Adolf Endler 3967077942, 9783967077940

"Jedesmal, wenn man etwas von Dir liest, glaubt man, man müsse sich augenblicklich totlachen. Doch dann merkt man p

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German Pages 93 [100] Year 2023

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Table of contents :
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Impressum
Inhalt
Adolf Endler — Nachricht von einem anderen Stern
Adolf Endler — Vitaler Kadaver
Adolf Endler — Lehrbrief
Helmut Böttiger —Zeitzünder aus dem Rheinland. Adolf Endlers ästhetische Radikalisierung zwischen 1976 und 1979
Peter Geist — »Mit diesem superben Strauß welker Rosen«. Endlers Lyrik vor- und zurückgewendet
Adolf Endler — Guatemala Blues 1955
Ton Naaijkens — Adolf Endler als lesender Übersetzer. Ein Versuch in fünf Splittern
Elke Erb — Gedanke an E.
Elke Erb — Eine Nacht in einer einsamen Hütte
Annett Gröschner — »Während der Veranstaltung nahm er Alkohol zu sich«. Adolf Endler liest und lässt lesen
René Hill — Lesung im Freien am 27. Juni 1981
Adolf Endler — »Die Räuber«
Michael Opitz — Bubi Blazezaks Auf- und Abtauchen in Adolf Endlers Prosatexten
Robert Gillett / Astrid Köhler — Endlers gesammelte Gedichte. Eine Gebrauchsanweisung
Gerrit-Jan Berendse — »Life-Writing«. Die surrealistische Autobiografie »Nebbich«
Manfred Behn — Prolegomena zu einer wünschenswerten Studie über Adolf Endler als Kommentator des Literaturbetriebs
Katja Lange-Müller — »Und wieder dies Sirren am Abend«
Kerstin Hensel — Großes Bim-Bam für Endler
Gerrit-Jan Berendse — Auswahlbibliografie
Notizen
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Adolf Endler
 3967077942, 9783967077940

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Zeitschrift für Literatur · Begründet von Heinz Ludwig Arnold · IV/23

238 Adolf Endler

Zeitschrift für Literatur Begründet von Heinz Ludwig Arnold Redaktion: Meike Feßmann, Axel Ruckaberle, Michael Scheffel und Peer Trilcke Leitung der Redaktion: Claudia Stockinger und Steffen Martus Am Reinsgraben 3, 37085 Göttingen Telefon: (0551) 54 76 643 ISSN 0040-5329 E-ISBN 978-3-96707-795-7 ISBN 978-3-96707-794-0 E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara Umschlaggestaltung: Thomas Scheer Umschlagabbildung: Anita Schiffer-Fuchs

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2023 Levelingstraße 6a, 81673 München www.etk-muenchen.de Satz: Claudia Wild, Konstanz Druck und Buchbinder: BELTZ Grafische Betriebe GmbH, Am Fliegerhorst 8, 99947 Bad Langensalza

Heft 238 ADOLF ENDLER April 2023 Gastherausgeber: Gerrit-Jan Berendse INHALT Adolf Endler Nachricht von einem anderen Stern 3 Vitaler Kadaver 5 Lehrbrief7 Helmut Böttiger Zeitzünder aus dem Rheinland. Adolf Endlers ästhetische ­Radikalisierung zwischen 1976 und 1979 

10

Peter Geist »Mit diesem superben Strauß welker Rosen«. Endlers Lyrik vor- und zurückgewendet 

19

Adolf Endler Guatemala Blues 1955 

27

Ton Naaijkens Adolf Endler als lesender Übersetzer. Ein Versuch in fünf Splittern 

28

Elke Erb Gedanke an E.  Eine Nacht in einer einsamen Hütte

37 38

Annett Gröschner »Während der Veranstaltung nahm er Alkohol zu sich«. Adolf Endler liest und lässt lesen 

40

René Hill Lesung im Freien am 27. Juni 1981 

49

Adolf Endler »Die Räuber«

50

Michael Opitz Bubi Blazezaks Auf- und Abtauchen in Adolf Endlers Prosatexten 

52

Robert Gillett / Astrid Köhler Endlers gesammelte Gedichte. Eine Gebrauchsanweisung 

62

Gerrit-Jan Berendse »Life-Writing«. Die surrealistische Autobiografie »Nebbich«

68

Manfred Behn Prolegomena zu einer wünschenswerten Studie über Adolf Endler als Kommentator des Literaturbetriebs

76

Katja Lange-Müller »Und wieder dies Sirren am Abend«

84

Kerstin Hensel Großes Bim-Bam für Endler

87

Gerrit-Jan Berendse Auswahlbibliografie 

88

Notizen 

91

Adolf Endler

Nachricht von einem anderen Stern

… leider, liebe Mathilde, die viel besungene »Regatta der Nachdenklichkeit«, eines der größten Sportereignisse des Jahres, ist uns dreien heute entgangen. (Abgeblasen das Ganze wegen der unerhört spitzen Wetterverhältnisse und prognostiziertem »Bahbah«, was das immer bedeuten mag.) Wir erlebten gerade noch, wie die enttäuschten Wettbewerbstiefdenker, traurig den Blick nach innen gekehrt, ihre wabernden Taucheranzüge samt Schnittlauch-Schnorchel zu verzehren und dann zu erbrechen begannen. Ein letzter Blick auf die scharf ausgeprägte Grübelfalte in jeglichem Nacken, insofern er zu einem der »Nachdenklichkeits-Apostel« gehörte!, ein letzter Blick auf das nicht wenige Erbrochene rings!, ein letzter Blick ins sinistre Gewölk in der Höhe! Und dann hieß es für uns drei Ethnographen: Ab in die Nachtbar »Millennium«! – // – An unserem Stammplatz »Siddharta« erfuhren wir indessen von einem mit uns befreundeten Pärchen aus Gräfenhainichen, daß wir trotz der Enttäuschung frohen Mutes sein dürfen, da in vierzehn Tagen der fast noch interessantere »Stafettenlauf der Nachgiebigkeit« die hiesige Bevölkerung in seinen Bann zieht; »eigentlich für den Kenner der top hit unter all den sagenhaften Wettbewerben des Sternes«, wie uns der Knabe aus Gräfenhainichen belehrte. Höflichst wird dem Überholenden Platz gemacht und die Vorfahrt gelassen (und umgekehrt ebenso), sodaß sich die Frage stellt, ob irgendwann einer jemals ins Ziel kommt; in der Tat geschieht das so gut wie nie! Die Bewertung erfolgt im Hinblick auf Eleganz und Perfektion bestimmter »Nachgiebigkeits-Figuren«, z. B. der sogenannten »Pirouette mit verzögertem Knie« oder auch – du wirst staunen, liebe Mathilde! – der sogenannten »Mathildenverlangsamungsschleife« etc. (Am Rande: Auch dieser Wettbewerb wird mit allerlei philosophischem Schnickschnack bedacht, und mancher der gewitzteren Theoretiker will in ihm so etwas wie einen »Spiegel des Lebens« schlechthin entdecken, da man normalerweise im Leben auch »nie so richtig irgendwo ankommt«. Kurzum, diese Leute hier haben offenbar noch niemals etwas vom rasanten »Killer-Instinkt« unserer führenden irdischen Sportler vernommen. Wir hielten natürlich den Mund.) – // – P. S.: Nach mehreren Fingerhüten voll Spinatwachtelwein waren wir endlich beim winterlichen »Rennrodeln der Geduld« gelandet, auch das eine Olympiade der ganz, ganz anderen Art; wir müssen es Deiner bewährten Phantasie überlassen, Dir den Verlauf dieses Rennens plastisch vor Augen zu führen, liebe Mathilde, wie auch die irritierende 3

Piste, herb ansteigend meist. (Wir haben die Chose selber noch nicht so ganz begriffen, um ehrlich zu bleiben.) Jedenfalls ist dem ersten Sieger der »goldene Geduldsfaden« und dem zweiten der »silberne Fingerhut« (?) als Trophäe verheißen drunt’ im Dezember! Ach, daß uns nur der Geduldsfaden bis zum Festtag nicht reißt! Glücklicherweise gibt es nicht weit von den verschiedenen Wettbewerbsorten die Nachtbar »Millennium« und die Striptease-Show »Langsamer nie«  – Wir dreie, liebe Mathilde, wünschen uns trotzdem zuweilen zurück in Dein Bett, grübelbeflissen, nachgiebigkeitszerfasert, geduldzerfurcht, wie wir inzwischen sind, und ganz schön betütert: »Diesen Fingerhut voll Spinatachtelwein auf Mathilde, die Göttin der Extrem-Ethnographie!« 

(November 1999)

Aus »Herzattacke. Literatur- und Kunstzeitschrift« 1 (2000), S. 131 f. Der Abdruck des Textes erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Brigitte Schreier-Endler, Berlin.

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Vitaler Kadaver

// Eine Lesung meiner Breton-Nachdichtungen in der Pankower Kirche (sic!) vorbereitend, suche ich in den essayistischen und autobiographischen Bekundungen Pablo Nerudas nach Zitaten, mit denen ich u. U. die vorgesehene kleine Einführung schmücken könnte; das Ergebnis der Fahndung ist einigermaßen verblüffend und könnte unter die Überschrift »Zur Wirkungsgeschichte des Surrealismus« gestellt werden. – Pablo Neruda, damals noch ganz der stalinistischen Kunstpolitik verhaftet, 1952 in seinem Nachruf auf Paul Eluard: »Er verlor sich nicht im irrealen Surrealismus, weil er kein Nachahmer war, sondern ein Schöpfer, und auf den Kadaver des Surrealismus feuerte er Schüsse der Klarsicht und der Intelligenz ab …« (Die Vokabel »Schüsse« läßt einen unweigerlich die bornierte Weigerung Eluards assoziieren, sich mit zu Beginn der Fünfziger in Prag inhaftierten und dann zu Tode gebrachten Záviš Kalandar, dem Surrealisten-Freund von ehemals zu solidarisieren, einen der schwärzesten Momente im zu kurzen Leben Paul Eluards, der das Bild dieses so »rein« anmutenden Dichters nachhaltig befleckt hat; ein schwarzer Moment auch, Verzeihung, im Leben Stephan Hermlins, da er in seinem Nachruf auf Paul Eluard – NDL 1/53 – sich mit dem Entsolidarisierungs-Akt Eluards blindlings solidarisiert hat: »Als gewisse Leute während des Prozesses gegen Rajk und Konsorten heuchlerisch an ihn als einen Menschen appellierten, der seine Stimme immer für die Verfolgten erhoben hätte, erwiderte Eluard: ›Ich bin zu sehr mit der Verteidigung Unschuldiger beschäftigt, die ihre Unschuld beteuern, als daß ich Schuldigen beistehen könnte, die ihre Schuld zugeben.‹« Oh Gift in unseren Adern bis ans Ende unserer Tage! Bei den »gewissen Leuten« hat es sich um André Breton gehandelt.)  – Zwanzig Jahre später schreibt Pablo Neruda, nunmehr chilenischer Botschafter in Frankreich, einen Begleittext zur Eröffnung einer surrealistischer Ausstellung in Paris, mit dem er seine früheren Äußerungen im Sinne Bretons »für null und nichtig« erklärt, ohne mit der Wimper zu zucken: »Nun, es ist noch zu früh, um wissen zu können, woher der Wind kam, ob aus Amerika oder aus Paris, der die alten Mythen außer Kraft setzte und sie neue Formen und die bis heute wirksame Vitalität annehmen ließ … Feiern wir indessen die Irrealität und das Wunder: Im Betreten und Verlassen der dunklen Pforten erprobt der Mensch seine Existenz.« (Mai 1972; das »ob aus Amerika« bezieht sich auf Lautréamont. Eine ganz ähnliche Entwicklung, dies nebenher, bei Erich Arendt; bei wem sonst in Deutschland!?) Alles andere wäre 72 auch Irrwitz gewesen: Es ist schwer zu übersehen, daß kaum ein bedeutender internationaler 5

Autor der Gegenwart nicht irgendwann für längere oder kürzere Zeit sich der »surrealistischer Erfahrung« ausgesetzt hat; die diesbezüglichen Bekenntnisse sind Legion … Selten hat ein »Kadaver« so lange und heftig Lebenszeichen gegeben! (Aber auch »richtige« Surrealisten findet man noch: Siehe die große Leonora Carrington!) – Die Zitate, und zwar beide, stammen aus dem Buch »Denn geboren zu werden  …«, Prosa, Publizistik, Reden von Pablo Neruda, erschienen im Verlag Volk und Welt.

Aus »Surrealismus aus der Dunckerstrasse/Blätter aus dem Sommer 82«, erschienen in »Herzattacke. Literatur- und Kunstzeitschrift« 1 (1994), S. 298 f. Der Abdruck des Textes erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Brigitte Schreier-Endler, Berlin.

6

Lehrbrief

// … was einen »außerdem« noch so »beschäftigt«? Nun ja, zum Beispiel die heikle Frage, wie man surrealistische Texte übersetzen oder nachdichten soll! Aus einem Brief an das Lektorat des Leipziger Reclam-Verlags, das einige Einwände gegen meine – sicher nicht unproblematischen Bretonund Soupault-Nachdichtungen geltend gemacht hat: – »… es tut meiner Hochachtung für Sie und den Kollegen Barck keinen Abbruch, wenn ich empfinde und sehe, daß eine Reihe der Änderungsvorschläge weniger dem surrealistischen Geist, der surrealistischen Betrachtungsweise verpflichtet sind als dem verständlichen, aber unangemessenen Wunsch, die Bilder, die ›Verse‹, die Zeilen rational in den Griff zu bekommen und dann gleichsam auf dem direkten Weg mittels schlichter Transportarbeit in die andere Sprache hinübergetragen zu sehen: Kennzeichnend für diese Haltung ist z. B. eine Randbemerkung wie ›Noch dunkler als das Original?‹ o. ä., als handele es sich hier um etwas mehr oder weniger Dunkles, Hermetisches in der Art bestimmter symbolistischer o. ä. Produktionen, die es nur zu entschlüsseln gelte bis zum Grund, bis zum ›Sinn‹ … Das ist, das wäre ein Irrtum! Der surrealistische Text in Reinkultur – Breton ist dem näher als Soupault – ist die vollkommene Helligkeit und muß so genommen werden, wie er ist (natürlich darf man über ihm meditieren, es ist erwünscht); möglich sind tiefenpsychologische Analyse, Darlegungen auch über das Zustandekommen, die Schichtung des Materials (meistens aus autobiographischen Details abgeleitet), all das wohl am ehesten vom Autor selber zu leisten (wie Breton es in ›L’Amour fou‹ anläßlich des Gedichts ›Tournesol‹ vorgeführt hat) … In diesem Zusammenhang: Fragezeichen am Rand eines surrealistischen Gedichts haben für meinen Geschmack etwas ungemein Komisches, wenngleich sie vor allem neben abstrakteren oder sogar theoretischen Textzeilen, bei Breton sind es zuweilen die Gedichtschlüsse, auch ihre Berechtigung haben können; in der Regel akzentuiert solcher fragende, wiederum nach dem ›Sinn‹ angelnde Haken die nicht ganz gemäße Einstellung zum surrealistischen Text, wie sie sich auch in dem Versuch zeigt, der Irritation durch Mehrfachbedeutungen  – den Surrealisten sind sie in höchstem Grad erwünscht – zu entkommen, indem man sich für eine dieser Bedeutungen (die nach dem Maßstab vertrauterer Poesie-Modelle wahrscheinlichste) entscheidet, notgedrungen mit a-surrealistischem Kopf. Ich will nicht bestreiten, daß auch derlei nützlich sein kann, und sei es nur, daß auf diese Weise der Nachdichter neu auf den Weg zu jenen ›glücklichen Funden‹ geschickt wird – auch dieses ein Begriff aus der bretonischen 7

Sphäre  –, die Ausdauer und Glück, ja Glück gleichermaßen erheischen: Ein solcher Fund ist z. B. in AUF DER STRASSE NACH SAN ROMANO die ›Rute Turmalin‹ korrespondierend mit der ›Route der inneren Abenteuer‹ in der folgenden Zeile, einen Fund, den Sie leichtfertig wieder verschenken möchten für das wörtliche ›Turmalin-Säule‹ … Ein solcher Fund ist auch, obschon die Formulierung im Deutschen barocker klingt als bei Breton, die jetzige Fassung der fünften Zeile in VON DORT GIBT ES KEIN ENTKOMMEN (FÜR PAUL ELUARD), die jetzt lautet: ›Der Wachtelhund Schlafes der Sonne …‹; vorher stand da: ›Der Jagdhund der sinkenden Sonne  …‹, eine etwas hilflose, gleichzeitig zu glatte Lösung, gewissermaßen eine Not-Lösung, zuweilen bleibt einem nichts anderes übrig! Ihrem Vorschlag – ›Die Sonne im Schlummer versinkender Hund‹ – ist die Not-Lösung immer noch vorzuziehen; ich hätte das einfach so stehen gelassen, wenn mir nicht plötzlich der prächtige ›Wachtelhund‹ durchs Gehirn geblitzt wäre, Variante zu Jagd- oder Hühnerhund, welcher in dem ›chien couchant‹ (des Originals) auch noch drinsteckt, was Sie ebenso beiseite lassen wie die mehrschichtige Ineinanderverknüpftheit der einzelnen Teile dieses Bildes, wie sie jetzt durch den zweiseitigen Bezug des ›Schlafes‹ einmal zum Hund, einmal zur Sonne wiedergegeben wird, wahrscheinlich durch nichts Anderes besser wiedergegeben werden könnte; zum wahrhaft ›glücklichen Fund‹ wird die Fassung aber erst durch den per ›Zufall‹ (diese Anführungsstrichelchen sind wichtig) beziehungsweise dank Verdienst der Sprache zustandegekommene ›phonetische Kabale‹ zwischen dem ›Wach‹ in ›Wachtelhund‹ und dem Schlaf, zwischen Wachen und Schlafen, Vorgänge, wie sie zum eigentlichen ›Geheimnis‹ des Surrealismus gehören – viel mehr als nur witziges Wortspiel –, und wie man sie immer wieder zu provozieren versuchte, und zwar, indem man den Blick für solche Seiten der Sprache schärfte, andererseits sich der Lenkung per Alltagslogik begab und die Sprache selber sie herbeiarbeiten ließ (Breton bezeichnet den ›reinen psychischen Automatismus‹ der surrealistischen Frühzeit als ›Wasserabgabe einer Quelle …, auf deren Lauf man nicht den Anspruch erheben könnte, ohne sie unverzüglich versiegen zu sehen …‹; für die Nachdichtungen surrealistischer Gedichte mag das nicht im gleichen Maß gelten, vollkommen es zu negieren, brächte einen nur scheinbar dem Original näher, wirklich nur zum Schein! Undsoweiter, undsoweiter … Erlassen Sie es mir, jede einzelne Korrektur oder auch den Verzicht auf Korrektur zu begründen; notiert sind diese Begründungen, sie auszuführen, hieße einen endlosen Brief schreiben, der vielleicht allerlei Material herbeischleppen würde – zu den ›Wortspielen‹ z. B. auch aus der Bretonischen ANTHOLOGIE DES SCHWARZEN HUMORS, in welcher auch so etwas wie ein französischer Uwe Greßmann auftaucht –, der aber letztendlich an dem Grundwiderspruch des Unternehmens nichts ändern könnte: Nachdichtungen 8

surrealistischer Gedichte müßten konsequenterweise surrealistisch entstanden sein, und dann sind es eigentlich keine Nachdichtungen mehr, wie man sie kennt. – Ich habe versucht, einen Mittelweg zu finden, d. h.: Wäre ich Mitglied der surrealistischen Bewegung und lebte Breton noch, dann würde ich ausgeschlossen werden aus dem Verein! Mich würde interessieren, ob Breton selber jemals als Nachdichter gearbeitet hat. / Mit freundlichen Grüßen …«

Aus »Surrealismus aus der Dunckerstrasse / Blätter aus dem Sommer 82« (Auszug, 28.6.82), erschienen in »Herzattacke. Literatur- und Kunstzeitschrift« 1 (1994), S. 299–302. Der Abdruck des Textes erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Brigitte Schreier-Endler, Berlin.

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Helmut Böttiger

Zeitzünder aus dem Rheinland Adolf Endlers ästhetische Radikalisierung zwischen 1976 und 1979

Adolf Endler ist vielleicht das letzte große Geheimnis der DDR geblieben. Gerade Ende der 1970er Jahre, als sich alles düster zu verfärben begann und die Hoffnung nur noch darin zu bestehen schien, in ferne Vergangenheiten abzutauchen, lief er zur Hochform auf. Er begann, mit artistischer Verve Haken zu schlagen. Die Ausbürgerung Wolf Biermanns im November 1976 bot für Endler vor allem den Anlass, jetzt erst richtig loszulegen, und bei seinem Ausschluss aus dem DDR-Schriftstellerverband 1979 hatte er bereits angefangen, eine Prosa auszubilden, die alles in den Schatten stellte, was um ihn herum geschrieben wurde. Ab diesem Zeitpunkt drangen in entlegenen Zeitschriften und Handpressendrucken im Westen Fragmente aus anscheinend riesigen Romankonvoluten Endlers an die Öffentlichkeit, die den Kneipen- und Bewusstseinstouren Bubi Blazezaks oder Bobbi »Bumke« Bergermanns in Ostberlin folgten, Versprechen, die zu immer größeren Versprechen wurden und damit mit der Zeit auch schon eingelöst waren. Schon bald konstatierte der bundesdeutsche Wortjongleur Ludwig Harig angesichts der Endler’schen Hervorbringungen: »Alles ist Pop, alles ist Sozialistischer Realismus, es kommt lediglich darauf an, von wo aus du es siehst.«1 Vielleicht kann man Endler ansatzweise begreifen, wenn man seine Herkunft ernster nimmt, als man es, seine Identitätsausschweifungen im Prenzlauer Berg vor Augen, gemeinhin zu tun pflegt. 1990 hat er, in einer typisch kleinen Ostpublikation namens »Citatteria &  Zackendullst«, eine kleine Andeutung dazu gemacht. Er ergänzt hier einen Ausspruch des befreundeten Dichterkollegen Heinz Czechowski »Ich bin Deutscher und Sachse, müssen Sie wissen!« mit den Worten »Ich ein Deutscher und Düsseldorfer, compris?«2 Endler kam aus dem Rheinland, und es ist nicht zu unterschätzen, dass er, mit dieser durchaus prägenden Sozialisation, bereits 25 Jahre alt war, als er in die DDR übersiedelte. Die Biografie dieses über alle prekären Stellen virtuos hinweg hüpfenden Schriftstellers ist keineswegs eine exemplarische, sondern eine höchst eigenwillige und unerwartete Wendungen nehmende. Endler hat sie in etlichen Andeutungen und Bruchstücken in seine Texte geschmuggelt, aber was es genau damit auf sich hatte, wurde nie von letzter Hand geklärt. Dass er 1955 aus Düsseldorf in die DDR kam und dort auch wirklich blieb, ist eine der hermetischsten Chiffren, die er zurückließ. Und wie er spätestens seit 10

Zeitzünder aus dem Rheinland

November 1976, dieses konkrete Datum setzen wir hier bewusst, eine völlig autochthone dadaistisch-konkrete, den sozialistischen Realismus behände karikierende Formensprache entwickelte, bleibt angesichts seiner Generationsgenossen aus sächsisch-preußischen Gefilden ein fantastisches Rätsel. Geheimnisvoll tauchten unter seinem Namen ab 1979 vereinzelt Prosa­ fragmente auf, die aus dem Nachlass eines wie Endler 1930 geborenen, aber 1978 gestorbenen Bobbi »Bumke« Bergermann stammen sollten. Auch in allen späteren Hinweisen auf die Entstehungszeit der Texte sind die frühesten Bobbi »Bumke« Bergermann zugeschriebenen Fundstücke auf das Jahr 1978 datiert. Adolf Endler hat mit dieser Figur also offenkundig sein früheres literarisches Leben ad acta gelegt, in der Phase zwischen Biermann-Ausbürgerung und Schriftstellerverbandsausschluss, dafür aber umso vehementer ein neues angefacht. Er konnte nichts davon bis zum Ende der DDR, das er sehr aktiv am Prenzlauer Berg und in Leipzig-Connewitz mit begleitete, offiziell publizieren, aber er hat dieses Staatswesen dermaßen unbeschadet, ja geradezu Lange-Nase-drehend überstanden, dass er fast einzigartig dasteht. Die ersten Bobbi-»Bumke«-Bergermann-Passagen, die gedruckt wurden, finden sich in einem bibliophilen Band der (West-)Berliner Handpresse 1979, mit zehn sechsfarbigen Linolschnitten von Wolfgang Jörg und Erich Schönig. Der Walter-Verlag in schweizerischen Olten brachte das Buch im Jahr darauf für den Standard-Buchhandel noch einmal heraus. Der Titel lautet »Nadelkissen. Aus den Notizzetteln Bobbi Bergermanns. Im Auftrag der geschiedenen Witwe herausgegeben von Adolf Endler«. Das Verwirrspiel um Autorschaft und Doppelgängerfiguren ist hier schon voll in Gang. Allerdings ist noch wenig zu spüren von den sich überschlagenden Satzkaskaden, den unendlich schleifendrehenden Nebensatz-Konglomeraten, wie es für die Bergermann-Endler’sche-Prosa danach typisch wurde. Es sind absurde und notizzettelhafte Kurzsatzgebilde, oft nur aus ein oder zwei Sätzen bestehend, die aber eine ganze Seite füllen. In ihrer Lakonie und manchmal vorgetäuschten Banalität verbergen sich politische und literarästhetische Abgründe. Endler, der bis dahin fast nur als Lyriker und Lyrikexperte aufgetreten war, markierte damit den Übergang zur Prosa. Auch später konnten Gedichttexte in Prosabüchern wie Prosastücke in vermeintlichen Lyrikbänden stehen; Endler unternahm immer wieder neue Anläufe, Passagen seiner Bergermann-Eskapaden erscheinen zu lassen, in einer undurchsichtigen Veröffentlichungspraxis mit augenzwinkernd zusammengestellten Kompilationen verschiedener Texte. Das war sein Prinzip. Es gibt zwei Stücke in »Nadelkissen«, die das Kommende bereits ahnen lassen. Mitten im Buch findet sich ein dreiseitiger Text, der »Blazezak  – Mitte« heißt und die stilistisch-rhetorischen Schübe künftiger Prosafragmente erkennbar in sich trägt. Bubi Blazezak erscheint als eine Spielfigur, 11

Helmut Böttiger

die an die Tradition Berliner Gauner, Sittenstrolche und Stadtstreicher anknüpft und der Generation zuvor angehört. Dass er gleich als Antipode gegen den Genossen Stalin installiert wird, ist programmatisch zu verstehen. Blazezak findet sich offenkundig als Motiv in den im Untertitel des Buches annoncierten »Notizzetteln« Bobbi Bergermanns, und im Wissen um die weitere Existenz dieser Gestalt ist klar, dass es sich hier nur um eine vorläufige Etüde handelt, um eine Wette auf die Zukunft.3 Der zweite etwas längere Text in »Nadelkissen«, »Bobbi Bergermanns Vormittagsweg«, ist in seinem gleichzeitigen Verlachen von Ost und West ein erster Meilenstein auf der nun eingeschlagenen, verblüffend zielgerichteten Wegstrecke des Autors, zwischen Sarkasmus, Verzweiflung und artistischer Hochseilkomik. Auf dem Weg zur Post kommt die Ich-Figur Bobbi Bergermann an der Mauer vorbei und sieht die auf der Westseite aufgebauten Aussichtsplattformen, von denen aus die Westtouristen die Ostbevölkerung anschauen können, wie im Zoo. Bobbi überlegt sich, wie er den DDR-Bürger am besten spielen kann, die Kopfhaltung, die Art und Weise, wie er seine Kleidung trägt. Der Schluss des vierseitigen Prosastücks gibt, in Großbuchstaben, einen »Vorabdruck aus meinem ersten Roman« wieder und ist damit auch ein erster Hinweis auf das in den nächsten Jahren kühn angewandte Erfolgsrezept des Autors Adolf Endler. Die Passage lautet, als zweites Kapitel des kurzen Textes angezeigt und in die dritte Person versetzt: »›Die DDR‹, führte er Daumen und Zeigefinger gegen die herzförmig herausgestülpten Lippen, ›die DDR‹, küsste er Kuppen von Daumen und Zeigefinger, ›die DDR – Zucker!!‹«4 Im April 1980 indes, fast zur selben Zeit, findet sich in der Nr. 16 der in Westberlin herausgegebenen Literaturzeitschrift »Litfass« ein später öfter wiedergedruckter Text, der »Bubi Blazezaks gedenkend. Notiz über einen Romanhelden« heißt und schon alle Merkmale des ausgebildeten Bobbi-­ »Bumke«-Bergermann-Stils aufweist. Bereits der erste Satz sprengt alle Grenzen und umfasst im extrem klein gedruckten Layout der Zeitschrift eine halbe Seite. Hier ist der magische Endler-Ton angeschlagen: »Freilich (sagt man sich als Autor des geschmähten in Entstehung begriffenen Romanwerks NEBBICH und Opfer z. B. des Vorwurfs, wieder einmal dem Gegenwartsthema ausgewichen zu sein), freilich (sagt man sich, indem man sich nachdenklich und länger als sonst frottiert), freilich, es waren andre Zeiten damals«5 – und so geht es weiter, in einem unendlich scheinenden Assoziationsstrom, einer Bilderflut und Satzbaulust, die die eigene Existenz als DDR-Autor aufs Spiel setzt und unverkennbar aufs Ganze geht. In diesem Anfang ist von dem ominösen Romanwerk »Nebbich« die Rede, das im Laufe der 1980er Jahre in der bundesdeutschen linksalternativen Literaturszene für beträchtliche Furore sorgen würde. Bruchstücke davon waren nicht nur in »Litfass«, sondern auch in einigen Anthologien sowie Periodika 12

Zeitzünder aus dem Rheinland

wie »Tintenfisch«, »Hermannstraße« oder »Freibeuter« zu finden, aber es blieben eben immer nur Bruchstücke. Vermutlich hatte ein zweiteiliger Aufsatz Endlers in den »Freibeuter«-Nummern 9 und 10 des Jahres 1981 den größten Effekt: »Momente eines Aufklärungsreferates über meinen in Entstehung begriffenen Roman ›Nebbich‹«. Es war also, und dieser Trick trug immer wieder neue Früchte, ein Text über ein geplantes Vorhaben, mit genau jener Verve, die auch obige »Litfass«-Passage kennzeichnete. Auf der ersten Seite fand sich unten eine Fußnote, die mit »Anmerkung der Redaktion« überschrieben war und lautete: »Der DDR-Schriftsteller Adolf Endler, bekannt geworden als Lyriker, Essayist, Nachdichter, ist, nach zahlreichen glaubwürdigen Zeugnissen, inzwischen auch der Kunst des Romans nähergetreten. Es handelt sich um das Romanwerk ›Nebbich‹ (geplant in 4 Bänden à 736 Seiten, nach anderen Quellen in 8 Bänden à 1200 Seiten, zugleich gehandelt als sog. ›Geheimtipp‹, von dem immer wieder Bruchstücke auftauchen, d. h. eher Informationen über das Vorhaben als solches – siehe den hier abgedruckten Text).«6 Es war ein genialer Wurf. Die DDR-Literatur war in dieser Zeit in der Bundesrepublik ein in fast allen Universitäten und Feuilletons grassierendes Modethema, und Endler operierte geschickt mit dem Reiz des Subversiven, den er seinerseits subversiv beförderte. »Nebbich«, ein jiddisches Wort für »Tölpel«, ist im Deutschen auch als Synonym für den Ausruf »Was soll’s« gebräuchlich geworden. Alles an Endlers geplantem und mit Stoff ja auch gelegentlich unterfüttertem Projekt war ungemein vielversprechend. Ein Indiz dafür ist die in diesen Jahren viel gelesene »Zeitschriftenrundschau«, die der einflussreiche Schriftsteller und Rundfunkredakteur Helmut Heißenbüttel in fast regelmäßigen Abständen in der »Frankfurter Rundschau« veröffentlichte. Heißenbüttel war ein ästhetisch versierter, neugieriger und hochgeachteter Intellektueller, und er zeigte sich förmlich angefixt von Endlers Ködern, die dieser an diversen Orten auslegte. Am 19. März 1983 hieß es in Heißenbüttels Kolumne: »Immer wenn ich aus diesem Projekt etwas zu lesen bekomme, lese ich es mit höchster Anteilnahme, mit höchstem Vergnügen. Kritische Randbemerkungen, die sich erheben, werden weggespült von dem Drang, über diese Literatur informiert zu werden. Ist das das, was für sich selber spricht? Und erhält sich, für mich, der Drang, dies lesen zu wollen, nicht frischer, wenn ich mich um diese Bruchstücke erst bemühen muss, wenn ich sie nicht einfach wohlfeil im Warenumlauf auftauchen sehe? Das Gerücht, so möchte ich zuspitzen, ist dem Literarischen der Literatur günstiger als die Werbung. Die Unverkäuflichkeit sorgt eher dafür, dass etwas hängenbleibt, als die Bestsellerauflage.«7 Heißenbüttel hat hier nicht nur Endlers Konzept durchschaut, sondern er beschreibt auch literarische Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West, 13

Helmut Böttiger

die in der Form von »Nebbich« wie eine konkrete Utopie wirkten. In seiner nächsten »Zeitschriftenrundschau« schob Heißenbüttel am 16. April 1983 nach: »Vielleicht, so hoffe ich, wird sich eines Tages eine Endlergemeinde bilden.«8 1985 erschien im Rotbuch-Verlag in Westberlin Endlers Buch »Ohne Nennung von Gründen. Vermischtes aus dem poetischen Werk des Bobbi »Bumke« Bergermann« – sein erstes Opus magnum. Auch dieses Buch ist ein Kaleidoskop aus verschiedenen lyrischen Ansätzen und skurrilen Kurzprosa-Skizzen, aber zwei ungewöhnlich lange, mehrere Dutzend engbedruckte Seiten umfassende Prosatexte ragen heraus: »Pausenlos Modenschauen // Aus dem Briefwerk Bobbi ›Bumke‹ Bergermanns« sowie »Die Exzesse Bubi Blazezaks im Fokus des Kalten Krieges / Nachgelassenes Romanfragment aus dem Gewürzschränkchen Bobbi Bergermanns«. Hier wurde dem Affen wirklich Zucker gegeben, und der Autor gab dabei einiges von seiner Konstruktion preis. Da findet sich zu Beginn des »Modenschauen«-Textes ein Mann namens Eddi »Pferdefuß« Endler, »eins meiner sieben Doubles«, wie es verschmitzt heißt, dem als Adresse »Devils Lake / North Dakota, Dunckers Street 18« zugewiesen wird  – die Ähnlichkeit mit der Dunckerstraße am Prenzlauer Berg ist gewollt, genauso wie in der näheren Angabe: »dritte Blockhütte hintenraus links, vier Treppen«. Dieser »Pferdefuß« Endler inszeniert sich als ein Wildwest-Akteur, der eine Existenz im Prenzlauer Berg in Form einer »Western-Munitionskiste« der Firma »Mc­­ LUHANS Old Tennessee Whiskey« spiegelt und Briefe seines Mitspielers Bobbi Bergermann empfängt. Das Masken- und Verwirrspiel wird noch dadurch intensiviert, dass ein längst verstorbener Onkel Bobbis namens Bobbi ›Banane‹ Bergermann aufgerufen wird, der seinerseits ein Kumpel von Bubi Blazezak war, dem Helden der in den 1950er und 1960er Jahren spielenden fiktiven ersten Bücher von Bobbi »Bumke« Bergermanns Monumentalroman »Nebbich«.9 Adolf Endler entwickelt als Prosaautor eine Ästhetik, die auf erstaunliche Weise derjenigen seines Freundes Wolfgang Hilbig ähnelt, so verschieden die Oberfläche der Texte auch anmutet. Hilbig und Endler reagieren auf ihre jeweils ureigene Weise auf dieselben Zustände und entwerfen in ihren gleichzeitig entstehenden Prosatexten der 1980er Jahre vielfach sich fortzeugende Ich- und Erzählerfiguren, Doppelgänger und Personenspiegelungen. Damit werden die Erfahrungen in der DDR reflektiert und transzendiert. Hier wird die Moderne, werden spezifisch neue Phänomene von Entfremdung und Vereinzelung noch einmal neu gedacht, und Vorgänger wie Rabelais, Laurence Sterne oder auch die deutschen Romantiker, die Endler im Gegensatz zu sonstigen Gepflogenheiten mit einem rasenden satirischen Ungestüm anreichert, sehen sich plötzlich mit der Realität der DDR konfrontiert. 14

Zeitzünder aus dem Rheinland

Mit Bobbi Bergermanns Berichten von den »Modenschauen« wird in »Ohne Nennung von Gründen« 1985 ein zentrales Stück der »Nebbich«-Fragmente mitgeteilt. Es wirbelt neben allen anderen anarchischen Sprachbewegungen auch die Zeitebenen auf eine Weise durcheinander, die bereits die »Litfass«-Herausgeber 1983 aufmerken ließ und im Editorial der Nr. 26 als eine ganz besondere Entdeckung feierten: Bobbi schreibt nämlich aus der Zukunft des Jahres 2003, und diese »Kritik von morgen auf die Zustände von heute«10 liest sich ein paar Jahrzehnte später erschreckend hellsichtig – und nicht unbedingt nur als beißend-bittere Analyse der DDR der 1980er Jahre. Mit der Modenschau, die aus dem Studio von »Groß-Gabichtsgrund« (eine etwas russisch angetönte Ausweitung der DDR-Studios in Adlershof ) für das Schulfernsehen übertragen wird, hat die DDR die Bundesrepublik fürwahr überholt, ohne sie erst einholen zu müssen (wie die berühmte Formel Walter Ulbrichts lautete). Bobbi Bergermann ist anwesend als »Regenschirmträger im Windschatten Gunnar Alltschs«, des »bisher einzigen Nobelpreisträgers der DDR« – eine Verballhornung des Bestsellerautors Erik Neutsch, was auch eine Bezugnahme auf dessen vielteiligen Zyklus »Der Friede im Osten« deutlich macht. Es geht um die Vorführung neuer Modelle des »führenden Berliner Modeschöpfers Wilhelm Sorgenfrey Knacke«, und in einem irrwitzigen Tempo gehen die »zu begehrten Kleidungsstücken gewordenen Wahnideen des Visionärs und Extremisten der Berliner Couture« einher mit ständigen Verweisen auf die aktuelle Kulturpolitik der DDR oder auf die Bibliotheksräumlichkeiten des Clubs der Kulturschaffenden »Marquis de Sade«  – »jeden Donnerstag Dichterlesung aus neo-satanesken Versuchen!«11 Endler führt hier so etwas wie eine surrealistische Horror-Groteske vor, mit einem unverkennbar sexuellen Anstrich. Er interpretiert die kulturpolitischen Leitlinien der SED (»Folklore Mix«, »Festliches für die weibliche Landbevölkerung«, »Top-Secret-Laboratorium DEFTIG-REALISTISCHES«) und bezieht sie auf avantgardistische Modetrends: »ab Hüfte geriehener Sattelrock, welcher mit gefährlich dünnen Spaghetti-Trägern inclusive feuergefährlichen Streichholzverknüpfungen an den Körpervorsprüngen der wagehalsigen Trägerin zu befestigen war, in kühlen Pastelltönen abgefasst zum Teil diese Komposition  – kieselgrau, herbsthagelkorngrün, staatssicherheitslila, Kitt und Biskuit – (…)«12 Die Verknüpfungen zwischen der Tristesse aktueller DDR-Diskussionen und der düster-sinnlichen Modenschau mit allen Reizen an der Oberfläche sind furios und verselbständigen sich in einem einzigen Sprachrausch. In einer Anmerkung umreißt der den Brief Bergermanns herausgebende Autor Eddi »Pferdefuß« Endler etwa einmal eine »Muschebubu«-Affäre, ausgehend vom »satirischen Märchenspiel für Erwachsene« einer Thüringer Autorin namens Hornbogen. Eine »rasch zusammengestellte Literaturkriti15

Helmut Böttiger

sche Kleine Kampfgruppe (LKK)« unterzog den »ungeheuerlichen, sehr direkten Titel ›Muschebubu‹« einer »vernichtenden Kritik«, und in nächster Zeit wurden »nicht wenige ›Muschebubu‹-Elemente im lyrischen Schaffen des Landes nachgewiesen«.13 Endler spielt hier auf diverse Ereignisse der DDR-Kulturgeschichte an, auf etliche gesteuerte Leserbriefkampagnen oder spezielle Lyrik-Debatten, von denen er selbst betroffen war. Wie der Autor solche Imaginationen in sein unentwirrbares Kunstnetz einbaut, zeigt die Stelle im Haupttext, die Anlass zu dieser »Muschebubu«-Fußnote gibt. Es tritt das Mannequin »Nivea Persil« auf: »Die anlässlich dieses Programmpunkts hoch- und niederzuckenden Lichtausgießungen stammten gleich den beim Auftritt Niveas erschallenden elektronischen ›Ahs‹ oder ›Ohs‹, ›Ihs‹ und ›Igittigitts‹ aus der viel bewunderten jugendgemäßen Krawall-Giftküche INTEREFFEKT beim Zentralrat der FDJ, nach der Verurteilung der sogenannten ›Muschebubu‹-Beleuchtung durch unsere verehrte Frau Staatsratsvorsitzende prinzipiell umorientiert, was noch immer nicht allgemein bekannt ist, auf die schrillen Schreie blutroter Sonnenuntergangsfarben und, das wird Dir als Skandinavien-Fan gefallen, auf die Zwischentonlagen eines unterkühlten, seltener lauwarmen flattrigen Nordlichts; das alles vermutlich auch nach Niveas Geschmack. – (Zur Problematik der ›Muschebubu‹-Beleuchtung in Discos etc. siehe auch: ›Wir gehen in die Disco‹, Verlag Neues Leben, 2. Auflage 1981).«14 Es ist einiges passiert seit 1955, als Endler in die DDR gekommen war. Im Jahr 2010 hat Renatus Deckert eine Sammlung von Interviews mit ihm vorgelegt, und hier werden die Hintergründe für die besondere DDR-Existenz dieses im Rheinland aufgewachsenen Autors sehr schön ausgeleuchtet. Seine Mutter war eine Belgierin und der Garant dafür, dass der junge Endler den Nazis mit Skepsis gegenüberstand. Sie sorgte dafür, dass er sich der Hitlerjugend weitgehend entzog. Endler versuchte recht früh, ausländische Sender im Radio zu finden, und erklärt das mit einer eindeutig künstlerischen Disposition: Er habe »schon als Elfjähriger an der Welt gelitten, nicht nur an den Nazis, sondern an der Welt schlechthin«, und habe »nach etwas gesucht, das anders ist«. Das setzte sich nach dem Krieg nahtlos fort, als Endler »alle möglichen Zeitschriften gekauft und förmlich aufgefressen« hat. Das englische Kulturzentrum »Die Brücke« am Düsseldorfer Hauptbahnhof sei seine eigentliche Schule und Universität gewesen.15 Die Begeisterung für die moderne Literatur, vor allem für Joyce, Kafka und den Surrealismus, verband sich mit einer Hinwendung zum Kommunismus. Endler lernte durch seinen Stiefvater die kapitalistische Geschäftemacherei hassen, die alten Seilschaften zwischen Nazis und Industrie, die unter Adenauer bald wieder florierten, und engagierte sich für den »Kulturbund«. Er gehörte bald zu einer Clique von »quasi Agenten«, die Geld aus der DDR in die Bundesrepublik einschleusten. Mit Anfang Zwanzig geriet 16

Zeitzünder aus dem Rheinland

er in Gefahr, durch derlei strafbare Handlungen in der Bundesrepublik vor Gericht zu kommen.16 Als er vom »Verlag der Nation« in Ostberlin den Auftrag erhielt, eine Anthologie mit westdeutscher Lyrik herauszugeben, ging er nach Berlin. Aus der Anthologie – Endler wollte etliche experimentelle, moderne westliche Stimmen aufnehmen – wurde zwar nichts, aber er bekam vom mächtigen Kulturfunktionär Alfred Kurella das Angebot, am neu gegründeten Literaturinstitut in Leipzig mit einem Stipendium studieren zu können. So blieb er »in der DDR hängen« und wurde zum DDR-Schriftsteller.17 Endler prägte in den 1960er Jahren die subversive Formel von der »Sächsischen Dichterschule«, die seinen jüngeren neu gewonnenen lyrischen Freunden galt, vor allem Karl Mickel sowie Sarah und Rainer Kirsch, und lockte mit der Anthologie »In diesem besseren Land« entschieden wider den Stachel. 1974 konnte schließlich, in der Phase einer relativen Liberalisierung nach dem Amtsantritt Erich Honeckers, seine Gedichtsammlung »Das Sandkorn« erscheinen. Der Titel bezieht sich insgeheim auf die berühmte Parole Günter Eichs: »Seid der Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!«, und gleich im ersten Gedicht wird die »Brennessel« angesprochen  – dass man sich am Schreibtisch schnell die Finger verbrennt, war Endler hochbewusst.18 Dies war die Situation, als mit den Schlüsselereignissen der Jahre 1976 bis 1979 die neue, poesie- und anarchiegetränkte Prosa-Radikalisierung Endlers eintrat. Sie hat durchaus auch etwas mit privaten Erschütterungen zu tun. In derselben Zeit entstanden, »auf dem Tiefpunkt meiner Existenz«, wie Endler später einmal sagte,19 lyrische Gebilde, die »Aus den Heften des irren Fürsten« hießen und neue Suchbewegungen markierten, die sich mit den parallelen Prosa-Aktionen mischten. Als grundlegend und befreiend bezeichnete Endler die dabei erfolgte Entdeckung von André Bretons »Anthologie des Schwarzen Humors«. Sie verband sich mit dem »Hohnlachen«, mit dem bereits 1972 und 1975 zwei aufeinanderfolgende Gedichte betitelt waren.20 Endler wurde bewusst, dass er damit an seine frühen Lektüreereignisse direkt nach dem Zweiten Weltkrieg anknüpfte, als die west­ liche Avantgardeliteratur über das Rheinland geschwappt und der Surrealismus sowie alle Formen des Spiels und des Experiments in ihn eingedrungen waren. Bobbi »Bumke« Bergermann und dessen verwegene Vorgängerfantasie Bubi Blazezak kann man also als eine verwegene Mischung zwischen Endlers vorübergehend verschütteten westlichen Prägungen und einem daraus entstehenden neuen östlichen Furor begreifen. Sie war es, die Endler in den 1980er Jahren zum Spiritus rector und Grand Old Man der DDR-Untergrundszene des Prenzlauer Bergs machten. Der Sprengstoff seiner frühen Begeisterung für die westliche Moderne scheint mit einem für alle Fälle installierten Zeitzünder versehen gewesen zu sein. 17

Helmut Böttiger

Endlers 70. Geburtstag im Jahr 2000 fand am Wannsee statt. Er engagierte aus diesem Anlass eine Jazzcombo, die zeitlose Standards ziemlich cool und weise intonierte und deren Spezialität der gezielte Einsatz einer Hammondorgel war. Der Grund dafür lag darin, wie Endler enthüllte, dass es in der DDR keine Hammondorgeln gab.21 Wolfgang Hilbig hatte nicht nur solche Arabesken im Auge, als er Ende 1994 die Laudatio für den Brandenburgischen Literaturpreis an Adolf Endler hielt und sagte: »Ich habe nach deinen Büchern stets wie nach dem berühmten Strohhalm gegriffen. Du bist einer der Schriftsteller, die man notwendig nennen muß.« Der Schluss dieser Laudatio ist oft zitiert worden, aber es gibt nichts Besseres, als ihn auch an dieser Stelle zu zitieren. Er bringt alles auf den Punkt: »Jedesmal, wenn man etwas von Dir liest, glaubt man, man müsse sich augenblicklich totlachen. Doch dann merkt man plötzlich, dass man schon tot war und dass man sich wieder lebendig gelacht hat.«22

1 Ludwig Harig: »Mein Taschenbuch. Adolf Endler: ›Ohne Nennung von Gründen‹«, in: Die Zeit, 4.10.1985.  — 2 Adolf Endler: »Citatteria &  Zackendullst. Notizen Fragmente Zitate«, Berlin 1990, S. 90. — 3 Adolf Endler: »Nadelkissen. Aus den Notizzetteln Bobbi Bergermanns. Im Auftrag der geschiedenen Witwe herausgegeben von Adolf Endler«, Olten, Freiburg i. Br. 1980, S. 53–55. — 4 Ebd., S. 70. — 5 Adolf Endler: »Bubi Blazezaks gedenkend. Notiz über einen Romanhelden«, in: »Litfass. Berliner Zeitschrift für Literatur«, Nr. 16 (April 1980), S. 78–84, hier S. 78. — 6 »Freibeuter. Vierteljahreszeitschrift für Kultur und Politik«, Nr. 9 (1981), S. 40. — 7 Helmut Heißenbüttel: »Zeitschriftenrundschau«, in: »Frankfurter Rundschau«, 19.3.1983. — 8 Ebd. — 9 Adolf Endler: »Pausenlos Modenschauen // Aus dem Briefwerk Bobbi ›Bumke‹ Bergermanns«, in: Ders.: »Ohne Nennung von Gründen. Vermischtes aus dem poetischen Werk des Bobbi ›Bumke‹ Bergermann«, Berlin 1985, S. 9–53. — 10 »Litfass. Berliner Zeitschrift für Literatur«, Nr. 26 (Januar 1983), Editorial. — 11 Endler: »Pausenlos Modenschauen«, a. a. O., S. 15. — 12 Ebd., S. 16. — 13 Ebd., S. 19.  — 14 Ebd.  — 15 Adolf Endler: »Dies Sirren. Gespräche mit Renatus Deckert«, Göttingen 2010, S. 83 f.  — 16 Ebd., S. 110.  — 17 Ebd., S. 134.  — 18 Adolf Endler: »Das Sandkorn. Gedichte«, Halle 1974, S. 6. — 19 Helmut Böttiger: »Gereimt – und darüber hinaus. Fünf Jahre ›Orplid‹ in Berlin«, in: »Frankfurter Rundschau«, 13.4.1996. — 20 Adolf Endler: »Die Gedichte«, hg. von Robert Gillett und Astrid Köhler unter Mitarbeit von Brigitte Schreier-Endler, Göttingen 2019, S. 65. — 21 Helmut Böttiger: »Das Greisenalter, voilà! Nahezu alle feiern Adolf Endlers 70. Geburtstag«, in: »Frank­ furter Rundschau«, 22.9.2000. — 22 Wolfgang Hilbig: »Der Wille zur Macht ist Feigheit. Laudatio auf den Schriftsteller Adolf Endler, den Tarzan am Prenzlauer Berg«, in: »Frankfurter Rundschau«, 7.1.1995.

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»Mit diesem superben Strauß welker Rosen« Endlers Lyrik vor- und zurückgewendet

Was die Auswahlkommission in Berlin-Brandenburg für die schriftliche Deutsch-Abiturprüfung der Leistungskurse im Jahr 2021 bewogen hat, unter dem Titel »Wende-Gedichte« das Gedicht »Unfassbar« von Karl Heinz Ebell den Prüflingen zuzumuten, mag auf immer ihr Geheimnis bleiben. Jedenfalls wurde ihnen ein Text vorgesetzt, der ob seiner unverhohlenen Panegyrik und sprachlichen Schlichtheit eigentlich nur peinlich berühren kann. Eine Kostprobe: »[…] wir nehmen die / aufrechten in die arme wir / weinen und lachen mit ihnen / und feiern das fest der / freude ein stück von uns nehmen / sie mit auf den heimweg und in / der brusttasche unser versprechen / wir werden brücken schlagen / straßen bauen auch wir / sind das volk.«1 Das verunglückte und in Hinblick auf die Realhistorie des Ost-Anschlusses geradezu frivole »Gedicht« wäre keiner Erwähnung wert außer der des Bedauerns für die damals Corona-geplagten Abiturienten, bezöge es nicht Scheinlegitimation als Wurmfortsatz einer Kategorisierungsgeschichte, die zuhauf Schutzetikette auf schlechte Texte kleben konnte: Bereits in den frühen 1990er Jahren wurde höchst eifrig im deutschen Feuilleton nach dem »Wende-Roman« und eben nach »Wende-Gedichten« gefahndet. Selbst der verdienstvolle Anthologist Karl Otto Conrady ließ sich hinreißen, 1993 eine Anthologie von »Wende-Gedichten« bei Suhrkamp zu publizieren.2 Herausgekommen ist eine eher ungenießbare Melange aus halbwegs gelungenen und indiskutablen Texten, weil Conrady seiner Maxime, Zeitbezogenheit über ästhetische Relevanz zu stellen, auch hier treu blieb. Damit aber wurde das falsche Mythologem immerfort neu reanimiert, zeitgeschichtliche Verwerfungen zögen, dumpf-materialistisch gefolgert, Umbrüche in Schreibmaximen nach sich. Adolf Endler, dem immer schon akribischen Beobachter aktueller Literaturdiskussionen selbst noch in den Verästelungen der Literaturwissenschaft, dürfte die Blütenlese von Conrady kaum entgangen sein. Ob sie direkt Anstoß gab für das 1994 entstandene und 1999 in »Der Pudding der Apokalypse« erstveröffentlichte Gedicht »Nach der Wende«,3 kann allerdings nur gemutmaßt werden.

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Nach der Wende Kommt aus dem Damenklo Mit diesem superben Strauß Welker Rosen zurück, Der Star-Klempner Nolde, Eines Ringfingers bar, Seiner Ohrläppchen ledig, Vor Mitternacht noch intakt, Das Herz unsres Viertels, Mit diesem superben Strauß Welker Rosen zurück, Seiner Ohrläppchen ledig, Beider zum Glück (Des Gleichgewichts wegen); Draußen tost Regen – Es handelt sich um ein »Wende«-Gedicht der etwas anderen Art, denn dem großspurig Geschichtlichen verheißenden Titel folgt ein lyrisches Dramolett eher profaner Natur. Narrativ-staccatohaft wird ein Ver(s)ehrensgeschehen zwischen Tragik und Komik aufgeführt, »welk« und »superb«. Schon der Eingangsvers »Kommt aus dem Damenklo« bildet einen größtmöglichen Kontrast zum Titel des Gedichtes. Derart semantische und stilistische Fallhöhen auf engem Raum zu konstruieren – »Mit diesem superben Strauß / Welker Rosen« – ist eine Spezialität Endlers und wesentliches Baumoment des Endleresken: »Die Zipfelmütze im Panzerschrank der Geschichte«4 oder »Der Pudding der Apokalypse« setzen auf vergleichbare Effekte im crash des (scheinbar) Erhabenen und des besonders Profanen. Die Wiederholung von Sequenzen entfaltet nicht nur ein Verdichtungspotenzial, sondern lässt eine Mittelachse im Gedicht erkennen: »Vor Mitternacht noch intakt, / Das Herz unsres Viertels«. Diese Achse verweist auf Plötzlichkeit – man denke an Plötzlichkeiten wie die Währungsunion im Juli 1990 oder den abrupten Anschluss der Ostgebiete am 3. Oktober 1990  – wie auf plebejisches Sentiment, das durch die Plötzlichkeiten schlichtweg überfordert ist. Auch bringt sich der Autor Endler selbst ins Spiel als »Star-Klempner Nolde«. Wenn es je »Star-Klempner« gegeben haben sollte, dann zu DDR-Zeiten, als Handwerkerleistungen rar, teuer und oft nur über Beziehungen zu erlangen waren. Nach der »Wende« reüssierten dann Friseure zu Stars, Klempner waren nun mehr oder weniger ehrbare Nur-Klempner. »Nolde« freilich verweist auch auf »Alfred Nolde«, eines der zahlreichen Anagramme, die Endlers Werk als »Kleine Regierungsmannschaft«5 durchwirken und auf den Maler Emil Nolde verweisen. 20

Endlers Lyrik vor- und zurückgewendet

Spiegelbildlich wurden offensichtlich symbolisch besetzte, nicht lebensgefährdende Körperteile entfernt: »Ringfinger«, »Ohrläppchen«. Von wem? Warum? Wie? Wir erfahren es nicht, sondern haben es uns zusammenzureimen. Eine messerscharfe Auseinandersetzung auf der Damentoilette, pardon: auf dem Damenklo? Ein Konkurrentendolchstoß ins »Herz unsres Viertels«, leider etwas daneben? Wir werden es nie erfahren. Vielmehr lenken die Schlussverse auf ein weiteres Verdichtungsmoment hin, die Binnenreime: »zurück« – »Glück«, »wegen« – »Regen«. Bilden sie womöglich einen Ausgleich für die gestörte Symmetrie? Denn die Verszeilen vier und fünf werden nicht gespiegelt, sondern konterkariert: »Beider zum Glück / (Des Gleichgewichts wegen)«. Der Semantik zuwider wird ein Schlussvers angeschlossen, der die eingeklammerte Vision eines Gleichgewichts nun endgültig zerstört: »Draußen tost Regen –«. Dramatisches Naturgeschehen – »tost«  – setzt den Schlusspunkt unter die Illusion eines Gleichgewichts, und es gibt den Ausschlag für die Kundgabe: Profandramatik und Naturgewalten sind sinnmächtiger als von Herrschaftsdiskursen gesetzte Geschichtstopoi. Eine Selbstauskunft aus den 1980er Jahren bekräftigt diese Aussage als eine den Kern des Werkes insinuierende: »Ich opponiere indessen gegen diese ständig zur Erstarrung und Abtötung des Lebens strebende Welt […].«6 Und wie bewegt sich der Dichter Adolf Endler in diesem Spannungsfeld? In der Selbstbeschreibung »eine der verwachsensten Gurken der neuen Poesie«,7 apostrophiert er seinen Lebensweg mild als eine »halsbrecherisch anmutende Zickzackroute«. Deren poetisches Äquivalent sei das Prinzip des »Hakenschlagens […] durch die literarische Landschaft«.8 »[E]endlich kippt das alles kreischend ins Wüste und Kaputte um und sticht zerbeult sternenwärts«,9 bringt es Endler auf den Punkt. Unter diesen Auspizien konnte der Zusammenbruch der DDR nur ein weiterer Bruch sein in einem an Brüchen reichen Leben: »Die DDR war für mich schon lange […] sowas wie die Absurdität der Welt in der Nußschale. Vielleicht habe ich da die Bedeutung der DDR überschätzt. Die Absurdität der Welt ist natürlich geblieben, auch wenn die Nußschale geplatzt ist.«10 Noch nach dem Jahr 2000 liefert Endler im Gespräch mit Renatus Deckert stichhaltige Gründe seines Bleibens in der DDR, auch nachdem deren Krise und Verfall offensichtlich wurden: »Ich mußte mich auf die DDR einlassen, um zu einem kritischen Verhältnis zu ihr zu finden, und um sie für mich produktiv werden zu lassen. Heiner Müller wurde einmal gefragt, warum er nicht in den Westen gehe; er könne dort doch viel besser leben. […] Da hat er gesagt: ›So ein Material wie diese DDR finde ich doch nirgendwo sonst.‹ Das wäre auch meine Antwort gewesen. Was sollte ich im Westen? Für mich war die DDR das ideale Material. Dieser Zerfall, dieses Kaputtgehen und zugleich dieses Verlogene und Pathetische, das musste 21

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einen satirisch gestimmten Melancholiker wie mich reizen. Das war weltweit schon ziemlich einmalig.«11 Die Verfasstheit des einst gewählten anderen deutschen Staatswesens noch in seinem Untergehen stand allerdings stets im Fokus, in ironischer, dann sarkastischer, schließlich absurder Gewandung. Die Anschlussallegorese unter dem Titel »Wiedererweckung«, geschrieben 1991, ist ein Paradestück des von Endler gepflegten Schwarzen Humors: 1 Im zweiten Arbeitsgang dann muß der Atem frisch aufgespult werden und schließlich quasi als Schnur aus der Lunge nach oben gepfriemelt mit patzigstem Zeigefinger nach oben und zwischen den in der Regel stark derangierten Zähnen hindurch herausund heraufgeangelt ans Licht eines größeren Deutschlands mit keinem geringeren Ziel als dieselbe (bzw. denselben) mehrere Dutzend Male wieder zurückschnellen oder -klatschen zu lassen gleich einem Gummiband einem flotten Jojo ins schwiemelige Innere ruckzuck des partiell schon erheblich vermoderten Kerlchens hinein und ohne Berücksichtigung der zwölf oder drei­ zehn Nörgelseufzer des unverhofft Wiedererweckten welche alsbald und erfahrungsgemäß zu marktgerechten Kicherlauten ja Frohsinnsäußerungen tendieren Oh Ultra-Täterätä […]12 In drei nummerierten Blöcken führt das Prosagedicht in »Arbeitsgängen« Phasen »des historischen Dressur- und Erneuerungsaktes«13 auf: Es sind vor allem Malträtierungen des (Volks-)Körpers Ost, »des partiell schon erheblich vermoderten Kerlchens«.14 Die Allegorie auf die Zumutungen der DDR-Vereinnahmung nach 1989 ist passgenau. Dass sie nicht der Gefahr des Moralisierens ausgesetzt wird, ist der Endler’schen Kultivierung des Aberwitzes in den einzelnen Sequenzen geschuldet: »der Atem frisch aufgespult«, »heraus- und heraufgeangelt ans Licht eines größeren Deutschlands«15 usw. Nichts passt hier logisch-semantisch zueinander, vielmehr wird ein Feuerwerk grotesker Effekte gezündet. Der »Wiedererweckung« sind nur wenige Texte zur Seite zu stellen, am ehesten noch »Beendete Station / Blues«.16 Dort sind die Züge »abgefahren, alle!; und abgefahren ist / der Zug für immer! Schachmatt! Die Station hat den Geist / aufgegeben ohne großes Brimborium und Trara, doch ganz / ohne Blues, bitte, nicht.«17 Der Text arbeitet sich auf konkreter wie auf symbolischer Ebene voran; dass er auf das Ende der DDR rekurriert, ist offensichtlich. Und was macht der Text mit dem arbeitslos gewordenen Stationspersonal? Er lässt sie spielen wollen: »– Wir aber wollen nur mit den zwei 22

Endlers Lyrik vor- und zurückgewendet

Kellen, der Sonn- / tags-, der Wochenkelle, tagelang Pingpong spielen zwischen / den Schienen! / – Peggy!!!, pfui!« Stets schon hatte Endler dem fetischisierten Leistungsgebot der Industriegesellschaften in Ost und West die mitunter kruden Reize der Zwecklosigkeit entgegengestellt. Endler gestattet seinen Figuren weniger Klage und Protest, wohl aber den Blues und das Spiel, ungreifbar für alle ideologischen Anmutungen. Weitaus häufiger als in Großtopoi werden »Wende«-Motive allerdings in gewollter Beiläufigkeit oder miszellenhaft in lyrische Texte aufgenommen. In der dritten von »Drei Etüden«,18 geschrieben unmittelbar nach dem Mauerfall November 1989  – was ausdrücklich vermerkt wird  –, geht die Rede schlussendlich: »… Oh zotiger Zimmet- / himmel über all dem!, oh Milchstraßenwüste! Der widerstreitenden Sinngedichte in meiner so strittigen Brust!« – // – (Nun aber’n Punkt gemacht, Brigitte und Bruno! Und auf / zum Kurfürstendamm!……)«19 Das Oden-»Oh«, verstrickt mit anaphorisch gesetzten und aus der Mode gekommenen Bezeichnungen (»Zimmet« statt »Zimt«), generiert mit dem eingesprengten Attribut »zotiger« und dem Kompositum »Milchstraßenwüste« eine Achterbahnfahrt der Konnotationen, ehe profane Alltagsrede zum Ausflug zum Kurfürstendamm auffordert, in diesen Tagen immerhin Zentrum weltgeschichtlichen Geschehens nach dem Mauerfall. Doch es geht noch beiläufiger: Dreißig nummerierte Ein-Satz-Verse »An den Rand des ›Hustlers‹ gekritzelt:«20  – so die Nebensächliches insinuierende Gedichtüberschrift – bilden einen Reigen von Capriccios. Zweimal, eingangs als Nummer 5 und noch einmal mittig als Nummer 17 ausgewiesen und umlagert von vorwiegend abstrusen Textbrocken, wird ein in den 1990er Jahren oft gehörter Klageruf zitiert: »Dafür sind wir im Herbst 89 nicht auf die Straße gegangen!«21 Diese Konstruktion zeitigt den Effekt, dass das Redezitat surreal eingefärbt wird. So wie die Verbindung von Kanzler Kohl zu König Ubu22 nicht fern liegt, etwa in der Liaison des Profanen, Anmaßenden und Absurden, so surreal dünken die Konsequenzen der »friedlichen Revolution« in der DDR im Verhältnis zu ihren Bewegungsmomenten im Herbst 1989: Statt selbstbewusster demokratischer Umgestaltung und Annäherung beider deutscher Gemeinwesen auf Augenhöhe erfolgte eine gnadenlose Einverleibung des Ostens. Weisen nicht auch »Drei Raumteiler« dezent auf dieses Geschehen?: »1 / Ein Stücklein Wegwerfnatur, behelfswiesenhaft, der erste der drei, / aus gegerbtem Landbesitz, bitte!«23 Der dritte »Raumteiler«, auf den im »ersten« bereits verwiesen wird, öffnet den Blick auf das gesamte Œuvre Endlers: »3 / Den dritten Raumteiler lassen wir abends in ein breitflächig / gefächertes Gelächter auslaufen, gelt?«24 Es ist ein Gelächter, das das lyrische Werk in verschiedensten Schattierungen von Anfang an durchzieht. »Du wirst mich lachen hören durch tausend Decken«, heißt es programmatisch und pars pro toto im Gedicht »Hohnla23

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chen (1)«25 aus dem Jahr 1972, und in »Hohnlachen (2)«: »Du kannst nicht hindern daß ich grins grunz lach«.26 Es ist freilich ein Lachen, das den tödlichen Unterboden nicht verleugnet: »Das Lachen, diese prachtvolle, ja geradezu lasterhafte Verschwendung, der der Mensch fähig ist, grenzt an das Nichts, gibt uns das Nichts als Unterpfand«, so André Breton in seiner »Anthologie des Schwarzen Humors«.27 Gelächter bildet gleichsam die Basis für die phantasmagorischen Wucherungen seit den 1970er Jahren und jene »fratzenhafte[n] Gedichte«,28 in denen wir die Fratzen des 20. Jahrhunderts erblicken. Es entstanden seither Gedichte, in denen »mit der Gefahr des Absturzes ins Irre-Sein wohl nicht nur kokettiert wird«.29 Diese ganz und gar singuläre Poetik des Phantasmagorischen, des Gelächters und des Absurden, die das lyrische Werk des Dichters von Mitte der 1970er Jahre bis zu seinem Tod auszeichnet, wird, wie gezeigt wurde, durch die weltgeschichtlichen Umbrüche nach 1989 nicht wesentlich tangiert. Diese stellten lediglich ein Reservoir an Motiven zur Verfügung. Wie ein Wink mit dem Zaunpfahl dünkt in diesem Zusammenhang das Gedicht »Reklame für Adolf Endler« aus dem Jahr 1991:    Ein fadenscheiniges Protestvergißmeinnicht, fiepend; und mit grinsend verblühender Pfote –    Die Besondere Note.30 Der Titel rekurriert selbstredend auf die völlig veränderten Verwertungsbedingungen von Literatur in der implementierten Marktwirtschaft, mit denen auch Endler konfrontiert wurde. Das zu dieser Zeit schon veraltete Wort »Reklame« – statt »Werbung« – assoziiert nebenbei den Namen des DDR-Hausverlages von Endler, den »Reclam«-Verlag Leipzig. Reklame­ affin erscheint im engeren Sinne nur der Schlussvers, auch er eher alter­ tümelnd, aber mit der Großschreibung des Attributs Werbesprache wenigstens imitierend. Die attributivisch eingesetzte Partizipienballung generiert den Eindruck der Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit in sich vollendender Zeit. Die Toposverbindungen »grinsend« – »fiepend« und »Protestvergißmeinnicht«  – »verblühender« liegen dabei auf der Hand. Und ob des eingänglichen Partizips »fadenscheiniges« sei darauf verwiesen, dass Zusammensetzungen mit dem Semem »faden« zu bevorzugten Wortfindungen – vielleicht auch im Zwiegespräch mit Elke Erbs »Der Faden der Geduld«31 – in Endler Semantik-Köcher gehören: »ah, / seufzender Faden der Ariadne!«,32 heißt es im zweiten der »Drei Raumteiler«, und das Gedicht »Resumé« endet mit dem Georg-Maurer-Zitat »›Darf ich dir die Fadennudeln aus dem Bart nehmen?‹ / (Sagt Georg Maurer.)«.33 Kaleidoskopartig durchwirkt Endlers lyrisches Werk eine Vielzahl von Zitaten und Kryptozitaten, von Anspielungen und Spiegelungen, vor- und 24

Endlers Lyrik vor- und zurückgewendet

zurückgewendet. Sie bezeugen eine Kontinuität in der Werkgenese, hinter der realgeschichtliche Abbreviaturen deutlich zurücktreten. So verquickt ein »Gebet«34 aus »Aus den Heften des Irren Fürsten«35 kongenial Referenzen an Georg Heym36 und Heinrich Heine37: Deine Blicke, die langen, Rührn mit riesigen Stangen Zoll für Zoll, Zoll für Zoll Hier das Menschengewimmel, Erster Koch Du im Himmel! Die Suppen (dünn-, dicken?), In die wir uns schicken, Ja, rühr sie! Und rühre Auch den Troll dort, den Troll […]38 Diese Verse, geschrieben am Ende der 1970er Jahre, werden 20 Jahre später in einer berührenden »Memoire II« erinnert, die den Bilanzgedichten »Resumé« und »Reklame für Adolf Endler« an die Seite zu stellen ist: Vor einem Jahrzehnt Die Wimper, die verlassene, in Heines Werken   (Band Vier)39

1 Karl Heinz Ebell: »Unfassbar«, in: Frank Thomas Grub: »›Wende‹ und ›Einheit‹ im Spiegel der deutschsprachigen Literatur«, Berlin, New York 2003, S. 431 f. — 2 Karl Otto Conrady (Hg.): »Von einem Land und vom anderen. Gedichte zur deutschen Wende«, Frankfurt/M. 1993.  — 3 Adolf Endler: »Nach der Wende«, in: Ders.: »Der Pudding der Apokalypse. Gedichte«, Frankfurt/M. 1999, S. 185. Später in »Die Gedichte«, hg. von Robert Gillett und Astrid Köhler unter Mitarbeit von Brigitte Schreier-Endler, Göttingen 2019, S. 186.  — 4 Endler: »In die Radler-Robe des Ohms gekleidet«, in: Ders.: »Die Gedichte«, a. a. O., S. 161. — 5 Endler: »Kleine Regierungsmannschaft«, ebd., S. 531. — 6 Endler: »Auskunft in eigener Sache«, in: Ders.: »Den Tiger reiten. Aufsätze, Polemiken und Notizen zur Lyrik der DDR«, hg. von Manfred Behn, Frankfurt/M. 1990, S. 141–149, hier S. 147. — 7 Endler: »Erklärende Notiz«, in: Ders.: »Der Pudding der Apokalypse«, a. a. O., S. 201–208, hier S. 208. — 8 Ebd., S. 203. — 9 Ebd., S. 208. — 10 Adolf Endler: »Die Exzesse Bubi Blazezaks im Fokus des Kalten Krieges. Satirische Collagen und Capriccios 1979–1994«, Leipzig 1995, S. 9. — 11 Adolf Endler: »Dies Sirren. Gespräche mit Renatus Deckert«, Göttingen 2010, S. 118.  — 12 Endler: »Wiedererweckung«, in: Ders.: »Die Gedichte«, a. a. O., S.  175 f. — 13 Ebd. S. 175. — 14 Ebd. — 15 Ebd. — 16  Endler: »Beendete Station / Blues«, ebd., S. 195. — 17 Ebd. — 18 Endler: »Drei Etüden«, ebd., S. 172 f. — 19 Ebd. — 20 Endler: »An den Rand des ›Hustlers‹ gekritzelt:«, ebd., S. 197–200.  — 21 Ebd., S. 198.  —

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Peter Geist 22 Vgl. Alfred Jarry: »König Ubu«, übersetzt, hg. und eingeleitet von Manfred Nöbel, LeipEndler: »Drei Raumteiler«, in: Ders.: »Die Gedichte«, a.  a.  O., zig 1978.  — 23  S. 196. — 24 Ebd. — 25 Endler: »Hohnlachen (1)«, ebd. S. 65. — 26 Endler: »Hohnlachen (2)«, ebd. — 27 André Breton: »Anthologie des Schwarzen Humors«, München 1979, S. 13. Breton zitiert aus dem Vorwort von Pierre Piol: »Les Mystères des Dieux«, Daragon 1909.  — 28 Vgl. Endler: »Erklärende Notiz«, a. a. O., S. 203.  — 29 Ebd., S. 207.  — 30 Endler: »Reklame für Adolf Endler«, in: Ders.: »Die Gedichte«, a. a. O., S. 184.  — 31 Elke Erb: »Der Faden der Geduld«, mit vier Grafiken von Robert Rehfeldt. Mit einem Gespräch zwischen Christa Wolf und Elke Erb, Berlin, Weimar 1978. — 32 Endler: »Drei Raumteiler«, a. a. O., S.  196. — 33 Endler: »Resumé«, ebd., S. 191. — 34 Endler: »Gebet / Aus den Heften des Irren Fürsten«, ebd., S. 98. — 35 Endler: »Aus den Heften des Irren Fürsten M.«, ebd., S. 94–101. — 36 Vgl. Georg Heym: »Deine Wimpern, die langen …«, in: Ders.: »Gedichte«, Leipzig 1976, S. 79. — 37 Vgl. Heinrich Heine: »Doktrin«, in: Ders.: »Werke und Briefe in zehn Bänden«, Bd. 1, Berlin, Weimar 1972, S. 319.  — 38 Endler: »Gebet«, a. a. O. — 39 Endler: »Memoire II«, in: Ders.: »Die Gedichte«, a. a. O., S. 201.

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Adolf Endler

Guatemala Blues 1955

Der Abdruck des Dokuments erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Brigitte Schreier-Endler, Berlin, es ist im Nachlass Adolf Endlers im DLA Marbach einzusehen.

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Ton Naaijkens

Adolf Endler als lesender Übersetzer Ein Versuch in fünf Splittern

1 Liest man Adolf Endlers furiosen Essay »Auskunft in eigener Sache« (1981/1989) wird man beim Versuch, das Eigene und Besondere seiner Schreibart zu kennzeichnen, vom Autor gezwungen, zurückhaltend zu sein. Die Frage, was einen Endler-Text zum Endler-Text macht, bleibt jedoch mehr als berechtigt und ist darüber hinaus nicht nur für seine originelle Prosa und Lyrik relevant, sondern auch für seine Metatexte (über die Dichtung anderer, Essays, Nachworte, Lobreden), insbesondere seine Übersetzungen. Gerade dort ist etwa seine typische satirische Kraft gemäßigter und seine textuelle und kreative Sensibilität schärfer, eindrucksvoller  – wahrscheinlich auch, weil er dann selbst kaum oder nicht als bevorzugtes Objekt der Satire figuriert. »[M]an betrachte mich als Zigeunergeiger«, sagt Endler, »wenn es Euch auch als Auskunft nicht genügen wird, als Antwort auf die Frage, was einen Endler-Text zum Endler-Text macht; wie alles, was bis jetzt gesagt worden ist, das spezifisch Endlerische weder im allgemeinen bezeichnet noch dessen Ingredienzen (Sprache, Bild, Rhythmus) im Detail.«1 Er habe immer nur stotternd über sich sprechen können, »also dann lieber nicht, und so bis heute, und so nicht aus Bescheidenheit …«.2 Demgegenüber betont Endler immer wieder explizit seinen neugierigen, bewundernden Eifer, wenn er über die Arbeiten eines Kollegen in der Hinsicht zu schreiben hatte. Gegenüber der Aufmerksamkeit für das Eigene ist die Aufmerksamkeit für das Fremde bei ihm so offensichtlich anwesend und deshalb von wesentlichem Interesse. Endlers Essays und Übersetzungen sind denn auch ein substanzieller Teil seines Werks. Sie sind es nicht nur wert, gelesen zu werden und Forschungsobjekt zu sein, sie bieten nicht nur entscheidende Einsichten in das Werk von etwa Inge Müller, Erich Arendt und Uwe Greßmann beziehungsweise Konstantin Kavafis, Alexander Blok und Ossip Mandelstam; sie erhellen zugleich die Weise, in der Endler gedacht und geschrieben hat. Aus der Betrachtung des ihm Fremden erhellt sich die genetische und kreative Produktion des ihm Eigenen. Ein Essay über Sarah Kirsch, wie »Randnotiz über die Engel Sarah Kirschs« (1988), ist genauso forschungswürdig wie der Gedichtband »Das Sandkorn« (1974) – jedoch auch etwa die Jessenin-Nach28

Endler als lesender Übersetzer

dichtungen in »Oktoberland 1917–1924« (1967). Wenn Manfred Behn denn auch aufseufzt, »Endlers Traditionsbezüge aufzuzählen hieße in der Tat, unnötig Seiten zu füllen, tauchen doch allein unter seinen Nachdichtungen aus dem Russischen und Georgischen Namen von Autoren auf, die für uns bloße Namen sind oder nicht einmal das«,3 fällt die in dieser Hinsicht einseitige Perspektive auf, die einen Großteil des Endler’schen Werkes unter den Tisch fegt. Ähnliches – aber verständlich und voll vertretbar – passiert, wenn die (ausgezeichneten) Herausgeber der gesammelten Gedichte in ihrer editorischen Notiz behaupten, »das gesamte Spektrum von Endlers lyrischer Produktion« zu entfalten, aber einen Großteil der Übersetzungen weglassen. Einerseits wird (gerechterweise) festgestellt, Endler habe die Lyriklandschaft der DDR entscheidend geprägt, andererseits wurden nur diejenigen fremdsprachigen, von Endler ins Deutsche übertragenen Gedichte aufgenommen, »die er selber als Texte von eigenem Wert  – und nicht als lediglich übersetzte Texte anderer – verstanden und publiziert hat«.4 Wie sich das Kriterium »von eigenem Wert« zu seinem Gegenteil (»nicht von eigenem Wert«, lediglich von abgeleitetem Wert etwa) verhält, ist nicht genau auszumachen. Trotzdem kann es helfen, diese Selbsteinschätzung als Ausgangspunkt zu nehmen bei der Frage, wie die poetischen und kreativen Talente dieses Dichters zur Geltung kamen, wenn er übersetzte – in Auftragsarbeiten oder in Arbeiten aus eigener Initiative. 2 Endler hat, wie manche anderen DDR-Dichter auch, »eine stattliche Anzahl an fremdsprachigen Gedichten ins Deutsche übertragen«.5 Im Unterschied zu der literarischen Übersetzungspraxis im Westen begründete die Übersetzungspraxis in der DDR – insbesondere die der Lyrik – sich auf das Nachdichten aufgrund einer von einem Spezialisten besorgten Interlinearübersetzung, die dann von einem anerkannten Lyriker poetisch verarbeitet wurde. Die Priorität lag ja auf der autonomen lyrischen Qualität des Zieltextes, nicht unmittelbar auf einer semantisch stimmigen Wiedergabe des Originals. Sehr eindringlich über die Tätigkeit dieser Art von Übersetzen hat Elke Erb geschrieben, an verschiedenen Stellen, aber insbesondere in ihrem Essay »Zum Thema Nachdichten. Eine Niederschrift nach dreißig Jahren« (1990/1994).6 Wie Erb schreibt, war es meistens nicht so, dass man sich die Dichter selber auswählte – und sie spricht nicht nur für sich: »Wir bekamen unsere Aufträge von Verlagen. / Es war nicht so, wie verbreitet üblich, daß man ein Werk / selbst vorschlägt, weil man von ihm überzeugt ist / und hofft, es publik zu machen.«7 Die Verschränkung von Nachdichtung und ursprünglicher Lyrik wurde auch von Karl Mickel hervorgehoben, 29

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der sie stellvertretend für eine Gruppe von Dichtern formulierte, die seit Endlers Essay von 1978, dann 1990 in der Studie von Gerrit-Jan Berendse die Sächsische Dichterschule getauft wurde.8 In den zahlreichen Bänden übersetzter Lyrik, die in der DDR erschienen sind, tauchen immer wieder dieselben Namen auf, ein »sächsisches« Netzwerk kreativer und poetologischer Kompetenz, aufrechterhalten von namhaften und kundigen Interlinearübersetzern zahlloser Fremdsprachen.9 In dem kleinen Band »Gutachten« (1975) blickt Elke Erb zurück auf einen »Aufenthalt im fremden Land Georgien«; im intrigierend geschriebenen, idyllisch getonten Text taucht ein gewisser E. auf, der dabei ist, ein Fragment eines im 18. Jahrhundert geschriebenen Nationalepos von Dawit Guramischwili zu übersetzen, mithilfe eines gewissen R., »welcher E. alles übersetzt«.10 Auch Endler, den man natürlich hinter dem E. offen versteckt sieht, denkt in dem autobiografischen Prosaband »Nebbich« an die kreative Zusammenarbeit mit Elke Erb zurück.11 In dem für Endlers Begriffe seltsam ernsten, das heißt kaum ironischen Text aus der sogenannten »Autobiografie in Splittern« wird (wie in Erbs Georgien-Erinnerung) eine Übersetzung zitiert. Es ist das Gedicht »Der Rhapsode« des armenischen Dichter Howhannes Thumanjan (1869–1923), dessen Schlusszeile »Des holdesten Wahnsinns rhapsodischer Mund« Endler vielleicht als Selbstorientierung gelesen haben mag. Ein anderer Grund dieses Selbstbezugs, der Dichten und Nachdichten miteinander vermischt, sind die 2002 notierten Erinnerungen und »Gedanken an Elke Erb«: »Ja, Feindschaft ist zwischen der Muse und mir«, heißt es, und: »Sie kann mich nicht lassen und darf nicht zu mir.«12 In der Alten Mühle bei Großhänchen schreibt Elke Erb im Juni 1970 ihr Nachwort zu der 1972 im Verlag Volk und Welt/Kultur und Fortschritt erschienen Tumanjan (sic!)-Ausgabe »Das Taubenkloster« ab.13 Das Buch enthält Essays, Gedichte und Verslegenden, Poeme und Prosa, ins Deutsche übertragen von Friedemann Berger, Adolf Endler und Elke Erb. Endler übernimmt einen Großteil der Gedichte und Verslegenden und auch das lange Poem »Dawit von Sassun«. Wie aus der Fremdsprache Armenisch ins Deutsche übersetzt wurde, wird nicht erzählt, auch nicht, wenn Erb genau und gefühlvoll Stil und Poetik von Thumanjan beschreibt. Die reimenden Gedichte reimen aber, andere formale Aspekte sind honoriert worden, die Übersetzungen können als autonome Texte, Originalen ähnlich, gelesen werden. In »Die Gedichte« verweist ein Text direkt auf den armenischen Dichter, so die Verschränkung von Übersetzung und eigenem Schreiben bestätigend: »Mit Howhannes Thumanjan« heißt es, und es schließt mit der zu dem Gedicht gehörenden, kursiv gedruckten und auffallend sachlichen Zeile ab: »Howhannes Thumanjan, ein armenischer Dichter, der von 1869 bis 1923 lebte« (Datierung 1969/1978).14 Die Grenzen zwischen Nach30

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dichtung und einem »Text von eigenem Wert« sind hier verschwommen, dennoch lässt sich wahrnehmen, dass es sich um einen Thumanjan-Text handelt, der von Endler leicht verändert, weitergeschrieben und mit ironischer Selbstkritik versehen wird. »Die Suppe der Verleumdung«, Thumanjans »täglich Brot« um 1898, wird bei Endler »Mein Täglichbrot Zerwürfnis Hohn Verleumdung«; der »Uhu in Ruinen!« wird zum »Kauz in Hinterhöfen«; die Schlusszeile lautet aber bei beiden (kaum verändert) »Und krank jetzt Und der Tag der Güte fern«. Der Verlag Volk und Welt repräsentierte die Übersetzungskultur der DDR mit »einer umfassenden Lektoratsarbeit« und einer Vielzahl hochrangiger Übersetzungen, gerade von Literaturen »mit hohem Fremdheitsgrad«, ausnahmslos von mehreren Übersetzern, manchmal aus zweiter Hand.15 3 Ein großes Projekt ist die Übersetzung des bulgarischen Dichters Atanas Daltschew (1904–1978) gewesen. Nach dem Krieg bis spät in die 1950er Jahre lebte Daltschew vom Übersetzen – ein eigenes Werk publizieren durfte er nicht. Norbert Randow (1929–2014) schrieb 1975 im Nachwort zur von ihm betreuten Leipziger Insel-Ausgabe der von Randow ausgewählten, von Endler und Uwe Grüning nachgedichteten Gedichte, dass Daltschews Werk, nicht umfangreich, »von anhaltender Gegenwärtigkeit« und »in seiner existentiellen Wahrhaftigkeit und künstlerischen Intensität zum Maßstab vieler jüngerer Dichter geworden« sei.16 Auch Randow spricht darum von Nachdichtungen: »Die ›Übersetzung eines dichterischen Werkes‹, so heißt es bei Daltschew, ›erinnert mich an ein Fenster, in dem die Bilder von der Straße sich mit der Spiegelung der Gegenstände im Zimmer vermengen. Sie ist ebenso sehr ein Werk des Autors wie des Übersetzers.‹ Das gilt auch für die Nachdichtungen von Adolf Endler und Uwe Grüning.«17 Wie die Zusammenarbeit des »Netzwerks« in der von kulturpolitischen Spannungen geprägten DDR-Alltagspraxis aussah, wird hier sichtbar. Endler beklagt sich darüber, dass die geringen Verdienstmöglichkeiten noch weiter reduziert werden, und außerdem müsse man »sich ernstlich fragen, ob wir vertrieben werden sollen …«.18 Man ahnt die enge, solidarische Zusammenarbeit einer kleinen Gruppe, geprägt von kulturpolitischen Entwicklungen und finanzieller Abhängigkeit; der Übersetzungsprozess wird dadurch beeinflusst, die Übersetzungsqualität entschieden nicht.19 Der Gedichtband Daltschews ist die umfangreichste Übersetzung Endlers. Endlers Gedicht »Fundgegenstände« (1980) gehen Verse aus dem Daltschew-Gedicht »Genua« voraus, von ihm selbst übersetzt, nun für die Ausgabe hatte man sich damals für Grünings Version entschlossen. »Die dro31

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hende Katastrophe des zweiten Weltkrieges, auf die das Gedichtfragment ›Genua‹ hinzudeuten schien und die nur zu bald entsetzliche Wirklichkeit werden sollte, lähmte Daltschews dichterische Produktivität auf annähernd zwei Jahrzehnte«, weiß Randow. In »Genua« steht Endlers »Gelächter« diametral dem Todesschweigen des Hauptfriedhofs Staglieno gegenüber. Endler nennt »Genua« ein »KLEINES LECKTMICHMAL-GEDICHT«, in einem ungemein frecheren Ton als der erhabene, mit dem Daltschew hantierte. Endlers erstaunliches Gedicht beschreibt eine in einer Berliner Wohnung vorgefundene Leiche und einige Objekte, die zu ihr gehörten: sachlich, buchhalterisch fast, und mit einer großen Dosis schwarzem Humor, die bei Daltschew fehlt: gerade dieser Gegensatz ist es, der schockiert. Was bringt ihn dazu, gerade dieses Gedicht als Hommage auszuwählen? Vielleicht dies: In »Dies Sirren« erzählt Endler von den Toten, die er am Ende des Kriegs unterwegs in der Trümmerlandschaft Düsseldorfs vorgefunden hat  – man stieß dann manchmal »auf so merkwürdige, schwarz zerkrümelte Gegenstände. Das waren verkohlten Leichenteile oder Verbrannte, die da auf der Straße lagen. Dieser Schrecken hat meine Kindheit sehr geprägt.«20 4 »Zwei Versuche, über Georgien zu erzählen« heißt ein poetischer Reisebericht von Adolf Endler, 1976 erstmals erschienen.21 Gemeinsam mit Elke Erb und Rainer Kirsch war Endler 1969 für mehrere Monate nach Georgien eingeladen, um das Land, seine Poesie und deren lebende Vertreter kennenzulernen und ins Deutsche zu übersetzen.22 Zwölf, dreizehn Wochen standen zur Verfügung, die Anthologie kam zustande und Endler ließ die Entdeckung Georgiens und seine literarische Energie zusammenfallen. Selbstspott ist immer anwesend: »Daß unsereins nur ein Windbeutel ist und kein Fachmann, das wussten wir immer schon, und ohne solche Einsicht wäre ich niemals an die Niederschrift dieses Büchleins gegangen.«23 Immer wieder werden, während Endler zugleich über den alltäglichen Reisetourismus erzählt, Gedichtzeilen zitiert und kommentiert, und wird also Höheres und Banaleres problemlos vermischt. »Autofahrer sangen, Dachdecker, Lastenträger, und immer wieder sang es unvermittelt aus dem Mund Tamunias, unsrer Reisebegleiterin […]. Ob auf der Tschawtschawadse oder auf der Washa Pschawela  – immer waren Lieder in der Luft […].«24 Gerade die Übersetzung georgischer Lyrik ist eine bedeutende Leistung Endlers. 1971 erschien die Anthologie im Verlag Volk und Welt, 1974 in einer zweiten Auflage. Brigitte Schreier-Endler gab 2018 den »Kleinen Kaukasischen Divan« heraus, in dem Reisebericht und eine neue Selektion aus der Anthologie unter dem Titel »Abschied vom alten Tbilissi« verbunden wur32

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den; hinzugefügt wurde ein Essay über den georgischen, in der DDR wegen Kooperation mit den Nazis totgeschwiegenen Dichter Grigol Robakidse.25 Endler hat die neue Arbeit an den georgischen Gedichten selber explizit im organischen Zusammenhang mit Reisebericht und eben auch Essay gesehen.26 In der mit Januar 2001 datierten Vorbemerkung zu den 26 Beispielen georgischer Poesie nennt Endler den Auftrag 1970, das Konvolut zu übersetzen, »durchaus dubios«; er habe sich auch mit Vorliebe auf die »mit zahlreichen Reimen aufwartenden Poesien« gestürzt, während Rainer Kirsch »derlei zirkusähnlichen Schnickschnack eher gemieden« habe. Kirsch sei auch »einer anderen und ernsteren ›Nachdichterschule‹ zugehörig gewesen […] als der gauklerische Herr Endler«.27 Wenn man das erstaunliche, beeindruckende Resultat sieht, versteht man besser, was Endler meint, wenn er behauptet, es sei, »ehrlich gesagt, oft ein rechter Jokus gewesen, in dieser wüsten Weise mit Reimen herumzufuhrwerken, als hätte ich vierzig Jahre lang nichts anderes getan  – und einiges davon dürfte schon allein unter artistischem Aspekt bewahrenswert erscheinen –, ein Jokus, und bisweilen nicht ohne leise Ironie dargeboten, die selbst Werke der edlen ›Volkspoesie‹ nicht immer verschont hat: Oh ja, ich habe mich geradezu befreit gefühlt fern der lähmenden Misere namens DDR zu ›Geniestücken der Reimkunst‹ (Rainer Kirsch); den Georgiern, den selber arg reimwütigen, hat das alles nicht wenig gefallen.«28 Endler hat die Übersetzungen, die ihn zu einem großen Dichter machen, »zart korrigiert«, nicht aber das Gedicht, das als Motto diesem kaukasischen Divan vorangeht: das Gedicht »Georgien« vom Armenier Thumanjan mit diesen Schlusszeilen: »Zeig deine Seele mir, wie Gott sie fand, / Als er es schuf nach seinem Traum, dies Land.« Gerade dieser ungewöhnliche, unironische Pathos-Ton mag etwas verraten von der Bedeutung des langjährigen Umgangs mit Literatur in einer ihm unbekannten Fremdsprache, geschrieben von alten Dichtern, die es verdienen, gewälzt und geprüft zu werden. 5 Aus der Lektüre von André Bretons »Anthologie des schwarzen Humors« (1940, 1966 in der Bundesrepublik zum ersten Mal übersetzt erschienen) hat Endler laut Berendse »neue Techniken des Zersetzens« gewonnen, den Schutz des Humoristischen gefunden und die Konfrontation »mit der versteinerten Welt des autoritären Worts« gewagt.29 Im dichterischen Werk Endlers gibt es Spuren vom Surrealismus seit den 1960er Jahren, genug um tatsächlich von einer surrealistischen »Kon­ stante« zu reden.30 Die Mischung von Humor, heiterer Absurdität und (nicht gerade sozialistisch-realistischer) Anarchie ist es, die poetologisch 33

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fruchtbar wird für das Schreiben. Wie sehr das, was (im Grunde fälschlich) als »Surrealismus« etikettiert wurde, gerade in den 1980er Jahren nicht allein mit Endler und dessen Poetik, sondern im Allgemeinen und breiter mit einer Protesthaltung gegen DDR-Autorität verbunden war, zeigt sich in einer Erinnerung des Dichters, Druckers und Gründers der Staatsgalerie Prenzlauer Berg Henryk Gericke: »Unsere Hingabe an die surrealistische Idee hatte ihre Ursache auch in den DDR-eigenen Exorzismen, welche den Surrealismus durch seine Nähe zum Anarchismus und seinen Rosenkrieg mit dem Kommunismus als spätbürgerlich, kleinbürgerlich, scheinrevolutionär und durch sein Bekenntnis zum Irrationalismus für irrelevant erklärte.«31 1985 war in Leipzig die umfangreiche Anthologie »Surrealismus in Paris 1919–1939« erschienen, für die Endler Texte von Breton und Soupault übersetzte.32 An dem Band beteiligt waren bekannte Namen aus dem literarischen Netzwerk der Sächsischen Dichterschule. Wie ernst Endler seine Arbeit genommen hat, zeigt sich an seiner Reaktion auf einen Vorwurf, den ihm die für die Nachdichtungen verantwortliche Romanistin und Verlagslektorin Helgard Rost gemacht hat.33 In der Literatur- und Kunstzeitschrift »Herzattacke« publizierte Endler 1994 seine Reaktion vom 28.6.1982 als »Lehrbrief«.34 Damit wird der Brief entprivatisiert, enthistorisiert und literarisiert, und so übersetzungspoetologisch von Bedeutung. Endler spricht von seinen »frisierten« Übersetzungen, in die offenbar eingegriffen wurde und die damit »ihren surrealistischen Geist« verloren hätten; eine Reihe der Änderungsvorschläge seien weniger »der surrealistischen Betrachtungsweise verpflichtet […] als dem verständlichen, aber unangemessenen Wunsch, die Bilder, die ›Verse‹, die Zeilen rational in den Griff zu bekommen und dann gleichsam auf dem direkten Weg mittels schlichter Transportarbeit in die andere Sprache hinübergetragen zu sehen«.35 Die Übersetzungspoetik, die Endler hier formuliert, zeigt, wie er – der Meister von Ironie und Witz – diesen wichtigen, nicht zu unterschätzenden und sicherlich nicht ignorierbaren Teil seines Œuvres ernst genommen hat. Endler übersetzte ungefähr von Anfang der 1960er Jahre bis Anfang der 1990er Jahre viel, meistens auch aus finanziellen Gründen. In den 1980er Jahren aber fiel das auch mit dem stets heftiger werdenden Bedürfnis zusammen, das Leben in der DDR zum Objekt der kulturpolitischen Satire zu machen. Surrealistisch sprechen auf eigene Weise war ein dazu geeignetes Mittel.

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Endler als lesender Übersetzer 1 Adolf Endler: »Den Tiger reiten. Aufsätze, Polemiken und Notizen zur Lyrik der DDR«, hg. von Manfred Behn, Frankfurt/M. 1990, S. 147 f. — 2 Ebd., S. 148. — 3 Manfred Behn: »Adolf Endler«, in: »Kritisches Lexikon der Gegenwartsliteratur«, www.klg-lexikon.de.  — 4 Endler: »Die Gedichte«, hg. von Robert Gillett und Astrid Köhler unter Mitarbeit von Brigitte Schreier-Endler, Göttingen 2019, S. 607 und 610. — 5 Ebd., S. 610. Die Gesamtausgabe der Gedichte führt im Kommentarteil aber auch alle den Herausgebern bekannten Übersetzungen von Gedichten Endlers in verschiedene Sprachen auf. Siehe ebd. S. 619– 622. — 6 In Elke Erb: »Der wilde Forst, der tiefe Wald. Auskünfte in Prosa«, Göttingen 1995, S. 102–120; vgl. insbesondere Esther Hool: »Den Klang übersetzen. Elke Erb als Dichterin und Marina Zwetajewas Nachdichterin«, Dissertation, Utrecht 2019, dort S. 202–215. — 7 Erb: »Der wilde Forst, der tiefe Wald«, a. a. O., S. 111. Auch Wolfgang Emmerich (in seiner »Kleinen Literaturgeschichte der DDR«, Berlin 2000, S. 45) beschreibt eine prosaische Situation, wenn er sagt, Lyriker, »die auch in der DDR zu den Schlechtverdienenden gehörten, würden ›aus den Kulturfonds der DDR gefördert‹; sie lebten von Übersetzungen (Nachdichtungen) von Lyrik aus fremden Sprachen, die sie nach von Fachübersetzern angefertigten Interlinearversionen herstellten«.  — 8 Hool: »Den Klang übersetzen«, a. a. O., S. 204 f. Siehe zum Beispiel Endler: »DDR-Lyrik Mitte der Siebziger. Fragment einer Rezension«, in: Gerd Labroisse (Hg.): »Zur Literatur und Literaturwissenschaft der DDR«, Amsterdam 1978, S. 67–95.  — 9 Hool: »Den Klang übersetzen«, a. a. O. Hool reflektierte auf die vagen Grenzen der Begriffe Übersetzung, Nachdichtung und Übertragung und machte klar, dass es sich bei den diesbezüglichen poetischen Operationen nicht primär um die Wiedergabe von Bedeutung handelt, sondern eher – und zugleich – um die Wiedergabe formaler Aspekte wie etwa Reim, Assonanz, Rhythmen und Klang im Allgemeinen: »und kein Gedicht ohne die Lautgestalt, / und sei es in der Umschrift«, wie auch Erb schreibt. Vgl. Erb: »Der wilde Forst, der tiefe Wald«, a. a. O., S. 107. — 10 Elke Erb: »Gutachten. Poesie und Prosa«, Berlin, Weimar 1975, S. 123 f. Für den Hinweis danke ich Esther Hool. — 11 »Es ist die Zeit um meinen vierzigsten Geburtstag herum […]. Und Elke ist ungefähr dreiunddreißig und schreibt Essays über armenische und georgische Klassiker und fängt gerade erst richtig an mit der Dichterei. Ach, mein stetes Gemaule über die Qual der Nachdichtung der Lieder und Poeme des armenischen National-Dichters Thumanjan, den Elke großartig herausgeben will und dann tatsächlich nach allerlei ekligen Querelen mit dem Titel ›Das Taubenkloster‹ 1972 im Verlag Volk und Welt präsentiert, längst wieder vergessen, das hübsche Buch …«. Adolf Endler: »Nebbich. Eine deutsche Karriere«, Göttingen 2005, S. 38. — 12 In einer Fußnote bei diesen Zeilen zitiert Endler, was Elke Erb 1977 geschrieben hat: »Nun gehn sie voneinander, ohne Ciao zu sagen, schnell und schneller, und ohne es zu merken, auseinander, weg …« (»Okay, okay!«), fügt er noch hinzu. Ebd., S. 36–41, Fußnote S. 41. — 13 Howhannes Tumanjan: »Das Taubenkloster«, hg. von Elke Erb, Übersetzung zusammen mit anderen, Berlin 1972.  — 14 Endler: »Die Gedichte«, a. a. O., S. 77.  — 15 Vgl. Gabriele Pisarz-Ramirez: »Übersetzungskultur in der DDR  – eine Fallstudie«, in: Harald Kittel u. a. (Hg.): »Übersetzung Translation Traduction. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung«, Bd. 2, Berlin, New York 2007, S. 1779–1799, insbes. S.  1784 ff.  — 16 Atanas Daltschew: »Gedichte«, Leipzig 1975, S. 77.  — 17 Ebd., S. 84. — 18 Ebd., S. 53. — 19 »Es war das Jahr ’69 […] es waren die trübseligen Jahre, in denen so gut wie kein einziges neues Gedicht aus unserer Feder des Druckes mehr für würdig befunden wurde […], wenn auch statt dessen oder ersatzweise allerlei Nachdichtungen«, schreibt Endler in »Nebbich«, a. a. O., S. 91. — 20 Adolf Endler: »Diese Sirren. Gespräche mit Renatus Deckert«, Göttingen 2010, S. 63. — 21 Adolf Endler: »Zwei Versuche, über Georgien zu erzählen«, Halle/S. 1976. — 22 »Nach längerem Hin und Her und Kreuz und Quer einiger Damen und Herren in den buddenbrook-biederen Amtsräumen eines Ministeriums in Tbilissi – die alten Büromöbel stauten sich dicht und begannen uns knirrend und knarrend einzukreisen und zu bedrängen: oh, rasch hier weg! –, endlich wurde an seiner Ecke ein zwanzig Zentimeter dicker Packen betippten Papiers auf den Schreibtisch geschwenkt – oh, rasch wieder weg! –, verschwand aus dem Raum, wurde wieder hereingetragen und wieder hinaus, lag dann unter den bannenden Blicken des telefonierenden Ministers reglos,

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Ton Naaijkens doch irgendwie sprungbereit, das KONVOLUT, wie wir’s in den nächsten Wochen in unsern Gesprächen vorsichtig nannten: Georgische Poesie aus acht Jahrhunderten in deutscher Interlinearübersetzung, achttausend rohe Verszeilen barocker, klassizistischer, romantischer, expressionistischer, realistischer Poesie, und wir sollten sie, Rainer und ich, in schöne deutsche Dichtung verwandeln – ich höre unsere Kollegen gehässig auflachen, ist es nicht so?«. Ebd., S. 21–22. — 23 Ebd., S. 108. — 24 Ebd., S. 121. — 25 Adolf Endler: »Kleiner Kaukasischer Divan«, hg. von Brigitte Schreier-Endler, Göttingen 2018.  — 26 Ebd., in: Editorische Notiz, S. 247.  — 27 Ebd., S. 156 f.  — 28 Ebd., S. 157.  — 29 Gerrit-Jan Berendse im Vorwort zum von ihm herausgegebenen »Krawarnewall. Über Adolf Endler«, Leipzig 1997, S. 11. — 30 Berendse geht davon aus, dass »die von Adolf Endler Ende der siebziger Jahre rezipierten und instrumentalisierten neoavantgardistischen Schreib- und Denkweisen […] einen genuin innovativen Geltungsanspruch hatte[n]« und eine »Alternative zur Offizialästhetik« in der DDR geboten haben. Er analysiert eingehend die Fassungen des Gedichts »Neue Nachricht vom Prenzlauer Berg / Dank Breton« (1983/1993), auch indem er sie mit der politischen Wirklichkeit, in der sie entstanden, konfrontiert. »Die Beschäftigung mit dem Surrealismus intensivierte Endler ab Mitte der siebziger Jahre, als er seinen Traum vom sozialistischen Idealstaat in der DDR ausgeträumt hatte […].« Vgl. Gerrit-Jan Berendse: »›Dank Breton‹: Surrealismus und kulturelles Gedächtnis in Adolf Endlers Lyrik«, in: Karen Leeder (Hg.): »Schaltstelle. Neue deutsche Lyrik im Dialog«, Amsterdam, New York 2007, S. 73–95, hier S. 74.  — 31 Vgl. https://aufbruch-herbst89.de/portfolio-­ item/n37/. — 32 Karlheinz Barck (Hg.): »Surrealismus in Paris 1919–1939. Ein Lesebuch«, Leipzig 1985, 19902. — 33 Vgl. Berendse: »›Dank Breton‹«, a. a. O., S. 88. — 34 »Herzattacke« 1 (1994), S. 299–302. — 35 Ebd.

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Elke Erb

Gedanke an E.

Da wirst du abgeräumt. Tröstlich klar. Wäre es nicht stimmig, ebenso zu verschwinden, wie du dich regtest? Schweigend, ein Sprung über die Grenze? Nein, es kommen Nachrichten. Aus den Nachlassen. Stellst fest. Fügst, immer wieder, neu zusammen, rumpelst mit den Resten, du nun Schwächerer. Frühstück, die letzten tausende Male. Schütter gewordener, es nachrichtet sich, du dich. 2.10.1997

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Elke Erb

Eine Nacht in einer einsamen Hütte

Das Ende des Krieges erschien mir im Traum. Im Lazarett, aufgewickelte Verbände, Schwestern, Betten und Mauern, lagen die Kinder und die anderen Armen, Schwachen und Kranken. Die Ellbogen aufgereckt, hielten sich alle ein Glasröhrchen an den Mund, daß aus ihm die Vitamine in die Hautporen eingehen könnten. Auf einer hölzernen Pritsche nahe dem Fußboden und so abgemagert, daß man ihn in seinen einzelnen Teilen vor sich hatte, sah ich dort den Bruder meines Mannes liegen. Auch auf seinen Mund war eins der Glasröhrchen gesetzt, doch er starb. Ich weinte sehr, da war er Uwe Greßmann. (…) Eine Patientin tat kund, Dr. Scheich von den Kreispoliklinik habe zu ihr über diese Glasröhrchen gesagt: »Wozu das überhaupt, nichts als Blödsinn.«  – »Aber, Herr Doktor, Sie experimentieren ja noch und noch, ganze Klassenzimmer haben Sie voll, rechnen Sie nur die Kalorienvitamine aus!« antwortete sie. Und Dr. Scheich darauf: »So? So? Na dann solln se doch, dann solln se doch!« Später war ich zu Gast in einem Klassenzimmer. Gerettete jüdische Kinder erhielten dort Unterricht. Ihr Stundenthema war die Berechnung des Prozentsatzes jüdischen Bluts, und zwar die Methode der phonetischen, der Aussprachemessung. Ein Junge, der empört ausrief: »Es ist nicht wahr, wir sagen zu ›se-ähr‹ nicht ›sähr‹!«, bekam einen Verweis. »Seer«, mit langem geschlossenem »e«, galt die nichtjüdische Aussprachenorm, und der Junge gewann, während er schrie, sogleich ein nichtjüdisch pausbäckiges, rund und gesundes Aussehen. Als die Schüler dann aus der Klasse hinausgingen, plapperten sie, halb singend: »Jetzt kriegen wir Schulfer-i-en / die Existenz wird uns erfrie-ren.« Die Lehrerin wies mich darauf hin, wie sie das »i« in beiden Wörtern heraushoben. »Hören Sie nur«, sagte sie andächtig und stolz, »welche schwierigen Reime sie beherrschen. Dubletten geradezu! Solche begabten Kinder …« Edi träumte neben mir zur gleichen Zeit erst von allerlei ihm nachher nicht mehr erinnerlichen Ärgernissen, zuletzt aber: Spitzentanz. Vier Tänzerinnen, gefaßt in eine sich schlängelnde Überkreuzfigur, deren Bewegung ein Solotänzer aufnimmt und beantwortet. Von Zeit zu Zeit aber, wie einem Ausbruche der Lebensfreude folgend, bricht er in einem großen Sprung bald nach hier, bald nach dort aus der Dauer des Spiels, anscheinend in Opposition zu der der Gruppe aufgegebenen Weise, in Wirklichkeit aber auch hierin der Absicht des verborgenen Komponisten, einer Kunst-Absicht nämlich, gehorsam. 38

Eine Nacht in einer einsamen Hütte

Da mir Edi das erzählt, erinnere ich mich, wie ich im Schlaf den grünen Fenstervorhang im Wind hin und her gehen hörte, seine Röllchen kratzten leise an der hölzernen Stange. Dieses Wehen und Gekratz, welchem wir, wachgeworden, noch lauschen, fand in Edis Traum eine tiefere Verwandlung als in dem meinen, ein unzerteiltes, lebendiges Bild. Das Kratzen wurde zu Tanzschritten, das Wehen zur sich schlängelnden Kreuzfigur, die Freudensprünge übertrugen den Rhythmus stärkerer Windstöße vielleicht oder den des eigenen Brustkorbs. Ich setzte für das Kratzen den Kranken in ihrer Wirkung zweifelhafte Glasröhrchen an die Lippen, ich schritt beunruhigt hin und her zwischen Richtig und Falsch und befand mich in einem Fegefeuer aus Unsicherheiten der Aussprache, des Reims und der Bedeutung. Aber ich war vor diesem Traum zwei Stunden lang nachtwach gewesen, denn wie um einen bewachten Lagerzaun war ich unablässig um das Problem herumgegangen, wie man als Zivil- und Privatperson, als umstürzlerisches Element, ein Kriegsgefangenenlager von der und der Größe ernähren könne: mit Konzentraten, aber in welcher Form und in welcher Art der Übermittlung an die Gefangenen? Kügelchen – wie groß? Und zuerst den heimlichen Führer unter den Gefangenen herausfinden, der sie verteilen würde, Zeichen geben, rufen … Ich suche nach einem Ausweg aus Geschichten, die mir Edi vor einiger Zeit erzählt hatte, welcher in Düsseldorf als Kind von der Mutter mit seinem Bruder auf den Hof hinuntergeschickt worden war, an welchen ein Kriegsgefangenenlager grenzte; die Kinder sollten Brotstücke durch den Stacheldraht schmuggeln. Ich stellte mir vor, wie der Junge, er hat es erlebt!, zusehen mußte, wie die eingezäunten, ausgehungerten Männer über das Brot herfielen, das vom Küchentisch der Mutter gekommene; wie sie sich, ein heftiger, stiller, sich knäuelnder Haufe, darum schlugen und sich am Stacheldraht die Haut zerrissen. Und ich stellte mir vor, wenn der Junge, der das sah, jetzt mit mir hier läge und begriffe, wie ich jetzt hier diesen Arm ausstrecke und hier liege, würde dieses Schreckliche in ihm erlöst. Weil ich aber wußte, daß es vielmehr eine Wunschvorstellung war als ein richtiger Gedanke, dem man nur zu folgen brauchte, wollte ich Edi, der in einem anderen Bett schlief, nicht stören, und es gelang mir einige Male, ihn nicht zu rufen. Dann rief ich ihn doch, er kam, schlief neben mir bald wieder ein, und sein ruhiges, tiefes Atmen holte auch mich wieder zurück in den Schlaf, in welchem ich dann vom Ende des Krieges träumte.

1970/71 verfasst nach einer Notiz von 1968.

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Annett Gröschner

»Während der Veranstaltung nahm er Alkohol zu sich« Adolf Endler liest und lässt lesen

1979 wurde Adolf Endler zusammen mit acht anderen aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen, weil er gegen eine juristische Verurteilung Stefan Heyms wegen angeblicher Devisenvergehen protestiert hatte. Ein Ausschluss aus dem Verband kam einem Berufsverbot nahe. Fortan hatte Endler nur wenige Möglichkeiten, öffentlich gegen Honorar zu lesen, viele Auftrittsorte waren ihm verschlossen, denn es gehörte ein gewisser Mut der Veranstaltenden dazu, ein geschasstes Mitglied des Schriftstellerverbandes öffentlich auftreten zu lassen. Zu dieser Zeit häuften sich die sogenannten Rohrbruch-Absagen, die mehr über die DDR aussagten als offizielle Verlautbarungen – das Land war so marode, dass Ausfälle durch Rohrbrüche durchaus plausibel waren. Allerdings traten sie immer dann auf, wenn eine Autorin, ein Autor angekündigt war, die oder der ein eher kritisches Verhältnis zum Staat hatte. »Rohrbrüche, die sich bis zum nächsten Tag von selbst, ohne Einsatz von Handwerkern, quasi durch Gesundbeten, behoben«, wie es Gerd Adloff in einem Text über Adolf Endlers Lesungen, beschrieb.1 In »Tarzan am Prenzlauer Berg« schildert Endler einen Ausflug von Elke Erb mit Heiner Müller und anderen in einem Auto zu einer Wohnungslesung in Magdeburg, wo sie an der Berliner Stadtgrenze sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg wegen angeblicher Geschwindigkeitsüberschreitung angehalten, kontrolliert und festgehalten wurden. Die Lesung in Magdeburg fand statt, aber mit Verspätung. Endler fragte danach sarkastisch: »Sollte man in Zukunft ›Dichterlesungen‹ nicht von vornherein als ›Geschwindigkeitsüberschreitungen‹ deklarieren?; was sie in gewisser Weise ja auch sind, wenn sie ernst genommen werden wollen – Verstöße gegen das vorgeschriebene poetische Tempo …«2 Das Schreiben ohne Netz und doppelten Boden bedeutete eine fragile Existenz, vor allem, wenn man wie Endler noch eine Familie hatte. Wolfgang Hilbig hat es in seinem Roman »›Ich‹« beschrieben: »W. ging seit Jahren keiner geregelten Arbeit mehr nach. – Er lebte gleichsam auf der Null­ linie, die sein Kontostand bildete: er hatte das Gefühl eines zu Tode erschöpften Langstreckenschwimmers, wenn er an diese Linie dachte: nie tauchte er unter ihrer Oberfläche hinab, obwohl es seit langem nicht mehr weiterging, – es war dies eine der Merkwürdigkeiten seiner Existenz, welche sogar von Feuerbach3 als Phänomen bezeichnet wurde. Dieser meinte damit .

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»Während der Veranstaltung nahm er Alkohol zu sich«

das Leben, das eine ganze Reihe sogenannter freischaffender Schriftsteller im inoffiziellen Kulturbetrieb von Berlin führte. Fortwährend waren sie davon bedroht, daß ihr wahrer Status benannt und zum Vergehen erklärt wurde: es war der Status von Asozialen, welche ehrlicher leben mußten als jeder wohlbestallte Bürger, denn der geringste Fehlgriff konnte die gesamte Gesetzgebung gegen sie aufbringen […].«4 Um 1980 herum entstanden immer mehr inoffizielle Lesungsorte, in Ostberlin vor allem im maroden Stadtbezirk Prenzlauer Berg, aber auch in Magdeburg, Dresden, Jena, Karl-Marx-Stadt oder Leipzig. Es waren meistens Wohnungen, aber auch Ateliers und Werkstätten, in denen Eingeweihte zusammenkamen, um Texte zu hören, die zum größten Teil unveröffentlicht oder nur in der Bundesrepublik erschienen waren. Bald kamen auch Kirchenräume dazu. Illegale Wohnungslesungen Seit 1978 gab es den Literarischen Salon in der Wohnung von Ekkehard Maaß in der Schönfließer Straße 21; wie Peter Böthig beschrieb, eine »Art Keimzelle für einen in den 1980er Jahren sich entwickelnden staatsunabhängigen Literatur- und Kunstbetrieb«.5 Wilfriede Maaß, die am selben Ort ihre Keramikwerkstatt betrieb, erinnerte sich 1998: »Dass wir Lesungen in unserer Wohnung veranstalteten, begann damit, dass Ekke in dem Klub vom Museum für Deutsche Geschichte Lieder von Okudschawa singen sollte. Dieser Abend wurde kurzfristig verboten. Mitgeteilt wurde ihm das erst, als er mit seiner schönen neuen Gitarre ankam. Ganz spontan lud er daraufhin alle Wartenden in die Schönfließer Straße 21 ein. […] Wir legten lauter Matratzen auf den Fußboden, damit die Leute sitzen konnten, und hatten so mit viel Improvisation die erste Wohnungslesung bei uns. Daraus entstand schließlich eine Tradition.«6 Wenn möglich, fanden die Lesungen am letzten Sonntag des Monats statt. »Wir kauften den Wein und machten große Berge Nudelsalat. Es wurde üblich, dass es immer auch etwas zu essen gab und so ein Abend, wenn er gut war, sich bis morgens um drei hinzog.«7 Neben Ekkehard Maaß war auch Sascha Anderson an der Vorbereitung und Auswahl der Lesenden beteiligt, in seiner zweiten Funktion verfasste Anderson, einer unter mehreren Spitzeln, unter dem Decknamen »David Menzer« Berichte von den Veranstaltungen. Selbst zu seinen eigenen kam er in dieser Funktion, eine besonders krasse Form der Persönlichkeitsspaltung: »Vorkommnisse habe es keine gegeben.«8 Zu Endlers Lesung gibt es keinen Stasibericht, nur eine Notiz von Ekkehard Maaß: »An 2. Juni 1980 fand in der Schönfließer Straße die erste ›richtige‹ Dichterlesung statt, zu der fast sechzig Leute kamen. Adolf Endler las aus seinen phantasmagorischen 41

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Romanfragmenten, danach Sascha Gedichte.«9 Ekkehard Maaß »interessierten besonders die Dichter, die in einer für die DDR neuartigen Weise mit der Sprache umgingen, sie bis in die Silben zerlegten und spielerisch wieder zusammensetzten, scheinbar reinigten von dem geschichtlichen und ideologischen Ballast, der in Quadraten, Rhomben, Trichtern, Treppen dann doch wieder durchschimmerte wie die Steine der Berliner Trümmerberge«.10 Dichter wie Endler, der nach diesem Auftakt zu einem regelmäßigen Gast der Salonlesungen wurde und einer ihrer Mentoren – ältere Autorinnen und Autoren wie Christa und Gerhard Wolf, Elke Erb, Heiner Müller und Volker Braun, die das Unternehmen begleiteten und mit ihrer Anwesenheit beschützten, »damit nicht der ganze Laden von der Stasi geräumt wurde«.11 Wilfriede Maaß erzählte, dass Endler »manchmal eine Tasche voll Bierflaschen bei sich« hatte.12 Es war »im Prinzip ein fester Kreis. Die Dichter brachten meist Freunde und Kumpel mit, die ebenfalls schrieben oder malten, bildende Künstler wie Sabine Grzimek, Anatol Erdmann und Hans Scheib beispielsweise.«13 Den Literarischen Salon in der Schönfließer Straße gab es über das Ende der DDR hinaus, später dann mit einer deutlicheren Internationalisierung. Wenn kein geschlossener Raum zur Verfügung stand, fanden die illegalen Lesungen auch unter freiem Himmel statt, wie Endler in »Tarzan am Prenzlauer Berg« beschrieb: »Oktober 81 INTRODUKTION // Einladung zu einer illegalen ›Lesung‹ im offenen Forst, in den Waldungen weit draußen vor der Stadt; den ›Veranstaltungsort‹ konnte man mittels einer karikaturistisch gezeichneten Landkarte finden und dank des Hinweises: ›Man besteige die S-Bahn 14.04 Uhr ab Friedrichstraße in Richtung Erkner und fahre bis Wilhelmshagen; Treffpunkt ca. 10–15 min Sandweg Richtung Woltersdorf‹.«14 Hinzugefügt war von den Einladenden, die das hektografierte Papier in hundertfacher Ausführung verteilt haben mögen, u. a.: »… Volljährigkeit nicht Bedingung … Grenzmündigkeit15 kein Hindernis … Korkenzieher nicht vergessen!«16 Von dieser Lesung gibt es Fotografien, grobkörnige Schwarz-Weiß-Aufnahmen, wahrscheinlich in der Hinterhofküche selbst entwickelt, damit sie nicht schon in der Kopieranstalt der Staatsmacht in die Hände fielen. Eines zeigt den 50-jährigen Adolf Endler im Schneidersitz auf dem Waldboden, wahrscheinlich unveröffentlichte Texte aus einer Klemmmappe lesend und gleichzeitig rauchend. Um ihn herum andächtig Lauschende, dem Alter nach eine Generation jünger, Frauen wie Männer, ein Kinderwagen auch dabei, für den kulinarischen Genuss Wein und Schnaps der billigeren Sorte – Cabernet, Kristall (»Blauer Würger«), Weinbrandverschnitt – und selbst gebackener Kuchen. Anzunehmen, dass ein Spitzel mit dabei war. Wolfgang Hilbig hat einen solchen in Aktion in seinem Roman »›Ich‹« (1993) beschrieben. Der Spitzel 42

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mit dem Decknamen Cambert ist eine dubiose Existenz, ein Zuträger, der selbst glaubt, ein Dichter zu sein, durch eine vorgetäuschte Vaterschaftsklage zur Mitarbeit erpresst. Unter dem Decknamen Cambert ist er auf den Untergrunddichter Reader angesetzt, der nichts veröffentlicht und an einer Zusammenarbeit mit westlichen Medien nicht interessiert ist. Einmal liest Reader bei einer inoffiziellen Lesung in der 5. Etage eines verrotteten Ostberliner Gründerzeithauses. Cambert kommt zu spät. »Drinnen fand ich mich in einem eher kleinen Raum, der dicht gefüllt war mit einem in, wie mir schien, selbstvergessener Konzentration lauschenden Publikum – kaum jemand drehte den Kopf nach mir um –, das sich auf langen Bänken und zusammengerückten Stühlen aufreihte. […] Ich zog […] die vorwurfsvollen oder irritierten Blicke einiger Zuhörer auf mich, als ich mich, so vorsichtig wie möglich, hinter dem Publikum vorbeidrückte und mich auf das äußerste Ende der letzten Bank setzte, die meinem linken Oberschenkel noch Platz bot. […] Der Lesende hinter seiner Tischlampe war nun für mich nicht mehr sichtbar, da zusammengedrängte Schultern und die Phalanx teils gesenkter, teils zurückgebogener Köpfe ihn verdeckten.«17 Es klingt, als wäre eine Lesung bei Ulrike und Gerd Poppe in der Rykestraße 28 Vorbild für Hilbig gewesen. Ulrike Poppe erinnerte sich mit gemischten Gefühlen an die Abende in ihrer Wohnung: »Es wurde viel geraucht, getrunken, diskutiert. Manchmal wachten die Kinder im Nebenzimmer davon auf und ich mußte sie wieder beruhigen.«18 Einmal kam die Volkspolizei, um mitzuteilen, dass die Abteilung Erlaubniswesen »keine Erlaubnis für die geplante Veranstaltung« erteilen würde. Kein Insistieren, dass es sich um eine private Feier handele, half. Da sich unsere Veranstaltungen immer nur mündlich herumsprachen, war es fast unmöglich, den Leuten abzusagen. […] Vor der Haustür stand die Polizei, und jedem, der ins Haus wollte, wurde gesagt: ›Wenn Sie hochgehen, machen Sie sich strafbar. Die Veranstaltung wurde nicht genehmigt.‹ […] Kurze Zeit später bekamen wir einen Ordnungsstrafbescheid über vierhundert oder fünfhundert Mark. Das war viel, ich verdiente knapp über sechshundert Mark im Monat. Aber es kamen so viele Spenden, daß das kein Problem war.«19 Die Strafe wurde trotz Einspruchs vom Lohn abgezogen. Nach dem dritten Ordnungsstrafbescheid stellten die Poppes fürs Erste ihre Veranstaltung ein, andere, wie Ludwig Mehlhorn, übernahmen. Auch Adolf Endler war bei Poppes zu Gast. Am 2. Juni 1982, schrieb er an Brigitte Struzyk, verbunden mit einer Einladung zu einer Lesung aus seinem nie eigenständig als Prosaband veröffentlichten Konvolut ›Nebbich‹. »Schauplatz des Dramas: Poppe, 1055 Berlin, Ryke-Straße 28, 4 Treppen (Nähe Kreuzung Prenzlauer: Dimitroff )! Die Veranstaltung steht unter der Überschrift. KAPITÄNE DES GRAUENS. KANARIENVÖGEL, KALTE BUFETTS. /Herzlichst …«20 Das war auch die Lesung, zu der die junge 43

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Leipzigerin Brigitte Schreier ging, die erste von vielen ihres späteren Ehemannes und Gefährten, bei der sie anwesend war: »Ich war völlig fasziniert von seiner Art vorzutragen, ob das nun Gedichte oder andere Texte waren. Er hatte ja auch so eine Art des, wie soll ich sagen, Entertainments. Das hing natürlich mit den Wohnungslesungen zusammen, diese Art und Weise, Kontakt mit dem Publikum aufzubauen und diese kleineren oder größeren Explosionen, dass man fast bis zum Umfallen gelacht hat.«21 Dieses Lachen ist etwas, das allen im Gedächtnis geblieben ist, die zu einer dieser Undergroundlesungen gegangen sind. Wolfgang Hilbig hat in seiner Laudatio zur Verleihung des Brandenburger Literaturpreises 1994 an Endler diesen »unauflöslichen Zusammenhang von Lachen und Trauer« auf den Punkt gebracht: »Jedesmal, wenn man etwas von Dir liest, glaubt man, man müsse sich augenblicklich totlachen. Doch dann merkt man plötzlich, daß man schon tot war.«22 Peter Geist schreibt im Nachwort zu den gesammelten Gedichten Adolf Endlers: »Wer je Endlers Gelächter erlebte und erlebt, in der Leibhaftigkeit, im Gedicht, den fasst es wohl an für immer.«23 Nicht zuletzt deshalb waren Endlers Lesungen immer ein Magnet. Selbst der IM der Staatssicherheit konnte in seinem Bericht ein Lob des Vortrags nicht verhehlen: »Der IM schätzt ein, daß die Art des Vortrags von ENDLER sehr gut war, weil er sehr akzentuiert sprach und wie ein Schauspieler mit deutlicher kabarettistischer Tendenz las. Während der Veranstaltung nahm er Alkohol zu sich.«24 In der Leipziger Steinstraße Seit März 1982 veranstaltete die in Meißen ausgebildete Klubhausleiterin Brigitte Schreier im Jugendklubhaus »Arthur Hoffmann« in der Leipziger Steinstraße Lesungen. Es war ein skurriler Ort. »Unten war ein militärpolitisches Kabinett und die obersten zwei Etagen waren dann das eigentliche Jugendklubhaus. Ich wollte, dass Endler auch bei mir las, besorgte mir die Adresse und wollte ihm schreiben. Aber jemand erzählte mir, dass die Post bei ihm nicht ankommt. Und dann bin ich im Mai ’83, ein paar Monate, nachdem ich ihn bei Poppes gehört hatte, nach Berlin gefahren, ins Hinterhaus Dunckerstraße 18, die ganzen Treppen hoch und hab an die Tür geklopft, so ein bisschen naiv. Dann dauerte es einen Moment, bis jemand rausguckte. Ich habe gesagt: ›Herr Endler, ich wollte Sie bitten, bei mir in Leipzig zu lesen. Weil ich weiß, dass die Post nicht ankommt, bin ich selbst gekommen.‹ Da sagte er: ›Ich komme gleich wieder.‹ Die Tür ging zu. Und dann hörte man ihn da drinnen irgendwie ein bisschen rumräumen, bis er wiederkam und sagte: ›Kommen Sie mal rein.‹ Und die erste Frage war: ›Kennen Sie denn überhaupt dieses Büchelchen?‹ Und hielt den Gedicht44

»Während der Veranstaltung nahm er Alkohol zu sich«

band »Akte Endler« hoch. Da sagte ich: ›Klar, deswegen bin ich ja hier.‹ Wir verabredeten die Lesung für September. Zwischendurch habe ich ihn aber nochmal bei einer Lesung für Uwe Greßmann in der Moritzbastei in Leipzig gesehen. Und so haben wir uns kennengelernt.«25 Bald pendelte Endler nach Leipzig und Brigitte Schreier nach Berlin. Nicht nur Endler las in der Steinstraße, eigentlich alle, die in der inoffiziellen Literaturszene des Landes einen Namen hatten – und die berühmten. Adolf Endler öffnete die Türen, die Steinstraße wurde zu einem Pilgerort. Mit List und integren Kolleginnen und Kollegen gelang es Brigitte Schreier, ihre Lesereihe sieben Jahre zu veranstalten, trotz Zensurversuchen und Maßnahmen der Staatssicherheit, sie als Leiterin absetzen zu lassen, die aber im Sande verliefen. 1984 zog Endler ganz nach Leipzig. In Berlin schossen sich seit Anfang 1983 die Staatssicherheit und andere Behörden auf die illegalen Veranstaltungen ein. Auch stellten viele Autorinnen und Autoren Ausreiseanträge, die oft zügig genehmigt wurden. Die Abschiede nahmen überhand. »VERBOTEVERBOTE // Seit Wochen Nachricht über Nachricht bezüglich des ›Literaturkriegs‹ gegen renitente Autoren, auch gegen den sich entwickelnden ›Underground‹, vor allem natürlich gegen die ›illegalen Wohnungslesungen‹, ziemlich regelmäßig an bestimmten Orten veranstaltet: Kontinuierliche Präsentation dessen, was in unüberbrückbarer Distanz zum öffentlichen Literaturbetrieb produziert wird. Ja, zweifellos, die haben uns auf dem Kieker, es soll uns an den Kragen gehen! Haben wir nicht damit gerechnet?«26 Gerd Adloff, der öfter bei Lesungen von Adolf Endler war und auch eine Lesereihe im Jugendklub »Schaufenster« organisierte, zu der er Endler mehrfach einlud, erinnert sich: »Endler hat in der Zeit, bevor er nach Leipzig gegangen ist, im Prenzlauer Berg noch eine von der Bibliothek in der Senefelder Straße organisierte Lesung gemacht. Es war knallvoll und nebenan saßen welche von der Stasi in so einem Kabuff und haben alles mitgeschnitten, ganz demonstrativ.«27 In »Tarzan am Prenzlauer Berg« hat Endler über diese Lesung, »nach langer, nach jahrelanger Pause wieder einmal in einer quasi offiziellen ›Einrichtung‹«, geschrieben, nach der der junge Bibliothekar, der sich getraut hatte, Endler einzuladen, »tüchtig gerüffelt« und mit »›verbindlichen Richtlinien‹« versehen worden war, »nach denen er für jede einzelne ›Dichterlesung‹ mehrere Autoren in Vorschlag zu bringen hat, aus denen man ›höheren Orts‹ den ›geeignetsten‹ auswählen will.«28 Von den zwei Lesungen, zu denen Gerd Adloff Adolf Endler einlud, konnte auch nur die erste stattfinden. Die zweite scheiterte an der plötzlichen Anordnung, »dass man die Personenkennzahl angeben musste, um zu verhindern, dass sich Leute unter fremdem Namen einschleichen würden, und da hat Endler vom Leder gezogen, und da durfte er dann nicht kommen.«29 Die Lesung wurde im Jahr der Anarchie, 1990, nachgeholt. Nicht lange danach wurde der Klub abgewickelt. 45

Annett Gröschner

Im Februar 1988 bekam Adolf Endler einen Pass und konnte zu Lesungen ins westliche Ausland fahren. Brigitte, die ihn 1987 geheiratet hatte und nun Schreier-Endler hieß, durfte ihn begleiten. Wahrscheinlich hofften die DDR-Literaturfunktionäre, dass sie wegblieben und die ›Akte Endler‹ sich so von alleine erledigte. Endler las in den Niederlanden und in den USA, und er las in Westberlin und in der Bundesrepublik, wo sich dem Publikum nicht jede Feinheit des Endler’schen Kosmos erschloss, wie Brigitte Schreier-Endler sich erinnert. »Endler war im Westen nicht so bekannt. Wenn er auftauchte, um zu lesen, waren viele Leute aus der DDR da, die ausgewandert sind. Und die haben das natürlich voll kapiert, im Gegensatz zu den Einheimischen. Nach der Wende ist es dann besser geworden, aus welchen Gründen auch immer. (…) Die Schullesungen waren richtig gut vorbereitet. Und die Jugendlichen waren auch interessiert daran.«30 »Du bist Orplid, mein Land! / Das ferne leuchtet …« Am 1. Oktober 1989 bat Brigitte Schreier-Endler um Aufhebung ihres Vertrages im Jugendklubhaus »Arthur Hoffmann«. Es gab zwei Gründe, die sie dazu veranlassten zu kündigen und Leipzig den Rücken zu kehren. »Endler hatte eine vierwöchige Lesereise in den USA. Und ich wollte mit, hätte aber keine Freistellung von meiner Arbeit gekriegt. Außerdem war alles am Zerfallen. Und es kam noch eine Sache hinzu. Endler hatte 1988 einen Herzinfarkt. Die giftige Luft in Leipzig hat ihn fertig gemacht. Also haben wir versucht, eine Wohnung zu kriegen in Berlin. Und das hat dann geklappt. Im Sommer 1990 sind wir in die Colbestraße in Friedrichshain. Und dann kam Dorothea Oehme auf Endler zu, ob er nicht in ihrer neu gegründeten Unabhängigen Verlagsbuchhandlung Ackerstraße ein Buch machen wollte, das ja dann auch noch im selben Jahr erschienen ist: ›Citatteria & Zackendullst‹. Mich hat sie gefragt, ob ich nicht Lust hätte, eine Lesereihe zu machen. Wir haben das dann Orplid & Co. genannt. Als wir den Verein anmelden wollten, wurde gesagt ›& Co.‹ ginge aus finanzrechtlichen Gründen nicht als Vereinsname, und so waren wir fürs Finanzamt Orplid e. V.«31 Angelehnt war der Name an Eduard Mörikes fernes Inselland Orplid, nur dass Endlers Orplid noch Kompagnons hatte – einen »Verein zur Pflege und Förderung der Poesie e. V.«. Bald erwies sich die Verbindung von Verlag und Veranstaltungsreihe aus mehreren Gründen als ungünstig und Adolf Endler und Brigitte Schreier-Endler machten die Veranstaltungsreihe alleine, ohne Verlag, im Café Clara  – begleitet von wechselnden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unter ihnen Gerd Adloff, die über die Jahre durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Stipendien und Arbeitslosengeld recht und schlecht finan46

»Während der Veranstaltung nahm er Alkohol zu sich«

ziert wurden. Bis zuletzt war das Budget knapp, eine Regelförderung durch den Berliner Senat gab es nicht. Endler blieb weiter freischaffender Autor, bekam aber ein kleines Honorar für die Einführungen, die er vor jeder Lesung machte. »Am Anfang haben wir das privat finanziert. Als Pastior und Mickel lasen, haben wir alle zusammengelegt und die Eintrittsgelder dazugenommen, wir hatten nicht sofort eine Förderung, das hat ein halbes Jahr gedauert.«32 Am Ende die beeindruckende Bilanz: 114 Lesungen im Café Clara, 169 Lesende aus aller Welt, »man könnte diese Notiz auch ›Von Bella Achmadulina bis Ulrich Zieger‹ überschreiben«,33 51 aus dem Osten. »Sarah Kirsch hat abgesagt wegen der Anderson-Geschichte. Anselm Glück ist nicht angereist. Ansonsten sind alle gekommen, die wir eingeladen hatten«, erinnert sich Brigitte Schreier-Endler. »Einige waren sehr böse auf uns, weil sie der Meinung waren, dass die Eingeladenen nicht so gut sind wie sie. Die kannten Eddie im Wesentlichen durch Sauftouren, also dachten sie, sie kommen bevorzugt dran. Ich habe dann immer gesagt, wir sind schon seit einem Dreivierteljahr ausgebucht. Ich war die Böse, die absagen musste. Irgendwann rief uns mal István Eörsis Frau Veronika an und erzählte, Allen Ginsberg kommt nach Berlin, wir machen ein schönes Essen. Ich bin auf- und abgegangen und habe mir immer gesagt, wir machen eine Lesung, wir machen eine Lesung mit ihm. Eddie hat abgewunken, den kannst du doch gar nicht bezahlen. Ich hab mich dann dahintergeklemmt, und es hat geklappt. Wir haben an den Manager geschrieben, dass das im ehemaligen Osten ist, und Ginsberg hatte einfach Lust. Das war doch bei Endler genauso, wenn es kein Geld gab und man wollte unbedingt lesen da, dann stellt man sich doch nicht stur.«34 So kam Orplid & Co. zu seinem berühmtesten Dichter. Wie schon in der Steinstraße, ging die Reihe in der Clara-Zetkin-, ab 1995 Dorotheenstraße, sieben Jahre. »Nach sieben Jahren ist man immer wieder irgendwo hinausgeschmissen worden«,35 so begründete Endler das Ende. »Wir wollten nicht bis ultimo machen«, sagt Brigitte Schreier-Endler heute. »Es wurde schwieriger mit der Finanzierung. Und Endler wollte auch weiterschreiben. Orplid hat ihn schon weitaus mehr beschäftigt als ursprünglich geplant, und gesundheitlich ging es ihm auch nicht mehr so gut.«36 Im Vorwort zur Abschlussdokumentation schreibt er: »›Orplid‹, der Verein, wird zum U-Boot, das eines nicht allzu fernen Tages an einem anderen Strand Berlins und ein wenig anders bewimpelt – Sie merken, der Verf. ist selber ’n Dichter!  – ratzpatz wieder auftauchen mag.  – Adios!, vorerst.«37 Einstweilen schleicht das U-Boot am Grund der Wasserstraßen zwischen Müggel- und Wannsee hin und her.

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Annett Gröschner 1 Gerd Adloff: »Schaufenster 86«, in: Gerrit-Jan Berendse (Hg.): »Krawarnewall. Über Adolf Endler«, Leipzig 1997, S. 137 f., hier S. 137. — 2 Adolf Endler: »EINMAL MAGDEBURG HIN UND ZURÜCK«, in: Ders.: »Tarzan am Prenzlauer Berg. Sudelblätter 1981–1983«, Leipzig 1994, S. 222 f., hier S. 223. — 3 Nicht der Philosoph, sondern der Tarnname eines Mitarbeiters der Staatssicherheit.  — 4 Wolfgang Hilbig: »›Ich‹. Roman«, Frankfurt/M. 1993, S. 69. — 5 Peter Böthig (Hg.): »Sprachzeiten. Der Literarische Salon von Ekke Maaß. Eine Dokumentation von 1978 bis 2016«, Berlin 2017, S. 7. — 6 Barbara Felsmann: »Ich habe immer nur gearbeitet. Die Töpferin Wilfriede Maaß«, in: Dies. / Annett Gröschner (Hg.): »Durchgangszimmer Prenzlauer Berg. Eine Berliner Künstlersozialgeschichte in Selbstauskünften«, Berlin 1999, S. 259–289, hier S. 266 f. — 7 Ebd., S. 267 f. — 8 Böthig (Hg.): »Sprachzeiten«, a. a. O., S. 43. — 9 Ebd., S. 37. — 10 Ebd. — 11 Felsmann: »Ich habe immer nur gearbeitet«, a. a. O., S. 268. — 12 Ebd. — 13 Ebd. — 14 Endler: »Tarzan am Prenzlauer Berg«, a. a. O., S. 16. — 15 Grenzmündigkeit bezeichnete das Alter, ab dem man dem Westen einen Besuch abstatten durfte, maximal 30 Tage im Jahr: Frauen ab 60, Männer ab 65. — 16 Endler: »Tarzan am Prenzlauer Berg«, a. a. O., S. 16. — 17 Hilbig: »›Ich‹«, a. a. O., S.  12 f. — 18 Barbara Felsmann: »Es blieb wenig Zeit für uns selbst. Die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe«, in: Dies. / Gröschner (Hg.): »Durchgangszimmer Prenzlauer Berg«, a. a. O., S. 360–381, hier S. 365.  — 19 Ebd., S. 366.  — 20 Endler: »FUGE«, in: Ders.: »Tarzan am Prenzlauer Berg«, a. a. O., S. 123. — 21 Annett Gröschner, Gespräch mit Brigitte Schreier-Endler, 7. Juni 2021.  — 22 Wolfgang Hilbig: »Der Wille zur Macht ist Feigheit«, in: Berendse (Hg.): »Krawarnewall«, a. a. O., S. 24.  — 23 Peter Geist: »Nachwort«, in: Adolf Endler: »Die Gedichte«, hg. von Robert Gillett und Astrid Köhler unter Mitarbeit von Brigitte Schreier-Endler, Göttingen 2019, S. 863. — 24 Endler: »Die Sekular-Sauftour Bubi Blazezaks / Tagebuchblatt und Prosafragment«, in: Berendse (Hg.): »Krawarnewall«, a. a. O., S. 146–160, hier S. 160.  — 25 Gröschner, Gespräch mit Brigitte a.  O., Schreier-Endler, 7. Juni 2021.  — 26 Endler: »Tarzan am Prenzlauer Berg«, a.  S.  206 f. — 27 Annett Gröschner: Gespräch mit Gerd Adloff, 28. Mai 2021. — 28 Endler: »Tarzan am Prenzlauer Berg«, a. a. O., S. 233. — 29 Gröschner: Gespräch mit Gerd Adloff, 28. Mai 2021. — 30 Ebd. — 31 Ebd. — 32 Ebd. — 33 Ebd. — 34 Gröschner: Gespräch mit Brigitte Schreier-Endler, 7. Juni 2021.  — 35 Peter Walther: »Trauminsel in der alten Hauptverwaltung«, in: »taz Berlin«, 11.4.96, S. 28. — 36 Gröschner: Gespräch mit Brigitte Schreier-Endler, 7. Juni 2021. — 37 Orplid & Co. (Hg.): »Orplid & Co. Lesungen im Café Clara 1991–1998. Eine Lesereihe der Gesellschaft zur Pflege und Förderung der Poesie. Dokumentation«, Berlin 1998, unpag.

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René Hill

Lesung im Freien am 27. Juni 1981

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Adolf Endler

»DIE RÄUBER«

Von René Hill die Fotos erhalten, die er während meiner »Lesung« am 27.6. im offenen Forst, in den Waldungen weit draußen vor der Stadt geknipst hat; eine »Ausflugslesung« also; man fühlt sich in die Frühzeit der NaziJahre versetzt, in der man sich in ähnlich kuhle-wampiger Weise getroffen haben soll dann und wann: Mit lockerster, gleichsam abwesend-unschuldiger Miene das Verbotene zu tun … Nein, drei Stunden lang wie die heimliche »Lesung« der Räuber durch den jungen Schiller hat sie nicht gedauert, diese Veranstaltung; auch waren es nicht die schwarzen schwäbischen Forste, in die wir uns zurückgezogen vor Polizei und offizieller Literaturkritik; es waren, wie gesagt, die schütteren und muldenreichen märkischen Kiefer-Meere unweit von Erkner, der sandige mit hohen Gräsern und Gebüschen winkende Boden leicht gewellt und von Gräben rätselhafter Herkunft durchzogen (ehemalige Schützengräben?), in denen man sich lagern konnte, ohne »eingesehen« zu werden von draußen. Die Fotos zeigen dreißig bis vierzig Leute beiderlei Geschlechts (die Babys im Kinderwagen nicht mitgerechnet), die meinen Texten so versonnen zu lauschen scheinen, als könnte von ihnen rettende Offenbarung kommen – »Bün ick denn Jesus?« –, als handle es sich nicht nur um schnöde Satire … Das hockt an einen splitternden Baumstamm gelehnt oder liegt gestreckt auf dem Rücken und blickt in den Himmel oder in die Wipfel der Bäume, geblümte Deckchen mit Weinflaschen und Picknickkörbchen in greifbarer Nähe; und einige der Zuhörer sieht man auf den verräterischen Fotos nachdenklich rauchen  – mitten in der hochsommerlichen Forst, Waldbrandstufe Eins A! Mh ja, und der da vorne, der auf seinen Arm sich lehnende Herr mit der haarumwölkten Glatze mag kein Geringerer sein als der Schweizer Autor Reto Hänny, den irgendwer mitgebracht hat in den schwülen märkisch-berlinerischen Underground (obwohl christlicher Prägung), Verfasser eines Buches über den überraschenden Jugendprotest in der für so ruhig gehaltenen sittsamen Schweiz; und da er das gesellschaftskritische Werk beim hiesigen Volk-undWelt-Verlag erscheinen lassen will, fragt er mich später besorgt, ob »wir« etwas »dagegen« hätten, wenn er das Buch in einem DDR-Verlag erscheinen läßt, ob »wir« u. U. das Gefühl hätten, er fiele »uns« mit solcher Publikation sozusagen in den Rücken … »Nee, machen Sie nur, machen Sie nur! Man muß jede Möglichkeit nutzen! Lassen Sie das Buch ruhig bei Volk und Welt erscheinen! Außerdem …« (Aber spurenfrei sorglos ist mir keineswegs 50

zumute gewesen bei dem aufmunternden Bescheid im Namen eines unsichtbaren »Wir«.) Daß es über die Maßen heiß gewesen ist an diesem Nachmittag  – die »Einladung« hatte mit einer kindlich gezeichneten lachenden Sonne geprahlt –, das dokumentieren vor allem die Fotos, die den schiefmäulig und gestenreich »lesenden« Dichter Endler zeigen: Der Schweiß rinnt ihm deutlich aus den Stirnfalten in die Augen, die sonst so lockigen Haare kleben eng an der Kopfhaut, der Bart scheint in Sirup getaucht worden zu sein; in kariertem Holzhackerhemd und Jeans sitze ich im dichten, in gebüschelten Gras, die Beine unbeholfen und krampfhaft nach rechts hinten geführt. Ich erinnere mich: Sogar das lästerliche Manuskript wurde feucht in meinen nassen Händen … Nun ja, das Ganze ist zumindest als Demonstration nicht unbefriedigend gewesen! Trotzdem kann ich Dichterlesungen in Waldungen und auf hochsommerlichen Wiesen nicht gerade von Herzen empfehlen, allein schon wegen der fragwürdigen Akustik. Das rege Vogelgezwitscher, das Gewisper und Geraune gesunder und ungesunder Natur besiegen einen immer, wenn man kein Majakowski ist – und wer wäre das schon in dieser Zeit? Immerhin hatten nicht wenige der Aufforderung im Einladungsschreiben Rechnung getragen, die gelautet hatte: »Man richte einen Picknick-Korb darauf ein, daß der Dichter E. miternährt werden kann/muß …« PS: René Hill, der Photograph, ist der Sohn der von Brecht gelegentlich als »Mitarbeiterin« erwähnten Frau Hill, wird mir berichtet. 

(Juli 1981)

Aus: »Nebbich. Eine deutsche Karriere«, Göttingen 2005, S. 64–66. © Wallstein Verlag

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Michael Opitz

Bubi Blazezaks Auf- und Abtauchen in Adolf Endlers Prosatexten

Im Postscriptum zu den Vorbemerkungen seines 1995 bei Reclam Leipzig erschienenen Buches »Die Exzesse des Bubi Blazezaks im Fokus des Kalten Krieges« nennt Adolf Endler bereits im Titel die literarische Figur, die in seinem auf mehrere Bände konzipierten Roman von zentraler Bedeutung ist. Aus dem im Werden begriffenen Werk, das »Nebbich« hätte heißen sollen, waren zuvor nur einige Geschichten veröffentlicht worden, sodass man von Bubi Blazezaks zwar wusste, seine Spur aber nur schwer verfolgen konnte, da sie sich immer wieder verlor. Das war auch dem Autor aufgefallen: »Durch meine Prosabücher wandert seit Ende der Siebziger, taucht auf, verschwindet wieder eine traurige Lustspielgestalt namens Bubi Blazezak, der ›Antiheld‹ schlechthin, ein großer Frauenheld und Maulfechter, eigentlich die Zentralfigur eines in unregelmäßigen Abständen angekündigten Schelmenromans, mein unsägliches Alter ego in mancher Hinsicht, das viele Freunde gefunden hat, mehr als ich selber auf jeden Fall.«1 Ein erster Auftritt wird dem charismatischen Don Juan Bubi Blazezak in der Zeitschrift »Freibeuter« zugestanden. In einer Anmerkung teilt die Redaktion der Zeitschrift mit, dass der Lyriker Adolf Endler der »Kunst des Romans nähergetreten« sei und derzeit an einem Prosawerk mit dem Titel »Nebbich« arbeitet. Erstaunlich mutet an, dass es »4 Bände á 736 Seiten« umfassen wird. Andere Quellen behaupten, der Kolossalroman werde einen Umfang von »8 Bänden á 1200 Seiten« haben.2 Auch Endler selbst trug zur Mythenbildung um seinen Roman bei, denn in einem Interview bezeichnete er »Nebbich« als ein »zu schreibendes 7-bändiges oder 13-bändiges Romanwerk«.3 Als Geheimtipp kursierte die Mär von dem gigantischen Werk auch unter den schreibenden Kollegen. Franz Fühmann ließ verlauten, »daß da etwas entstehe, worum man sich kümmern müsse. Mindestens 1000 Seiten davon müsse es schon geben, so wurde geraunt, genau wusste es keiner.«4 Auch Lutz Rathenow verwies – unter Pseudonym – in der Zeitschrift »Litfaß« auf das mehrbändige Werk. Nicht zuletzt hielt die DDR-Staatssicherheit in einem Bericht fest: »Laut eigener Ankündigung hat ENDLER aus seinem ›85bändigen Romanwerk‹ gelesen, das bereits in der BRD bzw. Westberlin erschienen ist.«5 Im »Freibeuter« stellt Endler Bubi Blazezak, der tatsächlich Robert Blazezak heißt, als einen »Säkularsäufer« vor. Der Kneipengänger par excellence 52

Bubi Blazezaks Auf- und Abtauchen

ist in den angesagtesten Lokalen der Berliner Stadtbezirke Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain unterwegs, sodass im Text legendäre Ostberliner Kneipen erwähnt werden. Erinnert wird unter anderem an den »Oderkahn« in der Oderbergerstraße (der dem Autor grundlos Lokalverbot erteilte) und an »Trümmerkutte«, eine Kneipe, die sich in der Kastanienallee Ecke Oderberger Straße befand und bekannt dafür war, dass sich dort die trafen, die bereits sehr früh am Morgen ihr erstes Bier benötigten. Die Rede ist auch von der »Löffelerbse« und, und, und – die Liste ist lang. Leider verstirbt Bubi bereits in dieser Geschichte. »Ja, leider, meine Damen und Herren, die beherrschende Gestalt der ersten neunhundert Seiten meines zwischen Faktographie und Faktizismus pendelnden Romanwerks, dieser Don Juan von Münster – denn er ist seiner Herkunft nach Münsteraner – und Casanova von Mitte, später Prenzlauer Berg, dieser Bubi Blazezak, eigentlich ist er nicht mehr (und das schon seit Jahren!). Ihre letzte Ruhestätte hat diese ahasverisch-faustische Persönlichkeit der Hauptstadt auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof gefunden […].«6 In der Gaststätte »Gambrinus« schließlich wird nach einem treffenden Grabspruch für Bubi Blazezaks Grabstein gesucht. Man entscheidet sich für: ›Robert Blazezak, der Mann, der überall ›reinkam …‹«. Bubi Blazezak ist also bereits nach seinem ersten Auftritt wieder abgetaucht. Doch er meldet sich im folgenden »Freibeuter«-Heft wieder in alter Frische zurück, wobei er in einem vorweggenommenen Schluss des Romans ein weiteres Mal stirbt: »TOD IN CRIMMITSCHAU«. Nicht in Berlin, auch nicht in Münster, sondern in der »Gummimetropole Crimmitschau« ist Bubi Blazezak während eines Betriebsausfluges verschieden.7 Vorgestellt hat Endler diese legendär gewordene Figur zum ersten Mal während einer Wohnungslesung am 19. Juni 1981 in der Rykestraße 28 in Berlin-Prenzlauer Berg bei Ulrike und Gerd Poppe. Andere Möglichkeiten, seine Texte öffentlich zu machen, gab es für Endler nicht mehr, seit er 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossenen worden war. Zusammen mit sieben weiteren Autoren hatte er einen Brief an Erich Honecker unterschrieben, in dem die Unterzeichner gegen die Handhabung des DDR-Devisengesetzes als Zensur protestierten. Folge des Ausschlusses war, dass Endlers Möglichkeiten, in der DDR zu publizieren, fortan erheblichen Einschränkungen unterlagen, worauf er sowohl mit einer veränderten politischen als auch ästhetischen Ausrichtung seiner Texte reagierte. Er habe, so schreibt er, die DDR von da an »nur mehr als Kuriosum abgehandelt. Am Ende hatte ich zur DDR nur noch ein Verhältnis wie zu einem absurden, verrückten, komischen Stoff.«8 Und in einem mit Jürgen Verdofsky geführten Interview weist er darauf hin, dass seine Arbeiten von einem bestimmten Zeitpunkt an für ein Publikum geschrieben wurden, das sich bei Wohnungslesungen traf, wie sie seit den 1980er Jahren in den Wohnungen von 53

Michael Opitz

Frank-Wolf Matthies und später bei Ulrike und Gerd Poppe stattfanden. Dadurch haben seine Arbeiten, »bedingt durch diese Situation, stilistisch eine andere Richtung genommen, als sie ursprünglich gehabt haben. […] Es sind dann rhetorische Momente hineingekommen in diese Prosa. Auch vielleicht hier und da kabarettistische Momente, die normalerweise bei geschriebener Prosa nicht dominieren.«9 Mit sozialistischem Realismus haben Endlers Blazezak-Texte, die seit Ende der 1970er Jahre entstanden sind, nichts zu tun – Blazezak ist kein Held der sozialistischen Arbeit, sondern ein Antiheld, ein Säufer, dessen moralische Ansichten fragwürdig erscheinen. Endler beschreibt in den Bubi-Blazezak-Geschichten die paradox anmutenden Verhältnisse in der DDR, wobei er sich auf die Absurditäten der vermeintlich realen Zustände konzentriert. Um poésie automatique allerdings, wie man sie von den Surrealisten kennt, handelte es sich dabei nicht, legt man André Bretons Definition aus dem »Ersten Manifest des Surrealismus« zugrunde: »Denk-Diktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder ethischen Überlegung«.10 So aber hat Endler nicht geschrieben: »Ich bin jedoch kein spontaner Schreiber […]. Das stimmt nur sehr bedingt. Die erste Fassung ist vielleicht spontan geschrieben, aber in der Regel habe ich meine Texte sieben, acht oder zehn Mal immer wieder abgeschrieben und verbessert. […] Die Texte sind oft umgestellt und stilistisch verfeinert worden.«11 Notizen wird er sich unmittelbar gemacht haben. Ohne groß zu überlegen wird er sich aufgeschrieben haben, was sofort festgehalten werden musste. Auch Traumprotokolle mögen so entstanden sein. Aber diese ersten Fassungen sind später vom Autor mehrfach überarbeitet worden, und zwar unter Anwendung der von den Surrealisten so verpönten Vernunft. Der früheste Blazezak-Text, der 1976/77 entstanden ist, erschien 1985 in »Ohne Nennung von Gründen. Vermischtes aus dem poetischen Werk des Bobbi ›Bumke‹ Bergermann« unter dem Titel »Die Exzesse Bubi Blazezaks im Fokus des Kalten Krieges / Nachgelassenes Romanfragment aus dem Gewürzschränkchen Bobbi Bergermanns«. Der Erzähler jongliert zunächst mit verschiedenen Jahreszahlen und hält so in der Schwebe, in welchem Jahr die Handlung angesiedelt wird. Schließlich entscheidet er sich für das Jahr 1954, in dem Bubi Blazezaks einen Auftritt in dem in der Ostberliner Friedrichstrichstraße gelegenen Pressecafé (PECE) hat. Zu den Merkwürdigkeiten seines Aufenthalts in diesem Café zählt, dass ihm an diesem, den Intellektuellen aus dem Osten und den Journalisten aus dem Westen vorbehaltenen Ort urplötzlich ein drittes Bein aus seinem rechten Hosensaum wächst. Damit nicht genug, nimmt das schnell in die Länge wachsende Bein Kurs auf das fleischige Knie einer Dame, die an einem gegenüberliegenden Tisch sitzt. Ob sich jedoch Bubis Äußerung: »Man soll mich hier nicht verkackeiern«, auf sein sich jeglicher Kontrolle entziehendes Bein oder 54

Bubi Blazezaks Auf- und Abtauchen

auf Johannes R. Bechers »Das Altersgedicht« bezieht, das der DDR-Kulturminister Bubi zumutet, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Deutlich aber wird, dass Bubis Sympathie nicht dem dichtenden Minister, sondern Bertolt Brecht gehört – auch er zählt zu den Gästen des PECE, und auch er trägt Bubi ein Gedicht (»Die Musen«) vor, das Blazezak zum Nachdenken animiert. Allerdings halten ihn seine gedanklichen Abschweifungen in lyrische Gefilde nicht davon ab, mit einer Nonne hinter dem Garderobentisch des Cafés zu verschwinden.12 Bei Endlers Blazezak handelt es sich um eine Figur, die sich durch außergewöhnliche Eigenschaften auf ganz verschiedenen Gebieten auszeichnet. Zugleich entwirft Endler aber auch bizarre, surreal anmutende Szenerien, in denen diese Figur agiert. Topografisch jedoch hat in »Die Exzesse Bubi Blazezaks im Fokus des Kalten Krieges / Nachgelassenes Romanfragment aus dem Gewürzschränkchen Bobbi Bergermanns« alles seine Richtigkeit: Das Pressecafé hat es in der Ostberliner Friedrichstraße gegeben, auch kehrten Becher und Brecht nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Exil nach Deutschland zurück und blieben in der DDR, als sie 1949 gegründet wurde. Faktisches ist in Endlers Blazezak-Episoden durchsetzt mit Fiktivem. Reales ist umgeben von Fantastischem, sodass eine Atmosphäre entsteht, in der Reales jederzeit in Surreales umschlagen kann. Vieles geht in dem von Endler beschriebenen Land DDR nicht mit rechten Dingen zu, obwohl dieses Land den Anspruch erhebt, dass real ist, was sich in ihm ereignet. Für die sich daraus ergebenden Widersprüche interessiert sich Endler, der aber nicht versucht, sie realistisch zu beschreiben. Vielmehr wendet er sich in seinen Realsatiren dem ganz normalen Wahnsinn zu, den er in seinen vielfältigen Facetten zeigt. Eine im Thüringischen angesiedelte Heimatfilmatmosphäre und die politische Wirklichkeit der McCarthy-Ära in den USA illuminieren in dieser Blazezak-Geschichte den politischen Hintergrund des Prosatextes. Gesellschaftssysteme und die in ihnen präsenten moralischen Wertvorstellungen werden mit satirischen Mitteln hinterfragt. In einem sehr umfassenden Sinn geht es in Endlers Text um Politik, Dichtung und um Verführung, wobei das Wort Verführung in diesem Zusammenhang nicht nur eine erotische Komponente besitzt. Endler polemisiert, und er wartet mit bissigen Kommentaren angesichts der Gedichte von Becher und Brecht auf. Beide waren zwar als Dichter angesehen und besaßen Autorität, aber Blazezak’sche Kritik müssen sie sich dennoch gefallen lassen. Während sich Bubis Besuch im PECE 1954 ereignet, verlegt Endler in »Bubi Blazezaks gedenkend / Seitenblick auf einen Romanhelden«, entstanden 1978/1987, das Handlungsgeschehen in die 1960er Jahre. Mit großem Interesse wendet sich Bubi dem Berliner Fernsehturm zu, diesem »LEUCHTTURM DER FREIHEIT«, der in seiner monumentalen Größe 55

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selbst den Pariser Eiffelturm in den Schatten stellt, wie der Broschüre »Das neue Wahrzeichen der Hauptstadt der DDR« (1969) entnommen wird. Sie dient dem Erzähler als Referenztext. Während der Eiffelturm darin als »breitbeinig-hoffnungslose Geste« des »industriellen Zeitalters« ästhetisch abgewertet wird, feiert man den »jugendlich beschwingten Fernsehturm« als ein Bauwerk, das den »Ansprüchen eines kulturellen Wahrzeichens Berlins Rechnung trägt«.13 Um diese Gestalt gewordene Friedensbotschaft kreist der Text, wobei der Fernsehturm aus ganz verschiedenen Perspektiven einer eingehenden Betrachtung unterzogen wird. Genüsslich nimmt sich Endler ein DDR-Druckerzeugnis vor, das aus Anlass der Einweihung des »architektonischen Wunderwerkes« erschienen ist, und mit polemischer Akkuratesse weidet er es fachmännisch aus. Bedauerlich jedoch ist, dass Bubi Blazezak der Einweihung des Fernsehturms nicht mehr beiwohnen kann. »Wie traurig, wie überaus traurig, daß Bubi Blazezak die Vollendung dieses Gaurisankars des Berliner Baugeschehens nicht mehr erlebt hat, und gerade nur noch, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, am Tresen im MEHLWURM die Baugrube kommentieren durfte und den Ansatz der Fundamente, ehe er von einem Tag zum anderen an Rückenmarksverzettelung starb …«14 Blazezak aber ist im wahrsten Sinne des Wortes nicht Tod zu »kriegen«. Wahrscheinlich ist deshalb auch ein Meteor nach ihm benannt worden, der an der Peripherie von Marzahn eingeschlagen ist, wovon »Sajänsfiktschn 87 / Aus einem Expedi­ tionstagebuch (I)« handelt. Der kosmische Brocken hat am Rande des Neubaubezirks einen riesigen Krater hinterlassen, just in der Nähe des Stadtbezirkes, von dem Hans Weber (Vorsitzender des Schriftstellerbezirksverbandes Frankfurt/Oder) sich in der Zeitschrift »SONNTAG« wünscht, »daß Marzahn nicht nur in der DDR liegt, sondern auf der Welt. Und […] daß Marzahn ein wichtiger Punkt im Universum ist«.15 Obwohl Bubi Blazezak schon auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt wurde, er danach in Crimmitschau ums Leben kam und dann ein weiteres Mal in Berlin verstarb, meldet er sich in der 1979 entstandenen Geschichte »Blazezaks Mitte (Bruchstück aus einem Roman)« erneut zurück. Schauplatz der in den 1970er Jahren spielenden Episode ist wiederum Berlin. Am Zionskirchplatz »zersägt« der 46-jährige Blazezak mit »ungewaschenen Zähnen« eine »Berliner Zeitung« und lässt sich wenig später zu einer Äußerung hinreißen, die den DDR-Offiziellen im Arbeiterund-Bauern-Staat als Provokation galt: »Bäh, im Westen ist ja alles viel besser […].« Dem Westlob lässt Bubi wenig später eine an die DDR-Oberen gerichtete Mahnung folgen: »Schreibt die Wahrheit!« Dieser Hinweis verstieß zwar nicht gegen geltendes DDR-Recht, war aber kritisch gemeint, denn als Aufforderung war er an die DDR-Presseorgane, die zeitgenössischen Dichter und die Repräsentanten des DDR-Justizwesens gerichtet. Da 56

Bubi Blazezaks Auf- und Abtauchen

er aber ausgerechnet von Josef Stalin in die Welt gesetzt wurde, hat diese Ermahnung, die Wahrheit zu sagen, zugleich ihre höchst absurde Seite. Endler fordert dazu auf, politischen Aussagen mit Misstrauen zu begegnen. Geschult ist er an Karl Kraus, der Misstrauen als »den Beginn politischer Einsicht« verstand. »Der Zweifel als die große moralische Gabe, die der Mensch der Sprache verdanken könnte«, wie es bei Kraus heißt.16 Endler setzt sich mit der Sprache auseinander, an der er zeigt, wie ideologisch durchsetzt sie ist. Wie ein Sprachdetektiv nimmt er sich Zeitungsartikel, Broschüren und selbst Gedichte vor, um Formulierungen zu finden, die Beweiskraft besitzen und an denen er seine polemischen Ausführungen festmachen kann. Aufgebläht daherkommende Phrasen werden ebenso entdeckt wie maßlos anmutende Übertreibungen. Versehen mit seinen bissigen Kommentaren gibt Endler dem Verlachen preis, was sich inhaltlich als hohl erweist. In der Tradition von Kraus, der die bürgerliche Presse entlarvte, liest Endler in der DDR erschienene Druckerzeugnisse mit kritischem Blick. Dabei sind Zeitungsmeldungen, in denen lokale Ereignisse zu Erfolgen von weltpolitischer Bedeutung aufgebläht werden, für ihn von besonderem Interesse.17 Zitate haben in Endlers Sprachcollagen die Funktion von Beweisen. Mit satirischen Mitteln wird Ernstes lächerlich gemacht, denn gerade im Verlachen zeigt sich die Vitalität dieser Kritik. Humor erweist sich als probates Mittel, um sich in widrigen gesellschaftlichen Verhältnissen zu behaupten. Als geübter »Blütenleser« findet Endler in der sozialistischen Presse sprachliche Verfehlungen, die er mit Lust ausstellt. Als Endler im Gespräch mit Renatus Deckert gefragt wird, welche Autoren ihn am meisten beeinflusst haben, ist es die deutschsprachige Prager Literatur, auf die er verweist, namentlich nennt er Franz Kafka, Alfred Döblin und Theodor Kramer. Aber eines der »gravierendsten Erlebnisse« war für ihn die Begegnung mit den Schriften von Karl Kraus. »Das Spielen mit Zitaten, diese Collagen haben für mich eine enorme Rolle gespielt, Sie finden das manchmal auch bei mir.«18 Bei chronologischer Anordnung der Blazezak-Texte müsste die in den letzten Kriegstagen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs angesiedelte Geschichte »ZWEI KRIEGSTRÄUME BUBI BLAZEZAKS«, die 1978 entstanden und 2003 von Endler überarbeitet wurde, den Anfang bilden.19 Bubi, der zusammen mit seinem Vorgesetzten, Feldwebel Fritz Thüser, im umkämpften Berlin unterwegs ist, feuert mit seiner Maschinenpistole auf eine frisch gestrichene Parkbank, worauf diese sich mit einem silbernen Lackleder überzieht und Joseph Goebbels emporsteigen lässt. Wegen »Stapferei und Meldenrafft« werden Bubi und sein Vorgesetzter vom Reichs­ propagandaminister ausgezeichnet. Fast schon intim mutet das Verhältnis beider an, wenn Goebbels Bubi darum bittet, ihm seinen »Klumpfuß« 57

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abzuschrauben. Danach gelangt Blazezak in einen Luftschutzkeller, in dem es ihm gelingt, die nur mäßig bekleidete »Traumfrau Brunhilde Heldenklau« in »korkenzieherähnlichen Stellungen gründlichst« zu fotografieren. Als unmittelbar neben ihm Granaten einschlagen, erwacht Blazezak für einen Moment aus dem Halbschlaf: »›Das wird vielleicht doch noch ein schöner Traum …‹; und schläft in der Regel bei diesen Worten noch einmal hoffnungsvoll ein, gerade noch rechtzeitig, um den Verwundetentransport in Richtung Heimat zu erwischen […].«20 Durch Hinzufügung verschiedenster fantastischer Momente wirkt die Kriegstraum-Geschichte deutlich surreal.21 Im Unterschied zu den zuvor erwähnten Blazezak-Geschichten verzichtet Endler in dieser Episode auf einen Referenztext, auf den er in »Notiz betreffs Bubi« (1986) dann wieder zurückgreift. Es ist die Zeitschrift »DER HUND« (»Organ der Sektion Gebrauchs- und Diensthundewesen«), durch die sich für Blazezak die »gloriose Wunderwelt der sagenhaftesten Namen« eröffnet. Bei der Vergabe von Hundenamen zeigt sich die Sprache von ihrer wunderbaren, der Fantasie keine Grenzen setzenden Seite. Jeder Name ein Wortjuwel: »Addi von Edelquelle«, »Ingo von Rüdingen« oder »Pitzo von Wolkenstein«. Und Bubi, der alte Charmeur, weiß sehr galant anmutende Namen für sich zu nutzen, gibt sich als »Eps von der Fränkischen Pforte« oder als »Boris von Babylon« aus und nähert sich so der »gehobenen Damenwelt« – Namen sind eben doch nicht nur Schall und Rauch.22 Es war übrigens Karl Kraus, der darauf hinwies, dass sich Polemik symbiotisch mit Humor verbinden müsse. Endlers Romanvorhaben, dem ja selbst der Tod seiner zentralen Figur nichts anhaben konnte, gelangt auch dann nicht an sein Ende, als Bubis Ableben doch als unwiderruflich angesehen werden muss. Erneut Zwiesprache mit seiner Figur hält der Autor in »DER PHANTASMAGORISCHE NOVEMBER ACHTZIG / AUS DEN ›KONFESSIONEN‹ BOBBI BERGERMANNS«, wobei die Frage aufgeworfen wird, ob ein Typ wie Blazezak nicht längst die DDR verlassen hätte. Denn eine »plebejische Gestalt« wie Bubi, der in der DDR stets aneckte, hätte doch die DDR-Kulturverantwortlichen auf den Plan gerufen, die ihm das Leben schwer gemacht hätten. Denn Bubi ließ es ja an allem vermissen, was eine sozialistische Persönlichkeit auszeichnen sollte. In dieser Hinsicht erinnert Endlers Bubi Blazezak an den Kipper Paul Bauch (Volker Braun: »Die Kipper«), Heinrich Schlaghand (Rainer Kirsch: »Heinrich Schlaghands Höllenfahrt«) und an Eckart Immanuel Lachmund (Karl Mickel: »Lachmunds Freunde«). Sie alle sind Gegenfiguren, bewusst entworfene Abweichler, die den Vorstellungen der offiziellen Kulturpolitik vom »Neuen Menschen« widersprachen. Um das Romanprojekt auch nach Blazezaks unwiderruflichem Tod fortsetzen zu können, wartet Endler mit einem veritablen Einfall auf. Bubi 58

Bubi Blazezaks Auf- und Abtauchen

bleibt durch die Arbeit der KOSABLA – der Kommission zur Pflege und Weiterentwicklung der Sammlungen Blazezak – auch nach seinem endgültigen Ableben gegenwärtig. Grundlage der Arbeit der KOSABLA ist die SABLA, die Sammlung Blazezak, bei der es sich um eine Sammlung verschiedenster Devotionalien aus Bubis Leben handelt. Endler hat in einem im Nachlass gefundenen Typoskript festgehalten, was unter der SABLA zu verstehen ist. »SABLA, SABLA, ein Stichwort (wird man es demnächst auch im Abkürzungslexikon finden?), das einen zunächst natürlich an die sieben legendären SOUVENIR-Schubläden denken läßt, die das Zentrum der SAMMLUNGEN BLAZEZAK bilden, beim Ableben unseres Helden bis über die resignierenden Ränder hinaus mit Erinnerungsstücken an diverse Amouren gefüllte Schubladen seiner zwei Kommoden, die Bubi Blazezak hin und wieder mit süchtiger Hand, doch ausschließlich in der BLAUEN STUNDE zu sich herauszog, um Schätze um Schätze vor sich auf dem Fußboden auseinander-, und dann wieder zusammenzufügen wie zu Weihnachten oder Ostern, alles gründlich zu zählen, sich selber am Ende hinzu, alles das wieder und wieder durchzurechnen und auf seine ›innere Substanz‹ hin abzuklopfen. […] Die Summe meines Lebens, denkt Bubi Blazezak […].«23 Verwegene Geschichten ranken sich um Marzipanschweinchen, die sich in Blazezaks Besitz befanden. Zu den archivierten Gegenständen gehört ein »grenzlanddeutscher Knotenstock«, und auch ein »rotes Schamhaar« wird aufbewahrt. Besonders bedeutend aber ist der transkaukasische Bleistiftanspitzer, der deshalb das Prädikat außergewöhnlich verdient, da Bubi Blazezak seine Memoiren nicht schreiben konnte, weil er seine Bleistifte einfach nicht »spitz gekriegt« hat – es lag an dem nicht funktionierenden transkaukasischen Bleistiftanspitzer.24 Immer wieder werden auf Dachböden und in Kellern Blazezak-Pretiosen gefunden, die aber nur dann echt sind, wenn sie Bubis Besitzerstempel aufweisen, den er »jedem noch so kleinen und unwerten Stückchen« aufgedrückt hat.25 Um ein weiteres, außergewöhnliches Fundstück handelt es sich – wie aus dem zweiundneunzigsten Sitzungsprotokoll der KOSABLA zu erfahren ist – bei Daisy Erkraths bildkünstlerischer Nachbildung von Bubi Blazezaks rechter Hand, einer Arbeit, die in der Tradition von Arno Brekers Cocteau-Händen steht. Erwähnt sei auch die »GILETTE DES MITTWOCHS« und der »THYRSOSSTAB«. Beide Objekte sind von unschätzbarem Wert, wobei es besonders die Weitergabe des Stabes von Hand zu Hand war, die während einer Versammlung der SABLA für allgemeines Entzücken sorgte. Am Schluss dieses Endler-Textes findet sich schließlich der Hinweis, dass der Autor sein Romanwerk vollendet hat: »Ja, das haben Sie wohl nicht gedacht, Frau Schrollz oder Schrunnz, bis vorgestern noch der verkörperte Zweifel an des Verfassers Begabung und Zähigkeit! Aber es ist wahr: Mehrere tausend Seiten ›EXZESSE BUBI BLAZEZAKS IM FOKUS DES KALTEN KRIEGES‹, auf der letzten Seite mit 59

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einem handschriftlichen schön geschwungenen FINIS versehen, sie liegen breit hingelagert und beeindruckend vor mir auf dem zweckentfremdeten Waschtisch und scheinen gespenstisch in die Welt hinaus- und hinüberfliegen zu wollen …«26 Auf die besondere Bedeutung, die der SABLA nach der Wende zukommt, hat Endler in dem bereits erwähnten Interview mit Verdofsky hingewiesen, da es sich bei der SABLA um eine in »Objekten materialisierte DDR-­ Geschichte« handelt. Deutlich aber wird einem angesichts des von Endler um seine zentrale Figur ausgebreiteten Materials, wie bedauerlich es ist, dass dieser Roman unvollendet geblieben ist. Mehrere tausend Seiten hätten es nicht sein müssen, auch ein weniger umfangreicher Roman über Bubi Blazezaks Leben wäre willkommen gewesen. Man hätte sich an einer mit sehr viel hintergründigem Humor geschriebenen »Schmonzette« erfreuen können, einem »Perlengeschmeide des DEUTSCHEN HUMORS«.27 Dass dem DDR-Sozialismus  – so Fritz Mierau  – auch etwas Humoriges eigen war, hätte ›Nebbich‹ in nuce bewiesen. Endler hat es wie kein anderer Autor der DDR-Literatur verstanden, die spezifischen Absurditäten dieser Gesellschaft zum Vorschein zu bringen, worauf Wolfgang Hilbig in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Brandenburger Literaturpreises an Endler hingewiesen hat: »In der deutschen Literatur in östlicher Hinsicht findet sich zu den Texten von Endler kaum etwas Vergleichbares, ihre Originalität, ihr Gehalt und ihre Welt sind einer Atmosphäre erwachsen, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nur an dem Ort zu finden war, auf dem sie spielen … und sie spielen dort so evident, daß man geneigt ist zu sagen, sie sind diese Atmosphäre.«28

1 Adolf Endler: »Die Exzesse Bubi Blazezaks im Fokus des Kalten Krieges. Satirische Collagen und Capriccios 1976–1994«, Leipzig 1995, S. 12. — 2 Adolf Endler: »Momente eines Aufklärungsreferats über meinen in Entstehung begriffenen Roman ›Nebbich‹«, in: »Freibeuter. Vierteljahreszeitschrift für Kultur und Politik« 9 (1981), S. 115–121, hier S. 115. — 3 Adolf Endler: »Anschreiben gegen Festgeschriebenes«, Axel Helbig im Gespräch mit Adolf Endler, in: »Ostragehege. Zeitschrift für Literatur und Kunst« 42 (2006), S. 26. — 4 Gisela Lindemann: »Geheimtip«, in: Gerrit-Jan Berendse (Hg.): »Krawarnewall. Über Adolf Endler«, Leipzig 1997, S. 41. — 5 Adolf Endler: »Die Säkular-Sauftour Bubi Blazezaks / Tagebuch und Prosafragment«, ebd., S. 160. — 6 Endler: »Momente eines Aufklärungsreferats«, a. a. O., S.  118.  — 7 Adolf Endler: »Momente eines Aufklärungsreferats über meinen in Entstehung begriffenen Roman ›Nebbich‹ (Schluß)«, in: »Freibeuter. Vierteljahreszeitschrift für Kultur und Politik« 10 (1981), S. 121. — 8 Adolf Endler: »Dieses Sirren. Gespräche mit Renatus Deckert«, Göttingen 2010, S. 178. — 9 Siehe Abschnitt O-Ton 1 in Jürgen Verdofsky: »Vorbildlich schleimlösend«, in: Berendse (Hg.): »Krawarnewall«, a. a. O., S. 86. — 10 André Breton: »Erstes Manifest des Surrealismus (1924)«, in: Karlheinz Barck (Hg.): »Surrealismus in Paris 1919–1939. Ein Lesebuch«, Leipzig 1986, S. 80–104, hier S. 102. — 11 Endler: »Anschreiben gegen Festgeschriebenes«, a. a. O., S. 27. — 12 Adolf Endler: »Die

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Bubi Blazezaks Auf- und Abtauchen Exzesse Bubi Blazezaks im Fokus des Kalten Krieges / Nachgelassenes Romanfragment aus dem Gewürzschränkchen Bobbi Bergermanns«, in: Ders.: »Ohne Nennung von Gründen. Vermischtes aus dem poetischen Werk des Bobbi ›Bumke‹ Bergermann«, Berlin 1985, S. 113–132. — 13 Adolf Endler: »Bubi Blazezak gedenkend / Seitenblick auf einen Romanhelden«, in: Ders.: »Die Exzesse des Bubi Blazezak im Fokus des Kalten Krieges«, a. a. O., S.  158 f. — 14 Ebd., S. 156. — 15 Endler: »Sajänsfiktschn 87 / Aus einem Expeditionstagebuch (I)«, in: Ders.: »Die Exzesse des Bubi Blazezak im Fokus des Kalten Krieges«, a. a. O., S. 169. — 16 Karl Kraus: »Die Sprache«, in: Ders.: »Vor der Walpurgisnacht. Ausgewählte Werke Bd. 3, 1925–1933«, hg. von Dietrich Simon, Berlin 1977, S. 563. — 17 Vgl. dazu Adolf Endler: »Citatteria &  Zackendullst. Notizen Fragmente Zitate«, Berlin 1990.  — 18 Endler: »Dieses Sirren«, a. a. O., S. 100. — 19 Adolf Endler: »ZWEI KRIEGSTRÄUME BUBI BLAZEZAKS«, in: Ders.: »Nebbich«, Göttingen 2005, S. 98–106. Aufgenommen wurde in den Nebbich-Band auch der überarbeitete und ergänzte »Freibeuter«-Text aus Heft 9 (1981) unter dem Titel »Die Säkular-Sauftour Bubi Blazezaks / Tagebuchblatt und Prosa­ fragment«.  — 20 Endler: »ZWEI KRIEGSTRÄUME BUBI BLAZEZAKS«, a. a. O., S. 106. — 21 Berendse hebt besonders den Einfluss des Surrealismus auf die Dichtung Adolf Endlers hervor: »Als ein willkommenes Projekt, das Endler motivierte, seine Poetik in der DDR neu zu bestimmen, kann die Nachdichtungsarbeit für die Anthologie ›Surrealismus in Paris 1919–1939‹, hg. von Karlheinz Barck, gelten, die 1985 im Leipziger Reclam Verlag erschienen ist.« Vgl. Berendse: »Die Akte Endler. Eine Gedichtsammlung: Verlegerisches ›Gefummel‹ oder gelungene Zivilisationskritik in der späten DDR?«, in: Ingrid Sonntag (Hg.): »An den Grenzen des Möglichen. Reclam Leipzig 1945–1991«, Berlin 2016, S. 477. Darin wird fälschlicherweise 1986 als das Erscheinungsjahr genannt. Korrekt ist 1985. Unabhängig davon muss daraufhingewiesen werden, dass Endlers frühe Blazezak-Texte meist vor dem Erscheinen von Barcks Anthologie geschrieben und veröffentlicht wurden. — 22 Adolf Endler: »Notiz betreffs Bubi«, in: Ders.: »Die Exzesse Bubi Blazezaks im Fokus des Kalten Krieges / Nachgelassenes Romanfragment aus dem Gewürzschränkchen Bobbi Bergermanns«, a. a. O., S.  83 ff.  — 23 Endler: »Sammlung zu Blazezak. Nicht publikabel«. Deutsches Literaturarchiv Marbach, Sammlung Adolf Endler.  — 24 Adolf Endler: »AUS DER ARBEIT DER KOSABLA / DREI KLEINE PORNO-ANSÄTZE«, in: Ders.: »VORBILDLICH SCHLEIMLÖSEND. Nachrichten aus einer Hauptstadt 1972–2008«, Berlin 1990, S. 102.  — 25 Adolf Endler: »ZERKNÜLLTE KUNSTSTOFF-BADEWANNE«, ebd., S. 10. — 26 Endler: »AUS DER ARBEIT DER KOSSABLA / DREI KLEINE PORNO-ANSÄTZE«, a. a. O., S.  121. — 27 Ebd. — 28 Wolfgang Hilbig: »Der Wille zur Macht ist Feigheit. Laudatio auf den Schriftsteller Adolf Endler, den Tarzan am Prenzlauer Berg«, in: Berendse (Hg.): »Krawarnewall«, a. a. O., S. 20.

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Endlers gesammelte Gedichte Eine Gebrauchsanweisung

Die Reaktion der Kritik auf den Band »Die Gedichte« von Adolf Endler, den wir mit Hilfe von Brigitte Schreier-Endler ediert haben, ist erfreulich positiv ausgefallen. In den Besprechungen wurden insbesondere die einnehmende Schrulligkeit von Endlers dichterischer Persönlichkeit, seine bedeutsame und quere Position im Literaturbetrieb der DDR und die hervorragende Qualität von einzelnen Lieblingsgedichten hervorgehoben. Dankenswerterweise aber hat keine Rezension die Sinnfrage als solche gestellt. Dabei ist die Frage, wozu eine Gesamtausgabe der Gedichte überhaupt tauge, nicht ganz unberechtigt. Wenn nämlich ein Autor, wie Endler, einen Teil seines Werks für ungültig erklärt und die für ihn gültigen Gedichte selbst in zwei Bänden zusammengetragen hat, die zweifellos zum bleibenden Bestand der deutschen Dichtkunst gehören, wie kann man dann die von ihm verworfenen Texte aus der Versenkung holen und der Welt erneut präsentieren? Warum es also nicht bei »Der Pudding der Apokalypse« (1999) und »Krähenüberkrächzte Rolltreppe« (2007) belassen? Freilich sind solche Fragen auch in die Konzeption unseres Bandes eingeflossen. Indem wir sie hier explizit stellen und zu beantworten suchen, wollen wir – teils mit Hilfe der Rezensionen und teils als Entgegnung darauf  – einen Beitrag zum tieferen Verständnis des Lyrikers Adolf Endler leisten. Der Rezensent, der diesen Komplex am deutlichsten benennt, ist Jürgen Verdofsky. Seine Besprechung beginnt mit der Frage: »Welcher zeitgenössische Dichter, ausgenommen vielleicht Enzensberger (…), bekommt das: Eine historisch-kritische Ausgabe aller nachweisbaren Gedichte?«1 Wer genauer nachsieht, kommt zwar auf eine andere Antwort, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass in dieser Frage zwei wesentliche Erkenntnisse mitschwingen: Dass eine Gesamtausgabe, zumal eine historisch-kritische, eine Ehrung ist, die eher einem nicht-zeitgenössischen Dichter geziemt, und dass der Ehrgeiz, »alle nachweisbaren Gedichte« eines einzelnen Poeten zusammenbringen zu wollen, ein Äquivalent schafft zwischen diesem und anderen, deren Gesamtwerke in den Regalen der germanistischen Bibliotheken so viel Platz einnehmen. (In der Rezension von Herbert Wiesner fällt dann auch das Wort »goetheanisch«.2) So gesehen wäre eine kritische Gesamtausgabe eine Art Grabstein (Björn Hayer spricht von einem »ange62

Endlers gesammelte Gedichte

messene[n] Denkmal«3), mit dem man den Dichter respektvoll zwar, aber eindeutig der Vergangenheit anheimgibt. Nun: Es lässt sich nicht leugnen, dass unsere Ausgabe in dem Jahr erschienen ist, in dem Endlers Tod sich zum zehnten Mal jährte – zu einem Zeitpunkt also, an dem leider kein neues Gedicht mehr von ihm zu erwarten war. Letzterer Umstand ist unabdingbare Voraussetzung für eine sinnvolle Gesamtausgabe, wie etwa der Fall Friederike Mayröcker bewiesen hat.4 Und es stimmt auch, dass mit einer solchen Gesamtausgabe die Grundlage geschaffen wird für eine umfassende – und erneute – Auseinandersetzung mit dem Autor. Denn – und das ist eine wesentliche Aussage des Bandes und Rechtfertigung seiner Existenz – es gibt viel Endler zu entdecken jenseits der beiden genannten Bände. Das erklärt zum einen die Länge und das Gewicht unseres Buches  – »Ein Kilo Poesie«5  – und zum anderen seine Anlage. Denn es war uns wichtig zu gewährleisten, dass jeder, der ein irgendwo gelesenes Gedicht von Endler sucht, es auch in unserer Ausgabe findet. Da Endler aber unablässig an seinen Gedichten, auch und gerade an den bereits veröffentlichten, weitergearbeitet und dabei bisweilen auch den Titel geändert hat, war es zum Beispiel notwendig, diese Varianten mit in unser Titelverzeichnis aufzunehmen. Durch Kursivierung wird angezeigt, wo es sich um einen solchen variierenden und letztlich verworfenen Titel handelt. Wer zum Beispiel in einer Anthologie mit lyrischen Porträts auf ein Endler’sches Gedicht gestoßen ist, in dem beharrlich nach Anna Achmatowa gefragt wird und das auch so betitelt ist  – »Nach der Achmatowa fragen oder Besuch aus Moskau 1954«6  –, wird in unserem Band zu der Stelle im Kommentar geleitet, die zeigt, dass in allen übrigen Versionen des Gedichtes der Titel anders herum aufgezäumt war und dass es sich also nicht eigentlich um ein Porträtgedicht handelte, sondern um etwas politisch Brisanteres, das als Porträtgedicht getarnt wurde. (Dass die Jahreszahl im Titel – wie man beim Lesen des Kommentars auch erfährt – erst nach 1990 von 1954 zu 1955 geändert wurde, kann als Berichtigung mit oder ohne politischen Hintergrund verstanden werden.)7 Doch auch wenn der Band bisweilen so bezeichnet wurde, möchten wir betonen, dass es sich dabei nicht um eine historisch-kritische Ausgabe handelt. So haben wir von vornherein beschlossen, nur bereits gedruckte Gedichte aufzunehmen. Wir haben nicht einmal versucht, eine von Endler unabhängige Datierung der Texte zu etablieren, sondern uns strikt an die von ihm publizierten Angaben gehalten. Und wir haben darauf verzichtet, die Gedichte chronologisch nach Entstehungsdatum zu präsentieren, und stattdessen mit dem begonnen, was Endler für gültig erklärt hatte. Einige Kritiker, Jörg Magenau etwa, haben das bedauert.8 Die somit entstandene kommentierte Leseausgabe, mit strikter Trennung zwischen Text und Kommentar, behutsamen Erklärungen und allen Gedichten in einem Band, 63

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schien uns geeigneter, aus dem Buch eben keinen Grabstein, sondern ein Angebot zur Wieder- und Neuentdeckung des Autors zu machen. Und wenn Jürgen Brôcan die Frage, ob Endler »jenseits philologischer Interessen […] heute noch lesbar« sei, teilweise mit »Ja«9 beantwortet, dann hängt das vielleicht sogar mit dieser Konzeption zusammen. Gleichzeitig war es uns wichtig, das beherzte »Weg damit!«,10 das Endler bei seiner Auswahl für »Der Pudding der Apokalypse« und »Krähenüberkrächzte Rolltreppe« walten ließ, nicht auf sich beruhen zu lassen. Umso mehr haben wir uns gefreut, dass viele von den Gedichten, die in den Rezensionen lobend zitiert wurden, eben nicht diesen beiden Bänden entnommen sind. Außerdem gibt es selbst in Gedichten, die als Ganzes nicht gelungen sein mögen, Zeilen, die daraus aufscheinen. Dass Endler das letztlich auch so sah, beweist die Tatsache, dass sich etwa in »Krähenüberkrächzte Rolltreppe« Bruchstücke aus solchen, in Gänze nicht gelungenen Gedichten wiederfinden. Sogar aus dem Band »Weg in die Wische« (1960), den er später am liebsten ungeschehen gemacht hätte, tauchen Zeilen darin auf.11 Hier wie anderswo lohnt es sich, »Alt« und »Neu« und alle eventuellen Zwischenformen nebeneinanderzuhalten, weil sich daran oft in nuce die Genese von Endlers Poetik – einschließlich des berühmten Hakenschlagens12 – ablesen lässt: Unser Band macht das möglich. In dem Gedicht ohne Titel etwa, das mit den Worten »Und plötzlich« beginnt (G 271) und in »Krähenüberkrächzte Rolltreppe« erschien, wird eine Zeile in Gänze zitiert und eine andere variiert aus dem Gedicht »Abendbild« aus »Die Kinder der Nibelungen« (G 412), das in seiner frühesten Gestalt in der Zeitschrift »Junge Kunst« von 1962 erschienen war.13 Im Gedicht des damals 31-Jährigen wurden die Kinder zuerst einmal von außen beobachtet, bevor dann die Plötzlichkeit des Sichzuhausebefindens mit einer Innenansicht bekräftigt wurde: »[U]nd wissen nicht, wie« (G 412). Vierzig Jahre später wird genau diese Plötzlichkeit ganz anders konnotiert als Ausdruck der auch zwischen den beiden Gedichten verstreichenden bzw. verstrichenen Zeit: »Und plötzlich sind wir, die Kinder«. Das Interieur, das im früheren Gedicht sorglose Geborgenheit bedeutet hatte (»im Lichtkreis der Lampe«, G 412), verwandelt sich im späteren zum Vorzimmer des Todes, und die Weigerung, ins Bett zu gehen, weitet sich ins Metaphysische aus. Dieses nüchterne, unerschrockene, präzise Nachdenken über das Altern gehört zu den großen Stärken des späten Endler. Dass er dazu Verse aus dem Anfang seiner Karriere verwendet hat, verleiht dem Gedicht noch zusätzliche Tiefe und Resonanz. Endlers Wiederverwendung von alten Texten ist somit weitaus mehr als nachträgliche Bastelei: Sie hat eine poetologische Funktion. Nehmen wir als weiteres Beispiel das Gedicht »Poesie einer Hafennacht / Im älteren Ton« (G 471), das explizit mit der Poesie zu tun hat und in seiner letztgültigen 64

Endlers gesammelte Gedichte

Form schon im Titel darauf hinweist, dass es bei Endler so etwas gibt wie einen älteren und einen neueren Ton. (Vorher hieß es lediglich »In einer Nacht im Hafen«, G 805.) Auch die Datierung »1955/1978«, die Endler in »Verwirrte klare Botschaften« vornahm, deutet auf zwei verschiedene Bearbeitungsstufen hin. Und in der Tat, es gibt zwei Versionen, die eher den 1950er Jahren zuzuordnen sind, und eine aus den späten 1970ern, die Endler dann für alle weiteren Abdrucke so beibehielt. Eine erste Änderung der poetologischen Prinzipien lässt sich an der Interpunktion feststellen. Zwischen den beiden frühen und der späteren Version ist diese nämlich gänzlich verschwunden. Dadurch büßt das Gedicht ein wenig an Verständlichkeit ein, wenn zum Beispiel in Zeile 14 das Komma nach »er« wegfällt und so die Apposition und die darin steckende Metapher »Aufflattert er [der Gischt], ein Heer von wütenden Hähnen« etwas verschleiert ist, oder wenn durch die fehlenden Kommata die Skandierung von »Fernher Gelächter steigt, Gelächter sinkt, verlischt« etwas erschwert wird. Dafür wird in der letzten Version des Gedichtes der Anfangsbuchstabe einer jeden Zeile großgeschrieben, was dem Ganzen ein anderes Gewicht verleiht. Auch Änderungen im Wortlaut sind zu verzeichnen. So hatte der junge Endler offenbar mit der dritten Zeile gerungen. In der ersten Version heißt es: »drei Gaslaternen stehen müd am Rand der Nacht«, in der zweiten wurde »müd« durch »steif« ersetzt, was die Sache nicht unbedingt besser machte. Die dritte und letzte Version ist viel präziser und weniger anthropomorph: »Drei Gaslaternen hellen grün die Hafennacht«, wobei »hellen« als Verb weit wirksamer ist als das banale »stehen«. Ein vergleichbarer Schritt um das Naheliegende zu vermeiden, ist in Zeile 9 zu finden: Wo in der ersten Version die unproblematische, aber auch platte Wendung »heult irr Sirenenschrei« steht, greift Endler in der zweiten und dritten Version zur Wortbildung »spiralt«, die, wenngleich schwer auszusprechen, das wiederkehrende Auf und Ab des Sirenentons sinnlich nachvollziehbar macht. Am deutlichsten aber lässt sich die veränderte Poetik an der jeweils abgesetzten, refrainartigen vierten Zeile jeder Strophe erkennen, die sich mit der jeweils zweiten reimt und somit ein Quatrain bildet, das durch die Leerzeile eher wie eine Terzine anmutet. In den beiden frühen Versionen war hier jeweils ein »Sack voll Tränen« vorgekommen, der am Ende »in den Fluß« (G 806) geschüttet wurde, was den Triumph der Freude und der Liebe über die übliche Melancholie des Dichters andeutete. In der späteren Version ist dieser Behälter der Traurigkeit nicht mehr aufzufinden; ersetzt wurde er durch eine (allerdings vorübergehend abhanden gekommene) Zahnprothese, die ihren Platz im Mund, und also etwas mit Küssen, Sprechen und Dichten (zumal den bissigeren Aspekten dieser Tätigkeiten) zu tun hat. Erst der Verlust des Gebisses (»Wie hatt ichs festgezurrt mit Kleber«, G 471) gibt Anlass zu jenen Tränen, die jetzt nicht mehr wie Flöhe im Sack hausen, sondern den Vollbart des Dichters 65

Robert Gillett / Astrid Köhler

befeuchten. Mit diesem Gebiss gewinnt das ganze Gedicht eine surreale Dimension, die früher nicht da war und die mit einer Selbstironie einhergeht, die der reife Endler des Öfteren auf sich angewendet hat. Diese Selbst­ ironie erstreckt sich auch auf die Tätigkeit des Dichtens selbst. War es in der ersten Version des Gedichts noch das Nachdenken »über einen Satz von Lenin« (G 806), das die Melancholie des Dichters überwinden half, und in der zweiten das Nachdenken »über unsere Liebe« (G 805), so wird diese Wirkung in der letzten, wo die Liebe übrigens der einsamen Lust gewichen ist, durch eine Reihung höchst virtuoser Reime auf «-änen« erzielt.14 Und so findet Endler – in diesem Fall über zwei (Vor)Stufen – zu seiner ureigenen Poetik: einer sinnlich-virtuosen Poetik, die weder sich selbst noch etwas anderes ernst nimmt und dennoch ein Können auf höchstem Niveau an den Tag legt. Diesen Prozess zu beobachten, auch an Gedichten, die Endler nicht für seine stärksten hielt, könnte, so hoffen wir, zu den Vergnügungen gehören, die unsere Ausgabe ermöglicht. Dass wir dabei Gefahr liefen, trotz aller Bemühungen für manches Gedicht nicht alle irgendwann und irgendwo einmal abgedruckten Versionen zu finden, war uns von Anfang an bewusst. Deshalb endete unsere Editorische Notiz (G 607–611) mit dem Hinweis, dass wir für vervollständigende oder auch berichtigende Informationen entsprechend dankbar sind. Zwei solche ergänzenden Angaben haben wir bereits erhalten: Das Gedicht »Song von den Bomben-Geschäftigen« (G 424 f.) hat eine Vorfassung, die noch früher als alle von uns ermittelten erschien: in der von Gerhard Wolf besorgten Anthologie »Sputnik contra Bombe. Lyrik, Prosa, Berichte« (Berlin: Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung 1959, S. 43 ff.). Dort ist zum einen das »Aug« in der letzten Zeile jeder Strophe mit einem Apostroph versehen und zum anderen Zeile 34 der von uns ermittelten frühesten Vorfassung (VF1) zwar ähnlich, aber nicht identisch: »Dank Gott, ist dein sündiges Leben vorbei«. Zwar konnten wir mit unseren Versionen schon zeigen, dass diese Zeile Endler einiges an Mühe gekostet hat, aber hier wird das noch weiter untermauert. Thomas Möbius, Mitarbeiter im DFG-Projekt »Literarisches Feld DDR: Autor*innen, Werke, Netzwerke« an der Humboldt-Universität, von dem dieser Hinweis kam, schickte uns dann noch einen weiteren Fund, der uns zugleich – und ganz in Endler’scher Manier – neue Rätsel aufgibt: In der sowjetischen Zeitschrift »Molodaja Gwardija« 1/1956 fand er die russischen Versionen zweier Gedichte Endlers in der Übersetzung von Bella Achmadulina, »Im Truppenübungsgelände bei Bitburg (Eifel)« (siehe G 356, 754) und »Die Lüge« (ЛОЖЬ), die wir als solche nicht kennen. Endler setzt sich darin mit dem Putsch in Guatemala von 1954 auseinander. Im Nachlass fanden wir schließlich einen Text, der als eine frühe Vorfassung des von Achmadulina übersetzten Gedichts angesehen werden muss: »Guatema66

Endlers gesammelte Gedichte

la-Blues 1955«. Aber weder in den Unterlagen des Literaturinstituts Leipzig, dessen Leiter Alfred Kurella die Übersetzungen vermittelt hatte, noch in Kurellas Nachlass, noch irgendwo anders fand sich bisher »Die Lüge«.15 Etwas Vergleichbares ist uns schon einmal untergekommen, als wir die niederländische Übersetzung des Gedichtes »Offener Schluß« fanden (G 717), die sich aber auf eine nicht mehr auffindbare frühe Vorfassung bezieht. Somit beenden wir unsere Erklärungen zu Endlers gesammelten Gedichten erneut mit der Bitte, uns jegliche Funde, die nicht in unserem Band verzeichnet sind, gütigst mitzuteilen.

1 Jürgen Verdovsky: »Endlich Endler«, in: »Frankfurter Rundschau«, 16.11.2019. Auch abgedruckt als »Die Versarmee«, in: »Badische Zeitung«, 30.11.2019. — 2 Herbert Wiesner: »Was sollte ich im Westen?«, in: »Die Welt«, 20.6.2020. — 3 Björn Hayer: »Mit Angriff und Herz«, in: »Berliner Zeitung«, 21./22.12.2019. — 4 In den nunmehr 17 Jahren seit Erscheinung ihrer Gesammelten Gedichte hat Mayröcker unablässig weitergeschrieben, sodass beispielsweise allein das schmale Poesiealbum von 2014 vierzehn Gedichte enthält, die in jenem Band nicht zu finden sind. Vgl. Friederike Mayröcker: »Gesammelte Gedichte 1939–2003«, Frankfurt/M. 2004 (neu aufgelegt 2019); Mayröcker: »Scardanelli«, Frankfurt/M. 2009; Mayröcker: »Von den Umarmungen. Gedichte«, Berlin 2012; »Poesiealbum 310: Friederike Mayröcker«, Wilhelmshorst 2014. — 5 Gerd Adloff: »Ein Kilo Poesie«, in: »Junge Welt«, 17.2.2020. — 6 Ulrich Berkes / Wolfgang Trampe (Hg.): »Goethe eines Nachmittags. Porträtgedichte«, Berlin, Weimar 1979, S. 87. — 7 Siehe Adolf Endler: »Die Gedichte«, hg. von Robert Gillett und Astrid Köhler unter Mitarbeit von Brigitte Schreier-Endler, Göttingen 2019, S. 186. Im Folgenden erscheinen die Angaben zu diesem Band im Fließtext unter der Sigle G.  — 8 Jörg Magenau: »Neigt zu Alleingängen«, in: »Süddeutsche Zeitung«, 11./12.1.2020. — 9 Jürgen Brôcan: »Das Gelächter vom Prenzlauer Berg«, in: »Fixpoetry«, 25.11.2019, https://www.fixpoetry.com/feuilleton/kritik/adolf-endler/robert-gillett-astridkoehler/adolf-endler-die-gedichte. — 10 In einem Brief an Gerhard Wolf vom September 1973, in dem es allerdings um die Auswahl für den Band »Das Sandkorn« ging, findet sich neben Bemerkungen wie »lassen wir es weg« und »möge es wegbleiben« auch zweimal der Ausruf: »Weg damit!« (G 630, 642, 807, 836). — 11 In dem Gedicht »Freilichtbühne« aus »Krähenüberkrächzte Rolltreppe« (G 234), aber auch in »Wegzehrung« aus »Kiwitt, kiwitt« (G 550) greift Endler Splitter aus dem »Prolog« von »Wische Bauplatz der Jugend« (G 330) auf. — 12 Siehe Endler: Erklärende Notiz in »Der Pudding der Apokalypse«, Frankfurt/M. 1999, S. 201–208, hier S. 208 sowie das Nachwort von Peter Geist zu unserem Band, G 851–865. — 13 Dafür, dass ausgerechnet dieser Titel im Titelregister fehlt, möchten wir uns an dieser Stelle entschuldigen.  — 14 Ein ganz ähnliches Vorgehen in »Motive / Des irren Fürsten M. letztes Gedicht« (G 182) hatte den Rezensenten Michael Braun ergötzt. Michael Braun: »Oh, diese prachtvolle Zankapfelernte heuer!«, in: »Signaturen. Forum für autonome Poesie«, https://www.signaturen-magazin.de/adolf-endler--die-gedichte.html.  — 15 Auch in diesem Punkt möchten wir uns ausdrücklich bei Thomas Möbius für die großzügige Zuarbeit bedanken.

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Gerrit-Jan Berendse

»Life-Writing« Die surrealistische Autobiografie »Nebbich«

Ein von Endler 1981 in der Bundesrepublik veröffentlichter Prosatext lautete  – wie in den Beiträgen von Helmut Böttiger und Michael Opitz erwähnt – »Momente eines Aufklärungsreferats über meinen in Entstehung begriffenen Roman ›Nebbich‹«, erschienen in Nummer 9 der Zeitschrift »Freibeuter«. Das Prosafragment stellt ein unkonventionelles Leben vor, das sich teilweise außerhalb des real existierenden Sozialismus abspielt. Endlers Protagonisten führen in seiner Prosa ein hedonistisches Leben im Schatten einer Welt, die die kommunistische Parteiführung in der DDR einst für moralisch überlegen hielt. Der Begriff »Nebbich« ist west-jiddischen Ur­­ sprungs und vermittelt eine lakonische Lebenshaltung, die im heutigen Sprachgebrauch so etwas wie »total egal« oder »na und« bedeuten würde. »Nebbich« wurde von Endler öfter als Arbeitstitel seines ultimativen Ro­­ mans über die Deutsche Demokratische Republik vorgestellt. Dieser Roman würde – seinen Aussagen nach – nach Fertigstellung über 7000 Seiten um­­ fassen. Das Fragment aus »Freibeuter« sollte in das kolossale »Nebbich«-Projekt integriert werden und war als Vorgeschmack auf Endlers Achterbahn-Prosa der späten 1970er und frühen 1980er Jahre gedacht.1 Die darin beschriebene bizarre Welt verschafft einer fingierten Gruppe trinkender und vagabundierender Schriftsteller Unterschlupf in ein halblegales Untergrundmilieu in den Ostberliner Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg. Es stellt die Antihelden – Bubi Blazezak und Bobbi »Bumke« Bergermann – vor, deren Leben dem des realen Autors Endler zu ähneln scheinen, sich aber andererseits als zu exzentrisch erweisen, um wahr zu sein. Es muss festgehalten werden, dass Endlers ästhetische Eigenschaft der Vermischung von Realität und Fantasie in den meisten seiner literarischen Texte vorkommt, und hinzu kommt, dass er keine Gattungsgrenzen einhält. Außerdem ist das Unterscheiden zwischen Prosa und Poesie bei Endler manchmal schier unmöglich, auch deshalb, weil die verschiedenen Personagen, die in seiner Prosa vorkommen, in manchen Fällen ebenfalls als lyrische Subjekte gastieren (wie im Fall vom in Peter Geists Beitrag erwähnten »Star-Klempner Nolde«). Nach der Vereinigung Deutschlands etablierte Endler seinen Namen mit Gedichtsammlungen wie »Der Pudding der Apokalypse« (1999) und mit Prosa, die er bereits in den 1980er Jahren erstmals inoffiziell in Kleinzeit68

»Life-Writing«

schriften veröffentlichen ließ, wie etwa die Texte in den später erschienenen Bänden »Tarzan am Prenzlauer Berg« (1994) und »Die Exzesse Bubi Blazezaks im Fokus des Kalten Krieges« (1995). Ein Roman mit dem Titel »Nebbich«, den der Schriftsteller seit Ende der 1970er Jahre immer wieder angekündigt hatte, erschien jedoch nie. 2005 wurde dann aber ein Buch unter diesem Titel veröffentlicht. Der Untertitel versprach jedoch keinen Roman, sondern eine Autobiografie. Sie lautet – ironisch gemeint – »Eine deutsche Karriere«. Endlers Buch »Nebbich« wurde von Memoiren anderer Mitglieder der Sächsischen Dichterschule, unter anderem von Sarah Kirschs »Tartarenhochzeit« (2003), Karl Mickels »Lachmunds Freunde« (2006) und Heinz Czechowskis »Der Pol der Erinnerung« (2006), begleitet. All diese Erinnerungstexte beabsichtigen, einzelne Lebensläufe in der kulturpolitischen Geschichte der DDR aufzuarbeiten. Endlers »Nebbich« ist jedoch keine Erinnerung an sein in den politischen Kontext eingebettetes Privatleben. 1 Auch der 1930 in Düsseldorf geborene Endler musste viele Brüche in der deutschen Geschichte erdulden. So erlebte er als Jugendlicher den Zusammenbruch des Hitlerregimes und im Alter von 20 Jahren die Spaltung Nachkriegsdeutschlands im Kalten Krieg. Später  – als zorniger junger Mann – ertrug er die politischen und kulturellen Einengungen in der Adenauer-Ära und nach seiner Übersiedlung 1955 in der (wie er es selbst ausdrückte) nicht weniger »kunstfeindlichen DDR« Walter Ulbrichts. Dabei war die literarische Dialogizität, die er in der Sächsischen Dichterschule erfuhr, eine Befreiung aus der einengenden Monosemie. In der Post-Biermann-Ära wurde er als Autor von Gedichten, Prosa und Polemiken Förderer und Mentor einer neuen Schriftstellergeneration, die in den 1980er Jahren das kulturelle Profil der DDR mitprägen sollte, fast ausschließlich von seinen Schriftstellerkollegen und -kolleginnen gefeiert. Trotz des durch den Untertitel und das Jugendfoto auf dem Schutzumschlag der Wallstein-Ausgabe in Aussicht gestellten Versprechens, in der Autobiografie des Autors Informationen über seinen persönlichen Umgang mit der deutschen Geschichte zu erhalten, welche wichtige Einblicke in die deutsche Vergangenheit hätte geben können, werden in »Nebbich« keine Enthüllungen bisher unentdeckter Details aus Endlers Leben angeboten. Das Buch hat andere Ansprüche. In vielen Rezensionen war die Enttäuschung denn auch groß. Zwei der einst einflussreichsten deutschen Literaturkritiker, Fritz J. Raddatz und Martin Lüdke, veröffentlichten negative Bewertungen, in denen sie argumentier69

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ten, dass das Hauptproblem des Buches darin bestehe, bereits Veröffentlichtes zu wiederholen. »Nebbich« sei gar »kein Buch, sondern ein Sammelsurium von winzigen, fast immer belanglosen Beobachtungen in flüchtigster Tagebuchform (gelegentlich ganze Passagen wörtlich wiederholend)«.2 In der Tat warten wir immer noch auf Antworten auf die Frage, was den Autor genau motiviert hat, 1955 – ein Jahr vor dem KPD-Verbot – in die DDR umzusiedeln, und wie er seine Studienzeit am Institut für Literatur in Leipzig einschätzte. Auch über seinen Alkoholismus, seine Ehe mit der Dichterkollegin Elke Erb und über die Einschätzung der Kollegen in der Sächsischen Dichterschule wird nichts enthüllt. Und was ist mit dem verborgenen Leben einiger der Prenzlauer-Berg-Dichter, die er in den 1980er Jahren begleitete? Georges Gusdorf lehrt uns tatsächlich, dass eine Autobiografie »uns nicht die objektiven Etappen einer Karriere […] zeigt, sondern […] das Bemühen eines Schöpfers, seiner eigenen mythischen Erzählung einen Sinn zu geben«.3 Endler ist ein Mythenschöpfer par excellence und benutzt »Nebbich«, um den Kampf mit den vielfältigen Schatten seiner fiktiven Figuren darzustellen, wie er es in seinen literarischen Miniaturen häufig getan hat. So vermeidet er es, irgendwelche Fakten aus seinem Privatleben zu enthüllen. Andererseits ist »Nebbich« jedoch so komponiert, dass wir das Buch als realistisches Selbstporträt der »deutschen Karriere« eines Schriftstellers lesen können. Endlers Kommentare zu den merkwürdigen Ereignissen in seiner Prosa lassen eine intime Beziehung zwischen dem fiktiven Personal und seinem Schöpfer vermuten. Das Paradoxon wird deutlich, wenn wir die Autobiografie genauer unter die Lupe nehmen. Dann können auch die Urteile der beiden Literaturpäpste Lügen gestraft werden. Das erste Kapitel von »Nebbich« verspricht tatsächlich einen Memoirenanfang traditioneller Art, nämlich Erinnerungen an die Leidenschaften eines jungen E., der nach der ersten Welle von Luftangriffen der Alliierten auf das Ruhrgebiet Granatscherben sammelte. Die Geschichte wird fortgesetzt, indem er erzählt, wie sich sein Hobby in ein Sammeln »anderer Art« verwandelte, nämlich in das Sammeln von Büchern – »halb verbrannt, angekohlt, feucht, verdreckt«.4 Die meisten Errungenschaften seiner Sammelwut sind verloren gegangen und, so E., nur einige (auch teilweise zerstörte) Listen mit ihren Titeln sind erhalten geblieben. Die »Sammelwut der anderen Art« spielt auf die nachfolgenden Kapitel in »Nebbich« an, in denen Endler seine tatsächlich bereits öfter vorgeführte Lust am Fragmentieren, an Collagen sowie das Sammeln von Notizen in den weiteren Kapiteln als »Splitter« Revue passieren lässt. Allerdings ändert sich der vielversprechende Auftakt der Autobiografie konventioneller Art im Schlusskapitel radikal. Die Erinnerungen des 14-jährigen Teenagers, der nach dem Krieg und nach der Kinderlandverschickung zurückkehrt,5 versprechen, wertvolle Informationen über das Leben E.s zu 70

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geben: »Von Hanau her, Frankfurts südliche Peripherie und der Taunus blieben rechts liegen, auf offenem Güterwagen mit hundert anderen Heimkehrern […].«6 Auf der langen und anstrengenden Fahrt zurück in seine Heimatstadt trifft E. jemanden, mit dem er seine kurze Lebensgeschichte teilen will: »Neben mir hatte während der ganzen Fahrt und schweigend ein stoppelbärtiger grauer Gelehrten-Typ gestanden, manchmal gelegen, dann wieder gestanden, welcher sich vis-à-vis dem Loreley-Felsen – schärfer sehe ich es als alles übrige jetzt – doch endlich zum Rauchen entschloß und – der lederne Tabaksbeutel, aufgespreizt mit Zeigefinger und Daumen, schwang hin und her vor dem stoppligen Kinn  – sich die Pfeife mit Krüllschnitt vollstopfte.« Er fragt den Jungen: »›Wie alt magst du sein‹ – Ich war vierzehn. – ›Im nächsten September werde ich fünfzehn!‹«.7 Es ist das erste Mal in »Nebbich«, dass der Junge sich zu Wort meldet und, nachdem er jemanden zum Reden gefunden hat, bereit zu sein scheint, seine Geschichte zu erzählen und sie uns Lesern mitzuteilen. Aber die ersten sechs Worte des Jungen werden vom Erzähler grob unterbrochen. Die Gegenwart fängt die Vergangenheit ab, wenn der Erzähler das Kind daran hindert, das Gespräch fortzusetzen, uns sein Leben zu offenbaren. Der Teenager – ist es E. oder der bei der Veröffentlichung des Buches 73-jährige Autor Adolf Endler oder nur eine weitere fiktive Figur aus Endlers riesigem Arsenal von Anti-Helden? – wird zum Schweigen gebracht: »›Nein!, nicht!!!‹ will ich Dreiundsiebzigjähriger es fuchtelnd zum Schweigen bringen, das Kind.«8 Endler zieht die (natürlich metaphorische) Notbremse und lässt die Geschichte mit diesem Finalsatz enden. Denn dies ist der Schlusssatz des gesamten Buches, nachdem ein vielversprechender Anfang durch den Erzähler verhindert wird, sich zu einer konventionellen Autobiografie zu entwickeln. 2 Bisher wurden nur sechs der 289 Seiten des Buches abgehandelt. Zwischen der ersten autobiografischen Vorstellung des 13-jährigen E. (zwei Seiten im ersten Kapitel) und den unterbrochenen Ausführungen des 14-Jährigen im letzten Kapitel (vier Seiten) bleiben 40 weitere Texte auf insgesamt 283 Seiten, die ein Kaleidoskop bunter Prosafragmente aus den 1970er und 80er Jahren bieten. Die meisten dieser Texte wurden bereits veröffentlicht und überarbeitet, oft nach 1990 erweitert, wie vom Autor angegeben und von den beiden Starkritikern Raddatz und Lüdke erkannt. Sie bestehen aus detaillierten Beschreibungen unterschiedlicher karnevalesker Abenteuer von Endlers buntem Assortiment an Alter Egos, aus Erinnerungen an kurze, meist unangenehme Begegnungen mit Funktionären, gefolgt von intensi71

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ven Diskussionen der Texte von Dichterkollegen wie Elke Erb, Sarah Kirsch, Peter Huchel, Erich Arendt und Inge Müller. Darüber hinaus zitiert Endler aus seinen Stasi-Akten, die er nach 1990 eingesehen hat und die teilweise ein neues Licht auf die Rezeption seiner Texte werfen. Literarische Prosa und Memoiren werden vermischt, wodurch Fiktion mit Realität interagiert und auf diese Weise verhindert wird, dass der heteroglossische Text zur Monosemie erstarrt. Die Dialogizität des Romanwortes, wie der russische Literaturwissenschaftler Michail M. Bachtin die Mischung gesellschaftlicher Sprechweisen und Einzelstimmen in jeder Gesellschaft definiert hat,9 gelingt Endler in seiner Prosa, wenn er die Charaktere – hinter deren Namen sich oft Anagramme des Autornamens verstecken – ein polyphones Wechselspiel aus Stimmen verschiedener Sozialebenen ertönen lässt. Im Fall von »Nebbich« unterstützt dies Endlers Abneigung, eine autorisierte Autobiografie zu verfassen. Stattdessen bietet er eine Collage aus Prosaminiaturen, Tagebucheinträgen und fragmentierten Erinnerungen an, die ständig zwischen der empirischen und der fiktionalen Welt oszillieren. Endler versucht eine Autobiografie surrealistischer Art. 3 »Nebbich« ist ein wichtiges surrealistisches Dokument des 21. Jahrhunderts: Es erfüllt zwei wesentliche Kriterien des literarischen Surrealismus, nämlich das Merkmal der Montage und das seiner Unlust auf das auktoriale Erzählen. Endler hat seine Bewunderung für die und seine Korrespondenz mit der (historischen) Avantgarde auch in DDR-Zeiten immer offen dargelegt. Das hat, wie er immer hervorgehoben hat, mit seiner Erziehung zu tun, mit seiner belgischen Mutter, die ihm ein »raubeinige[s], schwarz-humorische[s] Verhältnis zum Leben« beigebracht habe.10 Wichtiger ist jedoch hervorzuheben, dass ihm im Lauf der Zeit beim Schreiben klar wurde, dass der Surrealismus eine willkommene Alternative zum Dogma des sozialistischen Realismus wurde – eine Haltung, die er mit Schriftstellern wie Uwe Greßmann, Karl Mickel und Kurt Bartsch, später auch mit Frank-Wolf Matthies und Bert Papenfuß-Gorek sowie mit dem Maler Carlfriedrich Claus teilte. Endler charakterisierte den Surrealismus einst mit dem Oxymoron »vitaler Kadaver«, denn diese Kunst- und Literaturbewegung gehöre zwar der Vergangenheit zu, berausche mit ihren Idealen jedoch weiterhin gegenwärtige Geister.11 Mitte der 1980er Jahre wurde der Surrealismus offiziell vom Romanisten Karlheinz Bohrer mit seiner Anthologie »Surrealismus in Paris« in der DDR-Kulturpolitik bekannt gemacht, somit enttabuisiert: Nicht nur wurde darin die Vielzahl von surrealistischen Texte von DDR-Lyrikern nachgedichtet und somit ins Leseland DDR eingeführt, in der gesamten Dekade machte 72

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sich die neue junge Generation daran, die Avantgarde für sich neu zu entdecken.12 In »Nebbich« spielt Endler nicht nur häufig auf die Pariser Surrealisten an, indem er aus deren Manifesten und literarischen Texten zitiert, er geht sogar so weit, sich hypothetisch mit André Breton über ein Vorhaben auszutauschen, um zu der zum ersten Mal 1940 herausgegebenen illustren »Anthologie des Schwarzen Humors« beizutragen. Wie viele Surrealisten hat auch Endler eine Abneigung gegen das Lüften von intimen Details, wodurch die Leserinnen und Leser von »Nebbich« bei ihrer Suche nach Privatem enttäuscht werden. Während er in vielen Texten die Aufmerksamkeit auf seine Hingabe zum Surrealismus lenkt, introduziert er explizit ein avantgardistisches Ideal: das Verschmelzen von Kunst und Leben. Die Abneigung gegenüber konventionellen Autobiografien hat Breton seinerseits bereits 1952 in seinen »Entretiens« überzeugend dargestellt. Dieses Buch enthält eine Reihe von Interviews mit dem Dichter, in denen er die Leserschaft mit dem Versprechen einer Autobiografie täuscht, denn er verweigert jeglichen direkten Zugang zu seinem Privatleben. Stattdessen finden wir darin nur wenige persönliche Details und kein Wort über seine Kindheit; es finden sich darin auch kaum Anspielungen auf seine drei Ehefrauen und Dutzende Liebesaffären.13 Ähnlich wie es Bretons Strategie war, private Details auszublenden, lenkt Endler den Fokus der Leser stattdessen auf seine über die Jahre überarbeitete Prosa und drängt damit die konventionellen Erinnerungstexte an den Rand des Buches. Das heißt, jedes reale Ereignis und jede Erfahrung ist zu Literatur substituiert. Endler stellt somit die avantgardistische, wenn auch von der Literaturwissenschaft angezweifelte Gleichung Leben = Schreiben überzeugend wieder her. Der Leser kann nur das erkennen, was als »Aspekte des Fiktionalen innerhalb des Autobiografischen« bezeichnet worden ist, und zwar volle, literarisch gestaltete Lebenserfahrungen.14 Endler nimmt das vorweg, was heute als der neueste Stand in der »Life Writing«-Forschung gilt, nämlich die Einsicht, dass die Trennung zwischen gelebtem und erzähltem Leben wohl immer schwieriger zu vollziehen ist. Das wussten die Surrealisten schon. 4 »Nichts kriegt man richtig fertig – und sein Leben schon garnicht!« lautet Endlers Lebenscredo.15 In seinem in den Texten fingierten Ostberliner Miniaturbiotop scheint sein Schreiben in der Tat unfertig, repetitiv und zaghaft, was auch für seine Biografie gilt. Und jedes Mal, wenn der Autor seine Prosatexte überarbeitet und beispielsweise Korrekturen älterer Versionen hinzufügt, wie das in »Nebbich« der Fall ist, schafft er neue Montagen 73

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und Collagen, wobei er der vorübergehenden Logik der Avantgarde, genauer: des Surrealismus, folgt. So präsentiert Endler sein Leben und Schreiben, aber auch seine Sicht auf Politik und Geschichte. Das heißt, seine Erinnerung an Ereignisse in der deutschen Vergangenheit negiert ein strenges chronologisches Muster und reduziert sich auf das Skizzieren von (allerdings genau recherchierten) Anekdoten. »Nebbich« zeigt, dass Endlers kulturelle Erinnerung direkt mit seiner besonderen Poetik verbunden ist. In Endlers Prosa verschmelzen fiktionale und autobiografische Diskurse so, dass sich seine Texte weigern, kohärente Erzähl- oder Erinnerungsstrukturen anzubieten. Er präsentiert damit jene Hindernisse, die dem individuellen Akt des Erinnerns im Wege stehen. In »Nebbich« geht Endler in seiner Prosa den zerrissenen Weg der deutschen Geschichte nach: Das Buch erschien 15 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands, 50 Jahre nach Endlers Umzug in die DDR und 60 Jahre nach dem Ende des ›Dritten Reiches‹. Sein Privatleben und seine Literatur decken sich mit einem zerschundenen Land, das von Spaltungen, Unsicherheiten, Unerledigtem und unbeantworteten Fragen gezeichnet ist. Im heute nur scheinbar vereinten Deutschland pflanzt Endler seine zerstückelten und fragmentierten Erinnerungen, sammelt er kleine Bruchstücke seiner Vergangenheit, ähnlich dem Teenager im ersten Kapitel die Granatscherben und später verkohlte Bücher. Daraus entsteht eine »Autobiographie aus Splittern«, wie er es selbst nennt.16 Die Splitter sind die in seiner Vergangenheit geschriebenen Texte, die sein Leben darstellen. Insofern ist »Nebbich« nicht nur eine Wiederholung früherer Texte, sondern erweist sich allererst als eine authentische Darstellung der Erinnerungsprozesse des Schriftstellers: Endler demonstriert die problematische Mechanik der retro­ spektiven Imaginationen. Die Erinnerung an die Vergangenheit ist ein ruckartiger, selten ein linearer Prozess, wie Aleida Assmann das kulturelle Gedächtnis in ihrem Buch »Erinnerungsräume« charakterisiert. Das Erinnern ruft »unweigerlich Verschiebung, Verformung, Verzerrung (und) Anpassung« hervor.17 Endler seinerseits verdunkelt in seinem surrealistischen Projekt bewusst seine Biografie und schafft damit den kulturellen Ort, an dem die Leserinnen und Leser eingeladen werden, die Stücke des in Unordnung geratenen deutschen Puzzles aufs Neue zu ordnen.

1 Adolf Endler: »Momente eines Aufklärungsreferats über meinen in Entstehung begriffenen Roman ›Nebbich‹«, in: »Freibeuter. Vierteljahreszeitschrift für Kultur und Politik« 9 (1981), S. 115–121. — 2 Fritz J. Raddatz: »Absturz vom Schwebebalken«, »Zeit Online«, 17.3.2005. https://www.zeit.de/2005/12/L-EndlerTAB/seite-2, und Martin Lüdke: »Bohemien im Arbeiter- und Bauernstaat. Kaum mehr nachvollziehbare Bewusstseinslage«, in: »Frankfurter

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»Life-Writing« Rundschau«, 1.6.2005. — 3 Georges Gusdorf: »Conditions and Limits of Autobiography«, in: James Olney (Hg.): »Autobiography. Essays Theoretical and Critical«, Princeton 1980, S. 48. Meine Übersetzung. — 4 Adolf Endler: »Nebbich. Eine deutsche Karriere«, Göttingen 2005, S. 7. Die von Endler gesammelten und hier erwähnten Titel sind Joseph Goebbels: »Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei ein historischer Bericht in Zeitungen (vom 1. Januar 1932 bis 1. Mai 1933)«, München 1934; Marie Luise Bartz: »Deutsche Frauen deutsche Treue. Gedenken an Königin Luise von Preußen«, Leipzig 1910; Heinrich Spoerl: »Der Gasmann. Ein Heiterer Roman«, Berlin, Wien 1940, und Hanns Heinz Ewers: »Reiter in deutscher Nacht«, Stuttgart, Berlin 1932. — 5 Wie viele andere deutsche Kinder aus »luftgefährteten Gebieten«, etwa aus dem Ruhrgebiet, wurde auch Endler im Zuge der sogenannten Erweiterten Kinderlandverschickung (KLV) evakuiert. Die Schulkinder lebten zeitweilig getrennt von ihren Familien in KLV-Lagern, bei Pflegefamilien oder Verwandten. Siehe dazu u. a. Jost Hermand: »Als Pimpf in Polen. Erweiterte Kinderlandverschickung 1940–1945«, Frankfurt/M. 2015. — 6 Endler: »Nebbich«, a. a. O., S. 284. — 7 Ebd., S. 286 f. — 8 Ebd., S. 287. — 9 Michail M. Bachtin: »Die Ästhetik des Wortes«, hg. von Rainer Grübel, Frankfurt/M. 1979, S. 191. — 10 Jürgen Verdofsky: »›Ich sehe meine Existenz als etwas Rätselhaftes‹. Im Gespräch mit Adolf Endler«, in: »die horen« 54 (2009) 236, S. 62.  — 11 Adolf Endler: »Surrealismus aus der Dunckerstrasse/Blätter aus dem Sommer 82«, in: »Herzattacke. Literatur- und Kunstzeitschrift« 1 (1994), S. 298–302. — 12 Karlheinz Barck (Hg.): »Surrealismus in Paris 1919–1939. Ein Lesebuch«, Leipzig 1985. — 13 Siehe Mark Polizzotti: »Revolution des Geistes. Das Leben des André Bretons«, München, Wien 2002. — 14 Gunnthórunn Gudmundsdóttir: »Borderlines. Autobiography and Fiction in Postmodern Life Writing«, Amsterdam, New York 2003, S. 5. Meine Übersetzung. — 15 Endler: »Nebbich«, a. a. O., S.  38.  — 16 Ebd., S. 5.  — 17 Aleida Assmann: »Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses«, München 1999, S. 29.

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Prolegomena zu einer wünschenswerten Studie über Adolf Endler als Kommentator des Literaturbetriebs

In seiner launigen Vorbemerkung zur bisher einzigen Buchveröffentlichung seiner kritischen Arbeiten »Den Tiger reiten« (1990) bemerkt Adolf Endler: »[…] das ins Auge gefaßte Werk, wenn es auf sinnvolle, keinesfalls nur bürokratische Weise ›komplett‹ sein wollte, größere Zusammenhänge und differenzierte Hintergründe beleuchtend, müßte, […], mindestens 1200, besser noch 1600 Seiten stark sein.«1 Dass es dann nur 150 Seiten wurden, verdankte sich der Skepsis des Verlags, der 1989/1990 andere Veröffentlichungsschwerpunkte für sich sah und in Hinblick auf ein mögliches Lesepublikum wahrscheinlich nicht so ganz falsch lag. Aber immerhin: Von den 4000 aufgelegten Exemplaren konnten ca. 1300 verkauft werden. Die Endlergemeinde muss also deutlich über den Kreis der Literaturkritiker hinausgegangen sein. In einem Brief an den Herausgeber hatte der damalige Geschäftsführer des Luchterhand Verlags, Helmut Frielinghaus, nämlich geschrieben: »Wenn das Buch dazu beiträgt, daß der Autor Endler einem größeren Kreis von Literaturkritikern in der BRD bekannt wird, wird das Herrn Endler einige Wege ebnen […].«2 Frielinghaus, kein Kritiker, der sich an der unerfreulichen Verzwergung der Literatur aus der DDR beteiligte, sah also Endler als Autor für Kritiker; man sollte ihn aber als einen Autor für Autoren und den einer eingeschworen Lesergemeinde sehen. Sein Weg auch als Kommentator3 zeigt das meines Erachtens deutlich. In den Jahren zwischen 1957 und 1965 erschienen Dutzende von ausführlichen Rezensionen4 und Kurzkritiken in den Zeitungen und Zeitschriften »Berliner Zeitung«, »Sonntag«, »Junge Welt«, »Schatulle«, »Neue Deutsche Literatur«, die Endler als differenzierenden Kritiker zeigen. Er setzte sich sowohl mit der Lyrik als auch der Prosa der DDR auseinander. Nach 1965 sollte eine Pause bis zum Beginn der 1990er Jahre eintreten, bis er sich wieder in einem Essay zur Prosa äußerte. Es lassen sich aber schon vor dem Einsetzen der ›Lyrikwelle‹ ab 1962/1963 deutliche Schwerpunktsetzungen seiner kritischen Tätigkeit feststellen. Mehrfach schreibt er sympathisierend,5 schließlich aber auch vorsichtig kritisch über Johannes R. Becher.6 Aus heutiger Sicht irritierend ist die wiederholte Beschäftigung mit Bernhard Seeger und dem lyrischen Idylliker Uwe Berger. Selten geht der Blick über die Grenzen – einmal in Richtung Erich Kästner,7 dann wieder in Richtung Mao Tsetung.8 Zugleich entstehen in der ersten Hälfte der 76

Prolegomena

1960er Jahre Porträtgedichte zu Blok, Majakowski und Jessenin9  – diese Traditionsbezüge gehen aber nicht in Endlers Rezensionstätigkeit ein. Die zunächst mit deutlicher Zustimmung rezensierten Lyriker der DDR sind Erich Arendt, Franz Fühmann, Hanns Cibulka, Walter Werner, Wulf Kirsten und Heinz Czechowski. Cibulka und Fühmann sollten Endler allerdings später als Lyriker nicht mehr beschäftigen. Die Rezension »Czechowski und andere«10 von 1963 ist als Vorarbeit für den programmatischen Artikel »Lyrik und Lyriker«11 zu betrachten. In diesem Artikel werden nämlich jene Autoren und Autorinnen zusammengeführt, die nach einer späteren Idee Endlers ironisch als »Sächsische Dichterschule« benannt wurden und unter diesem Etikett in Literaturgeschichtsschreibung eingingen.12 Karl Mickel, Volker Braun, Heinz Czechowski und Sarah Kirsch galten Endler Mitte der 1960er Jahre als wichtigste Autoren der jüngeren Generation. Gedichte dieser Autoren und des etwas älteren Günter Kunert standen 1966 im Mittelpunkt der Debatte im FDJ-Organ »Forum«. Es schien für einen kurzen Augenblick noch möglich – nach dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965, das als Zäsur und Rücknahme der liberaleren Phase der SED-Kulturpolitik nach 196113 gelten kann –, eine offene Diskussion in Teilbereichen der literarischen Öffentlichkeit zu führen. Endler und andere hielten an der Idee widerstreitender Literaturvorstellungen fest. Endler profilierte sich als Polemiker, der sich zugleich von dem harmonistischen Sozialismusbild von Zeitgenossen und selbst von idyllischen Vorstellungen löste, die sich in der offiziösen Literaturkritik mit dem Namen Becher verbanden.14 Im Ergebnis aber konnte die mit wenigen Ausnahmen eher agonische Veröffentlichungspolitik bis 1971 nicht gestoppt werden. Zu den wenigen Ausnahmen gehörte auch die von Endler und Mickel herausgegebene Lyrik-Anthologie »In diesem bessern Land«.15 Nach heftigen Kontroversen um Auswahlprinzipien und das Vorwort der Herausgeber konnte der Band 1966 erscheinen.16 In der Anthologie fehlten hochgelobte Lyriker wie Helmut Preißler oder Max Zimmering, wohingegen Gedichte von Autoren der jüngeren und mittleren Generation aufgenommen wurden, die uns heute geläufig sind: Volker Braun, Heinz Czechowski, Adolf Endler, Peter Hacks, Bernd Jentzsch, Heinz Kahlau, Rainer und Sarah Kirsch, Günter Kunert, Richard Leising, Karl Mickel, Inge und Heiner Müller, und B. K. Tragelehn. Zu den Auswahlgrundsätzen heißt es im Vorwort: »Was die Herausgeber verband, war eine nicht kleine Unduldsamkeit gegenüber Halbfabrikaten, die als Vorformen interessant sein mögen.«17 Die Jahre bis 1971 waren für die Literaturpolitik in der DDR höchst statische Jahre. Endler konnte zwischen 1965 und 1971 wenige Rezensionen im »Sonntag« und in der »Neuen Deutschen Literatur« unterbringen; ganze sieben Gedichte erschienen in der DDR zwischen 1967 und 1973.18 Paul Wiens, Uwe Berger, Norbert Kaiser, Kurt Bartsch und Uwe Greßmann 77

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wurden rezensiert, keiner der Autoren, mit denen Endler enger freundschaftlich verbunden war, konnte vorgestellt werden, da diese wie Endler auf ihren nächsten Gedichtband warten mussten. Aber in diese Periode fällt der Beginn von Endlers intensiver Fürsprache für den 1969 mit 36 Jahren verstorbenen Autor Uwe Greßmann,19 der durch diese und weitere Bemühungen von Elke Erb, Karl Mickel, Richard Pietraß und anderen einen Platz in Verlagen in der DDR gefunden hat – westlich der Elbe ist er nie angekommen. Die Schublade war die Sammelstelle für Endlers eigene Arbeiten, denn nur selten wurde er zu Lesungen eingeladen. In ihr befanden sich zum Beispiel ausgearbeitete Referate aus dieser Zeit wie ein Vortrag, der 1968 in Weimar gehalten wurde (»Wie in Thüringen gedichtet wird«).20 Er harrt wie anderes der Veröffentlichung. Immerhin begann für Endler Ende der 1960er Jahre die Zeit der Nachdichtungen. Im November 1970 veröffentlichte »Sinn und Form« die große Studie »Versuch über die georgische Poesie«.21 Mit dem Aufenthalt von zweieinhalb Monaten in Georgien im Jahr 1969 (gemeinsam mit Rainer Kirsch und Elke Erb) begann die intensive Auseinandersetzung mit der georgischen Lyrik, die bis heute nichts von ihrer eindrucksvollen Genauigkeit und poetischen Faszination verloren hat.22 Diese Arbeit sicherte wegen der großzügigen georgischen Honorierung für einige Zeit Endlers Lebensunterhalt. Die Schubladengedichte, vereint in dem Band »Das Sandkorn«, fanden 1974 nach dem 8. Parteitag der SED 1971 den Weg in die Öffentlichkeit. In den Abschnitt »Anmerkungen zur Kulturwissenschaft« konnte nun auch »Die düstere Legende vom Karl Mickel« von 1967 aufgenommen werden, die im Zusammenhang mit der Lyrikdebatte 1966 entstanden war und souverän Sexualfeindlichkeit und Akademismus verhöhnte: »[…] Ob mit Eheringen, güldnen, ob mit Beilen / Zielten sie auf was man lustvoll schiebt. / (Drei Doktoren gründlich tilgen Mickels Zeilen, / Bis es keine auf der Welt mehr gibt.) // Eisig nunmehr, Heros düsterer Ballade, / Er skandierte: Each man kills the thing he loves. / Und sie taten es und schnürten ihn zum Rade. / Konnte keiner Englisch in dem Rund des Kaffs?«23 Endler hat sich immer dagegen verwahrt, als Theoretiker angesehen zu werden,24 sondern sich stets als kritischer Kollege und Begleiter gesehen, als jemand, der auf Vergessenes oder Vernachlässigtes hinweist, nicht zuletzt und später immer deutlicher als Freund, der anderen das Werk des Freundes vorstellt. Dummheit und Ignoranz aber riefen beim Endler der frühen 1970er Jahre heftige Polemik hervor. Als 1970 die Aufsatzsammlung »Verse, Dichter, Wirklichkeiten« des Germanisten Hans Richter erschien, die die Arbeiten Bechers, Brechts und die Arbeiten ihrer und der nachfolgenden Generation als den Hauptstrang der DDR-Lyrik akzentuierte, konnte Endler seinen widersprechenden Beitrag »Im Zeichen der Inkonsequenz«25 in »Sinn und Form« veröffentlichen und eröffnete damit die wohl wichtigsten 78

Prolegomena

Debatte über die DDR-Lyrik, auf die bis heute immer wieder Bezug genommen wird, die allerdings leider nie hinreichend dokumentiert wurde. Es würde sich dann nämlich zeigen, dass Endlers berühmtes Diktum »Die Ignoranz durch die Germanistik, die immer noch als eine dürre Gouvernante einen blühenden Garten (die Lyrik der DDR) beschimpft, macht den vollkommenen Abbruch der Beziehungen zwischen Germanisten und Poeten verständlich, der inzwischen perfekt geworden ist«, absolut zutreffend für die kritisierte Arbeit war, aber eine zutreffende Kritik der Germanistik in der DDR schlechthin nicht bot. Auch wenn Endlers weitere Beiträge differenzierter ausfielen,26 so blieb nach dem Schluss der Debatte das Unbehagen, es sei da auch aneinander vorbeigeredet worden. Was bleiben sollte bis zum Ende der DDR: Zwei Endler-Rezensionen in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zu »Akte Endler«. Beispielsweise hatte hingegen Volker Braun in Dieter und Sylvia Schlenstedt getreuliche und kompetente Germanisten und Rezensenten an seiner Seite. Letztere aber waren mit den Zeitläuften in der DDR noch im hoffnungsvollen Gespräch. Die Lyrik-Debatte 1971/1972 hatte Endler als Autor gezeigt, der argumentativ eine andere literarische Öffentlichkeit erreichen wollte, vielleicht noch an die Reformierbarkeit des politischen Systems glaubte: Er trat auf dem Schriftstellerkongress 1973 auf, konnte in der Akademiezeitschrift »Sinn und Form« zwischen 1973 und 1975 Arbeiten zu Erich Arendt, Wilhelm Tkaczyk, Inge Müller und Sarah Kirsch unterbringen. Spätestens nach der Biermann-Ausbürgerung im November 1976, gegen die er zusammen mit Elke Erb protestierte,27 erledigten sich für Endler die Hoffnungen auf die Reformierbarkeit des Systems. Als er dann nach einem Protest gegen die Verurteilung Stefan Heyms wegen Devisenvergehens 1979 aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen wurde, waren auch die Veröffentlichungsmöglichkeiten versperrt.28 Neben Veröffentlichungen in der Bundesrepublik, in denen er seine Auseinandersetzung insbesondere in der Prosa mit Charaktermasken wie Hermann Kant,29 Erik Neutsch,30 Helmut Preißler31 und Publikumslieblingen wie Eva Strittmatter32 fortsetzte, blieb ihm nur der Weg in die Berliner und Leipziger Untergrundzeitschriften. Als Auftakt für diese Publizistik ist der 1985 vom NDR gesendete Beitrag »Wörter, Wörter. Momente neuer Lyrik in der DDR« anzusehen. Es folgten resümierende Beiträge in den Zeitschriften »ariadnefabrik«, »Zweite Person« und »Bizarre Städte«, die Endler als vierten Mentor der alternativen literarischen Szene neben Franz Fühmann, Gerhard Wolf und Elke Erb zeigen.33 Von kaum zu überschätzender Bedeutung für Endlers kritisches Werk ist der Lesebetrieb, den er und Brigitte Schreier-Endler mit Orplid & Co. organisierten. Es lasen in der Zeit vom April 1991 bis April 1998 ca. 150 Autorinnen und Autoren. Wesentlich war den Endlers eine selbstverständliche 79

Manfred Behn

Präsentation der Autoren und Autorinnen des Prenzlauer Bergs und eine Vorstellung von Konzeptionen aus Ost und West. Eine Würdigung von Endlers kritischem, hier kulminierendem Wirken hätte eine eigene Studie verdient. Als 1994 Endlers Tagebuchblätter aus den Jahren 1981 bis 1983 »Tarzan am Prenzlauer Berg«34 erschienen, war die Prenzlauer-Berg-Szene durch die Enttarnung von Sascha Anderson und Rainer Schedlinski als Mitarbeiter der Staatssicherheit in Misskredit geraten. Endler ließ nun in seinen Tagebuchnotizen erkennen, dass die Gruppe der Dichter des Prenzlauer Bergs beileibe nicht eine des literarischen Eskapismus war, sondern dass sie nach Formen der Rede suchte, die das Konzept der Fürstenerziehung (Volker Braun) oder Fürstenbeschimpfung (Wolf Biermann) als ausgeschöpft ansah. Es ist daher auch kein Zufall, dass er einen großen Teil seiner Notizen der listigen Widerständigkeit des schwerkranken Erich Arendt widmete. Es gelingt ihm das überzeugende und anrührende Porträt eines Dichters, in dessen Ästhetik Sprache zum Medium eines alternativen Denkens und Lebens wird. Endlers Tagebuch – wie zuvor schon seine Essaysammlung »Den Tiger reiten« – zeigt eindrucksvoll, dass sich im Berliner Untergrund eine Form des Lebens und Schreibens herausgebildet hatte, die ihre Bedeutung durch die Enttarnung zweier Spitzel nicht verlieren wird. Anmaßende Geschmacklosigkeiten des Literaturbetriebs sind deshalb noch lange nicht auszuschließen. Endler hat 1996 die unmäßigen und von keiner Kenntnis getrübten Angriffe Biermanns auf die Berliner Szene in seiner fulminanten Rede »Gelächter aus dem Akten-Whirl­ pool« zurückgewiesen.35 Für seine Tagebuchaufzeichnungen ist Endler mehrfach ausgezeichnet worden. Endler pflegte das Buch »Mein Steadyseller« zu nennen.36 Für Endler war die Zeit der Angriffe auf die Prenzlauer-Berg-Szene nur schwer zu ertragen bis unerträglich. Die Tätigkeit für ›Orplid‹ und die USA-Reise im Jahre 1995 waren für das seelische Gleichgewicht sehr wichtig. 1996 erschien die Reisereflexion »Warnung vor Utah«. Kuriositäten und Merkwürdigkeiten des literarischen Lebens wie Steinbeck-Kult und eigenwillige Henry-Miller-Ehrung, Reste und Kontinuitäten der Beat-Literatur in San Francisco sind das Thema; aber – so die Botschaft – die subversive Kraft der Literatur lässt sich nicht tilgen, nicht aus der eines Dashiell Hammett, eines Ginsburg, schon gar nicht aus Thomas Pynchons »Vineland«, das Endler als poetischer Leitfaden begleitet.37 In den kritischen Notizen von Belang ragt seine letzte größere kritische Arbeit über Wolfgang Hilbig heraus, bei der auch die Prosa eine Rolle spielt und das bis dato bekannte Werk des Autors wie kaum sonst bei Endler zum angespannten Leben des Autors Hilbig ins Verhältnis gesetzt wird.38 Überhaupt meine ich, dass spätestens seit 1978 Endlers kritische Reflexio80

Prolegomena

nen Sympathiebekundungen für Autoren wie Erich Arendt, Frank-Wolf ­Matthies, Eberhard Häfner, Istvan Eörsi und Autorinnen wie Sarah Kirsch und Inge Müller sind. Man wird eines Tages Endlers letzte Jahre möglicherweise »Die Pankower Jahre« nennen: Angenehme Wohnverhältnisse mit Brigitte Schreier-Endler, ein Verlag, an den er sich gebunden und bei dem er sich aufgehoben fühlte, die Andeutung von Anerkennung durch mehrere Literaturpreise. 1600 beziehungsweise 1200 Seiten werden es wohl nicht, aber doch 500 Seiten Endler-Texte nach der Definition der Anmerkung 3. Hinzukommen sollten Gedicht- und Prosaauszüge, die markante Sympathiekundgebungen und ausgewählte schroffe Ablehnungen von Autorinnen und Autoren und literarischen Konzepten enthalten. Unabdingbar wäre die Dokumentation von Stimmen der Lyrik-Diskussionen von 1966 und 1973 sowie erläuternde Anmerkungen. Das wären dann 650 Seiten. Sollten dann noch Transkriptionen von diversen ›Orplid‹-Veranstaltungen existieren, wären 800 Seiten zu erwarten  – »Naja, eben die üblichen kühnen Entwürfe so!« (Zweck­entfremdetes Zitat aus Endlers »Nadelkissen«, S. 56) En attendant des zweiten Bandes der Endler-Werkausgabe …

1 Adolf Endler: »Den Tiger reiten. Aufsätze, Polemiken und Notizen zur Lyrik der DDR«, hg. von Manfred Behn, Frankfurt/M. 1990, S. 7. — 2 Brief von Helmut Frielinghaus an Manfred Behn vom 10.8.1990, Archiv Behn. — 3 Die Benennung ›Kommentator‹ ist ein Platzhalter für andere mögliche Begriffe. Mit dem Begriff bezeichne ich hier Endlers Interventionen zum Literaturbetrieb, die Essays, Literaturkritik, Rezensionen, Vor- und Nachworte, Polemiken, Leserbriefe, Interviews und Bemerkungen zum Literaturbetrieb in Prosa und Lyrik umfassen. (Verweise auf Prosa und Lyrik finden sich in der Regel in den Anmerkungen; eine Ausnahme mache ich im Falle der Zeilen des Gedichts »Die düstere Legende vom Karl Mickel«, das wohl zu diesem Zeitpunkt die deutlichste Polemik gegen den Literaturbetrieb ist.) Bei Endler gibt es, wie es in der Vorbemerkung zu »Den Tiger reiten« heißt, auch die Kategorie ›Kritische Notizen‹. Bei stärkerem Klassik-Bedarf kann man auch von Maximen und Reflexionen sprechen. Endler hat die Genrefrage ironisiert: »Ob es sich beim Essay um eine Art endlosen Aphorismus handelt, beim Aphorismus dagegen um eine Art verkappten Essay?  – Bis zu meinem Tode wird mich diese Frage in Ruhe lassen.« (Adolf Endler: »Nadelkissen«, Olten, Freiburg i. Br. 1980, S. 11) Ich lasse die frühen, noch in der Bundesrepublik verfassten Aufsätze weg, da sie noch zu wenig erschlossen sind. Ein Beispiel für diese frühen Arbeiten ist: »Die ›Deutschlanddichtung‹ Johannes R. Bechers«, in: »Heute und Morgen« (Düsseldorf ) 4 (1955), S. 213–218.  — 4 »Ich bin der Erfinder der langen Rezension in der DDR. Ich habe das gründlich gemacht und die Bücher richtig durchgearbeitet, immer mit dem Ziel, daß die DDR eine bessere Literatur haben müßte, als sie hatte oder als propagiert wurde.« Adolf Endler: »Dies Sirren. Gespräche mit Renatus Deckert«, Göttingen 2010, S. 177.  — 5 Über Bechers Gedichtband »Schritt der Jahrhundertmitte. Neue Dichtungen« heißt es bei Endler: »Bechers Antwort auf den Start der Sputniks – […], sein ›Planetarisches Manifest‹ macht uns bewußt, wie albern, wie verkleinernd jenes Hühnerpiep-piep ist, mit dem sich mancher Reimbold als zum professionellen Kleinvieh gehörend auswies.« »Der letzte Schritt«, in: »Neue Deutsche Literatur« 6 (1958) 12, S. 39–43.  —

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Manfred Behn 6 »Becher als Theoretiker«, in: »Neue Deutsche Literatur« 12 (1964) 3, S. 147–151. Mit Becher hat sich Endler später immer wieder auseinandergesetzt. Vgl. beispielsweise: »Nebbich. Eine deutsche Karriere«, Göttingen 2005, S. 20 sowie S. 106 und S. 112 f. und schließlich die wütende Verabschiedung auf S. 272–276. — 7 »Provokatorische Notizen über einen Gebrauchslyriker«, in: »Neue Deutsche Literatur« 11 (1963) 9, S. 96–108. — 8 »Lyrischer Spiegel der chinesischen Revolution«, in: »Sonntag« 5 (1959), S. 13. — 9 Die genannten Gedichte finden sich in Adolf Endler: »Die Kinder der Nibelungen. Gedichte«, Halle/S. 1964. — 10 In: »Neue Deutsche Literatur« 11 (1963) 11, S. 137–145. — 11 In: »Sonntag«, 6 (1965). — 12 Gerrit-Jan Berendse: »Gruppenbild mit Endler. Die ›Sächsische Dichterschule‹ in lyrischer Korrespondenz«, in: »Jahrbuch zur Literatur der DDR. Band 6«, hg. von Paul Gerhard Klussmann und Heinrich Mohr, Bonn 1988, S. 95–118. Später: Ders.: »Die ›Sächsische Dichterschule‹. Lyrik in der DDR der sechziger und siebziger Jahre«, Frankfurt/M. 1990.  — 13 Siehe die von Günter Agde herausgegebene Dokumentation »Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED 1965. Studien und Dokumente«, Berlin 1991. — 14 Adolf Endler: »Beitrag zur Lyrik-Debatte«, in: »Forum« 8 (1966).  — 15 »In diesem Land. Gedichte der Deutschen Demokratischen Republik seit 1945«, ausgewählt, zusammengestellt und mit einem Vorwort versehen von Adolf Endler und Karl Mickel, Halle 1966.  — 16 Die Vorgänge werden ausführlich referiert und dokumentiert in Holger Brohm: »Die Koordinaten im Kopf. Gutachterwesen und Literaturkritik in der DDR in den 1960er Jahren. Fallbeispiel Lyrik«, Berlin 2001. Im Anhang ist dort auch das abgelehnte Nachwort von Endler und Mickel abgedruckt. Siehe S. 265–270.  — 17  Endler / Mickel (Hg.): »In diesem besseren Land«, a. a. O., S. 5.  — 18 Das waren »Die abgeschnittene Zunge«, in: »Vietnam in dieser Stunde«, hg. von Werner Bräunig u. a., Halle 1968, S. 65 und »Die Versuchung / Der Geräuschemacher / Vor dem Abbruch unseres Hauses / An K. / Gespräch mit dem Antikommunismus Westberlin«, in: »Saison für Lyrik«, hg. von Joachim Schreck, Berlin, Weimar 1968, S. 75–81. — 19 Endler schrieb das Vorwort zu Greßmanns erstem Buch »Der Vogel Frühling«, Halle 1966. — 20 Ein Abzug des Manuskripts gehört zu den Arbeiten in meinem Archiv, die für die Veröffentlichung in »Den Tiger reiten« vorgesehen waren. — 21 »Sinn und Form« 22 (1970) 6, S. 1388–1430. — 22 Der noch von Endler entworfene Band »Kleiner kaukasischer Divan. Von Georgien erzählen«, der von Brigitte Schreier-Endler herausgegeben wurde, erschien 2018 in Göttingen. »Georgische Poesie aus acht Jahrhunderten«, nachgedichtet von A. E. und Rainer Kirsch, Berlin 1971, kam 1974 in zweiter Auflage heraus. — 23 Adolf Endler: »Das Sandkorn. Gedichte«, Halle/S. 1974, S. 60.  — 24 Besonders deutlich in der Vorbemerkung zu »Den Tiger reiten«, a. a. O., S.  7 ff. — 25 Adolf Endler: »Im Zeichen der Inkonsequenz«, in: »Sinn und Form« 23 (1971) 6, S. 1358–1366.  — 26 Adolf Endler: »Weitere Aufklärungen«, in: »Sinn und Form« 24 (1972) 4, S. 879–887 und »Klärender Meinungsstreit«, in: »Weimarer Beiträge« 18 (1972) 10, S. 154–162.  — 27 Der Brief ist abgedruckt in Adolf Endler: »Tarzan am Prenzlauer Berg. Sudelblätter 1981–1983«, Leipzig 1994, S. 127 f. — 28 Wieder war es 1982 ein Aufsatz über Uwe Greßmann, der ihm im offiziösen Rahmen gestattet wurde: »Die Welt Uwe Greßmanns. Aus Notizen für ein Feature«, in: Uwe Greßmann: »Lebenskünstler. Gedichte, Faust, Lebenszeugnisse, Erinnerungen an Greßmann«, hg. von Richard Pietraß, Leipzig 1982, S. 231–238. Eine Rückkehr in den Schriftstellerverband lehnt Endler real und auch souverän fiktiv ab mit dem wunderbaren Text »Nächtlicher Besucher, in seine Schranken gewiesen. Eine Fortsetzungs-Züchtigung«, Göttingen 2008. — 29 Es beginnt mit »K. und sein Versteck: Die Öffentlichkeit«, in: Endler: »Nadelkissen«, a. a. O., S. 43. Besonders schön auch »Stasi-Schrippen«, in: Ders.: »Tarzan am Prenzlauer Berg«, a. a. O., S. 73. — 30 Erik Neutsch wird zu Gunnar Alltsch und als solcher zum Verfechter der von Endler verhöhnten Romanform in Adolf Endler: »Ohne Nennung von Gründen. Vermischtes aus dem poetischen Werk des Bobbi ›Bumke‹ Bergermann«, Berlin 1985, S. 7–53 passim. — 31 Helmut Preißler gehört zu Endlers Lieblingsfeinden: »Definitionsversuche, P. betreffend / Bezirksgroßschriftsteller / Lyrik-Lyriker / Staatssicherheitsdichter / Gegenwartsklassiker«, in: Ders.: »Nadelkissen«, a. a. O., S.  63. — 32 1974, nach dem Erscheinen von Strittmatters »Ich mach ein Lied aus Stille« konterte Endler mit der »Buchbesprechung im Sommer / ›Lieder, aus

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Prolegomena Stille gemacht‹ – dazu meine Rezension, / auch sie aus Stille:/ ›………………….‹« (zuerst erschienen ebd., S. 16). — 33 »Tarzan am Prenzlauer Berg. Wörter, Wörter. Momente neuer Lyrik in der DDR« und »Alles ist im untergrund obenauf; einmannfrei … Anläßlich einer Anthologie« finden sich in »Den Tiger reiten«, a. a. O., S. 13–65. — 34 Endler: »Tarzan am Prenzlauer Berg«, a. a. O. — 35 Abgedruckt in: »Das Vergängliche überlisten. Selbstbefragungen deutscher Autoren«, hg. von Ingrid Czechowski, Leipzig 1996, S. 143–171.  — 36 Brigitte Schreier-Endler in einem Telefonat mit dem Autor am 30.9.2021. — 37 Adolf Endler: »Warnung vor Utah. Momente einer USA-Reise«, Leipzig 1996. — 38  »Hölle / Maelstrom / Abwesenheit. Fragmente über Wolfgang Hilbig«, in: Wolfgang Hilbig: »zwischen den paradiesen. Prosa Lyrik«, hg. von Thorsten Ahrend, Leipzig 1992, S. 313–344. Zuerst gedruckt wurde diese Würdigung in: »Neue Deutsche Literatur« 39 (1991) 5, S. 9–35. In diesen Zusammenhang gehören auch die Reden auf Imre Kertész von 1995 und auf Klaus Schlesinger von 2001. Siehe Adolf Endler: »Schweigen Schreiben Reden Schweigen. Reden 1995–2001«, Frankfurt/M. 2003, S. 9–22 und S. 37–44.

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Katja Lange-Müller

»Und wieder dies Sirren am Abend«

Eddi Endler  – sobald er mir in den Sinn kommt, beginnt vor meinen geschlossenen oder offenen Augen ein Kopfkinofilm; ich sehe sein Gesicht und darüber laufen Gedichtzeilen, die ich auswendig kann. Ich höre seine kräftige Stimme, den niederrheinischen Tonfall, der so anders klang als unser berlinisch oder sächsisch gefärbter. Von ihm lernte ich – und nicht nur ich, dass Komik Notwehr ist, Witz immer auch politisch und Charme etwas quasi Angeborenes, eben nicht Erlernbares. Endler sitzt nicht, nein, er steht, an einem Kneipentisch oder noch lieber frei im Raum und spielt seine Texte; der ganze Körper ist in Bewegung, die Wörter, die er hervorstößt, sind es auch. Er zürnt, spottet, wispert, lässt keine verbale Nuance aus. Sein so gar nicht konspiratives Gebaren unterscheidet sich sehr von dem um Coolness bemühten der jungen Dichterinnen und Dichter am Prenzlauer Berg, die ihre Werke bei den üblichen (natürlich geheimen) Zusammenkünften vortragen wie Einkaufszettel, also in Sascha-Anderson- oder Heiner-Müller-Manier. Doch diesen vor Jahren dem goldenen Westen entsprungenen Eddi Endler, den bewundern und beneiden sie, um seine Leidenschaft, seine Welterfahrung, seine souveräne Ironie. Bis in die Fußspitzen spüren sie, nein wir; ich bin ja auch dabei: Der ist nicht aus jenen uns von klein auf vertrauten Gegenden, und dennoch kennt er uns, unsere »Ächzistenz«, genau, möglicherweise genauer als wir selbst. »Der A. Endler«, heißt es in Andreas Koziols »Bestiarium Literaricum« »ist ein Kolkrabe mit sehr viel Weiß an den Spitzen seiner Schwungfedern« – »und meistens mit Fadennudeln im verwahrlosten Bart«, darf ich, den Maître selbst zitierend, hinzufügen. Vor zwei Jahren hat der Wallstein Verlag einen 900 Seiten starken Band herausgegeben, ein Ender-»Brikett«, das nahezu alle Gedichte dieses wuchtig-zarten, spöttisch-ernsten, wahrhaft melancholerischen Heilgiftmischers enthält, der, wie kein zweiter unserer Zunge, elegantestes Turmhochdeutsch mit zottelzotigster Mouth-Art (Schnauzen-Kunst) amalgamieren konnte. Adolf Endler, geboren 1930, folglich drei Jahre bevor Alois Schicklgruber alias Adolf Hitler deutscher Reichskanzler wurde, nannte sich begreiflicherweise lieber Eddi oder Eddie und gelegentlich Eddy mit y, soviel Good Old America durfte sein, oder, anagrammatisch verwandelt, Endolf Adler, Ole Erdfladn, Randolf Elend, Alfred Nolde, Della Fonde, Lea Nordfeld, Dorle Elfland oder – vermutlich in Anlehnung an Böhmen und Belgien, 84

»Und wieder dies Sirren am Abend«

die Herkunftsgegenden seiner Eltern – pseudonym-alliterativ Bubi Blazezak und Bobbi »Bumke« Bergermann. Und natürlich sind die soeben erwähnten nur einige seiner Doppel- und Wiedergänger, die vollzählig zu versammeln sicher auch mal eine schöne, das »Lob des Fleißes« werte Aufgabe wäre. Eddi Endler, der sich freudig bezichtigte, »eine der verwachsensten Gurken der neuen Poesie« zu sein, hat bis heute eine gerade nicht massenhafte, dafür treue, (sand)sturmerprobte Lesergemeinde; vielen von uns sind viele seiner Gedichte und Prosatexte unvergesslich. Zu den mir wichtigsten gehören: »Dies Sirren«, »Das Sandkorn«, »Ballade vom Zionskirchplatz«, »Läusesuchen«, »Vor dem Abbruch unseres Hauses«, »Das Lied vom Fleiß«, »Verse von echter Dankbarkeit«, »Ein Dichterleben« und »Resumé«. In diesem TEXT+KRITIK-Heft will ich ein Gedicht in den Blick nehmen, das ich, ebenso wie »Das Sandkorn«, für einen der zehn Schlüssel zu Endlers Werk halte, obgleich ich es damals, als ich ihm oft und gern über den Weg lief, nicht wirklich verstanden habe, wohl weil ich die Zeit, aus der es herrührt, nicht mehr kannte, und das Drei-Länder-Eck, aus dem es mich anschaute, noch nicht. »Dies Sirren«, verfasst im Jahre 1971, gilt mir als der Kern, genauer das Sandkorn der Endler’schen, richtiger »endleresken« Poetik, als jener frühe, vielleicht gar prägende Ton, der Endler durch die Ohren in den Kopf schlüpfte – und dort blieb – sein Leben lang. Die letzten Jahre hatte er an massiver Herzschwäche und zudem noch an einem Tinnitus gelitten; und als ich ihn einmal fragte, welche Töne er denn höre, antwortete Eddi Endler schief lächelnd: »Es ist so ein Sirren, mal höher, mal tiefer, mal lauter, mal leiser, aber immer da.« Was meint »Dies Sirren« im gleichnamigen Gedicht? Zuallererst womöglich ein Kriegsgeräusch. »Das war ein Geknalle und Gebumse und Gesurre und Gekreische noch und noch«, sagt er im ersten Kapitel der von Renatus Deckert herausgegeben Erinnerungen an das Frühjahr 1945, an die Flieger­ alarme, die Bombenangriffe, die Sirenen  … Auch »Das Sandkorn« von 1967 sirrt: »Es summt, es sirrt, es kreiselt, von Böen draufgeweht, / Übt tolle Kreiseltänze auf blechernem Trommelfell«: – Und dann, 1971, war da eben »wieder dies Sirren am Abend«. Dies Sirren Und wieder dies Sirren am Abend Es gilt ihnen scheint es für Singen Ich boxe den Fensterladen auf und rufe He laßt mich nicht raten Ihr seid es Liliputaner das greise Zwergenpaar van der Klompen Cui bono ihr lieben Alterchen mit der Zirpstimm im Dunkel cui bono 85

Katja Lange-Müller

Wem gilt dies – für das poetische Ich offenbar bedrohlich klingende – »Sirren« als »Singen«? Etwa den kleinen welken Menschen, den van der Klompens aus Flandrisch-Liliput, deren »Zirpstimm« es doch selbst absondert? Hat das Endler-Ich die Verursacher des Sirrens, die »lieben Alterchen« etwa erwartet? Womöglich nur und gerade sie? Es (das Endler-Ich) boxt »den Fensterladen auf«, den die »Liliputaner« (ängstlich und womöglich permanent?) geschlossen halten. Sind sie aus Furcht geschrumpft und sirren (singen) leise für sich hin, um einander und jedes sich allein zu beruhigen? Oder um die draußen, auch den Dichter, der sie »im Dunkel« ihres Zimmers und des Abends eher vermutet als entdeckt, zu beunruhigen? Das Endler-Ich kann die zwergigen Greise, obgleich der Fensterladen nun offen steht, kaum erkennen und fordert mit seinem »He«, es »nicht raten« zu lassen, was es aber auch nicht muss, denn »dies Sirren« hat die beiden ja bereits ver-raten. »Cui bono« (Wem nützt das?) ruft der Dichter ihnen zu. Mit Cicero warnend vor Diesem und/oder Jenem (dem Lärm des Krieges, der Panik, dem Ende …?) macht er sich denen verdächtig, die ihm verdächtig sind und ihn warnen. Wer warnt hier wen wovor? Es ist dies Sirrende, das – etwa in dem Nachlassband »Kiwitt, kiwitt« – auch Vogelschwingen erzeugen, dies eindeutig Vieldeutige, dies unbestimmt Konkrete, insgesamt grausig Komische; das bleibt in Endlers Werk, in jedem seiner Gedichte und Prosatexte immer wach und will immer (wieder) aufwecken, am liebsten tote Lebende, denn die lebenden Toten sind eh putzmunter. – Endler selbst nannte seine Art zu schreiben eine »phantasmago­ rische, eine schwarzhumorige Verdrehtheit, (…) Schleudertor und Gespensterbahn, nichts für schwache Nerven«. – Dabei will ich es bewenden lassen, da treffender kaum auszudrücken wäre, wer diese Dichterseele war und bleibt; man zeige mir die oder den, die oder der das könnte. Und wenn es sie oder ihn geben sollte, wo und wann auch immer, so hätten wir doch nur doppelten Grund zur Trauer, 1., weil Eddi Endler nicht aufhört uns zu fehlen, und 2., weil eine Begegnung zwischen Eddi und jener oder jenem niemals mehr möglich ist.

Zeichnung: G. Oschatz

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Kerstin Hensel

Großes Bim-Bam für Endler

Das lohnende Lebensziel nicht wie Johannes R. Becher Aufm Dorotheenstädtischen sondern aufm Städtischen Friedhof Pankow Nummer Drei sehr klangvoll Gelegen an der Bim-Bam-Panke geistesrinnsalig Nachbar Kollege Haufs rheinisch hochwohlgeboren   ebenso Melanklötrisch hirnheiter wie unterirdisch Eddis Gelbhalsmäuse und fuffzisch Meter weiter unheiter Ernst Busch die Rotkehle als Schallrohr im Heimatnest Pestprotest Jodeln beten trinken stinken Immer mit der Linken winken Ach die vollbärtigen Glockenklöppel vom Kirchturm Voller Effekte im Effektivitätenkabinett Das Ultra Bim-Bam frechfröhlichfrei Keine Altersweisheiten mehr sondern Zorn Zoten alles Unbehagliche für alle Ewigkeit

Erschienen in »Cinderella räumt auf. Gedichte«, München 2021, S. 47.

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Gerrit-Jan Berendse

Auswahlbibliografie Adolf Endler Für eine ausführlichere Auswahl der Sekundärliteratur, auch einzelner Rezensionen, siehe die Literaturverzeichnisse im »Kritischen Lexikon zur deutschen Gegenwartsliteratur« (www. klg-lexikon.de) und in der Ausgabe »Die Gedichte« (2019).

»Erwacht ohne Furcht. Gedichte«, Halle/S. 1960. »Das Sandkorn. Gedichte«, Halle/S. 1974. »Nackt mit Brille. Gedichte«, Berlin 1975. »Verwirrte klare Botschaften. Gedichte«, Reinbek 1979. »Akte Endler. Gedichte aus 25 Jahren. Auswahl und Nachwort von Peter Gosse«, Leipzig 1981. »Akte Endler. Gedichte aus 30 Jahren. Auswahl und Nachwort von Peter Gosse«, Leipzig 1988. »Der Pudding der Apokalypse. Gedichte 1963–1998«, Frankfurt/M. 1999 und 2000, München 2000 (CD). »Trotzes halber. Neue poetische Texte. Mit Linolschnitten von Wolfgang Henne«, Rudolstadt 1999. »Das Greisenalter, voilà. Neue poetische Texte. Mit Radierungen von Lutz Fleischer«, Dresden 2001. »Uns überholte der Zugvögelflug. Alte und neue Gedichte«, Aschersleben 2004. »Krähenüberkrächzte Rolltreppe. Neunundsiebzig kurze Gedichte aus einem halben Jahrhundert«, Göttingen 2007. »Kiwitt, kiwitt, Gedichte und Capriccios«. Zusammengestellt von Brigitte Schreier-Endler, Göttingen 2015. »Die Gedichte«. Hg. von Robert Gillett und Astrid Köhler unter Mitarbeit von Brigitte Schreier-Endler, Göttingen 2019.

Endler«, Berlin 1979; Olten, Freiburg i. Br. 1980. »Neue Nachrichten von ›Nebbich‹. Eine Richtigstellung«. Mit Linolschnitten von Wolfgang Jörg und Erich Schönig, Berlin 1980. »Bubi Blazezaks gedenkend. 3 phantasmagor. Collagen«, Berlin 1982. »Ohne Nennung von Gründen. Vermischtes aus dem poetischen Werk des Bobbi ›Bumke‹ Bergermanns«, Berlin 1985. »Schichtenflotz. Papiere aus dem Seesack eines Hundertjährigen«, Berlin 1987. »Nächtlicher Besucher in seine Schranken gewiesen/eine Fortsetzungs-Züchtigung«. Mit Linolschnitten von Wolfgang Jörg, Berlin 1989, Göttingen 2008. »Citatteria &  Zackendullst. Notizen, Fragmente, Zitate«, Berlin 1990. »Vorbildlich Schleimlösend. Nachrichten aus einer Hauptstadt 1962–2008«, Berlin 1990. »Die Antwort des Poeten. Roman«, Leipzig, Frankfurt/M. 1992. »Tarzan am Prenzlauer Berg. Sudelblätter 1982–1983«, Leipzig 1994. »Die Exzesse Bubi Blazezaks im Fokus des Kalten Krieges. Satirische Collagen und Capriccios 1976–1994«, Leipzig 1995. »Warnung vor Utah. Momente einer USAReise«, Leipzig 1996. »Kleiner kaukasischer Divan. Von Georgien erzählen«. Zusammengestellt von Brigitte Schreier-Endler, Göttingen 2018.

Prosa

Sonstiges

»Zwei Versuche, über Georgien zu erzählen«, Halle/S. 1976. »Nadelkissen. Aus den Notizzetteln Bobbi Bergermanns. Im Auftrag der geschiedenen Witwe herausgegeben von Adolf

»Weg in die Wische« (Bericht, Agitpropgedicht, Tagbuchblätter, Gedichte, Erzählung), Halle/S. 1960. »Lyrik und Lyriker«, in: »Sonntag« 6 (1965), S. 3–11.

Lyrik

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Auswahlbibliografie »In diesem besseren Land. Gedichte der Lyrik in der DDR«. Hg. zusammen mit Karl Mickel, Halle/S. 1966. »Georgische Poesie aus acht Jahrhunderten«. Hg. und nachgedichtet mit Rainer Kirsch, Berlin 1971. »Im Zeichen der Inkonsequenz. Über Hans Richters Aufsatzsammlung ›Verse Dichter Wirklichkeiten‹«, in: »Sinn und Form« 6 (1971), S. 1358–1366. »Weitere Aufklärungen«, in: »Sinn und Form« 4 (1972), S. 879–887. »DDR-Lyrik Mitte der Siebziger. Fragment einer Rezension«, in: »Amsterdamer Beiträge zur Neueren Germanistik« 7 (1978), S. 67–95. »weinsinnig im daseinsfrack. Über die Anthologie ›Stimmen und Texte einer anderen Literatur aus der DDR‹«, in: »Die Zeit«, 30.9.1988. Später als »Alles ist im untergrund obenauf; einmannfrei. Anläßlich einer Anthologie«, in: »Den Tiger reiten. Aufsätze, Polemiken und Notizen zur Lyrik der DDR«. Hg. von Manfred Behn, Frankfurt/M. 1990, S. 40–65. »Schweigen Schreiben Reden Schweigen. Reden 1995–2001«, Frankfurt/M. 2003. »Nebbich. Eine deutsche Karriere«, Göttingen 2005. »Dies Sirren. Gespräche mit Renatus Deckert«, Göttingen 2010. Nachdichtungen u. a. von Bulat Okudschawa, Sergej Jessinin, Ossip Mandelstam, Alexander Blok, Anna Achmatowa, Marina Zwetajewa, Boris Pasternak, Demjan Bedny, Howhannes Thumanjan, Atanas Dalschew, Washa Pschwela, André Breton, Philippe Soupault, Konstantinos Kavafis, John Keats und Francesco Petrarca. Sekundärliteratur Behn, Manfred: »Adolf Endler – eine kleine Apologie«, in: Karl Deiritz / Hannes Kraus (Hg.): »Verrat an der Kunst? Rückblicke auf die DDR-Literatur«, Berlin 1993, S. 94–99. —: »Adolf Endler«, in: »Kritisches Lexikon zur deutschen Gegenwartsliteratur«, München, www.klg-lexikon.de. Berendse, Gerrit-Jan: »Gruppenbild mit Endler. Die ›Sächsische Dichterschule‹ in lyrischer Korrespondenz«, in: »Jahrbuch

zur Literatur in der DDR« 6 (1987), S. 95–118. —: »Adolf Endler. Von der Kunst des Ruinierens«, in: Ders.: »Die ›Sächsische Dichterschule‹. Lyrik in der DDR der sechziger und siebziger Jahre«, Frankfurt/M. u. a. 1990, S. 151–180. — (Hg.): »KRAWARNEWALL. Über Adolf Endler«, Leipzig 1997. —: »Adolf Endler. Chroniken eines Stadtnomaden«, in: Ders.: »Grenz-Fallstudien. Essays zum Topos Prenzlauer Berg in der DDR-Literatur«, Berlin 1999, S. 59–80. —: »›Dank Breton‹: Surrealismus und kulturelles Gedächtnis in Adolf Endlers Lyrik«, in: Karen Leeder (Hg.): »Schaltstelle. Neue deutsche Lyrik im Dialog«, Amsterdam, New York 2007, S. 73–95. —: »Adolf Endler«, in: Ursula Heukenkamp / Peter Geist (Hg.): »Deutschsprachige Lyriker des 20. Jahrhunderts«, Berlin 2007, S. 494–502. —: »Laughing back to life«, in: »Times Literary Supplement«, 31.5.2013, S. 15. —: »Die ›Akte Endler‹. Eine Gedichtsammlung: Verlegerisches ›Gefummel‹ oder gelungene Zivilisationskritik in der späten DDR?«, in: Ingrid Sonntag (Hg.): »An den Grenzen des Möglichen. Reclam Leipzig 1945–1991«, Berlin 2016, S. 474–482. —: »The GDR’s Surrealist Nerve Centre: Adolf Endler’s Strange Nebbich World«, in: Ders.: »Echoes of Surrealism: Challenging Socialist Realism in East German Literature, 1945–1990«, New York, Oxford 2021, S. 90–115. —: »Das Zentrum des Surrealismus in der DDR: Adolf Endlers phantasmagorische Nebbich-Welt«, in: Ders.: »Surrealismus in der DDR. Kampfansage an den sozialistischen Realismus in der ostdeutschen Literatur 1945–1990«, Göttingen 2022, S. 103–128. Böthig, Peter: »Ein Berliner Stadtbezirk als literarischer Ort«, in: Ders.: »Grammatik einer Landschaft. Literatur aus der DDR in den 80er Jahren«, Berlin 1997, S. 65– 74. Böttiger, Helmut: »Gereimt – und darüber hinaus. Fünf Jahre ›Orplid‹ in Berlin«, in: »Frankfurter Rundschau«, 13.4.1996. —: »Endlers Geheimnis. ›Orplid & Co‹ befand sich an jenem Nichtort, an dem es

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Gerrit-Jan Berendse Ost und West nicht gibt«, in: »Frankfurter Rundschau«, 9.4.1998. —: »Das Greisenalter, voilà! Nahezu alle feiern Adolf Endlers 70. Geburtstag«, in: »Frankfurter Rundschau«, 22.9.2000. Brohm, Holger: »Der Streit der Kritiker. Die ›Sinn und Form‹-Diskussion 1971/1972«, in: Ders.: »Die Koordinaten im Kopf. Gutachterwesen und Literaturkritik in der DDR in den 1960er Jahre. Fallbeispiel Lyrik«, Berlin 2001, S. 180–197. Cramer, Sibylle: »›Nie hat er sich Wachs in die Ohren gestopft‹. Adolf Endler (1930– 2009)«, in: »die horen« 54 (2009) 236, S. 47–51. Emmerich, Wolfgang: »Gleichzeitigkeit. Vormoderne, Moderne und Postmoderne in der Literatur der DDR«, in: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): »Bestandsaufnahme Gegenwartsliteratur: Bundesrepublik Deutschland, Deutsche Demokratische Republik, Österreich, Schweiz«, München 1988, S. 193–211. Fried, Erich: »In diesem besseren Land. Gedichte der Deutschen Demokratischen Republik seit 1945«, in: Ders.: »Gedanken in und an Deutschland. Essays und Reden«, hg. von Michael Lewin, Wien, Zürich 1988, S. 20–30. Galli, Matteo: »Post-Staatliche DDR-Literatur in der Literaturgeschichtsschreibung. Eine Bestandsaufnahme«, in: Norbert Otto Eke (Hg.): »›Nach der Mauer der Abgrund‹?: (Wieder-) Annäherung an die DDR-Literatur«, Amsterdam, New York 2013, S. 105–118. Geist, Peter: »Nachwort«, in: Ders. (Hg.): »Ein Molotow-Cocktail auf fremder Bettkante. Lyrik der siebziger/achtziger Jahre von Dichtern aus der DDR. Ein Lesebuch«, Leipzig 1991, S. 370–407. —: »Zerbeult sternenwärts. Über Adolf Endler«, in: »neue deutsche literatur« 5 (2000), S. 36–44. —: »Nachwort«, in: Adolf Endler: »Die Gedichte«, hg. von Robert Gillett und Astrid Köhler unter Mitarbeit von Brigitte Schreier-Endler, Göttingen 2019, S. 851– 865. Gillett, Robert und Astrid Köhler: »Tarzan im zerborstenen Rückspiegel. Gedächtnis und Gedenken bei Adolf Endler«, in: Deirdre Byrnes / Jean E. Conacher / Gisela

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Holfter (Hg.): »German Reunification and Legacy of GDR Literature and Culture«, Boston, Leiden 2018 (»German Monitor« 79), S. 124–139. Gosse, Peter: »Dichter Endler«, in: Ders.: »Mundwerk. Essays«, Halle/S., Leipzig 1983, S. 68–83. Hamburger, Michael: »In the Corvine Mode«, in: »Times Literary Supplement«, 21.5.1976, S. 622. Jentzsch, Cornelia: »Lern, Bruder, zuzustechen mit der Silbe. Adolf Endler«, in: »Sprache im technischen Zeitalter« 153 (2000), S. 7–17. Kirsch, Rainer: »Über Adolf Endler«, in: Ders.: »Ordnung im Spiegel. Essays, Notizen, Gespräche«, Leipzig 1985, S. 283 f. Laschen, Gregor / Ton Naaijkens: »Gespräch mit Adolf Endler«, in: »Deutsche Bücher« 1 (1981), S. 3–18. Mickel, Karl: »Endlers Wandel. Editionsbericht, Transkription und mit Anm. vers. von Decima Ramsbottom-Fretsch. Mit einer posthumen Nachbemerkung von Adolf Endler«, Warmbronn 2005. Opitz, Michael: »Adolf Endler«, in: Bernd Lutz / Benedikt Jeßling (Hg.): »Metzler Autoren Lexikon. Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart«, Stuttgart, Weimar 2010. S. 162 ff. Rühmkorf, Peter: »Eine Ballade vom Schnee und Schnaps«, in: Ders.: »Strömungslehre I: Poesie«. Reinbek 1978, S. 96 ff. Verdofsky, Jürgen: »›Ich sehe meine Existenz als etwas Rätselhaftes  …‹. Im Gespräch mit Adolf Endler«, in: »die horen« 54 (2009) 236, S. 55–73. —: »Endlich Endler«, in: »Frankfurter Rundschau«, 15.11.2019. Wawerzinek, Peter: »Prenzlauer Berg hat sich als kreative Nische erledigt. Ein Abgesang auf den Prenzlauer Berg – und eine Erinnerung an den großen Dichter Adolf Endler«, in: »Der Tagesspiegel«, 19.9.2010. Wolf, Gerhard: »Die selbsterlittene Geschichte mit dem Lob. Laudatio für Elke Erb und Adolf Endler (1990)«, in: Ders.: »Sprachblätter Wortwechsel. Im Dialog mit Dichtern«, Leipzig 1992. S. 110– 125.

Notizen Adolf Endler, geboren am 20. September 1930 in Düsseldorf. 1955 umgesiedelt in die DDR, danach Student am Institut für Literatur in Leipzig. Teilnahme an verschiedenen Literaturdebatten und 1966, zusammen mit Karl Mickel, Herausgeber der bedeutenden Lyrikanthologie »In diesem besseren Land«. Öffentliche Kritik gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann im Jahr 1976, worauf 1979 der Ausschluss aus dem Schriftstellerverband folgte. Namensgeber der beiden Gruppierungen Sächsische Dichterschule und Prenzlauer-Berg-Connection. Nach der Wende zusammen mit seiner Ehefrau Brigitte Schreier-Endler Gründer des Literaturvereins Orplid & Co. Ab 2005 war er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Er starb am 2. August 2009 in Berlin. Preise u. a.: Heinrich-Mann-Preis (1990, mit Elke Erb), Brüder-GrimmPreis (1995), Peter-Huchel-Preis und Bremer Literaturpreis (beide 2000), Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (2001), Hans-Erich-Nossack-Preis (2003). * Manfred Behn, geboren 1949, 1970–1975 Studium der Germanistik und Anglistik an der Universität Hamburg. Examensarbeit über Probleme der Rezeption von DDR-Literatur in der Bundesrepublik bei Karl-Robert Mandelkow. Referendariat und Tätigkeit als Lehrer in der Erwachsenenbildung; zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur und zum Film der DDR. 2000–2015 Leiter der Trickfilmausbildung bei der animation-school-hamburg. Herausgeber von Adolf Endlers »Den Tiger reiten. Aufsätze, Polemiken und Notizen zur Lyrik der DDR« (1990). Gerrit-Jan Berendse, geboren 1959, studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie an den Universitäten Utrecht, Göttingen und Frankfurt am Main. Im Jahr 1990 promoviert über die Sächsische Dichterschule, danach Dozent an der University of Canterbury in Neuseeland und später Professor an Cardiff University in Wales. Seit 2018 emeritiert, er lebt in Berlin. Veröffentlichte zuletzt »Surrealismus in der DDR« (2022; englische Ausgabe »Echoes of surrealism«, 2021). Helmut Böttiger, geboren 1956. Studium Germanistik/Geschichte in Freiburg i. Br. Promotion mit einer Dissertation über Fritz Rudolf Fries und die DDR-Literatur 1985. Seit 1988 Kulturjournalist, zuletzt als verantwortlicher Literaturredakteur der »Frankfurter Rundschau«. Seit 2002 freier Autor in Berlin. Alfred Kerr-Preis für Literaturkritik 2012, Preis der Leipzi91

Notizen

ger Buchmesse (Kategorie Sachbuch) 2013. Wichtigste Veröffentlichungen: »Die Gruppe 47. Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb« (2012), »Celans Zerrissenheit. Ein jüdischer Dichter und der deutsche Geist« (2020), »Die Jahre der wahren Empfindung. Die 70er – eine wilde Blütezeit der deutschen Literatur« (2021). Elke Erb, geboren 1938 in Scherbach (Eifel), aufgewachsen in Halle an der Saale, lebt in Berlin. Sie veröffentlicht Prosa, Lyrik, prozessuale Texte (zum Beispiel »Faden der Geduld«, »Kastanienallee«, »Vexierbild«, »Sonanz«, »Die Crux« und »Sachverstand«); Übersetzungen und Nachdichtungen (u. a. von Block, Jessenin, Zwetajewa und Achmatowa). Preise u. a. Peter-Huchel-Preis (1988), Heinrich-Mann-Preis (1990, mit Adolf Endler), Erich-Fried-Preis (1995), Ernst Jandl-Preis (2007), Bundesverdienstkreuz (2019). Im Jahr 2020 wurde sie mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Peter Geist, geboren 1956 in Greifswald, Literaturwissenschaftler, Kritiker, Essayist, Herausgeber, lebt in Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschsprachigen Literatur nach 1945, insbesondere zur Lyrik, u. a.: »Deutschsprachige Lyriker des 20. Jahrhunderts«, (hg. zus. mit Ursula Heukenkamp, 2006). Zuletzt erschienen »Kurt Drawert« (TEXT+KRITIK, H. 213, Hg. 2017) und »Materie: Poesie. Zum Werk Gerhard Falkners« (hg. zus. mit Constantin Lieb und Hermann Korte, 2018). Robert Gillett, geboren 1960, studierte in Oxford, wurde in Cambridge promoviert, lehrte in London. Seit 2021 Professor Emeritus für Germanistik und vergleichende Kulturwissenschaft an Queen Mary University of London. Lebt in London und Berlin. Zusammen mit Astrid Köhler Herausgabe der gesammelten Gedichte von Adolf Endler (2019). Annett Gröschner, 1964 in Magdeburg geboren, lebt seit 1983 in Berlin. Studium der Germanistik in Ostberlin und Paris. Freiberufliche Schriftstellerin, Journalistin und Dozentin. Sie schreibt Romane (»Moskauer Eis«, 2000; »Walpurgistag«, 2011), Erzählungen, Essays, Theaterstücke, Radiofeature und Reportagen und ist Teil des Autorinnenkollektivs 10 nach 8 bei »Zeit Online« sowie Gastperformerin bei She She Pop. Von 2015 bis Februar 2021 war sie Gastprofessorin für Kulturjournalismus an der UdK Berlin und von 2019–2021 Kolumnistin an der Volksbühne Berlin. Zuletzt erschien: »Berliner Bürger*stuben. Palimpseste und Geschichten« (2020). Kerstin Hensel, geboren 1961 in Karl-Marx-Stadt, gelernte Krankenschwester, Studium am Leipziger Literaturinstitut, Arbeit am Theater, Professor für Verssprache an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin, 92

Notizen

Schriftstellerin. Zuletzt erschienen: »Cinderella räumt auf. Gedichte« (2021). Seit 2021 ist sie Direktorin der Sektion der Literatur an der Akademie der Künste, Berlin. René Hill, geboren 1948, lebt in Berlin. Astrid Köhler, geboren 1965, studierte Germanistik und Anglistik in Jena. 1994 Promotion zum Thema »Salonkultur im klassischen Weimar« an der Freien Universität Berlin. Seit 2018 Professorin für Neuere deutsche Literatur und Kulturgeschichte an Queen Mary University of London, lebt in London und Berlin. Zusammen mit Robert Gillett Herausgabe der gesammelten Gedichte von Adolf Endler (2019). Katja Lange-Müller, geboren 1951 in Ostberlin, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Sie erhielt mehrere Literaturpreise, darunter 1986 den Ingeborg-Bachmann-Preis, 1995 den Alfred-Döblin-Preis, 2005 den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor. Im Jahr 2012/2013 war sie Stipendiatin der Villa Massimo, erhielt den Kleist-Preis und war 2013/2014 Stipendiatin der Kulturakademie Tarabaya Istanbul. 2017 erhielt sie den GünterGrass-Preis und 2018 erschien »Das Problem als Katalysator. Frankfurter Poetikvorlesungen«. Ton Naaijkens, geboren 1953, Übersetzer und Essayist, bis 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Deutsche Literatur und Übersetzungswissenschaft an der Universität Utrecht. Übersetzte das »Verzameld Werk« von Paul Celan (2020, 22021) und zuletzt Barbara Köhlers »42 Vensters op Warten auf den Fluss« (2021) und Ulrike Almut Sandigs »Wees niet gerust« (2022). Michael Opitz, geboren 1953, studierte Germanistik an der Humboldt-Universität zu Berlin und promovierte mit einer Arbeit über Walter Benjamin. Bis 2000 Dozent an der Humboldt-Universität Gastdozenturen in Göteborg (Schweden) und Vasa (Finnland). Zuletzt veröffentlichte er »Wolfgang Hilbig. Eine Biographie« (2017) und als Herausgeber »Wolfgang Hilbig: ›Ich unterwerfe mich nicht der Zensur‹. Briefe an Ministerien, Minister und Behörden« (2021). Gerhard Oschatz, geboren 1944 in Jena, studierte Kunstgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und an der Humboldt-Universität zu Berlin, sowie Grafik an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Seit 1970 freischaffender Grafiker in Berlin-Prenzlauer Berg, Gastdozent für Grafik in Berlin, Anklam und Leipzig.

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Bisher sind in der Reihe TEXT+KRITIK erschienen: Günter Grass (1) 7. Aufl., 138 Seiten

Kurt Tucholsky (29) 3. Aufl., 103 Seiten

Friedrich Dürrenmatt II (56) vergriffen

Hans Henny Jahnn (2/3) vergriffen

Konkrete Poesie II (30) vergriffen

Franz Xaver Kroetz (57) vergriffen

Georg Trakl (4/4a) 4. Aufl., 123 Seiten

Walter Benjamin (31/32) 3. Aufl., 232 Seiten

Rolf Hochhuth (58) 67 Seiten

Günter Eich (5) vergriffen

Heinrich Böll (33) 3. Aufl., 156 Seiten

Wolfgang Bauer (59) 53 Seiten

Ingeborg Bachmann (6) 5. Aufl., 207 Seiten

Wolfgang Koeppen (34) 2. Aufl., 112 Seiten

Franz Mon (60) 80 Seiten

Andreas Gryphius (7/8) 2. Aufl., 130 Seiten

Kurt Schwitters (35/36) vergriffen

Alfred Andersch (61/62) vergriffen

Politische Lyrik (9/9a) 3. Aufl., 111 Seiten

Peter Weiss (37) vergriffen

Ital. Neorealismus (63) vergriffen

Hermann Hesse (10/11) 2. Aufl., 132 Seiten

Anna Seghers (38) vergriffen

Marieluise Fleißer (64) 95 Seiten

Robert Walser (12/12a) 4. Aufl., 216 Seiten

Georg Lukács (39/40) 90 Seiten

Uwe Johnson (65/66) 2. Aufl., 212 Seiten

Alfred Döblin (13/14) 3. Aufl., 200 Seiten

Martin Walser (41/42) 3. Aufl., 156 Seiten

Egon Erwin Kisch (67) 63 Seiten

Henry James (15/16) vergriffen

Thomas Bernhard (43) 4. Aufl., 288 Seiten

Siegfried Kracauer (68) 90 Seiten

Cesare Pavese (17) vergriffen

Gottfried Benn (44) 3. Aufl., 223 Seiten

Helmut Heißenbüttel (69/70) 126 Seiten

Heinrich Heine (18/19) 4. Aufl., 203 Seiten

Max von der Grün (45) vergriffen

Rolf Dieter Brinkmann (71) 102 Seiten

Arno Schmidt (20/20a) 4. Aufl., 221 Seiten

Christa Wolf (46) 5. Aufl., 151 Seiten

Hubert Fichte (72) 118 Seiten

Robert Musil (21/22) 3. Aufl., 179 Seiten

Max Frisch (47/48) 4. Aufl., 217 Seiten

Heiner Müller (73) 2. Aufl., 214 Seiten

Nelly Sachs (23) 3. Aufl., 126 Seiten

H. M. Enzensberger (49) 3. Aufl., 164 Seiten

Joh. Christian Günther (74/75) 142 Seiten

Peter Handke (24) 6. Aufl., 141 Seiten

Friedrich Dürrenmatt I (50/51) 3. Aufl., 245 Seiten

Ernst Weiß (76) 88 Seiten

Konkrete Poesie I (25) vergriffen

Siegfried Lenz (52) 2. Aufl., 136 Seiten

Karl Krolow (77) 95 Seiten

Lessing contra Goeze (26/27) vergriffen

Paul Celan (53/54) 3. Aufl., 185 Seiten

Walter Mehring (78) 83 Seiten

Elias Canetti (28) 4. Aufl., 177 Seiten

Volker Braun (55) 65 Seiten

Lion Feuchtwanger (79/80) 148 Seiten

Bisher sind in der Reihe TEXT+KRITIK erschienen: Botho Strauß (81) 166 Seiten

Ernst Jünger (105/106) 167 Seiten

Hans Joachim Schädlich (125) 97 Seiten

Erich Arendt (82/83) 155 Seiten

Eckhard Henscheid (107) vergriffen

Johann Gottfried Seume (126) 116 Seiten

Friederike Mayröcker (84) 98 Seiten

MachtApparatLiteratur. Literatur und ›Stalinismus‹ (108) 100 Seiten

Günter de Bruyn (127) 109 Seiten

Alexander Kluge (85/86) 155 Seiten Carl Sternheim (87) 112 Seiten Dieter Wellershoff (88) 116 Seiten Wolfgang Hildesheimer (89/90) 141 Seiten Erich Fried (91) 2. Aufl., 119 Seiten Hans/Jean Arp (92) 119 Seiten Klaus Mann (93/94) 141 Seiten Carl Einstein (95) vergriffen Ernst Meister (96) 98 Seiten Peter Rühmkorf (97) 94 Seiten Herbert Marcuse (98) 123 Seiten Jean Améry (99) 85 Seiten Über Literaturkritik (100) 112 Seiten Sarah Kirsch (101) 104 Seiten B. Traven (102) 100 Seiten Rainer Werner Fassbinder (103) 2. Aufl., 153 Seiten Arnold Zweig (104) 105 Seiten

Günter Kunert (109) 95 Seiten Paul Nizon (110) 99 Seiten Christoph Hein (111) vergriffen Brigitte Kronauer (112) 91 Seiten Vom gegenwärtigen Zustand der deutschen Literatur (113) vergriffen Georg Christoph Lichtenberg (114) 91 Seiten Günther Anders (115) 103 Seiten Jurek Becker (116) vergriffen Elfriede Jelinek (117) 3. Aufl., 127 Seiten Karl Philipp Moritz (118/119) 142 Seiten Feinderklärung Literatur und Staats­ sicherheitsdienst (120) 117 Seiten Arno Holz (121) 129 Seiten Else Lasker-Schüler (122) 102 Seiten Wolfgang Hilbig (123) 99 Seiten Literaten und Krieg (124) 112 Seiten

Gerhard Roth (128) 102 Seiten Ernst Jandl (129) 113 Seiten Adolph Freiherr Knigge (130) 107 Seiten Frank Wedekind (131/132) 185 Seiten George Tabori (133) 106 Seiten Stefan Schütz (134) 93 Seiten Ludwig Harig (135) 91 Seiten Robert Gernhardt (136) 121 Seiten Peter Waterhouse (137) 98 Seiten Arthur Schnitzler (138/139) 2. Aufl., 201 Seiten Urs Widmer (140) 94 Seiten Hermann Lenz (141) 104 Seiten Gerhart Hauptmann (142) 117 Seiten Aktualität der Romantik (143) 100 Seiten Literatur und Holocaust (144) 97 Seiten Tankred Dorst (145) 99 Seiten J. M. R. Lenz (146) 97 Seiten

Bisher sind in der Reihe TEXT+KRITIK erschienen: Thomas Kling (147) 122 Seiten

Stefan George (168) 124 Seiten

Reinhard Jirgl (189) 107 Seiten

Joachim Ringelnatz (148) 115 Seiten

Walter Kempowski (169) 107 Seiten

Rainald Goetz (190) 117 Seiten

Erich Maria Remarque (149) 104 Seiten

Nicolas Born (170) 125 Seiten

Yoko Tawada (191/192) 171 Seiten

Heimito von Doderer (150) 113 Seiten

Junge Lyrik (171) 119 Seiten

Ingo Schulze (193) 100 Seiten

Johann Peter Hebel (151) 109 Seiten

Wilhelm Raabe (172) 114 Seiten

Thomas Brasch (194) 101 Seiten

Digitale Literatur (152) 137 Seiten

Benutzte Lyrik (173) 116 Seiten

Uwe Timm (195) 95 Seiten

Durs Grünbein (153) 93 Seiten

Robert Schindel (174) 100 Seiten

Literatur und Hörbuch (196) 101 Seiten

Barock (154) 124 Seiten

Ilse Aichinger (175) 117 Seiten

Friedrich Christian Delius (197) 97 Seiten

Herta Müller (155) 227 Seiten

Raoul Schrott (176) 104 Seiten

Gerhard Falkner (198) 102 Seiten

Veza Canetti (156) 111 Seiten

Daniel Kehlmann (177) 91 Seiten

Peter Kurzeck (199) 97 Seiten

Peter Huchel (157) 98 Seiten

Jeremias Gotthelf (178/179) 149 Seiten

Hans Fallada (200) 109 Seiten

W. G. Sebald (158) 119 Seiten

Juden.Bilder (180) 126 Seiten

Ulrike Draesner (201) 101 Seiten

Jürgen Becker (159) 130 Seiten

Georges-Arthur Goldschmidt (181) 94 Seiten

Franz Fühmann (202/203) 179 Seiten

Adalbert Stifter (160) 115 Seiten

Grete Weil (182) 115 Seiten

Sibylle Lewitscharoff (204) 104 Seiten

Ludwig Hohl (161) 111 Seiten

Irmgard Keun (183) 109 Seiten

Ulrich Holbein (205) 101 Seiten

Wilhelm Genazino (162) 108 Seiten

Carlfriedrich Claus (184) 141 Seiten

Ernst Augustin (206) 98 Seiten

H. G. Adler (163) 115 Seiten

Hans Jürgen von der Wense (185) 129 Seiten

Felicitas Hoppe (207) 93 Seiten

Marlene Streeruwitz (164) 92 Seiten

Oskar Pastior (186) 108 Seiten

Angela Krauß (208) 105 Seiten

Johannes Bobrowski (165) 113 Seiten

Helmut Krausser (187) 117 Seiten

Kuno Raeber (209) 106 Seiten

Hannah Arendt (166/167) 198 Seiten

Joseph Zoderer (188) 100 Seiten

Jan Wagner (210) 103 Seiten

Bisher sind in der Reihe TEXT+KRITIK erschienen: Emine Sevgi Özdamar (211) 99 Seiten

Wolfgang Welt (232) 103 Seiten

Bertolt Brecht II 2. Aufl., 228 Seiten

Christian Dietrich Grabbe (212) 108 Seiten

Michael Kleeberg (233) 102 Seiten

Georg Büchner I/II 2. Aufl., 479 Seiten

Kurt Drawert (213) 106 Seiten

Robert Menasse (234) 107 Seiten

Georg Büchner III 315 Seiten

Elke Erb (214) 109 Seiten

Vicki Baum (235) 96 Seiten

Comics, Mangas, Graphic Novels 272 Seiten

Wolf Wondratschek (215) 103 Seiten

Alban Nikolai Herbst (236) 93 Seiten

Christian Kracht (216) 104 Seiten

Juli Zeh (237) 109 Seiten

Navid Kermani (217) 95 Seiten

Adolf Endler (238) 93 Seiten

Marcel Beyer (218/219) 178 Seiten

Sonderbände

Christoph Ransmayr (220) 91 Seiten

Theodor W. Adorno 2. Aufl., 196 Seiten

Terézia Mora (221) 100 Seiten

Die andere Sprache. Neue DDR-Literatur der 80er Jahre 258 Seiten

Michael Lentz (222) 110 Seiten Ernst Toller (223) 123 Seiten Sven Regener (224) 95 Seiten Sibylle Berg (225) 104 Seiten Ulrich Peltzer (226) 99 Seiten Lukas Bärfuss (227) 93 Seiten

Ansichten und Auskünfte zur deutschen Literatur nach 1945 189 Seiten Ins Archiv, fürs Archiv, aus dem Archiv 194 Seiten Aufbruch ins 20. Jahrhundert Über Avantgarden 312 Seiten Ingeborg Bachmann vergriffen

DDR-Literatur der neunziger Jahre 218 Seiten Digitale Literatur I 137 Seiten Digitale Literatur II 216 Seiten Theodor Fontane 3. Aufl., 224 Seiten Gelesene Literatur 283 Seiten Johann Wolfgang von Goethe 363 Seiten Oskar Maria Graf 224 Seiten Graphic Novels 330 Seiten Grimmelshausen 285 Seiten Die Gruppe 47 3. Aufl., 353 Seiten E. T. A. Hoffmann 213 Seiten

Gabriele Tergit (228) 105 Seiten

Bestandsaufnahme Gegenwartsliteratur vergriffen

Friedrich Hölderlin 295 Seiten

Thomas Hürlimann (229) 98 Seiten

Ernst Bloch 305 Seiten

Homer und die deutsche Literatur 303 Seiten

Loriot (230) 96 Seiten

Rudolf Borchardt 276 Seiten

Jean Paul 3. Aufl., 309 Seiten

Thomas Meinecke (231) 105 Seiten

Bertolt Brecht I 2. Aufl., 172 Seiten

Franz Kafka 2. Aufl., 359 Seiten

Bisher sind in der Reihe TEXT+KRITIK erschienen: Heinrich von Kleist 2. Aufl., 251 Seiten

Literatur und Migration 285 Seiten

Friedrich Gottlieb Klopstock 129 Seiten

Lyrik des 20. Jahrhunderts 300 Seiten

Karl Kraus vergriffen

Martin Luther 265 Seiten

Kriminalfallgeschichten 237 Seiten

Heinrich Mann 4. Aufl., 180 Seiten

Literarische Kanonbildung 372 Seiten

Thomas Mann 2. Aufl., 265 Seiten

Literarischer Journalismus 234 Seiten

Karl May 299 Seiten

Literatur in der DDR. Rückblicke 307 Seiten

Moses Mendelssohn 204 Seiten

Literatur in der Schweiz 262 Seiten

Österreichische Gegenwartsliteratur 326 Seiten

Poetik des Gegenwartsromans 213 Seiten Pop-Literatur 328 Seiten Joseph Roth 2. Aufl., 166 Seiten Friedrich Schiller 171 Seiten Theater fürs 21. Jahrhundert 238 Seiten Versuchte Rekonstruktion – Die Securitate und Oskar Pastior 140 Seiten Visuelle Poesie 224 Seiten Zukunft der Literatur 204 Seiten