzmann. 1961 wurden Cubby und er Partner und gründeten EON Production – die Initialen stehen für „Everything or Nothing“. Der Kanadier Saltzman erwarb 1961 die Rechte an James Bond. Bis 1975, also bis zur Produktion von „Der Mann mit dem goldenen Colt“ blieben sie Partner. Dann verkaufte Saltzman seine Anteile an United Artists. Broccoli machte alleine weiter und führte zunächst seinen Stiefsohn Michael G. Wilson sowie später seine Tochter Barbara Broccoli an die Produktion heran. Michael wurde 1943 in New York geboren. Als seine Mutter 1960 Cubby Broccoli heiratete, brachte sie ihn mit in die Ehe. Michael wuchs gewissermaßen in die Bond-Produktionen hinein. In den Semesterferien half er bei „Goldfinger“ aus und unterstützte das Catering. Ab „Der Spion, der mich liebte“ gehörte er dann zum Produktionsstab. Auch die 1960 in Los Angeles geborene Barbara Broccoli wuchs mit den Bond-Produktionen auf und arbeitete später für EON. Ab „Octopussy“ (1981) war sie als Regie-Assistentin tätig, danach wurde sie ausführende Produzentin. Seit dem Tod von Cubby Broccoli 1995, sind die Halbgeschwister gemeinsam für die Bond-Reihe verantwortlich. Ihre erste gemeinsame Entscheidung war die für Pierce Brosnan als James Bond in „Goldeneye“ (1995), womit sie die Reihe wieder auf Erfolgskurs brachten.
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Die James-Bond-Darsteller Für viele ist der Schauspieler Sean Connery nach wie vor der Ur-Bond, an den keiner seiner Nachfolger heranreichen konnte. Der Schotte Connery war Anfang der sechziger Jahre noch nahezu unbekannt, als ihm die Rolle in „James Bond jagt Dr. No“ (1962), dem ersten Bond-Kinofilm, angeboten wurde. Mit seiner Darstellung setzte er einen Standard, an dem sich bis heute jeder Nachfolger messen lassen muss. Fünfmal hintereinander spielte Connery den Agenten im Geheimdienst ihrer Majestät. Als er den Dienst quittierte, verpflichteten die Produzenten den Australier George Lazenby als Nachfolger, nur um Connery 1971 für ein kurzes Comeback mit „Diamentenfieber“ (1971) zurückzuholen. In den achtziger Jahren kam Connery abermals mit „Sag niemals nie“ (1983) zurück und spielte einen gealterten Bond in einem Film, der ein Remake seines vierten Bondabenteuers „Feuerball“ (1965) war. Der Australier George Lazenby war ein kurzes Intermezzo, und er ist in mehrfacher Hinsicht einzigartig. Er spielte Bond in nur einem Film, „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ (1969). Dies ist zudem der einzige Film, in dem der Geheimagent heiratet. Unter Kennern ist der Film bis heute hoch angesehen. Dennoch konnte George Lazenby nicht in die Fußstapfen von Connery treten. Die Produzenten und der Schauspieler zerstritten sich. Lazenbys Karriere verlief im Sand, Bond lebte weiter. Connery quittierte nach „Diamantenfieber“ abermals den Dienst. Die Produzenten entschlossen sich nun, einen echten Engländer in dieser Rolle einzusetzen: Roger Moore. Er war zuvor bereits als Fernsehdetektiv Simon Templar und durch die TV-Serie „Die Zwei“ an der Seite von Tony Curtis einem großen Fernsehpublikum bekannt. 1973 debütierte er mit „Leben und sterben lassen“. Seine Darstellung spaltete die Fangemeinde, da Moore Humor und eine solide Portion Komik mit in die Rolle brachte. Dennoch liefen seine Filme bis in die Mitte der achtziger Jahre allesamt erfolgreich. Mit „Im Angesicht des Todes“ (1985) endete nach sieben Filmen die Ära Roger Moore. Nach Moores Abschied besannen sich die Macher wieder auf die Geschichten Ian Flemings, der einen deutlich härteren Bond gezeich-
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net hatte. Der walisische Schauspieler Timothy Dalton sollte daher zu altem Glanz zurückführen. Er brachte es jedoch auf nur zwei Auftritte als James Bond. Nach „Der Hauch des Todes“ (1987) und „Lizenz zum Töten“ (1989) war Schluss für Dalton, da beide Filme nicht an den finanziellen Erfolg seiner Vorgänger heranreichten. Nun dauerte es mehrere Jahre, bis wieder ein neuer Darsteller gefunden war und die Dreharbeiten beginnen konnten. Pierce Brosnan war bereits 1987 als Nachfolger für Roger Moore gehandelt worden, musste den Bondproduzenten jedoch eine Absage aufgrund seiner Verpflichtung für die TV-Serie „Remington Steele“ erteilen. Beim Publikum kam der neue, smarte und elegante Bond sehr gut an. Der Film „Goldeneye“ (1995) führte die Bondfilme zurück auf die Erfolgswelle. Danach spielte Brosnan 007 noch weitere drei Mal. Seine Filme waren geprägt von immer aufwendigeren Actionszenen und Spezialeffekten, die bald an die Grenzen des Machbaren stießen. Daher mag auch sein letzter Bond-Film „Stirb an einem anderen Tag“ (2002), der rechtzeitig zum 40. Jubiläum erschien, bei manchen einen faden Beigeschmack hinterlassen haben, weil es zu viel Technik gab. Das unsichtbare Auto spielte bei diesem Eindruck sicher eine gewichtige Rolle. Nach Brosnan dauerte es vier Jahre, bis ein neues Gesicht präsentiert wurde: Daniel Craig. Und sogleich hagelte es von allen Seiten herbe Kritik, da man dem englischen Schauspieler den Geheimagenten ihrer Majestät nicht abnehmen wollte. Er schien nicht die Vornehmheit und Gewandtheit der anderen Darsteller zu haben, sondern wirkte eher grobschlächtig und verschlagen. Allerdings verstummten diese Kritiker, sobald sie Craigs ersten Bondfilm gesehen hatten. „Casino Royale“ (2006) war nicht nur ein zeitgemäßer Restart der Serie, Bond hatte plötzlich Charakter, wirkte menschlich und verletzlich, was ihm viele Sympathien einbrachte. Craigs Debüt und seine bislang beiden Nachfolger „Ein Quantum Trost“ (2008) und „Skyfall“ (2012) sind die kommerziell erfolgreichsten Teile der Serie. Kommen wir also noch einmal auf unsere Eingangsfrage zurück: Sind die Bond-Filme Hollywoodkino? Die Produzenten hinter Bond sind, wie wir gesehen haben, alle US-Amerikaner, was die Umsetzung als
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Actionfilm wohl erst möglich machte. Die Literaturvorlage jedoch ist typisch englisch, den Filmen ist dies deutlich anzumerken. Auch werden die meisten Bond-Filme in den Londoner Pinewood-Studios produziert, wo die größte Bühne des Studios „007-Stage“ heißt. Darüber hinaus verpflichten die Produzenten in aller Regelmäßigkeit bekannte europäische Schauspieler für Nebenrollen, wahrscheinlich um in den jeweiligen Heimatländern entsprechend Aufmerksamkeit zu bekommen. Obwohl auch die Bond-Darsteller aus Großbritannien respektive dem Commonwealth stammen – Connery war Schotte, Moore Engländer, Lazenby Australier, Brosnan Waliser und Craig Engländer – muss man die Bondfilme wohl eine europäisch-amerikanische Mischproduktion nennen. In Hollywood selbst entstehen sie jedoch nicht.
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Die Erfindung des Tonfilms überraschte die Filmindustrie Wenn heute zu einem Stummfilm mit Live-Musik in ein kleines Programmkino eingeladen wird, ist das ein besonderes Ereignis. Wem die Blockbuster mit Dolby-Surround-Sound zu viel geworden sind, der mag dort hingehen und von der guten alten Zeit träumen. Es hat etwas Romantisches: Auf der Leinwand läuft ein alter Stummfilm, schwarzweiß, die Bilder ruckeln, darunter sitzt ein Klavierspieler an einem einfachen, leicht blechern klingenden Klavier und passt den Rhythmus und den Ausdruck seiner Musik dem Geschehen auf der Leinwand an. Er hat ein festes Repertoire, kann aber auch improvisieren, wenn er auf die Stimmung im Saal reagiert und entführt so die Zuschauer in die Welt des Stummfilms. Vor 100 Jahren war dies jedoch kein Angebot für romantische Cineasten, sondern die alltägliche Realität in den Kinos. Nahezu von Beginn des Stummfilms an, versuchten die Nickelodeons und Kinos die Stummfilme akustisch zu untermalen. Bisweilen musste ein Grammophon ausreichen. Oft traten bei den Stummfilmaufführungen einzelne Musiker auf, mitunter auch ganze Orchester. Als Warner Brothers schließlich 1927 mit „The Jazz Singer“ den ersten Tonfilm der Geschichte uraufführten, begann der Stern der Filmmusiker zu sinken. Aber wie reagierten die Stars des Kinos, die Filmschaffenden insgesamt auf die Neuerung? Wartete die Welt denn überhaupt auf den Ton-
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film? Wie groß war die Tragweite der Veränderungen? Und konnten denn die vielen kleinen Kinos, die Nickelodeons und die Filmtheater die neuen Filme überhaupt abspielen? Wie reagierte das Publikum auf die neue Technik? Wie und wie schnell ging die Umstellung auf Tonfilme vonstatten?
Der vergessene Erfinder Die Entwicklung des Tonfilms war geprägt durch eine rasche Abfolge von verschiedenen Erfindungen, Erstvorführungen, Fehlschlägen, Weiterentwicklungen, Patentanmeldungen, Patent-Streitigkeiten und so weiter. Dennoch gibt es einen Mann, der als wichtiger Wegbereiter für den Tonfilm gelten muss. Er ist heute so gut wie vergessen, obwohl die Filmindustrie ihm im Grunde den Tonfilm verdankt. Einige Erfinder bastelten bereits in den frühen zwanziger Jahren an der Verbindung von Bild und Ton. Alle Versuche mit Phonographen oder Wachsrollen konnten das Problem der genauen Synchronisierung nicht lösen. Der polnische Einwanderer Józef Tykoci skiTykociner hatte jedoch die Idee, eine Tonspur direkt neben der Filmspur laufen zu lassen. So waren Bild und Ton miteinander verbunden und konnten gleichzeitig abgespielt werden. Er hatte ein Verfahren entwickelt, mit dem er dem Trägermaterial eines Films eine optische Spur für den Ton hinzufügen konnte. Doch Tykoci ski-Tykociner schaffte es nicht, seine Idee als Erster anzumelden. Sein Konkurrent war Lee de Forest. Er meldete eine ähnliche Technik an und war schneller. Zunächst wurden verschiedene Techniken verwendet, aber im Laufe der frühen dreißiger Jahre setzte sich die Tonspur endgültig durch. Auch in Deutschland, woher die meisten Innovationen in den zwanziger Jahren stammten, arbeitete man fieberhaft an der Tontechnik. Die großen Studios verfolgten die Entwicklungen mit Interesse. Fox reagierte als erstes und sicherte sich nicht nur Forests Patent, sondern kaufte auch das deutsche Tri-ErgonTonverfahren. Heute wird das Verdienst Tykoci ski-Tykociners jedoch weitgehend anerkannt. Aber er war der große Verlierer im Rennen um
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den Tonfilm, er konnte aus seiner Erfindung nicht einen Dollar machen.
Der erste Tonfilm Die Umstände, unter denen Warner Brothers den ersten Tonfilm veröffentlichten, waren denkbar schlecht. Das Studio war Mitte der zwanziger Jahre finanziell schwer angeschlagen. Das Wagnis, einen Tonfilm zu produzieren und damit einen Hit zu landen, war eine Flucht nach vorn. Bereits 1926 experimentierte Warner mit dem Tonfilm und brachte „Don Juan“ heraus, in dem es zwar noch keine Dialoge gab, es war aber ein Musikstück in das Geschehen eingebaut. 1927 hoffte das Studio dann auf den durchschlagenden Erfolg des Filmes „The Jazz Singer“. Das Musical war bereits erfolgreich am New Yorker Broadway gelaufen. Nun gab es erste Dialoge, die aber nur etwa ein Viertel des Films ausmachten. Warner ging ein großes Risiko ein, denn kaum ein Kino war für die Projektion eines Tonfilms ausgestattet. Wer „The Jazz Singer“ zeigen wollte, musste umrüsten. Die meisten Kinos hatten weder Lautsprecher noch die notwendige Vorführtechnik für Tonfilme. Sie konnten den Film einfach nicht zeigen. In Deutschland war man technisch und künstlerisch eigentlich immer der Zeit etwas voraus. Von der Lancierung des ersten Tonfilms war man allerdings überrascht worden. Der Stummfilm, so schien es, hatte seine Potentiale noch nicht ausgeschöpft. Die künstlerische Avantgarde, die in Europa experimentierte, hatte den Expressionismus überwunden und schuf nun unglaubliche surrealistische Filme, man denke nur an Luis Buñuels „Der andalusische Hund“. Erst als „The Jazz Singer“ ein beachtlicher Erfolg wurde, zog auch Deutschland nach. Auch hier war schon länger an einer Tontechnik getüftelt worden. 1929 begann die UFA schließlich mit dem Bau eines Tonfilmateliers in Neubabelsberg. Der erste deutsche Tonfilm kam ein Jahr später in die Kinos: „Melodie des Herzens“ mit Willy Fritsch in der Hauptrolle.
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Eine Herausforderung für die Filmschaffenden Auch in den USA waren vor allem die Filmschaffenden von den Herausforderungen der neuen Technik nicht von Anfang an begeistert. Mit Fritz Langs „Metropolis“ (1927) war der Stummfilm auch in Hollywood auf einem künstlerischen Höhepunkt. Der große Erfolg des Tonfilms beim Publikum zwang sowohl die Studios wie auch die Schauspieler, sich damit auseinanderzusetzen. Für die Produktionsfirmen bedeutete die Umstellung eine gewaltige finanzielle Investition: Es mussten neue Kameras und Aufnahmegeräte angeschafft und die entsprechenden Techniker eingestellt werden. Die Aufnahmestudios mussten mit Dämmmaterial ausgestattet werden, weil sonst jedes Außengeräusch mit aufgezeichnet wurde. Aber besonders die Schauspieler waren betroffen. Plötzlich spielte nicht nur eine Rolle, ob man ausdrucksvoll agieren konnte, nun musste auch die Stimme für Aufnahmen geeignet sein. Wer weiterhin ein Star bleiben wollte, musste nun auch singen können. Vor allem aber wurde die Sprache zu einer Hürde. Während sich zur Stummfilmzeit Akteure aller möglichen Nationen in den Studios tummelten, musste ihr Englisch nun gut und verständlich sein. Das bedeutete für viele das Ende ihrer Karriere, Pola Negri und Emil Jannings, der erste Oscargewinner als bester Schauspieler, waren davon betroffen, während sich beispielsweise Greta Garbo und Marlene Dietrich in Hollywood halten konnten. Der Tonfilm veränderte die Schauspielerei von Grund auf. Im Stummfilm musste alles über Mimik und Gesten ausgedrückt werden, ausladende Bewegungen und mitunter fratzenhafter Gesichtsausdruck sollten die Sprache ersetzen. Jetzt mussten die Schauspieler lernen, ihre Mimik zu reduzieren, weil das Übertriebene nun lächerlich wirkte. Viele nahmen Sprach- und Gesangsunterricht, um ihre Stimme zu schulen. Nicht zuletzt mussten auch die Autoren der Drehbücher sich völlig neu orientieren. Regieanweisungen reichten nun nicht mehr aus, der Stoff musste in Dialoge umgeschrieben werden, und die Regisseure standen vor der Herausforderung, ganz neue Regeln für die Inszenierung zu entwerfen.
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Ein gefeierter Star der Stummfilmzeit, der den Sprung ins Tonfilmzeitalter schaffte, war Charlie Chaplin. Sein Markenzeichen Stock und Melone und sein unverkennbarer Gang hatten ihn berühmt gemacht. Da Chaplin ein Vertreter der Pantomime war, unterstützten die Stummfilme, ihre Machart und Technik seine ganz persönliche Art zu schauspielern. Chaplin war der Meinung, dass die Dialoge die Kunst der Pantomime werden verschwinden lassen. Bis 1936 produzierte Chaplin deshalb weiterhin Stummfilme. Mit „Moderne Zeiten“ erschien sein letzter. Dann wagte er sich an seinen ersten Tonfilm. „Der große Diktator“ wurde ein Welterfolg. Er hatte damit nicht nur seinen ersten abendfüllenden Tonfilm produziert, er schuf zugleich einen Klassiker der Filmgeschichte.
Protest der Musiker In den damaligen Kinos waren häufig eine ganze Menge Leute an einer Vorführung beteiligt: Wenn die Kinobesitzer nicht einen von Thomas Edison lizensierten Phonographen, eine Art Grammophon, verwendeten, der mit dem Film synchronisiert wurde und die passende musikalische Untermalung abspielte, wurden die Stummfilme von einem kleinen Orchester, einer Kapelle oder einem Film-Pianisten begleitet. Kinos und umherziehende Filmvorführer boten damit in den zwanziger Jahren einen wichtigen Arbeitsmarkt für Musiker. Diese Sparte sollte mit dem Siegeszug des Tonfilms verschwinden. Da nun die Musik direkt vom Film kam, brauchte man die Musiker nicht mehr. Es entstand ein hitzig geführter Konflikt zwischen Vertretern der Musiker und der Filmindustrie. Polemisch wurde gegen den Tonfilm gewettert. Die Musiker bezeichneten ihn als „Kitsch“ und argumentierten, dass der Film nun nicht mehr Kunst, sondern ein Massenprodukt sei. Zudem klinge der Ton der talkies, wie die frühen Tonfilme genannt wurden, wie aus einer Blechbüchse. Die Proteste der Musiker konnten den Lauf der Zeit nicht aufhalten. Nachdem sie sich von der Begeisterung des Publikums hatte zwingen lassen, sah die Filmindustrie natürlich das unglaubliche Po-
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tential der neuen Technik, und keiner wollte dabei auf der Strecke bleiben.
Phase des Umbruchs Die Umstellung der Filmindustrie auf die Technik des Tonfilms vollzog sich in den Jahren von 1926 bis 1929. Anfangs kämpften die Studios mit den Tücken, die die neue Filmform mit sich brachte. Ende 1929 schienen die meisten Probleme aber gelöst. Auch die Akteure fanden sich schnell mit dem neuen Medium zurecht. Die großen Studios Hollywoods zogen bei der Einführung des Tonfilms an einem Strang. Nur so konnte die Umstellung innerhalb dieser relativ kurzen Zeit vollzogen werden. Die Neuerungen durch den Tonfilm wirkten jedoch noch weiter. Die Produktionskosten stiegen nun rapide an, da man für jede fremdsprachige Fassung die Dialogteile zusätzlich drehte. Bald schon waren die großen Studios nicht mehr bereit, diesen Mehraufwand zu leisten, zumal die Einnahmen, die durch die Sprachversionen erzielt wurden, die Kosten nicht abdeckten. Schließlich beschlossen die Studiobosse, die parallele Produktion anderer Sprachversionen einzustellen. Stattdessen sollte die Synchronisationstechnik ausgefeilt werden. Auf diese Weise wurden Filme nun synchronisiert und konnten mit überschaubarem finanziellen Aufwand wieder weltweit gesehen werden. Es differenzierten sich nun aber auch national geprägte Stile: Es entstand der amerikanische, der deutsche, der französische Film, die sich nicht immer ganz leicht in eine andere Sprache transferieren lassen.
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Hitchcock trat in allen seinen Filmen auf Er gilt als der größte Filmregisseur aller Zeiten: Der Engländer Sir Alfred Hitchcock. Vom Regiestuhl aus schuf Hitchcock Klassiker wie „Psycho“ (1960), „Die Vögel“ (1963) oder „Der unsichtbare Dritte“ (1959). Sein Name wird nach wie vor in einem Atemzug mit den Attributen „Spannung“, „Thriller“ und „große Erzählkunst“ genannt. Zudem verfügte er über eine gute Portion Humor und wusste auch sich selbst in Szene zu setzen, oder warum machte er es zu seinem Markenzeichen, dass er in jedem seiner Filme selbst erschien? Hitchcock wurde am 13. August 1899 im englischen Leytonstone geboren. Er war der Sohn des Gemüsehändlers William Hitchcock und dessen Frau Emma Jane Whelan. Ihm wird nachgesagt, dass er eine einsame Kindheit voller Angst hatte und dass dies zu den Geschichten geführt habe, die er später als Regisseur umsetzte. Hitchcock hatte schon früh Interesse an Kino und Theater – und er besuchte als junger Mann leidenschaftlich gerne Kriminalprozesse. Über seine Ausbildung als technischer Zeichner gelangte er an eine Werbeagentur und bewarb sich schließlich bei den neuen Paramount-Studios in London, wo er als Zeichner von Zwischentiteln angestellt wurde. Zunächst zeichnete er solche Zwischentitel, nebenher jedoch entwarf er Kulissen, dann Kostüme, Dekorationen und Szenenbilder. Nachdem er sich auch an der Überarbeitung von Drehbüchern beteiligte, erhielt er 1922 schließlich die Chance selbst Regie zu führen. Ein rasanterer
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Aufstieg ist kaum vorstellbar. Mit seinen ersten Filmen „Der Mieter“, „Irrgarten der Leidenschaft“ und „Der Bergadler“ gelang Hitchcock schon der Durchbruch. Der Übergang zum Tonfilm Ende der zwanziger Jahre bedeutete für viele Regisseure das Aus. Sie hatten sich zu sehr auf die Ausdrucksformen des Stummfilms konzentriert und schafften es nicht, sich auf die neue Technik einzulassen. Hitchcock aber lernte schnell mit dem Tonfilm umzugehen und nutzte die neuen Möglichkeiten, um seine Geschichten zu erzählen. 1938 drehte der Regisseur mit „Eine Dame verschwindet“ seinen letzten Film in England und folgte dem Ruf Hollywoods.
Hitchcocks erster Thriller Nach der Meinung des großen Regisseurs war der „erste richtige Hitchcock-Film“ der Stummfilm „Der Mieter“ (1926), da dieser Film bereits alles beinhaltete, was seine späteren Filme ausmachte. Die Grundkonstellation ist im Grunde bereits die seiner späteren Erfolge. Ein Untermieter versetzt seine Vermieter-Familie in Angst und Schrecken, weil sie ihn für einen gesuchten Blondinenmörder hält. Der Film wurde zum Kassenschlager und zementierte Hitchcocks weiteren Aufstieg. Nachdem er diesen Film abgedreht hatte, folgte Hitchcock einer Vision: Er wollte den perfekten Thriller produzieren. Dieser Vorgabe blieb er sein Leben lang treu: Neben wenigen Ausnahmen, als der Regisseur das Genre wechselte, sind die meisten Hitchcock-Filme tatsächlich exzellent inszenierte Thriller, die zeitlos und Vorbild für andere Regisseure sind.
Hitchcocks Klassiker In Hollywood hatte Hitchcock schnell Erfolg. Obwohl der mächtige Studioboss David O. Selznick den englischen Regisseur zwang, für den ersten Film nahe an der literarischen Vorlage zu bleiben, legte Hitchcock ein glänzendes Debüt hin. Sein Film „Rebecca“ (1940) er-
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hielt insgesamt elf Oscar-Nominierungen, wovon er zwei gewann. Der englische Regisseur platzte geradezu vor Energie. Gleich in den nächsten Jahren schuf er weitere Filme, die heute allesamt zu den Klassikern Hollywoods zählen. Hitchcock blieb sich dabei immer treu. Der Erfolg stieg ihm nicht zu Kopf oder veränderte gar seine filmischen Grundthemen. An genau diesen hielt er seine gesamte Karriere über fest. Obwohl Schauspieler, Handlungsorte und Erzählrahmen sich stets änderten, war es das Motiv der Angst, dass sich durch alle seine Filme zog und einen Film zu einem Hitchcock-Film machte. In seinen Heldenfiguren spiegeln sich viele Charaktereigenschaften Hitchcocks wieder. Seine Protagonisten sind alleingelassene Figuren, die Gerechtigkeit verlangen und sich gegen Normen und Verhalten der Gesellschaft durchsetzen müssen. So entstanden in den vierziger Jahren „Mr. & Mrs. Smith“ (1941), „Saboteure“ (1942) und „Verdacht“ (1941). Nach dem Krieg gegründete er seine eigene Produktionsgesellschaft Transatlantic Pictures und produzierte mit „Cocktail für eine Leiche“ seinen ersten Farbfilm (1948). Ab 1951, seit „Der Fremde im Zug“, arbeitete er mit dem Kameramann Robert Burks zusammen und schuf jene Klassiker, die noch heute die Cineasten bewegen. 1954 entstand „Das Fenster zum Hof“, ein Jahr später folgte „Über den Dächern von Nizza“. Gegen Ende der fünfziger Jahre und Anfang der sechziger Jahre erreichte er den Höhepunkt seines Schaffen mit „Vertigo“ (1958), „Der unsichtbare Dritte“ (1959), „Psycho“ (1960) und „Die Vögel“ (1963).
Die Motive in Hitchcocks Filmen Im Grunde gibt es ein großes Motiv, dass sich wie ein roter Faden durch alle Hitchcock-Filme zieht: Angst. In der Definition der Psychologie unterscheidet sich Angst von Furcht darin, dass Furcht sich immer auf etwas Konkretes bezieht. Man fürchtet sich vor einem dunklen Wald, vor einem aggressiven Tier oder vor einer steilen Treppe. Angst hingegen ist unbestimmt. Die von Hitchcock dargestellte Angst bezieht sich meist auf den Verlust der bürgerlichen Existenz. Seine Charaktere verfallen in einen Angstzustand, der sie letztlich antreibt.
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Vor Mördern, Spionen und Abgründen fürchten sich Hitchcocks Figuren nur – die Angst, die sie empfinden, ist weniger fassbar und versetzt den Zuschauer in jene Spannung, für die Hitchcock so berühmt wurde. Zur Angst kommt das Motiv der Schuld und Sühne hinzu, das Biografen auf Hitchcocks katholische Erziehung zurückführen. Hitchcocks Filmcharaktere sind entsprechend ambivalent. Wird eine unschuldige Figur verfolgt, hat sie unter Umständen in einem für den Hauptstrang der Handlung weniger bedeutsamen Fall durchaus gesündigt. Man leidet und fiebert mit der Figur mit, weil sie dem Zuschauer zunächst als unschuldig erscheint. Schließlich muss man mitansehen, wie sie für ein ganz anderes Vergehen bestraft wird. In „Bei Anruf Mord“ (1959) etwa wird die Hauptfigur des Mordes verdächtigt; sie hat jedoch in Wirklichkeit aus Notwehr gehandelt. Das folgende Unheil, das die Hauptfigur überkommt, ist als Strafe für ihren begangenen Ehebruch anzusehen. Ein weiteres Motiv, das alle Filme durchzieht und das eng mit dem Motiv der Angst verbunden scheint, ist das Motiv des Identitätsverlustes. Falsche Verdächtigungen gehen bei Hitchcocks Filmen stets mit der Bedrohung der eigenen Identität und des eigenen gesellschaftlichen Status einher. Seine Figuren sind alleine gelassen, traumatisiert oder werden verfolgt. Dabei nehmen sie selbst eine falsche Identität an oder werden zum Teil aus unbekannten Gründen für jemand anderen gehalten. Zudem verwendet Hitchcock eine deutliche, jedoch nicht immer eindeutige Bildsprache, um seine Motive zu unterstreichen. Vögel sind nicht nur in „Die Vögel“ (1963) ein Symbol für Unheil, sondern in vielen seiner Filme. Treppen bedeuten stets Verlust oder Freiheit. Nicht zuletzt symbolisieren Spiegel die Erkenntnis über die eigene Persönlichkeit oder fungieren als ein Symbol der Täuschung.
Charakterzeichnung in Hitchcocks Filmen Um die beschriebenen Motive zu verdeutlichen und eine einfache Identifikation mit den Hauptfiguren zu gewährleisten, sind Hitch-
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cocks Charaktere meist Normalbürger, die unverhofft in eine Geschichte geraten. Dies geschieht durch Zufälle, Verwechslungen oder mysteriöse Umstände. Allein dies verursacht bei den Zuschauern bereits ein mulmiges Gefühl, denn es könnte jedem von uns passieren. Obwohl Hitchcocks Filme häufig im Spionagemillieu spielen, finden sich unter seinen Protagonisten selten Geheimdienstagenten, wie auch aktive Polizisten zumeist nur in Nebenrollen vorkommen. Hitchcocks Hauptfiguren sind aber nicht nur Normalbürger, sondern häufig auch tragische Gestalten. So muss der von James Stewart gespielte Lehrer in „Cocktail für eine Leiche“ erkennen, dass seine Theorie zwei Schüler dermaßen beeinflusst hat, dass sie einen Mord begehen. Hilflos steht er vor dem Abgrund dieser unmenschlichen Tat, die er nicht verhindern konnte, die er sogar heraufbeschworen hat. Selten zeichnete Hitchcock ungebrochene Helden. Wenn er dies aber tat, dann besetzte er die Rolle mit Cary Grant. In den beiden Filmen „Über den Dächern von Nizza“ (1955) und „Der unsichtbare Dritte“ (1959) meistert die Hauptfigur die Herausforderungen, die sich ihr in den Weg stellen, nahezu spielend und mit Leichtigkeit. Um diesen Figuren dennoch eine Tiefe zu geben, stehen sie im Verdacht kriminell zu sein. Damit greift Hitchcock wieder sein Motiv des Identitätsverlustes auf. Die Frauenrollen bei Hitchcock entsprechen auf den ersten Blick dem damaligen klassischen Frauenbild. Doch er spielte meist nur mit dem Bild der schwachen, zu beschützenden Frau. Seine Helden waren meist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie die Kraft gehabt hätten, die Frau neben sich zu retten. Zudem geht von den männlichen Hauptfiguren nicht selten auch eine Gefahr für die Frau aus, so dass sie in den meisten Hitchcock-Filmen auf sich alleine gestellt war. Nicht zuletzt schuf Hitchcock interessante Gegenspieler, mit denen sich der Zuschauer oft leichter identifizieren konnte als mit der Hauptfigur. Sie waren sympathischer, charmanter und offener in ihrer Motivation, so dass man ihr Handeln leichter nachvollziehen konnte. Dadurch schuf Hitchcock Spannung.
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Trat Hitchcock tatsächlich in allen Filmen selbst auf? Ursprünglich war es eine Verlegenheitslösung, dass der Regisseur sich vor der Kamera zeigte. Es mangelte mitunter an Statisten. Doch schon nach ein paar Filmen sprach sich das herum, und Hitchcocks CameoAuftritte in seinen Filmen wurden legendär. Gespannt saßen die Zuschauer in ihren Kinosesseln und achteten mehr darauf, wann und wo Hitchcock auftauchte, als sich auf die Handlung zu konzentrieren. Schließlich entschied Hitchcock, seinen Auftritt an den Anfang oder zumindest in das erste Drittel seiner Filme zu verlegen. Bereits in dem Stummfilm „Der Mieter“ sitzt Hitchcock an einem Schreibtisch und eilt schließlich davon. In „Erpressung“ liest er in der U-Bahn eine Zeitung, in „Der Mann, der zu viel wusste“ überquert er im Regenmantel die Straße. Sein letzter britischer Film zeigt ihn ungewöhnlicherweise gegen Ende. Als die Protagonistin endlich London erreicht, läuft er nach neunzig Minuten im dunklen Mantel durch die Londoner Victoria Station. Hingegen ist er bei seinem Klassiker „Der unsichtbare Dritte“ gleich nach dem Vorspann zu sehen, als der New Yorker Busfahrer direkt vor seiner Nase die Bustür schließt und davonfährt. Auch bei „Die Vögel“ tritt er gleich zu Beginn auf, als er eine Tierhandlung verlässt. Und bei „Psycho“ steht er nach sechs Minuten auf der Straße und trägt einen Cowboyhut. Alfred Hitchcock ist, bis auf die ganz frühen, in jedem seiner Filme zu sehen, hat allerdings nicht in allen einen wirklichen Auftritt. In „Das Rettungsboot“ (1943/44), das ja ausschließlich in einem kleinen Boot auf dem Meer spielt, ist er auf dem Foto einer Werbeanzeige in einer Zeitung zu sehen, die in dem Boot liegt und einmal kurz ins Bild kommt. In „Bei Anruf Mord“ (1954) taucht er wiederum auf einem Foto auf, das an der Wand hängt. In einem Film hat er allerdings einen besonderen Auftritt: Während er in keinem seiner Filme je ein Wort gesprochen hat, spricht er in „Der falsche Mann“ den Prolog.
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James Deans Unfallauto tötete mehrere Menschen Er zählt bis heute zu den großen Ikonen Hollywoods, obwohl zu seinen Lebzeiten nur ein einziger Film mit ihm in die Kinos kam: James Dean. Sein Schicksal teilt er mit Kurt Cobain, Jimmy Hendrix, Jim Morrison oder Heath Ledger. All diese Künstler starben jung und wurden genau deswegen zu Ikonen ihrer Generation. James Dean war gerade in die Riege der Hollywoodschauspieler aufgestiegen, da riss ihn ein schwerer Autounfall aus dem Leben. Die Premiere seines ersten Films „Jenseits von Eden“ (1954) hatte er noch erlebt. Doch als „Giganten“ und „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ ihre Premieren feierten, konnte er nicht mehr dabei sein. Dem Erfolg seiner Filme tat dies keinen Abbruch, sein Tod förderte das Interesse an den Filmen sogar noch. Die drei Filme, in denen er mitspielte, wurden zu Filmklassikern, die bis heute ihre Wirkung entfalten. Er selbst wurde zu einem Mythos der Filmgeschichte und zur Ikone für die Jugend. Nicht zuletzt unterstrichen auch die Charaktere, die er verkörperte, diese Imagebildung. Sie sind allesamt jugendliche Rebellen, die sich gegen etwas stemmen. Doch woher kam James Dean? Wie konnte er sich die Rollen in Hollywood überhaupt ergattern? Sein kurzes Leben und der Mythos, der um ihn entstand, werfen noch weitere Fragen auf: Spielte er wirklich in nur drei Filmen mit? Und brachte sein Unglücksauto noch weiteren Menschen Unglück?
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Alternde Halbstarke Wäre James Dean nicht tödlich verunglückt, gäbe es heute sicher eine ganze Reihe von Filmen mit ihm. Das Kinopublikum hätte ihn altern und reifen sehen können. Die Charaktere, die er verkörperte, wären nicht nur jugendliche Rebellen, sondern vielleicht auch reifere Männer gewesen. Doch so weit kam es nicht. Der Unfall beendete die Karriere und das Leben von James Dean. Fragen danach, ob er sich wie Marlon Brando zurückgezogen oder wie Clint Eastwood oder Paul Newman bis ins hohe Alter vor der Kamera gestanden hätte, lassen sich nicht beantworten. Alleine seine Fans träumten noch Jahrzehnte davon, wie die Karriere von James Dean hätte weiter verlaufen können – bis hin zum Ehren-Oscar für sein Lebenswerk. Interessant wäre es allemal gewesen, die Wandlung seiner Charaktere zu beobachten. Sein früher Tod bewahrte ihn aber möglicherweise auch vor den Schattenseiten eines Lebens als gescheiterter Star. So erlebte James Dean zwar einen rasanten Aufstieg. Einen tiefen Fall aus dem StarOlymp musste er nicht erleben. Er musste kein Comeback inszenieren, auch blieben ihm Alkoholsucht, Übergewicht, das Dschungelcamp oder der Big-Brother-Container erspart. Mit seinen drei Rollen hat er eine ganze Generation geprägt. Er wurde unsterblich und wird für immer mit dem Image des tragischen, rebellischen Jugendlichen verbunden sein.
James Deans kurzes Leben James Byron Dean wurde am 8. Februar 1931 in Marior, Indiana im Mittleren Westen der USA geboren. Er wuchs die meiste Zeit bei seiner Tante, Mutter und Großmutter in Fairmond, Indiana auf und verbrachte die ersten Jahre seines Lebens in bescheidenen Verhältnissen. Die Familie litt wie viele unter der Weltwirtschaftskrise. Daher fassten seine Eltern den Entschluss nach Kalifornien zu ziehen, in der Hoffnung, dass sie dort eine Anstellung finden und mehr Geld verdienen würden.
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An der dortigen Grundschule entdeckte der junge James Dean sein Talent für die Schauspielerei. Morgens ging er in die Schule, am Nachmittag nahm er Geigen- und Steppunterricht an einer Musikschule. Doch seine Kindheit war überschattet vom tragischen Tod seiner Mutter, die an Gebärmutterkrebs verstarb, als er neun Jahre alt war. Der Sarg wurde zurück nach Indiana überführt, und der Junge blieb bei seiner Tante. In Indiana besuchte er die High School und pflegte weiterhin sein schauspielerisches Talent, indem er regelmäßig bei Stücken des Schultheaters auftrat. Auch seine Lehrer erkannten sein Talent und gaben ihm bei Aufführungen oft die Hauptrolle. Dadurch gewann der jugendliche James Dean schnell an Selbstvertrauen. Im Alter von 18 Jahren zog er zurück nach Kalifornien zu seinem Vater, der wieder geheiratet hatte. Das Verhältnis zwischen den beiden war jedoch angespannt und von Konflikten überschattet. Der Vater überredete ihn, in Los Angeles Rechtswissenschaften zu studieren. Daneben belegte James Dean aber weiterhin Theaterkurse und gab seinen Plan Schauspieler zu werden nicht auf. Vater und Sohn steuerten auf den nächsten Konflikt zu, weil James das Jurastudium zugunsten der Schauspielerei vernachlässigte. Als der Vater dies bemerkte, entzog er ihm die finanzielle Unterstützung. James Dean war nun auf sich alleine gestellt. Er hielt sich mit kleineren Gelegenheitsjobs über Wasser, arbeitete als Platzanweiser und Reinigungskraft im Kino und malte Kulissen im Theater. Er erhielt in dieser Phase aber auch erste, kleinere Theaterrollen. Zumeist waren es Engagements in Laientheatern oder Auftritte in Werbespots. Auch in dieser Zeit der Entbehrung blieb er stets seinem Wunsch treu, Schauspieler werden zu wollen. Schließlich bewarb er sich in New York am berühmten Actors Studio von Lee Strasberg und wurde angenommen. An der renommiertesten Schauspielschule der Vereinigten Staaten genoss James Dean nun eine hervorragende Ausbildung. Es folgten Engagements an Theatern und 1953 der „Daniel-Blum-Preis“ für den besten Nachwuchsschauspieler der Vereinigten Staaten. Mit solchen Meriten ausgestattet war es nur eine Frage der Zeit, bis die Filmindustrie auf ihn aufmerksam würde. Der Regisseur Elia
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Kazan hörte von James Deans Talent und ließ ihn zu Probeaufnahmen für seinen Film „Jenseits von Eden“ kommen. Kazan war von Dean so begeistert, dass er ihn dem einige Jahre älteren Paul Newman vorzog. Damit hatte James Dean seine erste große Filmrolle ergattert. „Jenseits von Eden“ handelte von Kain und Abel in der Sicht des landwirtschaftlichen Kalifornien. James Dean verkörperte dabei Cal Trask, der verzweifelt um die Anerkennung seines Vaters kämpft. Die Rolle schien ihm wie auf den Leib geschrieben und machte ihn über Nacht zum Shootingstar in Hollywood. James Dean war ganz anders als die männlichen Filmfiguren der vierziger Jahre, die scheinbar keinen Makel hatten, weder äußerlich noch innerlich. Dean war in seinem Auftreten ein Flegel, in der damaligen Sprache ein „Halbstarker“. In seinen Rollen wie auch in seinem Lebensstil verkörperte er ganz andere Werte. Er war nicht mehr ein ungebrochener Filmheld, sondern ein zerbrechlicher, unsicherer und sehr menschlicher Charakter. Auch abseits der Kameras war er genau so. Zu Dreharbeiten und Interviews kam er stets – und wahrscheinlich absichtlich – zu spät. Er hatte schlechte Manieren und ließ seinen trotzigen Launen freien Lauf. Doch mit seinem Charme zog er fast alle in seinen Bann. Nach „Jenseits von Eden“ war Dean ein international gefeierter Charakterdarsteller. Mit seiner ersten großen Gage frönte er seiner zweiten Leidenschaft, dem Rennsport. Er kaufte sich seinen ersten Porsche, einen Porsche 356, und fuhr auch regelmäßig – und erfolgreich – Autorennen in Kalifornien.
Drei Erfolgsfilme Während „Jenseits von Eden“ sich noch im Schnitt befand, weigerte sich das Filmstudio Warner Brothers, James Dean für die MGM-Produktion „Die Verlorenen“ auszuleihen. Als nächstes Projekt stand die texanische Saga „Giganten“ mit Liz Taylor und Rock Hudson auf dem Plan. Doch wegen Taylors Terminplan wurden die Dreharbeiten verschoben.
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Deshalb wurde „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ unter der Regie von Nicholas Ray Deans nächstes Projekt. Dean spielte hier erneut einen jugendlichen Außenseiter, Jim Stark, der sich nach seinem Umzug in der neuen Stadt neu orientieren muss und auf der Suche nach Anerkennung ist. Er liefert sich Messerkämpfe und Autorennen mit einer Jugendgang und findet in der naiven Judy und dem in sich gekehrten Plato eine Ersatzfamilie. Den Erfolg von „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ erlebte Dean nicht mehr. Der Film kam einen Monat nach seinem Begräbnis in die Kinos. In der Rolle des frustrierten, aufbegehrenden Teenagers Jim wurde Dean postum zu Hollywoods gefeiertem Rebellen. James Dean hatte nur drei Tage Drehpause, dann begann die Arbeit an seinem dritten Film „Giganten“, den er nur eine Woche vor seinem Tod beendete. Der Film schildert die Dreiecksbeziehung zwischen dem Rinderbaron Bick Benedict, gespielt von Rock Hudson, seiner Frau Leslie, Elizabeth Taylor, und dem einfachen Farmarbeiter Jett Rink, James Dean. Zunächst arbeitete Rink für Benedict, als er aber Öl auf seinem Land findet, beginnt sein steiler Aufstieg zum mächtigsten Konkurrenten des Rinderbarons. Die Dreharbeiten wurden vor allem von der realen Rivalität zwischen Rock Hudson und James Dean bestimmt, was der Regisseur gewähren ließ, da so die Authentizität ihrer Rollen erhöht wurde. „Giganten“ wurde für zehn Oscars nominiert. Unter den Nominierungen befand sich auch eine für James Dean, die er postum erhielt. Doch lediglich Regisseur George Stevens konnte den „Academy Award“ auch entgegennehmen. Während der Produktion von „Giganten“ verhandelte Deans Agentin mit dem Studio. Seine Gage sollte an die Gagen der damaligen Topstars angeglichen werden. Dafür sollte sich James Dean verpflichten, in den folgenden sechs Jahren in neun weiteren Filmen der Warner Bros. mitzuspielen. Darüber hinaus wollte Dean eine eigene Produktionsgesellschaft unter dem Dach von Warner führen. James Dean wollte den Vertrag gleich in der ersten Oktoberwoche unterschreiben, sobald er von seinem Autorennen zurückgekehrt war. Bevor er die Filme für Warner drehen sollte, war er noch als Hauptdarsteller für den MGM-Film „Die Hölle ist in mir“ vorgesehen. Aufgrund seines
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tödlichen Unfalls kam es zu diesem Auftritt nicht mehr. Der Film wurde schließlich mit Paul Newman in der Hauptrolle umgesetzt.
Mehr als nur drei Filme? Dass James Dean in nur drei Hollywoodproduktionen mitspielte, ist im Grunde populäres Wissen. Hin und wieder wird erwähnt, dass es einen vierten Film gäbe. Dabei handelt es sich um die Dokumentation „James Dean – Forever Young“, die in der DVD-Kollektion der DeanFilme erhalten ist. Ob man dies als seinen vierten Film werten kann, mag der Betrachter entscheiden. Allerdings werden seine Auftritte in TV-Serien meist nicht weiter erwähnt. So spielte Dean zum Beispiel nach den Dreharbeiten zu „Jenseits von Eden“ in einer Episode der Serie „Philco Television Playhouse“. Noch bevor die Arbeiten an „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ begannen, nahm er erneut einige Fernsehrollen an. Darunter befanden sich mehrere Auftritte in den Serien „Danger“ sowie „General Electric Theatre“. Im Zeitraum von 1951 bis 1955 verzeichnete James Dean sogar insgesamt Auftritte in über 15 verschiedenen TV-Serien. Bei einigen davon trat er sogar in mehreren Folgen auf. Und bei all dem, was hätte sein können, sollen auch seine Auftritte in den Filmen „Der letzte Angriff“ (1951), „Seemann, paß auf!“ (1952) mit Dean Martin und Jerry Lewis, „Maske runter“ (1952) und „Hat jemand meine Braut gesehen“ (1952) erwähnt werden, bei dem er bereits an der Seite seines späteren Kollegen und Kontrahenten Rock Hudson spielte. In diesen Filmen hatte er jeweils eine kleine Rolle, jedoch fand sein Name nicht den Weg in den Abspann dieser Produktionen.
Der Porsche Spyder 550 Das Auto, in dem James Dean verunglückte, war ein Porsche Spyder 550, von dem es im Jahr 1955 genau fünf Stück in ganz Amerika gab. John von Neumann, der Besitzer eines Autohauses in Hollywood, hat-
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te sie in die Vereinigten Staaten importiert. Insgesamt hatte Porsche von diesem Modell 1955 nur ganze neunzig Stück produziert. James Dean soll den Wagen in dem Autohaus gesehen und sich sofort entschieden haben, seinen alten 356 Speedster in Zahlung zu geben und das neue Modell zu kaufen. Auf die Fronthaube des Wagens war die Nummer 130 lackiert, während auf dem Heck James Deans Spitzname „Little Bastard“ stand, den ihm sein Dialogcoach Bill Hickman am Set von „Giganten“ verpasst hatte. Mit seinem Speedster hatte James Dean am 1. Oktober 1955 an einem Autorennen in Salinas, Kalifornien teilnehmen wollen. Am Abend des 30. September brach der Star gemeinsam mit dem deutschen Techniker Wolf Wütherich in seinem neuen Wagen auf. Die Sonne ging über den kalifornischen Highways 46 und 41 nahe der Ortschaft Cholame unter. Mit 170 Stundenkilometern brauste er in seinem brandneuen silbernen Spyder auf die T-Kreuzung der beiden Highways zu. Dort bog gerade der 23-jährige Donald Turnupseed links ab und bemerkte den heranrasenden Wagen nicht, dem er die Vorfahrt hätte gewähren müssen. Der Filmstar konnte nicht mehr reagieren. Ungebremst raste er in den Ford von Turnupseed und kam an einem Telegrafenmasten zum Stehen. Beim Aufprall brach sich Dean das Genick, sein Gesicht wurde zerschmettert und die Arme im Wrack zerquetscht. Wolf Wütherich wurde aus dem Wagen geschleudert und schwer verletzt. Beide wurden später ins Krankenhaus gebracht. Bei Dean konnte nur der Tod festgestellt werden, Wütherich aber überlebte den Unfall. Turnupseed kam mit einigen Prellungen und kleineren Verletzungen davon. Er war unvorsichtig gefahren und hatte dem Porsche fahrlässig die Vorfahrt genommen. Dafür wurde er von Generationen von James-Dean-Anhängern verfolgt und verflucht. Noch bevor die ersten Polizisten am Unfallort eintrafen, durchsuchten Passanten den toten Star nach Geld und anderen Wertsachen. Sobald die Nachricht von seinem Unfall in den Nachrichten war, stiegen Einbrecher in Deans Appartement in Los Angeles und plünderten es. Sie stahlen vieles, auch James Deans geliebte Bongo-Trommeln.
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Lag ein Fluch auf dem Unfallwagen? Der tragische Unfall war zugleich die Geburt wilder Spekulationen um die weitere Geschichte des Unglückswagens. Um ihn und einzelne Teile des Wracks ranken sich kuriose und tragische Anekdoten. Der Porsche Spyder war zwar völlig zertrümmert, doch hatten einige Teile des Wagens den Unfall überstanden. Sie wurden in der Folge in andere Autos eingebaut und sollen auch diese ins Verderben gestürzt haben. Es wird behauptet, dass ein Fluch über dem Wagen gelegen habe und er vielen Menschen Unheil brachte. Doch war der „Little Bastard“ von James Dean wirklich verflucht oder ist alles nur Verklärung und Legendenbildung? Für die damalige Zeit war der Vierzylinder-Motor, der aus 1498 Kubikzentimeter Hubraum bei 7800 Umdrehungen pro Minute bis zu 110 PS und 220 Stundenkilometer rausholen konnte, eine Rennmaschine. George Barris, ein Ersatzteilhändler, erstand den Unfallwagen. Er wollte alle brauchbaren Teile, die nicht beschädigt waren, weiterverkaufen. Doch schon beim Abladen des Wagens in der eigenen Werkstatt soll das erste Unglück passiert sein. Der Spyder stürzte von der Rampe und verletzte einen Mechaniker. Er kam jedoch mit einem gebrochenen Bein davon. Gesichert ist, dass ein schwerreicher Arzt aus Beverly Hills, Dr. William Eschrich, den Motor des „Little Bastard“ erstand und in seinen Rennwagen einbauen ließ. Aber ab hier beginnen wiederum die Legenden. Der Fluch des Spyder soll abermals zugeschlagen haben, als Eschrich wenig später bei einem Amateurrennen mit dem Motor in seinem Wagen tödlich verunglückte. Ein weiterer Rennfahrer soll die Heckflosse in seinen Wagen integriert haben. Auch er soll schwer verunglückt sein. Manche behaupten sogar, er sei ebenfalls gestorben. Aber damit nicht genug. Ein weiterer Arzt soll das Getriebe des Spyder gekauft haben. Auch ihn traf der Fluch. Er wurde in einen Unfall verwickelt. Der Arzt überlebte schwer verletzt. Ein Mann aus New York soll darüber hinaus die beiden unversehrten Reifen des Spyder erstanden haben. Auch er soll nur knapp und schwer verletzt dem Tod entgangen sein, als beide Reifen gleichzeitig platzten. Nicht besser
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soll es dem Käufer der Hinterachse ergangen sein: Auch er soll auf geheimnisvolle Weise zu Tode gekommen sein. Schließlich verschwand die ausgeschlachtete Karosserie von der Bildfläche, worüber ebenfalls zahlreiche Legenden berichten. Die abstruseste Version der Geschichte behauptet, dass die Reste des Unfallwagens in Michael Jacksons Garage gestanden haben sollen. Prüft man jedoch beispielsweise die Legende um Dr. Eschrich genauer nach, so wird man feststellen müssen, dass der Arzt zwar durchaus James Deans Motor erstanden hatte und das besagte Rennen mit dem neuen Motor bestritt und dabei verunglückte. Er starb jedoch erst viele Jahre später im hohen Alter. Während des Rennens war ein anderer Fahrer bei einem Unfall umgekommen, an dem Eschrich nicht beteiligt war. Der Wunsch nach Sensation mag die beiden Unfälle von 1956 miteinander vermischt haben, um James Deans Tod nicht so sinnlos erscheinen zu lassen. In der Folge ging wohl die Fantasie mit manchem Erzähler durch, und so entstanden die weiteren Geschichten um den angeblichen Fluch des Porsche Spyder der Hollywoodlegende James Dean.
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Bei den Dreharbeiten zu „Ben Hur“ starb ein Mensch Im Filmgeschäft kursiert derzeit wieder das „Ben-Hur“-Fieber. Es ist entbrannt, seit MGM vor geraumer Zeit bekannt gegeben hat, dass man sich um ein Remake bemühe. Das Studio plant eine Neuauflage des Monumentalfilms, in dem einst Charlton Heston das berühmteste Wagenrennen der Filmgeschichte mit Bravour gewann. Der Schauspieler machte den Film zum Klassiker, den wir alle Jahre wieder an Ostern im Fernsehen bewundern können. Doch warum braucht dieser Film ein Remake? Reicht der Klassiker nicht mehr aus? Wirkt er nicht mehr zeitgerecht? Nur wenige werden sich noch daran erinnern, dass bereits der Klassiker ein Remake war. Es gibt noch eine ältere Filmfassung von „Ben Hur“, die aus der Stummfilmzeit stammt. Die einen werden sich fragen, warum man heute dann das Remake eines Remakes braucht. Stummfilmfans wiederum wunderten sich bereits 1959, dass es zu einem Remake kam, wo doch die Stummfilmversion von 1925 schon künstlerisch das Optimum aus dem Stoff herausgeholt hatte. Immerhin ist die Verfilmung von 1959 in Farbe und mit Ton. Das sind zwei Argumente, die für das Remake mit Charlton Heston sprechen. Doch warum benötigen wir heute ein Remake der gleichen Geschichte? Zumal sich um den elffachen Oscar-Gewinner von 1959 mehrere Legenden ranken. Bis heute hält sich die Geschichte, dass während der Produktion nicht nur viele Pferde ihr Leben lassen mussten, sondern auch ein Mensch.
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„Ben Hur“ ist eine Literaturverfilmung „Ben Hur“ ist ein Roman von Lew Wallace aus dem Jahre 1880, der im 1. Jahrhundert nach Christus in Judäa spielt. Im Verlauf der Handlung kreuzen sich die Lebenswege von Ben Hur und Jesus Christus mehrfach. Aber diese Begegnungen stehen nicht im Zentrum der Geschichte. Es geht vielmehr um den Konflikt zwischen Ben Hur und seinem Kindheitsfreund Messala, der zum Befehlshaber der römischen Besatzungstruppen ernannt wurde. Zwischen beiden kommt es zum Streit. Messala wirft Ben Hur eine Verschwörung gegen die Römer vor und schickt seinen ehemaligen Freund auf eine Galeere, auf der er drei Jahre lang als Rudersklave büßen muss. Ben Hur schwört Rache und kehrt nach Jahren nach Jerusalem zurück, wo er Zeuge der Kreuzigung Christi wird. Schließlich kommt es zum Showdown der beiden Rivalen bei einem großen Wagenrennen, das Ben Hur trotz größter Schwierigkeiten gewinnen kann. Der Roman war im 19. Jahrhundert ein großer Erfolg und wurde in viele Sprachen übersetzt. Er war sogar so beliebt, dass er neben der Bibel als das am zweitmeisten gedruckte Buch des Jahrhunderts galt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand eine Bühnenfassung, und 1907 wurde der Stoff zum ersten Mal verfilmt. Allerdings handelte es sich dabei lediglich um einen Stummfilm, der nur etwa 15 Minuten umfasste. 1925 folgte schließlich die bekanntere Stummfilmfassung mit Ramon Novarro in der Titelrolle. Außer dem Farbfilm von 1959 mit Charlton Heston in der Hauptrolle wurde 2003 eine Zeichentrickversion des Films erstellt, in der Heston die Titelrolle sprach. Schließlich stellten mehrere Fernsehsender gemeinsam 2010 eine internationale Co-produktion auf die Beine, die jedoch wenig Anklang fand. Nach wie vor ist William Wylers monumentale Verfilmung von 1959 die bildgewaltigste und beeindruckendste Filmversion von „Ben Hur“.
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Der Stummfilm Der Stummfilm von 1925 wartet mit großartigen Bildern und Sequenzen auf, die sich in das Gedächtnis der damaligen Zuschauer einbrannten, die in die spätere Verfilmung aber nicht übernommen wurden. Hierzu zählen die eindrückliche Sequenz auf der Sklavengaleere, die als Sinnbild sinnloser Schinderei inszeniert wurde, sowie die Szene, als Jesus Christus das Kreuz zur Hinrichtungsstätte Golgatha hinauf trägt. Man sieht nur das große Kreuz, das sich langsam seinen Weg durch die Menschenmasse bahnt. In den Stummfilm musste MGM Einiges investieren. Die Produktion dauerte drei Jahre und verschlang mehrere Millionen Dollar. Die Statisten sprachen von katastrophalen Zuständen bei den Dreharbeiten, die zunächst der Regisseur Rex Ingram in der Nähe von Rom leitete. Ingram überwarf sich mit den Produzenten und wurde dann durch Charles Brabin ersetzt. Schließlich feierte der Film am 30. Dezember 1925 in New York Weltpremiere. In den nächsten Wochen entwickelte sich der Film zu einem der größten Kassenschlager der Stummfilmzeit.
Das Remake von William Wyler Ähnlich wie der Stummfilm stellte auch die Verfilmung aus dem Jahr 1959 neue Rekorde in Größe und Ausmaß der Produktion auf. Das monumentale Projekt wurde bereits 1953 in die Wege geleitet und sollte MGM, das kurz vor dem Bankrott stand, in erster Linie sanieren. Regisseur William Wyler setzte auf einen massiven Personal- und Materialaufwand. Der Film kostete am Ende 16,2 Millionen Dollar. Inflationsbereinigt ist er damit einer der teuersten Filme aller Zeiten. Da der Film zu einem großen Erfolg wurde, konnte sich das Studio tatsächlich finanziell stabilisieren. In jeder Hinsicht war das Projekt monumental: Es gab 365 Sprechrollen, 50 000 Komparsen und über eine Million Requisiten. Zudem ist der Film der erste, der im großen Stil mit Bluescreen-Aufnahmen arbeitete. Die Vorbereitungszeit von fünf
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Jahren hatte es zudem in sich. Trotz vieler Bemühungen und mehrerer Autoren gelang es nicht, bis zum Drehbeginn ein finales Drehbuch anzufertigen. Nach vierzig verschiedenen Fassungen reiste Regisseur Wyler schließlich ohne fertiges Drehbuch zu den Dreharbeiten ab. Ben Hur stellte bei der Oscar-Verleihung von 1960 dennoch den Rekord mit elf Auszeichnungen auf. Lange Jahre reichte kein Film an diesen Rekord heran. Bis heute ist er im Grunde genommen unübertroffen. Nur „Titanic“ und „Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs“ brachten es ebenfalls auf elf „Academy Awards“. Im kollektiven Gedächtnis blieb der Film bis heute aufgrund des spektakulären Wagenrennens, das den Höhepunkt des Films darstellt. Bei einer weiteren Neuverfilmung wird es daher auch mit großer Wahrscheinlichkeit das Wagenrennen sein, das mit Spezialeffekten aufgeladen dann zum Aushängeschild wird.
Remakes in der Hollywoodgeschichte Das wohl bekannteste Remake jüngerer Zeit dürfte die erneute Verfilmung des Buchthrillers „Verblendung“ gewesen sein. 2009 erschien die europäische Co-produktion von Stieg Larsson mit Michael Nyqvist und Noomi Rapace in den Hauptrollen. Und obwohl dieser Film sehr erfolgreich lief, folgte nur zwei Jahre später das amerikanische Remake mit Daniel Craig. Cineasten schüttelten den Kopf und fragten sich, was die Neuverfilmung solle. Die Verwunderung war auch deshalb so groß, weil zum Teil an den gleichen Schauplätzen gedreht wurde. Für viele gab es nur eine Erklärung: Hollywood gehen die Ideen aus. Doch die Wahrheit ist viel ernüchternder: Remakes rechnen sich an der Kinokasse. Für Hollywood sind die Remakes schlicht ein geringes finanzielles Risiko. Selten sind die Neufassungen wirklich besser oder künstlerisch wertvoller als das Original, doch in Zeiten riesiger Filmbudgets, in denen schon ein Flop genügt, um ein ganzes Studio ins Wanken zu bringen, ist in Hollywood Sicherheit statt Innovation gefragt. Die Methode ist nicht neu. Europäische wie amerikanische Klassiker wurden in der Vergangenheit schon häufig mehrmals verfilmt.
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Dabei ist es für die Rechteinhaber des Originalfilms immer lukrativ, die Verfilmungsrechte nach Hollywood zu verkaufen, weil sie Geld einnehmen, ohne dass auch nur ein Zuschauer ins Kino gegangen ist. Die Studios, die ein Remake auf die Beine stellen, nehmen in Kauf, dass ein Teil des Publikums nicht kommt, dafür hat man den Teil sicher, der die Erstfassung kennt und Vergleiche ziehen möchte. Ein völliger Flop scheint dadurch eher unwahrscheinlich. Da heute die meisten Studios an der Börse verzeichnet sind, agieren viele vorsichtig, um keine negativen Schlagzeilen zu machen und damit eine Abwertung ihrer Aktien zu riskieren. Damit lässt sich die aktuelle Sicherheitspolitik im Filmgeschäft erklären: Lieber einen Erfolgsfilm fortsetzen als ein neues Projekt angehen. Lieber einen Bestseller oder einen Comic mit einer großen Fangemeinde verfilmen als das innovative Drehbuch eines talentierten Filmstudenten. Lieber ein Remake eines europäischen Films, der auf kleinerem Spielfeld bewiesen hat, dass er funktioniert. Auch wenn im Logo von MGM „Ars gratia artis“, also „Kunst um der Kunst willen“, steht, sind die Studios heute nichts als riesige, millionenschwere Aktiengesellschaften. Ein weiterer Grund für die Remakes ist die Synchronisation. Filme werden in den Vereinigten Staaten grundsätzlich nicht synchronisiert. Alleine das führt dazu, dass ein Film, der nicht auf Englisch gedreht wurde, in Amerika kaum gezeigt wird. Es gibt sicher Ausnahmen, aber auch hierzulande gibt es nur wenige, die sich die Filme im Original ansehen. Läuft ein fremdsprachiger Film gut, drehen sie lieber gleich selbst ein Remake mit ihren eigenen Stars. Doch der Remake-Wahn kann auch in Sackgassen führen: Obwohl die zehn erfolgreichsten Remakes der Filmgeschichte wirklich große Erfolge waren, gibt es auch eine beachtliche Liste von Flops. Das lässt den Schluss zu, dass Remakes eher solide Einnahmen bescheren. Extreme Erfolge sind nicht zu erwarten, und das Risiko eines Flops wird zwar gemindert, kann aber niemals ganz ausgeschaltet werden.
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Warum Ben Hur ein Remake braucht In den fünfziger Jahren schien die Sache klar: Zwar betrachtete man die Stummfilm-Version des antiken Epos immer noch als einen großartigen Film, doch die Zeit war nicht stehengeblieben. Zwei gute Argumente sprachen dafür, dass man ein Remake von „Ben Hur“ produzieren musste: Mittlerweile waren sowohl Ton- wie auch Farbfilm erfunden. Das Spektakel ließ sich dadurch noch eindrucksvoller inszenieren. Die Macher sollten Recht behalten und übertrafen den Erfolg und die Größe des Stummfilms bei Weitem. In der Gegenwart sieht es jedoch etwas anders aus. Farbe und Ton sind seit Jahrzehnten Standard, jetzt mag die 3D-Konvertierung zwar ein Argument für eine Wiederaufführung sein, jedoch nicht für ein Remake. Studios denken aber in Marken, mit denen sie sich immer wieder nach außen präsentieren können. Und „Ben Hur“ ist eine solche Marke, die für MGM steht und die für das Studio großen Wert hat. Die Geschichte von „Ben Hur“ wird immer wieder erzählt werden – in den unterschiedlichsten Medien. So ist es nicht verwunderlich, dass man sich nun an eine Neuverfilmung mit neuen Künstlern vor und hinter der Kamera macht, die der Geschichte eine neue Note geben werden. Die neue Filmtechnik wird zudem dafür sorgen, dass vor allem das legendäre Wagenrennen an Geschwindigkeit und Spannung übertroffen wird. Das Zeitfenster für ein Remake ist nicht allzu groß. Einerseits sollte das Kinopublikum nicht mehr allzu frische Erinnerungen an die Details des Originals haben, andererseits sollten Titel und Hauptfigur noch nicht vergessen sein. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich allerhöchste Zeit für ein Remake.
Von toten Komparsen und toten Tieren Unbestritten ist „Ben Hur“ (1959) ein Filmklassiker, um den bis heute Legenden ranken. Eine dieser Geschichten wird alle Jahre wieder bemüht, um den gefährlichen Einsatz der Komparsen zu unterstreichen und die Authentizität durch die Gefahr, der alle Mitwirkenden ausge-
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setzt waren, zu belegen. Es existieren viele Geschichte rund um die berühmte Wagenrennen-Szene, wie das Gerücht, dass jemand eine Armbanduhr trage oder ein roter Ferrari an der Seite zu sehen sei. Diese Vermutungen ließen sich ja leicht bestätigen, treffen jedoch nicht zu. Eine populäre Anekdote überschattet jedoch die fulminante Szene. Bei den Dreharbeiten zur Verfilmung von 1959 sollen ein oder mehrere Komparsen ums Leben gekommen sein. Nachdem beim Dreh des Stummfilms von 1925 viele Pferde gestürzt und verendet waren, war man bei der Neuverfilmung peinlich darauf bedacht, dass keine Unfälle geschehen konnten, die Tierschutz und Öffentlichkeit auf den Plan gerufen hätten. Dennoch gab es wohl einige tote Pferde zu beklagen – einen toten Schauspieler oder Stuntman gab es jedoch nicht. Das Wagenrennen kann aber mit einer anderen Kuriosität aufwarten: Sechs von neun Gespannen, die ins Rennen gehen, werden aus der Bahn gedrängt und erleiden Totalschaden. Und dennoch erreichen vier das Ziel.
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Der Horrorfilm wurde in Hollywood erfunden Viele Studios produzieren heute Horror- und Splatterfilme. Doch nur ein Studio wird man immer und unweigerlich mit diesem Genre verbinden. Es handelt sich um Universal Pictures. Das Studio schuf die großen Klassiker „Dracula“ oder „Frankenstein“, und ist so eng mit dem Genre verknüpft, dass man in Filmkreisen noch immer vom „Universal-Horror“ spricht. Und in keinem anderen Zentrum der Filmindustrie – außer in Hollywood – werden Horrorfilme in so schneller Folge produziert. Doch wie kam ausgerechnet das Studio des schwäbischen Einwanderers Carl Laemmle auf den ‚Horrortrip‘? Der Sohn des Studiobosses, Carl Laemmle jr., ‚erbte‘ bereits als Heranwachsender Universal Pictures von seinem Vater. Er zeichnete sich danach sofort mit einem Filmklassiker aus, der dem Unternehmen Prestige und Glaubwürdigkeit einbrachte und für den er und sein Vater den Oscar erhielten: „Im Westen nichts Neues“ (1929). Roman und Film werden heute noch als großartig und wertvoll beschrieben. Universal stieg damit in die Reihe der ersten Filmunternehmen auf. Umso verwunderlicher ist es, dass das gleiche Team schon bald danach eine ganze Reihe an Horrorfilmen produzierte, die lange Zeit im Grunde als B-Movies galten. Die Laemmles schufen die Monster wie Dracula, Frankensteins Monster, The Mummy und andere und galten fortan als die Erfinder des Horrorfilms. Doch woher kam die Idee für dieses Genre? Warum war es in
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den dreißiger Jahren notwendig, neben hochwertigen Filmen auch die Schocker zu produzieren? Woher hatte Laemmle Junior die Idee?
Universal in der Krise Durch den sogenannten Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse gerieten die Industriestaaten in eine schwere Rezession, die die Weltwirtschaftskrise auslöste. Zunächst schien Hollywood davon verschont zu bleiben. Die Studios wurden nicht direkt von der Wirtschaftskrise ergriffen. Allerdings gerieten die Kinozuschauer in die Weltwirtschaftskrise, so dass sich zu Beginn der dreißiger Jahre das Ausbleiben der Kinobesucher in den Kassen der Studios bemerkbar machte. Ihre finanzielle Situation verschlechterte sich deutlich. Carl Laemmle hatte eigentlich vor kürzer zu treten. Allein deshalb hatte er die Studioleitung an seinen Sohn weitergegeben. Im Angesicht der Krise mischte sich der alte Fuchs jedoch wieder in die Geschäfte ein. Er versuchte der Situation Herr zu werden, indem er die Produktion herunterfuhr. Mit seinem Sohn einigte er sich darauf, dass sich das Studio in der nächsten Phase auf günstig zu produzierende Filme konzentrieren sollte, die auf ein Massenpublikum angelegt waren. Man wollte kein Risiko eingehen. Bei dieser Rückkehr zu Billigproduktionen konzentrierte sich Universal auf ein ganz besonderes, und bis dahin unverbrauchtes Genre: Horrorfilme. Das neue Genre im Portfolio von Universal war also als Low-Budget-Film angelegt. Ein Film sollte nicht mehr als 237 000 Dollar kosten. Die Produktionszeit war zudem auf 26 Drehtage beschränkt. Die Zeit der großen Ausgaben schien bei Universal zunächst vorüber. Die beiden Laemmles sollten mit ihrer Strategie Recht behalten. Ihre Hinwendung zu Billigproduktionen rettete das Studio über diese Phase der Weltwirtschaftskrise hinweg, Universal stand besser da als so manches andere Studio und war im Filmjahr 1930/31 das einzige, das nicht in die roten Zahlen geriet.
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Die klassischen Universal Horrorfilme Für Carl Laemmle gab es drei Hauptargumente, weshalb Universal Horrorfilme produzieren sollte: Zunächst einmal hatte Universal schon vorher Filme produziert, in denen Gruselelemente eine große Rolle spielten. In „The Hunchback of Notre Dame“ und „The Phantom of the Opera“ hatten die Regisseure Darstellungstechniken verwendet, die später feste Bestandteile des Horrorgenres wurden. Der 1885 in Stuttgart geborene Paul Leni hatte 1924 die Regie der deutschen Produktion „Das Wachsfigurenkabinett“ übernommen und so erste Erfahrungen im Horror- und Gruselgenre gesammelt. Bei Universal arbeitete er zunächst als Bühnenbildner und später wieder als Regisseur. Mit einer Kombination aus europäischem „Gothic Horror“ und expressionistischen Elementen prägte er das Genre bei Universal. Sein 1927 dort entstandener Film „The Cat and the Canary“ war beim Publikum sehr gut angekommen. Leni zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass er die besondere Möglichkeit es Films nutzte, Unrealistisches darzustellen, und mit surrealen Bildern und mit Lichteffekten spielte. Er war es, der die Sprache des Expressionismus nach Hollywood brachte. Auf seine Erfahrungen mit den expressionistischen Ausdrucksmitteln konnten die Laemmles nun zurückgreifen. Und er verstand es, mit relativ geringen finanziellen Mitteln hohe Spannung und furchterregende Szenen herzustellen.
„Frankenstein“ und „Dracula“ Wie zuvor bei der Produktion von Klassikern, griffen die Laemmles für ihre ersten beiden Horrorfilme auf literarische Vorlagen zurück, die im Bereich Horror schon als Klassiker galten: „Dracula“ von Bram Stoker und „Frankenstein“ von Mary Shelley. Im Falle von „Dracula“ konnten sie zudem die erfolgreiche Bühnenfassung von Horace Liveright und John L. Balderston verwenden, die 1928 am Broadway lief und in der Bela Lugosi die Hauptrolle des Grafen Dracula spielte. Die Show war so erfolgreich, dass sie nach 261 Aufführungen am Broad-
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way noch im Jahr 1928 auf Tournee ging. Aufgrund des Bühnenerfolges interessierte sich auch Paramount für eine Verfilmung des Dracula-Stoffes, ließ das Projekt aber wieder fallen, weil sie Schwierigkeiten mit der Zensur befürchtete. Im August 1930 erwarb Carl Laemmle für Universal die Rechte an der Bühnenfassung für 40 000 Dollar. In weniger als einem Monat war das Drehbuch fertig. Laemmle Junior lieh Tod Browning für die Regie dieses Projektes von MGM aus. Der bereits durch „Das Phantom der Oper“ und „Der Glöckner von Notre Dame“ bekannte Lon Chaney sollte die Rolle des Grafen Dracula spielen. Browning und Chaney kannten sich schon seit Langem von der gemeinsamen Zeit in Universal City und hatten beide ihren Erfolg Carl Laemmle zu verdanken. Chaney wurde bei Universal zum „Mann der tausend Gesichter“ bevor er das Studio verließ und bei MGM arbeitete. Die Hauptrolle in „Dracula“ bedeutete für ihn die Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte. Doch Chaney verstarb völlig unerwartet 1930, noch bevor die Dreharbeiten begonnen hatten.
Bela Lugosi wird zum Weltstar Carl Laemmle Jr. dachte sofort an Bela Lugosi, der die Rolle bereits mehrere hundert Mal auf der Bühne gespielt hatte. Und auch hier bewies Junior ein glückliches Händchen. Er gab Lugosi einen Vertrag über zwei Filme und 500 Dollar in der Woche. Finanziell sollte sich dies für Universal auszahlen. Er verkörperte Graf Dracula so gut, dass er im schwarzen Umhang mit dem Satz „I am Dracula“ eine Ikone für die Ewigkeit schuf. Lugosis Dracula wurde zum Vorbild für alle Schauspieler, die in dieselbe Rolle oder in die Rolle eines Vampires schlüpfen würden. Ende November 1931 waren die Dreharbeiten abgeschlossen. Sie dauerten 42 Tage, acht mehr als geplant, aber das Budget blieb innerhalb der veranschlagten 355.000 Dollar. Die meisten Szenenbilder und Kulissen waren bei Universal entstanden. Allerdings wurden sie nur halb aufgebaut und die Szene mit Nebel gefüllt, auch das sparte
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Produktionskosten. Die einzigartige Atmosphäre des Films war ganz dem Kameramann Karl Freund zu verdanken. Die Musik wurde auf ein Minimum reduziert. Das einzige Stück, das Universal verwendete, entstammt Tschaikowskis Schwanensee. Der Film war ein beeindruckender Erfolg für Universal und für Laemmle Jr. im Besonderen. Die Zuschauer strömten scharenweise in die Filmtheater und folgten den Plakaten, die ankündigten, dass „die Geschichte die merkwürdigste Leidenschaft“ beinhalte, die die „Welt jemals gesehen hat. Der Film beinhaltet atemberaubende Höhepunkte von Leidenschaft und Entsetzen zugleich!“ Die Zuschauer liebten den Film, und Junior glaubte fest daran, dass die Horrorfilme Universal durch die Weltwirtschaftskrise bringen würden. Obwohl „Dracula“ rückblickend eher einer der schwächeren Horrorfilme von Universal war, ist sein Einfluss auf die folgenden Produktionen unumstritten. Der Film öffnete dem ganzen Genre den Weg. Wie die Filmhistoriker Michael und John Brunas urteilten, setzte „Dracula“ den Standard und die Konventionen für alle darauffolgenden Vampirfilme. Zudem profitierte natürlich Bela Lugosi von dem Erfolg und startete eine Karriere als Darsteller in Horrorfilmen, für die er noch heute weltbekannt ist. „Dracula“ wurde zu einem Meilenstein der Filmgeschichte.
Boris Karloff als Frankensteins Monster Laemmles nächstes Projekt war „Frankenstein“. Die Literaturvorlage schien zunächst wenig als Filmvorlage zu bieten. Aber durch den Erfolg von „Dracula“ erwartete das Publikum gespannt, was Universal als Nächstes in die Kinos bringen würde. Die Laemmles gingen bei der Produktion von „Frankenstein“ genauso vor, wie sie es bei „Dracula“ getan hatten. Junior sicherte sich die Rechte an der Bühnenfassung von Peggy Webling. Danach heuerte er James Whale, einen britischen Theaterregisseur, an und übertrug ihm die künstlerische Leitung. Noch zögerte Bela Lugosi, eine weitere Rolle in einem Horrorfilm anzunehmen, weshalb Junior zusammen mit Whale die Rolle des Mons-
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ters Boris Karloff, einem britischen Schauspieler, anbot, der bislang nur in zweitklassigen Filmen aufgetreten war. Er sagte sofort zu. Auch Whale ließ sich für den Film vom deutschen Expressionismus beeinflussen und studierte intensiv die deutschen Filme „Der Golem“ (1915) und „Metropolis“ (1927), die heute zu den großen Klassikern zählen. Die Produktion von „Frankenstein“ begann im August 1931 und endete am 3. Oktober, fünf Tage später als veranschlagt. Dafür hatten sich die Kosten in Grenzen gehalten. Mit einem Budget von 300 000 Dollar war der Film sogar noch ein wenig günstiger als „Dracula“. Ein Schlüssel zum Erfolg des Films war die Verwandlung von Boris Karloff in Frankensteins Monster. Jack Pierce, der verantwortliche Maskenbildner, machte aus Karloff eine Kreatur mit einem eckigen Schädel, pulsierenden Adern, gewaltiger Körpergröße und riesigen Händen aus Kunststoff, so dass der Schauspieler nicht wiederzuerkennen war. Hinzu kam, dass Karloff das Monster äußerst beeindruckend verkörperte. Seine Darstellung schwankte zwischen kurzen Momenten, in denen das Menschliche an ihm aufblitzte, und Szenen, in denen klar wurde, wie gefährlich das Monster für sich selbst und seine Umgebung werden konnte. Junior war mit der ersten Schnittfassung nicht zufrieden. Das lag vor allem daran, dass Whale sowohl Frankenstein wie auch das Monster am Ende des Films in den Flammen der brennenden Mühle sterben ließ. Er wollte nicht auch dieses Monster, wenn es denn ein Erfolg werden würde, verlieren, wie es mit Dracula der Fall war. Er wollte sich die Möglichkeit für einen zweiten Teil nicht von vorne herein verschließen und überzeugte Whale schließlich, dem Film ein offenes Ende zu geben. Und wirklich wurde auch dieser Film ein großer Erfolg für Universal. Kritiker und Publikum waren sich einig, dass es sich bei „Frankenstein“ um einen überragenden Film handelte.
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Weitere Erfolge Beide Erfolge ermutigten die Laemmles, weitere Horrorstreifen zu produzieren. Ein Jahr später, 1932, brachte Universal bereits drei Horrorfilme heraus: „Murders in the Rue Morgue“, „The Old Dark House“ und „The Mummy“. Unter der Regie von Karl Freund und produziert in einer Zusammenarbeit mit Stanley Bergerman, Carl Laemmles Schwiegersohn, wurde „The Mummy“ ebenso erfolgreich wie „Dracula“ und „Frankenstein“. Die Rolle der bedrohlichen Mumie ging wieder an Boris Karloff, der mittlerweile zu einem Star bei Universal aufgestiegen war. Die Geschichte erzählt von der Wiederkehr der Toten und folgte so dem klassischen Rezept von Universal. Mit einem Budget unter 200 000 Dollar war „The Mummy“ der erfolgreichste Horrorfilm, den Junior für die Firma produzierte. Weitere Horrorstreifen nebst Fortsetzungen folgten in den kommenden Jahren: „The Secret of the Blue Room“ (1933), „The Invisible Man“ (1933), „The Black Cat“ (1934), „The Man Who Reclaimed His Head“ (1934), „Bride of Frankenstein“ (1935), „Werewolf of London“ (1935), „The Raven“ (1935), „Dracula’s Daughter“ (1936), und „The Invisible Ray“ (1936). Für Universal waren die Horrorfilme eine Entdeckung, die das Studio zunächst über die Weltwirtschaftskrise hinweg rettete. Carl Laemmle hatte allen Grund, stolz auf seinen Sohn zu sein. Doch stand hinter jeder Entscheidung in diesem Prozess auch der Vater selbst, der niemals ganz die Zügel aus seinen Händen gelassen hatte. Er hatte sich zwar, verglichen mit den Jahren zuvor, etwas zurückgezogen, die endgültige Entscheidungsgewalt bei Universal behielt er sich jedoch weiterhin vor. Gleichwohl: Auch wenn Universal im Vergleich zu andern nach der Weltwirtschaftskrise wegen der Kassenerfolge der frühen dreißiger Jahre recht gut dastand, gebannt war die Gefahr eines Bankrottes noch nicht.
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Casablanca war als Kassenschlager geplant In der Welt tobte der Zweite Weltkrieg. Die großen Studios auf beiden Seiten der Fronten hatten im Ersten Weltkrieg gelernt, dass ein Krieg für sie alles andere als eine Krise sein musste. Sie integrierten den Konflikt in ihre Filme und kurbelten die Produktion – teilweise mit staatlicher Hilfe – an. Neben Propagandafilmen produzierten sie Schmonzetten, um der Bevölkerung ein paar Stunden Ablenkung zu gewähren. In Hollywood war das nicht anders als in Babelsberg. 1942 brachte die amerikanische Filmindustrie eine Reihe von Romanzen in die Kinos, die dem Zuschauer Unterhaltung bieten sollten, da nun auch die Amerikaner, seit dem Angriff auf Pearl Harbor, in den internationalen Konflikt gezogen worden waren. Die Filmschaffenden hätten nie geglaubt, dass eine dieser Filmromanzen das Zeug zum Kultfilm haben würde. Für sie war „Casablanca“ ein Film unter vielen. Er würde in die Kinos kommen, für einen passablen Umsatz sorgen und im Dunkel der Archive verschwinden. Doch es kam ganz anders. Casablanca wurde zu einem der beliebtesten Klassiker der Filmgeschichte. Es ist heute kaum vorstellbar, dass dieser Film nicht bereits von vorneherein als Erfolg geplant war.
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Über Rick’s Café in die Freiheit Die Handlung des Films spielt mitten im Zweiten Weltkrieg, also in etwa zum Entstehungszeitpunkt der Produktion. Ort der Handlung ist die marokkanische Stadt Casablanca, die während der Kämpfe in Europa zum Zufluchts- und Durchgangsort für politische Flüchtlinge wird. Wenn sie es bis hierher geschafft haben, müssen sie in Casablanca verharren, bis sie die nötigen Ausreisepapiere erhalten, um dann über Lissabon nach Amerika weiterreisen zu können. In Casablanca gibt es das Café Américain, dessen Besitzer Rick Blaine (Humphrey Bogart) über den Verlust seiner großen Liebe zum melancholischen Zyniker geworden ist. Bei ihm treffen sich nun Flüchtlinge und Besatzer, Diplomaten und Widerstandskämpfer sowie Glückritter. Rick Blaine kennt jeden, bewahrt aber Distanz und Neutralität, denn in unruhigen Zeiten hat man sich schnell auf die falsche Seite eingelassen. Eines Tages kommt er in den Besitz zweier Transitvisa, eine Chance, endlich ein neues Leben zu beginnen. Ausgerechnet jetzt trifft er Ilsa (Ingrid Bergman) wieder, jene Frau, auf die er damals vergeblich am Flughafen gewartet hatte. Sie ist mit ihrem Mann in Rick’s Café gekommen, weil sie dringend Hilfe braucht. Ihr Mann Viktor Laszlo ist ein verfolgter Widerstandskämpfer, der aus einem KZ entkommen ist. Ilsa bittet Rick um die Ausreisepapiere. Es kommt zur Aussprache zwischen den beiden, die sich noch immer lieben. Am Ende versteht Rick Ilsas Beweggründe, die ein höheres, ein politisches Ziel haben. Er ist jetzt bereit, auf sein persönliches Glück zu verzichten, und übergibt Ilsa die Papiere, die mit ihrem Mann gerade noch das rettende Flugzeug erreicht. Rick bleibt zurück in Casablanca, einsam, aber ein Mann, der erkannt hat, dass es etwas gibt, für das es wert ist Opfer zu bringen.
Von der Billigproduktion zum Kultfilm Nach zwei Testaufführungen wurde „Casablanca“ am 26. November 1942 in New York uraufgeführt. Nur wenige Tage zuvor war die Stadt Casablanca von den Alliierten befreit worden. Nachdem nun auch US-
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Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill am 14. Januar 1943 in Casablanca zu einer Konferenz zusammenkamen, nutzte Warner Bros. die internationalen Vorgänge für die Vermarktung des Films. Das Kalkül lohnte sich, und „Casablanca“ wurde schnell zu einem Kassenschlager mit überwältigendem Erfolg. Ab dem 23. Januar war „Casablanca“ landesweit in allen Kinos zu sehen. Das „Hollywood-Theater“ in Manhattan, das Warner Brothers selbst gehörte, hatte 1500 Sitzplätze und war zehn Wochen lang ausverkauft. Im gesamten Jahr 1943 spielte der Film 3,7 Millionen Dollar ein, was zu dieser Zeit eine gewaltige Summe war. Insgesamt spülte er mit dem Verkauf der TV-Rechte eine halbe Milliarde Dollar in die Kassen von Warner. Zum Kultfilm wurde „Casablanca“ jedoch erst später. Das mag an der damals aktuellen Thematik gelegen haben. Erst mit dem Abstand zum Geschehen und der Gewissheit über den Ausgang des Zweiten Weltkrieges avancierte er zum Kultfilm. Und mit dem Siegeszug des Fernsehens und den Wiederholungen des Films im US-TV wurde er schließlich zum allseits beliebten Klassiker. Dem Fernsehen verdankt der Film auch seine Rekonstruktionen.
„Casablanca“ in Deutschland Auch in Deutschland ist „Casablanca“ ein Kind des Fernsehens. Während des Krieges war der Film selbstverständlich verboten. So erlebte er erst am 29. August 1952 seine Deutschlandpremiere. Jedoch war der Film an einigen Stellen beschnitten, und auch die Synchronisation veränderte den Inhalt in wesentlichen Punkten. So enthielt die deutsche Nachkriegsfassung kaum Hinweise auf den Zweiten Weltkrieg. Die Nazis waren vollständig aus dem Film geschnitten – und auch die für die Geschichte entscheidenden Umstände, dass Victor Laszlo Widerstandskämpfer und KZ-Flüchtling war, fielen der Schere zum Opfer. Nicht zuletzt fehlte der heimliche Höhepunkt des Films, in dem die Deutschen die „Wacht am Rhein“ anstimmten und von den französischen Patrioten mit der „Marseillaise“ niedergesungen werden. Der
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politische Konflikt war zu einer Agentengeschichte vereinfacht und der Widerstandskämpfer in einen norwegischen Atomphysiker verwandelt worden. Über zwanzig Jahre bekam das deutsche Publikum nur diese Version zu sehen. Trotz den Änderungen war der Film unglaublich beliebt und war bis 1989 der am meisten im deutschen Fernsehen gezeigte Film. Im Jahr 1975 hatten sich die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik so weit verändert, dass sich die ARD daran machte, den Film in seiner originalen, ungekürzten Version neu zu synchronisieren. In dieser Version ist „Casablanca“ heute bekannt und wird auf DVD oder Blu-ray verkauft. Übrigens stammt das in Deutschland so bekannte Zitat „Schau mir in die Augen, Kleines!“ aus der ersten Synchronfassung. Seit 1975 sagt Humphrey Bogart in der deutschen Version zu Ingrid Bergman: „Ich schau Dir in die Augen, Kleines.“
Politische Anspielungen Der historische Hintergrund für „Casablanca“ ist für das Verständnis der Handlung sehr wichtig. Dabei muss jedoch bedacht werden, dass die Macher 1942 weder wussten wie der Krieg ausgehen würde, noch die Tragweite des Holocaust kannten. Seit den Nürnberger Gesetzen von 1935 hatte die jüdische Bevölkerung Deutschlands ihre Rechte als Bürger verloren. Ihre Situation verschlimmerte sich nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938. 1942 – als „Casablanca“ gedreht wurde – beschlossen die Nationalsozialisten in der sogenannten Wannsee-Konferenz, die systematische Deportation, Versklavung und Vernichtung von Juden in ganz Europa. 1939 hatte Hitler Europa in einen Krieg gestürzt. Polen und viele andere Länder, darunter auch Frankreich, waren erobert. Der südliche, nicht von den Deutschen besetzte Teil Frankreichs unterstand der Vichy-Regierung, die im Grunde nur eine Marionette Hitlers war. Zunächst lenkten sich die Hoffnungen der Franzosen weltweit auf das Vichy-Regime. Bis 1944 schwenkte die Stimmung um, und immer mehr Franzosen erkannten die Abhängigkeit Vichys von Hitler. Im Film wird
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Capitain Renault zunächst als ein Vertreter der Vichy-Regierung darstellt. Dass er im Finale des Films seine Position ändert und demonstrativ eine Flasche Vichy-Wasser wegschmeißt, ist als politisches Statement zu verstehen. Beide, Rick und er, werden zu Komplizen des Widerstandes. Ein weiterer geschichtlicher Hintergrund, der im Film durch die Zurückhaltung von Humphrey Bogarts Charakter angedeutet wird, ist der Isolationismus der Vereinigten Staaten. Bis zum Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 war die große Mehrheit der USA gegen ein Eingreifen in den Zweiten Weltkrieg. Erst danach kippte die Stimmung, und Roosevelt verbündete sich mit Churchill. Von nun an planten sie gemeinsam einen Angriff der Alliierten, während in Nordafrika noch die Kämpfe zwischen Rommel und den Briten tobten.
Der Erfolg des Filmes Warner Brothers nutzten die internationale politische Entwicklung geschickt für die Vermarktung ihres Films aus. Millionen strömten in die amerikanischen Kinos, und auch die Kritiker stimmten ein Loblied an. Die Kombination aus Liebesgeschichte, Film noir und den Aktualitätsbezügen funktionierte besser, als es die Produzenten vorhergesehen hatten. Der Erfolg in den Kinos mag sicher auch daran gelegen haben, dass der Film auf seine Weise der damals durch den Krieg erschütterten Gesellschaft Hoffnung gab. Diese Hoffnung wird durch eine anrührende Liebesgeschichte erzählt. Zwar werden die Liebenden nicht durch ein Happy End vereint, sondern erneut getrennt. Jedoch opfern sie ihr Glück versöhnt und in gegenseitigem Einverständnis für ein höheres Ziel. Durch die Identifikation mit den Charakteren sollte das Publikum die Ziele des damals gegenwärtigen Krieges verinnerlichen und darauf vorbereitet werden, im Ernstfall auch selbst persönliche Opfer zu bringen. Dass der Film zudem großen Unterhaltungswert hat, liegt vor allem an der Musik. Das zentrale Liebeslied „As Time Goes By“ aus dem
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Jahre 1931 hielt sich nach dem Erfolg des Films, also mehr als zehn Jahre nach seinem Erscheinen, 21 Wochen in der amerikanischen Hitparade. Während „As Time Goes By“ aus der Feder von Herman Hupfeld stammte, komponierte Max Steiner die restliche Filmmusik. Steiner mochte den Song nicht und wollte ihn durch ein Lied ersetzen, das er selbst geschrieben hatte. Doch ein Nachdreh der Szene mit Ilsa und Sam am Klavier kam nicht mehr in Frage, weil sich Ingrid Bergman für ihre nächste Rolle bereits die Haare hatte kurz schneiden lassen. Zur Oscar-Verleihung 1944 erhielt „Casablanca“ acht Nominierungen und wurde in drei ausgezeichnet: „Bester Film“, „Beste Regie“ und „Bestes Drehbuch“. Als der Produzent Hal B. Wallis seinen Oscar entgegennehmen wollte, kam ihm jedoch der Studioboss Jack Warner zuvor. Er ging vor Wallis auf die Bühne und erhielt den Preis. Dieser Skandal machte nicht nur Schlagzeilen, er führte auch dazu, dass Wallis dem Studio bald darauf den Rücken kehrte.
Warum die Marseillaise alle Schauspieler zum Weinen brachte Wie aktuell und authentisch „Casablanca“ im Jahr 1942 war, zeigt ein Blick auf die Besetzungsliste und den Stab. Mit Ausnahme von Bogart und Bergman waren die meisten am Film Beteiligten in den Gebieten des Deutschen Reichs geboren. Viele waren Juden und selbst vor den Nazis geflohen. Es gab so viele Deutsche, die an „Casablanca“ beteiligt waren, dass die Presse von einer „German Connection“ sprach, die den Film auf die Beine stellte. Der Schauspieler Conrad Veidt, der den bösen Nazi Strasser spielte, war in Wirklichkeit ein Antifaschist und Emigrant aus Deutschland. Szöke Szakáll, der den komischen, dicken Oberkellner spielt, war ein Jude aus Österreich-Ungarn, dem es in letzter Minute gelungen war, nach Amerika zu flüchten. Seine drei Schwestern wurden in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet. Auch Regisseur Michael Curtiz war deutschstämmig. Er war bereits 1926 nach Holly-
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wood ausgewandert. Viele Mitglieder seiner Familie blieben jedoch in Deutschland und starben in Auschwitz. Viele am Set hatten eine ganz persönliche Verbindung zur Geschichte des Films: zu Deutschland, zur Flucht aus Deutschland und zur Möglichkeit ein sicheres Land zu erreichen. Als der Drehtag anstand, an dem Conrad Veidt als Major Strasser die „Wacht am Rhein“ anstimmt und samt seinen Mitstreitern von den restlichen Gästen in Rick’s Café mit der „Marseillaise“ niedergesungen wird, fühlten sich viele emotional berührt und aufgewühlt. Sie sangen als Schauspieler in ihrer Rolle, aber gleichzeitig sangen sie als Flüchtlinge voller Inbrunst die Nazis nieder. Es flossen echte Tränen. Alle Emigranten – auch jene, die am Filmset in Naziuniformen steckten – schluchzten hemmungslos mit.
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Marilyn Monroe war eine naive Blondine Für viele gilt Marilyn Monroe noch heute als Inbegriff für Schönheit und Sexappeal. Für einige ist sie eine der größten Filmikonen überhaupt und das Sexsymbol der Filmindustrie schlechthin. Wie viele andere Hollywoodlegenden starb sie unter mysteriösen Umständen und mit nur 36 Jahren. Alleine deshalb ist sie heute zu einem Mythos der Filmgeschichte geworden. Um sie herum ranken sich Geschichten, die wahr oder unwahr sind, die man sich seit ihrem Tod vor einem halben Jahrhundert immer wieder erzählt, und hinter die sich ein scharfer Blick lohnt, um der wahren Geschichte Marilyn Monroes näher zu kommen. Noch heute prangt ihr Gesicht überall, wenn Grafiker, Zeichner und Art Directors ein optisches Symbol für Ruhm, Glanz und Sexappeal brauchen. Marilyn Monroes Ausstrahlung transportiert diese Faktoren ungebrochen und nach wie vor. Sie symbolisiert die Sehnsucht vieler nach einem märchenhaften Leben in Hollywood. Doch das Leben der Ur-Blondine war alles andere als ein Märchen mit Happy End. Ihr Leben verlief niemals gradlinig und endete tragisch. Sie hatte mit schweren Schicksalsschlägen zu kämpfen und wechselte auch privat immer zwischen den Rollen des armen, netten Mädchens und der Leinwandgöttin mit Sexappeal.
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Von Norma Jeane zu Marilyn Norma Jeane Baker, wie Marilyn Monroe eigentlich hieß, wurde am 1. Juni 1926 in Los Angeles, Kalifornien geboren. Sie verbrachte die meiste Zeit ihrer Kindheit und Jugend bei Pflegeeltern und lebte zwischenzeitlich auch in einem Waisenhaus. Mit 18 Jahren wurde sie als Fotomodell entdeckt und erhielt ihren ersten Vertrag bei einer Modellagentur. Bereits in dieser Phase begann ihre Transformation von Norma Jeane zu Marilyn, als die Agentur ihr nahelegte, ihre eigentlich brauen Haare zu blondieren. Ihre Agentin besorgte ihr dann erste Probeaufnahmen beim Film. 20th Century Fox war von diesen Aufnahmen begeistert. Norma strahlte etwas aus, was die Filmproduzenten bislang noch nicht gesehen hatten. Einerseits besaß sie eine natürliche Schönheit und sehr weibliche Kurven, andererseits wirkte sie durch ihre zerrüttete Kindheit gebrochen und scheu. Was das Studio aber am meisten von ihr überzeugte, war ihre Ausstrahlungskraft und Fotogenität. Das Studio legte ihr einen Filmvertrag vor, durch den sie 75 Dollar in der Woche verdiente – ganz gleich ob sie vor der Kamera stand oder nicht. Darüber hinaus machte sich Fox daran, aus Norma Jeane einen Star zu formen. Hierfür wollte das Studio einen neuen, eingängigen Namen. Das Ergebnis, Marilyn Monroe, ist noch heute weltweit bekannt. Zudem erhielt Marilyn Unterricht in Gesang und Tanz. Vorsichtig sollte sie zu einem der neuen Stars des Studios ausgebaut werden. Doch Studioboss Darryl F. Zanuck stand ihrem Aufstieg im Wege, weil er nichts von ihr hielt. Marilyn ließ sich dadurch nicht kleinkriegen. Täglich erschien sie bei Fox, und die Journalisten wurden nach und nach auf sie aufmerksam. Marilyn wurde so zu einem viel fotografierten Starlet – ihre erste Rolle wurde jedoch fast vollständig aus dem Film geschnitten.
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Vom Starlet zum Star Nachdem der Jahresvertrag bei Fox ausgelaufen war, versuchte es Marilyn bei Columbia Pictures. Hier ging die Transformation von Norma Jeane Baker in Marilyn Monroe weiter. Ihr Vertrag mit dem Studio sah vor, dass sie sich ihre Haare endgültig blondieren und den Haaransatz höher setzen lassen sollte. Danach begann das Studio mit der Öffentlichkeitsarbeit und lancierte überall Fotos von seinem neuen Star. Doch auch hier konnte sich Marilyn nicht durchsetzen. Das Studio setzte weiterhin auf seinen Star Rita Hayworth. Doch Marilyn Monroe gab nicht auf. Sie nahm kleinere Rollen an und akzeptierte, dass sie als Blondine zu einer künstlichen Ikone stilisiert wurde. 1953 kam schließlich mit dem Thriller „Niagara“ der Durchbruch. Sie spielte eine verführerische Ehefrau ohne Gewissen, die selbst an ihrem mörderischen Plan scheiterte. Der Film war ein voller Erfolg und machte die Monroe international zu einem Star. Ein Jahr später folgte ihr einziger Western: „Fluß ohne Wiederkehr“ (1954), der von dem amerikanisch-österreichischen Regisseur Otto Preminger inszeniert wurde. Danach ging sie nach New York, wo sie Schauspielkurse besuchte und ihren Mentor Lee Strasberg kennenlernte. 1954 kam es auch zur Zusammenarbeit mit Billy Wilder für „Das verflixte 7. Jahr“. Marilyn Monroe spielte in dem Film die Rolle des Mädchens und verdreht einem verheirateten New Yorker den Kopf, während dessen Frau und Sohn vor der Hitze in der Stadt aufs Land geflüchtet waren. Aus diesem Film stammt auch Monroes bekannteste Pose. Die Schauspielerin steht über einem New Yorker U-BahnSchacht, durch den die Abluft ins Freie strömt. Dadurch wird ihr weißer Rock aufgewirbelt. Die Szene wurde zunächst tatsächlich in New York, mitten in Manhattan gedreht. Doch standen rund um das Set kreischende Fans und jubelnde Menschenmengen, so dass das Material später nicht brauchbar war. Wilder ließ die Szene in Hollywood nachdrehen. Der Effekt, dass sich warme Luft in Straßenschluchten sammelt und nach oben drängt, wird seither als „Monroe-Effekt“ bezeichnet.
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Ihren beruflichen Höhepunkt erlebte Marilyn Monroe 1956, als sie ihre eigene Produktionsfirma Marilyn Monroe Productions Inc. gründete. Zu dieser Zeit war sie neben Mary Pickford und Ida Lupino erst die dritte weibliche Vertragsschauspielerin Hollywoods, die eine eigene Produktionsgesellschaft besaß. Nach einer Schaffenspause von zwei Jahren stand sie 1959 schließlich erneut für Billy Wilder vor der Kamera. Neben Tony Curtis und Jack Lemmon spielte sie in „Manche mögen’s heiß“. Der Film wartet zudem mit einem von Marilyns bekanntesten Songs auf: „I wanna be loved by you“. Ihr letzter vollendeter Film entstand 1961 unter der Regie von John Huston: „Misfits – nicht gesellschaftsfähig“. Der Film wurde jedoch aufgrund seiner depressiven Grundstimmung ein Misserfolg.
Das Sexsymbol Hollywoods Alle Rollen von Marilyn Monroe basierten auf dem Image einer sinnlichen, leicht dümmlichen und naiven Blondine. Die meisten Figuren, die Marilyn Monroe verkörperte, waren Kellnerinnen, Sekretärinnen oder Sängerinnen. Dieses Image behielt die Schauspielerin über ihre ganze Karriere hinweg. Sie konnte es noch nicht einmal ablegen, als sie ihre eigene Produktionsfirma gründete und selbst Produzentin wurde. Die Kunstfigur, die Marilyn Monroe in ihren Filmen war, bestand zur Hälfte aus einer damals so bezeichneten „Sexbombe“ kombiniert mit dem kindlich-naiven Blondchen, das unschuldig und verspielt war. Dieses Image erhielt die Monroe durch die Kommunikationsabteilungen der Filmstudios, die annahmen, dass sich Norma Jeane so besser verkaufen würde. Diese Instanzen verfolgten vor allem ökonomische Interessen, welche in erster Hinsicht auf deren eigenen kommerziellen Erfolg ausgerichtet waren. Ein Star, den jeder im Land anhimmelte, bedeutete auch den Erfolg des Studios. Die Filmschaffenden waren so sehr mit Marilyns Image beschäftigt, dass ihr schauspielerisches Talent zu Lebzeiten weit unterschätzt wurde. Solange sie nach außen hin das Image verkörperte, das ihr die Studios auferlegt hatten, waren die Produzenten zufrieden. Auf der
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Strecke blieb dabei ihr Wunsch, als ernsthafte Charakterdarstellerin wahrgenommen zu werden. Noch bis heute wird ihr nachgesagt, dass sie nicht schauspielern konnte. Dabei ist dieses Urteil falsch. Marilyn Monroe wurde zwar von ihren Kritikern oft verspottet, doch war sie tatsächlich eine gute Schauspielerin – die zu ihrem Bedauern in einem Rollenimage gefangen war.
Marilyns früher Tod Marilyn Monroe starb in der Nacht vom 4. auf den 5. August 1962 in ihrer Wohnung in Brentwood unter mysteriösen Umständen, die bis heute nicht völlig geklärt sind. Unzählige Anrufe wurden aus ihrer Wohnung in der Nacht geführt. Die Obduktion der Leiche ergab, dass die Schauspielerin mehrere Medikamente zu sich genommen hatte, die in der Kombination tödlich wirkten. Zudem waren etliche Personen vor der Polizei am Tatort, die diesen durcheinander brachten und bis heute dafür verantwortlich sind, dass es zu erheblichen Widersprüchen bei der Ermittlung kommen konnte. Einer Verschwörungstheorie der BBC aus dem Jahr 1986 zufolge, könnte der Kennedy-Clan für den Tod Monroes verantwortlich sein. Am Tage vor der Todesnacht besuchte Robert F. Kennedy bewiesenermaßen die Schauspielerin. Ob auch er eine Affäre mit ihr hatte, bleibt bis heute ungeklärt. Ebenso gibt es keine Beweise für einen Auftrag seines Bruders John F. Kennedy, der durch seine Affäre mit Marilyn Monroe um sein Amt fürchtete. Fest steht, dass Marilyn Monroe im Alter von 36 Jahren an einer akuten Barbituratvergiftung starb. Ob sie wirklich Opfer eines Mordes war oder ob sie ihre Medikamente unbeabsichtigt überdosierte, wird wohl nie geklärt werden. Nach der Obduktion schrieb der Gerichtsmediziner „wahrscheinlich Selbstmord“ in ihre Sterbeurkunde. Auch er konnte das Rätsel um ihren Tod nicht lösen. Bereits zu Lebzeiten war Marilyn Monroe eine Ikone. Doch nach ihrem Tod wurde sie endgültig zu einem Mythos verklärt, der Raum für Projektionen und Phantasien lässt. Für uns besteht die berühmtes-
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te Frau des 20. Jahrhunderts heute vor allem aus dieser Außensicht. Fotos, Bücher, Verschwörungstheorien und nicht zuletzt ihre Filme halten den Mythos am Leben und machen Marilyn Monroe unsterblich.
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Die 3D-Technik entstand in den 2000er Jahren Für viele Cineasten gilt der Kassenschlager „Avatar“ (2009) als bester Film, der jemals in 3D-Technik hergestellt worden ist. Kein anderer Film davor oder danach konnte ihm in Sachen 3D das Wasser reichen. Bereits vor „Avatar“ begann der 3D-Boom, heute ist er fast schon wieder vorbei. Einige 3D-Puristen, wie „Avatar“-Regisseur James Cameron, sind jedoch davon überzeugt, dass die 3D-Technologie sich nach und nach durchsetzen und auf alle Medien der optischen Unterhaltung ausweiten wird. Diese Annahme gründet sich auf die Tatsache, dass Menschen die Welt grundsätzlich in 3D wahrnehmen. Das Abflauen der 3D-Welle lässt jedoch das Gegenteil vermuten. Die Schuld für den Rückgang des Interesses geben die Puristen nicht etwa dem Umstand, dass der Kinozuschauer eine spezielle Brille tragen muss oder gar den höheren Eintrittspreisen. Ihr Argument ist, dass die meisten Filme in 3D einfach nur schlecht umgesetzt seien. Doch was hat es mit der 3D-Welle auf sich? Ist sie wirklich eine neue Technologie, mit der wir erst in den letzten zehn Jahren konfrontiert wurden? Oder gibt es sie nicht schon viel länger?
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Was ist 3D-Technik? Ein 3D-Film verleiht dem Zuschauer mit Hilfe eines stereoskopischen Verfahrens die Illusion, dass er sich in einem dreidimensionalen Raum befände. Die eigentlich zweidimensionale Projektion auf der Kinoleinwand erhält so eine Tiefe, die allerdings nur mit Hilfe einer 3DBrille wahrgenommen werden kann. Um einen solchen Film zu erzeugen, muss jede Szene zweifach gefilmt werden, so wie das räumliche Sehen eines Menschen durch den Abstand der beiden Augen ermöglicht wird. Bekommt jedes Auge – durch die Brille gefiltert – das richtige Bild zugeführt, entsteht ein räumlicher Eindruck. Für einen 3D-Film müssen also zwei Bilder von leicht versetzten Positionen aus aufgenommen werden. Hierfür nutzt man entweder eine Stereokamera mit zwei Objektiven oder setzt sogar zwei getrennte Kameras ein. Im Grunde erhält man so zunächst zwei Filme, die sich nur leicht in ihrem Winkel auf das Objekt unterscheiden. Es stellte sich deshalb auch die Frage, wie die Filme im Kino abgespielt werden können. Zunächst wurden hierfür die Filmbilder von zwei getrennten Filmstreifen mit zwei mechanisch gekoppelten Projektoren projiziert. Erst später gelang es, beide Perspektiven auf einem Filmstreifen zu vereinigen. Viele Fernsehsendungen, die das Fernsehen angeblich in 3D ausstrahlt, sind jedoch nicht stereoskopisch, sondern benutzen den Pulfrich-Effekt. Durch eine besondere Brille wird ein Auge leicht abgedunkelt, so dass ein Bild etwas zeitverzögert im Gehirn ankommt. Bei der Aufnahme wird die Kamera seitwärts bewegt. So entsteht beim Ansehen zeitweise ein stereoskopischer Effekt. Sobald die Kamerabewegung aufhört, ist der Effekt beendet. Ohne Brille kann man so einen Film auch ganz normal ansehen.
Frühe 3D-Filme Der aktuelle 3D-Boom ist jedoch nicht der erste Versuch in der Filmgeschichte, das dreidimensionale Kinoerlebnis zu etablieren, aber es
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ist der bislang aussichtsreichste. Gleich nach der Entwicklung der Fotokamera beschäftigten sich Erfinder mit dem stereoskopischen Bild. So führte 1856 JC D’Almeida der Weltöffentlichkeit zwei stereoskopische Bilder vor, die aus leicht unterschiedlichen Blickwinkeln fotografiert worden waren. Damit war die Grundlage für die 3D-Technologie geschaffen. Bereits in den späten 1890er Jahren, als der Film gerade erfunden worden war, beantragte der britische Filmpionier William Friese-Greene ein Patent für 3D-Filme. Er wollte die Entdeckungen seiner Kollegen durch die 3D-Technik übertreffen. Allerdings setzte sich sein Verfahren bei Filmproduktionen und Kinos nicht durch. Noch in der Stummfilmzeit experimentierten die Filmpioniere Edwin S. Porter und William E. Waddell, die auch für den ersten erzählenden Film „Der große Eisenbahnraub“ (1903) verantwortlich zeichneten, erneut mit der 3D-Technik und führten 1915 in New York eine Testvorführung durch. Es dauerte jedoch bis zum 27. September 1922 als der erste Langfilm in Rot-Grün, „The Power of Love“, als Stummfilm in 3D aufgeführt wurde. Auch in Europa versuchten sich die Filmschaffenden an dieser Technik. Im Jahr 1927 setzte der französische Filmpionier Abel Gance Teile seines Stummfilm-Meisterwerks „Napoleon“ ebenfalls in 3D um. Allerdings wurden sie wieder aus dem Film geschnitten. Der erste Tonfilm in 3D war eine italienischen Produktion: „Nozze vagabonde“ (1936).
Die erste Blütezeit der 3D-Filme Mit dem Aufkommen des Fernsehens in den fünfziger Jahren geriet die Filmindustrie in eine Krise. Neue Wege mussten gefunden werden, um die Zuschauer in die Kinosäle zu locken. Daher besann man sich in Hollywood wieder auf die 3D-Technologie, die den Zuschauern einen Mehrwert gegenüber dem flachen Bildschirm des Fernsehens bieten konnte. Technisch gesehen war es den Schwarzweiß-Fernsehern ohnehin nicht möglich die dritte Dimension an der Mattscheibe zu erzeugen. So kam es vor allem in den Jahren 1953 und 1954 zu einer Blütezeit der 3D-Filme. Einer der ersten groß angelegten Filme
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dieser Phase war „Das Gewand“ (1953). Er sollte die Massen zurück ins Kino bringen. Jedoch war die gesamte Werbekampagne für den Film eine Farce. Auf den Plakaten wurde behauptetet, dass man den Film plastisch und ohne Brille sehen konnte. Damit sollte den Cineasten suggeriert werden, dass es sich bei diesem Film um eine 3D-Produktion handelte, was tatsächlich nicht der Fall war. Doch schon bald schickten die Studios richtige 3D-Filme ins Rennen um die Zuschauergunst. Darunter befanden sich durchaus Filmklassiker, von denen aber heute kaum mehr bekannt ist, dass sie damals in 3D liefen. Alfred Hitchcocks „Bei Anruf Mord“ (1954) ist so ein Beispiel, ebenso wie „Man nennt mich Hondo“ (1953) mit John Wayne in der Hauptrolle. Große Anerkennung für die Umsetzung der 3D-Technologie fand „Das Kabinett des Professor Bondi“ (1953) mit Vincent Price in der Hauptrolle. Hollywood produzierte in dieser Phase etwa fünfzig 3D-Streifen, von denen die meisten effektreichen Genres wie dem Horrorfilm oder dem Abenteuerfilm zuzuordnen waren. Ganz gleich, ob es dem Kinopublikum gefiel, die Technik setzte sich bei den Filmemachern nicht durch. Es war unglaublich kompliziert, mit der Technik der fünfziger Jahre einen 3D-Film zu drehen, und mit einem enorm hohen Aufwand verbunden. Die Synchronisation der beiden Kameras war ohne Computer sehr mühselig. Außerdem benötigte das Filmmaterial sehr viel Licht, und es gab ständig Bildschwankungen und Unschärfen. Die unzureichende Abstimmung der beiden Filmbilder verursachte zudem bei vielen Zuschauern Kopfschmerzen. Nach diesem ersten ernsthaften Versuch, die 3D-Technik im Kino zu etablieren, ließ Hollywood für einige Zeit von der dritten Dimension ab.
Weitere Versuche Die 3D-Welle war in den fünfziger Jahren schnell wieder abgeebbt, und die Studios produzierten wieder in 2D. Doch die Technik wurde nicht vergessen, und gelegentlich wurde sie als Ass aus dem Ärmel gezogen. An der aufwendigen Technik änderte sich zunächst nichts,
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so dass es weiterhin sehr schwierig war, einen 3D-Film zu produzieren. In den siebziger Jahren kam es zu einer weiteren 3D-Welle, die möglicherweise inszeniert wurde, weil die Filmbranche Einbußen durch das Aufkommen des Videorekorders befürchtete. Diese Welle hielt bis Mitte der achtziger Jahre an. Der bekannteste 3D-Film dieser Phase dürfte der dritte Teil von Steven Spielbergs Urversion des Thrillers um den weißen Hai gewesen sein: „Der weiße Hai 3D“ (1983), mit dem der Regisseur Spielberg allerdings nichts mehr zu tun hatte. Auch konnte der Film nicht an seine beiden Vorgänger anknüpfen und war relativ erfolglos. Wegen der nicht zu überwindenden technischen Defizite konnte sich diese Technik aber wieder nicht durchsetzen. Über viele Jahre hinweg blieb sie dann auf die IMAX-Kinos beschränkt, die mit Hilfe von extra breiten 70 mm-Kopien vor allem kürzere Naturdokumentationen und Wissenschaftsfilme auf Spezialleinwänden vorführten.
3D in den 2000er Jahren Nun dauerte es wieder einige Jahre, bis die Filmindustrie einen erneuten Versuch startete. Einen wichtigen Schub in ästhetischer Hinsicht lieferte der Film „Polarexpress“ (2004) von Robert Zemeckis. Diese Produktion kombinierte die digitale Animationstechnik mit dem Motion-Tracking-Verfahren, bei dem die Bewegungen von realen Schauspielern über Messpunkte erfasst und auf digital erzeugte Figuren übertragen werden. Von diesem Film wurde auch eine 3D-Version erstellt, die aber nur in IMAX-Kinos lief. Ab dem Jahr 2006 setzte die Filmindustrie schließlich wieder verstärkt auf stereoskopische 3D-Filme. Die digitalen Aufnahmemöglichkeiten überwanden die Hürden bei der Produktion und Projektion, die in der Vergangenheit immer wieder zu technischen Schwierigkeiten geführt hatten. Seit dieser Zeit werden vor allem 3D-Animationsfilme wie „Shrek“ (2001) oder „Toy Story 3“ (2010) in den Kinos gezeigt. Jedoch gibt es mittlerweile auch eine Reihe von Realfilm-Blockbustern wie „Kampf der Titanen“ (2010), „Alice im Wunderland“
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(2010) oder „Piraten der Karibik 4: Fremde Gezeiten“ (2011). Während die Filme zunächst alle sehr erfolgreich liefen, verbesserten die Studios im Hintergrund stets die Technik. So ist es mittlerweile möglich, auch in 2D gedrehte Filme nachträglich in 3D zu konvertieren. Mit seinem Fantasy-Epos „Avatar“ (2009) setzte James Cameron schließlich einen Meilenstein für das 3D-Kino der Gegenwart, indem er auf höchstem technischen Niveau einen Live-Action-Film mit computeranimierten Bildern kombinierte. Die eigens entwickelten hochauflösenden digitalen Kameras waren mit etwa 15 Kilogramm kaum ein Zehntel so schwer wie die bislang üblichen und ermöglichten es, Actionszenen auch aus der Hand zu filmen. Der detailreiche stereoskopische Raumeindruck, die tiefe räumliche Staffelung der Gegenstände im projizierten Bild, die Darstellung nächtlicher Farbenpracht der fluoreszierenden Pflanzen übertrafen die räumliche Simulation vorheriger 3D-Filme bei Weitem. Weltweit lief die Großproduktion in mehr als 17 000 Kinosälen an, knapp ein Drittel davon mit 3D-Projektion. Camerons Film bewies, dass auch Realfilme in 3D ein Massenpublikum erreichen können. Obwohl die Welle an 3D-Produktionen etwa seit „Toy Story 3“ wieder am Abklingen ist, drehte Peter Jackson, der Regisseur der „Herr der Ringe“-Trilogie, seine Prequel-Trilogie um den Hobbit in einer neuen, verbesserten Technik. Anstatt des Industriestandards von 24 Bildern pro Sekunde setzte er die erste High Frame Rate Kamera mit der doppelten Bildanzahl ein. Damit sollte das 3D-Bild deutlich verbessert werden. Zum ersten Mal zu sehen war diese Technologie an Weihnachten 2012 in „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“.
Kommerzielle Aspekte Durch die aufwendigere Technik ist die Herstellung eines Films in 3D natürlich wesentlich teurer als die eines herkömmlichen Films. Der Kinobesucher merkt dies direkt an der Kinokasse, an der ein 3D-Zuschlag verlangt wird. In der Branche rechnet man mit bis zu dreißig Prozent höheren Kosten. Doch nicht nur die Studios müssen die Mehr-
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kosten tragen. Auch die Kinobetreiber mussten investieren, wenn sie auf die 3D-Technik umgestiegen sind. Diese Auslagen hoffen sie durch die Mehreinnahmen der 3D-Filme zu decken. Ein anderer Aspekt ist, dass häufig Filme durch Piraterie und illegale Downloadplattformen bereits vor dem Kinostart über das Internet ihr Publikum erreichen. Die Dateien sind schnell kopiert und werden illegal verbreitet. Dadurch bleibt den Studios wie den Filmtheatern ein Teil der Einnahmen aus. Mit der 3D-Technologie versuchen Studios und Kinos gemeinsam, einen Kinoabend wieder zu einem Unterhaltungsereignis zu machen, um so auf die Vorzüge hinzuweisen, die man hat, wenn man einen Film im Kinosaal in 3D und nicht zu Hause am Bildschirm im kleinen Format mit schlechter Qualität sieht.
Wiederaufführungen in 3D Im Zuge der Erfolgswelle des 3D-Kinos ließen auch Wiederaufführungen von ehemaligen Kassenschlagern nicht lange auf sich warten. Sobald es die 3D-Konvertierungstechnik möglich machte, Filme, die nicht in 3D gedreht wurden, in das entsprechende Format zu bringen, witterten die Studios darin ein großes Geschäft. Zwar kostet eine derartige Konvertierung Millionen, doch ist die Wiederaufführung eines Films – ähnlich wie bei einem Remake – eine finanziell halbwegs solide Sache. Bis in die achtziger Jahre wurden ehemalige Erfolge immer wieder einmal in den Kinos gezeigt. Wiederaufführungen locken heute aber nur noch wenige Zuschauer in die Kinos, da jeder Film auf Video, DVD oder auf Blu-ray erhältlich ist. Das Bedürfnis, einen Film immer wieder sehen zu wollen, wird also durch diese Branche befriedigt und nicht mehr durch die Kinos. Obwohl es sicher immer noch einige Cineasten gibt, die alte Filme gerne wieder auf großer Leinwand sehen würden. In diesem Zusammenhang bietet die 3D-Konvertierung in der Tat einen besonderen Mehrwert bei einer Wiederaufführung, der so hoch ist, dass er die Kosten der Konvertierung decken kann. Daher wagten
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es in den letzten Jahren mehrere Studios, ihre großen Erfolge als 3DFilme wieder in die Kinos zu schicken. Auch hier ist James Cameron mit seinem Film „Titanic“ Vorreiter. Er ließ den Streifen für 18 Millionen Euro konvertieren. Der Erfolg an den Kinokassen gab ihm Recht. Andere Filme wie „Der König der Löwen“ (1994) oder „Star Wars – Episode I: Die dunkle Bedrohung“ (1999) folgten. Doch mit dem Ende der Welle wurden die Studios wieder vorsichtiger. Viele Filme wurden als 3D-Wiederaufführung angekündigt und fanden dann doch nicht ihren Weg in die Kinosäle.
Das Ende der 3D-Welle? Kommt danach 4D und 5D? Ob sich das 3D-Kino dauerhaft etablieren kann, ist noch nicht absehbar. Einerseits macht es wenig Sinn, dialoglastige Gerichtsdramen oder auf die Figuren konzentrierte Ehetragödien in 3D zu drehen. Andererseits nutzen sich aber auch die typischen plakativen 3D-Effekte, wie auf das Publikum zufliegende Pfeile, Geschosse oder Ähnliches, rasch ab. Die Bandbreite der Filmstoffe und das filmsprachliche Instrumentarium für die dritte Dimension zu erweitern wäre sicher ein Weg, um 3D eine langfristige Resonanz zu sichern. Bisweilen werben einige Kinos und Vergnügungsparks damit, dass sie Filme in 4D oder gar in 5D vorführen. Im Zuge des 3D-Hypes verkauft sich eine solche Ankündigung sicher gut. Allerdings sind die Begriffe 4D und 5D irreführend, da es sich hierbei nicht um im physikalischen Sinne weitere Dimensionen handelt, sondern lediglich weitere Maßnahmen, die die Illusion des Films unterstützen sollen. 4DFilm meint eine ganze Reihe an Spezialeffekten, beispielsweise speziell präparierte Sitze für die Zuschauer, die wackeln und sich mit der Kamera bewegen, künstlicher Regen, Nebel oder Wind. Manche setzen zusätzliche Schauspieler oder Puppen direkt im Kinosaal ein. Gezeigt werden solche Filme nur in speziellen 4D-Kinosälen, die sich zum Beispiel auf Kreuzfahrtschiffen oder in Vergnügungsparks befinden. Neben den sogenannten 4D-Effekten gibt es zusätzlich noch den
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5D-Effekt, der den Geruchssinn anspricht. So werden bei einem 3DFilm neben den 4D-Effekten auch noch Duftstoffe im Kinosaal verströmt. In Deutschland gibt es derzeit allerdings nur fünf Kinos, die entsprechend ausgestattet sind, um behaupten zu können, dass sie Filme in 5D vorführen.
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Der Western ist ein eigenes Genre – und es ist tot Die Sonne brennt heiß über einer fast menschenleeren Stadt im Wilden Westen, deren Gründung erst wenige Jahre zurück liegt. Ein Büschel Tumbleweed fegt über die staubige Straße und versinnbildlicht die Abgeschiedenheit und die Einsamkeit, in der die Menschen hier leben. Im Hintergrund sind die Klänge einer Mundharmonika zu hören. Doch plötzlich kommt Leben in die Szene. Es fallen Schüsse, zwei Bankräuber stürzen aus der Bank, schwingen sich auf ihre Pferde und galoppieren auf der staubigen Straße davon. Die wenigen Bewohner der Westernstadt blicken der Staubwolke hinterher, die langsam zu Boden sinkt. Dann gehen sie in den Saloon, kippen einen Whiskey und wenden sich wieder ihrem Alltag zu. Wir alle kennen die Szenen und Geschichten aus den vielen Western-Filmen. Unzählige Male haben wir Sheriffs und Banditen, Cowboys und Indianer, Trapper und Siedler über die Prärien und Savannen verfolgt und mit ihnen in unseren Fantasien Abenteuer erlebt. Heranwachsende konnten ihre Träume in die Geschichte projizieren, Erwachsende fanden im harten Kampf um den Alltag stets eine Identifikationsmöglichkeit. Zudem weckten die Landschaft, die Siege des Guten und nicht zuletzt die Musik Sehnsüchte und Melancholie. Über Jahrzehnte war der Western das beliebteste Filmgenre überhaupt. Und es gab Zeiten, in denen mehrmals wöchentlich im deutschen Fernsehen Western liefen – und das bei nur drei Programmen!
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Heute findet der in die Jahre gekommene Westernfan zwar immer noch Western auf den zahlreichen Kanälen, aber es sind durchwegs Filme, die schon etliche Jahre alt sind. Neuproduktionen auf der Kinoleinwand gibt es so gut wie keine. Woran liegt das? Gibt es kein Publikum mehr für die Abenteuergeschichten aus den Weiten Nordamerikas? Gibt es keinen Produzenten, der die Helden des Wilden Westens wieder auferstehen lassen will? Ist das Genre tot?
Der wehrhafte Cowboy gegen den skrupellosen Bösewicht Im Mittelpunkt der klassischen Western steht der rechtschaffene und mutige Cowboy, der in eine Situation kommt, in der er die Gemeinschaft, sei es seine eigene kleine Farm, einen Wagentreck oder eine ganze Westernstadt, gegen die unrechtmäßigen Übergriffe eines skrupellosen Bösewichts verteidigen muss. Meist wird der Held dabei auch noch von der Gesellschaft alleine gelassen. Aber er steht fest zu seinen Überzeugungen und zieht aus, um seine Gemeinschaft vor der Rache, der Gier oder dem Profitwahn seines Gegenspielers zu retten. Er steht damit für die Verantwortung jedes Einzelnen, für die Pflicht jeden Amerikaners, sich für die Freiheit und die Gerechtigkeit einzusetzen und symbolisiert somit im Kleinen die Mission Amerikas im Kampf gegen das Böse in der Welt. Die Schauplätze der Westernfilme sind ebenso voller Symbolik. So beginnt die Geschichte eines Western häufig in einem Fort oder in einer kleinen Westernstadt als letztem Zeichen der dem Zuschauer vertrauten Zivilisation. Weitere Schauplätze liegen dann jenseits der Siedlungsgrenze in der Natur, seltener in indianischen Dörfern oder zuweilen auch während eines Siedlertrecks. Symbolträchtig sind auch andere zentrale Orte wie der Saloon mit Whiskey und Kartenspiel, das Büro des Sheriffs mit Gefängnis – in beiden Fällen trifft gewissermaßen Gesetz direkt auf Gesetzlosigkeit – sowie die einsame Farm, die den amerikanischen Traum von der Freiheit der Siedler symbolisiert. Die beeindruckend schöne Landschaft und die Weite des
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Landes sind nicht selten ein Element der Geschichte und können durchaus für denjenigen, der das Leben an der Frontier nicht gewohnt ist, auf vielfältige Weise zur Gefahr werden. Der Konflikt zwischen dem guten Protagonisten und seinem Gegner wird häufig in einem Shootout oder Showdown am Ende der Geschichte aufgelöst.
Der Vorläufer der Western Doch nicht erst mit dem Aufkommen des Films gab es Western. Bereits zu den Zeiten, als der Wilde Westen noch in Nordamerika tobte, erzählten sich Menschen von den Heldentaten, die einige dort vollbrachten. Eine Person sticht dabei besonders hervor: Buffalo Bill. Er wurde im Jahr 1846 unter dem bürgerlichen Namen William Frederick Cody in Scott County, Iowa geboren und hatte ein abenteuerliches Leben: Bereits im Jugendalter arbeitete er als Zugführer und Scout, bewachte Kutschen und ritt für den Pony-Express. Anschließend stellte er seine Erfahrung als Fährtensucher und Kundschafter in die Dienste der US-Army. Wo immer etwas im Westen passierte – Cody war involviert. Seinen weltberühmten Spitznamen erhielt er, als er Ende der 1860er Jahre die Arbeiter der Kansas Pacific Railway mit Büffelfleisch versorgte. Berühmt wurde Buffalo Bill, als der New Yorker Journalist Ned Buntline begann, Theaterstücke und Groschenhefte mit ihm als Hauptperson zu veröffentlichen. Die Abenteuer, die er darin schilderte, waren zwar völlig übertrieben, doch die Menschen in den großen Städten, weit weg vom Wilden Westen, liebten die Geschichten um Buffalo Bill, der auf diese Weise schnell populär wurde. Doch nicht nur das: Buffalo Bill selbst erkannte seinen Wert als Kunstfigur. In der Folgezeit wechselte er zwischen der Anstellung als Kundschafter bei der US-Army und dem Engagement am Theater, wo er sich einige Jahre lang erfolgreich selbst spielte. Im Mai 1883 gründete er schließlich seine eigene Show, „Buffalo Bill’s Wild Westshow“, mit der er durch die Vereinigten Staaten und durch Europa tourte. In der Show zeigte er Szenen aus dem Wilden Westen, ein Spektakel, in
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dem echte Cowboys und echte Indianer mitwirkten, also Menschen, die selbst im Wilden Westen gelebt hatten. Diese Show hatte erheblichen Anteil an den noch heute gültigen Klischees vom romantischen Wilden Westen und beeinflusste auch nachhaltig die Westernfilme des 20. Jahrhunderts.
Der Western im Wandel der Zeiten Während Buffalo Bill durch die USA und Europa tourte und Figuren, Bilder und Legenden aus dem Westen verbreitete, entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Filmindustrie. Das neue Medium bediente sich schon bald bei den Geschichten. Der erste Western entstand 1903 und hieß „Der große Eisenbahnraub“. Zu diesem Zeitpunkt gehörte der Wilde Westen gerade einmal der jüngsten Vergangenheit an und viele Darsteller hatten den Westen noch selbst erlebt. Die Filmemacher aber bewiesen das richtige Gespür. Was Buffalo Bill so eindrucksvoll für die Bühne inszeniert hatte, funktionierte auch auf der Leinwand. Seine große Zeit erlebte der Western in den dreißiger und vierziger Jahren. In jener Zeit entstanden in Hollywood einige Westernklassiker, wie zum Beispiel „Ringo – Höllenfahrt nach Santa Fé“ (1939) von John Ford. Der Film enthält alle Grundthemen, die für einen Western typisch sind. Es geht um das Recht auf individuelle Selbstverwirklichung und die Verteidigung einer Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft wird mit Waffengewalt gerettet – Gewalt an sich und Mord werden nicht thematisiert, sondern bewusst hingenommen. Entsprechend beschönigen auch alle anderen Western dieser Zeit die historische Wirklichkeit. Mitte der fünfziger Jahre änderte sich dies allmählich. Zu häufig war das Lied des Westens als Gründungsmythos bereits gesungen worden. Die Regisseure suchten nach neuen Themen und stellten ihr eigenes Genre in Frage. Die Filme wurden düsterer, das Heldentum der Protagonisten und auch die Gewalt wurden nicht mehr kritiklos hingenommen. Die Regisseure verzichteten auf das obligatorische
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Happy End und drückten dramaturgisch aus, dass der Westen weit weg von der Zivilisation, von Familie und dem eigenen Zuhause lag. Die Frontier war nicht mehr das Land der Freiheit und der unendlichen Weiten, sondern stand für Gier, Korruption und Größenwahn. Auf die Spitze trieben es die Regisseure der sechziger Jahre. Zum einen begannen sie – wenn auch zögerlich – die amerikanische Urbevölkerung in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen. Andererseits dekonstruierten sie den Mythos des Westens und den Western immer weiter. Im Jahr 1969 entzauberte Sam Peckinpah mit seinem Film „The Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz“ das Genre. Im gleichen Jahr kam zudem der italienische Regisseur Sergio Leone mit seinem heute als Klassiker geltenden Film „Spiel mir das Lied vom Tod“ in die Kinos. Beide Filme drehen sich um gebrochene Protagonisten, die sich nicht mehr für die Gemeinschaft im Westen einsetzen und die nicht mehr nach einem freien Leben in der Wildnis streben. Beide Filme gelten gemeinsam als Wendepunkt in der Geschichte der Western. Nach ihnen war eigentlich alles erzählt, und nachfolgende Produktionen taten sich beim Kinopublikum schwer.
Ein internationaler Westernerfolg aus Deutschland Das Thema „Wilder Westen“ faszinierte auch in Deutschland. Mehrere Generationen lang schlug es sich in Kunst, Literatur und Musik nieder, Vereine wurden gegründet und Festspiele zur Aufführung der bekannten Stoffe beispielsweise von Karl May ins Leben gerufen. Nicht zuletzt hatten die über fünf Millionen Auswanderer im 19. Jahrhundert eine Brücke zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten gebaut. Die in der Heimat zurück gebliebenen Deutschen erfuhren damals hautnah durch die Briefe ihrer Verwandten und Freunde vom Leben und den Gefahren im Wilden Westen. Seither faszinierte er die Deutschen. Wie sehr sie den Western liebten, zeigte sich Weihnachten 1962, als „Der Schatz im Silbersee“ in die bundesdeutschen Kinos kam. Der Film entwickelte sich nicht nur zum erfolgreichsten deut-
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schen Nachkriegsfilm bis dato, sondern gilt auch als der erste nichtamerikanische Western der Filmgeschichte. Zudem entwickelte sich „The Treasure of the Silver Lake“, wie er auf dem amerikanischen Markt hieß, zu einem weltweiten Kinoerfolg. Was die deutschen KarlMay-Western letztendlich von den Hollywoodproduktionen unterschied, war nicht nur die zentrale Figur Winnetous – ein Indianer in der Hauptrolle! – sondern auch deutscher Humor und eine gute Portion Romantik. Diese Romantik mag den Heimatfilmen der fünfziger Jahre entstammen – arbeiteten doch viele deutsche Filmschaffende zuvor in dieser Sparte. Da „Der Schatz im Silbersee“ unglaublich erfolgreich lief, setzten die Produzenten bald eine weitere Erzählung Karl Mays um. Spätestens mit „Winnetou 1. Teil“ (1963) war klar, dass es eine ganze Reihe an Karl-May-Filmen geben würde. Mit Blick auf den finanziellen Erfolg der ersten beiden Filme und auf das fast unerschöpfliche Reservoir an Geschichten wurde in den nachfolgenden Jahren die Goldader Karl May für das Kino ausgeschlachtet. Bis 1968 ritten Winnetou und Old Shatterhand Seite an Seite und bekämpften gemeinsam ihre Gegner. Danach ebbte die Welle zunächst ab. Doch auch die Wiederaufführungen im Kino und die Ausstrahlungen im deutschen Fernsehen der siebziger und achtziger Jahre waren äußerst erfolgreich.
Von Kraut-, Tortilla- und SpaghettiWestern Nicht zuletzt ebneten die Karl-May-Filme, die später zusammen mit ihren Nachahmern international als „Kraut-Western“ bezeichnet wurden, gegen Mitte der sechziger Jahre den Weg für eine europäische Westernwelle. Vor allem Produktionen aus Italien, die „Italo-“ beziehungsweise „Spaghetti-Western“, sowie aus Spanien, die „TortillaWestern“, waren dabei erfolgreich. Mit dem Film „Eine Handvoll Dollar“ (1964) schuf der italienische Regisseur Sergio Leone den ersten Italo-Western. Diese Form des Western spitzte verschiedene klassische Elemente beinahe karikaturistisch zu. So waren die Italo-Wes-
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tern selbstironisch, reduziert, gewalttätig und nicht zuletzt humorvoll. Der strahlende Held wird in den Italo-Western durch Protagonisten ersetzt, die nicht mehr selbstlos handeln und nicht mehr eindeutig der guten Seite zugeschrieben werden können. Clint Eastwood lieh vielen solchen Charakteren sein Gesicht und spielte häufig den „Blonden“, einen einsamen Antihelden ohne Namen. Die Welle der Italo-Western kulminierte in der künstlerischen Spitzenleistung von „Spiel mir das Lied vom Tod“. Danach kam die internationale Westernwelle langsam zum Stillstand. Dieser Film brachte 1969 alles, was es filmisch in diesem Genre zu erzählen gab. Nachfolgende Western standen stets in seinem Schatten, schließlich konzentrierte sich vor allem Hollywood auf andere Genres. Ein besonderes Phänomen des deutschen „Krautwestern“ stellen die Indianerfilme der DDR dar. Die Beliebtheit der „Westernkultur“ war auch in der DDR vorhanden. Dort begann man, in Reaktion auf die Karl-May-Filme in Westdeutschland und aufgrund der politischen Botschaft dieses Themas, mit der Produktion von einer ganz anderen Art von Western. In der DDR begeisterte man sich vor allem für das Leben und die Kultur der nordamerikanischen Indianer. Die DDRFührung ließ indianische Freiheitskämpfer ins Zentrum der „Indianerfilme“ stellen, um einmal mehr den Klassenfeind, die Vereinigten Staaten, bloßzustellen.
Der Western heute Seit den sechziger Jahren funktionierte der Western in den Vereinigten Staaten nicht mehr als Nationalepos. Die Zuschauer konnten seinen Legenden nicht mehr glauben, die historische Wirklichkeit des verklärten Wilden Westen war zu Tage gekommen, sein Mythos längst dekonstruiert. Die Eroberung des Westens wird heute nicht mehr glorifiziert, sondern es wird anerkannt, dass die Besiedlung des Landes auch Opfer gekostet und Verlierer hervorgebracht hat. Westernfans warten nun schon seit Jahren vergeblich auf eine Rückkehr des Genres. Einige Versuche der Wiederbelebung schlugen
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fehl, so dass der Western in naher Zukunft auch nicht im großen Stil in die Kinos zurückkehren wird. Es entstanden jedoch immer wieder einmal Filme, die Elemente des Western aufgriffen, aber keine neue Welle auslösen konnten. Dennoch fanden sie in ihrer jeweiligen Zeit Beachtung. Zu diesen Filmen zählen „Erbarmungslos“ (1992) von und mit Clint Eastwood, „Dead Man“ (1995), „Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada“ (2005) oder auch „Brokeback Mountain“ (2005) und „Django Unchained“ (2012). Sie alle schreiben den Mythos des Wilden Westen jedoch nicht fort, sondern dekonstruieren einzelne Aspekte des Western auf ihre Weise. Reine Unterhaltungsfilme wie „Lone Ranger“ (2013) funktionieren schon alleine deshalb nicht mehr, da die Darstellung der Gewalt gegenüber den Indianern heute nicht mehr der Unterhaltung dienen kann.
Ist der Western ein eigenes Genre? Was genau ist eigentlich ein Genre? Das Wort stammt aus dem Französischen und bedeutet „Gattung“. Genres sind medienübergreifend. Vertreter eines Genres können sowohl als Film wie als Buch existieren. Sie lassen sich meist jedoch nicht ganz genau definieren, weshalb sich häufig Mischungen mit anderen Genres oder Unklarheiten in der Bezeichnung ergeben. Gemeinhin gelten Komödie, Krimi, Liebesfilm und Thriller als Genres. Auch der Western wird oft als solches bezeichnet. Um festzustellen, ob der Western ein eigenes Genre ist, lohnt sich einen Blick darauf zu werfen, was einen Film zum Western macht. Die Handlung eines Western spielt im Wilden Westen, also an der sogenannten Frontier, dem Rand des Siedlungsgebietes der Amerikaner. Die Handlung, ein Konflikt wird durch den Kontakt zu Fremden – Indianern oder neuen Siedlern – ausgelöst, oder das Geschehen dreht sich um die Urbarmachung des neuen Landes. Es geht um die Zivilisierung des Westens, wie Recht und Gesetze, Landwirtschaft und Viehzucht, Infrastruktur und Städte in die Wildnis gebracht werden. Diese Faktoren machen einen Western aus. Alle anderen Rahmenbedingungen sind nicht nur dem Western alleine zu Eigen. Wes-
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tern leben von Liebesgeschichten, von Bedrohung und Waffengewalt, von Schatzsuchen oder Krieg. Doch diese Elemente finden sich auch in anderen Genres oder sind gar selbst ein Genre. Im Grunde gibt es kaum eine Sparte, die so unterschiedliche Filme in sich vereint wie der Western. Es gibt Westernkomödien, Actionwestern, Westernthriller, Liebesfilme und sogar Horrorfilme, die alle als Western bezeichnet werden können. Solange sie zur Zeit des Wilden Westen und im Wilden Westen spielen, gelten sie als Western. Das bedeutet, dass der Western eher dem Genre des Historischen Films zuzuordnen ist. Demnach ist er ein Subgenre, in dem die amerikanische Geschichte in der Zeit von 1830 bis 1890 thematisiert wird. Andererseits ist der Western den anderen Genres übergeordnet – und in dem Sinne dann doch kein Subgenre, aber auch kein klar definiertes Genre.
Science Fiction als Nachfolge des Western? Interessanterweise haben Science-Fiction-Filme und Western sehr viel gemeinsam: ihre thematischen Vorgaben, ihre Handlungsbögen, die Charakterzeichnungen und nicht zuletzt die Grundmotive. In beiden geht es um die Entdeckung neuer Welten, um die Auseinandersetzung mit Fremden, um Besiedlung und um das spannungsreiche Leben in einer Grenzsituation. Der einzige thematische Unterschied liegt darin, dass Science-Fiction-Filme in der Zukunft angesiedelt sind und Western vornehmlich in der Vergangenheit, im 19. Jahrhundert, spielen. Während Western über Jahrzehnte äußerst erfolgreich liefen, gab es nur verhältnismäßig wenige und auch nicht sehr erfolgreiche Science-Fiction-Filme. Der Western überstand mehrere Krisen und erfand sich immer wieder neu, indem er beispielsweise Indianer in den Mittelpunkt der Handlung stellte oder sich selbst dekonstruierte. Bis 1969 – bis zu „The Wild Bunch“ und „Spiel mir das Lied vom Tod“ – gelang es dem Western immer wieder gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Danach flaute die Welle ab. Alle Western, die später gedreht
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wurden, waren entweder belanglos oder aufgrund ihrer thematischen Einzigartigkeit wie „Brokeback Mountain“ oder „Der mit dem Wolf tanzt“ eine Sensation. Genau in der Phase, als der Western unterging, erstrahlte der Science-Fiction-Film. Und dies lag nicht nur an der Weiterentwicklung der Tricktechnik. „2001 – Odyssee im Weltraum“ markierte den Aufbruch der Filmindustrie in ein neues Zeitalter, das spätestens mit „Krieg der Sterne“ 1977 zementiert wurde. Fortan zogen nicht mehr amerikanische Siedler in den Wilden Westen und kämpften gegen die Apachen. Menschliche Astronauten flogen nun zu fernen Planeten und setzten sich mit Klingonen und anderen Außerirdischen auseinander. Das Setting veränderte sich, Spezialeffekte ersetzen die Drehorte, aber die Geschichten und Themen blieben dieselben. Es ging weiterhin um die Besiedlung unzivilisierter Gebiete. Doch nun waren es Planeten statt Prärien. Darüber hinaus spielte der Kontakt zwischen Menschen und Außerirdischen eine zentrale Rolle für die Geschichten – genauso wie zuvor der Kontakt zwischen Weißen und Indianern. So gesehen hat der Science Fiction tatsächlich die Nachfolge des Western angetreten.
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Hollywood ist patriotisch In amerikanischen Filmen, vor allem in Actionfilmen, ist es eindeutig, wer auf der guten und wer auf der bösen Seite steht. Auch das Happy End ist vorgegeben. Während solche Filme beim amerikanischen Publikum gut angekommen, wirkt der dargestellte amerikanische Patriotismus in Europa, vor allem in Deutschland, auf viele befremdlich. Da die Amerikaner eine Nation sind, die ihren Patriotismus offen zeigt, ist es nicht verwunderlich, dass das Kino auch patriotische Filme erzählt. Doch steckt dahinter ein Erziehungsauftrag der Regierung, also Propaganda? Oder ist die Inszenierung der eigenen Nation eher unbewusst? Oder liefert der Patriotismus einfach nur einen passenden Rahmen für eine packende Geschichte?
Der Kampf gegen das Böse in der Welt Die meisten amerikanischen Filme handeln im Kleinen wie im Großen vom Kampf gegen das Böse. Während es dort stets ein klar definiertes Böses gibt, unterscheidet sich der europäische Film darin, dass der Schurke eines Films nicht schlecht per se, sondern meist in seiner Motivation verständlich ist, und dadurch menschlich wirkt. Der Schurke handelt nie aus reiner Boshaftigkeit, sondern bleibt stets der dunkle Gegenspieler der Hauptperson. Zudem gibt es in europäischen Filmen keine abgrundtief bösen Charaktere. Hier zeichnet man die Charaktere eher in verschiedenen Grauschattierungen. Das mag einer der zen-
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tralen Gründe dafür sein, dass Europäer amerikanische Filme oft als oberflächlich empfinden. In der europäischen Kultur wurde schon viel zu lange sowohl das Gute wie das Böse durch die Philosophie hinterfragt. Seinen Ursprung mag diese Erzählweise in der Weltanschauung der Puritaner haben. Der Determinismus lässt die charakterliche Entwicklung einer Person nicht zu. Wer von Gott auserwählt ist, der muss mit all seiner Kraft versuchen, dem zu entsprechen, wer dagegen verdammt ist, der hat auch dieses Schicksal anzunehmen und muss sich fügen. Vergleicht man diesen Ansatz mit der Weltanschauung beispielsweise der Lutheraner und Katholiken, so findet man deutliche Unterschiede: für das Böse ist Gnade durch Reue möglich, aber auch ein Guter kann auf den falschen Weg geraten. Immer aber sind eine Einsicht und eine Wandlung möglich. Jedem wird zumindest eine Chance gegeben. Für das Böse in der angelsächsischen Literatur wie im amerikanischen Film ist dies nicht möglich. Hier muss das Böse besiegt und vernichtet werden.
Die Katastrophe als Herausforderung Das mit Abstand häufigste Motiv amerikanischer Actionfilme ist heute das mit knapper Not gelingende Verhindern oder Überleben einer Katastrophe. Nachdem die Welt nicht mehr so eindeutig in Freund und Feind geteilt ist wie zu Zeiten des Kalten Krieges, musste die amerikanische Filmindustrie ein anderes Szenario finden, in dem sich die Bewährungsproben für seine Helden anschaulich und spannend inszenieren ließen. Eine unverfängliche Bedrohung fanden die Filmemacher in den Naturgewalten. Erdbeben, Tornados, Fluten oder Lawinen sind seither in amerikanischen Filmen immer wieder Auslöser von Situationen, in denen Menschen mit Mut und Tatkraft eine unabwendbar scheinende Katastrophe verhindern. Erst in einer aussichtslosen Situation scheint der Amerikaner die ganze Bandbreite seiner nationalen Tugenden entfalten zu können. Dies nutzt die Filmindustrie für ihre Zwecke, spannende Geschichten zu erzählen.
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Patriotismus in den Vereinigten Staaten Der Patriotismus der Vereinigten Staaten von Amerika ist im Kontext einer aus Einwanderern bestehenden Gesellschaft zu verstehen. Er ist in keiner Weise mit dem Patriotismus der europäischen Länder zu vergleichen und unterscheidet sich deutlich sowohl in seiner Qualität wie in seiner Intensität und seinem Ausmaß. Der amerikanische Patriotismus hat vor allem die Aufgabe, Einwanderer aus den unterschiedlichsten Ländern, mit den unterschiedlichsten Muttersprachen und mit allen Hautfarben zu einer Gemeinschaft zu formen. Er soll es schaffen, auch gegensätzliche oder gar verfeindete Gruppen für die neue, eigene Nation zu begeistern. Zu leicht wird in Europa vergessen, wie nötig die Amerikaner die Vaterlandsliebe haben. Ein so junges Land braucht Geschichten, auf die man gemeinsam stolz sein kann. Vaterlandsliebe spielt in den Vereinigten Staaten eine große Rolle, sie ist gewissermaßen eine Zivilreligion. Scheinbar stellen sich die Studios nicht die Frage, ob man die patriotische Hollywoodware auch in andere Länder, vor allem in den relativ wichtigen Absatzmarkt Deutschland exportieren kann. Gerade Deutschland hat aber mit der Bewältigung des Nationalsozialismus und dem damaligen überzogenen Nationalismus eine Bürde zu tragen. Patriotische Töne werden schnell als nationalistische Haltung fehlinterpretiert. Dabei gibt es zwei Argumentationsketten. Die eine Seite behauptet, dass sehr schnell aus Patriotismus wieder Nationalismus werden kann. Die andere Seite hält dagegen, dass ein wenig mehr Patriotismus in Deutschland sich heilend und produktiv auf die Gesellschaft auswirken könnte. Patriotismus ist in Deutschland ein sehr kontrovers diskutiertes Thema, und deshalb tut man sich mit dem zur Schau gestellten Hollywood-Patriotismus schwer.
Patriotische Einwanderer Hollywood erzählt also durchaus patriotische Geschichten, aber bedeutet das auch, dass die Filmindustrie patriotisch ist? Ein Blick hin-
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ter die Kulissen mag viele überraschen, denn die patriotischsten Filme stammen von Regisseuren, die nicht in den Vereinigten Staaten geboren sind, sondern während ihrer Karriere nach Hollywood kamen. Sie müssen nicht einmal Einwanderer sein, sondern nur Arbeitsmigranten. Noch erstaunlicher ist, dass zwei der Regisseure ausgerechnet Deutsche sind: Wolfgang Petersen und Roland Emmerich. Mit „Independece Day“, „Der Patriot“ (2000), „White House Down“ (2013) oder „The Day After Tomrrow“ (2004) hat Emmerich Filme produziert, in denen der Patriotismus und das Aufbäumen gegen eine Macht, die die Vereinigten Staaten bedroht, starke Motive sind. Wie bewusst sich Emmerich mit diesen Filmen in die Propaganda der amerikanischen Politik einklinken wollte, kann nur er selbst beantworten. Fakt ist, dass das thematische Muster „Amerikas Kampf gegen das Böse“ sich wunderbar in einem Actionfilm umsetzen lässt. Das Thema ist ähnlich beschaffen wie „Das gute Königreich wird von einer dunklen Macht bedroht“, nur dass das im Mittelalter spielen würde. Im Wilden Westen angesiedelt könnte man daraus einen Western machen. Emmerichs Filme spielen in der Gegenwart, es wird mit heutigen Waffen gekämpft und mit den neuesten technischen Standards produziert. Eine alte Hollywoodweisheit behauptet, dass es „die großen Geschichten sind, die erzählt werden müssen“. Demnach machen die patriotischen Actionfilmer alles richtig – auch wenn sie selbst nicht patriotisch sind. Zudem ist Hollywood – wie ganz Kalifornien – eher den Demokraten als den Republikanern zugewandt. Das Denken ist liberal und weit davon entfernt, als konservativ oder nationalistisch zu gelten. Lediglich in Zeiten der Krisen wie nach dem 11. September 2001 rücken die Politik und die Unterhaltungsindustrie enger zusammen. Generell jedoch produzieren die Studios Filme, die ihnen Geld bringen. Ob diese Filme patriotisch sind oder nicht, spielt für sie selbst keine Rolle.
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„Captain America“ und der Kreuzzug gegen das Böse Wie Amerika gegen das Böse in der Welt kämpft, verdeutlichen nur allzu gut die verschiedenen Superhelden aus den Verlagshäusern Marvel und DC. Die symbolträchtigste patriotische Comicfigur, die jemals in einem amerikanischen Film auftrat, ist „Captain America“ aus dem Hause Marvel. Er wurde 1941 kurz vor dem Kriegseintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg erfunden und hat ein äußeres Erscheinungsbild, dessen Grundraster sich seither niemals geändert hat. Er ist ganz in Blau gehüllt und hat auf dem Bauch rotweiße Streifen. Auf der Brust prangt ein fünfzackiger Stern. Es bleibt kein Zweifel – „Captain Americas“ Outfit ist der amerikanischen Flagge nachempfunden. In der Zeit, als er zum ersten Mal in Comics auftrat, kämpfte er gegen Nazis und Saboteure in den eigenen Reihen. Ganz klar betrieben die Macher politische Durchhaltepropaganda. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, schien diese Figur nicht mehr gebraucht zu werden. Dennoch: Marvel erfand „Captain America“ immer wieder neu. Er blieb dem jeweiligen Zeitgeist entsprechend beliebt und kämpfte immer gegen den jeweiligen Schurken. Auch heute ist „Captain America“ nicht nur durch die Disney-Verfilmung populär. Er kämpft gegen Außerirdische wie in „The Avengers“ (2012) oder tritt gegen Terroristen an. Dabei verteidigt er stets die Freiheit und kämpft den sinnbildlichen Kampf gegen das Böse in der Welt. Aber auch Amerika ist hier als Metapher zu verstehen. Es steht stellvertretend für das Gute in der Welt. Die außeramerikanische Sicht mag das etwas anders werten, doch die inneramerikanische Perspektive ist sich sicher: „Captain America“, also die Vereinigten Staaten von Amerika stehen nach wie vor für die Freiheit und das Gute in der gesamten Welt ein. In ihren Augen ist er also nicht so sehr patriotisch, als vielmehr global gedacht.
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Es gibt eine Erfolgsformel für Filme Wer sich intensiv mit dem Drehbuchschreiben und dem Storytelling auseinandergesetzt hat, der wird auf verschiedene Theorien treffen, wie eine Geschichte – und vor allem ein Film – aufgebaut sein soll. Dahinter verbergen sich die unterschiedlichsten Ansätze aus verschiedenen Epochen. Ganz deutlich merkt man dies, wenn man im Kinosessel sitzt und die Handlung gewissermaßen vorausahnen kann. Teilweise wirken Filme so durchsichtig, dass man hin und wieder den einen oder anderen Cineasten im Kino laut vor Langeweile gähnen hören kann. Dies liegt vor allem daran, dass es seit Tausenden von Jahren Geschichten gibt, die sich Menschen erzählen. Dabei hat sich eine Formel entwickelt, die den meisten Geschichten – auch der Handlung von Filmen – zugrunde liegt. Je flacher und einfallsloser diese Formel umgesetzt wird, umso vorhersehbarer ist ein Film. Doch führt diese Formel auch zum Erfolg eines Filmes? Und was passiert, wenn sich jemand nicht an diese Formel hält?
Wie viele Geschichten gibt es? Stellt man die Frage nach dem Reservoir an Geschichten, wird die häufigste Antwort „unendliche viele“ sein. Es gibt unendlich viele Geschichten, das mag sein, aber es gibt nur endlich viele Plots, die diesen
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Geschichten zugrunde liegen. Plots sind als eine Art Handlungsschablonen zu verstehen. Der Poetik des Aristoteles zufolge gibt es nur zwei unterschiedliche Plots, alle anderen sind Variationen derselben. Er sagt, dass es Plots mit einem vorhersehbaren Ende und Plots mit einem unvorhersehbaren Ende gibt. Darüber hinaus müssen Geschichten immer einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben, die sich so immer hintereinander reihen müssen. Der Anfangsteil einer Geschichte braucht keine Handlungselemente vor sich, das zeichnet ihn als Beginn aus. Die Mitte definiert sich dadurch, dass sie den Anfang braucht und ein weiteres Element, nämlich das Ende, das ihr zwangsweise folgen muss. Das Ende wiederum bedarf keiner ihm nachfolgenden Geschichte, sondern lediglich des Teils, der vor ihm spielt: der Mitte. Alle drei Elemente bedingen sich gegenseitig und lassen sich zeitlich hintereinander einordnen. In einer anderen Interpretation unterscheiden sich die Plots nach Aristoteles nicht nach vorhersehbar und überraschend, sondern danach wie die Enden verlaufen: Gibt es ein schlechtes Ende, spricht man von einer Tragödie, gibt es ein gutes, von einer Komödie. Ausgehend von Aristoteles beschäftigten sich Kultur- und Literaturwissenschaftler mit der Frage, wie man Plots voneinander unterscheiden kann und wie viele es dann geben könne. Schließlich einigten sie sich darauf, dass es etwa zwanzig bis sechzig Plots gibt, je nachdem wie abstrakt man sie betrachtet. Natürlich greifen die Autoren der Filmindustrie auf diese Plots zurück und bestücken sie mit den Elementen Handlungsort, Charaktere, Tonalität etc. Sind diese Elemente wenig kreativ ausgewählt, erscheint es dem Zuschauer so, als ob er die Geschichte schon kennen würde. Eine hohe Virtuosität wiederum kann selbst eingefleischte Cineasten überraschen.
Erfolgreiche Plots Sicher gibt es Plots, die sich besonders gut für ein Genre eignen oder die unverwechselbar mit einem Genre verbunden sind. Auch gibt es
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Plots, die im Allgemeinen beliebter sind oder eine größere Menge an Menschen ansprechen als andere. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Romantic Comedy. Filme wie „Notting Hill“ (1999), „Harry und Sally“ (1989), „Schlaflos in Seattle“ (1993) oder auch die deutsche Produktion „Keinohrhasen“ (2007) folgen einem klaren Schema, einem festen Plot. Keiner dieser Filme weicht davon ab. Beschreibt man den gemeinsamen Plot aller dieser Filme, könnte dies folgendermaßen lauten: Eine Frau und ein Mann aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnissen oder konkurrierenden Positionen verlieben sich ineinander und versuchen die Schwierigkeiten zu überwinden, die dadurch entstehen, dass ihre Liebe nicht erlaubt ist oder keine Aussicht auf Erfolg hat. Dieser abstrakt formulierte Plot gilt aber auch für William Shakespeares „Romeo und Julia“, für das antike „Pyramus und Thisbe“ von Ovid und genauso gut für „Ronja Räubertochter“ von Astrid Lindgren. Dieser Plot funktioniert seit Menschengedenken – ob als Buch, als Film oder als anderes Medium. Darüber hinaus gibt es auch andere erfolgreiche Plots, die stark abstrahiert immer wieder in unterschiedlichen Gewändern erzählt werden. Hierzu gehören die „Schatzsuche“, der häufig für Abenteuerfilme verwendet wird, auch „Rache“ und „Flucht“. Den Plot „Schatzsuche“ muss man beispielsweise sehr weit fassen. So kann es sich um einen materiellen Schatz handeln, nach dem die Hauptfigur sucht und den sie am Ende auch findet, oder um einen immateriellen Wert wie Versöhnung oder Liebe. In diesem Fall tritt der eigentliche Schatz zugunsten der emotionalen Welt der Hauptfigur in den Hintergrund. Man könnte den ersten Film der „IndianaJones“-Reihe „Jäger des verlorenen Schatzes“ (1981) als klassische Suche nach einem richtigen Schatz – der Bundeslade – bezeichnen, während die Hauptperson im dritten Teil „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ (1989) den Schatz – den Heiligen Gral – weder mit tiefer Leidenschaft sucht noch am Ende erhält. Die Hauptfigur strebt in diesem Fall vielmehr nach der Aussöhnung mit dem eigenen Vater. Der Gral ist nur ein Mittel, den wahren, den ideellen Schatz zu erlangen.
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Archetypen bestimmen die Handlung Doch nicht nur Geschichten sind sich ähnlich, auch ihre Charaktere – genauer gesagt die Funktion der handelnden Personen. Die wichtigsten Hauptpersonen einer Handlung haben innerhalb eines Plots bestimmte Aufgaben, die sie erfüllen müssen. Man spricht hierbei von Archetypen. Diese sind laut der analytischen Psychologie Urbilder der Menschheit, die tief im kollektiven Bewusstsein und auch im Unterbewusstsein jedes Einzelnen verankert sind. Diese Archetypen haben sich im Laufe der Geschichte aus den Ur-Erfahrungen der Menschen wie Geburt, Kindheit, Erwachsenwerden und Tod herausgeprägt. Solche Archetypen haben keine Charaktereigenschaften, sondern urtypische Funktionen, die der Menschheit und damit auch dem Kinopublikum vertraut sind. Der bekannteste Archetyp ist der Held. Der Begriff muss hierbei nicht als eine starke Person verstanden werden, die schon etliche Heldentaten vollbracht hat, sondern als Hauptfigur, die diese Erfahrungen erst noch machen muss. Ihm zur Seite steht der Mentor, der den Helden dazu bringt, sich seinem Abenteuer zu stellen. In Märchen und Sagen ist dies zumeist ein alter, weiser Magier. Es ist also kein Wunder, dass Gandalf in den „Herr-der-Ringe“-Filmen die Funktion des Mentors hat, genauso wie Obi-Wan Kenobi in der originalen „Star-Wars“-Trilogie. Mentoren können aber durchaus auch jünger und weiblich sein. Der Gegenspieler des Helden ist der Archetypus des Schattens. Er hat ebenso wie der Held ein Abenteuer oder eine Aufgabe vor sich, die er angehen muss. Nur unterscheidet er sich vom Helden darin, dass sein Streben dem des Helden entgegensteht. Ihre Ziele sind also unvereinbar, und das macht sie zu Kontrahenten, zu Gegenspielern. Nur einer von beiden kann am Ende seine Aufgaben vollbringen und die Belohnung dafür erhalten. Neben diesen Archetypen gibt es Herolde, Schwellenhüter und Gestaltenwandler. Vor allem Letzter ist ein beliebtes Mittel, um in Filmen Spannung zu erzeugen. Die Absichten des Gestaltenwandlers bleiben zu Beginn einer Handlung stets im Dunkeln. Das Kinopublikum weiß noch nicht, auf welcher Seite der Gestaltenwandler eigent-
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lich steht. Die „Piraten-der-Karibik“-Filme bedienen sich häufig dieses Archetypus, genauso wie Agentenfilme und Thriller. Schwellenhüter und Herolde haben hingegen nur eine einfache Funktion, daher müssen sie nicht über die ganze Filmhandlung präsent sein. Schwellenhüter dienen dazu, die Entschlossenheit eines Helden zu prüfen. Sie stehen meist an einer symbolischen Schwelle oder leiten eine prüfende Situation für den Helden ein. In klassischen Geschichten und Sagen sind es oft Drachen, die eine Burg bewachen und somit eine Schwelle hüten. In Actionfilmen beispielsweise kann es sich um Bodyguards, Helfershelfer und Türsteher handeln. Der Herold hat einzig und alleine die Funktion, einen Teil der Handlung zu verkünden, die dem Zuschauer nicht gezeigt wird. Im Theater nennt sich das Mauerschau. Nicht jeder Archetypus muss zwangsweise nur einem Filmcharakter zugeordnet sein. So kann durchaus der Held selbst für eine Szene die Funktion des Herolds übernehmen, und der Schatten kann auch der Mentor sein wie in „Batman Begins“ (2005) oder „Ben Hur“ (1959).
Ist die Reise des Helden eine Erfolgsformel? Das Abenteuer, das die Hauptperson erlebt, wird als Heldenreise bezeichnet. Am Beginn einer Geschichte steht die Begegnung mit dem Mentor und die Konfrontation mit dem Schatten an deren Ende. In klassischen Abenteuerfilmen sind die Archetypen und die Heldenreise leicht zu erkennen. Aber auch weniger actionlastigen Handlungen liegen sie zugrunde. Selbst bei Filmen wie „Pulp Fiction“ (1994), in denen die Handlung in ihrem zeitlichen Ablauf vollständig aufgesplittert und neu zusammengesetzt ist, lässt sich die Heldenreise als Grundlage für den Plot erkennen, wenngleich die gesamte Handlung relativ komplex ist. Intensiv erforscht wurde die Heldenreise von dem amerikanischen Mythologen Joseph Campbell, der übrigens auch von George Lucas für das Drehbuch von „Krieg der Sterne“ (1977) konsultiert wurde. Andere Wissenschaftler wie Christopher Vogler griffen Campbells
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Ideen auf und erweiterten sie, so dass heute mehrere ‚Anleitungen‘ vorliegen, wie man Geschichten effektiv konzipiert. Die Heldenreise beschreibt, wie der Hauptcharakter in seiner gewohnten Umgebung mit etwas konfrontiert wird, das als „Ruf zum Abenteuer“ bezeichnet wird. Dies kann eine Person, ein Ereignis, eine Neuigkeit oder etwas Ähnliches sein. Häufig wird dieser Ruf von dem Archetypus des Herolds überbracht. Die Hauptfigur ist nun zunächst unsicher, ob und wie sie darauf reagieren soll. Erst der Mentor schafft es, sie entsprechend zu motivieren und sich dem Abenteuer zu stellen. Die nächsten Schritte der Heldenreise kennzeichnet der Gewinn von Freunden, eine erste Konfrontation mit dem Gegenspieler und weitere kleinere Prüfungen, die die Hauptfigur hinsichtlich ihrer Entschlossenheit abtasten. In Abenteuerfilmen, Western, Science-Fiction-Filmen oder Actionfilmen spielen diese Schritte zudem nicht mehr in der gewohnten Welt der Hauptfigur, sondern an anderen Orten. Deren Regeln muss der Protagonist erst erkennen und erlernen. Schließlich kommt es zur entscheidenden Prüfung, die die Hauptperson bestehen muss. Dies kann schon die Hauptkonfrontation mit dem Schatten, also dem Gegenspieler, sein. Manchmal sind es aber auch zwei Schritte, die zeitlich nah hintereinander liegen. Die Hauptperson sieht sich hier in den meisten Fällen mit dem Tod konfrontiert. Entweder stirbt eine Person, die ihm nahe stand – häufig ist dies der Mentor – oder er selbst ist zunächst überwältigt und scheint besiegt, schafft es dann aber noch mit letzter Kraft wieder aufzustehen und seinen Gegenspieler zu schlagen. Nun hat er sein Ziel erreicht und erhält in der Regel seine Belohnung. Diese Formel ist grundlegend für fast alle Filme und Erzählungen. Je strikter sich ein Drehbuchautor jedoch an den klassischen Ablauf dieser Formel hält, umso durchschaubarer kommt dem Cineasten die Handlung vor. Die Kunst eines Drehbuchautors besteht also darin, die Elemente der Heldenreise und die Archetypen geschickt zu variieren. Er hat damit Werkzeuge in der Hand, die der Menschheit seit Tausenden Jahren vertraut sind. Orientiert er sich gar nicht an diesen Elementen, wird der Zuschauer zumindest irritiert reagieren. Die Garantie für einen Erfolg
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kann diese Formel jedoch auch nicht liefern. Zwar folgen alle Filme, die in der „Liste der erfolgreichsten Filme aller Zeiten“ weit oben stehen, der Heldenreise, jedoch bedarf es weitaus mehr, einen wirklichen Erfolg zu landen. Die Heldenreise und die Archetypen sind ein Grundgerüst, sozusagen ein Skelett, aus dem ein Autor ein lebendiges Wesen modellieren muss, ihm ein unverwechselbares Gesicht geben und eine einzigartige Geschichte komponieren muss.
Weiterführende Literatur ASPER, HELMUT G.: Filmexilanten im Universal Studio. Berlin 2005. BRONFEN, ELISABETH und GROB, NORBERT: Classical Hollywood (Stilepochen des Films; 2). Stuttgart 2012. CAMPBELL, JOSEPH: Der Heros in tausend Gestalten. Frankfurt am Main 2011. EDMONDS, I. G.: Big U – Universal in the Silent Days. New York 1977. EMMERICH, ALEXANDER: Geschichte der USA. Stuttgart 2013. EPSTEIN, LAWRENCE C.: Samuel Goldwyn. New York 1981. GABLER, NEAL: An Empire of Their Own. New York 1988. GABLER, NEAL: Walt Disney. The Triumph of the American Imagination. New York 2007. GEIGER, RUTH-ESTHER: Marilyn Monroe. Reinbek bei Hamburg 1995. HEARN, MARCUS: Das Kino des George Lucas. Berlin 2005. HIGHAM, CHARLES: Merchant of Dreams. Louis B. Mayer, M.G.M., and the Secret Hollywood. London 1993. HIRSCHHORN, CLIVE: The Universal Story. London 1983. IZOD, JOHN: Hollywood and the Box Office, 1895-1986. Basingstoke u.a. 1988. JACOBS, LEWIS: The Rise of the American Film. New York 1939. KARASEK, HELLMUTH: Billy Wilder. Eine Nahaufnahme. München 2002. KIEFER, BERND U.A.: Filmgenres. Western. Stuttgart 2003. MARILL, ALVIN H.: Samuel Goldwyn Presents. New York 1976. MEYER-STABLEY, BERTRAND: James Dean. München 2005. NOACK, FRANK: Jannings. Der erste deutsche Weltstar (Collection Rolf Heyne). München 2012. OSBORNE, ROBERT: 80 Years of the Oscar. The Official History of the Academy Awards. New York 2013. REBHANDL, BERT U.A.: Western. Genre und Geschichte. Wien 2007. SKLAR, ROBERT: Movie-Made America. A Cultural History of American Movies. New York 1994. SPERLING, CASS WARNER: Hollywood Be Thy Name. The Warner Brothers Story. Lexington, KY 1998. STANCA-MUSTEA, CRISTINA: Carl Laemmle – Der Mann der Hollywood erfand. Hamburg 2013. VOGLER, CHRISTOPHER: Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Frankfurt am Main 2010.
Register 20th Century Fox 24, 30 f., 41, 145 2001 – Odyssee im Weltraum (1968) 44, 168 7 Zwerge – Männer allein im Wald (2004) 89 Academy of Motion Picture Arts and Sciences 73 ff., 77, 79–82 Ali, Muhammad 38 Alien (1979) 31 Anatomie eines Mordes (1959) 77 Archetypen 177–180 Autry, Gene 37 Avatar – Aufbruch nach Pandora (2009) 31, 83–90, 150, 155 Ballhaus, Michael 71 Banderas, Antonio 85 Batman Begins (2005) 178 Ben Hur (1925) 123 f., 128 Ben Hur (1959) 71, 80, 83, 123 f., 126, 128 Bergmann, Ingrid 35 Berlin 56, 68, 71 Berry, Halle 8 Beverly Hills 25, 38, 121 Birth of a Nation (1915) 86 Bogart, Humphrey 8, 35, 138, 140 ff. Bond, James 52, 85, 87, 92–101 Boulevardpresse 8, 65 Brando, Marlon 77 f., 115 Brandt, Joe 33 Brennan, Walter 81 Broccoli, Albert R. 95, 98 Broccoli, Barbara 98 Brokeback Mountain (2005) 166, 168 Brosnan, Pierce 87, 98, 100 f. Bullock, Sandra 66 f. Bunny, Bugs 34 Burbank 25 Bush, George W. 43, 53
Cahuenga Boulevard 11 Cameron, James 85, 150, 155, 157 Campbell, Joseph 42, 178 Captain America (2011) 88, 173 Casablanca (1942) 35, 56, 71, 137–140 Casino Royale (2006) 100 Chamberlain, Richard 73 Chaplin, Charlie 8, 32, 106 Chicago 14, 17 f., 54, 73 Chicago (2002) 81 Chinatown (1974) 45 Cocktail für eine Leiche (1948) 110, 112 Cohn, Harry 33 Cohn, Jack 33 Columbia Pictures 24, 33, 146 Connery, Sean 87, 99, 101 Cooper, Alice 62 Cowboys 21, 159 f., 162 Craig, Daniel 52, 87, 92, 97, 100 f., 126 Crosby, Bing 73 Crystal, Billy 80 Culver City 25, 30 Curtiz, Michael 71 Dalton, Timothy 87, 100 Das Dschungelbuch (1968) 88 Das Fenster zum Hof (1954) 101 Das Gewand (1953) 153 Das Leben der Anderen (2006) 70 Das Schwarzwaldmädel (1950) 90 Davis, Bette 82 Day-Lewis, Daniel 81 Day, Doris 73 Dead Man (1995) 166 Dean, James 8, 114–122 DeGeneres, Ellen 80 Denn sie wissen nicht, was sie tun (1955) 114, 118 f. Depp, Johnny 8 Der 13te Krieger (1999) 85 Der Exorzist (1973) 86, 90
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Der Fremde im Zug (1951) 110 Der Große Diktator (1940) 32, 106 Der große Eisenbahnraub (1903) 152. 162 Der Hauch des Todes (1987) 100 Der Herr der Ringe: Die Gefährten (2001) 81 Der Hobbit: Eine unerwartete Reise (2012) 88, 155 Der Jazz Singer (1927) 34, 102, 104 Der letzte Kaiser (1987) 34 Der Mann der lachte (1928) → auch: The Man Who Laughs (1928) 56 Der Mann mit dem goldenen Colt (1975) 98 Der Pate (1972) 77 Der Patriot (2000) 172 Der Schatz im Silbersee (1962) 89, 163 f. Der Schuh des Manitu (2001) 89 f. Der seltsame Fall des Benjamin Button (2008) 81 Der unsichtbare Dritte (1959) 108, 110, 112 f. Der Weiße Hai (1975) 44, 86, 90 Deutschland 11, 51, 53, 55 f., 64–66, 68 f., 70 f., 75, 84, 88 f., 103 f., 139 f., 142 f., 158, 163, 165, 169, 171 Diamantenfieber (1971) 99 Die 10 Gebote 90 Die Blechtrommel (1979) 70 Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada (2005) 166 Die dunkle Bedrohung (1999) → auch: Star Wars Episode I: The Phantom Menace 49, 86, 157 Die Geschichte vom kleinen Muck (1953) 90 Die große Liebe (1947) 89 Die Rückkehr der Jedi-Ritter (1983) 42, 49 Die Vögel (1963) 108, 110f., 113 Dietrich, Marlene 68, 71, 105 Disney, Walt 25, 72 f., 82, 86, 88 Django Unchained (2012) 166 Doktor Schiwago (1965) 89 f. Dolby Theatre 38, 79
Don Juan (1926) 104 Dracula (1931) 130, 132–136 Duck, Daffy 34 E.T. (1982) 46, 87, 90 Eastwood, Clint 8, 115, 165 f. Echo der Berge (1954) 89 Edison, Thomas Alva 13–17, 20, 28, 34, 106 Ein Platz an der Sonne (1951) 69 Ein Quantum Trost (2008) 100 Eine Handvoll Dollar (1964) 164 Emmerich, Roland 172 Entwistle, Peg 61 f. Erbarmungslos (1992) 166 Erdbeben (1974) 45 Eva (1950) 80 Fairbanks, Douglas sen. 32 Famous Players-Lasky 28 Fernsehen 26, 32, 36f., 67, 75 f., 89, 123, 139 f., 151f., 159, 164 Feuerball (1965) 99 Flammendes Inferno (1974) 45 Fluß ohne Wiederkehr (1954) 146 Ford, Harrison 8 Ford, John 162 Forrest Gump (1994) 80 Frankenstein (1931) 130, 132, 134 ff. Freud, Sigmund 42 Ghostbusters (1984) 34, 46 Gibbons, Cedric 79 Giganten (1955) 114, 117 f., 120 Glöckner von Notre Dame (1923) 56, 133 Goldberg, Whoopi 80 Goldene Himbeere 67 Goldeneye (1995) 98, 100 Goldfinger (1964) 89, 98 Goldrausch 27 Good Bye, Lenin! (2003) 89 Grant, Cary 8, 112 Grauman’s Chinese Theatre 79 Gremlins (1984) 46 Griffith Park 63 Griffith, D. W. 18, 86
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Griffith, David 32 Grzimek, Bernhard 69
Jung, Carl Gustav 42 Jurassic Park (1993) 86 f.
Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 2 (2011) 85 Harry und Sally (1989) 176 Hefner, Hugh 62 Hepburn, Audrey 8 Hepburn, Katherine 81 f. Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs (2003) 76, 80. 83, 85, 126 Hill, Terence 89 Hitchcock, Alfred 108–113, 153 Hollywood 7–9, 10–13, 17 f., 20 f., 24 f., 27, 29 f., 33 f ., 36–38, 48, 56, 59, 61, 70 f., 76, 105, 109, 114, 117, 119, 130, 144, 147, 172 Hollywood Boulevard 36–38, 63, 79 Hollywood Schriftzug 29, 59–63 Hollywood Walk of Fame 36 ff., 69 Hollywoodland 60 ff. Hope, Bob 80 Horn, Goldie 77 Horrorfilme 130–136, 153, 167 Horsley, David 17, 20 Horsley, William 17 Hudson, Rock 73, 117–119
Kalifornien 8, 12, 16–18, 20, 22, 25 ff., 31, 34, 45, 71, 79, 115 ff., 120, 145, 172 Karloff, Boris 134 ff. Keinohrhasen (2007) 176 Kelly, Grace 8 Kidman, Nicole 8 Kodak Theatre 38, 63, 79 König der Löwen (1994) 70, 86, 157 Krieg der Sterne (1977) Auch: „Star Wars Episode IV: A New Hope“ 31, 40, 86, 90, 178 Krüger, Diane 71
Im Angesicht des Todes (1985) 99 Im Geheimdienst Ihrer Majestät (1969) 99 Im Westen nichts Neues (1929) 69, 130 Independence Day (1996) 70, 86 Independent Motion Pictures (IMP) 16 Indiana Jones und der letzte Kreuzzug (1989) 176 Inglorious Basterds (2009) 64 f. 67 Iron Man 3 (2013) 85, 88 Jäger des verlorenen Schatzes (1981) 176 James Bond 007: Skyfall (2012) 85, 95, 97, 100 James Bond jagt Dr. No (1962) 95, 99 Jannings, Emil 67 f., 69, 75, 105 Jenseits von Eden (1954) 114, 117, 119 Jugend 8, 26, 44–48, 114–118, 145
Laemmle, Carl 14–23, 56, 58, 69, 130 ff., 134, 136 Laemmle, Carl Jr. 130–134, 136 Lang, Fritz 71, 105 Lazenby, George 87, 99, 101 Leben und sterben lassen (1973) 99 Leni, Paul 56, 132 Leone, Sergio 163 f. Lizenz zum Töten (1989) 100 Looney Tunes 34 Lorre, Peter 71 Los Angeles 7 ff., 11 ff., 17 f., 21, 24–27, 30 f., 35, 37 ff., 59–63, 65 f., 69 f., 76 f., 79, 98, 116, 120, 145 Lucas, George 40–44, 46–49, 86, 90, 178 Lucasfilm 25, 43 f. , 49, 88 Lugosi, Bela 132 ff. M.A.S.H. (1970) 45 Mary Poppins (1964) 80 Mayer, Louis B. 29 f., 74 McCarthy, Frank 77 McQueen, Steve 8 Melodie des Herzens (1930) 104 Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) 24, 29 f., 32 f., 74, 79, 93, 117 f., 123, 125, 127 f., 133 Metropolis (1927) 105, 135 Mexiko 26
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REGISTER
Minelli, Liza 70 Miramax 25 Moderne Zeiten (1936) 106 Monroe, Marylin 8, 73, 144–149 Moore, Roger 87, 99 ff. Motion Picture Patents Company (MPPC) 13, 15 Mr. & Mrs. Smith (1941) 110 Murnau, Friedrich Wilhelm 71 New Line Cinema 25 New York 13, 16 ff., 26, 33, 66, 79, 98, 116, 121, 125, 138, 146, 152 Newman, Paul 115, 117, 119 Nicholson, Jack 81 Nickelodeon 14 f., 34, 74, 102 f. Nirgendwo in Afrika (2001) 70 Notting Hill (1999) 176 Octopussy (1981) 98 Oscar 40, 46, 64–70, 72–75, 77 f., 80 ff., 83, 110, 115, 118, 123, 130, 142 Oscar-Verleihung 24, 46, 64–67, 75 ff., 79 f., 126, 142 Österreich 69, 71, 143 Otto – Der Film (1985) 89 Paparazzi 8 Paramount 24 f., 27 ff., 68, 108, 133 Patriotismus 169, 171 f. Patton – Rebell in Uniform (1970) 77 Peckinpah, Sam 163 Petersen, Wolfgang 71, 172 Photoplay 73 Pickford, Mary 32, 147 Pirates of the Caribean 2 (2006) 85 Pitt, Brad 8 Planet der Affen (1968) 31 Polarexpress (2004) 154 Potter, Harry 85 ff., 89 Preminger, Otto 146 Psycho (1960) 108, 110, 113 Reeves, Keanu 66 Ringo – Höllenfahrt nach Santa Fé (1939) 162 RKO Pictures 24
Saboteure (1942) 110 Sag niemals nie (1983) 99 Saltzman, Harry 95, 98 San Francisco 27, 45 Schlaflos in Seattle (1993) 176 Schneewittchen (1937) 86, 90 Schulmädchen-Report: Was Eltern nicht für möglich halten (1970) 89 Schwarzenegger, Arnold 8, 71 Science Fiction 31, 41 f., 44, 167 f., 179 Scott, George C. 77 Serengeti darf nicht sterben (1959) 69 Shakespeare in Love (1998) 80 f. Shrek (2001) 154 Sissi (1955) 89 Skolsky, Sidney 82 Skywalker, Anakin 42 Skywalker, Luke 42, 49, 52 Sony Pictures 25 Spanien 26, 164 Spencer, Bud 89 Spiel mir das Lied vom Tod (1969) 89, 163, 165, 167 Spielberg, Steven 44, 86 f., 154 Stanley, George 79 Sternberg, Josef von 71 Stewart, James 8, 112 Stirb an einem anderen Tag (2002) 100 Strasberg, Lee 116, 146 Streep, Meryl 8, 81 Stummfilm 23, 36, 56 f., 68, 71, 86, 102, 104 ff., 109, 113, 123 ff., 128 f., 152 Sunset Boulevard (1950) 69 Talkies 106 Tarantino, Quentin 64 f. Taylor, Elizabeth 117 f. Thalberg, Irving 29 f. The Avengers (2012) 85, 88, 90, 173 The Dark Knight Rises (2012) 85 The Day After (1983) 94 The Day After Tomorrow (2004) 172 The Fast and the Furious (2001) 52 The Sound of Music (1965) 90 The Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz (1969) 163, 167
REGISTER
187
Veidt, Konrad 56, 71, 142 f. Verdacht (1941) 110 Verdammt in alle Ewigkeit (1953) 80 Vier Fäuste für ein Halleluja (1972) 89 Vom Winde verweht (1939) 80, 86, 89 f.
Warner Brothers 24, 34, 62, 102, 104, 117 f., 139 Warner, Albert 34 Warner, Harry 34 Warner, Jack 34 Warner, Samuel 34 Washington, Denzel 8 Wayne, John 8, 153 Wer hat Angst vor Virginia Woolf? (1966) 80 Western 17, 22, 89, 146, 159–168, 172, 179 Westwood Village Memorial Park Cemetery 38 Whitaker, Forest 8 White House Down (2013) 172 Wilder, Billy 71, 146 f. Wilson, Michael G. 98 Wilson, Woodrow 16 Winnetou 164 Winnetou 1 (1963) 85, 89, 164 Wyler, William 71, 124 ff.
Walt Disney Company 25, 48, 87 f., 173 Waltz, Christoph 64 f., 67 War Games (1983) 94
Zemeckis, Robert 154 Zimmer, Hans 70 Zurück in die Zukunft (1985) 46
Thor (2011) 88 Titanic (1997) 31, 80, 83, 85, 87, 89, 90, 126, 157 Tonfilm 28 f., 32, 34, 58, 68, 102–107, 109, 152 Toy Story 3 (2010) 154 f. (T)Raumschiff Surprise (2004) 89 Transformers 3 (2013) 85 Über den Dächern von Nizza (1955) 110, 112 UFA 68, 104 United Artists 24, 32 f., 93, 98 Universal 18–23, 24 f. 27, 29, 56, 58, 69, 130 Universal City 21 ff., 56, 133–136