Alkibiades: Staatsmann und Feldherr 3534238532, 9783534238538, 9783896787323, 9783534712212, 9783534712236, 9783863126155, 9783863126162

Alkibiades (451 404 v. Chr.) ist die wohl spektakulärste Figur in der Geschichte des spätklassischen Athen. In der Zeit

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German Pages 240 [242] Year 2011

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Inhalt
Vorwort zur Reihe
Vorwort des Autors
I. Kindheit, Jugend und erste politische Prägungen
Alkibiades’ Familie und Herkunft
Kindheit und Jugendjahre
Das geistige Umfeld von Alkibiades’ Jugend: Athen, das intellektuelle Zentrum Griechenlands
Das politische Umfeld I: Athen und die griechische Welt
Das politische Umfeld II: Athens demokratische Ordnung
Die politische Vorbildfigur: Perikles, der ‚demokratische Autokrat‘
Alkibiades und die Anfänge des Peloponnesischen Krieges
II. Eintritt in die Politik
Alkibiades’ Eintritt in die aktive Politik
Die späten 420er-Jahre: Von der Siegeshoffnung zur Kriegsmüdigkeit
Der faule Friede des Nikias: allgemeine Unsicherheit, Intrigenspiele und schwankende Allianzen
Krieg und Diplomatie auf der Peloponnes: Alkibiades und die antispartanische Allianz der Jahre 420– 418
Außenpolitische Umschwünge und innenpolitische Pattstellung: Alkibiades und Nikias 418 bis 416
Eine vergebene Chance zur politischen Entscheidungsfindung: die Ostrakismosabstimmung des Jahres 416
Athen auf Expansionskurs: Argos und Melos
Alkibiades’ großer Auftritt: Die Olympischen Spiele des Jahres 416 v. Chr.
Alkibiades nach dem Olympia-Auftritt: eine Zwischenbilanz
Der Lockruf des Westens: die Siziliendebatte
Der Beschluss zur Expedition nach Sizilien
Expeditionsvorbereitungen und die Hermenaffäre
Erwartungen und Enttäuschungen: Die erste Phase der athenischen Sizilienexpedition
Alkibiades’ Abberufung, Flucht und Exilierung
III. Exil, Rückkehr und Ende
Alkibiades im Exil
Die Katastrophe der athenischen Sizilienexpedition
Alkibiades im spartanischen Dienst in Ionien
Ein missglücktes Hasardspiel: Alkibiades’ Intrigen mit den Persern und den athenischen Oligarchen
Ein gelungenes Hasardspiel: Alkibiades’ Anschluss an die demokratische Bewegung im Athenerheer
Umschwung in Athen und Amnestie für Alkibiades
Alkibiades am Hellespont I: Die Siege von Abydos und Kyzikos
Alkibiades am Hellespont II: Die Eroberung der Bosporusstädte
Zwischen Triumph und Ungewissheit: Alkibiades’ Rückkehr nach Athen
Alkibiades’ fataler Fehlgriff: die Niederlage von Notion
Wieder im Exil
Alkibiades’ letzter Interventionsversuch: der Auftritt im Athenerlager bei Aigospotamoi
Alkibiades’ Ende
IV. Rezeptionsgeschichte und neue Fragen der Forschung
Anmerkungen
I. Kindheit, Jugend und erste politische Prägungen
II. Eintritt in die Politik
III. Exil, Rückkehr und Ende
IV. Rezeptionsgeschichte und neue Fragen der Forschung
Bibliographie
Personen- und Sachregister
Bildnachweis
Karten
Recommend Papers

Alkibiades: Staatsmann und Feldherr
 3534238532, 9783534238538, 9783896787323, 9783534712212, 9783534712236, 9783863126155, 9783863126162

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Herbert Heftner Alkibiades

GESTALTEN DER ANTIKE Herausgegeben von MANFRED CLAUSS

Herbert Heftner

Alkibiades Staatsmann und Feldherr

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 1. Auflage 2011 © 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-23853-8 Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus Verlag. Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Umschlagabbildung: Marmorbüste des Alkibiades (Rom, Kapitolinische Museen) ISBN 978-3-89678-732-3 www.primusverlag.de Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-71221-2 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-71223-6 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-86312-615-5 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-86312-616-2 (Buchhandel)

Inhalt Vorwort zur Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort des Autors

I. Kindheit, Jugend und erste politische Prägungen . . . . . . Alkibiades’ Familie und Herkunft . . . . . . . . . . . . . Kindheit und Jugendjahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das geistige Umfeld von Alkibiades’ Jugend: Athen, das intellektuelle Zentrum Griechenlands . . . . Das politische Umfeld I: Athen und die griechische Welt . Das politische Umfeld II: Athens demokratische Ordnung Die politische Vorbildfigur: Perikles, der ‚demokratische Autokrat‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alkibiades und die Anfänge des Peloponnesischen Krieges

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II. Eintritt in die Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alkibiades’ Eintritt in die aktive Politik . . . . . . . . . . . Die späten 420er Jahre: Von der Siegeshoffnung zur Kriegsmüdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der faule Friede des Nikias: allgemeine Unsicherheit, Intrigenspiele und schwankende Allianzen . . . . . . . . Krieg und Diplomatie auf der Peloponnes: Alkibiades und die antispartanische Allianz der Jahre 420–418 . . . . . . Außenpolitische Umschwünge und innenpolitische Pattstellung: Alkibiades und Nikias 418 bis 416 . . . . . . Eine vergebene Chance zur politischen Entscheidungsfindung: die Ostrakismosabstimmung des Jahres 416 . . . Athen auf Expansionskurs: Argos und Melos . . . . . . . . . Alkibiades’ großer Auftritt: die Olympischen Spiele des Jahres 416 v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alkibiades nach dem Olympia-Auftritt: eine Zwischenbilanz Der Lockruf des Westens: Die Siziliendebatte . . . . . . . . Der Beschluss zur Expedition nach Sizilien . . . . . . . . . . Expeditionsvorbereitungen und die Hermenaffäre . . . . . .

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Inhalt

Erwartungen und Enttäuschungen: Die erste Phase der athenischen Sizilienexpedition . . . . . . . . . . . . . . . Alkibiades’ Abberufung, Flucht und Exilierung . . . . . . .

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III. Exil, Rückkehr und Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alkibiades im Exil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Katastrophe der athenischen Sizilienexpedition . . . . . Alkibiades im spartanischen Dienst in Ionien . . . . . . . . Ein missglücktes Hasardspiel: Alkibiades’ Intrigen mit den Persern und den athenischen Oligarchen . . . . . . . . . Ein gelungenes Hasardspiel: Alkibiades’ Anschluss an die demokratische Bewegung im Athenerheer . . . . . . . . Umschwung in Athen und Amnestie für Alkibiades . . . . . Alkibiades am Hellespont I: Die Siege von Abydos und Kyzikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alkibiades am Hellespont II: Die Eroberung der Bosporusstädte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Triumph und Ungewissheit: Alkibiades’ Rückkehr nach Athen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alkibiades’ fataler Fehlgriff: die Niederlage von Notion . . . Wieder im Exil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alkibiades’ letzter Interventionsversuch: der Auftritt im Athenerlager bei Aigospotamoi . . . . . . . . . . . . . . Alkibiades’ Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Rezeptionsgeschichte und neue Fragen der Forschung . . . .

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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personen- und Sachregister

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Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort zur Reihe „Gestalten der Antike“ – die Biographien dieser Reihe stellen herausragende Frauen und Männer des politischen und kulturellen Lebens jener Epoche vor. Ausschlaggebend für die Auswahl war, dass die Quellenlage es erlaubt, ein individuelles Porträt der jeweiligen Personen zu entwerfen, und sie konzentriert sich daher stärker auf politische Persönlichkeiten. Sie ist gewiss auch subjektiv, und neben den berühmten „großen Gestalten“ stehen interessante Personen der Geschichte, deren Namen uns heute vielleicht weniger vertraut sind, deren Biographien aber alle ihren je spezifischen Reiz haben. Die Biographien zeichnen spannend, klar und informativ ein allgemeinverständliches Bild der jeweiligen „Titelfigur“. Kontroversen der Forschung werden dem Leser nicht vorenthalten. So geben auch Quellenzitate – Gesetzestexte, Inschriften, Äußerungen antiker Geschichtsschreiber, Briefe – dem Leser Einblick in die „Werkstatt“ des Historikers; sie vermitteln zugleich ein facettenreiches Bild der Epoche. Die Darstellungen der Autorinnen und Autoren zeigen die Persönlichkeiten in der Gesellschaft und Kultur ihrer Zeit, die das Leben, die Absichten und Taten der Protagonisten ebenso prägt wie diese selbst die Entwicklungen beeinflussen. Die Lebensbeschreibungen dieser „Gestalten der Antike“ machen Geschichte greifbar. In chronologischer Reihenfolge werden dies sein: Hatschepsut (1479–1457), von den vielen bedeutenden Königinnen Ägyptens nicht nur die bekannteste, sondern auch die wichtigste, da sie über zwei Jahrzehnte die Politik Ägyptens bestimmt hat; Ramses II. (1279–1213), der Pharao der Rekorde, was seine lange Lebenszeit wie die nahezu unzähligen Bauvorhaben betrifft; Alexander (356–323), der große Makedonenkönig, dessen Rolle in der Geschichte bis heute eine ungebrochene Faszination ausübt; Hannibal (247–183), einer der begabtesten Militärs der Antike und Angstgegner der Römer; seine Kriege gegen Rom haben Italien mehr geprägt als manch andere Entwicklung der römischen Republik; Sulla (138–78), von Caesar als politischer Analphabet beschimpft, weil er die Diktatur freiwillig niederlegte, versuchte in einem eigenständigen Konzept, den römischen Staat zu stabilisieren; Cicero (106–43), Philosoph, Redner und Politiker, von dem wir durch

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Vorwort zur Reihe

die große Zahl der überlieferten Schriften und Briefe mehr wissen als von jeder anderen antiken Persönlichkeit; sein Gegenpart, Caesar (100–44), ein Machtmensch mit politischem Gespür und einer ungeheuren Energie; Herodes (73–4), der durch rigorose Anpassung an die hellenistische Umwelt die jüdische Monarchie beinahe in den Dimensionen der Davidszeit wiederherstellte, dem seine Härte jedoch letzten Endes den Ruf des „Kindesmörders“ eintrug; Kleopatra (69–30), Geliebte Caesars und Lebensgefährtin Marc Antons, die bekannteste Frauengestalt der Antike, die vor allem in den Darstellungen ihrer Gegner unsterblich wurde; Augustus (43 v.–14 n. Chr.), der mit unbeugsamer Härte, aber auch großem Geschick das vollendete, was Caesar angestrebt hatte; da er den Bürgerkriegen ein Ende setzte, wurde er für die Zeitgenossen zum Friedenskaiser; Nero (54–68), der in der Erinnerung der Nachwelt als Brandstifter und Muttermörder disqualifiziert war, auch wenn ihn die zeitgenössischen Dichter als Gott auf Erden feierten; Marc Aurel (161–180), der so gerne als Philosoph auf dem Thron bezeichnet wird und doch immer wieder ins Feld ziehen musste, als die ersten Wellen der Völkerwanderung das Römische Reich bedrohten; Septimius Severus (193–211), der erste „Nordafrikaner“ auf dem Thron, aufgeschlossen für orientalische Kulte; er förderte die donauländischen Truppen und unterwarf das Reich zahlreichen Veränderungen; Athanasius (295–373), unter den großen politischen Bischöfen der Spätantike einer der radikalsten und erfolgreichsten in dem Bemühen, den neuen Glauben im und gegen den Staat durchzusetzen; Konstantin der Große (306–337), der im Zeichen des Kreuzes in die Schlacht zog und siegte, hat den Lauf der Geschichte nachhaltig verändert; dem Christentum war nun der Weg zur Staatsreligion vorgezeichnet; Julian (361–363), dessen kurze Regierungszeit vieles von seinen Plänen unvollendet ließ und deshalb die Phantasie der Nachwelt anregte; Theodosius der Große (379–395), von dem man sagt, er habe mit seiner Gesetzgebung das Christentum zur Staatsreligion erhoben; Theoderich der Große (474–526), der bedeutendste jener „barbarischen“ Heerführer, die das Weströmische Reich beendeten, und schließlich Kaiser Justinian (527–565), der zusammen mit Theodora die Größe des alten Imperium Romanum wiederherstellen wollte. Manfred Clauss

Vorwort des Autors Der athenische Staatsmann und Sokratesfreund Alkibiades, einstmals eine in Kreisen aller humanistisch Gebildeten vertraute Figur, ist in neuerer Zeit im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit kaum mehr präsent. Dieser merkbare Schwund des Publikumsinteresses ist insofern nachvollziehbar, als die traditionelle, aus antiker Heldenlegende und neuzeitlichen Wunschbildern gespeiste Vorstellung vom im Guten wie im Bösen seine Zeit überragenden Übermenschen Alkibiades in den Augen des heutigen Betrachters wenig überzeugend und noch weniger anziehend wirken kann. Kaum wahrgenommen wurde dabei allerdings, dass die althistorische Wissenschaft längst dabei war, jene Überlieferungen, auf denen das traditionelle Alkibiadesbild beruhte, kritisch zu überprüfen. Im Zuge dieser Überprüfung ist die Gestalt des Alkibiades in eine wesentlich neue Perspektive gerückt worden: Anstelle des überragenden Außenseiter-Genies und des ‚großen Unersättlichen‘ ergibt sich nunmehr das Bild eines vom Spannungsfeld zwischen den Traditionen und Werthaltungen seines Herkunftsmilieus und den Herausforderungen einer geistigen und politischen Umbruchsituation geprägten athenischen Aristokraten-Politikers, der gerade durch die Widersprüchlichkeit seines Wesens als für seine Gesellschaftsschicht und Epoche repräsentativ gelten kann. Das bewegte Leben des Alkibiades im Kontext seiner Epoche nachzuzeichnen ist das Ziel des vorliegenden Werkes. Wie in allen anderen Bereichen der Antike versteht es sich auch dabei gewissermaßen von selbst, dass jeder Versuch, antike Geschichte zur Darstellung zu bringen, auf den Forschungsbeiträgen einer Vielzahl moderner Gelehrter aufbaut. Diese Fülle der Forschung in ihrer Vielfältigkeit und ihren Kontroversen zu dokumentieren wäre im Rahmen des vorliegenden Werkes ein Ding der Unmöglichkeit: Ich habe mich darauf beschränkt, in den Anmerkungen diejenigen Beiträge anzuführen, die entweder wesentliche Neubewertungen des Quellenmaterials oder aber eine ausführliche Dokumentation der Forschungslage zu bieten haben. Zum Umgang mit den Orts- und Völkernamen ist hier ein klärendes Wort erforderlich: Die Griechen neigten dazu, ihre staatlichen Gemeinschaften als Personenverbände zu betrachten, was sich auch in ihrer Terminologie niederschlug. Dementsprechend werden in den Quellen antike Polisstaaten meist nicht mit dem Abstraktum, sondern mit einem

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Vorwort des Autors

personenbezogenen Kollektivbegriff wie „Die Athener“, „Die Spartaner“ bezeichnet, ein Sprachgebrauch, den ich mir in meiner Darstellung vielfach, aber nicht ausschließlich, zu Eigen gemacht habe. Bei der Schreibung von Ortsnamen habe ich mich dort, wo sich für eine Örtlichkeit der alten Welt im Deutschen eine feste Schreibung als geläufig eingebürgert hat (z. B. Athen statt Athenai), an diese gehalten, im Übrigen der antiken griechischen Form den Vorzug gegeben. Jahres- und Jahrhundertangaben im Text sind, soweit nichts anderes vermerkt ist, „vor Christi Geburt“ zu verstehen. Abschließend bleibt mir die freudige Pflicht, all jenen meinen Dank abzustatten, die mir bei der Abfassung des Werkes hilfreich zur Seite gestanden haben. Der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft und dem Herausgeber der Reihe „Gestalten der Antike“, Professor Manfred Clauss, sei hier für die Aufnahme des Buches in die Reihe ‚Gestalten der Antike‘ ein herzlicher Dank ausgesprochen; ebenso Herrn Harald Baulig und seinen Mitarbeitern für die engagierte Lektoratsbetreuung. Meinen Kollegen vom Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik der Universität Wien bin ich für mannigfache Hilfestellungen und Anregungen zu Dank verpflichtet, nicht zuletzt aber auch für die Schaffung einer anregenden und förderlichen Arbeitsatmosphäre. Meinem Freund Gerd Allesch, poetae Latino atque viro doctissimo, danke ich, dass er sich trotz umfangreicher Verpflichtungen die Zeit genommen hat, sich der Lektüre meines Manuskripts zu widmen. Er hat mich vor manchem Fehler bewahrt und mir wertvolle Anregungen und Hinweise für Inhalt und Gestaltung der Arbeit vermittelt. Der größte Dank von allen aber gebührt meiner lieben Gefährtin Monika L. Jungwirth – Dank zuerst für die Ermutigung, meinen Wunsch nach einer näheren Beschäftigung mit dem Alkibiadesthema in die Tat umzusetzen, Dank sodann für die Geduld und Ausdauer, mit der sie meine Arbeit von Beginn bis zum Abschluss mit Zuspruch, Ermunterung und viel kritischem Verstand begleitet hat.

I. Kindheit, Jugend und erste politische Prägungen Alkibiades’ Familie und Herkunft Gegen Ende des Jahres 447 oder Anfang 446 v. Chr. marschierte ein athenisches Heer in Mittelgriechenland ein, um dort eine Bewegung niederzuschlagen, die Athens seit etwa zehn Jahren bestehende Vorherrschaft in Böotien in Frage stellte. Der Feldzug verlief für die Athener zunächst erfolgreich – Chaironeia, ein Hauptstützpunkt der Gegner, wurde eingenommen und zerstört –, endete dann aber in einer Katastrophe, als die athenische Heereskolonne bei Koroneia in einen Hinterhalt geriet und vernichtend geschlagen wurde. Die Niederlage traf die Athener schwer, nicht nur wegen der politischen Folgen – die Herrschaft über Böotien war unwiderruflich verloren –, sondern auch wegen der Verluste, die ihr Bürgeraufgebot zu verzeichnen hatte: Neben dem Feldherrn Tolmides hatten im Kampf bei Koroneia viele Bürger aus angesehener Familie einen frühen Tod gefunden.1 Unter den Gefallenen befand sich auch das Haupt einer alteingesessenen Adelsfamilie, Kleinias, der Sohn des Alkibiades, aus dem Demos (Stadtbezirk) Skambonidai. Kleinias hinterließ zwei noch im frühesten Kindesalter stehende Söhne, einen jüngeren, der den Namen des Vaters trug, und einen älteren, der nach seinem Großvater den Namen Alkibiades erhalten hatte. Entweder weil in der väterlichen Familie für die Übernahme der Vormundschaft über die verwaisten Söhne des Kleinias kein männlicher Verwandter im geeigneten Alter zur Verfügung stand oder aber, was wahrscheinlicher ist, auf Grund einer speziellen Abmachung fiel die Funktion des Vormunds einem Verwandten der Mutterseite zu, dem Cousin von Kleinias’ Gattin Deinomache, Perikles, der zu dieser Zeit bereits als einer der führenden Staatsmänner Athens galt. Er nahm die beiden Knaben in seinen Haushalt auf, um persönlich für eine dem Rang und dem Ansehen ihrer Familie entsprechende Erziehung Sorge zu tragen. 2 Der kleine Alkibiades gehörte von Vater- wie von Mutterseite her zu den exklusivsten Kreisen der athenischen Aristokratie. Die Familie seines Vaters Kleinias führte gleich anderen Adelshäusern ihre Ursprünge auf einen Helden der sagenhaften Vorzeit zurück: Sie betrachtete Eurysakes, den Sohn des Trojanerkriegshelden Aias, als ihren Stammvater.

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Kindheit und Jugend

Das war ein Anspruch, der sich in der Unbestimmtheit einer von Legenden und Zweckfiktionen verzerrten Überlieferung verliert. Auf einigermaßen gesichertem Boden steht die Geschichte des Hauses erst zu jener Zeit, als auch Athen selbst bereits aus dem Dunkel einer sagenhaften Frühzeit ins Licht der geschichtlichen Überlieferung getreten war. Vom späten 6. Jh. an präsentieren sich die angeblichen Eurysakes-Nachfahren als ein in den Kreisen der athenischen Eupatriden, der ‚Wohlgeborenen‘, fest etabliertes Adelsgeschlecht, unter dessen Oberhäuptern über fünf Generationen hindurch die Leitnamen Alkibiades und Kleinias einander abwechselten. Alkibiades war denn auch der Name des ersten historisch bezeugten Familienangehörigen, eines Ururgroßvaters unseres Helden, der sich im letzten Viertel des 6. Jh. an der vom mächtigen Adelsclan der Alkmeoniden geführten Widerstandsbewegung gegen die Tyrannenherrschaft der Peisistratiden beteiligte. Seine Rolle beim Sturz der Tyrannis 510 war hinreichend prominent, um von einem späteren Lobredner, sicherlich mit einem kräftigen Schuss Übertreibung, derjenigen des Alkmeoniden-Oberhauptes Kleisthenes gleichgesetzt zu werden. Damit enden allerdings die Nachrichten über diesen Alkibiades. Ob er die Zusammenarbeit mit dem Alkmeonidenführer auch nach dem Sturz der Tyrannis fortgesetzt und sich an dem großen Reformwerk, mit dem Kleisthenes die Grundlagen für Athens demokratische Staatsordnung legte, beteiligt hat, ist nicht überliefert. Auch von dem Familienhaupt der nächsten Generation, Alkibiades’ Urgroßvater Kleinias, ist nicht viel bekannt. Wir wissen nur, dass er während des großen Perserkrieges 480 eine eigene Triere, also ein mit drei Ruderreihen versehenes Kriegsschiff, ausrüstete und sich in der Seeschlacht am Kap Artemision auszeichnete, ein Beweis für den Wohlstand und das Ansehen der Familie. 3 In der nächsten Generation ist es wieder ein Träger des Namens Alkibiades – der Großvater unseres Helden –, der als Familienhaupt im Lichte der Überlieferung steht. Dieser Alkibiades scheint noch mehr als seine Vorfahren im Brennpunkt der politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit gestanden zu haben; er war in die politischen Turbulenzen verwickelt, die Ende der 460er-Jahre zugleich eine konsequentere Demokratisierung der Polis, eine Abkehr vom spartafreundlichen Kurs der Außenpolitik und die Entmachtung des bis dahin als führender Staatsmann agierenden Spartanerfreundes Kimon nach sich zogen. Der antispartanische Trend der Zeit scheint die Familie, die traditionell zu Sparta

Alkibiades’ Familie und Herkunft

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in engen Beziehungen stand, in Bedrängnis gebracht zu haben. Alkibiades versuchte dem entgegenzuwirken, indem er das Gastfreundschaftsverhältnis zu den Spartanern öffentlich aufkündigte, fiel aber dennoch dem Volkszorn zum Opfer: Er wurde durch das ‚Ostrakismos‘ genannte Scherbengericht verbannt und ging ins Exil. Ob er seine Verbannungszeit überlebt hat und, wie es den Ostrakisierten von Rechts wegen zustand, nach zehn Jahren in die Heimat zurückgekehrt ist, wissen wir nicht; er wird jedenfalls in unserer Überlieferung nicht mehr erwähnt. 4 Sein Sohn Kleinias stand nach der Verbannung seines Vaters vor der Aufgabe, das angeschlagene Prestige der Familie wiederherzustellen und zu festigen. Wohl nicht zuletzt deswegen suchte er Anschluss an den Mann, der unter den athenischen Politikern den Trend der Zeit am klarsten erfasst hatte und der in seinem Wirken das herkömmliche Geltungsstreben eines Aristokraten mit einer reformorientierten, demokratisch ausgerichteten Politik in Einklang zu bringen verstand: Perikles. Dieser hatte in jenen Jahren den Höhepunkt seiner Laufbahn noch nicht erreicht, arbeitete aber eifrig daran, seinen politischen Einfluss zu einer Führungsposition auszubauen. Kleinias ist spätestens um das Jahr 450 in enge persönliche Beziehung zu Perikles getreten. Ob er auch auf der politischen Bühne eine aktive Rolle als Unterstützer des perikleischen Programms übernommen hat, ist wahrscheinlich, aber nicht mit Sicherheit nachweisbar, da ein in der älteren Forschung gerne als Beleg für Kleinias’ politische Aktivitäten geltend gemachtes inschriftliches Zeugnis auf Grund neuerer Erkenntnisse zweifelhaft geworden ist. 5 Wie immer es um die politische Positionierung des Kleinias bestellt gewesen sein mag, die persönlichen Beziehungen zwischen ihm und Perikles waren jedenfalls eng und vertraut genug, um zu dem schon erwähnten Arrangement zu führen, demzufolge nach Kleinias’ frühem Tod die Vormundschaft und Obsorge für dessen Kinder dem Perikles zufielen. Im Hinblick auf den Familienhintergrund der beiden Waisenknaben wie auch auf die illustre Stellung des Vormunds verstand es sich gewissermaßen von selbst, dass die Erziehung der Kleinias-Söhne von Anfang an unter der Prämisse der Vorbereitung auf eine führende Rolle im öffentlichen Leben Athens zu stehen hatte. Von den beiden Knaben entwickelte sich der Jüngere, nach dem Vater Kleinias genannt, zu einem Problemfall, der als Kind deutliche Züge jenes Persönlichkeitstypus erkennen ließ, den man heute mit dem Begriff des „Schwererziehbaren“ zu bezeichnen pflegt, und sich auch spä-

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Kindheit und Jugend

terhin nicht imstande zeigte, eine den Erwartungen seiner Verwandten entsprechende Position in der Polis zu erringen. 6 Ganz anders präsentierte sich sein älterer Bruder Alkibiades, dessen Entwicklung seine Umgebung von früher Jugend an zu der Hoffnung zu berechtigen schien, dass er die glanzvollen Traditionen seiner elterlichen Vorfahren weiterführen werde. Die Aufgabe, ihm die dazu nötige Bildung und das moralische Rüstzeug zu verschaffen, oblag seinem Vormund Perikles.

Kindheit und Jugendjahre Platon macht es später dem Perikles zum Vorwurf, die Erziehung des Alkibiades in die Hände des „unbrauchbarsten unter seinen Sklaven, eines Thrakers namens Zopyros“, gelegt zu haben.7 Diese Behauptung des großen Philosophen dürfte von der Sache her zutreffen, die damit verbundene Kritik aber war zwar vom Standpunkt der hochgestimmten platonischen Erziehungsideale gerechtfertigt, nicht jedoch nach den im realen Leben Athens im 5. Jh. geltenden Maßstäben. Es war damals und noch in späteren Epochen der griechischen Geschichte durchaus üblich, für die Beaufsichtigung und Pflege der Kinder alte, für körperliche Tätigkeiten nicht mehr recht taugliche Sklaven abzustellen. Wenn Perikles bei seinen Pfleglingen dasselbe tat, kann dies gewiss nicht als Zeichen absichtlicher Vernachlässigung gedeutet werden. Im Übrigen beschränkte sich die Rolle des Paidagogos, ‚Knabenführers‘, auf die Beaufsichtigung der Kinder; der Unterricht im eigentlichen Sinne lag in den Händen von Lehrern, die ihre Tätigkeit hauptberuflich ausübten, sei es als Hauslehrer oder als Beisitzer eines eigenen kleinen Schulbetriebs. Solcher Unterricht ist natürlich auch dem jungen Alkibiades zuteil geworden. Alle darauf bezüglichen Nachrichten der Überlieferung deuten darauf hin, dass er die in den Kreisen der athenischen Oberschicht übliche Ausbildung in vollem Maße erhalten hat. 8 Zu dieser Ausbildung gehörte zunächst einmal ein intensives Körpertraining, das einerseits auf Erfolg im sportlichen Wettkampf und in der Jagd, zugleich aber auch auf die Anforderungen des künftigen Militärdienstes abzielte. Gleichberechtigt stand daneben die Unterweisung in musischen Disziplinen wie Tanz, Gesang, Leier- und Flötenspiel – Künste, die von den griechischen Aristokraten sowohl im Rahmen privater Symposien als auch bei öffentlichen Festspielauftritten zu Ehren der

Kindheit und Jugendjahre

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Abb. 1: Herme des Perikles. Rom, Vatikanische Museen

Götter regelmäßig ausgeübt zu werden pflegten, und deren souveräne Beherrschung als Voraussetzung für die Entwicklung einer harmonischen Persönlichkeit galt. Neben diesen musisch-persönlichkeitsbildenden Unterrichtsgegenständen standen im damaligen Athen längst auch schon die im engeren Sinne intellektuellen Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens sowie die umfassende Kenntnis des großen literarischen Erbes der Griechenwelt auf dem ‚Bildungsplan‘ der aristokratischen Jugend. 9 Alles in allem war das ein Bildungsgang, der darauf abzielte, körperliche Fitness, Aufgeschlossenheit für das Musische und literarisch-

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Kindheit und Jugend

sprachliche Talente zu einer in sich ausgewogenen Verbindung zu bringen, deren äußerer Ausdruck dann eine an Körper und Geist wohlgestaltete, in den Kreisen der aristokratischen Standesgenossen präsentable Persönlichkeit sein sollte. Urteilen wir nach der Wirkung, die er auf seine Zeitgenossen ausübte, so kann kaum ein Athener diesem Bildungsziel besser entsprochen haben als der junge Alkibiades. Die Quellen sind sich darin einig, dass er von frühester Jugend an als der strahlendste Stern am Himmel der athenischen Aristokratenjugend gegolten hat.10 An konkreten Details sind uns aus seiner Kindheit allerdings nur wenige vereinzelte Episoden überliefert, anekdotenhaft zugespitzte Geschichten, die in ihrer Grundtendenz allerdings übereinstimmen. Sie alle stellen uns das Bild eines schon im Knaben- und Heranwachsendenalter extrem willensstarken und weit über das normale Maß hinaus von sich eingenommenen jungen Aristokraten vor Augen. So hören wir davon, dass er schon als kleines Kind beim Würfelspielen auf der Straße sich lieber überfahren lassen wollte, als einem Fuhrwerk Platz zu machen, das seinen Wurf zu verwischen drohte. Späterhin soll er das Erlernen des Flötenspiels, an sich ein fester Bestandteil des aristokratischen Bildungskanons, verweigert haben, weil ihm die damit verbundene unästhetische Verzerrung der Gesichtszüge zuwider gewesen sei. Als die bekannteste unter diesen Kindheits-Anekdoten kann wohl eine von Plutarch, dem bedeutendsten unter den antiken Biographen des Alkibiades, überlieferte Episode gelten, die uns in die von Übermut und Wettstreitseifer erfüllte Atmosphäre der Knabenringschule führt: „Als er einmal beim Ringen von seinem Gegner umklammert wurde, riss er, um nicht zu Fall gebracht zu werden, die ihn umklammernden Arme des Gegners an seinen Mund und machte Anstalten, dessen Hände zu zerbeißen. Jener musste den Griff lockern und rief ‚O Alkibiades! Du beißt, wie die Frauen es zu tun pflegen!‘ Darauf erwiderte er: ‚Nicht wie die Frauen, sondern wie die Löwen.‘“ 11 Solche Anekdoten sind, soweit es die konkreten Fakten betrifft, in ihrem historischen Wert zweifelhaft; die meisten von ihnen sind wohl nichts anderes als gut pointierte Erfindungen, deren Schöpfer sich von dem enfant terrible-Image, das dem erwachsenen Alkibiades stets anhaftete, inspirieren ließen. Zusammengenommen bezeugen sie uns in ihrer übereinstimmenden Tendenz aber immerhin, dass dieses Image nach der Überzeugung der Athener bereits den Knaben Alkibiades charakterisiert hat. Wir dürfen es daher wohl für glaubhaft halten, dass der Perikles-Zög-

Kindheit und Jugendjahre

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ling alles andere als ein pflegeleichtes Kind war, dass er aber trotz ungebärdigen Benehmens durch Schönheit, Charme und Brillanz immer wieder die Sympathien seiner Umwelt zu gewinnen verstand, dass ihm schließlich die Bestätigung, die er empfing, zu Kopf stieg und ihn in seinem Eigenwillen bestärkte. Es lag in der Natur der Sache, dass das auf diesen frühen Prägungen beruhende Selbstgefühl sich noch um ein Beträchtliches verstärkt haben muss, als Alkibiades im frühen Jünglingsalter zum Objekt homoerotischer Aufmerksamkeiten zu werden begann. Päderastisches Liebeswerben und das Körperliche mehr als nur streifende Beziehungen zwischen reifen Männern und heranwachsenden Jünglingen gehörten im Athen der klassischen Epoche zum allgemein akzeptierten Brauch nicht nur, aber vor allem der aristokratischen Kreise. Für die Männer der athenischen Elite bedeutete das Bemühen um die Gunst vornehmer Knaben nicht nur ein Ausleben genuiner erotischer Gelüste, sondern auch ein Mittel zur Bestätigung des Sozialprestiges. Platon legt einem der Dialogpartner in seinem ‚Symposion‘ die Feststellung in den Mund, dass es in Athen gesellschaftlich akzeptiert war, dass ein Liebhaber, um den begehrten Knaben zu gewinnen, „seltsame Dinge“ zu tun pflegte, „für die er, wenn er sie bei der Verfolgung irgendeines anderen Ziels außer diesem wagte, schärfsten Tadel ernten würde … Denn wenn einer, etwa um Geld von irgendjemandem zu bekommen, oder um ein Amt oder eine Machtposition zu erlangen, solche Dinge täte, wie die Liebhaber, die ihre Knaben anbetteln und anflehen, ihnen Eide schwören, sich vor ihrer Türe hinlagern und willig Dienste verrichten wie kein Sklave sie tun würde, so würde man ihn daran hindern.“ 12 Das von Platon gezeichnete Sittenbild zeigt deutlich, in welchem Maße diese päderastischen Liebeständeleien von Theatralik und exhibitionistischer Selbstdarstellung bestimmt waren. Ähnlich dem ‚Minnedienst‘ des Hochmittelalters handelte es sich vor allem um ein Gesellschaftsspiel, mit dem die Angehörigen einer Adelselite sich gegenseitig ihre Standeszugehörigkeit bestätigen und zugleich die damit verbundenen ästhetisch-ethischen Normen zelebrieren konnten. Für die umworbenen Jünglinge standen bei diesem Spiel ‚emotionale Gewinne‘ mannigfacher Art in Aussicht: das Gefühl des Beachtet- und Respektiertwerdens, die Steigerung des eigenen Sozialprestiges und nicht zuletzt die Chance, sich unter der Ägide eines gesellschaftlich etablierten Liebhaber-Mentors in die Kreise der Erwachsenenwelt zu integrieren.13

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Eine mehr oder weniger unvermeidliche Folge dieser Konventionen lag darin, dass selbstbewusste Jünglinge, denen die Huldigungen ihrer Verehrer zu Kopf stiegen, in Versuchung gerieten, ihren Übermut an den schmachtenden Päderasten auszuleben; es war bezeichnend für Alkibiades, dass er auch in dieser Hinsicht über jedes gewohnte Maß hinausging. Sein Biograph Plutarch weiß diesbezüglich einige Anekdoten zu berichten, die den umschwärmten Jüngling teils als großzügigen Gönner, teils als hochmütigen Tyrannen zeigen. So soll er einem seiner Verehrer, einem wenig begüterten Metöken, als dieser ihm sein letztes Geld antrug, großzügig zu einem lukrativen Steuerpachtvertrag verholfen haben. Das Kontrastbild dazu bildet die übermütige Brutalität, mit der er einen anderen seiner Anbeter, den wohlhabenden Anytos, behandelte. Plutarch zufolge hatte er dessen Einladung zu einem Gastgelage ausgeschlagen, war dann aber doch, tüchtig berauscht, an der Spitze einer Bande ausgelassener Jünglinge erschienen. Er trat ein, warf einen Blick auf das kostbare Tafelgeschirr und befahl seinen Dienern, die Hälfte davon einzupacken. Dies getan, zog er mit der erhaschten Beute nach Hause, ohne Anytos und seine Gäste weiter eines Blickes zu würdigen. Bezeichnenderweise soll der Hausherr diesen Übergriff gutwillig hingenommen und sogar gesagt haben, er hätte sich von Alkibiades auch noch die andere Hälfte nehmen lassen. Plutarch knüpft an diese Anekdote die Feststellung, Alkibiades habe fast alle seine Liebhaber auf solche Weise behandelt; auch wenn der Biograph auf dieses Verhalten nicht näher eingeht, dürfen wir annehmen, dass manche von ihnen sich die Frechheiten ebenso gutwillig gefallen ließen wie Anytos.14 Erlebnisse dieser Art waren geeignet, einen schon von Haus aus mit einem überentwickelten Ego ausgestatteten Jüngling in seinem Übermut zu bestärken, und sie haben sicherlich ihren Teil zur Prägung des späteren Politikers Alkibiades beigetragen. Die Überzeugung, den eigenen Willen allem anderen voranstellen zu dürfen und sich ungestraft fast alles erlauben zu können, ist ihm bis ins Erwachsenenalter erhalten geblieben – wie sich zeigen sollte, zum Schaden nicht nur für ihn selbst, sondern auch für Athen.

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Das geistige Umfeld von Alkibiades’ Jugend: Athen, das intellektuelle Zentrum Griechenlands Die Eskapaden des jungen Alkibiades, sein Charme und sein Auftreten erregten Aufsehen und verhalfen dem Perikleszögling, noch ehe er das volle Erwachsenenalter erreicht hatte, zu breiter Bekanntheit und einem feststehenden Image bei der athenischen Bürgerschaft. Seine Jugendjahre haben sich jedoch nicht in solchen Exzessen erschöpft; sie waren zugleich auch eine Zeit der Wissbegierde, des Lernens und der intellektuellen Formung. Das Athen der 430er-Jahre hatte in geistiger und kultureller Hinsicht aufgeweckten jungen Leuten mehr Anregungen zu bieten als sie früheren Generationen zuteil geworden waren. Dank ihrer durch den Attischen Seebund begründeten politischen Vorrangstellung und den damit einhergehenden Gewinnen an Prestige und Wohlstand hatte sich die Stadt zum Zentrum des kulturellen Lebens der griechischen Welt entwickelt. Zur Zeit von Alkibiades’ frühester Kindheit hatten die Athener ein Bauprogramm initiiert, dessen bedeutendste Errungenschaften schon von den Dimensionen und dem Reichtum der Ausstattung her zu den eindrucksvollsten Monumenten der Griechenwelt zählen durften, zugleich aber durch die vollendete Qualität ihrer Ausführung Standards setzten, die in der Folge für die Definition dessen, was wir unter der „Griechischen Klassik“ verstehen, maßgeblich geworden sind. Der Parthenon auf der Akropolis, bis heute das große Wahrzeichen Athens, wurde im Jahre 438 eingeweiht, als Alkibiades etwa zwölf Jahre alt war; während seiner ‚Teenagerjahre‘ folgte der Bau der Propyläen, des in seiner Monumentalität bislang beispiellosen Eingangsbereiches der Akropolis. Unterhalb der Akropolis errichtete man das Odeion, einen für musikalische Aufführungen und andere Festivitäten bestimmten Hallenbau, der in seiner Form dem Prunkzelt des Perserkönigs nachgebildet gewesen sein soll und so den dem persischen Großreich als gleichberechtigt entgegengesetzten imperialen Machtanspruch Athens symbolisierte.15 In ihrer Verbindung von Größe, Ausstattungspracht und künstlerischer Vollendung waren diese Bauten dazu bestimmt, vor aller Welt Zeugnis für jenes Zusammenspiel von politischer Macht und kultureller Leistungsfähigkeit abzulegen, in dem sich nach Überzeugung vieler Zeitgenossen das Wesen der Polis Athen manifestierte. Sicherlich hat

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auch der junge Alkibiades sie so wahrgenommen und in ihrem Anblick den jedem Athener selbstverständlichen Stolz auf die Größe der Heimatstadt bestätigt gesehen. Vielleicht aber haben diese Großleistungen für ihn als Zögling des Perikles darüber hinaus noch einen ganz persönlichen Ansporn hin zur politischen Tätigkeit bedeutet. Impulse für die Hinwendung zur Politik und zum öffentlichen Leben konnte ein junger Mann aus Alkibiades’ Generation auch aus dem literarischen und intellektuellen Leben der Zeit empfangen. Die dramatische Dichtkunst, Athens großer Beitrag zur griechischen Literatur des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, war eine eminent politische Kunstform. Offenkundig war dies ebenfalls bei der Komödiendichtung, die immer wieder auf aktuelle politische und gesellschaftliche Themen Bezug nahm und die politischen Führer der Polis wie auch andere prominente Zeitgenossen zur Zielscheibe ihres von unbekümmerter Respektlosigkeit geprägten und mit einem guten Schuss ernst gemeinter Kritik versetzten Spottes zu machen pflegte. Nicht in diesem tagesaktuellen Sinn, wohl aber in der Grundintention politisch ausgerichtet war auch die zeitgenössische Tragödiendichtung. Weit davon entfernt, ein Unterhaltungsmedium darzustellen, verstand sie sich als ein Mittel, das Volk von Athen mit den Problemen des Lebens in der Bürgergemeinschaft und den großen Fragen des Menschentums und seiner Stellung im Weltganzen zu konfrontieren. Von den drei großen Tragödiendichtern, die allgemein als die überragenden Meister ihrer Kunst angesehen wurden, war der älteste, der urtümlich sprachgewaltige Aischylos, bereits vor Alkibiades’ Geburt gestorben, seine Werke waren aber immer noch fest im Bewusstsein der Athener verankert. Sophokles, der künstlerisch ausgewogenste, ‚klassischste‘ der attischen Tragiker, stand auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, und neben ihm wirkte bereits Euripides, der große Problematisierer der Widersprüche menschlicher Existenz, der als Gestalter zwiespältiger Charaktere und Zweifler an etablierten Werten bei den Zeitgenossen oftmals Befremden erregte, bei der Nachwelt aber bis in die Moderne hinein die stärkste Nachwirkung entfalten sollte. Die Dramen dieser Bühnendichter wurden an sich nur für die einmalige Aufführung im Rahmen der alljährlich zu Ehren des Dionysos gehaltenen dramatischen Wettbewerbe verfasst, blieben aber durch private Rezeption, teils auch schon durch schriftliche Verbreitung über den Entstehungs-Anlass hinaus lebendig und fanden auch außerhalb des athenischen Publikums reges Interesse.16

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Zentrum der kulturellen Entwicklung Griechenlands war Athen nicht nur durch Bildkunst und Dichtung, sondern auch dank seiner Bedeutung als Schauplatz der philosophisch-humanwissenschaftlichen intellektuellen Debatte. Führende Vertreter des philosophischen Denkens der Zeit fanden hier einen Ort des gegenseitigen Austausches und eine Bühne für die Darlegung ihrer Lehren und Erkenntnisse, für die sich in den intellektuell aufgeschlossenen Kreisen der Bürgerschaft ein interessiertes Publikum fand. Stärker als anderswo scheinen die von der zeitgenössischen Philosophie ausgehenden Denkanstöße in Athen Einfluss auf die geistige Formung der aristokratischen Jugend gewonnen zu haben. Damit wurde die Stadt zum Schauplatz einer Auseinandersetzung zwischen den Anhängern der traditionellen Bildungswelt und den Protagonisten eines neuen, sich auf Skepsis, Spekulation und rationeller Erkenntnis gründenden Weltverständnisses. Die traditionelle Bildung, landläufig mit dem Ausdruck Sophia, ‚Weisheit‘, bezeichnet, hatte sich, soweit es die Grundlagen der von ihr vermittelten Kenntnisse betraf, auf die mythische Überlieferung, die Autorität von Dichtern wie Homer und Hesiod und auf die Weltklugheit allgemein respektierter Geistesgrößen der Vergangenheit gestützt. Der aus diesen Quellen geschöpfte Schatz an Kenntnissen, Dogmen und Lebensregeln galt weithin als sakrosankt und pflegte von den Traditionalisten unhinterfragt hingenommen zu werden; der Gedanke, dieses Wissensgut einer kritischen Prüfung zu unterziehen und womöglich durch eigene Überlegungen zu erweitern, lag ihnen meistenteils fern.17 Genau dieses Streben nach eigener Erkenntnis aber bildete den gemeinsamen Nenner und das Hauptanliegen einer ganzen Reihe neuer Denkschulen, deren inhaltliches Spektrum vom eher naturphilosophisch ausgerichteten reinen Erkenntnisstreben bis hin zum Bemühen um eine Verbindung von Wissen und praktischer Lebensbewältigung reichte. Hatten zur Zeit von Alkibiades’ Kindheit und früher Jugend Naturphilosophen, wie etwa der Periklesfreund Anaxagoras, die repräsentativen Denkerfiguren dargestellt, begann zu der Zeit, als unser Held ins reifere Jünglingsalter trat, ein neuer Philosophentyp in den Vordergrund zu treten, die sogenannten Sophisten. Deren Forschungsinteressen berührten die unterschiedlichsten Wissensgebiete, und auch ihre Lehren waren im einzelnen recht unterschiedlich. Was sie in den Augen des athenischen Durchschnittsbürgers als Vertreter ein und derselben ‚Schule‘ erscheinen ließ, waren ihr Auftreten als berufsmäßige Weisheitslehrer, ihr Anspruch, lebenspraktisches Wissen vermitteln zu können, vor allem aber die von

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ihnen gepflegte Verbindung von Weisheitslehre und Redekunst. Fast alle Sophisten pflegten regelmäßig als Publikumsredner aufzutreten, und in ihrem sonst vielfältig bunten Lehrprogramm nahm stets der Unterricht in der Kunst der öffentlichen Rede einen bevorzugten Platz ein. Was die inhaltliche Ausrichtung ihrer Lehren betrifft, standen die Sophisten dem um seiner selbst willen betriebenen Erkenntnisstreben der Naturphilosophen skeptisch gegenüber. Da aus ihrer Sicht das Denken auf praktischen Nutzen hinzuzielen hatte, schien es ihnen angebracht, sich auf die Beschäftigung mit für den Menschen sinnlich oder verstandesmäßig fassbaren Fakten zu beschränken und der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Wahrnehmung dieser Fakten zwangsläufig von Mensch zu Mensch divergieren musste. Protagoras, der führende Kopf unter den frühen Sophisten, hat diese Orientierung mit dem berühmt gewordenen programmatischen Satz, dass „der Mensch das Maß aller Dinge“ sei, treffend auf den Punkt gebracht. Aus dieser Grundorientierung heraus war es dann nur folgerichtig, wenn die Sophisten sich in ihrer Haltung der überlieferten Religion und den philosophischen Spekulationen über das Göttliche gegenüber gleichermaßen auf den Standpunkt eines skeptischen Agnostizismus zurückzogen. Wiederum ist es Protagoras, dem wir die treffendste Charakteristik verdanken: „Hinsichtlich der Götter habe ich nicht die Möglichkeit, etwas zu wissen; weder dass es sie gibt, noch dass es sie nicht gibt, noch, welches ihre Gestalt sein mag; vieles nämlich hindert unsere Erkenntnis: ihre Unsichtbarkeit und die Kürze des Menschenlebens.“ 18 Es war klar, dass solche Grundsätze die Sophisten und ihre Anhänger in den Augen der in ihrer Mehrheit immer noch traditionell-frommen Athener Bürger in ein zweifelhaftes Licht setzen mussten. Ihr Rhetorikunterricht und die Tatsache, dass manche von ihnen die Verbindlichkeit der geltenden Gesetze in Zweifel zu ziehen wagten, indem sie den von der Polis gesetzten Rechtsnormen das Konzept der Physis, der unveränderlichen menschlichen Natur, entgegenstellten, trugen noch zusätzlich dazu bei, die Sophisten in den Augen konservativer Bürger als moralfreie Opportunisten, Spötter und Verächter aller für heilig gehaltenen Werte erscheinen zu lassen. Gerade deshalb aber übten sie eine starke Anziehungskraft auf intelligente junge Männer der Oberschicht aus, die an ihren Tabubrüchen Gefallen fanden, sich vom Wort- und Gedankenspiel des philosophischen Disputs intellektuell angezogen fühlten und zugleich hofften, im Unterricht der Sophisten das rednerische Rüstzeug für eine Karriere als Politiker zu erlangen.19

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Alkibiades kann von dem zur Zeit seiner Jugendjahre in Athen herrschenden Klima der intellektuellen Veränderung nicht unberührt geblieben sein. Sein Vormund Perikles stand in engen Beziehungen zu literarischen und philosophischen Größen wie Sophokles und Anaxagoras, er hat oftmals auch anderen Vertretern des zeitgenössischen Denkens in seinem Haus gastfreundliche Aufnahme gewährt, so etwa dem schon genannten Sophisten-Vorkämpfer Protagoras. Schon durch die in diesem Umfeld miterlebten Gespräche hatte der junge Alkibiades beste Gelegenheit, mit den geistigen Strömungen der Epoche Bekanntschaft zu schließen, und es ist kaum vorstellbar, dass ein aufgeweckter Geist wie der seine an diesen Themen und an der Art, wie sie behandelt zu werden pflegten, kein Interesse gefunden haben sollte. Nicht nur aufgrund dieser frühen Erfahrungen, sondern auch im Hinblick auf die generelle Popularität der modernistisch-philosophischen Bildungsgüter in den Kreisen der jungen Aristokraten Athens stand es zu erwarten, dass auch Alkibiades sich dem Schülerkreis eines ‚Weisheitslehrers‘ anschließen würde. Nicht wenigen Zeitgenossen dürfte er mit seiner respektlos-kritischen Haltung gegenüber allen Autoritäten, seinem Talent für das geschliffene Wort und seinem Hang zur egozentrischen Selbstdarstellung als typischer potentieller Sophisten-Adept erschienen sein. Doch es kam anders. Statt in die Schulen der Sophisten führte Alkibiades’ Weg in den Kreis eines Mannes, der zwar der breiten Öffentlichkeit als ein Sophist unter vielen galt, unter seinen Schülern aber als entschiedener Gegner und Überwinder des Sophistentums gewertet wurde: Sokrates. Mit ihm tritt eine Gestalt in das Leben des Alkibiades, die den Freunden klassischen Geistesguts besser vertraut zu sein scheint als jede andere Persönlichkeit des klassischen Athen. Dank der Darstellungskunst des Platon und anderer Sokratesschüler ist die Gestalt des silenhaften, bärtigen Weisen, der disputierend sein Athen durchstreift, mit Ironie und hintergründigen Fragen seine in ihren Anschauungen allzu gefestigten Gesprächspartner aufs Glatteis führt, dabei zugleich der Schar seiner meist jugendlichen Anhänger die Suche nach Wahrheit und Tugend ans Herz legt, Teil des Allgemeingutes klassischer Bildung geworden. 20 Zu diesem Bild gehört untrennbar auch das ideal gezeichnete Verhältnis zwischen Sokrates und Alkibiades, der, wenn wir Platon Glauben schenken wollen, von den späten 430er-Jahren an zu dem Philosophen in einer Verbindung gestanden haben soll, die über ein Lehrer-Schüler-

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Verhältnis hinaus dem Idealbeispiel eines pädagogisch motivierten Liebesverhältnisses nahegekommen sein soll. Gleichsam die repräsentative Zusammenfassung dieser verklärten Sicht der Sokrates-Alkibiades-Beziehung bietet uns der Platonverehrer Plutarch in seiner Alkibiadesbiographie: „Als schon viele und vornehme Männer ihn umdrängelten und umschwärmten, da war es offenkundig, dass die übrigen ihm nachliefen, weil der Glanz seiner Jugendschönheit sie in seinen Bann schlug, des Sokrates’ Eros aber war ein starkes Zeugnis für die zur Tugend hindrängende Natur des Knaben, die jener hinter Alkibiades’ äußerem Erscheinungsbild hervorleuchten sah. Er fürchtete die Wirkung des Reichtums und des Ruhmes und die Masse von Bürgern, Fremden und Bundesgenossen, die ihn mit Schmeicheleien und Liebedienereien zu umgarnen suchten, und war imstande, ihn zu schützen und nicht zuzulassen, dass er wie eine Blume in ihrer Blütezeit die ihm innewohnende Frucht wegwerfe und verderbe … So kam es, dass Alkibiades, obwohl er von allem Anfang an von den ihn umdrängenden Schmeichlern verzogen und davon abgehalten worden war, auf einen vernünftigen Erzieher zu hören, dank seiner guten Naturanlagen den Sokrates erkannte und ihm folgte … Das Wirken des Sokrates erschien ihm in der Tat als ein göttlicher Auftrag zum Nutzen und zur Rettung der Jugend; er verachtete sich selbst, bewunderte jenen, genoss die Freundschaft mit ihm und schämte sich vor der Tugend des anderen. Unversehens wurde er von ‚der Liebe Widerspiegelung, der Gegenliebe‘, wie Platon sie nennt, erfasst, so dass alle sich wunderten, wenn sie sahen, dass er, der sich allen anderen Liebhabern gegenüber so unfreundlich und unnahbar gezeigt hatte, jetzt mit Sokrates einträchtig zusammenspeiste, gemeinsam mit ihm in der Ringschule übte und sein Zelt teilte.“ 21 Plutarchs Schilderung lässt deutlich erkennen, wie sehr die von der idealisierten Vorstellung vom Wirken des sokratischen „pädagogischen Eros“ auf den egozentrischen, aber bildungsfähigen Aristokratenjüngling ausgehende Faszination den platongläubigen Biographen in ihren Bann geschlagen hat; sie hat denn auch in jenen Kreisen, die der Philosophie einen vornehmlich pädagogischen Auftrag zuerkennen möchten, bis in die Neuzeit hinein eine starke Wirkung entfaltet. Unglücklicherweise bleibt von dem schönen Bild, wenn man es mit den Mitteln der kritischen Wissenschaft zu hinterfragen beginnt, nicht viel übrig, was als historisch zuverlässig oder auch nur einigermaßen wahrscheinlich gelten könnte.

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Abb. 2: Sokrates findet Alkibiades, Karl von Blass (1836)

Den Schilderungen Platons von der langen und vertrauten Beziehung zwischen Sokrates und Alkibiades steht die Angabe eines anderes Sokratesschülers, des Philosophen und Historikers Xenophon, gegenüber, demzufolge Alkibiades sich bald von Sokrates abgewendet habe, weil er in dessen Lehren nichts mehr gefunden habe, was ihm bei seinem Streben nach Macht und Ansehen nützlich erschienen wäre. 22 Angesichts dieses Widerspruches einerseits und der mit Händen zu greifenden moralisch-didaktischen Ausschmückungen andererseits bleibt als historischer Kern der Sokrates-Alkibiades-Legende nicht viel mehr als das bloße Faktum einer zeitweiligen engeren Beziehung zwischen dem aufstrebenden jungen Aristokraten und dem Philosophen übrig. Wir dürfen es für glaubhaft halten, dass Alkibiades in seinen jungen Jahren eine Zeitlang zum engeren Kreis der sich um Sokrates scharenden Jünglinge gehört hat und dass er damals – in welchem Sinne auch immer – der ‚Geliebte‘ des Philosophen gewesen ist. Ob sich daraus aber eine auch noch in späterer Zeit wirksame freundschaftlich-vertraute Bindung zwischen ihnen entwickelt hat, muss ebenso ungewiss bleiben wie die Frage, was Alkibiades in geistiger Hinsicht aus dieser Beziehung

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mitgenommen hat. Letztere lässt sich schon deshalb kaum beantworten, weil im überlieferten Schrifttum die authentische Lehre des Sokrates unter den Gedankengebäuden begraben ist, die seine Schüler, Platon allen voran, darauf errichtet haben. Im Hinblick auf diese Ungewissheiten tut der Historiker gut daran, in der Frage nach Sokrates’ Einfluss auf die geistige Formung des Alkibiades Zurückhaltung zu üben. Wir wollen uns auf die Feststellung beschränken, dass jedenfalls von dem, was nach dem Zeugnis fast aller Quellen der Kern von Sokrates’ Lehren gewesen ist, nämlich der Anleitung zur Hintanstellung aller Äußerlichkeiten und zur Fürsorge für die eigene Seele, im späteren Leben des Alkibiades nicht viel zu finden ist. 23 Das Sokrateserlebnis des Alkibiades scheint also, selbst wenn es auf der menschlichen Ebene ein bleibendes Band der Sympathie begründet hat, im Geistig-Moralischen von recht begrenzter Wirkung gewesen zu sein. Den Grund dafür dürfen wir getrost in der Unvereinbarkeit der von den beiden verfolgten Lebenshaltungen erkennen. Während Sokrates seinen Adepten das Streben nach Selbsterkenntnis und Seelenpflege ans Herz legte, hatte Alkibiades sich schon sehr früh für ein Lebensziel entschieden, das mit den von dem Philosophen vertretenen Idealen kaum in Einklang zu bringen war: die Erlangung einer politischen Führungsposition.

Das politische Umfeld I: Athen und die griechische Welt Alkibiades’ Entscheidung, sich einer politischen Laufbahn zu widmen, kann für niemanden seiner Umgebung eine Überraschung bedeutet haben, ganz im Gegenteil: In den Augen seiner Zeitgenossen wird seine Hinwendung zu Politik und Staatsgeschäften eher als eine Selbstverständlichkeit erschienen sein, als Erfüllung einer Erwartung, die das Volk von Athen allen begabten jungen Abkömmlingen seiner alteingesessenen Adelsgeschlechter gegenüber zu hegen gewohnt war. Für einen jungen Mann seines Alters und seiner Herkunft war es eine Selbstverständlichkeit, sich mit ganzer Kraft für seine Polis zu engagieren, ebenso selbstverständlich aber war es für ihn wie für alle anderen Aristokraten, im Gegenzug den Anspruch auf über das Durchschnittsmaß hinausgehende soziale Anerkennung, auf die Bekleidung von Führungspositionen und auf vorrangigen Einfluss in politischen Entscheidungsprozessen zu erheben.

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Die Haltung der athenischen Adelsherren ihrer Polis gegenüber war einerseits von den Traditionen ihrer jeweiligen Familien, vor allem aber auch von den allgemeinen geschichtlichen Überlieferungen Athens geprägt. Wir dürfen es für gewiss halten, dass der Perikleszögling Alkibiades von früher Kindheit an mit diesen historischen Traditionen seiner Heimatstadt vertraut gemacht worden ist. Sehr früh schon wird er von den Großtaten gehört haben, die die Athener zwei Generationen zuvor im Kampf gegen die persischen Großkönige vollbracht hatten, von den Siegen bei Marathon und Salamis und dem darauf folgenden Vergeltungskrieg, in dessen Verlauf eine von Athen geführte Koalition griechischer Staaten die Persermacht aus der Ägäis vertrieben hatte. Athen hatte diesen Kriegen seinen Aufstieg zur Großmacht verdankt; im Jahre 477 hatte es den sogenannten Seebund gegründet, ein Bündnis, dem vor allem die Inselpoleis der Ägäis und die von der Perserherrschaft befreiten Griechenstädte Westkleinasiens angehörten. Es handelte sich formell um ein Waffenbündnis gleichberechtigter Mitglieder, dessen oberste Organe auf der Insel Delos ihren Sitz hatten, in der Praxis aber war klar, dass Athen die unbestrittene Führung innehatte. Im Laufe der Jahre war diese Führungsposition dermaßen intensiviert worden, dass der Seebund mehr und mehr die Züge eines autoritären Herrschaftssystems der Athener angenommen hatte. Als die Athener im Jahre 449 aufgrund eines mit dem Großkönig geschlossenen Abkommens die Kampfhandlungen gegen das Perserreich einstellten, war ihre Vorherrschaft im Seebund so gefestigt, dass die Frage, ob mit dem Perserkrieg nicht auch die Notwendigkeit für das Weiterbestehen des Bündnisses weggefallen sei, gar nicht erst gestellt wurde. Athen hielt sein ägäisches Bündnissystem nicht nur aufrecht, sondern formte es noch deutlicher als zuvor zu einer auf Zwang und Gewalt beruhenden Autokratie um: Die Bundesstädte wurden durch Athens überlegene Flottenmacht bei der Stange gehalten, im Extremfall sogar mit athenischen Garnisonen belegt, ihre formal immer noch als Bundesbeiträge deklarierten Tributgelder ohne weiteres zur Finanzierung des imperialen Bauprogramms der Athener verwendet. 24 Wir dürfen annehmen, dass dem jungen Alkibiades im Hause des Perikles die Überzeugung von der Rechtmäßigkeit des athenischen Herrschaftsanspruches gegenüber den Bundesstädten eingeimpft worden ist; zugleich aber bot sich ihm dort Gelegenheit, mit den nach Athen kommenden Vertretern ebendieser Bundesgenossenstädte in persönlichen Kontakt zu treten, ihre Standpunkte kennen zu lernen und späterhin

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sogar als inoffizieller Ansprechpartner für ihre Anliegen zu fungieren. Auf diese Weise wurden zwischen dem athenischen Aristokratenspross und den politischen Führungsschichten der Seebundspoleis ganz zwanglos Kontakte geknüpft, die sich Alkibiades späterhin mehrmals zu Nutze machen konnte – nicht immer zum Vorteil Athens. 25 Natürlich ist Alkibiades in jenen Jahren auch mit vielen Griechen aus nicht dem Seebund angehörenden Poleis in Kontakt gekommen. Wir dürfen es ihm zutrauen, dass er die dadurch gebotene Gelegenheit, sich über die politische Lage in der außerathenischen Griechenwelt kundig zu machen, eifrig genutzt hat. Das Bild, das sich dabei ergab, konnte aus athenischer Sicht zu Stolz, aber auch zur Besorgnis Anlass geben. Das Persersiegerprestige und die Seebundsherrschaft hatten Athen eine Position verschafft, die jedem Vergleich mit der Macht der einstmals in Griechenland dominierenden Spartaner standhalten konnte. Die Spartaner hatten den Aufstieg Athens von Anfang an mit Unbehagen beäugt, in den ersten Jahren nach dem Perserkrieg zunächst aber eine Politik der freundschaftlichen Koexistenz betrieben. Etwa zehn Jahre vor Alkibiades’ Geburt war es dann jedoch zum offenen Bruch zwischen den beiden griechischen Großmächten gekommen: Die Athener kündigten den Spartanern die Freundschaft und begannen mit dem Bau der sogenannten ‚Langen Mauern‘, mit denen sie ihrer Stadt eine geschützte Verbindung zum Meer schufen. Die Vollendung dieser Befestigungsanlage machte Athen zu einer gewaltigen, für die Landmacht Sparta fast unangreifbaren Seefestung und gab den Athenern den Rückhalt für eine Expansionspolitik, die bald in einer Serie kriegerischer Auseinandersetzungen mit spartanischen Bundesgenossen, schließlich auch mit den Spartanern selbst eskalierte. Die ‚Langen Mauern‘ und die athenische Seemacht erwiesen im Zuge dieser Kämpfe ihren Wert, doch auf der anderen Seite mussten die Athener bei ihren Vorstößen mehr als einmal verlustreiche Rückschläge hinnehmen, so die schon erwähnte Schlacht von Koroneia, in der Alkibiades’ Vater den Tod fand. Schließlich kam es dank der Bemühungen kompromissbereiter Kräfte auf beiden Seiten im Winter 446/45 zum Abschluss eines ‚dreißigjährigen Friedens‘, der zwar das Ende der athenischen Expansionsbestrebungen im Bereich des griechischen Mutterlandes bedeutete, den Athenern aber im Gegenzug die Anerkennung ihrer Seebundsherrschaft durch die Spartaner sicherte. 26 Seither hatten sich die Athener einer Periode friedlicher Prosperität erfreuen können, doch fasst man die Gesamtlage in Griechenland ins

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Auge, wo Athens Seereich einem ebenso mächtigen Block von Sparta geführter Poleis gegenüberstand, so konnten skeptische Betrachter Gründe genug finden, der Stabilität des Friedens nicht zu trauen. Die Gefahr eines neuen Krieges mit Sparta schwebte auch während der glanzvollsten Zeiten der athenischen Prosperität stets als dunkle Wolke am athenischen Horizont.

Das politische Umfeld II: Athens demokratische Ordnung Die äußere Machtentfaltung Athens war nur ein Teil des politischen Weltbildes, das der junge Alkibiades vermittelt bekam. Mit Sicherheit werden Erzieher und Angehörige ihm auch eine Vorstellung von Wesen und Eigenart der in Athen geltenden politischen Ordnung nahegebracht haben, einer Verfassung, die nach Auffassung der Athener in der Welt einzigartig dastand und für andere Staaten als vorbildlich angesehen wurde. Die Ursprünge dieser spezifisch athenischen Staatsordnung, die ursprünglich als Isonomia –‚Gleichberechtigung‘ oder ‚gleiche Teilhabe‘ – bezeichnet wurde, die man aber zu Alkibiades’ Zeit bereits mit dem uns geläufigen Begriff der ‚Demokratia‘ (Volksherrschaft) zu benennen pflegte, ließen sich der sagenhaften Überlieferung nach bis in mythische Urzeiten zurückverfolgen. 27 Allerdings waren die mit den mythischen Vorstufen des athenischen Staates verknüpften Vorstellungen recht nebulos und unkonkret. Was die Welt der real existierenden Institutionen betraf, so war man sich bewusst, dass die entscheidenden Schritte hin zur demokratischen Umformung der Polis dem Wirken von Gesetzgebern einer näheren Vergangenheit zu verdanken waren. Zu diesen eigentlichen Gründervätern der Demokratie zählte man den großen Gesetzgeber und Volksversöhner Solon aus dem frühen 6. Jh., vor allem aber Alkibiades’ Urgroßonkel Kleisthenes, der im Jahre 510 den Sturz der Peisistratidentyrannis herbeigeführt und in der Folge das Gemeinwesen der Athener von Grund auf reformiert hatte. Kleisthenes war es gewesen, der in seiner Neuordnung des Staates dem Prinzip der Volksherrschaft zur vollen Geltung verholfen hatte. Zwar hatte er die bisherigen leitenden Staatsorgane – das Kollegium der jährlich bestellten neun Archonten und den aus den ehemaligen Archonten zusammengesetzten Rat vom Areopag – in sein System übernommen, aber er hatte diesen traditionellen Staatsorganen als Trägerin

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der letztentscheidenden Gewalt eine allgemeine Volksversammlung vorangestellt, die Ekklesie, in der jedem erwachsenen männlichen Bürger das gleiche Stimmrecht zustand. Zugleich hatte Kleisthenes die innere Gliederung der Bürgerschaft einer Reform unterzogen, bei der die traditionellen, auf lokalem Zusammenhalt, Kultgemeinschaft und Adelsgefolgschaft beruhenden Bindungen durch eine Einteilung in neu geschaffene Phylen ersetzt wurden, deren jede nach Kleisthenes’ Willen einen repräsentativen Querschnitt der Athener Bevölkerung darstellen sollte. Diese Einteilung bildete die Basis für die Organisation eines neugeschaffenen Ratsorgans, der Bule, die sich aus fünfhundert für ein Jahr bestellten Mitgliedern zusammensetzte. Jede der zehn Phylen stellte fünfzig Mitglieder für diesen Rat und jede dieser Fünfziger-Einheiten übernahm für ein Zehntel des Jahres (eine sogenannte Prytanie) die Führung der Ratsgeschäfte. 28 Die Bule der Fünfhundert verstand sich nicht als selbständig wirkende Regierungsgewalt, sondern als Organ des Gesamtvolkes, des Demos von Athen. Die letzte Entscheidung lag bei der Ekklesie, wo man die von der Bule vorbereiteten Themen in freier Debatte behandelte. Jedem Bürger stand es frei, sich dabei mit Meinungsäußerungen oder Anträgen zu Wort zu melden, ein von der Mehrheit angenommener Beschluss hatte je nach seinem Inhalt die Geltung eines Gesetzes oder einer für alle Amtsträger verbindlichen Weisung. Für das Kriegswesen waren seit 501 die zehn jährlich gewählten Strategen zuständig, die zur Zeit des Alkibiades als die wichtigsten Amtsträger des athenischen Staates gelten konnten. Auf der von Kleisthenes gelegten Basis hatten die folgenden Generationen aufgebaut und den Prozess der Demokratisierung weiter vorangetrieben. Einen ersten Kulminationspunkt erreichte dieser Demokratisierungsprozess Ende der 460er-Jahre, als ein Politiker namens Ephialtes sich zum Vorkämpfer der breiten Massen gegen den Rat vom Areopag aufschwang, der offenbar in weiten Kreisen als ein elitärer und autokratischer Aristokratenklub empfunden wurde. Mit tatkräftiger Unterstützung des jungen Perikles setzte Ephialtes im Jahre 462/61 eine Reform durch, die dem Areopag die politischen Kontrollrechte, die er bis dahin innegehabt hatte, entzog und sie den Volksgerichten übertrug. Die genauen Details der Reform sind uns nicht überliefert, fest steht aber, dass sie von den Zeitgenossen als ein entscheidender Schritt hin zur konsequenten Umsetzung des demokratischen Gedankens verstanden wurde und dass diese Zielsetzung von der Mehrheit der Athener Bürger

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Abb. 3: Akropolis von Athen, Leo von Klenze (1846)

befürwortet worden ist. Ephialtes fiel bald danach einem Mordanschlag zum Opfer, aber der für sein Reformwerk bestimmende Leitgedanke, das Streben nach einer gleichberechtigten Partizipation möglichst vieler Bürger an den Entscheidungen und an der Verwaltung der Polis, blieb weiterhin das prägende Moment der athenischen Politik. 29 Unter der Ägide von Alkibiades’ Vormund Perikles wurden Reformen durchgeführt, die darauf hinausliefen, die politische Position der unteren sozialen Schichten weiter zu stärken. Dazu gehörte die Einführung der Soldzahlungen für die Beamten und vor allem für die Geschworenen in den Gerichtshöfen, eine Neuerung, die durch den Wunsch nach politischer Gleichberechtigung motiviert war: Auch die Armen sollten die Möglichkeit bekommen, sich aktiv am Staats- und Gerichtswesen zu beteiligen. 30 So war im Zuge einer sich über achtzig Jahre erstreckenden Entwicklung die Demokratisierung der Polis Athen bis zu einem Punkt gelangt, an dem man der praktischen Umsetzung einer als direkte Selbstregierung des Volkes verstandenen Demokratie so nahe gekommen war wie irgend möglich. Freilich war es eine Demokratie nur der alteingesessenen männlichen Bürger. Frauen und niedergelassene Ausländer waren

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nicht nur von der politischen Teilhabe ausgeschlossen, sondern auch im allgemeinen Rechts- und Geschäftsleben minderberechtigt, Sklaven sowieso rechtlos und der Willkür ihrer Herren ausgeliefert. Die Athener empfanden zwischen diesen Diskriminierungen und dem demokratischen Gleichheitsideal keinen Widerspruch: Politische Mitsprache und Teilhabe am Gemeinwesen galten auch im demokratischen Athen nicht als Grundrechte aller Menschen, sondern als Exklusivbesitz der sich selbst als Bürger im vollen Sinne definierenden Gruppe. Das war allerdings in der griechischen Welt auch sonst allerorten der Fall, und gemessen an den anderswo gegebenen Verhältnissen konnte in Athen nicht nur der Umfang des Kreises der politisch Berechtigten als weit gezogen, sondern auch der Grad der innerhalb dieses Kreises geltenden Gleichberechtigung als beeindruckend gelten. Alle wesentlichen Entscheidungen wurden auf Grund einer freien Debatte in der Ekklesie getroffen. Ratsherrenfunktionen und Amtspositionen waren in ihrer Dauer begrenzt und sollten – allerdings mit der bedeutsamen Ausnahme des Strategenamtes – tunlichst nicht mehrmals von denselben Männern bekleidet werden. Alle Amtsträger waren an die Vorgaben der Volksversammlung gebunden und mussten nach Ablauf ihrer Amtszeit vor dieser oder vor einem eigens bestellten Volksgericht Rechenschaft ablegen. Alles in allem erhält man bei dem Blick in das politische Leben Athens im 5. Jh. den Eindruck, dass die Athener sich redlich bemühten, den Grundsatz der Einheit von Regierenden und Regierten, der späterhin von Aristoteles als das wesentliche Merkmal der demokratischen Staatsform bezeichnet worden ist, 31 in die Tat umzusetzen. Jeder einzelne Bürger sollte, jedenfalls in der Theorie, imstande sein, ebenso gut in die Funktion des Regenten wie in die Rolle des Regierten zu schlüpfen; die Vorstellung eines ‚Berufspolitikertums‘ wäre unter diesen Vorzeichen den meisten Athenern als anstößig und geradezu als demokratiewidrig erschienen. In der Praxis jedoch ließ sich die Tatsache nicht übersehen, dass es in Athen zwar keine Berufspolitiker im Sinne einer regulären Erwerbstätigkeit gab, wohl aber einen Kreis von politischen Aktivisten und Meinungsführern, die bei der Formulierung, Propagierung und Durchsetzung politischer Initiativen stets die aktive Rolle zu übernehmen pflegten und so an der Entscheidungsfindung wesentlich größeren Anteil hatten als der Durchschnittsbürger, dessen Part sich zumeist auf die Abstimmung in der Volksversammlung, eventuell noch auf ein kurzes Gastspiel in den Reihen der Bule beschränkte.

Das politische Umfeld II

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Innerhalb dieses Kreises politischer Protagonisten bildeten zur Zeit von Alkibiades’ Jugend immer noch die Abkömmlinge der traditionellen Adelsgeschlechter das tonangebende Element. Von den in vordemokratischer Zeit politisch privilegierten Adelsfamilien, den sprichwörtlichen ‚großen Häusern‘, hatten viele ihr Sozialprestige und ein gewisses Maß an Autorität in die neue demokratische Ordnung hinüberretten können. Die Aristokraten waren im prestigeträchtigen Amt des Strategen und als Wortführer in der Volksversammlung überproportional stark präsent, und sie konnten in Fragen der Lebenshaltung als maßstabsetzende Meinungsführer der Gesamtbürgerschaft gelten. 32 Auf der anderen Seite war im Demos von Athen auch das Gefühl eines gewissen generellen Misstrauens gegenüber den Adelsfamilien weit verbreitet. Das Bewusstsein, dass die ‚Wohlgeborenen‘ einstmals die Macht im Staate monopolisiert und den Ärmeren gegenüber ein hartes Regiment geführt hatten, war im allgemeinen Geschichtsbild fest verankert, und man war seitens der breiten Volksmassen rasch geneigt, auch den Aristokraten der Gegenwart demokratiewidrige Arroganz, wenn nicht gar autokratische Ambitionen zu unterstellen. Die zwischen Hochschätzung und Misstrauen schwankende Einstellung, mit der der Durchschnittsathener den Adelsherren seiner Gemeinde gegenübertrat, wirkt auf den ersten Blick paradox; sie wird verständlicher, wenn man sich das grundlegende Leitprinzip der klassischen athenischen Demokratie ins Bewusstsein ruft: die Höherbewertung des Kollektivs der Gesamt-Bürgergemeinde gegenüber dem Einzelbürger. Aristokraten und ‚Normalbürger‘ waren gleichermaßen dazu aufgerufen, ihre Lebensführung an diesem Prinzip zu orientieren und ihr öffentliches, zu einem guten Teil auch ihr privates, Wirken in erster Linie auf das Wohl des Gemeinwesens hin auszurichten. In diesem Sinne wurde von politischen Führern die Bereitschaft erwartet, sich in eine vom Prinzip der politischen Gleichberechtigung bestimmte Bürgergemeinschaft einzufügen und den eigenen Geltungsdrang zu Gunsten des Gemeinschaftsinteresses zurückzustellen. Ein Adelsherr, der diesen Erwartungen entsprach und sich als getreuer Diener der Polis präsentierte, durfte mit Fug und Recht erwarten, dass seine aus Erziehung und Standestradition geschöpften Qualifikationen vom Demos als Vorzüge anerkannt wurden, die ihn über das Bürger-Durchschnittsmaß hinaus zur Bekleidung einer leitenden Rolle im Staate berechtigten. So konnten die Erben der athenischen ‚großen Häuser‘ um die Mitte

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des 5. Jh. immer noch darauf hoffen, die in ihren Familien traditionelle politische Führungsstellung auch unter demokratischen Vorzeichen behaupten zu können. Letztendlich bot sich ihnen gerade auf der Basis demokratischer Formen der Entscheidungsfindung die Chance, mehr persönliche Autorität auszuüben als es einem Einzelnen von ihnen seinerzeit unter dem Regime der sich gegenseitig bekämpfenden und kontrollierenden Adelsfaktionen möglich gewesen wäre.

Die politische Vorbildfigur: Perikles, der ‚demokratische Autokrat‘ Ihre große Leitfigur und gewissermaßen ihre Verkörperung fand die zeitgemäße Verbindung von adliger Herkunft, demokratischer Politik und persönlicher Autorität in der Person von Alkibiades’ Vormund Perikles, der seit den frühen 440er-Jahren eine keineswegs unumstrittene, aber stets von neuem siegreich behauptete Vormachtstellung in der athenischen Innenpolitik ausübte. Das äußere Zeichen von Perikles’ Führungsposition bestand darin, dass er zwischen 448/47 und 430/29 Jahr für Jahr das Amt des Strategen bekleidete. Seine eigentliche Machtgrundlage lag allerdings nicht in dieser Amtsstellung, sondern in der inoffiziellen Position des „Vorstehers des Demos“ (prostates tou demou), einer durch keine formelle Amtsposition gestützten Meinungsführerschaft in der Volksversammlung. Perikles hat diese inoffizielle politische Führerstellung mit solcher Nachhaltigkeit ausgeübt, dass seine politischen Rivalen seine Vorherrschaft in der athenischen Politik immer wieder als selbstherrliche Autokratie, ja streng genommen als eine nur notdürftig verhüllte Tyrannis zu verdammen pflegten. 33 In dieser Kritik mochte insofern ein Körnchen Wahrheit liegen, als Perikles von seinem Temperament und Führungsstil her zweifellos eine Persönlichkeit von autokratischem Naturell war; im Hinblick auf die Grundlagen seiner Politik erweist sich freilich jeglicher Tyrannisvorwurf als haltlos: Perikles’ Machtstellung beruhte stets auf der Zustimmung der Volksmehrheit und auf seiner Fähigkeit, für die eigenen Vorschläge eine Mehrheit in der Ekklesie zu gewinnen. Seine Politik war, wie bereits angedeutet, darauf ausgerichtet, auch den Angehörigen der breiten Masse eine stärkere aktive Teilhabe an der Politik zu ermöglichen. Dass es Perikles fast immer gelang, für seine Vorschläge die Zustim-

Die politische Vorbildfigur: Perikles, der ,demokratische Autokrat‘

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mung der Bürgermehrheit zu gewinnen, war nach dem Zeugnis des wohl schärfsten politischen Beobachters der Zeit, des Historikers Thukydides, nicht irgendwelchen tyrannenhaften Gewaltmitteln, sondern seiner Überzeugungskraft zu verdanken: „… mächtig durch sein Ansehen und seinen Verstand und in Geldangelegenheiten offenkundig integer, hielt er die Masse in Freiheit unter Kontrolle und wurde nicht so sehr von ihr geführt als dass er sie selbst führte, weil er nicht, um mit unlauteren Mitteln zur Macht zu kommen, ihr nach Gefallen redete, sondern ihr im Vertrauen auf seine Autorität auch schon einmal zornig widersprach. Sooft er sah, dass sie [die Athener] in ihrem Übermut selbstsicherer auftraten als es die Lage gerechtfertigt hätte, schreckte er sie mit seinen Reden und machte ihnen Angst, wenn sie hingegen ohne Grund in Furcht waren, hielt er dagegen und richtete ihren Mut wieder auf. Es war dem Wort nach eine Demokratie, in der Tat aber die Regierung des ersten Mannes.“ 34 Thukydides lässt, wenn er auch im letzten Satz den autokratischen Aspekt hervorhebt, doch klar erkennen, dass der Schlüssel zu Perikles’ Machtstellung in den persönlichen Qualitäten des Staatsmannes und seiner daraus resultierenden Autorität lag, einer Autorität, die es den Athenern geraten scheinen ließ, dem Wort des großen Mannes selbst dann Gehör zu schenken, wenn sein Rat dem eigenen Vorurteil und ‚Bauchgefühl‘ widersprach. Diese wirksame Verbindung von persönlicher Autorität und demokratischer Entscheidungsfindung musste für jeden ambitionierten Athener Aristokraten einen Ansporn und ein Wunschziel darstellen, sicherlich aber für keinen mehr als für den jungen Alkibiades. Als Zögling des Perikles hatte er beste Gelegenheit, das politische Wirken seines Vormunds nicht nur von der öffentlichen Seite her, sondern auch hinter den Kulissen und gewissermaßen im intimen Detail zu beobachten. Die große Lehre, die er dabei ziehen konnte und sicherlich auch gezogen hat, war zunächst die Tatsache, dass es für einen charismatischen Politiker auch und gerade unter demokratischen Vorzeichen möglich war, einen überragenden Einfluss im Staate auszuüben. So konnte ihm die demokratische Ordnung des Staates als eine akzeptable Plattform für seine politischen Ambitionen erscheinen; ob er allerdings die zugrunde liegenden Werthaltungen innerlich bejaht hat, ist eine andere Frage. Es ist unbestreitbar, dass Alkibiades’ großspuriges Auftreten bei vielen Zeitgenossen schon früh Zweifel an seiner Loyalität zur Demokratie

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aufkommen ließ. 35 Auf der anderen Seite wird ihm stets bewusst gewesen sein, dass seine politische Wirksamkeit ihre Basis in seiner Redekunst und seiner Fähigkeit breite Massen zu begeistern hatte – Qualitäten, die sich im Rahmen eines demokratischen Gemeinwesens eher entfalten konnten als in einer von einer Clique aristokratischer Führer gelenkten Oligarchie. Die Erkenntnis dieser Tatsache wird es ihm leicht gemacht haben, die demokratische Ordnung seiner Heimatstadt als eine gegebene Tatsache zu akzeptieren. Alkibiades’ eigentliches Programm, die Zielsetzung, die ihn im Innersten antrieb, ließ sich ohnehin nicht mit den Kategorien von Demokratie oder Oligarchie charakterisieren: Es bestand schlicht und einfach darin, für sich selbst so viel Macht, Einfluss und Geltung wie nur möglich zu erringen und zu behaupten. Für die Verwirklichung dieses egozentrischen Polit-Projekts konnte die Demokratie eine ebenso brauchbare Basis abgeben wie irgendein anderes politisches System.

Alkibiades und die Anfänge des Peloponnesischen Krieges Im Winter 432/31, ungefähr zu derselben Zeit, als Alkibiades in das frühe Mannesalter eintrat, nahm die Entwicklung der zwischenstaatlichen Beziehungen Griechenlands eine Wendung, die sich für ihn und für die gesamte griechische Welt als fatal erweisen sollte. Der durch den dreißigjährigen Frieden von 446 nur oberflächlich beruhigte Streit zwischen Athen und Sparta flammte von neuem auf und führte beide Mächte in eine Konfrontation, die binnen kurzer Zeit zu einem bewaffneten Konflikt großen Stils eskalierte. Den Anlass dazu bot eine Serie lokal begrenzter Streitfälle zwischen Athen einerseits und mit Sparta verbündeten Poleis andererseits: ein Streit zwischen Kerkyra und Korinth, in dem Athen für die Kerkyraier Partei ergriffen hatte, ein Handelsstreit Athens mit Megara, der zur Verhängung eines Embargos gegen megarische Kaufleute führte. Schließlich ein Konflikt zwischen Athen und der Seebundsstadt Poteidaia auf der Chalkidike, einer korinthischen Kolonie, die ihre traditionelle Verbundenheit mit der alten Mutterstadt nicht aufgeben wollte und deshalb im Frühjahr 432 vom Seebund abfiel. Diese drei Konflikte hätten von Haus aus als lokal begrenzte Affären

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behandelt werden können. Zum Anlass eines großen Krieges wurden sie erst, als Korinth und Megara sich im Jahre 432 an die Spartaner um Hilfe wendeten und Sparta sich nach einigem Zögern entschloss, seinen Verbündeten volle Rückendeckung zu gewähren. Es folgte eine Phase der Unterhandlungen, in deren Verlauf bald offenkundig wurde, dass sowohl in Sparta wie in Athen die ‚Falken‘ das politische Übergewicht hatten. Im Frühjahr 431 wurden durch einen Überfall der mit Sparta verbündeten Thebaner auf die athenfreundliche Kleinstadt Plataiai die Feindseligkeiten eröffnet; im darauf folgenden Sommer traten dann die Heeresund Flottenaufgebote beider Seiten in voller Stärke in Aktion. Der große Entscheidungskampf zwischen Athen und Sparta, der unter dem aus athenischer Perspektive geprägten Namen ‚Peloponnesischer Krieg‘ in die Geschichte eingegangen ist, hatte begonnen.36 Die Frage nach den Kriegsgründen und der ‚Schuld‘ an diesem Krieg war, wie in solchen Fällen zu erwarten, schon unter den Zeitgenossen umstritten. Nicht nur bei den Peloponnesiern, sondern auch in Athen war die Meinung verbreitet, dass Perikles durch seine brüske Abweisung aller spartanischen Forderungen den Krieg mutwillig vom Zaun gebrochen habe, sei es aus persönlicher Kriegslust heraus oder um von seiner eigenen innenpolitischen Bedrängnis abzulenken. Der schon erwähnte Geschichtsschreiber Thukydides hat die Problematik dieses Kriegsausbruchs auf die Ebene des Grundsätzlichen gehoben und – soweit wir sehen können, als Erster – auf den Unterschied zwischen den konkreten Anlässen eines Krieges und seinen tiefer liegenden Ursachen hingewiesen. Im Falle des Peloponnesischen Krieges sah Thukydides die Ursache in der Existenz des athenischen Seereiches und der damit einhergehenden Machtentfaltung der Athener, die von den Spartanern als expansiv und bedrohlich wahrgenommen wurde und sie so gewissermaßen ‚zum Kriege zwang‘. Verglichen mit der Bedeutung dieser sich unerbittlich und unaufhaltsam vollziehenden Entwicklung mussten sowohl die unmittelbaren Anlässe wie auch die Frage nach der individuellen ‚Schuld‘ als zweitrangig erscheinen, da es ja wegen des unüberbrückbaren Gegensatzes über kurz oder lang auf jeden Fall zum Krieg gekommen wäre. Ebenso konnte, aus dieser Perspektive betrachtet, auch die Rolle des Perikles neu bewertet werden: Statt als von persönlichen Motiven Getriebener erschien er nun als klarblickender Machtpolitiker, der die Unvermeidlichkeit des Krieges erkannte und, aus dieser Erkenntnis die Konsequenzen ziehend, bei erster Gelegenheit den ihm von den Spartanern hingeworfenen Fehdehandschuh aufhob. 37

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Ob man diese Einschätzung nun teilen will oder nicht, kein Zweifel kann darüber bestehen, dass Perikles nicht unvorbereitet in den Krieg ging, sondern von allem Anfang an einen wohlüberlegten strategischen Plan parat hatte. Er ging dabei von der Tatsache aus, dass die Feinde Athens – neben den Spartanern und ihren traditionellen Verbündeten gehörten jetzt auch die Böotier dazu – zu Lande eine drückende Übermacht besaßen, zur See aber den Athenern klar unterlegen waren. Dieser Kräftekonstellation entsprechend vermied Perikles den Landkrieg. Er veranlasste seine Mitbürger, im Falle einer feindlichen Invasion das offene Land in Attika preiszugeben und sich hinter die ‚Langen Mauern‘ zurückzuziehen. Im Gegenzug sollten die Athener ihre Überlegenheit zur See ausspielen, die Küsten der Peloponnes verwüsten und jede Gelegenheit nützen, sich dort an strategisch wichtigen Punkten festzusetzen. Perikles rechnete also nicht mit einem entscheidenden Sieg in der Schlacht, es ging ihm darum, den Feinden die Unangreifbarkeit der seebeherrschenden Position der Athener fühlbar zu machen; wahrscheinlich spekulierte er darauf, dass sich auf die Dauer die Kräfte und der Kriegswillen der Gegner abnutzen würden. 38 Der Verlauf des Krieges schien zunächst Perikles’ Erwartungen zu rechtfertigen: Von 431 an fielen die Spartaner und ihre Bundesgenossen alljährlich in Attika ein, verwüsteten das Land, konnten aber gegen die Langen Mauern nichts ausrichten. Die Athener zahlten es ihnen durch Flottenexpeditionen gegen die Peloponnes-Küste heim und entfalteten im gebirgigen Nordwesten Griechenlands einen recht erfolgreichen Stellvertreterkrieg ihrer dortigen Bundesgenossen. Im Sommer 430 trat allerdings ein Ereignis ein, das Perikles nicht vorausberechnet hatte: In dem von Flüchtlingen überfüllten Athen brach eine Seuche aus, die mehrere Jahre wütete und unter der Einwohnerschaft enorme Opfer forderte. Von den als Hopliten und Rittern dienenden Soldaten starb nach Thukydides’ Angabe beinahe jeder Dritte, in den übrigen Bevölkerungsgruppen werden die Proportionen ähnlich gewesen sein. Das waren Verlustzahlen, die alles übertrafen, was man selbst im schlimmsten Fall von einer Niederlage befürchten hatte können. Eine Katastrophe dieses Ausmaßes musste die Athener in ihrer Siegeszuversicht nachhaltig erschüttern, und in der Tat kam es zunächst zu einem Ausbruch des Volkszorns gegen Perikles. Er wurde seines Strategenamtes enthoben, vor der Volksversammlung angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt, angeblich wegen eines Finanzdelikts, de facto aber als Sündenbock für die allgemeine Misere.

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Perikles’ Absetzung und Verurteilung markierte den Tiefpunkt des athenischen Kampfgeistes während des Krieges; bald darauf aber hob sich die Stimmungslage wieder. Perikles wurde im Frühjahr 429 nochmals zum Strategen gewählt, und wenn er auch bald darauf selbst an der Pest starb, so wurde der Krieg doch gemäß seinen Vorgaben fortgesetzt. 39 Zum Zeitpunkt von Perikles’ Tod hatte Alkibiades bereits seine ersten militärischen Lorbeeren geerntet. Noch vor dem eigentlichen Kriegsausbruch war er, gerade achtzehn Jahre alt, in das Heer eingetreten, das im Frühsommer 432 von Athen zur Unterwerfung des unbotmäßigen Poteidaia in die Chalkidike entsandt wurde. Er diente auf diesem Feldzug nicht als Reiter, wie es seinem Stand und seinem Vermögen entsprochen hätte, sondern als einfacher Hoplit, das heißt als Fußsoldat in voller Rüstung. Bemerkenswerterweise gehörte Sokrates, dessen Verhältnis zu Alkibiades gerade um diese Zeit am engsten gewesen zu sein scheint, ebenfalls zu den Hopliten derselben Expeditionstruppe, und wir hören bei Platon, dass Alkibiades mit ihm Zelt und Tisch geteilt hat. Hat sich Alkibiades, als sein Freund zum Kriegsdienst eingezogen wurde, freiwillig für den Hoplitendienst gemeldet? Wir wissen es nicht. Fakt ist, dass Alkibiades und Sokrates den Poteidaia-Feldzug des Jahres 432 gemeinsam mitgemacht haben und Alkibiades dabei für seine Tapferkeit in der Schlacht eine Auszeichnung erhalten hat. Um diesen Kern herum sind im Umkreis der Sokrates-Schüler diverse Geschichten gesponnen worden, die sich zwar recht erbaulich lesen, sich aber jedem Versuch der Verifizierung entziehen. Lassen wir diese Legenden beiseite, so ist von Alkibiades’ erstem Kriegsdienst weiter nichts überliefert; wir können nicht einmal sagen, ob er den Chalkidike-Feldzug bis zu seinem Ende im Jahre 429 mitgemacht hat oder ob er schon vorher nach Athen heimgekehrt ist. 40 Fest steht, dass uns bis zum Jahre 424 keine weiteren militärischen Aktivitäten des Alkibiades überliefert sind, was angesichts der dürftigen Quellenlage nicht allzu viel zu bedeuten hat. Man darf getrost annehmen, dass er trotz des Hoplitendienstes vor Poteidaia von Haus aus nicht für den Kriegsdienst als Hoplit, sondern für Reiterdienst vorgesehen war; die athenischen Reiter aber sind während dieser Phase des Peloponnesischen Krieges kaum jemals im Zuge großer Aktionen zum Einsatz gekommen. Recht häufig hingegen wurden sie im Kleinkrieg der Streifzüge und des Grenzschutzes an der nordwestlichen Grenze Attikas verwendet. Es ist durchaus denkbar, dass Alkibiades seinen Teil an den

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Abb. 4: Alkibiades, Porträtbüste, Marmor. Rom, Kapitolinische Museen

Lasten dieses mühevollen, aber wenig spektakulären Kriegseinsatzes zu tragen gehabt hat. Jedenfalls scheint er während dieses Krieges alle ihm auferlegten Kriegsdienstpflichten in untadeliger Weise erfüllt zu haben, andernfalls hätten seine politischen Gegner, die späterhin in Wort und Schrift mit Schmähungen aller Art über ihn herzogen, sich die Gelegenheit kaum entgehen lassen, ihn neben allen anderen Vorwürfen auch als Feigling und Drückeberger hinzustellen.

II. Eintritt in die Politik Alkibiades’ Eintritt in die aktive Politik Im Ganzen betrachtet scheint Alkibiades’ Hauptaugenmerk in den ersten Jahren des Peloponnesischen Krieges weniger auf die militärische Bewährung als auf den Ausbau seiner Position im öffentlichen Leben gerichtet gewesen zu sein. Als probates Mittel zu diesem Zweck bot sich für einen Athener des späten 5. Jh. das Auftreten als Redner in der Volksversammlung oder auch als Ankläger vor den Gerichtshöfen an. Alkibiades muss sich in dieser Hinsicht eifrig und erfolgreich betätigt haben, denn schon in einer im Jahre 425 aufgeführten Komödie, den ‚Acharnern‘ des Aristophanes, wird er als typisches Beispiel eines eloquenten jungen Prozessredners genannt; und auch sein Biograph Plutarch berichtet, dass er rasch einen Ruf als großer Redner erworben hat. Dass er neben dieser Fähigkeit auch noch über die Gabe, sich wirksam in Szene zu setzen, verfügte, konnte er gleich bei seinem ersten öffentlichen Auftritt unter Beweis stellen, als er den vergleichsweise banalen Anlass der Abgabe eines freiwilligen Beitrages für die athenischen Kriegskosten zu einem spontanen und höchst erfolgreichen Popularitätstest umgestaltete. 1 Mit solchen Talenten begabt, dazu noch durch seine Herkunft und die vor Poteidaia erworbenen Kriegslorbeeren ausgezeichnet, verfügte Alkibiades von Haus aus in reichstem Maße über alle Voraussetzungen, die in Athen zur Erlangung politischen Einflusses vonnöten waren. Nach allem, was wir wissen, hat er es auch tatsächlich recht bald zu einer einflussreichen Stellung gebracht. In einer parteiischen, aber gut informierten Quelle finden wir die Angabe, dass er im Jahre 425 einen maßgeblichen Anteil an der Neufestsetzung der von den einzelnen Seebundsmitgliedern zu leistenden Tribute gehabt hat; wahrscheinlich hat er als Mitglied der zu diesem Zweck eingesetzten zehnköpfigen Kommission fungiert – für einen jungen Mann von fünfundzwanzig Jahren eine ungewöhnlich verantwortungsvolle Position. 2 Die Vermutung liegt nahe, dass er die Berufung in dieses Amt nicht zuletzt seinen Kontakten zu führenden Persönlichkeiten diverser Seebundstädte zu verdanken hatte. Leider können wir nichts Sicheres darüber sagen, welche Position

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Alkibiades im Geflecht der politischen Gruppenbildungen der 420erJahre eingenommen hat. Die beherrschende Figur der athenischen Politik jener Zeit war ein mittelständischer Gewerbetreibender namens Kleon, der von missgünstigen Aristokraten als ungebildeter Radaubruder und Populist verschrien wurde, aber dessen ungeachtet genügend Autorität beim Volk gewann, um Anspruch auf die seit Perikles’ Tod verwaiste Position des Prostates tou demou zu erheben. Kleon verfocht eine aggressive, auf die totale Niederkämpfung der Spartaner gerichtete Politik, die bei den gegen den Kriegsgegner erbitterten Volksmassen durchaus mehrheitsfähig war und auch unter den von Haus aus kleonfeindlichen Aristokraten ihre Anhänger hatte. Neben Kleon die bedeutendste politische Figur und dessen großer Konkurrent im Kampf um Macht und Volksgunst war der oftmalige Stratege Nikias, reich, konservativ und im Gegensatz zu seinem mittelständischen Widersacher in aristokratischen Kreisen wohlgelitten. Die Rivalität zwischen diesen beiden Staatsführern stellte eine wesentliche Konstante der athenischen Politik der 420er-Jahre dar, und sie ist in der uns vorliegenden Überlieferung zu einem prinzipiellen Gegensatz einer von Kleon geführten Gruppe von Kriegstreibern und den um Nikias gescharten Befürwortern eines Kompromissfriedens hochstilisiert worden. Demgegenüber hat die neuere Forschung zeigen können, dass die sachlichen Gegensätze zwischen den beiden Politikern in Wirklichkeit weniger schwer wogen als uns die antiken Autoren weismachen wollen: auch Nikias trat grundsätzlich für eine energische Kriegführung und für die militärische Erzwingung eines für Athen günstigen Friedens ein. Der Gegensatz zwischen ihm und Kleon war mehr durch die zwischen ihnen gegebene Konkurrenzsituation als durch inhaltliche Divergenzen bestimmt. 3 Wie sich Alkibiades angesichts dieser politischen Konstellation positioniert hat, ist eine offene und bei der gegenwärtigen Quellenlage nicht beantwortbare Frage. Im Hinblick auf die von ihm in späteren Jahren bezogenen Positionen liegt die Versuchung nahe, ihn den Unterstützern von Kleons Kriegspolitik zuzuzählen, und seine Rolle bei der Tributneufestsetzung, die in der Forschung meist als eine von Kleon initiierte Maßnahme verstanden wird, könnte als ein in diese Richtung weisendes Indiz gedeutet werden. Auf der anderen Seite soll Alkibiades etwa zur gleichen Zeit den Versuch gemacht haben, die alten Beziehungen seiner Familie zu Sparta wiederherzustellen, wobei wohl nur die Absicht, sich als Friedensver-

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mittler zu profilieren, im Hintergrund gestanden haben kann. 4 Jeder Versuch, aus diesen divergierenden Informationsbrocken ein in sich schlüssiges Gesamtbild von Alkibiades’ politischer Haltung in den 420er-Jahren zu rekonstruieren, sieht sich kaum überwindbaren Schwierigkeiten gegenüber. Mit einiger Sicherheit können wir nur sagen, dass er in dieser Zeit auch im Bereich des politischen Lebens bereits deutliche Präsenz gezeigt hat. Allerdings hat Alkibiades auch in anderer Weise von sich reden gemacht. Praktisch alle uns zur Verfügung stehenden Quellen wissen zu berichten, dass sein Privatleben von Jugend auf einen öffentlichen Skandal dargestellt hat. Was die biederen Athener dabei empörte, war nicht so sehr das von der städtischen Gerüchteküche breitgetretene lockere Sexualleben des jungen Edelmannes – die Griechen waren nicht prüde im Sinne christlicher Moralvorstellungen – als vielmehr die Tatsache, dass er sich bei der Befriedigung seiner Leidenschaften rücksichtslos über die Rechte seiner Mitbürger hinwegzusetzen pflegte. Wenige Athener hätten daran Anstoß genommen, wenn Alkibiades sich nur mit Hetären vergnügt hätte, aber dass er sich immer wieder an die Frauen angesehener Bürger heranmachte, erregte Anstoß; dergleichen galt nicht einfach nur als moralische Verfehlung, sondern als eine schwere Beleidigung der betroffenen Familien, eine Untat, die unter bestimmten Umständen eine blutige Vergeltung, jedenfalls aber eine gerichtliche Verfolgung des Übeltäters rechtfertigte. 5 Alkibiades hat, wenn wir der Überlieferung glauben dürfen, diese Gefahr mit größter Nonchalance auf sich genommen; er verließ sich darauf, dass es niemand wagen würde, von ihm Rechenschaft zu fordern – und behielt Recht damit. Die betrogenen Ehemänner schluckten lieber ihren Grimm hinunter als dass sie es gewagt hätten, von dem gleichermaßen durch athletische Tüchtigkeit und Redegewandtheit ausgezeichneten jungen Wüstling Genugtuung zu fordern. 6 Die Folgenlosigkeit seiner ersten Eskapaden muss für Alkibiades einen Ansporn bedeutet haben, auch in anderen Lebensbereichen seiner Lust am demonstrativen Überschreiten der durch Gesetz und Sitte gezogenen Grenzen nachzugeben. In unserer, letztlich auf zeitgenössischen Klatsch und politische Polemik zurückgehenden Überlieferung finden sich zahllose allgemeine Klagen über Alkibiades’ angeblich maßlose Hybris und Gesetzesverachtung und auch einige konkrete Beispiele, die von groben Scherzen bis zum gewaltsamen Übergriff auf Körper und Besitz der Mitbürger reichen.7 Diejenigen Aktionen, die uns aus Alkibiades’ frühen Jugendjahren

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berichtet werden, scheinen auf den ersten Blick noch in die Kategorie von Dummejungenstreichen zu gehören, aber es enthüllt sich in ihnen doch schon ein gerüttelt Maß an Selbstherrlichkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber den Mitmenschen. So soll Alkibiades, selbst schon dem Schüleralter entwachsen, einen Schullehrer geohrfeigt haben, weil dieser kein Exemplar des von Alkibiades als Maß aller Bildung angesehenen Homer vorzuweisen hatte. Ebenfalls eine Ohrfeige versetzte Alkibiades dem reichen und hochangesehenen Hipponikos „nicht im Zorn oder eines Streites wegen, sondern weil er im Scherz mit seinen Freunden darum gewettet hatte“. Am nächsten Morgen stellte Alkibiades sich in Hipponikos’ Haus ein und bot sich selbst zur Bestrafung an. Erstaunlicherweise zeigte sich der würdige Bürger von dieser im Vergehen wie in der Buße gleichermaßen befremdlichen Exzessivität so positiv beeindruckt, dass er nicht nur auf jede Bestrafung verzichtete, sondern den Alkibiades weiterhin in Gunst hielt und ihm schließlich sogar seine Tochter Hipparete zur Frau gab. 8 Die Reaktion des schwer beleidigten Hipponikos lässt erkennen, dass Alkibiades ein einzigartiges Talent dafür besessen haben muss, den üblen Eindruck seiner Übergriffe durch persönlichen Charme auszugleichen. Dass ihm dies gegenüber einem beleidigten Standesgenossen gelang, ist erstaunlich, noch erstaunlicher ist es, dass anscheinend auch die athenischen Durchschnittsbürger in ihrer Mehrheit mit Nachsicht auf Alkibiades’ Exzesse reagiert haben. Diese Toleranz ist deshalb so verwunderlich, weil gewalttätige Übergriffe und auch sexuelle Eskapaden, wenn sie von Aristokraten begangen wurden, von den Athenern gerne als Zeichen einer grundsätzlich demokratiewidrigen, elitär-arroganten Einstellung gewertet zu werden pflegten. Wer sich durch solche Akte der ‚Hybris‘, wie man es nannte, ins Gerede brachte, konnte schnell in den Ruf eines unverbesserlichen Volksfeindes geraten. 9 Unter diesen Vorzeichen schwebte Alkibiades schon vom Beginn seiner Karriere an in der Gefahr, sein positives Image und die Gunst der Bürger, welche die Grundlagen seiner politischen Stellung bildeten, durch eigene unüberlegte Handlungen nachhaltig zu schädigen. Vorderhand jedoch scheinen Alkibiades’ ‚Jugendstreiche‘ seiner Popularität nicht geschadet zu haben, was wir einerseits sicherlich auch hier der Wirkung seines persönlichen Charmes zuschreiben dürfen, zum anderen aber der Tatsache, dass die Aufmerksamkeit der Athener in jenen Jahren von den Nöten und Wechselfällen des Spartanerkrieges vollauf in Anspruch genommen wurde.

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Die späten 420er-Jahre: Von der Siegeshoffnung zur Kriegsmüdigkeit Athens Krieg gegen Sparta und seine Verbündeten war während der ersten Hälfte der 420er-Jahre in jährlicher Wiederholung nach dem im ersten Kriegsjahr vorgeprägten Schema des Wechselspiels peloponnesischer Invasionen in Attika und athenischer Seezüge gegen die Küsten der Peloponnes abgelaufen. Das Ergebnis war eine Pattsituation, welche die Nerven der Athener ebenso schwer belastete wie die finanziellen Ressourcen ihres Gemeinwesens. 10 Im Jahre 425 jedoch schien sich mit einem Mal eine Chance zum Aufbrechen dieser Pattstellung zu bieten. Es gelang der athenischen Flotte, sich in der Bucht von Pylos an der Südwestküste der Peloponnes festzusetzen, eine spartanische Truppenabteilung auf der Pylos vorgelagerten Insel Sphakteria abzuschneiden und schließlich zur Kapitulation zu zwingen. Mit den dabei gefangenen hundertzwanzig spartanischen Bürgersoldaten bekamen die Athener wertvolle Geiseln in die Hand, die ihnen bei Friedensverhandlungen ein wirksames Druckmittel gegenüber Sparta boten. Der Sieg von Sphakteria war Wasser auf die Mühlen aller Verfechter einer aggressiven Kriegspolitik, ganz besonders natürlich für deren Wortführer Kleon, der während einer kritischen Phase der Blockade als außerordentlicher Stratege das Kommando vor Pylos übernommen hatte und nun den Ruhm des Sieges an seine Fahnen heften konnte. Unter seiner Ägide wiesen die Athener den Gedanken an einen Kompromissfrieden von sich, stärkten ihre finanziellen Ressourcen durch die bereits erwähnte Tributerhöhung und rüsteten sich für das Jahr 424 zu einer großangelegten Kriegsanstrengung, die Athen den entscheidenden Sieg bringen sollte.11 Kernstück des Kriegsplans war ein großangelegter Vorstoß des athenischen Bürgerheeres in das benachbarte Böotien, wo die Athener das an der Grenze zu Attika gelegene Apollonheiligtum Delion besetzen und zu einem befestigten Stützpunkt ausbauen wollten. Durch gleichzeitig angesetzte Handstreiche athenischer Flottenstreitkräfte und athenfreundlicher Verschwörer im Süden und Westen des Landes wollte man die Böotier ablenken und daran hindern, dem athenischen Vorstoß mit voller Macht entgegenzutreten. Der ambitionierte Plan erwies sich als Fehlkalkulation. Die geplanten Ablenkungsmanöver scheiterten schon im Vorfeld an mangelnder Ter-

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minkoordination und fehlender Geheimhaltung; die Böotier hatten damit die Hände frei, dem athenischen Bürgeraufgebot am Delion mit ihrer gesamten Streitmacht entgegenzutreten. In der darauf folgenden Schlacht erlitten die Athener eine völlige Niederlage. Ihr Feldherr Hippokrates, ein Neffe des Perikles, fiel im Kampf, ihr Heer löste sich auf und suchte sein Heil in der Flucht. 12 Alkibiades hatte die Schlacht in den Reihen der athenischen Ritterschaft mitgefochten. Im Chaos des Rückzuges soll er, wenn wir Plutarch glauben dürfen, eine Gelegenheit gefunden haben, dem Sokrates die einst vor Poteidaia erwiesene Kampfgefährtentreue zu entgelten: „Nachdem die Schlacht beim Delion geschlagen war und die Athener auf der Flucht waren, da ritt Alkibiades, der zu Pferd war, als er den Sokrates zu Fuß gemeinsam mit wenigen anderen zurückgehen sah, nicht vorüber, sondern gab ihm das Geleit und schützte ihn, während die Feinde sie bedrängten und viele töteten.“ 13 Die Anekdote liest sich moralisch erhebend, aber sie ist, auch wenn sie von einer Anspielung bei Platon bestätigt zu werden scheint, nicht über jeden Zweifel erhaben. Dass der Kavallerist Alkibiades im Getümmel des flüchtenden Athenerheeres mehr oder weniger zufällig seinen – einer ganz anderen Truppengattung angehörigen – alten Freund und Waffengefährten Sokrates getroffen haben soll, klingt an sich verdächtig nach Roman und Rührgeschichte. Auf der anderen Seite haben natürlich auch Zufälle ihren Platz im historischen Geschehen, und wenn wir in anderen Quellen die Information finden, dass sich unter den „wenigen“ Athenern, die während des Rückzuges bei Sokrates standen, ein renommierter Offizier wie der mehrfache Stratege Laches befand, dann dürfen wir vielleicht ein alternatives Szenario entwerfen, in dem das Zusammentreffen zwischen Alkibiades und Sokrates weniger verwunderlich erscheint. Möglicherweise hat der erfahrene Militär Laches in der Stunde der Niederlage eine Gruppe beherzter Hopliten um sich gesammelt, die lieber einen geordneten Rückzug in Waffen antreten als ihr Heil in einer regellosen Flucht suchen wollten. Eine solche Widerstandsgruppe musste dann natürlich auch den logischen Anziehungspunkt für andere athenische Soldaten bieten, die sich von der allgemeinen Panik nicht anstecken ließen, wie eben auch für den Reiter Alkibiades. Wie immer sich das verhalten haben mag, wir können es jedenfalls als sicher annehmen, dass Alkibiades an der Schlacht bei Delion teilgenommen und sich dabei jedenfalls gut genug gehalten hat, um seinen Gegnern keinen Anlass zur Kritik zu bieten. 14

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Aus den folgenden drei Kriegsjahren sind uns keine weiteren militärischen oder diplomatischen Aktivitäten des Alkibiades überliefert; ebenso wenig wissen wir, welche Position er in den während jener Jahre laufenden außenpolitischen Richtungskämpfen eingenommen hat. Das muss keineswegs bedeuten, dass er in der athenischen Politik jener Jahre eine bedeutungslose Randfigur gewesen wäre, aber er war jedenfalls trotz seiner Prominenz noch nicht so weit, dass man ihn bereits zum Kreis der führenden Staatsmänner hätte zählen können. Wir können uns daher bei der Darstellung dieser Kriegsjahre auf eine knappe Skizze der Hauptereignisse beschränken. Das Scheitern des Angriffes auf Böotien und die Niederlage bei Delion waren nicht die einzigen Rückschläge, die die Athener im Jahre 424 hinnehmen mussten. Schwerer wog auf lange Sicht die Tatsache, dass es im Laufe des Jahres dem Spartanerfeldherrn Brasidas gelungen war, mit einem peloponnesischen Heer nach Nordgriechenland vorzudringen und Athens Seebundmacht im Bereich der nördlichen Ägäis anzugreifen. In einem raschen Siegeslauf brachte der energische Spartaner eine Reihe von Seebundstädten auf der Chalkidike und in Thrakien in seine Gewalt; die Athener mussten mit Bestürzung zur Kenntnis nehmen, dass sich ihr Seereich in einer Region, die sie bis dahin für sicher gehalten hatten, als angreifbar erwies. Eine von Kleon geführte athenische Gegenoffensive scheiterte 422 in einer Schlacht bei Amphipolis, bei der sowohl Kleon als auch Brasidas den Tod fanden.15 Die Ernüchterung über die Niederlage und der Tod des Führers der Kriegspartei gaben in Athen den friedenswilligen Kräften die Oberhand. Unter der Federführung des Nikias wurden im Winter 422/21 Verhandlungen mit Sparta aufgenommen, die bald zu einer Annäherung führten; auch die Spartaner waren schon längst des Krieges müde. Unter diesen Vorzeichen wurde man sich nach einigem Verhandeln so weit einig, dass eine Übereinkunft zwischen Athen und Sparta zustande kam. Das Abkommen sollte für die Dauer von fünfzig Jahren gelten und verpflichtete beide Vertragsparteien, für diesen Zeitraum von allen feindseligen Handlungen gegeneinander abzusehen. Seinen inhaltlichen Kernpunkt bildete die Bestimmung, dass beide Seiten die von ihnen in Gewahrsam gehaltenen Gefangenen freilassen und mit einigen Ausnahmen die während des Krieges eroberten Plätze zurückgeben sollten. Für eine Reihe von Städten in der Chalkidike, die zu Brasidas abgefallen waren, wurde ein Sonderstatus vereinbart, der sowohl Athens Anspruch auf

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Oberhoheit wie auch den Autonomieversprechen des Brasidas Rechnung tragen sollte. Das Friedensabkommen, nach dem führenden Vertreter Athens allgemein als Nikiasfrieden bezeichnet, wurde von den Repräsentanten Spartas und Athens feierlich beschworen und trat ungefähr zu Beginn des Frühjahrs 421, fast genau zehn Jahre nach Beginn des Krieges, in Kraft. 16

Der faule Friede des Nikias: allgemeine Unsicherheit, Intrigenspiele und schwankende Allianzen Mit dem Abschluss des Nikiasfriedens war der zehnjährige Krieg zwischen Sparta und Athen, den die Geschichte nach dem Namen eines der beiden damals regierenden Spartanerkönige als den ‚Archidamischen Krieg‘ zu bezeichnen pflegt, beendet, und die Bedingungen des Friedensvertrages zielten darauf ab, die Gefahr eines erneuten Konflikts zwischen den beiden Großmächten für die nächsten eineinhalb Generationen zu bannen. Ginge es nach dem Willen jener athenischen und spartanischen Staatsmänner, die den Friedensvertrag ausgehandelt hatten, so durften die Bürger beider Poleis hoffen, nun in eine länger dauernde Periode der Ruhe und des Friedens eingetreten zu sein. Die Zukunft sollte indes bald zeigen, dass der Lauf der Dinge von anderen Einflüssen bestimmt wurde. Als Folge nicht einer klaren Kriegsentscheidung, sondern der beiderseitigen Erschöpfung zustande gekommen, ruhte der Friede von allem Anfang an auf unsicheren Grundlagen. Am ehesten konnten noch die Athener mit dem Ergebnis zufrieden sein. Sie hatten, wenn auch unter schweren Opfern, ihr Reich und ihre Machtstellung behaupten können. Die Spartaner hingegen hatten ihr Kriegsziel, die Zerschlagung des attischen Seereiches, klar verfehlt, und sie hatten im Friedensschluss die Interessen derjenigen ihrer Bundesgenossen opfern müssen, die dem Druck Athens am stärksten ausgesetzt waren. Es war kein Wunder, dass sich gleich nach dem Friedensschluss tiefe Risse im Gefüge des spartanischen Bündnissystems auftaten. Schon im Zuge der Friedensverhandlungen hatten vier Staaten des Peloponnesischen Bundes – Böotien, Korinth, Elis und Megara – die Annahme der von Sparta ausgehandelten Bedingungen rundheraus verweigert, in der Folge begannen auch andere Bundesmitglieder in ihrer Treue zu Sparta schwankend zu werden.

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Neben der Gefahr, von seinen Bundesgenossen im Stich gelassen zu werden, sah sich Sparta zugleich noch mit der Aussicht auf einen Krieg mit Argos konfrontiert, dessen Friedensvertrag mit Sparta gerade im Begriff war, auszulaufen. Argos, während der vorangegangenen Friedensperiode militärisch erstarkt, suchte die Konfrontation und bot sich den unzufriedenen Bundesgenossen Spartas als Alternative zur bisherigen Hegemonialmacht an. Eine Reihe peloponnesischer Staaten liehen dem Liebeswerben der Argiver ein offenes Ohr und schlossen mit ihnen ein gegen Sparta gerichtetes Bündnis. 17 Die Spartaner ihrerseits hatten schon gleich nach dem Friedensschluss die Annäherung an den ehemaligen Erzfeind gesucht und ein Bündnis mit Athen geschlossen – eine außenpolitische Kehrtwende, die auf eine Überwindung alter Gegensätze hoffen ließ, zugleich aber eine ganze Anzahl der bisherigen Bundesgenossen Spartas endgültig in die Arme der Argiver trieb. Die Athener fanden sich nun in der angenehmen Rolle des lachenden Dritten. Sie hatten die Wahl zwischen der Weiterführung des Bündnisses mit einem nunmehr geschwächten Sparta oder aber einem Zusammengehen mit Argos, das mit athenischer Hilfe gute Aussichten zu haben schien, Spartas Macht auf der Peloponnes endgültig zu brechen. An diesen Alternativen entzündete sich von neuem der Streit der Friedensfreunde und der Kriegspartei in Athen. Nikias und seine Gesinnungsgenossen traten für die Freundschaft mit Sparta ein, Kleons politische Erben für die Unterstützung der Argiver.18 Für Alkibiades, der gerade das zur Bekleidung des Strategenamtes erforderliche Alter erreicht hatte und im Frühjahr 420 auch tatsächlich zum Strategen für das Amtsjahr 420/19 gewählt worden war, boten die peloponnesischen Händel die Chance, erstmals eine Hauptrolle auf der politischen Bühne Athens zu spielen; er nützte sie mit einer Mischung von Skrupellosigkeit und taktischem Geschick, die für seine gesamte weitere Laufbahn charakteristisch werden sollte. Noch vor seinem Amtsantritt als Stratege sandte er im Frühjahr 420 auf eigene Faust Boten nach Argos mit der Aufforderung, die Argiver und ihre Verbündeten möchten sofort Gesandte nach Athen schicken, die Gelegenheit sei günstig zum Abschluss eines Bündnisses. Zu gleicher Zeit entsandten auch die Spartaner, von der Aussicht auf eine Verständigung zwischen Athen und ihren peloponnesischen Widersachern aufgeschreckt, eine Gesandtschaft nach Athen mit dem Auftrag, die schwebenden Streitfragen beizulegen und den Freundschaftsbund

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zwischen den beiden Staaten neu zu begründen. Gemäß den Gepflogenheiten wandten sich die Spartaner-Gesandten nach ihrer Ankunft in Athen zunächst an den Rat, wo sie erklärten, sie seien mit Vollmacht gekommen, um bezüglich der Streitpunkte gültige Vereinbarungen zu treffen. Das war eine Botschaft, die erkennen ließ, dass Sparta zu Konzessionen bereit sei, und die denn auch von den Ratsherren beifällig aufgenommen wurde. Man gewährte den Gesandten die Erlaubnis, ihre Vorschläge bei nächster Gelegenheit vor die Ekklesie zu bringen, bei der die letzte Entscheidung über Annahme oder Ablehnung lag.19 Die sich anbahnende Wiederannäherung zwischen Athen und Sparta lief allen Plänen des Alkibiades zuwider. Um sie zu verhindern, nahm er seine Zuflucht zu einem schon von den Zeitgenossen als perfide gewerteten Doppelspiel. Er traf sich im Privaten mit den spartanischen Gesandten und präsentierte sich ihnen als der rechte Mann, den Erfolg ihrer Mission zu verbürgen, wenn sie sich nur seiner Führung anvertrauen wollten. Es mutet einigermaßen seltsam an, dass die Spartaner einem Mann ihr Vertrauen schenkten, der eben noch als Wortführer der Spartafeinde aufgetreten war. Allerdings musste natürlich die Aussicht, dass gerade dieser profilierte Widersacher jetzt vor dem Volk für ihre Sache eintreten würde, besonders wertvoll erscheinen, wertvoller als die Unterstützung des Nikias, auf dessen Friedensbereitschaft sie ohnedies zählen konnten. Darüber hinaus dürfte die Erinnerung an die alten Beziehungen zwischen Alkibiades’ Familie und einflussreichen Geschlechtern in Sparta den Gesandten geholfen haben, allfällige Regungen der Skepsis hintanzuhalten. Von einem der Gesandten, dem späteren Ephor Endios, ist uns überliefert, dass seine Familie durch das Band der Gastfreundschaft mit den Vorfahren des Alkibiades verbunden gewesen war. Wie immer dem auch sei, entscheidend war, dass Alkibiades die Gesandten dazu überreden konnte, sich für ihren Auftritt vor der Ekklesie seiner Führung anzuvertrauen. Er legte ihnen nahe, vor der Volksversammlung nicht zuzugeben, dass sie mit Verhandlungsvollmacht gekommen seien; dann könne er das Volk überreden, zu für Sparta günstigen Bedingungen ein Abkommen zu schließen. Die Spartaner folgten diesem Rat und erklärten dementsprechend bei ihrem Auftritt vor der Athener Volksversammlung, sie hätten keine Vollmacht, über eine Abänderung ihrer Vorschläge zu verhandeln. Der Widerspruch zur früheren Erklärung blieb nicht unbemerkt; die versam-

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melten Bürger gerieten in Empörung und gaben ihren Unmut lautstark kund. Nun ergriff Alkibiades das Wort, nicht, um die Spartaner zu verteidigen, sondern um erst recht Öl ins Feuer der Empörung zu gießen: Er schmähte die Spartaner als Heuchler, die mit den Athenern ein falsches Spiel spielen wollten, und gewann die Mehrheit für den Antrag, die Gesandten von Argos und den anderen spartafeindlichen Städten auf die Rednerbühne zu rufen und mit ihnen das Bündnis zu schließen. In diesem Stadium der Dinge trat plötzlich ein Erdbeben ein, eine in Griechenland nicht seltene Naturerscheinung, das den Abbruch der Sitzung erzwang. 20 Als die Ekklesie tags darauf nochmals zusammentrat, warf Nikias, selbst schwer düpiert durch das für ihn unverständliche Verhalten der Gesandten, das ganze Gewicht seiner Persönlichkeit in die Waagschale, um aus den Trümmern seiner prospartanischen Politik zu retten, was noch zu retten war. In einer rhetorischen tour de force hielt er seinen Mitbürgern die Notwendigkeit vor, jegliche Übereilung zu vermeiden; Athen sei in der stärkeren Position, dürfe aber gerade deshalb diesen Vorteil nicht ohne Not in einem neuen Krieg aufs Spiel setzen. Nikias’ Einfluss war stark genug, um den sofortigen Bruch mit Sparta zu verhindern. Zwar fand sich die Versammlung nicht bereit, den spartanischen Gesandten wieder Gehör zu schenken, aber man beschloss jetzt seinerseits eine Gesandtschaft, an ihrer Spitze Nikias selbst, nach Sparta zu entsenden, um dort die Bedingungen Athens vorzutragen. Diese Bedingungen waren nun allerdings so hochgeschraubt, dass die Aussicht auf ein Abkommen von vornherein zweifelhaft erscheinen musste. Da jetzt überdies auch bei den Spartanern, die über den Umgang mit ihren Gesandten verärgert waren, die ‚Falken‘ die Oberhand gewannen, endete Nikias’ Sparta-Mission ohne greifbares Ergebnis. 21 Unverrichteter Dinge zurückgekehrt, musste Nikias vor der Volksversammlung das Scheitern seiner Politik der Spartafreundschaft eingestehen. Die Stunde des Alkibiades war gekommen. Auf sein Betreiben hin riefen die Athener die „zufällig gerade anwesenden“ Gesandten von Argos, Mantineia und Elis vor die Versammlung und schlossen mit ihnen ein Waffenbündnis, das sich nach Lage der Dinge zwangsläufig gegen Sparta richten musste. Seinem Wortlaut nach war das Abkommen als ein Verteidigungsbündnis konzipiert – die Athener sollten den drei peloponnesischen Staaten nur dann zu Hilfe kommen, wenn eine fremde Macht in deren Land einbreche und umgekehrt. Lediglich in einer Schlussklausel war die

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Möglichkeit angedeutet, dass die Verbündeten auch außerhalb der Grenzen ihrer Gebiete militärisch aktiv werden, also einen Expansionskrieg führen könnten. 22 Aber wenn der Wortlaut des Vertrages auch defensiv klingen mochte, so war der Geist des Abkommens von einer potentiell aggressiven spartafeindlichen Intention geprägt. Die Allianz der drei peloponnesischen Staaten, die sich als antispartanischer Block quer über die nördliche Peloponnes zog und so die Verbindung zwischen Sparta und seinen verbliebenen Bundesgenossen bedrohte, musste durch ihre bloße Existenz eine Herausforderung für Spartas traditionelle Machtpositionen darstellen. Hatten sich die Spartaner nur mit den drei peloponnesischen Gegenspielern auseinanderzusetzen, so durften sie es sich dank ihrer Militärmacht zutrauen, der Herausforderung Herr zu werden. Wenn nun aber Athen sein Gewicht zugunsten der Dreierallianz in die Schale warf, so verschob sich mit einem Schlag die Balance so weit, dass ein Offensivkrieg gegen Argos und seine Verbündeten für Sparta zu einem unkalkulierbaren Risiko wurde. Für Athen hingegen war das Risiko begrenzt und der in Aussicht stehende Gewinn groß: Ließ sich Sparta durch das athenische Hilfsversprechen von einem bewaffneten Vorgehen gegen die Dreierallianz abschrecken, so bestand eine gute Chance, dass sich seine verbliebenen Bundesgenossen von der bisherigen Schutzmacht ab- und dem neuen Machtzentrum zuwenden würden. Kam es hingegen zum Krieg, so konnte Athen dank seiner neuen Bundesgenossen den Spartanern erstmals zu Lande mit überlegener Macht entgegentreten. Ein Sieg der Verbündeten musste dann mit großer Wahrscheinlichkeit einen vernichtenden Schlag für Sparta bedeuten, eine Niederlage aber würde vor allem die Peloponnesier treffen, während Athen mit seinen ‚Langen Mauern‘ und seiner Flotte den Spartanern ebenso unangreifbar gegenüberstehen würde wie im letzten Krieg. So gesehen, erweist sich Athens Bündnisvertrag mit Argos als Ergebnis einer offensiven, aber rational durchdachten Strategie des Ausnützens der gebotenen Chancen unter Verwendung diplomatischer Mittel bei kalkuliertem militärischem Risiko – eine Strategie, die, wie sich späterhin immer wieder zeigen sollte, ganz und gar der Denkweise des Alkibiades entsprach. 23

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Krieg und Diplomatie auf der Peloponnes: Alkibiades und die antispartanische Allianz der Jahre 420–418 Alkibiades konnte sich mit einigem Recht der Hoffnung hingeben, durch das Abkommen mit Argos, Mantineia und Elis den Grundstein zum Sturz der spartanischen Machtstellung gelegt zu haben; in der Tat schienen sich bald erste Anzeichen für eine tiefgehende Verunsicherung auf spartanischer Seite bemerkbar zu machen. Noch im Verlaufe des Sommers 420 kam es zu Streitigkeiten zwischen Sparta und Elis, die nach einigem Gezänk dazu führten, dass die Eleer in ihrer Funktion als Oberherren von Olympia die Spartaner von der Teilnahme an den Olympischen Spielen ausschlossen. Das war ein unverhohlener Affront, und weithin rechnete man damit, dass die Spartaner mit militärischer Gewalt reagieren würden. Doch der Angriff blieb aus, und selbst als während der Spiele die elischen Kampfrichter den angesehenen Spartaner Lichas, der sich mit einem Trick die Teilnahme am Wagenrennen erschlichen hatte, auf demütigende Weise bestraften, ließ sich Sparta auf keine Gewaltaktion ein. 24 In der Zwischenzeit hatte auf der Peloponnes ein diplomatisches Tauziehen um Verbündete eingesetzt. Noch während des Jahres 420 hatten sich sowohl Sparta als auch die Dreibundstaaten ohne Erfolg bemüht, das strategisch wichtige Korinth auf ihre Seite zu ziehen, doch die Korinther zogen es vor, zunächst die Entwicklung der Dinge abzuwarten. Man darf annehmen, dass sie mit dieser Haltung unter den Staaten der Peloponnes nicht allein standen.25 Wohl im Hinblick auf diese Unentschiedenen entschloss sich Alkibiades, den die Athener im Frühjahr 419 wiederum zum Strategen gewählt hatten, im darauf folgenden Sommer zu einer militärischen Demonstration. Auf Bitten der Argiver landete er mit einem athenischen Truppenkontingent von mäßiger Stärke auf der Peloponnes, durchzog die Halbinsel von Osten nach Westen, „überall die Verhältnisse im Sinne des Dreierbündnisses ordnend“, und wandte sich sodann nach Norden, hin zum Golf von Korinth, wo er die Städte der Landschaft Achaia, die sich während des letzten Krieges neutral verhalten hatten, zum Anschluss an das Dreierbündnis zu bewegen suchte. 26 Plutarch hat uns in diesem Zusammenhang eine bezeichnende Anekdote überliefert: Als in der Volksversammlung von Patrai einer der Einheimischen gegen das Athenerbündnis auftrat und seine Mitbürger warnte, „die Athener würden sie verschlingen“, konterte Alkibiades

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mit der Bemerkung: „Vielleicht werden sie das – allmählich und von den Füßen her. Die Lakedaimonier aber vom Kopf und auf einmal.“ Mit diesem zynisch offenherzigen Eingeständnis, mit dem er zugleich das Dilemma der vom Expansionsdrang der Großmächte bedrängten griechischen Kleinstädte treffend auf den Punkt brachte, nahm er dem Gegenredner den Wind aus den Segeln. Die Bürger von Patrai entschieden sich für das Bündnis mit Athen und beschlossen, ihre Stadt nach athenischem Muster durch einen Wall mit dem Meer zu verbinden. Diese Befestigung sicherte die Stadt gegen Angriffe zu Land, konnte aber ihre Funktion nur in Verbindung mit dem Schutz der athenischen Flotte zur See vollständig erfüllen; sie fungierte somit gewissermaßen als steingewordene Besiegelung der dauernden Einbeziehung von Patrai in den athenischen Machtbereich. Weniger Glück hatte Alkibiades, als er kurz danach auch das östlich von Patrai gelegene Rhion in ähnlicher Weise befestigen wollte. Hier waren die Truppenaufgebote von Korinth und Sikyon rechtzeitig zur Stelle, um den Bau zu verhindern. Dennoch konnte er mit seinem Erfolg zufrieden sein. Die Athener hatten, auch wenn ihnen die Festsetzung in dem an der Engstelle des Golfs von Korinth gelegenen Rhion versagt blieb, durch den Anschluss von Patrai ihre Position an dieser strategisch wichtigen Meeresstraße entscheidend gestärkt. 27 Während Alkibiades die Stellung Athens an der Nordküste der Peloponnes ausbaute, entwickelte sich im Nordosten der Halbinsel eine kriegerische Auseinandersetzung, die einer Andeutung des Thukydides zufolge letztendlich ebenfalls durch seine Expansionspläne motiviert gewesen sein dürfte. Die in Argos regierenden, mit Alkibiades in bestem Einvernehmen stehenden Demokraten nahmen einen lokalen Streitfall zum Anlass, um einen Krieg gegen ihre spartafreundliche Nachbarstadt Epidauros zu beginnen. Der argivisch-epidaurische Konflikt fügte sich bestens in das strategische Konzept des Alkibiades: Falls es den Argivern mit athenischer Hilfe gelang, Epidauros zu unterwerfen, so war nicht nur das spartanische Bündnissystem geschwächt, sondern für die Athener eine im Vergleich zum bisherigen Seeweg direktere Verbindung nach Argos gewonnen.28 Für die Spartaner, die nach den Prestigerückschlägen der letzten Jahre um den Zusammenhalt ihres Bündnissystems bangen mussten, waren das alarmierende Aussichten. Dennoch sah man sich in Sparta zu einer energischen Reaktion nicht imstande. Das spartanische Heeresaufgebot rückte zwar ins Feld, kam aber nur bis Arkadien und kehrte dann unver-

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richteter Dinge nach Hause zurück. Was die Spartaner zu diesem unzeitigen Rückzieher bewogen hatte, wissen wir nicht; offiziell wurde der Abbruch des Feldzuges mit ungünstigen Opferzeichen begründet. Das war ein nach den Anschauungen des damaligen Griechentums einigermaßen akzeptabler Vorwand; dennoch muss der kampflose Rückzug aus Arkadien eine zusätzliche Belastung für Spartas Prestige dargestellt haben. 29 Alkibiades hielt nun die Chance für gekommen, Spartas Position in der Peloponnes durch einen diplomatischen Meisterstreich zu erschüttern. Er initiierte eine Konferenz in Mantineia, bei der sich die Vertreter mehrerer mit Athen verbündeter peloponnesischer Städte einfanden, von der Gegenseite waren zumindest die Korinther, wahrscheinlich aber auch noch weitere Verbündete Spartas, durch Gesandte vertreten. Für Alkibiades und die Athener bot der Kongress ein eindrucksvolles Forum, ihr im Entstehen begriffenes neues Bündnissystem in einer großangelegten diplomatischen Aktion zur Wirkung zu bringen. Ihr Hauptziel musste darin liegen, Korinth aus dem Bündnis mit Sparta zu lösen. Im Interesse dieser Zielsetzung fanden sie sich zunächst dazu bereit, die Feindseligkeiten gegen Epidauros einzustellen, als der korinthische Gesandte dies verlangte. Dennoch kam es zu keiner Einigung. Die Korinther konnten sich letztendlich nicht dazu entschließen, einen Kurs zu steuern, der wahrscheinlich den Zusammenbruch der spartanischen Machtstellung und die Vorherrschaft der Athener in ganz Hellas zur Folge haben würde. Die Konferenz ging ergebnislos auseinander, und die Argiver erneuerten ihre Angriffe auf Epidauros. 30 Wenn Alkibiades der erhoffte diplomatische Coup versagt geblieben war, so bot ihm die weitere Entwicklung der Dinge auf der Peloponnes die Gelegenheit, sein Prestige auf andere Weise zu festigen. Im Spätsommer 419 kam die Nachricht nach Athen, dass das spartanische Heeresaufgebot nochmals ins Feld gerückt war, um den Epidauriern gegen Argos beizustehen. Die Athener beschlossen, im Gegenzug den Argivern eine Streitmacht von tausend Hopliten unter Alkibiades’ Befehl zu Hilfe zu senden. Das militärische Muskelspiel zeitigte Wirkung. Während Alkibiades mit seinem Heer auf der Peloponnes landete, brachen die Spartaner ihren kaum begonnenen Feldzug ab und kehrten, nunmehr zum zweiten Mal, unverrichteter Dinge nach Hause zurück. Die Argiver setzten ihren Verwüstungsfeldzug gegen Epidauros fort, die athenischen Truppen konnten im Bewusstsein, auch ohne Kampf ihre Aufgabe erfüllt zu

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haben, heimkehren, und Alkibiades durfte sich rühmen, die Spartaner durch den bloßen Klang seines Namens zum Rückzug getrieben zu haben. 31 Auch aufs Ganze gesehen, konnte er mit den während des Jahres 419 vollbrachten Leistungen zufrieden sein: Mit seinem Einsatz und seiner Beredsamkeit hatte er für Athen wichtige strategische Positionen gewonnen und der gesamten Griechenwelt das Machtpotential des von ihm im Vorjahr initiierten Bündnissystems vor Augen geführt. In der Folge wurde allerdings rasch offenkundig, dass die gewonnenen Vorteile nicht umsonst zu haben waren und dass Athen sich zu größerem Engagement aufgerufen sah. Im Verlaufe des Winters gelang es den nach ihren früheren Rückziehern unter Handlungsdruck stehenden Spartanern, dreihundert ihrer Hopliten auf dem Seeweg nach Epidauros zu bringen, die nun die Verteidigung der Stadt gegen Argos verstärkten. Die Argiver nahmen das zum Anlass, nun auch von Athen ein stärkeres Engagement zu fordern. Sie legten den Athenern nahe, die spartanische Intervention als Bruch des Nikiasfriedens zu werten, da die Spartaner damit die athenische Herrschaft zur See missachtet hätten. Alkibiades unterstützte den Vorschlag. Er setzte in der Volksversammlung den Beschluss durch, dass man auf der Inschriftensäule, die den Text des Friedensvertrages enthielt, offiziell den Satz hinzufügen ließ: „Die Lakedaimonier haben ihren Eid nicht gehalten.“ Diese Geste, die von den Spartanern nur als Provokation empfunden werden konnte, sollte noch keine Aufkündigung des Friedensvertrages, wohl aber eine Rechtfertigung athenischer ‚Vergeltungsmaßnahmen‘ bedeuten. Die Athener verstärkten ihre Garnison in Pylos mit einer Truppe von Heloten, ehemaligen spartanischen Hörigen, die vor Spartas Gewaltherrschaft geflüchtet waren und nun in ihrem Hass auf die früheren Unterdrücker sogleich einen Kleinkrieg der Raubzüge und Überfälle gegen das spartanische Gebiet ins Werk setzten. 32 Alkibiades muss sich im Klaren darüber gewesen sein, dass er mit solchen Aktionen die Gefahr eines neuen Spartanerkrieges heraufbeschwor, und es kann kaum ein Zweifel bestehen, dass er dieses Risiko bewusst in Kauf genommen hat. Eine andere Frage ist, ob er einen solchen Krieg tatsächlich angestrebt hat, und hier lässt sich die Antwort nicht so eindeutig finden. Die von ihm und seinen Amtskollegen während des Jahres 419 verfolgte Strategie der Nadelstiche und der diplomatischen Manöver war von Haus aus nicht auf einen mit ganzer Macht

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geführten Entscheidungskampf gegen Sparta ausgelegt, sie beruhte auf dem Prinzip, mit begrenzten Mitteln möglichst viel zu erreichen. Ihre ganze Logik lief darauf hinaus, die spartanische Machtstellung in Griechenland durch eine Folge kleiner, aber wirksamer Aktionen so lange zu unterminieren, bis sie auch ohne Entscheidungsschlacht an den Rand des Zusammenbruchs kommen würde. Niemand kann sagen, ob Alkibiades im letzten Stadium die Kräfte Athens mit denen der neugewonnenen Verbündeten zu einem vernichtenden Schlag zusammenzufügen plante, oder ob er gerade dann in einer überraschenden Wende mit den Spartanern ein Abkommen zu von Athen diktierten Bedingungen zu schließen versucht hätte. Klar ist aber, dass er bei alldem den athenischen Einsatz kleinhalten wollte und stets möglichst viel mit möglichst geringem eigenen Einsatz zu erreichen trachtete. 33 Die Kriegs- und Bündnispolitik des Alkibiades scheint von den athenischen Bürgern mit gemischten Gefühlen betrachtet worden zu sein. Einerseits werden die errungenen Erfolge ihre Wirkung auf die öffentliche Meinung nicht verfehlt haben, andererseits war man mehrheitlich nicht gewillt, von neuem die Lasten eines großen Krieges gegen Sparta auf sich zu nehmen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, musste Alkibiades’ Politik trotz der verlockenden Aussichten als ein gefährliches Spiel mit dem Feuer erscheinen. Vor dem Hintergrund dieser zwiespältigen Stimmungslage ließ sich die athenische Bürgerschaft im Laufe des Winters 419/18 zu einer unentschlossen zwischen den Polen der Aggressivität und der Vorsicht pendelnden ‚Schaukel-Politik‘ verleiten, die dann bei den im Frühjahr 418 getroffenen politischen Entscheidungen deutlich zutage trat. Die Strategenwahlen brachten einen Sieg für die Vertreter der konservativen und risikoscheuen Richtung. Nikias und einige seiner Gesinnungsgenossen wurden gewählt, während Alkibiades diesmal nicht zum Zug kam. Die Überlieferung bietet keine Angaben über die politischen Hintergründe dieser Strategenwahl, aber es kann kaum ein Zweifel bestehen, dass Alkibiades den Wahlausgang als einen herben Rückschlag empfunden hat, eine persönliche Zurücksetzung, die ihn umso härter treffen musste, als ihm mit der Abwahl die Möglichkeit genommen war, seine militärischen Operationspläne unter eigenem Kommando durchzuführen. 34 Auf der anderen Seite zeigte sich im weiteren Verlauf des Jahres, dass die Athener ihre Entscheidung bei der Strategenwahl nicht als unbedingtes Votum gegen jede Art antispartanischer Kriegspolitik verstanden wissen wollten. Auch wenn sie es offenkundig vorzogen, ihre Heere von

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weniger offensiv gestimmten Feldherren kommandieren zu lassen, zeigten sie sich nicht gewillt, das von Alkibiades aufgebaute Bündnissystem preiszugeben. Als sich im Laufe des Frühjahrs die Gefahr einer großangelegten spartanischen Offensive abzeichnete, beschloss man, eine Heeresmacht von tausend Hopliten und dreihundert Reitern zur Hilfe für die peloponnesischen Verbündeten aufzustellen. 35 Die tatsächliche Entsendung der athenischen Hilfstruppe verzögerte sich allerdings aus nicht bekannten Ursachen, so dass die Argiver und ihre Verbündeten den von König Agis geführten Spartanern zunächst allein entgegentreten mussten. Dem Spartanerkönig gelang es, die gegnerischen Streitkräfte in Arkadien auszumanövrieren, sich nach einem geglückten Umgehungsmarsch mit seinen nordpeloponnesischen Verbündeten zu vereinigen und schließlich von Norden her in das argivische Kernland einzubrechen. Die Argiver fanden sich in schwerer Bedrängnis, doch überraschenderweise ließ sich Agis von zwei auf eigene Initiative im Spartanerlager auftauchenden Argivern zum Abschluss eines Waffenstillstandes bereden und zog seine Truppen aus dem Gebiet von Argos zurück. Der Waffenstillstand stieß in beiden Lagern auf Kritik: Die Spartaner warfen ihrem König vor, den durch den Einmarsch in die Argolis gewonnenen Vorteil verspielt zu haben, aber auch in Argos fanden sich Stimmen, die die versäumte Gelegenheit zur Entscheidungsschlacht bedauerten. 36 Bei diesem Stand der Dinge traf endlich das athenische Hilfsheer, geführt von den Nikiasfreunden Laches und Nikostratos, in Argos ein – und mit ihm Alkibiades, dem die Athener zwar keine Feldherrngewalt, wohl aber die diplomatischen Vollmachten eines Gesandten übertragen hatten. Alkibiades fand bei seiner Ankunft in Argos die dortige Bürgerschaft in einer von Stimmungsschwankungen und Unsicherheit geprägten Verfassung vor. Einerseits hatte es unter den argivischen Soldaten zunächst eine Welle der Enttäuschung über den Abschluss des Waffenstillstands gegeben, andererseits wollten die regierenden Gewalten von Argos das Abkommen, nachdem es einmal geschlossen war, nicht auf eigene Faust wieder brechen. Die zu spät eingetroffenen Athener erschienen ihnen nicht als Hilfstruppen, sondern als unwillkommene Gäste, die Argos erneut in einen existenzbedrohenden Krieg zu stürzen drohten. So forderten die Regierenden von Argos die Athener auf, heimzukehren und verweigerten ihnen zunächst sogar die Erlaubnis, selbst vor dem Volk von Argos zu sprechen. Erst nach einer Intervention der Verbün-

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deten aus Elis und Arkadien erlangten die athenischen Emissäre den Zutritt zur Volksversammlung der Argiver. Dort allerdings gelang es Alkibiades, seine Beredsamkeit zur Geltung zu bringen. Er erklärte den Waffenstillstand für ungültig, weil ohne Mitwirkung Athens abgeschlossen, stellte seinen Zuhörern glänzende Siegeshoffnungen vor Augen und überzeugte sie schließlich, den Spartanerkrieg von neuem zu beginnen und in die Offensive zu gehen. 37 Gemeinsam mit den spartafeindlichen Arkadern und den Eleern rückten die Athener in Arkadien ein, gefolgt von den Argivern, die offenbar noch einige Zweifelsmomente zu überwinden hatten, ehe sie sich ganz auf das Kriegsabenteuer einließen. Der Feldzug begann verheißungsvoll: Orchomenos, eine wichtige Stadt des nördlichen Arkadiens, wurde ohne große Mühe eingenommen. Danach aber kamen die ersten Rückschläge: Die Truppen aus Elis verließen das Heer der Verbündeten, weil sie deren Entschluss, nunmehr gegen das im Süden des Landes gelegene Tegea zu marschieren, missbilligten, und die Spartaner waren mit ihrer Heeresmacht rechtzeitig zur Stelle, um Tegea zu schützen. Nach einigem Hin-und-Her-Marschieren und Manövrieren kam es bei Mantineia, im Herzen des Arkaderlandes, zur Entscheidungsschlacht. Sie wurde für die Athener und ihre Bundesgenossen zum Desaster. Zwar konnte der rechte Flügel des Verbündeten-Heeres einen Anfangserfolg verbuchen, doch ihre Mitte und der linke Flügel, wo das athenische Kontingent stand, wurden von den anstürmenden spartanischen Hopliten überrannt und in die Flucht geschlagen. Die Athener erlitten schwere Verluste; zweihundert von ihnen, darunter die Strategen Laches und Nikostratos, fielen im Kampf, die übrigen konnten sich nur mit knapper Not der drohenden Umzingelung entziehen. Schwer dezimiert zogen sie sich vom Schlachtfeld zurück, wo die Spartaner ihren Erfolg durch die Zerschlagung des rechten Flügels der Verbündeten abrunden konnten. 38 Der Sieg der Spartaner war vollständig. Er stellte das Prestige Spartas wieder auf feste Beine und stärkte allen spartafreundlichen Kräften auf der Peloponnes den Rücken. Unaufhaltsam begann sich die Waagschale der öffentlichen Meinung in den Städten der Halbinsel den Spartanern zuzuneigen.

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Außenpolitische Umschwünge und innenpolitische Pattstellung: Alkibiades und Nikias 418 bis 416 Die Überlieferung gibt uns keine Auskunft darüber, wo sich Alkibiades während der Schlacht von Mantineia befunden hat. Nach der Katastrophe der Verbündeten musste jedenfalls seine Hauptaufgabe darin bestehen, den drohenden Zusammenbruch seines Bündniskonzepts abzuwenden. Diese Aufgabe schien zunächst trotz des Schocks der Niederlage nicht ganz aussichtslos zu sein. Die Argiver hielten vorderhand an ihren Bündnisverpflichtungen fest, und sie erhielten von ihren Verbündeten Unterstützung zur Fortführung ihres Krieges gegen Epidauros; auch aus Athen wurden weitere tausend Hopliten entsandt.39 Als dann aber im Laufe des Winters 418/17 eine jahreszeitlich bedingte Waffenruhe eintrat, kam es zu einem politischen Umschwung. Spartanische Gesandte erschienen mit Waffenstillstands- und Friedensangeboten in Argos und fanden dort bei einer einflussreichen Gruppe innerhalb der Bürgerschaft Unterstützung, verkappten Oligarchen, die in der Anlehnung an Sparta eine Chance erkannten, die demokratische Ordnung ihrer Heimatstadt umzustürzen. Dank der Agitation dieser Spartafreunde gewann der Gedanke an einen Ausgleich mit Sparta unter breiten Schichten der argivischen Bürgerschaft Raum. Die Aussicht auf einen solchen Umschwung alarmierte die Athener. Alkibiades ging wieder nach Argos, um dort in der Volksversammlung als Vertreter des athenischen Standpunktes aufzutreten. Diesmal allerdings blieb seiner Redekunst die durchschlagende Wirkung versagt. Unter dem Einfluss der Spartafreunde in ihrer Mitte entschied sich die Argiverversammlung für die Annahme eines spartanischen Waffenstillstandsangebots. Bald darauf gingen die Argiver auf dem eingeschlagenen Weg einen Schritt weiter, indem sie einen definitiven, gegen Athen gerichteten Friedens- und Bündnisvertrag mit Sparta abschlossen.40 Der außenpolitischen Neuorientierung folgte schließlich im Frühjahr 417 jener Schritt, auf den Spartas argivische Parteigänger von Anfang an hingearbeitet hatten: Unter Mithilfe spartanischer Streitkräfte stürzten sie die bestehende demokratische Verfassung und errichteten eine Oligarchie, die nach dem Zeugnis der Überlieferung auf Zwangsgewalt und Einschüchterung der Volksmassen beruhte. Der Seitenwechsel der Argiver bedeutete zwangsläufig das Aus für das gesamte athenische Bündnissystem auf der Peloponnes. Seine arkadischen Mitglieder beugten sich dem Druck der Umstände und kehrten

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in die Reihen des Peloponnesischen Bundes zurück; die Eleer hielten sich zwar außerhalb, waren aber auch nicht mehr bereit, sich im Alleingang für Athens Sache zu engagieren. Spartas Vorherrschaft auf der Peloponnes schien umfassender und gefestigter als je zuvor. 41 Für Athen bedeutete dies eine abrupte Verschlechterung seiner politischen und strategischen Position, möglicherweise die Gefahr eines neuen Spartanerkrieges, für Alkibiades den Zusammenbruch eines politischen Projekts, dessen Konzeption und Umsetzung er mehr als jeder andere athenische Staatsmann zu verantworten hatte. Nach den Ergebnissen seiner Politik zu urteilen, hätte Alkibiades seinen Landsleuten um die Wende der Jahre 418/17 als eine gescheiterte Figur erscheinen müssen. Immerhin hatte er es in erster Linie zu verantworten, dass Athen die von Nikias eröffnete Chance eines Ausgleichs mit Sparta von sich gewiesen und stattdessen den riskanten Weg der Konfrontation beschritten hatte. Es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn der athenische Demos nach dem Scheitern der antispartanischen Offensive seinem Liebling Alkibiades das Vertrauen entzogen hätte; tatsächlich war dies aber, zumindest oberflächlich betrachtet, keineswegs der Fall. Alkibiades blieb eine führende Figur auf der politischen Bühne Athens, im Frühjahr 417 konnte er, wie wir noch sehen werden, sogar den Vertrauensbeweis der Strategenwahl, den ihm seine Mitbürger im Jahr der Mantineia-Schlacht versagt hatten, wieder für sich verbuchen. Über die Frage, wie es dem gescheiterten Architekten der Anti-Sparta-Koalition gelingen konnte, seine Fehlschläge in einen solchen Wahlerfolg umzumünzen, geben uns die Quellen keine klare Auskunft; immerhin lassen sich einige plausible Vermutungen anstellen: Zunächst einmal dürfen wir annehmen, dass die von Alkibiades verfochtene außenpolitische Linie trotz der erlittenen Rückschläge weiterhin bei vielen Athenern auf Zustimmung stieß. Schließlich haben Athens Bürger nur zwei Jahre später auch das nicht weniger riskante Militärabenteuer der Sizilien-Expedition gutgeheißen und damit ihre Neigung zu einer aggressiven, auf Expansion gerichteten Außenpolitik unter Beweis gestellt. In der durch eine derartige Grundgestimmtheit geprägten Sichtweise des Durchschnittsatheners mag denn auch Alkibiades’ Peloponnes-Politik der Jahre 419 und 418 nicht so sehr als Fehler denn als eine durch widrige Umstände missglückte, an sich aber bejahenswerte Strategie erschienen sein. Unleugbar war freilich die Tatsache, dass diese Strategie in der Schlacht von Mantineia gescheitert war, aber selbst dieser

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Rückschlag ließ sich in eine Perspektive rücken, die geeignet war, Alkibiades’ vorangegangene Erfolge umso heller glänzen zu lassen. Wir finden diese Sicht der Dinge in einer bei Thukydides überlieferten Rede des Alkibiades, wo er sich rühmt, er habe ohne großen Risiken und Kosten für Athen die Spartaner in solche Bedrängnis gebracht, dass sie bei Mantineia um den Bestand ihres Herrschaftssystems kämpfen mussten.42 Die Bildung der Anti-Sparta-Koalition galt also trotz des Rückschlages von Mantineia als verdienstvoll – und was die Schlacht selbst betraf, so konnte Alkibiades darauf verweisen, dass die Niederlage nicht ihm persönlich anzulasten war. Das Kommando über die athenischen Truppen hatten damals zwei Strategen innegehabt, die nicht zu seinen politischen Freunden zählten, und die Tatsache, dass Athen seine Verbündeten mit einem vergleichsweise schwachen Truppenkontingent unterstützt hatte, wird wohl auch nicht von ihm, sondern eher von den Staatsmännern der Gegenseite zu verantworten gewesen sein. Aus dieser Perspektive betrachtet konnte dann auch Alkibiades’ Scheitern beim Versuch, Argos auf der athenischen Seite zu halten, in den Augen der athenischen Bürgerschaft entschuldbar scheinen – die Würfel waren eben schon bei Mantineia gefallen. So ungefähr dürfte die Argumentationslinie ausgesehen haben, mit der Alkibiades im Winter 418/17 dem Demos von Athen gegenüber seine Politik zu rechtfertigen versuchte, und die Ergebnisse zeigen, dass es ihm tatsächlich gelang, einen nennenswerten Teil der Bürgerschaft von seinem Standpunkt zu überzeugen. Die schon erwähnte Wahl zum Strategen für das Amtsjahr 417/16 war eine klare Bestätigung seiner persönlichen Popularität, allerdings kein einmütiges Votum für die von ihm vertretene politische Linie, denn zugleich erlangte auch sein Gegenspieler Nikias eine der zehn Strategenstellen. 43 Es liegt auf der Hand, dass durch die gleichzeitige Wahl der beiden großen Antagonisten den Athenern das Finden einer einheitlichen politischen Linie nicht erleichtert wurde. Ganz abgesehen von der persönlichen Rivalität verfolgten beide ganz unterschiedliche militärpolitische Konzeptionen: Alkibiades die Wiederaufnahme der antispartanischen Bündnispolitik auf der Peloponnes, Nikias die Rückeroberung der während des Spartanerkriegs verloren gegangenen Seebundsstädte in der Nordägäis. 44 Die Entscheidung zwischen diesen beiden Konzepten lief wieder einmal auf die Wahl zwischen Risikobereitschaft und Konsolidierungswillen

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hinaus. Spätestens seit der Schlacht von Mantineia musste es jedem Athener bewusst sein, dass die von Alkibiades verheißenen Chancen mit der Gefahr eines neuen großen Spartanerkrieges verknüpft waren. Nikias’ Pläne hingegen waren auf eine Region gerichtet, die gegenwärtig nicht im Interessenskreis der Spartaner lag, sie dienten dem in der gegebenen Situation vorrangigen Ziel einer Stabilisierung der angeschlagenen Seebundsherrschaft, versprachen aber weniger spektakulären Gewinn. Zunächst kam Nikias zum Zuge. Im Frühjahr 417 erhielt er den Auftrag zur Führung eines Kriegszuges in die Nordägäis; er begann sogleich mit der Aufstellung der entsprechenden Streitmacht, kam allerdings nicht dazu, das Unternehmen durchzuführen, da der Feldzugsplan wegen der feindseligen Haltung des Makedonenkönigs Perdikkas noch vor der Ausfahrt der Expedition aufgegeben werden musste. 45 Währenddessen ereignete sich auf der Peloponnes eine politische Umwälzung, die der Alkibiades-Gruppe eine Chance bot, die Fäden ihrer antispartanischen Bündnispolitik neu zu knüpfen. In Argos kam es im Sommer 417 zu einem Aufstand der mit dem Oligarchenregime unzufriedenen Volksmassen. Die Gewaltherrscher wurden im Kampf überwältigt und aus der Stadt vertrieben, die frühere demokratische Verfassung wiederhergestellt. Die Führer des neuen Regimes versuchten zunächst, mit den Spartanern zu einem Übereinkommen zu gelangen; als sich aber zeigte, dass Sparta seinen oligarchischen Schützlingen die Treue hielt, wandten sie sich mit dem Wunsch nach einer Wiederbelebung des Bündnisses an Athen. 46 Alkibiades und seine Gesinnungsgenossen waren mehr als willig, die sich bietende Gelegenheit zu nützen; sie liehen den argivischen Bündniswünschen ein geneigtes Ohr und leisteten den Argivern Unterstützung, als diese den Beschluss fassten, zwischen ihrer Stadt und dem Meer nach dem Vorbild von Athen und Patrai eine ‚Lange Mauer‘ zu errichten. 47 Allerdings beschränkte sich die athenische Hilfe auf die Entsendung von Fachkräften zur Unterstützung des Mauerbaus. Zu einem militärischen Engagement auf der Peloponnes ließ sich die athenische Bürgerschaft selbst dann nicht bewegen, als die Spartaner im Winter 417/16 in das Gebiet von Argos einbrachen. Ohne athenische Unterstützung war der Schutz der noch unfertigen ‚Langen Mauern‘ ein Ding der Unmöglichkeit. Die Argiver mussten sich in ihrer Stadt verschanzen und ohnmächtig zusehen, wie die Spartaner zuerst das neu errichtete Mauerwerk

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niederrissen und danach die argivische Kleinstadt Hysiai einnahmen, wo sie unter der Bevölkerung ein Massaker anrichteten. Alkibiades wird diesen Rückschlag nicht weniger schmerzlich empfunden haben als die Argiver selbst. Immerhin blieb es ein Trost, dass die Stadt Argos selbst den Spartanern widerstanden hatte und dass ihre Bürgerschaft an der demokratischen Verfassung und dem Streben nach einem Athenerbündnis festhielt. 48

Eine vergebene Chance zur politischen Entscheidungsfindung: die Ostrakismosabstimmung des Jahres 416 Die außenpolitische Bilanz der Athener wies im Jahr 417 keine mit dem Debakel von Mantineia vergleichbaren Rückschläge, aber auch keine erfolgreichen Initiativen auf. Das Feldzugsprojekt des Nikias war im Ansatz gescheitert und Alkibiades hatte von seinen Mitbürgern gar nicht erst die Gelegenheit erhalten, eine vergleichbare Unternehmung ins Werk zu setzen. Der außenpolitische Erfolg dieses Jahres, der Umschwung in Argos, war den Athenern als Glücksfall in den Schoß gefallen und dann durch ihre Zurückhaltung beinahe wieder verspielt worden. Aufs Ganze gesehen, war Athens Außenpolitik während des Jahres 417 durch Konzeptlosigkeit und Unentschlossenheit gekennzeichnet gewesen. Die Ursache dafür war nicht schwer zu finden; sie lag offensichtlich in dem Gegensatz der beiden großen, von Alkibiades auf der einen, von Nikias auf der anderen Seite repräsentierten außenpolitischen Richtungen. Jede der beiden Gruppen war einflussreich genug, die Gegenseite an der Entfaltung ihrer Pläne zu hindern, zugleich aber zu schwach, um die Bürgerschaft zu einer entschiedenen Anstrengung in die eigene Richtung veranlassen zu können. Bei alldem dürften nach den Ereignissen von 418 beide Gruppen in ihrem Prestige geschwächt gewesen sein, Alkibiades durch das Scheitern seiner grandiosen Bündnisprojekte, Nikias und seine Freunde wegen ihres Anteils an der Mantineia-Niederlage. 49 Unter diesen Umständen wird erklärlich, weshalb 417 keinem der beiden Anführer die Möglichkeit gegeben worden war, sich durch eine spektakuläre Leistung so zu profilieren, dass sich die Bürgerschaft dadurch zur Entscheidung für die von ihm gewiesene Richtung hätte mit-

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Abb. 5: Ostraka mit den Namen Aristeides, Kimon und Themistokles (482 v. Chr.)

reißen lassen. Die innenpolitische Pattstellung drohte somit ad infinitum prolongiert zu werden – offenkundig zum Schaden für Athens außenpolitische Handlungsfähigkeit. Die Athener hatten das Glück gehabt, in dieser Lage nicht mit großen Herausforderungen konfrontiert zu werden, dennoch werden viele Bürger den Schwebezustand, in dem sich ihre Politik befand, zunehmend als Ärgernis empfunden haben. Eine definitive Klärung der offenen Fragen schien geboten; sie konnte entweder durch eine Einigung der beiden widerstreitenden Parteirichtungen herbeigeführt werden oder aber durch einen politischen Umschwung, der einer von ihnen ein klares Übergewicht geben würde. In der Tat haben die Athener im Frühjahr 416 ein politisches Instrument zur Anwendung gebracht, das bei früheren Gelegenheiten als Werkzeug derartiger Richtungsentscheidungen gedient hatte: Sie entschlossen sich, nach langer Pause wieder einen Ostrakismos abzuhalten. Der Ostrakismos war, kurz gesagt, eine Abstimmung, bei der die Athener einen Bürger aus ihrer Mitte verbannen konnten. Die Stimmabgabe erfolgte dabei, was sonst in der athenischen Demokratie nicht vorgesehen war, in schriftlicher Form, indem jeder der Abstimmenden

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den Namen desjenigen, den er aus der Stadt entfernt sehen wollte, auf eine Tonscherbe schrieb und diese dann am Abstimmungsplatz „einbrachte“. Nach Beendigung der Stimmabgabe wurde zunächst festgestellt, ob die Gesamtzahl das für die Gültigkeit der Abstimmung festgesetzte Quorum von 6000 Stimmen erreichte, danach zählte man die auf die einzelnen ‚Kandidaten‘ entfallenden Stimmen. Der Mann, auf den die relative Mehrheit von den 6000 Stimmen entfiel, wurde ostrakisiert, das heißt auf Dauer von zehn Jahren aus Athen verbannt. Er musste binnen kurzer Frist die Stadt verlassen, durfte allerdings sein Vermögen behalten und konnte von seinem Exilort aus frei über seine Besitztümer verfügen. Nach Ablauf der zehn Jahre konnte er heimkehren und seinen Platz in der Bürgerschaft wieder einnehmen. In diesen Bestimmungen enthüllt sich das Wesen des Ostrakismosverfahrens: Es verstand sich nicht als Strafmaßnahme, sondern als ein politischer Akt. Sein Zweck lag darin, einen Prominenten, der von seinen Mitbürgern in irgendeiner Weise als ‚Störfaktor‘ des öffentlichen Lebens empfunden wurde, kaltzustellen und von der politischen Bühne zu entfernen. Dass dies für den Betroffenen eine herbe Schädigung seiner Lebensinteressen bedeuten musste, wurde allgemein in Kauf genommen: Der Wille der Volksmehrheit galt mehr als das Heimatrecht des einzelnen Bürgers. 50 Über die mit dem Ostrakismos verbundene Zielsetzung ist schon in der Antike viel Widersprüchliches behauptet worden, und auch die moderne Forschung hat keine Klarheit schaffen können. Wahrscheinlich hat man schon zu Alkibiades’ Zeiten keine feste Vorstellung mehr darüber gehabt: Die Gründe, die seinerzeit zur Einführung des Ostrakismosverfahrens geführt hatten, waren im allgemeinen Bewusstsein längst durch die seither mit seiner praktischen Anwendung gemachten Erfahrungen überdeckt worden. Diese Erfahrungen hatten gezeigt, dass der Ostrakismos vor allem zwei bestimmte Zwecke erfüllen konnte: Zum einen bot er breiten Volksmassen ein Ventil, ihre Abneigung gegen bestimmte Lebensstile, Haltungen und politische Orientierungen zum Ausdruck zu bringen, zum anderen konnte er jene Funktion erfüllen, die in der modernen Demokratie den Wahlen der Parlamente und Staatsoberhäupter zukommt, nämlich die Entscheidungsfindung im Streit widerstrebender politischer Richtungen. Letzteres ergab sich einfach aus dem Umstand, dass die Entfernung eines führenden Staatsmannes dessen politischen Rivalen freie Bahn zur Durchführung ihrer Pläne gab. In der zu Beginn des Jahres 416 gegebenen politischen Situation sah es

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so aus, als würden diesmal beide Elemente zum Tragen kommen. Einerseits hatte Alkibiades durch seine Arroganz und seinen extravaganten Lebensstil viele Athener gegen sich aufgebracht, die das Scherbengericht als willkommene Möglichkeit sehen mussten, sich seiner zu entledigen, andererseits mochten viele Bürger hoffen, dass seine oder aber Nikias’ Ostrakisierung eine probate Lösung für den Dauerstreit um die außenpolitische Orientierung darstellen würde. Ob eines dieser beiden Motive den Anstoß dazu gegeben hat, dass man sich Anfang 416 dazu entschied, erstmals seit eineinhalb Jahrzehnten einen Ostrakismos abzuhalten, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Wir können aber davon ausgehen, dass zumindest nach der Beschlussfassung beide Aspekte in den innerhalb der Bürgerschaft geführten Diskussionen zur Sprache gekommen sind und das Meinungsklima beeinflusst haben. Ungeklärt ist auch die Frage, welcher Politiker bei diesem Ostrakismosbeschluss die treibende Kraft gewesen ist. Plutarch weist diese Rolle einem ehrgeizigen Volksführer namens Hyperbolos zu, der die Athener zur Abhaltung eines Scherbengerichts beredet habe, um sich entweder Nikias oder Alkibiades, die er als seine politischen Hauptrivalen ansah, vom Hals zu schaffen. Diese Angabe Plutarchs ist nicht über jeden Zweifel erhaben, denn der Biograph neigt dazu, politische Aktionen auf die Intrigen und persönlichen Zu- und Abneigungen der Staatsführer zurückzuführen. Aber selbst wenn tatsächlich Hyperbolos der Urheber des Ostrakismosbeschlusses von 416 gewesen sein sollte, bleibt die Frage, weshalb die Mehrheit der Athener bereit war, für seinen Antrag zu stimmen. Es muss in der Sicht dieser Bürger gute Gründe für die Abhaltung eines Scherbengerichts gegeben haben, Gründe, über die wir nur spekulieren können, hinter denen aber letztlich eine weitverbreitete Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen politischen Situation gestanden haben muss. 51 Das Bewusstsein, dass diese Unzufriedenheit sich beim Scherbengericht über dem Haupt eines der führenden Politiker entladen würde, muss während der Zeit, die zwischen dem Beschluss und der tatsächlichen Abhaltung des Ostrakismos lag, das Denken und Handeln aller Akteure bestimmt haben. Auch wenn die Quellen keine glaubwürdigen Informationen darüber zu bieten haben, können wir annehmen, dass die führenden Männer Athens alles daransetzten, um die Drohung des Ostrakisiert-Werdens von der eigenen Person abzuwenden. Das gegebene Mittel zu diesem Zweck bestand darin, die eigenen Anhängerschaften zu mobilisieren

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und eine Kampagne gegen einen rivalisierenden ‚Kandidaten‘ zu eröffnen. Athen muss in jenen Tagen von einer Atmosphäre der Agitation, des Stimmenfanges und der Flüsterkampagnen erfüllt gewesen sein, die in vieler Hinsicht dem Klima moderner Wahlkampfzeiten ähnlich gewesen sein dürfte. Aber anders als in neueren Zeiten gab es hier keinerlei Mittel, die Trends des Wählerwillens vor der Zeit festzustellen; erst am Abstimmungstag enthüllten sich die Mehrheitsverhältnisse. Die Athener ließen sich dadurch sicherlich nicht abhalten, ihre eigenen Spekulationen über das zu erwartende Abstimmungsergebnis anzustellen. In den Augen vieler wird dabei Alkibiades als das logische Opfer des kommenden Scherbengerichts gegolten haben, aber auch Nikias und ein gewisser Phaiax, der in unserer Überlieferung als schattenhafte Randfigur erscheint, aber unter den Zeitgenossen prominent gewesen sein muss, scheinen als ‚heiße Tipps‘ gehandelt worden zu sein. Die Spannung war jedenfalls groß; noch größer aber die Überraschung, als sich bei der Auszählung der Stimmen herausstellte, dass die Mehrheit der Scherbenvoten nicht auf Alkibiades, Nikias oder Phaiax, sondern auf Hyperbolos gefallen war. 52 Dieses Ergebnis widersprach allem, was die athenischen Bürger vor dem Abstimmungstag erwartet hatten. Nicht nur war die von vielen erhoffte Chance, durch die Eliminierung des Alkibiades oder Nikias den politischen Richtungsstreit zu entscheiden, ungenützt geblieben, es musste darüber hinaus auch der ostrakisierte Hyperbolos als eine unpassende Wahl erscheinen. Bei früheren Gelegenheiten war das Scherbenurteil fast stets auf Staatsmänner gefallen, die nicht nur politisch, sondern auch vom sozialen Rang her zur Spitze der athenischen Gesellschaft zählten. Die im Bewusstsein aller Athener verankerten berühmten Ostrakismosopfer Aristeides, Themistokles, Kimon und Thukydides, Sohn des Melesias (der seinerzeitige Hauptgegenspieler des Perikles), hatten zum Kern der athenischen Aristokratie gehört und zum Zeitpunkt ihrer Ostrakisierung eine führende politische Rolle gespielt. Ihre Ostrakisierung hatte jedes Mal eine merkliche Verschiebung der politischen Gewichte zur Folge gehabt. Gegenüber diesen Großen der athenischen Geschichte konnte Hyperbolos, dessen Image weithin vom Bild eines niedrig geborenen, derb-vulgären Volksführers geprägt war, nur als geringerwertige Kontrastfigur gelten. Seine Ostrakisierung, die ihn – wenn auch unter negativen Vorzeichen – in eine Reihe mit Athens historischen Heldenfiguren stellte,

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konnte, so gesehen, als unverdiente Aufwertung und Fehlentscheidung erscheinen. Ein zeitgenössischer Komödiendichter hat diese Stimmungslage auf den Punkt gebracht, indem er eine seiner Bühnenfiguren rückblickend das Resümee über Hyperbolos’ Ostrakisierung ziehen ließ: „Die Strafe, die ihn traf, war seiner Taten wert / Der Sklavenbengel selbst jedoch der Straf’ nicht wert: / für solche Kerle ward die Scherbe nicht erdacht.“ Wenn das Ergebnis einer Wahl der allgemeinen Erwartung deutlich widerspricht, pflegt natürlich die Gerüchteküche ins Brodeln zu kommen; so auch hier. Die zahlreichen Zeitgenossen, die sich in ihren Erwartungen getäuscht sahen, ergingen sich in Vermutungen über mögliche Hintergründe und geheime Manöver, und sie richteten ganz von selbst ihren Blick auf Alkibiades, dem man dergleichen am ehesten zutraute. Bald war eine Verschwörungstheorie im Umlauf: Alkibiades, so hieß es, habe sich im Vorfeld der Ostrakismosabstimmung insgeheim mit seinem Hauptrivalen Nikias, nach einer anderen Version mit Phaiax, geeinigt; beide hätten dann ihre Hetairien, d. h. ihre politischen Freundeskreise, vereinigt und zu einer gegen den nichtsahnenden Hyperbolos gerichteten Kampagne zusammengeführt. Diese Verschwörerpostille bot den Athenern eine bequeme Erklärung für das Ergebnis der Ostrakismosabstimmung, zugleich eine Bestätigung ihrer Vorstellungen von der Macht und den geheimen Umtrieben der politischen Hetairien; sie ist dann von Plutarch dankbar aufgegriffen worden. Der Alkibiadesbiograph hat die Episode zu einem Lehrstück über politische Intrigenspiele, die Manipulierbarkeit der Masse und den Missbrauch demokratischer Instrumente gestaltet, das sich gut liest, in sich schlüssig wirkt und daher in viele moderne Darstellungen der athenischen Geschichte übernommen wurde. Dennoch wird man diese plutarchische Version der Dinge kritisch betrachten müssen. Die wirklichen Hintergründe der Ostrakisierung des Hyperbolos sind aller Wahrscheinlichkeit nach nicht im Treiben irgendwelcher Hetairien, sondern im Wesen des Ostrakismos selbst zu suchen: Da das Feld der ‚Kandidaten‘ nicht a priori eingegrenzt war, sondern jeder Abstimmende jeden beliebigen Namen auf die Stimmscherbe setzen konnte, konnte sich von vornherein eine recht breite Streuung der Stimmen ergeben. Wenn sich die Voten dann nicht auf einen oder zwei Haupt-‚Kandidaten‘ konzentrierten, sondern auf eine größere Zahl prominenter Persönlichkeiten verteilten, so konnten einige hundert Stimmen mehr oder weniger den Ausschlag für die Bildung einer relativen

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Mehrheit geben, die, aufs Ganze gesehen, nicht mehr als einen Bruchteil der Gesamtstimmenzahl auszumachen brauchte. Einige Indizien deuten darauf hin, dass es sich im Jahre 416 tatsächlich so verhalten hat, dass viele Athener die Abstimmung nicht als Möglichkeit zum Entscheid zwischen den von Alkibiades und Nikias verfochtenen Konzepten ansahen, sondern als Gelegenheit, die eigene Stimme rein nach persönlicher Antipathie zu vergeben. Der Blick auf die – allerdings wenigen – noch erhalten Scherben des damaligen Ostrakismos erweckt den Eindruck, dass sich die Stimmen dabei auf eine größere Zahl von Prominenten verteilt haben. Dass unter solchen Umständen ein für viele Zeitgenossen überraschendes Ergebnis herauskam, braucht uns nicht zu verwundern, auch wenn sich die Athener davon so nachhaltig irritiert fühlten, dass sie in den Folgejahren keinen Versuch mehr machten, eine politische Krise durch das Scherbenvotum zu entscheiden. In der Tat ist es, soweit wir wissen, in Athen überhaupt niemals mehr zur Durchführung eines Scherbengerichts gekommen. 53 Die Ostrakisierung des Hyperbolos stellt somit in der Geschichte des athenischen Ostrakismos einen markanten Schlusspunkt dar, für die zeitgenössische Politik aber blieb sie eine folgenlose Episode. Sie entfernte einen zeitweise prominenten Mitspieler von der politischen Bühne Athens und gab damit anderen Politikern volkstümlich-demagogischer Richtung die Chance, in die Fußstapfen des Verbannten zu treten, aber sie bot keine Lösung für die Orientierungskrise der athenischen Außenpolitik.

Athen auf Expansionskurs: Argos und Melos Athens äußere Politik blieb weiterhin zwischen den von Nikias einerseits, Alkibiades andererseits repräsentierten Richtungen hin- und hergerissen. Wie schon im Vorjahr wurden auch für das Amtsjahr 416/15 beide Staatsmänner zu Strategen gewählt und behielten so den unmittelbaren Zugriff auf das Zentrum der militärischen Entscheidungen. Die Entscheidung über konkrete Militäraktionen lag allerdings bei der Ekklesie, und dort scheint man 416 eher als im Vorjahr geneigt gewesen zu sein, die antispartanische Linie des Alkibiades zu unterstützen. Gleich im Frühjahr – also noch im Zuge des Strategenamtsjahres 417/ 416 – wurde Alkibiades mit Heeresmacht nach Argos entsandt, wo er dem von inneren Zwistigkeiten und der Gefahr einer neuen Spartanerin-

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vasion bedrohten demokratischen Regime den Rücken stärken sollte. Alkibiades versuchte, seine Aufgabe in einer Weise zu erfüllen, die den Athenern die Loyalität von Argos sichern sollte, ohne dabei eine direkte Konfrontation mit Sparta zu provozieren. Er setzte in Argos eine politische Säuberung ins Werk, in deren Zuge nicht weniger als dreihundert Bürger, „die im Verdacht einer spartafreundlichen Gesinnung standen“, verhaftet und auf diversen Inseln des athenischen Machtbereichs interniert wurden. Es war zweifellos eine brutale Zwangsmaßnahme, die aber möglicherweise immer noch humaner war als das Schicksal, das den unglücklichen Spartafreunden von der Hand ihrer eigenen Landsleute gedroht hätte. 54 Während Alkibiades auf diese Weise mit Härte gegen die argivischen Spartafreunde vorging, scheint er den Spartanern gegenüber Zurückhaltung geübt zu haben. Anscheinend hielt er seine Soldaten innerhalb der Grenzen des Gebietes von Argos und vertraute auf die von der Präsenz athenischer Truppen ausgehende Abschreckungswirkung – zu Recht, wie sich zeigen sollte, denn in der Tat haben die Spartaner im Jahre 416 keinen Angriff gegen Argos unternommen. Alkibiades konnte ohne frische Lorbeeren, aber mit dem Bewusstsein, seine Aufgabe erfolgreich erledigt zu haben, nach Athen zurückkehren. Währenddessen hatten die Athener eine weitere Militäraktion ins Werk gesetzt, ein Unternehmen, das in gewissem Sinne geeignet schien, die antispartanische Politik des Alkibiades mit dem von Nikias verfochtenen Streben nach Konsolidierung des Seebundes in Einklang zu bringen. Man beschloss eine Expedition gegen die Inselpolis Melos zu entsenden, die sich dem athenischen Seeherrschaftsanspruch bis dahin mit Erfolg verweigert hatte. Den Athenern war die Unabhängigkeit von Melos schon seit langem ein Dorn im Auge gewesen; sie hatten in ihren offiziellen Tributlisten schon früher den Anspruch erhoben, die Melier als tributpflichtige Mitglieder ihres Seebundes anzusehen, und sie hatten während des letzten Spartanerkrieges die Insel durch eine Flottenexpedition verwüsten lassen. Die Melier hatten sich den Einschüchterungsversuchen der Großmacht nicht gebeugt, sondern standhaft an ihrer Neutralität festgehalten und dabei freundschaftliche Beziehungen zu Sparta gepflogen, das der Überlieferung nach die Mutterstadt ihrer Polis gewesen war. Ein erneuter Kriegszug gegen die widerspenstige Kykladeninsel konnte aus der Sicht der Athener mehreren Zielen dienen. Zunächst einmal ließ sich davon eine starke Signalwirkung gegenüber den Seebundsmit-

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gliedern erwarten. Die Unterwerfung von Melos – der einzigen bislang nicht in das athenische Herrschaftssystem eingegliederten Kykladeninsel – würde eine Demonstration der athenischen Entschlossenheit zur Bewahrung, Konsolidierung und Ausweitung des Seereiches darstellen. Zugleich bot sich eine Gelegenheit, Athens ungebrochene Seeherrschaft zu demonstrieren und zu zeigen, dass die Spartaner ungeachtet ihrer Überlegenheit auf dem Festland im Bereich der Ägäisinseln außerstande waren, ihren Freunden Hilfe zu leisten. Voraussetzung dafür war natürlich ein durchschlagender Erfolg der Melos-Expedition. 55 Der weitreichenden Bedeutung des Unternehmens entsprechend waren die Streitkräfte, die Athen im Sommer 416 gegen die kleine Kykladeninsel aussandte, vergleichsweise stark, und entsprechend harsch und kompromisslos war auch das Ultimatum, das die von den athenischen Strategen entsandten Unterhändler dem Rat von Melos präsentierten: Athen fordere die Unterwerfung und den Beitritt zum Seebund, andernfalls hätten die Melier mit der vollen Härte des Kriegsbrauchs zu rechnen. Trotz dieser unverhüllten Drohung und der Übermacht Athens wiesen die Melier die athenische Forderung zurück und rüsteten sich zur Verteidigung ihrer Heimatpolis. Die Athener eröffneten daraufhin die Belagerung. Thukydides, der große Analytiker des Peloponnesischen Krieges, hat die der Belagerung von Melos vorangehenden Verhandlungen zur Grundlage für eine der eindrucksvollsten Passagen seines Geschichtswerkes genommen, den berühmten ‚Melierdialog‘. In dieser als Zwiegespräch zwischen den athenischen Gesandten und den Ratsherren von Melos gestalteten Abhandlung über die Grundlagen von Machtausübung und Machtpolitik lässt der Historiker die Vertreter Athens das Prinzip einer rein am Nutzen und dem Recht des Stärkeren orientierten Großmachtpolitik in beklemmender Klarheit und Unverhülltheit vortragen. Die Athener machen gleich zu Beginn des Gesprächs ihre Haltung deutlich, indem sie jeden Versuch der Melier, auf Basis von Rechtsgrundsätzen zu argumentieren, von vornherein zurückweisen und ihre Gesprächspartner daran erinnern, dass „in menschlichen Disputen nur dann das Recht entscheidet, wenn die Kräfteverhältnisse ausgeglichen sind, ansonsten aber die Überlegenen das, was in ihrer Macht steht, durchführen und die Schwächeren nachgeben“. Beide Seiten sollten sich also einzig und allein am Gesichtspunkt des jeweiligen eigenen Nutzens orientieren und dieser sei für beide am besten gewahrt, wenn sich die Melier zur Unterwerfung bereitfänden: „Weil ihr, anstatt das Furchtbars-

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te zu erleiden, in Untertänigkeit weiterleben könntet, wir aber, anstatt euch zu vernichten, einen Gewinn hätten.“ In der Folge versuchen die Athener die Hoffnungen der Melier auf erfolgreichen militärischen Widerstand und die Hilfe Spartas als haltlos zu erweisen und gehen schließlich, als die Melier in ihrer Verzweiflung ihre Hoffnung auf den Schutz der Götter für ihre gerechte Sache ansprechen, so weit, ihrem Prinzip der nutzenorientierten Machtpolitik eine Art göttliche Weihe zuzusprechen: „Was die Gunst der Gottheit betrifft, so sind wir, wie wir glauben, ihrer ebenfalls teilhaftig. Denn wir erklären nichts für rechtens und tun nichts, was sich mit der von den Menschen der Gottheit gezollten Verehrung oder ihrem gegenseitigen Umgang nicht vereinbaren ließe. Wir glauben, dass dem Anschein nach die Gottheit, mit Sicherheit aber der Mensch dem Zwang seiner Natur folgend Herrschaft über alles ausübt, dem er an Macht überlegen ist. Wir haben dieses Gesetz nicht gegeben noch sind wir die Ersten, die danach handeln; als schon bestehend haben wir es übernommen, üben es nun aus und werden es einst als ein ewig bestehendes Gut anderen hinterlassen; daher wissen wir, dass sowohl ihr wie auch alle anderen, wenn ihr eine mit der unseren vergleichbare Machtstellung hättet, dasselbe tun würdet. Hinsichtlich des Verhältnisses zur Gottheit müssen wir also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht fürchten, schlechter dazustehen.“ 56 Dieser Lehrvortrag in Sachen Realpolitik und ‚naturgegebener‘ Herrschafts-Ethik ist, so wie Thukydides ihn präsentiert, ein Produkt der Darstellungskunst des Historikers. Er stellt die 416 zwischen Athen und Melos gegebenen Verhältnisse in den Kontext einer generellen Debatte über Macht und Recht, Naturnotwendigkeit und Götterwillen. Was Thukydides die athenischen Dialogpartner sagen lässt, entspricht mit Sicherheit nicht den Argumenten, die von den athenischen Gesandten in Melos im Jahre 416 tatsächlich vorgetragen worden sind. Dennoch ist der ‚Melierdialog‘ auch für die Realgeschichte von Belang: Er zeigt uns, wie der wohl bedeutendste Geschichtsdenker unter den damaligen Griechen die inneren Triebkräfte des Handelns der Athener beurteilt hat. Die demokratische Polis Athen erscheint in seiner Sicht als eine vom imperialen Herrschafts- und Expansionswillen getriebene Großmacht, die sich im Bewusstsein ihrer Stärke das Recht auf unlimitierte Gewaltanwendung zugesteht und sich dabei weder durch rechtliche noch durch moralische Bedenken hemmen lässt. Die meisten Athener werden sich dies nicht in aller Brutalität bewusst gemacht haben, dennoch sind die Berührungspunkte zwischen den im ‚Melierdialog‘ ausgesprochenen Grund-

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sätzen und den Realitäten athenischer Politik unverkennbar. Hätte man die Athener des Jahres 416 befragt, so hätte wohl nur eine Minderheit von ihnen die im ‚Melierdialog‘ charakterisierte Geisteshaltung als ethisch gerechtfertigte Lebensmaxime bezeichnet, in der politischen Praxis aber haben sich Maßnahmen, die in ihrer Brutalität dem Geist der ‚Melierdialogs-Athener‘ entsprungen hätten sein können, beim Volk von Athen immer wieder als mehrheitsfähig erwiesen. Ein augenfälliges Beispiel dafür bot das Schicksal, das den Meliern im Herbst 416 zuteil wurde und das vermutlich den Anlass dafür geboten hatte, weshalb Thukydides gerade den Fall Melos zum Aufhänger für seine machtpolitische Grundsatzdebatte genommen hat. 57 Die Melier hatten nach der Zurückweisung der athenischen Unterwerfungsforderung lange Zeit der Belagerung durch die überlegenen athenischen Streitkräfte standgehalten, sahen sich dann aber im Winter 416/15 zur Kapitulation gezwungen. Die Athener kosteten ihren Sieg mit voller Härte aus: Die Polis Melos wurde ausgelöscht, alle erwachsenen männlichen Bürger hingerichtet, Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft. 58 Einigen Quellen zufolge soll Alkibiades bei der Entscheidung über das Schicksal der Melier die treibende Kraft gewesen sein. Diese Überlieferung ist nicht über jeden Zweifel erhaben, aber wir werden es immerhin für möglich halten müssen, dass Alkibiades im Winter 416/15 die grausame Behandlung der Melier gutgeheißen hat. Dass er aber der eigentliche Urheber des Gewaltaktes gewesen sei, ist wenig wahrscheinlich. Sich mit einem blutrünstigen Antrag als Verfechter der niedrigeren Instinkte der Athener zu profilieren, hatte ein Staatsmann seines Ranges nicht nötig; für diese Rolle hätte es in der von starken Emotionen und Stimmungsmache geprägten politischen Szene Athens genügend andere Anwärter gegeben. Auch hätte Alkibiades damit innenpolitisch nicht viel zu gewinnen gehabt, außerhalb Athens hingegen das für seine Rolle als Knüpfer weitgespannter diplomatischer Netzwerke unentbehrliche Kapital an Ansehen und Respekt, dessen er sich in der griechischen Welt erfreute, gefährden können.59 Wie sehr ihm daran lag, dieses symbolische Kapital zu pflegen und zu mehren, hatte Alkibiades im Sommer 416, als die Belagerung von Melos noch im Gange war, deutlich unter Beweis gestellt, indem er sich an einer gemeingriechischen Festivität beteiligte, die ambitionierten Hellenen seit jeher die beste Gelegenheit zur Selbstdarstellung zu bieten pflegte: den Festspielen in Olympia.

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Alkibiades’ großer Auftritt: Die Olympischen Spiele des Jahres 416 v. Chr. Die Festspiele, die zu Alkibiades’ Zeit bereits seit Jahrhunderten im Heiligtum von Olympia zu Ehren des Göttervaters Zeus abgehalten wurden, bildeten unbestrittenermaßen das angesehenste und in seiner Ausstrahlung weitaus bedeutendste aller griechischen Götterfeste. Das Zeusfest und die mit ihm verbundenen Wettkämpfe zogen alle vier Jahre Besucher aus allen Teilen der griechischen Welt in das im Tal des Alpheiosflusses in ländlich-idyllischer Umgebung, zugleich aber relativ verkehrsgünstig gelegene Heiligtum. Alle nennenswerten Griechenpoleis waren durch offizielle Festgesandtschaften vertreten, ambitionierte Athleten erschienen mit ihrem Anhang, aber auch Dichter, Schriftsteller und Philosophen stellten sich ein, um hier ihre Werke in einem erhabenen Rahmen zu präsentieren. Dazu kamen Tausende von ‚gewöhnlichen‘ Festbesuchern, die sich durch Frömmigkeit, Spektakellust oder auch Erwerbshoffnungen bewegen ließen, die Reise nach Olympia auf sich zu nehmen. Sie alle erwarteten, ein in jeder Hinsicht glanzvolles Schauspiel präsentiert zu bekommen, und diejenigen unter ihnen, die über die nötigen Mittel verfügten, bemühten sich, durch entsprechenden Prunk in Kleidung, Ausstattung und Opfergaben das Ihre zum allgemeinen Glanz beizutragen. Olympia war somit für einen sportlich, geistig oder politisch ambitionierten Griechen der bestgeeignete Ort, um sich vor einem internationalen Publikum groß in Szene zu setzen und einen Prestigegewinn zu erzielen, der sich nach der Rückkehr in die Heimat in soziales und auch in politisches Kapital ummünzen ließ. 60 Athenische Staatsmänner hatten das prestigebringende Potential der Olympischen Spiele schon seit langem erkannt und zu nutzen verstanden. Mehrere Häupter athenischer Adelsfamilien, unter ihnen auch Megakles, Alkibiades’ Onkel von der Mutterseite her, hatten dort sportliche Triumphe für sich verbuchen können, Themistokles, Athens großer Staatsmann der Perserkriegszeit, hatte das olympische Fest als Bühne für einen spektakulären öffentlichen Auftritt genutzt. 61 Bei den Olympien des Jahres 416 war es Alkibiades, der in die Fußstapfen dieser illustren Vorbilder treten und die sich hier bietende Gelegenheit zur Selbstdarstellung wahrnehmen wollte. Er entschloss sich, an den Wettkämpfen teilzunehmen, und wählte dabei ganz bewusst eine Disziplin, die es ihm nicht nur ermöglichte, den

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ersehnten Olivenkranz, das Zeichen des Olympiasiegers, ohne eigenen körperlichen Einsatz zu erringen, sondern auch, die eigenen Siegeschancen durch rücksichtslosen Materialaufwand zu erhöhen: „Um diese Zeit sah er, dass das Hochfest in Olympia von allen Menschen hochgeschätzt und bewundert wird, dass die Griechen bei dieser Gelegenheit ihren Reichtum, ihre Kraft und ihre Bildung zur Schau stellen, dass die Athleten Bewunderung ernten und die Heimatstädte der Sieger einen ruhmvollen Namen gewinnen … Indem er dies erwog, strafte er die ‚Kraftsportarten‘ mit Missachtung, obwohl er an Wuchs und Kraft keinem nachstand, da er sah, dass von den Athleten einige von niedriger Geburt waren, aus kleinen Städten stammten oder nicht anständig erzogen waren; er verlegte sich stattdessen auf den Pferdesport – der steht nur den Wohlhabendsten offen, und kein vulgärer Mensch würde ihn betreiben …“ 62 Die hier gegebene Begründung für Alkibiades’ Ablehnung der Kraftsportarten, die Unlust sich mit „niedrig geborenen“ und „schlecht erzogenen“ Athleten auf eine Stufe zu stellen, wirkt bei einem Staatsmann aus dem demokratischen Athen, dessen ganze Stellung sich auf die Gunst der mehrheitlich ‚niedrig geborenen‘ und ‚ungebildeten‘ Mitbürger stützte, recht befremdlich. Bei den Zeitgenossen, auch den demokratisch gesinnten, galt diese Haltung aber offensichtlich als akzeptabel. In der Tat wird das elitär-aristokratische Flair des Pferderennsports auf einen Mann wie Alkibiades größere Anziehungskraft ausgeübt haben als die mit Schweiß, Anstrengung und dem Image des unkultivierten ‚Kraftlackeltums‘ verbundenen athletischen Sportarten. 63 Daneben aber wird für ihn wohl noch eine andere Überlegung maßgeblich gewesen sein: Der Wagenrennsport forderte, so wie er bei griechischen Festspielen betrieben wurde, von den Teilnehmern nicht den persönlichen Einsatz als Wagenlenker, sondern nur die Stellung von Wagen und Pferdegespann, die dann beim Rennen von bezahlten ‚Profi-Lenkern‘ gefahren wurden. Da es überdies erlaubt war, mehrere Gespanne ins Rennen zu schicken, war auch die Chance gegeben, durch höheren finanziellen Einsatz die eigenen Siegesaussichten zu erhöhen; ein Aufwand, den sich freilich nur die Reichsten der Reichen leisten konnten. Alkibiades hatte keine Bedenken, diese nach modernem Verständnis recht unsportliche Chance voll auszunützen. Er scheint im Frühjahr 416 bei der Vergrößerung seines – wohl schon von Haus aus gut ausgestatteten – Reitstalls keine Kosten gescheut zu haben, um beim olympischen Rennen mit möglichst vielen Pferdegespannen auf den Plan treten zu

Alkibiades’ großer Auftritt

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können. Im Zuge dieser Bemühungen soll er, wie es hieß, ziemlich skrupellos vorgegangen sein. Seine Gegner erhoben den Vorwurf, dass er sich eines der von ihm ins Rennen geschickten Pferdegespanne durch Diebstahl verschafft habe; bei anderen Autoren ist im gleichen Zusammenhang zwar nicht von Diebstahl, immerhin aber von geschäftlicher Untreue die Rede: Alkibiades sei von einem seiner Bekannten gebeten worden, in dessen Interesse als Vermittler beim Kauf eines Pferdegespannes aus Argos zu fungieren, habe das dank seines Einflusses in Argos erworbene Gespann dann aber unter dem eigenen Namen ins Rennen gehen lassen. Was wirklich hinter diesen Vorwürfen steckt, lässt sich nicht mehr feststellen, vorderhand jedenfalls konnte Alkibiades den gewünschten Erfolg verbuchen. Als der Tag der Spiele gekommen war, schickte er insgesamt sieben Wagen ins Rennen, „so viel wie noch kein Privatmann zuvor“, und errang mit ihnen den ersten, zweiten und vierten Platz; nach einer wohl von ihm selbst lancierten und daher weniger glaubwürdigen Version sollen sogar alle drei ersten Plätze den Gespannen des Alkibiades zugefallen sein. 64 So oder so war es ein eindrucksvoller Sieg, dessen Glanz in den Augen der Zeitgenossen nicht durch den Umstand geschmälert wurde, dass er durch den Einsatz enormer Geldmittel gegen weniger begüterte Konkurrenten errungen worden war – schließlich manifestierte sich nach gängiger Anschauung in einem Olympiasieg nicht nur die überlegene Stärke, Technik oder Finanzkraft eines Teilnehmers, sondern die Gunst der über den Festspielen waltenden Gottheit. So konnte Alkibiades es wagen, seinen Sieg auf eine Art zu feiern, die seinen Reichtum und seinen Hang zum großzügigen Lebensstil noch markant unterstrich. Auch dabei soll er dem gewünschten Effekt durch unsaubere Praktiken ein wenig nachgeholfen haben. „Er lieh sich von den Architheoren [= den Leitern der athenischen Festgesandtschaft] die Schaugefäße, um sie bei seiner Siegesfeier am Tag vor dem großen Fest zu benutzen, dachte aber nicht daran, sie rechtzeitig zurückzugeben, da er die goldenen Schalen und Weihrauchbehälter am Folgetag als Erster, noch vor den Vertretern der Polis, benützen wollte. Und alle Fremden, die nicht wussten, dass sie uns [dem Volk von Athen] gehörten, glaubten, als sie sahen, dass der staatliche Festzug hinter dem des Alkibiades kam, wir würden seine Schaugefäße benützen, aber diejenigen, die von seinen Landsleuten [den wahren Sachverhalt] gehört hatten oder mit dem Charakter des Mannes vertraut waren, lachten über uns, da sie sahen, dass der eine Mann mehr Macht habe als die Polis in ihrer Gesamtheit …“ 65

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Die Rede, der wir den Bericht über die Affäre mit den Schaugefäßen entnommen haben, ist durch eine unverhüllt alkibiadesfeindliche Tendenz geprägt und kann daher nicht in allen Einzelheiten als glaubwürdig gelten, aber wir brauchen nicht zu zweifeln, dass Alkibiades die Siegesfeiern dazu nutzte, seine Person auf penetrante Weise in den Vordergrund zu stellen. Sein Bemühen, den Griechen seine Machtstellung und seinen über die Grenzen der Heimatstadt hinausreichenden Einfluss vor Augen zu führen, hatte er während der Spiele bereits von allem Anfang an demonstriert, als er sich seinen Aufenthalt durch ‚freiwillige‘ Gaben der wichtigsten Seebundsstädte subventionieren ließ. „Die Ephesier errichteten ein prachtvoll geschmücktes Zelt für ihn, die Polis Chios stellte Futter für die Pferde und eine Menge von Opfertieren, den Wein und was sonst für die großzügige Bewirtung vieler Menschen erforderlich war lieferten die Lesbier.“ 66 Wir dürfen annehmen, dass Alkibiades mit seinem Olympia-Auftritt das Ziel, alle Griechen von seiner Bedeutung als einer politischen Größe von gesamt-hellenischen Dimensionen zu überzeugen, in hohem Grade erreicht hat; ob er damit bei seinen Landsleuten in gleichem Maße Ehre einlegen konnte, ist nicht klar. Sein unverhohlen zur Schau gestellter Geltungsanspruch stand in Widerspruch zu den tiefverwurzelten politischen Instinkten des athenischen Durchschnittsbürgers, der von den führenden Männern seiner Polis Respekt vor dem demokratischen Gleichheitsideal und ein freiwilliges Zurücktreten hinter das große Ganze der Bürgergemeinschaft erwartete. Wenn Alkibiades bei seinem Olympia-Auftritt dieses Verhältnis geradezu demonstrativ umkehrte, so wird dies Wasser auf die Mühlen derjenigen gewesen sein, die in seinen Ambitionen eine Gefahr für die demokratische Ordnung ihrer Polis erblicken wollten. Auf der anderen Seite ließ sich im Komplex der demokratischen Bürgermoral auch ein brauchbarer Ansatz zur Rechtfertigung des Olympia-Auftrittes finden, denn die Athener zeigten sich gewöhnlich bereit, ihren wohlhabenden Mitbürgern die Entfaltung verschwenderischen Geldaufwandes zuzubilligen, wenn die betreffenden Ausgaben im Interesse des Allgemeinwohls getätigt wurden. Alkibiades hat sich offenbar bemüht, seinen Olympia-Auftritt in dieses Licht zu stellen. In der Darstellung des Thukydides macht er dem Volk gegenüber geltend, dass durch seinen Auftritt den Griechen die Macht und der Wohlstand Athens demonstriert worden sei; dasselbe Argument wurde dann auch zwanzig Jahre nach dem Ereignis in einer von dem berühmten Redenschreiber Isokrates für Alkibiades’ Sohn verfassten Gerichtsrede ins Treffen geführt.

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Letztendlich wird der Olympia-Auftritt des Alkibiades die athenische Öffentlichkeit weiter polarisiert haben. Einige Athener dürften erwartungsgemäß beeindruckt gewesen sein, andere eher abgestoßen. Nicht wenige Bürger aber werden sich beim Hören der Geschichten über die entwendeten Rosse des Diomedes, die Benützung der staatlichen Schaugefäße und die Servilität der Bundesgenossen an frühere unerfreuliche Vorfälle erinnert und in einer kritischen Sicht des Alkibiades bestätigt gefühlt haben – einer Sicht, in der das strahlende Bild des Volkshelden mehr und mehr durch die hässliche Figur eines unbeherrschten Gewaltmenschen und Möchtegern-Autokraten überschattet zu werden drohte.

Alkibiades nach dem Olympia-Auftritt: eine Zwischenbilanz Im Jahre seines Olympia-Auftrittes stand Alkibiades etwa in der Mitte seines vierten Lebensjahrzehnts, nach gängigen Auffassungen im besten Mannesalter. Seit mindestens fünf Jahren hatte er auf der politischen Bühne Athens eine Hauptrolle übernommen und einen bestimmenden Einfluss auf die Politik seiner Heimatstadt ausgeübt. Er hatte reichlich Gelegenheit gehabt, seine Talente als Staatsmann, Feldherr und Diplomat unter Beweis zu stellen, und wie immer man über sein Wirken urteilen mochte, niemand konnte bestreiten, dass er, aufs Ganze gesehen, unter Athens Politikern die eindrucksvollste und dynamischste Erscheinung darstellte. Dennoch würde, wenn zu jener Zeit ein unvoreingenommener Beobachter den Versuch unternommen hätte, eine Bilanz von Alkibiades’ Wirken zu ziehen, diese Bilanz nicht eindeutig positiv ausgefallen sein. Im Bereich der Außenpolitik hatte er Taten gesetzt, die, wie etwa sein Marsch durch die Peloponnes, Aufsehen erregt und ihm einen guten Ruf als Heerführer eingetragen hatten. Dauerhafte Erfolge hatte er allerdings kaum verbuchen können, und was er erreicht hatte, schien, wie die wechselvollen Entwicklungen in Argos zeigten, auf unsicheren Füßen zu stehen. Immerhin konnte er darauf bauen, dass sein außenpolitisches Credo von einem großen Teil der Bürgerschaft geteilt wurde. In der Innenpolitik hingegen war seine Position keineswegs so unangefochten wie es auf den ersten Blick scheinen mochte. Mehr und mehr wurde deutlich, dass Alkibiades innerhalb der Bürgergemeinde eine polarisierende Figur darstellte, die bei den einen Bewunderung und An-

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hänglichkeit, bei den anderen Misstrauen und erbitterte Abneigung erweckte und nur wenige kalt ließ. Gemischte Gefühle mussten schon sein verschwenderischer Lebensstil und sein extravagantes Auftreten hervorrufen. Plutarch weiß in seiner Biographie einige markante Exzentrizitäten zu berichten, so etwa, dass Alkibiades in der Öffentlichkeit gerne in enorm teuren Purpurgewändern auftrat, dass er bei Seefahrten, damit seine Matratze auf Gurten liegen könne, einen Teil des Schiffsdecks ausschneiden ließ, und dass er in blasphemischer Ironie auf seinem vergoldeten Schild den Liebesgott Eros verbunden mit dem Donnerkeil, dem Zeichen des Weltenherrschers Zeus, abbilden ließ. Andere Autoren bestätigen Plutarchs Bericht und ergänzen ihn um einige Nuancen wie etwa die Nachricht, dass Alkibiades sein Haar ungewöhnlich lang wachsen ließ und dass er Schuhe von besonderem Zuschnitt trug, die sogar nach ihm benannt wurden.67 Solcher Luxus musste im demokratischen Athen vielen als ‚politisch nicht korrekt‘ erscheinen. Zwar war privater Reichtum an sich nicht verpönt, doch es wurde erwartet, dass die Vermögenden ihre Mittel nicht für Vergnügungen, sondern für das Wohl der Bürgergemeinschaft verwendeten, zum Beispiel bei der Ausstattung der sogenannten ‚Leiturgien‘, Aufgaben, die wohlhabende Bürger im Interesse der Allgemeinheit übernahmen, um sie in Eigenregie durchzuführen und aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Verschwenderischer Aufwand für private Amüsements konnte demgegenüber rasch als anstößig gewertet werden, und sicherlich hat es gerade im Falle des Alkibiades nicht an Stimmen gefehlt, die seinen Lebensstil als Affront gegen die demokratischen Werte verdammten. Allerdings wird der Luxus für Alkibiades nicht nur negative ‚Publicity‘ gebracht haben. Sein extravaganter Lebensstil dürfte gerade wegen des darin liegenden Bruchs mit überkommenen Konventionen und Tabus auf viele Zeitgenossen faszinierend gewirkt und somit sein Bemühen, sich zu einer Ausnahmeerscheinung der athenischen Politik hochzustilisieren, bekräftigt haben. Zudem schien, wenn Alkibiades viel Geld auf die Präsentation seiner äußeren Erscheinung verwendete, der erzielte Effekt den Aufwand zu rechtfertigen: Die exquisite Aufmachung in Kleidung und Haartracht, die bei einem Durchschnittsmenschen überzogen gewirkt hätte, konnte bei dem vielbewunderten Eupatridensprössling, der nach dem Zeugnis aller Zeitgenossen schon durch seine körperlichen Vorzüge und seine charismatische Ausstrahlung eine Ausnahmeerscheinung darstellte, als angemessener Aufwand gelten. Es ist

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wohl nicht zu weit hergeholt, wenn wir in Analogie zum ‚Starkult‘ moderner Zeiten vermuten möchten, dass Alkibiades gerade durch seinen aufwendigen Lebensstil und seine strahlende Erscheinung für viele Mitbürger das Projektionsbild eigener Wunschvorstellungen dargestellt und, aufs Ganze gesehen, für sein großspuriges Auftreten mehr Sympathie als Abneigung geerntet hat. Anders lagen die Dinge bei einem anderen typischen Zug seines Wesens, nämlich jenem Hang zum Tabubruch und zur Regelverletzung, der schon in seinen frühen Jugendjahren so deutlich zu Tage getreten war und der bei einem erwachsenen Mann und führenden Staatsmann erst recht anstößig wirken musste. Das galt für die sexuellen Eskapaden aller Spielarten, denen Alkibiades, wenn wir den in der Überlieferung erhobenen Klagen Glauben schenken dürfen, auch als gereifter Mann mit gleicher Bedenkenlosigkeit oblag wie in den stürmischen Jugendjahren. Es galt vor allem auch für seine Neigung zur Selbstherrlichkeit und Gewalttätigkeit im Umgang mit seinen Mitmenschen, die sich nicht mehr nur in rohen Späßen, sondern in teilweise recht massiven Übergriffen äußerte. Hatte man Alkibiades’ Handgreiflichkeiten seinerzeit noch als Jugendstreiche abtun können, so schien sich in den Exzessen seiner mittleren Jahre das Naturell eines selbstherrlichen Gewaltmenschen zu enthüllen, der sich bewusst und demonstrativ über die Gesetze der Polis und die Rechte seiner Mitbürger hinwegsetzte. Die Überlieferung hat uns einige Beispielfälle bewahrt, die besonderes Aufsehen erregten und von den politischen Gegnern des selbstherrlichen Eupatriden natürlich breitgetreten wurden. Ein besonders spektakulärer Fall war Alkibiades’ Reaktion auf das Scheidungsbegehren seiner Gattin Hipparete. Nach dem Zeugnis eines zeitnahen Redners hat Alkibiades ihr durch im eigenen Haus gefeierte Sexorgien das Eheleben dermaßen verleidet, dass sie sich zur Scheidung entschloss. Dem athenischen Rechtssystem gemäß machte sie sich auf den Weg, um ihr Scheidungsbegehren beim zuständigen Archon einzubringen, wurde jedoch, noch ehe sie den Amtssitz dieses Würdenträgers erreicht hatte, von Alkibiades mitten auf der Agora ergriffen und mit Gewalt ins eheliche Heim zurückgeschleppt, ohne dass einer der zahlreichen Zuseher es zu hindern wagte – Alkibiades hatte sich sicherheitshalber von einem Trupp ergebener ‚Gefährten‘ begleiten lassen. Ob es nachher zu einer ehelichen Versöhnung kam oder ob Alkibiades seine Gattin auf Dauer mit Gewalt im Hause festhielt, ist uns nicht überliefert,

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fest steht nur, dass Hipparete keinen zweiten Scheidungsversuch mehr unternommen hat. Sie blieb bis zu ihrem wahrscheinlich im Jahre 416 erfolgten Tod im Hause des untreuen Ehemannes. Aus der Sicht der athenischen öffentlichen Meinung dürfte an Alkibiades’ Vorgehen weniger die Handgreiflichkeit gegenüber der Gattin empörend erschienen sein als die Tatsache, dass er sie an der Einleitung eines rechtsförmlichen Scheidungsverfahrens gehindert und damit die gesetzliche Ordnung der Polis in Frage gestellt hatte. 68 Einen anderen in aller Öffentlichkeit vollzogenen Übergriff verübte Alkibiades an einem gewissen Taureas, einem wohlhabenden Athener, der einen Knabenchor ausgestattet hatte und damit bei einem der großen Festspiele gegen einen von Alkibiades in den Wettkampf geschickten Chor antrat. Als es dabei zu einem Disput über eine angebliche Regelverletzung kam, geriet Alkibiades in Rage und begann auf den konkurrierenden Chorführer einzuprügeln. Die Hintergründe des Streits sind unklar, und auch über die Reaktion der athenischen Öffentlichkeit auf Alkibiades’ Gewaltakt finden wir in der Überlieferung widersprüchliche Angaben: Einerseits sollen, wie es heißt, die Zuschauer unverhohlene Empörung über den unsportlichen Ausbruch gezeigt haben, andererseits haben die Kampfrichter Alkibiades nicht nur nicht disqualifiziert, sondern seinem Team sogar den Sieg zuerkannt. Aber wo auch immer beim ursprünglichen Streitpunkt das Recht gelegen haben mochte, Alkibiades’ Unbeherrschtheit war eines verantwortungsvollen Staatsmannes unwürdig und wird bei vielen Zusehern sicherlich einen schlechten Eindruck hinterlassen haben. 69 Ein weiteres, in der öffentlichen Diskussion besonders breitgetretenes Beispiel bot der Fall des Malers Agatharchos, den Alkibiades – angeblich, weil er einen Auftrag nicht sofort ausführen wollte – in seinem Haus einsperren ließ und zwang, die gewünschte Arbeit ohne Verzug durchzuführen. Auch hier sind die Hintergründe der Affäre nicht ganz durchsichtig; es findet sich in einer Quelle die Behauptung, dass der Inhaftierung eine Beleidigung des Alkibiades durch den Maler vorangegangen sein soll. Die Wahrheit wird sich naturgemäß nicht ermitteln lassen, jedenfalls aber gab die Episode den Gegnern des Alkibiades zusätzlichen Stoff für die vielstimmigen Klagelieder, in denen sie die gesetzesverachtende Hybris ihres Widersachers anprangerten.70 Dass diese Hybris nicht immer zum Schaden der Mitmenschen, sondern gelegentlich auch zum Vorteil eines anderen – allerdings wiederum zum Nachteil des bestehenden Rechtssystems – wirksam werden konnte,

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zeigt der Fall des Dichters Hegemon von Thasos, der uns allerdings nur in einer einzigen späten Quelle überliefert ist. Dieser Quelle zufolge soll Hegemon in Athen vor Gericht gezogen worden sein und sich an Alkibiades um Hilfe gewandt haben. Alkibiades hieß ihn guten Mutes zu sein und ging mit ihm zum Staatsarchiv, wo die Anklageschriften aufbewahrt wurden. Dort ließ er sich die gegen Hegemon eingebrachte Klageschrift geben, benetzte seinen Finger mit der Zunge und strich die Anklage aus. Der zuständige Archon und sein Schreiber zeigten sich offenkundig verärgert, wagten es aber nicht, gegen diesen Akt der Willkür einzuschreiten, und auch der Ankläger zog sich, als er sah, dass sein Prozessgegner unter Alkibiades’ Schutz stand, diskret zurück.71 Die hier wiedergegebenen Episoden stellen aller Wahrscheinlichkeit nach nur einen Ausschnitt aus einem größeren Fundus zeitgenössischer Anekdoten dar, die sich um Alkibiades’ Hang zur Gewalt und Eigenmächtigkeit rankten. Unabhängig von der Frage nach ihrer Glaubwürdigkeit im Einzelnen bezeugen sie uns in ihrer Gesamtheit einen Aspekt von Alkibiades’ Image, der nicht nur aus der Sicht strenger Moralapostel, sondern auch in den Augen normaler Bürger problematisch erscheinen musste. Den Athenern, die immer noch das Andenken an die Brutalitäten ihrer seinerzeitigen Tyrannen und an den dagegen gerichteten Widerstand hochhielten, konnten die Übergriffe des Alkibiades kaum anders denn als Ausflüsse eines zwanghaft zur Hybris geneigten, ‚tyrannenhaften‘ Charakters erscheinen, der nicht imstande war, sich in die von dem Prinzip der gleichmäßigen Unterordnung aller Bürger unter das Gesetz bestimmte Polis-Ordnung einzufügen. Für nicht wenige Zeitgenossen dürften sich aus dieser Erkenntnis gravierende Zweifel an Alkibiades’ Eignung zur Führung eines demokratischen Gemeinwesens ergeben haben. In der bereits im Zusammenhang mit dem Olympia-Auftritt zitierten alkibiadesfeindlichen Rede findet sich ein entsprechendes Verdammungsurteil in scharfen Worten formuliert: „Er [Alkibiades] hat den Griechen gezeigt, dass sie sich nicht zu wundern brauchen, falls er einem von ihnen Gewalt antun sollte, weil er ja auch seine Mitbürger nicht als Gleichberechtigte behandelt, sondern die einen ausraubt, andere verprügelt, andere einsperrt, anderen wiederum ihr Hab und Gut abpresst; er zeigt klar, dass die Demokratie ihm nichts bedeutet – er spricht die Sprache eines Volksführers und setzt dabei Taten, die eines Tyrannen würdig wären.“ 72 Die Rede ist erst nach Alkibiades’ Tod abgefasst worden, aber es erscheint glaubwürdig, dass sich in ihr Vorwürfe widerspiegeln, die bereits

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zu seinen Lebzeiten erhoben worden sind. Dass Alkibiades’ Gegner schon früh den Vorwurf einer gesetz- und demokratiewidrigen Lebenshaltung gegen ihn erhoben und diese als Indiz für ‚tyrannische‘ Ambitionen darstellten, ist uns durch Thukydides glaubwürdig bezeugt. Offensichtlich war um 415 eine organisierte Flüsterkampagne im Gange, die darauf abzielte, ihm die Absicht eines Verfassungsumsturzes und der Errichtung einer Tyrannenherrschaft zu unterstellen.73 Kann dieser schwerwiegende Vorwurf als berechtigt gelten? In seiner konkreten Form wohl kaum: Abgesehen von den im Zuge der erwähnten Propagandakampagne kolportierten Vorwürfen haben wir keine Hinweise darauf, dass Alkibiades um 416 oder 415 auf den Sturz der Demokratie hingearbeitet hat, und bei Licht betrachtet darf man gerade die ihm angelasteten Übergriffe als Indizien dafür nehmen, dass er nichts dergleichen im Sinne hatte – hätte er tatsächlich weitreichende sinistre Pläne verfolgt, hätte er es wohl kaum riskiert, durch demonstrative Willkürakte den Argwohn der Mitbürger auf sich zu lenken. Auch deutet alles, was aus seinem späteren Leben bekannt ist, darauf hin, dass er im Grunde stets bereit gewesen ist, die demokratische Ordnung des athenischen Gemeinwesens zu akzeptieren, solange sich ihm die Möglichkeit bot, im Rahmen dieser Ordnung an führender Stelle tätig zu werden. Im Hinblick darauf werden wir die gegen Alkibiades gerichteten Attacken, soweit sie auf den Vorwurf des Verfassungsumsturzes abzielten, nicht für gerechtfertigt halten können; in einem weiteren Sinne verstanden, war jedoch der Vorwurf der ‚tyrannenhaften‘ Lebenshaltung nicht ganz unbegründet. In der Tat scheint uns in dem Alkibiades der frühen 410er-Jahre eine selbstherrliche Persönlichkeit entgegenzutreten, ein egozentrischer Autokrat, der sich über die geltenden Gesetze und Normen erhaben fühlte. Zwar steckte hinter seinen von politischen Gegnern breitgetretenen Übergriffen nicht der Impetus eines auf gewaltsamen Umsturz hinarbeitenden Verfassungsfeindes, wohl aber das übersteigerte Ego eines von Jugend auf mit Lob und Schmeichelei überschütteten Wunderkindes, das sich einzureden verstand, dass die dem Durchschnittsbürger durch Gesetz und Moral gezogenen Grenzen für ihn keine Geltung haben könnten, dass ihm alles erlaubt und nichts verwehrt sei. Man darf Alkibiades zugestehen, dass die Haltung vieler Mitbürger geeignet war, ihn in solchen Vorstellungen zu bestärken. Tatsächlich ließ sich die Mehrheit der Athener durch die erwähnten Skandale in ihrer Zuneigung zum strahlenden Volkshelden Alkibiades vorderhand nicht erschüttern. Der Sprecher der

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oben zitierten Anti-Alkibiades-Rede lag nicht ganz falsch, wenn er seinen Mitbürgern vorwarf, sie würden im Falle des Alkibiades mit zweierlei Maß messen.74 Für viele Athener zählte das Charisma des weithin als ‚Quasi-Übermensch‘ bewunderten ‚Superstars‘ mehr als der abstrakte Grundsatz der gleichen Bindung aller Bürger an das geltende Gesetz. Doch es gab keine Gewähr, dass dieser für Alkibiades scheinbar so angenehme Zustand von Dauer sein würde. Seinen noch in der Mehrheit befindlichen Bewunderern stand bereits eine beträchtliche Zahl von Gegnern und Kritikern gegenüber, welche nicht müde wurden, die Erinnerung an seine Exzesse wachzuhalten und die Athener vor den angeblichen Tyrannis-Neigungen des problematischen Volkslieblings zu warnen. Die Gefahr, dass dieses propagandistische Trommelfeuer schließlich doch Wirkung zeigen könnte, war vorderhand noch nicht akut, aber sie konnte schlagend werden, falls sich sein Sündenregister eines Tages um ein Vergehen erweitern sollte, das sich nicht mehr als Affekthandlung oder als Akt des Übermuts abtun ließ. Alkibiades hätte im Jahre 416 guten Grund gehabt, sich in Zukunft mehr in Acht zu nehmen als bisher. Seine Situation scheint damals aber noch einen weiteren Anlass zur Besorgnis geboten zu haben. Mehrere Indizien deuten darauf hin, dass seine Finanzlage zusehends angespannt war. Von Haus aus als Erbe eines großen Vermögens und Schwiegersohn des reichen Hipponikos finanziell sehr gut gestellt, hatte er mit seinem üppigen Lebensstil Lasten auf sich geladen, die auch für einen reichen Athener nicht ohne Schwierigkeiten zu tragen gewesen sein dürften. Vor allem der enorm kostspielige Olympia-Auftritt muss tief in das Vermögen des Alkibiades hineingeschnitten haben. Es ist gut denkbar, dass die Skandalaktionen, die seinen Wagensieg begleiteten – die Affäre um das argivische Pferdegespann, der Zugriff auf die staatseigenen Prunkgefäße, die ‚freiwilligen‘ Beiträge der Bundesstädte für seinen Aufwand –, ihren Grund nicht einfach in Alkibiades’ vielgeschmähter Hybris, sondern in chronischen Geldverlegenheiten hatten. Finanzielle Motive könnten bereits bei der gewaltsamen Vereitelung des Scheidungsbegehrens seiner Gemahlin eine Rolle gespielt haben, denn die Hochzeit mit Hipparete hatte ihm eine hohe Mitgift eingebracht, die im Falle einer Scheidung verloren gegangen wäre. 75 Vor dem Hintergrund dieser Verhältnisse gesehen, erscheint Alkibiades’ Lage im Jahre 416 zwar äußerlich glänzender als je zuvor, aber auch stärker denn je durch latent bedrohliche Entwicklungen umdüstert. Das

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durch seine eigene Hybris verursachte, durch die Kampagne seiner politischen Gegner verschärfte Imageproblem einerseits, die Anspannung seiner finanziellen Mittel andererseits stellten Gefahren dar, die im Augenblick noch nicht akut waren, aber über kurz oder lang ein bedrohliches Ausmaß annehmen konnten. Das beste Mittel, diesen Entwicklungen zu begegnen, hätte natürlich in der Übernahme des Kommandos bei einem spektakulären Unternehmen bestanden, das ihm nicht nur Gelegenheit gegeben hätte, seine Fähigkeiten klarer als bisher unter Beweis zu stellen, sondern auch die Chance, sich auf mannigfache Weise persönlich zu bereichern. Das Schicksal wollte es, dass die Aussicht auf ein derartiges Kommando sehr bald in greifbare Nähe rückte.

Der Lockruf des Westens: die Siziliendebatte Im Winter des Jahres 416/15 fühlte sich das Volk von Athen von einer Woge der Zuversicht und des Selbstbewusstseins getragen, wie man sie seit langen Jahren nicht mehr empfunden hatte. Das seit dem Abschluss des Nikiasfriedens vergangene halbe Jahrzehnt war trotz der kriegerischen Verwicklungen auf der Peloponnes als eine Zeit des Friedens und der wiedergewonnenen Prosperität erlebt worden. Die Stadt hatte begonnen, sich von den Folgen des Archidamischen Krieges zu erholen. Landwirtschaft und Handel profitierten von der durch den Frieden gewonnenen Sicherheit. Der während des Krieges fast erschöpfte Staatsschatz begann sich aufs Neue zu füllen, die erlittenen Bevölkerungsverluste wurden durch das Heranwachsen einer neuen Generation von kriegstüchtigen und tatendurstigen Jungbürgern ausgeglichen. Diese Entwicklung musste schon von sich aus zum Aufkommen einer optimistischen Grundstimmung führen, aber auch das Bild, das sich den Athenern beim Blick über die Grenzen bot, schien geeignet, sie in ihrer Attitüde des zuversichtlichen Selbstvertrauens zu bestärken. Zwar waren die von Alkibiades in den Jahren 420 und 419 erweckten Hoffnungen auf eine Expansion in die Peloponnes hinein durch den Rückschlag von Mantineia enttäuscht worden, aber auf der anderen Seite hatte Athen sich als stark genug erwiesen, um die Spartaner von dem Gedanken an eine Wiederaufnahme des Krieges abzuschrecken. Die Vernichtung der vergebens auf Spartas Hilfe hoffenden Inselpolis Melos

Die Siziliendebatte

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hatte vor den Augen der ganzen Welt demonstriert, dass in dem von ihrer Seeherrschaft erfassten Bereich die Machtentfaltung der Athener keine anderen Schranken kannte als jene, die sie sich selbst zu setzen gewillt waren. Im Bewusstsein ihrer Stärke gefestigt, materiell gekräftigt und von frischen expansiven Energien erfüllt, fühlten Athens Bürger sich wieder imstande, die Herausforderung des Kampfes um die Vormachtstellung in der Griechenwelt anzunehmen. Bei dieser Lage der Dinge erschien eine Gesandtschaft aus dem fernen Westen der Griechenwelt in Athen. Die Gesandten kamen aus der im Westen Siziliens gelegenen Stadt Egesta, die den Athenern durch einen jüngst geschlossenen Bündnisvertrag verbunden war. Der Zweck ihrer Mission bestand in einem Hilfeersuchen: Die Egestaier waren seit einiger Zeit in einen Krieg mit ihrer Nachbarstadt Selinus und mit Syrakus, der mächtigsten aller sizilischen Griechenstädte, verwickelt, hatten dabei schwere Rückschläge erlitten und riefen nun Athen um Waffenhilfe an. Sie baten um die Entsendung einer militärischen Hilfsexpedition und boten an, die Kosten dafür aus dem Staatsschatz von Egesta zu tragen. Zugleich mit ihnen kam eine Abordnung ehemaliger Bürger der einige Jahre zuvor von den Syrakusanern zerstörten ostsizilischen Stadt Leontinoi, die Athens Hilfe für den Kampf gegen Syrakus und die Wiederherstellung ihrer Gemeinde erbitten wollten. Die Gesandtschaften fanden in Athen zunächst eine zurückhaltende Aufnahme. Zwar setzten sich die expansionistisch gestimmten unter den athenischen Politikern, die in dem Angebot eine goldene Gelegenheit zu neuer militärischer Machtentfaltung erblickten, von Anfang an energisch für die Sache der Egestaier ein, die Mehrheit der Volksversammlung befürwortete jedoch ein bedächtigeres Vorgehen. Man beschloss, zunächst einmal nur eine Gesandtschaft nach Sizilien zu entsenden, die dort die Verhältnisse prüfen und feststellen sollte, ob die finanziellen Ressourcen von Egesta überhaupt zur Finanzierung der geplanten Expedition ausreichen konnten.76 Der vorsichtige Beschluss zeigte, dass die konservativen Gemüter, die dem Gedanken an eine Expansion in weitabgelegene Regionen skeptisch gegenüberstanden, innerhalb der Bürgerschaft immer noch stark präsent waren, aber ihre Gegenspieler von der expansionistischen Richtung waren weit davon entfernt, sich geschlagen zu geben. Der Meinungsbildungsprozess nahm im Winter 416/15, während die Gesandtschaft unterwegs war, seinen Fortgang, und es wurde deutlich, dass der Gedanke an eine Sizilienfahrt in den Augen vieler Athener eine Faszina-

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tion ausübte, die sich weder durch einen Appell an die Vorsicht noch durch rationale Argumente brechen ließ. Die Vorstellung von einer Ausdehnung ihrer Macht in die nach den Begriffen des griechischen Mutterlandes weitläufigen und reichen Gefilde des Westens scheint die Mehrheit der Athener völlig in ihren Bann geschlagen zu haben. Dieses starke emotionale Engagement kam nicht aus heiterem Himmel. Spätestens seit der Mitte des 5. Jahrhunderts hatten die Athener den westlichen Kolonialländern der Griechenwelt ihre Aufmerksamkeit zugewandt und immer wieder versucht, mit diplomatischen oder kriegerischen Mitteln im sizilisch-unteritalischen Bereich Fuß zu fassen. Man hatte Bündnisse mit einigen der dortigen Griechenstädte geschlossen, hatte sich an einer großangelegten Koloniegründung in Unteritalien beteiligt und schließlich zur Zeit des Archidamischen Krieges eine Flottenexpedition nach Sizilien entsandt, um die dortigen Bündnispartner gegen die spartafreundlichen Städte der Region zu unterstützen. Zwar hatte diese erste Sizilienexpedition mit einem für Athen unbefriedigenden Ergebnis geendet, aber bei vielen Athenern blieb der Gedanke an eine Expansions- und Eroberungspolitik im Westen als verlockendes Wunschbild weiterhin präsent. Die Athener bemühten sich, ihre diplomatischen Kontakte mit der Welt des Westgriechentums am Leben zu erhalten und auszubauen, so im Jahre 422 durch eine Gesandtschaftsmission und im Jahre 418/17 durch einen Vertrag mit ebenjener Stadt Egesta, deren Hilferuf nun die Erinnerung an alte Eroberungspläne von neuem ins Bewusstsein rief.77 Sizilien und Süditalien bildeten aus athenischer Sicht eine Region, in der sich viel gewinnen ließ. Die Insel Sizilien war nicht nur eine der großen Kornkammern der antiken Mittelmeerwelt, sie stellte auch dank ihrer zentralen Lage eine strategische Schlüsselposition dar, gleichermaßen günstig gelegen für die Kontrolle der nach Italien und Nordwestafrika führenden Seehandelsrouten wie als Ausgangspunkt für weitere Expansionsschritte im Westen. Zu diesen Verlockungen trat noch der Gesichtspunkt der ‚nationalen Sicherheit‘ des athenischen Seereiches. Die Syrakusaner, die während der ersten Sizilienexpedition die Hauptgegner Athens auf der Insel gebildet hatten, hatten in der Zwischenzeit ihre Macht weiter ausbauen können, was aus athenischer Sicht zu der Befürchtung Anlass gab, dass ein weiter erstarktes Syrakus eines Tages zugunsten der Spartaner im griechischen Mutterland intervenieren könnte. Es schien also auch um der eigenen Sicherheit willen geboten, der syrakusanischen Expansion energisch entgegenzutreten.

Der Beschluss zur Expedition

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So kam es, dass sich im Zuge der während des Winters 416/15 geführten Diskussionen die Stimmung in Athen immer mehr dem Gedanken einer militärischen Intervention in Sizilien zuneigte. Plutarch zufolge haben die Insel, ihre Reichtümer und die Schwierigkeiten und Chancen einer dorthin entsandten Expedition im Athen des Frühjahrs 415 in solchem Maße das beherrschende Thema der politischen Diskussion gebildet, „dass in den Ringschulen viele sich im Halbkreis zusammensetzten und Skizzen von der Gestalt der Insel und ihrer Lage im Verhältnis zu Libyen und Karthago in den Sand zeichneten“.78 Vor dem Hintergrund der immer noch ungelösten außenpolitischen Richtungsstreitigkeiten der vergangenen vier Jahre konnte es dabei nicht ausbleiben, dass sich die Frage der Sizilienintervention von Anfang an mit dem generellen Gegensatz zwischen den ‚Expansionisten‘ und den ‚Seereichs-Konsolidierern‘ verquickte. Dementsprechend hat unter den Politikern, die sich für eine Intervention im Westen starkmachten, Alkibiades ganz klar die Vorreiterrolle eingenommen, während auf der Seite der Skeptiker Nikias als Wortführer auftrat.79

Der Beschluss zur Expedition nach Sizilien Als dann zum Frühjahrsbeginn 415 die athenische Erkundungsmission mit der Meldung aus Sizilien zurückkehrte, dass der Staatsschatz von Egesta üppig gefüllt sei und eine mit ihnen gekommene Gesandtschaft der Egestaier die stattliche Summe von sechzig Talenten als ersten Beitrag zur Deckung der athenischen Kriegskosten präsentierte, waren Athens Bürger in ihrer Mehrheit bereit, ihre Bedenken beiseitezulegen und sich mit vollem Herzen auf das Abenteuer der Sizilienfahrt einzulassen. Man beschloss, den Egestaiern die erbetene Unterstützung zu gewähren und eine sechzig Schiffe starke Expedition nach Sizilien zu entsenden, die nicht nur Egesta gegen Selinus unterstützen, sondern bei günstigem Kriegsverlauf auch das einige Jahre zuvor von den Syrakusanern zerstörte Leontinoi wiederherstellen sollte. Damit war neben Selinus nun auch Syrakus offen als potentielles Angriffsziel der Expeditionsstreitmacht namhaft gemacht worden.80 Für Alkibiades bedeutete der Beschluss zur Sizilienfahrt nicht nur einen politischen Triumph sondern die Erfüllung ganz persönlicher Hoffnungen. Das Projekt, das in der Form, in der die Expansionisten es

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ins Werk zu setzen gedachten, Kühnheit der Konzeption mit gewaltigen Eroberungsaussichten vereinigte und nur durch die Verbindung von militärischer Führungskraft und hohem diplomatischem Geschick zu bewältigen war, entsprach voll und ganz seiner Denkart, und dass von allen Feldherren Athens kein anderer besser als er selbst zur Ausführung des Planes geeignet sein konnte, war in seinen und seiner Anhänger Augen eine unbezweifelbare Tatsache. Man darf es für gewiss halten, dass Alkibiades schon während der im Laufe des Winters 416/15 geführten Debatten seinen Anspruch auf die Führung der zu entsendenden Expedition ins Spiel gebracht hat, und eine Zeitlang sah es tatsächlich so aus, als ob er mit diesen Bestrebungen auf der ganzen Linie Erfolg haben würde. Eine leider nur fragmentarisch erhaltene Inschrift zeigt, dass die Athener beim ersten in Sachen Sizilienexpedition gefassten Volksbeschluss noch die Möglichkeit ins Auge gefasst hatten, das Kommando einem einzigen Strategen zu übertragen; es kann kaum ein Zweifel bestehen, dass man dabei an Alkibiades gedacht hat. Im weiteren Verlauf der Beratungen erwies sich jedoch, dass die Vorstellung, die Verantwortung für ein derart bedeutsames Unternehmen in die Hände eines Einzelnen zu legen, bei vielen Bürgern auf Vorbehalte stieß. Der endgültige, zweifellos auf der Basis einer heißen Debatte gefasste Beschluss sah vor, dass nicht einer, sondern drei Strategen gemeinsam den Oberbefehl über die Expeditionsstreitkräfte erhalten sollen. Wie erwartet, fiel eine der drei Kommandostellen Alkibiades zu, daneben aber wurde außer dem erfahrenen Militär Lamachos ausgerechnet sein großer Widersacher Nikias bestellt, der dem ganzen Unternehmen skeptisch gegenüberstand und sich offen dagegen ausgesprochen hatte. 81 Für Alkibiades wird Nikias’ Ernennung zum Mitstrategen einen Schlag ins Gesicht bedeutet haben, aber auch an den modernen Vorstellungen von militärischer Führungseffizienz gemessen muss die Entscheidung, zwei derartige Antipoden in einem gemeinsamen Kommando zusammenzuspannen, geradezu widersinnig anmuten. Die Athener sahen es anders. Aus ihrer Sicht bedeutete die Betrauung zweier so unterschiedlicher Persönlichkeiten einen Gewinn für das Unternehmen, da sie glaubten, „der Krieg würde besser laufen, wenn man den Alkibiades nicht ungezügelt aussende, sondern seine Kühnheit mit der Voraussicht des Nikias verbinde“. 82 Das war in der Theorie nicht so abwegig wie es in unseren Ohren klingen mag, denn Nikias, der sich während des Spartanerkrieges einen Ruf als exzellenter Feldzugsorganisator und umsichtiger Kommandant erworben hatte, konnte von Haus aus tatsächlich eine

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gute Ergänzung zu Alkibiades, dem Mann der Visionen und der kühnen Konzepte, darstellen. Der dritte Feldherr, Lamachos, konnte zu dieser Verbindung seine Fähigkeit als Truppenführer und als unerschrockener Befehlshaber im Kampf beisteuern. Die drei hätten somit zusammengenommen durchaus das Zeug gehabt, sich als ein Strategenkollegium aller Talente zu präsentieren. Die Voraussetzung dafür wäre freilich gewesen, dass Nikias und Alkibiades es verstanden hätten, persönlich miteinander auszukommen, und dass über die Sinnhaftigkeit des Unternehmens zwischen ihnen Einigkeit geherrscht hätte. Es verhieß nichts Gutes für den Ausgang des Sizilienfeldzuges, dass keine dieser beiden Voraussetzungen tatsächlich gegeben war. Doch die Athener waren im Frühjahr 415 nicht in der Stimmung, sich von solchen Bedenken beeindrucken zu lassen. Die Propaganda der Sizilienexpansionisten hatte nunmehr ihre Wirkung voll entfaltet. Die Masse der Bürger hatte sich, einmal für das Projekt erwärmt, in einen Grad des Enthusiasmus hineingesteigert, der kritischen Stimmen keinen Raum mehr ließ. Der Einzige, der Autorität genug zu besitzen glaubte, um die Athener selbst in diesem Stadium noch von ihrem Plan abzubringen, war Nikias, den seine Bestellung zum Befehlshaber der Sizilienexpedition keineswegs zum Befürworter des Projekts gemacht hatte. Bei einer Volksversammlung, die vier Tage nach Bestellung der Strategen abgehalten wurde, „um über das, was für die schnellstmögliche Ausrüstung der Schiffe vonnöten sei und was die Feldherren etwa noch zu fordern hätten, zu beraten“, meldete er sich zu Wort und hielt eine große Rede, in der er nochmals seine grundsätzlichen Einwände gegen die Expedition zum Ausdruck brachte und dann ohne Namensnennung, aber in ziemlich unverhüllter Form eine persönliche Attacke gegen Alkibiades ritt: „Wenn aber einer, der nach Amt und Würden giert, euch zuredet, diese Fahrt zu unternehmen, und dabei nur das eigene Interesse im Auge hat, überdies für so ein Kommando noch zu jung ist; einer, der will, dass man ihn für seine Pferdezucht bewundere, und wegen der damit verbundenen Ausgaben aus seinem Feldherrnamt Gewinn ziehen möchte – gesteht diesem nicht zu, dass um den Preis einer die ganze Stadt treffenden Gefahr ein Einzelner glänzen könne, sondern bedenkt, dass Leute dieser Art sich ebenso leicht am Staatsvermögen vergreifen wie sie das eigene Hab und Gut verschwenden, und dass das Unternehmen groß ist und nicht von der Art, dass ein junger Mann es beschließen oder überstürzt betreiben sollte.“ 83 Im Anschluss an diesen Versuch, Alkibiades’ Motive

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in Zweifel zu ziehen, richtete Nikias einen eindringlichen Appell an die Älteren seiner Mitbürger: sie sollten sich dem Expansionsdrang der unbesonnenen Jugend entgegenstemmen und durch ihre Stimme bewirken, dass das verfehlte Unternehmen in letzter Minute noch abgeblasen werden könnte. Angesichts des Zeitpunkts und der Umstände, unter denen die Volksversammlung abgehalten wurde, drängt sich die Frage auf, was Nikias dazu bewogen haben mag, einen schon beschlossenen Kriegszug gewissermaßen fünf Minuten nach zwölf nochmals in Frage zu stellen. Wenn wir nicht annehmen wollen, dass er mit der erneuten Bekräftigung seiner Vorbehalte einfach seine Absetzung vom Kommando zu provozieren versuchte, so bleibt nur die Möglichkeit, dass er tatsächlich auf eine Annullierung des Kriegsbeschlusses hoffte. Als erfahrener Politiker wird Nikias sich dabei nicht allein auf die Wirkung seiner Argumente, die den Athenern größtenteils schon von früheren Debatten her bekannt gewesen sein dürften, verlassen haben; wir dürfen annehmen, dass er und seine Gesinnungsgenossen die seit der letzten gehaltenen Versammlung vergangenen vier Tage dazu genützt hatten, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren und so viele Kriegsgegner – die von Nikias in der Rede angesprochenen ‚Älteren‘ – wie nur möglich zum Besuch der Versammlung zu animieren. Unter diesen Voraussetzungen konnten ein nachträglicher Stimmungsumschwung und eine Revision des früheren Beschlusses im Bereich des Möglichen liegen. Die Befürworter der Expedition sahen sich mit einem Schlag in die Defensive versetzt. 84 Ihre Redner beeilten sich, den Angriffen des Nikias entgegenzutreten, und natürlich sah sich vor allen anderen Alkibiades gefordert, die Verteidigung seines Herzensprojekts in die Hand zu nehmen. Thukydides legt ihm eine fulminante Rede in den Mund, die nicht nur eine Darlegung seiner Lageeinschätzung und ein Plädoyer für die Erfolgssaussichten des Sizilienprojekts, sondern auch eine bemerkenswert offenherzige Selbstdarstellung und -positionierung enthielt: „Mir, o Athener, kommt es mehr als anderen zu, ein Regierungsamt innezuhaben (notwendigerweise muss ich mit diesem Punkt beginnen, weil Nikias mich angegriffen hat), und ich glaube auch, dessen würdig zu sein. Die Dinge nämlich, um derentwillen ich ringsum im Gerede bin, gereichen mir und meinen Vorfahren zum Ruhm, dem Vaterland aber zum Nutzen … alles, wodurch ich in der Stadt durch öffentliche Leistungen oder anderswie geglänzt habe, hat zwar bei den Landsleuten ganz

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naturgemäß Neid erweckt, den Fremden aber erscheint es als Zeichen der Stärke. Und so ist dieser ,Unsinn‘ nicht ohne Nutzen, wenn nämlich einer mit seinem privaten Aufwand nicht nur sich selbst, sondern auch der Stadt nützt. Daher ist es nicht ungerechtfertigt, wenn einer, der von sich selbst groß denkt, sich nicht mit allen auf eine Stufe stellt, wie ja auch der schlecht Gestellte niemanden hat, der, sich ihm gleichstellend, an seinem Elend teilhaben möchte. Sondern so wie wir, wenn es uns schlecht geht, keine Teilnahme finden, muss gleichermaßen auch jedermann hinnehmen, dass die vom Glück Begünstigten auf ihn herabsehen, oder er soll sich erst selbst mit jedermann auf gleichen Fuß stellen, ehe er solches von anderen fordert. Ich weiß, dass Männer dieser Art wie überhaupt alle, die in irgendeiner Weise glänzend hervorragten, es zu Lebzeiten schwer haben … aber sie hinterlassen ein Andenken, das Menschen späterer Epochen dazu bringt, eine Verwandtschaft mit ihnen zu beanspruchen – auch wenn es gar nicht stimmt –, und der Stadt, der sie angehören, Grund gibt, auf sie stolz zu sein, nicht als auf Fremde und fehlbare Menschen, sondern als auf Landsleute und Vollbringer großer Taten.“ 85 Die Worte, die Alkibiades hier in den Mund gelegt werden, enthalten ein dermaßen unverhohlenes Bekenntnis eines hochgesteigerten Selbstgefühls und Machtwillens, dass sich dem Leser unwillkürlich die Frage aufdrängt, ob ein auf das Wohlwollen der Volksmehrheit angewiesener athenischer Staatsmann tatsächlich mit einer solchen Rede seinen vom demokratischen Gleichheitsideal erfüllten Mitbürgern gegenübertreten konnte. Auf den ersten Blick mag man geneigt sein, die Frage zu verneinen und diese Äußerungen als Fiktion betrachten, als Produkte jener analytischen Fähigkeiten und jener Charakterisierungskunst, die Thukydides so gerne in seinen Reden zur Geltung zu bringen pflegte. Berücksichtigt man aber die zu Grunde liegende historische Situation und Alkibiades’ Stellung innerhalb der Bürgerschaft, so lässt sich feststellen, dass er hoffen konnte, gerade durch Kühnheit und Offenheit bei seinen Zuhörern Wirkung zu erzielen. Durch das Eingeständnis seines Führungsanspruches nahm er den Gegnern, die ihm ohnedies weitestgehende Herrschaftsgelüste zu unterstellen pflegten, den Wind aus den Segeln. Der Versuch, diesen Anspruch durch den Hinweis zu rechtfertigen, dass auch in der Demokratie politische Gleichberechtigung nicht mit einer Gleichheit der Wertschätzung und der Lebensverhältnisse einherzugehen pflege, dürfte in den Ohren manch eines überzeugten Demokraten wie Ketzerei geklungen haben, knüpfte aber an die Lebens-

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erfahrungen des Alltags an und mag daher vielen Zuhörern plausibel erschienen sein. Noch kühner, fast schon provokant, musste dem athenischen Durchschnittsbürger Alkibiades’ Selbstgleichsetzung mit den Heroen der Vergangenheit erscheinen, aber sie verband sich mit dem allgemein anerkannten Prinzip, dass von den Leistungen herausragender Persönlichkeiten die gesamte Bürgerschaft ihren Vorteil habe. So gesehen, enthält die von Thukydides gebotene Alkibiadesrede einen Beiklang der Authentizität, und es darf zumindest für möglich gehalten werden, dass Alkibiades tatsächlich versucht hat, dem Volk von Athen gegenüber seinen Führungsanspruch mit diesen Argumenten akzeptabel zu machen. Eine andere Frage ist freilich, ob er dies, wie der Historiker will, im Zuge der Abschlussdebatte zum Thema Sizilienexpedition getan hat. Es ist gut vorstellbar, dass Thukydides in seiner Geschichtsdarstellung Äußerungen, die Alkibiades in Wirklichkeit schon bei früheren Gelegenheiten getätigt hat, seinem Bericht von der letzten Siziliendebatte einfügte. Sicherlich war Alkibiades schon während der vorangegangenen Versammlungen gezwungen gewesen, seine Person und seinen Führungsanspruch gegen die Attacken seiner Widersacher zu verteidigen. Auf der von Thukydides beschriebenen Tagung hingegen wird diese Frage in den Hintergrund getreten sein, denn Nikias hatte mit seinem Vorstoß nicht auf die Kommandofrage abgezielt, sondern noch einmal das Für und Wider der Expedition als solcher zur Debatte gestellt. Es ist wahrscheinlich, dass sich auch Alkibiades in seiner Erwiderung auf diese Frage konzentriert und sich bemüht hat, den Bedenken des Nikias seine eigene, optimistische Einschätzung der Lage und der Erfolgssaussichten der Expedition entgegenzustellen. Was er zu sagen hatte, wird wohl in den Grundzügen dem zweiten Teil der ihm bei Thukydides zugeschriebenen Rede entsprechen. Demnach hat er zunächst darauf verwiesen, dass die Städte Siziliens untereinander uneins seien und sich daher durch geschickte Diplomatie leicht gegeneinander ausspielen lassen würden. Für den Fall eines Fehlschlags sei, so versicherte er, den Athenern durch ihre überlegene Seemacht der Rückzug garantiert, und aus ebendiesem Grund seien auch die Spartaner nicht in der Lage, die Athener in ihren Sizilienplänen zu behindern oder ihnen in der Heimat ernstlich gefährlich zu werden. Im Erfolgsfalle aber stünde von einem Sieg im Westen eine gewaltige Rückwirkung auf Athens Machtstellung auch in der Heimat zu erwarten; Athen werde dann, auf die im Westen eroberten Ressourcen gestützt, die un-

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bestrittene Vorherrschaft auch über das griechische Mutterland erringen können.86 Das waren Argumente, die bei allem Zweckoptimismus auch von den Gegnern der Expedition nicht einfach von der Hand gewiesen werden konnten. Die auf die Zwietracht der Sizilier gesetzten Hoffnungen sollten sich schließlich als trügerisch erweisen, den Athenern von 415 aber, denen die von Alkibiades vier Jahre zuvor auf der Peloponnes errungenen diplomatischen Triumphe noch im Gedächtnis waren, mochte sein Konzept in dieser Hinsicht durchaus plausibel erscheinen. Der Verweis auf die Vorteile der überlegenen Seemacht entsprach den im letzten Spartanerkrieg gemachten Erfahrungen und konnte daher in den Augen des Durchschnittsatheners geeignet scheinen, die Befürchtungen der Skeptiker zu entkräften. Auch unter den modernen Historikern sind Stimmen zu finden, die das Projekt des athenischen Sizilienunternehmens nicht als von vornherein aussichtslos abtun möchten. 87 In der Ekklesie des Jahres 415 jedenfalls erwiesen sich Alkibiades’ Argumente als durchschlagend. Die Zuhörer ließen sich zu einem neuen Sturm der Kriegsbegeisterung mitreißen, Nikias und seine Gesinnungsgenossen gerieten sichtlich ins Abseits. Die drohende Abstimmungsniederlage vor Augen, machte Nikias einen letzten Versuch, das Steuer herumzureißen. Da er nach dem Scheitern der vorigen Bemühungen die Aussichtslosigkeit einer direkten Opposition gegen das Sizilienunternehmen klar erkannte, beschritt er einen Umweg, um die Expedition doch noch zu Fall zu bringen oder wenigstens die Verantwortung für einen möglichen Fehlschlag von sich abzuwälzen. Er trat nochmals vor die Versammlung, erklärte, den Mehrheitswillen akzeptieren zu wollen, forderte aber für die Ausführung des Sizilienunternehmens bei weitem größere Mittel als die Athener bis dahin veranschlagt hatten. Seiner Meinung nach müsse man nicht nur eine größere Flotte in den Westen senden, sondern auch ein mächtiges Heer von Landsoldaten, um den Kampf notfalls auch ohne einheimische Unterstützung durchfechten zu können, dazu alle zur Erhaltung des Heeres nötigen Versorgungsgüter auf Monate hinaus, nicht zuletzt auch eine prall gefüllte Kriegskasse. Auch dies, warnte Nikias, sei noch keine sichere Gewähr für den Erfolg des Unternehmens, aber mit solchem Einsatz sehe er immerhin die Möglichkeit eines Erfolges als gegeben an – wenn einer aber anderer Meinung sei, so sei er, Nikias, gerne bereit, ihm an seiner Statt das Kommando anzubieten. Es ist nicht ganz klar, welche Wirkung Nikias sich von seinem Auftritt

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erwartete. Thukydides unterstellt ihm die Hoffnung, entweder die Athener durch das Hochschrauben seiner Forderungen doch noch von dem Sizilienunternehmen abschrecken zu können oder aber diesen Feldzug, falls das Volk dennoch darauf bestehen sollte, unter den sicherstmöglichen Erfolgsaussichten antreten zu können. Die modernen Historiker haben von diesen beiden angeblichen Motiven des Nikias zumeist nur dem erstgenannten Bedeutung beigemessen, was im Hinblick auf Nikias’ grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber dem Sizilienprojekt verständlich ist, vielleicht aber doch zu kurz greift. Es erscheint gerechtfertigt, der zweiten Alternative Gewicht beizumessen und anzunehmen, dass Nikias bei seinen hochgeschraubten Truppen- und Materialforderungen tatsächlich das Gelingen der Expedition im Auge hatte. Während des letztvergangenen Spartanerkrieges hatte er bei all seinen Unternehmungen durch die Sorgfalt seiner Planung und die Gründlichkeit seiner Vorbereitungen brilliert; dementsprechend musste ihm nun daran gelegen sein, dass die Sizilienexpedition, da sie nun einmal beschlossene Sache war, auf eine Kampfstärke gebracht würde, die der Größe der Aufgabe, wie er sie sah, entsprach. 88 Was auch immer Nikias’ Absicht war, die Athener nahmen seine Worte nicht als Abschreckung, sondern als Ermutigung auf. Stimmen des Beifalls wurden laut, und schließlich trat einer der Kriegsbefürworter vor und fragte Nikias rundheraus, welche Streitmacht er zur glücklichen Durchführung des Unternehmens für erforderlich halte. Angesichts dieser klaren Aufforderung war Nikias gezwungen, eine konkrete Antwort zu geben. Er wollte sich, wie er erklärte, noch nicht endgültig festlegen, forderte aber jedenfalls hundert Schiffe und fünftausend Hopliten, dazu die entsprechenden Kontingente an Leichtbewaffneten und Bogenschützen. Das waren Zahlen, die weit über die Stärke fast aller während des Spartanerkrieges ins Feld gesandten Truppenaufgebote hinausgingen, und von den wenigen Expeditionen, für die man damals vergleichbar starke Kräfte aufgeboten hatte, war keine für ein derart weit abgelegenes Ziel bestimmt gewesen. Dennoch ließ sich die Versammlung nicht abschrecken. Durch Volksbeschluss wurde den Feldherren Vollmacht erteilt, die Menge der erforderlichen Schiffe, Truppen und Geldmittel selbst zu bestimmen und nach Belieben über alle vorhandenen Ressourcen zu verfügen. 89 Damit war nun endlich definitiv die Entscheidung über Durchführung und Ausmaß des Sizilienunternehmens gefallen. Nikias wird sie mit Bedauern zur Kenntnis genommen haben, aber er konnte sich mit dem

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Gedanken trösten, dass die durch seine Bedenken bewirkte Erhöhung des vorgesehenen Kriegsaufwands ihm die Möglichkeit geben würde, die Expedition auf die ihm gewohnte Art und Weise – mit gründlicher Vorbereitung und einem der Größe der Aufgabe entsprechenden Kräfteeinsatz – auszuführen. Was Alkibiades betrifft, so wird ihn natürlich das Scheitern von Nikias’ letztem Versuch zur Verhinderung der Sizilienfahrt mit Freude und Erleichterung erfüllt haben. Ob er über die Erhöhung der Streitkräfte die gleiche Befriedigung empfunden hat, können wir nicht von vornherein für gewiss halten. Einerseits erhöhte diese Wendung der Dinge, die ihm genauso überraschend gekommen sein muss wie allen übrigen Athenern, natürlich die Erfolgssaussichten der Expedition, zugleich aber verlagerte sie den Schwerpunkt der durchzuführenden Aktionen von der Diplomatie, in der Alkibiades’ größte Stärke lag, auf die Kampfhandlungen und die militärisch-taktische Kommandoführung. In einer solchen Verschiebung konnte für Alkibiades die Gefahr liegen, gegenüber Nikias und auch gegenüber dem als Truppenführer und kämpferischem Haudegen bewährten Lamachos ins Hintertreffen zu geraten. Angesichts dieser Perspektiven mag Alkibiades den Beschluss über die Vergrößerung der Expeditionsstreitmacht mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen haben, aber er war doch patriotisch und professionell genug, um die Vorteile einer stärkeren Machtentfaltung zu würdigen. Soweit sich aus den Quellen erkennen lässt, hat er während der Phase der Ausrüstung der Expedition Nikias’ Bemühungen um die Aufstellung einer möglichst großen Streitmacht mitgetragen. So machten die Strategen von der ihnen übertragenen Vollmacht Gebrauch und rüsteten eine machtvolle Expedition aus, die sowohl zu Wasser als auch zu Lande jedem denkbaren Gegner gewachsen zu sein schien. An Soldaten wurden aus den Reihen der Bürgerschaft mehr als zweitausend Hopliten ausgehoben, eine ebenso große Anzahl aus den Aufgeboten der Seebundsstädte nach Athen berufen, dazu noch, wahrscheinlich durch Alkibiades’ Vermittlung, Hilfstruppen aus Argos und andere Söldnerkontingente angeworben. Die Flotte erreichte im Zuge der Rüstungen eine Stärke, die noch über die von Nikias in der Volksversammlung erhobenen Forderungen hinausging: Sie umfasste letztendlich mit Einschluss der bundesgenössischen Kontingente hundertsechsunddreißig Kriegsschiffe, davon hundert aus Athen, mehr als fünftausend Hopliten und dreizehnhundert Leichtbewaffnete. Alles in allem war die

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nach Sizilien bestimmte Athenerstreitmacht, wie Thukydides feststellte, „die aufwendigste und glanzvollste, die jemals mit den Machtmitteln einer einzelnen Griechenpolis aufgestellt worden war“. 90

Expeditionsvorbereitungen und die Hermenaffäre Während die Rüstungen für die Sizilienfahrt mit aller Energie vorangetrieben wurden, scheint in Athen eine Art unterschwelliger Propagandakrieg für und wider die Expedition im Gange gewesen zu sein. Auf der politischen Ebene war diese Frage durch das Votum des Volkes definitiv entschieden worden; im Rat und in der Ekklesie erhob sich keine Gegenstimme mehr. Dafür aber rührten sich neue Widerstände im Bereich der Religion. Aus den Reihen der Priester und Orakeldeuter wurden Zweifel laut, ob die Götter einem durch seine Dimensionen fast schon an Hybris grenzenden Unternehmen günstig gesinnt seien, parallel dazu wurden allerlei vage Prophezeiungen und Vorzeichen kolportiert, die auf einen üblen Ausgang der Expedition hinzudeuten schienen. All dies zeigte, dass die Gegner des Sizilienunternehmens nunmehr den allgemein verbreiteten Glauben an Orakel und Götterzeichen zu nutzen versuchten, um Angst und Unruhe zu stiften. Alkibiades nahm auch auf diesem Feld den Kampf auf. Er ließ angeblich uralte Orakelsprüche präsentieren, die den Athenern große Siege auf Sizilien vorhersagten, und entsandte Boten an das auch bei den Griechen hoch in Ansehen stehende Orakel des Ammon in der ägyptischen Oase Siwa, die dann auch wunschgemäß einen siegverheißenden Götterspruch heimbrachten. Die Gegenseite konterte mit der Behauptung, es seien zugleich auch andere, ungünstige Sprüche ergangen, die man den Bürgern vorenthalten habe. 91 Dieses Treiben konnte weder den Fortgang der Kriegsvorbereitungen hemmen noch den hoffnungsfrohen Enthusiasmus erschüttern, mit dem die Mehrheit der Bürger der Sizilienfahrt entgegensah, aber es trug dazu bei, ein Klima der Unruhe zu erzeugen. Das Gefühl, dass gefährliche Kräfte im Untergrund gegen die Expedition, vielleicht sogar gegen die bestehende Staatsordnung an sich tätig seien, verbreitete sich und sorgte für Irritation und Unruhe in den Gemütern der für Verschwörungstheorien stets anfälligen Athener. Bei dieser Lage der Dinge kam es zu einem Vorfall, der alle vorangegangenen Omina und Prophezeiungen in den Schatten stellte und die

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Abb. 6: Herme des Demosthenes. München, Glyptothek

athenische Bürgerschaft in eine Staatskrise bislang ungeahnten Ausmaßes stürzte. Quer durch das Areal der Stadt Athen waren an zahlreichen Plätzen und Kreuzwegen Kultbilder eines speziellen Typs aufgestellt, die sogenannten Hermen, viereckige Steinsäulen, die an ihrer Spitze eine Büste des Gottes Hermes, dazu an der Frontseite zumeist auch einen erigierten Phallus trugen. Diese Bildnisse wurden von den Athenern allgemein verehrt; sie galten als Garanten des göttlichen Schutzes für die Polis Athen und ihre Bürger. Eines Morgens im Frühsommer 415, als die Expeditionsvorbereitungen schon weit gediehen waren und die öffentliche Aufmerksamkeit von der bevorstehenden Sizilienfahrt voll in Anspruch genommen war, mussten die Bürger Athens nach dem Erwachen zu ihrem Entsetzen feststellen, dass fast alle Hermen ihrer Stadt im Laufe der vorangegangenen Nacht einem brutalen Vandalenakt zum Opfer gefallen waren. Unbekannte Hände hatten die Gesichter der Götterbilder verstümmelt und ihnen die Phalli abgeschlagen. Das Entsetzen und die Wut, die Athens Bürger angesichts dieser Untat ergriffen, kann man sich kaum drastisch genug vorstellen. Die Empörung über eine Freveltat, die sich gegen ein von der Bürgerschaft als

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heilig gehaltenes religiöses Gut richtete, hätte allein für sich schon gereicht, die Gemüter in Wallung zu bringen, dazu kamen das Entsetzen über den Umfang des Verbrechens, der auf die Existenz einer großen und gut organisierten terroristischen Verschwörergruppe hinzudeuten schien, und die zeitliche Nähe zur Ausfahrt der Sizilienexpedition, die seit nunmehr einem halben Jahr die Bürgerschaft in Unruhe gehalten hatte. All das zusammengenommen gab den Athenern reichlich Grund, hinter der Hermenverstümmelung einen gegen ihren Staat und seine demokratische Ordnung gerichteten Anschlag zu erkennen. Dementsprechend drastisch fiel ihre Reaktion aus. Gleich nach Bekanntwerden des Frevels trat die Volksversammlung zusammen und setzte hohe Belohnungen für zweckdienliche Hinweise zur Aufklärung der Untat aus. Zur Durchführung einer gezielten Untersuchung wurde gleich damals oder bald danach eine Sonderkommission mit umfassenden Vollmachten eingesetzt. Trotz dieser Maßnahmen ergaben sich zunächst keine konkreten Hinweise auf die Urheber des jüngsten Frevels. Bürger und Behörden tappten im Dunkeln; Verschwörungsangst und Misstrauen blieben wach. 92 Inzwischen näherten sich die Vorbereitungen für die Sizilienexpedition der Vollendung. Kurz vor dem für die Ausfahrt vorgesehenen Termin traten Alkibiades und seine Feldherrnkollegen noch einmal vor die Volksversammlung, um über ihre Maßnahmen und Pläne Bericht zu erstatten. Die Versammlung war in vollem Gang, als plötzlich ein Bürger namens Pythonikos auftrat und erklärte, er wolle wegen Götterfrevels Anzeige erstatten: Alkibiades und andere vornehme Athener hätten im Zuge eines Festgelages das Ritual der Mysterien von Eleusis nachgeahmt und damit den von den Athenern hoch verehrten Kult der eleusinischen Gottheiten entweiht. Er, Pythonikos, könne, wenn man einem bestimmten Sklaven, den er nennen werde, Immunität zugestünde, den Beweis dafür antreten. Man bedarf keiner übermäßig entwickelten Phantasie, um sich die Erregung vorzustellen, die Athens Bürger bei diesem Auftritt ergriffen haben muss. Zur Diskussion über die Kriegsvorbereitungen zusammengetreten und von der Sorge, dass Athen durch den Hermenfrevel die für den Erfolg des Feldzuges unabdingbare Gunst der Götter verspielt haben könnte, erfüllt, sahen sie sich unversehens mit der Enthüllung eines weiteren Götterfrevels und mit einer Anklage konfrontiert, die ihren führenden Feldherrn als Teilhaber dieses Sakrilegs namhaft machte. Nicht geringer als die Erregung der Massen kann der Schock gewesen

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sein, der Alkibiades in diesem Augenblick getroffen haben muss. Ob er nun Grund hatte, sich eines Sakrilegs schuldig zu fühlen oder nicht, er wird kaum drauf gefasst gewesen sein, im Rahmen einer der Sizilienfahrt gewidmeten Versammlung mit diesem Vorwurf konfrontiert zu werden. Es sprach für seine Geistesgegenwart, dass er sogleich mit einer Verteidigung zur Hand war: In einer langen leidenschaftlichen Rede versuchte er, die Vorwürfe als haltlose Verleumdungen hinzustellen, denen nachzugehen schlichtweg lächerlich wäre. In ruhigeren Zeiten hätte er mit dieser Verteidigungslinie vielleicht durchkommen können, doch in der durch den Hermenfrevel erregten Atmosphäre ließ sich ein derart schwerwiegender Verdacht nicht durch bloße Worte zerstreuen. Die Prytanen entschieden, dass man der Sache nachgehen solle, und ließen den von Pythonikos bezeichneten Sklaven vorführen. Dieser bestätigte die Aussage des Pythonikos und brachte weitere, für Alkibiades und andere vornehme Athener belastende Details zur Sprache. Nun fand sich Alkibiades ernsthaft in Bedrängnis. Der gegen ihn erhobene Vorwurf der illegalen Mysterienfeier hatte mit der Hermenverstümmelung nichts zu tun, aber für die Athener wog in dem herrschenden Klima religiöser Erregung jedes Sakrileg schwer, und seine politischen Gegner waren entschlossen, die sich bietende Chance zur Vernichtung ihres großen Rivalen zu nutzen. 93 Alkibiades versuchte, die Flucht nach vorne anzutreten. Er drängte auf eine sofortige Gerichtsverhandlung zur schnellen Klärung der Vorwürfe. Sollte er schuldig gesprochen werden, so sei er bereit, die gesetzliche Strafe auf sich zu nehmen, werde er aber freigesprochen, so könne er, von allen Vorwürfen gereinigt, sein Kommando wahrnehmen und an der Spitze der Flotte nach Sizilien ausfahren. Alkibiades wusste, was er tat. Bei einem sofortigen Prozess konnte er auf die Unterstützung der für die Sizilienexpedition ausgehobenen Soldaten und Seeleute zählen, eine Verschiebung des Prozesses würde seinen Anklägern Zeit geben, weiteres Belastungsmaterial zu sammeln und das Volk in ihrem Sinne zu bearbeiten. Auf der anderen Seite war es von den Athenern viel verlangt, die mit enormem Aufwand ausgerüstete Sizilienexpedition um des Alkibiades willen aufzuschieben und damit möglicherweise das ganze Unternehmen zu gefährden. Immerhin ließ sich geltend machen, dass die Zeit zur Abfahrt drängte; der Hochsommer stand vor der Tür, der Weg nach Sizilien war weit und die Flotte musste ihr Ziel erreichen, ehe die Herbststürme einsetzten, die im Altertum jegliche Schifffahrt zum Erliegen zu bringen pflegten.

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Abb. 7: Modell einer griechischen Triere. München, Deutsches Museum

Alkibiades’ Widersacher fanden hier einen bequemen Ansatzpunkt für ihre Agitation; sie schickten Redner vor, die sich als um das Gelingen der Expedition besorgte Bürger präsentierten und dem Volk darlegten, dass man vor allem die Flotte aussegeln lassen müsse. Die Versammlung folgte diesen Vorschlägen; man beschloss, alle drei Feldherren mit der Flotte ohne weiteren Verzug ausfahren zu lassen. 94 Der Tag der Abfahrt, der nach unserem Kalender in die Mitte oder die zweite Hälfte des Juni 415 gefallen sein dürfte, bot den Athenern ein Schauspiel, desgleichen sie lange nicht mehr zu sehen bekommen hatten. Die gesamte Stadtbevölkerung gab den ausrückenden Truppen das Geleit von der Stadt bis zum Piräus-Hafen, wo die Flotte versammelt lag. Die Stimmung war nach dem Bericht des Thukydides von widerstreitenden Gefühlen geprägt: Furcht um das Schicksal der in die Ferne segelnden Angehörigen, Unbehagen wegen des befürchteten Götterzorns, Stolz auf die Stärke der eigenen Streitmacht und hochgespannte Siegeshoffnungen mischten sich miteinander und fanden in den Reden und Rufen der Versammelten gleichermaßen ihren Ausdruck. Flotte und Heer boten einen eindrucksvollen Anblick, denn die für die Ausrüstung und Führung der Schiffe verantwortlichen Trierarchen hatten keine Kosten gescheut, ihre Fahrzeuge in besten Zustand zu bringen, und ebenso waren auch die einzelnen Soldaten bestrebt, sich an Waffen, Rüstungen und sonstiger Ausrüstung auf das Glänzendste zu präsentieren. Dement-

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Abb. 8: Athenische Triere. Relief, etwa 500 v. Chr.

sprechend glich das Bild, das sich an jenem Sommertag im Piräus darbot, nach den Worten des Thukydides „mehr einer für die Augen der übrigen Hellenen bestimmten Schaustellung der Macht und des Wohlstandes als einer Kriegsvorbereitung“. 95 So vollzog sich vor den Augen der Athener die Einschiffung der Truppen als Spektakel ganz großen Stils. Wir dürfen annehmen, dass der Anblick ihrer prächtigen Streitmacht den versammelten Bürgern den Mut stärkte und ihnen half, die durch Vorzeichen und Hermenfrevel hervorgerufenen Befürchtungen zu dämpfen. Schließlich war die Einschiffung beendet und der Augenblick der Ausfahrt gekommen. Sie wurde, wie es Brauch war, durch Opferspenden und ein feierliches Gebet an die Götter eingeleitet, das von den Zuschauern am Ufer mit gleicher Inbrunst mitgesprochen wurde. Danach stachen die Schiffe unter dem Klang des Kriegsgesanges in See und preschten zunächst wie bei einem Wettrennen mit aller Kraft nach Ägina, um dann in geordneterer Form ihren Kurs nach der Insel Kerkyra im Ionischen Meer anzutreten, die zum Sammelplatz der gesamten Expeditionsstreitmacht bestimmt war. 96 Die Ausfahrt war eine gelungene Inszenierung gewesen; sie hatte bei den Zusehern einen Eindruck von Athens Macht und Größe hinterlassen, dessen Wirkung uns in der Schilderung des sonst nüchtern und sachlich schreibenden Thukydides deutlich entgegentritt. Man fragt sich, welche Gefühle Alkibiades angesichts dieses Schauspiels bewegt haben mögen. An sich hätte er allen Grund gehabt, diesen Tag unter die Höhe-

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punkte seines Lebens zu zählen. Die expansive Machtentfaltung Athens, die hier demonstriert worden war, entsprach seinen politischen Idealen, die Expedition, die nun glücklich in See stach, war seiner Initiative entsprungen, die mächtige Streitmacht, die sich nun zur Fahrt nach dem Westen anschickte, fühlte sich ihm persönlich verbunden und konnte unter seiner Führung das Werkzeug für die Verwirklichung seines Traums von einem neuen und größeren athenischen Imperium werden. Doch diesen hoffnungsvollen Prospekten stand die Gefahr einer gerichtlichen Verfolgung gegenüber, die seit der Anzeige des Pythonikos wie eine düstere, nie ganz zu verscheuchende Wolke über seinem Haupt schwebte. Handelte es sich um eine haltlose Denunziation oder hatte Alkibiades tatsächlich Grund, sich des behaupteten Frevels schuldig zu fühlen? Eine definitive Antwort auf diese Frage ist niemals gegeben worden, aber viele Historiker sind geneigt, ihm die Beteiligung an einer illegalen, privaten Mysterienfeier ohne weiteres zuzutrauen, und angesichts seines unbestreitbaren Hanges zu Tabubruch und Provokation wird man ihnen nicht leicht widersprechen können. Unklar bleibt der Zweck dieser ‚Mysterienparodie‘. Den frommen Athener Bürgern erschien sie natürlich als eine Demonstration der Gottlosigkeit, eine bewusste Verhöhnung dessen, was der Stadt heilig war. Das ist nicht auszuschließen, aber in der Forschung hat man auch andere Erklärungen in Betracht gezogen: Die Mysterienfeier könnte eine bloße ‚Mutprobe‘ im Zuge eines trunkenen Gelages gewesen sein, vielleicht auch ein Einweihungsritus in einen exklusiven Club vornehmer Exzentriker. Bei alldem haben wir zugleich auch mit der Möglichkeit zu rechnen, dass die Mysterienfeier nicht einfach als blasphemischer Akt gedacht war, sondern als ein ernst gemeinter Versuch, das mystische Erlebnis und den Kontakt mit dem Göttlichen, der mit dem ‚offiziellen‘ Mysterienkult verbunden war, gleichsam in privater und vielleicht auch intensiverer Form zu erlangen. Die Geschichte kennt auch aus jüngeren Zeiten genügend Beispiele dafür, dass in den Kreisen nonkonformistischer Libertins der Hang zum ‚aufgeklärten‘ Tabubruch und das Spiel mit dem Religiösen, dem Mystischen und dem Magischen Hand in Hand gehen können. 97 Wo auch immer die Wahrheit gelegen haben mag, Alkibiades wird nicht im Zweifel darüber gewesen sein, dass es in Athen nicht an Leuten mangelte, die ihm jede Art von Götterfrevel zutrauten und bereit waren, jeder diesbezüglich erhobenen Anklage willig Gehör zu schenken. Seine Hoffnung musste nun darin liegen, in Sizilien möglichst schnell einen durchschlagenden Erfolg zu erzielen, der das Volk auf seine Seite ziehen

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und alle Kritiker und potentiellen Ankläger zum Schweigen bringen würde.

Erwartungen und Enttäuschungen: Die erste Phase der athenischen Sizilienexpedition Die athenische Flotte segelte nach Kerkyra, wo sich die Kontingente der Bundesgenossen versammelten. Die vereinigte Flottenmacht umfasste insgesamt 136 Kriegsschiffe und Truppentransporter sowie eine größere Zahl von Lastschiffen zum Transport der Lebensmittel und sonstigen Versorgungsgüter. Alkibiades, Nikias und Lamachos teilten diese Streitmacht in drei Geschwader, wobei sie jeweils das Kommando über eines davon übernahmen. Sodann überquerten sie das Ionische Meer nach Iapygien und segelten entlang der Küste des Golfs von Tarent zur Straße von Messina. Bereits in diesem Stadium der Expedition wurde deutlich, dass die Griechen des Westens der herannahenden Athenerstreitmacht nicht mit freundlichen Gefühlen entgegenblickten. Keine der griechischen Kolonialstädte, die den Golf von Tarent säumten, fand sich bereit, den Athenern mehr als einen Ankerplatz auf offener Reede und das Recht auf einen Landgang zur Trinkwasserbeschaffung einzuräumen. Tarent und Lokroi verweigerten auch diese bescheidene Gunst. Als besonders schmerzlich dürften es die athenischen Feldherren empfunden haben, dass selbst die Regierung des früher athenfreundlichen Rhegion diesmal eine strikt neutrale Haltung einnahm und ausdrücklich erklärte, in ihrer Politik der von den übrigen italischen Griechen vorgegebenen Linie folgen zu wollen. 98 Spätestens an diesem Punkt wird auch den Optimisten im Athenerlager die Haltlosigkeit aller auf die Mitwirkung italischer und sizilischer Städte gerichteten Hoffnungen deutlich geworden sein; eine weitere Enttäuschung folgte auf dem Fuß, als eine nach Egesta vorausgesandte Erkundungsmission mit der Nachricht im Lager einlangte, dass die Egestaier nicht das Geld hätten, um die Zahlungen zu leisten, die sie seinerzeit den Athenern in Aussicht gestellt hatten. Die athenische Gesandtschaft, die während des vergangenen Winters so ermutigende Berichte über den Reichtum von Egesta nach Hause gebracht hatte, war, wie jetzt allgemein bekannt wurde, einem Täuschungsmanöver zum Opfer gefallen: Die Egestaier hatten es verstanden, den athenischen Emissären das Bild eines weitaus größeren Wohlstandes vorzugaukeln als es der Realität entsprochen hätte. In Wirklichkeit war

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über die schon nach Athen gesandte Summe hinaus aus Egesta nicht mehr viel herauszuholen. Was immer die Athener nun in Sizilien unternehmen wollten, sie würden es auf eigene Kosten tun müssen. Unter dem Eindruck dieser ernüchternden Hiobsbotschaften wird sich für viele Expeditionsteilnehmer die Frage nach der Sinnhaftigkeit des ganzen Unternehmens von neuem gestellt haben.99 Während die einfachen Soldaten ihrer Wut und Verunsicherung durch heftige Schmähungen gegen die seinerzeitigen Mitglieder der Egestagesandtschaft Luft machten, traten die Feldherren zu einer Beratung zusammen, um eine Entscheidung über das weitere Vorgehen zu treffen. Nikias schlug vor, sich ganz auf den ursprünglichen Auftrag, die Unterstützung der Egestaier, zu beschränken. Man solle schnurstracks gegen Selinus fahren, durch Gewalt oder Übereinkunft einen Friedensschluss zwischen dieser Polis und Egesta bewirken, sodann zwecks Zurschaustellung der athenischen Macht eine demonstrative Flottenparade rund um die Küsten Siziliens durchführen und hernach die Heimreise antreten. Alkibiades trat dafür ein, eine diplomatische Offensive zu versuchen. Seiner Meinung nach war es geboten, zunächst mit Bündnisangeboten an die Städte Siziliens heranzutreten, um sie entweder als aktive Bündnispartner zu gewinnen oder wenigstens den Syrakusanern zu entfremden. Gestützt auf die neugewonnenen Bündnispartner könne man dann gegen Selinus und Syrakus vorgehen und sie entweder zur kampflosen Unterwerfung zwingen oder aus einer Position der Stärke heraus niederkämpfen. Der Rat des Lamachos entsprach ganz und gar dem DraufgängerImage, das sich der alte Haudegen im Lauf seiner Feldzüge erworben hatte. Er forderte seine Kollegen auf, mit den vorhandenen Kräften sogleich gegen Syrakus zu fahren und die Stadt mit aller Macht anzugreifen, solange sie noch nicht zur Verteidigung gerüstet sei und die Chancen für einen Überraschungseffekt gut stünden.100 Nikias’ Plan konnte das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, der nunmehr offenkundig gewordenen feindseligen Haltung der westgriechischen Städte Rechnung zu tragen. Er zielte darauf ab, durch die bewusste Beschränkung auf Egesta und Selinus nicht nur das Ausmaß des athenischen Einsatzes zu begrenzen, sondern auch das Risiko einer Intervention der übrigen Griechenstädte zu minimieren. Seine erfolgreiche Durchführung hätte den Athenern die Chance eröffnet, sich als uneigennützige Helfer ihrer bedrängten Verbündeten zu präsentieren und so die Tatsache zu verdecken, dass man mit großem Aufwand wenig er-

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reicht hatte. Dass sich der Erfolg, an den früheren großen Erwartungen gemessen, sehr bescheiden ausgenommen hätte, mochte für Nikias akzeptabel sein, für Alkibiades hingegen, der mehr als jeder andere dazu beigetragen hatte, in den Herzen der Athener die Sehnsucht nach großen Eroberungen im Westen zu erwecken, wäre ein derart mäßiges Ergebnis fatal gewesen. Selbst wenn die Athener ihn nicht gleich, wie sie es mit erfolglosen Feldherren schon des Öfteren getan hatten, wegen Amtsvergehens unter Anklage stellen würden, wäre doch zumindest seine Reputation als strategischer Planer und visionärer Politiker weitgehend ruiniert gewesen. Es war daher kein Wunder, dass er, um diesem Schicksal zu entgegen, von seinen Hoffnungen zu retten versuchte, was zu retten war, und sich mit einer für ihn an sich gar nicht typischen Unflexibilität an das Konzept einer diplomatischen Offensive und Allianzenbildung klammerte, das aller Wahrscheinlichkeit nach seinem ursprünglichen Plan entsprungen war und ihm in jedem Fall die besten Aussichten bot, sich den beiden Kollegen gegenüber zu profilieren.101 Der Plan des Lamachos, einen sofortigen Angriff aus Syrakus zu versuchen, ist von der Mehrheit der modernen Historiker als der beste der drei Vorschläge angesehen worden, und auch Thukydides scheint dieser Meinung gewesen zu sein.102 Das Urteil des athenischen Historikers hat in dieser Frage besonderes Gewicht, denn er hatte im Zuge seiner Recherchen Gelegenheit, sich auch über die im Sommer 415 in Syrakus gegebene Lage zu unterrichten; sein Bericht lässt erkennen, dass die Syrakusaner das athenische Sizilienunternehmen zunächst ignoriert hatten und auch nach dem Erhalt sicherer Nachrichten immer noch dazu neigten, das Ausmaß der herannahenden Gefahr zu unterschätzen. Unter diesen Umständen hätten die Athener, wenn sie dem Rat des Lamachos gefolgt wären, wohl tatsächlich eine reelle Chance gehabt, durch einen mit voller Wucht geführten Überraschungsangriff auf Syrakus gleich zu Kriegsbeginn einen entscheidenden Vorteil zu erringen. Aber diese für sie günstigen Faktoren waren den athenischen Feldherren bei ihrer Beratung nicht mit Sicherheit bekannt. Anders als der im Nachhinein urteilende Historiker waren sie für ihre Lagebeurteilung auf Mutmaßungen angewiesen, und selbst wenn Alkibiades und Nikias sich vom tatenfrohen Optimismus des Lamachos hätten anstecken lassen, so mussten sie sich im Klaren sein, dass den möglichen Chancen eines Blitzangriffs gewaltige Risiken gegenüberstanden. Ohne den Rückhalt eines sicheren Zufluchtshafens ließ sich ein

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amphibischer Angriff wie Lamachos ihn plante nur unter Inkaufnahme eines großen Risikos durchführen. Da die Kriegsflotten der griechischen Antike nicht für längere Seefahrten gerüstet, sondern auf häufige Landungen und Versorgung vom Lande her angewiesen waren, hätte die athenische Armada im Falle eines Fehlschlages des Angriffes leicht in schwere Bedrängnis geraten können.103 Weder Nikias noch Alkibiades waren bereit, dieses Risiko einzugehen, und auch Lamachos fand sich schließlich zum Nachgeben bereit. Die Strategen einigten sich darauf, dem Vorschlag des Alkibiades zu folgen und zunächst die Unterstützung der zwischen Syrakus und ihrem derzeitigen Ankerplatz bei Rhegion liegenden Städte zu gewinnen.104 Alkibiades fuhr mit einem Schiff nach Messene, erreichte aber nicht mehr, als dass man sich dort bereitfand, den Athenern freien Handelsverkehr an einem außerhalb der Stadt gelegenen Landeplatz einzuräumen. Daraufhin entschlossen sich die Strategen, nun doch einen Vorstoß gegen Syrakus zu unternehmen. Alkibiades und ein weiterer seiner Kollegen, wahrscheinlich Lamachos, stachen mit sechzig Schiffen in See, während der dritte mit dem Rest der Flotte im Lager bei Rhegion zurückblieb. Die Athener ließen Messene beiseite und fuhren nach Naxos, wo die Chancen auf Kooperation der Einheimischen besser standen, da der Ort traditionell mit Syrakus verfeindet war. In der Tat fand das athenische Geschwader bei seiner Ankunft in Naxos Aufnahme in der Stadt. Es war seit der Ankunft der Expedition in Italien das erste Mal, dass eine westgriechische Polis sich bereitfand, die Sache Athens auch nur passiv zu unterstützen, und man darf annehmen, dass Alkibiades die Haltung der Naxier als Hoffnungszeichen dafür nahm, dass sich die von ihm geplante proathenische Allianz doch noch realisieren lassen würde. Doch bereits auf der nächsten Etappe der Flottenfahrt folgte die Ernüchterung: In der Stadt Katane waren die Syrakusfreunde stark genug, um die athenfreundliche Volksmehrheit daran zu hindern, den Athenern Zutritt zur Stadt zu gewähren. Den Athenern blieb nichts übrig, als ihr Lager im freien Gelände aufzuschlagen. Am nächsten Tag stießen sie schließlich gegen Syrakus selbst vor und schickten zehn ihrer schnellsten Schiffe auf einer Art Erkundungsmission voraus, während der Rest der Flotte sich kampfbereit hielt. Die Syrakusaner erwiesen sich als völlig unvorbereitet. Die athenische Flottille konnte in den Hafen von Syrakus eindringen und durch Heroldsrufe ihre Forderung nach Wiederherstellung von Leontinoi verkünden, ohne dass die Seestreitkräfte von Syrakus sich in irgendeiner Weise bemerkbar gemacht hätten.105

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Es war gleichsam eine nachträgliche Rechtfertigung von Lamachos’ seinerzeitigem Angriffsplan, doch die Athener waren nicht in der Lage, schnell umzudisponieren. Für einen Angriff großen Stils nicht gerüstet, mussten sie sich mit einer gründlichen Inspektion der syrakusanischen Verteidigungsanlagen begnügen. Danach kehrten sie den syrakusanischen Gewässern den Rücken und nahmen Kurs auf Katane, wo die Strategen eine Chance sahen, die Stadt im zweiten Anlauf doch noch auf ihre Seite ziehen zu können. Der Versuch führte tatsächlich zum Erfolg, der allerdings nicht allein dem diplomatischen Geschick der Athener zu verdanken war. Die in Katane regierenden Gewalten erklärten sich zunächst nur dazu bereit, den athenischen Strategen einen Auftritt in ihrer Volksversammlung zu gestatten, doch während diese Versammlung noch im Gange war, fanden die draußen wartenden athenischen Truppen einen Weg, unbemerkt in die Stadt einzudringen und bis zum Marktplatz vorzumarschieren. Der Anblick der auf ihrer Agora herumstolzierenden Athenersoldaten genügte, die einheimischen Syrakusfreunde in Panik zu versetzen. Sie verließen in fluchtartiger Eile die Stadt und überließen das Feld der proathenischen Partei, worauf die Volksversammlung von Katane den Beschluss fasste, mit den Athenern ein Bündnis zu schließen und ihnen ihr Territorium als Basis für weitere Aktivitäten zur Verfügung zu stellen.106

Alkibiades’ Abberufung, Flucht und Exilierung Mit der Überrumpelung von Katane hatten die Athener endlich einen festen Stützpunkt gewonnen, von dem aus sich eine effiziente Kriegführung gegen Syrakus betreiben ließ. Die in Rhegion verbliebenen Streitkräfte wurden auf schnellstem Wege herbeigeholt und ein Standquartier für die gesamte Streitmacht errichtet. Danach unternahm Alkibiades mit der Flotte einen Vorstoß entlang der Ost- und Südostküste Siziliens. Er fuhr zuerst nach Syrakus, wo sich immer noch keine feindliche Flottenstreitmacht zum Kampf stellte, dann um Kap Pachynos herum nach Kamarina, von wo den Athenern Nachrichten über athenfreundliche Regungen unter der Bürgerschaft zugekommen waren. Die Botschaft klang verheißungsvoll, doch wieder einmal blieb die Realität hinter den Hoffnungen der Athener zurück. Als die athenische Flotte vor ihrer Küste aufkreuzte, zeigten sich die Bürger von Kamarina eher irritiert als beeindruckt. Sie weigerten sich, den Athenern Zutritt zu ihrer Stadt zu

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gewähren – standen ihnen die Vorgänge in Katane vor Augen? –, und erteilten einem durch Herolde übermittelten Verhandlungsangebot eine glatte Abfuhr. Den düpierten Athenern blieb nichts übrig, als die Rückfahrt anzutreten. Um nicht völlig mit leeren Händen dazustehen, unternahm man auf der Heimfahrt eine Landung mit Plünderungszug im Territorium von Syrakus, ein Unternehmen, das ebenfalls nicht sehr erfolgreich verlief, da die syrakusanische Reiterei rasch zur Stelle war und die Landungsabteilung sich zum Rückzug auf ihre Schiffe gezwungen sah.107 Somit hatten die ersten Unternehmungen der Athener nur zweifelhafte Erfolge eingebracht, und wir dürfen uns die Frage stellen, wie Alkibiades nach diesen Erfahrungen die Aussichten der Expedition eingeschätzt haben mag. Als scharfblickender, pragmatischer Geist, der er war, wird er sich nicht verhehlt haben, dass seinem Konzept bislang der Erfolg versagt geblieben war. Der Anschluss von Naxos und Katane hatte den Athenern eine Basis für die weitere Kriegführung auf Sizilien verschafft, aber die erhoffte große antisyrakusanische Allianz, auf die Alkibiades bei seiner Kriegsplanung gebaut hatte, war nirgendwo in Sicht. Diese Erkenntnis wird für ihn umso peinlicher gewesen sein, als die Ereignisse inzwischen gezeigt hatten, dass der von Lamachos vertretene Plan eines Blitzangriffes gegen Syrakus gute Erfolgssaussichten geboten hätte. Diese Chance war nun vertan; man musste damit rechnen, dass Syrakus sich inzwischen zur Verteidigung gerüstet hatte. Von den übrigen Städten Siziliens war bestenfalls eine misstrauische Neutralität zu erwarten, und schließlich war die Jahreszeit inzwischen schon bedenklich nahe an jenen Punkt vorgerückt, an dem griechische Heere die aktive Kriegführung zu beenden und ihre Winterquartiere zu beziehen pflegten. In dieser Situation standen die Athener, bei Licht betrachtet, vor der Wahl, entweder einen Schlussstrich unter das Sizilienabenteuer zu ziehen und mit dem Odium des Versagens behaftet heimzukehren oder aber den Angriff auf Syrakus nun unter schlechteren Voraussetzungen doch noch durchzuführen und in Kauf zu nehmen, dass sich daraus aller Wahrscheinlichkeit nach eine langwierige und kostspielige Belagerung entwickeln würde. Es ist uns nicht überliefert, ob und wie weit Alkibiades sich diese aus der Lage der Dinge ergebenden Konsequenzen zu Bewusstsein brachte. Falls er es getan hat, kann angesichts seiner generellen Haltung und der Verflechtung seines politischen Schicksals mit dem Erfolg des Sizilienunternehmens kaum ein Zweifel bestehen, dass für ihn nur die zweite dieser Alternativen in Frage kommen konnte. Ihre

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Durchführung würde die Abkehr von seinem bisherigen Konzept erfordern, doch Alkibiades war der Mann, dem man die dafür nötige Flexibilität ebenso zutrauen konnte wie die Fähigkeit, die athenischen Soldaten und Seeleute zu neuen, größeren Kriegsanstrengungen zu motivieren. Er durfte zuversichtlich hoffen, dass er sich auch unter den geänderten Umständen als leitender Kopf innerhalb des Strategen-Dreierkollegiums würde behaupten können. Doch es sollte anders kommen. Als die athenischen Schiffe in den Hafen von Katane einfuhren, lag dort eine frisch aus der Heimat eingetroffene Triere vor Anker, ein besonders schnelles und gut ausgestattetes Schiff, das für jeden Athener ein vertrauter Anblick war. Es handelte sich um die Salaminia, die von der Polis Athen als offizielles Botenschiff verwendet zu werden pflegte. Für Alkibiades wird wohl schon beim ersten Anblick des Eilschiffes klar gewesen sein, dass die aus Athen gesandte Botschaft ihm nichts Gutes bringen werde, und seine Befürchtungen wurden bald in vollem Maße bestätigt. Gleich nach der Landung seiner Flotte wurde ihm ein Beschluss der athenischen Ekklesie präsentiert, in dem er seines Kommandos enthoben und zusammen mit einigen anderen Angehörigen des Expeditionsheeres sogleich nach Athen zurückbeordert wurde, damit er sich dort wegen Religionsfrevels vor Gericht verantworte. Die Ursache dieser drastischen Rückberufungsorder lag, wie zu erwarten, in Entwicklungen begründet, die sich im Zuge des Fortganges der wegen des Hermenfrevels in Athen eingeleiteten Untersuchungen ergeben hatten. Diese Untersuchungen waren nach der Ausfahrt der Sizilienflotte weitergegangen, und es hatten sich bald neue Aussagen ergeben, die geeignet schienen, Licht auf die immer noch mysteriöse Affäre zu werfen. Ein gewisser Teukros hatte nicht weniger als elf Männer wegen Mysterienfrevels und achtzehn weitere wegen der Hermenverstümmelung angezeigt. Weitere Anzeigen folgten. Ein Sklave namens Lydos bestätigte die Anzeigen des Teukros zum Teil und nannte weitere Namen von angeblichen Mysterienfrevlern. Die Angeschuldigten hatten daraufhin zum größten Teil die Flucht ergriffen, was vom Volk natürlich als Schuldeingeständnis gewertet wurde. Diese Anzeigen betrafen Männer aus den führenden Kreisen Athens, doch es handelte sich um Leute, die mit Alkibiades nicht näher zu tun gehabt hatten. Anders stand es mit der Anzeige, die eine Frau namens Agariste, eine Dame aus altaristokratischer Familie, einbrachte: Sie machte Alkibiades selbst, seinen Onkel Axiochos und seinen engen Freund Adeimantos als Mysterienfrevler

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namhaft. Das ließ natürlich auch die vor der Ausfahrt gegen ihn ergangene Anzeige glaubhafter erscheinen und gab den politischen Gegnern des Alkibiades Auftrieb. 108 Angesichts der Fülle der Anzeigen nahmen in den breiteren Volksschichten Angst und Misstrauen überhand. Viele Athener sahen eine großangelegte, auf den Sturz der Demokratie abzielende Verschwörung am Werk, und sie wurden in dieser Befürchtung durch die Aussagen führender Mitglieder der offiziellen Untersuchungskommission bestärkt. In dieser angespannten Lage erfolgte eine Denunziation, die an Umfang und politischer Brisanz alles Bisherige weit hinter sich zurückließ. Ein Bürger namens Diokleides trat mit der Behauptung auf, er habe in der Nacht der Hermenverstümmelung das Treiben der Übeltäter beobachten und die meisten von ihnen erkennen können. Er machte zunächst zweiundvierzig Personen, darunter Leute, die bereits bei früheren Anzeigen genannt worden waren, namhaft und behauptete, noch über hundert andere erkannt zu haben. Diese Enthüllungen steigerten die Erregung der Bürgerschaft bis nahe an den Siedepunkt. Die von Diokleides Genannten wurden sofort ins Gefängnis geworfen und die Bürgerschaft zur Abwehr eines Umsturzversuchs unter Waffen gerufen; weitere Notstandsmaßnahmen bis hin zur Anwendung der Folter auch gegen freie Bürger wurden seitens des Rates in Erwägung gezogen.109 Da meldete sich überraschend einer der Verhafteten, ein junger Adeliger namens Andokides, und erklärte sich bereit, eine Aussage über den Hermenfrevel zu machen. Er gab an, dass der Vandalenakt das Werk einer Hetairie, also einer Freundesgruppe jugendlicher Aristokraten, gewesen sei, die einander durch eine gemeinsam begangene Straftat eine Bürgschaft gegenseitiger Loyalität hätten geben wollen. Er machte als direkt Beteiligte zweiundzwanzig Personen namhaft, von denen achtzehn schon in der Anzeige des Teukros genannt und inzwischen bereits verurteilt oder geflohen waren. Einige von diesen zweiundzwanzig waren auch in Diokleides’ Anzeige genannt worden, doch alle übrigen von diesem Zeugen denunzierten Männer waren, so versicherte Andokides, unschuldig und von Diokleides zu Unrecht verleumdet worden.110 Die Untersuchungskommission und der Rat nahmen Andokides’ Aussage ernst genug, um die von ihm gewiesene Spur weiterzuverfolgen. Diokleides wurde vorgeladen, brach nach kurzem Verhör zusammen und gestand, seine Aussage erlogen zu haben; er behauptete, von zwei Männern angestiftet worden zu sein, deren einer ein Verwandter des

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Alkibiades war. Die beiden Genannten ergriffen sofort die Flucht und verliehen dadurch dem Widerruf des Diokleides zusätzliche Glaubwürdigkeit. Die Behörden gingen nunmehr davon aus, dass Andokides’ Aussage die Wahrheit über den Hermenfrevel enthalten habe. Allgemein machte sich Erleichterung breit, dass man es doch nicht mit einer weitgespannten Verschwörung, sondern mit den Ausschreitungen einer vergleichsweise kleinen Gruppe junger Leute zu tun hatte. Die nur auf Diokleides’ Anzeige hin Verhafteten wurden freigelassen, die von Andokides Genannten vom Volksgericht zum Tode verurteilt und, soweit sie verhaftet worden waren, auch tatsächlich hingerichtet; ebenso Diokleides. Für die Ergreifung der Geflohenen wurden hohe Prämien ausgesetzt.111 Damit war in den Augen der breiten Masse der Athener der Hermenfrevel geklärt, doch es gab auch skeptischere Stimmen, wie die des Historikers Thukydides, der aus der Rückschau feststellte, dass niemand die ganze Wahrheit je herausgefunden habe. Auch in der modernen Forschung sind die Meinungen über die Hintergründe der Hermenverstümmelung geteilt. Viele Autoren gehen davon aus, dass der Umfang der Tat einen über die Zahl der tatsächlich Verurteilten deutlich hinausreichenden Täterkreis voraussetzte, und sind schon von daher geneigt, die Aktion als Speerspitze einer tatsächlich existierenden vergleichsweise weitgespannten, gegen die Demokratie als solche oder jedenfalls gegen die Sizilienfahrt gerichteten Oppositionsbewegung anzusehen. Andere Forscher sind geneigt, Andokides’ Angabe ernst zu nehmen und die Vorgänge eher aus der internen Gruppendynamik einer aristokratischen Jungmännerclique als aus einem konkreten politischen Impetus heraus zu erklären.112 Eine Entscheidung dieser Streitfrage wird sich kaum fällen lassen. Fest steht jedenfalls, dass die Athener eine Beschränkung des Täterkreises auf nur zweiundzwanzig Personen für glaubhaft gehalten haben. Bemerkenswerterweise aber führte die Beruhigung der Gemüter in der Hermenaffäre durchaus nicht zu einem Abklingen der gegen die angeblichen Mysterienfrevler gerichteten Aktivitäten. Es hat den Anschein, als ob ein Gutteil der durch den Hermenfrevel geweckten religiösen Erregung sich jetzt auf diese Gruppe von Tabubrechern konzentrierte, wobei es fast unvermeidlich war, dass Alkibiades als prominentester unter den Verdächtigen vor allen anderen ins Schussfeld geriet. Die Empörung traditionell religiöser Kreise scheint sich hier mit der aus politischer Rivalität gespeisten Alkibiadesgegnerschaft einflussreicher Volks-

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führer zu einer gegen ihn gerichteten Kampagne verbunden zu haben. Die dabei lancierten Vorwürfe fanden jetzt auch in breiteren Bevölkerungskreisen Resonanz, da die Evidenz sie zu stützen schien. Im Zuge der Entlarvung des Diokleides hatten sich deutliche Indizien dafür ergeben, dass die Hintermänner von dessen Falschaussage in den Kreisen der Alkibiadesfreunde zu suchen waren. Diese Enthüllung muss zwangsläufig den gegen Alkibiades bestehenden Verdacht verstärkt und den gegen ihn erhobenen Vorwürfen neue Glaubwürdigkeit verliehen haben. Schließlich kam es zur Erhebung einer offiziellen Anklage vor dem Rat gegen Alkibiades, die von einem respektierten Vertreter des alten athenischen Adels eingebracht wurde, Thessalos, dem Sohn des in konservativen Aristokratenkreisen in gutem Andenken stehenden Staatsmannes und Periklesgegners Kimon. Seine Anklage führte zu jenem Rückberufungsbefehl, den, wie wir schon gesehen haben, Alkibiades im Lager vor Katane präsentiert erhalten hatte. 113 Wir wissen nicht, ob und wieweit Alkibiades Grund hatte, sich im Sinne der Anklage schuldig zu fühlen, aber sein Verhalten zeigt, dass er für den Fall einer Heimkehr fest mit einer Verurteilung rechnete. Vor der Ausfahrt nach Sizilien hatte er, wie erwähnt, selbst auf eine rasche Durchführung des Prozesses gedrängt; jetzt aber scheint er die Entscheidung der Athener, ihn vom Kommando abzuberufen, als Beweis dafür genommen zu haben, dass sich die Stimmung in der Heimat vollkommen gegen ihn gewendet habe und ihm bei der Heimkehr nichts als ein Schauprozess mit von vornherein feststehendem Verdammungsurteil bevorstünde. Nun war für Alkibiades guter Rat teuer. Eine Möglichkeit, sich dem drohenden Verderben zu entziehen, konnte darin bestehen, sich dem Heimkehrbefehl rundweg zu verweigern und an die Loyalität der Soldaten und Seeleute im Lager zu appellieren. Der Gedanke lag in der Luft, die athenischen Behörden hatten selbst mit dieser Möglichkeit gerechnet und ihren Emissären aufgetragen, Alkibiades’ gegenüber keine Gewalt anzuwenden, sondern seine Rückholung in den Formen größtmöglicher äußerer Höflichkeit über die Bühne zu bringen.114 Tatsächlich aber hat Alkibiades keinen derartigen Versuch gemacht Offensichtlich ging er – und das wohl zu Recht – davon aus, dass die Truppen sich im Zweifelsfall doch eher ihrer Heimatstadt als einem von der Regierung desavouierten Feldherrn verpflichtet fühlen würden, zumindest einem Feldherrn, der sich nicht auf den Nimbus eines großen, spektakulären Erfolges berufen konnte.

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Alkibiades zog es daher vor, sich, ohne nach außen hin ein Zeichen des Widerstrebens erkennen zu lassen, dem Heimkehrbefehl gehorsam zu erweisen. Gemeinsam mit einigen Männern seiner Umgebung, die ebenfalls in der Sache des Mysterienfrevels angeklagt waren, schiffte er sich auf seiner eigenen Triere ein, um im Kielwasser der ‚Salaminia‘ die Heimreise anzutreten. Die Fügsamkeit des als unberechenbar geltenden Strategen wird für die athenischen Emissäre eine angenehme Überraschung bedeutet haben; Alkibiades hatte jedoch keineswegs die Absicht, sich gutwillig dem Urteil des athenischen Demos zu unterwerfen. Seine Gedanken waren wohl vom Beginn der Reise an auf eine Fluchtgelegenheit und in weiterer Folge auf die Möglichkeit eines Übertritts auf die Seite des Landesfeindes gerichtet. Schon bei einer der ersten Etappen der Rückfahrt, in Messene, trat er mit den dortigen Syrakusfreunden in Kontakt und verriet ihnen ein von ihren proathenischen Widersachern betriebenes Umsturzkomplott, das er seinerzeit selbst ins Werk zu setzen geholfen hatte. Dieser erste eindeutig landesverräterische Schritt wurde nicht gleich offenkundig, da Alkibiades’ Ansprechpartner in Messene die von ihm erhaltene Warnung geheim hielten und sich damit begnügten, im Stillen ihre Gegenmaßnahmen ins Werk zu setzen. Alkibiades konnte somit seinen Weg im Kielwasser der Salaminia fortsetzen. Erst als die Schiffe das Territorium der spartafreundlichen und über weitgespannte Kontakte verfügenden Griechenstadt Thurioi in Unteritalien erreicht hatten, hielt er den Zeitpunkt für gekommen, die Maske des gehorsamen Staatsbürgers fallen zu lassen: Gemeinsam mit seinen Mitangeklagten und einigen Vertrauten verließ er das Schiff und tauchte, möglicherweise von einheimischen Freunden unterstützt, an Land unter; die von den Männern der Salaminia eingeleitete Suchaktion blieb ergebnislos. Die Emissäre mussten die Suche aufgeben und mit leeren Händen die Heimfahrt antreten.115 In Athen ließ die Nachricht von Alkibiades’ Flucht, die den Bürgern naturgemäß als Schuldeingeständnis erscheinen musste, die Wogen der Empörung hochwallen. Waren seine Aussichten, aus dem Prozess unbeschadet hervorzugehen, schon zuvor zweifelhaft gewesen, so war nun angesichts der Volksstimmung der Ausgang des Verfahrens gewissermaßen vorprogrammiert. Die anberaumte Gerichtsverhandlung wurde in Abwesenheit der Angeklagten durchgeführt und endete, wie zu erwarten, mit einem Schuldspruch. Alkibiades und seine Mitangeklagten wurden zum Tode verurteilt, ihr Vermögen zugunsten der Staatskasse eingezogen. Da es sich bei dem ihnen zur Last gelegten Delikt nicht um ein

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profanes Verbrechen, sondern um einen Götterfrevel gehandelt hatte, begnügte man sich nicht mit dem Todesurteil, sondern ließ durch die Priester eine rituelle Verfluchung des Alkibiades durchführen, einen Sakralakt, der darauf abzielte, die athenische Bürgerschaft in den Augen der Gottheiten von der durch das Sakrileg der frevelnden Mitbürger bewirkten Befleckung zu reinigen, zugleich aber jeden Gedanken an die Möglichkeit einer Begnadigung als neuen Götterfrevel und damit als ein Ding der Unmöglichkeit erscheinen ließ. 116 Nach menschlichem Ermessen war Alkibiades’ Rolle in Athen damit für immer ausgespielt. Das Schicksal des Heimatverlustes, dem er eineinhalb Jahre zuvor beim Ostrakismos so souverän entgangen war, hatte ihn eingeholt und dies in einer bei weitem härteren Form als ein Ostrakismos-Exil es jemals mit sich gebracht hätte. Während ihm bei einer Ostrakisierung nach zehn Jahren die Aussicht auf Rückkehr gewunken hätte, hatte er nun, soweit sich die Zukunft absehen ließ, von seiner Heimatstadt für den Rest seines Lebens nichts mehr zu erhoffen, aber das Schlimmste zu befürchteten. Wo immer er auch seine Schritte hinlenken mochte, Sicherheit würde es nur dort für ihn geben, wo Athens Macht nicht hinreichte.

III. Exil, Rückkehr und Ende Alkibiades im Exil In der Welt der griechischen Polis-Staaten, wo der Gang ins Exil eine praktikable Möglichkeit zur Flucht vor der Strafjustiz darstellte und wo die Parteikämpfe der einzelnen Staaten oftmals mit der Vertreibung der unterlegenen Gruppe zu enden pflegten, war die Verbannung ein Schicksal, dessen jeder Bürger stets gewärtig sein musste. Dennoch oder gerade deshalb wurde die Exilierung als eine der schwersten Lasten empfunden, die das Schicksal einem Menschen auferlegen konnte. Die Trennung vom eigenen Lebensbereich, von der Polis, in der man seinen Platz als mitwirkender Bürger gehabt hatte, beraubte den Griechen der Güter, die seinem Leben Sinn und Richtung gegeben hatten, und die Härte des Verbanntenlebens, das ihm an seinem Zufluchtsort nur die Rolle eines geduldeten Gastes und Außenseiters gewähren konnte, ließ ihn den Verlust noch stärker empfinden. Es war nur natürlich, dass sich die Verbannten in Sehnsucht nach der Rückkehr in ihre angestammte Heimat verzehrten und dass die meisten von ihnen bereit waren, sich auf die Seite eines jeden Landesfeindes zu schlagen und gegen die einstigen Mitbürger zu kämpfen, wenn sich daraus nur die Chance auf Rückkehr zu ergeben schien. Alkibiades hatte in Thurioi Unterstützung beim Entkommen und eine erste Zuflucht gefunden. Wahrscheinlich hätte sich für ihn wie für so manchen Mutterlandsgriechen vor ihm im Westen ein einigermaßen komfortables Exil schaffen lassen, aber er hatte nicht die Absicht, in Italien zu bleiben. Das Zentrum seiner Interessen lag in Griechenland, wo sich seine Kenntnisse und seine politischen Verbindungen immer noch verwerten ließen. So verließ er Thurioi und schiffte sich mit seinen Gefährten Richtung Griechenland ein. Das erste Ziel der Reise war Elis in Westgriechenland, eine der peloponnesischen Poleis, die Alkibiades vier Jahre zuvor im Dienste Athens als Verbündete gewonnen hatte, und die jetzt eine gegenüber Sparta und Athen gleichermaßen neutrale Position wahrte – kein Platz, der einem Mann wie Alkibiades die Gelegenheit zur Übernahme einer wichtigen politischen Rolle bieten würde, aber ein brauchbarer vorläufiger Zufluchtsort, von wo aus er Fäden für die Zukunft spinnen konnte. 1 Sicherlich hat Alkibiades während seines dorti-

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Exil, Rückkehr und Ende

gen Aufenthalts eifrig versucht, Informationen über die politische Lage zu sammeln und Überlegungen darüber anzustellen, wo sich ihm die besten Chancen zur Wiedererlangung von Macht und Einfluss bieten würden. Die Auswahl der Möglichkeiten war begrenzt. Die kleineren neutralen Städte Griechenlands boten für politische Betätigung großen Stils keine Basis; außerdem hätte dort wohl stets die Gefahr einer Auslieferung an Athen über ihm geschwebt. Das Reich des persischen Großkönigs hatte schon manchem prominenten Griechen, sogar dem großen Perserfeind Themistokles, als Exilland gedient; staatsmännisch und militärisch begabte Hellenen konnten dort immer noch auf geneigte Aufnahme, Karriere und Belohnung hoffen. Doch der Gang ins Perserreich hätte, solange der Perserkönig nicht aktiv in Griechenland intervenierte, die Preisgabe aller Heimkehrhoffnungen bedeutet. So blieb letztlich als realistische Option nur Sparta – Sparta, die ewige Gegenspielerin Athens, die von Alkibiades’ Expansionsplänen schwer bedroht worden war, die ihm herbe diplomatische und militärische Niederlagen zu verdanken hatte, aber vielleicht gerade deshalb seine Fähigkeiten, seine Expertise und seinen Willen zur Rache an den Regierenden in Athen zu schätzen wissen würde. Der um die Rettung von Alkibiades’ Andenken in Athen besorgte Redner Isokrates behauptete, dass Alkibiades nach seiner Ankunft in Griechenland zunächst ins neutrale Argos gegangen sei und sich dort aus allen politischen Intrigen herausgehalten habe, bis die Nachricht von der Verurteilung in Athen und die Gefahr eines athenischen Auslieferungsbegehrens ihn gezwungen habe, beim spartanischen Landesfeind Zuflucht zu suchen. Das ist wahrscheinlich nichts weiter als eine Schutzbehauptung, denn zum einen konnte Alkibiades nach seiner Flucht nicht mehr ernsthaft auf einen Freispruch hoffen, zum anderen hatte er schon durch die Preisgabe der Athenfreunde in Messene gezeigt, dass er keine Bedenken trug, sich auf die Seite des Landesfeinds zu schlagen. Wenn er sich tatsächlich zunächst in Argos aufhielt, dann wohl nur, um zunächst in Sparta vorzufühlen und die dortige Stimmungslage auszukundschaften. 2 Die Auskunft, die er erhielt, wird seine Hoffnungen in vollstem Maße erfüllt haben, denn die Spartaner sandten ihm eine offizielle Einladung, verbunden mit der Zusicherung freien Geleits. Daraufhin zögerte Alkibiades nicht länger, sondern begab sich nach Sparta, wo ihm die Entwicklung der politischen Lage sogleich Gelegenheit bot, sich in den Vordergrund zu spielen. Die Spartaner hatten Athens Griff nach dem Westen mit wachsender

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Besorgnis verfolgt, sich aber bislang nicht dazu entschließen können, Athens Gegner in Sizilien aktiv zu unterstützen. Vielleicht hatte man in Sparta zunächst gehofft, dass die Athener angesichts der ablehnenden Haltung der Westgriechen unverrichteter Dinge wieder absegeln würden. Inzwischen aber war klar geworden, dass die Athenerstreitmacht auf Sizilien zu bleiben und zu kämpfen gedachte. Noch im Spätherbst 415 waren die Athener vor Syrakus gelandet und hatten das städtische Aufgebot in einer großen Feldschlacht besiegt. In der Folge waren Gesandte aus Syrakus und von Syrakus’ Mutterstadt Korinth in Sparta eingetroffen, die auf rasche Hilfe und Krieg gegen Athen drängten.3 Die regierenden Kreise Spartas wünschten dringend, den Widerstandsgeist der Syrakusaner und anderer sizilischer Athenfeinde nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten, zögerten aber immer noch, ihren Staat offen in einen Krieg gegen das seemächtige Athen zu verwickeln. In dieser Situation trat nun Alkibiades auf den Plan. Er erschien vor der spartanischen Volksversammlung und hielt eine große Rede, mit der er die Spartaner auf Kriegskurs trimmen wollte. Er versuchte zunächst, seine frühere Sparta-Gegnerschaft und seinen Verrat an der Sache Athens mit dem Argument zu rechtfertigen, er sei in beiden Fällen durch erlittenes Unrecht – seitens der seine Freundschaft verschmähenden Spartaner, dann seitens der Widersacher in Athen – zu seinen Handlungen veranlasst worden und somit durch legitimes Rachestreben gerechtfertigt gewesen: eine Argumentation, die in den Ohren antiker Griechen akzeptabler klang als sie uns scheinen mag. Hierauf zeichnete er ein grelles, ganz auf die Befürchtungen der Spartaner zugeschnittenes Bild der von den Athenern in Sizilien verfolgten Expansionsabsichten: Athen versuche sich der Reichtümer des Westens zu bemächtigen, um danach sofort mit gesteigerter Macht die Peloponnes anzugreifen und Sparta niederzukämpfen. Daher müsse Sparta im eigenen Interesse den Syrakusanern seine Unterstützung leihen und den Athenern offen den Krieg erklären. Nach dem Bericht des Thukydides soll Alkibiades den Spartanern damals bereits empfohlen haben, in Attika einzufallen und in der strategisch günstig gelegenen Ortschaft Dekeleia eine Festung anzulegen, von wo aus man die Athener unter Druck setzen könne. In diesem letztgenannten Punkt wird man den Bericht des Historikers anzweifeln dürfen. Es ist unwahrscheinlich, dass Alkibiades den Ratschlag zur Befestigung von Dekeleia bereits im Herbst 415 vor der spartanischen Volksversammlung offen verkündet haben soll – er hätte da-

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mit riskiert, dass sich die Nachricht von dem Plan bis nach Athen verbreitet hätte. Wahrscheinlicher ist, dass er diesen Teil seines Kriegsplans nur den regierenden Behörden der Spartaner enthüllt hat und Thukydides ihn um der darstellerischen Wirkung willen in die Rede in Sparta eingefügt hat. 4 Alkibiades schloss seine Rede mit einer erneuten Rechtfertigung seines Landesverrats, die er auf geschickte Weise mit einer Versicherung seiner Zuverlässigkeit gegenüber den neuen Freunden in Sparta zu verknüpfen wusste: „Und es möge niemand sich das Recht anmaßen, mich für schlechter zu halten, weil ich, der ich einst als großer Patriot galt, mich nun gemeinsam mit den ärgsten Feinden so entschieden gegen meine Heimatstadt wende, noch möge man meine Rede beargwöhnen, dass aus ihr die blinde Leidenschaft des Verbannten spreche. Verbannt bin ich freilich, durch die Schlechtigkeit derer, die mich verjagt haben, dadurch aber nicht der Möglichkeit, euch zu nützen, beraubt, wenn ihr nur meinen Ratschlägen folgt. Und die ärgsten Feinde sind nicht die, die wie ihr ihren Gegnern einstmals Schaden zugefügt haben, sondern die, die ihre Freunde zwingen, zu Feinden zu werden. Die Vaterlandsliebe aber kann ich nicht bewahren, wenn mir [im Vaterland] Unrecht widerfährt, sondern nur solange ich in Sicherheit als Bürger unter Bürgern leben kann, und überhaupt glaube ich nicht, jetzt ein Land, das immer noch mein Vaterland ist, anzugreifen, sondern viel eher eines, das es nicht ist, wieder [als Vaterland] zurückzugewinnen. Ein rechter Vaterlandsfreund ist nicht der, der die Heimat, wenn er sie zu Unrecht verloren hat, nicht angreift, sondern derjenige, der aus Liebe zu ihr sie mit allen Mitteln zurückzugewinnen trachtet. Ihr könnt mich, Spartaner, mit Fug und Recht in jeder Gefahr und jeder Mühsal einsetzen, da ihr doch die Rede kennt, die alle im Munde führen: dass ich gerade, wenn ich als Feind euch hart zu schädigen wusste, jetzt der rechte Mann sein werde, euch zu nützen, da ich doch die Verhältnisse in Athen kenne, während ich die euren nur abschätzen konnte. Ihr aber seid euch bewusst, dass ihr jetzt die bedeutendsten Angelegenheiten zu entscheiden habt, und zögert nicht, den Feldzug nach Sizilien und Attika zu beginnen, damit ihr dort mit einem geringen Kraftaufwand Großes retten, die gegenwärtige und künftige Macht Athens niederwerfen und danach in Sicherheit leben und ganz Hellas mit dessen freiwilliger Zustimmung nicht mit Gewalt, sondern durch guten Willen regieren möget!“ 5

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Die Spartaner zeigten sich von dieser formidablen Rede nicht unbeeindruckt, allerdings noch immer nicht so weit, dass sie sich Alkibiades’ kriegstreiberische Mahnungen sogleich in vollem Maß zu eigen gemacht hätten. Sie beschlossen immerhin, auf schnellstem Weg Hilfstruppen nach Syrakus zu senden, und bestimmten einen ihrer fähigsten Offiziere namens Gylippos zum Oberbefehlshaber auf dem sizilischen Kriegsschauplatz. Was den anderen Teil von Alkibiades Ratschlag, die Eröffnung eines Krieges gegen Athen auch im Mutterland, betraf, hielten sie sich noch zurück, aber der Gedanke daran hatte, nicht zuletzt dank Alkibiades’ Beredsamkeit, in den Köpfen der spartanischen Entscheidungsträger so tiefe Wurzeln geschlagen, dass sie aller Voraussicht nach über kurz oder lang auch diesen letzten Schritt noch setzen würden.6 Alkibiades konnte hoffen, dass sich spätestens dann der Wert seiner Dienste und Ratschläge erweisen und ihm zu einer geachteten Stellung unter den Führern der gegen Athen kämpfenden Mächte verhelfen würde. Doch noch war es nicht so weit. Vorderhand blieb ihm nichts übrig als in Sparta zu bleiben und sich auf die bestmögliche Weise in das dortige politische und gesellschaftliche Leben einzufügen. Die Polis Sparta, die Alkibiades nun zu seiner Wohnstätte und zum Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gemacht hatte, war ein Staatswesen ganz eigener Prägung, das von den Bürgern anderer Griechenstädte mit einer seltsamen Mischung aus Furcht, Respekt, Unbehagen und Bewunderung betrachtet zu werden pflegte. Das beherrschende Charakteristikum der spartanischen Lebensordnung war zweifellos die militärische Prägung von Staat und Gesellschaft, die in allen Bereichen ins Auge sprang und von früher Kindheit an die Lebenshaltung eines jeden Spartiaten bestimmte. Für ein Leben im Rahmen einer stets kampfbereiten Kriegergemeinschaft erzogen, verbrachten Spartas Bürger den Großteil ihrer Zeit mit sportlichen und militärischen Übungen und pflegten im gesellschaftlichen Leben das Ideal einer soldatischen Kameradschaft, symbolisiert durch die berühmten Gemeinschaftsmahlzeiten, an denen jeder Spartiate teilnehmen musste. Alkibiades’ zweijähriger Aufenthalt in diesem Gemeinwesen der Soldaten und Asketen ist in der Überlieferung von Legenden und Skandalgeschichten überwuchert. Wir lesen in Plutarchs Biographie, dass er, der einstmals verwöhnte athenische Lebemann, sich in phänomenaler Weise dem soldatischen Lebensstil der Spartaner anzupassen verstand, sich von der landesüblichen, bei den übrigen Griechen als ungenießbar ver-

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schrieenen „schwarzen Suppe“ ernährte, in kaltem Wasser badete, im gymnastischen Training der athletischen spartanischen Kriegerjugend Respekt abnötigte und im Verkehr mit der älteren Spartanergeneration jene düstere Ernsthaftigkeit zur Schau trug, die in Sparta als die einem würdigen Bürger einzig angemessene Haltung gewertet wurde. All dies betrieb er, so Plutarch, mit einem solchen Grad an Perfektion, dass die Spartaner „es kaum glauben konnten, dass dieser selbe Mann jemals einen Koch in seinem Hause gehalten, einem Parfümbereiter Beachtung geschenkt oder sich in feine Mäntel aus milesischem Stoff gekleidet hatte“.7 Selbst wenn hier ein Quäntchen Übertreibung nicht fehlen mag, darf man dies als eine bemerkenswerte Anpassungsleistung werten, die zeigt, wie sehr es Alkibiades damals darauf ankam, in der spartanischen Führungsschicht Vertrauen und Akzeptanz zu gewinnen. Auf der anderen Seite weiß Plutarch zu berichten, dass Alkibiades sich während seines Sparta-Aufenthalts in eine hochriskante Liebschaft mit Timaia, der Gattin des Spartanerkönigs Agis eingelassen habe; er sei der wirkliche Vater des kleinen Leotychidas gewesen, den Timaia im Laufe des Jahres 412 gebar und der offiziell als Sohn und Erbe des Agis gegolten habe. Die Geschichte von Alkibiades’ Liebschaft mit der Königin und ihren für das spartanische Königshaus peinlichen Folgen ist uns in den Quellen, darunter auch zeitlich nahe stehende Autoren, zu vielfältig bezeugt, um von vornherein als Erfindung abgetan zu werden, sie ist späterhin von den Spartanern ernst genug genommen worden, um den unglücklichen Leotychidas dreizehn Jahre später seiner Chance auf die Thronfolge in Sparta zu berauben. Dennoch sträubt sich der kritische Historiker unwillkürlich gegen die Vorstellung, dass Alkibiades das Wohlwollen seiner Gastgeber, um das er sich mit solchem Eifer bemühte, einer Liebschaft halber aufs Spiel gesetzt haben sollte. Hat er sich einfach von einer sich bietenden Gelegenheit hinreißen lassen? Hat er geglaubt, seine politischen Anliegen auf dem Umweg über das königliche Ehebett vorantreiben zu können, oder hat er umgekehrt in der Verführung der Spartanerkönigin, die nach griechischen Wertmaßstäben eine tiefe Demütigung des Ehegatten bedeutete, eine Art emotionalen Ausgleich für das ihm durch die Umstände aufgezwungene Hofieren der spartanischen Großen gesucht? Wir wissen es nicht. Alkibiades selbst soll späterhin erklärt haben, er habe sich der Königin nicht aus Mutwillen oder aus Liebesleidenschaft genähert, sondern es habe ihn der Gedanke gereizt, der Stammvater von Spartas zukünftigen Königen zu werden. Der Ausspruch passt in seiner

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Abb. 9: Jüngling und Hetäre beim Liebesspiel. Vasenmalerei, Antikensammlung Berlin

Mischung aus Frechheit und Größenwahn so gut zum allgemein verbreiteten Bild des Alkibiades, dass er ebenso gut authentisch wie erfunden sein kann. Selbst wenn er wirklich auf Alkibiades zurückgehen sollte, wird es sich nicht um ein ernst gemeintes Bekenntnis, sondern um eine auf die Spartaner und ihren König Agis gezielte Beleidigung handeln. Die wirklichen Hintergründe der Liebschaft zwischen Alkibiades und der Königin werden, wie stets bei derartigen Schlafzimmeraffären, für immer im Dunkel bleiben müssen. 8 Immerhin bietet uns die Überlieferung einige Hinweise zur Datierung, die darauf hindeuten, dass die Timaia-Affäre, wenn sie denn historisch war, in die spätere Phase von Alkibiades’ Sparta-Aufenthalt gehört. Während der ersten Hälfte seines spartanischen Gastspiels dürfte der Flüchtling von jedem Gedanken an amouröse Abenteuer weit entfernt gewesen sein. Sicherlich haben neben den anstrengenden Bemühungen um die Festigung seiner Position in Sparta zunächst die vom sizilischen Kriegsschauplatz eingehenden Nachrichten seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Für ihn wie für die Spartaner hing

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viel davon ab, wie sich der Gang der Kämpfe zwischen den Syrakusanern und dem athenischen Expeditionsheer entwickeln würde. Die aus dem Westen kommenden Botschaften hatten zunächst für Alkibiades und seine Spartanerfreunde nicht viel Erfreuliches zu bieten: Die Athener begannen im Frühjahr 414, den lang erwarteten Angriff auf Syrakus ernsthaft ins Werk zu setzen; von Nikias und Lamachos geführt setzten sie sich im Umland der Stadt fest, besiegten die Syrakusaner in mehreren Gefechten und begannen mit dem Bau einer Belagerungsmauer um die Stadt. Die Versuche der Syrakusaner, den Mauerbau zu verhindern, scheiterten, und auch nachdem Lamachos in einem dieser Kämpfe den Tod fand und die Kommandogewalt auf athenischer Seite nunmehr allein in den Händen des zögerlichen Nikias lag, blieb die Überlegenheit klar auf Seiten der Athener. In Syrakus machte sich Mutlosigkeit breit. Im Laufe der zweiten Jahreshälfte jedoch begann sich das Blatt allmählich zu wenden. Peloponnesische Blockadebrecher gelangten nach Syrakus und brachten Verstärkungen und Zusicherungen weiterer Hilfe aus Korinth und Sparta, die dem Widerstandswillen der Syrakusaner neues Leben einhauchten; schließlich erschien auch der von den Spartanern als Befehlshaber entsandte Gylippos mit einem stattlichen Entsatzheer, das er aus den athenfeindlichen Städten Siziliens rekrutiert hatte, auf dem Plan. Es gelang ihm, seine Armee unter den Augen des untätigen Nikias nach Syrakus hineinzuführen, wo er in der Folge als Oberbefehlshaber der vereinigten syrakusanisch-peloponnesisch-sizilischen Truppen anerkannt wurde. Unter der Führung des tüchtigen Spartaners begannen die Syrakusaner in der Folge, den athenischen Belagerungsanstrengungen aktiv entgegenzuwirken. Nach anfänglichen Schlappen erwiesen sie sich den Athenern im Kampf als gewachsen; es gelang ihnen, den athenischen Mauerbau durch eine Gegenmauer zu neutralisieren und so die Gefahr der Einschließung zu bannen. Als dann gegen Jahresende weitere Truppen aus der Peloponnes eintrafen und Gylippos im Hinterland von Syrakus Verstärkungen aufbot, neigte sich die Waagschale erkennbar der syrakusanischen Seite zu. 9 Die Nachricht von der Wende der Dinge vor Syrakus gab in Sparta den letzten Anstoß zum offenen Krieg gegen Athen. Im Laufe des Sommers hatten die Spartaner einen Einfall in das Gebiet von Argos unternommen. Die Athener hatten mit einem Flottenstreifzug geantwortet, der den Spartanern nun einen legitimen Vorwand für die Eröffnung des

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Krieges bot. Im Winter 414/13 liefen in Sparta die Kriegsvorbereitungen auf Hochtouren, und im darauf folgenden Frühjahr fiel König Agis mit Heeresmacht in Attika ein und begann, den von Alkibiades mehr als ein Jahr zuvor gegebenen Rat in die Tat umzusetzen: Die Spartaner begannen mit dem Bau einer Festung in Dekeleia, die das ganze Jahr über von peloponnesischen Truppen besetzt sein und die Athener in einer Art von permanentem Blockadezustand halten sollte.10 Überraschenderweise scheint Alkibiades an dem Feldzug nicht teilgenommen zu haben, entweder war sein Verhältnis zu Agis damals schon gespannt oder die Spartaner wollten ihn für andere mögliche Aufgaben freihalten, die sich allerdings vorderhand nicht einstellten. So blieb ihm nichts übrig, als in Sparta zu verweilen, seine Kontakte zu pflegen und die Entwicklung des Krieges aus der Distanz zu verfolgen.11

Die Katastrophe der athenischen Sizilienexpedition Das Jahr 413 sollte sich als eines der großen Schicksalsjahre der athenischen Geschichte erweisen. Im Bereich des griechischen Mutterlandes zwar führte die Befestigung von Dekeleia nicht zu einer raschen Entscheidung des Krieges – auch wenn die Athener unter der Dauerpräsenz des Feindes in ihrem Land schwer zu leiden hatten –, auf Sizilien aber strebte der Gang der Ereignisse einem dramatischen Höhepunkt zu. Noch vor Jahresbeginn waren die Athener durch einen Brief des Nikias über die Schwierigkeiten, denen sich ihre Truppen vor Syrakus gegenübersahen, informiert worden. Sie beschlossen daraufhin, ein neues großes Expeditionsheer auszurüsten, zu dessen Kommandanten der bewährte Stratege Demosthenes bestimmt wurde. Das Heer, das sich unter Demosthenes’ Kommando im Frühjahr 413 nach Sizilien einschiffte, stand in seiner zahlenmäßigen Stärke der ursprünglichen Sizilienarmee von 415 kaum nach; es umfasste mehrere tausend Hopliten aus Athen und den Bundesgenossenstädten, die während der Fahrt noch durch zusätzliche Kontingente verstärkt wurden.12 Während diese mächtige Expedition um die Peloponnes herum nach Westen segelte, begann sich auf Sizilien die Lage der Athener noch weiter zu verschärfen. Mit dem Frühlingsbeginn hatten sich die Syrakusaner, von Gylippos ermuntert, dazu entschlossen, eine Flotte auszurüsten und den Athenern auch zur See entgegenzutreten. Nach anfänglichen

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Schlappen zeigten sie sich den Athenern allmählich gewachsen, schließlich sogar überlegen: in einer Seeschlacht im Hafen von Syrakus gelang es ihnen, mehrere Athenerschiffe zu versenken und viele andere zu beschädigen. Der für die Athener niederschmetternde Eindruck dieses Seegefechts wurde bald darauf neutralisiert, als Demosthenes mit seinen Verstärkungen vor Syrakus erschien. Sein Auftreten gab den Athenern das militärische Übergewicht zurück, und Demosthenes überredete Nikias, die gesamte athenische Heeresmacht rasch zum Kampf zu führen, solange der Eindruck der neugewonnenen Stärke noch frisch sei. Demosthenes’ Plan sah einen Nachtangriff auf das oberhalb von Syrakus gelegene Hochplateau von Epipolai vor, ein riskantes, aber im Erfolgsfall möglicherweise kriegsentscheidendes Unternehmen. Bei der Ausführung des Plans ging jedoch zum Unglück für die Athener alles schief, was nur schief gehen konnte. Ihre Truppen erklommen beim Schein des Mondes die Epipolaihöhen und schlugen eine dort postierte Wachtruppe in die Flucht, gerieten dann aber im Zuge des weiteren Vorrückens in Verwirrung, während die syrakusanisch-peloponnesische Hauptmacht sich den Angreifern entgegenwarf. Es entwickelte sich eine chaotische Nachtschlacht, bei der die Athener schon wegen ihrer mangelnden Ortskenntnis im Nachteil waren. Ihr Heer geriet in heillose Verwirrung, die schließlich in Massenpanik und kopfloser Flucht endete. Ein Teil der athenischen Truppen geriet in der Dunkelheit mit den eigenen Leuten ins Handgemenge, andere versuchten in ihrer Panik über die das Plateau begrenzenden Steilhänge zu flüchten, wobei viele in den Tod stürzten, andere, die unten heil ankamen, verirrten sich und wurden eine leichte Beute der ortskundigen syrakusanischen Reiter.13 Die Katastrophe der Nachtschlacht machte alle Hoffnungen, die durch das Eintreffen der Verstärkungsexpedition erweckt worden waren, zunichte und überzeugte den Strategen Demosthenes, dass es vor Syrakus für die Athener nichts mehr zu gewinnen gab. Er drängte auf raschen Abzug, doch jetzt war es Nikias, der zögerte, weil er ohne Ermächtigung durch die Athener Volksversammlung die Belagerung nicht aufzuheben wagte. Tage und Wochen vergingen, ehe Demosthenes seinen Kollegen überzeugen konnte. Als dann endlich alles zum Aufbruch bereit war, ließen sich die Abergläubischen unter den Soldaten, Nikias allen voran, durch eine als Götterzeichen gedeutete Mondfinsternis abschrecken. Inzwischen hatten die Syrakusaner von den athenischen Abzugsplänen Wind bekommen und ihre Flotte mobil gemacht, um die See-

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herrschaft zu erringen. Zwei aufeinanderfolgende Seeschlachten im ‚Großen Hafen‘ endeten mit klaren Niederlagen der Athener, denen damit der Rückzugsweg zur See versperrt war. So blieb ihnen nichts als der Versuch, sich über Land zu retten. Zwei Tage nach der Entscheidungsschlacht brachen die Überlebenden des Athenerheeres auf, von Anfang an verfolgt und schwer bedrängt durch die Reiter und leichten Truppen des Feindes. Angesichts der Überlegenheit der syrakusanischen Reiterei, der spätsommerlichen Hitze und der Belastung durch einen Tross von Kranken und Nichtkombattanten wurde der Rückzugsversuch zum Todesmarsch. Der Versuch, ins Binnenland durchzubrechen und auf direktem Weg nach Katane zu gelangen, schlug fehl. Die Athener mussten nach Süden ausweichen und kämpften sich mehrere Tage lang durch die dürre Küstenebene südlich von Syrakus. Am sechsten Tag nach dem Aufbruch wurde die von Demosthenes befehligte Nachhut von den Syrakusanern eingekreist und aufgerieben, zwei Tage später fand auch die Hauptmacht am Fluss Assinaros ihren Untergang. Nikias und Demosthenes wurden von den Syrakusanern auf der Stelle getötet, die übrigen Gefangenen unter harten Bedingungen in die Steinbrüche von Syrakus geworfen und schließlich, soweit es sich um athenische Bürger handelte, auf dem Sklavenmarkt verkauft. Nur wenigen von ihnen war es vergönnt, die Heimat wieder zu sehen.14 Der Untergang der Sizilienexpedition bedeutete für die Athener in mehr als nur einer Hinsicht eine Katastrophe. Von ihren Bürgern hatten wohl über zehntausend auf Sizilien den Tod gefunden, ein gutes Drittel der gesamten wehrfähigen Bevölkerung. In der Relation geringer, aber in absoluten Zahlen noch viel größer waren die Verluste der athenischen Seebundsverbündeten, wobei man annehmen darf, dass dort gerade die proathenisch eingestellten Gruppen der Bevölkerung überproportional betroffen waren. Zu den Menschenverlusten kamen die materiellen Einbußen. Die Athener hatten nach den vor Syrakus erlittenen Verlusten nicht mehr als hundert Schiffe zur Verfügung und litten obendrein unter einem akuten Mangel an geübten Seeleuten und an Geldmitteln. Für die Gegenseite bedeutete die bedrängte Lage der Athener eine Ermutigung, den Krieg mit aller Energie und mit Mitteln, die man bislang nicht zu verwenden gewagt hatte, zu führen. Die Spartaner begnügten sich nicht mehr mit dem Blockadekrieg von Dekeleia aus. Sie beschlossen, gemeinsam mit ihren Verbündeten eine Flotte zu bauen und den Athenern in ihren Heimatgewässern zur See entgegenzutreten. Man

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durfte auf spartanischer Seite hoffen, dass das Erscheinen einer peloponnesischen Bundesflotte in den ägäischen Gewässern für viele von Athens unwilligen Seebundsuntertanen den Anstoß zur Rebellion geben würde. Zu guter Letzt mehrten sich auch noch die Anzeichen, dass der Perserkönig, der sich bislang aus den griechischen Angelegenheiten herausgehalten hatte, den Feinden Athens seine Unterstützung leihen würde. Angesichts dieser dramatischen Verschiebung der machtpolitischen Gewichte dürften sich in den Augen vieler Zeitgenossen die Aussichten der Athener im denkbar düstersten Licht dargestellt haben. Athens Seebundsmacht, der man zwei Jahre zuvor noch den Griff nach der Vorherrschaft im Mittelmeerraum zugetraut hatte, schien im Winter 413/12 rettungslos dem Untergang geweiht zu sein.15

Alkibiades im spartanischen Dienst in Ionien Wie Alkibiades den dramatischen Schicksalsumschwung des Jahres 413 wahrgenommen hat und wie er damit emotional umgegangen ist, können wir nur vermuten. Im Hinblick auf seinen persönlichen Vorteil hätte ihm die Vorstellung einer Niederlage Athens eigentlich willkommen sein müssen, denn so wie die Dinge lagen, schien seine einzige Heimkehrchance in einem totalen Zusammenbruch des in Athen gegenwärtig bestehenden Systems und einem unter spartanischer Ägide bewirkten Verfassungswechsel zu liegen. Aber auch für einen ausgemachten Selbstling und Opportunisten, wie Alkibiades zweifellos einer war, mag der persönliche Vorteil das Unglück der Heimatstadt nicht ganz aufgewogen haben. Außerdem waren die Aussichten, die sich ihm im Falle der athenischen Niederlage boten, weder besonders solide noch glanzvoll. Falls es ihm gelang, die Spartaner von seiner Nützlichkeit und Loyalität zu überzeugen, würde sich ihm vielleicht die Chance bieten, als Haupt eines von den Siegern installierten Kollaborateursregimes über ein besiegtes und gedemütigtes Athen zu herrschen – für einen Mann, der dort einst der bewunderte Führer der aristokratischen Jugend, danach der von den Massen verehrte Volksliebling gewesen war, gewiss keine allzu verlockende Perspektive. Aber selbst diese fragwürdige Hoffnung war mehr als ungewiss. Alkibiades war nun seit mehr als einem Jahr Gast der Spartaner, ohne bislang eine Gelegenheit erhalten zu haben, seine Fähigkeiten durch konkrete Taten unter Beweis zu stellen. Wenn er die Haltung seiner Gastgeber

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unsentimental betrachtete, musste er den Eindruck gewinnen, dass man sich in Sparta nur seiner Expertise in allen Dingen, die Athen betrafen, zu bedienen beabsichtigte, ihn aber sonst nach Möglichkeit kurzzuhalten gedachte. Eine militärische oder diplomatische Funktion, die dem Exulanten Gelegenheit geben würde, sich die Basis für eine eigenständige Rolle im Kriegsgeschehen zu schaffen, schien aus der Sicht der spartanischen Kriegsherren weder notwendig noch erwünscht zu sein. Zwar konnte Alkibiades gewisse Hoffnungen an die Tatsache knüpfen, dass sich unter den fünf Männern, die im Jahr 413/12 das Kollegium der Ephoren – das höchste zivile Beamtengremium in Sparta – stellten, der mit seiner Familie von jeher verbundene Endios befand,16 doch solange die gegen Athen im Feld stehende Spartanerstreitmacht unter dem Kommando des mit Alkibiades verfeindeten Königs Agis stand, schien jeder Gedanke an eine aktive Teilnahme am Kriegsgeschehen ein frommer Wunsch zu bleiben. Dieser unbefriedigende Zustand änderte sich, als im Frühjahr 412 zwei Gesandtschaften aus dem Osten in Sparta eintrafen. Die eine kam aus Chios, der wichtigsten Inselpolis Ioniens, wo einflussreiche Kreise der Bürgerschaft bereit waren, ihre Stadt zum Abfall vom athenischen Seebund zu bringen, wenn Sparta ihnen aktive Unterstützung leisten würde. Die Chier wurden von einem Bevollmächtigten des persischen Satrapen Tissaphernes begleitet, der im Auftrag des Perserkönigs den Westen Kleinasiens regierte und ebenfalls den Wunsch hegte, spartanische Streitkräfte nach Ionien hinüberzuziehen. Die andere Gesandtschaft kam von Tissaphernes’ Nachbarn und Amtskollegen Pharnabazos, dessen Satrapie die im Hinterland des Hellespont gelegenen Teile Kleinasiens umfasste. Beide Gesandtschaften bemühten sich, die Spartaner zur Entsendung einer Streitmacht in das Gebiet ihrer jeweiligen Auftraggeber zu veranlassen. Da es klar war, dass Sparta beim gegenwärtigen Stand seiner Rüstungen nicht zwei Expeditionen zugleich aussenden konnte, entspann sich innerhalb der spartanischen Führungskreise eine Debatte, welchem der beiden Angebote man die Priorität zuerkennen sollte. Alkibiades nahm daran führenden Anteil. Während seiner Athener Zeit hatte er sowohl auf Chios als auch in den Städten am Hellespont persönliche Kontakte knüpfen können, die ihm jetzt nicht nur zum Status eines Experten für die Angelegenheiten der Ost-Ägäis verhalfen, sondern ihn auch als wertvollen potentiellen Teilnehmer für jede in diese Gebiete zu entsendende Expedition erscheinen ließen.

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Alkibiades setzte sich dafür ein, zunächst dem Ruf der Chier und des Tissaphernes Folge zu leisten und demgemäß eine Flottenexpedition nach Ionien zu entsenden. Die Mehrheit der spartanischen Großen, darunter auch Endios, stimmten ihm bei. Nachdem ein nach Chios entsandter Agent günstige Nachrichten über die dortige Lage gebracht hatte, beschloss man, eine aus spartanischen und anderen peloponnesischen Schiffen zusammengesetzte Flotte nach Ionien zu schicken. Das Gros dieser Flotte sollte am Isthmus von Korinth ausgerüstet werden und von dort aus in See stechen, während der von Sparta zum Oberbefehlshaber des Unternehmens bestellte Chalkideus mit einer kleinen Abteilung direkt vom spartanischen Gebiet in der Südpeloponnes aus nach Ionien segeln und sich dort mit dem Rest vereinigen sollte. Mit dem Geschwader des Chalkideus sollte auch Alkibiades als Berater und diplomatisch-politischer Emissär mitsegeln.17 Man kann sich lebhaft vorstellen, mit welchen Hoffnungen diese Mission den seit nunmehr zweieinhalb Jahren auf dem Trockenen sitzenden Alkibiades erfüllt haben muss und mit welcher Ungeduld er den Tag der Ausfahrt herbeigesehnt haben wird. Doch zunächst kam ein Rückschlag, der das ganze Unternehmen in Frage stellte. Das Geschwader des Chalkideus war gerade abfahrbereit, als die Nachricht eintraf, dass die Ausfahrt der Hauptabteilung missglückt war: Die vom Isthmus ausfahrenden Schiffe waren von einer athenischen Flotte abgefangen worden; in einem Seegefecht besiegt, hatten sie sich ins korinthische Gebiet zurückgeflüchtet, wo sie nun von den Athenern blockiert wurden. Den Regierenden in Sparta sank angesichts dieser Hiobsbotschaft so sehr der Mut, dass sie schon daran dachten, die ganze Ionienfahrt abblasen zu lassen. Alkibiades eilte nach Sparta und beschwor die Ephoren, das Unternehmen dennoch durchzuführen. Die Schiffe des Chalkideus könnten Chios erreichten, ehe sich die Nachricht von der Niederlage verbreitet hätte, und er, Alkibiades, werde imstande sein, auch ohne große Flottenmacht im Hintergrund, die Ionier zum Abfall von Athen zu überreden. Schließlich ließen sich die Spartaner überzeugen. Mit dem Einverständnis der Ephoren stachen Alkibiades und Chalkideus in See, um in Ionien mit fünf Schiffen die Aufgabe zu bewältigen, für die ursprünglich die viermal so große Korinthflotte bestimmt gewesen war. 18 In Ionien angekommen, konnte Alkibiades die Versprechungen, die er den Spartanern gegeben hatte, zu einem guten Teil wahr machen. Es gelang ihm, Chios und bald darauf auch das auf dem Festland gegenüberliegende Klazomenai zum Übertritt auf die Seite Spartas zu bewegen.

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Danach fuhren er und Chalkideus an der Spitze einer hauptsächlich aus chiischen Schiffen bestehenden Flotte nach Milet, der bedeutendsten Stadt Ioniens, und brachten auch dort einen Seitenwechsel zustande, kurz bevor ein zum Schutz des ionischen Seebundsbereiches entsandtes Athenergeschwader vor der Stadt eintraf. Chalkideus und Alkibiades schlugen nun in Milet ihr Hauptquartier auf und organisierten ihre aus den Aufgeboten der neugewonnenen Verbündeten gebildeten Landund Seestreitkräfte. Zugleich nahmen sie mit dem Satrapen Tissaphernes Kontakt auf und schlossen mit ihm als Vertreter des persischen Großkönigs ein Abkommen über den gemeinsamen Kampf gegen Athen.19 Wahrscheinlich hat Alkibiades schon bei diesen ersten Perserverhandlungen eine wichtige Rolle gespielt, jedenfalls aber erkannte er rasch die Chance, sich in den Persern neben seiner bestehenden Spartanerbindung eine Art ‚zweites Standbein‘ seiner politischen Existenz zu schaffen. Im Laufe des Herbstes 412 bemühte er sich intensiv, das Vertrauen des Satrapen zu gewinnen, und er hatte dabei vollen Erfolg: Tissaphernes ließ sich vom Charisma des berühmten Exulanten beeindrucken; er erwies dem Alkibiades hohe Gunstbezeugungen, suchte seinen Rat in griechischen Angelegenheiten und kam im weiteren Verlauf des Jahres schließlich so weit, ihn in seinen Beziehungen zu den Griechen als Vermittler und offizielles politisches ‚Sprachrohr‘ einzusetzen. Beide Seiten zogen ihren Vorteil aus dem neugeschaffenen Vertrauensverhältnis: Der Satrap gewann einen gutinformierten Ratgeber, Alkibiades eine beträchtliche Aufwertung seines politischen Wertes und einen möglichen Zufluchtsort, falls er bei seinen spartanischen Gönnern in Ungnade fallen sollte. 20 Vorderhand jedoch sah Alkibiades seinen Platz noch im Spartanerlager, wo weiterhin Chalkideus, zu dem er ein gutes Verhältnis gehabt zu haben scheint, das Kommando führte. Für den Rest des Sommers 412 stand er dem spartanischen Befehlshaber in dessen Hauptquartier in Milet zur Seite, und er blieb auch dort, als Chalkideus im Kampf gegen eine athenische Landungsabteilung vor Milet den Tod fand. Bald darauf kam für Alkibiades der Tag, an dem er seinen Übertritt auf Spartas Seite mit bewaffnetem Einsatz zu besiegeln hatte: Ende September erschien die im Laufe des Sommers ständig verstärkte athenische Flotte mit knapp fünfzig Schiffen vor Milet und setzte ein Heer von dreitausendfünfhundert Hopliten an Land. Das Bürgeraufgebot der Milesier trat ihnen gemeinsam mit den unter Chalkideus gekommenen Peloponnesiern und einer von Tissaphernes gestellten Persertruppe entgegen. Es kam zu

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einer Schlacht, in der die Peloponnesier und ihre Verbündeten von den Athenern zurückgedrängt und zum Rückzug hinter die Mauern ihrer Stadt gezwungen wurden; die Athener behaupteten das Feld und bereiteten sich auf eine Belagerung von Milet vor. Alkibiades hatte in den Reihen der Besiegten an der Schlacht teilgenommen; wir können darüber nur mutmaßen, welche Gefühle ihn bei diesem seinem ersten Kampfeinsatz gegen die ehemaligen Landsleute bewegt haben mögen. Fest steht aber, dass er im Anschluss an die Schlacht der spartanischen Sache einen wesentlichen Dienst zu erweisen versuchte. Am Abend der Schlacht wurden Freund und Feind von der Nachricht überrascht, dass eine starke Flotte aus der Peloponnes eingetroffen und in einer nahe gelegenen Hafenbucht vor Anker gegangen sei. Alkibiades ritt zu den Neuankömmlingen hinaus, informierte sie über den Schlachtverlauf und forderte sie auf, den Milesiern sofort zu Hilfe zu kommen, wenn sie nicht wollten, dass Ionien den Spartanern verloren gehe. Der spartanische Befehlshaber ließ sich überzeugen und fuhr am nächsten Tag mit seiner Flotte in Kampfformation gegen Milet, wo man allerdings keinen Feind mehr antraf – die Athener hatten schon während der Nacht ihre Truppen eingeschifft und sich in ihre Basis nach Samos zurückgezogen. Auch wenn sich Alkibiades’ Aktion somit als überflüssig erwies – die athenischen Strategen hatten ihre Rückzugsentscheidung gleich bei der ersten Meldung vom Auftauchen der peloponnesischen Flotte getroffen –, zeigt sie doch deutlich, dass er damals noch bereit war, sich voll und ganz für die Sache Spartas einzusetzen. 21 Das aber sollte sich binnen kurzer Zeit dramatisch ändern. In Sparta hatten die Nachrichten von Alkibiades’ Leistungen in Ionien weniger Dankgefühle als vielmehr Unbehagen und Misstrauen hervorgerufen. Den stolzen Spartanern behagte der Gedanke nicht, ihre Erfolge einem athenischen Flüchtling zu verdanken, und ihre misstrauisch-vorsichtige Grundhaltung musste in ihnen fast zwangsläufig den Argwohn erwecken, dass Alkibiades eines vielleicht nicht mehr fernen Tages sein eigenes Spiel auf Spartas Kosten spielen könnte. Dazu kam ein politischer Umschwung in den spartanischen Regierungskreisen: Die Amtszeit von Alkibiades’ Freund und Förderer Endios und der mit ihm gemeinsam amtierenden Ephoren war mit dem Ende des Sommers 412 zu Ende gegangen; die neugewählten Ephoren aber standen dem König Agis nahe, der dem Flüchtling feindlich gesinnt war. Unter seinem Einfluss zeigte sich die neubestellte spartanische Regierung willens, Alkibiades fallen zu lassen, und instruierte ihre in Ionien stehen-

Ein missglücktes Hasardspiel

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den Befehlshaber in diesem Sinne. Angeblich soll damals sogar schon ein Befehl zu seiner Festnahme und Hinrichtung ergangen sein.

Ein missglücktes Hasardspiel: Alkibiades’ Intrigen mit den Persern und den athenischen Oligarchen Die Entwicklung der Dinge konnte Alkibiades, der ohne Zweifel über seine eigenen vertraulichen Informationskanäle verfügte, nicht verborgen bleiben. Er zog sogleich die Konsequenzen und verlegte seinen Aufenthaltsort im Winter 412/411 an den Hof des Tissaphernes, allerdings ohne sich zunächst offiziell von der Sache der Spartaner loszusagen. 22 Hinter den Kulissen jedoch begann Alkibiades nun tatsächlich, ein eigenes und sehr gewagtes Spiel zu betreiben. Auf der einen Seite übte er seine Funktion als Ratgeber des Tissaphernes nunmehr ohne die geringste Rücksicht auf Spartas Wünsche und Interessen aus, auf der anderen Seite begann er, Kontakte mit der athenischen Seite zu knüpfen, und sich um Mittel und Wege zur Heimkehr und Wiederversöhnung mit den ehemaligen Landsleuten Gedanken zu machen. Der Schlüssel zu diesem heißersehnten Ziel lag in der Person des Tissaphernes. Alkibiades versuchte, sein Vertrauensverhältnis zu dem Satrapen zu vertiefen, indem er seine Ratschläge auf die Interessenslage und die Erwartungen der Perser abstimmte. Er gab Tissaphernes den Rat, den Krieg zwischen Sparta und Athen rein als Chance zur Förderung der Macht des Perserreiches zu begreifen. Zu diesem Zweck sei es notwendig, keine Seite die Oberhand gewinnen zu lassen und den Krieg in die Länge zu ziehen, damit sich „Spartaner und Athener im Kampf gegeneinander aufreiben“ würden. Die Perser wären dann mit geringem Aufwand die lachenden Dritten. Diese Ratschläge lagen naturgemäß ganz auf der Linie dessen, was Tissaphernes von sich aus erwünschte und erhoffte; der Satrap ging denn auch sogleich darauf ein und kürzte nach Alkibiades’ Rat die Unterstützungsgelder, die er an die spartanischen Truppen in Ionien zahlte. Alkibiades nahm die Wirkung seines Ratschlags mit Wohlgefallen zur Kenntnis. Seine Absicht ging jedoch dahin, die Perser auf dem eingeschlagenen Weg noch einen Schritt weiter, nämlich zur aktiven Zusammenarbeit mit Athen, zu lenken. Das allerdings war eine Idee, die allen Instinkten des Tissaphernes zuwiderlaufen musste, denn in den Augen

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aller Perser galt Athen mit seinem im Kampf gegen den Großkönig geschaffenen Seereich als der traditionelle und unversöhnliche Erbfeind ihres Imperiums. Alkibiades musste daher bei seinem Überredungsversuch Zuflucht zu fragwürdigen Argumentationstricks nehmen: Die Athener, erklärte er, seien als Bündnispartner für das Perserreich geeigneter, weil ihre Interessen mehr auf dem Meer als auf dem asiatischen Festland lägen und sie die Griechen unterwerfen, nicht, wie die Spartaner, befreien wollten. Das war im Lichte aller historischen Erfahrungen betrachtet ein ziemlich windiges Argument, aber es genügte, um Tissaphernes soweit zu beeindrucken, dass er die Möglichkeit eines Athenerbündnisses ernsthaft ins Auge zu fassen begann. 23 Das war vorderhand alles, was Alkibiades brauchte. Vom Nimbus seiner Vertrauensstellung bei Tissaphernes umgeben, begann er nun mit den Athenern in Kontakt zu treten, um sich ihnen als Helfer und Retter in der Not anzudienen. Allerdings wandte er sich mit seinen Vorschlägen nicht an Athens offizielle Regierungsorgane, die dem geächteten Staatsverbrecher kein Gehör geschenkt hätten, sondern an die Truppen- und Flottenkommandeure im Heerlager auf Samos, wo im Winter 412/11 ein beträchtlicher Teil der athenischen See- und Landstreitkräfte stationiert war. Alkibiades ging davon aus, dass es angesichts des immer noch wirksamen Einflusses seiner politischen Gegner und der beim Volk von Athen weiterhin lebendigen Erinnerung an seine Flucht und Verurteilung eines grundlegenden politischen Umschwunges bedürfen würde, um ihm den Weg zur Rückkehr in die Heimat zu bahnen. Es traf sich zu seinen Gunsten, dass ein solcher Umsturz im Spätherbst 412 im Bereich des Möglichen zu liegen schien. In Athen hatten das Scheitern der Sizilienexpedition und die darauf folgenden Kriegsnöte das demokratische System in Misskredit gebracht. Die betont volkstümlichen Politiker vom ‚Demagogen‘-Typus, die sich seinerzeit als eifrige Verfechter der Sizilienfahrt hervorgetan hatten, waren weithin diskreditiert. Die Vorstellung, dass in der gegebenen kritischen Kriegslage nur eine grundsätzliche Reform von Staat und Politik den Weg zur Rettung bieten könnte, gewann in breiten Schichten der Athener Bürgerschaft an Akzeptanz. In den Kreisen der bessergestellten Bauern und der Oberschicht, die neben den allgemeinen Härten des Kriegsdienstes auch noch schwere finanzielle Lasten und Vermögensverluste zu ertragen hatte, verbanden sich die Reformwünsche oftmals mit einer gegen das demokratische Prinzip an sich gerichteten Missstimmung, die diese Gruppen für den Wunsch nach einer gewaltsamen Ver-

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fassungsänderung anfällig machte. Die konkrete Gestalt der anzustrebenden Änderungen scheint den Unzufriedenen selbst nicht ganz klar gewesen zu sein, eindeutig war aber die generelle Zielrichtung ihrer Wunschvorstellung: Es ging darum, die Demokratie mit ihrer Bürgergleichberechtigung und ihrem Mehrheitsprinzip zu stürzen und durch eine Oligarchie, das heißt durch ein von einer kleinen Elite der selbsternannten „Guten und Tüchtigen“ autoritär geführtes Regierungssystem, zu ersetzen. 24 Derartige Stimmungen waren in Athen, besonders aber in den Führungsrängen der auf Samos stationierten athenischen Flotten- und Landstreitkräfte weit verbreitet. Alkibiades, der ohne Zweifel seine Kontakte und Quellen hatte, war darüber gut informiert, und er nahm diese Entwicklung zum Ansatzpunkt für seinen Versuch, sich einen neuen Weg zur Heimkehr nach Athen zu bahnen. Im Winter 412/11 sandte er geheime Botschaften an die Führer der Athenerstreitmacht auf Samos, Botschaften, in denen er den Athenern seine Dienste als Vermittler eines Bündnisses mit dem Perserkönig anbot, dafür aber die Beseitigung der Demokratie zur Bedingung machte: „Er sei“, ließ er ausrichten, „gewillt, wenn die Oligarchie herrsche und nicht das Schandsystem, die Demokratie, die ihn verbannt habe, heimzukehren, ihnen den Tissaphernes zum Freund zu machen und als Mitbürger unter ihnen zu leben … Wenn sie nur ja keine demokratische Verfassung hätten, so würde der Großkönig eher Vertrauen zu ihnen haben.“ 25 Liest man Thukydides’ Bericht von diesen Geheimverhandlungen, so kann man nicht umhin, die Meisterschaft zu bewundern, mit der Alkibiades es verstand, seinen jeweiligen Ansprechpartnern nach dem Munde zu reden. Die Verknüpfung von Verfassungssturzagitation und Perserbündnishoffnungen traf zielgenau die Erwartungshaltung jener athenischen Strategen und Schiffskommandanten, die im Winter 412/11 von der Abneigung gegen die Demokratie, zugleich aber auch von dem Wunsch nach einem Sieg im Kampf gegen Sparta beseelt waren. Dementsprechend durchschlagend war die Wirkung, die Alkibiades’ Botschaft im Athenerlager entfaltete. Unter den Anführern des Heeres gaben seine Verheißungen den Anstoß zur Bildung einer Verschwörergruppe, die nun ganz konkret den Umsturz der Verfassung, das Perserbündnis und die Rückführung des Alkibiades ins Auge fasste. 26 Die meisten der höheren Offiziere schlossen sich der Bewegung vorbehaltlos an, einige hielten sich distanzierter, wagten aber keinen offenen Widerspruch.

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Nur einer von den athenischen Heerführern, der lebenserfahrene und politisch versierte Stratege Phrynichos, stellte sich offen gegen die Pläne der Verschworenen. Er warnte seine Mitstrategen davor, den Verheißungen des Alkibiades zu trauen: Der Flüchtling verspreche mehr als er halten könne, denn es sei in Wirklichkeit kaum vorstellbar, dass der Perserkönig sich mit den Athenern verbünden werde. Auch liege dem Alkibiades im Grunde gar nichts an der Errichtung einer Oligarchie in Athen; für ihn sei der ganze Umsturz nur das Mittel zu dem Zweck, sich die Heimkehr zu sichern. Die Ausführungen des Phrynichos verraten einen kühlen Realitätssinn, der umso bemerkenswerter ist, als der Stratege an sich, wie seine späteren Aktionen beweisen, dem Gedanken an eine oligarchische Verfassungsumwälzung keineswegs abgeneigt war. Seine Zweifel an Alkibiades’ Vorschlägen nährten sich nicht aus irgendeiner demokratischen Grundüberzeugung, sondern aus der natürlichen Skepsis eines vielerfahrenen Staatsmannes, der nach langen Jahrzehnten politischer Betätigung von Illusionen frei und allen undurchdachten und riskanten Projekten abgeneigt war. 27 Die nüchterne Skepsis des alten Strategen fand jedoch bei seinen von Alkibiades’ Versprechungen enthusiasmierten Kollegen keine Resonanz, was vor allem daran gelegen haben dürfte, dass Phrynichos außer seiner generellen Mahnung zur Vorsicht kein politisches Konzept zu bieten hatte, das er den Verheißungen des Alkibiades hätte entgegenstellen können. So war es nicht verwunderlich, dass die Verschwörer seine Warnungen in den Wind schlugen. Sie beschlossen, sich den von Alkibiades vorgelegten Plan zu eigen zu machen und Abgesandte nach Athen zu entsenden, die dort den Boden für eine Verfassungsumwälzung im oligarchischen Sinne bereiten sollten. Bald darauf war tatsächlich eine aus ihren Reihen zusammengestellte Gesandtschaft nach Athen unterwegs, deren Führung pikanterweise einem gewissen Peisandros übertragen wurde, der bis dahin als ausgesprochener Volksfreund gegolten und sich während der HermenfrevelAffäre als scharfer Verfolger aller Demokratiefeinde und Götterfrevler profiliert hatte. Vermutlich erschien er den Verschwörern gerade deshalb als der richtige Mann, dem Volk von Athen den Gedanken an einen Wechsel der Verfassung nahe zu bringen. 28 Während die Abgesandten der Verschwörer nach Athen segelten und Alkibiades am Satrapenhof in Magnesia am Mäander die weitere Entwicklung der Dinge auf Samos und in Athen abwartete, unternahm der

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Stratege Phrynichos auf eigene Faust einen Versuch, das von Alkibiades und den athenischen Verschwörern betriebene Projekt zum Platzen zu bringen. Er sandte einen Brief an den spartanischen Befehlshaber Astyochos, in dem er die Pläne des Alkibiades und seine Verhandlungen mit den athenischen Verschwörern enthüllte. Astyochos reagierte jedoch anders als der Denunziant erwartet hatte: Anstatt einen Schritt zur Beseitigung des Alkibiades zu unternehmen, begab er sich nach Magnesia, wo er nicht nur Tissaphernes, sondern auch Alkibiades selbst mit den Enthüllungen konfrontierte. Wir können nicht sagen, ob der Spartaner dabei aus einer persönlichen Sympathie für Alkibiades heraus handelte oder ob er hoffte, durch einen Akt der kalkulierten Offenheit Tissaphernes und möglicherweise auch Alkibiades auf der spartanischen Seite halten zu können. Alkibiades sah sich jedenfalls in peinlicher Weise bloßgestellt. Er sandte sofort eine Botschaft nach Samos, in der er die Verschworenen aufforderte, Phrynichos zu beseitigen. Dieser, nunmehr schwer in Bedrängnis, trat die Flucht nach vorne an. Er schrieb einen zweiten Brief an Astyochos, in dem er dem Spartaner anbot, ihm das athenische Heer in die Hände zu liefern und den Ratschlag gab, Astyochos möge das unbefestigte Lager der Athener angreifen. Diesmal aber hatte Phrynichos von vornherein die Möglichkeit, dass Astyochos seinem Rat nicht Folge leisten werde, ins Auge gefasst und die Reaktion des Spartaners auskundschaften lassen. Als Astyochos auch diesen Brief an Alkibiades weiterleitete, erhielt Phrynichos rechtzeitig genug davon Nachricht, um nun seinerseits im Lager der Athener als Warner vor einem spartanischen Angriff aufzutreten und in aller Eile die Befestigung des Lagers in die Wege zu leiten. Dieses Doppelspiel zeitigte die gewünschte Wirkung: Als bald darauf ein Brief von Alkibiades mit der Nachricht von Phrynichos’ neuerlichem Verratsversuch im Athenerlager eintraf, gelang es dem Strategen, sich dem Heer gegenüber als einen von Anfang an unschuldig Verleumdeten darzustellen. Alkibiades musste erkennen, dass seine ehemaligen Landsleute, selbst wenn sie um der erhofften Perserhilfe willen seine Heimkehr zu akzeptieren bereit waren, seiner Person immer noch mit starkem Misstrauen gegenüberstanden.29 Vorderhand blieb ihm nichts übrig, als sich mit diesem Stand der Dinge abzufinden und allfällige Vergeltungswünsche, die er dem Intriganten Phrynichos gegenüber hegen mochte, für den Augenblick zurückstellen. Er konnte sich damit trösten, dass, aufs Ganze gesehen, die Pläne der Verschwörer voll aufzugehen schienen.

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Etwa um die Jahreswende 412/11 traf Peisandros mit seinen Mitgesandten in Athen ein und präsentierte dem Volk in der Ekklesie die Vorschläge des Alkibiades über Perserbündnis und Verfassungsänderung, letztere freilich in einer sehr abgemilderten Form: Die Athener könnten den Perserkönig zum Verbündeten haben, wenn sie den Alkibiades zurückriefen und „nicht mehr auf die gewohnte Art demokratisch verfasst“ wären. Trotz der zurückhaltenden Wortwahl erhob sich daraufhin ein Sturm des Protests, dem Peisandros mit dem Verweis auf die drängende Notlage und mit der Erklärung begegnete, der Perserkönig werde den Athenern nur vertrauen, wenn sie eine „vernünftigere“ und „auf eine geringere [Bürger-]Zahl gestützte“ Verfassung hätten. Unter dem Eindruck dieser Argumente fand sich das Volk von Athen schließlich bereit, die Möglichkeit einer Verfassungsänderung zumindest ins Auge zu fassen; man beschloss, zunächst einmal Peisandros an der Spitze einer bevollmächtigten Gesandtschaft zu Tissaphernes zu entsenden, um mit dem Satrapen die Bedingungen für ein definitives persisch-athenisches Abkommen auszuhandeln. Peisandros konnte diesen Beschluss als Teilerfolg und ersten Schritt zur Verwirklichung des Umsturzplans betrachten. Allerdings hatte er sich von vornherein nicht mit der offiziellen Seite seiner Mission begnügt, sondern auch im Geheimen darauf hingewirkt, eine Umwälzung in die Wege zu leiten: Er hatte eine Anzahl demokratiefeindlicher Klubs, die sogenannten Hetairien, kontaktiert und mit ihrer Unterstützung eine schlagkräftige Untergrundorganisation gebildet, die sich daranmachte, die Sache des Verfassungssturzes mit allen Mitteln voranzutreiben. Zu dem Zeitpunkt, da Peisandros absegelte, um im Namen Athens mit Tissaphernes zu verhandeln, hatte die Umsturzbewegung dort feste Gestalt angenommen und bereits eine Eigendynamik gewonnen, die ihre Protagonisten je länger desto stärker in Richtung auf einen Staatsstreich hindrängte. 30 Währenddessen dürfte Alkibiades am Satrapenhof der Ankunft der athenischen Emissäre mit gespannter Erwartung, zugleich aber mit Unbehagen entgegengesehen haben. Er muss sich darüber im Klaren gewesen sein, dass der Versuch, ein für Perser und Athener gleichermaßen akzeptables Abkommen zustande zu bringen, ein von vornherein fast aussichtsloses Unterfangen darstellte. Ganz abgesehen davon, dass die Erinnerung an ein halbes Jahrhundert gegenseitiger Kriege das persischathenische Verhältnis belastete, musste ein unbefangener Betrachter eingestehen, dass sich die Interessen beider Seiten auch jetzt kaum mit-

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einander vereinbaren ließen: Während die Athener um den Bestand ihres Seebundes kämpften, lag den Persern gerade die Zerschlagung dieses attischen Seereiches am Herzen, das sechzig Jahre lang ein Bollwerk gegen ihre eigene Machtentfaltung gebildet hatte. Selbst wenn Tissaphernes geneigt sein sollte, im Interesse eines möglichen persisch-athenischen Zusammenwirkens die eigenen Expansionsgelüste für den Augenblick zurückzustellen, ließ es sich doch absehen, dass er sich niemals voll und ganz auf die athenische Seite schlagen würde. Alkibiades kann sich, klarblickend wie er war, über diese Sachlage keiner Illusion hingegeben haben. Er musste davon ausgehen, dass selbst beim Abschluss eines Bündnisses die persische Hilfe begrenzt und vielleicht von kurzer Dauer sein würde. Dass er dennoch seine Hoffnungen auf einen solchen Abschluss setzte, war in seinen persönlichen Bedürfnissen begründet: Mochte der Perservertrag für Athen auch von absehbar beschränktem Nutzen sein, für ihn, Alkibiades, würde er die Brücke darstellen, auf der sich die Kluft, die sich 415 zwischen ihm und seiner Heimatstadt aufgetan hatte, überwinden ließ. Alkibiades musste daher um seiner selbst willen alles daran gelegen sein, zumindest für den Augenblick eine athenisch-persische Verständigung zustande zu bringen. Er übernahm, als Peisandros und die übrigen Athenergesandten am Hof des Tissaphernes eintrafen, die Rolle eines Verhandlungsführers und offiziellen Vermittlers zwischen ihnen und dem Satrapen, und wir dürfen, auch wenn Thukydides es anders sah, annehmen, dass er sich in dieser Funktion durchaus ernsthaft für das Zustandekommen des athenisch-persischen Bündnisses einsetzte. Im Verlauf der Verhandlungen wurde jedoch klar, dass sich die beiderseitigen Standpunkte nicht auf einen Nenner bringen ließen: Die Athener waren bereit, einige ihrer früheren Bundesgenossenstädte preiszugeben, wollten jedoch der Perserflotte nicht die Zufahrt in die Ägäis zugestehen, worauf wiederum die Perser nicht zu verzichten bereit waren. An dieser Streitfrage scheiterten schließlich die Gespräche nach einigen Tagen vergeblicher Debatten. Die Gesandten kehrten unverrichteter Dinge ins Athenerhauptquartier nach Samos zurück. 31 Das war ein herber Rückschlag für Alkibiades’ Pläne, der für ihn auch deshalb fatal zu werden drohte, weil Peisandros und seine Mitgesandten im Laufe der Verhandlungen erkannt hatten, dass den Persern von Haus aus nichts an der Errichtung einer Oligarchie in Athen lag und Alkibiades’ diesbezügliche Behauptungen haltlos waren. Nach Samos zurück-

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gekehrt, fassten sie in einer Konferenz mit den übrigen Verschwörern den Entschluss, ihr Umsturzprojekt, das schon zu weit gediehen war, um ohne weiteres abgeblasen zu werden, nunmehr ohne Hoffnung auf persische Unterstützung allein weiterzuführen. Peisandros ging wiederum nach Athen, wo die Hetairien inzwischen eine rege Tätigkeit entfaltet hatten. Auch dort bestärkte die Nachricht vom Scheitern der Perserhoffnungen die oligarchisch Gesinnten nur in der Entschlossenheit zur Durchführung ihrer Pläne: Sie formierten sich zu einer schlagkräftigen Untergrundorganisation, die nun anstelle des Perserbündnisses ihre Hoffnungen auf eine Verständigung mit Sparta zu setzen begann. In dieser Neukonzeption war für Alkibiades kein Platz mehr. Er galt den Umstürzlern nunmehr geradewegs als Verräter, der die Oligarchenbewegung durch haltlose Versprechungen auf Abwege geführt habe; wie tief die Animosität ging, zeigte sich am deutlichsten daran, dass jetzt auch sein Todfeind Phrynichos in die Bewegung aufgenommen wurde und in ihren Reihen sogleich eine Führungsposition einnahm. 32 Im Laufe des Frühling und Frühsommers 411 setzten die Verschworenen ihren Umsturzplan in die Tat um. Nachdem die Ekklesie, von der oligarchischen Propagandaoffensive beeindruckt, bereits die Bildung einer neuen, gegenüber der bisherigen Volksversammlung zahlenmäßig beschränkten gesetzgebenden Körperschaft, der sogenannten ‚Fünftausend‘, abgesegnet hatte, fühlten sich die Verschwörer stark genug, einen Handstreich zur Durchsetzung ihrer Maximalziele zu riskieren. In der ersten Junihälfte 411 beriefen sie das Volk zu einer außerordentlichen Versammlung vor die Stadtmauer, in deren Verlauf es Peisandros und seinen Gesinnungsgenossen mittels eines raffinierten Zusammenspiels von Rhetorik, Manipulation und subtilen Drohungen gelang, eine Mehrheit für den Beschluss zur Bildung eines neuen politischen Gremiums zu erreichen: Den zuvor schon beschlossenen Fünftausend wurde ein Rat der ‚Vierhundert‘ zur Seite gestellt, der die eigentliche Regierungsgewalt ausüben und nach dem Bericht des Thukydides auch das Recht haben sollte, „die Fünftausend einzuberufen, sobald es ihnen gut dünke“. Damit hatten die Oligarchen all die Handhabe, die sie brauchten, um Athens Staatsordnung nach ihren Vorstellungen umzuformen, und sie verloren keine Zeit, die sich bietende Gelegenheit zu nutzen. Nachdem sie gleich im Anschluss an die entscheidende Versammlung aus ihren eigenen Reihen den Vierhunderter-Rat zusammengestellt und tags da-

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rauf im Rathaus anstelle des bisherigen Rates installiert hatten, nutzten sie ihre Vollmachten, um die Konstituierung der ‚Fünftausend‘ auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Die Regierungsgewalt wurde derweil von Peisandros, Phrynichos und den anderen Oligarchenführern mittels des von ihnen straff kontrollierten Rates der Vierhundert nach eigenem Gutdünken und unter Anwendung von Zwangsgewalt ausgeübt. Widerstand regte sich wenig und wurde, wo er auftrat, prompt unterdrückt.33

Ein gelungenes Hasardspiel: Alkibiades’ Anschluss an die demokratische Bewegung im Athenerheer Während in Athen ein Jahrhundert demokratischer Entwicklung durch die Aktion einer entschlossenen Verschwörergruppe zunichte gemacht zu werden schien, lebte Alkibiades kaltgestellt und von jedem Einfluss auf das Geschehen in der Heimatstadt abgeschnitten am Hofe des Tissaphernes. Wir wissen nicht, wieweit er über die Vorgänge in Athen unterrichtet war, es muss ihm aber jedenfalls bewusst gewesen sein, dass er nach dem Scheitern der Tissaphernes-Verhandlungen von den athenischen Oligarchen nichts mehr zu erhoffen hatte. Deren Bereitschaft, dem umstrittenen Flüchtling die Heimkehr zu gewähren, war von Anfang an nicht vorbehaltlos gewesen. Nachdem sich in den Verhandlungen erwiesen hatte, dass er bei ihren Umsturzplänen keine Rolle spielen konnte, strichen sie ihn ohne Probleme aus ihren Kalkulationen. Als dann die Vierhundert in Athen die Macht ergriffen, wurde ihre Feindschaft gegen Alkibiades schon daran deutlich, dass sie – allein seinetwegen, wie Thukydides ausdrücklich feststellt – darauf verzichteten, eine offizielle Amnestie und Heimkehrerlaubnis für alle Verbannten zu verkünden. In der Sicht der neuen Herren Athens erschien Alkibiades nunmehr als eine „für eine Oligarchie ungeeignete“ Persönlichkeit, 34 ein Unruhestifter, den sich die Oligarchenregierung ebenso konsequent vom Leibe zu halten gedachte, wie dies ihre demokratische Vorgängerin seit 415 getan hatte. Alkibiades wird an seinem Exilsort von dieser Entwicklung nur einen Teil mitbekommen haben, jedenfalls aber genug, um seine Hoffnung auf Heimkehr gegen den Nullpunkt sinken zu lassen. Nun, da sich sowohl in Athen als in Sparta die Türen vor ihm geschlossen hatten, blieb ihm als letzter Halt nur die Gunst seines Gastgebers Tissaphernes – eine unsi-

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chere Stütze, die nur auf persönlicher Sympathie beruhte und gefährdet schien, weil der Satrap sich im Laufe des Frühjahrs 411 wieder zusehends den Spartanern angenähert hatte. Alkibiades’ politische Rolle war allem Anschein nach so nachhaltig ausgespielt, dass es, um ihm eine neue Chance zur Erlangung von Macht und Einfluss zu verschaffen, schon einer wundersamen Fügung zu bedürfen schien, einer durch das Eingreifen eines deus ex machina bewirkten, im letzten Moment das nach Menschenermessen unaufhaltsame Verhängnis hemmenden Schicksalswende, wie sie Alkibiades’ Landsmann Euripides in seinen Dramen öfters auf die Bühne gebracht hatte. Und tatsächlich ereignete sich ein solches Wunder. Ein deus ex machina für Alkibiades erschien auf der Bühne in Gestalt der athenischen Seeleute und Soldaten in Samos, die sich spontan der Oligarchisierung ihrer Heimatstadt entgegenstellten. Noch bevor die Nachricht von der Machtübernahme der Vierhundert nach Samos gelangt war, hatten dort die Oligarchen unter den athenischen Truppen gemeinsam mit einheimischen Sympathisanten einen Putschversuch in die Wege geleitet. Ihr Handstreich scheiterte am Widerstand der Masse der athenischen Seeleute und Soldaten, die zum Schutz der Demokratie zu den Waffen griffen und im darauf folgenden Straßenkampf die Oberhand behielten. Als kurz darauf die Nachricht von dem Verfassungsumsturz in Athen auf Samos eintraf, hatten dort die demokratischen Kräfte alles fest im Griff. Die Truppen beschlossen, dem Regime der Vierhundert die Anerkennung zu verweigern und unter neu gewählter Führung einen demokratischen ‚Gegenstaat‘ zu bilden. 35 Unter den Männern, die von der Demokratenstreitmacht zu Führern gewählt wurden, fanden sich Persönlichkeiten, die den Gedanken an eine oligarchische Willkürherrschaft scharf ablehnten, zugleich aber auch die demokratische Gegenreaktion in gemäßigte Bahnen zu lenken gedachten. Mehr als eine brutale Abrechnung mit den Oligarchen lagen ihnen die Wiederherstellung der Eintracht innerhalb der athenischen Bürgerschaft und die entschlossene Weiterführung des Krieges am Herzen. Aus dieser Haltung heraus erteilten sie dem von der Masse der Soldaten vorgetragenen Wunsch nach einem bewaffneten Befreiungszug gegen Athen eine Absage, fassten stattdessen sogleich den Gedanken an eine Annäherung zwischen ihren demokratischen Anhängern und den gemäßigten Elementen des Oligarchenspektrums ins Auge. Der führende Vertreter dieser Richtung unter den neubestellten Strategen war Thrasybulos aus dem Demos Steiria, ein konservativer Demokrat aus der Schule des Perikles, der davon über-

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zeugt war, dass für das Konzept der breiten Frontbildung eine politische Galionsfigur vonnöten sei, ein Staatsmann von überragendem Prestige, der einen für beide Gruppen akzeptablen Führer abgeben konnte. Nach Thrasybulos’ Auffassung war kein anderer als Alkibiades der geeignete Mann für diese Rolle. Alkibiades hatte es während seiner Zeit in Athen stets verstanden, sich mit dem Nimbus eines charismatischen Volksführers zu umgeben, ohne sich dabei mit den bei der Mittel- und Oberschicht verhassten Demagogen gleichzustellen. Alles in allem genommen, konnte er dank der in seiner Person verkörperten Verbindung von Massenpopularität, aristokratischer Distinguiertheit, staatsmännischem Talent und militärischem Glanz als der ideale Repräsentant einer Politik gelten, die den Zusammenschluss aller ‚patriotischen Kräfte‘ gegen die unathenische Tyrannei der Vierhundert propagierte. Darüber hinaus waren Thrasybulos und seine Anhänger noch immer der Meinung, Alkibiades hätte bei den Persern Einfluss genug, um ihnen ein Bündnis mit dem Perserkönig vermitteln zu können. 36 So überredete Thrasybulos die Versammlung der Truppen auf Samos, eine Amnestie und Rückkehrerlaubnis für Alkibiades zu beschließen, danach fuhr er selbst aufs Festland, um den Flüchtling am Satrapenhof aufzusuchen und heimzugeleiten. Die Gefühle, die Alkibiades beim Empfang dieser Botschaften bewegt haben, wird man wohl ohne Übertreibung mit der Erleichterung des Seemannes vergleichen dürfen, der an gefährlichen Klippen vorbeischrammend durch ein plötzliches Umschlagen des Windes doch noch mit knapper Not den rettenden Hafen erreicht hat. Wenn ihm, wie erwähnt, die Oligarchisierung Athens als das Ende aller Heimkehraussichten erscheinen musste, so beflügelte die Nachricht von der Entwicklung der Dinge auf Samos mit einem Schlag seine Hoffnungen und Pläne aufs Neue. Als Thrasybulos am Satrapenhof eintraf, fand er Alkibiades sofort bereit, dem an ihn ergangenen Ruf zu folgen. Gemeinsam setzten sie nach Samos über, wo die Athenertruppen voller Spannung die Ankunft des im Guten wie im Bösen längst schon zur legendären Figur hochstilisierten Flüchtlings erwarteten. Sein Auftritt in der Versammlung war einer der ganz großen Momente im bewegten Leben des Alkibiades, zugleich auch der Augenblick einer schicksalhaften Weichenstellung für Athen. Nach fast vierjähriger Unterbrechung erstmals wieder zu einer Versammlung athenischer Bürger sprechend, zeigte Alkibiades, dass er von seiner Fähigkeit, die Massen in

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den Bann zu schlagen, nichts eingebüßt hatte, ebenso wenig freilich auch von seiner skrupellosen Bereitschaft, sich die Gunst der Zuhörer durch fragwürdige Versprechungen zu erkaufen. Ebenso wie ein halbes Jahr zuvor vor den oligarchischen Verschwörern präsentierte er sich nun der demokratischen Masse als Vertrauensmann des Tissaphernes, der jederzeit imstande sei, einen bestimmenden Einfluss auf die Politik des Satrapen auszuüben. Mitgerissen von der eigenen Rhetorik, verstieg er sich dazu, in seinen Verheißungen sehr dick aufzutragen: „Tissaphernes“, so verkündete er den erstaunten Zuhörern, „habe ihm zugesagt, dass die Athener, wenn er ihnen nur vertrauen könne, keinen Mangel leiden sollten, solange ihm selbst noch etwas übrig sei, und wenn er dafür sein eigenes Bett zu Geld machen müsse; … er werde aber den Athenern nur vertrauen, wenn er, Alkibiades, heil und gesund zurückkäme und sich ihm verbürge.“ 37 Man wundert sich, dass sich die Truppen trotz der Erinnerung an die im Frühjahr fehlgeschlagenen Perserverhandlungen von diesen Versicherungen beeindrucken ließen; offenbar war es Alkibiades gelungen, seine eigene Version von den Ursachen des damaligen Scheiterns zu verbreiten, wobei ihm die Tatsache half, dass die damaligen athenischen Verhandlungsführer in den Augen der Masse als Oligarchen und Verfassungsstürzer diskreditiert waren. Dass er selbst seinerzeit die Abschaffung der Demokratie in Athen als Vorbedingung für ein Perserbündnis hingestellt hatte, scheint zumindest der breiten Masse seiner jetzigen Zuhörer nicht bewusst gewesen zu sein. Und selbst wenn einige von ihnen ihre privaten Zweifel gehegt haben mögen, war die Mehrheit in ihrem Ringen um die Selbstbehauptung nur allzu bereit, nach jedem rettenden Strohhalm zu greifen. Alkibiades erntete für seine Versprechungen großen Jubel und wurde von der Versammlung auf der Stelle zum Strategen gewählt. 38 Er war damit seinem großen Ziel, der Heimkehr und Wiedereinsetzung in Ehren und Würden, einen gewaltigen Schritt näher gekommen, doch eine weitere Kluft blieb ihm noch zu überwinden: Jene Athener Seeleute und Soldaten, die ihn wieder als Mitbürger in ihre Reihen aufgenommen hatten, waren ja selbst im Grunde nichts anderes als Exilierte, die sich von ihrer Vaterstadt losgesagt hatten. Ehe er auch in Athen selbst akzeptiert würde, mussten die Vierhundert gestürzt und die Spaltung zwischen Stadt und Flotte überwunden werden. In diesem Punkt stimmten Alkibiades’ persönliche Interessen mit den Prinzipien der Demokratenführer um Thrasybulos voll und ganz überein; es fiel ihm dementsprechend

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nicht schwer, sich für die von ihnen verfochtene Politik des Ausgleichs starkzumachen. Das war keine leichte Aufgabe, denn die Masse der Seeleute und Soldaten, von Haus aus antioligarchisch gesinnt und durch Alkibiades’ Verheißungen auf Perserhilfe enthusiasmiert, forderte lautstark die sofortige Durchführung eines bewaffneten Vorstoßes gegen die Oligarchen in der Heimat. Um die erhitzten Gemüter zu beruhigen, nahm Alkibiades seine Zuflucht zu einem Ablenkungsmanöver, indem er erklärte, er wolle sich zunächst um die näher liegende Bedrohung durch die Spartaner kümmern und zu diesem Zweck den Tissaphernes aufsuchen. Gleich darauf fuhr er nach Asien ab, um sich dem Satrapen in seiner neu errungenen Position als Feldherr des demokratischen Athens zu präsentieren. Das Ganze lief, wie Thukydides treffend bemerkte, auf den Versuch hinaus, gleichzeitig die athenischen Truppen mit dem Verweis auf das angebliche Vertrauensverhältnis zu Tissaphernes und den Tissaphernes mit dem Nimbus der politischen Führerstellung unter den Athenern auf Samos zu beeindrucken. Zumindest was den zweiten Teil dieses Unterfangens betraf, blieb Alkibiades der Erfolg versagt. Tissaphernes zeigte sich zwar soweit beeindruckt, dass er die von ihm an die Spartaner geleisteten Unterstützungszahlungen noch weiter kürzte und dadurch den Hass der Peloponnesier auf sich zog, zu einer aktiven Parteinahme für Athen konnte er sich aber jetzt ebenso wenig entschließen wie zuvor. Ohne einen entscheidenden Durchbruch erzielt zu haben, kehrte Alkibiades nach Samos zurück. 39 Dort ergab sich bald nach seiner Rückkehr eine neue Herausforderung für ihn: Aus Athen trafen Abgesandte der Vierhundert ein, die mit der undankbaren Aufgabe betraut worden waren, den Truppen die in der Heimatstadt vollzogene Verfassungsänderung im Nachhinein schmackhaft zu machen. Die Emissäre gaben ihr Bestes; sie versuchten die in Athen herrschenden Verhältnisse teils schönzureden, teils als rein auf Kriegsdauer beschränkte Notstandsmaßnahmen hinzustellen, doch ihre Bemühungen waren angesichts der im Heerlager herrschenden Stimmung von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die versammelten Soldaten reagierten auf die Propagandatiraden der Oligarchengesandten mit einem kollektiven Wutausbruch; die Gesandten wurden an Leib und Leben bedroht und wiederum erhob sich der Ruf nach einem sofortigen Kriegszug gegen Athen. Als die Dinge in der Versammlung vollends aus der Bahn zu laufen drohten, sprang Alkibiades als Ordnungsstifter in die Bresche. Es wurde

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eine der großen Stunden seines Lebens. Kaum jemals zuvor hatte er seine Kunst der Menschenbehandlung unter widrigeren Bedingungen bewähren müssen, doch er bewältigte die Aufgabe mit einer Souveränität, wie sie, zumindest nach dem Urteil des Thukydides, nur ihm zu Gebote stand. „Kein anderer wäre in dieser Lage imstande gewesen, den Pöbel im Zaum zu halten, er aber brachte sie von ihrem Kriegszug ab und trieb durch Scheltreden auch diejenigen, die auf eigene Faust über die Gesandten herfallen wollten, zurück. Er selbst gab ihnen die Antwort, die sie [nach Athen] überbringen sollten: Die Fünftausend wolle er nicht daran hindern, zu regieren, die Vierhundert aber forderte er sie auf wegzuschicken und den Rat, wie früher, aus fünfhundert Mitgliedern zu besetzen … Im Übrigen mahnte er sie, auszuhalten und den Feinden nicht nachzugeben: Wenn nur die Stadt heil bewahrt bleibe, so sei beste Hoffnung, dass sie untereinander zu einer Versöhnung gelangen würden; wenn aber ein Teil verloren sei, auf Samos oder in der Stadt, dann sei nichts mehr da, womit man sich versöhnen könnte.“ 40 Angesichts des tiefverwurzelten Oligarchenhasses der unter seinem Kommando stehenden Seeleute und Soldaten klang die Botschaft, die Alkibiades den Gesandten der Vierhundert mitgab, erstaunlich kompromissbereit. Zwar forderte er ausdrücklich die Absetzung der Vierhundert, ließ aber erkennen, dass die von ihm geführten Truppen bereit wären, sich mit einer gemäßigteren Oligarchie, wie sie durch das Konzept der Fünftausend verkörpert wurde, zu versöhnen. Das wirkt auf den ersten Blick wie die Verheißung einer zumindest teilweisen Anerkennung des in Athen vollzogenen Verfassungsumsturzes; nimmt man jedoch Thukydides’ Wiedergabe der Alkibiadesbotschaft genauer unter die Lupe, so wird deutlich, dass darin von einer Bereitschaft zur Unterwerfung der Flotte unter die Herrschaft eines wie auch immer gearteten oligarchischen Regimes in der Mutterstadt nicht die Rede ist. Die Machtübernahme der Fünftausend anstelle der Vierhundert wird dort von Alkibiades lediglich als Vorbedingung der Versöhnung bezeichnet, während die Gretchenfrage, unter welchen verfassungspolitischen Vorzeichen die Versöhnung überhaupt bewerkstelligt werden soll, ganz bewusst beiseite gelassen wird. Umso stärker betont wird die Notwendigkeit einer energischen Weiterführung des Krieges durch die Mutterstadt ebenso wie durch die Flotte: Sei diese gewährleistet, so bestünde alle Hoffnung, dass man zu einer Einigung gelangen könne. 41 So gesehen, bildete Alkibiades’ Botschaft an die Athener einen pro-

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pagandistischen Meisterstreich: Mit ihrer Verbindung von Versöhnungsverheißungen und der Aufforderung zur Absetzung der Vierhundert war sie offenkundig darauf berechnet, die gemäßigten Elemente innerhalb der athenischen Oligarchen zur Abkehr von der regierenden ‚HardlinerClique‘ zu veranlassen. Diesen Gemäßigten stellte Alkibiades, ohne sich hinsichtlich der Verfassungsfrage in irgendeiner Weise festzulegen, die Aussicht auf Versöhnung mit den demokratischen Flottenmannschaften und die gemeinsame Fortführung des Kampfes gegen den spartanischen Landesfeind vor Augen – eine Perspektive, die perfekt auf die Erwartungshaltung jener Kreise zugeschnitten war, die zunächst die Verfassungsreformbewegung unterstützt hatten, sich dann aber nach dem Umsturz von der harten Autokratie der Vierhundert abgestoßen fühlten. Alkibiades’ Botschaft fiel in Athen auf fruchtbaren Boden. Von den aus Samos heimgekehrten Gesandten überbracht und durch Mundpropaganda rasch in der ganzen Stadt verbreitet, ließ sie bei den demokratisch gesinnten Massen neue Hoffnungen auf den Sturz der verhassten Oligarchenherrschaft aufkeimen und stärkte zugleich auch den ‚gemäßigten‘ Kräften den Rücken. In den Kreisen der Vierhundert selbst und ihres engeren Umfeldes formierte sich nun eine oppositionelle Strömung, als deren Wortführer der Stratege Theramenes auftrat, ein hochtalentierter Politiker aus angesehener Familie, der beim Verfassungssturz an führender Stelle mitgewirkt hatte, sich nun aber mehr und mehr von seinen ehemaligen Kampfgenossen zu distanzieren begann. Theramenes und seine Gesinnungsgenossen forderten im Inneren die Beteiligung breiterer Schichten an der Regierungsgewalt – die Fünftausend sollten endlich tatsächlich konstituiert werden –, in der Außenpolitik traten sie für die entschlossene Weiterführung des Krieges ein. Die Botschaft des Alkibiades bedeutete für sie eine Hoffnung, sich von der radikal-oligarchischen Mehrheit der Vierhundert distanzieren und zu einer Versöhnung mit den Demokraten der Samosflotte gelangen zu können. Sie verstärkten ihre Agitation und begannen nun zielstrebig, auf die Auflösung des Vierhunderter-Regimes hinzuarbeiten. 42 Inzwischen hatte Alkibiades seine Aufmerksamkeit notgedrungen wieder den Entwicklungen in Asien zuwenden müssen. Tissaphernes hatte, nachdem er sich im Frühjahr 411 wieder den Spartanern angenähert hatte, seinen neu-alten Verbündeten das Versprechen gegeben, so schnell wie möglich zu ihrer Unterstützung eine Flotte in die Ägäis zu führen. Tatsächlich hatte sich im Laufe des Sommers 411 eine starke,

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hauptsächlich aus den Schiffen des den Persern untertänigen Phönizierlandes zusammengestellte Flottenmacht an der Südküste Kleinasiens in Aspendos versammelt, und dorthin ging schließlich auch Tissaphernes, um, wie er verkündete, in eigener Person, die Erfüllung seines Versprechens in die Wege zu leiten. Für die Athener auf Samos, die bereits einer gleichstarken peloponnesischen Flotte gegenüberstanden, musste das Erscheinen einer neuen Feindesflotte das sichere Verderben bedeuten. Ihre einzige Chance, das drohende Unheil abzuwenden, lag in dem Versuch, das Eingreifen der Perserflotte mit diplomatischen Mitteln zu verhindern, und dies zu bewerkstelligen, war Alkibiades der gegebene Mann. Sogleich nach Bekanntwerden der Absichten des Satrapen ging er mit einem kleinen Geschwader in See und fuhr seinerseits nach Aspendos. Was genau er dort tat, ist in den Quellen widersprüchlich und unklar überliefert; offen zutage liegt nur die weitere Entwicklung der Ereignisse: Die phönizische Flotte gelangte nicht in die Ägäis, sondern wurde auf Anordnung des Tissaphernes von Aspendos aus nach Hause geschickt. Ob diese Entscheidung des Satrapen der persönlichen Intervention des Alkibiades zu verdanken war oder ob Tissaphernes, was zumindest Thukydides für wahrscheinlich hielt, von vornherein gar nicht die Absicht hatte, den Spartanern zum entscheidenden Sieg zu verhelfen, wird sich für uns nicht mehr klären lassen. Alkibiades jedenfalls hatte keine Hemmungen, das Verdienst an dem Abzug der Perserflotte an seine Fahnen zu heften, und die Athener auf Samos waren in ihrer Erleichterung bereit, seinen Anspruch dankbar anzuerkennen, ohne sich groß daran zu erinnern, dass er ihnen seinerzeit nicht nur die Neutralisierung, sondern die aktive Hilfe des Tissaphernes versprochen hatte. 43

Umschwung in Athen und Amnestie für Alkibiades Noch vor Alkibiades’ Rückkehr nach Samos hatte die Nachricht vom Ausfall der erhofften Perserhilfe im Lager der Peloponnesier zu einer strategischen Neuorientierung geführt. Der neu eingetroffene spartanische Flottenbefehlshaber Mindaros fasste in seiner Enttäuschung über Tissaphernes’ Hinhaltetaktik den Entschluss, sein Operationsgebiet in den Hellespont zu verlegen und anstelle des Tissaphernes lieber mit dem im dortigen Gebiet tätigen Satrapen Pharnabazos zusammenzuarbeiten, von dem die Spartaner sich größeres Entgegenkommen erhoff-

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ten. In einer gelungenen Überraschungsaktion stach der Spartaner von Milet aus in See und führte den Großteil seiner Flotte an dem Athener Stützpunkt Samos vorbei Richtung Norden. Die Athener nahmen sogleich die Verfolgung auf, konnten aber nicht verhindern, dass Mindaros’ Flotte den Hellespont erreichte und sich in Abydos auf der asiatischen Seite der Meerenge festsetzte, von wo aus man die Durchfahrt durch den Hellespont kontrollieren konnte. Die spartanische Präsenz an dieser Stelle drohte für Athen fatal zu werden, da die Meerengen des Hellespont und des Bosporus die wichtigsten Verkehrswege der für Athen lebensnotwendigen Getreidezufuhr darstellten. Die athenischen Flottenführer Thrasybulos und Thrasyllos sahen sich also zu raschem Handeln gezwungen. Sie fuhren in den Hellespont ein und stellten sich den Spartanern zum Kampf. Die darauf folgende Schlacht bei Kynossema brachte den Athenern einen knappen Sieg, der es ihnen ermöglichte, sich den Spartanern gegenüber in Sestos festzusetzen und den Gegnern von dort aus die Herrschaft über die Meerengen streitig zu machen. Auf beiden Seiten war man sich darüber im Klaren, dass die eigentliche Entscheidung noch bevorstand: Athener wie Spartaner sandten Boten in alle Richtungen, um aus jeder möglichen Quelle Verstärkungen heranzuziehen. 44 So lagen die Dinge am Hellespont, als Alkibiades von seiner Tissaphernes-Mission her kommend in Samos eintraf. Selbst wenn zum Zeitpunkt seiner Ankunft in Samos noch nichts Genaues über die Entwicklung der Dinge im Norden bekannt gewesen sein sollte, hätte man erwarten können, dass er sogleich der Spur seiner Kollegen in den Hellespont folgen und sich dort ins Geschehen einschalten würde. Tatsächlich aber tat er zunächst nichts dergleichen. Er verstärkte sein Geschwader und ging mit zweiundzwanzig Schiffen in See, aber nicht zum Hellespont, sondern an die Küste Kariens, wo er von den Einheimischen Geld eintrieb, um dann in aller Ruhe und Gemächlichkeit nach Samos zurückzukehren. Diese Aktion des Alkibiades, die im Vergleich zu den anstehenden Entscheidungskämpfen am Hellespont nebensächlich war, hat viele Historiker verwundert und zur Suche nach einer akzeptablen Begründung veranlasst. Eine naheliegende Erklärung läge in der Annahme, dass militärische Notwendigkeiten die Anwesenheit von Alkibiades’ Geschwader in der Südägäis erforderten.45 Das ist denkbar, aber es mag für Alkibiades noch ein anderes Motiv eine Rolle gespielt haben, nämlich die Rücksicht auf die Entwicklung der Dinge in Athen. Die Botschaft, die

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er während des Sommers dorthin gesendet hatte, war darauf berechnet gewesen, dort einen politischen Umschwung herbeizuführen, und sie hatte, wie schon erwähnt, tatsächlich eine beträchtliche Wirkung entfaltet. Seither hatten sich in Athen die Spannungen zwischen den Vierhundert und ihren Kritikern bis zu dem Punkt zugespitzt, dass ein Umsturz unmittelbar bevorzustehen schien. Die Vierhundert setzten ihre Hoffnungen auf den Abschluss eines Separatfriedens und entsandten zu diesem Zweck eine hochrangige Gesandtschaft nach Sparta; zugleich begannen sie, auf der im Piräus gelegenen Landzunge Eetioneia eine Festung zu errichten, die ihnen im schlimmsten Fall als Zuflucht dienen konnte. Aus der Sicht der oppositionellen Kreise konnten beide Initiativen als Vorbereitungen zum Landesverrat erscheinen. Fester denn je davon überzeugt, dass die Vierhundert gewillt seien, Athen an die Spartaner auszuliefern, begannen Theramenes und seine Anhänger, sich für diesen äußersten Fall zum Widerstand zu rüsten.46 Man darf annehmen, dass die Kunde davon zumindest gerüchteweise bis nach Samos gelangt ist. Für Alkibiades, der sehr genau wusste, dass sein Schicksal letztendlich von der weiteren Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Mutterstadt und den Flottenstreitkräften abhängen würde, lag es in jenen Septembertagen des Jahres 411 nahe, seine Aufmerksamkeit zuallererst auf die Vorgänge in Athen zu richten und sich zugleich für alle denkbaren Möglichkeiten zu wappnen. Da war es für ihn natürlich von Vorteil, sich die mit einem unabhängigen Kommando einhergehende Handlungsfreiheit zu bewahren. Alkibiades’ Instinkt hatte in die richtige Richtung gewiesen. Noch im Laufe des Septembers 411 kam es in Athen unter den Bürgersoldaten zu einer offenen Erhebung gegen das Regime der Vierhundert. Theramenes stellte sich an die Spitze der Bewegung. Unter seiner Ägide wurde, ohne dass die völlig in die Defensive gedrängten Oligarchen es hindern konnten, eine Volksversammlung einberufen, in deren Verlauf die Vierhundert abgesetzt und die leitende Gewalt im Staate den ‚Fünftausend‘ übertragen wurde. Das war eine Regelung, die aus der Sicht der demokratisch Gesinnten einiges zu wünschen übrig ließ, denn auch wenn die ‚Fünftausend‘ nunmehr alle Angehörigen der Oberschicht und der Hopliten-Mittelklasse umfassen sollten, blieb die Masse der ärmeren Bürger immer noch von der Teilhabe an diesem Entscheidungsgremium ausgeschlossen. Dennoch war es ein klarer Schritt weg von der Oligarchie hin zu einem Regime der gemäßigten Mitte, das den demokratischen Kräften gegenüber

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offen war und im Interesse einer gemeinsamen Kriegführung die Versöhnung mit der Samosflotte anstrebte. Zur Besiegelung dieses Kurswechsels ließ Theramenes einen Antrag beschließen, der die Verbannung des Alkibiades aufhob und dem exilierten Feldherrn die Aussicht auf sichere Rückkehr nach Athen eröffnete. 47

Alkibiades am Hellespont I: Die Siege von Abydos und Kyzikos Damit hatten sich die Hoffnungen, die Alkibiades an den Umsturz in Athen geknüpft hatte, in vollem Maße erfüllt. Er fühlte sich nunmehr frei, sich zu den Meerengen zu begeben, wo Athener und Spartaner immer noch kampfbereit einander gegenüberlagen. Im November des Jahres 411 traf er am Hellespont ein, wie sich zeigen sollte, keinen Augenblick zu früh: Gerade an dem Tag, an dem er mit seinem achtzehn Schiffe umfassenden Geschwader in die Meerenge einfuhr, war dort auf der Höhe des spartanischen Hauptstützpunktes Abydos die lang erwartete Seeschlacht zwischen den Hauptflotten entbrannt. Alkibiades’ Schiffe trafen gerade rechtzeitig ein, um den Athenern den Sieg zu sichern. Die Peloponnesier, die zuvor einen ganzen Kampftag lang den Athenern standgehalten hatten, gaben angesichts seines Erscheinens die Schlacht verloren und zogen sich nach Abydos zurück. Nicht weniger als dreißig ihrer Schiffe fielen den Athenern in die Hände, die nun in den hellespontischen Gewässern eindeutig die Oberhand hatten. 48 Das persönliche Verdienst des Alkibiades an dem Erfolg war, bei Licht betrachtet, relativ gering: dass er gerade noch im richtigen Augenblick auf dem Kampfplatz erschienen war, hatte er nicht seiner Vorausplanung, sondern seinem Glück zu verdanken; im Grunde hätte man ihn kritisieren können, dass er sein Geschwader nicht schon früher mit der Hellespontflotte vereinigt hatte. Vielleicht hat es auch tatsächlich kritische Stimmen gegeben, doch für die Masse der athenischen Seeleute und Soldaten dürften alle möglichen Kritikpunkte von der psychologischen Wirkung seines schlachtentscheidenden Eingreifens überstrahlt worden sein. Vom frischen Siegesglanz umgeben, konnte sich Alkibiades sogleich als die führende Persönlichkeit unter den Strategen der Hellespontflotte etablieren und er durfte hoffen, dass die Nachricht von dem errungenen Erfolg auch in der Heimat ihre Wirkung tun würde.

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Dass bei den Athenern daheim trotz des Beschlusses über die Aufhebung seiner Verbannung weithin noch starke Vorbehalte gegen seine Person bestanden, war ihm vollkommen bewusst. Der beste Weg, diese Hemmnisse zu überwinden, lag darin, die Mitbürger durch spektakuläre Leistungen von seiner Unentbehrlichkeit zu überzeugen, und Alkibiades wäre nicht der Mann gewesen, der er war, wenn er sich nicht zugetraut hätte, solche Leistungen erbringen zu können. Zunächst versuchte er, die durch den Winter erzwungene Kampfpause zu einem diplomatischen coup zu nutzen. Ein Ansatzpunkt dafür schien sich zu bieten, als gegen Ende des Jahres 411 Tissaphernes am Hellespont erschien. Alkibiades, der offenbar noch immer hoffte, den Satrapen im Sinne Athens beeinflussen zu können, begab sich mit reichen Gastgeschenken in das Lager des Persers, musste aber erkennen, dass er sich in seiner Einschätzung der Lage vertan hatte: Der Satrap erklärte, er habe vom Großkönig den Befehl erhalten, die Spartaner zu unterstützen, und ließ den Athenerfeldherrn in Haft nehmen. Alkibiades konnte noch von Glück sagen, dass man ihn nicht sogleich den Spartanern auslieferte – hatte Tissaphernes peinliche Enthüllungen seitens seines Gefangenen zu fürchten? –, sondern ihn zunächst nach Sardes abführen ließ. Dort gelang ihm nach dreißigtägiger Haft die Flucht. Er erreichte glücklich die Küste und begab sich sogleich zum Hellespont, wo er sein Kommando wieder übernahm. Die Geschichte von Alkibiades’ Verhaftung und Flucht wirkt seltsam genug, um den Verdacht eines abgekarteten Spiels zu erwecken. Nach Aussage Plutarchs haben schon die Zeitgenossen eine Mitwirkung des Satrapen an der Flucht des Alkibiades vermutet, und moderne Forscher haben sich im gleichen Sinne geäußert. 49 In der Tat scheint der äußere Ablauf der Ereignisse diesen Verdacht nahe zu legen, auf der anderen Seite ist es fraglich, was Tissaphernes durch ein derart dramatisch inszeniertes Doppelspiel hätte gewinnen können. Dass er Alkibiades festnahm, weil er dem Befehl seines Herrn gehorchen und das Vertrauen der Spartaner wiedergewinnen wollte, lässt sich nachvollziehen, dass er dann aber dem als Geisel wertvollen Gefangenen trotz des Risikos, die Spartaner endgültig zu vergrämen, zur Flucht verholfen haben soll, erscheint geradezu widersinnig. Die Wahrheit wird sich, wie stets in solchen Fällen, nicht mehr feststellen lassen. Klar ist nur, dass die Episode den Athenerfeldherrn endgültig zu der Erkenntnis brachte, dass er von Tissaphernes nichts mehr zu erhoffen hatte: Was immer die Athener auf dem hellespontischen

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Kriegsschauplatz in Hinkunft versuchen würden, sie würden es, so viel wusste man nun, aus eigener Kraft bewerkstelligen müssen. Die strategische Aufgabe, die sich ihnen Anfang 410 im Hellespont stellte, lag klar auf der Hand, schien aber angesichts der Kräfteverhältnisse kaum zu bewältigen: Im Interesse einer sicheren Getreideversorgung Athens mussten sie ihre spartanischen Gegner aus den Gewässern der Meerengen vertreiben und zumindest die wichtigsten Städte der Region wieder unter ihre Kontrolle bringen. Das war leichter gesagt als getan. Der spartanische Flottenbefehlshaber Mindaros hatte während des Winters die erlittenen Verluste zu einem guten Teil ausgleichen können, während die Athener ihre Streitmacht durch die Entsendung starker Abteilungen nach Thrakien und Makedonien geschwächt hatten. Im Frühjahr 410 waren die Spartaner stark genug, um die Athener zu einem zeitweiligen Rückzug aus dem Hellespont zu veranlassen. Mindaros wandte sich daraufhin mit seiner gesamten Macht gegen die Seestadt Kyzikos an der Südküste der Propontis (des Marmarameeres), die er gemeinsam mit den Landstreitkräften des Pharnabazos einnehmen konnte. Inzwischen hatten die Athener ihre Flotten vereinigt und segelten unter der Führung des Alkibiades, Thrasybulos und Theramenes mit 86 Schiffen in die Propontis ein. Auf der Insel Prokonnesos legten sie einen Rasttag ein; Alkibiades hielt eine Ansprache, in der er die Schiffsmannschaften daran erinnerte, „dass es nottue, den Kampf zu Wasser, zu Lande und auf den Mauern auszufechten. ‚Denn‘ so sagte er, ,wir haben kein Geld, die Feinde aber haben es unbegrenzt vom Großkönig‘“. Am nächsten Tag ging die athenische Flotte unter dem Schutz eines Regensturms gegen die Halbinsel von Kyzikos vor. Der Kriegsplan der Athener sah vor, die Streitkräfte zu teilen, um den Gegner so lange wie möglich über die Stärke ihrer Flotte im Unklaren zu lassen. Dementsprechend erschien Alkibiades mit vierzig Schiffen vor dem Hafen von Kyzikos, um die Spartaner zum Kampf herauszulocken, während sich die zusammen etwa gleich starken Geschwader des Thrasybulos und des Theramenes hinter einem nahe gelegenen Vorgebirge verborgen hielten, bereit, im geeigneten Moment in den Kampf einzugreifen. Der Plan funktionierte perfekt. Mindaros, der von den Bewegungen der diversen athenischen Flottenabteilungen offensichtlich nicht informiert war, hielt das Geschwader des Alkibiades für die einzige ihm gegenüberstehende Athenerstreitmacht. Er führte seine gesamte Flotte zum Kampf hinaus, worauf Alkibiades sich zurückzog und ihn immer weiter vom Hafen weglockte. Zum gegebenen Zeitpunkt erschienen die

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anderen athenischen Abteilungen auf der Bildfläche: Theramenes schob sich zwischen die Spartanerflotte und ihre Basis Kyzikos, Thrasybulos blockierte die Fluchtroute nach Westen. Von überlegenen Feindeskräften eingekreist, suchten die Spartaner ihre Zuflucht am offenen Strand südwestlich von Kyzikos, wo ihnen die Truppen des Pharnabazos zu Hilfe kommen konnten. Alkibiades folgte den Feinden direkt und attackierte sie, als sie ihre Schiffe an Land zu ziehen versuchten, während Theramenes und Thrasybulos ihre Seesoldaten an Land setzten und die Peloponnesier zu Fuß angriffen. Im seichten Wasser zwischen den Schiffen wie auch weiter oben am Strand entspann sich nun ein erbitterter Kampf, der schließlich mit einem vollen Sieg der Athener endete. Mindaros fiel im Kampf, seine Soldaten ließen ihre Schiffe im Stich und flohen ins Lager des Pharnabazos. Als sich an jenem Frühlingstag der Abend über der Propontisküste senkte, konnten die Athener sich rühmen, den größten überhaupt denkbaren Sieg errungen zu haben. Die peloponnesische Flotte war vernichtet. Ihre Schiffe waren teils von den eigenen Mannschaften verbrannt worden, teils den Siegern in die Hände gefallen, die Mannschaften befanden sich, soweit sie sich aus der Schlacht hatten retten können, führerlos auf dem Festland. Jeder von den athenischen Befehlshabern konnte mit Fug und Recht Anspruch auf einen Anteil am Verdienst des Erfolges erheben, doch in den Augen vieler Zeitgenossen fiel der Löwenanteil am Siegesruhm dem Alkibiades zu, den die verklärende Erinnerung an seine Glanzzeiten mit einem Nimbus umwob, der ihn über seine Strategenkollegen hinaushob und ihm de facto die Position eines Oberkommandierenden verschaffte. 50

Alkibiades am Hellespont II: Die Eroberung der Bosporusstädte In Athen wirkte die Nachricht von dem Sieg bei Kyzikos wie eine euphorisierende Droge auf einen eben erst von schwerer Krankheit genesenden Rekonvaleszenten. Die Stimmung der Massen, bis dahin immer noch vom Erlebnis der Kriegsnot gedrückt, schlug in ein Hochgefühl der Siegesgewissheit um. Man feierte den errungenen Sieg mit Festumzügen und Dankopfern und sah den zu erwartenden weiteren Kriegsanstrengungen mit Zuversicht entgegen. Alkibiades’ Name war dabei in aller Munde und wurde gewis-

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sermaßen als Zauberformel für die erhoffte siegreiche Beendigung des Krieges verwendet: „Die Athener fühlten sich ob ihrer Erfolge gehoben und setzten große Hoffnungen auf den Umstand, dass Alkibiades ihre Streitkräfte anführte; er würde, glaubten sie, ihnen rasch ihre Oberherrschaft zurückgewinnen.“ 51 Spiegelbildlich entgegengesetzt war natürlich die Reaktion in Sparta. Dort machte sich unter dem Schock der Niederlage eine tiefe Ernüchterung breit, die den Befürwortern eines Kompromissfriedens Auftrieb gab. Auf ihr Betreiben hin fanden sich die Spartaner bereit, eine Gesandtschaft nach Athen zu senden, an deren Spitze Alkibiades’ alter Freund Endios stand. Die Gesandten, deren offizieller Auftrag in Verhandlungen über einen Kriegsgefangenenaustausch bestanden zu haben scheint, versuchten, ihren athenischen Gesprächspartnern den Gedanken an einen Kompromissfrieden schmackhaft zu machen, stießen mit ihren Bemühungen aber auf wenig Resonanz. Angesichts der durch den Sieg von Kyzikos eröffneten Aussichten auf eine Rückgewinnung der schon verloren geglaubten Seebundsherrschaft hatte die Vorstellung eines Friedensschlusses auf der Basis des gegenwärtigen Besitzstandes für die Mehrheit der Athener nichts Verlockendes. 52 Alkibiades war zu diesem Zeitpunkt zu weit von Athen entfernt, als dass er sich an der Friedensdebatte hätte beteiligen können, aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Entscheidung zur Fortsetzung des Krieges in seinem Sinne war, ergab sich für ihn doch weiterhin die Notwendigkeit, seine Unentbehrlichkeit durch kriegerische Erfolge unter Beweis zu stellen. Wo diese zu finden waren, lag auf der Hand: Eine rasche Rückeroberung der Städte am Bosporus war ohnehin das Gebot der Stunde; die Bewältigung dieser Aufgabe würde Athens Getreideversorgung auf eine sichere Basis stellen und dem Feldherrn den Dank seiner hungrigen Mitbürger einbringen. Dieser Tatsachen eingedenk, nahmen Alkibiades und seine Mitfeldherren bald nach der Schlacht von Kyzikos Kurs auf den Bosporus. Die kleineren Poleis an der Nordküste der Propontis – Perinth und Selymbria – signalisierten angesichts des Erscheinens der mächtigen Athenerflotte Unterwerfungsbereitschaft, die strategisch wichtigen Bosporusstädte Byzantion und Kalchedon hingegen verschlossen ihre Tore und rüsteten sich zur Verteidigung. Die auf einen Belagerungskrieg nicht vorbereiteten Athener mussten sich damit begnügen, beim nördlich von Kalchedon gelegenen Chryso-

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polis einen festen Stützpunkt anzulegen, von dem aus man den durch den Bosporus laufenden athenischen Schiffsverkehr beschützen und zugleich die feindlichen Städte unter Druck halten konnte. Zu diesem Zweck wurde ein Geschwader in der Meerenge stationiert, während Alkibiades mit dem Gros der Flotte in den Hellespont zurückkehrte, wo die Athener den Rest des Jahres verbrachten, ohne dass es zu größeren Unternehmungen kam. 53 Diese angesichts der Erwartungen der Heimatbürgerschaft und des vom Wunsch nach Rehabilitierung beflügelten Ehrgeizes des Alkibiades erstaunliche Inaktivität lässt sich nur durch die ungünstige Zusammensetzung der athenischen Hellespont-Streitmacht erklären. Die Athener verfügten zwar über eine starke Flotte, deren Besatzungen, wie sich bei Kyzikos gezeigt hatte, unter Umständen auch als Landetruppen zu gebrauchen waren, nicht aber über ein für längerfristige Feldzüge einsetzbares Landheer von hinreichender Stärke. Da aber die Feinde nach dem Verlust ihrer Schiffe bei Kyzikos buchstäblich auf dem Trockenen saßen, blieb Alkibiades nichts übrig, als seinen Tatendrang zu zügeln und auf eine Verstärkung seiner Landstreitkräfte zu warten. In der Tat hatte die Volksversammlung in Athen die Entsendung umfangreicher Streitkräfte nach Asien beschlossen: Tausend Hopliten, hundert Reiter sowie fünfzig Kriegsschiffe wurden aufgeboten und dem Kommando des Thrasyllos unterstellt, der sich im Vorjahr als einer der Führer der gegen die Vierhundert gerichteten Erhebung der Samosflotte profiliert und dann im Winter die Nachricht von der Seeschlacht bei Abydos nach Athen gebracht hatte. Seine Expedition stach im Sommer 410 in See, ging allerdings zunächst nicht zum Hellespont, sondern nach Ionien, wo Thrasyllos anscheinend die Möglichkeit einer Rückeroberung der 412 abgefallenen Seebundsstädte austesten wollte. Der militärische Testlauf erbrachte ein aus Sicht der Athener enttäuschendes Ergebnis: In Ionien angekommen, konnte Thrasyllos’ Expeditionskorps zwar zunächst kleine Anfangserfolge erzielen, wurde dann aber bei einem Angriff auf Ephesos vom dortigen Bürgeraufgebot und den Truppen des Tissaphernes unter erheblichen Verlusten zurückgeschlagen. Die Frage der Rückeroberung der großen Städte Ioniens war damit vorderhand vom Tisch; Thrasyllos blieb nichts übrig, als seine Truppen wieder einzuschiffen und Kurs auf den Hellespont zu nehmen. 54 Während dieser Fahrt kam es zu einem Vorfall, der im Hinblick auf das Kriegsgeschehen unbedeutend war, aber Alkibiades persönlich berührt haben könnte. Auf der Höhe von Lesbos stießen Thrasyllos’ Schiffe mit einem

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Geschwader der Syrakusaner zusammen und kaperten einige der feindlichen Schiffe, wobei sie neben den syrakusanischen Mannschaften auch den Athener Alkibiades, den Blut- und Namensvetter des Helden unserer Biographie, gefangen nahmen. Dieser Alkibiades hatte 415 zu den Leuten gehört, die den Denunzianten Diokleides zur Falschaussage angestiftet hatten; er war in der Folge ins Exil gegangen und von den Athenern geächtet worden. Offenbar hatte er es 411 vorgezogen, auf Seiten der Spartaner zu bleiben, eine Entscheidung, die ihm jetzt unvermeidlicherweise zum Verderben ausschlug. Thrasyllos ließ ihn steinigen, was nach athenischen Anschauungen eine ungewöhnlich grausame, aber im Falle eines Landesverräters akzeptable Strafart darstellte, und führte dann seine Truppen weiter zum Hellespont, wo er sich dem Hauptheer anschloss. Man kann nur mutmaßen, was Alkibiades bei der Nachricht vom grausamen Tod seines Verwandten empfunden haben mag. Zumindest ein Anflug von Mitgefühl über das Schicksal eines einstigen Helfers wäre nur natürlich gewesen, ebenso ein gewisses Maß an Erbitterung über das brutale Vorgehen des Thrasyllos. Auf der anderen Seite deutet schon die Tatsache, dass die beiden Vettern 411 getrennte Wege gegangen waren, auf eine gewisse Entfremdung hin, und zweifellos muss die bloße Existenz eines auf Seiten des Landesfeindes stehenden Verwandten für Alkibiades eine politische Belastung bedeutet haben. So gesehen, konnte der Athenerfeldherr bei aller möglichen Betroffenheit über das grausame Ende seines Cousins doch darüber erleichtert sein, dass Thrasyllos den unglücklichen Flüchtling nicht mit den anderen Gefangenen nach Athen geschickt hatte, wo sein Erscheinen vielleicht die Debatte um die Vorgänge von 415 wiederbelebt hätte. 55 Wie auch immer Alkibiades die Handlungsweise des Thrasyllos beurteilt haben mag, es war ihm klar bewusst, dass allfällige Vorbehalte gegen den Mitstrategen im Interesse einer effektiven gemeinsamen Kriegführung zurückzutreten hätten. In diesem Sinne bemühte er sich während des Winters 410/09 um eine gute Zusammenarbeit und versuchte, Thrasyllos’ Truppen in sein Heer zu integrieren. Letzteres erwies sich als eine nicht ganz leichte Aufgabe, da Alkibiades’ Soldaten, die emotional noch immer von dem bei Kyzikos errungenen Siegesruhm zehrten, sich zunächst den Thrasyllosleuten gegenüber als die Elite des Athenerheeres aufzuspielen versuchten und mit ihnen kein gemeinsames Lager beziehen wollten. Erst ein gemeinsam glücklich bestandenes Gefecht gegen das Reiterheer des Pharnabazos schweißte die beiden Teile des

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Athenerheeres zu einer in der Kameradschaft gemeinsamer Kampfeserfahrung verbundenen Einheit zusammen. 56 Im Frühjahr 409 fuhr Alkibiades mit seinen vereinigten Streitkräften gegen den Bosporus. Sein erstes Ziel war Kalchedon, wo die Einwohner, durch eine spartanische Besatzung verstärkt, sie abwehrbereit erwarteten. Die Athener eröffneten die Belagerung und begannen mit dem Bau einer hölzernen Umwallung, um das auf einer Landzunge gelegene Kalchedon vom Hinterland abzuschließen. Von der völligen Einschließung bedroht, wandten sich die Kalchedonier hilfesuchend an Pharnabazos, welcher der Bitte seiner Verbündeten entsprach, aber erst zu einem Zeitpunkt eintraf, als sich der athenische Belagerungswall der Vollendung näherte. Dennoch gab das Erscheinen der Perserstreitmacht dem spartanischen Kommandanten den Mut zu einem Ausbruchsversuch, der sich gegen den von den Truppen des Thrasyllos bewachten Befestigungsabschnitt richtete. Es kam zu einem heftigen Kampf, bei dem Thrasyllos und seine Truppen den Angreifern standhielten, während jenseits des Walles das Reiterheer des Pharnabazos aufmarschierte, aber durch die athenischen Befestigungen am Eingreifen gehindert war. Die Entscheidung fiel durch Alkibiades, der mit einer schnellen Kolonne dem Thrasyllos zu Hilfe eilte. Der Spartanerführer fiel, seine Truppen mussten sich hinter die Mauern von Kalchedon zurückziehen. Nach diesem Gefecht entwickelte sich vor Kalchedon eine Art Pattstellung. Die Athener führten die Belagerung fort, aber Pharnabazos blieb weiterhin in der Nähe, um auf die Belagerer Druck auszuüben und womöglich doch einen Weg zum Durchbruch durch die athenischen Befestigungen zu finden. 57 Alkibiades hielt es für geraten, das strategische Patt durch eine neue Initiative zu überwinden. Er überließ die Fortführung der Belagerung seinen Mitstrategen und begab sich zur Chersones, um Geld und zusätzliche Soldaten aufzutreiben. Mit den dort aufgestellten Truppen, darunter einem thrakischen Reiterkontingent, ging er zunächst gegen Selymbria vor, das er mit Hilfe einheimischer Athenfreunde durch einen kühnen Handstreich einnehmen konnte, danach rückte er weiter in Richtung auf den Bosporus vor. 58 In der Nähe von Byzantion erreichte Alkibiades ganz unerwartet die Nachricht, dass sich seine vor Kalchedon liegenden Strategenkollegen mit Pharnabazos über einen Waffenstillstand geeinigt hatten und dass man ihn zum Abschluss des Abkommens benötige. Wohl in Reaktion auf die sich vor Kalchedon entwickelnde Pattstellung waren die athe-

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nischen Feldherren mit dem Satrapen in Verhandlungen getreten; es kam zu einem Abkommen, das für beide Seiten einen Kompromiss bedeutete. Die Athener sollten die Belagerung von Kalchedon aufheben, wofür sie von Pharnabazos im Gegenzug zwanzig Talente erhalten würden. Weiters erklärte sich der Satrap bereit, athenische Gesandte zum Großkönig zu geleiten. Solange diese Gesandten unterwegs seien, sollten die Kalchedonier den Athenern den gewohnten Seebundstribut entrichten, die Athener aber keinen Krieg gegen Kalchedon führen. Diese Bedingungen waren von Pharnabazos und den vor Kalchedon liegenden Athenerstrategen in Eigenregie ausgehandelt und beschworen worden, doch ehe es an den definitiven Abschluss ging, ließ Pharnabazos erkennen, wem er auf athenischer Seite die höchste Autorität zuerkannte. Er verlangte, dass auch Alkibiades hinzugezogen werde und einen Eid auf das Abkommen leisten solle. So hatte man die Boten ausgesandt, die Alkibiades vor Byzantion antrafen und ihn über die erzielte Einigung informierten. Alkibiades erkannte die Chancen, die sich aus dem Abkommen ergaben, und erklärte sich bereit, den geforderten Eid zu leisten, aber nur, wenn im Gegenzug Pharnabazos ihm persönlich nochmals den Gegeneid leiste. Der Perser ging darauf ein, die Eide wurden geleistet und das Abkommen trat in Kraft. Alkibiades konnte mit dem Gang der Dinge zufrieden sein. Die Forderung des Satrapen und dessen Bereitschaft zur wiederholten Eidesleistung boten eine wirkungsvolle Demonstration seiner überragenden Position im Athenerheer, und auch das geschlossene Abkommen konnte, alles in allem betrachtet, als akzeptabel gelten. Zwar mussten die Athener auf die Eroberung von Kalchedon verzichten, aber sie konnten sich in der Hoffnung wiegen, dass es ihren Gesandten gelingen werde, das Bündnis zwischen dem Perserkönig und den Spartanern zunichte zu machen, und – was für den Augenblick das Wichtigste war – sie gewannen freie Hand gegen Byzantion. 59 Alkibiades verlor keine Zeit, die Gelegenheit zu nutzen. Gleich nach dem Vertragsschluss ließ er die Belagerung von Byzantion eröffnen, zu Wasser von einer Blockade durch die athenische Flotte unterstützt. Die Belagerung erwies sich als ein mühsames Unterfangen. Die Spartaner hatten bereits im Sommer des Vorjahres eine Hilfsexpedition nach Byzantion entsendet, die von einem ihrer bewährtesten Militärs namens Klearchos befehligt wurde. Der als rauer Haudegen bekannte Spartanerfeldherr leitete die Verteidigung der Stadt mit Geschick und Energie. Unter seiner Führung konnten die Verteidiger im Laufe des Herbstes

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409 mehrere Angriffe der Athener abschlagen, gegen die sich in Folge der Belagerung ausbreitende Knappheit an Nahrungsmitteln war Klearchos allerdings machtlos, und die von ihm im Umgang mit der hungernden Stadtbevölkerung an den Tag gelegte Brutalität schuf bei den Byzantinern böses Blut. Unter dem Druck der sich verschlechternden Versorgungslage bildete sich unter den Bürgern von Byzantion eine Verschwörergruppe, die im Geheimen mit den Athenern in Kontakt trat und eine Rückkehr der Stadt unter die Herrschaft Athens in Aussicht stellte. Die Anerbietungen fanden im Athenerlager ein geneigtes Ohr; man kam überein, dass die Verschwörer bei gegebener Gelegenheit einen Zugang in die Stadt öffnen sollten, wofür die Athener eine großzügige Behandlung der Stadtbevölkerung in Aussicht stellten. Wir dürfen annehmen, dass bei diesen Unterhandlungen auf athenischer Seite Alkibiades, der über eine reiche Erfahrung in geheimen Geschäften verfügte, eine führende Rolle gespielt hat. Die Gelegenheit zur Umsetzung dieser Pläne kam, als Klearchos das Kommando an zwei seiner Unterführer übertrug und selbst die Stadt verließ, um bei Pharnabazos Hilfe zu suchen. Die Verschwörer setzten sich mit den Athenerfeldherren in Verbindung und verabredeten einen Aktionsplan, der dann auch vereinbarungsgemäß zur Ausführung kam. In der für den Handstreich vorgesehenen Nacht öffneten die Verschwörer eines der Stadttore, vor dem Alkibiades mit seinen Truppen Stellung bezogen hatte. Die Athener rückten ein und stießen rasch bis zur Agora vor. Klearchos’ Unterbefehlshaber wurden völlig überrumpelt; sie versuchten, ihre Truppen zum Widerstand zu formieren, mussten aber, als sie sich von allen Seiten von der athenischen Übermacht umzingelt sahen, nach kurzem Kampf die Waffen strecken. Alkibiades, der angeblich bereits während des Kampfes den Bürgern von Byzantion durch Heroldsrufe die Achtung ihres Lebens und Eigentums hatte zusichern lassen, hielt sich nach dem Sieg an die mit den Verschwörern getroffenen Vereinbarungen. Er sorgte dafür, dass kein Byzantiner getötet oder in die Verbannung geschickt wurde; nur die Peloponnesier wurden als Kriegsgefangene nach Athen gesandt. Byzantion wurde unter vergleichsweise günstigen Bedingungen wieder in den Attischen Seebund aufgenommen, musste aber eine athenische Besatzung in seinen Mauern dulden. 60

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Zwischen Triumph und Ungewissheit: Alkibiades’ Rückkehr nach Athen Mit der Neutralisierung von Kalchedon und der Rückeroberung von Byzantion hatten die Athener die Meerengen des Hellespont und des Bosporus wieder fest unter ihre Kontrolle gebracht, nur einige wenige Orte auf der asiatischen Seite wie Abydos und Kalchedon, die unter dem Schutz des Pharnabazos standen, blieben außerhalb des athenischen Machtbereiches. Alkibiades und seine Mitkämpfer konnten sich im Glanz von Erfolgen sonnen, die zwei Jahre zuvor kaum jemand für möglich gehalten hätte, und sie konnten den Anspruch erheben, die ihnen gestellte Aufgabe bestmöglich gelöst zu haben. Aus diesem Bewusstsein heraus wuchs unter den Truppen der Wunsch, endlich die Heimat wieder zu sehen und sich von den dankbaren Mitbürgern als Sieger feiern zu lassen. Alkibiades, der länger als jeder seiner Soldaten von Athen fern gewesen war, scheint diesen Wunsch von Herzen geteilt zu haben, für ihn aber ging es um weitaus mehr als um das Stillen allfälliger Heimatsehnsüchte. Der nach dem Sturz der Vierhundert zu seinen Gunsten gefasste Volksbeschluss hatte die Rechtsfolgen seiner seinerzeitigen Verurteilung aufgehoben und die Stellung des Strategen, die ihm zuvor schon das Heer auf Samos verliehen hatte, legalisiert, doch die Rehabilitierung im politischen und gesellschaftlichen Sinne konnte sich erst dann bewerkstelligen lassen, wenn es ihm gelang, durch einen überzeugenden Auftritt vor der Volksversammlung die bei vielen Mitbürgern immer noch lebendigen Vorbehalte gegen seine Person zu überwinden. So gesehen, stellte Alkibiades’ Heimkehr eine Prüfung dar, von deren Ausgang sein weiteres Schicksal abhängen musste. Es war nur verständlich, dass er es zunächst vorgezogen hatte, sein Kommando weiterzuführen und an der Spitze der athenischen Hellespontstreitkräfte neue, größere Kriegslorbeeren zu erringen. Nun aber, im Frühjahr 408, schien die Zeit gekommen, die Heimkehr zu versuchen. Nach der Rückgewinnung des Bosporus konnte es gerechtfertigt scheinen, Heer und Flotte nach Athen heimzuführen, die Streitkräfte zu reorganisieren und die eigenen Pläne mit dem Willen der Volksversammlung abzustimmen, ehe man neue Unternehmungen in Angriff nahm. Dennoch ließ sich Alkibiades immer noch reichlich Zeit. Er führte zunächst die gesamte Flotte in ihr altes Standquartier nach Samos zu-

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rück, von wo aus er einen beuteträchtigen Streifzug nach Karien unternahm. Danach kam er mit seinen Mitstrategen überein, dass zunächst einmal Thrasyllos mit dem Gros der Flotte nach Athen heimkehren sollte. Wahrscheinlich hoffte er, dass die Kriegserzählungen der Heimkehrer die Stimmung der Bevölkerung zu seinen Gunsten beeinflussen würden, und wollte diesem Effekt Zeit zur Entfaltung geben, ehe er in eigener Person auf den Plan trat. 61 So fuhr er zunächst mit zwanzig Schiffen nach Gytheion an die Südspitze der Peloponnes, offiziell um die dort in Gang befindlichen Flottenbauaktivitäten der Spartaner auszuspähen und währenddessen zugleich, wie Xenophon berichtet, zu klären, wie Athen sich seiner Rückkehr gegenüber stellen würde. Als ihn diesbezüglich nur positive Nachrichten erreichten, darunter die Meldung, dass das Volk ihn für ein weiteres Jahr zum Strategen gewählt habe, hielt er endlich die Zeit zur Heimkehr für gekommen und führte sein Geschwader heim in attische Gewässer. Zur Zeit des Plyntherienfestes, etwa Mitte Juni 408, erschien er vor dem Piräus. Den wohl glaubwürdigsten Bericht über seine Heimkehr hat der Historiker und Philosoph Xenophon überliefert, der als Zeitgenosse das Spektakel selbst miterlebt haben könnte: „Wie er in den Hafen einfuhr, drängten die Massen aus dem Piräus wie aus der Stadt zu den Schiffen hin, voll staunender Bewunderung und begierig, den Alkibiades zu sehen … Alkibiades aber ging, als das Schiff angelegt hatte, nicht sogleich von Bord, da er seine Gegner fürchtete. Er stand auf dem Verdeck des Schiffes und hielt Ausschau, ob seine Freunde da seien. Als er aber seinen Cousin Euryptolemos, … und seine anderen Verwandten und mit ihnen zusammen auch seine Freunde erblickte, ging er von Bord und machte sich auf den Weg zur Stadt, wobei seine Begleiter sich bereithielten, einzugreifen, falls jemand wagen sollte, Hand an ihn zu legen.“ 62 Xenophons Bericht klingt weniger schmeichelhaft als die Darstellungen späterer Autoren, die Alkibiades’ Heimkehr als ungetrübtes Freudenfest schildern, trägt aber gerade deshalb den Stempel der Glaubwürdigkeit. Im Rahmen der athenischen Rechtsordnung konnte ein umstrittener und vielfach verfeindeter Prominenter tatsächlich Gefahr laufen, von seinen Gegnern festgenommen und unter dem Vorwand legitimer rechtlicher Selbsthilfe ins Gefängnis abgeführt zu werden. Im Falle des Alkibiades, dessen Rechtsstatus trotz des zu seinen Gunsten ergangenen Volksbeschlusses noch nicht endgültig geklärt war, musste

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diese Gefahr doppelt real erscheinen. So war es nur verständlich, wenn er dafür Sorge trug, Verwandte und Freunde als Leibgarde um sich zu scharen, auch wenn die offensichtlichen Sicherheitsmaßnahmen die allgemeine Feststimmung ein wenig gedämpft haben mögen. 63 Seine Befürchtungen erwiesen sich jedoch als unbegründet. Spätestens bei seinem Auftritt in der Ekklesie wurde klar, dass die Mehrheit der Athener ihn ins Herz geschlossen hatte wie einst in seinen besten Zeiten. Alkibiades präsentierte der Versammlung eine ausgiebige Selbstrechtfertigung, die, ihren Ergebnissen nach zu schließen, zu seinen brillantesten Reden überhaupt gehört haben muss und mit der er seine Zuhörer auf der ganzen Linie mitriss. Gleichermaßen beeindruckt von der Kraft seiner Argumente, der Wirkung seiner Persönlichkeit und der Erinnerung an die von ihm im Namen der Vaterstadt errungenen Siege, ließen sich die Athener willig davon überzeugen, dass es sich bei dem seinerzeit über ihn verhängten Urteil um einen krassen Justizirrtum gehandelt habe. Zur Wiedergutmachung beschlossen sie eine Reihe von Maßnahmen, die über die bloße Heimkehrerlaubnis hinaus auf eine völlige Rehabilitation hinausliefen. Verfügt wurde unter anderem die Rückgabe der einst bei seiner Verurteilung konfiszierten Besitztümer und eine Anweisung an die Priesterschaft, die seinerzeit gegen ihn ausgesprochenen Flüche zurückzunehmen. Die Gunstbezeugungen des Demos erschöpften sich jedoch nicht allein in der Revision vergangener Entscheidungen. Alkibiades, bereits für das kommende Jahr zum Mitglied des Strategenkollegiums gewählt, wurde nun zum „bevollmächtigten Strategen mit übergeordneter Befehlsgewalt zu Lande und zu Wasser“, das heißt zum de facto-Oberkommandierenden der athenischen Streitkräfte bestellt, eine Position, für die es in der bisherigen Geschichte Athens keinen Präzedenzfall gab. 64 Die Verleihung dieser außerordentlichen Kommandostellung lässt das Ausmaß der Hoffnungen erkennen, die sich in der Vorstellung der Athener an seine Person knüpften. Auch innenpolitisch scheint Alkibiades der von den Nachwehen des Oligarchenumsturzes erschütterten Bürgerschaft als Hoffnungsträger und große Integrationsfigur gegolten zu haben. Der späte, aber auf zeitnahe Quellen zurückgreifende Geschichtsschreiber Diodorus Siculus skizziert die in ihn gesetzten Erwartungen folgendermaßen: „Die Angehörigen der Oberschicht glaubten in ihm einen starken Mann gefunden zu haben, der imstande sei, sich den Volksmassen offen und energisch zu widersetzen, die Armen hingegen betrachteten ihn als einen trefflichen Vorkämpfer ihrer Sache, der ohne

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Bedenken den Staat in Unruhen stürzen und ihnen in ihrer Notlage Hilfe schaffen werde … Überhaupt hatten fast alle eine derart hohe Meinung von ihm, dass sie meinten, es hätte mit seiner Rückkehr auch das Kriegsglück wieder in ihrer Stadt Einzug gehalten.“ 65 Was sich hier als zynische Beschreibung einer mit widersprüchlichen Hoffnungen verbundenen kollektiven Selbsttäuschung zu lesen scheint, kann durchaus auch positiv gedeutet werden: Der enorme Vertrauensvorschuss, der Alkibiades aus unterschiedlichen politischen Lagern heraus entgegengebracht wurde, hätte ihm durchaus als Ansatzpunkt dienen können, sich im Namen des inneren Ausgleiches und der Bürgereintracht zu einer über den Gruppenegoismen stehenden, weithin akzeptierten Versöhnerfigur aufzuschwingen. Dass er das Zeug für eine solche Rolle hatte, hatte er 411 bei seinem Auftritt auf Samos klar unter Beweis gestellt. So wie sich die politische Lage zur Zeit von Alkibiades’ Rückkehr darstellte, war freilich jede innenpolitische Konzeption den durch die Erfordernisse der Kriegssituation bedingten äußeren Zwängen nachgeordnet. Alkibiades’ vordringlichste Aufgabe bestand darin, den Krieg siegreich oder doch in einer für die Athener halbwegs akzeptablen Weise zu beenden. Die Aussichten dafür schienen im Sommer 408 besser zu stehen als jemals zuvor in den vergangenen fünf Jahren. Der zähe Widerstand der Stadt gegen die von Dekeleia aus betriebene spartanische Blockade, die Überwindung der Krise von 411 und die an Hellespont und Bosporus errungenen Siege stellten ein eindrucksvolles Zeugnis für die Widerstandskraft Athens dar. Man musste als Athener kein besonderer Optimist sein, um die Hoffnung zu hegen, dass die Serie der eigenen Erfolge eine dämpfende Wirkung auf den Kriegswillen der Peloponnesier ausüben werde. In der Tat erschien im Sommer 408 eine spartanische Gesandtschaft in Athen. Ihr offizieller Auftrag betraf den Freikauf von Kriegsgefangenen, doch die Tatsache, dass man mit dieser Mission hochrangige Persönlichkeiten, darunter wiederum Alkibiades’ alten Gastfreund Endios, betraut hatte, deutet darauf hin, dass man sich in Sparta von dieser Gesandtschaft weiterreichende Ergebnisse erwartete. Möglicherweise hofften die Regierenden dort, durch Endios’ Vermittlung bei Alkibiades über die Chancen und Bedingungen einer Friedenseinigung vorfühlen zu können. Wenn dem so war, so wurden diese Hoffnungen enttäuscht, denn der Krieg zwischen Athen und Sparta ist im Herbst 408 mit unverminderter Intensität fortgesetzt worden.

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Man hat in der Forschung vermutet, dass Alkibiades als führender Staatsmann Athens die Verantwortung für die Zurückweisung der vermuteten spartanischen Friedensfühler trug. 66 Das lässt sich nicht sicher beweisen, aber wenn es sich so verhalten haben sollte, darf man feststellen, dass Alkibiades in dieser Frage durchaus mit der Erwartungshaltung seiner Mitbürger konform gegangen sein dürfte. Die Athener hatten ihn mit einer Kommandogewalt ausgestattet wie noch keinen Strategen zuvor; sicherlich nicht, um einen mit Verlusten und Verzichten verbundenen Kompromissfrieden zu schließen, sondern um die Serie der bisherigen Erfolge fortzusetzen und das athenische Seebundsreich in voller Größe wiederherzustellen. Dieses Ziel schien nunmehr durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen: Während Alkibiades die Meerengen wieder unter Athens Kontrolle gebracht hatte, war sein Mitstratege Thrasybulos an der thrakischen Küste tätig gewesen und hatte auch dort ein klares militärisches Übergewicht erringen können. Somit standen von den Kernregionen des seinerzeitigen Seebundsgebiets nur die abgefallenen Städte in Ionien und auf den vorgelagerten Inseln noch außerhalb des Bereichs athenischer Kontrolle; ihre Rückgewinnung musste die nächste Aufgabe darstellen. Alkibiades traf während des Sommers 408 alle Vorbereitungen für den Feldzug. Ehe er jedoch nach Ionien aussegelte, unternahm er eine Aktion, die darauf berechnet war, die Moral der athenischen Bürgerschaft zu stärken, das militärische Prestige der Stadt zu unterstreichen und zugleich eine Demonstration seiner Frömmigkeit und Gottesfurcht zu bieten. Zu den wichtigsten Festakten des athenischen Kultkalenders gehörte die große Festprozession, die alljährlich im Monat Boedromion – was ungefähr unserem September entspricht – von Athen nach dem in Eleusis, etwa 22 km westlich der Stadt, gelegenen großen Heiligtum der Demeter und Kore zu ziehen pflegte. Seit sich die Spartaner in Dekeleia festgesetzt hatten, hatten die Athener es nicht mehr gewagt, den Festzug in gewohnter Weise auszuführen, sie waren auf den Seeweg ausgewichen, was natürlich Einschränkungen und Regelabweichungen mit sich brachte und als eine im Sinne des Kultbrauches problematische Notlösung betrachtet werden konnte. Alkibiades überredete nun die Priesterschaft der eleusinischen Gottheiten, ihre Prozession wieder zu Lande durchzuführen, wobei er mit seinen Soldaten die militärische Begleitung übernehmen würde. Das Wagnis erwies sich als voller Erfolg. Die Prozession zog, von einem kampfbereiten Truppenaufgebot geleitet, in alt-

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gewohnter Form über die „Heilige Straße“ nach Eleusis; die in Dekeleia sitzenden Peloponnesier unternahmen keinen Versuch, den Festzug zu behelligen. 67 Alkibiades konnte sich rühmen, dem spartanischen Prestige eine Schlappe zugefügt und zugleich gegenüber den eleusinischen Gottheiten und ihren Mysterien seine Frömmigkeit unter Beweis gestellt zu haben. Die störungsfreie Durchführung des Festzuges konnte gegenüber jenen Mitbürgern, die trotz der offiziellen Rehabilitation noch immer an seiner Unschuld zweifeln mochten, als ein Beweis für die Gunst gerade jener Gottheiten dienen, die er durch den angeblichen Mysterienfrevel verletzt haben sollte. Für Alkibiades war es ein großer persönlicher Erfolg, die Krönung all jener Bemühungen um Rehabilitation und Wiederversöhnung mit der athenischen Bürgerschaft, die er seit 411 betrieben hatte; soweit es an ihm lag, sollte es zugleich den Auftakt einer Serie weiterer Triumphe darstellen, die er in Ionien zu erringen hoffte.

Alkibiades’ fataler Fehlgriff: die Niederlage von Notion Etwa im Oktober 408 fuhr Alkibiades an der Spitze der nach Ionien bestimmten Expedition aus dem Piräus aus. Bei der Aufstellung dieser Streitmacht waren die Athener seinen Wünschen bereitwillig entgegengekommen; sie hatten ihm all die Streitkräfte bewilligt, die er gefordert hatte – hundert Kriegsschiffe, fünfzehnhundert Hopliten und hundertfünfzig Reiter –, und ihm Männer seines Vertrauens als Unterfeldherren beigegeben. Aber wenn in diesem Entgegenkommen ein klarer Beweis für das Vertrauen lag, das der athenische Demos seinem Oberfeldherrn entgegenbrachte, so war damit zugleich auch ein entsprechend hoher Erfolgsdruck verbunden. An Alkibiades lag es nun, den hochgespannten Erwartungen der Mitbürger gerecht zu werden. Die Flotte wandte sich zuerst nach der von Athen abgefallenen Inselpolis Andros, wo ihre Landungstruppen einen Sieg über die lokalen Streitkräfte erfochten, die Stadt Andros selbst aber nicht einnehmen konnten. Alkibiades begnügte sich damit, eine hinreichend starke Truppe zur Belagerung zurückzulassen, während er selbst mit dem Gros der Streitkräfte nach Samos ging, das wieder zum Hauptquartier der athenischen Streitkräfte ausersehen war. 68 Bald zeigte sich, dass die Verhältnisse in Kleinasien nicht so günstig

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lagen wie es im vergangenen Frühjahr, zur Zeit der Heimfahrt der Hellespontflotte, den Anschein gehabt hatte. Auf Seiten der Gegner Athens hatte man sich seit zwei Jahren mit großem Einsatz bemüht, für die bei Kyzikos verlorene Flotte Ersatz zu schaffen, dabei allerdings mit dem Mangel an verfügbaren Ressourcen zu kämpfen gehabt. Dennoch begannen die Anstrengungen der Peloponnesier allmählich Früchte zu tragen. Der von Sparta entsandte neue Befehlshaber Lysandros verfügte, als er im Herbst 408 seine Flotte in Ephesos versammelte, über siebzig Schiffe, eine Zahl, die im Verlaufe des Winters auf neunzig aufgestockt werden konnte. Das waren immer noch weniger als die Spartaner 411 gehabt hatten, aber genug, um selbst für Alkibiades’ starke Streitmacht einen nicht zu verachtenden Gegner darzustellen. Die stärksten Trümpfe der Spartaner lagen jedoch nicht in der Flotte selbst, sondern im Wirken zweier von Haus aus sehr unterschiedlicher Persönlichkeiten, die im Winter 408/07 durch ihren auf ein gemeinsames Ziel – den Sturz der Athenermacht in der Ägäis – gerichteten Ehrgeiz zusammengeführt wurden. Es handelte sich um den schon genannten spartanischen Flottenführer Lysandros und den Perserprinzen Kyros, einen Sohn des Großkönigs Dareios II., der seit kurzem als Satrap mehrerer anatolischer Landschaften und Oberbefehlshaber in Kleinasien amtierte. Die beiden Verbündeten bildeten ein ungleiches Gespann. Lysandros war zur Zeit seiner Kommandoübernahme ein Mann in mittleren Jahren, ein Abkömmling einer angesehenen, aber verarmten Familie, der die harte Schule des spartanischen Erziehungssystems durchlaufen und sich dann im Kriegsdienst gleichsam auf der ‚Ochsentour‘ seinen Weg in die militärischen Führungsränge Spartas erkämpft hatte. Als fähiger Truppenführer ausgewiesen, bewährte er sich in seinem Ionien-Kommando auch als tüchtiger Administrator und, was bei einem Spartaner besonders auffallen musste, als Mann von großer politischer Begabung und Menschenkenntnis. Im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute mit hohem Geschick zur Menschenbehandlung ausgestattet, fand er das geeignete Objekt zur Entfaltung dieses Talents in der Person des Perserprinzen Kyros. Der damals gerade erst sechzehn Jahre alte Prinz war als Sohn des regierenden Großkönigs Dareios II. in einer Umgebung aufgewachsen, die ihn von Kindheit an zur Entwicklung aller herrscherlichen Tugenden und eines herrscherlichen Selbstbewusstseins angehalten hatte. Dank dieser frühen Prägung durfte er sich trotz seines jugendlichen Alters den Anforderungen der ihm von seinem Vater übertragenen Regie-

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rungsgewalt gewachsen fühlen. Körperlich eine eindrucksvolle Erscheinung, in seinem Auftreten stolz und majestätisch, zugleich aber leutselig und gewinnend im Umgang, entsprach der junge Königssohn in den Augen seiner iranischen Landsleute dem Idealbild eines ritterlichen Aristokraten; dass er auch unter den allem ‚barbarischen‘ Despotentum abholden Griechen Sympathien für sich verbuchen konnte, spricht mehr als alles andere für seine persönlichen Qualitäten. Seine Ernennung zum Oberkommandierenden im Westen des Reiches war nicht nur ein persönlicher Gunsterweis des Großkönigs, sondern zugleich Ergebnis einer grundlegenden Neuorientierung der persischen Griechenlandpolitik. Unter dem Einfluss spartanischer Gesandtschaften hatte man am Perserhof beschlossen, sich im Konflikt zwischen Sparta und Athen nicht mehr nur halbherzig, sondern mit vollem Einsatz zugunsten der spartanischen Seite zu engagieren. Im Interesse dieser Politik gelangte Kyros nach seiner Ankunft in der ihm bestimmten Satrapie schnell zu einem herzlichen Einvernehmen mit Lysandros. Er übernahm nicht nur die regulären Kosten für den Unterhalt der peloponnesischen Streitkräfte, sondern leistete auch noch zusätzliche Zahlungen, die es Lysandros ermöglichten, seinen Mannschaften mehr Sold zu zahlen als bisher üblich. Da ein guter Teil der Flottenmannschaften aus Söldnern bestand, die es gewohnt waren, ihre Dienste dem Bestzahlenden zu verkaufen, war bald ein eifriger Zulauf ins Spartanerlager zu verzeichnen. Lysandros konnte seine Schiffe ohne Schwierigkeiten bemannen und darüber hinaus eine weitere Verstärkung seiner Flotte ins Auge fassen. 69 Die Nachricht von dem neuen Kurs der persischen Politik verbreitete sich ins Athenerlager, wo sie naturgemäß zu erheblicher Besorgnis Anlass gab. Alkibiades versuchte gegenzusteuern: Er nahm mit seinem alten Ansprechpartner Tissaphernes Kontakt auf und bemühte sich, durch dessen Vermittlung mit Kyros ins Gespräch zu kommen. Doch der Perserprinz blieb hart. Die athenischen Gesandten mussten umkehren, ohne überhaupt zu Kyros vorgelassen worden zu sein; die Vorhaltungen des Tissaphernes, der auf Persiens Interesse an einem Kräftegleichgewicht zwischen den kämpfenden Griechenmächten hinwies, wurden kalt abgeschmettert.70 Alkibiades befand sich jetzt in einer Verlegenheit, aus der sich nicht leicht ein Ausweg finden ließ. Er musste damit rechnen, dass die ihm gegenüberstehende Peloponnesierflotte dank des Zustroms persischer Geldmittel mit jedem Monat an Stärke und Kampfkraft zunehmen werde, während seine eigenen Streitkräfte mit keinem vergleichbaren Kräf-

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tezuwachs rechnen konnten – eher im Gegenteil. Darüber hinaus begannen jetzt, wie Plutarch treffend feststellt, seine eigene hohe Reputation und die damit verbundenen Erwartungen zu einer Belastung für ihn zu werden: „Da aufgrund seiner Erfolge der Ruf seiner Kühnheit wie auch seiner Verstandesgaben groß war, wurde, wenn eine Leistung hinter den Erwartungen zurückblieb, sogleich der Argwohn wach, er habe sich nicht recht bemüht, weil man ein Nichtkönnen bei ihm gar nicht für möglich hielt; wenn er nur wolle, könne nichts ihm fehlschlagen. Daher waren die Athener, die gehofft hatten, bald von der Rückeroberung von Chios und ganz Ioniens zu hören, verärgert, als ihnen klar wurde, dass er nicht alles so zügig und so schnell, wie sie es wünschten, bewerkstelligt hatte.“ 71 Ein rascher, entscheidender Sieg über die feindliche Flotte wäre die ideale Lösung des Dilemmas gewesen, aber Alkibiades konnte sich ausrechnen, dass der Spartaneradmiral ihm nicht den Gefallen tun würde, sich zum Kampf zu stellen, ehe er seine Flotte auf den bestmöglichen Stand gebracht hatte. Die Alternative, die Spartanerflotte in Ephesos links liegen zu lassen und sich stattdessen zunächst unter den abgefallenen Ex-Seebundsstädten in Ionien andere Angriffsziele zu suchen, stellte angesichts der von Lysandros’ Flotte ausgehenden Bedrohung ein riskantes Spiel dar. Alkibiades entschloss sich, zunächst einen Versuch zur Erzwingung einer Entscheidungsschlacht zu unternehmen, zugleich aber auch für die Möglichkeit alternativer Unternehmungen vorzubauen. Im Frühjahr 407 verlegte er seine Flotte von Samos nach dem etwa 17 km nordwestlich von Ephesos gelegenen Vorgebirge Notion, von wo aus er die Spartaner unter Druck setzen und, so stand zu hoffen, zur Schlacht provozieren konnte. Falls sich Lysandros nicht darauf einließ, blieb den Athenern immer noch die Möglichkeit, ihn mit dem Gros ihrer Flotte in Schach zu halten und währenddessen an anderer Stelle Angriffsoperationen ins Werk zu setzen. Als sich geraume Zeit nach der Verlegung des Flottenstandorts kein Anzeichen dafür bemerken ließ, dass Lysandros zum Kampf herauskommen würde, ging Alkibiades daran, den für diesen Fall vorgesehenen zweiten Teil seines Konzepts in die Tat umzusetzen. Sein Angriffsziel waren die Städte des nördlichen Ionien, insbesondere das gegenüber der Insel Lesbos gelegene Phokaia, das bereits von athenischen Truppen unter dem Kommando des von Thrakien herangesegelten Thrasybulos belagert wurde. Alkibiades’ Plan sah vor, dass der Hauptteil seiner Flotte bei Notion stehen bleiben würde, während eine hauptsächlich aus

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Truppentransportern bestehende Abteilung gen Norden abgehen sollte, um die Belagerer von Phokaia zu verstärken und vielleicht auch noch die Gelegenheit zu anderen Aktionen wahrzunehmen.72 Dieser Aktionsplan konnte als ein praktikabler Weg zur Überwindung der bestehenden Pattsituation gelten, doch bei seiner Ausführung traf Alkibiades zwei Entscheidungen, die sich im Nachhinein als fatale Missgriffe herausstellten. Der erste Fehler lag darin, dass er selbst nicht bei der Hauptmacht blieb, sondern sich an die Spitze der nach Phokaia bestimmten Abteilung stellte. Es war eine aus einem menschlich verständlichen Tatendrang entwachsene Entscheidung, die aber den Erfordernissen der Lage nicht gerecht wurde: Als Oberbefehlshaber wäre sein Platz bei der Hauptflotte gewesen, umso mehr als die Möglichkeit bestand, dass die athenischen Aktivitäten in Nordionien den spartanischen Befehlshaber doch noch zum Auslaufen und zur Annahme der Schlacht verleiten würden. Der zweite und gravierende Fehler lag jedoch in der Wahl des für das Kommando der Hauptflotte bestimmten Stellvertreters. Der Mann, den er mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe betraute, war keiner der gewählten Strategen, sondern der Steuermann seines Admiralsschiffes, ein Seemann namens Antiochos, dem Alkibiades seit langen Jahren freundschaftlich verbunden war. Antiochos war vermutlich ein tüchtiger Steuermann, aber zum Flottenkommandanten fehlten ihm die einschlägige Erfahrung, die Besonnenheit und die Fähigkeit zum vorausschauenden Kalkül. Vor allem aber mangelte es ihm, wie sich bald zeigen sollte, an der Bereitschaft, sich an die empfangenen Befehle zu halten. Über die Instruktionen, die Alkibiades vor seiner Abfahrt nach Phokaia dem Antiochos erteilte, gibt es zwei unterschiedliche Überlieferungen. Nach der einen Version erhielt der Interimsbefehlshaber die Weisung, nichts zu unternehmen, was den Feind zum Kampf provozieren könne, nach der anderen wurde ihm überhaupt untersagt, eine Seeschlacht zu schlagen. Die erstgenannte der beiden Varianten erscheint plausibler, denn wenn es auch gut nachvollziehbar ist, dass Alkibiades während seiner Abwesenheit keine Kampfhandlungen wünschte, musste er doch mit der Möglichkeit rechnen, dass Lysandros von sich aus seine Flotte gegen die Athener führen würde – in diesem Fall aber würde sich eine Seeschlacht nicht leicht vermeiden lassen. So gesehen ist es wahrscheinlicher, dass er seinem Stellvertreter nur auftrug, nicht von sich aus die Schlacht zu suchen.73 Wie auch immer seine Instruktionen gelautet haben mögen, sicherlich

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hat er, als er mit dem nach Phokaia bestimmten Geschwader in See ging, gehofft, dass es in seiner Abwesenheit nicht zum Kampf kommen würde. In dieser Hoffnung wurde er enttäuscht. Wohl schon bald nach seinem Eintreffen vor Phokaia erreichte ihn die Nachricht, dass es vor Notion zur Schlacht gekommen war und dass die Athener dabei eine Niederlage erlitten und Antiochos selbst den Tod gefunden hatte. Was war geschehen? Die Quellen geben nur verkürzte und teilweise widersprüchliche Angaben. Klar ist, dass Antiochos sich mit nur wenigen Schiffen gefährlich nahe an den Liegeplatz der Feindesflotte bei Ephesos herangewagt hatte und dass Lysandros, zuerst auch nur mit einigen Schiffen, dann mit seiner ganzen Flotte, zum Kampf ausgefahren war. Aus diesen Anfängen entwickelte sich eine Seeschlacht, in deren Verlauf es Lysandros gelang, zunächst das Schiff des Antiochos einzuholen und zu versenken, sodann vor Notion die ganze Athenerflotte zum Kampf zu stellen. Führerlos und unvorbereitet konnten die Athener der gutexerzierten Lysandrosflotte nicht standhalten. Sie verloren eine Anzahl ihrer Schiffe und mussten sich schließlich nach ihrer alten Basis Samos zurückziehen. Was den Antiochos zu seinem unvorsichtigen Vorstoß bewogen hatte, bleibt unklar. Einige Quellenautoren deuten an, er habe nicht mehr als eine Demonstration seemännischer Überlegenheit im Sinne gehabt, die sich dann freilich als Fehlkalkül erwies; andere schreiben ihm die bewusste Absicht zu, einen Kampf zu provozieren. Moderne Forscher haben darüber hinaus auch die Möglichkeit einer fehlgeschlagenen Erkundungsmission in Betracht gezogen.74 Wo hinter diesen Möglichkeiten die Wahrheit stecken mag, wird sich wohl niemals erweisen lassen. Schon die Zeitgenossen waren, da Antiochos das Wissen über seine Motive ins Grab genommen hatte, auf Spekulationen angewiesen. Klar ist nur, dass der athenische Befehlshaber, im Bewusstsein der Überlegenheit der eigenen Seemannskunst aufgewachsen, seinen Gegner sträflich unterschätzt hatte und dass das Ergebnis der Schlacht für die Athener zwar keine Katastrophe, aber eine herbe Schlappe bedeutete, noch dazu eine, die ihnen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt widerfuhr. Zwar waren die Verluste nicht als katastrophal zu bezeichnen, aber in der ohnedies angespannten Situation konnte der Sieg des Lysandros eine im Verhältnis zum materiellen Schaden weit überproportionale Signalwirkung entfalten. Alkibiades erkannte sofort den Ernst der Lage. Er ließ die Belagerung von Phokaia abbrechen und eilte mit allen Schiffen nach Samos, um sich

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dort mit der Hauptmacht zu vereinigen. Danach ließ er die vereinigte athenische Flotte vor dem Hafen von Ephesos auffahren, natürlich in der Hoffnung, dass sich Lysandros im Hochgefühl seines Sieges zu einer zweiten Seeschlacht verleiten lassen würde. Doch der Spartaner, der sich ausrechnen konnte, dass die Zeit ohnedies für ihn arbeiten würde, war ein viel zu besonnener Kommandeur, als dass er ihm diesen Gefallen getan hätte. Alkibiades blieb nichts übrig, als sich mit seinen Streitkräften nach Samos zurückzuziehen und den Krieg der gegenseitigen Blockade unter schlechteren Voraussetzungen als zuvor wieder aufzunehmen.75 Naturgemäß war die Stimmung in den Streitkräften nach dem erlittenen Rückschlag merklich getrübt und ebenso naturgemäß richtete sich ihr Unmut gegen den Oberbefehlshaber, der durch die Auswahl seines Stellvertreters die Niederlage von Notion mitverschuldet hatte und jetzt nicht imstande war, die erlittene Schlappe durch neue Erfolge wettzumachen. Für Alkibiades, der sich vier Jahre lang im Glanz eines von seinen Leuten vergötterten charismatischen Heerführers hatte sonnen können, muss dieser jähe Vertrauensverlust eine bittere und irritierende Erfahrung dargestellt haben. Als schwerwiegender allerdings erwiesen sich binnen kurzem die Auswirkungen der Notion-Niederlage auf seine Position in der Heimat. In Athen führte die Nachricht von der in Ionien erlittenen Niederlage bei der durch das Ausbleiben von Erfolgsmeldungen ohnedies schon irritierten Bürgerschaft zu einem massiven Stimmungsumschwung zu Ungunsten des Alkibiades. Paradoxerweise schlug ihm nun gerade jene allgemeine Überschätzung seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten, die ihm im Vorjahr zur Position des Oberbefehlshabers verholfen hatte, zum Verhängnis aus. Je größer die an den Volkshelden geknüpften Erwartungen gewesen waren, desto tiefer ging jetzt die Enttäuschung und desto prompter stellte sich die Neigung ein, ihm jeden Rückschlag als persönliche Schuld anzurechnen. Alkibiades’ Gegner, die sich nach seiner Rückkehr zurückgehalten hatten, fühlten frischen Wind in ihren Segeln und eröffneten eine Kampagne für seine Abberufung. Ihre Agitation kann nicht sofort zum Erfolg geführt haben, denn wir hören von erregten und länger dauernden Debatten in Athen, bei denen die Alkibiadesgegner Soldaten aus dem Feldlager auf Samos, angeblich auch Gesandte aus ionischen Städten, nach Athen kommen und vor der Volksversammlung als Zeugen der Anklage auftreten ließen. Natürlich bildete die Übertragung des Kommandos an

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Antiochos den Hauptvorwurf, daneben aber wurden weitere Anklagen gegen Alkibiades’ angeblich verantwortungslose Kommandoführung und seinen luxuriösen Lebensstil laut, schließlich soll sogar der Vorwurf der Bestechung durch die Perser ins Spiel gebracht worden sein.76 Das Trommelfeuer der Vorwürfe blieb nicht ohne Wirkung. Als im Frühjahr 407 die Wahl neuer Strategen anstand, wurde Alkibiades nicht mehr gewählt, ebenso wenig seine engen Bundesgenossen Adeimantos und Thrasybulos. Das neue, für das Amtsjahr 407/06 bestellte Strategenkollegium setzte sich in seiner Mehrheit aus Männern zusammen, die Alkibiades eher fern standen, wenngleich sich für einige seiner Mitglieder doch Verbindungen zum Alkibiadeskreis wahrscheinlich machen lassen.77 Nicht nur diese Präsenz von Freunden des Alkibiades unter den neuen Strategen, sondern auch noch andere Indizien sprechen dafür, dass das Ergebnis der Strategenwahlen von 407 nicht einfach als ein politischer Erdrutsch zugunsten von Alkibiades’ Gegnern gewertet werden kann. Dennoch bedeutete die Nichtwiederwahl für Alkibiades eine persönliche Katastrophe, denn abgesehen von der politischen und militärischen Kaltstellung stand nun auch die Möglichkeit im Raum, dass man ihn nach Ablauf seiner Strategenamtszeit vor Gericht ziehen werde. Gründe und Vorwände dafür hätten sich genug geboten: Einerseits musste sich ohnedies jeder athenische Amtsträger nach Ablauf seiner Amtszeit einer in Form eines Gerichtsprozesses gekleideten Rechenschaftsablegung stellen, andererseits bestand die Möglichkeit, dass angesichts des Stimmungsumschwungs in Athen seine Widersacher es jetzt wagen würden, mit privaten Klagen gegen ihn vor Gericht zu gehen. In dieser Bedrängnis dürften in Alkibiades ungute Erinnerungen an die zur Zeit des Hermenfrevels gegen ihn geführte Kampagne aufgekeimt sein, die ihn zu einer tief pessimistischen Einschätzung seiner Lage verleiteten. Wiederum, so musste es aus seiner Sicht scheinen, hatten seine Gegner das Ohr der Volksmehrheit gewonnen, und wiederum müsste jedes gegen ihn eingeleitete Gerichtsverfahren sogleich in einen politischen Schauprozess ausarten, bei dem ihm die von der feindlichen Propaganda gelenkte Volksstimmung keine faire Chance zur Selbstrechtfertigung gewähren würde. Wohl unter dem Eindruck solcher Vorstellungen ließ sich Alkibiades wieder von jenem Flucht- und Selbsterhaltungsreflex übermannen, der ihn im Herbst 415 dazu getrieben hatte, sich auf die Kunde von der Anklageerhebung hin ins Exil abzusetzen. Er überließ das Kommando der

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Flotte dem von Athen zu seiner Ablöse bestimmten Strategen Konon und fuhr mit einer Triere von Samos ab – aber nicht nach Athen zur Rechenschaftsablegung, sondern zur Chersones, wo er sich zur Zeit seines Hellespontkommandos eine kleine private Feudalherrschaft als Zufluchtsort aufgebaut hatte. Zum zweiten Mal in seinem Leben hatte er angesichts einer gegen ihn gerichteten Kampagne es nicht gewagt, sich dem Urteil der Mitbürger zu stellen, sondern lieber sein Heil in der Flucht gesucht.78

Wieder im Exil Vom Sommer 407 an lebte Alkibiades im Stil eines Feudalherrn auf seinen im Hinterland des Hellespont und der Propontis gelegenen Burgen. Über die Aktivitäten, die er von dort aus entfaltet hat, ist uns in den Quellen nur wenig überliefert. Offenbar hat er mit den Königen des thrakischen Stammesreiches der Odrysen gute Beziehungen unterhalten; gegen andere Thrakerstämme unternahm er, vielleicht im Interesse der Odrysenherrscher, an der Spitze eines selbst organisierten Söldnerheeres Kriegszüge, die ihm reiche Beute eingebracht haben sollen.79 Wahrscheinlich wird man nicht weit danebenliegen, wenn man seine damaligen Aktivitäten mit dem Treiben mittelalterlicher Condottieri und Raubritter vergleicht. Aus den Andeutungen der Quellen ergibt sich jedenfalls das Bild einer vom Kampf um Selbstbehauptung und der Jagd nach Beute geprägten Söldnerführerexistenz. Bei alldem können wir es als sicher annehmen, dass Alkibiades’ Aufmerksamkeit während dieser Zeit stets auf die Entwicklung der Verhältnisse in der Heimat gerichtet war. Ganz abgesehen davon, dass der Wunsch nach Heimkehr und politischem Comeback für ihn eine natürliche Gefühlsregung dargestellt haben muss, kann es ihm nicht verborgen geblieben sein, dass auch in Athen viele Bürger darauf hofften, ihren charismatischsten Feldherrn wieder an der Spitze ihrer Streitkräfte zu sehen. Das deutlichste Zeichen für den immer noch starken Einfluss seiner Anhängerschaft lag in der Tatsache, dass trotz seines Exils, das natürlich allgemein als Flucht vor der Rechenschaftsablegung verstanden wurde, kein Gerichtsprozess gegen ihn angestrengt wurde. Da seine zahlreichen Gegner sicherlich keine Bedenken getragen hätten, ihn wiederum in absentia aburteilen zu lassen, kann diese Unterlassung

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nichts anderes bedeuten, als dass die Alkibiadesfeinde angesichts der noch immer großen Popularität des einstigen Volkslieblings vor einem solch drastischen Schritt zurückscheuten. Somit war Alkibiades diesmal, anders als während seines ersten Exils, vor dem Auge des Gesetzes kein geächteter Ausgestoßener. Seine Bürgerrechte blieben unangetastet und der Weg zur Rückkehr in die Heimat hätte ihm, wenn auch um den Preis einer nachträglichen Rechenschaftsablegung, jederzeit offen gestanden. 80 Allerdings war Alkibiades, wie schon sein Zögern im Jahre 408 gezeigt hatte, nicht bereit, diesen Weg einfach auf gut Glück zu beschreiten. Es wäre wohl ein formeller Rückruf seitens der athenischen Ekklesie oder, noch besser, eine erneute Wahl zum Strategen vonnöten gewesen, um ihn in die Heimat zurückzulocken. Dies durchzusetzen aber waren wiederum Alkibiades’ Freunde nicht einflussreich genug. So blieb dem zum zweiten Mal Heimatlosen nichts übrig, als vom Hellespont aus als ohnmächtiger ‚Zaungast‘ den weiteren Verlauf des Krieges zu beobachten. Zunächst schien sich das Kriegsgeschehen ganz in den noch zu seiner Zeit eingeschlagenen Bahnen zu bewegen. Konon, der neue Befehlshaber der athenischen Ägäisflotte, unternahm nach seiner Kommandoübernahme einige Streifzüge gegen die feindlichen Küsten, die ihm Beutegelder, aber keinen strategischen Vorteil einbrachten. Sein spartanischer Gegenspieler Lysandros hielt sich trotz zahlenmäßiger Überlegenheit zurück; zu Recht davon überzeugt, dass die Zeit für ihn arbeite, sah er keinen Grund, sich ohne sichere Siegesaussichten auf einen Kampf einzulassen. 81 Die Situation änderte sich schlagartig, als Lysandros im Frühjahr 406 durch einen dynamischen jungen Offizier namens Kallikratidas ersetzt wurde. Der neue Spartaner-Admiral ging sofort zur Offensive über. Er attackierte die Athener vor Lesbos, fügte ihnen schwere Verluste zu und belagerte dann zu Wasser und zu Lande die Stadt Mytilene, wo die geschlagene Athenerflotte Zuflucht gesucht hatte. Die Nachricht von der Bedrängnis ihrer Flotte trieb die Athener zu einer verzweifelten Kraftanstrengung. In fieberhafter Eile rüsteten sie eine neue Flotte aus und sandten sie unter dem Kommando von acht Strategen zur Rettung Konons nach Ionien. Zwischen Lesbos und dem kleinasiatischen Festland kam es bei der Inselgruppe der Arginusen zu einer hart umkämpften und für beide Seiten verlustreichen Seeschlacht, in der die Athener trotz der ungünstigen Ausgangslage noch einmal einen großen Sieg erringen konnten. Die peloponnesische Flotte wurde

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teils vernichtet, teils zersprengt, die Blockade von Mytilene gebrochen. Kallikratidas selbst fand im Kampf den Tod. 82 Der Sieg der Athener war groß, aber er hatte ein Nachspiel, das die Wirkung des errungenen Erfolges zum großen Teil zunichte machte. Die Schlacht bei den Arginusen hatte auch unter den Siegern zahlreiche Opfer gefordert, vor allem natürlich unter den Mannschaften der untergegangenen Schiffe. Die Trauer in Athen war daher verständlich und bildete einen Wermutstropfen im Siegesbecher. Die Frage tauchte auf, ob es nicht möglich gewesen wäre, die schiffbrüchigen Seeleute noch zu retten, und wenn ja, durch wessen Schuld die Rettungsversuche unterblieben seien. Angefacht durch den Schmerz der Hinterbliebenen und verstärkt durch die allgemeine Krisenstimmung entspann sich im Herbst 406 eine erregte Debatte über diese Fragen, an deren Ende die Erhebung einer formellen Anklage gegen die Strategen stand, die bei der Arginusenschlacht das Kommando geführt hatten. In einem von den bisher geltenden Regeln deutlich abweichenden tumultuarischen Verfahren vor der Volksversammlung wurden alle acht Strategen zum Tode verurteilt und, soweit sie nicht rechtzeitig geflohen waren, tatsächlich hingerichtet. Das Verdikt über die Feldherren, denen man keinen bösen Willen vorwerfen konnte, wurde im Nachhinein von den Athenern selbst als ein bedauernswerter Exzess verstanden. In der modernen Forschung hat man des Öfteren versucht, den ganzen Arginusenprozess als das Ergebnis parteipolitischer Machinationen zu deuten, so unter anderem auch als eine Revanche der Alkibiadesfreunde an den Politikern jener Richtung, die 407 die Abwahl ihres Helden herbeigeführt hatten. All diese Versuche sind schon deshalb problematisch, weil die hingerichteten Strategen keine politisch einheitliche Gruppe dargestellt hatten. Wahrscheinlicher ist, dass es sich einfach um die gewaltsame Entladung der durch die Kriegsnotlage und die in der Arginusenschlacht kulminierende Krise hervorgerufenen emotionalen Spannungen handelte. 83 Unter dem Gesichtspunkt der Kriegsnotwendigkeiten betrachtet, handelte es sich jedenfalls um eine fatale Fehlentscheidung, die Athen nicht nur einer Anzahl fähiger Militärs beraubte, sondern auch die Chance zunichte machte, den bei den Arginusen errungenen Sieg zeitgerecht auszunützen. Die Spartaner hatten im ersten Schock der Niederlage ihre Siegesaussichten schwinden sehen und, wie einst nach der Schlacht bei Kyzikos, Friedensfühler nach Athen ausgestreckt; eine Einigung war dann allerdings nicht zustande gekommen. 84 Nun aber, im Herbst 406, als ihre

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Gegner von der Debatte um die Ertrunkenen und dann vom Prozess gegen die Strategen in Anspruch genommen waren, gewannen die Spartaner Zeit, den Schock der Niederlage emotional zu verarbeiten und Maßnahmen zum Ausgleich der erlittenen Verluste zu treffen. Dank der Hilfe ihrer Verbündeten, die unter keinen Umständen wieder unter Athens Herrschaft geraten wollten, hatten sich die Reste ihrer Flotte den Winter über in den ionischen Gewässern behaupten können, und solange Prinz Kyros dort im Namen des Perserkönigs kommandierte, konnten sie von Seiten des Perserreiches auf Unterstützung hoffen. Auch die Frage der Kommandoführung kam zu einer Klärung, als sich in Sparta die Überzeugung durchsetzte, dass an einer Wiederbestellung des Lysandros kein Weg vorbeiführen würde. Im Frühjahr 405 ging der Sieger von Notion wiederum nach Ionien, formal nur als Kommandeurstellvertreter, in Wirklichkeit aber als mit allen Vollmachten ausgestatteter Befehlshaber. Er vereinigte die Reste der Arginusenflotte mit einem von ihm aus der Heimat mitgebrachten Verstärkungsgeschwader und bemühte sich mit Erfolg, seine Beziehungen zu einflussreichen Kreisen der kleinasiatischen Griechenwelt und zu Kyros zu reaktivieren. Dank der Unterstützung dieser Verbündeten gelang es ihm, die spartanische Flotte in Ionien rasch wieder auf den Stand zu bringen, den sie vor der Arginusenschlacht gehabt hatte. 85 Während so auf spartanischer Seite das Kommando wieder in die Hand des nach allgemeiner Ansicht fähigsten Mannes gelegt wurde, durchlebte Athen eine massive Führungskrise. Der Arginusenprozess hatte die Stadt eines großen Teiles ihrer erfahrenen Feldherren beraubt, Thrasybulos und Theramenes, die sich während des Hellespontfeldzuges 411/10 bewährt hatten, waren nun bei der Volksmehrheit in Ungnade, weil sie sich während des Prozesses allzu deutlich auf der Anklägerseite exponiert hatten. Die militärische ‚Personaldecke‘ der Athener war somit bedenklich ausgedünnt, vor allem fehlte es an einem Mann, dem man es zutrauen konnte, großangelegte strategische Konzepte zu entwerfen und zur Ausführung zu bringen. 86 In dieser angespannten Lage war es nur natürlich, dass sich die Gedanken vieler Bürger auf Alkibiades richteten. Zahl und Einfluss seiner Anhänger waren selbst auf dem Höhepunkt des gegen ihn gerichteten Kesseltreibens nicht ganz unbedeutend gewesen. Da die Erinnerung an die Notion-Niederlage durch aktuellere öffentliche Erregungen überdeckt war, schien sich den Alkibiadesfreunden eine neue Chance zu bieten, ihren Helden ins Gespräch zu bringen.

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Sicher ist, dass die Diskussion über eine Wiederbestellung des Alkibiades im Winter 406/05 das beherrschende Thema der politischen Debatte in Athen darstellte, ebenso aber auch, dass sich die Athener schwertaten, in dieser Schicksalsfrage zu einem klaren Entschluss zu gelangen. Aristophanes hat in seiner Anfang 405 aufgeführten Komödie „Die Frösche“ diesen Zwiespalt treffend auf den Punkt gebracht, wenn er die Haltung der Polis gegenüber Alkibiades mit den Worten: „Sie sehnt sich nach ihm, sie hasst ihn zugleich – und will ihn doch haben“, beschreibt. Unter dem Eindruck dieser Stimmungslage dürften die Zeichen eine Zeitlang günstig für eine Rückkehr des Alkibiades gestanden haben. Letztendlich aber erwiesen sich alle Anstrengungen seiner Freunde als vergeblich: Ein Rückberufungsbeschluss kam nicht zustande, Alkibiades blieb auf der Chersones. 87 Man fragt sich, ob in dieser Situation ein Auftritt des Alkibiades in Athen den entscheidenden Umschwung hätte bewirken können? Hätte es der große Volksführer noch einmal schaffen können, die Bürger wie nach seiner Rückkehr 408 durch Rede- und Überzeugungskunst auf seine Seite zu ziehen? Die Vorstellung einer solchen Wende und der Gedanke, was sich daraus für den weiteren Gang der griechischen Geschichte hätte ergeben können, üben eine Faszination aus, der sich auch der nüchterne Historiker nicht ganz entziehen kann, aber sie müssen letztlich müßige Spekulationen bleiben. Faktum ist, dass Alkibiades keinen Versuch unternommen hat, das Gewicht seiner Persönlichkeit in Athen in die Waagschale zu werfen, sicherlich nicht aus Gleichgültigkeit dem Schicksal der Heimatstadt gegenüber, eher vielleicht aus einer bei ihm schon mehrmals zutage getretenen Risikoscheu heraus, möglicherweise aber einfach nur aus dem von Stolz und gekränktem Selbstgefühl diktierten Wunsch, dass die Initiative zu seiner Rückkehr von den Athenern selbst ausgehen müsse. Was auch immer die letzten Gründe für seine Zurückhaltung gewesen sein mögen, so wie die Dinge im Frühjahr 405 lagen, musste Alkibiades’ Verharren im Exil das Scheitern der von seinen Parteigängern zu seinen Gunsten betriebenen Rückberufungskampagne besiegeln. Unter diesen Vorzeichen war es kein Wunder, dass das Ergebnis der im Frühjahr 405 abgehaltenen Strategenwahl für Alkibiades und seine Freunde in mehrfacher Hinsicht unbefriedigend ausfiel: Zwar wurde sein alter Freund Adeimantos, den man zur Zeit des Arginusenprozesses wieder zum Feldherrn gemacht hatte, in dieser Position bestätigt, neben ihm aber gelangten nun Männer ins Strategenamt, die für Alkibiades wenig

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Sympathien hegten. Wichtiger noch als der rein personelle Aspekt war die politische Signalwirkung dieser Strategenwahl. Sie brachte eine Richtungsentscheidung gegen das von Alkibiades verkörperte Prinzip des leitenden Oberfeldherrn zugunsten eines auf einem Kollegium gleichberechtigter Strategen beruhenden Führungskonzepts: Die von Alkibiades so perfekt verkörperte Figur eines seine Kollegen überstrahlenden Superstrategen hatte in diesem Konzept keinen Platz. 88

Alkibiades’ letzter Interventionsversuch: der Auftritt im Athenerlager bei Aigospotamoi Hat Alkibiades nach dieser Wahlenttäuschung das Spiel verloren gegeben oder hat er sich trotz allem noch Hoffnungen auf ein politisches Comeback gemacht? Im Hinblick auf sein ganzes Naturell und seine bisherigen Aktivitäten kann wohl Letzteres für wahrscheinlich gelten. Für einen tief in seiner Bürgergemeinschaft verwurzelten Griechen der klassischen Zeit wäre ein Verzicht auf die Heimkehrhoffnung gleichbedeutend mit der völligen Selbstaufgabe gewesen, und Alkibiades hatte im Lauf der letzten zehn Jahre immer wieder von neuem bewiesen, dass ihm – bei aller zeitweiligen Unsicherheit – nichts ferner lag als Resignation. Vorderhand jedoch blieb ihm nichts übrig, als sich auf seinen hellespontischen Fluchtburgen bereitzuhalten und in gespannter Erwartung zu hoffen, dass ihm der Lauf der Kriegsereignisse eine Chance bieten würde, sich von neuem in das Geschehen einzubringen. Wir können mit Sicherheit annehmen, dass er, soweit es ihm möglich war, versucht hat, den Lauf der Kriegsereignisse zu verfolgen, und alle Nachrichten, die vom Kriegsschauplatz in sein Refugium gelangten, begierig aufgesogen hat. Es muss für ihn eine zutiefst aufwühlende Neuigkeit gewesen sein, als im Spätsommer 405 zuerst die Meldung von der Annäherung einer mächtigen peloponnesischen Seestreitmacht, dann auch die Kunde vom Erscheinen einer den Peloponnesiern auf dem Fuß folgenden Athenerflotte die Chersones durcheilte. Lysandros war, nachdem er seine Streitmacht auf zweihundert Trieren verstärkt hatte, im Sommer 405 in See gegangen. Wohl um die Athener zu täuschen, hatte er seinen Kurs zunächst Richtung Süden, nach Karien und Rhodos gelenkt, dann aber in einer überraschenden Kehrtwende die Fahrt zum Hellespont angetreten, wo er gleich nach seiner Ankunft die

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Stadt Lampsakos angriff und eroberte. Als kurz darauf die athenische Flotte an den Meerengen erschien, fanden sie Lampsakos in feindlicher Hand und die peloponnesische Flotte kampfbereit und sicher im dortigen Hafen verwahrt. Außerstande, den Feind in dieser Position anzugreifen, entschieden sich die athenischen Strategen dafür, den Peloponnesiern wenigstens so nahe wie möglich zu Leibe zu rücken, um sie bei erster Gelegenheit zur Schlacht zu stellen. So ankerten sie an der Mündung der sogenannten Aigospotamoi (‚Ziegenflüsse‘), direkt gegenüber von Lampsakos. Am nächsten Morgen fuhren sie in Schlachtordnung vor dem Hafen von Lampsakos auf, nur um am Nachmittag unverrichteter Dinge heimzukehren – Lysandros hatte seine Flotte in Kampfbereitschaft gehalten, sich aber nicht zur Schlacht gestellt. Dieses Muster wiederholte sich auch an den folgenden Tagen, und wenn man bedenkt, dass die Athener bei den Aigospotamoi über keinen geschützten Hafen verfügten und ihre Verpflegung aus dem etwa 20 km entfernten Sestos herbeischiffen mussten, so kann man sich vorstellen, dass bei den Strategen wie auch den Mannschaften der Athenerflotte allmählich die Nerven blank gelegen haben müssen.89 In dieser angespannten Situation erschien Alkibiades im Athenerlager, um den bedrängten Landsleuten seinen Rat und gute Dienste anzubieten. Nach dem Bericht des Zeitgenossen Xenophon soll er den athenischen Strategen lediglich geraten haben, ihren Ankerplatz nach Sestos zu verlegen. Das wäre ein recht dürftiger Beitrag zur athenischen Sache gewesen, denn über die Nachteile von Aigospotamoi wussten die athenischen Strategen selbst Bescheid, hatten sich aber aus guten Gründen dennoch für diesen Lagerplatz entschieden. Es ist kaum wahrscheinlich, dass Alkibiades ihnen nicht mehr zu bieten versucht hat als banale Besserwisserei. Glücklicherweise sind wir für diesen letzten großen Auftritt des Alkibiades nicht allein auf Xenophons knappen Bericht angewiesen. Spätere Autoren bieten uns ergänzende Informationen, aus denen hervorgeht, dass Alkibiades den athenischen Strategen anbot, seine thrakischen Verbindungen zu ihren Gunsten einzusetzen: „Alkibiades kam zu ihnen und sagte, Medokos und Seuthes, die Könige der Thraker, seien seine Freunde, und sie hätten versprochen, ihm eine große Streitmacht zu geben, wenn er gegen die Lakedaimonier kämpfen werde. Daher fordere er sie auf, ihn an der Befehlsgewalt teilhaben zu lassen, und er versprach ihnen, von zwei Dingen entweder das eine oder das andere zu bewerkstelligen: Entweder wolle er die Feinde dazu zwingen, die See-

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schlacht anzunehmen, oder sie an Land mit Hilfe der Thraker zur Schlacht stellen.“ 90 Dieses angebliche Anerbieten ist in der Geschichtswissenschaft mit Skepsis betrachtet worden, nicht nur, weil Xenophon nichts davon berichtet, sondern weil man Alkibiades’ Fähigkeit, zur Erfüllung seiner Versprechen ein hinreichend großes Thrakerheer auf die Beine zu stellen, in Zweifel gezogen hat. Zieht man jedoch Alkibiades’ Verhalten bei früheren Gelegenheiten in Betracht, so klingen seine Versprechungen gerade wegen ihrer Großspurigkeit authentisch. Bereits im Jahre 411 hatte er, um wieder in Gnaden aufgenommen zu werden, seinen athenischen Ansprechpartnern mehr versprochen, als er halten konnte; in der Führung des Athenerheeres etabliert, hatte er dann Leistungen erbracht, vor denen die Frage nach den seinerzeitigen Versprechungen verstummt war. Was wäre in der Situation von Aigospotamoi für ihn natürlicher gewesen, als das alte Spiel von neuem zu versuchen? 91 Diesmal jedoch fühlten die Angesprochenen keine Neigungen, sich von Alkibiades’ Versprechungen beeindrucken zu lassen. Die von ihm verheißene Thrakerhilfe mochte den Strategen glaubwürdig erschienen sein oder auch nicht, der Preis, den er dafür verlangte, die Beteiligung am Kommando, war in ihren Augen auf jeden Fall eine Zumutung, ja mehr noch, eine Bedrohung ihrer eigenen Position. In der Überzeugung, „dass im Falle einer Niederlage der Schimpf an ihnen haften bleiben, alle Erfolge aber allein dem Alkibiades zugeschrieben werden würden“, wiesen sie Alkibiades’ Angebot zurück und befahlen ihm, sich auf schnellstem Wege aus dem Athenerlager zu entfernen. Allein und ohne Rückhalt bei den Truppen wie er war, blieb ihm nichts übrig, als dem Gebot Folge zu leisten. 92 Damit war der letzte Versuch des Alkibiades, sich wieder an führender Stelle in das Kriegsgeschehen einzuschalten, kläglich gescheitert. Eine weitere Gelegenheit sollte sich ihm nicht mehr bieten, denn sehr bald nach seiner Unterredung mit den Athenerstrategen kam es an den Aigospotamoi zu einer Schlacht, welche die Entscheidung des Krieges brachte. Lysandros gelang es, die durch seine Hinhaltetaktik nachlässig gewordenen Athener mit einem Blitzangriff zu überraschen und fast ohne ernsten Widerstand zu vernichten. Von den hundertachtzig athenischen Trieren konnte nur etwa ein Dutzend dem Verderben entrinnen, der Rest und mit ihnen zugleich ein großer Teil der Mannschaften fiel in die Hände der Spartaner. 93

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Alkibiades’ Ende Athens letzte Flotte war vernichtet, für die Aufstellung einer neuen keinerlei Mittel vorhanden. Der Fall der Stadt war nach dieser Katastrophe nur mehr eine Frage der Zeit, Lysandros konnte es sich leisten, Athen vorerst sich selbst zu überlassen und zunächst in aller Ruhe die Reste des athenischen Seebundreiches zu liquidieren. Danach erst, etwa Ende Oktober 405, eröffnete er im Zusammenwirken mit den spartanischen Landstreitkräften die Belagerung von Athen. Die Athener hielten den ganzen Winter hindurch stand, mussten sich dann aber ins Unvermeidliche fügen. Im März 404 akzeptierten sie die von Sparta gestellten Friedensbedingungen: die Räumung aller verbliebenen Besitzungen außerhalb Attikas, die Niederreißung der langen Mauern, die Auslieferung fast aller Kriegsschiffe, die Heimkehr der Verbannten sowie den Abschluss eines Freundschaftsbündnisses – de facto Untertanenverhältnisses – mit Sparta. Den Bürgern von Athen, die noch in den Kategorien ihres Seebundsimperiums zu denken gewohnt waren, erschien dieser Friedensschluss als ein brutales und drückendes Machtdiktat. Bei nüchterner Betrachtung darf man indes feststellen, dass die spartanischen Bedingungen dem Ausmaß der athenischen Niederlage entsprachen. Im Hinblick auf die verzweifelte Lage der letzten Monate konnten die Athener froh sein, dass ihnen Leben, Eigentum und Freiheit geblieben waren; tatsächlich hatte während der Friedensdebatte die Möglichkeit einer Vernichtung Athens im Raum gestanden. 94 Das eigentlich Fatale an der Niederlage lag nicht in den Friedensbedingungen an sich, sondern in der durch das Erlebnis des Zusammenbruchs bewirkten Erschütterung der demokratischen Staatsordnung. Schon während der Belagerung hatten sich antidemokratische Kräfte in einer Untergrundbewegung organisiert, die auf einen Sturz der Demokratie und die Errichtung eines oligarchischen Systems hinarbeitete. Nach dem Friedensschluss verstärkten die Verschwörer ihre Reihen durch aus der Verbannung heimgekehrte Gesinnungsgenossen und traten in Kontakt mit Lysandros, der sich gerne bereitfand, ihnen seine Unterstützung zu leihen. Unter persönlicher Mitwirkung des spartanischen Admirals kam es im Sommer 404 zum Regimewechsel. Das eingeschüchterte Volk akzeptierte die Einsetzung eines zum größten Teil aus stadtbekannten Oligarchen bestehenden Kollegiums von dreißig Männern, die als bevollmächtigte

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Gesetzgeber fungieren und zugleich die Regierungsgewalt in Athen ausüben sollten. Als führende Köpfe dieses neuen Regierungsgremiums der ,Dreißig‘ profilierten sich zwei Männer, deren politische Laufbahnen sich bereits einmal in entscheidender Stunde mit Alkibiades’ Lebensweg gekreuzt hatten: Theramenes, der 411 den Sturz der Vierhundert initiiert und damit die Voraussetzung für Alkibiades’ Rückkehr geschaffen, und Kritias, der damals bei der Aufhebung des über Alkibiades gefällten Urteils als Antragsteller fungiert hatte. 95 Trotz dieser alten Verbindungen hatte Alkibiades von den neuen Machthabern in Athen nichts Gutes zu erhoffen. Kritias hatte sich in der Zwischenzeit zum kompromisslosen Oligarchen und Spartafreund entwickelt, und auch der von Haus aus gemäßigte Theramenes war, nachdem er sein Schicksal mit den Dreißig verbunden hatte, schon um seines politischen Überlebens willen gezwungen, sich die spartahörige Linie seiner Kollegen zu eigen zu machen. Von Seiten Spartas aber hatte Alkibiades nichts als erbitterte Feindschaft zu erwarten. Schon die Erinnerung an das Zerwürfnis vom Herbst 412 hätte genügt, die Spartaner mit Erbitterung zu erfüllen, und man wird annehmen dürfen, dass neben den Hassgefühlen auch noch ein gerüttelt Maß von Furcht wirksam war: Die Erfahrungen der letzten Kriegsjahre hatten deutlich gemacht, welches Potenzial noch in der Person auch eines verbannten Alkibiades lag. Es war absehbar, dass die Spartaner, nachdem ihnen der Sieg über Athen freie Hand gab, alles tun würden, um den gefährlichen Flüchtling zu eliminieren. In Athen waren die Dreißig in ihrer Mehrheit von sich aus mehr als willig, das Ihrige zu Alkibiades’ Vernichtung beizutragen. Die harten Oligarchen unter ihnen hatten ihm seine Haltung während des Umsturzes von 411 nicht verziehen, die Gemäßigten befanden sich nach dem Sieg der Spartaner in der schwächeren Position. Ob ihr Wortführer Theramenes, wie Xenophon behauptet, sich gegen eine Verfolgung des Alkibiades ausgesprochen hat, ist zweifelhaft. Faktum ist, dass die Dreißig, angeblich gleich zu Beginn ihrer Herrschaft, per Dekret das Verbannungsurteil über Alkibiades fällten. Auch sein Sohn, gerade erst fünfzehn Jahre alt, wurde auf Befehl der Machthaber aus Athen verbannt und musste sich seinem Vater im Exil anschließen. 96 Zu dem Zeitpunkt, da in der Heimat das Verdammungsurteil gegen ihn erging, hatte Alkibiades bereits seine Zelte auf der Chersones abgebrochen. In der klaren Erkenntnis, dass er sich nach Spartas Sieg dort nicht mehr sicher fühlen konnte, setzte er, etwa im Sommer des Jahres

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404, mit seinem engeren Gefolge und seinen Schätzen nach Asien über, um im Reich des Perserkönigs einen neuen Zufluchtsort zu suchen. Nach einigen Zwischenfällen und Missgeschicken kam er zum Satrapen Pharnabazos, der ihm gnädige Aufnahme gewährte und ihm die Stadt Gryneion als eine Art Lehensfürstentum zuwies. 97 Das waren für einen heimatlosen und gehetzten Flüchtling vergleichsweise komfortable Umstände, getrübt allerdings durch die Abhängigkeit von der Gunst des Pharnabazos, dessen Haltung bei aller persönlichen Sympathie letztlich von der politischen Großwetterlage im Perserreich bestimmt wurde. Alkibiades zog es vor, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Er fasste den Entschluss, in die Perserhauptstadt Susa zu reisen und sich dem neuen Großkönig Artaxerxes II. – Dareios II. war im Laufe des Winters 405/04 gestorben – als Helfer, Berater oder Feldherr anzudienen. Einigen Quellen zufolge hatte er dabei die Absicht, dem König Enthüllungen über ein von Seiten seines Bruders Kyros und der Spartaner gegen ihn geschmiedetes Komplott zu präsentieren. Die detaillierteste Version dazu findet sich in dem etwa ein halbes Jahrhundert nach diesen Ereignissen entstandenen Geschichtswerk des Ephoros, in dem berichtet wird, dass „Kyros und die Lakedaimonier sich im Geheimen darauf vorbereiteten, gemeinsam einen Krieg gegen seinen Bruder Artaxerxes zu eröffnen; Alkibiades aber, der durch gewisse Leute von dem Plan des Kyros erfahren hatte, sei zu Pharnabazos gegangen, habe ihm in allen Details darüber berichtet und ihn aufgefordert, ihm einen Führer für die Reise zum Großkönig zu geben; denn er wolle der Erste sein, der dem König diesen Anschlag enthülle.“ 98 Die Geschichte, die uns Ephoros hier auftischt, mag den modernen Betrachter an den Plot eines phantasieträchtigen Agententhrillers gemahnen, immerhin scheint sie – auf den ersten Blick jedenfalls – in dem, was wir über die politischen Zeithintergründe wissen, ihre Bestätigung zu finden. Die Treue des Perserprinzen Kyros zu seinem Bruder war tatsächlich nicht über jeden Zweifel erhaben: Schon gleich nach dem Tod des alten Großkönigs waren am Perserhofe Verratsanklagen gegen den Prinzen erhoben worden, die zu dessen Verhaftung und beinahe zur Hinrichtung geführt hatten. Nur dem Einfluss der Königinmutter hatte Kyros es zu verdanken gehabt, dass er begnadigt und wieder als Statthalter in seinen früheren kleinasiatischen Kommandobereich zurückgesandt wurde. Dort hat er dann im Geheimen und höchstwahrscheinlich wirklich mit Unterstützung der Spartaner eine bewaffnete Erhebung gegen seinen Bruder vorbereitet, die er im Jahre 401 in die Tat umsetzte. 99

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Es ist durchaus denkbar, dass Kyros 404 bereits mit der Vorbereitung seines Aufstandes beschäftigt war und dabei auch seine Fäden nach Sparta hin gesponnen hat. Eine andere Frage ist jedoch, ob Alkibiades wirklich authentische Insiderinformationen darüber zur Verfügung hatte oder ob er wirklich beabsichtigte, vor dem Großkönig als Ankläger gegen den Prinzen aufzutreten. In der von Ephoros gebotenen Form wirkt die Geschichte schon deshalb unglaubwürdig, weil Alkibiades, wenn er tatsächlich beabsichtigte, dem Großkönig Informationen über Kyros’ Verrat zu präsentieren, dieses kostbare Wissen wohl kaum im Voraus dem Pharnabazos enthüllt haben wird. Zur Begründung für seinen Wunsch, nach Susa zu gehen, hätten sich dem Satrapen gegenüber sicherlich auch andere Erklärungen finden lassen. Wir dürfen es einem Diplomaten von Alkibiades’ Format wohl zutrauen, seine Informationen und Pläne für sich zu behalten. Was uns Ephoros über die von ihm beabsichtigten Enthüllungen zu berichten weiß, wird man daher wohl als bloße Vermutung zu werten haben. Für den Historiker, der natürlich über den weiteren Gang der Ereignisse Bescheid wusste, lag es nahe, Alkibiades’ Aktionen im Lichte dieses seines Vorauswissens zu deuten und auf eigene Faust einen Zusammenhang zwischen Alkibiades’ geplanter Susa-Fahrt und den Verratsplänen des Kyros zu erschließen.100 Man tut daher gut daran, die angeblichen Verratsenthüllungsabsichten des Alkibiades mit Skepsis zu betrachten und sich mit der Feststellung zu begnügen, dass sich die Motive für seinen geplanten Gang zum Perserkönig letztlich der Kenntnis entziehen. Dass er beabsichtigte, das latente Misstrauen des Großkönigs gegen seinen Bruder wieder wachzukitzeln, ist möglich, aber nicht beweisbar. Als einigermaßen sicher kann nur die Tatsache gelten, dass er zum Großkönig gehen wollte, um dort nicht nur Sicherheit vor den Nachstellungen der Spartaner, sondern, wenn möglich, auch ein neues politisches und militärisches Betätigungsfeld zu finden. In der gegebenen Situation lag es für ihn nahe, alle Hoffnungen auf die Möglichkeit zu setzen, dass Spartas neue Vormachtstellung über kurz oder lang zu einem Konflikt zwischen Sparta und dem Perserreich führen werde. Ein solcher Krieg würde für Alkibiades eine goldene Gelegenheit bedeuten, sich doch noch einmal als Staatsmann und Heerführer ins große Spiel der Machtpolitik einzubringen, und am Ende möglicherweise an der Spitze einer vom Großkönig finanzierten Streitmacht den Kampf um die Befreiung Athens wieder aufzunehmen. Ein auf solche Hoffnungen gegründetes Projekt wäre zwar kühn, aber nicht unrealistisch gewesen: In der Tat ist es vier Jahre später im An-

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schluss an die Erhebung des Kyros zu einem Krieg zwischen Sparta und dem Perserreich gekommen, in dessen weiterem Verlauf dann tatsächlich ein athenischer Feldherr, der bei Aigospotamoi entkommene Konon, dank persischer Hilfe als Befreier vom Spartanerjoch in Athen einziehen konnte. 101 Alkibiades sollte es nicht vergönnt sein, bei diesem Revanchekrieg mitzuwirken. Wohl noch vor dem Ende des Sommers 404 fiel er in dem kleinen Dorf Melissa in Phrygien einem Mordanschlag zum Opfer. Über die Umstände, die Anstifter und die Ausführenden der Tat waren schon in der Antike weit voneinander divergierende Berichte im Umlauf. Die meisten Quellen schildern die Tat als einen Auftragsmord, angeordnet von Pharnabazos und ausgeführt von dessen Untergebenen. Hinsichtlich der dem Mordbefehl des Satrapen zugrunde liegenden Motivation werden bei diesen Autoren recht unterschiedliche Angaben geboten. Ephoros sieht den Grund für die Bluttat in der Eifersucht des Pharnabazos. Dieser habe, nachdem er durch Alkibiades von der Verschwörung des Kyros erfahren habe, selbst der Erste sein wollen, der dem Großkönig davon berichtete, und zu diesem Zweck den Griechen aus dem Weg räumen lassen. Handelt der Satrap bei Ephoros aus eigenem Antrieb, so erscheint er in der von der Mehrheit der Quellen überlieferten Variante als bloßer Vollstrecker einer von Alkibiades’ Feinden in Griechenland ausgehenden Initiative. Dieser Version zufolge ging der Anstoß zu Alkibiades’ Ermordung von den Dreißig in Athen aus, die sich mit einer diesbezüglichen Aufforderung zunächst an die spartanische Regierung und an Lysandros gewandt hätten. Von den athenischen Oligarchen angestachelt, hätten die Spartaner dann auf diplomatischem Wege den Satrapen so lange unter Druck gesetzt, bis sie ihn dazu gebracht hatten, die Ermordung des Alkibiades anzuordnen. Daneben war auch noch eine Variante im Umlauf, die ohne jeden Bezug zur hohen Politik auskam und Alkibiades’ Tod als Folge einer von ihm selbst provozierten lokalen Vendetta darstellte. Der Athener habe ein Mädchen aus einer vornehmen phrygischen Familie verführt und sich so den Hass ihrer Verwandten zugezogen; diese hätten ihn dann auf eigene Faust aus Rache getötet.102 Diese ‚Privatrache-Version‘ mag, wenn man sich Alkibiades’ Hang zu sexuellen Ausschweifungen ins Gedächtnis ruft, auf den ersten Blick nicht unplausibel erscheinen, sie könnte aber gerade deshalb die Erfindung eines Autors darstellen, der Alkibiades’ wüstes Leben durch ein passendes Ende krönen wollte. Denkbar ist

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Abb. 10.: Tod des Alkibiades, Zeichnung: H. Vogel

auch, dass es sich hier um die von Seiten des Pharnabazos offiziell verkündete Version von Alkibiades’ Tod handelte. In jedem Fall scheint gegenüber dieser jeden politischen Konnex ausklammernden Überlieferungsvariante eine gewisse Skepsis angebracht. Nicht weniger verdächtig wirkt die Version des Ephoros. Von der schon erwähnten Unwahrscheinlichkeit der vorzeitigen Weitergabe der Geheiminformation durch Alkibiades ganz abgesehen, hätte Pharnabazos, wenn es ihm nur darauf ankam, selbst als Überbringer der Nachricht aufzutreten, alle Möglichkeiten gehabt, Alkibiades zurückzuhalten, ohne ihn zu diesem Zweck gleich töten zu müssen. Es bleibt die dritte Version, die Alkibiades’ griechische Feinde als Urheber benennt, und diese hat, alles in allem genommen, die größte Wahrscheinlichkeit für sich. Die Dreißig in Athen hatten schon durch ihren Verbannungsbeschluss gezeigt, dass der einstige Volksliebling ihnen als ein zu eliminierender ‚Systemfeind‘ galt, und auch aus der Sicht der Spartaner musste Alkibiades, zumindest solange er sich im Dunstkreis der

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Persermacht aufhielt, eine potentielle Bedrohung darstellen. Die Vorstellung, dass Sparta seinen Einfluss bei Pharnabazos geltend machte, um eine Beseitigung des gefährlichen Flüchtlings zu erwirken, wirkt völlig plausibel, ebenso ist es nachvollziehbar, dass der Satrap dem Druck der Spartaner nachgab – seine Satrapie wäre im Kriegsfall einem spartanischen Angriff am stärksten ausgesetzt gewesen. Letzte Gewissheit wird sich freilich nicht mehr gewinnen lassen.103 Anders als bei der Frage des Motivs und der politischen Hintergründe stimmen in der Darstellung der Ausführung der Mordtat die erhaltenen Berichte weitgehend überein. Erteilen wir hierfür noch einmal dem Biographen Plutarch das Wort: „Als nun Lysandros Botschaft an Pharnabazos sandte und ihn aufforderte, dies [= Alkibiades’ Ermordung] auszuführen, und dieser die Aufgabe seinem Bruder Bagaios und seinem Oheim Susamithres übertrug, hielt sich Alkibiades gerade in einem Dorf in Phrygien auf und hatte die Hetäre Timandra bei sich. … Die gegen ihn ausgesendeten Häscher wagten es nicht, das Haus zu betreten, sie umstellten es im Kreise und legten Feuer an. Als Alkibiades das bemerkte, raffte er Kleider und Bettzeug zusammen und warf sie über die Flammen. Den Mantel um den linken Arm gewickelt, in der Rechten das Schwert gezückt, sprang er, bevor die Decken in Brand gerieten, unversehrt durch das Feuer. Die Barbaren stoben bei seinem Erscheinen auseinander, keiner wagte, sich ihm zum Kampf Mann gegen Mann zu stellen, aber aus der Ferne beschossen sie ihn mit Wurfspeeren und Pfeilen. Als er so gefallen war und die Barbaren abgezogen waren, hob Timandra den Leichnam auf, bedeckte und umhüllte ihn mit ihren eigenen Gewändern und gab ihm, soweit es die Umstände erlaubten, ein schönes und würdevolles Begräbnis.“ 104 Der postume Liebesdienst, der dem Alkibiades von seiner letzten Begleiterin – als ihr Name wird in einer anderen Quelle nicht Timandra, sondern Theodote angegeben – erwiesen wurde, dürfte nur einem Teil seines Leichnams zuteil geworden sein, denn einer glaubwürdigen Überlieferung zufolge war sein Haupt von den Mördern abgeschlagen und dem Pharnabazos überbracht worden. Die Stätte, wo Alkibiades’ Körper bestattet wurde, blieb bekannt und scheint sich im Laufe der Zeit zu einer lokalen Sehenswürdigkeit entwickelt zu haben. Mehr als fünfhundert Jahre später verfügte der römische Kaiser Hadrian, dass dort alljährlich ein Opfer dargebracht werden solle; die Grabstätte selbst ließ Hadrian durch eine Statue des Alkibiades ausschmücken – ein Monument nicht nur für die Pietät dieses der

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griechischen Kultur und Geschichte stark zugeneigten römischen Imperators, sondern zugleich auch für die von Alkibiades’ Leben und Legende ausgehende Faszination, die selbst in der völlig gewandelten Welt der römischen Kaiserzeit immer noch ihre Wirkung zu entfalten imstande war.105

IV. Rezeptionsgeschichte und neue Fragen der Forschung Im an den Wunden des Krieges laborierenden und von der Gewaltherrschaft der Dreißig bedrückten Athen des Jahres 404 dürfte Alkibiades’ Ermordung vielen Bürgern als endgültige Besiegelung ihrer Niederlage und Knechtschaft erschienen sein. Mit dem Tod des Mannes, an dessen Namen sich bis zuletzt die Hoffnungen vieler Athener geknüpft hatten, schien die letzte Chance verflogen, den Verlust ihrer Freiheit und Machtstellung nochmals rückgängig machen zu können. Tatsächlich aber ergab sich eine Wende zum Besseren bereits im Frühling des folgenden Jahres, als eine von Alkibiades’ seinerzeitigem Kampfgefährten Thrasybulos geführte Widerstandsbewegung auf den Plan trat und mit Erfolg den Kampf gegen das Oligarchenregime aufnahm. Thrasybulos’ Leute zeigten sich ihren Gegnern gewachsen; Kritias fiel im Kampf, und die oligarchischen Kräfte in Athen sahen sich schließlich trotz einer Intervention der Spartaner zum Einlenken gezwungen. Mit Einverständnis der Spartaner kam im Herbst 403 ein Versöhnungsabkommen zustande, das die Wiedervereinigung der Athener in einem gemeinsamen Staatswesen und die Wiederherstellung der Demokratie, zugleich aber für fast alle Oligarchen eine allgemeine Amnestie vorsah. Auf der Basis dieser Regelungen gelang es den Athenern, die Nachwehen der Niederlage und des Bürgerkrieges zu überwinden, wenngleich die Erinnerung an die Wirren der Jahre 411 bis 403 noch lange lebendig bleiben sollte. Athens Demokratie konnte sich festigen und erschien den Bürgern bald wieder als die einzige ihrer Polis angemessene Staatsform, Athens Wirtschaft erholte sich von den Kriegsfolgen, und als im Jahre 394 der sogenannte Korinthische Krieg die wichtigsten Poleis Griechenlands zum Kampf gegen Spartas Vorherrschaft zusammenführte, nahm die Stadt die Gelegenheit wahr, ihre außenpolitische Handlungsfreiheit zurückzugewinnen: Die langen Mauern wurden wiederhergestellt, eine Flotte ausgerüstet. Zeitweise schien sogar die Errichtung eines neuen Seereiches in der Ägäis in Aussicht zu stehen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen vollzog sich in der athenischen Öffentlichkeit eine lebhafte Debatte über die Ursachen der seinerzeitigen Katastrophe und die daraus zu ziehenden Lehren. Es war

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unvermeidlich, dass dabei die Frage nach der Rolle des Alkibiades eines der Hauptthemen bildete und dass es von Anfang an nicht an Stimmen fehlte, die ihm einen Großteil der Schuld an Athens Unglück aufbürden wollten. Im Zuge eines im Jahre 394 gegen Alkibiades’ gleichnamigen Sohn geführten Gerichtsprozesses nützte der Ankläger, dessen Rede uns überliefert ist, die Gelegenheit, auch über Alkibiades den Vater herzuziehen und ihn als geborenen Landesverräter und Hauptschuldigen an den im Spartanerkrieg erlittenen Niederlagen hinzustellen. Schon zuvor hatte ein anonymer Verfasser in einem als Volksrede getarnten Pamphlet den Athenern die Jugendsünden des Alkibiades, seinen Luxus, seine Exzesse, seine Übergriffe und seine Großmannssucht von neuem in Erinnerung gerufen und mit einer Warnung verknüpft, dass die Demokratie sich vor Gesetzesbrechern und Möchtegerntyrannen dieses Schlages in Acht nehmen möge. Diesen mit harten Bandagen geführten publizistischen Angriffen traten Bewunderer des Alkibiades entgegen, die mit gleicher Vehemenz zur Verteidigung ihres Idols das Wort ergriffen. Ein repräsentatives Beispiel für diese Ehrenrettungsversuche bietet eine aus dem Jahre 396 stammende Rede des Isokrates, in der Alkibiades als lupenreiner Demokrat und Wohltäter des Volkes präsentiert wird, als großer Patriot, der nur durch ungerechte Verfolgung auf die Seite des Landesfeindes getrieben worden sei und diese Verfehlung – wenn es denn eine war – durch seine Siege mehr als wettgemacht habe. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, welche der Parteien in diesem Meinungsstreit bei der athenischen Bevölkerung mehr Gehör gefunden hat. Einerseits bildet schon die Tatsache, dass sich zehn Jahre nach Alkibiades’ Tod an seiner Persönlichkeit eine derartige Kontroverse entzünden konnte, einen Beweis dafür, dass die Vorstellung vom genialen Volkshelden Alkibiades weiterhin ihren Zauber auf die Gemüter vieler Bürger ausübte, andererseits haben wir nicht weniger klare Indizien dafür, dass die Erinnerung an Alkibiades bei einem anderen Teil der Bürgerschaft negativ besetzt war: Im Umfeld des 399 gegen Sokrates geführten Prozesses konnte die Tatsache, dass Alkibiades einst zu Sokrates’ Schülerkreis gezählt hatte, von den Anklägern des Philosophen als zusätzlicher Beweis für die Gemeinschädlichkeit von Sokrates’ Lehre geltend gemacht werden, offenbar mit Erfolg. 1 Klar ist jedenfalls, dass die Athener in den ersten Jahren nach Alkibiades’ Ermordung noch ebenso sehr in Bewunderer und Gegner des Toten gespalten waren wie zu seinen Lebzeiten.

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In der folgenden Generation jedoch scheint sich das Meinungsklima zugunsten des Alkibiades geändert zu haben. Der aktuelle Bezug des Alkibiades-Themas trat in den Hintergrund und die größere zeitliche Distanz gab den Weg für eine nicht mehr am politischen Propagandawert orientierte Perspektive frei, in der Alkibiades weniger als umstrittener Politiker denn als eine überragende Figur aus der nostalgisch erinnerten glanzvollen Zeit des attischen Seereiches wahrgenommen werden konnte. Unter diesen Vorzeichen konnten dann auch die eher Alkibiadesfreundlichen Urteile der Geschichtsschreibung ihre Wirkung voll entfalten. Thukydides, dessen unvollendete Darstellung des Peloponnesischen Krieges die maßstabsetzende Meisterleistung griechischer Geschichtsschreibung darstellt, bewertet Alkibiades’ Persönlichkeit und Wirken ziemlich ambivalent, gesteht ihm aber einen im Guten wie im Schlechten überragenden Einfluss auf das politische Geschehen in der zweiten Hälfte des Peloponnesischen Krieges zu. Alkibiades erscheint in seiner Darstellung zwar als ein egoistischer Ehrgeizling, der um des eigenen Erfolges willen seine Stadt in gefährliche Abenteuer hineintrieb, zugleich aber auch als überragend befähigter Feldherr und Diplomat, der, wenn überhaupt einer, das Potential gehabt hätte, diese Unternehmungen zum Erfolg zu führen. Dass er dieses Potential in den Jahren 415 bis 412 zunächst zum Schaden Athens ausgespielt hat, ist für Thukydides die logische Folge der von politischen Gegnern gegen ihn geführten Diffamierungs- und Verfolgungskampagne, und es wird durch seine von dem Historiker ausdrücklich gelobte Leistung bei der Bewältigung der Krise von 411 aufgewogen. 2 Auch in der Darstellung des Xenophon, der Thukydides’ Geschichtswerk fortsetzte, hinterlässt Alkibiades – zumindest im Vergleich zu den anderen athenischen Strategen der Zeit – einen eher positiven Eindruck. Seine Rolle bei den 410 bis 408 errungenen Siegen wird stark herausgestrichen, seine Verantwortung für die Niederlage von Notion heruntergespielt, und bei der Schlacht von Aigospotamoi erscheint er als der besonnene Warner, der vergeblich versucht, die verblendeten Strategen von ihrer falschen Taktik abzubringen. 3 Noch eindeutiger positiv scheint die Rolle des Alkibiades in dem uns nicht mehr erhaltenen, aber in der Antike viel gelesenen Werk des um die Mitte des 4. Jahrhunderts in Athen tätigen Historikers Ephoros geschildert worden zu sein. 4 In der Folge hat sich die bei aller Kritik an Alkibiades’ Eigenwilligkeit und Egozentrismus aufs Ganze gesehen positive Wertung der Historiker im Geschichtsbild der antiken Welt generell durchgesetzt.

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Die Verfasser der beiden uns erhaltenen antiken Alkibiades-Biographien, der Römer Cornelius Nepos aus dem ersten vorchristlichen und der Grieche Plutarch aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert, schildern ihren Helden als faszinierende Persönlichkeit und als einen Staatsmann von höchstem Rang, dessen Charakterfehler und politische Irrwege zwar nicht verschwiegen, aber durch überragende Fähigkeiten mehr als ausgeglichen werden. Diese vom Grundton der Bewunderung getragene Betrachtungsweise ist dann auch für das Alkibiades-Bild der Neuzeit bestimmend geworden. Es überrascht nicht, dass eine ganze Anzahl von Literaten Alkibiades zur Hauptfigur von biographisch-historischen Romanen gemacht haben, die fast durchweg von einer unübersehbaren Tendenz zur Verherrlichung und Rechtfertigung ihres Helden geprägt sind. Überraschen mag uns eher, dass auch viele Vertreter der Geschichtswissenschaft dazu neigen, das Potential des Alkibiades sehr hoch einzuschätzen. Nicht nur von überschäumender Begeisterung für ihren Helden ergriffene Biographen wie Fritz Taeger, sondern auch jene Historiker, die ihren Blick auf das Gesamtbild der Epoche richteten, haben in ihm die große, alles überragende Ausnahmeerscheinung unter den Staatsmännern und Feldherren seiner Epoche erkennen wollen und ihm ohne Bedenken die Fähigkeit zugetraut, das Schicksal seiner Heimatstadt und ganz Griechenlands in andere Bahnen zu lenken, wenn ihm die Umstände nur die Gelegenheit dazu gegeben hätten. 5 Nur wenige haben dem eine skeptischere Sicht entgegengehalten und darauf verwiesen, dass sich nicht nur die tatsächliche Leistungsbilanz des Alkibiades eher bescheiden ausnimmt, sondern dass ihm darüber hinaus auch die Hauptverantwortung für die Sizilienexpedition zufällt, die zweifellos die grundlegende Fehlentscheidung der Athener im Peloponnesischen Krieg darstellte. Gerade Alkibiades’ unbestrittene Stärken, seine Überzeugungskraft, sein Rednertalent, seine Fähigkeit zur Popularitätsgewinnung hätten sich zum Schaden für Athen ausgewirkt. 6 Kann man angesichts dieser widerstreitenden Wertungen zu einer fairen Beurteilung des Alkibiades kommen? Jeder Versuch, die Frage zu beantworten, hängt von vielen Voraussetzungen ab, die sich aus dem Abstand der Jahrtausende kaum mehr mit Sicherheit ergründen lassen und wird darüber hinaus durch Hemmnisse erschwert, die teils in der Überlieferungslage, teils in der Perspektive der modernen Alkibiadesbeurteiler begründet sind.

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Eine Grundschwierigkeit liegt in der Tatsache, dass die uns erhaltenen Quellen zu Alkibiades’ Leben durchgehend mit gravierenden Glaubwürdigkeits- oder Interpretationsproblemen belastet sind. Jene Quellen, die Alkibiades’ Persönlichkeit in den Mittelpunkt stellen, sind fast ausnahmslos von der Bewunderung, dem Hass und der Legendenbildung der zeitgenössischen öffentlichen Meinung geprägt. Ihre Berichte können nur mit großen Vorbehalten als historisch brauchbar gewertet werden. Die beiden Autoren wiederum, die sich am ehesten um eine sachgerechte Ereignisdarstellung bemühen, die Geschichtsschreiber Thukydides und Xenophon, zeigen sich gerade in ihrer Darstellung des Alkibiades dermaßen zurückhaltend und ambivalent, dass ihre Aussagen als Basis für ganz unterschiedliche Alkibiades-Deutungen genommen werden konnten. Die zweite Hauptschwierigkeit liegt darin, dass sich jede Bewertung des Alkibiades zu einem guten Teil auf hypothetische Überlegungen gründen muss. Mehr als bei fast allen anderen Großen des Altertums hat sich die Nachwelt in ihrem Urteil über Alkibiades nicht von seinem tatsächlichen Wirken, sondern von dem ihm jeweils zugemessenen Potential bestimmen lassen, das heißt von Vermutungen über das, was er unter anderen Umständen zu leisten imstande gewesen wäre. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Betrachtet man Alkibiades’ politische und militärische Laufbahn rein vom tatsächlich Bewirkten her, so präsentiert sie sich als eine Kette von Fehlschlägen und unfruchtbar gebliebenen Ansätzen, angefangen von der antispartanischen Politik nach dem Nikiasfrieden über das Sizilienprojekt bis hin zum ruhmlosen Ende seines Kommandos in Ionien. Angesichts dieser trüben Bilanz, die nur durch die kurzlebigen Erfolge der Jahre 411 bis 408 aufgehellt wird, ist es nachvollziehbar, dass Alkibiades’ Bewunderer mit dem Argument der großen Möglichkeiten operierten, die sich den Athenern durch Alkibiades’ Konzeptionen eröffnet hätten, aber aufgrund nicht in seiner Verantwortung liegender Umstände nicht realisiert werden konnten. Im Zentrum dieser Überlegungen steht – naturgemäß möchte man fast sagen – die fatale Wendung, die Alkibiades’ Schicksal im Jahre 415 genommen hat. Immer wieder ist die Frage in den Raum gestellt worden, was Alkibiades alles für sich und für Athen hätte erreichen können, wenn es ihm damals gelungen wäre, sich mit Erfolg gegen die Anklagen seiner Gegner zu verteidigen. Hätte er das Sizilienunternehmen zu einem erfolgreichen Ende gebracht? Und hätte er in der Folge Athens Macht in jene Dimensionen heben können, die in der historischen Rea-

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lität erst mit den Großreichen der hellenistischen Welt und mit dem römischen Imperium erreicht worden sind? Die Vorstellung hat unbestreitbar etwas Faszinierendes an sich, aber sie führt uns weitab in das Reich einer von jeder festen Wissensbasis losgelösten Spekulation. Mit einiger Wahrscheinlichkeit lässt sich höchstens über die in der Situation von 415 unmittelbar gegebenen Perspektiven urteilen, und hier wird sowohl hinsichtlich des Alkibiades-Prozesses wie auch der Sizilienexpedition das Urteil des unvoreingenommenen Betrachters recht ernüchternd ausfallen müssen. Sich in einem Gerichtsprozess vom Vorwurf des Mysterienfrevels zu reinigen, wäre Alkibiades im Herbst 415, nachdem einige seiner Verwandten und Freunde sich im Zuge der Hermenfrevelermittlungen diskreditiert hatten, mit Sicherheit nicht leicht gefallen. Wahrscheinlich hätte er nur dann Aussicht auf einen Freispruch gehabt, wenn er auf Sizilien bereits erste, handgreifliche Erfolge vorzuweisen gehabt hätte. Das war aber keineswegs der Fall und man darf feststellen, dass gerade die Erfahrungen, die Alkibiades während der Dauer seiner Kommandoführung im Westen gemacht hat, gegen die Annahme sprechen, dass er bei weiterem Verbleib im Kommando Größeres hätte erreichen können. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Sizilienfahrt auch unter seiner Führung als Fehlschlag geendet hätte; höchstens wird man es ihm zutrauen dürfen, dass er im Gegensatz zu Nikias die Zelte rechtzeitig abgebrochen und so den Untergang der gesamten Expeditionsstreitmacht verhindert hätte. Bei nüchterner Betrachtung der Verhältnisse spricht überdies viel dafür, dass das Sizilienprojekt nicht nur in der Ausführung die Fähigkeiten selbst eines Alkibiades überfordert hat, sondern dass es schon in der Konzeption über das für Athen Erreichbare hinausging. Mit den vergleichsweise begrenzten Mitteln, die Alkibiades in seinem ursprünglichen Antrag für die Sizilienfahrt vorgesehen hatte, wären die grandiosen Eroberungspläne, die den Athenern im Kopf herumschwirrten, von vornherein nicht zu erreichen gewesen. Wäre die Sizilienexpedition gemäß Alkibiades’ ursprünglichem Konzept ausgestattet und unter seiner alleinigen Führung gen Westen entsandt worden, so hätte er dabei wohl von Anfang an konsequent jene Strategie verfolgt, die er bei der Beratung in Rhegion seinen Mitstrategen Nikias und Lamachos gegenüber vertreten hat: den Versuch, eine Allianz athenfreundlicher Staaten zusammenzubringen und mit einem um die athenischen Expeditionstruppen herum zu bildenden Koalitionsheer gegen die Hauptmacht der Athengegner vorzugehen. Das hätte unter günstigen Umständen funk-

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tionieren können, vielleicht sogar zu einer entscheidenden Niederlage und Schwächung der Syrakusaner geführt, aber auch in diesem Fall hätte sich für Athen auf Sizilien keine dauerhafte Machtstellung ergeben. Gutwillige Unterordnung unter Athens Gebote wäre auch von jenen sizilischen Städten, die für ein Bündnis gegen Syrakus zu haben gewesen wären, nicht zu erwarten gewesen; die gewaltsame Aufrechterhaltung einer seebundartigen Oberherrschaft im Westen aber wäre eine Aufgabe gewesen, die auf die Dauer Athens Kräfte überstiegen hätte. Die andere hypothetische Erwägung, die sich an Alkibiades’ Leben knüpft, bezieht sich auf die Frage, ob er, wenn er 405 das Kommando gehabt hätte, die Niederlage Athens hätte abwenden können. Auch hier wird die Antwort eher zurückhaltend ausfallen müssen. Wahrscheinlich hätte Alkibiades – schon im Rückblick auf seine Erfahrungen vor Notion – seinen Leuten keine Nachlässigkeit von der Art gestattet, wie sie den Athenern bei Aigospotamoi zum Verhängnis wurde. Aber im Gegenzug hätte einem Alkibiades gegenüber dann wohl auch Lysandros vorsichtiger agiert, und in der sich dann ergebenden Pattsituation wären auf die Dauer die größeren finanziellen Ressourcen des Perserreiches entscheidend in die Waagschale gefallen, und Athen letztendlich durch Erschöpfung und Geldmangel zum Nachgeben gezwungen gewesen. Im allerbesten Fall hätten die Athener einen für ihre Stadt mit schweren Einbußen im Seebundsbereich verbundenen Kompromissfrieden erreichen können – für einen solchen Frieden aber hätte Alkibiades bei seinen Landsleuten wenig Dank geerntet. Angesichts dieser kaum viel versprechenden Perspektiven haben wir keinen Anlass, uns in die Phalanx derjenigen Autoren einzureihen, die in Alkibiades den potentiellen Retter Athens und in seiner Kaltstellung die Ursache von Athens Katastrophe erblicken möchten. Das Bild vom Feldherrngenie und militärischen Übermenschen Alkibiades entbehrte zwar nicht jeder Grundlage, im Wesentlichen aber war es ein – von Alkibiades selbst mit Erfolg gepflegter – Mythos, der niemals dem Test einer Bewährung unter wirklich widrigen Bedingungen unterzogen worden ist. Ebenso wenig können wir es für angebracht halten, Alkibiades’ Anspruch auf historische Größe auf ein in seiner Person liegendes, nur durch die Ungunst der Umstände nicht zum Tragen gekommenes staatsmännisches Potential zu gründen. Zweifellos hat er sich stets als ein Diplomat, Volksredner und politischer Taktiker von überragenden Fähigkeiten erwiesen, aber zu einem Staatsmann ersten Ranges gehört mehr als das. Es gehört dazu vor allem eine großangelegte in sich schlüssige

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politische Konzeption und die Erkenntnis der Möglichkeiten ihrer Verwirklichung. Die eigentliche Bedeutung des Alkibiades, das was ihn der besonderen Beachtung des modernen Historikers würdig macht, haben wir anderswo zu suchen; sie liegt nicht so sehr in dem, was er geleistet hat oder geleistet haben könnte, als im exemplarischen Charakter seines ganzen Lebenslaufes. Sein Auftreten auf der öffentlichen Bühne Athens, sein Image bei den Zeitgenossen, seine Karriere und sein Verhältnis zum Volk von Athen bieten uns eine eindrucksvolle Illustration zur Lage der athenischen Demokratie in einer Epoche, die in fast allen Lebensbereichen von Traditionsbrüchen, von der Auflösung altakzeptierter Ordnungen und dem Aufkommen neuer Formen und Prinzipien geprägt war. Viele dieser Entwicklungen haben auch Alkibiades’ Persönlichkeit berührt und in seinem Leben spektakulären Ausdruck gefunden. Das gilt für sein Interesse an der Philosophie und vielleicht auch an religiösen Grenzerfahrungen ebenso wie für seine aufwendige Selbstinszenierung und die Lust an der Provokation, Haltungen, die zum traditionellen Verhaltenskodex der Athener Bürgergemeinde in Widerspruch standen, aber mit mächtig aufkommenden Trends der Zeit korrespondierten und eben deshalb bei vielen Zeitgenossen Faszination erwecken konnten. In dieser Hinsicht bildet Alkibiades’ Persönlichkeit einen Fokus, in dem wir die Brüche und Widersprüche seiner Epoche am grellsten widergespiegelt finden. Um diese exemplarische Bedeutung des Alkibiades angemessen zu würdigen, müssen wir seinen Lebensweg und die Persönlichkeit, die sich darin enthüllt, als Ganzes ins Auge fassen. Die Aufgabe fasziniert, erscheint allerdings nicht leicht zu lösen, denn wie bei kaum einem anderen Zeitgenossen präsentiert sich Alkibiades’ Lebenslauf als eine Kette überraschender Schicksalswendungen, seine Persönlichkeit, so wie sie von der Mitwelt wahrgenommen wurde, als Bündel von Widersprüchen. Alkibiades’ äußeres Leben zeigt sich uns als eine bunt bewegte Folge dramatischer Bilder, in deren Rahmen sich der Held unserer Biographie in proteushafter Vielgestaltigkeit bewegt, während sich sein eigentliches Wesen in schwer fassbarer Unklarheit dahinter zu verbergen scheint: Lässt sich hinter den Gestalten des eigensinnigen Perikleszöglings, des aristokratischen Volkslieblings, des kriegstreibenden Staatsmanns, des geächteten Überläufers am Spartanerherd, des Freundes orientalischer Potentaten überhaupt eine mit konstanten Charakterzügen ausgestattete

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Persönlichkeit erkennen oder haben wir es mit einem begnadeten Schauspieler und Meister der Selbstinszenierung zu tun? Bis zu einem hohen Grad trifft zweifellos Letzteres zu. In der Überlieferung finden wir immer wieder den Hinweis darauf, in welch staunenswertem Maße Alkibiades den Erwartungen seiner jeweiligen Zuhörer zu entsprechen verstand, und auch die äußeren Fakten seines Lebens bieten Beweise für diese Kunst. Sein Auftreten vor dem Volk von Athen, seine Anpassung an das raue Leben der Spartaner und sein Erfolg am Hofe des Tissaphernes waren gleichermaßen Ergebnisse einer staunenswerten Wandlungsfähigkeit, die den Schauspieler von hohen Graden erahnen lässt. Als konstanter Zug hinter diesen wechselnden Fassaden lässt sich einerseits die Faszination ausmachen, die Alkibiades zeit seines Lebens auf seine Umwelt auszustrahlen verstand, vor allem aber eine hochgespannte, bis ins Grenzwertige gesteigerte Vitalität. Von früher Jugend bis zum Lebensende ist von Alkibiades’ Person eine aktivitäts- und erfolgheischende Dynamik ausgegangen, die sein Privatleben und seine Politik gleichermaßen geprägt hat, eine übersprudelnde Lebenskraft, die sich nach allen Seiten hin auszuleben strebte, die auf seine ganze Umgebung ausstrahlte und in seinen athenischen Landsleuten eine verwandte Saite erklingen ließ. Kehrseite dieser unerschöpflichen Vitalität war eine Unersättlichkeit des Wollens, die ihn in seinen Ambitionen schließlich jeden Boden unter den Füßen verlieren ließ. Jean Hatzfeld, unter den neueren Biographen des Alkibiades der gründlichste und wissenschaftlich solideste, hat seinen Helden nicht ohne Grund in eine Reihe mit anderen großen Egomanen der Weltgeschichte gestellt: „Alkibiades scheint der Gattung der Liebkinder des Schicksals zuzugehören, die in der Vorstellung leben und sterben, dass ihnen kein Genuss verweigert, keine Neugier untersagt, kein Ehrgeiz unrealisierbar sein dürfe. So steht er, auf seine eigene Art, den großen Unersättlichen der hellenistischen Epoche nahe, einem Alexander, Demetrios Poliorketes, vielleicht auch … Napoleon.“ 7 Hatzfelds Vergleich des Alkibiades mit hellenistischen und neuzeitlichen Autokraten zielt auf das Persönlichkeitsbild des großen Atheners, lässt aber die Frage aufkommen, ob sich die Gleichsetzung auf das Feld der Politik übertragen lässt. Mit dieser Fragestellung kommen wir in den verwickelten Problembereich von Alkibiades’ politischen Zielsetzungen, ein Thema, zu dem schon unter den Zeitgenossen unterschiedlichste Meinungen im Schwange waren. Aber auch in der modernen Forschung hat die Frage, ob Alki-

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biades feste politische Werthaltungen gehabt hat, zu divergierenden Einschätzungen Anlass gegeben. Klar ist, dass er, wie selbst seine Gegner bestätigen, in der Öffentlichkeit als Demokrat und treuer Diener des Volkes von Athen aufgetreten ist. Auf der anderen Seite haben ihn nicht nur seine politischen Widersacher als Volksfeind und potentiellen Tyrannen verschrieen, sondern auch der gerade in Alkibiades’ Fall um ein differenziertes Urteil bemühte Thukydides schreibt ihm, wie wir gesehen haben, im Zusammenhang der Siziliendebatte Äußerungen zu, die eine klare Absage an das demokratische Gleichheitsideal beinhalten. Dass Alkibiades später, als er beim Volk von Athen in Ungnade gefallen war, keine Hemmungen hatte, sich mit allen äußeren und inneren Feinden der athenischen Demokratie zu verbünden, liegt offen zu Tage. Damals soll er auch, wiederum nach dem Zeugnis des Thukydides, in einer vor den Spartanern gehaltenen Rede die Demokratie als „einen allgemein erkannten Unsinn“ bezeichnet haben, dem er und seine Vorfahren sich nur unter dem Druck der Notwendigkeit angepasst hätten. Schließlich finden wir ebenfalls bei Thukydides die einem Alkibiades-Gegner in den Mund gelegte, aber zustimmend kommentierte Äußerung, Alkibiades kümmere sich nicht im mindesten um Oligarchie oder Demokratie, sondern nur um seinen persönlichen Vorteil – in diesem Falle um seine Rückkehr nach Athen. 8 Betrachtet man die überlieferten Fakten, so wird man geneigt sein, dem Urteil des großen Historikers zuzustimmen. Tatsächlich dürfte für Alkibiades der Gesichtspunkt des Eigeninteresses immer allem anderen vorangestanden haben. Gerade deshalb aber ist es aufschlussreich zu sehen, dass er während seines Wirkens als Staatsmann und Feldherr in Athen immer bestrebt war, seinen Vorteil mit dem der Polis in Einklang zu bringen. Trotz der gegen ihn umlaufenden Tyrannisverdächtigungen und Putschgerüchte hat er bis 415 nicht versucht, die bestehende Ordnung der Polis zu verändern. Was er sich auch immer in seinem Privatleben an Freiheiten und Privilegien angemaßt haben mochte, als Politiker hat er im Rahmen der gegebenen Ordnung agiert und sich den durch freie Debatte und Mehrheitsentscheidung gekennzeichneten Spielregeln der athenischen Demokratie angepasst. Erst als sich die Polis von ihm abwendete, schlug er sich für kurze Zeit auf die Seite der Demokratiefeinde, nur um sich dann von den Demokraten heimholen zu lassen. Auch nach seiner Amtsenthebung 407 hat er sich nicht dazu hinreißen lassen, den seinerzeitigen Flirt mit den Kräften des Umsturzes zu wiederholen.

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Der scheinbare Widerspruch zwischen hemmungsloser Selbsterhöhung einerseits, Anpassung an das gegebene politische Regelwerk der Polis andererseits löst sich zumindest teilweise, wenn wir Alkibiades’ Herkunft und die Traditionen, in denen er erzogen worden war, ins Auge fassen. Er entstammte jener Schicht von Aristokraten, die sich aufgrund ihrer Abstammung, Bildung und Vermögen als den wertvollsten Teil der Bürgerschaft zu begreifen gewohnt waren und aus diesem Selbstverständnis heraus den Anspruch auf Ansehen und Geltung erhoben, sich dafür aber im Gegenzug bereitfanden, das System der Demokratie zu akzeptieren. Die von der Demokratie geforderte Zurückstellung individueller Geltungsansprüche hinter das Gemeininteresse und das Prinzip der Entscheidung durch Mehrheitsbeschluss erschienen diesen Adelsherren als hinnehmbar, solange sie davon ausgehen konnten, dass die Volksmehrheit ihren Anspruch auf die führenden Ämter, vor allem auf das Strategenamt, respektieren und im politischen Entscheidungsprozess ihren Meinungen besonderes Gewicht zuerkennen würde. Da dies bis in die perikleische Zeit hinein meist der Fall war, konnten sich die athenischen Aristokraten auch unter demokratischen Vorzeichen als die anerkannten Führer der Gemeinde betrachten und guten Gewissens das Wohl der Stadt mit ihrem Eigeninteresse gleichsetzen. Das eigentliche politische Ideal dieser Führungsschichten war im Grunde durchaus elitär ausgerichtet, allerdings nicht im oligarchischen Sinne einer Gewaltherrschaft der privilegierten Minderheit, sondern im Sinne eines auf quasi natürlicher Autorität und der Zustimmung des Demos beruhenden Vorranges der Aristokratie im demokratischen Staatswesen. Die prägnanteste Charakteristik dieser Haltung findet sich im Geschichtswerk des Thukydides, und sie wird dort – wohl kaum zufällig – keinem anderen als Alkibiades in den Mund gelegt, den der Historiker im Zuge seines Sparta-Auftritts sein und seiner Vorfahren Engagement für die Demokratie folgendermaßen begründen lässt: „Sowie nun die Stadt demokratisch war, war es für uns im höchsten Maße notwendig, uns den Verhältnissen anzupassen, und wir versuchten, im Gegensatz zur herrschenden Zuchtlosigkeit in der Politik eine gemäßigte Linie zu verfolgen. Andere waren es, die von alters her und auch jetzt den Pöbel zum Schlechteren trieben … Wir aber haben uns immer als Vorsteher des Staatsganzen begriffen und hielten es für richtig, die Staatsordnung, unter der sich die Polis größtmöglicher Macht und Freiheit erfreute, in der Form, wie wir sie empfangen hatten, zu bewahren.“ 9

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Das Selbstverständnis der Führungsschichten als Lenker und Bändiger der schlechten Einflüssen ausgesetzten Volksmasse tritt in diesen Worten deutlich zu Tage, daneben aber klingt in der Bemerkung über die Macht und Freiheit der Polis noch ein anderer Gesichtspunkt an: die Einsicht, dass Athens Größe in ganz praktisch-konkretem Sinn mit der demokratischen Ordnung der Polis verknüpft war. Die Seebundsherrschaft, auf der Athens Machtstellung beruhte, war seinerzeit durch kollektive Kriegsanstrengungen der gesamten Bürgerschaft errungen worden, und es bestand kaum ein Zweifel, dass auch zu ihrer Behauptung das militärische Engagement aller Bürger vonnöten sein würde. Somit ließ das hohe Prestige, das Athens aristokratische Politiker in ganz Griechenland genossen, sich nur mit Hilfe der breiten Massen der Bürgerschaft aufrechterhalten, ebenso war die von den aristokratischen Inhabern des Strategenamtes gehegte Hoffnung auf Feldherrenruhm und Siegeslorbeeren nur durch den willigen Einsatz der unteren Schichten erfüllbar. Die Erkenntnis dieser Tatsache musste bei allen militärisch ambitionierten und polispatriotisch gestimmten Aristokraten Athens – und solche bildeten zumindest vor 411 in diesen Kreisen die Mehrheit – als ein mächtiger Stimulus zur Loyalität gegenüber dem bestehenden System wirken. Bei Alkibiades kam die Erkenntnis dazu, dass die ihm zu Gebote stehenden Begabungen unter demokratischen Vorzeichen am besten zur Geltung gebracht werden konnten: Die verehrungsvolle Bewunderung, die er von Jugend auf genoss, dürfte ihm von ‚kleinen Leuten‘ viel bereitwilliger gezollt worden sein als von den Standesgenossen, die sich stets auch als Rivalen empfinden mussten. Auch sein Heerführercharisma wird am stärksten bei den einfachen Soldaten gewirkt haben, und schließlich konnte auch seine rednerische Überzeugungskraft am besten vor der versammelten Volksmasse zur Geltung kommen. Alkibiades konnte also mit gutem Grund darauf hoffen, gerade unter demokratischen Vorzeichen, durch die direkte Interaktion mit dem Volk von Athen ein Kapital an politischer Autorität zu erwerben, das auf anderen Gefühlen beruhen mochte als jenes Prestige, dessen sich einst sein Ziehvater Perikles erfreut hatte, das ihm aber eine an Wirkung und Dauerhaftigkeit mit der perikleischen vergleichbare Stellung in der athenischen Politik verschaffen würde. Es ist daher gut nachvollziehbar, dass er sich in seinen Aufstiegsjahren, wenngleich er in seiner persönlichen Lebensführung immer wieder an die Grenzen des von der Polisgemeinde vorgegebenen Verhaltenskodexes ging, politisch in den Bahnen geblie-

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ben ist, die Athens demokratische Ordnung ihm wies. Und zunächst schienen sich seine Hoffnungen trotz aller Widerstände zu erfüllen; alle vor 415 gemachten Erfahrungen – die Wendungen seiner PeloponnesPolitik, die überstandene Ostrakismosgefahr und die Durchsetzung des Sizilienprojekts – waren geeignet, ihn hinsichtlich seiner Fähigkeiten zur Manipulation des Volkswillens mit voller Zuversicht zu erfüllen. Die Verurteilung und Ächtung nach der Mysterienaffäre müssen dieser Zuversicht einen schweren Schlag versetzt haben. Umso höher dürfen wir die Tatsache veranschlagen, dass er dennoch die erste sich bietende Gelegenheit wahrgenommen hat, mit dem Volk von Athen seinen Frieden zu machen. Seine Bereitschaft, sich wieder auf die Seite der Demokratie zu schlagen, war sicherlich zum Teil den an der Seite der Spartaner gemachten schlechten Erfahrungen geschuldet, letztendlich aber dürfte das Bewusstsein einer zwischen seiner Persönlichkeit und den demokratischen Formen der Politik bestehenden Affinität für seine Rückkehrbemühungen ausschlaggebend gewesen sein. Alkibiades’ Orientierung auf eine Tätigkeit im Rahmen der demokratischen athenischen Bürgerpolis lässt sich vor dem Hintergrund der beschriebenen Prägungen und Erfahrungen durchaus nachvollziehen. Wieweit sich ihm überhaupt die Möglichkeit zu einer andersgerichteten Positionierung geboten hätte, ist fraglich. Diejenigen seiner Standesgenossen, die ihre Abneigung gegen Bürgergleichheit und Mehrheitsprinzip zur Richtschnur ihres Handelns machten, sahen sich, solange das demokratische System aufrecht stand, zur Abstinenz vom öffentlichen Leben und zu einer Art innerer Emigration gezwungen – für einen Mann von Alkibiades’ Naturell keine akzeptable Option. Die Alternative, sich als Heerführer außerhalb der Polis eine eigenständige Machtposition aufzubauen und sich dann von dieser Position aus mit Gewalt zum Herrn über die eigene Polis aufzuschwingen, ist von manchen Forschern als durchaus gangbarer Weg angesehen worden. Aus der Sicht des großen Historikers Julius Beloch etwa hat Alkibiades in den Jahren zwischen 411 und 408 eine solche Führungsposition innegehabt, die ihm bei der Rückkehr nach Athen die Möglichkeit eröffnet hätte, „die bestehende Verfassung über den Haufen zu werfen, um in Athen dieselbe Stellung einzunehmen, die er bisher auf der Flotte gehabt hatte“. Indem er diese Gelegenheit zur Machtergreifung nicht wahrnahm, habe er, nach Belochs Meinung, „zum eigenen Verhängnis und zum Verhängnis Athens“ die große Chance ausgeschlagen, sein eigenes Geschick und das Kriegsglück zu wenden.10

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Auch der nüchternere Hatzfeld möchte die Möglichkeit nicht ausschließen, dass Alkibiades nach seiner Rückkehr für kurze Zeit die Chance gehabt habe, sich in Athen als Diktator zu etablieren und nach außen hin seine Stadt zu einer hegemonialen Macht zu erheben, die das Schicksal der Mittelmeerwelt in andere Bahnen hätte lenken können.11 Bei objektiver Betrachtung darf man feststellen, dass sich die von diesen Forschern vermutete Chance zur Machtergreifung als Chimäre erweist. In Wirklichkeit hatte weder Alkibiades während seines Flottenkommandos die Stellung eines selbstherrlichen Militärautokraten innegehabt noch waren die Sympathien, die er bei den Soldaten und der Bürgerschaft genoss, hinreichend tief verwurzelt, um die Belastung eines demokratiewidrigen Staatsstreiches aushalten zu können. Und selbst wenn es Alkibiades gelungen wäre, die Macht in Athen an sich zu reißen, wäre er als Gewaltherrscher wohl außerstande gewesen, die Bürger zu den für die Behauptung ihrer Unabhängigkeit und ihres Seereiches erforderlichen Kriegsanstrengungen zu motivieren. Ihm wäre nichts anderes übrig geblieben als nach einem schnellen Weg zur Beendigung des Krieges zu suchen, was dann wohl auf eine Verständigung mit Sparta und – falls die Spartaner ihn in dieser Rolle akzeptiert hätten – auf eine Existenz als Tyrann von Spartas Gnaden hinausgelaufen wäre. Unter diesen Vorzeichen betrachtet, wird es verständlich, weshalb Alkibiades den für ihn angeblich so nahe liegenden Gedanken an einen Staatsstreich niemals wirklich erwogen hat. Er wusste nur zu gut, dass – vom enormen Risiko des Scheiterns ganz abgesehen – ein solches Projekt selbst im Falle des Gelingens mit der Preisgabe dessen erkauft sein müsste, worauf Athens Größe und die Geltung seiner Staatslenker beruht hatte. Einen solchen Preis für das Ausleben seiner – unzweifelhaft vorhandenen – autokratischen Neigungen zu zahlen, war Alkibiades nicht bereit. So erweist sich der Staatsmann Alkibiades mit all den Widersprüchen seines Charakters und all den Wechselfällen seines Schicksals als Beispiel dafür, dass in der Welt der Politik selbst die glänzendsten Begabungen eines Individuums immer nur nach Maßgabe der gegebenen Umstände zur Wirkung gelangen können. Wie verlockend es auch sein mag, seine Persönlichkeit mit Alexander und anderen hellenistischen Herrschergrößen zu vergleichen, der vorgegebene Rahmen der griechischen Poliswelt des 5. Jahrhunderts setzte ihm in der Entfaltung gerade jener Persönlichkeitszüge, die er mit jenen Autokraten gemeinsam hatte, ein wirksames Hemmnis entgegen. Die Epoche der selbstherr-

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lichen und in ihrem Privatleben exzessiven Militärmonarchen, in deren Reihen Alkibiades sich tatsächlich trefflich eingefügt hätte, lag zu seiner Zeit noch im Schoße der Zukunft verborgen, und es bedurfte der Umwälzungen der Alexanderzeit, um ihr im griechischen Mutterland zur Vorherrschaft zu verhelfen. Dass Alkibiades nicht versucht hat, diese Entwicklung quasi im Alleingang vorwegzunehmen, wird man ihm nicht als sträfliches Versäumnis anrechnen, sondern als Ausfluss eines gesunden Realismus werten dürfen. Sein Ziel war die Position eines ersten Bürgers in einer freien Polis, die riskante und undankbare Rolle des Tyrannen war seine Sache nicht. Wenn Alkibiades demnach in seinem Verhältnis zur Polis, aufs Ganze gesehen, in den traditionellen Bahnen eines athenischen AristokratenStaatsmannes gewandelt ist, so dürfen wir die Frage stellen, ob er im Bereich der Außenpolitik eine eigene, in sich kohärente Konzeption gehabt hat. In der Forschung hat man ihm eine solche, zumindest in Ansätzen, zugetraut; Hatzfeld insbesondere möchte in ihm geradezu die Verkörperung der imperialen Sendung Athens im 5. Jahrhundert erkennen: „Er war der letzte der athenischen Staatsmänner von ‚faustischem‘ Geist, die glaubten, dass die imperiale Stadt nur in ständiger Weiterentwicklung und stetigem Wachstum bestehen könnte, dass die Beendigung ihrer Expansion für sie den Tod bedeuten würde; als Letzter dieser Reihe war er zugleich der Erste, der jenseits der Grenzen der griechischen Welt eine Mittelmeerwelt erahnte, deren militärische Machtmittel und wirtschaftliche Ressourcen von einer imperialen Stadt kontrolliert würden.“ 12 Was Hatzfeld hier skizziert, scheint in der Tat das Porträt eines weit blickenden, von scharfem Verstand und sicherem Instinkt geleiteten Staatslenkers zu ergeben. Unglücklicherweise findet das eindrucksvolle Bild, wenn man es an der zuverlässigen Überlieferung misst, in den Quellen höchstens ansatzweise eine Bestätigung. Aus der Sicht eines nüchterneren Betrachters erscheint der außenpolitische Expansionskurs, den Alkibiades während der Zeit seines größten politischen Einflusses vertreten hat, nicht als Teil eines wohlüberlegten, an den Interessen der Polis orientierten Konzepts, sondern schlicht und einfach als Ausfluss von Alkibiades’ persönlichen Ambitionen, die den jugendlichen Strategen dazu trieben, zuerst in den antispartanischen Bewegungen der Peloponnes und dann in den kriegerischen Verwicklungen Siziliens nach Gelegenheiten zur eigenen Profilierung zu suchen. Nicht als Vordenker einer wie auch immer gearteten imperialen Mission Athens,

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sondern in nacktem Eigeninteresse hat er die Athener zu einer Politik der Expansion und der militärischen Abenteuer angestiftet. Von einem durchdachten Konzept, wie Athen die von ihm projektierten Expansionsziele im Falle des Erfolges nützen und den erweiterten Machtbereich organisieren solle, lässt sich in seinen Aktionen keine Spur erkennen, umso deutlicher dafür das Streben nach prestigeträchtigen, der athenischen Öffentlichkeit verkaufbaren Erfolgen. In diesem Licht betrachtet, erweist sich sein politisches Wirken schon in seiner Frühphase als ein permanenter Kampf um Anerkennung, Geltung und politischen Einfluss um jeden Preis. Dass dann nach der Verurteilung und Ächtung sein Handeln erst recht von dem Erfordernis, sich unter den jeweils gegebenen Umständen bestmöglich zu behaupten, bestimmt war, lag in der Natur der Sache; und wenn ihm nach der Heimkehr nichts anderes übrig blieb, als sich allerorten als Quasi-Übermensch und als Herold praktisch nicht realisierbarer Siegeshoffnungen zu präsentieren, so darf man darin gleichsam die Wirkung eines Lebensfluches erkennen, den Alkibiades sich anfangs ohne Bedenken selbst auferlegt hatte, der sich dann aber aufgrund äußerer Umstände verselbständigte, als nicht mehr abzuschüttelnder Alpdruck auf ihm lastete, und ihn schließlich unweigerlich zu Boden drücken musste. So müssen wir, aufs Ganze gesehen, in Alkibiades ein Opfer des von ihm selbst geschaffenen und genährten Mythos erkennen, einen begnadeten Selbstdarsteller, der zeit seines öffentlichen Wirkens bei Freund und Feind den Eindruck zu erwecken verstand, Ungeheures bewerkstelligen zu können, und der aus der Sicht vieler Zeitgenossen gerade deshalb an der Verwirklichung seiner Projekte gehindert werden musste. Die durch den Übermenschen-Nimbus hervorgerufenen Erwartungen und Befürchtungen sind ihm schließlich zum Verhängnis geworden, doch paradoxerweise hat gerade sein tragisches Scheitern den Mythos, der sich um seine Persönlichkeit rankte, für die Nachwelt verfestigt. Die Geschichtswissenschaft hat gute Gründe gefunden, Alkibiades’ Figur von den mythischen Dimensionen auf ein menschengerechteres Maß zu reduzieren, sie hat die Widersprüche und Disharmonien seines Wesens herausgearbeitet, in ihm aber gerade deswegen eine für seine Epoche und Generation repräsentative Gestalt erkennen können. Mit durch die Erkenntnisse der Forschung geschärftem Blick können wir in Alkibiades’ Lebensweg viel vom Wesen der Griechen im letzten Drittel des 5. vorchristlichen Jahrhunderts erkennen, von ihrer Zerrissenheit zwischen Tradition und Freidenkerei, zwischen Polisbindung und indivi-

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duellem Geltungsdrang, aber auch von ihrer Verbundenheit mit den Traditionen einer großen Vergangenheit, die unter den Schlägen des ‚totalen Krieges‘ unwiderruflich zu versinken im Begriff war. Unter den Staatsmännern und Feldherren des Peloponnesischen Krieges hat wohl keiner das Wesen dieser vielschichtigen Epoche treffender verkörpert als Alkibiades, und vielleicht lag eben darin das Geheimnis jener Anziehungskraft begründet, die er auf seine Zeitgenossen ausgeübt hat. Aber auch für den modernen Betrachter liegt die historische Bedeutung von Alkibiades’ Lebenslauf weniger in irgendwelchen positiven Leistungen als in seiner Funktion als markanteste Repräsentativfigur einer glanzvollen, aber labilen und in sich widersprüchlichen Epoche.

Anmerkungen Vorbemerkung: Antike Autorennamen und Werktitel sind, sofern sie nicht in der folgenden Liste angeführt sind, nach dem Abkürzungsverzeichnis des ‚Neuen Pauly‘ (H. Cancik/H. Schneider [Hgg.], Der Neue Pauly: Enzyklopädie der Antike, Stuttgart u. a. 1996 ff.) abgekürzt. Für die Titel der plutarchischen Biografien wurden die Abkürzungen des ,Lexikons der Alten Welt‘ (C. Andresen u. a. [Hg.], Lexikon der Alten Welt, ZürichStuttgart 1965, Bd. II, Spalte 3439–3463) zugrunde gelegt. Moderne Werke sind, so nicht in der Bibliographie anderes vermerkt ist, mit Autornamen und Erscheinungsjahr zitiert. In abgekürzter Form sind die folgenden Titel angeführt: APF = J. K. Davies, Athenian Propertied Families, Oxford 1971. ATL = THE ATHENIAN TRIBUTE LISTS, ed. B. D. Meritt/H. T. WadeGery/M. F. McGregor, 4 Bde. Cambridge/Ma. 1939–1953. Beloch, GG = J. Beloch, Griechische Geschichte, 4 Bde. in 8 Teilen, Straßburg u. a. 2 1912–1927. Busolt, GG = G. Busolt, Griechische Geschichte bis zur Schlacht von Chaeroneia, 3 Bde. in 4 Teilen, Gotha 1893–1904. CAH = THE CAMBRIDGE ANCIENT HISTORY, 1st ed. Cambridge 1924– 1939, 2nd ed. Cambridge 1982 ff. HCT = A. W. Gomme/A. Andrewes/K. J. Dover, A Historical Commentary on Thukydides, Bd. I–V, Oxford 1945–1981. Hornblower, = S. Hornblower, A Commentary on Thucydides, Bd. I–III, Oxford Commentary 1991–2008. IG I3 = INSCRIPTIONES GRAECAE Bd. I, 3. Aufl: Inscriptiones Atticae Euclidis anno anteriores, ed. D. Lewis/L. H. Jeffery, 2 fascc. Berlin 1981–1994. OT = P. Siewert (Hrsg.), Ostrakismos-Testimonien I: Die Zeugnisse antiker Autoren, der Inschriften und Ostraka über das athenische Scherbengericht aus vorhellenistischer Zeit (487–322 v. Chr.), Stuttgart 2001 (= Historia-Einzelschriften Bd. 155). StV II = DIE STAATSVERTRÄGE DES ALTERTUMS, Bd. II: Die Verträge der griechisch-römischen Welt von 700 bis 338 v. Chr. unter Mitarbeit v. R. Werner hg. v. H. Bengtson, München 2 1975.

I. Kindheit, Jugend und erste politische Prägungen 1 Thuk. 1,113,1–3; Plut. Per. 18,3; dazu Busolt GG III 1 422–424 und Beloch, GG II 1 179 f. [beide mit weiteren Belegen]; Buck 1979, 150–153.164 f., zur Datierung HCT I 409. 2 Pla Alk. I 112c.; Isokr. or. 16,28; Plut. Alk. 1,1. Plat. Alk. I 104b; Isokr. a. O.; Plut. Alk. 1,2; s. dazu Hertzberg 1853, 63 Anm. 19 und 20 und Hatzfeld 2 1951, 29 f. [beide mit weiteren Quellenstellen]; vgl. APF 18. 3 S. grundsätzlich APF 16 [mit Belegen]; vgl. Hatzfeld 2 1951, 3–23 und Ellis 1989, 5–9 und 105 Anm. 29–53. 4 [Andok.] 4,34; Lys. 14,39, dazu W. Hameter in OT I, 330–332.

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Anmerkungen zu S. 13–26

5 Es handelt sich um einen Volksbeschluss über die Modalitäten der Zahlung der den Athenern seitens ihrer Bundesgenossen geschuldeten Tribute (IG I3 34), in dem als Antragsteller ein Kleinias genannt ist, den man früher zumeist mit dem Vater unseres Alkibiades identifiziert hat. Nachdem jedoch in der neueren Forschung gewichtige Indizien für eine Datierung der Inschrift erst in die nachperikleische Zeit geltend gemacht worden sind (s. z. B. Smarczyk 1990, 542–545 und zuletzt Samons 2000, 184 und 189–193 mit weiterer Lit.; einen guten Überblick über die Problemstellung bietet auch Koch 1991, 250 f.), wird man diese Identifizierung nunmehr als fraglich betrachten müssen. 6 Plat. Prot. 320a; Plat. Alk. 1 118e; vgl. Hatzfeld 2 1951, Nachträge. 7 Plat. Alk. I 122b. 8 Vgl. Golden 1990, 148 und Garland 1990, 123; zu den Paidagogoi allgemein s. Baumgarten in Christes/Klein/Lüth 2006, 34. Plat. Alk I 106e; Plut. Alk. 2,5; vgl. Hertzberg 1853, 22 f. 63 f. und Ellis 1989, 18. 9 Marrou 1957 [3 1955] 61–73 sowie R. Baumgarten in Christes/Klein/Lüth 2006, 61 f. und 93–97. 10 Nep. Alc. 1,2 f. und 2,2; Plut. Alk. 1,4 und 4,1; vgl. Plat. Alk. I, 104a–c und Xen. mem. 1,2,24. 11 Plut. Alk. 2,2–5; Plat. Alk. I 106e. 12 Symposion 182a–183a. 13 Vgl. Marrou 1957 [3 1955] 51–56 und R. Baumgarten in Christes/Klein/Lüth 2006, 63– 66 sowie Bremmer 1990. 14 Plut. Alk. 4,4–5,5; vgl. Athenaios 534ef. 15 Zur Komödie s. Roberts 2 1998, 189–199; Lapatin in Samons 2007 und jetzt Lehmann 2008, 139–145.158–162.313–315.318–320. Zur Akropolis speziell Schneider/Höcker 2001, 111–166. 16 S. die bei Sommerstein u. a. 1990 vereinigten Beiträge. s. McDowell 1995; Henderson 1998 und Zimmermann 2006 sowie die bei Harvey/Wilkins 2000 vereinigten Beiträge. Zur Tragödie s. Latacz 2 2003 und Gregory (Hg.) 2005; vgl. auch Griffin 1998 und (für die ältere Tragödie bis auf Sophokles) Meier 1988. 17 Eine treffende und anschauliche Charakteristik bietet S. Prince in Kinzl 2006, 433 f. 18 Protagoras Fr. 4 Diels-Kranz. 19 S. De Romilly 1992 [1988] sowie die bei Classen 1976 und Kerferd 1981 vereinigten Beiträge; eine Neubewertung der Sophistik und ihres Verhältnisses zu Sokrates versucht R. W. Wallace in Samons 2007, 215–237. Für die verbreitete Kritik an den Sophisten s. vor allem die ‚Wolken‘ des Aristophanes, bes. vv. 93–115 und 889–1104. 20 Zu Sokrates’ Gestalt und Bedeutung s. generell Guthrie 1969, 323–507, Vlastos 1991 und Ahbel-Rappe/Kamtekar 2006 (mit weiterführender Literatur) sowie die Einführungen von Figal 2 1998 und Martens 2004. 21 Plut. Alk. 4,1–4 gekürzt. 22 Für Platons Schilderung des Verhältnisses zwischen Sokrates und Alkibiades s. Alc. I; passim; Prot. 309a–c; Gorg. 481d; symp. 212c–223; vgl. Diog. Laert. 4,49; weitere, damit teilweise kontrastierende Abgaben bieten Xen. Mem. 1,2,12–16.24.39.47; Athen. 5,219b-220a; stark anekdotenhaft Ael. var. 2,13.3,28.4,21.9,29.11,12; Val. Max. 8,8 ext. 1; gegen eine engere Beziehung s. auch Isokr. or. 11,5. Für die traditionell-idealistische Auffassung dazu s. Hertzberg 1853, 26–38.65–67; nüchterner urteilen Hatzfeld 2 1951, 27–58 und Ellis 1989, 20–23. 23 Zur Problematik der Rekonstruktion von Sokrates’ Lehre s. Guthrie 1969, 325–377; Gigon 2 1979/1994 und die bei Patzer 1987 vereinigten Beiträge. Zur „Fürsorge für die eigene Seele“ als sokratische Grundidee s. Gigon 2 1979, 38–40.

Anmerkungen zu S. 27–39

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24 Für den geschichtlichen Ablauf s. jetzt Welwei 1999, 51–139 (mit Quellen und Lit. auf S. 358–383); für den Seebund insgesamt Meiggs 1972; zum Finanziellen Samons 2000, 25– 163. 25 [Andok.] 4,30; Plut. 8,6.12,1; vgl. Xen. Mem. 1,2,24; zur Pflege internationaler Beziehungen durch Alkibiades in späteren Jahren vgl. Mann 2007, 211–216. 26 S. Busolt GG III 1, 256–261.296–358.410–438 (mit reicher Quellendokumentation), dazu die neueren Darstellungen von Lewis in CAH 2 V, 108–138; Welwei 1999, 96– 139.374–383 und Lehmann 2008, 115–123.134–152.307–317. 27 S. z. B. die Äußerung des Perikles bei Thuk. 2,37,1. S. Mills 1997, 71–75 und Heftner 2001/2003. 28 F. die Quellen- und Forschungsproblematik s. Busolt GG II, 400–449 und Rhodes 1981, 240–267, für moderne Darstellungen Bleicken 4 1995, 40–47.519–524 und Welwei 2 1998, 157–166 (vgl. dens. 1999, 1–27.335–347). 29 S. Busolt GG III 1, 261–295; Rhodes 1981, 309–331; Welwei 2 1998, 178–182 (vgl. dens. 1999, 91–95.373 f.); Bleicken 4 1995, 51–55.527–533 und jetzt Mann 2007, 45–58. 30 S. Kagan 1969, 133–153; Rhodes 1981, 331–343 und Lehmann 2008, 101–108.303–306; vgl. Will 2003, 298–303. 31 Aristot. pol. 3, 1277a25–b15 und 1284a1–3. 32 S. Bleicken 4 1995, 342 f.401–403; eine differenzierte Analyse bei Davies 1984, bes. 88–131; vgl. Connor 1971, 9–22 und Martin 1974 bes. 16–18; zum Bereich der politischen Ideologie Mills 1997, 71–73. S. zu alledem jedoch die relativierenden Überlegungen bei Mann 2007, 126–141. 33 Das Urteil des Thukydides über Perikles findet sich 2,65,5–9; vgl. Plut. Per. 15,1–3; für die Kritik an Perikles s. Plut. Per. 13,14–14,1 und 16,1 f., dazu Schwarze 1971, bes. 167– 183; Ostwald 1986, 185–198; Jordovic 2005, 135–139 sowie Lehmann 2008, 155– 158.165 f.192 f.198–204. 34 Thuk. 2,65,8–9. 35 S. etwa [Andok.] 4,27; Thuk. 6,28,2 f. und 8,48,4; man beachte in diesem Zusammenhang, dass Thukydides an anderer Stelle den Alkibiades selbst (allerdings vor einem athenfeindlichen Publikum in Sparta) seine Loyalität zur Demokratie als Ausfluss bloßen Opportunismusses darstellen lässt (Thuk. 8,89,3–6; s. dazu Heftner 2003, 3 f. und Hornblower, Commentary III 512–514). 36 Für eine mit Quellenbelegen abgesicherte Darstellung s. Busolt GG III 2 758–917; für neuere Behandlungen Kagan 1969; De Ste. Croix 1972 und Welwei 1999, 140–153.383– 387. 37 Für antike Schuldzuweisungen s. Aristoph. pax 603–611; Diod. 12,39,1–40,6; Plut. Per. 30,1–32,6; dazu Stadter 1989, 273–305 und Will 2003, 157–177; für Thukydides’ Urteil s. Thuk. 1,23,6; vgl. dazu Will a. O. 231–240 und Tritle 2004, 19–32. 38 S. Kagan 1974, 24–42 und Welwei 1999, 153–157.387–389. 39 Grundlegend Busolt GG III 2, 917–986; HCT II, 1–191 und Hornblower, Commentary I, 236–340; für neuere Darstellungen s. Kagan 1974, 43–117 und Welwei 1999, 157– 163.389–391. 40 Zum Feldzug als solchem s. Thuk. 1,56,1–65,3.2,58,1–3.70,1–4, dazu Busolt GG III 2, 791–809.946.960 f. und Kagan 1969, 273–285 sowie dens. 1974, 39.97 f. Zu Alkibiades’ Teilnahme s. Isokr. 16,29 f.; Plat. symp. 219e–220e; vgl. Plat. Charm. 153a–d; weitere Quellen bei Hertzberg 1853, 68 Anm. 58; die Angabe des Isokrates a. O., dass Alkibiades erst mit dem von Phormion geführten Truppenkontingent nach Poteidaia kam, ist möglicherweise irrig, s. Hatzfeld 2 1951, 62–65 und Ellis 1989, 25–27.110 f.; zu der Verleihung der Tapferkeitsauszeichnung vgl. Hamel 1998, 67 und 70.

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Anmerkungen zu S. 39–49

II. Eintritt in die Politik 1 Aristoph. Acharn. 715 f. (seine erste bezeugte Erwähnung bei Aristophanes, in einer Komödie von 427 [Fr. 244 Kassel-Austin] betraf noch sein Privatleben); Plut. Alk. 10,1–3, dazu Hatzfeld 2 1951, 69 f. 2 [Andok.] 4,11, wo Alkibiades’ Rolle übertrieben dargestellt wird, s. Hatzfeld 2 1951, 68 f.; zu der inschriftlich (IG I3 71) dokumentierten Tributerhöhung generell s. jetzt Samons 2000, 173–183. 3 S. Kagan 1974, 96 f.156–162.238 f.331 f.; Connor 1971, 91–98.124–165.173–183 und Ostwald 1986, 204–224; für eine qualifiziert skeptische Betrachtung der durch die Bank kleonfeindlichen Überlieferung s. jetzt Mann 2007, 75–96.104 f.170–179. Für eine überzeugende neue Sicht von Nikias’ Position s. jetzt Geske 2005, bes. S. 85–99. 4 Hatzfeld 2 1951, 68 f.; zu Recht vorsichtig Ellis 1989, 30 und 34 f. Zu Alkibiades’ Versuch, Beziehungen zu Sparta zu knüpfen, s. Thuk. 5,43,2 und 6,89,2, dazu HCT IV 49 f. und Hatzfeld 2 1951, 74 f. sowie Hornblower, Commentary III, 99 f. 5 Dover 1974, 209 f.; Cohen 1991, 98–132; vgl. Herman 2006, 175–183. 6 Pherekrates fr. 164 Kassel-Austin; [And.] 10; vgl. Aristoph. fr. 244 Kassel-Austin; s. dazu Jordovicˇ 2005, 140–142 und Mann 2007, 224–226 mit weiteren Belegen; vgl. De Romilly 1995, 41 f. Dass Alkibiades bei seinen Affären vielleicht nicht immer selbst der Initiator gewesen ist, deutet Xenophon (Mem. 1,2,24) mit der Bemerkung an, Alkibiades sei von Jugend auf „von vielen und vornehmen Frauen verfolgt“ worden. 7 zu Alkibiades’ Übergriffen s. auch im Text S. 81–85. 8 Plut. Alk. 7,1. Plut. Alk. 8,1. Zur Heirat des Alkibiades und der Hipparete s. APF 19 f. mit weiteren Belegen. 9 S. etwa die Position der Ankläger in Isokr. or. 20 (bes. § 10) und Demosth. or. 21 (bes. §§ 36 f. 44–46.95–98.123–125; im Zusammenhang mit Alkibiades scharf formuliert bei [Andok.] 4,16.27 (dazu Heftner 1995, 86 f. und 96 f.); zu Hybris als Konzept und als strafbarer Tatbestand im athenischen Recht s. MacDowell 1990, 18–23 und Fisher 1990; zur Hybris im Bereich des Sexuellen s. Cohen 1990, bes. 147–153 und dens. 1995, 143–162. 10 Grundlegend Busolt GG III 2, 964–1086 und HCT II 199–428 (beide mit reichen Belegen); s. weiters Kagan 1974, 101–217, Hornblower, Commentary I, 349–536 und Geske 2005, 45–71. 11 Thuk. 4,2,2–23,2.26,1–41,4, dazu Busolt GG III 2, 1086–1111; Kagan 1974, 220–250 und Hornblower, Commentary II, 149–197. 12 Thuk. 4,76,1–77,2.89,1–97,1, dazu Busolt GG III 2, 1140 f.1145–1151; Kagan 1974, 278– 287, Hornblower, Commentary II, 248–255.286–308 und Geske 2005, 114–116. 13 Plut. Alk. 7,6. 14 Neben der im Text zitierten Plutarchstelle s. Plat. Symp. 220e–221b; weitere Quellen bei Hertzberg 1853 68 f. Anm. 61; s. weiters Hatzfeld 2 1951, 73 sowie Ellis 1989, 30 und 111 Anm. 26 f. Zu Laches’ Rolle s. Plat. Symp. 221a; Plat. Lach. 181b. 15 Thuk. 4,70,1–74,1.78,1–88,2.102,1–132,3.135,1–5,14,4, dazu Busolt, GG III 2, 1151– 1183; Kagan 1974, 287–332 und Hornblower, Commentary II, 308–458; vgl. Geske 2005, 129–150 (mit teilweise unorthodoxen Wertungen). 16 Thuk. 5,14,1–20,1; dazu Busolt, GG III 1, 1182–1197; HCT III, 658–682; Kagan 1974, 334–346 und Hornblower, Commentary II, 459–489 mit weiteren Quellenbelegen; zu den politisch-psychologischen Hintergründen und zur Rolle des Nikias beim Friedensschluss siehe Geske 2005, 151–161. 17 Thuk. 5,17,2 und 22,1, dazu HCT III 664–666.690 f.; Kagan 1981, 20–26 und Horn-

Anmerkungen zu S. 49–55

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blower, Commentary II, 469 und 495–497. Thuk. 5,14,4.22,2. Thuk. 5,27,2–31,6; dazu Kagan 1981, 33–45 und Hornblower, Commentary III, 53–75. 18 Thuk. 5,22,1–25,2; vgl. Thuk. 5,43,1 f.; dazu Kagan 1981, 61 f. 19 Zu Alkibiades’ Strategenwahl 420 s. Fornara 1971, 62 und Develin 1989, 142 mit Belegen (wenn nach Plut. Nik. 10,9 und Alk. 15,1 Alkibiades erst nach der Affäre um die Spartanergesandtschaft zum Strategen gewählt wird, liegt wohl eine Verwechslung von Wahl und Amtsantritt vor). Zu Alkibiades’ argivischen Beziehungen s. Thuk. 5,43,3; vgl. Plut. Alk. 14,3 und Nik. 10,3 f.; für die Spartanergesandtschaft s. Thuk. 5,44,3; vgl. Plut. Alk. 14,6 und Nik. 10,4; dazu Kagan 1981, 66. 20 Thuk. 5,45,1–4; vgl. Plut. Alk. 14,7–12 und Nik. 4 f.; die Glaubwürdigkeit dieser Episode ist in der Forschung oft bezweifelt worden, s. z. B. Hatzfeld 2 1951, 90–93, der die Bloßstellung der Gesandten durch Alkibiades, nicht aber ihre vorhergehende Täuschung für historisch hält; vgl. HCT IV 51–53; für die Glaubwürdigkeit s. jedoch Kagan 1981, 67– 70 und Ellis 1989, 39 f. Zu Endios s. Poralla 1913, 50, zu seinem Gastfreundschaftsverhältnis mit Alkibiades APF 15 f. und Hodkinson 2000, 338 f. (vgl. ebd. 413). Die Möglichkeit, dass Endios von Alkibiades nicht übertölpelt wurde, sondern dessen Spiel ganz bewusst mitspielte, erwägen Kebric 1976, 72–78 und Mann 2007, 211. 21 Thuk. 5,46,1–4; Plut. Nik. 10,7. 22 Thuk. 5,47,7; die inschriftliche Fassung des Vertrags ist in fragmentarischer Form erhalten: IG I3 83; zu den Abweichungen zwischen ihr und dem Text bei Thukydides s. StV II2 Nr. 193, S. 128–130. Die Klausel über den möglichen Angriffskrieg lautet in wörtlicher Übersetzung: „wenn alle Poleis beschließen, gemeinsam einen Feldzug zu führen, so soll [einer jeden von] ihnen an der Befehlsgewalt gleicher Anteil zukommen“ (Thuk. 5,47,7). Da im Voranstehenden bestimmt wird, dass bei Feldzügen auf dem Gebiet eines der Bundesgenossenstaaten diesem der Befehl zufallen solle, kann sich die Klausel über den gemeinsamen Oberbefehl nur auf den Fall eines Feldzuges außerhalb des Territoriums der vertragschließenden Parteien beziehen, vgl. Taeger 2 1943, 68; zu den übrigen Bestimmungen des Vertrages im Einzelnen vgl. noch HCT IV 54–62 und Hornblower, Commentary III, 109–120. 23 Vgl. Kagan 1981, 71–74 und Ellis 1989, 40 f.; teilweise abweichend Hatzfeld 2 1951, 96, der den defensiven Charakter des Bündnisses betont. Für die erhoffte Abschreckungswirkung gegenüber Sparta s. Peek 1997, bes. 367 f. 24 Thuk. 5,31,1–5.49,1–50,4; vgl. Xen. hell. 3,2,21; Diod. 14,17,4 und Paus. 6,2,2. 25 Thuk. 5,50,5. 26 Thuk. 5,52,2; vgl. Thuk. Isokr. 16,15. Ob Alkibiades dabei bis Elis vorrückte und dann von Westen her in Achaia einzog, oder schon von Mantineia aus auf direktem Wege gegen das achaiische Patrai zog, ist unsicher, s. HCT IV 69. 27 Thuk. 5,52,2, dazu Hornblower, Commentary III, 139; zu Alkibiades’ Wortwechsel mit dem Bürger von Patrai s. Plut. Alk. 15,6; zur Gesamtbewertung der Peloponnes-Expedition Busolt GG III 2, 1232 f.; Hatzfeld 2 1951, 98 f.; Anderson 1954, 84 und Kagan 1981, 78–82. 28 Thuk. 5,53. Alkibiades’ Verantwortung dafür deutet Thukydides in der Phrase: „es schien dem Alkibiades und den Argivern geraten, Epidauros zu nehmen …“, an; für die strategische Bedeutung der Gewinnung von Epidauros s. Busolt, GG III 2, 1233 und Kagan 1981, 82 f. 29 Thuk. 5,54,1–3. 30 Thuk. 5,55,1–4. für Alkibiades’ Urheberschaft s. Busolt 1904, 1235 Anm. 1 und Kagan 1981, 86 f. (skeptisch Hornblower, Commentary III, 146); zur Problematik der Zielsetzung s. die treffenden Bemerkungen von Hatzfeld 2 1951, 101 mit Anm. 4.

214 31

Anmerkungen zu S. 56–63

Thuk. 5.55,3–4. Thuk. 5,56,1–5; dazu Kagan 1981, 87 f. (s. bes. 88 Anm. 32 zu den Unsicherheiten der Chronologie); vgl. Hornblower, Commentary III, 147 f. 33 Zu den im Text gebotenen Überlegungen vgl. Alkibiades’ Selbstdarstellung bei Thuk. 6,16,6, dazu Ellis 1989, 40 f. 34 Vgl. die Analysen von Busolt, GG III 2, 1236; Kagan 1981, 89 f. und Ellis 1989, 43 f. Dass Alkibiades 418 nicht mehr zum Strategen gewählt wurde, ist aus der Tatsache, dass er 418 das nach Argos bestimmte athenische Heer nicht als Stratege, sondern als Gesandter begleitete (Thuk. 5,61,2; vgl. Diod. 12,79,1), zu erschließen, s. Kagan 1982, 90 f. Anm. 37 (vgl. Hornblower, Commentary III 161); die in der Forschung erwogene Möglichkeit, dass er zwar gewählter Stratege war, aber bei der Peloponnes-Expedition im Sommer 418 von sich aus das Kommando ausgeschlagen und stattdessen eine diplomatische Mission übernommen haben könnte (HCT IV 88) oder aber dass ein solches Arrangement auf Beschluss der athenischen Volksversammlung getroffen wurde (Ellis 1989, 115 Anm. 38), ist m. E. mehr als zweifelhaft: Wenn Alkibiades amtierender Stratege gewesen wäre, so hätte er seine diplomatischen Fähigkeiten auch aus dieser Position heraus zur Geltung bringen können; ihn ausdrücklich vom Kommando auszuschließen, hätte seine Reputation gegenüber den ausländischen Verhandlungspartnern unnötig beschädigt. Die in der Forschung mehrfach vertretene Annahme, dass Alkibiades im späteren Verlauf des Amtsjahres 418/17 als Stratege nachgewählt worden sei, beruht auf der hypothetischen Ergänzung einer Inschrift (IG I3 370, Z 17) und kann daher nicht als gesichert gelten, s. Meiggs/Lewis 2 1988, 235 und Kagan 1981, 90 f., Anm. 37. 35 Die Nichterwähnung der Hilfsexpedition nach Argos in den erhaltenen athenischen Abrechnungen für das Amtsjahr 418/17 deutet darauf hin, dass der diesbezügliche Volksbeschluss und die Anweisung der nötigen Gelder noch in das (ungefähr am 8. Juli 418 endende) Amtsjahr 419/18 gehören, s. HCT IV 86 f.; vgl. Meritt 1961, 218). 36 Thuk. 5,57–60, dazu Kagan 1981, 91–101 und Hornblower, Commentary III, 149–155. 37 Thuk. 5,61,1–3 f.; s. dazu Kagan 1981, 102–104, der annimmt, dass der Ausfahrt der Expedition ein Konflikt in Athen vorausging, anders HCT IV 83; vgl. Hatzfeld 2 1951, 104; zur Haltung der Argiver vgl. Hornblower, Commentary III, 160. Die Behauptung bei Diodor (12,79,1), Alkibiades sei als Privatmann anwesend gewesen, ist irreführend, s. Kagan ebd. 102 Anm. 73. 38 Thuk. 5,61,3–74,3; Diod. 12,79,2–7; dazu Busolt, GG III 2, 1242–1251; HCT IV 89– 127; Kagan 1981, 104–133 und Hornblower, Commentary III, 161–194. 39 Thuk. 5,75,4–6, dazu HCT IV 128–130. 40 Thuk. 5,76,1–80,3; Diod. 12,80,1; dazu Busolt GG III 2, 1252–1255 und Hornblower, Commentary III, 194–206. 41 Thuk. 5,81,1 f.; Diod. 12,80,2 f.; Plut. Alk. 15,3; dazu HCT IV 148 f. und Wörrle 1964, 129–131; sowie Hornblower, Commentary III, 207. 42 Thuk. 6,16,6; Isokr. 16,15; vgl. Plut. Alk. 15,1 f.; zur kritischen Bewertung dieser Selbstrechtfertigung durch Thukydides s. Hornblower, Commentary III 347. 43 Alkibiades’ Wahl zum Strategen für 417/16 wird von Diodor (12,81,2) ausdrücklich behauptet; implizit zu erschließen ist sie aus Thuk. 5,84,1, dazu Hatzfeld 2 1951, 117 mit Anm. 5 und HCT IV 155; zum Strategenkollegium von 417/16 insgesamt s. Fornara 1971, 63 und Develin 1989, 146 f. 44 Das militärpolitische Konzept des Nikias ist aus dem erwähnten Nordägäis-Feldzugsprojekt (s. dazu u., Anm. 45) und aus seinen Äußerungen bei Thuk. 6,10,5 zu erschließen; s. dazu Hornblower, Commentary III, 329. 45 Thuk. 5,83,4 (vgl. IG I3 370 Z. 20 f., s. dazu Meiggs/Lewis 2 1988, S. 235 [zu Nr. 77 Z 32

Anmerkungen zu S. 63–77

215

20]); die u. a. von Busolt (GG III 2 1262) vertretene Auffassung, dass die Expedition tatsächlich unter Segel gegangen sei, ist zweifelhaft, s. HCT IV 154 und Hornblower, Commentary III, 214 f. 46 Thuk. 5,82,2–5; Diod. 12,80,3; Paus. 2,20,2, dazu Busolt, GG III 2, 1263; Kagan 1981, 138–140 und Hornblower, Commentary III, 210–212. 47 Thuk. 5,82,6; Plut. 15,4. Die von Plutarch behauptete leitende Rolle des Alkibiades wird u. a. von Busolt (GG III 2, 1265 Anm. 3, und Kagan (1981, 140 mit Anm. 8) akzeptiert. 48 Thuk. 5,83,1 f.; Diod. 12,81,1; dazu Hornblower, Commentary III, 213 f. 49 Vgl. Hatzfeld 2 1951, 107 f. (auf die Situation von 418/17 bezogen) und Kagan 1981, 142–144. 50 Zur Institution des Ostrakismos als solcher s. Philipps 1982; Brenne 1994 und die bei Siewert 2001 vereinigten Beiträge. 51 S. dazu Heftner 2000, 45–48; zur Datierung ins Frühjahr 416 Heftner 2001 passim, bes. 40–45. 52 Plut. Alk. 13,7 f. Nik. 11,4.10. Arist. 7,4, s. Heftner/Grimanis in Siewert 2001, 227–239 sowie Heftner 2000 mit Belegen. 53 S. Heftner 2000, 49–59 und Heftner/Grimanis in Siewert 2001, 231 f. 54 Zu Alkibiades’ Wahl zum Strategen für 416/15 s. Fornara 1971, 63 f. und Develin 1989, 148 mit Belegen; zu seiner Argos-Mission 416 s. Thuk. 5,84,1, dazu Kagan 1981, 142; dass den argivischen Spartafreunden von Seiten ihrer Landsleute noch härtere Behandlung gedroht hätte, ergibt sich aus dem Bericht über ihr weiteres Schicksal bei Thuk. 6,61,3. 55 Will 2006, 25–27; die durch die Eintragung der Melier in die athenische SeebundsTributliste für das Jahr 425/24 (IG I3 71, Z 65; vgl. ATL I Nr. A 9 fr. 21 (p. 112.156 und ATL III 25 und 198) hervorgerufenen Zweifel an der Neutralität von Melos sind am entschiedensten von Treu 1953/4, 253–262 formuliert worden, anders HCT IV 156 und Kagan 1981, 148 f. S. jetzt die wohlabgewogene Diskussion von Hornblower, Commentary III, 232 f. Vgl. HCT IV 156–158. 56 Thuk. 5,84,1.3; vgl. die Aufzeichnungen über für diesen Krieg bestimmte Gelder in IG I3 370 Z 29–33 (dazu Meiggs/Lewis 2 1988, 235). Zum ,Melierdialaog‘ Thuk. 5,85,1– 113,1, davon im Text zitiert: 5,89,1.93,1.105,1 f.; s dazu jetzt Will 2006, 98–111. 57 Vgl. jetzt Will 2006, 95–123 (bes. 111–113) und 149–153 Anm. 210–263 sowie die interessanten Ausführungen von Hornblower, Commentary III, 216–225, der neben der offensichtlichen Bloßstellung des athenischen Imperialismus auch ein deutliches Element der Spartakritik herausarbeitet. 58 Thuk. 5,114,1 f.4.116,2–4; dazu Busolt GG III 2, 1271 mit weiteren Quellen in Anm. 2–4. 59 Alkibiades’ Urheberschaft an der Vernichtung von Melos wird behauptet bei [And.] 4,22 und Plut. Alkib. 16,6; zu der im Text gebotenen Einschätzung vgl. Kagan 1981, 153 und Andrewes, CAH V2 446; anders Will 2006, 27 f. und 131 Anm. 21. Vgl. Cobetto Ghiggia 1995, 223 f. und Gazzano 1999, 112 f. 60 S. Mezö 1930, 62 f.; Hönle 1972, 190 f. Weeber 1991, 15–65 und Sinn 2004, 101–210. 61 Zu den athenischen Olymipioniken s. Hönle 1972, 53–62.205 f. und Kyle 1987, 98.158 f.; zum Olympiasieg von Alkibiades’ Onkel Megakles s. Moretti 1957, 105 (Nr. 320) und Kyle a. O. 207 (Nr. A44). Zum Auftritt des Themistokles in Olympia s. Plut. Them. 17,4 und Theophrast bei Plut. 25,1; Paus. 8,50,3, dazu Lenardon 1978, 219 f. und 241 Anm. 355–356 mit weiteren Quellen. 62 Isokr. or. 16, 32–33. 63 Vgl. Mann 2007, 217–221. 64 Den Vorwurf des Pferdediebstahls bringt [And.] 4,26 f.; die für Alkibiades schonen-

216

Anmerkungen zu S. 77–89

dere Veruntreuungs-Version bieten Diod. 13,74,3 (vgl. Isokr. 16,1) und Plut. Alk. 12,3; s. dazu Ellis 1989, 51 f. und 117 Anm. 9–99; Cobetto Ghiggia 1995, 231–233 und Gazzano 1999, 124–129. Zu Alkibiades’ Erfolgen s. Thuk. 6,16,2, Plut. Alk. 11,2 und Athenaios, die seinen Gespannen die Plätze 1, 2 und 4 zuschreiben, während in der Lobrede des Isokrates (16,34) und in einem angeblich von Euripides zu Alkibiades’ Ruhm verfassten Preisgedicht von den ersten drei Plätzen die Rede ist (Eurip. fr. 91a Kannicht; überliefert bei Plut. Alk. 11,3), s. dazu HCT 246 f. und Hornblower, Commentary III, 343–345 sowie García 2004, 150–152. 65 [Andok.] 4,29. 66 Plut. Alk. 12,1. S. weiters [And.] 4,30 f.; vgl. Athen. 12,534d; dazu Cobetto Ghiggia 1995, 238 f. und Gazzano 1999, 132–135. Zweifel an der Historizität oder zumindest der Bedeutung des Vorganges äußert Mann 2007, 214 f. 67 Plut. Alk. 16,1; Athen. 534c; weitere Bsp. mit Quellen bei Gribble 1999, 71–73, Jordovicˇ 2005, 145–148 und Mann 2007, 218–223. 68 [Andok.] 4,14; s. dazu Cobetto Ghiggia 1995, 209 f. und Gazzano 1999, 73–76; nach Plutarch (Alk. 8,4–6) hatte Hipparete schon vor dem missglückten Scheidungsbegehren das Haus des Alkibiades verlassen und bei ihrem Bruder Kallias Zuflucht gesucht. 69 Plut. Alk. 16,5; Demosth. 21,147; [Andok.] 4,20 deutet an, dass Taureas im Chor des Alkibiades einen Nichtbürger ausgemacht zu haben glaubte und diesen mit Gewalt hinwegführen wollte. S. zu alldem Cobetto Ghiggia 1995, 218–220 und Gazzano 1999, 97–102. 70 [Andok.] 4,17 f.; Plut. Alk. 16,5; dass Alkibiades von Agatharchos ‚beleidigt‘ (oder sonstwie in seinen Rechten verletzt) worden sei, findet sich bei Demosth. Or. 21,147. Zu dieser Affäre s. Cobbetto Ghiggia 1995, 213–217 und Gazzano 1999, 85–96. 71 Athen. 407bc 72 [Andok.] 4,27. 73 Thuk. 6,28,2; vgl. Isokr. 16,6. 74 [Andok.] 4,16.18 f.21; dass Alkibiades sich in seiner öffentlichen Kommunikation selbst ganz bewusst als überragende Ausnahmefigur zu stilisieren versuchte und dass dieser Anspruch bis 415 auch weithin akzeptiert wurde, zeigt treffend Mann 2007, 205–209 und 227–229. 75 Vermutet von Hatzfeld 2 1951, 137, dessen Ansicht, dass Alkibiades um 415 in finanziellen Schwierigkeiten gesteckt habe, allerdings nicht über jeden Zweifel erhaben ist, s. u., Anm. 116). Für die Annahme eines finanziell im Niedergang befindlichen Alkibiades vgl. auch Balestrazzi 1992, 24 f. 76 Thuk. 6,6,2; Diod. 12,82,3–83,3; Iust. 4.4.1 f.; zum Krieg zwischen Egesta und Selinus s. Busolt, GG III 2, 1274 Anm. 2 (anders Green 1970, 95 f. und Kagan 1981, 163), für die Gesandtschaft jetzt Chambers/Gallucci/Spanos 1990, 48–55 (vgl. Hornblower, Commentary III, 304–307). Zur Reaktion der Athener auf die Gesandtschaft s. Thuk. 6,6,3–7,1; Diod. 12,83,2; vgl. dazu Green 1970, 97 f. und Kagan 1981, 165 f. 77 Zu den athenisch-sizilischen Beziehungen vor 416 s. den ausführlichen Überblick bei Green 1970, 12–93 sowie neuerdings Cataldi 2007 (mit reicher Bibliographie); der inschriftlich teilweise erhaltene Bündnisvertrag zwischen Athen und Egesta (IG I3 11) ist durch die Neulesung der Reste des Archontennamens nunmehr auf 418/17 zu datieren (s. Chambers/Gallucci/Spanos 1990, 38–48). 78 Plut. Alk. 17,4. 79 Plut. Alk. 17,2–5; Nik. 12,1. Gegen in der Forschung gelegentlich geäußerte Vermutungen über eine neutrale oder positive Haltung des Nikias zum Sizilienunternehmen s. zu Recht Kagan 1981, 167 f. 80 Thuk. 6,8,1–2; verkürzend Diod. 12,83,5 f.

Anmerkungen zu S. 90–101

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81 Zur Rekonstruktion der Beschlüsse über die Sizilienexpedition s. HCT IV 223–229 mit Belegen sowie Kagan 1981, 166–173 und Hornblower, Commentary III, 311–315; zur Kommandogewalt der drei Strategen vgl. Hamel 1998, 201 f. Der ursprüngliche Beschluss zur Entsendung nur eines Strategen findet sich in IG I3 93, Z 2 f.; s. dazu HCT IV 225 und Kagan 1981, 169 Anm. 39; zu neuerdings in der Forschung geäußerten Zweifeln an der Zuweisung dieser Inschrift zur Sizilienexpedition von 415 s. Hornblower, Commentary III, 313. Für mögliche dahinterstehende Ambitionen des Alkibiades s. Bearzot 1988, 40– 54, bes. 53 f. 82 Plut. Alk. 18,1. 83 Thuk. 6,12,2. 84 Thuk. 6,8,3–15,1; Diod. 12,83,5 f.; Plut. Nik. 12,3–5; Alk. 18,2, dazu Stahl 1973, 65 f., der zeigt, wie in Thukydides’ Darstellung die Position des Nikias durch die Fakten bestätigt wird, und Kagan 1981, 174–180; vgl. Hornblower, Commentary III 322–337. Zur Motivation für Nikias’ Auftritt vgl. HCT IV 230. Rein spekulativ ist die Vermutung von Green 1970, 103 f., dass Nikias sich zu diesem letzten Oppositionsversuch veranlasst sah, weil ihm in einer Vorbesprechung der Strategen das ganze größenwahnsinnige Ausmaß von Alkibiades’ Projekt klargeworden war. Will 2006, 45 bezweifelt generell die Historizität des von Thuk. 6,9,1–14,1 berichteten Nikiasauftritts; historisch sei nur der Thuk. 6,20,1–25,2 referierte Antrag. 85 Thuk. 6,16,1–17,1 (gekürzt). 86 Thuk. 6,16,1–19,1; Diodor (12,84,1) und Plutarch (Alk. 18,3) erwähnen die Rede, ohne auf den Inhalt einzugehen. Zur Bewertung von Alkibiades’ Selbstdarstellung s. Mann 2007, 205–210 und Hornblower, Commentary III 342–348; zu jener der strategischen Argumente des Alkibiades vgl. Hornblower ebd. 348–352 und Kagan 1981, 182–186. 87 S. z. B. Beloch, GG 2 II 1, 355–357 und Taeger 1943, 97 f.; vgl. vor allem auch Kagans Ausführungen über Thukydides’ Einschätzung der Erfolgsaussichten der Expedition (Kagan 1981, 358–369). 88 Thuk. 6,20,1–24,1; dazu Green 1970, 110–112; Kagan 1981, 186–191; vgl. Hornblower, Commentary III, 359 f. 89 Thuk. 6,24,2–26,1; vgl. Plut. Alk. 18,3 und Nik. 12,5 f.; zu der damit verbundenen Ausweitung der Machtbefugnisse der Strategen s. Bearzot 1988, 41–46. 90 Zur Stärke der Expeditionsstreitmacht s. Thuk. 6,43; Diod. 13,2,5; dazu Busolt, GG III 2, 1296 f. mit Anm. 3 und HCT IV 308–310. Die zitierte Äußerung über „die aufwändigste und glanzvollste …“ Streitmacht findet sich in Thuk. 6,31,1. 91 Plut. Nik. 13,1–11; vgl. Aristoph. Lys. 387–397, dazu Kagan 1981, 192 f. 92 Zur Hermenverstümmelung s. Thuk. 6,27,1; Diod. 13,2,3; Plut. Alkib. 18,6 f.; vgl. Aristoph. Lys. 1093 f.; weitere Quellen bei Busolt GG III 2, 1287 f. Anm. 2; s. dazu HCT IV 288 f. und Furley 1996, 28–30 (vgl. ebd. 13–28 zur Bedeutung der Hermen generell); zu den modernen Spekulationen über die Hintergründe vgl. u., Anm. 112.; zur Frage des Datums s. den Überblick bei Will 2006, 137 Anm. 73.; zur Reaktion der Athener s. Thuk. 6,27,3– 28,1; Andok. 1,27 und 40; Plut. Alkib. 18,7 f.; s. Busolt GG III 2, 1291 f.; Hatzfeld 2 1951, 161 f.; Kagan 1981, 195 f. und jetzt Rubel 2000, 215–220. 93 Andok. 1,11–14; vgl. Thuk. 6,28,1 f., dazu Hatzfeld 2 1951, 163 mit Anm. 5 und HCT IV 273 f.; Isokr. 16,6 f. verzerrt die Ereignisse, s. dazu Busolt, GG III 2, 1294 Anm. 1 und Hatzfeld 2 1951, 165 Anm. 1; zum rechtlichen Charakter von Pythonikos’ Vorwürfen (formelle Anklage oder bloße Denunziation) s. McDowell 1962, 73. Zur Bedeutung der Mysterien für die Athener und zur Schwere des Vorwurfs ihrer Profanierung vgl. Furley 1996, 31–40; Rubel 2000, 220–223 und Hornblower, Commentary III 378–380.

218

Anmerkungen zu S. 102–112

94 Thuk. 6,29,1–3; Xen. hell. 1,4,14; weitere Quellen bei Busolt GG III 2, 1295 Anm. 3; dazu Hatzfeld 2 1951, 164–167. 95 Thuk. 6,31,4; vgl. Hornblower, Commentary III 381 f. und 388–390. 96 Thuk. 6,30,1–32,2; Diod. 13,2,5–3,2; zur Datierung s. Busolt GG III 2, 1288 Anm. 2 und 1295 (Mitte Juni); McDowell 1962, 189 und HCT IV 271–276 (früh im Juni). 97 Als Bsp. für in der Tendenz bejahende Antworten auf die Frage nach Alkibiades’ Beteiligung an den Mysterienparodien s. Hertzberg 1853, 178.212 Anm. 52–53b; Busolt, GG III 2, 1318 f.; HCT IV 283; Ellis 1989, 59 und Furley 1996, 39 f.; unentschieden, aber die Möglichkeit einräumend de Romilly 1995, 106 f. Einen interessanten Lösungsvorschlag bietet Hatzfeld 2 1951, 177–180, der vermutet, dass Alkibiades nicht das Ritual der eleusinischen Mysterien parodiert, sondern (in vollem Ernst) den ähnlichen Ritus der thrakischen Göttin Kotytto vollzogen habe, was vom Ankläger entweder missverstanden oder absichtlich falsch interpretiert worden sei. Politische Motive hinter der Mysterienparodie vermutet Furley 1996, 35–39, bes. 39, demzufolge der eleusinische Kult als Symbol des Friedens gegolten habe und daher dem Alkibiades und seinen Anhängern verhasst gewesen sei (s. jedoch Graf 2000, 125). Für die ‚Mutproben‘-Theorie s. Murray 1990, 155–158 und Graf a. O., 114–127, bes. 126 f. 98 Thuk. 6,42,1–44,2. Thuk. 6,44,2 f.; Diod. 13,3,4 f., dazu Busolt GG III 2, 1302 f. Anm. 2 und Kagan 1981, 211 f. Die von einem Teil der Forschung vertretene Möglichkeit, dass die Bürger von Rhegion bei aller offenkundigen Zurückhaltung den Athenern doch nennenswerte finanzielle Unterstützung geleistet hätten (s. HCT IV, 312 und Hornblower, Commentary III, 422 und 426 stützt sich auf das Zeugnis einer nicht sicher datierbaren Inschrift (IG I3 291 Z 11) und kann daher nicht als gesichert gelten (zur Frage der Datierung von IG I3 291 s. jetzt Hornblower a. O. 458–461 mit Lit.). 99 Thuk. 6,42,3.44,5.46,1–3; vgl. Diod. 13,4,3; s. dazu die kritischen Bemerkungen von Green 1970, 139 f. sowie Hornblower, Commentary III 422 f. 100 Thuk. 6,47,1–49,4; Plut. Nik. 14,3; Alk. 20,2 f., vgl. dazu Hamel 1998, 117 f. Anm. 7. 101 Vgl. die treffende Analyse bei Kagan 1981, 213 f.; für eine positive Einschätzung des Vorschlages s. Cawkwell 1997, 83 f. 102 Vgl. Thuk. 7,42,3 und Plut. Nik. 14,2; dazu HCT IV 419–421 und Kagan 1981, 215 mit Anm. 18 und 19. 103 S. die treffende Einschätzung von Kagan 1981, 215–217. Kritik an der verbreiteten Hochschätzung von Lamachos’ Vorschlag äußerten bereits Liebeschuetz 1968, 299–301 und Laffi 1970, 294–296. 104 Thuk. 6,50,1; dazu Hamel 1998, 96 mit weiteren Quellen. 105 Thuk. 6,50,1–5; Plut. Nik. 14,5–7; Green 1970, 144 vermutet, dass die kühne Einfahrt der Athener in den Hafen von Syrakus auf Alkibiades’ Initiative zurückgegangen sein könnte. 106 Thuk. 6,50,5–51,3; weitere Quellen bei Busolt, GG III 2, 1306, Anm. 3; Hornblower, Commentary III 428 hält es für möglich, dass Thukydides’ Bericht sich gegen eine Version richtete, in der Alkibiades das Verdienst am Anschluss von Katane zugeschrieben wurde. 107 Thuk. 6,52,1–2. 108 Andok. 1,15–17.34 f.; s. dazu McDowell 1962, 73–77.86 und Furley 1996,43. Für die bei Andok. 1,16 überlieferte Anzeige der Agariste hält Kagan 1981, 202 einen späteren Zeitansatz für möglich; vgl. dazu und zur Aussage der Agariste generell Wallace 1992, 328–330. 109 Andok. 1,37–45.47 f.; dazu McDowell 1962, 88–93 und Rubel 2000, 376 f.; vgl. Thuk. 6,61,2; Plut. Alk. 20,5; zur rechtlichen Bewertung der in Reaktion auf Diokleides’ Anzeige gefassten Maßnahmen vgl. auch Bauman 1990, 64.

Anmerkungen zu S. 112–118

219

110 Andok. 1,48–64; vgl. Thuk. 6,60,2–4, der den Namen Andokides nicht nennt; s. dazu McDowell 1962, 98–103 und 173–176; zur Glaubwürdigkeitsproblematik vgl. grundsätzlich Will 2006, 140 f. Anm. 104 und 107. 111 Andok. 1,64–66; vgl. Plut. Alk. 20,8; s. dazu Rubel 2000, 376 f. mit weiterer Lit.; zumindest bis zu einem gewissen Grad für zutreffend hält Furley (1996, 62–64) die Aussage des Diokleides. Zur Reaktion der Behörden auf Diokleides’ Entlarvung s. Andok. 1,68 (vgl. ebd. 51); Thuk. 6,60,4; Plut. Alk. 21,6; vgl. ein Fragment des Komödiendichters Prynichos (fr. 61 Kassel-Austin). Zur Hinrichtung des Diokleides vgl. McDowell 1962, 104. 112 S. generell die Überblicke von Rubel 2000, 188–191.197–215, Mann 2007, 250–261 und Hornblower, Commentary III 370–372. Dass das Ausmaß der Tat einen größeren Täterkreis voraussetze, nimmt z. B. McGlew 1999, 19, Anm. 56 an. Für die Existenz einer Untergrund-Oppositionsbewegung treten u. a. Lehmann 1987, 53 f., Furley 1996, 28 f. 58 f. und Mann 2007, 258–260 ein; weitere Vertreter dieser Auffassung führt Rubel a. O., 202 Anm. 74, 75 und 76 an; für die Vorstellung vom eskalierten Trunkenheitsexzess bzw. als einer ‚Mutprobe‘ ohne aktuell-politische Stoßrichtung s. Rubel a. O., 210–215. 113 Zur Wiederaufnahme der Mysterienfrevlerkampagne s. Thuk. 6,61,1; Plut. Alk. 21,7, Kagan 1981, 202 f. setzt die Anklagen der Agariste und des Lydos erst in dieses Stadium der Ereignisse (s. jedoch ebd. 204 seine Feststellung zur Unsicherheit der Chronologie). Eine zusätzliche Kompromittierung des Alkibiades ergab sich, als Diokleides bei seinem Verhör unter anderem Alkibiades von Phegous, einen Cousin unseres Alkibiades, als Anstifter seiner Aussage angab, worauf dieser sogleich die Flucht ergriff (Andok. 1,65); s. dazu Busolt, GG III 2, 1314 f. und Hatzfeld 2 1951, 193 f., der davon ausgeht, dass der Phegusier ohne Mitwissen des Strategen Alkibiades gehandelt hat; vorsichtiger McDowell 1962, 104. Die Anklage gegen Alkibiades überliefern Thuk. 6,61,4 und Plut. Alk. 21,7.22,4; s. dazu Busolt, GG III 2, 1317 f. und Kagan 1981, 203; zum juristischen Gehalt s. Bauman 1990. 114 Thuk. 6,61,5; Plut. Alk. 21,7. 115 Zum Verrat an den Athenfreunden in Messene s. Thuk. 6,74,1 und Plut. Alk. 22,1; vgl. Balestrazzi 1992, 30 f.; zu Alkibiades’ Flucht in Thurioi Thuk. 6,61,6 f.; Diod. 13,5,2 f.; Plut. Alk. 22,1 f. 116 Thuk. 6,61,7; Diod. 13,5,7 (vgl. 13,69,2); Isokr. 16,9; Plut. Alk. 22,4 (vgl. 33,3); Nep. Alc. 4,5; weitere Quellen bei Busolt, GG III 2 1319 Anm. 2. Die Verzeichnisse der Versteigerung von Alkibiades’ konfiszierten Besitztümern sind zum Teil erhalten: IG I3 421, Z 12–25. Hatzfeld (21951, 136) hat aufgrund dieses Zeugnisses eine finanziell dürftige Lage des Alkibiades im Jahre 415 erschlossen; einiges spricht jedoch dafür, dass Hatzfeld das Maß der dem Alkibiades zuzurechnenden Güter in diesen Verzeichnissen zu gering angesetzt hat, s. Mann 2007, 222 f. Grundsätzlich wird man, worauf Bockisch bei Bockisch/ Klowski 2006, 61 zu Recht verweist, mit der Möglichkeit zu rechnen haben, dass Alkibiades beträchtliche Vermögenswerte vorsorglich außer Landes geschafft haben könnte.

III. Exil, Rückkehr und Ende 1 Thuk. 6,88,9; Nep. Alc. 4,4; Iust. 5,1,2 f.; ob Elis damals neutral war, ist nicht ganz sicher, m. E. aber wahrscheinlich: Wäre es mit Sparta verbündet gewesen (so für möglich gehalten in HCT IV 360 f.), hätte Alkibiades viel riskiert, sich auf eigene Faust dorthin zu begeben. 2 Isokr. 16,8–9; Plut. Alkib. 23,1; für Zweifel an Alkibiades’ Argos-Aufenthalt s. Hertzberg 1853, 292 Anm. 2; für die Glaubwürdigkeit Cawkwell 1997, 90; weniger entschieden

220

Anmerkungen zu S. 118–133

Ellis 1989, 121 f. Anm. 86.; zweifelhaft ist jedenfalls der von Nep. Alc. 4,4 und 11,3 behauptete Aufenthalt des Alkibiades in Theben, s. Ellis a. O. 3 Zur Einladung des Alkibiades nach Sparta s. Thuk. 6,88,9; Plut. Alk. 23,1 f.; s. dazu Hertzberg 1853, 293 Anm. 6 und Hatzfeld 2 1951, 208 f.; zu den Kämpfen vor Syrakus und der Entsendung von Gesandten nach Sparta s. Thuk. 6,67–70.73,2.88,7–9; weitere Quellen bei Busolt GG III 2, 1323 Anm. 1; dazu Kagan 1981, 229–242. 4 Thuk. 6,88,9–92,5; dazu Hornblower, Commentary III 511–517; für die Vermutung, dass Alkibiades den Rat zur Befestigung von Dekeleia nicht in dieser Versammlung, sondern erst bei späterer Gelegenheit gegeben hat, s. Wilamowitz-Moellendorff 1925, 297– 300. Die Errichtung einer Festung in Attika könnte von den Spartanern bereits früher erwogen worden sein (vgl. Thuk. 5,17,2), Dekeleia war von ihnen allerdings bis dahin aus religiösen Gründen verschont worden (Hdt. 9,73,3). 5 Thuk. 6,92,2–5. 6 Thuk. 6,93,1–3; vgl. 7,18,1–4; namhafte Forscher vertreten die Ansicht, dass Thukydides die Wirkung von Alkibiades’ Auftritt übertrieben hat (s. u. a. Brunt 1952, 71 f. und Kagan 1981, 255–258). 7 Plut. Alc. 23,3–6; mor. 52e; vgl. Athen. 534b; Nep. Alc. 11,3–4; weitere Belege bei Hertzfeld 1853, 293 Anm. 12 und 13. 8 Plut. Alk. 23,6–9. Ages. 3,1–3; Athen. 535b; Iust. 5,2,5; vgl. Xen. hell. 3,1–3; Plut. Lys. 22,7 f. Nep. Ages. 1,4; für eine zeitgenössische Komödienstelle cf. Athenaios 574d (= Adesp. 123 Kassel-Austin); dazu Hatzfeld 2 1951, 217 f. mit Anm. 3. 9 Die grundlegende Quelle dafür ist Thukydides (6,94,1–104,3.7,1,1–8,3), dazu den Kommentar in HCT IV 368–386; wissenschaftlich solide moderne Darstellungen bieten Green 1970, 177–229.233–236 und Kagan 1981, 260–277 (dort auch die Verweise auf weitere Quellen). 10 Zu den spartanisch-athenischen Feindseligkeiten im Sommer 414 s. Thuk. 6,105,1– 3.7,18,3 (dazu HCT IV 377 f.394. und Kagan 1981, 268 f.), zur Befestigung von Dekeleia 413 Thuk. 7,19,1–3.27,3–28,4; Diod. 13,9,2 (dazu Kagan 1981, 288–292). 11 Dass Alkibiades an dem Dekeleia-Feldzug nicht teilnahm, lässt sich – trotz der gegenteiligen Behauptung bei Diod. 13,9,2 – aus dem diesbezüglichen Schweigen des Thukydides und der alkibiadesfeindlichen Quellen erschließen, s. Hatzfeld 2 1951, 214 Anm. 1; Kagan 1981, 290 Anm. 5 und Ellis 1989, 67 f.123, Anm. 98–101. 12 Thuk. 7,8,2 f.10,1–17,1.20,1–3; dazu HCT IV 385–391; Green 1970, 236–250 und Kagan 1981, 277–287.295. 13 Thuk. 7,21,1–25,9.31,1–45,2; dazu Green 1970, 252–290 und Kagan 1981, 295–314. 14 Thuk. 7,46,1–87,6, dazu Green 1970, 290–350 und Kagan 1981, 314–353. 15 Thuk. 8,1,2; vgl. Busolt, GG III 2, 1399–1409 und Kagan 1987, 1–23. 16 Zu Endios s. o., S. 213 Anm. 20. Interessante, aber nicht belegbare Spekulationen zum Verhältnis zwischen Endios und Alkibiades 414–412 bietet Kebric 1976, 75–77. 17 Thuk. 8,4,4–7,1; Plut. Alc. 24,1 f.; dazu Lewis 1977, 88 f. und Kagan 1987,32–36. 18 Thuk. 8,9,1–12,3, vgl. Iust. 5,2,1 f.; dazu Kagan 1987, 37–42. 19 Thuk. 8,14,1–3.16,1–19,1, dazu Busolt, GG III 2, 1424–1427; Kagan 1987, 43–50 und Petit 1997, 139 f. 20 Thuk. 8,45,1–47,1; Plut. Alk. 24,4–25,2; weitere Quellen bei Hertzberg 1853, 297, Anm. 45a-46 und Busolt GG III 2, 1437–1440 mit Anm.; s. dazu HCT V 93–106, Lewis 1977, 92.98 f. und Petit 1997, 140–146. 21 Thuk. 8,26,3. 22 Thuk. 8,45,1; Plut. Alk. 24,3–4; Nep. Alc. 5,1 f.; Iust. 5,2,4–7; dazu Hatzfeld 2 1951, 224–228; HCT V 95 f. und Kagan 1987, 70–73 f.

Anmerkungen zu S. 134–154

221

23 Thuk. 8,45,2–47,1; Plut. Alk. 24,5–25,2; Iust. 5,2,7–14, dazu Hatzfeld 2 1951, 228–232; HCT V, 93–106, Kagan 1987, 73–77; interessante, aber quellenmäßig nicht fundierte Spekulationen über das Verhältnis zwischen Alkibiades und dem Satrapen bietet Petit 1997, 143 f. 24 S. Heftner 2001, 1–6 und 15 f.; vgl. ebd. 114–117 mit Quellen und Lit. 25 Thuk. 8,47,2 und 48,1. 26 Thuk. 8,47,2–48,3, dazu Heftner 2001, 40–44 mit weiteren Belegen und Lit. 27 Thuk. 8,48,4–7, dazu Heftner 2001, 44–49; zur Person des Phrynichos generell s. Heftner 2005. 28 Thuk. 8,49, dazu Heftner 2001, 49 f.; zu Peisandros s. Woodhead 1954. 29 Thuk. 8,50,1–51,3, dazu Heftner 2001, 50–58 mit weiterer Lit. 30 Thuk. 8,53,1–54,4, dazu Heftner 2001, 59–74 mit weiteren Quellen und Lit. 31 Thuk. 8,56,1–4, dazu Heftner 2001, 75–87 mit Belegen und Lit. 32 Thuk. 8,63,3–64,1, dazu Heftner 2001, 87–91; vgl. ebd. 124–126. 33 Thuk. 8,67,1–3.69,1–70,2; Ath. Pol. 29,1–30,1.32,1, dazu Heftner 2001, 130–176 mit weiteren Quellen und Lit. (zur Chronologie vgl. ebd. 93–108). 34 S. Thuk. 8,63,4. 35 Thuk. 8,73,1–76,3, dazu Heftner 2001, 211–225 mit weiteren Quellen und Lit. 36 Thuk. 8,76,3–7.81,1; dazu Heftner 2001, 225–231 und 254–256. Zu Thrasybulos generell s. Buck 1998. 37 Thuk. 8,82,3. 38 Thuk. 8,81,1–82,1, dazu Heftner 2001, 251–254. 39 Thuk. 8,82,2–3, dazu Kagan 1987, 178 f. 40 Thuk. 8,86,5–7 (gekürzt). 41 Thuk. 8,72,1 f.77.86,1–7, dazu Heftner 2001, 257–259. 42 Thuk. 8,89,1–4, dazu Heftner 2001, 260–264. Zu Theramenes s. Pesely 1983 und Heftner 2001, 126–130.274–276. 43 Thuk. 8,87–88; dazu Hatzfeld 2 1951, 251–253; HCT V 293 f.; Lewis 1977, 133 f. und Kagan 1987, 212 f. 44 Thuk. 8,99–107,2; Diod. 13,39,1–41,3, dazu HCT V 341–355 und Kagan 1987, 213–228, der – vielleicht zu Unrecht – den Bericht Diodors als wertvolle Ergänzung des Thukydides betrachtet (für grundsätzliche Zweifel an Diodor s. Bleckmann 1998, 129–131). 45 Thuk. 8,108,1–3; Diod. 13,41,4–42,3; für eine militärische Erklärung von Alkibiades’ spätem Aufbruch s. Kagan 1987, 227–229. 46 Thuk. 8,90,1–92,3, dazu Heftner 2001, 264–270 und 272 f. 47 Zum Sturz der Vierhundert in Athen s. Thuk. 8,92,4–98,4; dazu Heftner 2001, 271– 322 mit weiteren Quellen und Lit.; zum Rückberufungsdekret für Alkibiades s. Thuk. 8,97,3; Plut. Alkib. 27,1 und 33,1; Diod. 13,42,1 (vgl. 38,2); Nep. Alcib. 5,4; dazu Kagan 1987, 206 f.; die in der Forschung mehrfach geäußerte Vermutung, dass dieser Beschluss noch keine volle Anerkennung von Alkibiades’ Position als Stratege der Flotte bedeutet habe (so Beloch GG 2 II 2, 247.321 und Andrewes 1953, bes. 3 f.), ist zweifelhaft, s. Barbieri 1956, 66–68 und Bleckmann 1998, 387–389 und 475 (vgl. ebd. 443–445). 48 Xen. hell. 1,1,1–7; Diod. 13,45,1–46,5; Plut. Alk. 27,3 f. dazu Busolt, GG III 2, 1522 f. und Bleckmann 1998, 42–48; abweichend Kagan 1987, 230–233. 49 Xen. 1,1,8–9; Plut. Alk. 27,6 f.; für die Vermutung eines abgekarteten Spiels zwischen Alkibiades und Tissaphernes s. z. B. Krentz 1989, 95; anders Ellis 1989, 83. 50 Xen. hell. 1,1,11–20; Diod. 13,48,2–51,8; Plut. Alc. 28.2–6; Iust. 5,4,2 f.; dazu Kagan 1987, 237–245; eine abweichende Rekonstruktion bietet Bleckmann 1998, 56–72,. der Diodors Bericht keinen Quellenwert zuerkennen möchte. Zu der antiken Debatte über den

222

Anmerkungen zu S. 154–163

Anteil der einzelnen Strategen am Sieg bei Kyzikos s. Hatzfeld 2 1951, 275 f., der jedoch das durch die Schlacht errungene Prestige des Alkibiades m. E. zu gering veranschlägt. 51 Diod. 13,53,4. 52 Diod. 13,52,1–53,4; die Historizität dieses Friedensangebots wird von Natalicchio 1990, bes. 165 f. und 175 bestritten, s. jedoch Bleckmann 1998, 393–411 (ebd. 405–410 die im Text gegebene Bewertung der politischen Situation; vgl. Heftner Chiron 2003, 26–28). 53 Xen. hell. 1,1,20–22; vgl. Diod. 13,64,2; dazu Busolt GG III 2 1547 (mit weiteren Quellen in Anm. 2–3) und Kagan 1987, 244 f. 54 Xen. hell. 1,2,1–11; vgl. Diod. 13,64,1 (wo irrtümlich Thrasybulos statt Thrasyllos genannt ist); Plut. Alk. 29,2 und Plut. mor. 345d (zu Letzterem Krentz 1989, 115). Die Datierung der Thrasyllos-Expedition in den Sommer 410 folgt einem 1823 von C. F. F. Haacke ausgearbeiteten chronologischen Schema, das zuletzt Bleckmann 1998, 269–284 mit guten Argumenten bekräftigt hat. Andere Forscher, wie z. B. Kagan 1987, 265–270 setzen Thrasyllos’ Ausfahrt erst in den Sommer 409. Vgl. auch den diesbezüglichen Forschungsüberblick von Krentz 1989, 11–14. Zu den militärischen Operationen der Thrasyllosexpedition s. Kagan 1987, 269–273. 55 Xen. hell. 1,2,12 f., dazu Krentz 1989, 115 und Bleckmann, Athens Weg 459 f. Eine von einigen Forschern vertretene Verbesserung des Xenophon-Texts, derzufolge Thrasyllos den Alkibiades-Cousin nicht hingerichtet, sondern vielmehr freigelassen habe (s. Andrewes 1953, 4 Anm. 11), hat in der neueren Forschung wohl zu Recht keinen Anklang gefunden. 56 Xen. hell. 1,2,15–17; Plut. Alk. 29,3–5; vgl. Diod. 13,64,4. 57 Xen. hell. 1,3,1–7; Diod. 13,66,1 f.; Plut. Alc. 29,6–30,2.; die im Text gegebene Datierung auf 409 folgt der Haacke’schen Chronologie (vgl. o., Anm. 54), im alternativen Schema Dodwells fällt der Feldzug gegen Kalchedon erst ins Jahr 408, s. dazu Krentz 1989, 13 und Bleckmann 1998, 284–293. 58 Xen. hell. 1,3,8 und 10; Diod. 13,64,3 f.; Plut. Alk. 30,3–10; vgl. den inschriftlich erhaltenen Vertrag zwischen Athen und Selymbria (IG I3 Nr. 118). 59 Xen. hell. 1,3,8–12; Plut. Alk. 31,1–3; Diod. 13,66,3; zu dem Abkommen s. Amit 1973, 440–457, der zeigt, dass es keine Rückkehr Kalchedons unter athenische Botmäßigkeit beeinhaltete, sondern nur die Nachzahlung des Tributs. Die Stadt blieb unter dem Schutz des Pharnabazos; vgl. weiters Lewis 1977, 128 f. 60 Xen. hell. 1,3,10.14–22; Diod. 13,66,3–67,7; Plut. Alk. 31,3–6; weitere Quellen bei Busolt, GG III 2, 1559 f. Anm. 3; s. dazu Kagan 1987, 282 f. Die Aufnahme einer athenischen Besatzung in Byzantion ergibt sich aus Xen. hell. 2,2,1. 61 Xen. hell. 1,4,8–10; Robertson 1980, 285–287 nimmt an, dass Alkibiades mit der Kriegführung in Karien den größten Teil des Jahres 408 und den Anfang von 407 verbracht hat; dagegen jedoch mit guten Argumenten Bleckmann 1998, 293–298. Zum zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen den Aktionen des Alkibiades, Thrasyllos und Thrasybulos im Frühjahr 408 s. Krentz 1989, 128. 62 Xen. Hell. 1,413.18 f. (gekürzt). 63 Xen. hell. 1,4,11–20; die ‚panegyrischen‘ Versionen zu Alkibiades’ Heimkehr finden sich bei Plutarch (Alk. 32,1–4), Diodor (13,68,3–69,1) und Cornelius Nepos (Alc. 5,7–6,3); dazu die treffende Analyse von Bleckmann 1998, 461–472 mit Quellen und Lit. Zur Datierung (Sommer 408 nach dem Haacke’schen, 407 nach dem Dodwell’schen Schema) s. die überzeugenden Ausführungen von Bleckmann 1998, 293–298 mit weiteren Literaturangaben. 64 Xen. hell. 1,4,20; Plut. Alk. 33,2 f.; Diod. 13,69,1–3; Nep. Alc. 6,4–7,1; dazu Bleckmann 1998, 472–486 mit weiteren Quellen und Lit.; zur rechtlichen Position des Alkibia-

Anmerkungen zu S. 163–173

223

des im Augenblick seiner Rückkehr vgl. Hatzfeld 2 1951, 295–298 und Hamel 1998, 200– 203; zur Bedeutung der dem Alkibiades übertragenen Oberfeldherrnposition vgl. Bearzot 1988, 54–57. 65 Diod. 13,68,4 und 6 (gekürzt). 66 Androtion FGrHist 324 F 44; dazu Busolt GG III 2 1565 und Harding 1994, 162–164. 67 Xen. hell. 1,4,20; Plut. Alk. 34, 3–7; dazu Hatzfeld 2 1951, 299 f. und Kagan 1987, 290– 292; zum Ablauf des Festes s. Deubner 1932, 72–91 und Parke 1977, 55–72. 68 Xen. hell. 1,4,21 f.; Plut. Alk. 35,1 f.; der von Diod. 13,69,5 berichtete Umweg mit Plünderungsaktion über Rhodos und Kos wird von Bleckmann, Athens Weg 92 f. mit Anm. 195 bezweifelt, anders Kagan 1987, 308–310. 69 Xen. hell. 1,4,2 f.5,1–7; Plut. Lys. 4,1–7. vgl. Plut. Alk. 35,5; Diod. 13,70,1–4; dazu Busolt GG III 2, 1567–1573 (mit weiteren Belegen) und Kagan 1987, 294–307; zu Lysandros generell s. Lotze 1964 und Bommelaer 1981; zur Frage nach den Leitlinien der damaligen persischen Politik vgl. Lewis 1977, 133–137. 70 Xen. hell. 1,5,8 f.; dass diese diplomatische Initiative auf Alkibiades zurückgeht, vermutet mit gutem Grund Amit 1975, 7; für Tissaphernes’ Motive vgl. Krentz 1989, 137. 71 Plut. Alk. 35,3 f. 72 Zur Frage nach Alkibiades’ Plänen im Frühjahr 407 vgl. die von Amit 1975, 8–11 und Kagan 1987, 311–313 aus divergierenden Quellenangaben (Xen. hell. 1,5,11; Diod. 13,71,1; Plut. Lys. 5,1) gewonnene Rekonstruktion; anders Bloedow 1973, 75 Anm. 447. 73 Für Antiochos’ Verbindung zu Alkibiades s. Plut. Alk. 10,2; für Alkibiades’ Motive zu seiner Bestellung s. Kagan 1987, 314 f.; für die dem Antiochos erteilten Weisungen s. die divergierenden Versionen bei Xenophon (hell. 1,5,11: Antiochos sollte keine Schlacht provozieren) und Plutarch (Alkibiades 35,6: Antiochos sollte auf keinen Fall die Schlacht annehmen); vgl. Diod. 13,71,1. 74 Xen. hell. 1,5,12–14; Plut. Alk. 35,6 f.; Plut. Lys. 5,1 f.; Diod. 13,71,2–4; Hell. Oxy. 4,1–3 Bartoletti. Eine fehlgeschlagene Demonstration behaupten Xenophon und Plutarch, für die Absicht, einen Kampf zu provozieren, siehe Diodor und die Hellenika von Oxyrhynchos; die Möglichkeit einer Erkundungsmission erwägen Delebecque 1965, 78 (Komm. zu Xen. Hell. 1,5,12) und Bleckmann 1998, 165 f.; für moderne Rekonstruktionen des Schlachtgeschehens s. Kagan 1987, 315–320 und Bleckmann 1998, 163–180. 75 Xen. hell. 1,5,15; Plut. Alk. 35,8; Diod. 13,71,4. 76 Xen. hell. 1,5,16 f.; Plut. Alk. 36,1–3; Plut. Lys. 5,3; Diod. Nep. Alc. 7,2 f.; vgl. Thuk. 6,15,4. 77 In der Forschung heftig umstritten ist die Frage, ob Alkibiades einfach nicht wiedergewählt oder noch vor Ablauf seiner Amtszeit abgesetzt wurde. Für die erste, m. E. wahrscheinlichere, Möglichkeit zuletzt Bleckmann 1998, 497–503 und Hamel 1998, 210–212, für die Absetzung u. a. Busolt, GG III 2, 1578 f. und Kagan 1987, 321 mit Anm. 120; zu dem für die Entscheidung der Frage wichtigen Problem der Position des in Xen. hell. 1,5, 18 genannten Phanosthenes vgl. Krentz 1989, 144. Zu dem neuen Strategenkollegium s. Xen. hell. 1,5,16; Diod. 13,74,1; die Darstellung im Text geht davon aus, dass es sich bei den unter dem Eindruck der Schlappe von Notion gewählten Strategen (Xen. hell. 1,5,16; Diod. 13,74,1; Plut. Alk. 36,4) um das reguläre Strategenkollegium des Jahres 407/406 handelte (so mit guten Argumenten Bleckmann 1998, 309–313). Andere Autoren möchten diese Strategen hingegen entweder mit dem Kollegium von 406/405 (so z. B. Lotze 1964, 76 und Kagan 1987, 325) oder mit einem teils aus Kollegen des Alkibiades, teils aus neubestellten Strategen bestehenden interimistischen Kollegium gleichsetzen (so Orsi 1975, bes. 143 f.; vgl. ebd. 137). Für die Präsenz

224

Anmerkungen zu S. 173–181

von Alkibiades-Freunden im neuen Kollegium s. Krentz 1989, 143, der zumindest für Perikles, Diomedon und Erasinides Verbindungen zu Alkibiades annehmen möchte. 78 Xen. hell. 1,5,17; Diod. 13,74,2 (vgl. 74,4) und Nepos Alc. 7,4; Plut. Alk. 36,5; und Lys. 14,38; zu den dortigen Burgen des Alkibiades s. Xen. hell. 2,1,25; Plut. Alc. 36,3; Plut. Lys. 10,5 und Nep. Alc. 7,4; vgl. Lys. 14,26 f. 79 Plut. Alk. 36,5; Nep. Alc. 7,4 f.; vgl. Alkibiades’ Selbstdarstellung bei Diod. 13,105,3 f. 80 Dass Alkibiades im Jahre 407 nicht gerichtlich verurteilt wurde, geht, wie Busolt (GG III 2, 1579 Anm. 2) feststellt, aus der Tatsache hervor, dass seine Besitztümer in Athen nicht beschlagnahmt wurden (Lys. 19,52; vgl. Isokr. 16,46). Die nur in einer obskuren Quelle behauptete Anklage des Kleophon gegen Alkibiades (Himerios bei Photios, Biblioth. p. 377) ist möglicherweise unhistorisch, s. Busolt a. O. und Kagan 1987 (anders Hatzfeld, 21951, 316). 81 Xen. hell. 1,5,18–20; Diod. 13,76,1, dazu Busolt, GG III 2, 1582 und Kagan 1987, 326 f. (mit abweichender Chronologie). 82 Xen. 1,6,1–35; Diod. 13,76,2–79,7.97,1–100,5; dazu Busolt GG III 2, 1586–1597; Kagan 1987, 327–353 und Krentz 1989, 145–158 mit weiteren Belegen. 83 Xen. hell. 1,7,1–35; Diod. 13,101,1–102,5, weitere Belege bei Busolt, GG III 2, 1597– 1607; die reiche Forschungsliteratur ist aufgearbeitet bei Bleckmann 1998, 509–571; daneben sei noch auf die Darstellungen bei Bauman 1990, 69–77.186 f. und Burckhardt 2000 sowie auf Giovannini 2002 verwiesen. 84 Aristot. Ath. Pol. 34,1 f.; gegen die in der Forschung mehrfach geäußerten Zweifel an der Historizität dieses Friedensangebots (so z. B. Rhodes 1981, 424 f. und Natalicchio 1990, 174 f.) s. Bleckmann 1990, 396–398. 85 Xen. hell. 2,1,6–9.10–15; Diod. 13,100,7 f.103,4 f.; Plut. Lys. 7,2–9,2; dazu Busolt, GG III 2, 1612 f. und Kagan 1987, 379–382. 86 S. Busolt, GG III 2, 1614–1617 und Bleckmann 1998, 573–586 mit Belegen; für die Diskreditierung des Theramenes und Thrasybulos s. Kagan 1987, 374 f. 87 Zur Diskussion um Alkibiades’ Rückberufung 406/405 s. die Analyse von Bleckmann 1998, 586–589 mit Belegen. Die im Text zitierte Passage aus Aristophanes’ ‚Fröschen‘ findet sich in Vers 1425; vgl. dort die ganze Passage vv. 1422–1434, dazu Dover 1993, 370 f. und Sommerstein 1996, 284 f. 88 Zur Zusammensetzung des Strategen-Kollegiums s. Develin 1989, 180 f., der für einen Teil der Strategen eine Nachwahl annimmt, dagegen Bleckmann 1998, 587 Anm. 61. Ob das Strategenkollegium ausgesprochene Alkibiadesfeinde enthielt (so die Vermutung von Busolt, GG III 2 1616), ist nicht eindeutlig zu klären, vgl. die wohlbegründeten Zweifel von Bleckmann 1998, 587 f. Grundsätzlich wird man aus der feindseligen Haltung, die einzelne der Strategen dem Alkibiades vor der Schlacht von Aigospotamoi gegenüber an den Tag legten, nicht a priori auf eine längerdauernde Feindschaft schließen können. 89 Xen. hell. 2,1,15.17–25; Diod. 13,104,7–105,2; Plut. Lys. 9,3–10,4; Plut. Alk. 36,6. Xenophon lässt Lysandros nur in den ostägäischen Gewässern operieren, während Diodor und Plutarch (in der Lysandros-Biographie) von einem Vorstoß quer über die Ägäis zur Küste Attikas zu berichten wissen (akzeptiert u. a. von Kagan 1987, 384 f.; bezweifelt von Busolt GG III 2 1617 f. Anm. 3 und Bleckmann 1998, 589 f.). Zur Lage der Flotten vor Aigospotamoi s. Kagan 1987, 386–388. 90 Diod. 13,105,3. 91 Xen. hell. 2,125 f.; Plut. Lys. 10,5 f.; dass die von Xenophon referierte Kritik am athenischen Ankerplatz einen unpassenden und dürftigen Ratschlag darstellte, bemerkte schon Hatzfeld 2 1951, 335 f. Das in der im Text zitierten Diodorstelle berichtete Anerbieten der Thrakerhilfe findet sich auch bei Nepos (Alc. 8,3), es scheint auch bei Plut. Alk.

Anmerkungen zu S. 181–189

225

37,3 impliziert zu sein. Für Zweifel an der Realisierbarkeit dieser Versprechungen s. Bleckmann 1998, 597–599, der deswegen die Diodor-Nepos-Version für unhistorisch hält, und Kagan 1987, 389, der es – wohl zu Recht – dem Alkibiades zutraut, haltlose Versprechungen zu machen. 92 Xen. hell. 2,1,26; Diod. 13,105,4; Plut. Alk. 37,1 f.; Plut. Lys. 10,6 f.; Nep. Alc. 8,4. 93 Xen. hell. 2,1,27–29; Diod. 13,106,1–7; weitere Quellen bei Busolt, GG III 2, 1620– 1622; zu den Quellenwidersprüchen und den möglichen Rekonstruktionen der Ereignisse s. Kagan 1987, 390–394; Krentz 1989, 176–180 und Bleckmann 1998, 115–128 mit weiterer Lit. S. Lys. 21,9 f.; Xen. 2,1,29 und Diod. 13,106,6 sprechen von 10 geretteten Schiffen. Für weitere Quellenangaben und eine Diskussion s. Krentz 1989, 177. 94 S. Kagan 1987, 395–412, Krentz 1989, 180–189 und Bleckmann 1998, 604–614 (alle drei mit Belegen). 95 Krentz 1982, 44–61; Heftner Chiron 2003, 28–34 mit Lit. Zu Kritias s. jetzt Bultrighini 1999 (bes. 185–221 zum Verhältnis Kritias–Alkibiades) und Nemeth 2006, 25–39; zu Theramenes neben der o. S. 221 Anm. 42 zitierten Lit. auch Heftner, Chiron 2003, 31– 34. 96 Isokr. 16,37.40; für den angeblichen Widerstand des Theramenes s. Xen. hell. 2,3,42; zur Verbannung von Alkibiades’ Sohn s. Isokr. 16,46; zur Haltung der ‚Dreißig‘ gegenüber Alkibiades vgl. Plut. Alk. 38,1–4. 97 Nep. Alc. 9,1–3; Plut. Alk. 37,6–8. Zweifel an der Großzügigkeit des Satrapen äußert Hatzfeld 2 1951, 342. 98 Ephoros FGrHist 70 F70 (bei Diod. 14,11,1–3); s. neben dieser Stelle auch Nep. Alc. 9,4–10,1. 99 Xen. anab. 1,1,3; zur Erhebung des Kyros im Jahre 401 und dem ‚Zug der Zehntausend‘ s. die klassische Schilderung in Xenophons ‚Anabasis‘, dazu den Kommentar von Lendle 1995 (dort auch weitere Lit.). 100 Vgl. Hatzfeld 2 1951, 347 f.; weniger skeptisch Ellis 1989, 132 Anm. 155. 101 S. Beloch GG 2 III 1, 33–48.61–79; Hamilton 1979, 187–192.227–232 und Funke 1980, 78–83 mit Belegen. 102 Zur Datierung s. Hatzfeld 2 1951, 340 f.; zur Lokalisierung des Ortes Robert 1980, 257–291. Die Version des Ephoros (FGrHist 70 F70) findet sich bei Diod. 14,11,3; die ‚Dreißig‘ als Urheber der Tat nennen Plutarch (Alk. 38,5–39,1) und Cornelius Nepos (Alc. 10,1 f.), vgl. auch Iust. 5,8,13 f.; die ‚Privatrache‘-Version bringt Plutarch als Meinung ‚einiger‘ Gewährsmänner (Plut. Alk. 39,9). 103 Vgl. Hatzfeld 2 1951, 343 f. und Ellis 1989, 95–97, die ebenfalls Alkibiades’ griechische Widersacher (die ‚Dreißig‘ oder Lysandros auf eigene Faust) als die eigentlichen Urheber der Mordtat ansehen möchten. Man beachte, dass Pharnabazos sich stets um ein gutes Verhältnis zu den Spartanern bemüht hat (Plut. Lys. 20,4). 104 Plut. Alk. 39,1.4–7 (gekürzt). Neben der im Text zitierten Plutarchstelle s. Ephoros FGrHist 70 F 70 bei Diod. 14,11,4 und Nep. Alc. 10,4–6; bei Iustin 5,8,14 ist vom Feuertod des Alkibiades die Rede. 105 Zur Bestattung von Alkibiades’ Leiche s. neben der im Text zitierten Plutarchstelle Nep. 10,6, der vom Abschlagen des Hauptes berichtet (angedeutet auch bei Plut. Alk. 39,3), sowie Athen. 13,574e. Zur Errichtung des Grabmonuments durch Hadrian s. Athen. 13,574 f., dazu Hatzfeld 2 1951, 345 mit Anm. 4

226

Anmerkungen zu S. 189–205

IV. Rezeptionsgeschichte und neue Fragen der Forschung 1

Xen. mem. 1,2,12. Vgl. Gribble 1999, 159–213, der jedoch insgesamt eine eher kritische Bewertung des Alkibiades durch Thukydides annehmen möchte. Von den zahlreichen für Thukydides’ Alkibiadessicht relevanten Stellen sei besonders auf 6,15,4 verwiesen, wo Alkibiades’ Entfernung vom Kommando als Ursache von Athens Katastrophe bezeichnet wird (dazu HCT IV, 242–245 und Hornblower, Commentary III 340 f.). Delebecque 1965 konzentriert sich mehr auf die Quellenfragen als auf die Bewertung des Alkibiades durch Thukydides. 3 S. Xen. Hell. 1,1,11–20 (Alkibiades erscheint als alleiniger Kommandant in der Schlacht von Kyzikos); hell. 1,4,13–17 (Urteil der Athener über Alkibiades: Das positive Urteil wird begründet, das negative erscheint als Ausfluss irrationaler Abneigung; s. jedoch Due 1991, 42 f.); hell. 1,5,11 f. (Antiochos handelt gegen Alkibiades’ ausdrücklichen Befehl); hell. 2,1,25 f. (Alkibiades als missachteter Warner). 4 Vgl. Bleckmann 1998, 462–464. 5 Für die belletristische Verherrlichung des Alkibiades s. z. B. E. v. Naso, Der Halbgott, Frankfurt/M. 1949; R. Sutcliff, The Flowers of Adonis, London 1969; W. M. Ellis, The Athenian, San José 2001; vgl. auch Alkibiades’ Rolle in M. Renault, The Last of the Wine, London u. a. 1956. Für die Alkibiades-Bewunderung moderner Biographen und Historiker bietet Taeger 2 1943 das markanteste Beispiel; s. daneben die von Bloedow 1973, 1 f. und ders. 1991, 191–193 gebotene Blütenlese einschlägiger Äußerungen. 6 Für eine kritische Bewertung des Alkibiades s. in der jüngeren Forschung vor allem Bloedow 1973 und 1991, daneben Bengtson 1983, 180–183; für die mäßige Leistungsbilanz des Alkibiades im Jahre 415 vgl. Kagan 1981, 255 f. 7 Hatzfeld 2 1951, 352. 8 Die im Text angesprochenen Thukydidesstellen sind: 6,16,4 f. (Alkibiades’ Selbstdarstellung); 6,89,3–6 (antidemokratische Äußerungen in Sparta); 8,48,4 (Alkibiades nur an seinem Vorteil interessiert; dazu Heftner 2001, 44–50). 9 Thuk. 6,89,5–6 (gekürzt). 10 Beloch, GG 2 II 1, 414 f.; man beachte dabei, dass Beloch die Rückkehr des Alkibiades in das Jahr 407 setzt (zu dieser chronologischen Problematik s. o., S. 222, Anm. 63). 11 Hatzfeld 2 1951, 356. 12 Hatzfeld 2 1951, 357. 2

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Personen- und Sachregister Vorbemerkung: Das Register umfasst Personen- und Ortsnamen; nicht aufgenommen wurde Alkibiades, der Held der vorliegenden Biographie, selbst sowie Athen, das ebenfalls fast auf jeder Seite erwähnt ist. Zur Unterscheidung des titelgebenden Alkibiades von seinen gleichnamigen Verwandten ist hier das von J. K. Davies (Athenian Propertied Families, Oxford 1971, S. 9 ff.) verwendete System von Ordnungszahlen zugrunde gelegt, in dem der im Jahre 415 verbannte Alkibiades als „Alkibiades III“ gekennzeichnet wird, sein Großvater als „Alkibiades II“ usw. Abydos 149, 151, 156, 161 Achaia 53, 213 Adeimantos 111, 173, 178 Agariste 111, 218, 219, 232 Agatharchos 82, 216 Agis II. 58, 122, 123, 125, 129, 132 Aias 11 Aigospotamoi 179–181, 186, 193, 197, 224 Aischylos 20 Alkibiades I 12 Alkibiades II 11 Alkibiades IV 78, 183, 192, 225 Alkibiades (Cousin) 157, 219, 222 Alkmeoniden 12 Alpheios 75 Amphipolis 47 Anaxagoras 21, 23 Andokides 112, 123, 218, 228–230, 232 Andros 166 Antiochos 170, 171, 173, 225 Anytos 18 Arginusen 175–178, 227, 229 Argiver 49, 53–56, 58–60, 63, 64, 213, 214 Argos 49, 51–56, 58, 60, 62–64, 70, 71, 77, 79, 97, 118, 124, 214, 232 Aristophanes 41, 178, 210, 212, 228–231 Arkader 59 Arkadien 54, 55, 58, 59 Artaxerxes II. 184 Artemision 12 Aspendos 148 Assinaros 127 Astyochos 137 Attika 38, 39, 45, 119, 120, 125, 182, 219, 224 Axiochos 111

Bagaios 188 Beloch, Julius 203, 209, 217, 221 Böotien, Böotier 11, 45, 47, 48 Brasidas 149, 154–156, 158, 161, 164 Byzantion 155, 158–161 Chaironeia 11 Chalkideus 130, 131 Chalkidike 36, 39, 47 Chersones 158, 174, 178, 179, 183 Chier 129, 130 Chios 78, 129, 130, 169 Chrysopolis 156 Cornelius Nepos 194, 222, 225, 227 Dareios II. 167, 184 Deinomache 11 Dekeleia 119, 125, 127, 164–166, 219, 220 Delion 45–47 Delos 27 Demosthenes 125–127 Demosthenes (Redner) 230 Diodorus Siculus 163 Diokleides 112,113,157, 218, 219 Eetioneia 150 Egesta 87–89, 105, 106, 216, 228 Egestaier 87, 89, 105,106 Eleer 53, 59, 61 Eleusis 100, 165, 166 Elis 48, 51, 53, 59, 117, 186, 213, 219 Endios 50, 129, 130, 132, 155, 164, 213 Ephesier 78 Ephesos 156, 167, 169, 171, 172 Ephialtes 30, 31, 230 Ephoros 184–187, 193, 225

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Personen- und Sachregister

Epidauros 54–56, 60, 213 Epipolai 126 Euripides 20, 142, 216 Euryptolemos 162 Eurysakes 11, 12

Lichas 53 Lokroi 105 Lydos 111, 219 Lysandros 167–172, 175, 177, 179–182, 186, 188, 197, 222, 224, 225

Gryneion 184 Gylippos 121, 124, 125 Gytheion 162

Magnesia 136, 137 Mantineia 51, 53, 55, 59–64, 86, 213 Marathon 27 Medokos 180 Megakles 75, 215 Megara 36, 37, 48 Melier 71–74, 215, 232 Melissa 186 Melos 70–74, 86, 215, 232 Messene 108, 115, 118, 122, 191, 195 Milet 131, 132, 149 Mindaros 148, 149, 153, 154 Mytilene 175, 176

Hatzfeldt, Jean 199 Hegemon v. Thasos 83 Hellespont 129, 148, 149, 151–154, 156, 157, 161, 164, 167, 174, 175, 177, 179, 227 Hipparete 44, 81, 82, 85, 212, 216 Hipponikos 44, 85 Hyperbolos 67–70, 229, 230 Hysiai 64 Iapygien 105 Ionien 128–133, 156, 165–167, 169, 170, 172, 175, 177, 195 Kalchedon 155, 156, 158, 159, 161, 222 Kallikratidas 175, 176 Kamarina 109 Karien 149, 162, 179 Katane 108–110, 114, 127, 218 Kerkyra 36, 103, 104 Kimon 12, 68, 114 Klazomenai 130 Kleinias I 11, 12 Kleinias II 11, 13, 210 Kleinias III 11 Kleon 42, 45, 47, 49, 212 Konon 174, 175, 186 Korinth 36, 37, 48, 53–55, 119, 125, 130, 191 Koroneia 11, 28 Kritias 183, 191, 224, 231 Kynossema 149 Kyros 167, 168, 177, 184–186, 225 Kyzikos 151, 153–157, 167, 176, 225 Laches 46, 58, 59 Lamachos 90, 91, 97, 105–108, 110, 124, 196, 218 Lampsakos 180 Leontinoi 87, 89, 108 Leotychidas 122 Lesbier 78

Naxos 108, 110 Nikias 42, 47–51, 56–58, 60–64, 67–71, 86, 89–92, 94–97, 105–107, 124–127, 195, 196, 212, 216, 217, 229 Nikostratos 58, 59 Notion 166, 169, 171, 172, 177, 193, 197, 223, 227 Odrysen 174 Olympia 53, 74–79, 83, 85, 215, 230–232 Orchomenos 59 Pachynos 109 Patrai 53, 54, 63, 213 Peisandros 136, 138–141, 220 Peisistratiden 12, 29 Perdikkas II. 63 Perikles 11, 13, 14, 16, 19, 21, 23, 27, 30, 31, 34, 35, 37–39, 42, 46, 68, 114, 143, 198, 202, 210, 211, 223, 230–232 Perinth 155 Phaiax 68, 69 Pharnabazos 129, 148, 153, 154, 158–161, 184–188, 222, 225 Phokaia 169–171 Phrygien 186, 188 Phrynichos 136, 137, 140, 141, 220, 229 Platon 14, 17, 23–26, 39, 46, 210 Plutarch 16, 18, 24, 41, 46, 53, 67, 69, 80, 89,

Personen- und Sachregister 121, 122, 152, 169, 188, 194, 209, 212, 215– 217, 222–225, 229, 231, 232 Poteidaia 36, 39, 41, 46, 211 Prokonnesos 153 Propontis 153–155, 174 Protagoras 22, 23, 210 Pylos 45, 56 Pythonikos 100, 101, 103, 217 Rhegion 105, 108, 109, 196, 218 Rhion 54 Rhodos 179, 222 Salaminia 111, 114, 115 Salamis 27 Samos 132, 134–137, 139, 140, 142, 143, 145–151, 156, 161, 164, 166, 169, 171, 172, 174 Sardes 152 Selinus 87, 89, 106, 216 Selymbria 155, 158, 222 Sestos 149, 180 Seuthes 180 Sikyon 54 Siwa 98 Sokrates 23–26, 39, 46, 78, 192, 210, 211, 216, 228–231 Solon 29 Sophokles 20, 23, 210 Sparta 12, 28, 29, 36, 37, 42, 45, 47–64, 71– 73, 86, 115, 117–125, 129–133, 135, 140, 141, 150, 155, 164, 167, 168, 177, 182, 183, 185, 186, 188, 191, 201, 204, 211, 213, 215, 219, 229–231 Spartaner 13, 28, 37, 38, 42, 44, 47–64, 70– 73, 86, 88, 90, 94–96, 118–125, 127–134, 137, 142, 145, 147–155, 157–159, 162, 165, 167–169, 172, 175–177, 181, 183, 185–192, 198–201, 204, 213, 219, 225

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Spartiaten 121 Sphakteria 45 Susamithres 188 Syrakus 87–89, 106–110, 115, 119, 121, 124– 127, 157, 197, 218 Taeger, Fritz 194 Tarent 105 Taureas 82, 216 Tegea 59 Teukros 111, 112 Theben 219 Themistokles 68, 75, 118, 227 Theodote – s. Timandra Theramenes 147, 150, 151, 153, 154, 177, 183, 221, 224, 231 Thessalos 114 Thraker 14, 174, 180, 181, 224, 225 Thrasybulos 142–144, 149, 153, 154, 165, 169, 173, 177, 191, 221, 222, 224 Thrasyllos 149, 156–158, 162, 221, 222 Thukydides (Geschichtsschreiber) 35, 37– 39, 54, 62, 72–74, 78, 84, 92–94, 96, 98, 102, 103, 107, 113, 119, 120, 135, 139–141, 145, 146, 148, 193, 195, 200, 201, 209, 211, 213–215, 217, 219–221, 225, 229, 232 Thukydides 68 Thurioi 115, 117 Timaia 122, 123 Timandra 188 Tissaphernes 129–131, 133–135, 137–139, 141, 412, 144, 145, 147–149, 152, 156, 168, 199, 221, 223 Tolmides 11 Xenophon 25, 162, 180, 181, 183, 193, 195, 212, 222–225, 228–230 Zopyros 14

Bildnachweis Abb. 1 bpk/scala; Abb. 2, 3, 5, 8 akg-images; Abb. 4, 6 H. Heftner; Abb. 7, 9, 10 WBG-Archiv; Karten Universität Wien, Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde

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