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German Pages 303 Year 2012
Beiträge zum Sportrecht Band 38
Akzente des Sportrechts Herausgegeben von Klaus Vieweg
Duncker & Humblot · Berlin
KLAUS VIEWEG (Hrsg.)
Akzente des Sportrechts
Beiträge zum Sportrecht Herausgegeben von Kristian Kühl, Udo Steiner und Klaus Vieweg
Band 38
Akzente des Sportrechts
Herausgegeben von Klaus Vieweg
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-7925 ISBN 978-3-428-13870-8 (Print) ISBN 978-3-428-53870-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-83870-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Am 19./20. Juni 2009 fand in Paderborn die zehnte Interuniversitäre Tagung Sportrecht statt. Ihr folgte am 13./14. August 2010 die elfte Interuniversitäre Tagung Sportrecht in der Sportschule Oberhaching. Teilnehmer waren Privatdozenten, Doktoranden, wissenschaftliche Mitarbeiter und Studenten aus 11 Universitäten sowie namhafte Sportrechtsexperten aus Wissenschaft und Praxis. Dieser Band enthält die für die Veröffentlichung durchgesehenen und teilweise ergänzten Vorträge. Die intradisziplinäre Vielfalt der Themen spiegelt – wie schon in den vorherigen Tagungsbänden – das unterschiedliche fachliche Interesse und Problemgespür der „jungen Sportrechtler“ wider. Der Titel „Akzente des Sportrechts“ greift diese individuellen Akzentsetzungen im weiten Feld der Querschnittsmaterie Sportrecht auf. Bei der redaktionellen Bearbeitung und Druckvorbereitung haben mich Christine Scholz und Sabine Trippmacher tatkräftig unterstützt. Ihnen gebührt mein herzlicher Dank. Erlangen, im Dezember 2011
Klaus Vieweg
Inhaltsverzeichnis Johannes Niewalda Die Bereithaltungspflicht der Athleten zur Dopingbekämpfung. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Verstoß gegen das BDSG? ..................
9
Heiko Striegel Doping im Breiten- und Freizeitsport .................................................................
31
Rainer Bökel Der Sportboothafen. Umweltbezogene Planungs- und Genehmigungsfragen ....
43
Mark Deckelmann Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des Court of Arbitration for Sport (CAS) in Deutschland. Unter besonderer Berücksichtigung der objektiven Schiedsfähigkeit der Streitigkeit ....................................................... 77
Paul Staschik Rechtliche Grenzen der Kontaktpflege im Sport ................................................ 123
Kathrin Gack Das Konzept der US-amerikanischen Single-Entity-Theorie im europäischen Kartellrecht......................................................................................................... 143
Sebastian Rotter Bau von Großsportanlagen aus planungsrechtlicher Sicht ................................. 167
Thomas Feiler Die webbasierte Eigenvermarktung medialer Inhalte am Beispiel von FußballPressekonferenzen .............................................................................................. 193
Sebastian Kürth Der allgemeine Beschäftigungsanspruch im Mannschaftssport ......................... 219
Clemens Rutz Körperverletzungen bei Kampfsportarten aus strafrechtlicher Sicht .................. 235
Marie Kronberg Rechtfertigung von Grundfreiheitsbeeinträchtigungen durch Regelungen von Sportverbänden. Dargestellt am Beispiel der 50+1-Regel .................................. 269
Carsten Morgenroth Interesse als Einfluss- und Entscheidungsfaktor im Sportrecht am Beispiel des Sportsponsoring.................................................................................................. 287
Die Bereithaltungspflicht der Athleten zur Dopingbekämpfung Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Verstoß gegen das BDSG ? Von Johannes Niewalda I.
Einleitung ..........................................................................................................
9
II. Bereithaltungsverpflichtung der Athleten nach den aktuellen Dopingkontrollbestimmungen ...................................................................................................
11
III. Die entscheidende Bedeutung der Abwägung der gegenläufigen Interessen ....
12
1.
Notwendigkeit der Interessenabwägung bei der Prüfung eines BDSGVerstoßes ...................................................................................................
12
Notwendigkeit der Interessenabwägung bei der Prüfung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung .................................................................................
14
IV. Die für und wider die Ein-Stunden-Bereithaltungspflicht sprechenden Interessen .....................................................................................................................
14
2.
1.
Die gegen die Bereithaltungspflicht sprechenden Interessen .....................
15
2.
Die für die Bereithaltungspflicht sprechenden Interessen..........................
19
V. Abwägung der gegenläufigen Interessen...........................................................
23
1.
Geeignetheit der Bereithaltungs- und Aufenthaltsmeldepflichten .............
23
2.
Erforderlichkeit der Bereithaltungs- und Aufenthaltsmeldepflichten ........
24
3.
Angemessenheit der Bereithaltungs- und Aufenthaltsmeldepflichten .......
27
VI. Fazit ..................................................................................................................
29
I. Einleitung Die Dopingbekämpfung im Sport ist geprägt von dem Konflikt zwischen dem Ziel der Verbände und Veranstalter, ihre Veranstaltungen und den Sport insgesamt dopingfrei zu halten und nur ungedopte Sportler zu den Wettkämpfen zuzulassen, und dem Interesse der Athleten, durch das Dopingkontrollregime und die hiernach von ihnen verlangten Duldungen und Mitwirkungen möglichst wenig beeinträchtigt zu werden. Einen vorläufigen Höhepunkt dürfte
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Johannes Niewalda
dieser Interessenkonflikt mit dem Inkrafttreten des NADA-Codes 20091 und der darin verankerten „Ein-Stunden-Bereithaltungspflicht“ erreicht haben, die den Sportlern auferlegt, sich jeden Tag eine Stunde lang an einem ganz bestimmten Ort für die Durchführung von Dopingkontrollen bereitzuhalten. Eine der Rechtspositionen, deren Beeinträchtigung durch die Bereithaltungspflicht im Raum steht, ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Sportler, das in seiner Ausprägung „informationelles Selbstbestimmungsrecht“ zusätzlichen Schutz durch das BDSG genießt. Bereits vor der Änderung des NADA-Codes Anfang 2009 wurde in Bezug auf die bis dahin schon geltenden Aufenthaltsmeldepflichten von den Athleten eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte beklagt. Aus dem Jahr 2008 ist diesbezüglich der Fall der Brüder Lado und Manuel Fumic in Erinnerung. Die Mountainbiker wurden im April 2008 vom BDR gesperrt, nachdem sie sich außerstande erklärt hatten, der Pflicht zur lückenlosen Meldung ihrer Aufenthaltsorte nachzukommen.2 Ihr Rechtsmittel gegen diese Sperre stützten die Sportler auf das Argument, durch die totale räumliche Transparenz würde ihr Persönlichkeitsrecht unzulässig eingeschränkt.3 Die Sperre wurde im Folgenden allerdings wegen eines Formfehlers vom Rechtsausschuss des BDR wieder aufgehoben.4 Die Einführung der Ein-Stunden-Bereithaltungspflicht durch den NADACode 2009 hat eine Vielzahl kritischer Wortmeldungen ausgelöst, die durchweg auf die Persönlichkeitsrechte der Sportler verweisen. So hat sich beispielsweise Christian Schreiber, der Schlagmann des deutschen Vierers ohne Steuermann, dahingehend geäußert, dass in Sachen Datenschutz und Persönlichkeitsrechte mit diesen „Whereabouts“ die Grenze des Zumutbaren längst überschritten sei.5 In einem Schwebezustand befinden sich die Diskussionen zwischen der WADA und der FIFA bzw. UEFA, die sich darum drehen, ob die Melde- und Bereithaltungspflichten auch Fußballspielern zugemutet werden können.6 Mit Blick auf die datenschutzrechtliche Problematik wurde zwischenzeitlich von der deutschen Basketballspielervereinigung SP.IN eine Beschwer___________ 1 Der aktuelle NADA-Code ist abrufbar im Internet unter www.nada-bonn.de/Recht/ Anti-Doping-Regelwerke/NADA/Anti-Doping-Regelwerk der NADA. 2 Vgl. FAZ v. 18.04.08, S. 32. 3 Vgl. FAZ v. 30.04.08, S. 40. 4 Vgl. FAZ v. 28.06.08, S. 38. 5 Vgl. FAZ v. 06.11.08, S. 33. 6 Zum aktuellen Diskussionsstand zum Zeitpunkt dieses Beitrags (Juni 2009) vgl. die Meldung in der FAZ v. 30.04.09, S. 29, wonach die deutschen Nationalspieler zunächst einmal uneingeschränkt ins Meldesystem integriert bleiben, sowie die Meldung auf der Homepage der FIFA (http://de.fifa.com/aboutfifa/developing/releases/newsid=1046618. html), der zufolge die FIFA-Regeln bis 2010 einer Testphase unterzogen werden sollen.
Die Bereithaltungspflicht der Athleten zur Dopingbekämpfung
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de beim Bundesdatenschutzbeauftragten eingereicht.7 Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat sich im Folgenden kritisch im Hinblick auf Art und Umfang der Daten geäußert, die zum Aufenthalt der Sportler gespeichert werden.8 Eine Stellungnahme aus dem Bundesinnenministerium enthält demgegenüber keine Aussage zur persönlichkeits- und datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Bereithaltungspflicht als solcher, sondern zu den Datenverarbeitungssystemen, mittels derer die Aufenthaltsdaten und die weiteren Informationen über die Athleten verwaltet werden, wenn darin Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit und der Zugriffsmöglichkeiten geäußert werden, die das von der WADA bereitgestellte elektronische Datenmanagementsystem ADAMS bietet.9 Diese Problematik, die durch eine angemessene Systemausgestaltung zu entschärfen sein dürfte, soll im Folgenden allerdings nicht weiter vertieft werden. Stattdessen wird der Blick näher auf die Inhalte der Datenverwendung gerichtet, um Erkenntnisse darüber zu erlangen, ob die datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Bedenken gegen die Ein-Stunden-Bereithaltungspflicht und die damit untrennbar verbundenen Meldepflichten begründet sind.
II. Bereithaltungsverpflichtung der Athleten nach den aktuellen Dopingkontrollbestimmungen Stein des Anstoßes sind die folgenden Bestimmungen des NADA-Codes und seiner Nebenregelwerke: Gemäß Art. 5.3.1 NADA-Code i. V. m. Art. 1.2 „Standard für Meldepflichten“ (SfM) sind die in dem Regelwerk niedergelegten Meldepflichten von den „Athleten des RTP (Registered Testing Pool) und anderer Testpools“ zu beachten. Der RTP wird auf der Ebene der Internationalen Fachverbände eingerichtet und besteht aus den A-Kader-Athleten und A-Nationalmannschaften der Sportarten der Risikogruppe A. Speziell für die Athleten des RTP ergeben sich folgende Verpflichtungen: Sie „müssen vierteljährlich Angaben über Aufenthaltsort und Erreichbarkeit machen, die genaue und vollständige Informationen darüber enthalten, wo sie im kommenden Quartal wohnen, trainieren und an Wettkämpfen teilnehmen werden.“ Sich nach Abgabe der Quartalsmeldung ergebende Änderungen müssen die Athleten unverzüglich anzeigen, „sodass sie zu jeder Zeit in diesem ___________ 7
Vgl. FAZ v. 12.02.09, S. 30. Vgl. FAZ v. 04.03.09, S. 28. 9 Vgl. FAZ v. 28.02.09, S. 28; ADAMS steht für Anti-Doping Administration Management System, die von der World Anti-Doping Agency betriebene Internetplattform für die Sammlung und Verwaltung von Anti-Doping-Daten. 8
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Johannes Niewalda
Quartal für Dopingkontrollen erreichbar sind“ (Art. 1.3 SfM). Die Details der Aufenthaltsmeldepflichten der RTP-Mitglieder regelt Art. 3.1 SfM. Hiernach muss die Meldung u. a. enthalten: –
die üblichen Kontaktdaten (Postanschrift, E-Mail-Adresse und Telefonnummer),
–
Angaben über aufenthaltsrelevante Behinderungen,
–
tagesgenau die vollständige Wohnadresse,
–
für jeden Tag Namen und Adressen sämtlicher Orte, an denen sich die Athleten für regelmäßige Tätigkeiten aufhalten einschließlich der üblichen Zeiten dieser regelmäßigen Tätigkeiten sowie
–
den Wettkampfplan der Athleten einschließlich der Namen und Adressen der Wettkampforte und der Daten der Wettkämpfe.
Die Ein-Stunden-Bereithaltungspflicht macht den RTP-Athleten darüber hinaus zur Auflage, in ihren Angaben über Aufenthaltsort und Erreichbarkeit für jeden Tag des kommenden Quartals ein bestimmtes Zeitfenster von 60 Minuten zwischen 6:00 Uhr und 23:00 Uhr anzugeben, zu dem sie sich an einem bestimmten Ort für Dopingkontrollen bereithalten (Art. 1.4 SfM).
III. Die entscheidende Bedeutung der Abwägung der gegenläufigen Interessen Für die Rechtmäßigkeitsprüfung der Bereithaltungs- und Meldepflichten sowohl am Maßstab des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) als auch am Maßstab des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kommt es letztlich auf eine Abwägung der Interessen an der Durchsetzung der Athletenpflichten mit den dagegensprechenden Interessen an.
1. Notwendigkeit der Interessenabwägung bei der Prüfung eines BDSG-Verstoßes Für die Beurteilung der Athletenpflichten nach dem BDSG ergibt sich die Notwendigkeit der Interessenabwägung aus den folgenden Zusammenhängen: Das BDSG beansprucht für die Datenverwendungen, d. h. die Beschaffung und den nachfolgenden Gebrauch dieser Daten, mit seinen für nicht-öffentliche Stellen geltenden Bestimmungen Beachtung.10 Die Anwendbarkeit des BDSG ___________ 10
So auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar, Anforderungen des Datenschutzes an Dopingkontrollen (noch im Druck), S. 4.
Die Bereithaltungspflicht der Athleten zur Dopingbekämpfung
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führt dazu, dass diese Datenverwendungen gemäß § 4 I BDSG nur unter der Bedingung zulässig sind, dass sie durch eine Einwilligung der Sportler oder durch eine Rechtsvorschrift gedeckt sind. Als eine solche Rechtsvorschrift kommt § 28 I 1 Nr. 1 BDSG in Betracht. Nach dieser Bestimmung dürfen Daten im Rahmen von Vertrags- oder vertragsähnlichen Vertrauensverhältnissen – zu Letzteren gehört nach h. M. auch die Vereinsmitgliedschaft – erhoben und gespeichert werden, wenn es der Zweckbestimmung der Sonderbeziehung dient. Zweckbestimmung in diesem Sinne ist auch die Dopingfreiheit des Sports, die sich die Verbände und Veranstalter zum Grundsatz gemacht haben. Die Dienlichkeit der Datenverwendung setzt voraus, dass diese zur Erreichung des Zweckes „Dopingfreiheit“ geeignet und erforderlich ist und sich als angemessenes Mittel darstellt.11 Die Angemessenheit ist dann gegeben, wenn die Abwägung der für und wider die Datenverwendung sprechenden Interessen ein Überwiegen der Interessen an der Datenverwendung zum Ergebnis hat. Soll die Erhebung und Speicherung der Aufenthaltsdaten durch die Einwilligung der Sportler gerechtfertigt werden, ist hierfür u. a. gemäß § 4a I 1 BDSG Voraussetzung, dass diese Einwilligung „auf der freien Entscheidung des Betroffenen beruht“. An dieser Stelle erlangt der Umstand Bedeutung, dass die Athleten die Unterwerfung unter die Anti-Doping-Bestimmungen unter dem Druck erklären, dass sie im Falle der Verweigerung der Zustimmung nicht zu den Wettkämpfen zugelassen werden, auf die sie zur Sportausübung angewiesen sind. In dieser Zwangssituation kann die Einwilligung der Sportler nur noch unter der Voraussetzung als freiwillig angesehen werden, dass die Interessen der Verbände und Veranstalter an der Durchsetzung der Anti-DopingBestimmungen die Interessen der Athleten an der Vermeidung der hiermit verbundenen Rechtseingriffe überwiegen.12 Vorbedingung dafür, dass diese Inte___________ 11 So im Ergebnis auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar, Anforderungen des Datenschutzes an Dopingkontrollen (noch im Druck), S. 5, wenn er eine Interessenabwägung zwischen dem Aufklärungsinteresse der Sportverbände und dem Persönlichkeitsrecht des Sportlers für erforderlich erachtet. Nach Gola/Schomerus, BDSG (9. Aufl. 2007), § 28 Anm. 4.1, ist zu fordern, dass die Datenverwendung zur Erfüllung der Pflichten oder zur Wahrnehmung der Rechte aus dem Rechtsverhältnis notwendig ist. 12 Zum Erfordernis eines überwiegenden Interesses von Monopolverbänden für die Zurückweisung von Beitrittsbewerbern vgl. BGH NJW 1969, 316, 317; NJW 1975, 771; NJW 1999, 1326; Staudinger/Weick (2005), § 35 Rn. 30 ff.; Nicklisch, JZ 1976, 105, 110; Vieweg, Zusammenfassung der juristischen Gutachten zu der Frage nach der Zulässigkeit von Blut- und/oder Urinkontrollen, in: Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Hrsg.), Blut und/oder Urin zur Dopingkontrolle (1996), S. 18; Summerer, Praxishandbuch Sportrecht (2. Aufl. 2007), 2. Teil Rn. 112. Nach den zur vereinsrechtlichen Inhaltskontrolle überwiegend anerkannten Grundsätzen sind die Regeln der Sportverbände als Monopolverbände auf ihre Angemessenheit und Billigkeit i. S. d. § 242 BGB hin zu überprüfen, wozu eine Abwägung der gegenläufigen Interessen stattzufinden hat, vgl. etwa MüKo-Reuter (5. Aufl. 2006), § 25 Rn. 55.
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ressenabwägung zugunsten der Verbände ausfällt, ist wiederum die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Maßnahmen, in die eingewilligt werden soll.13
2. Notwendigkeit der Interessenabwägung bei der Prüfung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Die Bedeutung der Interessenabwägung für die Beurteilung der Bereithaltungs- und Meldepflichten am Maßstab des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergibt sich aus Folgendem: Die Prüfung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ist in zwei Stufen vorzunehmen: Zunächst ist die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch die in Rede stehende Maßnahme zu überprüfen. Eine Beeinträchtigung ist insoweit zu bejahen, als diese Maßnahme in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingreift. Die Feststellung einer Verletzung setzt des Weiteren voraus, dass sich der Schutzbereichseingriff darüber hinaus als rechtswidrig erweist. Wird zur Rechtfertigung des Eingriffs auf eine diesbezügliche Einwilligung der Sportler verwiesen, ist wiederum die Freiwilligkeit der Einwilligung Wirksamkeitsvoraussetzung, die, wie oben bereits ausgeführt, vom überwiegenden Interesse der Verbände an der Maßnahme abhängt. Wird der Eingriff auf eine vereinsrechtliche Bestimmung gestützt, kommt es nach den Grundsätzen der vereinsrechtlichen Inhaltskontrolle auf die Angemessenheit und Billigkeit dieser Bestimmung an, die ebenfalls von einem überwiegenden Interesse an der Durchsetzung der Eingriffsmaßnahme abhängt.
IV. Die für und wider die Ein-Stunden-Bereithaltungspflicht sprechenden Interessen Daher sind im nächsten Schritt die für und wider die Ein-StundenBereithaltungspflicht und die damit verbundenen Meldepflichten sprechenden Belange zu sammeln und gegeneinander abzuwägen. Die Maßnahmen können von vornherein dann kein überwiegendes Interesse für sich beanspruchen, wenn sie ungeeignet oder nicht erforderlich sind. Im Zuge der Interessenabwägung sind sodann sämtliche Belange der Sportler und der Verbände und Veranstalter zu berücksichtigen, die nicht zu gesetzlichen Verboten, den guten Sitten oder anderen zwingenden Vorgaben der Rechtsordnung im Widerspruch stehen. Die auf der einen oder anderen Seite ___________ 13 An einer ungeeigneten oder nicht erforderlichen Maßnahme kann kein überwiegendes Interesse bestehen.
Die Bereithaltungspflicht der Athleten zur Dopingbekämpfung
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berührten Grundrechtspositionen stellen aufgrund ihrer besonderen Bedeutung als Verfassungsrecht Abwägungsbelange von besonderem Gewicht dar.
1. Die gegen die Bereithaltungspflicht sprechenden Interessen Als schutzwürdiges Interesse der Athleten ist zunächst einmal deren allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) anzuführen, die durch den Zwang zur Vornahme der abgeforderten Meldungen und nachfolgend auch durch den Zwang zum Verbleib an einem bestimmten Ort während der angegebenen Stunde beeinträchtigt wird. Was die vorab einzureichenden Aufenthaltsmeldungen betrifft, ist erschwerend zu berücksichtigen, dass die Athleten zur Vermeidung von Verstößen gegen die Meldepflichten gezwungen sind, fortwährend die eingereichte Meldung mit den tatsächlich geplanten Aktivitäten abzugleichen. Aus dem Erfordernis, vor jeder Aktivität die Kontrollüberlegung anstellen zu müssen, ob eine Änderung der abgegebenen Meldung erfolgen muss, resultiert eine erhebliche Einschränkung der Spontaneität und damit eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensführungsfreiheit. Dennoch bleibt die Bedeutung der hiermit verbundenen Freiheitsbeeinträchtigung aus verfassungsrechtlicher Sicht wegen des verhältnismäßig geringen Gewichts der allgemeinen Handlungsfreiheit beschränkt, das sich aus dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt ergibt, dem sie unterworfen ist. Gleiches gilt für die Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit durch die Pflicht zum einstündigen Verweilen. Die Athleten haben diesbezüglich die Möglichkeit, die Ein-Stunden-Aufenthalte so in ihren Tagesablauf einzugliedern, dass sie sich nahtlos in die ohnehin geplanten Aktivitäten einfügen. Lediglich im Falle spontaner Änderungen des Tagesablaufs können sich somit noch Zwangswirkungen aus der Aufenthaltspflicht ergeben. Für die Gewichtung des Eingriffs in die Freiheit der Lebensführung erscheint im Übrigen der Vergleich mit der Situation eines berufstätigen Menschen hilfreich: Auch der in abhängiger Beschäftigung tätige Arbeitnehmer hat sogar während eines Großteils seines Lebens Tag für Tag nicht nur eine, sondern viele Stunden freizuhalten, um dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stehen. Weshalb diese für andere Berufstätige somit völlig selbstverständliche Belastung für Berufssportler ein unzumutbarer Eingriff von übermäßigem Gewicht sein soll, obwohl sie hier vergleichsweise erheblich eingeschränkt ist, ist nicht erkennbar. Sodann ist dem Verdacht einer Verletzung des Rechts der Freiheit der Person (Art. 2 II 2 GG) nachzugehen, der aufgrund des arrestähnlichen Charakters der Bereithaltungspflicht spontan aufkommt. Der Schutzgegenstand des Grundrechts, nämlich die körperliche Bewegungsfreiheit, wird durch die Bereithal-
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Johannes Niewalda
tungspflicht betroffen, indem die Athleten gehindert sind, sich für die besagte Stunde vom angegebenen Ort zu entfernen. Die Intensität des Eingriffs wird allerdings durch die Ausgestaltung der Verpflichtung in Grenzen gehalten: Erstens ist schon die Dauer der Verbleibenspflicht an einem bestimmten Ort mit einer Stunde verhältnismäßig gering. Zweitens und vor allem darf der Betroffene den Ort des Verbleibens selbst wählen, so dass die Zwangseinwirkung durch Fremdbestimmung des Ortes entfällt. Drittens erscheint auch die Freiheitsbeeinträchtigung in ihrem Eingriffsgehalt dadurch reduziert, dass der Betroffene völlig frei entscheiden kann, was er während der fraglichen Stunde an dem Verbleibensort unternimmt. Ebenso verhältnismäßig unbedeutend stellt sich die Beeinträchtigung der von Art. 12 GG geschützten Berufsfreiheit der Athleten dar. Durch die Bereithaltungs- und Aufenthaltsmeldepflichten werden keine Berufszugangsbeschränkungen errichtet, sondern lediglich Berufsausübungsregelungen vorgegeben, so dass sich der Eingriff in die Berufsfreiheit auf der niedrigsten der vom BVerfG im Apotheker-Urteil14 definierten Intensitätsstufen bewegt. Zu berücksichtigen ist des Weiteren die Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Sportler, das in seiner Facette informationelles Selbstbestimmungsrecht betroffen ist. Zur Gewichtung des Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht lässt sich zunächst einmal auf die von der sog. Sphärentheorie15 entwickelten Überlegungen zurückgreifen. Unterscheidet man in diesem Sinne unter Sensibilitätsgesichtspunkten zwischen Daten der Intimsphäre, der Privatsphäre, der Sozialsphäre und der Öffentlichkeitssphäre, sind die Aufenthaltsdaten der Athleten wie folgt einzuordnen: Im Allgemeinen ist wohl nicht davon auszugehen, dass die Athleten ihre Aufenthaltsdaten so geheim handhaben, dass nicht einmal Vertraute oder gar Partner davon in Kenntnis gesetzt werden, so dass die Daten im Regelfall nicht der Intimsphäre zuzuordnen sind. Wenn auch gerade von den Stars der Kreis der Eingeweihten möglicherweise klein gehalten wird, um Störungen durch die Fans und die Presse auf ein Mindestmaß zu reduzieren, dürfte sich der Geheimhaltungswille doch i. Allg. in der Ausgrenzung Außenstehender erschöpfen. Soweit es nicht lediglich um die Daten von Privataufenthalten, sondern um die Information über Trainingsaufenthalte geht, von denen die Öffentlichkeit ungehindert Kenntnis nehmen kann, betreffen die Angaben das berufliche Wirken und somit die Sozialsphäre der Sportler, die die Beziehungen des Einzelnen zur ___________ 14
Vgl. BVerfGE 7, 377, 405 ff. BVerfGE 35, 202, 220 („Lebach“) m. w. N.; 38, 312, 320; 54, 148, 154 („Eppler“); 75, 369, 380 („Strauß-Satire“); 80, 367, 373 f. (Verwertung von Tagebuchaufzeichnungen im Strafverfahren); NJW 1991, 2339, 2340; Staudinger/Hager (1999), § 823 Rn. C187 ff. 15
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Außenwelt umfasst. Verwendet der Sportler seine Aufenthaltsdaten gar zur Darstellung der eigenen Person gegenüber der Öffentlichkeit, etwa durch die Bekanntgabe auf der eigenen Homepage, sind die entsprechenden Informationen der Öffentlichkeitssphäre zuzuordnen. Geht man davon aus, dass die Informationsverbreitung per Homepage nur ausnahmsweise praktiziert wird, sind die Aufenthaltsdaten je nach den Umständen des Einzelfalls im Grenzbereich zwischen Privatsphäre und Sozialsphäre einzuordnen. Der durch die Meldepflichten bewirkte Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht wird durch die Pflicht zur Angabe des Ein-StundenAufenthalts nicht in maßgeblicher Weise verstärkt. Der Effekt der Ein-StundenMeldepflicht beschränkt sich darauf, dass im Vergleich zu den bislang geltenden Meldepflichten anstelle eines weiträumigeren Aufenthaltsbereichs, der das Umfeld der vom Athleten angegebenen Adresse mitumfasste, nunmehr für eine Stunde am Tag ein Aufenthaltsort angegeben werden muss, der sich auf den engen Bereich einer Wohnstätte, einer Trainingseinrichtung oder einer anderen Lokalität beschränkt. Da diese Präzisierung der einzureichenden Information nur eine geringfügige Intensivierung der diesbezüglichen Datenverwendung bedeutet, bewirkt sie keine erhebliche Änderung des Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Athleten. Wie vor der Änderung des NADA-Codes resultiert das Gewicht des Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Athleten somit nach wie vor im Wesentlichen aus dem Umstand, dass die lückenlose Bekanntgabe der über einen längeren Zeitraum hinweg aufgesuchten Orte die Anfertigung von Bewegungsprofilen erlaubt. Aus diesen lassen sich nicht nur Rückschlüsse auf die allgemeine Lebensführung ziehen, sondern sie ermöglichen darüber hinaus auch die Erstellung von „Trainingsortprofilen“. Derartige Informationen über die Trainingsmethodik, wie beispielsweise im Falle eines Ausdauersportlers über den Anteil des Höhentrainings, können „Betriebsgeheimnisse“ der Athleten darstellen, die sie i. Allg. nicht über einen engen Kreis vertrauter Personen hinaus bekannt werden lassen wollen. Der mit den Meldepflichten verbundene Eingriff ist vor diesem Hintergrund als Eingriff in die Privatsphäre der Sportler zu verorten. Eine weitere Konsequenz der lückenlosen Mitteilung der geplanten Aufenthaltsorte ist, dass den Athleten die Möglichkeit genommen wird, sich auch einmal für einen längeren Zeitraum als immer nur während der kurzen, nach der Erfüllung der Meldepflicht noch verbleibenden Pausen an einen Ort zurückzuziehen, an dem sie garantiert ungestört sind und sich ganz auf sich selbst besinnen können. Auch die Möglichkeit, sich auf diese Weise dem Alltag zu entziehen, wird jedoch vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt. Die persönlichkeitsrechtlichen Schlagworte lauten „Gewährleistung der ‚engeren persönlichen Lebenssphäre‘ und ihrer ‚Grundbedingungen‘“16, „Gewährleistung eines
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Johannes Niewalda
grundrechtlich abgeschirmten Bereichs freier Entfaltung“17, „Schutz der Integrität der menschlichen Person in geistig-seelischer Beziehung“18, „Recht auf Respektierung der Privatsphäre“19 und „Recht des Grundrechtsträgers, in Ruhe gelassen zu werden“20. Auch insoweit führt die Ein-Stunden-Bereithaltungspflicht zu einer Verschärfung, da die punktgenaue Kenntnis des Aufenthaltsortes während der Bereitschaftsstunde die Rückzugsräume nochmals einschränkt. Bei der Einschätzung der Intensität dieser Verschärfung ist allerdings wiederum festzustellen, dass weniger die Ein-Stunden-Bereithaltungspflicht als vielmehr die Pflicht zur lückenlosen Angabe des Aufenthalts durchgehend über Tag und Nacht hinweg den Eingriff in das „Recht auf Rückzug“ ausmacht. Wer sich nur für eine Stunde am Tag bereithalten und in dieser Zeit verstärkt mit Kontrollbesuch rechnen muss, hat die restlichen 23 Stunden, um sich bei Bedarf in die ungestörte Abgeschiedenheit zurückzuziehen. Erst der Umstand, dass auch für diese restlichen 23 Stunden der Aufenthaltsort zwar nicht derart punktgenau, aber doch so konkret gemeldet werden muss, dass auch in dieser Zeit die Erreichbarkeit binnen kurzer Zeit gewährleistet ist, schränkt die Rückzugsmöglichkeiten so spürbar ein, dass hieraus eine Belastungswirkung erwächst. Im Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass das Recht auf Rückzug zwar in erheblichem Maße durch die Kontrollbestimmungen eingeschränkt wird, diese Einschränkung jedoch maßgeblich durch die bislang bereits gültigen Aufenthaltsmeldepflichten bewirkt wird, so dass die Ein-Stunden-Bereithaltungspflicht insoweit keine relevante Mehrbelastung auslöst. Wird das informationelle Selbstbestimmungsrecht somit durch die Erfüllung der dem Athleten auferlegten Meldepflichten in einer Intensität beeinträchtigt, die die Unerheblichkeitsschwelle bei Weitem überschreitet, ist andererseits zu berücksichtigen, dass die Mitteilung der Daten nicht schon mit ihrer missbräuchlichen Nutzung gleichbedeutend ist. Vielmehr erfordert die Ausnutzung der Missbrauchsmöglichkeit zusätzlich eine Handlung von einiger krimineller Energie eines Beteiligten, der dem kleinen Kreis von Personen angehört, die ___________ 16 Vgl. BVerfGE 7, 377, 405 ff.; 54, 148, 153 („Eppler“); 72, 155, 170; 79, 256, 268; Degenhart, JuS 1992, 361; Jarass, in: Jarass/Pieroth (10. Aufl. 2009), Art. 2 Rn. 38; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (5. Aufl. 2005), Art. 2 Rn. 14, spricht vom „Schutz des ‚Zustandes‘ der Privat- bzw. Persönlichkeitssphäre“; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz (5. Aufl. 2009), Art. 2 Rn. 60. 17 BGHZ 13, 334, 337 f. („Leserbrief“); Palandt/Thomas (62. Aufl. 2003), § 823 Rn. 176, spricht von einem „umfassenden Recht auf Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit“. 18 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (5. Aufl. 2005), Art. 2 Rn. 86; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz (5. Aufl. 2009), Art. 2 Rn. 61. 19 Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz (5. Aufl. 2009), Art. 2 Rn. 60. 20 Bonner Kommentar/Zippelius (Stand: 03/2010), Art. 1 Rn. 97; MüKo-Schwerdtner (3. Aufl. 1993), § 12 Rn. 186; Ermann/Ehmann (12. Aufl. 2008), Anh. § 12 Rn. 10.
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auf die Daten Zugriff nehmen können. Der Täter müsste zu einem Verstoß gegen die für ihn geltenden Verschwiegenheitspflichten bereit sein, der zudem wegen der missbräuchlichen Ausnutzung einer besonderen Vertrauensstellung unter moralischen Gesichtspunkten als besonders verwerflich erscheint. Geht man davon aus, dass die Daten weitestmöglich pseudonymisiert werden, wie dies zur Wahrung des Erforderlichkeitsgrundsatzes geboten ist, ist zudem ein Missbrauch zunächst nur derjenigen Stelle möglich, bei der die Information über die hinter den Pseudonymen stehenden Namen hinterlegt ist. Erst dann, wenn die Daten ausnahmsweise zur Vorbereitung oder Durchführung von Dopingkontrollen depseudonymisiert werden, erlangen einige wenige weitere Personen Kenntnis vom Bewegungsprofil der Athleten. Diese numerische Beschränkung des Kreises der Eingeweihten wirkt zusätzlich prohibitiv, da sie für den Täter das Risiko erhöht, gegebenenfalls als die für die Weitergabe der Informationen verantwortliche undichte Stelle enttarnt zu werden.
2. Die für die Bereithaltungspflicht sprechenden Interessen Für die Bereithaltungspflicht können diejenigen Interessen in die Waagschale geworfen werden, die für die Durchsetzung des Dopingverbots i. Allg. angeführt werden können, da auch die Bereithaltungspflicht und die zugehörigen Meldepflichten der Durchsetzung dieses Dopingverbots dienen sollen. Die diesbezügliche Motivation der Sportorganisationen ist denkbar unkompliziert: Ihrem Wesen nach sind die Vereine und Verbände Vereinigungen, die sich zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks zusammenschließen. Die Sportvereinigungen haben sich als Ziel in diesem Sinne die Förderung des Sports in umfassender Weise21 gesetzt. Diese Zweckbestimmung ist von den Vereinen und Verbänden dahingehend konkretisiert worden, dass sie sich für die Förderung der Sportausübung unter Beachtung der tradierten Prinzipien und Werte des Sports wie Fairness und Chancengleichheit entschieden haben. Abgelehnt wird hingegen die Sportausübung unter Zuhilfenahme von Mitteln, die den Wettkampf von Talent und Eigenleistung in einen Wettkampf der Techniken zur Leistungsförderung und der Rücksichtslosigkeit gegenüber der eigenen Gesundheit umwandeln würden. Nach dieser Grundsatzentscheidung ist nicht die Förderung des Sports in jeglicher Ausprägung, sondern nur die Förderung eines dopingfreien Sports als Verbandszweck anzusehen. Hinter dem Dopingverbot steht somit unmittelbar das Interesse der Vereinigungen, über ihre eigenen Angelegenheiten und hier insbesondere über die Grundfragen ihrer Existenz selbst zu entscheiden. ___________ 21
Vgl. § 2 der Satzung des Deutschen Olympischen Sportbundes.
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Dieses Interesse der Vereine und Verbände genießt in verschiedener Hinsicht Grundrechtsschutz: Die Sportvereinigungen können sich auf die von Art. 9 I GG garantierte Vereinigungsfreiheit22 und – nach Maßgabe des Art. 19 III GG – auf das von Art. 2 I GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie subsidiär auf die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 I GG berufen. Das Interesse an der Verankerung des Dopingverbots in den Verbandsregularien wird in erster Linie von der durch Art. 9 I GG garantierten Vereinigungsfreiheit gestützt: Der Verein ist hiernach frei in der Zweckfestlegung und insbesondere in den verbandsspezifischen Wertungen, die seiner Zwecksetzungsentscheidung zugrunde liegen.23 Unbeachtlich sind Sinn oder Unsinn, moralischer Wert oder Unwert oder andere konkrete Umstände der Zweckbestimmung, solange das Vereinsziel nicht zur Rechtsordnung im Widerspruch steht.24 Unter den Begriff der Vereinszwecke und -ziele fallen in diesem Zusammenhang nicht nur die Hauptziele – wie etwa im Falle des DOSB die Förderung des Sports –, sondern ebenso auch Maßgaben hinsichtlich der Art und Weise, mittels derer diese Ziele erreicht werden sollen.25 Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Maßgaben identitätsstiftende Bedeutung haben, weil die Erreichung der Vereinsziele unter Missachtung dieser Maßgaben mit einer Entwertung des Vereinserfolgs gleichbedeutend wäre.26 Aus der Schrankenregelung des Art. 9 II GG, die lediglich den Strafgesetzen, der verfassungsmäßigen Ordnung oder der Völkerverständigung zuwiderlaufende Vereinigungen verbietet, ist das außerordentliche Gewicht erkennbar, das der Vereinigungsfreiheit zukommt. Mit Art. 9 I GG steht den Vereinen und Verbänden somit eine Verfassungsnorm zur Seite, die wegen ihrer hervorgehobenen Bedeutung im Grundrechtskatalog ein schwergewichtiges Argument zugunsten einer jeden verbandsrechtlichen Rege___________ 22
Nicklisch, JZ 1976, 105, 109; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Stand: Okt. 2009), Art. 9 Rn. 23, 43, 78; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland (20. Aufl. 1999), Rn. 409 ff., 412; Stein/Frank, Staatsrecht (20. Aufl. 2007), S. 333 f. Nach Nolte, Staatliche Verantwortung im Bereich Sport (2004), S. 239 f., kommt den Vereinigungen der Schutz des Art. 9 I GG nur über Art. 19 III GG zu. 23 Vieweg, Zur Bedeutung der Interessenabwägung bei der gerichtlichen Kontrolle von Verbands-Zulassungsentscheidungen (1994), S. 8, der als zentrale Motivation des Dopingverbots die Wertentscheidungen für die Chancengleichheit, für die Athletengesundheit und für das Ansehen des Sports nennt. 24 Vgl. Grunsky, SpuRt 2007, 188, 190. 25 So auch Haas/Nam, Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte, in: Nolte (Hrsg.), Persönlichkeitsrechte im Sport (2006), S. 43, 51; Grunsky, SpuRt 2007, 188, 190, wenn er die Festlegung der Regeln, nach denen der jeweilige Sport ausgeübt wird, als von der Vereinigungsfreiheit geschützt bezeichnet. 26 Grunsky, SpuRt 2007, 188, 190, spricht mit Blick auf das Dopingproblem von einem „Problem der Sportverbände bei der Realisierung ihres Verbandszwecks“.
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lung darstellt. Der selbstgewählten Zwecksetzung des Vereins kommt in diesem Sinne eine besondere Bedeutung als Kriterium bei der Interessenabwägung zu.27 Zur Untermauerung des elementaren Interesses an der Durchsetzung ihrer identitätsbegründenden Ziele und Zwecke können sich die Korporationen darüber hinaus ihrerseits zur Begründung des Dopingverbots auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen. Zwar ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, inwieweit juristische Personen vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt werden.28 Nach zutreffendem Verständnis genießen jedoch auch juristische Personen über Art. 19 III GG Würdeschutz, nämlich insoweit als Positionen betroffen sind, die nicht auf die „angeborene, sittlich-geistig-psychologische und physische Würde“ zurückgehen, sondern auf die „durch das soziologische Verhalten und den daraus resultierenden Sozialwert erworbene soziale Würde“, weil diese Ausprägungen wesensmäßig auch von juristischen Personen besetzt sein können. Der Schutz juristischer Personen hinsichtlich der von Art. 2 I GG garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit ist weitestgehend unbestritten. In dem Umfang, in dem sich die juristischen Personen auf den Schutz ihrer Würde und ihrer Handlungs- und Entfaltungsfreiheit berufen können, ist ihnen aber folgerichtig auch der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuzugestehen, der aus dem Zusammenspiel der Art. 2 I und 1 I GG gefolgert wird.29 Im Ergebnis bedeutet dies, dass sich die Kollektiveinheiten aufgrund ihres Sozialwerts entsprechend dessen Reichweite auf persönlichkeitsrechtlich geschützte Rechtspositionen berufen können.30 ___________ 27 Nicklisch, JZ 1976, 105, 111; für die Berücksichtigung von verbandsspezifischen Wertungen wie z. B. der Missbilligung des Dopings im Rahmen der Interessenabwägung auch Vieweg, Zusammenfassung der juristischen Gutachten zu der Frage nach der Zulässigkeit von Blut- und/oder Urinkontrollen, in: Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Hrsg.), Blut und/oder Urin zur Dopingkontrolle (1996), S. 17. 28 Dagegen Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Kommentierung bis 2001), Art. 2 Rn. 68; Schmitt Glaeser, HbStR VI (1989), § 129 Rn. 88, S. 91, für das Recht auf Selbstdarstellung / Datenschutz; unentschieden, aber jedenfalls gegen die Begründung des Persönlichkeitsschutzes juristischer Personen über Art. 1 GG Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (10. Aufl. 2009), Art. 2 Rn. 52; Hirte, NJW 1988, 1698, 1704; Siekmann, ZIP 1994, 651, 652; MüKo-Rixecker (5. Aufl. 2006), Anh. zu § 12, Rn. 21 ff., 23. 29 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Losebl.), Art. 2 Rn. 224, der aus der Erstreckung des Persönlichkeitsschutzes auf juristische Personen über Art. 19 III GG ein vermindertes Schutzniveau ableitet. 30 Für den Schutz der Verbände selbst, wenn sich persönlichkeitsrechtlich relevante Angriffe gegen Tätigkeiten oder Eigenschaften richten, mit denen die Verkehrsauffassung auch den Verband selber identifiziert, oder wenn Ruf oder Funktionsbereich des Verbandes selbst beeinträchtigt werden, Staudinger/Hager (13. Aufl. 1999), § 823
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Im Falle der Sportvereinigungen stellt der mit dem Dopingverbot verfolgte Zweck eines dopingfreien Sports eine solche Position dar. Die elementare Funktion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt darin, „konstituierenden Elementen der Persönlichkeit“31 Schutz zu bieten. Zu diesen konstituierenden Persönlichkeitselementen gehört der soziale Geltungsanspruch des Rechtsinhabers.32 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht misst dem Einzelnen die Befugnis zu, selbst darüber zu befinden, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will33 und was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll.34 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht billigt dem Einzelnen hiernach das Recht zu, die Beziehungen zu anderen Rechtssubjekten nach seinem Gutdünken einzurichten. Die Gestaltung dieser Beziehungen geschieht nicht zuletzt über die Ausbildung und Pflege eines Persönlichkeitsprofils, das u. a. dadurch definiert wird, dass der Einzelne ethische und moralische Positionen besetzt und dies auch nach außen hin kundtut. Dieser Aspekt der ethischen und moralischen Haltung steht bei Idealvereinigungen wie den Sportverbänden sogar im Vordergrund der Betrachtung. Vor allem aber spielt die Frage der persönlichen Zielsetzung für Vereinigungen nicht nur im Außenverhältnis für die Selbstdarstellung gegenüber Dritten und das Ansehen vonseiten Dritter eine Rolle. Noch viel bedeutsamer ist der Umstand, dass die Vereine und Verbände durch die Festlegung bestimmter Ziele als Vereinszwecke überhaupt erst das ideelle Fundament ihrer Existenz legen und damit quasi die Seele der Vereinigung erschaffen. Da der Verein sich im Wesentlichen über seine Zwecke und hierbei insbesondere über die darin umgesetzten ethischen und moralischen Positionen definiert, ist die Zweckbestimmung unmittelbar konstitutiv für seine Entstehung und Existenz. Aus diesen Überlegungen heraus ist der Festlegung des Dopingverbots in den Regelwerken der Verbände nicht nur grundsätzlich über Art. 19 III GG ___________ Rn. C27 ff., m. w. N.; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. II 2, Besonderer Teil (13. Aufl. 1994), § 80 IV.1.; Brüggemeier, Deliktsrecht (1986), Rn. 291; ähnlich Larenz/Wolf, AT des bürgerlichen Rechts (9. Aufl. 2004), § 8 V.2., Rn. 48 ff.; für eine Beschränkung des persönlichkeitsrechtlichen Schutzes jur. Personen auf besondere Fälle des Ehrenschutzes Staudinger/Schäfer (12. Aufl. 1978), § 823 Rn. 202 ff. 31 BVerfGE 54, 148, 153 („Eppler“). 32 Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz (5. Aufl. 2009), Art. 2 Rn. 60. 33 Brüggemeier, Deliktsrecht (1986), Rn. 270; kritisch Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. II 2, Besonderer Teil (13. Aufl. 1994), § 80 II.5.a). 34 Kritisch insoweit Erman/Ehmann, Bd. 1 (9. Aufl. 1993), Anhang zu § 12, Rn. 197, 203, der zu Recht darauf hinweist, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Einzelnen kein Recht zur Durchsetzung einer Selbstdarstellung verleiht, die nicht den Tatsachen entspricht, da als Grenzen des Rechts zur Selbstdarstellung zum einen immer das Recht zur Äußerung wahrer Tatsachen und zum anderen oftmals das Informationsinteresse der Allgemeinheit zu beachten sind.
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persönlichkeitsrechtlicher Schutz zuzusprechen, sondern aufgrund der elementaren Bedeutung des Dopingverbots für die Selbstdefinition der Sportvereinigungen ist ihrem persönlichkeitsrechtlichen Interesse an der Aufrechterhaltung des Dopingverbots ein erhebliches Gewicht als Abwägungsbelang zuzumessen.
V. Abwägung der gegenläufigen Interessen 1. Geeignetheit der Bereithaltungs- und Aufenthaltsmeldepflichten Voraussetzung dafür, dass die Verbände ein überwiegendes Interesse an einer Anti-Doping-Maßnahme in Anspruch nehmen können, ist zunächst einmal deren Geeignetheit und Erforderlichkeit.35 An der Geeignetheit der Aufenthaltsmeldepflichten zur Förderung des Zweckes „Dopingfreiheit“ bestehen im Grundsatz keine Zweifel, liegt es doch auf der Hand, dass die möglichst lückenlose Kenntnis vom Aufenthaltsort der Athleten überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet, jederzeit eine Dopingkontrolle durchzuführen und hierdurch das Dopingrisiko für die Athleten unkalkulierbar zu machen. Ebenso bestehen am Nutzen der im Einzelnen abgefragten Daten für die Dopingbekämpfung keinerlei Zweifel. Auch die Bereithaltungspflicht selbst ist unproblematisch als geeignetes Mittel zur Dopingbekämpfung anzusehen. Gegenüber der nicht gleichermaßen punktgenauen Aufenthaltsmeldepflicht bringt die Ein-Stunden-Aufenthaltsmeldung den Vorteil mit sich, dass der Athlet verlässlich an einem ganz bestimmten Ort aufgesucht werden kann. Während dieser einen Stunde verringert sich die Gefahr erheblich, dass die Kontrolleure unnötig viel Zeit zum Auffinden des Sportlers in dem von ihm gemeldeten Aufenthaltsgebiet oder für Wartezeiten wegen kurzfristiger Abwesenheiten aufwenden müssen. Ein Nachteil der Ein-Stunden-Bereithaltungspflicht besteht zwar darin, dass der Athlet mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass eine Dopingkontrolle, wenn sie ihn denn trifft, während der benannten Stunde durchgeführt werden wird. Dies gibt Dopinganwendern die Möglichkeit, ihren Dopingrhythmus im Rahmen der dopingtechnischen Möglichkeiten so einzurichten, dass ihre Werte in dieser Stunde unter den Nachweisgrenzen liegen. Dieser Nachteil führt allerdings nicht zur Ungeeignetheit der Bereithaltungspflicht als Dopingbekämpfungsmaßnahme, da viele Dopingmethoden schon ___________ 35 Geeignetheit und Erforderlichkeit sind Bedingungen für die Verhältnismäßigkeit der Rechtseingriffe zu Anti-Doping-Zwecken, welche Voraussetzung für deren Rechtmäßigkeit ist, vgl. Vieweg, Zur Bedeutung der Interessenabwägung bei der gerichtlichen Kontrolle von Verbands-Zulassungsentscheidungen (1994), S. 9; ders., Zivilrechtliche Beurteilung von Blutentnahmen (1996), S. 89, 112.
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nicht mit einem solchen Rhythmus praktiziert werden können und zudem auch dort, wo ein solcher Rhythmus möglich ist, immerhin noch eine dopingreduzierende Wirkung von der Bereithaltungspflicht zu erwarten ist.
2. Erforderlichkeit der Bereithaltungs- und Aufenthaltsmeldepflichten Was die Aufenthaltsmeldepflichten im weiteren Sinne betrifft, bestehen auch hinsichtlich der Erforderlichkeit für die Erreichung des Zweckes „Dopingfreiheit“ im Grundsatz keine Bedenken, da erstens im Sinne einer lückenlosen Strafdrohung auf die weitestgehend vollständige Kenntnis vom Aufenthaltsort der Athleten nicht verzichtet werden kann und zweitens auch kein milderes Mittel als die Meldepflicht erkennbar ist, um diese Kenntnis zu gewährleisten. Nur wenn die Sportler jederzeit – d. h. auch in den wettkampffreien Phasen – mit unangekündigten Dopingkontrollen rechnen müssen, ist die Anwendung verbotener Praktiken zur Leistungssteigerung durchgehend mit einem Risiko verbunden, das eine ernstzunehmende Abschreckungswirkung entfaltet. Diese Abschreckung stellt einen zentralen Bestandteil der Dopingbekämpfung dar. Die Durchführung überraschender Kontrollen setzt die Kenntnis vom aktuellen Aufenthaltsort der zu testenden Sportler voraus. Die Unzulässigkeit der Abfrage der Aufenthaltsdaten der Athleten wäre hiernach mit der Vereitelung des zentralen Verbandszieles „dopingfreier Sport“ gleichbedeutend. Die Meldepflichten können insbesondere auch nicht dadurch entbehrlich gemacht werden, dass die Sportler nicht mehr zur Meldung ihrer Aufenthaltsorte, sondern lediglich noch zur Gewährleistung ihrer dauernden Erreichbarkeit per Telefon oder auf andere Weise verpflichtet werden. Diese mit Blick auf die Möglichkeiten der Mobiltelefonie naheliegend erscheinende Änderung des Meldesystems würde zu einem schwerwiegenden Qualitätsverlust der Kontrollen führen. Selbst wenn sich die Athleten im Moment des Anrufs der Dopingkontrolleure nicht gerade an entlegenen Orten aufhielten, resultierte aus den unterschiedlichen Aufenthaltsorten der Kontrolleure und der Athleten in jedem Fall eine zeitliche Lücke zwischen Anruf und Durchführung der Kontrolle. Da die Kontrolleure nicht bereits bei der Mitteilung der bevorstehenden Dopingkontrolle mit den Sportlern zusammentreffen würden, wäre eine Beaufsichtigung der Athleten ab dem Moment der Kenntnis von der Dopingkontrolle nicht möglich. Durch die Nichteinhaltung des Chaperon-Systems36 würde den Probanden die Möglichkeit eröffnet, die Palette der kurzfristig durchführbaren ___________ 36
Das Chaperon-System sieht vor, dass die Sportler vom Moment der Benachrichtigung von der Dopingkontrolle an bis zur Abgabe der Probe lückenlos von einem Offiziellen beaufsichtigt werden, um sie auf diese Weise an Manipulationshandlungen zu hindern.
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Manipulationen auszuschöpfen, so dass die Manipulationsgefahr erheblich gesteigert würde. Zudem bestehen Bedenken dagegen, einen Athleten den harten Sanktionen eines Dopingverstoßes bis hin zum Berufsverbot auszusetzen, der möglicherweise tatsächlich einfach nur vergessen hat, sein Handy einzuschalten.37 Als Alternative zu den Meldepflichten ebenfalls untauglich ist die Verpflichtung der Sportler zum Tragen einer elektronischen Fußfessel, wie sie bereits aus den Reihen der Athleten als Ausweichlösung vorgeschlagen wurde.38 Die elektronische Fußfessel hätte zur Konsequenz, dass die Sportler nun endgültig nicht nur während einer Stunde pro Tag, sondern durchgehend, und nicht nur in einem Aufenthaltsgebiet, wie beispielsweise einem Wohnsitz, sondern punktgenau geortet werden könnten. Sie stellte aus diesem Grund eine wesentlich weitergehende Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Athleten dar und könnte – ihre Geeignetheit unter technischen Aspekten vorausgesetzt – allenfalls als freiwillige Alternative für die Melde- und Bereithaltungspflicht angeboten, nicht aber stattdessen verpflichtend vorgegeben werden. Gibt es somit zu den Aufenthaltsmeldungen keine Alternative, ist allerdings im Hinblick auf den Erforderlichkeitsgrundsatz selbstverständlich darauf zu achten, dass die Verarbeitung der Aufenthaltsdaten in verfahrenstechnischer Hinsicht so ausgestaltet wird, dass die Intensität der damit verbundenen Eingriffe auf das unbedingt erforderliche Maß reduziert wird. Zu erinnern ist insbesondere an die einschlägigen Vorgaben des BDSG wie das Datengeheimnis (§ 5 BDSG), die Grundsätze der Datenvermeidung und -sparsamkeit (§ 3 a BDSG) sowie bezüglich der Organisation und der Durchführung aller Datenverwendungsvorgänge an die Vorgaben der Anlage zu § 9 S. 1 BDSG. Unerlässlich ist die frühestmögliche Pseudonymisierung. Im Sinne der Erforderlichkeit ist die zeitliche Dauer der Datenverwendung so gering wie möglich zu halten. Dies bedeutet konkret, dass die Daten zu löschen sind, sobald sie nicht mehr „zur Planung, Koordinierung, Durchführung, Auswertung und Nachbearbeitung von Dopingkontrollen“ im Sinne des Art. 14.6 NADA-Code benötigt werden. ___________ 37 Die Abschaltung seines Mobiltelefons wurde etwa von dem für Manchester United spielenden Fußballprofi Rio Ferdinand als Entschuldigung für die Versäumung eines Dopingtests angeführt, vgl. FAZ v. 06.03.04, S. 36. 38 Entsprechende Überlegungen wurden etwa vom schwedischen Hochsprungolympiasieger Stefan Holm, von der schwedischen Olympiasiegerin im Siebenkampf, Carolina Klüft, oder auch von der deutschen Speerwurfvizeweltmeisterin Christina Obergföll geäußert, vgl. die Meldung in den DLV-News vom 21.12.07, abrufbar unter .
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Was die Erforderlichkeit der Bereithaltungspflicht und der damit verbundenen Ein-Stunden-Meldepflicht betrifft, lassen sich demgegenüber durchaus weitergehende kritische Fragen stellen: Es drängt sich der Vergleich mit dem bislang praktizierten System der Aufenthaltsmeldungen auf. Immerhin wird von den Verbänden bereits über viele Jahre hinweg ein Kontrollsystem angewandt, das sich mit den etwas großzügigeren Aufenthaltsmeldepflichten begnügt und auf eine punktgenaue Bereithaltungspflicht verzichtet hat. Dass dieses System nicht funktioniert hätte, werden die Verbände wohl kaum behaupten können und wollen. Um die weitergehende Bereithaltungspflicht als erforderlich zu rechtfertigen, müsste daher von den Verbänden dargelegt werden können, dass deren Einführung notwendig war, um schwerwiegende Lücken des bisher praktizierten Modus zu schließen oder erhebliche Verbesserungen zu bewirken. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass die Effektivität der Kontrollen durch die neue Bereithaltungspflicht wesentlich verbessert würde. Zwar wird die Situation vermieden, in der ein Athlet innerhalb des gemeldeten Gebietes in zulässiger Weise unterwegs war und deshalb erst mit einiger Verzögerung von den Kontrolleuren angetroffen werden konnte. Es stellt sich jedoch die Frage, ob durch derartige Verzögerungen tatsächlich der Erfolg der Dopingkontrolle oder das Funktionieren des Dopingkontrollsystems gefährdet waren. Die Manipulationsgefahr durch derartige Verzögerungen war – wenn überhaupt – nur hinsichtlich solcher Dopingpraktiken erhöht, die während des längstmöglichen Verzögerungszeitraums erfolgreich verschleiert werden konnten, etwa durch eine entsprechende Taktung schnell abbaubarer Dopingmittel. Eine solche Taktung kann jedoch auch durch die Bereithaltungspflicht nicht vermieden werden, da der Athlet die Bereithaltungsstunde so legen kann, dass zum Kontrollzeitpunkt ebenfalls ein maximaler Abbau des eingenommenen Mittels gewährleistet ist. Zu berücksichtigen ist schließlich noch eine Kostenentlastung des gesamten Kontrollsystems, die daraus resultiert, dass durch die Verringerung der Einsatzzeiträume der Kontrollteams Personaleinsparungen möglich werden. Inwieweit die Bereithaltungspflicht zu nennenswerten Einsparungen in diesem Sinne führt, kann wohl erst nach einer gewissen Praxisphase ermittelt werden. Gegebenenfalls stellte sich allerdings die weitere Frage, ob der Umfang der Einsparungen die Mehrbelastung der Athleten rechtfertigen kann. Mit Blick auf das Gewicht der Rechtspositionen, die aufseiten der Sportler beeinträchtigt werden, wäre hierfür jedenfalls nicht jede geringfügige Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Dopingkontrollen ausreichend. Von einem überwiegenden Interesse der Verbände könnte hier vielmehr nur dann ausgegangen werden, wenn ohne die Einsparungen das Kontrollsystem gefährdet wäre oder nur ein erheblich weniger leistungsfähiges Kontrollsystem realisiert werden könnte.
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3. Angemessenheit der Bereithaltungs- und Aufenthaltsmeldepflichten Geht man ungeachtet der soeben vorgebrachten Bedenken einmal davon aus, dass nicht nur die Aufenthaltsmeldepflicht, sondern auch die Bereithaltungspflicht erforderlich ist, kann im Rahmen der Angemessenheitsprüfung als erstes Ergebnis festgehalten werden, dass der damit verbundene Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Sportler allein kein überwiegendes Interesse der Athleten begründet. Zwar stellen sich die Aufenthaltsmeldepflichten als vergleichsweise lästiger Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit dar, da den Sportlern abverlangt wird, eine dreimonatige Vorplanung durchzuführen. Andererseits schafft diese Verpflichtung keine unlösbaren Probleme, da die Möglichkeit besteht, Angaben auch noch nachträglich umzumelden, wenn sich die Aufenthaltspläne ändern. Die Athleten können ihre Verpflichtungen somit ohne übermäßigen Aufwand erfüllen, indem sie eine regelmäßige feste Stunde angeben, zu der sie sich üblicherweise an einem üblichen Ort aufhalten, und nur für zum Meldezeitpunkt bereits bekannte Sonderzeiträume abweichende Meldungen abgeben. Auch die Einschränkung in der Spontaneität ihrer Lebensführung, die daraus resultiert, dass bei jeder Änderung des Tagesplans darüber nachgedacht werden muss, ob eine Meldung an die Dopingkontrollorganisation erfolgen muss, vermag das Gewicht der Beeinträchtigung nicht entscheidend zu erhöhen. Abgesehen davon, dass die Verpflichtung hierzu ungeachtet der EinStunden-Bereithaltungspflicht ohnehin besteht, kann auch diese zusätzliche Beeinträchtigung nicht dazu führen, dass die Verbände eine Gefährdung ihrer Vereinszwecke hinnehmen, um die Athleten davon zu entlasten. In der Gegenüberstellung mit der Vereinigungsfreiheit bleibt es hiernach dabei, dass diese sich schon aufgrund ihres vergleichsweise deutlich höheren Gewichts im Katalog der Grundrechte gegen die allgemeine Handlungsfreiheit durchsetzt. Auch wenn man den Eingriff in die Freiheit der Person dazu in die Waagschale wirft, mit der die Bereithaltungspflicht verbunden ist, ist die Waage noch weit davon entfernt, sich auf die Seite der entgegenstehenden Interessen zu neigen. Zwar ist die Freiheit der Person schon von deutlich höherem Gewicht als die allgemeine Handlungsfreiheit. Sie wird jedoch – wie zuvor dargelegt – durch die Bereithaltungspflicht nur so geringfügig beeinträchtigt, dass diese Beeinträchtigung das Abwägungsergebnis nicht wesentlich zu beeinflussen vermag. Gleiches gilt, wenn man die Beeinträchtigung der Berufsfreiheit der Athleten durch die Meldepflichten und die Bereithaltungspflicht zusätzlich auf die Waage legt: Mit der Wirkung einer Berufsausübungsregelung bewegt sich der Eingriff in die Berufsfreiheit – wie zuvor bereits erwähnt – auf dem niedrigsten Niveau der vom BVerfG mit der Stufentheorie vorgegebenen Intensitätsskala.
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Ähnlich differenziert ist die Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Athleten in Form der Einschränkung ihrer Rückzugsmöglichkeiten zu betrachten. Zwar ist auch insoweit eine naturgemäß sehr schwergewichtige Rechtsposition der Sportler betroffen. Auch deren Beeinträchtigung stellt sich jedoch in ihrer Intensität als eher geringfügig dar. Gewichtsmindernd wirkt sich aus, dass schon durch die Meldepflichten und erst recht durch die Bereithaltungspflicht die Rückzugsmöglichkeiten der Athleten zwar durchaus beschnitten werden, im Ergebnis aber dennoch weiterhin in weitreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Die Intensivierung des Eingriffs durch die Bereithaltungspflicht erscheint geringfügig, wenn man berücksichtigt, dass die Sportler mit Blick auf das Verhältnis zwischen den Bereithaltungszeiträumen und den ungestörten Phasen in den verbleibenden 23 Stunden genügend Zeit für sich selbst behalten. Nach alledem erweist sich die Beeinträchtigung des informationellen Selbstbestimmungsrechts der Athleten als der bedeutsamste Rechtseingriff, der mit den Aufenthaltsmelde- und Bereithaltungspflichten verbunden ist. Je nach den konkreten Umständen müssen die Sportler Informationen übermitteln, die in die Privatsphäre hineinreichen und möglicherweise sogar die Intimsphäre berühren können. Durch die Lückenlosigkeit der Informationen über den Aufenthalt wird der Eingriff in die Athletenrechte insofern verstärkt, als sie nicht nur die Kenntnis von punktuellen Aufenthaltsorten vermitteln, sondern hinreichende Angaben für die Anfertigung von Bewegungsprofilen liefern. Auch wenn man diesen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht in die Betrachtung miteinbezieht, vermag das Gesamtgewicht der durch die Aufenthaltsmelde- und Bereithaltungspflichten bewirkten Rechtseingriffe das Interesse an der Durchsetzung des Dopingverbots und damit an der Durchsetzung der Melde- und Bereithaltungsbestimmungen dennoch nicht zu überwiegen. Wie bereits ausgeführt, bezieht das Dopingverbot seine Schutzwürdigkeit aus dem Umstand, dass es von den Verbänden in Ausübung der von Art. 9 GG gewährten Vereinsautonomie zu einem ihrer Ziele erhoben wurde. Neben dem Kernvereinsziel, der „Förderung von Turnen und Sport“, ist das Ziel der Dopingfreiheit von fast ebenbürtiger Bedeutung. Dies gilt schon deshalb, weil damit ethische und moralische Prinzipien festgelegt werden, die für die Vereinsmitglieder von erhöhter Wichtigkeit sind, und weil deren Be- oder Missachtung darüber entscheiden kann, ob die Korporation in der Allgemeinheit anerkannt und respektiert wird. Hinzu kommt, dass das wirtschaftliche Überleben der Sportverbände von der Umsetzung dieses Vereinsziels abhängen dürfte: Von der Gewährleistung der Chancengleichheit, der das Dopingverbot dient, hängen das Spannungsmoment und damit das Zuschauerinteresse und damit schließlich die Geldflüsse und sonstigen Vorteile aus der Sportausübung ab. Vor diesem Hintergrund kommt dem Dopingverbot im Rahmen der Interessenabwägung das besondere Gewicht einer selbstgewählten, existenzwichtigen
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Zwecksetzung des Vereins zu. Die Interessenabwägung kann jedoch nicht dazu führen, dass Satzungsbestimmungen „ausgeschaltet“ werden, deren Wegfall zur Änderung eines verfassungsrechtlich zulässigen und zudem auch noch existenzrelevanten Vereinszwecks führen würde. Ergänzend stellt auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Abwägung ein weiteres äußerst schwergewichtiges Argument für das Dopingverbot dar. Die Umsetzung des Dopingverbots betrifft nämlich nicht nur die charakterliche Selbstdarstellung der Verbände gegenüber Dritten, sondern vor allem auch die Selbstdefinition der Persönlichkeit der Verbände in ethisch-moralischer Hinsicht und damit ebenfalls ein Anliegen von existentieller Bedeutung für die Sportvereinigungen. Im Ergebnis bedeutete das Verbot der Meldepflichten und – ihre Erforderlichkeit vorausgesetzt – der Bereithaltungspflicht somit eine Existenzgefährdung der Verbände. Demgegenüber sind aufseiten der Athleten im Falle der Durchsetzung der Melde- und Bereithaltungspflicht zwar auch erhebliche Rechtspositionen betroffen. Die Interessenabwägung führt in dieser Situation jedoch zu dem Ergebnis, dass ein überwiegendes Interesse der Sportvereinigungen an der Einholung der Aufenthaltsmeldungen und – im Falle ihrer Erforderlichkeit – auch an der Ein-Stunden-Bereitschaft besteht. Soweit daher die Ausgestaltung der Begleitumstände des Umgangs mit den diesbezüglichen Athletendaten so erfolgt, dass unnötige und unverhältnismäßige Eingriffe in die Rechte und hier insbesondere in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Athleten vermieden werden, hält die Verpflichtung der Athleten zur Meldung ihrer Aufenthaltsorte und zur Bereithaltung für Kontrollbesuche der Verhältnismäßigkeitsprüfung stand, so dass die Durchsetzung der Melde- und Bereithaltungsverpflichtungen keine Persönlichkeitsrechtsverletzung bedeutet.
VI. Fazit Zusammenfassend lässt sich somit festhalten: Während bezüglich der Meldepflichten nach dem vormaligen NADA-Code persönlichkeitsrechtliche Bedenken lediglich bezüglich einiger weniger Details bestanden, ist hinsichtlich der neu eingeführten Bereithaltungspflicht und der damit verbundenen Meldepflichten (noch) nicht erkennbar, welche erheblichen Vorteile hierdurch gegenüber der bisherigen Rechtslage erreicht werden. Wenn auch die Wertung des belgischen Kollegen de Saedeleer, der von einer „paranoiden, entwürdigenden und drakonischen“ Regelung spricht,39 etwas überspitzt erscheint, bedarf es tatsächlich des Nachweises der Erforderlichkeit der Neuregelung, ohne den sie sich als unzulässige Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung darstellt. ___________ 39 Vgl. Musiol, Verschärfung der Meldepflichten im Dopingkontrollverfahren, SpuRt 3/2009, S. 90, Fn. 2.
Doping im Breiten- und Freizeitsport Von Heiko Striegel I.
Einleitung ..........................................................................................................
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II. Studie zum Doping im Fitness-Sport 2002 .......................................................
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III. Resultate der Studie zum Doping im Fitness-Sport 2002 ..................................
34
IV. Randomized Response Technique zur Untersuchung von Doping im FitnessSport ..................................................................................................................
36
V. Studie zum Doping im Fitness-Sport 2007 .......................................................
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VI. Schlussfolgerungen ...........................................................................................
40
VII. Weiterführende Literatur...................................................................................
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I. Einleitung Der Gebrauch von Dopingsubstanzen, vor allem der Konsum anabolandrogener Steroide, hat sich in den letzten 30 Jahren zu einem epidemiologisch bedeutsamen und volkswirtschaftlich relevanten Problem westlicher Industrienationen entwickelt.1 Studien in angelsächsischen Ländern, insbes. in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien, konnten zeigen, dass die Einnahme von Dopingsubstanzen nicht nur ein großes Problem des Hochleistungsund Spitzensports darstellt, sondern auch zunehmend breitere Bevölkerungsschichten betrifft. In verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen konnte gezeigt werden, dass Dopingsubstanzen, insbes. anabole Substanzen, häufig von Fitness-StudioMitgliedern konsumiert werden.2 Hierbei handelt es sich um potentiell hoch to___________ 1 Buckley, W.E./Yesalis, C.E. III/Friedl, K.E./Anderson, W.A./Streit, A.L./Wright, J.E., Estimated prevalence of anabolic steroid use among male high school seniors. In: JAMA 1988, 260: 3441–3445; Terney, R./McLain, L.G., The use of anabolic steroids in high school students. In: Am J Dis Child 1990, 144: 99–103. 2 Kanayama, G./Gruber, A.J./Pope, H.G. Jr./Borowiecki, J.J./Hudson, J.I., Over-thecounter drug use in gymnasiums: an underrecognized substance abuse problem? In: Psychother Psychosom 2001, 70: 137–140; Korkia, P./Stimson, G.V., Indications of preva-
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Heiko Striegel
xische Substanzen, die erhebliche gesundheitliche Nebenwirkungen aufweisen und von der World Anti-Doping Agency und der Nationalen Anti-DopingAgentur auf der Verbotsliste geführt werden.3 In den zuvor genannten Studien fand sich eine Dopingprävalenz von 9–23 % bei Männern und 2–3 % bei Frauen. Überträgt man diese Zahlen auf Deutschland, so ist bei inzwischen knapp 6 Mio. Fitness-Studio-Mitgliedern4 von einer wesentlichen volkswirtschaftlichen Bedeutung des Dopingproblems in Deutschland auszugehen. Trotz dieser alarmierenden Zahlen wurden bisher nur wenige Versuche unternommen, das Problem des Dopings im Freizeit- und Fitness-Sport anzugehen. Für die Entwicklung Erfolg versprechender Anti-Doping-Präventionsprogramme ist es unerlässlich, den Umfang des Dopings im Fitness-Sport zu ermitteln und reliable Risikoprofile zu erstellen. Gerade im Falle der anabol-androgenen Steroide, der im Fitnessbereich am häufigsten konsumierten Substanzklasse, werden Dopendenprofile kontrovers diskutiert. In Studien an 14- bis 17-jährigen Schülern in den Vereinigten Staaten und Europa konnte gezeigt werden, dass der Gebrauch anabol-androgener Steroide generell mit dem Konsum anderer legaler Drogen wie Alkohol und Nikotin oder illegaler Drogen assoziiert ist,5 so dass von einem politoxikomanen Dopendenprofil ausgegangen werden kann. In anderen Studien fand sich dagegen lediglich eine Korrelation zwischen dem Konsum anabol-androgener Steroide und legaler Drogen6 bzw. androgen-anaboler Steroide und illegaler Drogen.7 Darüber hinaus wird argumentiert, dass die Konsumenten von Dopingsubstanzen mehr die Steigerung ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit im Blick haben als die Tatsache, dass sie durch die Einnahme von Dopingsubstanzen ihrer Ge___________ lence, practice and effects of anabolic steroid use in Great Britain. In: Int J Sports Med. 1997, 18: 557–562. 3 WADA, The 2011 prohibited List, www.wada-mam.org; NADA, Verbotsliste 2011, www.nada-bonn.de. 4 DSSV, Eckdaten Fitness-Studios 2008, www.dssv.de. 5 Durant, R.H./Rickert, V.I./Ashworth, C.S./Newman, C./Slavens, G., Use of multiple drugs among adolescents who use anabolic steroids. In: N Engl J Med. 1993, 328: 922– 926; Yesalis, C.E./Kennedy, N.J./Kopstein, A.N./Bahrke, M.S., Anabolic-androgenic steroid use in the United States. In: JAMA 1993, 270: 1217–1221; Bahrke, M.S./Yesalis, C.E./Kopstein, A.N./Stephens, J.A., Risk factors associated with anabolic-androgenic steroid use among adolescents. In: Sports Med. 2000, 29: 397–405; Nilsson, S./Baigi, A./Marklund, B./Fridlund, B., The prevalence of the use of androgenic anabolic steroids by adolescents in a county of Sweden. In: Eur J Public Health 2001, 11: 195–197. 6 Laure, P./Lecerf, T./Friser, A./Binsinger, C., Drugs, recreational drug use and attitudes towards doping of high school athletes. Int J Sports med 2004, 25: 133–138. 7 Wichstrom, L./Pedersen, W., Use of anabolic androgenic steroids in adolescence: Winning, looking good or being bad? J Stud Alcohol 2001, 62: 5–13.
Doping im Breiten- und Freizeitsport
33
sundheit schaden.8 Letztere Ansicht spricht eher für ein spezifisches als für ein generelles oder politoxikomanes Dopendenprofil. Für die Entwicklung von Präventions- und Interventionsprogrammen ist es hilfreich zu wissen, welche der beiden Ansichten der Wirklichkeit unter deutschen Fitness-Sportlern entspricht. Präventions- und Interventionsprogramme haben insbes. dann die Aussicht, erfolgreich zu sein, wenn die entsprechende Zielgruppe möglichst exakt charakterisiert ist. Dies trifft auf den Fall der Prävention und Intervention gegen Doping im Fitness-Sport insbes. deshalb zu, weil es sich bei der Gruppe der Fitness-Studio-Mitglieder hinsichtlich anthropometrischer Variablen, Sozialund Trainingsparameter nicht um eine homogene Population, sondern um eine heterogene Gruppe handelt.
II. Studie zum Doping im Fitness-Sport 2002 In einer groß angelegten Untersuchung wurden im Jahr 2002 Fitness-StudioMitglieder in 113 Fitness-Studios Süddeutschlands mit mehr als 90.000 Mitgliedern befragt. Die Einrichtungen reflektierten dabei das gesamte Spektrum der Fitness-Studios: reha- und gesundheitsorientierte Einrichtungen, FitnessAnlagen, gemischte Studios sowie reine Frauen-Studios. Die durchschnittliche Mitgliederzahl pro Studio betrug 797. Die Mitgliederzahlen schwankten dabei zwischen 250 und 2.500. Dies entsprach den offiziellen Zahlen des Deutschen Sport-Studio-Verbandes, der für das Jahr 2002 eine durchschnittliche Mitgliederzahl von 823 pro Fitness-Studio angibt. Insgesamt wurden 1802 anonymisierte Fragebögen an 2 % der Mitglieder des jeweiligen Studios durch die Studiobetreiber und Trainer ausgegeben. Um eine verhältnismäßige Verteilung der Fragebögen zu erreichen, wurden die Betreiber und Trainer zuvor ausführlich angewiesen, die Fragebögen entsprechend der Alters-, Geschlechts-, Trainingsalters- und Trainingshäufigkeitsstruktur der Mitglieder des jeweiligen Studios zu verteilen. Ausgeschlossen waren Sportler, die weniger als zwei Monate trainierten. Zur Beantwortung potentieller Fragen der Teilnehmer wurde eine 24-Stunden-Telefon-Hotline eingerichtet. Die Rückgabe der Fragebögen erfolgte anonym und kostenfrei auf dem Postweg an die Abteilung Sportmedizin der Medizinischen Universitätsklinik Tübingen. Ein Rückschluss auf Einzelpersonen war entsprechend der zuvor be___________ 8 Kanayama, G./Gruber, A.J./Pope, H.G. Jr./Borowiecki, J.J./Hudson J.I., Over-thecounter drug use in gymnasiums: an underrecognized substance abuse problem? In: Psychother Psychosom 2001, 70: 137–140.
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Heiko Striegel
schriebenen Vorgehensweise ausgeschlossen. Der Rücklauf der Fragebögen betrug 621 (34,5 %). Der Fragebogen war so konzipiert, dass er innerhalb von fünf bis zehn Minuten beantwortet werden konnte. Um eine statistische Auswertung zu gewährleisten, wurde vor allem auf eine geschlossene Frageform zurückgegriffen. Der Fragebogen war in fünf Unterpunkte gegliedert (Anthropometrische Daten, Soziale Indikatoren, Sportausübung, Drogen-/Dopingsubstanzeinnahme, Dopinganamnese).
III. Resultate der Studie zum Doping im Fitness-Sport 2002 Zwei Drittel der Befragten waren männlich (62,8 %). Das Durchschnittsalter aller Befragten betrug 33,7 Jahre, der Body Mass Index im Mittel 24,3 kg⋅m2. Der Median der Trainingsjahre lag bei sieben Jahren. Ein hoher Anteil (13,5 %) der Fitness-Studio-Mitglieder hatte bereits Dopingsubstanzen eingenommen. 98,5 % dieser Personen gaben den Gebrauch anaboler Substanzen entsprechend der Liste der Verbotenen Substanzen der World Anti-Doping Agency an.9 Hauptsächlich wurden anabole Steroide genannt, entweder allein (55,2 %) oder in Kombination mit anderen Substanzklassen wie Peptidhormonen, Diuretika oder Kortikosteroiden (28,4 %). Die übrigen 16,4 % der Dopingkonsumenten – mit Ausnahme eines Probanden, der ausschließlich den Gebrauch von Ephedrin nannte – gaben die Einnahme des anabol wirksamen Beta-2-Sympathomimetikums Clenbuterol an. 51,5 % gaben sowohl eine orale als auch eine parenterale Verabreichungsart an, während 35,3 % nur oral und 13,2 % ausschließlich parenteral Dopingsubstanzen konsumierten. Es fand sich eine höhere Anzahl Männer (19,2 %) als Frauen (3,9 %), die den Konsum von Dopingsubstanzen bejahten. Mit Ausnahme eines höheren Body Mass Index und eines höheren Körpergewichts ergab sich bei den Dopingkonsumenten jedoch kein weiterer signifikanter Zusammenhang zwischen den anthropometrischen Daten und der Einnahme von Dopingsubstanzen. In der folgenden Tabelle 1 sind die weiteren Basischarakteristika der befragten Fitness-Studio-Mitglieder zusammengefasst.
___________ 9
WADA, The 2011 prohibited List, www.wada-mam.org.
Doping im Breiten- und Freizeitsport
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Tabelle 1 Basischarakteristika der Fitness-Studio-Mitglieder Variable
No. (%)
Geschlecht
Variable
No. (%)
Trainingsfrequenz
Weiblich
231 (37,2)
Unregelmäßig
25 (4,1)
Männlich
390 (62,8)
1–2-mal pro Woche
139 (22,6)
3–4-mal pro Woche
311 (50,7)
5–6-mal pro Woche
115 (18,7)
Täglich
24 (3,9)
Schulabschluss Hochschulreife
203 (33,4)
Nationalität Deutsch
575 (92,6)
Nikotin Ja
Trainingsjahre ≤6
304 (52,3)
>6
277 (47,7)
Sportart
184 (30,0)
Alkohol Ja
479 (77,8)
Illegale Drogen
Fitnesstraining
458 (75,1)
Ja
Krafttraining
76 (12,5)
Kokain
Bodybuilding
76 (12,5)
Ja
75 (15,9)
21 (4,7)
Während sich zwischen den untersuchten sozialen Indikatoren und dem Konsum von Dopingsubstanzen keine signifikanten Zusammenhänge ergaben, zeigten sich diese für Parameter, die die Sportausübung betrafen: Je länger und je häufiger die Fitness-Studio-Mitglieder in Studios trainierten, desto wahrscheinlicher war der Konsum von Dopingsubstanzen. Mehr als die Hälfte der Sportler, die als Sportart Bodybuilding angaben (52,6 %), aber nur 10,5 % der Sportler, die Krafttraining und 7,9 % derjenigen, die Fitnesstraining als Sportart angaben, bejahten die Einnahme von Dopingsubstanzen. Legale Drogen zeigten keinen positiven Zusammenhang zum Konsum von Dopingsubstanzen. Für die legale Droge Alkohol fand sich sogar ein signifikant negativer Zusammenhang. 24,1 % derjenigen Fitness-Studio-Mitglieder, die keinen Alkohol tranken, aber nur 10,0 % der unregelmäßigen und 12,4 % der regelmäßigen Alkoholkonsumenten bejahten die Verwendung von Dopingsubstanzen. Hinsichtlich illegaler Drogen zeigte sich lediglich für den Konsum von Kokain ein signifikanter Zusammenhang zur Einnahme von Dopingsubstanzen.
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Heiko Striegel
Unter Anwendung logistischer Regressionsanalysen wurde der Zusammenhang zwischen der Einnahme von Dopingsubstanzen und möglichen Einflussfaktoren weiter untersucht. Hierbei ergab sich ein positiver Zusammenhang zwischen der Einnahme von Dopingsubstanzen und Body Mass Index, Kokainkonsum, Trainingsjahren, Trainingsfrequenz und Bodybuilding sowie ein negativer Zusammenhang zum Konsum von Alkohol, Hochschulreife und deutscher Nationalität. Dabei zeigte die Odds Ratio für die abhängige Variable Dopingsubstanzeinnahme für Personen, die den Konsum von Kokain bejahten, einen beinahe 30-fach höheren Wert als für diejenigen, die den Kokaingebrauch verneinten. Im Gegensatz hierzu lag die Odds Ratio für den Parameter Alkoholkonsum bei nur 0,3. Der Parameter „illegaler Drogenkonsum“ zeigte einen signifikanten Einfluss auf die Einnahme von Dopingsubstanzen. Als Bezugsquellen gaben 48,1 % der Dopingkonsumenten an, diese Substanzen illegal aus dem Gesundheitswesen erhalten zu haben. Zu 48,7 % erhielten diese Personen die Wirkstoffe von Ärzten auf Rezept, 33,3 % aus Apotheken ohne Rezept, weitere 10,3 % nannten beide Bezugswege. 7,7 % der Befragten erhielten die Dopingsubstanzen aus der Apotheke unter Verwendung eines Rezepts, jedoch ohne Verschreibung durch Ärzte. Exakt die Hälfte der Sportler, die als Bezugsquelle für Dopingsubstanzen den Schwarzmarkt nannten, bezogen diese ausschließlich von anderen Fitness-Studio-Mitgliedern, während 28,6 % ihre Wirkstoffe von externen Dealern erhielten. 21,4 % nannten beide der vorgenannten Bezugsquellen. Als Hauptmotive für den Gebrauch von Dopingsubstanzen wurden Verbesserung des Aussehens (45,1 % der Männer und 39,0 % der Frauen) und Kraftzuwachs (42,6 % der Männer und 6,9 % der Frauen) genannt. Sportliche Erfolge, Verbesserung der Ausdauerleistungsfähigkeit und Leistungsstagnation spielten dagegen eine eher untergeordnete Rolle. Als Informationsquellen wurden sowohl von Frauen als auch von Männern vor allem Ärzte und Trainer genannt. Andere Informationsquellen – z. B. andere Sportler, eigenes Literaturstudium, Freunde, Partner, Eltern oder das Internet – spielten dagegen eine eher untergeordnete Rolle.
IV. Randomized Response Technique zur Untersuchung von Doping im Fitness-Sport Bei sensiblen Fragestellungen – so z. B. bei Fragen zum Konsum von Dopingsubstanzen – ergibt sich das Problem, dass die untersuchten Personen diese Fragen trotz vollständiger Anonymisierung im Rahmen von Befragungen mittels Fragebögen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht wahrheitsgemäß beantworten.10 Das hierdurch entstehende sog. Dunkelfeld hat negativen Ein-
Doping im Breiten- und Freizeitsport
37
fluss auf die Aussagefähigkeit der ermittelten Ergebnisse. Im konkreten Fall wird also das Dopingproblem im Freizeit- und Fitness-Sport möglicherweise unterschätzt. Durch zusätzliche Untersuchungen mittels einer in der Psychologie entwickelten Untersuchungstechnik, der sog. Randomized Response Technique (RRT), lässt sich das beschriebene Dunkelfeld abschätzen. Die RRT wurde 1965 von Warner11 entwickelt und seither in verschiedensten sensiblen Bereichen von zahlreichen Untersuchern zur Gewinnung von Daten zur Anzahl von Schwangerschaftsabbrüchen und zum Gebrauch legaler und illegaler Drogen angewandt.12 Die RRT wird als persönliches Interview durchgeführt. Dabei sitzen sich Untersucher und zu untersuchende Person gegenüber. Der Proband wird zunächst über die durchzuführende Befragung, insbes. über deren vollkommene Anonymität aufgeklärt. Anschließend werden ihm 20 Karten vorgelegt, von denen 15 auf der Vorderseite mit der Zahl „1“ und 5 mit der Zahl „2“ beschriftet sind. Die Rückseite der Karten ist identisch. Die Karten werden gemischt und die zu untersuchende Person wird aufgefordert, eine der Karten aus dem Kartenstapel zu ziehen. Je nachdem, ob eine Karte mit der Zahl „1“ oder mit der Zahl „2“ gezogen wird, soll die erste oder die zweite von zwei vorgegebenen Fragen beantwortet werden. Beide Fragen können jeweils nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden. Anschließend wird die Antwort auf einem separaten Blatt dokumentiert. In unseren Untersuchungen wurden den Probanden in gleicher Vorgehensweise insgesamt fünf Fragenpaare (zu Doping, illegalen Drogen, Kokain, Alkohol, Nikotin) gestellt, die jeweils eine sensible und eine neutrale Frage enthielten. Aus dem statistisch zu berechnenden Anteil der Probanden, die die sensible Frage beantworteten, dem Anteil der Probanden, die insgesamt mit „Ja“ antworteten und der statistischen Wahrscheinlichkeit der Beantwortung der neutralen Frage mit „Ja“ lässt sich mathematisch berechnen, wie häufig die sensible Frage im untersuchten Probandenkollektiv mit „Ja“ beantwortet wurde. Auf diese Weise wurden insgesamt 500 Personen in 49 der 113 FitnessStudios, die schon als Probandenkollektiv für die Befragung mittels anonymer Fragebögen dienten, befragt (jeweils 1 % der Mitglieder des jeweiligen Stu___________ 10 Nordlund, S./Holme, I./Tmasfoss, S., Randomized response estimates for the purchase of smuggled liquor in Norway. Addiction 1994, 89: 401–405. 11 Warner, S.L., Randomized response: A survey technique for eliminating evasive answer bias. J Amer Stat Assoc 1965, 60: 63–69. 12 Liu, P.T./Chow, L.P., A new discrete quantitative radomized response model. J Amer Stat Assoc 1976, 71: 72–73; Volicer, B.J./Volicer, L., Randomized response technique for estimating alcohol use and noncompliance in hypertensives. J Stud Alcohol 1982, 43: 739–750.
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Heiko Striegel
dios). Um tageszeitliche Änderungen der Besucherstrukturen möglichst klein zu halten, wurden die Fitness-Studios zu unterschiedlichen Tageszeiten aufgesucht. Hinsichtlich der Basischarakteristika zeigten sich zwischen den in der Befragung mittels anonymer Fragebögen und den in der RRT-Untersuchung befragten Probanden nur marginale Unterschiede, so dass die beiden Probandenkollektive als vergleichbar angesehen werden können. In Tabelle 2 sind die Basischarakteristika im Vergleich dargestellt. Tabelle 2 Basischarakteristika der Fitness-Studio-Mitglieder im Vergleich Variable
Fragebogen
RRT-Untersuchung
Weiblich
231 (37,2 %)
347 (69,4 %)
Männlich
390 (62,8 %)
153 (30,6 %)
Alter (Jahre)
33,6 ± 10,6
32 ± 11,0
Größe (cm)
176,0 ± 9,0
176,4 ± 9,1
Gewicht (kg)
75,7 ± 17,3
75,96 ± 15,0
Geschlecht
Anthropometrische Daten
Die Ergebnisse der persönlichen Befragung mittels RRT sind in Tabelle 3 dargestellt. Es ergab sich eine Dopingprävalenz von 12,5 %. Dies entspricht den in der Befragung mittels Fragebögen gefundenen Ergebnissen. Gleiches gilt für die Fragen nach Nikotin- und Alkoholkonsum. Auch hier ergaben sich in beiden Befragungstechniken vergleichbare Ergebnisse. Im Gegensatz hierzu fanden sich im Hinblick auf illegalen Drogenkonsum im Allgemeinen und Kokainkonsum im Speziellen bei den Fragen mittels RRT etwa dreimal höhere Werte als bei der Befragung mittels Fragebögen (41,3 % vs. 15,9 % für Drogen im Allgemeinen bzw. 14,6 % vs. 4,7 % für Kokainkonsum).
Doping im Breiten- und Freizeitsport
39
Tabelle 3 Anonyme Fragebögen und RRT-Untersuchung – Vergleich der Ergebnisse Variable
Fragebogen
RRT-Untersuchung
Doping „ja“
13,5 %
12,5 %
Illegale Drogen „ja“
15,9 %
41,3 %
Kokain „ja“
4,7 %
14,6 %
Rauchen „ja“
30,0 %
27,5 %
Alkohol „ja“
77,8 %
69,6 %
V. Studie zum Doping im Fitness-Sport 2007 Als 5-Jahres-Follow-Up-Untersuchung zum Doping im Fitness-Sport wurden im Jahr 2007 dieselben Fitness-Studios wie in der Untersuchung im Jahr 2002 kontaktiert. Dabei konnten 2007 noch 93 Studios, teilweise unter neuer Adresse oder mit anderem Namen, ausfindig gemacht werden. Von diesen 93 Fitness-Studios nahmen 84 mit mehr als 73.000 Mitgliedern an der Folgestudie teil. 9 Studios verweigerten die Teilnahme. Die Sportler wurden in der gleichen Vorgehensweise wie bereits in der Untersuchung im Jahre 2002 mittels anonymer Fragebögen befragt. Der Fragebogenrücklauf betrug 30,0 %. Der wesentliche Unterschied im Vergleich zu der Untersuchung im Jahre 2002 war zunächst die Reduktion der Prävalenz dopender Fitness-Sportler von 13,5 % auf 10,8 % im Jahre 2007. Der Anteil der aus dem Gesundheitswesen stammenden Dopingsubstanzen reduzierte sich um ca. 15 % auf nun 36,2 %. In Bezug auf den Konsum von Alkohol ergaben sich zwischen beiden Untersuchungszeitpunkten keine wesentlichen Unterschiede (30,0 % 2002 vs. 29,1 % 2007). Gleiches galt auch für den Nikotinkonsum (77,8 % 2002 vs. 84,7 % 2007). Im Gegensatz hierzu ergab sich ein Anstieg von 15,9 % (2002) auf 24,3 % (2007) der Probanden, die illegale Drogen konsumierten. Dieser Anstieg war wesentlich auf den Gebrauch von Cannabinoiden (15,9 % 2002 vs. 24,3 % 2007) und Kokain (4,7 % 2002 vs. 8,2 % 2007) zurückzuführen. Aufgrund der differierenden Ergebnisse beim Vergleich zwischen anonymen Fragebögen und RRT-Untersuchung hinsichtlich der Prävalenz des Konsums von Dopingsubstanzen und illegalen Drogen wurden die Probanden in der Untersuchung mittels anonymer Fragebögen 2007 nach rechtlichen Schwierigkeiten hinsichtlich des Gebrauchs von Dopingsubstanzen einerseits und illegalen Drogen andererseits befragt. Die Analyse der Antworten ergab, dass bereits 5,7 % der Befragten rechtliche Schwierigkeiten hinsichtlich des Konsums ille-
40
Heiko Striegel
galer Drogen angaben, wohingegen nur 0,4 % dies in Bezug auf Dopingsubstanzen bejahten.
VI. Schlussfolgerungen Die dargestellten Untersuchungen haben gezeigt, dass Doping ein ernsthaftes, zunehmendes Problem des deutschen Fitness-Sports darstellt. Sowohl aus ökonomischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten als auch aus gesundheitspräventiver Sicht sind daher nicht nur im Leistungssport, sondern auch im Fitness-Sport dringend Anti-Doping-Maßnahmen notwendig. Dabei kommen, anders als im Leistungssport, nur Dopingsanktionen auf der Basis staatlicher Gesetze und präventive Anti-Doping-Maßnahmen in Frage, da im Freizeitsport Dopingkontrollen bereits aus finanziellen Gründen nicht durchführbar sind. Dopingsubstanzen, vor allem die im Fitness-Sport am häufigsten gebrauchte Substanzgruppe der anabol-androgenen Steroide, können zu erheblichen gesundheitlichen Schädigungen führen. Insbesondere wenn mehrere Substanzen gleichzeitig konsumiert werden, besteht die Gefahr einer Risikopotenzierung. Die Spanne der möglichen Nebenwirkungen reicht dabei von vorübergehenden Beeinträchtigungen wie Schlafstörungen oder Aggressionszuständen bis hin zu schwerwiegenden, dauerhaften Schäden an verschiedensten Organsystemen, die in Einzelfällen auch zum Tode führen können. Im Interesse eines sinnvollen Umgangs mit finanziellen Ressourcen ist es für eine gezielte Bekämpfung des Dopings im Freizeit-Sport zunächst erforderlich, den konkreten Umfang des Einsatzes von Dopingsubstanzen zu bestimmen. Dies ist nicht unproblematisch, da in sensiblen Themenbereichen wie dem Dopingsubstanz- oder Drogenkonsum davon ausgegangen werden kann, dass selbst bei anonymen Befragungen ein gewisser Anteil der befragten Personen nicht ehrlich antwortet und damit die Zahl der Dopenden oder Drogenkonsumenten unterschätzt wird. Diese in der Kriminologie als Dunkelfeld bezeichnete Anzahl nicht erfasster Dopingsubstanz- und Drogenkonsumenten lässt sich mithilfe aus der Psychologie stammender Untersuchungstechniken näher bestimmen. Eine dieser Methoden ist die sog. Randomized Response Technique, eine persönliche Befragung, die derart anonymisiert ist, dass der Untersucher nicht weiß, ob eine einzelne Person Dopingsubstanzen oder Drogen konsumiert, sich die Zahl der Konsumenten jedoch aus der Gesamtheit der Befragten abschätzen lässt. Ist die Zahl dopender Sportler bekannt, so schließt sich die Frage an, mit welchen Methoden sich der Substanzmissbrauch in zu betrachtenden Subpopulationen von Fitness-Sportlern begrenzen lässt. Dabei ist zu berücksichtigen, welche sozialen Kontrollmechanismen den Dopingsubstanzkonsum unterstüt-
Doping im Breiten- und Freizeitsport
41
zen bzw. diesen begrenzen. Von besonderem Interesse sind dabei die Motive der Sportler, Dopingsubstanzen zu konsumieren, aber auch deren Informationsund Bezugsquellen für Dopingsubstanzen. Wichtig ist zudem der Zusammenhang zwischen Doping und dem Konsum anderer legaler und illegaler Drogen, da diese möglicherweise Anhaltspunkte hinsichtlich der Zugehörigkeit und Integration in gesellschaftliche (Sub-)Gruppen liefern. Da es sich beim Doping im Fitness-Sport überdies nicht um ein statisches Gebilde handelt, das sich im Laufe der Zeit unverändert darstellt, es vielmehr wie andere Bereiche unserer Gesellschaft einem stetigen Wandel unterworfen ist, müssen einmal erhobene Zahlen in gewissen zeitlichen Abständen überprüft werden. Die dargestellten Studien verdeutlichen, dass sich in Abhängigkeit von der Untersuchungstechnik ein unterschiedlich großes Dunkelfeld an Sportlern ergibt, die trotz der selbst durch die Befragung mittels anonymer Fragebögen gewährleisteten Unmöglichkeit, auf Einzelpersonen zurückzuschließen, keine wahrheitsgemäßen Antworten geben. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass sich in Bezug auf den Konsum illegaler Drogen aufgrund der dreifach höheren Prävalenz in der RRT-Untersuchung statistische Zusammenhänge zu anderen Parametern nur sehr eingeschränkt verwerten lassen. Dagegen ergeben sich für den Gebrauch von Dopingsubstanzen und legalen Drogen in der RRTUntersuchung und in der Befragung mittels anonymer Fragebögen sowie in der 5-Jahres-Follow-Up-Untersuchung vergleichbare Prävalenzen, so dass insoweit von einem eher geringen Dunkelfeld ausgegangen werden kann. Statistische Zusammenhänge zu anderen Parametern, die wiederum Einfluss auf zukünftige Anti-Doping-Maßnahmen haben können, scheinen damit auf einer verlässlichen Datenbasis zu beruhen. Aus präventiver Sicht lassen sich auf der Basis der dargestellten DopendenProfile gezielt sowohl präventive als auch repressive Maßnahmen einleiten. In präventiver Hinsicht ist es notwendig, nicht nur Fitness-Sportler selbst, sondern auch deren wesentliche Informations- und Bezugsquellen über die potentiellen langfristigen Nebenwirkungen von Dopingsubstanzen zu informieren. Diese Maßnahmen sollten die Entwicklung und Stärkung der Eigenverantwortung der Sportler zum Ziel haben. Aus repressiver Sicht ist zu berücksichtigen, dass der Gebrauch und die Weitergabe von Dopingsubstanzen bereits jetzt strafrechtlichen Sanktionen unterliegen. Doping kann nach den Vorschriften des allgemeinen Strafrechts, aber auch des Nebenstrafrechts – Arzneimittelgesetz und Betäubungsmittelgesetz – geahndet werden. Eine weitere Verschärfung des Arzneimittelgesetzes und des Betäubungsmittelgesetzes und deren konsequente Umsetzung durch die Strafverfolgungsorgane sowie die Erweiterung der Befugnisse der Strafverfolgungsorgane durch Änderung der Strafprozessordnung könnten sinnvoll sein.
42
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Die beginnende Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Dopingdelikte sowie die Änderung des Arzneimittelgesetzes mit der Besitzstrafbarkeit nicht geringer Mengen an Dopingsubstanzen sind erste Ansätze in diese Richtung. Über diese Maßnahmen hinaus könnten sich erweiterte Möglichkeiten der Überwachung des Fernmeldeverkehrs und des Einsatzes verdeckter Ermittler in Bezug auf die Herstellung und den Vertrieb anabol-androgener Steroide als sinnvoll erweisen. Überdies wäre ein eigenständiges Anti-DopingGesetz zwar aus rein juristischer Sicht nicht notwendig, könnte jedoch in der Öffentlichkeit eine gesteigerte Entschlossenheit des Staates zur Bekämpfung des Dopings darstellen.
VII. Weiterführende Literatur Ebenbichler, C.F./Sturm, W./Ganzer, H./Bodner, J./Mangweth, B./Ritsch, A./Sandhofer, A./Lechleitner, M./Foger, B./Patsch, J.R.: Flow-mediated, endothelium-dependent vasodilatation is impaired in male body builders taking anabolic-androgenic steroids, in: Atherosclerosis 2001, 158: 483–490. Jarernsiripornkul, N./Krska, J./Capps, P.A./Richards, R.M./Lee, A.: Patient reporting of potential adverse drug reactions: a methodological study, in: Br J Clin Pharmacol. 2002, 53: 318–325. Korkia, P.: Use of anabolic steroids has been reported by 9 % of men attending gymnasiums, in: BMJ 1996, 13: 1009. Negus, S.S./Pope, H.-G.J./Kanayama, G./Wines, J.-D.J./Fischer, B.D.: Lack of evidence for opioid tolerance or dependence in rhesus monkeys following high-dose anabolicandrogenic steroid administration, in: Psychoneuroendocrinology 2001, 26: 789–796. Nilsson, S.: Androgenic anabolic steroid use among male adolescents in Falkenberg, in: Eur J Clin Pharmacol 1995, 48: 9–11. Pinikahana, J./Happell, B./Carta, B.: Mental health professionals' attitudes to drugs and substance abuse, in: Nurs Health Sci 2002, 4: 57–62.
Der Sportboothafen Umweltbezogene Planungs- und Genehmigungsfragen Von Rainer Bökel∗ I.
Einleitung und Themeneingrenzung .................................................................
II. Wasserrechtliche Zulassungsverfahren ............................................................. 1.
44 46
Zulassungsverfahren und Zulassungsentscheidungen................................
47
a)
Konditionale Zulassungsverfahren .....................................................
47
b)
Abwägungsdirigierte Zulassungsverfahren ........................................
48
2.
Wasserstraßenrecht des Bundes .................................................................
49
3.
Wasserhaushaltsrecht.................................................................................
52
a)
Gewässerausbau .................................................................................
53
b)
Anlagengenehmigung nach Landesrecht ............................................
54
c)
Verhältnis der Verfahren untereinander .............................................
58
Zusammenfassung .....................................................................................
58
III. Raumordnungsverfahren ...................................................................................
59
4. 1.
Allgemeines ...............................................................................................
59
2.
Pflicht zur Durchführung eines Raumordnungsverfahrens ........................
61
3.
Ablauf des Raumordnungsverfahrens ........................................................
64
a)
Allgemeines .......................................................................................
64
b)
Vorprüfungsverfahren ........................................................................
64
c)
Eigentliches Raumordnungsverfahren................................................
66
Zusammenfassung .....................................................................................
66
IV. Umweltprüfungen .............................................................................................
67
4. 1.
Gemeinschaftsrecht ...................................................................................
67
2.
Sinn und Zweck .........................................................................................
67
___________ ∗ Der Beitrag basiert auf dem Vortrag vom 18.06.2009. Spätere Gesetzesänderungen bis zum 31.12.2010 sind berücksichtigt, auf inhaltliche Änderungen wird hingewiesen.
44
Rainer Bökel 3.
Abgrenzung ...............................................................................................
67
4.
UVP-Pflicht ...............................................................................................
68
5.
SUP-Pflicht................................................................................................
69
6.
Umweltprüfung im Raumordnungsverfahren ............................................
70
7.
Verhältnis der durchzuführenden Verfahren untereinander .......................
73
V. Ergebnisse .........................................................................................................
75
I. Einleitung und Themeneingrenzung Der Sportbetrieb als solcher steht nicht im leeren Raum. Abhängig von der jeweiligen Sportart stellt er unterschiedliche Anforderungen an den Raum, in dem er betrieben wird, und an die Infrastruktur, die ihm zugrunde liegt. Zu den Sportarten, die besondere Anforderungen an Raum und Infrastruktur mit sich bringen, gehören der Segelsport und der Motoryachtsport. Sie setzen Sportboothäfen voraus. Sportboothäfen dienen zugleich als Schnittstelle zwischen Leistungssport, Breitensport, Freizeitsport und sonstiger Freizeitaktivität ohne explizit sportlichen Charakter. Zudem haben sie für Städte und Gemeinden einen allgemein touristischen und städtebaulichen Wert, werfen aber auch Konflikte auf. Diese im Tatsächlichen vielschichtigen Funktionen, Werte und Konflikte spiegeln sich auch in der rechtlichen Komplexität der Planung und Genehmigung von Sportboothäfen wider. Jeder hat sein eigenes Bild vom Sportboothafen und diese Bilder unterscheiden sich so sehr voneinander, wie einzelne Sportboothäfen unterschiedliche Funktionen in den Vordergrund stellen und sich damit ihrerseits voneinander unterscheiden. Dennoch gibt es eine gemeinsame Basis, auf der alle Bilder vom Sportboothafen aufbauen. Diese gemeinsame Basis lässt sich in Anlehnung an § 140a Abs. 2 des Landeswassergesetzes (LWG SH) Schleswig-Holstein1 wie folgt definieren: „Sportboothäfen sind Wasser- und Grundflächen, die als ständige Anlege- oder zusammenhängende Liegeplätze für Sportboote bestimmt sind oder benutzt werden.“
___________ 1
Wassergesetz des Landes Schleswig-Holstein (Landeswassergesetz) in der Fassung vom 11.02.2008, GVOBl. 2008, S. 91, zuletzt geändert durch Artikel 26 des Gesetzes vom 17.12.2010, GVOBl. S. 789, Zuständigkeiten und Ressortbezeichnung ersetzt durch Landesverordnung vom 15.12.2010, GVOBl. S. 850.
Der Sportboothafen
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Ergänzend lässt sich § 36 Abs. 2 S. 2 des Landesnaturschutzgesetzes (LNatSchG SH) Schleswig-Holstein2 heranziehen: „Sportboote sind, unabhängig von der Antriebsart, Wasserfahrzeuge jeder Art, die für Sport- und Freizeitzwecke bestimmt sind.“
Bei der Planung und Errichtung solcher Sportboothäfen stellen sich komplexe Rechtsfragen, die auch Praktiker anderer Berufsgruppen, insbesondere planende Ingenieure und Architekten, in großem Maße beschäftigen. Es gibt in der ingenieurwissenschaftlichen Literatur zwei neuere Werke, die sich dem Thema Sportboothäfen aus verschiedenen Blickrichtungen der Planung und Errichtung nähern.3 Beide Werke nehmen für sich nicht in Anspruch, Rechtsfragen zum Thema Sportboothäfen abschließend zu klären, doch beide wollen dem Planer einen kurzen rechtlichen Leitfaden zur Planung von Sportboothäfen an die Hand geben. Die Komplexität der Rechtsfragen zeigt sich nun darin, dass beide Werke unterschiedliche Zulassungsverfahren als notwendige Verfahren aufführen und zudem einige zumindest potenziell notwendige Verfahren gar nicht nennen. Einen Ausschnitt aus den durchzuführenden Planungs- und Zulassungsverfahren für Sportboothäfen liefert dieser Vortrag. Er gliedert sich in drei Teile, die jeweils einen direkten oder indirekten Umweltbezug haben: Den ersten Teil bildet die wasserrechtliche Zulassung von Sportboothäfen, als zweiter Teil folgt das Raumordnungsverfahren für Sportboothafenprojekte und als abschließender dritter Teil das Thema der Umweltprüfungen für ein Sportboothafenprojekt. Der wasserrechtliche Einstieg in das Thema ist trotz der ursprünglich nicht umweltrechtlichen Zielsetzung des Wasserrechts4 heutzutage auch dem Kern des Umweltrechts zuzurechnen. Das Raumordnungsverfahren, der mittlere Teil, entstammt nach seiner systematischen Einordnung hingegen nicht dem Umweltrecht. Im Raumordnungsverfahren können aber Umweltbelange praktisch dominieren und es ist für Umweltprüfungen von besonderem praktischem Wert als Trägerverfahren. Im Raumordnungsverfahren erhalten tatsächliche Umweltbelange ihre verfahrens___________ 2 Gesetz zum Schutz der Natur (Landesnaturschutzgesetz – LNatSchG) vom 24.02.2010, GVOBl. 2010, S. 301; entspricht § 45 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes zum Schutz der Natur (Landesnaturschutzgesetz – LNatSchG) vom 06.03.2007, GVOBl. 2007, S. 136. 3 Haass, Planungshandbuch für Sportboothäfen und Marinas – Ein Leitfaden zu Standortplanung, Entwurf und Konstruktion, Bremen 2003; Wüstenberg, Praxis der Standortwahl von Sportboothäfen im Küstenbereich Mecklenburg-Vorpommerns und Entwicklung einer Bewertungsmethode als Planungshilfe, Diss. agr. Rostock 2008. 4 Laskowski/Ziehm, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 2. Aufl., Köln u.a. 2007, § 5, Rn. 48.
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rechtliche Einbettung. Es ist damit selbst nicht Teil des Umweltrechts, dient aber (auch) dem Umweltrecht.
II. Wasserrechtliche Zulassungsverfahren Das Wasserrecht ist in seiner historischen Entwicklung zunächst kein Umweltrecht gewesen, sondern es diente als Wasserwirtschaftsrecht der Regelung des wirtschaftlichen Ge- und Verbrauchs des Wassers und als Wasserstraßenrecht der Regelung des Gebrauchs der Gewässer als Verkehrsweg. Gegenstand des Wasserwirtschaftsrechts war und ist das Entnehmen von Wasser, das Einleiten von Wasser und das Aufstauen und Umlenken von Fließgewässern, während das Wasserstraßenrecht den Bau und die Unterhaltung von Gewässern ausschließlich mit Blick auf ihre Funktion als Verkehrsweg für die Fracht- und Passagierschifffahrt regelt. Ein einheitliches Wasserrecht, das das gesamte Umweltmedium Wasser umfasste, gab es ursprünglich nicht.5 Das spiegelt sich auch heute noch in den im Wasserrecht nur beschränkten Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und in den zwischen Bund und Ländern zersplitterten Kodifikationen wider, in denen das Wasserrecht heute enthalten ist.6 Trotzdem ist insbesondere das Wasserwirtschaftsrecht7, aber auch das Wasserstraßenrecht8 heute in großem Maße (auch) umweltrechtlich geprägt und beide ergeben im Zusammenspiel einen weitgehend umfassenden Schutz des Umweltmediums Wasser. Die aus den geteilten Gesetzgebungskompetenzen herrührenden mehrfachen Kodifikationen führen auch zu einer komplexen Vielzahl von Verfahren in der wasserrechtlichen Zulassung von Anlagen.
___________ 5
Czychowski/Reinhardt, Wasserhaushaltsgesetz, 9. Aufl., München 2007, Einl., Rn. 1 ff. 6 Siehe dazu Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl., München 2004, Rn. 2 ff.; Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, Stuttgart 2003, Einl., Rn. 2. 7 Kotulla (Fn. 6), Einl., Rn. 1; Laskowski/Ziehm (Fn. 4), § 5, Rn. 48; vgl. dazu auch Breuer (Fn. 6), Rn. 7 ff.; Czychowski/Reinhardt (Fn. 5), Rn. 9 ff. 8 Friesecke, Umweltschutz an Bundeswasserstraßen, NuR 1993, 6, 9 ff.; ders., Bundeswasserstraßengesetz, 6. Aufl., Köln 2009, Einl., Rn. 42 ff.
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1. Zulassungsverfahren und Zulassungsentscheidungen Ein Sportboothafen bedarf der wasserrechtlichen Zulassung durch die zuständige Behörde.9 Diese Zulassung wird in einem oder mehreren Zulassungsverfahren erteilt, an deren Ende jeweils die abschließende Zulassung eines Sportboothafenprojektes oder eines abgeschlossenen Teils davon steht. Zu diesem Zweck bedient sich das Wasserrecht verschiedener Zulassungsverfahren und Zulassungsentscheidungen, abhängig von der Art des zuzulassenden Vorhabens.
a) Konditionale Zulassungsverfahren Eine Art des Zulassungsverfahrens ist das konditionale Zulassungsverfahren10: Wenn ein Vorhaben bestimmte, im Tatbestand festgesetzte Voraussetzungen erfüllt, dann muss die zuständige Behörde es grundsätzlich zulassen.11 Das bekannteste Beispiel für ein solches Verfahren außerhalb des Wasserrechts ist das Baugenehmigungsverfahren. Im Baugenehmigungsverfahren wird geprüft, ob ein Bauvorhaben bauplanungsrechtlich und bauordnungsrechtlich zulässig ist und bestimmte weitere öffentlich-rechtliche Normen einhält. Am Ende des Verfahrens steht, wenn das Vorhaben zulässig ist, die Baugenehmigung. Ähnliche Verfahren normiert auch das Wasserrecht. Diese Verfahren enden mit der Zulassung eines Vorhabens durch Erlaubnis12, Bewilligung13 oder Genehmigung14, jeweils in Form eines einfachen Verwaltungsakts. Zur Abgrenzung ist klarzustellen, dass konditionale Zulassungsverfahren zumeist, aber nicht stets eine gebundene Zulassungsentscheidung vorsehen. Bei repressiven Verbo___________ 9 Siehe dazu etwa Melsheimer, Rechtsfragen der Zulassung von Sportbootsteganlagen an und in Gewässern, ZfW 2003, 65 ff.; Haass (Fn. 3), S. 11; Wüstenberg (Fn. 3), S. 52 ff. 10 Siehe zur Abgrenzung der Zulassungsverfahren etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 01.09.2005 – 7 KS 220/02 –, NuR 2006, 125. 11 OVG Lüneburg, Urteil vom 28.05.2008 – 12 LB 64/07 –, zitiert nach juris, Rn. 36; OVG Weimar, Beschluss 24.08.2007 – 1 EO 563/07 –, LKV 2008, 321, 322; OVG Lüneburg, Beschluss vom 07.10.2004 – 1 ME 169/04 –, NVwZ-RR 2005, 90, 92; VGH Kassel, Beschluss vom 27.09.2004 – 2 TG 1630/04 –, zitiert nach juris, Rn. 31; VG München, Beschluss vom 12.09.2008 – M 1 SN 08.4026 –, zitiert nach juris, Rn. 19; VG München, Urteil vom 20.12.2006 – M 9 K 05.3982 –, zitiert nach juris, Rn. 37. 12 §§ 8, 10 Abs. 1 WHG in der geltenden Fassung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 31.07.2009, BGBl. I S. 2585, zuletzt geändert durch Artikel 12 des Gesetzes vom 11.08.2010, BGBl. I S. 1163. 13 §§ 8, 10 Abs. 1 WHG. 14 Z.B. §§ 60 Abs. 3 WHG; im Landesrecht z.B. § 56 LWG SH, § 139 Abs. 2 LWG SH.
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ten mit Befreiungsvorbehalt kann auch in konditionalen Zulassungsverfahren ein Versagungsermessen der zuständigen Behörden bestehen.
b) Abwägungsdirigierte Zulassungsverfahren Von den konditionalen Zulassungsverfahren zu unterscheiden sind die im Fachplanungsrecht vorherrschenden finalen Planverfahren. Sie führen, wenn das Vorhaben materiell rechtmäßig und zulassungsfähig ist, ebenfalls zu einer abschließenden behördlichen Zulassung eines Vorhabens. Der Unterschied zum konditionalen Verfahren besteht darin, dass im finalen Planverfahren nicht ein konditionales Prüfprogramm zum Ergebnis führt, sondern dass zunächst ein Plan über das Vorhaben erstellt und dann eine abwägungsdirigierte Entscheidung über diesen Plan getroffen wird. Die Zulassungsbehörde muss in ihrer Abwägung alle durch das Vorhaben berührten und in der Abwägung erheblichen Belange auf Konflikte mit dem Vorhaben prüfen und diese Konflikte dann durch eine Abwägungsentscheidung über den Plan lösen.15 Die Planfeststellungsbehörde ist bei dieser Abwägung nicht strikt an den eingebrachten Plan des Vorhabenträgers gebunden, sondern darf eigene Planungsvorstellungen einbringen. Insbesondere wenn der Vorhabenträger mit seinem Vorhaben Konflikte mit anderen Belangen auslöst, muss die Planfeststellungsbehörde zum Zwecke der Konfliktlösung vom Plan des Vorhabenträgers abweichen. Das führt dazu, dass der Vorhabenträger in einem finalen Planverfahren meist keinen Anspruch auf die Zulassung seines Plans hat16 und in vielen Fällen seinen Plan auch nicht im Einzelnen so umsetzen kann, wie es anfangs vorgesehen war. Die Planfeststellungsverfahren enden im Normalfall mit einem Planfeststellungsbeschluss. Der Planfeststellungsbeschluss kommt in einem förmlich geregelten Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung und Beteiligung anderer Behörden zustande und ist in seinen Rechtswirkungen ein Verwaltungsakt. Weil ihm aber eine planende Abwägung vorausgeht, ist der Planfeststellungsbeschluss – um den Vergleich von eben wieder aufzugreifen – grob ___________ 15 BVerwG, Beschluss vom 11.08.2004 – 4 B 55/04 –, BauR 2005, 832, 833; BVerwG, Urteil vom 01.08.2002 – 4 C 5/01 –, BVerwGE 117, 25, 29 ff.; VGH München, Beschluss vom 02.04.2003 – 22 ZB 03. 229 –, NVwZ 2003, 1280; Büchner, Rechtliche Instrumente schlanker Bauleitplanung, ZfBR 2003, 6, 7; Bunzel, Weiterungen des interkommunalen Abstimmungsgebots, ZfBR 2008, 132, 138; Mönch, Die Planungspflicht der Gemeinde, DVBl. 2005, 676, 679; Scheidler, Umweltplanung – Versuch einer Systematisierung mit Ausblick auf das kommende Umweltgesetzbuch, ZfBR 2008, 336, 337; Stüer, Planerische Steuerung des Einzelhandels durch Bauleitplanung, Regionalplanung und interkommunale Abstimmung, ZfBR 2006, 747, 748; ders., Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 4. Aufl., München 2009, S. 1097 f. 16 Speziell für das Wasserhaushaltsrecht: Stüer (Fn. 15), S. 1257 f.
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vergleichbar mit der Entscheidung über Bebauungsplan und Baugenehmigung in einem. Beiden Zulassungsverfahren ist gemeinsam, dass sie mit einer abschließenden Zulassung ihres Prüfungsgegenstandes, also des Vorhabens, durch einen ggf. qualifizierten Verwaltungsakt enden.
2. Wasserstraßenrecht des Bundes Ein potenziell anzuwendendes Zulassungsverfahren für Sportboothäfen entstammt dem Wasserstraßenrecht des Bundes. Das Wasserstraßenrecht gilt für die Bundeswasserstraßen i. S. d. § 1 Abs. 1 des Bundeswasserstraßengesetzes (WaStrG). Zu den Bundeswasserstraßen gehören als Binnenwasserstraßen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 WaStrG i. V. m. Anlage 1 zum WaStrG alle größeren deutschen Flüsse und Kanäle sowie etliche Seen und als Seewasserstraße gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 WaStrG das gesamte Küstenmeer in Nord- und Ostsee. Gerade Bundeswasserstraßen sind also geeignete Wassersportreviere und bieten sich als Standorte für Sportboothäfen an. Das WaStrG regelt in Abschnitt 517 den Ausbau der Bundeswasserstraßen. Gemäß § 12 Abs. 2 WaStrG stellt die wesentliche Umgestaltung der Bundeswasserstraße oder eines ihrer Ufer einen Ausbau dar. Wenn nun ein Sportboothafen in oder an einer Bundeswasserstraße errichtet wird, dann drängt es sich förmlich auf, dass damit auch die Bundeswasserstraße oder zumindest ihr Ufer wesentlich umgestaltet wird. Allerdings enthält § 12 Abs. 2 WaStrG zugleich eine Einschränkung: Ein Ausbau der Bundeswasserstraße im Sinne des Bundeswasserstraßenrechts setzt voraus, dass die Maßnahme die Bundeswasserstraße in ihrer Eigenschaft als Verkehrsweg betrifft. Das heißt, dass eine Umgestaltung des Ufers, die keinen finalen Bezug zur Verkehrsfunktion der Bundeswasserstraße hat, auch kein Ausbau der Bundeswasserstraße ist – und dementsprechend keiner wasserstraßenrechtlichen Planfeststellung bedarf.18 ___________ 17
§§ 12–23 WaStrG. OVG Lüneburg, Urteil vom 27.01.1992 – 3 A 221/88 –, NuR 1992, 293, 295; VG Schleswig, Urteil vom 14.01.1970, VkBl. 1970, 651; vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 21.09.2000 – 5 E 24/00.P –, NordÖR 2001, 26 ff.; Böttcher, Neuere Rechtsprechung zum Gewässerausbau, ZfW 1983, 129, 132; Breuer (Fn. 6), Rn. 953; ders., Die Bundeswasserstraßen im Spannungsfeld der Wasserwege- und Wasserwirtschaftskompetenzen von Bund und Ländern, DVBl. 1974, 268, 271 f.; Czychowski/Reinhardt (Fn. 5), § 31, Rn. 115; Friesecke (Fn. 8), § 12, Rn. 4, 21, § 31, Rn. 10; Schenk, in: Sieder/Zeitler/Dahme (Hrsg.), Wasserhaushaltsgesetz, München 2009, § 31 WHG, Rn. 449 ff.; Stüer (Fn. 15), S. 1286; siehe aber auch Mintzel, Bundeswasserstraßengesetz 18
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Die Frage ist nun, ob ein Sportboothafen an oder in einer Bundeswasserstraße einen direkten und gewollten Bezug zur Verkehrsfunktion dieser Bundeswasserstraße hat. Bei unbefangener Betrachtung besteht ein solcher Bezug: Sportboote dienen als Verkehrsmittel oder nehmen zumindest am allgemeinen Schiffsverkehr teil. Zwar dienen sie den Skippern meist nicht als bloßes Transportmittel, sondern eher als Mittel zur Freizeitgestaltung und damit letztlich dem Lustgewinn – nicht der Transport an einen bestimmten Ort, sondern der Weg ist das Ziel. Letztlich aber dient der Sportboothafen der Aufnahme und Unterbringung von Verkehrsmitteln und damit dem ruhenden Verkehr. Der Sportboothafen entlastet die Wasserstraße vom ruhenden Verkehr. Dennoch nimmt niemand an, dass Sportboothäfen einen Verkehrsbezug hätten – selbst eine juris-Recherche, die alle gängigen Synonyme und Schreibweisen für Sportboothäfen mit den entscheidenden Normen des Wasserstraßengesetzes verknüpft, verläuft ergebnislos.19 Der rechtliche Hintergrund ist der Folgende: Im Bundeswasserstraßenrecht gilt ein enger Verkehrsbegriff. Häfen haben nur dann eine Verkehrsfunktion und sind damit Teil einer Bundeswasserstraße, wenn sie als Schutz-, Liegeoder Bauhäfen i. S. d. § 1 Abs. 4 Nr. 1 WaStrG dienen. Schutzhäfen bieten Schiffen Schutz vor widrigen äußeren Bedingungen, die den Schiffsverkehr beeinträchtigen, wie etwa Sturm, Eisgang oder besonderes Hoch- bzw. Niedrigwasser, während Liegehäfen Schiffe bei besonderen Verkehrslagen als ruhenden Verkehr aufnehmen, damit sie nicht im Verkehrsweg selbst liegen müssen und vom Durchgangsverkehr getrennt werden.20 Anschaulich werden diese Funktionen an zwei Beispielen: Ein Schutzhafen für Sportboote ist etwa der Hafen Darßer Ort an der Ostseeküste in Vorpommern. Dieser Hafen liegt mitten im Grünen, ist nicht unmittelbar an das überregionale Verkehrsnetz angeschlossen und hat kaum Infrastruktur an Land.21 Diesen Hafen sollen Sportboote nur anlaufen, wenn schlechte Witterungsbedingungen die weitere Fahrt verbieten oder sonst ein Notfall vorliegt. Liegehäfen sind beispielsweise die sog. Kanalweichen im Nord-Ostsee-Kanal. In ihnen machen Schiffe fest, wenn sie entgegenkommenden übergroßen Verkehr abwarten müssen, weil der Kanal zu eng ist. ___________ Handkommentar, Berlin 1969, § 12 WaStrG, Rn. 1 B, der eine differenzierende Ansicht vertritt. 19 Stand 31.12.2010. 20 Friesecke (Fn. 8), § 1, Rn. 25; vgl. auch Stüer (Fn. 15), S. 1285. 21 Der Schutzhafen Darßer Ort ist allerdings trotz seiner Verkehrsfunktion und seiner Lage an der Bundeswasserstraße Ostsee (siehe dazu OVG Greifswald, Beschluss vom 15.04.2005 – 1 M 51/05 –, zitiert nach juris, Rn. 17 f.) ein Landeshafen des Landes Mecklenburg-Vorpommern (siehe dazu LT-Drs. 5/1117). Die vom Bund betriebenen Schutzhäfen hingegen sind alle keine reinen Schutzhäfen, sondern mehrfunktional und daher hier als Beispiel wenig tauglich.
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Sobald aber in einem Hafen Güter- oder Passagierumschlag stattfindet, wird darin ein wirtschaftlicher Zweck gesehen, der über den ruhenden oder wartenden Verkehr im engsten Sinne hinausgeht und damit den reinen Verkehrszweck ausschließt. Nun findet zwar in Sportboothäfen kein kommerzieller Güterumschlag statt, aber letztlich ist doch der Sportboothafen ein Äquivalent des Passagierhafens: Er dient eben nicht nur dazu, das Sportboot sicher unterzubringen, sondern auch dazu, es mit dem zu beladen, was eine Freizeitnutzung erfordert, also Proviant und Urlaubsgepäck oder Ähnliches. Außerdem kann man auf Sportbooten kaum zwischen Mannschaft und Passagieren unterscheiden – die Mannschaft besteht letztlich aus Passagieren und sie nutzt den Sportboothafen, um an Bord zu gelangen. Daher ist es nur folgerichtig, dass für Sportboothäfen wie für Handelshäfen der Verkehrsbezug ausgeschlossen wird. Ein Sportboothafen als solcher kann somit niemals Gegenstand eines Planfeststellungsverfahrens nach dem Wasserstraßengesetz sein, auch wenn der erste Blick genau das nahegelegt hat. Eine Ausnahme liegt vor, wenn gemäß § 78 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) oder nach Landesrecht22 nur ein Planfeststellungsverfahren über mehrere nur einheitlich zu beurteilende Vorhaben stattfindet, wenn also eine Bundeswasserstraße in ihrer Verkehrsfunktion ausgebaut und bei der Gelegenheit zugleich ein Sportboothafen errichtet wird. Auf den Sportboothafen ist zwar auch dann materiell nicht das WaStrG anzuwenden, sondern Wasserhaushaltsrecht.23 Im Einzelfall kann dies aber dazu führen, dass in einem wasserstraßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren ein Sportboothafen im Wege der Verfahrenskonzentration Gegenstand der Planung wird und faktisch sogar den Schwerpunkt der Abwägung ausmacht.24 Von dem Vorstehenden unberührt bleibt, dass ein Sportboothafen in oder an einer Bundeswasserstraße als Errichtung und Betrieb von Anlagen in einer ___________ 22 Alle Bundesländer haben entsprechende, allerdings jeweils leicht variierende Regelungen in ihren jeweiligen Verwaltungsverfahrensgesetzen, Allesch/Häußler, in: Obermayer (Begr.), Verwaltungsverfahrensgesetz, Neuwied/Kriftel 1999, § 78, Rn. 35 ff.; Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl., München 2008, § 78, Rn. 22; Dürr, in: Knack (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl., Köln u. a. 2004, § 78, Rn. 3. 23 Siehe dazu BVerwG, Urteil vom 23.02.2005 – 4 A 5/04 –, BVerwGE 123, 23, 34; Allesch/Häußler (Fn. 22), § 78, Rn. 30; Bonk/Neumann (Fn. 22), § 78, Rn. 14; Dürr (Fn. 22), § 78, Rn. 18, 19 f.; Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz, Stuttgart 2006, § 78, Rn. 9. 24 Vgl. dazu etwa OVG Bremen, Urteil vom 13.01.2005 – 1 D 224/04 –, zitiert nach juris, Rn. 64; OVG Bremen, Urteil vom 13.12.2001 – 1 D 299/01 –, NordÖR 2002, 116 ff.; in beiden Fällen wurde die Bundeswasserstraße nur gering ausgebaut und den Schwerpunkt der Abwägung nahm der Hafen ein, gleichwohl fand jeweils ein wasserstraßenrechtliches Planfeststellungsverfahren statt.
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Bundeswasserstraße oder an ihrem Ufer u. U. einer strom- und schifffahrtspolizeilichen Genehmigung gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 2 WaStrG bedarf.25 Der Entscheidungsmaßstab für diese Genehmigung ist jedoch rein verkehrsbezogen, nicht umweltbezogen26, und lässt zudem die wasserhaushaltsrechtliche Zulassung einer Anlage unberührt.27 Diese Zulassung kann daher hier dahinstehen.
3. Wasserhaushaltsrecht Die Zulassung eines Sportboothafens kann sich folglich materiell nur nach dem Wasserhaushaltsrecht bestimmen. Das Wasserhaushaltsrecht besteht aus dem Wasserhaushaltsgesetz des Bundes und den Landeswassergesetzen. Das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes ist28 Rahmenrecht i. S. d. früheren Art. 75 GG und wirkt daher auf Vorhaben nicht aus sich selbst heraus. Es muss erst durch Landesrecht – die Landeswassergesetze – umgesetzt werden. Das führt dazu, dass auch an Bundeswasserstraßen das Landesrecht gilt und Landesbehörden zuständig sind, sobald nicht mehr die Verkehrsfunktion betroffen ist, sondern eine andere Funktion des Wassers.29 Um diese anderen Funktionen zu sichern, werden Sportboothäfen im Wasserhaushaltsrecht Zulassungsverfahren unterworfen. Während aber das Bundeswasserstraßenrecht nur das Planfeststellungsverfahren kennt, sind im Wasserhaushaltsrecht zwei verschiedene Verfahren vorgesehen.
___________ 25
Dazu Franz, Die gewerbliche Vermietung von Sportmotorbooten an Bundeswasserstraßen, ZfW 2001, 228, 229 f.; Melsheimer (Fn. 9), S. 70. 26 OVG Frankfurt/O., Beschluss vom 01.12.1999 – 4 B 103/99 –, ZfW 2000, 193, – 195; Franz (Fn. 25), S. 229 f.; Friesecke (Fn. 8), § 31, Rn.– 3; Melsheimer (Fn. 9), S. 70. – 27 – Melsheimer (Fn. 9), S. 70. – 28 – des WHG beruht mittDies galt zum Zeitpunkt des Vortrags. Die geltende Fassung lerweile auf der Vollkompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG, ist aber inhaltlich immer noch durch das Herkommen als Rahmenrecht geprägt und belässt daher den Ländern Ausgestaltungs- und Abweichungsspielräume, s. Czychowski/Reinhardt, Wasserhaushaltsgesetz, 10. Aufl., München 2010, Einl., Rn. 30. 29 Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30.10.1962 – 2 BvF 2/60, 1, 2, 3/61 –, BVerfGE 15, 1, 22; BVerwG, Beschluss vom 04.03.1993 – 7 B 110/92 –, NVwZ-RR 1993, 290; OVG Lüneburg (Fn. 18), S. 295; Breuer (Fn. 6), Rn. 4; Friesecke (Fn. 8), Einl., Rn. 32 f.; Schenk (Fn. 18), § 31 WHG, Rn. 449 ff.
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a) Gewässerausbau Wie das Bundeswasserstraßenrecht unterwirft auch das Wasserhaushaltsrecht den Ausbau eines Gewässers der Planfeststellung. Die Frage ist also, ob die Errichtung eines Sportboothafens zugleich einen Ausbau des jeweiligen Gewässers darstellt. Das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes ist zwar fortgeltendes Rahmenrecht und bedarf grundsätzlich der Umsetzung durch Landesrecht. Der Begriff des Gewässerausbaus allerdings ist durch Bundesrecht abschließend konkretisiert und damit den Ländern vorgegeben.30 Zu diesem Ausbaubegriff gehört, ebenso wie im Wasserstraßenrecht des Bundes, gemäß § 67 Abs. 2 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz – WHG) die wesentliche Umgestaltung des Gewässers oder seiner Ufer. Als Vergleichsmaßstab für die wesentliche Umgestaltung ist der bisher legal bestehende Zustand des Gewässers heranzuziehen,31 also nicht etwa der „natürliche“ Zustand des Gewässers vor dem ersten menschlichen Eingriff in die Gestalt des Gewässers.32 Wesentlich umgestaltet wird dieser Zustand, wenn das Gewässer in seinen natürlichen Eigenschaften wie Wasserstand, Wasserabfluss, Fließgeschwindigkeit und Selbstreinigungsvermögen, aber auch in seinen künstlichen Funktionen für Schifffahrt und Fischerei und schließlich einfach in seinem äußeren Bild erheblich verändert wird.33 Ein häufig genanntes Beispiel für eine wesentliche Umgestaltung ist die Errichtung einer Kaimauer am bisher nicht künstlich veränderten Ufer eines Gewässers.34 Dem entspricht die Errichtung eines Sportboothafens am bislang nicht verbauten Ufer, so dass ein Sportboothafen zumeist eine wesentliche Änderung eines Gewässers darstellt. In den meisten Fällen wird daher die Errichtung eines Sportboothafens grundsätzlich ein Planfeststellungsverfahren gemäß § 68 WHG erfordern. ___________ 30 Schenk (Fn. 18), § 31 WHG, Rn. 6; ähnlich mit etwas anderer Betonung Breuer (Fn. 6), Rn. 957; kritisch, aber ohne Unterschied im Ergebnis Zepernick/Habel, Das Sächsische Wasserrecht, Dresden 2005, § 79 SächsWG, Rn. 2; vgl. auch VG Frankfurt/M., Urteil vom 29.04.2009 – 3 K 5651/06.F –, zitiert nach juris, Rn. 76. 31 VGH München, Urteil vom 23.07.1976 – 344 VIII 74 –, BayVBl. 1977, 86; VGH München, Urteil vom 29.10.1964 – Nr. 46 VIII 64 –, ZfW 1965, 40; Czychowski/Reinhardt (Fn. 5), § 31, Rn. 20; Schenk (Fn. 18), § 31 WHG, Rn. 18; Wiedemann, Rechtsfragen aus der Praxis des Gewässerausbaues, ZfW 1967, 83, 87. 32 BVerwG, Urteil vom 07.07.1995 – 11 VR 11/95 –, NVwZ 1996, 393, 394. 33 OVG Münster, Urteil vom 25.09.1997 – 20 A 974/96 –, zitiert nach juris, Rn. 24; OVG Schleswig, Urteil vom 01.07.1997 – 2 L 101/94 –, ZfW 1998, 509, 512; OVG Münster, Urteil vom 22.07.1988 – 20 A 793/87 –, NVwZ-RR 1989, 401, 402; VG Aachen, Urteil vom 27.10.2005 – 6 K 573/03 –, zitiert nach juris, Rn. 25; Schenk (Fn. 18), § 31 WHG, Rn. 18. 34 Schenk (Fn. 18), § 31 WHG, Rn. 20.
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Wie bereits ausgeführt, ist ein Planfeststellungsverfahren abwägungsdirigiert, um die mit dem planfestzustellenden Vorhaben verbundenen vielfältigen Konflikte gegeneinander abwägen und ausgleichen zu können. Diese Abwägung setzt in den meisten Fällen ein umfangreiches Verfahren voraus, in dem alle auftretenden und abzuwägenden Konflikte und Belange ermittelt werden. Bei manchen Vorhaben ist aber von vornherein absehbar, dass keine oder nur geringe Konflikte auftreten können und dementsprechend nur wenige abzuwägende Belange ermittelt werden müssen. Für diese Fälle gibt es das Institut der Plangenehmigung. Die Plangenehmigung hat – abhängig vom jeweiligen Landesrecht – zumeist dieselben Wirkungen wie ein Planfeststellungsbeschluss, benötigt aber nicht das umfassende Verfahren, das die Abwägung vorbereitet.35 Die Plangenehmigung kommt daher in den Fällen zum Tragen, in denen die abzuwägenden Belange so wenige oder so wenig gewichtig sind, dass das aufwändige Verfahren zu ihrer Ermittlung nicht erforderlich ist. Das Wasserhaushaltsgesetz eröffnet den Planfeststellungsbehörden den Weg zur Plangenehmigung dann, wenn ein Gewässerausbau als Vorhaben keiner Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP)36 bedarf. Allerdings ist dies kein Automatismus: Das Verfahren der Plangenehmigung steht im Ermessen der Planfeststellungsbehörde – sie darf auch nicht UVP-pflichtige Vorhaben durch einen Planfeststellungsbeschluss zulassen. Die Plangenehmigung darf sie hingegen nur verwenden, wenn keine UVP-Pflicht besteht und das Landesrecht die Plangenehmigung zulässt.37 Das UVPVorprüfungsverfahren, auf das noch einzugehen sein wird, dient daher zu Beginn eines Planfeststellungsverfahrens nicht nur zur Klärung der Frage, ob mit dem Planfeststellungsverfahren auch eine UVP als Huckepack-Verfahren durchzuführen ist, sondern kann zugleich eine Weichenstellung für das Planfeststellungsverfahren selbst bewirken.
b) Anlagengenehmigung nach Landesrecht Ausgangspunkt der wasserhaushaltsrechtlichen Betrachtung waren die aufwändigeren Sportboothäfen, deren Errichtung einen Gewässerausbau bedeutet. Die Errichtung eines Sportboothafens muss jedoch nicht zwingend einen Gewässerausbau darstellen. Eine Vielzahl von Gewässerufern ist bereits erheblich bebaut und befestigt. Ein Schwerpunkt der Literatur zur Architektur für Sport___________ 35
Vgl. Stüer (Fn. 15), S. 1261. Siehe dazu eingehend noch unten. 37 Dazu insgesamt: Czychowski/Reinhardt (Fn. 5), § 31, Rn. 43; Kotulla (Fn. 6), § 31, Rn. 58; Zeitler, in: Sieder/Zeitler/Dahme (Hrsg.), Wasserhaushaltsgesetz, München 2009, § 31 WHG, Rn. 414a ff. 36
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boothäfen ist daher die Konversion früherer Handelshäfen zu Sportboothäfen oder die Nutzung ohnehin verbauter Wasserkanten in Innenstädten.38 In diesen Fällen sind, gerade bei kleineren Sportboothäfen, die notwendigen baulichen Änderungen gegenüber dem früheren Zustand des Gewässers nicht so groß, dass damit die Gewässergestalt und seine Funktionen erheblich geändert würden. Ein Planfeststellungsverfahren nach dem Wasserhaushaltsgesetz ist bei solchen Vorhaben nicht erforderlich.39 Gleichwohl bedarf auch die Errichtung solcher Sportboothäfen der wasserrechtlichen Zulassung. Das Wasserhaushaltsgesetz regelt neben dem Gewässerausbau in § 9 WHG Benutzungen von Gewässern, die der Erlaubnis oder der Bewilligung als Formen der behördlichen Zulassung bedürfen. Nun stellt aber das bloße Errichten einer Anlage im Gewässer keine solche Benutzung im Sinne des Bundesrechts dar.40 Dennoch ist in diesem Fall der Bau eines kleinen Sportboothafens einer Regelung und vor allem einem Zulassungsverfahren unterworfen. In allen Bundesländern regelt das jeweilige Landeswassergesetz die Genehmigung zur Errichtung von Anlagen in oder an Gewässern, die als solche noch keinen Gewässerausbau darstellen.41 Diese Regelungen variieren untereinander zwar in den Einzelheiten, haben aber einen gemeinsamen Kern.42 Insbesondere verstehen sie, da das Bundesrecht eben dies nicht regelt, Anlagen in einem sehr weiten Sinne als ortsfeste oder bewegliche Einrichtungen, als bauliche Anlagen, als Auffüllungen oder als Ausschachtungen.43 Der Regelung unterfallen je nach Landesrecht allgemein Anlagen in und an Gewässern oder speziell Anlagen im Uferbereich.44 Die Errichtung und die wesentliche Änderung dieser Anlagen erfordert eine Geneh___________ 38
Haass (Fn. 3), S. 7 f. Vgl. Breuer (Fn. 6), Rn. 958 f. 40 Breuer (Fn. 6), Rn. 223 f.; Czychowski/Reinhardt (Fn. 5), § 3, Rn. 30 f.; Petersen, Deutsches Küstenrecht, Baden-Baden 1989, S. 184; Melsheimer (Fn. 9), S. 66; jeweils m.w.N.; differenzierend: Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme, Wasserhaushaltsgesetz, München 2009, § 3 WHG, Rn. 7 f., 18. 41 §§ 13 Abs. 1 Nr. 1, 76 WG BW; Art. 20 BayWG; §§ 62 ff. BlnWG; § 87 BbgWG; § 90 BremWG; §§ 15 Abs. 2, 19 HWaG; § 22 HessWG; § 57 NdsWG; § 99 LWG NW; §§ 41 Abs. 1, 76 WG RhPf; §§ 28, 78 SaarlWG; §§ 11 Abs. 1 Nr. 1, 91 SächsWG; §§ 77b, 93 WG LSA; §§ 50, 56, 77, 139 ff. LWG SH; §§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 79 ThürWG; Mecklenburg-Vorpommern sieht nur noch ein Anzeigeverfahren vor, § 82 LWG M-V. 42 Melsheimer (Fn. 9), S. 66. 43 Siehe z.B. Zepernick/Habel (Fn. 30), § 91 SächsWG, Rn. 5. 44 Zu dieser Unterscheidung Melsheimer (Fn. 9), S. 66 f. 39
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migung,45 wobei auch in diesem Zusammenhang46 die wesentliche Änderung nicht unbedingt voraussetzt, dass das Gewässer in seinen Gewässereigenschaften berührt wird. Ausreichend ist vielmehr bereits eine optische47 oder technische Umgestaltung48. Unter diese Anlagenbegriffe fallen grundsätzlich auch die maßgeblichen Anlagen in einem Sportboothafen, so dass die Errichtung von Sportboothäfen, die nicht einem Planfeststellungsverfahren unterworfen sind, einer Anlagengenehmigung nach dem jeweiligen Landesrecht bedarf. Voraussetzungen und Verfahren für die Erteilung einer solchen Genehmigung sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.49 Gemeinsam haben die Länderregelungen aber, dass die Genehmigungsvoraussetzungen weitgehend umweltbezogen sind: Die Genehmigung wird versagt50, wenn die Anlage das Wohl der Allgemeinheit gefährden würde.51 Zum Wohl der Allgemeinheit zählen im Wasser insbesondere die umweltbezogenen Bewirtschaftungsziele für Gewässer, die je nach Landesrecht ausdrücklich oder implizit in Bezug genommen werden.52 Diese Ziele sind gemäß § 27 Abs. 1 WHG darauf gerichtet, dass „eine Verschlechterung ihres ökologischen und chemischen Zustands vermieden und ein guter ökologischer und chemischer Zustand erhalten oder erreicht wird.“
In den meisten Bundesländern besteht damit ein grobes Konditionalprogramm, nach dem eine Genehmigung erteilt oder versagt werden muss. Die Genehmigungspflicht für Anlagen in oder an Gewässern stellt zumeist ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt dar, wobei das Wasserrecht einiger Bundesländer53 einen Anspruch des Vorhabenträgers auf die Genehmigung unter bestimmten Voraussetzungen und ein darüber hinausgehendes Genehmigungsermessen normiert, während in anderen Bundesländern selbst dann kein ___________ 45
Melsheimer (Fn. 9), S. 67; Zepernick/Habel (Fn. 30), § 91 SächsWG, Rn. 6. Vgl. zum übereinstimmenden Änderungsbegriff Zepernick/Habel (Fn. 30), § 91 SächsWG, Rn. 6. 47 Melsheimer (Fn. 9), S. 67. 48 Zepernick/Habel (Fn. 30), § 91 SächsWG, Rn. 6. 49 § 36 WHG in der geltenden Fassung enthält nunmehr einheitliche materielle Maßstäbe für Anlagen in Gewässern, die sich aber an die vom Bundesgesetzgeber vorgefundenen materiellen Maßstäbe des Landesrechts anlehnen, Czychowski/Reinhardt (Fn. 28), § 36, Rn. 1. 50 In einigen Ländern wird die an sich genehmigungsfreie, aber anzeigepflichtige Errichtung unter diesen Voraussetzungen untersagt, siehe etwa § 82 LWG M-V. 51 Melsheimer (Fn. 9), S. 71. 52 Vgl. etwa § 91 Abs. 1a SächsWG; dazu Zepernick/Habel (Fn. 30), § 91 SächsWG, Rn. 7. 53 Art. 20 Abs. 4 S. 2 BayWG; § 90 Abs. 2 BremWG; § 57 Abs. 2 NdsWG; § 99 Abs. 2 WG NW; § 76 Abs. 2 WG RhPf; § 78 Abs. 3 SaarlWG; § 93 Abs. 2 WG LSA; §§ 56 Abs. 3, 140 Abs. 2 LWG SH. 46
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Anspruch auf die Genehmigung besteht, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.54 Während also größere Sportboothäfen, die eine wesentliche Änderung des Gewässers darstellen, nur nach einer behördlichen Planung und Abwägung im Planfeststellungsverfahren zugelassen werden können, lässt das Landesrecht für kleinere Sportboothäfen oder für Sportboothäfen in bereits weitgehend verbauten Gewässern eine einfache Genehmigung nach einem mehr oder weniger eng gefassten Konditionalprogramm ausreichen. Als gewisser Nachteil erweist es sich dabei, dass die Anlagenregelungen in allen Bundesländern nicht speziell auf Häfen zugeschnitten sind. Man geht wohl davon aus, dass Häfen stets der Planfeststellung bedürfen. Die Praxis tendiert aber dazu, Häfen dort zu planen, wo die Vorhabenträger bereits ein verbautes Ufer vorfinden55 und wo daher gerade kein planendes Verfahren stattfindet. Dieses Problem umgeht Schleswig-Holstein – wie auch einige andere Länder56 – mit den in § 139 LWG SH geschaffenen zwei Zulassungsverfahren speziell für Häfen. Das in § 139 Abs. 1 LWG SH normierte Verfahren für Handelshäfen setzt eine Planfeststellung voraus, ist allerdings auf Sportboothäfen der Sache nach nicht anwendbar, während das in § 139 Abs. 2 LWG SH normierte Verfahren die auch hier gegenständlichen Sportboothäfen erfasst.57 Das schleswig-holsteinische Verfahren bietet einen Vorteil gegenüber den Regelungen in anderen Ländern: Während die meisten Wassergesetze eine rein vorhabenbezogene Genehmigung von Anlagen vorsehen und das auch bundesrechtlich geprägte Planfeststellungsverfahren primär das Vorhaben selbst im Blick hat, ist das schleswig-holsteinische Hafengenehmigungsverfahren nicht nur vorhabenbezogen, sondern auch betreiberbezogen. Damit hängt die behördliche Zulassung einer baulich verfestigten Infrastruktureinrichtung und nicht nur ihr Betrieb von der Zuverlässigkeit des Betreibers ab. Schleswig-Holstein reagiert mit dieser Regelung darauf, dass gerade ein sensibles Medium wie Wasser nicht nur von der Anlage als solcher gefährdet werden kann, sondern auch von demjenigen, der damit umgeht. Dies gilt ebenso für Brandenburg. Die in § 87 des Brandenburgischen Wassergesetzes (BbgWG) enthaltene Anlagenregelung ist zwar nicht, wie in Schleswig-Holstein, eine umfassende Hafengenehmigung, die auch Betreiber___________ 54
Dazu insgesamt Melsheimer (Fn. 9), S. 71. Haass (Fn. 3), S. 7 f. 56 Ein ähnliches Verfahren besteht auch in Rheinland-Pfalz, § 41 LWG RhPf, im Saarland, § 28 SaarlWG, und in Sachsen-Anhalt, § 77b WG LSA. 57 SH Landtag, LT-Drs. 16/1004, S. 150. 55
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pflichten umfasst. Sie ist aber nicht ausschließlich vorhabenbezogen, sondern gemäß § 87 Abs. 4 S. 2 BbgWG ausdrücklich auch personenbezogen.58
c) Verhältnis der Verfahren untereinander Klärungsbedürftig ist sodann das Verhältnis der Verfahren untereinander: Auch ein als Gewässerausbau zu bewertender Sportboothafen besteht zugleich aus Anlagen im Wasser und müsste daher nicht nur im Planfeststellungsverfahren zugelassen, sondern auch noch nach Landesrecht genehmigt werden.59 Die Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses bewirkt allerdings, dass durch den Planfeststellungsbeschluss die Anlagengenehmigung ersetzt wird, weil das Planfeststellungsverfahren alle durch das Vorhaben berührten Belange ermittelt. Davon erfasst sind auch alle Anforderungen an eine Anlage im Wasser, so dass eine weitere behördliche Genehmigung neben dem Planfeststellungsbeschluss nicht erforderlich ist. Ob das auch für die Plangenehmigung gilt, hängt vom Landesrecht ab, wobei alle Bundesländer der Plangenehmigung die Rechtswirkungen der Planfeststellung zumessen.60 Allerdings bleiben gemäß § 140 Abs. 7 LWG SH beim hafenrechtlichen Genehmigungsverfahren die Vorschriften über den Ausbau der oberirdischen Gewässer unberührt. Hier kommt es daher dazu, dass zwei verschiedene Verfahren jeweils mit Konzentrationswirkung ausgestattet sind, aber trotzdem nebeneinander durchzuführen sind. Dies führt zu Abstimmungsproblemen im Einzelfall, liegt aber darin begründet, dass das Hafengenehmigungsverfahren gemäß § 140 Abs. 2 LWG SH auch betreiberbezogene Voraussetzungen umfasst, während das Planfeststellungsverfahren über den Gewässerausbau nur die reine Hafeninfrastruktur und zu einem gewissen Grad die Hafensuprastruktur61 erfasst.
4. Zusammenfassung Das Wasserrecht bietet auf den ersten Blick eine komplexe Vielfalt von Verfahren; für die Zulassung von Sportboothäfen ist aber letztlich nur die Wei___________ 58
Dazu Melsheimer (Fn. 9), S. 67 f. Zepernick/Habel (Fn. 30), § 91 SächsWG, Rn. 4. 60 Siehe jeweils § 74 Abs. 6 S. 2 VwVfG aller Bundesländer bzw. Art. 74 Abs. 6 S. 2 BayVwVfG; § 1 Abs. 1 VwVfGBln; § 4 NdsVwVfG; § 4 LVwVfG RhPf; § 1 SächsVwVfG; § 5 VwVfG LSA; § 141 Abs. 6 S. 2 LVwG SH. 61 OVG Bremen (Fn. 24), Rn. 100 ff.; OVG Bremen (Fn. 24), S. 116 f.; OVG Bremen, Urteil vom 11.06.1996 – 1 G 3/94 –, VkBl. 1996, 689; kritisch hingegen zur Aufnahme der Suprastruktur in das Planfeststellungsverfahren VG Hamburg, Beschluss vom 30.10.2006 – 19 E 3517/06 –, NordÖR 2007, 125 ff. 59
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chenstellung des Gewässerausbaus entscheidend. Wird das Gewässer in seiner Gestalt wesentlich berührt, dann muss der Sportboothafen geplant und abgewogen werden; fügt er sich in das bestehende Gewässer ein, reicht die einfache Anlagengenehmigung, in Schleswig-Holstein die besondere Hafengenehmigung.
III. Raumordnungsverfahren Eines der o. a. ingenieurwissenschaftlichen Werke führt das Raumordnungsverfahren als eines der wichtigsten Verfahren bei der Zulassung von Sportboothäfen auf.62 Im folgenden Abschnitt wird geschildert, inwiefern das Raumordnungsverfahren für Sportboothäfen praktisch relevant sein kann. Das Ergebnis sei aber vorweg genommen: Verglichen mit den bereits behandelten wasserrechtlichen Verfahren ist das Raumordnungsverfahren von eher untergeordneter Bedeutung.
1. Allgemeines Das Raumordnungsverfahren ist ein Verfahren aus dem Rechtsgebiet der Raumordnung und Landesplanung, kodifiziert im Raumordnungsgesetz (ROG) des Bundes und im Landesplanungsrecht der Länder. Raumordnung und Landesplanung sind eine raumbezogene Gesamtplanung63 und planen die Nutzung des Raumes nach allen Belangen, die an den Raum gestellt werden. Die Raumordnung ist als solche nicht speziell umweltbezogen, sondern stellt sog. Erfordernisse der Raumordnung in unterschiedlichster Hinsicht auf. Diese Erfordernisse planen den raumübergreifenden Verkehr64, sie weisen bestimmten Orten Funktionen für ein größeres Gebiet zu und teilen die unterschiedlichen Teilräume nach Funktionen und Entwicklungszielen auf. Diese Erfordernisse sind aber zunehmend auch direkt65 oder indirekt umweltbezogen. Selbst wenn Raumordnung und Landesplanung an sich einen wesentlich weiteren Ansatz verfolgen als nur den Schutz der Umwelt, spielt die Umwelt doch eine erhebli___________ 62
Wüstenberg (Fn. 3), S. 53. Erbguth/Schoeneberg, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 2. Aufl., Köln u. a. 1992, Rn. 49; Rosenbaum, Errichtung und Betrieb von Windenergieanlagen im Offshore-Bereich, Kiel 2006, S. 183. 64 § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG in der Fassung des Gesetz zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften (GeROG) vom 22.12.2008, in Kraft seit dem 30.06.2009. 65 Insbesondere § 2 Abs. 2 Nr. 6 ROG. 63
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che Rolle. Das Raumordnungsverfahren muss daher in erheblichem Maße auch Umweltbelange berücksichtigen.66 Raumordnung und Landesplanung beruhen auf Plänen, die in erster Linie auf der Landesebene als Landesraumordnungsplan67 und auf der darunterliegenden Ebene als Regionalpläne68 entstehen. Diese Pläne sind für einen privaten Vorhabenträger nicht unmittelbar bindend, sondern gelten nur verwaltungsintern69 und entfalten für den Bürger erst dann eine mittelbare Wirkung, wenn sie durch einen Bauleitplan umgesetzt werden70 oder im Fachplanungsrecht zu berücksichtigen sind71. Und auch dann haben sie eine rein materielle Wirkung72, sie sind grundsätzlich nicht in einem speziellen eigenen Verfahren umzusetzen.73 Das Raumordnungsverfahren ist eine Ausnahme von diesem Grundsatz. Es wird durchgeführt, um raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen untereinander und mit den Erfordernissen der Raumordnung abzustimmen. In einem Raumordnungsverfahren wird ein Vorhaben daraufhin überprüft, ob es für sich genommen mit den Erfordernissen der Raumordnung vereinbar ist, und es wird mit anderen Vorhaben, die in seinem Einflussgebiet bestehen oder entstehen, abgestimmt. Es ist deshalb kein Instrument der planerischen Gestaltung, sondern es dient der Sicherung bereits bestehender Planungen.74 Von seiner Funk___________ 66
Stüer (Fn. 15), S. 96. § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG. 68 § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ROG. 69 BVerwG, Beschluss vom 30.08.1994 – 4 NB 31/94 –, Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 77; BVerwG, Beschluss vom 24.04.1992 – 4 NB 36/91 –, zitiert nach juris, Rn. 10; Stüer (Fn. 15), S. 99; dem steht nicht entgegen, dass den Plänen und Programmen der Raumordnung und Landesplanung z. T. Rechtsnormcharakter und die Eigenschaft als Außenrecht zugemessen werden, da auch dieses Außenrecht nur für Verwaltungsträger bindende Wirkung hat, die ihrerseits im Bereich von Raumordnung und Landesplanung tätig sind, vgl. dazu Lautner, Funktionen raumordnerischer Verfahren, Berlin 1999, S. 82 f. 70 BVerwG, Urteil vom 11.02.1993 – 4 C 15/92 –, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 156. 71 Stüer (Fn. 15), S. 1470. 72 Beckmann, in: Hoppenberg/de Witt (Hrsg.), Handbuch des öffentlichen Baurechts, Loseblatt München 2009, N Rn. 86 ff., Rn. 191 f.; Stüer (Fn. 15), S. 1469. 73 Vgl. Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 5. Aufl., Stuttgart 2009, S. 121, die die wenigen eigenständigen Verfahren als Ausnahme behandeln, siehe dazu sogleich, und im Wesentlichen die materiellen Informations-, Koordinations- und Konsultationspflichten zur Umsetzung in den jeweiligen Verfahren der Adressaten der Raumordnungspläne behandeln. 74 Cholewa, in: Cholewa/Dyong/von der Heide/Arenz (Hrsg.), Raumordnung in Bund und Ländern, 4. Aufl., Stuttgart, Loseblatt Stand September 2007, § 15 ROG, Rn. 19; Schmitz, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, K § 15 ROG, Rn. 46. 67
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tion her ist es daher mit abschließenden Zulassungsverfahren vergleichbar, nicht aber in Verfahren und Rechtsfolge. Notwendig ist die Existenz des Raumordnungsverfahrens, weil die Pläne der Raumordnung einerseits einen eher langen Geltungszeitraum haben und für einzelne Vorhaben grundsätzlich nicht geändert werden, andererseits aber auch nicht alle raumbedeutsamen Vorhaben voraussehen können. Zweitens ist es notwendig, weil selbst die Regionalpläne als unterste Planungsstufe eher unscharf sind. Bezogen auf Sportboothäfen äußert sich das darin, dass sie zwar sehr allgemeine Aussagen über Sportboothäfen treffen können, dass aber unklar ist, wie sich diese Aussagen auf den einzelnen Sportboothafen auswirken. Der Regionalplan I – Schleswig-Holstein Süd75 enthält etwa die folgende Aussage: „Erweiterungsmöglichkeiten sind vor allem für die Sportboothäfen an der Krückauund Pinnau-Mündung sowie in Geesthacht und Lauenburg/Elbe zu prüfen.“
Das ist eine sehr genaue Aussage, aber eine praktische Ausnahme. Andere Regionalpläne treffen nämlich überhaupt keine Aussage zu Sportboothäfen76, sondern nennen nur Einrichtungen des Tourismus oder Ähnliches. Das Raumordnungsverfahren dient daher der Feststellung, ob und inwieweit Aussagen über bestimmte Vorhaben getroffen sein sollen und wie sie gemeint sind.
2. Pflicht zur Durchführung eines Raumordnungsverfahrens Wie oben ausgeführt, wird das Raumordnungsverfahren für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen durchgeführt. Raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen sind legal definiert77 als Planungen, Vorhaben und Maßnahmen, durch die Raum in Anspruch genommen oder die räumliche Entwicklung oder Funktion eines Gebietes beeinflusst wird. Was alles Planung, Vorhaben oder Maßnahme im Sinne dieser Norm sein kann, ist im Einzelnen nicht immer eindeutig, kann hier aber dahinstehen. Den wichtigsten Anwendungsbereich für das Raumordnungsverfahren stellen Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Sinne dar; sie sind stets auch Vorhaben i. S. d. § 3 Nr. 6 ROG.78 Ein Sportboothafen ist praktisch immer ein Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Sinne. Es stellt sich also die Frage, ob er raumbedeutsam sein kann. Konkretisiert wird die Raumbedeutsamkeit u. a. in der ___________ 75
Fortschreibung 1998. Haass (Fn. 3), S. 9. 77 § 3 Nr. 6 ROG. 78 Hopp, Das Raumordnungsverfahren im Spiegel geänderter bundesrechtlicher Vorgaben, NuR 2000, 301 unter Verweis auf die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drs. 13/6392, S. 81; Schmitz (Fn. 74), K § 15 ROG, Rn. 47; vgl. auch die Auflistung bei Lautner (Fn. 69), S. 153. 76
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Raumordnungsverordnung (RoV) des Bundes, die für bestimmte Vorhaben festlegt, dass sie raumbedeutsam sind. Abstrakt raumbedeutsam sind Vorhaben, wenn sie raumbeanspruchend oder raumbeeinflussend sind. Raumbeanspruchend sind Vorhaben, die einen so großen Teil der Erdoberfläche für sich in Anspruch nehmen, dass sie allein wegen ihrer Größe Einfluss auf die überörtliche Raumnutzung haben.79 Beispielhaft werden häufig Golfplätze genannt, aber auch Flughäfen oder Truppenübungsplätze.80 Sportboothäfen sind allerdings selten so groß wie Golfplätze oder gar Truppenübungsplätze. Die Frage ist also, wo die Grenze zu ziehen ist. Eine Hilfestellung liefert § 1 Nr. 7 RoV, wonach Häfen ab einer Größe von 100 Hektar raumbeanspruchend sind. Selbst einer der größten privaten Sportboothäfen Deutschlands, die ancora marina in Neustadt in Holstein, erreicht aber derartige Ausmaße nicht annähernd. Es ist jedoch kein Anlass ersichtlich, einen Sportboothafen erheblich unterhalb der vom Verordnungsgeber festgesetzten Größe als raumbeanspruchend anzusehen. Die Raumbedeutsamkeit über die Fläche dürfte daher für Sportboothäfen eine seltene Ausnahme sein. Praktisch relevant ist also die Raumbeeinflussung. Raumbeeinflussend sind Vorhaben, wenn sie wahrscheinlich zu erheblichen und in Art und Ausmaß schon einzuschätzenden Veränderungen der räumlichen Entwicklung und Funktion eines Gebiets führen werden.81 Auch zur Raumbeeinflussung durch Sportboothäfen liefert die Raumordnungsverordnung eine Hilfestellung: Vorhaben, die der Planfeststellung nach dem Wasserhaushaltsgesetz des Bundes bedürfen, sind raumbeeinflussend.82 Die Abgrenzung zwischen dem wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren und dem wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren ist, wie oben dargestellt, eindeutig zu bestimmen. Ebenso eindeutig ist in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit des Raumordnungsverfahrens. Sportboothäfen können allerdings auch ohne die Notwendigkeit des Planfeststellungsverfahrens ein Raumordnungsverfahren auslösen. Die Raumordnungsverordnung unterwirft auch die Errichtung großer Einrichtungen für die Ferien- und Fremdenbeherbergung sowie großer Freizeitanlagen als raumbeein___________ 79
Schmitz (Fn. )74, K § 15 ROG, Rn. 48. Hopp (Fn. 78), S. 302. 81 Hopp, Rechts- und Vollzugsfragen des Raumordnungsverfahrens, Münster 1999, S. 55; ders. (Fn. 78), S. 302; Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hrsg.), Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, K § 3 ROG, Rn. 238 ff.; von der Heide, in: Cholewa/Dyong/von der Heide/Arenz (Hrsg.), Raumordnung in Bund und Ländern, § 3, Rn. 45 ff., 48. 82 § 1 Nr. 7 RoV. 80
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flussende Vorhaben dem Raumordnungsverfahren.83 Dafür sind keine Schwellenwerte festgelegt. In Mecklenburg-Vorpommern wird deshalb § 1 Nr. 15 RoV durch eine Verwaltungsvorschrift konkretisiert,84 die einen Sportboothafen dann als große Freizeitanlage im Sinne der RoV ansieht, wenn er mehr als 200 Liegeplätze anbietet oder wenn er mit einem Campingplatz oder einer Ferienhausanlage kombiniert wird. Um die Bedeutung von 200 Liegeplätzen zu verdeutlichen, soll diese Zahl mit bestehenden Sportboothäfen verglichen werden. Die bereits genannte ancora marina in Neustadt in Holstein hat nach eigenen Angaben 1.400 Liegeplätze.85 Der Olympiahafen Schilksee an der Kieler Förde bietet 860 Liegeplätze. Direkt nebenan – der Abstand beträgt etwa 200m – befindet sich auf dem Gebiet einer anderen Gemeinde der Yachthafen Strande mit weiteren 350 Liegeplätzen. Rund um die Kieler Förde befinden sich auf recht engem Raum insgesamt über 3.200 Liegeplätze. Wenn in der Kieler Förde also noch ein Sportboothafen mit 200 Liegeplätzen gebaut würde, dann ist das eine relativ kleine Änderung der räumlichen Situation. Die Funktion und Entwicklung des Raumes Kiel wird dadurch wohl kaum beeinflusst. 200 Liegeplätze sind daher als absoluter Schwellenwert für die Raumbedeutsamkeit nicht geeignet, vielmehr dürfte die isolierte Liegeplatzzahl nichts über die Raumbeeinflussung aussagen. Ob ein Sportboothafen raumbeeinflussend ist, muss daher in jedem Einzelfall anhand der örtlichen Situation entschieden werden. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass ein Raumordnungsverfahren für Sportboothäfen praktisch am ehesten über die Verknüpfung mit der Planfeststellung durchzuführen ist.
___________ 83
§ 1 Nr. 15 RoV. Erlass des Ministeriums für Bau, Landesentwicklung und Umwelt M-V zur „Definition von großen Einrichtungen für die Ferien- und Fremdenbeherbergung und großen Freizeitanlagen entsprechend § 1 Nr. 15 der Raumordnungsverordnung“ vom 06.05. 1996; zitiert nach Wüstenberg (Fn. 3), S. 51 f., 53 ff. 85 http://www.ancora-marina.de (letzter Abruf am 05.06.2009). 84
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3. Ablauf des Raumordnungsverfahrens a) Allgemeines Um das Verhältnis des Raumordnungsverfahrens zu den anderen durchzuführenden Verfahren darzustellen, ist es notwendig, zuvor auf den Ablauf des Raumordnungsverfahrens einzugehen. Zunächst steht ein Raumordnungsverfahren niemals alleine da. Es ist ein begleitendes Verfahren. Wenn kein Zulassungsverfahren für ein raumbedeutsames Vorhaben durchgeführt wird, wird grundsätzlich auch kein Raumordnungsverfahren eingeleitet. Endet das Zulassungsverfahren vorzeitig ohne eine Zulassung, dann ist auch das Raumordnungsverfahren zu beenden. Das Raumordnungsverfahren ist also von dem Zulassungsverfahren abhängig. Da in den meisten Fällen Raumordnungsverfahren und Zulassungsverfahren von verschiedenen Behörden durchgeführt werden, begleitet das abhängige Raumordnungsverfahren bei der einen Behörde das Zulassungsverfahren bei der anderen Behörde. Umgekehrt ist das Zulassungsverfahren in einem Punkt auch vom Raumordnungsverfahren abhängig: Es darf erst mit einer Zulassungsentscheidung abgeschlossen werden, wenn auch das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens vorliegt.86
b) Vorprüfungsverfahren Das Raumordnungsverfahren beginnt mit einer Vorprüfung. Die für das Raumordnungsverfahren zuständige Behörde prüft zunächst, ob für ein bestimmtes Vorhaben überhaupt ein Raumordnungsverfahren durchgeführt werden muss.87 Nur dieses Vorverfahren setzt übrigens der zuvor genannte Erlass aus Mecklenburg-Vorpommern in Gang. Vor diesem Hintergrund ist der niedrig angesetzte Schwellenwert von 200 Liegeplätzen zu erklären und daher ist dieser Schwellenwert zutreffend gewählt. Die Vorprüfung findet entweder auf Antrag des Vorhabenträgers88 oder von Amts wegen statt. Der Antrag des Vorhabenträgers ist insoweit bedeutsam, als ___________ 86 Goppel, Zur Abfolge von Raumordnungsverfahren und Bauleitplanverfahren, BayVBl 2001, 116 f.; str., a.A. etwa VGH München, Beschluss vom 15.10.1999 – 1 ZE/CE 99.2148 –, NVwZ-RR 2000, 415, 416. 87 § 15 Abs. 4 ROG; s. auch noch § 19 Abs. 2 LplG BW; Art. 22 Abs. 1 BayLplG; § 2 Abs. 1 GROVerfV Bln-Bbg; § 18 Abs. 4 HessLPG; § 15 Abs. 3 LPlG M-V; § 32 LPlG NW; § 14 Abs. 2 NdsROG; § 17 Abs. 3 LPlG RhPf; § 22 Abs. 2 ThürLPlG. 88 Nicht in allen Bundesländern, siehe z. B. § 32 Abs. 1 S. 2 LPlG NW.
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damit der Vorhabenträger das Raumordnungsverfahren in Gang setzen kann, bevor er das Zulassungsverfahren beantragt. Er kann also zunächst das Erfordernis eines Raumordnungsverfahrens abwarten, bevor er sich entscheidet, in das kostspielige Zulassungsverfahren einschließlich Raumordnungsverfahren einzutreten. Von Amts wegen beginnt das Vorprüfungsverfahren, wenn die Planfeststellungs- oder Genehmigungsbehörde für das Zulassungsverfahren die für das Raumordnungsverfahren zuständige Behörde vom dem Antrag auf Zulassung unterrichtet. Das Vorprüfungsverfahren kann zu drei verschiedenen Ergebnissen kommen: –
Ein Raumordnungsverfahren wird durchgeführt, weil das Vorhaben raumbedeutsam ist.
–
Ein Raumordnungsverfahren wird nicht durchgeführt, weil das Vorhaben nicht raumbedeutsam ist.
–
Ein Raumordnungsverfahren wird nicht durchgeführt, weil das Vorhaben zwar raumbedeutsam ist, die zuständige Behörde aber von dem Verfahren absieht.
Das Raumordnungsrecht des Bundes89 lässt es zu, dass die zuständige Landesbehörde von einem Raumordnungsverfahren absieht, wenn das Landesrecht sie dazu ermächtigt. Eine wesentliche bundesrechtliche Voraussetzung für ein Absehen nach Landesrecht ist, dass das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens klar erkennbar ist. Wenn eine der in dem oben erwähnten Regionalplan I – Schleswig-Holstein Süd genannten Gemeinden einen Sportboothafen erweitern wollte, dann wäre erkennbar, dass sie genau das aus Sicht der Raumordnung tun soll oder zumindest darf. Ein Raumordnungsverfahren könnte unterbleiben. Viele Regionalpläne enthalten aber gerade solche klaren Aussagen nicht. In diesen Fällen kann das Raumordnungsverfahren unterbleiben, wenn die Erfordernisse der Raumordnung in einem anderen Verfahren hinreichend gewürdigt werden. Dazu gehören auch Planfeststellungsverfahren, weil in ihnen die Grundsätze der Raumordnung in die Abwägung eingestellt werden können.90 Als ein vorgezogenes Ergebnis lässt sich also feststellen, dass ein Raumordnungsverfahren mit hinreichender Sicherheit nur für solche Sportboothäfen durchgeführt werden muss, die der Planfeststellung bedürfen – diese Planfeststellung liefert aber zugleich einen Grund, vom Raumordnungsverfahren wieder abzusehen. ___________ 89 90
§ 15 Abs. 1 S. 4 ROG. Hopp (Fn. 78), S. 302 f.
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c) Eigentliches Raumordnungsverfahren Das Raumordnungsverfahren beginnt damit, dass zunächst die tatsächlichen Auswirkungen des gegenständlichen Sportboothafens ermittelt werden. Dann werden die für das Vorhaben relevanten Erfordernisse der Raumordnung aus den bestehenden Plänen ermittelt. Diese Grundlagenermittlungen finden unter Beteiligung der anderen betroffenen öffentlichen Stellen, z. T. auch unter Öffentlichkeitsbeteiligung statt. Abschließend werden die Ergebnisse dieser beiden Ermittlungen zu einer Bewertung abgewogen und das einzelne Vorhaben mit anderen Vorhaben abgestimmt, die sich gegenseitig beeinflussen können. Das Ergebnis ist die Feststellung, ob und inwieweit das Vorhaben den Erfordernissen der Raumordnung entspricht oder nicht. Diese Feststellung ist allerdings kein Verwaltungsakt oder eine ähnlich bindende Entscheidung, sondern eine rein tatsächliche Feststellung, die in den Zulassungsverfahren nach den dort geltenden Vorschriften zu berücksichtigen ist. Eine strikte Bindung besteht nicht. Das heißt, dass das Ergebnis der Raumordnung in die Abwägung über den festzustellenden Plan einfließt. Die Planfeststellungsbehörde kann sich daher über das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens hinwegsetzen – die Wahrscheinlichkeit, dass sie das ohne Abwägungsfehler tut, ist aber nur gering. Im konditional geprägten Genehmigungsverfahren hingegen ist das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens nur zu berücksichtigen, wenn es nach dem Landesrecht zum Prüfprogramm gehört. Die meisten Landeswassergesetze sehen im Rahmen der Anlagengenehmigung das Wohl der Allgemeinheit als Grenze für Genehmigungen vor. Ist also das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens eindeutig, dann kann es auch im Rahmen des Allgemeinwohls in das konditionale Genehmigungsverfahren Eingang finden, denn ein Vorhaben, das den Erfordernissen der Raumordnung widerspricht, dürfte kaum einmal dennoch mit dem Allgemeinwohl vereinbar sein.
4. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass ein Raumordnungsverfahren tendenziell für sehr große oder in nicht genutztem Raum alleinstehende Sportboothafenprojekte in Frage kommt, bei denen auch eine Planfeststellung durchzuführen ist. Es hängt dann vom Verhältnis zwischen der Planfeststellungsbehörde nach dem Wasserrecht und der Planungsbehörde für die Raumordnung ab, ob ein Raumordnungsverfahren durchgeführt wird oder ob die Raumplanungsbehörde sich damit begnügt, im Planfeststellungsverfahren Stellung zu nehmen.
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IV. Umweltprüfungen Als Letztes sollen die für die Zulassung eines Sportboothafens notwendigen Umweltprüfungen betrachtet werden.
1. Gemeinschaftsrecht Die Umweltprüfungen sind den deutschen Gesetzgebern gemeinschaftsrechtlich durch die Europäische Gemeinschaft (EG) vorgegeben. Sie sind – wie das Raumordnungsverfahren – keine selbstständigen Verfahren, sondern werden als sog. Huckepack-Verfahren in anderen Zulassungsverfahren mit durchgeführt. Sie ähneln dem Raumordnungsverfahren in ihrer Abhängigkeit von einem anderen Verfahren und in ihrem Einfluss auf das andere Verfahren: Ohne Zulassungsverfahren findet keine Umweltprüfung statt, die Umweltprüfung ihrerseits ist Voraussetzung für die Zulassung, sie nimmt aber die Zulassung nicht vorweg. Als Huckepack-Verfahren werden Umweltprüfungen bezeichnet, weil sie im Unterschied zum Raumordnungsverfahren von der Zulassungsbehörde selbst in das Zulassungsverfahren integriert werden: Das Zulassungsverfahren nimmt die Umweltprüfung huckepack.
2. Sinn und Zweck Sinn und Zweck dieser unselbstständigen Umweltprüfungen ist es, dass in den Zulassungsverfahren nach dem jeweiligen Fachrecht trotz des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs alle Umweltauswirkungen ermittelt und in den Blick genommen werden. Es soll also eine im doppelten Sinne integrierte Prüfung stattfinden: Die Umweltprüfung ist in ein anderes Verfahren integriert und sie integriert ihrerseits alle Umweltmedien in dieses Verfahren.
3. Abgrenzung Nun gibt es zwei verschiedene Umweltprüfungen, nämlich die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) einerseits und die Strategische Umweltprüfung oder Plan-Umweltprüfung (SUP) andererseits. Die UVP ist das ältere Verfahren. Sie ist strikt vorhabenbezogen und wird in abschließende Zulassungsverfahren integriert, in denen ein bestimmtes Vorhaben endgültig zugelassen wird. Die SUP hingegen ist planbezogen. Sie ist nicht in Zulassungsverfahren, sondern in Planungsverfahren zu integrieren, die eben nicht einzelne Vorhaben
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zulassen, sondern nur einen Rahmen für Vorhaben setzen. Das beste Beispiel ist die Bauleitplanung: Flächennutzungsplan und Bebauungsplan setzen immer eine SUP voraus.
4. UVP-Pflicht Die UVP-Pflicht hängt grundsätzlich von der Art eines Vorhabens und des konkreten Zulassungsverfahrens ab. Welche Vorhaben UVP-pflichtig sind, folgt aus der UVP-Richtlinie der EG91, speziell aus der Liste in ihrem Anhang I. Diese Liste nennt konkret bestimmte Vorhaben. Sie fängt bei Raffinerien für Erdöl an und führt über Kernkraftwerke und Autobahnen bis zu Mastbetrieben für mehr als 3.000 Schweine. Diese Vorhaben benötigen immer eine UVP. In ihrem Anhang II hingegen nennt die Richtlinie Jachthäfen, also Sportboothäfen, als Vorhaben, bei denen eine UVP nicht in jedem Fall durchgeführt werden muss, sondern nur nach einer vorherigen Prüfung des Einzelfalls.92 Diese Regelung hat das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) des Bundes93 nun den Ländern zur Umsetzung und Ausführung übertragen. Die Länder können also vorsehen, dass Sporthäfen stets einer UVP bedürfen, sie können die UVP aber auch von der vorherigen Einzelfallprüfung abhängig machen. Letzteres ist nahezu durchgehend der Fall, wobei einige Länder je nach Größe des Sportboothafens nochmals zwischen einer allgemeinen und einer standortbezogenen Einzelfallprüfung unterscheiden.94 Diese Einzelfallprüfung funktioniert ähnlich wie die Vorprüfung zum Raumordnungsverfahren, insbesondere kann auch sie schon vor dem Zulassungsverfahren, in das die UVP selbst dann integriert werden muss, durchgeführt werden. ___________ 91
Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27.06.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. EWG 1985 Nr. L 175 vom 5.7.1985, S. 40), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.05.2003 (ABl. EG Nr. L 156 vom 25.06.2003, S. 17). 92 Art. 4 Abs. 2 i. V. m. Anhang II der UVP-Richtlinie. 93 § 3d UVPG ist aufgrund des Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 11.08.2009, BGBl. 2007, S. 2723, mit Wirkung vom 02.03.2010 ersatzlos gestrichen, so dass die entsprechenden landesrechtlichen Umsetzungen, soweit noch nicht aufgehoben, gegenstandslos sind. 94 Gemäß Ziff. 13.12 der Anlage 1 zum UVPG ist nunmehr stets die allgemeine Einzelfallprüfung durchzuführen.
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Der materielle Maßstab für die UVP-Pflicht im Einzelfall wird so bestimmt, dass eine UVP durchzuführen ist, wenn nach einer überschlägigen Prüfung erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen von dem Vorhaben zu erwarten sind. Für diese Prüfung gibt Anhang III der UVP-Richtlinie eine Art Checkliste vor, anhand derer die zuständige Behörde vorgehen kann, damit sie sich nicht in Einzelheiten verliert,95 aber auch keine entscheidungserheblichen Fragen auslässt. Maßgebliche Kriterien sind die Größe des Sportboothafens, der Standort und die Vorbelastung des Standorts mit anderen oder jetzt umzugestaltenden Anlagen. Das Ergebnis der Einzelfallprüfung ist seinerseits Ergebnis einer Subsumtion unter die Normen zur UVP-Pflicht und damit eine bloße behördliche Feststellung der Rechtslage, die nach dem UVP-Recht nicht selbstständig, sondern immer nur gemeinsam mit der endgültigen Zulassungsentscheidung über das Vorhaben anfechtbar ist96 – auch das hat die UVP mit dem Raumordnungsverfahren gemeinsam. Besteht die UVP-Pflicht im Einzelfall, dann ist die UVP in das endgültige Zulassungsverfahren zu integrieren. Das kann entweder das Planfeststellungsverfahren über den Gewässerausbau oder aber das einfache Anlagengenehmigungsverfahren sein.
5. SUP-Pflicht Die aus der SUP-Richtlinie (SUPRL)97 folgende SUP-Pflicht hingegen besteht bei Plänen und Programmen, die u. a. in den Bereichen Verkehr, Wasserwirtschaft, Fremdenverkehr und Bodennutzung ausgearbeitet werden und die den Rahmen für die endgültige Genehmigung von Vorhaben setzen, die ihrerseits UVP-pflichtig sind98 oder deren voraussichtliche Auswirkungen auf Schutzgebiete nach der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie eine entsprechende Verträglichkeitsprüfung erfordern.99 Dabei lassen sich die SUPPflichten bei den genannten Plänen und Programmen in die sog. unbedingte ___________ 95
Gassner, UVPG, Heidelberg 2006, § 3c UVPG, Rn. 4. § 3a S. 3 UVPG; siehe dazu Gassner (Fn. 95), § 3a UVPG, Rn. 22 f.; Peters/Balla, Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung – Handkommentar, 3. Aufl., BadenBaden 2006, § 3a, Rn. 14; Storm/Bunge, Handbuch der Umweltverträglichkeitsprüfung, Loseblatt, Berlin 2005, § 3a UVPG, Rn. 56 ff. 97 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.06.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. EG Nr. L 197 vom 21.07.2003, S. 30). 98 Art. 3 Abs. 2 lit. a) SUPRL. 99 Art. 3 Abs. 2 lit. b) SUPRL. 96
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SUP-Pflicht für Pläne aus den in der SUP-Richtlinie genannten Bereichen und die sog. bedingte SUP-Pflicht für andere Pläne, die den Rahmen für die endgültige Genehmigung von Vorhaben setzen, unterscheiden.100 Flächennutzungsplan und Bebauungsplan wurden bereits oben als SUPpflichtig benannt. Andere Beispiele für die unbedingte Pflicht sind etwa die Bedarfspläne für Bundesfernstraßen und Bundesschienenwege, Hochwasserschutzpläne, wasserrechtliche Maßnahmenprogramme zur Wiederherstellung ökologisch wertvoller Gewässer, aber auch Regionalpläne.101 Die SUP ist damit auf Pläne anzuwenden, die für spätere Vorhaben noch keine abschließende Zulassungsentscheidung treffen, sondern nur einen planerischen Einfluss oder eine Steuerungswirkung haben.102 Nun sind aber alle Zulassungsverfahren aus dem Wasserrecht auf eine abschließende Zulassung des Sportboothafens zugeschnitten. Dafür kommt keine SUP in Frage, sondern eine UVP. In dem hier behandelten Rahmen ist daher grundsätzlich kein Raum für eine SUP. Allerdings besteht ein Sportboothafen nicht nur aus Wasserflächen, sondern auch aus Landflächen, die ggf. durch Bauleitpläne überplant werden. Bauleitpläne sind aber immer SUP-pflichtig. Im sogleich zu behandelnden Verhältnis der einzelnen Umweltprüfungen zueinander ist die SUP daher ebenfalls einzubeziehen, auch wenn sie nur für ein hier nicht behandeltes Planverfahren notwendig ist.
6. Umweltprüfung im Raumordnungsverfahren Das Raumordnungsverfahren trifft als vorgelagertes Verfahren keine abschließende Zulassungsentscheidung über ein Vorhaben. Eine UVP gehört daher nicht in das Raumordnungsverfahren. Das Raumordnungsverfahren setzt aber auch keinen planenden Rahmen für ein Vorhaben, sondern zieht nur einen bestehenden Rahmen für ein konkretes Vorhaben nach. Auch die SUP scheidet damit eigentlich aus. Allerdings ist das Verfahren von Raumordnungsverfahren und Umweltprüfung ähnlich: SUP, UVP und Raumordnungsverfahren beginnen – nach der Vorprüfung im Einzelfall – zunächst mit dem sog. Scoping. Das Scoping ist als ___________ 100 Hendler, Das Gesetz zur Einführung einer Strategischen Umweltprüfung, NVwZ 2005, 977, 979. 101 Gassner (Fn. 95), § 14b UVPG, Rn. 7–11. 102 Hendler (Fn. 100), S. 979 f.; Peters/Balla (Fn. 96), § 14b, Rn. 9; Schink, Umweltprüfung für Pläne und Programme – Anwendungsbereich der SUP-Richtlinie und Umsetzung in deutsches Recht, NVwZ 2005, 615, 618; Spannowsky, Rechts- und Verfahrensfragen einer „Plan-UVP“ im deutschen Raumplanungssystem, UPR 2000, 201, 204; Stüer (Fn. 15), S. 1001.
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mündliche Besprechung ausgestaltet, in der zwischen dem Vorhabenträger und der ein Verfahren durchführenden Behörde geklärt wird, welche Informationen und Unterlagen erforderlich sind, damit die Behörde das Verfahren durchführen kann. Außerdem wird der tatsächliche Prüfungsrahmen besprochen. Anschließend findet eine Ermittlung derjenigen Tatsachen statt, die in den Prüfungsrahmen des jeweiligen Verfahrens fallen. Dazu wird in allen drei Verfahren auch eine Beteiligung anderer Behörden und unter bestimmten Voraussetzungen eine Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt. Den Abschluss bildet in allen drei Verfahren eine Zusammenfassung und Bewertung der ermittelten Ergebnisse, die aber noch keine Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens beinhaltet.103 Aus eben dieser Gemeinsamkeit ergibt sich aber, dass das Raumordnungsverfahren besonders gut als Trägerverfahren für eine Umweltprüfung geeignet ist: Im Grunde führt die Umweltprüfung im Raumordnungsverfahren nicht zu Änderungen des Verfahrens, es müssen nur mehr Inhalte ermittelt werden. Außerdem kommt das Raumordnungsverfahren dem gemeinschaftsrechtlichen Grundgedanken der integrierten Umweltprüfung insofern sehr nahe, als es sich auch auf alle Umweltmedien zugleich bezieht.104 Dagegen sind die Unterschiede eher gering: Die Prüfungsmaßstäbe sind etwas unterschiedlich, denn das Raumordnungsverfahren bezieht sich nicht nur auf die Umwelt, berücksichtigt aber auch Umweltbelange105, wenn auch wesentlich weniger detailliert als die Umweltprüfungen.106 Aus dieser besonderen Eignung und aus dem sog. Frühzeitigkeitsgebot wird daher eine gemeinschaftsrechtliche Pflicht angenommen, eine förmliche Umweltverträglichkeitsprüfung auch im Rahmen eines Raumordnungsverfahrens durchzuführen, wenn Letzteres ein UVP-pflichtiges Vorhaben betrifft,107 während eine weitere Ansicht nur die Verpflichtung annimmt, überhaupt eine Umweltprüfung in das Raumordnungsverfahren ohne Bindung an die Standards der UVP einzufügen.108 ___________ 103
Beckmann (Fn. 72), N Rn. 209; Wagner, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 3. Aufl., Köln u.a. 2007, § 16, Rn. 24. 104 Wagner (Fn. 103), § 16, Rn. 26. 105 Beckmann (Fn. 72), N Rn. 209. 106 Wagner (Fn. 103), § 16, Rn. 25. 107 Bartlsperger, Leitlinien zur Regelung der gemeinschaftsrechtlichen Umweltverträglichkeitsprüfung unter Berücksichtigung der Straßenplanung, DVBl. 1987, 1, 11; Sauthoff, Die strategische Umweltprüfung im Straßenrecht, ZUR 2006, 15, 17 f. 108 Wagner (Fn. 103), § 16, Rn. 8; Sydow, Horizontale und vertikale Verzahnung der Strategischen Umweltprüfung mit anderen umweltbezogenen Prüfverfahren, DVBl. 2006, 65, 73 f.; siehe auch Hopp (Fn. 78), S. 306; weitergehend Hendler, Zum Begriff der Pläne und Programme in der EG-Richtlinie zur strategischen Umweltprüfung,
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Das UVPG des Bundes setzt diese vermeintlich oder tatsächlich bestehende Pflicht allerdings nicht um, sondern überließ dies ausdrücklich dem Landesrecht.109 § 13 LUVPG Schleswig-Holstein beispielsweise enthält dafür eine schlanke Regelung: Im Raumordnungsverfahren sind diejenigen raumbedeutsamen Umweltauswirkungen zu ermitteln, die nach dem Planungsstand des Vorhabens bereits ermittelt werden können.110 Dies ist aber auch ausreichend, denn weder die maßgeblichen EG-Richtlinien noch das UVPG enthalten – so sieht es die Literatur – weitere Standards für die Umweltprüfung, die das Raumordnungsverfahren nicht ohnehin schon erfüllt.111 Dennoch ordnen etwa Rheinland-Pfalz in § 17 Abs. 8 des Landesplanungsgesetzes Rheinland-Pfalz112 und das Saarland in § 9 Abs. 4 des Saarländischen Landesplanungsgesetzes113 für Vorhaben, die nach Anlage 1 UVPG einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedürfen, bereits im Raumordnungsverfahren eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung an, die den Anforderungen aus dem Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung des Bundes genügt. Auch wenn das Raumordnungsverfahren bei der Planung und Zulassung von Sportboothäfen häufig entfallen darf, kann es daher seinen eigenen Wert wegen der Umweltprüfung haben.
___________ DVBl. 2003, 227, 234; Jacoby, Die Strategische Umweltprüfung in der Raumordnung, UVP-Report 2001, S. 134; Uechtritz, Die Umweltprüfung in der Raumordnung, ZUR 2006, 9, 11 f.; Schreiber, Die Umsetzung der Plan-UP-Richtlinie im Raumordnungsrecht – eine Zwischenbilanz, UPR 2004, 50, 53; die alle gar keine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zu einer Umweltprüfung im Raumordnungsverfahren annehmen. 109 § 16 Abs. 1 UVPG in der seit dem 01.03.2010 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 11.08.2009, BGBl. 2007, S. 2723, enthält nunmehr bundesrechtlich eine in das Raumordnungsverfahren integrierte Umweltverträglichkeitsprüfung nach den hier dargestellten Maßstäben; s. zur alten Rechtslage noch Wagner (Fn. 103), § 16, Rn. 23; Uechtritz (Fn. 108), S. 10. 110 Vgl. auch § 18 Abs. 2 LplG BW; Art. 21 f. BayLplG; Art. 16 LplV Bln-Bbg i. V. m. § 1 Abs. 4 GROVerfV; § 18 Abs. 3 § 18 HessLPG; § 15 LPlG M-V i. V. m. § 2 Abs. 3 Nr. 2 LUVPG M-V i. V. m. § 16 UVPG; § 29 LPlG NW i. V. m. § 2 Abs. 1 S. 2 UVPG; § 12 NdsROG i. V. m. § 2 Abs. 1 S. 2 UVPG; § 17 Abs. 4 LPlG RhPf; § 15 LPlG LSA i. V. m. § 2 Abs. 1 S. 2 UVPG; § 14 Abs. 3 LPlanungsG SH; § 21 ThürLPlG i. V. m. § 2 Abs. 1 S. 2 UVPG. 111 Gassner (Fn. 95), § 16 UVPG, Rn. 8; ähnlich: Storm/Bunge (Fn. 96), § 16 UVPG, Rn. 13. 112 Landesplanungsgesetz (LPlG) vom 10.04.2003, GVBl 2003, S. 41. 113 Saarländisches Landesplanungsgesetz (SLPG) vom 12.06.2002, Amtsblatt 2002, S. 1506.
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7. Verhältnis der durchzuführenden Verfahren untereinander Eben dieser Wert ergibt sich aus dem Verhältnis all dieser Umweltprüfungsverfahren untereinander. Ich fasse vorab noch einmal zusammen: Für einen Sportboothafen ist immer ein Zulassungsverfahren durchzuführen, sei es das Planfeststellungsverfahren für den Gewässerausbau oder das Genehmigungsverfahren für Anlagen im Gewässer. Zu dem Planfeststellungsverfahren kommt das Raumordnungsverfahren hinzu, wenn nicht im Einzelfall davon abgesehen wird. Für die landseitige Bebauung des Sportboothafens wird in der Praxis fast immer ein Bebauungsplan notwendig sein. Die wasserrechtlich zuständige Behörde führt nun ihre Vorprüfung im Einzelfall durch, ob eine UVP notwendig ist oder nicht. Kommt sie zu dem Ergebnis, dass eine UVP durchzuführen ist, dann tritt neben die ohnehin pflichtige SUP für den Bebauungsplan und die Umweltprüfung im Raumordnungsverfahren die UVP des wasserrechtlichen Verfahrens. Alle drei Prüfungen betreffen aber ein und dasselbe Vorhaben. Alle drei Prüfungen erfolgen huckepack in verschiedenen Trägerverfahren, deren Prüfungsgegenstände nur wenig miteinander zu tun haben. Die Gegenstände der Umweltprüfungen sind aber in allen drei Verfahren dieselben, nämlich alle Umweltauswirkungen des Sportboothafens auf alle Umweltmedien. Dagegen lässt sich nicht einwenden, der Bebauungsplan beziehe sich auf die Landflächen und die wasserrechtliche Zulassung auf die Wasserflächen des Sportboothafens, so dass verschiedene Gegenstände vorlägen. Für alle Umweltprüfungen gilt, dass bei einem Vorhaben auch mittelbare Umweltauswirkungen zu prüfen sind, also die Auswirkungen, die ein Vorhaben über seinen räumlichen Bereich hinaus verbreitet. Und da die Landanlagen und die Wasseranlagen eines Sportboothafens nicht nur nebeneinander liegen, sondern funktional miteinander verbunden sind, haben sie erhebliche Einflüsse aufeinander. Sie funktionieren nicht unabhängig voneinander. Daher sind aber auch bei beiden Teilen die Umweltauswirkungen des anderen Teils mit zu berücksichtigen. Das Raumordnungsverfahren gilt ohnehin für das Gesamtvorhaben im Wasser und an Land, so dass sich ein einheitlicher Prüfumfang ergibt. Grundsätzlich gilt zwischen mehreren Strategischen Umweltprüfungen das Abschichtungsprinzip: Jede SUP ermittelt nur die Auswirkungen, für die der jeweilige Plan detailliert genug ist. Der Plan auf der niedrigeren Stufe ermittelt dann die darüber hinausgehenden Details.114 Für ein Sportboothafenprojekt wird aber tendenziell nur eine Planungsstufe realisiert, nämlich der Bebauungsplan. Ein Abschichten auf die untere Ebene fällt aus. ___________ 114
§ 14f Abs. 3 UVPG, § 2 Abs. 4 S. 5 BauGB; dazu: Stüer (Fn. 15), S. 1002.
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Wenn mehrere UVP-pflichtige Verfahren für ein Vorhaben erforderlich sind, führt jede einzelne Behörde ihre eigene UVP im Rahmen ihrer Zuständigkeit durch115 – es kann also nicht eine UVP mit Konzentrationswirkung für alle Verfahren stattfinden.116 Dennoch gibt es eine Verfahrensvereinfachung dahingehend, dass alle Behörden zusammenarbeiten und unter Koordination einer federführenden Behörde ihre jeweiligen Informationen zusammentragen,117 von der federführenden Behörde eine zusammenfassende Darstellung der Umweltauswirkungen erstellen lassen und dann jeweils für sich wiederum eine abschließende Bewertung erstellen.118 Es findet aber für einen Sportboothafen zunächst einmal nur eine UVP statt, die nicht mit einer anderen verbunden werden kann. Das Raumordnungsverfahren hat darüber hinaus seine ganz eigene Umweltprüfung, die ihrerseits daneben steht. Für solche Fälle bietet § 14n UVPG eine Lösung: Wenn für ein Vorhaben Umweltprüfungen unterschiedlicher Art durchzuführen sind, die nicht miteinander als gemeinsame UVP verbunden oder als SUP untereinander abgeschichtet werden können, können die jeweiligen Behörden trotzdem eine Verfahrensverbindung herbeiführen. Dabei liegt es im Ermessen der Behörden, inwieweit sie zusammenarbeiten wollen. Allerdings ist dieses Ermessen von dem gesetzgeberischen Ziel des Umweltprüfungsrechts geprägt, Mehrfachprüfungen, wo immer möglich, zu vermeiden.119 Die Behörden sollen also zusammenarbeiten. Die äußere Grenze ist nur, dass jede Umweltprüfung die für sie selbst geltenden Verfahrensvorgaben einhält. In der Praxis führt das meist dazu, dass bestimmte Teile der Ermittlung von Umweltauswirkungen gemeinsam durchgeführt werden. Das betrifft zumeist die eigentliche Sachverhaltsermittlung, also insbesondere die Sichtung von vorhandenem Gutachtenmaterial, die erforderliche Kartierung eines Gebiets hinsichtlich der dort vorhandenen Flora und Fauna, das Einholen neuer Sachverständigengutachten über diese Flora und Fauna und Ähnliches. Die Öffent___________ 115
Appold, in: Hoppe (Fn. 103), § 2, Rn. 73; Jarass, Grundstrukturen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, NuR 1991, 201, 206. 116 Appold (Fn. 115), § 2, Rn. 73; siehe auch Erbguth, Gemeinschaftsrechtliche Impulse zur Weiterentwicklung des nationalen Verwaltungsrechts – Der integrative Ansatz der Umweltverträglichkeitsprüfung nach EG-Recht, DÖV 1988, 481, 486 ff. 117 Schieferdecker, in: Hoppe (Fn. 103), § 14, Rn. 38. 118 Gassner (Fn. 95), § 14 UVPG, Rn. 18; Peters/Balla (Fn. 96), § 14, Rn. 9. 119 Gassner (Fn. 95), § 14f UVPG, Rn. 22; ähnlich auch Storm/Bunge (Fn. 96), § 14 UVPG, Rn. 3 ff., die allerdings kritisieren, dass die bloße Zusammenfassung der Umweltprüfung bei weiterhin getrennten Zulassungsverfahren für ein Vorhaben eine Mehrfachprüfung nicht hinreichend vermeidet und dem medienübergreifenden Ansatz nicht gerecht wird.
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lichkeits- und Behördenbeteiligung für die Umweltprüfungen hingegen ist in den unterschiedlichen Verfahren meist einfacher mit der dort jeweils nötigen Beteiligung anderer zu verknüpfen. Sie findet daher tendenziell nicht gemeinsam statt. Alle drei Verfahren sehen nämlich unabhängig von der Umweltprüfung ohnehin unterschiedliche Beteiligungen Dritter vor, im Bebauungsplanverfahren sogar zweimal. Da bietet es sich eher an, in diesen Verfahren auch die Öffentlichkeit für die Umweltprüfung herzustellen. Letztlich eröffnet § 14n UVPG den Behörden ein sehr weites Verfahrensermessen, das im Sinne der Verfahrenseffizienz ausgeübt werden kann.120 Das Ziel muss es sein, nichts doppelt zu ermitteln, aber auch nichts zu vergessen.
V. Ergebnisse Allein die Vielzahl der potenziell durchzuführenden Verfahren im Wasserrecht zeigt, dass nicht nur planerischer Sachverstand von Architekten und Ingenieuren gefragt ist, sondern auch vertiefter rechtlicher Sachverstand. Nur damit kann sichergestellt werden, dass alle erforderlichen Zulassungsverfahren durchgeführt werden. Andererseits muss es Ziel sein, nur die erforderlichen Verfahren durchzuführen, wenn einzelne Verfahren Konzentrationswirkung für andere Zulassungsentscheidungen entfalten. Die entscheidende Weichenstellung für die wasserseitige Zulassung eines Sportboothafens ist die Frage des Gewässerausbaus, die über das Erfordernis des bundesrechtlichen Planfeststellungsverfahrens oder des landesrechtlichen Anlagenzulassungsverfahrens entscheidet. Hinzu kommt ggf. ein landesrechtliches Zulassungsverfahren mit Betreiberbezug. Raumordnungsverfahren und Umweltprüfungen begleiten diese Verfahren oder werden in sie integriert. Ein Raumordnungsverfahren wird insbesondere bei größeren Sportboothäfen erforderlich. Soweit diese Vorhaben ein Planfeststellungsverfahren benötigen, ist ein Raumordnungsverfahren an sich zwingend, allerdings können im Einzelfall die raumordnerischen Auswirkungen auch im Planfeststellungsverfahren mit geprüft werden, so dass das Raumordnungsverfahren wieder entfällt. Die genannten wasserrechtlichen Verfahren sind auf die endgültige Zulassung des Sportboothafens gerichtet und erfordern daher niemals eine SUP, aber nach einer Vorprüfung im Einzelfall ggf. eine UVP. Das Raumordnungsverfahren hingegen enthält seine eigene Umweltprüfung. Dabei können die Synergieeffekte zwischen den Umweltprüfungen materiell genutzt werden, auch wenn die Umweltprüfungen formal getrennt bleiben.
___________ 120
Gassner (Fn. 95), § 14n UVPG, Rn. 6 f.
Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des Court of Arbitration for Sport (CAS) in Deutschland Unter besonderer Berücksichtigung der objektiven Schiedsfähigkeit der Streitigkeit* Von Mark Deckelmann I.
Einleitung ..........................................................................................................
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II. Die Bedeutung des CAS in der internationalen Sportgerichtsbarkeit ................
79
III. Entscheidungen des CAS vor deutschen Gerichten ..........................................
83
1. 2.
Verfahrenskonstellationen .........................................................................
83
Rechtliche Einordnung der Entscheidungen des CAS ...............................
84
a)
Die Nationalität der Entscheidungen des CAS ...................................
86
aa) Nationalität eines Schiedsspruchs nach deutschem Recht ..........
86
bb) Die Entscheidungen des CAS .....................................................
89
Entscheidungen des CAS als echte Schiedssprüche? .........................
92
aa) Rechtliche Anforderungen an einen echten Schiedsspruch.........
92
bb) Einordnung der Entscheidungen des CAS ..................................
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b)
(1) (2)
Der CAS als parteiautonom bestimmter unabhängiger Dritter ...............................................................................
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Verbindlichkeit und rechtliche Einordnung nach Schweizer Recht ..........................................................................
96
3.
Anwendbares Recht ................................................................................... 100
4.
Verfahren bei der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen des CAS ..................................................................................................... 102
IV. Der Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgrund fehlender objektiver Schiedsfähigkeit ................................................................................................ 105 1.
Art. 5 UNÜ als abschließender Katalog von Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgründen ......................................................................... 105
___________ * Der Beitrag stellt einen Teilbereich der Dissertation dar, die der Verfasser demnächst bei der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg einreichen wird.
78
Mark Deckelmann 2.
Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgründe gemäß Art. 5 UNÜ .......................................................................................................... 107
3.
Die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung des CAS infolge mangelnder objektiver Schiedsfähigkeit ......................... 108 a)
Die objektive Schiedsfähigkeit des Streitgegenstands........................ 108 aa) Strafrechtliches Schiedsverbot .................................................... 110 bb) Arbeitsrechtliches Schiedsverbot ................................................ 111
b)
Die Rechtsprechung des CAS ............................................................ 116
V. Zusammenfassung............................................................................................. 121
I. Einleitung Das Internationale Sportschiedsgericht (Court of Arbitration for Sport, CAS)1 in Lausanne feierte 2009 bereits sein 25-jähriges Bestehen und wurde – nach anfänglichen Zweifeln an seiner Unabhängigkeit von den Verbänden2 – infolge einer umfassenden Restrukturierung im Jahr 19943 vom Schweizer Bundesgericht als echtes Schiedsgericht anerkannt.4 Seine Bedeutung für die Sportrechtsprechung hat seit Beginn der 1990er Jahre stetig zugenommen und wird voraussichtlich auch weiterhin steigen. Auch wenn Schiedsparteien für die spätere Durchsetzung einer Entscheidung des CAS oftmals keiner staatlichen Vollstreckungshilfe bedürfen, werden deutsche Gerichte in verschiedenen Stadien eines sportrechtlichen Verfahrens (insbes. Einrede der Schiedsvereinbarung zum CAS sowie Antrag auf Anerken___________ 1 Die Gründung des Court of Arbitration for Sport (CAS) geht auf eine Initiative des damaligen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch zurück, vgl. dazu K. Mbaye, Sport et Arbitrage, BullASA 1990, S. 115 f. und M. Reeb (Hrsg.), Receuil des sentences du TAS. Digest of CAS Awards 1998–2000, Den Haag, 2002, S. XIII f. Weil der CAS seinen Sitz in Lausanne hat, ist auch die französische Bezeichnung „Tribunal Arbitral du Sport“ (TAS) gebräuchlich. 2 Schweizer Bundesgericht, BGE 119 II 271 („Gundel“-Urteil), detaillierter zum Sachverhalt und zur ursprünglichen Organisation des CAS S. 272 ff.; in Auszügen abgedruckt auch bei M. Reeb (Hrsg.), Receuil des sentences du TAS. Digest of CAS Awards 1998–2000 (Fn. 1), S. 545 ff. Kritisch zur ursprünglichen Struktur des CAS (stellvertretend für viele) M. Baddeley, L'association sportive face au droit: les limites de son autonomie, Basel, 1994, S. 272 ff. und C. Vedder, Das IOC in der Kritik, SpuRt 1999, 147. 3 Vgl. zu den Hintergründen der Reform G. Kaufmann-Kohler, Réforme des structures et révision des règles d'arbitrage, in: CAS (Hrsg.), Conférence internationale Droit et Sport, Lausanne, 1994, S. 56 und die anschließenden Diskussionsbeiträge der Konferenzteilnehmer, ebd. 4 Schweizer Bundesgericht, BGE 129 III 445 („Lazutina/Danilova“-Urteil), in Auszügen abgedruckt und besprochen in: SpuRt 2004, 38 ff.
Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des CAS
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nung, Nichtanerkennung und/oder Vollstreckung einer Entscheidung des CAS) künftig immer öfter mit Entscheidungen des Internationalen Sportschiedsgerichts konfrontiert werden. Ziel dieses Beitrags ist es, zunächst einen Überblick über die bei einem Antrag auf Anerkennung, Nichtanerkennung und/oder Vollstreckung einer Entscheidung des CAS in Deutschland anwendbaren Bestimmungen zu geben und dann in einem zweiten Schritt die Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit von Entscheidungen des CAS unter besonderer Berücksichtigung der objektiven Schiedsfähigkeit der der Entscheidung des CAS zugrunde liegenden Streitigkeit zu untersuchen.
II. Die Bedeutung des CAS in der internationalen Sportgerichtsbarkeit Seit seiner Gründung im Jahre 1984 ist der CAS im Laufe der Jahre immer häufiger in Anspruch genommen worden.5 Neben der nach wie vor zunehmenden „Verrechtlichung“ des Sports und der mittlerweile auch international gelungenen Anerkennung des CAS als einer der „tragenden Pfeiler des organisierten Sports“6 verdankt er seine überragende Stellung in der internationalen Sportgerichtsbarkeit vor allem der von den internationalen Sportverbänden forcierten Durchsetzung des CAS als welteinheitliche oberste Entscheidungsinstanz für Rechtsstreitigkeiten zwischen Sportverbänden und Athleten. Durch die Installierung einer zentralen Instanz sollte in internationalen Angelegenheiten vor allem die für die Erhaltung der Chancengleichheit im Wettkampfsport als unabdingbar angesehene welteinheitliche Anwendung und Durchsetzung der sportlichen Regelwerke gewährleistet werden. Die Sportverbände allein konnten diese Aufgabe angesichts der zunehmenden Überprüfung von Entscheidungen von Verbandsgerichten durch staatliche Gerichte verschiedenster Länder immer weniger leisten.7 ___________ 5 Siehe dazu die bei M. Reeb (Hrsg.), Receuil des sentences du TAS. Digest of CAS Awards 2001–2003, Den Haag, 2004, S. 771 f. sowie die unter http://www.tas-cas.org veröffentlichte Statistik. Laut S. Netzle, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit jetzt Online, SpuRt 2008, 192 hat der CAS seit seiner Gründung schon mehr als 1600 Fälle behandelt und über 900 Schiedsurteile gefällt. 6 So das Schweizer Bundesgericht, BGE 129 III 445 Erw. 3.3.3.3, in Auszügen abgedruckt und besprochen in: SpuRt 2004, 38 ff. 7 Der Ausschluss der ordentlichen Gerichtsbarkeit ohne Schaffung eines ausreichend unabhängigen echten Schiedsgerichts ist nach inzwischen einhelliger Meinung verfassungswidrig und damit nichtig, grundlegend dazu BGHZ 29, 354; ähnlich BGH NJW 1995, 583, 587 = SpuRt 1995, 43–51 („Reiter“-Urteil).
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Mittlerweile haben alle internationalen Fachverbände der olympischen Sportarten sowie einige internationale Fachverbände nichtolympischer Sportarten den CAS in ihren Statuten zur Berufungsinstanz gegen die Entscheidungen ihrer internen Verbandsgerichtsbarkeit8 bestimmt.9 Als letzte der internationalen Fachverbände der olympischen Sportarten, die sich in der sog. Pariser Vereinbarung von 199410 zur Errichtung und Unterstützung der Schiedsgerichtsbarkeit in Sportsachen verpflichtet hatten, haben die wohl bedeutsamsten internationalen Fachverbände, der Internationale Leichtathletikverband (IAAF)11 und – nach einem kurzen Intermezzo in Form eines eigenen „Tribunal Arbitral de Football“12 – auch der Internationale Fußballverband (FIFA)13, entsprechende Regelungen in ihre Statuten aufgenommen. Nach dem im organisierten Sport geltenden „Ein-Platz-Prinzip“ sind grundsätzlich jeweils nur ein internationaler und ein nationaler Verband für eine Sportart zuständig, um die internationale Einheitlichkeit der Spiel- und Wettkampfregeln einer Sportart zu gewährleisten. Die nationalen Fachverbände sind verpflichtet, die Regelungen und Entscheidungen des für sie zuständigen internationalen Fachverbands anzuerkennen und auf nationaler Ebene durchzuset___________ 8
Vgl. zu Begriff und Bedeutung der Vereins- und Verbandsgerichtsbarkeit B. Pfister/T. Summerer, in: J. Fritzweiler/B. Pfister/T. Summerer (Hrsg.), Praxishandbuch Sportrecht, 2. Aufl., München, 2007, 2. Teil Rn. 276 ff. 9 K. Mbaye, in: M. Reeb (Hrsg.), Digest of CAS Awards 2001–2003, (Fn. 5), S. ix. 10 Die offizielle Bezeichnung der Pariser Vereinbarung lautet „Convention relative à la constitution du Conseil International de l'Arbitrage en matière de Sport“, abgedruckt bei M. Reeb (Hrsg.), Digest of CAS Awards 2001–2003 (Fn. 5), S. 765 ff. 11 Regel 60 Nr. 9–31 der Competition Rules der IAAF, in ihrer jeweils aktuellen Fassung abrufbar unter http://www.iaaf.org; eine regelmäßig aktualisierte deutsche Übersetzung findet sich auf der Website des DLV (http://www.deutscher-leichtathletikverband.de). 12 Vgl. zur „Mühe“ der beiden größten Verbände, „das letzte Wort dem Internationalen Sportschiedsgericht zu überlassen“, S. Netzle, Wie hält es das Internationale Sportschiedsgericht mit dem Doping?, in: K. Vieweg (Hrsg.), Doping. Realität und Recht, Berlin, 1998, S. 201, Fn. 15, D. Oswald, Pour une juridiction arbitrale spécialisée dans le sport, in: F. Bohnet/P. A. Wessner (Hrsg.), Mélanges en l'honneur de François Knoepfler, Basel, 2005, S. 357. Die FIFA hatte zunächst ein eigenes „Tribunal Arbitral de Football“ (TAF) gegründet, dessen Schiedsordnung sich freilich sehr eng an diejenige des CAS anlehnte, vgl. dazu I. Blackshaw, FIFA approves the creation of an independent arbitration tribunal, SLB 2001, Nr. 5, S. 18. Letztlich unterwarf sich aber auch die FIFA der Rechtsprechung des CAS; die Statuten wurden entsprechend angepasst, vgl. dazu A. Sengle, Verbandsgerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit im nationalen Fußball (DFB), in: G. Crezelius/H. Hirte/K. Vieweg (Hrsg.), Festschrift für Volker Röhricht zum 65. Geburtstag, Köln, 2005, S. 23. Als Zugeständnis an die FIFA führt der CAS eine Liste von Schiedsrichtern mit besonderer Sachkunde im Fußball, vgl. zu deren Besetzungsmodalitäten L. Halgreen, European Sports Law, Kopenhagen, 2004, S. 238, Fn. 160. 13 Art. 60 und 61 der FIFA-Statuten, in ihrer jeweils aktuellen Fassung abrufbar unter http://www.fifa.com.
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zen.14 Die Zuständigkeitsbegründungen für den CAS in den Regelungen der internationalen Fachverbände sind deswegen auch für die nationalen Fachverbände verbindlich und werden von diesen durch die (regelmäßig wortidentische) Überführung in das eigene Regelwerk oder durch den Verweis auf das Regelwerk des internationalen Fachverbands umgesetzt.15 Neben den internationalen Fachverbänden haben auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die Vereinigung der Nationalen Olympischen Komitees (ANOC) die Pariser Vereinbarung unterzeichnet und den CAS zur Streitentscheidung berufen. Regel 61 der Olympischen Charta weist dem CAS die abschließende Entscheidung aller Streitigkeiten „anlässlich oder im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen“ zu. Daneben verpflichten sich Athleten mit ihrer Anmeldung zu den Olympischen Spielen auch vertraglich16 dazu, die ausschließliche Zuständigkeit des CAS zu akzeptieren und auf die Anrufung staatlicher Gerichte zu verzichten.17 ___________ 14
Ausführlich zum „Ein-Platz-Prinzip“ P. Zen-Ruffinen, Droit du sport, Zürich, 2002, Nr. 103 ff., J. Adolphsen, Internationale Dopingstrafen, Tübingen, 2003, S. 42 ff., K. Vieweg, Normsetzung und -anwendung deutscher und internationaler Verbände, Berlin, 1990, S. 51 ff., T. Summerer, in: Praxishandbuch Sportrecht (Fn. 8), 2. Teil Rn. 22 ff. und 108 f. 15 Gemäß § 3 Nr. 1 der DFB-Satzung (in ihrer jeweils aktuellen Fassung abrufbar unter http://www.dfb.de) sind die Statuten der FIFA auch für den DFB verbindlich, der sich folgerichtig in § 17a DFB-Satzung „den Entscheidungen des CAS [unterwirft], soweit zwingendes nationales oder internationales Recht nicht entgegensteht oder die FIFA- oder UEFA-Reglemente Ausnahmen zulassen“. Die die Zuständigkeit des CAS begründende Regel 60 der IAAF Competition Rules ist gemäß § 15 Nr. 1.1 der DLVSatzung auch Bestandteil der DLV-Satzung. 16 Da Regel 61 Olympische Charta nicht eindeutig bestimmt, wer in welchem Umfang an die Zuständigkeit des CAS gebunden ist, versucht das IOC, die ausschließliche Zuständigkeit des CAS mittels verpflichtender Unterzeichnung des Meldeformulars auch vertraglich sicherzustellen. 17 Schiedsvereinbarung im Meldeformular für die Olympischen Spiele von Sydney 2000, abgedruckt bei CAS Awards – Sydney 2000 S. 180: „I agree that any dispute in connection with the Olympic Games, not resolved after exhaustion of the legal remedies established with my NOC, the International Federation governing my sport, the Sydney Organising Committee for the Olympic Games (SOCOG) and the IOC, shall be submitted exclusively to the Court of Arbitration for Sport (CAS) for final and binding arbitration in accordance with the Arbitration Rules for the Olympic Games in Sydney, which form part of the Code of Sports-related Arbitration. The CAS shall rule on its jurisdiction and has the exclusive power to order provisional and conservatory measures. The decision of the CAS shall be final. In the interest of speedy and expert resolution of all disputes arising in connection with the Olympic Games, I hereby surrender any right I may have to commence proceedings in a court in relation to any such dispute or file any appeal, review or recourse to any state court or other judicial authority from any arbitral awards, decision or ruling issued by the CAS. In particular, without restricting the generality of the foregoing and for better and further assurance notwithstanding that such provisions have no applicability, I agree that neither party will have the right of appeal under § 38 of the Commercial Arbitration Act of any of the Australian states or to apply
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Dem olympischen „Ein-Platz-Prinzip“ entsprechend sind die nationalen olympischen Komitees wiederum verpflichtet, die Beachtung der Olympischen Charta in ihrem Land sicherzustellen.18 Der aus dem Nationalen Olympischen Komitee Deutschland (NOK) und dem Deutschen Sportbund (DSB) hervorgegangene Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) sieht daher in seiner Satzung vor, dass alle „Streitigkeiten mit einem Athleten/einer Athletin, der/die zu Olympischen Spielen nominiert ist, oder mit einem olympischen Spitzenverband oder dem IOC, die während der Olympischen Spiele entstehen oder sich aus der Veranstaltung der Olympischen Spiele oder ihrer Vorbereitung oder Abwicklung ergeben oder diese betreffen, … ausschließlich der Schiedsgerichtsbarkeit des Court of Arbitration for Sport (CAS)“ unterliegen.19 Mit Verabschiedung des Welt-Anti-Doping-Code (WADC)20 am 5. März 2003 wurde der CAS auch als letzte Instanz in allen internationalen Streitigkeiten über Entscheidungen nach dem WADC oder Regeln, die den WADC umsetzen, installiert.21 Auf nationaler Ebene sieht der Anti-Doping-Code der Nationalen Anti-Doping-Agentur NADA22, der den Inhalt des WADC zum größten Teil wörtlich übernimmt und um Bestimmungen der bisherigen Anti-Doping-
___________ for the determination of a question of law under § 39 (1) (a) of such act.“ Ähnliche Schiedsvereinbarungen enthielten auch die Meldeformulare für die Olympischen Spiele von Salt Lake City (2002), Athen (2004), Turin (2006) (vgl. dazu Court of Arbitration for Sport [Hrsg.], CAS Awards – Turin & Melbourne 2006, Lausanne, 2006, S. 137) und Peking (2008). 18 Regel 28 Nr. 2.2 Olympische Charta. 19 § 32 Abs. 5 DOSB-Satzung, in ihrer jeweils gültigen Fassung abrufbar unter http://www.dosb.de. 20 Der WADC wurde in englischer und französischer Fassung verabschiedet und kann auf der Website der WADA (http://www.wada-ama.org) abgerufen werden. Die Nationale Anti Doping Agentur Deutschland (NADA) stellt auf ihrer Website (http://www.nada-bonn.de) neben ihrem eigenen, auf dem WADC fußenden AntiDoping Code (NADC) auch die offizielle deutsche Version des WADC bereit. Mittlerweile wurde der WADC überarbeitet; eine neue Fassung des WADC (und auch des NADC) trat zum 01.01.2009 in Kraft und kann ebenfalls unter http://www.nada-bonn.de abgerufen werden. Die wesentlichen Unterschiede zur Ursprungsfassung sind bei A. Jakob und A. Berninger, Die wichtigsten Änderungen des WADA-Codes, SpuRt 2008, 61, nachzulesen. 21 Art. 13.2.1 WADC: „Appeals Involving International-Level Athletes. In cases arising from competition in an International Event or in cases involving International-Level Athletes, the decision may be appealed exclusively to the Court of Arbitration for Sport („CAS“) in accordance with the provisions applicable before such court.“ 22 Der NADC kann in seiner jeweils gültigen Fassung unter http://www.nada-bonn.de abgerufen werden.
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Regeln von NOK und DSB ergänzt,23 die letztinstanzliche Zuständigkeit des CAS auch für rein nationale Dopingverfahren vor.24 Schließlich ist damit zu rechnen, dass der CAS nach verschiedenen Reformen seines Reglements und einer erheblichen Erweiterung seiner Schiedsrichterliste künftig auch vermehrt für die Beilegung von Streitigkeiten auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Nutzung des Sports (Lizenzierung medialer Verwertungsrechte, Werbung, Sponsoring etc.) in Anspruch genommen wird.25 Neben der wohl unbestrittenen Sachkunde der CAS-Schiedsrichter sind vor allem die (relative) Kostengünstigkeit und die Vertraulichkeit der CAS-Verfahren gewichtige Argumente für Sportverbände und -ligen sowie für Athleten, aber auch für Verwerter medialer und werblicher Sportrechte (z. B. TV-Sender, Sponsoren), Schiedsklauseln zum CAS in Verträge mit Sportbezug aufzunehmen, um Streitigkeiten nicht vor staatlichen Gerichten ausfechten zu müssen.
III. Entscheidungen des CAS vor deutschen Gerichten 1. Verfahrenskonstellationen Ungeachtet bereits ergangener Entscheidungen des CAS26 könnten vor allem Athleten geneigt sein, staatliche Gerichte anzurufen, um z. B. die Aufhebung einer Sperre zu erreichen, eine Starterlaubnis durchzusetzen oder Schadenersatz gegen einen Verband geltend zu machen.27 Sie könnten so versuchen (insoweit haben vor allem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine besondere ___________ 23
T. Summerer, in: Praxishandbuch Sportrecht (Fn. 8), 2. Teil, Rn. 212 ff. Art. 13.2.1 NADC. 25 Vgl. dazu etwa die Entscheidung CAS 2001/O/319, abgedruckt bei M. Reeb (Hrsg.), Digest of CAS Awards 2001–2003 (Fn. 5), S. 3 ff. Nach dem Willen seiner Gründer sollte der CAS vor allem Streitigkeiten mit wirtschaftlichem Hintergrund klären. Nach der ersten Satzung des CAS sollte sich dessen Tätigkeit vor allem auf die Entscheidung von „purely commercial sporting disputes involving business concerns in sponsoring and licensing matters“ konzentrieren, vgl. dazu S. Netzle, Das Internationale Sportschiedsgericht in Lausanne – Le Tribunal Arbitral du Sport (TAS), SpuRt 1995, 89. Auch P. Schlosser, Die olympische Sportgerichtsbarkeit und das deutsche Recht, in: K.-A. Bettermann/M. Löwisch/H. Otto/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Albrecht Zeuner zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen, 1990, S. 478, sah die „potentiell hauptsächlich als Kläger auftretenden Personen“ offensichtlich in der Wirtschaft. 26 Der vorliegende Beitrag behandelt lediglich die Wirkung bereits ergangener Entscheidungen des CAS. Die Einrede der fehlenden Zuständigkeit staatlicher Gerichte wegen Vorliegens einer Schiedsvereinbarung zum CAS gemäß § 1032 ZPO wird daher nicht erörtert. 27 Vgl. zu typischen Fallkonstellationen und Anträgen in nationalen und internationalen sportrechtlichen Streitigkeiten T. Summerer, in: Praxishandbuch Sportrecht (Fn. 8), 2. Teil, Rn. 293 ff. 24
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Bedeutung), Entscheidungen des CAS durch eine andere, für sie günstigere Entscheidung eines staatlichen Gerichts in gleicher Sache auszuhebeln oder eine gerichtliche Entscheidung über einen Streitgegenstand herbeizuführen, der gerade nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Internationalen Sportschiedsgericht war.28 Andere stehen wiederum vor der Frage, ob – und ggf. wie – sie Entscheidungen des CAS zwangsweise durchsetzen können, sollte die unterlegene Partei ihren im Verfahren vor dem CAS festgestellten Verpflichtungen nicht freiwillig nachkommen. Die angerufenen ordentlichen Gerichte sind in diesen Fällen aufgerufen zu prüfen, ob und inwieweit sie an die Entscheidungen des CAS gebunden sind. Die Frage nach der generellen Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit der Entscheidungen ist dabei von der Frage zu trennen, ob – bei Bejahung dieser Frage – besondere Gründe einer grundsätzlich gebotenen Anerkennung und Vollstreckung im Einzelfall entgegenstehen können. Abhängig von der Beantwortung dieser Rechtsfragen sind die Gerichte dann verpflichtet, Entscheidungen des CAS als verbindlich anzuerkennen und ggf. für vollstreckbar zu erklären oder – unabhängig von einer bereits ergangenen Entscheidung des CAS – neu in der Sache zu entscheiden.
2. Rechtliche Einordnung der Entscheidungen des CAS Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des CAS in Deutschland hängt von ihrer rechtlichen Qualifikation ab. Von zentraler Bedeutung ist dabei zunächst, ob Entscheidungen des CAS anders als Entscheidungen der meisten „Verbandsschiedsgerichte“ als „echte“ und verbindliche Schiedssprüche anzusehen sind. Die §§ 1025 ff. ZPO wurden zum 01.01.1998 durch das Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts (SchiedsVfG)29 vollständig neu gefasst. Das neue Gesetz sollte Schwächen der alten Regelung beheben und vor allem auch den Schiedsplatz Deutschland attraktiver machen.30 Ganz dem internationalen ___________ 28 So entscheidet der CAS zum Beispiel regelmäßig über Sanktionen von Verbänden gegen Sportler, nicht aber über – damit zusammenhängende – Schadenersatzforderungen der Sportler wegen der behaupteten Rechtswidrigkeit ausgesprochener Sanktionen. 29 BGBl I 1997 Nr. 88 S. 3224 ff. 30 Vgl. zur Zielsetzung des SchiedsVfG die Amtliche Begründung zum SchiedsVfG, BT-Drucks. 13/5274, S. 1, 22 f. Zur Gesetzgebungsgeschichte und den Beweggründen für eine Neuregelung J. Münch, in: T. Rauscher/P. Wax/J. Wenzel (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, 3. Aufl., München, 2008, Vor § 1025 Rn. 97 ff. und K. P. Berger, Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, Köln, 1998, S. 1 ff. m. w. N.
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„Reformszenario“31 auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit entsprechend,32 orientiert sich auch die deutsche Neuregelung weitgehend am sog. UNCITRAL-Modellgesetz33. Das deutsche Schiedsverfahrensrecht unterscheidet zwischen inländischen und ausländischen Schiedssprüchen. Während inländische Schiedssprüche nach §§ 1025 Abs. 1, 1060 ZPO anerkannt und vollstreckt werden, richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche nach §§ 1025 Abs. 4, 1061 ZPO in Verbindung mit dem „Übereinkommen vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche“34 (nachfolgend kurz UNÜ35). Die nach deutschem Recht zu treffende Unterscheidung in inländische und ausländische Schiedssprüche setzt zwar begrifflich die Anwendbarkeit des deutschen Schiedsverfahrensrechts und damit die Existenz eines Schiedsspruchs i. S. v. §§ 1025 ff. ZPO voraus. Da der Begriff des Schiedsspruchs im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche aber völkerrechtlich durch das UNÜ überlagert wird, ist bei der rechtlichen Qualifikation einer Entscheidung als Schiedsspruch zunächst die Nationalität der Entscheidung zu bestimmen, wenigstens aber eine Unterscheidung in in- und ausländische Entscheidungen zu treffen. ___________ 31
K.-H. Schwab und G. Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 6. Aufl., München, 2000, Kap. 41 Rn. 1. 32 Vgl. dazu nur die Nachweise in der Amtlichen Begründung zum SchiedsVfG, BTDrucks. 13/5274, S. 23 f. und bei K. P. Berger, Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 30), S. 4. 33 Modellgesetz über internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21.06.1985 der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL), UN-Doc. GA A/40/17, Annex I, in deutscher Übersetzung abgedruckt bei Schwab/Walter (Fn. 31), Anhang A III, S. 615 ff. Anders als das UNCITRAL-Modellgesetz ist das SchiedsVfG aber nicht auf die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit beschränkt; es gilt deswegen auch für privatrechtliche Streitigkeiten, die nicht dem deutschen Handelsrecht unterstehen. 34 BGBl. 1961 II S. 121, in deutscher Übersetzung abgedruckt bei Schwab/Walter (Fn. 31), Anhang A.I.3., S. 591 ff. 35 Das Übereinkommen vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche ist das Ergebnis einer von den Vereinten Nationen in New York einberufenen Staatenkonferenz. Üblicherweise wird es in Deutschland auch als UN-Übereinkommen (kurz UNÜ) oder New Yorker Übereinkommen (kurz NYÜ) bezeichnet. Vgl. zu Geschichte und Bedeutung des UNÜ Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 41 Rn. 3, P. Schlosser, in: F. Stein/M. Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Aufl., Tübingen, 2002, Anhang § 1061 Rn. 2 f., K. Lionnet, Handbuch der internationalen und nationalen Schiedsgerichtsbarkeit: systematische Darstellung der privaten Handelsschiedsgerichtsbarkeit für die Praxis der Parteien, 2. Aufl., Stuttgart, 2001, S. 81 ff., M. Blessing, in: H. Honsell/N. P. Vogt/A. K. Schnyder (Hrsg.), Internationales Privatrecht, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Basel 1996, Einleitung zum zwölften Kapitel Rn. 69 ff. und vor allem T. R. Bertheau, Das New Yorker Abkommen vom 10.06.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, Zürich, 1965.
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a) Die Nationalität der Entscheidungen des CAS aa) Nationalität eines Schiedsspruchs nach deutschem Recht Vor der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts galten all jene Schiedssprüche als inländisch, die nach deutschem Verfahrensrecht ergingen (sog. Verfahrenstheorie oder prozessuale Theorie)36. Auf den Sitz des Schiedsgerichts oder den Ort des Schiedsverfahrens kam es nicht an, so dass auch Schiedssprüche, die im Ausland ergingen, inländische Entscheidungen sein konnten. Nach Inkrafttreten des SchiedsVfG richtet sich die Bestimmung der Nationalität eines Schiedsspruchs nicht mehr nach der Verfahrenstheorie, sondern nach dem international vorherrschenden Territorialprinzip. § 1025 Abs. 1 ZPO erklärt die Vorschriften des Zehnten Buchs der ZPO für anwendbar, wenn der „Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens i. S. d. § 1043 Abs. 1 in Deutschland liegt“. Das anwendbare Verfahrensrecht ist ebenso wie Wohnsitz oder Nationalität der Schiedsparteien unerheblich; die Nationalität der Entscheidung richtet sich allein nach § 1043 Abs. 1 ZPO. Ein Schiedsspruch ist daher nur dann, aber auch immer dann inländisch, wenn der „Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens“ in Deutschland liegt. Alle Schiedssprüche, die nicht inländisch sind, werden dagegen als ausländische Entscheidungen betrachtet.37 § 1043 Abs. 1 ZPO definiert den für die Bestimmung der Nationalität des Schiedsspruchs entscheidenden „Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens“ nicht. In Betracht kommt eine rein rechtliche Anknüpfung an den von den Parteien (§ 1043 Abs. 1 S. 1 ZPO) oder dem Schiedsgericht (bei fehlender Partei___________ 36 Vgl. dazu die umfangreichen Nachweise zu Literatur und Rechtsprechung bei J. Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 30), § 1061 Rn. 7, Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 20 Rn. 4 ff. und K. Lionnet (Fn. 35) S. 100 f. 37 Diese auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinende Folgerung war und ist deswegen nicht unbestritten, weil Teile der Literatur in internationalen Schiedsverfahren sog. „supranationale“, „anationale“ oder „denationalisierte“ Schiedssprüche für möglich halten, die unabhängig von jeder staatlichen Rechtsordnung und damit weder inländisch noch ausländisch seien, vgl. dazu insb. T. Rensmann, Anationale Schiedssprüche, Berlin, 1997. Die ganz h. M. lehnt die Existenz „anationaler“ Schiedssprüche aber ab, vgl. dazu P. Schlosser, Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl., Tübingen, 1989, Rn. 62, A. J. van den Berg, The New York Arbitration Convention of 1958; Towards a Uniform Judicial Interpretation, Den Haag, 1981, S. 29 ff. und Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 30 Rn. 8, Kap. 53 Rn. 2 m. w. N. zur internationalen Literatur und Rechtsprechung, R. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl., Köln, 2005, Rn. 3718, K. Lionnet (Fn. 35) S. 97 ff., R. Geimer, in: R. Zöller (Begründer), Zivilprozessordnung: mit Gerichtsverfassungsgesetz und den Einführungsgesetzen, mit internationalem Zivilprozessrecht, EG-Verordnungen, Kostenanmerkungen, Kommentar, 28. Aufl., Köln, 2010, § 1061 Rn. 11, G. Walter/W. Bosch/J. Brönnimann, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz: Kommentar zum Kapitel 12 des IPRG, Bern, 1991, S. 270.
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vereinbarung § 1043 Abs. 1 S. 2 ZPO) zu bestimmenden Ort des Verfahrens oder eine Orientierung am tatsächlichen Ort der schiedsgerichtlichen Verhandlungen. Zwar werden diese Anknüpfungen oft zum identischen Ergebnis führen; § 1043 Abs. 2 ZPO stellt aber klar, dass das Schiedsgericht ungeachtet des nach § 1043 Abs. 1 ZPO zu bestimmenden Orts des Verfahrens an „jedem ihm geeignet erscheinenden Ort“ zusammentreten kann. Der Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens und der Ort der schiedsrichterlichen Verhandlungen können somit auch auseinanderfallen; Schiedsort und Tagungsort sind deswegen streng voneinander zu unterscheiden.38 Zum Teil wird vertreten, der „Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens“ sei derjenige Ort, an dem zumindest der Großteil des Schiedsverfahrens stattfinde. Ein „gelegentliches“ Auseinanderfallen von Schiedsort und tatsächlichem Tagungsort sei zwar zulässig, bei einem dauerhaften Ortswechsel sei jedoch ungeachtet der Vorschrift des § 1043 Abs. 2 ZPO auf den effektiven Tagungsort abzustellen. Die Beeinflussung der Nationalität des Schiedsspruchs durch einen fiktiven Schiedsort sei unzulässig, es gelte in diesem Fall, auf den tatsächlichen Ort des Schiedsverfahrens abzustellen.39 Diese Auffassung findet im Gesetz aber keine Stütze. § 1043 Abs. 2 ZPO zeigt, dass Tagungsort und Schiedsort gerade nicht übereinstimmen müssen.40 Der Gesetzgeber wollte durch diese Regelung ganz bewusst die willkürliche Beeinflussung der Nationalität des Schiedsspruchs durch die Wahl des Schiedsorts ermöglichen.41 Der Schiedsort dient der Lokalisierung des Schiedsverfah___________ 38 Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 15 Rn. 39 kritisieren den Begriff „Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens“ und sprechen sich für den Begriff „Sitz des schiedsrichterlichen Verfahrens“ aus. Ähnlich K. P. Berger, „Sitz des Schiedsgerichts“ oder „Sitz des Schiedsverfahrens“, RIW 1993, 8, 11, R. Mönnikes, Die Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts: das neue 10. Buch der ZPO, Hamburg, 2000, S. 9, A. Redfern/M. Hunter, Law and practice of international commercial arbitration, London, 2003, Rn. 6–24 sowie aus Schweizer Sicht P. Lalive/J.-F. Poudret/C. Reymond, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, Lausanne 1989, S. 33. 39 So R. A. Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 4. Aufl., München, 2007, Rn. 288, ähnlich H. Kronke, Internationale Schiedsverfahren nach der Reform, RIW 1998, 261. 40 Ebenso P. Hartmann, in: A. Baumbach/W. Lauterbach/J. Albers/P. Hartmann, Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und anderen Nebengesetzen, 69. Aufl., München, 2011, § 1043 Rn. 3, P. Schlosser, in: Stein/Jonas (Fn. 35), § 1043 Rn. 4. 41
Vgl. dazu die Amtliche Begründung zum SchiedsVfG, BT-Drucks. 13/5274, S. 30 f., W. Voit, in: H.-J. Musielak (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 6. Aufl., München, 2008, § 1043 Rn. 4 und G. Borges, Die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen nach dem neuen Schiedsverfahrensrecht, ZZP 1998, 504. Ähnlich J. P. Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtsbarkeitspraxis, 3. Aufl., Köln, 2008, Rn. 1761.
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rens und dessen Verankerung in einer Rechtsordnung.42 Die mitunter schwierige Suche nach einem effektiven Schiedsort soll durch den „Ort des Schiedsverfahrens“ als „bloßes formales Legaldomizil“43 gerade vermieden werden.44 Es handelt sich um einen „mehr oder weniger vergeistigten Ortsbegriff“45, der einen klar bestimmbaren Anknüpfungspunkt für das geltende Territorialitätsprinzip bilden soll.46 Ein Bezug des gewählten Schiedsorts zu Parteien, Streitgegenstand oder tatsächlichem Tagungsort ist gerade nicht vonnöten.47 Auch das im konkreten Fall anwendbare Schiedsverfahrensrecht beeinflusst die Nationalität ___________ 42
R. Geimer, in: Zöller (Fn. 37), § 1025 Rn. 2, § 1043 Rn. 4, J. Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 30), § 1043 Rn. 2, K. P. Berger, Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 30), S. 46 f., G. Borges, ZZP 1998, 504. Ebenso die Rechtslage in der Schweiz, an deren Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts von 1989 sich Deutschland zum Teil wortgetreu orientierte, F. Vischer, in: A. Heini/M. Keller/K. Siehr/F. Vischer/P. Volken (Hrsg.), Kommentar zum Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 1. Januar 1989, Zürich, 1993 Art. 176 Rn. 5. 43 Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 30, Rn. 7. Ähnlich K. P. Berger, Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 30), S. 46 f., J. P. Lachmann, Handbuch (Fn. 41), Rn. 1760 f. und – zum Schweizer Recht – F. Vischer, in: Zürcher Kommentar zum Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom 18. Dezember 1987, 2. Aufl., Zürich, 2004, Art. 176 Rn. 5 („territoriale Fixierung“), T. Rüede und R. Hadenfeldt, Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht nach Konkordat und IPRG, 2. Aufl., Zürich, 1993, S. 116 m. w. N. 44 J. Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 30), § 1043 Rn. 3. Ähnlich die Amtliche Begründung zum SchiedsVfG, BT-Drucks. 13/5274, S. 31, P. Schlosser, Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 37), Rn. 242 f. und zum Schweizer Recht Lalive/Poudret/Reymond (Fn. 38), S. 33 f. und Walter/Bosch/Brönnimann (Fn. 37), S. 35 ff. A. A. R. A. Schütze/D. Tscherning/W. Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens: Praxis der deutschen und internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl., Berlin, 1990, Rn. 614, nach denen der Sitz eine reine Zufälligkeit darstelle; bei der Tagung des Schiedsgerichts an verschiedenen Orten versage ein solcher Anknüpfungspunkt völlig. Die von den Autoren geltend gemachten Probleme entstehen freilich nur, weil sie die gebotene Unterscheidung zwischen Schiedsort und Tagungsort gerade unterlassen. 45 Amtliche Begründung zum SchiedsVfG, BT-Drucks. 13/5274, S. 47; J. Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 30), § 1043 Rn. 3 spricht von einem „virtuellen Schiedsort“. 46 J. Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 30), § 1043 Rn. 4 f., K. P. Berger, Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 30), S. 233. 47 Nach W. Voit, in: Musielak (Fn. 41), § 1043 Rn. 4 ermöglicht § 1043 Abs. 2 ZPO die „Vereinbarung fiktiver Schiedsorte, die keinen Bezug zu der tatsächlichen Durchführung des Schiedsverfahrens haben und nur dem Zweck dienen, (...) auf die Qualifikation des Schiedsspruchs als inländischer oder ausländischer Einfluss zu nehmen“. Ähnlich K. Lionnet (Fn. 35), S. 102 und für die Schweiz Walter/Bosch/Brönnimann (Fn. 37), S. 36 f., F. Vischer, in: Zürcher Kommentar (Fn. 43), Art. 176 Rn. 6 und G. KaufmannKohler, Identifying and Applying the Law Governing the Arbitration Procedure – The Role of the Law of the Place of Arbitration, in: A. J. van den Berg (Hrsg.), ICCA Congress series no. 9, Improving the Efficiency of Arbitration Agreements and Awards: 40 Years of Application of the New York Convention, Den Haag, 1999, S. 343 ff. m. w. N.
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der Entscheidung deswegen nicht. Ein Schiedsspruch ist somit nur dann, aber auch immer dann als ausländisch zu qualifizieren, wenn der nach § 1043 Abs. 1 ZPO zu bestimmende „Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens“ im Ausland liegt. Dies gilt auch für den Fall, dass deutsche Parteien ein Schiedsverfahren im Ausland deutschem Schiedsverfahrensrecht unterstellen sollten.48
bb) Die Entscheidungen des CAS Der CAS ist ein vom Schweizer Bundesgericht anerkanntes institutionelles Schiedsgericht. Vereinbaren die Schiedsparteien die Entscheidungszuständigkeit des CAS, akzeptieren sie dessen Regelwerk und Verfahrensordnung.49 Der CAS verfügt über ständige Schiedskammern (eine Kammer für Berufungsstreitigkeiten und eine für gewöhnliche Streitigkeiten)50 sowie über Ad-hocKammern, die während Olympischer Spiele und anderer sportlicher Großveranstaltungen vor Ort eingerichtet werden.51 Nach Artikel S1 III und R28 CAS-Schiedsordnung ist Sitz des CAS und jedes Schiedsgerichts Lausanne (Schweiz).52 Auch wenn der Vorsitzende des Schiedsgerichts entscheidet, „dass eine Verhandlung an einem anderen Ort stattfindet“53, bleibt Lausanne Schiedsort. Um eine einheitliche Streitentschei___________ 48
G. Lörcher/H. Lörcher/T. Lörcher, Das Schiedsverfahren national/international nach neuem Recht, 2. Aufl., Heidelberg, 2001, Rn. 376, R. Mönnikes (Fn. 38), S. 9. 49 Art. R27 I S. 1 CAS-Schiedsordnung. Die CAS-Schiedsordnung (Code de l'arbitrage en matière de sport, Code of Sports-related Arbitration), die besondere Verfahrensordnung der Ad-hoc-Kammern des CAS bei sportlichen Großveranstaltungen (im Folgenden „Ad-hoc-Regeln“) und die CAS-Schlichtungsordnung (Règlement de médiation, Mediation rules) können in ihrer jeweils gültigen Fassung auf http://www.tas-cas.org abgerufen werden. Der CAS veröffentlicht französische und englische Fassungen der CAS-Schiedsordnung, der Ad-hoc-Regeln und der CAS-Schlichtungsordnung; bei Abweichungen ist hinsichtlich der CAS-Schiedsordnung der französische, hinsichtlich der Ad-hoc-Regeln der englische Text maßgeblich, R68 CAS-Schiedsordnung, Art. 24 Abs. 1 Ad-hoc-Regeln. 50 Art. S3 II, S20 CAS-Schiedsordnung. 51 Vgl. dazu G. Kaufmann-Kohler, Arbitration at the Olympics, Issues of Fast-Track Dispute Resolution and Sports Law, Den Haag, 2001. 52 Artikel R28 CAS-Schiedsordnung. Trotz der Möglichkeit einer Verhandlungsführung an anderer Stelle verhandelt der CAS 95 % der Fälle an seinem dafür bestens ausgestatteten Sitz in Lausanne, vgl. dazu M. Reeb, La mission des arbitres du TAS: Questions pratiques liées à l'application du Code de l'Arbitrage en matière du Sport, in: CAS (Hrsg.), Séminaire du TAS – 2001, CAS Seminar – 2001, Lausanne, 2002, S. 30 f. 53 R28 S. 2 CAS-Schiedsordnung. Zum Sitz des CAS als vom Ort der tatsächlichen Verhandlung unabhängiges Legaldomizil M. Reeb, The role of the Court of Arbitration for Sport, in: W. P. Heere (Hrsg.), International Law and The Hague's 750th Anniversary, Den Haag, 1999, S. 236, M. Blessing, Introduction to Arbitration – Swiss and International Perspectives, Basel 1999, Rn. 928. Übersehen wird dies offenbar von
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dung und damit Rechtssicherheit zu gewährleisten, unterstellten die Verfasser der CAS-Schiedsordnung die Schiedsgerichtsbarkeit des CAS mit der Festlegung Lausannes als Schiedsort ganz bewusst einem einheitlichen, vom jeweiligen Tagungsort unabhängigen prozessualen Regime.54 Eine Entscheidung einer ständigen Kammer des Internationalen Sportschiedsgerichts ist von deutschen Gerichten daher auch dann als schweizerisch und damit ausländisch anzusehen, wenn die betreffende Streitigkeit ganz oder z. T. in Deutschland verhandelt wurde und keinerlei internationalen Bezug hat.55 Nichts anderes gilt für Entscheidungen des CAS in Verfahren, die durch eine Eingabe zu einem der Regionalbüros des CAS in New York oder Sydney eingeleitet wurden. Die Bereitstellung einer dezentralisierten Infrastruktur soll lediglich den internationalen Zugang zum CAS erleichtern. Einem anderen Schiedsstatut unterliegen die Verfahren dadurch nicht, gilt es doch auch bei der Verfahrenseinleitung bei einer Niederlassung des CAS, die internationale Gleichbehandlung sportrechtlicher Streitigkeiten durch die Anknüpfung an ein einheitliches Schiedsstatut sicherzustellen.56 Konsequenterweise unterstehen die durch eine Eingabe bei einem Regionalbüro des CAS eingeleiteten Verfahren denn auch der CAS-Schiedsordnung. Lausanne bleibt daher – wie der New South Wales Court of Appeal für das Regionalbüro des CAS in Sydney bestätigte57 – gemäß Art. R28 S. 1 CAS-Schiedsordnung auch in Verfahren vor den Regionalbüros des CAS Schiedsort im rechtlichen Sinne. ___________ F. Oschütz, Sportschiedsgerichtsbarkeit, Berlin, 2005, S. 3, nach dem der „Schiedsort der TAS-Verfahren meist in der Schweiz liegt“, und S. Netzle, SpuRt 1995, 91, der das schweizerische IPRG nur anwenden will, wenn der CAS in Lausanne „tagt“. Richtigerweise ist das Kapitel 12 des IPRG nach Art. 176 Abs. 1 IPRG unabhängig vom Ort der tatsächlichen Schiedsverhandlung anwendbar, wenn der „Sitz des Schiedsgerichts“ in der Schweiz liegt und eine der Schiedsparteien weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hat. 54 G. Kaufmann-Kohler, The Role of the Law of the Place of Arbitration (Fn. 47),S. 348, M. Reeb, The role of the Court of Arbitration for Sport (Fn. 53), S. 236, L. Fumagalli, Il Tribunal arbitrale dello sport: bilancio dell'attività e prospettive future, RDSport 1995, S. 726 f. Im Ergebnis ähnlich, wenn auch knapper, R. Wyler, La convention d'arbitrage an droit de sport, ZSR 116 I (1997), 59, K. Hofmann, Das Internationale Sportschiedsgericht (CAS) in Lausanne, SpuRt 2002, 11. 55 Im Ergebnis ebenso B. Heß, Sportschiedsgerichte im Lichte der New Yorker Konvention, ZZPInt 1998, 460 f. 56 Ausführlich dazu G. Kaufmann-Kohler, The Role of the Law of the Place of Arbitration (Fn. 54), S. 348 f. 57 New South Wales Court of Appeal, Urteil vom 01.09.2000 (Az: CA 40650/00), in Auszügen abgedruckt bei M. Reeb (Hrsg.), Receuil des sentences du TAS. Digest of CAS Awards 1998–2000 (Fn. 1), S. 783 ff., CAS Awards – Sydney 2000, S. 185 ff., insb. Rn. 90 ff.: Entscheidend sei allein „the legal place of the arbitration, not the physical place of the arbitration“ (Rn. 103). Die Aufspaltung in Sitz- und Verhandlungsort wurde für den CAS damit erstmals gerichtlich anerkannt, vgl. dazu auch die Urteilsbesprechung von G. Kaufmann-Kohler, Arbitration at the Olympics (Fn. 51), S. 20 ff.
Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des CAS
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Schiedsverfahren der Ad-hoc-Kammern des CAS unterstehen dagegen nicht der gewöhnlichen Verfahrensordnung des CAS; Art. R28 S. 1 CASSchiedsordnung ist nicht einschlägig. Wegen des Gebots der schnellen Streitentscheidung finden die Schiedsverhandlungen regelmäßig ausschließlich vor Ort statt. Als Tagungsort der Ad-hoc-Schiedsgerichte fungiert meist der Veranstaltungsort der Wettkämpfe. Trotzdem bleibt Lausanne auch in den Verfahren vor den verschiedenen Ad-hoc-Kammern Schiedsort im rechtlichen Sinne. Nachdem die erste Ad-hoc-Satzung die Bestimmung des Sitzes der Ad-hoc-Kammer noch deren Präsidenten überließ,58 wurde in den folgenden Ad-hoc-Satzungen und schließlich auch in den nunmehr gültigen Ad-hoc-Regeln59 jeweils Lausanne zum Sitz der Ad-hoc-Kammer bestimmt,60 um neben einem „transnational(en), universal(en), global(en)“ materiellen Sportrecht auch einen einheitlichen prozessrechtlichen Rahmen für die Ad-hoc-Verfahren des CAS zu gewährleisten.61 Ob dieses Ziel weltweit durchgesetzt werden kann, hängt freilich von der rechtlichen Beurteilung durch die Gerichte am jeweiligen Veranstaltungsort ab. Die Anerkennung des „künstlichen, sogar fiktiven“62 Schiedsorts Lausanne scheint doch zumindest in all jenen Ländern fraglich, deren Rechtsordnung keine klare Trennung zwischen „Schiedsort“ und „Tagungsort“ vor-
___________ 58 Art. 7 der Satzung für die Schiedsgerichtsbarkeit für die Spiele der XXVI. Olympiade in Atlanta (1996), abgedruckt bei G. Kaufmann-Kohler, Atlanta et l'arbitrage ou les premières expériences de la division olympique du Tribunal Arbitral du Sport, BullASA 1996, S. 448 ff.: „(L)e siège de la Chambre Ad-hoc et de la Formation est fixé par le Président de la Chambre Ad-hoc.“ R. Wyler, ZSR 116 I (1997), 59 vermutet ein redaktionelles Versehen und meint, Art. 7 betreffe nicht den Schiedsort, sondern den Tagungsort; das Wort „siège“ in der Originalfassung solle daher durch „lieu“ ersetzt werden. Die Präsidentin der Ad-hoc-Kammer bestimmte denn auch nicht Atlanta, sondern Lausanne zum Sitz der Kammer, vgl. dazu G. Kaufmann-Kohler, BullASA 1996, 436. 59 Art. 7 Ad-hoc-Regeln: „Le siège de la Chambre Ad-hoc et de chaque Formation est fixé à Lausanne, Suisse. Toutefois, la Chambre Ad-hoc et chaque Formation peuvent accomplir tous les actes relevant de leur mission sur le site des Jeux Olympiques ou en tout autre lieu qu'elles jugent approprié. L'arbitrage est régi par le chapitre 12 de la Loi Suisse sur le Droit International Privé.“ 60 Dies übersehen offensichtlich J. Adolphsen, Internationale Dopingstrafen (Fn. 14), S. 489 und R. Wyler, Die Schiedsabrede im Sportrecht, in: V. Röhricht (Hrsg.), Sportgerichtsbarkeit, Stuttgart, 1997, S. 49, der meint, dass sich der Sitz der Ad-hoc-Kammern des CAS „mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in der Schweiz befinden wird“. A. A. allerdings ders., ZSR 116 I (1997), 59, wo er zwischen Ort der Schiedsverhandlung und Sitz des Schiedsgerichts unterscheiden will. 61 Ausführlich dazu G. Kaufmann-Kohler, The Role of the Law of the Place of Arbitration (Fn. 54), S. 348 f., G. Kaufmann-Kohler, Arbitration at the Olympics (Fn. 51), S. 5, R. S. Pathak, The CAS Ad hoc Division at the Olympic Games, in: CAS (Hrsg.), Séminaire du TAS – 2001, CAS Seminar – 2001, Lausanne, 2002, S. 127 ff. 62 G. Kaufmann-Kohler, Nagano et l'arbitrage – ou vers une justice de proximité, BullASA 1998, 320.
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nimmt.63 In Deutschland ist Art. 7 Abs. 1 S. 1 der Ad-hoc-Regeln jedoch als verbindliche Bestimmung des Sitzorts der Ad-hoc-Kammern anzuerkennen. Entscheidungen des CAS in Ad-hoc-Verfahren sind von deutschen Gerichten deswegen auch dann als schweizerisch und damit ausländisch einzuordnen, wenn eine Ad-hoc-Kammer des Internationalen Sportschiedsgerichts in Deutschland alle ihr vorgelegten Streitigkeiten ausschließlich vor Ort, also in Deutschland, verhandeln sollte. Festzuhalten bleibt deswegen, dass nach der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts – zumindest aus deutscher Sicht – alle Entscheidungen des Internationalen Sportschiedsgerichts schweizerischer Nationalität sind. Dies gilt sogar für den Extremfall, dass deutsche Schiedsparteien ein allein aus deutschen Schiedsrichtern bestehendes Schiedsgericht des CAS mit der verbindlichen Entscheidung einer rein nationalen Streitigkeit ohne jeglichen Auslandsbezug betrauen sollten und das gesamte Schiedsverfahren – trotz rechtlichen Schiedsorts in Lausanne – in Übereinstimmung mit der CAS-Schiedsordnung in Deutschland stattfindet. Da alle Entscheidungen des CAS schweizerisch (und damit ausländisch) sind, kommt auch ihre Aufhebung durch deutsche Gerichte nicht in Betracht.64
b) Entscheidungen des CAS als echte Schiedssprüche? Die Anerkennung und Vollstreckung als Schiedsspruch setzt nach § 1061 Abs. 1 ZPO voraus, dass es sich bei den Entscheidungen des CAS – anders als bei den „Schiedssprüchen“ vieler Verbandsgerichte – um echte Schiedssprüche handelt.
aa) Rechtliche Anforderungen an einen echten Schiedsspruch Für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche gelten gemäß § 1025 Abs. 4 ZPO die §§ 1061 bis 1065 ZPO. Nach § 1061 Abs. 1 ___________ 63 Vgl. zu dieser Problematik im Zusammenhang mit den Ad-hoc-Kammern des CAS für die Olympischen Spiele von Turin 2006 (Italien) und Peking 2008 (China) A. Rigozzi, L'arbitrage international en matière de sport, Basel, 2005, Rn. 455 ff. Ähnlich bereits G. Kaufmann-Kohler, BullASA 1998, 321 f., die zweifelnd die Frage aufwirft, ob japanische Gerichte im Falle einer Anrufung über die Aufhebung einer Entscheidung der Ad-hoc-Kammer des CAS von Nagano in der Sache entschieden oder die Partei tatsächlich an ein „Gericht am anderen Ende der Welt“ (S. 322) verwiesen hätten. 64 Ganz h. M., vgl. dazu BGH RIW 1976, 451; BGH NJW 1986, 1436; BGH SpuRt 2004, 159 f.; K. Reichold, in: H. Thomas/H. Putzo/K. Reichold/R. Hüßtege (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 31. Aufl., München, 2010, § 1059 Rn. 5, K. Lionnet (Fn. 35), S. 280 sowie zur internationalen Praxis Redfern/Hunter (Fn. 38) Rn. 9–12, 9–45.
Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des CAS
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S. 1 ZPO richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche nach dem UNÜ. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um einen Schiedsspruch aus einem Vertragsstaat des UNÜ handelt oder nicht.65 Die Anwendung von § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO und der Verweis auf das UNÜ setzen begrifflich das Vorliegen eines ausländischen Schiedsspruchs im Sinne des deutschen Schiedsverfahrensrechts voraus.66 Da Deutschland sich durch die Ratifikation des UNÜ schon vor der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts völkerrechtlich zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche verpflichtet hatte,67 wird die rechtliche Qualifikation des Begriffs „Schiedsspruch“ freilich durch das UNÜ überlagert.68 Auch wenn kein Schiedsspruch im Sinne des deutschen Schiedsverfahrensrechts vorläge, wäre das UNÜ – in diesem Fall ohne den heute rein deklaratorischen Verweis in § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO69 – auf die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche im Sinne des UNÜ in Deutschland anzuwenden. Im Ergebnis ist daher bei der Auslegung des Begriffs „Schiedsspruch“ allein auf das UNÜ abzustellen. Wie auch das deutsche Schiedsverfahrensrecht definiert das UNÜ den Rechtsbegriff des „Schiedsspruchs“ nicht, sondern setzt ihn als bekannt voraus. Er ist deswegen entweder nach dem Recht des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaates, dem Heimatrecht der Entscheidung, nach einer Kombination dieser beiden Rechtsordnungen oder autonom nach dem UNÜ auszulegen und näher zu bestimmen.70 Heute besteht weitgehend Einigkeit, dass der Begriff des Schiedsspruchs autonom und anerkennungsfreundlich auszulegen ist.71 Das ___________ 65 Stellvertretend für die ganz h. M. Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 30 Rn. 1, W. Voit, in: Musielak (Fn. 41), § 1061 Rn. 1. 66 W. Voit, in: Musielak (Fn. 41), § 1061 Rn. 3, K. Reichold, in: Thomas/Putzo (Fn. 64), § 1061 Rn. 2, R. Geimer, in: Zöller (Fn. 37), § 1061 Rn. 4, Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 30 Rn. 11. 67 Das UNÜ ist für die Bundesrepublik Deutschland zum 28.09.1961 in Kraft getreten, BGBl. II 1965, 102. 68 Ebenso W. Voit, in: Musielak (Fn. 41), § 1061 Rn. 3; im Ergebnis wohl ähnlich J. P. Lachmann, Handbuch (Fn. 41), Rn. 2512. 69 Da § 1061 ZPO das UNÜ auch gegenüber Nichtvertragsstaaten für anwendbar erklärt, hatte § 1061 ZPO bis zur Rücknahme (BGBl. 1999 II S. 7) des ursprünglich von Deutschland erklärten (BGBl. 1961 II S. 121) Vertragsstaatenvorbehalts nach Art. 1 Abs. 3 S. 1 UNÜ kurzzeitig (01.01.1998 bis 31.08.1998) konstitutive Wirkung, vgl. dazu J. Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 30), § 1061 Rn. 6 m. w. N. 70 Vgl. dazu P. Schlosser, Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 37), Rn. 766. 71 BGH NJW 1982, 1224 f., J. Adolphsen, in: T. Rauscher/P. Wax/J. Wenzel (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, 3. Aufl., München, 2008, § 1061 Anh. 1 UNÜ Art. I Rn. 2, P. Schlosser,
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UNÜ sollte die internationale Verkehrsfähigkeit von Schiedssprüchen absichern und fördern.72 Eine nationale Qualifikation des Schiedsspruchs wäre mit diesem Ziel nicht vereinbar, könnten die Vertragsparteien so doch durch ihre nationale Gesetzgebung den Anwendungsbereich des Abkommens aushöhlen. Der Begriff des Schiedsspruchs im Sinne des UNÜ ist daher weit auszulegen; strenge Anforderungen nationalen Rechts bleiben unberücksichtigt.73 Ein ausländischer Schiedsspruch muss daher nicht den Anforderungen des autonomen deutschen Schiedsverfahrensrechts genügen. Die strengen Formvorschriften des § 1054 ZPO gelten für ausländische Schiedssprüche gerade nicht (§ 1025 Abs. 1, 2 ZPO argumentum e contrario).74 Erforderlich, aber auch ausreichend für die Qualifikation einer Entscheidung als Schiedsspruch ist eine „Funktionsäquivalenz“ der ausländischen Entscheidung mit einem Schiedsspruch nach deutschem Recht.75 In Ermangelung einer Begriffsdefinition ist bei der Qualifikation einer Entscheidung als Schiedsspruch auf die von der internationalen Literatur und Rechtsprechung herausgebildeten Kriterien zurückzugreifen. Danach liegt ein Schiedsspruch im Sinne des UNÜ dann vor, wenn ein von den Parteien beauftragter unabhängiger Dritter Rechtsbeziehungen zwischen diesen Parteien an-
___________ in: Stein/Jonas (Fn. 35), Anhang § 1061 Rn. 9, U. Haas, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer und internationaler Schiedssprüche, Berlin, 1991, S. 143 f. 72 Das UNÜ gilt aufgrund seiner hohen Vertragsstaatenanzahl als wichtigstes Übereinkommen auf dem Gebiet des internationalen Schiedsverfahrensrechts, vgl. die Auflistung der Vertragspartner bei Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 42 Rn. 11. Zur Geschichte des UNÜ A. Bülow, Das UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, KTS 1959, 1 ff., T. R. Bertheau (Fn. 35), S. 15 ff., 24 ff., A. J. van den Berg, The New York Arbitration Convention (Fn. 37), S. 6 ff., H.-V. von Hülsen, Die Gültigkeit von internationalen Schiedsvereinbarungen, Berlin, 1973, S. 39, P. Schlosser, in: Stein/Jonas (Fn. 35), Anhang § 1061 Rn. 2 ff., 29. 73 P. Schlosser, Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 37), Rn. 769. Im Ergebnis ähnlich P.-M. Patocchi und C. Jermini, in: Honsell/Vogt/Schnyder (Fn. 35), Art. 194 Rn. 2, die Heimatrecht und lex fori des Schiedsspruchs unter besonderer Berücksichtigung der Wertungen und Zielsetzung des UNÜ anwenden wollen. Ähnlich mit Blick auf Schiedssprüche im Sport U. Haas und C. Prokop, Die Autonomie der Sportverbände und die Rechtsstellung des Athleten, JR 1998, 51. 74 Vgl. dazu J. Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 30), § 1061 Rn. 5, W. Voit, in: Musielak (Fn. 41), § 1061 Rn. 3, Schwab/Walter (Fn. 31), S. 312 Rn. 13. 75 J. Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 30), § 1061 Rn. 9, ähnlich R. Geimer, in: Zöller (Fn. 37), § 1061 Rn. 4, P. Schlosser, Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 37), Rn. 769, R. Geimer (Fn. 37), Rn. 3898; im Ergebnis wohl auch K. Reichold, in: Thomas/Putzo (Fn. 64), § 1061 Rn. 2, der fordert, es müsse sich „inhaltlich“ um einen Schiedsspruch handeln.
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stelle der ordentlichen Gerichte verbindlich und abschließend regelt.76 Entscheidungen des CAS sind daher als Schiedssprüche im Sinne des UNÜ anzusehen, soweit die CAS-Schiedsgerichte als parteiautonom bestimmte, unabhängige Dritte verbindlich über Rechtsfragen entscheiden und auch das Schweizer Heimatrecht des Internationalen Sportschiedsgerichts die jeweilige Entscheidung als echten Schiedsspruch ansieht. bb) Einordnung der Entscheidungen des CAS (1) Der CAS als parteiautonom bestimmter unabhängiger Dritter Der CAS entscheidet über sportrechtliche Streitigkeiten nur dann, wenn sich seine Entscheidungszuständigkeit aus einer satzungsmäßigen Schiedsklausel oder einer Schiedsvereinbarung der Parteien ergibt. Ohne eine Schiedsvereinbarung zum CAS bleibt es bei der Entscheidungszuständigkeit der ordentlichen Gerichte. Entscheidungen des CAS sind deswegen grundsätzlich als parteiautonom vereinbarte Alternative zur Streitentscheidung durch die staatlichen Gerichte einzustufen. Solange es für die Entscheidungszuständigkeit des CAS einer entsprechenden Übereinkunft der Parteien bedarf, kann auch der im internationalen Wettkampfsport verbreitete sog. faktische Schiedszwang77 nichts an dieser Beurteilung ändern. Vielmehr gilt es, Mängeln der Schiedsvereinbarung im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren mit einer eingehenden Prüfung des Versagungsgrunds der fehlenden oder mangelhaften Schiedsvereinbarung nach Art. 5 Abs. 1 lit. a) UNÜ zu begegnen. Fraglich war vor allem vor der Reform des CAS infolge des sog. GundelUrteils des Schweizer Bundesgerichts78, ob der CAS auch stets als parteiunabhängiger Dritter einzustufen ist, der für alle Parteien ein faires Verfahren gewährleistet. So wurde vor allem in der Literatur wiederholt Kritik am großen Einfluss der Sportverbände auf das Internationale Sportschiedsgericht laut. Auch hier ist aber im Auge zu behalten, dass ein Schiedsspruch im Sinne des UNÜ schon dann vorliegt, wenn die Unabhängigkeit der streitentscheidenden Instanz nicht derart in Frage steht, dass sich der Eindruck aufdrängt, eine Partei spreche gleichsam „Recht in eigener Sache“. Davon kann beim CAS sicherlich ___________ 76
Stellvertretend hierfür A. J. van den Berg, The New York Arbitration Convention (Fn. 37), S. 44 und U. Haas, Anerkennung (Fn. 71), S. 134 f. mit umfangreichen weiterführenden Nachweisen zur internationalen Literatur und Rechtsprechung. 77 Vgl. zum faktischen Schiedszwang im Sport C. Prokop, Nationale und internationale Sportgerichtsbarkeit, in: R. B. Eimer (Hrsg.), 2. Internationaler Sport-Recht Kongress, Bonn, 2002, S. 140, 147 ff., A. Rigozzi (Fn. 63), Rn. 475 ff. und 811 ff., M. Baddeley (Fn. 2), S. 78 und 271 und D. Monheim, Die Freiwilligkeit von Schiedsabreden im Sport und das Rechtsstaatsprinzip, SpuRt 2008, 8 ff. 78 BGE 119 II 271.
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keine Rede sein. Die Schiedsrichter sind zur Unabhängigkeit verpflichtet und unterliegen keinerlei Weisung.79 Bei begründeten Zweifeln an ihrer Unabhängigkeit können sie von den Parteien abgelehnt werden.80 Weiter sind die Parteien im Verfahren vor dem CAS befugt, ihre tatsächlichen und rechtlichen Standpunkte darzustellen sowie Rechtsanwälte und andere Beistände hinzuzuziehen.81 Die Verfahren vor dem CAS sind daher grundsätzlich mit Verfahren vor den ordentlichen staatlichen Gerichten zu vergleichen. Insoweit ist dem Erfordernis des ersten Anscheins einer fairen, gerichtsähnlichen Streitentscheidung durch unabhängige Dritte Genüge getan. Verstöße gegen die in Art. 5 Abs. 1 lit. b) UNÜ genannten Verfahrensgrundsätze und die von Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ geschützte Unabhängigkeit und Überparteilichkeit der Rechtsprechung können nach der Konzeption des UNÜ im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren berücksichtigt werden; die Qualifikation einer Entscheidung als Schiedsspruch im Sinne des UNÜ bleibt davon aber unberührt. Würde man schon bei der Qualifikation einer Entscheidung als Schiedsspruch zu strenge Voraussetzungen an die Unabhängigkeit des Schiedsgerichts und ein faires Verfahren stellen, wären die genannten Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgründe nur noch von sehr untergeordneter Bedeutung.
(2) Verbindlichkeit und rechtliche Einordnung nach Schweizer Recht Die Schiedssprüche der Ad-hoc-Kammern des CAS sind nach Art. 21 der Ad-hoc-Regeln „unverzüglich vollziehbar“ und können „nicht mit Rechtsmitteln angegriffen oder in anderer Weise angefochten werden“.82 Die Schiedssprüche der ständigen Kammern des CAS sind zwar ebenfalls „bindend und vollziehbar“83 und entscheiden den Streit „endgültig“84; sie können aber nur dann „nicht durch Rechtsmittel angefochten werden, soweit die Parteien weder ___________ 79
Art. R33 I CAS-Schiedsordnung. Art. R34 CAS-Schiedsordnung. 81 Art. R30 CAS-Schiedsordnung. 82 Mit Unterzeichnung des Meldeformulars für die Olympischen Spiele erklären die Parteien ausdrücklich einen Verzicht auf Rechtsmittel, vgl. dazu stellvertretend das von den Athleten zu unterzeichnende Meldeformular für die Olympischen Spiele 2000 in Sydney (abgedruckt bei G. Kaufmann-Kohler, Arbitration at the Olympics (Fn. 51), S. 23, Fn. 66), das folgende Bestimmung enthielt: „The decisions of the CAS shall be final. In the interest of speedy and expert resolution of all disputes arising in connection with the Olympic Games, I hereby surrender any right I may have to commence proceedings in a court in relation to any such dispute or to file any appeal, review or recourse to any state court or other judicial authority from any arbitral award, decision or ruling issued by the CAS …“ 83 Art. R46 Abs. 2 S. 1 CAS-Schiedsordnung (gewöhnliches Schiedsverfahren). 84 Art. R59 Abs. 4 S. 1 CAS-Schiedsordnung (Berufungsschiedsverfahren). 80
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Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt noch eine Niederlassung in der Schweiz haben85 und soweit sie ausdrücklich in der Schiedsvereinbarung oder in einer später abgeschlossenen Vereinbarung, insbesondere zu Beginn des Schiedsverfahrens, auf ein Rechtsmittel verzichtet haben“86. Mit dem genannten „Rechtsmittel“ gegen CAS-Entscheidungen ist nach der Konzeption der CAS-Schiedsordnung allerdings nicht die Berufung vor einem Oberschiedsgericht oder einem staatlichen Gericht, sondern allein die „Anfechtung“ des Schiedsspruchs vor dem Schweizer Bundesgericht nach Art. 190 Abs. 2, 191 IPRG i. V. m. Art. 77 BGG87 gemeint, die als außerordentlicher Rechtsbehelf der Verbindlichkeit und Endgültigkeit der Entscheidung des Schiedsgerichts gerade nicht entgegensteht. Da auch das Schweizer Bundesgericht als „Heimatgericht“ des CAS dessen Schiedssprüche als echte Schiedssprüche anerkennt, sind diese von deutschen Gerichten grundsätzlich nach § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO in Verbindung mit dem UNÜ als (echte) ausländische Schiedssprüche anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Gleiches gilt für Schiedsvergleiche des CAS. Schiedsvergleiche werden vom UNÜ zwar grundsätzlich nicht erfasst. Die Praxis der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit behilft sich jedoch damit, einen zwischen den Parteien geschlossenen Schiedsvergleich in einen förmlichen Schiedsspruch zu übernehmen.88 Dieser unterfällt dann nach allgemeiner Meinung dem UNÜ.89 Der CAS ___________ 85 Die Sonderstellung von Parteien mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt oder Niederlassung in der Schweiz ist Art. 192 Abs. 1 IPRG geschuldet, der den Rechtsmittelverzicht nur Parteien eröffnet, die weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt oder Niederlassung in der Schweiz haben. 86 Art. R46 Abs. 2 S. 2 CAS-Schiedsordnung (gewöhnliches Schiedsverfahren), Art. R59 Abs. 4 S. 2 CAS-Schiedsordnung (Berufungsschiedsverfahren). Kritisch zur Möglichkeit eines vorauseilenden Rechtsmittelverzichts nach Art. 192 Abs. 1 IPRG G. Walter, Einige prozessuale Aspekte der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, in: C. Dominicé/R. Patry/C. Reymond (Hrsg.), Etudes de droit international en l'honneur de Pierre Lalive, Basel, 1993, S. 713 f.: Seiner Ansicht nach hat der „Schweizer Gesetzgeber klar eine rechtsstaatliche Grenze überschritten“, ausführlicher dazu Walter/Bosch/Brönnimann (Fn. 37), S. 256 ff. m. w. N. Auch das Schweizer Bundesgericht hat in seinem vielbeachteten und überaus bedeutsamen „Cañas“-Urteil (BGE 133 III 235 Erw. 4 m. w. N.) entschieden, dass ein vorauseilender Rechtsmittelverzicht gegen Entscheidungen des CAS Athleten nicht entgegengehalten werden kann, wenn diese faktisch gezwungen sind, hierin einzuwilligen, um ihren Sport überhaupt professionell ausüben zu können (so etwa die Regelung der ATP im entschiedenen Fall, vgl. dazu BGE 133 III 235 S. 238). 87 Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG), AS 2006, S. 1205, in seiner jeweils gültigen Fassung abrufbar unter http://www.admin.ch. 88 Das Verfahren, schiedsrichterliche Vergleiche als Schiedsspruch zu fassen, ist gängige Praxis internationaler Schiedsgerichte und wird allgemein als zulässig erachtet, vgl. dazu Redfern/Hunter (Fn. 38) Rn. 8–40, J. Adolphsen, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 71), § 1061 Anh. 1 UNÜ Rn. 3, P. Schlosser, in: Stein/Jonas (Fn. 35), Anhang § 1061 Rn. 21.
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folgt der Praxis der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Vergleichen sich die Parteien in einem gewöhnlichen Schiedsverfahren, erlässt er einen Schiedsspruch im Einvernehmen der Parteien.90 Deswegen unterfallen auch Schiedsvergleiche des Internationalen Sportschiedsgerichts dem Begriff des Schiedsspruchs im Sinne des UNÜ und sind in Deutschland grundsätzlich anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Entscheidungen des CAS in Gutachten-91 und Schlichtungsverfahren92 sind dagegen unverbindlich und stellen keinen anerkennungs- und vollstreckungsfähigen Schiedsspruch nach § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO in Verbindung mit dem UNÜ dar. Fraglich ist, ob Anordnungen des CAS im einstweiligen Rechtsschutz als Schiedssprüche im Sinne des UNÜ zu qualifizieren und als solche in Deutschland anzuerkennen und für zu vollstreckbar zu erklären sind. Teile der Literatur fordern, das UNÜ auch auf Anordnungen im einstweiligen Rechtsschutz anzuwenden. Auch wenn diese wesensbedingt niemals endgültige Entscheidungen darstellten, seien sie doch als verbindliche, zeitlich begrenzte Teilschiedssprüche anzusehen und deswegen nach dem UNÜ anzuerkennen und zu vollstrecken.93 Das UNÜ verlange im Gegensatz zu seinem Vorläufer, dem Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche94, nämlich nur die Verbindlichkeit der Entscheidung, nicht aber deren Endgültigkeit.95 Die herrschende Meinung lehnt die Anwendung des UNÜ auf Anordnungen im einstweiligen Rechtsschutz aber – völlig zu Recht – ab:96 Die Einordnung von ___________ 89 Mit der Abfassung von Schiedsvergleichen als Schiedsspruch reagiert die Praxis lediglich auf Lücken in den einschlägigen internationalen Abkommen. Kann ein (einseitig ergangener) Schiedsspruch anerkannt und vollstreckt werden, scheint es nur folgerichtig, erst recht auch einen (einvernehmlich zustande gekommenen) Vergleich anzuerkennen und zu vollstrecken, vgl. dazu P. Schlosser, Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 37), Rn. 931, P. Schlosser, in: Stein/Jonas (Fn. 35), Anhang § 1061 Rn. 21, H. J. Maier, Europäisches Übereinkommen und UN-Übereinkommen über die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Köln, 1966, Art. 3 Anm. 1, K. Lionnet (Fn. 35), S. 275 f. m. w. N., Gottwald/Adolphsen, DStR 1998, 1024, L. Rosenberg/K. H. Schwab/P. Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., 2010, München, § 179 Rn. 37 ff. 90 Art. R42 S. 2 CAS-Schiedsordnung. 91 Art. R62 S. 3 CAS-Schiedsordnung. 92 Art. 1 CAS-Schlichtungsordnung. 93 P. Schlosser, Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 37), Rn. 770, 775 ff. 94 Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26.09.1927, RGBl. 1930 II S. 1068, abgedruckt bei Schwab/Walter (Fn. 31), Anhang A I 2, S. 588 ff. 95 T. Summerer, Internationales Sportrecht vor dem staatlichen Richter in der Bundesrepublik Deutschland, Schweiz, USA und England, München, 1990, S. 68 ff. 96 Vgl. dazu ausführlich M. Leitzen, Die Anordnung vorläufiger oder sichernder Maßnahmen durch Schiedsgerichte nach § 1041 ZPO, Köln, 2002, S. 155 ff., insb. S. 165, S. Bandel, Einstweiliger Rechtsschutz im Schiedsverfahren: Zulässigkeit und
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Anordnungen vorläufiger und rechtswahrender Maßnahmen als Teilschiedsspruch vermag nicht zu überzeugen, verlangt doch auch ein Teilschiedsspruch die endgültige Entscheidung eines Schiedsgerichts über einen abgrenzbaren Teil des Streitgegenstands.97 Die Anordnung im vorläufigen Rechtsschutz verliert hingegen mit der endgültigen Entscheidung der Streitigkeit in der Hauptsache automatisch ihre Wirkung98 und kann – anders als der Teilschiedsspruch – nie in Rechtskraft erwachsen. Das Schiedsgericht bindet sich nicht und kann in seiner Hauptsacheentscheidung ohne Weiteres von den getroffenen Anordnungen abweichen.99 Schließlich können Anordnungen des CAS im vorläufigen Rechtsschutz auch deswegen nicht als Schiedsspruch im Sinne des UNÜ betrachtet werden, weil das Schweizer Heimatrecht des CAS sie weder als Schiedssprüche100 noch als (zeitlich begrenzte) Teilschiedssprüche101 erachtet. Das UNÜ ist daher auf vorläufige Maßnahmen des CAS nicht anwendbar; ihre Anerkennung und Vollstreckbarerklärung als Schiedsspruch scheidet aus.102 Die Zulässigkeit der Erhebung eines Antrags auf Vollstreckungshilfe gemäß § 1041 Abs. 2 ZPO bleibt davon freilich unberührt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Schiedssprüche und – als Schiedssprüche abgefasste – Schiedsvergleiche des CAS dem Begriff des (echten) ausländischen Schiedsspruchs im Sinne des UNÜ genügen. Sie sind daher in Deutschland grundsätzlich nach § 1061 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit dem UNÜ anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Gutachten des CAS und Ergebnisse eines Schlichtungsverfahrens vor dem Internationalen Sportschiedsgericht sowie Anordnungen des vorläufigen Rechtsschutzes unterfallen ___________ Wirkung schiedsrichterlicher und gerichtlicher einstweiliger Maßnahmen gemäss den Bestimmungen des SchiedsVfG, München, 2000, S. 67 f., knapper W. Voit, in: Musielak (Fn. 41), § 1061 Rn. 3.und J. P. Lachmann, Handbuch (Fn. 41), Rn. 2514. 97 Ebenso BGHZ 10, 325, K. Reichold, in: Thomas/Putzo (Fn. 64), § 1054 Rn. 1. Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 18 Rn. 9 sprechen daher vom „Vollend- oder Teilendschiedsspruch“. 98 Ebenso Rüede/Hadenfeldt (Fn. 43), S. 253, A. Bucher, Die neue internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, Basel 1989, Rn. 213. 99 Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 17a Rn. 39. 100 Vgl. dazu A. Bucher (Fn. 98), Rn. 211, Walter/Bosch/Brönnimann (Fn. 37), S. 155, Lalive/Poudret/Reymond (Fn. 38), Art. 183 IPRG Nr. 13. 101 A. Bucher (Fn. 98), Rn. 322, M. Wirth, in: S. V. Berti/H. Honsell/N. P. Vogt, A. K. Schnyder (Hrsg.), International Arbitration in Switzerland: an introduction to and a commentary on articles 176–194 of the Swiss private international law statute, Basel, 2000, Art. 188 Rn. 9. 102 Ebenso H. Roth, Der vorsorgliche Rechtsschutz im internationalen Sportrecht, in: U. Scherrer (Hrsg.), Einstweiliger Rechtsschutz im internationalen Sport/Preliminary remedies in international sports law, Zürich, 1999, S. 36, 41, M. Schimke, Einstweiliger Rechtsschutz im deutschen Sport, in: U. Scherrer (Hrsg.), Einstweiliger Rechtsschutz im internationalen Sport, Zürich, 1999, S. 64.
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dem UNÜ dagegen nicht. Eine Anerkennung und Vollstreckung dieser CASEntscheidungen als Schiedsspruch scheidet aus.
3. Anwendbares Recht Nach § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO werden ausländische Schiedssprüche, also auch Schiedssprüche und – als Schiedsspruch abgefasste – Schiedsvergleiche des CAS, in Deutschland nach dem UNÜ anerkannt und für vollstreckbar erklärt. „Vorschriften in anderen Staatsverträgen über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen“ bleiben aber gemäß § 1061 Abs. 1 S. 2 ZPO „unberührt“. Auch Art. 7 Abs. 1 UNÜ103 lässt den Schiedsparteien offen, sich neben dem UNÜ auch auf innerstaatliches Recht oder andere völkerrechtliche Verträge zu berufen (sog. Grundsatz der „Meistbegünstigung“). Das UNÜ sollte zwar die Verkehrsfähigkeit ausländischer Schiedssprüche erhöhen, den Parteien aber nicht die Möglichkeit nehmen, auch anerkennungs- und vollstreckungsfreundlichere innerstaatliche oder staatsvertragliche Regelungen geltend zu machen.104 Die Vermengung verschiedener Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln ist dabei jedoch unzulässig.105 Eine Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des CAS nach innerstaatlichem Recht kommt nach der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts nicht mehr in Betracht. Neben dem Verweis auf das UNÜ in § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO sieht das deutsche Recht keine eigenständigen Anerkennungsund Vollstreckungsregeln mehr vor. § 1044 a. F. ZPO, der bis zur Reform eine Alternative zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche nach dem UNÜ bot, wurde durch das Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz ersatzlos gestrichen. Auch multi- oder bilaterale Verträge spielen keine Rolle (mehr). Das Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung ___________ 103
Art. 7 Abs. 1 UNÜ: „Die Bestimmungen dieses Übereinkommens lassen die Gültigkeit mehrseitiger oder zweiseitiger Verträge, welche die Vertragsstaaten über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen geschlossen haben, unberührt und nehmen keiner beteiligten Partei das Recht, sich auf einen Schiedsspruch nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts oder der Verträge des Landes, in dem er geltend gemacht wird, zu berufen.“ 104 T. R. Bertheau (Fn. 35), S. 98, P. Schlosser, Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 37), Rn. 123, Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 42 Rn. 24. 105 Sog. „Rosinen-Picken“, vgl. dazu Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 42 Rn. 25. Ebenso A. J. van den Berg, The New York Arbitration Convention (Fn. 37), S. 85 f., U. Haas, Anerkennung (Fn. 71), S. 165 f., P. Schlosser, Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 37), Rn. 136, J. Adolphsen, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 71), § 1061 Anh. 1 UNÜ Rn. 4, J. Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 30), § 1061 Rn. 19.
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und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ) schließt die Schiedsgerichtsbarkeit ausdrücklich von seinem Anwendungsbereich aus.106 Das Genfer Protokoll über die Schiedsklauseln107 und das Europäische Übereinkommen über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit (EuÜ)108 werden zwar oft unkritisch als Verträge i. S. v. § 1061 Abs. 1 S. 2 ZPO und Art. 7 Abs. 1 UNÜ eingeordnet.109 Dabei wird aber übersehen, dass sowohl § 1061 Abs. 1 S. 2 ZPO als auch Art. 7 Abs. 1 UNÜ nicht allgemein auf Staatsverträge auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit, sondern auf Verträge „über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen“ verweisen. Dazu gehören das Genfer Protokoll und das Europäische Übereinkommen über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit gerade nicht. Das Genfer Protokoll regelt die Anerkennung von Schiedsvereinbarungen, das EuÜ die Anerkennung von Schiedsvereinbarungen und das Schiedsverfahren. Eigene Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln zu Schiedssprüchen enthalten beide Verträge nicht. Sie gehören daher gerade nicht zu den in § 1061 Abs. 1 S. 2 ZPO und Art. 7 Abs. 1 UNÜ genannten Staatsverträgen „über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen“110. Der einzige multilaterale Staatsvertrag i. S. v. § 1061 Abs. 1 S. 2 ZPO und Art. 7 Abs. 1 UNÜ ist vielmehr das Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche111. Dessen Anerkennungs- und
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Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 des Luganer Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen vom 16.09.1988, BGBl. 1994 II, S. 2660. 107 Genfer Protokoll über die Schiedsklauseln vom 24.09.1923, RGBl. 1925 II S. 47, abgedruckt bei Schwab/Walter (Fn. 31), S. 586 f. 108 Europäisches Übereinkommen über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21.04.1961, BGBl. 1964 II S. 426, für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 25.01.1965, BGBl. 1965 II S. 107, abgedruckt bei Schwab/Walter (Fn. 31), S. 596 ff. 109 K. Reichold, in: Thomas/Putzo (Fn. 64), § 1061 Rn. 10, R. Geimer, in: Zöller (Fn. 37), § 1061 Rn. 2, P. Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fn. 40) § 1061 Rn. 3 sowie im Ergebnis wohl auch A. J. van den Berg, The New York Arbitration Convention (Fn. 37), S. 92 ff. 110 Für das EuÜ weist nun auch der BGH (WM 1976, 435) unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (BGH WM 1970, 1050 f.) auf diese Unterscheidung hin. Ebenso H. J. Maier (Fn. 89), Art. VII UNÜ Anm. 1 und – im Ergebnis wohl ähnlich – J. Münch; in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 30), § 1061 Rn. 20 und K. Lionnet (Fn. 35), S. 186. Ausführlich hierzu H. Moller, Schiedsverfahrensnovelle und Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, NZG 2000, 57 und H. Moller, Der Vorrang des UN-Übereinkommens über Schiedsgerichtsbarkeit vor dem Europäischen Übereinkommen über Handelsschiedsgerichtsbarkeit, EWS 1996, 300. 111 Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26.09.1927, RGBl. 1930 II S. 1068, für das Deutsche Reich in Kraft getreten am 01.12.1930, RGBl. 1930 II S. 1269, abgedruckt unter Schwab/Walter (Fn. 31), S. 588 ff.
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Vollstreckungsvorschriften wurden aber nach Art. 7 Abs. 2 UNÜ112 für Mitgliedstaaten beider Abkommen (dazu gehört neben Deutschland auch die Schweiz113) zugunsten des UNÜ außer Kraft gesetzt. Ähnliches gilt für das – angesichts der Schweizer Nationalität aller Entscheidungen des CAS – in diesem Zusammenhang allein interessierende bilaterale Abkommen, das „deutschschweizerische Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen“114.
4. Verfahren bei der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen des CAS Ausländische Schiedssprüche im Sinne des UNÜ wie die Schiedssprüche des Internationalen Sportschiedsgerichts sind nach § 1061 ZPO i. V. m. Art. 3 S. 1 UNÜ in Deutschland anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären, wenn die Voraussetzungen der Art. 4–6 UNÜ gegeben sind, d. h. wenn bestimmte Formalitäten eingehalten werden und nicht ausnahmsweise Gründe vorliegen, die dazu führen, dass einem Schiedsspruch entweder auf Antrag115 oder von Amts wegen116 im Einzelfall die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung in Deutschland zu versagen ist. Begehrt eine Partei die Anerkennung oder Vollstreckung eines Schiedsspruchs nach dem UNÜ, sind zunächst gewisse – im UNÜ selbst geregelte – Formerfordernisse zu beachten. Nach Art. 4 UNÜ bedarf es eines entsprechenden Parteiantrags. Eine Überprüfung des Gerichts von Amts wegen, ob ein
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Art. 7 Abs. 2 UNÜ: „Das Genfer Protokoll über die Schiedsklauseln von 1923 und das Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1927 treten zwischen den Vertragsstaaten in dem Zeitpunkt außer Kraft, in dem dieses Übereinkommen für sie verbindlich wird.“ 113 Die Schweiz hat das UNÜ am 01.06.1965 ratifiziert und am 30.08.1965 in Kraft gesetzt, vgl. dazu Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 42 Rn. 11. 114 Deutsch-schweizerisches Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen vom 02.11.1929, RGBl. 1930 II S. 1065, Ratifikation RGBl. 1930 II S. 1270, auszugsweise abgedruckt bei Schwab/Walter (Fn. 31), S. 606 f. Das deutsch-schweizerische Abkommen enthält in seinem Art. 9 Abs. 3 (Anerkennung und Vollstreckung von Schiedsvergleichen) zwar durchaus eine gegenüber dem UNÜ eigenständige Regelung, bleibt für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des CAS aber letztlich ohne Relevanz, da der CAS Schiedsvergleiche regelmäßig in der Form eines Schiedsspruchs abschließt (Art. R42 S. 2 CAS-Schiedsordnung). 115 Art. 5 Abs. 1 UNÜ. 116 Art. 5 Abs. 2 UNÜ.
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Schiedsspruch anzuerkennen oder zu vollstrecken ist, erfolgt nicht.117 Weiter muss die die Anerkennung oder Vollstreckung eines Schiedsspruchs begehrende Partei eine beglaubigte Abschrift von Schiedsspruch und Schiedsvereinbarung vorlegen.118 Sind diese in einer Fremdsprache verfasst, ist eine deutsche Übersetzung beizubringen.119 Weitere Verfahrensvorgaben enthält das UNÜ – insoweit ganz der internationalen Staatenpraxis beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge entsprechend – nicht.120 Die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs richtet sich deswegen im Übrigen nach den „Verfahrensvorschriften des Hoheitsgebietes, in dem der Schiedsspruch geltend gemacht“121 wird, vorliegend also nach deutschem Verfahrensrecht. Das deutsche Schiedsverfahrensrecht sieht weder für inländische noch für ausländische Schiedssprüche ein besonderes Anerkennungsverfahren vor. Die Anerkennung erfolgt bei Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen „ipso iure“. Ein gerichtlicher Ausspruch über die Anerkennung ist nicht erforderlich; vielmehr besitzt auch der ausländische (echte) Schiedsspruch in Deutschland automatisch die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils.122 Formgerecht123 geltend gemachte Schiedssprüche des CAS sind somit ohne besonderes ___________ 117
Das Antragserfordernis ergibt sich schon aus dem Wortlaut von Art. 4 UNÜ, der von der sich auf den Schiedsspruch berufenden Partei die Eingabe von Abschriften „zugleich mit ihrem Antrag“ verlangt. 118 Art. 4 Abs. 1 UNÜ. 119 Art. 4 Abs. 2 UNÜ. 120 Völkerrechtliche Verträge geben den Unterzeichnerstaaten Verpflichtungen auf. Wie sie diese Verpflichtungen verfahrenstechnisch umsetzen, bleibt aus praktischen Gründen meist den Vertragsstaaten vorbehalten. Auch die im Rahmen der Verhandlungen zum UNÜ zunächst angedachten einheitlichen Verfahrensvorschriften wurden von den Konferenzteilnehmern schließlich als unrealisierbar abgelehnt, vgl. dazu T. R. Bertheau (Fn. 35), S. 100. Um gleichwohl eine verfahrensrechtliche Erschwerung der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche zu verhindern, bestimmt Art. 3 S. 2 UNÜ freilich, dass „(d)ie Anerkennung oder Vollstreckung von Schiedssprüchen, auf die dieses Übereinkommen anzuwenden ist, (...) weder wesentlich strengeren Verfahrensvorschriften noch wesentlich höheren Kosten unterliegen (darf) als die Anerkennung oder Vollstreckung inländischer Schiedssprüche“. 121 Art. 3 S. 1 UNÜ. Vgl. dazu auch Redfern/Hunter (Fn. 38) Rn. 1–15, 10–28 und W. Voit, in: Musielak (Fn. 41), § 1061 Rn. 11. 122 P. Schlosser, Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 37), Rn. 866, W. Voit, in: Musielak (Fn. 41), § 1061 Rn. 1, R. Geimer, in: Zöller (Fn. 37), § 1061 Rn. 16, J. Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 30), § 1061 Rn. 3, R. A. Schütze (Fn. 39), Rn. 248, Schütze/Tscherning/Wais (Fn. 44), Rn. 619, R. Geimer (Fn. 37), Rn. 3879, H. Moller, NZG 1999, 143. Bei Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen des UNÜ ist der ausländische Schiedsspruch in seinen Wirkungen damit dem inländischen gleichgestellt, vgl. dazu den – nicht auf ausländische Schiedssprüche anwendbaren – § 1055 ZPO: „Der Schiedsspruch hat unter den Parteien die Wirkungen eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils.“ 123 Die Rechtsprechung will wegen des Günstigkeitsprinzips des Art. 7 UNÜ ggf. auf einen Teil der Anforderungen des 4 UNÜ verzichten, vgl. dazu die Nachweise bei K.
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Verfahren immer dann anzuerkennen, wenn ihnen nicht ausnahmsweise wegen eines Versagungsgrundes i. S. d. Art. 5 UNÜ die Anerkennung zu versagen ist. Eine neuerliche Entscheidung des angerufenen Gerichts in derselben Sache ist damit unzulässig (Grundsatz der „res iudicata“). Hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung entscheidungserheblicher Vorfragen sind die befassten Gerichte an Schiedssprüche des CAS gebunden und gehalten, ihren Entscheidungen die Rechtsauffassung des CAS zugrunde zu legen. Auch die Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche richtet sich gemäß §§ 1062–1065 ZPO nach dem für inländische Schiedssprüche vorgesehenen Verfahren. Begehrt eine Partei in Deutschland danach die zwangsweise Vollstreckung eines Schiedsspruchs des Internationalen Sportschiedsgerichts,124 bedarf es zunächst einer Befassung des nach § 1062 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO zuständigen deutschen Oberlandesgerichts.125 Liegen die Vollstreckungsvoraussetzungen der Art. 4–6 UNÜ vor, erklärt das Gericht den Schiedsspruch des CAS auf entsprechenden Antrag für vollstreckbar. Fehlt es dagegen an den notwendigen Voraussetzungen, stellt das Gericht fest, dass der Schiedsspruch im Inland nicht anzuerkennen ist.126 Während Art. 4 Abs. 1 UNÜ die Vorlage einer beglaubigten Abschrift von Schiedsspruch und Schiedsvereinbarung fordert, genügt nach §§ 1061 Abs. 1 i. V. m. 1064 Abs. 1, 3 ZPO die Vorlage einer Abschrift des Schiedsspruchs. Die völkerrechtlich strengeren Anforderungen des UNÜ werden insoweit – anders als im Anerkennungsverfahren127 – durch ___________ Reichold, in: Thomas/Putzo (Fn. 64), § 1061 Rn. 6. Ist die Existenz und Authentizität des Schiedsspruchs unstreitig, soll die Vorlage einer beglaubigten, wenn auch nicht von einer legalisierten Urschrift gefertigten Abschrift genügen. Wenn der Anerkennungs-/ Vollstreckungsgegner den behaupteten Inhalt der Schiedsvereinbarung nicht bestreitet, soll gar von der Vorlage der Schiedsvereinbarung abgesehen werden können. 124 Gleiches gilt, wenn eine bereits bestehende Vollstreckbarerklärung wegen Aufhebung einer Entscheidung des CAS durch das schweizerische Bundesgericht wieder aufgehoben werden soll (§ 1061 Abs. 3 ZPO). 125 Da der Schiedsort bei Entscheidungen des CAS stets im Ausland liegt, bestimmt sich die Zuständigkeit nach § 1062 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO: Demnach ist „das Oberlandesgericht zuständig, in dessen Bezirk der Antragsgegner seinen Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder sich Vermögen des Antragsgegners oder der mit der Schiedsklage in Anspruch genommene oder von der Maßnahme betroffene Gegenstand befindet, hilfsweise das Kammergericht“. Zu beachten ist ferner die Konzentrationsermächtigung des § 1062 Abs. 5 ZPO, nach der Länder mit mehreren Oberlandesgerichten die Zuständigkeit einem Oberlandesgericht oder dem obersten Landesgericht übertragen können. 126 § 1061 Abs. 2 ZPO. 127 § 1064 Abs. 3 ZPO gilt nach dem klaren Wort des § 1064 nur für das Verfahren der Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen. Da Verfahrensregelungen für die Anerkennung von Schiedssprüchen wegen des Grundsatzes der Anerkennung ipso iure fehlen, richten sich die Formalanforderungen ausschließlich nach dem UNÜ. Die Erleichterung des § 1064 Abs. 3 ZPO greift nicht, so dass derjenige, der die Anerkennung eines
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das Meistbegünstigungsprinzip des Art. 7 Abs. 1 UNÜ modifiziert.128 Ein Verstoß gegen das Verbot der Vermischung verschiedener Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln liegt darin nicht. § 1064 Abs. 3 ZPO stellt keine eigenständige innerstaatliche Regelung zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche dar, sondern ergänzt das UNÜ nur verfahrensrechtlich. Angesichts der ausschließlich staatsvertraglich geregelten Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in Deutschland erlangt § 1064 Abs. 3 ZPO schließlich auch nur dann eigenständige Bedeutung, wenn man insoweit den Vorrang des günstigeren (Verfahrens-)Rechts zulässt.
IV. Der Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgrund fehlender objektiver Schiedsfähigkeit 1. Art. 5 UNÜ als abschließender Katalog von Anerkennungsund Vollstreckungsversagungsgründen Art. 5 UNÜ nennt die Gründe, die einer Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs entgegenstehen können, abschließend.129 Deutsche Gerichte können einem Schiedsspruch des CAS deswegen nur dann die Anerkennung und Vollstreckung versagen, wenn einer der Versagungsgründe des Art. 5 UNÜ vorliegt. Eine Versagung aus anderen als den dort genannten Gründen kommt nicht in Betracht.130 Insbesondere ist den staatlichen Gerichten eine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit des Schiedsspruchs verwehrt, solange und soweit der ordre public nicht verletzt wird (sog. Verbot der „révision au fond“).131 ___________ ausländischen Schiedsspruchs begehrt, nach Art. 4 UNÜ bei Gericht eine beglaubigte Abschrift von Schiedsspruch und Schiedsvereinbarung vorzulegen hat. 128 Ebenso Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 30 Rn. 25 Fn. 77, J. P. Lachmann, Handbuch (Fn. 41), Rn. 2509. Ähnlich W. Voit, in: Musielak (Fn. 41), § 1061 Rn. 11, Lörcher (Fn. 48), Rn. 362, K. Reichold, in: Thomas/Putzo (Fn. 64), § 1064 Rn. 3. 129 Ganz h. M., stellvertretend für A. J. van den Berg, The New York Convention: Its Intended Effects, Its Interpretation, Salient Problem Areas, in: M. Blessing (Hrsg.), ASA Special Series Nr. 9 (1996), The New York Convention of 1958, Zürich, 1996, S. 29, Redfern/Hunter (Fn. 38) Rn. 10–30. 130
Dies ergibt sich schon klar aus dem Wortlaut von Art. 3 S. 1 („lässt (…) zur Vollstreckung zu, sofern die in den folgenden Artikeln festgelegten Voraussetzungen gegeben sind“) und Art. 5 Abs. 1 UNÜ („darf (…) nur versagt werden, wenn …“). Ebenso K. Lionnet (Fn. 35), S. 278. 131 Einhellige Meinung, vgl. dazu Redfern/Hunter (Fn. 38), Rn. 10–30 mit Nachweisen zur internationalen Rechtsprechung, R. Geimer, in: Zöller (Fn. 37), § 1061 Rn. 40, R. A. Schütze (Fn. 39), Rn. 293, Lörcher (Fn. 48), Rn. 378, Schütze/Tscherning/Wais (Fn. 44), Rn. 646, J. Adolphsen, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 71), § 1061 Anh. 1 UNÜ Art. V Rn. 5.
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Art. 5 UNÜ ist als Ausnahme von der vom UNÜ grundsätzlich auferlegten Anerkennungs- und Vollstreckungspflicht eng auszulegen.132 Die Regelung unterscheidet dabei zwischen Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgründen, die vom Anerkennungs- und Vollstreckungsgegner geltend gemacht und bewiesen werden müssen (Art. 5 Abs. 1)133, und solchen, die von Amts wegen, also unabhängig von einem entsprechenden Parteiantrag, zu berücksichtigen sind (Art. 5 Abs. 2). Dabei erscheint zunächst fraglich, ob das erkennende Gericht bei Vorliegen eines Versagungsgrundes i. S. v. Art. 5 UNÜ zur Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs verpflichtet oder nur berechtigt ist. Sowohl die deutsche („darf (...) versagt werden“) als auch die englische Fassung („may (...) be refused“) des UNÜ lassen insoweit einen Ermessensspielraum des Gerichts vermuten. Nach richtiger Ansicht ist diese Formulierung aber aus völkerrechtlicher Perspektive zu verstehen.134 Demnach kann der Gesetzgeber eines UNÜ-Vertragsstaats seinen Gerichten zwar einen Ermessensspielraum einräumen; tut er dies aber – wie in Deutschland – nicht ausdrücklich, sind die Gerichte bei Vorliegen eines der in Art. 5 genannten Gründe und ggf. deren Geltendmachung (Art. 5 Abs. 1 UNÜ) zur Versagung der Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs verpflichtet.135
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Vgl. dazu A. J. van den Berg, The New York Arbitration Convention (Fn. 37), S. 267 ff. mit weiterführenden Nachweisen zur internationalen Rechtsprechung. 133 Die Beweislastverteilung des Art. 5 Abs. 1 UNÜ wird im Sinne einer Erleichterung der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche als einer der wesentlichen Fortschritte des UNÜ gegenüber Art. 1 des Genfer Abkommens gesehen, nach dem die Beweislast für das Nichtvorliegen eines Versagungsgrundes beim Antragsteller verblieb, vgl. dazu Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 57 vor Rn. 1. Beantragt die Partei, gegen die der Schiedsspruch geltend gemacht wird, nicht die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung wegen eines der in Art. 5 Abs. 1 UNÜ genannten Gründe, hat das Gericht den Schiedsspruch folglich auch dann anzuerkennen, wenn Mängel des Schiedsspruchs nach Art. 5 Abs. 1 UNÜ vorliegen, H. Moller, NZG 1999, 143, H. J. Maier (Fn. 89) S. 34 f. Anm. 1; einschränkend für Art. 5 Abs. 1 lit. e) UNÜ Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 56 Rn. 4. 134 Ganz h. M., vgl. dazu nur J. Adolphsen, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 71), § 1061 Anh. 1 UNÜ Art. V Rn. 4 und Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 56 Rn. 3. 135 Die klare und abschließende Regelung des Art. 5 UNÜ soll Schuldner vor all jenen Schiedssprüchen schützen, die den in Art. 5 behandelten Anforderungen nicht gerecht werden, H. J. Maier (Fn. 89), S. 35 Anm. 1, ähnlich P.-M. Patocchi, The 1958 New York Convention: The Swiss Practice, in: M. Blessing (Hrsg.), ASA Special Series Nr. 9 (1996), The New York Convention of 1958, Zürich, 1996, S. 165 ff.
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2. Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgründe gemäß Art. 5 UNÜ Gemäß Art. 5 Abs. 1 UNÜ ist einem Schiedsspruch des CAS auf Antrag einer Partei die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen, wenn –
dem Schiedsspruch keine wirksame Schiedsvereinbarung zugrunde liegt (Art. 5 Abs. 1 lit. a UNÜ),
–
eine Partei „von der Bestellung des Schiedsrichters oder von dem schiedsrichterlichen Verfahren nicht gehörig in Kenntnis gesetzt worden“ ist oder „aus einem anderen Grund ihre Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht hat geltend machen können“ (Art. 5 Abs. 1 lit. b UNÜ),
–
der Schiedsspruch „eine Streitigkeit betrifft, die in der Schiedsabrede nicht erwähnt ist oder nicht unter die Bestimmungen der Schiedsklausel fällt, oder (...) Entscheidungen erhält, welche die Grenzen der Schiedsabrede oder der Schiedsklausel überschreiten“. (Art. 5 Abs. 1 lit. c UNÜ),
–
das Schiedsgericht fehlerhaft gebildet wurde und/oder sonstige (erhebliche) Verfahrensmängel vorliegen (Art. 5 Abs. 1 lit. d UNÜ) oder
–
der Schiedsspruch „für die Parteien noch nicht verbindlich geworden ist“, „von einer zuständigen Behörde des Landes, in dem oder nach dessen Recht er ergangen ist, aufgehoben ist“ oder von einer solchen Behörde „in seinen Wirkungen einstweilig gehemmt ist“ (Art. 5 Abs. 1 lit. e UNÜ).
Von Amts wegen, d. h. auch ohne entsprechenden Parteiantrag, ist einem Schiedsspruch des CAS die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen, wenn –
der dem Schiedsspruch zugrunde liegende Streitgegenstand nach dem Recht des Staates, in dem um Anerkennung oder Vollstreckung nachgesucht wird, „nicht auf schiedsrichterlichem Wege geregelt werden kann“ (Art. 5 Abs. 2 lit. a UNÜ) oder
–
der Schiedsspruch gegen den ordre public des Staats verstößt, in dem um Anerkennung und Vollstreckung nachgesucht wird (Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ) (Art. 5 Abs. 2 lit. b UNÜ).
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3. Die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung des CAS infolge mangelnder objektiver Schiedsfähigkeit a) Die objektive Schiedsfähigkeit des Streitgegenstands Nach Art. 5 Abs. 2 lit. a) UNÜ136 ist Schiedssprüchen die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen, wenn der Streitgegenstand nach dem Recht des Staates, in dem um Anerkennung oder Vollstreckung nachgesucht wird, „nicht auf schiedsrichterlichem Wege geregelt werden kann“. Angerufene deutsche Gerichte haben ausländische Schiedssprüche demnach von Amts wegen daraufhin zu untersuchen, ob die ihnen zugrunde liegende Streitigkeit nach deutschem Recht objektiv schiedsfähig ist.137 Die objektive Schiedsfähigkeit der Streitigkeit gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. a) UNÜ ist dabei strikt von der objektiven Schiedsfähigkeit der Streitigkeit nach dem „Recht der Schiedsvereinbarung“ gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a) UNÜ zu unterscheiden. Letztere ist zwar Voraussetzung für das Vorliegen einer wirksamen Schiedsvereinbarung; das für die Prüfung der objektiven Schiedsfähigkeit der Streitigkeit nach Art. 5 Abs. 2 lit. a) UNÜ maßgebliche Recht des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaates kann aber natürlich durchaus auch vom „Recht der Schiedsvereinbarung“ abweichen.138 Mit der Anerkennungs- und Vollstreckungsvoraussetzung der objektiven Schiedsfähigkeit der Streitigkeit, die von verschiedenen Autoren auch als „Erscheinungsform“ des ordre public angesehen wird,139 wird sichergestellt, dass ___________ 136 Art. 5 Abs. 2 lit. a) UNÜ: „Die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs darf auch versagt werden, wenn die zuständige Behörde des Landes, in dem die Anerkennung und Vollstreckung nachgesucht wird, feststellt, dass der Gegenstand des Streites nach dem Recht dieses Landes nicht auf schiedsrichterlichem Wege geregelt werden kann.“ 137 Vgl. dazu P. Schlosser, in: Stein/Jonas (Fn. 35), Anhang § 1061 Rn. 133 und § 1030 Rn. 19 sowie einschränkend J. Adolphsen, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 71), § 1061 Anh. 1 UNÜ Art. V Rn. 66 und W. Voit, in: Musielak (Fn. 41), § 1061 Rn. 22. 138 Abzulehnen daher Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 57 Rn. 32 f., die Art. 5 Abs. 2 lit. a) UNÜ wegen Art. 5 Abs. 1 lit. a) UNÜ für „an sich entbehrlich“ erachten, auch wenn dieser anders als der von Amts wegen zu prüfende Versagungsgrund des Art. 5 Abs. 2 lit. a) UNÜ nur auf Einwendung des Antragsgegners hin geprüft werde. 139 Vgl. dazu nur A. Bucher (Fn. 98), Rn. 453 sowie T. R. Bertheau (Fn. 35), S. 60. Gleichwohl erübrigt sich der Versagungsgrund des Art. 5 Abs. 2 lit. a) UNÜ entgegen T. R. Bertheau (Fn. 35), S. 60 und A. J. van den Berg, The New York Arbitration Convention (Fn. 37), S. 368 f. nicht wegen Art. 5 Abs. 2 lit. b) UNÜ. Die objektive Schiedsfähigkeit des Streitgegenstands kann zwar durchaus zum ordre public des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaates gehören; zwingend ist dies wegen der Beschränkung
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kein Staat Schiedssprüche nach dem UNÜ anzuerkennen oder zu vollstrecken hat, die Streitigkeiten zum Gegenstand haben, die nach seinem Recht nicht objektiv schiedsfähig sind. Auf eine international verbindliche „Liste“, welche Arten von Streitigkeiten als objektiv schiedsfähig zu erachten sind, einigten sich die Vertragsstaaten des UNÜ nicht; auch entsprechende Vorstöße in der Literatur blieben ungehört.140 Im Ergebnis kann es deswegen zu einer „doppelten“ Überprüfung der objektiven Schiedsfähigkeit der Streitigkeit nach zwei verschiedenen Rechtsordnungen kommen.141 Nach deutschem Schiedsverfahrensrecht sind grundsätzlich alle Streitigkeiten, die einen vermögensrechtlichen Anspruch betreffen, schiedsfähig. Der Begriff des vermögensrechtlichen Anspruchs ist – ähnlich wie im internationalen Schweizer Schiedsverfahrensrecht, an dem sich die deutsche Regelung auch insoweit orientiert142 – weit auszulegen. Demnach ist ein Rechtsstreit vermögensrechtlicher Natur, wenn der prozessuale Anspruch einer Partei direkt oder mittelbar auf den Gewinn oder Erhalt von Vermögen oder vermögenswerten Gegenständen gerichtet ist.143 Nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten sind nur dann schiedsfähig, wenn die Parteien in der jeweiligen Streitsache vergleichsberechtigt wären. Nicht objektiv schiedsfähig sind danach insbesondere Ehe- und Kindschaftssachen sowie Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit Ausnahme der echten Streitsachen.144 Ungeachtet vorstehender Grundsätze bleiben Schiedsbeschränkungen und -verbote, die sich aus anderen Vorschriften ergeben, unberührt.145 Streitigkeiten sind damit immer dann objektiv schiedsunfähig, wenn sich der Staat insoweit
___________ der Prüfungskompetenz des Gerichts auf eine reine Ergebniskontrolle aber nicht, vgl. dazu im Ergebnis ebenso Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 57 Rn. 32. 140 Vgl. dazu A. J. van den Berg, The New York Arbitration Convention (Fn. 37), S. 375 m. w. N. 141 Ähnlich U. Haas, Anerkennung (Fn. 71), S. 252. A. A. offenbar J. Adolphsen, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 71), § 1061 Anh. 1 UNÜ Art. V Rn. 66. 142 Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 4 Rn. 1, P. Schlosser, in: Stein/Jonas (Fn. 35), § 1030 Rn. 1, J. Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 30), § 1030 Rn. 1 und R. Geimer, in: Zöller (Fn. 37), § 1030 Rn. 1. 143 Vgl. dazu P. Schlosser, in: Stein/Jonas (Fn. 35), § 1030 Rn. 2, R. Geimer, in: Zöller (Fn. 37), § 1030 Rn. 1, K. P. Berger, Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (Fn. 30), S. 48, Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 4 Rn. 4. 144 Vgl. dazu Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 4 Rn. 2, K. Reichold, in: Thomas/Putzo (Fn. 64), § 1030 Rn. 6, Schütze/Tscherning/Wais (Fn. 44), Rn. 43. 145 § 1030 Abs. 3 ZPO.
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ein Rechtsprechungsmonopol vorbehalten hat.146 Nach der anlässlich der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts erfolgten Streichung von § 91 a. F. GWB147 sind an dieser Stelle nur noch die im Folgenden aufgeführten strafund arbeitsrechtlichen Schiedsverbote und -beschränkungen auf ihre praktische Relevanz für die Anerkennung und Vollstreckung von CAS-Entscheidungen in Deutschland zu prüfen.
aa) Strafrechtliches Schiedsverbot Der Strafanspruch steht nach einhelliger Meinung allein dem Staat zu und darf auch nicht an Dritte übertragen werden (staatliches Gewaltmonopol). Die Entscheidung von Streitigkeiten strafrechtlichen Charakters ist der Zuständigkeit von Schiedsgerichten deswegen entzogen; strafrechtliche Sanktionen sind objektiv schiedsunfähig. Obwohl es sich bei Entscheidungen des CAS in Disziplinarsachen nicht um strafrechtliche Sanktionen im eigentlichen Sinn handelt, wird ihnen mitunter strafrechtlicher Charakter zugesprochen, der nach einer Überprüfung durch staatliche Gerichte verlange. Meier/Aguet möchten dem CAS etwa mit Verweis auf die fehlende Schiedsfähigkeit strafrechtlicher Streitigkeiten ganz allgemein die Entscheidungskompetenz in allen Disziplinarsachen absprechen:148 Disziplinarstrafen verfügten wegen des staatsähnlichen Subordinationsverhältnisses zwischen Verband und Athlet, der Stigmatisierung des betroffenen Athleten und der mitunter einschneidenden Folgen über quasi-strafrechtlichen Charakter.
___________ 146
Vgl. dazu die Gesetzesbegründung der Regierung in BT-Drs. 13/5274 S. 34 sowie W. Voit, in: Musielak (Fn. 41), § 1030 Rn. 2, J. Münch, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung (Fn. 30), § 1030 Rn. 1, R. Geimer, in: Zöller (Fn. 37), § 1030 Rn. 2 und Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 4 Rn. 1. Die ausschließliche Zuständigkeit bestimmter staatlicher Gerichte allein steht der Schiedsfähigkeit einer Streitigkeit freilich nicht entgegen, vgl. dazu P. Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fn. 40) § 1030 Rn. 4 und R. Geimer, in: Zöller (Fn. 37), § 1030 Rn. 4. 147 Vgl. zur nunmehr unbeschränkten Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Streitigkeiten Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 3 Rn. 22, Kap. 4 Rn. 7, H. Barber, Objektive Schiedsfähigkeit und ordre public in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, Frankfurt/Main, 1994, S. 147 sowie – speziell in Bezug auf kartellrechtliche Streitigkeiten im Sport – J. Adolphsen, Internationale Dopingstrafen (Fn. 14), S. 537. Zur vergleichbaren Rechtslage in der Schweiz vgl. F. Vischer, in: Zürcher Kommentar (Fn. 43), Art. 177 Rn. 6 (mit Verweis auf BGE118 II 193) sowie Lalive/Poudret/Reymond (Fn. 38), Art. 177 Erw. 4 m. w. N. zur Rechtsprechung. 148 Ausführlich zum Folgenden P. Meier/C. Aguet, L'arbitrabilité du recours contre la suspension prononcée par une fédération sportive internationale, JdT 2002 I, S. 71 ff.
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Mit dieser Erkenntnis dürfe man sich aber nicht wie der CAS149 einfach abfinden. Vielmehr gelte es, daraus auch die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und Sportschiedsgerichten ganz allgemein die Entscheidung disziplinarrechtlicher Streitigkeiten mit Sanktionscharakter zu versagen. Dieser Argumentation kann jedoch nicht gefolgt werden. Zwar können disziplinarische Maßnahmen von Sportverbänden gerade im Berufssport neben erheblichen finanziellen Einbußen auch stigmatisierende und damit persönlichkeitsrechtsrelevante Wirkungen zeitigen. Trotzdem bleibt die Disziplinarstrafe der Vertragsstrafe näher als einer staatlichen Strafe. Sie trifft im Gegensatz zur staatlichen Strafgewalt nicht jedermann, sondern nur Personen, die sich diesen „Straf“vorschriften durch Mitgliedschaft oder vertragliche Anerkennung unterworfen haben. So ist auch in Literatur und Rechtsprechung weitgehend anerkannt, dass disziplinarische Maßnahmen der Verbände dem Privatrecht unterliegen und strafrechtliche Grundsätze grundsätzlich keine Anwendung finden.150 Auch disziplinarrechtliche Streitigkeiten im Sport sind deswegen objektiv schiedsfähig. Das strafrechtliche Schiedsverbot ist nicht einschlägig. Eine Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung des Internationalen Sportschiedsgerichts kommt insoweit nicht in Betracht.
bb) Arbeitsrechtliches Schiedsverbot In Deutschland sieht das Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) für die Klärung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten grundsätzlich die ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte vor. Die Durchführung von Schiedsverfahren in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten ist nur in bestimmten Sonderfällen möglich, für die §§ 101 ff. ArbGG besondere Verfahrensregeln vorsieht.151 Die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts kann danach nur für Streitigkeiten i. S. v. § 2 Abs. 1 und ___________ 149
So z. B. in CAS 91/56, abgedruckt bei M. Reeb, Receuil des sentences du TAS. Digest of CAS Awards 1986–1998, Bern, 1998, S. 99 ff., dem zufolge Disziplinarstrafen „s'apparentent (…) à des sanctions pénales“ (Erw. 4). 150 Vgl. dazu BGE 119 II 271, BG 5P.83/1999, mitgeteilt von M. Reeb (Hrsg.), Receuil des sentences du TAS. Digest of CAS Awards 1998–2000 (Fn. 2), S. 767 ff., Erw. 3d, M. Baddeley (Fn. 2), D. Oswald, La responsabilité objective (absolute and strict liability) dans la répression du dopage, in: CAS (Hrsg.), Séminaire du TAS – 2001, CAS Seminar – 2001, Lausanne, 2002, S. 220. Ähnlich OLG Frankfurt/Main (Fall „Baumann“), in Auszügen abgedruckt bei NJW-RR 2000, 1117, SpuRt 2000, 197, E. Reschke, Erwiderung auf Reinhart (SpuRt 2001, 45), SpuRt 2001, 183 und J. Adolphsen, Internationale Dopingstrafen (Fn. 14), S. 528 ff. m. w. N. A. A. M. Reinhart, Sportverbandsgerichtsbarkeit und Doppelbestrafungsverbot, SpuRt 2001, 45 ff. 151 Vgl. ausführlich zum Schiedsgerichtsverfahren in Arbeitsstreitigkeiten die Darstellung von E. Suhr, Das Schiedsgerichtsverfahren in Arbeitsstreitigkeiten, Bochum 1997.
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2 ArbGG152 zwischen Tarifvertragsparteien oder tarifgebundenen Personen bestimmter Berufsgruppen (Bühnenkünstler, Filmschaffende, Artisten, Kapitäne und Besatzungsmitglieder) vereinbart werden. Andere als die in § 101 Abs. 2 ArbGG aufgeführten Berufsgruppen sind nach einhelliger Meinung nicht berechtigt, ein Schiedsgericht mit der verbindlichen Entscheidung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten zu betrauen.153 Vielmehr sind alle nicht von den engen Ausnahmen der §§ 4, 2 Abs. 1 und 2, 101 Abs. 1 und 2 ArbGG umfassten arbeitsrechtlichen Streitigkeiten nach deutschem Recht objektiv schiedsunfähig. Hintergrund dieses Schiedsverbots ist die Sicherung der einheitlichen Anwendung des Arbeitsgerichtsgesetzes sowie des materiellen Arbeitsrechts. Insbesondere sollen Arbeitnehmerschutzrechte mit Hilfe der staatlichen Gerichte durchgesetzt werden können.154 Fraglich ist, ob vom Grundsatz des arbeitsrechtlichen Schiedsverbots Ausnahmen zu machen sind. Verschiedene Autoren kritisieren das strikte Schiedsverbot im deutschen Arbeitsrecht und fordern Anpassungen durch den Gesetzgeber.155 Auch de lege lata sollen bestimmte, nicht von §§ 4, 2 Abs. 1 und 2 ArbGG umfasste arbeitsrechtliche Streitigkeiten aber vor ein Schiedsgericht gebracht werden können. Die daraus resultierenden Schiedssprüche könnten dann auch in Deutschland anerkannt und vollstreckt werden. ___________ 152
Relevant ist im Rahmen dieser Arbeit insb. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG: „Die Gerichte für Arbeitssachen sind ausschließlich zuständig für (…) 3. bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern a) aus dem Arbeitsverhältnis; b) über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses; c) aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses und aus dessen Nachwirkungen; d) aus unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen (…).“ 153 Vgl. dazu U. Koch, in: R. Müller-Glöge/U. Preis/I. Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 10. Aufl., München, 2010, §§ 101–110 ArbGG Rn. 3 und H.-J. Kalb, in: M. Henssler/H. J. Willemsen/H.-J. Kalb (Hrsg.), Arbeitsrecht Kommentar, 4. Aufl., Köln, 2010, § 101 ArbGG Rn. 10 f., jeweils m. w. N. 154 C.-H. Germelmann, in: ders./H.-C. Matthes/R. Müller-Glöge/H. Prütting (Hrsg.), Arbeitsgerichtsgesetz, München, 2002, § 4 Rn. 1, U. Koch, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht (Fn. 153) § 4 ArbGG Rn. 1, H.-W. Friedrich, in: P. Bader/M. Creutzfeldt/H.-W. Friedrich, ArbGG, Kommentar zum Arbeitsgerichtsgesetz, Köln, 5. Aufl., 2008, § 101 Rn. 1; kritisch zur Berechtigung dieser gesetzgeberischen Motivation W. Zimmerling, in: N. Schwab/S. Weth (Hrsg.), Arbeitsgerichtsgesetz, Kommentar, Köln, 2. Aufl., 2008, § 4 Rn. 2 und 21 ff. 155 Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 36 Rn. 2 halten das Arbeitsgerichtsgesetz nach der Modernisierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts für „völlig veraltet und noch vom korporatistischen Geist umweht“ und den Verzicht des Gesetzgebers auf eine Änderung der §§ 101 bis 110 ArbGG als unverständlich. Ähnlich kritisch äußern sich F. Oschütz, Probleme der Schiedsgerichtsbarkeit im Sport: arbeitsrechtliche Streitigkeiten und einstweiliger Rechtsschutz, in: U. Haas (Hrsg.), Schiedsgerichtsbarkeit im Sport, Stuttgart, 2003, S. 46 ff., P. Schlosser, Die olympische Sportgerichtsbarkeit (Fn. 25), S. 476 und vor allem W. Zimmerling, in: Schwab/Weth (Fn. 154), § 4 Rn. 1 ff.
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Objektiv schiedsfähig seien vor allem internationale Streitigkeiten, bei denen das materielle deutsche Recht nicht anwendbar oder doch verzichtbar sei. Es wird aber auch vertreten, dass – ganz allgemein – arbeitsrechtliche Streitigkeiten dann als objektiv schiedsfähig zu erachten sind, wenn sich die Beteiligten nach ihrer Entstehung bewusst und freiwillig dafür entscheiden, sich der Entscheidungszuständigkeit eines Schiedsgerichts (und nicht derjenigen des Arbeitsgerichts) zu unterwerfen. Teile der Rechtsprechung und Literatur wollen die Reichweite des Schiedsverbots im Arbeitsrecht in international gelagerten Fällen begrenzen. Soweit und „solange (…) deutsche Gerichte international nicht zuständig sind oder durch Parteivereinbarung ausgeschlossen werden können“, ist Voit zufolge eine Erweiterung der objektiven Schiedsfähigkeit auf arbeitsrechtliche Streitigkeiten zumindest „zu erwägen“;156 entsprechende Schiedsvereinbarungen wären dann auch von deutschen Gerichten anzuerkennen. Ausländischen Schiedssprüchen in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten sei die Anerkennung und Vollstreckung in Deutschland nur zu versagen, wenn das Arbeitsverhältnis deutschem Recht unterstehe157 und deutsches Arbeitnehmerschutzrecht durchgesetzt werden müsse; andernfalls sei die Schiedsfähigkeit nach dem anwendbaren Arbeitsstatut zu beurteilen.158 Auch das Bundesarbeitsgericht lässt bei Sachverhalten mit Auslandsbezug (regelmäßig einhergehend mit der Wahl ausländischen Sachrechts) die Derogation der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte zu.159 Schlosser erachtet arbeitsrechtliche Streitigkeiten schon bei fakultativer Unterstellung des Arbeitsvertrags unter ausländisches Recht als objektiv schiedsfähig. Wenn das deutsche Arbeitnehmerrecht „kollisionsrechtlich ohnehin disponibel“160 sei, dürften die Parteien auch dann unabhängige Schiedsgerichte zur Entscheidung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten berufen, wenn diese nicht „vom ___________ 156
W. Voit, in: Musielak (Fn. 41), § 1061 Rn. 22, ähnlich Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 36 Rn. 2 Fn. 7. 157 Ähnlich im Ergebnis das Bundesarbeitsgericht, BAG AP Nr. 7 zu § 38 ZPO. Dies ist wohl auch die Konsequenz aus den Ausführungen von Schwab/Walter (Fn. 31), Kap. 36 Rn. 2 Fn. 7. Ebenso C.-H. Germelmann; in: ders./Matthes/Müller-Glöge/Prütting (Fn. 154), § 101 Rn. 3a. 158 C.-H. Germelmann, in: ders./Matthes/Müller-Glöge/Prütting (Fn. 154), § 101 Rn. 3a. 159 Vgl. dazu W. Zimmerling, in: Schwab/Weth (Fn. 154), § 4 Rn. 29 m. w. N. zur Rechtsprechung. 160 P. Schlosser, Die olympische Sportgerichtsbarkeit (Fn. 25), S. 474 f. A. A. wohl im Ergebnis C.-H. Germelmann, in: ders./Matthes/Müller-Glöge/Prütting (Fn. 154), § 101 Rn. 3a, der meint, dass auch bei der Anwendbarkeit ausländischen Rechts eine Ungültigkeit der Schiedsabrede anzunehmen sei, „wenn die Gefahr besteht, dass mit der Vereinbarung der Rechtsschutz erheblich vermindert werden würde, wenn eine sachgemäße Entscheidung nicht gewährleistet wäre“.
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Geist beseelt sind, den man den Arbeitsgerichten nachsagt“161. Noch weiter geht Krähe, der offenbar in allen Fällen mit Auslandsbezug von der objektiven Schiedsfähigkeit arbeitsrechtlicher Streitigkeiten ausgeht und dafür sogar den ausländischen Sitz des CAS genügen lassen will.162 Diese Argumentation blendet jedoch die wirkliche Bedeutung des Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgrunds des Art. 5 Abs. 2 lit. a) UNÜ aus. Die Überlegungen zur objektiven Schiedsfähigkeit der Streitigkeit nach dem tatsächlichen oder fakultativen Recht des Arbeitsvertrags vermögen allenfalls im Rahmen der Prüfung der Schiedsvereinbarung nach Art. 5 Abs. 1 lit. a), Art. 2 UNÜ zu überzeugen, da die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung die objektive Schiedsfähigkeit des Streitgegenstands nach dem Statut der Schiedsvereinbarung erfordert. Art. 5 Abs. 2 lit. a) UNÜ verfolgt einen anderen Zweck. Diese Bestimmung soll sicherstellen, dass der Forumsstaat – ganz unabhängig davon, welchem Recht die Schiedsvereinbarung untersteht – keine ausländischen Schiedssprüche zu Streitgegenständen anerkennen und vollstrecken muss, die nach seinem nationalen Recht objektiv schiedsunfähig sind. Dies muss grundsätzlich auch für Schiedssprüche in international gelagerten Fällen gelten, wäre Art. 5 Abs. 2 lit. a) UNÜ ansonsten doch – wie von verschiedenen Autoren vertreten163 – tatsächlich oft überflüssig. Die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs wegen fehlender objektiver Schiedsfähigkeit des zugrunde liegenden Streitgegenstands wäre – zumindest in Fällen mit ausreichendem Inlandsbezug – regelmäßig wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public nach Art. 5 Abs. 2 lit. b) von Amts wegen geboten. Dieser Zielsetzung darf durch Erwägungen zur Disponibilität des deutschen Rechts in international gelagerten Fällen nicht die Grundlage entzogen werden. Der Gesetzgeber hat sich bei der Reform des deutschen Schiedsrechts bewusst für eine Beibehaltung des Schiedsverbots im Arbeitsrecht ausgesprochen, da er offenbar Befürchtungen hegte, dass Schiedsgerichte nicht oder zumindest weniger geeignet seien, Arbeitnehmerschutzbestimmungen zur vollen Geltung zu verhelfen.164 Er hält Schiedsgerichte grundsätzlich für ungeeignet, verbindlich über arbeitsrechtliche Streitigkeiten zu entscheiden. Dieser Grundsatzentscheidung ist wegen des insoweit eindeutigen, allein auf das Recht des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaats abstellenden Wortlauts von Art. 5 Abs. 2 lit. a) ___________ 161
P. Schlosser, Die olympische Sportgerichtsbarkeit (Fn. 25), S. 476, ähnlich im Ergebnis auch B. Heß, ZZPInt 1998, 467. 162 C. Krähe, Sportschiedsgerichtsverfahren im Arbeitsrecht, SpuRt 2004, 204 ff. Ganz zu Recht kritisch die Erwiderung von B. Pfister, Schiedsgerichtsverfahren vor dem TAS in (Sport)-Arbeitssachen, SpuRt 2006, 137 ff. 163 Vgl. dazu oben. 164 Ausführlich zu den gesetzgeberischen Beweggründen im Hinblick auf das Schiedsverbot im Arbeitsrecht E. Suhr (Fn. 171), S. 8 ff. m. w. N.
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UNÜ auch im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren Rechnung zu tragen. Der Blick ins benachbarte Ausland zeigt, dass der deutsche Gesetzgeber mit dieser Wertung auch nicht allein ist; das Schiedsverbot im Arbeitsrecht stellt keineswegs eine deutsche Besonderheit dar: Auch österreichisches165, italienisches166 und kantonales Schweizer Recht167 lassen die schiedsgerichtliche Klärung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten nicht oder nur eingeschränkt zu. So mag die Schiedsfähigkeit auch arbeitsrechtlicher Streitigkeiten im Sport – vor allem im Hinblick auf die Bedeutung welteinheitlicher Entscheidungsgrundsätze im Sport – zwar durchaus wünschenswert erscheinen;168 die Ausblendung von Wortlaut und Zweck der §§ 4, 2 Abs. 1 und 2, 101 Abs. 1 und 2 ArbGG sowie von Art. 5 Abs. 2 lit. a) UNÜ ist aber als unzulässig abzulehnen. Es bleibt allein dem Gesetzgeber vorbehalten, der weitgehenden Gleichstellung der Schiedsgerichtsbarkeit mit staatlichen Gerichten auch im Arbeitsrecht Geltung zu verschaffen oder Ausnahmen vom grundsätzlichen Schiedsverbot auf den Bereich des Sports auszudehnen,169 wie dies gemäß Rigozzi etwa in Österreich, aber auch in Italien geplant ist.170 De lege lata ist das arbeitsrechtliche Schiedsverbot auch bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in Deutschland zu beachten. Eine Anerkennung und Vollstreckung in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten muss wegen des klaren Wortlauts von Art. 5 Abs. 2 lit. a) UNÜ auch im Bereich Sport scheitern.171 Da Art. 5 Abs. 2 ___________ 165 §§ 9 Abs. 2, 50 Abs. 1 Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz (ASGG) erlauben die Vereinbarung schiedsgerichtlicher Entscheidungszuständigkeit in Arbeitssachen nur für bereits entstandene Streitigkeiten, vgl. dazu B. König, Sind Schiedsabreden auf den CAS/TAS wirksam?, SpuRt 2004, 138. 166 Vgl. dazu A. Rigozzi (Fn. 63), Nr. 761 f. m. w. N. 167 Vgl. dazu Rüede/Hadenfeldt (Fn. 43), S. 55, B. König, SpuRt 2004, 138, F. Oschütz, Sportschiedsgerichtsbarkeit (Fn. 53), S. 160 f. sowie A. Rigozzi (Fn. 63), Nr. 753 ff. m. w. N. 168 Ebenso P. Schlosser, Die olympische Sportgerichtsbarkeit (Fn. 25), S. 475 f. und F. Oschütz, Probleme der Schiedsgerichtsbarkeit im Sport (Fn. 155), S. 47. Ähnlich aus Schweizer Sicht A. Rigozzi (Fn. 63), Nr. 761 ff., der arbeitsrechtliche Streitigkeiten nach einer – m. E. freilich am gewünschten Ergebnis orientierten – Argumentation für schiedsfähig im Sinne des schweizerischen IPRG hält; ebenfalls für eine Schiedsfähigkeit arbeitsrechtlicher Streitigkeiten im Anwendungsbereich des IPRG F. Vischer, in: Zürcher Kommentar (Fn. 43), Art. 177 Rn. 5 (mit Verweis auf BGE 115 II 366). 169 Ähnlich T. Summerer, Prozessende Katrin Krabbe: Hindernislauf mit Tücken, SpuRt 2002, S. 234, W. Seitz, Hexenjagd auf Dopingsünder?, NJW 2002, 2838 f. und im Ergebnis wohl auch F. Oschütz, Probleme der Schiedsgerichtsbarkeit im Sport (Fn. 155), S. 47 sowie P. Schlosser, Die olympische Sportgerichtsbarkeit (Fn. 25), S. 474 f. 170 A. Rigozzi (Fn. 63), Nr. 763 m. w. N. 171 Im Ergebnis ebenso M. Schimke (Fn. 102), S. 54, B. Pfister, SpuRt 2006, 138 f. und B. Pfister, in: Praxishandbuch Sportrecht (Fn. 8), 6. Teil Rn. 152. Zurückhaltender B. Heß, ZZPInt 1998, 467 („derzeit offene Frage“) und H. Hilpert, Sportrecht und Sportrechtsprechung im In- und Ausland, Berlin 2007, Rn. 129 („schließt nicht zwingend die
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lit. a) UNÜ explizit auf das Recht des Forumsstaates abstellt, gilt dies wohl auch unabhängig davon, welchem Recht das konkrete Arbeitsverhältnis untersteht.172 In Anbetracht des von vielen Autoren zumindest für den Bereich des Spitzensports als verfehlt erachteten Schiedsverbots arbeitsrechtlicher Streitigkeiten im deutschen Recht stellt sich die Frage, ob ein Verzicht auf die Geltendmachung der fehlenden objektiven Schiedsfähigkeit möglich ist, ob sich Parteien einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit also bewusst für ein Schiedsverfahren entscheiden können, dessen Ergebnis dann nötigenfalls auch zwangsweise in Deutschland anerkannt und vollstreckt werden kann. Der mit dem arbeitsrechtlichen Schiedsverbot verfolgte Gesetzeszweck – der Schutz der regelmäßig als schutzbedürftig(er) angesehenen Arbeitnehmer – könnte etwa zumindest dann als verzichtbar angesehen werden, wenn sich die Parteien erst nach Entstehung einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit bewusst für die Entscheidung derselben durch ein echtes Schiedsgericht (anstelle der Arbeitsgerichte) entscheiden. Auch diese Argumentation missachtet allerdings den gesetzgeberischen Willen, arbeitsrechtliche Streitigkeiten der Zuständigkeit von Schiedsgerichten zu entziehen. Die Parteien sind insoweit nicht dispositionsbefugt. Sie können auch nicht auf die Geltendmachung des Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgrunds der mangelhaften objektiven Schiedsfähigkeit verzichten; ein mit der Sache befasstes zuständiges Gericht müsste einem Schiedsspruch in einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit auch ohne Rüge einer Partei und – ggf. auch gegen den erklärten Wunsch der Parteien – von Amts wegen die Anerkennung und Vollstreckung versagen.
b) Die Rechtsprechung des CAS Die vom CAS entschiedenen Streitigkeiten behandeln – soweit ersichtlich – stets zumindest auch solche prozessualen Ansprüche, die direkt oder mittelbar ___________ spätere Versagung der Anerkennung des Schiedsspruchs im arbeitsgerichtlichen Verfahren aus (…) Ein solcher Weg ist in praxi bisher – soweit ersichtlich – noch nicht versucht worden, wohl auch als zu riskant abzulehnen“). Allgemein zur Nichtschiedsfähigkeit arbeitsrechtlicher Streitigkeiten im Sport H. Hilpert, Sport und Arbeitsrecht, RdA 1997, 95 f., F. Oschütz, Probleme der Schiedsgerichtsbarkeit im Sport (Fn. 155), S. 45 ff., E. Deutsch, Sondergerichtsbarkeit im Sport?, VersR 1990, 6. 172 Zu einem anderen Ergebnis käme wohl P. Schlosser, Die olympische Sportgerichtsbarkeit (Fn. 25), S. 474 f., der im Hinblick auf die Schiedsfähigkeit arbeitsrechtlicher Streitigkeiten danach unterscheiden will, ob der Arbeitsvertrag deutschem oder ausländischem Recht untersteht. Differenzierend auch B. Pfister, in: Praxishandbuch Sportrecht (Fn. 8), 6. Teil Rn. 152.
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auf den Gewinn oder Erhalt von Vermögen oder vermögenswerten Gegenständen gerichtet und damit auch nach deutschem Recht grundsätzlich objektiv schiedsfähig i. S. v. § 1030 Abs. 1 S. 1 ZPO sind. Dies gilt insbesondere auch für die üblicherweise von der Kammer für Berufungsschiedsverfahren verhandelten Disziplinarsachen, wirkt sich doch jede Sanktionierung eines nicht allein im unbezahlten Amateursport tätigen Athleten (Disqualifikation, Suspendierung oder Sperre) zumindest mittelbar auch auf sein Vermögen bzw. seine Erwerbsmöglichkeiten aus. Sollte es in einer Streitigkeit ausnahmsweise an jeglichem vermögenswerten Interesse fehlen, dürfte regelmäßig die objektive Schiedsfähigkeit der Streitigkeit gemäß § 1030 Abs. 1 S. 2 ZPO gegeben sein. So könnte etwa auch die Entscheidung über den Ausschluss eines allein im unbezahlten Amateursport tätigen, keinerlei Vermögensinteressen verfolgenden Athleten aus einem Sportverein einem Schiedsgericht überantwortet werden, da sich die Parteien hierüber auch im Wege eines Vergleichs einigen können.173 Während das Schiedsverbot im Strafrecht der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des CAS wie erörtert nicht entgegensteht, drängt sich die Prüfung der Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit von Entscheidungen des CAS mit Blick auf das Schiedsverbot des deutschen Arbeitsrechts in einigen Fällen doch auf. Trotzdem wird die Bedeutung des arbeitsrechtlichen Schiedsverbots für die Rechtsprechung des CAS in Deutschland nur vereinzelt diskutiert.174 Zurückzuführen ist dies wohl vor allem auf die klassische Struktur (Sportler als Mitglieder, nicht aber Arbeitnehmer eines Vereins) und die „Selbstregulierung“ (keine Notwendigkeit staatlicher Anerkennungsund Vollstreckungshilfe) des organisierten Wettkampfsports. Traditionell sind Athleten meist Mitglieder, nicht aber Arbeitnehmer ihrer Vereine.175 Andere Sportler, vor allem Spitzensportler in Einzelsportarten wie Tennis und Golf, werden meist als selbstständige Unternehmer angesehen.176 Daneben fällt aber eine stetig zunehmende Anzahl von Sportlern unter den Arbeitnehmerbegriff des deutschen Arbeitsrechts. Streitigkeiten dieser Athleten mit ihrem Arbeitgeber sind deswegen als arbeitsrechtliche Streitigkeiten einzustufen und – wegen des arbeitsrechtlichen Schiedsverbots (§§ 4, 101 ArbGG) – grundsätzlich objektiv schiedsunfähig.
___________ 173 Vgl. allgemein zur Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Mitgliedschaftsverhältnis P. Schlosser, in: Stein/Jonas (Fn. 35), § 1030 Rn. 2. 174 Siehe dazu vor allem B. Pfister, SpuRt 2006, 137 ff. sowie P. Schlosser, Die olympische Sportgerichtsbarkeit (Fn. 25), S. 473 ff. und B. Heß, ZZPInt 1998, 466 ff. 175 Vgl. dazu nur B. Heß, ZZPInt 1998, 466 f., T. Summerer, in: Praxishandbuch Sportrecht (Fn. 8), 2. Teil Rn. 105. 176 Vgl. dazu W. Seitz, NJW 2002, 2838 f.
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Arbeitnehmer i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 1 ArbGG177 und §§ 611 BGB178 ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und ganz herrschender Meinung in der Literatur, „wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags zur Arbeit im Dienste eines anderen verpflichtet ist“.179 Entscheidende Indizien für die Annahme einer Arbeitnehmereigenschaft sind dabei insbesondere die Weisungsabhängigkeit des Dienstverpflichteten sowie dessen Einbindung in den Geschäftsbetrieb des Dienstherrn, aber auch die Verteilung des Unternehmensrisikos zwischen den Parteien. Ferner gelten gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG auch solche Personen als Arbeitnehmer, „die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind“. Diese allgemeinen Kriterien gelten auch für Sportler, so dass Athleten als Arbeitnehmer im Sinne des ArbGG anzusehen sind, wenn sie ihre Leistungen – zumindest auch – „zur Deckung eines Fremdbedarfs“180 und „in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis erbringen, das über die durch die Vereinsmitgliedschaft begründete Weisungsgebundenheit hinausgeht“181. Die konkrete Höhe der Vergütung des Sportlers für seine Dienste, zu denen auch die Einräumung werblicher Nutzungsrechte zählt, ist für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft zumindest dann nicht von Bedeutung, wenn sie einen reinen Auslagenersatz überschreitet.182 Sie kann aber dann eine entscheidende Rolle spielen, wenn ein Athlet mangels struktureller Eingliederung in einen Verein und/oder Verband sowie Weisungsabhängigkeit zwar nicht als Arbeitnehmer i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 1 ArbGG, wegen seiner wirtschaftlichen Unselbstständigkeit aber als arbeitnehmerähnliche Person i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG anzusehen ist.183 ___________ 177
§ 5 Abs. 1 S. 1 ArbGG: „Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes sind Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufausbildung Beschäftigten.“ 178 Das deutsche Recht geht von einem einheitlichen gesetzesübergreifenden Begriff des Arbeitnehmers aus, vgl. U. Koch, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht (Fn. 153) § 5 ArbGG Rn. 2, H.-J. Kalb, in: Henssler/Willemsen/Kalb (Fn. 153), § 5 ArbGG Rn. 1. 179 Diese Formel geht auf Hueck zurück, vgl. dazu und zum Folgenden ausführlich U. Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht (Fn. 173), § 611 BGB Rn. 44 ff. und G. Thüsing, in: Henssler/Willemsen/Kalb (Fn. 153), Vor § 611 BGB Rn. 19 ff., jeweils m. w. N. zur Rechtsprechung. 180 U. Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht (Fn. 173), § 611 BGB Rn. 95 m. w. N. zur Rechtsprechung. Ähnlich J. Fritzweiler, in: Praxishandbuch Sportrecht (Fn. 8), 3. Teil Rn. 14 und F. Oschütz, Probleme der Schiedsgerichtsbarkeit im Sport (Fn. 155), S. 48 f. 181 Ähnlich G. Thüsing, in: Henssler/Willemsen/Kalb (Fn. 153), Vor § 611 BGB Rn. 75. 182 Vgl. dazu ähnlich J. Fritzweiler, in: Praxishandbuch Sportrecht (Fn. 8), 3. Teil Rn. 15. 183 Ähnlich F. Oschütz, Probleme der Schiedsgerichtsbarkeit im Sport (Fn. 155), S. 50 f.
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Die vorgenannten Kriterien zeigen, dass sich eine pauschale Kategorisierung von Sportlern als Arbeitnehmer verbietet, unabhängig davon, ob es sich um Sportler im Allgemeinen oder speziell um Berufssportler handelt. Vielmehr gilt es stets auf den konkreten Einzelfall abzustellen. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass nicht nur Berufsfußballspieler – für diese ist die Arbeitnehmereigenschaft seit geraumer Zeit von Literatur und Rechtsprechung,184 aber auch von den Fußballverantwortlichen selbst185 anerkannt –, sondern auch Athleten in anderen Mannschaftssportarten wie Eishockey, Handball, Volleyball, Basketball oder Hockey, aber auch im Motor- und Radsport in der Regel als Arbeitnehmer im Sinne des ArbGG einzustufen sind.186 Bei den klassischen Einzelsportarten wie Tennis, Golf, Boxen, Reiten, Leichtathletik und Schwimmen dürfte es dagegen wegen der mangelnden Weisungsgebundenheit der Athleten regelmäßig an einer Stellung als Arbeitnehmer i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 1 ArbGG fehlen.187 Gleichwohl können unter Umständen wohl auch Athletenvereinbarungen, die eine Verpflichtung des Athleten zu Training und Wettkampfteilnahme gegen eine vom Verband zu entrichtende Entschädigung vorsehen, als Arbeitsverträge eingestuft werden.188 Dies kann freilich dann nicht gelten, wenn der Verband – einer berufsständischen Organisation vergleichbar – nur allgemeine „Berufsausübungsregeln“ vorgibt, die ein dem Verband zugehöriger Athlet zu befolgen hat, ohne dass dies dem Verband unmittelbar zum wirtschaftlichen Vorteil gereicht.189
___________ 184 Vgl. dazu ausführlich (und zwischen Lizenzspielern, Vertragsamateuren und anderen Spielern differenzierend) H. Hilpert, Sportrecht und Sportrechtsprechung (Fn. 171), Rn. 123 ff., B. Heß, Voraussetzungen und Grenzen eines autonomen Sportrechts unter besonderer Berücksichtigung des internationalen Spitzensports, in: ders./W.-D. Dressler (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Sportrechts, Heidelberg, 1999, S. 25, G. Thüsing, in: Henssler/Willemsen/Kalb (Fn. 153), Vor § 611 BGB Rn. 75, jeweils m. w. N. zur Rechtsprechung. 185 § 10 Lizenzspielerstatut (in der jeweils aktuellen Fassung abrufbar unter http://www.dfb.de) bezeichnet Lizenzspieler als „Arbeitnehmer besonderer Art eines vom DFB lizenzierten Vereins oder einer vom DFB lizenzierten Tochtergesellschaft.“ Folgerichtig sind gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Lizenzspielerstatut „(f)ür Streitigkeiten aus Verträgen zwischen Verein und Spieler (…) die Arbeitsgerichte zuständig“. 186 Ebenso J. Fritzweiler, in: Praxishandbuch Sportrecht (Fn. 8), 3. Teil Rn. 15 ff., F. Oschütz, Probleme der Schiedsgerichtsbarkeit im Sport (Fn. 155), S. 48 f. 187 Ebenso J. Fritzweiler, in: Praxishandbuch Sportrecht (Fn. 8), 3. Teil Rn. 17, F. Oschütz, Probleme der Schiedsgerichtsbarkeit im Sport (Fn. 155), S. 49 f. 188 Vgl. dazu B. Heß, ZZPInt 1998, 466 f. und B. Heß, Voraussetzungen und Grenzen eines autonomen Sportrechts (Fn. 184), S. 25, ähnlich J. Fritzweiler, in: Praxishandbuch Sportrecht (Fn. 8), 3. Teil Rn. 17. A. A. U. Haas/C. Prokop, Die Athletenvereinbarung – Der Athlet als stilles Mitglied des Verbandes – 1. Teil, SpuRt 1996, 109 ff. 189 In dieselbe Richtung argumentiert im Ergebnis wohl auch F. Oschütz, Probleme der Schiedsgerichtsbarkeit im Sport (Fn. 155), S. 51 f.
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Auch der CAS entscheidet – nicht zuletzt infolge seiner Anerkennung durch die FIFA – immer öfter über Streitigkeiten, die nach deutschem Recht als arbeitsrechtliche Streitigkeiten i. S. d. § 2 ArbGG zu qualifizieren sind und damit eigentlich in die ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fallen.190 Als Beispiele sind hier Streitigkeiten über den Bestand des Arbeitsverhältnisses, über die vertragliche Vergütung sowie Schadenersatz oder über Vertragsstrafen wegen Vertragsverletzungen zu nennen. Der internationale Sport ist allerdings so strukturiert, dass die hier aufgeworfene Fragestellung nach der Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit von Entscheidungen des CAS in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten in Deutschland oft gar nicht erst relevant wird; vielmehr gelingt es dem organisierten Sport meist, die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung „intern“, d. h. auch ohne staatliche Hilfe durchzusetzen. Die internationalen Fachverbände verpflichten ihre Mitglieder – die nationalen Fachverbände – in ihren Statuten regelmäßig zur Anerkennung des CAS und seiner Entscheidungen. Verstöße gegen die Statuten können mit Sanktionen einhergehen. Dasselbe geschieht auf nationaler Ebene: Die nationalen Fachverbände verpflichten Regionalverbände und ihnen angeschlossene Vereine zur Anerkennung sowohl ihrer Statuten als auch der Statuten des internationalen Fachverbands. Die Beachtung der Statuten wird durch ein entsprechendes Sanktionsinstrumentarium abgesichert. Auch wenn die internationalen Fachverbände und das IOC die Verbände, Vereine und Athleten daher im Ergebnis regelmäßig zur „freiwilligen“ Anerkennung der CAS-Rechtsprechung bewegen können, muss eine gerichtliche Anerkennung und Vollstreckbarerklärung solcher Entscheidungen in Deutschland scheitern. Schiedssprüchen des CAS in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten ist in Deutschland von Amts wegen die Anerkennung zu versagen. Im Falle eines Antrags auf Vollstreckbarerklärung hat das angerufene Gericht daher festzustellen, dass der Schiedsspruch in Deutschland nicht anzuerkennen ist. Eine Bindung nach dem Grundsatz der res iudicata tritt gerade nicht ein. Das zuständige Gericht ist vielmehr verpflichtet, ggf. erneut und ohne Beachtung einer bereits ergangenen CAS-Entscheidung über entscheidungserhebliche Vorfragen zu entscheiden.
___________ 190
Vgl. dazu die Besprechung einer Entscheidung des CAS (CAS 2003/O/537, zit. nach C. Krähe, SpuRt 2004, 205) in einer – deutschem Recht unterliegenden – arbeitsrechtlichen Streitigkeit bei C. Krähe, SpuRt 2004, 204 ff. und – stellvertretend für eine zunehmende Anzahl von Streitigkeiten zwischen Berufsfußballspielern und Vereinen – CAS 2003/O/482, abgedruckt bei M. Reeb (Hrsg.), Receuil des sentences du TAS. Digest of CAS Awards 2001–2003 (Fn. 5), S. 106 ff.
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V. Zusammenfassung Schiedssprüche des CAS (auch solche der Ad-hoc-Kammern) sind stets als „echte“ Schiedssprüche schweizerischer Nationalität anzusehen. Eine Aufhebung von Schiedssprüchen des CAS durch deutsche Gerichte kommt nicht in Betracht. Vielmehr sind Schiedssprüche des CAS in Deutschland anzuerkennen und zu vollstrecken, wenn ihnen nicht (ausnahmsweise) einer der in Art. 5 UNÜ abschließend aufgeführten Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgründe entgegensteht. Entscheidungen des CAS in Angelegenheiten, die nach deutschem Recht objektiv schiedsunfähig sind, ist in Deutschland von Amts wegen, d. h. auch ohne einen entsprechenden Antrag einer Partei, die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen. Ein zuständiges angerufenes Gericht ist durch eine Vorentscheidung des CAS nicht gebunden, sondern hat ggf. neu in der Sache zu entscheiden. Das strafrechtliche Schiedsverbot steht der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des CAS nicht entgegen, auch wenn Entscheidungen des CAS in Disziplinarangelegenheiten mitunter quasi-strafrechtlichen Charakter haben können. Entscheidend ist insoweit, dass es sich bei den Disziplinarbestimmungen der Sportverbände um privatrechtliche Regelungen handelt, denen sich Athleten mehr oder weniger freiwillig, zumindest aber durch eine bewusste Entscheidung unterwerfen. Anders sind Entscheidungen des CAS in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten zu beurteilen. Letztere sind in Deutschland objektiv schiedsunfähig; die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des CAS in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten haben deutsche Gerichte gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. a UNÜ von Amts wegen zu versagen. Dies gilt wohl unabhängig davon, ob es sich bei der vom CAS entschiedenen Streitigkeit um eine nationale oder internationale Streitigkeit handelt, und auch dann, wenn sich die Parteien bewusst für eine Entscheidung durch ein Schiedsgericht entscheiden. Durch die Absicherung der Entscheidungszuständigkeit des CAS in den Statuten gelingt es dem organisierten Sport in aller Regel, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des CAS auch in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten durchzusetzen. Vor allem im Verhältnis zwischen IOC und internationalem Fachverband, internationalem und nationalem Fachverband sowie Verband und Mitgliedsverein drohen bei Nichtbeachtung von Entscheidungen des CAS erhebliche Sanktionen, die die betroffenen Verbände und Vereine zur Befolgung von CAS-Entscheidungen bewegen. Ob jedoch eine durch den CAS in einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit gegen einen Athleten verhängte Schadenersatzverpflichtung oder Sperre in Deutschland auch zwangsweise vollstreckt werden könnte, scheint sehr zweifelhaft.
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Zumindest im Falle arbeitsrechtlicher Streitigkeiten, die deutschem Recht unterstehen, steht Art. 5 Abs. 2 a) UNÜ dem entgegen. Das angerufene Gericht müsste einem entsprechenden Schiedsspruch die Anerkennung in Deutschland versagen und ggf. neu in der Sache entscheiden (bzw. an das zuständige Arbeitsgericht verweisen).
Rechtliche Grenzen der Kontaktpflege im Sport* Von Paul Staschik I.
Einleitung .......................................................................................................... 124
II. Einladung von Amtsträgern .............................................................................. 126 1.
Rechtliche Rahmenbedingungen ............................................................... 126
2.
Einladungen durch Sponsoren (Fall Claassen) .......................................... 128 a)
Sachverhalt......................................................................................... 128
b)
Vorteilsbegriff .................................................................................... 129
c)
Einschränkende Tatbestandsauslegung .............................................. 130 aa) Sozialadäquanz ........................................................................... 131 bb) Pflichtenkollision ........................................................................ 131 cc) Verfassungsrechtlich gebotene restriktive Auslegung ................ 132 dd) Zwischenergebnis ....................................................................... 133
3.
d)
Unrechtsvereinbarung ........................................................................ 133
e)
Folgen des Urteils für die Praxis ........................................................ 135
Weitere Konstellationen ............................................................................ 137
III. Einladung von Privatpersonen .......................................................................... 138 1.
Rechtliche Rahmenbedingungen ............................................................... 138
2.
Unterschiede zur Amtsträgerkorruption .................................................... 139
3.
Übertragbarkeit der Grundsätze zur Amtsträgerkorruption ....................... 141
IV. Fazit .................................................................................................................. 142
___________ * Der Verfasser ist Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtsinformatik, Technik- und Wirtschaftsrecht (Prof. Dr. Vieweg) sowie am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht (Prof. Dr. Jahn) an der Universität ErlangenNürnberg.
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Paul Staschik
I. Einleitung Hospitality-Einladungen zu exklusiven Sportereignissen erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Sponsoren großer Sportveranstaltungen laden politische Mandatsträger sowie Geschäftspartner in Stadionlogen ein, häufig verbunden mit Transport, Unterbringung in einem exklusiven Hotel und umfassendem Rahmenprogramm (sog. Hospitality). Aber auch zahlreiche Unternehmen, die nicht Sponsoren sind, mieten Stadionlogen an, um Geschäftsfreunde und Amtsträger in exklusiver Umgebung begrüßen zu können. Die Gastgeber solcher Einladungen wollen in der Regel ihre eigenen Sponsoringaktivitäten durch die Anwesenheit bekannter Persönlichkeiten werbewirksam hervorheben sowie bestehende Geschäftskontakte pflegen beziehungsweise neue Kontakte aufbauen. Zudem soll das Image des einladenden Unternehmens gefördert werden. Teilweise werden die Plätze in den firmeneigenen Stadionlogen auch an eigene Mitarbeiter vergeben, um deren Motivation zu steigern. Hospitality-Konzepte sind aus der Vermarktung des Sports nicht mehr wegzudenken und stellen eine wichtige Einnahmequelle für die Veranstalter dar. Viele Stadionneubauten und Sportveranstaltungen wären ohne solche Konzepte nicht finanzierbar. Die zunehmende Bedeutung von Hospitality-Einladungen zeigt sich daran, dass die entsprechenden Kapazitäten in den Fußballstadien in den letzten Jahren stark ausgeweitet wurden. Rund 5% des gesamten Platzangebots in den Fußballstadien der ersten Bundesliga wurden in der Saison 2008/09 als Logenplätze verwendet.1 Die VIP-Kapazitäten sind innerhalb von 5 Jahren bis Ende 2009 um das Doppelte angestiegen.2 Allein bei der FußballWeltmeisterschaft 2006 in Deutschland waren 10% der weltweit 3,5 Millionen Karten für das Commercial-Hospitality-Programm vorgesehen.3 Rund 350.000 Logenplätze wurden also an Unternehmen verkauft. Voraussetzung für funktionierende Hospitality-Konzepte ist, dass die rechtlichen Grenzen für Einladungen zu Sportereignissen eindeutig sind. Die einladenden Unternehmensvertreter müssen einschätzen können, was erlaubt ist und was nicht. Diesem Bedürfnis nach Rechtssicherheit steht in der Praxis allerdings eine in den letzten Jahren immer unsichere Rechtslage gegenüber. Es ___________ 1
Oediger, SPONSORs 3/2009, 34. Wirtschaftlich sind VIP-Plätze für die Sportveranstalter noch weitaus bedeutender. So werden in den 5 wichtigsten Ligen (1. und 2. Fußballbundesliga, Toyota Handball-Bundesliga, Beko Basketball Bundsliga, Deutsche Eishockey Liga) fast 15% des Gesamtumsatzes (ca. 300 Mio. Euro) durch die Vermarktung von Hospitality-Paketen erwirtschaftet, Oediger, SPONSORs 9/2010, 20. In der Frankfurter Commerzbank-Arena werden nur 6% der Stadionkapazität für VIP-Logen verwendet, diese generieren aber 52% des Umsatzes, Thomas, SPONSORs 12/2009, 68. 2 Vgl. Oediger, SPONSORs 9/2010, 20. 3 Sohns, SPONSORs 2005, 34.
Rechtliche Grenzen der Kontaktpflege im Sport
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stellt sich nämlich strafrechtlich4 die Frage, wer überhaupt eingeladen werden darf, also ob die Einladung von Politikern und Geschäftspartnern zu Sportereignissen strafbar ist. Im Raum stehen die Korruptionsdelikte. Wer Amtsträger zu Sportveranstaltungen einlädt, kann sich nach §§ 331 ff. StGB strafbar machen. Aber nicht nur die Einladung politischer Mandatsträger kann problematisch sein. Selbst wenn Geschäftspartner eingeladen werden, besteht das Risiko, dass die Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der Bestechung im geschäftlichen Verkehr nach § 299 StGB ermittelt. Das Gesetz selbst gibt den Unternehmensvertretern keine Handlungsanweisungen, unter welchen Umständen Hospitality-Einladungen unbedenklich sind. Vielmehr befindet man sich hier in einer – bei den Korruptionsdelikten erheblichen – rechtlichen Grauzone zwischen eindeutig strafbarem, korruptem und eindeutig unbedenklichem Verhalten.5 Dieser Graubereich ist z. T. dadurch bedingt, dass Sponsoring und Bestechung gewisse strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen,6 denn sowohl beim Sponsoring als auch bei der Bestechung wird die Gegenseite durch Geld- oder Sachleistungen bessergestellt. Größtenteils beruht er aber auf der tatbestandlichen Weite der §§ 331 ff. StGB. Die unklare Gesetzeslage und das Verfahren gegen den Vorsitzenden von EnBW, Utz Claassen, haben zu erheblicher Verunsicherung bei Sponsoren sowie bei Adressaten von Hospitality-Einladungen geführt. Die Sponsoren der Fußball-Europameisterschaft 2008 und der Olympischen Spiele in China hatten große Probleme, Geschäftspartner zum Besuch der Sportereignissen zu bewegen, da viele der Eingeladenen aus Angst vor strafrechtlicher Belangung absagten. Ein großer Sponsor des DOSB lud beispielsweise mehrere Hunderte Gäste nach Peking ein. Letztendlich nahmen jedoch nur 40 Geschäftspartner die Einladung an.7 In diesem Beitrag soll herausgearbeitet werden, wo sich die Grenze zwischen erlaubter „Kontaktpflege“ im Sport und verbotener „Klimapflege“ befindet. Zunächst geht es um die Frage, ob sich ein Unternehmensvertreter, der einen Amtsträger zu einem Sportereignis einlädt, strafbar macht (II.). Im Mittelpunkt steht dabei der Fall Utz Claasen (II.2.). In einem zweiten Schritt wird die Strafbarkeit von Unternehmensvertretern untersucht, die Einladungen an privatwirtschaftliche Geschäftspartner aussprechen (III.).
___________ 4 Daneben bergen Hospitality-Maßnahmen auch steuerrechtliche Risiken, vgl. dazu Alvermann, SpuRt 2010, 146 f. Hier stellt sich das Problem, dass der Eingeladene grundsätzlich den monetären Gegenwert der angenommenen Einladung in der Steuererklärung als Einnahme verbuchen und damit versteuern müsste. 5 Vgl. Schäfer/Liesching, ZRP 2008, 173 (174 f.). 6 Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (472 f.). 7 Weilguny, SPONSORs 5/2008, 14.
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II. Einladung von Amtsträgern 1. Rechtliche Rahmenbedingungen Sofern es um die Strafbarkeit im Zusammenhang mit Einladungen von Amtsträgern zu Sportveranstaltungen geht, sind die §§ 331 ff. StGB einschlägig. Gemeinsames Schutzgut dieser Korruptionsdelikte ist nach h. M. die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes bzw. das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unkäuflichkeit staatlicher Entscheidungen.8 Dieses Vertrauen wird schon durch den „bösen“ Anschein der Käuflichkeit der Dienstausübung erschüttert.9 Die Vorteilsannahme nach § 331 StGB und die Bestechlichkeit gem. § 332 StGB regeln, wie sich Amtsträger, die Zuwendungen von Dritten annehmen, strafbar machen. Spiegelbildlich hierzu sind die Vorteilsgewährung in § 333 StGB und die Bestechung in § 334 StGB ausgestaltet.10 Sie legen fest, wann sich der Vorteilsgeber strafbar macht, der dem Amtsträger eine Aufmerksamkeit zukommen lässt. Der Einfachheit halber beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf die Strafbarkeit des Vorteilsgebers. Die Ausführungen können aber ohne Weiteres auf die Strafbarkeit des Amtsträgers übertragen werden. Zu unterscheiden ist die Vorteilsgewährung gem. § 333 StGB vom Tatbestand der Bestechung nach § 334 StGB, wobei § 333 StGB das Grunddelikt darstellt und § 334 StGB die Qualifikation dazu. Die Bestechung gem. § 334 StGB setzt voraus, dass der Vorteil als Gegenleistung für eine pflichtwidrige Diensthandlung vereinbart wird. Der Nachweis einer solchen pflichtwidrigen Diensthandlung des Amtsträgers wird in der Praxis jedoch selten gelingen. Daher konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Vorteilsgewährung. Nach § 333 StGB macht sich strafbar, wer einem Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einem Soldaten der Bundeswehr für die Dienstausübung einen Vorteil für diesen oder einen Dritten anbietet, verspricht oder gewährt. Adressat der Vorteilsgewährung kann demnach nur ein Amtsträger, ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter oder ein Soldat der Bundeswehr sein.11 Dem Amtsträger muss ein Vorteil für sich oder einen Dritten angeboten, versprochen oder gewährt worden sein.12 ___________ 8 So die h. M., siehe Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 331 Rn. 1; Walther, Jura 2010, 511 (512). 9 Vgl. BGH NStZ 2005, 334 (335); NJW 2007, 3446 (3448); Winkelbauer/Felsinger, Die Gemeinde 1999, 291. 10 Bannenberg, in: Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Wabnitz/Janovsky (Hrsg.), 3. Aufl. 2007, Kapitel 10 Rn. 58, 87. 11 Vgl. zu den tauglichen Zuwendungsempfängern MüKo-Korte, 1. Aufl. 2006, § 331 Rn. 34 ff. 12 Vgl. zu den Begriffen des Anbietens, Versprechens und Gewährens MüKo-Korte (s. oben Fn. 11), § 333 Rn. 10 ff.
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Unter einem Vorteil versteht man jede Leistung, durch welche die rechtliche, wirtschaftliche oder auch nur persönliche Lage des Empfängers objektiv verbessert wird und auf die er keinen Rechtsanspruch hat.13 Erfasst sind somit nicht nur Geldzahlungen, sondern beispielsweise auch Einladungen zu Theaterveranstaltungen, Urlaubsreisen, Restaurants, Tagungen mit Freizeitcharakter oder eben auch Sportveranstaltungen. Der Vorteil muss zudem „für“ die Dienstausübung gewährt worden sein. Erforderlich ist eine inhaltliche Verknüpfung von Dienstausübung und Vorteilszuwendung, ein Äquivalenzverhältnis, das als Unrechtsvereinbarung bezeichnet wird.14 Diese Unrechtsvereinbarung bildet das Kernstück aller Korruptionstatbestände.15 Sie liegt vor, wenn die Zuwendung in dem Bewusstsein vorgenommen wird, dass der Amtsträger hierfür irgendeine dienstliche Tätigkeit vorgenommen hat oder künftig vornehmen wird.16 Der Anwendungsbereich des § 333 StGB ist durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption von 1997 erheblich erweitert worden.17 Für die hier zu untersuchende Problematik ist die Lockerung der Unrechtsvereinbarung relevant, die mit der Reform einherging.18 Nach altem Recht musste der Vorteil als Gegenleistung für eine konkrete Diensthandlung vereinbart sein, was in der Praxis zu erheblichen Beweisschwierigkeiten führte.19 Nun genügt es, dass der Vorteil ganz allgemein für die Dienstausübung gewährt wird. Im Gegensatz zu früher werden also auch anlassunabhängige Vorteile erfasst, die keine bestimmte Gegenleistung entlohnen, sondern das generelle Wohlwollen und die Geneigtheit des Amtsträgers erkaufen sollen.20 Auch das „Anfüttern“ eines Amtsträgers sowie die bloße „Klimapflege“ sind somit inzwischen strafbar.21 Diese gesetzliche Ausweitung der Strafbarkeit führt zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten.22 Eine trennscharfe Grenzziehung zwischen korruptem und erlaubtem Verhalten ist kaum möglich und an sich unbedenkliches Verhalten droht kriminalisiert zu werden. Der weit gefasste Wortlaut des § 333 StGB führt dazu, dass ___________ 13 BGHSt 31, 264 (279); 35, 128 (133); 47, 295 (304); NJW 2003, 763 (764); krit. zum Vorteilsbegriff der h. M. Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (475 f.). 14 MüKo-Korte (s. oben Fn. 11), § 331 Rn. 93. 15 BGHSt 15, 88 (97); Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010, § 331 Rn. 21. 16 Schlösser/Nagel, wistra 2007, 211 (212). 17 Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (473); MüKo-Korte (s. oben Fn. 11), § 333 Rn. 3. 18 Schäfer/Liesching, ZRP 2008, 173. 19 Vgl. König, JR 1997, 397 (398); Bannenberg (s. oben Fn. 10), Kapitel 10 Rn. 44. 20 Vgl. BT-Drs. 13/8079, S. 15. 21 BGHSt 49, 275 (281); NStZ 2008, 216 (217); Schönke/Schröder-Heine, 27. Aufl. 2006, § 331 Rn. 7. 22 Fischer (s. oben Fn. 15), § 331 Rn. 24.
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nahezu jede Zuwendung an Amtsträger als Anknüpfungsmoment für ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren in Betracht kommt.23
2. Einladungen durch Sponsoren (Fall Claassen) Im Fall Claassen24 ging es um die Frage, ob sich ein Sponsor, der Staatsbeamte zu einem großen Sportereignis einlädt, wegen Vorteilsgewährung strafbar macht.
a) Sachverhalt Utz Claassen war Vorstandsvorsitzender des Energiekonzerns EnBW, der einer der Hauptsponsoren der Fußball-WM 2006 war. Das Sponsoringkonzept des Energiekonzerns sah u. a. vor, einen kleinen Teil der 14.000 eigenen Karten für Repräsentanten aus Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Politik zu verwenden. Es sollten sämtliche Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierung Baden-Württemberg einschließlich der Staatssekretäre eingeladen werden. Mitte Dezember 2005 unterzeichnete Claassen als Vorstandsvorsitzender von EnBW 700 Weihnachtsgrußkarten. Etwa die Hälfte der Grußkarten enthielt Präsente, darunter auch mit dem offiziellen Sponsorenlogo der EnBW versehene Gutscheine für Logenplätze bei einem WM-Spiel in Stuttgart oder Berlin. Diese wurden u. a. an den Ministerpräsidenten und fünf Minister des Landes Baden-Württemberg sowie an den beamteten Staatssekretär im Berliner Bundesumweltministerium verschickt. Die bedachten Minister und der Staatssekretär waren im Rahmen ihrer Ressortzuständigkeit mit Angelegenheiten befasst, die für die Geschäftspolitik und den wirtschaftlichen Erfolg der EnBW sowie für Claasen persönlich von erheblicher Bedeutung waren. Kurz darauf wurde gegen Claassen ein Ermittlungsverfahren wegen Vorteilsgewährung gem. § 333 StGB eingeleitet, die Eingeladenen verweigerten daraufhin die Annahme der Gutscheine. Das Landgericht Karlsruhe sprach Claassen von den Vorwürfen der Vorteilsgewährung frei. Diesen Freispruch bestätigte der BGH im Ergebnis, auch wenn er den Ausführungen des Landgerichts in weiten Teilen nicht folgte.
___________ 23 24
Schäfer/Liesching, ZRP 2008, 173. BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08 = NJW 2008, 3580.
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b) Vorteilsbegriff Es ist bereits fraglich, ob der Erhalt von Gutscheinen für Eintrittskarten zu WM-Spielen einen Vorteil i. S. d. § 333 StGB darstellt. Dass ein strafrechtlich relevanter Vorteil fehlt, kann sich aus zwei Gründen ergeben: Zum einen ist zu überlegen, ob überhaupt ein Vorteil vorliegt, wenn der Begünstigte einen vergleichbaren Vorteil auch auf andere Art und Weise erlangen kann.25 Im Fall Claassen hatten die nach Stuttgart eingeladenen Mitglieder der Landesregierung ohnehin freien Zugang zu allen WM-Spielen im Stuttgarter Stadion. Das Landgericht Karlsruhe verneinte einen Vorteil für die sechs Regierungsmitglieder mit der Begründung, dass durch die personengebundenen und nicht übertragbaren Gutscheine deren wirtschaftliche, rechtliche oder auch nur persönliche Lage nicht objektiv verbessert würde.26 An einer materiellen Besserstellung der Regierungsmitglieder kann meiner Ansicht nach aber nicht gezweifelt werden. Aus Sicht des Vorteilsgebers spielt es keine Rolle, ob der Adressat seiner Zuwendung diese Leistung auch von anderer Seite erhalten könnte.27 Auf solche hypothetischen Erwägungen kann es grundsätzlich nicht ankommen, zumal Reserveursachen im Strafrecht unbeachtlich sind.28 Unzweifelhaft wäre dies, wenn die alternativen Eintrittskarten nicht vom Land BadenWürttemberg, sondern von einem anderen Sponsor zur Verfügung gestellt worden wären.29 Der BGH verwarf dementsprechend die Argumentation des Landgerichts.30 Zum anderen ist in der Literatur umstritten, ob der Vorteilscharakter zu verneinen ist, wenn dem Amtsträger lediglich die zur Dienstausübung erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden.31 Das Landgericht Karlsruhe ging davon aus, dass Freikarten, die nur die Ausübung einer dienstlichen Aufgabe ermöglichten, keinen strafrechtlich relevanten Vorteil darstellten.32 Da es zu den dienstlichen Aufgaben der Regierungsmitglieder gehöre, das Land in der Öffentlichkeit zu repräsentieren, auch durch Präsenz bei Sportveranstaltungen wie der Fußballweltmeisterschaft, handele es sich bei den Gutscheinen nicht um Vorteile i. S. d. § 333 StGB. Auch diesen Ausführungen des Landgerichts ___________ 25
Einen Vorteil verneint bspw. Bannenberg (s. oben Fn. 10), Kapitel 10 Rn. 65. LG Karlsruhe NStZ 2008, 407; zust. Paster/Sättele, NStZ 2008, 366 (372). 27 Vgl. Trüg, NJW 2009, 196. 28 BGH NJW 2008, 3580 (3581); zust. Richter, WM 2008, 2226. 29 Dies erkennt auch Paster, zweifelt aber dennoch am Vorteilscharakter der Gutscheine, Paster, jurisPR-StrafR 1/2009 Anm. 2. 30 BGH NJW 2008, 3580 (3581). 31 So Schönke/Schröder-Heine (s. oben Fn. 21), § 331 Rn. 28; MüKo-Korte (s. oben Fn. 11), § 333 Rn. 18. 32 LG Karlsruhe NStZ 2008, 407. 26
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vermochte der BGH nicht zu folgen. Er ließ ausdrücklich offen, ob ein Vorteil überhaupt ausgeschlossen sei, wenn dem Amtsträger lediglich die zur Dienstausübung erforderlichen Mittel bereitgestellt würden. Die Eintrittskarten hätten nämlich nicht nur einen dienstlichen Nutzen, sondern dienten vielmehr gerade der Befriedigung persönlicher Interessen, die mit dem Erleben eines WMSpiels im Stadion verbunden seien, zumal ausdrücklich eine Begleitperson miteingeladen gewesen sei.33 Dem ist zuzustimmen, wenn man bedenkt, dass schon der „böse“ Anschein der Käuflichkeit der Verwaltung verhindert werden soll. Ein solcher Anschein ist aber nur ausgeschlossen, wenn mit dem Vorteil kein oder nur ein geringer persönlicher Nutzen verbunden ist. Geht hingegen mit der Veranstaltung ein nicht unerheblicher Freizeitwert einher, ändert der Umstand, dass der Amtsträger im Rahmen der Veranstaltung auch dienstliche Repräsentationsfunktionen übernimmt, nichts am Vorteilscharakter der Einladung. Letztlich wird bei einer Einladung eines Amtsträgers zu einer Sportveranstaltung in der Regel eine materielle Besserstellung und somit ein Vorteil begründet.
c) Einschränkende Tatbestandsauslegung Die bereits angesprochene uferlose Weite des Tatbestands der Vorteilsgewährung führt dazu, dass er im Randbereich kaum trennscharfe Konturen aufweist.34 Um sozial anerkannte und erwünschte Verhaltenweisen nicht unter Strafe zu stellen, wird es deswegen einhellig für erforderlich gehalten, § 333 StGB in einigen Konstellationen einschränkend auszulegen, auch wenn die Tatbestandsmerkmale erfüllt sind.35 Fraglich ist, ob bei legitimen Sponsoringmaßnahmen eine solche Tatbestandseinschränkung vorgenommen werden kann,36 denn damit wären Einladungen, die in ein bestehendes Sponsoringkonzept eingebettet sind, pauschal von Strafbarkeitsrisiken ausgenommen.
___________ 33 BGH NJW 2008, 3580 (3582 f.); vgl. zu den Konsequenzen Jahn, JuS 2009, 176 (177). Noltensmeier will hingegen entscheidend darauf abstellen, ob der gewährte Vorteil über dasjenige hinausgeht, was zur Dienstausübung erforderlich ist. Dies sei im Fall Claassen der Fall, da auch eine Bewirtung der Gäste vorgesehen gewesen sei, vgl. Noltensmeier, HRRS 2009, 151 (153). 34 Vgl. BGH NJW 2008, 3580 (3583). 35 BGH NJW 2004, 3569 (3575); Knauer/Kaspar, GA 2005, 385 (391). 36 So allgemein für das Verwaltungssponsoring Bernsmann/Gatzweiler, Verteidigung bei Korruptionsfällen, 2008, Rn. 466.
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aa) Sozialadäquanz § 333 StGB scheidet unter dem Gesichtspunkt der Sozialadäquanz aus, wenn es sich um geringfügige Zuwendungen im Rahmen des sozial Üblichen handelt, die von der Allgemeinheit gebilligt werden.37 Dann ist der Schutzzweck der Korruptionsdelikte nicht berührt. Ein typisches Beispiel ist das Neujahrsgeschenk für den Postboten.38 Nach überwiegender Auffassung können allerdings nur geringwertige Zuwendungen, die ohne Verstoß gegen die Regeln der Höflichkeit nicht zurückgewiesen werden können, als sozialadäquat eingestuft werden. Die Freikarten zu den WM-Spielen hatten einen Wert zwischen 220 und 280 €,39 waren also keineswegs geringwertig. Teilweise werden bei entsprechendem Lebenszuschnitt des Amtsträgers aber auch eindeutig nicht geringfügige Zuwendungen als gesellschaftskonform eingeordnet.40 HospitalityEinladungen ergehen zum Großteil an hochrangige Amtsträger, so dass sich eventuell mit deren dienstlicher Stellung die Sozialadäquanz der Einladung begründen lässt. Zu bedenken ist aber, dass gerade hochrangige Staatsbeamte im Fokus der Öffentlichkeit stehen und bei der Annahme höherwertiger Zuwendungen schnell der Anschein der Käuflichkeit entstehen kann.41 Daher können allenfalls gewohnheitsmäßig anerkannte, relativ geringwertige Aufmerksamkeiten aus gegebenen Anlässen vom Tatbestand ausgenommen sein.42 Der Gedanke der Sozialadäquanz lässt sich für Hospitality-Einladungen somit nicht fruchtbar machen.43
bb) Pflichtenkollision Aus den sog. Drittmittelentscheidungen des BGH44 ergibt sich, dass die Tatbestände der §§ 331 ff. StGB ausgeschlossen sein können, wenn sich der Vorteilsnehmer in einer Pflichtenkollision befindet. Der BGH hatte entschieden, ___________ 37 Fischer (s. oben Fn. 15), § 331 Rn. 25; vgl. auch Lackner/Kühl (s. oben Fn. 8), § 331 Rn. 14 38 Gribl, Der Vorteilsbegriff bei den Bestechungsdelikten, 1992, S. 114. 39 FAZ v. 15.10.2008, S. 14. 40 Vgl. NK-Kuhlen, StGB, 2. Aufl. 2005, § 331 Rn. 88; Knauer/Kaspar, GA 2005, 385 (397, 401). 41 Vgl. Merges, Die Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, 1995, S. 161. 42 BGH NStZ 2005, 334 (335); NJW 2003, 763 (765); der Wert der Zuwendung darf jedenfalls 50 Euro nicht übersteigen, Bernsmann/Gatzweiler (s. oben Fn. 36), Rn. 283. Dies hat zur Folge, dass der Anwendungsbereich der Sozialadäquanz auf wenige Einzelfälle beschränkt bleibt und zu keiner grundlegenden Begrenzung der Korruptionsdelikte führt; vgl. Gribl (s. oben Fn. 38), S. 114. 43 Ebenso Bannenberg (s. oben Fn. 10), Kapitel 10 Rn. 71. 44 BGHSt 47, 295; NJW 2003, 763.
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dass eine strafbare Vorteilsannahme ausscheide, wenn das Einwerben von Drittmitteln für Lehre und Forschung zu den hochschulrechtlich verankerten Dienstaufgaben des Amtsträgers gehöre. Der Arzt sei dann einerseits verpflichtet, Drittmittel für Forschung und Lehre einzuwerben, setze sich dabei aber andererseits der Gefahr aus, strafrechtlich wegen Vorteilsannahme belangt zu werden, was zu einem Wertungswiderspruch führe. Aufgrund dieser Pflichtenkollision sei der Tatbestand des § 331 StGB bei der Einwerbung von Drittmitteln ausgeschlossen, unter der Voraussetzung, dass das im Drittmittelrecht vorgeschriebene Verfahren eingehalten werde. Die die Entscheidung tragenden Erwägungen des BGH sind auf Sponsoringmaßnahmen, etwa HospitalityEinladungen, allerdings nicht übertragbar. Zwar ist Sponsoring sozial erwünscht und viele Sportveranstaltungen wären ohne Sponsoren nicht zu finanzieren, es besteht aber keine Dienstaufgabe für Amtsträger, bei Sponsoringmaßnahmen mitzuwirken. Eine der Drittmittelentscheidung zugrunde liegende vergleichbare Pflichtenkollision ist bei den Fällen des Sportsponsorings nicht ersichtlich.45
cc) Verfassungsrechtlich gebotene restriktive Auslegung Der sog. Kremendahl-Entscheidung46 des BGH kann der Grundsatz entnommen werden, dass die Korruptionsdelikte restriktiv auszulegen sind, wenn durch deren Anwendung in grundgesetzlich geschützte Rechtspositionen, etwa in den verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz der Wahlgleichheit, eingegriffen wird. Ein Sponsor, der eine Hospitality-Einladung ausspricht, kann zwar für sich die Berufsfreiheit nach Art. 12 I GG und, da es sich um eine Form der Werbung handelt, eventuell die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 I GG geltend machen. Beide Grundrechte sind allerdings nicht dazu geeignet, das staatliche Interesse an der Lauterkeit des öffentlichen Dienstes und das Bedürfnis nach effektiver strafrechtlicher Verfolgung korrupter Praktiken zu überwiegen.47 Ein ähnliches Spannungsverhältnis zwischen Verfassungsrecht und materiellem Strafrecht, wie im Bereich der Wahlkampfspenden, besteht in den Fällen des Sportsponsorings nicht. Verfassungsrechtliche Überlegungen sind für die Auslegung der Korruptionsdelikte im Zusammenhang mit Sponsoringmaßnahmen jedoch nicht ohne Belang. Die aufgezeigte Unschärfe der Tatbestände, gerade auch im Bereich des Sponsorings, gebietet unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten eine restrik___________ 45
So auch Paster/Sättele, NStZ 2008, 366 (371); Paster, jurisPR-StrafR 1/2009 Anm. 2. 46 BGH NJW 2004, 3569. 47 Schlösser/Nagel, wistra 2007, 211 (214).
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tive Auslegung. Dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot werden die §§ 331 ff. StGB nur gerecht, wenn ihr Anwendungsbereich eng bestimmt wird.48 Dies schließt ein, dass an die tatrichterliche Überzeugung vom Vorliegen einer Unrechtsvereinbarung hohe Anforderungen zu stellen sind.49
dd) Zwischenergebnis Bei einer Zuwendung an einen Amtsträger, die im Rahmen von Sponsoringaktivitäten erfolgt, kann mangels dogmatischer Grundlage keine tatbestandseinschränkende Auslegung vorgenommen werden. Legitimes Sponsoring ist somit nicht prinzipiell von den Korruptionsdelikten ausgenommen. So stellte auch der BGH im Fall Claassen knapp fest, dass eine Straftat nicht schon dann pauschal ausgeschlossen sei, wenn die Zuwendung in ein an sich unverdächtiges Sponsorenkonzept eingebunden sei.50 Vielmehr müsse im Einzelfall festgestellt werden, inwiefern eine Unrechtsvereinbarung vorliege.
d) Unrechtsvereinbarung Ausschlaggebend für die Strafbarkeit von Hospitality-Einladungen ist somit das Vorliegen einer Unrechtsvereinbarung. Eine strafbare Vorteilsgewährung liegt nur vor, wenn durch die Zuwendung auf die künftige Dienstausübung Einfluss genommen oder die vergangene Dienstausübung honoriert werden soll.51 Nicht erforderlich ist hingegen, dass mit dem Vorteil eine konkrete Diensthandlung – etwa die Genehmigung eines Kraftwerks – bezweckt wird. Es genügt vielmehr, wenn der Wille des Vorteilsgebers darauf abzielt, ein generelles Wohlwollen beim Amtsträger für künftige Fachentscheidungen hervorzurufen, das bei Gelegenheit aktiviert werden kann. Von § 333 StGB wird somit auch „allgemeine Klimapflege“ erfasst. Entscheidend ist, welchen subjektiven Zweck der Vorteilsgeber mit der Zuwendung verfolgt. Die Strafbarkeit des Sponsors hängt also vom Motiv der Einladung ab. Wird der Amtsträger ohne Hintergedanken als Repräsentant des Staates eingeladen, um die Bedeutung der Veranstaltung hervorzuheben, liegt keine strafbare Vorteilsgewährung vor.52 Anderes gilt hingegen, wenn der bestimmende Beweggrund einer solchen Ein___________ 48
Paster/Sättele, NStZ 2008, 366 (371) Schlösser/Nagel, wistra 2007, 211 (214). 50 BGH NJW 2008, 3580 (3583). 51 BGH NJW 2008, 3580 (3583). 52 Bannenberg (s. oben Fn. 10), Kapitel 10 Rn. 74 f.; Trüg, NJW 2009, 196 (197). 49
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ladung darin besteht, unter dem Deckmantel des Sponsorings Einfluss auf die Amtsführung des Amtsträgers zu nehmen.53 Ob der Vorteilsgeber verbotene Klimapflege betreibt oder ein anderes strafrechtlich unbedenkliches Motiv verfolgt, ist anhand einer wertenden Betrachtung unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände zu ermitteln.54 Hierbei zu beachtende Indizien55 sind die Stellung des Amtsträgers – v. a. ob dienstliche Berührungspunkte zum Gastgeber bestehen56 –, die Vorgehensweise bei Gewährung der Vorteile, die soziale Beziehung zwischen Vorteilsgeber und -nehmer sowie Art, Wert, Verwendungszweck und Zahl der Vorteile. Für eine Unrechtsvereinbarung sprechen insbesondere ein heimliches Vorgehen57 sowie ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Zuwendung und einer bestimmten Diensthandlung58. Relevant ist auch, inwiefern eine andere Zielsetzung als Korruption plausibel erscheint. Bei alledem ist die Interessenlage der Beteiligten zu beachten.59 Im Fall Claassen gab es einige Anhaltspunkte, die auf strafbare Klimapflege hinwiesen.60 So bestanden beispielsweise zwischen den Geschäftsbereichen der eingeladenen Amtsträger und der EnBW erhebliche dienstliche Berührungspunkte. Eingeladen wurden u. a. Umweltministerin Tanja Gönner, deren Ministerium gegenüber EnBW die atomrechtliche Aufsicht nach § 19 AtomG wahrnimmt, und Wirtschaftsminister Ernst Pfister, dessen Ministerium die Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde im Bereich der Energiewirtschaft ist. Die an die Umweltministerin versandte Weihnachtsgrußkarte war sogar mit dem handschriftlichen Zusatz „Vielen Dank für die stets exzellente Zusammenarbeit“ versehen. Gewichtige Indizien sprachen aber auch gegen eine Unrechtsvereinbarung.61 Es gab ein plausibles anderes Motiv für die Gutscheine als die Beeinflussung der Dienstausübung: Den Empfängern sollte Gelegenheit gegeben werden, ihre Institutionen bei der Fußballweltmeisterschaft zu repräsentieren und ihr Erscheinen sollte zu Werbezwecken genutzt werden. Die Veranstaltung sollte so aufgewertet und die Rolle der EnBW als Hauptsponsor der Weltmeisterschaft ___________ 53
MüKo-Korte (s. oben Fn. 11), § 331 Rn. 103. BGH NJW 2008, 3580 (3583). 55 Vgl. dazu BGH NJW 2008, 3580 (3583); MüKo-Korte (s. oben Fn. 11), § 331 Rn. 100; Schönke/Schröder-Heine (s. oben Fn. 21), § 331 Rn. 28. 56 BGH NStZ 2008, 216 (218); NStZ-RR 2007, 309 (311). 57 BGHSt 48, 44 (51). 58 Schönke/Schröder-Heine (s. oben Fn. 21), § 331 Rn. 28. 59 MüKo-Korte (s. oben Fn. 11), § 331 Rn. 100. 60 Vgl. BGH NJW 2008, 3580 (3584). 61 Vgl. BGH NJW 2008, 3580 (3583 f.). 54
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hervorgehoben werden. Die Nutzung der Repräsentationsfunktion und der Werbewirkung hochrangiger Amtsträger ist ein legitimer Beweggrund des Sponsors und lässt eine Unrechtsvereinbarung fraglich erscheinen. Zudem bestanden zwar dienstliche Berührungspunkte zwischen den Amtsträgern und EnBW, Claassen hatte aber die Auswahl der Gutscheinempfänger nicht gezielt nach diesem Kriterium vorgenommen, sondern nach persönlicher Bekanntschaft und protokollarischer Wertigkeit. Außerdem wurden die Einladungen im Bewusstsein des Sponsoringkonzepts des Unternehmens ausgesprochen, welches vorsah, sämtliche Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierung Baden-Württembergs einschließlich der Staatssekretäre einzuladen. Auch war der Wert der personengebundenen Gutscheine nicht geeignet, hochrangige Amtsträger zu beeinflussen, zumal er für diejenigen Regierungsmitglieder subjektiv gemindert war, die ohnehin freien Zugang zu den WM-Spielen hatten. Zuletzt ging Claassen bei den Einladungen nicht heimlich vor, da die Karten an die dienstlichen Adressen der Politiker versandt wurden und mit dem offiziellen Sponsorenlogo der EnBW versehen waren. Aufgrund dieser Umstände lag weder für das Landgericht Karlsruhe noch für den BGH eine Unrechtsvereinbarung vor.
e) Folgen des Urteils für die Praxis Obwohl Claassen vom Vorwurf der Vorteilgewährung freigesprochen wurde, wurde im Anschluss die Befürchtung geäußert, dass die Rechtsunsicherheit im Bereich des Sportsponsorings beträchtlich bleibe.62 Der BGH selbst wies im Urteil darauf hin, dass auch eine Verurteilung Claassens möglicherweise ebenso wenig revisionsrechtlich hätte beanstandet werden können.63 Der BGH gestand ein, dass das Merkmal der Unrechtsvereinbarung zu Beweisschwierigkeiten führen könne und dem Tatrichter eine beträchtliche Entscheidungsmacht einräume.64 So können die Betroffenen nur schwer einschätzen, ob ihr Verhalten strafrechtliche Risiken birgt. Es ist zumindest nicht möglich, HospitalityEinladungen von Amtsträgern pauschal für unbedenklich zu erklären.65 Einige Unternehmen haben deswegen sogar den Entschluss gefasst, künftig keine Amtsträger mehr zu Sportveranstaltungen einzuladen.66 Diese Konsequenz muss allerdings nicht zwangsläufig gezogen werden, denn sofern bei Hospitality-Einladungen keine sponsoringfremden Hintergedanken im Spiel sind, schei___________ 62
Vgl. NJW-Spezial 2008, 729 (730). BGH NJW 2008, 3580 (3585). 64 BGH NJW 2008, 3580 (3583). 65 So auch Hamacher/Robak, DB 2008, 2747 (2749). 66 Weilguny, SPONSORs 5/2008, 14. 63
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det eine Strafbarkeit aus.67 Legt man das Urteil des BGH zugrunde, lassen sich einige Leitlinien herausarbeiten, bei deren Beachtung die Strafbarkeitsrisiken minimiert werden können. Von entscheidender Bedeutung ist, dass das einladende Unternehmen dokumentiert, dass allein der gemeinsame öffentlichkeitswirksame Auftritt mit hochrangigen Amtsträgern zu Werbezwecken im Vordergrund steht und nicht etwa dienstliche Berührungspunkte. Werden dabei die im Folgenden aufgeführten Kriterien beachtet, sollte für die §§ 331 ff. StGB kein Raum bleiben. Hospitality-Einladungen an Amtsträger, mit denen gegenwärtig und zukünftig keine dienstlichen Berührungspunkte bestehen, sind grundsätzlich strafrechtlich unbedenklich.68 Problematisch ist hingegen die Situation, dass sich die Einladung an Staatsdiener richtet, die mit dem Unternehmen dienstlichen Kontakt haben. In diesem Fall sollte darauf geachtet werden, dass sich die Einladung nicht gezielt nur an Amtsträger richtet, mit denen dienstliche Berührungspunkte bestehen, sondern allgemein an hochrangige Amtsträger aufgrund ihrer protokollarischen Wertigkeit und Bekanntheit.69 Zudem empfiehlt es sich, von Einladungen zu einem kritischen Zeitpunkt Abstand zu nehmen, etwa wenn der betreffende Amtsträger gerade an einem Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit dem Unternehmen beteiligt ist. Wichtig ist des Weiteren, dass hinter der Einladung ein Sponsoringkonzept steht. Ein solches Konzept bürgt dafür, dass die Einladung aufgrund der Repräsentations- und Werbefunktion des Amtsträgers erfolgt und nicht, um dessen Dienstausübung zu beeinflussen.70 Zwar schließt ein Sponsoringkonzept nicht automatisch eine Strafbarkeit aus, aber es ist ein starkes Indiz gegen eine strafbarkeitsbegründende Unrechtsvereinbarung.71 Aus dem Konzept sollte auch hervorgehen, dass die Auswahl der eingeladenen Amtsträger nicht anhand dienstlicher Berührungspunkte, sondern anhand der protokollarischen Wertigkeit vorgenommen wurde.72 Die Einladung sollte transparent erfolgen, da durch Transparenz der „böse“ Anschein der Käuflichkeit vermieden wird.73 Der Sponsor sollte offen kommunizieren, dass er bestimmte Amtsträger zu Sportveranstaltungen einlädt, und die Einladung nicht privat aussprechen, sondern an die Dienstadresse verschicken. ___________ 67
Vgl. Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (483). Trüg, NJW 2009, 196 (197). 69 Hamacher/Robak, DB 2008, 2747 (2753). 70 Paster/Sättele, NStZ 2008, 366 (374); für unbeachtlich hält ein solches Sponsoringkonzept Trüg, NJW 2009, 196 (197). 71 LG Karlsruhe NStZ 2008, 407 (408). 72 Hamacher/Weber, SPONSORs 4/2009, 54 (55). 73 Vgl. Knauer/Kaspar, GA 2005, 385 (396) ; Hettinger, JZ 2009, 370 (372). 68
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Relevant ist zuletzt auch der Wert der Zuwendung, der allerdings nicht rein objektiv zu bestimmen ist. Vielmehr sollte der Wert des Vorteils subjektiv, in Relation zu Status und Lebenszuschnitt des konkret bedachten Amtsträgers, angemessen sein.74 Was noch angemessen ist, hängt davon ab, ob die Zuwendung geeignet ist, den Amtsträger in seiner Dienstausübung zu beeinflussen.75 Wird ein hochrangiger Amtsträger zu einem WM-Spiel im eigenen Land eingeladen, so ist dies wohl abzulehnen. Handelt es sich dagegen um eine Einladung zu einer Sportveranstaltung im Ausland inklusive Anreise, mehrtägiger Übernachtung und umfangreichem Rahmenprogramm, so ist diese sicherlich als eine zur Beeinflussung geeignete Zuwendung zu bewerten.
3. Weitere Konstellationen Das Urteil des BGH und die aufgestellten Leitlinien betreffen die Konstellation, dass ein Sponsor eines großen Sportereignisses einen hochrangigen Amtsträger – einen Minister oder auch einen Bürgermeister – einlädt. Im Zusammenhang mit Hospitality-Einladungen sind aber auch andere Konstellationen denkbar. Die Einladung wird nicht von einem Sponsor des Sportereignisses, sondern vom Veranstalter selbst ausgesprochen, beispielsweise dem FIFA-Präsidenten bei einem WM-Spiel. Zwar zielt die Einladung dann nicht in erster Linie auf den Werbeeffekt des Amtsträgers ab, aber der Amtsträger wird als Repräsentant des Staates eingeladen, um die Bedeutung der Veranstaltung hervorzuheben. Dieses Motiv schließt in der Regel eine Unrechtsvereinbarung aus.76 Eine strafbare Vorteilsgewährung kommt bei Einladungen durch den Veranstalter nur in Betracht, wenn erkennbar korrupte Hintergedanken eigentlicher Beweggrund der Einladung sind. Bedenklich wird es hingegen, wenn weder ein Sponsor noch der Veranstalter, sondern ein sonstiges Unternehmen ohne konkreten Bezug zur Sportveranstaltung einen Amtsträger einlädt.77 Dies ist etwa bei Logen in Fußballstadien denkbar, die auch an Unternehmen vermietet werden, die nicht Sponsoren der jeweiligen Mannschaft sind. Ein solches Unternehmen sollte mit Einladungen an Amtsträger zurückhaltend umgehen, denn hier steht nicht die Repräsentations- und Werbefunktion des Amtsträgers im Vordergrund, sondern die Unter___________ 74
Paster/Sättele, NStZ 2008, 366 (373). Vgl. Hamacher/Robak, DB 2008, 2747 (2753). 76 Vgl. LG Karlsruhe NStZ 2008, 407 (408). 77 Für Trüg soll es hingegen keinen Unterschied machen, ob die Freikarten im Rahmen eines Sponsoringengagements oder von Unternehmen ohne konkreten Bezug zum Sportereignis verschenkt werden, vgl. Trüg, NJW 2009, 196 (197). 75
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nehmen wollen mithilfe der angemieteten Loge hauptsächlich ihre geschäftlichen Kontakte pflegen. Nach §§ 331, 333 StGB sollen aber inzwischen gerade das Erkaufen generellen Wohlwollens und die allgemeine Klimapflege unter Strafe gestellt werden. Die Unternehmensvertreter setzen sich folglich in diesem Bereich Strafbarkeitsrisiken aus. Problematisch ist auch die Konstellation, dass weniger hochrangige, womöglich unbekannte Amtsträger von Sponsoren oder sonstigen Unternehmen eingeladen werden. Solche Einladungen sind aus strafrechtlicher Sicht riskant, da einfache Amtsträger nicht ohne Weiteres als „Werbeträger“ fungieren oder ihre Dienststelle offiziell repräsentieren können.78 Wird ein unbekannter Amtsträger, der dienstliche Berührungspunkte mit dem Unternehmen hat, zu einem Sportereignis eingeladen, ist deswegen schwer vorstellbar, dass ein anderer Beweggrund vorliegt als die Einflussnahme auf die Amtsausübung. Bei Einladungen weniger bekannter und protokollarisch untergeordneter Amtsträger besteht also ein erhöhtes Strafbarkeitsrisiko.
III. Einladung von Privatpersonen Die Frage, ob sich ein Unternehmensvertreter, der zu einer Sportveranstaltung einlädt, strafbar macht, stellt sich nicht nur, wenn ein Amtsträger Adressat der Einladung ist, sondern auch, wenn ein privatwirtschaftlicher Geschäftspartner eingeladen wird. Im Raum steht dann eine Strafbarkeit nach § 299 II StGB wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr. Begeht beispielsweise ein Sportartikelhersteller, der zwei leitende Angestellte der Einkaufsabteilung einer großen Kaufhauskette zum Besuch eines ChampionsLeague-Spiels in die firmeneigene Stadionloge einlädt, eine strafbare Bestechung? Gleiches wäre auch zu fragen, wenn der Veranstalter einer Meisterschaft, etwa der Formel 1 oder der Fußballbundesliga, Angestellte eines Sportrechtevermarkters zu seinem Sportevent einlädt mit dem Hintergedanken, dass die Eingeladenen zukünftig darüber entscheiden werden, welche Angebote für die Fernsehrechte an dem Sportevent abgegeben werden.
1. Rechtliche Rahmenbedingungen § 299 StGB regelt in Abs. 1 die passive Bestechlichkeit, also die Strafbarkeit desjenigen, der die Zuwendung erhält, und spiegelbildlich dazu in Abs. 2 die Strafbarkeit des Vorteilsgebers, die aktive Bestechung. Geschütztes Rechtsgut ___________ 78 Vgl. Hamacher/Robak, DB 2008, 2747 (2753); Hamacher/Weber, SPONSORs 4/2009, 54 (55).
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des § 299 StGB ist der freie Wettbewerb.79 Die Vorschrift schützt somit vorrangig das Allgemeininteresse an lauteren Wettbewerbsbedingungen und daneben potentielle Vermögensinteressen von Mitbewerbern.80 Nach § 299 II StGB macht sich strafbar, wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einem Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebs einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er ihn oder einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen in unlauterer Weise bevorzugt. Der Täter muss also zunächst einem Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebs einen Vorteil anbieten, versprechen oder gewähren. Strafrechtlich unbedenklich ist es hingegen, wenn der Inhaber eines Geschäftsbetriebs selbst eingeladen wird.81 Für den Vorteilsbegriff gilt das zur Amtsträgerkorruption Gesagte. Der Täter muss des Weiteren im geschäftlichen Verkehr und zu Zwecken des Wettbewerbs handeln. Wettbewerbszwecke werden verfolgt, wenn die Tat objektiv dazu geeignet ist, den eigenen Absatz (oder den des begünstigten Dritten) zu fördern bzw. den eigenen (oder fremden) Kundenkreis auf Kosten von Mitbewerbern zu erweitern. Wie bei der Amtsträgerkorruption bedarf es auch bei § 299 StGB einer Unrechtsvereinbarung als zentrales Tatbestandsmerkmal. Der Vorteil muss als Gegenleistung für eine zukünftige unlautere Bevorzugung beim Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen angeboten werden.82 Der Vorteilsnehmer bevorzugt den Vorteilsgeber unlauter, wenn dieser aus sachwidrigen Gesichtspunkten unter Umgehung der Wettbewerbsregeln gegenüber seinen Mitbewerbern bessergestellt wird und nicht, weil er schlicht das bessere Angebot vorlegt.83 Eine unlautere Bevorzugung würde beispielsweise vorliegen, wenn die eingeladenen Angestellten der Kaufhauskette in Zukunft vermehrt Waren des betreffenden Sportartikelherstellers und nicht die Waren seiner Konkurrenten beziehen würden.
2. Unterschiede zur Amtsträgerkorruption § 299 StGB ist den §§ 331 ff. StGB systematisch nachgebildet und auch in struktureller Hinsicht ist die Wirtschaftskorruption mit der Amtsträgerkorrupti___________ 79
Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (484). MüKo-Diemer/Krick (s. oben Fn. 11), § 299 Rn. 2. 81 Fischer (s. oben Fn. 15), § 299 Rn. 10c; nicht Geschäftsinhaber, sondern Angestellte sind aber der Geschäftsführer einer GmbH bzw. der Vorstand einer AG, Bernsmann/Gatzweiler (s. oben Fn. 36), Rn. 567. 82 SSW-Rosenau, StGB, 1. Aufl. 2009, § 299 Rn. 22. 83 Vgl. HWSt-Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Achenbach/Ransiek (Hrsg.), 2. Aufl. 2008, III 2 Rn. 35. 80
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on vergleichbar.84 Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 299 StGB sind allerdings weitaus enger gefasst. Wie bei der Amtsträgerkorruption werden auch bei § 299 StGB sozialadäquate Zuwendungen nicht vom Tatbestand erfasst. Während die Straflosigkeit sozialadäquater Vorteile im Rahmen von §§ 331 ff. StGB für HospitalityEinladungen mangels Geringwertigkeit keine Rolle spielt,85 sind die Grenzen im Geschäftsverkehr grundsätzlich weiter zu ziehen als in der öffentlichen Verwaltung.86 Überwiegend wird es für möglich erachtet, dass auch höherwertige Zuwendungen als sozialadäquat eingestuft werden. Dies kommt dann in Betracht, wenn dem Vorteil nach den Einzelfallumständen objektiv die Eignung fehlt, geschäftliche Entscheidungen sachwidrig zu beeinflussen.87 Entscheidend hierfür sind insbesondere Einkommen, berufliche Stellung und Lebenszuschnitt des Eingeladenen sowie Anlass, Art und Weise der Zuwendung.88 So kann daran gezweifelt werden, dass eine einfache Einladung eines hochrangigen Mitarbeiters eines bekannten Konzerns in eine Stadionloge angesichts seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung geeignet ist, ihn zu beeinflussen.89 § 299 StGB kommt zudem nur in Betracht, wenn zwischen dem Vorteilsgeber und dessen Konkurrenten eine Wettbewerbssituation um die geschäftlichen Beziehungen zum eingeladenen Unternehmen besteht.90 Daran fehlt es etwa, wenn nach Vorstellung des Vorteilsgebers das Unternehmen des Vorteilsnehmers zurzeit die Geschäftsbeziehungen mit dem Vorteilsgeber überhaupt nicht in Frage stellt. Der wesentliche Unterschied zur Amtsträgerkorruption besteht aber darin, dass der Gesetzgeber bei § 299 StGB von einer Lockerung der Unrechtsvereinbarung abgesehen hat.91 Der Vorteil muss für eine bestimmte Bevorzugung in der Zukunft gewährt werden. Belohnungen für vergangene Leistungen genügen ebenso wenig wie Zuwendungen zur Sicherung des allgemeinen Wohlwollens.92 Allgemeine Klimapflege sowie das „Anfüttern“ potentieller Geschäfts___________ 84
Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (487). Vgl. II.2.c)aa). 86 Bernsmann/Gatzweiler (s. oben Fn. 36), Rn. 595. 87 Vgl. Merges (s. oben Fn. 41), S. 178 f. 88 Vgl. HWSt-Rönnau (s. oben Fn. 83), III 2 Rn. 21. 89 Hamacher/Weber, SPONSORs 4/2009, 54 (55). 90 Vgl. Zöller, GA 2009, 137 (140); Schönke/Schröder-Heine (s. oben Fn. 21), § 299 Rn. 22. 91 HWSt-Rönnau (s. oben Fn. 83), III 2 Rn. 5. 92 Fischer (s. oben Fn. 15), § 299 Rn. 13; MüKo-Diemer/Krick (s. oben Fn. 11), § 299 Rn. 16. 85
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partner werden von § 299 StGB gerade nicht erfasst.93 Vor allem bei komplexen Geschäften wird es in der Praxis häufig nicht gelingen, die Zuwendung mit einer konkreten Bevorzugung in Verbindung zu bringen.94 Die Strafbarkeitsrisiken bei Hospitality-Einladungen an privatwirtschaftliche Geschäftspartner sind somit deutlich geringer als bei Einladungen an Amtsträger.
3. Übertragbarkeit der Grundsätze zur Amtsträgerkorruption Gleichwohl sollte ein Sponsor Einladungen auch in diesem Bereich mit Bedacht aussprechen und dabei einige Grundregeln beachten, um nicht in das Visier staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen zu geraten. Aufgrund der strukturellen Vergleichbarkeit der Wirtschaftskorruption mit der Amtsträgerkorruption lassen sich zumindest einige der dort gefundenen Grundsätze übertragen. Bekanntheit und besondere Fachkompetenz der eingeladenen Unternehmensvertreter sprechen gegen eine Unrechtsvereinbarung,95 denn wie hochrangige Staatsrepräsentanten können auch prominente Wirtschaftsmanager und Mitarbeiter bekannter Konzerne attraktive Werbeträger sein. Ist die Bekanntheit der Unternehmensvertreter Kriterium für die Einladung, geht es dem Sponsor in der Regel darum, seine Sponsoringaktivitäten öffentlichkeitswirksam hervorzuheben und sich als attraktives Unternehmen mit weit reichenden Geschäftskontakten zu präsentieren. Dass eine Beeinflussung des eingeladenen Geschäftspartners bezweckt wird, erscheint dann zweifelhaft. Deswegen sollten auch Einladungen an Unternehmensvertreter im Rahmen von Sponsoringkonzepten ausgesprochen werden, die die Einladungskriterien deutlich machen.96 Geht es dem Sponsor mit seiner Einladung darum, allgemein den Kontakt zu seinen Geschäftpartnern zu pflegen und auszubauen, ist dies dann strafrechtlich unbedenklich, wenn er sich weder aktuell noch in naher Zukunft mit Konkurrenten in einer konkreten Wettbewerbssituation um einen lukrativen Auftrag des eingeladenen Unternehmens befindet.97 Besteht hingegen eine konkrete Wettbewerbssituation, sollten Einladungen jedenfalls zu einem kritischen Zeitpunkt vermieden werden. So sollten die Angestellten der Kaufhauskette nicht in die Stadionloge eingeladen werden, wenn diese in nächster Zeit einen Großauftrag bezüglich Sportartikeln vergeben will.98 ___________ 93
Bannenberg (s. oben Fn. 10), Kapitel 10 Rn. 48. Vgl. Zöller, GA 2009, 137 (149). 95 Hamacher/Robak, DB 2008, 2747 (2753). 96 Weilguny, SPONSORs 5/2008, 14. 97 Hamacher/Robak, DB 2008, 2747 (2753). 98 Vgl. Weilguny, SPONSORs 5/2008, 14. 94
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Die Einladungen sollten an die offizielle Firmenadresse gerichtet sein und auch dem Vorgesetzten des Eingeladenen offengelegt werden, um ein transparentes Vorgehen zu dokumentieren. Zudem sollte der Wert der Einladung bezogen auf die berufliche Stellung und das Einkommen des Geschäftspartners angemessen sein.99
IV. Fazit Sowohl bei der Einladung von Amtsträgern als auch bei Einladung privatwirtschaftlicher Geschäftspartner zu einer Sportveranstaltung bestehen Strafbarkeitsrisiken. Hierbei ist eine exakte Grenzziehung zwischen strafbarer Klimapflege und erlaubter Kontaktpflege kaum möglich. Es lassen sich jedoch einige Grundregeln aufstellen, bei deren Beachtung der Verdacht der Korruption fernliegt. Will man die dennoch bestehenden Risiken weiter minimieren, besteht noch die Möglichkeit, eine Genehmigung für die Annahme des Vorteils nach den §§ 331 Abs. 3, 333 Abs. 3 StGB durch die zuständige Behörde einzuholen.100
___________ 99
Vgl. Leipold, NJW-Spezial 2007, 423. Damit aber eine erteilte Genehmigung die Strafbarkeit wirksam ausschließt, muss sie formell und nach h. M. auch materiell rechtmäßig sein, vgl. Richter, WuB IX § 333 StGB 1.09. 100
Das Konzept der US-amerikanischen Single-Entity-Theorie im europäischen Kartellrecht Von Kathrin Gack I.
Einleitung .......................................................................................................... 144
II. Die Organisation des Sports in Deutschland und in den USA .......................... 144 III. Kartellrecht und Sport ....................................................................................... 147 1.
Europäische Union .................................................................................... 147 a)
Anwendbarkeit des Unionsrechts auf den Sport................................. 147
b)
Das Verhältnis zwischen europäischem Kartellrecht und Sport ......... 147 aa) Art. 101 AEUV ........................................................................... 147 bb) Art. 102 AEUV ........................................................................... 150
2.
USA ........................................................................................................... 152
3.
Stellungnahme ........................................................................................... 155
IV. Doctrine of Single Entity .................................................................................. 155 1.
2.
Die Situation in den USA .......................................................................... 156 a)
Der Versuch, eine Liga zu gründen, die als Ganze der Single Entity Defense unterliegt .............................................................................. 156
b)
Teile der Liga als Single Entity .......................................................... 157
c)
Würdigung ......................................................................................... 159
Ansätze zur Umsetzung der US-amerikanischen Single-Entity-Theorie in Europa ....................................................................................................... 160 a)
Übertragung der American-Needle-Entscheidung: Das europäische Gemeinschaftsunternehmen ............................................................... 161
b)
Sportligen unter dem Konzentrationsprivileg..................................... 163
V. Stellungnahme................................................................................................... 166
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I. Einleitung In den letzten Jahren hat sich mehr und mehr herauskristallisiert, dass das Kartellrecht auch auf Sportorganisationen anwendbar ist.1 Insbesondere in den USA, in denen der Sport von Anfang an als Teil des Wirtschaftslebens angesehen wurde, haben Sportligen immer wieder versucht, sich vor einem Eingreifen des Kartellrechts zu schützen. Bei der kartellrechtlichen Beurteilung sportbezogener Sachverhalte ist immer die Besonderheit des Sports zu berücksichtigen. Neben dem wirtschaftlichen Erfolg werden auch Ziele wie die Steigerung des Images der Sportler, die Sicherung des dauerhaften Bestehens der Vereine und Verbände, die Stärkung der Gruppenidentität und Solidarität sowie der Einsatz im Amateur- und Breitensport ebenso wie die Nachwuchsförderung verfolgt.2 Das Produkt Sport besteht somit aus Konkurrenzkampf und Zusammenspiel; das Endprodukt ist der Wettbewerb der Mannschaften auf dem Spielfeld.3 Im Folgenden wird die kartellrechtliche Situation des Sports in Europa und den USA dargestellt. Anschließend wird die US-amerikanische Doctrine of Single Entity vorgestellt und deren mögliche Umsetzung in Europa diskutiert.
II. Die Organisation des Sports in Deutschland und in den USA Die Organisation des Sports ist in Deutschland monopolistisch angelegt. Kennzeichnend sind das sog. Ein-Verbands- oder Ein-Platz-Prinzip sowie die darauf basierende Verbandspyramide, d. h. der hierarchische Aufbau. In Deutschland gibt es im Rahmen der Professionalisierung des Spitzensports eine Tendenz zur Ligagründung. So wurde beispielsweise 1994 die Deutsche Eishockey Liga (DEL) gegründet. Demgegenüber ist die Umgestaltung der Fußballwelt in Deutschland noch relativ neu. Der im Jahr 2001 gegründete Ligaverband („Die Liga – Fußballverband e. V.“) ist erst seit Beginn der Saison 2001/2002 für die 1. und 2. Bundesliga zuständig. Die Vereins- oder Verbandsautonomie ist das „Recht der Verbände und Vereine zur selbstständigen Regelung ihrer inneren Angelegenheiten.“4 Sie ist als Unterfall der Privatautonomie in den §§ 21 ff. BGB und verfassungsrechtlich in
___________ 1 Grundlegend Hannamann, Kartellverbot und Verhaltenskoordinationen im Sport, 2001, passim. 2 Schürnbrand, ZWeR 2005, 396, 403. 3 Vgl. Champion, Fundamentals of Sports Law, 2004, S. 526; Unbekannter Verfasser, 81 Harv. L. Rev. 418, 419 (1967). 4 Vieweg, JuS 1983, 825, 826.
US-amerikanische Single-Entity im europäischen Kartellrecht
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Art. 9 I GG verankert.5 Ferner wird sie in Art. 11 EMRK6 sowie in Art. 12 I der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geschützt.7 Problematisch ist, dass durch das Ein-Platz-Prinzip eine Monopolstellung der Verbände gegeben ist,8 so dass ein faktischer Mitgliedschaftszwang vorliegt.9 Da die Verbands- und Vereinsautonomie als Ausfluss der Vereinigungsfreiheit selbst Teil der Rechtsordnung ist, muss sie sich auch an dieser messen lassen.10 Die Faustregel hierfür lautet: „Je weniger das Regelwerk die Sportausübung prägt, je erheblicher die unmittelbaren Außenwirkungen sind, desto weniger kann sich der Sport auf die Autonomie berufen, die er ja von den Zielsetzungen der Sportler ableitet.“11 In den USA wurde der Sport von Anfang an als Entertainment-Produkt angesehen. Die Idee des professionellen Sports ist es vor allem, zahlende Kunden zu unterhalten.12 Das Vereinswesen ist in den USA von untergeordneter Bedeutung. Hauptsächlich findet der „professionelle“ Sport in Profiligen statt.13 In ihrer Struktur sind die US-amerikanischen Major Leagues eher gesellschaftsrechtlich geprägt, was eine größere Flexibilität gewährleistet.14 Der Liga-Sport ist ein Produkt der Sportunterhaltungsindustrie, das für den Weiterverkauf an Zuschauer, Fernsehanstalten und die Werbewirtschaft produziert wird.15 Eine derartige Tendenz ist auch im deutschen Sport seit geraumer Zeit festzustellen. ___________ 5
Baecker, Grenzen der Vereinsautonomie im deutschen Sportverbandswesen, 1984, S. 13; Kuhn, Der Sportschiedsrichter zwischen bürgerlichem Recht und Verbandsrecht, 2000, S. 49; Maier, Rechtsfragen der Organisation und Autonomie im Verbands- und Berufssport, 1994, S. 120; Nolte, Sport und Recht, 2004, S. 18; Steiner, in: Tettinger/Vieweg (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Sportrechts, S. 222, 240; PHB-Summerer, 2. Teil, 1. Kapitel, Rn. 3 (S. 105); Vieweg/Röthel, ZHR 166 (2002), 6, 11; Zinger, Diskriminierungsverbote und Sportautonomie, 2002, S. 57. 6 EuGH Slg. 1995, I-4921 Rn. 79 – Bosman; Heermann, WRP 2003, 724, 725; Nolte (s. oben Fn. 5), S. 18. 7 Heermann, WRP 2003, 724, 725; Nolte (s. oben Fn. 5), S. 18. 8 PHB-Summerer, 2. Teil, 1. Kapitel, Rn. 3 (S. 105); Vieweg, JuS 1983, 825, 826; Zinger (s. oben Fn. 5), S. 58. 9 Zinger (s. oben Fn. 5), S. 58. 10 Heermann, SpuRt 2003, 89, 92; Hilf/Pache, NJW 1996, 1169, 1171. 11 PHB-Summerer, 2. Teil, 1. Kapitel, Rn. 13 (S. 109); siehe auch Pfister, in: FS Lorenz, 1991, S. 171, 179 f. 12 Reynolds v. National Football League, 584 F.2d 280, 287 (Minn. 1978); Freedman, Professional Sports and Antitrust, 1987, S. 3. 13 Vgl. Buchberger, Die Überprüfbarkeit sportverbandsrechtlicher Entscheidungen durch die ordentliche Gerichtsbarkeit, 1998, S. 187. 14 Vgl. Heermann, RabelsZ 67 (2003), 106, 136. 15 Klingmüller, SpuRt 1998, 177, 177.
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Die Ligen stellen eine Art Kooperation dar, einen Zusammenschluss der einzelnen Teams zur Organisation des Spielbetriebs, zur Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder gegenüber Dritten und der Öffentlichkeit ebenso wie zur Unterstützung der Clubs zur Erzielung von Gewinnen.16 Die Ligen selbst sind außer der Major League Soccer (MLS)17 aus historischen Gründen18 als Unincorporated Nonprofit Associations organisiert. Dies entspricht in Deutschland dem nichtrechtsfähigen gemeinnützigen Verein.19 Die Ligen an sich zielen grundsätzlich nicht auf die Erwirtschaftung von Gewinnen ab, sondern haben lediglich die Aufgabe, die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder durch die Weiterleitung der Einnahmen aus der Vermarktung des Ligasports zu fördern.20 Die Vereinigungsfreiheit ist durch das 1st und 14th Amendment sowie durch die Doctrine of Associations geschützt.21 Grundsätzlich haben die Vereinigungen das Recht, ihre Mitglieder frei auszuwählen und autonom zu handeln, etwa durch den Erlass eigener Regelwerke.22 Sofern ein Verband – somit auch die großen Sportligen – die Kompetenz besitzt, eigene Regeln und Ordnungen aufzustellen, muss das Gericht zunächst prüfen, ob die Regelungen innerhalb des Kompetenzbereichs liegen und ob eine direkte Verbindung zu Ziel und Zweck der Vereinigung besteht. Anschließend ist eine Angemessenheitsprüfung durchzuführen.23 Grundsätzlich beschränkt sich eine gerichtliche Überprüfung der Vereinsregelungen auf deren Vereinbarkeit mit der dem Verband/Verein gewährten Autonomie. Von der Gestaltungsfreiheit des Verbandes sind lediglich Regelungen erfasst, die sich auf das eigentliche Spiel oder auf Feldstrafen beziehen. Sobald kein unmittelbarer Zusammenhang mehr gegeben ist, fällt die gerichtliche Überprüfung kritischer aus.24 ___________ 16
Maier (s. oben Fn. 5), S. 29. Die MLS ist als Limited Liability Company (L.L.C), eine den Personengesellschaften ähnliche Rechtsform, ausgestaltet. 18 Vgl. Klingmüller, SpuRt 1998, 177, 178. 19 Buchberger (s. oben Fn. 13), S. 196; Klingmüller, Die rechtliche Struktur der USamerikanischen Profisportligen, 1998, S. 11; Klingmüller, SpuRt 1998, 177, 178; Lentze, 6 Marq. Sports L. J. 65, 68 (1995); Maier (s. oben Fn. 5), S. 28; Zinger (s. oben Fn. 5), S. 155. 20 Vgl. Buchberger (s. oben Fn. 13), S. 196; Kuhn (s. oben Fn. 5), S. 154; Maier (s. oben Fn. 5), S. 29; Zinger (s. oben Fn. 5), S. 155. 21 National Association for Advancement of Colored People v. State of Alabama ex rel. Patterson, 78 S.Ct. 1163, 1171 (1958); Klingmüller (s. oben Fn. 19), S. 11; Zinger (s. oben Fn. 5), S. 156 f. 22 Vgl. Unbekannter Verfasser, 76 Harv. L. Rev. 985, 991 (1963); Zinger (s. oben Fn. 5), S. 156. 23 Vgl. Kuhn (s. oben Fn. 5), S. 156. 24 Vgl. Kuhn (s. oben Fn. 5), S. 156. 17
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III. Kartellrecht und Sport 1. Europäische Union a) Anwendbarkeit des Unionsrechts auf den Sport Nach ständiger EG-Rechtsprechung fiel Sport unter das Gemeinschaftsrecht, soweit er „Wirtschaftsleben“ i. S. d. einstigen Art. 2 EG darstellte.25 Dies hat sich auch nicht mit Inkrafttreten des AEUV geändert, durch den dieser Artikel weggefallen ist.26 Es muss für jede Regel gesondert bestimmt werden, ob sie von den Tatbestandsmerkmalen einer Regelung des AEUV erfasst wird.27
b) Das Verhältnis zwischen europäischem Kartellrecht und Sport aa) Art. 101 AEUV Art. 101 AEUV (ex-Art. 81 EG) verbietet alle „Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken.“ Sportorganisationen stellen nach dem herrschenden funktionalen Unternehmensbegriff Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen i. S. d. Kartellrechts dar.28 Vereinbarungen sind dann wettbewerbsbeschränkend, wenn sie die Freiheit von Unternehmen eingrenzen, ihr Wettbewerbsverhalten unabhängig zu bestimmen.29
___________ 25
EuGH Slg. 1974, 1405 Rn. 4/10 – Walrave; EuGH Slg. 1976, 1333 Rn. 12/13 – Donà; EuGH Slg. 1995, I-4921 Rn. 73 – Bosman; EuGH Slg. 2000, I-2549 Rn. 56 – Deliège; Grätz, Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung durch Sportverbände, 2009, S. 69 ff.; Heermann, WuW 2009, 394, 398; Schwarze/Hetzel, EuR 2005, 581, 586; zustimmend: Hilf/Pache, NJW 1996, 1169, 1171; PHB-Summerer, 7. Teil, 2. Kapitel, Rn. 28 (S. 594). 26 The European Olympic Committees, EU Office, Lissabon-Kompakt, http://issuu. com/dosb/docs/sport_und_lissabon_vertrag/1?mode=a_p, zuletzt besucht am 03.08. 2010. 27 Vgl. EuGH Slg. 2006, I-6991 Rn. 29 f. – Meca-Medina und Majcen, damals noch in Bezug auf den EG-Vertrag. 28 Hilf/Pache, NJW 1996, 1169, 1176; Schwarze/Hetzel, EuR 2005, 581, 589. 29 Vgl. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Art. 81 I EGV Rn. 129 (S. 177); Schroeder, SpuRt 2006, 1, 3.
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Im Hinblick auf den Sport ist zu fragen, ob sich aufgrund der Immanenztheorie und der Markterschließungsdoktrin eine besondere Beurteilung der kartellrechtlichen Verhaltenskoordinationen ergibt. Nach der Immanenztheorie, die der US-amerikanischen Lehre des Ancillary Restraint30 ähnelt, sollen notwendige Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere wettbewerbsbeschränkende vertragliche Nebenpflichten, dann nicht kartellrechtlich angreifbar sein, wenn der legitime Zweck, den sie verfolgen, kartellrechtsneutral ist. Klauseln sind demnach vor dem Kartellrecht geschützt, wenn sie zur Durchführung eines legitimen Vertrags objektiv erforderlich sind. Zudem existiert im europäischen Recht die verwandte Markterschließungsdoktrin31, die besagt, dass Ausschließlichkeitsbindungen nicht notwendigerweise unter das Kartellrecht fallen, wenn sie den Beteiligten die Erschließung neuer Märkte ermöglichen. Relevant ist diese Diskussion für den Sport deshalb, weil gewisse Absprachen nötig sind, um das Bestehen und Funktionieren der Sportorganisationen und der sportlichen Wettbewerbe zu gewährleisten und damit auch mittelbar den wirtschaftlichen Wettbewerb im Sport zu garantieren.32 Das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung hat der EuGH in seiner sog. Meca-Medina-Entscheidung33 genutzt, um die Besonderheiten des Sports in die kartellrechtliche Beurteilung einfließen zu lassen, indem er den Drei-Stufen-Test aus der Entscheidung Wouters34 anwendete.35 Eine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 I AEUV ist hierbei nach drei Kriterien zu beurteilen: (1) nach dem Gesamtkontext, innerhalb dessen die Norm zustande kam oder sich auswirkt, sowie (2) nach den Zielen der Regel, verbunden mit der Frage, ob die Einschränkungen, die die Vorschrift verursacht, der Verfolgung der Ziele innewohnen sowie (3) nach der Verhältnismäßigkeit der Regel ___________ 30 Die Doctrine of Ancillary Restraints besagt, dass eine nebensächliche Einschränkung des Wettbewerbs durch ein legitimes Joint Venture kartellrechtlich gerechtfertigt ist, sofern diese Einschränkung mit der Existenz des Joint Venture natürlich einhergehe und vernünftigerweise erforderlich sei, um die Unternehmung effizienter oder effektiver hinsichtlich wettbewerbsneutraler Ziele zu machen. 31 EuGH Slg. 1966, 285, 304 – Maschinenbau Ulm; Hannamann (s. oben Fn. 1), S. 371 ff.; dies., in: Vieweg (Hrsg.), Spektrum des Sportrechts, 2003, S. 160, 173 f.; Heermann, RabelsZ 67 (2003), 107, 126; ders., in: Arter (Hrsg.), Sport und Recht, S. 197, 202 f.; Weiler, Mehrfachbeteiligungen an Sportkapitalgesellschaften, 2006, S. 184 ff. 32 EuGH Slg. 1966, 285, 304 – Maschinenbau Ulm; Hannamann (s. oben Fn. 1), S. 371 ff.; dies. (s. oben Fn. 31), S. 160, 173 f.; Heermann, RabelsZ 67 (2003), 107, 126; ders., in: Arter (Hrsg.), Sport und Recht, S. 197, 202 f.; Weiler (s. oben Fn. 31), S. 184 ff. 33 Vgl. EuGH Slg. 2006, I-6991 – Meca-Medina und Majcen. 34 EuGH Slg. 2002 I-1577 – Wouters. 35 Siehe hierzu auch Heermann, WuW 2009, 394, 402 ff.
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im Hinblick auf den verfolgten Zweck.36 Legitime Ziele sportlicher Vorschriften können sich grundsätzlich aus der „Organisation und ordnungsgemäßen Durchführung des Wettkampfsports“37 ergeben. Dazu zählen u. a. die Sicherstellung fairer Sportwettbewerbe mit Chancengleichheit für alle Athleten, die Gewährleistung ergebnisoffener Wettkämpfe, der Schutz der Gesundheit der Athleten und der Zuschauer, der Anreiz zur Ausbildung junger Athleten, die Sicherstellung der finanziellen Stabilität und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Sportvereinen/Mannschaften, die Erkennbarkeit von Spielern und Sportgeräten, die Außendarstellung des Sports innerhalb des Wettkampfs durch Beschränkung von Werbung, religiösen Botschaften, politischen Äußerungen etc. sowie die Gewährleistung einer einheitlichen Ausübung einer bestimmten Sportart (die „Spielregeln“).38 Ferner werden arbeitsrechtliche Ausnahmen diskutiert. Fraglich ist, ob arbeitsrechtliche Bereiche ähnlich der Labor Exemption im US-amerikanischen Recht vom Kartellverbot ausgenommen werden können. Der EuGH ist grundsätzlich der Ansicht, dass Vereinbarungen nicht unter Art. 101 I AEUV fallen, wenn sie im Rahmen von Tarifverhandlungen in Form eines Tarifvertrags zustande gekommen sind. Ein Tarifvertrag liegt vor, wenn beide Seiten von Organisationen vertreten wurden und die Ziele des Vertrags sozialpolitischer Art sind.39 Tariffähige Sozialpartner auf Arbeitgeberseite können im Sport beispielsweise nationale oder internationale Fußballverbände, Vereine oder Fußballkapitalgesellschaften sein. Diese können auch eine Arbeitgebervereinigung gründen. Auf Arbeitnehmerseite kommen Spielergewerkschaften in Betracht. Diese sind im Fußball in der Fédération Internationale des Associations de Footballeurs Professionnels (FIFPro) zusammengeschlossen.40 Insbesondere ist in diesem Kontext der Salary Cap41 diskutiert worden, der, wenn überhaupt, nur durch diese Ausnahme vom Kartellrecht ausgenommen ___________ 36
Vgl. EuGH Slg. 2002 I, 1577 Rn. 97 – Wouters. Heermann, causa sport 2006, 347. 38 Vgl. Europäische Kommission, Arbeitsdokument der Dienststellen der Kommission EU und Sport: Hintergrund und Kontext, Begleitdokument zum Weißbuch Sport, S. 77; Heermann, WuW 2009, 394, 402. 39 EuGH Slg. 1999, I-5751 Rn. 52 ff. – Albany; Slg. 1999, I-6025 Rn. 56 – Brentjens; Slg. 1999, I-6121 Rn. 46 – Drijvende Bokken; Slg. 2000, I-7111 Rn. 22 – van der Woude; Heermann, in: Zieschang/Klimmer (Hrsg.), Unternehmensführung im Profifußball, S. 125, 134 f.; ders., in: Arter (Hrsg.), Sport und Recht, S. 197, 203 f.; ders., WuW 2009, 398, 400. Eine solche Ausnahme kritisiert Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Art. 81 I EGV Rn. 25 f. (S. 139). 40 Heermann, in: Arter (Hrsg.), Sport und Recht, S. 197, 204; ders., WuW 2009, 398, 400. 41 Dabei handelt es sich um ein Modell, mit dem die Clubs einer Sportart ihre Spielerausgaben pro Saison auf einen bestimmten Betrag beschränken, d.h. eine Gehaltsobergrenze. Siehe Hannamann (Fn. 1), S. 513. 37
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werden kann.42 Aber auch bei Annahme einer arbeitsrechtlichen Ausnahme ist fraglich, ob die entsprechende Regelung nicht eine Beschränkung bezweckt oder bewirkt, die über die bloße Gestaltung des Arbeitsverhältnisses hinausgeht. Dies ist z. B. zumeist bei Transfer- und Ausländerregeln der Fall, die schon das Entstehen des Arbeitsverhältnisses regulieren.43
bb) Art. 102 AEUV Art. 102 AEUV (ex-Art. 82 EG) untersagt die „missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.“ Um feststellen zu können, ob eine marktbeherrschende Stellung vorliegt, muss eine Abgrenzung des relevanten Marktes durchgeführt werden. Insbesondere bei der Bestimmung des sachlich relevanten Marktes können und müssen die Besonderheiten des Sports berücksichtigt werden. Hierbei ist es hilfreich, zwischen drei verschiedenen Kategorien von Märkten zu unterscheiden, da jeweils eigene Ansätze und Maßstäbe für die unterschiedlichen Märkte in der Praxis entwickelt worden sind. Der Beschaffungsmarkt ist der Markt für die Anschaffung von Sportgeräten sowie der Markt für die Arbeits- und Dienstleistungen von (National-)Spielern. Der Sportveranstaltungsmarkt befasst sich mit der Organisation, nicht hingegen mit der Vermarktung von Sportveranstaltungen. Auf dem Absatzmarkt werden schließlich Sportveranstaltungen vermarktet.44 Aufgrund der Alleinstellung des Sports ist der Markt relativ eng eingegrenzt. Bei der Bestimmung des zeitlich relevanten Marktes ist zu berücksichtigen, dass große Sportereignisse oftmals lediglich wenige Wochen aktuell sind.45 Ein Unternehmen hat eine marktbeherrschende Stellung, wenn es eine wirtschaftliche Machtposition innehat, die es in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich gegenüber seinen Wettbe___________ 42
Ausführlich zu dieser Problematik: Heermann, in: Zieschang/Klimmer (Hrsg.), Unternehmensführung im Profifußball, S. 125. Siehe auch Hannamann (s. oben Fn. 1), S. 426 f., 513; Parrish/Miettinen, The Sporting Exception in European Union Law, 2008, S. 219 ff. 43 Hannamann (s. oben Fn. 1), S. 342 f. 44 Grätz (s. oben Fn. 25), S. 174; Heermann, WuW 2009, 489, 492. 45 Grätz (s. oben Fn. 25), S. 162; Heermann, WuW 2009, 489, 493; Schwarze/Hetzel, EuR 2005, 581, 601 f.
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werbern, Abnehmern sowie letztlich gegenüber den Verbrauchern in nennenswertem Umfang unabhängig zu verhalten.46 Eine derartige Position können Unternehmen auch erhalten, wenn sie aufgrund der Gewährung ausschließlicher oder besonderer Rechte in der Lage sind zu bestimmen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen andere Unternehmen Zugang zum fraglichen Markt erhalten, um sich dort zu betätigen.47 Aufgrund des Ein-Platz-Prinzips und des pyramidenförmigen Aufbaus liegt bei großen Sportverbänden zumeist eine Monopolstellung i. S. d. Art. 102 AEUV vor allem gegenüber ihren Mitgliedsvereinen und Sportlern nahe. Gerade aufgrund dieses spezifischen Aufbaus sind potenzielle Missbrauchssituationen häufig auch auf der niedrigeren Ebene der Vereine zu finden, beispielsweise bei der Anstellung von Spielern sowie bei der Inanspruchnahme von Spielervermittlern, sprich in Fällen, in denen das Unternehmen selbst weder Anbieter noch Nachfrager auf dem relevanten Markt ist, seine Entscheidungen sich aber auf diesem Markt gewichtig auswirken. Dies ist Ausdruck der sog. kollektiven Marktbeherrschung.48 Ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung bedarf keiner schädigenden Absicht. Im Sport überwiegen die Vorwürfe des sog. Ausbeutungsmissbrauchs, d. h. die Abhängigkeit der Marktpartner wird ausgenutzt, um Vorteile zu erwingen, die unter normalen Wettbewerbsbedingungen unerreichbar wären.49 Bisher herrscht noch Uneinigkeit, wie die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung bestimmt werden kann. Alle Ansichten sehen jedoch vor, dem angeblichen oder tatsächlichen Verletzer die Möglichkeit der Rechtfertigung einzuräumen. Die Besonderheiten des Sports können bei der Prüfung berücksichtigt werden.50 Einer Ansicht51 nach ist das Verhalten marktbeherrschender Unternehmen unzulässig, wenn die Wettbewerbsbeschränkung nicht durch sachliche Gründe, sog. legitimate business reasons, gerechtfertigt ist. Die Kommission vertritt die Meinung, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, den der EuGH in seiner Entscheidung Meca-Medina über den DreiStufen-Test im Rahmen des Art. 101 I AEUV auf den Sport angewendet hat, ___________ 46
EuGH Urt. v. 1.7.2008, C-49/07, Rn. 37 – MOTOE/Elliniko Dimosio; EuGH Slg. 1978, 207 Rn. 63/66 – United Brands; EuGH Slg. 1979, 461, Rn. 38 – Hoffmann-La Roche/Kommission. 47 Vgl. Heermann, WuW 2009, 398, 494. 48 EuG Slg. 2005, II-0209 Rn. 111 – Piau; Schürnbrand, ZWeR 2005, 396, 408. 49 Vgl. Schroeder, SpuRt 2006, 1, 6. 50 Heermann, WuW 2009, 489, 496 f. 51 Grätz (s. oben Fn. 25), S. 258 f.
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auf Art. 102 AEUV übertragen werden kann.52 Der Vorteil dieser Interessenabwägung ist, dass die Verbandsautonomie der Sportverbände und die Besonderheiten des sportlichen Wettbewerbs angemessen berücksichtigt werden können. Jüngst ließ die Kommission erkennen, dass sie den ökonomisch geprägten Effizienzeinwand im Rahmen des Art. 102 AEUV bei Vorliegen eines Behinderungsmissbrauchs favorisiert. Die Voraussetzungen für den Effizienzeinwand seien gegeben, wenn (1) die Effizienzvorteile Ergebnis des fraglichen Verhaltens seien, (2) das Verhalten für das Erreichen der Effizienzvorteile unverzichtbar sei, sowie (3) etwaige negative Auswirkungen auf den Wettbewerb und das Verbraucherwohl auf den betroffenen Märkten durch die Effizienzvorteile aufgewogen würden. Außerdem (4) dürfe der wirksame Wettbewerb nicht dadurch ausgeschaltet werden, dass alle bzw. fast alle bestehenden Quellen tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerbs zum Versiegen gebracht würden.53 Da der Effizienzeinwand ökonomischer Natur ist, ist es nur begrenzt möglich, die Besonderheiten des Sports bei der Abwägung einzubeziehen. Zudem orientieren sich die Voraussetzungen überaus eng an der Legalausnahme des Art. 101 III AEUV, so dass die Kommission im Ergebnis die Systematik der Art. 101, 102 AEUV umgeht und die Vorschrift des Art. 101 III AEUV in Art. 102 AEUV inkorporiert.54 Hintergrund für den Ansatz der Kommission ist ihre Absicht, die Konsumerwohlfahrt und eine effiziente Ressourcenallokation zu fördern.55 Außerhalb des Sports hat der EuGH es befürwortet, Effizienzvorteile bei der Beurteilung des Missbrauchs zu berücksichtigen.56
2. USA Die grundsätzliche Anwendbarkeit des Kartellrechts auf die Major Leagues ist anerkannt. Die Diskussion dreht sich im Wesentlichen um die Frage, ob eine Regelung überwiegend wettbewerbsfördernd oder -beschränkend im Rahmen der Rule-of-Reason-Analyse ist.57 ___________ 52
Europäische Kommission, Arbeitsdokument der Dienststellen der Kommission EU und Sport: Hintergrund und Kontext, Begleitdokument zum Weißbuch Sport, S. 72 ff. 53 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission – Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen, K(2009) 864 endg., Rn. 28 ff., 30. 54 Grätz (s. oben Fn. 25), S. 266; Heermann, WuW 2009, 489, 499 f. 55 Vgl. Grätz (s. oben Fn. 25), S. 266. 56 EuGH Slg. 2007, I-2331 Rn. 86 – British Airways. 57 Vgl. Klingmüller, SpuRt 1998, 177, 179.
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Das US-amerikanische Bundeskartellrecht, das zumeist im Sport anwendbar ist, ist in erster Linie im Sherman Act58, im Clayton Act59 sowie im Federal Trade Commission Act60 kodifiziert.61 Vorliegend sind die ersten beiden Absätze des Sherman Act die wichtigste Gesetzesgrundlage. Aufgrund ihrer Weite müssen sie durch Richterrecht ausgelegt werden.62 Sec. 1 des Sherman Act verbietet konzertierte Handlungen. Ob eine derartige Beschränkung vorliegt, überprüfen Gerichte anhand von zwei Theorien, der Per se Rule und der Rule of Reason.63 Nach Ersterer fällt eine Handlung bereits dann unter den Sherman Act, wenn sie aus sich selbst heraus wettbewerbsbeeinträchtigend ist.64 Die inzwischen überwiegend angewandte Rule of Reason besagt, dass die Gerichte zwischen den gesamten wettbewerbsfördernden und wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen der Handlung abwägen müssen. Überwiegen die wettbewerbsfördernden Wirkungen, so ist eine Maßnahme reasonable.65 Im Hinblick auf die Per se Rule erkannte die Rechtsprechung bereits in den 1960er Jahren, dass ein derart striktes Vorgehen, insbes. in Fällen, in denen Unternehmen ein gewisser Grad an Selbstregulierung zugestanden wird, nicht zum rechten Ergebnis führt. Sie entwickelte die sog. Silver Rule66, die ein Abweichen von der Per se Rule erlaubt, wenn (1) eine legislative Erlaubnis zur Selbstregulierung existiert, wenn (2) die Handlung dazu bestimmt ist, ein Ergebnis herbeizuführen, das sinnvollerweise mit dem legitimen Zweck der Selbstregulierung vereinbar ist, sofern die Handlung nicht extensiver als unbedingt notwendig ist, und ferner, wenn (3) die Vereinigung prozessuale Mittel bietet, die sicherstellen, dass die Beschränkungen nicht willkürlich sind.67 ___________ 58
15 U.S.C. §§ 1–7 (1890). 15 U.S.C. §§ 12–27 (1914). 60 15 U.S.C. §§ 41–58 (1914). 61 Ausführlich hierzu Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2005, S. 253 ff.; Stopper, Ligasport und Kartellrecht, 1997, S. 129. 62 Epstein, Sports Law, 2003, S. 220; Roberts, in: Uberstine/Pressman, Law of Professional and Amateur Sports (10/2002), S. 21–4 (§ 21:2). 63 Vgl. Epstein (s. oben Fn. 62), S. 220. 64 Anderson, 30 Cap.U.L.Rev 125, 128 (2002); Epstein (s. oben Fn. 62), S. 222; Schmidt (s. oben Fn. 61), S. 256; Wong, Essentials of Sports Law, 2002, S. 442. 65 National Society of Professional Engineers v. U.S., 435 U.S. 679, 692 (1978); Heermann, RabelsZ 67 (2003), 107, 116; Mentzel, Solidarität im professionellen Fußballsport versus europäisches Wettbewerbsrecht, 2007, S. 51; Roberts, in: Uberstine/ Pressman, Law of Professional and Amateur Sports (10/2002), S. 21–36 (§ 21:15); Wong (s. oben Fn. 64), S. 442. 66 Vgl. Silver v. New York Stock Exchange, 373 U.S. 341 (1963). 67 Denver Rockets v. All-Pro Management, Inc., 325 F.Supp. 1049, 1064 f. (C.D.Cal. 1971). 59
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Die Gerichte näherten sich im Bereich des Sports nur sehr langsam der Erkenntnis, dass League-Regeln nicht automatisch unter die Per se Rule fallen.68 Inzwischen sind die meisten Gerichte aber der Ansicht, dass das Sportbusiness aufgrund seines Bedürfnisses nach Kooperation außerhalb des Spielfelds zur Gewährleistung von Wettbewerb auf dem Spielfeld einzigartig ist.69 Es ist in den USA heutzutage gefestigte Rechtsprechung, dass Regelungen, die von Sportligen erlassen werden, nicht von vornherein lediglich aufgrund der Tatsache, dass sie Sportligen betreffen, unter die Per se Rule fallen, sondern dass sie nach der Rule of Reason analysiert werden.70 Sec. 2 des Sherman Act verbietet jegliche Monopolisierung und den Versuch der Monopolisierung sowie die Vereinbarung mit weiteren Personen zur (Teil-) Monopolisierung des zwischenstaatlichen Handels. Das Vorliegen einer Monopolisierung ist anhand von zwei Elementen zu bestimmen/prüfen: der Innehabung einer Monopolstellung im relevanten Markt sowie der Nutzung inakzeptabler Mittel, um Marktmacht zu erlangen oder zu erhalten.71 Es gab allerdings bisher nur sehr wenige Sec.-2-Klagen gegen Sportligen.72 Der Sport ist nicht grundsätzlich vor dem Kartellrecht geschützt, jedoch haben sich einige Ausnahmen durch das Case Law entwickelt.73 Die beiden wichtigsten Ausnahmebereiche sind die Baseball sowie die Labor Exemption. Nach der Non-statutory Labor Exemption74 sind kartellrechtliche Vorschriften nicht anwendbar, wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber innerhalb eines sog. Collective Bargaining (in etwa: Tarifverhandlungen) einen Arbeitsvertrag aushandeln.75 Der Schutz vor dem Kartellrecht beschränkt sich lediglich auf ___________ 68 Anderson, 30 Cap.U.L.Rev 125, 143 (2002). Beispiele für die uneingeschränkte Anwendung der Per se Rule sind Washington State Bowling Proprietors Association v. Pacific Lanes, 356 F.2d 371 (9th Cir. 1966); Linseman v. World Hockey Association, 439 F.Supp. 1315 (D.Conn. 1977); Robertson v. National Basketball Association, 389 F.Supp. 867 (S.D.N.Y. 1975); Blalock v. Ladies Professional Golf Association, 359 F.Supp. 1260 (N.D.Ga. 1973); Denver Rockets v. All-Pro Management, Inc., 325 F.Supp. 1049 (C.D.Cal. 1971). 69 Anderson, 30 Cap.U.L.Rev 125, 143 (2002). 70 Anderson, 30 Cap.U.L.Rev 125, 149 (2002). 71 U.S. v. Grinnell Corp., 384 U.S. 563, 570 f. (1966); Roberts, in: Uberstine/ Pressman, Law of Professional and Amateur Sports (10/2002), S. 21–9 (§ 21:3); Wong (s. oben Fn. 64), S. 443. 72 Vgl. United States Football League v. National Football League, 842 F.2d 1335 (2d. Cir. 1988); Philadelphia World Hockey Club v. National Hockey League, 351 F.Supp. 462 (E.D.Pa. 1972); American Football League v. National Football League, 205 F.Supp. 60 (D.C.Md. 1962). 73 Vgl. Anderson, 30 Cap.U.L.Rev 125, 133 (2002). 74 Vgl. Anderson, 30 Cap.U.L.Rev 125, 136 (2002). 75 Epstein (s. oben Fn. 62), S. 222; Wong (s. oben Fn. 64), S. 473.
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den Kernbereich der Verhandlungen. Die essentialia negotii, bei denen die Ausnahme des Collective Bargaining Process von der gerichtlichen Beurteilung eingreift, sind die Einigung über Gehälter, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen.76 Nicht möglich ist es, ein Collective Bargaining Agreement (CBA) zu schließen, um eine dominierende Stellung auf dem Markt zu erhalten und damit Konkurrenten vom Markt auszuschließen bzw. zu verdrängen.77 In Europa besteht dagegen zumindest die Möglichkeit einer solchen arbeitsrechtlichen Ausnahme. Die Hauptproblematik liegt darin, dass der EuGH78 für eine arbeitsrechtliche Ausnahme sozialpolitische Ziele der Verträge fordert.
3. Stellungnahme Der Meca-Medina-Test, den der EuGH durchführt, erinnert stark an die Rule of Reason aus dem US-amerikanischen Recht. In beiden Rechtskreisen werden unterschiedlich ausgestaltete Abwägungen vorgenommen. Den Vereinen und Verbänden wird dabei auf beiden Kontinenten grundsätzlich ein gewisser Freiraum gelassen, sofern sie ihre Regeln und Maßnahmen nicht willkürlich und unverhältnismäßig erlassen bzw. durchführen.
IV. Doctrine of Single Entity Eine Rechtsfigur, die oft von den US-amerikanischen Major Leagues angeführt wird, um dem Kartellrecht zu entgehen, ist die sog. Doctrine of Single Entity.79 Voraussetzung für eine „Vereinbarung“ im Sinne von Sec. 1 des Sherman Act ist, dass diese zwischen zwei separaten juristischen Personen zustande kommt. Bei einer Single Entity ist dies nicht der Fall.80 Eine solche liegt vor, wenn ein Unternehmen vollkommene Kontrolle über das andere am Vertrag beteiligte Unternehmen ausübt oder wenn die beiden Unternehmen vollkommen ___________ 76 Epstein (s. oben Fn. 62), S. 223; Wong (s. oben Fn. 64), S. 473. Siehe auch Amalgamated Meat Cutters v. Jewel Tea Co., 381 U.S. 676 (1965). 77 Allen Bradley Co. v. Local Union No. 3, International Brotherhood of Electrical Workers, 325 U.S. 797 (1945); Roberts, in: Uberstine/Pressman, Law of Professional and Amateur Sports (10/2002), S. 21–67 (§ 21:28); Wong (s. oben Fn. 64), S. 473. 78 EuGH Slg. 1999, I-5751 Rn. 52 ff. – Albany; Slg. 1999, I-6025 Rn. 56 – Brentjens; Slg. 1999, I-6121 Rn. 46 – Drijvende Bokken; Slg. 2000, I-7111 Rn. 22 – van der Woude. 79 Pro Single Entity: Grauer, 82 Mich. L. Rev. 1 (1983); Roberts, 32 UCLA L. Rev. 219 (1984); Weistart, 1984 Duke L.J. 1013. Kritik an der Single Entity Defense üben u. a. Goldman, 63 Tul.L.Rev. 751 (1989); Jacobs, 67 Ind. L.J. 25 (1991); Lazaroff, 53 Fordham L. Rev. 157, 162 ff. (1984). 80 Wong (s. oben Fn. 64), S. 441.
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gleiche Interessen und Absichten teilen.81 Die klassischen Ligen – NBA, MLB, NHL und NFL – sind als Nonprofit Incorporated oder Unincorporated Associations der Mitgliedsteams organisiert, wobei jeder Club eigenständige Eigner hat.82 Zwar werden einige Verantwortlichkeitsbereiche der Liga übertragen, doch treffen die Teams einen Großteil ihrer Entscheidungen selbst.83 Damit sind Sportclubs grundsätzlich unabhängige Rechtssubjekte, die Teil einer größeren juristischen Einheit – der Liga – sind. Im Rahmen der Liga müssen sie zusammenarbeiten, um ein für den Markt attraktives Produkt zu schaffen.84 Dies hat dazu geführt, dass Ligen immer wieder versucht haben, sich gegen kartellrechtliche Vorwürfe zu wehren, indem sie vor Gericht bisher erfolglos behaupteten, sie stellten als Ganze eine sog. Single Entity dar. Als Grund führten sie u. a. an, dass sie ihre Fernseh- und Radio- sowie Lizenzeinnahmen aufteilten, gemeinsam warben und darüber hinaus alle Teams unter ein einziges Verwaltungsorgan, das Büro des Commissioner, fielen.85
1. Die Situation in den USA a) Der Versuch, eine Liga zu gründen, die als Ganze der Single Entity Defense unterliegt Mit der Absicht, eine Liga zu gründen, die durch den Single-Entity-Einwand vor dem Kartellrecht geschützt ist, wurde die MLS als Einzelunternehmen strukturiert, die das Eigentum an sämtlichen Teams der Liga besitzt.86 Die MLS-Investoren unterliegen dem MLS Agreement. Es gibt ein Management Committee, das die Angelegenheiten der Liga regelt.87 Ferner regelt das Agreement, dass Investoren Operating Agreements abschließen dürfen (OperatorInvestors), aber nicht müssen (Passive Investors). Dies gibt ihnen das exklusive Recht, MLS-Teams innerhalb eines geographischen Marktes oder „Home Territory“ zu unterhalten. Außerdem wird ihnen hinsichtlich der Führung des ___________ 81
Vgl. Klingmüller, SpuRt 1998, 177, 179 f. Anderson, 30 Cap.U.L.Rev 125, 131 (2002). 83 Anderson, 30 Cap.U.L.Rev 125, 131 (2002). 84 Anderson, 30 Cap.U.L.Rev 125, 131 (2002); Goldman, 63 Tul.L.Rev. 751, 754 (1989). 85 Vgl. Anderson, 30 Cap.U.L.Rev 125, 131 (2002). In der Literatur wird diese Ansicht vertreten von: Roberts, 32 UCLA L. Rev. 219 ff. (1984); Weistart, 1984 Duke L.J. 1013 ff.; a. A. Jacobs, 67 Ind. L.J. 25 (1991). 86 Abbott, 8 Sports Law. J. 1, 3 (2001); Mathias, 148 U. Pa. L. Rev. 203, 204 (1999); Mendelsohn, 10 Sports Law. J. 69, 73 (2003); ausführlich Blask, Die Anwendbarkeit der Single-Entity-Theorie im professionellen Fußball, 2005, passim. 87 Fraser v. Major League Soccer, 97 F.Supp.2d 130, 132 (D.Mass. 2000); Stuck, 14 Marq. Sports L. Rev. 551, 552 f. (2004). 82
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Clubs ein begrenzter unternehmerischer Spielraum gewährt.88 Für diese „Dienstleistungen“ erhält der Operator-Investor eine Managementvergütung, die abhängig vom wirtschaftlichen Erfolg seines Teams ist.89 Die Gewinne und Verluste der MLS werden wie bei einer Corporation aufgeteilt.90 Die Spieler werden von der Liga angestellt und den Teams zugewiesen. Möchten OperatorInvestors gegenseitig Spieler abwerben, ist die vorherige Zustimmung der Liga erforderlich. Dadurch wird der diesbezügliche Wettbewerb innerhalb der Liga verhindert.91 Zudem werden die gewerblichen Schutzrechte von Liga und Teams von der MLS zentral verwaltet.92 Ob die MLS eine Single Entity darstellt, ist bisher nicht gerichtlich entschieden worden. Im einzigen Verfahren93 hierzu hat der District Court94 die MLS als Single Entity anerkannt,95 während der 1st Circuit Court96 die Struktur der Liga als Hybrid einordnete. Die Qualifikation der gesamten Liga als Single Entity bereitet insbes. aufgrund des Erfordernisses eines einheitlichen Interesses („Unity of Interest“) Schwierigkeiten.97 Wie bereits erwähnt, ist die Annahme einer Single Entity in Teilbereichen hingegen möglich.
b) Teile der Liga als Single Entity Die jüngste Entscheidung, in der einmal mehr die Single Entity Defense erhoben und vom Gericht teilweise anerkannt wurde, betraf die NFL. Nach dem hierzu ergangenen Urteil des Supreme Court,98 muss unabhängig davon, ob es ___________ 88 Vgl. Fraser v. Major League Soccer, 284 F.3d 47, 53 f. (1st Cir. 2002). Abbott, 8 Sports Law. J. 1, 4 (2001); Stuck, 14 Marq. Sports L. Rev. 551, 553 (2004). 89 Abbott, 8 Sports Law. J. 1, 4 (2001); Stuck, 14 Marq. Sports L. Rev. 551, 553 (2004). 90 Vgl. Fraser v. Major League Soccer, 97 F.Supp.2d 130, 133 (D.Mass. 2000); Heermann, RabelsZ 67 (2003), 106, 131; Mendelsohn, 10 Sports Law. J. 69, 74 (2003). 91 Vgl. Fraser v. Major League Soccer, 97 F.Supp.2d 130, 132 f. (D.Mass. 2000); Abbott, 8 Sports Law. J. 1, 4 (2001); Mendelsohn, 10 Sports Law. J. 69, 74 (2003); Stuck, 14 Marq. Sports L. Rev. 551, 553 (2004). 92 Abbott, 8 Sports Law. J. 1, 4 (2001); Heermann, RabelsZ 67 (2003), 106, 130 f.; Wong (s. oben Fn. 64), S. 483. 93 Vgl. Fraser v. Major League Soccer, 97 F.Supp.2d 130 (D.Mass. 2000), bestätigt von 284 F.3d 47 (1st Cir. 2002). 94 Fraser v. Major League Soccer, 97 F.Supp.2d 130 (D.Mass. 2000). 95 Vgl. Fraser v. MLS, 97 F.Supp.2d 130, 139 (D.Mass. 2000). 96 Fraser v. Major League Soccer, 284 F.3d 47 (1st Cir. 2002). 97 Weiterführend Jordan 3 Vand. J. Ent. L. & Prac. 235 (2001). 98 American Needle v. National Football League, 560 U.S., S. 6 ff. (2010).
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sich um einen Teil oder um ein gesamtes Unternehmen handelt, das Vorliegen einer Single Entity danach bestimmt werden, ob die fragliche Vereinbarung unabhängige Unternehmen verbindet, die separate Interessen verfolgen.99 Hintergrund der Entscheidung war folgender: Die NFL, eine Unincorporated Association von 32 unabhängigen Footballteams, veranstaltet Footballspiele, die – zwangsläufig – in Zusammenarbeit mit den Teams organisiert und durchgeführt werden. Sie sind ein gemeinsames Produkt, das einzelne Teams nicht allein herstellen können.100 Das geistige Eigentum der NFL und ihrer Mitgliedsteams wird durch das von der NFL gegründete Unternehmen NFL Properties gemeinschaftlich vermarktet. NFL Properties ist dazu autorisiert, Lizenzen zu erteilen, die den Lizenznehmern erlaubt, Merchandise mit den Logos und Marken der Teams herzustellen und zu vertreiben.101 Das bei der Ausschreibung einer Exklusivlizenz leer ausgegangene Unternehmen American Needle erhob daraufhin Klage u. a. gegen die NFL, NFL Properties und die einzelnen NFL Teams mit der Behauptung, die Exklusivlizenz verletze § 1 des Sherman Act.102 In der Klageerwiderung behauptete die NFL, dass sie zumindest hinsichtlich der gemeinsamen Vermarktung von NFL Football, insbes. angesichts der Lizenzierung, eine Single Entity darstelle.103 Der Supreme Court verneinte in diesem Fall das Vorliegen einer Single Entity. Er stellte fest, dass die Definition einer Single Entity eine funktionale sein müsse. Sie solle danach beurteilt werden, wie die Unternehmen tatsächlich arbeiteten und ob die fragliche Vereinbarung unabhängige separate Unternehmen verbinde, die getrennte wirtschaftliche Interessen verfolgten. Ferner müssten dem Markt durch die Vereinbarung unabhängige Entscheidungszentren vorbehalten werden.104 Die NFL Teams seien potenzielle Wettbewerber auf dem Markt für Geistiges Eigentum und verfolgten im Grunde lediglich ihre eigenen Interessen. NFL Properties stelle somit keine Single Entity, sondern eine Kooperation der Teams dar, die unter das Kartellrecht falle und damit der Rule-ofReason-Analyse unterliege. Allerdings war der Supreme Court der Ansicht, dass diese Tätigkeit einer Abwägung standhalte und kartellrechtskonform sei.105 ___________ 99
American Needle v. National Football League, 560 U.S., S. 6 ff. (2010). American Needle v. National Football League, 538 F.3d 736, S. 2 (7th Cir. 2008). 101 American Needle v. National Football League, 538 F.3d 736, S. 3 (7th Cir. 2008). 102 American Needle v. National Football League, 538 F.3d 736, S. 4 f. (7th Cir. 2008). 103 American Needle v. National Football League, 538 F.3d 736, S. 5 f. (7th Cir. 2008). 104 American Needle v. National Football League, 560 U.S., S. 6 ff. (2010). 105 American Needle v. National Football League, 560 U.S., S. 11 ff. (2010). 100
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c) Würdigung Am wichtigsten ist die Frage der potenziellen Effizienzvorteile. Diese sind lediglich in der Rule-of-Reason-Analyse zu berücksichtigen, nicht bei der Beurteilung des Vorliegens einer Single Entity. Wie der Supreme Court feststellt, ist es sehr wahrscheinlich, dass das Verfahren auch ohne Anwendung der Single Entity denselben Ausgang gehabt hätte. Die Handlungen der NFL und ihrer Mitgliedsteams halten sehr wohl im Rahmen einer Rule-of-Reason-Analyse einer kartellrechtlichen Abwägung stand, eine Single Entity ist jedoch im vorliegenden Fall laut Supreme Court nicht gegeben. Zwar können die Spiele nicht von Teams im Alleingang durchgeführt werden, die Vermarktung muss allerdings nicht zwangsläufig gemeinschaftlich erfolgen. Hierbei hilft es, einen Blick nach Europa zu werfen. Dort wird beispielsweise in der spanischen Fußballliga die Einzelvermarktung praktiziert. Dies spricht gegen das zwangsläufige Vorliegen einer einheitlichen Interessenbildung (Unity of Interest). Wichtig ist auch die Frage der Marktabgrenzung. NFL-Produkte sind nur begrenzt gegen andere Produkte der Unterhaltungsindustrie austauschbar. Der Verbraucher kauft das Trikot eines Teams, um seine Verbindung zu diesem zu zeigen. Sinkt der Verkauf von Trikots, so wenden sich die Verbraucher nicht automatisch z. B. Merchandise-T-Shirts eines Hollywood-Films zu. Dies erlaubt den Schluss, dass gerade nicht ein umfassender Entertainmentmarkt zugrunde liegt. Im Gegenteil: Es muss zwischen mehreren Märkten differenziert werden. Insbesondere im Hinblick auf die Kreuzpreiselastizität ist eine Marktabgrenzung schwierig, da für den Fan ein Artikel seines Teams keinesfalls gegen einen Fanartikel eines anderen Teams austauschbar ist. Ebenso wird der Kauf eines Fan-Shirts eines Eishockeyclubs den Fan nicht vom Kauf eines Trikots seines Football-Teams abhalten. Diese Produkte sind nicht ersetzbar. Gerade darin liegt aber die Besonderheit der Sportmärkte: Die Teams kämpfen um Fans. Gewinnt ein Team einen Fan, so sind für diesen die MerchandiseProdukte des Clubs nicht mehr austauschbar. Somit ist zwar keine direkte, wohl aber eine indirekte Austauschbarkeit der Produkte gegeben. Dies wiederum trifft nicht auf andere Angebote der Unterhaltungsindustrie zu. Die Nachfrage nach Baseball-Caps der Yankees orientiert sich nicht an der für Kopfbedeckungen mit Slogans des neuesten Hollywood-Films. Dank neuer Technologien muss sich der Verbraucher auch nicht mehr zwischen dem Superbowl oder Harry Potter entscheiden. Beide Programme können mit wenig Aufwand auf der Festplatte der Kabelbox aufgenommen und zu einem beliebigen Zeitpunkt angesehen werden. Sicherlich orientieren sich die Verantwortlichen in der Unterhaltungsindustrie an besonderen Daten wie dem Superbowl oder der World Series, wenn es darum geht, wann eine Sendung ausgestrahlt werden soll. Auf sämtliche der zahlreichen Sportevents kann jedoch keine Rücksicht genommen werden. Damit liegt kein gemeinsamer Markt vor.
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Die Single-Entity-Theorie kann kaum auf den europäischen Ligasport übertragen werden. Grundsätzlich ist es ohnehin schwierig, Rechtsfiguren aus einem anderen Rechtsraum zu übernehmen. Bei der vorliegenden Anwendung der Single Entity lediglich auf ein ausgelagertes Unternehmen fehlt es bereits an einer Gesetzeslücke. Das europäische Recht bietet in derartigen Fällen die Figur des Gemeinschaftsunternehmens.
2. Ansätze zur Umsetzung der US-amerikanischen Single-Entity-Theorie in Europa In Deutschland existiert die Problematik der zentralen Vermarktung von Fernsehübertragungsrechten und deren Einordnung nach dem Kartellrecht schon seit einiger Zeit. Eine zentrale Vermarktung liegt dann vor, wenn „den einzelnen Vereinen das Recht, Verträge über die Erlaubnis zur Aufnahme und Ausstrahlung von Spielen der Sportvereine auszuhandeln und abzuschließen, entzogen und einem übergeordneten Sportverband übertragen wurde.“106 Grundsätzlich erfüllen die zentrale Vermarktung der Bundesligarechte107 sowie die ähnlich durchgeführte bzw. geplante zentrale Vermarktung in den meisten anderen europäischen Ligen den Tatbestand der Verhaltenskoordination i. S. v. Art. 101 I, II AEUV.108 Der Grund hierfür liegt im Veranstalterbegriff. Die vermarkteten Rechte werden nicht bei den vermarktenden Ligen generiert, sondern durch die Clubs selbst. Würden die Teams selbst die Vermarktung durchführen, wäre ein unverfälschter Wettbewerb gegeben.109 Außerdem stellt sich bei langfristigen Exklusivbindungen mit Fernsehsendern das Problem, dass dadurch eine Marktzutrittsschranke vorliegt.110 Nach Ansicht der Kommission111 ist die Zentralvermarktung aber rechtfertigungsfähig nach Art. 101 III AEUV. Sie dient der Erhaltung der Struktur eines funktionsfähigen Sportwettbewerbs, z. B. durch den finanziellen Ausgleich in der Liga oder ___________ 106
Schwarze/Hetzel, EuR 2005, 581, 590. Ausführlich hierzu Heermann, RabelsZ 67 (2003), 106, 123 f. 108 Hannamann (s. oben Fn. 1), S. 331 ff.; Heermann, SpuRt 1999, 11, 14 f.; ders., RabelsZ 67 (2003), 106, 121 ff., 127 ff.; Stopper, SpuRt 2008, 177, 177; Schürnbrand, ZWeR 2005, 396, 408 ff. 109 Stopper, SpuRt 2008, 177, 177. 110 Vgl. Schürnbrand, ZWeR 2005, 396, 409. 111 Europäische Kommission, Entscheidung vom 23.07.2003, Abl. L 291/25, 47 ff., 54 – Champions League; Europäische Kommission, Entscheidung vom 19.07.2005, Abl. L 134/46, 46 – Bundesliga; Europäische Kommission, Entscheidung vom 22.03.2006, Abl. C 7/18 – FA Premier League; Europäische Kommission, Arbeitsdokument der Dienststellen der Kommission EU und Sport: Hintergrund und Kontext, Begleitdokument zum Weißbuch Sport, S. 88 ff. 107
US-amerikanische Single-Entity im europäischen Kartellrecht
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durch die Sicherstellung eines einheitlichen Spielplans. Um insbes. eine nicht gerechtfertigte Marktzutrittsschranke durch die Verringerung von potenziell vielen Anbietern auf einen Anbieter zu verhindern, verlangt die Kommission, dass das alleinverantwortliche Organ eine bestimmte Anzahl von Lizenzpaketen kreiert.112 Bei einer Beurteilung der Zentralvermarktung nach dem Drei-Stufen-Test kann man die Chancengleichheit als legitimes Ziel in der Liga ansehen. Diese Gleichheit soll im Rahmen der finanziellen Umverteilung hergestellt werden. In der Literatur wird der dritte Prüfungspunkt, die Verhältnismäßigkeit, angezweifelt. Es wird einerseits argumentiert, dass die Alternativlösung der Individualvermarktung durch die Mitglieder mit anschließender Umverteilung durch die Einrichtung eines Solidarfonds ein milderes Mittel darstelle.113 Andererseits wird angeführt, dass das Solidarfondsmodell erhebliches Konfliktpotenzial berge.114 Für beide Ansichten spricht viel. Letztlich bringt jede Alternative Schwierigkeiten mit sich. Je nach Ausgestaltung der jeweiligen Modelle muss nach Lage des Einzelfalls entschieden werden, ob eine Verhältnismäßigkeit gegeben ist.115 Um Unwägbarkeiten vorzubeugen, würden Sportverbände gerne die USamerikanische Single-Entity-Theorie auf den europäischen Spitzensport anwenden.116 Eine direkte Übertragung von Rechtsideen aus einem anderen Rechtsraum ist zumeist schwierig. Traditionell ist der europäische Ligasport durch eine relativ weitgehende wirtschaftliche Unabhängigkeit der Ligamitglieder gekennzeichnet Im Gegensatz dazu bestehen innerhalb der Sportligen in den USA in der Regel enge wirtschaftliche Verflechtungen.117
a) Übertragung der American-Needle-Entscheidung: Das europäische Gemeinschaftsunternehmen Eine Übertragung der American-Needle-Entscheidung ist nicht ohne Weiteres möglich. Die Form, die die NFL und ihre Teams zur Vermarktung gewählt ___________ 112 Europäische Kommission, Entscheidung vom 23.07.2003, Abl. L 291/25, 54 – Champions League; a. A. Parrish/Miettinen (s. oben Fn. 42), S. 153 f. 113 Mentzel (s. oben Fn. 65), S. 243. 114 Blask (s. oben Fn. 86), S. 102 ff.; Stopper, ZWeR 2008, 412, 416 f.; Summerer, SpuRt 2008, 234, 239. 115 Siehe hierzu auch Heermann, ZWeR 2009, 472, 481 f. 116 Vgl. Hannamann (s. oben Fn. 1), S. 354, 473 f.; Heermann, ZWeR 2009, 472, 488 ff.; Klingmüller (s. oben Fn. 19), S. 84; Menzel, Werbebeschränkungen im Sport, 2001, S. 53 f., 94, 178 ff.; Springer, WRP 1998, 477, 479; Stopper (s. oben Fn. 61), S. 83. 117 Heermann, WuW 2009, 394, 401.
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haben, nämlich die Ausgliederung der Vermarktungsaktivität auf eine neu gegründete Gesellschaft, wäre im europäischen Recht ein sog. Gemeinschaftsunternehmen.118 Gemeinschaftsunternehmen unterliegen nach europäischem Kartellrecht bestimmten Zulässigkeitskriterien. Sie sind Unternehmen, über die mehrere Unternehmen gemeinsame Kontrolle haben, und unterstehen grundsätzlich der Kontrolle des Art. 101 I, III AEUV. Die Gruppe der sog. kooperativen Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen – als solches wäre ein europäisches Äquivalent der NFL Properties einzuordnen – unterliegt den speziellen Vorschriften der EG-FKVO, wenn es auf Dauer alle Funktionen einer selbstständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt (Art. 3 IV FKVO).119 Die Kontrolle richtet sich nach Art. 2 IV FKVO i. V. m. Art. 101 I und III AEUV. Bei der Beurteilung, ob das Vorhaben mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, muss von der Kommission nach Art. 2 V FKVO berücksichtigt werden, ob es auf dem Markt des Gemeinschaftsunternehmens oder auf einem diesem vor- oder nachgelagerten, benachbarten oder eng mit ihm verknüpften Markt eine nennenswerte und gleichzeitige Präsenz von zwei oder mehr Gründerunternehmen gibt. Hintergrund hierfür ist, dass der sog. Gruppen- oder auch Spillover-Effekt verhindert werden soll: Wenn die Mutterunternehmen auf anderen Märkten weiterhin Wettbewerber bleiben, besteht die Gefahr, dass die Tatsache, dass sie gemeinsam Inhaber eines Gemeinschaftsunternehmens sind, ihr Verhalten auf den anderen Märkten beeinflusst.120 Außerdem muss berücksichtigt werden, ob die unmittelbar aus der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens erwachsende Koordinierung den beteiligten Unternehmen die Möglichkeit gibt, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren und Dienstleistungen den Wettbewerb auszuschalten. Darüber hinaus muss der Zusammenschluss gemeinschaftsweite Bedeutung haben, d. h., die beteiligten Unternehmen müssen ein gewisses Umsatzvolumen aufweisen. Dies ist in Art. 1 FKVO festgelegt. Zumeist wird eine Überprüfung europäischer Sportligen hieran scheitern.121 Grundsätzlich werden Gemeinschaftsunternehmen, die ein nicht zu unterschätzendes kartellrechtliches Konfliktpotenzial haben, nach den Umständen des Einzelfalls im Rahmen des Art. 101 AEUV beurteilt.122 Nicht in Frage kommt eine Freistellung von Art. 102 AEUV. Im Gegensatz zu einer Single
___________ 118
Vgl. Heermann, ZWeR 2009, 472, 290. Wiedemann, Kartellrecht, 2008, § 15 Rn. 47, 60. 120 Heermann, ZWeR 2009, 472, 490 f. 121 Heermann, ZWeR 2009, 472, 491. 122 Heermann, ZWeR 2009, 472, 490. 119
US-amerikanische Single-Entity im europäischen Kartellrecht
163
Entity unterliegen Gemeinschaftsunternehmen wie NFL Properties folglich einer kartellrechtlichen Prüfung.123 Die Voraussetzungen für die Vereinbarkeit einer Vermarktungsgesellschaft wie der NFL Properties mit Art. 101, 102 AEUV sind relativ streng, jedoch nicht unmöglich zu erreichen. Ausgegliederte europäische Vermarktungsunternehmen unterliegen demnach weiter einer Prüfung durch das Kartellrecht, sind aber unter Einhaltung gewisser Voraussetzungen durchaus zulässig.
b) Sportligen unter dem Konzentrationsprivileg Dogmatischer Anknüpfungspunkt für eine an die Single-Entity-Theorie angelehnte Einordnung hinsichtlich der gesamten Liga können auch die Sonderregeln für den konzerninternen Wettbewerb sein.124 Der EuGH125 ist der Ansicht, dass für markt- und wettbewerbsbezogenes Zusammenwirken von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe bzw. eines Konzerns der Tatbestand der Art. 101, 102 AEUV nicht erfüllt ist, sofern die an der Maßnahme Beteiligten einen Teil einer wirtschaftlichen Einheit darstellen. Aufgrund der fehlenden wirtschaftlichen Autonomie der einzelnen Konzernmitglieder bestehe kein beschränkungsfähiger Wettbewerb.126 Somit können konzerninterne Absprachen unter den Konzernvorbehalt fallen, wenn es sich lediglich um eine Frage der internen Unternehmensorganisation handelt.127 Das US-amerikanische AntitrustRecht knüpft an den Unternehmensbegriff an. In Europa hingegen ist streitig, ob es auf das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung ankommt oder ebenfalls auf den Unternehmensbegriff.128 Da nicht alle Maßnahmen und Entscheidungen der übergeordneten Verbände und Vereine verbindlich sind, liegt trotz der europäischen Verbandspyramide nicht automatisch ein Konzern vor. Somit kommt die Annahme eines Konzerns, wenn überhaupt, nur in Teilbereichen in Betracht.129 Problematisch ist die meist eigenständige Organisation ___________ 123
Heermann, ZWeR 2009, 472, 492. Fleischer, WuW 1996, 473, 477 f.; Heermann, ZHR 161 (1997), 665, 682 ff.; Heermann, WRP 2001, 1140, 1144; Heermann, ZWeR 2009, 472, 492 ff.; Mentzel (s. oben Fn. 65), S. 91 f. 125 Vgl. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Art. 81 I EGV Rn. 48 ff. (S. 148 ff.); Hannamann (s. oben Fn. 1), S. 358 f.; Weiler (s. oben Fn. 31), S. 182 ff. 126 Vgl. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Art. 81 I EGV Rn. 48 ff. (S. 148 ff.); Hannamann (s. oben Fn. 1), S. 358 f.; Weiler (s. oben Fn. 31), S. 182 ff. 127 EuGH Slg. 1974, 1147 Rn. 41 – Centrafarm/Sterling. 128 Für die Wettbewerbsbeschränkung: Hannamann (s. oben Fn. 1), S. 359, für den Unternehmensbegriff: Blask (s. oben Fn. 86), S. 189 f. 129 Hannamann (s. oben Fn. 1), S. 360 f. 124
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der Vereine, so dass es wohl in den meisten Fällen an der strukturellen Eingliederung scheitert.130 Die Diskussion um Gleichordnungskonzern und Konzentrationsprivileg flammte mit Einführung der DFL erneut auf. Gleichordnungskonzerne sind unabhängige Unternehmen, die ein abgestimmtes Marktverhalten aufweisen und deren beteiligten Unternehmen teilweise wesentliche wirtschaftliche Entscheidungsspielräume gewährt werden. Diese Unternehmensform ist in § 18 II AktG vorgesehen, was darauf hinweist, dass sie nicht von vornherein gegen das Kartellrecht verstößt.131 Da die bindenden Entscheidungen in der Liga auf Leitungsebene getroffen werden, ist es zumindest möglich, die Struktur der Liga als Gleichordnungskonzern anzusehen. Zwar verbleibt den Mitgliedern der deutschen Fußballbundesligen eine größere wirtschaftliche Selbstständigkeit, als das etwa in der MLS der Fall ist. Beispielsweise hat der Ligaverband e. V. keinen unmittelbaren Anteil an den Einnahmen seiner Mitglieder.132 Hingegen sind in den relevanten Märkten für Live-Übertragungen und Nachverwertungsrechte für Bundesligaspiele die Vermarktungsaktivitäten der Mitglieder vollständig auf den Ligaverband übertragen worden.133 Der problematische Punkt ist, ob die Aufgabe der wirtschaftlichen Selbstständigkeit der Ligamitglieder ausreichend ist, da in manchen Bereichen noch Wettbewerb zwischen den Teams besteht. Fraglich ist also, ob die einheitliche Leitung der DFL weitgehend genug ist, um die Annahme eines Gleichordnungskonzerns zu rechtfertigen.134 In der Literatur wird dies unterschiedlich beurteilt. Eine Ansicht bejaht eine ausreichende Aufgabe der Selbstständigkeit, da sich die Mitglieder der Satzung, dem Statut, den Ordnungsbestimmungen des Ligaverbandes und den Entscheidungen der LigaOrgane unterwürfen. Somit würden die bindenden Entscheidungen auf Leitungsebene allein von den gleichgeordneten Unternehmen getroffen.135 Einer anderen Ansicht nach können die Liga und ihre Mitglieder zwar gemeinschaftliche Werte schaffen, haben aber vertrags- und verbandsrechtlich ihre Autonomie nicht aufgegeben.136 Die zentrale Vermarktung der Medienrechte und die grundsätzliche rechtliche Eingliederung in den Ligaverband ändere nichts an den weitgehenden, unabhängigen wirtschaftlichen Entscheidungsbefugnissen der Ligamitglieder. Insbesondere im Wettbewerb um die besten Fußballspieler ___________ 130
Hannamann (s. oben Fn. 1), S. 366 f.; Mentzel (s. oben Fn. 65), S. 92. Blask (s. oben Fn. 86), S. 187. 132 Heermann, ZWeR 2009, 472, 489. 133 Heermann, WRP 2001, 1140, 1143. Siehe auch zum Thema Heermann, ZHR 161 (1997), 665, 686 ff. 134 Heermann, ZWeR 2009, 472, 493 ff. 135 Blask (s. oben Fn. 86), S. 200. 136 Stopper, ZWeR 2008, 412, 421 f. 131
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und die Eigenvermarktung durch Kartenverkäufe, Sponsoring und Merchandising agierten die Teams unabhängig von der Liga.137 Mehr als 50% der Einnahmen der einzelnen Ligamitglieder stamme aus der Einzelvermarktung, ohne dass sich der Ligaverband direkt einschalte.138 Tatsächlich müssten im Falle eines Gleichordnungskonzerns die Mitglieder weitere Rechte aufgeben, wie dies in der MLS der Fall ist, und beispielsweise die Kartenverkäufe etc. zentral gestalten. Selbst wenn die DFL als Gleichordnungskonzern eingeordnet wird, stellt sich die Frage nach den Voraussetzungen und der Reichweite des Konzentrationsprivilegs. Können also Teams, die außerhalb des Gleichordnungskonzerns im – sportlichen oder wirtschaftlichen – Wettbewerb stehen, ihre konzerninternen Absprachen rechtfertigen?139 Einer Ansicht nach ist zur Erteilung des Konzentrationsprivilegs zwischen Entscheidungen, die – wie gewisse Vermarktungsentscheidungen – notwendigerweise gemeinsam getroffen werden müssen und damit dem Konzentrationsprivileg unterfallen, und anderen wirtschaftlichen Entscheidungen zu differenzieren.140 Einer anderen Ansicht nach kommt es für die Sonderregeln des Konzernwettbewerbs gerade nicht auf die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit eines Zusammenschlusses an, sondern darauf, ob die Autonomie bei den Konzernbeteiligten verbleibt.141 Diese Ansicht verkennt aber, dass grundsätzlich die Problematik darin liegt, wie Wettbewerbsbeschränkungen zwischen gleichgeordneten Ligamitgliedern, die auf anderen Gebieten im Wettbewerb miteinander stehen, gerechtfertigt werden können. Aufgrund des sog. Spillover-Effekts sind an die Voraussetzungen für den Gleichordnungskonzern und das Konzentrationsprivileg strenge Anforderungen zu stellen. Je stärker der Wettbewerb zwischen den Konzernmitgliedern auf vor- oder nachgelagerten, benachbarten und eng mit dem Markt des Gleichordnungskonzerns verknüpften Märkten ist, desto strenger müssen diese Anforderungen sein. Das Konzentrationsprivileg entbindet von den strengen Voraussetzungen des Kartellrechts, erfordert aber auch eine besondere Berücksichtigung der Risiken, die hierdurch entstehen. Damit können die Wertungen des Art. 101 I und III AEUV nicht völlig vernachlässigt werden.142
___________ 137
Heermann, ZWeR 2009, 472, 493; Mentzel (s. oben Fn. 65), S. 92. Heermann, ZWeR 2009, 472, 494. 139 Heermann, ZWeR 2009, 472, 492 ff. 140 Hannamann (s. oben Fn. 1), S. 362 ff. 141 Blask (s. oben Fn. 86), S. 187. 142 Heermann, ZWeR 2009, 472, 494 f. 138
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V. Stellungnahme Eine direkte Übertragung der Single-Entity-Doktrin auf den europäischen Rechtskreis ist nicht möglich. Allerdings gibt sie Anstoß zu weiteren Überlegungen. In Europa würde ein ausgelagertes Unternehmen wie die NFL Properties ein Gemeinschaftsunternehmen darstellen. Ein solches Unternehmen unterliegt zwar der Kontrolle i. S. d. Art. 101 I, III AEUV, jedoch werden hierbei ein möglicher Spillover-Effekt und die Möglichkeit der Ausschaltung des Wettbewerbs berücksichtigt. Ferner existiert in Europa die Möglichkeit, als Gleichordnungskonzern über das Konzentrationsprivileg dem Kartellrecht entzogen zu sein. Zwar sind die Verbände aufgrund ihres zu losen Zusammenschlusses nicht als Gleichordnungskonzerne einzuordnen, allerdings besteht für Ligen zumindest diese Möglichkeit. Da die Voraussetzungen sowohl für den Gleichordnungskonzern als auch für das Konzentrationsprivileg jedoch sehr streng sind, müssten europäische Ligen sich enger organisieren, um als Konzerne angesehen zu werden. Sofern ein solcher Zusammenschluss vorliegt, müssten darüber hinaus die strengen Voraussetzungen des Konzentrationsprivilegs erfüllt sein. Die Wettbewerbsbeschränkungen durch Ligamitglieder, die auf anderen Gebieten im Wettbewerb stehen, müssen gerechtfertigt sein. Eine komplette Ausnahme vom Kartellrecht in Form eines Konstruktes wie der Single Entity ist in Europa nicht zu erwarten. Dennoch sollte weiterhin die Entwicklung in den Vereinigten Staaten verfolgt werden, um Denkanstöße hinsichtlich neuer Rechtsfiguren zu erlangen.
Bau von Großsportanlagen aus planungsrechtlicher Sicht Von Sebastian Rotter I.
Einleitung .......................................................................................................... 168
II. Die Großsportanlage ......................................................................................... 169 1.
Begriffsbestimmung .................................................................................. 169
2.
Unterfälle ................................................................................................... 171
III. Das Planungsrecht ............................................................................................. 172 1.
Raumordnungsplanung .............................................................................. 175
2.
Flächennutzungsplanung ........................................................................... 176
3.
Bebauungsplanung .................................................................................... 177 a)
Festsetzungsmöglichkeiten................................................................. 178
b)
Erforderlichkeit (§ 1 III 1 BauGB) ..................................................... 179
c)
Abstimmungsgebot (§ 2 II BauGB) ................................................... 180
d)
Anpassungsgebot (§ 1 IV BauGB) ..................................................... 180
e)
Abwägungsgebot (§ 1 VII BauGB) .................................................... 181 aa) Planungsleitsätze ........................................................................ 181 bb) Planungsdirektiven ..................................................................... 182 (1)
Belange von „Sport, Freizeit und Erholung“ (§ 1 VI Nr. 3 BauGB) ................................................................... 182
(2)
Zentrenverträglichkeit (§ 1 VI Nr. 4 BauGB) .................. 182
(3)
Auswirkungen auf das Landschaftsbild (§ 1 V 2 a. E., VI Nr. 5 a. E. BauGB) ...................................................... 183
(4)
Auswirkungen auf das Klima (§ 1 V 2, VI Nr. 7 a BauGB) ............................................................................ 184
(5)
Belange des Umweltschutzes (§§ 1 VI Nr. 7, 1 a BauGB) ............................................................................ 184
(6)
Belange der Wirtschaft (§ 1 VI Nr. 8 a BauGB) .............. 186
(7)
Belange der Arbeitsplätze (§ 1 VI Nr. 8 c BauGB) .......... 187
(8)
Belange des Verkehrs (§ 1 VI Nr. 9 BauGB) ................... 187
168
Sebastian Rotter (9)
Belange der zivilen Anschlussnutzung von Militärliegenschaften (§ 1 VI Nr. 10 a. E. BauGB) ......................... 189
cc) Grundsatz der Konfliktbewältigung ............................................ 189 dd) Rücksichtnahmegebot ................................................................. 190 ee) Trennungsgrundsatz.................................................................... 191 4.
Fachplanungen........................................................................................... 191
IV. Ergebnis ............................................................................................................ 192
I. Einleitung Die Befürchtung, die zahlreichen Bauprojekte anlässlich der Fußball-WM 2006 könnten auch „am Gestrüpp bürokratischer Vorschriften“1 scheitern, hat sich bekanntlich nicht bewahrheitet. Vielmehr wurde Deutschland 2006 immerhin „Stadion-Weltmeister“2, nachdem das Land in den 1960er und 1970er Jahren schon zum „Weltmeister im Sportstättenbau“3 gekürt worden war. Zu diesem „Titel“ trugen aber nicht nur die zwölf WM-Stadien4 bei, sondern auch andere Anlagen wie z. B. die ESPRIT arena in Düsseldorf oder das Stadion im Borussia-Park in Mönchengladbach. Festzustellen ist jedenfalls, dass sich der Bau von Großsportanlagen in den letzten beiden Jahrzehnten vornehmlich im Bereich des Fußballprofisports vollzog. Hier bestand ein erheblicher Neubau-, Umbau- und Modernisierungsbedarf.5
___________ 1
Stüer/Middelbeck, BauR 2003, 38. Vgl. die Aussage „Aber noch sind wir nicht Stadion-Weltmeister.“ von Horst R. Schmidt, Generalsekretär des DFB, in: FAZ Sonntagszeitung v. 14.04.2002, S. 15. 3 Schmidt, Staat und Kommune als Partner des Sports in den 90er Jahren, in: Gemeinde und Sport, Jahrbuch 1986/87, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sportämter, S. 26; Rost, BayBgm. 1987, 298. 4 Es handelt sich um zwei Neubauten an neuem Standort (Gelsenkirchener VeltinsArena und Münchner Allianz-Arena), drei Neubauten am Altstandort (Frankfurter Commerzbank-Arena, HSH Nordbank Arena und Leipziger Zentralstadion), fünf Stadienumbauten (Berliner Olympiastadion, Dortmunder Signal Iduna Park, Hannoveraner AWD-Arena, Kölner Rhein-Energie-Stadion und Nürnberger easyCredit-Stadion), einen Erweiterungsbau (Kaiserslauterer Fritz-Walter-Stadion) und einen Modernisierungsbau (Stuttgarter Mercedes-Benz Arena). 5 Unter den zehn zwischen 1988 und 1998 in Europa neu errichteten Fußballstadien befindet sich kein deutsches. 1998 lag in Deutschland die letzte Sanierung durchschnittlich 15, in Italien acht, in Frankreich sechs und in England fünf Jahre zurück. Vgl. die Zahlen und Abbildungen bei Pauli, Stadionfinanzierung im deutschen Profifußball – Eine institutionenökonomisch fundierte modelltheoretische Untersuchung, Paderborn 2001, S. 6 ff. 2
Bau von Großsportanlagen aus planungsrechtlicher Sicht
169
Mittlerweile hat die Bautätigkeit den gesamten Profibereich des deutschen Fußballs erfasst. Aktuelle Bauprojekte aus dem Fußballbereich sind beispielsweise die städtische Coface Arena für 33.500 Zuschauer, die an den 1. FSV Mainz 05 (1. Bundesliga) verpachtet und am 3. Juli 2011 eröffnet wurde (Kosten ca. 60 Mio. Euro), der seit 24. Juli 2010 genutzte private AudiSportpark des FC Ingolstadt 04 (2. Bundesliga) für 15.445 Zuschauer (Kosten ca. 20 Mio. Euro) und das städtische Sparda Bank Hessen Stadion für 18.000 Zuschauer, das an die Kickers Offenbach (3. Liga) verpachtet werden soll (Kosten ca. 25 Mio. Euro). Vor diesem Hintergrund sollte das (Planungs-)Recht auch weiterhin die Grundlagen für einen schnellen, effektiven und ausgewogenen Bau solcher Großvorhaben gewährleisten – eine Aufgabe, der sich die Literatur bisher nur insofern gewidmet hat, als die verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkte des Baus von Klein- und Normalsportanlagen6, insbesondere auch von Bolzplätzen7, umfassend beleuchtet wurden.
II. Die Großsportanlage Eine eigene (bau-)rechtliche Begrifflichkeit für derartige Bauten existiert nicht. Sie werden vielmehr unter die allgemeinen Tatbestandsmerkmale „Sportanlage“8, „Sportplatz“9 bzw. „Anlage für sportliche Zwecke“10 subsumiert. Um aber der besonderen Problematik, die mit der Planung und dem Bau dieser Anlagen einhergeht, gerecht zu werden und einen Diskurs hierüber zu erleichtern, sollte ein einheitlicher sprachlicher Begriff verwendet werden. Hierfür bietet sich der Terminus „Großsportanlage“ an.
1. Begriffsbestimmung Eine Definition dieses Begriffs gab es bisher nicht. Es existiert lediglich ein grafisches Symbol „Großsportanlage, Stadion“, das als wegweisende Beschil-
___________ 6 Papier, Planungsrecht für Sportanlagen, in: Burmeister (Hrsg.), Sport im kommunalen Wirkungskreis, Heft 9 der Reihe Recht und Sport, Heidelberg 1988, S. 21 ff. 7 Schwarze, DVBl. 1986, 1050 ff.; Rodewoldt/Wagner, VBlBW 1996, 365 ff. 8 Vgl. § 9 I Nr. 5 BauGB und § 1 I, II 18. BImSchV. 9 Vgl. § 9 I Nr. 15 BauGB. 10 Vgl. die Bezeichnung in der Baunutzungsverordnung, z. B. in § 2 III Nr. 2 BauNVO.
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derung dieses Nahziels auf Bundesautobahnen im Jahr 2001 vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen eingeführt wurde.11 Kurz zusammengefasst12 kann die Großsportanlage als die raumbedeutsame (vgl. § 3 I Nr. 6 ROG), meist auf den Spitzensport ausgerichtete, zunehmend in privater Hand befindliche Sportanlage (§ 1 II 18. BImSchV)13, die großdimensionierte Einrichtungen für Sport und Zuschauer aufweist und regelmäßig Teil der Sportinfrastruktur einer Großstadt oder eines Ballungszentrums ist, definiert werden. Eine zahlenmäßige Quantifizierung, ab welcher absoluten Größe bzw. Zuschauermenge von einer Großsportanlage auszugehen ist, würde eine Einordnung erleichtern. Ansätze hinsichtlich der Zahl der Zuschauerplätze bietet § 1 I Nr. 3 MVStättV14, der ab einem Schwellenwert von 5.000 Besuchern sicherheitsrechtliche Anforderungen unter dem Gesichtspunkt des Versammlungsstättenrechts stellt.15 Diese Zahl spiegelt auch in etwa die tatsächliche ___________ 11
Vgl. Allgemeines Rundschreiben Straßenbau Nr. 26/2000, VkBl. 2001, S. 39, bzw. Nr. 09/2001, VkBl. 2001, S. 125. Danach hat der Hinweis auf eine Großsportanlage bzw. ein Stadion auf der Autobahn ausnahmsweise dann zu erfolgen, wenn die Zielführung nicht durch die Angabe eines Ortsnamens möglich ist und eine besondere überörtliche Verkehrsbedeutung besteht. Eine überörtliche Verkehrsbedeutung ist nicht vorhanden, wenn die Ortskundigkeit der Verkehrsteilnehmer im Einzugsbereich der Einrichtung unterstellt werden kann. Voraussetzung ist in jedem Fall eine große Anzahl von Zuschauerplätzen (in der Regel mehr als 10.000). Ist bei Großveranstaltungen in einer Großsportanlage bzw. einem Stadion temporär eine besondere Verkehrslenkung erforderlich, sollte die Hinweisbeschilderung mittels Klapptafeln erfolgen. Andere Sinnbilder sind dabei nur für die temporäre Aufstellung von privaten Wegweisern zulässig. Das Symbol ist ohne verbale Ergänzung anzuzeigen, sofern keine Unterscheidung zu einer weiteren Einrichtung erforderlich ist. 12 Eingehender dazu Rotter, Planungsrechtliche Fragen des Baus von Großsportanlagen unter besonderer Berücksichtigung der Arenen in Gelsenkirchen, Mönchengladbach und München, Berlin 2011, S. 21 f. 13 Die Definition basiert damit auf dem in der 18. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (sog. Sportanlagenlärmschutzverordnung) legaldefinierten Grundbegriff der „Sportanlage“. Dabei handelt es sich um ortsfeste Einrichtungen i. S. d. § 3 V Nr. 1 BImSchG, die zur Sportausübung betrieben werden. Ortsfestigkeit bedeutet, dass eine dauerhafte Verbindung zum Erdboden besteht. Ein Umkehrschluss aus § 3 V Nr. 3 BImSchG ergibt, dass „Einrichtung“ voraussetzt, dass mehr als nur ein zur Sportausübung bestimmtes Grundstück vorhanden sein muss. Hinsichtlich des Bestandes an baulichen Anlagen und technischen Hilfsmitteln genügt bereits die zur Sportausübung erforderliche Grundausstattung. Vgl. dazu Ketteler, Sportanlagenlärmschutzverordnung – Bedeutung der 18. BImSchV im Hinblick auf das Immissionsschutz-, Bau- und Zivilrecht einschließlich des Rechtsschutzes, Heidelberg 1998, S. 51. 14 Allerdings sind nach § 27 MVStättV erst bei Sportstadien mit mehr als 10.000 Besucherplätzen Abschrankungen und Blockbildungen vorzunehmen. 15 Vgl. auch § 1 I 1 Nr. 2 c der Verordnung über Prüfungen von technischen Anlagen und Einrichtungen Berlin – Anlagen-Prüfverordnung des Landes Berlin v. 01.06.2004 (GVBl. Berlin 2004, S. 235) und § 1 Nr. 4 der Verordnung über die Prüfung technischer
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Größe von Großsportanlagen des Spitzensports, insbes. im Bereich des Profifußballs, wider.16
2. Unterfälle Als Beispiele für Großsportanlagen gelten vor allem Stadien und immer mehr auch Arenen. Schon seit Ende der 1990er Jahre ist – verbunden mit einem architektonischen Umbruch – ein verstärkter Trend zum Bau von reinen Fußball-, aber auch von Multifunktionsarenen zu erkennen. „Stadien“ orientieren sich an der gleichnamigen Leichtathletik-Wettkampfstätte im antiken Griechenland, so dass eine eher lang gestreckte Form das bestimmende Leitbild ist.17 Die „Arena“ war ursprünglich der mit Sand (lat.: (h)arena) bestreute ovale Kampfplatz des römischen Amphitheaters. Die heutige Arena wirkt optisch kompakter und geschlossener. Sie verzichtet i. d. R. auf Laufbahnen18 und die Hochbauten überragende Flutlichtmasten19. Ziel dieser phänotypischen Bauweise war und ist es, dem Publikum durch größere Nähe zum Geschehen und zu den Akteuren ein stärkeres Erlebnisgefühl zu vermitteln und eine „Kesselatmosphäre“ zu erzeugen. So gesehen dient die Bauform der Arena stärker dem Zuschauer als dem aktiven Sportler.20 Multifunktionalität“ wird dabei dann angenommen, wenn ein Wechsel zwischen sportbezogener und nichtsportbezogener Nutzung innerhalb kürzester Zeit möglich ist (multifunktionale Kernnutzung) oder/und auch Nutzungen vorhanden sind, die nicht für den
___________ Anlagen und Einrichtungen nach Bauordnungsrecht des Landes MecklenburgVorpommern (GVBl. Mecklenburg-Vorpommern 2001, S. 77). 16 So hatte von den Stadien der 1. und 2. Fußballbundesliga der Saison 2010/2011 die kleinste Großsportanlage, das sog. Frankfurter Volksbank Stadion des Zweitligisten FSV Frankfurt, immerhin ein Fassungsvermögen von 10.385 Zuschauern. In der 3. Liga spielt der SV Werder Bremen II in dem ca. 5.500 Besucher fassenden Weserstadion 11. 17 Roskam, Sportstättenbau + Bäderanlagen 2000, 143, 144 f. 18 Vgl. Roskam (Fn. 17), insbes. zur Frage wie Leichtathletik und Fußball zukünftig in einem „intelligenten Stadion“ kombiniert werden könnten. Zu finanziellen Motiven vgl. Pauli (Fn. 5), S. 7. 19 Verspohl, Die Arena als Idee und als Folie, in: Architekturmuseum der TU München u. a., Architektur + Sport – vom antiken Stadion zur modernen Arena, Wolfratshausen 2006, S. 155, 162, sowie Brensing, Neuere Tendenzen im internationalen Sportstättenbau, in: Architekturmuseum der TU München u. a., Architektur + Sport – vom antiken Stadion zur modernen Arena, Wolfratshausen 2006, S. 201, 210. 20 Bezug nehmend auf die Antike, Möller, Weit gespannt. Von konstruktiven Höchstund Fehlleistungen im Sportstättenbau, in: Architekturmuseum der TU München u. a., Architektur + Sport – vom antiken Stadion zur modernen Arena, Wolfratshausen 2006, S. 171.
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Betrieb der Hauptnutzung und die Erhaltung des Großsportanlage nötig sind (multifunktionale Mantelnutzung).21 Neben Stadien und Arenen stellen Golfplätze, Pferderennbahnen und Autorennstrecken weitere Varianten von Großsportanlagen dar. Bereits aus dieser Aufzählung ergibt sich, dass eine Großsportanlage sowohl in offener als auch geschlossener Bauweise errichtet werden kann (vgl. auch § 22 BauNVO). Ein Sonderfall sind die immer beliebter werdenden temporären Großsportanlagen. Diese werden nur für einen bestimmten Zeitraum und zumeist für ein bestimmtes Sportereignis errichtet und anschließend rückgebaut.22
III. Das Planungsrecht Planung, Errichtung und Betrieb von (Groß-)Sportanlagen vollziehen sich mangels bereichsspezifischer Fachplanung auf Grundlage oder zumindest im Rahmen des allgemeinen Planungsrechts.23 Anknüpfungspunkte sind daher sowohl im Bauplanungsrecht, Landesplanungsrecht, Raumordnungsrecht und Straßen- und Wegerecht als auch im sonstigen besonderen Verwaltungsrecht zu suchen. Die Planung ist dabei geprägt durch Kooperieren bzw. Kollidieren von förmlichen und nichtförmlichen, bindenden und nichtbindenden Verfahren, von Fach- und Gesamtplanung sowie von mehreren Planungsakteuren, und dies auf unterschiedlichen Planungsebenen. Der Bau von Sportanlagen erweist sich als Gradmesser für die Beziehung zwischen Sport und Kommune.24 Dieses Verhältnis hat sich aufgrund der Professionalisierung des Sports und der zurückgehenden Finanzkraft der Gemeinden verändert. Bei Großsportanlagen wirkt sich dies sowohl auf das „Ob“ als auch auf das „Wie“ von Planung und Finanzierung aus. Ein Vergleich des öffentlichen Finanzierungsanteils an den Großsportanlagen der beiden Fußballweltmeisterschaften in Deutschland veranschaulicht dies: Während für die ___________ 21
Vgl. Giffinger, Multifunktionale Sportarenen – Chancen und Risiken für die Stadtentwicklung, Wien 2004, S. 26. 22 Zu Beispielen vgl. Eberle, Würstchenbude inklusive, DER SPIEGEL v. 31.01.2011 (Nr. 5), S. 104. Dabei handelt es sich oftmals nicht um bauliche Anlagen i. S. d. § 29 BauGB, da es an der dauerhaften Verbindung mit dem Erdboden fehlt. 23 Birk, VBlBW 2000, 97; Berkemann, NuR 1998, 565, 568. 24 Die Mitwirkung eines Gemeinderats, der zugleich Vereins-, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied des von der kommunalen Planungsentscheidung betroffenen Sportvereins ist, richtet sich nach den landesrechtlichen Verbotsvorschriften (z. B. Art. 49 BayGO oder §§ 43, 31 NRWGO). Vgl. dazu Schäfer, VBlBW 2003, 271 ff.; Tettinger, NWVBl. 2004, 125, 129; Rotter (Fn. 12), S. 48, 103 und 226. Zur Mitwirkung eines Vereinspräsidenten, eines Stadionsprechers und eines Fanbeauftragten vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 26.10.2010 – 8 C 10150/10, juris, Rn. 47 f. – Coface Arena.
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Fußball-WM 1974 fast ausschließlich öffentliche Gelder verwendet wurden, betrug ihr Anteil bei der Fußball-WM 2006 nur noch knapp 60%.25 Mit ein Grund hierfür mag sein, dass bei der finanziellen Unterstützung des Baus einer Großsportanlage durch öffentliche Träger die beihilferechtlichen Vorgaben des Art. 107 AEUV einzuhalten sind. Dies gilt sowohl für die direkte Beteiligung am Anlageprojekt als auch für begleitende infrastrukturelle Maßnahmen. Allerdings ist dabei aus Sicht der EU-Kommission eine multifunktionale Ausrichtung der Großsportanlage vorteilhaft, da dies gegen eine nach Art. 107 AEUV beachtliche Sonderbegünstigung spreche.26 Eine wichtige Rolle im Planungsprozess spielen auch Private, insbes. natürlich Sportvereine27, die oftmals später als Bauherren fungieren.28 Möglich und bei Großsportanlagen meist unumgänglich ist zudem die Zusammenarbeit mit Investoren. Deren Einbindung erfolgt vermehrt im Wege einer „ÖffentlichPrivaten-Partnerschaft“ bzw. „Public-Private-Partnership“29. Diese liegt vor, wenn ein öffentliches Investitionsprojekt in partnerschaftlichem Zusammenwirken von öffentlicher Hand und privatem Vertragspartner realisiert wird.30 Die vielleicht bekannteste Konstruktion ist das sog. Utrechter Modell: Ein Investor errichtet als Gegenleistung für die Übertragung der für sein Projekt (z. B. ein Einkaufszentrum) notwendigen Flächen31 eine andere, öffentlichen Zwecken dienende Einrichtung, beispielsweise eine Großsportanlage.32 ___________ 25 Vgl. Magenheim-Hörmann, Fußball-Stadien als Aushängeschild, Frankfurter Rundschau v. 22.01.2005, S. 11; Pauli (Fn. 5), S. 14 ff. 26 Stellungnahme der EU-Kommission zu Zuschüssen des Landes Niedersachsen, der Region und der Landeshauptstadt Hannover für den Umbau des Niedersachsenstadions (seit 2002: AWD-Arena) in Hannover (Unveröffentlichtes Schreiben an das niedersächsische Wirtschaftsministerium, COMP-2002-00757-00-00-DE-TRA-00 (EN) CS). Dieser Sachverhalt wird von Orth (SpuRt 2003, 149, 152) in einem Fallbeispiel nachgebildet. Kritisch zu diesem Abgrenzungskriterium Koenig/Scholz, EuZW 2003, 133, 135 u. 138. Da die fehlende Bestimmtheit der Begünstigung auf der nachgelagerten Nutzerebene nicht zwingend eine möglicherweise fehlende Bestimmtheit der Begünstigung auf der vorgelagerten Eigentümer- und Betreiberebene ausschließt, kann der Ansatz der EUKommission auch mit Recht hinterfragt werden. 27 Eine gesetzlich vorgeschriebene Mitbeteiligung der Sportorganisationen steht aber weiterhin aus. Vgl. Eulering, Sportstättenbau + Bäderanlagen 2002, 213, 214. 28 Dazu Matthieu, Der Städtetag 1980, 4 ff. u. 287 ff. 29 Insbesondere auch zu der damit verbundenen Frage der unternehmensspezifischen Begünstigung der an den Infrastrukturmaßnahmen beteiligten privaten Unternehmen: Koenig/Kühling, SpuRt 2002, 53, 56 f. 30 Christen, Sportstättenbau + Bäderanlagen 2002, 215. 31 Höchst umstritten ist in diesem Zusammenhang aber, ob beim Verkauf von Liegenschaften durch die öffentliche Verwaltung im Rahmen städtebaulicher Investorenprojekte das (europäische) Vergaberecht anwendbar ist, vgl. OLG Düsseldorf Vorabentscheidungsbeschluss v. 02.10.2008 – VII Verg 25/08, BauR 2009, 294 f. bzw. die dies-
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Des Weiteren werden verstärkt Private als Sachverständige und Gutachter eingesetzt, denn Voraussetzung für einen erfolgreichen, unangreifbaren Planungsabschluss ist, dass bereits im Vorfeld alle wesentlichen Problempunkte gutachterlich untersucht und die Ergebnisse entsprechend berücksichtigt werden. Zur Beurteilung der (schädlichen) Umwelteinwirkungen, insbes. des Sportlärms, ist zwingend ein Gutachten zu erstellen.33 Nicht zuletzt wird dem Bürger aufgrund der gesetzlichen Beteiligungsvorschriften die Teilnahmemöglichkeit am Planungsprozess eröffnet. Um Klagen gegen das Vorhaben zu vermeiden, sollte allerdings bereits vor dem rechtlich zwingend vorgegebenen Beteiligungsverfahren eine intensive Auseinandersetzung mit Bürgermeinung und -willen erfolgen.34 Bestehende bau- und kommunalrechtliche Regelungen geben den Kommunen hierzu ausreichend Mittel an die Hand. Oftmals wird auf die Möglichkeit einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung (vgl. § 3 I BauGB35) zurückgegriffen. Häufig bietet es sich beim Bau von Großsportanlagen an, einen weiteren, sozusagen präventiven Planungsschritt vorzunehmen. In der Praxis – so beim Bau der Arenen in Gelsenkirchen und Mönchengladbach (Veltins-Arena bzw. Stadion im Borussia-Park) – hat sich hierbei die in § 140 Nr. 4 BauGB als städtebauliches Instrument genannte Rahmenplanung bewährt. In manchen Fällen, z. B. beim Bau der Allianz-Arena in München, wurde auch von der kommunalrechtlichen Option eines Ratsbegehrens mit anschließendem Bürgerentscheid Gebrauch gemacht. Auch in Garmisch-Partenkirchen wurden im Hinblick auf die Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2018 und die dort geplanten Großsportanlagen am 08.05.2011 zwei Bürgerentscheide durchgeführt. Zudem sollte die Möglichkeit der auch gemeindeübergreifend bzw. regional einsetzbaren Sportstättenentwicklungsplanung nicht außer Acht gelassen werden. So war für die 2005 eröffnete SAP ARENA des Eishockey-Bundesligisten Adler Mannheim schon im Sportstättenleitplan von 1982 eine Fläche zur sport___________ bezüglichen Schlussanträge des Generalanwalts Paolo Megozzi v. 17.11.2009, Rs. C451/08. 32 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.01.2002 – 4 BN 27/01, BRS 65 Nr. 58 – Preußenpark Münster; OVG Münster, Urt. v. 07.12.2000 – 7a D 60/99, SpuRt 2002, 31, 37 – Preußenpark Münster; Tettinger (Fn. 24), 125, 126. Zu den Gefahren einer solchen Planung Hoppe, in: FS für Kutscheidt, S. 331 ff. 33 Die Anforderungen an ein Verkehrsgutachten werden vom OVG Münster (Beschl. v. 15.11.2005 – 7 B 1823/05, NVwZ-RR 2006, 306, 307) in Zusammenhang mit dem Bau der Paragon-Arena für den SC Paderborn dargestellt. 34 Vgl dazu Janisch, Die Wiederentdeckung des Bürgers, SZ v. 04./05.06.2011, S. 6. 35 Dies kann auch durch Bürgerversammlungen, Ortstermine, Informationsbroschüren, über die Medien oder auch via Internet (vgl. § 4a IV BauGB) geschehen.
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lichen Nutzung reserviert worden.36 Es zeigt sich jedenfalls eine Tendenz hin zu einer stärkeren Einbeziehung nichtförmlicher Planungsinstrumente. Keine rechtliche, aber eine sicherlich nicht zu unterschätzende tatsächliche Möglichkeit der Einflussnahme auf die städtebauliche Planung kommt der „Sportöffentlichkeit“ zu.37 Dies gilt insbes. für die Anhängerschaft der tangierten Sportvereine.38 Sprach der Geschäftsführer des Bundesausschusses Umwelt und Sportstättenentwicklung des Deutschen Sportbundes, Hans Jägemann, im Jahre 1993 noch davon, dass im großen Legokasten der Stadtplaner der Stadtbaustein „Sport“ fehle,39 so ist dies heute nicht mehr der Fall, denn, wie sich im Folgenden erweisen wird, hat sich die Situation durch Aktivitäten des Gesetzgebers vor allem im Bau- und Immissionsschutzrecht seit Anfang der 1990er Jahre maßgeblich verbessert.
1. Raumordnungsplanung Das Raumordnungsrecht ist das Instrument der Querschnittsplanung der Länder, mit dem sie weitreichende, raumbedeutsame Verantwortung für die Infrastruktur des Sports wahrnehmen, soweit nicht die Gemeinden den Flächenund Nutzungswünschen des Sports in der Bauleitplanung Rechnung tragen.40 Falls vorhanden, werden auf der Raumordnungs- und Landesplanungsebene auch die planerischen Aussagen des Sportstättenentwicklungsplans rechtsverbindlich umgesetzt.41 ___________ 36
Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 15.12.2003 – 3 S 2827/02, NJOZ 2004, 4197 ff. – Sportpark Bösfeld-Arena. 37 Vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2–9 Rn. 12.5 f. m. w. N. 38 Eine gesetzlich vorgeschriebene Mitbeteiligung der Sportorganisationen steht aber weiterhin aus, vgl. Eulering (Fn. 27). Insbesondere sollten Sportverbände den Trägern öffentlicher Belange i. S. d. § 4 I BauGB gleichgestellt werden. Vgl. den diesbezüglichen Entschließungsantrag der SPD-Fraktion, Deutscher Bundestag, Drucksache 10/6232, v. 22.10.1986; Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der FDPFraktion u. a., Deutscher Bundestag, Drucksache 10/984, v. 22.03.1984. Vgl. auch Steiner, Der Sport auf dem Weg ins Verfassungsrecht – Sportförderung als Staatsziel, in: Tettinger/Vieweg (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Sportrechts – Ausgewählte Schriften von Udo Steiner, Berlin 2004, S. 125; ders., Von den Grundrechten im Sport zur Staatszielbestimmung „Sportförderung“, ebd., S. 146; Ketteler (Fn. 13), S. 229. 39 Vgl. Sportstättenbau + Bäderanlagen 1993, 72. 40 Vgl. Steiner, Sport und Freizeit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV, 3. Aufl., Heidelberg 2006, § 87, S. 737. 41 Pfister/Steiner, Sportrecht von A–Z, München 1995, S. 200, 201.
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Auf dieser Planungsebene wird grundsätzlich nur eine großräumige Verteilung überörtlicher, raumbedeutsamer Sportanlagen in Abgleich mit anderen Raumansprüchen vorgenommen, nicht aber eine solche kleinräumiger Art.42 Das Interesse an einer planerischen Flächenvorhaltung für Großsportanlagen als raumbedeutsame Sportanlagen ist allerdings ein gesteigertes, da deren Bau typischerweise umfangreiche, zusammenhängende Flächen verbraucht.43 Die nötige Standortsicherung kann auf dieser überörtlichen Planungsebene durch die Festlegung von Vorrang- und Vorbehaltsgebieten (§ 8 VII 1 Nr. 1 und 2 ROG) erreicht werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Bau von Großsportanlagen nicht zwingend einem Raumordnungsverfahren unterworfen ist (§ 1 Nr. 15 RoV)44, da es sich zumeist nicht um Freizeitanlagen, sondern häufig um kommerzielle Anlagen des Spitzensports handelt.
2. Flächennutzungsplanung Der Flächennutzungsplan stellt als vorbereitender Plan (§ 1 II BauGB) die Art der Bodennutzung für das gesamte Gemeindegebiet in Grundzügen dar (§ 5 I 1 BauGB). In der Bauleitplanung ist wegen § 1 III 1 BauGB grundsätzlich bereits auf dieser Ebene die Planung einer Großsportanlage zu berücksichtigen. Hierbei sollte eine erstmalige Auseinandersetzung mit möglichen Standortalternativen erfolgen.45 Dabei empfiehlt sich die Darstellung der Großsportanlage als Baufläche „Sonderbaufläche“ nach § 1 I Nr. 4 BauNVO bzw. bereits als Baugebiet „Sondergebiet“ nach § 1 II Nr. 10 BauNVO. In der Praxis hat sich das Problem ergeben, inwieweit mehrere als Standort in Betracht kommende Flächen bauplanerisch vorgehalten werden können. Doch auch dies kann die Bauleitplanung ___________ 42 Taube, Planungshilfen zum Freizeitkonflikt Umwelt und Sport – Eine Identifikation von Problem- und Handlungselementen, Erkrath 1991, S. 128. 43 Ähnlich de Witt/Dreier, in: Hoppenberg/de Witt (Hrsg.), Handbuch des öffentlichen Baurechts, Kommentar, Loseblattsammlung, Bd. 1, Kapitel E, München, Stand: Juli 2007, Rn. 1138. 44 Vgl. Birk, VBlBW 2000, 98. 45 Die Einbeziehung möglicher Planungsalternativen in das Bauleitplanverfahren ergibt sich neben dem § 1 III 1 BauGB aus § 3 I BauGB, wonach die Öffentlichkeit bei der frühzeitigen Bürgerbeteiligung auch über sich wesentlich unterscheidende Lösungen unterrichtet werden soll; darüber hinaus schreibt § 2 a S. 1 Nr. 2 BauGB i. V. m. Nr. 2 d der Anlage 1 zu § 2 a BauGB Angaben über in Betracht kommende anderweitige Planungsmöglichkeiten im Umweltbericht vor, vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 22.12.2010 – 8 C 10600/10, juris, Rn. 70 – Ballpark im Hartmühlenweg; Urt. v. 26.10.2010 – 8 C 10150/10, juris, Rn. 101 f. – Coface Arena m. w. N.
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gewährleisten, denn letztlich lassen sich im Flächennutzungsplan auch nutzungsoffene Flächen unterbringen.46 Oftmals wird es aufgrund terminlicher Vorgaben für die Fertigstellung der Großsportanlage angezeigt sein, den Flächennutzungsplan im Wege des sog. Parallelverfahrens (§ 8 III 1 BauGB) gleichzeitig mit dem Bebauungsplan zu ändern. Dieser Weg wurde beispielsweise beim Bau der Veltins-Arena in Gelsenkirchen, des Stadions im Borussia-Park in Mönchengladbach und der Allianz-Arena in München gewählt.47
3. Bebauungsplanung Weitaus stärkere Bedeutung als der nur vorbereitende Flächennutzungsplan hat der Bebauungsplan als verbindlicher Bauleitplan (vgl. §§ 1 II, 8 I 1 BauGB). Anders als der Flächennutzungsplan ermöglicht der Bebauungsplan eine parzellenscharfe Festsetzung von Großsportanlagen. Allerdings ist der Bebauungsplan wegen seiner unmittelbaren Bedeutung für den Bürger viel häufiger verwaltungsrechtlichen und -gerichtlichen Auseinandersetzungen unterworfen. Papier merkte zur Rechtslage vor Einführung der Sportanlagenlärmschutzverordnung daher an, dass insbesondere bei der Planung von Sportstätten ein „Massensterben“ von Bebauungsplänen vor den Verwaltungsgerichten zu beobachten sei.48 Sollte dies auch heute noch zutreffen, kann es im ungünstigsten Fall zur Folge haben, dass sich die planende Gemeinde u. U. erheblichen Amtshaftungsansprüchen des Bauherrn ausgesetzt sieht. Umso mehr Sorgfalt ist daher in diesem Planungsstadium geboten. Um Erschließungskosten und das wirtschaftliche Risiko des Baus der Großsportanlage abzuwälzen, kommt für die Gemeinde statt eines sog. angebotsbezogenen Bebauungsplans die Wahl eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 BauGB in Betracht.49 In der Praxis hat sich aber eher der Abschluss eines die Bauleitplanung flankierenden städtebaulichen Vertrags (§ 11 BauGB) mit den beteiligten Vereinen oder Bauträgern durchgesetzt. So werden üblicherweise Finanzierung, Gestaltung und Durchführung der nach § 1a III ___________ 46 Hierauf verweisend Bernd Sillenberg, Leitender Ministerialrat in der Abteilung Sport im Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes NRW, im Rahmen der Podiumsdiskussion „Strategien zur Integration des Sports in den Städtebau“, Sportstättenbau + Bäderanlagen 1993, S. 78. Vgl. auch Löhr, in: Battis/ Krautzberger/Löhr, BauGB, § 5 Rn. 31. 47
Dazu Rotter (Fn. 12), S. 50, 65, 116, 161, 170, 229 und 233. Papier (Fn. 6), S. 25. 49 Vgl. Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht II, Loseblattsammlung, München, Stand: Dezember 2006, Nr. 2.18, § 1 Rn. 12. 48
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BauGB erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen gemäß § 11 I 2 Nr. 2 BauGB auf den Investor bzw. Verein übertragen. Dementsprechend wurde beispielsweise beim Bau der Veltins-Arena in Gelsenkirchen, dem Stadion im Borussia-Park in Mönchengladbach, der Allianz-Arena in München und der Coface Arena in Mainz ein solcher städtebaulicher Vertrag abgeschlossen. Ist der Vorhabenträger allerdings dauerhaft finanziell leistungsunfähig, kann es zu dem unbefriedigenden Ergebnis einer Investitionsruine und einer Aufhebungsverpflichtung nach § 12 VI BauGB kommen.50
a) Festsetzungsmöglichkeiten Prinzipiell gilt für jede geplante Großsportanlage: Je störender die Sportanlage und je schutzwürdiger die Umgebung ist, desto genauer sollte deren zukünftige Nutzung im Bebauungsplan festgesetzt werden.51 Empfehlenswert ist eine gesonderte Ausweisung einer Großsportanlage im Bebauungsplan. Dabei bietet sich die Festsetzung als „sonstiges Sondergebiet“ nach §§ 1 II Nr. 10, III, 11 BauNVO an, denn die mit einem sehr großen Flächenbedarf bzw. Zuschaueraufkommen verbundene und baulich aufwendig gestaltete Großsportanlage unterscheidet sich zumeist wesentlich vom Gebietscharakter der §§ 2–10 BauNVO. Aufgrund dieser Besonderheiten ist eine solche Ausweisung auch einer ausdrücklichen Festsetzung als selbstständige Sportanlage oder Grünfläche mit der Zweckbestimmung Sportplatz nach § 9 I Nr. 5 bzw. Nr. 15 BauGB vorzuziehen.52 Als „sonstiges Sondergebiet“ wurden beispielsweise die Veltins-Arena in Gelsenkirchen, das Stadion im Borussia-Park in Mönchengladbach und die Allianz-Arena in München, aber auch das Olympiagelände in München ausgewiesen. Das VG Gießen hat in einer Entscheidung zu der für Hand- und Basketballspiele der Bundesliga konzipierten Multifunktionshalle Linden eine Ausweisung als SO-Gebiet sogar explizit angemahnt.53
___________ 50
Vgl. Köster, ZfBR 2005, 147, 148. Smollich, Der Konflikt Sportanlagen und Umweltschutz: Lösungswege nach dem Bauplanungs- und Immissionsschutzrecht, Baden-Baden 1993, S. 85. 52 Ketteler (Fn. 13), S. 208, Fn. 119. 53 VG Gießen, Beschl. v. 09.06.2005 – 1 G 1103/05 – Mittelhessen-Arena Wetzlar/Multifunktionshalle Linden. 51
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b) Erforderlichkeit (§ 1 III 1 BauGB) Der Vorgabe des § 1 III 1 (ggf. i. V. m. VIII) BauGB, Bauleitpläne aufzustellen, zu ändern, zu ergänzen oder aufzuheben, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist, unterliegt nicht nur der Bebauungsplan als Ganzes, sondern jede einzelne Festsetzung nach § 9 I BauGB.54 Die mit dem Bau einer Großsportanlage verbundenen Konflikte führen regelmäßig gerade dazu, dass sie nur im Wege eines Bebauungsplans zu bewältigen sind.55 Auf die „städtebauliche Entwicklung und Ordnung“ i. S. v. § 1 III 1 BauGB zielt die Planung z. B. nicht ab, wenn davon auszugehen ist, dass eine planerische Festsetzung lediglich dazu dient, private Interessen zu befriedigen. Die Errichtung der Großsportanlage durch einen privaten Investor steht der städtebaulichen Erforderlichkeit einer Planung insofern aber grundsätzlich nicht entgegen.56 Städtebaulich gerechtfertigt ist darüber hinaus auch ein Bebauungsplan, dem das bereits erwähnte „Utrechter Modell“ zugrunde liegt.57 Nicht „erforderlich“ i. S. d. § 1 III 1 BauGB ist eine Planung, die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen dauerhaft oder auf unabsehbare Zeit nicht vollzogen werden kann. So darf die Kommune keinen Bebauungsplan aufstellen, der nicht vollzugsfähig ist, weil seine Verwirklichung zwangsläufig an den immissionsschutzrechtlichen Anforderungen der Sportanlagenlärmschutzverordnung58 oder an den artenschutzrechtlichen Zugriffs- und Beeinträchtigungsverboten i. S. d. § 42 BNatSchG59 scheitern würde.60 ___________ 54
Vgl. Dirnberger, in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB, § 1 Rn. 15. Vgl. Ketteler (Fn. 13), S. 231. 56 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 15.12.2003 – 3 S 2827/02, NJOZ 2004, 4197, 4201 f. – Sportpark Bösfeld-Arena; OVG Münster, Urt. v. 28.04.2005 – 7 D 16/04, juris, Rn. 86. 57 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.01.2002 – 4 BN 27/01, BRS 65 Nr. 58; OVG Münster, Urt. v. 07.12.2000 – 7a D 60/99, SpuRt 2002, 31 ff. – Preußenpark Münster. 58 BVerwG, Urt. v. 21.03.2002 – 4 CN 14.00, NVwZ 2002, 1509 f.; Beschl. v. 16.01.2002 – 4 BN 27/01, BRS 65 Nr. 58 – Preußenpark Münster; Urt. v. 12.08.1999 – 4 CN 4/98, BVerwGE 109, 246 f. = NVwZ 2000, 550 f.; OVG Münster, Urt. v. 28.04.2005 – 7 D 16/04, juris, Rn. 95 f.; VGH Mannheim, Urt. v. 15.12.2003 – 3 S 2827/02, NJOZ 2004, 4197, 4213 – Sportpark Bösfeld-Arena Mannheim; OVG Koblenz, Urt. v. 22.12.2010 – 8 C 10600/10, juris, Rn. 64 f. – Ballpark im Hartmühlenweg. Insofern setzt der Grundsatz der Konfliktbewältigung bereits bei § 1 III 1 BauGB an. So auch Ketteler, NVwZ 2002, 1070, 1071. 59 VGH Mannheim, Urt. v. 15.12.2003 – 3 S 2827/02, NJOZ 2004, 4197, 4203 f. – Sportpark Bösfeld-Arena; OVG Koblenz, Urt. v. 22.12.2010 – 8 C 10600/10, juris, Rn. 101 f. – Ballpark im Hartmühlenweg; OVG Koblenz, Urt. v. 26.10.2010 – 8 C 10150/10, juris, Rn. 57 f. – Coface Arena. 55
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Vergleichsweise großzügig sind die Anforderungen an die finanzielle bzw. wirtschaftliche Vollzugsfähigkeit der geplanten Nutzung.61 Dies hat insbesondere für die Finanzierbarkeit privater62 Großsportanlagen zu gelten. Ist die Vergabe staatlicher Mittel für eine geplante (private) Großsportanlage mit Art. 107 AEUV unvereinbar, sollte dies daher jedenfalls für § 1 III 1 BauGB unbeachtlich sein. Darüber hinaus wird in wirtschaftlicher Sicht keine dauerhafte Rentabilität erwartet.63
c) Abstimmungsgebot (§ 2 II BauGB) Eine Verletzung des Gebots zur interkommunalen Abstimmung (§ 2 II BauGB) ergibt sich nicht schon aus der Konkurrenzsituation zwischen zwei Großsportanlagen oder aus drohenden finanziellen Einbußen einer Nachbargemeinde. Dies hat der VGH Kassel für die Auswirkungen der bereits angesprochenen Multifunktionshalle Linden auf die in 20 km Entfernung betriebene Mittelhessen-Arena Wetzlar entschieden.64 Dennoch ist gerade bei einer Multifunktionsarena mit Mantelnutzung eine Abstimmung mit den betroffenen Nachbarkommunen zu empfehlen, da sich die Nutzung der Arena auf die zentralen Versorgungsbereiche der Nachbargemeinde auswirken kann (vgl. § 2 II 2, 2. Alt. BauGB).
d) Anpassungsgebot (§ 1 IV BauGB) Auch das Anpassungsgebot (§ 1 IV BauGB), also die Pflicht, die Bebauungsplanung an der überörtlichen Planung auszurichten, ist besonders bei Multifunktionsarenen zu beachten. Gerade bei ausgeprägter Mantelnutzung gilt es ___________ 60 Auf ein unmögliches Ziel ist ein Bebauungsplan aber nicht schon deshalb gerichtet, weil unsicher ist, ob und wo die notwendigen Stellplätze für eine Großsportanlage zur Verfügung gestellt werden können. Vgl. OVG Münster, Urt. v. 24.10.2006 – 7 D 126/05, BRS 70 Nr. 48 – Paragon-Arena Paderborn; OVG Münster, Urt. v. 28.04.2005 – 7 D 16/04, juris, Rn. 91 f., wobei aber ein Abwägungsfehler nach § 1 VII BauGB angenommen wurde. 61 Vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Kommentar, Loseblattsammlung, München, Stand: September 2005, § 1 Rn. 214. 62 Zur Finanzierbarkeit öffentlicher Vorhaben vgl. Söfker (Fn. 61). 63 BVerwG, Urt. v. 29.09.1978 – 4 C 30.76, BVerwGE 56, 283 f.; Urt. v. 06.05.1993 – 4 C 15.91, NVwZ 1994, 274 f. Nach Söfker (Fn. 61) verlangt das Erfordernis der Durchführbarkeit der Festsetzung aber unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine realistische Chance. 64 VGH Kassel, Beschl. v. 13.07.2005 – 3 TG 1701/05 – Mittelhessen-Arena Wetzlar/Multifunktionshalle Linden.
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deshalb zu prüfen, ob und inwieweit die nichtsportbezogene Nutzung den Zielen der Raumordnung (§ 3 I Nr. 2 ROG) entspricht.65 So gibt es in dem für die Gelsenkirchener Veltins-Arena geltenden Gebietsentwicklungsplan die Zielvorgabe, dass ein geplanter Einzelhandel in seiner Dimension (Art und Umfang) an der Zentrenverträglichkeit auszurichten ist und in engem Zusammenhang mit der angestrebten Nutzung stehen muss.66
e) Abwägungsgebot (§ 1 VII BauGB) Den Kern der Planung bildet die Abwägungsentscheidung nach § 1 VII BauGB, also das Gebot, die öffentlichen und privaten Belange untereinander und gegeneinander gerecht abzuwägen. Wichtige Ansatzpunkte bieten dabei die in den §§ 1 V, VI, 1a BauGB formulierten Planungsleitsätze und Planungsdirektiven.
aa) Planungsleitsätze Von den Planungsleitsätzen, die die generellen Ziele der Bauleitplanung benennen, ist für den Sportanlagenbau besonders § 1 V 1 BauGB („soziale […] Anforderungen“) relevant, da dem Sport auch eine soziale Bedeutung zukommt.67 Als erfahrungsgemäß eher restriktive Planungsziele („Planungsschranken“68) sind die Sicherung einer „menschenwürdigen Umwelt“, der Schutz der „natürlichen Lebensgrundlagen“ (§ 1 V 2 BauGB) sowie der „spar-
___________ 65
Zum Zielabweichungsverfahren vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 26.10.2010 – 8 C 10150/10, juris, Rn. 74 f. – Coface Arena. 66 Vgl. Gebietsentwicklungsplan Regierungsbezirk Münster – Teilabschnitt „Emscher-Lippe, Stand 12.11.2004, Rn. 201 u. 228. 67 Vgl. Stern, Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Grundfragen zur Aufnahme des Sports in die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, in: Becker/Bull/Seewald (Hrsg.), Festschrift für Werner Thieme zum 70. Geburtstag, Köln u. a. 1993, S. 6. Damit verbunden ist die stadtplanerische Frage, ob Großsportanlagen zur Aufwertung eines Stadtviertels beitragen und als Integrationsfaktor für soziale Randgruppen dienen können. Dazu Prinz/Strobl, Sportkultur – Kulturarchitektur, in: Architekturmuseum der TU München u. a., Architektur + Sport – vom antiken Stadion zur modernen Arena, Wolfratshausen 2006, S. 119, 122 mit Verweis auf das Negativbeispiel Stade de France im Pariser Problemstadtteil Saint-Denis. 68 Gaentsch, in: Schlichter/Stich/Driehaus/Paetow (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, Loseblattsammlung, Bd. 1, 3. Aufl., Köln u. a., Stand: August 2002, § 1 Rn. 50.
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same und schonende Umgang mit Grund und Boden“ (§ 1a II 1 BauGB)69 zu nennen.
bb) Planungsdirektiven Die Planungsleitsätze werden durch die Planungsdirektiven des § 1 VI BauGB konkretisiert. Anhand der dort beispielhaft („insbesondere“) genannten Belange lassen sich auch die für die Planung von Großsportanlagen maßgeblichen Aspekte und Spannungsfelder skizzieren:
(1) Belange von „Sport, Freizeit und Erholung“ (§ 1 VI Nr. 3 BauGB) Man könnte meinen, dass die Belange von „Sport, Freizeit und Erholung“ (§ 1 VI Nr. 3 BauGB) ganz selbstverständlich auch beim Bau von Großsportanlagen betroffen sind. Dies musste durch Literatur70 und Rechtsprechung71 aber erst herausgearbeitet werden. Richtigerweise kann nämlich für Großsportanlagen (des Profisports), bei denen der größte Teil der Bevölkerung auf eine (passive) Zuschauerrolle beschränkt ist, nichts anderes gelten als für Normalsportanlagen (des Amateursports). Auch diese dienen regelmäßig ebenfalls der Förderung einer sozialadäquaten und von breiten Bevölkerungskreisen akzeptierten Form der Freizeitgestaltung. Gleichwohl sehen manche Sportfördergesetze (vgl. § 3 III RPSportFG, § 3 II ThürSportFG oder § 2 I 2 SportFG M-V) keine Unterstützung solcher Sportstätten vor, die (überwiegend) auf den Berufssport ausgerichtet sind.
(2) Zentrenverträglichkeit (§ 1 VI Nr. 4 BauGB) Wie bereits im Rahmen des Anpassungsgebots des § 1 IV BauGB erwähnt, ist gerade bei Multifunktionsarenen (mit intensiver Mantelnutzung) besonders auf deren Zentrenverträglichkeit zu achten (§ 1 VI Nr. 4 BauGB). Um beispielsweise die diesbezüglichen Auswirkungen des Stadions im Borussia-Park ___________ 69 Vgl. dazu Smollich (Fn. 51), S. 81; Kim, Aktuelle Rechtsfragen des Lärmschutzes, insbes. des Straßenverkehrs-, Flug- und Sportlärms, Frankfurt a. M. u. a. 1999, S. 236. 70 Halfmann, Nachbarrechtliche Konflikte bei Planung, Bau und Betrieb von Sportanlagen, St. Augustin 1991, S. 52. 71 OVG Münster, Beschl. v. 15.11.2005 – 7 B 1823/05, NVwZ-RR 2006, 306, 309 – Paragon-Arena Paderborn, unter Hinweis auf BVerwG, Beschl. v. 16.12.1992 – 4 B 202/92, Buchholz 406.11 § 3 BauGB Nr. 4 – Rhein-Neckar-Stadion Mannheim.
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einschätzen zu können, wurde von der Stadt Mönchengladbach eigens ein Fachgutachten in Auftrag gegeben, das explizit Eingang in den Bebauungsplan fand.72
(3) Auswirkungen auf das Landschaftsbild (§ 1 V 2 a. E., VI Nr. 5 a. E. BauGB) Dass Großsportanlagen Auswirkungen auf das „Landschaftsbild“ i. S. d. § 1 V 2 a. E., VI Nr. 5 a. E. BauGB bzw. § 1a III 1 BauGB i. V. m. § 18 I a. E. BNatSchG haben, ist zumeist offenkundig. Im Rahmen der Bauleitplanung ist die naturgegebene Lage am Standort der Großsportanlagen in Betracht zu ziehen und dann darauf zu achten, dass das Gesamtbild der Landschaft nicht zerrissen und der Übergang der Bebauung zur freien Landschaft angemessen gestaltet wird.73 Großsportanlagen sollten deswegen jedoch nicht vorauseilend „versteckt“ und als bloße Funktionsbauten angesehen werden, sondern bieten die Chance, positive städtebauliche Akzente zu setzen. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Allianz-Arena in München – mittlerweile ein Wahrzeichen der Landeshauptstadt. Aufgrund der Vorbelastungen musste dort allerdings nicht von einer erheblichen Beeinträchtigbarkeit des Landschaftsbildes ausgegangen werden (vgl. § 1a III 1 BauGB i. V. m. Art. 6 I a. E. BayNatSchG) und dementsprechend wurde auch keine Restriktion für die Bebauung mit einem ca. 55 m hohen Gebäude und der dazugehörigen Infrastruktur abgeleitet.74 Man beließ es aber nicht dabei, sondern nahm das Bauwerk als Gelegenheit wahr, ein „Stadtzeichen“ bzw. „Stadtkonturen“ zu schaffen. Zudem sollte die Arena sogar eine ordnende Funktion für Siedlungsentwicklung und Stadteinfahrt übernehmen.75
___________ 72
Vgl. INFO Spezial Nr. 4, Februar 1999, der Entwicklungsgesellschaft NordSüdpark Mönchengladbach mbH, S. 1; Erläuterungsbericht der 100. Änderung des Flächennutzungsplans der Stadt Mönchengladbach v. 12.02.1998, Zif. 4.3. 73 Vgl. Söfker (Fn. 61), § 1 Rn. 137; OVG Koblenz, Urt. v. 26.10.2010 – 8 C 10150/10, juris, Rn. 164 f. – Coface Arena. 74 Protokoll zur Sitzung des Ausschusses für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München v. 07.05.2003, S. 11 f.; Umweltbericht nach § 2 BauGB zum Bebauungsplan Nr. 1906 der Landeshauptstadt München, S. 52 f. u. 73 f. 75 Umweltbericht nach § 2 BauGB zum Bebauungsplan Nr. 1906 der Landeshauptstadt München, S. 73.
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(4) Auswirkungen auf das Klima (§ 1 V 2, VI Nr. 7 a BauGB) Die vom Baukörper der Großsportanlage qua natura ausgehende klimaökologische Auswirkung („Riegelwirkung“) führt i. d. R zu keiner merklichen Veränderung der Klimafunktion i. S. d. § 1 VI Nr. 7 a BauGB und § 2 I Nr. 6 BNatSchG. Auf die diesbezüglichen Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Abwägung geht der VGH Mannheim76 in seinem Urteil zum Bebauungsplan „Sportpark Bösfeld-Arena Mannheim“ ein, der Grundlage für die spätere SAP ARENA des Eishockey-Bundesligisten Adler Mannheim war. Das OVG Koblenz hat allerdings den ersten Bebauungsplan für die Coface Arena in Mainz teilweise für unwirksam erklärt, weil die Bedeutung der klimaökologischen Funktion des neben der Großsportanlage befindlichen Parkdecks abwägungsfehlerhaft nicht mit dem ihr zukommenden Gewicht berücksichtigt worden war. Der Bebauungsplan ermöglichte insofern nicht nur die klimaverträgliche Variante eines leicht eingetieften Parkdecks mit extensiv begrünten Dach, sondern ließ auch andere Ausgestaltungen zu.77
(5) Belange des Umweltschutzes (§§ 1 VI Nr. 7, 1a BauGB) Von zentraler Bedeutung für die Planung von Großsportanlagen sind Belange des Umweltschutzes (§§ 1 VI Nr. 7, 1a BauGB). Der in Art. 20a GG als Staatszielbestimmung ausdrücklich anerkannte Umweltschutz bildet gewöhnlich die Antipode zu dem nach Art. 2 I und II 1 GG geschützten Sport. In der Abwägung nach § 1 VII BauGB ist eine Zurückstellung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege dann möglich, wenn sich der Belang des Sports, zumeist bei Großsportanlagen im Zusammenspiel mit weiteren Belangen, im konkreten Fall als vorzugswürdig erweist.78 Eine möglichst „ökologische Sportstättenplanung“79 erleichtert diese Abwägungsentscheidung. Hierzu
___________ 76
VGH Mannheim, Urt. v. 15.12.2003 – 3 S 2827/02, NJOZ 2004, 4197, 4221 f. – Sportpark Bösfeld-Arena Mannheim m. w. N. 77 Vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 26.10.2010 – 8 C 10150/10, juris, Rn. 90, 107 und 121 f. – Coface Arena; OVG Koblenz, Urt. v. 22.12.2010 – 8 C 10600/10, juris, Rn. 79 – Ballpark im Hartmühlenweg. 78 Vgl. Birk, VBlBW 2000, 97, 99 m. w. N. 79 Mattner-Stellmann, Städte- und Gemeindebund 1989, 196. Vgl. auch Schmidt/ Walker/Mandetta/Gagg, Fußballstadien – Technische Empfehlungen und Anforderungen, hrsg. von der Fédération Internationale de Football Association (FIFA), 4. Aufl., Zürich 2007, S. 32 ff.
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sind die bau-, anlage- und betriebsbedingten80 Wirkungen auf die Umwelt frühzeitig zu klären. Die für den Bau einer Großsportanlage sprechenden Belange können sich sogar gegen die hohen Hürden des Biotop- und Artenschutzes (vgl. §§ 42, 11 S. 1 BNatSchG) durchsetzen. So konnte beim Bau der Allianz-Arena in München ein relativ kleinflächiger Bereich eines FFH-Gebiets81 (Fröttmaninger Heide) in Anspruch genommen werden.82 Allerdings sollten die Folgen für am Standort lebende (kleine) Tiere nicht unterschätzt werden. Deren (Arten-) Schutz kann die Planungen maßgeblich beeinflussen. Dies war zu berücksichtigen bei den Planungen für das Stadion im Borussia-Park in Mönchengladbach (Kammmolch), die Allianz-Arena in München (nachtaktive Insekten), die SAP ARENA in Mannheim (letztes baden-württembergisches Vorkommen des Feldhamsters83) und die Coface Arena in Mainz (Feldhamster und mehrere Arten von brütenden Vögeln84). Zum Umweltschutz im weiteren Sinne zählen auch die Vorgaben der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV). Dieses für die Zulassung85 von (Groß-)Sportanlagen86 bestimmte immissionsschutzrechtliche Regelwerk bedarf mehrmals besonderer Beachtung: auf der Ebene der Bauleitplanung, im Baugenehmigungsverfahren, bei der Betriebsgestaltung in Eigenverantwortung des Stadionbetreibers und letztendlich bei der Anwendung der Überwachungsvorschriften der §§ 24 ff. BImSchG. Dabei ist ohne Zuhilfenahme der aufsichtsrechtlichen Vorschriften – § 5 V i. V. m. Nr. 1.5 Anhang (ggf. i. V. m. ___________ 80 Zu den Spannungen mit den Zielen und Grundsätzen des Natur- und Landschaftsschutzes von anlagengebundenem Sport vgl. Turner/Werner, SpuRt 1997, 51, 52; Smollich, DVBl. 1990, 454, 455. 81 FFH-Gebiete sind Schutzgebiete der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie. 82 Vgl. dazu Rotter (Fn. 12), S. 230 und 250 f. 83 Vgl. dazu VGH Mannheim, Urt. v. 15.12.2003 – 3 S 2827/02, NJOZ 2004, 4197, 4203 f. – Sportpark Bösfeld-Arena Mannheim. Kurioserweise ist der „Hamster Udo“ mittlerweile Maskottchen der Arena. 84 Vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 26.10.2010 – 8 C 10150/10, juris, Rn. 57 f. – Coface Arena. 85 Die Sportanlagenlärmschutzverordnung ist damit für die Bauleitplanung nur mittelbar von Bedeutung und hat keinen zwingenden Charakter. Nach Rspr. des BVerwG (Urt. v. 12.08.1999 – 4 CN 4.98, BVerwGE 109, 246, 250) soll daher eine Immissionsprognose, die von einer Richtwertüberschreitung ausgeht, für sich genommen noch keine Vollzugsunfähigkeit des Plans bewirken, solange im Zulassungsverfahren die Einhaltung der Richtwerte bei weiterhin sinnvoller Nutzung der Sportanlage sichergestellt werden kann. 86 Für Multifunktionsarenen gilt die Sportanlagenlärmschutzverordnung wegen § 1 I und II 18. BImSchV nicht, wenn und soweit sie für nichtsportbezogene Zwecke, also beispielsweise für Open-Air-Konzerte (Maßstab hierfür: länderrechtliche Freizeitlärmregelwerke), benutzt werden. Vgl. Ketteler (Fn. 13), S. 53 f.
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§ 6) 18. BImSchV –, die bei (mindestens) 18 seltenen (sportbezogenen)87 Ereignissen88 eine Überschreitung der Immissionsrichtwerte zulassen, der Bau von Fußballgroßsportanlagen vielfach nicht möglich.89
(6) Belange der Wirtschaft (§ 1 VI Nr. 8 a BauGB) Großsportanlagen, insbes. kommerziell genutzte Arenen, stellen regelmäßig einen erheblichen Wirtschaftsfaktor für Kommunen dar.90 Belange der Wirtschaft (§ 1 VI Nr. 8 a BauGB) können und sollten daher zugunsten der Planungsentscheidung herangezogen werden. Dies gilt umso mehr, als Profivereine grundsätzlich standortbezogene und -gebundene Wirtschaftsunternehmen darstellen.91 Auch hinsichtlich eigener finanzieller Unterstützung kann sich die Kommune daher darauf stützen, dass es sich um eine Förderung der (mittelständischen) Wirtschaft (vgl. Art. 57 I BayGO) handelt.92 ___________ 87 Aus der Rspr. des VG Berlin zum Olympiastadion Berlin (Urt. v. 06.04.2005 – 19 A 299/02, LKV 2005, 419, 422 f.) ergibt sich, dass sonstige Veranstaltungen bei der Berechnung der zulässigen 18 seltenen (sportbezogenen) Ereignisse wertend zu berücksichtigt sind. 88 Vgl. dazu Ketteler, Sportanlagenlärmschutzverordnung, S. 126 f. bzw. NVwZ 2002, 1070, 1075, der meint, die 17 Heimspiele eines Fußballbundesligisten würden, da dem regelmäßigen Spielbetrieb zuzuordnen, keine „besonderen Ereignisse und Veranstaltungen“ i. S. d. § 5 V i. V. m. Nr. 1.5 Anhang 18. BImSchV darstellen. Insbesondere lasse sich aus der Entstehungsgeschichte kein „DFB-Privileg“ (korrekt: DFL-Privileg) ableiten. Es geht aber um seltene Lärm- und nicht um seltene Sportereignisse, sodass auch regelmäßige Sportveranstaltungen erfasst sind. Zudem müssen die „besonderen Ereignisse und Veranstaltungen“ nach § 5 V i. V. m. Nr. 1.5 Anhang der 18. BImSchV gerade nicht den Stellenwert „internationaler oder nationaler Sportveranstaltungen von herausragender Bedeutung im öffentlichen Interesse“ nach § 6 18. BImSchV erreichen, vgl. Rotter (Fn. 12), S. 76 f. Umgekehrt ist der Anwendungsbereich des § 6 18. BImSchV sehr gering. Ein Spiel der 2. Fussballbundesliga, auch wenn es sich um das erste Ostwestfalen-Lokalderby (zwischen dem SC Paderborn und Arminia Bielefeld) in dieser Spielklasse handelt, fällt grundsätzlich nicht darunter, vgl. VG Minden, Urt. v. 09.06.2010 – 11 K 2736/09. 89 Vgl. auch zu weiteren Problemen Rotter (Fn. 12), S. 74 f. 90 Zum Sport als Wirtschaftsfaktor Rittner, Der Städtetag 2003, Heft 7/8, 27, 28; Meyer, Der Städtetag 2003, Heft 7/8, 6, 7. 91 Steiner, Kommunen und Leistungssport – Mäzenatentum oder Daseinsvorsorge?, in: Tettinger/Vieweg (Hrsg.) (Fn. 38), S. 43, 49 f.; ders., Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Sport, in: Crezelius/Hirte/Vieweg (Hrsg.), Gesellschaftsrecht – Rechnungslegung – Sportrecht, Festschrift für Volker Röhricht zum 65. Geburtstag, Köln 2005, S. 1234 f.; Brych, Möglichkeiten und Grenzen der Gemeindlichen Förderung des Berufssports aus rechtlicher Sicht, Hamburg 2004, S. 35 ff. 92 Steiner, Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Sport, in: Crezelius/Hirte/Vieweg (Hrsg.) (Fn. 91), S. 1234; Rittner (Fn. 90).
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(7) Belange der Arbeitsplätze (§ 1 VI Nr. 8 c BauGB) Eng mit § 1 VI Nr. 8 a BauGB verknüpft ist § 1 IV Nr. 8 c BauGB („Schaffung von Arbeitsplätzen“). Hier sind natürlich weniger die Arbeitsplätze der Profisportler gemeint, die die Großsportanlage (später) benutzen, als vielmehr die Beschäftigungsmöglichkeiten, die sich sowohl durch die Errichtung als auch durch den Betrieb einer Großsportanlage ergeben.
(8) Belange des Verkehrs (§ 1 VI Nr. 9 BauGB) Gerade bei Großsportanlagen entsteht durch das Zusammenführen von Sportstättenbau und sog. isolierter Straßenplanung (§ 9 I Nr. 11 BauGB) eine konfliktträchtige Situation.93 Die Gemeinde hat in der Abwägungsentscheidung die Belange des Personen- und Güterverkehrs und der Mobilität der Bevölkerung, einschließlich des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und des nichtmotorisierten Verkehrs, zu berücksichtigen. Insbesondere ist eine auf Vermeidung und Verringerung von Verkehr ausgerichtete städtebauliche Entwicklung anzustreben (§ 1 VI Nr. 9 BauGB). Bei der Aufteilung des Besucherverkehrs („Modal Split“94) ist für ein möglichst ausgewogenes Verhältnis von Individualverkehr und ÖPNV zu sorgen. Neben dem üblichen Anschluss an das Bundesfernstraßennetz sollte es deswegen nach Möglichkeit auch zu einer unmittelbaren Anbindung der Großsportanlage an den schienengebundenen Verkehr kommen. Großsportanlagen versorgen zumeist ein größeres Einzugsgebiet und ziehen viele Zuschauer an, so dass dem ÖPNV hier überdurchschnittliche Bedeutung zukommt.95 Ein Negativbeispiel hierfür ist das Stadion im Borussia-Park in Mönchengladbach, bei dem der wichtigste Baustein des ursprünglichen ÖPNV-Konzepts, die verkehrliche Erschließung mittels einer sog. Regio-Bahn, nicht umgesetzt wurde. Auch nach Eröffnung der Großsportanlage wurde daher von der Aufsichtsbehörde eine Schienenanbindung an das Stadion für unabdingbar gehalten.96 Bis dahin wird – und das ist für eine Fußballgroßsportanlage mit diesen Besucherzahlen sicherlich ungewöhnlich – weiterhin mit einem Busshuttle-System operiert. ___________ 93
Berkemann, NVwZ 1992, 817, 826. Zu den unterschiedlichen zahlenmäßigen Ansätzen fü den „Modal Split“ vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 26.10.2010 – 8 C 10150/10, juris, Rn. 134 – Coface Arena. 95 Vgl. Pätzold, Sportstättenbau + Bäderanlagen 1993, 149. 96 Pressemitteilung „Borussia in Zukunft ohne Stau? – Behörden, Unternehmen und Verein Borussia Mönchengladbach zu gemeinsamem Gespräch bei Regierungspräsident Büssow“ der Bezirksregierung Düsseldorf v. 23.08.2004. 94
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Bereits in der Bauleitplanung ist sicherzustellen, ob und wo die erforderlichen Stellplätze angelegt werden können. So hat das OVG Münster97 den gesamten Bebauungsplan für die „Paragon-Arena“ (seit dem 26.06.2009 „Energieteam Arena“) des SC Paderborn für unwirksam erklärt, da es in der unzureichenden planerischen Ausweisung von Besucherparkplätzen einen erheblichen Abwägungsmangel i. S. d. § 214 III 2 BauGB sah. Eine platzsparende und umweltschonende Alternative zum herkömmlichen Parkplatz auf der Fläche stellt die Ausweisung von Stellplätzen innerhalb des Großsportanlagenkomplexes oder unterhalb der Geländeoberfläche nach § 12 IV BauNVO dar. Anlässlich der Überprüfung der Planungen des Baus der SAP ARENA hat der VGH Mannheim98 allerdings entschieden, dass aus der Bodenschutzklausel des § 1a I BauGB keine Verpflichtung abgeleitet werden kann, den Flächenbedarf (ebenerdiger Parkplätze) mithilfe eines Parkhauses oder einer Tiefgarage zu verringern. Die Möglichkeit „wilden Parkens“ muss nach der Rechtsprechung des VGH Mannheim99 nicht zwingend gegeben sein, sie sollte aber bereits i. R. d. Abwägung nach § 1 VII BauGB berücksichtigt werden. Um einen schnellen und reibungslosen Einsatz von Feuerwehr, Notdiensten und Polizei zu ermöglichen, sollte eigens eine kreuzungsfreie Straße um die Großsportanlage (sog. Ringstraße) angelegt werden. Gelungene Beispiele hierfür sind die Veltins-Arena in Gelsenkirchen und die Allianz-Arena in München.100 Begleitende verkehrsplanerische Maßnahmen sind oftmals notwendig, um die Sicherheit und Leichtigkeit des Besucherverkehrs zu gewährleisten bzw. die Anwohnerschaft zu schützen. Das primäre Ziel einer optimalen Ausnutzung der Infrastruktur und der vorgesehenen Parkplätze kann durch Einführung eines „Kombitickets“ sowie eines dynamischen Verkehrslenkungs- und Parkleitsystems erreicht werden. Ist dies (allein) nicht erfolgversprechend, sollte „Schleichwegen durch angrenzende Wohngebiete, Parksuchverkehr und verkehrswidrigem Parken mit den im Einzelfall auf Eignung zu überprüfenden straßenverkehrsrechtlichen Möglichkeiten begegnet werden“.101 ___________ 97 Urt. v. 24.10.2006 – 7 D 126/05, BRS 70 Nr. 48 – Paragon-Arena Paderborn. Mittlerweile wurden aber die abgeänderten planerischen Ausweisungen gerichtlich bestätigt, vgl. OVG Münster, Beschl. v. 18.03.2011 – 2 A 2579/09, 2 A 2580/09 und 2 A 2581/09, juris, Rn. 65 ff. – Energieteam Arena Paderborn. 98 Urt. v. 15.12.2003 – 3 S 2827/02, NJOZ 2004, 4197, 4210 u. 4223 – Sportpark Bösfeld-Arena Mannheim. 99 VGH Mannheim, Urt. v. 15.12.2003 – 3 S 2827/02, NJOZ 2004, 4197, 4221 – Sportpark Bösfeld-Arena. 100 Vgl. dazu Rotter (Fn. 12), S. 138 und 263. 101 Zum Ganzen Rotter (Fn. 12), S. 93 f.; OVG Koblenz, Urt. v. 26.10.2010 – 8 C 10150/10, juris, Rn. 130 ff. – Coface Arena.
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(9) Belange der zivilen Anschlussnutzung von Militärliegenschaften (§ 1 VI Nr. 10 a. E. BauGB) Insbesondere Konversionsflächen (vgl. § 1 VI Nr. 10 a. E. BauGB) eignen sich für die Ausweisung von Großsportanlagen, denn regelmäßig kann eine solche Folgenutzung dann an eine bereits qualifizierte Infrastruktur und an ein vorbelastetes102, großräumiges Areal, das die Einhaltung der Richtwerte der Sportanlagenlärmschutzverordnung erleichtert, anknüpfen. Vielerorts vermeidet ein solches „Flächenrecycling“ eine ansonsten notwendige weitere Flächenversiegelung und entspricht daher der Forderung der Bodenschutzklausel des § 1a II 1 BauGB. Beim Stadion im Borussia-Park in Mönchengladbach, das auf einem ehemaligen Areal der britischen Rheinarmee entstand, war dies der Fall.103 Anders als bei der Allianz-Arena in München wurde der Standort der Großsportanlage sogar als Gebiet mit städtebaulichen Missständen eingestuft und konnte damit als Sanierungsgebiet nach §§ 142 I 1, 136 BauGB festgelegt werden.
cc) Grundsatz der Konfliktbewältigung Der Grundsatz der Konfliktbewältigung bzw. das Verbot der Konfliktverlagerung hat sich als der wichtigste Abwägungsaspekt bei der Planung einer Großsportanlage herauskristallisiert. Er besagt, dass alle durch die Planung zurechenbar verursachten Konflikte im Bebauungsplan zu lösen sind.104 Werden die bereits genannten drohenden immissions-, umwelt- und verkehrsbedingten Probleme nicht ausreichend in der Bauleitplanung gelöst, ist der Plan nicht vollzugsfähig und damit nicht erforderlich i. S. d. § 1 III 1 BauGB bzw. abwägungsfehlerhaft nach § 1 VII BauGB. ___________ 102
Allgemein gilt, dass Standorte mit negativer Prägung oftmals die Ausweisung einer Großsportanlage begünstigen. Die Großsportanlage kann wiederum den Standort zukünftig positiv beeinflussen. Häufig sind auch einzelne städtebauliche „Win-Win“Situationen möglich. Beispiele: Für den Bau Veltins-Arena in Gelsenkirchen wurden „Waschberge“ aus dem darunter liegenden Bergbaugebiet für die notwendige Baugrundverbesserung bzw. -erhöhung und beim Bau der Allianz-Arena in München mit Klärschlamm belastete Oberböden für die dortigen Lärmschutzwälle verwendet. Dazu Rotter (Fn. 12), S. 109 und 237. 103 Ein ähnliches Beispiel ist die am 28.05.2011 eröffnete Baseballanlage des Bundesligisten Mainz-Athletics, deren Plangebiet bis 1995 den US-Streitkräften diente, vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 22.12.2010 – 8 C 10600/10, juris, Rn. 4 und 34 – Ballpark im Hartmühlenweg. 104 Smollich, Planungshilfen zum Freizeitkonflikt Umwelt und Sport – Eine Identifikation von Problem- und Handlungselementen, Erkrath 1991, S. 93.
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Auch105 über diesen Grundsatz fließen die strenger werdenden Vorschriften des allgemeinen und besonderen Sicherheitsrechts, aber auch die Vorgaben der (inter-)nationalen Sportverbände (z. B. DFB-, UEFA- und FIFA-Richtlinien), immer stärker bereits im Stadium der Bauleitplanung mit ein. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Erfordernisse der in der Studie der Stiftung Warentest zur Sicherheit von WM-Stadien vom 10. Januar 2006106 angemahnten panikund evakuierungsgerechten Planung von Großsportanlagen. Hierzu gehören auch Fragen der Fantrennung und der Bereitstellung von Puffer- und Entflechtungsräumen.
dd) Rücksichtnahmegebot Nach der Rechtsprechung des BVerwG zum Rhein-Neckar-Stadion Mannheim107 kann Sportanlagen des Profisports nicht generell mehr Rücksichtnahme abverlangt werden als solchen des Breitensports. Allerdings wird das in § 15 I 2, 2. Alt. BauNVO formulierte Rücksichtnahmegebot hinsichtlich Sportlärm grundsätzlich durch die Sportanlagenlärmschutzverordnung konkretisiert.108 Es ist auf der Ebene der Bauleitplanung vor allem bei faktischen Vorbelastungen, Gemengelagen und bei einem „Heranrücken“ von Großsportanlage und Wohnbebauung aneinander relevant.109 Natürlich hat das Gebot der Rücksichtnahme auch außerhalb des Sportanlagenlärms Bedeutung. So bietet es Schutz vor der erdrückenden Wirkung einer
___________ 105 Eine andere Möglichkeit ist § 9 IV BauGB. Danach sind Festsetzungen (z. B. zu äußeren Gestaltung der Großsportanlage oder zu deren Werbeanlagen) in Form örtlicher Bauvorschriften im Bebauungsplan möglich, sofern das Landesrecht von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht hat (vgl. z. B. Art. 81 II BayBO oder § 86 IV NRWBO). Weitere Voraussetzung ist dann lediglich, dass ein inhaltlicher Zusammenhang mit den Festsetzungen eines Bebauungsplans besteht und die Gemeinden auch für die entsprechenden Regelungen nach dem Landesrecht zuständig sind. Über dieses „Scharnier“ können auch Vorgaben des Versammlungsstättenrechts, beispielsweise § 30 I BayVStättV bzw. NRWVStättV, welche die Einfriedungen von Stadionanlagen behandeln, Eingang in den Bebauungsplan finden (vgl. Art. 81 I Nr. 5 BayBO bzw. § 86 I Nr. 5 NRWBO). Weiterführend Rotter (Fn. 12), S. 61 und 235. 106 Stiftung Warentest v. Februar 2006, Nr. 2, S. 78 ff.; vgl. dazu Reinsch, Note „mangelhaft“ für vier Weltmeisterschafts-Arenen, FAZ v. 11.01.2006, S. 29. Allgemein Motzke, NZBau 2004, 297 f. 107 Beschl. v. 16.12.1992 – 4 B 202/92, Buchholz 406.11 § 3 BauGB Nr. 4 – RheinNeckar-Stadion Mannheim. 108 Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.09.1999 – 4 C 6/98, BVerwGE 109, 314, 319 f. 109 Weiterführend dazu Rotter (Fn. 12), S. 86 f.
Bau von Großsportanlagen aus planungsrechtlicher Sicht
191
Großsportanlage bzw. einer Lärmschutzanlage110 oder vor Lichtimmissionen, die von der Großsportanlage ausgehen111.
ee) Trennungsgrundsatz Insbesondere bei Stadionneuplanungen ist bei der Abwägung verstärkt der Trennungsgrundsatz in Ansatz zu bringen, dem zufolge unterschiedliche, nicht miteinander zu vereinbarende Nutzungsformen von vornherein räumlich voneinander zu trennen bzw. verschiedenen Planbereichen zuzuweisen sind (vgl. § 50 BImSchG).112 Ein städtebauliches Ziel einer „Großsportanlage um die Ecke“, vergleichbar dem eines „Sportplatzes um die Ecke“, ist aus dem bestehenden Baurecht allerdings nicht ableitbar: Anders als bei der durchschnittlichen Sportanlage113 steht bei der Großsportanlage regelmäßig das (passive) Zuschauen und nicht die aktive Sportausübung im Vordergrund. Die Großsportanlage dient nicht allein und nicht in erster Linie der Wohnbevölkerung der Umgebung, sondern setzt regelmäßig einen größeren Einzugsbereich voraus, und ist eher mit einer wohnungsunverträglichen Lärmbelästigung bzw. Verkehrsund Umweltbelastung verbunden. Anders als die (Normal-)Sportanlage verbessert die Großsportanlage daher grundsätzlich nicht die Lebensqualität vor Ort. Eine Trennung wird regelmäßig notwendig sein, auch wenn die Segregation der Funktionsräume des Sports, die Parzellierung der räumlichen Lebenszusammenhänge und die „Panzerung der Sportstätten“114 aus anderen Gründen städtebaulich nachteilig sind.
4. Fachplanungen Bei Großsportanlagen treten regelmäßig weitere Prüfungen (z. B. Umweltverträglichkeits- bzw. Umweltprüfung) und Planungen, insbes. die Fachpla___________ 110 OVG Münster, Beschl. v. 21.07.1994 – 11 B 1511/94, NVwZ-RR 1995, 435, 436; Ketteler (Fn. 13), S. 189 f. Zum „Schattenwurf“ einer Großsportanlage vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 26.10.2010 – 8 C 10150/10, juris, Rn. 173 – Coface Arena. 111 OVG Münster, Beschl. v. 18.03.2011 – 2 A 2579/09, 2 A 2580/09, 2 A 2581/09 juris, Rn. 62 ff. – Energieteam Arena Paderborn; OVG Koblenz, Urt. v. 22.12.2010 – 8 C 10600/10, juris, Rn. 98 f. – Ballpark im Hartmühlenweg; OVG Münster, Beschl. v. 27.02.2009 – 7 B 1647/08, juris, Rn. 44 ff. – Paragon-Arena Paderborn m. w. N. 112 Stüer/Middelbeck, BauR 2003, 38, 45. 113 Vgl. dazu Egger, BayBgm 1991, 269. 114 Digel, Sport in den 90er Jahren – Eine perspektivische Situationsskizze, in: Internationale Vereinigung Sport- und Freizeiteinrichtungen (Hrsg.), 6. Expertengespräch: Perspektiven und Prognosen im Sportstättenbau – Analysen und Folgerungen, IAKS Schriftenreihe Nr. 31, Köln 1991, S. 17 u. 23 f.
192
Sebastian Rotter
nung, hinzu. Obwohl es sich zweifellos um Vorhaben von herausragender Bedeutung handelt, sind Planung und Zulassung von Großsportanlagen selbst nicht fachrechtlichen Regelungen, insbes. keinem Planfeststellungsverfahren unterworfen. Es erscheint zwar nicht recht nachvollziehbar, warum z. B. in München für den Bau einer fast 70.000 Menschen fassenden Fußball-Arena kein Planfeststellungsverfahren notwendig sein sollte, für die benachbarten Deponien hingegen schon,115 doch aufgrund der damit verbundenen (weiteren) „Verstaatlichung“116 der Planung und der Beschneidung der Planungshoheit der Gemeinden (Art. 28 II 1 GG) ist eine Änderung der Rechtslage nicht zu erwarten.117 Im Zusammenhang mit der Erschließung von Großsportanlagen kommt es allerdings oftmals zu Planfeststellungs- bzw. Plangenehmigungsverfahren, z. B. nach § 17 FStrG bzw. § 28 PBefG i. V. m. Art. 72 ff. VwVfG. Beim Bau oder bei der Änderung einer Bundesfernstraße bzw. von Betriebsanlagen für Straßenbahnen ist eine fachplanungsrechtliche Zulassung nämlich nur entbehrlich, wenn, was zumeist nicht der Fall ist, diese Ausbaumaßnahmen umfänglich in den Umgriff des Bebauungsplans aufgenommen (insbes. nach § 9 I Nr. 11, 24 und 26 BauGB) werden (§ 17 III 1 FStrG bzw. § 28 III 1 PBefG).
IV. Ergebnis Die Planung von Großsportanlagen ist sehr facettenreich. Die dabei auftretenden (öffentlich-rechtlichen) Probleme sind mannigfaltig und konnten daher nur teilweise angesprochen werden. Verallgemeinernd kann festgehalten werden, dass Rechtsprechung und Literatur die gesetzlichen Rahmenvorgaben für Sportanlagen (des Breiten- und Amateursports) grundsätzlich unterschiedslos auf Großsportanlagen (des Spitzen- und Profisports) anwenden. Differenziert wird aber hinsichtlich des Planungsaufwands. Mit zunehmender Größe einer Sportanlage steigen auf allen Ebenen (überörtliche Planung, Bauleitplanung und Fachplanung) die Anforderungen an die Planung.
___________ 115
Dies beweist auch die Stellungnahme des Bund Naturschutz in Bayern e.V. nach § 3 II BauGB, in der er anfragte, ob für die Münchener Arena ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt worden sei. Vgl. das Protokoll zur Sitzung des Ausschusses für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München v. 07.05.2003, S. 9. 116 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl., München 2004, § 16 Rn. 12. 117 Vgl. dazu Rotter (Fn. 12), S. 294.
Die webbasierte Eigenvermarktung medialer Inhalte am Beispiel von Fußball-Pressekonferenzen Von Thomas Feiler* I.
Einleitung .......................................................................................................... 194
II. Ausgewählte Rechtsgrundlagen für die Eigenvermarktung .............................. 196 1.
Urhebergesetzlicher Werk- oder Leistungsschutz? .................................... 196 a)
Sprachwerkschutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG? ............................. 196 aa) Schutzvoraussetzungen für Sprachwerke.................................... 196 bb) Äußerungen während Pressekonferenzen als Sprachwerke? ...... 197 cc) Zwischenergebnis ....................................................................... 198
b)
Leistungsschutz gemäß § 81 UrhG? ................................................... 198 aa) Schutzbereich des § 81 UrhG ..................................................... 199 bb) Veranstaltungen darbietender Künstler i. S. d. § 73 UrhG? ........ 199 cc) Zwischenergebnis ....................................................................... 200
2.
Abwehrrechtspositionen ............................................................................ 200 a)
Lauterkeitsrechtliche Abwehransprüche ............................................ 201 aa) Spannungsverhältnis Lauterkeitsrecht – Immaterialgüterrecht ... 201 bb) Nachahmungsschutz gemäß §§ 3, 4 Nr. 9 UWG?....................... 202 cc) Behinderungsschutz gemäß §§ 3, 4 Nr. 10 UWG? ..................... 204 dd) Unmittelbarer Leistungsschutz gemäß § 3 Abs. 1 UWG? .......... 205 ee) Zwischenergebnis ....................................................................... 206
b)
Hausrechtsbasierte Rechtsmacht ........................................................ 207 aa) Rechtsmacht aus §§ 903, 1004 bzw. §§ 862, 859 BGB .............. 207 bb) Grenzen der hausrechtsbasierten Rechtsmacht ........................... 208
3.
Zwischenergebnis ...................................................................................... 209
III. Kartellrechtliche Grenzen der partiellen Eigenvermarktung ............................. 209
___________ * Der nachfolgende Beitrag behandelt ausgewählte Teilaspekte der Dissertation des Autors.
194
Thomas Feiler 1.
2.
Bestimmung des sachlich relevanten Marktes ........................................... 210 a)
Gegenstandsbezogene Marktabgrenzung ........................................... 211
b)
Distributionskanalbezogene Marktabgrenzung .................................. 212
c)
Vorliegend: Drittmarkt ....................................................................... 212
Eigenvermarktung als Verstoß gegen Art. 102 AEUV? ............................ 213 a)
Behinderungsmissbrauch?.................................................................. 213
b)
Unanwendbarkeit der Essential-Facilities-Doktrin............................. 216
c)
Diskriminierungsmissbrauch? ............................................................ 216
d)
Zwischenfazit ..................................................................................... 217
IV. Zusammenfassende Bewertung ......................................................................... 217
I. Einleitung „Kommerzialisierung ist die Ausnutzung jeglicher Möglichkeiten des Veranstalters, finanziellen Nutzen aus den Spielen zu ziehen.“1 Diese Aussage des Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Theo Zwanziger, spiegelt die Realität im Bereich der Vermarktung des Fußballsports nur noch teilweise wider. Die Bedeutung der Vermarktung medialer Inhalte, die Zusatz- bzw. Hintergrundinformationen zum sportlichen Geschehen auf dem grünen Rasen liefern, nimmt nämlich immer mehr zu. So betrieben bspw. die Klubs der italienischen Serie A Lobbyarbeit, um den Gesetzgeber zur Schaffung einer rechtlichen Grundlage für ein Entgeltverlangen gegenüber TV-Kanälen für Interviews zu bewegen.2 Eine ähnliche Entwicklung ist auch in Deutschland zu verzeichnen. Fast alle Bundesligisten nutzen mittlerweile einen eigenen Web-TVSender, über den sie Inhalte wie z. B. Pressekonferenzen zur entgeltlichen und non-linearen3 Rezeption für den „echten Fan“ bzw. fußballinteressierten Beobachter zum Abruf bereithalten. Um die Entgeltpflicht zu rechtfertigen und um eine Markenstärkung und Kundenbindung zu erreichen,4 streben zumindest einige Fußballklubs auch nach einer gewissen Exklusivität der darin bereitge___________ 1 Vgl. Zwanziger, Sport und Recht, in: Dekanin der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam (Hrsg.), Sport und Recht – Tag der Juristischen Fakultät 30. November 2005, Potsdam 2006, S. 9 (23). 2 Siehe Handelsblatt v. 28.11.2008, S. 30. 3 Dies beschreibt die Nutzerautonomie hinsichtlich des Zeitpunkts der Rezeption. Beim Web-TV handelt es sich demnach um ein Telemedienangebot i. S. v. § 2 Abs. 1 S. 3 RStV i. V. m. § 1 Abs. 1, § 2 S. 1 Nr. 6 und § 4 TMG. 4 Siehe zur ökonomischen Analyse des Klub-TV Woratschek/Kunz/Ströbel, CoBranding zwischen Sport und Medien: Eine Analyse des Fallbeispiels Schalke 04 TV, in: Bruhn/Strauss (Hrsg.), Forum Dienstleistungsmanagement, Wiesbaden 2008, S. 140 ff.
Die webbasierte Eigenvermarktung medialer Inhalte
195
haltenen Inhalte. Dass dies mit den Berichterstattungsgewohnheiten der Medien kollidiert, die gerade Pressekonferenzen jenseits eines konkreten Spieltags bisher unbeschränkt medial aufzeichnen und verwerten konnten, liegt auf der Hand. Zwar erscheint es auf den ersten Blick schwer nachvollziehbar, worin der wirtschaftliche Wert und damit das vermarktbare Potential von FußballPressekonferenzen liegt. Bedenkt man indes, dass TV-Übertragungen der Pressekonferenzen der Nationalmannschaft im Rahmen der EM 2008 jeweils Marktanteile von ca. 10 % erzielen konnten,5 so wird offensichtlich, dass sich das Interesse der fußballinteressierten Öffentlichkeit und damit ihre Nachfrage nach entsprechenden audiovisuellen Inhalten immer mehr auf Zusatz- und Hintergrundinformationen rund um das sportliche Geschehen erweitert. Der Sportvermarktung als komplexem Geflecht widerstreitender Interessen wird auf diese Weise eine neue Dimension hinzugefügt. Die Bedeutung des World Wide Web als Distributionskanal innerhalb dieses Geflechts ist dabei leicht erklärbar, greift doch eine immer weiter steigende Zahl von Fußballinteressierten zur Informationsbeschaffung darauf zurück.6 Nachfolgend werden ausgewählte Rechtsgrundlagen auf ihre Eignung zur rechtlichen Absicherung einer exklusiven Eigenvermarktung des Inhalts „Pressekonferenz“ per non-linearem WebTV seitens eines Fußballklubs untersucht. Zu beachten ist dabei, dass es aus Sicht eines Fußballklubs nur darum gehen kann, schon vor der Organisation und Durchführung sowie bei der anschließenden Verkörperung der Wortbeiträge eine effektive Rechtsgrundlage an der Hand zu haben. Der Beitrag schließt mit einer Untersuchung des Eigenvermarktungsmodells in Bezug auf das kartellrechtliche Behinderungs- und Diskriminierungsverbot des Art. 102 AEUV.7
___________ 5
Vgl. Gees/Gerhard, MP 2008, 442 (443). Zwar beherrscht das Fernsehen im traditionellen Sinne nach wie vor den Bereich der Sportberichterstattung, jedoch nutzen mittlerweile bereits 71,2 % der 14- bis 29jährigen Sportinteressierten das Internet regelmäßig als Informationsquelle, vgl. Oehmichen/Schröter, MP 2008, 394 (408) unter Verweis auf die „ARD/ZDF-Online Studie 2008“. Im Jahr 2006 nutzten von den regelmäßigen Fußballsehern zwischen 14 und 74 Jahren „nur“ 48 % das Internet als Informationsquelle, vgl. SPONSORs 10/2006, S. 55. 7 Die Überprüfung der Akkreditierungsbestimmung eines Fußballklubs zur rechtlichen Absicherung des Eigenvermarktungsmodells im Hinblick auf das Kartellverbot gemäß Art. 101 AEUV muss aus Platzgründen entfallen. Anzumerken ist insofern nur, dass die Akkreditierungsbestimmung aufgrund ihrer wesensimmanenten Wettbewerbsbeschränkung grundsätzlich unter den Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen kann, aber auch eine Einzelfreistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV in Betracht kommt. 6
196
Thomas Feiler
II. Ausgewählte Rechtsgrundlagen für die Eigenvermarktung Den Schwerpunkt der nachfolgenden Untersuchung bilden das Urheberrecht sowie lauterkeitsrechtliche oder hausrechtsbasierte Abwehransprüche. Auf eine nähere Prüfung persönlichkeitsrechtlicher Ansprüche der natürlichen Personen (Spieler, Trainer oder Manager) gegen eine unautorisierte Aufzeichnung und Ausstrahlung ihrer Bilder während Pressekonferenzen gemäß § 22 KunstUrhG wird nachfolgend verzichtet. Insoweit reicht der Hinweis, dass regelmäßig die Ausnahmevorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3 KunstUrhG zugunsten der das Informationsinteresse der Allgemeinheit bedienenden Medien eingreift.
1. Urhebergesetzlicher Werk- oder Leistungsschutz? a) Sprachwerkschutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG? Würden einzelne Aussagen der Spieler oder Trainer während Pressekonferenzen die Anforderungen an Sprachwerke nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG erfüllen, so bestünde für einen Fußballklub die Möglichkeit, sich von seinen arbeitnehmenden Spielern und Trainern gemäß § 29 Abs. 2 i. V. m. § 31 Abs. 1 UrhG konstitutiv Nutzungsrechte einräumen zu lassen. Dem ausschließlichen Nutzungsrecht nach § 31 Abs. 3 UrhG kommt auch dingliche und nicht nur schuldrechtliche Wirkung zu.8 Infolgedessen erlangt der Nutzungsrechtserwerber eine Dritten gegenüber gesicherte und effektive Rechtsposition. Ein Fußballklub wäre somit nicht nur gegenüber seinen Spielern und Trainern als möglichen Schöpfern urheberrechtlich geschützter Werke während Pressekonferenzen zur Nutzung dieser Werke etwa im Wege der öffentlichen Zugänglichmachung gemäß § 19a UrhG9 berechtigt. Er könnte vielmehr auch gegen Dritte vorgehen, die diese Werke unautorisiert nutzen.
aa) Schutzvoraussetzungen für Sprachwerke Um ein (Sprach-)Werk handelt es sich, sofern infolge einer persönlichen geistigen Schöpfung ein Erzeugnis geschaffen worden ist, das durch seinen In___________ 8
Vgl. BGH GRUR 1959, 200 (202) – Heiligenhof; Schricker, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht Kommentar, 3. Aufl., München 2006, vor §§ 28 ff. Rn. 48; Loewenheim/Nordemann, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, München 2003, § 25 Rn. 3. So jetzt auch BGH GRUR 2009, 946 (948) – Reifen Progressiv zum einfachen Nutzungsrecht. 9 Vgl. zur Einordnung non-linearer Angebote als öffentliche Zugänglichmachung und nicht als Senderecht gemäß § 20 UrhG Kleinke, AfP 2008, 460 (463); OLG München GRUR-RR 2010, 258 (260); OLG Hamburg MMR 2006, 173 (174) – staytuned.
Die webbasierte Eigenvermarktung medialer Inhalte
197
halt oder seine Form oder durch die Verbindung von Inhalt und Form etwas Neues und Eigentümliches darstellt.10 Die Schöpfung muss aus Sicht des Schöpfers mehr eigenschöpferische Züge aufweisen als bereits bekannte Leistungen oder solche, die auch von anderen Personen mit vergleichbaren Fähigkeiten in der gleichen Situation üblicherweise erbracht werden (können).11 Erst dann besitzt das Erzeugnis eine hinreichende Gestaltungshöhe, die trotz der sog. kleinen Münze erforderlich ist.12 Die Werkqualität eines Interviews wird dementsprechend bejaht, wenn es aufgrund der Art des Gesprächs oder infolge der eingearbeiteten kritischen Würdigung des behandelten Gegenstands eine individuelle Prägung aufweist und über das Niveau einer banalen Darstellung von Ereignissen hinausgeht.13
bb) Äußerungen während Pressekonferenzen als Sprachwerke? Zwar ist die Werkqualität für jede Äußerung innerhalb einer jeden Pressekonferenz individuell zu überprüfen. Wie vorstehend bereits angedeutet, ist in einem Vermarktungssachverhalt indes eine generalisierende Sichtweise angebracht. Ob die freien Äußerungen oder einzelnen Antworten der Spieler oder Trainer bzw. deren Gesamtheiten während Fußball-Pressekonferenzen jenseits eines gerade absolvierten Spiels generell ein hinreichendes Maß an schöpferischer Individualität aufweisen, ist jedoch zweifelhaft. Diese Zweifel basieren auf medienwissenschaftlichen Untersuchungen des Äußerungsverhaltens von Personen im Profi-Fußball. Danach antworten Spieler und Trainer auf die ihnen gestellten, überwiegend stereotypen Fragen der Medienvertreter vornehmlich mit phrasen- und floskelhaften Antworten unter Verwendung eines sachlichnüchternen bzw. sportspezifischen Sprachstils.14 Die Anforderung an eine hin___________ 10 Amtliche Begründung zum RegE UrhG, BT-Drucksache IV/270, 27 (38). So auch OLG Köln ZUM 2009, 961 (962) in Bezug auf Äußerungen während eines Interviews. 11 Ahlberg, in: Möhring/Nicolini (Hrsg.), Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl., München 2000, § 2 Rn. 65; ähnlich Heermann, GRUR 1999, 468 (469). 12 Vgl. BVerfG GRUR 2005, 410 (410) – Laufendes Auge; BGHZ 94, 276 (286) – Inkasso-Programm. Erdmann, GRUR 1996, 550 (551); von Gamm, Die Problematik der Gestaltungshöhe im deutschen Urheberrecht, Baden-Baden 2004, S. 32. 13 AG Frankfurt/Main DB 1976, 236 (236); ähnlich Vinck, AfP 1973, 490 (490); Brauneck/Schwarz, AfP 2008, 14 (17); siehe zur Rechtslage in Österreich bspw. OGH GRUR Ausl. 1966, 22 (23) – Silberbauer-Interview. 14 Siehe Schaffrath, Das sportjournalistische Interview im deutschen Fernsehen, Münster u. a. 2000, S. 135, 157 und 161; Reus, Zur Sprache in der Sportberichterstattung, in: Deutsches Institut für publizistische Bildungsarbeit (Hrsg.), Textsammlung mit Fachbeiträgen aus dem Seminar „Das war schon immer so“ – Konzepte für einen neuen Sportteil (Bd. 1), Hagen 1989, S. 17 ff. (30); ähnlich in Bezug auf die Sportberichterstattung als solche Dankert, Sportsprache und Kommunikation, Tübingen 1969, S. 58 ff.
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Thomas Feiler
reichende Gestaltungshöhe wird dadurch regelmäßig nicht erfüllt. Ähnlich stellt sich die Situation bezüglich spieltagsunabhängiger Pressekonferenzen dar. Ein Grund dafür ist, dass die Aussagen der von Klubseite entsandten Gesprächspartner eng mit dem jeweiligen – meist sportbezogenen – Anlass der Pressekonferenz verknüpft sind. Im Vergleich zu den Äußerungen von Durchschnittsschöpfern in solch einer Situation wird ein darüber hinausgehendes Maß an Individualität oder Eigentümlichkeit basierend auf der Darstellungsform oder dem Sprachstil in aller Regel verneint werden müssen.
cc) Zwischenergebnis Den Aussagen der Spieler und Trainer während Fußball-Pressekonferenzen jenseits eines gerade absolvierten Bundesligaspiels, aber zu dessen Nachbereitung, zur Vorbereitung eines anstehenden Spiels oder aus sonstigem aktuellen Anlass kommt in den allermeisten Fällen keine Sprachwerksqualität zu. Folglich steht einem Fußballklub auch kein derivatives urhebergesetzliches Nutzungsrecht als effektive Rechtsgrundlage zur Verfügung, um sich die audiovisuelle Verwertung des Inhalts „Pressekonferenz“ exklusiv für seinen Web-TVSender vorzubehalten.
b) Leistungsschutz gemäß § 81 UrhG? Infolge seiner organisatorisch-wirtschaftlichen Leistungen – etwa der Bereitstellung der Infrastruktur für Pressekonferenzen (Räumlichkeiten, Strom- und Internetanschlüsse) und der Entsendung seiner arbeitnehmenden Spieler oder Trainer als Gesprächspartner – kommt zu Gunsten eines Fußballklubs weiterhin der unternehmensbezogene Leistungsschutz gemäß § 81 UrhG in Betracht. Dieser eröffnet einem Veranstalter originär die Ausschließlichkeitsrechte der §§ 77, 78 UrhG. Er kann losgelöst von der Geltendmachung dieser Rechte seitens des darbietenden Künstlers gegen solche Personen vorgehen, die unautorisiert Bewegtbild- oder Tonaufnahmen der künstlerischen Darbietung anfertigen und nutzen. Die Einbeziehung nicht-geistiger Leistungen in den Urheberrechtsschutz ist gerechtfertigt, weil und sofern sie in Verbindung mit den Werken von Urhebern erbracht werden und das Eingehen eines wirtschaftlichen Risikos erfordern.15 Infolge des Zusammenhangs mit der Werkschöpfung liefern derartige organisatorisch-wirtschaftliche Leistungen ebenfalls einen Beitrag zum kultu___________ 15 RegE UrhG, BT-Drucksache IV/270, S. 27 (94) zum seinerzeit in § 91 UrhG geregelten Veranstalterschutz.
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rellen Fortschritt der Gesellschaft, der im Hinblick auf die Interessen der Allgemeinheit im Einzelfall förderungs- und damit rechtsschutzwürdig sein kann.
aa) Schutzbereich des § 81 UrhG Der Schutzbereich des § 81 UrhG ist jedoch auf die Veranstaltung von Darbietungen ausübender Künstler beschränkt. Gemäß § 73 UrhG ist ausübender Künstler, wer ein Werk oder eine Ausdrucksform der Volkskunst (Folklore) darbietet oder an einer solchen Darbietung künstlerisch mitwirkt. Infolge der Verwendung des Werkbegriffs in § 73 UrhG ist der Veranstalterschutz – mit Ausnahme der Fälle von Folklore – nur dann einschlägig, wenn die Darbietung ein zumindest grundsätzlich urhebergesetzlich schutzfähiges Werk i. S. d. § 2 UrhG zum Gegenstand hat. Ausreichend ist folglich eine abstrakte Schutzfähigkeit der dargebotenen Tätigkeit. Ob diese auch über eine ausreichende Gestaltungshöhe verfügt, ist für den Veranstalterschutz nach §§ 81, 73 UrhG unerheblich. Sportliche Geschehnisse besitzen bereits keine abstrakte Werkqualität, weshalb der Leistungsschutz des Sportveranstalters ohne eine vertiefte Prüfung der Tatbestandsmerkmale der §§ 81, 73 UrhG abgelehnt werden kann.16 Einzelne Äußerungen der anwesenden Gesprächspartner während FußballPressekonferenzen oder die Gesamtheit ihrer Äußerungen können hingegen – wie vorstehend dargestellt – grundsätzlich Werkqualität i. S. d. § 2 UrhG besitzen, so dass es nicht ausreicht, sich diesbezüglich mit einer eindimensionalen Feststellung vergleichbar derjenigen in Bezug auf Sportgroßveranstaltungen zu begnügen.
bb) Veranstaltungen darbietender Künstler i. S. d. § 73 UrhG? Aus der Gesetzesbegründung17, der zufolge neben Musikern, Sängern, Schauspielern und Tänzern auch derjenige ausübender Künstler ist, der ein Werk interpretiert, folgt, dass die die Veranstalter(vor)leistung aktiv nutzende natürliche Person interpretatorisch tätig werden muss. Wann eine solche Tätigkeit vorliegt, ist dem Gesetz hingegen nicht zu entnehmen. Zwar ist eine künst___________ 16 Vgl. statt vieler Schmieder, GRUR 1964, 121 (124); de Oliveira Ascensão, GRUR Int. 1991, 20 (22) oder Kirschenhofer, ZUM 2006, 15 (16); ebenso BGHZ 110, 371 (383) – Sportübertragungen und OLG Hamburg ZUM-RD 2007, 238 (242). Die Einordnung einer Eiskunstlaufkür als künstlerische Darbietung kraft Überwiegens künstlerischer gegenüber sportlicher Elemente, vorgenommen vom BGH GRUR 1960, 604 (605), ist als Einzelfallentscheidung ohne Präzedenzcharakter anzusehen. 17 Amtliche Begründung zu § 73 UrhG, BT-Drucksache IV/270, S. 27 (90); ebenso die Begründung des Regierungsentwurfs zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drucksache 15/38, S. 14 (23).
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lerische Gestaltungshöhe vergleichbar derjenigen in § 2 Abs. 2 UrhG nicht erforderlich.18 Begnügt man sich indes mit einem Minimum an „eigenpersönlicher Ausprägung“19 bzw. „persönlicher Note“20, die jeder menschlichen Äußerung per se innewohnt, würde dies im vorliegenden Kontext zu einem widersprüchlichen Ergebnis führen. Die sprachlichen Ausführungen der an einer Fußball-Pressekonferenz Beteiligten genießen regelmäßig mangels Werkqualität i. S. d. § 2 Abs. 2 UrhG für sich genommen keinen Werkschutz, ihre zeitgleiche Darstellung begründet hingegen über § 73 UrhG verwandte Schutzrechte. Dies kann trotz der unterschiedlichen Schutzobjekte „Werk“ und „Darbietung“ nicht überzeugen. Folglich ist anhand eines tätigkeitsbezogenen Interpretationsbegriffs zu fordern, dass die Darbietung sich durch ihre spezifische Form21 von üblicherweise im Rahmen der entsprechenden Veranstaltung erfolgenden Darbietungen abhebt. Wie bereits ausgeführt, wird es den sprachlichen Ausführungen der an einer Pressekonferenz teilnehmenden Gesprächspartner in der Regel aber an einer derartigen spezifischen Form mangeln.
cc) Zwischenergebnis Auch ein Leistungsschutz für den jeweiligen Fußballklub als Veranstalter von Pressekonferenzen gemäß §§ 81, 73 UrhG kommt regelmäßig nicht in Betracht. Dieses Ergebnis ist im Rahmen der Prüfung lauterkeitsrechtlicher Grundlagen für eine Eigenvermarktung des Inhalts „Pressekonferenz“ erneut aufzugreifen, stellt es doch eine Negativaussage des Gesetzes dar und ordnet Fußball-Pressekonferenzen damit üblicherweise dem gemeinfreien Bereich zu.
2. Abwehrrechtspositionen Schon in der Sportübertragungen-Entscheidung22 führte der BGH aus, der Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Veranstalters von Sportgroßveran___________ 18
So BGHZ 79, 362 (368) – Quizmaster; Krüger, in: Schricker (Fn. 10), § 73 Rn. 23. LG Hamburg GRUR 1976, 151 (153). Der BGH hat sich in der QuizmasterEntscheidung im Wege eines obiter dictum dieser Ansicht angeschlossen, vgl. BGHZ 79, 362 (371 f.) – Quizmaster. 20 Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl., Berlin u. a. 1980, S. 524. 21 Siehe zu einem dahingehenden Interpretationsbegriff Dünnwald, UFITA 84 (1979), 1 (16 ff.); ders., Leistungsschutzrechte ‚im unteren Bereich‘ oder überdehnter Leistungsschutz?, in: Herschel/Hubmann/Rehbinder (Hrsg.), Festschrift für Georg Roeber zum 10. Dezember 1981, Freiburg 1982, 73 (81 f.). 22 BGHZ 110, 371 (383) – Sportübertragungen; dem folgend BGHZ 137, 297 (307) – Europapokalheimspiele; ebenso die Instanzgerichte, etwa OLG Frankfurt/Main SpuRt 19
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staltungen könne je nach Fallgestaltung u. a. auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemäß § 823 BGB oder auf lauterkeitsrechtliche Ansprüche gemäß § 1 UWG (a. F.) gestützt werden; darüber hinaus sei es möglich, eine freie Aufzeichnung und Übertragung durch Medien auf Basis des Hausrechts gemäß §§ 858, 1004 BGB zu untersagen. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf einen etwaigen Abwehranspruch gegen eine unautorisierte Parallelverwertung von Pressekonferenzen auf Grundlage des Lauterkeits- und Hausrechts. Bestünde z. B. ein Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Alt. 2 i. V. m. § 3 UWG, könnte ein Fußballklub diesen dergestalt nutzen, dass er im Rahmen eines Akkreditierungsverhältnisses auf dessen Ausübung verzichtet, sofern der Vertragspartner23 sich seinerseits gewissen Bedingungen wie etwa der Nichtverwertung des Inhalts im Wege des non-linearen Web-TV unterwirft.
a) Lauterkeitsrechtliche Abwehransprüche Bevor in die Überprüfung der Tatbestandsmerkmale einzelner lauterkeitsrechtlicher Tatbestände eingestiegen werden kann, ist deren Anwendbarkeit im vorliegenden Sachverhalt näher zu erörtern. Notwendig ist dies aufgrund des Spannungsverhältnisses zwischen Lauterkeitsrecht und Immaterialgüterrecht.
aa) Spannungsverhältnis Lauterkeitsrecht – Immaterialgüterrecht Das Spannungsverhältnis zwischen dem Lauterkeits- und dem Immaterialgüterrecht resultiert aus dem vorstehend bereits angedeuteten gemeinfreien Bereich, dem der Gesetzgeber diejenigen Immaterialgüter und die ihnen zugrunde liegenden wirtschaftlichen Leistungen zuordnet, die die Schutzvoraussetzungen des jeweiligen Sonderschutzregimes nicht (mehr) erfüllen. Seine marktwirtschaftliche Berechtigung erfährt der gemeinfreie Bereich, indem er für eine verbraucherfreundliche Preisbildung und eine effiziente Ressourcenallokation
___________ 1999, 200 (201) – Vermarktung von Autorennen oder OLG München NJW-RR 1997, 1405 (1406). 23 Siehe zur Einordnung des Akkreditierungsverhältnisses zwischen Veranstalter und Medien als Informationsvertrag sui generis mit kauf-, dienst- oder werkvertraglichen Komponenten Prantl, Die journalistische Information zwischen Ausschlussrecht und Gemeinfreiheit: eine Studie zum sog. Nachrichtenschutz, zum mittelbaren Schutz der journalistischen Information durch § 1 UWG und zum Exklusivvertrag über journalistische Informationen, Bielefeld 1982, S. 140 und Doepner/Spieth, AfP 1989, 420 (425).
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sorgt.24 Dass Fußball-Pressekonferenzen regelmäßig dem gemeinfreien Bereich zuzuordnen sind, da weder den darin getätigten Äußerungen noch den zu ihrer Organisation erforderlichen wirtschaftlichen Leistungen ein urhebergesetzlicher Schutz zukommt, ist bereits herausgearbeitet worden. Ein lauterkeitsrechtlicher Schutz der wirtschaftlichen Leistungen eines Fußballklubs muss sich also dem Vorwurf stellen, dass über den Umweg des grundsätzlich erzeugnisneutralen Lauterkeitsrechts letztlich doch Rechtsschutz für ein sondergesetzlich nicht geschütztes immaterielles Leistungsergebnis begründet wird. Es besteht folglich die Gefahr, quasi „in der Nachspielzeit“ inhaltlich und zeitlich unbeschränkte Ersatzausschließlichkeitsrechte zu kreieren. Diese Gefahr erachtet derjenige als weniger bedeutend, der im Schutz der unternehmerischen Leistung eine eigenständige Aufgabe des Lauterkeitsrechts sieht und demgemäß eine kumulative Anspruchskonkurrenz beider Rechtsmaterien annimmt.25 Durchgesetzt hat sich diese Ansicht indes (noch) nicht. Trotz der nach wie vor kontrovers geführten Diskussion um die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen dem Immaterialgüter- und dem Lauterkeitsrecht26 existiert vielmehr ein gewisser Grundkonsens dahingehend, dass sich diese Gefahr nur bei Vorliegen besonderer Umstände des konkreten Einzelfalls realisieren darf. Anhand dieser allgemeinen Leitlinie sind die in Betracht kommenden Tatbestände des UWG auf ihre Anwendbarkeit und Einschlägigkeit in der vorliegenden Konstellation zu untersuchen.
bb) Nachahmungsschutz gemäß §§ 3, 4 Nr. 9 UWG? Entsprechend der vorstehenden allgemeinen Leitlinie gilt innerhalb des Nachahmungsschutzes nach §§ 3, 4 Nr. 9 UWG der sog. Grundsatz der Nachahmungsfreiheit. Er hat Eingang in die Gesetzesbegründung des § 4 Nr. 9 UWG gefunden, auch wenn er von Teilen des Schrifttums als Leerformel kriti-
___________ 24
Sambuc, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig (Hrsg.), Kommentar zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), 2. Aufl., München 2009, § 4 Nr. 9 Rn. 14; Ohly, WRP 2008, 177 (185). 25 So z. B. Fezer, WRP 1993, 63 (64 ff.) und WRP 2008, 1 (9); ähnlich Fock, Der unmittelbare wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz, Köln u. a. 2008, Rn. 231 ff.; siehe auch Köhler, GRUR 2007, 548 (549 f.), der einen Gleichrang von Immaterialgüter- und Lauterkeitsrecht vornehmlich auf die UGP-Richtlinie stützt. 26 Neue Nahrung hat die Diskussion durch die hartplatzhelden.de-Entscheidungen erhalten, vgl. LG Stuttgart MMR 2008, 551 und OLG Stuttgart MMR 2009, 335. Diese sind von der Literatur überwiegend kritisiert worden, siehe dazu statt vieler Ehmann, GRUR Int. 2009, 659, Ohly, CaS 2009, 148 oder Maume, MMR 2008, 797. Anders dann auch BGH WRP 2011, 561, 562 f. – Hartplatzhelden.de.
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siert wird.27 Danach kommt ein lauterkeitsrechtlicher Nachahmungsschutz gemäß §§ 3, 4 Nr. 9 UWG nur dort in Betracht, wo besondere handlungsbezogene Umstände vorliegen, aufgrund derer die Nachahmung eines fremden Leistungsergebnisses den Stempel der Unlauterkeit verdient und die nicht bereits innerhalb der Prüfung etwaigen Immaterialgüterrechtsschutzes berücksichtigt worden sind.28 Der unter Anknüpfung an die Art und Weise der Nachahmung begründete Leistungsschutz ist demgemäß ein mittelbarer. Diesen kann ein Fußballklub in der vorliegenden Konstellation nur dann beanspruchen, wenn die unautorisierte audiovisuelle Parallelverwertung von Pressekonferenzen eine geschäftliche Handlung darstellt, die geeignet ist, die Interessen der Mitbewerber spürbar zu beeinträchtigen, und wenn dieser Handlung der Makel der Unlauterkeit anhaftet, weil es sich dabei um ein Angebot nachgeahmter Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers handelt. Zudem muss es dadurch zu einer Herkunftstäuschung [lit. a)], zu einer Rufausbeutung [lit. b)] oder zu einem Vertrauensbruch [lit. c)] kommen. Orientiert man sich am Wortsinn des Begriffs der Nachahmung, ist es erforderlich, dass der – angeblich – unlauter Handelnde seinerseits eine Pressekonferenz nach dem Vorbild bereits bekannter Pressekonferenzen, d. h. mit entsprechenden Gesprächspartnern, organisiert und durchführt. Unter den Begriff der Nachahmung kann nämlich kein Verhalten subsumiert werden, das das Ergebnis einer fremden (Dienst-)Leistung „bloß“ unmittelbar übernimmt bzw. daran anknüpft, um ein eigenständiges Erzeugnis herzustellen, wie es z. B. bei der Radio- oder Fernsehübertragung von Sportgroßveranstaltungen der Fall ist.29 Auch die audiovisuelle Übertragung von Fußball-Pressekonferenzen knüpft zwar an das Leistungsergebnis „Pressekonferenz“ an, Medienunternehmen erbringen dadurch sowie durch ihr eigenes Plattformangebot indes eine eigenständige Leistung, ohne die organisatorisch-wirtschaftliche Dienstleistung des ___________ 27
Siehe die amtliche Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drucksache 15/1487, S. 12 (18); kritisch hingegen Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, München 2006, S. 595 und Lubberger, Grundsatz der Nachahmungsfreiheit?, in: Ahrens/Bornkamm/Kunz-Hallstein (Hrsg.), Festschrift für Eike Ullmann, Saarbrücken 2006, S. 737 (passim). 28 Ohly, Klemmbausteine im Wandel der Zeit – ein Plädoyer für eine strikte Subsidiarität des UWG-Nachahmungsschutzes, in: Ahrens/Bornkamm/Kunz-Hallstein (Fn. 28), S. 795 (810 ff.); ders., GRUR 2007, 731 (734); Wiebe, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, B. 1: Grundlagen des Wettbewerbsrechts, Internationales Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Europäisches Gemeinschaftsrecht – Grundlagen und sekundärrechtliche Maßnahmen, § 1–4 UWG, München 2006, § 4 Nr. 9 Rn. 19 ff. und 31; Heermann, CaS 2010, 227 (232 und 234). 29 Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Hrsg.), Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Preisangabenverordnung/Unterlassungsklagegesetz, 28. Aufl., München 2010, § 4 UWG Rn. 9.38; Ohly, in: Piper/Ohly/Sosnitza (Hrsg.), Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, mit Preisangabenverordnung, 5. Aufl., München 2010, § 4 Rn. 9/80; Feldmann/Höppner, K&R 2008, 421 (424).
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Fußballklubs als des Veranstalters der Pressekonferenz nachzuahmen. In der unmittelbaren Nutzung des aus der Veranstaltung resultierenden medialen Inhalts „Pressekonferenz“ für ein eigenes webbasiertes Angebot ist vielmehr ein Fall der unmittelbaren Übernahme des Leistungsergebnisses zu sehen.30 Dieser ist am Behinderungstatbestand der §§ 3, 4 Nr. 10 UWG oder unmittelbarer an der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG zu messen.31
cc) Behinderungsschutz gemäß §§ 3, 4 Nr. 10 UWG? Der Anwendungsbereich des Behinderungsschutzes gemäß §§ 3, 4 Nr. 10 UWG ist trotz des Spannungsverhältnisses zum urhebergesetzlichen Veranstalterschutz nach § 81 UrhG eröffnet. Obwohl beide Tatbestände Amortisationschancen und damit Absatzkonflikte adressieren, wird die Negativaussage aus der vorrangigen Anwendung des § 81 UrhG nicht konterkariert, solange man für eine gezielte Behinderung i. S. d. § 4 Nr. 10 UWG nicht bereits jedwede Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Fortkommens des Mitbewerbers ausreichen lässt, sondern einen Unrechtsgehalt vergleichbar demjenigen der Herkunftstäuschung, der Rufausbeutung oder der unredlichen Kenntniserlangung in § 4 Nr. 9 UWG fordert. Der Begriff der gezielten Behinderung ist dementsprechend mehr handlungs- und weniger erzeugnisbezogenen und damit restriktiv auszulegen. Erfüllt ist er z. B., wenn das Marktverhalten bei objektiver Würdigung der Umstände primär auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltung des Mitbewerbers und nicht auf die Förderung des eigenen Wettbewerbs gerichtet ist.32 Die unautorisierte Parallelverwertung von Pressekonferenzen verwirklicht diese Voraussetzungen indes nicht. Es gilt nämlich, was schon im Zusammenhang mit anderen Vermarktungskonstellationen gesagt worden ist: Der Verwerter eines Ergebnisses fremder Leistungen strebt üblicherweise nicht danach, den Ast abzusägen, auf dem er selbst sitzt.33 Medienunternehmen wollen in der vorliegenden Konstellation vielmehr durch eine – im Verhältnis zur bisherigen und überwiegend nur anlassbezogenen Bewegtbildberichterstattung über Fußball-Pressekonferenzen – umfassendere Übertragung ihre eigene Position im Bereich der Berichterstattungsangebote rund um die Fußball-Bundesliga stärken. Dies ist mit dem objektiv-funktionalen Schutzzweck des Lauterkeitsrechts ___________ 30
Beater, Nachahmen im Wettbewerb, Tübingen 1995, S. 77. Heermann, CaS 2010, 227 (233). 32 Sack, WRP 2005, 531 (534 f.); Köhler (Fn. 31), § 4 UWG Rn. 10.7 und 10.10, unter Verweis auf BGHZ 171, 73 (81) – Außendienstmitarbeiter und BGH GRUR 2008, 621 (624) – AKADEMIKS. 33 Heermann, GRUR 2006, 359 (363) und CaS 2010, 227 (233). 31
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vereinbar. Eine gezielte Behinderung und damit ein Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Alt. 2 i. V. m. §§ 3, 4 Nr. 10 UWG kann somit vorliegend nicht angenommen werden.
dd) Unmittelbarer Leistungsschutz gemäß § 3 Abs. 1 UWG? Der unmittelbare Rückgriff auf die Generalklausel bedeutet, das Leistungsergebnis als solches in den Vordergrund zu rücken und besonderen handlungsbezogenen Unlauterkeitsmerkmalen weniger Aufmerksamkeit zu widmen. Teilweise wird vertreten, dass sich ein derartiger Leistungsschutz nicht in das Spannungsverhältnis des Lauterkeits- zum Immaterialgüterrecht einordne und deshalb abzulehnen sei.34 Andere hingegen sprechen sich dort für einen unmittelbaren Leistungsschutz gemäß § 3 Abs. 1 UWG aus, wo die negativen Wertungen aus der konkreten Anwendung immaterialgüterrechtlicher Tatbestände nicht konterkariert werden und es nicht nur um den Schutz der wirtschaftlichen Interessen des ursprünglichen Leistungserbringers, sondern insbes. auch um den Schutz der Interessen der Allgemeinheit geht.35 Die Meinungen in Rechtsprechung und Literatur im Kontext der medialen Verwertung von Sportgroßveranstaltungen gehen ebenfalls auseinander. Der BGH etwa hat in der Hörfunkrechte-Entscheidung § 3 Abs. 1 UWG überhaupt nicht diskutiert. Das OLG Stuttgart dagegen hat – wenngleich im Rahmen des § 4 Nr. 9 UWG – zur Begründung der Unlauterkeit auf die Schmälerung der Absatzmöglichkeiten infolge der Parallelverwertung rekurriert.36 Andere plädieren für eine Anwendbarkeit des § 3 Abs. 1 UWG, um das lückenhafte System des Immaterialgüterrechts bezüglich Sportgroßveranstaltungen zu schließen, wenn andernfalls die Amortisationsinteressen des Veranstalters durch unautorisierte Verwertungen so weitreichend entwertet würden, dass er jeglichen Anreiz zur fortgesetzten Erbringung der veranstaltungsbezogenen Investitionen verlöre.37 Die Vertreter ___________ 34
Vgl. Wiebe (Fn. 28), § 4 Nr. 9 Rn. 110; ders., Unmittelbare Leistungsübernahme im neuen Wettbewerbsrecht, in: Ohly/Bodewig/Dreier (Hrsg.), Perspektiven des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrechts – Festschrift für Gerhard Schricker zum 70. Geburtstag, München 2005, S. 773 (778 f.). Nach Köhler (Fn. 29), § 4 UWG Rn. 9.5c bestünde aufgrund der Regelung des § 4 Nr. 10 UWG kein Bedürfnis für einen Rückgriff auf die Generalklausel. 35 Ohly, GRUR 2010, 487 (493); Schröer, Der unmittelbare Leistungsschutz, Tübingen 2010, S. 185 ff. und 362 ff. 36 Vgl. OLG Stuttgart MMR 2009, 395 (397) – hartplatzhelden.de. Diese Begründung lehnte der BGH (WRP 2011, 561, 564 – Hartplatzhelden.de) in der Folge aber ab. 37 Laier, Die Berichterstattung über Sportereignisse – eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Existenz und Vermarktung von medialen Verwertungsrechten für den Hörfunk und die neuen Medien, Tübingen 2007, S. 178 ff.; ähnlich Lochmann, Die Einräumung von Fernsehübertragungsrechten an Sportveranstaltungen, Tübingen 2005,
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der letztgenannten Ansicht wollen somit über § 3 Abs. 1 UWG einem Marktversagen vorbeugen und messen insbes. dem mangelnden Veranstalterschutz nach § 81 UrhG keine so starke rechtliche Wirkung bei, dass deren Überwindung als systemwidrig anzusehen wäre. Diese Ansicht überzeugt grundsätzlich. Der Verneinung eines Veranstalterschutzes gemäß § 81 UrhG infolge einer nur eindimensional-abstrakten Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Darbietung ist keine absolute Negativaussage zu entnehmen, der zufolge Sportgroßveranstaltungen bzw. die in ihnen verkörperten wirtschaftlichen Leistungen der Veranstalter in jeder Hinsicht gemeinfreie Immaterialgüter sind. Selbst anhand dieses Ansatzes kann ein Fußballklub als Veranstalter von Pressekonferenzen indes keinen Schutz für seine insofern erbrachten organisatorisch-wirtschaftlichen Leistungen erlangen. Der vorstehend herausgearbeiteten, erst aus einer mehrdimensional-konkreten Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Darbietung resultierenden Wertung der §§ 81, 73 UrhG in Bezug auf Fußball-Pressekonferenzen wohnt nämlich eine stärkere rechtliche Qualität inne. Ein Fußballklub kann grundsätzlich den Veranstalterschutz gemäß §§ 81, 73 UrhG auch bezüglich Pressekonferenzen genießen. Dass dies in der Regel nicht der Fall sein wird, ist das Ergebnis einer rechtlichen Wertung zugunsten eines gemeinfreien Bereichs, das jenseits der besonderen Unlauterkeitsmerkmale des § 4 Nr. 9 und Nr. 10 UWG nicht konterkariert werden darf. Sollte ein Fußballklub von der Organisation und Durchführung spieltagsunabhängiger Pressekonferenzen unter Verweis auf die Beeinträchtigung seiner Vermarktungschancen durch unautorisierte Parallelverwertungen absehen, ist darin kein Marktversagen infolge eines unlauteren Marktverhaltens der Parallelverwerter zu sehen. Es wäre vielmehr Folge einer marktkonformen Betätigung von Medienunternehmen im gemeinfreien Bereich, der durch das Urheberrecht eröffnet worden ist und vom Lauterkeitsrecht trotz etwaiger Gefährdung auch der schutzwürdigen Interessen der Allgemeinheit nicht wieder eingeschränkt werden kann.
ee) Zwischenergebnis Ein Fußballklub kann zur rechtlichen Absicherung einer Akkreditierungsbestimmung, der zufolge die audiovisuelle Verwertung der von ihm veranstalteten Pressekonferenzen per Web-TV zu unterbleiben hat, keine lauterkeitsrechtlichen Abwehransprüche heranziehen. §§ 3, 4 Nr. 9 und Nr. 10 UWG scheiden aus rechtstatsächlichen Gründen aus. Ein unmittelbarer Leistungsschutz gemäß § 3 Abs. 1 UWG ist aufgrund rechtssystematischer Gründe nicht anwendbar. ___________ S. 182 ff. und 231. A. A. Köhler (Fn. 29), § 4 Rn. 9.38; kritisch auch Paal, CR 2009, 438 (440).
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b) Hausrechtsbasierte Rechtsmacht Zu klären ist, ob das Hausrecht oder jedenfalls die ihm innewohnende Rechtsmacht eine geeignete Rechtsgrundlage für eine Akkreditierungsbedingung darstellt, der zufolge auf die Ausübung dieser Rechtsmacht nur verzichtet wird, sofern der Vertragspartner sich verpflichtet, den Inhalt „Pressekonferenz“ nicht über die Distributionsart des non-linearen Web-TV zu verbreiten.
aa) Rechtsmacht aus §§ 903, 1004 bzw. §§ 862, 859 BGB Wird eine (Sportgroß-)Veranstaltung innerhalb einer nicht von außen einsehbaren Räumlichkeit abgehalten, sind die Medien darauf angewiesen, dass ihnen Zutritt zu der Räumlichkeit gewährt wird, um eigenhändig und unmittelbar Bericht erstatten zu können. Diese Tatsache nutzt der Veranstalter regelmäßig, um das durch seine organisatorischen und damit finanziellen Anstrengungen generierte wirtschaftliche Potential der Veranstaltung für sich zu realisieren. Über den präventiven Einsatz der hausrechtsbasierten Rechtsmacht aus §§ 858, 1004 BGB stellt er Bedingungen für das Sendeverhalten auf (regelmäßig die Zahlung eines Entgeltes und ggf. die Einhaltung einer Karenzzeit vor der Übertragung), die die Medienöffentlichkeit akzeptieren muss, um Zutritt gewährt zu bekommen. Zwar dient das Hausrecht als solches grundsätzlich der Gewährleistung der Ordnung innerhalb der Räumlichkeit und konkretisiert sich erst dann zu Abwehransprüchen gemäß §§ 903, 1004 BGB bzw. §§ 862, 859 BGB, wenn die geschützte Räumlichkeit von einer Person gegen oder ohne den Willen des Berechtigten betreten worden ist. Dementsprechend ist dem BGH38 zuzustimmen, der ausführt, dass mit dem Hausrecht „ein ‚Hörfunkrecht‘ im Sinne einer ausschließlichen Befugnis, von der Örtlichkeit aus über Hörfunk zu berichten […] als solches nicht verbunden“ sei. Die hausrechtsbasierte Rechtsmacht eröffnet dem Berechtigten indes das grundsätzliche Privileg, Dritten und damit auch den Medien generell Zutritt zu verweigern.39 Damit geht die Befugnis einher, die Gewährung des Zutritts von der Beachtung bestimmter Bedingungen abhängig zu machen. Dass diese Bedingungen üblicherweise sowie auch in der vorliegenden Konstellation Ausdruck einer wirtschaftlichen Moti___________ 38
BGHZ 165, 62 (Rn. 24) – Hörfunkrechte. Stellvertretend für viele: Winter, ZUM 2003, 531 (538); Laier (Fn. 37), S. 234 ff.; Mailänder/Mailänder, Freiheit und Schranken einer Hörfunk-Berichterstattung über den Spitzensport (am Beispiel der Fußball-Bundesliga), in: Dörr/Mailänder (Hrsg.), Freiheit und Schranken der Hörfunkberichterstattung über den Spitzensport, Baden-Baden 2003, S. 101 (161); ebenso die Rspr., neben der Hörfunkrechte-Entscheidung zuletzt etwa OLG München GRUR-RR 2010, 258 (259). 39
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vation des Veranstalters sind, wird zwar von Teilen der Literatur40 als Ansatz zur Kritik an der Heranziehung des Hausrechts genutzt, ändert aber nichts an der generellen Tauglichkeit des präventiven Einsatzes der hausrechtsbasierten Rechtsmacht zur Konditionierung des Sendeverhaltens der Medien im Wege einer entsprechenden Akkreditierungsbestimmung. Anders ließe sich die Normierung des Zutrittsanspruchs gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 RStV zum Zwecke einer Kurzberichterstattung nämlich nicht erklären.
bb) Grenzen der hausrechtsbasierten Rechtsmacht Die Frage, ob das Kurzberichterstattungsrecht des § 5 Abs. 1 S. 2 RStV in der vorliegenden Konstellation nicht nur aus tatsächlichen Gründen (Parallelverwerter von Pressekonferenzen müssten sich auf eine nachrichtenmäßige Kurzberichterstattung beschränken, eine Übertragung zur Vermittlung des Unterhaltungswertes von Pressekonferenzen wird gerade nicht ermöglicht), sondern auch aus rechtlichen Gründen41 entfällt, muss vorliegend aus Platzgründen außer Betracht bleiben. Als zivilrechtliche Grenze des präventiven Einsatzes der hausrechtsbasierten Rechtsmacht ist aber das Verbot widersprüchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB näher zu beleuchten. Bei Pressekonferenzen bedürfen die Fußballklubs anders als bei den Spielen selbst nämlich der aktiven Teilnahme der Medienvertreter als Fragesteller, um überhaupt massenattraktive Inhalte generieren zu können. Von daher erscheint es nicht fernliegend, ein widersprüchliches Verhalten anzunehmen, wenn die Medien deshalb grundsätzlich zur Teilnahme an Pressekonferenzen zugelassen werden, ihre Verwertungsmöglichkeiten aber durch eine entsprechende Akkreditierungsbedingung zugleich beschränkt werden. Voraussetzung für einen Verstoß der Akkreditierungsbedingung gegen § 242 BGB ist jedoch, dass auf Seiten der Medienunternehmen ein schutzwürdiges Vertrauen in die unbeschränkte Verwertbarkeit des Inhalts „Pressekonferenz“ besteht. Dagegen spricht indes, dass sich die Kommerzialisierung von Sportgroßveranstaltungen durch die Geltendmachung von Medienrechten in immer neuen Facetten42 seit Jahren im Fluss befindet und sich mittlerweile auch nicht mehr auf die „90 oder 120 Minuten auf dem grünen Rasen“ beschränkt. Ebenso wie sich Fußballklubs neuen Übertragungstechniken und daraus folgenden rechtlichen Herausforderungen ausgesetzt sehen, ___________ 40 Siehe etwa Brinkmann, MP 2000, 491 (494 f.) und ZUM 2006, 802 (805); Agudo y Berbel/Engels, WRP 2005, 191 (194). 41 Können Anbieter Neuer Medien unter den Begriff des Fernsehveranstalters i. S. d. § 5 Abs. 1 S. 2 RStV subsumiert werden? 42 Angesprochen sei insofern bspw. die von der DFL bzw. FIFA angestrebte Untersagung der Belieferung von Telemedien mit Standbildern seitens akkreditierter Fotografen, vgl. dazu FAZ v. 12.08.2002, S. 25 und v. 14.12.2005, S. 38.
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müssen sich auch Medienunternehmen dem Wandel der Rezeptionsbedürfnisse und damit der Vermarktungspraxis grundsätzlich stellen. Die Tatsache, dass die Medien ihrerseits aktiv zur Generierung des Inhalts „Pressekonferenz“ beitragen, ist demnach nicht ausreichend, um ein schutzwürdiges Vertrauen in deren unbeschränkte Verwertung in sämtlichen Distributionsarten anzunehmen.
3. Zwischenergebnis Wie zur Vermarktung von Sportgroßveranstaltungen kann ein Fußballklub – gestützt auf seine hausrechtsbasierte Rechtsmacht – zur Vermarktung spieltagsunabhängiger Pressekonferenzen Akkreditierungsbestimmungen erlassen. Entscheidet er sich für die partielle, auf die non-lineare Bewegtbildberichterstattung beschränkte Eigenvermarktung des Inhalts „Pressekonferenz“ und gewährt Medien Zutritt zum Pressekonferenzraum nur unter der Bedingung, dass diese auf eine Parallelverwertung in entsprechender Art und Weise verzichten, bewegt er sich innerhalb der zivilrechtlichen Grenzen dieser Rechtsmacht. Ihm erwächst indes kein Ausschließlichkeitsrecht am Inhalt „Pressekonferenz“ selbst. Seine Rechtsposition basiert vielmehr auf einem Ausschließungsrecht, dessen Wahrnehmung zuletzt an kartellrechtlichen Verhaltensanforderungen zu messen ist.
III. Kartellrechtliche Grenzen der partiellen Eigenvermarktung Im Rahmen der vorliegenden Darstellung ist eine Beschränkung auf die Beantwortung folgender Fragen erforderlich: 1. Auf welchem sachlich relevanten Markt wird ein Fußballklub tätig, wenn er das hier überprüfte Eigenvermarktungsmodell praktiziert? 2. Verstößt ein Fußballklub dabei gegen Art. 102 AEUV?43 Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der marktbeherrschenden Stellung wird mit der Annahme gearbeitet, eine solche komme einem Fußballklub auf dem insofern definierten Markt zu.44
___________ 43 Nachfolgend wird nur das europäische Kartellrecht herangezogen. Die Zwischenstaatlichkeitsklausel ist im vorliegenden Sachverhalt durch die (potentielle) Nachfrage nach dem Inhalt „Pressekonferenzen“ in anderen Mitgliedstaaten ohne Sprachbarriere erfüllt. Zudem treten in der praktischen Rechtsanwendung kaum wesentliche Unterschiede zwischen dem nationalen und dem Gemeinschaftskartellrecht zutage, so auch Heermann, WuW 2009, 394 (396). 44 Vgl. dazu auch OLG München GRUR-RR 2010, 258 (259).
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1. Bestimmung des sachlich relevanten Marktes Im Wege der sachlichen Marktabgrenzung ist festzustellen, welche Produkte oder Dienstleistungen Dritter einen Wettbewerbsdruck auf die in Rede stehenden Produkte oder Dienstleistungen des Anbieters ausüben, dessen Marktverhalten einer kartellrechtlichen Überprüfung unterzogen wird.45 Diese Produkte oder Dienstleistungen bilden dann einen gemeinsamen Markt. Herausgearbeitet wird der Wettbewerbsdruck seitens der Gemeinschaftsrechtspraxis vornehmlich anhand des sog. Bedarfsmarktkonzepts. So führte die Kommission aus, der sachlich relevante Markt umfasse all diejenigen Erzeugnisse, die „von den Verbrauchern hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden“46. Fraglich ist, ob der gegenstandsbezogene Markt für Medienrechte an ligabezogenen Fußballspielen, wie ihn die europäische und deutsche Rechtspraxis anhand des Bedarfsmarktkonzepts herausgearbeitet haben,47 auch Medienrechte an damit in Zusammenhang stehenden Pressekonferenzen umfasst. Maßgeblich ist die Stufe des vorgelagerten Beschaffungsmarktes für Rechte an Programminhalten, d. h. des Zugangs von Medienunternehmen zu Veranstaltungen bzw. zu währenddessen generierten und medial verwertbaren Inhalten. Das Bedarfsmarktkonzept verlangt somit, die Perspektive der Medienunternehmen als der dortigen Marktgegenseite einzunehmen. Indes besitzt das hier untersuchte Modell der partiellen Eigenvermarktung des Inhalts „Pressekonferenz“ die Eigenheit, dass ein Fußballklub gegenüber Medienunternehmen nicht nur als Anbieter von „Medienrechten“ an Pressekonferenzen, sondern auch als Konkurrent um die Gunst der Rezipienten und Werbekunden auf dem nachgelagerten Verwertungsmarkt auftritt. Die besonders enge Verflechtung der Marktstufen erfordert es, das Rezipientenverhalten der (durchschnittlich) fußballinteressierten Öffentlichkeit auf dem nachgelagerten Verwertungsmarkt bei der konkreten Abgrenzung des vorgelagerten Beschaffungsmarktes besonders zu berücksichtigen.
___________ 45 Säcker, ZWeR 2004, 1 (5, 9 und 13); Lenßen, Der kartellrechtlich relevante Markt, Baden-Baden 2009, S. 24 f.; BGHZ 170, 299 (Rn. 19) – National Geographic II. 46 Vgl. die Bekanntmachung der Europäischen Kommission über die Definition des relevanten Marktes, ABl. 1997 C 372/5 ff (Rn. 88). 47 Vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 23.07.2003, ABl. 2003 L 291/25 (Rn. 56 ff. und 77) – UEFA Champions League und BGHZ 165, 62 (Rn. 19) – Hörfunkrechte.
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a) Gegenstandsbezogene Marktabgrenzung Befriedigt der Inhalt „Fußballspiel“ ein anderes Informations- und damit Rezeptionsinteresse als der Inhalt „Pressekonferenz“, wäre es nicht möglich, im Wege des Bedarfsmarktkonzepts einen gemeinsamen Markt aus Medienrechten bezüglich der Bundesligaspiele und damit in Zusammenhang stehenden Veranstaltungen jenseits des Spielfelds zu bilden. Aus Sicht der Medienunternehmen, die sich bei ihrer Programmplanung eng an den Präferenzen der Endrezipienten orientieren, bestünde in diesem Fall keine funktional-subjektive Äquivalenz der (audiovisuellen) Berichterstattung über Fußball-Pressekonferenzen mit derjenigen über ein Bundesligaspiel. Ein vom Informationsinteresse am rein sportlichen Geschehen innerhalb der Fußball-Bundesliga in gewissem Maße verselbstständigtes Informationsinteresse der Rezipienten des medialen Inhalts „Pressekonferenz“ ist in Zeiten, in denen Fußballprofis mehr und mehr als Lifestyle-Ikonen angesehen werden, grundsätzlich denkbar. Zudem besteht zwischen spieltagsunabhängigen Fußball-Pressekonferenzen und Spielen der Fußball-Bundesliga räumlich, zeitlich und z. T. auch inhaltlich eine gewisse Distanz. Der mediale Inhalt „Pressekonferenz“ zeigt indes keinen großen funktionalen Abstand zum Inhalt „Fußballspiel“ und ihm kommt eine ergänzende Funktion im Verhältnis zur Berichterstattung über den sportlichen Ligawettbewerb zu. Auch spieltagsunabhängige Pressekonferenzen dienen nämlich primär der sportjournalistischen Aufarbeitung bzw. Vorbereitung von Spielen des jeweiligen Bundesligaklubs. Sie ergänzen das Berichterstattungsangebot hinsichtlich der Bundesligaspiele, indem sie den daran direkt Beteiligten ein Forum bieten, um sportliche Belange medienwirksam darzustellen. Die wachsende Tendenz auf Rezipientenseite, Spiele in möglichst umfassender Kenntnis der beteiligten Klubs bzw. Spieler und Trainer z. T. auch in Bezug auf nicht unmittelbar spielbezogene Themenbereiche zu verfolgen, ist deshalb ein Reflex des Interesses am sportlichen Wettbewerb und an den sportlichen Leistungen der Beteiligten. Der Inhalt „Pressekonferenz“ sowie der Inhalt „Fußballspiel“ dienen folglich der Befriedigung des Rezipientenbedürfnisses nach Inhalten rund um die Fußball-Bundesliga in all ihren Facetten. Dies rechtfertigt es, von einem gemeinsamen Markt auszugehen. Unerheblich ist schließlich, dass das Rezeptionsbedürfnis hinsichtlich der rein sportlichen Geschehnisse nach wie vor höher einzustufen ist als dasjenige an ergänzenden Inhalten. Ginge es um die Frage des Zugangs zum Inhalt „Fußball-Bundesligaspiel“, so wäre von einem eigenen Markt auszugehen. Erfolgt die wertende48 Betrachtung zur Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes jedoch gerade aus der Sicht des Zugangs zum In___________ 48 Vgl. Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht Kommentar, 2. Aufl., München 2009, Art. 82 Rn. 10.
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halt „Fußball-Pressekonferenz“, ist der Zugang zum Inhalt „FußballBundesligaspiel“ mit einzubeziehen.49
b) Distributionskanalbezogene Marktabgrenzung Unter diesem Stichwort ist die Frage einer kartellrechtlich relevanten Äquivalenz der einzelnen Distributionskanäle für audiovisuelle Inhalte (traditionelles Fernsehen, echtes IPTV und Web-TV) infolge der sog. Medienkonvergenz aufzugreifen. Ihre abschließende Beantwortung ist aufgrund der sich wandelnden technischen Rezeptionsvoraussetzungen nach wie vor schwierig. Indes genügt im Kontext von Pressekonferenzen der Hinweis, dass infolge der aktuell üblichen Berichterstattung über Pressekonferenzen der Bundesligaklubs ein Markt für die Berichterstattung über das World Wide Web anzunehmen ist. Im traditionellen Fernsehen sowie auch über echtes IPTV wird darüber regelmäßig nämlich allenfalls in kurzen Ausschnitten berichtet. Die webbasierte Berichterstattung seitens der Bundesligisten im Rahmen ihrer Klub-TV-Angebote erfolgt hingegen üblicherweise ungeschnitten. Die noch unterschiedlichen Programmstrukturen innerhalb der jeweiligen Distributionskanäle werden dadurch ebenso offensichtlich wie die Eignung des World Wide Web als Medium für Nischenangebote, die sich flexibel auf Veränderungen der Präferenzen spezifischer Rezipientengruppen einstellen können. Trotz fortschreitender technischer und inhaltlicher Konvergenz spricht somit aktuell noch mehr gegen die Annahme einer kartellrechtlich relevanten Konvergenz und einer damit einhergehenden Äquivalenz der genannten Distributionskanäle jedenfalls im Kontext der Berichterstattung über Fußball-Pressekonferenzen.
c) Vorliegend: Drittmarkt Ein Fußballklub bewegt sich bei der Praktizierung des vorliegend untersuchten Eigenvermarktungsmodells bezüglich Pressekonferenzen auf dem Markt für Medienrechte zur webbasierten Berichterstattung über die Fußball-Bundesliga insgesamt. Die Gefahr einer Marktverschließung durch missbräuchliches Ver___________ 49
Vgl. insofern auch Roth, AfP 1989, 515 (521), dem zufolge bei der Überprüfung von Exklusivvereinbarungen gerade in Bezug auf andere Sportarten davon auszugehen ist, dass Medienrechte an Fußballspielen diese jederzeit ersetzen können, umgekehrt die Annahme eines Teilmarktes für Fußballübertragungsrechte mangels Ersetzbarkeit durch Rechte an anderen Sportarten aber möglich bleibt, sofern es gerade um den Zugang zu Fußballübertragungsrechten geht. Ähnlich auch Europäische Kommission, Entsch. v. 31.01.1995, ABl. 1995 L 221/34 (35 f.) – PMI-DSV, in der sie ausführt, dass der Markt für Fernsehübertragungen von Pferderennen in Wettbüros einen Hilfsmarkt für den Wettmarkt bilde, obwohl dieser auch ohne Fernsehübertragungen funktionieren könne.
Die webbasierte Eigenvermarktung medialer Inhalte
213
halten des Marktbeherrschers kann sich indes auch auf einem anderen als dem von ihm beherrschten Markt realisieren. Erforderlich ist, dass der sog. Drittmarkt besonders eng mit dem beherrschten Markt verknüpft ist.50 Als solcher kommt in der vorliegenden Konstellation der nachgelagerte Verwertungs- bzw. Rezipientenmarkt in Betracht. Aufgrund der engen Verflechtung der Wertschöpfungsstufen und des maßgeblichen Einflusses der Rezipientenpräferenzen auf die Rechteerwerbsentscheidung der Medienunternehmen auf dem Markt für Medienrechte zur webbasierten Berichterstattung über die Fußball-Bundesliga insgesamt ist er diesbezüglich als Drittmarkt zu qualifizieren.
2. Eigenvermarktung als Verstoß gegen Art. 102 AEUV? Im Lichte einer normzweckorientierten Interessenabwägung ist nun zu beurteilen, ob die partielle Eigenvermarktung des Inhalts „Pressekonferenz“ per non-linearem Web-TV seitens eines Fußballklubs ein marktmissbräuchliches Verhalten i. S. d. Art. 102 AEUV darstellt. Die Normzweckorientierung bedeutet, den Schutz des Wettbewerbsprozesses als solchen in den Mittelpunkt der Interessenabwägung zu stellen. Darin sieht die Kommission mittlerweile den maßgeblichen Ansatz, um das Ziel der Steigerung der Konsumentenwohlfahrt durch niedrigere Preise, höhere Qualität und ein größeres Angebot zu erreichen.51
a) Behinderungsmissbrauch? Zugunsten der Interessen der Medien an einer umfassenden Berichterstattungsmöglichkeit ohne Einschränkung bestimmter Distributionsarten spricht neben der Ausstrahlungswirkung der Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG, dass innerhalb der Interessenabwägung insbes. dem Schutz eines freien Leistungswettbewerbs durch das Offenhalten des Marktes Rechnung zu tragen ist. Das Kartellrecht verlangt vom Marktbeherrscher indes nur, den übrigen Marktteilnehmern in hinreichendem Umfang eigene Entfaltungsmöglichkeiten auf ___________ 50 Siehe zum Missbrauch mit Bezug auf Drittmärkte etwa EuGH Slg. 1996, I-5987 (Rn. 27) – Tetra Pak; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht – Bd. 1: EG/Teil 1, Kommentar zum Europäischen Kartellrecht, 4. Aufl. 2007, § 19 GWB Rn. 114. 51 Europäische Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen, ABl. 2009 C 45/7 ff. (Rn. 5 f.); vgl. auch Bulst, in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 2: Europäisches Kartellrecht, 11. Aufl., Köln 2010, Art. 82 Rn. 9 und 18.
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dem relevanten Markt zu belassen.52 Ist danach ein kartellrechtlicher Eingriff erforderlich und fördert dieser zugleich die Vielfalt der Meinungen und Informationen in den Medien, so ist dies hinzunehmen.53 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Marktmissbrauchskontrolle des Kartellrechts nicht primär herangezogen werden darf, um jenseits des wirtschaftlichen Leistungswettbewerbs einen publizistischen Wettbewerb zugunsten eines Meinungspluralismus zu gewährleisten. Dies ist gerade Aufgabe der besonderen Normen des Medienrechts wie etwa des § 6 Abs. 2 VersG oder des § 5 Abs. 1 S. 2 RStV. Bereits aufgrund dieser systematischen Ausrichtung ist Art. 102 AEUV somit nicht geeignet, das Berichterstattungsinteresse bezüglich einer speziellen Distributionsart (hier audiovisuell-non-linear) auf dem – hinsichtlich des Distributionskanals (hier World Wide Web) – einheitlichen Markt zu ermöglichen, sofern die Medienunternehmen durch die restriktive Akkreditierungs- bzw. Rechtevergabepraxis nicht dergestalt in ihrer Tätigkeit behindert werden, dass damit zugleich die Gefahr der Verschließung des Marktes insgesamt einhergeht. Das Eigenvermarktungsmodell in der vorliegend untersuchten Form begründet diese Gefahr hingegen nicht. Den Medienunternehmen verbleibt die Möglichkeit, über Pressekonferenzen zeitnah printmäßig einschließlich Standbildern auch im World Wide Web zu berichten. Der relevante Markt wird damit nicht so weitgehend abgeschottet, dass ein Markteintritt für Medienunternehmen mangels wirtschaftlich sinnvoller Verwertungsmöglichkeiten überhaupt keinen Sinn machen würde. Zudem verdeutlicht ein Vergleich mit der Gemeinschaftsrechtspraxis zu Lizenzverweigerungen, dass in der restriktiven Akkreditierungspraxis kein missbräuchliches Verhalten i. S. d. Art. 102 AEUV gesehen werden kann. Ausgangspunkt dieser Rechtspraxis ist, dass auch ein marktbeherrschendes Unternehmen das Recht hat, seine Handelspartner frei zu wählen und über sein Eigentum frei zu disponieren.54 Das Spannungsverhältnis zwischen Immaterialgüterrechten als gesetzlich legitimierten Wettbewerbsbeschränkungen und dem Kartellrecht zum Schutz eines unverfälschten Wettbewerbsprozesses wird sodann anhand der Frage nach außergewöhnlichen Umständen, die einen Marktmissbrauch nahelegen, aufgelöst. Kann ohne die Lizenzierung ein neues Erzeugnis nicht auf dem (Dritt-)Markt auftreten, obwohl diesbezüglich eine (potenzielle) Nachfrage der Verbraucher besteht, die auch durch das Angebot des Rechteinhabers nicht befriedigt wird, und ist die Verweigerung sachlich nicht
___________ 52
Fuhr, ZUM 1988, 327 (332). Beater, Medienrecht, Tübingen 2007, Rn. 814. 54 Europäische Kommission (Fn. 51), Rn. 75 und 81. 53
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gerechtfertigt sowie geeignet, jedweden Wettbewerb auf einem abgeleiteten Markt auszuschließen, geht die Rechtspraxis von einem Marktmissbrauch aus.55 Wenn aber selbst die Wahrnehmung immaterialgüterrechtlicher Ausschließlichkeitsrechte „erst“ dort an kartellrechtliche Grenzen stößt, wo sie ohne Sachgrund das Auftreten innovativer und die Konsumentenwohlfahrt fördernder Angebote auf dem nachgelagerten Markt verhindert, kann der Wahrnehmung eines (hausrechtsbasierten) Ausschließungsrechts keine engere Grenze gesetzt werden. Auch in Anbetracht dieser Rechtspraxis stellt sich die Entscheidung eines Fußballklubs, das Modell der partiellen Eigenvermarktung zu praktizieren, als Wahrnehmung seiner unternehmerischen Freiheit dar, mit der er nicht gegen das Behinderungsverbot des Art. 102 AEUV verstößt. Um ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit abzusichern, bedürfen Vermarktungsmodelle einer gewissen Exklusivität. Die restriktive Akkreditierungspraxis basiert folglich auf einem sachlichen, weil marktintern-leistungsbezogenen Interesse. Darüber hinaus ist das Kriterium der Verhinderung neuer Angebote auf dem relevanten Markt zu Lasten der Konsumenten so lange nicht erfüllt, wie ein Fußballklub mit seinem Klub-TV-Sender das Interesse der Rezipienten an einer umfassenden Bewegtbildberichterstattung über Pressekonferenzen bedient. Es kommt damit einerseits nicht zu einer Informationsunterdrückung. Erst wenn eine solche gegeben wäre, müsste der Ausstrahlungswirkung der Medienfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG bzw. Art. 11 Abs. 2 Grundrechtecharta im Rahmen der normzweckorientierten Interessenabwägung Vorrang vor derjenigen der Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG bzw. Art. 16 und 17 Grundrechtecharta zum Schutz der Vermarktungsinteressen der Fußballklubs eingeräumt werden.56 Andererseits bieten Konkurrenzangebote, die einzig identische Inhalte sämtlicher Bundesligisten auf einer Plattform sammeln und ohne eigene publizistische Aufbereitung ausstrahlen, dem Nutzer keinen Mehrwert, der es rechtfertigt, einem Fußballklub als Inhaber des hausrechtsbasierten Ausschließungsrechts quasi die „Rote Karte“ in Form der kartellrechtlichen Verhaltensanordnung zu zeigen. Unbeachtlich muss in diesem Zusammenhang vor allem eine (etwaige) Unentgeltlichkeit der Berichterstattungsangebote Dritter im Vergleich zu einem Klub-TV-Sender sein. Zwar käme diese den Rezipienten zugute, sie steigert aber nicht den inhaltlichen und damit qualitativen Mehrwert. Zwischen den Faktoren Preis und Qualität besteht im Kontext des kartellrechtlichen Mehrwerts indes gerade kein Rangverhältnis zugunsten des Preises.
___________ 55 Vgl. EuGH Slg. 2004, I-5039 (Rn. 37 f., 49 und 52) – IMS Health/NDC Health, anknüpfend an EuGH Slg. 1995, I-743 (Rn. 52 ff.) – Magill; Europäische Kommission (Fn. 51), Rn. 87. 56 So auch Mailänder/Mailänder (Fn. 39), S. 101 ff. (182).
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Abschließend ist festzuhalten, dass mit dem Eigenvermarktungsmodell in der hier untersuchten Form kein Behinderungsmissbrauch i. S. d. Art. 102 AEUV einhergeht. b) Unanwendbarkeit der Essential-Facilities-Doktrin Jenseits der Frage, ob es sich bei (Sportgroß-)Veranstaltungen und dadurch generierten Inhalten überhaupt um Einrichtungen handelt,57 ist das Rechtsinstitut der Essential-Facilities-Doktrin zumindest in der vorliegenden Vermarktungskonstellation nicht einschlägig. Zwar ist es von der Gemeinschaftsrechtspraxis als eine Form des Marktmissbrauchs eingeordnet sowie vom deutschen Gesetzgeber in § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB normiert worden. Ebenso wie das Kartellrecht insgesamt ist die Essential-Facilities-Doktrin aber nicht geeignet, jenseits besonderer Engpasskonstellationen und der Gefahr umfassender Monopolstellungen typisch medienrechtliche Bedenken in Bezug auf ein Vermarktungsmodell zu überwinden.58 Wie bereits aufgezeigt, begründet das Modell der partiellen Eigenvermarktung beschränkt auf die Distributionsart des nonlinearen Web-TV keine umfassende Monopolstellung eines Fußballklubs hinsichtlich des Inhalts „Pressekonferenz“. c) Diskriminierungsmissbrauch? Das Diskriminierungsverbot zielt darauf ab, den Markt nicht nur grundsätzlich, sondern in alle Richtungen offenzuhalten. Der Marktbeherrscher ist deshalb verpflichtet, einzelne Handelspartner im Vergleich zu anderen Handelspartnern nicht durch Stellung unterschiedlicher Bedingungen zu benachteiligen, obwohl er ihnen gegenüber jeweils gleichwertige Leistungen erbringt.59 Der Anwendungsbereich des kartellrechtlichen Diskriminierungsverbots beschränkt sich indes auf den sachlich, geographisch und zeitlich relevanten Markt.60 Vorliegend ist dieser als bundesweiter Markt für Medienrechte zur webbasierten Berichterstattung über die Fußball-Bundesliga insgesamt definiert worden. Unter das Merkmal „webbasiert“ werden dabei sämtliche Arten der Informationsdistribution gefasst – d. h. sowohl audiovisuell-non-linear als auch printmäßig einschließlich Standbildern. Praktiziert ein Fußballklub das vorliegend untersuchte Eigenvermarktungsmodell, so muss er in Ermangelung sachlicher Grün___________ 57 Dafür etwa Dreher, DB 1999, 833 (834). Ablehnend Körber/Zagouras, WuW 2004, 1144 (1151 ff.) und Armah, Die Radioberichterstattung von Sportveranstaltungen, Hamburg 2008, S. 146. 58 Beater (Fn. 53) Rn. 842. 59 Vgl. EuGH EuZW 2007, 306 (Rn. 143 ff.) – BA; Bunte (Fn. 51), Art. 82 Rn. 210. 60 Möschel (Fn. 50), Rn. 259; OLG Celle AfP 2010, 178 (181) (nicht rechtskräftig).
Die webbasierte Eigenvermarktung medialer Inhalte
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de für eine Ungleichbehandlung allen auf diesem Markt als Rechtenachfragern auftretenden Medienunternehmen einheitliche Bedingungen stellen. Dies ist so lange der Fall, wie ein Fußballklub gegenüber jedwedem Medienunternehmen – sei es ein traditioneller TV-Sender mit begleitendem Online-Angebot oder ein reiner Web-TV-Sender – Akkreditierungen nur unter der Bedingung erteilt, dass auf eine Bewegtbildberichterstattung per non-linearem Web-TV verzichtet wird.
d) Zwischenfazit Das Eigenvermarktungsmodell in seiner vorliegenden Form verstößt weder gegen das Behinderungs- noch gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 102 AEUV. Obwohl mit ihm eine Beeinträchtigung des Marktauftritts von Medienunternehmen auf dem nachgelagerten Verwertungsmarkt einhergeht, droht keine wettbewerbswidrige Marktverschließung, die sich im Endeffekt zu Lasten der Öffentlichkeit auswirken würde, die an einem möglichst kostengünstigen, aber zugleich qualitativ hochwertigen Angebot über die Fußball-Bundesliga interessiert ist.
IV. Zusammenfassende Bewertung Der stetige technische Wandel im Bereich der (Neuen) Medien bringt Veränderungen im Rezeptionsverhalten und in den Rezeptionsbedürfnissen der sportinteressierten Öffentlichkeit mit sich. Daraus möchten insbes. die Veranstalter von Sportgroßereignissen und im Bereich des Profifußballs die Fußballklubs durch immer neue Vermarktungsmodelle „Kapital“ schlagen. Jedes Vermarktungsmodell muss sich indes an den Interessen der Medien bzw. der Allgemeinheit an einer möglichst freien Berichterstattung bzw. Rezeption messen lassen. Die exklusive Vermarktung von Fußball-Pressekonferenzen über den eigenen non-linearen Web-TV-Sender kann ein Fußballklub unter Nutzung seiner hausrechtsbasierten Rechtsmacht bei Festlegung entsprechender Akkreditierungsbestimmungen rechtlich absichern. Mit jeder Exklusivitätsregelung geht indes zugleich eine Wettbewerbsbeschränkung einher. Daher muss ein Fußballklub auch bei der partiellen Eigenvermarktung des medialen Inhalts „Pressekonferenz“ die kartellrechtlichen Verhaltensanforderungen der Art. 101 und 102 AEUV im Blick behalten, wenngleich die normzweckorientierte Interessenabwägung im Rahmen des Art. 102 AEUV vorliegend wegen der besonderen Ausgestaltung des Vermarktungsmodells zugunsten der Vermarktungsinteressen eines Klubs ausgegangen ist.
Der allgemeine Beschäftigungsanspruch im Mannschaftssport Von Sebastian Kürth I.
Einleitung .......................................................................................................... 219
II. Allgemeiner Beschäftigungsanspruch ............................................................... 220 1.
Herleitung und Inhalt ................................................................................. 220
2.
Rechtsnatur ................................................................................................ 221
3.
Einschränkungen ....................................................................................... 222
III. Besonderheiten des Mannschaftssports ............................................................. 223 1.
Teilnahme am Training ............................................................................. 223
2.
Teilnahme am und Einsatz im Spiel .......................................................... 224 a)
Meinungsstand ................................................................................... 225
b)
Stellungnahme.................................................................................... 225 aa) Immanente Beschränkung .......................................................... 225 bb) Weisungsrecht ............................................................................ 227 cc) Ausbedingung ............................................................................. 228
3.
Auswahlentscheidung ................................................................................ 231 a)
Meinungsstand ................................................................................... 231
b)
Stellungnahme.................................................................................... 232
IV. Rechtsfolgen eines unerfüllten Beschäftigungsanspruchs ................................. 233 V. Zusammenfassung............................................................................................. 234
I. Einleitung Ein Verein1 möchte seine Sportler in erster Linie zum Einsatz in Spielen verpflichten. Für alle Beteiligten erkennbar dient die Teilnahme am Training ___________ 1
Davon ausgehend, dass der Trainer an die zwischen Verein und Mannschaftssportler vereinbarten Vertragsbedingungen gebunden ist, wird im Folgenden nur von Verein gesprochen, mag auch die eine oder andere Entscheidungsmacht auf den Trainer übertragen sein.
220
Sebastian Kürth
der Erreichung dieses Ziels.2 Im Mannschaftssport ist aber ebenso selbstverständlich, dass der Verein nicht immer jeden Spieler in jedem Spiel einsetzen kann. Es können z. B. Regeln bestehen, welche die Möglichkeiten des Vereins, Spieler zu nominieren oder einzuwechseln, begrenzen. Da es sich bei Berufsmannschaftsportlern um Arbeitnehmer handelt,3 stellen die Pflichten zur Teilnahme am Training und am Spiel Arbeitsleistungspflichten dar. Mit diesen Pflichten entsteht grundsätzlich der sog. „allgemeine Beschäftigungsanspruch“, aus dem sich für den Sportler das Recht ergibt, nicht nur bezahlt, sondern auch tatsächlich in Training und Spiel beschäftigt zu werden.4 Dass der Verein nicht jeden Spieler in jedem Spiel einsetzen und zuweilen nicht einmal im Training sinnvoll beschäftigen kann und will, ist verständlich und lässt nach dem Verbleib des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs in diesen Fällen fragen. Nach einer kurzen Rückversicherung der entscheidenden Argumente für den allgemeinen Beschäftigungsanspruch (II.) soll es anschließend um die damit verbunden Probleme im Mannschaftssport gehen (III.). Schließlich sind mögliche Rechtsfolgen eines unerfüllten Beschäftigungsanspruchs zu beleuchten (IV.).
II. Allgemeiner Beschäftigungsanspruch 1. Herleitung und Inhalt Der im Gesetz nicht geregelte allgemeine Beschäftigungsanspruch ist das Produkt richterlicher Rechtsfortbildung5 und wird aus der Treuepflicht des Arbeitgebers (§ 242 BGB) hergeleitet.6 Wegen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) ist der Arbeitgeber, über die bloße Vergütung der Arbeitsleistung hinaus, mittelbar verpflichtet, Rücksicht auf die persönlichkeitsbezogenen Interessen des Arbeit___________ 2 Vgl. Bepler, Lizenzfußballer: Arbeitnehmer mit Beschäftigungsanspruch?, in: ders. (Hrsg.), Sportler, Arbeit und Statuten. Herbert Fenn zum 65. Geburtstag, 2000, S. 43, 72 f. 3 Vgl. dazu Bepler, in: Sportler, Arbeit und Statuten (Fn. 2), S. 44 ff.; Fritzweiler/von Coelln, in: Fritzweiler/Pfister/Summerer (Hrsg.), Praxishandbuch Sportrecht, 2. Aufl. 2007, S. 248 ff.; kritisch Beckmann, Der Profi: Sonderarbeitsrecht für Sportler?, in: Bauer/Beckmann/Lunck u. a. (Hrsg.), Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein. Festschrift zum 25-jährigen Bestehen, 2006, S. 1145 ff. 4 Zum allgemeinen Beschäftigungsanspruch vgl. jeweils m. w. N.: Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 10. Aufl. 2010, § 611 BGB Rn. 563; Reichold, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2009, § 84 Rn. 1. 5 Preis, in: ErfKomm (Fn. 4), § 611 BGB Rn. 563; Koch, in: Schaub. ArbeitsrechtsHandbuch, 13. Aufl. 2009, § 110 Rn. 5. 6 BAG GS, Beschluss vom 27.02.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; Preis, in: ErfKomm (Fn. 4), § 611 BGB Rn. 563; a. A. Reichold, in: MünchArbR (Fn. 4), § 84 Rn. 7, der auf § 241 Abs. 2 BGB abstellt.
Der allgemeine Beschäftigungsanspruch im Mannschaftssport
221
nehmers zu nehmen und zu diesen zählt auch das Interesse an einer tatsächlichen Beschäftigung.7 Die rechtsdogmatische Grundlage des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs ist dabei trotz der Herleitung über § 242 BGB eine vertragsimmanente Pflicht.8 Der Anspruch ergibt sich nämlich erst in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag und richtet sich im Grundsatz nach der im Arbeitsvertrag festgelegten Arbeitspflicht, also dem vereinbarten Tätigkeitsbereich.9
2. Rechtsnatur Die allgemeine Beschäftigungspflicht ist arbeitsvertragliche Nebenleistungspflicht.10 Sie ist für die Vertragspartner grundsätzlich keine wesentliche Vertragsleistung und steht demgemäß nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis. Zu unterscheiden ist hiervon, ob vertraglich eine Hauptleistungspflicht vereinbart wurde, was wegen § 311 Abs. 1 BGB grundsätzlich möglich ist.11 Das kann ausdrücklich, konkludent oder auch stillschweigend erfolgen.12 Neben künstlerischen13 soll insbesondere bei hochqualifizierten Tätigkeiten die Auslegung des Arbeitsvertrags aufgrund des erkennbaren, gesteigerten Interesses des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung regelmäßig die Vereinbarung einer Hauptleistungspflicht ergeben.14
___________ 7
BAG, Urteil vom 10.11.1955 – 2 AZR 591/54, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 8 Joussen, in: Beck’scher Onlinekommentar zum Arbeitsrecht, 17. Edition, § 611 BGB Rn. 220. 9 Statt vieler Richardi, in: Staudinger. Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2005, § 611 BGB Rn. 909. 10 BAG GS, Beschluss vom 27.02.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; Bepler, in: Sportler, Arbeit und Statuten (Fn. 2), S. 65; Reichold, in: MünchArbR (Fn. 4), § 84 Rn. 1, 8; Joussen, in: BeckOK-Arbeitsrecht (Fn. 8), § 611 BGB Rn. 220; Bauer/Baeck, NZA 1989, 784. A. A. (Hauptleistungspflicht): Thüsing, in: Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.), Arbeitsrecht Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 611 BGB Rn. 170; ders., AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, 2007, Rn. 301; wohl auch Preis, in: ErfKomm (Fn. 4), § 611 BGB Rn. 564. 11 Vgl. Blomeyer, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, § 95 Rn. 12; Reichold, in: MünchArbR (Fn. 4), § 84 Rn. 3. 12 Reichold, in: MünchArbR (Fn. 4), § 84 Rn. 3. 13 Vgl. z. B. für den Beschäftigungsanspruch des Bühnenkünstlers BAG, Urteil vom 12.11.1985 – 3 AZR 567/83, AP Nr. 23 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag; Vinck, UFITA 2004, 387 ff.; Pallasch, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 334 Rn. 48. 14 Reichold, in: MünchArbR (Fn. 4), § 84 Rn. 3.
222
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3. Einschränkungen Hinzuweisen ist noch auf immanente Einschränkungen, die den allgemeinen Beschäftigungsanspruch begrenzen. Der Arbeitgeber kann danach zum einen die Beschäftigung verweigern (sog. einseitige Suspendierung). Dies gründet auf der Überlegung, dass schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung überwiegen können. Dogmatisch handelt es sich um eine Interessenabwägung im Rahmen von § 242 BGB, aus dem der Beschäftigungsanspruch hergeleitet wird. Es geht um die Herstellung einer praktischen Konkordanz zwischen den grundrechtlich geschützten persönlichkeitsbezogenen Arbeitnehmerinteressen sowie den grundrechtlich geschützten Arbeitgeberinteressen (insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG) und bedeutet letztlich die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.15 Die immanente Beschränkung des Beschäftigungsanspruchs führt jedoch nicht zugleich zum Wegfall der Arbeitsleistungspflicht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die vorzunehmende Interessenabwägung hinsichtlich der Nichtbeschäftigung zwar ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, ihm dieses jedoch nicht „aufgezwungen“ werden kann.16 Der Beschäftigungsanspruch kann zum anderen von den Vertragsparteien ausbedungen werden (sog. zweiseitige Suspendierung).17 Dies kann als Abschluss eines Erlassvertrages i. S. d. § 397 BGB oder als einvernehmliche Suspendierung erfolgen.18 In beiden Fällen hat der Arbeitgeber während der einvernehmlichen Freistellung keinen Anspruch auf Arbeitsleistung.19 Da ein Erlass – anders als eine Suspendierung – zum Erlöschen der Ansprüche führt, kann ein solcher in der Regel nur bei einer von den Parteien als unwiderruflich gewollten Freistellung angenommen werden.20
___________ 15
Reichold, in: MünchArbR (Fn. 4), § 84 Rn. 11. Ähnlich Bauer/Baeck, NZA 1989, 784, 786, die insbesondere auf die immanenten Beschränkungen hinweisen, die in der Sphäre des Arbeitnehmers liegen. 17 LAG Sachsen, Urteil vom 12.06.2003 – 2 Sa 715/02, juris m. w. N.; Preis, in: ErfKomm (Fn. 4), § 611 BGB Rn. 568; Reichold, in: MünchArbR (Fn. 4), § 84 Rn. 10; Joussen, in: BeckOK-Arbeitsrecht (Fn. 8), § 611 BGB Rn. 222; Leßmann, RdA 1988, 149, 151. Im Bühnenarbeitsrecht soll das Gegenteil der Fall sein, vgl. Pallasch, in: MünchArbR (Fn. 13), § 334 Rn. 48; Vogel, Bühnenarbeitsrecht, AR-Blattei SD 1030.2, Rn. 105. 18 Vgl. Bauer/Baeck, NZA 1989, 784 f. 19 Bauer/Baeck, NZA 1989, 784, 785. 20 Bauer/Baeck, NZA 1989, 784 f. 16
Der allgemeine Beschäftigungsanspruch im Mannschaftssport
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III. Besonderheiten des Mannschaftssports Die bereits erwähnte vorherrschende Anerkennung der Arbeitnehmereigenschaft eines Berufssportlers bedeutet für ihn grundsätzlich – wie für jeden Arbeitnehmer – ein Recht auf vertragsgemäße Beschäftigung. Dies wirft, wie schon angedeutet, einige Probleme auf, die in der Vergangenheit schon diskutiert, jedoch nie abschließend geklärt worden sind. Insbesondere stellt sich die Frage, inwieweit Mannschaftssportler ein Recht auf Trainings- und Spielteilnahme bzw. Spieleinsatz haben.
1. Teilnahme am Training Es kann davon ausgegangen werden, dass der Arbeitsvertrag eine Verpflichtung zur Teilnahme am Training enthält,21 die arbeitsvertragliche Hauptleistungspflicht des Berufssportlers ist.22 Mit dieser Pflicht des Sportlers korrespondiert grundsätzlich ein Recht auf Teilnahme am Training. Dass auch dieses Recht auf Training Hauptleistungspflicht ist, kann nicht ohne Weiteres behauptet werden. Liegt ausnahmsweise die Vereinbarung einer Hauptpflicht vor, wird ein gesteigertes Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung von den Parteien anerkannt und von ihnen für rechtlich relevant erklärt. Diese gesteigerte Relevanz hätte dann Bedeutung für die Interessenabwägung im Falle einer einseitigen Suspendierung. Aber auch wenn man eine arbeitsvertragliche Nebenleistungspflicht annimmt, erfordert eine einseitige Suspendierung vom Training „triftige Gründe“. Die Arbeitgeberinteressen können die Arbeitnehmerinteressen hierbei nur unter besonderen Umständen überwiegen, weil eine Auswahlentscheidung des Vereins – anders als beim Einsatz im Spiel – nicht erforderlich ist. Am Training kann jeder Sportler teilnehmen. Deutlich wird das an einem Fall, den das ArbG Solingen23 zu entscheiden hatte: Ein Verein hatte einen Spieler der ersten Bundesliga für einen ganz erheblichen Zeitraum (deutlich über ein Jahr)24 vom (arbeitsvertraglich vereinbarten) Trainingsbetrieb in der ersten Bundesliga mit der Begründung freistellen wollen, dass erhebliche Unruhe durch den Sportler in das Training gebracht würde. Dies wurde vom Verein nicht dargelegt. Aber ___________ 21
Vgl. z. B. § 1 Nr. 3 Satz 1 des DFB-Mustervertrags: „Der Spieler verpflichtet sich, an allen Spielen und Lehrgängen, am Training – sei es allgemein vorgesehen oder sei es besonders angeordnet –, an allen Spielerbesprechungen und sonstigen der Spiel- und Wettkampfvorbereitung dienenden Veranstaltungen teilzunehmen.“ 22 Vgl. BAG, Urteil vom 17.01.1979 – 5 AZR 498/77, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Berufssport. 23 Urteil vom 16.01.1996 – 2 Ga 1/96, BB 1996, 1618 f. 24 Vom 08.11.1995 bis 30.06.1997.
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selbst wenn man davon ausginge, so das Gericht, überwiege das Interesse des Vereins mit Blick auf die Dauer der Freistellung nicht. In ganz gewichtigen Ausnahmefällen sei eine einseitige Suspendierung vom Trainingsbetrieb von zwei Monaten noch angemessen.
2. Teilnahme am und Einsatz im Spiel Im Hinblick auf die Beschäftigung im Spiel ist zwischen Teilnahme und Einsatz zu unterscheiden. Dies wird z. B. an § 1 Nr. 3 des DFB-Mustervertrags deutlich. Nach Satz 125 ist der Sportler u. a. verpflichtet, am Spiel teilzunehmen, was nach Satz 226 auch gilt, wenn ein Einsatz als Spieler oder Ersatzspieler nicht in Betracht kommt. Von einem Anspruch auf Teilnahme am Spiel muss man ebenso ausgehen wie von einem Anspruch auf Teilnahme am Training. Hier gibt es keinen Grund, andere Anforderungen zu stellen, weil am Spiel regelmäßig jeder Sportler teilnehmen kann. Eine Suspendierung von der Teilnahme setzt daher „triftige Gründe“ voraus. Ein solcher ist z. B. anzunehmen, wenn durch einen (lediglich teilnehmenden) Sportler erhebliche Unruhe in das Spiel gebracht wird. Freilich muss auch hier eine zeitliche Grenze gezogen werden, so dass der Sportler nicht ohne Weiteres über einen erheblichen Zeitraum von der Teilnahme am Spiel ausgeschlossen werden kann. Problematisch ist hingegen die Beantwortung der Frage nach einem Anspruch auf Einsatz im Spiel. Ausnahmslos wird davon ausgegangen, dass der Mannschaftssportler im Grundsatz keinen Anspruch darauf hat. Auf den ersten Blick mag dies verwundern, hat doch jeder Profisportler in der Regel ein gesteigertes Interesse daran. Neben den höheren ideellen Stellenwert an einer Beschäftigung tritt hier häufig sogar noch ein materielles Interesse des Arbeitnehmers, weil der Verdienst von Prämien vom Einsatz im Spiel abhängt. Zudem ist die Teilnahme an Wettkämpfen für das berufliche Fortkommen des Spielers von herausragender Bedeutung. Dennoch wird – so viel sei vorweggenommen – von der ganz h. M. zu Recht ein Anspruch des Sportlers im Grundsatz abgelehnt.
___________ 25
Siehe dazu Fn. 21. § 1 Nr. 3 Satz 2 des DFB-Mustervertrags: „Dies gilt auch, wenn ein Mitwirken als Spieler oder Ersatzspieler nicht in Betracht kommt.“ 26
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a) Meinungsstand Nach Meinung der Rechtsprechung stellt der Einsatz im Spiel nur eine rechtlich nicht geschützte Chance dar.27 Mit dem Einsatz korrespondiere – anders als mit der Pflicht zur Trainingsteilnahme – kein Anspruch auf Beschäftigung. Auch ohne ausdrückliche Regelung im Arbeitsvertrag wisse der Sportler, dass er kein Recht auf einen Spieleinsatz habe. Das folge aus den für ihn erkennbaren Umständen. Der Einsatz sei im Berufssport abhängig vom Leistungsvermögen des Sportlers oder anderer Sportler, von mannschaftstaktischen Erwägungen und etwaigen Spielsperren des Sportlers. Eine dogmatische Begründung dieses Ergebnisses bleibt die Rechtsprechung jedoch schuldig. Auch im Schrifttum besteht insoweit eine klare Linie, als im Grundsatz ein Anspruch des Sportlers auf einen Einsatz in Pflichtspielen abgelehnt wird. Jedoch herrscht auch hier Unklarheit über die dogmatische Begründung dieses Ergebnisses. Während z. T. davon ausgegangen wird, dass der Beschäftigungsanspruch in diesem Fall einer immanenten Beschränkung unterliege,28 wird bisweilen auch angenommen, der Beschäftigungsanspruch unterliege dem Weisungsrecht29 oder sei wirksam ausbedungen worden.30
b) Stellungnahme aa) Immanente Beschränkung Die Annahme, der Beschäftigungsanspruch unterliege der immanenten Beschränkung, dass der Spielereinsatz von einer Vielzahl von Umständen abhänge,31 überzeugt nicht. Eine Verpflichtung zur Beschäftigung kann dadurch nämlich nicht ausgeschlossen werden. Man kann sich vielmehr grundsätzlich auch verpflichten, wenn man die Erfüllung nicht in der Hand hat. Dies folgt z. B. aus § 311a Abs. 1 BGB, denn danach ist eine Verpflichtung sogar wirksam, wenn deren Erfüllung unmöglich ist. Außerdem können Verpflichtungen unter den Vorbehalt des Möglichen gestellt werden. § 158 BGB ermöglicht es den Ver___________ 27 BAG, Urteil vom 22.08.1984 – 5 AZR 539/81, AP Nr. 65 zu § 616 BGB; zustimmend Urteil vom 06.12.1995 – 5 AZR 237/94, AP Nr. 9 zu § 611 BGB Berufssport; LAG Hamm, Urteil vom 02.04.1998 – 12 Sa 2264/97, juris. 28 Buchner, Beschäftigungspflicht, 1989, S. 29; Wüterich/Breucker, Das Arbeitsrecht im Sport, 2007, Rn. 294. 29 Kaske, Das arbeitsrechtliche Direktionsrecht und die arbeitsrechtliche Treuepflicht im Berufssport, 1983, S. 38 ff. 30 Bepler, in: Sportler, Arbeit und Statuten (Fn. 2), S. 72 f. 31 So Buchner (Fn. 28), S. 29.
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tragspartnern, sich trotz ungewisser, in der Zukunft liegender Ereignisse zu binden. Wollte man das anders sehen, wäre die Unmöglichkeit der Erfüllung des Beschäftigungsanspruchs – und damit auch eine Haftung des Vereins nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283, 275 Abs. 4 BGB32 bzw. §§ 311a Abs. 2, 275 Abs. 4 BGB – schlechthin nicht möglich, weil die Unmöglichkeit an sich von vornherein eine immanente Beschränkung der Beschäftigungspflicht bedeuten würde. § 275 BGB begrenzt aber lediglich die Befugnis des Gläubigers, Naturalerfüllung zu verlangen.33 Eine etwaige Haftung wird dadurch nicht ausgeschlossen. Insoweit würde auch verkannt, dass nur schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers eine immanente Beschränkung des Beschäftigungsanspruchs hervorrufen können.34 Der Verein, der sich sehenden Auges zu Unmöglichem verpflichtet, verdient einen solchen Schutz nicht. Als Beispiel möge der – zugegebenermaßen nur theoretische – Fall dienen, dass ein Verein mehr sog. Spielgarantien abgibt, als er Spieler einsetzen kann.35 Wie dieses Beispiel zeigt, kann nicht pauschal von einer immanenten Beschränkung ausgegangen werden. Dies würde auch der dieser zugrunde liegenden Interessenabwägung – im Einzelfall! – widersprechen. Die Parteien können aber dem Richter Bindungen für die Interessenabwägung vorgeben.36 § 242 BGB ist zwar grundsätzlich eine zwingende Schranke der Privatautonomie,37 dies gilt aber nur für das Ergebnis der Interessenabwägung. Im Übrigen ist § 242 BGB dispositiv, weil der Beschäftigungsanspruch selbst dispositiv ist. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem relativen, dispositiven Kern-
___________ 32 Vgl. dazu auch Ittmann, Pflichten des Sportlers im Arbeitsverhältnis. Zugleich ein Beitrag zur Vertragsgestaltung durch Vereine und Berufssportler, 2004, S. 74 f. 33 Vgl. statt vieler Ernst, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 2, 5. Aufl. 2007, § 275 BGB Rn. 1. 34 Zum Erfordernis eines schutzwürdigen Interesses: BAG GS, Beschluss vom 27.02.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; Fuchs, in: Beck’scher Onlinekommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 18. Edition, § 611 BGB Rn. 80. 35 Im Fall der Sperrung eines Spielers mit Spielgarantie liegt zwar ebenfalls (rechtliche) Unmöglichkeit des Einsatzes im Spiel vor, eine Haftung des Vereins scheitert aber jedenfalls am widerlegten Vertretenmüssen. 36 Roth, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 2, 5. Aufl. 2007, § 242 BGB Rn. 76. 37 Als Grundgebot der Redlichkeit ist § 242 BGB jedenfalls nicht dispositiv (Looschelders/Olzen, in: Staudinger, 2009, § 242 BGB Rn. 108 m. w. N.). Das gilt auch für die Fallgruppen des § 242 BGB, die zwingendes Recht betreffen (Looschelders/Olzen, a. a. O., § 242 BGB Rn. 109).
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bereich,38 d. h. der zwingende Kernbereich wird erst durch die Interessenabwägung ermittelt. Bei Abschluss zu vieler Spielgarantien müsste man von einer für den Verein zumutbaren Beschäftigung ausgehen. Den Ausschlag für die Zumutbarkeit lieferte dabei die vereinbarte Spielgarantie. In einem solchen Fall bestünde die Pflicht zur Beschäftigung im Spiel. Sie wäre aber wegen – der Beschäftigungspflicht nicht immanenter – Unmöglichkeit (§ 275 BGB) ausgeschlossen. Eine etwaige Haftung des Vereins bliebe davon unberührt. Entscheidend gegen die Annahme einer immanenten Beschränkung der Beschäftigungspflicht spricht jedenfalls die Möglichkeit, Spieler einzuwechseln. Theoretisch kann jeder Spieler ab einer gewissen Anzahl von Spielen eingesetzt werden. Praktiziert wird das freilich nicht. Dies liegt jedoch nicht an der Unzumutbarkeit für den Verein, sondern an dessen Auswahlbedürfnis, hinter dem nichts anderes als die Möglichkeit unternehmerischer Entscheidung steckt, die er sich auch bei Arbeitsvertragsabschluss erhalten muss. Ab einem gewissen Zeitpunkt kann nicht mehr sinnvoll von der Unzumutbarkeit des Spieleinsatzes gesprochen werden. Die Unzumutbarkeit des Einsatzes im Spiel „dünnt“ mit zunehmender Fortdauer der Nichtbeschäftigung aus, was auch daran liegt, dass das Beschäftigungsinteresse des Sportlers mit fortdauernder Nichtbeschäftigung zunimmt. Auch in diesem Zusammenhang wird deutlich, dass unter Hinweis auf eine immanente Beschränkung, die aus einer Abwägung im Einzelfall resultiert, nicht pauschal der Anspruch auf Einsatz in Spielen abgelehnt werden kann. Die immanenten Beschränkungen der Beschäftigungspflicht allein werden dem erkennbaren Interesse der Parteien bei Vertragsschluss daher nicht gerecht.
bb) Weisungsrecht Ferner ist es denkbar, den Ausschluss von Sportlern vom Einsatz im Spiel mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 106 GewO, § 315 BGB) zu begründen.39 Dies gilt aber nur, wenn die Auslegung des Arbeitsvertrags eine Pflicht des Sportlers auf Einsatz im Spiel ergibt. Mit dem Weisungsrecht wird der nur rahmenmäßig umschriebene Inhalt des Arbeitsverhältnisses vom Ar___________ 38
Vgl. Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht. Zur Herleitung und Struktur einer Angemessenheitskontrolle von Verfassungswegen, 2004, S. 74. 39 Vgl. dazu Kaske (Fn. 29), S. 38 ff. Vgl. auch LAG Hamm, Urteil vom 02.04.1998 – 12 Sa 2264/97, juris. Das Gericht weist zum einen auf die fehlende arbeitsvertragliche Spielpflicht hin, begründet zum anderen das Erfordernis einer willkürfreien Auswahl mit einem Hinweis auf das Direktionsrecht. Außerdem wird noch § 162 BGB in Betracht gezogen.
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beitgeber nach billigem Ermessen näher bestimmt.40 Nach § 106 GewO ist dieses Billigkeitserfordernis zwingend. Der Schuldner der Leistung hat also keine – auch nicht kraft (konkludenter) Vereinbarung – freie Willenswahl. Wollte man den Einsatz im Spiel vom Weisungsrecht des Vereins abhängig machen, hieße dies, dass vom Sportler grundsätzlich der Einsatz im Spiel geschuldet wird, der tatsächliche Einsatz jedoch von der entsprechenden Weisung abhängt und die Weisung ihrerseits billig sein muss. Billigkeit setzt dabei voraus, dass die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt werden.41 Hier wird nach nichts wesentlich anderem als der Zumutbarkeit gefragt.42 Es wurde schon darauf hingewiesen, dass ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr sinnvoll von der Unzumutbarkeit des Spieleinsatzes gesprochen werden kann, weil sie mit Fortdauer der Nichtbeschäftigung „ausdünnt“, was auch daran liegt, dass das Beschäftigungsinteresse des Sportlers zunimmt.43 Der Anspruch auf Einsatz im Spiel kann deswegen unter Hinweis auf das arbeitsvertragliche Weisungsrecht – im Einzelfall – nicht pauschal abgelehnt werden. Die Weisung, nicht zu spielen, kann unbillig sein. Von einer unbilligen Weisung ausgehend, bestünde hier der gleiche Einwand wie gegen die Annahme einer immanenten Beschränkung der Beschäftigungspflicht:44 Die erkennbare Interessenlage der Vertragsparteien ist eine andere.
cc) Ausbedingung Für die z. T. vertretene Auffassung, nach der Verein und Mannschaftssportler den Anspruch auf Einsatz im Spiel (konkludent) ausbedungen haben,45 spricht u. a. die übliche Praxis der Vereinbarung von Spielgarantien (z. B. für drei Spiele pro Saison). Hierbei wird nämlich deutlich, dass der Einsatz im Spiel ohne eine solche besondere Vereinbarung nicht garantiert ist. Überhaupt ___________ 40
Vgl. Preis, in: ErfKomm (Fn. 4), § 106 GewO Rn. 1 f. BAG, Urteil vom 19.04.2007 – 2 AZR 78/06, AP Nr. 77 zu § 611 BGB Direktionsrecht; Urteil vom 24.04.1996 – 5 AZR 1031/94, AP Nr. 48 zu § 611 BGB Direktionsrecht; Urteil vom 19.05.1992 – 1 AZR 418/91, AP Nr. 37 zu § 315 BGB; Preis, in: ErfKomm (Fn. 4), § 106 GewO Rn. 6. 42 Vgl. dazu v. Hoyningen-Huene, Die Billigkeit im Arbeitsrecht. Ein Beitrag zur rechtsdogmatisch Präzisierung der Billigkeit im Zivilrecht – dargestellt am Beispiel des Arbeitsrechts, 1978, S. 93 ff. 43 Vgl. dazu aa). 44 Vgl. dazu aa). 45 Vgl. oben Fn. 30. Dieser Meinung scheint auch das BAG (Urteil vom 22.08.1984 – 5 AZR 539/81, AP Nr. 65 zu § 616 BGB) zu sein, wenn es davon spricht, dass der Sportler auch „ohne ausdrückliche Regelung im Arbeitsvertrag“ wisse, dass er keinen Anspruch habe. 41
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muss Ausgangspunkt für die Beantwortung der aufgeworfenen Frage der Arbeitsvertrag sein, weil es sich bei der Beschäftigungspflicht um eine vertragsimmanente Pflicht handelt. Da sich Existenz und Inhalt des Beschäftigungsanspruchs nach der Tätigkeitsbeschreibung im Arbeitsvertrag richten, stellt sich die Frage nach einem Anspruch auf Einsatz im Spiel erst dort, wo sich durch Auslegung eine Spielpflicht des Sportlers feststellen lässt. Erst wenn das gelingt, kommt es auf etwaige immanente Beschränkungen oder das Weisungsrecht an. Es muss also überhaupt ein Rechtsbindungswille hinsichtlich des Einsatzes in Spielen vorliegen. Hierbei ist zu differenzieren: Der Einsatz im Spiel ist zunächst von der Nominierung (Qualifizierung) der Mannschaft abhängig, die weder Verein noch Spieler in der Hand haben. Läge auch insoweit ein Rechtsbindungswille vor, würde der Verein wegen Unmöglichkeit der Beschäftigung im Spiel haften, wenn die Mannschaft nicht nominiert wird. § 158 Abs. 1 BGB ermöglicht es Verein und Sportler, sich trotz dieses ungewissen, in der Zukunft liegenden Ereignisses zu binden, ohne eine Haftung des Vereins bei Ausbleiben der Nominierung zu begründen. Ob das der Fall ist, ist eine Frage der Auslegung der Vereinbarung.46 Maßgeblich ist dabei der jeweilige Empfängerhorizont gem. §§ 133, 157 BGB. Im Normalfall wird eine Bedingung ausdrücklich vereinbart. Sie kann aber auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden, sofern erkennbar wird, dass die Rechtswirkungen der Erklärung von einem ungewissen künftigen Ereignis abhängig sein sollen.47 Bei der aufschiebenden Bedingung entstehen zunächst keine Forderungen. Erst mit Bedingungseintritt entstehen der Anspruch des Vereins gegen den Sportler auf Arbeitsleistung und der (damit verbundene) Anspruch des Sportlers gegen den Verein auf entsprechende Beschäftigung. Für alle Beteiligten ist die Ungewissheit einer Nominierung der Mannschaft erkennbar. Es kann daher nach dem jeweiligen Empfängerhorizont davon ausgegangen werden, dass die Arbeitsleistungspflicht und der Beschäftigungsanspruch mit Blick auf den Einsatz im Spiel unter den stillschweigenden Vorbehalt der Nominierung gestellt sind und dass damit für den Fall der fehlenden Nominierung weder Verein noch Spieler Einsatz im Spiel schulden.48 Darüber hinaus muss angenommen werden, Verein und Sportler hätten für den Fall der Nominierung der Mannschaft den Beschäftigungsanspruch ausbedungen, da auch hierbei nicht immer alle Spieler eingesetzt werden können und ___________ 46 BGH, Urteil vom 10.10.1984 – VIII ZR 244/83, NJW 1985, 376, 377; LG Köln, Urteil vom 15.07.1992 – 10 S 119/02, NJW-RR 1993, 1424; Bork, in: Staudinger. Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2003, § 158 BGB Rn. 8. 47 LG Köln, Urteil vom 15.07.1992 – 10 S 119/02, NJW-RR 1993, 1424; Bork, in: Staudinger (Fn. 46), Vorbemerkungen zu §§ 158–163 BGB Rn. 8. 48 Im Ergebnis ebenso Giesen, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 337 Rn. 16.
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sollen. Diese Annahme ist unter folgendem Gesichtspunkt bedenklich: Fraglich ist, ob der Spieler, der aufgrund des ausbedungenen Beschäftigungsanspruchs zunächst nicht, später aber längerfristig und gleichmäßig im Spiel eingesetzt wird, einen durch eine betriebliche Übung konkretisierten, Anspruch aus dem Arbeitsvertrag auf den üblichen Einsatz im Spiel erwirbt.49 Hier wird nämlich eine an sich nicht geschuldete Leistung des Arbeitgebers mehrfach gewährt. Eine betriebliche Übung scheidet jedenfalls dann aus, wenn anzunehmen ist, dass jede Bindung für die Zukunft insoweit (konkludent) ausgeschlossen ist. Der Verein würde danach – außerhalb sog. Spielgarantien – dem Sportler keinen Einsatz im Spiel versprechen und der Sportler würde auch seine Pflicht zu spielen nicht von einem korrespondierenden Anspruch auf Beschäftigung gegen den Verein abhängig machen. Dies wäre nichts anderes als ein Freiwilligkeitsvorbehalt.50 Der Verein behält sich vor, dem Sportler Beschäftigung im Pflichtspiel zu gewähren. Möglich ist dies natürlich nur, weil der Beschäftigungsanspruch des Spielers dispositiv ist und die Vertragspartner den Freiwilligkeitsvorbehalt (stillschweigend) vereinbart haben.51 Hier schließt sich eine weitere Frage an: Im Hinblick auf die Flexibilisierung von Entgelt können nur Sonderzahlungen unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt werden; Freiwilligkeitsvorbehalte hinsichtlich des im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden (laufenden) Entgelts sind unwirksam.52 Überträgt man das auf Freiwilligkeitsvorbehalte bezüglich der tatsächlichen Beschäftigung, hängt die Wirksamkeit solcher Vorbehalte davon ab, ob die Beschäftigungspflicht Hauptleistungspflicht ist oder nicht. Verein und Sportler sind sich – wie schon erläutert – von Anfang an bewusst, dass ein fortlaufender Einsatz im Spiel nicht möglich ist. Es kann daher nicht von einer vereinbarten Hauptleistungspflicht gesprochen werden. Dies bestätigt auch die Verkehrsauffassung. Schließlich gibt es Sportler, die mehr als eine Saison nicht im Spiel eingesetzt werden. Hier von einer Hauptleistungspflicht zu sprechen, widerspräche der Realität. Der stillschweigende Freiwilligkeitsvorbehalt verhindert also, dass durch betriebliche Übung ein Anspruch auf den üblichen Einsatz im Spiel entstehen kann. ___________ 49 Zur Betrieblichen Übung vgl. BAG, Urteil vom 12.12.2006 – 3 AZR 57/06, AP Nr. 77 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; Preis, in: ErfKomm (Fn. 4), § 611 BGB Rn. 220. 50 Dazu Müller-Glöge, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 4, 5. Aufl. 2009, § 611 BGB Rn. 447 f.; Richardi, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2009, § 8 Rn. 23. 51 Es ist allgemein anerkannt, dass der Arbeitgeber neben Vergütungsbestandteilen auch andere Leistungen durch Erklärung eines Freiwilligkeitsvorbehalts einer betrieblichen Übung entziehen kann, vgl. z. B. für übergesetzlichen Mehrurlaub Powietzka/Fallenstein, NZA 2010, 673, 675. 52 BAG, Urteil vom 25.04.2007 – 5 AZR 627/06, AP Nr. 7 zu § 308 BGB; Richardi, in: Staudinger (Fn. 9), § 611 BGB Rn. 369.
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Im Ergebnis erweist sich allein die Ausbedingung des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs i. V. m. einem (stillschweigenden) Freiwilligkeitsvorbehalt als zuverlässiges Mittel, einen Anspruch des Mannschaftssportlers auf Einsatz im Spiel auszuschließen. Dagegen spricht schließlich auch nicht die etwaige Intransparenz einer ausdrücklichen formularmäßigen Ausbedingung der Beschäftigung im Spiel (vgl. z. B. § 1 Nr. 3 Satz 2 DFB-Mustervertrag53), weil diese stillschweigende Abrede als Individualvereinbarung vorgeht (§ 305b BGB).54
3. Auswahlentscheidung a) Meinungsstand Im Schrifttum wird immer wieder betont, dass der fehlende Anspruch des Sportlers auf Einsatz im Spiel nicht bedeute, der Verein könne willkürlich über die Mannschaftsaufstellung entscheiden.55 Ob das BAG, das von einer „rechtlich nicht geschützten Chance“ spricht,56 dem Verein insoweit die freie Willenswahl einräumen möchte, ist zumindest zweifelhaft. Ausdrücklich hat sich das BAG jedenfalls nicht dazu geäußert. Nach einer Entscheidung des LAG Hamm57 ist Willkürfreiheit der Auswahlentscheidung erforderlich. Während im Schrifttum die rechtliche Kontrolle der Auswahlentscheidung z. T. auf § 106 GewO i. V. m. § 315 BGB gestützt wird,58 ziehen andere den Rechtsgedanken des § 162 BGB heran59 oder stellen auf eine Nebenpflicht aus § 242 BGB ab.60 Jeweils geht es darum, den Spieler vor einer willkürlichen Auswahlentscheidung zu bewahren.
___________ 53
Siehe Fn. 26. Ebenso Bepler, in: Sportler, Arbeit und Statuten (Fn. 2), S. 73 mit Fn. 81. 55 Vgl. Ittmann (Fn. 32), S. 75 f.; Bepler, in: Sportler, Arbeit und Statuten (Fn. 2), S. 73 ff.; Gitter, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 2, 2. Aufl. 2000, § 202 Rn. 54. 56 Vgl. BAG, Urteil vom 22.08.1984 – 5 AZR 539/81, AP Nr. 65 zu § 616 BGB; zustimmend Urteil vom 06.12.1995 – 5 AZR 237/94, AP Nr. 9 zu § 611 BGB Berufssport. 57 Urteil vom 02.04.1998 – 12 Sa 2264/97, juris. 58 Ittmann (Fn. 32), S. 75 f.; vgl. auch LAG Hamm, Urteil vom 02.04.1998 – 12 Sa 2264/97, juris. 59 Bepler, in: Sportler, Arbeit und Statuten (Fn. 2), S. 73 ff.; vgl. auch LAG Hamm, Urteil vom 02.04.1998 – 12 Sa 2264/97, juris. 60 Gitter, in: MünchArbR (Fn. 55), § 202 Rn. 54. 54
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b) Stellungnahme Wenn man einen Freiwilligkeitsvorbehalt hinsichtlich der tatsächlichen Beschäftigung im Spiel annimmt,61 kann nicht ohne Weiteres von einer Kontrolle der Auswahlentscheidung auf Sachlichkeit ausgegangen werden. Der sich eine Leistung Vorbehaltende (Verein) will die Leistung (Beschäftigung im Spiel) von seinem freien Willen abhängig machen. Deswegen wird bei einem Freiwilligkeitsvorbehalt auch gelegentlich von einer sog. (aufschiebenden) „Wollensbedingung“ gesprochen,62 auf die auch § 162 BGB im Grundsatz nicht angewendet werden kann.63 Geht man – wie hier – bei der Beschäftigung von einer freiwilligen Leistung aus, muss berücksichtigt werden, dass es sich bei Spieleinsätzen um eine generelle Leistung handelt. Bei einer freiwilligen und generellen Leistung folgt aus dem Rechtsgedanken des Art. 3 Abs. 1 GG eine Pflicht zur Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer.64 Dieser „arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz“ ist verletzt, wenn sich für eine unterschiedliche Behandlung kein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder in sonstiger Weise sachlich einleuchtender Grund finden lässt, wobei bei freiwilligen Leistungen die Leistungsvoraussetzungen so abgegrenzt werden müssen, dass Arbeitnehmer nicht aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen werden.65 Auch bei einem Freiwilligkeitsvorbehalt ist der Arbeitgeber zur Wahrung der Gleichbehandlung verpflichtet.66 Der Verein hat sich daher bei Aufstellung der Mannschaft an sachlichen, nach dem Leistungszweck richtenden Kriterien zu orientieren. Bei der Mannschaftsaufstellung für ein Spiel handelt es sich daher nicht in erster Linie um eine Frage der Äquivalenz von Leistung und Gegenleis___________ 61
So die hier vertretene Ansicht, vgl. dazu 2. b) cc). Vgl. Strick, NZA 2005, 723, 724; Deinert, Anmerkung zu BAG, Urteil vom 30.07.2008 – 10 AZR 606/07, AP Nr. 274 zu § 611 BGB Gratifikation; Bayreuther, BB 2009, 102, 105. 63 Gegen die Anwendbarkeit des § 162 BGB bei einer Wollensbedingung, vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2005 – V ZR 244/04, NJW 2005, 3417, 3418; Urteil vom 25.09.1996 – VIII ZR 172/95, NJW 1996, 3338, 3340; OLG Dresden, Urteil vom 13.01.1999 – 18 U 2050/97, OLG-NL 2001, 97; differenzierend: OLG München, Urteil vom 25.09.1987 – 14 U 845/86, NJW-RR 1991, 1280. 64 BAG, Urteil vom 21.08.2007 – 3 AZR 269/06, AP Nr. 60 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung; Müller-Glöge, in: MünchKomm (Fn. 50), § 611 BGB Rn. 1121. 65 BAG, Urteil vom 14.08.2007 – 9 AZR 943/06, AP Nr. 1 zu § 33 AGG; Urteil vom 11.04.2006 – 9 AZR 528/05, NZA 2006, 1217, 1218. 66 BAG, Urteil vom 26.09.2007 – 10 AZR 569/06, AP Nr. 205 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; Richardi, in: MünchArbR (Fn. 50), § 8 Rn. 23. Zur Auswirkung des AGG auf die Nichtberücksichtigung von Sportlern bei Einsätzen vgl. Gutzeit, Auswirkungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf das Sportrecht – Erste Gedanken zu sportarbeitsrechtlichen Konsequenzen, in: Vieweg (Hrsg.), Facetten des Sportrechts. Referate der achten und neunten interuniversitären Tagung Sportrecht, 2008, S. 55, 57 f. 62
Der allgemeine Beschäftigungsanspruch im Mannschaftssport
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tung,67 sondern um ein Verteilungsproblem.68 Freilich wird sich in der Praxis eine sachwidrige Ungleichbehandlung kaum beweisen lassen, weil sich bei einem derart komplexen Vorgang wie einem Mannschaftsspiel immer ein sachlicher Grund vorschieben lässt. Wenn nicht die Sachwidrigkeit geradezu offen zur Schau getragen wird, wird man keine sachwidrige Vorenthaltung eines Spieleinsatzes nachweisen können.
IV. Rechtsfolgen eines unerfüllten Beschäftigungsanspruchs Die tatsächliche Beschäftigung wird durch gerichtliche Klage durchgesetzt. Die Zwangsvollstreckung richtet sich nach § 888 ZPO, d. h. sie erfolgt durch Androhung von Zwangsgeld oder Zwangshaft. Auch eine vorzeitige Geltendmachung durch einstweilige Verfügung ist möglich, wenn der erforderliche Verfügungsgrund besteht.69 Da ein Anspruch auf Einsatz im Spiel grundsätzlich nicht besteht, bleibt zu fragen, ob im Falle einer Spielgarantie ein klagbarer Anspruch entsteht. Hier von einem konkludenten Ausschluss der Klagbarkeit aufgrund ergänzender Vertragsauslegung zu sprechen,70 ist zweifelhaft. Mit einer Spielgarantie möchte sich der Sportler den Einsatz im Spiel sichern und der Verein kann u. U. den Sportler nur mit einer Spielgarantie verpflichten. Hingegen wird man einen konkludenten Klageverzicht für einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung für den Fall einer willkürlichen Auswahlentscheidung annehmen müssen. Durch Konkurrentenkonflikte könnte anderenfalls erhebliche Unruhe in die Mannschaft gebracht werden, die den Vertragszweck „sportlicher Erfolg“ gefährden würde.71 Stattdessen kommt ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Beschäftigungspflicht in Betracht.72 Außerdem ist – unter Berücksichtigung des Abmahnungserfordernisses – eine außerordentliche Kündigung durch den Sportler möglich, wenn dieser beharrlich willkürlich nicht im Spiel eingesetzt wird.73
___________ 67
Eine Frage der Äquivalenz wäre es, wenn man auf § 106 GewO i. V. m. § 315 BGB oder § 242 BGB abstellte. 68 Allgemein zu diesem Aspekt vgl. v. Hoyningen-Huene (Fn. 42), S. 102 ff. 69 Vgl. ArbG Solingen, Urteil vom 16.01.1996 – 2 Ga 1/96, BB 1996, 1618 f. 70 Ohne Spielgarantien zu thematisieren: Bepler, in: Sportler, Arbeit und Statuten (Fn. 2), S. 81. 71 Bepler, in: Sportler, Arbeit und Statuten (Fn. 2), S. 81. 72 Dazu ausführlich Bepler, in: Sportler, Arbeit und Statuten (Fn. 2), S. 81 f. 73 Dazu ausführlich Bepler, in: Sportler, Arbeit und Statuten (Fn. 2), S. 82.
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V. Zusammenfassung Mannschaftssportler haben grundsätzlich einen Anspruch auf Teilnahme am Training und am Spiel. Eine einseitige Suspendierung durch den Verein kommt nur in Betracht, wenn dafür „triftige“ Gründe bestehen. Ein Anspruch auf Einsatz im Spiel besteht hingegen nur, wenn eine Spielgarantie vereinbart wurde. Fehlt es daran, kann der Nichteinsatz eines Mannschaftssportlers nicht allein auf die immanente Beschränkung der Beschäftigungspflicht im Mannschaftssport und auch nicht auf das Weisungsrecht des Vereins gestützt werden, weil die Nichtbeschäftigung im Spiel ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr sinnvoll mit der Unzumutbarkeit für den Verein bzw. der Billigkeit begründet werden kann. Die Ausbedingung des Beschäftigungsanspruchs entspricht hingegen den erkennbaren Parteiinteressen und vermag einen Anspruch auf Einsatz im Spiel endgültig auszuschließen – allerdings nur unter Annahme der Vereinbarung eines Freiwilligkeitsvorbehalts hinsichtlich der tatsächlichen Beschäftigung im Spiel. Dieser Freiwilligkeitsvorbehalt hat für die Praxis Bedeutung, wenn vermieden werden soll, dass der beständige Einsatz eines Sportlers im Spiel aufgrund einer damit verbundenen betrieblichen Übung zu einem Anspruch auf den gewohnten Einsatz führt. Obgleich im Grundsatz kein Anspruch auf Einsatz im Spiel besteht, kann der Verein die Mannschaftssportler nicht willkürlich im Spiel einsetzen. Als Arbeitgeber ist er wegen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes verpflichtet, die Spieler nach sachlichen, am Leistungszweck orientierten Kriterien aufzustellen. Die Mannschaftsaufstellung erweist sich folglich im Wesentlichen als Verteilungsfrage. Ein klagbarer Anspruch kann sowohl auf Teilnahme am Training, als auch auf Teilnahme am Spiel sowie, wenn eine Spielgarantie besteht, auf Einsatz im Spiel bestehen. Wird ein Sportler ohne Spielgarantie willkürlich nicht im Spiel eingesetzt, besteht kein Anspruch auf den Einsatz. Insoweit kommt nur ein Anspruch auf Schadensersatz und ein Recht zur außerordentlichen Kündigung in Betracht.
Körperverletzungen bei Kampfsportarten aus strafrechtlicher Sicht Von Clemens Rutz I.
Einleitung .......................................................................................................... 236
II. „Kampfsport“ in Deutschland ........................................................................... 237 1.
Vielfalt betriebener Kampfstile ................................................................. 237
2.
„Kampfkünste“, „Selbstverteidigung“ und „Kampfsport“......................... 238
3.
Vorzugswürdiger Oberbegriff „Kampfstile“ ............................................. 238
4.
Strafrechtsbezogene Kategorisierung der Kampfstile ................................ 238 a)
Unzulässigkeit körperlichen Einwirkens ............................................ 239
b)
Möglichkeit körperlichen Einwirkens ................................................ 239
c)
Zwang körperlichen Einwirkens ........................................................ 239
III. Mögliche Körperverletzungsdelikte im Bereich der Kampfstile ....................... 239 IV. Differenz zwischen Quantität und Forensik ...................................................... 241 V. Prozessrechtliche Gründe für seltene Strafverfolgung ...................................... 242 1.
2.
Gründe für seltene Strafantragstellung ...................................................... 242 a)
Selbstregulierung ............................................................................... 243
b)
„Sportives Ethos“ ............................................................................... 243
Gründe für seltene Amtsermittlung ........................................................... 244 a)
Seltene Kenntniserlangung................................................................. 245
b)
Verneinung des „besonderen öffentlichen Interesses“ ....................... 245
VI. Körperverletzungen in Kampfstilen als strafrechtliche Sonderproblematik ...... 247 1.
Verfassungsrechtliches Spannungsfeld ...................................................... 247
2.
Sportstrafrecht als „Straflosigkeitsrecht“? ................................................. 248
3.
Grenzen einer Privilegierung ..................................................................... 250
VII. Materiellrechtliche Ansätze zur Strafbegrenzung ............................................. 251 1.
„Geringfügigkeitsprinzip“ ......................................................................... 251
2.
Sorgfaltspflichtgemäßheit .......................................................................... 252
3.
„Kampfstilspezifische Situationsadäquanz“ .............................................. 252
236
Clemens Rutz 4.
Eigenverantwortlichkeit............................................................................. 253
5.
Einwilligung .............................................................................................. 255 a)
Einwilligung als „künstliche Unterstellung“? .................................... 256
b)
Einwilligung in fahrlässige Körperverletzung? .................................. 257
c)
Denaturierung der Einwilligung? ....................................................... 258
VIII. Kriterien zur Ausfüllung der angewandten Rechtsinstitute ............................... 259 1.
Regelverstoß .............................................................................................. 259
2.
Erhöhung des „kampfstil- und situationsspezifischen Grundrisikos“ ........ 260
3.
Verstoß gegen „informelles Fair Play“ ...................................................... 261
IX. Lösungsvorschlag ............................................................................................. 262 X. Verzeichnis der zitierten Literatur..................................................................... 262
I. Einleitung Das Strafrecht stellt (glücklicherweise) das für das Recht des Sports am seltensten einschlägige Rechtsgebiet dar. Innerhalb des Sportstrafrechts kann die Frage der Strafbarkeit von Körperverletzungen unter Sportlern allerdings mit Recht als das „Standardthema sportstrafrechtlicher Überlegungen“1 bezeichnet werden. Hinsichtlich der vorliegend gewählten Thematik der „Körperverletzungen bei Kampfsportarten“ besteht nichtsdestotrotz erheblicher Untersuchungsbedarf, da (auch) unter Juristen oft diffuse Vorstellungen hinsichtlich des Begriffs der sog. „Kampfsportarten“ vorherrschen.2 Vorangestellt seien daher zunächst kurze Ausführungen zum Umfang des in Deutschland betriebenen „Kampfsports“, zum aus Sicht des Autors vorzugswürdigen Oberbegriff der „Kampfstile“ und zu einer juristisch sinnvollen Klassifizierung derselben. Anschließend werden die im Bereich der Kampfstile möglichen Körperverletzungsdelikte vorgestellt und die strafprozessualen Gründe für deren seltene strafrechtliche Verfolgung diskutiert. ___________ 1
Kühl, Sportrecht heute, S. 129. Vgl. insofern auch bereits Dig. 23, 2, 11 zu einem tödlichen Unfall beim Speerwurfspiel. 2 Beispielhaft undifferenziert der BGH VersR 1975, 138: „Box- und Ringkämpfe und dgl.“ Eine Gleichstellung von Boxen und Ringen findet sich auch bei BGH NJW 1976, 634. Boxen und Ringen unterscheiden sich jedoch sowohl sportwissenschaftlich als auch rechtsbedeutsam erheblich, da bspw. die Boxregeln vorsätzliche Verletzungen des Gegners zulassen, die Ringregeln solche jedoch explizit verbieten.
Körperverletzungen bei Kampfsportarten aus strafrechtlicher Sicht
237
In einem weiteren Abschnitt geht es um die Berechtigung der weitgehenden Straffreistellung von Sportverletzungen unter Berücksichtigung des Spannungsfeldes zwischen staatlicher Schutzverpflichtung einerseits und Eigenverantwortlichkeit der Sportler sowie Autonomie des Sports andererseits. Ein Überblick über einige der äußerst vielfältigen materiellrechtlichen Ansätze zur Strafbegrenzung von Körperverletzungen zwischen Kampfsportlern schließt sich an. Mögliche Kriterien zur realitätsnahen Ausfüllung und Anwendung der jeweiligen Rechtsinstitute werden vorgestellt. Die Untersuchung schließt mit einem Vorschlag zur strafrechtlichen Behandlung von Körperverletzungen im Bereich der Kampfstile.
II. „Kampfsport“ in Deutschland 1. Vielfalt betriebener Kampfstile Über die jeweiligen Spitzenverbände sind in den Kampfsportarten Judo, Karate, Boxen, Taekwondo, Ju-Jutsu und Fechten in Deutschland derzeit etwa 560.000 Kampfsporttreibende im Deutsche Olympischen Sportbund organisiert.3 Der Deutsche Judo-Bund e.V. ist mit etwa 150.000 Mitgliedern am stärksten vertreten, gefolgt von etwa 100.000 Karateka und ca. 70.000 Ringern. Über die im DOSB betriebenen Kampfsportarten hinaus wird in Deutschland jedoch eine nahezu unüberblickbare Vielzahl weiterer Kampfstile angeboten und praktiziert. Anschaulich belegt wird dies durch eine aktuelle Untersuchung4, nach der 2004 allein im Stadtgebiet Berlin 65 verschiedene Kampfstile in insgesamt 121 verschiedenen Gruppierungen – außerhalb des Landessportbundes Berlin – betrieben wurden. Ermöglicht wird diese nicht ganz unproblematische Situation nicht zuletzt durch das deutsche Gewerbe- und Vereinsrecht, das es grundsätzlich jedermann ohne vorgeschriebene Mindestqualifikationen, Ausbildungsabschlüsse oder geschützte Berufsbezeichnungen gestattet, auf dem Sportmarkt das Lehren und Training bestehender oder selbst entwickelter Kampfstile anzubieten.5
___________ 3 4 5
Statistisches Jahrbuch 2007, S. 184. Hoffmann, Aggressionswerte, S. 68. Dietrich, Sportanbieter, S. 32 f., 131, Nahavandi, Karatesport, S. 65.
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2. „Kampfkünste“, „Selbstverteidigung“ und „Kampfsport“ Die klassischen Kampfsportarten, in denen Regelwerke der jeweiligen Verbände bestehen, die zumindest die Möglichkeit eines Leistungsvergleichs in Training oder Wettkampf eröffnen, sind aus juristischer Sicht abzugrenzen von sog. „Kampfkünsten“, die weitgehend auf den Wettkampf und ein entsprechendes Regelwerk verzichten. Ebenso wie bei diesen reinen Kampfkünsten existieren auch in reinen Selbstverteidigungssystemen keine Regeln.6 Das Einführen eines Regelwerks würde der Zielsetzung dieser Systeme widersprechen, sich so realistisch wie möglich auf etwaige Gefahrensituationen vorzubereiten.7 Die Differenzierung zwischen Kampfkünsten, Selbstverteidigungssystemen und Kampfsport ist von juristischer Relevanz, da eine Orientierung am Regelwerk – etwa bei der Bestimmung der einzuhaltenden Sorgfaltspflichten – in der Regel nur in den klassischen Kampfsportarten und weder im Bereich der Kampfkünste noch im Bereich der Selbstverteidigungssysteme möglich ist.
3. Vorzugswürdiger Oberbegriff „Kampfstile“ Als gewissermaßen „neutraler“ Oberbegriff, der die beschriebenen Teilbereiche – „Kampfkünste“, „Selbstverteidigungssysteme“ und „Kampfsport im engeren Sinne“ – umfasst und in sich vereint, empfiehlt sich die Bezeichnung „Kampfstile“. Dieser Oberbegriff wird sowohl Kampfsportformen und Kampfkünsten als auch modernen Selbstverteidigungsformen, die einzelne Techniken aus Kampfsport/-kunst nutzen, gerecht und soll daher der folgenden Untersuchung zugrunde gelegt werden.
4. Strafrechtsbezogene Kategorisierung der Kampfstile Aus strafrechtlicher Sicht lassen sich die in Deutschland betriebenen Kampfstile grob in drei Gruppen einteilen – je nachdem, ob ein körperliches Einwir___________ 6 Allerdings ist zu beachten, dass auch ein Training von Selbstverteidigungstechniken im Normalfall gewisse Absprachen unter den Beteiligten voraussetzt, ohne die eine Begrenzung der Verletzungsgefahr und auch ein effektives Training nicht möglich sind. Diese Absprachen können bei einem weiten Verständnis des Begriffs auch als Regeln verstanden werden. 7 Hoffmann, Aggressionswerte, S. 13.
Körperverletzungen bei Kampfsportarten aus strafrechtlicher Sicht
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ken auf den Partner bzw. Gegner unzulässig, möglich oder gar Voraussetzung für das Ausüben des Kampfstils ist.
a) Unzulässigkeit körperlichen Einwirkens Nicht vorgesehen ist ein körperliches Einwirken auf den Partner etwa in der sog. Capoeira, einer brasilianischen Mischform der Elemente Kampf, Akrobatik, Tanz und Musik, die tendenziell als Kampfkunst bezeichnet werden kann. Meist in Form eines „Kampfspiels“ betrieben, soll es zu keiner Berührung des Partners kommen, sondern jedem Angriff soll durch eine entsprechende Ausweichbewegung entgangen werden.
b) Möglichkeit körperlichen Einwirkens Zwar möglich, jedoch nicht zwingend ist die Berührung des Gegners etwa im Karate in Form der Wettkampfregeln (Kumite) des Deutschen Karate Verbandes e.V., nach denen Fauststöße und Fußtritte bei oder kurz vor Hautkontakt abzustoppen sind, ein Fassen des Gegners zur Ausführung eines Wurfs jedoch erlaubt ist.8
c) Zwang körperlichen Einwirkens Die bereits genannten klassischen Kampfsportarten wie etwa Judo, Ringen oder Boxen setzen hingegen – wenngleich auch mit stark unterschiedlicher Intensität – ein körperliches Einwirken auf den Partner bzw. Gegner zu ihrer Ausübung voraus.
III. Mögliche Körperverletzungsdelikte im Bereich der Kampfstile Neben einfachen vorsätzlichen und fahrlässigen Körperverletzungen i. S. d. §§ 223 I, 229 StGB sind in den sog. waffenführenden Kampfstilen wie etwa dem Fechten auch gefährliche Körperverletzungen i. S. v. § 224 I Nr. 2 StGB möglich.
___________ 8
Punkt IX der Erklärung zu Art. 6 sowie Art. 8 der Wettkampfregeln für Kumite.
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Auch eine Strafbarkeit nach § 224 I Nr. 5 StGB ist bei zumindest abstrakter Gefährdung des Lebens der Teilnehmer, etwa bei Vollkontaktkampfstilen, nicht auszuschließen.9 Denkbar ist auch eine Strafbarkeit gem. § 226 I Nr. 1 StGB. Augenverletzungen sind bspw. im Boxsport häufig und können die Sehfähigkeit beeinträchtigen oder gar zum Verlust der Sehfähigkeit zumindest auf einem Auge führen.10 Auch ein Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit i. S. v. § 226 I Nr. 1 StGB aufgrund vorsätzlicher Hodentritte ist im Kampfsport möglich. So wurde eine in Folge eines Karate-Tritts notwendige Hodenamputation bereits vor dem LG Kassel verhandelt.11 Hinzu kommen Straftaten, die durch die Eigenheiten der Zweikampfsportarten ermöglicht werden. So sind bei den meisten Zweikampfsportarten bei Wettkämpfen Gewichtsklassen vorgesehen. Es kommt daher nicht selten zu durch Trainer angeordneten „Hungerkuren“ der Sportler, um den Start in einer niedrigeren Gewichtsklasse mit – vermeintlich oder tatsächlich – leichter zu bezwingenden Gegnern zu ermöglichen. Extreme Gewichtsverluste ohne ärztliche Kontrolle können dabei zur sog. „anorexia athletica“ führen.12 Sofern diese Essstörungen pathologische Ausmaße erreichen,13 Verletzungen im Wettkampf bedingen14 oder evtl. auch zu Langzeitschädigungen führen,15 ist bei minderjährigen Sportlern eine Strafbarkeit von Trainern, Eltern und möglicherweise auch Ärzten zu prüfen.
___________ 9
Zu den „Qualifikationstatbeständen“ vgl. Schild, Sportstrafrecht, S. 123 f. Vgl. zu den möglichen Augenverletzungen im Boxsport Engelhardt, Sportverletzungen, S. 462. 11 LG Kassel, Az. 502710/88, zitiert nach Goldner, Fernöstliche Kampfkunst, S. 130. 12 Nach Meth, Gestörtes Essverhalten, S. 56, leiden je nach Sportart zwischen 15 % und 62 % der Sportler unter Essstörungen, wobei Boxen, Ringen und Judo diesbezüglich als Risikosportarten einzuordnen seien. 13 Vgl. zu möglichen Gesundheitsstörungen Furian/Pogan/Euen/Ritthaler, ZfSM 2001, 103; Die Gefahr physischer Schädigungen durch „Hungerkuren“ sieht auch Niese, Kommerzialisierung, S. 72. 14 Nach Engelhardt, Sportverletzungen, S. 472, besteht bspw. im Judosport ein direkter Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Gewichtsreduktion und der Unfallrate. 15 Vgl. zu den möglichen Langzeitschädigungen Wagner/Schröder/Peil, Gewichtsmanipulation, S. 157 f. 10
Körperverletzungen bei Kampfsportarten aus strafrechtlicher Sicht
241
IV. Differenz zwischen Quantität und Forensik Die Angaben zu den sich jährlich im deutschen16 Sport ereignenden Unfällen weichen erheblich voneinander ab. Die jährlichen Unfallraten werden beziffert17 mit „rund 900.000“ (1990–1993),18 „weit mehr über 1 Mio.“ (2007),19 1,3–1,4 Mio. (1991),20 1,33 Mio. (2000),21 1,4 Mio. (2000),22 1,46 Mio. (2000/2001),23 1,5 Mio. (2001),24, „rund zwei Mio.“ (1999)25 und (2003)26 sowie „über 2 Mio.“ (2004).27 Auch wenn die genannten Angaben äußerst uneinheitlich sind, kann aufgrund der aktuelleren Zahlen der Umfang jährlicher Sportunfälle in der Bundesrepublik Deutschland zumindest im Bereich zwischen ein und zwei Mio. angesetzt werden. Wie viele dieser Unfälle den Bereich der hier behandelten Zweikampfsportarten betreffen, ist schwer feststellbar. Genannt werden für die in Deutschland am weitesten verbreitete Zweikampfsportart Judo jährliche Unfallraten von 1,6 bis 2,3 auf 100 Judoka.28 Die Unfälle im Judosport machen damit insgesamt ca. 3 % der Sportunfälle in Deutschland aus.29 Fest steht darüber hinaus, dass der Anteil der strafrechtlich relevanten fremdverschuldeten Verletzungen im Bereich der Kampfstile aufgrund des zugelassenen oder sogar vorausgesetzten körperlichen Kontakts als hoch einzu-
___________ 16 Für die Schweiz gibt Thaler, Haftung, S. 14, für das Jahr 1997 insgesamt 296.000 Sportunfälle an. 17 In Klammern ist das Bezugsjahr der genannten Angaben aufgeführt. 18 Weber, Bedeutung des Sports, S. 45. 19 PHBSportR-Fritzweiler, S. 486. 20 Hübner, Risikosportarten, S. 1. 21 ARAG AG, Sportunfälle, S. 5. 22 Houben, SpuRt 2000, 185. 23 Berkl, Sportunfall, S. 27, unter Bezugnahme auf eine Haushaltsbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz aus den Jahren 2000/2001. 24 Grupe/Mieth, Ethik im Sport, S. 429. 25 Rössner, FS Hirsch, S. 313. 26 Kubink, JA 2003, 258. 27 Vieweg, Unfallrisiken, S. 377. 28 Engelhardt, Sportverletzungen, S. 472; Metreveli/Schmalz, Sportunfälle, S. 14; Hoffmann, Aggressionswerte, S. 26; Zu den geringeren Verletzungsraten im SportKarate ohne vorgesehenen Körperkontakt vgl. Engelhardt, a. a. O., S. 477 f. Zu den Verletzungsraten im Ringsport vgl. Engelhardt, a. a. O., S. 482 f., zur Verletzungsrate im Taekwondo vgl. Engelhardt, a. a. O., S. 488 sowie Braun, ZfSM 1999, 239 ff. 29 ARAG AG, Sportunfälle, S. 6 f.
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schätzen ist. Untersuchungen nennen in bis zu 74,5 % der Sportunfälle in Kampfsportarten die andere Person als Unfallursache.30 In Relation zu der demnach als hoch einzuschätzenden Anzahl fremdverschuldeter Körperverletzungen im Bereich der Kampfstile ist ihre forensische Bedeutung quantitativ überraschend gering. Reinhart spricht in diesem Zusammenhang von einem „Auseinanderfallen von Sportrealität und deren strafrechtlicher Erfassung“.31 Es herrscht augenscheinlich eine Diskrepanz zwischen massenhaft vorkommenden Schädigungen unter Sportlern und der diesbezüglichen Verfolgungspraxis. Vor allem im Vergleich zur Verfolgung von Körperverletzungen im Straßenverkehr ist es erstaunlich, wie selten sich die Strafrechtspraxis mit Körperverletzungen im Sport befasst.32
V. Prozessrechtliche Gründe für seltene Strafverfolgung Die im Vergleich zu ihrer realen Quantität geringe forensische Relevanz von Körperverletzungen in Kampfstilen folgt sowohl aus seltener Strafantragstellung durch die Geschädigten als auch aus seltener Amtsermittlung durch die jeweiligen Staatsanwaltschaften.
1. Gründe für seltene Strafantragstellung Hauptgrund für die seltene Strafverfolgung im Bereich der Körperverletzungen im Sport ist wohl die seltene Strafantragstellung durch die geschädigten Sportler nach § 230 I StGB i. V. m. §§ 77 ff. StGB33 bei den sog. relativen Antragsdelikten der vorsätzlichen und fahrlässigen Körperverletzung, §§ 223, 229 StGB.34
___________ 30
Metreveli/Stephan, Sportunfälle, S. 34. Reinhart, SpuRt 1997, 2. 32 Vgl. Berkl, Sportunfall, S. 194; Haupt, Körperverletzung, S. 228, 257, Kauffmann, FS Kleinknecht, S. 204 f.; Vögeli, Sportverletzungen, S. 206. 33 Zu beachten ist die Möglichkeit der Antragstellung durch die Eltern als gesetzliche Vertreter bei verletzten minderjährigen Sportlern, § 77 III StGB, und bei Verletzungen der vielen Leistungssportler, die der Sportfördergruppe der Bundeswehr angehören, das Antragsrecht des Disziplinarvorgesetzten, § 77a I, II 2 StGB. 34 Anderes gilt bei den Offizialdelikten der §§ 211, 212, 222, 227 StGB, bei welchen die Staatsanwaltschaft nach § 152 II StPO zumindest bei Bestehen eines Anfangsverdachtes zu ermitteln verpflichtet ist. 31
Körperverletzungen bei Kampfsportarten aus strafrechtlicher Sicht
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a) Selbstregulierung Ein Grund für die seltene Stellung eines Strafantrags nach § 230 I StGB durch verletzte Sportler ist in der umfangreichen und effektiven Tätigkeit der sog. Sportgerichtsbarkeit zu sehen, also in der Verfolgung und Ahndung von Vergehen im Bereich des Sports durch die Organe der Vereine und Verbände selbst. Die Angaben zu den jährlich in Deutschland sportintern verhandelten Sportgerichtsfällen gehen dabei weit auseinander. Hilpert geht allein für den Bereich des Deutschen Fußballbunds e.V. (DFB) von jährlich über 400.000 Vereinsstrafverfahren aus,35 Prokop schätzt die Anzahl der Verfahren in allen Sportverbänden auf 420.000.36 Damit käme es in Deutschland zu mehr Verfahren vor Sportgerichten als vor staatlichen Arbeitsgerichten.37 Schickhardt spricht 2001 gar von etwa 850.000 Sportgerichtsfällen jährlich bei ansteigender Tendenz.38 Fest steht, dass heute etwa 800 der Spitzen- und Landesverbände im deutschen Sport ca. 1.000 sog. „Sportgerichte“ unterhalten,39 die sportrechtliche Fragestellungen klären, ohne dass die ordentliche Gerichtsbarkeit angerufen wird. Die enorme praktische Bedeutung dieser Gerichte zeigt die Tatsache, dass nahezu 100 % der Sportverfahren durch Sportgerichte endgültig gelöst und nach Literaturangaben nur etwa 10–15 Fälle pro Jahr im gesamtdeutschen Sport nicht auf dieser Ebene beendet werden.40
b) „Sportives Ethos“ Häufig betrachten auch die verletzten Sportler eine Strafverfolgung oder Anzeige gegenüber anderen Sportbeteiligten als „unsportlich“.41 Von Schiffer wird dies als eine Art „sportives Ethos“ bezeichnet.42 Auch andere Autoren ___________ 35
Hilpert, Sportrechtsprechung, S. 19. Prokop, Sportgerichtsbarkeit, S. 142, ebenso PHBSportR-Pfister/Summerer, S. 208. 37 Haupt, Körperverletzung, S. 229. 38 Schickhardt, Sportgerichtsbarkeit, S. 76. 39 PHBSportR-Pfister/Summerer, S. 208. 40 So Prokop, Sportgerichtsbarkeit, S. 143. 41 Donatsch, ZStrR 1990, 432; Vögeli, Sportverletzungen, S. 206, führt dies auf „oft merkwürdige Ansichten des Verletzten über Sportlichkeit und körperliche Härte“ zurück. 42 Schiffer, Sportverletzung, S. 17; ebenso Haupt, Körperverletzung, S. 244. 36
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verweisen auf einen „ungeschriebenen Ehrenkodex“43 bzw. ein „GentlemenAgreement“,44 staatliche Verfolgungsbehörden nicht in Anspruch zu nehmen. In engen sportlichen Gemeinschaften scheint die Stellung eines Strafantrags gegen einen anderen Sportler zumindest unüblich.45 Wenn überhaupt, kommt es hier, wie dargelegt, überwiegend nur zu einer sportinternen Auseinandersetzung und Streitentscheidung. Zudem besteht gerade im Bereich der Zweikampfsportarten die Möglichkeit, sich für eine erlittene Schädigung beim nächsten Aufeinandertreffen in Training oder Wettkampf mit fairen oder teilweise auch unfairen Mitteln zu revanchieren.46 Aufgrund der häufig engen Verbindung der Sportler mit der von ihnen ausgeübten Sportart werden gerade in Zweikampfsportarten die möglichen Schädigungen weitgehend als sportimmanent und unvermeidbar akzeptiert und auch die Sportler selbst versuchen, eine Schädigung des Images der Sportart zu vermeiden. Zumeist erkennen die Sportler dementsprechend die Reziprozität der Verletzungsgefahr – jeder Sportler ist zugleich potentieller Verletzender und Verletzter – und nehmen demgemäß von einer vorschnellen Schuldzuweisung Abstand.47 Sofern Sportverletzungen vor ordentliche Gerichte gelangen, geht es daher aus den genannten Gründen zumeist um die Durchsetzung zivilrechtlicher Schadensersatzforderungen und nicht um eine strafrechtliche Verfolgung.48
2. Gründe für seltene Amtsermittlung Stellen die verletzten Sportler aus den genannten Gründen keinen Strafantrag, so könnte nach § 230 I StGB eine Verfolgung vorsätzlicher und fahrlässiger Körperverletzungen nach §§ 223, 229 StGB auch von Amts wegen durch die Strafverfolgungsbehörde eingeleitet werden, sofern diese ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung für gegeben hält. Dazu kommt es – anders als bspw. bei Straßenverkehrsdelikten – im Sport nur in äußerst seltenen ___________ 43
Schmitt, Körperverletzungen, S. 140. PHBSportR-Summerer, S. 665. 45 Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 104. 46 Vgl. Kerr, Rethinking Aggression and Violence in Sport, S. 134: „chance for ‚evening the score‘ the next time“. 47 Vgl. Blüthner, Bekämpfung von Körperverletzungen, S. 81. 48 Vögeli, Sportverletzungen, S. 206. 44
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Ausnahmefällen. Die Gründe dafür werden im Folgenden überblicksartig dargestellt.
a) Seltene Kenntniserlangung Ein Grund für seltene Amtsverfolgung von Körperverletzungen im Bereich der Kampfstile ist die – anders als bspw. im professionellen Fußballsport – selten mögliche Kenntnisnahme von Körperverletzungen in Zweikampfsportarten durch die Staatsanwaltschaft. Eine Ausnahme bildet insofern nur das Berufsboxen, bei dessen medialer Darstellung die gegenseitig verübten Verletzungen unübersehbar sind. Doch selbst bei Beobachtung an Ort und Stelle oder aufgrund von Fernsehaufnahmen ermittelt die Staatsanwaltschaft von Amts wegen in der Regel nur bei reinen Offizialdelikten oder bei besonders schwerwiegenden relativen Antragsdelikten.49
b) Verneinung des „besonderen öffentlichen Interesses“ Die Feststellung, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, obliegt der Staatsanwaltschaft nach h. M. im Rahmen einer nicht gerichtlich überprüfbaren Ermessensentscheidung, gegen die nur in Form einer Dienstaufsichtsbeschwerde vorgegangen werden kann.50 Äußerst unklar ist im Rahmen dieser Entscheidung die Definition des „besonderen öffentlichen Interesses“, gerade auch bezogen auf den Sport und die hier interessierenden Kampfstile. Vorgeschlagen wird eine Orientierung an den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, insbes. an den Nummern 86 II, 233 und 234 RiStBV. Nach Nr. 86 II RiStBV ergibt sich ein öffentliches Interesse51 aus dem Ausmaß der Rechtsverletzung, aus der Rohheit oder Gefährlichkeit der Tatbegehung, aus niedrigen Beweggründen sowie aus der Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben. In diesen Fällen sei der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung damit ein gegenwärtiges ___________ 49
Vgl. Schmitt, Körperverletzungen, S. 141 m. w. N. sowie Schiffer, Sportverletzung, S. 16. 50 Vgl. Blüthner, Bekämpfung von Körperverletzungen, S. 86 m. w. N.; Brähmer, Funktion des Strafantrags, S. 145 m. w. N.; Haupt, Körperverletzung, S. 245 m. w. N.; Kauffmann, FS Kleinknecht, S. 209; Reinhart, SpuRt 1997, 2 m. w. N. in Fn. 9. Die Überprüfbarkeit bejahend Kröpil, NJW 1992, 654 ff. 51 Der Unterschied zwischen dem öffentlichen Interesse i. S. d. RiStBV und dem besonderen öffentlichen Interesse i. S. v. § 230 I StGB ist mit Kauffmann, FS Kleinknecht, S. 211, nur als gradueller anzusehen.
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Anliegen der Allgemeinheit. Nr. 233 RiStBV stellt ebenso auf eine rohe Tatbegehung bzw. die Erheblichkeit der Misshandlung oder Verletzung ab. Zu berücksichtigen sind zudem nach Nr. 233 RiStBV Vorstrafen und Leichtfertigkeit des Schädigers. Legt der Verletzte keinen Wert auf die Bestrafung des Täters, spricht dies nach Nr. 234 I 2 RiStBV schließlich gegen das Vorliegen eines öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung. Wenngleich die genannten Kriterien erkennbar nicht auf den Bereich des Sports zugeschnitten sind, so machen sie doch deutlich, weshalb die Staatsanwaltschaft bei sportbezogenen Körperverletzungen weitgehend kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht. So liegen auch im Bereich der Zweikampfsportarten in der Regel bspw. keine besonders rohen und leichtfertigen Körperverletzungen oder solche aus niedrigen Beweggründen vor. Unter dem Gesichtspunkt eines angemessenen Schuldausgleichs bei erhöhtem Unrechtsgehalt der Tat ist daher bei Körperverletzungen im Sport nur selten ein öffentliches Interesse anzunehmen. Auch ein Abstellen auf die Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben scheint im Bereich der Zweikampfsportarten fast ausschließlich bei besonders populären Berufsboxern denkbar. Nur hier besteht ein ausreichendes Zuschauerinteresse, das es rechtfertigt, von einem „rollenformenden Verhaltensvorbild“52 der Sportler zu sprechen. Eine strengere Strafverfolgung populärer Sportler aufgrund generalpräventiver Zielsetzung ist jedoch im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 I GG ohnehin fraglich.53 Letztlich spricht gegen ein öffentliches Interesse unter Zugrundelegung der RiStBV auch, dass verletzte „Kampfsportler“ selbst – wie bereits dargelegt – großteils keinen Wert auf die Bestrafung des Schädigers legen. In den meisten Fällen wird aus überwiegender Sicht des Publikums und der Sportler der Rechtsfrieden bereits durch sportinterne Sanktionen wiederhergestellt.54 Aus generalpräventiven Gründen erscheint eine Verfolgung von Amts wegen in diesen Fällen daher nicht notwendig.
___________ 52 PHBSportR-Reinhart, S. 690; Ähnlich Schmitt, Körperverletzungen, S. 219: „Identifizierungsprozesse“, und im Jahre 1928 bereits Kost, Straflosigkeit, S. 100. 53 Vgl. Schmitt, Körperverletzungen, S. 220. 54 Grupe/Mieth, Ethik im Sport, S. 313; Kauffmann, FS Kleinknecht, S. 211; Reinhart, SpuRt 1997, 6.
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VI. Körperverletzungen in Kampfstilen als strafrechtliche Sonderproblematik Wie einleitend hinsichtlich der Einteilung der Kampfstile bereits angedeutet, tritt bei Körperverletzungen im Bereich derjenigen Kampfstile, die ein körperliches Einwirken auf den Partner bzw. Gegner zulassen, eine strafrechtliche Sonderproblematik auf. Während nämlich im Regelfall sozialen Zusammenlebens – und auch in Kampfstilen der ersten hier gebildeten Gruppe – ein körperliches Einwirken unzulässig ist und der Sportler daher unter dem uneingeschränkten strafrechtlichen Schutz der §§ 223 ff. StGB steht, wird ein körperliches Einwirken in den anderen beiden Kampfstilgruppen von den Beteiligten selbst, nach den etwaigen Regeln und von weiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert. Da diese Zulässigkeit körperlichen Einwirkens grundsätzlich im Widerspruch zur Wertung der §§ 223 ff. StGB steht, stellt sich die Frage, wie Körperverletzungen in Kampfstilen mit zulässiger körperlicher Einwirkung strafrechtlich zu bewerten sind.
1. Verfassungsrechtliches Spannungsfeld Der Frage der strafrechtlichen Behandlung von Körperverletzungen in Kampfstilen, die körperliche Einwirkungen zulassen oder voraussetzen, liegt letztlich das verfassungsrechtliche Spannungsfeld zwischen der staatlichen Pflicht zur Fürsorge einerseits und der Eigenverantwortlichkeit des Verletzten andererseits zugrunde. Auf der einen Seite steht also die staatliche Pflicht, Leib und Leben der Sportler zu schützen, grundrechtlich ableitbar aus Art. 1 I 2, 2 II 1 GG und bei minderjährigen Sportlern zudem aus dem staatlichen „Wächteramt“, Art. 6 II 2 GG.55 Auf der anderen Seite steht die Zielsetzung, die Handlungsfreiheit der Sportler zu schützen, grundrechtlich verbürgt durch Art. 2 I GG, durch die Verbandsautonomie, Art. 9 I GG, und bei Profisportlern zudem durch Art. 12 I GG. Abzuwägen ist folglich zwischen dem Recht eines Sportlers, die jeweilige Sportart in ihrer Eigenart auszuüben, und dem Recht eines Geschädigten, in seiner körperlichen Integrität nicht beeinträchtigt zu werden.56
___________ 55 56
Vgl. Niese, Kommerzialisierung, S. 69. Vgl. Seebacher, Haftungsfragen, S. 115.
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2. Sportstrafrecht als „Straflosigkeitsrecht“? Nach Ansicht einiger Autoren ergibt sich die Notwendigkeit einer Strafbegrenzung auch im Bereich der Kampfstile zudem aus der Grundabwägung zwischen dem staatlich zu garantierenden Minimalschutz der Sportler und dem Erhalt des gesellschaftlich als wünschenswert angesehenen körperbetonten dynamischen Sports.57 Soweit diese Grundabwägung zugunsten des Sports ausfalle, erfülle das Sportstrafrecht die Funktion eines „Straflosigkeitsrechts“,58 das abstraktdogmatisch begründe, weshalb im Sport begangene Verletzungen des Gegners straflos blieben.59 Dieser Ansatz ist nach hier vertretener Ansicht im Bereich der Kampfstile zumindest fraglich, da sich die Begrenzung der Strafbarkeit der Ausübenden häufig nicht allein mit der Schutzwürdigkeit des jeweiligen Kampfstils begründen lässt. Besonders gut lässt sich die uneinheitliche Einschätzung positiver und negativer Folgen eines Kampfstils am nicht unumstrittenen Boxsport aufzeigen. Diesem wird psychologisch sowohl bei Sportlern als auch bei Zuschauern teils ein Aggressionsabbau, teils ein Aggressionsaufbau zugeschrieben.60 Den im Sport üblichen positiven körperlichen Auswirkungen steht hier die schwer belegbare, aber dennoch letztlich wohl nicht zu leugnende Gefahr erheblicher Hirnschädigungen und anderer Verletzungen gegenüber.61 Stark bezweifelt werden kann zudem auch die moralische Legitimität der im Boxen zulässigen vorsätzlichen Körperverletzungen mit ggf. tödlichen Folgen und deren Vereinbarkeit mit Art. 1 I GG.62 Bereits diese kurzen Ausführungen machen deutlich, dass Strafbegrenzungen für Körperverletzungen in Kampfstilen nicht allein mit der Zielsetzung begründet werden können, gesellschaftlich wünschenswerte sportliche Betätigungen erhalten zu wollen, da im Hinblick auf den individuellen und gesellschaft___________ 57 Vgl. Mehle/Bernard, Körperverletzungen bei „Kampfsportarten“, S. 204, sowie Berkl, Sportunfall, S. 110. 58 PHBSportR-Reinhart, S. 645 f.; Vgl. zu sportrechtlichen „Freisprüchen“ auch Grunsky, Probleme, S. 16 f. 59 Auch Donatsch, ZStrR 1990, 420, sieht hierin die eigentliche dogmatische Schwierigkeit. 60 Jordan, Medical Aspects of Boxing, S. 14; Tominschek, Beeinträchtigungen, S. 81 f. 61 Fritzweiler, SpuRt 1995, 156; Jordan, Medical Aspects of Boxing, S. 167 f.; Tominschek, Beeinträchtigungen, S. 85, 90. 62 Jordan, Medical Aspects of Boxing, S. 14; Tominschek, Beeinträchtigungen, S. 80.
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lichen Nutzen etliche Argumente sowohl für als auch gegen deren Ausübung denkbar sind. Eine strafrechtliche Privilegierung von Körperverletzungen in Zweikampfsportarten lässt sich daher nicht ausschließlich aufgrund der Förderungswürdigkeit entsprechender sportlicher Betätigungen rechtfertigen. Die Begründung der Strafbarkeitsbegrenzungen ergibt sich vielmehr in erster Linie aus den Grundsätzen der Handlungsfreiheit und der Eigenverantwortlichkeit der Teilnehmer. Art. 2 I GG schützt neben der allgemeinen Handlungsfreiheit auch die individuelle sportliche Betätigung und in Ausübung dieser auch die Freiheit zur Selbstschädigung und konsentierten Fremdverletzung.63 In unserer freiheitlich orientierten Rechtsordnung obliegt die Verantwortung für den Schutz der eigenen körperlichen Unversehrtheit primär den Beteiligten und nicht dem Staat.64 Strafrechtlicher Schutz als „ultima ratio“ beginnt erst, wenn ein Beteiligter die eigene Freiheit missbraucht und ein anderer Beteiligter nicht mehr selbst für den Schutz seiner Rechtsgüter sorgen kann. Der in Art. 2 I GG verbürgte Grundsatz des „alterum non laedere“65 gibt die Grenze hierfür vor – die eigene Freiheit ist nur insofern geschützt, als ihre Ausübung die Freiheit anderer nicht verletzt. Laut Art. 1 I 2, 2 II 1 GG und bei minderjährigen Sportlern zudem gemäß Art. 6 II 2 GG ist der Staat dort zum Eingreifen verpflichtet, wo Rechtsgüter ohne den Willen des Beteiligten und ohne zumutbaren Selbstschutz verletzt werden. Das Strafrecht setzt normativ die absolute Grenze menschlicher Freiheitsausübung und begrenzt damit auch den weitgehend rechtsfreien „Freiheitsraum Sport“.66 Dabei sind der fragmentarische Charakter und die grundsätzliche Subsidiarität der „ultima ratio“ Strafrecht als schärfste mögliche staatliche Reaktion zu beachten. Eine Entkriminalisierung abweichenden Verhaltens im Sport ist kriminalpolitisch sinnvoll, wenn eine Verfolgung zum einen nicht flächendeckend und damit Art. 3 I GG entsprechend möglich ist und wenn zum anderen keine erheblichen Rechtsgutsverletzungen vorliegen. Eine einheitliche, effektive Strafverfolgung massenhaft im Sport begangener Bagatelldelikte könnte nicht gewährleistet werden und somit wäre auch der Strafzweck der Generalpräven___________ 63
Vgl. Steiner, Sportrecht heute, S. 119. Vgl. Donatsch, ZStrR 1990, 407, 414 f.; Steiner, Sportrecht heute, S. 122; Niese, Kommerzialisierung, S. 69. 65 Heute üblich ist das Schlagwort „neminem laedere“, die hier genannte Formulierung ist jedoch quellengemäß, vgl. Wacke, Unfälle, S. 21, Rn. 88 m. w. N. 66 Vgl. Pfister, FG Zivilrechtslehrer, S. 463; Mosbacher, Selbstschädigung, S. 5. 64
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tion nicht sichergestellt. Hier muss daher der Grundsatz gelten: „Minima non curat praetor.“
3. Grenzen einer Privilegierung Auch der Sport stellt keinen rechtsfreien Raum dar. Nach dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 III GG ist der Staat verpflichtet, Straftaten zu verfolgen. Ein Strafverzicht darf nicht so weit gehen, dass abweichendes Verhalten verstärkt wird, indem unangenehme Sanktionen ausbleiben. Tritt der Staat dort zurück, wo die Gewalt wächst, wird er unglaubwürdig. Das staatliche Gewaltmonopol würde so seine rechtfertigende Grundlage verlieren.67 Die Verfolgung von Straftaten im Sport darf auch nicht vollständig der sog. „Verbandsgerichtsbarkeit“ überlassen werden, denn auch der Bereich des Sports unterliegt der rechtsprechenden Gewalt i. S. d. Art. 20 II, III, 92 GG.68 Zwingendes staatliches Recht gilt auch für Sportler, Vereine und Verbände und geht bei Wertungskollisionen selbstgesetzten Regelungen der am Sport Beteiligten vor.69 Andererseits ist vor einer Kriminalisierung des Sports zu warnen. Der Sport sollte, soweit möglich, als ein zumindest rechtsarmer Lebensbereich verstanden und erhalten bleiben.70 Das Verhältnis von Staat und Sport folgt dabei dem aus Art. 9 I GG abzuleitenden Grundsatz der Subsidiarität staatlichen Handelns.71 Der Prozess der Verrechtlichung des Sports darf nicht zu einer kriminalpolitisch unvernünftigen, prozessual ohnehin nur bedingt realisierbaren Hypertrophie des Strafrechts führen.72 Der zunehmenden Abwälzung der Verantwortlichkeit für Schädigungen im Sport auf andere Beteiligte73 ist durch eine Betonung der Selbstverantwortung der Sportler entgegenzuwirken.
___________ 67 Zum „Zusammenhang zwischen dem Schwächerwerden des Rechts und dem Wachsen von Gewalt“ vgl. Otto/Krey/Kühl, Gewalt, S. 865. 68 Vgl. Donatsch, ZStrR 1990, 407, sowie Burmeister, DÖV 1978, 8. 69 Vgl. PHBSportR-Summerer, S. 109. 70 Allgemein zu den Phänomenen der Kriminalisierung und Entkriminalisierung im Sport vgl. Heinemann, Soziologie des Sports, S. 182 ff. 71 Vgl. Burmeister, NJW 1983, 2620; Dury, FS Röhricht, S. 1112 f.; Pfister, FG Zivilrechtslehrer, S. 465. 72 Vgl. Schünemann, NStZ 1986, 442. 73 Vgl. Donatsch, ZStrR 1990, 400 f., sowie Thaler, Haftung, S. 15.
Körperverletzungen bei Kampfsportarten aus strafrechtlicher Sicht
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VII. Materiellrechtliche Ansätze zur Strafbegrenzung Was die materiellrechtlichen Ansätze zur Strafbegrenzung von Körperverletzungen in Zweikampfsportarten anbelangt, ist der „Ideenreichtum der Strafrechtswissenschaft“, wie Kühl74 zutreffend konstatiert, beinahe unbegrenzt. Aus diesem Grund können an dieser Stelle nur einige wenige der vielen vertretenen Lösungsansätze angesprochen werden.
1. „Geringfügigkeitsprinzip“ Das sog. „Geringfügigkeitsprinzip“ beruht auf den Leitgedanken der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit staatlichen Strafens.75 Da es nicht dem legislatorischen Willen entspricht, auf jede Minimalschädigung und auf unerhebliche Beeinträchtigungen von Rechtsgütern mit dem Strafrecht als schärfstmöglicher staatlicher Sanktion zu reagieren,76 wird im Rahmen der §§ 223, 229 StGB die Tatbestandsvariante der körperlichen Misshandlung restriktiv als üble, unangemessene, das körperliche Wohlbefinden erheblich beeinträchtigende Behandlung ausgelegt. Diese teleologisch-restriktive Auslegung gilt jedoch bei der Anwendung des Strafrechts in allen Bereichen menschlichen Lebens und nicht nur, wie von einigen Autoren gefordert, ausnahmsweise bei Körperverletzungen im Bereich des Sports.77 Auch der Bereich der Kampfstile steht hier nicht unter einer Art „Ausnahmerecht“. Unabhängig davon, ob Einwirkungen innerhalb oder außerhalb des Sports zu beurteilen sind, können jedoch unter Berücksichtigung einer am „Geringfügigkeitsprinzip“ orientierten restriktiven Auslegung der Tatbestandsvariante der körperlichen Misshandlung auch bei Kampfsportverletzungen unerhebliche Bagatellen und Harmlosigkeiten von strafrechtlich relevanten Vorgängen unterschieden werden.
___________ 74
Kühl, Sportrecht heute, S. 129. Vgl. zum Ganzen Blüthner, Körperverletzungen, S. 28 ff. 76 Vgl. auch Berkl, Sportunfall, S. 111. 77 Vgl. etwa Schiffer, Strafrechtliche Behandlung der Sportverletzungen, S. 74 ff. 75
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2. Sorgfaltspflichtgemäßheit Wie auch in anderen Lebenssachverhalten scheidet im Bereich der Kampfstile eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung aus, wenn sich das Verhalten des Schädigenden als sorgfaltsgemäß darstellt. Fraglich ist jedoch die Bestimmung des konkret zu fordernden Sorgfaltsmaßstabs. Eine Orientierung an der Einhaltung der Sportregeln – wie von einigen Autoren gefordert78 – ist dabei nach Ansicht des Verfassers nicht alleinig zielführend. Zum einen wurde bereits dargestellt, dass keineswegs alle Kampfstile auf den sportlichen Leistungsvergleich ausgerichtet sind und dementsprechend über Regelwerke verfügen. Zum anderen ist eine Sorgfaltspflichtverletzung im Bereich der Kampfstile durchaus auch bei Regeleinhaltung möglich. So wäre es bspw. sorgfaltswidrig, wenn ein fortgeschrittener Judoka im Trainingswettkampf mit einem Anfänger eine diesem aufgrund seines Ausbildungsstands unbekannte Technik verwenden würde.79 Die Feststellung eines Sorgfaltspflichtverstoßes ist daher im Bereich der Kampfstile weitaus komplexer. Ein alleiniges Abstellen auf – auch nur teilweise vorhandene – Sportregeln reicht hier nicht aus.80
3. „Kampfstilspezifische Situationsadäquanz“ Die Figur einer „kampfstilspezifischen Situationsadäquanz“ stellt nach Sozial-, Sport- und Sportartadäquanz die denknotwendig nächste Stufe bei der Konkretisierung des vom Ausübenden erwarteten Verhaltens dar. Der Grundtatbestand der §§ 223, 229 StGB wäre demnach nicht erfüllt, wenn das Verhalten des Kampfstilbetreibenden als „kampfstil- und situationsadäquat“ bewertet würde. Eine Prüfung der Situationsadäquanz geht über jene der Sportartadäquanz des Verhaltens hinaus, da vergleichbare Handlungen in unterschiedlichen Spielsituationen einmal als angemessen, ein anderes Mal als unangemessen einzustufen sind. Im Bereich der Zweikampfsportarten ist dies besonders augenscheinlich. Hier ist, wie dargestellt, bspw. danach zu differenzieren, ob eine ___________ 78
Vgl. Kühl, StrafR AT, S. 470 f. m. w. N. Vgl. die diesbezügliche Rechtsprechung: OLG Köln VersR 1994, 1073; OLG Celle NJW-RR 2000, 559; OGH SpuRt 2005, 107. 80 Vgl. Thaler, Haftung, S. 52, sowie Kühn, Sportstrafrecht, S. 36. 79
Körperverletzungen bei Kampfsportarten aus strafrechtlicher Sicht
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gefährliche Technik im Wettkampf ebenbürtiger Gegner eingesetzt wird oder ob ein Fortgeschrittener sie im spielerischen Trainingskampf gegenüber einem Anfänger anwendet, dem die Technik womöglich unbekannt ist. Auch die Feststellung situationsadäquaten Verhaltens ist jedoch ohne aussagekräftige sportartspezifische Kriterien unmöglich. Liegen geeignete Kriterien vor, so ist eine anhand dieser als sportart- und situationsadäquat bewertete Handlung keine „unangemessene Behandlung“ und entspricht auch keiner Verletzung der objektiven Sorgfalt. Die Tatbestände der §§ 223 I Var.1, 229 StGB sind in diesen Fällen zu verneinen.
4. Eigenverantwortlichkeit Eine Reihe von Autoren schließt die objektive Zurechenbarkeit von Sportverletzungen aus, sofern diese der Eigenverantwortung des verletzten Sportlers zuzuordnen sind. Die zugrunde liegende Argumentation baut auf dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit auf, der sich zu einem eigenständigen Ansatz innerhalb der Lehre von der objektiven Zurechnung entwickelt hat.81 Der aus Art. 1, 2 GG abgeleitete Grundgedanke besagt, dass jeder Mensch grundsätzlich für sein eigenes Verhalten verantwortlich ist.82 Das Prinzip der Selbstverantwortung aufgrund der Fähigkeit des Menschen zu selbstbestimmtem Handeln ist mit der diese Freiheit garantierenden Funktion des (Straf-) Rechts untrennbar verknüpft.83 Dieser Grundannahme entspricht auch das strafrechtliche Subsidiaritätsprinzip, dem zufolge der Staat nicht mit der stärksten ihm zur Verfügung stehenden „Waffe“, dem Strafrecht, zum Schutze bedrohter Rechtsgüter eingreift, wenn der Einzelne sich problemlos selbst helfen kann.84 Entscheidet sich ein später Geschädigter bspw. freiverantwortlich für Handlungen, deren Gefährlichkeit er kennt, so kann die Zurechnung aufgrund eigenverantwortlicher Selbstgefährdung ausgeschlossen sein.85 Dieses in weiten Teilen der Literatur und der Rechtsprechung anerkannte Prinzip wird von einigen Autoren auch im Bereich des Sports angewandt.86 ___________ 81
Kühl, StrafR AT, S. 50; BGHSt 32, 262 ff. Kühl, StrafR AT, a. a. O., m. w. N. 83 Vgl. Mosbacher, Selbstschädigung, S. 128. 84 Vgl. Mosbacher, a. a. O., S. 133. 85 Vgl. Kühl, StrafR AT, S. 52. 82
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Wenn demnach ein Sportler eine Sportart im Wissen um deren Gefährlichkeit betreibt und verletzt wird, so könnte die Verletzung aufgrund der Eigenverantwortung des Geschädigten diesem selbst und nicht dem Schädiger zuzurechnen sein. Eine die Zurechnung des tatbestandlichen Erfolgs ausschließende Selbstgefährdung oder -schädigung kann dabei allerdings nach Ansicht der Rechtsprechung und eines Großteils der Literatur nur dann angenommen werden, wenn die Tatherrschaft über die schädigende Handlung beim Rechtsgutsträger selbst liegt.87 Wenn hingegen der Täter die Tatherrschaft über das die Rechtsgutbeeinträchtigung herbeiführende Geschehen ausübt, wenn also dieser letztlich die verletzende Handlung vornimmt, ist nach überkommener Ansicht von einer Fremdgefährdung bzw. -verletzung auszugehen.88 Der Unterschied zwischen Selbst- und Fremdschädigung besteht letztlich in der Tatsache, dass im ersten Fall der Verletzte selbst, im zweiten Fall dagegen ein Dritter handelt.89 Fremdverursachte Sportverletzungen, die den Gegenstand dieser Arbeit bilden, müssten demnach eindeutig als Fremd- und nicht als Selbstgefährdungen betrachtet werden, deren Lösung nach überwiegender Ansicht über die rechtfertigende (Risiko-)Einwilligung herbeizuführen ist.90 Der Einordnung als Fremdgefährdungen kann jedoch entgegengehalten werden, dass den Sportlern bei den hier interessierenden Kampfstilen stets die Möglichkeit offensteht, durch Nichtantritt oder Aufgabe des Kampfes der Verletzungsgefahr zu entgehen. Anders als bspw. beim als Fremdgefährdung eingeordneten sog. „Auto-Surfen“ ist der teilnehmende Sportler in diesen Fällen nicht dem anderen Beteiligten „ausgeliefert“, sondern kann die Gefährdung jederzeit unterbinden.91 Die Teilnahme an verletzungsträchtigen Zweikampfsportarten wäre insofern eher der Teilnahme an riskanten Motorradrennen vergleichbar, die als Fälle eigenverantwortlicher Selbstgefährdung eingeordnet werden.92 Die das Risiko letztlich realisierende Fremdverletzung könnte insofern unbeachtlich sein, als der geschädigte Sportler die Gefahr erkennt und freiverantwortlich übernimmt.93 ___________ 86
Zur Anwendung des Prinzips der Selbstverantwortung im Sport durch die Rechtsprechung vgl. BayObLG NStZ-RR 1998, 330. 87 Vgl. Kühl, StrafR AT, S. 55 und Berkl, Sportunfall, S. 92 f., jeweils m. w. N. 88 BGHSt 49, 39 SK-Rudolphi, Vor § 1, Rn. 81a. 89 Vgl. Mosbacher, Selbstschädigung, S. 119. 90 Kühl, StrafR AT, S. 493 f.; SK-Rudolphi, Vor § 1, Rn. 81a; Hellmann, FS Roxin, S. 274 m. w. N. 91 Vgl. Kühl, StrafR AT, S. 58. 92 Vgl. Kühl, StrafR AT, S. 56 m. w. N. 93 Vgl. Rössner, FS Hirsch, S. 319.
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Folgerichtig betrachtet bspw. Otto den Zurechnungszusammenhang als durch eigenverantwortliche Selbstgefährdung unterbrochen, wenn sich ein Teilnehmer an einem sportlichen Wettkampf freiverantwortlich und in Kenntnis der möglichen Folgen seines Verhaltens in eine Gefahrensituation begibt.94 Gerade in den hier behandelten Kampfstilen entspricht es insofern der reziproken Gefährdungssituation, wenn verschiedene Autoren betonen, der Gefährdete müsse für das gemeinsame Sportgeschehen die gleiche Verantwortung tragen wie der Gefährdende.95 Beruhend auf dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit kann daher nach hier vertretener Ansicht im Bereich der Kampfstile die objektive Zurechenbarkeit des tatbestandlichen Erfolgs zu verneinen sein. Auch diesem Ansatz hat jedoch zunächst eine Bestimmung der situations- und kampfstilspezifisch von den Beteiligten akzeptierten Verhaltensweisen vorauszugehen.
5. Einwilligung Der Rechtfertigungsgrund der „Einwilligung“ ist nicht positivgesetzlich geregelt, § 228 StGB setzt jedoch unbestritten die Möglichkeit einer Einwilligung in Körperverletzungen voraus. Die Vorgängernorm des § 228 StGB wurde im Zuge der Strafrechtsnovelle vom 26.05.1933 eingeführt.96 „Ein maßgebender Grund“ für die Einführung des damaligen § 226a StGB war gerade die Absicht des Gesetzgebers, mit Hilfe der Norm „alle Fälle körperlicher Verletzungen beim Sport, z. B. bei Boxkämpfen zu lösen“.97 Noch heute begründen h. M.98 und Rechtsprechung99 die Strafbegrenzung von Sportverletzungen in Zweikampfsportarten mit dem Vorliegen einer Ein___________ 94
Otto, GK StrafR AT, S. 76. Hellmann, FS Roxin, S. 281; Niedermaier, Körperverletzung, S. 135. 96 Vgl. RGBl 1933, Teil 1, S. 297. Der Vorschrift lagen allerdings langjährige Reformpläne aus ideologisch unverfänglicher Zeit zugrunde, vgl. Kühl, FS Schroeder, S. 523 m. w. N. und SK-Horn/Wolters, § 228 Rn. 1. 97 Rüb, § 226a StGB in kritischer Betrachtung, S. 37; Vgl. auch Niedermair, Körperverletzung, S. 4, 69. 98 Berr, Sport und Strafrecht, S. 102 ff.; Bockelmann/Volk, StrafR AT, S. 105; Dölling, ZStW 1984, 64; ders., GA 1984, 93; Eser, JZ 1978, 373 f.; Gawron, Körperverletzungen, S. 117 ff.; Haft, StrafR AT, S. 73; Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 590 f.; LK-Hirsch, § 228 Rn. 12; Maurach/Schroeder/Maiwald, StrafR BT, S. 98; Mehl, Körperverletzungen im Sport, S. 56 ff., 108; MüKo-Hardtung, § 228 Rn. 34; NK-StGBPaeffgen, § 228 Rn. 103; Schönke/Schröder-Stree, § 228 Rn. 16 ff.; Schroeder, Sport und Strafrecht, S. 28 ff.; SK-Horn, § 228 Rn. 21; Sonnen, JA 1982, 267; Trönd95
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willigung des Geschädigten. Demnach seien leicht fahrlässige, unter Regelverstoß herbeigeführte Verletzungen noch durch Einwilligung gerechtfertigt. Gleiches gelte für Verletzungen, die auf „Übereifer, Erregung, Unüberlegtheit, Benommenheit, unvollkommener Spieltechnik, mangelnder Körperbeherrschung“ beruhten. Bei grob fahrlässigem und vorsätzlich regelwidrigem Verhalten scheide eine Einwilligung dagegen aus.100 Diese sog. „Einwilligungslösung“ ist allerdings in mehrfacher Hinsicht erheblicher Kritik ausgesetzt.
a) Einwilligung als „künstliche Unterstellung“? Eines der zentralen Argumente, das seit jeher gegen eine Lösung der Sportverletzungsproblematik über das Institut der Einwilligung vorgebracht wird, ist der Vorwurf der damit verbundenen künstlichen Unterstellung eines Verletzungswillens. Cancio ist beizupflichten, wenn er bemerkt, die Feststellung einer „bloßen Einwilligungsfiktion“ sei mittlerweile zu einem „regelrechten Gemeinplatz in der Lehre geworden.“101 Dem Vorwurf der Unterstellung eines Verletzungswillens kann jedoch nach Ansicht des Verfassers dogmatisch schlüssig begegnet werden. Fordert man, dass sich die Einwilligung auf Handlung und Erfolg beziehen muss, um ihre rechtfertigende Wirkung zu entfalten, so muss entschieden werden, welche Anforderungen in psychischer Hinsicht an die Einwilligung des Erklärenden gestellt werden sollen, um diese als wirksam anzuerkennen. Das psychische Element der Einwilligung muss hierzu in einen intellektuellen und einen emotionalen Teil gespalten werden.102 Weitgehend Einigkeit besteht bezüglich der Anforderungen an den intellektuellen Part. Was diese Seite der Erklärung anbelangt, ist zu fordern, dass der Einwilligende die Situation, in die er sich begibt, beurteilen kann, dass er also Kenntnis der Tatumstände und ihrer Bedeutung besitzt. Entsprechend dem ___________ le/Fischer, § 228 Rn. 22; Vögeli, Sportverletzungen, S. 118 ff.; Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 102 f. 99 BayObLG NJW 1961, 2072 ff.; OLG Karlsruhe NJW 1982, 394 f. 100 Vgl. Tröndle/Fischer, § 228 Rn. 22 m. w. N. sowie Nolte, Sport und Recht, S. 219. 101 Siehe hierzu Cancio, ZStW 1999, 365 mit entsprechenden Belegen. 102 Vgl. Geppert, ZStW 1971, 976.
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Wissenserfordernis beim Vorsatz muss der Einwilligende daher sicher wissen oder zumindest als möglich voraussehen, dass er Verletzungen erleiden kann.103 In emotionaler Hinsicht ist, wie dargelegt wurde, umstritten, ob bereits ein bloßes Dulden oder Geschehenlassen ausreicht oder ob zumindest ein Inkaufnehmen der Verletzung vorliegen muss oder gar ein Wollen im Sinne des Wünschens zu fordern ist, um von einer wirksamen Einwilligung zu sprechen. Die wohl h. M. wählt den Mittelweg und bejaht das Vorliegen des voluntativen Elements, wenn zumindest ein Inkaufnehmen des Verletzungserfolgs vorliegt.104 Dieser Kompromiss leuchtet insofern ein, als damit eine Angleichung an die Mindestanforderungen bei der Bejahung des Vorsatzes im Sinne des dolus eventualis erreicht wird. Auch hier lässt die h. M. in Abgrenzung zum Hoffen auf Ausbleiben des Erfolgs (bewusste Fahrlässigkeit) ein Inkaufnehmen der Tatbestandsverwirklichung genügen. Spiegelbildlich zur Tätersicht wird damit auch im Hinblick auf die Einwilligung des Verletzten gefordert, dieser müsse um die Möglichkeit einer Verletzung wissen und deren Eintritt in Kauf nehmen. Der Wunsch der Sportler, nicht verletzt zu werden, steht in diesem Fall der Annahme einer Einwilligung nicht mehr entgegen, da die Verletzung trotz Willens zu ihrer Vermeidung durchaus in Kauf genommen werden kann. Auch hier ist eine Orientierung an der gefestigten Rechtsprechung, betreffend die Vorsatzform des dolus eventualis, möglich: Der Täter nimmt den Erfolg auch dann in Kauf, wenn er sich mit dessen Eintritt abfindet, mag dieser ihm im Einzelfall auch noch so unerwünscht sein.105
b) Einwilligung in fahrlässige Körperverletzung? Nach Ansicht einiger Autoren scheidet eine Einwilligung im Bereich des Sports weitgehend aus, da sich diese auf Verletzungshandlung und Verletzungserfolg zu beziehen habe, Sportverletzungen jedoch in der Regel fahrlässig begangen würden, so dass in den Verletzungserfolg nicht eingewilligt werden könne. Dieser Kritik an der Einwilligung kann jedoch mit Hilfe der Rechtsfigur der sog. „Risikoeinwilligung“ begegnet werden. Die Risikoeinwilligung basiert auf ___________ 103
Vgl. Haupt, Körperverletzung, S. 165 m. w. N. Vgl. Geppert, ZStW 1971, 978; Haupt, Körperverletzung, S. 167; Noll, Rechtfertigungsgründe, S. 121 f., sowie Vögeli, Sportverletzungen, S. 135. 105 Vgl. BGHSt 7, 369. 104
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der Grundannahme, dass der Verletzte durch seine Teilnahme zwar nicht in den Verletzungserfolg einwilligt, ihm aber sehr wohl bewusst ist, dass er sich auf ein riskantes Unternehmen einlässt, in dessen Rahmen er verletzt werden kann.106 Überzeugend für eine Anerkennung der Risikoeinwilligung als Unterfall der Einwilligung trotz fehlender Einwilligung in den Verletzungserfolg führt Kühl an, dass wer in das Risiko einwillige, nicht bei Eintritt einer Verletzung nach dem Motto „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“ argumentieren könne, in eine Verletzung habe er nicht eingewilligt.107 Erkennt man dieser Argumentation folgend die Möglichkeit einer Eventualeinwilligung im Bereich der Kampfstile an, so setzt eine Anwendung der Rechtsfigur nichtsdestotrotz voraus, dass festgestellt wird, welches Risiko im jeweiligen Kampfstil in der jeweiligen Situation (Wettkampf/Training, Kinder/Erwachsene, Amateure/Profis etc.) vom Einwilligenden erwartet und durch seine Teilnahme akzeptiert wird. Der Gegenstand der Einwilligungserklärung – also die risikoträchtige Handlung – muss daher zunächst näher bestimmt werden, um die Rechtfertigung der Tat aufgrund einer Risikoeinwilligung bejahen oder verneinen zu können.
c) Denaturierung der Einwilligung? Nach Ansicht des Verfassers ist auch im Bereich der Kampfstile der gegenüber der Risikoeinwilligung in Sportverletzungen vorgebrachte Einwand, diese verkenne letztlich das Wesen der Einwilligung als konkret-individueller Rechtsschutzverzicht, nicht ohne Weiteres abweisbar. So passt etwa nach Ansicht Rössners die einzelfall- und situationsbezogene Einwilligung nicht auf die überindividuelle Organisation des sportlichen Wettkampfs, da sie Sachverhaltskenntnis des Einwilligenden über Zeitpunkt, Ort, Person und Art der Verletzung erfordere. Im Sport sei jedoch zum potentiellen Einwilligungszeitpunkt allenfalls die statistische Wahrscheinlichkeit einer Verletzung, aber keine weitere Konkretisierung bekannt.108 Eine Fiktion ist insofern auch in Kampfstilen mit Schlag- und Tritttechniken und zugelassener Trefferwirkung gegeben, als dem später Geschädigten die konkrete körperliche Misshandlung bzw. der einzelne zu dieser führende Schlag oder Tritt bei Aufnahme der Tätigkeit und damit bei konkludenter Erklärung der Einwilligung weder bekannt ist, noch diese zwangsläufig eintritt. ___________ 106
Vgl. Kühl, StrafR AT, S. 494. Kühl, ZStW 2003, 391. 108 Rössner, FS Hirsch, S. 316. 107
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Insofern richtig führt Niedermair aus, es müsse „bei der in der Einwilligungslehre gebotenen individuell-konkreten Betrachtung geklärt werden, ob der Kämpfer wirklich zu jedem Hieb eine noch wirksame vorherige Zustimmung (konkludent) erteilt hat.“109 Festzuhalten bleibt damit, dass der Umfang der Einwilligung zwar durch kampfstil- und situationsbezogene Kriterien zumindest einschränkend konkretisiert werden könnte, die Einwilligung hierdurch jedoch stark objektiviert würde, so dass ein Ausschluss bereits auf objektiver Tatbestandsebene insofern dogmatisch stimmiger erscheint.
VIII. Kriterien zur Ausfüllung der angewandten Rechtsinstitute Bei der Anwendung aller vorgestellten Rechtsinstitute stellt sich letztlich entscheidend die Frage, anhand welcher Parameter der rechtlich zugelassene Bereich sportimmanenter Einwirkungen bei der Ausübung von Kampfstilen vom strafbaren Bereich unzulässiger Schädigungen abgegrenzt werden kann. Von entscheidender Bedeutung ist daher die Festsetzung angemessener Kriterien zur Ausfüllung der „sportartspezifischen Verhaltenspflichten“. Im Rahmen der Bestimmung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung ist bei der Prüfung von Fahrlässigkeitsdelikten anerkannt, dass die für den Verkehrskreis des Täters geltenden Rechtssätze und Gepflogenheiten zu beachten sind.110 Eine Bestimmung des bezogen auf den jeweiligen Kampfstil und die jeweilige Situation zu erwartenden Verhaltens anhand juristisch operationalisierbarer Variablen ist nach hier vertretener Ansicht auch bei Anwendung anderer Rechtsinstitute wie etwa jenem der „Sport(art)adäquanz“ oder der (Eventual-) Einwilligung vonnöten. Drei der möglichen Kriterien zur Ausfüllung der zuvor vorgestellten Rechtsinstitute sollen daher im Folgenden diskutiert werden.
1. Regelverstoß Sportregeln konstituieren zwar eine rein sportinterne Verhaltens- und Sanktionsordnung ohne den Rang normierten Rechts oder Gewohnheits- oder Richterrechts und ohne unmittelbare rechtliche Aussagekraft. ___________ 109 110
Niedermair, Körperverletzung, S. 134. Vgl. Schmitt, Körperverletzungen, S. 200 m. w. N.
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Nach hier vertretener Ansicht zulässig ist jedoch die Berücksichtigung eines Regelverstoßes als (widerlegbares) Indiz für das Vorliegen eines Sorgfaltspflichtverstoßes oder etwa die Überschreitung des von eigenverantwortlichem Handeln gedeckten Verhaltens. Die indizielle Berücksichtigung von Sportregeln bei der Rechtsanwendung entbindet den Richter jedoch nicht von der Bestimmung einzelfallbezogener Verhaltenspflichten und ist nur unter einer Reihe von Voraussetzungen zulässig, die hier nur angeschnitten werden sollen. So müssen in dem betreffenden Kampfstil, wie dargelegt, erst einmal von den Ausübenden anerkannte Regeln existieren. Weiter muss ein Verstoß gegen eine Sportregel vorliegen, die zumindest auch dem Schutz der Beteiligten gilt. Grundsätzlich irrelevant ist bspw. die schlicht „falsche“ Ausführung einer Technik, da Technikbeschreibungen in der Regel nur konstitutive Regeln darstellen. Die Sportregel hat darüberhinaus straf- und verfassungsrechtlichen Minimalanforderungen zu genügen, bspw. im Hinblick auf den Schutz des Lebens oder auch das Bestimmtheitsgebot. Aufgrund des Regelverstoßes muss es zudem zu einer Erhöhung des Verletzungsrisikos im Vergleich zum Grundrisiko bei kampfstil- und situationsüblichem Verhalten gekommen sein. Bei dieser Beurteilung irrelevant sind die Schwere der eingetretenen Verletzung sowie die angedrohte oder verhängte sportinterne Sanktion. Schließlich darf der Regelverstoß nicht durch erhebliche, im Hinblick auf Art und Ziel der sportlichen Betätigung angemessene, subjektive Entlastungsmomente gerechtfertigt sein.
2. Erhöhung des „kampfstil- und situationsspezifischen Grundrisikos“ Wie bereits angedeutet, kann auch auf die Erhöhung des „kampfstil- und situationsspezifischen Grundrisikos“ als geeignetes Kriterium zur Bestimmung etwa eines Sorgfaltspflichtverstoßes abgestellt werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sich das Kriterium des „Grundrisikos“ nur von jenem der Regelbefolgung unterscheidet und es demnach nur dann zusätzlich herangezogen werden sollte, wenn auch gewisse Gefährdungen aufgrund sportimmanenter Regelverstöße als Teil des „Grundrisikos“ angesehen werden. Bei der Bestimmung sportimmanenter „üblicher“ Regelverstöße helfen die Kriterien der Schwere des Regelverstoßes, der Schwere der Verletzung, des
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Verhaltens einer Maßfigur, des Fair-Play-Verstoßes oder der Verletzungsgefahr nicht weiter. Damit ist allein maßgebend, welche Regelverletzungen von Betroffenen und Fachkreisen als der spezifischen Sportausübung zugehörig angesehen werden. Die in dieser Arbeit vorgenommene Kategorisierung der Kampfstile kann somit nur indiziell berücksichtigt werden – das Grundrisiko ist dagegen kampfstil- und situationsspezifisch festzustellen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Kriterium der Erhöhung des „kampfstil- und situationsspezifischen Grundrisikos“ zwar grundsätzlich zur Bestimmung eines Sorgfaltspflichtverstoßes geeignet ist. In der praktischen Anwendung bedarf es aber tiefgehender Kenntnisse des betroffenen Kampfstils sowie eines erheblichen Begründungsaufwands.
3. Verstoß gegen „informelles Fair Play“ Zu differenzieren ist zunächst zwischen dem „formellen Fair Play“, d. h. der Beachtung der geschriebenen Sportregeln, und dem „informellen Fair Play“, das die ethische Grundhaltung des Miteinanders im Sport beschreibt und damit in erster Linie die Achtung und respektvolle Behandlung des sportlichen Gegners erfordert. Nur das „informelle Fair Play“ geht über das bereits thematisierte Kriterium der Regelbefolgung hinaus und stellt damit ein eigenes Kriterium dar. Bedauerlicherweise bestehen allerdings erhebliche Zweifel an einer durchgehenden Bejahung und Beachtung der Werte des „informellen Fair Play“ vor allem im Bereich des Leistungssports. Beklagenswerte Missstände in der sportlichen Realität schließen allerdings eine rechtliche Berücksichtigung der Werte des „informellen Fair Play“ nicht aus, sondern erfordern diese vielmehr. Die strafrechtliche Berücksichtigung der Werte des „informellen Fair Play“ ist jedoch im Hinblick auf die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens begrenzt, da die Bedeutung des „informellen Fair Play“ weitgefasst ist und die abzuleitenden Werte folglich stark auslegungsbedürftig sind. Werte des „informellen Fair Play“ können daher nach hier vertretener Ansicht nur indiziell zur Auslegung der geschriebenen Sportregeln oder bei fehlender Reglementierung herangezogen werden. Insofern ist das Fair-Play-Gebot nach Ansicht des Autors im Verhältnis zu den normierten Verhaltenspflichten im Sport lediglich subsidiär anzuwenden. Anderenfalls könnte das Kriterium der Einhaltung oder Verletzung von Regeln stets unter Verweis auf den „obersten Sportgrundsatz des Fair Play“ umgangen werden. Es verlöre damit an Rele-
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vanz und die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit sowie der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens wären gefährdet.
IX. Lösungsvorschlag Die Notwendigkeit einer Begrenzung der Strafbarkeit von Körperverletzungen in Kampfstilen folgt aus den Grundsätzen der Handlungsfreiheit und der Eigenverantwortlichkeit der Beteiligten. Mit der Freiheit zur konsentierten Fremdverletzung geht die Verantwortung für den Schutz der eigenen körperlichen Unversehrtheit einher. Eine Strafbarkeitslimitierung bereits auf Tatbestandsebene der Körperverletzungsdelikte erscheint dabei dogmatisch vorzugswürdig. Abzugrenzen ist zunächst gegen unerhebliche Bagatellschädigungen. Sie scheiden, wie in anderen Lebensbereichen auch, durch eine restriktive Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „körperlichen Misshandlung“ aus. Die Tatbestandsmäßigkeit von fahrlässigen und vorsätzlichen Körperverletzungen kann im Bereich der Kampfstile ferner bei „kampfstilspezifisch situationsadäquatem Verhalten“ verneint werden. Die „kampfstilspezifische Situationsadäquanz“ bzw. der konkret zu fordernde „kampfstilspezifische Sorgfaltsmaßstab“ sind anhand der Kriterien des Regelverstoßes, der Erhöhung des „kampfstil- und situationsspezifischen Grundrisikos“ sowie des Verstoßes gegen das „informelle Fair Play“ zu bestimmen. Der dogmatisch aufwändigen und angreifbaren Lösungsansätze eines „Zurechnungsausschlusses aufgrund Eigenverantwortlichkeit“ oder einer „Rechtfertigung durch Eventualeinwilligung“ bedarf es daneben nicht.
X. Verzeichnis der zitierten Literatur ARAG Allgemeine Versicherungs-AG (Hrsg.): Sportunfälle – Häufigkeit, Kosten, Prävention, Düsseldorf 2001 (zit.: ARAG AG, Sportunfälle). Berkl, Melanie: Der Sportunfall im Lichte des Strafrechts: unter besonderer Berücksichtigung der Eigenverantwortlichkeit des Sportlers, Baden-Baden 2007 (zit.: Berkl, Sportunfall). Berr, Helmut: Sport und Strafrecht, Saarbrücken 1973 (zit.: Berr, Sport und Strafrecht). Blüthner, Annika: Bekämpfung von Körperverletzungen im Fußballsport, Berlin 2005 (zit.: Blüthner, Bekämpfung von Körperverletzungen).
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Rechtfertigung von Grundfreiheitsbeeinträchtigungen durch Regelungen von Sportverbänden Dargestellt am Beispiel der 50+1-Regel Von Marie Kronberg I.
Einleitung und Problemstellung ........................................................................ 270
II. Auswirkungen der Grundfreiheiten im Bereich des Sports ............................... 271 1.
2.
Beeinträchtigungen von Grundfreiheiten durch Sportverbände ................. 271 a)
Sportliche Betätigung im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten .. 271
b)
Diskriminierungen und Beschränkungen ........................................... 272
Einordnung der 50+1-Regel ...................................................................... 273
III. Rechtfertigungssystematik ................................................................................ 274 1.
2.
Allgemeine Bemerkungen zur Rechtfertigungssystematik im Rahmen von Grundfreiheitsbeeinträchtigungen....................................................... 274 a)
Diskriminierungen ............................................................................. 274
b)
Beschränkungen ................................................................................. 274
Besonderheiten des Sports im Rahmen der Rechtfertigungssystematik .... 275 a)
Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung .............................. 275 aa) Geltung des ordre-public-Vorbehalts auch für private Maßnahmen ............................................................................................. 275 bb) „Sportvorbehalt“ des EuGH........................................................ 276 cc) „Praktische Konkordanz“ mit den Unionsgrundrechten ............. 278 dd) Analoge Anwendung von Art. 101 III AEUV ............................ 278 ee) Zwingende Gründe des Allgemeininteresses .............................. 279
b) 3.
Eigener Lösungsansatz und Systematisierungsversuch ...................... 279
Einordnung der 50+1-Regel in diese Rechtfertigungssystematik .............. 281 a)
Glaubwürdigkeit und Integrität des sportlichen Wettbewerbs............ 282
b)
Schutz vor sportfremden Einflüssen................................................... 283
c)
Pädagogische und soziale Funktion des Sports .................................. 284
IV. Fazit und Ausblick ............................................................................................ 284
270
Marie Kronberg
I. Einleitung und Problemstellung Die zunehmende Professionalisierung und Kommerzialisierung des Sports auf allen Leistungsebenen hat gleichzeitig zu seiner Verrechtlichung1 geführt. Dies gilt auch für das Europarecht und insbes. für die Grundfreiheiten des Binnenmarktes sowie für das Wettbewerbsrecht. Der EuGH hat mehrfach bestätigt, dass (privatrechtlich organisierte) Sportverbände Adressaten von Grundfreiheiten sein können. Seit den Entscheidungen Walrave und Koch2, Donà ./. Mantero3 und Bosman4 sowie der anschließenden ständigen Rechtsprechung des EuGH (Deliège5, Lehtonen6, Meca-Medina und Macjen7, Olympique Lyonnais8) ist eine solche Bindung von Sportverbänden an die europäischen Grundfreiheiten nicht mehr ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Jedoch stellt sich die Frage, wo die Grenzen dieser Bindung verlaufen, wie und welche Regelungen und Maßnahmen von Sportverbänden also gerechtfertigt werden können. Als veranschaulichendes Beispiel sollen dabei im Folgenden die 50+1Regeln von DFB und Ligaverband9 dienen, die in § 8 II der Satzung des Ligaverbandes und in § 16c II der Satzung des DFB verankert sind. Sie sehen vor, dass bei Vereinen, die als ausgegliederte Kapitalgesellschaften organisiert sind, der Mutterverein mindestens 50 % der Stimmenanteile plus einen weiteren Stimmenanteil innehaben muss: „Eine Kapitalgesellschaft kann nur eine Lizenz für die Lizenzligen und damit die Mitgliedschaft im Ligaverband erwerben, wenn ein Verein mehrheitlich an ihr beteiligt ist, der über eine eigene Fußballabteilung verfügt und der im Zeitpunkt, in dem sie sich erstmals für eine Lizenz bewirbt, sportlich für die Teilnahme an einer Lizenzliga qualifiziert ist. Der Verein (‚Mutterverein‘) ist an der Gesellschaft mehrheitlich beteiligt (‚Kapitalgesellschaft‘), wenn er über 50 % der Stimmenanteile zuzüglich mindestens eines weiteren Stimmenanteils in der Versammlung der Anteilseigner verfügt. Bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien muss der Mutterverein oder eine von ihm zu 100 % beherrschte Tochter die Stellung des Komplementärs haben. In
___________ 1
Streinz, SpuRt 1998, 89 (96), bezeichnet die Verrechtlichung des Sports als die notwendige Kehrseite von dessen Kommerzialisierung. 2 EuGH, Rs. 36/74 – Walrave und Koch, Slg. 1974, 1405 ff. 3 EuGH, Rs. 13/76 – Donà ./. Mantero, Slg. 1976, 1333 ff. 4 EuGH, Rs C-415/93 – Bosman, Slg. 1995, I-4921 ff. 5 EuGH, verb. Rs. C-51/96 und C-191/97 – Deliège, Slg. 2000, I-2549 ff. 6 EuGH, Rs. C-176/96 – Lehtonen, Slg. 2000, I-2681 ff. 7 EuGH, Rs. C-519/04 P – Meca-Medina und Macjen, Slg. 2006, I-6991 ff. 8 EuGH, Rs. C-325/08 – Olympique Lyonnais ./. Olivier Bernard & Newcastle United, NJW 2010, 1733 ff. 9 Der Ligaverband setzt sich aus den Lizenznehmern der ersten und zweiten Bundesliga zusammen und ist neben den Landes- und Regionalverbänden außerdem Mitglied des DFB. Das operative Geschäft des Ligaverbandes nimmt die DFL (Deutsche Fußball-Liga GmbH) als dessen 100%-ige Tochter wahr.
Rechtfertigung von Grundfreiheitsbeeinträchtigungen
271
diesem Fall genügt ein Stimmenanteil des Muttervereins von weniger als 50 %, wenn auf andere Weise sichergestellt ist, dass er eine vergleichbare Stellung hat wie ein an der Kapitalgesellschaft mehrheitlich beteiligter Gesellschafter. Dies setzt insbesondere voraus, dass dem Komplementär die kraft Gesetzes eingeräumte Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis uneingeschränkt zusteht. […].“
II. Auswirkungen der Grundfreiheiten im Bereich des Sports Die Auswirkungen der Geltung des Unionsrechts im Bereich des Sports werden vorliegend in Bezug auf die im AEUV enthaltenen Grundfreiheiten untersucht. Diese Grundfreiheiten umfassen die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 f., 34 ff. AEUV), die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 ff. AEUV), die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) sowie die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV) und dienen der Verwirklichung des Binnenmarktes. Sie gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat10 und genießen Anwendungsvorrang11 vor nationalem Recht. Umfasst sind sowohl ein Verbot von Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit als auch ein Verbot von Beschränkungen des Warenaustausches bzw. der Freizügigkeit von Personen innerhalb der Union.
1. Beeinträchtigungen von Grundfreiheiten durch Sportverbände a) Sportliche Betätigung im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten Der Anwendungs- oder Schutzbereich einer Grundfreiheit kann in vielfacher Hinsicht durch Sportverbandsregelungen berührt und beeinträchtigt werden. So gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Sportler, die eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausüben, die nicht von so geringem Umfang ist, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt, und deren wesentliches Merkmal darin besteht, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.12 Dies trifft auf Berufssportler in Mannschaftssportarten ohne Weiteres zu. Außerdem fallen auch sog. Amateure darunter, wenn der Ama___________ 10 Vgl. EuGH, Rs. 26/62 – Van Gend en Loos, Slg. 1963, 3 ff.; sowie Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl. 2009, § 7, Rn. 10. 11 Zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts vgl. statt vieler Streinz, Europarecht, 8. Aufl. 2008, Rn. 201 ff.; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, Art. 249 EG, Rn. 24. 12 Vgl. EuGH, Rs. C-94/07 – Raccanelli ./. Max-Planck-Gesellschaft, Slg. 2008, I-5939 ff., Rn. 33.
272
Marie Kronberg
teurstatus nur dem Vertrag nach („auf dem Papier“) besteht,13 in Wirklichkeit aber alle Arbeitnehmermerkmale erfüllt sind. Individualsportler sind hingegen meist von der Dienstleistungsfreiheit erfasst, da es in der Regel an einer für den Arbeitnehmerstatus erforderlichen Weisungsgebundenheit fehlt.14 Die Dienstleistungsfreiheit ist dann einschlägig, wenn die Athleten für ihre sportliche Tätigkeit ein Entgelt in Form von materiellen Gegenleistungen bekommen. Es kommt dabei nicht darauf an, wo die Bezahlung herrührt. Entscheidend ist lediglich, dass die Sportler von irgendeiner Seite für ihre sportliche Tätigkeit bezahlt werden.15 Auch bei Freizeitsportveranstaltungen werden (zumindest von den Veranstaltern) entgeltliche Dienstleistungen erbracht, so dass sich die Teilnehmer im Gegenzug auf die passive Dienstleistungsfreiheit berufen können. Die Niederlassungsfreiheit kann ebenfalls in vieler Hinsicht sportlich relevant werden: Sie schützt nicht nur die Gründung von Gesellschaften, sondern auch den Erwerb von Gesellschaftsanteilen und ist daher insbes. auch bei der Beschränkung von Gesellschaftsanteilen berührt.16 Die Kapitalverkehrs- und Zahlungsfreiheit spielte im Bereich des Sports in der bisherigen Rechtsprechung eine eher untergeordnete Rolle, hat aber zunehmend an Bedeutung gewonnen.17 Betroffen sind vor allem Beschränkungen der Kapitalanteile an (ausländischen) Sportvereinen oder Unternehmen oder die Einflussnahme auf Sponsoren.18
b) Diskriminierungen und Beschränkungen Unter dem Oberbegriff der „Beeinträchtigungen“ sind sowohl diskriminierende Maßnahmen aufgrund der Staatsangehörigkeit als auch solche Maßnahmen zu verstehen, die lediglich die Ausübung der grundfreiheitlichen Gewährleistungen beschränken. Diskriminierungen knüpfen an den Tatbestand der ___________ 13 Vgl. in diesem Sinne EuGH, verb. Rs. C-51/96 und C-191/97 – Deliège, Slg. 2000, I-2549 ff., Rn. 46. 14 Vgl. auch Fikentscher, Mitbestimmung im Sport, 2002, S. 150. 15 EuGH, verb. Rs. C-51/96 und C-191/97 – Deliège, Slg. 2000, I-2549 ff., Rn. 56. Zustimmend auch Röthel, EuZW 2000, 375 (379), und Streinz, JuS 2000, 1015 (1017). 16 Statt vieler Verse, Causa Sport 2010, 28 (31 f.), mit Verweis auf die ständige Rechtsprechung des EuGH. A.A. Deutscher, SpuRt 2009, 97 (100). 17 Im Rahmen der generellen Tendenz des EuGH zur Annahme einer Konvergenz der Grundfreiheiten ist wohl auch die unmittelbare Drittwirkung der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit anzunehmen. 18 Vgl. Vieweg, in: Caiger/Gardiner, Professional Sport in the EU, 2000, S. 83 (98 f.).
Rechtfertigung von Grundfreiheitsbeeinträchtigungen
273
Staatsangehörigkeit als Inländer oder Ausländer unterschiedliche Rechtsfolgen an. Beschränkungen hingegen sind „Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können“19. Die Grundfreiheiten enthalten damit nicht nur ein Diskriminierungs-, sondern auch ein Beschränkungsverbot.20 Insbesondere im Hinblick auf eine etwaige Rechtfertigung ist eine Einordnung in diese Kategorien Voraussetzung.
2. Einordnung der 50+1-Regel Die im Rahmen von DFB und Ligaverband im deutschen Fußball geltende 50+1-Regel besagt, dass bei einem in Form einer (ausgegliederten) Kapitalgesellschaft organisierten Fußballverein die Mehrheit der Stimmrechte vom Mutterverein gehalten werden muss. Als Mutterverein wird dabei der traditionell gewachsene Idealverein bezeichnet, der auch zuvor schon am Spielbetrieb der Liga teilgenommen hat.21 Private Investoren dürfen somit grundsätzlich keine Mehrheitsbeteiligungen erwerben. Eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ist in der 50+1Regel zwar nicht zu sehen, da inländische und ausländische Investoren gleichermaßen betroffen sind, jedoch ist sie geeignet, (ausländische) Investoren von dem Erwerb von Gesellschaftsanteilen abzuhalten, und stellt damit eine Beschränkung der grundfreiheitlichen Garantien, insbes. der Niederlassungsfreiheit, dar. Die Kapitalverkehrsfreiheit ist in diesem Fall weniger betroffen, da sich die Beschränkung ausdrücklich nur auf die Stimmrechtsanteile bezieht und damit in erster Linie gesellschaftsrechtlich geprägt ist. Auch wettbewerbsrechtlich ist diese Regelung nicht unumstritten.22 Im Folgenden wird jedoch lediglich die grundfreiheitliche Relevanz der Regelung behandelt.
___________ 19
EuGH, Rs. C-55/94 – Gebhard, Slg. 1995, I-4165 ff., Rn. 37. Vgl. für die Warenverkehrsfreiheit: EuGH, Rs. 8/74 – Dassonville, Slg. 1974, 837 ff., Rn. 5. Für die Dienstleistungsfreiheit: EuGH, Rs. 33/74 – van Binsbergen, Slg. 1974, 1299 ff., Rn. 10 ff.; für die Arbeitnehmerfreizügigkeit: EuGH, Rs. C-415/93 – Bosman, Slg. 1995, I-4921 ff., Rn. 96; für die Niederlassungsfreiheit EuGH, Rs. 107/83 – Klopp, Slg. 1984, 2971 ff., Rn. 17 ff. 21 Weiler, SpuRt 2007, 133 (135). 22 Dazu Heermann, WRP 2003, 724 ff.; Verse, Causa Sport 2010, 28 ff. 20
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III. Rechtfertigungssystematik Die zuvor festgestellte Beeinträchtigung einer Grundfreiheit durch eine Sportverbandssatzung ist nicht automatisch mit der Verletzung der Grundfreiheit und damit des Unionsrechts gleichzusetzen: Wenn die Regelung gerechtfertigt werden kann, ist sie trotz beeinträchtigender Wirkung unionsrechtskonform. Auch für die 50+1-Regel gilt also, dass sie dann mit dem Unionsrecht zu vereinbaren ist, wenn sie übergeordnete Ziele verfolgt und zu deren Erreichen geeignet und erforderlich – und damit gerechtfertigt – ist.
1. Allgemeine Bemerkungen zur Rechtfertigungssystematik im Rahmen von Grundfreiheitsbeeinträchtigungen Der AEUV sieht bei der Beeinträchtigung von Grundfreiheiten gewisse Rechtfertigungsmöglichkeiten vor, die überdies vom EuGH beständig weiterentwickelt wurden.
a) Diskriminierungen Ausdrückliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit (im Sport z. B. Ausländerklauseln) können nur durch die geschriebenen Rechtfertigungsgründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (ordre-public-Vorbehalte der Art. 36, 45 III und 51 AEUV, ggf. i. V. m. Art. 62 AEUV) gerechtfertigt werden. Dabei handelt es sich um hauptsächlich polizeirechtlich zu definierende Begriffe, die nur rechtfertigend wirken, wenn sie an persönliches Verhalten anknüpfen. Daher scheiden diese in der Regel als Rechtfertigungsgründe für Sportverbände aus und könnten ohnehin nur einen Ausschluss einzelner polizeilich oder gesundheitlich auffällig gewordener Sportler rechtfertigen.
b) Beschränkungen Beschränkungen der Grundfreiheiten können nach ständiger Rechtsprechung des EuGH23 auch durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfer___________ 23 Entwickelt in der Entscheidung EuGH, Rs. C-55/94 – Gebhard, Slg. 1995, I4165 ff., Rn. 37, der die in der Cassis-Entscheidung (EuGH, Rs. 120/78 – Cassis de Dijon, Slg. 1979, 649 ff., Rn. 8) anerkannten zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls zur Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der Warenverkehrsfreiheit als zwingende Gründe des Allgemeininteresses auch auf die anderen Grundfreiheiten überträgt.
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tigt werden. Auf direkte oder ausdrückliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit (rechtliche Diskriminierungen) ist dieser Rechtfertigungsgrund zwar nach h. M. nicht anwendbar.24 Lediglich faktisch (indirekt, mittelbar) diskriminierende Maßnahmen, die nicht direkt an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, sondern nur typischerweise Ausländer eher betreffen als Inländer, müssen jedoch genauso wie bloß beschränkend wirkende Maßnahmen aufgrund zwingender Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden können, da die Übergänge von faktischen Diskriminierungen zu bloßen Beschränkungen fließend sind.25 Eine Beschränkung auf die geschriebenen Rechtfertigungsgründe wäre daher unangemessen. An die Verhältnismäßigkeitsprüfung sind jedoch entsprechende Anforderungen zu stellen.
2. Besonderheiten des Sports im Rahmen der Rechtfertigungssystematik Im Folgenden soll zunächst ein Überblick über die vertretenen Lösungsvorschläge zu Rechtfertigungsmöglichkeiten von Sportverbänden gegeben werden, bevor versucht wird, diese alle, soweit möglich, zu einer dogmatisch sauberen Handhabung zusammenzuführen.
a) Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung In der sportrechtlichen Literatur und in der Rechtsprechung des EuGH finden sich verschiedene Lösungsansätze, um eine Rechtfertigungsmöglichkeit für Sportverbandsregelungen zu begründen.
aa) Geltung des ordre-public-Vorbehalts auch für private Maßnahmen Vereinzelt wird befürwortet,26 die ordre-public-Vorbehalte der Art. 45 III, 52 I und 62 i. V. m. 52 I AEUV auch auf private Maßnahmen anzuwenden. Ob auch Private, die grundsätzlich im eigenen Interesse tätig werden, sich auf Aspekte des Allgemeininteresses wie die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder ___________ 24 Eine Rechtfertigung ist – wenn überhaupt – nur durch die geschriebenen Rechtfertigungsgründe möglich. Vgl. Wernsmann, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 2. Aufl. 2010, § 30, Rn. 113. 25 Vgl. auch Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl. 2009, § 7, Rn. 102, mit Verweis auf neuere Rspr. des EuGH. 26 So etwa Heidersdorf, Ausländerklauseln im Profisport, 1998, S. 50 ff. Auch EuGH, Rs. C-415/93 – Bosman, Slg. 1995, I-4921 ff., Rn. 86.
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Gesundheit berufen können, ist allerdings mehr als fraglich,27 da es sich beim ordre-public-Vorbehalt um einen typischen völkerrechtlichen Vorbehalt der Souveränitätsinteressen der Mitgliedstaaten gegenüber der Union handelt.28 Daher wird vielfach auf eine öffentliche Ordnung des Sports o. Ä. abgestellt.29 Eine solche Auslegung ist jedoch wohl kaum noch mit dem Wortlaut des Vertrags in Einklang zu bringen. Damit ist also festzustellen, dass der ordre-public-Vorbehalt, und insbes. der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Ordnung, wenig zu einer Übertragung auf Private und insbes. auf Sportverbände geeignet ist. Zudem ist sein Anwendungsbereich, wie oben gezeigt, praktisch ohnehin nur von geringer Relevanz.
bb) „Sportvorbehalt“ des EuGH Auch der sog. „Sportvorbehalt“ des EuGH, der in den Entscheidungen Walrave und Koch30, Donà ./. Mantero31 und Bosman32 angeklungen ist, wird vielfach als möglicher Rechtfertigungsgrund für Regelungen in Sportverbandssatzungen angeführt. Uneinigkeit herrscht jedoch darüber, wie ein solcher Vorbehalt dogmatisch einzuordnen ist. Die Ansätze gehen von einer fehlenden Einordnung über die Annahme einer Bereichsausnahme zur Benennung als zwingender Grund des Allgemeininteresses bis hin zu einem Rechtfertigungsgrund sui generis. Auf der anderen Seite ist ebenso ungeklärt, was genau unter den Sportvorbehalt zu fassen ist. Einerseits könnten damit beinahe alle Regelungen gemeint sein, die irgendetwas mit der Sportausübung zu tun haben, andererseits könnte aber auch eine restriktiv zu handhabende Ausnahme zu befürworten sein, die lediglich für bestimmte sport-immanente oder -typische Spielregeln „auf dem Platz“ einschlägig ist.
___________ 27 Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, 1997, S. 45. Auch Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 304, weist darauf hin, dass Privatpersonen Partikularinteressen verfolgen, nicht aber die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. 28 Schroeder, Sport und europäische Integration, 1989, S. 174, spricht daher auch von einem Kompetenzproblem, bei dem es sich gerade nicht um materiell-rechtliche Aspekte handelt. 29 Schweitzer, in: Reuter, Einbindung des nationalen Sportrechts in internationale Bezüge, 1987, S. 71 (85); vgl. auch Groß, Eine unendliche Geschichte, 2004, S. 388. 30 EuGH, Rs. 36/74 – Walrave und Koch, Slg. 1974, 1405 ff., Rn. 4 ff. 31 EuGH, Rs. 13/76 – Donà ./. Mantero, Slg. 1976, 1333 ff., Rn. 14 ff. 32 EuGH, Rs. C-415/93 – Bosman, Slg. 1995, I-4921 ff., Rn. 76.
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So erfolgt die klassische Art der Abgrenzung danach, ob es sich bei der beanstandeten Regel um eine Spielregel oder um eine Rechtsregel handelt:33 Die Rechtsregel ist selbstverständlich auf ihre Vereinbarkeit mit dem staatlichen Recht überprüfbar, während die Spielregel nur unmittelbar „auf dem Platz“ gilt und nicht über das konkrete Spiel bzw. den konkreten Wettkampf hinaus wirkt.34 Jedoch haben auch eigentlich eindeutige Spielregeln immer auch mittelbar wirtschaftliche Folgen über das Spiel oder den Wettkampf hinaus,35 so dass sich aufgrund dieser Doppelnatur keine klare Trennlinie ziehen lässt.36 Beispiele wären hier etwa die Abseits-Regel im Fußball oder die FehlstartRegel mit folgender Disqualifikation in der Leichtathletik. Einigkeit besteht somit lediglich darüber, dass bestimmte Regelungen, die Voraussetzung für einen funktionsfähigen Wettkampfsport sind, rechtfertigungsfähig sein müssen.37 In der Entscheidung Deliège nannte der EuGH diese Regelungen „aus sportorganisatorischen Gründen erforderliche Regeln, die notwendig mit der Durchführung eines hochrangigen internationalen Wettkampfes verbunden“38 sind. Auch im Fall Lehtonen stellte der EuGH fest, dass Sportverbandsregelungen grundsätzlich einer objektiven Rechtfertigung „durch nichtwirtschaftliche Gründe, die lediglich den Sport als solchen betreffen“39 und nicht über das erforderliche Maß hinausgehen, zugänglich seien. Der nächste Schritt im Rahmen dieser Rechtfertigungsrechtsprechung war die Entscheidung im Fall Meca-Medina und Macjen40. Darin führte der Gerichtshof aus, dass selbst das Vorliegen von Regelungen rein sportlichen Charakters die Anwendbarkeit der Regelungen des Vertrags auf diese sportliche Betätigung nicht ausschließe, diese aber gerechtfertigt sein könnten. Das Dopingverbot z. B. ist besonderer Ausdruck des Fairplay-Gebots: Ohne Anti-DopingRegelungen wäre Sport überhaupt nicht mehr möglich und daher sind diese nicht nur „nichtwirtschaftlich“, sondern der Kern, Sinn und Zweck der sportli___________ 33
Diese Einteilung geht zurück auf Max Kummer, der in seinem grundlegenden Werk „Spielregel und Rechtregel“ von 1973 die Spielregel noch notwendigerweise als Nichtrecht ansah (S. 44 ff., 77 ff.), und wurde u. a. weiterentwickelt von Pfister, SpuRt 1998, 221 ff. u. a. 34 Durch die Regelwerke werden Spielregeln jedoch auch grundsätzlich in den Raum des Rechts gestellt; Kaiser, SpuRt 2009, 6 (9). 35 Auch Pfister, FS Lorenz 1991, S. 171 (179), bemerkt, dass die Übergänge fließend sind, da sich auch fast alle Spielregeln mittelbar auf die finanzielle Lage der Beteiligten auswirken können. 36 Pfister, SpuRt 2007, 58 (58), weist darauf hin, dass eine allgemein gültige Abgrenzung von rechtlich überprüfbaren Verbandsregelungen und in der Regel nicht überprüfbaren auf Spielregeln beruhenden Entscheidungen nicht möglich ist. 37 Streinz, SpuRt 2000, 221 (226). 38 EuGH, verb. Rs. C-51/96 und C-191/97 – Deliège, Slg. 2000, I-2549 ff., Rn. 64. 39 EuGH, Rs. C-176/96 – Lehtonen, Slg. 2000, I-2681 ff., Rn. 52. 40 EuGH, Rs. C-519/04 P – Meca-Medina und Macjen, Slg. 2006, I-6991 ff., Rn. 27.
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chen Betätigung.41 Dies gilt trotz ihrer auch wirtschaftlichen Auswirkungen, da es kaum eine Sportregelung geben wird, die nicht zumindest mittelbar auch wirtschaftliche Auswirkungen entfaltet.
cc) „Praktische Konkordanz“ mit den Unionsgrundrechten Ein weiterer Ansatz ist die Diskussion der Rechtfertigung von Sportverbandsregelungen durch die Herstellung einer praktischen Konkordanz mit den Unionsgrundrechten. Die parallele Einschlägigkeit von Unionsgrundrechten und Grundfreiheiten ist erst durch die Erweiterung der Adressatenkreise sowohl der Grundfreiheiten als auch der Grundrechte möglich geworden.42 Ob eine Berücksichtigung aber im Rahmen einer Abwägung, vergleichbar dem Gebot der praktischen Konkordanz in der Grundrechtsdogmatik des deutschen Verfassungsrechts, oder an anderer Stelle bzw. auf andere Weise vorzunehmen ist, ist stark umstritten und noch nicht endgültig geklärt.43 Auch die Einordnung der Grundrechte als immanente Schranke der Grundfreiheiten44 weist die Schwäche auf, dass sie sich – trotz der Schmidberger-Entscheidung45, aus der sich ausdrücklich nur ergibt, dass die Grundrechte grundsätzlich geeignet sind, Beschränkungen zu rechtfertigen, jedoch nicht, wie dies dogmatisch zu geschehen hat – nicht reibungslos in die vom EuGH entwickelte Rechtfertigungssystematik einfügt.
dd) Analoge Anwendung von Art. 101 III AEUV Schließlich wird noch die analoge Anwendung der Kriterien des kartellrechtlichen Freistellungstatbestandes aus Art. 101 III AEUV vorgeschlagen.46 Auch dieser Ansatz weist jedoch die Schwäche auf, dass zum einen die Kriterien47 ___________ 41
So jedenfalls Weatherill, in: Weatherill, European Sports Law, 2007, S. 249 (254 ff.), zuerst erschienen in: ECLRev 2005, 416 ff. 42 Schultz, Das Verhältnis von Gemeinschaftsgrundrechten und Grundfreiheiten, 2005, S. 109. 43 Für eine praktische Konkordanz mit der Vereinigungsfreiheit z. B. Krogmann, Grundrechte im Sport, 1998, S. 217; Imping, EWS 1996, 193 (197). Vgl. auch EuGH, Rs. C-112/00 – Schmidberger, Slg. 2003, I-5659 ff., Rn. 74. Dagegen etwa Groß, in: Vieweg, Perspektiven des Sportrechts, 2005, S. 37 (57 f.). 44 So Vieweg/Röthel, ZHR 2002, 6 (23 ff.). 45 EuGH, Rs. C-112/00 – Schmidberger, Slg. 2003, 5659 ff., Rn. 74. 46 Groß, in: Vieweg, Perspektiven des Sportrechts, 2005, S. 37 (61). 47 Diese sind eine angemessene Beteiligung der Verbraucher, die Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts, Unerlässlichkeit der Beschränkungen sowie keine Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil der Waren.
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nicht genau passen und zum anderen sich diese Lösung auch nicht in die von AEUV und EuGH vorgegebene Rechtfertigungssystematik einfügt.
ee) Zwingende Gründe des Allgemeininteresses In der Literatur wird die Anwendung der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses innerhalb des Verhältnisses von Privatpersonen untereinander teilweise kritisch gesehen,48 da Privatpersonen sich in der Regel nicht auf Belange des Gemeinwohls berufen könnten. Daher wird u. a. vertreten, im Fall von Sportverbandsregelungen auf ein oder das Verbandsinteresse anstelle des Allgemeininteresses abzustellen.49 Jedoch kann zweifellos nicht jedes Verbandsinteresse einen Rechtfertigungsgrund darstellen.
b) Eigener Lösungsansatz und Systematisierungsversuch So überzeugend die Vorschläge der Annahme einer öffentlichen Ordnung des Sports, eines Sportvorbehalts, einer praktischen Konkordanz mit der Verbandsautonomie oder zwingender Verbandsinteressen im Ergebnis auch sein mögen – sie weisen doch alle die entscheidende Schwäche auf, dass sie sich nicht reibungslos in die vom AEUV angelegte und vom EuGH weiterentwickelte Rechtfertigungsdogmatik einfügen lassen: eine Einteilung in geschriebene Rechtfertigungsgründe (die ordre-public-Vorbehalte), die sowohl auf Beschränkungen als auch auf Diskriminierungen anwendbar sind, sowie ungeschriebene Rechtfertigungsgründe, die aus den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses bestehen und nur für beschränkende Regelungen gelten. Da die ordre-public-Vorbehalte in der Regel auf sportliche Sachverhalte kaum passen, bleibt lediglich der ungeschriebene Rechtfertigungsgrund der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses nach der Gebhard-Formel: „Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.“50
___________ 48
So Krogmann, Grundrechte im Sport, 1998, S. 207; ders., Sport und Europarecht, 2001, S. 16; Schindler, Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, 2001, S. 102. 49 So etwa Vieweg/Röthel, ZHR 2002, 6 (30 ff.); Plath, Individualrechtsbeschränkungen im Fußball, 1999, S. 162. 50 EuGH, Rs. C-55/94 – Gebhard, Slg. 1995, I-4165 ff., Rn. 37.
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Im Falle einer solchen unterschiedslos für In- und Ausländer geltenden Regelung in einer Sportverbandssatzung stellt sich also hauptsächlich die Frage, welches das Allgemeininteresse sein kann, auf das sich ein Sportverband zur Rechtfertigung der Satzungsregelung berufen kann. Unter anderem kann der Schutz der Grundrechte als zwingender Grund des Allgemeininteresses angesehen werden,51 denn gemäß Art. 6 EUV n. F. haben Union und Mitgliedstaaten die Grundrechte als bindendes Recht zu achten. In diesem Kontext ist insbes. die Existenz und Geltung der Vereinigungsfreiheit im unionsrechtlichen Rechtsgefüge, nämlich in Art. 12 GRCh und Art. 11 EMRK sowie in den (meisten) Verfassungen der Mitgliedstaaten, relevant. Ausprägung dieser Gewährleistung ist u. a. die Verbands- und Satzungsautonomie. Ihre Bedeutung wird durch die ausdrückliche Förderung der europäischen Dimension des Sports gemäß Art. 165 AEUV noch unterstrichen.52 Diese (Sport-)Verbandsautonomie geht jedoch nicht so weit, dass jede aufgrund der Satzungsautonomie erlassene Regelung gleich gerechtfertigt ist, sondern sie muss im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Verwirklichung des Grundrechtes der Vereinigungsfreiheit und der Verbandsautonomie betrachtet werden. Schützenswert im Sinne eines rechtfertigenden Allgemeininteresses ist damit der Kernbereich der Verbandsautonomie, deren Wesensgehalt nicht angetastet werden darf. Rechtfertigend kann daher nur ein überragend wichtiges Verbandsinteresse sein, das für den Bestand und die Wahrung der Verbandsautonomie unabdingbar ist. Davon erfasst sind z. B.: aus sportorganisatorischen Gründen erforderliche Regeln (Deliège), nichtwirtschaftliche Gründe, die lediglich den Sport als solchen betreffen (Lehtonen), und Regelungen von rein sportlichem Charakter, die Kern, Sinn und Zweck der sportlichen Betätigung darstellen (Meca-Medina und Macjen), wenn sie nicht über das erforderliche Maß hinausgehen. Es kommt – in Anlehnung an die Wouters-Entscheidung des EuGH53 – nicht so sehr darauf an, ob eine Regelung rein sportlich motiviert ist, sondern darauf, dass sie unabdingbar ist, um die Integrität sportlichen Wettbewerbs aufrechtzuerhalten,54 dass sie also zum Wesensgehalt der Verbandsautonomie gehört.55 In diesem Fall würde die Regelung trotz ihres auch wirtschaftlichen Charakters den Ausdruck der Verbandsautonomie darstellen. Als unerlässlich sind im Sportbereich solche Regelungen anzusehen, die mit der Orga___________ 51 Dafür etwa auch Imping, Die arbeitsrechtliche Stellung des Fußballspielers, 1996, S. 255. 52 Dazu auch Persch, NJW 2010, 1917 (1917). 53 EuGH, Rs. C-309/99 – Wouters, Slg. 2002, I-1577 ff., Rn. 97. 54 Becker, FS Scholz 2007, S. 995 (1017), spricht von „wettkampfkonstituierenden Regelungen“. 55 Vorschlag von Weatherill, in: Weatherill, European Sports Law, 2007, S. 259 (264), zuerst erschienen in: 3-4 ISLJ 2005, 3 ff.
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nisation und dem ordnungsgemäßen Ablauf eines sportlichen Wettbewerbs untrennbar verbunden sind und die gerade dazu dienen, einen freien Wettstreit zwischen den Sportlern zu gewährleisten. Dazu zählen der faire Ablauf des Sportwettkampfs, die Chancengleichheit der Sportler, die Gesundheit der Sportler, die Ehrlichkeit und Objektivität des Wettkampfs sowie die ethischen Werte des Sports.56 Solche für die Verwirklichung der Verbandsautonomie notwendigen Gesichtspunkte können also einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen. Eine Rechtfertigung für eine konkrete Regelung stellen sie jedoch nur dann dar, wenn auch die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall gegeben ist, wenn die Regelung also geeignet ist, dieses unabdingbare Verbandsinteresse zu verfolgen, und wenn sie nicht über das zu dessen Verwirklichung erforderliche Maß hinausgeht.
3. Einordnung der 50+1-Regel in diese Rechtfertigungssystematik Beschränkungen von Beteiligungen an Sportkapitalgesellschaften stellen in der Regel keine Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit dar, da inund ausländische Investoren gleichermaßen betroffen sind. Sie beschränken jedoch die Niederlassungsfreiheit. Solche Beschränkungen sind nur dann zulässig, wenn sie durch ein überragend wichtiges Verbandsinteresse gerechtfertigt sind, das die Verbandsautonomie in ihrem Wesensgehalt betrifft und unabdingbar ist, um die Integrität sportlichen Wettbewerbs aufrechtzuerhalten. Als mögliche Rechtfertigungsgründe für die 50+1-Regel wurden vorgebracht:57 –
der Schutz der Glaubwürdigkeit und Integrität des sportlichen Wettbewerbs und damit verbunden die Vermeidung von Interessenkonflikten und Wettbewerbsverzerrung sowie der Erhalt der Konkurrenzfähigkeit der Vereine und der Ausgeglichenheit der Liga;
–
der Schutz der Clubs vor sportfremden Einflüssen und die Verhinderung einer Investitionsspirale, die Vereine als handelbares Wirtschaftsgut und Spekulationsobjekt zum Spielball wirtschaftlicher Interessen macht, sowie die Vermeidung von Stimmrechtehandel, Erpressbarkeit und Insolvenzge-
___________ 56
Orth, SpuRt 2006, 198 (198). Vgl. dazu auch Summerer, SpuRt 2008, 234 (236); Deutscher, SpuRt 2009, 97 (98); Klees, EuZW 2008, 391 (394); Ouart, WRP 2010, 85 (88); Heermann, WRP 2003, 724 (732); Lammert, Causa Sport 2009, 332 (333); Hovemann/Wieschemann, SpuRt 2009, 187 (190); Entscheidung der Kommission im Fall ENIC/UEFA vom 25.6.2002, COMP/37806. 57
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fahr des Vereins wegen Abhängigkeit von Willkür und Schicksal des Namensgebers; –
die Aufrechterhaltung des Solidaritätsgedankens sowie die Gewährleistung der pädagogischen und sozialen Funktion des Sports (vgl. dazu auch Art. 165 AEUV) und damit verbunden der organisatorischen Verbindung von Leistungssport und Breitensport.
All dies sind anerkennenswerte, der Verbandsautonomie innewohnende Rechtfertigungsgründe. Die darauf beruhende Beschränkung von Stimmrechteanteilen müsste jedoch auch geeignet und erforderlich sein, um diesen Wesensgehalt der Verbandsautonomie zu gewährleisten.
a) Glaubwürdigkeit und Integrität des sportlichen Wettbewerbs Die in der deutschen Fußball-Bundesliga geltende 50+1-Regelung sieht vor, dass „fremde“ Investoren keine Mehrheit an einem Fußballverein erwerben dürfen,58 sondern immer ein Anteil von mehr als 50 % der Stimmrechte beim Mutterverein verbleiben muss. Dagegen ist keine Beschränkung vorgesehen, an wie vielen Vereinen ein Investor (mit jeweils unter 50 %) beteiligt sein darf. Minderheitsbeteiligungen an mehreren Fußball-Gesellschaften sind folglich erlaubt, müssen jedoch im Lizenzierungsverfahren offengelegt werden.59 Lediglich im Rahmen von UEFAWettbewerben dürfen zwei Vereine, die demselben Investor gehören, nicht gegeneinander antreten.60 Dies gilt jedoch nur, wenn mindestens einer dieser beiden Vereine vom Investor beherrscht wird. Vereine, an denen derselbe Investor lediglich Minderheitsanteile unter 50 % hält, dürfen sehr wohl gegeneinander spielen. Dies ruft Interessenkonflikte hervor, die die Integrität und Authentizität des Fußballs gefährden und die durch die 50+1-Regelung nicht verhindert werden. Zur Vermeidung von Interessenkonflikten ist die 50+1-Regelung daher wenig geeignet, erforderlich wäre vielmehr ein Verbot von Mehrfach- bzw. Überkreuzbeteiligungen.61 Die 50+1-Regel ist in diesem Fall also eher zu liberal (und damit ungeeignet) zur Verfolgung des Ziels der Integrität und Glaubwür___________ 58 Mit Ausnahme von Bayer Leverkusen und VfL Wolfsburg, für die noch aus der Zeit vor der Einführung der „50+1“-Regel sog. „grandfathering rights“ gelten. Näheres dazu unter III. 3. c). 59 Weiler, SpuRt 2007, 133 (135). 60 Vgl. dazu Entscheidung der Kommission im Fall ENIC/UEFA vom 25.6.2002, COMP/37806. 61 Vgl. dazu auch Klees, EuZW 2008, 391 (394).
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digkeit sportlichen Wettbewerbs und sollte derart verschärft werden, dass auch bzw. erst recht Mehrfachbeteiligungen nicht zulässig sind.62 Ob die Zulassung einer Mehrheitsbeteiligung an einem einzigen Verein gleichzeitig großzügiger gehandhabt werden und unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt werden sollte, hängt von den weiteren mit der 50+1-Regel verfolgten Zielen ab.
b) Schutz vor sportfremden Einflüssen Auch hier stellt sich die Frage, ob die 50+1-Regel zum Erreichen des Ziels – in diesem Fall der Vermeidung einer wirtschaftlichen Abhängigkeit des Vereins vom Investor – überhaupt geeignet ist: Dass „Geld Tore schießt“ und dass bei der Abwendung eines Investors von einem Verein Insolvenzgefahr oder zumindest schwerwiegende finanzielle Einschnitte drohen, ist auch heute – bei bestehender 50+1-Regel – schon so.63 Bestes Beispiel hierfür ist wohl die TSG Hoffenheim, die es mit den finanziellen Zuwendungen von Dietmar Hopp bis an die Spitze der Bundesliga geschafft hat, gleichzeitig aber faktisch wirtschaftlich von dessen weiterem Engagement abhängig ist. Die Förderung bewegt sich jedoch in dem von der 50+1-Regel erlaubten Rahmen, indem Herr Hopp lediglich 49 % der Stimmenanteile hält. Darüber hinaus hält er aber 96 % der Kapitalanteile und finanziert außerdem den größten Teil der Spielertransfers sowie der Infrastruktur.64 Dieses Beispiel zeigt, dass die 50+1-Regel offensichtlich nicht geeignet ist, solche Szenarien wirtschaftlicher Abhängigkeit zu vermeiden. Der Schutz vor sportfremden Einflüssen fällt daher als Rechtfertigung aus. Eine bessere Lösung wäre, solche Gefahren von vornherein im Lizenzierungsverfahren zu vermeiden, etwa durch die Einführung bestimmter Haltefristen für Investoren,65 die Absicherung der Vereine durch Vorkaufsrechte66 hinsichtlich der Mehrheitsbeteiligung oder durch finanzielle Ausfallbürgschaften sowie genau und im Interesse des Sports festgelegte Bedingungen für den „Handel“ mit Vereinsanteilen.
___________ 62
Weiler, SpuRt 2007, 133 (136). So auch Summerer, SpuRt 2008, 234 (236). So auch Deutscher, SpuRt 2009, 97 (100). 64 Vgl. Lammert, SpuRt 2008, 137 (139). 65 So z. B. Stopper, WRP 2009, 413 (415). 66 Vgl. Ouart, WRP 2010, 85 (92). 63
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c) Pädagogische und soziale Funktion des Sports Nicht zuletzt gemäß Art. 165 AEUV ist die pädagogische und soziale Funktion des Sports zu achten und zu fördern. Ob in erster Linie wirtschaftlich orientierte Investoren daran ein Interesse haben, ist zu bezweifeln. Dass es jedoch auch hier positive Ausnahmen gibt, zeigt sich am Beispiel von Bayer Leverkusen, dessen Bundesligamannschaft aus einer Betriebsmannschaft entstanden ist. Für diesen Verein wurde daher aus Vertrauensschutzgründen auch eine Ausnahme von der 50+1-Regel vorgesehen: Der sog. „Lex Leverkusen“ zufolge darf ein Investor, der einen Verein schon vor dem 1. Januar 1999 über 20 Jahre gefördert hat, Mehrheitsanteile erwerben bzw. behalten. Von dieser Ausnahme hat auch der VfL Wolfsburg Gebrauch gemacht.67 Gleichzeitig sind diese Vereine ein Beweis dafür, dass externe Investoren nicht immer nur sportfremde Einflüsse mit sich bringen, sondern dass ihnen im Gegenteil die Förderung des Sports auf sämtlichen Leistungsebenen und in verschiedenen Sparten vielfach ein Anliegen ist. Die o. a. Ausnahme ließe sich auch auf andere entsprechend engagierte Unternehmen ausweiten, etwa durch die Streichung der Worte „vor dem 1. Januar 1999“68 oder aber in Gestalt entsprechender Anforderungskataloge im Lizenzierungsverfahren69 oder durch einen (sanktionierbaren) Investoren-Verhaltenskodex, der die Zulässigkeit der Übernahme von Mehrheitsanteilen von einer entsprechenden Förderung des Breitensports abhängig macht.
IV. Fazit und Ausblick Viele Regelungen in Sportverbandssatzungen lassen sich trotz ihrer die Grundfreiheiten beeinträchtigenden Wirkung rechtfertigen, da sie unabdingbar sind, um die Integrität sportlichen Wettbewerbs aufrechtzuerhalten, und somit zum Wesensgehalt des als zwingenden Grund des Allgemeininteresses zu berücksichtigenden Grundrechts der Verbandsautonomie gehören. Die 50+1Regel verfolgt zwar vielfältige anerkennenswerte und berechtigte Ziele, ist jedoch mangels Kohärenz nicht geeignet, diese Ziele zu erreichen. Sie ist einerseits zu großzügig, da sie zur Vermeidung von Interessenkonflikten und zur Förderung der Glaubwürdigkeit des sportlichen Wettbewerbs weniger geeignet ist als ein Verbot von Mehrfachbeteiligungen. ___________ 67 Ouart, WRP 2010, 85 (88), sieht in dieser Regelung keine echte Ausnahme, sondern eine auf das Werkssponsoring zweier große Unternehmen zugeschnittene Individualregelung. 68 Vgl. auch Verse, Causa Sport 2010, 28 (39). 69 Ouart, SpuRt 2010, 54 (55 f.).
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Andererseits ist sie aber auch zu streng, indem sie auch Investoren oder Förderern, denen der Verein am Herzen liegt, eine Mehrheitsbeteiligung kategorisch verbietet, statt diese von dem milderen Mittel der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen und Absicherungen – z. B. der Einführung von Härteklauseln, der Ausweitung der Lex Leverkusen oder der Schaffung von (weiteren) Ausnahmetatbeständen – abhängig zu machen. Aufgrund der mangelnden Kohärenz ist zu vermuten, dass die 50+1-Regel einer etwaigen Überprüfung seitens des EuGH anhand der Grundfreiheiten und voraussichtlich auch des Wettbewerbsrechts, deren Rechtfertigungssystematik ähnlichen Grundsätzen folgt, nicht standhalten kann.70 Sie sollte daher dringend ergänzt, geändert und an die entsprechenden Voraussetzungen angepasst werden, bevor es zu einer gerichtlichen Entscheidung und damit zum endgültigen Wegfall der Regelung kommt. Die 50+1-Regel zu überarbeiten und zu erhalten wäre nicht zuletzt auch im Interesse des Sports, da so die mit ihr verfolgten anerkennenswerten Ziele (noch) besser umgesetzt werden könnten, als dies bisher der Fall ist.
___________ 70
Solchen Regelungen wird vom EuGH regelmäßig die Eignung zur Rechtfertigung abgesprochen, vgl. EuGH, Rs. C-42/07 – Liga Portuguesa, NJW 2009, 3221 ff., Rn. 61; sowie EuGH, Rs. C-169/07 – Hartlauer Handelsgesellschaft, Slg. 2009, I-1721 ff., Rn. 55, wonach „eine nationale Regelung nur dann geeignet ist, die Erreichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen.“ Vgl. dazu auch EuGH, Rs. C42/07 – Liga Portuguesa, NJW 2009, 3221 ff., In diesem Sinne jetzt auch EuGH, verb. Rs. C-409/06, C-316/07, C-358/07, C-359/07, C-360/07, C-409/07, C-410/07 und C46/08 – Glücksspielmonopol, vom 08.09.2010, EWS 2010, 468 ff.
Interesse als Einfluss- und Entscheidungsfaktor im Sportrecht am Beispiel des Sportsponsoring Von Carsten Morgenroth I.
Einleitung .......................................................................................................... 288
II. Begriffsfindung für die Rechtswissenschaft ...................................................... 289 1.
Analyse der begriffsbildenden Komponenten............................................ 289
2.
Das interessierte Subjekt ........................................................................... 290
3.
4.
5.
6.
a)
Politikwissenschaft............................................................................. 290
b)
Kollektive Interessenträger in der Soziologie .................................... 290
c)
Ergebnis ............................................................................................. 292
Das interessierende Objekt ........................................................................ 292 a)
„Wahres“ Interesse ............................................................................. 293
b)
Etymologische Betrachtung ............................................................... 293
c)
Ergebnis ............................................................................................. 294
Der vermittelnde Prädikator ...................................................................... 294 a)
Schadensersatzrecht ........................................................................... 294
b)
Rechtsbindungswille .......................................................................... 295
c)
Feststellungsinteresse ......................................................................... 296
d)
Ergebnis ............................................................................................. 296
Spezifisch rechtliches Substrat .................................................................. 296 a)
Begrenzung der rechtlichen Interessen ............................................... 297
b)
Erweiterung der rechtlichen Interessen .............................................. 297
c)
Präzisierung im Rahmen der Zweiteilung .......................................... 297
Ergebnis ..................................................................................................... 298
III. Einflüsse auf die Sportvermarktung .................................................................. 298 1.
Namensrecht, § 12 BGB ............................................................................ 298
2.
Stärkerer Schutz sportbezogener Handlungen durch das UrhG ................. 299
3.
Neue Vertragstypen zur Erfassung von Ambush Marketing...................... 300
288
Carsten Morgenroth
I. Einleitung Der US-amerikanische Philosoph Samuel Krislov sagte einmal zum Begriff des Interesses: „Im Grunde ist der Begriff Interesse ein Alltagswort. Und Alltagswörter tendieren dazu, immer diejenige Präzision aufzuweisen, die für den jeweiligen Gebrauch angezeigt ist.“ Überprüft man die These Krislovs für das deutsche Recht, stellt man fest: Herr Krislov hat Recht. Das innerhalb der Rechtswissenschaft verwendete Verständnis von Interesse beinhaltet u. a. die Anteilnahme eines Subjektes an einem Gegenstand,1 die Relation eines Menschen zu einem Gegenstand,2 den Wert, den das Vorliegen einer Tatsache für jemanden hat,3 das Gut nach der subjektiven Wertschätzung für menschliche Zwecke,4 die vom Menschen wahrgenommenen Bedürfnisse5 oder gar eine „Gefühlsdisposition“.6 Das Problem liegt jedoch tiefer. Die gesamte gesellschaftswissenschaftliche Debatte beklagt ein anhaltend „mangelndes Interesse am Interesse“: Es fehlt bislang eine hinreichende Diskussion und Einordnung der interdisziplinären Verwendungsbereiche von Interesse für die Gesellschaftswissenschaften insgesamt.7 Gerade die Verschiedenartigkeit der Verwendung von Interesse je nach dem verfolgten Zweck der jeweiligen Teildisziplin, etwa Soziologie, Anthropologie oder Politikwissenschaft, könnte jedoch größere Klarheit über die notwendige rechtliche Verwendung bringen und zugleich stärkeren Aufschluss über die gesamtgesellschaftswissenschaftliche Kompatibilität geben. Es gilt daher, die Prädikatoren, die Interesse begrifflich erfassen, zu finden und anhand anderer Teildisziplinen gerade auch für die Rechtswissenschaft zu konkretisieren, um dadurch gleichzeitig auch die Frage der Kompatibilität für die gesamte Gesellschaftswissenschaft besser beantworten zu können. Dies kann ein Schritt hin zur Verwirklichung der „Weltformel“ für den Interessenbegriff sein.
___________ 1 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 12. Aufl., München/Berlin 2007, § 29 Rn. 3. 2 Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffs „öffentliches Interesse“, München, 1949, S. 20. 3 Keller, Das negative Interesse im Verhältnis zum positiven Interesse, Aarau, 1949, S. 1. 4 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, Darmstadt, 1963, S. 43. 5 Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl., Köln u. a., 2001, S. 228. 6 Martens, Moderne Vertragstypen; Bd. I: Leasing und Factoring, S. 173. 7 Massing/Reichel, Interesse und Gesellschaft: Definitionen, Kontroversen, Perspektiven, München, 1977, S. 12.
Interesse als Einfluss- und Entscheidungsfaktor im Sportrecht
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II. Begriffsfindung für die Rechtswissenschaft 1. Analyse der begriffsbildenden Komponenten Die genannten Begriffsverständnisse von Interesse weisen einerseits bereits wesentliche Gemeinsamkeiten auf. Stets enthalten sind ein interessiertes Subjekt (2.) sowie ein interessierendes Objekt (3.).8 Enthalten ist ebenfalls eine besonders spezifizierte Qualität, die Objekt und Subjekt zueinander vermittelt, sie in Beziehung setzt (4.). Auf zwei Ebenen bestehen andererseits jedoch teils erhebliche Abweichungen in der Verwendung. Zum einen fällt es nicht leicht, der Objekt und Subjekt zueinander vermittelnden Qualität ein gemeinsames Substrat zu entziehen. Wahrnehmung ist kognitive Perzeption, Wertschätzung dagegen kognitive Selektion, Anteilnahme ist emotionale Folge der Wahrnehmung und Begehren ist Ursache der Wahrnehmung oder deren mentale emotionale Folge. Welche Stufe des psychologischen Wahrnehmungsprozesses wird Interesse als juristischer Begriff einnehmen? Gemeinsam haben diese Beschreibungen aber, dass sie alle die individuelle Ebene der Person bzw. Persönlichkeit betreffen. Neben der individualpsychologischen Komponente kann Interesse aber auch zur Beschreibung von Klasseninteressen in der Soziologie9 oder von Handlungszielen, wie beispielsweise die Durchsetzung gewinnbringender Ziele in der Politikwissenschaft10, dienen. Braucht der Interessebegriff daher auch eine kollektive Komponente? Die zweite offene Frage ist, ob man ein nur und gerade für die Rechtswissenschaft vorhandenes, spezifisch rechtliches Substrat von Interesse finden kann (5.). Aus den eingangs genannten Definitionen ist nicht ersichtlich, warum bzw. inwieweit sie einen speziell rechtlichen Gehalt des Interesses abbilden. Die Möglichkeit der Herausbildung dieses gerade rechtlichen Gehalts im Interessebegriff wird selbst in vorzüglichen neueren Abhandlungen zum Thema in Zweifel gezogen.11
___________ 8
Röhl (s. Fn. 5), S. 229; Martens (s. Fn. 6), S. 173. Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, Stuttgart, 1957, S. 166. 10 Grimm, Interessenwahrung und Rechtsdurchsetzung in der Gesellschaft von morgen, in: Däubler-Gmelin, Hertha/Adlerstein, Wolfgang (Hrsg.): Menschengerecht, 6. Rechtpolitischer Kongress der SPD vom 20. bis 22. Juni 1986 in Essen, Heidelberg, 1986, S. 392. 11 Reiling, Interesse als Rechtsbegriff? Zur Fragwürdigkeit abstrakter Interessenqualifikation als Basis subjektiv-öffentlicher Rechte, DÖV 2004, 181, 185. 9
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Carsten Morgenroth
2. Das interessierte Subjekt Die eingangs genannten Definitionen von Interesse stimmen darin überein, dass das interessierte Subjekt eine natürliche Person sein kann. Für Politikwissenschaftler oder Soziologen sind jedoch Begriffe wie „Interessengruppe“ oder „Klasseninteresse“ Werkzeuge ihres täglichen wissenschaftlichen Gebrauchs. Müssen wir Juristen auch die persönliche Ebene verlassen und als taugliche Subjekte des Interesses auch Personenmehrheiten, insbesondere juristische Personen, zulassen?
a) Politikwissenschaft Interessen im Sinne der Politikwissenschaft sind keine rein psychologischen Gegebenheiten, sondern nur in einem sozialen Kontext vorfindbare verhaltensorientierte Ziele und Bedürfnisse.12 Sie haben immer etwas mit ihrer Durchsetzung zu tun, woraus sich zwangsläufig der Bezug auf gesellschaftlich anerkannte Normen im Sinne eines „ich will, weil ich sonst nicht gerecht behandelt werde“, ergibt.13 Lässt sich diese unterschiedliche Auffassung von Interesse aus dem unterschiedlichen Zweck der beiden Teilwissenschaften erklären? Während sich die Rechtswissenschaft für die Schutzwürdigkeit eines bestimmten Interesses „an sich“ interessiert, kümmert sich die Politikwissenschaft um das Interesse an der Durchsetzung dieses Interesses. Für die Rechtswissenschaft ist also wichtig, dass die individuelle Situation der Relevanz des Individualinteresses eine gewisse Häufigkeit und damit Bedeutung für das menschliche Zusammenleben erlangt hat. Für die Politikwissenschaft hingegen ist bedeutsam, dass die einmalige Situation der Durchsetzung dieses Interesses von möglichst vielen Menschen gleichzeitig geteilt wird. Die verschiedenen Aufgaben und Ausrichtungen von Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft legen also nicht zwingend nahe, auch für die Rechtswissenschaft kollektive Interessensubjekte zuzulassen.
b) Kollektive Interessenträger in der Soziologie Auch in der Rechtswissenschaft wird die Frage diskutiert, ob und ggf. inwieweit juristische Personen eigenständige Träger von Interessen sein können. Die Verwaltungsrechtler sprechen etwa vom Allgemeininteresse, im Zivilrecht ___________ 12
Naßmacher, Politikwissenschaft, 3. Aufl., München u. a., 1998, S. 6 m. w. N. Hartmann, Politikwissenschaft: eine problemorientierte Einführung in Grundbegriffe und Teilgebiete, Chur, 1995, S. 44 f. 13
Interesse als Einfluss- und Entscheidungsfaktor im Sportrecht
291
gibt es den Begriff des Unternehmensinteresses oder die „Theorie der Interessenzurechnung“. 14 Bei der Klärung dieser Fragen sind zwei Dinge zu unterscheiden. In diesem Kontext interessiert nicht, welches Substrat das jeweilige kollektive Interesse haben könnte, welche Inhalte also etwa zum Allgemeininteresse zu zählen sind. Es geht allein um die Frage, ob Personenmehrheiten legitime Träger von (Kollektiv-)Interessen sein können. Um statt oder neben der individuellen Interessenträgerschaft eine originär kollektive Interessenträgerschaft plausibel begründen zu können, müsste man lückenlos darstellen, wann und auf welche Weise diese kollektive Trägerschaft entsteht und was mit der Individualträgerschaft der betroffenen natürlichen Personen geschieht, ob diese also etwa abgelöst wird oder daneben bestehen bleibt. Diese Argumentation ist bislang in der Rechtswissenschaft erkennbar noch nicht geführt worden. Man greift auf parallele Argumentationen in der Soziologie zurück. So wird die Auffassung vertreten, kollektive Handlungen seien mit Hilfe des Modells der individuellen Interessenträgerschaft nicht vollständig erklärbar, man benötige – daneben – ein Konstrukt einer kollektiven Interessenträgerschaft.15 Dies sei an Hand der parallelen Diskussion innerhalb der Soziologie überprüft. Nach Karl Marx ist nicht das kollektive Interesse die Summe aller individuellen Privatinteressen, sondern die Bildung dieser Individualinteressen ist nur im gesellschaftlichen Kontext möglich und leitet sich daher aus dem Gesellschaftsinteresse ab.16 Marx sagt also: Erst gab es die Gesellschaft als kollektiven Träger, danach kamen die Individualinteressen. Spätestens wenn man jedoch etwa das Interesse eines Kleinstkindes, also eines Menschen ohne jegliches Verständnis gesellschaftlicher Zusammenhänge, an Nahrungsaufnahme oder Schlaf betrachtet, darf man die von Marx genannte Reihenfolge in Zweifel ziehen. Nach Max Weber, teilweise als „Theoretiker der Interessen“ bezeichnet,17 sind Interessen keineswegs gesellschaftlich, sondern subjektiv vermittelt und treten in vertypter Form auf,18 ganz ähnlich, wie aus der Rechtswissenschaft ___________ 14
Schnieders, Allgemeininteressen im Wettbewerbsrecht, Baden-Baden, 1999, S. 116 ff. 15 Raiser, Festschrift für Reimer Schmidt, Karlsruhe, 1976, S. 101, 105 f. 16 Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Nachdruck, Berlin, 1953, S. 74. 17 Kalberg, Max Weber lesen, Berlin, 2006, S. 27; zur Verflechtung von Interesse und Idee; Lepsius, Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen, 1990, S. 31 ff. 18 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen, 2005, S. 15 f.
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bekannt. Die These der Erforderlichkeit kollektiver Interessenträger ist damit bereits hier neutralisiert, wenn nicht widerlegt. Betrachten wir jedoch dennoch das Modell von Ralf Dahrendorf. Dahrendorf sah zunächst auch den soziologischen Interessebegriff ausschließlich individualistisch, erkannte jedoch später die Notwendigkeit, auch in der Soziologie vom Individuum abgekoppelte Interessen zu begründen. Zur Analyse sozialen Handelns sei es nämlich auch erforderlich, jeder sozialen Rolle eine Verhaltenserwartung, gewissermaßen als Soll-Norm, beizugeben. Diese Verhaltenserwartung bezeichnet Dahrendorf als Rolleninteressen.19 Das Hinzutreten eines vom Individuum abgekoppelten Interesses geschieht also mit dem Eintritt in die jeweils neue soziale Position, etwa als Lehrling, Elternteil oder Rentner. Dies berührt allerdings nicht die Frage, ob es auch kollektive Interessenträger geben kann, denn Rolleninteressen im Sinne Dahrendorfs treten „nur“ vom Individuum abgekoppelt, nicht jedoch kollektiv auf. Soziale Rollen aber untersucht die Rechtswissenschaft nicht.
c) Ergebnis Im Ergebnis konnte also das Entstehen eines kollektiven Interessenträgers nicht für die Rechtswissenschaft gezeigt werden. Taugliches Subjekt des Interesses ist daher ausschließlich die natürliche Person.
3. Das interessierende Objekt Taugliches Interesseobjekt kann zweifellos ein körperlicher Gegenstand sein. Keiner weiteren Klärung bedarf außerdem die Frage, ob auch einzelne immaterielle Gedanken, Ideen, Erfindungen, Musik und ähnliche Dinge taugliches Interesseobjekt sein können. Kann das Objekt des Interesses aber auch mehr als eine – materielle oder immaterielle – Disposition sein? Und kann man innerhalb der Rechtswissenschaft auch ein Interesse an „wahren“ Dingen haben, wie sie die Philosophie kennt?
___________ 19
Dahrendorf (s. Fn. 9), S. 168 f.
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293
a) „Wahres“ Interesse Kant und später Fichte und Nelson20 haben die Möglichkeit eines von einem bestimmten Inhalt abgekoppelten, im Zustand reinen Seins verwirklichten „wahren“ Interesses entwickelt. Es darf bezweifelt werden, dass ein von bestimmten Inhalten freies Interesse im Rahmen der Rechtswissenschaft, deren hauptsächliche Aufgabe es ist, das Zusammenleben der Menschen sinnvoll zu ordnen, eine große Rolle spielen wird. Denkbar wäre allenfalls, das Interesse an der Überwindung des Seins, etwa in Gebet oder Meditation, zu ermöglichen. Selbst dann wäre jedoch das maßgebliche Interesse eben dieses Ermöglichungsinteresse und damit wäre es auch wieder mit Inhalt behaftet.
b) Etymologische Betrachtung Speziell für den Begriff Interesse ergibt die Betrachtung der sprachgeschichtlichen Auslegung, eines wichtigen Hilfsmittels bei der Erfassung von Begriffen, eine spannende Besonderheit. Das Wort „Interesse“ stammt aus der altlateinischen Sprache21 und bedeutete ein „Dazwischen-Sein in Raum und Zeit“.22 Vom Dazwischen-Sein kam man über das körperliche Gegenwärtig-Sein, Beiwohnen zum gleichzeitig körperlichen und geistigen bzw. seelischen Anteilnehmen. Ein wichtiger Bedeutungswandel vollzog sich nun zur rein geistigen bzw. seelischen Anteilnahme, zur Bewertung, etwa in Form von „mir ist daran gelegen“, „ich lege Wert darauf“.23 Die etymologische Entwicklung brachte damit zwei sich konträr gegenüberstehende Wahrnehmungsmodelle hervor: die Differenz und die Anteilnahme. Die Unterschiede sind gravierend: Differenz als äußere Betrachtung zweier Objekte aufgrund messbarer Größen, Anteilnahme als innere Selektion infolge subjektiver Bewertungen. Welches Paradigma ist maßgeblich? Nachdem feststeht, dass für die Bestimmung des rechtlichen Interessebegriffs ausschließlich die individuelle Ebene maßgeblich ist, kann möglicherweise die Psychologie Aufschluss über die Art und Weise unserer Wahrneh___________ 20 Esser, Albert, Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. II, München, 1984, S. 741, Nelson, Vorlesungen über die Grundlagen der Ethik, Bd. 2: System der philosophischen Ethik und Pädagogik, Göttingen, 1932, S. 123 f., S. 344 ff., 478 ff. 21 Lunk, Das Interesse, Bd. 1, historisch-kritischer Teil, Leipzig, 1926, S. 8. 22 Massing, Interesse und Konsensus: zur Rekonstruktion und Begründung normativkritischer Elemente neopluralistischer Demokratietheorie, Opladen, 1979, S. 46. 23 Massing (s. Fn. 22), a. a. O.; Lunk (s. Fn. 21), a. a. O.
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mung geben. Interesse steht zwischen dem Wahrnehmungs- und dem Motivationssystem. Das Objekt der Wahrnehmung wird mit einer individuell verschiedenen (meist positiven) Wertschätzung belegt.24 An dieser Stelle wird das Interesse geweckt. Es löst verschiedene mentale oder emotionale Prozesse aus, z. B. Aufmerksamkeit25 (die ihrerseits zu selektiver Wahrnehmung führt26), ein (meist positives) Gefühl oder ein Handlungsmotiv.27 Wichtig ist, dass Wahrnehmung ihrerseits die Folge einer Selektion aus einem Überfluss an Informationen ist. Es gibt also keine Wahrnehmung, deren Objekt nicht gleichzeitig auch Gegenstand der Anteilnahme des Subjekts ist. Es verbleibt somit nur noch die Grundkategorie der Anteilnahme an einem Objekt.
c) Ergebnis Objekt des Interesses kann immer nur eine wahrgenommene materielle oder immaterielle Disposition sein.
4. Der vermittelnde Prädikator Was ist das Interesse des Subjekts am Objekt nun genau: Wahrnehmung, Anteilnahme, Begehren, Wertschätzung oder Gefühl? All diese Begriffe wurden und werden vertreten.28 Möglicherweise ist die genaue Aufschlüsselung des Wahrnehmungsprozesses der Psychologen für die Rechtswissenschaft gar nicht entscheidend. Ein weiteres wichtiges, für Begriffsbildungen sehr nützliches Werkzeug ist die induktive Methode. Die Rechtswissenschaft wird nach ihrer bisherigen Verwendung von Interesse untersucht, und dadurch wird ein erster Rückschluss auf die theoretisch-begriffliche Erfassung gezogen.
a) Schadensersatzrecht Wesentliche Verwendung findet Interesse im Schadensersatzrecht, im Rahmen der Berechnung des Schadens, vorwiegend in der gängigen Unterteilung in positives und negatives Interesse. ___________ 24
Asendorpf, Psychologie der Persönlichkeit, Heidelberg, 2007, S. 222. Goldstein, Wahrnehmungspsychologie: der Grundkurs, 7. Aufl., Berlin u. a., 2008, S. 132. 26 Kebeck, Theorien, Methoden und Forschungsergebnisse der Wahrnehmungspsychologie, 2. Aufl., Weinheim u. a., 1997, S. 157. 27 Asendorpf (s. Fn. 24), a. a. O. 28 Vgl. I. 25
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Das negative Interesse beschreibt denjenigen Vermögenswert, den der Geschädigte im berechtigten Vertrauen auf das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts (negativ) abgegeben hat. Vertrauen meint in diesem Zusammenhang den erweckten Anschein, es werde eine Verbindlichkeit entstehen.29 Der potenzielle Gläubiger hat also in Bezug auf bestimmte Güter, die ihm zufließen sollen, infolge für ihn positiver Wertschätzung eine positive emotionale Einstellung eingenommen. Anstelle der Anteilnahme könnte man hier die Begriffe Einstellung oder Erwartung setzen, die die Anteilnahme jedoch mit einschließen. Eine vergleichbare Lage findet sich beim positiven Interesse. Eine „positive Interessenlage“ ist auch vor dem Abschluss eines Schuldverhältnisses denkbar. Positives Interesse bedeutet dann, dass der Ersatzpflichtige das Entstehen einer den Vorstellungen des Ersatzberechtigten entsprechenden Verbindlichkeit wider Treu und Glauben verhindert hat.30 Für die Zeit nach Entstehen der Verbindlichkeit ist das positive Interesse das Vertrauen (als positive emotionale Folgewirkung, siehe beim negativen Interesse) in die (ordnungsgemäße) Erfüllung.31 Der Interessebegriff, der dem sog. negativen und positiven Interesse zugrunde liegt, fügt sich damit in das bereits entwickelte System ein. Die Begriffe der emotionalen Folgen erhalten eine Erweiterung, ohne dass die Anteilnahme jedoch verdrängt wird.
b) Rechtsbindungswille Zur Abgrenzung eines Rechtsbindungswillens von einem bloßen Willen zu einer rechtlich unverbindlichen Gefälligkeit verwendet der BGH einen „bunten Strauß von Indizien“,32 zu denen auch das „erkennbare Interesse des Begünstigten“ zählt. Bereits daraus ergibt sich: Interesse wird als Vorstufe eines Rechtsbindungswillens gesehen, der wiederum entsprechende Handlungen hervorruft. Der BGH fasst des Weiteren unter diese Indizien „die Art der Gefälligkeit, ihren Grund und Zweck sowie ihre wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, insbesondere für den Empfänger“.33 Vor allem durch die Verknüpfung des Interesses mit der (wirtschaftlichen) Bedeutung wird deutlich, dass hier die Anteilnahme an Gütern betroffen ist. ___________ 29
Lange, Schadensersatz und Privatstrafe in der mittelalterlichen Rechtstheorie: Forschungen zur neueren Privatrechtsgeschichte, Münster, Köln, 1955, S. 64. 30 Lange (s. Fn. 29), a. a. O. 31 Keller (s. Fn. 3), S. 6, 13. 32 BGHZ 21, 107. 33 BGH, a. a. O.
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c) Feststellungsinteresse Rechtsgebietsübergreifend34 und damit von besonderer Bedeutung für die Darstellung ist der Begriff des Feststellungsinteresses. Ein Feststellungsinteresse liegt vor, wenn einem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit droht.35 Interesse bedeutet hier eine irgendwie geartete Beziehung einer Person zu ihren „Rechten oder zu ihrer Rechtslage“ in Bezug auf Umstände, bei deren Eintreten sich diese Rechte zum Nachteil verändern.36 Zwei weitere einfache Gedankenschritte ermöglichen auch hier eine gute Einordnung in die etymologisch-psychologische Aufstellung. Ersetzt man die allgemein gehaltenen Termini Recht oder Rechtslage durch konkrete Objekte (die hier offen bleiben können) und deutet man die Art der Beziehung der Person zum Gut als Aufmerksamkeit bzw. Anteilnahme hin zu Folgehandlungen (Klage) zum Schutz dieser Güter, so finden wir auch das Feststellungsinteresse als emotionale Folgewirkung von Wahrnehmung und Wertschätzung wieder.
d) Ergebnis Im Ergebnis ist das Interesse des Subjekts am Objekt eine infolge der Wahrnehmung eines Gutes eingetretene positive emotionale Folge, die man innerhalb der Rechtswissenschaft ohne Bedeutungsverlust als Anteilnahme bezeichnen kann.
5. Spezifisch rechtliches Substrat Dass die Bestimmung eines spezifisch rechtlichen Substrats möglich ist, wird immer wieder in Zweifel gezogen.37 Bislang sind Interessen im Rahmen der Rechtswissenschaft übereinstimmend solche, die vom Recht bzw. von der Rechtsordnung erfasst werden. Dennoch gibt es verschiedene Möglichkeiten, diese Frage zu konkretisieren. ___________ 34
§ 256 ZPO, § 43 VwGO. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 15. Aufl., München, 2007, § 43 Rn. 24; Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, Bd. 3: §§ 253 – 299a, § 256 Rn. 61, s. auch Jacobs, Der Gegenstand des Feststellungsverfahrens, Rechtsverhältnis und rechtliches Interesse bei Feststellungsstreitigkeiten vor Arbeitsund Zivilgerichten, Tübingen, 2005, S. 58 m. w. N. 36 Jacobs (Fn. 35), a. a. O., m. w. N. 37 Reiling (s. Fn. 11), S. 185. 35
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a) Begrenzung der rechtlichen Interessen Harry Westermann hatte nicht alle Interessen im Rahmen der Rechtsordnung als rechtlich relevante Interessen vor Augen, sondern nur diejenigen, die auf eine Rechtsfolge gerichtet sind.38 Diese Betrachtung erscheint zu eng. So wird z. B. das Interesse, sich an unberührter Natur zu erfreuen, selbstverständlich von der Rechtsordnung erfasst, nämlich zumindest vom Recht auf Allgemeine Handlungsfreiheit. Auf eine Rechtsfolge gerichtet ist es allerdings nicht.
b) Erweiterung der rechtlichen Interessen Phillipp Heck hat für die Methode der Interessenjurisprudenz die These aufgestellt, auch die im politischen Gestaltungsprozess des Rechts unterlegenen Interessen würden Bestandteil der Norm, gewissermaßen als ihr Schatten.39 Diese Interessen sind jedoch, obwohl selbstverständlich vor Eingang in das Gesetzgebungsverfahren bereits rechtlich bewertet und vorgeprägt, Interessen der Politikwissenschaft. Ist die Herstellung einer derartigen „Schnittmenge“ zu den politikwissenschaftlichen Interessen erforderlich? Es ist hinreichend, sich über das Verhältnis der obsiegenden zu den unterlegenen Interessen in den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren zu informieren. Stand beispielsweise zur Debatte, eine neue Formvorschrift einzufügen, so werden sich bei deren Inkraftsetzung die Warn- und Informationsinteressen gegenüber den Interessen am reibungslosen Geschäftsverkehr durchgesetzt haben. Ob der „Sieg“ deutlich war oder ob in Kürze mögliche Ausnahmevorschriften hinzutreten werden, ist keine Frage des Rechts, sondern der Politik. Eine Filterung der relevanten rechtlichen Interessen durch ein Abweichen von der Menge der von der Rechtsordnung erfassten Interessen findet daher nicht statt.
c) Präzisierung im Rahmen der Zweiteilung Zu überlegen ist, ob die Begriffe „Recht“ bzw. „Rechtsordnung“ präzisiert werden müssen. Alle von der Rechtsordnung erfassten Interessen werden tatbestandlich vom Recht auf freie Entfaltung der Person in Art. 2 Abs. 1 GG erfasst. Auch auf der Eingriffsebene bestätigt sich dieser Gedanke: Eingriffsmenge sind alle von der Rechtsordnung getragenen Rechte, nicht aber bloße – politische – Interessen.40 Das Recht auf freie Entfaltung der Person in Art. 2 Abs. 1 ___________ 38
Westermann, Wesen und Grenzen der richterlichen Streitentscheidung im Zivilrecht, Münster, 1955, S. 14. 39 Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, Tübingen, 1932, S. 155. 40 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Heidelberg, 2010, Rn. 385 m. w. N.
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GG kann die Begriffe Recht bzw. Rechtsordnung damit ohne Inhalts- oder Bedeutungsverlust ersetzen.
6. Ergebnis Interesse ist die aktuelle oder potenzielle Anteilnahme einer natürlichen Person an einem Gut, das mindestens vom Recht auf freie Entfaltung der Person, Art. 2 Abs. 1 GG, erfasst wird.
III. Einflüsse auf die Sportvermarktung Nachfolgend seien einige Konsequenzen für die Sportvermarktung aufgezeigt, absteigend nach dem Grad der Einflussnahme des soeben dargestellten Ergebnisses. Unmittelbaren Einfluss auf die Sportvermarktung hat das entwickelte Begriffsverständnis für das Namensrecht in § 12 BGB (1). Ein eher mittelbarer Einflussfaktor auf das Recht in Form eines gesteigerten Bewusstseins für die geregelten oder zu regelnden Interessen in Bezug auf Gesetzes- bzw. Vertragsstrukturen sei am Beispiel eines Gesetzesänderungsvorschlags im UrhG (2) sowie schließlich im Rahmen der Vertragsgestaltung von Sportevents (3) verdeutlicht.
1. Namensrecht, § 12 BGB Das Recht am eigenen Namen ist eine gesicherte, rechtlich in § 12 BGB verankerte Ausprägung des Persönlichkeitsschutzes.41 Das geschützte Interesse ist hier das Identitätsinteresse des Namensträgers an der Kennzeichnung seiner Person.42 Auch juristische Personen sind Träger des Namensrechts und werden durch § 12 BGB geschützt. Für juristische Personen wird vertreten, das Identitätsinteresse sei von den ihre Willensbildung tragenden natürlichen Personen losgelöst.43 Es hat sich jedoch im Rahmen der Begriffsbildung von Interesse herausgestellt, dass juristische Personen nicht eigenständige Träger (rechtlicher) Interessen sein können. ___________ 41
Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch: Kommentar, 69. Aufl., München, 2010, § 823 Rn. 85. 42 Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, Tübingen, 1995, S. 82 f. m. w. N.; BGH NJW 1991, 1532. 43 Staudinger/Weick, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 1: Allgemeiner Teil, 12. Aufl., Berlin, 1983, § 12 Rn. 17.
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Das Sachsubstrat des Interesses mag sich teilweise abspalten lassen, Träger des Interesses sind jedoch diejenigen natürlichen Personen, die die Willensbildung der juristischen Personen tragen.
2. Stärkerer Schutz sportbezogener Handlungen durch das UrhG Sportbezogene Handlungen unterfallen nur im Einzelfall dem Schutz des UrhG. Der hauptsächliche verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkt des Schutzes urheberrechtlicher Werke als Ausdruck der Persönlichkeit ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG.44 Die Urheberverwertungsrechte werden als geistiges Eigentum vom Schutz des Art. 14 GG erfasst.45 Für den persönlichkeitsrechtlichen Schutz eines urheberrechtlichen Werkes ist allein konstitutiv, dass die Handlung individualisierbar ist. Gerade dadurch hebt sie sich von den übrigen Bewegungen im Sport ab und wird der Person des Ausübenden unmittelbar zuordenbar. Überträgt man die verfassungsrechtliche Vorgabe der Individualisierbarkeit nun auf den einfachgesetzlichen Werkschutz, so verkleinert sich der Werkschutz zu Handlungen, die sowohl ihrem geistigen Ausdrucksgehalt nach als auch in der Formgebung der Handlung, die diesen Ausdrucksgehalt vermittelt, hinreichend individuell sind. Weil sportbezogene Handlungen jedoch auf Effektivität ausgerichtet sind, wird es sehr oft an mindestens einem der beiden Merkmale fehlen, obwohl die Handlung individualisierbar ist und damit verfassungsrechtlich vom Schutzschirm des UrhG erfasst sein könnte.46 Für diese Handlungen wird die urheberrechtliche Schutzfähigkeit bislang deshalb verneint, weil gesagt wird, alleiniges Ziel dieser Handlungen sei das Erreichen des „schneller – höher – weiter“ und nicht der individuelle Ausdruck seiner selbst.47 Jedoch haben bestimmte sportliche Handlungen wesentlich zur Attraktivität einer Sportart und damit auch zu einem stärkeren gesellschaftlichen Bewusstsein beigetragen. Aus dem Dunking beispielsweise entwickelten sich spektakuläre Dunking-Wettbewerbe, die neben der Einführung des Street___________ 44 Dreier/Dreier, Grundgesetz: Kommentar; Bd. 1: Präambel – Art. 19, 2. Aufl., Tübingen, 2004, Art. 2 Rn. 70 ff.; BVerfGE 54, 148, 153, 155; BVerfGE 54, 208, 217. 45 BVerfGE 31, 229, 240 f. 46 Etwa: Dunking im Basketball, Top-Spin im Tischtennis, Skating-Stil im Skilanglauf. 47 Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, München, 2002, § 2 Rn. 78; Strauß, Hörfunkrechte des Sportveranstalters, München, 2006, S. 53 m. w. N.
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ball zur Ausprägung einer ganzen Jugendkultur mit eigener Kleidung, Musik etc. beigetragen haben. Für derartige Handlungen mit stark individueller Formgebung, aber nur geringem individuellem geistigen Gehalt, die jedoch großen gesellschaftlichen Einfluss haben oder haben können, wäre eine Ergänzung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UrhG denkbar. Der für pantomimische Werke einschließlich der Werke der Tanzkunst geltende urheberrechtliche Schutz könnte folgendermaßen erweitert werden, um den berechtigten Schutzinteressen des Sportlers besser Rechnung tragen zu können: „Zu den geschützten Werken … gehören insbesondere: … 3. pantomimische Werke einschließlich der Werke der Tanzkunst sowie sportbezogene Bewegungen von erheblicher geistiger Schöpfungshöhe, soweit nicht die Verwirklichung sportimmanenter Ziele den Handlungsablauf vollständig bestimmt.“
Das auftretende Folgeproblem, als Sportkonkurrent für die Ausübung derartiger Handlungen eine Lizenz zu benötigen, lässt sich über das Verbandsrecht lösen: Die Athleten haben in die Verwendung oder Bearbeitung ihrer Werke einzuwilligen. Dass dann von den Verbänden Strukturen eingeführt werden müssen, die eine angemessene Lizenzhöhe bestimmen und ausschütten, erscheint als nicht unlösbare Herausforderung. Jedenfalls sollten die erforderlichen Anstrengungen nicht als Vorwand dienen, dem Recht nicht zur Geltung zu verhelfen.
3. Neue Vertragstypen zur Erfassung von Ambush Marketing Ambush Marketing (engl. „aus dem Hinterhalt“) wird überwiegend als jegliches Verhalten einer Partei beschrieben, mit dem sie eine Assoziation mit einer Veranstaltung anstrebt, um ohne einen eigenen Beitrag von dieser zu profitieren.48 ___________ 48 Wittneben/Soldner, Der Schutz von Veranstaltern und Sponsoren vor Ambush Marketing bei Sportgroßveranstaltungen, WRP 2006, 1175 ff. Heermann ergänzt dieses Verständnis um die mangelnde Autorisation des Unternehmers, s. Heermann, AmbushMarketing anlässlich von Sportgroßveranstaltungen, GRUR 2006, 359, 360; Prechtl wählt eine etwas positivere Formulierung und ersetzt das ausnutzende durch ein Element der Nichtförderung der Veranstaltung, s. Prechtl, Trittbrettfahren bei Sportevents – das Ambush Marketing, unveröffentlichtes Diskussionspapier, 2007, S. 1; Noth sieht in Ambush Marketing eine Aktion, um dem Konkurrenten seine werbemäßige Überlegenheit streitig zu machen, s. Noth, Trittbrettfahren durch Werbung bei Sportveranstaltungen – rechtliche Beurteilung von Ambush Marketing und ähnlichen Werbeformen, Bern, 2007, S. 44.
Interesse als Einfluss- und Entscheidungsfaktor im Sportrecht
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Der Sponsor eines Events hat in einer solchen Konstellation ein Interesse an einer bestmöglichen Platzierung seiner kommunikationspolitischen Botschaften und daher ein Interesse an größtmöglicher Branchenexklusivität. Der Veranstalter hat das Interesse an finanzieller Deckung seiner wirtschaftlichen Kosten, woraus ein Interesse folgt, dem Sponsor diese absolute Branchenexklusivität zu gewährleisten. Dem steht das Interesse des Konkurrenten entgegen, so viel wie möglich für seine Wirtschaftsgüter zu werben, also auch, sich mit positiven Eigenschaften von Sportveranstaltungen in Verbindung zu bringen. Die Rechtslage bildet diese Interessenlage nicht hinreichend ab. Zugunsten der Konkurrenten steht der Grundsatz der Werbefreiheit als Ausfluss der Berufsfreiheit des Art. 12 GG. Nur ausnahmsweise beschränkt ein Flickenteppich aus einer Vielzahl spezieller Normen diese Werbefreiheit, etwa durch Markenschutz und wettbewerblichen Schutz vor Nachahmung oder Irreführung, vereinzelt auch durch Urheberschutz. Diese Normen unterliegen einer vielfältigen Einzelkritik.49 Im Ergebnis kann jedoch keine Rechtslage hergestellt werden, die es ermöglicht, dem Konkurrenten die ihm zustehende Werbefreiheit zu gewähren, gleichzeitig aber das Interesse von Veranstalter und Sponsor an absoluter Branchenexklusivität zu verwirklichen. Auch das tatsächliche Risikopotenzial einer Verletzung der Interessen von Sponsor und Veranstalter kann nicht ausgeschlossen werden. Es ist unmöglich, die gesamte Bevölkerung für jedes Sportevent über alle Sponsoren so zu informieren, dass jeder Bürger einen Konkurrenten erkennen und seine Bemühungen als Konkurrenzmarketing entlarven könnte. Schon allein die Bevölkerungsgruppe der Sportinteressierten liegt bei weitem nicht bei 100 %, der verbleibende Teil würde immer anfällig für Störaktionen von Konkurrenten bleiben. ___________ 49 Wittneben/Soldner (s. Fn. 48), a. a. O.; Heermann (s. Fn. 48), a. a. O.; ders., Kennzeichenschutz von sportlichen Großveranstaltungen im deutschen und europäischen Recht, ZEuP 2007, 535 ff.; Jaeschke, Ambush-Marketing, Schutzstrategien für Veranstalter von Sport(-Großereignissen) und Markenartikler, MarkenR 2007, 411 ff.; für stärkeren markenrechtlichen Schutz („Eventmarke“) Fezer, Kennzeichenschutz des Sponsoring – der Weg zur WM 2006, Mitt. 2007, 193 ff.; ebenso Gaedertz, Die Eventmarke in der neuen Rechtsprechung, WRP 2006, 526 ff.; dagegen Fuchs-Wissemann, Eventmarke – Eintragungsvoraussetzungen und sonstiger Kennzeichenschutz, MarkenR 2007, 372 ff.; für stärkeren Schutz über das UWG Lochmann, Die Einräumung von Fernsehübertragungsrechten an Sportveranstaltungen: zugleich ein Beitrag zur Einräumung von Nutzungs- und Verwertungsrechten im System des Privatrechts, Tübingen, 2005, S. 303 ff.; für ein eigenständiges Schutzrecht des Veranstalters in einem eigenständigen Sportgesetz Waldhauser, Die Fernsehrechte des Sportveranstalters, Berlin, 1999, S. 346 ff.; differenzierend Hilty/Henning-Bodewig, Leistungsschutzrechte zugunsten von Sportveranstaltern?: Rechtsgutachten, Stuttgart, 2007, passim.
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Carsten Morgenroth
Eine freiwillige Selbstbindung aller Unternehmen könnte das Risiko einer Störung durch Konkurrenzmarketing ausschließen, erscheint aber nicht Erfolg versprechend. Kann sich ein Konkurrent nämlich zu Recht auf seine Werbefreiheit berufen, würde er sogar die eigenen Unternehmensinteressen vernachlässigen, wenn er auf Maßnahmen des Konkurrenzmarketings verzichtete. Die Behebung der Diskrepanz von Rechts- und Interessenlage kann daher nur über eine Änderung des bislang als unveränderbar geltenden Interesses, nämlich dem an absoluter Branchenexklusivität, erfolgen. Betrachtet man dieses Interesse genauer, so stellt sich heraus, dass es gar nicht um absolute Branchenexklusivität an sich geht, sondern primär um die ungestörte Platzierung von Kommunikationsbotschaften. Es wurde bislang nur stets angenommen, dass dies nur durch den kompletten Ausschluss jeglicher Konkurrenten erreicht werden könne. Ließe man jedoch Konkurrenten in bestimmten zeitlich und räumlich genau vereinbarten Korridoren zu (Theorie der relativen Branchenexklusivität),50 so bestünde für die übrige, weit überwiegende Menge die Gelegenheit des ungestörten Marketings für die Sponsoren. Das eigentliche Interesse an ungestörter Platzierung von Sponsoringbotschaften würde damit gewahrt, nur nicht mehr für die gesamte Veranstaltung. Gleichzeitig bekäme der Konkurrent die Gelegenheit zu werben, was ihm grundsätzlich nach dem Gebot der Werbefreiheit, Art. 12 GG, zusteht. Den Interessen aller Beteiligten wäre damit insgesamt am stärksten gedient. Das rechtliche Instrument hierfür wäre ein Vertrag aller Beteiligten, also des Veranstalters, ggf. des übergeordneten Sportverbandes, der Sponsoren und der konkurrenzfähigen Unternehmen jedes einzelnen Sponsors (Eventvereinbarung). Diese Eventvereinbarung könnte auf globaler Ebene gestützt werden durch eine Rahmenvereinbarung etwa dergestalt, dass sich die konkurrenzfähigen Unternehmen die Sponsorships für alle Events einer Sportart oder eines Jahres aufteilen (Rahmenvereinbarung). Der finanzielle Ertrag des Veranstalters würde dadurch nicht geringer: Was er vom Sponsor für die verringerte Werbemöglichkeit weniger bekäme, erhielte er durch die Konkurrenten dazu.
___________ 50 Ausführlich Morgenroth, Interesse als Einflussfaktor, Frankfurt/Main, 2010, S. 330 ff.