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German Pages 12 [16] Year 1938
Adolf Deißmann zum Gedächtnis Rede bei der Gedenkfeier der Theologischen Fakultät zu Berlin am 18. Juni 1937 von
Hans Lietzmann
ALFRED TÖPELMANN I BERLIN W 35 1937
Sonderabdruck aus Band 35 der Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft
Printed in Germany Druck Ton Walter de Grujrter A Co., Berlin W 35
Hochansehnliche Versammlung! Ein Menschenalter ist Adolf Deißmann, zu dessen Gedächtnis wir uns am heutigen Tage hier versammeln, Mitglied unserer theologischen Fakultät zu Berlin gewesen, und sein Name hallte mit vollem Klang in dem harmonischen Glockengeläut der alten Berliner Fakultät. Der Grund seines Ruhmes hatte zwei Wurzeln: er war einmal ein Gelehrter von hohem Rang und er war zum andern ein aktiver Theologe von ökumenischer Prägung, und beides wuchs einheitlich aus dem tiefsten Grunde seiner Persönlichkeit hervor. Der erste Abschnitt seiner Jugend wurde ihm im Pfarrhaus an der Lahn zu Langenscheid; der zweite setzte sich fort in Erbach bei Wiesbaden. So war seine Jugend eingetaucht in den Sonnenschein dieses schönen rheinischen Winkels, von dem ein Schimmer ihn durch sein Leben begleitet hat — freilich nicht so andauernd und so hell wie seinen Landsmann und Jugendfreund Theodor Wiegand. Aber etwas viel Wichtigeres ist ihm in dieser Jugend zuteil geworden. Er erlebte in einem echt evangelischen Pfarrhaus das Christentum als eine Selbstverständlichkeit, die sein Leben mit derselben Notwendigkeit begleitete wie Essen und Trinken, ohne Reflexion und ohne Frage. Er erlebte zum zweiten, was konfessioneller Friede für Segen bedeutet, und spürte schon als Knabe den Fluch konfessioneller Hetze. Das Studium auf den Universitäten zu Tübingen und Berlin hat auf ihn keinen entscheidenden Einfluß geübt. Er hat auf diesen Universitäten nicht den großen Lehrer gefunden, der seinem Leben und Forschen beherrschend die Richtimg gewiesen hätte. Wichtiger ist für ihn die Zeit des Seminars in Herborn und des Vikariats auf dem kleinen Dörfchen Dausenau gewesen, die ihn mit praktischen Pflichten belud und ihn gleichzeitig die Aufgabe der Seelsorge, zugleich aber auch die Bereicherung des Seelsorgers bei der Hingabe an seine Pflichten kennen lehrte.
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Aber geweckt ist doch das Streben nach wissenschaftlicher Vervollkommnung in den Tagen seines Universitätsstudiums. Es litt ihn nicht bei der Vorbereitung aufs Pfarramt. Er mußte weiterlernen. So ging er als 25jähriger im Jahre 1890 nach Marburg und traf hier auf Heinrici, den einzigen Theologen jener Generation, der aus eigener Kraft ein persönliches Verhältnis zur Antike gefunden hatte, und der nun vom Hellenismus aus Verständnis für die Probleme des Urchristentums zu gewinnen suchte. Dieser Lehrer stellte ihm als Thema eine Untersuchung über die urchristliche Taufe, natürlich in dem Sinne, daß er von den antiken Mysterienreligionen ausgehend die Probleme der christlichen Taufmystik erhellen sollte. Und hier zeigte sich sofort die Eigenart Deißmanns. Es ist eine charakteristische Eigenschaft guter Schüler, daß sie niemals die Themen ihrer Lehrer einfach übernehmen und in der gewünschten Richtung vortreiben, sondern bei einem selbständigen Schüler wird aus dem Thema etwas anderes, und in der Regel kommt auch ein anderes Resultat heraus, als der Lehrer es erwartet. So wurde auch Deißmanns Thema unter seinen Händen eine nüchterne sprachlich-philologische Untersuchung über die Taufformel »in Christo Jesu«, und er stellte mit peinlichster Sorgfalt fest, daß »in« eben »drin« bedeutet und nicht »drum« oder »dran« oder ähnliche Dinge. Und nachdem er diese nüchterne Feststellung getroffen hatte, legte er sich die Frage vor, was das nun heißen solle, wenn gesagt wird, der Christ handele »in Christo« oder sterbe »in Christo«. Die Antwort darauf gab ihm sein eigenes religiöses Erleben. Er sagte: der Christ lebt in Jesu Christo wie in seinem Lebenselement. Wie der Fisch im Wasser, wie der Vogel in der Luft, so lebt der Christ wirklich und wahrhaftig in dieser geistigen Lebensmacht, die Jesus Christus heißt, d. h. er interpretierte »in Christo« im Sinne der Christusmystik. Und hier haben wir eines der Musterbeispiele von dem, was man später mit mehr oder minder viel Unterstreichungen und Leidenschaftlichkeit »pneumatische Exegese« genannt hat, d.h. es wird eine philologisch erarbeitete Wahrheit sachlich begriffen vom eigenen religiösen Leben aus. Bei diesen philologischen Vorarbeiten, bei der Suche nach Beleg-
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stellen für die Bedeutung der Präposition »in« hat er die griechische Bibel des ATs, die Septuaginta, durchgelesen, und zwar nun nicht so, wie sie meistens gelesen oder vielmehr nachgeschlagen wird, als Ubersetzung des Hebräischen zur Feststellung von Übersetzungsvarianten, sondern er las sie als griechisches Buch mit den Augen, mit denen sie einst die hellenistischen Juden und die Christen der alten Welt gelesen hatten. Da in derselben Zeit die in ungeahntem Maße anschwellenden Mengen der Papyri und zugleich auch die Inschriften der alten Welt in seinen Gesichtskreis traten, ging ihm die Methode auf, mit der man die sprachliche Gestalt und literarische Form der Septuaginta erfassen kann. Während man bis dahin die Sprache des griechischen ATs als ein künstlich fabriziertes Übersetzungs- und Judengriechisch anzusehen pflegte, war er es, der sie als Weltsprache seiner Zeit erkannte — nicht als das klassische Griechisch der perikleisch-demosthenischen Zeit, auch nicht als die literarische Kunstsprache der gelehrten Zeitgenossen, sondern als die Sprache, die wirklich von hoch und niedrig in der ganzen damaligen Welt gesprochen wurde und in der man sich vom Euphrat und Tigris bis zum atlantischen Ozean international verständigen konnte. In seinen »Bibelstudien« und den darauf folgenden »Neuen Bibelstudien« hat Deißmann seine speziellen Untersuchungen über diese Frage niedergelegt, und wir dürfen heute nach vierzig Jahren feststellen, daß seine Erkenntnis eine grundlegende gewesen ist, auf der wir alle aufbauen. Man korrigiert und ändert wohl im einzelnen — die Grunderkenntnis ist gewonnen und bleibt unerschüttert. Deißmann blieb aber nicht beim Sprachlichen stehen. Wenn er in den Publikationen der Papyri wühlte, hat er freilich manche Rechnung oder Steuerquittung durcharbeiten müssen, aber sein Auge leuchtete auf, wenn er an die Briefe kam, diese schlichten Briefe des Vaters an den Sohn, des Bauern an den Nachbar, des Freundes an den Freund: die ganze Fülle des antiken Lebens, und zwar des Erlebens kleiner Leute auf kleinem Raum, spiegelt sich da wieder. Das packte ihn. Von hier aus griff er zunächst das Problem der literarischen Form an. Er stellt mit Nachdruck den Unterschied zwischen »Briefen« und »Episteln« fest. Wenn ein Bauer sich hinsetzt,
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an seineil Sohn einen Brief schreibt und ihn ermahnt, er solle fleißig seinen Acker bestellen, so ist das ein Brief. Wenn ein schöngeistiger Mensch sjich hinsetzt und einen Brief über seine Eindrücke bei der Lektüre des Plato schreibt, so ist das eine Epistel; denn der Schreiber denkt dabei an die Öffentlichkeit. Er will nicht den einzelnen Briefempfänger belehren, sondern die Leser schlechthin. So scheidet Deißmann im NT die Briefe, die unter dem Namen des Petrus, Jakobus, Judas, an die Hebräer und 1. Johannes gehen als Rundschreiben, die von vornherein zur Veröffentlichung bestimmt waren, von den Briefen des Apostels Paulus, die nun wirklich nur für die Empfänger geschrieben sind mit der vollen Leidenschaftlichkeit des Mannes, der seinen Willen den Lesern aufzwingen will. So schildert er uns Paulus als einen Mann, der »unliterarisch mit urwüchsiger Genialität« seine Briefe geschrieben hat. Es war ein befreiendes Wort zur rechten Zeit, was er aussprach. Gewiß, man kann an diese scharfe Scheidung kritische Bedenken heranbringen, man kann es zu extrem formuliert finden. Die Briefe des Apostels sind »unliterarisch«, — aber sie sind es so, wie Goethes Briefe an Frau von Stein unliterarisch sind, und es kommt doch bei näherer Betrachtung eine höhere Wertung auch der Form heraus, als es Deißmann bei diesen grundlegenden Erörterungen angemessen scheint. Wir machen hier die alte Erfahrung, daß in solchen programmatischen Thesen eine gewisse Einseitigkeit hervortritt, weil grundlegende Erkenntnisse, erstmalig erkämpft, tatsächlich nur dann wirken, wenn sie einseitig herausgestellt werden. Im Jahre 1906 ging der Mann, dem die alte Welt bisher durch Literatur, Inschriften und Papyri bekannt geworden war, geführt von seinem Heidelberger Kollegen von Duhn, in die Wirklichkeit der alten Welt vergangener Zeiten hinein. Er reiste über Konstantinopel nach Kleinasien und Griechenland und lebte sich ein in das Land seiner Sehnsucht. Und hier begegnete ihm auch der Mann, dessen Wirken fortan starken Einfluß auf ihn gewonnen hat, sein alter Freund Theodor Wiegand. 1908 legte Deißmann das Ergebnis seines bisherigen wissenschaftlichen Lebens vor in seinem Buche »Licht vom Osten«. Hier
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breitet er die ganze Fülle des Stoffes vor dem Leser aus. Dies Buch erscheint auf den ersten Blick als eins der trockensten Werke, die es überhaupt geben kann. Es setzt dem Leser griechische Inschriften, Papyri, Briefe, Aktenstücke vor und bemüht sich, ihm diese Dinge lieb und vertraut zu machen. Jede Inschrift, jeder Papyrusfetzen wird photographisch abgebildet, ins Griechische umgeschrieben, ins Deutsche übersetzt, in allen Einzelheiten erklärt. Und dann wird dem Leser gezeigt, was man aus diesen Urkunden für das Verständnis des NTs lernen kann. Man sollte meinen, daß ein solches Buch nur von einigen, für nichts als trockene Speise empfänglichen Gelehrten hätte genossen werden können. Das Gegenteil ist eingetreten: es ist mit Begeisterung gelesen und auch gekauft worden und hat bis heute vier Auflagen erlebt, was ganz selten einem wissenschaftlichen Buch zuteil wird, in seiner englischen Übersetzung schon drei. Es ist wirklich ein ökumenisches Lehrbuch der Theologie geworden, weil hier anschaulich und pädagogisch von den Wörtern zu den Begriffen, von den Begriffen zu den Vorstellungen, von den Vorstellungen zu den Empfindungen gegangen wird und der Weg von der weiten profanen Welt bis in das Herz des gläubigen Christen schrittweise, aber eindringlich vorgezeichnet ist. Dieses Buch ist in Heidelberg geschrieben. Hier ist Deißmann elf Jahre Professor gewesen. Hier hat er reiche Anregungen eines wissenschaftlich aufs höchste bewegten Kreises genossen, dem unter anderen Albrecht Dieterich, Max Weber, Ernst Troeltsch, Friedrich von Duhn angehörten. 1908 wurde er nach Berlin berufen, schon als berühmter Mann. Ich erinnere mich noch, wie damals diese Berufung in manchen Kirchenblättern kritisiert wurde und wie der ehrwürdige Bernhard Weiß mit Entschiedenheit dagegen auftrat und ausführte, er habe sich als Nachfolger einen führenden Gelehrten ausgesucht. Und dieses Urteil über den 42jährigen war richtig. In Berlin entfaltete Deißmann n\in eine breite Lehrtätigkeit, hier wuchsen ihm auch Schüler für den akademischen Lehrberuf heran, unter ihnen der bedeutendste NTliche Forscher, der jetzt in Deutschland seine Arbeit weiterführt, Martin Dibelius in Heidelberg: die Worte, die er am Sarge seines Lehrers gesprochen hat, sind uns allen unvergeßlich.
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Von seinem Katheder sind mehr als 50 Semester hindurch Scharen von Theologen innerlich bereichert in das Pfarramt gegangen. Hier hat auch seine wissenschaftliche Arbeit ihren letzten Ausdruck gefunden. 1909 trat er eine zweite Orientreise an mit seinen Freunden Carl Schmidt und Wilhelm Weber. Diesmal ging es weiter, über Kleinasien hinaus, auch nach Syrien, Palästina und Ägypten. Auf dieser Fahrt »minderte sich«, wie Deißmann selbst sich ausdrückte, »die abendländische und akademische Hoffahrt und mehrte sich der Respekt vor dem Urtümlichen«. Hier wurde ihm Paulus vollends als Mensch mit östlicher Seele lebendig. Jetzt erlebte er am stärksten, nun auch unter der Sonne des Orients, was er kultische Religion genannt hat. Sein Ruf war bereits im Ausland wohl begründet, als er nach Berlin kam. Schon 1907 war er zu Vorlesungen nach Cambridge eingeladen worden und hatte damit seine sich ständig weitenden Verbindungen mit England begründet. Jetzt 1910 beriefen ihn die Schweden zu Olaus-Petri-Vorlesungen nach Uppsala, und hier sprach er über Paulus. Er hat die Vorlesungen drucken lassen. Das Paulusbild, das er zeichnet, steht unter den zwei Gesichtspunkten Kult und Mystik. Kult ist praktisches Eingestelltsein auf die Gottheit. Er unterscheidet nun theoretisierend einen »agierenden Kult«, wenn der Mensch an die Gottheit herantritt mit Formeln, Gebeten, um sie dazu zu bringen, etwas für ihn zu tun, und einen »reagierenden Kult«, wenn der Mensch eine Gottestat erlebt und darauf antwortet. Und er findet die Formulierung, daß das Christentum bei Paulus ein reagierender Kult ist, die Antwort auf das Erleben des Wunders Christi. Mystik ist Frömmigkeit, die den Weg zu Gott unter Ausscheidung der Reflexion durch innere Erfahrung direkt findet. Und so gibt es auch eine »agierende« Mystik des Menschen, der durch eigene Mittel sich in die Gottheit verwandeln, letzten Endes in der Gottheit aufgehen will, und eine »reagierende Mystik«, wenn Gott zum Menschen kommt und ihn durch »Kommunion« innerlich umgestaltet. Paulus ist ihm ein reagierender Mystiker, der nach Kommunion strebt, d. h. nach Heiligung der
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Persönlichkeit durch die Wirkung des gnädig sich zu ihm neigenden Gottes. So zeichnet Deißmann sein Paulusbild. Und wir sehen unschwer, daß seine gesamte Auffassung der Persönlichkeit des Paulus herausgewachsen ist aus dem, was er in seiner Schrift »Die neutestamentliche Formel in Christo Jesu« im Keim bereits zum Ausdruck bringt, und daß das alles wieder wurzelt in seiner eigenen persönlichsten Frömmigkeit. Dieser Paulus ist ein Idealbild von Deißmannischer Form und Innerlichkeit. Darin beruht, wissenschaftlich geurteilt, die Schwäche, religiös gesprochen aber die ungeheure Stärke dieses Buches, dessen Einwirkung auf die Christenheit sehr viel größer ist als die mancher strenger und gelehrter ausgearbeiteten Paulusmonographie. Der Weltkrieg packte das ganze Vaterland, packte auch Adolf Deißmann und begrub ihm alle weiteren wissenschaftlichen Pläne in seinem schweren Trümmerfall. Mit dem Beginn des Weltkrieges schließt Deißmanns wissenschaftlich produktive Periode. Es beginnt die neue Periode der »Praxis«, des Wirkens in die Weite. Jetzt hat Deißmann seine in Friedenszeiten gewonnenen Auslandsbeziehungen im weitesten Umfang für sein Vaterland angewendet. Es kam ihm darauf an, den Verkennungen und Verleumdungen Deutschlands entgegenzutreten in den Kreisen, von denen er wußte, daß sie seiner Stimme erreichbar waren. So schrieb er seine »evangelischen Wochenbriefe« zur Weckung des christlichen Gewissens bei den Neutralen und bei den Gegnern. Sie erschienen in deutscher und englischer Sprache, gewannen weite Verbreitung auch in Amerika. Und unbekümmert um allen Kanonendonner, um alle diplomatischen Aktionen predigte er der Welt die unbegreifliche Forderung: es gibt keine Eigengesetzlichkeit des politischen Handelns, es gibt nur einen Primat der christlichen Ethik für alle Völker. Unbeirrbar hat er an diesem ungeheuerlich erscheinenden Satz festgehalten. Das Ausland hat ihn um seiner Wochenbriefe willen gescholten, und auch im Inland war mancher nicht mit ihm einverstanden. Nun — als seine Todeskunde in die Welt klang, schrieb eine angesehene englische Zeitimg: »Im Kriege war er ein deutscher Propagandist, den England zu fürchten guten Grund hatte. Er war verantwortlich für die deutsch-
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freundliche Einstellung in den Vereinigten Staaten und verzögerte m mancher Hinsicht Amerikas Eintritt in den Krieg«. Nach dem Kriege hat er sofort wieder Beziehungen angeknüpft mit allen, die ihn hören mochten ringsum in der Welt. Er wollte die Gutgewillten, die »homines bonae voluntatis«, denen der Friede auf Erden verheißen ist, zusammenführen. Er fand sich in diesem Streben mit dem großen schwedischen Erzbischof Nathan Söderblom. Der treibende Gedanke seines Lebens wurde die »Una Sancta«. Im Hintergrund wirkte bei allen, die ähnlich fühlten, das bittere Empfinden, welches die Draußenstehenden mit dem Schlagwort »Bankerott des Christentums im Weltkrieg« bezeichneten und was auch der beste Freund des Christentums nicht anders nennen konnte als ein völliges Versagen der christlichen Kirchen unter allen Völkern. Daraus zogen Deißmann und die ihm Gleichgesinnten den Schluß: also müssen die Kirchen mehr Einfluß in der Welt gewinnen — denselben Schluß, den einst Schleiermacher aus den Katastrophen der napoleonischen Kriege gezogen hatte, wie es Karl Holl in seinen Betrachtungen über die Wirkungen der großen Kriege so eindringlich dem Leser vor die Seele stellt. Es gibt, so führt Deißmann aus, eine kultische Einheit aller christlichen Kirchen. Epheser 4 steht es geschrieben: ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller. Das geht über alle Konfessionen hinweg. Hier gründet sich eine auf apostolischem Zeugnis beruhende kultische Einheit der gesamten Christenheit in der Welt. Und diese Einheit ist nicht eine theologische Formel, sondern ist eine wunderbare Wirklichkeit in der Realpräsenz Christi. Was der Apostel Paulus von unserm »Sein in Christus«, von Christi Gegenwart in der Welt vor seiner Gemeinde redet, ist nicht eine schöne theologische Formel der Vergangenheit, sondern ewige Wahrheit und gegenwärtige Wirklichkeit, die jeder Christ aus eigenem Erleben bezeugen kann. Wir sind alle eine Einheit in Christus, darum die »Una Sancta«. Sie soll nicht hergestellt werden — ein ganz unsinniger Gedanke —, sondern sie ist da und muß dargestellt werden. Das, was latent vorhanden ist, die tatsächliche Wirkung Christi in Millionen und Abermillionen christlicher Menschenseelen, soll öffent-
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lieh bekannte Überzeugung und sichtbare Tatsache in der Welt werden, und eine ihrer Einheit bewußte Christenheit kann nicht ohne stärksten Einfluß auf die Formung eines öffentlichen Gewissens in der Welt bleiben. Das war Deißmanns Glaube, mit dem er in die ökumenische Bewegung hereinschritt, der Glaube, den er in seiner letzten Schrift »Una Sancta« für die bevorstehende Oxforder Kirchenkonferenz vorgezeichnet hat. Deißmann hat schnell und intensiv Einfluß auf die ökumenische Bewegung gewonnen. Er hat in den Weltkirchenkonferenzen von Stockholm und Lausanne eine führende Stellung eingenommen. Mitglied des ökumenischen Rates für praktisches Christentum war er seit 1929, auf der Lausanner Weltkonferenz war er 1927 Vizepräsident. Die Ehrungen häuften sich ihm. Schon vor dem Weltkrieg war er Ehrendoktor von Marburg, Aberdeen, St. Andrews, Manchester; nach dem Weltkrieg wurde er von Uppsala und Oxford promoviert. Die amerikanische Universität Wooster ernannte ihn zum D. litt, und noch jüngst hat bei der Feier ihres 100jährigen Jubiläums die Universität Athen in dankbarem Gedenken den philosophischen Doktorhut dem Entschlafenen gewidmet. Er wurde Mitglied der Gesellschaft für Geisteswissenschaften in Lund und der Akademie von Stockholm. Immer höher stieg sein Ansehen, auch in äußeren Formen. Sein Name war in der ganzen Welt bekannt und weithin galt er als der vornehmste Repräsentant deutscher Theologie. In einem Artikel zu seinem 70. Geburtstag bezeugt ihm ein Schweizer Theologe: »Der dies schreibt, hat mit eigenen Ohren gehört, mit welcher Dankbarkeit Deißmanns Name ausgesprochen wird, nicht nur im Bereich des deutschen Sprachgebietes, sondern in bischöflichen Palästen der orthodoxen Welt des Nahen Ostens, ih Mönchszellen auf dem Sinai und in Palästina, in stillen, vornehmen Gelehrtenstuben von Oxford und Edinburgh, in einsamen Pfarrhäusern im mittleren Westen Amerikas und am pazifischen Ozean«. Alle Kirchen und Denominationen des Protestantismus und seiner Seitentriebe, aber nicht minder auch die griechischen und slavischen Katholiken der orthodoxen Welt, ja, was noch schwerer zu erreichen
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ist, auch römische Katholiken des eigenen Volkes haben diesen Mann geehrt und geliebt. Diese Empfindungen brausten in mächtiger Woge an zu seinem 70. Geburtstag und schwollen zu neuer Welle bei der Kunde seines Todes. Und warum ehrte und liebte ihn die ganze christliche Welt, die gelehrten Kollegen und die vielen Tausende seiner Schüler, denen er Lehrer und vorbildlicher Führer war, warum wir, die wir uns in diesem Saale vereinigt haben? Weil sein durch wissenschaftliche Leistungen auf eine weithin sichtbare Höhe gehobenes Leben zu einer in alle Welt wirkenden Predigt des Evangeliums Christi geworden ist, nicht durch kluge Reden und feine Weisheit, sondern durch die sichtbare Darstellung seiner Persönlichkeit als eines Mannes, der wahrhaft in Jesu Christo war.
Sammlung Cöpelmann DIE THEOLOGIE IM ABRISS
Ethik Der evangelische Weg der Verwirklichung des Guten von Prof. A l f r e d Dedo Müller, Leipzig. 1937. 7.50 ItM, geb. 8.50 UM. Ein Buch nicht nur für den Theologen, der eine feste Orientierung für seine Weltarbeit braucht, sondern für jeden, dem es um eine Verbindung seines Lebens- und Arbeitsgebietes mit den zentralen Erfahrungen des Glaubenslebens zu tun ist.
Einführung in das Alte Testament Geschichte, Literatur und Religion Israels von Prof. J o h . Meinhold, Bonn. 3., neubearbeitete Aufl. 1932. 8 UM, geb. 9.75 KM.
Einführung in das Neue Testament Bibelkunde des NTs. Geschichte nnd Religion des Urchristentums von Prof. K. Knopf (f). 4., neubearbeitete Aufl. von Prof. H. Lietzm a n n und Prof. H. Weinel. 1934. 9 RM, geb. 10.75 UM.
Glaubenslehre Der evangelische Glaube und seine Weltanschauung von Prof. H o r s t S t e p h a n . 2., neubearbeitete Aufl. 1928. 9 KM, geb. 10,75 KM.
Konfessionskunde von Prof. H e r m a n n Mulert. 1927. 10.75 RM, geb. 12.50 RM.
Grundriß der Praktischen Theologie von Prof. M a r t i n Schian. 3., neubearbeitete Aufl. 1934. 9 RM, geb. 10.75 RM.
Geschichte d. israelitischen u. jüdischen Religion von Prof. G u s t a v Hölscher. 1922. 4 RM, geb. 6.40 RM. Als E r g ä n z u n g zu den AbriMnden erscheinen die
Hilfsbücher zum theologischen Studium Religion, Kirche, Theologie / Eine Eintührung in die Theologie von Prof. H e r m a n n Mulert. 19S1. 3.80 11M, geb. 4.80 KM. Katechetik / Einführung In die Grundfragen des kirchlichen Unterrichts der Gegenwart von Prof. L e o n h a r d F e n d t . 1935. 2.40 KM, geb. 3.50 RM. Neutestarn entliehe Zeitgeschichte von Prof. Herbert Preisker in Breslau. Im Druck.
ALFRED TÖPELMANN VERLAG, BERLIN W 35 WOYRSGHSTRASSE 13
H A N S LIETZMANN
Geschichte der Alten Kirche 1. D i e Anfänge. Oktav. 2. Aufl. VII, 323 Seiten. 1937. Geb. RM 4.80 » . . . D i e meisterhafte Darstellung ist so gestaltet, daß sie auch ohne alle Vorkenntnisse gelesen und verstanden werden kann und doch auch dem Sachkenner neue Perspektiven aufweist und in dem
gewissen-
haft nachgewiesenen religionsgeschichtlichen und archäologischen Material sowie in der Betrachtung und Auswertung der christlichen Quellen eine Fülle neuer Erkenntnisse und Belehrungen vermittelt.« Christentum und Wissenschaft, Nr. 5, Mai 1 9 3 3 .
2. Ecclesia catholica.
Oktav. VIII, 339 Seiten. 1936. Geb. RM 4.80
»Man müßte dies Werk als ein Meisterstück der Geschichtsschreibung preisen und würde dann vor allem die größeren Durchblicke
durch
schicksalsträchtige Momente in diesen für die Gestaltung der christlichen Kirche entscheidenden Aber
an
dieser
Stelle
sei
Jahrhunderten
das
Buch
der
hervorheben deutschen
dürfen...
evangelischen
Pfarrerschaft vor allem als ein unvergleichliches Hilfsmittel zur Orientierung in der Gegenwart empfohlen: Wenn gerade in Stunden politischen Umbruchs die Geschichte ZUT Lehrmeisterin ohnegleichen wird so gilt das nicht minder auch für Krisenzeiten der Kirche.
Erfahrun-
gen, die die werdende Kirche der ersten drei Jahrhunderte mit dem Staat gemacht hat, sind heute ebenso lehrreich wie ihre Auseinandersetzungen mit Irrlehren oder mit Schismen innerhalb des Episkopates. Die
durchsichtige,
von allem gelehrten Ballast freie und doch mit
farbiger Anschaulichkeit gesättigte Darstellung Lietzmanns macht solches Studium zum Genuß.«
Pastoralblätter, Juni
3. Die Reichskirche.
1936.
In Vorbereitung.
Jeder Band ist in sich abgeschlossen und einzeln käuflich I
W a l t e r de G r u y t e r & C o . , Woyrschstraße 13
Berlin W 3 5
PROFESSOR
D. A D O L F
DEISSMANN
Die Armcnbibcl bee Serai Rotulus Seragliensis Nr. 52. Herausgegeben und erklärt v o n D . A D O L F D E I S S M A N N , Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, und Dr. H A N S W E G E N E R , Bibliothekar an der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin. Groß-Oktav. Mit 41 Tafeln in Lichtdruck. 48 Seiten. 1934. RM 12.— Vorliegende Veröffentlichung gilt einem der kostbarsten Schätze der Serai-Bibliothek, einer Biblia pauperum in Rollenform. ' Sie umfaßt eine Folge 38 neutestamentlicher Bildertafeln (Leben Jesu) mit den alttestamentlichen Vorbildern und ist wahrscheinlich um 1450 n. Chr. in Venedig entstanden, geht aber auf süddeutsche Vorlagen zurück. Wie die genaue Untersuchung zeigt, füllt die Handschrift eine bisherige Lücke in der Reihe der Biblia pauperum-Handschriften und gibt damit der geistesgeschichtlichen Auswertung der Armenbibelentwicklung wertvolles und zuverlässiges Material. Die dem Band beigegebenen Lichtdrucktafeln vermitteln auch demjenigen, der das Original nicht einsehen kann, einen Eindruck von der künstlerischen Bedeutung der Darstellungen.
Forfchungen unb Funbe im Scrai Mit einem Verzeichnis der nichtislamischen Handschriften im Topkapu Serai zu Istanbul. Von D . A D O L F D E I S S M A N N , Prof. an der Universität Berlin. O k t a v . X I , 144 Seiten. 1933. RM 7.— In diesem Bande ist zum erstenmal das die Gelehrtenwelt seit Jahrhunderten beschäftigende Geheimnis der Serai-Bibliothek an Ort und Stelle entschleiert worden. Dabei sind eine beträchtliche Anzahl verschollener oder bisher völlig unbekannter Handschriften ans Licht gekommen, darunter ein griechischer Pergament-Codex aus dem 13. Jahrhundert, die Geographie des Ptolemaios, eine Biblia pauperum in Rollenform und andere zum Teil köstliche illustrierte Stücke. Ein Verzeichnis von griechischen, hebräischen, samaritanischen, syrischen, arabischen und armenischen Handschriften, die während der Kriegsund Nachkriegszeit in Anatolien aufgetaucht und 192g der SeraiBibliothek überwiesen worden sind, ist hinzugefügt.
Die Iprachliche Erforlchun$ ber öriechilchen Bibel, ihr gegenwärtiger Stand und ihre Aufgaben 1889. Oktav. Berlin W 35)
33 Seiten.
(Verlag
Alfred
Töpelmann, R M 50 —
Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35