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German Pages 212 Year 1999
Hans-Jörg Roth . Alfeni Digesta
Freiburger Rechtsgeschichtliehe Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.
Neue Folge . Band 32
Alfeni Digesta Eine spätrepublikanische Juristenschrift
Von Hans-Jörg Roth
Duncker & Humblot . Berlin
Ausgezeichnet von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften mit dem Walter-Witzenmann-Preis 1998
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Rolli, Hans-Jörg:
Alfeni Digesta : eine spätrepublikanische Juristenschrift / von Hans-Jörg Roth. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Freiburger rechtsgeschichtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 32) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09747-5
Alle Rechte vorbehalten
© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 3-428-09747-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit hat im Sommersemester 1997 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg als Dissertation vorgelegen. Im Sommer 1998 wurde sie von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften mit dem Walter-Witzenmann-Preis ausgezeichnet. Mein ganzer Dank gilt meinem verehrten Lehrer, Professor Joseph Georg Wolf, der die Anregung zu dieser Arbeit gab und dessen Rat, Kritik und geduldige Hilfe ihr Entstehen begleiteten. Seine Vorlesungen und Seminare sind es, denen ich nicht nur die Bekanntschaft mit dem römischen Recht, sondern den Zugang zur Rechtswissenschaft überhaupt verdanke. Während meiner Zeit als Hilfskraft und Assistent an seinem Lehrstuhl war mir Professor Wolf stets ein fürsorglicher und geduldiger Mentor. Ich danke der Gerda-Henkel-Stiftung, die es mir durch ein großzügiges Promotionsstipendium ermöglichte, mich ausschließlich den Digesten Alfens zu widmen. Dieses Stipendium sowie ein beachtlicher Druckkostenzuschuß haben das zügige Entstehen und Erscheinen der Dissertation maßgeblich gefördert. Für hilfreiche Korrekturen danke ich Frau cand. iur. Nicole Kettner. In besonderer Weise gilt mein Dank Frau Sonja Heine M. Jur. (Oxf.), die mich durch ständige Diskussionsbereitschaft, große Sachkenntnis und hilfreiche Kritik unterstützt hat. Friburgi Brisigavorum prid. Id. Iul. MCMXCVIII
Hans-Jörg Roth
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Alfeni Digesta .......................................................................................................... 15
I. Gegenstand, Absicht und Plan der Untersuchung .............................................. 15 11. Publius Alfenus Varus: Die Lebensdaten ........................................................... 17 III. Zur Überlieferung der Digesta ........................................................................... 20 IV. Servius und Alfenus .......................................................................................... 23
Erster Teil Die Digesta Alfens und ihre Epitomae § 2 Responsa .................................................................................................................. 26
I. Vorbemerkung .................................................................................................... 26 11. 'Einfache Entscheidungen' ................................................................................... 27 1. Entscheidungen ohne Begründung ................................................................ 27 2. Entscheidungen mit kurzer Begründung ........................................................ 31 3. Entscheidungen mit ausführlicher Begründung ............................................. 37 4. Deduktionen aus allgemeinen Sätzen ........................................................... .41 111. Distinktionen .................................................................................................... .45 IV. Zusammenfassung .............................................................................................. 60 § 3 Responsenbruchstücke ............................................................................................. 65
I. Vorbemerkung .................................................................................................... 65 11. Die Texte ............................................................................................................ 65 1. Responsa ohne Quaestio ................................................................................ 65 2. Bloße Entscheidungen: in indirekter Rede .................................................... 72 3. Bloße Entscheidungen: in direkte Rede transponiert ..................................... 79 4. Undefinierbare Bruchstücke ........................................................................... 95 111. Zusammenfassung .............................................................................................. 98
10
Inhaltsverzeichnis
Zweiter Teil
Der Werkcharakter der Digesta § 4 Didaktische Distinktionen ....................................................................................... 102
I. Vorbemerkung .................................................................................................... 102 11. Die Texte ............................................................................................................ 103 111. Verwendung und Leistung der Distinktionen .................................................... 127 § 5 Begriffliche Distinktionen ........................................................................................ 133
I. Vorbemerkung .................................................................................................... 133 11. D 19. 2. 31: Das Schiff des Saufeius .................................................................. 134 111. Die distinctio rerum locatarum Irerum depositarum ......................................... 145 § 6 Weitere Darstellungsformen .................................................................................... 149 I. Allgemeine Rechtssätze ...................................................................................... 149 11. Doppelfragen .............................................................................................·......... 157 111. Rhetorische Argumentation ............................................................................... 171 IV. Zusammenfassung .............................................................................................. 179
Dritter Teil
Palingenesie und Textgeschichte der Digesta § 7 Vorjustinianische Textveränderungen ...................................................................... 180
I. Vorbemerkung .................................................................................................... 180 11. Die Pau1usepitome ............................................................................................. 180 111. Die anonyme Epitome ........................................................................................ 188 IV. Zusammenfassung ............................................................................................. 190 § 8 Zur Palingenesie der Digesta ................................................................................... 192
I. Vorbemerkung .................................................................................................... 192 11. Ältere Rekonstruktionsversuche ......................................................................... 192 111. Die eigentümliche Ordnung der Digesta ............................................................ 196 IV. Die Ordnung der anonymen Epitome ................................................................ 199
Inhaltsverzeichnis
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§ 9 Ergebnisse ................................................................................................................ 201 I. Die Textgeschichte der Digesta und ihrer Epitomae ........................................... 201 11. Werkcharakter und Darstellungsformen der Digesta .......................................... 203 III. Alfens Digesta und die Römische Rechtsliteratur .............................................. 203 IV. Die Arbeitsweise der Kompilatoren ................................................................... 204 V. Dogmatische Erträge .......................................................................................... 205
QueUenregister ............................................................................................................. 206
Abkürzungen Die Zitierweise von Zeitschriften, Festschriften, Reihen und Sammelwerken folgt der der Kaser'schen Handbücher, auf deren Abkürzungsverzeichnis wir deshalb generell verweisen. Daneben werden folgende Abkürzungen verwandt:
Horak, Rationes
Kaser 1111 KaserRZ Krüger, Quellen Kühner/Stegmann KunkellBearbeiter
Otto/Schilling/Sintenis Pemice, Labeo I, 11, 11 1,11 2/1, IIIl
De Sarlo, AV Schuh, Geschichte VIR
Watson, Justinians Digest Watson, Law Making Watson, Obligations
Rationes Decidendi, Entscheidungsbegründungen bei den älteren römischen Juristen bis Labeo (Aalen 1969) Römisches Privatrecht, I, 11 (2. Aufl., München 1972/1975) Das römische Zivilprozeßrecht (München 1966) Geschichte der Quellen und Literatur des römischen Rechts (2. Aufl. 1912) Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache, Satzlehre 1111 (4. Aufl. 1962) Römisches Recht (4. Aufl. 1987) bearbeitet von Th. Mayer-Maly, H. Honsell, W. Selb Corpus Iuris Civilis ins Deutsche übersetzt von einem Vereine Rechtsgelehrter I -VII (1830-1837) Labeo. Römisches Privatrecht im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit I (1873), 11 (1878), 11 1 (1895), 11 2/1 (1900), III 1 (1892). Neudruck 1963 Alfeno Varo e i suoi digesta (Florenz 1940) Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (Weimar 1961). Neudruck LeipziglWien 1975 Vocabularium Iurisprudentiae Romanae (Berlin 1984ff.) Digesta. English & Latin. The Digest of Justinian I - IV (1985) Law Making in the Later Roman Republic (Oxford 1974) The Law of Obligations in the Later Roman Republic (Oxford 1965)
Abkürzungen
Watson, Persons Watson, Property Watson, Succession WieackerRR
Wieacker, Textstufen
13
The Law of Persons in the Later Roman Republic (Oxford 1967) The Law of Property in the Later Roman Republic (Oxford 1968) The Law of Sucession in the Later Roman Republic (Oxford 1971) Römische Rechtsgeschichte, Quellenkunde, Rechtsbildung, Jurisprudenz und Rechtsliteratur. Erster Abschnitt (München 1988) Textstufen klassischer Juristen (Göttingen 1960)
§ 1 Alfeni Digesta I. Gegenstand, Absicht und Plan der Untersuchung 1. Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind die Digesta des Publius Alfenus Varus, eines Iuristen der ausgehenden römischen Republik 1. Das ursprünglich 40 Bücher umfassende Werk ist die älteste durch Originalfragmente in den justinianischen Pandekten vertretene Iuristenschrift2 . Ziel der Arbeit ist es, Textgeschichte und Werkcharakter dieser Iuristenschrift zu ermitteln. Die methodischen Schwierigkeiten eines solchen Vorhabens sind oft dargestellt und erörtert worden, so daß an dieser Stelle einige Andeutungen genügen können 3 . In den nahezu 600 Iahren zwischen der Erstausgabe der Digesta und der Kompilation kann der ursprüngliche Text bei unterschiedlichen Gelegenheiten verändert worden sein. So machte die begrenzte Haltbarkeit des Schreibmaterials über diesen Zeitraum hinweg mehrere Abschriften erforderlich. Neben mechanischen Textveränderungen können dabei Randbemerkungen in den Text aufgenommen oder Erläuterungen angefügt worden sein. Möglich ist auch eine An1 Literatur: E. Ouo, P. Alfenus Varus ab iniuriis veterum et recentiorum liberatus (Uttecht 1735) in Thesaurus V 1632ff. Zur Überlieferungsgeschichte Ferrini, Intorno ai digesti di Alfeno Varo, BIDR IV (1891) lff; Jörs-Klebs, RE 1 (1894) 1472ff; mehrere Exegesen von Alfenfragmenten bei Pe mice, Labeo I (1873), 11 1/2 (2. Auflage 189511900), III 1 (2. Auflage 1892) und Vemay, Servius et son ecole (Paris 1909), dazu die ausführliche Kritik Peters, SZ 32 (1911) 462ff; eine Besprechung fast aller Alfentexte unternimmt De Sarlo, Alfeno Varo e i suoi digesta (Aorenz 1940), jedoch ohne Werkanalyse und weitgehend im Stil der radikalen Interpolationenforschung. Zahlreiche Exegesen in dogmatischem Kontext enthält die Reihe Watsons zum spätrepublikanischen Recht: The Law of Obligations (1965), The Law of Persons (1967), The Law of Property (1968), The Law of Succession (1971), Law Making in the Later Roman Republic (1974) - sämtliche Oxford. Ferner Horak, Rationes decidendi, mit zahlreichen, überzeugenden Exegesen und einigen Bemerkungen zum Stil Alfens. Über die Schüler des Servius: Casavola in La critica del testo I (Aorenz 1971) 153ff. Zur Vita Alfens: Bauman, Lawyers in Roman Transitional Politics (München 1985) 89 - 105. Einen Überblick bietet Wieacker RR 607f. Ferner: M. Bretone, Geschichte des röm. Rechts (München 1992) 142 - 146; G. Negri in Studi dei pensiero giuridico romano, 1996, 135ff. 2 Für die insgesamt sieben 'Q. Mucius lib. sing. öpwv' inskribierten Texte bleibt offen, ob sie (ältere) Originalfragmente oder aber Klassikerzitate sind, vgl. Wieacker RR 599.
3 Wieacker, Textstufen 116f; Schulz, Geschichte 285f; Krampe, Proculi epistulae (Karlsruhe 1970) IOff; Eckardt, Iavoleni epistulae (Berlin 1978) llff.
§ 1 Alfeni Digesta
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passung der überlieferten Entscheidungen an das jeweils aktuelle Recht. Außerdem beginnen schon die klassischen Juristen, ältere Schriften zu exzerpieren, wobei sie nicht nur veraltete Texte ausscheiden, sondern auch die übernommenen verkürzen und umarbeiten. Ihre Tätigkeit wird in nachklassischer Zeit fortgesetzt und durch die Kompilatoren abgeschlossen, die das ältere Recht vereinheitlicht und erklärtermaßen keine antiquarische Textsarnmlung veranstaltet haben4 . Alfens Digesten sind also auf spätere Textveränderungen zu untersuchen. Da Doppelüberlieferungen praktisch fehlen, ist die Textkritik zunächst auf den Vergleich vorklassischer Parallelstellen verwiesen. Diese Möglichkeit führt jedoch nicht sehr weit; sie leidet unter der schlechten Quellenlage: Das Material beschränkt sich auf Zitate der veteres bei späteren Juristen sowie einige wenige literarische Quellen, insbesondere Ciceros Äußerungen zu juristischen Fragen. Für klassische Vergleichstexte muß dagegen nicht nur mit späteren Textveränderungen, sondern auch mit einer gegenüber der vorklassischen Zeit veränderten Rechtslage gerechnet werden. Bei dieser Ausgangslage können zuverlässige Kriterien für die Beurteilung der alfenischen Texte nur aus den erhaltenen Resten der Juristenschrift selbst gewonnen werden. Voraussetzung dafür aber ist die exegetische Untersuchung aller überlieferten Fragmente mit dem Ziel, eine klare und sichere Vorstellung von Stil und Darstellungstechnik der Digesta zu gewinnen. Eine repräsentative Auswahl von Exegesen bildet deshalb den Kern dieser Arbeit. 2. Im einzelnen ergibt sich folgender Plan der Darstellung: Die Überlieferung der alfenischen Texte erfordert ein zwei stufiges Vorgehen. Die erhaltenen Texte sind nicht Fragmente einer Gesamtausgabe der Digesta; eine solche hat die Kompilatoren nicht mehr erreicht. Was sie erreicht hat, waren vielmehr zwei Auszüge aus Alfens Digesten5. Diese Epitomae sind in der Überlieferung voneinander unabhängig. Ihre Autoren können den Originaltext in unterschiedlicher Weise exzerpiert und dabei seine äußere Gestalt verändert haben. In einem ersten Teil ist deshalb das Verhältnis beider Epitomae zu ihrer Vorlage zu klären (§§ 2, 3). Dafür müssen die stilistisch-formalen Charakteristika dieser Auszüge ermittelt und miteinander verglichen werden. Soweit sie übereinstimmen, ergeben sich zuverlässige Aussagen über Stil und Darstellungstechnik der originalen Digesta. Wenn diese Vorarbeit Gewißheit über die äußere Gestalt der alfenischen Texte gebracht hat, kann in einem zweiten Teil die Funktion der Darstellungsformen 4 Const. Tanta §§ I, 10. 5 s.u.m.
H. Publius Alfenus Varus: Die Lebensdaten
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untersucht werden (§§ 4, 5, 6). Ihre Analyse erlaubt Rückschlüsse auf die literarische Absicht des Werkes und liefert damit der Textkritik ein weiteres Kriterium: Ergibt sich insgesamt das Bild einer für didaktische Zwecke bestimmten Schrift, so sind hypothetische Fallvarianten, allgemeine Argumente und Lehrsätze Echtheitsindizien. Einzelne Interpolationsvermutungen können dann nicht länger auf die Behauptung gestützt werden, daß solche Passagen für die Entscheidung der konkreten Rechtsfrage überflüssig seien6, es sei denn, auch der Werkcharakter würde zugleich bestritten. Die Untersuchung der Digesten Alfens kann auf diese Weise zu verläßlicheren Aussagen über das spätrepublikanische Recht beitragen und ihr Werkcharakter insbesondere Aufschluß geben über die älteste durch Originalfragmente belegte Entwicklungsstufe der römischen Rechtsliteratur. Einer Zusammenstellung der vorjustinianischen Textveränderungen (§ 7) folgen kurze Anmerkungen zur Palingenesie der Digesta (§ 8). Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse (§ 9).
11. Publius Alfenus Varus: Die Lebensdaten 1. Aus der Vita unseres Juristen ist nur Weniges bekannt. Schon sein Praenomen ist nicht direkt überliefert, sondern wird aus den Konsular-Fasten nach Cassius Dio erschlossen7 . Als Konsul des Jahres 2 n. Chr. wird dort ein P. Alfenus Varus mit dem Zusatz TIouß,,-iou ui6~ (Publii filius) genannt, dessen Vater vermutlich der Jurist war. Fest steht, daß Alfen selbst zum Konsulat gelangt ist, was Pomponius in seinem Encheiridion besonders betont8 ; er war 39 v. Chr. Suffektkonsul. Über Geburts- und Todesjahr verlautet dagegen nichts 9 . (a) Eine ironische Bemerkung über einen Alfenus in den Satiren des Horaz bezieht Porphyrio in seinem Kommentar auf den Juristen lO :
6 Ein Beispiel für diese nicht nur der älteren Literatur geläufige Argumentation bietet die Textkritik zu Pa!. 7. 1 =D 9.2.52. 1 (s.u. § 4 H 1). 7 Lib. 55, vgl. Krüger 69, 70 Fn 40. 8 D 1. 2. 2. 44. 9 Das Konsulatsjahr macht eine Geburt vor 82/81 v. Chr. wahrscheinlich. 10 Der Kommentar stammt vermutlich aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr.; zu Inhalt und Überlieferung vgl. Schanz-Hosius, Geschichte der Römischen Literatur III (München 1922, Nachdruck 1969) 167. 2 Rolb
§ I Alfeni Digesta
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[... ] UT ALFENUS V AFER OMNI ABIECTO INSTRUMENTO ARTIS CLAUSAQUE T ABERNA SUTOR ERA T 11
Porphyrios Anmerkung lautet: urbane Alfenum Varum Cremonensem deridet, qui abiecta sutrina, quam in municipio suo exercuerat, Romam petit magistroque usus Sulpicio iuris consulto ad [tantum] pervenit, ut et consulatum gereret et publico funere efferetur. Alfen stammte danach aus Cremona und betrieb dort ursprünglich eine Schusterei; später sei er Schüler des Juristen Sulpicius geworden, habe es bis zum Konsulat gebracht und sei zuletzt durch ein Staatsbegräbnis geehrt worden. Horaz zufolge ist der 'spitzfindige' (valer) Alfen dennoch ein 'Schuster' geblieben l2 . Ob der Dichter, wie Porphyrio behauptet, tatsächlich den Juristen gemeint hat, muß offen bleiben; das Attribut 'valer' paßte jedenfalls auf einen Juristen, wie valri inscitia iuris im 2. Buch der Satiren zeigt 13 . Offen bleibt auch, ob der Hinweis auf ein Staatsbegräbnis zutrifft; immerhin ist eine Verwechslung mit Alfens Lehrer Servius Sulpicius Rufus möglich, für den diese Ehrung durch Cicero belegt ist l4 . Dagegen besteht kein Anlaß, den Herkunftsort Cremona anzuzweifeln, wenn auch der Gentilname Alfenus vielleicht umbrischen Ursprungs ist l5 . Alfen war danach der erste Konsul, der aus der Gallia Cisalpina stammte 16. (b) Mit dem Juristen wahrscheinlich identisch ist dagegen der in der donatischen Vergilvita erwähnte Alfenus Varus l7 . Dieser leitete 41 v. Chr. gemeinsam mit Asinius Pollio und Cornelius Gallus die Veteranenansiedlung in der Transpadana. Dabei schützte er das Landgut Vergils vor der Enteignung, wofür der Dichter ihm angeblich die 6. Ekloge widmete; in der 9. Ekloge erwähnt Ver-
11 Sat. I. 3. 130 - 132. 12 Nach anderer Lesart Barbier vgl. Schulz, Geschichte 49 Fn 2. I3 Sat. 2. 2. 132, dazu Kießling, Horaz Satiren (Berlin 1961) 66. Die Erläuterung zu Sat. I. 3. 82 zeigt, daß die Angaben Porphyrios nicht immer zuverlässig sind: Der von Horaz erwähnte Labeo wird dort mit dem Juristen M. Antistius Labeo identifiziert, was aus chronologischen Gründen nicht zutreffen kann, vgl. Kießling 66. Für den Bezug von Sat. I. 3. 130 auf Alfen: Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der röm. Juristen (Köln 1967) 29 (ritterständischer Großunternehmer); SchanzHosius 596 (höchstwahrscheinlich); Bauman 90; dagegen bereits E. Otto 1642f; Schutz, Geschichte 49; Fraenkel, Horaz (1957) 89; offengelassen von Wieacker RR 607. 14 Phil. IX. 7. 17; vgl. Bremer, Iurisprudentiae 281. 15 Rix, ANRW I 2 (1972) 727f. Ein Zeitgenosse Alfens ist Quintilius Varus aus Cremona, den
Horaz als verständigen Literaturkritiker lobt (ars poetica 438 - 444), vgl. dazu: Der Kleine Pauly, Lexikon der Antike (1972) Bd. 4 1297. Dieses positive Urteil und der Gentilname Quintilius schließen praktisch aus, daß Porphyrio den Herkunftsort auch des Juristen mit Cremona angibt, weil er ihn mit Quintilius Varus verwechselte. 16 Bauman 92 mit weit. Nachw.
17 19f. dazu Wieacker, TR 37 (1969) 341; Bund, Fs v.Lübtow (1970) 137.
H. Publius Alfenus Varus: Die Lebensdaten
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gil selbst einen Varus im Zusammenhang mit der Gefährdung seines Besitzes l8 . Alfens Konsulat unter den politischen Bedingungen des Jahres 39 v. Chr. belegt seine Zugehörigkeit zur caesarianischen Partei, so daß eine Beteiligung an der Landverteilung, die auf Geheiß Octavians erfolgte, gut möglich ist. Das Unternehmen war von großer Bedeutung für das politische und militärische Kräftespiel der Zeit, weil eine große Zahl erprobter Soldaten in unmittelbarer Nähe des italischen Kernlandes angesiedelt wurde. Seine Durchführung auf Kosten der norditalischen Städte erwies sich als schwierig und hatte hier und da sogar kriegerische Auseinandersetzungen zur Folge l9 . Vor diesem Hintergrund könnte das Konsulat, bei der provinzialen Herkunft Alfens eine besondere Auszeichnung, eine Anerkennung Octavians für die dabei geleisteten Dienste gewesen sein20 . (c) Zwei spätantike Vergilkommentare schließlich kennen einen Varus, der zusammen mit Vergil Schüler des Epikureers Siro gewesen sein soll21. Seine Gleichsetzung mit dem Juristen ist jedoch bloße Spekulation. Zu ihrer Stütze wird regelmäßig auf ein Alfenfragment verwiesen, das eine Anspielung auf die epikureisch-demokritische Atomlehre enthält22 . In dieser Stelle, die wohl ein Schulbeispiel forensischer Rhetorik ist, werden Topoi verwandt, die selbstverständlicher Bestandteil der höheren Allgemeinbildung sind: Wie die Atomlehre gehören dazu auch die traditionellen Schulbeispiele der stoischen Körperlehre. Der Vortrag ist dazu bestimmt, ein aus gebildeten Laien bestehendes Richterkollegium zu überzeugen, so daß sich aus der rhetorisch gefärbten Argumentation deshalb kein Beleg für eine epikureische Ausbildung oder GrundeinsteIlung des Juristen ergibt23 . 2. Das literarische Werk Alfens umfaßte neben den Digesta wenigstens noch eine weitere Schrift mit dem Titel 'Coniectanea'. Sie wird von Gellius einmal zitiert: Alfenus Varus iure consultus ... in libro digestorum tricesimo et quarto, 18 VI 7/10/12; IX 26/27. 19 Zu den Widerständen vgl. Bauman 93. 20 Arg. ex Cassius Dio 48, 35. Zu den politischen Hintergründen vgl. Bauman 92ff; dort auch zahlreiche Hypothesen zur politischen Rolle Alfens und eine ausführliche Erörterung seiner Vita (89-105). 21 Servo ecl. 6. 13: Vult exequi sectam epicuream, quam didicerant tam Vergilius quam Varus docente Sirone; vgl. auch Schol. Veron. ecl. 6. 10. 22 Pal. 23 = D 5. I. 76 (vgl. dazu unten § 6 III), für eine Gleichsetzung gestützt auf Pal. 23 etwa Nörr, Fs Wieacker (1978) 124 Fn 40; Bauman 91 Fn 119, 96 Fn 149; Schanz-Hosius 596. Bei dem in Servo ecl. 6. 13 erwähnten Varus und Mitschüler Vergils könnte es sich auch um Quintilius Varus Cremonensis gehandelt haben (s.o. Fn 15). 23 Keine Anhaltspunkte gibt es dafür, daß der Alfenus, an den Catull c. 30 richtet, mit dem Juristen identisch ist, vgl. Krüger 70 Fn 49. So aber Schanz-Hosius 596, der indessen nur darauf verweist, daß Alfen ein Landsmann Catulls war.
§ I Alfeni Digesta
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coniectaneorum autem secundo 24 . Der Inhalt dieser Schrift und ihr Verhältnis zu den Digesta muß (bei nur diesem Doppelzitat in Gellius) offen bleiben 25 . Der von conicere abgeleitete Titel bezeichnet ein Sammelwerk und ist für die juristische Literatur noch bei Capito belegt. Nach den wenigen erhaltenen Fragmenten zu urteilen, waren Capitos Coniectanea eine Problematasammlung, die vorwiegend das ius publicum betraf26 .
IH. Zur Überlieferung der Digesta Unter Alfens Namen sind in den justinianischen Digesten 71 Fragmente mit insgesamt 104 Entscheidungen überliefert; dazu kommen 18 Zitate durch spätere Juristen sowie ein Zitat bei Gellius. Fragmente und Zitate füllen 18 Spalten in Lenels Palingenesie. Die äußere Form der einzelnen Texte ist uneinheitlich: Neben dreigliedrigen Responsa sind Fragmente überliefert, die diesem Schema nicht oder nur teilweise folgen. Mehrere Texte bestehen nur aus knappen, lehrsatzartigen Formeln oder Definitionen. Schon die Kompilatoren verfügten nicht mehr über eine Gesamtausgabe der Digesta (1.), sondern schöpften aus zwei von einander unabhängig überlieferten Epitomae (2.): 1. Der Index Florentinus verzeichnet für Alfen: 'AA.cpTJvoß digeston ßtßAia 'teOoapUKOvta (Alfeni dig. !ibri 40) und gibt damit Titel und Umfang des Originals wieder. In den Digesten finden sich dagegen drei unterschiedliche Inskriptionsreihen: Alfenus (oder Alfenus Varus) !ibro ... digestorum, Paulus !ibro ... epitomarum Alfeni digestorum und Alfenus libro ... digestorum a Paulo epitomatorum. Gleichwohl wurden nur zwei Vorlagen benutzt: Die dritte Inskription erscheint erst ab D 19. 2 und wechselt von da an mit der zweiten, ohne daß sich Charakter oder Materialfolge der Fragmente ändern. Beide Inskriptionen meinen demnach dieselbe Paulusepitome, und ihre Abweichung dürfte sich aus der Nachlässigkeit der Kompilatoren oder ihrer Kopisten erklären 27 . 24 Pa!. 2 =Gell. 7. 5. I. 25 Jörs 1474 sieht darin eine Unterabteilung der Digesta; Schanz-Hasius 596 nimmt eine selbständige Schrift an, vgl. auch Wieacker RR 609. Keinerlei Rechtfertigung findet schließlich die Gleichsetzung der Digesta Alfens mit dem Sammelwerk des Namusa (s.u. Fn 49) durch Mammsen, Z.f.R.G. VII (1869) 480 Fn I. 26 Schulz, Geschichte 287. 27 Ebenso die drei übrigen Abweichungen: Alfenus /ibro prima epiromarum (Pa!. 33 = D 48. 22. 3) und Paulus /ibra tertia Alfeni epiromarum (Pa!. 52 = D 18. 6. 13; Pa!. 53 =D 19. I. 27), vgl. Schulz 254 Fn 2; Wieacker, RR 608 Fn 83 dagegen nimmt an, daß die Kompilatoren über zwei unterschiedlich betitelte Exemplare des Paulustextes verfügten.
III. Zur Überlieferung der Digesta
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Auch die ohne weiteres Alfen zugeschriebenen Fragmente wurden nicht einer Gesamtausgabe der 40 Bücher Digesta entnommen, sondern stammen aus einem anonymen Auszug: Die Angabe des Index zum Umfang der Digesta wird bestätigt durch Paulus und Gellius, die ein 39. und ein 34. Buch zitieren 28 . Die Kompilatoren aber haben aus der 'Alfeni digesta' betitelten Schrift nur das 2. Buch und die Bücher 4 bis 7 exzerpiert. Vergleicht man die Materialfolge ihrer Vorlage mit der der Paulusepitome, wird sofort deutlich, daß es sich nicht um die ersten sieben Bücher des Originals gehandelt haben kann: Diese Vorlage nämlich folgt dem prätorischen Edikt29 , während der Paulustext eine eigene Ordnung hat, die Parallelen zum ius civile des Q. Mucius zeigt30 . Paulus behielt demnach die Materialfolge der originalen Digesta bei, wenn man nicht annehmen will, daß er das gebräuchliche Ediktssystem durch ein älteres und nicht weiter belegtes Schema ersetzt hat. Außerdem zeigt ein Originalzitat Javolens 31 , daß die Digesta schon im ersten Buch das Testamentsrecht behandelten, während die Ediktsordnung dieses Thema erst für den 26. Titel vorsieht. Die Alfen unmittelbar zugeschriebene Vorlage muß deshalb schon ihrer Materialfolge wegen eine Bearbeitung der Digesten Alfens gewesen sein 32 . Hinzu kommt, daß diese Bearbeitung bereits im 7. Buch Themen der 31. und 32. Ediktstitel (de liberali causa / de publicanis et vectigalibus et commissis)33 behandelte: Wenn dieses 7. Buch das des Originals gewesen wäre, entfielen auf die restlichen 13 Ediktstitel 33 Bücher, ein Verhältnis, das unmöglich zutreffen kann 34 . Die mit dem Edikt vertrauten Kompilatoren konnten diesen Umstand nicht übersehen, so daß sich die Aufnahme der Fragmente unter einer das Original bezeichnenden Inskription wohl daraus erklärt, daß die Vorlage ohne Angabe des Epitomators entsprechend tituliert war35 .
28 Pal. 2 = Gell 7. 5. I; Pal. 3 = D 3. 5. 20 (Paul9 ad ed). 29 Lenel, Palingenesie 37ff. Gegen die Kritik Krügers 70n 1 Fn 53 vgl. die Hinweise Lenels aaO.
30 Eine Kombination von Muciusschema und versetzter Ediktsordnung (vgl. unten § 8). 31 D 28. 1. 25 (Iav 5 post Lab). 32 Ferrini 170. 33 Lenel, Palingenesie 43ff, Wieacker RR 608. 34 Ferrini 170, Schulz, Geschichte 255.
35 Der Index verzeichnet auch sonst das Original, wo die Kompilatoren nur einen Textauszug hatten, vgl. die posteriora Labeonis a Iavoleno epitomata unter: Labeo posteriorum ßIßi.ia O&lCa; Labeos ltl9avrov a Paulo epitomatorum libri unter Labeo: ltl9avrov ßIßi.ia ÖlCtOO. Peters 463ff, 468 setzt ohne überzeugende Gründe den anonymen Auszug mit dem Sammelwerk gleich, das Namusa aus den Schriften der Serviusschüler zusammengestellt hat, vgl. D I. 2. 2. 44 (Pomp lib sing ench). Dagegen Krüger 70 Fn 52, Wieacker RR 608 Fn 86.
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§ I Alfeni Digesta
2. Die Überlegungen zur Materialfolge haben zugleich deutlich gemacht, daß die Paulusepitome ihrerseits kein Auszug der anonymen Epitome gewesen sein kann, da Paulus mit der eigentümlichen Ordnung dem Original, die anonyme Epitome aber dem Edikt folgt 36 . Eine umgekehrte Abhängigkeit kommt ebenfalls nicht in Betracht: Der Paulustext war nach der Anzahl der Bücher (wohl 8 libri)37 kaum umfangreicher als der anonyme Auszug. Dieser dürfte sogar eher mehr als die exzerpierten 7 Bücher umfaßt haben, da im 7. Buch erst der 32. Ediktstitel (von 45) erreicht wird. Daher könnte die anonyme Textreihe nur bei deutlich abweichendem Umfang der einzelnen Bücher ein Auszug der Paulusepitome gewesen sein 38 . Entscheidend ist indessen die Vorgehensweise der Kompilatoren: Das Nebeneinander beider Exzerptreihen erklärt sich ohne weiteres, wenn man zwei voneinander unabhängige und deshalb nicht deckungsgleiche Epitomae als Vorlage annimmt. Dazu paßt, daß in den justinianischen Digesten achtmal auf ein Fragment der anonymen Epitome unmittelbar ein thematisch entsprechendes aus dem Paulustext folgt 39 . Diese Exzerpierpraxis wäre unverständlich, wenn man annähme, die anonyme Epitome sei nur eine anders geordnete Teilmenge des Paulustextes gewesen. Für diesen Fall nämlich wäre nicht zu erkennen, warum zu demselben Sachgebiet mehrfach aus beiden Vorlagen Fragmente übernommen wurden und die Kompilatoren nicht ausschließlich die - vollständigere Paulusepitome benutzten. Da ihnen der Paulustext zu diesen 8 Themen jedenfalls vorlag, könnte die Verwendung der anderen Epitome auch nicht der Ergänzung oder Lückenfüllung gedient haben. Unter diesen Umständen erklärt sich die Übernahme thematisch entsprechender Fragmente aus zwei Vorlagen nur, wenn diese beiden Vorlagen unter derselben Rubrik unterschiedliche Texte enthielten und folglich voneinander unabhängige Auszüge des Originals waren. 3. Was die Tätigkeit beider Epitomatoren angeht, wird allgemein die Ansicht vertreten, daß zumindest der paulinische Auszug Zusätze des epitomierenden Juristen enthalte, die mit dem alfenischen Text zu einer Einheit verschmolzen sei-
36 Paulus zitiert außerdem - ebenso wie der etwa dreißig Jahre ältere Gellius - die originalen Digesta (s.o. Fn 28). 37 Das 8. Buch enthält offenbar einen Appendix der Epitome (vgl. unten § 8) und dürfte deshalb das abschließende gewesen sein. 38 Zu möglichen Schwankungen von Buchumfang und Buchzahl bei der Umschrift von der Buchrolle in den Codex, vg!. Wieacker, Textstufen 67f. 39 Pal. 8 - Pal. 50; Pal. 12 - Pal. 52; Pal. 29 - Pal. 38; Pal. 19 - Pal. 34; Pal. 20 - Pal. 46; Pal. 21 Pal. 36; Pal. 27 - Pal. 54; Pa!. 24 - Pal. 49.
IV. Servius und Alfenus
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en40 . Diese Frage wird bei der Untersuchung der einzelnen Fragmente zu klären sem.
IV. Servius und Alfenus 1. In der Literatur findet sich durchweg die Auffassung, die Digesta seien im wesentlichen eine Sammlung servianischer Responsa gewesen41 . So hat etwa Schulz42 angenommen, die Schrift habe 'nicht nur', i.e. also zum größten Teil Entscheidungen des Servius enthalten, während Bretone43 sie pauschal als 'servianische Anthologie' bezeichnet. Diese These, die nur von Ferrini44 auch begründet wird, stützt sich auf folgenden Befund: Alfens Lehrer, Servius Sulpicius Rufus, erscheint in zwei Fragmenten der Paulusepitome als respondierender Jurist45 . Von den späteren Autoren, die die Digesta zitieren, wird elfmal Alfen und achtmal Servius bei Alfen als Gewährsmann angeführt46 ; vier weitere Serviuszitate geben zwar nicht Alfen als Referenten an, enthalten aber Entscheidungen, die auch in den Digesta überliefert sind47 . Ferner könnte ein Teil der übrigen 88 Serviuszitate ohne Nennung Alfens auf dessen Schrift zurückgehen 48 . Die große Zahl von Zitaten sagt indessen wenig, da Servius in den justinianischen Pandekten mit 97 Zitaten öfter als jeder andere Vorklassiker erwähnt wird. Es liegt nahe, daß die späteren Juristen sich vorrangig auf Servius als die überragende Autorität der späten Republik beriefen und seine Entscheidungen deshalb tendenziell bevorzugten49 . 40 So Wieacker RR 608; Schulz, Geschichte 254 gefolgt von Behnke SZ 104 (1987) 208 sowie jüngst Spruit, Fs. Aigra (Groningen 1992) 315; Maschi, ANRW TI 15 (1976) 682, ebenso schon Bremer, Iurisprudentiae 164. Ablehnend Liebs, Handb. lat. Lit. Antike, 154. 41 Bauman 104; Dulckeit-Schwarz-Waldstein, Röm. Rechtsgeschichte (München 1981) 155; Krüger 71, Ferrini 175 mit weit. Nachw. zur älteren Literatur. Vnklar Wieacker RR 609, wonach Responsa des Servius 'den Kern' der Digesta ausmachten. 42
Geschichte 255 Fn 1, 108.
43 Geschichte des röm. Rechts (dt. München 1992) 142. 44 175ff. 45 Pal. 34 =D 28.5.26; Pal. 44. 1 =D 33.7. 16. 1. 46 Vgl. dazu und zum folgenden Lenel, Palingenesie 53, 54.
47 Pal. 5 =D 39. 2. 43 - D 39.2.24.4 (Vip 81 ad ed); Pal. 18. 1 =D 40.7. 14. 1 - D 40.7.39.3 (Iav 4 ex post Lab); Pal. 54 =D 19.2.30. pr - D 19.2.35 (Afr 8 quaest); Pal. 68 =D 8. 2. 33 - D 8. 5. 6. 2 (VIp 17 ad ed); vielleicht auch Pal. 38 = D 50. 16. 204 - D 32. 62 (Iullib sing de ambig). 48 Das könnte etwa für Vlpian gelten, der häufig Servius und fünfmal Alfen, nie aber Servius bei Alfen zitiert. 49 Die Überlieferungsgeschichte dieser Serviuszitate ist unsicher: Nach Pomponius hat Servius selbst 180 libri hinterlassen, von denen um die Mitte des 2. Jh. n. ehr. noch complura volumina
§ 1 Alfeni Digesta
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Für die Eigenständigkeit Alfens sprechen jedenfalls neben elf Zitaten eigener Entscheidungen zwei Texte, in denen Alfen von Servius abweicht50 . Hinzu kommt die besondere Stellung, die Pomponius dem Juristen unter den Serviusschülern zuweist: Ex his auditoribus plurimum auctoritatis habuit Alfenus Varus et Aulus Ofilius 51 . Obwohl Pomponius an gleicher Stelle auch Alfens Konsulat erwähnt, meint 'auctoritas' hier nicht 'maßgeblichen politischen Einfluß', sondern 'fachliches Ansehen'. Deutlich macht das der Kontext der Stelle. Zum einen folgt der Satz unmittelbar auf einen Bericht über die literarische Tätigkeit der auditores Servii; zum anderen wird die Mitteilung über Ofilius, der kein Amt bekleidete und von dem es nur heißt 'in equestri ordine perseveravit', durch einen Bericht über seine juristischen Werke und ihre Bedeutung ergänzt. Auch bei Labeo, Capito und Proculus gebraucht Pomponius 'auctoritas' für das durch fachliche Leistung erworbene Ansehen eines Juristen 52 . Dieselbe Anerkennung aber wäre für Alfen kaum passend, wenn dessen literarische Tätigkeit sich im wesentlichen darauf beschränkt hätte, Entscheidungen seines Lehrers zu edieren. Pomponius' Urteil hat dabei vor allem deshalb Gewicht, weil ihm um die Mitte des 2. Jh. n. Chr. die originalen Digesta noch zur Verfügung standen und in dieser Schrift die servianischen Responsa als solche kenntlich waren 53 . Bei dieser Überlieferungslage ist der Anteil der auf Servius zurückgehenden Entscheidungen in Alfens Digesten nicht bestimmbar, so daß die gängige Auffassung eine bloße Hypothese bleibt. Die Zitate durch spätere Autoren lassen le-
greitbar waren (D I. 2. 2. 43/44). Außerdem hat Namusa aus den Schriften der Serviusschüler, die jedenfalls auch Entscheidungen des Servius enthielten, ein 140 lihri umfassendes Sammelwerk zusammengestellt (Pomponius aaO). Pomponius differenziert zwischen den Schriften des Servius (D I. 2. 2. 43 a.E.), von denen er noch complum volumina kennt, und den Werken der Serviusschüler (D I. 2. 2. 44). Die Vermutung von Schulz, Geschichte 108f u. Watsons, Law Making 166, die letzteren seien im wesentlichen keine eigenen Schriften, sondern Publikationen aus den nachgelassenen 180 lihri des Servius, findet daher in Pomponius Bericht keine Stütze, vgl. Behrends, Die Wissenschaftslehre des Q. Mucius (Göningen 1976) 270 Fn 25. Nach Wieacker RR 606 sprechen 'nur schwache Indizien' für eine posthume Schülerausgabe. 4 Basilikenscholien schließlich nennen Servius als Autor der Entscheidung, obwohl die Digesten nur respondi oder respondit haben: Bas. 20. I. 27; 48. I. 6; 60. 2. 5 jeweils: i]pom19" 6 LEPß\O~; Bas. 48. 5. 15: LEpß\O~ UltEKp[VUlO. Ob die Entscheidungen zu Recht Servius zugewiesen werden, bleibt offen. Der Digestentitel 9. I wird durch ein längeres Serviuszitat eingeleitet, so daß D 9. I. 5 = Bas. 60. 2. 5 ihm möglicherweise deshalb zugeschrieben wurde. Schulz, Geschichte 255 Fn 4, vermutet, daß die Scholiasten über eine ältere Textausgabe verfügten, die noch nach ServiuslAlfen unterschied. 50 Pal. 44.1
=D 33. 7. 16. I; Pal. 44. 2 =D 33. 7.16.2.
51 D I. 2. 2. 44 (Iib sing ench); zu diesem Text vgl. auch Bauman 78, D' lppolito, I giuristi e la citta (Neapel 1978) 103f. 52 D I. 2. 2. 47/52 (Iib sing ench).Vgl. l.G. Wolf, Das Senatusconsultum Silanianum etc., SB Heid. Akad. Wiss., Phil.-hist. KI. Jg 1988, Bericht 2 (1988) 23 Fn 74. 53 Vgl. die Zitate 'Servius apud Alfenum' bei den klassischen Juristen sowie die das zweimalige 'Servius respondit' der Paulusepitome.
IV. Servius und Alfenus
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diglich vennuten, daß die Digesta unter anderem eine größere Anzahl servianischer Entscheidungen enthielten. 2. Die Responsa der beiden Juristen können in der überlieferten Fassung nicht voneinander unterschieden werden. Breme,s4 hat dagegen die durch respond i t eingeleiteten Antworten Servius zugeschrieben. Erst die Kompilatoren hätten seinen Namen gestrichen, das auf ihn bezogene respond i t aber unverändert gelassen. Die Vorlage der Florentina habe dann, der Anordnung Justinians entsprechend55 , ebenfalls respond i t und keine Sigle enthalten. Für die anonyme Epitome ist diese Vennutung sicherlich falsch. Die Fragmente dieses Textauszuges haben bis zum Titel D 11. 3 durchweg respond i (10 Texte), während sich von dort an mit nur einer Ausnahme respond i t findet (17 Texte). Der in beiden Abschnitten der Pandekten einheitliche, insgesamt aber willkürliche Gebrauch der Verbfonnen kann nur auf die Kompilatoren oder ihre Kopisten zurückgehen und erlaubt keine Rückschlüsse auf den Autor der Entscheidung 56. In der Paulusepitome dagegen findet sich 36mal respond i t gegenüber nur zweimal respond i. Folgt man Bremer, hätten die Kompilatoren aus dieser Schrift fast nur Entscheidungen des Servius exzerpiert, seinen Namen aber stets gestrichen. Die Tilgung des Autors wäre indessen unverständlich, wenn es den Kompilatoren tatsächlich um eine vorrangige Auswahl servianischer Responsa gegangen wäre. Durch die Inskriptionen der Digestenfragmente mußte so nämlich der Eindruck entstehen, daß die Entscheidungen von Alfen und eben nicht von Servius stammten. Daher kann auch für die Paulusepitome aus der Verbfonn respondit nicht auf Servius als Autor des Responsum geschlossen werden. Im übrigen enthält Pal. 44 eine Entscheidung gegen Servius, obwohl die Antwort durch respondit eingeleitet wird 57 . Im folgenden werden wir die besprochenen Entscheidungen mangels anderer Anhaltspunkte Alfen zuschreiben, ohne freilich Servius als möglichen Autor des Responsum auszuschließen.
54 Iurisprudentiae 161 ff. In diesem Sinne zuletzt Waldstein, Operae libertorum (Stuttgart 1986) 310. 55 Const. Tanta § 22. 56 Der Befund legt nahe, daß schon die Vorlage der Kompilatoren Siglen enthielt, die willkürlich aufgelöst wurden. Zweifelnd Schulz, Geschichte 255. 57 D 33. 7. 16. 2 s.U. § 211 b. Wie hier im Ergebnis Krüger, Geschichte 71 Fn 60, Schulz, Geschichte 255 Fn I.
Erster Teil
Die Digesta Alfens und ihre Epitomae § 2 Responsa I. Vorbemerkung In beiden Epitomae folgt etwa die Hälfte der Fragmente dem dreigliedrigen Responsenschema: Sachverhalt - Quaestio - Entscheidung l . Der hohe Anteil dieser Darstellungsform in beiden Textauszügen verbürgt, daß der dreigliedrige Aufbau dieser Fragmente ursprünglich und nicht das Werk der Epitomatoren ist. Ein Vergleich der Responsa kann deshalb über das Verhältnis beider Auszüge zu Alfens Digesten sowie über diese selbst Auskunft geben: Soweit die Responsenfragmente beider Epitomae in charakteristischer Weise stilistisch-formal übereinstimmen, dürfen wir nämlich annehmen, daß die ihnen gemeinsamen Charakteristika schon ihre Vorlage, also Alfens Digesten selbst, kennzeichneten. Mit dem Typus oder den Typen des alfenischen Responsum gewinnen wir zugleich Basis und Kriterien für die Beurteilung der beiden Auszüge, insbesondere für die Hauptfrage, ob und vielleicht in welcher Weise die Epitomatoren ihre Vorlage verändert haben. Die Responsenfragmente beider Epitomae unterscheiden sich auffällig in der Antwort des Juristen. Zwei Typen sind ohne weiteres auszumachen: In vielen Responsa trifft der Jurist in seiner Antwort Unterscheidungen: er variiert den Sachverhalt und stellt die Varianten mit ihren unterschiedlichen Entscheidungen einander gegenüber. Wir untersuchen diesen Typus unter dem Titel 'Distinktionen' (III)2. In allen anderen Responsa dagegen entscheidet der Jurist den Ausgangsfall ohne Sachverhaltsergänzung oder Fallabwandlung. Wir sprechen hier von 'einfachen Entscheidungen' (11). Diese lassen sich wiederum aufgliedern in Entscheidungen ohne jede Begründung (1), mit kurzer Begründung
I Von insgesamt 104 Fragmenten, die eine selbständige Rechtsfrage behandeln 49; davon 28 aus der anonymen Epitome und 21 aus der des Paulus. Zum Responsum als literarischer Darstellungsform vgl. §§ 4, 5, 6 und 9.
2 Vgl. den Hinweis bei Horak, Rationes 79.
11. 'Einfache Entscheidungen'
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(2) und solche mit ausführlicher Begründung (3). In einigen wenigen Fragmenten führt der Jurist in seiner Antwort zunächst ein allgemeines Prinzip an, aus dem er dann die Einzelfallentscheidung ableitet (4)3. Unsere Auswahl der Beispiele berücksichtigt beide Epitomae gleichmäßig; jedem Beispiel aus der anonymen Textreihe folgt eines aus der paulinischen.
11. 'Einfache Entscheidungen' 1. Entscheidungen ohne Begründung
Die Responsenfragmente beider Epitomae kennen Antworten ohne Begründung, die sich gelegentlich sogar auf ein schlichtes 'posse' oder 'deberi' beschränken. Diese apodiktischen Responsa sind jedoch, verglichen mit der Gesamtzahl der Entscheidungen, selten 4 . a) Eine Frage der Tierschadenshaftung behandelt in der a non y m e n Epitome: 1. Pal. 6 = 0 9. 1. 5 Alf 2 dig5 . Agaso cum in tabemam equum deduceret, mulam equus olfecit, mula caicem reiecit et crus agasoni fregit: consulebatur, possetne cum domino mulae agi, quod ea pauperiem fecisset. respondi posse.
Der Sachverhalt schildert eine Szene aus dem Alltagsleben: Ein Knecht führt ein Pferd vor eine Taverne. Das Pferd beschnuppert ein dort stehendes Maultier, das ausschlägt und dem Knecht ein Bein zerschmettert. Alfen entscheidet, gegen den Eigentümer des Maultiers könne mit der actio de pauperie geklagt werden. Der Maultierhalter ist danach verpflichtet, entweder den Schaden zu ersetzen oder aber dem Geschädigten das schadenstiftende Tier zu übereignen. Die a. de pauperie setzt nach Servius6 voraus, daß ein Tier einen Schaden jeritate commota verursacht hat. Diese auch in klassischer Zeit maßgebliche Voraussetzung wird in den Quellen nicht abstrakt, sondern von Fall zu Fall kasuistisch erfaßt. So soll sie etwa dann fehlen, wenn ein Tier durch die Schuld eines 3 Vgl. Horak, Rationes 106 Fn 16,269. 4 In beiden Epitomae insgesamt 9. 5 Lit.: Litten, Jherings Jahrbücher 49 (1905) 419ff; Levy, Die Konkurrenz der Aktionen und Personen Il 1 (Berlin 1922) 225ff; Kerr Wylie, SI. Riccobono IV (1936) 459ff; Honore, Satura Feenstra (1985) 239ff. 6 Servius D 9. 1. 1. 4 (Ulp 18 ad ed).
§ 2 Responsa
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Menschen einen Schaden verursacht oder weil es von einem anderen Tier gereizt worden ist7 . Beiden Fällen ist gemeinsam, daß sich im Schadenseintritt nicht eine von dem Tier ausgehende Gefahr verwirklicht, sondern ein anderes, von außen kommendes Risiko. Wer dagegen ein Pferd hält, das gelegentlich ausschlägt oder übermäßig wild ist, hat die Folgen dieser Eigenschaften zu tragen und muß darum einen durch sie entstandenen Schaden ersetzen 8. Der Kasuistik läßt sich so entnehmen, daß eine Verletzung immer dann Jeritate commota verursacht war, wenn sich darin eine typische mit der Tierhaltung verbundene Gefahr realisierte9 . In Pa!. 6 könnte diese Voraussetzung zweifelhaft sein. Man könnte nämlich einwenden, das Pferd habe das Maultier gereizt und damit die maßgebliche Schadensursache gesetzt. In der Verletzung des Knechts hätte sich dann (zumindest auch) die von dem Pferd ausgehende Tiergefahr verwirklicht. In Betracht käme auch ein eigenes Verschulden des Verletzten, weil er Pferd und Maultier nicht von einander getrennt hielt. Mit seiner Entscheidung zugunsten des Klägers schließt Alfen beide Möglichkeiten aus 10. Danach hat das Pferd das Maultier nicht gereizt: Seine natürliche Aufmerksamkeit für das andere Tier ist gegenüber der Reaktion des Maultiers rechtlich irrelevant und kann dessen Eigentümer nicht entlasten 11. Deshalb trifft auch den Knecht, der das Pferd neben das Maultier führte, kein Verschulden. Die mit dieser Entscheidung getroffene Risikoverteilung zwischen den beteiligten Tierhaltern ist plausibel und, ohne daß es einer Begründung bedarf, verständlich.
7 D 9. I. I. 4 (Vip 18 ad ed), § 8, § I!. 8 D 9. I. I. 7 (Vip 18 ad ed ).
9 Litten 448; ähnlich Kerr Wylie 471, der diese Fälle als 'natural pauperies' bezeichnet. D 9. 1. 1. 7 (Vip 18 ed) verlangt als Voraussetzung der a. de pauperie, das Tier müsse den Schaden contra naturam verursacht haben. Das Verhältnis dieser Voraussetzung zu der von Servius postulierten iferitate commota) ist umstritten. Der älteren Literatur, die contra naturam fast durchweg für byzantinisch hält (Levy 226 mit weit. Nachw.), haben Kaser I 634 und jüngst Zimmennann 1103 widersprochen. Kaser zufolge ist contra naturam klassisch in der Bedeutung "gegen die natürliche Friedfertigkeit eines Haustiers". Zimmennann sieht darin den gemeinsamen Nenner all der Verhaltensweisen, die für ein Haustier untypisch sind: Breche in ihm seine ursprüngliche Wildheit durch, habe der Eigentümer dieses Risiko zu tragen. So verstanden bezeichnet contra naturam freilich dasselbe wie !eritate commota, nämlich die Realisierung typischer mit der Tierhaltung verbundener Risiken. Honori 246, 248 schließlich vermutet, Vlpian habe das !eritate commota des Servius um contra naturam ergänzt. 10 Vgl. Kur Wylie 47lf. 11 So schon das Scholion zu Bas. 60. 2. 5 = D 9 . 1. 5: [... jlCaitOl 6 OE01t6tTl~ tOU epE9ioavt~ eVEXEtat ... illa t6 öeJ(ppav9fjvat OUIC eonv epE9ioat; lCata OUIHProVrp Kui Kf,TJPovoj.lEl mu ltutpo.;.
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§ 3 Responsenbruchstücke
a) Hierzu gehört Pal. 22 aus der a non y m e n Epitome, das restitutio in integrum betrifft: 24. Pal. 22 = D 4. 6. 42 pr Alf 5 dig l27 . Non vere dicitur rei publicae causa abesse eum, qui sui privati negotii causa in legatione est.
Die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gewährte der Prätor, wenn ein Rechtsverlust durch den Ablauf gesetzlicher Fristen eingetreten war. Die Restitutionstatbestände betreffen bestimmte privatrechtliche Vorgänge sowie die Versäumung prozessualer Fristen und Termine; als Wiedereinsetzungsgrund gilt unter anderem die Abwesenheit rei publicae causa. Pal. 22 wird keine prozessuale Situation betroffen haben: Der Text stammt aus dem 5. Buch der anonymen Epitome, dessen Gegenstand das Legatsrecht war. In diesem Zusammenhang wird die restitutio in integrum für bedingte Vermächtnisse erörtert l28 , wie das vorausgehende Iulianfragment (41 h.t.) zeigt: Der Erblasser hat ein Legat unter der Bedingung ausgesetzt, daß der Begünstigte sich bei seinem Tod in Italien befindet. Iulian entscheidet, das Vermächtnis werde auch dann geschuldet, wenn der Legatar sich bei Eintritt des Erbfalls rei publicae causa außerhalb Italiens befand. Auch der Alfentext gehört wohl in diesen materiellrechtlichen Kontext l29 . b) Ähnlich knapp ist auch die folgende Stelle, die die Befugnisse von Miteigentümern betrifft. Das Fragment steht unter dem Titel de communi dividundo und ist in der P a u I u s e p i tom e überliefert: 25. PaI. 50 = D 10.3.27 Paul3 epit Alf dig 130 . De communi servo unus ex sociis quaestionem habere nisi communis negotii causa iure non potest.
127 Lit.: Beseler, SZ 53 (1933) 59; De Sarlo, AV 37; Rastätter, MarceIli notae ad luliani digesta (Karlsruhe 1983) 59ff. 128 Labeo, lulian, Pomponius D 4.6. 17. I (Ulp 12 ad ed); lulian, Marcell D 4. 6. 41 (Iul 35 dig). 129 Ebenso De Sarlo 37. Das Fragment bietet dann eine AuffaJligkeit, da die Regelung des Edikts auf diesen Sachverhalt nur analog anwendbar war: Unmittelbar geregelt war die Versäumnis gesetzlicher Fristen, während hier der Rechtsverlust deshalb droht, weil der Legatar eine testamentarische Bedingung nicht erfüllen kann (vgl. dazu Beseler 59, Rastätter 59). Für Labeo ist erstmals ausdrücklich belegt, daß er die Bestimmung des Edikts auf erbrechtIiche Bedingungen ausdehnte [vgl. D 4.6. 17. 1 (Ulp 12 ad ed)]. Der Alfentext wäre insoweit ein älterer Beleg. 130 Lit.: Die Stelle wird erwähnt von Gaudemet, Etude sur le regime de l'indivision (Paris 1934) 264 Fn 2; Bretone, Servus communis (Neapel 1958) 86 Fn 85; Watson, Persons 182.
11. Die Texte
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Jeder Miteigentümer konnte faktische Eingriffe des anderen in die gemeinsame Sache verbieten und im Wege der Selbsthilfe vereiteln 131. Eine Maßnahme trotz Verbots war unter allen Umständen rechtswidrig und konnte Schadensersatzansprüche begründen. Pal. 50 betrifft dagegen eine Situation, in der ein Eigentümer gehandelt hat, 0 h n e daß der andere Gelegenheit hatte einzuschreiten: Die Folterung l32 eines gemeinsamen Sklaven war dann rechtswidrig, wenn sie nur im Interesse des handelnden Miteigentümers erfolgte. Der entstandene Schaden ist zugunsten des anderen im Rahmen der actio communi dividundo zu berücksichtigen; soll die Gemeinschaft beibehalten werden, ist statt dessen auch die actio legis Aquiliae statthaft. c) Nur eine Begriffsbestimmung enthält schließlich das folgende, ebenfalls in der P a u I u s e p i tom e überlieferte Fragment: 26. PaI. 38 = D SO. 16. 204 Paul 2 epit Alf. "Pueri" appellatio tres signifieationes habe!: unarn, eum omnes servos pueros appellaremus: alterarn, eum puerum eontrario nomine puellae dieeremus: tertiarn, eum aetatem puerilem demonstraremus.
Die Definition von 'pueri' stammt aus dem 2. Buch der Paulusepitome und stand ursprünglich in einem erbrechtlichen Zusammenhang. Abhängig vom jeweiligen Kontext hat 'pueri' danach drei Bedeutungen als Gegensatz zu puellae, als Altersangabe oder als die allgemeine Bezeichnung von Sklaven. Die Feststellung, daß ein verwendeter Begriff objektiv mehrdeutig ist, hatte für Servius bei der Testamentsauslegung größte Bedeutung: Nur in diesem Fall nämlich durfte auf weitere Umstände, insbesondere den individuellen Sprachgebrauch des Testators, zurückgegriffen werden 133.
131 Sabinus D 10.3.28 (Pap 7 quaest); D 8. 2. 27. 1 (Pomp 33 ad Sab).
132 Quaestio meint hier die peinliche Befragung, vgl. dazu D 48. 18 sowie Ehrhardt, RE 6 A 1775ff. 133 Vgl. Servius D 33. 10.7. 1 (Cels 19 dig) sowie oben § 2 II 4. a zu Pa!. 20 7 Roth
=D 33. 8. 14.
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§ 3 Responsenbruchstücke
III. Zusammenfassung 1. In diesem Kapitel wurden Fragmente vorgestellt, die in ihrer überlieferten Fassung dem Responsenschema nicht oder nur teilweise folgen. Dabei zeigte sich erneut eine stilistisch-formale Übereinstimmung beider Textauszüge: Sowohl die anonyme Epitome als auch die des Paulus enthalten Fragmente desselben charakteristischen Zuschnitts: nämlich zweigliedrige Responsa, bestehend aus Sachverhalt und Antwort (11 1)134, sodann Fragmente, die ganz oder teilweise in indirekter Rede abgefaßt sind (11 2)135 sowie knappe Texte in direkter Rede (11 4)136. Außerdem fallen zahlreiche Fragmente beider Textauszüge durch eine ungewöhnliche Abfolge der Modi auf (11 3)137. 2. Für die Texte der 2. und 3. Gruppe ergab sich aus grammatischen und formalen Eigentümlichkeiten mit großer Wahrscheinlichkeit, daß sie ursprünglich Teilstücke vollständiger Responsa waren. Auch die Texte der I. Gruppe haben die Fallfrage wohl erst nachträglich eingebüßt. Bei Alfen nämlich enthält die Quaestio meist nur die Rechtsfrage ohne jede Sachverhaltserweiterung, so daß sich ihre Streichung bei einer verkürzenden Bearbeitung der dreigliedrigen Fragmente geradezu anbot; auch ohne Quaestio blieben die Texte zwanglos verständlich und ihr juristischer Gehalt unberührt. Außerdem ist bei der großen formalen Homogenität der alfenische Responsa eine solche nachträgliche Kürzung wahrscheinlicher als die Verwendung eines zweigliedrigen Schemas neben der bei weitem überwiegenden dreigliedrigen Form.
134 Die Sachverha!tsdarstellung ist entweder selbständig oder aber ba!d in einem von respondil respondit abhängigen Bedingungssatz, ba!d in einem Ab1ativus absolutus formuliert: Pa!. 4.1 = D 8. 5. 17. I; Pa!. 11 = D 15.3. 16; Pa!. 14. = D 44. I. 14; Pa!. 18. I = D 40. 7. 17; aus der Paulusepitome Pa!. 34 = D 28.5.46; Pa!. 39. 1= D 32.60. 1; Pa!. 39. 3 = D 32. 60. 3; Pa!. 40 = D 33.2. 12; Pa!. 46 = D 33. 8.15; Pa!. 51. 1= D 17.2.71. 2; Pa!. 52 = D 18.6. 13, 15; Pa!. 54. I = D 19. 2. 30. I; Pa!. 54.4 = D 19. 2. 30. 4; Pa!. 55 = D 14.2.7; Pa!. 56 = D 19.5.23; Pa!. 58 = D 23. 5. 8; Pa!. 59 pr = D 24. I. 38 pr; Pa!. 62. 2 = D 18. I. 40.2; Pa!. 62. 4 = D 18. I. 40. 4; Pa!. 62. 5 = D 18. I. 40. 5; Pa!. 63 = D 21. 2. 45; Pa!. 65 = D 41. I. 38; Pa!. 70 = D 13.7.30; Pa!. 72 = D 42. I. 62. 135 Pa!. 15 pr = D 19. 2. 27 pr; aus der Paulusepitome Pa! 32 = D 41. 3. 34; Pa!. 33 = D 48. 22. 3; Pa!. 40 = D 33. 2.12; Pa!. 41 = D 7. I. 11; Pa!. 59.1 = D 24. I. 38; Pa!. 62. = D 50.16.205; Pa!. 68 = D 8. 2. 33. 136 Pa!. 22 = D 4.6.42; aus der Paulusepitome Pa!. 38 = D 50. 16.204; Pa!. 42 = D 8. 2. 16; Pa!. 44 pr = D 33. 7. 16; Pa!. 50 = D 10. 3. 27; Pa!. 60. 1 = D 33. 10.6; Pa!. 62. 6 = D 18. I. 40. 6; Pa!. 74 = D 33. 2. 40. 137 Pa!. 4 = D 8. 5. 17; Pa!. 7 pr = D 9. 2. 52 pr; Pa!. 9 = D 44.7.20; Pa!. 12 = D 18.6. 12; Pa!. 13 = D 44. I. 14; Pa!. 16 = D 50. 16.203; Pa!. 21 = D 34. 8. 2; aus der Paulusepitome Pa!. 31 = D 8.4. 15; Pa!. 37 = D 30. 100; Pa!. 47 = D 64.3.35; Pa!. 52. 1 = D 18.6. 15; Pa!. 53 = D 19. I. 27; Pa!. 57 = D 23. 4. 19; Pa!. 59. 1 = D 24. I. 28. 1; Pa!. 64. 3 (zur Kürzung dieses Fragments Rodger, TR 55 [1987] 22); Pa!. 67 = D 47.2.58.
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III. Zusammenfassung
Für die Darstellungsform der Digesta ergibt sich damit folgendes Gesamtbild: Von den insgesamt 104 überlieferten Fragmenten folgen 49 dem dreigliedrigen Responsenschema; für 46 weitere ist die Herkunft aus einem dreigliedrigen Responsentext wahrscheinlich 138. Die Digesten Alfens waren demnach eine Responsensammlung. 3. Nach Schulz 139 sind die luristenschriften, die Responsa oder Epistulae enthielten, im Laufe ihrer Überlieferung durchweg stark gekürzt und umgearbeitet worden. Insbesondere seien Sachverhaltsdarstellungen gestrafft, dialogische Darstellungsformen ganz oder teilweise beseitigt und überhaupt Texte auf ihren juristisch relevanten Gehalt reduziert worden. Die verkürzende Bearbeitung der Schriften habe in klassischer Zeit mit der Herstellung von Textauszügen begonnen und sei durch nachklassische Bearbeiter und schließlich die Kompilatoren fortgesetzt worden. Wie wir sahen, sind auch Alfens Responsa gekürzt worden. Der Umfang ihrer Kürzungen hält sich jedoch in Grenzen: Von den 104 überlieferten Entscheidungen hat nahezu die Hälfte das dreigliedrige Responsenschema unversehrt bewahrt, wobei sich zahlreiche Texte gerade durch eine detaillierte und lebensnahe Sachverhaltsdarstellung auszeichnen. 4. Die Kürzung der alfenischen Responsentexte kann weitgehend den Kompilatoren zugeschrieben werden: Da beide Textauszüge in ihrer Überlieferung von einander unabhängig sind, muß die formale Übereinstimmung der Responsenbruchstücke auf eine gemeinsame Bearbeitung durch die Kompilatoren zurückgehen. Für eine Kürzung durch die Kompilatoren sprechen aber auch weitere Indizien: Eine Reihe kürzerer Fragmente sind nur aus dem Kontext der justinianischen Digesten verständlich; bei isolierter Betrachtung ist evident, daß sie aus umfangreicheren Texten entnommen sein müssen. Außer den Fragmenten der 4. Gruppe zählen dazu auch Pa!. 41 und Pa!. 57 140. Besonders auffällig sind ferner diejenigen Fragmente, in denen zwar die Hauptsätze, nicht aber auch die Nebensätze in direkte Rede übertragen wurden, so daß sich eine völlig ungebräuchliche und sonst nicht belegte Abfolge der Modi ergab. Fragmente dieser Art finden sich zahlreich in beiden Epitomae. Zu 138 Keine sicheren Rückschlüsse erlauben 9 weitere Texte: Pa!. 38 =D 50. 16.204; Pa!. 42 = D 8. 12. 16; Pa!. 60. I =D 33. 10.6. I und Pa!. 74 =D 33. 2. 40 enthalten Begriffsbestimmungen aus erbrechtIichem Kontext; Pa!. 22 D 4. 6. 42; Pa!. 50 D 10. 3. 27; Pa!. 62. 6 D 18. 1. 40. 6 bestehen jeweils aus nur einem Satz und sind offenbar aus längeren Texten entnommen. Außerdem: Pa!. 39 pr = D 32. 60 pr; Pa!. 44. I = D 33. 7. 16. 1.
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139 Geschichte 285ff. 140 S.o. 11 2 b u. II 3 f.
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§ 3 Responsenbruchstücke
ihnen gehört auch Pal. 57, das ganz ersichtlich durch die Kompilatoren gekürzt und mit aliud est an das vorausgehende Fragment angeschlossen wurde. Auch in anderen Fällen wurde auf die sprachliche Fassung der Responsenbruchstücke wenig Wert gelegt: Vier Fragmente sind ganz, fünf weitere teilweise in indirekter Rede formuliert, unter ihnen Pal. 41, das nur aus dem Kontext der justinianischen Digesten verständlich ist und seinen Zuschnitt darum von den Kompilatoren erhalten haben muß. Auch die sprachlichen Mängel in Pal. 15 pr gehen offensichtlich auf das Konto der Kompilatoren 141 , so daß die Gestalt all dieser Texte wohl eine Folge ihrer Bearbeitung ist. In bei den Textauszügen fällt schließlich die gleiche Uneinheitlichkeit der Bearbeitung auf. Die Texte wurden keineswegss systematisch gekürzt, etwa durchweg auf das juristisch Wesentliche reduziert. Mit einer gewissen Konsequenz sind offenbar nur diejenigen Fragmente beschnitten worden, deren Responsum durch einen allgemeinen Rechtssatz eingeleitet wurde: Fünf ungekürzten, dreigliedrigen Responsentexten dieses Typs stehen 12 auf ihren Antwortteil reduzierte Fragmente gegenüber. Es ergibt sich so ein Verhältnis von gut 1 : 2 gegenüber einem Verhältnis von 1 : 1 zwischen dreigliedrigen und gekürzten Fragmenten insgesamt 142. Da die reduzierten Fragmente überwiegend auch dieselbe ungebräuchliche Abfolge der Modi aufweisen, kommen für diese Kürzungen wiederum nur die Kompilatoren in Betracht. Sie entsprechen gerade auch der justinianischen Tendenz zu Generalisierung und Kanonisierung, allgemein lautende Sätze aus kasuistischen Texten herauszulösen, wie sie sich besonders in der Zusammenstellung der regulae iuris (D 50. 17) zeigt. Denn Programm und Ziel der Kodifikation war es ja, die Rechtsmeinungen der Juristen in geordneter und übersichtlicher Sammlung zusammenzustellen 143 , um sachnahe und kurzgefaßte Gesetze zu erhalten 144. 5. Die Responsenfragmente beider Epitomae zeigen zwar dieselben stilistischformalen Kriterien, sie verteilen sich aber nicht gleichmäßig auf beide Textauszüge: Von den 39 Fragmenten der anonymen Epitome haben gut zwei Drittel das Responsenschema unversehrt bewahrt gegenüber nur einem Drittel der insgesamt 65 Fragmente der Paulusepitome. Besonders auffällig ist das Mißverhältnis der Texte, in denen lediglich die Quaestio gestrichen wurde: 4 Fragmenten der anonymen Epitome stehen 20 der Paulusepitome gegenüber bei ei141 S.o. 11 2 a. 142 5 dreigliedrigen Responsa dieses Typs stehen 11 gekürzte Stellen gegenüber (Pal. 5. 1 = D 39.2.43.1; Pal. 19 = D 28. 5. 45; Pal. 20 = D 33. 8.14; Pal. 23 = D 5.1. 76; Pal. 66 = D 10. 4.19; Pal. 71 = D 19. 2. 31 VS. Pal. 9 = D 44.7.20; Pal. 15 = D 19.2.27; Pal. 21 = D 34.8.2; Pal. 31 = D 8. 4. 15; Pal. 33 = D 48.22.3; Pal. 47 = D 46.3.35; Pal. 50 = D 10. 3. 27; Pal. 53 = D 19. 1. 27; Pal. 55 = D 14.7.2; Pal. 68= D 8. 2. 33; Pal. 74 = D 33. 2. 40). 143 Const. Tanta § 1. 144 Const. Tanta § 12.
1II. Zusanunenfassung
101
nem Verhältnis von 39 zu 65 überlieferten Entscheidungen insgesamt. Dieses Mißverhältnis läßt indessen keine Rückschlüsse oder Vermutungen über vorjustinianische Textveränderungen zu. Eher dürfte es ein Hinweis darauf sein, daß beide Epitomae nacheinander exzerpiert wurden und die Kompilatoren bei der (zeitlich späteren) Exzerption der Paulusepitome zugunsten der Übernahme einer größeren Anzahl von Entscheidungen die Texte häufiger verkürzten. 6. Schließlich ist festzuhalten, daß auch die in diesem Kapitel untersuchten Texte keine Zusätze der Epitomatoren erkennen lassen. Von der Kürzung der Responsa abgesehen fehlen auch nachklassische oder kompilatorische Textveränderungen.
Zweiter Teil
Der Werkcharakter der Digesta § 4 Didaktische Distinktionen I. Vorbemerkung Wir fassen zunächst die Ergebnisse des ersten Teils noch einmal zusammen: 1. Die Synopse beider Epitomae ergab eine weitgehende stilistisch-formale
Übereinstimmung sowohl der Responsa wie auch der Responsenbruchstücke. 2. Sämtliche Texte folgten ursprünglich dem Responsenscherna, dieser für die römische Jurisprudenz so typischen dreigliedrigen Darstellungsform. 3. Die Responsa Alfens wurden von den Epitomatoren unverändert übernommen, und erst die Kompilatoren haben die dialogische Darstellungsform in zahlreichen Fragmenten ganz oder teilweise beseitigt. Nachdem wir so Gewißheit über die äußere Gestalt der alfenischen Texte und deren stilistische Eigenart gewonnen haben, soll in einem zweiten Schritt die Funktion der angewandten Darstellungsformen untersucht werden. Ihre Analyse gibt Antwort auf die Frage nach dem Werkcharakter der Digesta. Zu diesem Zwecke wenden wir uns wieder Fragmenten zu, in denen Alfen Fallvarianten unterscheidet. Wie in § 2 ausgeführt wurde, ist die distinctio das auffälligste formale Kennzeichen beider Epitomae. Die dort besprochenen Texte erlauben indessen keine Rückschlüsse auf die literarische Absicht Alfens: Ihre Distinktionen nämlich betreffen durchweg 'offene' Tatbestände, in denen jeweils eine für die Entscheidung der Quaestio notwendige Angabe fehlt. Alfen bildet deshalb Fallvarianten, indem er den Sachverhalt verschieden ergänzt und so zu unterschiedlichen Entscheidungen gelangt. Für diese Responsa ist nicht auszuschließen, daß sie praktische Rechtsgutachten wiedergeben: Ein Konsulent könnte einen unvollständigen Sachverhalt mitgeteilt haben, der deshalb nur eine Antwort unter der Annahme zusätzlicher (unterschiedlicher) Voraussetzungen gestattete. Ein solch unmittelbarer Bezug zur Respondierpraxis ist jedenfalls für die älteren Schriften, welche sicher Responsa enthielten, belegt: wie Cicero be-
11. Die Texte
103
richtet, gaben die !ibri de iure civili des lunius Brutus l und die commentarii iuris civilis des Cato jilius 2 tatsächlich erteilte Rechtsgutachten wieder, die wortgetreu und in unredigierter Form mitgeteilt wurden 3. Etwas anderes gilt für die folgenden Texte: Obwohl der Sachverhalt 'vollständig' ist und ohne weiteres die eindeutige Beantwortung der Fallfrage erlaubt, führt der Jurist eine Unterscheidung ein, indem er eine Sachverhaltsangabe variiert. Auch diese Fälle können zwar aus der Respondierpraxis stammen, die hypothetischen Varianten zeigen aber, daß es Alfen nicht um die Darstellung eines erteilten Bescheides geht. Diese Texte sind vielmehr als Lehrstücke geeignet und offenbar mit eben dieser Absicht formuliert. Auf die Exegese der Texte (11.) folgt eine Zusammenfassung, die die Funktion der alfenischen Distinktionen verdeutlicht (III.).
11. Die Texte 1. Mit der Haftung aus der lex Aquilia beschäftigt Alfen sich in Pal. 7. 1. Im zweiten Teil des Responsum wird eine Variante entschieden, die vom mitgeteilten Sachverhalt sowie den ausdrücklichen Angaben des Konsulenten abweicht; Gutachten dieser Art sind für die Respondierpraxis wenig geeignet. 27. Pal. 7.1= D 9. 2. 52.1 AlU dig4 . Tabernarius in semita noctu supra lapidem lucernam posuerat: quidam praeteriens eam sustulerat: tabernarius eum consecutus lucernam reposcebat et fugientem retinebat: ille flagello, quod in manu habe bat, in quo dolo~ inerat, verberare tabernarium coeperat, ut se mitteret: ex eo 1 Praetor 142 v. Chr. 2 Praetor designatus 151 v. Chr. 3 Oe orat. 11. 33. 142 [... ] video enim in Catonis et in Bruti libris nominatimfere referri quid alicui de iure viro aut mulieri responderit; credo, ut putaremus in hominibus, non in re, consultationis aut dubitationis causam aliquamjuisse. Vgl. dazu Wieacker RR 539, 543. 4 Lit.: Pemice, Zur Lehre von der Sachbeschädigung im römischen Recht (Weimar 1867) 63f und Labeo 11, I (2. Aufl. Halle 1900) 80f, 97f; Huvelin, Melanges Girard I (Paris 1912) 559ff; De Sarlo, AV 126; Visky, RIDA III (1949) 451ff; Lawson, Negligence in the Civil Law (Oxford 1950) 131; Wieacker, Ps. Wenger I (1944/1945) 129ff und SZ 92 (1975) 375; Watson, Obligations 236; Schipani; Responsabilita ex lege Aquilia (Turin 1969) 71; Cannata, Labeo 17 (1971) 71; v.Lübtow, Untersuchungen zur lex Aquilia (Berlin 1971) 107f; Pugsley, LQR 86 (1971) 427; Hausmaninger, Das Schadensersatzrecht der lex Aquilia (Wien 1980) 21; Mac Cormack, SDHI 46 (1975) 46f und Daube Noster (1974) 216f; Wollschläger, SZ 93 (1976) 128f; Wacke, SZ 106 (1989) 484ff; Spruit, Ps Aigra (Groningen 1992) 312ff. 5 In quo dolor inerat ist auf flagellum bezogen und meint wörtlich 'in dem Schmerz war'. Da dies keinen Sinn macht, vermutete Lenel ein Glossem nach Ofilius D 47. 10. 5. I (Ulp 56 ad ed): inter pulsationem et verberationem hoc interest. ut Ofilius scribit: verberare est c u m d 0 I 0 r e
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§ 4 Didaktische Distinktionen
maiore rixa facta tabemarius ei, qui lucemam sustulerat, oculum effoderat: consulebat, num damnum iniuria non [videturj dedisse, quoniam prior flagello percussus esset. respondi, nisi data opera effodisset oculum, non videri damnum iniuria fecisse, culpam enim penes eum, qui prior flagello [percussitj , residere: sed si ab eo non prior vapulasset, sed cum ei lucemam eripere vellet, rixatus esset, tabemarii culpa factum videri.
Der Sachverhalt schildert eine Straßenszene: Ein Schankwirt stellt nachts vor seiner Taverne eine Lampe auf einen Stein; ein Passant nimmt sie auf und entfernt sich mit ihr. Als der Wirt den Flüchtigen festhält und die Lampe zurückfordert, greift dieser zur Peitsche. Es kommt zu einem Handgemenge, bei dem der Wirt dem Passanten ein Auge ausschlägt. Der Wirt fragt an, ob er den Schaden widerrechtlich zugefügt habe; immerhin sei er als erster geschlagen worden. Die Antwort unterscheidet: Wenn der Wirt nicht vorsätzlich gehandelt habe, sei er für den Schaden nicht verantwortlich. Falls er dagegen bei dem Versuch, die Laterne an sich zu bringen, als erster geschlagen habe, hafte er für die Folgen der Schlägerei. a) Konsulent und respondierender Jurist gebrauchen den Begriff 'damnum iniuria datum'. Diese Formulierung ist technisch und meint sämtliche Schäden, die eine Haftung aus dem dritten Kapitel der lex Aquilia auslösen. Deshalb muß der Passant Sklave gewesen sein, wenn auch der Sachverhalt es nicht ausdrücklich erwähnt6 : Eine Ausdehnung der aquilischen Haftung auf die Verletzung Freier erfolgt in klassischer Zeit - wenn überhaupt - nur in Einzelfällen und kommt für die späte Republik nicht in Betracht7 . Die Sklaveneigenschaft wird deshalb entweder vorausgesetzt, oder aber der Text in nachklassischer Zeit durch ihre Streichung verallgemeinert worden seinS. Für die Folgen einer Schlägerei haftet grundsätzlich, wer die Tätlichkeiten schuldhaft beginnt. Der Passant war verpflichtet, die Wegnahme der Laterne zu dulden; als er auf den Eigentümer einzuschlagen begann, handelte er vorwerfbar, woran sich während der folgenden Auseinandersetzung auch nichts geän-
caedere pulsare sine dalare. Ein solches Glossem wäre angesichts der Peitschenschläge töricht. Überzeugender die Konjektur Mammsens ad h. 1., der statt dalar dolan ließt, latinisiert zu gr. lioA.wv. Der Satz lautet dann: "Mit einer Peitsche an der ein Stachel war".
6 Wie hier v.Lübtow 107f. Wieacker, SZ 92 375. Anders Huvelin 565f, der das Fragment auf die a. iniuriarum bezieht und den technischen Gebrauch von damnum iniuria datum für die lex Aquilia in republikanischer Zeit leugnet; der Ausdruck verweise daher nicht notwendig auf die lex Aquilia. (Nach Lawsan 131 möglich). Huvelins Annahme bleibt jedoch eine bloße Hypothese, die wenig überzeugend ist, da die lex Aquilia im 3. Kapitel damnum und iniuria ausdrücklich erwähnt. Ein Indiz für den Bezug auf die lex Aquilia ist der palingenetische Kontext. Gegen Huvelin: Schipani 169 Fn I; Mac Carmack SOHl 47.
7 Übereinstimmend für die Vorklassik: Wieacker, SZ 92 375, Mac Carmack SOHl 47; Kaser I 622 mit zahl. Nachw. Für die klassische Zeit ist die Frage umstritten vgl. Kaser aaO Fn 43. 8 Hausmaninger 32 Fn 77.
11. Die Texte
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dert hat: culpa .. _penes eum ... residere 9. Der Verletze hat deshalb den Schaden selbst zu verantworten, was ein damnum iniuria datum ausschließt. Schon Pemice lO sah in dieser Entscheidung einen Anwendungsfall der Regel: quod quis ex sua culpa damnum sentit, non intellegitur damnum sentire ll . Der Wirt soll freilich dann haften, wenn er das Auge vorsätzlich (data opera) ausgeschlagen hat l2 . Dieser Einschränkung liegt der Gedanke zugrunde, daß der Passant nur die üblichen Konsequenzen seines Verhaltens zu tragen hat, bei einer Schlägerei also die typischen Verletzungsfolgen 13. Die vorsätzliche Zerstörung eines Auges aber fallt nicht darunter, so daß in der Terminologie Alfens die culpa dann nicht auf Seiten des Passanten verblieben wäre. Die Einschränkung nisi data opera effodisset oculum wie auch die Fallabwandlung, in der der Wirt haftet, widersprechen scheinbar einer Bestimmung des XII-Tafelrechts. Der Bestohlene durfte danach einen bei Nacht auf frischer Tat ergriffenen Dieb töten, ebenso einen Dieb, der sich bei Tag mit einer Waffe in der Hand verteidigte 14. In Pal. 7. 1 hat der Passant gleich beide Qualifikationen des Jurtum erfüllt l5 . Da der Wirt aber bei Vorsatz oder wenn die Schlägerei beginnt, dennoch haftet, muß das Tötungsrecht der XII-Tafeln für die Entscheidung ohne Belang gewesen sein. In der Literatur werden dafür zwei Deu9 Alfen verneint einen Schaden iniuria data, weil die culpa auf Seiten des Geschädigten liege: Schon die republikanischen Juristen beziehen in das Tatbestandsmerkmal der iniuria die individuelle Vorwerfbarkeit (culpa) mit ein; fehlt sie, liegt auch iniuria nicht vor; vgl. Kaser I 504. v.Lübtow 108 (mit weit. Nachw.) streicht [... ] culpa enim ... residere, freilich ohne Begründung. 10 Labeo 97f; Pe mice schreibt diese Regel Mucius zu, vgl. D 50. 17. 203 (Pomp 8 ad Muc). Ebenso Wollschläger 122 Fn 39, der darin deutliche Spuren des griechischen Rechts sieht; so schon Huvelin 568, ebenfalls unter Hinweis auf das attische Recht. I I Alfen bemüht dagegen nicht mit den Topos der Notwehr (anders: Zimmermann 1000, Wacke 484ff, Hausmaninger 21, v.Lübtow 108 Fn 100): Obwohl unstreitig eine Notwehrsituation vorliegt, wird die Haftung des Wirts wegen der culpa des Passanten verneint. Bei einer auf Notwehr gestützten Argumentation müßte die Entscheidung aber aus dem Verteidigungsrecht des Angegriffenen hergeleitet werden, vgl. etwa: D 9.2.45.4 (PaullO ad Sab) [... ] vim vi defendere omnes leges omniaque leges pennittunt sowie D 9. 2. 4 pr (Gai 7 ad ed prov), wo die Haftung des Angegriffenen mit der Begründung verneint wird 'nam adversus periculum naturalis ratio pennittit se defendere'.
12 Unbegründete Textkritik bei Huvelin 564 (Les mots nisi data opera effodisset oculum proviennent sans doute des compilateurs); ihm folgt v.Lübtow 108 Fn 107. Gegen die pauschale Verdächtigung der nisi-Sätze vgl. Schipani 172 Fn 7. Der Sachverhalt ist, was Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Wirtes angeht, offen und die vorsätzliche Verletzung eine mögliche Variante.
13 Pemice Sachbeschädigung 63. 14 SI NOX FURTUM FAXIT, SI IM OCCISIT, IURE CAESO ESTO; LUCI ... SI SE TELO DEFENDIT . . . ENDOQUEPLORATO.
15 Wieacker RR 244 nimmt einschränkend an, fur noctumus meine nur den bei Nacht in einem befriedeten Besitztum betroffenen Dieb. Jedenfalls aber ist der Passant fur, qui telo se defendit, vgl. Gaius D 47. 2. 55. 2 (13 ad ed): teli autem apellatione et ferrum et fustis et lapis et denique omne, quod nocendi causa habetur, signijicatur.
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§ 4 Didaktische Distinktionen
tun gen angeboten. Teilweise wird mit unterschiedlicher Begründung das Vorliegen eines Diebstahls verneint l6 , eine Erklärung, die bei der Eindeutigkeit des Sachverhalts nicht überzeugen kann. Schipani dagegen sieht im Schweigen des Textes den frühesten Beleg für eine restriktive Interpretation des Tötungsrechts 17. Auch diese Ansicht ist wenig überzeugend, da noch Pomponius die Gültigkeit der Bestimmung nur bezweifelt und Gaius sie sogar ohne Einschränkung erwähnt I 8. Eine bessere Erklärung bietet der zweite Teil des XIITafelsatzes, die Anordnung 'endoqueplorato'. Das Tötungsrecht war danach an die anschließende Erhebung eines Gerüftes zur Herbeirufung von Tatzeugen gebunden 19. Wieacker20 hat in seiner Untersuchung über die Diebstahlsverfolgung im altrömischen Recht dargelegt, daß endoplorare eine not wen d i g e Bedingung der rechtmäßigen Selbsthilfetötung bildete: Diese war keine Notwehrhandlung 21 , sondern ein Akt staatlich sanktionierter Selbstjustiz; sie war ein Fremdkörper in einem Gemeinwesen mit sonst staatlichem Gerichtsmonopol und widersprach der Tendenz des übrigen XII-Tafelrechts, das die eigenmächtige Unrechtsverfolgung zurückzudrängen suchte. Die straffreie Tötung war deshalb an enge Voraussetzungen gebunden, deren Offenkundigkeit durch endoplorare sichergestellt werden mußte. Nur auf diese Weise ließen sich Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit vermeiden und die Störung des Rechtsfriedens begrenzen. Der Wirt hat nichts dergleichen getan, so daß sein Verhalten jedenfalls aus diesem Grunde nicht an den XII-Tafeln zu messen ist, sondern an den allgemeinen deliktsrechtlichen Maßstäben, die nur gebotene Selbstverteidigung gestatten.
16 So schon Huvelin 571; weitere Hypothesen: Lawson 131: he merely borrowed the lantern for a short time, thinking the shopkeeper would not mind. Watson 239 Fn 5: the taker is not treated as a thief, probabely because the removal was a rather drunken prank; ebenso Mac Cormack SDHI 46; Cannata 71 sieht in der Laterne ein neutrales Objekt zum öffentlichen Gebrauch. Spruit 319 hält die Laterne wegen des geringen Werts für kein taugliches Diebstahlsobjekt. 17 170 Fn 3. 18 Ulpian Col!. 7. 3. 2 Pomponius dubitat, num haec lex non sit in usu. Gaius D 9. 2.4. I (7 ad ed prov). Erst bei Ulpian Coll. 7. 3. 3 ist das Tötungsrecht auf Fälle beschränkt, in denen der Täter nicht anders festgehalten werden kann: [... ] sin autem cum posset adprehendere, maluit (scilfurem) occidere, magis est, ut iniuria fecisse videatur.
19 Vg!. Gaius D 9. 2. 4. I (7ad ed prov) Lex duodecim tabularum furem noctu deprehensum occidere permitit, ut tarnen id ipsum cum c/amore testijicetur. Bedenken gegen die Authentizität des endoqueplorato sind unbegründet, vg!. Wieacker 130ff: Von den Juristen berichtet zwar nur Gaius, daß die Tötung durch endoplorare angezeigt werden muß, da er aber als einziger hochklassischer Jurist die XII-Tafeln kommentiert, hat sein Zeugnis Gewicht. Für das I. Jh. v. Chr. wird es gestützt durch Cicero pro Tullio 20, 47; 21, 50. Auch Valerius Aaccus kennt im I. Jh. n. Chr. endoplorato in den XII-Tafeln. 20 129ff, 158ff, 176. 21 Anders erst bei Ulpian s.o. Fn 18.
11. Die Texte
107
b) Im zweiten Teil des Responsum entscheidet Alfen eine hypothetische Variante: Laut Sachverhalt hat der Passant den Wirt zuerst geschlagen, worauf der Konsulent ausdrücklich verweist: quoniam prior flagello percussus esset. Hätte der Wirt dagegen die Schlägerei begonnen, haftete er auch für fahrlässig verursachte Schäden. Die Entscheidung erklärt sich aus derselben Überlegung wie oben: Der Passant hat nur die üblichen Folgen eines Diebstahls zu tragen und also die Wegnahme der Laterne zu dulden. Beginnt der Wirt dagegen, unvermittelt auf ihn einzuschlagen, übt dieser unzulässige Vergeltung 22 . Dieser zweite Teil des Responsum wird überwiegend für interpoliert erachtet. Teilweise wird auf den vermeintlichen Widerspruch zum Tötungsrecht der XIITafeln verwiesen 23 , während andere Autoren die Distinktion wegen des eindeutigen Sachverhalts verwerfen 24 . Die folgenden Fragmente werden jedoch zeigen, daß mehrere Responsa aus beiden Epitomae Varianten enthalten, die im Ausgangssachverhalt nicht angelegt sind. Die Distinktion in Pa!. 7. 1 ist zudem ihrem Aufbau nach für Alfen typisch: In einern einleitenden Konditionalsatz wird ein entscheidungsrelevantes Tatbestandselement variiert; es folgt eine der ersten entgegengesetzte Entscheidung. Auch das Prädikat des obliquen Bedingungssatzes steht wie regelmäßig bei Alfen im Konj. Plusquamperfekt. Für die Echtheit der Passage spricht schließlich auch das verwandte Wortmaterial: vapu/are findet sich außer bei Alfen nur in einer Ulpianstelle, ebenso das Verbum rixari25 . 2. Auch in Pal. 54. 2 hätte der Sachverhalt die eindeutige Beantwortung der Fallfrage erlaubt. Die Entscheidung ergeht dennoch unter Distinktion, wobei Alfen eine rechtlich interessantere Variante anfügt; Thema der Stelle ist das Nebeneinander von vertraglicher und deliktischer Haftung: 28. Pal. 54. 2 =D 19. 2. 30. 2 Air 3 dig a Paulo epit. Qui mulas ad certum pondus oneris locaret, cum maiore onere conductor eas rupisset, consulebat de actione. respondit vel lege Aquilia vel ex locato recte eum agere, sed lege aquilia tantum cum eo agi posse, qui turn mulas agitasset, ex locato etiam si alius eas rupisset, cum conductore recte agi 26 . 22 So schon das Scholion zu Bas. 60. 3. 51. 2 = D 9.2.52. I: [... ]1..0l1tOV OE tOV ßlu~6I-lEVOV
&~E(1tl t61ttEIV 01(1 ti]v ioiuv aoqxV..Eluv, 06 I-l~V ola tO al-l6vuo9ul (Übers.: Im übrigen ist es erlaubt,
den Angreifer zu schlagen, um sich zu verteidigen, nicht aber um sich zu rächen).
23 Thayer 116; Lawson 130; Pugsley 427. 24 Huvelin 563, ihm folgend: Taubenschlag RE 12,2326; De Sarlo 124; v.Lübtow 108. Für die Echtheit: Mac Cormack, Daube Noster 217 Anm 37, Watson 236; Spruit 327 zweifelnd Schipani 175. 25 Vapulare: D 47. 10. 15. 1 (Ulp 67 ad ed); rixari: Coll. 1. 6. 3. (Ulp 77 ad ed). 26 Lit.: Pemice, Labeo 11. 2 (Halle 1900) 63f; Haymann, SZ 40 (1919) 251; Krückmann, SZ 60 (1940) 17; Sargenti, SDHI 20 (1954) 159; Arangio-Ruiz, Respnsabilita contrattuale in diritto romano (Neapel 1958) 135; Watson, Obligations 236f; Medicus, SZ 83 (1966) 430, Cannata,
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§ 4 Didaktische Distinktionen
Maultiere wurden mit der Maßgabe vermietet, sie nur bis zu einem bestimmten Gewicht zu beladen. Der Mieter hat die Tiere überladen und so zugrundegerichtet. Welche Klage kann der Vermieter erheben? Alfen respondiert, er könne entweder die a. legis Aquiliae oder die a. locati erheben, und erläutert diesen Bescheid mit Hilfe einer Distinktion: Mit der a. legis Aquiliae könne er nur gegen denjenigen klagen, der die Maultiere getrieben habe. Ex locato haftete der Mieter aber auch dann, wenn nicht er, sondern ein Dritter die Tiere zugrundegerichtet hätte 27 . Wenn der Mieter, wie im Sachverhalt vorgegeben, die Tiere selbst überlädt, bietet die Entscheidung wenig Interessantes. Da er die Mietsache schuldhaft beschädigt hat, kann gegen ihn alternativ aus Vertrag oder Delikt geklagt werden; der Einwand fehlenden Verschuldens ist dabei ausgeschlossen, da der Mieter die Leistungsfähigkeit der Tiere genau kannte (ad certum pondus oneris locaret). Das Responsum ist dagegen beachtlich, soweit es in der hypthetischen Variante eine vertragliche Haftung des Mieters für das Verhalten Dritter vorsieht. Der Mieter haftet für eigenes Verschulden, wenn er das Überladen der Tiere anordnet oder eine Hilfsperson mangelhaft auswählt oder beaufsichtigt; diese Umstände aber werden in Pal 54.2 nicht erwähnt28 . Eine Haftung für fremdes Verschulden dagegen kennt das römischen Recht grundsätzlich nur im Rahmen bestimmter Rechtsinstitute. Im Vertragsrecht zählt dazu die Haftung des Schuldners für custodia: Dieser hat bei bestimmten Verträgen, wenn ihm eine Sache Richerche sulla responsabilitA contrattuale nel diritto romano (Mailand 1966) 78f; Hof.fmann-Riem, SZ 86 (1969) 394ff; Schipani, ResponsabilitA ex Lege Aquilia (Turin 1969) 191; v.Lübtow, Untersuchungen zur Lex Aquilia (Berlin 1971) 72; Mac Cormack, RIDA 18 (1971) 535f; Thomas, Acta iuridica (1978) 127f; Frier, SZ 95 (1978) 267; Molmir, ANWR 11 Bd 14 (1982) 632f; Knütel, SZ 100 (1983) 355ff. 27 Der zweite Teil des Responsum enthält eine hypothetische Variante: Der Sachverhalt ließe die Person des Schädigers nur dann offen, wenn 'conductor eas rupisset' unscharf mit 'der Mieter hat die Tiere beschädigt zurückgegeben' zu übersetzen wäre, eine Bedeutung, die für rumpere nicht zu belegen ist (vgl. dagegen das folgenden Fragment Pal. 54. 3 = 30. 3. h.t., in dem 'incorruptam reddere' als Inhalt einer besonderen lex locationis vereinbart wird). Auch wäre rumpere sonst innerhalb desselben Textes verschieden gebraucht: etiam si alius eas rupisset im Schlußsatz bezeichnet jedenfalls die unmittelbare Beschädigung der Tiere. Haymann 250; KTÜckmann 17; Sargenti 159; v.Lübtow 72 halten die Fallabwandlung für interpoliert; Thomas 127 vermutet einen paulinischen Zusatz; vgl. dagegen Arangio-Ruiz 135, Mac Cormack 535; Watson 237, der auf den für Alfen typischen Gebrauch des Konjunktiv Plusquamperfekts verweist. Derselbe Aufbau (eine zunächst erteilte. Antwort wird durch die Gegenüberstellung zweier Alternativen erläutert) findet sich in Pal. 48 = D 5. 4. 9 (s.o. § 2 III 4). 28 Anders Molmir 632f: Die Haftung des Mieters gründet in der fahrlässigen Auswahl der Hilfsperson, was auch Medicus 430 und Mac Cormack 535 erwägen. Für eine culpa in eligendo gibt der Text aber keinen Anhalt. Nicht erörtert wird etwa der denkbare Fall, daß die Tiere überladen werden, obwohl der Mieter den Dritten ordnungsgemäß auswählt und instruiert; dagegen auch Knütel 366.
II. Die Texte
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aus dem Vermögen des Gläubigers überlassen wurde, diese zu bewachen und ohne Rücksicht auf eigenes Verschulden für den Erfolg seiner Tätigkeit einzustehen. Unstreitig haftet er etwa für den durch einen Dritten begangenen Diebstahl29 . Ob die locatio-conductio generell und, wenn ja, schon in vorklassischer Zeit die custodia-Haftung begründete, läßt sich den Quellen nicht sicher entnehmen 30 . Alfen jedenfalls hat in Pal. 54. 2 die Verantwortlichkeit des Mieters nicht auf custodia gestützt, wie eine Klassikerkontroverse nahe legt: Während Marcell gefolgt von Ulpian den für custodia verantworlichen Schuldner in bestimmten Fällen auch bei Sachbeschädigung durch Dritte haften läßt, lehnt noch Julian eine solche Haftung kategorisch ab. Dabei handelt es sich Julian zufolge um allgemein anerkanntes Recht31 : ad eos, qui servandum aZiquid conducunt aut utendum accipiunt, damnum iniuria ab aZio datum non pertinere pro c u I du bio es t [... ]. Vor diesem Hintergrund aber ist unwahrscheinlich, daß schon ein republikanischer Jurist die custodia-Haftung auf Sachbeschädigung durch Dritte ausgedehnt hätte 32 . Alfen wird die unbedingte Einstandspflicht des Mieters vielmehr aus der konkreten Fassung des Mietvertrages, der Vereinbarung einer Höchstlastklausel, gefolgert haben 33 . Ausgangspunkt dabei ist das erkennbare Interesse des Vermieters: Wenn der Mieter selbst die Tiere überlädt, haftet er alternativ aus Vertrag oder Delikt, ohne daß es einer besonderen Vereinbarung bedürfte. Eine solche Klausel schließt zwar den Einwand aus, der Mieter habe die Leistungsfähigkeit der Tiere nicht gekannt, doch hätte dafür auch ein entsprechender Hinweis genügt. Die lex locationis bringt deshalb für den Vermieter nur dann einen nennenswerten Vorteil, wenn der Mieter die Einhaltung der Höchstlast zugleich auch garantiert, da eine solche Garantie die Einstandspflicht auf das Verhalten Dritter erstreckt. An dieser Haftung ist dem Vermieter auch erkennbar gelegen: Werden mehrere Tiere gemietet, wird sich der Mieter regelmäßig eines Gehilfen bedienen. Handelt es sich dabei um eine Person sui iuris, wäre der Vermieter im Schadensfall ausschließlich auf einen deliktischen Anspruch gegen diese beschränkt. Eine Garantiezusage aber stellt sicher, daß der Vermieter unabhängig vom Status der Hilfsperson, eine Klagemöglichkeit gegen seinen Vertragspartner erhält. Wer die Tiere vor diesem Hintergrund 'ad certum pondus oneris' übernimmt, hat deshalb das Verschulden seiner Hilfspersonen zu vertreten. Die 29 Vgl. statt aller Knütel356ff; 435ff. 30 Vgl. Zimmermann 376 Fn 237, Kaser 1508 (wahrscheinlich für die klassische Zeit). 31 Ulpian/Marcell D 19.2.41 (Ulp 5 ad ed) gegen Julian D 13.6. 19 (l dig). 32 Für custodia-Haftung: Arangio-Ruiz 163. 33 Vgl. Knütel 357, 366; Frier 267. Unklar Ho.ffmann-Riem 398f, der auch die auf die lex locationis gestützte Verantwortlichkeit als custodia-Haftung bezeichnet.
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§ 4 Didaktische Distinktionen
Interpretation einer solchen Klausel aus dem offensichtlichen Interesse ihres Verwenders heraus ist in klassischer Zeit allgemein üblich und auch für Alfen noch in zwei weiteren Entscheidungen belegt34 . Abschließend halten wir fest: Die Distinktion in Pal. 54. 2 ergibt - was die allein problematische Haftung des Vermieters ex locato betrifft - im Grundfall wie in der hypothetischen Variante die seI b e Rechtsfolge; Distinktionen mit identischen Rechtsfolgen sind für die Digesta nur in drei Fragmenten belegt35 . 3. Im folgenden Fragment wird - ebenso wie in Pal. 54. 2 - der unproblematische Ausgangsfall durch eine juristisch interessantere Variante ergänzt; beide Varianten werden auch hier gl e ich entschieden. Thema ist die Auslegung eines Legats: 29. Pal. 18. 1= D 40. 7. 14. 1 Alf 4 dig 36 . Servus cum heredi annorum septem operas dedisset, liber esse iussus erat: is servus fugerat et annum in fuga fecerat. cum septem anni praeterissent, respondit non esse liberum: non enim fugitivum operas domino dedisse: quare nisi totidem dies, quot afuisset, servisset, non fore liberum. sed et si ita scriptum esset, ut turn liber esset, cum septem annis servisset, potuisse liberum esse, si tempus fugae reversus servisset37 .
Der Erblasser hat einen Sklaven unter der Bedingung freigelassen, daß er dem Erben 'die Arbeitsleistung von sieben Jahren erbringt'. Der Sklave ist geflohen und hat ein Jahr lang auf der Flucht zugebracht. Alfen entscheidet, der Sklave sei zwar nach sieben Jahren nicht frei, könne das fehlende Jahr aber nachholen. Anschließend wird die Fallfrage für einen leicht abgeänderten Testamentswortlaut entschieden: Auch wenn der Erblasser bestimmt hätte, der Sklave solle seinem Erben 'sieben Jahre lang dienen', könne er durch Nachholen des einen Jahres frei werden. Ratio dubitandi ist, ob die auferlegte Arbeit binnen sieben Jahren ohne Unterbrechung abzuleisten ist oder nicht; wenn ja, würde der Sklave auch dann nicht
34 Vgl. etwa D 18. I. 33 (Pomp 33 ad Sab): [... ] primum spectari oportet, q u i d ac t i si t und allgemein Kaser 1236; ferner für Alfen die Auslegung der leges locationis in Pal. 27 D 19.2.29 sowie Pal. 54. 4 = D 19.2.30.4. Entgegen Hoffmann-Riem 398 ist diese Auslegung ohne Anlehnung an anerkannte Fälle der custodia-Haftung möglich.
=
35 Pal. 18. 1 = D 40. 7. 14. I sowie die zweite Distinktion in Pal. 64 siehe im folgenden.
=D 39. 3. 24 pr zu beiden
36 Lit.: Bremer, Iurisprudentiae I 185; De Sarlo, AV 28f; Donatuti, Lo statulibero (Mailand 1940) 274ff; Watson, Persons 216f; Horak, Rationes 89f.
37 Bremer 185 gefolgt von De Sarlo 28 streicht [quare nisi - fin.] ohne hinreichende Begründung. Die Passage ist Teil einer der für Alfen typischen Distinktionen.
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frei, wenn er das Versäumte nachholt38 . Für den Ausgangsfall ist der Testamentswortlaut insoweit eindeutig: Zu erbringen ist eine Arbeitsleistung von sieben Jahre (annorum septem operas dare), i.e. eine bestimmte Quantität, ohne daß es dabei auf die Kontinuität dieser Arbeitsleistung ankommt. Wenn die Bedingung dagegen lautete 'cum septem annis servisset' wäre die gewählte Formulierung mehrdeutig: Der ablativus temporis steht auf die Frage 'in welchem Zeitraum?' oder 'wie lange?' zur Angabe einer bestimmten Zeitdauer und kann den durativen accusativus temporis ersetzen39 . Möglich wäre also die Lesart, der statuliber müsse die Arbeitsleistung innerhalb die ses Zeitraums, und damit ohne Unterbrechung erbringen. Auch das Scholion zu Bas. 48.5. 140 = D 40.7. 14. 1 sieht darin offenbar das Problem der Entscheidung, da der griechische Text den durativen Charakter der zweiten Zeitangabe noch deutlicher betont: septem annis wird dort mit E1ttU EtTJ, i.e. einem accusativus temporis wiedergegeben, der ebenso wie im Latein ausschließlich einen bestimmten Zeitraum bezeichnet41 . Alfen entscheidet dennoch, der statuliber könne die versäumte Arbeit nachholen und bringt so den offensichtlichen Erblasserwillen zur Geltung: Der Testator wollte dem Erben mit der Arbeit des Sklaven einen bestimmten Wert zuwenden; die Zeitangabe sollte diesen Vermögens wert nur quantifizieren, weshalb unerheblich ist, ob die Arbeit kontinuierlich geleistet wird oder nicht42 .
38 Eine Ratio dubitandi für die vorab entschiedene Frage, wonach der Sklave mit Ablauf der sieben Jahre nicht frei wird, ist dagegen nicht zu erkennen; offenbar geht es nur um die Vollständigkeit der Antwort. 39 So schon bei republikanischen Autoren, vgl. Kühner-Stegmann, Ausführliche Grammatik der lat. Sprache 11 (München 1962) 356, 360. Donatuti 276ff. verkennt die Bedeutung des ablativus temporis: Dieser bezeichne gerade die Diskontinuität der Arbeitsleistung, während sich aus der ersten Angabe (septem annorum operas dare) die Notwendigkeit des ununterbrochenen Dienens ergebe; vgl. dagegen Horak 90 Fn 25. Von diesem Mißverständnis ausgehend streicht Donatuti den Text der ersten Alternative, soweit er ein Nachholen der Arbeit zuläßt [quare nisi ... liberum fore], was auch Watson 215f für möglich hält. 40 Das Scholion nennt Servius als Autor der Entscheidung. 41 Dagegen wird nicht der dativus temporalis verwandt, der wie im Latein den accusativus temporis auf die Frage 'innerhalb welcher Zeit?' nur ersetzen kann, vgl. Lindemann, Griechische Grammatik Bd 11 (München 1957) 23, 44. 42 Anders deutet die Stelle Horak 90 Fn 25, der zwar ebenfalls auf die mögliche durative Bedeutung des Ablativs verweist, das Problem der Stelle aber in der Antithese von operas dare und servire sieht: Servire habe eher Anlaß zu Zweifeln geboten, ob hier nicht auf Kontinuität zu bestehen sei; Alfen habe die zweite Alternative in Analogie zu Tagwerken (operae), die auch diskontinuierlich geleistet werden konnten, gleich behandelt. Dagegen spricht, daß bereits in der ersten Alternative servire synonym für operas dare steht: [... ] respondit liberum non esse: non enim fugitivum 0 per a s domino d e dis s e: quare nisi totidem dies, quot afuisset, s e r v iss e t, non fore liberum. Die Gleichsetzung von operas dare und servire bot also nichts Besonderes.
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§ 4 Didaktische Distinktionen
Während der Ausgangssachverhalt also wegen der eindeutigen Formulierung unproblematisch ist, wirft die hypothetische Variante mit 'cum septem annis servisset' eine Auslegungsfrage von juristischem Interesse auf. 4. In der folgenden Stelle wird der Grundfall durch zwei Fallabwandlungen ergänzt. Die actio aquae pluviae arcendae, eine Klage aus dem Nachbarrecht, ist Gegenstand von: 30. Pal. 64 = D 39. 3. 24 (pr-2) Alf 4 dig. a Paulo epit43 . Vicinus loci superioris pratum ita arabat, ut per sulcos itemque porcas aqua ad inferiorem veniret: quaesitum est, an per arbitrum aquae pluviae arcendae possit cogi, ut in a1teram partem araret, ne sulci in eius agrum spectarent. respondit: non posse eum facere, quo minus agrum vieinus quemadmodum vellet araret. sed si quos sulcos transversos aquarios faeeret, per quos in eius agrum aqua deflueret, hosee ut operiret, per arbitrum aquae pluviae arcendae posse cogere. sed et si fossas fecisset, ex ~ibus aqua pluvia pos set noeere, arbitrum, si appareat futurum, ut aqua pluvia noceret, eogere oportere fossas eum explere et, nisi faceret, eondemnare, tametsi antequam [adiudicaret] 45, aqua per fossas nunquam fluxisset46 .
Ein Eigentümer, der sein Land so bearbeitet hat, daß ablaufendes Regenwasser einen benachbarten Acker bedroht, kann mit der a.a.p.a. gezwungen werden, die Gefahr zu beseitigen. Die Klage auf Abhaltung des Regenwassers ist schon für die XII-Tafeln belegt47 ; die intentio ihrer Formel lautet in der Rekonstruktion Lenels 48 : si paret opus factum esse in agro Capenate, unde aqua pluvia nocet. a) Im Ausgangsfall hat der Eigentümer Ackerfurchen so gezogen, daß Regenwasser auf ein tiefergelegenes Feld geleitet wurde und an sich die in der intentio 43 Lit.: Burckhard, Die actio aquae pluviae arcendae (Erlangen 1881) 377f; Arangio-Ruiz, Bull 32 (1922) 36; De Sar/o, AV 59; Schönbauer, SZ 54 (1934) 251f; Sargenti, L'actio aquae pluviae arcendae (Mailand 1940) 73f; Broggini, Iudex arbitrive (Köln 1957); Kaser, SZ 83 (1966) 42; Watson, Property 155; Sitizia, Richerche in tema di aetio aquae pluviae arcendae (Mailand 1977) 2ff. 44 Schönbauer 251 emendiert [cogere] oportere, da 'cogere' mit einer nachfolgenden condemnatio unvereinbar sei. Das iussum de restituendo unter der Androhung einer condemnatio bei Nichtbefolgung kann jedoch ohne weiteres als 'cogere' im Sinne von mittelbarem Zwang bezeichnet werden. 45 Mommsen ad h.l.; ebenso Arangio-Ruiz 36 Fn 2; Kaser 42 Fn 201. Gemeint ist das Zwischenurteil bei den Arbiträrklagen, das bald mit pronuntiare bald mit iudicare bezeichnet wird; vgl. Kaser ZP, 79 Fn 13,285 Fn 10. Nach Schönbauer 252 stand vor iudicare ursprünglich ab als Sigle für arbitratu und ein Kopist habe beides irrtümlich zu adiudicare zusammengezogen. Anders Broggini 71. Fn 63, der adiudicare für zutreffend hält.
46 Syntax und durchgehender Gebrauch des in der Quaestio verwandten cogere zeigen, daß es sich um ein einheitliches Responsum handelt; anders die mittelalterliche Paragrapheneinteilung. 47 D 40.7.21 pr (Pomp 7 ad Plaut). 48 EP 377f. Vgl. D 40. 7. 21 pr (Pomp 7 ad Plaut).
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genannten Bedingungen erfüllt. Die Formel a.a.p.a. wurde jedoch schon in republikanischer Zeit restriktiv interpretiert. Danach konnte nicht erfolgreich geklagt werden, wenn die Veränderung des Feldes agri colendi causa erfolgt war4 9 . Diese Einschränkung erklärt sich aus dem Zweck der Klage, die den Interessen des Ackerbaus dienen und nicht dazu führen sollte, die Feldarbeit eines anderen zu behindern50 . Während über die genauen Grenzen dieser Einschränkung keine Einigkeit bestand51 , war jedenfalls unbestritten, daß das Pflügen zum Zwecke der Aussaat die a.a.p.a. nicht begründen konnte 52 . Dabei war offenbar gleichgültig, ob dies anders und für den Nachbar weniger schädlich hätte erfolgen können 53 , eine rigorose Meinung, die auch Alfen teilt: Die in der Quaestio vorgeschlagene Alternative, die Ackerfurchen in eine vom unteren Feld abgewandte Richtung zu ziehen, wird ohne Diskussion verworfen und ein Interessenausgleich nicht erwogen. b) In der ersten Fallabwandlung hat der Nachbar zusätzlich querverlaufende Entwässerungsgräben gezogen, die das Regenwasser aufnehmen und auf das tiefere Feld leiten. Alfen zufolge ist diese Maßnahme unzulässig: Die Ableitung des Regenwassers ist jetzt nämlich nicht bloß eine günstige Nebenfolge des Pflügens, sondern eine gezielte Entwässerungsmaßnahme. Zwar handelt der Nachbar wiederum agri colendi causa, doch dient sein Vorgehen in erster Linie dazu, die Qualität seines Feldes zu verbessern. Schon Q. Mucius hatte entschieden, daß die Bodenmelioration auf Kosten anderer unzulässig ist und zugunsten des Betroffenen die a.a.p.a. begründet54 . Die teleologische Reduktion der Klagformel agri colendi causa deckt demnach nur solche Maßnahmen, die unmittelbar der Feldbestellung dienen. c) Die zweite Fallabwandlung zeigt eine Besonderheit der a.a.p.a.: Während Alfen jetzt davon ausgeht, daß die Gräben ihrer Art nach unzulässig sind, ist im Unterschied zu oben das Nachbargrundstück bisher nur ge f ä h r d e t: nocere posset statt per quos aqua in agrum deflueret55 . In der Möglichkeit, schon einen 49 D 39. 3. I. § 3, § 4, § 5, § 8 (Vip 53 ad ed). 50 Burckhard 377f; Sargenti 73. 51 D 39. 3. I. § 3 - § 8 (Ulp53 aded).
52 Mucius: [... ] quod agri colendi causa ara t 0 factum sit. (I. 3 h.t.). Trebats: [... ] quod frumenti dumtaxat quaerendi causa ara t 0 factum sit (I. 3 h.t.) i.e. jedenfalls das Pflügen für den Anbau von frumentum. Ofilius: [... ] sulcos agri colendi causa directos ita, ut in u n a m p a rte m pergant ius esse facere (I. 5. h.t.), i.e. die parallel zueinander verlaufenden Furchen, die beim Pflügen entstehen, im Gegensatz zu den sulci traversarii in Pal. 64. 53 Anders D 39. 3. I. 5 (Ulp 53 ed), wo aber von sulci aquarii und nicht vom Pflügen die Rede ist 54 D 39. 3. I. 4 (Vip 53 ad ed). 55 Darin, und nicht wie Watson 153 annimmt in der Gegenüberstellung von sulci und fossae, liegt der Gegensatz zum Vorausgehenden. 8 Roth
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§ 4 Didaktische Distinktionen
drohenden Schaden abwenden zu können, lag der besondere Wert der a.a.p.a., und Pomponius56 berichtet, daß erst die Gesetzesauslegung der republikanischen Juristen diesen Anwendungsbereich eröffnet hat: D 40. 7. 21 pr (7 ad Plaut). Sic et verba duodecim tabularum veteres interpretati sunt 'si aqua pluvia nocet' id est 'nocere pot e r i 1':
In Pa!. 64 wird diese interpretatio für Alfen als einen der veteres belegt: Der Jurist läßt ein 'nocere posse' ausreichen und bezieht mit 'si appareat f u t u rum, ut aqua pluvia noceret' zukünftige Schäden in die intentio mit ein. Die Formulierung der Klagvoraussetzungen entspricht damit der bei Pomponius überlieferten Interpretation des XII-Tafelsatzes und setzt diese voraus. In der Literatur dagegen wird mit unterschiedlicher Begründung vertreten, die a.a.p.a. habe schon immer und 0 h n e erweiternde interpretatio veterum präventiven Charakter gehabt: Watson hält den Bericht des Pomponius für unglaubwürdig, da eine (ursprünglich) nur repressive Klage unpraktisch gewesen sei57 . Seine Bedenken hat Sitizia in der jüngsten Monographie zur a.a.p.a. aufgegriffen und schlägt eine Deutung vor, wonach Pomponius keine erweiternde, sondern vielmehr eine restriktive interpretatio berichtet: 'si . .. nocere poterit' beziehe sich nicht auf die auch für Sitizia selbstverständliche präventive Klagemöglichkeit, sondern schließe entgegen dem Wortlaut der XII-Tafeln die Klage für all diejenigen Fälle aus, in denen ein Schaden zwar entstanden sei, ein weiterer aber gar nicht mehr drohe 58 . Sitizia mißversteht jedoch die Pomponiusstelle, die eindeutig eine erweiternde Auslegung des XII -Tafelsatzes berichtet59 . Dagegen liegt die Schwäche der Argumentation Watsons darin, daß - unterstellt, 56 D 40.7.21 pr (Pomp 7 ad Plaut). 57 155.
58 Sitizia 2ff, gefolgt von Peters SZ 96 (1979) 415. 59 Sitizia übersieht den Kontext des Satzes: D 40.7. 21 pr (Pomp 7 ad Plaut) betrifft ein legatum libertatis: Ein servus dispensator soll frei sein 'si rationes diligenter traetasse videbitur'. Pomponius erörtert zunächst, was unter 'diligenter' zu verstehen sei und fügt an: et quod ita scriptum est 'videbitur', pro hoc aecipi debet 'videri poterit'. sie et verba legis duodecim tabularum veteres interpretati sunt: 'si aqua pluvia noeet' id est si 'noeere poterit'. Danach reicht aus, daß 'begründet angenommen werden kann', der Sklave habe ordnungsgemäß abgerechnet, ohne daß absolute Gewißheit erforderlich ist. Wohl im Hinblick auf den favor libertatis soll so verhindert werden, daß durch den langwierigen Nachweis unwesentlicher Details die Freilassung hinausgezögert wird. Pomponius legt danach 'videbitur' im Interesse des Legatars weit aus und verweist auf die entsprechende Auslegung des 'noeet' durch die veteres. Gegen Sitizias spricht zudem: Wenn die a.a.p.a. - wie ihr Name nahelegt und was auch Sitizia nicht bestreitet - schon zur Zeit der XIITafeln auf aquam areere gerichtet war, so wurden diejenigen Fälle, die Sitizia zufolge erst die interpretatio veterum aus dem Anwendungsbereich der Klage herausnahm, schon von Anfang an n ich t erfaßt: Ist ein Schaden zwar eingetreten, ein weiterer aber nicht mehr zu befürchten, so läßt sich eine Pflicht zu aquam areere auch nicht feststellen.
II. Die Texte
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Pomponius Bericht wäre unzutreffend - jedenfalls dieser Jurist den XII-Tafelsatz nicht unmittelbar, sondern erst nach einer interpretatio bei (nur) drohenden Schäden für einschlägig hielt. Daß die republikanischen Juristen aber die XIITafeln unbefangener als ein Jurist des 2. Jh. n. Chr. gelesen hätten, ist nicht anzunehmen, so daß sich für sie erst recht die Notwendigkeit einer erweiternden Auslegung ergab. Beide Autoren übersehen auch den Alfentext, der als Beleg einer solchen interpretatio gelesen werden muß. Hätte die a.a.p.a. schon immer präventiven Charakter gehabt, bot die dritte Variante nichts besonderes, obwohl sie - verglichen mit den beiden ersten Varianten - eine ausführliche Entscheidung enthält: Außer der für zukünftige Schäden formulierten intentio nennt Alfen die prozessualen Schritte, mit denen der arbiter einen drohenden Schaden praktisch verhindert - den richterlichen Befehl, die Gefahr zu beseitigen (cogere ... fossas explere) und, für den Fall der Nichterfüllung, die Verurteilung (nisi laceret, condemnaret). Dabei wird betont, daß die Verurteilung schon möglich sei, bevor das erste Wasser durch die Gräben geflossen ist, obwohl bereits die intentio den präventiven Charakter klarstellt. Wenn es sich dabei - wie Watson meint - um den seit alters her geläufigen Hauptanwendungsfall der a.a.p.a. gehandelt hätte, wären Aufwand und Redundanz kaum verständlich60 . Für ein Auslegungsproblem spricht schließlich auch der Aufbau der Stelle. Da die Gegenüberstellung der beiden ersten Varianten eine restriktive Interpretation der Klagvoraussetzungen und deren Grenzen betrifft, paßt eine dritte Variante ebenfalls zur Interpretation der intentio. Nach alledem bestätigt die zweite Distinktion in Pal. 64 die von Pomponius berichtete interpretatio veterum. Das Fragment insgesamt illustriert damit die Handhabung einer Norm durch den Juristen, der ausgehend von der Ratio eine restriktive oder auch extensive interpretatio (i.e. nocere poterit) wählt. Um diese Technik darzustellen, wird der Ausgangssachverhalt durch zwei hypothetische Varianten erweitert. 5. Der folgende Text ist ein Responsenbruchstück, in dem erneut zwei Varianten unterschieden werden, die sicher nicht auf einen offenen Sachverhalt zurückgehen:
60 Zu Unrecht emendiert Arangio-Ruiz 32 gefolgt von De Sarlo 59 Fn 3, [si appareat ... noceret]. Dagegen spricht der Aufbau der Passage: Die Antwort enthält die drei Elemente der Arbiträrklage: intentio: si appareat ... noceret; iussum: cogere . .. explere, und für den Fall der Nichtbefolgung die condemnatio: nisi ... condemnaret. Es ist unwahrscheinlich, daß der planvolle Aufbau die Folge eines Glossems sein sollte. Teile der einschlägigen Klagformel verwendet Alfen auch in Pal. 4 pr - 2 D 8. 5. 17 pr - 2. Beide Autoren streichen außerdem [tametsi antequam . .. fluxisset] als überflüssig. Die Redundanz erklärt sich aber aus der Problematik der Stelle (s.o.).
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§ 4 Didaktische Distinktionen
31. Pal. 9 = D 44. 7. 20 AlU dig61 . Servus non in omnibus rebus sine poena domino dicto audiens esse solet, sicuti si dominus hominem occidere aut furtum a1icui facere servum iussisset. quare quamvis domini iussu servus piraticam fecisset, iudicium in eum post Iibertatem reddi oportet. et quodcumque vi fecisset. quae vis a maleficio non abesset, ita oportet poenas eum pendere. sed si a1iqua rixa ex Iitibus et contentione nata esset aut a1iqua vis iuris retinendi causa facta esset et ab his rebus facinus abesset, turn non convenit praetorem, quod servus iussu domini fecisset, de ea re in liberum iudicium dare.
Ein Sklave darf nicht immer den Befehl seines Herrn ungestraft befolgen, etwa, wenn ihm befohlen wird, einen Menschen widerrechtlich zu töten oder einen Diebstahl zu begehen. Daher kann ein Sklave, wenn er auf Befehl seines Herrn Seeräuberei betreibt, nach seiner Freilassung dafür belangt werden. Er haftet überhaupt für jede Gewalttat, die zugleich auch ein maleficium darstellt. Anders ist die Rechtslage, wenn bei einem Rechtsstreit oder der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts ein Handgemenge entsteht und der Sklave auf Befehl seines Herrn einen anderen schädigt: In diesen Fällen haftet er nur dann, wenn er ein Verbrechen (jacinus) begeht. a) Schon mehrfach konnten wir sehen, daß die Kompilatoren das Responsenschema beseitigt und den Antwortteil ohne eine sorgfältige sprachliche Bearbeitung in direkte Rede übertragen haben. So verraten auch für Pal. 9 die unmotivierten Konjunktive der Nebensätze die Herkunft des Textes aus einem Responsum62 . Diese Annahme wird durch Inhalt und Gedankenführung der Stelle gestützt: Aus einer allgemeinen Prämisse wird gefolgert, daß ein Freigelassener für Piraterie trotz Befehls hafte. Es handelt sich dabei um einen kaum alltäglichen Fall, der sich deutlich von den allgemein gehaltenen Beispielen des Jurtum und der widerrechtlichen Tötung unterscheidet; Beseler hat deshalb angenommen, daß die Stelle nachträglich durch die Erwähnung der piratica verbreitert worden sei63 . Näherliegend aber ist, daß quare quamvis iussu domini piraticam fecisset ... oportet ursprünglich die Entscheidung einer Fallfrage enthielt, eine Vermutung, die der Vergleich mit anderen Alfentexten stützt: In vier der vollständig überlieferten Responsa wird die Antwort durch ein allgemeines Prinzip eingeleitet, aus dem die Einzelfallentscheidung gefolgert wird. Besonders auf-
61 Lit.: Pemice, Labeo I (Halle 1873) 118f; Huvelin, Etudes sur le furtum (Paris 1915) 686ff; Levy, Die Konkurrenz der Aktionen und Personen I (BerIin 1918) 289f; Perozzi, Instituzioni di diritto romano I (Aorenz 1928) 204; Beseler, Mnemosyna Pappulias (Athen 1934) 63; Albertario, St. III (Mailand 1936) 203; De Sarlo, AV 117f; De Visscher, Le regime de la noxalite (Brüssel 1947) 491; Daube, The Defense of Superior Orders in Roman Law (1956) in: Daube Collected Studies I (Frankfurt 1991) 579ff; Watson, Persons 279f; Horak, Rationes l06f (mit weit. Nachw. 107 Fn 19); Benöhr, SZ 97 (1980) 276ff; Ziegler, FS von Lübtow (1981) 99. 62 S.o. § 3 11 3.
63 63.
Ir. Die Texte
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fällig ist der Vergleich mit Pal. 20, wo die Entscheidung ebenfalls mit quare an einen Rechtssatz anschließt64 . Gewiß ist, daß die Distinktion in Pal. 9 nicht auf einen offenen Sachverhalt zurückgeht: Der Vortrag eines Konsulenten nämlich, bei dem unklar bleibt, ob der Sklave Seeräuberei betrieben oder aber bei einem Rechtsstreit oder in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechtes Gewalt angewandt hat, dürfte kaum vorstellbar sein. b) Pal. 9 liegt folgende Rechtslage zugrunde: Ein Sklave kann für seine Delikte zivilrechtlich nicht belangt werden, da die patria potestas des Herrn den Zugriff des Geschädigten hindert65 . An seiner Stelle haftet der Gewalthaber, freilich mit der Möglichkeit der noxae traditio. Wird der Sklave dagegen freigelassen, gilt der Satz caput noxa sequitur mit der Folge, daß der Freigelassene nunmehr selbst aus zuvor begangenen Delikten haftet66 . Inwieweit dies auch für Delikte iussu domini gilt, ist Thema unserer Stelle. Nach der einleitenden Entscheidung zur piratica werden im folgenden zwei Deliktstypen unterschieden: Die erste Alternative bezeichnet mit vis, quae a maleficio non abest schwere und offensichtliche Verstöße gegen die Rechtsordnung, in denen der Befehlsnotstand den Sklaven nicht entlastet. Beispiele dafür sind dasfurtum, die widerrechtliche Tötung sowie die Piraterie. Dieser vis, quae a maleficio non abest stellt Alfen Situationen gegenüber, in denen der Sklave auf Befehl wirkliche oder vermeintliche Rechtspositionen seines Herrn verteidigt und dabei die Grenzen der erlaubten Selbsthilfe überschreitet (raa ex litibus et contentione nata; vis iuris retinendi causa facta). Aus dieser Gegenüberstellung unterschiedlicher Deliktstypen ergibt sich der für die rechtliche Beurteilung des Befehlsnotstands maßgebliche Gesichtspunkt: Der Befehl ent64 Pal. 20 Consulebatur: rectene Pamphilo peculium legatum videretur, quod prius quam liber esse peculium sibi habere iussus esset. respondit: in coniunctionibus ordinem nullum esse neque quicquam interesse, utrum eorum primum diceretur aut scriberetur. quare recte peculium legatum videri ac si prius liber esse, deinde peculium sibi habere iussus lest]
Pa!. 9
: servus non in omnibus rebus sine poena domino dicto audiens esse [solet] , si cut si dominus hominem occidere aut furtum alicui facere servum iussisset. quare, quamvis domini iussu servus piraticam fecisset, iudicium in eum post libertatem reddi [oportet]
65 Nach dem palingenetischen Kontext handelt die Stelle von der zivilrechtlichen Haftung des Sklaven; anders Ziegler 99. 66 Vg!. etwa: D 16. 3. 1. 18 (Vip 30 ad ed); D 44.7. 14 (Vip 7 disp); D 2. 9. 2 pr (Paul 6 ad ed); Gai IV 77.
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§ 4 Didaktische Distinktionen
lastet den Sklaven bei Nothilfeexzessen zugunsten seines Herrn und selbst dann nur für weniger schwere Delikte «si> ab his rebus facinus abesset). Da nach diesem Vergleichs maßstab für die Nichthaftung nur ein geringer Raum verbleibt, geht Alfen offenbar von einer grundsätzlichen Verantwortung des Sklaven bei Handeln auf Befehl aus 67 . Der Text ist, soweit er die Eigenhaftung des Sklaven erwähnt, vielfach verdächtigt worden. Die Verantwortlichkeit trotz iussum domini soll danach eine nachklassische oder gar erst byzantinische Neuerung sein68 . Schon der formale Vergleich mit anderen Alfentexten läßt vermuten, daß diese Annahme falsch ist: Pal. 9 enthält mit der Unterscheidung zwischen Haftung und Nichthaftung eine der für Alfen typischen Distinktionen und auch die Ableitung der Entscheidung aus einer allgemeine Prämisse ist für mehrere Fragmente belegt; gerade diese Prämisse aber ist es, die die Eigenhaftung des Sklaven trotz Befehls vorsieht. Für Alfen spricht zudem der druchgängige Gebrauch des Konjunktiv Plusquamperfekt sowie die Formulierung vi . . . quae vis a maleficio non abesset, da die Wiederholung des Bezugsworts beim Pronomen eine Eigenart unseres Juristen ist69 . Die Kritik ist ferner unhaltbar vor dem Hintergrund der Quellenlage: Der Satz servus non in omnibus rebus domino dicto audiens esse solet findet sich fast wortgleich bei Labeo/Ulpian sowie Paulus und ist in der nichtjuristischen Literatur bei Seneca belegt70. Für die späte Republik bezeugen zudem zwei literarische Quellen die nur beschränkte Bedeutung des Befehls als Argument der Verteidigung in strafrechtlichen Verfahren71. 67 Auf diesen engen Spielraum verweisen Levy 289 Fn 4; Watson 176. 68 Perozzi 204 Fn 2, Albertario 203 Fn 4, De Sarlo 117f. De Visscher 491 Fn 11 (möglicherweise philosophischer Einfluß), v. Lübtow 46f (byzantinisch). Perozzi, gefolgt von Albenario, emendiert deshalb: Servus [non in omnibus rebus] sine poena domino dicto audiens esse solet, sicuti si dominus hominem occidere laut Jurtum alicui jacere] servum iussisset. Quare, [quamvis] domini iussu servus piraticam jecisset, iudicium in eum post libertatem reddi oportet [et - fin]. Weitere Textkritik bei Huvelin 687f, die zu Unrecht stilistisch-formal begründet wird. Echt ist auch die Eigenhaftung für Jurtum iussu domini (dagegen vgl. Ind. Interp.): Nach Paulus (s.u. Fn 74) hindert der Befehl nicht die der a. Jurti entsprechende a. rerum amotarum. Auch haftet der Sklave Alfen zufolgejedenfalls fürjacinora, zu denen Celsus D 47.2.68.4 (12 dig) auch das jurtum zählt. 69 Kalb, Roms Juristen ihrer Sprache nach dargestellt 38. Zum Gebrauch des Konjunktiv Plusq. s.o. § 3 11 3.
70 LablUlp D 47.10. 17.7 (57 ed) [... ] nec in omnia servus domino parere debet. Paul. D 25.2. 21. I (73 ad ed) [... ] servus in jacinoribus domino dicto audiens esse non debet. Seneca de benef. 3. 20. 2: nec enim aut nos omnia iubere possumus aut in omnia servi parere coguntur, dazu Horak 107. 71 Auctorad Herennium, I. 14.24, I. 15.25,2.17.26; Cicero, Oe inventione 2. 29. 68ff. Die Kriterien für seine Beachtlichkeit werden jeweils verschieden gewichtet: Auctor ad Herennium be-
11. Die Texte
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In klassischer Zeit freilich war die rechtliche Beurteilung des Befehlsnotstandes umstritten: Nach Labeo/Ulpian soll der ehemalige Sklave trotz Befehls aus der a. iniuriarum haften, es sei denn, daß er seinen Herrn verteidigen wollten. An anderer Stelle stellt Ulpian allgemein fest, daß der Befehl jedenfalls beifacinora nicht entlastet, und die Kompilatoren wiederholen diesen Satz unter den regulae iuris antiqui in D 50. 1773 . Beide Kriterien - Haftung bei facinora und Nichthaftung bei Handeln zugunsten des Herrn - finden sich in gleicher Weise schon bei Alfen. Nach Paulus schließlich haftet der ehemalige Sklave trotz Befehls aus der der a. furti entsprechenden a. rerum amotarum 74 - eine weitere Parallele zu Pal. 9. Andere Juristen dagegen hielten den Befehl des Herrn generell für beachtlich, ohne eine Interessenabwägung vorzunehmen, die - wie bei Alfen und Ulpian - die Schwere der Tat und das Motiv des Sklaven berücksichtigt: So verneinte Celsus die Haftung aus der lex Aquilia für jedes Handeln auf Befehl, was sich aber aus einer dogmatischen Sondermeinung erklärt, die auf den Anwendungsbereich dieses Gesetzes beschränkt bleibt75 . Gegen die Haftung aus rücksichtigt den Umfang der Befehlsgewalt, die Möglichkeit sich zu widersetzen sowie die Schwere der Tat (2. 17.26). Für Cicero entscheidet vor allem der Umfang der Befehlsgewalt (2.30.92). Die Schwere der Tat erscheint als weniger spezifisches Argument unter den loei communes (2. 30. 94), vgl. Daube 585ff. Nach beiden Autoren aber entlastet der Befehlsnotstand nicht immer. 72 LablUlp D 47. 10. 17.7 (57 ad ed). 73 D 43. 24. 11. 7 (Ulp 71 ad ed): [... ] nam ad quaedam, quae non habent atrocitatem jaeinoris vel sceleris, ignoseitur servis. Der Satz wird dahin mißverstanden, daß der Sklave nur bei besonders schweren Verbrechen hafte (Levy 289 Fn. 6 mit weit. Nachw., Watson 175). Jedoch ist nicht von 'atroeiajaeinora' die Rede, sondern 'quaedam, quae non habent atrocitatemjaeinoris' ist mit 'Delikte, die nicht den Rang oder die Schwere eines jaeinus haben' zu übersetzen (vgl. dazu Heumann-SeckeI42). Schonjaeinora also lösen die Eigenhaftung aus. Zu Ulpian siehe auch D 43. 16. 1. 13 (69 ad ed). Nichts anderes folgt schließlich aus D 9. 2.4. I (18 ad ed). Celsus stellt pauschal fest, daß ein Sklave kein Delikt begehe, wenn er seinem Herrn gehorche, und Ulpian merkt an: et san e si iussit pot e s t hoc diei. Ulpian gibt lediglich zu, daß dies für Delikte iussu domini eine mögliche Auffassung sein kann, ohne aber zum Ausdruck zu bringen, daß er sie für alle Delik· te teile. Vgl. dazu auch Horak 107 Fn 20.
74 D 25. 2. 21. I (Paul 73 ad ed). Dagegen stellt Paulus D 50. 17. 169 pr (2 ad Plaut) scheinbar pauschal fest: is damnum dat, qui iubet dare. eius vero nulla culpa est, cui parere necesse est. Indessen haben die Kompilatoren den Satz aus seinem ursprünglichen Kontext gelöst und zu den regulae iuris gestellt. Er ist mit D 25. 2. 21. 1 dann vereinbar, wenn Paulus parere n e ces s e est auch von der Schwere der Tat abhängig machte. Dies jedenfalls muß die Lesart der Kompilatoren gewesen sein, denn nur so lies sich der Text neben D 50. 17. 157 pr (Eigenhaftung für jacinora) stellen. 75 D 9. 4. 2. 1 (Ulp 18. ad ed): Celsus sieht das Verhältnis von deliktischer Haftung nach XIITafelrecht und lex Aquilia wie folgt: Ursprünglich habe der dominus auch für befohlene Delikte nur noxal gehaftet, und diese Haftung sei immer auf den Freigelassenen übergegangen. Mit Einführung der lex Aquilia aber sei die Noxalhaftung für Delikte iussu domini durch eine Haftung des Herrn suo nomine a b gel ö s t worden. Celsus zufolge gibt es also keine Noxalhaftung mehr, die allein auf den Freigelassenen übergehen könnte. Er bleibt daher - unabhängig von der Schwere des Delikts - stets haftungsfrei. Nach Iulian, Marcell und Ulpian dagegen tritt die aquilische Haftung des Herrn suo nomine ne ben die noxale Verantwortlichkeit nach XII·Tafelrecht, so daß sich aus dem Verhältnis beider Normen nichts für die Frage des Befehlsnotstands ergibt. D 9.
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der lex Aquilia entschied auch Javolen für den Fall eines Freien, 'der gehorchen mußte 076 . Diese Quellenlage, die mit Ausnahme zweier Texte eine Haftung trotz Befehls vorsieht, ist mit der Annahme nachklassischer oder byzantinischer Textveränderungen unvereinbar. Sie schließt auch für Pal. 9 die behaupteten Interpolationen aus, so daß die Eigenhaftung des Sklaven mit Sicherheit schon auf die republikanische Zeit zurückgeht. Was die Art der Darstellung angeht, halten wir abschließend fest: Auch die Distinktion in Pal. 9 ist nicht durch einen offenen Sachverhalt bedingt, sondern dient allein dazu, den für die rechtliche Beurteilung des Befehlsnotstands maßgeblichen Gesichtspunkt herauszustellen. 6. Das folgende Responsum betrifft die Auslegung einer Stipulation. In der Sachverhaltsdarstellung wird die relevante Klausel wörtlich wiedergegeben, dennoch ergeht die Antwort unter Distinktion: Alfen entscheidet die Quaestio zunächst für eine leicht abgeänderte Formulierung und geht erst dann auf die tatsächlich getroffene Vereinbarung ein: 32. Pal 51 pr = D 17.2. 71 pr Paul 3 epit Alf dig 77 Duo societatem coierunt, ut grammaticam docerent et quod ex eo artificio quaestus fecissent. commune eorum esset: de ea re quae voluerunt fieri in pacto convento societatis [proscripserunt] 78, deinde inter se his verbis stipulati sunt: "haec, quae supra scripta sunt, ea ita dari fieri neque adversus ea fieri?9 si ea ita data facta non erunt, turn viginti milia dari?" quaesitum est, an, si quid contra factum esset, societatis actione agi pos set. respondit: si quidem pacto convento inter eos de societate facto ita stipulati essent, "haec ita dari fieri spondes?", futurum fuisse, ut, si novationis causa id fecissent, pro socio agi non possit, sed tota res in stipulationem translata videretur. sed quoniam non ita essent stipulati "ea ita dari fieri spondes?"
4. 2. I macht indessen deutlich, daß es auch nach Celsus außerhalb der lex Aquilia - etwa im Strafrecht - bei der alten Rechtslage blieb, die eine Haftung trotz Befehls zuließ. Zu den Einzelheiten des viel umstrittenen Textes vgl. überzeugend Casavola, Giuristi Adrianei (Neapel 1980) 35ff. 76 09. 2. 37 (14 ex Cass). 77 Lit.: Aus der umfangreichen Literatur: Beseler, SZ 45 (1925) 466; Hägerström, Der römische Obligationsbegriff (Uppsala 1940) 188ff; De Sarlo, AV 143; Arangio-Ruiz, La compravendita in diritto romano (Neapel 1956) 63ff; Magdelain Le consensualisme dans le edit du preteur (Paris 1958) 14f; Daube, Iura 12 (1961) 89ff; v.Lübtow, Die Entwicklung des Darlehensbegriffs (Berlin 1965) 114f; Watson, Obligations 5; Horak, Rationes 205ff; Visky, St. Volterra I (1971) 619f; Kaser, SZ 90 (1973) 207ff; Apathy, Animus novandi (Wien 1975) 237ff (mit zahlr. Hinweisen zur älteren Literatur); Stunn, Iura 26 (1975) 198ff, Knütel, Stipulatio poenae (Köln 1976) 65, 67ff. 78 Vulgata-HS.
79 Mommsen setzt anstelle des Doppelpunkts ein Fragezeichen und nimmt damit - entgegen Alfen - die Entscheidung zugunsten einer Doppelstipulation vorweg.
H. Die Texte
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sed " si ea ita facta non essent, decem80 dari?" non videri sibi rem in stipulationem pervenisse, sed dumtaxat poenam [non enim utriusque rei promissorem obligari, ut ea daret faceret et, si non fecisset, poenam sufferret] et ideo societatis iudicio agi posse 81 .
Ein Vertrag, der Rechte und Pflichten zweier Gesellschafter regelt, wird urkundlich niedergelegt und schließt mit einer wechselseitigen Stipulation: haec, quae supra scripta sunt, ea ita fieri neque adversus ea fieri: si ea ita data facta non erunt, tum viginti milia dari? Gefragt wird, ob bei Verletzung des Gesellschaftsvertrages mit der actio pro sodo geklagt werden könne. Alfen respondiert: Wenn die Stipulation 'haec ita dari fieri spondes?' gelautet und die Parteien eine Novation gewollt hätten, wäre diese Obligation an die Stelle des Gesellschaftsvertrages getreten. Die a. pro sodo wäre dann unstatthaft. Da die Stipulation aber nicht 'ea ita darifieri spondes?', sondern 'si eafacta non essent, decem dari?'82 gelautet habe, sei anders zu entscheiden: Nur das Strafversprechen, nicht aber der Gesellschaftsvertrag habe Eingang in die Stipulation gefunden, denn die Parteien würden nicht zu beidem, i.e. vertragsgemäßem Verhalten und, bei Zuwiderhandlung, einer Vertragsstrafe, verpflichtet. Die a. pro sodo sei daher statthaft. Die Zulässigkeit der a pro sodo beurteilt sich danach, ob der Sozietätsvertrag noviert wurde oder nicht. Dieser erlischt durch eine Novation; an seine Stelle tritt eine inhaltsgleiche Stipulation, auf deren Grundlage einziger Rechtsbehelf die a. ex stipulatu wäre. a) Voraussetzung einer Novation wäre zunächst, daß die Parteien den Sozietätsvertrag überhaupt in ihre Stipulation aufgenommen haben. Das eingangs mitgeteilte Formular ist insoweit mehrdeutig: Der erste Halbsatz (haec, quae supra scripta sunt, ea ita dari fieri neque adversus ea fieri) könnte zum einen die Verfallsvoraussetzungen der Strafstipulation umschreiben. Er faßte dann - als Apposition zu si m ita data facta non erunt - die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages zusammen, 0 h n e selbst Gegenstand der Stipulation geworden zu sein. Zum anderen läge eine Doppelstipulation vor, wenn man annimmt, daß auch der erste Teil des Formulars durch das abschließende 'spondes?' gedeckt wäre: Die Parteien hätten einander dann sowohl die Pflichten aus dem Gesellschaftsvertrag als auch eine Strafe bei Vertragsbruch stipuliert. Alfen entscheidet zugunsten der ersten Lesart. Da der Gesellschaftsvertrag nicht in die Stipulation eingegangen sei (non videri in stipulationem pervenisse), scheide eine 80 Die Diskrepanz zwischen Sachverhalt (viginti mi/al und Antwort (deeem) erklärt sich durch den Ausfall eines X (Daube, Iura 12 (1961) 89ff). 81 Zu [non . .. sufferret] s.u. Radikale Textkritik bei Beseler 466 u. De Sarlo 143; dagegen mit Recht Horak 206 Fn 45. 82 Zu ergänzen 'spondes', was sich aber wegen des einleitenden his verbis s t i pul a ti s u n t: 'haee ... dari?' von selbst versteht.
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Novation aus, und die a. pro socio sei auf der Grundlage des ursprünglichen Vertrages nach wie vor statthaft. Eine andere Entscheidung käme nur in Betracht, wenn die Parteien sprachlich eindeutig eine Doppelstipulation gewählt hätten. Wie die hypothetische Variante zeigt, wäre dies der Fall, wenn beide Satzgefüge auf 'spondes?' endeten (si ita stipulati essent: haec ita dari fieri s p 0 n des?). Auch der Gesellschaftsvertrag läge dann in Form einer Stipulation vor, und unter der weiteren Voraussetzung 'si novationis causa fecissent' hätten die Gesellschafter eine die a. pro socio verdrängende Novation vereinbart83 . Das von Alfen für eine Doppelstipulation verlangte Formular mit zweimaligem 'spondes' war auch in klassischer Zeit üblich 84 und noch Paulus, der das Fragment in seine Epitome aufnahm, hat die Entscheidung offenbar nicht beanstandet; nur dieses Formular genügte auch dem bei Stipulationen besonders beachteten Klarheitsgebot85 . Wenn Horak 86 in der Entscheidung dennoch 'einen Rest von altem Formalismus' sieht, können wir seiner Kritik nicht folgen. b) Die zweite Bedingung, die für eine Novation zusätzlich einen entsprechenden Partei willen verlangt, wird allgemein für interpoliert erachtet. Die Textveränderung wird den Kompilatoren zugeschrieben, die, dem justinianischen Recht entsprechend, die (ausdrücklich erklärte) Novationsabsicht als eine notwendige Voraussetzung ergänzt hätten 87 . Apathy88 hat dagegen dargelegt, daß dieses Kriterium auch vor dem Hintergrund der klassischen Rechtslage plausibel war: Die objektiven Novationsvoraussetzungen (idem debitum / aliquid novi) lassen nicht immer erkennen, ob die Parteien ein Schuldverhältnis noviert oder nur zu83 So schon das Scholion zu Bas. 12. 1. 69 = D 17. 2. 71 pr: Der Scholiast Kyrill faßt die Entscheidung zusanunen, indern er einer (hypothtetischen), novierenden Doppelstipulation die (tatSächlich versprochene) schlichte und n ich t novierende Strafstipulation gegenüberstellt: KupVJ..ou: Ei jl&v oihro