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German Pages 507 Year 2003
NILS FREYTAG
Aberglauben im 19. Jahrhundert
Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Herausgegeben i m Auftrag der Preußischen Historischen Kommission, Berlin von Prof. Dr. Johannes Kunisch
Band 22
Aberglauben im 19. Jahrhundert Preußen und seine Rheinprovinz zwischen Tradition und Moderne (1815-1918)
Von Nils Freytag
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich ΠΙ der Universität Trier hat diese Arbeit im Jahre 1998/1999 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0943-8629 ISBN 3-428-10158-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Zugegebenermaßen reizt mich die Lektüre von Vorworten, denn diese gewähren oft einen Einblick in das wissenschaftliche Netzwerk sowie das persönliche Umfeld des Verfassers, und sie erzählen bisweilen etwas über die Freude des Lesens und des Schreibens. Weitaus vergnüglicher aber ist das Schreiben eines eigenen Vorworts, weil es einen vorläufigen Schlußstrich unter eine intensive Arbeit mit teils spannenden, teils belustigenden und teils haarsträubenden Quellen setzt und zugleich ein willkommener Anlaß ist, für vielfältige Hilfen und Anregungen zu danken. An erster Stelle denke ich dabei an Wolfram Siemann, der mit einem Fund in württembergischen Zensurakten alles anstieß und mir in Trier und München von Beginn an den nötigen Freiraum ließ, meine Vorstellungen umzusetzen, und an Stefan Fisch, der die Studie umsichtig begleitete und schließlich auch das Zweitgutachten übernahm. Freundlicherweise hat Johannes Kunisch die Drucklegung in der Reihe Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte ermöglicht. Ich habe das Exemplar, welches der Fachbereich I I I der Universität Trier im Wintersemester 1998/99 unter dem Titel ,^Zauber-, Wunder-, Geister- und sonstiger Aberglauben Preußen und seine Rheinprovinz zwischen Tradition und Moderne (1815-1918) als Dissertation angenommen hat, für die Drucklegung nur geringfügig überarbeitet und um neu erschienene Literatur ergänzt. A m Ende meiner Arbeit verstehe ich, weshalb manche Vorworte ausufern, denn viele Personen und Institutionen haben geholfen, damit dieses Buch zustandekam. Ich beschränke mich darauf, einige wenige namentlich zu nennen: Das schließt Eberhard Bauer, Franz Irsigler und Heinz Schott ein, die mir Gelegenheit boten, meine Thesen vorzustellen. Der Sonderforschungsbereich 235 in Trier gewährte nicht nur materielle Sicherheit, sondern sein thematischer Diskussionszusammenhang beförderte das Gelingen der Untersuchung, nicht zuletzt durch das kollegiale Miteinander im Teilprojekt „Aberglaube und Kritik". Zudem verdanke ich Peter Dohms und Wolfgang Brandt Hinweise auf wichtige Quellen. Profitiert habe ich in der Endphase und für die Drucklegung von der finanziellen Unterstützung durch die Nikolaus-Koch-Stiftung in Trier, den Landschaftsverband Rheinland in Köln sowie das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und der Psychohygiene in Freiburg. Nicht versäumen möchte ich es, den Mitarbeitern der Archive und Bibliotheken zu danken, allen voran denen der Biblio-
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Vorwort
thek des Priesterseminars in Trier und des Landeshauptarchivs in Koblenz, die hilfsbereit jede Menge abseitiger Bücher, Schriften und Archivalien herbeizauberten und bei fast allen Problemen Rat wußten. Trotz eigener Verpflichtungen und Arbeiten schlugen sich Matthias Alexander, Wolfgang Piereth, Walter Rummel und Paula Schlichtmann mit verschiedenen Fassungen meiner Kapitel herum; Kerstin Windisch half bei den abschließenden Korrekturen. Besonders dankbar bin ich Silke Schlichtmann, die sich meine oft seltsamen Geschichten zuerst anhörte, immer wieder anregende Gedanken beisteuerte und mit der selbst die arbeitsintensive Phase der Niederschrift heiter verlief. Ihr ist dieses Buch ebenso gewidmet wie meinen Eltern, Hans-Joachim und Mechthild Freytag, welche alles erst ermöglichten und die den Gang der Dinge mit wohltuender Gelassenheit verfolgten. München, im Mai 2002
Nils Freytag
Inhaltsverzeichnis I.
Einleitung 1. Abergläubisch-magische Bezeichnungen und Bedeutungen 2. Forschungsstand 3. Quellen und Gliederung
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II.
Rechtliche Grundlagen und juristische Diskussionen um Aberglauben 1. „Abergläubige Gaukeleyen" und „Gewinnsucht" im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten 2. „Öffentlichkeit" und „öffentliches Gesundheitswohl" im Rheinischen Recht 3. „Kurpfuscherei", „grober Unfug" und „freie Willensbildung": Die Strafgesetzbücher von 1851 und 1871 4. Volkskundliche Kriminalistik oder: Darf man Gespenster mißhandeln? . 5. Kirchenrechtliche und -politische Grundlagen im Wandel zur Moderne
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III. Populäre Frömmigkeit zwischen Einhegung und Unterdrückung 1. Religiöser Aberglauben in der Debatte: Relikt- und Regressionstheorien 2. Die Dominanz der Traditionen: Wallfahrten und Prozessionen a) Vormärzliche Wallfahrten zwischen Eigenregie und defensiver Inszenierung b) Tauziehen um „hergebrachte" Traditionen: Wallfahrten und Prozessionen bis zum Ersten Weltkrieg 3. Religiöse Mißbräuche und Umtriebe: „Vorkommnisse der finstersten Zeit blödesten Aberglaubens" a) Der amtskirchliche Spagat im Ringen mit religiöser Abweichung . . b) Staatliche Reaktionen zwischen Aufklärung und Unterdrückung.... IV. Lektüren und Zensur abergläubischen Schrifttums 1. Lektüren oder: Gab es eine „magische Hausväterliteratur"? 2. Die Aufsicht auf Verbreitungsorte und -wege abergläubischer Literatur 3. Grundlagen der Kontrolle von Gelegenheitsschriften 4. Bildungs-, moral- und religionspolitische Zensur im Bemühen um Vergangenheit und Zukunft a) Der „Wunderglauben des gemeinen Volkes" im Fadenkreuz aufklärerischer Zensur b) Die Furcht vor unerwünschter Zukunft: Weissagungen und Prophezeiungen 5. Amtskirchliche Strategien im Umgang mit abergläubischem Schrifttum
35 41 45 49 57 66 69 80 82 98 115 117 129 139 141 147 156 164 165 176 190
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nsverzeichnis
V.
Medizinische Konflikte um religiöse Heilmethoden, Laientherapeuten und Volksmittel 1. Die preußische Verwaltung und der Kampf gegen medizinischen Aberglauben 2. Medizinalpolizeiliche Perspektiven im Umgang mit Laientherapeuten. . 3. Die langwierige Lösung von Krankheiten aus ihrem religiösen Kontext 4. Heilungen durch „ungewöhnlich starken religiösen Eindruck" 5. Der medizinische Blick auf althergebrachtes Verhalten
VI. Verdächtige Neulinge. Animalischer Magnetismus, Hypnose und Spiritismus 1. Animalischer Magnetismus zwischen Wissenschaft und Aberglauben . . a) Staatliche Perspektiven und Reaktionen b) Wissenschaftliche Argumentationsmuster c) Ärzte und ihre magnetische Therapeutik 2. Der fließende Übergang zu hypnotischen und suggestiven Therapien . . 3. Spiritistischer Geisterglauben zwischen Aberglauben und wissenschaftlichem Anspruch 4. Kirchliche Reaktionen auf „Neuen Aberglauben" VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen 1. Die Charité-Karriere des Pferdeknechtes Johann Gottlieb Grabe (1824) 2. Die „Beschränktheit der Bewohner der Provinz am Rhein": Heinrich Mohr (1842/43) 3. Flesch und Kickertz - Die Blutschwitzerin und ihr Mentor (1873-1877). 4. Maria Funken und der Klopfgeist von Eckhausen (1890) 5. Wahrsagerin oder Phrenologin? Anna Schulten (1913/14) VIII. Patienten, Publikum, Profite 1. Eine „innere heilige Kraft": Aberglauben und Geschlecht 2. Kommerzialisierung und Vergnügen 3. Laienheiler und bürgerliche Patienten 4. Ängste, der fremde Blick und das Eigene 5. Aberglauben zwischen Land und Stadt
201 203 209 223 234 244 252 253 255 266 276 281 295 307 316 322 333 344 351 357 363 364 372 377 384 392
IX. Bilanz
396
X.
405 405 415 431 431 433
Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Archivalische Quellen 2. Gedruckte Quellen (bis 1918) 3. Zeitgenössische Periodika und Publizistik 4. Wörterbücher, Lexika, Biobibliographische Hilfsmittel 5. Sekundärliteratur (nach 1918)
XI. Anhang
483
Personen- und Ortsregister
491
nsverzeichnis
9
Zitierweise Bei Zitaten aus den zeitgenössischen Quellen werden die originale Orthographie und die Zeichensetzung beibehalten, lediglich eindeutige Druck- oder Schreibfehler werden verbessert. Sofern bei archivalischen Quellen keine Folio- oder Seitennummern angegeben sind, waren diese grundsätzlich unfoliiert oder unpaginiert. Bei schwer zu beschaffenden oder nur noch selten vorhandenen gedruckten Quellen sind zur besseren Orientierung Standort und Signatur angegeben. Anonyme oder nicht ermittelbare Verfasser werden durch [-] angezeigt. Vor- und Nachnamen handelnder Personen werden jeweils bei der Erstnennung vollständig angeführt, sofern sie zu ermitteln waren.
Abkürzungsverzeichnis Abt. ADB AfK AfS AGB AHVN AKK AmrhKG AThM Aufl. BAT Best. Bl. CEH DBA DBE Diss. EZA GG GStA PK GWU HA HAEK HDA HJB HRG HStAD HZ JbVK JbwestdtLG Jg. JMH KTJ KZSS LAS LHAK
Abteilung Allgemeine Deutsche Biographie Archiv für Kulturgeschichte Archiv für Sozialgeschichte Archiv für Geschichte des Buchwesens Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, insbesondere das alte Erzbistum Köln Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte Archiv für den Thierischen Magnetismus Auflage Bistumsarchiv Trier Bestand Blatt Central European History Deutsches Biographisches Archiv Deutsche Biographische Enzyklopädie Dissertation Evangelisches Zentralarchiv Geschichte und Gesellschaft Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Hauptabteilung Historisches Archiv des Erzbistums Köln Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Historisches Jahrbuch Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Hauptstaatsarchiv Düsseldorf Historische Zeitschrift Jahrbuch für Volkskunde Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte Jahrgang Journal of Modern History Kurtrierisches Jahrbuch Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Landesarchiv Saarbrücken Landeshauptarchiv Koblenz
Abkürzungsverzeichnis LThK 2 LThK 3 masch. MedGG MedhJ ND NDB N.F. NPL NSB Rep. RGG Sekt. StA Tit. VSWG ZfV ZhF ZPGP ZStW
Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl. Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl. maschinengeschrieben Medizin, Gesellschaft und Geschichte Medizinhistorisches Journal Nachdruck Neue Deutsche Biographie Neue Folge Neue Politische Literatur Neue Spiritualistische Blätter Repositur Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft Sektion Stadtarchiv Titel Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Zeitschrift für Volkskunde Zeitschrift für historische Forschung Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
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Ι. Einleitung Aberglauben - das stellt nach vorherrschendem Verständnis der deutschen Geschichtswissenschaft kein zentrales gesellschaftspolitisches Thema des 19. Jahrhunderts dar. Dabei belegen seriöse Studien zum gegenwärtigen Hexenglauben nachdrücklich, daß Aberglauben auch nach dem Jahrhundert der Aufklärung ein anhaltendes Problem blieb, selbst wenn die Hexenwelle der 1970er und 1980er Jahre abgeebbt zu sein scheint, welche die frühe feministische Bewegung mitinszenierte. 1 Deren Ergebnissen zufolge ist der Glauben an das Wirken von Geistern und Hexen heute noch weit verbreitet. 2 Viele sind darüber erstaunt, wähnten sie sich doch aufgeklärt und hielten Aberglauben längst für überwunden. Doch wird eine „Rückkehr der Zauberer" mittlerweile auch von einer größeren Öffentlichkeit als diskussionswürdige Angelegenheit empfunden, vor allem in Hinblick auf eschatologische Bewegungen oder Sekten.3 Aberglauben und Magie hatten und haben im christlichen Kulturkreis auch im Umfeld der Jahrtausendwende Konjunktur. 4 Bei genauerem Hinsehen ist diese Blüte indes nicht überraschend, haben Religionssoziologen doch schon seit geraumer Zeit einen Aufschwung des Magischen festgestellt. 5 Sie untersuchen „postmoderne", individualisierte Formen von Sinnstiftungen: bei Wünschelrutengängern, Pendlern und auch 1 Vgl. Inge Schock, Hexenglaube in der Gegenwart. Empirische Untersuchungen in Südwestdeutschland, Tübingen 1978. Thomas Hauschild, Die alten und die neuen Hexen. Die Geschichte der Frauen auf der Grenze, München 1987. Dieter Harmening (Hg.), Hexen heute. Magische Traditionen und neue Zutaten, Würzburg 1991. Mit der Verwendung des Begriffs Aberglauben ist im folgenden keine Wertung verbunden. 2 Die Umfragen des Allensbacher Instituts für Demoskopie zeigen, daß in modernen Gesellschaften magisches Denken und Handeln keineswegs verschwunden sind. Auch wenn derartige Umfragen vorsichtig zu behandeln sind, vermitteln sie dennoch einen ersten Eindruck: 1992 gaben 2% der Befragten an, an Hexen zu glauben; 17% glaubten danach an Geister. Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann/Renate Köcher (Hg.), Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1984-1992, Bd. 9, München u.a. 1993, S. 220-222. 3 Titel einer Aufsatzsammlung: Hansjörg Hemminger (Hg.), Die Rückkehr der Zauberer. New Age - Eine Kritik, Reinbek bei Hamburg 1987. 4 Vgl. etwa DER SPIEGEL vom 31.3.1997, Heft 14, S. 212-222. Zur Wahrnehmung und Deutung von Jahrhundertwenden jetzt grundlegend: Arndt Brendecke, Jahrhundertwenden. Eine Geschichte ihrer Wahrnehmung und Wirkung, Frankfurt am Main/New York 1999.
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I. Einleitung
bei Jugendlichen.6 Ebenso gelten ihnen nicht nur die millionenfach aufgelegte esoterische Literatur, sondern auch die New-Age-Bewegung und der Okkultismus als Teil dieses Aufschwungs. Moderne und Magie schließen sich nach diesen Ergebnissen keinesfalls aus. Beide existieren nebeneinander und verbinden sich mannigfaltig miteinander. Magische Entwürfe bedienen sich dabei aus dem vorhandenen religiösen, wissenschaftlichen und medizinischen Repertoire. Doch haben magische Vorstellungen sowie Wahrnehmungen sich grundlegend gewandelt und sich der wissenschaftlichen Moderne angepaßt, weshalb dieselben Religionssoziologen von einer „Modernisierung der Magie" sprechen. 7 Ihre Befunde weisen gleichzeitig und eher unbeabsichtigt auf das angedeutete Defizit historischer Forschung, denn es gibt in ihren Arbeiten zahlreiche Hinweise auf das 19. Jahrhundert. Danach fußt die gegenwärtige magische Welle unter anderem auf einer ersten Blütezeit des Spiritismus nach der Jahrhundertmitte, auf der Beschäftigung mit magnetischen Heilbehandlungen seit der Entdeckung des animalischen Magnetismus sowie auf dem okkulten Glauben in swedenborgianischen Traditionen. Diese historischen Wurzeln sind fundamentale Zutaten für alle modernen Varianten des Magischen. Eine magische Moderne widerspricht dem lange Zeit wirksamen aufklärerischen Postulat vom Siegeszug einer Rationalisierung und Intellektualisierung, meinten doch bereits die Spätaufklärer des 18. Jahrhunderts, irrationalen Aberglauben und Magie nach hartem Kampf endgültig aus den Köpfen der Menschen verbannt zu haben.8 Geschichtsbewußt begannen sie daher, Aberglauben als untergegangenes oder untergehendes Kulturgut in umfangreichen Kompendien für die Nachwelt zu erhalten, um ihren Erfolg zu dokumentieren. 9 Diese Annahmen erwiesen sich jedoch bald als Irr5 So Hubert Knoblauch, Das unsichtbare Zeitalter. „New Age", privatisierte Religion und kultisches Milieu, in: KZSS 41 (1989), S. 504-525. Vgl. aus religionswissenschaftlicher Sicht auch Hartmut Zinser, Wissenschaftsverständnis und Bildungsaberglaube. Überlegungen zur Wiederkehr okkulter Praktiken, in: Peter Antes/ Donate Pahnke (Hg.), Die Religion von Oberschichten. Religion - Profession - Intellektualismus, Marburg 1989, S. 257-268. 6 Einen Überblick bietet Hartmann Tyrell, Religionssoziologie, in: GG 22 (1996), S. 428-457, hier S. 455. Beachtenswert ist Hubert Knoblauch, Die Welt der Wünschelrutengänger und Pendler. Erkundungen einer verborgenen Wirklichkeit, Frankfurt am Main/New York 1991. 7 Knoblauch, Zeitalter, S. 509. 8 Vgl. dazu die vorzügliche und weit über die Frühaufklärung hinausreichende Untersuchung von Martin Pott, Aufklärung und Aberglaube. Die deutsche Frühaufklärung im Spiegel ihrer Aberglaubenskritik, Tübingen 1992. Wichtig ist auch nach wie vor Hermann Bausinger, Aufklärung und Aberglaube, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 37 (1963), S. 345-362. 9 Ein herausragendes Beispiel dafür bietet Ernst Urban Keller, Das Grab des Aberglaubens, 6 Teile, Frankfurt am Main u.a. 1777-1786. Genannt seien hier nur:
I. Einleitung tum, weshalb die Anstrengungen im Kampf gegen „Aberglauben" auch im 19. Jahrhundert fortgeführt wurden. Der Blick des Historikers auf das 19. Jahrhundert ist zumeist durch den komplexen und revolutionären Durchbruch der Moderne geleitet. So bemüht man denn auch zahlreiche prozessuale Kategorien, um die epochalen Veränderungen zu beschreiben, die gerade diesen Zeitraum entscheidend prägten: „Säkularisierung" ist nur ein Beispiel dafür. 10 Diese Prozesse werden als analytische Waffen im Kampf gegen einen vermeintlich vormodernen Glauben an Zauber, Wunder und Geister ins Feld geführt. Als vielzitierter Gewährsmann dafür dient Max Weber. Er hat dies in eine ebenso schlichte wie wirksame Formel gegossen, als er von einer „Entzauberung der Welt" sprach. In seinen religionssoziologischen Studien und in seinem Vortrag „Wissenschaft als Beruf 4 entfaltete er aus der Annahme einer zunehmenden „Rationalisierung" und vor allem „Intellektualisierung" seine These: Der Glaube, mit Hilfe technischer Mittel die Welt beherrschen und erklären zu können, habe menschliches Denken und Handeln eines magischen Gehaltes weitgehend entkleidet. 11 Weber verstand diese „EntzaubeJohann Georg Theodor Grässe, Bibliotheca Magica et Pneumatica oder wissenschaftlich geordnete Bibliographie der wichtigsten in das Gebiet des Zauber-, Wunder-, Geister- und sonstigen Aberglaubens vorzüglich älterer Zeit einschlagenden Werke. Ein Beitrag zur sittengeschichtlichen Literatur. Zusammengestellt und mit einem doppelten Register versehen, Leipzig 1843. Georg Conrad Horst, Zauber=Bibliothek oder von Zauberei, Theurgie und Mantik, Zauberern, Hexen,[!] und Hexenprozessen, Dämonen, Gespenstern,[!] und Geistererscheinungen. Zur Beförderung einer rein=geschichtlichen, von Aberglauben und Unglauben freien Beurtheilung dieser Gegenstände, 6 Teile, Mainz 1821-1826. 10 Aus der umfangreichen Literatur zum Problemfeld „Säkularisierung" sind als wichtige Studien zu nennen: Martin Stallmann, Was ist Säkularisierung?, Tübingen 1960. Hermann Lübbe, Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs, Freiburg/München 1965. Trutz Rendtorff, Zur Säkularisierungsproblematik. Über die Weiterentwicklung der Kirchensoziologie zur Religionssoziologie, in: Internationales Jahrbuch für Religionssoziologie 2 (1966), S. 51-72. Eine Zusammenstellung wichtiger Diskussionsbeiträge bietet Heinz-Horst Schrey (Hg.), Säkularisierung, Darmstadt 1981. Hans-Wolfgang Strätz/Hermann Zabel, Säkularisation, Säkularisierung, in: Otto Brunner u.a. (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bde., Stuttgart 1972-1997, hier Bd. 5, S. 789-829. Wichtig dazu sind auch die Beiträge in dem Sammelband von Hartmut Lehmann (Hg.), Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Göttingen 1997. 11 Die verstreuten Textstellen nach der Max-Weber-Gesamtausgabe: Wolf gang J. Mommsen/Wolfgang Schluchter (Hg.), Wissenschaft als Beruf 1917/1919. Politik als Beruf 1919, Tübingen 1992, S. 86 f., S. 100 und S. 109 f. Helwig Schmidt-Glintzer (Hg.), Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus. Schriften 1915-1920, Tübingen 1989, S. 114, S. 450 und S. 512. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5., revidierte Aufl.
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I. Einleitung
rung" als einen langfristigen und typisch abendländischen Prozeß. Dieser in sich konfliktträchtige Wandel entstand für ihn aus dem Gegensatz zwischen einer Rationalisierung menschlicher Lebensführung und einer zeitgleichen Sakralisierung des Lebens, die sich auf letzte eigene Werte beruft. 12 Vollständig erreicht sah er diese „Entzauberung" dabei lediglich im asketischen Protestantismus, was er an dessen Rationalität, am Fehlen magischer Elemente und dessen systematischer Einheitlichkeit ablas. Damit wies er diesem Prozeß im Rahmen der protestantischen Ethik disziplinierende Funktionen zu, bedeutete „Entzauberung" doch auch, irrationale Triebe kontrollieren zu können. Letztlich verwendete Weber die bildhafte Formel als eine Evolutionskategorie, galt sie ihm doch als Ziel kultureller Entwicklung und mündete in die universalhistorische Frage nach der Bedeutung von Rationalität in der Kulturgeschichte. So sind denn in der Rezeption Webers unterschiedliche Phasen dieses Entzauberungsprozesses ausgemacht worden. 13 Seine Entzauberungs-Formel erwies und erweist sich als so wirkungsmächtig, daß sie sich selbst dort noch zeigt, wo von ihrem Gegenteil, einer „Wiederverzauberung der Welt", die Rede ist. 1 4 (Studienausgabe), Tübingen 1972 (!1922), vor allem der Abschnitt zur Religionssoziologie, S. 245-381, hier S. 306-308. Mit der Genese von Webers Konzept beschäftigen sich Johannes Winckelmann, Die Herkunft von Webers „Entzauberungs"Konzeption. Zugleich ein Beitrag zu der Frage, wie gut wir das Werk Max Webers kennen können, in: KZSS 32 (1980), S. 12-53. Johannes Weiß, Max Weber: Die Entzauberung der Welt, in: Josef Speck (Hg.), Grundprobleme der großen Philosophen, Göttingen 1981, S. 9-47. 12 Vgl. Max Weber und die Welt von heute. Eine Diskussion mit Wilhelm Hennis, Wolfgang J. Mommsen und Pietro Rossi, in: Christian Gneuss/Jürgen Kocka (Hg.), Max Weber. Ein Symposion, München 1988, S. 195-213, hier S. 205. Zum folgenden auch: Karl Marx und Max Weber. Eine Diskussion mit Sven Papcke, Jerzy Topolski und Hans-Ulrich Wehler, in: ebenda, S. 102-125. Weiterführend sind: Detlev J. Κ Peukert, Max Webers Diagnose der Moderne, Göttingen 1989. Wolfgang J. Mommsen/Wolfgang Schwentker (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen, Göttingen/Zürich 1988. Jürgen Kocka (Hg.), Max Weber, der Historiker, Göttingen 1988. Wolf gang Schluchter, Rationalismus der Weltbeherrschung. Studien zu Max Weber, Frankfurt am Main 1980. Wolf gang J. Mommsen, Max Weber. Gesellschaft, Politik und Geschichte, Frankfurt am Main 1974. Wolf gang Schluchter, Religion, politische Herrschaft, Wirtschaft und bürgerliche Lebensführung: Die okzidentale Sonderentwicklung, in: Ders. (Hg.), Max Webers Sicht des okzidentalen Christentums. Interpretation und Kritik, Frankfurt am Main 1988, S. 11-128. 13 Vgl. Richard van Dülmen, Entzauberung der Welt: Christentum, Aufklärung und Magie, in: Ders., Religion und Gesellschaft. Beiträge zu einer Religionsgeschichte der Neuzeit, Frankfurt am Main 1989, S. 204-214, der - allerdings ohne Hinweis auf Weber - den „Entzauberungsprozeß" essayistisch verallgemeinert. Vorsichtiger im Urteil über Webers Entzauberungsthese dagegen Ulrich Linse, Geisterseher und Wunderwirker. Heilssuche im Industriezeitalter, Frankfurt am Main 1996, S. 224-227. 14 So plädiert der amerikanische Historiker Monis Berman mit ausdrücklichem Bezug auf Weber für ein kognitiv-sinnliches Miteinander von Mensch und Umwelt.
I. Einleitung Dies bildet den Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung, denn entgegen der weitverbreiteten Annahme blieben Zauber-, Wunder- und Geisterglauben wichtige Probleme, mit denen sich die historischen Akteure Staat und Kirche konfrontiert sahen. Einer vollständigen Entzauberung menschlichen Handelns waren viele Grenzen gesetzt, die von der Doppelbödigkeit des Modernisierungsprozesses zeugen. 15 Für diesen janusköpfigen Prozeß interessiert sich die vorliegende Studie. Es werden sowohl die kulturellen und sozialen Leitbilder der Autoren und Gruppen untersucht, die solche Zuweisungen vornahmen, als auch diejenigen in den Blick genommen, die mit diesem Begriff ausgegrenzt oder diskreditiert wurden. Damit verbunden sind drei grundlegende Problemstellungen. Erstens wird systematisch versucht, den Traditionen vor- und gegenaufklärerischer Strömungen und obrigkeitlicher Reaktionen darauf im 19. Jahrhundert nachzuspüren. Zweitens soll die Studie die Kenntnisse einer Aberglaubens- und Magieforschung, sofern von einer solchen historischen Subdisziplin überhaupt gesprochen werden kann, im Bereich der modernen Wissenschaftsvarianten von Aberglauben vertiefen, die der Medizin und den Naturwissenschaften zuzuweisen sind. Drittens gilt es, das mit dem Aberglaubensvorwurf verknüpfte und zeitgenössisch bereits entwickelte Schema von volks- und elitenkulturellen Handlungen und Vorstellungen zu überprüfen. Diese Studie widmet sich also jenen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um den Umgang mit Schrifttum und Handlungen, welche die Zeitgenossen als abergläubisch einstuften. Das gesamte 19. Jahrhundert hindurch sahen sich zahlreiche Autoren zu einer Diskussion über Aberglauben verpflichtet. Diese Epoche blieb Ort für Dispute um Formen eines als traditionell verstandenen Aberglaubens, die bereits in der Frühaufklärung heftig bekämpft wurden, welche ihre Wirkungen aber nach wie vor entfalteten. So gab es immer wieder Phasen, in denen vermehrt - nun auch auf dem Umweg über eine historische Aufbereitung - um Hexen- und Wunderglauben sowie Teufelsaustreibungen und abergläubisches Brauchtum gestritten wurde. Gleichzeitig ist das 19. Jahrhundert als Umbruchphase zu untersuchen, in der sich althergebrachte Vorstellungen wie Handlungen mit modernen Errungenschaften verbanden und bereits von Zeitgenossen beobachtete, moderne Formen von Aberglauben ausbildeten. Dabei zeugt der Aberglaubensvorwurf von kulturellen Konflikten, in denen man sich über religiöse, medizinische und wissenschaftliche Einstellungen und Handlungen stritt. In diesen Konflikten sind Facetten dessen erkennbar, was von meist Vgl. Morris Berman, Wiederverzauberung der Welt. Am Ende des Newtonschen Zeitalters, Reinbek bei Hamburg 1985 (amerik. Original 1981), vor allem S. 295334. 15 Vgl. dazu Hans van der Loo/Willem van Reijen, Modernisierung. Projekt und Paradox, München 1992 (niederländisches Original 1990), hier S. 118-128. 2 Freytag
I. Einleitung
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unausgesprochenen Normen in Wort und Tat abwich: Widersprüche treten zutage, religiöse Grenzen und wissenschaftliche Grundannahmen werden ausgelotet, bestimmt und neu gesetzt, Alternativen wird Raum gegeben. Zudem lassen solche Konflikte historische Konstellationen schärfer hervortreten, indem sie die unterschiedlichen Positionen prägnanter markieren. Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind also anders formuliert gesellschaftliche Strukturen, Konflikte und Deutungsmuster von Aberglauben. Es geht weniger um den Aberglauben selbst und seinen Inhalt. Dieses Vorgehen kann man als Schwäche sehen, es beruht allerdings auf einem historischen Sachverhalt, der eine ganze Reihe analytischer Chancen eröffnet: Einen spezifischen Aberglauben gab es in den Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts nicht, zu sehr standen verschiedene Weltdeutungen im Konflikt miteinander. Eine Analyse dieser Konfliktzonen soll bestimmte Kernprobleme des Umgangs mit Aberglauben beispielhaft verdeutlichen. So wird immer wieder neu das Verhältnis zwischen modernem und nichtmodernem Verhalten zu prüfen und nach politischen und konfessionspolitischen Funktionalisierungen der Aberglaubensvorwürfe zu fragen sein. Um mich kulturellen Phänomenen zu nähern, sie in ihren Zusammenhängen verstehen und erklären zu können, schien mir eine qualitative Analyse der Konflikte angemessen, weshalb die Argumente und Haltungen der Beteiligten anhand von Fallbeispielen untersucht werden. Auf eine repräsentativ quantifizierende Auswertung abergläubisch-magischer Phänomene wird weitgehend verzichtet. Wo sie aber möglich und sinnvoll ist, wird sie in die Analyse eingebunden.
1. Abergläubisch-magische Bezeichnungen und Bedeutungen Aberglauben und Magie sind alles andere als einheitlich definierte Begriffe. Da beide Begriffe schon zeitgenössisch oftmals synonym verwendet wurden und es vielfach immer noch werden, erschwert dies die Bemühungen um brauchbare Definitionen erheblich. Oftmals lassen sie sich kaum voneinander trennen. Von der Nähe beider Begriffe zeugt die häufig anzutreffende Doppelwendung „abergläubisch-magisch". Auch bedienten sich die Zeitgenossen zahlreicher Komplementärbegriffe wie Volksfrömmigkeit oder Zauberei, um Sachverhalte, Handlungen oder Vorstellungen als abergläubisch zu kennzeichnen. „Aberglauben" ist insgesamt der stärker polarisierende Begriff, der sich nicht von der Position des Wertenden trennen läßt. Nicht von ungefähr ist er als eine zentrale „Kampfidee" der deutschen Aufklärung ausgemacht worden. 16 16
Vgl. Pott, Aufklärung, S. 2 f. Die konzeptionelle Unterscheidung zwischen stärker auf die Zukunft ausgerichteten „Programmideen" und den eher an Vergan-
1. Abergläubisch-magische Bezeichnungen und Bedeutungen
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Der Magiebegriff ist weit weniger wertend, müssen hier doch die Adjektive „schwarz" oder „weiß" hinzukommen, um ihn positiv oder negativ aufzuladen. Dennoch gilt gerade magisches Denken und Handeln als Aberglauben schlechthin. Magie ist zunächst wie jede andere kulturelle Äußerung vieldeutig und vielverwendbar. Der Begriff wird vor allem in religiösen und wissenschaftlichen Zusammenhängen benötigt, um ein anderes, nichtrationales und dem europäischen Kulturkreis fremdes Denken und Handeln sprachlich wie analytisch einzufangen. Sogenanntes magisches Denken hängt unmittelbar mit der Sicht des Menschen auf seine konstruierte und von ihm erfahrene Welt zusammen und scheint eine nicht zu verdrängende Eigenschaft des Menschen zu sein. Die Spannweite der Ansichten von Magie reicht von einzelnen religiösen Vorstellungen über Personen, dem „Magier" oder der „Hexe", bis hin zu ganzen gesellschaftlichen Teilbereichen, wie etwa den Heilverfahren in vormodernen Gesellschaften. Überall dort, wo eine wissenschaftlich oder religiös dominierte Weltsicht an ihre Grenzen stößt, kann danach Magie wirken. Zahlreiche Vorurteile und Mißverständnisse - zumeist gekoppelt an den Aberglaubensvorwurf - verstellen allerdings den Blick für einen Eigenwert magischer Vorstellungen, Handlungen und Denkformen in verschiedenen Gesellschaften und Epochen. Wichtig ist, daß Magie und Religion untrennbar miteinander verwoben und die Grenzen zwischen ihnen fließend sind. Diese Nähe magischer zu religiösen Handlungen und Vorstellungen mündete bereits in zahlreiche wissenschaftliche Erklärungsversuche. 17 Eine sogenannte evolutionistische Richtung anthropologischer Forschung hat Magie als eine Vorstufe zu religiösem und dann auch wissenschaftlichem Denken gedeutet. Bei einem ihrer wichtigsten Vertreter, dem englischen Anthropologen James George Frazer, gipfelte diese Annahme in der These, Magie sei „the science of the jungle". 1 8 Dieser Forschungszweig hat in Magie lange einen Ausdruck prigenheit und Gegenwart orientierten „Kampfideen" geht zurück auf Norbert Hinske, Die Aufklärung und die Schwärmer - Sinn und Funktion einer Kampfidee, in: Aufklärung 3 (1988), S. 3-6. Dieses einleitende Kapitel konzentriert sich auf die Forschungsdiskussionen um Magie, da die Debatten um Aberglauben in die Kapitel über den Umgang mit religiösem und medizinischem Aberglauben eingebunden werden. 17 Vgl. dazu die Beiträge in Hans G. Kippenberg/Brigitte Luchesi (Hg.), Magie. Die sozialwissenschaftliche Kontroverse über das Verstehen fremden Denkens, Frankfurt am Main 1987. 18 Vgl. Carlo Mongardini, Über die soziologische Bedeutung des magischen Denkens, in: Arnold Zingerle/Ders. (Hg.), Magie und Moderne, Berlin 1987, S. 1162, hier S. 23. James George Frazer, Der goldene Zweig. Das Geheimnis von Glauben und Sitten der Völker, Reinbek bei Hamburg 1989 (engl. Original 1922). Die Entstehungs- und Publikationsgeschichte von Frazers „goldenem Zweig" ist einigermaßen verworren. Erste Überlegungen veröffentlichte Frazer bereits 1890 unter dem Titel „Adonis, Attis, Osiris". Bei der hier in Übersetzung verwendeten Ausgabe von 2*
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I. Einleitung
mitiven Wissens sehen wollen, eine Art Wissenschaft vor der Wissenschaft oder Religion vor der Religion, und begriff sie als Relikt einer minderwertigen Kulturstufe. Bis hin zum Soziologen Emile Durkheim akzentuierten viele immer wieder die strikte Trennung zwischen Magie und Religion. 19 Erst mit der Hinwendung zur anthropologischen Feldforschung und der Betonung des praktischen, handlungsorientierten Aspekts von Magie begann die hierarchische Aufeinanderfolge von Magie, Religion und Wissenschaft zunehmend fragwürdig zu werden. Vor allem Bronislaw Malinowski ist zu nennen, der die drei Komplexe Magie, Religion und Wissenschaft nicht mehr chronologisch hintereinanderreihte, sondern sie nebeneinander gelten ließ. 2 0 Sodann liegt einer der wichtigsten Unterschiede zwischen Magie und Religion - aller fließenden Übergänge zum Trotz - in der Art der Kraft, die jeweils angesprochen und um Hilfe gebeten wird. Sobald sich die Bitte um Hilfe an Dämonen oder okkulte Naturkräfte richtete, liegt nach einer gängigen Definition Magie vor. 2 1 Wohl auch deshalb wird Religiosität im Unterschied zur Magie als ein wichtiger Rationalisierungsschritt verstanden. Magie unterwirft danach den Lauf der Dinge dem Subjekt und ist stärker an diesseitig-alltäglichen Wünschen und Hoffnungen orientiert als Religion. 2 2 Magie ordnet nicht weniger als Religion, bezieht sich dafür aber stärker auf das Individuum. Die in den Kirchen institutionalisierte Religion grenzt sich scharf von magischen Handlungen ab, wobei die eigenen Normen immer den Maßstab für eine Einstufung als Magie oder Aberglauben abgeben. Ein auch für die Geschichte des Aberglaubens im 19. Jahrhundert ganz wesentlicher Unterschied zwischen magischen und wissenschaftlichen Ansprüchen liegt darin, daß dort die Person selbst mit ihren charismatischen Fähigkeiten einen herausragenden Stellenwert hat. Ein weiterer zentraler Aspekt ist in der Binnenlogik magischen Verhaltens zu sehen, die seit den anthropologischen Studien Edward Evan EvansPritchard kaum mehr bestritten werden kann, welche aber der Aberglau1922 handelt es sich um eine autorisierte Kurzfassung des zwischen 1907 und 1915 unter dem Titel „The Golden Bough. A Study in Magic and Religion" erschienenen zwölfbändigen Werkes. 19 Vgl. Emile Durkheim , Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt am Main 1994 (franz. Original 1912), S. 70-75. 20 Vgl. Bronislaw Malinowski, Magie, Wissenschaft und Religion und andere Schriften, Frankfurt am Main 1973 (11948), S. 18. 21 Dazu vgl. Richard Kieckhefer, Magie im Mittelalter, München 1992 (engl. Original 1990), hier S. 24. Eine Differenzierung in Bitte (Religion) und Zwang (Magie) ist weniger einleuchtend. Diese Unterscheidung findet sich bei Weber, Wirtschaft, S. 258. 22 Dieser diesseitig ausgerichtete Bezug religiöser wie magischer Handlungen wird im folgenden als „lebensweltlich" bezeichnet.
2. Forschungsstand
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bensvorwurf immer wieder in Zweifel zieht. 23 Evans-Pritchards Leitgedanke, den er selbst allerdings nur streckenweise realisierte, hinter den magischen Ritualen des zentralafrikanischen Stammes der Zande soziale und politische Konflikte auszumachen, wird mittlerweile auch in der frühneuzeitlichen Hexenforschung fruchtbar umgesetzt. 24 Die Zweifel an einer solchen Binnenlogik haben sicherlich damit zu tun, daß Magie von Geheimnissen unterschiedlichster Art umgeben ist, die häufig sogar ausschlaggebend für den Erfolg einer entsprechenden Handlung sind; darüber hinaus spielen Orts-, Personen- und Zeitwahl oftmals eine herausragende Rolle bei magischen Ritualen. Magie ist danach auch als ein Rationalisierungsversuch zu verstehen, auf den gesetzt wird, wenn alle anderen Hilfsmittel versagen. Sie ist auch aus diesem Grund ein Faktor, der sich im 19. Jahrhundert in vielen Varianten antreffen läßt und der im folgenden im Blick zu behalten ist. 2 5
2. Forschungsstand Eine Aberglaubens- und Magieforschung hat in der deutschen Geschichtswissenschaft noch recht verschwommene Konturen. Zum Teil mag dies daran liegen, daß an ihr zahlreiche Disziplinen beteiligt sind und der Blick über die engen Grenzen des Faches hinaus unabdingbar ist. Das weite Feld erschließen mittlerweile Volkskundler, Soziologen, Ethnologen, Philosophen, Theologen, Juristen, Mediziner und auch Historiker. Dementsprechend vielgestaltig sind die methodischen Zugänge und Fragen sowie die Ergebnisse von der Brauchtumsforschung über die ideengeschichtliche Superstitionen- und Hexenforschung bis hin zur Untersuchung von Volks- und Gelehrtenmagie, außereuropäischen Gesellschaften und New-Age-Bewegungen. Die längste und wirkungsmächtigste Tradition einer wissenschaftlichen Aberglaubensforschung besitzen Volkskunde und deutsche Altertumskunde. Sie blieben bis weit ins 20. Jahrhundert auf der Suche nach einer zeitlosmythischen Kontinuität abergläubischer Vorstellungen. 26 Dies trug maßgeb23 Vgl. Edward Evan Evans-Pritchard, Hexerei, Orakel und Magie bei den Zande, Frankfurt am Main 1978 (engl. Original 1937). 24 Dazu Wolfgang Behringer; Erträge und Perspektiven der Hexenforschung, in: HZ 249 (1989), S. 619-640. 25 Vgl. Mongardini, Bedeutung, S. 45. 26 Forschungsüberblicke geben: Eva Labouvie, Wissenschaftliche Theorien - rituelle Praxis. Annäherungen an die populäre Magie der Frühen Neuzeit im Kontext der „Magie- und Aberglaubensforschung", in: Historische Anthropologie. Kultur Gesellschaft Alltag 2 (1994), S. 287-307. Dieter Harmening, Superstition - ,Aberglaube4, in: Dietz-Rüdiger Moser (Hg.), Glaube im Abseits. Beiträge zur Erforschung des Aberglaubens, Darmstadt 1992, S. 368^01, hier S. 392-401. Einen bibliographischen Zugang bietet Martin Stute, Hauptzüge wissenschaftlicher Erfor-
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I. Einleitung
lieh zu einer nahezu unüberschaubaren und unkritischen Sammelleidenschaft bei, wovon das zwischen 1927 und 1942 erschienene „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens" und zahllose volkskundliche Sammlungen zeugen. 27 Zwar gab und gibt es auch systematische Zugänge zum Problemfeld des Aberglaubens, aber es überwogen doch die Versuche, für nahezu jede deutsche Region nach den Spuren ursprünglich heidnischer Sitten, göttlicher Mythen oder des Dämonenglaubens im einfachen Volk zu fahnden. 28 Eine wegweisende Wende erfuhren diese Zugangsweisen erst durch die Rezeption der erwähnten anthropologisch-soziologischen Konzepte sowie eine stärker psychologisch ausgerichtete Deutung von Aberglauben und Magie. Man begann nun, mitteleuropäischen und frühmodernen Aberglauben mit den als prälogisch oder primitiv verstandenen Handlungsweisen außereuropäischer Gesellschaften zu kontrastieren, und sah in ihm gewissermaßen eine Vorstufe rationalen Denkens, welche den Schlüssen der Analogie und der Sympathie verhaftet war. Dies korrespondierte mit dem Entwurf eines eurozentrischen Evolutionsmodells, das auf magisch-abergläubische Vorstellungen und Handlungen die Hochreligionen folgen ließ und als dessen endgültiger Gipfel Wissenschaft galt. Die „Evolutionstheoretiker" deuteten Magie überwiegend als funktionalen oder psychologischen Bestandteil eines untergegangenen Kultes, von dem nur noch Versatzstücke vorhanden schung des Aberglaubens und seiner populärwissenschaftlichen Darstellungen der Zeit von 1800 bis in die Gegenwart. Eine Literaturanalyse, Frankfurt am Main u.a. 1997. Zum Mittelalter vgl. hier nur Kieckhefer, Magie. Jean-Claude Schmitt, Heidenspaß und Höllenangst. Aberglaube im Mittelalter, Frankfurt am Main 1993. Jean Claude Bologne, Von der Fackel zum Scheiterhaufen. Magie und Aberglaube im Mittelalter, Solothurn/Düsseldorf 1995 (franz. Original 1993). 27 Vgl. Siegfried Seligmann, Der böse Blick und Verwandtes. Ein Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens aller Zeiten und Völker, 2 Bde. in einem Bd., Hildesheim u.a. 1985 (ND der Ausgabe Berlin 1910). Albert Freybe, Der deutsche Volksaberglaube in seinem Verhältnis zum Christentum und im Unterschiede von der Zauberei, Gotha 1910. Adolf Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart, Berlin 31900 ^ΙδόΟ). Christian Rogge, Aberglaube, Volksglaube und Volksbrauch in der Gegenwart nach ihrer Entstehung aus altgermanischem Heidentum. Ein Beitrag zur Pflege des Volkstums, Leipzig 1890. 28 Systematisch arbeiten Julius von Negelein, Weltgeschichte des Aberglaubens, 2 Bde., Berlin 1931-1935. Alfred Lehmann, Aberglaube und Zauberei. Von den ältesten Zeiten an bis in die Gegenwart, Stuttgart 31925 (dänisches Original 1893). Darüber hinaus widmeten sich einige Studien den praktischen Formen des Aberglaubens. Genannt seien Carl Seyfarth, Aberglaube und Zauberei in der Volksmedizin Sachsens. Ein Beitrag zur Volkskunde des Königreichs Sachsen, Leipzig 1913. Karl Julius Müller, Aberglaube und Occultismus in Berlin und der Provinz Brandenburg. Vortrag gehalten in Berlin, Oranienburg und Landsberg a.W. Nebst Anhang: Die Chiromantie in ihrer praktischen Anwendung, Berlin 1899. Ernst John, Aberglaube, Sitte und Brauch im sächsischen Erzgebirge. Ein Beitrag zur deutschen Volkskunde, Annaberg 1909.
2. Forschungsstand
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seien und den es zu rekonstruieren galt. 2 9 In der westeuropäischen Geschichtswissenschaft lassen sich vergleichbare methodische Überlegungen vor allem auf dem Feld der Volkskulturforschung ausmachen. Mit dem Begriff „Volkskultur" kennzeichnen Volkskundler wie Historiker eine gesellschaftliche Formation, die vorwiegend aus kulturhistorischer Perspektive erschlossen wird. Gemeint sind mit dem Begriff „Volkskultur" nicht ältere volkskundliche und kulturgeschichtliche Arbeiten, die als problematisch und historisch belastet gelten müssen, 30 sondern vielmehr jüngere Untersuchungen vor allem westeuropäischer Historiker und sozialhistorisch orientierter Volkskundler zur „culture populaire" oder „populär culture". Einige grundsätzliche Problembereiche sind dabei zu beachten, da sie unmittelbar mit der Wahrnehmung und Deutung von Aberglauben im 19. Jahrhundert verwoben sind. 31 Volkskultur dient als heuristische Kategorie dazu, Handlungen, Wahrnehmungen, Überzeugungen oder Denkweisen großer gesellschaftlicher Teilgruppierungen zu analysieren und einzuordnen. Vorausgesetzt werden dabei
29 Überblicke geben: Hans G. Kippenberg, Einleitung: Zur Kontroverse über das Verstehen fremden Denkens, in: Ders./Luchesi, Magie, S. 9-51. Leander Petzoldt, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Magie und Religion. Beiträge zu einer Theorie der Magie, Darmstadt 1978, S. VII-XVI. Als wichtige soziologische und ethnologische Arbeiten gelten Frazer, Der goldene Zweig. Durkheim , Formen. Luden Lévy-Bruhl, Die geistige Welt der Primitiven, Darmstadt 21959 (11927). Malinowski, Magie. 30 Zum Begriff der Volkskultur in der älteren Volkskunde und deren Wissenschaftsgeschichte vgl. Wolfgang Kaschuba, Mythos oder Eigen-Sinn? „Volkskultur" zwischen Volkskunde und Sozialgeschichte, in: Utz Jeggle u. a. (Hg.), Volkskultur in der Moderne. Probleme und Perspektiven empirischer Kulturforschung, Reinbek bei Hamburg 1986, S. 469-507. Hermann Bausinger, Volkskunde. Von der Altertumsforschung zur Kulturanalyse, Berlin/Darmstadt 1971, hier S. 12-73. Norbert Schindler, Spuren in die Geschichte der „anderen" Zivilisation. Probleme und Perspektiven einer historischen Volkskulturforschung, in: Richard van Dülmen/Ders. (Hg.), Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags (16.-20. Jahrhundert), Frankfurt am Main 1984, S. 13-77, hier S. 26-47. 31 Neben Schindler, Spuren, bietet Wolf gang Kaschuba, Volkskultur - Themen, Publikationen, Perspektiven. Ein Forschungsüberblick aus volkskundlicher Sicht, in: AfS XXVI (1986), S. 361-398, einen grundlegenden Problemaufriß. Dieser und weitere wichtige Aufsätze Kaschubas zum Themenfeld sind wiederabgedruckt in Ders., Volkskultur zwischen feudaler und bürgerlicher Gesellschaft. Zur Geschichte eines Begriffs und seiner gesellschaftlichen Wirklichkeit, Frankfurt am Main/New York 1988. Ein geraffter Forschungsüberblick findet sich bei Wolf gang Kaschuba, Lebenswelt und Kultur der unterbürgerlichen Schichten im 19. und 20. Jahrhundert, München 1990, S. 66-68. Beachtenswert sind auch die Überlegungen von Kaspar von Greyerz, Grenzen zwischen Religion, Magie und Konfession aus der Sicht der frühneuzeitlichen Mentalitätsgeschichte, in: Guy P. Marchai (Hg.), Grenzen und Raumvorstellungen (11.-20. Jh.) - Frontières et conceptions de l'espace (lle-20e siècles), Zürich 1996, S. 329-343.
I. Einleitung
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verschiedene kulturelle Ebenen innerhalb untersuchter Gesellschaften oder von deren Segmenten. Diese Ebenen werden je nach Standort des Betrachters mehr oder minder abhängig von zwei der drei klassischen Basisdimensionen, Herrschaft und Wirtschaft, verstanden. Volkskultur ist so die Kultur der Beherrschten oder ökonomisch Benachteiligten, die in einem Gegensatz zur Kultur der Herrschenden steht. Verbunden damit ist eine quantitative Aussage: Sie ist die Kultur der Vielen, die Kultur des Volkes, 32 die von der exklusiven Kultur der Wenigen abweicht. Ähnliches gilt für Kategorien wie Volksfrömmigkeit, Volksglaube oder Volksreligiosität. 33 Blickt man allerdings auf die Geschichte des Begriffs Volkskultur, dann erweist er sich als merkwürdiger Zwitter. Einerseits ist er ein Konstrukt und versinnbildlichte lange als rückwärtsgewandte Utopie die Erinnerung an eine vorgeblich heile Welt, in der man all das zu entdecken glaubte, was in der eigenen Gegenwart nur noch als Rest erkennbar war. Gleichzeitig stilisierte vor allem das Bürgertum des 19. Jahrhunderts Volk oder Volkskultur seit Aufkommen der Nationsidee zu einem gewichtigen Teil des gemeinsamen Plateaus, auf dem der Nationalstaat, auch mit seinen schrecklichen Abwegen im 20. Jahrhundert, schließlich fußte. Andererseits wiederum distanzierten sich die aufgeklärten Bürger der industriellen Ära mit dem Begriff von einer als weniger zivilisiert geltenden, einer volkskulturellen Entwicklungsstufe. In dieser historischen Mehrdeutigkeit etablierten bürgerliche Eliten und einsetzende historische Forschung das kulturelle Zwei-Schichten- auch als Zwei-Phasen-Modell. Die Kategorie polarisiert ein beträchtliches Stück weit künstlich zwischen gebildet und ungebildet, zwischen gelehrt und ungelehrt, zwischen Klerikern und Laien, zwischen arm und reich; schon seit dem 18. Jahrhundert wurden konfessionelle Konflikte um Volks- und Elitenkultur deshalb auch häufig als Auseinandersetzungen zwischen aufgeklärt-modernen und traditionellen Kräften gedeutet. Die damit verbundenen Schwierigkeiten und Belastungen haben zu Überlegungen geführt, dieser Begriff sei für wissenschaftliches Arbeiten ungeeignet, oder man erwog die Alternative, ausschließlich den Begriff der popu-
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Zum Begriff „Volk" in der Frühen Neuzeit und im 19. Jahrhundert vgl. den Teilartikel von Bernd Schönemann, Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: Brunner u.a., Grundbegriffe, Bd. 7, S. 281-380, hier S. 337-380. 33 Vgl. Robert W. Scribner, Volksglaube und Volksfrömmigkeit. Begriffe und Historiographie, in: Hansgeorg Molitor/Heribert Smolinsky (Hg.), Volksfrömmigkeit in der Frühen Neuzeit, Münster 1994, S. 121-138. Christof Dipper , Volksreligiosität und Obrigkeit im 18. Jahrhundert, in: Wolfgang Schieder (Hg.), Volksreligiosität in der modernen Sozialgeschichte, Göttingen 1986, S. 73-96. Gottfried Korff, Zwischen Sinnlichkeit und Kirchlichkeit. Notizen zum Wandel populärer Frömmigkeit im 18. und 19. Jahrhundert, in: Jutta Held (Hg.), Kultur zwischen Bürgertum und Volk, Berlin 1983, S. 136-148.
2. Forschungsstand
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lären Kultur zu verwenden, was die skizzierten Probleme indes nicht auflöst. Volkskultur kann nicht ausschließlich als ein gegenkulturelles Modell mit ausgeprägtem Eigen-Sinn gelesen werden - dies hat bereits die berechtigte Kritik an ersten wichtigen Forschungsanstößen gezeigt. So entwickelte Robert Muchembled in seiner forschungsgeschichtlich wichtigen Arbeit über das Verhältnis von Volks- und Elitenkultur im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Frankreich ein Zwei-Phasen-Modell. 34 Die einseitig dargestellten Beziehungen zwischen beiden Kulturen interpretiert er als gewalttätigen Verdrängungsprozeß. Während bis weit in das 16. Jahrhundert hinein eigenständige kulturell-kommunikative Weltdeutungen in ländlichen Bevölkerungsgruppen dominiert hätten, seien diese mit der Durchsetzung absolutistischer Herrschaftsgewalt im Ancien Régime nachhaltig durch die städtischen Eliten unterdrückt worden. Weit sichtbares Fanal eines Sieges elitenkultureller über volkskulturelle Werte und Handlungen sind Muchembled die Hexen Verbrennungen des 16. und 17. Jahrhunderts. 35 Dieses Modell ist rasch mit guten Argumenten in doppelter Hinsicht kritisiert worden: 3 6 Weder träfe die schematische und relativ statische Aufteilung in zwei Kulturen noch die ausschließliche Akkulturation durch die Eliten zu. Auch zeigen die mittlerweile detaillierten Erträge der Hexenforschung, daß die Hexenverfolgungen keineswegs nur von weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten ausgingen. 37 34
Robert Muchembled, Kultur des Volks - Kultur der Eliten. Die Geschichte einer erfolgreichen Verdrängung, Stuttgart 1982 (franz. Original 1978). Seine an Norbert Elias' Prozeß der Zivilisation entwickelten Thesen entfaltet er für den nordwestfranzösisehen Raum des 15.-18. Jahrhunderts. 35 Vgl. ebenda, S. 258-276. 36 In einen größeren Zusammenhang eingeordnet bei Stuart Clark, French Historians and Early modern popular culture, in: Past&Present 100 (1983), S. 62-99. Wolfgang Brückner, Popular Culture. Konstrukt, Interpretament, Realität. Anfragen zur historischen Methodologie und Theorienbildung aus der Sicht der mitteleuropäischen Forschung, in: Ethnologia Europaea XIV (1984), S. 14-24. Roger Chartier, Volkskultur und Gelehrtenkultur. Überprüfung einer Zweiteilung und einer Periodisierung, in: Hans Ulrich Gumbrecht/Ursula Link-Heer (Hg.), Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie, Frankfurt am Main 1985, S. 376-388. 37 Forschungsüberblicke bieten Gerd Schwerhoff, Vom Alltagsverdacht zur Massenverfolgung. Neuere deutsche Forschungen zum frühneuzeitlichen Hexenwesen, in: GWU 46 (1995), S. 359-380. Behringer, Erträge. Ulrich von Hehl, Hexenprozesse und Geschichtswissenschaft, in: HJB 107 (1987), S. 349-375. Peter Kriedte, Die Hexen und ihre Ankläger. Zu den lokalen Voraussetzungen der Hexenverfolgungen in der frühen Neuzeit. - Ein Forschungsbericht, in: ZhF 14 (1987), S. 47-71. Peter Oestmann, Böse Nachbarn - gute Juristen? Rechtshistorische Anmerkungen zur neueren Hexenforschung, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 23 (2001), S. 254-284. Einen kompakten und jederzeit aktualisierbaren Überblick über den
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I. Einleitung
Weitaus differenzierter und offener verwendet bereits Peter Burke den Begriff der Volkskultur. 38 Die variationsreichen unterschichtlichen Handlungen sieht er in der Frühen Neuzeit auf vielerlei Weise mit der Gelehrtenkultur verwoben. Auch ist bei ihm nicht die Rede von einer weitgehenden Auflösung dieser Praktiken oder deren endgültiger Ablösung durch die sogenannte hohe Kultur. Im Gegenteil betont er unter geänderten ökonomischen, institutionellen und sozialen Bedingungen den langfristigen Wandel im Übergang zum 19. Jahrhundert. 39 Für diese bereits frühneuzeitlich vorhandene Vermischung von volkskulturell-individuellen Wahrnehmungen und elitenkulturellen Vorgaben hat Carlo Ginzburg in seinem vielbeachteten Buch über den Müller Menocchio aus dem Friaul ein aufschlußreiches Beispiel vorgelegt. 40 Auch in diachroner Perspektive sind Volkskulturen überaus heterogen. Periodisierungsversuchen nach dem Motto einer unaufhaltsamen Domestizierung populärer Kulturen, die unwiderruflich an der Schwelle zur industriellen Moderne untergegangen seien, ist daher mit Zurückhaltung zu begegnen. Dennoch muß das 19. Jahrhundert als Zeit eines beschleunigten Wandels von Volks- zu Klassenkulturen gelten. Volkskulturen waren zwar ein Reservoir großer Beharrungskräfte, aber seit sie nicht mehr nur als ohnmächtiger Spielball abstrakter Modernisierungsprozesse verstanden werden, wendet man sich vermehrt dem internen Verhältnis von Neuem und Altem, von Statik und Dynamik, von Tradition und Moderne zu. 4 1 Dabei kristallisieren sich verschiedene Spannungsverhältnisse zwischen den genannten Elementen heraus. Stärker in den Vordergrund gerückt sind Wandlungsund Anpassungsfähigkeit sowie Konflikte innerhalb von Kulturen. Gefragt wird nach ihrer praktischen aktiven Aneignungskompetenz aus anderen kulturellen Zusammenhängen,42 weshalb nicht mehr davon ausgegangen werForschungsstand bietet das digitale Hexenlexikon am Server Frühe Neuzeit unter der Adresse http://www.sfn.uni-muenchen.de. 38 Peter Burke, Helden, Schurken und Narren. Volkskultur in der frühen Neuzeit, Stuttgart 1981 (engl. Original 1976). 39 Vgl. ebenda, S. 257-295. 40 Vgl. Carlo Ginzburg, Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600, Berlin 1990 (ital. Original 1976), hier die methodischen Überlegungen in der Einleitung, S. 9-22. Problemorientiert auch Piero Camporesi, Bauern, Priester, Possenreißer. Volkskultur und Kultur der Eliten im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main/New York 1994 (ital. Original 1991), hier S. 7-38. Bemerkenswert schon Michail Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Hg. und mit einem Vorwort versehen von Renate Lachmann, Frankfurt am Main 1987 (russ. Original 1940). 41 Ein gelungenes Beispiel hierfür liefert Wolfgang Kaschuba, Ritual und Fest. Das Volk auf der Straße. Figurationen und Funktionen populärer Öffentlichkeit zwischen Frühneuzeit und Moderne, in: Richard van Dülmen (Hg.), Dynamik der Tradition, Frankfurt am Main 1992, S. 240-267.
2. Forschungsstand
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den kann, daß die von einer herrschenden Kultur produzierten Vorgaben lediglich passiv übernommen worden seien. Wie Edward P. Thompson zu Recht betont hat, sind einer kulturellen Hegemonie seitens der Herrschenden vielerlei Schranken gesetzt. 43 Ebensowenig läßt sich eine eindeutige innere kulturelle Einheit rekonstruieren, denn volkskulturelles Handeln ist in sich selbst durchaus widersprüchlich und entzieht sich teilweise einer von außen übergestülpten, rationalen Logik. 4 4 In diesem Kontext ist auf ein wichtiges Quellendefizit hinzuweisen, welches das Problem des Aberglaubens unmittelbar betrifft. Maßgeblich sind Zuschreibungen von außen, durch die Volkskulturen erst als Abweichung von anderen Kulturen wahrgenommen werden. Diese sinnsetzenden Zuschreibungen suggerieren eine kulturelle Gleichförmigkeit, denn der größte Teil der schriftlichen Quellen stammt von den sogenannten Eliten. Der Blick auf das Volk ist damit in der Regel durch sie vermittelt. Diese Zuschreibungen konnten sich zugleich auf Traditionen berufen, die es so niemals gegeben hatte, die neu „erfunden" worden waren. 45 Diese Quellenlage und die Sichtweisen der Historiker lassen Volkskulturen also einheitlicher erscheinen als sie waren. Insgesamt zeugen die Ergebnisse kultur- und sozialgeschichtlicher Studien zu unterschichtlichen Wahrnehmungs- und Handlungsmustern davon, daß der Plural, also Volkskulturen, angemessener wäre: Volkskulturen lassen sich nicht als ein in sich geschlossenes System beschreiben, das dem der Gelehrten oder Eliten dauerhaft und unverrückbar gegenüberstand. Denn es sind zahlreiche Kontaktzonen und diverse Überschneidungen zwischen den Kulturen zu erkennen, was Konflikte zwischen herrschender und beherrschter Kultur einschließt. Volkskulturen stellen sich viel eher dar als ein buntes Panorama ländlicher und städtischer Bevölkerungsgruppen. Weniger die großen Strukturen und Prozesse als eher die handelnden Menschen stehen im Vordergrund: die bevorzugte Untersuchungsperspektive der frühneuzeitlichen Volkskulturforschung ist wohl auch deshalb der kleine Raum und die kleine Studie. 46
42 Vgl. Norbert Schindler, Einleitung: Widerspenstige Leute, in: Ders., Widerspenstige Leute. Studien zur Volkskultur der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1992, S. 7-19. 43 Edward P. Thompson, Die englische Gesellschaft im 18. Jahrhundert: Klassenkampf ohne Klasse, in: Ders., Plebeische Kultur und moralische Ökonomie. Aufsätze zur englischen Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Ausgewählt und eingeleitet von Dieter Groh, Frankfurt am Main u.a. 1980, S. 247-289, hier S. 272289. 44 Vgl. Hermann Bausinger, Traditionale Welten. Kontinuität und Wandel in der Volkskultur, in: HZ 241 (1985), S. 265-286. 45 Vgl. Eric J. Hobsbawm, Introduction: Inventing Traditions, in: Ders./Terence Ranger (Hg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1983, S. 1-14.
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I. Einleitung
Aberglauben, Magie und Hexenglauben sind schon geraume Zeit respektable und gewinnbringende Untersuchungsgegenstände historischer Forschung anderer Epochen. Von der Antike bis zur Frühen Neuzeit erweitern sie die Kenntnisse über vormoderne Kommunikationsstrukturen und religiös-magische Praktiken, über innerdörfliche Konflikte und deren Lösungsmöglichkeiten, über Geschlechterbeziehungen oder über fremde Vorstellungswelten und alternative Weltdeutungen. Ausgeblendet bleibt jedoch das 19. Jahrhundert, denn hier hätten sich rationale Deutungsmuster und Weltbilder endgültig durchgesetzt, selbst wenn sich noch einige Überreste magischen Handelns aufspüren ließen. 47 Mit dem Vordringen der Naturwissenschaften und der beginnenden gesellschaftlichen Modernisierung im 18. und mehr noch im 19. Jahrhundert spielten solche Vorgänge eine immer geringere Rolle. 4 8 Vielmehr hat sich in der deutschsprachigen historischen Forschung die Annahme durchgesetzt, Auseinandersetzungen um Aberglauben sowie die Kontrolle und Belehrung Abergläubischer hätten für Staat und Kirche im 19. Jahrhundert eine allenfalls nachgeordnete Bedeutung gehabt. Zunehmende Alphabetisierung und pädagogisches Einwirken durch aufgeklärte Geistliche hätten auch den einfachen Landmann befähigt zu erkennen, was Aberglauben sei. Diese Überlegungen scheinen wesentlich getragen vom optimistischen Fortschrittsglauben an eine zunehmend wissenschaftliche Durchdringung menschlichen Zusammenlebens, was unter anderem auch dazu geführt haben dürfte, daß die Aufklärungsforschung sich vornehmlich der gelehrten und popularisierten Kritik am Aberglauben widmete und deren vorschnellem Urteil allzu gerne folgte, Aberglauben sei mit der Aufklärung erfolgreich und gründlich verdrängt worden. In der deutschen Forschung hält sich hartnäckig die Sichtweise, Aberglauben und Magie seien im 19. Jahrhundert allenfalls ein Gegenstand der einsetzenden volkskundlichen und historischen Wissenschaften gewesen. 49 46
Besonders gelungen bei David Warren Sabean, Das zweischneidige Schwert. Herrschaft und Widerspruch im Württemberg der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1990, vor allem in seiner Studie über ein Bullenopfer im württembergischen Beutelsbach: Die Sünden des Glaubens. Ein dörfliches Rezept gegen Viehseuchen (1796), in: ebenda, S. 203-229. 47 Immerhin räumt Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Dritter Bd.: Religion, Magie, Aufklärung. 16.-18. Jahrhundert, München 1994, S. 269, beiläufig „magische Denktraditionen außerhalb der Eliten bis ins 19. Jahrhundert" ein. 48 Vgl. vor allem Eva Labouvie, Verbotene Künste. Volksmagie und ländlicher Aberglaube in den Dorfgemeinden des Saarraumes (16.-19. Jahrhundert), St. Ingbert 1992. 49 So erklärt Labouvie, Künste, S. 297-316, abergläubisch-magisches Denken und Handeln für das 19. Jahrhundert schlicht zur „belächelten Subkultur". Vgl. Horst Möller, Vernunft und Kritik. Deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1986. Holger Böning/Reinhart Siegert (Hg.), Volksaufklä-
2. Forschungsstand
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Zwar beschäftigen sich neuere Studien mit der Fortdauer oder dem Wiederaufleben abergläubischer Vorstellungen im Frankreich und England des 19. Jahrhunderts, die deutsche Forschung hat diese Impulse bisher aber nicht aufgegriffen. Die Verfasser konnten vor allem in ländlichen Unterschichten langlebige Traditionen von Wunderglauben, abergläubischen und magischen Handlungen sowie in Krisensituationen - dann auch vermehrt in Städten - wiederholt chiliastische Heilserwartungen nachweisen. Ein erster Forschungsüberblick dokumentiert das gestiegene Interesse am Abergläubischen im Frankreich des 19. Jahrhunderts. 50 Nach wie vor wird außer acht gelassen - und das gilt auch für die genannten neueren Studien zu Frankreich - , daß mit dem Label Aberglauben flexibel umgegangen wurde und der Begriff auf drei Konfliktfeldern seine Wirkungen entfaltete: Religion, Medizin und Wissenschaft. Nicht von ungefähr konkretisierten viele Zeitgenossen den Aberglaubensvorwurf mit Adjektiven, so unterschieden sie religiöse, medizinische und wissenschaftliche Varianten. Ohne den Stellenwert von Arbeiten zur Begriffs- und Ideengeschichte schmälern zu wollen, kann Aberglauben nicht allein auf seine traditionelle religiöse Bedeutung beschränkt werden, denn man verwendete den Vorwurf nicht erst im 18. Jahrhundert auch in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, um mißliebige Meinungen auszugrenzen. 51 In besonderem Maße gilt dies für medizinisch-wissenschaftliche Theorien. Gerade die zeitgenössischen Diskussionen um die alternative Heilmethode des animalischen Magnetismus sind ein Beispiel dafür, daß Varianten der Geistheilung, Forschungen über die menschliche Psyche oder fragwürdige Kontakte zur Geisterwelt teils als Aberglauben eingestuft und teils als akzeptable wissenschaftliche Alternativen erwogen wurden. 52
rung. Biobibliographisches Handbuch zur Popularisierung aufklärerischen Denkens im deutschen Sprachraum von den Anfängen bis 1850, Bd. 1: Holger Böning, Die Genese der Volksaufklärung und ihre Entwicklung bis 1780, Stuttgart-Bad Canstatt 1990. Pott, Aufklärung. 50 Vgl. Judith Devlin , The Superstitious Mind. French Peasants and the Supernatural in the Nineteenth Century, New Haven/London 1987. Eloïse Mozzani, Magie et superstitions de la fin de l'Ancien Régime à la Restauration. Préface de Jean Tulard, Paris 1988. Eugen Weber , Religion and Superstition in nineteenth-century France, in: The Historical Journal 31 (1988), S. 399^23. Owen Davies, Witchcraft, Magic and Culture, 1736-1951, Manchester/New York 1999. 51 Dieter Harmening, Zauberei im Abendland. Vom Anteil der Gelehrten am Wahn der Leute. Skizzen zur Geschichte des Aberglaubens, Würzburg 1991. Christoph Daxelmüller, Zauberpraktiken. Eine Ideengeschichte der Magie, Zürich 1993. 52 Anneliese Ego, „Animalischer Magnetismus" oder „Aufklärung". Eine mentalitätsgeschichtliche Studie zum Konflikt um ein Heilkonzept im 18. Jahrhundert, Würzburg 1991. Jürgen Barkhoff, Magnetische Fiktionen. Literarisierung des Mesmerismus in der Romantik, Stuttgart/Weimar 1995. Vgl. Nicole Edelman , Voyantes, guérisseuses et visionnaires en France. 1785-1914, Paris 1995. Dazu jetzt auch
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I. Einleitung
3. Quellen und Gliederung Eine Studie wie diese ist nur als Lokal- oder Regionalstudie durchführbar - aus arbeitspraktischen wie sachlichen Gründen. Ihr räumlicher Mittelpunkt ist die preußische Rheinprovinz, allerdings werden aussagekräftige und überregional bedeutsame Ereignisse anderer preußischer Territorien hinzugezogen. 53 Auch weisen die nach der Napoleonischen Epoche Preußen zugeschlagenen Gebiete aus dem Westen des vormaligen Heiligen Römischen Reiches diverse Besonderheiten auf, die sie für die formulierten Erkenntnisinteressen besonders geeignet erscheinen lassen. In beiden rheinischen Provinzen, dem Großherzogtum Niederrhein und der Provinz JülichKleve-Berg, die 1825 zur Rheinprovinz mit Sitz des Oberpräsidiums in Koblenz zusammengelegt wurden, gab es eine tiefverwurzelte katholische Tradition. 5 4 Die Rheinprovinz gilt auch deshalb gerade im 19. Jahrhundert als Kernzone ultramontaner Aktivierung von Frömmigkeit und somit als Brennpunkt aller zentralen Konflikte zwischen Katholizismus und modernem Staat. 55 Dieses während des Ancien Régimes noch weitgehend bunte Mosaik größerer und kleinerer Territorien, das zu einem ausgeprägten lokalen Sonderbewußtsein beigetragen hat, gehörte plötzlich zu dem sich als protestantische Vormacht begreifenden preußischen Staat. Hinzu kommt, daß die Rheinprovinz eine stark unterschiedliche Ausprägung zwischen rasch industrialisierten Gebieten im Norden und agrarisch dominierten Gegenden im Süden bis ans Ende des Untersuchungszeitraumes aufweist, daß also das Problem des Gefälles zwischen Stadt und Land hier schärfer konturiert ist als in anderen deutschen Regionen. Wer Aberglauben als zentrales kulturpolitisches Schlagwort des 19. Jahrhunderts ernst nimmt, muß sich auch an wichtigen politischen Einschnitten Diethard Sawicki, Leben mit den Toten. Geisterglauben und die Entstehung des Spiritismus in Deutschland 1770-1900, Paderborn u.a. 2002. 53 Hilfreiche Überblicke bieten Horst Lademacher, Die nördlichen Rheinlande von der Rheinprovinz bis zur Bildung des Landschaftsverbandes Rheinland (18151953), in: Franz Petri/Georg Droege (Hg.), Rheinische Geschichte in drei Bänden, Bd. 2: Neuzeit, Düsseldorf 1976, S. 475-866. Karl-Georg Faber, Die südlichen Rheinlande von 1816 bis 1956, in: ebenda, S. 367-474. Kurt Düwell/Wolfgang Köllmann (Hg.), Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter, 4 Bde., hier Bd. 1 und 2, Wuppertal 1983-1984. Nützlich ist auch Wilhelm Janssen, Kleine Rheinische Geschichte, Düsseldorf 1997, hier S. 250-374. 54 Diese Verwaltungsreform dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, daß in den Quellen gelegentlich von den „Rheinprovinzen" gesprochen wird. 55 Etwa 75% der Rheinpreußen waren im 19. Jahrhundert katholisch, weshalb sich die Studie auf eine Analyse der Aberglaubenskonflikte zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche konzentriert. Dies bedeutet nicht, daß die protestantische Sicht völlig ausgeblendet wird, zumal viele preußische Beamte der evangelischen Konfession angehörten.
3. Quellen und Gliederung
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ausrichten. Ein solcher Einschnitt war die Übernahme der Rheinprovinzen durch die preußische Verwaltung allemal, denn die neuen Machthaber sahen sich mit einer ganzen Reihe konfessioneller und medizinischer Bräuche und Rituale konfrontiert, die ihnen zuvor fremd gewesen waren. Ursprünglich hatte ich beabsichtigt, mit dem Abbau der preußisch-deutschen Kulturkampfmaßnahmen zu enden, aber auch die Phase bis zum Ende des Ersten Weltkriegs erwies sich im Laufe des Quellenstudiums als Periode, in der sich die Auseinandersetzungen um magische und abergläubische Verhaltensweisen nochmals verdichteten. Um den Umgang staatlicher Instanzen mit abergläubischen Phänomenen zu erschließen, wird für diese Studie auf die archivalische Überlieferung von Ministerien über das rheinpreußische Oberpräsidium und die Regierungen teilweise bis hinab zu Gemeinde- oder Stadtverwaltungen zurückgegriffen. Eine wichtige Grundlage bilden dabei die Bestände des preußischen Kultus- sowie des Innenministeriums, in denen die Ermittlungsakten reichhaltiges Material enthalten. 56 Insbesondere auch für die Konfliktphasen und -felder mit der katholischen Kirche helfen sie, die Positionen im Umgang mit Aberglauben zu klären. Zensur- und Wallfahrtsakten sowie Faszikel der Medizinalbehörden bieten dabei Einblicke in ministerielle Verfügungen, wissenschaftliche Gutachten und Stellungnahmen zu wunderbaren Erscheinungen, irrationalen Handlungen sowie Hexen- und Teufelsglauben. Die rheinpreußischen Behörden vom Koblenzer Oberpräsidium bis zu den Landratsämtern und Gemeinden ergänzen die Sichtweisen und schließen teilweise die Lücken der ministeriellen Überlieferungen. 57 Obwohl gerade auf Landrats- und Gemeindeebene zahlreiche Kriegsverluste zu bedauern sind, 56
Aus Gründen der Einheitlichkeit wird das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, das mehrfach umbenannt wurde, im folgenden als Kultusministerium bezeichnet. Zu dessen Geschichte vgl. Marlene MeyerGebel, Zur Entwicklung der zentralen preußischen Kultusverwaltung (1817-1934) im Spiegel ihrer Aktenüberlieferung im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, in: Jürgen Kloosterhuis (Hg.), Aus der Arbeit des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1996, S. 103-127. Vgl. auch Nils Freytag, Quellen zur Geschichte von Aberglauben und Magie im 18. und 19. Jahrhundert, in: Der Archivar. Mitteilungsblatt für deutsches Archivwesen 53 (2000), S. 314-318. 57 Hervorzuheben sind die Bestände 403 (Oberpräsidium) und 407 (Medizinalkollegium) aus dem LHAK. Die zentrale Bedeutung des Bestandes 403 liegt in Amt wie Person des Oberpräsidenten. Dieser durchbrach die bürokratische Hierarchie, da er nicht als Mittelinstanz zwischen preußischen Ministerien und Regierungen amtierte und seine Position durch eine verwaltungstechnische Unbestimmtheit ausgezeichnet war: Der Oberpräsident war nicht nur ständiger Kommissar der Staatsregierung in der Provinz, sondern auch Fürsprecher der Provinz gegenüber dem König sowie dessen Ministerium. Ihm unterstanden das Medizinalkollegium, das Konsistorium sowie das Schulkollegium; er regelte die ständischen Angelegenheiten und den Straßenbau, war verantwortlich für das Zensurwesen und wahrte die landesherrlichen Rechte circa sacra gegenüber der katholischen Kirche.
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I. Einleitung
korrigieren die Maßnahmen vor Ort gleichzeitig auch den Blick aus den weit entfernten Verwaltungszentren. Gut geeignete serielle archivalische Quellen für den medizinhistorischen Problemkontext sind die Sanitätsberichte der Regierungen und der Kreisphysiker. Alle staatlich besoldeten Medizinalpersonen mußten diese Berichte in vierteljährlichen Abständen bei der zuständigen Regierung einreichen. 58 Mehr oder weniger freigestellt war es niedergelassenen Ärzten, Berichte abzufassen, allerdings appellierte die Bürokratie an ihr wissenschaftliches Ethos, um auch sie dazu zu bewegen, medizinisch relevante Hinweise weiterzugeben. Ein der Regierung zugeordneter Medizinalrat faßte alles zusammen und erstellte zwischen 1817 und 1848 zunächst viertel-, später halbjährlich einen Regierungssanitätsbericht für das zuständige Medizinalkollegium. Dieses wiederum verfaßte halbjährlich eine Übersicht für die ganze Provinz, die an das Kultusministerium nach Berlin ging. Alle Berichte sind durch exakt vorgegebene Schemata gleichförmig und man findet dadurch schnell eine gesuchte Information. In den Rubriken Witterung, Krankheits- und Gesundheitszustand, Verhalten der Medizinalpersonen, wissenschaftliche Angelegenheiten und medizinalpolizeiliche Bemerkungen äußerten sich die Verfasser zu epidemischen Krankheiten, Sterblichkeit, Armenpflege ebenso wie zu schädlichen Vorurteilen des einfachen Landmannes, Volksmitteln und zu Quacksalbern oder Pfuschern. 59 Die Berichte sind unterschiedlich umfangreich und reichen von wenigen Zeilen bis zu 300 Seiten; vorhandene Lücken ließen sich teilweise aus Überlieferungen - das sind dann meist Konzepte - in den einzelnen Regierungsbezirksakten ergänzen. Die staatlichen Archivalien sind darüber hinaus eine Fundgrube für bisher kaum berücksichtigte Quellen. Vor allem in den Akten der Medizinalpolizei über Wunderheilungen und Laientherapeuten finden sich immer wieder Bittgesuche, Selbstdarstellungen und Vernehmungsprotokolle von Laientherapeuten oder deren Patienten. Zwar ist diesen persönlichen Stellungnahmen mit Vorsicht zu begegnen, da sie stark zweckgebunden waren, aber sie wandeln die kirchliche, medizinische, wissenschaftliche oder behördliche Sicht doch ab und bieten Einsichten in die subjektiven Motive der Menschen, sich durch nichtapprobierte Mediziner behandeln zu lassen. Die Überlieferung der katholischen Bistumsarchive Köln und Trier sowie des Evangelischen Zentralarchivs Berlin erweitert die Arbeit um die kirchlichen Perspektiven und reicht von Generalvikariats- über Dekanatsakten in 58 Historischer Überblick des Koblenzer Regierungs- und Medizinalrats Dr. Waldorf über das Medizinalwesen vom 10.5.1882, in: LHAK, Best. 441, Nr. 13439. 59 Medizinalkollegium (Großherzogtum Niederrhein) an Regierung Koblenz vom 20.12.1817, in: LHAK, Best. 441, Nr. 13439; Form und Inhalt der von den Medizinalpersonen vierteljährig einzureichenden Sanitätsberichte 1828, in: LHAK, Best. 407, Nr. 68, S. 121-124.
3. Quellen und Gliederung
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Einzelfällen bis hin zu Pfarreischrifttum. Sie hilft, eine breite Palette mißbilligten Verhaltens zu entschlüsseln, das den amtskirchlichen Leitungen im 19. Jahrhundert nicht mehr akzeptabel schien. Ausgeschöpft wurden vor allem Archivalien zu Prozessionen und Wallfahrten, zu sogenannten „religiösen Mißbräuchen und Umtrieben", zu einzelnen Wunderheilern, zur Zensur abergläubischer Broschüren und Zettel sowie zu Auseinandersetzungen um geistliche Heilmittel. Zahlreiche dieser Quellen sind für den internen Gebrauch geschrieben und zeichnen sich immer wieder durch eine frappierende Offenheit aus, was nicht heißt, daß sie für sich selbst sprechen: Landräte, Bischöfe, Pfarrer oder Mediziner hatten jeweils einen speziellen Blickwinkel und ein eigenes Interesse an Aberglauben. Auch sind die Urteile aufgeklärter Zeitgenossen oder auch der preußischen Verwaltungsorgane nicht immer für bare Münze zu nehmen: Die zeitgenössische Suche nach der absoluten Wahrheit oder dem Betrug bei abergläubischen Ereignissen ist eben eine sehr eingeschränkte Perspektive. Diese Quellen sind ebenso stark interessengeleitet wie Patiententestate oder die Gesuche von sogenannten abergläubischen Laienheilern. Neben dem zeitgenössischen gedruckten Diskurs in volkskundlichen - in der Regel unkritischen - Sammlungen zum Aberglauben sind auch zahlreiche aussagekräftige Schriften zu theoretischen Auseinandersetzungen um Aberglauben und Wunderglauben überliefert. Sie reichen von Flugschriften zum Stellenwert von Wallfahrten und Prozessionen sowie zu aufsehenerregenden abergläubischen Phänomenen bis hin zu Untersuchungen aus ärztlicher oder theologischer Feder. Hinzugezogen wurden darüber hinaus wissenschaftliche Fachzeitschriften, in denen intensive Diskussionen stattfanden. Dazu zählen vor allem die juristischen Debatten um die volkskundliche Kriminalistik in zeitgenössischen strafrechtlichen Periodika, die medizinischen Journale über den animalischen Magnetismus oder Hypnotismus sowie die Publikationsorgane der spiritistischen Bewegung. Um den heterogenen Diskussionszusammenhängen um Aberglauben gerecht zu werden und sie gleichzeitig besser aufeinander beziehen zu können, habe ich mich für eine systematische Gliederung entschieden. Während ein Abschnitt zunächst (Kapitel II) rechtlichen Grundlagen und juristischen Diskussionen geschuldet ist, widmen sich die zwei folgenden Kapitel den Fragen nach behördlichen wie amtskirchlichen Zugriffen auf aberglaubensverdächtige Handlungen und Schriftzeugnisse (III und IV). Kapitel V und V I schlagen den Bogen zu den spannungsreichen Beziehungen zwischen Staat, Wissenschaft und Medizin, ehe sich die beiden abschließenden Abschnitte V I I und V I I I mit kulturellen, sozialen und räumlichen Aspekten von Aberglauben beschäftigen und der Blick auf die Binnenlogik zahlreicher Phänomene und die Perspektiven der Betroffenen, der Ausgegrenzten gewagt werden soll. 3 Freytag
II. Rechtliche Grundlagen und juristische Diskussionen um Aberglauben Rechtsnormen, rechtliches Empfinden und Denken erwachsen immer aus konkreten historischen Konstellationen und lassen sich von ihnen auch dann nicht scheiden, wenn man bemüht ist, an älteres Rechtsgut anzuknüpfen. Normative Regelungen und Strafandrohungen sagen daher etwas aus über die Beurteilung und den gesellschaftlichen Stellenwert krimineller Delikte, denn Kriminalität entsteht aus dem Konflikt zwischen den gesetzten Normen des Rechts und individuellem Handeln. Besonders aufschlußreich ist hierbei das Strafrecht hinsichtlich der wechselseitigen Beeinflussung von gesetzgebendem Staat einerseits und Gesellschaft andererseits, also bezüglich der staatlichen Vorgaben und den einem beständigen Wandel unterliegenden Normvorstellungen einer Gesellschaft. Dies gilt mit Abstrichen gleichfalls für einen Gegenstand, der nicht unmittelbar strafrechtlich geregelt wird wegen abergläubischen Verhaltens, Handelns oder Denkens allein wurde im 19. Jahrhundert kaum jemand mehr angeklagt - , denn Aberglauben verschwand im Jahrhundert zunehmender Verrechtlichung als Straftatbestand aus den Kodifikationen. Trotz dieser Einschränkung sind und waren die Welten des Rechts und des Magischen nur scheinbar voneinander getrennt. 1 Besonders drei Kontaktzonen sind auszumachen: Erstens ließ Aberglauben sich in seinem Verhältnis zum Strafrecht diskutieren. Unterschieden wurden dabei die strafrechtlich relevante Ausnutzung eines abergläubischen Opfers, die Straftat aus Aberglauben sowie die Verwendung abergläubischer Mittel, um ein Verbrechen abzuwehren oder zu verfolgen. Zweitens gab und gibt es noch rechtshistorische Berührungspunkte, die einigen Zeitgenossen wichtig schienen und aus denen man lernen wollte: Aberglauben war Inhalt vergangener obrigkeitlicher Verordnungen und Gesetze, die entweder selbst Zeugnisse einer abergläubischen Obrigkeit waren oder Aberglauben durch Verbote zu unterdrücken versucht hatten. Drittens schließlich ist das christlichreligiöse Moment zu nennen. Der sich als überkonfessionell verstehende Staat griff mit strafrechtlichen Mitteln dann ein, wenn er die Sittlichkeit oder Moral seiner gläubigen Untertanen gefährdet wähnte. 1
Vgl. dazu die anregenden Überlegungen des bekannten Strafrechtlers Franz Salditi, Strafrecht und Aberglaube. Vortrag gehalten aus Anlaß der Berufung zum Honorarprofessor, Hagen 1994, hier S. 10. Artikel „Recht", in: HDA, Bd. 7, Sp. 551-572. Artikel „Verbrecher", in: HDA, Bd. 9, Sp. 813-824. Artikel „Aberglaube und Recht", in: HRG, Bd. 1, Sp. 6-9.
1. „Abergläubige Gaukeleyen" im Allgemeinen Landrecht
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Die Folgen einer als abergläubisch verstandenen Handlungsweise konnten jemanden folglich in Konflikt mit Gesetzen bringen und strafrechtlich von Belang sein, weshalb die Grundzüge des preußischen Rechtssystems hier kurz skizziert werden. Dazu gehören die entsprechenden Artikel der jeweils geltenden Strafgesetze, vom Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 über das preußische Strafgesetzbuch von 1851 bis zum Reichsstrafgesetzbuch von 1871. Hinzu kommen wichtige ministerielle Verfügungen und gerichtliche Entscheidungen, die dokumentieren, wie man in der Praxis verfuhr. Im linksrheinischen Teil der Rheinprovinz galt mit dem französischen Recht allerdings ein anderes Recht als östlich der Elbe, in Sachsen und Westfalen sowie in den 1866 hinzugekommenen Provinzen. Daher wird das französische oder sogenannte Rheinische Recht mit seinen Charakteristika gesondert behandelt. Folgende Fragestellungen leiten den Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen: In welchen Zusammenhängen wurde Aberglauben strafrechtlich relevant, und wie veränderte sich dies in den verschiedenen Kodifikationen? Schließlich werden vor den kirchenrechtlichen und kirchenpolitischen Grundlagen die Debatten um Aberglauben und Recht erörtert, welche die sogenannte volkskundliche Kriminalistik führte. Dabei wird die Frage im Mittelpunkt stehen, welche Auswirkungen Aberglauben auf die Strafzumessung haben sollte.
1. „Abergläubige Gaukeleyen" und „Gewinnsucht" im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten wurde nach 1794 in Teilen der preußischen Monarchie geltendes Recht. 2 Es regelte nahezu 2
Verwendet wird hier Hans Hattenhauer (Hg.), Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten von 1794. Textausgabe. Mit einer Einführung, Frankfurt am Main/Berlin 1970. Einschlägig ist Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, München 31989 (11967), besonders S. 23-149. Im Umfeld des 200jährigen Jubiläums 1994 sind diverse Sammelbände zum Allgemeinen Landrecht erschienen. Vgl. etwa Barbara Dölemeyer/Heinz Mohnhaupt (Hg.), 200 Jahre Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten. Wirkungsgeschichte und internationaler Kontext, Frankfurt am Main 1995. Friedrich Ebel, Gemeinwohl - Freiheit Vernunft - Rechtsstaat. 200 Jahre Allgemeines Landrecht, Berlin 1995. Jörg Wolff (Hg.), Das Preußische Allgemeine Landrecht. Politische, rechtliche und soziale Wechsel- und Fortwirkungen, Heidelberg 1995. Zum Stellenwert des Landrechts knapp Ernst Rudolf Huber y Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. I: Reform und Restauration 1789 bis 1830, ND der 2., verbesserten Aufl., Stuttgart u.a. 1975, S. 106 f. Einen guten Forschungsüberblick gibt Peter Landau, Neue Forschungen zum Preußischen Allgemeinen Landrecht, in: Archiv des öffentlichen Rechts 118 (1993), S. 447-463. 3"
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II. Rechtliche Grundlagen und juristische Diskussionen
alle Rechtsbereiche: Neben Fragen des Staats- und Kirchenrechts behandelte es gleichfalls Privat-, Handels- und Strafrecht. Bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches 1900 und teilweise noch darüber hinaus bildete es so die Grundlage preußischer Rechtsprechung und trug zur inneren Staatsbildung bei. Dennoch war das preußische Staatsgebiet bis weit ins 19. Jahrhundert alles andere als ein einheitlicher Rechtsraum; auch eine Verfassung gab es vor 1848 trotz mehrfacher königlicher Verfassungsversprechen nicht. Das Landrecht sollte zunächst vor allem vorhandene Mißstände in der Justiz beseitigen. Aus dem aufgeklärten Spätabsolutismus erwachsen, war seine Rolle von Beginn an umstritten, versuchte es doch, eine Brücke zu schlagen zwischen aufgeklärter Staatsräson und ständischkonservativen Traditionen. Rasch zeigte sich allerdings, daß es dem rasanten gesellschaftlichen Umbruch und der einsetzenden Industrialisierung des 19. Jahrhunderts nur bedingt gewachsen war. Während der Kodex tief der Ständegesellschaft verhaftet blieb und adlige Vorrechte zementierte, sollte er gleichzeitig den einzelnen Staatsbürger aus den überkommenen ständischen Rechtsverhältnissen lösen. Diese Ambivalenz hat Heinrich von Treitschke zu seinem bekannten Urteil vom Januskopf des Landrechts veranlaßt.3 Die bereits zeitgenössisch diskutierte und noch in der heutigen Forschung strittige Frage, ob das Landrecht als preußische Ersatzverfassung des Vormärz gelten kann, 4 führt auf einen wichtigen Sachverhalt. Das Landrecht schuf für den preußischen Staat im Laufe des 19. Jahrhunderts ein Stück weit gesetzesstaatliche Einheit und rechtliche Sicherheit. Auch wenn Preußen nach 1815 in den neugewonnenen Gebieten bei der Durchsetzung des Landrechts zurückhaltend verfuhr, erhielt dieses in strafrechtlichen Fragen und für das Militär überall mehr als nur subsidiären Charakter. Darüber hinaus blieb es zwar einer Vielzahl regional unterschiedlicher Erlasse, Rechte und Statuten untergeordnet, gewann aber in der Praxis zunehmend primäre Rechtsgeltung gegenüber provinziellen Gesetzesordnungen.5 Sodann dominierte das „gemeine Wohl" als verbindliche Grundlage des Landrechts über die Interessen einzelner. 6 Die dehnbare Formel vom Gemeinwohl entzog sich freilich richterlichem Urteil, da sie ganz im spätabso3 Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Erster Theil. Bis zum zweiten Pariser Frieden, Leipzig 71904 (11879), S. 77. 4 Vgl. Koselleck, Preußen, S. 30 f. Dazu auch Rudolf Vierhaus, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten als Verfassungsersatz?, in: Dölemeyer/Mohnhaupt, Landrecht, S. 1-21. 5 Vgl. Koselleck, Preußen, S. 38 f. Vgl. zum Landrecht, Gerichtswesen und Richteralltag Christina von Hodenberg, Die Partei der Unparteiischen. Der Liberalismus der preußischen Richterschaft 1815-1848/49, Göttingen 1996, hier besonders S. 88102.
1. „Abergläubige Gaukeleyen" im Allgemeinen Landrecht
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lutistischen Sinn als Hoheitsrecht behandelt wurde und sich im Laufe des 19. Jahrhunderts der Vorrang bürokratisch-obrigkeitlichen Wollens vor Privatrechten immer wieder bestätigte.7 Während das Landrecht im allgemeinen logisch, detailliert und verständlich alle rechtlichen Belange regelte, gilt sein strafrechtlicher Abschnitt 8 als „planmäßig unvollständig". Um seine abschreckende Wirkung zu entfalten, enthielt es für die Strafzumessung unpräzise Vorgaben und ließ damit einen Ermessensspielraum für die Richter, wobei der Grundsatz in dubio pro reo in Preußen erst nach der Revolution von 1848/49 verbindlich wurde. 9 Das landrechtliche Prozeßverfahren war geheim, schriftlich und der Richter fungierte im Vormärz in einer Person auch als Ankläger. So kann es nicht überraschen, daß die landrechtliche Prozeßordnung „charakteristische Einbruchstellen für staatspolizeiliche Tendenzen" bot. 1 0 Zwei strafrechtliche Regelungen des Landrechts sind im vorliegenden Zusammenhang besonders hervorzuheben: Zunächst einmal kennt der strafrechtliche Abschnitt noch die Tatbestände der „abergläubigen und betrüglichen Gaukeley": „Wer bey sonst ungestörtem Gebrauche seines Verstandes, gewisse Religionshandlungen, oder zum Gottesdienste bestimmte Sachen, zu vermeintlichen Zaubereyen, Gespensterbannen, Citiren der Verstorbenen, Schätze graben, und andern dergleichen abergläubigen Gaukeleyen mißbraucht, soll zuerst eines bessern belehrt, im Falle der Wiederholung aber mit vier- bis achtwöchiger Gefängniß- oder Zuchthausstrafe belegt werden". 11 6
So Heinz Mohnhaupt, Privilegien und „gemeines Wohl" im ALR sowie deren Behandlung in Theorie und Praxis im 19. Jahrhundert, in: Dölemeyer/Mohnhaupt, Landrecht, S. 105-144, hier S. 116, S. 140-144. 7 Detailliert und überzeugend zur rhetorischen Klausel vom „Gemeinwohl" Alf Lüdtke, „Gemeinwohl", Polizei und „Festungspraxis". Staatliche Gewaltsamkeit und innere Verwaltung in Preußen, 1815-1850, Göttingen 1982, besonders S. 74-86. 8 Vgl. Andreas Schwennicke, Die allgemeinen Strafrechtslehren im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 und ihre Entwicklung in der Rechtsprechung bis zum preußischen Strafgesetzbuch von 1851, in: Dölemeyer/Mohnhaupt, Landrecht, S. 79-104. Anke Breitenborn, Randgruppen im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, Berlin 1994, besonders S. 155— 184. 9 Vgl. Schwennicke, Strafrechtslehren, S. 88 f., Zitat S. 88. Dirk Blasius, Bürgerliche Gesellschaft und Kriminalität. Zur Sozialgeschichte Preußens im Vormärz, Göttingen 1976, S. 95. 10 Wolfram Siemann, Der Vorrang der Staatspolizei vor der Justiz, in: Dieter Simon (Hg.), Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertags, Frankfurt am Main 1987, S. 197-209, hier S. 204. Dazu auch Ders., „Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung." Die Anfänge der politischen Polizei 1806-1866, Tübingen 1985, hier S. 174-196. Zur Doppelbödigkeit des Rechtsanspruchs vgl. Lüdtke, Gemeinwohl, S. 178-190. 11 Allgemeines Landrecht, 2. Teil, Tit. XX, § 220. Die Vorschriften des Landrechts werden in der Reihenfolge Teil, Titel und Paragraph wiedergegeben. Nach
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II. Rechtliche Grundlagen und juristische Diskussionen
Die magischen Umdeutungen geweihter Gegenstände zur Schatzsuche waren vor allem im 18. Jahrhundert häufig beobachtete Phänomene; bei der meist wohl durch mündlich überlieferte Schatzsagen ausgelösten Suche bedienten die Beteiligten sich ebenso oft geistlicher Mittel wie eines Zauberkreises zur Geisterbeschwörung oder teilweise auch einer Wünschelrute. 12 Die Existenz einer gesetzlichen Richtlinie legt jedenfalls nahe, daß die unpräzisen Delikte der „Gaukeley" zumindest zum Zeitpunkt der Landrechtsabfassung wiederholt aufgetreten sein müssen. § 221 verschärfte die angedrohte Strafe bei nachgewiesenem Betrug auf bis zu zwei Jahre Festungshaft. Strafrechtlich relevant ist zudem § 1402. Dieser erhöhte die nicht eindeutige Strafzumessung im Betrugsfall für Geisterbanner, Wahrsager oder Schatzgräber nochmals auf bis zu einem Jahr Zuchthaus und drohte eine zusätzliche „öffentliche Ausstellung" am Pranger an. 1 3 Ebenso unklar wie die Delikte selber blieben auch die Strafen; ihre Bandbreite reichte von der einfachen Belehrung über Pranger und Zuchthaus bis hin zu zwei Jahren Festungshaft. Noch ganz dem staatsabsolutistisch orientierten Strafrecht verhaftet zeigt sich der Umgang mit Geistlichen, da für diese ebenfalls eine verschärfte Strafe vorgesehen war (§ 222). Sie sollten nicht nur mit bis zu zwei Jahren Festungshaft bestraft, sondern gleichzeitig noch ihres Amtes enthoben werden; die Praxis des 19. Jahrhunderts gestaltete sich dann freilich moderater. Die Strafe gegen einen katholischen Geistlichen stimmten die Behörden mit dem zuständigen Bischof ab, wie sich an einem instruktiven rechtsrheinischen Beispiel zeigen läßt: Der ohnehin als Trinker und Spieler verrufene Oberlahrer Pfarrer Küth war in der Neujahrsnacht 1828 gemeinsam mit einigen Dorfbewohnern bei Vorbereitungen angetroffen worden, um in der Kirche nach Schätzen zu graben. Die Koblenzer Regierung verzichtete in diesem Fall auf eine Anzeige beim zuständigen Prokurator und begnügte sich mit einer Absetzung des Pfarrers durch den Kölner Heinrich von Gräjf u. a. (Hg.), Ergänzungen und Erläuterungen der preußischen Kriminalordnung und des Kriminalrechts, Breslau 31847, S. 305, galt § 220 jedoch nur für „bona fide handelnde Schwärmer". Vgl. Albert Hellwig, „Gaukelei" nach dem preußischen Allgemeinen Landrecht, in: AKK 31 (1908), S. 322 f. 12 Vgl. Labouvie, Verbotene Künste, S. 189 f. Gerd Steinwascher, Schatzglauben und Schatzgräber in Hessen-Kassel im 18. Jahrhundert, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 33 (1983), S. 257-291. Stefan Jäggi, Alraunenhändler, Schatzgräber und Schatzbeter im alten Staat Luzern des 16. bis 18. Jahrhunderts, in: „Der Geschichtsfreund" Stans 146 (1993), S. 37-113, hier S. 90 f. Thomas Adam, „Viel tausend gulden lägeten am selbigen orth". Schatzgräberei und Geisterbeschwörung in Südwestdeutschland vom 16. bis 19. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie. Kultur Gesellschaft Alltag 9 (2001), S. 358-383. Vgl. dazu auch Artikel „Schatz", in: HDA, Bd. 7, Spalte 1002-1015. Gustav Schöttle, Geld und Münzen im Volksaberglauben, in: AfK 11 (1914), S. 320-362. 13 Allgemeines Landrecht, 2. Teil, Tit. XX, § 1402. Ein Ministerialreskript vom 27.1.1818 schärfte diese Strafe besonders für Wahrsager ein. Vgl. Gräjf u.a., Ergänzungen, S. 575.
1. „Abergläubige Gaukeleyen" im Allgemeinen Landrecht
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Erzbischof Ferdinand August Graf Spiegel. 14 Weitere über schatzsuchende Geistliche überlieferte Aktenvorgänge demonstrieren, daß es sich bei der Tat keineswegs um einen Einzelfall handelte. 15 Eine Regelung im zivilrechtlichen Teil des Landrechts ergänzte die strafrechtlichen Konsequenzen. Wer die magisch umgedeuteten Mittel anwendete, mußte neben den strafrechtlichen Folgen auch damit rechnen, seine Anrechte auf einen wider Erwarten tatsächlich gefundenen Schatz zu verlieren. 16 Der Gesetzgeber trat hier insgesamt als Verteidiger der Amtskirchen hervor, denn nicht nur findet sich der zitierte Paragraph (§ 220) im Abschnitt über die „Beleidigung der Religionsgesellschaften". Der rational-obrigkeitliche preußische Staat garantierte gleichfalls das kirchliche Monopol für die Anwendung sakraler Heilsmittel, denn er bekämpfte hiermit religiös-magische Delikte, die Katholiken wie Protestanten mit dem Vorwurf des Aberglaubens belegten. Diese Passagen des Allgemeinen Landrechts zeigen sich damit in doppelter Hinsicht entschieden der Aufklärung verpflichtet, sollte doch auch erreicht werden, das fehlerhafte Verhalten der Täter zunächst durch einen Appell an ihre Vernunft zu korrigieren. Sodann schritt der preußische Staat ein, wenn die Gesundheit seiner Untertanen gefährdet war. Teil 2, Titel X X , §§ 702-709, des Landrechts berechtigten zu medizinischen Angeboten: Eine staatliche Approbation regelte den Zugang zum Gesundheitsmarkt. 17 Sofern es um ihrer Meinung nach abergläubische Heilverfahren ging, beriefen sich die preußischen Behörden immer wieder auf diese Paragraphen. So untersagte die Regierung Arnsberg dem in Westfalen und der Rheinprovinz vagabundierenden vormaligen Kutscher und Laienheiler 18 Georg Heinrich Pflüger zwischen 1844 und 1849 unter Verweis auf diese Paragraphen mehrfach, mittels seiner vorgeblich überirdischen Heilkraft Kranke zu behandeln. 19 Ausschlaggebend war in der Praxis die in § 707 festgelegte „Gewinnsucht", welche das Strafmaß 14 Spiegel an Regierung Koblenz vom 4.2.1828, in: LHAK, Best. 441, Nr. 9481. Die Wiederbesetzung der Pfarrstelle in Oberlahr gestaltete sich schwierig, da das Patronatsrecht beim Fürsten zu Wied und Runckel lag. Der Erzbischof mußte die Koblenzer Regierung um Hilfe bitten. 15 Aktenvermerke zu verbotenen Schatzgräbereien in der Rheinprovinz [ohne Datum], in: ebenda. 16 Vgl. Allgemeines Landrecht, 1. Teil, Tit. IX, § 86. 17 Unter „Gesundheitsmarkt" oder „medizinischem Dienstleistungsmarkt" werden die komplexen Wechselwirkungen zwischen Angebot und Nachfrage, d.h. das Verhältnis zwischen vorhandenen therapeutischen Möglichkeiten aller Heilergruppen, einschließlich deren theoretischer Reflexionen, und den psychischen wie physischen Bedürfnissen von Kranken verstanden. 18 Als „Laientherapeuten", „Laienheilkundige" oder „Laienheiler" werden im folgenden diejenigen Personen bezeichnet, denen eine medizinisch-akademische Ausbildung fehlte. Mit „Arzt" ist immer nur der approbierte Mediziner gemeint.
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II. Rechtliche Grundlagen und juristische Diskussionen
deutlich erhöhte, da der Verstoß dann mit Betrug gleichgesetzt wurde; andererseits führte dies jedoch dazu, daß die betroffenen Laienheiler angaben, kein Geld für ihre Therapien verlangt zu haben, um straffrei zu bleiben. Auch in diesem Zusammenhang war man im Umgang mit Geistlichen besonders vorsichtig. Im Falle des magnetisierenden Pastors Alberti aus Hohenbrocka (Kreis Hoyerswerda) verwies die Regierung Liegnitz auf die entsprechenden Passagen des Landrechts in Verbindung mit Ministerialreskripten vom 23. Mai 1812 und 11. Juni 1828. 20 Sie verurteilte Alberti aufgrund dieser Verfügungen zu fünf Talern Strafe. Obwohl es auf besonderen Antrag durchaus möglich war, eine Ausnahmegenehmigung für magnetische Therapien zu erlangen, sofern ein Arzt diese überwachte, hielt sich die Regierung zurück. Neben sanitätspolizeilichen Erwägungen trat für sie ein weiterer Aspekt hinzu, der sie zögern ließ, Alberti magnetisieren zu lassen: Die Behörde legte bei dem Geistlichen besondere moralische Maßstäbe aufgrund seiner Vorbildfunktion an. Dieser erhielt schließlich auch keine Genehmigung des Berliner Kultusministeriums für seine Kuren, da seine Tätigkeit als Magnetiseur nicht mit seinen Pflichten als Geistlicher vereinbar schien. 21 Auch wenn die Bestimmungen des preußischen Landrechts, auf denen diese Haltung fußte, in der Rheinprovinz lediglich in den rechtsrheinischen Kreisen galten, waren die Unterschiede in der behördlichen Praxis rein gradueller Natur. 2 2
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Abschrift Regierung Arnsberg an Georg Heinrich Pflüger vom 4.12.1844, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2246. Dazu ausführlicher Nils Freytag, Praxis zwischen „Wissenschaft" und „Aberglauben". Animalischer Magnetismus in Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: MedGG 15 (1996), S. 141-166, hier S. 148-150. 20 Regierung Liegnitz an Kultusminister Eichhorn vom 29.9.1846, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V i l i A, Nr. 2198, Bl. 112r-114v, hier Bl. 113r. Zu Alberti auch Major von Rotberg an Friedrich Wilhelm IV. vom 26.9.1845, in: GStA PK, I. HA, Rep. 2.2.1. (Geheimes Zivilkabinett), Nr. 24541. 21 Kultusministerium an Alberti vom 12.11.1846, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2198, Bl. 122r. 22 Vgl. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. II: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850, ND der 2., verbesserten Aufl., Stuttgart u.a. 1975, S. 26 f. Eine Sonderstellung hatte darüber hinaus der Bezirk des Justizsenats zu Ehrenbreitstein, in dem das Gemeine Recht ebenso galt wie in der rheinpreußischen Exklave Wetzlar.
2. „Öffentlichkeit" im Rheinischen Recht
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2. „Öffentlichkeit" und „öffentliches Gesundheitswohl" im Rheinischen Recht Die von Preußen neuerworbenen linksrheinischen Territorien sowie die rechtsrheinischen Gebiete des ehemaligen Großherzogtums Berg in der preußischen Rheinprovinz hatten eine rechtliche Sonderstellung, denn hier blieb das französische Recht auch nach 1815 gültig. 2 3 Dieses setzte sich zusammen aus den fünf zwischen 1804 und 1810 unter napoleonischer Herrschaft erlassenen Gesetzbüchern, dem Code civil, dem Code de procédure civile, dem Code de commerce, dem Code d'instruction criminelle und dem Code pénal, und auch die in der Zeit vor 1804 von Frankreich in den besetzten Gebieten erlassenen Gesetze und Verordnungen behielten ihre Geltungskraft in der preußischen Zeit. 2 4 Die Errungenschaften der französischen Zeit, und als solche empfanden die neuen preußischen Staatsbürger die napoleonische Gesetzgebung mittlerweile, waren im Vormärz mit erheblicher politischer Brisanz behaftet. Nicht von ungefähr war das Rheinische Recht immer wieder Gegenstand der Verhandlungen im Rheinischen Provinziallandtag und unzähliger Flug23
Außerhalb der Rheinprovinz gab es noch französischrechtliche Gebiete in der Rheinpfalz, in Rheinhessen und in Baden. Der Begriff des Rheinischen Rechts setzte sich wohl nach 1827 durch. Vgl. die grundlegende Untersuchung von KarlGeorg Faber, Die Rheinlande zwischen Restauration und Revolution. Probleme der rheinischen Geschichte von 1814 bis 1848 im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik, Wiesbaden 1966, S. 118-186, hier S. 118, Fußnote 27. Weiter zum Rheinischen Recht: Ders., Recht und Verfassung. Die politische Funktion des rheinischen Rechts im 19. Jahrhundert, Köln 1970. Ernst Landsberg, Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: Joseph Hansen (Hg.), Die Rheinprovinz 1815-1915. Hundert Jahre preußischer Herrschaft am Rhein, 2 Bde., Bonn 1917, hier Bd. 1, S. 149-195. Max Bär, Die Behördenverfassung der Rheinprovinz seit 1815, Bonn 1919, hier S. 384-415. Zum Zivilrecht vgl. Detlef Schumacher, Das Rheinische Recht in der Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Auslegung rezipierter Rechtsnormen, Stuttgart u.a. 1969. Hermann Conrad, Preußen und das französische Recht in den Rheinlanden, in: Josef Wolffram/Adolf Klein (Hg.), Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden. Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Köln, Köln 1969, S. 78-112. Artikel „Rheinisches Recht", in: HRG, Bd. 4, Sp. 1021-1026. Reiner Schulze (Hg.), Europäische Rechtsund Verfassungsgeschichte: Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, Berlin 1991. 24 Vgl. zur Entstehung und frühen Rezeption des französischen Rechts in Deutschland Elisabeth Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft und revolutionäres Recht. Die Einführung des Code Napoléon in den Rheinbundstaaten, Göttingen 1974. Werner Schubert, Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozeßrecht, Köln/Wien 1977. DersDas französische Recht in Deutschland zu Beginn der Restaurationszeit (1814-1820), in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 94 (1977), S. 129-184, hier S. 154-169. Landsberg, Recht, S. 149 f.
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II. Rechtliche Grundlagen und juristische Diskussionen
Schriften. 25 Die Händel um den Erhalt der französischen oder auch rheinischen Institutionen wurden auch deshalb in der Rheinprovinz besonders heftig geführt, weil Preußen im Gegensatz zu Bayern und Hessen-Darmstadt für sie keine dauerhafte Bestandsgarantie in seinen linksrheinischen Territorien gegeben hatte. So blieb das Rheinische Recht in der preußischen Monarchie ein gewolltes Provisorium, das nach einer Überarbeitung des Allgemeinen Landrechts wieder beseitigt werden sollte. Blickt man auf die wiederholt ausbrechenden leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, dann überzeugt die These Karl Georg Fabers, der im Rheinischen Recht einen Ersatz für die versprochene, aber nicht eingelöste gesamtstaatliche Verfassung sieht. 26 Gerade in dieser Kodifikation fanden sich viele frühliberale Forderungen verwirklicht, unterschied sie sich doch hinsichtlich des Prozeßverfahrens deutlich vom Landrecht: Die Gerichtsverfahren waren öffentlich und mündlich, an der Entscheidung in schweren Strafsachen waren Laien als Geschworene beteiligt und die Ämter des Richters sowie des Anklägers waren durch das Amt des sogenannten Prokurators voneinander geschieden. Das Rheinische Recht garantierte dem aufstrebenden Bürgertum staatsbürgerliche Freiheiten, Sicherheit und Unverletzlichkeit des Eigentums sowie gleichfalls - und das war gerade für die Rheinprovinz wichtig - Gewerbefreiheit. Dennoch hatte auch diese Kodifikation einen janusköpfigen Makel, bevorteilte sie doch das Besitzbürgertum merklich zuungunsten der Unterschichten und Bauern. 27 Das Rheinische Recht und das Allgemeine Landrecht waren sich freilich bei ähnlichen Problemstellungen im Laufe des 19. Jahrhunderts näher als in der Forschung oft dargestellt, zumal sie in einem Staat von Juristen angewandt wurden, die eine vergleichbare Ausbildung durchlaufen hatten. 28 Außerdem gab es selbst in linksrheinischem Gebiet auf diversen Feldern ein 25
Vgl. Werner Schubert, Der Rheinische Provinziallandtag und der Kampf um die Beibehaltung des französisch-rheinischen Rechts (1826-1845), in: Reiner Schulze (Hg.), Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 123-155. Nach wie vor grundlegend ist Gustav Croon, Der Rheinische Provinziallandtag bis zum Jahre 1874, unveränderter ND der Ausgabe Düsseldorf 1918, Köln 1974, hier S. 151-170. Joachim Stephan, Der Rheinische Provinziallandtag 1826-1840. Eine Studie zur Repräsentation im frühen Vormärz, Köln 1991, ergänzt Croons Studie um die Auswahlprozesse der Repräsentanten bis zum Amtsantritt Friedrich Wilhelms IV. 26 Vgl. Faber, Recht, S. 13. Wichtiger noch scheinen in diesem Fall jedoch die zeitgenössischen Wahrnehmungen, die dem Rheinischen Recht vielfach tatsächlich Verfassungsrang beimaßen. Bemerkenswert ist indes, daß die Forschung sowohl das Allgemeine Landrecht als auch das Rheinische Recht zum Verfassungsersatz erklärt. 27 Zum „Januskopf ' des Code Napoléon vgl. Fehrenbach, Gesellschaft, S. 23-25. Knapp auch von Hodenberg, Partei, S. 89. 28 Vgl. Reiner Schulze, Preußisches Allgemeines Landrecht und rheinisch-französisches Recht, in: Dölemeyer/Mohnhaupt, Landrecht, S. 387-413, hier S. 392.
2. „Öffentlichkeit" im Rheinischen Recht
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Neben- oder Miteinander beider Rechte, denn teilweise hatte das Landrecht primäre Rechtsgeltung, so in beamtenrechtlichen Fragen. Und auch das politische Strafrecht wurde in ganz Preußen gegen teilweise erheblichen Protest weitgehend einheitlich gehandhabt; im Zuge der Demagogenverfolgungen bestrafte man Angriffe auf den König oder die innere Sicherheit des Staates auf der Basis des Landrechts. Zudem behielt sich der Monarch ein Bestätigungs- und Begnadigungsrecht vor, wie sein berühmt gewordenes Eingreifen in den Mordprozeß gegen den Kölner Kaufmann Peter Anton Fonk zeigt. 29 Zwei weitere Aspekte des Rheinisches Rechts verdienen im vorliegenden Zusammenhang nähere Beachtung: Einerseits ist die angesprochene Öffentlichkeit des rheinischen Gerichtsverfahrens ein wichtiger Punkt, da die Behörden ihnen abergläubisch oder wunderbar erscheinende Vorgänge geheimzuhalten suchten, um diesen kein größeres Forum einräumen zu müssen. Dieses Verfahren hatte weniger damit zu tun, daß die Begriffe Öffentlichkeit oder öffentliche Meinung auch über 1848 hinaus einen deutlichen Bezug zur politischen Opposition herstellten und liberale Grundlage für verfassungsrechtliche Ansprüche der bürgerlichen Gesellschaft waren. 30 Vielmehr gründete die obrigkeitliche Haltung, Vorfälle dieser Art weitestgehend zu verheimlichen, in der Erkenntnis, ein energisches öffentliches Entgegentreten erziele durchaus auch den gegenteiligen Effekt und vergrößere den Zulauf zu Wunderheilern und -erscheinungen oder den Glauben an deren Wirkungen. Diese Einsicht beruhte mutmaßlich auf den zwiespältigen Erfahrungen, die der preußische Staat im repressiven Umgang mit dem explosionsartig anwachsenden Literaturmarkt erworben hatte. Andererseits fiel die Auslegung der französischen Gesetze den preußischen Beamten nicht immer leicht, und sie führte zu Kontroversen innerhalb der Bürokratie, was an einem aufschlußreichen Beispiel erhellt werden 29 Vgl. Faber, Rheinlande, S. 145. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. II, S. 18 f. Friedrich Holtze, Der Prozeß gegen Fonk und juristische Mythenbildung in Preußen, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 7 (1894), S. 127-139. 30 Zur Genese und Aufladung des Leitbegriffs „politische Öffentlichkeit" grundlegend Lucian Hölscher; Öffentlichkeit, in: Brunner u.a., Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 413-467, hier S. 454-459 (mit weiterführender Literatur). Als klassische Studie zur Entstehung der bürgerlichen Öffentlichkeit, jedoch mit empirischen Defiziten Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1990 (11962). Die schematische Darstellung von Habermas ist gerade in letzter Zeit verschiedentlich variiert worden. Vgl. Andreas Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1994, hier S. 28-33. Andreas Würgler, Unruhen und Öffentlichkeit. Städtische und ländliche Protestbewegungen im 18. Jahrhundert, Tübingen 1995, hier S. 29-41.
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kann: Die Heilkuren des Franziskaners Franz Joseph Martin, der sich im Sommer 1842 in Trier aufhielt, hatten rechtliche Differenzen zwischen dem Trierer Oberbürgermeister Franz Damian Goertz und der vor Ort ansässigen Bezirksregierung zur Folge. Der Laienbruder hatte in der Moselmetropole Augen- und Ohrenkrankheiten ohne behördliche Genehmigung therapiert, und die polizeilichen Ermittlungen ergaben, daß er offenbar kein Geld dafür verlangte. Goertz vertrat danach gegenüber der Trierer Behörde die Meinung, man könne den Laienheiler aus diesem Grunde nicht nach dem Gesetz vom 19. Ventôse des Jahres XI, Titel VI, §§35 und 36 belangen. 31 Die Regierung wies diese Gesetzesauslegung jedoch energisch zurück, denn es sei unerheblich, ob ein Laientherapeut Geld für die Behandlung nähme oder nicht, „da weder die positiven Bestimmungen des Gesetzes vom 19. Ventôse des Jahres XI Titel VI. § 35 und 36 enthalten, daß zu einer Medicinal-Contravention das Fordern eines Entgelts gehöre, vielmehr die einfache Ausübung der Heilkunde als straffällig festgesetzt wird, noch auch der Natur der Sache nach auf eine solche Bedingung zurückgegangen werden kann, die ein das öffentliche Gesundheitswohl schützendes Gesetz zur bloßen Verordnung gegen Prellerei stempeln würde". 32 Ins Zentrum ihrer Interpretation stellte die Mittelbehörde das abstrakte und unbestimmte „öffentliche Gesundheitswohl", welches scheinbar ein derart wichtiges Gut war, daß sie auf die Nachweispflicht der Pfuscherei verzichten wollte. Gleichwohl blieb die Bezahlung, auch in dem Fall des Franziskanerbruders, der einzige Beweis, um eine Person strafrechtlich belangen zu können, denn kostenlose medizinische Hilfe konnte nicht verboten werden. Dies könnte man freilich als Hinweis verstehen, daß es weniger um das gesundheitliche Wohl der Untertanen ging, als vielmehr darum, Laientherapeuten auszugrenzen. Davon zeugen die zahlreich dokumentierten Fälle von Quacksalberei oder Pfuscherei in den Berichten der rheinpreußischen Sanitätsbeamten an das Koblenzer Medizinalkollegium. Immer wieder klagten Ärzte in den eigens dazu angelegten Rubriken über Verstöße gegen die Me31
Das Loi relative à l'exercice de la médicine vom 19. Ventôse XI, Tit. VI, §§ 35-36, ist abgedruckt bei Karl Theodor Friedrich Bormann/Alexander von Daniels (Hg.), Handbuch der für die königlich Preußischen Rheinprovinzen verkündigten Gesetze, Verordnungen und Regierungsbeschlüsse aus der Zeit der Fremdherrschaft, 8 Bde., Köln 1833-1845, hier Bd. 4, S. 430. Während § 35 festlegte, welche Personen vom Medizinalwesen ausgeschlossen waren, regelte § 36 die Strafhöhen für einzelne Vergehen. Vgl. auch Calixte Hudemann-Simon, L'Etat et la santé. La politique de santé publique ou „police médicale" dans les quatre départements rhénans, 1794-1814, Sigmaringen 1995, hier S. 65-68. 32 Regierung Trier an Bürgermeister Goertz vom 15.7.1842, in: StA Trier, Tb 16/195. Ähnlich grundsätzliche Erwägungen zur medizinalpolizeilichen Gesetzgebung in den linksrheinischen Gebieten: Regierung Köln an Kultusministerium vom 16.1.1819, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2178.
3. Die Strafgesetzbücher von 1851 und 1871
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dizinalgesetze. Das Provinzialmedizinalkollegium leitete diese dann an das Berliner Kultusministerium weiter, wobei es jeweils die Strafen für die Laientherapeuten festhielt, sofern diesen überhaupt nachzuweisen war, daß sie sich hatten bezahlen lassen.
3. „Kurpfuscherei", „grober Unfug" und „freie Willensbildung": Die Strafgesetzbücher von 1851 und 1871 Eine preußische Strafrechtsreform war früh eingeleitet worden, erste Bestrebungen zur strafrechtlichen Revision des Landrechts hatte es bereits 1801, spätestens aber mit der Publikation der neuen Kriminalordnung 1805 gegeben. Mit deutlichem Bezug auf Feuerbachs Strafrechtstheorien und das fortschrittliche Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 war zwar der Trend zu einem humanen Strafrecht erkennbar, 33 jedoch war dieser Weg unter dem Justizminister Karl Christoph Albert von Kamptz, 3 4 Symbolfigur der preußischen Restauration, zunächst nicht weiter beschritten worden. Bis das neue Strafgesetzbuch 1851 publiziert wurde, erstellte man insgesamt zehn Entwürfe, wobei der bürgerliche Gleichheitsgrundsatz einstweilen nicht zur Geltung gelangte. Erst nach Kamptz' Entlassung gewannen die Reformbemühungen wieder an Fahrt, als das Justizministerium den preußischen Provinziallandtagen 1843 einen neuen Entwurf vorlegte. Der Rheinische Provinziallandtag verwarf diesen von zahlreichen Petitionen begleiteten Entwurf indes, was viele Kölner Bürger anschließend mit der berühmt gewordenen Dampfschiffahrt auf dem Rhein feierten. 35 In erster Linie lehnten sie die Beschneidung der Geschworenenkompetenzen zugunsten der Juristen sowie die dem Rheinischen Recht unbekannte Privilegierung der höheren Stände ab. 3 6 Nach der Kritik durch die Provinziallandtage schlug sich französisches Recht im schließlich 1851 erlassenen Strafgesetzbuch faßlich 33
Zu den verschiedenen Strafrechtsentwürfen Blasius, Bürgerliche Gesellschaft, S. 96-137. 34 Karl Christoph Albert von Kamptz (1769-1849), preußischer Justizminister 1830-1842, war mit der Gesetzesrevision des Landrechts beauftragt und gleichzeitig mit der Justizverwaltung für die Rheinprovinz betraut. Vgl. NDB, Bd. 11, S. 95-97. Gerade in der Rheinprovinz wurde Kamptz zum verhaßten Sinnbild preußischer Unterdrückung, wie verschiedentlich auf ihn gemünzte Pasquills zeigen. So das „Examen eines braven Rheinländers", das Gendarmen 1836 an verschiedenen Straßenekken in Koblenz entdeckten. Ein Exemplar befindet sich in: LHAK, Best. 403, Nr. 2515, S. 3. 35 Vgl. Croon, Provinziallandtag, S. 159-161. Faber, Rheinlande, S. 175 f. Zum Abgeordnetenfest 1843 vgl. Ute Schneider, Politische Festkultur im 19. Jahrhundert. Die Rheinprovinz von der französischen Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1806-1918), Essen 1995, S. 99-122. 36 Vgl. Landsberg, Recht, S. 177-181.
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II. Rechtliche Grundlagen und juristische Diskussionen
in preußischem Recht nieder, berücksichtigte man doch in wesentlichen Punkten den Code pénal. Dessen Einfluß darf jedoch nicht überschätzt werden, denn gerade von der Härte - vor allem bei peinlichen Strafen - im Strafsystem des Code pénal fanden sich im preußischen Strafgesetzbuch nur wenige Spuren. 37 Auch erhielten die Richter einen größeren Ermessensspielraum innerhalb der vorgegebenen Strafrahmen. 38 Landsberg betont in diesem Zusammenhang mit Recht, daß mit der Einführung des Strafgesetzbuchs gleichfalls eine Eroberung der Rheinlande durch preußisches Recht verbunden war, denn durch dessen Geltung verschwand mit dem Code pénal das erste der rheinischen Gesetzesbücher. 39 Im preußischen Strafprozeßrecht hatte bereits ein Gesetz vom 17. Juli 1846 erstmals französische Prinzipien umgesetzt: Öffentliches und mündliches Hauptverfahren sowie die Trennung des Richteramtes von dem der Staatsanwaltschaft galten zunächst für das Kammer- und das Kriminalgericht in Berlin. 4 0 Der Schwerpunkt des Verfahrens lag damit nicht mehr auf der Wahrheitsfindung, sondern der reformierte Strafprozeß ersetzte den im Landrecht bis dahin üblichen Inquisitionsprozeß, d.h. man richtete sich hier nach dem rheinisch-französischen Prozeß verfahren, wie es für die Rheinprovinz im Code d'instruction festgeschrieben war. 4 1 Noch während der Revolution 1848/49 setzte sich die Einrichtung der Schwurgerichte dann in ganz Preußen durch. Das preußische Strafgesetzbuch von 1851 diente in der Folge als wegweisendes Vorbild für das Reichsstrafgesetzbuch von 1871. 42 Nach schwierigen Verhandlungen noch im Reichstag des Norddeutschen Bundes zustande gekommen, enthielt das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 im Vergleich zum preußischen Strafgesetzbuch erhebliche Fortschritte in den Bereichen der Strafsetzung und des Strafvollzugs. So war die Androhung der Todesstrafe eingeschränkt; neben drei weiteren Verbrechen wendete man sie lediglich noch für Anschläge auf die Bundesfürsten an. 4 3 Insgesamt 37
Vgl. Eberhardt Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3., völlig durchgearbeitete und veränderte Aufl., Göttingen 1965, S. 318-321. 38 Vgl. Artikel „Strafe, Strafrecht", in: HRG, Bd. 4, Sp. 2011-2029, hier Sp. 2027 f. 39 Vgl. Landsberg, Recht, S. 181. 40 Vgl. Schmidt, Strafrechtspflege, S. 330. Das Gesetz ist abgedruckt bei Karl Christoph Albert von Kamptz (Hg.), Supplement zu den Jahrbüchern für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung, Berlin 1846, S. 1183. 41 Vgl. Hinrich Riiping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, 2., völlig überarbeitete Aufl., München 1991, S. 82-86, besonders S. 85 f. 42 Vgl. ebenda, S. 79-82. Dazu auch Schmidt, Strafrechtspflege, S. 314-345. 43 Vgl. Klaus Erich Pollmann, Der verfassungspolitische Stellenwert des StGB von 1871, in: Wolff, Landrecht, S. 175-187. Ders., Parlamentarismus im Norddeutschen Bund 1867-1870, Düsseldorf 1985, S. 489-497.
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gilt es Rechtshistorikern als „das vollendetste Produkt der liberal-rechtsstaatlichen Epoche" des 19. Jahrhunderts, 44 wobei drei Aspekte der neuen rechtlichen Regelungen hier besondere Beachtung verdienen: Der erste Punkt hängt mit der Wirkung der nach 1871 auf das Deutsche Reich ausgedehnten Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 zusammen; diese hatte strafrechtliche Konsequenzen. § 29 der Gewerbeordnung sicherte die medizinische Kurierfreiheit gesetzlich zu, also die nahezu bedingungslose Betätigung in der Heilkunde. Maßgeblich auf ärztliches Betreiben hob der Gesetzgeber gleichzeitig § 199 des preußischen Strafgesetzbuches auf, in dem das Kurpfuschereiverbot festgelegt war. Hatte der sogenannte Kurpfuschereiparagraph Laienheiler in die Illegalität gedrängt, so eröffnete seine Aufhebung nicht nur größere Möglichkeiten, sich therapeutisch zu betätigen, sondern stieß auch eine mit teilweise ätzender Schärfe geführte öffentliche Kampagne gegen das Unwesen der Kurpfuscherei an, die in den 1890er Jahren noch an Brisanz und Schroffheit gewann. Besonders um die Jahrhundertwende verschärfte sich die in zahllosen Flugschriften geführte und von den Ärztekammern institutionell unterstützte Auseinandersetzung, löste ein massives publizistisches Echo aus und gipfelte in den sogenannten Kurpfuscherei-Ausstellungen. 45 Obwohl man dem mündigen Kranken 1869 noch zugestanden hatte, zwischen einem Pfuscher und dem richtigen Arzt unterscheiden zu können, forderten nun viele Ärzte und medizinische Interessenvereinigungen, § 199 des preußischen Strafgesetzbuchs wieder einzuführen, der ihnen zum Sinnbild eines entschlossenen, aber letztlich vergeblichen Kampfes gegen den medizinischen Aberglauben geronn. 44
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Artikel „Strafe, Strafrecht", in: HRG, Bd. 4, Sp. 2027. Vgl. etwa die Ausführungen bei Karl Alexander, Wahre und falsche Heilkunde. Ein Wort der Aufklärung über den Wert der wissenschaftlichen Medicin gegenüber der Gemeingefährlichkeit der Kurpfuscherei. Von der Ärztekammer für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin preisgekrönte Schrift, Berlin 1899. 46 Über die konkreten Auswirkungen der Kurierfreiheit nach 1869/71 fehlen immer noch detaillierte Untersuchungen. Zum Problemfeld der Kurpfuscherei aus Sicht der Naturheilbewegung vgl. Cornelia Re gin, Selbsthilfe und Gesundheitspolitik. Die Naturheilbewegung im Kaiserreich (1889 bis 1914), Stuttgart 1995, hier S. 273-299. Weiter Reinhard Spree, Soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod. Zur Sozialgeschichte des Gesundheitsbereichs im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1981, S. 145-152. Ders., Kurpfuscherei-Bekämpfung und ihre soziale Funktion während des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Alfons Labisch/Ders. (Hg.), Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Bonn 1989, S. 103-121. Claudia Huerkamp, Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert. Vom gelehrten Stand zum professionellen Experten: Das Beispiel Preußens, Göttingen 1985, S. 273-276. Zu den Varianten des Kurpfuscherbegriffs vgl. Robert Jütte, Geschichte der Alternativen Medizin. Von der Volksmedizin zu den unkonventionellen Therapien von heute, München 1996, S. 36-42. 45
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Zweitens ist § 360, Nr. 11 Reichsstrafgesetzbuch wichtig, der die Tatbestände des ungebührlichen groben Unfugs und ruhestörenden Lärms betraf. Allerdings waren beide Mischtatbestände, die mit einer Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Haft bestraft wurden, unklar formuliert und zielten auf eine mögliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung. 47 Dieser vorzugsweise gegen sozialdemokratische Kundgebungen angewendete Paragraph gewinnt seine Bedeutung im vorliegenden Zusammenhang durch eine Verfügung des preußischen Innenministeriums an sämtliche Regierungen vom 14. Oktober 1873. Danach war Wahrsagerei als „dem Aberglauben Vorschub leistend" strafbar. 48 Der Erlaß gründete auf einem wenige Monate zuvor gegen eine umherreisende Berliner Wahrsagerin vom preußischen Obertribunal ergangenen Urteil. 4 9 Die Wahrsagerin war erstinstanzlich nach § 360, Nr. 11 Reichsstrafgesetzbuch wegen „groben Unfugs" belangt worden, und das Obertribunal Schloß sich mit seinem Spruch dem Urteil des Appellationsgerichts in Frankfurt/Oder an, wonach „die Angeklagte in einem vorwiegend christlichen Land umherziehend durch öffentliche Ankündigungen zu heidnischen Gräueln und Aberglauben herausgefordert und verführt und damit schweres Aergerniß gegeben hat". 50 Auf diese Verfügung des Innenministeriums vom 14. Oktober 1873 beriefen sich die preußischen Behörden in der Folge, wenn sie gegen vermeintlichen Aberglauben einschreiten wollten. Auch wenn zunächst meist versucht wurde, Betrügereien aufzudecken, bot der Tatbestand „grober Unfug" eine weitaus flexiblere Handhabe, um Vorkommnisse wie das Gespensterklopfen in Eckhausen (Rhein-Sieg-Kreis) 1890 umgehend zu unterbinden. Gegenüber dem oftmals nur schwer nachweisbaren Betrug hatte dieser Sachverhalt zudem den Vorteil, nicht mit langwierigen Ermittlungen verbunden zu sein, und der Nachweis eines Betruges konnte in aller Ruhe weiter versucht werden. Drittens ist ein letztinstanzliches Urteil des preußischen Obertribunals vom 15. Mai 1872 zu beachten. Mehrere Angeklagte hatten eine bereits beerdigte Leiche, die sie für einen Vampir hielten, ausgegraben und enthauptet. Die Appellationsinstanz hatte sie freigesprochen, weil aufgrund des Aberglaubens bei ihnen keine strafbare Handlung vorgelegen habe. 51 Dieses Gericht hatte sich auf § 51 Reichsstrafgesetzbuch (krankhafte Störung der 47 Vgl. Justus von Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Nebst einem Anhang, enthaltend die Strafbestimmungen der Konkursordnung, 2 Bde., 10., umgearbeitete Aufl., Berlin 1916, hier Bd. 2, S. 1431-1435. 48 Innenministerium an Regierung Koblenz vom 14.10.1873, in: LHAK, Best. 441, Nr. 9481, Hervorhebung im Original. 49 Justiz-Ministerial-Blatt für die Preußische Gesetzgebung und Rechtspflege, XXXV. Jahrgang, 1873, Nr. 33, S. 242-244. 50 Ebenda, S. 243.
4. Volkskundliche Kriminalistik
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Geistestätigkeit) berufen, wonach Aberglauben eine „freie Willensbildung" ausschließe und als Unzurechnungsfähigkeit zu behandeln sei. Das Obertribunal sprach die Angeklagten zwar gleichfalls frei, gründete seine Argumentation aber nicht auf § 51. Die Beklagten seien deshalb nicht nach §168 Reichsstrafgesetzbuch (Grab- und Leichenschändung) zu belangen, weil ihnen das Bewußtsein für eine Strafbarkeit ihrer Handlung gefehlt habe, womit die Kategorie Aberglauben in der Urteilsbegründung keine Rolle mehr spielte. 52 Diese Argumentation gewann nicht nur im Zusammenhang mit den Diskussionen der volkskundlichen Kriminalistik an Bedeutung, sondern schob der Annahme einen Riegel vor, wonach der ohnehin nicht genau zu bestimmende Aberglauben grundsätzlich strafmindernd zu bewerten sei, und verhinderte gleichzeitig, daß dieser vollkommen aus seinen religiösen Bezügen gelöst und ausschließlich auf eine medizinischpsychologische Deutung reduziert wurde.
4. Volkskundliche Kriminalistik oder: Darf man Gespenster mißhandeln? Mit der Entdeckung der Kriminalanthropologie, maßgeblich mitbegründet durch die naturwissenschaftlich inspirierte Verbrechenswissenschaft des italienischen Mediziners Cesare Lombroso, 53 rückte auch die Verbindung von Verbrechen und Aberglauben in das Blickfeld eines heute nahezu vergessenen Feldes juristischer Forschung. Man begann akribisch, aber weitgehend unkritisch, zeitgenössische Straftaten zusammenzutragen, um sich den strafrechtlichen Konsequenzen abergläubischer Handlungen zu nähern. 54 Gemeint waren damit Straftaten, die aus Aberglauben begangen, in denen Abergläubische Opfer von Verbrechen oder in denen abergläubische Mittel 51
Vgl. das Urteil des Obertribunals vom 15.5.1872 mit Begründung, in: Archiv für Strafrecht und Strafprozeß 20 (1872), S. 247 f. Einen ähnlichen Fall von Grabschändung hatte das Obertribunal bereits am 8.2.1871 verhandelt. Vgl. Archiv für Strafrecht und Strafprozeß (19) 1871, S. 550 f. 52 Zu §§51 und 168 vgl. Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 1, S. 215-221 und S. 653-657. Dazu Heinz Holzhauer, Willensfreiheit und Strafrecht. Das Problem der Willensfreiheit in der Strafrechtslehre des 19. Jahrhunderts und seine Bedeutung für den Schulenstreit, Berlin 1970, vor allem S. 178-190. 53 Cesare Lombroso (1835-1909) entwickelte in seinem 1878 erschienenen, an Darwin geschulten Werk „L'uomo delinquente" naturwissenschaftlich faßbare Verbrechertypen, die er aufgrund besonderer psychologischer und körperlicher Merkmale identifizierte. Vgl. Schmidt, Strafrechtspflege, S. 366. Zu Lombroso vgl. Nancy A. HarrowitZy Antisemitism, Misogyny, & the Logic of Cultural Difference. Cesare Lombroso & Matilde Serao, London 1994. 54 Wahrscheinlich erstmals bei Wilhelm Mannhardt, Die praktischen Folgen des Aberglaubens, mit besonderer Berücksichtigung der Provinz Preußen, Berlin 1878, mit kulturkämpferischen Untertönen. 4 Freytag
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II. Rechtliche Grundlagen und juristische Diskussionen
angewendet wurden. Die Straftäter sollten bis in den letzten Winkel ihres irrationalen Handelns durchleuchtet werden, um ihre Taten vielleicht doch noch rationalisieren, verstehen und gegebenenfalls abwenden zu können. Dazu bedurfte es profunder Kenntnisse über die abergläubischen Verbrechen, weshalb selbst skurrile historische Details erinnernswert schienen. Sie reichten von Rechtssagen und antiken Gottesurteilen über Brauchtumsverbote und Verordnungen bis hin zu jüngeren Gräberschändungen und vorgeblichen jüdischen Ritualmorden. 55 Einige der beteiligten Juristen meinten, ein neues Forschungsgebiet abstecken zu müssen, das sie als „kriminellen Aberglauben" oder auch „volkskundliche Kriminalistik" markierten. Wesentliche Impulse gab der Referendar und spätere Potsdamer Landgerichtsdirektor Albert Hellwig (1880-1950), der zahlreiche Beiträge veröffentlichte und auch federführend an der sogenannten Schmutz- und Schunddebatte im späten Kaiserreich und in der Weimarer Republik mitwirkte. 5 6 Hellwig betonte unermüdlich, daß es für die moderne Kriminalistik unabdingbar sei, volkskundliche Kenntnisse zu besitzen. 57 Um dies zu belegen, verwies er wiederholt auf den Paradefall der Schwangeren, die sich vor Gericht weigere, ihre Aussage zu beeiden, weil ihr Ungeborenes andernfalls später häufig vor Gericht auftreten müsse; hierfür müsse man als Jurist das nötige Fingerspitzengefühl entwickeln. 58 Die Diskussionen um die volkskundliche Kriminalistik 5 9 waren weniger mit konfessionspolitischen als vielmehr mit spürbaren nationalistischen Untertönen befrachtet, zumindest lassen sich deutliche kulturelle Zuweisungen 55 Vgl. die späteren volkskundlichen Zusammenstellungen bei Eberhard Freiherr von Künßberg, Rechtsgeschichte und Volkskunde, in: Wilhelm Fraenger (Hg.), Jahrbuch für historische Volkskunde, Bd. 1 : Die Volkskunde und ihre Grenzgebiete, Berlin 1925, S. 69-125, besonders S. 84-96. Walther Steller, Volkskunde und Rechtskunde, in: ZfV 42 (1933), S. 117-137. 56 Zu Hellwig vgl. DBA, N.F., Fiche Nr. 556. Der umfangreiche Nachlaß Hellwigs befindet sich im Institut für Grenzgebiete der Psychologie und der Psychohygiene in Freiburg. Vgl. Albert Hellwig, Die Beziehungen zwischen Aberglauben und Strafrecht. Ein Kapitel aus der volkskundlichen Kriminalistik, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 10 (1906), S. 22-44. Ders., Verbrechen und Aberglauben. Skizzen aus der volkskundlichen Kriminalistik, Leipzig 1908. Ders., Ritualmord und Blutaberglaube, Minden 1914. Ders., Weltkrieg und Aberglaube. Erlebtes und Erlauschtes, Leipzig 1916. Ders., Die Bedeutung des kriminellen Aberglaubens für die gerichtliche Medizin, Berlin 1919. Ders., Okkultismus und Strafrechtspflege. Ueber die Verwendung von Hellsehern bei Aufklärung von Verbrechen, Bern/Leipzig 1924. Ders., Okkultismus und Verbrechen, Berlin 1929. 57 Vgl. Hellwig, Beziehungen, S. 23. 58 Vgl. ebenda. Dazu auch Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 87. 59 Dazu sind neben den Arbeiten Hellwigs vor allem zu zählen: August Löwenstimm, Aberglaube und Strafrecht. Mit einem Vorwort von Josef Kohler, Berlin 1897. Ders., Aberglaube und Verbrechen, in: Zeitschrift für Sozialwissenschaft 6 (1903), S. 209-231 und S. 273-286. Karl Schef old! Ernst Werner, Der Aberglaube
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erkennen. So strichen viele Autoren ein West-Ost-Gefälle heraus: „Krimineller Aberglauben" sei in östlichen Ländern wie Rußland, Serbien oder Rumänien noch weitaus stärker verbreitet als im kulturell fortgeschritteneren Deutschen Reich. Nicht von ungefähr behandelte eine als Standardwerk dieses Forschungsfeldes betrachtete Studie Aberglauben und Verbrechen in Rußland. 60 Dennoch betonten die Verfasser, vorbeugend auch über die kriminellen Konsequenzen des im Deutschen Reich noch herrschenden Aberglaubens informiert sein zu müssen, zumal dieser - so die weitgehend einhellige Meinung in der Debatte - wandelbar sei und auch im modernen Gewand daherkäme. Zwar wollten die Beteiligten an der Diskussion die individuelle Verantwortung für eine abergläubische Straftat nicht aufgehoben wissen, aber dennoch dachten sie intensiv darüber nach, wie einzelne Straftatbestände auf derartige Vergehen anzuwenden seien, und erörterten die grundsätzlichere Frage nach der vollen Schuldfähigkeit der Straftäter. 61 Wie soziale Not, Hunger oder schlechte Erziehung sollte Aberglauben das Strafmaß mildern, was viele Teilnehmer dieser Debatte in der anstehenden Strafrechtsreform berücksichtigt wissen wollten. Diesen zentralen Punkt der Debatte erläuterte Hellwig mehrfach am Beispiel der kuriosen Frage, ob man eine Person mißhandeln dürfe, die man irrtümlicherweise für ein Gespenst halte. Drei Angeklagte waren 1907 von einem Berliner Schöffengericht verurteilt worden, weil sie einen Bauern schwer mißhandelt hatten; daß dies um Mitternacht auf einem Friedhof geschehen war, während das Opfer Kräuter gesammelt hatte, schien den Richtern nebensächlich. Einer der Täter war nach § 223a Strafgesetzbuch wegen vorsätzlicher Körperverletzung belangt worden, die anderen kamen mit geringeren Strafen davon. Hellwig argumentierte nun, es handle sich keinesfalls um Körperverletzung im Sinne von § 223a des Strafgesetzbuchs, da nicht bewußt auf einen Menschen eingeschlagen worden sei, sondern genaugenommen auf ein Gespenst, weil die Täter fest geglaubt hätten, ein Toter schwebe über den Kirchhof. 6 2 Hellwig griff damit einerseits die oben erwähnte Argumentation des preußischen Obertribunals vom 15. Mai 1872 auf, allerdings mit der Variation, die Körim Rechtsleben. Referate, erstattet in der 9. Versammlung von Juristen und Ärzten in Stuttgart am 19. Mai 1912, Halle an der Saale 1912. 60 Vgl. Löwenstimm, Aberglaube und Strafrecht. 61 Vgl. die einleitenden Bemerkungen von Josef Kohler, in: ebenda, S. XI. Weiter Salditi , Strafrecht, S. 20 f. 62 Vgl. Albert Hellwig, Misshandlung eines Gespenstes, in: ZfV 24 (1914), S. 175-182. Ders. y Kriminalistische Aufsätze, in: AKK 31 (1908), S. 67-113 und S. 282-317, hier S. 106-113. Dr. Traut, Ein Beitrag zur Kriminalpsychologie des Aberglaubens, in: AKK 5 (1900), S. 290-295. W. Schütze, Aberglaube, Wahrsagerei und Kurpfuscherei, in: AKK 12 (1903), S. 252-258. Ähnlich argumentiert auch Hellwig, Verbrechen, S. 75. 4*
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perverletzung sei immerhin fahrlässig, da sich die Angeklagten hätten vergewissern müssen, kein Gespenst vor sich zu haben. Der Leipziger Privatdozent Hans Reichel radikalisierte diese Argumentation ganz im Sinne des 1872er Urteils, indem er im schönsten Juristendeutsch erklärte, „Fahrlässigkeit [sei] zurechenbarer Mangel an (Vorsicht oder) Voraussicht des Tunserfolgs, [...] Aberglauben aber [...] im Zweifel nicht zweckbar". 63 Einzig die Aufklärung der Täter hielt er für hilfreich. Hellwig war sich seines Urteils in diesem Fall nicht so sicher, zumal er andererseits erkannte, daß auch viele Gebildete als Anhänger des modernen Spiritismus oder Okkultismus als abergläubisch anzusehen seien und an übernatürliche Erscheinungen glaubten, weshalb im Zweifelsfall zahlreiche Delikte nicht mehr bestraft werden könnten. 64 Die entscheidende Frage aber, ob Gewalt gegen eine übernatürliche Erscheinung nicht ebenso wenig angemessen ist wie die gegen Menschen, stellte er sich indessen nicht. Alle Überlegungen ordneten sich in eine Tendenz der Jahrhundertwende ein, eine Strafe weniger an der Tat zu messen, als sie vielmehr auf den Täter zu beziehen, sie mithin zu individualisieren und letztlich auch zu psychologisieren. Diese Versuche verliehen den Auseinandersetzungen um kriminellen Aberglauben eine weit über die Aberglaubensdiskussion hinausreichende Dimension. Man berücksichtigte die Persönlichkeit des Täters und den individuellen Straftatbestand stärker als dies zuvor der Fall gewesen war. Ließen sich keine ausreichend rationalen Motive für ein Verbrechen finden, dann suchte man sie in der Psyche der Täter und argumentierte mit einem krankhaften oder irrationalen Zustand des Täters. 65 Auch die Ansicht, Aberglauben sei kein absoluter Milderungsgrund bei der Strafzumessung, verweist auf diesen Trend: Aberglauben wurde nicht als einheitliches Motiv verstanden, vielmehr drängte vor allem Hellwig nachdrücklich immer wieder darauf zu prüfen, ob die einzelne Straftat aus Aberglauben als ethisch verwerflich angesehen werden müsse oder nicht. 6 6 Darüber hinaus sah man die Schuld teilweise weniger beim Täter als vielmehr beim obrigkeitlichen Staat, der ja für die Bildungsdefizite verantwortlich zeichne, indem er seine Untertanen nicht genügend aufgeklärt habe. 67 Freilich hatte diese Individualisierung der Straftaten ihre Grenzen, denn „krimineller Aberglauben" sollte nicht an den einzelnen gebunden werden, sondern 63 Hans Reichel, Tötung aus Aberglauben, in: AKK 29 (1908), S. 344 f. Zitat S. 345. Hans Friedrich Reichel (1878-1939), Rechtsphilosoph und Professor für Römisches Recht, von 1911 bis 1920 Inhaber einer Professur in Zürich, ab 1920 in Hamburg. Vgl. DBA, N.F., Fiche Nr. 1052. 64 Vgl. Hellwig, Misshandlung, S. 182. 65 Hans Groß, Psychopathischer Aberglaube, in: AKK 9 (1902), S. 253-282, hier S. 280. 66 Vgl. Hellwig, Verbrechen, S. 5. 67 So argumentiert Steller, Volkskunde, S. 129.
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mußte zumindest innerhalb einer ganzen sozialen Gruppe verbreitet sein, um die Schuld des Angeklagten zu mindern. Vor allem im 1899 von Hans Groß gegründeten Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik, 6 8 aber auch in der seit 1881 erscheinenden Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 69 beschäftigten sich Juristen mit „geistigen und körperlichen Erscheinungen am Menschen in Beziehung auf das Verbrechen", 70 indem sie zahllose Fälle sammelten, in denen sich angeblich die kriminellen Konsequenzen menschlicher Eigenschaften offenbarten. Auch wenn es überrascht, wie wenig die Autoren einen systematischen Zugang zum „kriminellen Aberglauben" suchten, der ja immerhin schädlich für die Gesellschaft sein sollte, verfolgten sie mit den Sammlungen drei zentrale Ziele: die theoretische Rationalisierung des verbrecherischen Menschen, die Dokumentation von Fällen als Diskussionsbasis und zur Aufklärung weiterer Verbrechen sowie schließlich eine Hilfeleistung für den Gesetzgeber, der seine Strafgesetzbücher reformieren sollte. 71 Zwar kamen sie kaum über erste Ansätze hinaus, doch wurde damit versucht, zu neuen Aussagen über die Rolle des Täters bei der Straftat selbst sowie über den Einfluß gesellschaftlicher Umstände auf die Tat zu gelangen. Anders formuliert zielten diese Fallsammlungen darauf, soziologische Theorien über das Verbrechen zu entwickeln. Allerdings waren sie zugleich das Eingeständnis, es immer wieder mit dem in seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit verharrenden Untertan zu tun zu haben. Dieser Spannung zwischen selbstbestimmtem Handeln und Unmündigkeit des Individuums war das Strafrecht in den Diskussionen ausgesetzt. In den Blick der Autoren gerieten ebenfalls historische Fälle „kriminellen Aberglaubens", wie frühneuzeitliche Hexenprozesse, die aus obrigkeitlicher und gesetzgeberischer Sicht wiedergegeben wurden. Aberglauben war den Verfassern eine stetige und in letzter Konsequenz ahistorische Quelle für 68
Heute: Archiv für Kriminologie. Hans Groß (1847-1915), zunächst als praktischer Jurist tätig, war seit 1899 Professor für Strafrecht in Czernowitz, ab 1905 dann in Graz. Er gilt als einer der Wegbereiter der Kriminologie, wegweisend war sein 1893 erschienenes Handbuch für Untersuchungsrichter. Vgl. NDB, Bd. 7, S. 139-141. 69 Mitbegründer der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft war der bekannte Strafrechtler Franz von Liszt (1851-1919), 1912-1918 Abgeordneter der Fortschrittlichen Volkspartei im Reichstag, der sich intensiv mit Fragen der Kriminalanthropologie und -politik beschäftigte. Vgl. NDB, Bd. 14, S. 704 f. Schmidt, Strafrechtspflege, S. 357-362. 70 Hans Groß, Aufgaben und Ziele, in: AKK 1 (1899), S. 1-4, hier S. 2. 71 Vgl. Hellwig, Verbrechen, S. 5. Löwenstimm, Aberglaube und Strafrecht, S. 7. Zum frühen volkskundlichen Eigenverständnis vgl. die treffenden Bemerkungen von Christoph Daxelmüller, Vorwort, in: HDA, Bd. 1 (ND von 1987), S. V-XXXIV, hier S. XXI.
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Verbrechen, der es sich zu nähern galt und die helfen sollte, Straftäter zu verstehen. 72 Andererseits darf dabei nicht übersehen werden, daß Juristen vielfach der Fehlannahme aufsaßen, aus den meist literarisch überlieferten Quellen auf eine konkrete Realität und vor allem deren kontinuierliche Fortdauer schließen zu können. 73 In diesen Kontext gehören auch die nicht nur bei Sigmund Freud anzutreffenden Bestrebungen, Aberglauben in seinen psychopathologischen Zusammenhängen nachzuspüren. 74 Verstand man unter Aberglauben zunächst eher noch den unbestimmten Glauben an Ereignisse und Handlungen, die in irrationaler Weise die äußere Realität beeinflussen sollten, so wurde daraus zunehmend ein innerer, quasi psychischer Defekt, den die Betroffenen nach außen ableiteten. Die Quelle des Aberglaubens wurde in den Menschen verlegt, und man begann, Aberglauben als Ausdruck irrationaler Ängste und Hoffnungen zu begreifen, welcher in bestimmten Situationen zur Klippe eines Lebens werden konnte. Unterschieden wurde hier zwischen einem abergläubischen Inneren und einer rationalen Außenwelt, einem Drinnen und einem Draußen. 75 Das durch diesen inneren Aberglauben ausgelöste fehlerhafte Verhalten münde, so die Vermutung, schließlich in die Straftat. Um diese psychischen Vorgänge zu erklären, bei denen die abergläubische Idee des Täters derart dominierte, daß sie eine kriminelle Handlung herbeiführte, versuchte Hans Groß, den Begriff des „psychopathischen Aberglaubens" zu etablieren. Damit verbunden waren für ihn soziale Bedingungen, die er in doppelter Weise engführte: Besonders anfällig für diese Form des Aberglaubens schienen ihm und den Autoren, die ihm darin folgten, einerseits Menschen mit ungenügendem Halt, liederliche Existenzen, religiös Verirrte sowie Ungebildete. 76 Die Täter waren so ein beträchtliches Stück weit kranke 72
August Löwenstimm, Aberglaube und Gesetz. Ein Kapitel aus der russischen Rechts- und Kulturgeschichte, in: AKK 25 (1906), S. 131-233, hier S. 232. 73 Mit Blick auf die Aberglaubenssammlungen der frühen Volkskunde: Daxelmüller, Vorwort, S. XXVIII. 74 Vgl. etwa Karl Hellwig, Zur Psychologie des Aberglaubens, phil. Diss, masch., Kiel/Elberfeld 1911. Bereits aufgeklärte Aberglaubensgegner widmeten sich der Lesart von Aberglauben als Krankheit. Vgl. Karl Heinrich Heydenreich, Psychologische Entwicklung des Aberglaubens und der damit verknüpften Schwärmerey, Leipzig 1798. Lehmann, Aberglaube. Dazu auch Pott, Außdärung und Aberglaube, S. 324-332. Lesenswert ist in diesem Zusammenhang die wohl populärste Studie Freuds, die sich mit den berühmten Fehlleistungen beschäftigt: Sigmund Freud, Zur Psychopathologie des Alltagslebens. Über Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglauben und Irrtum, Frankfurt am Main 1994 (*1904), hier S. 200-204. 75 Anregend dazu Utz Jeggle, Ordnungsvorstellungen im Aberglauben. Eine volkskundliche Skizze, in: Roland Apsel (Red.), Glaube, Magie, Religion, Frankfurt am Main 1990, S. 88-107. 76 Vgl. Robert Gaupp, Zur Lehre des psychopathischen Aberglaubens. Mordversuch und Mord aus Hexenwahn, in: AKK 28 (1907), S. 20-48, hier S. 21. Zum
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Opfer, was man mit der verbreiteten Ansicht verknüpfte, Aberglauben sei vornehmlich ein Phänomen der Unterschichten und Analphabeten. Sofern man allerdings den Aberglaubensbegriff offener auslegte, verengten andererseits dann die Ausführungen zu dessen kriminellen Varianten rasch wieder den soziologischen Zuschnitt, da man es in der Regel mit Tätern aus den Unterschichten zu tun hatte. 77 Mit der Suche nach dem psychopathischen Individuum, bei dem die abergläubischen Vorstellungen die Oberhand gewonnen hatten, wollte Hans Groß einem Verbrechertypus mit speziellen Persönlichkeitsmerkmalen auf die Spur kommen. 78 A m Beispiel mehrerer grausamer und mysteriöser Morde spekulierte er über die Motive, wobei er Aberglauben in den Rang einer Krankheit hob. Freilich blieb dieses Unterfangen nicht ohne Kritik. Groß wurde vorgehalten, „psychopathischer Aberglauben" sei ein unscharfer und damit untauglicher Begriff und trage kaum zur Lösung ungeklärter Straftaten bei, ebenso überschätze er die Bedeutung des Aberglaubens in strafrechtlicher Hinsicht grundsätzlich. 79 Groß' schärfster Kritiker Arthur Nußbaum wendete die Individualisierung und Psychologisierung der Straftaten geschickt gegen den „psychopathischen Aberglauben" als Erklärungsmodell: Während Aberglauben an die Anschauungen „weiterer Volkskreise" gebunden sei, seien doch gerade Wahnvorstellungen „psychopathisch [...] und ließen sich auch nicht wie der Aberglauben durch Aufklärung und Bildung beseitigen". Wesentlich weiter käme man mit der sexual-psychologischen Theorie von Triebtätern. Auch an diesem Punkt der Debatte schaltete sich wieder Hellwig ein, der Groß leidenschaftlich verteidigte. 80 Seine Argumente liefen jedoch lediglich darauf hinaus, nicht von vornherein auszuschließen, daß es Morde aus Aberglauben im allgemeinen und Blutaberglauben im besonderen auch noch in Deutschland geben könne; dafür führte er wiederum eine Reihe von Beispielen an. Während man sich weitgehend darin einig war, daß der abergläubische Gebrauch von Blut durchaus zu Verbrechen führen könne, wandte Hellwig sich ausdrücklich gegen das in diesem Kontext diskutierte psychopathischen Aberglauben vgl. auch Hans Groß, Handbuch für Untersuchungsrichter als System der Kriminalistik, II Teile, 5., umgearbeitete Aufl., München 1908, S. 467-489 und S. 765 f. 77 Vgl. etwa Hellwig, Verbrechen, S. 2-6. 78 Vgl. Groß, Aberglaube, S. 280. 79 Vgl. Arthur Nußbaum, Der psychopathische Aberglaube, in: ZStW 27 (1907), S. 350-375, hier S. 362 f. Die folgenden Zitate auf S. 368. Arthur Nußbaum (18771964), zunächst als Rechtsanwalt tätig, 1921-1933 außerordentlicher Professor für öffentliches Recht in Berlin, 1934 in die USA emigriert, erhielt dort an der University of Columbia eine Professur. Vgl. DBA, N.F., Fiche Nr. 958. 80 Vgl. Albert Hellwig, Blutmord und Aberglaube: Tatsachen und Hypothesen, in: ZStW 30 (1910), S. 149-174.
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und verbreitete antijüdische Vorurteil des Ritualmordes, das nach 1880 im Kaiserreich wieder Auftrieb erhalten hatte und von antisemitischen Agitatoren geschürt wurde. 81 Diese erneut aufgegriffenen Kontroversen konnten sich auf eine breite Literaturbasis stützen. 82 Hellwig betonte dabei besonders, ein abergläubischer Mord könne nicht zwangsläufig auf eine psychopathologische Veranlagung des Täters schließen lassen. 83
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Vgl. ebenda, S. 154. Hellwig, Ritualmord, S. 9. Juden verwandten danach das Blut meist junger Christen zu rituellen Zwecken. Zu den auch im 19. Jahrhundert wiederholt aufflackernden Gerüchten um jüdische Ritualmorde und den damit einhergehenden antijüdischen Exzessen Rainer Erb (Hg.), Die Legende vom Ritualmord. Zur Geschichte der Blutbeschuldigung gegen Juden, Berlin 1993. Stefan Rohrbacherl Michael Schmidt, Judenbilder. Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile, Reinbek bei Hamburg 1991, besonders S. 274-368. Gerade im katholischen Rheinland führte der Ritualmordglaube wiederholt zu Ausschreitungen gegen Juden. Am bekanntesten dürften die Beschuldigungen gegen den Xantener Metzger und Viehhändler Buschhoff von 1891 sein. Dazu vgl. Julius H Schoeps, Ritualmordbeschuldigung und Blutaberglaube. Die Affäre Buschhoff im niederrheinischen Xanten, in: Jutta Bohnke-Kollwitz (Hg.), Köln und das rheinische Judentum. Festschrift Germanica Judaica 1959-1984, Köln 1984, S. 286-299. Bernd Kölling, Blutige Illusionen. Ritualmorddiskurse und Antisemitismus im niederrheinischen Xanten am Ende des 19. Jahrhunderts, in: Wolfgang Neugebauer/Ralf Pröve (Hg.), Agrarische Verfassung und politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700-1918, Berlin 1998, S. 349-382. 82 Hellwig bezog sich auf die bereits auf dem Höhepunkt der Ritualmordvorwürfe geäußerten Argumente des Theologen Hermann Lebrecht Strack (1848— 1922). Strack, seit 1877 außerordentlicher Professor für Theologie in Berlin, war um eine Verbreitung der Kenntnis über das Judentum bemüht, gründete 1883 das Institutum Judaicum und wurde nicht zuletzt deshalb von Antisemiten immer wieder scharf angegriffen. Vgl. DBA, N.F., Fiche Nr. 1275. Aus der umfangreichen Literatur zum Ritualmordglauben vor der Jahrhundertwende seien genannt David Joël, Der Aberglaube und die Stellung des Judentums zu demselben, 2 Hefte, Breslau 1881-1883. Wichtig ist auch die wiederaufgelegte Schrift des Düsseldorfer Pfarrers Joseph Anton Binterim, Ueber den Gebrauch des Christenblutes bei den Juden, Düsseldorf 21891 (11834). Hermann Lebrecht Strack, Der Blutaberglaube in der Menschheit, Blutmorde und Blutritus. Zugleich eine Antwort auf die Herausforderung des „Osservatore Cattolico", 4., neu bearbeitete Aufl., München 1892 C11891). Leichter zugänglich als überarbeitete Aufl. unter dem Titel: Das Blut in Glauben und Aberglauben. Mit besonderer Berücksichtigung der „Volksmedizin" und des „jüdischen Blutritus", 5.-7. Aufl., München 1900. 83 Vgl. Hellwig, Blutmord, S. 174. Nußbaum nahm zu diesem Beitrag nochmals Stellung. Neben einigen grundsätzlichen Bemerkungen zum Stellen- und Quellenwert volkskundlicher Sammlungen verwahrte er sich in erster Linie gegen eine übertriebene Anwendung der Aberglaubenslehre. Vgl. Arthur Nußbaum, Über Morde aus Aberglauben, in: ZStW 30 (1910), S. 813-852, vor allem S. 819 f. und S. 842.
5. Kirchenrechtliche Grundlagen im Wandel zur Moderne
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5. Kirchenrechtliche und -politische Grundlagen im Wandel zur Moderne Die historische gewachsene Eigenart der konfessionellen Verhältnisse und die konfliktträchtigen Beziehungen zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche im 19. Jahrhundert bildeten grundlegende Voraussetzungen für den Umgang mit abweichend-religiösem Verhalten. 84 Brennpunkte dieser Konflikte waren einerseits Fragen der kirchlichen Selbstverwaltung, andererseits waren es die res mixtae, die Staat und Kirche gemeinsam berührenden Bereiche der Ehe- und Schulgesetzgebung. Die Integration der vorwiegend katholischen Rheinprovinz in den preußischen Staat war sicher nicht zuletzt auch aufgrund dieser kirchenpolitischen Spannungen schwierig.85 Kirchenrechtliche Eckpfeiler blieben nach den säkularen Umbrüchen am Beginn des 19. Jahrhunderts für Preußen das im Allgemeinen Landrecht geregelte, aus dem Absolutismus erwachsene Staatskirchenrecht sowie im Rheinland die französischen Organischen Artikel von 1802. 86 Die darin ver84
Wichtige Überblicke bieten Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 18001866. Bürgerwelt und starker Staat, München 41987 (11983), S. 403-451. Ders., Deutsche Geschichte 1866-1918, Erster Bd.: Arbeitswelt und Bürgergeist, S. 428530. Ders., Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918, München 1988. Immer noch einschlägig für den Vormärz ist Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 4: Die religiösen Kräfte, unveränderter photomechanischer ND der Ausgabe Freiburg 1937, München 1987. Knapp und teilweise polemisch gegen die katholische Kirche Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Zweiter Bd.: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution" 1815-1845/49, München 21989 (4987), S. 469-477. Vgl. auch Wolfram Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806-1871, München 1995, S. 278-291. 85 Nach 1815 gehörten ca. zwei Fünftel der preußischen Bevölkerung der katholischen Konfession an, wovon wiederum etwa die Hälfte Polen waren. In der Rheinprovinz waren im Vormärz etwa 75% der Einwohner Katholiken. Vgl. die Beiträge zur Integrationsproblematik in Dieter Kastner/Georg Mölich (Hg.), Die Rheinlande und Preußen. Parlamentarismus, Parteien und Wirtschaft. Ergebnisse eines Bonner Symposions (26.121. April 1990), Köln/Bonn 1990. Mit Schwerpunkten auf den Bereichen Verwaltung, Schule, Wirtschaft Manfred Koltes, Das Rheinland zwischen Frankreich und Preußen. Studien zu Kontinuität und Wandel am Beginn der preußischen Herrschaft (1814-1822), Köln u.a. 1992. Mit dem Blick auf die staatliche Administration Rüdiger Schütz, Preußen und die Rheinlande. Studien zur preußischen Integrationspolitik im Vormärz, Wiesbaden 1979. Zur Integration der evangelischen Bevölkerungsteile vgl. Jörg van Norden, Kirche und Staat im preußischen Rheinland 1815-1838. Die Genese der Rheinisch-Westfälischen Kirchenordnung vom 5.3.1835, Köln 1991. 86 Grundlegend zum heterogenen Staatskirchenrecht Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 389-393 und S. 442^49. Rudolf Uli, Kirchliche Reorganisation und Staatskirchentum in den Ländern des Deutschen Bundes und in der Schweiz, in: Hubert Jedin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. VI: Die Kirche der Gegenwart, I. Halbbd.: Die Kirche zwischen Revolution und Restauration, Freiburg
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ankerten staatskirchenrechtlichen Hauptgrundsätze veränderten die konkordatsähnlichen Übereinkünfte in der Bulle „De salute animarum" vom 23. August 1821 und in dem Breve „Quod de fidelium" vom 16. Juli 1821 nur geringfügig, 87 da diese in erster Linie Organisationsfragen lösen sollten. Nach wie vor bedurften kirchliche Anordnungen des königlichen Placets, kontrollierten staatliche Behörden den Schriftwechsel zwischen den Bischöfen und dem Vatikan und konnten Geistliche gegen mißliebige amtskirchliche Entscheidungen den preußischen Staat anrufen; das Recht des recursus ab abusu war erhalten geblieben. Weiterhin galten zunächst die Staatsaufsicht über die kirchliche Vermögensverwaltung, das Zulassungsrecht für Orden und Gesellschaften, rechtsrheinisch teilweise auch noch das Patronatsrecht für einzelne Pfarreien, und, im vorliegenden Zusammenhang besonders wichtig, die staatliche Zensur religiöser Schriften dauerte an. 8 8 Die Grenzen kirchlicher Gerichtstätigkeit waren nach 1815 eng gesteckt, zumal die preußische Regierung eine Lösung dieses offenen Problems einstweilen hinauszögerte. 89 In Köln regelte zunächst eine Abteilung des Generalvikariats, das Konsistorium für die Rechtssachen, die rechtlichen Belange. 90 Die u.a. 1971, S. 160-173, hier S. 166 f. Artikel „Kirchenrecht", in: LThK 3 , Bd. 6, Sp. 41-54. Artikel „Kirchenrecht", in: RGG, Bd. 3, Sp. 1501-1520. Dazu auch Ilja Mieck, Preußen von 1807 bis 1871. Reformen, Restauration und Revolution, in: Otto Büsch (Hg.), Handbuch der preußischen Geschichte, Bd. II: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Berlin/New York 1992, S. 3-292, hier S. 167-179. Zu den Organischen Artikeln von 1802 Hubert Lentz, Die Konkurrenz des französischen und preußischen Staatskirchenrechts 1815-1850 in bezug auf die katholische Kirche in den vormals preußischen Landesteilen westlich des Rheins, Bonn 1961, S. 204-239. Norden, Kirche und Staat, S. 32-34. 87 Text der Bulle und des Breve bei Ernst Rudolf Huber/Wolfgang Huber (Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. I: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reiches bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution, Berlin 1973, S. 204-223. 88 Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 397 und S. 448 f. Peter Landau, Das Kirchenrecht des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten im 19. Jahrhundert, in: Dölemeyer/Mohnhaupt, Landrecht, S. 145-185, hier S. 152-168. 89 Einen Überblick gibt Ulrich Stutz, Die katholische Kirche, in: Hansen, Rheinprovinz, Bd. 2, S. 161-196. Meist übersehen wird die informative Arbeit von Ludwig Kaas, Die geistliche Gerichtsbarkeit der katholischen Kirche in Preußen in Vergangenheit und Gegenwart mit besonderer Berücksichtigung des Westens der Monarchie, 2 Bde., Stuttgart 1915-1916. Erwin Gatz, Zur Problematik der Sukkursalpfarreien in den linksrheinischen Gebieten des preußischen Staates (1802-1888), in: AHVN 175 (1973), S. 208-238. Jürgen Herres, Städtische Gesellschaft und katholische Vereine im Rheinland 1840-1870, Essen 1996, S. 103-110. Zu den schwierigen Verhandlungen in dieser Angelegenheit vgl. Eduard Hegel, Das Erzbistum Köln zwischen der Restauration des 19. Jahrhunderts und der Restauration des 20. Jahrhunderts, Köln 1987, S. 170-173. 90 Solange Preußen keine kirchliche Gerichtsbarkeit gestattete, geschah dies im Erzbistum Köln auf dem Verwaltungsweg. 1848 ersetzte das Erzbischöfliche Offizialat diese Abteilung des Generalvikariats. Vgl. Hegel, Erzbistum, S. 153-156.
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auf den Verwaltungsweg eingeengte kirchliche Gerichtsbarkeit erstreckte sich auf die Amtsverhältnisse und Disziplinarangelegenheiten der Geistlichen, auf Verlöbnis- und Ehesachen in ungemischten Ehen sowie auf kirchliche Verbrechen und Vergehen, jedoch ohne jede bürgerliche Wirkung; die Zuständigkeiten der Amtsgerichte erkannte die kirchliche Seite durchaus an. Der Bischof übte damit in erster Linie die Disziplinargewalt über die Geistlichen seiner Diözese aus. Er konnte sie belehren, Verweise erteilen, sie versetzen und ihnen die geistlichen Verrichtungen untersagen. 91 Auch wenn die engen Verbindungen zwischen Staat und Kirche im 19. Jahrhundert jenseits der juristischen Fragen bestehen blieben, weisen die sich wandelnden rechtlichen Beziehungen doch auf die Tendenz einer zunehmenden Trennung von Staat und katholischer Kirche hin. Es lassen sich hierbei drei zentrale Konfliktherde zwischen ihnen ausmachen, die unmittelbar auf die Auseinandersetzung um Aberglauben durchschlugen. Erstens waren die katholische Kirche und Religiosität zahllosen komplexen, spannungsreichen und auch widersprüchlichen Veränderungen ausgesetzt. Gerade die katholische Kirche galt vielen Zeitgenossen als das Bollwerk gegen die durchbrechende Moderne, und doch hatte sie gleichzeitig teil an dem Übergang zur Moderne, denn in vielen Bereichen ging sie Kompromisse ein und paßte sich den neuen gesellschaftlichen Bedingungen an. Treffend ist dieser Prozeß mit dem Begriff der „temperierten Modernisierung" beschrieben worden. 92 Hierarchische, bürokratische und disziplinierende Elemente lassen sich für die katholische Kirche ebenso nachweisen wie für den modernen Staat, selbst wenn viele Geistliche sich gerade um eine deutliche Abgrenzung zu weltlichen Obrigkeiten und deren Verwaltungen bemühten. 93 Der unfreiwillige Verzicht auf die alten reichskirch91 Vgl. Kaas, Gerichtsbarkeit, Bd. 1, S. 232. Franz Heiner, Der kirchliche Strafprozeß. Nach geltendem Rechte praktisch dargestellt, Köln 1912. 92 Michael N. Ebertz, „Ein Haus voll Glorie, schauet...". Modernisierungsprozesse der römisch-katholischen Kirche im 19. Jahrhundert, in: Wolfgang Schieder (Hg.), Religion und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1993, S. 62-85, hier S. 64. Ders., Herrschaft in der Kirche. Hierarchie, Tradition und Charisma im 19. Jahrhundert, in: Karl Gabriel/Franz-Xaver Kaufmann (Hg.), Zur Soziologie des Katholizismus, Mainz 1980, S. 89-111. Vgl. auch Dominik Burkard, 1848 als Geburtsstunde des deutschen Katholizismus? Unzeitgemäße Bemerkungen zur Erforschung des „Katholischen Vereinswesens", in: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 49 (1998), S. 61-106. 93 Zur Verwaltung der Diözese Köln Hegel, Erzbistum, S. 129-197. Zur Ultramontanisierung und zu amtskirchlichen Sanktionen Irmtraud Götz von Olenhusen, Klerus und abweichendes Verhalten. Zur Sozialgeschichte katholischer Priester im 19. Jahrhundert. Die Erzdiözese Freiburg, Göttingen 1994, hier S. 103-130. Zur bürokratischen Ausgestaltung exemplarisch Christoph Weber, Das Pfarrsystem und die kirchlichen Mittelbehörden in Koblenz im 19. Jahrhundert, in: AmrhKG 20 (1968), S. 103-140.
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II. Rechtliche Grundlagen und juristische Diskussionen
liehen Strukturen führte nach 1815 zwar zu einem erheblichen Machtgewinn der römischen Kurie, 9 4 aber dies allein reicht nicht aus, um die anwachsende amtskirchliche und romorientierte Autorität zu erklären. Die katholische Kirche mußte sich und ihr Verhältnis zum Staat völlig neu definieren, wobei sie die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts nicht nur in Deutschland zu einer grundlegenden Erneuerung nutzte. 95 Auch wenn sich der deutsche Episkopat vielfach der organisatorischen Gewalt des Papstes unterordnete, was schon Zeitgenossen mit dem polemischen Schlagwort des Ultramontanismus umschrieben, 96 gab es auch wechselseitige Irritationen zwischen römischer Kurie, Episkopat und den deutschen Einzelstaaten, die sich auf das handlungsorientierte Feld der Frömmigkeit auswirkten. Der Umgang mit Frömmigkeitsformen - und damit auch die Grenzen, die man zwischen akzeptierten Glaubensinhalten und Aberglauben zog - änderte sich vor dem Hintergrund dieses Szenarios im Untersuchungszeitraum mehrfach. Das Verhältnis zwischen barock aufgeladener, sinnlicher und nach außen drängender Frömmigkeit sowie aufgeklärter Vernunft blieb spannungsgeladen, wie nicht nur am Beispiel der Wallfahrten zu erkennen sein wird. 9 7 Religiosität behauptete sich im 19. Jahrhundert nach wie vor
94 Vgl. Schnabel, Deutsche Geschichte, Bd. 4, S. 22 f. Roger Aubert, Die erneuerte Stellung des Heiligen Stuhles in der Kirche, in: Jedin, Kirchengeschichte, Bd. VI/I, S. 127-139. Ebertz, Modernisierungsprozesse, S. 71. 95 Einen knappen Überblick gibt im europäischen Kontext Karl-Egon Lonne, Politischer Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1986, hier S. 51-85. 96 Freilich umgreift der Begriff auch eine konservativ-religiöse Erneuerungsbewegung, die seit den 1820er Jahren in Deutschland mehr und mehr an Gewicht gewann, sich jedoch erst seit dem zweiten Jahrhundertdrittel durchsetzte. Vgl. Heribert Raab, Zur Geschichte und Bedeutung des Schlagwortes „ultramontan" im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: HJB 81 (1962), S. 159-173. Karl Buchheim, Ultramontanismus und Demokratie. Der Weg der deutschen Katholiken im 19. Jahrhundert, München 1963 (einseitig). Otto Weiss, Der Ultramontanismus. Grundlagen Vorgeschichte - Struktur, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 41 (1978), S. 821-877. Christoph Weber, Ultramontanismus als katholischer Fundamentalismus, in: Wilfried Loth (Hg.), Deutscher Katholizismus im Umbruch zur Moderne, Stuttgart 1991, S. 20-45. 97 Vgl. Rudolf Schlögl, Glaube und Religion in der Säkularisierung. Die katholische Stadt - Köln, Aachen, Münster - 1700-1840, München 1995, hier S. 327-336. Ders., Katholische Kirche, Religiosität und gesellschaftlicher Wandel. Rheinischwestfälische Städte 1750 bis 1830, in: Schieder, Religion, S. 86-112. Dazu diverse Beiträge in Michael N. Ebertz/ F ranz Schultheis (Hg.), Volksfrömmigkeit in Europa. Beiträge zur Soziologie populärer Religiosität aus 14 Ländern, München 1986. Jonathan Sperber, Popular Catholicism in Nineteenth-Century Germany, Princeton 1984. Ein Beispiel dafür, daß Kirchenhistoriker sozialgeschichtliche Forschungsergebnisse nicht immer wahrnehmen, ist Wilfried Evertz, Seelsorge im Erzbistum Köln zwischen Aufklärung und Restauration 1825-1835, Köln u.a. 1993, hier S. 166-184.
5. Kirchenrechtliche Grundlagen im Wandel zur Moderne
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als eine bestimmende Kraft, die sich in kirchenpolitischen Konflikten und in den Auseinandersetzungen mit der Moderne von amtskirchlicher Seite durchaus funktionalisieren ließ. Daß ein eindimensionaler Bedeutungsverlust des Religiösen dabei nicht zu erkennen ist, fängt die Formel vom „schleichenden Säkularisierungsprozeß" nur teilweise ein, 9 8 denn man muß auch mit der bloßen Umdeutung religiöser Erscheinungen rechnen, da Säkularisierung nicht nur mit Entchristlichung gleichgesetzt werden kann, sondern als komplexes und auch widersprüchliches Bündel verschiedenster religiöser und pseudoreligiöser Wandlungen im Verhältnis zwischen moderner Gesellschaft und Christentum verstanden werden muß. Schwindender christlicher Einfluß auf gesellschaftliche Entscheidungen konnte durchaus mit Phasen der Rechristianisierung oder Rekonfessionalisierung einhergehen; 99 nicht zu Unrecht gibt es Bemühungen, das 19. Jahrhundert als zweites konfessionelles Zeitalter zu kennzeichnen oder unter dem Signum der Zweiten Konfessionalisierung einzufangen. 100 Zweitens stieß die Erneuerung der katholischen Kirche zu Beginn des Jahrhunderts die grundsätzliche Auseinandersetzung um den Vorrang des Staates oder der katholischen Kirche in den res mixtae mit an. Die Mischehenfrage brach dabei am schärfsten in der preußischen Rheinprovinz auf, kam es hier doch zu vielen Ehen zwischen oft aus Altpreußen stammenden, protestantischen Beamten oder Offizieren mit katholischen Frauen. Zunächst trauten die Priester auch ohne das elterliche Versprechen, die Kinder katholisch zu erziehen, obwohl dies vorgeschrieben war und eine solche Heirat widrigenfalls dispensiert werden mußte. Hatte die milde Praxis in der Frage der Kindererziehung das weitgehend friedliche Miteinander zwischen Staat und Kirche zunächst befördert, notdürftig aufrechterhalten mittels einer 1834 geschlossenen, geheimen Konvention zwischen der preußischen Regierung und den rheinpreußischen Bischöfen, so änderte sich dies spätestens nach dem Tode der beiden rheinpreußischen Bischöfe Spiegel und Joseph von Hommer (Trier) sowie mit der Wahl Clemens Augusts von Droste zu Vischering zum Erzbischof von Köln. Die unnachgiebige und schroffe Haltung des neuen Erzbischofs in der Mischehenfrage trug maßgeblich zu seiner Verhaftung im November 1837 bei, welche in eine große öffentliche Empörung mündete. 101 Erst der preußische Thronwechsel von 98
Wolf gang Schieder, Sozialgeschichte der Religion im 19. Jahrhundert. Bemerkungen zur Forschungslage, in: Ders., Religion, S. 11-28, hier S. 18. 99 Vgl. dazu die Beiträge in Lehmann, Säkularisierung. 100 Angedeutet wird dies bei Schlögl, Glaube und Religion, S. 136. Vgl. jetzt Olaf Blaschke, Das 19. Jahrhundert: Ein zweites Konfessionelles Zeitalter?, in: GG (26) 2001, S. 38-75, sowie Ders. (Hg.), Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2002. 101 Ein weiterer Gegenstand der Auseinandersetzungen war die theologische Richtung des Hermesianismus. Detailliert dazu Friedrich Keine mann, Das Kölner
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II. Rechtliche Grundlagen und juristische Diskussionen
1840 leitete das Ende dieser Krise ein, aus der die katholische Kirche als Siegerin hervorging. Sie erreichte namentlich, daß der Schriftverkehr zwischen dem Vatikan und den Diözesen nicht mehr über die Regierung abgewickelt werden mußte, die Genehmigungspflicht für rein kirchliche Akte wegfiel, eine katholische Abteilung im Kultusministerium eingerichtet und die Regierung bei Bischofswahlen kompromißbereiter wurde. 1 0 2 Franz Schnabel hat die Bedeutung der „Wende von 1837" so zusammengefaßt, daß die katholische Kirche danach in Preußen mit mehr Hoheitsrechten ausgestattet war als in jedem anderen deutschen Staat, eine Position, welche die preußische Verfassung von 1850 noch verstärkte. 103 Drittens entstand mit dem Kulturkampf eine weitere große Krise in der säkularen Auseinandersetzung um das Weltdeutungsmonopol. 104 MitausgeEreignis, sein Widerhall in der Rheinprovinz und in Westfalen, 2 Teile, Münster 1974. Vgl. auch Rudolf Lill, Die Beilegung der Kölner Wirren 1840-1842. Vorwiegend nach Akten des Vatikanischen Geheimarchivs, Düsseldorf 1962. Heinrich Schrörs, Die Kölner Wirren (1837). Studien zu ihrer Geschichte, Berlin/Bonn 1927. Ausgewogen ist die Zusammenfassung bei Schnabel, Deutsche Geschichte, Bd. 4, S. 106-164. Mit vielen Beispielen aus dem Koblenzer Raum Christoph Weber, Aufklärung und Orthodoxie am Mittelrhein 1820-1850, München u.a. 1973. Walter Lipgens, Ferdinand August Graf Spiegel und das Verhältnis von Kirche und Staat 1789-1835. Die Wende vom Staatskirchentum zur Kirchenfreiheit, 2 Bde., Münster 1965, hier S. 337-535. 102 ygi z u r Versöhnungs- und kirchlichen Erneuerungspolitik Friedrich Wilhelms IV. Keinemann, Kölner Ereignis, 1. Teil, S. 296-301. Lill, Beilegung, S. 83-227. David E. Barclay, Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie, Berlin 1995, S. 120-151. Walter Bußmann, Zwischen Preußen und Deutschland. Friedrich Wilhelm IV. Eine Biographie, Berlin 1990, S. 119-139 und S. 159-172. Die katholische Abteilung im Kultusministerium löste Bismarck zu Beginn des Kulturkampfes 1871 wieder auf. Vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918. Zweiter Bd.: Machtstaat vor der Demokratie, München 1992, S. 373. 103 Ygi Schnabel, Deutsche Geschichte, Bd. 4, S. 158. Dazu auch Landau, Kirchenrecht, S. 159 f. 104 Eine moderne Darstellung des preußisch-deutschen Kulturkampfes fehlt leider immer noch. Informativ sind die Überblicke von: Winfried Becker, Der Kulturkampf als europäisches und deutsches Phänomen, in: HJB 101 (1981), S. 422-446. Rudolf Morsey, Probleme der Kulturkampf-Forschung, in: HJB 83 (1964), S. 217245. Weiter Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Erster Bd., S. 428^468. Ders., Deutsche Geschichte 1866-1918. Zweiter Bd., S. 364-381. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 3. Bd., S. 384-396 und S. 1181-1191. Im europäischen Zusammenhang Lonne, Katholizismus, S. 151-192. Knapp dazu auch Hans-Peter Ullmann, Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Frankfurt am Main 1995, hier S. 5557. Rudolf Lill, Der Kulturkampf in Preußen und im Deutschen Reich (bis 1878), in: Hubert Jedin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. VI: Die Kirche der Gegenwart, II. Halbbd.: Die Kirche zwischen Anpassung und Widerstand, Freiburg u.a. 1973, S. 28-48. Wichtig ist die Fallstudie von Josef Becker, Liberaler Staat und Kirche in der Ära von Reichsgründung und Kulturkampf. Geschichte und Struk-
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löst wurde diese Krise durch das Erste Vatikanische Konzil von 1870, das die Unfehlbarkeit des Papstes in Fragen ex cathedra verkündete, den bereits 1864 erlassenen Syllabus errorum und die Organisation des politischen Katholizismus in der Zentrumspartei 1870. In ihr ging es, neben anderen wichtigen Interessen Bismarcks, der Liberalen und des Zentrums, einmal mehr auch um das rechtliche Verhältnis von modernem Staat und katholischer Kirche. Die auf der Tagesordnung stehende Trennung von geistlicher und weltlicher Sphäre war mit rechtlichen Konflikten um Schule, Ehe und Aufsicht auf beamtete Geistliche verbunden. Nicht zuletzt das sperrige Problem der Altkatholiken berührte massiv Fragen in rechtlicher Hinsicht: Die von der römisch-katholischen Kirche angestrebte Entlassung Altkatholischer, die zugleich Staatsbeamte waren, oder die Mitwirkung der Polizei bei der Amtsenthebung von altkatholischen Geistlichen waren Probleme, die das rechtliche Verhältnis betrafen und Konflikte darum heraufbeschworen. 105 Beide Parteien wollten ihre Ansprüche ausweiten, die katholische Kirche in Schulfragen, der Staat vor allem in Sachen der Priesterausbildung. In Ergänzung des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 suchten die deutschen Staaten - allen voran Preußen - anfangs durch Ausnahmegesetze wie den Kanzelparagraphen (1871) und das Jesuitengesetz (1872) die Grenzen von staatlicher und kirchlicher Sphäre zu ihren Gunsten neu abzustecken. Stärker gilt dies noch für die preußischen Maigesetze der Jahre 1873 und 1874, die in innere Kirchenangelegenheiten eingriffen, so auch in die kirchliche Disziplinargewalt, sowie für die zweite Welle preußischer Kulturkampfgesetze von 1875, einschließlich des Brotkorbgesetzes; sie trieben den Kulturkampf auf den Höhepunkt zu, bevor dieser schließlich mit einem weitgehenden Mißerfolg für den Staat endete. Zusätzlich, und das ist über die rechtlichen Konflikte hinaus wichtig, polarisierte der überwiegend auf einzelstaatlicher Ebene geführte Kulturkampf zwischen liberal-elitärem Aufklärungs- und Bildungsdenken einerseits und einer vorgeblich verführbaren katholischen Masse andererseits. Dies wirkte lange nach, einte und verbitterte die Katholiken über den Kulturkampf hinaus und trug zu katholischem Sonderbewußtsein, zur Abwendung vom Nationalstaat, ja zu konfessionspolitischem Haß b e i . 1 0 6 Freilich war der Kulturkampf neben einem rechtlichen Konflikt
turen ihres Verhältnisses in Baden 1860-1876, Mainz 1973, hier S. 293-368. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. IV: Strukturen und Krisen des Kaiserreichs, Stuttgart u.a. 1969, S. 637-831. Erich Schmidt-Volkmar, Der Kulturkampf in Deutschland 1871-1890, Göttingen 1962. 105 Vgl. Olaf Blaschke, Der Altkatholizismus 1870 bis 1945. Nationalismus, Antisemitismus und Nationalsozialismus, in: HZ 261 (1995), S. 51-99, hier S. 58-82. Manfred Scholle, Die Preußische Strafjustiz im Kulturkampf 1873-1880, Marburg 1974. 106 Dazu diverse Hinweise bei Wilfried Loth, Katholiken im Kaiserreich. Der politische Katholizismus in der Krise des wilhelminischen Deutschlands, Düsseldorf
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II. Rechtliche Grundlagen und juristische Diskussionen
zwischen Staat und Kirche auch eine soziale und wissenschaftliche Auseinandersetzung um althergebrachtes und modernes Verhalten. 107 Gerade die liberale Seite stilisierte den Kulturkampf zu einer von vielen Vorurteilen flankierten Auseinandersetzung um Modernität. 1 0 8 Jede katholische Frömmigkeitsäußerung verdammte sie als antiquiert, auch wenn viele traditionell anmutende Riten gerade erst neu- oder wiedererfunden worden waren. 1 0 9 Insgesamt läßt sich festhalten, daß Aberglauben als Straftatbestand im 19. Jahrhundert nach und nach aus den Kodizes verschwand. Während das sehr stark in der staatsabsolutistischen Aufklärung verwurzelte Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten noch den Tatbestand der „abergläubigen Gaukeley" kannte, verfügten der Code pénal, das preußische Strafgesetzbuch von 1851 und das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 über andere Regelungen, um rechtlich gegen abergläubische Straftaten vorgehen zu können. Dennoch löste sich Aberglauben nicht vollständig aus rechtlichen Zu1984, hier S. 121 und S. 280. Zur Kritik an Loth vgl. die Besprechung von Ulrich von Hehl in: HJB 106 (1986), S. 475^180. Rudolf Morsey, Die deutschen Katholiken und der Nationalstaat zwischen Kulturkampf und Erstem Weltkrieg, in: HJB 90 (1970), S. 31-64. Zum politischen Ende des Kulturkampfes und zu innerkirchlichen Konflikten Christoph Weber, Kirchliche Politik zwischen Rom, Berlin und Trier 1876-1888. Die Beilegung des preußischen Kulturkampfes, Mainz 1970. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. IV, S. 814-831. 107 Verschiedene bayerische Beispiele liefert die anregende Analyse von Werner Κ . Blessing, Staat und Kirche in der Gesellschaft. Institutionelle Autorität und mentaler Wandel in Bayern während des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1982, hier S. 181195. Für die Zeit nach dem Kulturkampf Martin Baumeister, Parität und katholische Inferiorität. Untersuchungen zur Stellung des Katholizismus im Deutschen Kaiserreich, Paderborn u.a. 1987. Christoph Weber, Der „Fall Spahn" (1901). Ein Beitrag zur Wissenschafts- und Kulturdiskussion im ausgehenden 19. Jahrhundert, Rom 1980. Mit innovativem Blick auf den Milieubegriff Olaf Blaschkef Frank-Michael Kuhlemann, Religion in Geschichte und Gesellschaft. Sozialhistorische Perspektiven für die vergleichende Erforschung religiöser Mentalitäten und Milieus, in: Dies. (Hg.), Religion im Kaiserreich. Milieus - Mentalitäten - Krisen, Gütersloh 1996, S. 7-56. Wolf gang Altgeld, Katholizismus, Protestantismus, Judentum. Über religiös begründete Gegensätze und nationalreligiöse Ideen in der Geschichte des deutschen Nationalismus, Mainz 1992. los ygi Christel Köhle-Hezinger, Evangelisch-katholisch. Untersuchungen zum konfessionellen Vorurteil und Konflikt im 19. und 20. Jahrhundert vornehmlich am Beispiel Württembergs, Tübingen 1976, hier S. 118-122. Ernst Walter Zeeden, Die katholische Kirche in der Sicht des deutschen Protestantismus im 19. Jahrhundert, in: HJB 72 (1953), S. 433-456. 109 Vgl. die anregende Untersuchung von David Blackbourn, Volksfrömmigkeit und Fortschrittsglaube im Kulturkampf, Stuttgart 1988. Eine glänzende Fallstudie für den Marienkult im Kaiserreich hat Blackbourn erst kürzlich vorgelegt: Ders., Wenn ihr sie wieder seht, fragt wer sie sei. Marienerscheinungen in Marpingen - Aufstieg und Fall des deutschen Lourdes, Reinbek bei Hamburg 1997 (engl. Original 1993). Knapp auch Thomas Mergel, Zwischen Klasse und Konfession. Katholisches Bürgertum im Rheinland 1794-1914, Göttingen 1994, hier S. 253-259.
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sammenhängen. Im Gegenteil gewann er im Rahmen einer Individualisierung der Strafzumessungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wieder eine größere strafrechtliche Bedeutung, wie die Diskussion um die volkskundliche Kriminalistik belegt. Aberglauben geriet zunehmend in den Sog kirchenrechtlicher, kirchenpolitischer und weltanschaulicher Konflikte und entwickelte sich zu einem zentralen kulturpolitischen Schlagwort sowie Kampfbegriff dieser Auseinandersetzungen. Dies dokumentieren die Kontroversen um populäre Frömmigkeitsformen eindrucksvoll.
III. Populäre Frömmigkeit zwischen Einhegung und Unterdrückung „Massenreligiosität", „Volksreligiosität", „populäre Frömmigkeit", „Volksfrömmigkeit", „Volksglaube" oder auch „Volksmagie" - mit diesen Begriffen bezeichnen nicht nur Historiker religiöse Handlungen und Äußerungen, die sich von elitären Glaubensvorstellungen unterschieden und gleichzeitig doch eng mit ihnen verbunden waren. 1 Lange war die Religion der kleinen Leute bevorzugtes Untersuchungsfeld der Mediävisten und Frühneuzeitler. Dies hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten geändert, worüber diverse Forschungsüberblicke mittlerweile Auskunft geben.2 Mehr und mehr stellt die Forschung sozialgeschichtliche Fragen nach Wandlun1
Problemorientierte Einführungen bieten aus historischer wie volkskundlicher Perspektive Heribert Smolinsky, Volksfrömmigkeit als Thema der neueren Forschung. Beobachtungen und Aspekte, in: Hansgeorg Molitor/Ders., Volksfrömmigkeit, S. 9-16. Scribner, Volksglaube. Schieder, Volksreligiosität. Peter Assion, „Volksfrömmigkeit" als Identitäts- und Unterscheidungsmerkmal. Konfession und Alltagskultur, in: Hans-Georg Wehling (Red.), Konfession - eine Nebensache? Politische, soziale und kulturelle Ausprägungen religiöser Unterschiede in Deutschland, Stuttgart u.a. 1984, S. 94-104. Urs Altermatt, Volksreligion - neuer Mythos oder neues Konzept? Anmerkungen zu einer Sozialgeschichte des modernen Katholizismus, in: Jakob Baumgartner (Hg.), Wiederentdeckung der Volksreligiosität, Regensburg 1979, S. 105-124. Wolf gang Brückner, Volksfrömmigkeit - Aspekte religiöser Kultur, in: KZSS 31 (1979), S. 559-569. Michael N. Ebertz/Franz Schultheis, Einleitung: Populäre Religiosität, in: Dies., Volksfrömmigkeit in Europa, S. 11-52. Wolf gang Brückner u.a., Volksfrömmigkeitsforschung, Würzburg/München 1986. Ders., Zu den modernen Konstrukten „Volksfrömmigkeit" und „Aberglauben", in: JbVk, N.F. 16 (1993), S. 215-222. 2 Vgl. Richard van Dülmen, Religionsgeschichte in der Historischen Sozialforschung, in: GG 6 (1980), S. 36-59. Rudolf LUI, Der deutsche Katholizismus in der neueren historischen Forschung, in: Ulrich von Hehl/Konrad Repgen (Hg.), Der deutsche Katholizismus in der zeitgeschichtlichen Forschung, Mainz 1988, S. 4164. Margaret Lavinia Anderson, Piety and Politics: Recent Work on German Catholicism, in: JMH 63 (1991), S. 681-716. David Blackbourn, The Catholic Church in Europe since the French Revolution. A Review Article, in: Comparative Studies in Society and History 33 (1991), S. 778-790. Caroline Ford, Religion and Popular Culture in Modern Europe, in: JMH 65 (1993), S. 152-175. Schieder, Sozialgeschichte der Religion. Hartmut Lehmann, Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Forschungsperspektiven und Forschungsaufgaben, in: Ders., Säkularisierung, S. 314-325. Jonathan Sperber, Kirchengeschichte or the Social and Cultural History of Religion?, in: NPL 43 (1998), S. 13-35.
III. Populäre Frömmigkeit
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gen und Breitenwirkung dieser Formen von Religiosität und versucht auch für das deutschsprachige Mitteleuropa des 19. und 20. Jahrhunderts, die Beziehungen zwischen schichten-, konfessions- oder geschlechtsspezifischer Religiosität, zwischen Freikirchen, Kirchen und Staaten zu klären. 3 Man fragt nach dem Grad von Religiosität, nach ihren modernen und traditionellen Erscheinungsformen, nach Trägern und Vermittlungswegen. So ist auch kaum mehr umstritten, daß die katholische Kirche bemüht war, populäre Frömmigkeitsvarianten zu kontrollieren, sie zu formen oder sie phasenweise zur Agitation zu nutzen. Als herausragende Beispiele gelten die Trierer Rockwallfahrten von 1844 und 1891 sowie die wachsende Herz-Jesu- und Marien-Verehrung, die in zahllosen Marienerscheinungen gipfelte. 4 Auch ist von einer Änderung dieser Religiosität gesprochen worden; sie habe sich von einer populären zu einer popularisierten Frömmigkeit gewandelt und sei, von oben gelenkt, als „Massenreligiosität" aktiv organisiert worden. 5 Moderner Staat und katholische Kirche verfuhren danach in einer Doppelstrategie. Während sie einerseits den lokalen und individuellen Auswüchsen entgegentraten, organisierten und kanalisierten sie andererseits die religiösen Bedürfnisse der katholischen Gläubigen. Diese Flexibilität im Umgang mit Frömmigkeit setzt eine zeitgenössische Unterscheidung in eine Religion 3
Zu nennen sind etwa Irmtraud Götz von Olenhusen (Hg.), Wunderbare Erscheinungen. Frauen und katholische Frömmigkeit im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn u.a. 1995. Christoph Ribbat, Religiöse Erregung. Protestantische Schwärmer im Kaiserreich, Frankfurt am Main/New York 1996. Norbert Busch, Katholische Frömmigkeit und Moderne. Die Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Herz-Jesu-Kultes in Deutschland zwischen Kulturkampf und Erstem Weltkrieg, Gütersloh 1997. 4 Vgl. Wolfgang Schieder, Kirche und Revolution. Sozialgeschichtliche Aspekte der Trierer Wallfahrt von 1844, in: AfS XIV (1974), S. 419-454. Eine leicht überarbeitete Fassung ist aus Anlaß der Rockwallfahrt 1996 erschienen: Ders. y Religion und Revolution. Die Trierer Wallfahrt von 1844, Vierow bei Greifswald 1996. Zur nicht ganz unberechtigten Kritik an Schieder vgl. Rudolf Lill, Kirche und Revolution. Zu den Anfängen der katholischen Bewegung im Jahrzehnt vor 1848, in: AfS XVIII (1978), S. 565-575. Ferner vgl. Gottfried Korff, Formierung der Frömmigkeit. Zur sozialpolitischen Intention der Trierer Rockwallfahrten 1891, in: GG 3 (1977), S. 352-383. Busch, Katholische Frömmigkeit, hier S. 310-316. Blackbourn, Marpingen, S. 39-103. 5 Vgl. Wolf gang Schieder, Einleitung, in: Ders., Volksreligiosität, S. 7-13, hier S. 13. Korff, Sinnlichkeit und Kirchlichkeit. Michael N. Ebertz, Die Organisierung von Massenreligiosität im 19. Jahrhundert. Soziologische Aspekte zur Frömmigkeitsforschung, in: JbVk, N.F. 2 (1979), S. 38-72. Differenzierte Überlegungen zu Beziehungen zwischen Volks- und Elitenreligiosität finden sich bei Werner K. Blessing, Kirchenfromm - volksfromm - weltfromm: Religiosität im katholischen Bayern, in: Loth, Katholizismus, S. 95-123. Josef Mooser, Katholische Volksreligion, Klerus und Bürgertum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Thesen, in: Schieder, Religion, S. 144-156. Jüngst wieder knapp Wolfgang Schieder, Konfessionelle Erneuerung in den christlichen Parallelkirchen Deutschlands im 19. Jahrhundert. Ein Kommentar, in: Lehmann, Säkularisierung, S. 223-228, hier S. 227. 5*
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III. Populäre Frömmigkeit
der einfachen Leute und eine der Eliten ebenso voraus wie ein verändertes Urteil über populäre Frömmigkeitsäußerungen. 6 A m Umgang mit dieser populären Religiosität läßt sich jedenfalls prüfen, inwieweit die katholische Kirche - vom Bischof bis zum Pfarrer - religiöse Bedürfnisse tatsächlich dauerhaft zu lenken verstand, und wie sich der preußische Staat jeweils dazu verhielt. Folgendes muß dabei im Auge behalten werden. Zunächst einmal hat der Historiker es mit einer in den Quellen selten exakt meßbaren Kategorie zu tun: Emotionalität. Wichtig ist dabei die affektive Handlung, das sinnliche Erfahren am eigenen Leib, gerade im Vergleich katholischer mit protestantischer Frömmigkeit, denn insgesamt muß der Katholizismus als stärker sinnlich orientiert gelten. 7 Um staatliche und kirchliche Strategien im Umgang mit populärer Frömmigkeit aufzuspüren, richtet sich das Augenmerk zunächst auf die theoretische Debatte um religiösen Aberglauben, ehe auf Wallfahrten und Prozessionen eingegangen wird. Dabei wird das Verhältnis zwischen der Frömmigkeitsform Wallfahrt und dem Aberglaubensvorwurf zu klären sein. Schließlich gilt die Aufmerksamkeit dem, was katholische Kirche und preußischer Staat als religiöse Umtriebe und Mißbräuche verfolgten. Hier öffnet sich ein weites Spektrum fraglich gewordener und werdender Rituale von Exorzismen über Gebetsheilungen bis hin zu Gespenster- und Wundererscheinungen. Folgende Fragen sollen den Blick leiten: Wie wirkten sich die konfessionspolitischen Konflikte zwischen Staat und Kirche auf den Umgang mit popularreligiöser Frömmigkeit und religiösen Abweichungen aus? Ließ populäre Frömmigkeit sich spätestens während des Pontifikats Pius' IX. (1846-1878) tatsächlich einhegen? Wann und welchen Gruppen diente der Aberglaubensvorwurf dazu, Frömmigkeit auszugrenzen und als veraltet zu markieren? Und waren die Auseinandersetzungen um religiösen Aberglauben Teile konsequenter kirchlicher wie staatlicher Eindämmungsstrategien?
6 Zum Umbruch der Anschauungen Dipper , Volksreligiosität. Wolfgang Brückner, Zum Wandel der religiösen Kultur im 18. Jahrhundert. Einkreisungsversuche des „Barockfrommen" zwischen Mittelalter und Massenmissionierung, in: Ernst Hinrichs/Günter Wiegelmann (Hg.), Sozialer und kultureller Wandel in der ländlichen Welt des 18. Jahrhunderts, Wolfenbüttel 1982, S. 65-83. Fintan Michael Phayer, Religion und das Gewöhnliche Volk in Bayern in der Zeit von 1750-1850, München 1970, hier S. 51-81. 7 Ausgewogen: Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Erster Bd., S. 434437.
1. Religiöser Aberglauben in der Debatte
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1. Religiöser Aberglauben in der Debatte: Relikt- und Regressionstheorien Auch wenn die Einstellung zu religiösem Aberglauben von konfessionellen Positionen bestimmt war, näherten sich Autoren in den theoretischen Diskussionen dem Problemkomplex unabhängig von ihrer Konfession oder ihrem wissenschaftlichen Standort zumeist über eine etymologische Herleitung. 8 Für die deutsche Etymologie beschränkten sie sich dabei in der Regel auf den dem Grimmschen Wörterbuch entnommenen Hinweis, der Begriff sei auf „Afterglauben" zurückzuführen und bedeute so viel wie fehlgeleiteter Glauben. Weitgehend unstrittig war ebenfalls die Herleitung des lateinischen superstitio von superstes, das die Autoren mit überlebend oder überbleibend übersetzten. 9 Aberglauben sahen sie dabei wesentlich durch die Zweckentfremdung religiöser Symbole und Gebräuche bestimmt. Die als anmaßend begriffene Übertragung transzendenter Vorgänge in lebensweltliche Zusammenhänge durch die persönliche Macht eines einzelnen galt vielen Autoren als sündhafter Verstoß und Auflehnung gegen die göttlich begründete Ordnung. In jedem Fall fußte religiöser Aberglauben für sie auf einer Abkehr von vernunftgeleiteter Willensfreiheit. 10 Bei aller facettenreicher Mehrdeutigkeit maß man religiösem Aberglauben allerdings ebenso wie Religion den Glauben an eine höhere Macht bei, wie der evangelische Theologe Adolf Wuttke in seinem mehrfach aufgelegten Standardwerk über Volksaberglauben 1860 hervorhob. 11 Eine weitere konfessionsübergreifende 8
Vgl. Artikel „Aberglaube", in: LThK 3 , Bd. 1, Sp. 40-46. Zur aufklärerischen Debatte Pott, Aufklärung und Aberglaube, S. 41-48. Zum mittelalterlichen superstitio-Begriff detailliert Harmening, Superstitio, S. 14-42. Aus theologischer Sicht knapp Fritz Buri, Glaube und Aberglaube, in: Theologische Zeitschrift 12 (1956), S. 206-236. 9 Vgl. Artikel „Aberglaube", in: Realencyclopädie für protestantische Kirche und Theologie, Bd. 1, Hamburg 1854, S. 42^4. Freybe, Volksaberglaube, S. 5-8. Franz Walter, Aberglaube und Seelsorge mit besonderer Berücksichtigung des Hypnotismus und Spiritismus, Paderborn 1904, S. 11. Franz Xaver Walter (1870-1950) war seit 1903 Professor für Moraltheologie in Straßburg, ab 1904 dann in München. Vgl. DBA, N.F., Fiche Nr. 1362. 10 Hubert Theophil Simar, Der Aberglaube, Köln 1877, S. 7. Hubert Theophil Simar (1835-1902), seit 1864 in Bonn außerordentlicher Professor für systematische Theologie, dort 1880 ordentlicher Professor für Dogmatik und Apologetik, 1891 Bischof von Paderborn, 1899 Erzbischof von Köln, war 1876 Mitbegründer und stellvertretender Generalsekretär der Görres-Gesellschaft. Vgl. F. Lauchert, Hubert Theophil Simar, in: Anton Bettelheim (Hg.), Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, Bd. VII, Berlin 1902, S. 292 f. 11 Vgl. Wuttke, Volksaberglauben, S. 1-10. Karl Friedrich Adolf Wuttke (18191870), 1854 außerordentlicher Professor in Berlin, seit 1861 Professor für evangelische Theologie in Halle. Vgl. ADB, Bd. 44, S. 377-379. Vgl. Simar, Aberglaube, S. 8 und S. 27.
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Gemeinsamkeit läßt sich in der Frontstellung gegen Atheismus erkennen. Vielen protestantischen wie katholischen Autoren war die Auseinandersetzung mit dem in ihren Augen zunehmenden Rationalismus, die sie in der Regel mit Vorbehalten gegen das städtische Leben kombinierten, ein gemeinsames Anliegen. 12 Dennoch überwogen in den theoretischen Diskussionen die konfessionellen Differenzen. Die Interpretation religiösen Aberglaubens als Rest eines heidnischen Polytheismus war umstritten. Eine Richtung deutete diesen Aberglauben vorwiegend als ein Überbleibsel vorchristlichen Glaubens, der an die Maßstäbe einer modernen, vernunftorientierten Religion nicht heranreichte. Man erklärte Aberglauben zu einem unzeitgemäßen Rest vorchristlichen oder allenfalls noch mittelalterlichen Denkens, welches den aufgeklärten Grundsätzen der eigenen Konfession nicht entspreche. Die Theoretiker verbanden damit eine unmittelbare Nähe von Aberglauben zum heidnisch-magischen Polytheismus, dem die Gleichzeitigkeit christlichen und logischen Denkens fremd gewesen sei. Diejenigen, welche diese Bezüge besonders herausstrichen, lassen sich als Relikttheoretiker charakterisieren. Jene relikttheoretischen Zugänge standen zwar in einer langen gelehrten und literarischen Tradition, die vor allem die volkskundliche Forschung herausgearbeitet hat, 1 3 sie sind aber nur dann richtig einzuordnen, wenn sie gleichfalls als Reflex auf zeitgenössische Befunde und soziale Zuweisungen begriffen werden. Diese Zuweisungen sind vor allem darin zu sehen, daß die Theoretiker zwischen der Religion der Eliten und der des einfachen Volkes unterschieden. Gerade die Relikttheoretiker trugen viele Beispiele zusammen, um die Befangenheit der ländlichen Unterschichten und Bauern in veralteten religiösen Bräuchen zu belegen. 14 Sie verknüpften dies mit kulturellen Wertungen und machten im religiösen Aberglauben ein im Sinken begriffenes Kulturgut einer vergangenen Epoche aus. 15 Aber sie beurteilten diesen 12
Vgl. etwa die Ausführungen bei [ - ] , Aberglaube, Zauberei und Sympathie. Von einem Geistlichen, Hamburg 1884, S. 2 f. Aus dem Vorwort, S. III, geht hervor, daß es sich bei dem anonymen Verfasser um einen evangelischen Geistlichen handelt. 13 Der Begriff Relikttheorie nach Harmening, Superstitio, S. 318 f. Vgl. auch Daxelmüller, Zauberpraktiken, S. 314. Diese Ansätze finden sich bei Simar, Aberglaube, S. 30. Ludwig Strümpell Der Aberglaube, was er ist, woraus er entspringt und wie er sich überwinden läßt. Ein Beitrag zur Volksbildung, Leipzig 1890, S. 15. Moritz Busch, Deutscher Volksglaube, Leipzig 21877, hier S. 1-10. Relikttheoretische Zugänge unterschieden sich von denen evolutionistischer Anthropologen vor allem dadurch, daß Aberglauben für Relikttheoretiker kein Ausgangspunkt für eine Entwicklung, sondern lediglich ein zu verdrängender Überrest war. 14 Deutlich wird das etwa bei Bruno Emil König, Ausgeburten des Menschenwahns im Spiegel des Hexenwahns der Hexenprozesse und der Auto da fe's. [!] Historische Schandsäulen des Aberglaubens. Eine Geschichte des After- und Aberglaubens bis auf die Gegenwart. Ein Volksbuch, Rudolstadt 1893, hier S. 616-653.
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vermeintlichen Schwund keineswegs einheitlich. Als positiv galt der Umstand, sich fortzuentwickeln und bestimmte religiöse Bräuche und Irrtümer hinter sich gelassen zu haben oder zumindest auf dem besten Wege dahin zu sein. Gleichzeitig entdeckten Relikttheoretiker Aberglauben jedoch als etwas Bewahrenswertes, als historisch wertvolles Erbe. Diesen widersprüchlichen Deutungen sind die seit der Spätaufklärung erscheinenden Aberglaubensanthologien zu verdanken. Neben dem Hauptziel aufzuklären, sollten die vielen abergläubischen Geschichten für spätere Generationen als kulturelle Überlieferung präsent bleiben, auch um sich der eigenen, höheren Kulturstufe jederzeit erneut vergewissern zu können. 16 Jedoch galt religiöser Aberglauben nicht ausschließlich als Relikt einer primitiven kulturellen Entwicklungsstufe, sondern man diskutierte durchaus gleichzeitig die perspektivische Gebundenheit und damit auch Offenheit des Aberglaubensbegriffs. 17 Auch wenn einige Relikttheoretiker analytisch zwischen einem bodenständigen Volks- und einem elitären Kunstaberglauben unterschieden, so war durchaus präsent, daß diese sich in der Praxis vermischten. Während dem Volksaberglauben keine Systematik zugestanden und er als etabliertes religiöses Brauchtum, als traditionelles, aber ebenfalls ordnungsstiftendes sowie systemstabilisierendes Relikt auch positiv beurteilt wurde, galt der neue Kunstaberglauben eher als ordnungsgefährdend. 18 Diese Unterscheidung in einen alten und neuen Aberglauben war bereits in der etymologischen Herleitung aus dem lateinischen superstitio angelegt. Neben der sozialen war damit zugleich eine konfessionelle Zuweisung verbunden, die stärker in der Tradition der gelehrten Magie zu sehen ist. Aberglaubenskritik war seit der Frühaufklärung der Gefahr ausgesetzt, in unmittelbare Nähe des Atheismus gerückt zu werden. Das erklärt, weshalb man selbst religiösen Aberglauben immer noch als Glauben herausstrich, dem Atheismus vorzog, und einige Autoren direkt versuchten, den Glauben an das Wunderbare gegen Aberglauben ins Feld zu führen, da Wunderglauben „auf das Höhere, 15
Vgl. Lehmann, Aberglaube, S. 3. Vgl. Pott y Aufklärung und Aberglaube, S. 1 f., Fußnote 3. Nachgerade zu einem Topos dieser Doppelstrategie wurde nicht erst seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert das schwarze Buch oder livre noire , wobei der Unterhaltungswert solcher meist regional orientierter Druckerzeugnisse nicht unterschätzt werden sollte. Vgl. etwa mit sächsischen und kurmainzischen Beispielen [ - ] , Das schwarze Buch vom Teufel, [!] Hexen, Gespenstern, Zauberern und Gaunern. Dem Ende des philosophischen Jahrhunderts gewidmet, Leipzig 1796. [-], Beitrag zum Beweise, daß der religiöse Aberglaube noch in unsern Tagen, in unser [!] Gegend nicht völlig ausgerottet ist, in: Trierische Kronik 10 (1825), S. 87-95. 17 Vgl. Heinrich Bruno Schindler, Der Aberglaube des Mittelalters. Ein Beitrag zur Culturgeschichte, Breslau 1858, S. V. 18 Vgl. Wuttke, Volksaberglauben, S. 7-11. Diese Unterscheidung auch bei Otto Henne am Rhyn, Eine Reise durch das Reich des Aberglaubens, Leipzig 1893, vor allem S. 3-12. 16
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Geistige und Uebersinnliche" und eben nicht auf lebensweltliche Zwecke ziele. 19 Aberglauben schien ihnen immer noch besser als Atheismus, der alle übersinnlichen Wirkungen ablehnte. Die erläuterten Differenzen ebneten einer systematischen konfessionellen Aberglaubenskritik den Weg, und die protestantischen Aberglaubensvorwürfe gegen die katholische Kirche waren mit relikttheoretischen Erwägungen eng verwoben. Protestantische Autoren hielten der ultramontanen Amtskirche immer wieder vor, durch einen mitinszenierten Wunderglauben Aberglauben zu begünstigen und für ihre Zwecke einzuspannen. Dennoch läßt sich die Stellungnahme für oder gegen Wunder nicht zwangsläufig einer konfessionellen Position zuordnen, zumal dann nicht, wenn die Frage nach der theologischen Wahrheit eines Wunders gestellt wurde. 20 Spätestens während des Kulturkampfs verhärteten sich die Fronten allerdings, und protestantisch-liberale Publizisten unterstellten der katholischen Kirche und den Jesuiten lautstark eine systematische Erneuerung des frühneuzeitlichen Teufels- und Hexenglaubens.21 Im Unterschied zu den reinen Relikttheoretikern sahen diese Autoren Formen religiösen Aberglaubens eben nicht auf dem Rückzug. Sie belebten alte Vorurteile gegenüber der katholischen Kirche und Ängste vor Jesuiten. Ebenso waren ihnen das Wallfahrtswesen, das sie durch die Amtskirche funktionalisiert sahen, sowie die Verbreitung von barocken Gebets- und Andachtsbüchern verdächtig. 22 Während altkatholische Autoren abergläubische Phänomene erstaunlich gelassen kritisierten und in erster Linie das Ablaßwesen im Blick hatten, 23 geronn 19 Wilhelm Braubach, Der Wunderglaube als Heilmittel gegen den Aberglauben, Neuwied/Leipzig 1868, S. 12. Ein Exemplar befindet sich in der Staatsbibliothek Berlin unter der Signatur Ν 756. Vgl. weiter Walter, Aberglaube, S. 14. Simar, Aberglaube, S. 42-49. Freybe, Volksaberglaube, S. 6. 20 Vgl. etwa Julius Becker, Aberglaube und Mystik im 19. Jahrhundert, Berlin 1902, S. 8. 21 Vgl. Friedrich Nippold, Die gegenwärtige Wiederbelebung des Hexenglaubens. Mit einem literarisch-kritischen Anhang über die Quellen und Bearbeitungen der Hexenprozesse, Berlin 1875. Zu Friedrich Nippold (1838-1918), evangelischer Theologe und Kirchenhistoriker, 1884-1907 Professor für evangelische Kirchengeschichte in Jena, vgl. DBE, Bd. 7, S. 423. Nippold war ein scharfer Gegner des Ultramontanismus und Mitbegründer des Evangelischen Bundes, dessen Vorstand er bis 1906 angehörte. Zu seiner späteren Rolle im Evangelischen Bund knapp: Weber, Spahn, S. 12. 22 Otto Pfleiderer, Theorie des Aberglaubens, Berlin 1872, S. 10. Zu Otto Pfleiderer (1839-1908), evangelischer Theologe, seit 1875 Professor für evangelische Theologie in Berlin, vgl. DBE, Bd. 7, S. 649. 23 Franz Heinrich Reusch, Die deutschen Bischöfe und der Aberglaube. Eine Denkschrift, Bonn 1879, S. 4-6. Reusch (1825-1900), seit 1858 Professor für katholische Theologie in Bonn, 1870-1878 altkatholischer Generalvikar in Bonn. Sein wichtigstes Werk war der zwischen 1883 und 1885 erschienene Index der verbotenen Bücher. Vgl. DBA, Fiche Nr. 1025. Franz Beda Stubenvoll, Religion und Aber-
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Aberglauben protestantischen Autoren zu einem ins Politische gewendeten, floskelhaften Schlagwort. Bei grimmigen Antiultramontanen wurde es bald zur Allzweckwaffe im weltanschaulichen Kampf gegen Papst, katholische Kirche, Jesuitenorden und Zentrum, das als verlängerter ultramontaner Arm galt. Ein herausragendes Beispiel hierfür liefert die berüchtigte und für den römischen Katholizismus hochpeinliche Taxil-Affäre, die 1897 die Gemüter europaweit erregte. 24 Leo Taxil, eigentlich Gabriel Jogand-Pagès, war 1885 reumütig in den Schoß der katholischen Kirche zurückgekehrt und hatte als Insider in diversen dickleibigen Büchern über mehr als ein Jahrzehnt angeblich satanisch-freimaurerische Umtriebe enthüllt, die ihm das katholische Lesepublikum begierig aus den Händen riß. Ihr Freimaurerhaß hatte viele Katholiken bis hin zu Papst Leo XIII. (1878-1903) in die Falle des unverfrorenen Schwindlers tappen lassen, und die Wellen schlugen hoch, als die Wahrheit häppchenweise enthüllt wurde. Taxil gab schließlich zu, nicht nur seine Berichte, sondern gleich auch noch seine Gewährsfrau für die Verwerflichkeit der gefährlichen Freimaurerei, Diana Vaughan, frei erfunden zu haben. Umgehend gössen protestantische Autoren nun Hähme und Spott über die katholische Kirche aus und erinnerten bei jeder passenden Gelegenheit nur zu gerne an die „Taxiiiaden", denen der Ultramontanismus aufgesessen war. Aber die Taxil-Affäre bildete ihnen nur die spektakuläre Spitze des Eisbergs, denn viele sahen in dem Teufels- und Hexenglauben, den die katholische Kirche Taxil entgegengebracht hatte, das folgenreiche Blendwerk von Jesuiten und ultramontaner Geistlichkeit. Auch bestätigte dieser Vorfall den Kritikern die bereits in der griechischen Etymologie angelegte enge Verbindung zwischen Aberglauben und Angst einmal mehr. 25 Die katholische Antikritik verhallte angesichts des blamablen Skandals nahezu ungehört, lediglich der Jesuitenpater und Übersetzer Taxils, Hermann Gruber, versuchte halbherzig nachzuweisen, daß gerade Katholiken sich um den Kampf gegen Aberglauben verdient gemacht hät-
glaube, Leipzig 1897. Stubenvoll (1843 - nach 1909) war altkatholischer Pfarrer. Vgl. DBA, N.F., Fiche Nr. 1282. 24 Zur Taxil-Affäre vgl. Ekkehard Hieronimos, Leo Taxil. Ein Beitrag zur Geschichte der Antifreimaurerei, in: Quatuor Coronati 13 (1976), S. 99-118. Buchheim, Ultramontanismus, S. 477-493. Ernst Jocosus, Taxiliade, Leipzig 1902 (gereimte Satire). Ein Exemplar befindet sich in der Bayerischen Staatsbibliothek München unter der Signatur DD /. 6787y. Leo Taxil, Bekenntnisse eines ehemaligen Freidenkers, Freiburg in der Schweiz 1888. 25 Vgl. Freybe, Volksaberglaube, S. 2. Johann Heinrich Hoffbauer, Ueber den Aberglauben, Lemgo 1837, S. 3-5 und S. 8. Das griechische Deisidaimonia wurde am gängigsten mit Furcht oder Angst vor dem daimon (Dämon) übersetzt. Vgl. ausführlich Pott, Aufklärung und Aberglaube, S. 9-40.
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ten und auch Protestanten abergläubisch seien sowie die sexuell ausschweifenden Taxiischen Horrorgeschichten gelesen hätten. 26 Der Taxil-Schwindel bildete in der Folge einen beliebten Ansatzpunkt für den Antiultramontanismus. Allen voran der Ex-Jesuit und Außenseiter Paul Graf von Hoensbroech radikalisierte dabei den Aberglaubensbegriff in zahllosen publizistischen Angriffen. Durch seine eigenwillige Biographie gewann er den Status eines Kronzeugen im propagandistischen Kampf gegen vermeintlich ultramontanen Aberglauben. Hoensbroech, ursprünglich ein tiefgläubiger Katholik und innerlich vom Kulturkampf heftig aufgewühlt, trat 1878 dem Jesuitenorden bei, in dem er rasch schriftstellerische Funktionen übernahm und im Mitarbeiterkreis der „Stimmen aus Maria Laach" für den Bereich Kirchengeschichte verantwortlich zeichnete. 1886 zum Priester geweiht, studierte er in Berlin auf Veranlassung seines Ordens bei Adolf von Harnack und Heinrich von Treitschke, was ihn dessen Werte jedoch kritischer betrachten ließ. Nachdem er 1892 die Jesuiten wieder verlassen hatte, konvertierte er nur drei Jahre später zum Protestantismus, heiratete und entwickelte sich zu einem fanatischen Eiferer gegen den römischen Katholizismus. Zeitweise war er sogar Vorstandsmitglied des streng antiultramontan ausgerichteten „Evangelischen Bundes zur Wahrung der deutschprotestantischen Interessen". 27 Seine zahlreichen Streitschriften sind durchzogen von gehässigen Parolen, in denen ein weitgefaßter Begriff von religiösem Aberglauben eine zentrale Rolle spielt. Populäre Religiosität und Aberglauben sah er bewußt gesteuert und verbreitet, der ultramontanen Amtskirche und dem Zentrum warf er vor, die „politische Herrschaft" durch diese, wie er es auch nannte, „frömmelnde Pornographie" an sich reißen zu wollen. 2 8 In seinen harschen Tiraden gegen katholisch-historische Funktionalisierungsbemühungen des Aberglaubensbegriffs diente Hoensbroech die Geschichte als Steinbruch für den Beleg einer letztlich zeitlosen abergläubischen Befangenheit der katholischen Kirche und ihrer Päpste. An erster Stelle stand für ihn dabei die weitausstrahlende Wundergläubigkeit des Jesuitenordens, die er aus eigener Anschauung kannte. Die Jesuiten, an 26
Vgl. Hermann Gruber; S.J., Aberglaube und Unglaube bei den Anhängern des lutherischen bezw. reformirten Bekenntnisses. Einige Glossen zur kirchenpolitischen Ausschlachtung des Vaughan-Schwindels durch den Superintendenten H. Gallwitz in Sigmaringen, Berlin 1897. 27 Vgl. Paul Graf von Hoensbroech, Das Papsttum in seiner sozial=kulturellen Wirksamkeit, Volksausgabe, 2 Bde., Bd. 1: Inquisition, Aberglaube, Teufelsspuk und Hexenwahn, Bd. 2: Die ultramontane Moral, Leipzig 1904-1906. Ders., Religion oder Aberglaube? Ein Beitrag zur Charakteristik des Ultramontanismus, Berlin 1897. Zu Paul Graf von Hoensbroech (1852-1923) vgl. NDB, Bd. 9, S. 347. Zum Evangelischen Bund Armin Müller-Dreier, Konfession in Politik, Gesellschaft und Kultur des Kaiserreichs. Der Evangelische Bund 1886-1914, Gütersloh 1998. 28 Hoensbroech, Religion oder Aberglaube, S. 134 f.
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prominenter Stelle bei der Verbreitung des Herz-Jesu-Kultes engagiert, galten ihm hauptsächlich wegen ihrer anhaltenden Missionstätigkeit als herausragende Träger und Vermittler jedweder Form von Aberglauben, so auch der Wallfahrten. 29 Sodann waren Positionen umstritten, die sich als Regressionstheorien zusammenfassen lassen. 30 Im Unterschied zu den Relikttheoretikern galt Aberglauben aus dieser Perspektive nicht als ein Überbleibsel, sondern als Rückfall in oder als bewußter Rückgriff auf vertraute Erklärungsmuster, um technische Neuerungen und die mit ihnen verbundenen Gefahren oder Schwierigkeiten zu bewältigen. Diese Rückgriffe auf magische Handlungen galten aufgeklärten Kritikern als neue Aberglaubensformen, die sich von ihren traditionsreichen Verwandten unterschieden. In der Praxis vermischten sich die Varianten, auch wenn die Quellen zumeist über die Motive einer als abergläubisch eingestuften Handlung schweigen. Doch berührten die Regressionstheorien zentrale Fragen des Umgangs mit der Moderne, denn die Konfrontation mit technischen Neuerungen löste in der Tat magisch-religiöse Bewältigungsstrategien aus. Allerdings war dieser theoretische Zugang wiederum eng mit der Variabilität des Aberglaubensvorwurfs verbunden; sie erst ermöglichte es, neues normabweichendes Verhalten ebenfalls als Aberglauben auszugrenzen. Ein eindrucksvolles Beispiel für das gleichzeitige Neben- und Miteinander von technischer Welt und traditionellen Deutungen bietet der vom bekannten Kulturhistoriker, Mitbegründer der wissenschaftlichen Volkskunde und konservativen Publizisten Wilhelm Heinrich Riehl überlieferte Eisenbahnaberglauben, gegen den 1851 im Elsaß sogar von der Kanzel gepredigt werden mußte. Die ohnehin vorhandenen populären Bedenken gegen das zeitgenössische Fortschrittssymbol und Aushängeschild der Industrialisierung schlechthin steigerten sich teilweise zu regelrechten Phobien. Die in Feuer und Rauch gehüllten Eisenbahnen galten als teuflisches Blendwerk; zumindest im Badischen nahm man an, an jeder Station fehle ein Passagier, welchen der Teufel sich als Lohn für sein Geschenk „Eisenbahn" geholt habe. Riehl bilanzierte denn auch in aufgeklärter Manier: „Allein wo dem Volke eine neue Wunderkraft so dämonisch gegenüber tritt wie in den Eisenbahnen, da schafft es sich auch noch neue Sagenkreise". 31 29 Vgl. Hoensbroech, Papsttum, Bd. 1, S. 83 und S. 98-101. Dazu Busch Katholische Frömmigkeit, S. 143-201. 30 Vgl. zur Technik als Auslöser von Regressionen Hermann Bausinger, Volkskultur in der technischen Welt, Stuttgart 1986 (11961), S. 42-53. 31 Vgl. Wilhelm Heinrich Riehl, Land und Leute, Stuttgart/Augsburg 51861, S. 78 f., Zitat S. 78. Artikel „Eisenbahn", in: HDA, Bd. 2, Sp. 731 f. Zur zeitgenössischen Technikfeindlichkeit gegenüber der Eisenbahn vgl. Rolf Peter Sieferle, Fortschrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart, München 1984, S. 87-117. Zu Riehl vgl. Jasper von Altenbockum, Wil-
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In diese Zusammenhänge ist die Hinwendung zu den psychischen Ursachen von Aberglauben am Ende des 19. Jahrhunderts einzuordnen. Sie markiert einen entscheidenden Wandel in der Aberglaubenstheorie, der bereits in den Debatten um die volkskundliche Kriminalistik skizziert worden ist und sich eng mit dem Aufstieg psychologisch-individueller Erklärungsmuster von Krankheiten und Straftaten verwob. Die Ursache für abergläubische Vorstellungen suchte man zunehmend in einer gestörten Beziehung zwischen Bewußtsein und Unterbewußtsein zu finden, womit es gelang, bisher unverstandene Phänomene und Vorstellungen zu erklären. Diese Diskussion löste Aberglauben damit ein beträchtliches Stück weit nicht nur aus den konfessionellen, sondern auch aus seinen christlichen Bezügen, selbst wenn das Übernatürliche durch die Auseinandersetzungen mit dem Spiritismus weiterhin eine wichtige Rolle spielte. Allen voran der dänische Psychophysiologe Alfred Lehmann stellte die Probleme einer Entchristlichung und Psychologisierung von Aberglauben in den Mittelpunkt seiner 1898 ins Deutsche übersetzten, vielbeachteten Studie „Aberglaube und Zauberei", die mit dem Erfolg des Spiritismus und des Hypnotismus unmittelbar verknüpft waren. Dabei verfolgte Lehmann eine doppelte Zielsetzung, indem er die Entstehung sowie die Fortdauer von Aberglauben psychologisch zu erklären versuchte. Vor allem im Spiritismus sah er zahlreiche bewußte und unbewußte fehlerhafte Wahrnehmungen wirken, die in abergläubischen Annahmen mündeten. 32 Detailliert widmete sich die Presse den Erfolgen dieser neuen Aberglaubensvarianten. 1900 klagte die katholische Kölnische Volkszeitung in einem ausführlichen Artikel über „Auswüchse einer ungesunden Frömmigkeit" und einen Hang zum modernen Aberglauben, die sie „für ein Symptom der weit über kirchliche Kreise hinausreichenden krankhaften Sucht unserer Zeit nach dem Außerordentlichen, Sensationellen, Wunderbaren" hielt. 3 3 Auch die Unterscheidung Wuttkes in Volks- und elitären Kunstaberglauben gehört unmittelbar hierher. 34 Diese Sicht koppelte sich um die Jahrhundertwende zusehends mit der Erkenntnis, daß die Großstadt als neue Wurzel des Aberglaubensübels anzusehen sei, wie die nationalliberale Berliner Nahelm Heinrich Riehl 1823-1897. Sozialwissenschaft zwischen Kulturgeschichte und Ethnographie, Köln u.a. 1994, hier S. 167-175. 32 Vgl. Lehmann, Aberglauben, vor allem Abschnitt IV, S. 419-726. Die 1893 in Dänemark erschienene Untersuchung über die psychologischen Grundlagen von Aberglauben avancierte rasch zu einem Standardwerk, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Alfred Lehmann hatte bei Wilhelm Wundt in Leipzig studiert und war seit 1910 Professor in Kopenhagen. Er war einer der bedeutendsten Psychophysiologen der Jahrhundertwende. Vgl. Hellwig, Psychologie des Aberglaubens. 33 Zeitungsausschnitt Kölnische Volkszeitung vom 17.10.1900, 1. Blatt, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 IV (Kultusministerium), Sekt. 1, Abt. XXVI, Nr. 1, Vol. VII. 34 Vgl. Wuttke, Volksaberglauben, S. 7-11.
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tional-Zeitung 1902 feststellte, womit gleichzeitig räumliche und soziale Zuweisungen einhergingen. Um die Anforderungen der technischen Welt zu bewältigen, behalfen sich selbst jene städtischen und aufgeklärten Kreise mit abergläubischen Rückgriffen, „denen man sonst mehr Bildung und Urteilskraft zuzutrauen pflegt" 3 5 - eine Perspektive, die auch im Zusammenhang mit Wallfahrten und Prozessionen geäußert wurde. Schließlich suchten die Verteidiger des katholischen Wunderglaubens nach einer eigenen Position zwischen Relikt- und Regressionstheoretikern. Sie räumten zwar die Nähe zum Aberglauben ein, unterstrichen aber immer wieder, daß die katholische Kirche eine strenge Beweisführung für übernatürliche Vorkommnisse verlange und Wunderglauben im Gegensatz zum Aberglauben göttlichen Ursprungs sei. 36 Dem letztlich unauflöslichen Zusammenhang von populärem Wunder- und frömmelndem Aberglauben traten sie mit einer doppelten Argumentationsstrategie entgegen. Zu beobachten ist einesteils, wie katholische Autoren in der zweiten Jahrhunderthälfte zunehmend offensiver auf den Vorwurf reagierten, die katholische Kirche billige Aberglauben, indem sie den Wunderglauben aktiv unterstütze. Sie verwahrten sich nun nachdrücklicher dagegen, die katholische Kirche habe vom Papst bis hinab zum Mönch „absichtlich den Aberglauben genährt". 37 Überwog bei katholischen Aberglaubenstheoretikern noch in der ersten Jahrhunderthälfte die Kritik an barock-religiösen Handlungen, 38 so rückten nun verstärkt neue Erscheinungen in den Brennpunkt, die sich aus dem unmittelbar christlichen Kontext gelöst hatten. Die Theoretiker spießten die 35
Zeitungsausschnitt National-Zeitung, Drittes Beiblatt zu Nr. 127 vom 22.2.1902, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2180. Indes glaubte der Verfasser des Artikels, die Ursache für eine Zunahme großstädtischen Aberglaubens in der starken Zuwanderung aus ländlichen Gebieten erkennen zu können. 36 Vgl. Simar, Aberglaube, S. 55. [ - ] , Glaube, Aberglaube und Unglaube oder einige Worte über die Glaubenskraft aus der apostolischen Zeit. Von einem Laien, Braunschweig 1893. Beachtenswert hierzu sind die Überlegungen bei Martin Scharfe, Wunder und Wunderglaube im protestantischen Württemberg, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 68/69 (1968/69), S. 190-206, hier S. 193195. Jens Ivo Engels, Wunder im Dienste profanisierter Weltsicht? Zur Gemengelage der Weltbilder im achtzehnten Jahrhundert anhand der Debatte über jansenitische Wunder, in: HJB 117 (1997), S. 84-110. 37 So Joseph Fehr; Der Aberglaube und die katholische Kirche des Mittelalters. Ein Beitrag zur Kultur- und Sittengeschichte, Stuttgart 1857, S. 1. Josef Fehr (1822-1891) war seit 1865 außerordentlicher Professor für Geschichte in Tübingen. Vgl. DBA, N.F., Fiche Nr. 356. 38 Johann Paul Pöhlmann (Hg.), Der Lichtfreund. Ein Lesebuch zur Bekämpfung des Aberglaubens, Erlangen 1822. Ludwig Otto Christian Hasse, Die früher und zum Theil noch herrschenden merkwürdigsten Arten des religiösen Aberglaubens mit einigen Bemerkungen zur Beförderung des wahren Christenthums, Ilmenau 1828.
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III. Populäre Frömmigkeit
Konjunktur moderner Formen des Aberglaubens auf, die vor allem in bürgerlichen und aufgeklärt-protestantischen Kreisen Fuß gefaßt hätten. Zum Hauptziel dieser Entgegnung erkor man die Metropole Berlin, in der alle neuen okkulten und spiritistischen Aberglaubensspielarten auf fruchtbarsten Boden gefallen seien und die zur Hauptstadt des modernen Aberglaubens stilisiert wurde. 39 In spiritistischen und okkultistischen Zirkeln kulminierten für viele katholische Autoren die Auswüchse modernen Denkens, die der Syllabus errorum anprangerte und die sich immer weiter von christlichen Wurzeln entfernten. Um den permanenten Kampf der katholischen Kirche gegen Aberglauben zu belegen, führten die Autoren nicht nur historische Beispiele, sondern als zeitgenössische Aushängeschilder auch die päpstlichen Wendungen gegen Spiritismus und Magnetismus ins Feld. 4 0 Diese Kritik an den neuen Aberglaubensvarianten band katholische Autoren stärker an den aufgeklärten Rationalismus und appellierte an eine gemeinsame christliche Frontstellung gegen den Atheismus. Als Bumerang erwies sich freilich der Versuch, die historische Haltung der katholischen Kirche zu funktionalisieren. 41 So bemühten sich katholische Autoren zu belegen, daß die katholische Kirche schon immer gegen Aberglauben vorgegangen sei, womit das historische Problem Aberglauben faktisch seiner Geschichtlichkeit beraubt wurde. Spätestens seit Joseph Görres' umfangreichem und in katholischen Kreisen nachhaltig wirkendem Spätwerk „Die christliche Mystik" waren katholische Kreise bestrebt, eine maßgebliche Mitverantwortung ihrer Kirchenleitung an den frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen zu bestreiten. So zog Görres im neunten und letzten Buch seiner Mystik, das ganz dem Hexen- und Zauberwesen gewidmet ist, mit Bezug auf die Hexenverfolgungen das Fazit: „Man muß vielmehr auch hier den Päpsten das Zeugniß geben, daß sie durchgängig mäßigend und mildernd verfahren, und dem Geiste der Zeiten behutsam nachgehend, die gewonnene Einsicht immer in eine bessere Praxis einzutragen sich bemühten".42 39 R. H., Fördert die katholische Kirche den Aberglauben?, in: Volksaufklärung. Kleine Hand-Bibliothek zur Lehr und Wehr für Freunde der Wahrheit, Nr. 6 (1898), S. 31-36. 40 Zum Circulare an die deutschen Bischöfe vom 30. Juli 1856 vgl. F ehr, Aberglaube, S. 4. 41 Vgl. Fehr; Aberglaube. Schindler, Aberglaube. Carl Meyer, Der Aberglaube des Mittelalters und der nächstfolgenden Jahrhunderte, Hildesheim/New York 1971, reprographischer ND der Ausgabe Basel 1884. Simar, Aberglaube, S. 58. 42 Nicht von ungefähr wurde das Werk während des Kulturkampfes erneut aufgelegt. Joseph Görres, Die christliche Mystik. Neue Aufl. in 5 Bden., Regensburg 1879-1880 ( l 1836-1842), hier Bd. 5, S. 652. Vgl. dazu Bernd Wacker, Revolution und Offenbarung. Das Spätwerk (1824-1848) von Joseph Görres - eine politische Theologie, Mainz 1990, hier S. 138-178.
1. Religiöser Aberglauben in der Debatte
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Auch wenn es mit Johannes Janssens achtbändiger Geschichte des deutschen Volkes katholischerseits durchaus eine weniger parteiische Darstellung der Hexenverfolgungen mit weitreichender Breitenwirkung gab, 43 verteidigte Johann Diefenbach 1886 in seiner vielbeachteten Studie über den Hexenwahn den Persilschein, den Görres den Päpsten ausgestellt hatte. Nicht nur „gegen die Anklage, daß sie die Hexenprocesse verschuldet; gegen den ferneren Vorwurf, daß sie den Hexenglauben gefördert und begünstigt" wandte er sich, vielmehr gab er sich erhebliche Mühe, die Wurzeln der Hexenprozesse im Absolutismus und die alleinige Verantwortung dafür in der Reformation auszumachen.44 Die Wendung gegen eine protestantisch dominierte Geschichtsschreibung der frühneuzeitlichen Hexenprozesse, wie sie Diefenbach vor allem in der epochemachenden Studie Wilhelm Soldans und Heinrich Heppes umgesetzt sah, scheiterte allerdings. 45 Es kann nicht überraschen, daß religiöser Aberglauben sich vor dem Hintergrund dieser Funktionalisierungsbemühungen immer wieder als vielseitig verwendbare Vorlage für kirchenkritische und antiultramontane Propaganda anbot, ließen sich doch genügend - auch historische - Beispiele finden, um Görres' und Diefenbachs Positionen anzufechten. Vor allem nach dem Beginn des preußisch-deutschen Kulturkampfs gerieten katholische Autoren in die Defensive. Ganz offensichtlich gelang es protestantischen Autoren, den Aberglaubensbegriff einheitlicher zu besetzen: als Ablehnung alles Katholischen; in ihm ließen sich alle Vorbehalte bündeln. Die Defizite der theoretischen ka43 Vgl. etwa Janssens Urteil über den Hexenhammer von 1486: „Dieses Werk, obgleich es als Privatschrift keineswegs eine gesetzliche Kraft in der Kirche erlangte, ist die Quelle unsäglichen Unheils geworden. Auch in protestantischen Gerichten behielt es, wenn auch die Richter seltener es anführten, unbestrittenes Ansehen". Johannes Janssen, Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters, 8 Bde., Freiburg 1878-1894, hier Bd. 8, 4: Volkswirtschaftliche, gesellschaftliche und religiös-sittliche Zustände. Hexenwesen und Hexenverfolgung bis zum Beginn des dreißigjährigen Krieges, Freiburg 1894, S. 510. Johannes Janssen (1829-1891) gilt als der bedeutendste katholische Historiker seiner Zeit und war seit 1875 Mitglied der Zentrumsfraktion im Preußischen Abgeordnetenhaus. Vgl. DBE, Bd. 5, S. 303. 44 Johann Diefenbach, Der Hexenwahn vor und nach der Glaubensspaltung in Deutschland, Mainz 1886, hier S. 351-355, Zitat S. IV. Zu Johann Diefenbach (1832-1911), Theologe und Historiker, 1856 Priesterweihe, Inspektor der Deutschordenskommende in Frankfurt am Main vgl. DBA, N.F., Fiche Nr. 268. Knapp dazu Schwerhoff, Rationalität im Wahn, S. 68. 45 Vgl. Wilhelm Gottlieb Soldan/Heinrich Heppe, Geschichte der Hexenprozesse, 2 Bde., neu bearbeitet und herausgegeben von Max Bauer, ND der Ausgabe München 1911, Düsseldorf 1972 (11843). In der Ausgabe von 1911 findet sich ein Kapitel über Hexenglauben im 19. Jahrhundert von der Hand Max Bauers, das die Verantwortung für das Fortleben religiösen Aberglaubens vorrangig der katholischen Kirche zuweist. Vgl. Bd. 2, S. 335-383. Die Historiographie der Hexenprozesse war im 19. Jahrhundert noch ganz maßgeblich eine konfessionell bestimmte Auseinandersetzung.
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III. Populäre Frömmigkeit
tholischen Argumentation, die in der praktischen Auseinandersetzung mit populären Frömmigkeitsformen greifbar blieb, lagen in der Nähe des akzeptierten Wunderglaubens zum abgelehnten Aberglauben und in einer differenzierten Auffächerung des Aberglaubensbegriffs. Indem die katholischen Kritiker versuchten, moderne Aberglaubensvarianten in den konfessionellen Auseinandersetzungen zu instrumentalisieren, verstärkten sie eine Säkularisierung des Aberglaubensbegriffs und schwächten gleichzeitig das eigene theoretische Fundament.
2. Die Dominanz der Traditionen: Wallfahrten und Prozessionen Während Wallfahrten im 19. Jahrhundert für die meisten Katholiken etwas Selbstverständliches blieben, gerieten sie spätestens seit dem 18. Jahrhundert in die Schußlinie verschiedener Parteien. 46 Als zusammenfassende Formel für diese Ablehnung und als Kampfbegriff diente zumeist die Bezeichnung Aberglauben. Ohne daß im einzelnen definiert werden mußte, was darunter zu verstehen sei, rechneten die Kritiker sie „barocker Religionsausübung" zu. Die noch bis in die jüngste Zeit geführte und von gegenseitigem Mißverstehen begleitete Auseinandersetzung zwischen sozial- und kirchengeschichtlichen Positionen, wie sie sich in der Kontroverse um die Trierer Rockwallfahrt von 1844 zwischen Wolfgang Schieder und Rudolf L i l l niederschlug, 47 läßt es ratsam erscheinen, nochmals zu betonen, daß Wallfahrten hier nicht mit Aberglauben gleichgesetzt werden. Vielmehr geht es um die vielschichtigen Konflikte, Absichten und Anschauungen, die sich hinter dem zeitgenössischen Vorwurf verbargen, sowie um die Maßnahmen von preußischem Staat und katholischer Kirche in den Auseinandersetzungen um diese populäre Frömmigkeitsform. Die Argumente, die dabei gegen Wallfahrten ins Feld geführt wurden, waren vielgestaltig. Dabei setzten sich auch im 19. Jahrhundert aufklärerische Begründungen fort. 4 8 Sie reichten von typisch merkantilistischen Be46
Detailliert zu Wallfahrten in der Frühen Neuzeit Werner Freitag, Volks- und Elitenfrömmigkeit in der Frühen Neuzeit. Marienwallfahrten im Fürstbistum Münster, Paderborn 1991. Rebekka Habermas, Wallfahrt und Aufruhr. Zur Geschichte des Wunderglaubens in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main/New York 1991. Allgemein Iso Baumer, Wallfahrt als Handlungsspiel. Ein Beitrag zum Verständnis religiösen Handelns, Bern/Frankfurt am Main 1977. 47 Vgl. Schieder, Kirche und Revolution. Lill, Kirche und Revolution. Vermittelnd: Andreas Holzem, Religiöse Orientierung und soziale Ordnung. Skizzen zur Wallfahrt als Handlungsfeld und Konfliktraum zwischen Frühneuzeit und Katholischem Milieu, in: Reinhard Blänkner/Bernhard Jussen (Hg.), Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken gesellschaftlichen Ordnens, Göttingen 1998, S. 327-354, hier S. 343 f.
2. Die Dominanz der Traditionen: Wallfahrten und P r o z e s s i o n e n 8 1 denken über sicherheitspolitische Erwägungen bis hin zu moralischen und sittlichen Einwänden. Bei den Gründen für ein staatliches Einschreiten darf man auch nicht übersehen, daß Prozessionen und Wallfahrten eine nicht nur religiöse Öffentlichkeit herstellten, in der jedes Gemeindemitglied seine Anliegen lautstark äußern konnte. 49 Sie gewannen dadurch eine zusätzliche Dynamik, zumal Behörden oder deren Vertreter vor Ort beständig Befürchtungen äußerten, mißliebige religiöse Gruppierungen könnten die Pilger für ihre Ziele instrumentalisieren und gegen den Staat aufbringen. Unter Wallfahrt ist die Reise einzelner oder mehrerer Personen zu einem Gnadenort mit einem besonderen Kultgegenstand zu verstehen. 50 Durch Herkommen und Brauch überliefert galten sie lange als legitime Form religiöser Erbauung und waren gleichzeitig Freizeitgestaltung: Widersprüche zwischen sinnlich erfahrbarer kirchlicher Religiosität, lebensweltlichen Bezügen und profanem Vergnügen waren Pilgern weitgehend fremd. Auch wenn Nahwallfahrten Fernwallfahrten vorgezogen wurden, öffneten sie bis weit in das industrielle Zeitalter die Perspektive über den lokalen Horizont hinaus und blieben dabei gleichzeitig etwas Vertrautes, das Angst vor Neuem kompensierte und oft als Freiraum von obrigkeitlicher Kontrolle 48
Zum aufklärerischen Umgang mit Wallfahrten vgl. Eva Kimminich, Religiöse Volksbräuche im Räderwerk der Obrigkeiten. Ein Beitrag zur Auswirkung aufklärerischer Reformprogramme am Oberrhein und in Vorarlberg, Frankfurt am Main u. a. 1989, hier S. 138-146 und S. 197-206. Barbara Goy, Aufklärung und Volksfrömmigkeit in den Bistümern Würzburg und Bamberg, Würzburg 1969, hier S. 128159. Wolf gang Brückner, Die Verehrung des Heiligen Blutes in Walldürn. Volkskundlich-soziologische Untersuchungen zum Strukturwandel barocken Wallfahrtens, Aschaffenburg 1958, hier S. 122-134. Für Kurköln Eduard Hegel, Prozessionen und Wallfahrten im alten Erzbistum Köln im Zeitalter des Barock und der Aufklärung, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 84/85 (1977/78), S. 301-319, hier S. 313-319. Für Kurtrier vgl. Andreas Heinz, Das Ende der „figurierten" Karfreitagsprozessionen im Kurfürstentum Trier unter Erzbischof Clemens Wenzeslaus (1768-1802), in: AmrhKG 44 (1992), S. 177-188. Beachtenswert ist noch immer Georg Schreiber, Strukturwandel der Wallfahrt, in: Ders. (Hg.), Wallfahrt und Volkstum in Geschichte und Leben, Düsseldorf 1934, S. 1-183, hier S. 63-70 und S. 90-124. 49 Pfarrer Johann Peter Klein aus Bendorf an die Koblenzer Kirchen- und Schulkommission vom 22.5.1818, in: LHAK, Best. 441, Nr. 3476. 50 Im zeitgenössischen Sprachgebrauch wurde zwischen „Wallfahrten" und „Prozessionen" kaum unterschieden, in der Regel verwendete man die Begriffe synonym - die preußischen Behörden legten ihre Akten zumeist unter den Stichworten „Wallfahrten und Prozessionen" ab. Auch wenn Prozessionen im Unterschied zu Wallfahrten liturgisch fest eingebunden sind, eine geringere Beziehung des einzelnen zum Gnadenort besteht und sie immer eine Gruppe durchführt, werden sie im folgenden begrifflich nicht auseinandergehalten, da es vor allem um staatliche wie amtskirchliche Argumentationsmuster und Reaktionen geht. Vgl. Artikel „Prozession", in: LThK 3 Bd. 8, Sp. 678-681; Artikel „Wallfahrt", in: LThK 3 Bd. 10, Sp. 961-966. Evertz, Seelsorge, S. 166 f. 6 Freytag
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III. Populäre Frömmigkeit
verstanden wurde. 51 Dabei gerieten sie wie kaum ein anderer Zweig populärer Frömmigkeit in die Mühlen kirchenpolitischer Konflikte und unter Beschüß weltanschaulicher Positionen; sie bewegten sich zwischen den Polen volksreligiöser Eigendynamik und kirchlicher wie staatlicher Kontrolle. 52
a) Vormärzliche Wallfahrten zwischen Eigenregie und defensiver Inszenierung Von Selbstverständlichkeit wie auch ständigem Wandel der Wallfahrten zeugen Verbote und Aufsicht kirchlicher und staatlicher Behörden, umfangreiche, in zahllosen Akten angelegte Vorgänge über einzelne Wallfahrten sowie viele Gesuche von Brudermeistern oder Pfarrern, Wallfahrten durchführen zu dürfen. Schon bald nach Übernahme der rheinischen Territorien und noch vor der Reorganisation der Bistümer suchte das preußische Innenministerium das Wallfahrtswesen einzudämmen. So ordnete es für mehrtägige Wallfahrten in einem Reskript vom 13. Mai 1816 an, daß Geistliche derartige Züge begleiten, die Pilger mit Pässen ausgestattet werden und die Namen der Pilger in Listen erfaßt werden müßten. 53 Über das Vorgehen in dieser Frage brachen jedoch rasch heftige Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kölner Oberpräsidenten Friedrich Ludwig Graf zu Solms-Laubach und der 51
Vgl. Peter Dohms, Rheinische Katholiken unter preußischer Herrschaft. Die Geschichte der Kevelaer-Wallfahrt im Kreis Neuss, Meerbusch 1993, hier S. 51. 52 Wichtig ist die anregende Studie von Sperber; Popular Catholicism, hier S. 18-30 und S. 63-73. Allerdings sind Quellenbelege bei ihm mitunter falsch und damit nicht zu überprüfen, so S. 29, Fußnote 47. Zur Kritik an Sperber vgl. Anderson, Piety and Politics, S. 682-690. Weiter Herr es, Städtische Gesellschaft, S. 196-210 und S. 380. Evertz, Seelsorge, S. 166-184. Dieter P. J. Wynands, Rhein-maasländische Wallfahrten des 19. Jahrhunderts im Spannungsfeld von Politik und Frömmigkeit, in: AHVN 191 (1988), S. 115-131. Einen zusammenfassenden Forschungsüberblick für die rheinischen Bistümer bietet Bernhard Schneider, Entwicklungstendenzen rheinischer Frömmigkeits- und Kirchengeschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Tradition und Modernisierung, in: AmrhKG 48 (1996), S. 157-195. Vgl. auch Der s., Katholiken und Seelsorge im Umbruch von der traditionalen zur modernen Lebenswelt, in: Martin Persch/Ders. (Hg.), Geschichte des Bistums Trier, Bd. 4: Auf dem Weg in die Moderne 1820-1880, Trier 2000, S. 275-369, hier 306-321. 53 Konzept Innenministerium an die Oberpräsidenten vom 13.5.1816, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 IV (Kultusministerium), Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 1, Vol. 1, Bl. 28. Die Verordnung vom 13.5.1816 wurde in die Amtsblätter der preußischen Regierungen aufgenommen. Vgl. Amtsblatt der Regierung Köln vom 6.8.1816, Nr. 15, S. 97-99. Zur kirchlichen Verwaltung in der Übergangszeit bis 1824 vgl. Alois Thomas, Das Bistum Trier unter Bischof Karl Mannay (1802-1816) und unter dem Apostolischen Vikar Anton Cordel (1816-1824), in: KTJ 22 (1982), S. 163183. Hegel, Erzbistum, S. 27^6.
2. Die Dominanz der Traditionen: Wallfahrten und Prozessionen
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Regierung Kleve aus. Solms-Laubach betrachtete das Wallfahrtswesen als seinem Aufgabenbereich zugehörig, während die Klever Regierung hier unabhängig zu agieren gedachte. Der das grundsätzliche Verhältnis zwischen Oberpräsident und Regierungen berührende Kompetenzkonflikt konnte erst von Staatsminister Karl August von Hardenberg beigelegt werden. 54 Diese als Erschwernis mehrtägiger Wallfahrten gedachte Maßnahme blieb weitgehend unwirksam, da sie keinesfalls verhinderte, daß jährlich zahlreiche Pilger im Rheinland unterwegs waren. Exakte Zahlen zu nennen ist hier kaum möglich, wenn man jedoch zeitgenössischen Schätzungen folgt, waren es 1826 150.000 Pilger. Die preußische Verwaltung klagte allerdings immer wieder, nachgeordnete Behörden hätten Pilgerzüge nicht wie vorgeschrieben kontrolliert. 55 In der Verwaltungsargumentation spielte der Zusammenhang von Aberglauben und Wallfahrt eine zentrale Rolle. Weitgehend von ihrer aufklärerischen Erziehung geprägt, war vielen, zumeist protestantischen, preußischen Beamten das barocke Gepräge dieser katholischen Frömmigkeitsform überaus fremd, weshalb sie ihr mit typisch aufgeklärtem Vokabular begegneten. Zunächst war der behördliche Aberglaubensvorwurf gegenüber dem Wallfahrtswesen nicht ausschließlich eine Frage der konfessionellen Zugehörigkeit, wie das Beispiel des katholischen Beamten und Mayener Landrats Franz Peter Härtung zeigt. Auch ihn störten Wallfahrten, denn Not und Armut der Pilger förderten den sich auf Wallfahrten äußernden „Aberglauben" 54 Hardenberg stellte sich vorbehaltlos an die Seite des Oberpräsidenten: SolmsLaubach an Innenminister Schuckmann vom 23.8.1816 sowie Hardenberg an Schuckmann vom 22.9.1816, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 IV (Kultusministerium), Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 1, Vol. 1, Bl. 36r-42v und Bl. 65r. Friedrich Ludwig Graf zu Solms-Laubach (1769-1822) war von 1815 bis zu seinem Tod Oberpräsident der Provinz Jülich-Kleve-Berg. Vgl. Walter Gerschier, Das preußische Oberpräsidium der Provinz Jülich-Kleve-Berg in Köln 1816-1822, Köln/Berlin 1967, hier S. 2942. Zur unbestimmten Stellung der Oberpräsidenten innerhalb der preußischen Verwaltungshierarchie vgl. Koselleck, Preußen, S. 221-225. 55 Schieder, Kirche und Revolution, S. 434 f. Ders., Religion und Revolution, S. 35, verweist auf die Korrespondenz zwischen Oberpräsident Ingersleben und dem Kölner Erzbischof Spiegel vom 15.8.1826, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16003, S. 249-259. Die Zahl, die auf Zusammenstellungen der fünf rheinpreußischen Regierungen beruht, ist allerdings mit Vorsicht zu behandeln, da diese meist lediglich die Anzahl der Wallfahrten und nicht die exakte Anzahl der Teilnehmer aufführen. Zu Karl Heinrich Ludwig Freiherr von Ingersleben (1753-1831), seit 1816 Oberpräsident des Großherzogtums Niederrhein, von 1822 bis zu seinem Tod Oberpräsident der Rheinprovinz, vgl. Romeyk, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 549. Vgl. zum vormärzlichen Regierungspersonal in Koblenz und Trier auch Norbert Schindlmayr, Zur preußischen Personalpolitik in der Rheinprovinz. Eine Untersuchung über die Anstellung der höheren Regierungsbeamten und Landräte in den Regierungsbezirken Koblenz und Trier zwischen 1815 und 1848, phil. Diss, masch., Köln 1969.
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III. Populäre Frömmigkeit
an „Gespenster und Zauberer", wie er 1821 nach Koblenz meldete. 56 Derartige Bedenken spiegelt auch ein Bericht der weitgehend protestantischen Regierung Düsseldorf an das Koblenzer Oberpräsidium aus dem Juni 1826: „Der fromme Sinn erhält eine verkehrte Richtung, Scheinheiligkeit tritt an die Stelle wahrer Andacht, Fanatismus an die Stelle von christlicher Sanftmuth, und der Aberglaube wird auf vielfältige Weise genährt". 57 Dennoch behandelte man das Problem mit einer gewissen Zurückhaltung und duldete Wallfahrten vor allem auf lokaler Ebene oftmals stillschweigend, versuchte aber gleichzeitig, die kirchlichen Behörden zu eindämmenden Maßnahmen zu bewegen. 58 Dabei legte die preußische Ministerialbürokratie großen Wert auf die Meinung der hohen Geistlichkeit; Kultusminister Karl Sigmund Franz Stein zum Altenstein schätzte vor allem den Rat des Trierer Bischofs. 59 Die Zurückhaltung gab die Verwaltung jedoch umgehend auf, wenn es um die Gesundheit der neuen preußischen Untertanen ging, was dann auch nicht erst mit der Amtskirche abgestimmt wurde. 1833 etwa untersagte der Reeser Landrat Heinrich Friedrich von Bernuth Amsterdamer Pilgern wegen der in den Niederlanden noch grassierenden Cholera die Einreise in die Rheinprovinz; eine Maßnahme, welche die Düsseldorfer Regierung ausdrücklich befürwortete. 60 Sicherheitspolitische Bedenken traten hinzu. Vor allem nach der Julirevolution von 1830 und dem Hambacher Fest von 1832 reagierten die preußischen Behörden nicht nur in der Rheinprovinz auf alle Massenveranstaltungen höchst allergisch und sahen in ihnen potentiellen politischen Protest. 61 Schwieriger zu fassen ist die Haltung der katholischen Kirche. Die beiden ersten rheinpreußischen Oberhirten, Spiegel, Erzbischof von Köln, und Hommer, Bischof von Trier, blieben in mehrfacher Hinsicht den Prinzipien 56
Auszug aus dem Zeitungsbericht Hartungs vom 20.9.1821, in: LHAK, Best. 441, Nr. 24274. Zu Härtung (1769-1844), Landrat in Mayen 1817-1843, vgl. Romeyk, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 510 f. 57 Regierung Düsseldorf an Ingersleben vom 24.6.1826, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16003, S. 173-178, hier S. 177. 58 Vgl. Edmund Rothkranz, Die Kirchen- und Schulpolitik der Düsseldorfer Regierung in den Jahren 1820-1840 (Johann Vincenz Josef Bracht 1771-1840), phil. Diss, masch., Köln 1943, hier S. 63-71. Sperber, Popular Catholicism, S. 21. 59 Altenstein an Ingersleben vom 28.5.1825, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16003, S. 19-21, hier S. 21. 60 Regierung Düsseldorf an Oberpräsidium vom 13.8.1833, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16005, S. 97-99. Heinrich Friedrich von Bernuth (1789-1859) war von 18181859 Landrat in Rees. Vgl. Romeyk, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 356 f. 61 Vgl. Michael Müller, Die preußische Rheinprovinz unter dem Einfluß von Julirevolution und Hambacher Fest 1830-1834, in: JbwestdtLG 6 (1980), S. 271-290. Jonathan Sperber, Echoes of the French Revolution in the Rhineland, 1830-1849, in: CEH 22 (1989), S. 200-217.
2. Die Dominanz der Traditionen: Wallfahrten und Prozessionen
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einer gemäßigten katholischen Aufklärung verbunden. 62 Neben einer Neuordnung ihrer Diözesen galt ihr Hauptaugenmerk den Reformen von Liturgie, Gottesdienst und Seelsorge. 63 Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten lag auf dem Feld der Wallfahrten. Bemüht wird in diesem Zusammenhang immer wieder ein Hirtenbrief des Kölner Erzbischofs vom 12. Mai 1826. 64 In enger Abstimmung mit Oberpräsident Ingersleben verbot dieser mehrtägige Wallfahrten und ermahnte die Geistlichen, sich der großen Verantwortung im Umgang mit dieser populären Frömmigkeitsform bewußt zu sein. Die erhaltene Korrespondenz zwischen Erzbischof und Oberpräsident zeugt von einem überaus warmherzigen Verhältnis und großer Übereinstimmung zwischen beiden in der Wallfahrtsfrage. 65 Auch Joseph von Hommer war der Kampf gegen Aberglauben, den er in den Auswüchsen von Wallfahrten erkannte, ein wichtiges Anliegen; so ging er konsequent gegen die Zweckentfremdung gesegneter Gegenstände vor. Vermutlich hatte er noch als Pfarrer in Wallersheim und Assessor am Koblenzer Offizialat 1787 eine Studie des späteren Trierer Domdechanten und Konsistorialrats Johann Wilhelm Josef Castello über „die Hindernisse der Aufklärung, Mißbräuche und den Aberglauben" veranlaßt. 66 Castello hatte 62
Zu Ferdinand August Graf Spiegel (1764-1835), 1813 Bischof von Münster, 1816 Graf, vgl. Lipgens, Spiegel. Evertz, Seelsorge. Eine moderne Biographie über Joseph Ludwig Alois von Hommer (1760-1836) fehlt leider. Bisher knapp: Martin Persch, Josef von Hommer (1824-1836), in: Ders./Michael Embach (Hg.), Die Bischöfe von Trier seit 1802. Festgabe für Bischof Dr. Hermann Josef Spital zum 70. Geburtstag am 31. Dezember 1995, Trier 1996, S. 47-74. Weitgehend überholt ist Johann Jakob Wagner, Joseph Ludwig Aloys von Hommer, Bischof von Trier. 1824-1836, Trier 1917. Aufschlußreich ist Hommers Autobiographie Alois Thomas (Hg.), Josef von Hommer 1760-1836. Meditationes in vitam meam peractam. Eine Selbstbiographie, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Alois Thomas, Mainz 1976. 63 Freilich darf dabei nicht übersehen werden, daß vielfach auf den organisatorischen Grundlagen der französischen Zeit aufgebaut werden konnte. Dazu ist seit einiger Zeit eine Trierer Dissertation angekündigt: Elisabeth Wagner, Französische Kirchenpolitik in den rheinischen Departements 1794-1814. Solange vgl. Dies., Tradition und Innovation. Das Pfarrsystem in Trier an der Wende zum 19. Jahrhundert, in: KTJ 33 (1993), S. 217-244. Dies., Revolution, Religiosität und Kirchen im Rheinland um 1800, in: Peter Hüttenberger/Hansgeorg Molitor (Hg.), Franzosen und Deutsche am Rhein 1789-1918-1945, Essen 1989, S. 267-288. 64 LHAK, Best. 403, Nr. 16003, S. 201-204. Auf die Vorgänge im nördlichen Teil der Rheinprovinz und in Westfalen gehen ein Sperber, Popular Catholicism, S. 18-30. Freitag, Volks- und Elitenfrömmigkeit, S. 351-357. 65 Spiegel an Ingersleben vom 23.4., 27.4., 16.5., 20.5. und 11.6.1826, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16003, S. 169-171, S. 199, S. 211 f., S. 261 f. und S. 275 f. 66 Die Untersuchung liegt gedruckt vor: Eduard Lichter (Hg.), Johann Wilhelm Castello und die Aufklärung im Erzstift Trier. Eine Studie Castellos aus dem Jahre 1787, in: AmrhKG 21 (1969), S. 179-227. Zu Hommers Vorgehen vgl. auch Alois Thomas, Die liturgische Erneuerungsbewegung im Bistum Trier unter Bischof von
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hier nicht nur über diverse Laienpraktiken geklagt, die vielfach liturgische Gegenstände magisch umdeuteten, sondern zugleich auch die Gründe dafür in einer mangelhaften Ausbildung der Kleriker ausgemacht. Dies griff Hommer später wieder auf; er wandte sich vor allem in seinen jährlichen Pastoralschreiben gegen die Verehrung von Reliquien und den Schwund innerer Frömmigkeit, forderte aber zugleich von seiner Diözesangeistlichkeit bei der Auseinandersetzung mit Aberglauben das richtige Augenmaß sowie die Absprache mit den Gemeindemitgliedern. 67 Trotz seinen unbestreitbaren Vorbehalten gegen Wallfahrten läßt sich bei Hommer dennoch insgesamt erkennen, daß er nicht so „staatsorientiert" und rigoros gegen das Wallfahrtswesen einschritt, wie oft behauptet wird. 6 8 Greifbar wird ein gewisses pädagogisches Verständnis für Wallfahrten und ein grundsätzlicher Respekt vor populärer Frömmigkeit. So war die Haltung des Bischofs differenzierter als sie in den erhaltenen Visitationsprotokollen durchscheint, und sie wich deutlich von der des Kölner Erzbischofs ab. 6 9 Ausweislich der in Protokollen formulierten Fragen suchte Hommer zwar mit Hilfe seiner Diözesangeistlichen die gröbsten Mißbräuche einzudämmen, allerdings ließ er die - vor allem staatlicherseits geäußerten - moralischen und sittlichen Vorbehalte gegen Wallfahrten nicht gelten, wie aus einem Schreiben an Ingersleben hervorgeht: „Die Ungezogenheiten, die dabey [bei den Wallfahrten] vorgehen, sind lang nicht so häufig, als man vorgibt, und diejenigen die darauf aus sind, finden auch in ihrer Heimath Gelegenheit dazu". 7 0 Den wichtigsten Nachteil sah er in der Hinderung echHommer (1824-1836), in: AmrhKG 15 (1963), S. 208-238, hier S. 226. Zu Johann Wilhelm Josef Castello (1758-1830), von 1824 bis 1830 Domdechant, vgl. Diözesanarchiv Trier (Hg.), Der Weltklerus der Diözese Trier seit 1800, Trier 1941, S. 76. 67 Vgl. Thomas, Erneuerungsbewegung, S. 210 f. Ders., Hommer. Meditationes, S. 305. 68 Vgl. Joachim Schiffhauer, Das Wallfahrtswesen im Bistum Trier unter Bischof Joseph von Hommer (1824-1836), in: [ - ] , Festschrift für Alois Thomas. Archäologische, kirchen- und kunsthistorische Beiträge. Zur Vollendung des siebzigsten Lebensjahres am 18. Januar 1966 dargeboten von Freunden und Bekannten, Trier 1967, S. 345-358. In diesen Kontext gehört auch Eduard Lichter, Volksfrömmigkeit und Wissenschaft unter dem Einfluß von Bischof Josef von Hommer im Spiegel der Arbeiten des Trierer Klerus, dargestellt am Beispiel des Pfarrers Philipp Lichter (1796-1870), in: AmrhKG 30 (1978), S. 161-190. Alexander Schnütgen, Beiträge zur Ära des Kölner Erzbischofs Graf Spiegel. II: Das religiös-kirchliche Leben im Rheinland unter den Bischöfen Graf Spiegel und von Hommer, in: AHVN 119 (1931), S. 121-163, hier S. 137-140. 69 Vgl. etwa Schieder, Religion und Revolution, S. 36. Dazu auch Schneider, Entwicklungstendenzen, S. 180 f. 70 Konzept Hommer an Ingersleben vom 4.9.1826, in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 15r-19v, hier Bl. 15r. Eine Abschrift ist einem Schreiben Ingerslebens an das Kultusministerium vom 12.9.1826 beigefügt, in: GStA PK, I. HA,
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ter Religiosität und Frömmigkeit, die „in reinen und edelen gesinnungen das wesentliche des Christenthums setzt". 71 Er betonte, daß „alle Wallfahrten [...] und alle abergläubischen Gebräuche ihre Entstehung den zeiten der Noth zu verdanken haben, und durch die Nachsicht der Obrigkeit nach und nach zur Volkssitte geworden sind", 7 2 aber daß man auch das andere religiöse Verständnis des „gemeinen Mannes" berücksichtigen müsse: „Der Landbewohner, der für das kontemplarische Gebeth nicht geeignet ist, und gewohnt mit seinen körperlichen Kräften seinem Gutsherrn und dem Staat zu dienen, glaubt auch, sein Gebeth sey nicht kräftig genug, wenn er nicht körperliche Anstrengung damit verbinde". 73 Hommers Argumente gegen Wallfahrten waren grundsätzlicher Natur. Gerade die Verwendung des Begriffs Aberglauben zeigt, wie seine Vorbehalte sich nicht nur gegen die mehrtägigen Wallfahrten richteten, welche der preußische Staat mit seinen Maßnahmen in allererster Linie im Auge hatte, sondern wie er sinnliche Frömmigkeitsformen insgesamt kritisierte. Dennoch ging der Trierer Oberhirte behutsam gegen das Wallfahrtswesen vor. Unter einer aktiven, aufklärerischen Wallfahrtspolitik verstand er eher Belehrung als Verbot, und so erließ er denn auch kein generelles Wallfahrtsverbot im Bistum, sondern billigte lediglich die Prozessionen zur Trierer St. Matthias Abtei nicht. 7 4 Auch wenn bei ihm das Bestreben zu erkennen ist, lebensweltRep 76 IV (Kultusministerium), Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 1, Vol. II, Bl. 3r-4v und Bl. 12r-16v. Ingersleben machte dort das Ministerium auf die Differenzen zwischen dem Trierer Bischof und dem Kölner Erzbischof Spiegel in Wallfahrtsfragen aufmerksam. 71 BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 16r. 72 Ebenda, Bl. 18r. Der interne Schriftwechsel dokumentiert eine markante Distanz zu den staatlichen Vorbehalten in der Wallfahrtsfrage. So erklärte sich der Trierer Generalvikar Wilhelm Arnold Günther in einer kurzen Aktennotiz nicht nur mit den differenzierten Ausführungen seines Bischofs „ganz einverstanden", sondern bezeichnete die Kostenberechnungen der preußischen Landräte sogar als „lächerlich". BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 20r. Die Landräte mußten detaillierte Auskünfte über Wallfahrten und deren Kosten bei den Regierungen einreichen. Ein Vorgang ist dokumentiert in: LHAK, Best. 655,184, Nr. 236. Vgl. zu den berechneten Kosten von Wallfahrten Sperber, Popular Catholicism, S. 21. Detaillierte Aufstellungen aus den fünf Regierungsbezirken der Rheinprovinz befinden sich in: LHAK, Best. 403, Nr. 16003 und 16005. 73 BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 15r. 74 Dazu Birgit Bernard, Die Wallfahrten der St.-Matthias-Bruderschaften zur Abtei St. Matthias in Trier. Vom 17. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Heidelberg 1995, hier S. 73-81. Diese Haltung trennte ihn deutlich von der radikalaufklärerischen Reformbewegung im Bistum Trier, die Wallfahrten rundweg ablehnte. Vgl. Norbert Wolff, „Dass die weltliche Oberbehörde mit ein wenig einschritte". Staat und Kirche angesichts der Trierer Reformbewegung des Jahres 1831, in: AmrhKG 46 (1994), S. 323-343. Alois Thomas, Die christlichen Reformbestrebungen im Bistum Trier unter Bischof Josef von Hommer, in: Franz Groner (Hg.), Die Kirche im Wandel der Zeit. Festgabe seiner Eminenz dem hochwürdigsten
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III. Populäre Frömmigkeit
liehe Bezüge vom religiösen Kult zu trennen, war ihm klar, daß sich Wallfahrten oftmals selbst der Kontrolle durch die Ortsgeistlichen entzogen. Diese maßvolle Haltung, die viel Einsicht in die Grenzen des Machbaren zeigt, läßt sich an einem spektakulären Vorfall besonders gut verdeutlichen. In einem Zeitungsbericht vom April 1827 hatte der Bürgermeister von Arenberg über eine 200 Pilger umfassende Wallfahrt aus Berlingen (Pfarrei Kirchweiler) zum bekannten wundertätigen Marienbild in Barweiler geklagt, deren Auslöser ein Geist war. 7 5 Angeblich war der verstorbene Berlinger Ackerer Ombert dem 15jährigen Johann Joseph Bowi auf dem Feld erschienen und hatte behauptet, er, Ombert, müsse so lange als Geist auf Erden wandeln, bis aus der Pfarrei Kirchweiler eine Wallfahrt nach Barweiler stattfände. Dem Jungen gelang es dann tatsächlich, das Dorf von der Notwendigkeit dieser Wallfahrt zu überzeugen. Sie brachte unter großem Aufsehen das gewünschte Ergebnis, denn Bowi hatte nach eigenen Angaben in der Barweiler Wallfahrtskirche eine Vision, wonach der erlöste Geist Omberts gemeinsam mit einigen Engeln in den Himmel auffuhr. Der Arenberger Bürgermeister bezichtigte nun mehrere Pfarrer, zu den skandalösen Vorkommnissen beigetragen zu haben, forderte „Maaßregeln gegen diesen Unfug" sowie eine Anzeige beim „einsichtsvollen Bischof von Trier". Auf Bitten der Koblenzer Regierung und aufgrund einer Klage des Dockweiler Pfarrers Hubert Schmitz ließ Hommer den Vorfall untersuchen und befragte die angeblich beteiligten Pfarrer Peter Joseph Vossen in Barweiler und Leopold Griebeler in Rockeskyll zu den Vorfällen. Beide bestätigten ihm, daß derartige „Geister Geschichten" in der Gegend häufiger vorkämen, unterstrichen aber zugleich ihr korrektes Verhalten. 76 Aus der Antwort des Barweiler Pfarrers Vossen werden die Schwierigkeiten erkennbar, in denen Ortsgeistliche sich befinden konnten. Einerseits sollten sie die aufklärerischen Vorgaben ihres Kirchenherrn umsetzen, andererseits wollten sie aber Herrn Joseph Kardinal Höffner. Erzbischof von Köln. Zur Vollendung des 65. Lebensjahres am 24. Dezember 1971, Köln 1971, S. 111-127. Weber, Aufklärung und Orthodoxie, S. 59-79. 75 Vgl. Auszug aus dem Zeitungsbericht der Bürgermeisterei Arenberg für April 1827, in: LHAK, Best. 441, Nr. 3476. Zu Barweiler vgl. Amt für rheinische Landeskunde (Hg.), Wallfahrt im Rheinland, Köln 1981, S. 124 f. Das Barweiler Marienbild war vornehmlich Ziel von Prozessionen aus dem Kölner Erzbistum. Das weisen auch Verzeichnisse aller in den Regierungsbezirken Köln und Aachen vorkommenden Wallfahrten vom 3.1. und 17.12.1825 aus, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16003, S. 61-75 und S. 93-111. 76 Die Schreiben der Regierung Koblenz und des Pfarrers Schmitz sowie die Stellungnahmen der beiden Pfarrer vom 23.6. und 25.6.1827 sind erhalten in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 21r-31r. Tatsächlich war es bereits 1822 im Landkreis Daun zu Geistererscheinungen und anschließenden Bittfahrten gekommen: Landrat Johann Ernst Avenarius (Daun) an Regierung Trier vom 20.8.1822, in: LHAK, Best. 442, Nr. 1888, Bl. 77r.
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auch den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Gemeindemitglieder gerecht werden. 77 Pfarrgeistliche waren in diesen Fragen oftmals Zwängen ausgesetzt, so daß sie durchaus auch gegen bischöfliche Anordnungen verstießen, um ihre eigene Position in der Gemeinde nicht zu untergraben, 78 zumal auch mit unterschiedlichen Auffassungen - von radikalaufklärerisch bis ultramontan - in der Pfarrgeistlichkeit gerechnet werden muß. 7 9 Der Trierer Oberhirte brachte für diese Schwierigkeiten viel Verständnis auf. Nicht von ungefähr betonten Hommer und sein Generalvikariat immer wieder, die Pfarrer sollten mit ihren Gemeinden rechtzeitig Kompromisse ausarbeiten, sah man in Trier doch die Gemeinde als Zentrum der Seelsorge. 80 Nicht vernachlässigt werden dürfen auch innerdörfliche Konflikte zwischen den Pfarrern und ihren Kirchenvorständen, die sich in dem Streit um Wallfahrten niederschlugen. 81 In einem die Berlinger Geisterwallfahrt abschließenden Schreiben an die Koblenzer Regierung verteidigte Hommer das Verhalten seiner Geistlichen. Die Schuld sah er an anderer Stelle, hielt er doch nichts von direkten Eingriffen und einer öffentlichen Diskussion; vielmehr versuchte er, besonnen und nachhaltig auf Pilger wie Pfarrer einzuwirken: „Vernünftige Leute stimmen ihren Pfarrern bei - Unvernünftige abergläubige wird es immer geben. Diesen ihren Wahn mit Strenge unterdrücken zu wollen, bringt oft die entgegengesetzte Wirkung hervor. Am räthlichsten erscheint es, von solchen Märchen nicht viel zu sprechen, um sie desto eher der Vergessenheit zu übergeben".82 Die Phase zwischen dem Kölner Ereignis und 1850 war aufgrund der kirchenpolitisch angespannten Situation durch eine gewisse behördliche Un77
Freilich gelang es Vossen nicht vollständig, den Verdacht gegen sich auszuräumen, zumal er einen Gottesdienst für die Berlinger Wallfahrer durchgeführt hatte. Noch im Oktober desselben Jahres versetzte Hommer ihn auf die Pfarrstelle in Landkern. Vgl. Diözesanarchiv Trier, Weltklerus, S. 356. 78 Dieses Problem äußerte Pfarrer Innozenz Anton Fuchs aus Hönningen (Dekanat Adenau) gegenüber dem Generalvikariat Trier am 8.2.1836, in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 43. 79 Zu Positionen der Pfarrgeistlichkeit am Beispiel des Dekanats Krefeld vgl. Heinrich Schrörs, Hermesianische Pfarrer, in: AHVN 103 (1919), S. 76-183. Herres, Städtische Gesellschaft, S. 102-117. Zur Trierer Pfarrgeistlichkeit vgl. Martin Persch, Zur Lebenskultur des Trierer Diözesanklerus im 19. und 20. Jahrhundert, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 88 (1993), S. 374-396. 80 Generalvikar Günther an den Oberweseler Pfarrer Franz Anton Schützendorf vom 28.3.1835, in: BAT, Best. 71,129, Nr. 634, S. 5 f. Vgl. zudem Schneider, Entwicklungstendenzen, S. 166 f. 81 So versuchte der Weiler (Kreis Mayen) Pfarrer Leonhard Angeli seit 1816 rigoros, die staatlichen Wallfahrtsverordnungen durchzusetzen, und brachte damit das Dorf gegen sich auf. Wiederholt zeigte er das Fehlverhalten seines Kirchenvorstandes vergeblich an. Seine Klagen sind dokumentiert in: LHAK, Best. 441, Nr. 3476. 82 Hommer an Regierung Koblenz vom 5.7.1827, in: ebenda.
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Sicherheit geprägt. Regional- und Lokalbehörden wollten teilweise eingreifen, etwa die Trierer Regierung, welche Wallfahrten zu unterbinden und deshalb alle rheinpreußischen Regierungen zu einem abgestimmten Vorgehen zu veranlassen suchte, was der umsichtige Koblenzer Oberpräsident Ernst Albert von Bodelschwingh jedoch verhinderte. 83 Wohl auch deshalb ordnete das Kultusministerium in einer richtungsweisenden Verfügung vom 13. Oktober 1838 an, „daß ein directes Entgegentreten von Seiten der Staatsbehörden unter den jetzigen Umständen das Uebel wahrscheinlich noch ärger machen würde. Die Abnahme desselben läßt sich von den Fortschritten der religiösen und sittlichen Bildung mit Sicherheit erwarten". 84 Der behördliche Blick auf Wallfahrten und Prozessionen wandelte sich mit der kirchenpolitischen Konfrontationssituation zusehends. Der aufklärerisch geprägte Aberglaubensvorwurf und mit ihm die staatlichen Erziehungsabsichten zu angemessener religiöser Frömmigkeit traten etwas in den Hintergrund. Wallfahrten und Prozessionen wurden nun eher als ultramontane und populäre Demonstration, als konfessioneller und sozialer Protest gegen den preußischen Staat wahrgenommen, bei denen immer wieder Exzesse zu befürchten waren. 85 Argwöhnisch verfolgte die Berliner Zentrale jeden Gewaltausbruch in der Rheinprovinz und mutmaßte selbst bei Kapitalverbrechen, daß Katholiken ihnen eine konfessionelle Absicht unterstellen würden. 86 Die besondere Aufmerksamkeit der Behörden erregte dabei 83
Regierung Trier an Oberpräsident Bodelschwingh vom 24.3.1838, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16005, S. 109-119. Regierung Trier an alle rheinpreußischen Regierungen vom 3.2.1838, in: LHAK, Best. 441, Nr. 24274, und in: HStAD, Best. Regierung Aachen, Nr. 4880. Zu Ernst Albert von Bodelschwingh (1794-1854), 18341842 Oberpräsident der Rheinprovinz, 1842-1845 preußischer Finanzminister, bis 1848 dann Innenminister, vgl. Romeyk, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 360 f. 84 Abschrift Kultusministerium an Regierung Düsseldorf vom 13.10.1838, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16003, S. 287 f. Eingeschärft wurde diese Anordnung durch ein erneutes Ministerial-Reskript an die Düsseldorfer Regierung vom 7.2.1839, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 29134. 85 Dem Kölner Ursulafest im Herbst 1838 wird in dieser Hinsicht besondere Bedeutung beigemessen. Vgl. Friedrich Keinemann, Die Unruhen bei der Feier des Ursulafestes 1838 in Köln, in: AHVN 174 (1972), S. 138-147. Allerdings scheinen die preußischen Behörden dieses Problem bereits rasch nach der Verhaftung des Kölner Erzbischofs im November 1837 erkannt zu haben. Einschlägig zu gewalttätigem Protest im Vormärz Rainer Wirtz, „Widersetzlichkeiten, Excesse, Tumulte und Skandale". Soziale Bewegung und gewalthafter sozialer Protest in Baden 18151848, Frankfurt am Main u.a. 1981, hier S. 149-153. Dazu auch die Beiträge in Heinrich Volkmann/Jürgen Bergmann (Hg.), Sozialer Protest. Studien zu traditioneller Resistenz und kollektiver Gewalt in Deutschland vom Vormärz bis zur Reichsgründung, Opladen 1984. Manfred Gailus, Strasse und Brot. Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berücksichtigung Preußens 1847-1849, Göttingen 1990, hier S. 135-138.
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ein Vorfall in Aachen. William Hunt, ein englischer Staatsbürger, hatte im Frühjahr 1838 während einer Kirmesprozession seinen Hut aufbehalten und war von Teilnehmern mißhandelt worden, was nicht nur die konfessionelle Erregung belegt, sondern auch eine grundsätzliche Debatte um die Bewaffnung der Aachener Landwehr auslöste. 87 Weder bei Wallfahrten und Prozessionen noch bei den nun aufmerksam beobachteten Protesten in der Rheinprovinz ließen sich für die Behörden immer konfessionelle und soziale Motive voneinander trennen. Kollektiver Protest richtete sich während der Vakanzzeit sowohl gegen staatliche als auch gegen Entscheidungen des Trierer Bistumverwesers, wie am Widerstand der Lisdorfer Frauen gegen die Versetzung ihres Pfarrers Johann Anton Joseph Hansen nach Ottweiler zu erkennen ist. 8 8 Im Mai 1838 meldete der Landrat Franz Joseph Anton Jesse aus Saarlouis, daß „durch einen Haufen Weiber aus der untere[n] Volks-Klasse, welcher aus Lisdorf und Ensdorf sich zusammengerottet hatte", 89 erhebliche Unruhe entstanden sei. Die Ereignisse sind zugleich ein Beleg dafür, daß Gemeinden religiös-kirchliche Belange durchaus selbst in die Hand nehmen konnten. Etwa 30 Frauen hatten Pferde und Umzugswagen des Pfarrers blockiert und versucht, das Beladen und damit die Versetzung Hansens auf die Pfarrstelle nach Ottweiler zu verhindern. Offenbar war die Atmosphäre dermaßen aufgeladen, daß es 86
So bei einem Mord 1838 in Koblenz. Innenminister Gustav Adolf Rochus von Rochow an Friedrich Wilhelm III. vom 15.12.1838, in: GStA PK, I. HA, Rep. 2.2.1. (Geheimes Zivilkabinett), Nr. 15139, Bl. 40r-43r. 87 Regierungspräsident Johann Jacob Christoph von Cuny (Aachen) an Innenminister Rochow vom 26.6.1838, in: GStA PK, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 413, Nr. 17, Bd. 1, Bl. 20r-22v. Selbst im Vorfeld der Aachener Heiligtumsfahrt von 1839 spielte diese Frage eine Rolle: Abschrift Friedrich Wilhelm III. an Rochow vom 13.7.1839, in: LHAK, Best. 403, Nr. 13687, S. 265. 88 Regierung Trier an Bodelschwingh vom 3.7.1838, in: LHAK, Best. 403, Nr. 2523, S. 95-100. Johann Anton Joseph Hansen (1801-1875), 1828 zunächst im Trierer Landarmenhaus und seit 1830 in der Trierer Strafanstalt als Geistlicher tätig, war Wortführer der 1831 im Bistum Trier aktiven radikal-katholischen Reformpartei, 1832-1838 dann Pfarrer in Lisdorf, 1838-1875 in Ottweiler, 1848/49 Mitglied der preußischen Nationalversammlung. Vgl. Alois Thomas, Archivalische und historische Arbeiten im Bistum Trier unter Bischof Josef von Hommer, in: AmrhKG 1 (1949), S. 183-208, hier S. 196-198. Robert Becker, Dechant Hansen von Ottweiler. 1838-1875. Der Werdegang eines Priesters vom Revolutionär zum heiligmäßigen Seelsorger. Arbeit zum Pastorexamen, masch. Manuskript, Trier 1937, hier S. 29-31. Ein Exemplar befindet sich in der Bibliothek des Priesterseminars Trier unter der Signatur KonfA 53a. Ralph Schock, Johann Anton Joseph Hansen, in: Saarländische Lebensbilder, Bd. II, Saarbrücken 1984, S. 161-184. 89 Auszug aus dem Zeitungsbericht des Landrats Jesse aus Saarlouis für den Monat Mai 1838, in: LHAK, Best. 403, Nr. 2523, S. 47 f. Die Frauen wurden nach dem „Exzeß" zu einer geringfügigen Gefängnisstrafe verurteilt, da sie aus „Anhänglichkeit an ihren Pfarrer" gehandelt hatten: Regierung Trier an Bodelschwingh vom 3.7.1838, in: ebenda, S. 95-100.
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selbst mehreren Gendarmen nur unter größter Mühe gelang, die Lage zu kontrollieren. 90 Grundsätzlich waren behördliche Bemühungen, die religiöse Verbitterung zu glätten und unnötiges Aufsehen zu vermeiden, nicht nur bis auf die lokale Ebene zu spüren, sondern schließlich auch bei dem 200jährigen Jubiläum der Kevelaer-Wallfahrt 1842 zu erkennen. Stillschweigend duldeten die Regierung Düsseldorf und der Neusser Landrat den Durchzug von Prozessionen.91 Dennoch blieben die preußischen Behörden gegenüber den Wallfahrten und der Amtskirche reserviert. Die großen von amtskirchlicher Seite geförderten, gewollten und gelenkten Wallfahrten, die Trierer Rockwallfahrt (1844) und die Aachener Heiligtumsfahrt (1846), 92 waren dabei keine Ausnahmen, denn auch hier vermerkte die Bürokratie aufmerksam - und keineswegs Hand in Hand mit den bischöflichen Behörden arbeitend - das kirchliche Vorgehen. Sensibel reagierten die Berliner Ministerien auch auf die Ankündigung der Rockwallfahrt. Zwar erlaubte man diese nachträglich, jedoch nicht ohne den Trierer Bischof Wilhelm Arnoldi ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß er um eine förmliche Genehmigung hätte nachsuchen müssen. 93 Mißtrauisch registrierten die lokalen Behörden schließlich auch die unerwünschten Folgeerscheinungen der Rockwallfahrt von 1844: Kreuz90
Bistumsverweser Günther an Hansen vom 5.4.1839, in: BAT, Best. 71,55, Nr. 12, S. 94. 91 Regierung Düsseldorf an Landratsamt Kleve vom 25.4.1839, in: HStAD, Best. Landratsamt Kleve, Nr. 86, Bl. 82r. Kultusminister Johann Albrecht Friedrich Eichhorn an Oberpräsident Justus Eduard Wilhelm von Schaper vom 17.6.1842, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16003, S. 289 f. Vgl. auch Dohms, Rheinische Katholiken, S. 93-102. Herres, Städtische Gesellschaft, S. 199-201. Zu Schaper (1792-1868), 1839-1842 Regierungspräsident in Trier, 1842 Oberpräsident der Rheinprovinz, 1845-1846 von Westfalen, 1846-1849 schließlich preußischer Generalpostmeister vgl. Romeyk, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 713. 92 Die Aachener Heiligtumsfahrt findet alle sieben Jahre statt. Vgl. Joachim Schmiedl, Marianische Religiosität in Aachen. Frömmigkeitsformen einer katholischen Industriestadt des 19. Jahrhunderts, Altenberge 1994, S. 58-64. Dieter P. J. Wynands, Geschichte der Wallfahrten im Bistum Aachen, Aachen 1986, hier S. 8389. Sperber, Popular Catholicism, S. 71 f. Kulturhistorische Details bietet Heinrich Schiffers, Kulturgeschichte der Aachener Heiligtumsfahrt, Köln 1930. 93 Arnoldi an Schaper vom 19.4.1844, in: LHAK, Best. 403, Nr. 13687, S. 6769. Kultusminister Eichhorn und Innenminister Adolf Heinrich Graf Arnim-Boitzenburg an Schaper vom 9.6.1844, in: ebenda, S. 107 f. Schaper informierte Arnoldi über die Auffassung der beiden Minister in einem Schreiben vom 22.6.1844, in: ebenda, S. 109 f. Bernhard Schneider, Wallfahrt, Ultramontanismus und Politik Studien zu Vorgeschichte und Verlauf der Trierer Hl.-Rock-Wallfahrt von 1844, in: Erich Aretz u. a. (Hg.), Der Heilige Rock zu Trier. Studien zur Geschichte und Verehrung der Tunika Christi. Anläßlich der Heilig-Rock-Wallfahrt 1996, Trier 1995, S. 237-280, hier S. 256, hat zu Recht gegen Wölfgang Schieder eingewandt, daß der „Konflikt um staatliche Kirchenhoheit und kirchliche Unabhängigkeit" hier
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wegprozessionen in Trier, die zwischen dem 6. August und Ende Oktober 1845 stattfanden, also exakt ein Jahr nach der Ausstellung des Heiligen Rocks. 94 Auch in Aachen gab es 1846 heftige Unstimmigkeiten zwischen dem Stiftskapitel und der Regierung über das Programm der Heiligtumsfahrt, die erst durch eine Intervention des Kölner Erzbischofs beigelegt werden konnten. 95 Trotz aller behördlichen Distanz nahmen Wallfahrten bald nach dem Wechsel im Kölner Erzbischofsamt wieder zu, ein Trend, den das Kölner Ereignis und seine Folgen noch deutlich verstärkten. Auch wenn er sich zu Beginn seiner Amtszeit an die Regelung seines Vorgängers hielt, galten Wallfahrten dem neuen Kölner Erzbischof Clemens August von Droste zu Vischering als ein, wie er im November 1837 noch kurz vor seiner Verhaftung schrieb, „zweckmäßiges Mittel, [um die] religiöse Gesinnung zu beleben". 9 6 Zwar blieb ein Teil der rheinpreußischen Geistlichkeit Wallfahrten gegenüber weiterhin reserviert, aber Bruderschaften und pilgerwillige Pfarrer erhielten durch die erzbischöfliche Haltung Rückenwind. Öffentlich ausgetragene Konflikte um kirchliche Angelegenheiten blieben auch in Trier kein Einzelfall. Im Gegensatz zum Kölner Erzbistum führte in Trier die Vakanz des bischöflichen Stuhles offensichtlich auch zu einer unsicheren Haltung in Fragen der Wallfahrten. 97 Noch vor der endgültigen Wahl eines neuen Bischofs kam es 1841 zu einem polemischen „Wallfahrts- und Aberglaubensstreit", den ein anonymer Artikel auslöste. A m 15. August 1841 hatte die Trier'sehe Zeitung unter der Überschrift „Ist das noch erkennbar wird, zumal Arnoldi bewußt darauf verzichtete, sich die Rockwallfahrt genehmigen zu lassen. Vgl. Schieder, Kirche und Revolution. 94 Regierungspräsident Rudolf von Auerswald (Trier) an Kultusminister Eichhorn vom 9.12.1845, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 IV (Kultusministerium), Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 1, Vol. II, Bl. 207r-208v. 95 Erzbischof Johannes von Geissei an Oberpräsident Franz Eichmann vom 23.4., 25.4., 9.5.1846, in: LHAK, Best. 403, Nr. 13687, S. 219 f., S. 223-226 und S. 239. Eine eingehende Analyse dieses Konflikts sollte weitere Differenzen im vorrevolutionären Bündnis zwischen Thron und Altar offenlegen und Schieders Interpretation der Trierer Rockwallfahrt von 1844 - als Ausdruck eines vorweggenommenen antirevolutionären Einverständnisses - modifizieren können. Vgl. Schieder, Religion und Revolution, S. 51 f. 96 Droste zu Vischering an Bodelschwingh vom 4.11.1837, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16003, S. 361 f., hier S. 362. Zu Clemens August Freiherr Droste zu Vischering (1773-1845) vgl. Markus Hansel-Hohenhausen, Clemens August Freiherr Droste zu Vischering. Erzbischof von Köln 1773-1845. Die moderne Kirchenfreiheit im Konflikt mit dem Nationalstaat, 2 Bde., Egelsbach 1991. Keinemann, Kölner Ereignis, 1. Teil, S. 58-71, zu Wallfahrten S. 266 f. 97 Einen Überblick zu den sogenannten Trierer Wirren gibt Friedrich Keinemann, Die Trierer Bischofswahl (1836-1842), Vorgänge und Problematik, in: KTJ 12 (1972), S. 103-117. Knapp auch Weber, Aufklärung und Orthodoxie, S. 113 f. Zum Erzbistum Köln Herres, Städtische Gesellschaft, S. 199.
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Wallfahrten wirklich ein Mittel, die Religiosität zu fördern?" einen Beitrag veröffentlicht und lediglich die Initialen des Verfassers preisgegeben: „ L . v . L " . 9 8 Polemisch ging der zunächst unbekannte Verfasser mit dem Wallfahrtswesen ins Gericht, griff protestantisch-aufgeklärte Argumentationsmuster auf und verurteilte amtskirchliche Absichten, Wallfahrten zu fördern. Postwendend wurde der Trierer Weihbischof und Bistumsverweser Wilhelm Arnold Günther aktiv, dem es auch gelang, den Verfasser ausfindig zu machen: Pfarrer Peter Alois Licht aus Leiwen. 9 9 Günther mißbilligte die öffentlichen Äußerungen des Leiwener Pfarrers aufs schärfste und forderte diesen zu einer Stellungnahme auf. 1 0 0 Licht verteidigte seine Ablehnung von Wallfahrten mit Hinweisen auf die Beschlüsse des Trienter Konzils: „Diesen groben Aberglauben, diese heidnische Meinung hat jedoch der Kirchenrath von Trient verdammt". 1 0 1 Statt dessen wollte er unbedingt den Pfarrgottesdienst in den Mittelpunkt seelsorgerischer Maßnahmen rücken, eine Position, die ihn bereits in Opposition zu Bischof Hommer gebracht hatte. Während das Trierer Generalvikariat Licht lediglich zu einem gründlicheren Studium der Kirchenschriften ermahnte, gewann der Streit durch eine Flugschrift, die ursprünglich als Beitrag für die Trier'sehe Zeitung gedacht war, nochmals an Brisanz. Deren Verfasser Jakob Marx ging es vor allem darum, den in Lichts Artikel geäußerten Zusammenhang von Wallfahrten und Aberglauben aufzubrechen. 102 Dazu argumentierte er emotional und historisch. Keineswegs einseitig betonte er die besondere Funktion der Wallfahrten für eine emotionale Bindung der Pilger an das katholische Glaubensbekenntnis. Dennoch war der Beitrag des Kirchenhistorikers und -rechtlers nicht frei von Polemik, spielte er doch abschließend mit dem Namen seines Kontrahenten: „Aus dem Umstände, daß mein Name vollständig 98
Trier'sehe Zeitung vom 15.8.1841, Nr. 222, S. 1131 f. Der Zeitungsausschnitt befindet sich in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 51. 99 Peter Alois Licht (1781-1847), 1825-1845 Pfarrer in Leiwen, gehörte 1831 ebenfalls schon der radikalreformerischen Opposition im Bistum. Nach der Rockwallfahrt, als deren Gegner er sich publizistisch hervortat, trat er zum Deutschkatholizismus über und wurde Pfarrer in Elberfeld. Vgl. Thomas, Erneuerungsbewegung, S. 218. Zu seiner Rolle bei den Deutschkatholiken vgl. Alexander Stollenwerk, Der Deutschkatholizismus in den preussischen Rheinlanden, Mainz 1971, hier S. 149155. 100 Günther an Licht vom 14.9.1841, in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 56r-57r (Doppelzählung von Bl. 57). Wilhelm Arnold Günther (1763-1843) war unter Hommer Generalvikar, seit 1833 Weihbischof in Trier und während der Vakanz von 1836 bis 1842 Bistumsverweser. Vgl. Alois Thomas, Wilhelm Arnold Günther 1763-1843. Staatsarchivar in Koblenz. Generalvikar und Weihbischof in Trier, Trier 1957, hier S. 62-120. 101 Licht an Generalvikariat Trier vom 28.9.1841, in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 57r-60v (Doppelzählung von Bl. 60), hier 1. Bl. 60v. 102 Jakob Marx, Das Wallfahrten in der Trier'sehen Zeitung, eine abgedrungene Entgegnung auf die frühern Artikel über diesen Gegenstand, Trier 1841, S. 5.
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angegeben ist, mag Herr Verfasser entnehmen, daß ich nicht lichtscheu b i n " . 1 0 3 Damit war der Wallfahrtsstreit indes nicht beendet, denn Licht antwortete 1842 nochmals öffentlich. 1 0 4 Er unterstrich erneut seine Haltung: Es sei Aberglauben anzunehmen, göttliche Gnade sei an bestimmten Orten leichter zu erlangen als an anderen, was er ebenso für die Anbetung von Gnadenbildern hervorhob. 105 Gegen das Wallfahrten richteten sich dann noch weitere Artikel in der Trier'sehen Zeitung, welche durchaus als Vorgefechte zur Rockwallfahrt angesehen werden können, bei der Marx als einer der prononciertesten Propagandisten und Licht als unermüdlicher Gegner auftraten. 106 Während sich der Leiwener Pfarrer während der Rockausstellung zunächst weiterhin nur vorsichtig gegen den wiedergewonnenen Stellenwert von Wallfahrten und Reliquien in der katholischen Kirche aussprach, 107 konzentrierte sich zu dieser Zeit das Interesse auf einen offenen Brief, der in den Sächsischen Vaterlandsblättern erschienen war. Hier ging es nicht mehr nur um die Bedeutung von Wallfahrten, sondern die Diskussion gewann durch Johannes Ronges „Offenes Sendschreiben an den Bischof Arnoldi" und die anschließende Abspaltung der Deutschkatholiken eine überregionale und auch grundsätzlichere Qualität. Zwar verhallten die konfessionsgebundenen und bekannten Aberglaubensvorwürfe von protestantischer Seite rasch, aber der 103 Ebenda, S. 39. Eine ausführlichere Schrift ließ Marx 1842 folgen: Das Wallfahrten in der katholischen Kirche. Historisch-kritisch dargestellt nach den Schriften der Kirchenväter und den Concilien von den ersten christlichen Jahrhunderten bis auf die neuere Zeit, Trier 1842. Jakob Marx (1803-1876), seit 1836 Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht am Priesterseminar Trier, 1869-1876 Domkapitular, gilt aufgrund seines publizistischen Engagements als ideologischer Wegbereiter der Rockwallfahrt von 1844. Vgl. ADB, Bd. 20, S. 539 f. Schieder, Religion und Revolution, S. 43^7. 104 Peter Alois Licht, Das Wallfahrtsbüchlein zur Belehrung für den katholischen Bürger und Landmann, Trier 1842. Mit dem Piesporter Pfarrer Philipp Lichter (1796-1870) schaltete sich ein weiterer Geistlicher der Diözese zugunsten Marx' mit einer Schrift in die Debatte ein: Ueber das Wallfahrten zu den Gnadenorten in der katholischen Kirche, zur Belehrung und Beherzigung für die Christgläubigen, Trier 1842. Ein Zusammenhang mit den Jubiläumswallfahrten nach Kevelaer 1842 läßt sich in den Streitschriften nicht erkennen. 105 Vgl. Licht, Wallfahrtsbüchlein, S. 5 und S. 18. 106 Ygi Schieder, Religion und Revolution. Mit anderen Akzenten und Schieder in einigen Punkten korrigierend Schneider, Wallfahrt, hier S. 278-280. Ders., Presse und Wallfahrt. Die publizistische Verarbeitung der Trierer Hl.-Rock-Wallfahrt von 1844, in: Aretz u.a., Heilige Rock, S. 281-306. 107 Zum Widerstand innerhalb des Trierer Bistums: Innenminister Arnim an Friedrich Wilhelm IV. vom 3.2.1845, in: GStA PK, I. HA, Rep. 2.2.1. (Zivilkabinett), Nr. 23468, Bl. 15. 1845 veröffentlichte Licht eine Flugschrift, die ihn in ernsthafte Schwierigkeiten brachte: Katholische Stimmen gegen die Trierische Ausstellung im Jahre 1844, Trier 1845.
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unverfrorene und überaus kritische Brief aus den eigenen Reihen, eines der meistgelesenen Flugblätter des Vormärz, enthielt national- und gesellschaftspolitische Argumente und gewann an Brisanz, da Ronge selbst katholischer Priester war. 1 0 8 Seine bissigen Anwürfe zielten denn auch nicht nur auf die sinnenfreudige Frömmigkeitsform Wallfahrt, sondern ebenfalls auf den romorientierten Katholizismus insgesamt und gipfelten in der Aufforderung zum offenen Bruch mit der katholischen Kirche: „Suchen Sie ein Jeder nach Kräften und endlich einmal entschieden der tyrannischen Macht der römischen Hierarchie zu begegnen und Einhalt zu thun". 1 0 9 Die Aberglaubensvorwürfe entzündeten sich danach vor allem an den angeblichen Wunderheilungen während der Wallfahrten zum Heiligen Rock, aus denen die der 19jährigen Gräfin Johanna von Droste zu Vischering, einer Nichte des verhafteten Kölner Erzbischofs, herausragte. 110 Anders als noch sein Vorgänger Hommer stand nämlich der 1842 gewählte und von der preußischen Regierung nach anfänglichem Zögern akzeptierte Trierer Bischof Arnoldi Wallfahrten aufgeschlossen gegenüber. 111 Trotz der Ausstellung der Rockreliquie blieb allerdings auch bei ihm ein geradliniger Kurs aus, was zu einer spürbaren Verunsicherung der Ortsgeistlichkeit führte, da die praktische Durchführung von Wallfahrten uneinheitlich geregelt war. Der Vallendarer Pfarrer Nußbaum brachte die Probleme dieses 108 Der Deutschkatholizismus und Johannes Ronge (1813-1887) können mittlerweile als gut untersucht gelten. Vgl. Andreas Holzem, Kirchenreform und Sektenstiftung. Deutschkatholiken, Reformkatholiken und Ultramontane am Oberrhein (1844-1866), Paderborn u.a. 1994, hier S. 13-34. Sylvia Paletschek, Frauen und Dissens. Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841-1852, Göttingen 1990, hier S. 19-30. Das Sendschreiben Ronges ist am leichtesten zugänglich in Friedrich Wilhelm Graf, Die Politisierung des religiösen Bewußtseins. Die bürgerlichen Religionsparteien im deutschen Vormärz: Das Beispiel des Deutschkatholizismus, Stuttgart/Bad Canstatt 1978, S. 196-199. Stollenwerk, Deutschkatholizismus. 109 Ronge, Sendschreiben, in: Graf, Politisierung, S. 199. 110 Hierzu vor allem die Schrift des Trierer Kreisphysikers Valentin Hansen, Aktenmäßige Darstellung wunderbarer Heilungen, welche bei der Ausstellung des h. Rockes zu Trier im Jahre 1844 sich ereignet. Nach authentischen Urkunden [...] geordnet und zusammengetragen, - auch mit medizinischen Bemerkungen begleitet, Trier 1845. Heftige Kritik an Hansens Stellungnahme übte der protestantische Ottweiler Arzt Heinrich Zimmermann, Worte eines Arztes gegen den Herrn Dr. V. Hansen; oder Reflexionen und Bemerkungen zum Werke des Herrn Dr. V. Hansen [...], Saarbrücken 1845. Einen Überblick über die Publizistik anläßlich der Rockwallfahrt gibt Wolfgang Frühwald, Die Wallfahrt nach Trier. Zur historischen Einordnung einer Streitschrift von Joseph Görres, in: Georg Droege u.a. (Hg.), Verführung zur Geschichte. Festschrift zum 500. Geburtstag der Eröffnung einer Universität in Trier 1473 1973 [!], Trier 1973, S. 366-382. 111 Zu Wilhelm Arnoldi (1798-1864) vgl. Bernhard Schneider, Wilhelm Arnoldi (1842-1864), in: Persch/Embach, Bischöfe von Trier, S. 75-97. Johann Jakob Kraft, Wilhelm Arnoldi, Bischof von Trier. Ein Lebensbild, Trier 1865.
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Verfahrens bereits im Januar 1844 auf den Punkt, als er in Trier um eine grundsätzliche Regelung anhielt: „Aergernißerregende Willkühr ist hierin eingerissen. Die Gemeinden, in denen sich die Pastoren an die bestehenden Verordnungen hielten und dieselben handhabten, womit die Leute ruhig und zufrieden waren, wurden nun schwierig, weil sie das entgegengesetzte Verfahren an andern Orten wahrnahmen". Den kritischen Einwendungen zum Trotz behielten Arnoldi und das General vikariat sich auch zukünftig Einzelfallentscheidungen v o r , 1 1 2 denn auch nach der Rockwallfahrt beließen sie es bei diesem Verfahren. Auf Anfragen des Zeller Pfarrers Ludwig Joseph Schreiner erläuterte das Trierer Generalvikariat 1846 seine Position nochmals detailliert. 113 Danach sah es eine wichtige Aufgabe der bischöflichen Behörde gemeinsam mit der Pfarrgeistlichkeit darin, die „seit einigen Jahren fast überall beim katholischen Volke wieder lebendig gewordene Vorliebe für das Wallfahrten" zu mäßigen und zu beschränken, weshalb die bisherige duldende Verfahrensweise beizuhalten sei, sofern ein Geistlicher den Zug in Ornat begleite. 114 Nicht übersehen werden dürfen die staatliche und kirchliche Behörden kaum interessierenden Privatwallfahrten in kleineren Gruppen. Wallfahrten führten viele kleine Pilgergruppen im Vormärz fast ausschließlich zu diversen nahegelegenen Zielen durch. 1 1 5 Insgesamt nahmen Wallfahrten nach der preußischen Machtübernahme am Rhein aufgrund der wiederbelebten klerikalen Aufgeschlossenheit zu. Die in der theoretischen Debatte um religiösen Aberglauben mißlungene innerkatholische Unterscheidung in wundergläubige Frömmigkeit und Aberglauben wiederholte sich mustergültig in den vormärzlichen Wallfahrtsdiskussionen und sie schlug sich nachhaltig auf die konkrete Wallfahrtspraxis 112
Nußbaum an Arnoldi vom 27.1.1844, in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 72r-73r, hier Bl. 73r. Die Antwort des Generalvikariates vom 24.2.1844, in: ebenda, Bl. 75. Johann Adam Nußbaum (1778-1852) war seit 1832 nicht nur Pfarrer in Vallendar, sondern gleichzeitig Bischöflicher Bevollmächtigter der Delegatur Ehrenbreitstein, weshalb seine Klage zusätzliches Gewicht erhält. Vgl. Diözesanarchiv Trier, Weltklerus, S. 252. 113 Schreiner an Generalvikar Godehard Braun vom 28.8.1846 und Konzept Braun an Schreiner vom 8.9.1846, in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 205r208r. Im Konzept ist ein ursprüngliches Argument gestrichen, das die staatlichen Einschränkungen „durch den vieljährigen entgegengesetzten Gebrauch als abrogirt" bezeichnete, ebenda, Bl. 207r. Dr. Ludwig Joseph Schreiner (1798-1858) war seit 1835 Pfarrer in Zell. Vgl. Diözesanarchiv Trier, Weltklerus, S. 316. 114 Konzept Braun an Schreiner vom 8.9.1846, in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 207v-208r. 115 Vgl. Matthias Zender, Gestalt und Wandel von Heiligenverehrung und Wallfahrt an Main und Rhein, in: Dieter Harmening u.a. (Hg.), Volkskultur und Geschichte. Festgabe für Josef Dünninger zum 65. Geburtstag, Berlin 1970, S. 425439, hier S. 434. 7 Freytag
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nieder: Abgesehen von den beiden rheinpreußischen Großwallfahrten lenkten kirchliche Behörden und Pfarrgeistlichkeit Wallfahrten weit weniger aktiv, als es die Formel von der organisierten Massenreligiosität nahelegt. Offenkundig reagierte der Klerus eher defensiv auf die Anstöße zu Wallfahrten, die überwiegend aus den Pfarrgemeinden selbst kamen, sei es durch Bruderschaften oder durch einzelne. Toleranz, nicht offensive Inszenierung prägten sein Handeln.
b) Tauziehen um „hergebrachte" Traditionen: Wallfahrten und Prozessionen bis zum Ersten Weltkrieg Der Aberglaubensvorwurf gegenüber Wallfahrten und Prozessionen war auch nach 1848/49 jederzeit abrufbar. Zwar blieb es bis zum Beginn des preußisch-deutschen Kulturkampfes bei der amtskirchlichen Einzelfallentscheidung, allerdings wandelten die Wallfahrten selbst sich fundamental. 116 Nach 1850 hatte die katholische Kirche eine herausragende Rechtsposition inne, aber ihre öffentlichen Veranstaltungen unterlagen gleichzeitig der reaktionären Presse- und Vereinspolitik des preußischen Staates. 117 Zwei maßgebliche Elemente staatlicher Politik sind für das Wallfahrts- und Prozessionswesen zentral. Die nachrevolutionäre „Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechtes" in der Fassung vom 11. März 1850 regelte nun Wallfahrten und Prozessionen, worauf sich alle Beteiligten berufen konnten. 1 1 8 Diese waren von einer laut § 9 für alle öffentlichen Zusammenkünfte benötigten polizeilichen Genehmigung nur dann ausgenommen, wenn sie, wie in § 10 konkretisiert, „in der hergebrachten Art" stattfanden, wobei nicht weiter erläutert wurde, was darunter exakt zu verstehen war. Die Behörden konnten eine Zustimmung jederzeit verweigern, wenn sie eine vermeintliche Gefahr für Sicherheit und Ordnung sahen. Diese elastische Verordnung barg religionspolitischen Sprengstoff in sich, bot sie dem preußischen Obrigkeitsstaat der Reaktions- und später auch der Kulturkampfära doch eine bequeme und flexible Handhabe, gegen mißlie116
Den Wandel der religiös-populären Seite betont Sperber, Popular Catholicism, S. 30 und S. 64. 117 Vgl. Mergel, Zwischen Klasse und Konfession, S. 167 f. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III: Bismarck und das Reich, 2., verbesserte Aufl., Stuttgart u.a. 1970, S. 112-118. 118 Gesetz-Sammlung für die königlichen Preußischen Staaten 1850, Berlin o.J., Nr. 20, S. 277-283. Bernard, Wallfahrten, S. 82 f. Die Verordnung knüpfte damit an das Prinzip der Frankfurter Reichs Verfassung vom 28.3.1849 an, Religionsgesellschaften nach dem Vereinsrecht zu behandeln. Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 420 f.
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bige kirchliche Veranstaltungen einzuschreiten. Die gesetzliche Regelung lenkte den repressiven behördlichen Blick stärker als zuvor auf Prozessionen und deren Ablauf, zumal lokale Amtsträger nun auch ihre Konflikte vor Ort auf dieser rechtlichen Basis austragen konnten. Darüber hinaus beschwor der Kurs des autoritären und radikalpietistischen Oberpräsidenten Hans Hugo von Kleist-Retzow seit 1851 zahlreiche Konflikte mit den Katholiken in Rheinpreußen herauf. 119 Dem altpreußischen Junker fehlte jedes Verständnis für rheinisches und katholisches Brauchtum, wie bereits sein rigoroses Vorgehen gegen Tanzlustbarkeiten und Jahrmärkte zeigt. 1 2 0 Kleist-Retzow jedenfalls legte die Regelungen des Vereinsgesetzes von 1850 restriktiv aus und beharrte darauf, nichthergebrachte kirchliche Aufzüge zu vermeiden und sie bei den geringsten volksfestlichen Anzeichen zu verbieten. 121 Unter diesen Vorzeichen kam es am 29. Mai 1853 bei einer Ottweiler Fronleichnamsprozession unter der Leitung des vormaligen Lisdorfer Pfarrers Hansen zu erheblichen Unruhen, weil der übliche Verlauf verändert worden war. 1 2 2 Dieser grundsätzliche Konflikt um das „traditionelle Herkommen" - ein klassisches Argument frühneuzeitlicher Beschwerdeführung gegen Obrigkeiten - offenbarte die Achillesferse der dehnbaren Verordnung von 1850. In dem Ort, der zu etwas mehr als 80% protestantisch war, hatte Hansen die Fronleichnamsprozession mit der Zustimmung des protestantisch dominierten Gemeinderates 1850 zunächst aus angeblich verschmutzten Neben- auf die Hauptstraßen verlegt, da sich einige Katholiken bei ihm beschwert hatten, „diese Scheißeken nicht mehr betreten zu wollen". 1 2 3 Die Prozession sollte zudem nicht mehr aus Ottweiler heraus, sondern mitten 119
Hans Hugo von Kleist-Retzow (1814-1892), 1851-1858 Oberpräsident der Rheinprovinz, 1877-1892 Mitglied des Reichstages. Vgl. Hermann von Petersdorff, Kleist-Retzow. Ein Lebensbild, Stuttgart/Berlin 1907. Thomas Jungblut, Die „altpreußischen" höheren Regierungsbeamten und Landräte in den Regierungsbezirken Koblenz und Trier 1850 bis 1914 im Rahmen der preußischen Personalpolitik, phil. Diss, masch., Mainz 1989, hier S. 32-34. 120 Vgl Jonathan Sperber, Der Kampf um die Feiertage in Rheinland-Westfalen 1770-1870, in: Schieder, Volksreligiosität, S. 123-136, hier S. 132 f. Petersdorff, Kleist-Retzow, S. 249-261. 121 Kleist-Retzow an Regierung Koblenz vom 2.6.1857, in: LHAK, Best. 441, Nr. 24083. 122 Regierung Trier an Innenministerium vom 6.6.1853, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 413, Nr. 17, Bd. 2, Bl. 67r-69v. Becker, Hansen, S. 54-56. 123 Zeitungsausschnitt Rhein- und Mosel-Bote vom 15.7.1854, in: BAT, Best. 71,55, Nr. 189, S. 480. Ende 1850 hatte Ottweiler 2905 Einwohner: 2364 Protestanten, 398 Katholiken, 141 Juden und 2 Deutschkatholiken. Das geht aus einem unveröffentlichten Manuskript Hansens hervor: Die Fronleichnamsprozession, Ottweiler 1851, in: ebenda, S. 3-55, hier S. 42. Das noch kaum wissenschaftlich ausgewertete und umfangreiche Ottweiler Pfarrarchiv (BAT, Best. 71,55) bietet 7*
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durch den Ort führen. Bereits hier war es zu Störungen gekommen, denn ein Wagen hatte dem Umzug den Weg versperrt; dieser gehörte vermutlich dem protestantischen Gemeindebeigeordneten Wilhelm Weyl. 1853 untersagte Weyl dann in Vertretung des Bürgermeisters am Vorabend der Prozession den Umzug mitten durch die Stadt und versuchte, die Prozession auf den Weg zu zwingen, den sie vor 1850 genommen hatte. 1 2 4 Hansen leitete aus dem Verfahren von 1850 jedoch ein „Herkommen" ab und argumentierte, nach § 10 des Vereinsgesetzes sei eine erneute behördliche Genehmigung nicht mehr nötig. Es gelang dann nicht, den Umzug zu verhindern, und die Prozession fand in hochgradiger Erregung, unter Beschimpfungen sowie Handgreiflichkeiten statt. 1 2 5 Die Trierer Regierung und das Berliner Innenministerium folgten dann Hansens Interpretation der gesetzlichen Grundlage nicht und stellten sich auf die Seite des Ottweiler Gemeindeund des Landrats, zumal sie Hansens Persönlichkeit auch wegen seiner Mitgliedschaft in der preußischen Nationalversammlung 1848/49 negativ einstuften. Schließlich verurteilte das Saarbrücker Landgericht neun Beteiligte der Fronleichnamsprozession wegen Widerstands gegen polizeiliche Anordnungen zu Geld- und geringfügigen Gefängnisstrafen. 126 Aus Protest gegen diese Vorkommnisse verzichtete die katholische Gemeinde Ottweiler in den Folgejahren auf eine Fronleichnamsprozession. Auch wenn man gemeindliche Konflikte und persönliche Ressentiments im vorliegenden Fall sicher nicht unterschätzen darf, war mit der Frage des „Herkommens" bereits der neuralgische Punkt des Vereinsgesetzes berührt worden. Die beiden bis 1864 amtierenden rheinpreußischen Bischöfe Arnoldi und Johannes von Geissei änderten ihre vormärzlichen Haltungen zum Wallfahrts- und Prozessionswesen nur geringfügig, versuchten allerdings, Verunsicherungen zu vermeiden. Zwar wird der Kölner Erzbischof Geissei in dieser Frage von der Forschung insgesamt zurückhaltender und auch passiver reichhaltiges Material für Studien über konfessionelle Konflikte auf gemeindlicher Ebene. 124 Abschrift Weyl an Hansen vom 29.5.1853, in: ebenda, S. 75. Landrat Ottweiler an Regierung Trier vom 10.6.1853, in: LHAK, Best. 442, Nr. 6474, S. 15. Hier scheinen auch persönliche Antipathien zwischen Hansen und Weyl eine große Rolle gespielt zu haben, denn 1856 versuchte Hansen, Weyl in einem Beitrag für das Frankfurter Journal als erfolglosen Wunderheiler und Teufelsaustreiber bloßzustellen, in: BAT, Best. 71,55, Nr. 117, S. 2. 125 Konzept Hansen an Regierung Trier vom 7.6.1853, in: BAT, Best. 71,55, Nr. 189, S. 230-247. Bemerkenswert ist die Geschlossenheit, mit der die Katholiken auf seinen Vorschlag reagierten, die Prozession trotz des Verbots durchzuführen, hatte er ihnen doch freigestellt, an dem Zug durch die Stadt teilzunehmen. 126 Abschrift Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 7.11.1853; Regierung Trier an den katholischen Kirchenrat Ottweiler vom 31.7.1854; Innenministerium an Kirchenrat Ottweiler vom 14.7.1855, in: ebenda, S. 332-360, S. 484 und S. 608610. Hansen mußte 1853 zudem das Amt des Schulinspektors aufgeben.
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als Arnoldi eingestuft, aber hier wie dort blieb es bei den Einzelfallentscheidungen. 127 Auch wenn dies weiterhin einen Ermessensspielraum in der Genehmigungspraxis ließ, so ist dennoch zu erkennen, daß ein amtskirchlich getragener Aufschwung von Wallfahrten auf mehreren Ebenen schärfere Konturen bekam. Mit dem im Vormärz eher zurückhaltend erteilten bischöflichen Imprimatur für Gebets- und Andachtsbücher mit überlieferten frühneuzeitlichen Wundergeschichten der Wallfahrtsorte erhielt der Wunderglauben nun einen breiteren Resonanzboden. 128 Die im handlichen Oktavformat herausgegebenen Gebete und Erzählungen förderten die Pilgerreisen zu den bekannten Wallfahrtsorten wie Eberhardsklausen, Aachen oder Kevelaer; ihre Besucherzahlen stiegen nach der Revolution von 1848/49 wohl auch wegen der verbesserten Infrastruktur stetig a n . 1 2 9 Die Konzentration der Forschung auf die Aachener Heiligtumsfahrt, die 1853, 1860 und 1867 wiederum zahlreiche Pilger anzog, darf freilich den Blick auf die kleineren Wallfahrten und die Prozessionen nicht verstellen. Im Bistum Trier rang man sich 1851 immerhin zu einer Richtlinie durch, die für die folgenden Jahrzehnte wegweisende Grundlage blieb, selbst wenn man weiterhin über jeden einzelnen Antrag entschied. Seit 1851 benötigten Prozessionen von über 150 Pilgern eine bischöfliche Erlaubnis, dann allerdings durften sie in geistlicher Begleitung auch Fahnen und Kreuze mitführen, was im Vormärz meist noch untersagt worden w a r . 1 3 0 Nach wie vor kann für diesen Zeitraum von vielen kleinen und mittelgroßen Wallfahrten ausgegangen werden, hob doch die bischöfliche Behörde in Trier besonders hervor, gerade solche Umzüge dürften keinesfalls den Pfarrgottesdienst beeinträchtigen. Das Generalvikariat schärfte diese kirchlichen Grundsätze auch nach Arnoldis Tod in einer Verordnung vom 19. Oktober 1870 nochmals e i n . 1 3 1 Dennoch greift zu kurz, wer annimmt, Wallfahrten seien ausschließlich 127 Vgl. Herres, Städtische Gesellschaft, S. 203. Zu Johannes von Geissei (17961864), 1837-1842 Bischof von Speyer, 1842-1864 Erzbischof von Köln, seit 1850 Kardinal vgl. Otto Pfülf, Cardinal von Geissei. Aus seinen handschriftlichen Unterlagen geschildert, 2 Bde., Freiburg im Breisgau 1895-1896. Hegel, Erzbistum, S. 66-70. Für die Zeit vor 1848 Heinrich Linn, Ultramontanismus in Köln. Domkapitular Baudri an der Seite Erzbischof Geisseis während des Vormärz, Siegburg 1987, hier S. 123 f. Norbert Trippen, Das Domkapitel und die Erzbischofswahlen in Köln 1821-1929, Köln/Wien 1972, hier S. 104-156. 128 Philipp Lichter, Sieh' Deine Mutter! Ein Gebetbuch für Wallfahrer zur schmerzhaften Mutter Gottes Maria in Eberhards=Clausen nebst Geschichte und Erzählung einiger Wunderwerke aus älterer und neuerer Zeit vor dem Gnadenbilde daselbst, 2., vermehrte Aufl., Trier 1862 (11852). Lichter, Volksfrömmigkeit, S. 170-178. 129 Vgl. Dohms, Rheinische Katholiken, S. 215-223. 130 Konzept Generalvikariat an Pfarrer Johann Hubert Schmitz in Gillenfeld vom 28.5.1851, in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 210r. Auch 1873 griff man auf diese Regelung zurück: Konzept Generalvikariat an Domvikar vom 6.9.1873, in: ebenda, Bl. 212r.
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Ausdruck einer nun von der Amtskirche eingehegten, einer „formierten Frömmigkeit" gewesen. 132 Auch wenn Massenwallfahrten leichter als die oftmals spontanen Nahwallfahrten zu disziplinieren und zu überwachen waren, traten selbst bei ihnen immer wieder Spannungen auf und wurden Eigeninitiativen entwickelt. Zwar stellt das Konzept der „Ultramontanisierung" katholischer Frömmigkeit für eine zunehmende Konzentration auf größere Wallfahrtsorte ein weitreichendes Erklärungsmodell zur Verfügung, aber gerade Wallfahrten gehen darin nicht vollständig auf. Sicher kann man von einer größeren Sympathie ultramontaner Geistlichkeit für althergebrachte Formen der Volksfrömmigkeit ausgehen, zumal diese von aufgeklärt-katholischer Seite nach wie vor als abergläubisch abgelehnt wurden. Dennoch verflüssigt man mit diesem Konzept eine Zustandsbeschreibung und unterstellt dort ein Stück weit prozessuale Einheitlichkeit und vor allem geplante Zielstrebigkeit, wo sie oftmals fehlte. Der gesuchte und damit gefundene Anschluß an prozessuale Modernisierungsbegriffe verstellt rasch den Blick für individuelle Brüche und regionale Eigenarten. M i t einem solchen Urteil säße man in doppelter Hinsicht zeitgenössischen Wahrnehmungen auf. Einerseits speiste sich nämlich das Ziel, Frömmigkeitsformen zu uniformieren, aus einer antirevolutionären, ultramontanen Utopie und klerikalen Wünschen, wie sie auf den vielen, nach 1848 wiederauflebenden Missionen verbreitet und in katholischen Vereinen befördert wurden. Andererseits schließt man sich den Krisenszenarien jener aufgeklärt-bürgerlichen Liberalen an, die hinter jeder populären Frömmigkeitsäußerung die voroder antimoderne, die romorientierte Amtskirche vermuteten. Über den einheitlichen Blick auf einen abergläubischen Gegner fiel es leichter, seine eigenen Positionen zu definieren und katholische Frömmigkeit nicht nur als veraltet, sondern auch als schädlich zu diffamieren. 133 131 Kirchlicher Amtsanzeiger für die Diözese Trier pro 1870, XVIII. Jahrgang, Trier 1870, Nr. 75, S. 126. Die Verordnung bezieht sich ausdrücklich auf eine Regelung der Wallfahrten nach Bornhofen vom 23.5.1851, gedruckt in: Johannes Jacobus Blattau, Statuta Synodalia, Ordinationes et Mandata Archidiocesis Trevirensis, 9 Bde., Trier 1844-1859, hier Bd. 9, Nr. 112, S. 282 f. 132 Begrifflichkeit nach Korff, Formierung der Frömmigkeit. 133 Für die Heiligtumsfahrt von 1853 betont Jürgen Herres zu Recht die Komplexität von amtskirchlicher Mobilisierung und populärer Beharrung. Vgl. Herres, Städtische Gesellschaft, S. 377-380. Dagegen Sperber, Popular Catholicism, S. 72 f. Durch die Brillen katholischer Bürger blickt Mergel, Zwischen Klasse und Konfession, S. 167-174, der sich weitgehend Sperber anschließt. Gottfried Korff, Heiligenverehrung und soziale Frage. Zur Ideologisierung der populären Frömmigkeit im späten 19. Jahrhundert, in: Günter Wiegelmann (Hg.), Kultureller Wandel im 19. Jahrhundert. Verhandlungen des 18. Deutschen Volkskunde-Kongresses in Trier vom 13. bis 18. September 1871, Göttingen 1973, S. 102-111. Zu Missionen vgl. Erwin Gatz, Rheinische Volksmissionen im 19. Jahrhundert dargestellt am Beispiel des Erzbistums Köln. Ein Beitrag zur Geschichte der Seelsorge im Zeitalter der katholischen Bewegung, Düsseldorf 1963, hier S. 71-174.
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Der Umgang mit Wallfahrten und Prozessionen änderte sich mit Beginn des Kulturkampfes. Zusätzlich zum Vereinsgesetz von 1850 bildete ein gemeinschaftlicher Erlaß des preußischen Innen- und Kultusministeriums vom 26. August 1874 nun das geänderte behördliche Fundament. 134 Danach sollten sie nur dann erlaubt werden, wenn keine Gefahr für die öffentliche Ordnung bestand, worunter die Berliner Zentrale neben dem Schutz der anderen Konfessionen nun auch die Beeinträchtigung des Straßenverkehrs faßte. Zu einem weiteren Kulturkampfgesetz hatten sich der reformkonservative Innenminister Friedrich Graf zu Eulenburg und sein Kollege im Kultusministerium, die verhaßte Symbolfigur des preußischen Kulturkampfs Adalbert Falk, nicht durchringen können - und das trotz massiver publizistischer Vorwürfe, die in der Formel vom „Straßen-Terrorismus" der Katholiken gipfelten. Vermutlich blieb es hauptsächlich wegen des umsichtigen Kalküls der Oberpräsidenten Heinrich Moritz von Bardeleben (Rheinprovinz) und Carl Wilhelm von Horn (Preußen) bei einer Verordnung. Das Innen- und das Kultusministerium hatten in einer geheimen Anfrage an die Ober- und Regierungspräsidenten der Provinzen mit katholischem Bevölkerungsanteil deren Äußerungen über ein gesetzliches Verbot katholischer Umzüge eingefordert. 135 Bardeleben zeigte sich in seiner Stellungnahme felsenfest davon überzeugt, ein weiteres Gesetz gäbe der „ultramontanen Partei ein äußerst wirksames Agitationsmittel" an die Hand, und riet der Berliner Zentrale daher im November 1873 dringend davon a b . 1 3 6 Gleichlautend äußerte sich auch sein Königsberger Amtskollege Horn. Zwar dien-
134 Ministerielle Verfügung an sämtliche Regierungen und Landräte vom 26.8.1874, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16004, S. 15-19. Der Begriff „Kulturkampf 4 dürfte maßgeblich von dem berühmten Mediziner Rudolf Virchow (1821-1902) geprägt worden sein. Vgl. Schmidt-Volkmar, Kulturkampf, S. 119. 135 Innen- und Kultusministerium an Bardeleben vom 12.9.1873, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16004, S. 1-3. Der Begriff „Straßen-Terrorismus": ebenda, S. 1. Eine Übersicht über die Voten der Ober- und Regierungspräsidenten der Provinzen Preußen, Posen, Schlesien, Westfalen und Rheinland befindet sich in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 413, Nr. 17, Bd. 3, Bl. 289r-292r. Bis auf Bardeleben und Horn erklärten sich alle mit einer gesetzlichen Regelung einverstanden. Heinrich Moritz von Bardeleben (1814-1890) war von 1872 bis 1889 Oberpräsident der Rheinprovinz. Vgl. Romeyk, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 342. Carl Wilhelm von Horn (1807-1889), promovierter Jurist, 1865 geadelt, war seit 1869 Oberpräsident der Doppelprovinz Preußen, nach deren Teilung 1878 dann bis 1882 Oberpräsident von Ostpreußen. Allein durch die Größe der Provinz hatte seine Stimme in Berlin besonderes Gewicht. Vgl. Reinhard Häuf t Die Oberpräsidenten von Ost- und Westpreussen 1871-1918, in: Klaus Schwabe (Hg.), Die preußischen Oberpräsidenten 1815-1945. Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte, Boppard am Rhein 1981, S. 315-322, hier S. 319. 136 Bardeleben an Eulenburg und Falk vom 13.11.1873, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 413, Nr. 17, Bd. 3, Bl. 247r-250r. Vgl. dazu auch WynandSy Wallfahrten, S. 129.
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ten Wallfahrten und Prozessionen seiner Meinung nach „nur dem religiösen Fanatismus oder Aberglauben", aber der Staat müsse dennoch alles vermeiden, „was als eine Verfolgung des katholischen Glaubens, althergebrachter katholischer Gebräuche gedeutet werden könnte". 1 3 7 Indem Horn „Fanatismus" und „Aberglauben" miteinander koppelte, maß er Wallfahrten eine aufhetzende Wirkung bei. Berlin verzichtete zwar auf ein weiteres Kulturkampfgesetz, allerdings wurde das Vereinsgesetz nun verschärft dahingehend angewendet, daß katholische Kirchengemeinden im Zweifelsfall detailliert nachweisen mußten, ob eine Prozession „hergebracht" w a r . 1 3 8 Diese bisweilen groteske Kulturkampfpraxis läßt sich vortrefflich anhand der Fronleichnamsprozessionen vom 31. Mai 1877 beobachten. 139 Galten Fronleichnamsprozessionen den preußischen Behörden ohnehin schon als kirchlicher Aufmarschtag par exellence, als katholisches Pendant zu den liberal-nationalen Sedanfeiern, so erreichten die Spannungen hier einen fast schon absurden Höhepunkt. In einigen Gemeinden hatten Geistliche die Prozessionen wegen angeblich schlechten Wetters verlegt auf den nächstfolgenden Sonntag, den 3. Juni 1877. Dies veranlaßte das Innenministerium zu einer umfassenden Bestandsaufnahme über die Wetterlage in der Rheinprovinz. Hintergrund dieser meteorologischen Neugierde war das 50jährige Bischofsjubiläum des Papstes, das auf eben jenen Sonntag fiel. Berlin hatte bereits im Vorfeld besondere kirchliche Feierlichkeiten verboten, nun aber hatten durch die Verschiebung der Fronleichnamsprozessionen doch zusätzliche Umzüge stattgefunden, die als Feier des päpstlichen Jubiläums gelten konnten. Allerdings war die ministerielle Anordnung unterschiedlich ausgelegt worden, weshalb einige Bürgermeister Prozessionen verhindert, andere sie wiederum genehmigt hatten. 1 4 0 Die Lokalbehörden waren nun angewiesen, auf Basis des Vereinsgesetzes peinlich genau zu prüfen, ob es „herkömmlich" sei, die Fronleichnamsprozessionen bei Regen auf den anschließenden Sonntag zu verschieben, wozu vorwiegend ältere Einwohner der Orte befragt wurden. Besonders hartnäckig beharrte der bei den Behörden ohnehin als ultramontan verschriene Ehranger Pfarrer Gotthard Prinz auf dem durch Herkommen begründeten Recht, die Fronleichnamsprozession zu vertagen, was von der Ortspolizei untersagt worden war. 1 4 1 Durch alle Be137
Horn an Eulenburg und Falk vom 5.12.1873, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 413, Nr. 17, Bd. 3, Bl. lllr-114r, Zitate Bl. 113. 138 Pfarrgemeinde Blankenheim an Regierung Aachen vom 24.2.1876, in: HStAD, Best. Regierung Aachen, Nr. 4881. Am Beispiel der Wallfahrten nach Kevelaer Dohms, Rheinische Katholiken, S. 223-230. 139 Bardeleben an Innenministerium vom 4.4.1878, in: GStA PK, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 413, Nr. 17, Bd. 6, Bl. lr-2v. 140 Abschrift Innen- und Kultusministerium an Oberpräsident Friedrich Christian Hubert von Kühlwetter (Westfalen) vom 17.5.1877; Innen- und Kultusministerium an Bardeleben vom 25.9.1877, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16004, S. 23 und S. 25.
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hördeninstanzen hindurch beschwerte er sich, brachte diverse Zeugenaussagen vor, die seine Version bestätigten, und kam dennoch nicht an sein Ziel. Kultus- und Innenministerium lehnten seine Beschwerden letztlich mit der Begründung ab, in den umliegenden Orten Trier, Schweich und Ruwer habe es auch nicht geregnet und deren Prozessionen seien pünktlich erfolgt. 1 4 2 Bei aller bürokratischer Intoleranz darf nicht übersehen werden, daß Zeitungsberichte und Eingaben aus protestantischen Bevölkerungskreisen ein schärferes Einschreiten gegen Wallfahrten oder Prozessionen nicht unmaßgeblich motivierten. In den Akten finden sich vielfach Klagen über den katholischen Ritus und die ,,dumm[e] und stumpf[e]" Abergläubigkeit der Pilger, die man spätestens seit dem Unfehlbarkeitsdogma erneut in ihre selbstverschuldete Unmündigkeit zurückgefallen wähnte. 143 Die Wallfahrten zum Marpinger Marienwunder seit dem Sommer 1876 steigerten diese harsche Ablehnung noch, denn sie wurden in der liberalen Presse sofort zu einem politischen Thema ersten Ranges stilisiert. Auch waren sie von einer wahren Flugschriftenflut begleitet und riefen in der Rheinprovinz vielfach Folgewunder hervor. Dabei war der Aberglaubensvorwurf allgegenwärtig, ja der kleine saarländische Ort geronn den Liberalen während des Kulturkampfes zum Synonym für katholischen Aberglauben. Gerade die liberale Presse nutzte dies, um die Katholiken nun als dumm, verführbar, rückständig und ungebildet zu geißeln. Fast vollständig verloren gingen in dieser aufgeheizten Situation die aufklärerischen Wurzeln, aus denen sich auch der Linksliberalismus lange gespeist hatte: Langfristig angelegte Strategien im Kampf gegen Aberglauben - wie Bildung - spielten keine Rolle mehr. 1 4 4 Der preußische Staat war in Marpingen zunächst mit aller Macht eingeschritten. Militär, Gendarmerie und gar ein verdeckter Berliner Poli141
Gotthard Prinz (1826-1893) war von 1869-1887 Pfarrer in Ehrang, seit 1887 dann Direktor des Emeritenhauses in Trier. Vgl. Diözesanarchiv Trier, Weltklerus, S. 266. Abschrift Regierung Trier an Eulenburg vom 14.12.1877, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16005, S. 419-423. Die Beschwerde Prinz' an das Innenministerium vom 23.11.1877 befindet sich in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 413, Nr. 17, Bd. 6, Bl. 4. Bürgermeister aus Ehrang an Landrat Eduard Otto Spangenberg in Trier vom 30.3.1874, in: LHAK, Best. 442, Nr. 3915. 142 Regierung Trier an Bardeleben vom 24.3.1878; Abschrift Innenminister und Kultusminister an Prinz vom 8.5.1878, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16004, S. 33-45 und S. 47 f. Bardeleben an Eulenburg vom 4.4.1878, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 413, Nr. 17, Bd. 6, Bl. lr-2v. 143 Auszug aus dem Brief des Uerdinger Kaufmanns Louis Herbertz vom 19.9.1873, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16005, S. 269-272, Zitat S. 271. 144 Ygj Blackbourn, Marpingen, hier S. 451-480. Aus der umfangreichen zeitgenössischen Literatur sei hier nur genannt Jürgen Bona Meyer, Der Wunderschwindel unserer Zeit, Bonn 1878, der auch über andere rheinpreußische Marienerscheinungen informiert.
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zeispitzel mit dem Decknamen James Marlow, der sich als irischer Journalist ausgab, - sie alle waren aufgeboten worden, um der Pilgerströme Herr zu werden und die Erscheinungen als Betrug zu entlarven. In diesem Kontext hatte es Anordnungen gegeben, bei katholischem Widerstand gegen die Kulturkampfgesetze mit allen verfügbaren Mitteln durchzugreifen. So forderte der Trierer Regierungspräsident Arthur von Wolff 1877, bei Massenversammlungen künftig umgehend die Waffe zu benutzen und Militär hinzuzuziehen. 145 Andere Beamte verfuhren zweifellos umsichtiger, war man sich doch durchaus darüber im klaren, daß eine rücksichtslose Unterdrükkung der Pilgerfahrten das Interesse an Wundern in einem nichtgewünschten Sinne noch förderte. In der Gappenacher Mühle bei Polch (Kreis Mayen) war im März 1877 die Jungfrau Maria angeblich in einer Flasche erschienen, die mit Heilwasser aus der Marpinger Wunderquelle gefüllt war, und hatte über Ostern etwa 4000 Pilger täglich angezogen. 146 Zwar konfiszierte der Mayener Landrat Ludwig Delius umgehend die „Wunderflasche", aber gleichzeitig rechtfertigte er in typischem Behördendeutsch seine vorsichtige Zurückhaltung: „Da die Erfahrung lehrt, daß es in solchen Dingen mit der Zurückdrängung und mit der strafrechtlichen Verfolgung nicht gethan ist, vielmehr der Gedanke an die Möglichkeit, ein ,Martyrium' zu erleiden, für fanatisirte oder sonst aufgeregte Gemüther etwas Verlockendes hat, so erachte ich den Standpunkt, welchen meine Verfügungen kennzeichnen zur Zeit noch für den richtigen".147 Die Ausführungen des Landrats deuten gleichfalls an, daß die auf beiden Seiten vorhandene Gewaltbereitschaft jederzeit ausbrechen konnte. Auch an der Gappenacher Mühle waren die staatlichen Repräsentanten bedroht und mit Steinen beworfen worden. Die Grenzen waren rasch überschritten, und die Akten sind voll von Zeugnissen über gewalttätigen Protest gegen staatliche Kulturkampfmaßnahmen. 148
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Vgl. Klaus-Michael Mallmann, Volksfrömmigkeit, Proletarisierung und preußischer Obrigkeitsstaat, in: [-], Soziale Frage und Kirche im Saarrevier. Beiträge zu Sozialpolitik und Katholizismus im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, Saarbrücken 1984, S. 183-232, hier S. 215. 146 Bürgermeister Driesch aus Polch an Landrat Delius vom 3.4.1877, in: LHAK, Best. 441, Nr. 9481. 147 Delius an Regierung Koblenz vom 26.3.1877, in: ebenda. Mäßigend wirkte Delius vor allem auf den Polcher Bürgermeister Driesch ein: Delius an Driesch vom 3.4.1877, in: LHAK, Best. 655,033, Nr. 403. 148 Dazu diverse Beispiele aus dem Regierungsbezirk Trier in: LHAK, Best. 442, Nr. 3915. Dieses Problemfeld ist noch nicht systematisch untersucht worden. Vgl. bisher die Anregungen bei Helmut Walser Smith, German nationalism and religious conflict: Culture, Ideology, Politics, 1870-1914, Princeton 1995, S. 43 f. Margaret Lavinia Anderson, Windthorst. Zentrumspolitiker und Gegenspieler Bismarcks, Düsseldorf 1988 (amerik. Original 1981), S. 176-183. Sperber, Popular Catholicism,
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Die Lage von Klerus und Pfarrgeistlichkeit erwies sich in dieser Phase als überaus prekär. Beide rheinpreußischen Bischöfe, Paulus Melchers, Erzbischof von Köln, und Matthias Eberhard, Bischof von Trier, waren persönlich wie in ihrer seelsorgerischen Tätigkeit massiv von den preußischen Kulturkampfgesetzen betroffen. 149 Die ordentliche Seelsorge war durch die Maigesetze von 1873 und 1874 erheblich eingeschränkt, da der preußische Episkopat die ihm auferlegten Einschränkungen, wie die Anzeigepflicht von Stellenzuweisungen beim zuständigen Oberpräsidenten, nicht befolgte. 150 Schon die Zahlen über die Geistlichkeit lassen einen Eindruck über die Auswirkungen zu: Waren 1874 noch 816 Geistliche im Bistum Trier aktiv, so zeigt eine Bestandsaufnahme von 1881, daß mittlerweile 230 Pfarreien vakant waren, 212 Pfarrgeistliche Preußen hatten verlassen müssen und nur noch 520 Geistliche ihren Dienst versahen. Für das Erzbistum Köln sind vergleichbare Zahlen festgestellt worden. 1 5 1 Der Kulturkampf und die rheinpreußischen Marien wunder der 1870er Jahre zeitigten für die Pfarrgeistlichkeit zwiespältige Auswirkungen, die eine klare Linie im Umgang mit Wallfahrten nahezu unmöglich machten. Bedingt war dies durch einen überaus instabilen Machtzuwachs des Pfarrklerus sowie durch die Begrenzung amtskirchlicher Ultramontanisierung bei gleichzeitiger Stärkung des katholischen Milieus, die viele Pfarrer verunsiS. 229-233. Ronald J. Ross, Enforcing the Kulturkampf in the Bismarckian State and the Limits of Coercion in Imperial Germany, in: JMH 56 (1984), S. 456-482. 149 Paulus Melchers (1813-1895), 1857 Bischof von Osnabrück, im Kulturkampf neben dem Mainzer Bischof Ketteier Kopf der kirchlichen Opposition, 1874 sechs Monate im Gefängnis, 1875-1885 im niederländischen Exil, seit 1885 Kurienkardinal in Rom. Vgl. Hegel, Erzbistum, S. 80-85 und S. 549-576. Matthias Eberhard (1815-1876), 1842 Professor für Dogmatik am Trierer Priesterseminar, 1874 neun Monate im Gefängnis, starb, bevor er nach Luxemburg ins Exil gehen konnte. Josef Steinruck, Matthias Eberhard (1867-1876), in: Persch/Embach, Bischöfe von Trier, S. 123-140. Weber, Kirchliche Politik, S. 4-19. Aegidius Ditscheid, Matthias Eberhard. Bischof von Trier, im Kulturkampf, 2., neu durchgesehene und vermehrte Aufl., Trier 1911 (!1900). Zu den Auswirkungen der Kulturkampfgesetze auf beide Bischöfe vgl. Scholle, Strafjustiz, S. 163-185 und S. 197-212. 150 Zur Seelsorge Erwin Gatz, Paulus Melchers als Seelsorger, in: AHVN 177 (1975), S. 144-163, hier S. 161-163. Zum zeitgenössisch-seelsorgerischen Stellenwert von Wallfahrten Georg Patiß, S. J., Die Wallfahrten in ihrer providentiellen Bedeutung für unsere Zeit, Mainz 1875. 151 Die Zahlen bei Mallmann, Volksfrömmigkeit, S. 212. Das Bistum Trier war im Deutschen Reich von den staatlichen Maßnahmen offenbar noch vor dem Erzbistum Köln am stärksten betroffen. Vgl. dazu die Übersicht für das Jahr 1879 bei Schmidt-Volkmar, Kulturkampf, S. 168. Ähnlich sah es im Regierungsbezirk Aachen aus, der zum Erzbistum Köln gehörte. Vgl. Herbert Lepper, Die kirchenpolitische Gesetzgebung der Jahre 1872 bis 1875 und ihre Ausführung im Regierungsbezirk Aachen. Ein Beitrag zur Geschichte des „Kulturkampfes" in der Erzdiözese Köln, in: AHVN 171 (1969), S. 200-258, hier S. 229-234. Heinrich Schiffers, Der Kulturkampf in Stadt und Regierungsbezirk Aachen, Aachen 1929.
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cherte. 152 Das Selbstbewußtsein und die Autorität der Pfarrgeistlichen waren in der Auseinandersetzung mit dem preußischen Staat einerseits gestärkt worden. Sofern sie kein staatliches Gehalt bezogen oder maigesetzwidrig angestellt waren, was Geld- oder Gefängnisstrafen zur Folge hatte, erhielten sie häufig enormen finanziellen, moralischen und eben auch physischen Rückhalt in ihren Gemeinden. Vielerorts kam es bei Verhaftungen von Geistlichen zu gewalttätigen Tumulten und Unruhen. Nach ihrer Rückkehr aus den Gefängnissen wurden sie dann enthusiastisch und mit großen Feierlichkeiten empfangen, die nicht von ungefähr an die zeremonielle Einholung hoher Würdenträger erinnerten. 153 Gleichzeitig hatten die Abwesenheit der verhafteten oder im Exil lebenden Bischöfe sowie die Vakanz der Bistümer die hierarchische Kette Papst - Bischof - Pfarrer durchbrochen oder zumindest geschwächt, so daß sich viele Geistliche inmitten des katholischen Milieus plötzlich weitgehend auf sich gestellt sahen. 154 Indessen hatte dies auch eine Kehrseite, übten die Gläubigen doch oft erheblichen Druck auf die Pfarrgeistlichkeit aus, wie der Mayener Landrat im Zusammenhang mit dem „Flaschenwunder" in der Gappenacher Mühle hellsichtig registrierte: „Sobald sich ein Geistlicher gegen das Wunder erklärte, er-
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Zum Folgenden einschlägig Blackbourn, Marpingen, S. 324-372. So Landrat Dagobert Borchert (Bitburg) an Regierung Trier vom 28.4.1877, in: LHAK, Best. 442, Nr. 3915. Dazu zahlreiche Beispiele bei Karl Kammer, Trierer Kulturkampfpriester. Auswahl einiger markanten [!] Priester=Gestalten aus den Zeiten des preußischen Kulturkampfes, Trier 1926. Zum Zeremoniell grundlegend Klaus Tenfelde, Adventus. Zur historischen Ikonologie des Festzugs, in: HZ 235 (1982), S. 45-84. 154 Vgl. Margaret Lavinia Anderson, Die Grenzen der Säkularisierung. Zur Frage des katholischen Aufschwungs im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: Lehmann, Säkularisierung, S. 194-222, hier S. 206. Wolf gang Dietz, Die Auswirkungen des Kulturkampfes im Regierungsbezirk Koblenz, phil. Diss, masch., Bonn 1992, hier S. 291-298. Grundsätzlich zum Milieubegriff M. Rainer Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur: zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Wilhelm Abel u. a. (Hg.), Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Friedrich Lütge, Stuttgart 1966, S. 371-393. Anregende Gedanken zu Einflußmöglichkeiten des Klerus und zur Rolle der Pfarrgeistlichen als „Milieumanager" im Kaiserreich bei Olaf Blaschke, Die Kolonialisierung der Laienwelt. Priester als Milieumanager und die Kanäle klerikaler Kuratel, in: Ders./Kuhlemann, Religion im Kaiserreich, S. 93-135. Knapp dazu auch schon Michael Klöcker, Das katholische Milieu. Grundüberlegungen - in besonderer Hinsicht auf das Deutsche Kaiserreich von 1871, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 44 (1992), S. 241-262, hier S. 250. Wichtig für den Begriff des katholischen Milieus sind auch die konzeptionellen Überlegungen in einem Kollektivaufsatz des Arbeitskreises für kirchliche Zeitgeschichte, Münster, Katholiken zwischen Tradition und Moderne. Das katholische Milieu als Forschungsaufgabe, in: Westfälische Forschungen 43 (1993), S. 588-654, sowie Ders., Konfession und Cleavages im 19. Jahrhundert. Ein Erklärungsmodell zur regionalen Entstehung des katholischen Milieus in Deutschland, in: HJB 120 (2000), S. 358-395. 153
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folgte flugs die Verdächtigung: der ist nun auch ein Liberaler geworden, der wieder in den Genuß des StaatsGehalts gelangen w i l l " . 1 5 5 Diese Äußerung zeigt deutlich, daß eine kritische innerkirchliche Auseinandersetzung um die Wallfahrten, geschweige denn eine seelsorgerische Erziehung, kaum möglich war. Ganz im Gegenteil, der politische Druck erhöhte ihre innerkirchliche Akzeptanz. Sicher mitgetragen durch die päpstliche Fürsprache und teilweise auch durch die offizielle Anerkennung von Wundern hatte sich die Verehrung der Jungfrau im 19. Jahrhundert enorm gesteigert. Die Marienerscheinungen in La Salette (1846), Lourdes (1858), Marpingen (1876) und Fatima (1916) bildeten hier nur die Spitze eines riesigen Eisberges, und das päpstliche Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens 1854 tat sein übriges. 156 Allerdings strömten die Pilger auch und gerade ohne ihre Pfarrer zu den wundertätigen Orten, unabhängig davon, ob diese sich dafür oder dagegen ausgesprochen hatten. So entfalteten die Marienwunder rasch eine Eigendynamik, der die Geistlichkeit oftmals machtlos gegenüberstand. Viele Geistliche machten eine kaum erwartete Erfahrung, mußten sie sich doch wie der Zauberlehrling vorkommen, der die beschworenen Geister kaum mehr kontrollieren, geschweige denn loswerden konnte. Die von ihnen seit dem Dogma von der Unbefleckten Empfängnis gepredigte Marienfrömmigkeit ließ sich jedenfalls nicht mehr vollkommen einhegen. Über Wallfahrten und Prozessionen zwischen Kulturkampf und Erstem Weltkrieg ist bisher nur wenig geforscht worden. Auch wenn kirchliche Publikationsorgane nun intensiv die Frage nach der Beförderung von Pilgern mit der Eisenbahn diskutierten, so heißt dies nicht, wie teilweise behauptet, daß konfessionelle Konflikte vollständig in den Hintergrund traten. 157 Zwar bemühten sich die Berliner Ministerien in den 1880er Jahren zunächst, die Kulturkampffronten aufzuweichen, wie an der nun zurückhaltenderen Anwendung des Vereinsgesetzes von 1850 zu erkennen ist. Selbst nachgeordnete Behörden entwickelten ganz offensichtlich mehr und mehr Einfühlungsvermögen für den katholischen Ritus, und der aufklärerische Aber155 Konzept Delius an Regierung Koblenz vom 10.4.1877, in: LHAK, Best. 441, Nr. 9481. Das „Staatsgehalt" konnten Geistliche nach dem sogenannten Brotkorbgesetz von 1875 nur dann erhalten, wenn sie die Kulturkampfgesetze anerkannten. 156 Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1994, hier S. 286-292. Schmiedl, Marianische Religiosität, S. 1-27. Klaus Guth, Geschichtlicher Abriß der marianischen Wallfahrtsbewegungen im deutschsprachigen Raum, in: Wolfgang Beinert/ Heinrich Petri (Hg.), Handbuch der Marienkunde, Regensburg 1984, S. 721-848, hier S. 823-833. Thomas A. Kselman, Miracles & Prophecies in Nineteenth-century France, New Brunswick/New Jersey 1983. 157 Vgl. Bernard, Wallfahrten, S. 84. Einen Überblick am Beispiel der KevelaerWallfahrt gibt Dohms, Rheinische Katholiken, S. 230-242.
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glaubensvorwurf verschwand aus ihrem Vokabular. 158 Die Basis behördlichen Einschreitens und gerichtlicher Strafen blieb das Vereinsgesetz, das nach wie vor zur Urteilsbegründung herangezogen wurde. 1 5 9 Selbst bei der Trierer Rockwallfahrt von 1891 erwartete der Koblenzer Regierungspräsident Ferdinand von Itzenplitz eine Anzeige für jede einzelne Prozession, da ihm keine als „herkömmlich" galt. Allerdings nahm er die Ankündigung der Rockwallfahrt durch Bischof Michael Felix Korum weitaus gelassener hin als sein Amtsvorgänger seinerzeit noch die Bekanntmachung Arnoldis von 1844; er verzichtete auf den Hinweis, daß grundsätzlich eine staatliche Erlaubnis notwendig sei. 1 6 0 Auch im Oktober 1896 bei einer Ausstellung der „Sandale Christi" in Prüm, einer Wallfahrt von höchstens regionaler Reichweite, reagierten die preußischen Beamten entgegenkommend auf die Wünsche des Prümer Dechanten Christa. Eine Absprache zwischen diesem und dem zuständigen Landrat sollte lediglich noch „Verkehrsprobleme" regeln, zumal die Verwaltung offenbar vermutete, daß die Pilger sich ausschließlich amüsieren wollten. 1 6 1 Dennoch blieb parallel zum langsamen Abbau des Kulturkampfes nicht nur eine latente Wallfahrtsfeindlichkeit erhalten, sondern zu Beginn des 20. Jahrhunderts erklommen die Konflikte um das Wallfahrts- und Prozessionswesen zumindest im saarländischen Teil der Rheinprovinz nochmals einen Gipfel. Wiederholt beschwerten sich Katholiken über die Störungen ihrer Wallfahrten und Prozessionen. Folgt man der anonymen Anzeige eines Katholiken von 1906, dann glichen Pilgerfahrten durch gemischtkonfessionelle oder protestantische Gegenden nach wie vor oftmals einem Spießrutenlaufen. In Breitscheid (Kreis Altenkirchen) sollen Protestanten die Pfingstmontagsprozession nach Marienthal beträchtlich gestört haben: „Viele feine Drähte hatte man schon vorher über den Weg gespannt, um die Pilger zum Fallen zu bringen. [...] Von schweren Steinen hatte man Kreuze auf den Weg gelegt, dieselben mit Dornen geflochten und über und über mit Kot beschmiert. Junge Burschen kreuzten die Prozession fortwährend und sangen unflätige Spottverse auf die Mutter Gottes. [...] Mit Steinen und Kot wurde auf die Pilger geworfen und mehrere junge Burschen gingen sogar so weit, sich mitten in die Prozession zu stellen, um ihre Nothdurft zu verrichten". 162 158 Regierung Trier an Oberpräsident Berthold Johannes von Nasse vom 6.9.1890, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16006, S. 177-180. 159 Abschrift des Urteils des Kammergerichts Berlin in der Strafsache gegen Pfarrer Hallauer (Sponheim) vom 24.2.1890, in: LHAK, Best. 441, Nr. 17084. 160 Itzenplitz an den Ersten Staatsanwalt in Koblenz vom 10.9.1891, in: ebenda. Regierungspräsident Adolf von Heppe (Trier) an Nasse vom 4.6.1891, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16220, S. 81-83. 161 Heppe an Nasse vom 21.8.1896, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16220, S. 15-18. 162 Abschrift aus der Märkischen Volks-Zeitung vom 1.7.1906, Nr. 147, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16007, S. 373 f. Ermittlungen der Koblenzer Regierung erga-
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Die drastische Klage fiel auch deshalb auf fruchtbaren Boden in der Öffentlichkeit, weil es kurz nach der Jahrhundertwende vor allem im saarländischen Teil der Rheinprovinz zu handfesten Konfrontationen aufgrund neuer Prozessionen gekommen war. Zentraler Konfliktherd waren die Fronleichnamsprozessionen, die jetzt in den durch einen Zuwachs des katholischen Bevölkerungsanteils neugegründeten Vikarien oder Pfarreien stattfinden sollten. Bezeichnenderweise konzentrierten sich die Auseinandersetzungen auf die höchstindustrialisierten Kreise des Saarlandes: Ottweiler und Saarbrücken. Mit einem überdurchschnittlichen Bevölkerungswachstum, überproportional getragen durch Zuwanderung, lösten sich hier die ehemals scharfen Konfessionsgrenzen auf. So lebten im ehemals vorwiegend evangelischen Kreis Saarbrücken mittlerweile über 60% Katholiken, was zu oft miteinander verwobenen konfessionellen und sozialen Spannungen führte. 1 6 3 Eine Ende 1906 zusammengestellte Übersicht des Trierer Regierungspräsidenten Alfred Georg von Bake über die „Entwicklung des Prozessionswesens in den Kreisen Saarbrücken und Ottweiler in den letzten zehn Jahren" informiert über behördliche Sichtweisen in dieser Angelegenheit. 164 Der seit 1905 amtierende, erste katholische Oberpräsident der Rheinprovinz, Clemens von Schorlemer-Lieser, hatte sich in einer auf ministeriellen Erlaß angefertigten Verfügung an die Trierer Regierung vom 22. Mai 1906 darüber gewundert, daß „gerade im Saargebiet die Gestattung von Prozessionen solche Schwierigkeiten hervorruft"; er forderte eine Erklärung der von der katholischen Presse angeprangerten „saarabischen Zustände". 165 Dabei gingen die preußischen Beamten Vorwürfen und Gerüchten nach, Katholiken hätten evangelische Geschäftsleute unter Boykottandrohungen ben lediglich Störungen durch einige betrunkene Jugendliche. Konzept Regierungspräsident Friedrich August Freiherr von Hövel (Koblenz) an Innenministerium vom 10.8.1906, in: ebenda, S. 367-370. 163 V g L paui Thomes, Die Phase der Hochindustrialisierung (1871-1918), in: Hans-Walter Herrmann (Hg.), Geschichtliche Landeskunde des Saarlandes, Bd. 3, 2. Teil: Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Saarlandes (1792-1918), Saarbrücken 1994, S. 119-229, hier S. 214-219. Dieter Robert Bettinger, Die Verschiebung der Konfessionsverhältnisse im Saarland, in: Kirchenkreise Ottweiler, Saarbrücken und Völklingen der evangelischen Kirche im Rheinland (Hg.), Die evangelische Kirche an der Saar. Gestern und Heute, Saarbrücken 1975, S. 202220, hier S. 210-215. 164 Regierungspräsident Bake (Trier) an Oberpräsident Schorlemer vom 15.12.1906, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16008, S. 11-21. Clemens August Freiherr von Schorlemer-Lieser (1856-1922) war von 1905 bis 1910 Oberpräsident der Rheinprovinz und anschließend bis 1917 Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. Vgl. Romeyk, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 732 f. 165 Abschrift Landrat Freiherr Laur von Münchhofen (Ottweiler) an Bake vom 11.11.1906, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16008, S. 65-83, Zitate S. 67, S. 69 und S. 83.
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III. Populäre Frömmigkeit
gezwungen, ihre Häuser während der Umzüge zu schmücken. Der evangelische Ottweiler Landrat Maximilian Laur von Münchhofen machte in seinen bissigen Berichten keinen Hehl daraus, daß die von ihm erlassenen Verbote der Prozessionen in den Orten Elversberg und Heiligenwald zwingend nötig waren, da der Vikar Wilhelm Josef Albertz (Elversberg) und der Pfarrer Franz Xaver Schwaab (Heiligenwald) Prozessionen nutzten, um konfessionelle „Verhetzungen" herbeizuführen. Er sah hier ausschließlich eine „Verherrlichung des Priestertums und der Priester vor dem Laien" am Werk, erkannte darin die „Gefährlichkeit der klerikalen Macht in unserer Gegend" und rechtfertigte so seine Haltung. 1 6 6 Schorlemer-Lieser versuchte, die Wogen zu glätten, und empfahl in seiner erfolgreichen Stellungnahme an die Berliner Zentrale, nur dort direkt mit Verboten einzugreifen, wo unmittelbar Ausschreitungen zu befürchten seien. Gleichzeitig strich er aber auch unmißverständlich amtliche Interessen heraus, indem er hervorhob, wie sehr eine uneinheitliche Praxis dem Ansehen der Behörden schade. 167 Der protestantische Widerspruch gegen Wallfahrten und Prozessionen verlagerte sich zunehmend von direkten Störungen durch einzelne hin zu Anstrengungen, mittels Interessengruppen die behördlichen Entscheidungen zu beeinflussen. So finden sich nun dort immer wieder Eingaben der protestantischen Kirchenvorstände in den Akten, wo zuvor Einzelpersonen über den katholischen Ritus geklagt hatten, und auch der 1886 mit antiultramontaner Stoßrichtung gegründete Evangelische Bund führte seine polemische Kritik beharrlich fort. 1 6 8 Zwar waren wie 1912 weiterhin gelegentlich Probleme mit Prozessionen und Wallfahrten zu beobachten, etwa als der Trierer Regierungspräsident sich bei Bischof Korum beklagte, Böllerschießen während der Fronleichnamsprozessionen störe die evangelischen Gottes166 Neben dem Schreiben aus dem November ist eine weitere umfangreiche Stellungnahme aus dem September 1906 erhalten: Abschrift Münchhofen an Bake vom 26.9.1906, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16008, S. 43-64, Zitate: S. 56. Münchhofens Haltung war vermutlich durch verstärkte Bemühungen des Zentrums mitausgelöst worden, auch im Saargebiet die Verbindungen zwischen Arbeiterbewegung und ländlichem Katholizismus zu verstärken. Vgl. Loth, Katholiken, S. 89, S. 94-96 und S. 158 f. 167 Konzept Schorlemer-Lieser an Innen- und Kultusministerium vom 5.2.1907, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16008, S. 97-115. Die Ministerien waren mit SchorlemerLiesers Ausführungen weitgehend einverstanden, wobei sie bei Ausschreitungen gegen oder bei geschäftlichem Druck auf Protestanten in jedem Fall ein Verbot der Prozessionen wünschten. Ministerien an Schorlemer-Lieser vom 19.6.1907, in: ebenda, S. 305 f. 168 Vgl. etwa Willibald Beyschlag, Offener Brief an den Hochwürdigsten Bischof von Trier, Herrn D. Korum. Allen wahrheitsliebenden Katholiken und Protestanten zur Prüfung vorgelegt. Viertes bis sechstes Tausend, mit einem Nachwort über die seitherige Gegenrede der klerikalen Presse, Leipzig 1893. Die Form der Kritik, der offene Brief, sollte den Bezug zur Rockwallfahrt 1844 und Ronges Kritik herausstellen.
2. Die Dominanz der Traditionen: Wallfahrten und Prozessionen
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dienste. 169 Aber dennoch scheint im größten Teil der Rheinprovinz eine gewisse Beruhigung eingetreten zu sein, wohl auch, weil sich die Ziele der preußischen Behörden geändert hatten. Stärker im Vordergrund standen für diese offensichtlich Fragen nach Verkehrsstörungen, und man verstand sich nun weniger als Partei als noch im Kulturkampf. Eine Vorbildfunktion hinsichtlich der amtskirchlichen Organisation von Wallfahrten kam der Trierer Rockwallfahrt von 1891 zu. Diese mit Stoßrichtung gegen die Organisationsanstrengungen der Arbeiterschaft, zur Vergewisserung kirchlich-katholischer Werte und vermutlich auch als Siegesfeier des Kulturkampfs unternommene Ausstellung der Rockreliquie scheint darin folgenreicher als ihre Vorgängerin von 1844. 1 7 0 Gegen die auch hier polemisch artikulierte Kritik, die vielerseits in dem Standardvorwurf des Aberglaubens gipfelte, den eine institutionell inszenierte Wundergläubigkeit bei den einfachen Katholiken erzeuge, ging Bischof Korum offensiv und bereits im Vorfeld der Ausstellung mit wissenschaftlichen Mitteln an. Deshalb war die Rockreliquie schon im Sommer 1890 auf ihre Echtheit geprüft worden. 1 7 1 Dennoch förderte Korum gleichzeitig und bewußt eine Wundereuphorie, nicht nur bei über einer Million Pilger, indem er am Ende der Ausstellung von zahlreichen wunderbaren Heilungen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Rockwallfahrt sprach. Daß teilweise eine enge Verbindung zwischen Wissenschaftlichkeit und intensivem Gefühlserlebnis inszeniert wurde, belegt auch eine eigens unter Korums Leitung zusammengestellte Kommission. Sie bestand aus der hohen Geistlichkeit der Diözese und Medizinern aus der Stadt Trier, die Wunderheilungen und göttliche Gnadenerweise beurteilte und drei Jahre nach der Wallfahrt ihre Ergebnisse in einer kleinen Schrift veröffentlichte, welche rasch zahlreiche Auflagen erreichte. 172 169
Regierungspräsident Constanz Maximilian von Baltz an Korum vom 21.6.1912, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16009, S. 145-147. Zu Michael Felix Korum (1840-1921) vgl. Michael Embach, Michael Felix Korum (1881-1921), in: Persch/ Ders., Bischöfe von Trier, S. 141-168. Weber; Kirchliche Politik. Jakob Treitz, Michael Felix Korum. Bischof von Trier 1840-1921. Ein Lebens- und Zeitbild, München/Rom 1925. 170 Vgl. Korff, Formierung der Frömmigkeit, S. 355. Dazu anregend Michael Marrus, Pilger auf dem Weg. Wallfahrten im Frankreich des 19. Jahrhunderts, in: GG 3 (1977), S. 329-351. 171 Vgl. Korff, Formierung der Frömmigkeit, S. 361-363. Zur innerkatholischen Kritik vgl. Friedrich Jaskowski, Verlauf und Fiasko des Trierer Schauspiels im Jahre 1891, Saarbrücken 1891, S. 28 f. 172 Michael Felix Korum, Wunder und Göttliche Gnadenerweise bei der Ausstellung des hl. Rockes zu Trier im Jahre 1891. Aktenmäßig dargestellt, Trier 81894. Neben Bischof Korum gehörten der Kommission an: Weihbischof Heinrich Feiten, Dompropst Franz Jakob Scheuffgen, Domdechant Philipp de Lorenzi, Domkapitular Bernhard Johann Endres, Professor Dr. Peter Einig (Priesterseminar), Kreisphysiker 8 Freytag
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III. Populäre Frömmigkeit
Insgesamt ist für die Zeit nach dem Kulturkampf eine zunehmende Konzentration auf die bekannteren Marienwallfahrtsorte wie Lourdes oder Kevelaer festzustellen. 173 Bereits vor der Jahrhundertwende häuften sich Bittgesuche von Geistlichen wie Laien an das Kölner Generalvikariat, Pilgerfahrten nach Lourdes durchführen zu dürfen, die in der Regel auch umgehend genehmigt wurden. Neben der deutlich verbesserten Infrastruktur ermöglichte vielen wohl auch die neugewonnene Freizeit, Fahrten zu weiter entfernt liegenden Wallfahrtsorten zu unternehmen. 174 Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß der Umgang mit Wallfahrten sich in einem Dreieck zwischen volksfrommer Praxis, amtskirchlicher Lenkung und staatlicher Verwaltung bewegte. Wallfahrten waren sowohl Ausdruck individueller Frömmigkeit als auch Objekt kontrollierter Religiosität, wobei der amtskirchlichen Steuerung immer wieder enge Grenzen gesteckt waren. Gerade die Kontrolle des Wallfahrtswesens funktionierte mit den wenigen Ausnahmen der außergewöhnlichen, aber seltenen Großwallfahrten nach Trier und Aachen eben nicht einseitig von oben nach unten. Dies mag weniger für Prozessionen gelten, die stärker in die gemeindliche Liturgie eingebunden waren und unter permanenter Aufsicht und Leitung der Pfarrgeistlichkeit standen. Vor allem aber gilt es für die ausgeprägten Konfrontationsphasen zwischen katholischer Kirche und preußischem Staat, die Kölner und Trierer Wirren sowie den Kulturkampf. Für den preußischen Staat dominierte die Ordnungs- und Ideologiefrage. Dabei erwiesen sich die staatlichen Maßnahmen oftmals als halbherzig, zumal dann, wenn man das konkrete Verhalten vor Ort im Auge behält. Auch dies ist ein Grund dafür, weshalb die seit dem späten 18. Jahrhundert immer wieder ausgesprochenen Wallfahrtsverbote in ihrer Langzeitwirkung schwer zu beurteilen sind. Offenbleiben muß ebenso, ob nicht die häufige Verwendung des Kampfbegriffs Aberglauben neben der zweifelsfreien Abqualifizierung auch zu einer weitreichenden Geringschätzung der lebensweltlichen Bedeutung von Wallfahrten beigetragen hat. Dieser Abqualifizierung waren durch die teilweise innerkatholische Förderung und Akzeptanz indessen wiederum Schranken gesetzt. Die seit 1850 geltende gesetzliche Grundlage des traditionellen Herkommens war neben einer dehnbaren Leerformel gleichzeitig eine Anerkennung der Tradition, die man im Vormärz nicht wirksam hatte eindämmen können. Vinzenz Valerius Grisar, Sanitätsrat Hermann Staub und als Schriftführer der bischöfliche Geheimsekretär Dr. Dr. Christoph Willems. Das geht hervor aus: Heppe an Nasse vom 4.6.1894, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16220, S. 261 f. 173 In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg pilgerten jährlich zwischen 500.000 und 700.000 Personen nach Kevelaer. Vgl. Dohms, Rheinische Katholiken, S. 232-234. 174 Stiftsvikar Johann Wilhelm Birkhäuser (Aachen) an Generalvikariat Köln vom 2.3.1896 und 1.7.1897, in: HAEK, Generalia I 4,4,2.
3. Religiöse Mißbräuche und Umtriebe
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Wallfahrten und andere populäre Frömmigkeitsformen gerieten in die Mühlen weltanschaulicher Konflikte, ohne jedoch vollständig zwischen ihnen zerrieben zu werden. Ganz wesentlich für eine Positionierung war dabei der Aberglaubensvorwurf, der Wallfahrtsgegner von -befürwortern deutlich schied. Wie kaum eine andere Begrifflichkeit baute er Fronten zwischen aufgeklärt und nichtaufgeklärt, zwischen protestantisch und katholisch, zwischen liberal und ultramontan auf und stiftete auf den jeweiligen Seiten Einheit. Zwar waren innerkatholisch Konflikte um den Problemzusammenhang von Wallfahrt und Aberglauben vorhanden, aber konfessionspolitische Konfrontationen erhöhten die innerkirchliche Akzeptanz von Wallfahrten umgehend. Die Frage, warum am Ende des 19. Jahrhunderts der aufklärerische Zusammenhang zwischen Wallfahrt und Aberglauben zerfiel, ist nicht eindeutig zu beantworten. Die Gründe liegen vermutlich sowohl inner- als auch außerhalb der Frömmigkeitsform Wallfahrt. So löste sich die Bezeichnung Aberglauben zunehmend aus ihrem christlichkirchlichen Kontext, aber Wallfahrten verloren mit dem Ausklingen des Kulturkampfs offensichtlich auch mehr und mehr an konfessionspolitischer Brisanz. Zugleich gewann die Säkularisierung an Gewicht, welcher der Aberglaubensbegriff bereits seit der Aufklärung unterworfen war. Seit den 1880er Jahren gelang es Medizinern und Wissenschaftlern dann, den Begriff ein beträchtliches Stück weit für ihre Auseinandersetzungen mit sogenannten Kurpfuschern und Spiritisten zu instrumentalisieren. Gleichwohl gab es daneben weitaus weniger fragwürdige Bereiche des religiösen Aberglaubens, gegen die preußischer Staat und katholische Kirche einschritten.
3. Religiöse Mißbräuche und Umtriebe: „Vorkommnisse derfinstersten Zeit blödesten Aberglaubens"175 Die in der zeitgenössischen Publizistik immer wieder beklagte Fortdauer überkommener Frömmigkeitsformen wie beispielsweise Hexen- und Teufelsglauben aktivierte staatliche wie kirchliche Organe. 176 Das gesamte 19. 175
[ - ] , Am Ausgange des 19. Jahrhunderts. Eine Teufelsaustreibung geschehen zu Wemding (Regierungsbezirk Schwaben=Neuburg) in Bayern anno 1891, Barmen 8 1892, S. 3. Ein Exemplar befindet sich in der Bibliothek des Priesterseminars Trier unter der Signatur EB 2696: 3,3. 176 Vgl. Jürgen Scheffler, Hexenglaube in der ländlichen Gesellschaft. Lippe im 19. und 20. Jahrhundert, in: Gisela Wilbertz u.a. (Hg.), Hexenverfolgung und Regionalgeschichte. Die Grafschaft Lippe im Vergleich, Bielefeld 1994, S. 263-296, hat für Lippe Zeitungen und Kalender ausgewertet, in denen sich diverse regionale Beispiele befinden. Mit dänischen Beispielen aus dem 18. und 19. Jahrhundert Gustav Henningsen, Das Ende der Hexenprozesse und die Fortsetzung der populären Hexenverfolgung, in: Sönke Lorenz/Dieter R. Bauer (Hg.), Das Ende der Hexenver8*
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III. Populäre Frömmigkeit
Jahrhundert hindurch war das Vorgehen gegen religiöse Abweichungen sowie gegen deren skandalöse Begleiterscheinungen den preußischen Behörden und auch der katholischen Amtskirche ein zentrales Anliegen. 1 7 7 Das Kölner Generalvikariat legte unter den Stichworten „religiöse Mißbräuche und Umtriebe" all das ab, was den Normen des Katholizismus widersprach. Hinter dieser Sammlung verbirgt sich ein buntes Spektrum mißbilligten religiösen Verhaltens, das von der Lektüre abergläubischer Broschüren über den Gebrauch geistlicher Therapien wie Exorzismen und Wunderkuren bis hin zu Gespenstererscheinungen, Stigmatisationen und sogenannten Frömmeleien reichte. Allen war gemeinsam, daß die mit ihnen verbundenen Handlungen und Vorstellungen gegen amtskirchliche Normen verstießen, was allerdings allein noch nicht ausreichte, um sie für die erzbischöfliche Behörde interessant zu machen. Weit wichtiger als die Verstöße an sich war für das Kölner Generalvikariat, wenn der Pfarrklerus derartige Vorfälle unterstützte, mitinszenierte oder sie eine größere Öffentlichkeit erreichten. Diesen Normverstößen spürte die Amtskirche aufmerksam nach. 1 7 8 Zu beachten ist aber, daß sich der ohnehin nicht exakt faßbare Normenhorizont, an dem diese Verstöße gemessen wurden, durchaus verschieben konnte, weshalb folgende Fragen den Blick auf diesen Bereich lenken sollen: Was galt als religiöser Aberglauben, und wann stellte er konkret ein Problem für Staat und Kirche dar? Welche Strategien entwickelten die rheinpreußischen Diözesanleitungen und der preußische Staat, um den religiösen Abweichlern und Abweichlerinnen entgegenzuwirken, und welchen Wechselwirkungen sowie Veränderungen waren diese Strategien ausgesetzt?
folgung, Stuttgart 1995, S. 315-328. Mit englischen Beispielen Owen Davies, Methodism, the Clergy, and the Popular Belief in Witchcraft and Magic, in: History. The Journal of the Historical Association 82 (1997), S. 252-265. In Kürze: Nils Frey tag , Witchcraft, witchdoctors and the fight against „superstition" in 19th century germany, in: Willem de Blécourt/Owen Davies (Hg.), Beyond the witch trials: witchcraft and magic in Europe from the eighteenth century to the present (im Druck). 177 Die Fortdauer dieser Frömmigkeitsformen ist zumindest für Frankreich wenigstens ansatzweise erforscht. Vgl. Devlin, The Superstitious Mind. Einen knappen Überblick über den französischen Forschungsstand bis in die 1980er Jahre gibt Weber, Religion and Superstition. 178 Unter Norm verstoßen sollen Übertretungen von informellen bis verrechtlichten Anschauungen unterschiedlich verbindlicher Reichweite, wie Katholiken sich zu verhalten haben, verstanden werden. Vgl. dazu die Ausführungen bei Götz von Olenhusen, Klerus, S. 143-145.
3. Religiöse Mißbräuche und Umtriebe
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a) Der amtskirchliche Spagat im Ringen mit religiöser Abweichung Das Dilemma der innerkatholischen Diskussionen, Wunder- vom Aberglauben zu sondern, schrieb sich in der Praxis fort, ja es hier scharf voneinander trennen zu wollen, kam der Quadratur des Kreises gleich. Katholische Amtskirche und Pfarrgeistlichkeit sahen sich kaum zu bewältigenden Problemen im Umgang mit populären Frömmigkeitsäußerungen ausgesetzt, eingeengt zwischen den Ansprüchen des preußischen Obrigkeitsstaates, der mehr und mehr auf wissenschaftlich-medizinischen Deutungsmustern beharrte, und den Bedürfnissen vieler gläubiger Katholiken, die weiter traditionellen Glaubensvorstellungen anhingen. Dies bedeutete für die Kirche einerseits einen permanenten Konkurrenzdruck im Verhältnis zur Medizin und zu staatlich approbierten Ärzten, aber andererseits auch einen Funktionsverlust als Normsetzerin, denn wissenschaftliche Prinzipien verringerten die Wahrscheinlichkeit eines Wunders zusehends und ließen viele grundsätzlich zweifeln. Auch wenn darüber hinaus die Öffentlichkeit sehr kritisch mit religiösen Abweichungen umging und so den Handlungsspielraum der Amtskirche weiter einengte, verfügte diese dennoch über diverse Möglichkeiten zu reagieren. Ein nachgerade klassisches Verfahren bildete die geheime Untersuchung seltsamer Vorkommnisse oder wunderbarer Erscheinungen durch Geistliche, die - so eine immer wieder anzutreffende Formulierung in den Akten „vorläufig in Stille und ohne Aufsehen" stattfinden sollte. 1 7 9 Hiermit versuchten die Diözesanspitzen, den Eindruck zu vermeiden, daß eine offizielle Bestätigung des Absonderlichen oder des Wunders unmittelbar bevorstehe. Zudem hätten öffentliche Untersuchungen auch ein größeres Interesse und publizistische Diskussionen nach sich ziehen können, denen man vorbeugen wollte, sofern dies überhaupt noch möglich war. Als im Spätsommer 1822 in Zons ein wundersamer Feuerschein über dem Marienbild in der Kirche zahlreiche Pilger anzog, prüften die Kölner Pfarrer Nicolaus Stockart (St. Peter) und Michael Joseph Altenkirchen (St. Gereon) in Anwesenheit des Neusser Landrats Otto Wilhelm von Bolschwing den Vorfall. Obwohl Bolschwing und mit ihm die Düsseldorfer Regierung darauf drängten, polizeilich einzuschreiten, ließ der Aachener Generalvikar die beiden Geistlichen mit ausdrücklicher Billigung des Koblenzer Oberpräsidenten als Sonderkommissare nach Zons reisen. Er gab sich unbeirrt davon überzeugt, „daß jede religiöse Meinung, wenn sie schon irrig ist, mit Bescheidenheit und weder übereilt, noch mit Gewalt, und gar nicht ohne gehörige Untersuchung von Seite der geistlichen Behörde" erforscht werden müsse. 180 In 179
So etwa die Formulierung in: Generalvikariat Köln an Landdechant Peter Bono vom 2.12.1842, in: HAEK, Generalia I 31,5.
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III. Populäre Frömmigkeit
seinem Auftrag verfaßten die beiden Kölner Kleriker schließlich einen Bericht über den Feuerkranz, der sich allerdings weniger auf den Wahrheitsgehalt der Lichterscheinungen als vielmehr auf das Verhalten des 80jährigen Ortspfarrers Gereon Joseph Lohr und seines Vikars konzentrierte. Den feurigen Schein hatten die beiden Sonderkommissare rasch mit Lichtbrechungen erklärt und bemühten sich nun, den rasant anwachsenden Wallfahrten nach Zons entgegenzuwirken. 181 Auch im Falle der 1842 und 1843 weit über die Rheinprovinz hinaus aufsehenerregenden wunderbaren Gebetsheilungen Heinrich Möhrs in Neurath und Niederembt (Kreis Grevenbroich) bestand das Kölner Generalvikariat nachdrücklich darauf, daß die Pfarrgeistlichen sich mit öffentlichen Stellungnahmen zurückhielten, um den Wundergehalt der Heilungen zunächst durch die zuständigen Dechanten prüfen zu lassen. 182 Die Dechanten reichten nach knapp drei Wochen einen ausführlichen Untersuchungsbericht in Köln ein, betonten allerdings, lediglich vom religiösen Standpunkt urteilen, also keine medizinische Expertise abgeben zu können, und kamen zu dem für Mohr wenig schmeichelhaften Ergebnis, daß „das Treiben desselben vielmehr dem Aberglauben fröhne und selbst die [...] frommen Christen wankend mache". 1 8 3 Es blieb ein übliches Verfahren, besonders befähigte Geistliche wundersame Affären begutachten zu lassen. 184 In schwierigen Fällen, in denen beispielsweise Pfarrgeistliche bereits von Wundern gesprochen hatten, wurde die Diözesanspitze selbst vor Ort aktiv. Dies geschah 1890 bei der nach ärztlichem Zeugnis schwer epileptischen 33jährigen Gertrud Püllen aus Giesenkirchen, welche die gesamte Pfarrgeistlichkeit der Gegend in ihren Bann gezogen hatte, offenbarten sich ihr in regelmäßigem Wechsel doch die Jungfrau Maria und der Teufel. In höchster Ekstase lästerte - so der leicht 180
Generalvikariat (Aachen) an Ingersleben vom 22.10.1822, in: LHAK, Best. 403, Nr. 4455, S. 25 f., Zitat S. 26. Vor der Wiedererrichtung des Erzbistums Köln war der Generalvikar des napoleonischen Bistums Aachen für die linksrheinischen Gebiete zuständig. Vgl. Hegel, Erzbistum, S. 28 f. 181 Der Bericht ist in den Akten des Kölner Generalvikariats wohl nicht mehr erhalten, so daß man auf die Ausführungen des Landrats angewiesen ist, der beide begleitete. Bolschwing an Regierung Düsseldorf vom 8.10.1822, in: LHAK, Best. 403, Nr. 4455, S. 21-24. 182 Konzept Generalvikariat an Pfarrer Heinrich Lennarz vom 5.12.1842, in: HAEK, Generalia I 31,5. 183 Bericht, die angeblichen Wunderheilungen des Schäfers Heinrich Mohr betreffend vom 28.12.1842, in: ebenda. 184 Angewandt wurde diese Methode beispielsweise auch 1845 bei der Untersuchung der stigmatisierten Karoline Beller im westfälischen Lüttgeneder, als das zuständige Paderborner Bistum einen Kommissar einsetzte. Vgl. Rudolf Muhs, Die Stigmata der Karoline Beller: Ein katholisches Frauenschicksal des Vormärz im Spannungsfeld von Volksreligiosität, Kirche, Staat und Medizin, in: Götz von Olenhusen, Wunderbare Erscheinungen, S. 83-130, vor allem S. 109-121.
3. Religiöse Mißbräuche und Umtriebe
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verschämte Verfasser des Berichts - aus ihr nicht nur der Teufel über die anwesenden „Pfaffen", den „drecklichen Nazaräner" und in „nicht wiederzugebender Weise über die Mutter Gottes", sondern sie erbrach neben blutigem Schleim auch „Zweimarkstücke", „Nadeln" und „Stahlfedern". Bereits zuvor erschienen dem Pfarrklerus „diabolische Einflüsse" nicht ausgeschlossen, weshalb er in einem gemeinsamen Schreiben an den Kölner Erzbischof vorgeschlagen hatte, Püllen zu exorzieren. 185 Bevor jedoch der umgehend herbeigeeilte Domkapitular, Weihbischof und spätere Kölner Erzbischof Antonius Hubert Fischer eine Stellungnahme abfassen konnte, verstarb die Frau. 1 8 6 Hier verwoben sich nicht nur ekstatische Erscheinungen und Teufelsglaube unauflöslich miteinander, sondern eine andere Mystikerin, die in ihren Visionen die verzückten Ergüsse der Gertrud Püllen bestätigte, steigerte durch ihre Angaben noch deren angeblichen Wahrheitsgehalt und vor allem ihre Breitenwirkung. 187 Auch wenn derartigen Geschehnissen stets die Aura des Besonderen und des Außergewöhnlichen anhaften mochte, die für Skandale sorgte, so bestätigen die Ekstasen dennoch die Wechselwirkungen zwischen christlicher Wundergläubigkeit und Teufelsgewißheit, die bis in die Reihen der Geistlichkeit hineinreichten. Diesen zumeist selbstverständlichen Zusammenhang löste oft erst die angeordnete geheime Untersuchung auf. Indessen lassen sich Phasen ausmachen, in denen die Bistumsleitungen überaus zurückhaltend reagierten und den Dingen weitgehend freien Lauf ließen, so bei vielen Marienwundern während des preußischdeutschen Kulturkampfs, was aber auch konfessionspolitisch motiviert war. Zwar traten nicht wenige Geistliche für eine rückhaltlose Untersuchung und Klärung der Marienerscheinungen ein und einige auch für eine Verurteilung, aber das bischofslose Trierer Domkapitel konnte sich dazu 1876/77 trotz der skeptischen Haltung des Dompropstes Karl Josef Holzer nicht durchringen. 188 Daß die Pfarrgeistlichkeit dann aber doch auch oftmals versuchte, sich um eindeutige Stellungnahmen zu drücken, vermag wenig zu überraschen, war sie doch Schlußlicht und zugleich schwächstes Glied in 185
Die Zitate finden sich in einem Schreiben des Amtgerichtsrates Granderat aus Mettmann an Erzbischof Philippus Krementz vom 28.1.1890; das Schreiben der Pfarrgeistlichen Karl Lowing, Heinrich Hubert Hansen und Johann Wilhelm Otten vom 21.12.1889, in: HAEK, Generalia I 31,6,1. Durch die erbrochenen Gegenstände materialisierte sich nach kirchlicher Auffassung das Böse. 186 Protokoll Fischers vom 20.2.1890, in: ebenda. Aufschlußreich ist die Bemerkung Fischers, nun nicht mehr entscheiden zu können, ob „bewußte Täuschung oder Selbsttäuschung vorlag", weshalb davon auszugehen ist, daß eine Austreibung wohl kaum genehmigt worden wäre. Antonius Hubert Fischer (1840-1912), seit 1888 Domkapitular, 1889 Weihbischof, 1903 Kardinal, 1903-1912 Erzbischof von Köln. Vgl. Hegel, Erzbistum, S. 93-95. 187 Dechant Heinrich Hubert Giersberg (Bedburdyck) an Generalvikariat vom 23.2.1889, in: HAEK, Generalia I 31,6,1. 188 Vgl. Blackbourn, Marpingen, S. 324-333.
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III. Populäre Frömmigkeit
der hierarchischen Kette der Amtskirche. Greifbar wurde dies bei der Klopfgeisterscheinung in Eckhausen 1890, als Pfarrer Friedrich Wilhelm Esch aus Marialinden (Dekanat Mühlheim) keine klare Position bezog. Ratsuchende Gemeindemitglieder wies er immer wieder zurück mit dem Hinweis, nichts zu unternehmen, „so lange sie [die Geistererscheinung] nicht von der geistlichen Behörde untersucht sei". 1 8 9 Diese Zurückhaltung konnte in stillschweigende Duldung übergehen. Obwohl viele Pfarrgeistliche bereits selbst versuchten, Austreibungen zu vermeiden, mußten sie sich deshalb doch wiederholt hilfesuchend an die kirchlichen Behörden wenden. Sie waren anhaltend mit Bitten aus ihren Gemeinden konfrontiert, bei medizinisch (noch) nicht heilbaren Krankheiten von Mensch wie Tier zu helfen und die Betroffenen zu „überlesen", wie die Austreibung durch Gebete in der Rheinprovinz zumeist genannt wurde. 1 9 0 Diese überaus populäre geistliche Therapie wurde nicht nur gegen Besessenheit, sondern auch gegen Behexung angewendet, wie 1825 in dem kleinen Dorf Walldorf (Kreis Bonn); der in der Gegend als Hexenmeister bekannte Heinrich Küchen sprang ein, weil der zuständige Pfarrer Jacob Schmidt sich weigerte, ein angeblich verhextes Kind zu überlesen. 191 Wohl wegen dieser verbreiteten Therapie und aufgrund einer Anfrage des Neukirchener Pfarrers Friedrich Christian Philipps sah sich das Kölner Generalvikariat 1831 genötigt, seine grundsätzliche Haltung zum Exorzismus zu skizzieren. Unter der Voraussetzung, daß der zuständige Kreisphysiker hinzugezogen würde, galt der kirchlichen Behörde zwar eine Austreibung „als [ein] psychologisches Mittel [und] vielleicht nicht ohne Erfolg", aber diese liefe den kirchlichen Absichten zuwider, da sie den „Ungläubigen, und Irrgläubigen in unseren aufgeklärten Zeiten gerechten Stoff zum Tadel und Gespötte an die Hand geben würde". 1 9 2 Hier wird der bahnbrechende Wandel faßbar, medizinische Erklärungen zu favorisieren, denn es sollte eine ärztliche Therapie bevorzugt werden, weshalb das Generalvikariat auch die Einweisung in die erst 1825 gegründete Siegburger Irren-Heilanstalt dem Exorzismus vorzog. 1 9 3 Sobald allerdings unheilbar Kranke aus der Anstalt entlassen 189
Esch an Generalvikariat vom 10.3.1890, in: HAEK, Generalia I 31,6,1. Dechant Johann Franz Antwerpen (Deutz) an Generalvikar Johann Jacob Iven vom 1.3.1841, in: HAEK, Generalia I 31,4. 191 Abschrift Bürgermeister Walldorf an Landrat Eberhard von Hymmen (Bonn) vom 4.1.1826, in: HAEK, Generalia I 31,2. 192 Generalvikariat Köln an Philipps vom 12.3.1831, in: HAEK, Generalia I 31,4. 193 Zur Siegburger Anstalt Dirk Blasius, „Einfache Seelenstörung". Geschichte der deutschen Psychiatrie 1800-1945, Frankfurt am Main 1994, hier S. 24^10. Christian Bradi, Anfänge der Anstaltsfürsorge für Menschen mit geistiger Behinderung („Idiotenanstalts wesen"). Ein Beitrag zur Sozial- und Ideengeschichte des Behindertenbetreuungswesens am Beispiel des Rheinlands im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1991. 190
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worden waren, suchten und fanden ihre Familien doch Hilfe bei Geistlichen, wenn sie darum baten, man möge ihre Verwandten exorzieren oder überlesen. 194 Dennoch war mit der vorbehaltlosen Anerkennung der ärztlichen Zuständigkeit gesichert, daß der preußische Staat sich nicht unmittelbar in kirchliche Belange einmischte und die exorzierenden Geistlichen strafrechtlich verfolgte. Der amtskirchlichen Skepsis und öffentlichen Ablehnung zum Trotz kam es jedoch wiederholt zu Skandalen. 1836 konnte nur gerade eben noch ein Eklat verhindert werden, als der Franziskaner Clementinus Schmitz in Hardenberg exorzierte und ins Visier des Elberfelder Oberprokurators geriet. Offenkundig geduldet vom Pfarrer Bernard Florian Bierdrager hatte der Bruder auf persönliche Bitte eine größere Anzahl von Kranken behandelt. Bevor der Oberprokurator ein öffentliches Gerichtsverfahren einleiten konnte, da „die Leute Schaarenweiß nach Neviges wandern", 1 9 5 beeilte sich das Kölner Generalvikariat, die Angelegenheit stillschweigend zu bereinigen, und ließ den greisen Clementinus streng anweisen, Austreibungen zukünftig zu unterlassen. Aufschlußreich sind in diesem Fall die Darlegungen des offenkundig beteiligten Pfarrers Bierdrager. Dieser versuchte, die Exorzismen zu rechtfertigen, denn er habe sich persönlich davon überzeugt, daß den Wünschen der Kranken „keine abergläubischen Ansichten zum Grunde lägen" und „der böse Feind" tatsächlich gewirkt habe. 1 9 6 Zu bedenken gilt allerdings, daß die Pfarrgeistlichen häufig auch ohnmächtig und eher ängstlich reagierten, anstatt zu agieren. So fühlte sich der Niederembter Pfarrer Joseph Adolf Obry 1842 geradezu wehrlos überrannt vom Ansturm der „Preßhaften", die den Schäfer Mohr aufsuchten. Widerwillig mußte er nach eigener Aussage zulassen, daß Mohr in der Kirche seine Kuren „an diesen Elenden" vornahm. 1 9 7 Auch wenn Obry möglicherweise bloß seine eigene Beteiligung vertuschen wollte, konnte sich der Pfarrer nur mit wenig Erfolgsaussicht gegen die Hoffnung auf eine wunderbare Heilung sperren und Kranken verbieten, den Laienheiler aufzusuchen. Und wenn sich doch ein Geistlicher unmißverständlich gegen den Schäfer aussprach, dann hatte er mit Unannehmlichkeiten zu rechnen wie der Aachener Stadtdechant und Erzstiftherrr Johann Theodor Mürckens (St. Foi194 Pfarrer Friedrich Friederici an Generalvikariat Köln vom 21.8.1860, in: HAEK, Generalia I 31,4. 195 Oberprokurator aus Elberfeld an Konsistorium der Rheinprovinz vom 25.6.1836, in: LHAK, Best. 403, Nr. 4808, S. 1 f. 196 Generalvikariat Köln an Bierdrager vom 8.7.1836; Zitate in der Antwort Bierdragers vom 3.8.1836, in: HAEK, Generalia I 31,4. Freilich mußte Clementinus 1841 nochmals ausdrücklich aufgefordert werden, Exorzismen zu unterlassen. Konzept Generalvikar Johann Hüsgen an Bierdrager vom 25.1.1841, in: ebenda. 197 Obry an Generalvikar Iven vom 27.11.1842, in: HAEK, Generalia I 31,5.
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lan), der von der Kanzel gegen Mohr gepredigt hatte: A m folgenden Tag sah er sich einem klassischen Rügebrauch ausgesetzt; an seinem Haus hing eine tote Katze. 1 9 8 Es ist nicht zu übersehen, wie deutlich sich der Umgang mit Wunderheilungen und vor allem Austreibungen wandelte. Während bis ins frühe 19. Jahrhundert Teufelsaustreibungen meist erst zu Konflikten führten, wenn sie in der Öffentlichkeit weitere Kreise zogen, so wurde nun bereits die stillschweigende Duldung problematisiert. 199 Einen Beleg hierfür liefert der Umbruch in der katholischen Publizistik. Waren zuvor noch die großen Zahlen Besessener oder angeblich Geheilter skandalös, so erregte danach bereits die Tatsache einer Teufelsaustreibung an sich Unwillen und Spott. 2 0 0 Ein eindrucksvolles Beispiel bietet die mit bischöflicher Erlaubnis im Wemdinger Kapuzinerkloster (Bayern) im Sommer 1891 durchgeführte Teufelsaustreibung, die durch eine auf verschlungenen Wegen geschehene Veröffentlichung geheimer kirchlicher Akten in einer Kölner Zeitung schließlich Gegenstand mehrerer Prozeßverfahren und einer überaus kontroversen öffentlichen Diskussion wurde. 2 0 1 Ein anonymer Teilnehmer dieser Debatte brachte die Kritik auf den Punkt, als er die an einem Jungen vorgenommene Austreibung mit einer typisch aufklärerischen Lichtmetapher und doppeltem Superlativ als „Vorkommnisse der finstersten Zeit blödesten Aberglaubens" bezeichnete. 202 In der Rheinprovinz spielte die Auseinandersetzung mit der Teufelsaustreibung auch deshalb eine wichtige Rolle, weil 198
Vgl. Franz Bertrams , Heinrich Mohr, genannt „der hl. Schäfer von Niederembt", masch. Manuskript, Niederembt 1925. In diese Zusammenstellung sind nicht mehr erhaltene oder unerschlossene Einzelheiten aus dem Dekanatsarchiv Bergheim und dem Pfarrarchiv Niederembt eingeflossen. 199 Vgl. Nils Frey tag, Exorzismus und Wunderglaube im späten 18. Jahrhundert. Reaktionen auf die Teufelsbanner und Wunderheiler Johann Joseph Gaßner und Adam Knoerzer, in: Edwin Dillmann (Hg.), Regionales Prisma der Vergangenheit. Perspektiven der modernen Regionalgeschichte (19./20. Jahrhundert), St. Ingbert 1996, S. 89-105. Benoît Van den Bossche, Exorcismes et superstition dans la principauté de Stavelot-Malmedy au Siècle des Lumières. Deux prêtres suspectés par les autorités religieuses, in: LE ODIUM 81 (1996), S. 44-60. Mit Blick auf den Wandel zwischen 18. und 19. Jahrhundert Nils Freytag/Benoît Van den Bossche, Aberglauben, Krankheit und das Böse. Exorzismus und Teufelsglaube im 18. und 19. Jahrhundert, in: Rheinisch-Westfälische Zeitschrift für Volkskunde 44 (1999), S. 67-93. 200 Ygi etwa: [ - ] , Wahre Geschichte der Befreiung eines vom Teufel Besessenen. Ein sensationelles Ereigniß aus unsern Tagen. Ausführlich berichtet von einem Augenzeugen, Aachen 21887. 201
[-], Die Wemdinger Teufelsaustreibung. Nach authentischen Angaben. Nebst stenographischem Bericht der Verhandlung vor dem kgl. Landgerichte Cöln, Regensburg 1892. Vgl. auch Hellwig, Bedeutung des kriminellen Aberglaubens, S. 1114. Zeitungsausschnitte, in: EZA Berlin, Best. 7, Nr. 3512. 202 [-], Am Ausgange des 19. Jahrhunderts, S. 3.
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einer der Prozesse vor dem Kölner Landgericht stattfand und man dieses Ereignis nicht zu Unrecht mit der von Papst Leo XIII. nur ein Jahr zuvor verfaßten Schrift „Exorcismus in Satanam et angelos apostaticos" verband, die Gebete und Verhaltensanweisungen für Exorzismen enthielt. Offensichtlich machte diese Schrift vielen Pfarrgeistlichen der Diözese überhaupt bewußt, daß es ihnen nur mit bischöflicher Erlaubnis gestattet war zu überlesen oder zu exorzieren, denn nun mehrten sich Gesuche um einen Austreibungs-Blankoscheck beim Kölner Generalvikariat. 203 Die staatliche Forderung, Exorzisten umgehend aus der Seelsorge zu entfernen, manövrierte die kirchliche Behörde in eine schwierige Situation, da ein Teil des Klerus Austreibungen zumindest duldete. Darüber hinaus weist die archivalische Überlieferung aus, daß Kleriker durchaus auch den Glauben an das personifizierte Böse oder mystische Phänomene aktiv förderten, nicht zuletzt Ordensgeistliche wie Jesuiten, Kapuziner, Redemptoristen oder in der Rheinprovinz auch Franziskaner. 204 Ein Teil der gegenüber einem konkreten Teufelsglauben aufgeschlossenen Pfarrgeistlichkeit wich damit nicht nur von der Linie der bischöflichen Behörde ab und akzeptierte diesen, sondern verschaffte derartigen Vorkommnissen sogar noch ein öffentliches Forum. Er unterlief damit bischöfliche Bemühungen, Austreibungen, Frömmeleien oder magische Schatzgräbereien zu verhindern oder wenigstens geheimzuhalten, wie etwa der Giesenkirchener Vikar Wilhelm Arnold Schrammen 1852. Trotz aller Ermahnungen ließ er die angeblich stigmatisierte Maria Gertrud Göller gegen den Willen seines Pfarrers und des Dechanten öffentlich den Teufel austreiben. 205 Letzteres hatte in der Regel dann allerdings empfindliche Strafen zur Folge. So machte Erzbischof Geissei im Zusammenhang mit der stigmatisierten Göller umgehend von seiner Disziplinargewalt Gebrauch, indem er den Vikar Schrammen ebenso wie dessen Corschenbroicher Amtskollegen Heinrich Wilhelm Kneip, der sich von der Kanzel herab zustimmend über die wundertätige und austreibende Stigmatisierte geäußert hatte, auf andere Vikarstellen versetzte. 206 Gleiches gilt für die wegen magischer Schatzgrä203
Pfarrer Friedrich Matthias Leidgens (Rott) an Generalvikariat Köln vom 19.2.1891, in: HAEK, Generalia I 31,4. Das zehnseitige Heftchen befindet sich in diesem Faszikel. Dazu Erzbischöfliches Generalvikariat Köln (Hg.), Kirchlicher Anzeiger für die Erzdiözese Köln (31) 1891, S. 5-7. 204 Am Beispiel der bayerischen Redemptoristen dazu erschöpfend die umfangreiche Arbeit von Otto Weiss, Die Redemptoristen in Bayern (1790-1909). Ein Beitrag zur Geschichte des Ultramontanismus, phil. Diss, masch., 3 Bde., München 1977, hier S. 971-980 und S. 1170-1188. Prägnanter Ders., Seherinnen und Stigmatisierte, in: Götz von Olenhusen, Wunderbare Erscheinungen, S. 51-82. 205 Dechant Franz Alexander Halm an Generalvikariat Köln vom 7.5.1852, in: HAEK, Generalia I 31,6,1.
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bereien ausgesprochenen geistlichen Strafen, und auch die beiden Ortsgeistlichen wurden versetzt, die Wallfahrten zum Zonser Marienbild zugelassen hatten. 207 Da während des 19. Jahrhunderts eine deutliche Änderung im Umgang mit den Geistlichen, die unliebsame Wunder oder Abweichungen befürworteten, nicht zu erkennen ist, ist zumindest für die Rheinprovinz erhebliche Skepsis gegenüber der von Irmtraud Götz von Olenhusen am Beispiel der Freiburger Diözese festgestellten „frühultramontanen" Sympathie gegenüber exorzierenden und wundertätigen Geistlichen angebracht. 208 Vielmehr wird man hier die von verschiedenen Seiten gut belegte Wahrnehmung stärker gewichten müssen, daß in den 1840er Jahren insgesamt eine signifikante Zunahme religiös-magischer Kultformen, chiliastischer Vorstellungen sowie eine zunehmende Wertschätzung des Wunderbaren feststellbar ist. Erklärt wird dies teils mit der nun offensichtlichen Breitenwirkung romantischer Vorstellungen und teils mit der Krisensituation des Pauperismus. 2 0 9 Man kann sicher argumentieren, die autoritären Strukturen der sich festigenden ultramontanen Kirche seien auch bei den Bestrafungen stärker zum Tragen gekommen, wobei freilich zu bedenken ist, daß es sich um Tendenzen handelt, die bereits zuvor angelegt waren und somit auch der gemäßigt-katholischen Aufklärung zuzurechnen sind. Dies festzustellen ändert nichts daran, daß solche Vorstellungen den Nährboden für eine traditionelle Frömmigkeit bildeten, die sich dann in andere Richtungen kanalisieren ließ. Die Grenzen amtskirchlicher Toleranz überschritt allerdings der Eppelborner Kaplan Nikolaus Kickertz (Kreis Ottweiler), als er in den 1870er Jahren gemeinsam mit dem Medium Elisabeth Flesch die Wunderund Kirchengläubigkeit seiner Gemeinde ausnutzte, um einen neuen Kult zu inszenieren. 210 206
Konzept Generalvikariat an Pfarrer Nicolaus Kniprath (Corschenbroich) vom 25.5.1852, in: ebenda. 207 Generalvikariat Aachen an Ingersleben vom 22.10.1822, in: LHAK, Best. 403, Nr. 4455, S. 25 f. 208 So vor allem Irmtraud Götz von Olenhusen, Stimmen aus dem Jenseits. Katholische Priester der Erzdiözese Freiburg als Exorzisten, Wunderheiler und Propheten zwischen 1838 und 1854, in: Albrecht Götz von Olenhusen (Hg.), Wege und Abwege. Beiträge zur europäischen Geistesgeschichte der Neuzeit. Festschrift für Ellic Howe zum 20. September 1990, Freiburg 1990, S. 91-113. Abgeschwächt bereits Dies., Klerus, S. 299-305. Ähnlich auch Hubert Treiber, „Wie man wird, was man ist". Lebensweg und Lebenswerk des badischen Landpfarrers Ambros Oschwald (1801-1873) im Erwartungshorizont chiliastischer Prophezeiungen, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 97 (1988), S. 293-348. 209 Vgl. Schieder, Religion und Revolution, S. 21 f. Weiss, Redemptoristen, S. 972 f. Treiber, Wie man wird, S. 342. 210 In diesem Fall sind archivalische Unterlagen im Bistumsarchiv Trier leider nicht vorhanden, weshalb man auf staatliches Aktenmaterial, ein überliefertes Gerichtsurteil und Veröffentlichungen im Zusammenhang der Marpinger Marienwunder angewiesen ist. Blackbourn, Marpingen, S. 188, S. 190 und S. 518, geht auf die Ge-
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Zu den vorbeugenden Maßnahmen zählten Ausbildung und Belehrung. Während das Studium den Sockel für eine gut ausgebildete Pfarrgeistlichkeit ausmachte, sollte die spätere Weiterbildung innerhalb der Diözesen darauf aufbauen. Um den Klerus fachlich und seelsorgerisch zu festigen sowie zum wissenschaftlichen Austausch und zur Kooperation anzuhalten, setzten die rheinischen Bistumsleitungen auf ein ganzes Maßnahmenbündel institutioneller Einbindungen und förderten neben obligatorischen Pastoralkonferenzen auch Lesegesellschaften. 211 Ein deutliches Signal dafür, wie wichtig die Diözesanspitze im ersten Jahrhundertdrittel eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit mittlerweile überholten religiösen Riten nahm, ist eine 1828 vom Trierer Bischof Hommer seiner Diözesangeistlichkeit gestellte Preisfrage über den Exorzismus und wie dabei der Gefahr des Aberglaubens begegnet werden könne. Die 18 eingereichten, sehr wahrscheinlich nicht mehr erhaltenen Abhandlungen zeugen zumindest davon, daß Hommers Anstrengungen, auf seine Pfarrgeistlichen im Sinne eines gemäßigt-aufgeklärten Katholizismus einzuwirken, gegen alle Widerstände im Bistum nicht vollkommen wirkungslos verpufften. 212 Seine Haltung spiegelt sich auch wider im Vorgehen gegen das in der Rheinprovinz und in der Rheinpfalz verbreitete Hubertusschlüsselbrennen, welches als geistliche Heilmethode gegen den Biß tollwütiger Hunde galt. Zwar räumte er durchaus einen „tröstlichen Einfluß" ein, machte aber unmißverständlich klar, daß eine medizinische Therapie absoluten Vorrang vor einem blinden Vertrauen auf den wundertätigen Schutzheiligen Hubertus habe. 2 1 3 Hommers Standpunkt gründete hier formal auf einer Anweisung der preußischen Behörden, wonach Kranke seit 1827 ein ärztliches Attest vorweisen mußten, ehe überhaupt eine geistliche Therapie eingeleitet werden durfte. Freilich lag dieses Verfahren ganz auf seiner Linie, und er trug damit ein beträchtlischehnisse nur knapp ein. Zu Nikolaus Kickertz (1845-1893) vgl. Diözesanarchiv Trier, Weltklerus, S. 177. Seine dünne Personalakte gibt dazu nichts her. BAT, Abt. 85, Nr. 833. 211 Vgl. Michael Felix Langenfeld, Bischöfliche Bemühungen um Weiterbildung und Kooperation des Seelsorgeklerus. Pastoralkonferenzen im deutschen Sprachraum des 19. Jahrhunderts. Eine institutionengeschichtliche Untersuchung, Rom u.a. 1997, hier S. 442^458. Bernhard Schneider, Lesegesellschaften des Klerus im frühen 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur historischen Kommunikationsforschung, in: AmrhKG 49 (1997), S. 155-177. Schlögl Glaube und Religion, S. 153-155. 212 Die Teilnehmer sollten das Problem Qua ratione doctrina de exorcismis publice explicari poterti, ut populus simul aedificetur et periculum superstitionis evitetur? behandeln. Bekannt ist lediglich, daß der erste Preis an Pfarrer Matthias Fischer in Hamm (Dekanat Ehrang) ging. Vgl. Chronik der Diözese Trier für 1829, Trier 1829, S. 136. 213 Circulare an die Herrn Pfarrer des Bistums Trier vom 22.10.1827, in: ebenda, S. 47-51, hier S. 48. Zur Rheinpfalz Alfons Hoffmann, Aberglaube und religiöse Schwärmerei in der Pfalz im 19. Jahrhundert, in: AmrhKG 27 (1975), S. 203-213, hier S. 206-208.
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ches Stück weit dazu bei, Krankheiten aus ihren christlichen Zusammenhängen zu lösen. Zahlreiche Berichte aus den Pfarreien der Rheinprovinz veranschaulichen auch in der Folge, daß die Angst vor lebensweltlichen Unwägbarkeiten trotzdem noch lange dazu führte, Krankheiten, vor denen die medizinische Therapeutik kapitulierte, übernatürliche Ursachen beizumessen. Belehrungen waren daher an der Tagesordnung, wie 1837, als folgt man den behördlichen Berichten - ganz Remagen die Ehefrau des Schiffers Goswin Schneider als Hexe brandmarkte und sie vermutlich auch körperlich mißhandelte; man warf ihr vor, ein krankes Kind behext zu haben. Die preußischen Behörden setzten auf den belehrenden Einfluß des erfahrenen Ortspfarrers und Definitors Johann Joseph Windeck, der die Gemeinde besänftigen sollte, zumal die Lokalbehörden in Gestalt des Polizeidieners Klein eine eher unrühmliche Rolle gespielt hatten. 2 1 4 Eine gute Seelsorge und darunter wiederum die sonntägliche Predigt galten als herausragende geistliche Mittel, um den einfachen Landmann von diesen überkommenen Glaubensvorstellungen abzubringen. 215 Ein besonderes Augenmerk galt dabei der ,,bessere[n] Bildung der Jugend", was gerade Bischof Hommer seiner Pfarrgeistlichkeit auf den Visitationsreisen immer wieder einschärfte und sie dafür gegebenenfalls auch lobte wie 1829 Pfarrer Matthias Sebastiani aus Sinzig (Kreis A h r w e i l e r ) 2 1 6 Zweckmäßig schien der katholischen wie der protestantischen Kirche eine Ausweitung des „religiösen Unterrichts", um „schädlichem und gefährlichem Volksaberglauben" entgegenzuwirken, worunter durchaus auch der Bau neuer Kirchen und die Verbesserung des seelsorgerischen Angebots gefaßt wurden. 2 1 7 Gedruckte sowohl katholische als auch evangelische - Predigtsammlungen zeigen, daß Aberglauben ein Leitthema war und blieb. 2 1 8 Dies drückte sich etwa in der Frage nach der konkreten Macht des Teufels aus, wobei dieser in Predigten nicht nur als das personifizierte Böse präsent blieb, sondern auch als über214 Abschrift Landrat Carl Gerhard von Gärtner (Ahrweiler) an Windeck vom 20.9.1837, in: LHAK, Best. 635, Nr. 407. Konzept Regierung Koblenz an Gärtner vom 1.9.1837, in: LHAK, Best. 441, Nr. 9481. 215 So etwa 1836 in einem Hexereifall auf der Bönningharder Heide (Landkreis Geldern). Landrat Friedrich Freiherr von Eerde an Regierung Düsseldorf vom 2.8.1836, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 226, Bl. 4r-6r. 216 Hommer an Ingersleben vom 23.8.1829, in: LHAK, Best. 403, Nr. 1127. 217 Abschrift Kultusministerium an Konsistorium Königsberg vom 29.6.1829, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7532, S. 63-73. 218 C. Eichhorn, Ueber die Behandlung des Aberglaubens in Predigt, Unterricht und Seelsorge, in: [-], Bericht über die zu Nürnberg abgehaltene XXVIII.-XXX. Allgemeine Pastoralconferenz evangelisch-lutherischer Geistlicher Bayerns, Bd. XXVIII, Nürnberg 1898, S. 48-84. 7.G. Keller, Drei Predigten wider den Aberglauben. Vor einer Landgemeinde gehalten, Erlangen 1823. Hermann Friedrich Rehm, Predigten über Volks-Vorurteile und Aberglauben in moralischer und physischer Hinsicht, 2 Bde., Erfurt 1802.
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aus mächtig dargestellt wurde. 2 1 9 Die wiederkehrenden Predigtermahnungen, gegen den Teufel gewappnet zu bleiben, erzeugten indes auch das Gegenteil: sie verminderten den Teufelsglauben keineswegs, sondern beließen Ängsten und Erklärungsnöten einen markanten Fluchtpunkt. In den Kölner Generalvikariatsakten über religiöse Mißbräuche und Umtriebe hat sich der nach den Religionswirren der späten 1830er und frühen 1840er Jahre in der Diözesanführung fußfassende ultramontane Kurs ganz offensichtlich nicht niedergeschlagen. So belehrte oder ermahnte das Generalvikariat die Diözesangeistlichen zunächst unverändert, ehe disziplinarische Maßnahmen erfolgten. Eine größere Aufgeschlossenheit gegenüber Exorzismen oder Wunderheilungen ist jedenfalls nicht erkennbar, gerade wenn man sich das ablehnende Urteil über die Gebetsheilungen des Schäfers Heinrich Mohr vor Augen hält. 2 2 0 Bemerkenswert ist, daß vermeintlich Besessene oder Geisteskranke sich dann an der Wende zum 20. Jahrhundert vermehrt direkt an die bischöfliche Behörde wandten. Wiederholt wurde ausdrücklich darauf hinwiesen, die Ortsgeistlichkeit habe eine Austreibung abgelehnt, was als Indiz gedeutet werden mag, daß dies zuvor seltener der Fall gewesen sein könnte. 2 2 1 Zuletzt muß ein Blick auf die Frage nach einer Förderung von Wunderglauben geworfen werden. Gelang es der ultramontanen Amtskirche mit einer gezielten Frömmigkeitsförderung, abweichende katholische Glaubenspraktiken zu lenken und zu bestimmen? Diese wichtige Frage bewegt nicht nur die Forschung, sondern bereits die Zeitgenossen stellten sie sich. Und sie ist gewiß nicht eindeutig zu beantworten. Dabei ist es nötig, sich an die Unterschiede zwischen traditionellem Katholizismus und Ultramontanismus zu erinnern. Selbst wenn der Ultramontanismus traditionelle Frömmigkeitsformen unterstützte, so waren seine letztlich utopischen Ziele alles andere als traditionell. Sicher speiste sich sein Vorhaben aus einer rückwärtsgewandten Utopie, alte (Macht-)Verhältnisse mit modernen Mitteln wiederzubeleben. Im Vormärz zeigte sich allerdings, wie knapp der Handlungsspielraum bemessen war, um verbreitete traditionelle Frömmigkeitsformen einzuhegen oder zu unterdrücken, denn in Konfliktsituationen blieb dem 219
Von den zahllosen Predigtsammlungen sei hier eine für die ländliche Bevölkerung genannt: Anton Westermayer, Bauernpredigten, die auch manche Stadtleute brauchen können, auf alle Sonn- und Festtage des Kirchenjahres, zugleich ein Hausbuch für's katholische Landvolk, 2 Bde., Regensburg 1847, hier Bd. 1, S. 232-246. 220 Zum zunehmend ultramontan ausgerichteten Kurs im Erzbistum Köln Linn, Ultramontanismus, S. 109-115. 221 Wilhelm Rochow aus Obersülze bei Lindlar an das Generalvikariat Köln vom 4.2.1896, in: HAEK, Generalia I 31,4. Theresia Habets an Erzbischof Felix von Hartmann vom 27.6. und 21.11.1916, 17.3., 1.5., 9.5., 16.5. und 10.6.1917, in: ebenda.
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III. Populäre Frömmigkeit
Pfarrklerus kaum eine andere Wahl, als sich den Wünschen der Wundergläubigen zu beugen, wie dies im Fall des Gebetsheilers Mohr oder auch der Wallfahrten offensichtlich wurde. Wie rasch der Klerus andernfalls in die Defensive geraten konnte, zeigte sich bei den Gebetsheilungen besonders eindringlich. Ein überaus gutinformierter anonymer Verfasser hatte 1843 in dem katholischen Organ, den Historisch-Politischen Blättern, über Möhrs Therapien geschwärmt und nötigte die betroffenen Pfarrkleriker zu einem merkwürdigen Spagat, freute er sich doch vor allem darüber, „daß gerade in dieser Gegend sich die Muttergottes so hülfreich erzeigte, wo viele Priester sie so gern in den Winkel schieben möchten und Ihr den gebührenden Titel: Mutter Gottes - nicht mehr gönnen wollen, sie nur noch Mutter des Herrn ' nennend".222 Dagegen verwahrten sich die Geistlichen der Dekanate Bergheim, Jülich und Grevenbroich ausdrücklich, denn eine Ablehnung Möhrs bedeutete für sie keinesfalls eine grundsätzliche Wendung gegen die Jungfrau Maria. 2 2 3 Dies heißt indessen nicht, daß man solche Schwierigkeiten nicht auch in einen Erfolg umzuwandeln verstand. Es lassen sich zwar immer wieder Geistliche finden, die mystische Kulte und absonderliche Riten förderten, es überwog jedoch eine skeptische, an der bischöflichen Leitung orientierte Haltung, und wundergläubige Vorstellungen ließen sich oftmals mit anderen Kultformen wie der Marienfrömmigkeit oder dem Herz-Jesu-Kult kombinieren. Diese boten eine akzeptable Alternative für traditionelle und volksfromme Glaubensvorstellungen, allerdings stieß ihre unverhohlene Förderung kaum auf weniger Kritik in der Öffentlichkeit. Noch 1900 glaubte die Kölnische Volkszeitung unterstreichen zu müssen, daß die amtskirchlichen Behörden den „Hauptkampf gegen krankhafte Frömmigkeit" führten. Dies erläuterte sie an einer für die Pastoralkonferenzen bestimmten Denkschrift. Neben Erziehung zum rechten Glauben und Belehrung forderte die Denkschrift ausdrücklich dazu auf, die „Reliquienverehrung" von offiziell-kirchlicher Seite verstärkt zu fördern. Klar wurden allerdings auch die Grenzen abgesteckt, denn man definierte, es sei „abergläubisch, wenn man die gewünschte Wirksamkeit der genannten Akte [Gebet und Heiligenverehrung] nicht als Gnadengeschenk Gottes demütig erhofft, sondern durch äußere Umstände der gedachten Art mit absoluter Gewißheit erzwingen w i l l " . 2 2 4 222
[-], Der Schäfer von Niederempt in Rheinpreußen und seine Gebetsheilungen, in: Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland 11 (1843), S. 374382, hier S. 381. Hervorhebung im Original. 223 Insgesamt 20 Geistliche hatten die Replik unterschrieben. Vgl. Peter Bono, Reclamation in Betreff eines Artikels über den Schäfer von Niederempt, in: Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland 12 (1843), S. 346-351. 224 Zeitungsausschnitt Kölnische Volkszeitung vom 17.10.1900, 1. Blatt, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 IV (Kultusministerium), Sekt. 1, Abt. XXVI, Nr. 1, Vol. VII.
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Damit verwies die Denkschrift auf die praktisch nicht umsetzbare Unterscheidung in geförderten Wunder- und unerwünschten Aberglauben. Es gelang der katholischen Amtskirche gelegentlich aber auch, das Dilemma in einen Vorteil umzumünzen. Für die Trierer Rockwallfahrt von 1891 hat Gottfried Korff überzeugend herausgearbeitet, wie der Wunderglaube zu einem konfessionsspezifischen Binnenwert erhöht wurde, von dem die Verunglimpfung „Aberglauben" insofern wirkungslos abprallte, als sie letztlich eine gegenteilige Wirkung erzielte, da sie den Zusammenhalt des katholischen Milieus gegen Außenstehende stärkte. 225 Nicht von ungefähr war die wissenschaftliche Untersuchung der Rockreliquie bereits weit im Vorfeld der Wallfahrt anberaumt worden, und noch Jahre nach der Ausstellung wurden die Wunderheilungen einer ernsthaften Prüfung unterzogen. Allerdings muß man sich in diesem Zusammenhang auch an die Grenzen geförderter Identifikationsangebote auf dem Feld populärer Frömmigkeit erinnern, da Frömmigkeit immer sehr stark von individuellen Vorstellungen lebt. b) Staatliche Reaktionen zwischen Aufklärung und Unterdrückung Die Überschrift spitzt selbstverständlich zu: hier ein langfristig angelegtes Maßnahmenbündel, dort die kurzfristige Reaktion. Aber auch wenn diese beiden Verhaltensweisen nicht immer deutlich zu trennen sind, so bewegte sich der staatliche Umgang mit religiösen Umtrieben und Mißbräuchen dennoch zwischen diesen Polen. War es also ein unausgesprochenes, aber dennoch dauerhaftes Ziel preußischer Politik des 19. Jahrhunderts, die eigenen Untertanen aufzuklären? Und wenn ja, wie setzte die Verwaltung dies um? Dabei muß zunächst einmal unterschieden werden zwischen den Vorgaben der Berliner Zentrale und den konkreten Maßnahmen vor Ort. Auch wenn immer wieder eine klare behördliche Wendung gegen den „unter der niederen Einwohner=Klasse noch herrschenden Aberglauben" zu erkennen i s t , 2 2 6 so heißt dies noch lange nicht, daß sich dahinter langfristige Konzepte verbargen. Die Formulierung spiegelt lediglich eine Perspektive der preußischen Behörden, die Aberglauben ganz überwiegend mit einer sozialen Zuweisung kombinierten: Ein über das gesamte 19. Jahrhundert mehr oder weniger intensiv verfolgtes Ziel war es, den einfachen Untertan aus traditionellen Glaubensvorstellungen zu lösen. Die Behörden legten bis über die Jahrhundertmitte hinaus auf eine Verbesserung der Infrastruktur großen Wert, wozu Straßenbau ebenso zählte 225 226
9 Freytag
Vgl. Korff, Formierung der Frömmigkeit, S. 381. So im Titel des Faszikels LHAK, Best. 441, Nr. 9481.
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III. Populäre Frömmigkeit
wie seit den 1840er Jahren der Ausbau des Eisenbahnnetzes und die Modernisierung des Schulunterrichts, namentlich in den ländlichen Gebieten der Monarchie, und das war zunächst der weitaus größte Teil. Diese unter dem Begriff der „Communikation" zusammengefaßten Maßnahmen waren lange getragen von der fortschrittsoptimistischen Annahme, aufklärerische Denkund Verhaltensmuster auch in den ländlichen Unterschichten nachhaltig etablieren zu können. Freilich dämmten konfessionelle Standpunkte und die Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche diese aufklärerischen Absichten der Verwaltung ebenso ein wie sicherheits- und ordnungspolitische Handlungsmaximen. Die notorischen Klagen über mangelhafte Bildung auf dem Land erzielten nahezu zwangsläufig ihre Wirkung, allerdings waren sich die Beamten dabei durchaus bewußt, daß abergläubische Betrügereien auch in „aufgeklärten Residenzstädten" vorkämen. 227 Als machtvollstes Instrument zur Eindämmung des Aberglaubens galt die Schulbildung. Bei aller Skepsis in der Forschung über die Reichweite des Elementarunterrichts setzte sich der Schulbesuch durch, auch wenn viele Kinder der Schulpflicht zunächst nicht nachkamen. Indes standen im Unterricht weniger die fortschrittsorientierte Wissensvermittlung und Bildung als vielmehr Disziplin und Gehorsam im Vordergrund. 228 So überrascht es nicht, daß sich die Klagen über mangelnde Bildung als Ursache für die Erfolge abergläubischer Betrügereien jedesmal wieder aufs Neue bestätigten. Auch die hohe Geistlichkeit verschloß sich ihnen im Vormärz keineswegs, wie die Reaktion des Münsteraner Bischofs im Falle des Bönningharder Hexenmeisters Gerhard Klessen 1836 unterstreicht. 229 Selbst wenn die preußischen Behörden nicht mehr 227
Konsistorium der Provinz Niederrhein an Regierung Koblenz vom 16.6.1817, in: LHAK, Best. 441, Nr. 9481. 228 Ygi fQ r (jj e Umbruchszeit Koltes, Rheinland, S. 180-213. Für den Raum Trier Erwin Schaaf, Die niedere Schule im Raum Trier-Saarbrücken von der späten Aufklärung bis zur Restauration. 1780-1825, Trier 1966. Eine unverzichtbare Dokumentensammlung für Rheinpreußen bis 1850 bieten Hans-Jürgen Apel/Michael Klöcker, Schulwirklichkeit in Rheinpreußen. Analysen und neue Dokumente zur Modernisierung des Βildungswesens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Köln/Wien 1986, hier S. 166-174. Allgemein Gerd Friedrich, Das niedere Schulwesen, in: Karl-Ernst Jeismann/Peter Lundgreen (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. III: 1800-1870. Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches, München 1987, S. 123-152. Folkert Meyer, Schule der Untertanen. Lehrer und Politik in Preußen 1848-1900, Hamburg 1976, hier S. 82-89. Frank-Michael Kuhlemann, Modernisierung und Disziplinierung. Sozialgeschichte des preußischen Volksschulwesens 1794-1872, Göttingen 1992. Für die Zeit des Kaiserreiches Ders., Niedere Schulen, in: Christa Berg (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. IV: 1870-1918. Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, München 1991, S. 179-216. 229
Generalvikariat Münster an Regierung Düsseldorf vom 27.12.1836, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 226, Bl. 11.
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131
glaubten, die ältere Generation noch belehren zu können, sollten Lehrer und Geistlichkeit gemeinsam auf eine bessere Bildung der Jugend hinwirken. Geradezu zu einem Erdbeben wuchs sich in dieser Hinsicht 1836 ein Mord auf der Ostseehalbinsel Heia (Regierungsbezirk Danzig) aus, dessen Erschütterungen bis in den Westen des preußischen Königreichs zu spüren waren. In dem abgelegenen Fischerdorf Ceinowa war ein Großteil der Bewohner unter der Rädelsführerschaft des als Wunderheiler und Hexenmeister geltenden Stanislaus Kaminski über eine als Hexe verrufene 51jährige Witwe und Mutter von sechs Kindern hergefallen, sollte sie doch den Fischer Johann Konkel verhext haben. Um sie zur Rücknahme ihrer angeblichen Verwünschung zu zwingen, mißhandelte man sie mehrere Tage brutal und ertränkte sie schließlich bei einer Hexenprobe im Ostseewasser. In Berlin zeigte man sich auch deshalb besonders entsetzt, weil weder der Dorfschulze vor Ort noch das Landratsamt eingeschritten waren, erst eine Selbstanzeige die Tat ans Licht brachte und die Ministerien nur aus „öffentlichen Blättern" über den Vorfall erfuhren. 230 Der Mordfall, in der Publizistik des 19. Jahrhunderts immer wieder als Beleg für die Andauer eines schrecklichen Hexenaberglaubens ausgeschlachtet, führte nicht nur zu härtesten Strafen für die Mörder, sondern auch zu einer detaillierten Untersuchung des Innen- und Kultusministeriums über die Qualität der Schulbildung in den katholischen Gebieten Preußens und die Rolle nachgeordneter Behörden. 231 Der sichtlich um Fassung ringende Kultusminister Altenstein ließ seinen Kollegen im Innen- und Polizeiministerium, Rochow, wissen, daß er nach einer Verbesserung der polizeilichen Zustände umgehend aktiv würde: „Der entschiedenen Mangelhaftigkeit der kirchlichen und Schul-Einrichtungen, welche erst durch diesen Vorgang zur Kenntniß der königlichen Regierung gekommen zu sein scheint, wird indeß möglichst bald meinerseits Abhilfe verschafft werden". 232 Aufklärung und Bildung der preußischen Untertanen standen zwar langfristig auf der Tagesordnung, aber dennoch hatte die Kontrolle durch Verwaltung und Gendarmerie Vorrang. Altensteins vorsichtige Zurückhaltung fußte auf einer Zirkularverfügung, welche die ministeriellen Zuständigkeiten regelte. A m 1. Dezember 1827 waren alle Provinzialbehörden angewie230 Konzept Innenministerium an Regierung Danzig vom 3.9.1836, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 415, Nr. 39. 231 Vgl. bisher Gailus, Strasse und Brot, S. 136. Über den Ereignisablauf informiert Mannhardt, Folgen des Aberglaubens, S. 62-75. Zu den ministeriellen Maßnahmen vor Ort: Regierungspräsidium Danzig an Rochow vom 7.9.1836, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 415, Nr. 39. Ausführlicher dazu Freytag, Witchcraft. 232 Altenstein an Rochow vom 3.12.1836, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 415, Nr. 39. 9*
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sen worden, daß jene Ereignisse, die abergläubische Vorfälle um Laienheiler betrafen, ausschließlich vom Innenministerium zu behandeln seien. 233 Um die unmittelbaren Folgen des Helaer Mordes zu bewältigen, wurden der Gutsherr des Fischerdorfes belangt, Beamte gemaßregelt, ein zusätzlicher Gendarm dem Landratsamt zugeordnet sowie eine jährliche Beihilfe von 200 Reichstalern aus dem Staatsfond als bildungspolitische Soforthilfe genehmigt. Letzteres mag damit zusammenhängen, daß der Königsberger Oberpräsident Theodor Schön, der auch nicht ohne ministerielle Schelte davonkam, in der intensiven Diskussion über den Zustand der preußischen Bildung umgehend eine Revision des gesamten Provinzialschulwesens anmahnte. 2 3 4 Indessen erschließt der Helaer Mord noch eine weitere Dimension. Auf das engste miteinander verknüpft waren Hexen- und Teufelsglaube, wenn es darum ging, unwägbare Schicksalsschläge zu personifizieren. Der Historiker muß sich für Aussagen über Umfang und Reichweite des Hexenglaubens vor allem auf die vielen zeitgenössischen Klagen in Publizistik, Zeitungen und populärwissenschaftlichen Darstellungen stützen, die rastlos den weitverbreiteten Glauben an Hexen anprangerten. Die erhaltenen archivalischen Materialien sind hier eher bescheiden. 235 Von spektakulären Fällen abgesehen, hat letzteres sicher auch damit zu tun, daß einfache Injurienklagen, in denen Frauen sich, wie 1896 vor der Essener Strafkammer, gegen Hexereivorwürfe wehrten, meist nicht überliefernswert erschienen. Als sicher gilt in der erst in ihren Anfängen steckenden Hexenforschung für das 19. Jahrhundert, daß der ländliche Hexenglaube seine Funktion als Bewältigungsstrategie für Krisen- und Konfliktkonstellationen behielt, gegen die auch keine staatlichen Strafandrohungen halfen. 2 3 6 Darüber hinaus sind 233 Promemoria ad acta vom 20.10.1830, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2180. 234 Schön an Minister des könglichen Hauses Karl Friedrich Heinrich Graf von Wylich und Lottum vom 16.8.1836, in: GStA PK, I. HA, Rep. 2.2.1. (Geheimes Zivilkabinett), Nr. 15142. Zu Theodor Schön (1773-1856), 1824-1842 Oberpräsident von Ost- und Westpreußen vgl. Koselleck, Preußen, passim. Schön galt als bissiger Kritiker der Berliner Bürokratie und letzter Reformer, was die Schelte aus Berlin zusätzlich erklärt. 235 Es gehörte in jeder volkskundlichen Sammlung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts unabdingbar dazu, auf zeitgenössische Ausläufer und Formen des Hexenglaubens zu verweisen. Vgl. etwa Mannhardt, Folgen des Aberglaubens, S. 62-75. Hellwig, Verbrechen und Aberglaube, S. 6-22. Nikolaus Fox, Saarländische Volkskunde, Bonn 1927, S. 273-282. Walter Diener, Hunsrücker Volkskunde, Bonn/Leipzig 1925, S. 86-91. Adam Wrede, Eifeler Volkskunde, 2., vermehrte Aufl., Bonn/ Leipzig 1924, S. 93 f. 236 Vgl. Alexander, Wahre und falsche Heilkunde, S. 11. Auffällig ist, daß es ausgerechnet in der zweiten Hälfte der 1830er Jahre zu einer Reihe aufsehenerregender und die Behörden beschäftigender Hexereifälle kam: Remagen 1835, Bön-
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durch Johann Kruses berühmtes Hexenarchiv auch noch für das 20. Jahrhundert sichere Quellen für eine Verbreitung dieses von preußischen Behörden wie katholischer Kirche verfolgten Aberglaubens erhalten. 237 Die Berliner Ministerien reagierten allerdings durchaus auch zurückhaltender auf religiösen Aberglauben in ihren katholischen Provinzen und setzten auf das Lernen aus schlechter Erfahrung. Besonders bemerkenswert war die behördliche Argumentation im Zusammenhang mit den Wunderheilungen des Fürsten Alexander von Hohenlohe-Schillingsfürst in Würzburg 1821/22. 238 Zahlreiche Kranke aus den rheinischen Provinzen und aus Westfalen wollten die beschwerliche Reise wagen und hielten um Reisepässe bei den Behörden an. Die Münsteraner Regierung wollte diese verweigern, glaubte sie doch, durch eine Paßausgabe „nicht etwa dem Aberglauben stillschweigend, sondern gleichsam durch eine förmliche Autorisation desselben, die Hand [zu] bieten, und so zur völligen Verarmung dieser Menschen" beizutragen. 239 Das Berliner Innenministerium trat dem Vorhaben umgehend entgegen und wendete die Argumentation genau anders - in dem Wissen, daß das Ziel der Reise im Ausland lag - herum an: Wenn die Bittsteller vom ,,thörichte[n] Zweck" ihrer Reise nicht abzubringen seien, dann sollten sie zumindest aus Erfahrung klug werden, da „die vergebliche Reise als das einzige Mittel erscheint, sie von dem Aberglauben zu heiningharder Heide 1836, Ceinowa 1836. Die Bedeutung des Hexenglaubens für die städtischen Unterschichten ist bisher noch nicht untersucht. Zum Hexenglauben im 19. Jahrhundert vgl. Scheffler, Hexenglaube. Zu Bewältigungsstrategien im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert: Monika Bönisch, Opium der Armen. Lottospiel und Volksmagie im frühen 19. Jahrhundert. Eine Fallstudie aus Württemberg, Tübingen/Stuttgart 1994. Claudia Ulbrich, Die Jungfrau in der Flasche. Ländlicher Traditionalismus in Deutschlothringen während der Französischen Revolution, in: Historische Anthropologie. Kultur Gesellschaft Alltag 3 (1995), S. 125-143. Mit Blick auf die Krisensituation des Ersten Weltkriegs Benjamin Ziemann, Katholische Religiosität und die Bewältigung des Krieges. Soldaten und Militärseelsorger in der deutschen Armee 1914-1918, in: Jahrbuch für historische Friedensforschung 6 (1997), S. 116-136, hier S. 123 f. 237 Zu Johann Kruse und dessen Hexenarchiv vgl. Thomas Hauschild, Hexen in Deutschland, in: Hans Peter Duerr (Hg.), Der Wissenschaftler und das Irrationale, Erster Bd.: Beiträge aus Ethnologie und Anthropologie, Frankfurt am Main 1981, S. 537-564. Joachim Friedrich Baumhauer, Johann Kruse und der „neuzeitliche Hexenwahn". Zur Situation eines norddeutschen Aufklärers und einer Glaubensvorstellung im 20. Jahrhundert untersucht anhand von Vorgängen in Dithmarschen, Neumünster 1984, hier S. 66. Allgemein dazu Schock, Hexenglaube in der Gegenwart. 238 Zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1794-1849) Ludwig Sebastian, Fürst Alexander von Hohenlohe-Schillingsfürst 1794 bis 1849 und seine Gebetsheilungen, Kempten/ München 1918. Stephan Baron von Koskull, Wunderglaube und Medizin. Die religiösen Heilungsversuche des Fürsten Alexander von Hohenlohe in Franken 1821— 1822, Bamberg 1988. 239 Regierung Münster an Innenministerium vom 23.10.1821, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 2168, Generalia, Nr. 12.
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len" 2 4 0 Die auch in der Folge erkennbare Zurückhaltung in Sachen „religiöser Aberglauben" legten die Behörden allerdings sofort ab, wenn eine unmittelbare Wendung ins Politische zu erkennen war. Diese vor allem bei der Zensur von Prophezeiungen und Weissagungen greifbare Stoßrichtung überlagerte die langfristig verfolgten Aufklärungsabsichten. Das läßt sich beim evangelischen St. Wendeler Geistlichen Karl Juch beobachten, der dem Aberglaubensbegriff in seinen kurz nach dem Hambacher Fest 1832 gehaltenen Predigten einen radikaldemokratischen Anstrich verpaßte. Juch verstand unter religiösem und bürgerlichem Aberglauben nicht nur die „knechtische" Verehrung Gottes, sondern auch die der Fürsten. Seine politischen Ziele gipfelten in der Aufforderung zur Revolution, wenn er an seine Gemeinde appellierte: „Weifet selbst weg Euere abergläubischen Begriffe von dem Throne übermenschlicher Hoheit, und die Fürsten müssen zum Bürgerstande zurückkehren". 241 Für die Behörden standen stets sicherheits- und ordnungspolitische Aspekte an prominenter Stelle der Ermittlungen. Dies kombinierten sie mit Fragen nach dem medizinischen oder wissenschaftlichen Wahrheitsgehalt des Wunderbaren oder Absonderlichen. Als sich 1829 Mißbräuche mit einer unter dem Namen „Heiliger Vogt von Sinzig" (Kreis Ahrweiler) bekannten Mumie bis zum Berliner Kultusministerium herumsprachen, gab der mit der Untersuchung der Vorgänge betraute Bonner Regierungsrat Philipp Joseph von Rehfues ein Gutachten bei dem Zoologen und Mineralogen Georg August Goldfuß in Auftrag. 2 4 2 Goldfuß hatte die Mumie nicht nur bereits gesehen, sondern zeigte sich auch über deren Vorgeschichte bestens informiert. Er sah zwei Wurzeln in den Vorgängen um den Vogt. So erkannte er in seiner Stellungnahme keinerlei Unterschiede zu anderen getrockneten Leichnamen. Er versuchte, den verbreiteten Glauben, der heilige Vogt könne Dürreperioden durch Regenwetter beenden, wenn man ihn nur im nahegelegenen Rhein schwimmen ließe, damit zu erklären, daß Mu240
Konzept Innenministerium an Regierung Münster vom 31.10.1821, in: ebenda. 241 Karl Juch, Aberglauben, Eigennutz, Kleinmut! Eine Predigt, gehalten zu Niederkirchen am Osterfeste 1832, Zweibrücken 1832, S. 7 f. Juchs publizierte Predigten wurden nicht nur umgehend konfisziert, sondern er selbst auch wegen „Aufreizung" zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Vgl. Wolfgang Schieder, Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung. Die Auslandsvereine im Jahrzehnt nach der Julirevolution von 1830, Stuttgart 1963, S. 224-227. Zu den politischen Dimensionen des Aberglaubensbegriffs im Vormärz vgl. Artikel „Aberglaube", in: Karl von Rotteck/ Karl Theodor Welcker (Hg.), Staatslexikon, Bd. 1, Altona 21845, (4834), S. 85-90. 242 Rehfues (1779-1843) war zwischen 1819 und 1842 außerordentlicher Regierungsbevollmächtigter in Bonn und dort Kurator der neugegründeten Universität. Vgl. ADB, Bd. 27, S. 590-595. Georg August Goldfuß (1782-1848) war seit 1818 Professor für Zoologie und Mineralogie in Bonn und ein bekannter Paläontologe. Er verfaßte die Petrefacta Germanicae. Vgl. NDB, Bd. 6, S. 605.
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mien bei hoher Luftfeuchtigkeit aufweichten, die Regen in der Regel voranginge. Außerdem habe die verworrene Geschichte der Mumie zwischen 1794 und 1815 zu ihrer Popularität beigetragen. Die Mumie, deren Herkunft nicht eindeutig zu klären war, war offensichtlich von Franzosen zunächst nach Köln und später nach Paris geschafft worden, wo man sie ausstellte, ehe sie nach der Niederlage Napoleons unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wieder nach Sinzig zurückkehrte. 243 Daß allerdings ein Wissenschaftler als Fachmann hinzugezogen wurde, bildete eher die Ausnahme, in der Regel genügten die Stellungnahmen der lokalen Beamten. Ein beliebtes Deutungsmodell war der bewußte Betrug am einfältigen Gläubigen, der getäuscht, geängstigt oder finanziell hintergangen werden sollte. Im Eckhausener Klopfgeistfall von 1890 versuchte der Mucher Bürgermeister Jülich, einem Schwindel auf die Spur zu kommen, indem er die Räumlichkeiten, in denen der Geist des verstorbenen Schusters Johann Krütt klopfen sollte, peinlich genau untersuchte: „Wie ich mich in dem Spukzimmer überzeugte, kann durch leises Anschlagen der Fußspitzen oder der Absätze ein verhältnißmäßig starker dumpfer Ton erzeugt werden. [...] Durch [einen] Hohlraum wird offenbar der von den Ohrenzeugen beschriebene dumpfe Ton hervorgerufen worden sein". 244 Seiner persönlichen Überzeugung und allen Vermutungen zum Trotz mußte er den endgültigen Nachweis eines Betrugs freilich schuldig bleiben. Allerdings trug Jülich maßgeblich dazu bei, daß die Hauptverdächtige Maria Funken von einem Siegburger Anstaltsarzt geprüft wurde, ob sie in der Heilanstalt aufgenommen werden müßte. Seine öffentliche Visite ließ zudem den Zustrom an den Ort des Klopfens nur noch mehr anwachsen. Auch in diesem Fall erwies es sich als nachteilig, Ergebnisse zu publizieren, die nicht den Wünschen und Hoffnungen des Publikums entsprachen. Die letztlich unerwünschte Öffentlichkeit und der unmündige Untertan erwiesen sich - aus Sicht der Behörden - noch lange wissenschaftlichen oder medizinischen Argumenten nur wenig zugänglich. So begründete das niederrheinische Medizinalkollegium bereits 1821 aus Anlaß der Wunderheilungen Hohenlohe-Schillingsfürsts sowie des Bauern Martin Michel, zu denen viele Kranke aus den Rheinprovinzen pilgerten, seine geheime Untersuchung mit dem Hinweis auf ein übergeordnetes Interesse des Obrigkeitsstaats: „so verfuhren wir dennoch mit der Unparteilichkeit und der Schonung, welche jeder Verständige bey Dingen beobachten muß, die mit dem Glauben und Aberglauben des Volkes im Zusammenhange stehen". 245 In diesem Sinne verstanden die Behörden auch ihre Beziehung zur katholischen Kirche. Wie bereits in der Wallfahrtsfrage weist die Korrespondenz 243
Abschrift Goldfuß an Rehfues vom 15.7.1829, in: LHAK, Best. 441, Nr. 9481. Aktennotiz des Bürgermeisters Jülich vom 23.2.1890, in: HStAD, Best. Landratsamt Siegkreis, Nr. 288, Bl. 29r-33r, Zitat Bl. 32r. 244
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über die Maßnahmen gegen religiöse Mißbräuche zwischen dem Kölner Erzbischof Spiegel und dem Koblenzer Oberpräsidenten Ingersleben auf ein sehr warmherziges und offenes Verhältnis zwischen beiden hin. Der Oberpräsident stieß mit seinen Wünschen jedenfalls häufig auf offene Ohren beim Kölner Oberhirten. 246 In der Regel stimmten die Oberpräsidenten zu, daß Geistliche abergläubische Vorgänge vor Ort ohne großes Aufsehen untersuchten und dann entweder den Generalvikariaten oder den zuständigen Dechanten darüber ausführlich berichteten. Dennoch blieb die Drohung präsent, bei größeren Vorkommnissen umgehend einzugreifen. 247 Auch entband der preußische Staat mißliebige Geistliche von der Schulaufsicht. Allerdings gelang es den Behörden selbst in Phasen schärfster Konfrontation gelegentlich noch, mit dem Pfarrklerus zu kooperieren. Auf dem Höhepunkt des Kulturkampfs meldete die Kölner Regierung 1877 beruhigt über Marienerscheinungen in Merzbach nach Berlin: „Von der Geistlichkeit wurde der Unfug entschieden gemißbilligt und hat der Ortsgeistliche der Schuljugend den Besuch der gedachten Stelle verboten". 248 Diese Kooperation geschah meist in enger Abstimmung mit den Beamten vor Ort. Die Bürgermeister und vor allem die Landräte agierten dabei als verlängerter Arm der Regierungen; 249 die gemeindlichen Beamten dienten allerdings gleichzeitig als eine Art Puffer zwischen den Kommunen und den höheren Verwaltungsinstanzen mit mehrfachen, einander nicht zwangsläufig widersprechenden Loyalitäten gegenüber dem preußischen Staat, ihrer Konfession und auch ihrer Gemeinde. Dennoch drang der Verwaltungsstaat in diesem Zeitraum allen Widerständen zum Trotz entscheidend bis in das letzte Dorf vor, und die Vertreter der lokalen Verwaltung handelten zunehmend in staatlichem Interesse. 250 245 Abschrift Medizinalkollegium Niederrhein an Regierung Koblenz vom 29.12.1821, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2180. 246 Spiegel an Ingersleben vom 27.10. und 5.11.1825 sowie Konzept Ingersleben an Spiegel vom 7.11.1825, in: LHAK, Best. 403, Nr. 4545, S. 1 f., S. 5-8. 247 Generalvikariat Aachen an Ingersleben vom 22.10.1822, in: LHAK, Best. 403, Nr. 4455, S. 25 f. 248 Regierung Köln an Innenminister Eulenburg vom 11.5.1877, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 500, Nr. 44, Vol. 1, Bl. 3r-4r, Zitat Bl. 3v. 249 Zu den rheinpreußischen Landräten vgl. Romeyk, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 137-241. Lysbeth W. Muncy, The Prussian Landräte in the Last Years of the Monarchy: A Case Study of Pomerania and the Rhineland in 1890-1918, in: CEH 6 (1973), S. 299-338. 250 Ygi Joachim Eibach, Der Staat vor Ort. Amtmänner und Bürger im 19. Jahrhundert am Beispiel Badens, Frankfurt am Main/New York 1994. Mit zahlreichen Beispielen aus dem Hessischen Robert von Friedeburg, Ländliche Gesellschaft und Obrigkeit. Gemeindeprotest und politische Mobilisierung im 18. und 19. Jahrhundert, Göttingen 1997.
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Grundsätzlich war das Verhalten einzelner Beamter wichtig, wenn man an die unglückliche Konstellation wenig maßvoller und kurzsichtiger Vertreter des Staates in Marpingen 1876/77 denkt, vom Trierer Regierungspräsidenten Wolff über den Landrat Karl Hermann Rumschöttel bis hin zu Bürgermeister Woytt und dem Kreissekretär Besser; das Militär einzuschalten erwies sich später auch aus behördlicher Perspektive als wenig angemessen. Man wird dennoch nicht sagen können, daß die Wundererscheinungen dem preußisch-protestantischen Staat „zutiefst wesensfremd" gewesen seien. 251 Das hieße die in den 1870er Jahren bereits über 50jährige Tradition und Erfahrung unterschätzen, in welcher der preußische Staat mittlerweile im Rheinland stand, wobei die Erfahrung mit den katholischen Gebieten im preußischen Osten ohnehin noch länger zurückreichte. Vielmehr hat die bürokratische Intoleranz mit der Sondersituation „Kulturkampf 4 zu tun, in der Verständnis gegenüber katholischer Frömmigkeit im Hintergrund stand. Die Androhung eines Militäreinsatzes schwebte oftmals über wundersamen Ereignissen und war so präsent, daß während der Flaschenwunder in der Geißmühle 1877 eine beängstigende anonyme Warnung kursierte, in der der Verfasser nach den Marpinger Erfahrungen vor einem erneuten Militäraufmarsch warnte. 2 5 2 Landräte und Bürgermeister jedenfalls riefen schnell nach zusätzlicher Verstärkung der offenkundig notorisch unterbesetzten Gendarmerie, um - so die klassische Formel für staatliche Interessen - „Ruhe und Ordnung" aufrechtzuerhalten. Die lokale Verwaltung erließ eigens Polizeiverordnungen, um den Zutritt zu den Wunderorten zu verhindern, im Marpinger Härtelwald ebenso wie auf dem Acker in Merzbach. Umgehend nach den Marienerscheinungen hatte der Merzbacher Bürgermeister Neß nämlich jede Annäherung an die Stelle verboten sowie die Polizeistunde von 23 auf 21 Uhr vorverlegt. Später ließ die Merzbacher Gemeinde sogar den Acker umpflügen, auf dem die Jungfrau Maria einem Jungen erschienen war, was die Kölner Regierung eilig nach Berlin berichtete. 2 5 3 Die Behörden befürchteten „Exzesse", wenn sich eine größere Anzahl Gläubiger an dem Wunderort einfände. Der Aberglaubensvorwurf grenzte populäre Frömmigkeit aus ebenso wie er sie als veraltet stigmatisierte und die selbstverschuldete Unmündigkeit der preußischen Untertanen bis ins 20. Jahrhundert festschrieb. Dabei bündelte er den Blick auf unzeitgemäß empfundene Frömmigkeit. Das konnte Wallfahrten genauso treffen wie Hexen- und Teufelsglauben. Abergläubi251
So Blackbourn, Marpingen, S. 373. Anonym verfaßtes Schreiben ohne Datum, in: LHAK, Best. 655,033, Nr. 403. 253 Regierung Köln an Innenminister Eulenburg vom 1.10.1877, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 500, Nr. 44, Vol. 1, Bl. 53r-54r. Polizei· Verordnung vom 12.4.1877, in: HStAD, Best. Landratsamt Rheinbach, Nr. 213, Bl. 4r. 252
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sehe Züge konnten dabei allen unkanonischen Bestandteilen von Frömmigkeit zugewiesen werden. 2 5 4 Allerdings gelang es dennoch nicht vollständig, Abweichungen von geltenden kirchlich-katholischen Normen zu unterbinden, geschweige denn ausnahmslos einzuhegen. Zudem verlor der aufklärerische Kampfbegriff Aberglauben im 19. Jahrhundert an Schlagkraft, weil er zunehmend in den Sog kirchenpolitischer Konflikte geriet und so vor einem aufklärerischen Selbstverständnis die Konfessionszugehörigkeit markierte. Aus protestantischer Sicht galt dann ein Großteil katholischer Frömmigkeit als ultramontan, amtskirchlich gelenkt und damit als Aberglauben. Im Kampf gegen den Aberglauben der ländlichen Bevölkerung setzten Staat und Kirche auf die langfristig aufklärerische Wirkung von Bildung, sei es durch die Schule oder die Predigt. Damit endeten freilich die Gemeinsamkeiten wieder, denn der preußische Behördenstaat verstand unter langfristiger Aufklärung offenkundig etwas anderes als die katholische Amtskirche. Die Ortsgeistlichkeit geriet zumindest während des Kulturkampfs in eine prekäre Lage, die sie zu einem Spagat zwischen popularreligiösen Ansprüchen und Vorgaben der Diözesanspitze nötigte. Erschwert wurde dies durch den staatlichen Druck, mißliebige und aufsehenerregende Frömmigkeitsäußerungen zu unterbinden und wissenschaftlich-medizinische Erklärungsmuster durchzusetzen. Der langfristigen staatlichen Aufklärungspolitik stand das Bemühen zur Seite, Aberglauben immer dann kompromißlos abzuwehren, wenn Ruhe und Ordnung als gefährdet galten. Gemeinsam gingen Staat und katholische Amtskirche gegen durch Aberglauben verursachte Ruhestörungen und Unordnung vor allem dann rasch vor, wenn lokale Amtsträger in die Vorgänge verwickelt waren. Die langfristigen Ziele in der Aberglaubensbekämpfung von preußischem Staat und katholischer Kirche unterschieden sich in entscheidenden Punkten. Wichtig ist in jedem Fall, daß sich der frühultramontane Kurs nicht in einer mehr oder weniger vorsichtigen Förderung von Exorzisten und Wunderheilern niederschlug. So hingen Zustimmung oder Ablehnung populärer Frömmigkeitsformen auch in den Diözesanleitungen stärker von einzelnen Persönlichkeiten als von einer Ausrichtung an römischen Vorgaben ab. Die Häufung und offensichtlich unter den Gläubigen auch weitverbreitete Akzeptanz von Wunderheilungen sind in den 1840er Jahren demnach stärker auf andere Ursachen zurückzuführen. Im Erzbistum Köln blieb es jedenfalls das gesamte 19. Jahrhundert hindurch bei der geheimen Untersuchung derartiger Vorkommnisse und einer ausgeprägten Skepsis gegenüber Wunderheilern. Zudem gewannen auch hier die von staatlicher Seite beförderten wissenschaftlich-medizinischen Deutungen zunehmend an Boden.
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Vgl. Blessing , Kirchenfromm, S. 102-106.
IV. Lektüren und Zensur abergläubischen Schrifttums Die Bekämpfung und Kontrolle abergläubischer Literatur waren in der preußischen Verwaltungshierarchie weitaus stärker institutionell verankert als der Umgang mit populären Frömmigkeitsformen. Ein wesentliches Element dieser Kontrolle ist der Verrechtlichungsprozeß, von dem der literarische Markt im 19. Jahrhundert ebenfalls betroffen war. 1 Ein Teil des Prozesses sind die spätestens seit der Napoleonischen Epoche bekannten Steuerungsmechanismen von Presse und Buchmarkt: die defensive, verbietende Zensur und die sie begleitenden, offensiven und meinungslenkenden Maßnahmen wie Propaganda oder Reglementierung der Lektürewahl. 2 Die Forschung zur Zensur konzentriert sich vor allem auf die Felder der literarischen Zensur, der Zeitungszensur sowie auf den Zusammenhang von Pressefreiheit und politischer Öffentlichkeit. 3 Ausgeblendet blieb bisher
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Unverzichtbar ist Klaus Kanzog, Zensur, literarische, in: Ders./Achim Masser (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 4, Berlin/New York 2 1984, Sp. 998-1049. Weiter sind wichtig Dieter Breuer, Geschichte der literarischen Zensur in Deutschland, Heidelberg 1982. Edda Ziegler, Literarische Zensur in Deutschland 1819-1848. Materialien, Kommentare, München/Wien 1983. Wolfram Siemann, Ideenschmuggel. Probleme der Meinungskontrolle und das Los deutscher Zensoren im 19. Jahrhundert, in: HZ 245 (1987), S. 71-106. Ulrich Eisenhardt, Wandlungen von Zweck und Methoden der Zensur im 18. und 19. Jahrhundert, in: Herbert G. Göpfert/Erdmann Weyrauch (Hg.), „Unmoralisch an sich...". Zensur im 18. und 19. Jahrhundert, Wiesbaden 1988, S. 1-35. 2 Vgl. Ute Daniel/Wolfram Siemann, Historische Dimensionen der Propaganda, in: Dies. (Hg.), Propaganda. Meinungskampf, Verführung und politische Sinnstiftung 1789-1989, Frankfurt am Main 1994, S. 7-20. Wolfgang Piereth, Propaganda im 19. Jahrhundert. Die Anfänge aktiver staatlicher Pressepolitik in Deutschland (1800-1871), in: ebenda, S. 21^13. Wolfram Siemann, Normenwandel auf dem Weg zur „modernen" Zensur. Zwischen „Aufklärungspolizei", Literaturkritik und politischer Repression (1789-1848), in: John A. McCarthy/Werner von der Ohe (Hg.), Zensur und Kultur. Zwischen Weimarer Klassik und Weimarer Republik mit einem Ausblick bis heute, Tübingen 1995, S. 63-86, vor allem S. 72-77. 3 Vgl. Ursula Giese, Studie zur Geschichte der Pressegesetzgebung, der Zensur und des Zeitungswesens im frühen Vormärz. Auf Grund bisher unveröffentlichter Dokumente aus Wiener Archiven, in: AGB VI (1966), Sp. 341-546. Franz Schneider, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit. Studien zur politischen Geschichte Deutschlands bis 1848, Neuwied am Rhein/Berlin 1966. Ders., Presse, Pressefreiheit, Zensur, in: Brunner u.a., Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 899-927, vor allem S. 919-926.
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weitestgehend die Zensur des religiösen Schrifttums und der Gelegenheitsschriften, obwohl diese auch über die Frühe Neuzeit hinaus den Löwenanteil der Publikationen ausmachten. In der Zensur dieser Schriften verschränkten sich religions-, moral- und bildungspolitische Absichten von protestantischem Staat und katholischer Kirche, denn Zensur und Propaganda waren immer auch Aufgaben des schützenden überkonfessionellen Obrigkeitsstaates. Ebenso bestimmten soziale Absichten den Alltag der Zensoren, welche die „Begriffe der Jugend und der weniger gebildeten Volksklassen" zu kontrollieren hatten, wie das preußische Ober-Zensur-Kollegium 1822 formulierte. 4 Wie breit das Spektrum dessen war, was als abergläubische Literatur eingestuft werden konnte, belegen eindrucksvoll die sogenannten Zauberbibliotheken des 18. und auch 19. Jahrhunderts. In ihnen stellten Zeitgenossen, unter denen die bekanntesten Georg Conrad Horst und Johann Georg Theodor Grässe waren, Literaturtitel zusammen, welche die Kompilatoren als abergläubisch einstuften oder welche sich mit Aberglauben beschäftigten. Dabei griffen sie nicht nur auf frühneuzeitliche Schriften und Akten von Hexenprozessen zurück, sondern führten auch magnetische Erörterungen und aufklärerische Belehrungsschriften an. 5 Diese Zusammenstellungen führen mitten in den Problemhorizont und das Fragebündel dieses Kapitels, denn es wird zu klären sein, was preußischem Staat und katholischer Kirche als abergläubische und damit gefährliche Literatur galt. 6 Folgende Fragen sollen dies erschließen: Welche Kontinuitäten und auch Brüche lassen sich in den Reaktionen des preußischen Staates und der katholischen Kir4 Ober-Zensur-Kollegium an Ingersleben vom 27.6.1822, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7137, S. 1 f. Allerdings unterschied die preußische Zensur-Verordnung von 1819 selbst nicht nach sozialen Kriterien, wofür in Preußen auch der Verzicht auf die sogenannte Zwanzig-Bogen-Klausel der Karlsbader Beschlüsse spricht. Vgl. Preußisches Zensur-Edikt vom 18.10.1819, in: Ernst Rudolf Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, 3., neubearbeitete und vermehrte Aufl., Stuttgart u.a. 1978, S. 106-109. 5 Vgl. Grässe, Bibliotheca Magica et Pneumatica. Georg Conrad Horst, Zauber=Bibliothek oder von Zauberei, Theurgie und Mantik, Zauberern, Hexen, [!] und Hexenprozessen, Dämonen, Gespenstern, und Geistererscheinungen. Zur Beförderung einer rein=geschichtlichen, von Aberglauben und Unglauben freien Beurtheilung dieser Gegenstände, 6 Teile, Mainz 1821-1826. Seine Absichten entwickelte Horst bereits ein Jahr zuvor detailliert in einer eigenen Schrift. Vgl. Oers., Von der alten und der neuen Magie. Ursprung, Idee, Umfang und Geschichte. Als Ankündigung der Zauber=Bibliothek und Verständigung mit dem Publikum über dieß literarische Unternehmen, Mainz 1820. Ein Exemplar der meist übersehenen Schrift befindet sich in der Stadtbibliothek Trier unter der Signatur K2/2368. 6 Wenig brauchbar für diese Fragen sind volkskundliche Zusammenstellungen eines abergläubischen Literaturkanons: Karl-Peter Wanderer, Gedruckter Aberglaube. Studien zur volkstümlichen Beschwörungsliteratur, phil. Diss, masch., Frankfurt am Main 1976. Stute, Hauptzüge wissenschaftlicher Erforschung.
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che feststellen? Wen wollten Staat und Kirche vor diesen Schriften bewahren und gab es Phasen, in denen abergläubischem Schrifttum weniger intensiv nachgespürt wurde? Welche - unterschiedlichen oder gemeinsamen Ziele verfolgten Staat und Kirche mit dieser Zensur? Und welche Reichweite hatte abergläubisches Schrifttum, also wer las es überhaupt und an welchen Orten konnten die Zeitgenossen es erwerben? Mit der letzten Frage soll begonnen werden, um die Basis für den staatlichen und kirchlichen Umgang abzustecken, ehe die Grundlagen der Zensur von Gelegenheitsschriften in den Blick genommen werden. Es folgt ein vierter Abschnitt, der die staatlichen Ziele behandelt. Abschließend werden dann die amtskirchlichen Strategien und Absichten analysiert.
1. Lektüren oder: Gab es eine „magische Hausväterliteratur"? 1957 versuchte der Volkskundler Will-Erich Peuckert, abergläubische Literatur in Anlehnung an die nur ein Jahr zuvor veröffentlichte Studie Otto Brunners über das „Ganze Haus" und die ökonomische Hausväterliteratur einer sogenannten „magischen Hausväterliteratur" zuzuordnen, ohne daß dieser Begriff zeitgenössisch selbst existiert hätte.7 Das Konzept des „Ganzen Hauses" fußte auf der von Brunner konstruierten Rolle des Mannes als Herrschaftsträger innerhalb und außerhalb des Hauses, wozu ihm als Quelle ganz maßgeblich die Hausväterliteratur diente. 8 Diesen praktischen Anleitungen zur christlichen und ökonomischen Hausverwaltung stellte Peuckert eine auf der magia naturalis basierende Literaturgattung zur Seite, die der männliche Hausvorstand in immer neuen Auflagen bis ins 20. Jahrhundert gelesen habe. Danach habe sie als mythisch-magischer Ratgeber in allen Lebens- und Notlagen geholfen, womit Peuckert die Legende von der angeblich mythischen Grundlage des „Volkes" in das 20. Jahrhundert trans7 Vgl. Will-Erich Peuckert, Das sechste und siebente Buch Mosis, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 76 (1957), S. 163-187. Ders., Göttingen und die magische Hausväterliteratur, in: ebenda, S. 365-378. Ohne daß Peuckert darüber ausdrücklich informiert, steht er in volkskundlicher Tradition, da das Konzept vom „Ganzen Haus" wohl auf Wilhelm Heinrich Riehl zurückzuführen ist. Vgl. Hans Derks, Über die Faszination des „Ganzen Hauses", in: GG 22 (1996), S. 221-242, hier S. 223. Zur ökonomischen Hausväterliteratur Julius Hoffmann, Die „Hausväterliteratur" und die „Predigten über den christlichen Hausstand". Lehre vom Hause und Bildung für das häusliche Leben im 16., 17. und 18. Jhdt., Weinheim an der Bergstraße/Berlin 1959. 8 Otto Brunner, Das „ganze Haus" und die alteuropäische „Ökonomik", in: Ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte. Vorträge und Aufsätze, Göttingen 1956, S. 33-61. Zur Kritik an Brunner vgl. Claudia Opitz, Neue Wege der Sozialgeschichte? Ein kritischer Blick auf Otto Brunners Konzept des „ganzen Hauses", in: GG 20 (1994), S. 88-98.
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portiert. Angesichts des seit 1849 - in Johann Scheibles Stuttgarter Bibliothek der Zauber-, Geheimnis- und Offenbarungsbücher - in immer neuen Auflagen erschienenen sechsten und siebenten Buchs Moses urteilte Peuckert: „Die erste Hälfte und Mitte des neunzehnten Jahrhunderts waren eine für die jüngere magische Hausväterliteratur sehr gedeihliche Zeit", worin er in unmittelbarer Verwandtschaft zu nationalsozialistischem Vokabular „das mythische Denken unsers Volkes errafft und munter" sah.9 Freilich ist gerade die Hausväterliteratur ein Beleg dafür, daß in der Frühen Neuzeit der Bereich des Magischen noch unmittelbar in die Ratgeberliteratur hineingehörte, diese nicht eindeutig voneinander getrennt waren, weshalb also die Unterscheidung zwischen „Hausväterliteratur" und „magischer Hausväterliteratur" eine Perspektive des 19. und 20. Jahrhunderts ist. Überaus fraglich scheint auch, in einer „magischen Hausväterliteratur" einen Zugang zu einer vormodernen medikalen Laienkultur zu sehen, mit der dauerhaft „defizitäre Lebensbedingungen" bewältigt worden seien. 10 So gibt es bisher keine Lektürezeugnisse, die belegen, daß magische Schriften tatsächlich in erster Linie von einem männlichen Haushaltsvorstand gelesen worden wären. Vieles spricht gegen eine solche geschlechter- und funktionsspezifische Zuordnung, zumal das Konzept einer „magischen Hausväterliteratur" schon für die Frühe Neuzeit überaus fragwürdig ist. Energisch hat Christoph Daxelmüller zu belegen versucht, daß die Lektüre magischer Literatur bis ins 19. Jahrhundert oft ausschließlich Sache der Gelehrten war. Keineswegs seien diese Texte in Unterschichten gelesen worden. Auch unterscheidet Daxelmüller überaus deutlich eine Gelehrtenmagie von einer trivialen Magie, wobei er aber gleichzeitig von der Existenz einer „magischen Hausväterliteratur" ausgeht, was die Widersprüchlichkeit seiner über weite Strecken wenig überzeugend belegten Thesen unterstreicht. 11 Zwei Ergebnisse der Leseforschung seien angeführt, um die Fragwürdigkeit einer „magischen Hausväterliteratur" für das 19. Jahrhundert deutlich zu machen. Erstens lassen die wenigen autobiographischen Zeugnisse, welche die Leseforschung ausgewertet hat, kaum Rückschlüsse auf die Lesegewohnheiten derjenigen zu, die der Nachwelt nichts Schriftliches hinterließen. Einerseits scheint es daher verkürzt, wie die preußischen Behörden zu schließen, der ungebildete Landmann sei der ausschließliche Leser abergläubischer Gelegenheitsschriften gewesen. Aber andererseits greift man wohl auch fehl, von einem bis ins 19. Jahrhundert reichenden Ausschluß unterbürgerlicher 9
Peuckert, Das sechste und siebente Buch, S. 185 und S. 187. Vgl. Wolfgang Alber/Jutta Dornheim, „Die Fackel der Natur vorgetragen mit Hintansetzung alles Aberglaubens". Zum Entstehungsprozeß neuzeitlicher Normsysteme im Bereich medikaler Kultur, in: Held, Kultur, S. 163-181, hier S. 166-171. 11 Vgl. Daxelmüller, Zauberpraktiken, S. 248-285. Zur magischen Hausväterliteratur, S. 270 und S. 302. 10
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Schichten von gelehrter magischer Literatur auszugehen. Ebenso komplex gestaltet sich eine Antwort auf die Frage nach der Gleichsetzung von abergläubischer Kolportageliteratur und volkstümlicher oder UnterschichtenLektüre. In der französischen Forschung ist dies intensiv am Beispiel der berühmten Bibliothèque bleue diskutiert worden. 12 Die Bücher überwiegend religiös-erbaulichen Inhalts, daher als „machtvolles Instrument der katholischen Reform" bezeichnet, wurden seit dem 17. Jahrhundert in Troyes (Champagne) verlegt, im Kolportagehandel vertrieben und erhielten ihren Namen aufgrund ihres blauen Einbandest 3 War ihr Lesepublikum zunächst in erster Linie in den Städten zu finden, so scheint die Leserschaft der Bibliothèque bleue sich im Laufe des 18. Jahrhunderts gewandelt zu haben und zunehmend auch im ländlichen Raum angesiedelt gewesen zu sein. Dennoch darf die scharfe aufklärerische Ächtung des 18. Jahrhunderts, die die Bibliothèque bleue mit volkstümlicher Lektüre einer abergläubischen Landkultur gleichsetzte, nicht zu der Annahme verleiten, gebildete Städter hätten nun auf den blauen Lesestoff verzichtet. 14 Zweitens geht die These von der „magischen Hausväterliteratur" davon aus, daß diese Literatur wichtige Lektüre darstellte. Dagegen sprechen die nackten Zahlen der Leseforschung. Vor allem die quantitativen Änderungen, zuvörderst der Boom des literarischen Markts und die zunehmende Alphabetisierung, hatten bereits die Zeitgenossen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert von einer „Leserevolution" sprechen lassen, obwohl die Expansion des Presse- und Buchmarkts noch in ihren Kinderschuhen steckte. Zahlenangaben sind zwar mit Vorsicht zu behandeln, zumal mit großen regionalen und sozialen Unterschieden zu rechnen ist, aber Schätzungen zufolge ergibt sich zumindest ein deutlicher Trend. Danach waren noch um 1750 nur etwa 10% der erwachsenen Bevölkerung im deutschsprachigen Raum des Lesens fähig, 1800 dann bereits 25%, 1840 40% und 1875 75%, ehe schließlich 1900 annähernd 90% lesen konnten. 15 Allerdings waren die Lesefort12
Vgl. Roger Chartier , Lesewelten. Buch und Lektüre in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main u.a. 1990, S. 169-190. 13 Vgl. ebenda, S. 172. Die Fakten im europäischen Kontext bei Rudolf Schenda, Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770-1910, Frankfurt am Main 1970, S. 299-305, mit Einseitigkeiten in der sozialen Zuweisung. Die Kolporteure und den literarischen Untergrund nimmt in den Blick Gudrun Gersmann, Im Schatten der Bastille. Die Welt der Schriftsteller, Kolporteure und Buchhändler am Vorabend der Französischen Revolution, Stuttgart 1993, S. 171-
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14 Bestes Beispiel einer Übernahme der zeitgenössischen Positionen ist Muchembled, Kultur des Volks, hier S. 281 f. und S. 287-294. 15 Die Zahlen nach Schenda, Volk ohne Buch, S. 444 f. Vgl. weiter Rolf Engelsing, Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft, Stuttgart 1973, S. 90-149. Ders., Die Perioden der Lesergeschichte in der Neuzeit, in: Ders., Zur Sozialge-
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schritte seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wohl weniger gleichmäßig als oft angenommen wird, und es müssen ausgeprägte regionale Unterschiede auch im Lektüre verhalten bedacht werden. 16 Zudem änderten sich nicht nur Lesequantität und Alphabetisierungsgrad, sondern auch die Lesequalität. Grundsätzlich nimmt die Leseforschung den Wandel von einer intensiven Wiederholungslektüre zu einer extensiven Lektüre vor allem periodischer Medien, aber auch von Romanen an. In diesen Zusammenhang wird die intensive Debatte um „Lesesucht" oder „Lesewut" eingeordnet. 17 Die zeitgenössische katholische Diskussion um die Lektüre abergläubischen Schrifttums entspricht in ihren Argumentationsmustern weitgehend den volkskundlichen dichotomischen Annahmen, hier produzierten geschäftstüchtige Verleger für die einfachen, verführbaren Gläubigen. Gerne schlossen katholische Autoren von der Produktion und der Verteilungsorganisation auf die Lektüre, obwohl diese sich kaum standardisieren ließ und große soziale Unterschiede aufwies. So klagte der spätere Kölner Erzbischof Theophil Simar 1877 in seiner Schrift „Der Aberglaube" über abergläubische Lektüren, wobei er seine Kenntnisse weitgehend aus Wuttkes Standardwerk über Volksaberglauben schöpfte. Demnach sollten von einer 1858 in Altona erschienenen Auflage „Des alten Schäfer Thomas seine Geheim= und Sympathiemittel" binnen weniger Jahre annähernd 40.000 Exemplare verkauft worden sein. Beliebt waren aber auch „Planeten" und das sogenannte „Romanusbüchlein", das sich vor allem an Katholiken richtete und eine Fernprügelanweisung enthielt. Schließlich nennt Simar noch „Albertus Magnus egyptische Geheimnisse" und - in vierter Auflage 1850 in Ilmenau verlegt - „Der wahrhaftige feurige Drache oder Herrschaft über die himmlischen und höllischen Geister und über die Mächte der Erde und Luft". Diese Literatur konfiszierten die preußischen Behörden immer wieschichte deutscher Mittel- und Unterschichten, Göttingen 1973, S. 112-154. Zum Wandel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Oers., Der Bürger als Leser. Lesergeschichte in Deutschland 1500-1800, Stuttgart 1974, hier S. 259-276. 16 So hat etwa Etienne François , Buch, Konfession und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Das Beispiel Speyers, in: Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit. Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag, hg. v. Mitarbeitern und Schülern, Göttingen 1982, S. 34-54, hier S. 37, für Speyer überproportional viele weltliche Titel (20% des Buchbesitzes) ermittelt. 17 Eine Zusammenschau bietet Reinhard Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels. Ein Überblick, München 1991, hier S. 171-199. Weiter einschlägig und anregend ist Erich Schön, Der Verlust der Sinnlichkeit oder die Verwandlungen des Lesers: Mentalitätswandel um 1800, Stuttgart 1987, der drei qualitative Veränderungen des Lesens hervorhebt: Immobilisierung, Möblierung und Visualisierung. Schön kritisiert darüber hinaus die von Engelsing stammende Formel des Wandels vom intensiven zum extensiven Lesen, S. 298-300. Vgl. dazu jetzt Silke Schlichtmann, Geschlechterdifferenz in der Literaturrezeption um 1800. Zu zeitgenössischen Goethelektüren, Tübingen 2001.
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der. Zumindest gehörten „Planeten", das „Romanusbüchlein" und der „Schäfer Thomas" zu der Kolportageliteratur, die zwischen 1884 und 1895 in Preußen verboten wurde, 18 und eine Ausgabe von Albertus Magnus' ägyptischen Geheimnissen war bereits 1824 in Preußen beschlagnahmt worden. 19 Wie die frühe Volkskunde führte die preußische Verwaltung abergläubische und Zauberliteratur auf die Zeit des 30jährigen Krieges zurück, nahm also keine heidnische Herkunft an. 2 0 Allerdings schränkte Simar bereits ein, umfangreichere Bücher seien wohl eher auf das gebildete Publikum berechnet, 21 nicht zuletzt auch aufgrund der finanziellen Barriere, an die der Bucherwerb gebunden blieb. Die hartnäckige Akribie, mit der Staat und katholische Kirche abergläubische Zettel und Heftchen verfolgten, deutet darauf hin, daß man die Lesefähigkeit - selbst wenn man Vorlesen einkalkuliert - relativ hoch einschätzte. Hierbei mag der Schock von 1789 eine gewichtige Rolle gespielt haben. Dabei gilt die mündliche Kommunikation bis ins 19. Jahrhundert als „zentrales Sozialisations- und Informationselement", 22 obwohl die Zeitungslektüre nach der Französischen Revolution nun in den Vordergrund rückte. Bereits in barocken Predigten war vor abergläubischen Planetenbüchern, Schatzgräberanweisungen und magischer Literatur eindringlich gewarnt worden, wobei nicht auszuschließen ist, daß das „Verbot das Verbotene erst erzeugte]". 2 3 Oftmals war es aber nicht nötig, lesen zu können; der Besitz reichte aus, da man sich Zettel als eine Art Berührungsreliquie um den
18 Romanusbüchlein, Verzeichnis 1884, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7142, S. 272 f. Schäfer Thomas, Verzeichnis 1886, in: ebenda, S. 366 f. Zu Inhalt und verschiedenen Ausgaben des Romanusbüchleins Wanderer, Gedruckter Aberglaube, S. 215220. Vgl. Tabelle 1, S. 154. 19 Verzeichnis der seit dem Jahre 1816 verbotenen Schriften, in: LHAK, Best. 442, Nr. 3443, Nr. 49, S. 4. Zu Inhalt und Ausgaben Wanderer, Gedruckter Aberglaube, S. 221-228. 20 Vgl. Freybe, Volksaberglaube, S. 13 f. 21 Vgl. Simar, Aberglaube, S. 40-43. Wuttke, Volksaberglaube, S. 148 und S. 191 f. Bemerkenswert ist allerdings, daß Simar die bei Wuttke an gleicher Stelle genannten „sieben Himmels-Riegel" unterschlägt. 22 Reinhard Wittmann, Der lesende Landmann. Zur Rezeption aufklärerischer Bemühungen durch die bäuerliche Bevölkerung im 18. Jahrhundert, in: Dan Berindei u.a. (Hg.), Der Bauer Mittel- und Osteuropas im sozio-ökonomischen Wandel des 18. und 19. Jahrhunderts. Beiträge zu seiner Lage und deren Widerspiegelung in der zeitgenössischen Publizistik und Literatur, Köln/Wien 1973, S. 142-196, hier S. 175. Dazu auch Schenda, Volk ohne Buch, S. 465^167. 23 Elfriede Moser-Rath, Lesestoff fürs Kirchenvolk. Lektüreanweisungen in katholischen Predigten der Barockzeit, in: Fabula 29 (1988), S. 48-72, hier S. 63. Franz M. Eybl, Die Rede vom Lesen. Kirchliche Argumentationsmuster zum Problem des Lesens in Predigten des 18. Jahrhunderts, in: JbVk, N. F. 10 (1987), S. 67-94. Das Zitat bei Harmening, Superstition - ,Aberglaube', S. 378. 10 Frey tag
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Hals band. 24 Die magische Wirkung sollte sich teilweise bereits im direkten körperlichen Kontakt mit den Gebets- oder Beschwörungszetteln entfalten. Las die rheinpreußische Bevölkerung das, was die preußischen Zensurbehörden als abergläubisch verfolgten oder konfiszierten und die Autoren der Theoriedebatte um Aberglauben anprangerten? Diese Frage ist gewiß nicht leicht und schon gar nicht eindeutig zu beantworten, zumal der Historiker auf ein Quellenproblem stößt, denn schriftliche Lektürezeugnisse sind selten oder zumindest noch nicht systematisch erforscht. Wenn Äußerungen über Lektüren oder Bestandsverzeichnisse über privaten Buchbesitz überliefert sind, dann in erster Linie aus bürgerlichen oder adligen Kreisen, zumeist der Städte. 25 Auch wenn Buchbesitz kein sicherer Nachweis für Lektüre sein kann, so läßt er immerhin Rückschlüsse über den Stellenwert zu, den man magischen oder abergläubischen Büchern in bestimmten sozialen Schichten beimaß. Georg Conrad Horst führt in der Ankündigung seiner Zauberbibliothek an, daß er viele der „Zauberschriften, welche ich lange in Bibliotheken, bei Antiquaren, etc. vergebens gesucht hatte, zuletzt bei ihnen [den niederen Ständen] fand". 2 6 Auch bei der Suche nach Weissagungen in allen rheinpreußischen Dörfern beichtete Johannes Heufei aus Fischbach (Amt Freusberg) der lokalen Verwaltung 1816, eine Prophezeiung des Jesuiten Ricci zu besitzen und mußte schließlich sein Exemplar einreichen. 27 Dabei gab er an, diese Schrift von dem Lehrer Kreid aus dem nahegelegenen Gebertshain erhalten zu haben, was sich auch bestätigte. Welche Bedeutung magische Bücher haben konnten, zeigte der Fall des Pferdeknechts und Laienheilers Johann Gottlieb Grabe. Bei der Prüfung seiner magnetischen Fähigkeiten in der Berliner Charité gestand er 1824, ein Buch zu besitzen, das er auf geheimnisvolle Weise von einem unbekannten Reisenden erhalten haben wollte. Aus diesem Buch schöpfte er nach eigenen Angaben ein Großteil seiner therapeutischen Kenntnisse, die ihn zu einem erfolgreichen, ja berühmten Laienheiler hatten werden lassen. Der Pferdeknecht legte es der Prüfungskommission schließlich vor: Es handelte sich um ein 1767 erschienenes „Kunst- und Kräuterbüchlein" mit diversen Rezepten, die den Kommissionsmitgliedern überaus anrüchig erschienen. 28 24 In einem Briefumschlag mit zehn Pergamentstücken und einem kleinen Papierkreis befindet sich ein Schriftstück, das man sich um den Hals hängte, in: BAT, Best. 71,43, Nr. 1-8. 25 Eine Ausnahme bietet Hans Medick, Weben und Überleben in Laichingen 1650-1900. Lokalgeschichte als Allgemeine Geschichte, Göttingen 1996, hier S. 447-558. Erhellend sind die Überlegungen zum bäuerlichen Lesen in Frankreich bei Martyn Lyons, What did the Peasants Read? Written and Printed Culture in Rural France, 1815-1914, in: European History Quarterly 27 (1997), S. 165-197. 26 Horst, Von der alten und neuen Magie, S. 64. 27 Amt Freusberg an Regierung Koblenz vom 14.5. und 26.5.1816, in: LHAK, Best. 441, Nr. 5120, S. 15-19.
2. Verbreitungsorte und -wege abergläubischer Literatur
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Versucht man, von den Texten selbst auf das Lesepublikum, zumindest das intendierte, zu schließen, so kann man feststellen, daß diese Lektüre zweckgerichtet war, d.h. sie diente weniger dem Lesevergnügen als vielmehr bestimmten Zielen. Die Texte hatten vielfach einen Anweisungscharakter, der auch durch die Demonstration vermittelt werden konnte. Zudem kombinierten sie oft bekannte und lang eingeübte kirchlich-magische Rituale mit präzisen Raum- und Zeitangaben. Der Leseakt selbst war also häufig weniger wichtig als die Anwendung der vorgegebenen Handlung oder des Gebets in einer konkreten Situation. Das gilt jedoch weniger für prophetische Texte, Wundergeschichten oder wissenschaftlich-magnetisches Schrifttum, die in erster Linie für die Lektüre bestimmt waren.
2. Die Aufsicht auf Verbreitungsorte und -wege abergläubischer Literatur Wallfahrtsorte, Wirtshäuser, Jahrmärkte oder Kirmessen und Leihbibliotheken waren die bevorzugt kontrollierten Plätze der preußischen Behörden. Hinzu kamen die ortsungebundenen Kolporteure, welche abergläubische Gelegenheitsschriften selbst in abgelegene Dörfer brachten. Ebenso wie die Beaufsichtigung der an Wallfahrtsorten verteilten Wunderheftchen und Gebetszettel unterstand die Kontrolle der Kolporteure den lokalen Polizeibehörden. Es gestaltete sich ohne Frage ebenso schwierig, den mobilen Verkauf von Gelegenheitsschriften zu unterbinden wie Wallfahrtsorte oder Kirmessen zu kontrollieren. Gerade an Wallfahrtsorten hielt sich zumeist nur kurzfristig eine rasch wechselnde Pilgerschar auf. Nicht von ungefähr forderten die preußischen Behörden zu deren Kontrolle die Begleitung von Geistlichen und hatten zumindest zu Beginn ihrer Herrschaft im Rheinland von den lokalen Polizeibehörden Listen über die Pilger anlegen lassen. Auch wenn man dieser weitgehend als Aberglauben verstandenen Form populärer Frömmigkeit skeptisch gegenüberstand, war eine lückenlose Überwachung von den wenigen Gendarmen kaum zu leisten. 29 Die preußische Verwaltung hegte häufig den Verdacht, daß verbotene Druckschriften auch über anonyme Briefsendungen an Gastwirte in der 28
[-], Kunst- und Kräuterbüchlein darinnen hundert und dreißig [...] vor Menschen und Vieh, sonderlich vor reisende Leute. Darbei auch absonderlich 34 Kräuter, nebst ihrer Wirkungen, den Menschen zu Nutz beschrieben. Von einem geborenen Zigeuner D.P.St., Frankfurt am Main/Leipzig 1767. Titel, in: 2. Verhandlungsprotokoll vom 16.6.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2183, Bl. 114r-116v, hier Bl. 115v. 29 Zu städtischen Kirmessen und deren Überwachung durch die Gendarmerie Elaine Glovka Spencer, Policing Popular Amusements in German Cities. The Case of Prussia's Rhine Province, 1815-1914, in: Journal of urban history 16 (1990), S. 366-385. 10*
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IV. Lektüren und Zensur abergläubischen Schrifttums
Rheinprovinz eingeschmuggelt würden, zumal Wirtshäuser neben Wallfahrtsorten als verdächtige Plätze par excellence galten. Wirtshäuser gerieten nahezu immer zuerst in den Verdacht, Umschlagorte für verbotene meist politische - Gelegenheitsschriften zu sein. Ebenso wie sie bis weit in den Vormärz als geheimer Treffpunkt für entsprungene Sträflinge und Räuberbanden galten, waren sie den Behörden eine Stätte, an der politische Verschwörungen geplant wurden, Informationen gesammelt werden konnten und verbotene Glücksspiele stattfanden. 30 Nicht von ungefähr forderte Oberpräsident Ingersleben die Regierung Koblenz 1830 dazu auf, in den Schankstuben „zuverläßige Menschen" zu piazieren, da die Gendarmen für eine verdeckte Bespitzelung der Wirtshäuser kaum geeignet waren. 31 Im Umfeld der revolutionären Unruhen der frühen 1830er Jahre glaubte der Oberpräsident Pestel, solche Schriften „werden anonym den Gast- und Schankwirthen zugesendet, Reisende lassen sie in unbemerkter Weise in den Gasthöfen pp. liegen, sie gehen unter Couvert den Ortsvorstehern des platten Landes zu". 3 2 So unterlag der dörfliche Kommunikationsraum schlechthin einer besonderen Aufsicht von Behörden oder geheimen Spitzeln, nicht nur weil es am Ort alkoholischer Exzesse schnell zu gewalttätigen Ausbrüchen kommen konnte. 33 Ein weiterer Ort, an dem der preußische Staat bevorzugt echte Religiosität und Sittlichkeit befördern wollte und abergläubischem Schrifttum nachspürte, waren die Leihbibliotheken. 34 Die Berliner Zentrale hatte den nachgeordneten Behörden wiederholt die polizeiliche Kontrolle einschärfen müssen, so als neben politisch mißliebiger religiöse und sittliche Literatur 1824 30 Promemoria der Regierung Koblenz die Unsicherheit im Kreis Altenkirchen betreffend vom 7.4.1827, in: LHAK, Best. 403, Nr. 2252, S. 13-29. 31 Auszug Ingersleben an Regierung Koblenz vom 18.9.1830, in: LHAK, Best. 441, Nr. 24106. 32 Oberpräsident Philipp von Pestel an Regierung Aachen vom 5.11.1832, in: HStAD, Best. Regierung Aachen, Nr. 4762, Bl. 12lr. 33 Zum Wirtshaus vgl. Ingeborg We ber- Kellermann, Landleben im 19. Jahrhundert, München 1987, S. 340-346. Mit bayerischem Schwerpunkt Marita Krauss, Herrschaftspraxis in Bayern und Preußen im 19. Jahrhundert. Ein historischer Vergleich, Frankfurt am Main/New York 1997, S. 353-383. Mit rheinischen Beispielen Gunther Hirschfelder, „Nur allzuoft sind die Gasthäuser blosse Kerkerlöcher". Formen kommerzieller Gastlichkeit an der Schwelle zum Industriezeitalter, in: Christoph Köck/Burkhart Lauterbach (Hg.), Volkskundliche Fallstudien. Profile empirischer Kulturforschung heute, Münster/New York 1997, S. 45-59. Demnächst dazu Walter Rummel, Modernisierung durch Verwaltung. Die preußische Verwaltung der Rheinprovinz gegenüber den traditionellen Lebensformen der rheinischen Bevölkerung 1815-1914. 34 Vgl. Wolfgang von Ungern-Sternberg, Leihbibliothek und Zensur im 18. und 19. Jahrhundert, in: Georg Jäger/Jörg Schönert (Hg.), Die Leihbibliothek als Institution des literarischen Lebens im 18. und 19. Jahrhundert. Organisationsformen, Bestände und Publikum, Hamburg 1980, S. 255-310, hier S. 284-287.
2. Verbreitungsorte und -wege abergläubischer Literatur
149
in den Blick staatlicher Zensur geriet. Hauptsächlich waren von solchen Lektüren die Gymnasiasten betroffen, die eines besonderen Schutzes bedurften. Diese konnten nach einer ministeriellen Verfügung desselben Jahres nur noch mit ausdrücklicher Erlaubnis ihrer Väter oder Lehrer Bücher entleihen. 35 Über die Quantität und Qualität der Buchlektüre in Leihbibliotheken klafften die zeitgenössischen Meinungen indessen weit auseinander, wie eine preußenweit angestellte Erhebung über den negativen Einfluß der Leihbibliotheken dokumentiert. Während der Trierer Polizeikommissar Müller 1842 die Klagen der städtischen Leihbibliotheksbesitzer über mangelnden Zuspruch weiterleitete, hielt er gleichzeitig - zeitgenössischen Topoi folgend - fest: „Die Lesenden gehören der Handwerker- oder dieser gleich stehenden Klassen an, und werden von diesen Leuten fast nur Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten verlangt". Größeren Zustrom hatte in Trier dagegen die katholische Bibliothek, die Andachtsbücher, Heiligenlegenden und moralische Erzählungen nach dem Gottesdienst ausgab. 36 Im Gegensatz zu seinem Trierer Kollegen schätzte der Aachener Polizeikommissar Lüdemann in einer Denkschrift den Einfluß der Leih- und Lesebibliotheken auf die Bildung zumindest der „mittleren Volksschichten" hoch ein. 3 7 Detaillierter äußerte sich die Regierung Koblenz anläßlich des Überblicks über die Leihbibliotheken in ihrem Regierungsbezirk. Da sich die 17 ermittelten Leihbibliotheken allein in den Städten des Verwaltungsbezirks befanden, glaubte sie, nur die „mittleren Volksklassen" nutzten diese Lesemöglichkeit, und begründete dies mit dem Hinweis auf die konservativen unterschichtlichen Lesegewohnheiten: „Die Anhänglichkeit an religiöse, vererbte Bücher, an Volksbücher und Volkslieder überwiegt gewöhnlich in den untern Classen die Sucht, sich mit andern Schriften zu befassen". 38 Der zusammenfassende Bericht des Oberpräsidenten Schaper von 1842 gibt nicht nur einen Überblick über sämtliche Leihbibliotheken der Provinz, sondern bündelt die behördlichen Argumente und Absichten im Umgang mit diesen Institutionen und schädlichen Büchern. Insgesamt gab es zu diesem Zeitpunkt in der preußischen Rheinprovinz 71 Leihbibliotheken bei 2.550.553 Einwohnern, wie das Koblenzer Oberpräsidium errechnete. 39 Schaper sah von diesen Institutionen in religiöser und sittlicher Hinsicht 35 Regierung Trier an Landrat und Oberbürgermeister Haw vom 29.8.1824, in: StA Trier, Tb 15/692. Danach unterhielt der Buchhändler und -Verleger Franz Alois Gall 1824 in Trier eine Leihbibliothek mit etwa 4000 Bänden. 36 Polizeikommissar Müller an Landrat und Oberbürgermeister Goertz vom 30.7.1842, in: ebenda. 37 Lüdemann an Regierung Aachen vom 20.5.1842, in: HStAD, Best. Regierung Aachen, Nr. 23187. 38 Regierung Koblenz an Oberpräsident Schaper vom 24.6.1842, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 78, Nr. 26, Bl. 12r-18r, Zitate Bl. 14v-15r.
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IV. Lektüren und Zensur abergläubischen Schrifttums
kaum negative Einflüsse ausgehen. Ein besonderes Augenmerk widmete er lediglich der Romanlektüre, wobei seine die Kontrolle betreffende Argumentation überrascht: „In den mittleren und kleineren Städten so wie in den wohlhabenderen Gegenden des platten Landes wird die Roman-Lectüre zwar mehr gesucht, kann aber von den Geistlichen, Lehrern, den Familien-Vätern auch strenger überwacht werden, wie in den größeren Orten, wo die Menge der cursirenden Schriften dieß erschwert; ein unsittliches oder sonst verderbliches Buch wird bald bemerkt". Trotz dieses insgesamt positiven Urteils sprach er sich gegen zusätzliche Leihbibliotheken aus, da die „schlechte Klasse der Romanschreiber diese Begünstigung [ausnutzte], um sich in obscönen Darstellungen ein neues Feld der Speculation zu eröffnen". 40 Man darf nicht übersehen, daß die Leihbibliotheken ohnehin meist von Druckerverlegern oder Buchhändlern geführt wurden, weshalb diese mit den Zensurbestimmungen bestens vertraut waren. Allerdings war der preußische Staat mit neuen Konzessionen überaus zurückhaltend. Gerade in kleineren Orten argumentierte die kommunale Verwaltung, die Drucker könnten „durch geringes Verdienst zu unerlaubten Wegen verleitet werden". 41 Gleichzeitig aber förderten die preußischen Behörden gerade in diesen kleineren Orten bereits im Vormärz Lesevereine, die sich den offensiven Kampf gegen Aberglauben zum Ziel gesetzt hatten und die auch von kirchlicher Seite unterstützt wurden. 42 Die Buchbestände der Leihbibliotheken unterlagen auch in der Reaktionsdekade einer besonderen Kontrolle und Aufsicht. In gedruckten Verzeichnissen hielt das Berliner Polizeipräsidium die Schriften fest, die auf keinen Fall in Leihbibliotheken geführt werden durften. Daß dabei abergläubische Literatur im Blick blieb, davon zeugen verbotene Druckschriften wie die Prophezeiung Hermann von Lehnins, aber auch die in Altona erschienene Schrift „Des alten Schäfers Thomas seine dritte Prophezeiung für die Jahre 1852 und 1853" 4 3 39 Übersicht der in der Rheinprovinz vorherrschenden Buch-Leihbibliotheken, in: ebenda, Bl. lOr-llr. Danach verteilten sich die Leihbibliotheken auf die fünf Regierungsbezirke wie folgt: Koblenz (17), Trier (6), Aachen (8), Köln (12), Düsseldorf (28). Hinzu kamen im Regierungsbezirk Trier fünf kleinere Leihbibliotheken von Lesevereinen und im Regierungsbezirk Düsseldorf drei unter Aufsicht von Ortsgeistlichen stehende Bibliotheken. 40 Schaper an Innenministerium vom 23.12.1842, in: ebenda, Bl. 2r-9v, Zitate Bl. 3v und Bl. 9r. 41 Regierungspräsident Arnim-Boitzenburg (Aachen) an Landrat Joseph Freiherr von Fürth (Geilenkirchen) vom 1.2.1837, in: HStAD, Best. Landratsamt Geilenkirchen, Nr. 20, Bl. l l r . 42 Statuten des 1835 gegründeten Vereins für Beförderung des Lesens gemeinnützlicher Bücher in der Bürgermeisterei Besseringen (Kreis Merzig), in: StA Trier, Tb 15/692.
2. Verbreitungsorte und -wege abergläubischer Literatur
151
Rudolf Schenda hat für das frühe 19. Jahrhundert das Bild des württembergischen Kolporteurs als „Sittenstrolch" und „Staatsfeind" gezeichnet, der in erster Linie abergläubische Literatur unter die Leute streue. 44 Obgleich dies zugespitzt ist, unterlagen die von Hausierern vertriebenen Lesestoffe einer besonders strengen Aufsicht der Behörden, entsprachen sie doch weniger den Vorstellungen der aufgeklärten Beamtenschaft als vielmehr den Lektürewünschen der zumeist ländlichen Abnehmer. Nicht von ungefähr galten der Hausierhandel und die Kolportage, wie es der Kölner Oberpräsident Solms-Laubach 1818 formulierte, als „Deckmantel verbrecherischer Absichten", in ihnen bündelten sich viele Ängste der aufgeklärt-bürgerlichen Verwaltung vor Unmoral und Unsittlichkeit. 45 Bevorzugte Lesestoffe des stadtfernen oder kleinstädtischen Lesers, die der Kolporteur lieferte, waren danach Literatur zur Erbauung oder Unterhaltung und die vermeintlich abergläubischen Planeten- und Traumbücher sowie Prophezeiungen 46 Ebenso wie die Gelegenheitsschriften bedurfte auch Kolportageliteratur in Preußen jeweils eines ortspolizeilichen Stempels, was den lokalen Behörden in der Rheinprovinz wiederholt eingeschärft werden mußte. 47 Die Fragen, wie und auf welchen Wegen mißliebige Bücher und Gelegenheitsschriften geschmuggelt wurden, sind nicht leicht zu beantworten. Zahlreiche Beispiele für das Schmuggeln verbotener Kolportageliteratur im Frankreich des 18. Jahrhunderts hat Gudrun Gersmann zusammengetragen, und auch die Wege und Verstecke des Kaffee-, Tabak- und Salzschmuggels in die westlichen Provinzen Preußens sind leidlich bekannt. 48 Die verbotenen Wege von Literatur in Rheinpreußen liegen dagegen weitgehend im dunkeln. In politisch unruhigen Zeiten vermutete die rheinpreußische Verwaltung oft das nahegelegene Belgien oder Frankreich als Herkunftsland. Als 1834 der Neuhüttener Hausierer Federkeil (Landkreis Trier) einen Paß 43
Friedländer, Verzeichniß der Druckschriften, welche auf Verordnung des k. Polizei-Präsidiums zu Berlin in Leihbibliotheken nicht geführt werden dürfen, 3., vermehrte Ausgabe, enthaltend die in dem Zeitraum vom 28. Februar 1850 bis Ende des Jahres 1857 verbotenen Werke, Berlin 1858, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 78, Nr. 31, Bl. 42r-57v. 44 Rudolf Schenda, Bücher aus der Krämerkiste, in: Ders., Die Lesestoffe der Kleinen Leute. Studien zur populären Literatur im 19. und 20. Jahrhundert, München 1976, S. 11-29, hier S. 20. 45 Solms-Laubach an Ingersleben vom 8.5.1818, in: LHAK, Best. 402, Nr. 635, S. 1-8, Zitat S. 1. Zu den Versuchen der Oberpräsidien Koblenz, Köln und Münster, die Konzessionspraxis für Hausierer zu vereinheitlichen vgl. Volker Jarren, Schmuggel und Schmuggelbekämpfung in den preußischen Westprovinzen 1818-1854, Paderborn 1992, hier S. 41^5. 46 Zur Bedeutung der Kolporteure Schenda, Volk ohne Buch, S. 228-270. 47 Schaper an Innenminister Arnim vom 7.10.1844, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 243, Nr. 50, Vol. 1, Bl. 253. 48 Vgl. Gersmann, Im Schatten der Bastille. Jarren, Schmuggel.
152
IV. Lektüren und Zensur abergläubischen Schrifttums
für die Reise nach Frankreich beantragte, befürchtete die Regierung, daß dieser sich in Lyon nicht nur mit verdächtigen Personen träfe, sondern auch verbotene Schriften in die Rheinprovinz einführen würde. 49 Oftmals scheint das geschmuggelte Schriftgut unter der legitimen Ware versteckt worden zu sein, besonders brisante - zumeist politische - Literatur unter falschen Titeln oder in anderen Büchern. Seine verbotenen Gelegenheitsschriften schmuggelte der Württemberger Kartenhändler Thomas Beck 1832 in seinem Hut in die Rheinprovinz, wovor das Innenministerium ausdrücklich warnte. 50 Oberpräsident Ingersleben hatte bereits im März 1826 angedacht, Zollbeamte in das Kontrollverfahren einzubinden und sie an den Grenzen nach Büchern fahnden zu lassen. Unmittelbarer Anlaß war der Versuch des Kreuznacher Kaufmanns und Händlers Philipp Jung, zwölf Exemplare des angeblich von Jesus persönlich verfaßten und mit fingiertem Druckort erschienenen Heftchens „Schlüssel zur Offenbarung" in die Rheinprovinz einzuschmuggeln, „welche unter dem angeblichen Druckorte nichts als Schmähungen [...] enthält und die Ausgeburt eines vom größten Fanatismus ergriffenen Gehirns zu seyn scheint". 51 Erst ein halbes Jahr später erhielt Ingersleben eine Antwort: Das Ober-Zensur-Kollegium Schloß sich seiner Meinung über den aufhetzenden Charakter der Schrift zwar an, fand es aber bedenklich, „den Gränz-Beamten eine Aufsicht zu Verhütung des Eingangs verbotener Bücher" zu übertragen. 52 Wie sehr die preußischen Behörden bei der Kontrolle des Hausierhandels auch auf Glück angewiesen waren, zeigte sich 1835, als sie zufällig einen Schmugglerring enttarnten. Der Hausierer und Olitätenkrämer Johann Salomon Unbehaun war auf einer Reise völlig überraschend verstorben, und unter seiner Ware entdeckte man nicht nur Schmuggelgut, sondern auch handschriftliche Notizen mit den Namen von Wirten und Schöffen im Kreis Altenkirchen, bei denen er heimlich Vorratslager angelegt hatte. 53 Viele Hausierer beschränkten sich nicht auf den Vertrieb einer Ware, sondern handelten mit allen Bedarfsgütern des täglichen Lebens. Dies belegen 49 Regierungspräsident Adalbert von Ladenburg (Trier) an Bodelschwingh vom 21.12.1834, in: LHAK, Best. 403, Nr. 2137, S. 1-12. 50 Abschrift Innenministerium an Oberpräsidium vom 21.9.1832, in: HStAD, Regierung Aachen, Nr. 4762, Bl. 120r. 51 Ingersleben an Ober-Zensur-Kollegium vom 28.3.1826, in: GStA PK, I. HA, Rep. 101D (Ober-Zensur-Kollegium), Nr. 27, Vol. 1, Bl. lOlr. 52 Konzept Ober-Zensur-Kollegium an Ingersleben vom 28.9.1826, in: GStA PK, I. HA, Rep. 101D (Ober-Zensur-Kollegium), Nr. 8, Bl. 65r. Ein Exemplar der Schrift [-], Der Schlüssel zur Offenbarung von Jesus Christus selbst aufgeschlossen und entsiegelt, Philadelphia, den 12. August 1825, Laodiceae 1825, befindet sich in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. II Generalia, Nr. 17, Vol. 1, Bl. 30r-v (innenliegend). 53 Fürstlich Wiedische Regierung (Neuwied) an Bodelschwingh vom 24.1.1835, in: LHAK, Best. 403, Nr. 6716, S. 17-21.
2. Verbreitungsorte und -wege abergläubischer Literatur
153
vertriebene Traumbücher, welche Träumen bestimmte Lottozahlen zuordneten, die dann in der nächsten Lottoziehung gezogen werden sollten - , gleichzeitig verkauften viele Kolporteure wie selbstverständlich auch die dazugehörenden Lotterielose. 54 Das Innenministerium wähnte hinter diesen Machenschaften die „betrügerischen Collecteurs", welche „crassesten Aberglauben" beförderten, um „die niederen Volksklassen zu täuschen", wobei erschwerend hinzukam, daß es sich um ausländische Lotterien handelte. 55 Der Vertrieb der Traumbücher war im Vormärz nach dem Hausier-Regulativ vom 28. August 1824 verboten worden, wie das Innenministerium 1843 aufgrund eines Spezialfalls nochmals nachdrücklich erläuterte. 56 Die in Tabelle 1 (S. 154) zusammengestellten Schriften, die zwischen 1884 und 1895 vom Kolportagebetrieb ausgeschlossen wurden, sind in mehrerlei Hinsicht hochinteressant. Sie geben Aufschluß über den Umgang mit Kolportageliteratur im Kaiserreich und fügen sich in die Debatte um Schmutz- und Schundliteratur, die nach 1900 deutlich schärfere Konturen gewann. 57 In den elf erhaltenen Verzeichnissen, die der Tabelle zugrunde liegen - lediglich das Verzeichnis für 1885 ist nicht überliefert - , sind jeweils Titel, Verfasser- und Verlegername, Erscheinungsort und -datum sowie Verbotsdatum und verbietende Behörde angeführt. Die Angaben fußen auf einer ministeriellen Verfügung vom 4. Dezember 1885, wonach alle preußischen Regierungen zum 1. Oktober jeden Jahres eine detaillierte Übersicht der in ihrem Zuständigkeitsbereich verbotenen Kolportageliteratur in Berlin einzureichen hatten. 58 Das Innenministerium hatte mit seiner Kon54
Auszug aus dem Bericht der Regierung Liegnitz an Innenminister Rochow und Finanzminister Albrecht Graf von Alvensleben vom 21.9.1837, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 243, Nr. 50, Vol. 1, Bl. 186r. 55 Votum Innenministerium vom 28.10.1837, in: ebenda, Bl. 185. Zu magischen Gepflogenheiten beim Lottospiel vgl. die kleine Studie von Hans-Peter Ulimann, Der Staat, die Spieler und das Glück: Lotterien im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts, Berlin 1991. Edith Saurer, Straße, Schmuggel, Lottospiel. Materielle Kultur und Staat in Niederösterreich, Böhmen und Lombardo-Venetien im frühen 19. Jahrhundert, Göttingen 1989, hier S. 298-334. 56 Konzept Innenministerium an Gustav Karl von Bonin (Stettin) vom 17.7.1843, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 243, Nr. 50, Vol. 1, Bl. 221. 57 Zur Debatte um Schmutz- und Schundliteratur Georg Jäger, Der Kampf gegen Schmutz und Schund. Die Reaktion der Gebildeten auf die Unterhaltungsindustrie, in: AGB 31 (1988), S. 163-191, hier S. 173-188. Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 274-277. Rudolf Schenda, Schundliteratur und Kriegsliteratur, in: Ders., Lesestoffe der Kleinen Leute, S. 78-104. 58 Abschrift Innenministerium an alle Regierungspräsidenten vom 9.2.1891, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7144. Ausdrücklich wies das Ministerium in diesem Schreiben darauf hin, daß jeweils nur Titel angeführt werden durften, die in den vorhergehenden Jahren nicht in den Listen auftauchten. Es ist vermutlich kein Zufall, daß das preußische Verbot unmittelbar an eine Phase anschloß, in der im Börsenblatt für
83
65
44
39
41
59
36
23
30
1887
1888
1889
1890
1891
1892
1893
1894
1895
195
6
5
3
5
3
9
16
9
22
26
68 619
18
31
20
31
15
2
5
18
15
2
10
4
2
6
9
355
11
28
47
40
65
40
34
40
28
33
86
27
42
9 36
59
54
92
30
493
14
23
36
25
45 23
62
8
Bildwerke 37
63 47
146
2 124
-
-
Kalender
177
270
2400
138
177
238
191
191
207
365
349
13
Romane 97
VerbrecherLiteratur
Sonstige
Anzahl
Zusammengestellt nach den Verzeichnissen der Jahre 1884-1895, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7143, S. 247-278, S. 281-368, S. 385508, S. 513-595, S. 599-639, sowie Nr. 7144, S. 171-215, S. 235-287, S. 337-399, S. 403-479, S. 497-557, S. 579-621. Lediglich für 1885 ist kein Verzeichnis in den Akten erhalten.
143
18
25
33
28
8
Traum- und Punktierbücher
IV. Lektüren und Zensur abergläubischen Schrifttums
a
81
1886
Gesamt 527
26
Vorträge, Gedichte, Lieder
1884
Jahr
Tabelle 1
Verzeichnis der 1884 bis 1895 vom Kolportagebetrieb ausgeschlossenen Druckschriften, anderer Schriften und Bildwerke in Preußena
154
2. Verbreitungsorte und -wege abergläubischer Literatur
155
trolle genau jene Werke im Blick, die Reinhard Wittmann der Gruppe der ausschließlich für den Kolportagebetrieb hergestellten Artikel zuordnet. 59 Auch wenn die Zahlen nur mit Vorsicht zu bewerten sind, so waren 5,95% (143) der zwischen 1884 und 1895 in Preußen verbotenen Kolportageliteratur Traum- und Punktierbücher. Berücksichtigt man, daß die Kategorien der preußischen Behörden nur wenig trennscharf waren, oftmals mehrere Gründe für ein Verbot vorlagen und auch in den anderen Kategorien Schriften mit der Aberglaubensbegründung verboten wurden, so liegt der Anteil sehr wahrscheinlich noch höher, läßt sich indessen nicht exakt ermitteln, da nach 1884 in den Verzeichnissen keine ergänzenden Bemerkungen mehr vorhanden sind. Der Löwenanteil mit 25,79% aber entfiel wenig überraschend auf Romane (619), die durch Kolportage vertrieben wurden, gefolgt von Vorträgen, Liedern und Gedichten mit 21,96% (527). Auch die sogenannte Verbrecher-Literatur mit 355 Titeln (14,79%) trug oftmals romanhafte Züge, weshalb der Anteil der Kolportageromane weitaus höher gelegen haben dürfte. Besonders hervorzuheben sind die 1884 in der Übersicht noch angeführten Verbotsgründe. In der Kategorie „Traum- und Punktierbücher", 60 zumeist bestehend aus Schriften mit Titeln wie „Monats-Planeten" oder „Traumdeutekunst", aber auch bekanntere Prophezeiungen und Weissagungen wie die des Schäfers Thomas oder der Madame Le Normand enthaltend, lagen die sich wiederholenden Begründungen für ein Verbot in der „Beförderung von Aberglauben": „Unsittlich wegen Beförderung des Aberglaubens, sowie wegen Deutung eines unreinen Traumes" oder „Durch den beigedrückten Planeten Aberglauben befördernd und deshalb unsittlich". 61 Auch in der Kategorie „Sonstige" wird 1884 als Begründung „Aberglauben" angeführt, so beim bekannten und in katholischen Gegenden offenbar vielgelesenen „Romanusbüchlein". Gleiches gilt für die Kategorie „Romane", unter der sich zahlreiche Ritter-, Räuber-, Teufelsden deutschen Buchhandel zahlreiche Artikel gegen den Kolportagehandel erschienen waren. Vgl. Reinhard Wittmann, Das Literarische Leben 1848 bis 1880, in: Ders., Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750-1880, Tübingen 1982, S. 111-231, hier S. 141. 59 Vgl. Wittmann, Das Literarische Leben, S. 140. 60 Unter „Traum- und Punktierbüchern" sind Wahrsageschriften zu verstehen, die ihre Prognosen aus Träumen oder aus nach bestimmten Regeln zu Figuren verbundenen Punkten erstellen. Die Punkte bringt man oftmals auch mit Planeten oder Tierkreiszeichen in Verbindung,, weshalb eine enge Beziehung zur Astrologie besteht. Vgl. Artikel „Geomantie", in: HDA, Bd. 3, Sp. 635-647. 61 Die Begründungen galten für die vom Berliner Polizeipräsidium verbotenen Schriften: [ - ] , Das wahre egyptische Traumbuch, oder Auslegung der Träume nach egyptischen Traumbüchern, Hainichen an der Saale, o.J., das von G.C. Hoffmann verlegt worden war, sowie [-], Neuestes Punktirbüchlein nebst Planeten für beide Geschlechter, Berlin, o.J., verlegt von Bartels, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7143, S. 254-257.
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IV. Lektüren und Zensur abergläubischen Schrifttums
und Gespenstergeschichten befinden. 62 Das Innenministerium stufte den Glauben an eine durch bestimmte Konstellationen fest vorherbestimmte oder vorherbestimmbare Zukunft als abergläubisch und schädlich ein, zumal die Schriften die Grenzen amtlich geduldeter Moral überschritten hatten und als „unsittlich" eingestuft worden waren, eine dehnbare Formel, die in den Akten kontinuierlich auftaucht. „Sittlichkeit" wurde so zu einem Letztwert, über den die preußischen Behörden entschieden. Gleichzeitig jedoch verweist die ständige Verbindung zwischen Sittlichkeit und Aberglauben auf einen deutlichen Unterschied zum Vormärz. Während der Aberglaubensvorwurf dort noch stärker mit dem fortschrittlichen aufklärerischen Belehrungsanspruch verbunden war, dominierte im Kaiserreich offenkundig die moralische Bewertung, welche die Meinungskontrolle leitete und die einen Ausverkauf religiöser Leittugenden verhindern wollte.
3. Grundlagen der Kontrolle von Gelegenheitsschriften Im Unterschied zu den altpreußischen Provinzen, in denen das Wöllnersche Zensuredikt von 1788 weiter galt, bestanden in den neuen westlichen Provinzen zunächst verschiedenste Zensurbestimmungen der vormaligen rheinischen Territorien fort, die genauso zu rechtlichen Unsicherheiten beitrugen wie der berühmte Artikel 18d der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815, der Pressefreiheit versprochen hatte. Von den Unsicherheiten zeugen zahlreiche Anfragen und Klagen der rheinpreußischen Lokalbehörden bei den Oberpräsidien. 63 Erst mit dem einschneidenden Bundesbe62
[-], Romanus. Büchlein, oder Gott der Herr bewahre meine Seele, meinen Aus- und Eingang von nun an bis in alle Ewigkeit, Amen! Hallelujah!, Köln, o.J., verlegt bei Peter Hammer, vom Polizei-Präsidium Berlin als „Durchweg Aberglaube" beurteilt, in: ebenda, S. 272 f. Zum Romanusbüchlein vgl. Simar, Aberglaube, S. 43. Zu Schauer und Angst bei der Lektüre Wolf gang Trautwein, Erlesene Angst. Schauerliteratur im 18. und 19. Jahrhundert. Systematischer Aufriß; Untersuchungen zu Bürger, Maturin, Hoffmann, Poe und Maupassant, München 1980, hier S. 29-45. Gero von Wilpert, Die deutsche Gespenstergeschichte. Motiv - Form Entwicklung, Stuttgart 1994, hier S. 303-306. 63 Die preußische Entwicklung bis zum Zensuredikt von 1819 verfolgen Ulrike Schömig, Politik und Öffentlichkeit in Preußen. Entwicklung der Zensur- und Pressepolitik zwischen 1740 und 1819, phil. Diss, masch., Würzburg 1988, zu den ersten Jahren im Rheinland S. 240-251, sowie Martina Kurzweg, Presse zwischen Staat und Gesellschaft. Die Zeitungslandschaft in Rheinland-Westfalen 1770-1819, Paderborn 1999. Weiter Herbert Müllenbach, Die Entwicklung der Pressfreiheit in Preussen, insbesondere in der Rheinprovinz. Vom Wiener Kongress bis zur Preussischen Verfassung vom 31. Januar 1850, jur. Diss., Freiburg 1935 (propreußisch), hier S. 8-14. Zur Zensur im Rheinland Guido Groß, Polizei und Zensur im Schatten der Julirevolution und des Hambacher Festes. Ein Beitrag zur Geschichte des Vormärz in Trier und den preußischen Rheinlanden, in: KTJ 22 (1982), S. 184-214. Viktor Muckel, Die Entwicklung der Zensur in Köln, jur. Diss., Köln 1932, hier
3. Grundlagen der Kontrolle von Gelegenheitsschriften
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schluß vom 20. September 1819 änderte sich dies; er brachte auch für die Rheinprovinzen eine weitreichende Zäsur mit sich. 6 4 Auf diesem Beschluß, der als unmittelbare Folge des Mordes an dem russischen Staatsrat und Dichter August Friedrich Ferdinand von Kotzebue verstanden werden muß, basierte das preußische Zensuredikt vom 18. Oktober 1819 ganz maßgeblich. Preußen unterwarf für zunächst fünf Jahre alle Schriften der Vorzensur und verzichtete zumindest bis zur Reform der frühen 1840er Jahre auf die sogenannte Zwanzig-Bogen-Klausel, die Bücher im Umfang von mehr als 320 Oktavseiten von der Vorzensur ausnahm. 65 Auch wenn sich rasch zeigte, daß das Hauptaugenmerk der Zensoren auf Zeitungen und politischen Flugschriften lag, wie die beiden Hardenbergschen Instruktionen von 1820 eindrucksvoll demonstrieren, 66 so gerieten doch immer wieder auch religiöse Gelegenheitsschriften ins Blickfeld der Zensur; sie waren nach Artikel 4 des Zensuredikts der Aufsicht der lokalen Polizeibehörden unterworfen. 6 7 Diese Bindung an die lokale Gendarmerie erwies sich jedoch rasch als eine Lücke in den engen Maschen des präventiven Zensurnetzes. Nachdrücklich mußte die Koblenzer Regierung in einer Zirkularverfügung vom 19. September 1821 ihren nachgeordneten Behörden einschärfen, alle Druckschriften und besonders Gelegenheitsschriften seien nach dem preußischen Zensuredikt scharf zu kontrollieren. Landräte und Bürgermeister sollten „alle solche Drucksachen, welche a. schmutzigen oder abergläubischen Inhalts sind, b. deren Colporteurs keinen Hausir-Gewerbeschein haben, c. welche ohne den polizeilichen Stempel verkauft werden" 68 umgehend beschlagnahmen und die Kolporteure sofort bestrafen. Daß sich auf lokaler Ebene auch weiterhin Lücken auftaten, belegen Anordnungen von 1825 und 1837, mit denen die Koblenzer Regierung und auch das Oberpräsidium, S. 47-50. Einen nach wie vor nützlichen Überblick gibt Karl Kruchen, Zensur und Zensoren an rheinischen Zeitungen in der vormärzlichen Zeit. 1814-1848, in: Düsseldorfer Jahrbuch. Beiträge zur Geschichte des Niederrheins 34 (1928), S. 1-136. Der Aufsatztitel weicht von dem des Inhaltsverzeichnisses im Düsseldorfer Jahrbuch ab. 64 Text des Bundesbeschlusses vom 20.9.1819, in: Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 102-104. Einschlägig zu den Karlsbader Beschlüssen ist Eberhard Büssem, Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15, Hildesheim 1974, zur Pressegesetzgebung S. 311-334. 65 Kanzog, Zensur, Sp. 1007, hat die Zwanzig-Bogen-Klausel zu Recht als „Ständeklausel" charakterisiert. Vgl. auch Andrea Hofmeister-Hunger, Pressepolitik und Staatsreform. Die Institutionalisierung staatlicher Öffentlichkeitsarbeit bei Karl August von Hardenberg (1792-1822), Göttingen 1994, hier S. 396-400. 66 Vgl. Kruchen, Zensur und Zensoren, S. 30 f. Müllenbach, Entwicklung der Pressfreiheit, S. 20. 67 Vgl. Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 107. 68 Konzept Regierung Koblenz an alle Landräte vom 19.9.1821, in: LHAK, Best. 441, Nr. 5118, S. 79.
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dem die Zensurleitung für die ganze Provinz oblag, erneut nachlässige Beamte im Amtsblatt ermahnten. Sie sollten allen ,,fliegende[n] Blätter[n]" zu Leibe zu rücken und die Landräte anweisen, auf die Pflichttreue der verantwortlichen Gendarmen und Polizeidiener strengstens zu achten. 69 Wichtig ist im vorliegenden Zusammenhang, daß dies auch für Neuauflagen bereits vor der Publikation des Zensuredikts erschienener Schriften galt. Denn unter denen, welche die Zensoren als abergläubisch einstuften, waren vielfach Nachdrucke aus der Frühen Neuzeit; auch daran mußten nachgeordnete Behörden 1824 unmißverständlich erinnert werden. 70 Zwar trifft es zu, daß die preußische Verwaltung ihre Zeitungszensoren vor allem aus den Reihen der Landräte rekrutierte, die eben keine Fachleute waren. Dies ist jedoch im wesentlichen dem zeitlichen Druck zuzurechnen, unter dem (Tages)zeitungen zensiert werden mußten, und es galt weniger für die Buchzensoren. 71 Eine Ende 1825 aufgestellte Liste des rheinpreußischen Oberpräsidiums informiert über jene Zensoren, die nicht für die Zeitungszensur zuständig waren. 72 Viel stärker berücksichtigte die Verwaltung in diesem Bereich fachliche Zensoren, was deutlich in den frühneuzeitlichen Zensurtraditionen wurzelte. So wurde die Zensur der evangelisch- sowie katholisch-theologischen Literatur in der Rheinprovinz zumeist den zuständigen Konsistorialräten übertragen. 73 Der Regierungsbevollmächtigte an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Rehfues, der 1833 eine umfangreiche Denkschrift über eine Zensurreform vorlegte und zeitweilig als Präsident des Ober-Zensur-Kollegiums gehandelt wurde, zensierte Bücher über universitäre Angelegenheiten; Regierungsmedizinalräte wie der rührige Koblenzer Medizinalrat Franz Gerhard Wegeier prüften die medizi69 Konzept Regierung Koblenz für das Amtsblatt vom 9.11.1825; Abschrift Regierung Koblenz an Landrat Härtung (Mayen) vom 30.3.1826; Bodelschwingh an Regierung Koblenz vom 6.6.1837, in: ebenda, S. 107-109, S. 113 und S. 385-388. 70 Gemeinsame Verfügung Kultus-, Innen- und Außenministerium vom 31.10.1824, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7137, S. 117 f. 71 Dies wird in der auf die Zeitungszensur und Pressepolitik fixierten Zensurforschung gerne übersehen Michaela Breil, Die Augsburger „Allgemeine Zeitung" und die Pressepolitik Bayerns. Ein Verlagsunternehmen zwischen 1815 und 1848, Tübingen 1996, S. 98. Ausgewogener mit hessischen Beispielen Frederik Ohles, Germany's Rude Awakening. Censorship in the Land of the Brothers Grimm, Kent/ London 1992, S. 48-69. 72 Verzeichniß sämmtlicher rheinischen [!] Censoren excl. der Zeitungs-Censoren am Schluß des Jahres 1825, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7137, S. 147. 73 Vgl. Kruchen, Zensur und Zensoren, S. 39. Beim 1842 notwendigen Wechsel im Zensoramt für die katholisch-theologische Zensur im Regierungsbezirk Köln vom Kölner Dompropst Dr. Schweitzer zum Pfarrer Dr. Smets betonte das OberZensur-Kollegium bei der Bestallung des Zensors, daß dieser in „einem unabhängigen Verhältnisse zu der Behörde" stehe. Ober-Zensur-Kollegium an Innen-, Außenund Kultusministerium vom 11.2.1842, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. I, Nr. 26, Vol. 1, Bl. 69.
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nische Literatur. 74 Die Generalannahme einer überwiegend fachfremden Zensur unterstellt der Verwaltung, in die Zensur zweifellos eingebunden war, unprofessionelles Verhalten. Stärker ist zu gewichten, daß Zensur sich ausdifferenzierte. Während die Buchzensur so weit wie möglich Fachzensur blieb, wurde das tagespolitische Geschäft der Zeitungszensur mit dem rapiden Wachstum des literarischen Markts weitgehend zur unfachlichen Lokalzensur: So waren 1822 von 13 Zeitungszensoren, die zunächst in den größeren Städten Rheinpreußens tätig waren, zwei Regierungsräte, acht Landräte und drei Polizeidirektoren. 75 Sobald an einem Ort eine neue Zeitung erschien, ernannten die Oberpräsidenten in der Regel die zuständigen Landräte zu Zensoren, was diese als durchaus fragwürdige Ehre empfanden. 76 Die Zahl dieser landrätlichen Zeitungszensoren erhöhte sich in den 1830er Jahren explosionsartig. 77 Auch deshalb kann es kaum verwundern, daß die Akten voller landrätlicher Klagen wegen Arbeitsüberlastung durch die Zensur sind. Diese Klagen trugen zu den häufigen Wechseln im Amt der Zeitungszensoren ebenso maßgeblich bei wie die stetig anwachsende Zahl von Zeitungen. 78 Zudem konnten die Zensoren im politischen Tagesgeschäft zwischen den Redaktionswünschen und den staatlichen Vorgaben rasch zerrieben werden. Wenn sich Zensur im 19. Jahrhundert auch zu einem staatlich besoldeten Amt wandelte, so blieb sie trotz allem meist ein lästiges Nebenamt, das die Zensoren zusätzlich zu ihren dienstlichen Pflichten auszuüben hatten. 79 Nach dem preußischen Zensuredikt von 1819 waren lokale Polizeibehörden mit der Zensur von Gelegenheitsschriften und -gedichten beauftragt, alles darüber Hinausgehende oblag den fachlich gebildeten Buchzensoren, wie das Ober-Zensur-Kollegium 1837 zum wiederholten Male unterstreichen mußte. 80 So durfte beispielsweise einem evangelischen Geistlichen „principienmäßig die Zensur katholisch-theologischer Schriften nicht über74
Zu Rehfues' Zensuraufgaben Müllenbach, Entwicklung der Pressfreiheit, S. 28 f. Zu Franz Gerhard Wegeier (1765-1848): ADB, Bd. 41, S. 421 f. 75 Verteilerliste vom 1.8.1822, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7137, S. 15. Vgl. Kruchen, Zensur und Zensoren, S. 41 f. 76 Konzept Oberpräsidium an Landrat Christian Friedrich von der Mosel (Kleve) vom 29.11.1822 und 25.2.1823, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7137, S. 23 und S. 37 f. 77 Vgl. Kruchen, Zensur und Zensoren, S. 49. 78 Landrat Georg von Hauer (Solingen) an Oberpräsident Pestel vom 14.2.1834, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7138, S. 69 f. Vgl. auch Kruchen, Zensur und Zensoren, S. 34 und S. 43. 79 Dagegen geht Siemann, Ideenschmuggel, S. 99, von einem „Wandel zum hauptamtlichen Zensor im Staatsdienst, vor allem in den Großstaaten" aus. 80 Ober-Zensur-Kollegium an Innenminister Rochow vom 12.1.1837, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 243, Nr. 50, Vol. 1, Bl. 113r115r.
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tragen werden". 81 Auch wenn der Zensurschwerpunkt auf politischen Schriften lag, darf bezweifelt werden, daß religiöse Schriften als Gegenstand von Zensur und Unterdrückung im 19. Jahrhundert „kaum mehr eine Rolle" spielten. 82 Formal schrieb Artikel 5 des Zensuredikts nämlich eine Genehmigung der geistlichen Behörden vor und regelte das vormärzliche Zensurverhältnis zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche. 8 3 Auch schärfte der Staat seinen Zensoren den auf dem Allgemeinen Landrecht fußenden, besonderen Schutz beider Konfessionen wiederholt ein, etwa durch eine Kabinettsordre vom 28. Dezember 1824, 84 und behielt sich gleichzeitig die letztinstanzliche Genehmigung zur Publikation vor. Eine ministerielle Anordnung vom 8. März 1824, wonach alle kirchlichen und bischöflichen Veröffentlichungen eine staatliche Druckerlaubnis benötigten, hatte dies bereits betont. 85 Daß dies jedoch nicht immer reibungslos funktionierte, zeigt ein Schreiben des Koblenzer Oberpräsidenten Bodelschwingh, der die rheinpreußischen Bischöfe daran erinnerte, über die Approbation hinaus sei ein staatliches Imprimatur nötig. 8 6 Auch in Zensurfragen entfachte der Kölner Erzbischof Droste zu Vischering einen Kleinkrieg mit den preußischen Behörden, weigerte er sich doch standhaft, auf ein kirchliches „Imprimatur" zu verzichten und sich auf eine „Approbation" für katholische Literatur zu beschränken. 87 Die Verwaltungsspitze beharrte zwar auf ihrem Standpunkt, versuchte aber andererseits, den konfessionspolitischen Flurschaden nach der Verhaftung des Erzbischofs zu begrenzen, 81
Kultusministerium an Ober-Zensur-Kollegium vom 15.7.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 101C (Ober-Zensur-Kollegium), Nr. 11, Vol. 1, Bl. 213r. 82 Eisenhardt, Wandlungen, S. 22. 83 Vgl. Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 107. Darauf verwies das Ober-Zensur-Kollegium auch den Bilker (Düsseldorf) Pfarrer Anton Joseph Binterim 1821, als er um ein Imprimatur nachsuchte. Konzept Ober-Zensur-Kollegium an Binterim vom 6.7.1821, in: GStA PK, I. HA, Rep. 101D (Ober-Zensur-Kollegium), Nr. 15, Vol. 1, Bl. 39r. Zum streng ultramontanen und kämpferischen Binterim (1779-1855) Cornel Schönig, Anton Josef Binterim (1779-1855) als Kirchenpolitiker und Gelehrter, Düsseldorf 1933. 84 Kruchen, Zensur und Zensoren, S. 32 f. Anläßlich eines Zensurfalls unterstrich das Ober-Zensur-Gericht 1847, die Aufgabe des „inneren Staatsrechts besteht darin, die aufgenommenen Confessionen zu schützen". Erkenntniß des Ober-Censur-Gerichts vom 23.6.1847 über die von Dr. Leonegg zusammengestellte Schrift „Das Glaubensbekenntniß der denkenden Christen dieser Zeit", Leipzig 1847, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. II Generalia, Nr. 113, Bl. 8r-9r, Zitat Bl. 8v. 85 Abschrift Kultusministerium an Ober-Zensur-Kollegium vom 8.3.1824, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7137, S. 101 f. 86 Konzept Bodelschwingh an Erzbistumsverweser Hüsgen (Köln) und Bischof Hommer (Trier) vom 19.2.1836, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7138, S. 439. 87 Droste zu Vischering an Bodelschwingh vom 19.1.1837, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7139, S. 1.
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wie eine ministerielle Verordnung vom 20. Dezember 1837 belegt. Sie ist zugleich ein Zeugnis für den zwiespältigen Umgang mit dem Kölner Ereignis. Die Berliner Zensurministerien wiesen nämlich sämtliche Oberpräsidenten an, die katholischen Gefühle nicht über Gebühr zu verletzen und Zeitungsartikel auf katholische Wünsche hin zu berichtigen, womit sie folgendes Ziel ins Auge faßten: „Dadurch wird das Vertrauen der Katholiken zu den inländischen Blättern vermehrt und Sie vermeiden um so eher, ihr gereiztes Gemüth in ausländischen Zeitungen auszulassen, als dadurch mancher bösartiger Aufsatz der ausländischen katholischen Blätter hervorgerufen werden mag". 88 Auch wenn diese Maßnahme kaum gegriffen haben dürfte, so dokumentiert sie die ministeriellen Vorbehalte gegenüber einer ausschließlich unterdrückenden Zensur in der Ära wachsender Kommunikationsmöglichkeiten. Diese Wirksamkeitsgrenzen eines Verbots von katholischem Schrifttum lassen sich eindrucksvoll an dem Schreiben der Geistlichen aus Grevenbroich und den umliegenden Pfarreien festmachen, die sich 1843 in den Historisch-Politischen Blättern über Heinrich Mohr äußerten: Das katholische Organ war seit 1838 mit seinem Erscheinen in Preußen verboten, und dennoch nahm der betroffene Klerus postwendend nach Erscheinen der anonymen Anschuldigungen Stellung. 89 Eine kurze Entspannung in Zensurangelegenheiten zu Beginn der 1830er Jahre wurde aufgrund der politischen Ereignisse von 1830 (Julirevolution), 1832 (Hambacher Fest) und 1833 (Frankfurter Wachensturm) rasch wieder zurückgenommen. Unterdessen stieß das arbeitsintensive und aufwendige System behördlicher Verwaltungs- oder Vorzensur bereits Mitte der 1830er Jahre an seine Grenzen, worin die Wurzeln, sicher begünstigt und ausgelöst durch den Thronwechsel zu Friedrich Wilhelm IV., für eine erneute Lockerung und die Neuorganisation der Zensurverwaltung gesehen werden müssen. 90 Der neue Kurs nach 1840 schlug sich zunächst auch spürbar im Bereich der Zensur nieder, denn der preußische Zensurstaat entdeckte seine „Pflicht [...], die frühern confessionellen Zwistigkeiten und deren Folgen immer mehr vergessen zu machen und jedem Wiedererwachen derselben sorgfältig vorzubeugen". 91 Diese Phase endete jedoch ebenso schlagartig wie sie begonnen hatte, wobei die Erfahrungen mit der in Köln verlegten 88
Konzept Kultus-, Innen- und Außenministerium an alle Oberpräsidenten vom 20.12.1837, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 IV (Kultusministerium), Sekt. 1, Abt. XXVI, Nr. 1, Vol. II, Bl. 14r-15r, Zitat Bl. 14v-15r. 89 Vgl. Bono, Reclamation. Zum Verbot der Historisch-Politischen Blätter in Preußen knapp Bernhard Schneider, Katholiken auf die Barrikaden? Europäische Revolutionen und deutsche katholische Presse 1815-1848, Paderborn u.a. 1998, hier S. 85-94. 90 Gemeinsame Verfügung Kultus-, Innen- und Justizministerium vom 24.12.1841, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7139, S. 191-197. 11
Freytag
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Rheinischen Zeitung eine wesentliche Rolle spielten. 92 Wichtig für den erneuten härteren Kurs war die Zensurinstruktion vom 31. Januar 1843, die das Zensurwesen auf eine neue organisatorische Grundlage stellte und auch das Ober-Zensur-Kollegium auflöste; leider fehlen immer noch Untersuchungen über die Kompetenzen des offenbar nur wenig wirkungsvollen elfköpfigen Gremiums, das von 1819 bis 1843 bestand, sowie über den Wandel der Zensur nach 1840. 93 An die Stelle des Ober-Zensur-Kollegiums jedenfalls trat ein Ober-Zensur-Gericht, das dem Justizministerium unterstand. Die oberste Leitung der Zensurverwaltung oblag dem Innenministerium, und mit den neu geschaffenen Ämtern der Bezirks- und Lokalzensoren orientierte sich Zensur stärker als bisher an den Verwaltungseinheiten das erläutert ein ministerielles Schreiben vom 30. August 1843. 94 Damit betrat Preußen bereits im Vormärz den verstrafrechtlichten Weg zum repressiven Justizsystem oder auch der Nachzensur. Das kann gar nicht genug hervorgehoben werden, weil es Preußen damit gelang, noch vor der Revolution von 1848/49 die Nachzensur in anderen Staaten des Deutschen Bundes 95
anzuregen. Nach 1848 gingen dann alle Staaten endgültig von der Vorzensur zu mittelbaren Überwachungsinstrumenten über. 96 Die wichtigsten Instrumente dabei waren Kautionspflicht, die durch das Bundespreßgesetz vom 6. Juli 1854 bundesweit geregelt war, Stempelsteuer, Androhung des Konzessionsund Postdebitentzugs, Solidarhaftung, Strafverfolgung auswärtiger Redakteure und Schriftsteller, polizeiliche Beschlagnahmung sowie im vorliegen91
Innenministerium an Schaper vom 26.11.1843, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7140, S. 95 f., Zitat S. 95. 92 Dazu ausführlich Wilhelm Klutentreter, Die Rheinische Zeitung von 1842/43 in der politischen und geistigen Bewegung des Vormärz, 2 Teile, Dortmund 1966, hier S. 120-140. 93 In den Zensurakten der verschiedenen Instanzen befinden sich umfangreiche Schriftwechsel, Anweisungen und Kompetenzgerangel zwischen dem Ober-ZensurKollegium, den Zensurministerien sowie den Provinzialbehörden über Rechts- und Vollzugsfragen. Vgl. mit Hinweisen zum Ober-Zensur-Kollegium Ludwig Geiger, Das Junge Deutschland und die preußische Censur. Nach ungedruckten archivalischen Quellen, Berlin 1900. Auch eine Konzentration auf die preußische Bücherzensur sollte weitere Einblicke in Zensurpraxis und -funktionen ermöglichen. 94 Vgl. Kruchen, Zensur und Zensoren, S. 54-61. Der Wandel in der preußischen Zensur hängt eng mit der Persönlichkeit Friedrich Wilhelms IV. selbst zusammen. Barclay, Anarchie und guter Wille, S. 94-111. Innenministerium an Schaper vom 30.8.1843, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7139, S. 611-616. 95 Vgl. Ziegler, Literarische Zensur, S. 133 f. 96 Wolfram Siemann, Von der offenen zur mittelbaren Kontrolle. Der Wandel in der deutschen Preßgesetzgebung und Zensurpraxis des 19. Jahrhunderts, in: Göpfert/Weyrauch, „Unmoralisch an s i c h . . S . 293-308, hier S. 298-305. Detailliert Richard Kohnen, Pressepolitik des Deutschen Bundes. Methoden staatlicher Pressepolitik nach der Revolution von 1848, Tübingen 1995, hier S. 92-113.
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den Zusammenhang besonders wichtig: die Kontrolle des Hausierhandels. Unterdrückung und Gängelung durch Verwaltung und Polizei blieben in Preußen auch nach dem Pressegesetz vom 12. Mai 1851 zumindest bis zum Beginn der Neuen Ära an der Tagesordnung. 97 Parallel dazu versuchte der preußische Staat, die Presse zu kontrollieren, indem er die neu eingerichtete Zentralstelle für Preßangelegenheiten nicht nur überwachte, sondern auch gezielt Informationen an die häufig wechselnden offiziösen Zeitungen gab, um die öffentliche Meinung diskret, aber gleichzeitig möglichst direkt zu lenken. 98 Erst die reichsweite Regelung durch das Reichspressegesetz von 1874, das maßgeblich auf dem preußischen Pressegesetz von 1851 gründete, beendete Zensur als Sonderrecht und stellte Veröffentlichungen unter die allgemeinen Strafnormen, setzte mithin behördlicher Willkür ein Ende. Dennoch blieben verschiedene Eingriffsmöglichkeiten erhalten, die Polizei und Staatsanwaltschaft während des Kulturkampfs und der Sozialistengesetzgebung genügend Spielraum beließen und zu Anklagen wegen „groben Unfugs" nach § 360 Strafgesetzbuch führten. Darüber hinaus konnte sich die Zensur der Vorwürfe „Gotteslästerung" und „Aufreizung zur Unzucht" bedienen, die sich um die Jahrhundertwende eng mit der Kampagne gegen Schmutz- und Schundliteratur verwoben. Die ursprünglich gegen Kolportageliteratur verwendeten Maßnahmen entpuppten sich als Allzweckwaffen im Kampf gegen mißliebige Literaten, Verleger und Karikaturisten. 99 Die strafrechtlichen Mittel, die sicherlich noch wenig über die staatlichen Zensurabsichten aussagen, waren mehr als ausreichend, um verbotene Publikationen, Verleger und Redakteure wirkungsvoll zu verfolgen. 100 Eine ganz 97 Eberhard Naujoks, Die parlamentarische Entstehung des Reichspressegesetzes in der Bismarckzeit (1848/74), Düsseldorf 1975, S. 20-25, bewertet das Pressegesetz selbst als vergleichsweise mild, was indes die von ihm eingeräumten repressiven Verwaltungs- und Polizeimaßnahmen zu wenig gewichtet, da sich eine normative Grundlage auch immer an der Praxis messen lassen muß. 98 Dazu auf Basis archivalischer Materialien Gertrud Nöth-Greis, Das Literarische Büro als Instrument der Pressepolitik, in: Jürgen Wilke, Pressepolitik und Propaganda. Historische Studien vom Vormärz bis zum Kalten Krieg, Köln u.a. 1997, S. 1-78. Manfred Overesch, Presse zwischen Lenkung und Freiheit. Preußen und seine offiziöse Zeitung von der Revolution bis zur Reichsgründung (1848 bis 1871/ 72), Pullach bei München 1974. Kurt Wappler, Regierung und Presse in Preußen. Geschichte der amtlichen preußischen Pressestellen 1848-1862, Leipzig 1935. Irmgard Loeber, Bismarcks Pressepolitik in den Jahren des Verfassungskonfliktes (1862-1866), München 1935. Eberhard Naujoks, Bismarck und die Organisation der Regierungspresse, in: HZ 205 (1967), S. 46-80. Knapp dazu Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 171 f. 99 Vgl. Jäger, Der Kampf gegen Schmutz und Schund. Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 274-277. 100 Jörg Requate, Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich, Göttin11*
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wesentliche Ursache für das auch im Kaiserreich herrschende repressive Zensurklima lag darin, daß die Pressefreiheit zwar nun gesetzlich verankert war, aber eben keinen Verfassungsrang besaß, weshalb ein einfaches Gesetz reichte, um sie auszuhebeln.
4. Bildungs-, moral- und relijgionspolitische Zensur im Bemühen um Vergangenheit und Zukunft Während bei der Zeitungszensur und den sie flankierenden Maßnahmen die Kontrolle der kritischen politischen Öffentlichkeit im Mittelpunkt staatlichen Strebens stand, hatte die Kontrolle der abergläubischen Gelegenheitsschriften andere Stoßrichtungen. 101 In den behördlichen Äußerungen finden sich immer wieder der „gemeine Mann" oder das „gemeine Volk" und deren Sittlichkeit als schutzbedürftige Objekte der Zensurbehörden. Was im Zensuredikt von 1819 nicht ausdrücklich formuliert worden war, übernahm die Verwaltung. Die Bürokratie verstand sich bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in aufgeklärt-absolutistischer Manier auch als moralische Erziehungsanstalt, die dem Aberglauben durch Zensur entgegenwirken wollte. 1 0 2 Weniger galt dieses Ziel für die Zensur der umfangreicheren Prophezeiungen und Weissagungen, die einen ausgeprägt konfessions- oder kryptopolitischen Charakter hatten. In ihrer Zensur dominierten die politischen Absichten vor den Moral- und Bildungszielen.
gen 1995, hier S. 244-264. In Requates Studie stören in Fragen zensurrechtlicher Rahmenbedingungen Fehler und Widersprüche. Etwa gab es „zu keiner Zeit und an keiner Stelle tatsächlich Pressefreiheit" (S. 244), während es dann nur zwei Seiten weiter aber doch zu „tatsächlicher Pressefreiheit [...] für kurze Zeit in Baden" (1832) kam (S. 246). Während Requate das System der nachmärzlichen Pressekontrolle zunächst nur „bedingt als „Justizsystem4" (S. 250) verstanden wissen will, wird später ein „langsamer Übergang vom Präventiv- zum repressiven Justizsystem" eingeräumt (S. 263). Unangemessen ist zudem der gegen Siemann gerichtete Vorwurf, das vormärzliche Präventivsystem mit der These zu „verharmlosen" (S. 249), die nachrevolutionäre „mittelbare Form der Meinungskontrolle" sei weitaus effektiver als die Vorzensur und richte sich stärker gegen Autor und Verleger. Zu der These vgl. Siemann, Ideenschmuggel, S. 105 f. Sie schließt keineswegs polizeiliche Willkürakte gegen Personen vor 1848 aus, wie Requate mit seinen Ausführungen (S. 249 f.) unterstellt. Mit diversen Beispielen staatlicher Willkür und zur Rechtsprechungspraxis Hans-Wolfgang Wetzel , Presseinnenpolitik im Bismarckreich (1874-1890). Das Problem der Repression oppositioneller Zeitungen, Frankfurt am Main/Bern 1975. Ute Daniel, Die Politik der Propaganda. Zur Praxis gouvernementaler Selbstrepräsentation vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, in: Dies./Siemann, Propaganda, S. 44-82, hier S. 49-57. 101 Vgl. Siemann, Normenwandel, S. 72-77. 102 Dazu Meyer, Schule der Untertanen, S. 19-27.
4. Bildungs-, moral- und religionspolitische Zensur
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a) Der „Wunderglauben des gemeinen Volkes" im Fadenkreuz aufklärerischer Zensur Die preußische Verwaltung zielte in ihrem Umgang mit abergläubischem Gelegenheitsschrifttum auf den leicht beeinflußbaren, einfachen und zumeist ländlichen Untertan. Diese Zensur war von relikttheoretischen Annahmen geleitet, d.h. Zensoren und Verwaltung gingen davon aus, mit offensiven und defensiven Maßnahmen die noch vorhandenen Aberglaubensreste kontrollieren zu können. Die Zensur von Wunderschriften war eine soziale Zensur, denn in ihrem Zentrum stand der „gemeine Mann". Diese Perspektive bestimmte jedenfalls den Umgang mit magnetischem Schrifttum, das wie alle anderen Veröffentlichungen zensiert und wiederholt beschlagnahmt oder verboten wurde. Das Schicksal traf die 1821 in Leipzig verlegte Schrift von Johannes Wolframm, die den Titel „Magnetismus und Immoralität. Ein merkwürdiger Beitrag zur geheimen Geschichte der medicinischen Praxis" trägt. Die Danziger Regierung hatte zunächst alle greifbaren Exemplare konfisziert, weil sie dem zuständigen Zensor moralisch verwerflich schienen und dieser annahm, die Schrift sei in Berlin verboten worden. 1 0 3 Das Ober-ZensurKollegium kam indessen zu einem anderen Urteil und bewertete die Schrift als „der Wissenschaft und Moralität förderlich". Dessen Vorsitzender Karl Georg von Raumer sah keine Gefahr durch die Publikation, weil das öffentliche Interesse an der Heilmethode abgeflaut sei und die Schrift unmißverständlich „scheinheilige Magnetiseurs" kritisiere, 1 0 4 weshalb sie 1823 erneut aufgelegt werden konnte. Unterschiedlich aufgenommen worden war bereits 1821 eine Rechtfertigung des bekannten Berliner Arztes und Magnetiseurs Karl Christian Wolfart, in der dieser eine Schwangerschaftsaffäre um eine seiner Patientinnen aus seiner Perspektive darstellte. 105 Der Vater der Verführten hatte sich in einem Brief an das Innenministerium für ein Verbot der Schrift Wolfarts ausgesprochen. Die Behörden erteilten der Schrift zwar den Debit, aber der Zensor und Medizinalassessor Klug, der schon länger 103
Regierung Danzig an Innenministerium vom 7.3.1821, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 2 Generalia, Nr. 25, Bl. lr. Auch für Württemberg sind Eingriffe überliefert. Der Zensur zum Opfer fiel die Schrift von Heinrich Gerstenbergk, Die Wunder der Sympathie und des Magnetismus oder die enthüllten Zauberkräfte und Geheimnisse der Natur, enthaltend 700 vielfach bewährte sympathet. und magnet. Mittel, durch welche nicht nur sehr viele Krankheiten geheilt werden können, sondern auch der Hauswirthschaft ungewöhnliche Vortheile erschließen, Weiden 41851 (11848). Siemann, Ideenschmuggel, S. 92. 104 Raumer an Innenminister Schuckmann vom 2.4.1821, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 2 Generalia, Nr. 25, Bl. 2, hier Bl. 2r. Zu Karl Georg von Raumer (1753-1833) vgl. ADB, Bd. 27, S. 416-418. 105 Zu Karl Christian Wolfart (1778-1832) vgl. ADB, Bd. 43, S. 789 f.
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IV. Lektüren und Zensur abergläubischen Schrifttums
mit Wolfarts magnetischer Praxis vertraut w a r , 1 0 6 äußerte sich in seinem Gutachten kritisch über dessen Veröffentlichung: Sie sei teilweise unrichtig, zumindest aber ohne wissenschaftlichen Wert und beleidigend. Insgesamt stufte das Ober-Zensur-Kollegium die Affäre dann allerdings als persönliche Angelegenheit ein und verwies den Vater auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Klage. 1 0 7 Im Mittelpunkt der staatlichen Perspektiven stand bei der Zensur magnetischer Literatur der „Wunderglauben des gemeinen Volkes", wie das OberZensur-Kollegium 1824 in einem differenzierten Votum über das in Ilmenau erschienene Werk „Das Buch der Geheimnisse" niederlegte. 108 Dabei verstand man „gemein" noch als „allgemein", eben aus Sicht des Staates alle unmündigen und damit schutzbedürftigen Untertanen. 109 Das gutachterliche Urteil ragt deshalb hervor, weil das Ober-Zensur-Kollegium in diesem Fall zwar auf eine „schleunige Confiscation" drängte, da es einige der darin enthaltenen Rezepte und Vorschriften für „lebensgefährlich" hielt. Gleichzeitig aber erläuterte das Gutachten detailliert die Grenzen staatlicher Toleranz gegenüber dieser Literatur, was ein ausführliches Zitat belegen soll. So hätte das höchste Zensurgremium diese Schrift immerhin akzeptieren können, wenn „darin der Aberglaube u[nd] die Unwissenheit voriger Jahrhunderte zur Warnung und Verurtheilung ausgestellt werden sollte u[n]d wären die Autoren, aus welchen all der Unsinn compilirt worden ist, dabey genannt, oder hätte sich der Compilator genannt u[nd] wäre im Publikum - wie z.b. der Prof. Schubert in Erlangen als ein rechtlicher u[nd] moralischer Mann bekannt, dem die Mystik den Kopf verdreht hätte; so würde das Abergläubische u[nd] Unmoralische dieses Buches selbst die Anweisung zu einigen Spitzbuben Künsten - als unschädlich betrachtet werden können. Da aber das Buch auf den Wunderglauben des gemeinen Volkes berechnet u[nd] ihm als hülfreiche u[n]d nützliche u[n]d wohlthätige Zwecke befördernd auf dem Titel empfohlen ist, so kann man es schon in dieser Hinsicht nicht für unschädlich halten". 110 106 Klug an Innenministerium vom 11.6.1816, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2196, Bl. 87r-91v. Der Entomologe Johann Christoph Friedrich Klug (1775-1856), 1835 Geheimer Ober-Medizinalrat, war 1824 Mitglied der Magnetismus-Kommission, die den Pferdeknecht Grabe in der Charité begutachtete. Vgl. ADB, Bd. 16, S. 247 f. 107 GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 2 Generalia, Nr. 25, Bl. 6r-10r. 108 Der vollständige Titel lautet: [ - ] , Das Buch der Geheimnisse. Eine Sammlung von mehr als 200, besonders magnetischen und sympathetischen Mitteln wider Krankheiten, körperliche Mängel und Uebel und zur Beförderung anderer nützlichen und wohlthätigen [!] Zwecke, Ilmenau 1824. 109 Vgl. Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, 9., vollständig neu bearbeitete Aufl., Tübingen 1992, S. 333 f. 110 Konzept Votum des Ober-Zensur-Kollegiums zu der Schrift vom 30.4.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 101D (Ober-Zensur-Kollegium), Nr. 13; die Regierung
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Deutlich wird dabei, in welchen Fällen die obersten Zensoren Aberglauben toleriert hätten: Einerseits, wenn es sich um eine historische Kompilation mit Quellennachweis gehandelt hätte, andererseits, wenn ein unbescholtener Herausgeber oder Verfasser verantwortlich gewesen wäre. Damit zeigte sich das Ober-Zensur-Kollegium in doppelter Weise der Aufklärung verpflichtet, denn die historische Einordnung und die wissenschaftliche, ja sogar weitgehend spekulative Erklärung des medizinisch-therapeutischen Stellenwerts fragwürdiger Rezepte wären akzeptabel gewesen. Falls der Eindruck bestand, daß in erster Linie wissenschaftliche Interessen bedient wurden, dann stellte der Debit für magnetische Arbeiten kein Problem dar, wie Oberpräsident Bodelschwingh die Regierung Köln noch 1839 wissen ließ und die Veröffentlichung einer Untersuchung des Basler Professors Friedrich Fischer gestattete. 111 Es war ein Standardverfahren der Zensur, Schriften über Wunderheilungen oder Exorzismen zu verbieten, um diese Ereignisse nicht überregional bekannt werden zu lassen. Die bayerische Regierung hatte dies 1775 bereits vorexerziert, als sie aus Anlaß der aufsehenerregenden Exorzismen Johann Joseph Gaßners sämtliche religiöse Streitschriften aus dem Verkehr zog. 1 1 2 Auch 1821 ließ der Konsistorialrat Auer im Großherzogtum Niederrhein eine Schrift über die Wunderheilungen Hohenlohe-Schillingsfürsts verbieten, hatte der anonyme Verfasser doch eine Reihe der wunderbaren Heilungen beschrieben und für wahr erklärt. 1 1 3 So versuchte die Verwaltung, die unmündigen Staatsbürger zu selbstverantwortlichem Handeln im Umgang mit dem Irrationalen zu bewegen. Ein ausgezeichnetes Beispiel für das behördliche Vorhaben ist die Reaktion auf das „Gebeth von den sieben heiligen Himmels-Riegeln", das vor bösen Geistern und Einflüssen schützen sollte. 1 1 4 Unmißverständlich bezog Innenminister Bodelschwingh 1847 Stellung zu diesen Gebetszetteln, die ihm aus Düsseldorf hatte auf eine „Beschleunigung" des Verfahrens gedrängt, da nicht nur ein Exemplar der Studie in der Düsseldorfer Buchhandlung Schreiner konfisziert worden war, sondern auch eine Ankündigung im rheinisch-westphälischen Anzeiger erschien. Regierung Düsseldorf an Innenministerium vom 12.4.1824, in: ebenda. 111 Bodelschwingh an Regierung Köln vom 13.11.1839, in: HStAD, Best. Regierung Köln, Nr. 78, Bl. 189r. Der Titel lautet Der Somnambulismus, Erster Bd.: Das Schlafwandeln und die Vision, Basel 1839. 112 Vgl. Freytag, Exorzismus, S. 100. 113 [ - L Getreue Beschreibung der wunderbaren Heilungen des Fürsten Alexander von Hohenlohe, von einem glaubwürdigen Augenzeugen zur Vermeidung alter irriger Urtheile niedergeschrieben, o.O. [1821], in: LHAK, Best. 402, Nr. 163, S. 132 f. Immerhin glaubte der Zensor, über den Verfasser ermittelt zu haben, daß es sich um den Aachener Vermessungskondukteur Ahn handelte. Nachweisung der im Monat August 1821 censirten Schriften des Consistorialrats Auer, in: GStA PK, I. HA, Rep. 101C (Ober-Zensur-Kollegium), Nr. 11, Vol. 1, Bl. 80r-81v.
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seiner Zeit als rheinpreußischer Oberpräsident bestens bekannt waren. In Schlesien waren sieben, mit - und das war für die ministeriellen Behörden besonders ärgerlich - lokalen Polizeistempeln versehene Exemplare konfisziert worden. Dadurch hatte es den Anschein, als seien die Zettel mit behördlicher Zustimmung gedruckt worden - ein Eindruck, dem Bodelschwingh sich entschieden entgegenstemmte: „Ich kann es jedoch von meinem Standorte aus nicht für wünschenswerth erachten, daß mit obrigkeitlicher Erlaubniß dem gemeinen Manne Schriften in die Hand gegeben werden, welche, wie die Einleitung zu den sieben Himmels-Riegeln den Aberglauben nähren und durch das in diesem wurzelnde, die eigene Thätigkeit lähmende Vertrauen auf die verheißenen wunderbaren Wirkungen auch das materielle und leibliche Wohl des Volkes gefährden müssen".115 Der in der Einleitung des Gebetszettels versprochene Schutz vor diversen Gefahren wie „höllischen Gespenstern", Feuersbrünsten, Besessenheit oder schwierigen Schwangerschaften mißfiel dem Innenminister und enthielt für ihn eine bedrohliche Normverletzung christlicher Frömmigkeit. Aus dem blinden abergläubischen „Vertrauen" auf übernatürliche Hilfe erwuchsen für ihn bedenkliche volkswirtschaftliche Folgeschäden, zumal die Zettel durch lokalpolizeiliche Genehmigungen staatlich gewollt wirkten. So kann es nicht überraschen, daß er gleichfalls ein rigoroses Vorgehen der Regierung Marienwerder gegen einen angeblich von Jesus persönlich verfaßten Hirtenbrief unterstützte. 116 Dies war eine Haltung, welche die katholische Amtskirche weitgehend teilte, wie der Breslauer Fürstbischof Freiherr von Diepenbrock Kultusminister Eichhorn 1847 wissen ließ, allerdings gestand er zugleich ein, es sei kaum möglich, „derlei aus Winkelpressen hervorgebrachte, von schmutziger Gewinnsucht colportirte abergläubische Producte ganz zu beseitigen". 117 Das behördliche Vorgehen gegen Buchhändler, -drucker oder Verleger von Gelegenheitsschriften war daher auch nicht immer erfolgreich. Als die beiden Geilenkirchener Händler Jacob Welter und Mathias Schinkenberg nach Meinung der Aachener Regierung unbefugterweise Gebetbücher und 114
Vollständiger Text Kräftiges Gebeth von den sieben heiligen Himmels-Riegeln, oder von den sieben Worten, welche Christus am Stamme des heiligen Kreuzes gesprochen hat im Anhang, Dokument 1. 115 Bodelschwingh an Kultusminister Eichhorn vom 8.3.1847, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 IV (Kultusministerium), Sekt. 1, Abt. XXVI, Nr. 1, Vol. IV; Abschrift Oberpräsidium Schlesien an Regierung Breslau vom 14.4.1847, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 415, Nr. 7, Vol. 1. 116 GStA PK, I. HA, Rep. 76 IV (Kultusministerium), Sekt. 1, Abt. XXVI, Nr. 1, Vol. IV. Vollständiger Text im Anhang, Dokument 2. 117 Melchior Ferdinand Joseph Freiherr von Diepenbrock an Kultusminister Eichhorn vom 31.1.1847, in: ebenda. Diepenbrock (1798-1853) war seit 1845 Fürstbischof von Breslau, seit 1850 Kardinal.
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Kalender verkauften, wurden sie zunächst vom zuständigen Zuchtpolizeigericht 1852 freigesprochen. Dieses begründete seinen Freispruch damit, „Bücher, die gewissermaßen zu den gewöhnlichsten Lebensbedürfnissen des gemeinen Mannes gehören", seien nicht zum Buchhandel zu rechnen, sondern dürften mit einer herkömmlichen Konzession vertrieben werden. Erst das Berliner Obertribunal revidierte diese Ansicht 1853, indem es für irrelevant erklärte, ob die verkauften Bücher „mehr oder minder notwendig gebraucht" würden. 1 1 8 Unabhängig von ihrem Ergebnis zeigen beide Urteile, daß die Gerichte keinen Zweifel daran hatten, daß es ein spezifisches unterschichtliches Lektürebedürfnis gab, welches es unbedingt zu lenken galt. Das Vorgehen gegen abergläubische Gelegenheitsschriften mündete oftmals in eine enge Kooperation mit der katholischen Kirche. So veranlaßten wiederkehrende Klagen der Kölner Bistumsleitung über abergläubische Gebetszettel und Broschüren, welche Kolporteure vor allem an Wallfahrtszielen unter der Hand anboten, im Vormärz mehrfach staatliche Recherchen. 1 1 9 Diese Gelegenheitsschriften mußten auf ministeriellen Druck allein schon deshalb in das Visier der lokalen Verwaltung und Gendarmerie geraten, weil sie in der Regel weder Drucker noch Erscheinungsort angaben. 120 Immer wieder schärften die vorgesetzten Behörden ihren Landräten ein, alle „Schriften und Bilder religiösen Inhalts, welche für die unteren Volksklassen berechnet sind", streng zu überwachen und diese vor allem an den traditionellen Wallfahrtsorten aufzuspüren. 121 Diese Vorgaben ließen sich in konfessionspolitischen Konflikten nicht immer umsetzen, wie sich im Osten der Monarchie gezeigt hatte. Als die Posener Regierung 1835 elf „Aberglauben und Fanatismus befördernde" polnische Gebets- und Andachtsbücher konfiszierte, die überwiegend von Kleinhändlern vertrieben wurden, sprach sich der umsichtige Posener Oberpräsident Heinrich Eduard von Flottwell gegen ein Verbot aus. Weil diese aus Gewohnheit verteilten alten 118
Abschrift Regierung Aachen an Landrat Friedrich Hardt (Montjoie) vom 23.5.1853, in: HStAD, Best. Landratsamt Geilenkirchen, Nr. 20, Bl. 198. Freilich besaß das Zuchtpolizeigerichtsurteil eine behördliche Grundlage, hatten preußisches Innen- und Finanzministerium doch 1838 den Verkauf von Tafel- und Wandkalendern freigegeben, „welche nur Tagesverzeichnis und Himmelserscheinungen" vermerkten. Innen- und Finanzministerium an Bodelschwingh vom 5.6.1838, in: LHAK, Best. 403, Nr. 197, S. 15. 119 Bodelschwingh an Regierung Koblenz vom 22.11.1836, in: LHAK, Best. 441, Nr. 24274. 120 Oberpräsident Magnus Friedrich von Bassewitz (Brandenburg) an Innenminister Schuckmann vom 15.12.1827, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 243, Nr. 50, Vol. 1, Bl. 96r-97r. Bassewitz (1773-1858) war zwischen 1824 und 1842 Oberpräsident von Brandenburg. 121 Abschrift Regierung Breslau an alle Landräte vom 26.5.1846, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. II Generalia, Nr. 17, Vol. 2, Bl. 79r.
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Bücher bei den polnischen Katholiken sehr beliebt seien und ein Verbot aufgrund der durch nationale Ressentiments angespannten Situation großes Aufsehen erregen würde, verzichtete er darauf, womit sich der Innenminister in einer Aktennotiz ausdrücklich „Einverstanden!" erklärte. 122 Dennoch bleibt festzuhalten, daß die Regierung den als abergläubisch gewerteten Lektüren eine aufhetzende Wirkung beimaß, die sich gegen den Staat und die protestantischen Bevölkerungsteile richtete. Wie reserviert sich die Behörden auch in der Rheinprovinz gegenüber katholischer Gebets- und Andachtsliteratur an Wallfahrtsorten zeigten, untermauert ein Gesuch des Krefelder Buchhändlers und Buchdruckers Johann Cramer, der 1840 in Kevelaer eine Druckerei eröffnen wollte, um vor Ort Gelegenheitsschriften verkaufen zu können. Die Düsseldorfer Regierung hielt dies für zu gefährlich, unter anderem, weil eine Offizin an der Grenze schwer zu kontrollieren sei. Obwohl Oberpräsident Bodelschwingh sich dahingehend äußerte, daß die „älteren, weit verbreiteten Gebets- und Andachtsbücher, auf welche sich der Absatz in Wallfahrts-Orten gewöhnlich beschränkt, überall nach Bedürfniß vervielfältigt" würden, schlossen sich Innen- und Kultusministerium der Düsseldorfer Linie an. 1 2 3 Dabei waren „alte Religionsgebräuche" noch zwei Jahrzehnte zuvor als schützenswert erachtet worden, wie die beiden Regierungsräte und Zensoren Auer und Fritsche einem Verbot hinzugefügt hatten. Eine dubiose, anonym in Leipzig erschienene Schrift mit dem Titel „Allahs Oche selfs uhsgehickt en in oeckerduetsche Ruemsche ze Kapin gebracht van Kai Bechtes Joechejans n'en oecher fongpp" empfanden sie 1821 als „anstößig gegen katholischen Kultus, gute Sitten, Evangelische Glaubensgenossen, Geistlichkeit, alte Religionsgebräuche". 124 Bei dem Kampf gegen solchen Aberglauben setzten die Verwaltungsbeamten auf eine betont enge Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche, besonders da sie - ein beliebtes Argument - die protestantische Bevölkerung beunruhigt wähnten und staatliche Verbote für weniger hilfreich hielten als geistliche Belehrungen. Das hielt sie dann jedoch nicht davon ab, alle greifbaren Exemplare aus dem Verkehr zu ziehen. In diesem Problem122
Oberpräsident Flottwell (Posen) an Innenminister Rochow vom 9.3.1835, in: ebenda, Bl. 103r-105v, Zitate Bl. 103v und Bl. 105r; Konzept Rochow an Flottwell vom 28.3.1835, in: ebenda, Bl. 110. Zu Heinrich Eduard von Flottwell (17861865), in mehreren preußischen Provinzen Oberpräsident, 1848 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, 1844 und 1858 für kurze Zeit zunächst Finanz-, später Innenminister vgl. NDB, Bd. 5, S. 257 f. 123 Bodelschwingh an Innen- und Kultusministerium vom 6.4.1840; Konzept Innen- und Kultusministerium an Bodelschwingh vom 6.9.1840, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 242, Nr. 11, Vol. 1, Bl. 50r-51v und Bl. 54r-55v, Zitat Bl. 51. 124 Nachweisung der im Monat November 1821 censierten Schriften, in: LHAK, Best. 402, Nr. 163, S. 150-155, Zitat S. 152.
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bereich konnte die staatliche Verwaltung sogar darauf rechnen, von den katholischen Bischöfen und auch der Pfarrgeistlichkeit unterstützt zu werden, ja auch von diesen um Hilfe gebeten zu werden. Wie schwer es für den preußischen Staat war, Gelegenheitsschriften zu kontrollieren, zeigte sich wiederholt. So hatte sich der Kölner Erzbischof Spiegel 1825 an Oberpräsident Ingersleben gewandt, um der Verbreitung „abergläubischer Zettel, Broschüren und Büchelchen" entgegenzuwirken. 125 Als handfesten Beleg fügte er einen gedruckten Segen mit dem Titel „Gewisse und wahrhafte Länge unseres lieben Herrn Jesu Christi" hinzu, der 1655 in Jerusalem gefunden worden sein sollte und nun von der Pfarrkirche und vormaligen Benediktinerabtei Cornelimünster in der Nähe von Aachen verteilt wurde. Ingersleben kam dem Wunsch „mit Vergnügen" nach und wies alle Regierungen an, Wallfahrtsorte und „herumziehende Bücherkrämer" zu überwachen und „abergläubische Schriften" zu konfiszieren, „welche nicht mit dem Imprimatur der Zensurbehörde versehen sind". 1 2 6 Der Rücklauf erwies sich freilich als unbefriedigend, denn es gelang nicht, weitere Gelegenheitsschriften zu entdecken. Allerdings war der behördliche Verdacht begründet, denn die Akten des Kölner Bistumsarchivs sind voll von solchen Broschüren und Zetteln. 1 2 7 Vielmehr überließ die Verwaltung diese Zensur weitgehend der katholischen Kirche und reagierte erst auf deren Hilfeersuchen. Elf Jahre später, 1836, waren die Ergebnisse von Nachforschungen dann erfolgreicher, denn die gezielten Ermittlungen in zwei Kölner Buchhandlungen förderten immerhin weitere wundertätige Gebetszettel zutage und führten zur Verurteilung der Druckereibesitzerin. Bemerkenswert an den Recherchen war zunächst vor allem der Versuch des Oberpräsidenten Bodelschwingh, die Suche zu nutzen, um den Kölner Erzbischof Droste zu Vischering zu einer kooperativen Zusammenarbeit mit staatlichen Organen zu bewegen. Er informierte ihn nicht nur eingehend über die behördlichen Maßnahmen und dankte ihm für den Hinweis, sondern ermunterte ihn darüber hinaus ausdrücklich mit einem eindeutigen Bekenntnis zu gemeinsamer christlicher Frömmigkeit, weiterhin derartige Schriften zu melden, „da ich die N o t wendigkeit im ganzen Umfange erkenne, demjenigen zu steuern, was die Religion entmündigt und von der wahren Gottesverehrung abführt". 1 2 8 Bo125 Spiegel an Ingersleben vom 27.10.1825, in: LHAK, Best. 403, Nr. 4545, S. 1 f., Zitat S. 1. 126 Die Formulierung „mit Vergnügen" ist ein guter Beleg für das warmherzige Verhältnis zwischen Oberpräsident und Erzbischof. Ingersleben an Spiegel vom 1.11.1825, in: HAEK, Generalia I 31,2. Den Segen hatte der Erzbischof als Anlage zu einem anonymen Brief vom 14.10.1825 erhalten, in dem der Verfasser über verschiedenes „abergläubisches Zeug" klagte, in: ebenda. Die Anweisung Ingerslebens an die Regierungen vom 7.11.1825, in: LHAK, Best. 403, Nr. 4545, S. 7. 127 Solche befinden sich in HAEK, Generalia I 31,2. 128 Bodelschwingh an Droste zu Vischering vom 22.11.1836, in: ebenda.
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delschwingh ging sogar noch weiter, denn als die Aachener Regierung nach Koblenz meldete, es fänden sich bei kirchlichen Festen oftmals Anschläge „des unsinnigsten dem Aberglauben Vorschub leistenden Inhalts" an den Kirchentüren und -mauern, überließ er es dem erzbischöflichen Ermessen einzuschreiten. 129 Bodelschwingh wollte offenbar bei Droste zu Vischering auch den Eindruck vermeiden, er mische sich in kirchliche Hoheitsbereiche ein. Seine Haltung ist freilich nur vor dem Hintergrund der Wallfahrtsfrage zu verstehen, hatte sich hier doch unmittelbar nach Amtsantritt des neuen Erzbischofs gezeigt, daß dieser Wallfahrten im Gegensatz zu seinem Vorgänger fördern wollte. Im April 1837 konnte Bodelschwingh dem Oberhirten schließlich hocherfreut einen Erfolg vermelden, denn die Behörden hatten alle Exemplare der Gebetszettel inklusive Drucksatz konfisziert. 130 Die Eigentümerin der verantwortlichen Kölner Druckerei, Johanna Plosina Everatz, war zu einer Geldstrafe von 30 Talern verurteilt worden, weil sie die Zettel ohne staatliches Imprimatur gedruckt hatte. Bei dieser Kontrolle rang die Verwaltung um die richtige Mischung zwischen defensiven und offensiven Zensurmaßnahmen. Die offensiven erzieherischen Maßnahmen bestanden vor allem in der Förderung genehmer Lektüre wie der protestantischen Erbauungsliteratur; hier endete die konfessionell überparteiliche Haltung des preußischen Staates. Hinter dem Sammelbegriff „Erbauungsliteratur" verbirgt sich eine Reihe ganz unterschiedlich religiös-sittlicher Werke, die ein christliches und tugendhaftes Leben fördern, zu einem praktizierenden Christentum führen sowie seelsorgerische Funktionen übernehmen sollte. Dazu zählen Gebet-, und Gesangbücher, Auslegungen biblischer Texte, Reflexionen über Probleme andächtiger Frömmigkeit, Heiligenviten sowie Trost- und Sterbebücher. 131 Auch im 129
Regierung Aachen an Bodelschwingh vom 30.11.1836, in: LHAK, Best. 403, Nr. 4545, S. 15; Bodelschwingh an Droste zu Vischering vom 28.12.1836, in: HAEK, Generalia I 31,2. Die Anregung des Oberpräsidenten blieb zwar ohne Antwort, führte aber zu intensiven internen amtskirchlichen Ermittlungen, wie die Akten des Kölner Generalvikariats dokumentieren. 130 Bodelschwingh an Droste zu Vischering vom 3.4.1837, in: ebenda. 131 Einen prägnanten Überblick gibt Friedrich Wilhelm Wodtke, Erbauungsliteratur, in: Werner Kohlschmidt/Wolfgang Mohr (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 1, Berlin 21958, S. 393^405. Problemorientiert ist Wolfgang Brückner, Thesen zur literarischen Struktur des sogenannt Erbaulichen, in: Ders. u.a. (Hg.), Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland, Teil II, Wiesbaden 1985, S. 499-507. Susanne Schedl/Dietz-Rüdiger Moser, Erbauungsliteratur, in: Klaus Weimar (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 1, Berlin/New York 1997, S. 484-488. Martin Scharfe, Das Wunder in der protestantischen Erbauungsliteratur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Walter Wiora (Hg.), Triviale Zonen in der religiösen Kunst des 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1971, S. 102-117.
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19. Jahrhundert verzichteten die neuen Ausgaben alter erbaulicher Schriften jedoch nicht immer auf das Beiwerk barocker Wundergeschichten, die sich mit ihnen ereignet haben sollten, so etwa das unversehrte Überstehen von Bränden. Bereits 1819 hatte Innenminister Kaspar Friedrich Freiherr von Schuckmann untersagt, durch besondere Hausierer protestantische Erbauungsliteratur verbreiten zu lassen, und die Kontrolle mit Ausnahme der Rheinprovinz den Ortspfarrern anheimgestellt. 132 Kolporteure erhielten vielfach spezielle Erlaubnisscheine, die ihnen eine weitgehend unbehelligte Verbreitung dieses Schrifttums gewährleisten sollten, was aber offenkundig auch zu vielerlei Mißbrauch führte. Dies dürfte ein wichtiger Grund dafür gewesen sein, daß das für die Zensur theologischer Schriften zuständige Berliner Kultusministerium 1830 kurzfristig eine Fachkommission einrichtete, die über alle protestantischen Erbauungsschriften und deren Verbreitung wachen sollte. 1 3 3 Das Ministerium etablierte damit eine zusätzliche, institutionell eingebundene Nachzensur, um die vielfach nachgedruckten Exemplare der protestantischen Bibel- und Traktatgesellschaften zu überprüfen, die im Zuge der protestantischen Erweckungsbewegung des frühen 19. Jahrhunderts enorm angewachsen waren. 1 3 4 Es hebelte damit gleichzeitig den Artikel 4 der Zensurverordnung von 1819 aus, der diese Zensur den Lokalpolizeibehörden zugewiesen hatte. Auch den 1816 gegründeten protestantischen Hauptverein zur Verbreitung christlicher Erbauungsschriften hatte die Kommission im Auge, obwohl dieser sich auf die Fahnen geschrieben hatte, „durch Erweckung wahrer evangelischer Frömmigkeit, gegen Irrthum, Schwärmerei und Aberglauben anzukämpfen, und bürgerliche Tugenden und Vaterlandsliebe zu befördern". 135 Selbst wenn sich zahlreiche hohe preußische Beamte in seinem Vorstand befanden, durften dessen Erbauungsschriften nur noch dann kostenlos verteilt werden, wenn die Fachkommission nichts einzuwenden hatte. 1 3 6 Sie wollte von allen Regierungen über die Vereine 132
Schuckmann an alle Regierungen außerhalb der Rheinprovinz vom 17.10.1819, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Innenministerium), Tit. 243, Nr. 50, Vol. 1, Bl. 92. 133 Altenstein an Ingersleben vom 27.8.1830, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7137, S. 245 f. 134 Vgl. Artikel „Traktatgesellschaften", in: Realencyclopädie für protestantische Theologie und Kirche, 3., verbesserte und vermehrte Aufl., Bd. 20, S. 53-55. Zu den Grundlagen der Erweckungsbewegung ist nach wie vor wichtig Schnabel, Deutsche Geschichte, Bd. 4, S. 297-309. 135 Comitee des Hauptvereins zur Verbreitung christlicher Erbauungsschriften an Regierung Koblenz vom 31.12.1832, in: LHAK, Best. 441, Nr. 3611. 136 Zu den Mitgliedern vgl. Nach Weisung über Einnahme und Ausgabe, gedruckte und vertheilte Schriften, Mitglieder, Wohlthäter und Tochter-Gesellschaften des Haupt-Vereins für christliche Erbauungsschriften in den Preußischen Staaten aus
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informiert werden, die protestantische Erbauungsschriften vertrieben, und forderte ein Verzeichnis der Schriften an. 1 3 7 Im Zuge dieser Anweisung hatten die rheinpreußischen Superintendenten die bei ihnen verbreiteten Schriften nach Koblenz zu melden. Das Urteil vieler Superintendenten über die Schriften fiel dabei vernichtend aus. So kam aus Simmern der Hinweis, vor allem ältere Erbauungsschriften würden gelesen, die „so leicht zum Kryptocatholicismus und zur Lieblosigkeit wie Schwärmerei und Einseitigkeit" führen würden, 1 3 8 womit auch gleich das erwünschte Ziel der Lektüre von Erbauungsschriften, die protestantische Erbauung, benannt war. Daß dies der katholischen Bevölkerungsmehrheit nicht sonderlich gefallen konnte, überrascht kaum. Und so kann es nicht verwundern, wenn Erzählungen kursierten, wonach Katholiken protestantische Erbauungsliteratur vernichteten. Um deren Wunderqualität zu prüfen, zerhackten sie angeblich ganze Wagenladungen davon, wie das wiederaufgelegte „Paradiesgärtlein" von Johann Arndt. 1 3 9 Im Oktober 1832 beendete eine königliche Anordnung schließlich die Arbeit der Kommission für Erbauungsschriften, 140 was allerdings nicht überallhin durchdrang, denn die Kölner Regierung mußte 1841 nochmals darauf hingewiesen werden, daß eine besondere Liste der Erbauungsliteratur nicht mehr nötig sei. 1 4 1 Eine handfeste Kontrolle des Kolportagemarktes war mit diesen Maßnahmen keineswegs erzielt worden, da die Kolporteure der Traktatgesellschaften offenkundig auch in der Folge ihre Erlaubnisscheine nutzten, um ungelittene Schriften zu verbreiten. Denn 1851 wies die Berliner Zentrale alle Regierungen an, dies streng zu kontrollieren, zumal Erbauungsliteratur auch nach der Revolution 1848/49 von der Stempelsteuer befreit war und somit nicht der Ortspolizei vorgelegt werden mußte. 1 4 2 Bereits die weitgehend erfolglosen staatlichen Versuche des 18. Jahrhunderts, neue aufklärerische Volkskalender zu fördern, erhellen die enge Verdem Jahre 1826, Berlin 1827, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 415, Nr. 7, Vol. 1. 137 Die Aachener Regierung fragte irritiert nach, da sie von einer besonderen Zensur zuvor nichts gehört hatte. Regierung Aachen an Ingersleben vom 23.9.1830, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7137, S. 253 f. 138 Superintendent (Simmern) an Regierung Koblenz vom 4.6.1831, in: LHAK, Best. 441, Nr. 3611. 139 Vgl. Scharfe, Wunder und Wunderglaube, S. 201. 140 Kultusminister Altenstein an Oberpräsident Pestel vom 25.10.1832, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7137, S. 413. 141 Regierung Köln an Bodelschwingh vom 2.8.1841, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7139, S. 185 f. 142 Zirkularverfügung des Ministeriums für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten, des Finanzministeriums und des Innenministeriums an alle Regierungen vom 23.1.1851, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 415, Nr. 7, Vol. 2.
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zahnung von defensiver verbietender Zensur und den sie begleitenden steuernden Schritten. 143 Die Ziele dieser volksaufklärerischen Bemühungen sind weitgehend erforscht: Tüchtigkeit, Gehorsam und Gottvertrauen, wobei immer auch gleichzeitig vor zu viel Wissen des aufzuklärenden Landmanns gewarnt wurde. 1 4 4 Die Verbreitung und Bedeutung volksaufklärerischer Lesestoffe - etwa Rudolph Zacharias Beckers bekanntes „Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute" - scheint nach neueren Forschungsergebnissen allerdings überschätzt worden zu sein, zumindest auf dem Land blieben aufklärerische Ideen bis weit ins 19. Jahrhundert von begrenzter Reichweite. 145 Obwohl sich bereits Zeitgenossen resignierend über die Wirksamkeit dieser Kalender geäußert hatten, galt die Freiburger Dissertation von Reinhart Siegert lange als richtungsweisend, welche der vor allem durch Pfarrer und Lehrer beförderten Volksaufklärung eine enorme Wirkung attestiert hatte. 1 4 6 Nach einem Topos der Zeit um 1800 war der Kalender neben erbaulicher Lektüre und Gesangbuch der wichtigste Lesestoff der ländlichen Bevölkerung und vielfach die einzige Lektüre überhaupt. 147 Diesen Umstand kalkulierten die preußischen Zensurbehörden ein, unterlagen die Kalender doch einer Spezialzensur, womit die Verwaltung die offensiven Maßnahmen mit defensiven verflocht - ein typisches Merkmal der Zensur in der ersten Jahrhunderthälfte. Eine eigens eingerichtete Kalenderdeputation wachte zunächst über diesen Lesestoff. Sie kontrollierte nicht nur alle genealogischen Nachrichten, sondern erstellte auch ein Verzeichnis aller Messen und Märkte, welche für die Kalender interessant waren. 1 4 8 Weitgehend ausgenommen von dieser Zensur - lediglich politische Inhalte wurden geprüft waren nur staatliche Kalender, die vielfach Beamte bezogen. Diese mußte das Innenministerium das gesamte Jahrhundert hindurch immer wieder ermahnen, ihre Kalender nicht zu verkaufen, da Kalenderverleger und -Verkäufer ständig darüber klagten. 1 4 9 Auch wenn sie an Bedeutung einbüß143
Vgl. dazu Hofmeister-Hunger,
Pressepolitik und Staatsreform, hier S. 119—
131.
144
Vgl. Wittmann, Der lesende Landmann, S. 155-163. Darauf hat mit guten Argumenten hingewiesen Hans Medick, Ein Volk „mit" Büchern. Buchbesitz und Buchkultur auf dem Lande am Ende der Frühen Neuzeit: Laichingen 1748-1820, in: Hans Erich Bödeker (Hg.), Lesekulturen im 18. Jahrhundert, Hamburg 1992, S. 59-94, hier S. 88 f. Vgl. auch Ursula Tolle, Rudolf Zacharias Becker. Versuch der Volksaufklärung im 18. Jahrhundert in Deutschland, phil. Diss, masch., Münster 1994. 146 Vgl. Reinhart Siegert, Aufklärung und Volkslektüre. Exemplarisch dargestellt an Rudolph Zacharias Becker und seinem „Noth- und Hülfsbüchlein". Mit einer Bibliographie zum Gesamtthema, in: AGB XIX (1978), Sp. 565-1348, hier Sp. 11471160. Zu resignativen Äußerungen vgl. Wittmann, Der lesende Landmann, S. 162 f. 147 Vgl. Schenda, Volk ohne Buch, S. 281-287. 148 Schuckmann an Ingersleben vom 9.5.1820, in: LHAK, Best. 402, Nr. 160, S. 11 f. 145
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IV. Lektüren und Zensur abergläubischen Schrifttums
ten, gehörten Kalender auch zu der Kolportageliteratur, die noch Ende des Jahrhunderts in Preußen verboten wurde (8,13%). 1 5 0
b) Die Furcht vor unerwünschter Zukunft: Weissagungen und Prophezeiungen Anders gelagert waren die staatlichen Zensurziele im Umgang mit Weissagungen und Prophezeiungen. Zwar galt das Augenmerk auch dem Wunderglauben an eine vorhersagbare Zukunft, aber viel stärker stand der variable kryptopolitische Charakter dieser Literatur im Vordergrund. Diese Zensur war daher weniger eine soziale als vielmehr eine konfessionspolitisch ausgerichtete Zensur. Zudem zielte sie stärker auf die Zukunft. Prophezeiungen waren nicht nur oft zensiertes abergläubisches Schrifttum, da sie in der Regel in gedruckter Form kursierten, sondern sie können aufgrund ihrer Verbreitung auch als besonders gut überlieferte Quellengattung gelten. Sie hatten eine lange frühmoderne Karriere hinter sich und unterschieden sich von Weissagungen vor allem durch ihren stärker religiösen Bezug. 1 5 1 Wohl auch deshalb hat Max Weber Propheten durch ihre persönliche Beziehung zu Gott gekennzeichnet gesehen, die ihnen eine charismatische Aura verliehen haben soll. 1 5 2 Prophezeiungen transportierten zyklische oder teleologische Geschichtsbilder ebenso wie christliche Endzeitvorstellungen in eine vom Fortschrittsgedanken dominierte Zeit und standen damit in einer langen Tradition christlicher Berechnungsversuche des Weltendes. 153 149 Kalender-Deputation an Ingersleben vom 26.11.1819, in: ebenda, S. 3 f.; Innenministerium an Regierung Koblenz vom 17.11.1852, in: LHAK, Best. 403, Nr. 8417, S. 11. 150 Vgl. Tabelle 1, S. 154. 151 Zur Begrifflichkeit Artikel „Propheten, Prophetie", in: LThK 3 , Bd. 8, Sp. 627-636. Artikel „Weissagung", in: LThK 3 , Bd. 10, Sp. 1047-1049. „Weissagung" ist danach der weitere Begriff, da er auch Vorhersagen menschlicher Herkunft enthalten kann, weshalb in der Regel mit Weissagungen auch die Namen ihrer Verfasser verbunden wurden. „Prophezeiungen" werden dagegen als sichere Vorhersagen von Ereignissen durch göttliche Offenbarung verstanden. Allerdings wurden die Bezeichnungen „Prophezeiung" und „Weissagung" im zeitgenössischen Sprachgebrauch synonym verwendet. Da es um Argumentationsmuster und Reaktionen geht, werden sie im folgenden nicht begrifflich auseinandergehalten. Überblicke geben Kselman, Miracles & Prophecies, S. 60-83. J. F. C. Harrison , The Second Coming: Popular Millenarianism 1780-1850, New Brunswick/New Jersey 1979. Bertrand Taithe/Tim Thornton , The Language of History. Past and Future in Prophecy, in: Dies. (Hg.), Prophecy. The Power of Inspired Language in History 13002000, Phoenix Mill u.a. 1997, S. 1-14. 152 Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 268-275. 153 Lucian Hölscher, Weltgericht oder Revolution. Protestantische und sozialistische Zukunftsvorstellungen im deutschen Kaiserreich, Stuttgart 1989, S. 27-38. Reinhart Koselleck hat dies als „statische" Zeitstruktur gekennzeichnet. Vgl. Ders.,
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Der Umgang mit Prophezeiungen war zunächst noch merklich mit den für Wunderheftchen und Gebetszetteln verbundenen sozialen Zensurzielen verknüpft. Bereits unmittelbar nach der Verwaltungsübernahme in den neuen westlichen Provinzen spürten die Behörden 1816 den lateinischen Prophezeiungen des 1773 verstorbenen Jesuiten Ricci nach, in denen nicht nur die Ankunft Luzifers auf Erden, sondern auch eine Renaissance des Jesuitenordens und eine katholische Monarchie in Deutschland vorhergesagt wurde, die preußische Regierung mithin nur als kurzes Zwischenspiel galt. Besonders stieß dem Innenministerium auf, daß diese Prophezeiung in „deutscher Sprache [...] durch Bilderkrämer heimlich auf dem Lande verbreitet" wurde, womit sich die ministerielle Stoßrichtung gegen die lesekundigen Katholiken richtete, die für die jesuitische Agitation besonders empfänglich schienen. 154 Damit räumte die Behörde ein, daß Latein als wirksamer Schutz gegen die Rezeption durch die „niederen Stände" verstanden wurde, eine Annahme, die auch Georg Conrad Horst bei der Veröffentlichung seiner Zauberbibliothek teilte, da er alle anstößigen Stellen entweder gar nicht oder aber „in lateinischer Sprache" mitteilen wollte. 1 5 5 Bei den Nachforschungen entdeckte die Regierung Koblenz jedoch nur ein einziges Exemplar dieser Prophezeiung im Amt Freusberg. 156 Nicht nur, weil in den Akten des Innenministeriums ein zensiertes Exemplar mit Anstreichungen erhalten ist, gestattet ein Zensurvorgang um die 1816 erschienene Prophezeiung „Geschichte des Neuen Propheten" einen detaillierteren Einblick in die über eine soziale Zensur hinausgehenden ministeriellen Absichten. 157 Sie ist zudem hervorzuheben, da an ihr einige typische Elemente prophetischer Literatur und des Umgangs mit ihr erläutert werden können. Eine besondere Gefahr stellte die Schrift für das Innenministerium zunächst vor allem deshalb dar, weil sie sich an den „gemeinen Mann" wandte. Eine Aktennotiz vom 5. Dezember 1816 benennt drei Motive, die anonym erschienene 40seitige Prophezeiung zu beschlagnahmen. Neben polizeilichen und politischen Gründen galt sie an erster Stelle „in Vergangene Zukunft der frühen Neuzeit, in: Ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt am Main 31984 (4979), S. 17-37, hier S. 33 f. 154 Innenministerium an Oberpräsident Solms-Laubach vom 16.3.1816, in: HStAD, Best. Oberpräsidium Köln, Nr. 753, Bl. 1. Ein Exemplar befindet sich in: ebenda, Bl. 2r-4v. 155 Horst, Von der alten und neuen Magie, S. 65. 156 Amt Freusberg an Regierung Koblenz vom 14.5.1816, in: LHAK, Best. 441, Nr. 5120, S. 15 f. 157 GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 243, Nr. 50, Vol. 1, Bl. 63-82. Der vollständige Titel lautet [ - ] , Geschichte des Neuen Propheten Johann Adam Müller, eines Landmanns auf dem Maisbacher Hofe, 2 Stunden von Heidelberg, Berlin 1816. Zu Johann Adam Müller (vermutlich 1770 - vermutlich vor 1821) vgl. HDA, Bd. 9, Sp. 82 f. 12
Freytag
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religiöser Hinsicht" als anstößig, „indem sie den gröbsten Aber- u[nd] Wunderglauben verkündigt". 1 5 8 Die „Geschichte des Neuen Propheten" besteht aus einem Reisebericht sowie einem Briefwechsel zwischen Johann Adam Müller und Friedrich Wilhelm III. Müller, der den preußischen König persönlich in Königsberg aufgesucht hatte, prophezeite 1806 eine Teilung Frankreichs, was ihm angeblich eine weiße Gestalt eingegeben hatte, die ihm wiederholt erschienen war. Müller forderte weiter den Bau eines Neu-Jerusalems und die strikte Befolgung der alttestamentarischen Prophétie Jesajas 58-64, verstand sich also als ein Sprachrohr Gottes, was er auch in den folgenden Jahren kundtat. Für Aufsehen sorgte er nämlich im Umfeld des Aachener Kongresses (1818), als er Friedrich Wilhelm III. nachreisen wollte und die rheinpreußischen Polizeibehörden in helle Aufregung versetzte. Er suchte hier abermals den direkten Kontakt zum Monarchen, um diesen vor einem erneuten Krieg zu warnen. 1 5 9 Der Württemberger blieb ferner in der prophetischen Literatur des kommenden Jahrzehnts präsent, so als 1829 anonyme Prophezeiungen und Briefe einer angeblichen Gesellschaft barmherziger Brüder mehreren protestantischen und katholischen Geistlichen in der Rheinprovinz zugesandt wurden. 1 6 0 Dem Zensor jedenfalls mißfielen die Passagen, in denen für Prophezeiungen in geradezu idealtypischer Weise Gottes Wille verkündet und bei dessen Nichtbeachtung handfeste Strafen angedroht wurden, so eine Hungersnot. 1 6 1 Das ministerielle Vorgehen gegen dieses Schrifttum war bereits im Vormärz sehr stark geleitet von der Furcht vor „Unfrieden zwischen den verschiedenen Confessionen", der durch Prognosen eines neuen Religionskrieges verstärkt werden konnte. 1 6 2 Hier hatte die Zensur einen faßlichen religionspolitischen Fluchtpunkt. Auch daß man in prophetischen Schriften 158 Aktennotiz vom 5.12.1816, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 243, Nr. 50, Vol. 1, Bl. 48r. Hervorhebung im Original. 159 Landrat und Polizeidirektor Friedrich Freiherr von Coels von der Brügghen (Aachen) an Innenminister Wilhelm Ludwig Georg Fürst zu Sayn-Wittgenstein vom 11.10.1818, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 418b, Lit. M, Nr. 1. Aus den Akten geht nicht hervor, ob Müller Aachen überhaupt erreichte und es zu einem persönlichen Treffen kam. In unmittelbarer Nachfolge Müllers traten weitere Propheten auf, die Kriege vorhersagten und als Schreckbild Napoleon am Horizont kommender Ereignisse auftauchen ließen: Georg Krafft aus dem Oberamt Neresheim (Württemberg) an Friedrich Wilhelm III. vom 18.3.1820, in: ebenda. 160 Pustkuchen an Kultusministerium vom 30.6.1829, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 IV (Kultusministerium), Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 9. Derartige Briefe erhielt ebenfalls Pfarrer Binterim in Bilk. Konzept Ingersleben an Kultusministerium vom 10.7.1829, in: LHAK, Best. 403, Nr. 4618, S. 1. 161 Vgl. [ - ] , Geschichte des Neuen Propheten, S. 14. 162 Konzept Innenministerium an Oberprâsidium (Westfalen) vom 16.9.1846, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. II Generalia, Nr. 112, Bl. 5.
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einen in religiöser Hinsicht „aufrührerischen Geist" zu erkennen glaubte, der „Ruhestörung bezweckt[e]", zeigte sich wenig später erneut, als Oberpräsident Pestel die in Hanau verlegte Flugschrift „Der Komet des Jahres 1834" in Berlin vorlegte und diese umgehend verboten wurde. 1 6 3 Doch blieb es ein gravierendes Problem, dieser Schriften habhaft zu werden und schließlich auch den Nachweis zu führen, daß Buchhändler und -Verleger gegen gesetzliche Regelungen verstießen. Die in der Koblenzer Buchhandlung Reiff erschienene Schrift „Die Kunst wahrzusagen nach Lenormand" wurde 1847 Gegenstand eines Ermittlungsverfahren, welches das polizeiliche Vorgehen in dieser Frage skizziert. Dieser Schrift beigefügt waren sogenannte Wahrsagekarten, mit denen man die Zukunft vorhersagen können sollte. Um die Wahrsagekarten zu bekommen, bediente sich das Berliner Polizeipräsidium bei seinen Ermittlungen in der Hauptstadt eines „Frauenzimmers", das die Karten ankaufte, während die verborgenen Ermittler im Hintergrund die „Contravention" registrierten. 164 Ein weiterer Punkt läßt sich mit der sogenannten Lehninschen Weissagung koppeln. Der staatliche Umgang mit ihr erhielt zunehmend offensivere Züge, die kurz vor der Revolution 1848/49 schärferes Profil gewannen. Zudem war diese Zensur stärker konfessionspolitisch motiviert. Fast schon panisch reagierte Berlin auf diese Weissagung über das königliche Haus, die im 19. Jahrhundert verschiedene Blütephasen antipreußischer und antistaatlicher Propaganda durchlief. Diese, angeblich zu Beginn des 14. Jahrhunderts von dem Abt Hermann im brandenburgischen Kloster Lehnin in hundert Hexametern verfaßt, handelt von der Mark Brandenburg und den zukünftigen Schicksalen ihrer Herrscher. Sie ist wahrscheinlich eine verschiedentlich überarbeitete, ergänzte und übersetzte Fälschung aus dem späten 17. Jahrhundert; nach allem was bekannt ist, von einem katholischen Gegner der Hohenzollern. 165 Während die ersten 75 Verse gesichert Prophezeiungen ex eventu sind, handeln die letzten 25 Verse über die Zeit seit Kurfürst Friedrich III. (seit 1701 König Friedrich I.). Sie prophezeien nach 163
Innenministerium an Pestel vom 3.5.1833, in: GStA PK, I. HA, Rep. 101D (Ober-Zensur-Kollegium), Nr. 8, Bl. 79r; Verzeichnis der seit dem Jahre 1816 verbotenen Schriften, Nr. 264,1, in: LHAK, Best. 442, Nr. 3443, S. 37. 164 Polizeipräsidium Berlin an Innenministerium vom 6.2.1847, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. II Generalia, Nr. 112, Bl. 8. MarieAnne Le Normand (1772-1843) war die bekannteste französische Wahrsagerin des 19. Jahrhunderts. Vgl. Edelman, Voyantes, S. 49-51. Kselman, Miracles & Prophecies, S. 72 f. 165 Artikel „Lehninsche Weissagung", in: HDA, Bd. 5, Sp. 1019-1023. Einen kommentierten Literaturüberblick gibt Eduard Wilhelm Sabell, Literatur der sogenannten Lehnin'sehen Weissagung, schematisch und chronologisch dargestellt, Heilbronn 1879 (propreußisch), S. 66-109, Text, S. 2-9. Franz Kampers, Die Lehninsche Weissagung über das Haus Hohenzollern. Geschichte, Charakter und Quellen der Fälschung, Münster 1897, S. 43^7. 12*
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dem Tod des elften Gliedes des Hauses Brandenburg, was zunächst auf Friedrich Wilhelm III. bezogen wurde, den Übertritt von Königshaus und Volk zum Katholizismus (Vers 93-100). Unter päpstlicher Führung sollte Deutschland dann einen katholischen König haben, für die preußischen Behörden ein Horrorszenario, das sie nicht nur dem katholischen Bevölkerungsteil vorenthalten wollten. Eduard Wilhelm Sabell zählt in seiner 1879 zusammengestellten Literaturübersicht über die Verbreitung der Lehninschen Weissagung für die Zeit zwischen 1800 und 1879 insgesamt 91 Publikationen. 1 6 6 Im Laufe des zweiten Jahrhundertdrittels gab es gerade ultramontanerseits verschiedene Umdeutungsversuche, um die prognostizierten Ereignisse dem jeweils herrschenden preußischen König anzupassen. An den letzten elf Hexametern sei die Offenheit der Prophezeiung vorexerziert: 90
95
100
„Sed populus tristis Nam sortis mirae Et princeps nescit Tandem sceptra gerit, Israel infandum Et pastor gregem Marchia cunctorum Ipsa suos audet Priscaque Lehnini Et veteri more Nec lupus nobili
flebit temporibus istis. videntur fata venire, quod nova potentia crescit. qui stemmatis ultimus erit. scelus audet morte piandum. recipit, Germania regem. penitus oblita malorum fovere, nec advena gaudet, surgunt et tecta Chorini. clerus splendescit honore plus insidiatur ovili". 1 6 7
Diese Zeilen bezogen die Zeitgenossen zunächst auf die Französische Revolution, die Napoleonische Epoche und den Vormärz. Schließlich ließen sie sich aber auch auf die Rockwallfahrt nach Trier (1844), die Revolution 1848/49 und den Kulturkampf anwenden. Die „nova potentia" (Vers 92) konnte je nach Standpunkt als eine siegreiche Revolution, eine Restitution der katholischen Kirche und des Papstes oder eine neue Staatlichkeit gedeutet werden und den preußischen Behörden in jedem Fall nur etwas höchst Unwillkommenes sein. Selbst wenn die auch in Übersetzungen oftmals schwer verständliche Form einer breiteren Resonanz entgegengestanden haben mag, so entfaltete die Lehninsche Weissagung um die Revolution von 1848/49 sowie während des Kulturkampfes in Preußen-Deutschland eine 166
Vgl. Sabell, Literatur, S. 80-109. Ebenda, S. 8. Die Übersetzung lautet: Jedoch wird das traurige Volk in jenen Zeiten weinen. Denn Geschicke eines wunderbaren Loses scheinen zu kommen, Und der Führer weiß nicht, daß eine neue Macht wächst. Schließlich führt der die Zepter, welcher der letzte des Stammes sein wird. Israel wagt eine unglaubliche Greueltat, die mit dem Tod zu büßen ist. Und der Hirte erhält die Herde, Deutschland einen König zurück. Die Mark völlig vergessend alle Leiden, wagt selbst, die ihrigen zu wärmen, und nicht der Ankömmling freut sich. Auch die alten Dächer Lehnins und Chorins erheben sich. Und nach alter Sitte erglänzt der Klerus in Ehre und der Wolf stellt nicht mehr dem edlen Schafstall nach. 167
4. Bildungs-, moral- und religionspolitische Zensur
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besondere Wirkung, sicher begünstigt durch Teilabdrucke und Übersetzungen in Tageszeitungen und Broschüren. 168 Den antipreußischen Inhalt hatte Staatskanzler Hardenberg bereits 1821 prüfen lassen, indem er die Weissagung durch den Berliner Historiker und Archivar Friedrich Wilken untersuchen ließ. Der geheimen Studie zufolge - sie wurde bis 1846 unter Verschluß gehalten - handelt es sich bei der Prophezeiung um eine Fälschung aus dem 17. Jahrhundert. 169 Da defensive Unterdrückungsmaßnahmen allein nicht mehr ausreichten, um den prophetischen Literaturmarkt und speziell die Lehninsche Weissagung zu kontrollieren, griff der preußische Staat aktiv ein, indem er die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung kurz vor der Revolution veröffentlichte. 170 Noch im Vormärz und 1848/49 hatte die Lehninsche Weissagung durch eine minimale Änderung von Vers 94 eine schlagkräftige politische Stoßrichtung erhalten, was sie brisant und gefährlich machte. Der Verfasser einer 1843 in Borken erschienenen Variante, Dr. Wenner, bekam diese staatlichen Bedenken besonders intensiv zu spüren. Er hatte den Vers 94 in „Is rex nefandum scelus audet morte piandum" abgewandelt und dem „ruchlosen" König so den Tod als Strafe vorhergesagt. Wenner wurde erstinstanzlich zu halbjähriger Festungshaft und Verlust der Nationalkokarde verurteilt, dann in zweiter Instanz jedoch freigesprochen. Auch in der Revolution selbst blieb die Weissagung ein beliebter Gegenstand politischer Agitation. Riehl stufte sie sogar als einen „wirklichen Faktor der Revolution, [...] eine bewegende Kraft in den untern Schichten des Volkes" ein. 1 7 1 Zudem bot sie nicht erst seit der Reaktionsdekade gleichfalls einen willkommenen Fluchtpunkt für verbreitete Jesuiten- und Ultramontanismusfurcht. Nicht 168
Zahlreiche Titel finden sich bei Sabell, Literatur, S. 80-109. Als Beispiel Otto Schulz, Die Lehninsche Weissagung, nebst einem Anhange über Herzog Albrecht von Preußen, Berlin 1846. Bereits 1846 hatte die Berliner Zentrale die Schrift des Jesuiten Bouverot, Merkwürdige und wunderbare Prophezeiungen des Bruders Hermann von Lehnin, verboten. Ministerialreskript vom 4.10.1846, in: LHAK, Best. 442, Nr. 3443, S. 150, Nr. 633. Daß Lehnins Name durchweg ein rotes Tuch für die preußischen Behörden blieb, davon zeugen wiederholte Verbote im 19. Jahrhundert. Vgl. F. Hermann Meyer, Bücherverbote im Königreiche Preußen von 1834 bis 1882, in: Archiv für die Geschichte des Deutschen Buchhandels XIV (1891), S. 317-349, hier S. 338 und S. 349. 169 Vgl. Adolf Hilgenfeld, Die Lehninsche Weissagung über die Mark Brandenburg, nebst der Weissagung von Benedictbeuren über Baiern. Untersucht, herausgegeben und erklärt, Leipzig 1875, S. 53 f. 170 Diese Modernität als typisches Element der Reaktion im Vergleich zur Restaurationsepoche herausgestrichen hat Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 674. 171 Vgl. Hilgenfeld, Weissagung, S. 56-64. Von der Zunahme dieses politisch eingefärbten Aberglaubens durch Prophezeiungen berichtet Riehl, Land und Leute, S. 401-410, Zitat S. 409.
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von ungefähr vermutete der Bitburger Landrat Johann Peter Sprenger, dem 1859 bei der provinzweiten Suche nach Weissagungen und Prophezeiungen ein Exemplar der Lehninschen Weissagung von dem Dudeldorfer Gendarmen Klatte eingesandt worden war, daß „diese nicht nur durch den Marktverkehr in das Publikum gekommen, vielmehr ist anzunehmen, daß dieselben durch katholische Geistliche aus den Buchhandlungen bezogen worden sind". 1 7 2 Kurz nach der Revolution von 1848/49 konfiszierten die Behörden sogar eine preußenfreundliche Interpretation der Weissagung - ein Kennzeichen dafür, wie empfindlich sie auf die Schrift reagierten. So verbot das Innenministerium am 20. Oktober 1850 eine von dem Grünberger Superintendenten Otto Wolff verfaßte und kritisch kommentierte Neuauflage der Lehninschen Weissagung. 173 Erstaunlich ist dies vor allem, weil Wolffs Schrift klare propreußische Passagen enthält, sich gegen die ultramontane und revolutionäre Ausbeutung der Weissagung wendet und Hermann von Lehnin als einen ,,Pseudo-Prophet[en]" einstuft. 174 Einen Skandal und eine intensive Diskussion löste in diesem Kontext ein Düsseldorfer Landgerichtsurteil vom 17. März 1854 aus, wonach alle Exemplare der von Ludwig von Bouverot verfaßten Widerlegungsschrift vernichtet werden mußten, 175 weil sie, so die Angabe des Düsseldorfer Polizeidirektors Wilhelm Raffel, gegen die §§ 75, 100, 101 und 135 des preußischen Strafgesetzbuchs verstieß. 176 Der der preußischen Verwaltung wohlbekannte belgische Jesuit Bouverot versuchte darin, die These Wolffs zu entkräften, die Lehninsche Weissagung sei eine pseudoprophetische Fälschung des 17. Jahrhunderts. Vielmehr behauptete er, sie sei übernatürlichen Ursprungs und solle die Protestanten in die katholische Kirche zurückführen. Besonders aufschlußreich ist dieser Vorgang, weil ein Exemplar einer nur wenige Jahre später zum Debit eingereichten Rechtfertigung Bouverots mit handschriftlichen Anstreichungen der beanstandeten Stellen in den Akten des Innenministeriums erhalten geblieben i s t . 1 7 7 Die Behörden konnten weder eine Publikation tolerieren, die 172
Sprenger an Regierung Trier vom 26.11.1859, in: LHAK, Best. 442, Nr. 3927, S. 91 f., Zitat S. 92. 173 Bekanntmachung des Innenministeriums vom 20.10.1850, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7141, S. 189. Der genaue Titel lautet Otto Wolff, Die berühmte Lehninsche Weissagung über die Schicksale der Mark Brandenburg und des Hauses Hohenzollern, deren Entstehung, Verfasser, Bekanntwerdung, Bedeutung und Inhalt, wie auch die darüber aufgestellten älteren und neueren Hypothesen, historisch beleuchtet, gewürdigt und erklärt, Grünberg 1850. 174 Vgl. ebenda, S. III und S. 123-137, Zitat S. 131. 175 Polizeidirektor Johann Franz von Falderen (Düsseldorf) an Oberpräsident Kleist-Retzow vom 18.5.1854, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7141, S. 683. 176 Raffel an Kleist-Retzow vom 11.1.1856, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7142, S. 141-145.
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sich ausdrücklich auf eine verbotene Schrift bezog, noch wollten sie die Verbotsgründe in aller Öffentlichkeit diskutieren. Den Gutachtern stachen dabei einige Passagen besonders ins Auge, die zum strengen Verbot führten. Zunächst waren dies die Textstellen, in denen die protestantische Konfession verunglimpft wurde (S. 8 f., S. 25), und sodann die Warnungen an die königliche Familie, bei Nichtkonversion zum Katholizismus einem frühen Tod geweiht zu sein (S. 21 f., S. 29). Dieser Fall wirft zudem ein bezeichnendes Licht auf das repressive System der Nachzensur, denn die katholische Düsseldorfer Verlagsbuchhandlung Engels & Lensch, bei der diese Schrift erscheinen sollte, mußte nicht nur die Auflage von 800 Exemplaren einstampfen; sie war auch einem Konzessionsentzugs verfahren ausgesetzt, das allerdings im Sande verlief. 1 7 8 Im Kulturkampf sahen viele Katholiken dann erneut die letzte Auseinandersetzung zwischen preußischem Staat und päpstlicher Kirche anbrechen, aus welcher der Katholizismus nach der Lehninschen Weissagung als Sieger hervorgehen sollte. 1 7 9 Mehrfach befaßte sich das katholische Publikationsorgan Germania 1874 mit dem Thema und sparte nicht mit Anspielungen auf Abt Hermann, die Verse 94 und 96 wurden ausdrücklich auf den Kulturkampf bezogen, was Hilgenfeld und Sabell als ultramontanes Machwerk klassifizierten. 180 Der preußische Staat sah sich im Falle der Prophezeiungen mit politischem Aberglauben konfrontiert. Wie sehr er bis in die späten 1850er Jahre noch durch die Revolution und ihre Wirkungen verunsichert war, zeigen die repressiven Maßnahmen, die eine Anzeige des Bilberather Pfarrers Wecus 1859 beim rheinpreußischen Oberpräsidium auslöste. Dieser wollte unbedingt den immer noch „auf Jahrmärkten vertriebenen, sogenannten Weis177 Das Exemplar Ludwig von Bouverot, Die stattgehabten Schicksale einer im Jahre 1853 gedruckten Schrift, betitelt: Widerlegung einer im Jahre 1850 erschienenen Schrift von Otto Wolff [...], worin derselbe die Lehnin'sehe Weissagung als ein, jeder Beachtung unwürdiges Machwerk bezeichnet. Beweise für die Wahrheit, daß diese Weissagung ein übernatürliches Document sei, welches die Bestimmung habe, die allgemeine Rückkehr der Protestanten in den Schooß [!] der katholischen Kirche herbeizuführen [...], Düsseldorf 1855, befindet sich in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 979, Nr. 7, Bl. 8r-v (innenliegend). Nach Sabell Literatur, S. 84-103, veröffentlichte Bouverot allein zwischen 1827 und 1850 elf Schriften, die sich mit der Lehninschen Weissagung befaßten. 178 Abschrift Regierung Düsseldorf an Oberpräsidium vom 19.2.1856, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 979, Nr. 7, Bl. 33. 179 Vgl. Sabell Literatur, S. 106-109. Gelegentlich aber wurde das blinde Vertrauen auf Prophezeiungen von bischöflicher Seite kritisiert. So bei Felix Dupanloup, Die in den letzten Zeiten veröffentlichten Prophezeiungen und Wundererscheinungen, Mainz 1874. 180 Vgl. Sabell Literatur, S. 56-58 und S. 106 f. Hilgenfeld, Weissagung, S. IV und S. 67 f.
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sagungen und Prophezeiungen" zu Leibe rücken und den Hausierhandel unterbinden. Er erregte neben seiner Forderung nach einer neuen gesetzlichen Regelung vor allem mit der folgenden Bemerkung die behördliche Aufmerksamkeit: „Abgesehen von dem abergläubischen, und darum unsittlichen Gehalte dieser, auf einen wenig gebildeten Leserkreis berechneten Schriften, behandeln dieselben fast alle die Schicksale des regierenden Hauses, des Vaterlandes und der Provinz, und wird, wie ich jahrelang zu beobachten Gelegenheit hatte, ihr dunkeler und nichtssagender und darum jede beliebige Auslegung zulassender Inhalt stets auf eine höchst unpatriotische Weise gedeutet".181 Wecus verband hier zwei ins Politische gewendete Elemente miteinander, die bei den Verwaltungen alle Alarmglocken schrillen lassen mußten: „einen wenig gebildeten Leserkreis" und deren durch die Lektüre hervorgerufene Illoyalität gegenüber dem preußischen „Vaterland" und dem „regierenden Haus". Die anschließenden umfangreichen Recherchen in den fünf rheinpreußischen Regierungsbezirken förderten in der Folge auf dem üblichen Verwaltungsweg über die Landräte bis hinab zu den Bürgermeistern Bemerkenswertes zutage, zumal die Regierungen ihren Stellungnahmen eine ganze Reihe konfiszierter Prophezeiungen und Weissagungen beifügte. Danach schätzten die Regierungen zwar deren Gefahren gering ein und hielten die bestehenden gesetzlichen Regelungen für ausreichend, um die „Contravenienten", wie sie die Delinquenten nannten, zu belangen. Gleichwohl sollte auf „die Beseitigung derartiger Ungehörigkeiten [...] in Zukunft polizeilich nachdrücklichst hingewirkt werden", 1 8 2 denn immerhin hatten sie doch einige Schriften entdeckt. Diese meist nur wenige Seiten starken Prophezeiungen und Weissagungen glaubten die Bürgermeister und Landräte von Hausierern auf Jahrmärkten, Straßen oder bei Kirmessen angeboten. Auch über die Zielgruppe dieser Schriften, deren „theils abergläubischer, theils unpatriotischer Inhalt dieselben zu einem keineswegs passenden Gegenstande der Lektüre für das geringer gebildete Publikum macht", war sich die Kölner Regierung durchaus im klaren. 1 8 3 Daß es sich dabei um handschriftliche Zettel handeln konnte, die in den Dörfern kursierten, wußte der Waldbröler Landrat Carl Maurer zu berichten, hatte er doch ein Exemplar einer in eigenwilliger Orthographie verfaßten Prophezeiung der berühmten Schlacht am Birkenbaum konfisziert. 184 Zu den gedruckten Veröffentlichungen zählt neben den zwölf Sybillinischen Weissagungen und 181
Pfarrer Wecus aus Bilberath [Schreibung unsicher] (Kreis Rheinbach) an Oberpräsident Adolph von Pommer Esche vom 20.7.1859, in: LHAK, Best. 403, Nr. 8313, S. 23-25, Zitat S. 23. 182 Bürgermeister aus Kreuznach an Landrat Gustav Wilhelm von Jagow (Kreuznach) vom 28.10.1859, in: ebenda, S. 51. 183 Regierung Köln an Landrat Franz Wülffing (Siegkreis) vom 21.10.1859, in: HStAD, Best. Landratsamt Siegkreis, Nr. 288, Bl. 12r.
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den im Rheinland verbreiteten Prophezeiungen des Lügenbähns 185 auch die Lehninsche Weissagung. Der Landrat Karl von Sandt zeigte eine Prophezeiung auf das Jahr 1860 an, die in allen Bonner Buchhandlungen mit großem Erfolg für zwei Silbergroschen verkauft wurde. 1 8 6 Die 24seitige Oktavschrift bot eine Zusammenstellung, so der Herausgeber in einer kurzen Einleitung, der „Traditionen im Volksmunde" und verwob die Lebensgeschichte und Prophetien des Ehrler Knechtes Johann Peter Knopp mit den Vorhersagen des Lügenbähns. Typisch sind dabei die Passagen, in denen die später eingetroffenen Prophetien Knopps angefühlt werden, um den noch ausstehenden Prognosen größere Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die Schrift enthält freilich keine konkreten Aussagen für das Jahr 1860, sondern nur allgemeine Voraussagen, bei denen es sich im wesentlichen um Kriegsprognosen, konfessionelle Konflikte und, mit einem Konfessionskrieg unmittelbar gepaart, die deutsche Einheit handelt. Daß die Behörden die Prognose einer Dominanz der katholischen über die protestantische Konfession nicht tolerierten, ist kaum überraschend. Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, mit der diese einträfen, schildert der Herausgeber und Verleger Aloys Krumscheid den katholischen Knecht Knopp als gläubigen und fleißigen, aber armen rheinischen Landsmann, der den Klostersturm und die preußische Besitznahme des Rheinlandes ebenso verkündet hatte wie die Einführung der Dampfschifffahrt und der Eisenbahnen (S. 6 f.). Angeführt wird mit der Linzer Witwe Rhonig sogar eine Zeitzeugin, welche die Vorhersagen noch persönlich bestätigen konnte (S. 10). Daneben gibt es aber auch eingetroffene Prophetien von lokaler, für die betroffene Gemeinde einschneidender Reichweite, wie den Verkauf des Linzer Kirchspielwalds, den Knopp in den 1770er Jahren 184
Abschrift der konfiszierten Prophezeiung, in: LHAK, Best. 403, Nr. 8313, S. 45 f. Dazu aus volkskundlicher Sicht Wilhelm Βrepohl, Die Überlieferung von der Schlacht am Birkenbaum - heute, in: Harmening u.a., Volkskultur und Geschichte, S. 484-503. 185 Johann Bernhard Rembold (vermutlich 1689-1783), genannt Spiel- oder Lügenbähn, war ein Spielmann in der rheinischen Grafschaft Mark, der zahlreiche Schlachten und Kriege vorhersagte. Vgl. LHAK, Best. 708, Nr. 64 (Zeitungsausschnittsammlung). Artikel „Weissager" in: HDA, Bd. 9, Sp. 358-387, hier Sp. 383 f. 186 Aloys C. Krumscheid (Hg.), Prophezeihungen [!] auf die Jahre 1860 und folgende. Als Mahnung für unsere verhängnißvolle Zeit. I. Des Johann Peter Knopp von Ehrenberg (genannt Jannes=Pitter Körper von Ehrl) Geschicke und Gesichte, nebst andern Aussagen auf unsere Tage, 3., berichtigte und vermehrte Aufl., Linz am Rhein 1859. Regierung Köln an Oberpräsident Pommer Esche vom 17.12.1859, in: LHAK, Best. 403, Nr. 8313, S. 41^44, hier S. 42. Die Prophezeiung befindet sich in: ebenda, S. 57 f. (innenliegend). Johann Peter Knopp von Ehrenberg (17ΜΙ 794), auch Jannes=Pitter Körper, war Knecht zu Ehrl in der Nähe von Linz am Rhein. Die folgenden Seitenzahlen im Fließtext beziehen sich auf die Linzer Prophezeiung.
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IV. Lektüren und Zensur abergläubischen Schrifttums
vorhergesagt haben sollte und der zwischen 1835 und 1837 tatsächlich eintraf (S. 14 f.). Dies gewann dadurch einen breitenwirksamen Stellenwert, daß im Vormärz zahlreiche Gemeinden ihre Allmenden verkaufen mußten und es sich somit um ein allgemeineres Phänomen handelte. Krumscheid strich in seiner Zusammenschau Ereignisse heraus, welche die Zeitgenossen besonders bewegten, die von ihnen als erstaunliche und einprägsame, ja revolutionäre Veränderung empfunden worden waren - all das, was ihnen in besonders guter wie schlechter Erinnerung geblieben war. Gleichzeitig hob er damit die Bedeutung der noch ausstehenden prognostizierten Ereignisse und die Wahrscheinlichkeit ihres Eintreffens hervor, allen voran die rückwärtsgewandte Wiedervereinigung der Kirche unter katholischer Führung, die überaus geschickt mit der Hoffnung auf eine deutschen Nation verbunden wurde. Auch die Trierer Regierung hielt in ihrer Antwort auf die Anordnung des Oberpräsidiums zwar besondere Gesetze nicht für nötig, 1 8 7 hatte aber von den Landräten des Bezirks verschiedene Gelegenheitsschriften erhalten, die ebenso in den Akten überliefert sind wie die Stellungnahmen der Landräte. Auch wenn die Beamten vor Ort zunächst keine derartigen Schriften aufspüren konnten, so urteilten sie doch aus ihrer verwaltungspraktischen Erfahrung heraus wie der Bernkasteler Landrat Julius Wiethaus, der bilanzierte, wenn „mir darüber auch bis jetzt noch keine Anzeige zugegangen ist, so weiß ich es doch äußerlich, daß in einigen Gemeinden des Hundsrückens Schriften der in Rede stehenden Art Verbreitung gefunden haben [...], ohne daß ich bisher ermitteln konnte, auf welche Art und Weise".188 Die Vermutungen und Ahnungen der Beamten bestätigten sich jedoch auch. In Saarlouis ließ die Regierung 50 bereits verkaufte Exemplare einer Prophezeiung sicherstellen, nachdem der zuständige Landrat dies gemeldet hatte - und das, obwohl ein Beamter am Rand des Berichts notierte: „enthält durchaus nichts Unpatriotisches". 189 Ins Untersuchungszentrum der Trierer Regierung rückte wieder der Ottweiler Pfarrer Johann Anton Joseph Hansen, dem der protestantische Bürgermeister des Orts, Bötticher, 1859 vorwarf, „in hiesiger abergläubischer Gegend [...] derartige Broschüren 187
Regierung Trier an Oberpräsidium vom 15.2.1860, in: LHAK, Best. 403, Nr. 8313, S. 61-65. 188 Wiethaus an Regierung Trier vom 7.12.1859, in: LHAK, Best. 442, Nr. 3927, S. 63-65, Zitat S. 64. 189 Der vollständige Titel lautet [-], Die denkwürdigsten Prophezeihungen [!] der jungen Somnambüle Iphigenia Stradella auf die Jahre 1859-65, durch welche die Folgen des raschen Friedens enthüllt werden, Tübingen 2185 8. Landrat Friedrich von Selasinsky (Saarlouis) an Regierung Trier vom 9.11.1859, in: ebenda, S. 83 f.; Regierung Trier an Oberpräsidium vom 15.2.1860, in: LHAK, Best. 403, Nr. 8313, S. 61-65.
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[...] selbst zu fabriziren". 1 9 0 Gemeint war damit die 1854 bereits in zweiter Auflage bei Franz Alois Gall in Trier erschienene Schrift „Der Morgenstern". 1 9 1 Hansen hatte in seiner Schrift, die sich aufgrund ihres Umfangs von den anderen prophetischen Veröffentlichungen unterschied - was einer weiteren Verbreitung sicher entgegenwirkte - , mehrere Weissagungen aufgegriffen und zusammengestellt, um sich mit der näheren politischen Zukunft Frankreichs, einer deutschen Einigung sowie der Wiedervereinigung der christlichen Konfessionen nach der Revolution von 1848/49 zu befassen. 1 9 2 Des schmalen Grades zwischen „Aberglauben" und „Unglauben", auf dem er wandelte, war er sich selbst bewußt, als er sich davon überzeugt gab, daß in vielen Weissagungen ein wahrer Kern stecke. 193 Da in dem in den Akten erhaltenen Exemplar keine Anstreichungen vorhanden sind, kann man nur mutmaßen, was der Trierer Regierung an Hansens Prophezeiung mißfiel; gewiß konnte sie hier mühelos all das entdecken, was den Pfarrer Wecus zu seiner Anzeige veranlaßt hatte. Ins Auge stechen in jedem Fall politische Spekulationen über einen zukünftigen Krieg und die Zukunft des Deutschen Bundes, der mit einem Sieg der katholischen Vormacht enden sollte, da die von Hansen erläuterten Prophezeiungen - so auch die Lehninsche Weissagung - eine Vereinigung der Konfessionen im katholischen Sinne voraussagten. 194 Zu einem politischen Fanal in Hansens Schrift wurde die Herrschaft Napoleons III. Hansen suchte nach Bezügen zur Wiederkehr Napoleon Bonapartes, und wichtig war dabei auch die Französische Revolution von 1789. 1 9 5 Wie sehr Napoleon die Gemüter bewegte, zeigt, daß die Trierer Regierung zudem eine Prophezeiung konfiszierte, die angeblich von dessen Geist stammte. So hatte der Korse während einer spiritistischen Sitzung in Washington seine Rückkehr auf den französischen Thron und seine erneute Herrschaft über Europa angekündigt. 196 Alter und 190
Bötticher an Landratsamt Ottweiler vom 21.11.1859, in: LHAK, Best. 442, Nr. 3927, S. 101. 191 Johann Anton Joseph Hansen, Der Morgenstern der religiösen und politischen Wiedergeburt Deutschlands, oder prophetische Stimmen über unsere Gegenwart und Zukunft, kurz zusammengestellt, 2., vermehrte und verbesserte Ausgabe, Trier 1854 (^lSSO). Ein Exemplar der Schrift befindet sich in: ebenda, S. 237-314. Allerdings scheint diese Schrift kaum verkauft worden zu sein, wie der Trierer Buchhändler und Verleger Gall auf Befragung der Polizeibehörde angab. Polizeidirektion Trier an Regierung Trier vom 10.12.1859, in: ebenda, S. 100. Zu Gall Heinz Monz, Ludwig Gall. Leben und Werk, Trier 1979, S. 13 f. 192 Vgl. Hansen, Morgenstern, S. 10. 193 Ebenda, S. 5. 194 Vgl. ebenda, S. 63. 195 Vgl. ebenda, S. 15. 196 H , Napoleons I. Rückkehr. Eine Botschaft aus der Geisterwelt, so in der Stadt Washington am 14. und 16. Jan[uar] 1854 in Gegenwart mehrerer Zeugen vom Geiste Napoleons verkündet wurde, Oldenburg 1854. Ein Exemplar befindet
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neuer Aberglauben - Prophetie und Spiritismus - suchten und fanden hier in der Person Napoleons den Schulterschluß und transportierten eine kaum verhüllte politische Botschaft. Gleichzeitig schlugen sich die kriegerischen Ereignisse der 1850er Jahre in einer Prophezeiungskonjunktur faßlich nieder. Der Krimkrieg (1853-1856) und wenig später auch der italienische Einigungskrieg machten den Zeitgenossen einmal mehr bewußt, wie sehr die restaurative europäische Ordnung wieder in Bewegung geraten war, weshalb Zukunftsdeutungen ernst genommen wurden. Dabei war es keineswegs zufällig, daß gerade die Erinnerung an Napoleon dabei eine wichtige Rolle spielte, war er doch derjenige, der die alte Ordnung maßgeblich zerstört hatte. Die weitaus meisten Prophezeiungen beschäftigten sich auch danach mit dem Vorhersagen von Kriegen, die in der vieldiskutierten Entscheidungsschlacht am Birkenbaum in Westfalen einen Gipfel fanden. Schon 1900 hatte die Kölnische Volkszeitung über abergläubisches Schrifttum geklagt, wozu sie auch „mehr oder minder läppische Prophezeiungen" rechnete, die Kriege vorhersagten. Wichtig schien dabei, daß es sich um ein Symptom „der weit über kirchliche Kreise hinausreichenden krankhaften Sucht unserer Zeit nach dem Außerordentlichen, Sensationellen, Wunderbaren" handle. Die Zeitung nahm Staat und Kirche in die Pflicht, diese Tendenzen zu kontrollieren. 197 Die Birkenbaumprophezeiung geriet 1870/71 zunächst bedingt, 1914 dann aber endgültig zur Weltkriegsprophezeiung par excellence, mit der sich zahlreiche Autoren auch noch während des Kriegs befaßten, und zwar mit behördlicher Genehmigung. 198 Damit wurde vermutlich vor allem das Ziel verfolgt, den Glauben an eine Entscheidungsschlacht mit den Gegnern des Ersten Weltkriegs auf deutschem Boden auszuräumen, den Albert Hellwig in seiner im Ersten Weltkrieg angefertigten Schrift über den Zusammenhang von Aberglauben und Krieg vor allem sich in: LHAK, Best. 442, Nr. 3927, S. 223-235. Napoleon I. und sein Neffe dominierten in den den 1850er und 1860er Jahren die kryptopolitische Prophezeiungsliteratur. Vgl. beispielsweise [ - ] , Die Bedeutung des merkwürdigen Cometenjahres 1860. Höchst wichtige Prophezeihungen [!] auf die Jahre 1860-1865 oder die Zukunft Europas, namentlich Deutschlands sowie das Ende Napoleons III., Augsburg 1860. Ein Exemplar befindet sich in der Bayerischen Staatsbibliothek München unter der Signatur Phys.m.l7c. 197 Zeitungsausschnitt aus der Kölnischen Volkszeitung vom 17.10.1900, 1. Bl., in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 IV (Kultusministerium), Sekt. 1, Abt. XXVI, Nr. 1, Vol. VII. 198 Vgl. etwa Max Kemmerich, Prophezeiungen. Alter Aberglaube oder neue Wahrheit? 2., verbesserte und vermehrte Aufl. mit einem Kapitel über den Weltkrieg, München 1916. Ein Exemplar befindet sich in der Staatsbibliothek Berlin unter der Signatur Na 24812. Friedrich Zurbonsen, Die Prophezeiungen zum Weltkrieg 1914-1915, Köln 1915. Artikel „Schlachtenbaum", in: HDA, Bd. 9, Nachtrag, Sp. 199-215, hier Sp. 211-215.
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in einer besonderen „Gefühlslage" begründet sah. 1 9 9 Hinzu kommt sicher auch, daß viele aus der Erfahrung des 19. Jahrhunderts heraus an der Vorstellung von einer klassischen Entscheidungsschlacht festhielten, wie es sie zuletzt - bereits mit gewissen Einschränkungen - 1870 in Sedan gegeben hatte. Die Prophezeiung von der kriegsentscheidenden Schlacht am Birkenbaum stammt mit großer Sicherheit aus dem frühen 18. Jahrhundert und hängt vermutlich mit dem Nordischen Krieg zusammen. Der Glaube an sie verband sich mit der Angst, daß alle Feinde sich zu einer schweren Schlacht auf deutschem Boden einfinden würden. Vor diesem Hintergrund ist der große Aufwand zu verstehen, mit dem Fritz Rohr mitten im Weltkrieg nachzuweisen versuchte, daß es sich bei der Birkenbaumprophezeiung um kein „Vorgesicht" handle und kein Grund bestünde, sie für wahr zu halten. 2 0 0 Insgesamt kann die Dominanz der Kriegsthematik in Prophezeiungen nur wenig überraschen, da es seit der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert hinein keine Generation gab, die nicht mindestens einen größeren Krieg erlebt hatte. Ebensowenig verblüffend ist, daß dem preußischen Staat viel daran lag, gegen einen determinierten Glauben an Krieg und Entscheidungsschlachten vorzugehen, nicht nur weil danach eine Schlacht auf deutschem Boden drohte, sondern auch weil über Kriege immer noch im politisch-militärischen Arkanbereich entschieden wurde. Gerade Prophezeiungen und Weissagungen blieben dem Verwaltungsstaat das gesamte 19. Jahrhundert hindurch ein Dorn im Auge, konnte er es doch nicht zulassen, daß sich Zukunftsannahmen ausbreiteten, die nicht von seiner, sondern von übersinnlicher Seite vorherbestimmt waren. In ihnen verwoben sich unzulässig preußenfeindliche Zukunftsprognose und Vergangenheitsdeutung miteinander. So wie aus der deutschen Geschichte der zukünftige Beruf Preußens in Deutschland herausgelesen wurde, so unterwarf der Staat mißliebige Zukunftsentwürfe katholikenfreundlicher Prophezeiungen und Weissagungen einer scharfen Kontrolle. Die ganz überwiegend auf den „gemeinen Mann" oder die „unteren Volksklassen" berechneten Gelegenheitsschriften galten den Behörden vor allem deshalb als abergläubisch, weil sie die Zukunft determinierten und staatlichem Handeln entzogen. Aberglauben gewann damit eine für die Behörden gewichtige politische Dimension, die es im Auge zu behalten galt; Zensur als Aufklärung und politische Repression griffen hier nahtlos ineinander.
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Hellwig, Aberglaube und Weltkrieg, hier S. 19. Fritz Rohr, Die Prophezeiung von der Entscheidungsschlacht des Europäischen Krieges am Birkenbaum u. andere Kriegsprophezeiungen. Neue Beiträge zu ihrer Deutung und zur Untersuchung ihres Wahrheitsgehalts, Bocholt 1917, S. 133. Ders., Die Geschichte Deutschlands, seiner Verbündeten und seiner Feinde im Lichte alter Prophezeiungen. Neue Untersuchungen über Weltkriegsprophezeiungen [...], Essen 1918. 200
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IV. Lektüren und Zensur abergläubischen Schrifttums
5. Amtskirchliche Strategien im Umgang mit abergläubischem Schrifttum Katholische Zensur verbindet man heute in erster Linie mit dem berühmt-berüchtigten römischen Index der verbotenen Bücher, der alle zwanzig bis dreißig Jahre bereits publizierte Druckerzeugnisse indizierte. 201 Weniger ins Blickfeld der Forschung gerät dagegen die Zensur veröffentlichter Gelegenheitsschriften wie Ablaß- oder Gebetszettel, die in gedruckter und handschriftlicher Form verbreitet werden konnten. Der katholischen Amtskirche oblag auch im 19. Jahrhundert die Zensur jeder katholischen Literatur, die sie mit einer „Approbation" ausstatten mußte. 2 0 2 Dies war zunächst aufgrund des Artikels 5 des preußischen Zensuredikts von 1819 verbindlich geregelt, behielt aber während des repressiven Systems der Nachzensur gleichfalls Gültigkeit, auch wenn die katholische Literatur zugleich immer Objekt staatlicher Zensur blieb. 2 0 3 Die Initiativen zu Verboten und zur Kontrolle des Gelegenheitsschrifttums gingen dabei jedoch nicht in allererster Linie von der katholischen Kirchenbehörde oder der staatlichen Verwaltung aus. Wie bei anderen religiösen Abweichungen oder Formen populärer Frömmigkeit kam der Pfarrgeistlichkeit eine zentrale Funktion zu. Zumeist war sie es, die abergläubische Gelegenheitsschriften den zuständigen Generalvikariaten anzeigte, sich über deren Approbation erkundigte oder über deren Verbreitung sowie die Rezeption durch ihre Gemeindemitglieder klagte. Die Pfarrgeistlichen waren nicht nur im Vormärz ein wichtiges Element einer Nachzensur, welches die Grenzen der bis zur Zensurreform der frühen 1840er Jahre durchgeführten staatlichen Vorzensur für die Rheinprovinz einmal mehr verdeutlicht. Die kirchlichen Behörden mahnten bei den zuständigen Ortsgeistlichen Stellungnahmen an und ließen sie Vorgänge überprüfen, um sich ein genaueres Bild über das Ausmaß der verbreiteten Broschüren und Heftchen zu 201
Vgl. Herman //. Schwedt, Der römische Index der verbotenen Bücher, in: HJB 107 (1987), S. 296-314. Wichtigste Monographie dazu ist nach wie vor Franz Heinrich Reusch, Der Index der verbotenen Bücher. Ein Beitrag zur Kirchen- und Literaturgeschichte, 2 Bde., Bonn 1883-1885. Über die Auswirkungen kirchlicher Zensur informiert Christoph Weber, Kirchengeschichte, Zensur und Selbstzensur. Ungeschriebene, ungedruckte und verschollene Werke vorwiegend liberal-katholischer Kirchenhistoriker aus der Epoche 1860-1914, Köln/Wien 1984, vor allem S. 127-147. Vgl. auch Schneider, Katholiken auf die Barrikaden?, hier S. 85-94. 202 Der Artikel „Bücherzensur", in: LThK 2 , Bd. 2, Sp. 741-744, benennt außer dem Index der verbotenen Bücher zwölf Gruppen von Büchern, die nach kirchlichem Recht verboten werden mußten, wozu auch „den Aberglauben in irgendeiner Form empfehlende od. lehrende Bücher" zählen (Sp. 743). 203 Bitter beklagt dies Johann Baptist Baltzer, Preßfreiheit und Censur mit Rücksicht auf die Trierer Wallfahrt und den doppelten Anklagezustand der schlesischen Tagespresse, Breslau 1845.
5. Amtskirchliche Strategien
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verschaffen. Im Unterschied zur Überprüfung wunderbarer Erscheinungen oder absonderlicher Ereignisse schickte das Generalvikariat freilich keine Spezialisten an den Ort der Geschehnisse, da das Corpus delicti in der Regel vorlag und es nur noch darum ging, der abergläubischen Gelegenheitsschriften habhaft zu werden. Als der rheinpreußische Oberpräsident 1836 abergläubische Bekanntmachungen an den Aachener Kirchentüren und -mauern meldete, veranlaßte Erzbischof Droste zu Vischering intensive Ermittlungen, indem er den Stadtdechanten und Stiftsprobst Johann Matthias Ciaessen zu einer detaillierten Stellungnahme aufforderte. Ciaessen ordnete daraufhin an, nach solchen Zetteln zu suchen, und rief sämtliche Pfarrer seines Dekanats zu einer Versammlung zusammen. Die Aachener Stadtgeistlichkeit wies in dieser Versammlung jede Verantwortung von sich und wußte auch von keinen Zetteln an ihren Kirchentüren oder -mauern, die „dem Aberglauben Vorschub" leisten sollten. Vielmehr schob sie den Schwarzen Peter für gelegentlich an Privathäusern anzutreffende Ablaßoder Gebetsheftchen der lokalen Polizei und Verwaltung zu. Die Aachener Pfarrer gaben an, lediglich zu besonderen Anlässen seien an den Kirchentüren Zettel zu finden, jedoch seien diese dann - so die etwas vage Formulierung - „von der hohen geistlichen Oberbehörde ihrer Form u. ihrem Inhalte nach zur Zeit genehmigt" worden, was sich durchaus auf eine länger zurückliegende „Approbation" beziehen konnte. Ciaessen betonte dagegen in seinem Bericht an den Erzbischof, seine Pfarrer bereits 1826 verpflichtet zu haben, auf Ablaßzettel an den Kirchentüren zu achten und gegebenenfalls dagegen vorzugehen. 204 Die Kirchentüren und die Kirche selbst blieben neben Wallfahrtsorten, Wirtshäusern, Jahrmärkten und Kirchweihfesten bevorzugte Orte für die Verbreitung abergläubischen Schrifttums. Hier konnte man sich sicher sein, Abnehmer zu finden. Diese Verbreitung geschah oftmals heimlich wie im September 1826, als in Berlin mehrere abergläubische Hefte am frühen Sonntagmorgen nicht nur vor Privathäusern gefunden, sondern auch unter der Tür der St. Katharinenkirche durchgeschoben worden waren. 2 0 5 Hinter der Prüfung abergläubischer Zettel und Broschüren durch die Pfarrgeistlichkeit stand zweifellos mehr als nur die Kontrolle katholischer Literatur, hier galt das Augenmerk eben auch einer 204
Ciaessen an Droste zu Vischering vom 17.1.1837, in: HAEK, Generalia I
31,2.
205
Auszug aus Polizeibericht für Brandenburg für September 1826, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. II Generalia, Nr. 17, Vol. 1, Bl. 23. Bei den mit erfundenen Druckorten erschienenen Schriften handelte es sich um A. Christina Gorius, Klage gegen die Päbste und römische Curie, viele päbstliche Priester, Aberglauben und Mißbräuchen. Alles aus göttlichem Triebe geschrieben, Germanien 1822, sowie [ - ] , Der Schlüssel zur Offenbarung von Jesus Christus aufgeschlossen und entsiegelt, Philadelphia, den 12. August 1825, Laodiceae 1825. Exemplare befinden sich in: ebenda, Bl. 29 und Bl. 30 (jeweils innenliegend). Zu Gorius vgl. Hoffmann, Aberglaube und religiöse Schwärmerei.
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IV. Lektüren und Zensur abergläubischen Schrifttums
als mangelhaft empfundenen religiösen Bildung, wie der kommissarische Neusser Pfarrer Johann Peter Brender 1847 einem Schreiben an das Kölner Generalvikariat hinzufügte. 206 Die Generalvikariate in Köln und Trier nutzten die Existenz abergläubischer Gelegenheitsschriften, um die Pfarrgeistlichen anzuweisen, die Gläubigen ihrer Pfarrei zum rechten katholischen Glauben anzuhalten und in den Predigten auf das Abergläubische der kursierenden, veralteten katholischen Erbauungsbücher sowie der Gebets- und Ablaßzettel aufmerksam zu machen. Jedoch ging das Kölner Generalvikariat zugleich selbstverständlich davon aus, daß der Pfarrklerus gegen abergläubische Gebetszettel einschritt, wie sich 1851 zeigte: Trotz einer dringenden Bitte des Ponsrather Pfarrers Einmüller verzichtete es darauf, die Diözesangeistlichkeit ausdrücklich zu ermahnen, weil man felsenfest davon überzeugt war, dies gehöre „zur normalen Aufgabe der Geistlichkeit". 2 0 7 Ablaßzetteln stand die Kölner Kirchenführung aus mehreren Gründen ablehnend gegenüber, wie sich 1867 und 1868 zeigte, als der Redemptoristenorden Ablaßkreuze und Rosenkränze mit erläuternden Zetteln „Ablässe und Weihen der s.g. Altöttinger=, sowie auch der Sühnungs=Kreuze" in der Rheinprovinz verbreitete. Zahlreiche Pfarrgeistliche der Dekanate Jülich, Erkelenz, Geilenkirchen und Krassenberg hatten in jenen Jahren eine größere Anzahl der Ablaßkreuze und -zettel erstanden, worüber Pfarrer Lampen aus Mündt lautstark klagte. 2 0 8 Problematisch schien dem Generalvikariat weniger die Verbreitung der Ablaßkreuze an sich als vielmehr die Annahme, der darauf verliehene Ablaß sei „weit gnadenvoller und namentlich für kranke, arbeitende, in der Zeit gedrängte, oder zum mündlichen Gebete weniger aufgelegte oder auch damit bereits überladene Personen weit bequemer". Dies ließ es Pfarrer Wilhelm Arnold Schrammen in Birgelen wissen, der sich haufenweise mit Kreuzen eingedeckt hatte. 2 0 9 Indes lagen auf der anderen Seite die Nachteile einer Belehrung in den Predigten offen auf der Hand, denn damit machten die Pfarrgeistlichen erst auf die verbotenen Zettel aufmerksam. Der Bedburdycker Pfarrer Hermann Matthias Heggels äußerte sich 1847 gegenüber seinem Dechanten über die Grenzen von Belehrungen. Sein Vikar hatte die Kirchgänger auf einen unmittelbar vor dem Gottesdienst verkauften „abergläubischen Zettel-Traum der h. Maria" hingewiesen, der dann tatsächlich auch nicht mehr auftauchte, dafür aber eine „schöne Offenbarung, so der Herr den h.h. Frauen Elisabeth, Brigitta und Mechtildis mündlich 206
Brender an Generalvikariat vom 23.6.1847, in: HAEK, Generalia I 31,2. Randbemerkung zu einem Schreiben Pfarrer Einmüller (Ponsrath) an Generalvikariat vom 26.11.1851, in: HAEK, Generalia I 31,2. 208 Lampen an Generalvikariat vom 18.3.1867, in: ebenda. 209 Generalvikariat an Schrammen vom 9.4.1867, in: ebenda. Zu den Redemptoristen Weiss, Redemptoristen. 207
5. Amtskirchliche Strategien
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offenbart h a t " , 2 1 0 die offensichtlich auch gerne gekauft wurde. Ging es nach den Generalvikariaten, so mußten Gebetszettel schon allein deshalb verboten werden, weil die Vernunft es ausschloß, an deren direkte, auf materielle oder lebensweltliche Zwecke abzielende Wirkung zu glauben. Hinzu kam, daß die geistlichen Behörden protestantischem Spott vorbeugen wollten. Die Ängste vor konfessionell motivierter Häme hielten sich in katholischen Kreisen bis ins 20. Jahrhundert. Die Lehrerin Louise Greven aus Köln hatte im September 1914, sensibilisiert durch einen Artikel der Volkszeitung, einen „wundertätigen Gebetszettel" in der Kirche vor den Augen der Verteilerin zerrissen und war dafür von mehreren Gottesdienstbesuchern bedroht worden. Sie zeigte dem Generalvikariat nicht nur an, daß bei fast jedem Gottesdienst derartige Zettel verteilt würden, sondern erläuterte überaus besorgt ihre Motivation, sich dem aktiv entgegenzustemmen: „Der Gedanke, daß diese Zettel imstande sind, in den Augen Andersgläubiger unserer Religion Ansehen sehr zu schädigen, drängte mich besonders". 211 Die geistlichen Behörden hatten sich auf mehreren Ebenen mit traditionellen, nicht mehr zeitgemäß empfundenen Bezügen zur Frühen Neuzeit auseinanderzusetzen, die ihnen in Gebets- und Ablaßzetteln begegneten. Zahlreiche vermutlich Anfang des 19. Jahrhunderts aus Anlaß einer Mission in Konfeld (Bistum Trier) konfiszierte Beschwörungshefte, Diebssegen sowie Gebetszettel verweisen darauf, daß diese Literatur vielfach noch handschriftlich weitergereicht wurde. 2 1 2 Erwies sich die Kontrolle des Gelegenheitsschrifttums vor dem Hintergrund des expandierenden literarischen Markts ohnehin schon als besonders schwierig, weil die in der Frühen Neuzeit vielfach arbeitsteilig zwischen den weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten organisierte Zensur durch die Säkularisierung überlebt war, 2 1 3 so steigerte die handschriftliche Verbreitung die Probleme noch. Hier ließen sich deutlich weniger Erkenntnisse über Verfasser, Vermittlungswege und auch 210 Heggels an Landdechant Johann Heinrich Leuffen (Dekanat Neuss) vom 2.8.1847, in: HAEK, Generalia I 31,2. Hervorhebung im Original. 211 Greven an Generalvikariat vom 7.9.1914, in: ebenda. 212 Diese befinden sich in BAT, Best. 71,43, Nr. 1-8. In einem 1942 angelegten Inhaltsverzeichnis vermutet der unbekannte Verfasser das frühe 19. Jahrhundert als Zeitraum der Beschlagnahmung. Auf diesen Zeitraum deutet auch ein auf den 6.6.1824 datierter, weitestgehend unleserlicher Brief aus Pellingen hin, der sich im Faszikel befindet. Diese Quellen, über deren Herkunft, Verbreitung und Rezeption nichts weiter bekannt ist, dienen Labouvie, Verbotene Künste, S. 90 f., S. 114-122, S. 132, S. 135, S. 138-140, S. 272, S. 310 f., S. 355, immer wieder als Beleg für ihre These eines volksmagischen Systems, ohne daß sie quellenkritische Einschränkungen vornimmt. 213 Das gilt freilich lediglich für die kleineren reichsunmittelbaren und nicht für die kurfürstlichen Territorien. Vgl. Schlögl Glaube und Religion, S. 73-80, der insgesamt zu Recht den Wandel und die geänderte Bewertung barocker Frömmigkeit im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert betont. 13
Freytag
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IV. Lektüren und Zensur abergläubischen Schrifttums
Verbreitung gewinnen. Daß amtskirchliche Verbote zunächst mit der Unterdrückung vormals reichsunmittelbarer Privilegien einhergehen konnten, zeigte sich 1825, als die Aachener Regierung Erzbischof Spiegel anzeigte, in Cornelimünster verteile man sogenannte Corneliuszettel. Der Schutzheilige Cornelius der dortigen Pfarrkirche und vormaligen Benediktinerabtei sollte Epilepsiekranke heilen, wozu allerdings bestimmte Bedingungen zu erfüllen waren, welche die geistliche Behörde stark verärgerten. Einen ohne Druckort und -datum verfaßten Zettel hatte die Aachener Regierung ihrem Schreiben beigefügt. Von unbekannter Hand vorgenommene Anstreichungen geben präzisen Aufschluß über das, was das Generalvikariat als anstößig empfand. 214 Dies waren keinesfalls die zweifelhaften medizinisch-therapeutischen Anweisungen, sondern vielmehr die Aufforderung zur Bettelei zugunsten der ehemaligen Abteikirche Cornelimünster. Eine erzbischöfliche Anordnung an das Generalvikariat löste anschließend eine geheime Untersuchung aus, „ob der Pfarrer in cornely Münster oder andere Geistliche daselbst oder in der Umgegend" an „verdächtigem gewerbe" mit „habsucht" beteiligt seien. 215 Dieses Anliegen des Oberhirten fügte sich nahtlos in andere Versuche ein, seinen Diözesanklerus zu angemessenem Verhalten zu erziehen. Die Nachforschungen führten schließlich dazu, daß Pfarrer Franz Anton Göbbel und sein Kirchenvorstand in Cornelimünster zugaben, die Gebetszettel „zum besten der Kirche" verteilt zu haben. 2 1 6 Bemerkenswert daran war nicht nur die Selbstverständlichkeit, mit welcher der Kirchenvorstand und Pfarrer Göbbel an dieser lebensweltlich geprägten Form der Heiligenverehrung festhielten, sondern auch ihre unverhohlene finanzielle Absicht, die Pfarrkirche weiterhin von der Vermarktung ihres Schutzheiligen profitieren zu lassen. Daß diese Zettel wie in reichsunmittelbarer Zeit eine willkommene und wichtige Einnahmequelle für die ehemalige Benediktinerabtei und jetzige Pfarrkirche blieben, mißbilligte das Generalvikariat unmißverständlich. Wegen der „Beförderung irriger Religionsbegriffe" befahl es nicht nur, alle Corneliuszettel einzusammeln und nach Köln zu senden, sondern machte seinem Unmut Luft, indem es den Pfarrgeistlichen darüber hinaus energisch ermahnte, „daß Sie bey ihren kirchlichen Vorträgen durch gründlichen Unterricht von der wahren Verehrung der Heiligen die Ihnen Anvertrauten eines bessern belehren u[nd] bey denselben dahin wirken, daß die durch die fraglichen Zettel anbefohlene, die Lehre unserer h. Kirche von der Verehrung der Heiligen in Schatten stellende, die Diener der Religion eines unedlen Gewerbes verdächtig machende 214
Regierung Aachen an Spiegel vom 19.9.1825, in: HAEK, Generalia I 31,2. Die Abschrift eines in den Akten erhaltenen Corneliuszettels mit handschriftlichen Anstreichungen befindet sich im Anhang, Dokument 4. 215 Anweisung Spiegel an das Generalvikariat vom 27.9.1825, in: HAEK, Generalia I 31,2. 216 Pfarrer Göbbel an Generalvikar Hüsgen vom 1.10.1825, in: ebenda.
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u[nd] das gläubige Volk in schändlichen Aberglauben hinhaltende Betteley ihr Ende erreiche". 217 Die Verkäufer solcher abergläubischer Gelegenheitsschriften, unter denen auch in der Folge Geistliche blieben, forderte die Kirchenführung auf, sich umgehend zu rechtfertigeri, was diese überwiegend mit dem Hinweis auf die Tradition ihrer Druckschriften taten, die sie vielfach auch durch das vermutlich oftmals gefälschte - Erscheinungsjahr unterstrichen. 218 1856 berief sich der Aachener Verkäufer Heller, der sogenannte Eulenspiegel vom Rathausturm, auf das Alter seiner Gebetszettel, die vom Generalvikariat als abergläubisch eingestuft worden waren und die er offenbar an Pilger zu den Aachener Heiligtümern veräußert hatte. Zusätzlich betonte dieser rheinische Eulenspiegel, daß bereits sein Vater die Zettel unbeanstandet verkauft habe. 2 1 9 Ein 1891 von dem Neusser Buchdrucker Jacob Quos eingereichter Brief mit dem Titel „Wunderbare Verkündigung der überausgroßen und liebevollen Gütigkeit Gottes" gibt Aufschluß über die Normgrenzen, welche die geistliche Behörde in der Wilhelminischen Epoche zog, und über das, was sie am Ende des 19. Jahrhunderts als unzeitgemäß einstufte, denn sie untersagte den Druck des Briefes ausschließlich, „weil er den Aberglauben fördern würde". Informativ ist dieses Verbot, da ein Exemplar mit zahlreichen Anstreichungen und Unterstreichungen in den Generalvikariatsakten erhalten i s t . 2 2 0 Zunächst sprang der Kölner Kirchenbehörde ins Auge, daß der Brief in der ersten Person Singular geschrieben war, also vorspiegelte, bei dem Verfasser handle es sich um Gottes Sohn persönlich. 221 Ohne daß dies ausdrücklich formuliert worden wäre, versuchte sie damit, der den amts217 Konzept Generalvikariat an Göbbel vom 4.10.1825. In dem Konzept war die Formulierung „Beförderung irriger Religionsbegriffe" anstelle „Beförderung des irrigen Aberglaubens" getreten. Kleinlaut räumte Pfarrer Göbbel seine Verfehlungen ein und versprach, sich zu bessern. Göbbel an Hüsgen vom 20.10.1825, in: ebenda. 218 So hatte 1849 ein durchreisender Mönch in Köln kleine Gebetsheftchen verkauft, die angeblich 1608 in Münster gedruckt worden waren. Pfarrer Peter Siebold (St. Martin/Köln) an Generalvikariat vom 10.10.1849, in: ebenda. 219 Stadtdechant Dieschneider (Aachen) an Generalvikariat vom 21.1.1856, in: ebenda. 220 Ein Konzept des Generalvikariats an Pfarrer Jakob August Junker (Neuss) vom 8.7.1891 befindet sich auf dem etwa DIN A3 großen Brief, in: ebenda. Der Text des Zettels mit den Anstreichungen ist im Anhang, Dokument 5, wiedergegeben. 221 Bei der angeblichen Verfasserschaft Gottes, Jesus oder Marias handelt es sich um ein häufig anzutreffendes Element solcher Gebetszettel. Untermauert wurde dies oftmals durch einen Fundort, der einen speziellen Bezug zur biblischen Geschichte herstellen sollte. So bei einem 1825 vermutlich in Aachen konfiszierten „Himmels=Brief\ der angeblich 1555 beim heiligen Grab in Jerusalem gefunden wurde, in: HAEK, Generalia I 31,2. Das Jahr 1555 stellt darüber hinaus den Bezug zum 13*
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kirchlichen Normen zuwiderlaufenden Vorstellung vorzubeugen, Gott oder Jesus nähmen persönlichen Kontakt zu den Gläubigen auf und mischten sich in lebensweltliche Probleme und Nöte unmittelbar ein. Beachtenswert schienen dabei vor allem die wiederholt formulierten Drohungen, unchristliches Verhalten und zu geringen Glauben an die göttliche Verfasserschaft des Briefs mit Krieg oder Unheil zu bestrafen. Gleiches gilt für die Schutzund Abwehrfunktion, die dieser Brief zu haben vorgab, die der geistlichen Behörde übel aufstieß, weshalb sie den folgenden Satz am Rand sogar doppelt anstrich: „Diejenigen, welche eine Abschrift von diesem in ihrem Hause halten oder bei sich tragen, sollen kein Unheil vom Donner und Blitz zu fürchten haben, so auch die Gebärenden werden leichtlich erledigt, in Haltung meiner Gebot werde ich meinen Segen vor das Haus ausgießen, wo dieser Brief sorgfältig und in Andacht aufbewahrt wird". 2 2 2 Bemerkenswert ist darüber hinaus die Anstreichung des Verbots der Sonntagsarbeit, die der Brief ausdrücklich forderte, berührte dies doch einen überaus sensiblen Punkt. In der Frage der Sonntagsarbeit stießen nämlich überlieferte Sitte und christliche Moral im späten 19. Jahrhundert am markantesten mit den Anforderungen der industriellen Produktions- und Arbeitsweise zusammen. Die Korrespondenzen zwischen den Erzbischöfen und den Oberpräsidenten der Rheinprovinz zeigen, daß Kirche und Staat im 19. Jahrhundert in diversen Fällen Hand in Hand arbeiteten. Als 1836 abergläubische Gebetszettel entdeckt wurden, bat das Kölner Generalvikariat das Oberpräsidium darum, die Kölner Druckerei Everhard und die Buchhandlung Feilner zu kontrollieren. 223 Die Zusammenarbeit reichte bis hinab auf die lokale Ebene, und das Generalvikariat mahnte diese Übereinkünfte bei seinen Pfarrgeistlichen auch hartnäckig an, da die örtliche Verwaltung und Gendarmerie für die Kontrolle der Gelegenheitsschriften verantwortlich waren und über größere Erfahrung verfügten. 224 Offenbar schien die persönliche Regelung vor Ort vielfach der beste Schutz gegen die unkontrollierte Verbreitung derartiger Literatur, da eine lückenlose Vor- wie Nachzensur nicht zentral zu steuern war. Die amtskirchliche Behörde konnte auch selbständig Augsburger Religionsfriedens her, da der Verfasser des Briefes nur den „rechten" katholischen - Glauben akzeptiert. 222 ygi Anhang, Dokument 5. 223 Als Grundlage diente das Konzept des erzbischöflichen Schreibens vom 27.10.1825, das lediglich mit den entsprechenden Zusätzen versehen wurde, in: HAEK, Generalia I 31,2. 224 Konzept Generalvikariat an Pfarrer Brender (Neuss) vom 28.6.1847, in: ebenda. Auch in Trier hatte Bischof Hommer 1827 den Landrat und Oberbürgermeister Haw direkt gebeten, ein Gebetbuch der Niederemmeler Separatisten zu beschlagnahmen. Vgl. Groß, Polizei und Zensur, S. 191.
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Aktivitäten entfalten und die Druckerverleger über eine Verweigerung der „Approbation" in Kenntnis setzen, solange sie sich der staatlichen Rückendeckung sicher sein konnte. 1891 beauftragte das Generalvikariat den Kölner Pfarrer Johann Hubert Ostlender, den ortsansässigen Buchdrucker Séché aufzufordern, einen als abergläubisch eingestuften, angeblich im Jahr 805 auf dem Grab Jesu gefundenen Gebetszettel mit dem Titel „Jesus! Maria! Joseph!" wieder einzuziehen. 225 Ostlender kam seinem Auftrag überaus erfolgreich nach, wie ein umgehendes Antwortschreiben des Buchdruckers zeigt, der sich mit seiner Unwissenheit entschuldigte und offenbar um seine Reputation sowie auch um weitere Druckaufträge von katholischer Seite hochbesorgt war, so daß die Amtskirche über ein erhebliches wirtschaftliches Druckmittel verfügte. 226 Immerhin konnte die geistliche Behörde auch auf Gerichtsurteile verweisen und mit Sanktionen von staatlicher Seite drohen, wenn es um gefälschte „Approbationen" ging. Als 1898 in der Aachener Buchdruckerei Hermann Kaatzer ein Gebetszettel mit dem Titel „Jesus! Maria! Joseph!" erschien, ließ man den Stadtdechanten, Ehrenstiftsherrn und päpstlichen Geheimkämmerer Karl Hermann Nottebaum nicht nur die Auftraggeber ermitteln, sondern die Druckerei gleichzeitig verwarnen. 227 Interessanterweise war das vor überraschenden Unglücksfällen und Krankheiten schützende Gebet von einer Privatperson in Auftrag gegeben worden, welche bereits 70 bis 80 Exemplare erhalten hatte, und die Druckereibesitzer taten alles, um den ungünstigen Eindruck, den sie bei der Kirchenbehörde hinterlassen hatten, umgehend wieder wettzumachen. 228 Untereinander verständigten sich die Generalvikariate in Köln und Münster ebenfalls darüber, abergläubische Zettel zu beaufsichtigen zu unterbinden, wie 1860, als das Münsteraner Generalvikariat auf einen Zettel hinwies, der 3000 Jahre Ablaß versprach und angeblich in Düsseldorf gedruckt worden w a r . 2 2 9 Gedruckte Zettel dieser Art besaßen oftmals „Approbationen", die entweder gefälscht waren oder doch zumindest mittlerweile angezweifelt wurden. Sobald es allerdings darum ging, überregionale Verbote durchzusetzen und Marktplätze sowie Wallfahrtsorte grundsätzlich zu überwachen, auf die traditionell der Verdacht fiel, Umschlagplätze für verbotene katholische Literatur zu sein, wandte man sich wieder an die staatliche Ver225
Konzept Generalvikariat an Pfarrer Ostlender vom 17.7.1891, in: HAEK, Generalia I 31,2. Auf gleiche Weise schritt das Generalvikariat 1901 und 1903 gegen abergläubische Gebetszettel ein: Konzepte an Dechant Peter Joseph Roppertz in Köln-Ehrenfeld vom 4.9.1901 sowie an Pfarrverwalter Oepe in Köln-Ehrenfeld vom 13.1.1903, in: ebenda. 226 Séché an Ostlender vom 21.7.1891, in: ebenda. 227 Generalvikariat an Nottebaum vom 17.2.1898, in: ebenda. 228 Nottebaum an Generalvikariat vom 2.3.1898, in: ebenda. 229 Generalvikariat Münster an Generalvikariat Köln vom 19.11.1860, in: ebenda.
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waltung. Infolge dieser Zusammenarbeit wies das Oberpräsidium die lokalen Polizeibehörden dann jeweils an, schärfere Kontrollen durchzuführen, obwohl ihm bewußt sein mußte, daß der staatlichen Schmuggelbekämpfung enge Grenzen gesteckt waren. 2 3 0 Die amtskirchlichen Behörden beschränkten sich aber durchaus darauf, Vorwürfe zur Kenntnis zu nehmen, einige Befragungen durchzuführen, das Schrifttum zu konfiszieren und die Angelegenheit ansonsten auf sich beruhen zu lassen. Insgesamt waren sie darum bemüht, möglichst wenig Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen, weshalb in vielen Fällen die barocken und als abergläubisch bewerteten Erbauungsbücher schon seit dem 18. Jahrhundert stillschweigend durch zeitgemäße ersetzt worden waren. Auch die Reaktionen auf sogenannte Schutzbriefe, die Soldaten während ihrer Militärdienstzeit oder während der Kriege mit sich führten, belegen diese Haltung. Um den Hals getragen, sollten solche Briefe vor Verwundungen bewahren. 231 1866 bemerkte der Dahlener Oberpfarrer Gerhard Hubertus Schümmer (Kreis Gladbach), die Verbreitung eines Haus- und Schutzbriefes durch ein „altes gutes Weib" geschähe mit der Begründung, diese leisteten „jetzt im Kriege gute Dienste", und wies darauf hin, „daß derartige bloß geschriebene Gebetszettel auch früher schon in hiesiger Gegend zum Vorschein gekommen und wie ein Lauffeuer, als wäre es ein großes Heiligthum, in Abschriften die Runde gemacht haben". Er traf - ganz im Sinne der amtskirchlichen Linie - in diesem Fall eine persönliche Vereinbarung mit dem ortsansässigen Druckerverleger Wehren, der ihm zusagen mußte, derartige Zettel lediglich noch in Absprache mit ihm zu drukken, weshalb die lokale Ortspolizei nicht eingeschaltet werden mußte. 2 3 2 1914 führte der zu Beginn des Ersten Weltkrieges schwunghaft betriebene Agnus Dei-Handel zu kurzfristigen Ermittlungen des Kölner Generalvikariats. Maria Sieben aus Kendenich machte ihrer Empörung in einem Schreiben Luft. Als sie um Antwort auf ihre Frage „Ein Agnus Dei ist das Aberglauben?" anhielt, hatte der Pfarrer Friedrich Lippold von der Kanzel herab das Agnus Dei doch tatsächlich als „Aberglauben" bezeichnet. Dabei galt dieses 230 ygi Jarren, Schmuggel, S. 154-157, der sich allerdings nicht mit verbotener Literatur beschäftigt. 231 Die Abschrift eines Schutzbriefes, der 1875 in Metz ausgestellt wurde, befindet sich im Anhang, Dokument 3. Er stammt aus einem privaten Nachlaß und wurde mir freundlicherweise von Frau Marlene Müller (Pronsfeld) in Kopie zur Verfügung gestellt. Schreiben an den Verfasser vom 14.5.1996. Dieses Schreiben geht zurück auf eine Vorstellung des Forschungsvorhabens im Trierischen Volksfreund vom 23./24.3.1996, S. 6, mit der Bitte, in Privatbesitz befindliche, handschriftliche Brauch- und Merkbücher, Spruch- oder Bannzettel einer wissenschaftlichen Auswertung zugänglich zu machen. 232 Schümmer an Erzbischof Melchers vom 20.7.1866, in: HAEK, Generalia I 31,2. Hervorhebung im Original.
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vielen als das sicherste Schutzmittel gegen Kriegsverwundungen und wurde zahlreichen katholischen Soldaten mit auf den Weg gegeben. 233 Das Generalvikariat forderte daraufhin umgehend eine Stellungnahme des Pfarrers an. Lippold waren dabei weniger die Wachsfiguren als vielmehr begleitend verwendete Gebetsbriefe „abergläubischen Inhalts" ein Dorn im Auge, weshalb er empfohlen hatte, „Soldaten einen Rosenkranz und Scapulier mitzugeben" und weniger auf die schützende Wirkung des Agni Dei zu vertrauen; eine Haltung, der sich die kirchliche Behörde anschloß. 234 Maria Sieben, die offenbar die Agni Dei verkaufte, beharrte in einem weiteren Schreiben zwar nochmals darauf, der Pfarrer habe nicht von begleitenden Briefen gesprochen, stieß aber mit der erneuten Beschwerde auf taube Ohren. 2 3 5 Bemerkenswert sind vorhandene Lücken in den kirchlichen Zusammenstellungen abergläubischer Broschüren. Zwischen 1837 und 1846 sowie in den 1870er und 1880er Jahren sind in den Generalvikariatsakten des Erzbistums Köln keine kirchlichen Sanktionen gegen abergläubisches Schriftgut belegt. Dies korrespondiert zeitlich in etwa mit dem Mischehenstreit und dem preußisch-deutschen Kulturkampf, also mit Phasen der Konfrontation zwischen katholischer Kirche und preußischem Staat. Hierbei handelt es sich möglicherweise um Perioden, in denen die bischöfliche Behörde die Gläubigen für die eigene Sache zu mobilisieren und weniger zum rechten Glauben zu erziehen oder zu disziplinieren suchte. Insgesamt läßt sich festhalten, daß die Zensur abergläubischer Gelegenheitsschriften zahlreiche Bezüge zur Frühen Neuzeit aufwies. Der preußische Staat hatte sich mit der Kolportage und dem Nachdruck veralteter Gebets· und Andachtsliteratur zu befassen. Er bekämpfte überkommene Ansprüche, die aus einer frühneuzeitlichen Tradition der Gelegenheitsschriften abgeleitet wurden. Der Verwaltungsstaat schärfte seinen lokalen Beamten wie den Vertreibern und Druckerverlegern solcher Literatur unermüdlich ein, daß die Bewilligungsbefugnis unwiderruflich in seine Hände übergegangen war und sich ein „altes Recht" zum Nachdruck solcher Zettel nicht aus der Tradition herleiten ließ. Im Zentrum dieser Aberglaubensbekämpfung standen dabei der „gemeine Mann" oder das „gemeine Volk" und de233
Maria Sieben an Generalvikariat vom 20.8.1914, in: ebenda. Beim Agnus Dei handelt es sich in der Regel um gesegnete Wachsformen mit der Figur eines Lammes, die um den Hals getragen wurden. Es gilt als Sinnbild dafür, daß Jesus sich für die menschlichen Sünden geopfert hat. Vgl. LThK 3 , Bd. 1, Sp. 243-246. Zu abergläubisch-magischen Devotionalien im Ersten Weltkrieg Ziemann, Katholische Religiosität, S. 123-125. 234 Lippold an Generalvikariat vom 27.8.1914; Konzept Generalvikariat an Maria Sieben vom 28.8.1914, in: HAEK, Generalia I 31,2. Mit „Skapulier" sind hier wohl zwei viereckige, oft zusammengenähte Wollstücke gemeint, die an einem Band über die Schulter bis zur Brust hängend getragen wurden. Vgl. LThK 3 , Bd. 9, Sp. 653. 235 Sieben an Generalvikariat vom 10.9.1914, in: HAEK, Generalia I 31,2.
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ren vermeintlich voraufklärerischer Wunderglauben. Den aufgeklärten Beamten diente die Formel „Aberglauben" dazu, sich unausgesprochen des eigenen Standpunkts zu versichern und mißliebige Gelegenheitsschriften zu stigmatisieren. Vielfach deckten sich hier ihre - religionspolitischen - Interessen mit denen der katholischen Geistlichkeit, was wiederholt zu einer weitgehend unproblematischen Zusammenarbeit führte. A m engsten war diese Zusammenarbeit in der Periode der aufgeklärt-katholischen Bistumsleitungen unter Hommer und Spiegel bis Mitte der 1830er Jahre. Freilich ist auch jenseits dieser Phase, zumindest von Seiten des Kölner Generalvikariats, eine gezielte Förderung der Abstimmung zwischen Ortspolizei und Pfarrgeistlichkeit zu beobachten, wenn es um die Kontrolle abergläubischen Gelegenheitsschrifttums ging. So hatten amtskirchliche Behörde und Geistlichkeit jederzeit ein wirksames Druckmittel gegenüber Druckern und Verlegern in der Hand, um Gebetszettel bereits im Vorfeld polizeilicher Ermittlungen zu konfiszieren. Jedoch waren die Grenzen einer Zusammenarbeit und damit auch die Funktionalisierung einer gemeinsamen Aberglaubensbekämpfung klar umrissen: In Phasen kirchenpolitischer Konfrontationen verzichtete der rheinpreußische Klerus weitgehend darauf, die Gläubigen zum katholischen Glauben anzuhalten. Vielmehr schien hier wichtiger, die Gemeinden für die eigene Sache zu mobilisieren, weshalb er abergläubische Frömmigkeitsformen und Schriften tolerierte. Auch wenn diese These auf der in den Kölner Generalvikariatsakten während der Kölner Wirren und des Kulturkampfs auszumachenden Zensurlücke aufbaut, spricht doch nicht nur die sonst sehr dichte Zensurüberlieferung im kirchlichen Archivmaterial für sie. Zusätzlich ist die Position der im Kulturkampf geschwächten Ortsgeistlichkeit zwischen gemeindlichen, klerikalen und staatlichen Ansprüchen zu nennen, die sie daran hinderte, Wallfahrten zu den Orten von Marienerscheinungen oder die Lektüre abergläubischer Literatur zu unterbinden. Die Verwaltung verfolgte die als weitaus gefährlicher eingestuften Prophezeiungen und Weissagungen besonders intensiv, welche auf kryptopolitisch-religiöse Weise wirkten. Daß Prophezeiungen sich dabei der Geschichte als Steinbruch bedienten, erhöhte die staatliche Aufmerksamkeit noch zusätzlich. Unter dem Deckmantel bildungs- und moralpolitischer Absichten von Zensur, die nach wie vor den als unmündig geltenden Untertanen gängeln, belehren und gleichzeitig schützen sollte, verbargen sich damit politische Motive, die maßgeblich von Revolutionsfurcht und Angst vor konfessionellen Spannungen geleitet waren. Hier zeigte sich die Brüchigkeit des Bündnisses zwischen Staat und Kirche im Kampf gegen abergläubische Lektüren und populäre Frömmigkeit, denn die preußischen Beamten sahen rasch ultramontane Propagandisten am Werk.
V. Medizinische Konflikte um religiöse Heilmethoden, Laientherapeuten und Volksmittel Mit der seit dem 18. Jahrhundert beschleunigt einsetzenden Säkularisierung des Aberglaubensbegriffs ging eine verstärkte Übertragung in medizinische Bereiche einher. Für die sich als Aufklärer verstehenden, gebildeten Ärzte war der Kampf gegen - wie sie es zunächst nannten - „physikalischen Aberglauben" ein wichtiges Mittel, um sich von Laienheilern und deren Verfahren oder von bestimmten therapeutischen Verhaltensweisen zu distanzieren. Parallel dazu verfügten Mediziner über eine ganze Reihe ausgrenzender Begriffe wie „Quacksalber", „Pfuscher" oder „Medikaster", und es traten seit dem späten 18. Jahrhundert neue hinzu wie „Magnetopath", „Homöopath", „Naturheilkundiger" oder auch „Kurpfuscher". 1 Zumindest bis zur Jahrhundertmitte bündelte vor allem der Aberglaubensvorwurf ärztliche und behördliche Vorbehalte gegen Laienheiler und althergebrachte Heilverfahren. Er besaß offenkundig eine andere Qualität als der an der staatlichen Approbation orientierte Quacksalbereivorwurf, auch weil er stets religiöse Bezüge enthielt. Freilich trifft die in allen Begriffen angelegte, strikte Gegenüberstellung zwischen akademischer und nichtakademischer Medizin kaum die Realität. Die Begriffe verstellen vielmehr den Blick für die Schwierigkeiten, medizinisch-wissenschaftliche Deutungen von Krankheit und Gesundheit durchzusetzen. Dieser Prozeß des historischen und gesellschaftlichen Wandels im Bereich der Medizin seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wird von der sozialhistorisch orientierten Medizingeschichte zumeist mit dem Begriff der „Medikalisierung" beschrieben. 2 Die 1
Vgl. Pott, Aufklärung und Aberglaube, S. 337—412. Zur Begriffsgeschichte Jütte, Geschichte der Alternativen Medizin, S. 17-42. Zu medizinischen Ausgrenzungsmechanismen vom 17. bis 20. Jahrhundert Spree, Kurpfuscherei-Bekämpfung. Barbara Elkeles, Medicus und Medikaster. Zum Konflikt zwischen akademischer und „empirischer" Medizin im 17. und frühen 18. Jahrhundert, in: MedhJ 22 (1987), S. 197-211. Vgl. auch die Beiträge in Wolfgang Böhme (Hg.), Glaube und Aberglaube in der Medizin, Karlsruhe 1987. 2 Überblicke zur Sozialgeschichte der Medizin bieten Alfons Labisch/Reinhard Spree, Neuere Entwicklungen und aktuelle Trends in der Sozialgeschichte der Medizin in Deutschland - Rückschau und Ausblick, in: VSWG 84 (1997), S. 171-210 und S. 305-321. Robert Jütte, Sozialgeschichte der Medizin: Inhalte - Methoden Ziele, in: MedGG 9 (1990), S. 149-164. Alfons Labisch, Zur Sozialgeschichte der Medizin. Methodologische Überlegungen und Forschungsbericht, in: AfS XX
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V. Medizinische Konflikte
schillernde und erklärungsbedürftige prozessuale Kategorie soll Veränderungen zusammenfassen wie die Zunahme der Ärzte pro Einwohner, die wachsende Dominanz akademisch-medizinischen Wissens gegenüber heilkundlichem Laienwissen, die langfristige Akzeptanz neuer Normen und Deutungsmuster für Gesundheit und Krankheit, eine Professionalisierung der Ärzte sowie mittlerweile auch die Wechselwirkungen zwischen Kranken, Ärzten und Laienheilern. 3 Bei all diesen Wandlungen gerät zumeist die Analyse des Umgangs mit überkommenen Therapieformen und Verhaltensmustern in den Hintergrund. Deren Beharrungskraft und Wandlungsfähigkeit interessieren weniger, weshalb oftmals ärztliche und Verwaltungsurteile aus den Quellen übernommen werden. 4 Mit der Auseinandersetzung um medizinischen Aberglauben positionierten sich die beteiligten Ärzte in der Frage, wie sie mit Therapien und medizinischen Verhaltensweisen verfahren wollten, die von vorherrschenden Normen abwichen. Der Kampf gegen diese Aberglaubensvarianten war für viele Ärzte weniger ein Problem von Erfolg oder Mißerfolg bei der Heilung von Kranken als vielmehr eines der eigenen Position innerhalb der Debat(1980), S. 431^69. Dirk Blasius, Geschichte und Krankheit. Sozialgeschichtliche Perspektiven der Medizingeschichte, in: GG 2 (1976), S. 386-415. Claudia Wiesemann, Vorbemerkungen zu einer Medizingeschichte aus postmoderner Perspektive, in: Dies./Thomas Schnalke (Hg.), Die Grenzen des Anderen. Medizingeschichte aus postmoderner Perspektive, Köln u.a. 1998, S. 9-24. Norbert Paul/Thomas Schlich, Einführung: Medizingeschichte - Aufgaben, Probleme, Perspektiven, in: Dies. (Hg.), Medizingeschichte: Aufgaben, Probleme, Perspektiven, Frankfurt am Main/ New York 1998, S. 9-21. 3 Die Entstehung des Begriffs, der vielfach auf Foucault zurückgeführt wird, ist strittig. Einen detaillierten Überblick gibt Francisca Loetz, „Medikalisierung" in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, 1750-1850: Ansätze, Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, in: Wolfgang U. Eckart/Robert Jütte (Hg.), Das europäische Gesundheitssystem. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in historischer Perspektive, Stuttgart 1994, S. 123-161. Vgl. auch Michael Stolberg, Heilkundige: Professionalisierung und Medikalisierung, in: Paul/Schlich, Medizingeschichte, S. 6986. Jean-Pierre Goubert, Die Medikalisierung der französischen Gesellschaft am Ende des Ancien Régime: die Bretagne als Beispiel, in: MedhJ 17 (1982), S. 89114. Ute Frevert, Krankheit als politisches Problem 1770-1880. Soziale Unterschichten in Preußen zwischen medizinischer Polizei und staatlicher Sozialversicherung, Göttingen 1984, S. 16. Annette Drees, Die Ärzte auf dem Weg zu Prestige und Wohlstand. Sozialgeschichte der württembergischen Ärzte im 19. Jahrhundert, Münster 1988, S. 17-24. Francisca Loetz> Vom Kranken zum Patienten. „Medikalisierung" und medizinische Vergesellschaftung am Beispiel Badens 1750-1850, Stuttgart 1993, S. 43-56. 4 Eine erfreuliche Ausnahme bildet die Studie von Eberhard Wolff, Einschneidende Maßnahmen. Pockenschutzimpfung und traditionale Gesellschaft im Württemberg des frühen 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1998. Wolff spürt konsequent der Patientenperspektive nach und legt die Variabilität traditionell-medizinischen Verhaltens offen.
1. Kampf gegen medizinischen Aberglauben
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ten. Die Ausgrenzung über den Aberglaubensvorwurf war so besehen der Versuch, die Deutung von Krankheit und Gesundheit zu dominieren und die freie Auswahl des Patienten innerhalb des medizinischen Dienstleistungsmarktes zu kanalisieren. In der alltäglichen Praxis war dieser Versuch allerdings wesentlich vom Verhältnis zwischen Ärzten und Staat abhängig, d.h. der Staat reglementierte den Marktzugang gesetzlich. Der Blick auf die Ausgrenzungsmechanismen vermittelt neue Einsichten in den komplexen und langwierigen Loslösungsprozeß der Medizin aus ihrem Unterordnungsverhältnis zur Theologie sowie in den langsamen Wandel zwischen den Bezugssystemen Religion und Wissenschaft. 5 Das Augenmerk gilt zunächst der Verwaltung und der theoretischen Debatte um medizinischen Aberglauben, ehe der praktische Umgang von Staat und Verwaltung mit Quacksalbern und Kurpfuschern betrachtet wird. Sodann gerät am Beispiel des Hubertusschlüsselbrennens in den Blick, wie schnell oder langsam sich geistliche Heilmethoden von der naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin verdrängen ließen. Dem schließen sich Fragen nach den wechselhaften Beziehungen zwischen Medizin und Wunderglauben an. Schließlich werden die behördlichen und ärztlichen Reaktionen auf Volks- und magisch-sympathetische Mittel behandelt.
1. Die preußische Verwaltung und der Kampf gegen medizinischen Aberglauben Die öffentliche Gesundheitspolitik des 19. Jahrhunderts wurzelte maßgeblich in den merkantilistischen Absichten der absolutistischen Staaten, die daran interessiert waren, die Gesundheit ihrer Staatsbürger zu erhalten oder zu verbessern. 6 Der preußische Staat versuchte nach wie vor, das vielbeschworene System einer medizinischen Polizei in die Praxis umzusetzen. Ärzte und Verwaltung waren danach nicht nur zur Behandlung von Krankheiten verpflichtet, sondern auch dazu, die Bevölkerung und ihr medizinisches Gebaren zum Wohle des Staates zu überwachen. In den Fokus der Verwaltung gerieten damit das gesundheitsschädliche Treiben von „Quack5 Alber/Dornheim, Die Fackel der Natur, S. 163, sehen diesen Prozeß schon im 18. Jahrhundert weitgehend abgeschlossen. Unter Bezugssystem sind in diesem Zusammenhang Kriterien zu verstehen, nach denen sich die normative Bewertung bestimmter medizinischer oder religiöser Verhaltensmuster richtete. 6 Vgl. dazu Manuel Frey, Der reinliche Bürger. Entstehung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland 1760-1860, Göttingen 1997, S. 142-154. Gerd Göckenjan, Kurieren und Staat machen. Gesundheit und Medizin in der bürgerlichen Welt, Frankfurt am Main 1985, S. 94-109. Frevert, Krankheit als politisches Problem, S. 60-69. George Rosen, Kameralismus und der Begriff der Medizinischen Polizei, in: Erna Lesky (Hg.), Sozialmedizin. Entwicklung und Selbstverständnis, Darmstadt 1977, S. 94-123.
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V. Medizinische Konflikte
salbern" und vermeintlicher Aberglauben der Bevölkerung, denen durch eine Aufklärung in gesundheitlichen Fragen entgegengewirkt werden sollte. Ganz im Sinne dieser doppelten inhaltlichen Zielsetzung konnte die rheinpreußische Medizinalverwaltung personell und institutionell auf den Entwicklungen der französischen Zeit aufbauen. 7 Für die leitenden Funktionen übernahm sie verhältnismäßig problemlos Medizinalbeamte aus französischen Diensten, und auch diverse medizinische Einrichtungen erwiesen sich als brauchbar. Dem übrigen Verwaltungsaufbau entsprechend waren die Kompetenzen im medizinischen Bereich auf verschiedene Schultern verteilt. Das dem Oberpräsidium zugeordnete Provinzialmedizinalkollegium kann als erste Spitze der Medizinalverwaltung gelten. Es war zuallererst ein beratendes Gremium, dem mit der Konzentration auf medizinalpolizeiliche und gerichtsmedizinische Aufgaben in der Praxis mehr und mehr auch verwaltungspraktische Funktionen zuwuchsen.8 Zu einer seiner wichtigsten Aufgaben zählte die Zusammenstellung der periodischen Sanitätsberichte für das Berliner Kultusministerium, deren Grundlagen die den einzelnen Regierungen zugehörigen Medizinalräte sowie alle anderen Medizinalpersonen mit regelmäßigen Berichten lieferten. 9 In diesen formal gelegentlich geänderten Berichten sind für den vorliegenden Zusammenhang interessant: die Bemerkungen zu Quacksalbern, Volksmitteln, merkwürdigen Krankheiten, zeitweise über die Anwendung des animalischen Magnetismus und auch über die Krankheiten der Haustiere; deren Kontrolle unterstand den Medizinalräten bei den Regierungen. 10 Zwar schaffte das Kultusministerium 1848 die 7
Vgl. Calixte Hudemann-Simon, Zur staatlichen Gesundheitspolitik in den Rheinlanden während der französischen Zeit, in: Christof Dipper u. a. (Hg.), Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien - Verwaltung und Justiz, Berlin 1995, S. 121-139. Wolfgang Hans Stein, Die Tierärzte im Saardepartement. Französische Elitebildung und Professionalisierung, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 44 (1996), S. 148-173, hier S. 166-169. 8 Ragnhild Münch, Gesundheitswesen im 18. und 19. Jahrhundert. Das Berliner Beispiel, Berlin 1995, S. 47-90. Bär, Behördenverfassung, S. 169-171 und S. 344348. H. Schubert, Die preussische Regierung in Koblenz. Ihre Entwicklung und ihr Wirken 1816-1918, Bonn 1925, S. 79-110. 9 Konzept Medizinalkollegium an Regierungen Aachen, Koblenz, Trier vom 13.10.1817, in: LHAK, Best. 407, Nr. 68, S. 5. Während die Sanitätsberichte der Regierungen und des Medizinalkollegiums für den Vormärz zum größten Teil in den Akten (LHAK, Best. 407) erhalten sind, liegen nur noch wenige Berichte einzelner Medizinalpersonen vor. Allerdings sind in vielen Regierungssanitätsberichten Zitate aus letzteren eingefügt. Eine detaillierte Untersuchung über Aufgaben und Wirkung der rheinpreußischen Medizinalverwaltung sowie über die Zusammenarbeit von Medizinalkollegium und Regierungen fehlt noch. Umfangreiches Aktenmaterial dazu liegt in LHAK, Best. 407 sowie in GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII B, Nr. 144-149. 10 Form und Inhalt der von den Medizinalpersonen vierteljährig einzureichenden Sanitätsberichte (1828); Verfügung des Kultusministeriums vom 3.7.1829, in:
1. Kampf gegen medizinischen Aberglauben
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Berichtspflicht über besondere Vorkommnisse für die praktischen Ärzte ab, weil sich diese meistens ohnehin nicht beteiligt hatten, es immer wieder zu langjährigen Verzögerungen gekommen war und die landrätlichen Zeitungsberichte sowie besondere Mitteilungen der Kreisphysiker ausreichten. 11 Allerdings sollten die Ärzte, die weiterhin Nachrichten lieferten, bei der Besetzung von Beamtenstellen zukünftig bevorzugt werden. 12 Ermahnungen über die Berichtspflicht der Kreisphysiker wie auch der Regierungsmedizinalräte blieben weiterhin an der Tagesordnung. 13 1880 mußte das Kultusministerium in einer Verfügung an alle Regierungen erneut einschärfen, Sanitätsberichte pünktlich abzufassen. 14 Trotz aller Schwäche der Berichte trat die medizinische Verwaltung Bestrebungen, die Berichtspflicht der Kreisphysiker abzuschaffen, mehrfach energisch entgegen. 15 Die zweite Spitze der Medizinalverwaltung bildeten die Medizinalräte bei den Regierungen, welche die Regierungspräsidenten bei ihren Aufgaben unterstützten und berieten. Gleichzeitig oblag ihnen die Aufsicht über alle medizinischen Belange im Regierungsbezirk: auf das Heilpersonal, besonders die Ärzte, auf den Medikamentenhandel und die Krankenhäuser, auf die Verhütung von unbefugten Kuren ebenso wie auf die Auseinandersetzung um medizinische Vorurteile und Bräuche. 16 Unterhalb der Regierungsebene unterstützten die Kreisphysiker, -Wundärzte und auch die -tierärzte den Landrat, ohne ihm direkt unterstellt zu sein; sie arbeiteten dem Regierungsmedizinalrat zu. Der Kreisphysiker, dem der Kreiswundarzt beigeordnet war, hatte die Aufgabe, den Gesundheitszustand im landrätlichen Verwaltungsbezirk zu kontrollieren. Beide Beamte mußten bis ins 20. Jahrhundert hinein neben ihrem Amt privat eine Praxis führen, um ihr Auskommen LHAK, Best. 407, Nr. 68, S. 121-124 und S. 167-170. Vgl. Schubert, Regierung in Koblenz, S. 80-82. 11 Zu Beschwerden: Sanitätsbericht 1. Semester 1833 (Düsseldorf), in: LHAK, Best. 407, Nr. 344, S. 563-620, hier: S. 619. 12 Circulare des Kultusministeriums vom 1.7.1848, in: LHAK, Best. 407, Nr. 68, S. 363 f. 13 Oberpräsident Auerswald an Regierung Koblenz vom 26.5.1851, in: LHAK, Best. 441, Nr. 13439. 14 Verfügung des Kultusministeriums an alle Regierungen und Landdrosteien vom 4.6.1880, in: LHAK, Best. 407, Nr. 68, S. 405^10. 15 Medizinalkollegium an Regierung Koblenz vom 24.4.1864; Historischer Überblick des Medizinalrats Waldorf über das Medizinalwesen vom 10.5.1882, in: LHAK, Best. 441, Nr. 13439. 16 Überblicke zum Medizinalwesen in Teilen der Rheinprovinz geben Karl Boventer, Zur Medizinalgeschichte im Bereich des Regierungsbezirkes Aachen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 83 (1976), S. 59-141. Robert Rumpe, Die Gesundheitspflege in der Rheinprovinz. Eine medizingeschichtliche Studie, Jena 1931. Ottilie Esser, Der praktische Arzt im Rheinland um 1750-1850, med. Diss, masch., Bonn 1963.
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V. Medizinische Konflikte
zu sichern. Seit 1816 erhielten sie zunächst 200 Taler jährlich, was sich erst 1872 leicht änderte, als ihre Besoldung auf 300 Taler erhöht wurde. 17 Dies führte mitunter dazu, daß ihre amtlichen Pflichten neben der privaten Praxis eine eher untergeordnete Rolle einnahmen und vorrangig dazu dienten, ihren Status bei den Patienten aufzuwerten. Ihre amtlichen Klagen über „Quacksalber" und abergläubische Selbstmedikationen müssen auch vor diesem Hintergrund gesehen werden. Gerade die Kreisphysiker waren es, die Verstöße gegen die Medizinalgesetze meldeten und ein wachsames Auge auf die medizinischen Gepflogenheiten der Bevölkerung warfen. Dabei hat man immer zu bedenken, daß sie auch ausgeprägt eigene Interessen vertraten, da ihnen daran gelegen sein mußte, möglichst viele Patienten für die akademische Medizin zu gewinnen; in dem Amt des Kreisphysikers verwoben sich staatliche und ärztliche Interessen nahezu untrennbar. 1899 wurden die Kreisphysikats- und Kreiswundarztstellen schließlich aufgehoben und durch das Institut des Kreisarztes ersetzt, was mit einer Spezialisierung auf öffentliche Gesundheitspflege und auch Hygieneüberwachung einherging. Eine Besonderheit gilt es in den Regierungsbezirken Koblenz und Trier bei den untersten Gliedern der Medizinalverwaltung zu beachten, die in den anderen Regierungsbezirken nicht existierte. Aus dem vormaligen RheinMosel-Departement war hier das Institut der Distriktsärzte übernommen und auf den rechtsrheinischen Teil ausgedehnt worden. Über dieses informiert ausführlich ein 1882 angefertigter Überblick des Koblenzer Medizinalrats Waldorf eingehend. Die Distriktsärzte standen in keinem unmittelbaren dienstlichen Verhältnis zu den Kreisphysikern, sondern wirkten bis 1861 als kommunale Beamte, später regelten dann Vertragsverhältnisse mit den Gemeinden ihre Aufgaben. Im wesentlichen behandelten sie in den ländlichen Gemeinden die armen Kranken, waren hier für Impfungen und den Kampf gegen „Quacksalber" verantwortlich und mußten als Wundärzte und Geburtshelfer approbiert sein; ihr Gehalt trugen Gemeindekassen und Armenfonds. 18 Dadurch waren die Distriktsärzte nah an der ländlichen Bevölkerung. Trotz dieser Einrichtung wurde die ärztlich-medizinische Versorgung auch in den beiden südlichen Regierungsbezirken der Rheinprovinz auf dem Land wohl weniger gesucht als in den Städten; die Klagen von Ärzten jedenfalls hielten über den Vormärz hinaus an, wie wenig die länd17 Ingersleben an Innenministerium vom 4.5.1816, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII B, Nr. 144. Eine Vollbesoldung setzte sich erst im Laufe der Weimarer Republik durch. Vgl. Esser, Der praktische Arzt, S. 78 f. Zur Entwicklung des preußischen Kreisphysikats Huerkamp, Aufstieg der Ärzte, S. 167— 177. 18 Bericht über die historische Entwicklung des Instituts der Districtsärzte vom 10.5.1882 von Medizinalrat Waldorf, in: LHAK, Best. 441, Nr. 13439. Vgl. Schubert, Regierung in Koblenz, S. 80-82.
1. Kampf gegen medizinischen Aberglauben
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liehe Bevölkerung ihre heilkundliche Hilfe beanspruchte. Für diese Klagen typisch ist eine Übersicht von 1818, wonach in der Bürgermeisterei Sobernheim (Kreis Kreuznach) bei 60 Todesfällen lediglich 21 mal Mediziner hinzugezogen wurden, davon überhaupt nur 16mal während des Krankheitsverlaufs. 19 Den Kampf gegen medizinischen Aberglauben führten die Ärzte im Vertrauen auf die staatliche Medizinalverwaltung und den Gesetzgeber an zwei Fronten. Ganz im Stil relikttheoretischer Zugänge war medizinischer Aberglauben ihnen zunächst ein unzeitgemäßes Überbleibsel falschen und unaufgeklärten Verhaltens im Umgang mit Krankheit und Gesundheit. Ihre Vorbehalte goß eine ganze Reihe von Zeitgenossen in die geläufige Formel von „Volksmedizin und Aberglauben", wobei ihnen diese Kombination zum Synonym für Ignoranz und Dummheit geriet. 20 Diese erste Frontstellung bestand also in der Auseinandersetzung mit einer falschen, weil veralteten therapeutischen Handlungsweise der Bevölkerung. Verbunden mit dieser Ausgrenzung war der Versuch, stärkeren Rückhalt in allen Bevölkerungsschichten zu gewinnen und die eigenen therapeutischen Ansichten durchzusetzen. Daher rührt wohl auch der Topos von der ausgeprägten Distanz zwischen Arzt und Landbevölkerung, wozu ganz maßgeblich das fehlende Vertrauen in die gebildeten Mediziner gezählt werden muß. Als wesentliche Ursache für Aberglauben wurde dann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts immer stärker auf die Tätigkeit von Laientherapeuten auf medizinischem Gebiet und die mangelhafte Versorgung auf dem Land abgehoben. Stärker in den Hintergrund gerieten die im zweiten Jahrhundertdrittel in den volksmedizinischen Werken noch zusammengetragenen traditionellen Rezepte. Zahlreiche Ärzte sahen den Staat in der Pflicht, da medizinischer Aberglauben in ihren Augen eine erhebliche Gefahr für das Leben 19 Nachweis aller in der Bürgermeisterei Sobernheim während des ersten Quartals 1818 verstorbenen Individuen, in: LHAK, Best. 407, Nr. 234, S. 83-88. Ähnliche Zahlen für die Stadt und den Landkreis Bonn aus den Medizinaltopographien bei Esser, Der praktische Arzt, S. 49. Auch 1847 klagte der Kaldenkirchener Arzt Eichmann (Regierungsbezirk Düsseldorf) über derartige Versäumnisse, deren Ursachen er in „verkehrten Lebensansichten, tiefwurzelnden Vorurtheilen, Aberglauben" sah. Sanitätsbericht 1. Quartal 1847 (Dr. Eichmann), in: LHAK, Best. 407, Nr. 357, S. 137-151, hier S. 149. 20 Diese Sichtweisen finden sich in der zweiten Jahrhunderthälfte in vielen Arbeiten. Vgl. Gottfried Lammert, Volksmedizin und medizinischer Aberglaube in Bayern und den angrenzenden Bezirken, ND der Ausgabe Würzburg 1869, München 1969, hier S. III-V. Victor Fossel, Volksmedicin und medicinischer Aberglauben in Steiermark. Ein Beitrag zur Landeskunde, Graz 21886. Max Höfler, Volksmedizin und Aberglaube in Oberbayerns Gegenwart und Vergangenheit, München 1888. Weitere Titel, vor allem aus dem bayerischen Raum bei Michael Stolberg, Probleme und Perspektiven einer Geschichte der Volksmedizin, in: Wiesemann/Schnalke, Grenzen des Anderen, S. 49-73, hier FN 15, S. 69.
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V. Medizinische Konflikte
der Untertanen bedeutete. Bemerkenswert ist, daß viele Ärzte die Gründe für eine ausufernde Laientätigkeit nicht in der Medizin und ihrer therapeutischen Entwicklung selbst suchten, sondern vielmehr in wechselnden philosophischen und theologischen Anschauungen, die sie ihre Disziplin nach wie vor maßgeblich bestimmen sahen. 21 Dabei verbanden sich die medizinischen Aberglaubensvorbehalte teilweise mit Anwürfen gegen den romorientierten Katholizismus und richteten sich vor allem gegen Wunderheilungen, Ablaßheftchen und ultramontanen Reliquienkult. Unterlegt wurde diese Ansicht eines katholisch-medizinischen Aberglaubens mit dem vermeintlichen Bildungsgefälle zwischen Protestanten und Katholiken. 22 In einer gewissen Spannung zu dieser Feststellung steht der dennoch erkennbare Säkularisierungsprozeß, wonach sich die medizinische Aberglaubensdiskussion zunehmend von der um den religiösen Aberglauben löste. Die Verbindung blieb zwar bestehen, aber der Argumentationszusammenhang schwächte sich ab23 Dies wird deutlicher in der zweiten Frontstellung. Die Diskussion um medizinischen Aberglauben verband sich nach der Einführung der neuen Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes 1869 und der Aufhebung des §199 preußisches Strafgesetzbuch (Kurpfuschereiverbot) mit der Abwehr der sogenannten Kurpfuscherei. 24 Der Reichstag des Norddeutschen Bundes hatte die medizinische Kurierfreiheit hier kurz vor der Reichsgründung noch gesetzlich verankert - maßgeblich auf ärztliches Betreiben. Doch im Laufe der Zeit zeigten sich auch Nachteile, da Laientherapeuten sich jetzt gefahrlos betätigen konnten. Damit gewann die Aberglaubensdebatte einen konkreten Fluchtpunkt und für einige der Teilnehmer auch ein Ziel: die Aufhebung der Kurierfreiheit und die Wiedereinführung des § 199. Sie produzierte auf ihrem Gipfel um die Jahrhundertwende nicht nur eine nahezu unüberschaubare Menge polemischer und kämpferischer Stellungnahmen, sondern ließ Schulmediziner auch zweifeln, irgendwann die Auseinanderset21
Hugo Magnus, Der Aberglaube in der Medicin, Breslau 1903, S. 108 f. Felix Freiherr von Desele, Der Aberglaube in der Krankenstube nach seinem Ursprünge betrachtet, Halle an der Saale 1904. Ähnliche Argumente finden sich bei Hanns Lohr, Aberglauben und Medizin, 7.-16. Tausend, Leipzig 1942, hier S. 129 f. 22 David von Hansemann, Der Aberglaube in der Medizin und seine Gefahr für Gesundheit und Leben, Leipzig/Berlin 1905, S. 75-87. 23 Erste Spuren davon sind bereits im 18. Jahrhundert in der Diskussion um den physikalischen Aberglauben zu erkennen. Vgl. Heydenreich, Psychologische Entwicklung des Aberglaubens. Pott, Aufklärung und Aberglaube, S. 324-332. 24 Neben § 199 (Kurpfuschereiverbot) fiel auch § 200 (Pflicht zur Hilfeleistung) des Strafgesetzbuchs fort, womit sich die Befürworter der Aufhebung wohl der vielfach als Gängelung empfundenen staatlichen Kontrolle entziehen wollten. Über die Offensive gegen die „Kurpfuscher" informiert aus Sicht der ärztlichen Standesorganisationen Huerkamp, Aufstieg der Ärzte, S. 254-260. Re gin, Selbsthilfe und Gesundheitspolitik, S. 273-299.
2. Umgang mit Laientherapeuten
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zung um medizinischen Aberglauben für sich entscheiden zu können. 25 Die Kritiker der Kurierfreiheit monierten vor allem, daß die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde nicht mehr an ein staatliches Examen gebunden war, womit sich dem Aberglauben neben den alten Formen neue Einfallstore in den medizinischen Dienstleistungsmarkt öffneten. Aus der unübersichtlichen Debatte ragt der Aberglaubensvorwurf besonders hervor, weil er sich dazu eignete, die angeblich breitenwirksame Gefahr des Kurpfuschereiunwesens zu bündeln. So machten viele der beteiligten Schulmediziner eine drastische Zunahme der Kurpfuscherei aus, auch wenn die wenigen statistischen Erhebungen vor der Jahrhundertwende darüber keinen sicheren Aufschluß erlaubten. 26 Seit der Kurierfreiheit von 1869 hatten Laienheiler neueren Typs intensiv Reklame durch Zeitungsinserate betrieben, was sie zumindest in der ärztlichen Wahrnehmung gefährlicher erscheinen ließ als die dörflichen Laienheiler älteren Typs. Zudem stach ihr Wirken durch Popularität und Aktivitäten der Naturheilbewegungen stärker ins Auge. Das hatte auch die eindeutige Frontstellung der Kritiker gegen Laienheiler entscheidend geschwächt. Denn an diesem Punkt fächerten sie ihren Aberglaubensvorwurf auf, der sich sowohl gegen Laienheiler als auch gegen die Naturheilbewegung richtete. Unter Aberglauben verstanden die Kritiker nun jede Ablehnung der wissenschaftlichen Schulmedizin, wie sie sich in den verschiedensten Formen äußern konnte. 27
2. Medizinalpolizeiliche Perspektiven im Umgang mit Laientherapeuten Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein war es keineswegs selbstverständlich, die Hilfe der ärztlichen Medizin zu suchen. 28 Der wissenschaftlich gebildete Arzt führte zumeist keine Hausbesuche bei seinen Patienten durch und besaß in der Regel keine eigene Praxis, was nicht zwangsläufig eine ausgeprägte Distanz zwischen Arzt und vor allem ländlicher Bevölkerung bedeuten mußte. Freilich änderte sich das Patientenverhalten im Verlauf des 19. Jahrhunderts, und der Praxisbesuch wurde zur Regel. 29 Die Grenze zwischen ärztlicher und nichtärztlicher Medizin war 25
Vgl. Alexander, Wahre und falsche Heilkunde. Die institutionellen Bestrebungen erläutert Huerkamp, Aufstieg der Ärzte, S. 273-279. 26 Beispielsweise eine Steigerungsrate von 1600% bei Hansemann, Aberglaube in der Medizin, S. 114. 27 Vgl. ebenda, S. 97-133. Alexander, Wahre und falsche Heilkunde, S. 21 f. 28 Dazu Michael Stolberg, Patientenschaft und Krankheitsspektrum in ländlichen Arztpraxen des 19. Jahrhunderts, in: MedhJ 28 (1993), S. 3-27. Ders., Heilkunde zwischen Staat und Bevölkerung. Angebot und Annahme medizinischer Versorgung in Oberfranken im frühen 19. Jahrhundert, med. Diss, masch., München 1986. 14 F r e y t a g
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V. Medizinische Konflikte
dabei weniger eine Frage des Erfolgs als vielmehr zunächst eine der staatlichen Zulassung, der Approbation, womit der Staat gleichzeitig eine Reihe oftmals handwerklich ausgebildeter Heilberufe wie Bader oder Barbiere an den Rand des medizinischen Gesundheitsmarkts und damit in die Illegalität drängte. Dennoch verlief dieser von ärztlichen Klagen über das Unwesen der Pfuscherei untermauerte Prozeß keineswegs geradlinig. Diskriminierende Bezeichnungen flankierten die Approbation, so diente der Quacksalberbegriff in der täglichen Arbeit der Ärzte und auch Tierärzte dazu, nichtapprobierte Heiler und Heilberufe auszugrenzen. 30 Zwar sind gesicherte Zahlen kaum erhalten, da die behördlichen und ärztlichen Quellen zumeist keine genauen Angaben über verurteilte oder verfolgte „Quacksalber" enthalten, sondern überwiegend von mehreren oder einer größeren Zahl berichten. Aber ein Überblick für die 1838 im Regierungsbezirk Köln bis zur gerichtlichen Verhandlung gelangten Pfuschereifälle belegt die große Schwierigkeit der Beamten, Laientherapeuten medizinalpolizeiliche Verstöße nachzuweisen. Von den 26 gerichtlich verhandelten Fällen endeten zehn mit einer Geldstrafe zwischen einem und fünf Talern, immerhin 15 Angeklagte wurden freigesprochen, und ein Verfahren wegen Unzurechnungsfähigkeit niedergeschlagen. 31 Glaubt man indes dem ärztlichen Lamento, dann gelangte nur die geringste Zahl der Fälle überhaupt zur Anklage. Aber auch staatlich anerkanntes Medizinalpersonal blieb von dem Quacksalber- oder Pfuschereivorwurf nicht verschont, wenn es seine Kompetenzen überschritt oder Kollegen ein Dorn im Auge war. 3 2 Dies gilt an herausragender Stelle für die weitgehend auf dem Land tätigen Wundärzte zweiter Klasse, Hebammen und später auch naturheilkundlichen Ärzte. Die unmißverständliche Botschaft, handwerklich ausgebildete Wundärzte hätten in ärztlichen Revieren nichts mehr zu suchen, war in Preußen weithin hörbar zu vernehmen, was unmittelbar mit einer Umstellung auf dem staatlichen Gesundheitsmarkt zusammenhing. Die 1825 unter Federführung des bekannten Chirurgen und Generalstabsarzts Johann Nepomuk Rust erlassene neue Prüfungsordnung hatte die Klassifikation des Heilpersonals erheblich verändert. 33 Von den neuen Wundärzten erster Klasse wurden vertiefte medizinische Kenntnisse erwartet, und den Medizinstudenten gleichfalls chi29 Zum Wandel innerhalb der ärztlichen Praxis Ingrid Vieler, Die deutsche Arztpraxis im 19. Jahrhundert, med. Diss, masch., Mainz 1958. 30 Zum staatlich geduldeten Ausschluß am Beispiel der Tiermedizin 1826/27 in der Rheinprovinz Stein, Tierärzte im Saardepartement, S. 168 f. 31 Sanitätsbericht 1839 (Köln), in: LHAK, Best. 407, Nr. 350, S. 295-490, hier S. 445. 32 Zu Konflikten zwischen akademischen Medizinern Esser, Der praktische Arzt, S. 80 f. 33 Zu Johann Nepomuk Rust (1775-1840), seit 1821 vortragender Rat im Kultusministerium, 1824 Professor in Berlin, 1834 Leibarzt des Kronprinzen, vgl. ADB,
2. Umgang mit Laientherapeuten
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rurgische Studien abverlangt. Der Versuch der staatlichen Medizinalverwaltung, damit die medizinische Infrastruktur auf dem Land zu verbessern und zu systematisieren, zeitigte ambivalente Folgen, erhöhte er doch das Konfliktpotential innerhalb des ländlichen Heilpersonals. Darüber hinaus scheiterte dieser Versuch weitgehend, weil sich selbst die Wundärzte erster Klasse vorwiegend in den Städten niederließen. Jedenfalls ist seit den 1830er Jahren zu erkennen, daß beamtete Ärzte in ihren Sanitätsberichten in der Rubrik „Quacksalberei" verstärkt approbiertes Heilpersonal wegen Überschreitung der Kompetenzen anzeigten. Ein Beleg dafür, daß sich die preußische Verwaltung der Dehnbarkeit des Quacksalbereivorwurfs bewußt war, liefert eine Umfrage des Koblenzer Medizinalkollegiums. Bald nach seiner Einrichtung suchte dieses 1818 bei den Regierungen in Trier und Aachen um eine Stellungnahme zum Problem „Quacksalberei" nach. 34 In ihrer Antwort hob die Trierer Regierung das Unwesen des städtischen Scharfrichters hervor, der vor allem Brüche und Verrenkungen behandelte, und sah „Quacksalberei" solange als bleibendes Übel an, wie „nicht bessere Hülfe gewähret wird, und durch einen zweckmäßigen Unterricht das Volk einsehen lernt, was ihm nützt und schadet". Auf wenig Gegenliebe in Koblenz stieß der Vorschlag, Bürgermeister, die das Quacksalberunwesen in ihrem Amtsbereich zuließen, zunächst mit Geldstrafen zu belegen und im Wiederholungsfall aus ihrem Amt zu entfernen. 35 Anläßlich dieser grundsätzlichen Überlegungen festigte sich die Einsicht der Aachener Regierung, daß Pfuscherei und Quacksalberei wohl kaum in den Griff zu bekommen seien, falls „auch das Pfuscherei genannt werden soll, wenn approbirte Medicinalpersonen Curen von anderen Krankheiten übernehmen, als wofür sie approbirt sind; so wird die Zahl der Pfuscher dadurch ausserordentlich vergrössert". 36 Sie wollte sich ganz auf die Kontrolle der medizinischen Laien konzentrieren. In den Blick der staatlichen Verfolger gerieten auch immer wieder die von Laien vertriebenen sogenannten Arkan- oder Geheimmittel. Bereits die Ankündigungen solcher universal wirksamen Arzneien unterdrückte die Medizinalpolizei, weil sie „unter Beifügung von Briefen angeblich geheilter Personen und von Zeugnissen über ihre Wirksamkeit lobpreisend anempfohlen werden". 37 Streng verfolgte denn auch die Koblenzer Regierung den Bd. 30, S. 25 f. Zur Klassifikation des preußischen Gesundheitspersonals Huerkamp, Aufstieg der Ärzte, S. 45-59. 34 Konzept Medizinalkollegium an Regierungen Aachen und Trier vom 25.5.1818, in: LHAK, Best. 407, Nr. 137, S. 3-5. 35 Regierung Trier an Medizinalkollegium vom 23.6.1818; Abschrift Medizinalkollegium an Regierung Trier vom 6.7.1818, in: ebenda, S. 9-11 und S. 13-15. 36 Sanitätsbericht 2. Hälfte 1818 (Aachen), in: LHAK, Best. 407, Nr. 45, S. 7141, Zitat S. 128. 14*
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V. Medizinische Konflikte
Verkauf von Flaschen eines Wunderbalsams, die man bei dem ortsansässigen Buchdrucker Ludwig Pauli entdeckt hatte. 38 Dies war verbunden mit ausgeprägten Vorbehalten gegen Selbstmedikation, die immer weiter wichtig blieb, wie der Kölner Medizinalrat 1841 mit Blick auf die Bürger der Rheinmetropole zu berichten wußte: „In hiesiger Stadt gibt es viele den höhern Ständen zugehörige Personen und Familien, welche Geheimmittel gegen spezifische Krankheiten selbst zubereiten, und auf Verlangen unentgeldlich dispensiren".39 Gegen derartige Verhältnisse gingen Ärzte zumeist unnachgiebig vor. Sobald es sich um Heilpersonal handelte, das nach wie vor althergebrachte therapeutische Maßnahmen bevorzugte, koppelten Ärzte ihre Bedenken mit dem Vorwurf, Aberglauben zu verbreiten oder auszunutzen. An erster Stelle sind hier die Hebammen zu nennen, bei denen sich - bevorzugt auf dem Land - die staatlich geforderten Ausbildungen und Prüfungen auf Hebammenschulen nur zögerlich durchsetzten. Ein herausragendes Signal dafür sind die zahllosen Verurteilungen von Frauen wegen „unbefugter Ausübung der Hebammenkunst". 40 Auch die oftmals aus ländlichen Lebensverhältnissen stammenden Wundärzte zweiter Klasse zerrieben sich zwischen chirurgisch ausgebildeten Ärzten und Barbieren, die beide die „kleine Chirurgie" ausüben konnten, weshalb Wundärzte immer weniger benötigt wurden. 41 Waren es zu Beginn der preußischen Herrschaft noch die französischen officiers de santé, so gerieten nun zunehmend die handwerklich ausgebildeten Wundärzte zweiter Klasse ins Visier ihrer akademischen Kollegen und mußten sich wegen unerlaubter Ausübung der inneren Medizin rechtfertigen, waren mithin ein Opfer des einsetzenden Professionalisierungsprozes37
Konzept Bodelschwingh an alle Zensoren der periodischen Blätter vom 18.5.1835, in: LHAK, Best. 403, Nr. 7138, S. 285; zu solchen Klagen auch Regierung Trier an Landrat Goertz vom 13.7.1841, in: StA Trier Tb 16/32. 38 Konzept Regierung Koblenz an Landrat Karl Georg Burret (Koblenz) vom 7.4.1818, in: LHAK, Best. 441, Nr. 2878, Bl. 2r. 39 Sanitätsbericht 2. Semester 1841 (Köln), in: LHAK, Best. 407, Nr. 352, S. 343-485, hier S. 478 f. 40 Sanitätsbericht 1834 (Koblenz), in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 131. Vgl. weiter Huerkamp, Aufstieg der Ärzte, S. 45-59. Eva Labouvie } Selbstverwaltete Geburt. Landhebammen zwischen Macht und Reglementierung (17.-19. Jahrhundert), in: GG 18 (1992), S. 477-506. Marita MetzBecker, Der verwaltete Körper. Die Medikalisierung schwangerer Frauen in den Gebärhäusern des frühen 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main/New York 1997, hier S. 22-54. Hans-Christoph Seidel, Eine neue „Kultur des Gebärens". Die Medikalisierung von Geburt im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland, Stuttgart 1998, S. 74-93 und S. 239-276. 41 Sanitätsbericht 2. Semester 1836 (Düsseldorf), in: LHAK, Best. 407, Nr. 347, S. 547-609, hier S. 606. Unter der „kleinen" oder „niederen Chirurgie" sind weniger anspruchsvolle medizinische Tätigkeiten wie Aderlassen, Klystier- oder Blutegelsetzen zu verstehen.
2. Umgang mit Laientherapeuten
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ses innerhalb der Ärzteschaft. 42 Hinzu kam, daß sich approbierte Ärzte auch vielfach der Hilfe von Barbieren und vormaligen Militärchirurgengehilfen bedienten und ihnen sogar Zeugnisse für ihre Tätigkeiten ausstellten 4 3 Dennoch müssen diese Konflikte ebenso vor dem Hintergrund eines während der 1840er Jahre als Schwemme wahrgenommenen Anwachsens der Ärztezahlen gesehen werden, und sie gingen mit handfesten Klagen über die wirtschaftliche Lage einher. Auch die Diskussion nach der Freigabe der Kurpfuscherei durch die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 betraf medizinisches Personal und eng damit verwoben dessen wirtschaftliche Lage. 4 4 An prominenter Stelle standen die Heildiener, die durch ministerielle Verordnungen von 1851 und 1852 an den Platz der Wundärzte zweiter Klasse getreten waren und kleinere chirurgische Operationen durchfühlten. Aber neben Masseuren, Krankenpflegern und nichtapprobierten Zahnärzten blieben Laientherapeuten vorrangige Ziele ärztlicher Kritik. 4 5 Bei der nahezu unüberschaubaren Vielfalt der Laienheilkundigen kann es nicht darum gehen, nach ihren Systemen zu fragen oder sie gar zu klassifizieren. Über ihre therapeutische Praxis lassen sich kaum systematische Zugänge, und schon gar nicht auf Basis dichotomischer Stereotypien wie empirisch-effizient gegen metaphysisch-ineffizient, finden. Sie reichte, um nur drei Beispiele für den Vormärz zu nennen, vom „Wunderdoktor", der 1821 im Kreis Daun die Krankheitsherde seiner Patienten anhauchte und mit seinem blaugefärbten Zeigefinger Kreuze schlug, über den „Harnpropheten", der 1838 in der Nähe von Cornelimünster aus dem Urin zahlreicher Aachener Kranker las, bis zum Gemeindeschöffen Philipp Schiefen aus Schiefen (Siegkreis), der 1839 seine nackten Patienten mit den Händen 42 Sanitätsbericht 2. Semester 1842 (Koblenz), in: LHAK, Best. 407, Nr. 353, S. 331-384, hier S. 379. Freilich nutzte eine Menge von Wundärzten zweiter Klasse die Möglichkeit, sich zu Wundärzten erster Klasse ausbilden zu lassen. Huerkamp überschätzt offenbar die Beharrungskraft der Wundärzte zweiter Klasse, obwohl sie einräumt, daß deren Zahl deutlich zurückging: Aufstieg der Ärzte, S. 53. Weitaus seltener waren öffentliche Konflikte unter akademischen Medizinern. Eine Ausnahme bildet der bekannte Fall Kirchgässer. Dazu Schubert, Regierung in Koblenz, S. 83 f. 43 Sanitätsbericht 2. Semester 1840 (Düsseldorf), in: LHAK, Best. 407, Nr. 351, S. 427-479, hier S. 474. 44 Abschrift Erklärung zur Kurpfuscherei [ohne Datum], in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII B, Nr. 1327. Vermutlich handelt es sich um eine historische Zusammenstellung über die gesetzlichen Bestimmungen gegen Kurpfuscherei, welche der preußischen wissenschaftlichen Deputation im Vorfeld der Gewerbeordnung von 1869 als Grundlage für die über das Medizinalwesen geführten Verhandlungen diente. 45 Vgl. Spree, Kurpfuscherei-Bekämpfung, S. 111. Als Beispiel für die heftige polemische Kritik der Jahrhundertwende Alexander, Wahre und falsche Heilkunde.
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V. Medizinische Konflikte
bestrich. 46 Vielversprechender scheint ein erster Zugang über ärztlich-behördliche Umgangs- und Ausgrenzungsmechanismen. Bei der Konzentration auf den Aberglaubensvorwurf wird deutlich, daß dieser nur auf bestimmte Gruppen zielte, wodurch zumindest ein Stück weit eine Differenzierung innerhalb der Laienheilkunde möglich ist. 4 7 Bei dem Umgang mit Laienheilern lassen sich - basierend auf den Akten der rheinpreußischen Gesundheitsverwaltung - mehrere Ebenen unterscheiden, die sich schlagwortartig mit den Begriffen Verbot, Obhut, Erlaubnis und Professionalisierung skizzieren lassen: Verbot oder Strafandrohung der therapeutischen Praxis waren probate Mittel, welche die Sanitätsbeamten nahezu vorbehaltlos mittrugen und in ihren Berichten immer wieder forderten. Ein sofortiges Verbot laientherapeutischer Behandlungen erließen die Medizinalbehörden dann, wenn sie „abergläubische" Praktiken zu erkennen glaubten. Kaum war in Koblenz das Medizinalkollegium der neuen Provinz eingerichtet worden, beklagte sich der Bopparder Distriktsarzt Machey 1817 über den abergläubischen Unfug der Urinschau, durch den er seine Einkünfte gefährdet sah. Vor allem „in der Eyfel, auf dem Hochwalde, in dem zu unserer Monarchie geschlagenen Antheile des Luxemburgischen gibt es viele Winkel, wo solche Urinpropheten ihr weesen meist recht lucrativ forttreiben", weshalb er vorschlug, diese „Quacksalber" mit fünf Jahren Gewerbeentzug zu bestrafen. 48 46 Sanitätsbericht 1. Quartal 1822 (Trier), in: LHAK, Best. 407, Nr. 44 I, S. 505523, hier S. 522; Sanitätsbericht 1. Semester 1838 (Aachen), in: LHAK, Best. 407, Nr. 349, S. 21-138, hier S. 121; Sanitätsbericht 1839 (Köln), in: LHAK, Best. 407, Nr. 350, S. 295-490, hier S. 446 f. 47 Die voller Vorurteile steckende medizinische Publizistik enthält nur wenige Details über laienmedizinische Therapien und den praktischen Umgang mir ihnen. Vgl. Loetz, Vom Kranken zum Patienten, S. 112-123. Matthew Ramsey, Professional and Popular Medicine in France, 1770-1830. The Social World of Medical Practice, Cambridge 1988, hier Teil II, S. 129-276. Ders., Medical Power and Popular Medicine: Illegal Healers in nineteenth-century France, in: Journal of social history 10 (1977), S. 560-587. Huerkamp, Aufstieg der Ärzte, S. 36-39. 48 Machey an Obermedizinalrat Thorney vom 10.8.1817, in: LHAK, Best. 407, Nr. 43, S. 3-6. „Urinpropheten" wie 1824 der vormalige offcier de santé Wallscheid aus Manderscheid (Kreis Wittlich) gerieten immer wieder ins Blickfeld der preußischen Medizinalpolizei: Sanitätsbericht 1. Quartal 1824 (Trier), in: LHAK, Best. 407, Nr. 44 II, S. 5-26, hier S. 25. Bei der 1823 verfügten Sammlung von Volksheilmitteln durch die Ärzte der Rheinprovinz zeigte sich wiederholt, daß Tierund Menschenurin als vielverwendetes Mittel diente. Regierung Düsseldorf an Medizinalkollegium vom 25.5.1824, in: LHAK, Best. 407, Nr. 115, S. 17 f. Es sind zahlreiche Fälle überliefert, in denen auch Ärzte aller Skepsis zum Trotz auf Urinschauen nicht verzichteten. Allerdings waren sie kein ausschließliches diagnostisches Mittel. Vgl. Wolfgang Bolster, Medizinische Wissenschaft und ärztliche Praxis im Leben des Bochumer Arztes Karl Arnold Kortum (1745-1824): medizinhistorische Analyse seines Patiententagebuches, med. Diss, masch., Bochum 1990, S. 147-153. Esser, Der praktische Arzt, S. 30.
2. Umgang mit Laientherapeuten
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Sobald Laientherapeuten allerdings kein Honorar verlangten, sondern lediglich Geschenke annahmen, war ihnen kaum das Handwerk zu legen. Der Dauner Kreisphysiker Schmitz versuchte 1822 mit aller Macht, dem EifelHeiler Joseph Fuchs nachzuweisen, daß er zwar eine direkte Bezahlung zurückweise, „aber doch beiläufig auf freiwillige Geschenke hindeutet, welche er sich dann entweder in die auf den Rücken gehaltenen Hände drücken, oder auch in die Rocktasche schieben läßt". Offenbar blieben selbst wiederholte Strafen wegen „Quacksalberei" als Abschreckung aber weitgehend wirkungslos, da die Betroffenen in vielen Fällen keine Alternativen hatten, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wenn Laienheiler einen überproportional großen Anteil an der medizinischen Versorgung hatten wie 1821 in den Kreisen Bernkastel und Wittlich, dann schoben die Medizinalbehörden dies regelmäßig auf den geringen aufklärerischen Einfluß, den die Kreisphysiker bisher auf den „gemeinen Mann" erlangt hatten. 4 9 Offenkundig verstand die preußische Gesundheitsverwaltung das Verbot laienmedizinischer Praktiken auch als Schutz ihrer Untertanen, die alle potentielle Opfer waren - eine Perspektive, die sich 1836 im Falle des Wunderheilers und Hexenmeisters Kaminski auf der Ostseehalbinsel Heia aufs Grausamste bestätigte. Einen greifbaren und vorzüglich dokumentierten Beleg für die großen Schwierigkeiten, „Pfuschereien" nachzuweisen und ein Verbot durchzusetzen, bieten die Kuren des Franziskanerbruders Franz Joseph Martin aus Hirsingen (Elsaß), der sich im Frühjahr und Sommer 1842 in Trier aufhielt. Für den Umgang mit der Laienheilkunde hat dieser Fall einen besonderen Stellenwert, weil die Trierer Regierung einen grundsätzlichen Klärungsbedarf ausmachte und einen Musterprozeß initiierte. Der Laienbruder wurde rasch aktenkundig, weil er Augen- und Ohrenleiden behandelte. Blitzschnell verbreitete sich nach seiner Ankunft das Gerücht in der näheren Umgebung, der Franziskaner sei ein „Wunderdoctor". So berichtete der Bitburger Kreisphysiker Arnheimer in seinem Sanitätsbericht für 1842, „daß mancher Mann [...] seine letzte Habe aufgeopfert, um die Reise zu dem Wunder-Doctor zu machen und sich ihm für die erwartende Hülfe dankbar zu beweisen". 50 Im Vergleich zu den Kreisen in Hunsrück und Eifel konnte Trier zwar mit Ärzten als relativ gut versorgt gelten, 51 und es kam auch zu 49 Sanitätsbericht 1. Quartal 1822 (Trier), in: LHAK, Best. 407, Nr. 44 I, S. 505523, hier S. 522; Sanitätsbericht 4. Quartal 1821 (Trier), in: ebenda, S. 439-502, hier S. 500. 50 Sanitätsbericht 1. Semester 1842 (Trier), in: LHAK, Best. 407, Nr. 382, S. 749-781, hier S. 778-780; Regierung Trier an Schaper vom 9.8.1842, in: LHAK, Best. 403, Nr. 1613, S. 39-45, hier S. 41. 51 Eine Aufstellung von 1827 weist neun promovierte Ärzte in der Stadt aus: Summarische Nachweisung sämtlicher Medicinal-Personen im Regierungsbezirk Trier pro 1827, in: StA Trier, Tb 16/32. 1841 waren dann zwölf von insgesamt 32
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V. Medizinische Konflikte
medizinischem Tourismus, wenn Kranke aus dem Umland die Stadt aufsuchten. 52 Jedoch hat der Historiker bei dem Urteil, die medizinische Versorgung sei in der Stadt besser gewesen als auf dem Land, zu bedenken, daß die in den Quellen nur summarisch erwähnten Laientherapeuten zentraler Bestandteil eines ländlich-medizinischen Dienstleistungsmarkts waren. Auch waren selbst in den Städten keinesfalls nur ortsansässige Therapeuten tätig, sondern es blieb durchaus üblich, daß spezialisierte Heiler umherreisten und ihre medizinischen Fähigkeiten anboten. 53 Um Ruhe und Ordnung besorgt, registrierte der Trierer Oberbürgermeister Franz Damian Goertz eine große Menschenmenge, die sich zur Behandlung bei Martin einfand. So hielt er am 21. Juli auf dem Höhepunkt des Interesses fest: In „diesem Augenblicke wimmelt das Haus des Tuchmachers Conrad Gracher, in welchem Martin seine Charlatanerie ausübt, von fremden Mensche[n]". Zwar war die Trierer Polizeibehörde bereits zuvor auf den Laientherapeuten aufmerksam geworden, denn sie hatte bei Goertz schon am 24. Juni einen Bericht über die Vorgänge angefordert; 54 Dynamik gewann die Angelegenheit jedoch erst im Juli mit dem Sanitätsbericht des Bitburger Kreisphysikers. Trier meldete den Fall nun dem zuständigen Oberprokurator Deuster, ließ den Heiler heimlich überwachen, und die Polizei sollte die Verstöße gegen die Medizinalgesetze dokumentieren. Goertz mußte darüber hinaus wöchentlich über den Fortgang der „Quacksalbereien" berichten, um die Angelegenheit besser kontrollieren und möglichst bald ein Gerichtsverfahren gegen Martin einleiten zu können. Der Franziskaner wurde dann am 21. Juli auf das Polizeiamt zitiert und verwarnt. 55 Polizeikommissar Müller verlas ihm die gesetzlichen Bestimmungen, die nichtapprobierten Personen alle therapeutischen Eingriffe untersagten. Dieses maßgeblich vom Medizinalrat Tobias angeregte Vorgehen korrespondiert mit einem Befund medizinhistorischer Forschung, welche die 1840er und 1850er Jahre als Schlüsselphase der Medikalisierung ausgepromovierten Ärzten im gesamten Regierungsbezirk in Trier tätig: Sanitätsbericht 2. Semester 1841 (Trier), in: LHAK, Best. 407, Nr. 352, S. 1007-1072, hier S. 1008. 52 Regierung Trier an Goertz vom 10.8.1842; undatiertes Konzept Goertz an Regierung Trier, in: StA Trier, Tb 16/194. Danach soll die Trierer Gelegenheitsheilerin Clara Hauser einen eher ländlichen Patientenstamm gehabt haben. In deren Wohnung fand die Polizei bei einer Hausdurchsuchung ein Patientenregister, neun alte heilkundliche Bücher, diverse Körbe mit Heilkräutern, verschiedene Pulver sowie 36 Schröpfköpfe. 53 Mit zahlreichen bayerischen Beispielen aus dem frühen 19. Jahrhundert Christian Probst, Fahrende Heiler und Heilmittelhändler. Medizin von Marktplatz und Landstraße, Rosenheim 1992, hier S. 188-206. 54 Regierung Trier an Goertz vom 24.6.1842; Goertz an Polizeikommissar Müller vom 21.7.1842, in: StA Trier, Tb 16/195. 55 Regierung Trier an Goertz vom 26.7.1842; Verhandlungsprotokoll vom 21.7.1842, in: ebenda.
2. Umgang mit Laientherapeuten
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macht hat, denn die bis dahin in Preußen gehandhabte Praxis, laientherapeutische Verfahren unter ärztlicher Aufsicht zuzulassen, ging spürbar zurück. 5 6 Das Vorhaben, Martin als mittellosen Ausländer auszuweisen, scheiterte daran, daß dieser gegenüber der Polizei geäußert hatte, ein Immediatgesuch beim Kultusministerium einzureichen, seine Heilungen weiterhin durchführen zu dürfen. 57 Darüber hinaus vermutete die Trierer Regierung, Bischof Arnoldi und andere Gönner würden den Laienbruder gegebenenfalls finanziell unterstützen, weshalb er nicht als mittellos gelten könne. Man wollte also den Bescheid aus Berlin und die laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungen abwarten, bevor man Martin aus der Stadt wies, empfahl unterdessen allerdings eine Ablehnung seines Gesuchs. Der Oberbürgermeister und Medizinalrat Tobias waren sich uneins darüber, wie und ob gegen Martin vorzugehen sei; die Regierung versuchte, die Behandlungen konsequent zu unterbinden, während Goertz diesen gewähren lassen wollte - sofern er kein Honorar für seine Kuren nahm. Die Trierer Regierung strengte nun gegen den Franziskaner einen Prozeß an, um definitiv zu klären, wann Pfuscherei vorläge. Das zuständige Trierer Landgericht sprach Martin zunächst von diesem Vorwurf frei, weil er keine medizinischen Mittel verwendet und seinen Patienten lediglich Dämpfe in Augen und Ohren geblasen hatte. Bevor dann die Appellationsinstanz das Urteil aufhob und eine Geldbuße nach dem Gesetz vom 19. Ventôse des Jahres X I verhängte, war Martin dann jedoch schon abgereist. Dennoch legte Tobias höchsten Wert auf dieses Urteil, „indem es die Ansicht widerlegt, als ob das Receptschreiben oder eine ähnliche Einzelnheit [!] zur Qualification der medizinischen Pfuscherei erforderlich sei". 5 8 Insgesamt hielt er den Franziskaner eher für ein Opfer als für einen Täter. Damit verwies er auf die mangelnde Aufklärung unter den Patienten, welche den Durchreisenden letztlich erst zu einem „Wunderdoctor" machten, und formulierte als Fazit der Angelegenheit: „Der Trieb zu Curiren und Curirtwerden wirkt so mächtig in Menschen, daß mancher gutmütige Schwärmer zum Beschwörer und Quacksalber geworden und viele übrigens intelligente Personen, die an unheilbaren Uebeln oder schwerheilbaren Krankheiten leiden, ihre Zuflucht zu einem solchen nehmen".59 56 Vgl. Huerkamp, Aufstieg der Ärzte, S. 59. Für Württemberg Drees, Ärzte auf dem Weg, S. 164 f. Für Baden mit anderen Ergebnissen Loetz, Vom Kranken zum Patienten, S. 172-182. Auch wenn mit starken regionalen Unterschieden zu rechnen ist - gerade zwischen städtischen und ländlichen Gegenden - , spricht doch einiges dafür, von der Phase ab 1850 als „Schlüsselzeit" zu sprechen, in der eine stärkere Nutzung der ärztlichen Medizin einsetzte. Vgl. Stolberg, Patientenschaft, S. 4. 57 Martin an Polizeibehörde vom 21.7.1842, in: StA Trier, Tb 16/195. Das Gesuch ist wahrscheinlich nicht mehr erhalten, wenn Martin denn überhaupt eines stellte. 58 Jahresbericht über Medizinalangelegenheiten 1842 (Trier), in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 132.
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V. Medizinische Konflikte
Die preußische Gesundheitsverwaltung band Laientherapeuten unter der Obhut von Ärzten in den medizinischen Dienstleistungsmarkt ein. Das in der medizinhistorischen Forschung bislang vernachlässigte Ineinandergreifen von akademischer und Laienheilkunde wird hier deutlich erkennbar. Diese Zusammenarbeit war keine Ausnahme, wie die therapeutische Erforschung des animalischen Magnetismus zeigt. Ärzte erprobten damit nicht nur andere Therapien, sondern kontrollierten gleichzeitig therapeutische Formen, die ihnen als „Aberglauben" verdächtig waren, und konnten bei Bedarf eine sonst nur schwer erreichbare Klientel aufklären. Grundsätzlich dazu äußerte sich das Kultusministerium 1836. Danach durften Laien zwar nach dem Allgemeinen Landrecht, 2. Teil, Tit. X X , § 706, mit Genehmigung und unter Aufsicht eines approbierten Arztes kurieren; allerdings hatten die Ärzte darauf zu achten, daß Laien daraus kein Gewerbe machten. Auch wollte das Ministerium ganz offensichtlich mit dieser Linie den ärztlichen Spielraum beschneiden. Denn die Gesundheitsverwaltung sollte sich unter medizinalpolizeilichen Gesichtspunkten ein Urteil vorbehalten. 60 Diese teilweise Einbindung von Laien lockerte die in der Forschung so oft herausgestellte Distanz der unteren Schichten zum verbürgerlichten Arzt sicher auf. 61 Laienheiler waren damit nicht nur Opfer des Medikalisierungsprozesses, sondern sie waren gleichzeitig in den medizinischen Dienstleistungsmarkt eingebunden, auch wenn sich das hierarchische Verhältnis zu den akademischen Ärzten festigte. 62 An der Schwelle zu einer solchen Einbindung stand die Knochenflickerdynastie Pies. Diese Familie war nicht nur bis ins 20. Jahrhundert auf dem Hunsrück tätig, sondern konnte bereits um 1800 auf eine überaus erfolgreiche frühneuzeitliche Karriere zurückblicken. 63 Franz Pies und sein Sohn Johannes stellten 1815 unmittelbar nach Ankunft der neuen Machthaber beim Generalgouverneur Franz Edmund Ignatz Freiherr von Schmitz-Grollenburg ein Gesuch, die Heilkunde auch weiterhin ausüben zu dürfen, und 59
Regierung Trier an Schaper vom 9.8.1842, in: LHAK, Best. 403, Nr. 1613, S. 39-45, hier S. 40. 60 Konzept Kultusministerium an Innenminister Rochow vom 30.6.1836, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2180. 61 Vgl. Alber/Dornheim, Die Fackel der Natur, S. 177. Jens Lachmund/Gunnar Stollberg, Patientenwelten. Krankheit und Medizin vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert im Spiegel von Autobiographien, Opladen 1995, S. 223. Huerkamp, Aufstieg der Ärzte, S. 40-45. 62 Zum Nebeneinander in der Frühen Neuzeit Robert Jütte, Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der frühen Neuzeit, München 1991, S. 148-162. 63 Vgl. Eike Pies , Freund Biesenbach, sind das Manieren? Ein Kurpfuscher-Streit des 19. Jahrhunderts, in: Rhein-Hunsrück-Kalender 31 (1975), S. 32-34. Angesichts der langen Heiltradition innerhalb der Familie ist es fragwürdig, von Laientherapeuten zu sprechen, zumal gerade Knocheneinrenker vielfach aus Erfahrung lernten. Vgl. Ramsey, Professional and Popular Medicine, S. 184-189.
2. Umgang mit Laientherapeuten
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legten Testate mehrerer Hunsrücker Maires bei, um ihren erfolgreichen und guten Ruf zu unterstreichen. 64 In ihrem ersten, zwei Jahre später für das Kultusministerium zusammengestellten Bericht über den Gesundheitszustand in der neuerworbenen Provinz, klagten die Koblenzer Medizinalbeamten über die „Landplage" der Quacksalber, unter denen immer noch „die hiesige Bande [...] der Knochendoctoren Pies welche das ganze Land durchziehen", herausragte. Der hier von den Behörden übernommene Begriff „Knochendoctor" zeigt sicher auch sprachlich die Wertschätzung, die man der Familie Pies entgegenbrachte. Da man angesichts des überaus negativ eingeschätzten Stands der medizinischen Aufklärung nicht glaubte, ihre Tätigkeit über Verbote unterbinden zu können, schlugen die Beamten Berlin vor, die Knocheneinrichter unter der Aufsicht von Ärzten und Wundärzten weiterhin therapieren zu lassen. 65 Das Kultusministerium lehnte dies ab und befahl ein strenges Einschreiten. 66 Die Koblenzer Regierung rechtfertigte wenig später nochmals ihre ursprünglich vorgesehene nachgiebige Haltung gegenüber der Familie Pies, denn ein Verbot blieb ihrer Meinung nach völlig unwirksam, da bei „allen Knochenbrüchen und Verrenkungen [...] sie nicht nur vom Poebel, sondern selbst von der gebildeten Klasse, von Gerichtspersonen, und selbst von Aerzten in eigenen Angelegenheiten zu Hülfe gerufen [wurden]. Der vorzügliche Schutz den diese Familie seit vielen Jahren von den Verwaltungen genossen, und der so weit ging, daß im Jahr 1801 ein junger Pies durch den Kaiser von der Conscription [...] freigesprochen wurde, mußte das Vorurtheil für diese Männer auf das künftigste begründen".67 Die Verwaltung bezweifelte dabei nicht nur den Erfolg eines Verbots, sondern befürchtete, das eigene Ansehen dauerhaft zu beschädigen, wenn sie die Familie Pies bedrängte; vielmehr wollte sie zunächst das medizinische Vertrauen der neuen Untertanen am Rhein gewinnen, ehe sie gegen diese „Quacksalber" vorging. Dem besseren Wissen zum Trotz begann die Gesundheitsverwaltung 1819, den ministeriellen Befehl umzusetzen, und verbot Vater und Sohn Pies jede weitere Tätigkeit. Vor diesem Hintergrund 64
Johannes und Franz Pies an Generalgouverneur Schmitz-Grollenburg vom Dezember 1815, in: LHAK, Best. 354, Nr. 53. Franz Edmund Ignatz Freiherr von Schmitz-Grollenburg (1776-1844) war 1815/16 Generalgouverneur des Saardepartements, später dann Regierungspräsident in Koblenz, Trier und Düsseldorf. Vgl. Romeyk, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten, S. 728. 65 Konzept Generalsanitätsbericht 1817, in: LHAK, Best. 407, Nr. 360, S. 1-70, hier S. 45^17. Hervorhebung im Original. 66 Kultusministerium an Regierung Koblenz vom 2.11.1818, in: LHAK, Best. 441, Nr. 13439; Bericht Medizinalkollegium über die wichtigsten Resultate seiner vorjährigen Wirksamkeit vom 20.1.1819, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 130, Bl. llr-18v, hier Bl. 15. 67 Konzept Regierung Koblenz an Kultusministerium vom 16.2.1819, in: LHAK, Best. 441, Nr. 13439.
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V. Medizinische Konflikte
kann es nicht überraschen, daß aus dem Kreis Simmern vergebliche Gesuche eingingen, die Verfügung zurückzunehmen. 68 Drei Jahre später beruhigte die Medizinalbehörde das Kultusministerium über das anhaltende Vertrauen der Hunsrückbevölkerung in die Familie Pies mit der Feststellung: „Die Bewohner gebirgischer Gegend sind umso mehr geneigt, alten Gebräuchen und Gewohnheiten anzuhängen, sowohl im Guten als im Schlechten, und in solchen Gegenden dauert es daher auch immer länger, bis die wissenschaftliche Heilkunst zur Anwendung gelangt".69 Die Klagen über den „gewaltigen Zulauf" rissen nicht ab, denn auch 1826 hatten die „Knochendoctoren Pies auf dem Hundsrücken" immer noch eine führende Stellung inne. 7 0 Und auch 1832 mißbilligte der Koblenzer Kreischirurg verbittert das Verhalten eines seiner Patienten, hatte dieser doch einen Pies hinzugezogen, um seine eigene - vermeintlich erfolgreiche - Therapie zu überprüfen. 71 In der durchaus üblichen Konsultation eines Kollegen - und das mußte beim Hinzuziehen eines als „Quacksalber" geltenden Heilers noch schlimmer ausfallen - sahen viele Ärzte einen Ausdruck des Mißtrauens gegenüber ihren therapeutischen Fähigkeiten. Dieser Familie gelang freilich allen Verboten zum Trotz der Übergang zur wissenschaftlichen Medizin, und sie paßte sich auch den ärztlichen Gepflogenheiten an, denn 1850 klagte dann ein ordnungsgemäß approbierter Distriktsarzt Pies über einen „Quacksalber". Der auf dem Hunsrück tätige Arzt zeigte den Alterkülzer Pfarrer Bartels wegen „Pfuscherei" an. 7 2 Ungeachtet dieser gelehrten Karriere wurde das überaus erfolgreiche „Piesen" in der zweiten Jahrhunderthälfte zu einem Synonym für die Tätigkeit des „Pfuschens", wie Koblenz 1897 anläßlich einer Erhebung über das Ausmaß der Kurpfuscherei nach Berlin meldete. 73 Und noch 1914 berichtete der Kreisarzt aus Simmern über die Erfolge eines in der Nähe tätigen Mitglieds der Familie Pies, die so groß waren, daß Knochenverletzungen sprichwörtlich zu „Piesenfehlern" wurden. 74 68 Regierung Koblenz an Landrat Christian Ludwig Schmidt (Simmern) vom 9.1.1819; Regierung Koblenz an Schmidt vom 29.5.1819, in: LHAK, Best. 655,014, Nr. 892. 69 Konzept Generalsanitätsbericht 1822, in: LHAK, Best. 407, Nr. 363, S. 3-155, hier S. 154. 70 Generalsanitätsbericht 1826 (gedruckt), in: LHAK, Best. 407, Nr. 367, S. 135. 71 Generalsanitätsbericht 1832 (gedruckt), in: LHAK, Best. 407, Nr. 373, S. 221. 72 Auszug aus Sanitätsbericht II. Quartal 1850 (Distriktsarzt Pies), in: LHAK, Best. 441, Nr. 2880. 73 Zusammenstellung der auf den Erlaß vom 9.10.1897 eingegangenen Berichte der Regierungs- und Oberpräsidenten, betreffend die infolge der Kurierfreiheit auf gesundheitlichen Gebieten gegenwärtig herrschenden Zustände, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII B, Nr. 1328. 74 Vgl. Schubert, Regierung in Koblenz, S. 85 f. Zur Familie Pies Rummel, Modernisierung durch Verwaltung, S. 61 f.
2. Umgang mit Laientherapeuten
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Phasenweise erhielten Laien eine Erlaubnis zu Therapien bei periodisch oder regional auftretendem Medizinermangel, vor allem in den ländlichen Gebieten der Rheinprovinz. Diese Erlaubnis unterschied sich von der Tätigkeit unter ärztlicher Obhut dadurch, daß die Medizinalbehörden eine regelrechte, indes zeitlich befristete Konzession erteilten, etwa wenn Hilfschirurgen in einem Kreis fehlten. 75 Diese wurde zuvörderst für die sogenannte „kleine" oder „niedere Chirurgie" vergeben, die dann Barbiere ausübten, die von Zeit zu Zeit als „Pfuscher" verfolgt wurden. 76 Die Barbiere beriefen sich bei ihren zahllosen Gesuchen auf ein angebliches Institut aus der französischen Zeit, das ihnen die Ausübung einfacher medizinischer Tätigkeiten gestattet hatte. 77 Unklar ist, ob sie sich damit in die Tradition der officiers de santé stellten, die auf dem Land gewirkt hatten. Mehrfach erhielten jedoch auch andere Laientherapeuten eine bedingte Konzession wie der therapeutisch tätige Pfarrer Bartels aus Alterkülz, der großes Vertrauen im Kreis Simmern genoß, wohl auch weil sein Vater Medizinalrat gewesen war, und der ausdrücklich gegen den medizinisch-religiösen „Aberglauben" - diverse Krankheiten seien vom Teufel verursacht - einschritt. 78 Derartige Konzessionen wurden gleichwohl nur nach ausführlichen Stellungnahmen der zuständigen Kreisphysiker und gutachterlichen Äußerungen der Medizinalbehörden verfügt. Sobald die Laienheiler keine therapeutischen Erfahrungen vorweisen konnten, sich bereits strafbar gemacht hatten oder der Beförderung von Aberglauben verdächtig waren, versperrten sich die Behörden einer Genehmigung. Und wenn genügend medizinisches Personal vorhanden war, genehmigten die Behörden selbst gut begründete Gesuche kaum mehr, was Anfang der 1840er Jahre eintrat, obwohl sich unter den Antragstellern auch eine Reihe vormaliger, gut ausgebildeter Militärchirurgen befand. Allerdings konnten Hebammen und Barbiere nach einem Ministerialreskript vom 12. Februar 1852 die „kleine Chirurgie" wieder problemlos ausüben, da die Zahl der Wundärzte zweiter Klasse rückläufig war, und die neuen Wundärzte erster Klasse sich überwiegend in den Städten niederge75 Abschrift Kultusministerium an Barbier Peter Aloys Abels (Aachen) vom 8.9.1832, in: LHAK, Best. 403, Nr. 11058, S. 5. 76 Sanitätsbericht 2. Semester 1835 (Köln), in: LHAK, Best. 407, Nr. 346, S. 323—428, hier S. 427. Teilweise erhielten auch Laienheiler wie der Trierer Knochenheiler Nikolaus Raach Konzessionen, die sich auf eine mechanische Behandlung von Knochenbrüchen beschränkten. Regierung Trier an Haw vom 23.5.1828, in: StA Trier, Tb 16/152. 77 Waither Joseph Schmitz (Bonn) an Oberpräsidium vom 20.5.1825, in: LHAK, Best. 403, Nr. 11058, S. 1 f. 78 Immediatgesuch Bartels vom 3.5.1856; Abschrift Kultusministerium an KleistRetzow vom 23.12.1856, in: LHAK, Best. 441, Nr. 2880. Der Hinweis Bartels auf die Familientradition ist darüber hinaus ein Kennzeichen dafür, daß sich auch um 1850 der Arztberuf noch nicht vollständig aus seinem ständischen Herkommen gelöst hatte.
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V. Medizinische Konflikte
lassen hatten. Die in den preußischen Medizinalakten immer wieder verwendeten Bezeichnungen „Pfuscher" und „Quacksalber" sagten so besehen weniger etwas über die fehlende Qualifikation der Betroffenen aus als vielmehr über den Bedarf medizinischen Personals. Sie waren zudem nach §199 preußisches Strafgesetzbuch bis 1869 die zentralen rechtlichen Kategorien, die über die Strafbarkeit medizinischen Handelns entschieden, was bei „Aberglauben" nicht mehr der Fall war. 7 9 Schließlich fand im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts eine Spezialisierung, Professionalisierung und teilweise Institutionalisierung innerhalb der Laienheilkunde statt, womit wahrscheinlich die in der Kurpfuschereidebatte geäußerte Wahrnehmung zusammenhing, die Zahl der Laientherapeuten sei drastisch gestiegen. 80 Dieser Wandel berührte massiv auch die Umgangsformen mit Laientherapeuten. Jedenfalls gaben die betroffenen Laienheiler neueren Typs in Briefwechseln mit den Behörden nun nicht mehr in erster Linie ihren ursprünglich ausgeübten Beruf an, sondern sie bezeichneten sich entsprechend der von ihnen bevorzugten Therapie als Naturheilkundige, Magnetiseure, Homöopathen oder Hypnotiseure. 81 Gerade diese arztähnlichen Titel verfolgten die Standesorganisationen mit größtem Nachdruck. Viele Laienpraktiker fanden im Kaiserreich zudem institutionellen Rückhalt in den zahlreichen Naturheilvereinen, was es den ärztlichen Kritikern einerseits nahezu unmöglich machte, sie in die Illegalität abzudrängen, andererseits aber zu dem Versuch führte, daß diese sich wiederum selbst von „Kurpfuschern" abgrenzen wollten. Freilich nahm die Auseinandersetzung an Schärfe kurz vor der Jahrhundertwende auch deshalb zu, weil es einigen Laienheilern gelungen war, die Kassenzulassung zu erhalten. Zentrale Verhaltensweisen der Laienheiler neueren Typs lassen sich beim sogenannten „Lehmpastor" Emanuel Felke (1856-1926) beobachten, der 1898 einen Luftbadepark im niederrheinischen Repelen errichtete. Die Düsseldorfer Regierung versuchte, die Kurierfreiheit in diesem Fall auf amtlichem Wege zu unterhöhlen, indem sie Felke vorhielt, seine „Kurpfuscherei" sei mit seinem geistlichen Amt als Pfarrer unvereinbar. 82 Sie ließ seinen 79
Regierung Koblenz an Oberpräsident Eichmann vom 13.7.1847, in: LHAK, Best. 403, Nr. 11058, S. 57-60. 80 Vgl. Spree, Kurpfuscherei-Bekämpfung. Jütte, Geschichte der Alternativen Medizin, S. 32-42. Cornelia Regin, Naturheilkundige und Naturheilbewegung im Deutschen Kaiserreich. Geschichte, Entwicklung und Probleme eines Bündnisses zwischen professionellen Laienpraktikern und medizinischer Laienbewegung, in: MedGG 11 (1992), S. 177-202. Auch Magnetisieure begannen, sich zu institutionalisieren: Petition der deutschen Heilmagnetiseure an den Reichstag vom 25.10.1887, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2199, Bl. 144r145v. 81 Zahlreiche Beispiele dafür GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2199-2200.
3. Lösung von Krankheiten aus ihrem religiösen Kontext
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„Jungborn" daher wegen Unsittlichkeit bereits ein Jahr nach der Eröffnung schließen, was allerdings nicht dauerhaft durchgehalten werden konnte, da Felke es geschickt verstand, sich juristisch und propagandistisch zu wehren. Selbst gezielte ärztliche Anti-Felke-Propaganda - gespickt mit Vorwürfen, den „Aberglauben" der Bevölkerung auszunutzen und noch zu befördern sowie verschiedene Prozesse konnten den Erfolg der Luft-, Lehm- und Lichtkuren nicht verhindern. 83 Im Gegenteil, der Zulauf nach Repelen nahm immer mehr zu. Felke und seine Anhänger wurden rasch zu einer aufstrebenden „medizinkritischen Massenbewegung", die sich in Vereinen organisierte, eigene Publikationsorgane herausgab und sich mit „Lehm heil" grüßte. Die Grenzen des von der Schulmedizin pastoralmedizinisch Tolerierten hatte Felke in den Augen der Behörden bereits früh überschritten, obwohl die Übergänge im 19. Jahrhundert lange fließend gewesen waren.
3. Die langwierige Lösung von Krankheiten aus ihrem religiösen Kontext Ein Zurückdrängen geistlicher Heilmittel ging mit der Ablehnung wunderbarer Heilungen einher. So richtete sich eine grundlegende Verfügung für die Rheinprovinz vom 29. September 1827, auf deren Durchsetzung die Verwaltung das gesamte 19. Jahrhundert strengstens achtete, nicht nur gegen das bei Hundebissen übliche Hubertusschlüsselbrennen, sondern gegen jede pastorale Therapie; zuwiderhandelnden Geistlichen drohten empfindliche Strafen. 84 Es war in der Praxis allerdings noch lange nicht selbstverständlich, dies zu befolgen und umzusetzen. So mußte der Siegburger 82
Regierungspräsident Georg Kreuzwendedich Freiherr von Rheinbaben (Düsseldorf) an Kultusministerium vom 8.1.1899, in: LHAK, Best. 403, Nr. 11070, S. 207-215. Felke gab sein evangelisches Pfarramt erst 1912 auf. Zu Emanuel Felke (1856-1926) Waldemar Kramer (Hg.), Lehmpastor Emanuel Felke (18561926). Bilder und Worte aus seinem Leben und Wirken, Frankfurt am Main 1986. Jütte, Geschichte der Alternativen Medizin, S. 140-143. In Kürze abgeschlossen sein soll eine medizinhistorische Düsseldorfer Dissertation von R. Graßt mit dem Arbeitstitel „Pastor Felke und die Kurpfuschereifrage in der Region Düsseldorf 4, die das umfangreiche archivalische Material aus dem HStAD auswertet. Brief an den Verfasser vom 18.1.1997. 83 Vgl. etwa das Fazit von Alfred Kantorowicz, Pastor Felke und seine Augendiagnose. Sonderdruck aus der Frankfurter Halbmonatsschrift „Das freie Wort", IX. Jahrgang, Nr. 16, in: LHAK, Best. 407, Nr. 137, S. 135-142: „Das Volk ist von jeher jedem Aberglauben zugänglich gewesen" (S. 142). Das Konsistorium der Rheinprovinz unterstützte diese Bestrebungen, ermahnte Felke aber vergeblich, sich zurückzuhalten. Abschrift Konsistorium an Felke vom 9.2.1899, in: LHAK, Best. 403, Nr. 11070, S. 227-231. Belege für die vielfältigen Beeinträchtigungen von Laienheilern bietet Thomas Faltin, „Das unsichere Brot eines von Aerzten diskreditierten Heilkundigen". Der Laienheiler Eugen Wenz (1856-1945) und seine Naturheilanstalt „Marienbad" in Mühringen, in: MedGG 13 (1994), S. 167-187.
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Anstaltsseelsorger Lohr 1841 beim Kölner Generalvikar Hüsgen vorstellig werden, um Austreibungen an Geisteskranken zu unterbinden und eine umgehende Einweisung in seine Heilanstalt zu verlangen. 85 Die medizinischen Zweifel an der Wirksamkeit religiöser Therapien und Heilungswunder wuchsen im 19. Jahrhundert zunehmend, und ihr Wert beschränkte sich je mehr auf die tröstenden Funktionen desto eher es den Ärzten gelang, sich zu wissenschaftlichen Richtern über Gesundheit und Krankheit aufzuschwingen. 86 Hier ist ein zielgerichtetes Verhalten von Medizinalbehörden und Ärzten zu erkennen, Krankheiten aus ihren christlichen Zusammenhängen zu lösen. Daß dabei der Aberglaubensvorwurf verwendet wurde, scheint auf den ersten Blick paradox, dokumentiert aber die bereits fortgeschrittene Säkularisierung des Aberglaubensbegriffs. So ist dieser Vorgang darüber hinaus ein Beleg für dessen vielfältige Anwendung, wobei Beamte und Ärzte sich damit immer wieder unausgesprochen des eigenen gemeinsamen Standpunkts vergewisserten. Die preußischen Behörden bemühten sich nicht nur, eine medizinische Sicht auf das Irrationale oder noch nicht heilbare Krankheiten zu etablieren. Diese Perspektive diente ihnen zugleich auch zur Rationalisierung des Wunderbaren, denn das Absonderliche suchten Ärzte - und in ihrem Fahrwasser auch die Medizinalverwaltung - zunehmend mit der Geisteskrankheit von Beteiligten zu erklären, so 1837, als die somnambulen Visionen des zehnjährigen Peter Hennes in Koblenz die behördliche Aufmerksamkeit erregten. Diesem waren nicht nur die Apostel, sondern auch der Teufel erschienen, und er hatte spektakulären Zulauf aus der Stadt erhalten, weshalb der Polizeisergeant „Ruhe und Ordnung" gefährdet sah. Um der Wahrheit auf den Grund zu kommen und die „Menge" zu kontrollieren, ließ er nicht nur diverse Zeugen vernehmen, sondern setzte sich auch über eine medizinische Expertise des Arztes Richter hinweg, der einen künstlichen Somnambulismus diagnostizierte. 87 Die Sicht der meisten Ärzte war in solchen Fällen indessen eindeutig. So formulierte der Ahrweiler Distriktsarzt Anton Velten bereits 1817 in seinem Monatsbericht: „Krankheiten eines natürlichen Ursprungs durch übernatürliche Mittel heilen wollen, heißt: die Wahrscheinlichkeit eines zu geschehenden Wunders voraussetzen". 88 Angebliche Wunderheilungen bewogen Zeitgenossen immer wieder, diese in eine Reihe 84
Abschrift Ingersleben an Regierung Koblenz vom 29.9.1827, in: LHAK, Best. 491, Nr. 274. 85 Lohr an Hüsgen vom 18.1.1841, in: HAEK, Generalia I 31,4. 86 Ein gutes württembergisches Beispiel für das anhaltende Nebeneinander von medizinischer und geistlicher Therapie sowie von medizinischen und theologischen Erklärungsmustern für Krankheiten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bietet Doris Kaufmann, Aufklärung, bürgerliche Selbsterfahrung und die „Erfindung" der Psychiatrie in Deutschland, 1770-1850, Göttingen 1995, S. 78-89. 87 Verhandlungsprotokoll vom 30.5.1837, in: LHAK, Best. 441, Nr. 2858.
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ähnlicher Vorfälle einzuordnen, sie zu historisieren und damit auch ihres religiösen Gewandes zu entkleiden, denn schließlich gaben sie sich felsenfest davon überzeugt, in vergleichbaren Fällen letztlich doch einen Betrug oder Geisteskrankheit nachgewiesen zu haben. 89 In Marpingen erschien Kindern und Erwachsenen 1876/77 nicht nur mehrfach der Teufel, wie der Polizeispitzel Meerscheidt-Hüllessem nach seiner Rückkehr nach Berlin zu berichten wußte. Es soll sogar gelungen sein, den Teufel mit dem Wasser der Wunderquelle zu bannen, nachdem einfaches Weihwasser versagt hatte, wie Regierungspräsident Wolff süffisant bemerkte; dafür hatten die Behörden als Erklärung Geisteskrankheit parat. 90 Ähnlich erging es 1877 dem 14jährigen Joseph Geuer aus Merzbach (Kreis Rheinbach), dem die Jungfrau Maria erschienen war. Er wurde zunächst in das städtische Krankenhaus in Rheinbach gebracht und dort vom zuständigen Armenarzt beobachtet, der ihn schließlich in die Siegburger Irrenanstalt einwies. Bemerkenswert hierbei ist, daß sich die Behörden die Visionen des Jungen nicht nur durch seine Krankheit erklärten, sondern in seiner Unterbringung in Siegburg gleichzeitig ein ordnungspolitisches Mittel sahen, um den Zuzug von Pilgern zu unterbinden. 91 Dennoch waren die Beamten heilfroh, wenn sich radikale medizinalpolizeiliche Zugriffe vermeiden ließen, registrierte der Aachener Polizeipräsident Guido Graf Matuschka Freiherr von Greiffenclau 1895 doch erleichtert, daß es anläßlich der Heiligtumsfahrt zu keinen Wunderheilungen gekommen sei. 92 Nach 1869 häuften sich erneut die Klagen von Ärzten über Geistliche, die ihr Amt auch zu medizinischen Tätigkeiten nutzten. So beklagte sich der Kreisphysiker Wiesemer (Malmedy), der alle Kollegen aus seinem 88 Bericht Velten (Ahrweiler) für Januar 1817 vom 4.2.1817, in: LHAK, Best. 441, Nr. 9480. 89 Vgl. Friedrich Everhard von Mering/Ludwig Reichert, Historische Nachrichten über Teufelsbanner, Wahrsager, Wundermenschen, Geisterseher und andere dergleichen ausserordentliche Erscheinungen in den Rheinlanden und Westfalen seit Beginn diesen Jahrhunderts. Bei Gelegenheit des Auftretens des Wunderdoctors Heinrich Mohren zu Niederempt nach meist noch unbenutzten und zuverlässigen Quellen bearbeitet, Köln 1843. Ein Exemplar befindet sich in der Staatsbibliothek Berlin unter der Signatur Ν 756. 90 Zusammenstellung aus den Berichten des Criminal-Commissarius von Hüllessem über die Marpinger Angelegenheit, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 505, Nr. 17, Bd. 1, Bl. 89r-100r, hier Bl. 93v; Auszug aus dem Immediat-Zeitungsbericht des Regierungspräsidenten Wolff (Trier) vom 25.7.1877, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 505, Nr. 17, Bd. 3, BL 24r-25v. 91 Regierung Köln an Eulenburg vom 11.5.1877, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 500, Nr. 44, Vol. 1, Bl. 3r-4r. 92 Abschrift Greiffenclau an Regierungspräsident Hartmann (Aachen) vom 25.8.1895, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16220, S. 321-330, hier S. 329. 15
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Amtsbereich zu einer Versammlung eingeladen hatte, um über die Auswirkungen der Gewerbefreiheit zu diskutieren, bei der Regierung. Bei diesem Treffen sei hauptsächlich die massiv angewachsene „Quacksalberei und Medizinalpfuscherei" zur Sprache gekommen. Als besonders verderblich stuften die Ärzte des Kreises den Geistlichen Thomas aus Aidlingen ein, „indem er sich nicht nur als Heilkünstler, sondern auch als Zauberer ausgibt und das abergläubische, dumme Volk [...] zu bethören weiß". 9 3 Die Grenzen des Versuchs, Krankheiten ausschließlich von Ärzten behandeln zu lassen, zeigten sich nachhaltig an der Tollwut, welche bis zur Entdeckung des Erregers durch den französischen Chemiker und Mikrobiologen Louis Pasteur (1822-1895) 1885 nicht heilbar war. 9 4 Bei Tollwut auch Wasserscheu genannt, da sich bereits beim bloßen Anblick von Flüssigkeit oftmals Krampfanfälle zeigen - vertrauten die rheinpreußischen Katholiken auf den Schutzpatron für Jäger und Tollwut, Hubertus, um den seit dem Spätmittelalter ein Heiligenkult entstanden war. 9 5 Unter der klassischen Hubertuskur, über die sich die preußischen Verwaltungsbeamten erst kundig machen mußten, verstanden sie eine Wallfahrt in das französische Ardennenkloster St. Hubert, wo die Mönche in die aufgeschnittene Stirn der Betroffenen einen Faden aus der im Kloster aufbewahrten Hubertusstola legten. Der Gebissene mußte in den folgenden Tagen von gesegnetem Brot essen und Gebete in einer bestimmten Reihenfolge und Anzahl verrichten. „Gestolte" Pilger, die im Ardennenkloster gewesen waren, konnten dann 93 Wiesemer an Regierung Aachen vom 22.2.1872, in: HStAD, Best. Regierung Aachen, Nr. 1070, Bl. 188r-189v, Zitat Bl. 189r. Hervorhebungen im Original. 94 Zum Problembereich der Pastoralmedizin vgl. Heinrich Pompey, Die Bedeutung der Medizin für die kirchliche Seelsorge im Selbstverständnis der sogenannten Pastoralmedizin. Eine bibliographisch-historische Untersuchung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Freiburg u.a. 1968. Mathias Joseph Bluff, Pastoral=Medizin, Köln 1827. Gerade der Kölner Arzt Bluff ist ein gutes Beispiel für das ärztliche Bestreben, der Geistlichkeit nur noch unter ärztlicher Kontrolle Therapien zu gestatten. Bluff hatte solange nichts gegen das Hubertusschlüsselbrennen einzuwenden, wie anschließend eine medizinische Betreuung gewährleistet war. Vgl. ebenda, S. 93 und S. 136 f. Zum Verhältnis zwischen katholischer Kirche und medizinischer Betreuung grundlegend Erwin Gatz, Kirche und Krankenpflege im 19. Jahrhundert. Katholische Bewegung und karitativer Aufbruch in den preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen, München u.a. 1971. 95 Vgl. Günther Schliecker, Das Tollwut- und Jagdpatronat des heiligen Hubertus, in: Klaus Freckmann/Norbert Kühn (Hg.), Die Verehrung des heiligen Hubertus im Rheinland. Le culte de saint Hubert en Rhénanie. Ein Handbuch, Köln 1994, S. 39-74. Theodora Lepique, Der Volksheilige Hubertus in Kult, Legende und Brauch, phil. Diss, masch., Bonn 1951, hier S. 63-161. Nikolaus Kyll, Sakrale Therapie des Trierer Landes im Namen des hl. Hubertus, in: Landeskundliche Vierteljahrsblätter 9 (1963), Heft 4, S. 3-14. Labouvie, Verbotene Künste, S. 145-147 und S. 236 f. Zum historischen Hubertus (vermutlich 655-727), seit 703/705 Bischof von Tongern-Maastricht, vgl. LThK 3 , Bd. 5, Sp. 295 f.
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anderen Gebissenen den sogenannten „Ausstand" erteilen, um diesen den Weg nach St. Hubert zu ersparen. Alternativ zu der Wallfahrt oder dem „Ausstand" konnten Verletzte auch mit dem Hubertusschlüssel gebrannt werden, der in erster Linie bei gebissenen Haustieren eingesetzt wurde. Dazu legte man den glühenden Schlüssel auf die Wunde. 9 6 Als wirksamstes Mittel gegen die Tollwut warb das Koblenzer Medizinalkollegium für die Wurzel des Froschlöffelgewächses, obwohl es sich auch davon nur wenig versprach. 97 Da die Belehrungen und Verbote von Ärzten und Medizinalverwaltung kaum wirkten, stellte die Düsseldorfer Regierung es den Gemeinden frei, eine kommunale Hundesteuer zu erheben, um die Anzahl der Hunde zu verringern. 98 Ärzte und preußische Medizinalbeamte unterschätzten offenkundig die Beharrungskraft eines althergebrachten Gesundheitsverhaltens. Auch deshalb gelang die Diskriminierung als „Aberglauben" nicht, zumal keine erfolgreichere therapeutische Alternative angeboten werden konnte. Die endlosen Klagen der Ärzte liefen auf ein Behandlungsmonopol hinaus, während die Betroffenen vielfach noch ausschließlich auf die geistliche Heilmethode setzten und erst langsam beides nebeneinander akzeptierten. Das Vertrauen auf den Heiligen ging sogar so weit, daß bereits der Name Hubert als verläßlicher Schutz galt. 9 9 Gleichwohl teilten die Kirchenleitungen die medizinalpolizeilichen Bedenken von Ärzten und Verwaltung weitgehend und mühten sich nach Kräften, diese zu unterstützen. Dennoch bemerkte Bischof Hommer in einem Schreiben im September 1826, sogar mit Blick auf die Mediziner selbst, an den Oberpräsidenten hellsichtig: „Es wird schwerlich ganz verhindert werden können, daß, wenn sich Symptome der Wasserscheu häufiger einstellen - wenigstens in der Gegend von Aachen - so der Protestant, wie der Katholik sich nach St. Hubert schart, so abergläubisch auch diese andacht in gesunden tagen gehalten wird. Der Artzt, der von der Gicht 96 Kultusministerium an Ingersleben vom 10.7.1820, in: LHAK, Best. 402, Nr. 474, S. 9; Innenministerium an Regierung Aachen vom 13.8.1842, in: HStAD, Best. Regierung Aachen, Nr. 6891. Die Tollwut war ein wesentlicher Grund für die endgültige Ausrottung der Wölfe in Preußen, die vor allem in den Masurischen Wäldern (Provinz Preußen) - aber auch in der Rheinprovinz durch die unmittelbare Nähe zu den Ardennen - noch in größerer Zahl vorhanden waren. Diese zumindest in Preußen wichtigen medizinischen Beweggründe fehlen in der lesenswerten Studie von Martin Rheinheimer, Wolf und Werwolfglaube. Die Ausrottung der Wölfe in Schleswig-Holstein, in: Historische Anthropologie. Kultur Gesellschaft Alltag 2 (1994), S. 399^22. 97 Konzept Medizinalkollegium an Sanitätskommissionen Aachen und Trier vom 3.6.1818, in: LHAK, Best. 407, Nr. 257, S. 1. 98 Abschrift Regierung Düsseldorf an alle Landräte vom 29.11.1834, in: HStAD, Best. Regierung Aachen, Nr. 6891. 99 Sanitätsbericht 1. Semester 1835 (Aachen), in: LHAK, Best. 407, Nr. 346, S. 3-81, hier S. 70. 15*
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befallen darnieder liegt, vergißt in den heftigsten Schmerzen seiner würde, und schäut sich nicht, Hausmittel alter Weiber zu gebrauchen". 100 Daß St. Hubert ein Hauptwallfahrtsziel von Pilgern aus dem Aachener Raum war, belegt eine Übersicht von 1825, die den Ort zu den acht wichtigsten Wallfahrtsstätten im Regierungsbezirk zählt. 1 0 1 Zwar war die therapeutische Beteiligung der Geistlichkeit offensichtlich, aber dennoch ließ sich das Vertrauen auf den Heiligen durch die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Amtskirche nicht abstellen. In einem Schreiben drang die Aachener Regierung 1826 beim Erzbischof auf ein unbedingtes Nebeneinander von medizinischer und geistlicher Therapie gegen die Hundswut, da Pfarrer Johann Heinrich Niquet in Randerath (Kreis Geilenkirchen) immer noch den „Ausstand" erteilte. 1 0 2 Das Generalvikariat wies daraufhin alle Pfarrgeistlichen im Regierungsbezirk verbindlich an, „natürliche Heilmittel" zu empfehlen „indem die in der Schöpfung dargebothenen Mittel auch Gaben des himmlischen Vaters sind", was aber nicht ausschloß, „geistliche Heilmittel" zu verwenden. 103 Daß hier noch erheblicher Widerstand in den Reihen der Geistlichkeit zu brechen war, belegt die Antwort des Pfarrers Johann Andreas Stelckens aus dem Kanton Geilenkirchen, der offenherzig antwortete, „daß dieses Rundschreiben in hiesiger Runde sehr ungünstig aufgenommen worden ist. Geistliche und andere Leute, die wohl zu den Patriziern gehören mögen, halten die gewöhnlichen ärztlichen Mittel für leere Körperplage". 104 Die Oberpräsidialverfügung vom 29. September 1827 über die Anwendung geistlicher Mittel regelte die Verfahrensweise dann eindeutig und verwies nachdrücklich darauf, daß vorrangig Ärzte tollwutverdächtige Personen behandeln sollten. Danach durfte der Klerus Gebissene nur dann noch therapieren, wenn diese ein ärztliches Attest vorweisen konnten, also sich nachweislich bereits einer medizinischen Therapie unterzogen hatten. 105 Der Neusser Kreisphysiker Elfes brachte 1828 die Grenzen dieser Verfügung aus medizinischer Perspektive auf den Punkt, indem er in einem entrüsteten Schreiben an die Düsseldorfer Regierung darauf aufmerksam machte, daß Gebissene unmittelbar nach Erhalt eines Zeugnisses nun die 100
Konzept Hommer an Ingersleben vom 4.9.1826, in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 15r-19v, hier Bl. 17v. 101 Übersicht der Hauptwallfahrtsorte im Regierungsbezirk Aachen vom 17.12.1825, in: LHAK, Best. 403, Nr. 16003, S. 93-111. 102 Regierung Aachen an Spiegel vom 21.3.1826, in: HAEK, Generalia I 31,3. 103 Rundschreiben Generalvikar Hüsgen an sämtliche Kantoralpfarrer im Regierungsbezirk Aachen vom 13.10.1826, in: ebenda. Die Pfarrer mußten das Rundschreiben unterschrieben zurückschicken. 104 Stelckens an Generalvikariat vom 13.11.1826, in: ebenda. 105 Verfügung Ingersleben an sämtliche Regierungen vom 29.9.1827, in: LHAK, Best. 441, Nr. 9481. Auch der Kölner Erzbischof erhielt eine Abschrift der Verfügung, in: HAEK, Generalia I 31,3.
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ärztlich-medizinische Therapie einstellten und weiterhin ausschließlich auf die „abergläubische" geistliche Behandlung vertrauten. 106 Seinem Schreiben legte er eine französische „Instruction sur l'usage des Cornets de fer" bei, die er konfisziert hatte. In der Folge zeigte sich, wie schwer es war, diese Heilmethode zu kontrollieren und zu unterdrücken, da es an erfolgversprechenden Alternativen mangelte. Denn die Aachener Regierung bat nun um ein Gutachten des Koblenzer Medizinalkollegiums über die Frage, ob es sinnvoll sei, alle Hunde während der Hundstage einzusperren, oder ob man sie mit einem Maulkorb frei umherlaufen lassen könne. Die gutachterliche Äußerung offenbart die medizinische Ohnmacht, denn erster Zweck aller medizinalpolizeilichen Maßnahmen sollte danach sein, die Zahl der Hunde 107
zu verringern. Auch die polizeilichen Ermittlungen verliefen oft im Sande. Dem Krefelder Landrat Karl Cappe, in dessen Amtsbereich diese für mehrere Beteiligte tödlich endenden Fälle von Hubertusschlüsselbrennen 1828 vorgekommen waren, gelang es nicht, den Hubertusschlüssel nebst dem dazugehörenden „Unterricht" sicherzustellen, weil sich die Familie Sassen auf dem Eckerhof (Pfarrei Osterath) weigerte, diese herauszugeben. 108 In der Folge schaltete die Regierung den Krefelder Landdechanten Johann Heinrich Gottfried Reinarz und Erzbischof Spiegel e i n , 1 0 9 da es selbst dem Pfarrer lediglich gelungen war, die Gebrauchsanweisung zu erhalten. Allerdings war die Kollektivbehörde uneinig, denn Medizinalrat Krauss sah sich zu einem separaten Votum veranlaßt, in dem er auf die medizinalpolizeilichen Perspektiven pochte. Er glaubte nicht daran, daß es reichte, die Geistlichkeit gesundheitliche Pädagogik vermitteln zu lassen, vielmehr wollte er den Schlüssel polizeilich beschlagnahmt wissen, die Beteiligten bestrafen und 106
Elfes an Regierung Düsseldorf vom 20.6.1828, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 130, Bl. lr-2v. 107 Konzept Medizinalkollegium an Ingersleben vom 7.5.1828, in: LHAK, Best. 407, Nr. 257, S. 15 f.; Ingersleben an Regierung Aachen vom 12.5.1828, in: HStAD, Best. Regierung Aachen, Nr. 6891. 108 Der „Unterricht" befindet sich im Anhang, Dokument 6. 109 Konzept Regierung Düsseldorf an Spiegel vom 16.9.1829, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 130, Bl. 16r-17r. Bemerkenswert ist eine im Konzept gestrichene Passage, welche die Regierung dem Erzbischof offensichtlich nicht zumuten wollte, die aber mit typischen Lichtmetaphern ihre unmißverständlich aufklärerische Haltung unterstreicht: „Da die Abstellung dieses groben, aus den finstern Zeiten des Mittolaltors sich horschreibendon Mißbrauchcs, wo Vorurthoil und Aber glaube die Empfänglichkeit für das hehre Licht der Vernunft und der Natur nur zu schwächen trachteten am sichersten durch Lehre und Überzeugung wird bewirkt werden können;" Düsseldorf forderte statt dessen die „Abstellung dieses groben und höchstgefährlichen Mißbrauches". Reinarz gelang es schließlich, den Hubertusschlüssel zu erhalten und ihn an das Kölner Generalvikariat zu schicken, wo er „in besonderen Verwahr genommen" wurde. Reinarz an Generalvikariat vom 27.10.1829, in: HAEK, Generalia I 31,3.
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umgehend das Innen- sowie Kultusministerium einschalten. Eine das Sondervotum ergänzende, vermutlich eigenhändige Stellungnahme des Regierungs- und späteren Koblenzer Oberpräsidenten Pestel sollte die Angelegenheit bereinigen, sah dieser doch den Glauben an „die Wunderkraft des Schlüssels" deutlich auf dem Rückzug. 1 1 0 Allerdings nötigten mehrere Fälle Regierung und Medizinalrat 1834 erneut, ihre unterschiedlichen Positionen darzustellen. 111 Zwar wies die Regierung den Krefelder Landrat Melsbach an, die Beteiligten zu belehren und wegen Pfuscherei zu belangen, hielt aber das Brennen der Hunde für „unschädlich". Während die Regierung also die „Anwendung kirchlicher Mittel, schon um des Vertrauens willen, welches denselben geschenkt wird", nicht vollständig untersagen wollte, wiederholte Medizinalrat Krauss hartnäckig seine medizinalpolizeilichen Bedenken und schlug nochmals vor, Berlin einzubeziehen, da dieser Aberglauben das „öffentliche Wohl" gefährde. Immerhin rückte die Regierung schließlich eine entsprechende Anordnung ins Amtsblatt, die nicht nur Strafen androhte, sondern auch darauf hinwies, daß das Brennen der Hunde ebenfalls schädlich sei. 1 1 2 Nach diesem Hundswut-Regulativ von 1835 mußten alle niedergelassenen Ärzte „Wasserscheu" unverzüglich der Polizei melden. 1 1 3 Allerdings weigerte sich Oberpräsident Bodelschwingh noch 1840, den von Laien erteilten „Ausstand" für eine Wallfahrt in die Ardennen polizeilich zu verbieten, und setzte auf eine Belehrung in Kirchen und Schulen, um eine „warnende Bekanntmachung der traurigen Folgen des Aberglaubens" zu erreichen. 114 Auch deshalb forderte das Kölner Generalvikariat nochmals alle Landdechanten auf, gegen den weitverbreiteten „Ausstand" vorzugehen. 115 110 Randbemerkung zum Votum separatum Krauss (13.9.1829) vom 15.9.1829, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 130, Bl. 16v. 111 Landrat Konrad Melsbach (Krefeld) an Regierung Düsseldorf vom 8.10.1834, in: ebenda, Bl. 18r-19v. Wie wenig einzelne Geistliche auf ärztliche Äußerungen gaben, zeigt die Stellungnahme des Schieffbahner Pfarrers Matthias Grein, der sich mit folgender Frage rechtfertigte: „Ob aber das einstimmige Zeugnis selichter Leute, um deren Haut es gilt, nicht eben so viel Glauben verdiene, als eine, ohne Gehalt, ja zweckwidrig hingeworfenen[!] ärztlichen Attest". Grein an Dekanat vom 16.12.1834, in: HAEK, Generalia I 31,3. 112 Konzept Regierung Düsseldorf an Melsbach vom 13.11.1834, mit ergänzender Randbemerkung von Krauss vom 19.11.1834, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 130, Bl. 23r-24r; Konzept für das Amtsblatt der Regierung Düsseldorf, in: ebenda, Bl. 24. 113 Kohlmann, Die medicinal- und sanitätspolizeilichen Verordnungen für die Ärzte im Regierungsbezirk Coblenz, Coblenz 1898, S. 10. Ein Exemplar befindet sich in der Bibliothek des LHAK. Der Verfasser war Kreisphysiker und Sanitätsrat in Remagen. 114 Bodelschwingh an Regierung Aachen vom 21.3.1840, in: HStAD, Best. Regierung Aachen, Nr. 6891.
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Auch in der zweiten Jahrhunderthälfte blieben der ärztlichen Medizin enge Grenzen gesteckt, das zeigt die rheinische Tollwutwelle von 1861/62, die vermutlich 22 Opfer forderte. Die Maßnahmen der preußischen Verwaltung wirkten angesichts der weiterhin verbreiteten geistlichen Heilmittel hilflos. Nicht von ungefähr monierte der Sanitätsrat Gerson aus Malmedy, daß die ärztliche Behandlung nach wie vor unterbleibe: „Bei dem hier zu Lande allgemein herrschenden abergläubischen Vertrauen in die besondere Schutzkraft des heiligen Hubertus ist es höchst wahrscheinlich, daß man zu diesem seine Zuflucht ausschließlich genommen hat, und das [!] die chirurgische Behandlung der Bißwunden zugleich gänzlich übergangen wurde". 116 Von ärztlicher Seite waren Vorwürfe gegen die Geistlichkeit schnell an der Hand. Man hielt ihr vor, nicht nur an der Fortdauer dieser Therapie beteiligt zu sein, sondern auch ein finanzielles Interesse am Hubertusschlüsselbrennen zu haben. 117 Die Kölner Kirchenführung ergriff umgehend die ärztlich-behördliche Position und veröffentlichte eine Aufforderung an den Diözesanklerus, daß nur ärztliche Mittel gegen die Tollwut einzusetzen seien, 118 auch wenn eine Zusammenstellung aus den Sanitätsberichten der Ärzte und Tierärzte jener Jahre die medizinische Ohnmacht dokumentiert. 119 Als mögliche Ursachen der spontan auftretenden Hundswut schössen wilde Spekulationen ins Kraut. Die Ärzte machten die „Nichtbefriedigung des Geschlechtstriebes bei übermäßiger Geilheit" der Rüden, die Hitze der Hundstage oder das Einspannen der Hunde verantwortlich und versuchten gleichzeitig, die Bevölkerung zurechtzuweisen: „Unwissenheit, Vorurtheil und Aberglaube sind daher stets zu bekämpfen und das Publikum zu belehren", was durch wiederholte Veröffentlichungen in den Amtsblättern der Regierungen geschehen sollte. 1 2 0 Mediziner behandelten die Tollwut mit Ausbrennen oder Ausschneiden der Wunden. Die konkreten Maßnahmen hatten sich im Vergleich zum Vormärz nur wenig geändert, nach wie vor waren die Tötung aller herrenlosen Hunde und das Anlegen von Maulkörben die herausragen115
Generalvikar Hüsgen an sämtliche Stadt- und Landdechanten des Erzbistums Köln vom 14.5.1840, in: HAEK, Generalia I 31,3. 116 Auszug aus dem Kreissanitätsbericht des Sanitätsrats Gerson (Malmedy) 3. Quartal 1862, in: HStAD, Best. Regierung Aachen, Nr. 6892. 117 Auszug aus dem General Veterinärbericht des Departementstierarztes Weynen (Aachen) 1861/1862, in: ebenda. 118 Konzept für den Kirchlichen Anzeiger vom 20.5.1862, in: HAEK, Generalia I 31,3. 119 [ - ] , Mitteilungen über die Hundswuth, wie sie in den Jahren 1861 und 1862 in der Rheinprovinz beobachtet wurde. Zusammengestellt aus den Sanitäts-Berichten der Aerzte und Thierärzte vom königlichen Rheinischen Medicinal-Collegium. Referent: Veterinär-Assessor Becker. Correferent: Geh. Medicinal-Rath Dr. Julius Wegeier, Coblenz 1864. Ein Exemplar befindet sich in der Bibliothek des LHAK. 120 Ebenda, S. 2 und S. 38.
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V. Medizinische Konflikte
den medizinalpolizeilichen M i t t e l . 1 2 1 Auch die bis heute kommunal erhobene Hundesteuer für alle „Luxushunde" galt als ein wichtiger Schritt gegen die Krankheit. 1 2 2 Seit 1898 konnten Gebissene dann nach Berlin in die sogenannte Wutschutzstation reisen, in das Institut für Infektionskrankheiten, wo eine Abteilung für Schutzimpfungen gegen Tollwut eingerichtet worden war. Auch wenn die 20-30tägige ambulante Behandlung nach der Pasteurschen Methode kostenlos war, ließen sich Gebissene bis ins frühe 20. Jahrhundert zusätzlich den „Ausstand" erteilen. 123 Brennpunkte, an denen sich zeigte, inwieweit bereits auf die medizinische Hilfe gesetzt wurde, waren periodisch auftretende Epidemien wie die Cholera. Den Umgang mit dieser als Zorn Gottes empfundenen Bedrohung unbekannter Ursache paßte man in den 1830er Jahren in traditionelle Bewältigungsschemata ein: Nicht von ungefähr hatten in den besonders betroffenen östlichen Provinzen Preußens Wunderheiler und Wunderessenzen Konjunktur. 1 2 4 Auf ihre sonst oft geübte Taktik, gegen Wunderheiler präventiv vorzugehen, mußten die Ärzte jetzt verzichten - auch aus Scham darüber, daß ihre Standeskollegen und das „wissenschaftlich gebildete Publikum" sie anfeindeten. 125 Angesichts der medizinischen Ohnmacht gegenüber der Cholera und des damit verbundenen Schocks kamen gerade der geistlichen Unterstützung, vor allem Gebeten und Prozessionen, wichtige Funktionen zu, auch wenn Behörden die Bischöfe anhielten, die Bevölkerung zu ermuntern, alles für die Gesundheit zu tun und ärztlichen Anweisungen zu folgen. 1 2 6 121
Vgl. ebenda, S. 34-40. Landrat Ernst von Frühbuss (Malmedy) an Regierung Aachen vom 3.11.1859; Reglement über die Einführung einer Hundesteuer von 1861, in: HStAD, Best. Regierung Aachen, Nr. 6891. 123 Musterbögen für die Anmeldung, in: HStAD, Best. Regierung Aachen, Nr. 6894. Nach einem Runderlaß verschiedener Ministerien vom 22.7.1898 eingerichtet. Vgl. Dr. Marx, Die Abteilung zur Heilung und Erforschung der Tollwut am Institut für Infektionskrankheiten zu Berlin, Jena 1898. Ein Exemplar befindet sich in: LHAK, Best. 407, Nr. 234, S. 500a-507. Schliecker, Tollwut- und Jagdpatronat, S. 68. 124 Barbara Dettke y Die asiatische Hydra. Die Cholera von 1830/31 in Berlin und den preußischen Provinzen Posen, Preußen und Schlesien, Berlin/New York 1995, hier S. 291-296. Richard J. Evans, Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830-1910, Reinbek bei Hamburg 1990, S. 315 f. 125 Abschrift Medizinalrat Meyer (Minden) an Kultusministerium vom 18.7.1829, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 2168 Generalia, Nr. 12. 126 Konzept Pestel an Bistümer Köln, Trier und Münster vom 4.9.1831, in: LHAK, Best. 403, Nr. 2318, S. 1 - 1 Richard J. Evans, Epidemics and Revolutions: Cholera in Nineteenth-century Europe, in: Past&Present 120 (1988), S. 123-146. Michael Stolberg, Gottesstrafe oder Diätsünde. Zur Mentalitätsgeschichte der Cholera, in: MedGG 8 (1989), S. 9-25. Ders., Die Cholera im 19. Jahrhundert - zum Umgang mit einer neuen Krankheit, in: Heinz Schott (Hg.), Medizin, Romantik und 122
3. Lösung von Krankheiten aus ihrem religiösen Kontext
233
Ein wichtiger Beleg für die das gesamte 19. Jahrhundert hindurch anhaltende Kraft christlich-magischer Elemente in medizinischen Bereichen ist der Verkauf sogenannter Geburtsgürtel und dazugehöriger Gebetssprüche oder Kerzen, worüber sich 1912 das Paderborner Domkapitel beim Kölner Generalvikariat beklagte. „Wenn die Schwestern [des Kölner Klosters der heiligen Maria] auch gewiss nicht beabsichtigen den Aberglauben zu fördern, Tatsache ist, dass abergläubische Vorstellungen hierdurch bei den Leuten verbreitet werden. Ebenso unangenehm ist es aber, [...] dass manche Frauen und auch Hebammen auf dieses Mittel ein solches unberechtigtes Vertrauen setzen, dass sie es unterlassen rechtzeitig ärztliche Hilfe zu erbitten". 127 Das Paderborner Domkapitel beanstandete den Wissensstand der Hebammen sowie das mangelnde Vertrauen auf medizinische Hilfe und koppelte dies mit dem Aberglaubensvorwurf, womit es sich den zahllosen ärztlichen Klagen anschloß. Hebammen waren als Geburtsspezialistinnen einesteils medizinisch bewandert, andernteils aber hing ihnen noch lange der Geruch des Unreinen, des Magischen und eben auch das Vorurteil der Arztferne an. Nicht von ungefähr war die Hebammenkritik ein wesentlicher Bestandteil des ärztlichen Aberglaubenslamentos in der zweiten Jahrhunderthälfte und fehlte in keinem Werk über Volksmedizin und Aberglauben. 128 Es scheint darüber hinaus, als seien von der andauernden Wirksamkeit christlich-magischer Elemente besonders die Übergangsphasen wie die Geburt oder auch der Tod betroffen, die sich einer Medikalisierung teil- und phasenweise entzogen. 1 2 9 Gerade die Neugeborenen waren nach überkommenen Krankheitsvorstellungen dem Wirken dämonischer Mächte schutzlos ausgeliefert. Wohl auch deshalb sah man ein wichtiges Instrument des medizinisch-behördlichen Kampfes gegen Aberglauben in einer besseren Ausbildung der Hebammen: 130 In Preußen wurden seit 1841 nur noch die Frauen zur Naturforschung. Bonn im Spiegel des 19. Jahrhunderts. Anläßlich der 175-Jahrfeier der Universität Bonn, Bonn 1993, S. 87-109. In der Rheinprovinz beschränkte sich die Epidemie hauptsächlich auf die Regierungsbezirke Aachen und Düsseldorf: Alexander Stollenwerk, Die Cholera im Regierungsbezirk Koblenz, in: JbwestdtLG 5 (1979), S. 241-272, hier S. 241-254. 127 Paderborner Domkapitel an Generalvikariat Köln vom 25.5.1912, in: HAEK, Generalia I 31,2. 128 Ygi Lammert, Volksmedizin und medizinischer Aberglaube, S. 158 f. Fossel, Volksmedicin und medicinischer Aberglauben, S. 47-60. Höfler, Volksmedizin und Aberglaube, S. 194-207. 129 Zum magischen Umgang mit Geburt vgl. die Artikel „Geburt" und „Hebamme", in: HDA, Bd. 3, Sp. 406-419 und Sp. 1587-1603. Grundlegende Bemerkungen finden sich bei Jacques Gélis, Die Geburt. Volksglaube, Rituale und Praktiken. Von 1500-1900, München 1989 (franz. Original 1984), hier S. 224-230. 130 Vgl. Labouvie, Selbstverwaltete Geburt. Seidel, Kultur des Gebärens, S. 7486 und S. 239-276. Françoise Loux, Das Kind und sein Körper in der Volksmedi-
234
V. Medizinische Konflikte
Hebammenprüfung zugelassen, die zuvor einen Lehrkurs an einer Entbindungsanstalt besucht hatten, so daß auf diese Weise ausgebildete Nachfolgerinnen die „alten" Hebammen nach und nach ersetzten. Besonders anfällig für die Vermischung mit religiösen Deutungen waren die Theorien, die sich mit den psychischen Ursprüngen von Krankheiten und ihren Heilungen befaßten. Viele erklärten jene psychischen Wurzeln mit den gängigen Kategorien der Sündenlehre, was sich beispielsweise in der Nähe von Exorzismus und Magnetismus - in Theorie wie Praxis - wiederfinden läßt. Diese Nähe speiste sich zugleich aus naturphilosophischen Konzepten, wie sie sich in der sogenannten romantischen Medizin niederschlugen. 131
4. Heilungen durch „ungewöhnlich starken religiösen Eindruck44 Der unermüdliche Propagandist einer naturwissenschaftlichen Medizin, Rudolf Virchow, suchte 1874 in einem vielbeachteten Vortrag nach funktionalen und rationalen Erklärungen für die Kulturkampfwunder, indem er sie als tendenziös und zweckgebunden deklarierte. 132 Ebenso lautete das Urteil vieler Ärzte rasch Betrug oder Wahnsinn in Fällen, die auf den ersten Blick seltsam oder unerklärlich wirkten: Unmittelbar göttliche Einwirkung auf den Gesundheitszustand von Kranken ließen Ärzte immer weniger gelten. Freilich waren die Grenzen ärztlichen Handelns eng gesteckt und durften den Bereich der medizinischen Diagnostik nicht verlassen. Diese überschritt 1825 der Kreisphysiker Rothenberger (Kreis Simmern), als er über den angeblich erbärmlichen Gesundheitszustand der Maria Elisabetha Wagner aus Reckershausen nach Koblenz berichtete. Wilden Gerüchten zufolge schied sie aus dem linken Fuß Näh- und Stecknadeln aus, später auch Tischgabeln, schmutzige Fenstergläser und alte Hufnägel aus der Brust. Rothenberger befragte nicht nur diverse Zeugen, sondern zeigte den „Betrug" darüber hinaus sofort dem zuständigen Prokurator an, allenfalls Veitstanz wollte er als Diagnose noch gelten lassen. Wegen dieses Vorgehens wies zin. Eine historisch-ethnographische Studie, Frankfurt am Main 1991 (franz. Original 1978), S. 94-109. 131 Vgl. Urban Wiesing, Kunst oder Wissenschaft? Konzeptionen der Medizin in der deutschen Romantik, Stuttgart/Bad Cannstatt 1995. Dazu am Beispiel des badischen Pfarrers Ambros Oschwald Treiber, Wie man wird, S. 300. 132 Rudolf Virchow, Ueber Wunder. Rede, gehalten in der ersten allgemeinen Sitzung der 47. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Breslau am 18. September 1874. Mit einer Nachschrift, Breslau 1874, hier S. 23-26. Aus katholischer Perspektive gegen diese medizinisch-naturwissenschaftliche Stellungnahme Joseph Knabenbauer, S. 7., Das Wunder vor dem Forum der „modernen Wissenschaft", in: Stimmen aus Maria Laach. Katholische Blätter 8 (1875), S. 1-17 und S. 241-258.
4. Heilungen durch „ungewöhnlich starken religiösen Eindruck"
235
ihn jedoch Medizinalrat Wegeier verärgert darauf hin, daß es keineswegs zu den Amtspflichten eines Kreisphysikers gehöre, Zeugen zu vernehmen und selbständig auf Betrug zu schließen. 133 Zahlreiche solcher Grenzüberschreitungen und Grenzfälle lassen sich vor allem in der ersten Jahrhunderthälfte ausmachen. So litt der in Vallendar (Kreis Koblenz) unter dem Spitznamen „Schnarks Joseph" bekannte, 1795 geborene Tuchmacher Joseph Reichert seit 1815 unter einem übergroßen, unheilbar geltenden Nasen- und Rachenpolypen, der ihn beim Atmen und Essen schwer behinderte. Seine gut dokumentierte Krankengeschichte war mehreren Medizinern der Gegend persönlich bekannt. Reichert, der als frommer Katholik galt und häufig das Marienbild in der Wallfahrtskapelle Maria Hilf bei Koblenz aufsuchte, war dort am 25. März 1821 durch eine Marienerscheinung geheilt worden. Das Gerücht über die wunderbare Genesung des bis dahin von der Armenkasse lebenden Reichert verbreitete sich blitzschnell in der Gegend, weshalb die von der Koblenzer Regierung bei der medizinischen Untersuchung des Vorfalls an den Tag gelegte Geheimniskrämerei deplaziert w i r k t . 1 3 4 Der Medizinalrat und Kreisphysiker Joseph Maria Settegast untersuchte Reichert zwei Tage nach der Heilung und fand seinen Zustand deutlich verbessert, zumal dieser unmittelbar nach seiner Rückkehr zu arbeiten begonnen hatte. 1 3 5 Drei Zeugnisse sollten die Vorgänge in der kleinen Kapelle bestätigen: Reichert selbst, der 39jährige Schuhmachermeister Barts aus Vallendar und die 61jährige Barbara Hambuch aus Koblenz schilderten die Vorgänge weitgehend identisch. 136 Beachtenswert ist die Heilung Reicherts auch deshalb, weil zwei voneinander abweichende medizinische Gutachten erhalten sind; sie dokumentieren die unterschiedlichen Positionen eindrucksvoll. Eine Stellungnahme stammt vom Medizinalkollegium der Provinz, und ein Sondervotum ist erhalten von Settegast. Für diesen - Mitglied des sogenannten Koblenzer Kreises, der als Wiege des katholischen Vereinswesens g i l t 1 3 7 - war der Glauben an ein Wunder eng mit seiner strenggläubigen Haltung verknüpft. Das Medizinalkollegium erklärte die Heilung mit dem „ungewöhnlich starken religiösen Eindruck" und erkannte an ihr „nichts mit den physiologischen Grundsätzen Unvereinbares", da der Polyp sich bereits zuvor zurückgebildet haben könne oder aber auch eine spontane Heilung möglich sei. Weil kein „edles 133 Rothenberger an Regierung Koblenz vom 16.7. und 3.9.1825; Konzept Wegeier an Rothenberger vom 23.7.1825, in: LHAK, Best. 441, Nr. 2858. 134 Regierung Koblenz an Kultus- und Innenministerium vom 25.12.1821, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2180. 135 Bericht Settegast über die an dem Joseph Reichert von Vallendar in der Kapelle von Maria Hülf während dem Gebeth erfolgte schnelle Heilung vom 5.9.1821, in: ebenda. 136 Protokolle vom 26.3. und 29.3.1821, in: ebenda. 137 Vgl. Herres, Städtische Gesellschaft, S. 126.
236
V. Medizinische Konflikte
Organ" betroffen sei, sah Settegast dagegen „alle wesentlichen Kennzeichen des Wunderbaren" an der Genesung Reicherts. 138 Settegast ging also einen Schritt weiter als seine Kollegen, die eine psychosomatische Wechselwirkung zwischen Heilung und Glauben annahmen, die sich immerhin noch erklären ließ. In ihren Augen verzichtete der Kreisphysiker ohne Not auf die immer noch vorhandene Möglichkeit, den Krankheitsverlauf und die Heilung medizinisch zu deuten - eine Haltung, die sich wenig später nochmals deutlich bestätigte. Offenkundig noch unter dem Eindruck der Spontanheilung und durch Gerüchte wunderbar Geheilter beunruhigt, forderte die Koblenzer Regierung nur wenig später beim Medizinalkollegium ein Gutachten über die therapeutischen Erfolge der Gebetsheiler Hohenlohe-Schillingsfürst in Würzburg und Martin Michel im badischen Unterwittighausen an. Die Regierung fügte ihrem Gesuch eine Liste von 33 Personen hinzu, welche die Heiler aufgesucht hatten. 139 Die Behörde wollte Gewißheit über den Stellenwert der Gerüchte erlangen - besonders weil unter den angeblich Geheilten ein Arzt zu finden war - , nicht nur um der „Aufklärung" willen, sondern auch aus medizinalpolizeilichen Motiven, da die weite Reise hohe Kosten verursache und die schlechte Witterung die ohnehin angegriffene Gesundheit der Pilger gefährde. 140 Das Medizinalkollegium untersuchte innerhalb von drei Monaten den größten Teil der Betroffenen gründlich und stellte ein detailliertes Gutachten zusammen. Die beamteten Mediziner konnten auch hier keine wunderbaren Zeichen an den Kranken entdecken, von denen die letzten vier der Liste den Bauern Michel, die übrigen 29 Hohenlohe-Schillingsfürst in Würzburg aufgesucht hatten. Während ein Schwerkranker bereits auf der Rückreise verstarb (2), starben weitere kurz nach der Heimkehr (16, 22, 23, 30). Bei zwei Pilgern hatte sich nach dem Eindruck des Kollegiums der Gesundheitszustand nachweislich verschlechtert (9, 15). Eingehend beschäftigten sich die Medizinalbeamten mit denen, die bei der Befragung eine Verbesserung ihres Zustandes angaben oder über deren wunderbare Heilung sich Gerüchte verbreitet hatten (1, 11, 13, 26, 27, 33). Sie gestanden den überwiegend Gelähmten zwar wegen der ,,religiöse[n] Erschütterung" eine kurzzeitige Besserung zu, glaubten aber nicht an eine nachhaltige Wirkung. 1 4 1 Analog argumentierte der Kölner Medizinalrat Karl Theodor Merrem, der ein lahmendes Mädchen untersuchte, welches Hohenlohe138
Gutachten des Medizinalkollegiums vom 24.11.1821; Votum separatum von Settegast vom 3.12.1821, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2180. 139 Vgl. Tabelle 2, S. 239. 140 Regierung Koblenz an Medizinalkollegium vom 9.9.1821, in: LHAK, Best. 407, Nr. 234, S. 255 f. Zu Martin Michel, der teilweise gemeinsam mit HohenloheSchillingsfürst Gebetsheilungen vornahm, vgl. Sebastian, Hohenlohe-Schillingsfürst, S. 33-37. Probst, Fahrende Heiler, S. 207-213.
4. Heilungen durch „ungewöhnlich starken religiösen Eindruck"
237
Schillingsfürst konsultiert hatte. 1 4 2 Allerdings äußerte Settegast auch zu den Auswirkungen dieser Gebetsheilungen eine abweichende Meinung. Er hatte sieben Kranke aus Oberwesel (Kreis Koblenz) untersucht, die sich zu Michel begeben hatten, und glaubte, deren Gesundheitszustand habe sich verbessert. Das Medizinalkollegium wies diese Ansicht zurück mit der entlarvenden Bemerkung, daß dies nicht nur „die Grundsätze der Naturlehre und der ächten GebethsVerehrung" schwäche, sondern auch zu einer noch geringeren Beachtung des praktischen Arztes führe. 1 4 3 Eine quellengestützte Postdiagnose, die verschiedentlich in der Medizingeschichte versucht wird, hilft hier kaum weiter. Diejenigen Pilger, die angaben, sich besser zu fühlen, mögen durchaus die Wahrheit gesagt haben. Selbst wenn die Koblenzer Mediziner dies bezweifelten, ist eine spontane Heilung keineswegs auszuschließen. 144 Auch mögen einige Kranke sich aus verschiedenen Gründen, sei es die Furcht vor einer Blamage, seien es andere Absichten, über ihren eigenen Gesundheitszustand getäuscht haben. Wichtig bleibt, daß die Gutachter an herausragender Stelle das Ansehen ihres Standes im Auge hatten und weniger die Frage nach der Gesundheit der Kranken. 1 4 5 In dem Generalsanitätsbericht für 1821 versuchte der Koblenzer Referent und Medizinalrat August Leopold Ulrich, die zahlreichen wundersamen Ereignisse des verflossenen Jahres zu erklären, indem er darauf hinwies, daß es sich um einen kurzfristigen Rückfall in alte Zeiten handle, in denen der Glaube an das Wunderbare noch verbreitet gewesen sei. An den umfangreichen Reflexionen Ulrichs, die immerhin zehn Seiten in dem Bericht einnehmen, läßt sich der Stellenwert erkennen, den die beteiligten Ärzte der Heilung Reicherts und den Wallfahrten zu HohenloheSchillingsfürst und Michel beimaßen. Den Rückfall in den Glauben an Wunderheilungen à la Gaßner sah Ulrich gegründet in dem zu plötzlichen Übergang in die „rationelle Zeit", der durch die Französische Revolution beschleunigt worden sei - wobei ihm der animalische Magnetismus an den wundersamen Erscheinungen nicht unschuldig schien. Nicht alle „Gemü141 Abschrift Medizinalkollegium an Regierung Koblenz vom 29.12.1821, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2180. 142 Merrem an Solms-Laubach vom 7.11.1821, in: ebenda. Über die ins gesamte katholische Deutschland ausstrahlende Wirkung der Gebetsheilungen HohenloheSchillingsfürsts: Generalvikariat Deutz an Solms-Laubach vom 8.2.1822, in: HStAD, Best. Oberpräsidium Köln, Nr. 895, Bl. 22r-23r. 143 Settegast an Medizinalkollegium vom 5.10.1821; Konzept Medizinalkollegium an Settegast vom 17.12.1821, in: LHAK, Best. 407, Nr. 234, S. 245-251. 144 Vgl. zum Placebo-Effekt Arthur Jores, Magie und Wunder in der Medizin, in: Wilhelm Bitter (Hg.), Magie und Wunder in der Heilkunde. Ein Tagungsbericht, Stuttgart 1959, S. 133-139. 145 Regierung Koblenz an Kultusministerium vom 15.1.1822, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2180.
238
V. Medizinische Konflikte
ther" hätten diesen Übergang bewältigen können, 1 4 6 womit er dem medizinisch-religiösen Wunderglauben eine Kompensationsfunktion in Zeiten eines beschleunigten gesellschaftlichen und politischen Wandels zuerkannte. Weiter fußte für ihn der erneute Ausbruch einer „religiösen Begeisterung" und des Wunderglaubens auf der offenkundigen himmlischen Einflußnahme im Kampf gegen Napoleon, die sich vor allem im gescheiterten Rußlandfeldzug des Korsen geäußert habe. 1 4 7 Dabei wendete Ulrich die Ereignisse in doppelter Weise ins Positive. Einesteils sah er nach wie vor eine große Frömmigkeit wirken, gegen die selbst das „Bemühen einseitiger Verstandesmenschen" nichts habe ausrichten können. Andererseits argumentierte er psychosomatisch, indem er dem seelischen Einfluß auf körperliche und vor allem nervliche Leiden eine nicht zu unterschätzende Wirkung beimaß. Daher sei eine vorübergehende Heilung - wie sie durch zahlreiche Augenzeugen bestätigt worden war - durch religiöse Erregung durchaus möglich. 1 4 8 Bemerkenswerte Einsichten in das Verhältnis von Wunderglauben und Medizin erlaubt der Fall des Wunder- und Gebetsheilers Mohr. Heinrich Mohr (1798-1884) war Schäfer auf dem Gut Gürath bei Neurath (Kreis Grevenbroich). 149 Bereits vor seinem Aufstieg zum überregional bekannten Gebetsheiler behandelte er seine Schafe mit sympathetischen Mitteln. Zwei typische Elemente einer steilen, überregional beachteten Laienheilerkarriere lassen sich hier deutlich erkennen, denn erstens übertrug Mohr seine zunächst offenbar bei Tieren angewandte Therapie des Besprechens und Bekreuzigens auf Menschen. Zweitens erregte er mit der Heilung eines angeblich unheilbar Kranken großes Aufsehen, das im Laufe der Zeit durch Gerüchte und Erzählungen immer „wunderbarer" wurde. Eine derartige Heilung war als Ausgangspunkt für eine überregionale Aufmerksamkeit 146 Konzept Generalsanitätsbericht 1821, in: LHAK, Best. 407, Nr. 362, S. 35419, hier S. 125. Ulrich (1791 - vermutlich 1859) übernahm nach dem Ausscheiden Franz Gerhard Wegelers 1841 die gutdotierte Stelle des Koblenzer Regierungs- und Medizinalrats: Nachweisung der persönlichen und dienstlichen Verhältnisse der Mitglieder des Medizinalkollegiums für das Jahr 1850, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII B, Nr. 147. 147 Konzept Generalsanitätsbericht 1821, in: LHAK, Best. 407, Nr. 362, S. 126. Ulrich veröffentlichte seine Überlegungen mit Genehmigung des Oberpräsidenten Ingersleben 1823. Ders., Bemerkungen über die Wunderheilungen des Fürsten Hohenlohe und des Bauern Martin Michel, mit einem Rückblick auf die am Mittelrhein davon sichtbar gewordenen Wirkungen, in: Zeitschrift für die Anthropologie 1823, Heft 2, S. 397^112. Vgl. Kaufmann, Aufklärung, S. 85. Zu den Rückwirkungen der Befreiungskriege auf Frömmigkeitsformen Gerhard Graf Gottesbild und Politik. Eine Studie zur Frömmigkeit in Preußen während der Befreiungskriege 1813-1815, Göttingen 1993. 148 Vgl. Ulrich, Bemerkungen, S. 400-402, Zitat S. 400. 149 Wiljo Piel, Vor 150 Jahren: Wunderheilungen in Neurath. Ein Schäfer entfachte einen Massenwahn, in: Heimatland. Unser Kreiss Neuss 20 (1991), S. 4-7. Bertrams, Heinrich Mohr.
4. Heilungen durch „ungewöhnlich starken religiösen Eindruck"
239
Tabelle 2 Kranke aus Koblenz und Umgebung, die 1821 Wunderheiler aufsuchten3 Nr.
Name
Alter
Wohnort
Krankheit
Erfolg
Andernach
schwerhörig, hysterisch
gebessert?
Koblenz
Contractu apoplectisch
gestorben
1
Dr. Klein
2
Sebastian Finck
3
Lorenz Hommen
43
Koblenz
schwerhörig
ungeheilt
4
Maria Wirth
59
Koblenz
Contract
ungeheilt
5
Apollonia Wirth
20
Koblenz
Magenkrämpfe
ungeheilt
6
Clara Aichner
Koblenz
skrofulös
ungeheilt
7
Sophie Machner
24
Kalten-Engers
Lähmung linkes Bein
ungeheilt
8
Anna Maria Schmitz
15
Koblenz
gelähmt
ungeheilt
9
Joseph Hobbé
30
Koblenz
Contract
verschlechtert
10
Bernhard Zilt
28
Metternich
Lähmung linkes Bein
unbekannt
11
Heinrich Sauer
15
Koblenz
Lähmung linkes Bein
gebessert?
12
Ludwig Fischer
54
Gondorf
Gliederzittern
ungeheilt
13
Ferdinand Mies
22
Koblenz
Lähmung linkes Bein
gebessert?
14
Margaretha Schorb
36
Koblenz
Lähmung linke Hand
ungeheilt
15
Maria Anna Paté
20
Koblenz
Skrofeln
verschlechtert
16
Frau Helff
Koblenz
Lungenschwindsucht
gestorben
17
Hubert Schlink junior
3
Koblenz
blind
ungeheilt
18
Frau Geller
36
Koblenz
Brustfehler/ Skrofeln
ungeheilt
19
Hermann Niederehe
23
Koblenz
Skrofeln
ungeheilt
20
Peter Klöthner
34
Neuendorf
Lähmung linker Arm
unbekannt
V. Medizinische Konflikte
240 Tabelle 2 (Fortsetzung) Nr.
Name
Alter
Wohnort
Krankheit
Erfolg
24
Neuendorf
Epilepsie
unbekannt
Neuendorf
Brustfehler
gestorben
Neuendorf
Lungenschwindsucht
gestorben
21
Nicolaus Urmetzer
22
Herr Milz
23
Nicolaus Affeid
24
Johann Schauf
Neuendorf
anhaltendes Erbrechen
unbekannt
25
Catharina Lütz
Neuendorf
blind
unbekannt
26
Frau Esch
44
Ehrenbreitstein
Gicht/geht an Krücken
gebessert?
27
Tochter Meder
9
Ehrenbreitstein
geht an einer Krücke
gebessert?
28
Frau Franz Fuchs
Ehrenbreitstein
Hände und Füße gelähmt
ungeheilt
29
Joseph Bach junior
Ehrenbreitstein
geht an der Krücke
ungeheilt
30
Frau Heinrich Braun
Arzheim
Lungenschwindsucht
gestorben
31
Tochter Berru
Arzheim
lahm
ungeheilt
32
Anna Maria Reiffenberg
30
Ehrenbreitstein linkes Auge blind
ungeheilt
33
Catharina Frink
30
Ehrenbreitstein
gebessert?
25
5
erbricht Essen
a
Zusammengestellt nach Regierung Koblenz an Medizinalkollegium vom 9.9.1821, in: LHAK, Best. 407, Nr. 234, S. 255-259, und Abschrift Medizinalkollegium an Regierung Koblenz vom 29.12.1821, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2180.
unabdingbar. Kurz vor Ostern 1842 behandelte er den 14jährigen Gutsbesitzersohn Peter Coenen erfolgreich, dessen vereiterte Hand von mehreren Ärzten nicht hatte geheilt werden können. Besonderes Mißfallen der Mediziner mußten Ratschläge Möhrs an seine Patienten erregen, auf ärztliche Therapien ganz zu verzichten, obwohl sich alle beteiligten Mediziner darüber einig waren, daß seine Kuren völlig ergebnislos verliefen. 150 Zwar 150 ygi Bertrams , Heinrich Mohr, S. 5. Zeitungsausschnitt des Kreisphysikers Alken (Bergheim) vom 27.11.1842, in: HAEK, Generalia I 31,5.
4. Heilungen durch „ungewöhnlich starken religiösen Eindruck"
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beobachtete die Düsseldorfer Regierung in Zusammenarbeit mit den Landräten und Kreisphysikern der Kreise Erkelenz und Grevenbroich die Vorkommnisse und ließ ermitteln, worauf die Therapien gründeten, und ob Mohr sich für seine Heilungen bezahlen ließ. Sie meinte aber zunächst, diese nicht unterbinden zu können, weil der Schäfer sich auf Gebete beschränke. 151 Man hat dabei im Auge zu behalten, daß der preußische Staat 1842 immer noch Rücksicht auf die nach der Verhaftung Droste zu Vischerings angespannte konfessionelle Situation nehmen wollte. Der Kreisphysiker Jäger (Grevenbroich) nannte zwar vier medizinalpolizeiliche Gründe, weshalb die Kuren umgehend zu verbieten seien: Die von Mohr angenommenen Belohnungen, dessen Ablehnung ärztlich verordneter Therapien, die Drohung, bei Arztbesuchen keine weiteren Kuren mehr vorzunehmen, sowie die Gesundheitsgefährdung der Pilger durch die rauhe Jahreszeit. Aber dennoch beharrte Landrat Richard Freiherr von Vorst-Gudenau (Grevenbroich) umsichtig und im Gegensatz zu dem von preußischen Beamten oftmals an den Tag gelegten herrischen Auftreten überaus bedächtig darauf, die Heilungen unter polizeilicher Aufsicht zu dulden und auf Mißerfolge Möhrs zu setzen: „Durch ein Verboth, welches überdieß nur mit großem Aufsehen, und nur mit Hülfe einer nicht unbedeuteten bewaffneten Macht, zu handhaben ist, würde der Mohr im Wahnglauben der Menge zum Märtierer gestempelt".152 Auf dem Gipfel der Erfolge griffen Kreisphysiker wie niedergelassene Ärzte den Schäfer vergeblich an. Mehrere der niedergelassenen Ärzte beschwerten sich darüber, daß die Medizinalpolizei nicht gegen das Treiben in Neurath und Niederembt einschritt. Der Grevenbroicher Arzt de Witt glaubte, in dem Schäfer einen Magnetiseur zu erkennen, und beklagte den fehlenden medizinischen Sachverstand der beteiligten lokalen Gendarmen und Bürgermeister ebenso wie die mangelnde behördliche Bereitschaft, die frei niedergelassenen Ärzte zu unterstützen. M i t seinem Hinweis auf magnetische Kuren versuchte de Witt zudem nicht ungeschickt, einem gerichtlichen Verfahren wegen Pfuscherei den Boden zu bereiten, denn die Verwendung des animalischen Magnetismus war im Gegensatz zu Gebeten Laien nur unter ärztlicher Aufsicht und in besonderen Fällen gestattet. 153 151 Konzept Regierung Düsseldorf an Kreisphysiker Kessel (Erkelenz) vom 22.11.1842, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 241, Bl. 4. 152 Vorst-Gudenau an Regierung Düsseldorf vom 30.11.1842, in: ebenda, Bl. 7r16r, Zitat Bl. 13v; Landrat Daniel Wilhelm Beermann (Erkelenz) an Regierung Aachen vom 11.2.1843, in: HStAD, Best. Landratsamt Erkelenz, Nr. 290. Dem Urteil des Grevenbroicher Landrats Vorst-Gudenau Schloß sich neben der Düsseldorfer Regierung auch das Innenministerium an: Arnim an Eichhorn vom 27.12.1842, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2180. 153 de Witt an Kreisphysiker Jäger vom 1.12.1842, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 241, Bl. 20r-23r. Der approbierte Arzt de Witt mußte sich vom 16
Freytag
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V. Medizinische Konflikte
Als medizinische Erklärung therapeutischer Erfolge durch die Gebetsheilungen galt die „Einbildungskraft", die bereits seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert als Ursache für nicht vollständig rationalisierbare Heilungen herhalten mußte. Dies war negativ konnotiert, denn eine „eingebildete" war keine wirkliche und nachhaltige Genesung, selbst wenn man den Einfluß der Psyche auf Heilungsprozesse einkalkulierte. Ärzten wurde teilweise bedeutet, sie müßten sich nach einem anderen Beruf umsehen, so soll einem Bergheimer Arzt ein Dreschflegel ans Haus gehängt worden sein als Zeichen dafür, daß er sich eher als Knecht in der Landwirtschaft verdingen solle. Ganz offenbar folgten Kranke Möhrs diätetischen Ratschlägen eher als denen von Ärzten. Schließlich trug ein Mediziner aber dennoch maßgeblich mit zum Ende der Gebetsheilungen bei, denn mehrere Kinder des Schäfers und dieser selbst erkrankten Ende 1842 lebensbedrohlich an Nervenfieber. Während zwei Kinder starben, gelang es dem hinzugezogenen Bedburger Arzt Schaffrath, ein weiteres Kind und den Schäfer erfolgreich zu behandeln. Daß es Mohr nicht gelungen war, seine Familie und sich vor Krankheiten zu schützen, beschädigte seinen Ruf als wundertätiger Gebetsheiler erheblich. Zunehmend erschienen Karikaturen über den angeblichen Wunderheiler, die seine medizinischen Mißerfolge und seine groben therapeutischen Verfahrensweisen aufs Korn nahmen. 154 Abermals stellte sich das Problem des religiösen Wunders im Zusammenhang mit der Trierer Rockwallfahrt von 1844. Von der intensiven HeiligRock-Forschung bisher gänzlich übersehen wurden differenzierte ärztliche Stellungnahmen zu den Wunderheilungen der Gräfin Johanna von Droste zu Vischering und der Anna Josephina Wagner. Der mit der Krankheitsgeschichte der wohl berühmtesten Geheilten der Rockwallfahrt von 1844 bestens vertraute und bekannte Kreuznacher Badearzt und Sanitätsrat Prieger nutzte den Vorfall zur Werbung für sich und die örtlichen Bäder, zählte die Kranke doch seit einem Jahr zu seinem Patientenstamm. Für ihn gingen religiöser Glaube und medizinische Therapie hier sinnvoll Hand in Hand, zumal die Gräfin auch nach ihrer wunderbaren Heilung weiterhin auf seine Arzneien und Anweisungen vertraute. Prieger folgerte, die Kreuznacher Heilquellen und seine therapeutischen Maßnahmen hätten maßgeblich „auf das zusammengezogene Kniegelenk eingewirkt", weshalb „ein Versuch den Fuß zu strecken, in dem starken Vertrauen und Glauben auf die Gnade Gottes, alle Schmerzen überwunden" habe. 1 5 5 Düsseldorfer Medizinalrat Ebermaier freilich belehren lassen, „daß die angeblichen Wunder am schnellsten verschwinden, wenn sie nicht bestritten werden". Konzept Ebermaier an de Witt vom 3.12.1842, in: ebenda, Bl. 20r. 154 Vgl. Bertrams , Heinrich Mohr, S. 10, S. 20 und S. 23. Piel, Vor 150 Jahren, S. 6. 155 Zeugnis Prieger vom 6.9.1844; Bemerkungen Prieger über die gelungene Ausstreckung vom 6.9.1844; Prieger an Regierung Koblenz vom 12.9.1844, in: LHAK,
4. Heilungen durch „ungewöhnlich starken religiösen Eindruck"
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Etwas anders lag der Fall bei Anna Josephina Wagner aus dem kleinen Moseldorf Lutzerath (Kreis Cochem, Gemeinde Alflen), die gleichfalls zu den 18 Personen gehörte, denen 1844 ausweislich der kirchlichen Akten und der katholischen Publizistik eine wunderbare Heilung zuteil geworden w a r . 1 5 6 Ihre Krankengeschichte ist aufgrund des großen Interesses der lokalen Behörden an ihrem anstößigen Lebenswandel und ihrer finanziellen Bedürftigkeit ungewöhnlich gut dokumentiert. Die 1827 geborene Wagner war seit ihrem zwölften Lebensjahr aufgrund krampfartiger Anfälle, die das Dorf für teuflischen Ursprungs hielt, in ärztlicher Behandlung. Sie stammte aus zerrütteten Familienverhältnissen; hin und wieder wurde sie sogar steckbrieflich gesucht und wegen Vagabundierens verhaftet. Zeitweilig war sie in die Bertricher Heilanstalt eingewiesen worden, in der sich ihr Gesundheitszustand offenbar gebessert hatte. Da die Gemeinde für die Behandlungskosten des Distriktsarzts Wieler aufkommen mußte, hatte der Bürgermeister ein unübersehbares Interesse, die junge Frau in eine Klinik zu überweisen. 157 Wagner selbst - von der ein persönlicher Brief an ihre Mutter und ihren Stiefvater in den Akten erhalten ist - jedenfalls glaubte nach der Wallfahrt nach Trier, ein Wunder habe sich an ihr ereignet. Anders fiel dagegen das gutachterliche Urteil Wielers aus, der sie im Januar 1845 wieder an Krämpfen leiden sah: „Da bei der bestehenden Umgebung der Kranken, die sämmtlich an ein Besessensein vom Teufel glaubt, und daher das Mädchen beständig mit Weihwasser, gesegneten Rosenkränzen und dergl." plagte, kein günstiger Einfluß zu erwarten war, schlug er vor, sie erneut in eine Heilanstalt zu überweisen. 158 Im Juli 1846 wurde sie schließlich schwanger in die Entbindungsanstalt in Bonn eingewiesen. 1 5 9 Der ärztliche Glaube an eine wunderbare Heilung war offensichtlich nicht von der sozialen Stellung der Geheilten zu trennen. Der „liederliche" Lebenswandel Wagners ließ die Behörden und den behandelnden Arzt an einem Wunder zweifeln, während sie sich bei der Gräfin aufgeschlossener zeigten. Best. 441, Nr. 47026. Über die religiöse Erregung bei Droste zu Vischerings Besuch der Rockreliquie informieren die protokollarischen Zusammenstellungen über ihre wunderbare Heilung am 30.8.1844, in: BAT, Abt. 91, Nr. 220, S. 1-20. Schieder, Religion und Revolution, S. 60-62. Mit diversen ärztlichen Stellungnahmen Hansen, Aktenmäßige Darstellung, S. 47-67. Zu Priegers Rolle in Bad Kreuznach Schubert, Regierung in Koblenz, S. 105 f. 156 Protokollarische Zusammenstellungen über die Heilung Anna Josephina Wagners vom 24.9.1844, in: BAT, Abt. 91, Nr. 220, S. 50-59; Ubersicht über die wunderbaren Heilungen, in: BAT, Abt. 91, Nr. 219, S. 1-9. 157 Konzepte Bürgermeister Theisen (Lutzerath) an Landrat Karl Julius Schönberger (Cochem) vom 19.5. und 19.6.1844, in: LHAK, Best. 655,117, Nr. 315, Bl. lr-2v. 158 Gutachten Wielers vom 19.1.1845, in: LHAK, Best. 441, Nr. 47026. 159 Abschrift Regierung Koblenz an Schönberger vom 23.7.1846, in: LHAK, Best. 655,117, Nr. 315, Bl. 21r. 16*
V. Medizinische Konflikte
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Noch bei der Rockwallfahrt 1891 - gezielt gefördert von Bischof Korum, der Kranke höchstpersönlich zur Reliquie führte 1 6 0 - spielten medizinische Stellungnahmen eine zentrale Rolle, da in der von der Kommission verfaßten Schrift über die Heilungen mehrere Mediziner gutachteten. Dabei waren sie nicht nur als Kommissionsmitglieder tätig, sondern es wurden auch die Ärzte befragt, welche die Geheilten in ihren Heimatorten behandelten. 1891 war es für die Bistumsleitung selbstverständlich, ärztliche Befunde in ihre Untersuchung einzubeziehen und sich detailliert über die Krankengeschichten zu informieren. Die 14jährige, auf dem rechten Auge blinde Helena Daniel aus Recht (Kreis Malmedy) mußte zunächst wie alle anderen kranken Pilger ein pfarramtliches sowie ein ärztliches Attest vorweisen, bevor sie die Tunika Christi berühren durfte. 1 6 1 Der behandelnde Augenarzt Rouprez aus Malmedy, der bereits dieses Attest ausgestellt hatte, hielt sich mit einer Stellungnahme über „den jedenfalls merkwürdigen Krankheitsverlauf' zwar zurück, mußte aber dennoch festhalten, daß das Mädchen nun auch mit dem rechten Auge sehen und lesen konnte. 1 6 2 Was der Arzt zurückhaltend bewertete, lag für die Trierer Kommission jedenfalls offen zutage. Für sie konnte „diese plötzliche Heilung [keineswegs] auf natürliche Weise" zustandegekommen sein und sie sah darin, wie in allen anderen Heilungen, abschließend „eine neue Bestätigung unseres Glaubens" und das direkte Werk Gottes. 163
5. Der medizinische Blick auf althergebrachtes Verhalten Der medizinische Blick war vor allem anderen ein ärztlicher Blick, den die Betroffenen - Kranke und Patienten - keineswegs teilen mußten, und er war verbunden mit der Annahme von Bildungsdefiziten auf Seiten der Patienten sowie sozialen und räumlichen Zuweisungen wie Geschlecht, Alter und ländlichen Gebieten. Rudolf Schenda hat versucht, den teilweise sicher problematischen und defizitären Begriff Volksmedizin zu ersetzen durch die Formel vom subkulturalen medikalen Verhalten, um damit auch medikale Abweichungen im modernen Sozialstaat erfassen zu können. 1 6 4 160
Zeitungsausschnitt Westpreußisches Volksblatt vom 3.10.1891, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 IV (Kultusministerium), Sekt, la, Abt. I, Nr. 309, Bl. 109. 161 Vgl. Korum, Wunder und Göttliche Gnadenerweise, S. 25-32. 162 Abschrift des augenärztlichen Gutachtens vom 8.10.1891, in: ebenda, S. 27 f. 163 Zitate ebenda, S. 32 und S. 193. 164 Rudolf Schenda, Stadtmedizin - Landmedizin. Ein Versuch zur Erklärung subkulturalen medikalen Verhaltens, in: Gerhard Kaufmann (Hg.), Stadt-Land-Beziehungen. Verhandlungen des 19. Deutschen Volkskundekongresses in Hamburg vom 1. bis 7. Oktober 1973, Göttingen 1975, S. 147-170. Zur Volksmedizin vgl. die Aufsatzsammlung Elfriede Grabner (Hg.), Volksmedizin. Probleme und Forschungsgeschichte, Darmstadt 1967. Christian von F erber, Volks- und Laienmedizin als Al-
5. Der medizinische Blick auf althergebrachtes Verhalten
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Einen ersten Zugang zur ärztlichen Sicht erlauben die im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts von zahlreichen Kreisphysikern auf Anordnungen ihrer Regierungen in der Rheinprovinz verfaßten Medizinaltopographien. 165 Die im Zuge einer rationalen Verwaltung angeforderten, in Umfang und Wissensstand stark variierenden Berichte dienten dazu, Wissen über Land und Bevölkerung zusammenzutragen, das sich auf verschiedenste Facetten des Lebens bezog. So finden sich neben Bemerkungen zum moralischen Zustand und zur Frömmigkeit der Bevölkerung auch oftmals modern anmutende Äußerungen über den Umgang mit der Umwelt und die Begleiterscheinungen der einsetzenden Industrialisierung. Die Kreisphysiker beklagten durchweg die sich aus vielen Quellen speisenden volksmedizinischen Bräuche und abergläubischen Auffassungen, wie der Bonner Kreisphysiker Velten 1825, der den ,,religiöse[n] Aberglaube[n] unter älteren Leuten auf dem Lande noch [für] sehr verbreitet" hielt. Wie seine Kollegen kritisierte er derartige Vorstellungen nicht nur durchgängig empört, sondern konkretisierte auch seinen eigenen Standpunkt. So waren ihm das Hauptübel der Glauben des Rheinländers an die Wundertätigkeit weinender Marienbilder und Behexungen durch alte Frauen. 166 Die Kreisphysiker zementierten gleichzeitig die unüberbrückbare Distanz der ländlichen Bevölkerung zur aufgeklärt-akademischen Medizin sowie ihre Hoffnung auf deren zunehmende Aufklärung. Eine herausragende Rolle wuchs dabei dem Schulunterricht z u . 1 6 7 Diesen Fortschritt hielt Julius Wegeier, Sohn des Medizinalrats Franz Gerhard Wegeier, 1835 weitgehend für verwirklicht. Damit beurteilte er den Stand der (medizinischen) Aufklärung in der Stadt ganz anders als die Mehrzahl seiner Kollegen auf dem Land - womit er sich dem gängigen Topos vom Stadt-Land-Gefälle anschloß. 168 Viele Ärzte beanstandeten mit ternative zur wissenschaftlichen Medizin - Zur Partizipation im Gesundheitswesen, in: Soziale Sicherheit 28 (1975), S. 203-209. Stolberg, Volksmedizin. 165 Ein Teil der Topographien ist noch in den Akten der Medizinal Verwaltung der fünf Regierungsbezirke erhalten. Eine Topographie Triers aus dem Jahre 1815 befindet sich in: HStAD, Best. Oberpräsidium Köln, Nr. 700, Bl. lr-17v. Mittlerweile liegen auch einige gedruckt vor. Ralf Stremmel (Hg.), Alltag im Kreis Solingen 1823. Dr. Johann Wilhelm Spiritus und seine medizinische Topographie, eingeleitet und kommentiert, Solingen 1991. Dieter Körschner (Hg.), Medizinische Topographie des Kreises Bonn von Dr. Anton Velten. Eine Beschreibung von Land und Leuten um 1825, Bonn 1988. Mit dieser Quellengattung arbeitet Jan Brügelmann, Der Blick des Arztes auf die Krankheit im Alltag 1779-1850. Medizinische Topographien als Quelle für die Sozialgeschichte des Gesundheitswesens, phil. Diss, masch., Berlin 1982. 166 Anton Velten (Bonn), in: Körschner, Medizinische Topographie, S. 215. 167 Kreisphysiker Spiritus (Solingen), in: Stremmel, Alltag im Kreis Solingen, S. 181. 168 Vgl. Julius Wegeier, Versuch einer medicinischen Topographie von Koblenz, Koblenz 1835, S. 24 f. Julius Wegeier (1807-1883) wurde nach der Pensionierung seines Vaters 1841 zum Medizinalrat ernannt. Bodelschwingh an Eichhorn vom
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V. Medizinische Konflikte
ihrer Kritik vor allem das unkritische, überkommene Nichtaufgeklärte, weshalb die Topographien ein ärztliches Plädoyer für den Kampf gegen die Uneinsichtigkeit und die in ihren Augen teilweise lebensgefährlichen Gewohnheiten der Bevölkerung waren. Noch die in den 1860er Jahren in Bayern angelegten medizinischen Topographien aller Physikatsbezirke zeugen nach Meinung ihrer Verfasser von einer ausgedehnten Verbreitung volksmedizinischer Verfahren und abergläubischer Praktiken, vor allem in den ländlichen Gegenden. 169 Die Klagen über ungesundes Verhalten und Medizinalpfuschereien sind aber auch vor dem Hintergrund mangelnder Heilerfolge zu verstehen. Damit schoben Ärzte selbst bei diagnostischer wie therapeutischer Hilflosigkeit den Schwarzen Peter für Mißstände den Patienten zu. Eine 1823 durch das rheinpreußische Medizinalkollegium angeregte Sammlung volksmedizinischer Rezepte schließt hier unmittelbar an, sollte diese doch die Ursprünge akademisch-naturwissenschaftlicher Medizin in der Laienheilkunde aufspüren. Auch wenn das für die Praxis immer weniger eine Rolle spielte, so ist dieses Interesse an Volksmitteln ein bemerkenswerter Beleg für ein Ineinandergreifen von Laienheilkunde und akademischer Medizin. 1 7 0 Man wollte damit aber auch die weniger brauchbaren Volksmittel oder deren ungeeignete Anwendung ausmerzen. 171 Zu einem beträchtlichen Teil war diese geschickte Form der Auseinandersetzung mit Volksmitteln auch ein Kampf gegen überkommene Formen der Selbstmedikation, denn mit der Kenntnis über Volksmittel näherten sich Ärzte den Kranken an. Allerdings hatte dies auch eine andere Seite, denn wie beim Impfwiderstand setzten die Mediziner diese Verhaltensweisen durch den Aberglaubensvorwurf herab, drängten sie in die Ecke und erklärten sie damit als überholt. 1 7 2 Alle staatlich besoldeten Mediziner wurden über die 22.6.1841, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII B, Nr. 146. Vgl. ADB, Bd. 41, S. 421. 169 Über die bayerischen Physikatsberichte der 1860er Jahre informiert Christian Probst, Die Frömmigkeit des Landvolks. Aus den Berichten bayerischer Amtsärzte um 1860, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 57 (1994), S. 405-434. Hinweise dazu bei Huerkamp, Aufstieg der Ärzte, S. 36. 170 Vgl. Wolff, Einschneidende Maßnahmen, S. 25. Mit solchem Erkenntnisinteresse arbeitet die Medizingeschichte bis in die jüngste Zeit. Vgl. Erika Hâkansson, Über Volksmedizin des 17. bis 19. Jahrhunderts im Aachener Raum, med. Diss, masch., Aachen 1975, S. 4-12. Die umfangreichste systematische Rezeptsammlung bieten Oskar von Hovorka/Adolf Kronfeld, Vergleichende Volksmedizin. Eine Darstellung volksmedizinischer Sitten und Gebräuche, Anschauungen und Heilfaktoren, des Aberglaubens und der Zaubermedizin, 2 Bde., Stuttgart 1908/1909. 171 Konzept Generalsanitätsbericht 1823, in: LHAK, Best. 407, Nr. 364, S. 9280, hier S. 246-251. 172 Ygi Mathias Steinmann, Impf-Alltag im 19. Jahrhundert. Das Verhältnis zwischen Ärzten und Bevölkerung vor dem Hintergrund der Pockenschutzimpfung im Kanton Luzern, in: Gesnerus 52 (1995), S. 66-82. Wolff, Einschneidende Maßnah-
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Amtsblätter aufgefordert, sich mit Volksheilmitteln und deren Wirkungen auseinanderzusetzen sowie diese in ihren Quartalsberichten mitzuteilen. In den für diesen Zeitraum leider nicht mehr vollständig erhaltenen Sanitätsberichten der Regierungsbezirke finden sich bis 1837 spezielle Rubriken, in denen die Erkenntnisse über Volksmittel zusammengefaßt wurden. 1 7 3 Aller Teilnahme an diesem Forschungsprogramm zum Trotz blieb Volksmedizin für die meisten Ärzte eine Residualkategorie, die sie als abergläubisch ausgrenzten, und mit der sich der gebildete, in bürgerlichen Kreisen verkehrende Mediziner nur ungern befaßte, was die Stellungnahme des Ottweiler Kreisphysikers Stachelroth trefflich einfängt: Die Volksmedizin „steht eigentlich auf einer sehr niedrigen Stufe und ist meistens nur die Frucht des rohesten Aberglaubens bei den Ungebildeten". 174 Größtenteils erkundigten sich die Ärzte über diese Volksmittel daher nur überaus widerwillig, was sie keineswegs verbargen. 175 In kaum zu übersehender Ironie kam auch die Nähe zu magischen Heilmitteln zur Sprache, wußte der Erkelenzer Kreisphysiker Vallader doch über das sogenannte „Neunerley Pulver" zu berichten, das - eingenäht „ i m Bette und Kleidungsstücken" oder eingegraben „unter die Schwelle der Häuser und Ställe" - gegen „Bezauberey und alle magischen Künste, Gespenster, Nachtgeister, Kobolde, Alp und alle bösen Dämonen" helfen sollte. Er begründete die Nennung dieses Mittels unter Verweis auf verschiedene in der Zeitschrift für die Anthropologie erschienene Beiträge 1824 mit folgenden Worten: „In einer Zeit wo der Misticismus und Wunderglaube an der Tagesordnung sind, in einer Zeit wo in gelehrten Journalen dem lesenden ärztlichen Publikum Ammen und Kindermärchen, mistischer Bombaß, Träumereien, Ahnungen u s w aufgetischt und mit großem Ernste vorgetragen werden [...] scheint es mir der Mühe werth dieses Mittel besonders zum frommen der Gläubigen der Vergessenheit zu entreißen". 176
men, S. 37-39, hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Forschung dieser zeitgenössischen Interpretation lange gefolgt ist. Für die Rheinprovinz mit zahlreichen Quellen Eduard Meder, Zur Geschichte der Kölner Impfanstalt. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Schutzpockenimpfung in Köln und der Rheinprovinz. Ein Gedenkblatt zur 125jährigen Wiederkehr des Tages der Gründung der Anstalt (am 16.12.1803), Berlin 1928. 173 Aufgewogen wird diese Lücke durch die bis 1832 vollständig erhaltenen Generalsanitätsberichte des rheinpreußischen Medizinalkollegiums. 174 Sanitätsbericht 2. Quartal 1828 (Kreis Ottweiler), in: LHAK, Best. 407, Nr. 339, S. 985-1010, hier S. 1005. 175 Auszug aus dem Sanitätsbericht 2. Quartal 1824 (Kreis Grevenbroich), in: LHAK, Best. 407, Nr. 115, S. 33-35. 176 Nachrichten über die gebräuchlichen Volksmittel vom Kreisphysiker Vallader (Erkelenz) vom 20.2.1824, in: HStAD, Best. Regierung Aachen, Nr. 1175.
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V. Medizinische Konflikte
Die Recherchen nutzten einige, um die Schädlichkeit diverser Volksmittel anzuprangern. 177 So bemerkte der Kreisphysiker Vollmer (Erkelenz) zu einem Mittel gegen hohes Fieber - sechs bis acht Regenwürmer in Branntwein eingelegt und nach 24 Stunden eingenommen - , „daß wohl das Ekel Erregende des Mittels hier das Wirksame seyn möge, wie man ja auch das Verschlucken einer lebenden Spinne unter denselben Umständen hülfreich gefunden h a t " . 1 7 8 Von der Schädlichkeit dieser „Medizin" war er dermaßen überzeugt, daß es ihm gar nicht in den Sinn kam, deren weitere Verwendung zu diskutieren. Überliefertes Verhalten muß nicht zwangsläufig als Widerstand gegen Neuerungen oder unreflektiertes Festhalten an überliefertem Brauchtum gewertet werden, wie dies die Behörden und Ärzte sahen, sondern ihm konnten sogenannte moderne Absichten durchaus innewohnen. A m Beispiel des Impfwiderstands in Württemberg des frühen 19. Jahrhunderts hat Eberhard Wolff dies eindrucksvoll herausgearbeitet. 179 Man wird im Blick behalten müssen, daß die preußische Verwaltung jene ländlich-katholischen Bräuche kurzerhand als traditionell einstufte, die sich medizinal- oder sicherheitspolizeilichen Vorgaben nur schwer fügten. Dies gilt etwa für das im Aachener Raum verbreitete sogenannte Reuessen und Reutrinken, bei dem nach Sterbefällen Verwandte üppige Gastmähler nicht nur in den Wirts-, sondern auch in den Sterbehäusern selbst ausrichteten. Abgesehen davon, daß es wiederholt zu „Exzessen" kam, störten sich die Behörden auch an den hohen Kosten, welche den Hinterbliebenen entstanden. Die Landräte waren überaus skeptisch, die ausladenden Totenfeiern eindämmen zu können, sahen allerdings dringenden Handlungsbedarf, um die unkontrollierte Ausbreitung ansteckender Krankheiten zu unterbinden. Bei genauerem Hinsehen erweist sich dieses medizinalpolizeiliche Argument als vorgeschützt, um überkommenes Brauchtum trotz des nicht statthaften Eingriffs in die bürgerliche Privatsphäre verbieten zu können; ein Vorhaben, dem das Koblenzer Oberpräsidium nicht folgte. 1 8 0 177
Abschrift Bericht Dr. Foegen (Büdingen) vom 5.1.1824, in: LHAK, Best. 407, Nr. 115, S. 16; Sanitätsbericht 2. Semester 1827 (Aachen), in: LHAK, Best. 407, Nr. 338, S. 183-270, hier S. 268-270. 178 Sanitätsbericht 3. Quartal 1828 (Aachen), in: LHAK, Best. 407, Nr. 339, S. 322-377, hier S. 371. Generalsanitätsbericht 1828, in: LHAK, Best. 407, Nr. 369, S. 84. 179 Der Impfwiderstand konnte als Motiv etwa den gewollten Kindertod als Geburtenkontrolle haben. Wolff, Einschneidende Maßnahmen, S. 385-398. 180 Landrat Carl von Bülow (Jülich) an Regierung Aachen vom 21.7.1823, in: HStAD, Best. BR 1040, Nr. 429, Bl. 43r. Vgl. Gunther Hirschfelder, Reu- und Trauertrinken im Regierungsbezirk Aachen. Das Beispiel einer entgleisten Totenfeier im Jahr 1823, in: Hildegard Mannheims u.a. (Hg.), Volkskundliche Grenzgänge. Festgabe der Schülerinnen und Schüler H. L. Cox zum 60. Geburtstag, Erkelenz 1995, S. 205-219.
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Ausgemachter „Aberglauben" waren preußischen Behörden und Medizinern sympathetisch-magische Kuren. 1 8 1 Mit großem Erstaunen mußte die ministerielle Verwaltung im Vormärz wiederholt feststellen, daß das als aufgeklärt geltende Berliner Publikum für derartige Verfahren überaus anfällig war. Der vormalige Unteroffizier und Bauer Eulenburg zu Eisholz behandelte nachts - jeweils nur den ersten oder zweiten Freitag im Monat - bei abnehmendem Mond Rechten und bei zunehmendem Mond Gicht, indem er Blut an den schmerzenden Körperstellen mit Papierblättchen auffing, die Wunden anblies und Sprüche murmelte. Seinen Patienten verschrieb er abschließend immer eine Salbe aus Bierwürze und Butter zum Einreihen. Diese als sympathetisch eingestuften Kuren dienten allein der „Hegung und Pflegung des Aberglaubens" wie die beiden den Fall Eulenburg gutachtenden Ärzte 1830 hervorhoben. 182 Gerade die Erfolge des späteren Gutsbesitzers Eulenburg, welche die Behörden nicht von ungefähr an das spektakuläre Auftreten des Pferdeknechts Johann Gottlieb Grabe erinnerten, gemahnten die Verwaltung daran, daß die Aufklärung sich noch keineswegs so durchgesetzt hatte wie gewünscht. Darüber hinaus ließ es sie an der Annahme zweifeln, es mit überwiegend katholisch-ländlichen Phänomenen zu tun zu haben, auch wenn die Behörden dort nach wie vor ausgeprägte Rückzugsgebiete vermuteten. Zettel wie ein Rezept mit dem Titel „Simphatetische Heilung" vom 11. Dezember 1829 aus Oberwesel (Regierungsbezirk Trier) schienen diese Ansicht immer wieder zu bestätigen. Dieser soll seiner Eindringlichkeit wegen vollständig zitiert werden, zumal er die wichtigsten Elemente sympathetischer Kuren aufweist. „So bald an einer Wunde geschnitten, gehauen, gestochen oder andere Wunden das Blut gestillet hat, nimt mann ein Tüchlein oder läppen von einem MannsHaupt /: das beste hierzu ist vom Hembter Kragen, nachdem man solches mit etwas blut aus der Wunde genetzet, zusammen gewicklet und in den hosen sack gesteckt bis solches darin erwärmet /: frauleute müsen [?] solches zwischen die brüste stecken :/ hernach gehet mann an ein Haus so bewohnet wird macht ein loch in die erde wo der Dach träuf hinfält, thut die vom blute angenezte lumpe hinein und soloa Venca [?] scheist darauf deckt solches wiederum zu /: es mus jedoch dieser lumpen ganz mit menschen Koth bedeckt werden :/ und gehet seiner weege. χ dann nimmt mann den Überrest des hembter kragen und verbindet die wunde damit, mann nimbt nur so viel davon als nothwendig, braucht keine wunde auszuwaschen, das verband mus drey vollkommen Tage ohn aufgemacht 181 Sympathisch-magische Kuren beruhen auf der analogen Vorstellung, daß das, was einem verbundenen Element geschieht, sich an dem beeinflußten Kranken wiederholt. Vgl. Artikel „Sympathie", in: HDA, Bd. 8, Sp. 619-628. 182 Gutachten Dr. Philippi und Dr. Pahlmann an Regierung Potsdam vom 28.5.1830, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2180. Eulenburg blieb zumindest bis 1845 aktiv, wie ein Immediatgesuch an Friedrich Wilhelm IV. aus dem Juni belegt, in: ebenda. Vgl. dazu Artikel „Sympathie", in: HDA, Bd. 8, Sp. 619-628.
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V. Medizinische Konflikte
verbunden bleiben, ist die wunde groß und in 3 tage nicht geheilt, so verbindet mann solche nochmal p.e. um den rothlauf der wunde zu verhüten, läst man einen 6 oder 7 Jährigen Jungen in eine Scherpe [?] pissen, tunkt ein Tüchlein darin und legt solches wieder auf die zugeheilte wunde, solches kan 3 oder 4 mahl des Tages geschehen".183 Deutlich wird das Prinzip erkennbar, die Krankheit in einer rituellen Handlung symbolisch auf einen Gegenstand - hier ein Kleidungsstück - zu übertragen und dabei durch Vergraben vom menschlichen Körper zu entfernen. Die wichtige Rolle von Fäkalien unterstreicht die Trennung der Krankheit vom Patienten, und als Zwischenträger dienten die Tücher oder Kleidungsstücke. Darüber hinaus wird meist eine Analogie - so auch hier mit dem Hemdkragen, von dem ein mit Blut benetzter Teil vergraben wird, ein anderer als Verband dient - hergestellt, die in einer parallel verlaufenden Handlung die Heilung herstellen sollte. Beachtenswert ist die zeitliche Gebundenheit der Heilung, die ihre volle Wirkung nur entfalten konnte, wenn die Kranken sich den Regeln unterwarfen, im vorliegenden Fall das unbedingte dreitägige Verbandanlegen. Die Probe aufs Exempel solcher Mittel versuchte der Euskirchener Kreisphysiker Ludwig 1833 mit einem aus geräucherter Fuchszunge bestehenden Amulett gegen Magenkrämpfe. Er sollte einer Patientin ein solches Amulett besorgen und schnitt ihr schließlich ein solches aus Ochsenzunge, ohne sie darüber zu informieren und resümierte dazu süffisant, die positive Wirkung der Einbildungskraft durchaus einkalkulierend: „Das qui pro quo that seine Wirkung, und noch jetzt befindet sich die Dame wohl dabey. [...] So geht der Blinde im Vertrauen auf gebahnter breiter Straße zu seyn über einen schmalen Steg, während der Sehende schwindelnd über derselben in den Abgrund fällt". 184 Aberglauben blieb das gesamte 19. Jahrhundert hindurch in medizinischen Zusammenhängen ein vielseitig verwendbarer Begriff, dessen Gebrauch drei miteinander verwobenen Zielen diente. Zunächst kritisierten Ärzte in relikttheoretischer Argumentation in den Diskussionen und in ihren Sanitätsberichten damit unzeitgemäßes und unaufgeklärtes medizinisches Verhalten der Bevölkerung. Hierin weitgehend von der Verwaltung unterstützt, nutzten wissenschaftlich gebildete Mediziner dies, um - unab183
Zettel „Simphatetische Heilung", datiert auf den 11.12.1829 [vermutlich aus Oberwesel (Regierungsbezirk Trier), da auf der Rückseite ein Johann Kirch aus Oberwesel „wie Inhalts" bittet], in: BAT, Best. Β III, Nr. 16,10, Bd. 5. Hervorhebung im Original. Weitere Beispiele aus einer saarländischen Quellensammlung bei Joachim Conrad, Weiße Magie und Sympathiezauber im Köllertal des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlands 44 (1995), S. 205-224. 184 Sanitätsbericht 1. Semester 1833 (Köln), in: LHAK, Best. 407, Nr. 344, S. 241-314, Zitat S. 261 f.
5. Der medizinische Blick auf althergebrachtes Verhalten
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hängig von ihren therapeutischen Erfolgen oder Mißerfolgen - ihre Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit durchzusetzen. Aus dieser Perspektive erweist sich der Aberglaubensvorwurf als klassische Zutat des Medikalisierungsprozesses. Das hielt die medizinische Verwaltung nicht davon ab, Volksmittel zeitweise auf ihre Wirkung zu prüfen und in die wissenschaftliche Medizin zu integrieren, zumal sie sich davon auch erzieherische Wirkungen versprach. Die an dieser Sammlung beteiligten, staatlich besoldeten Ärzte machten aus ihrer Ablehnung allerdings keinen Hehl. Diese Aberglaubensargumentation verlor gleichwohl an Schlagkraft, da sich die Patienten zunehmend daran gewöhnten, im Krankheitsfall einen akademischen Mediziner zu konsultieren. Sodann verurteilten Mediziner mit dem Aberglaubensvorwurf Heilverfahren oder Heilungen, die in christlich-religiöse Zusammenhänge einzuordnen sind. Dies gewann teilweise eine konfessionspolitische Stoßrichtung, indem sich der Vorwurf mit Anwürfen gegen den romorientierten Katholizismus und seine Wundergläubigkeit vermischte. Hier zeigten sich noch lange die Grenzen einer Diskriminierung als Aberglauben, solange keine erfolgreichere wissenschaftlich-therapeutische Alternative angeboten werden konnte. Bei nicht restlos erklärbaren wunderbaren Heilungen ließen die Behörden dennoch lange beide Deutungsmuster - das medizinische wie religiöse - nebeneinander gelten. Allerdings verzichteten sie nicht auf eine Vormachtstellung medizinischer Auslegung, da auch Aberglauben als Ursache für angeblich wunderbar-spontane Heilungen vermutet wurde. Hier hatten die Mediziner immer auch das Ansehen des eigenen Standes im Auge. Schließlich richtete sich der Vorwurf gegen nichtärztliche Therapeuten und ihre vielfach als traditionell eingestuften Behandlungsformen. Die Tätigkeit von Laien auf medizinischem Gebiet und die teilweise mangelhafte Versorgung auf dem Land wurde immer stärker als fundamentale Ursache für medizinischen Aberglauben angesehen. Dabei koppelte sich der Begriff nach 1869 an die Kurpfuschereidebatte, mit der er einen neuen Fluchtpunkt gewann: die Aufhebung der Kurierfreiheit. Mediziner sahen ihre Befürchtungen, daß sich hier traditionellen Heilverfahren neue Wege auf den medizinischen Dienstleistungsmarkt öffneten, mit jedem neuen Skandal bestätigt. Diese Konzentration des Aberglaubensbegriffs korrespondierte freilich nicht mit dem praktischen Umgang mit Laientherapeuten, die teilweise von der Gesundheitsverwaltung in diesen Dienstleistungsmarkt eingebunden wurden. Auch wenn der Zusammenhang zwischen religiösem und medizinischem Aberglauben auf mehreren Ebenen fortbestand, ist dennoch eine bereits im 18. Jahrhundert einsetzende - Lösung der Verbindung zu beobachten, die sich als schubweise Säkularisierung des Aberglaubensbegriffs deuten läßt.
VI. Verdächtige Neulinge. Animalischer Magnetismus, Hypnose und Spiritismus Der Aberglaubensvorwurf zielte auch auf neue medizinische Therapien. Nervlich verursachte Krankheiten erkannten die Zeitgenossen erst nach und nach als psychosomatische Krankheiten, die medizinisch-wissenschaftlich zu erklären und zu therapieren waren. 1 Medizinische Heilverfahren wie den animalischen Magnetismus, dem im ersten Jahrhundertdrittel enge Grenzen gesetzt waren, verbanden Kritiker kurzerhand mit überkommenen Vorstellungen, indem sie deren zweifellos vorhandenen traditionellen Bezüge überbetonten. Im vorliegenden Zusammenhang reicht es freilich nicht aus, darauf hinzuweisen, es handle sich um als obsolet erkannte Heilverfahren, die nun durch neue abgelöst werden sollten. So wird der animalische Magnetismus gerne als mißverstandener und unterschätzter therapeutischer Vorläufer der Hypnose gedeutet.2 Lange dominierte eine eigentümliche Mischung aus neuen und alten, modernen und traditionellen Elementen, die bestimmte Therapien für den Aberglaubensvorwurf empfänglicher werden und die Zeitgenossen von „neuem Aberglauben" sprechen ließ, ohne daß sie über wirksamere medizinische Alternativen verfügt hätten. Die Mischung war zudem eine Kombination aus philosophischen, religiösen wie wissenschaftlichen Deutungsmustern und Konzepten, die auch in der Folge typisch für therapeutische Verfahren blieben, die sich mit der Heilung des Geistes befaßten. Diese Kombination löste sich erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auf - ein Vorgang, der anhand der fließenden Übergänge des animalischen Magnetismus zum Spiritismus und zur Hypnose untersucht wird. Jene Übergänge führten auch zu einer stärkeren Konzentration des Aberglaubensvorwurfs auf den aus Amerika importierten Spiritismus, während es den wissenschaftlichen Verfechtern der Hypnose mehr und mehr gelang, ihre neue Suggestionstherapie zu etablieren und sie aus dem Kontext des Magnetismus zu lösen. Es werden zunächst die drei Verfahren und ihr Aberglaubensbezug chronologisch analysiert, um den Aspekt des Wandels 1 Vgl. etwa Kaufmann, Aufklärung. Edward Shorter, Moderne Leiden. Zur Geschichte psychosomatischer Krankheiten, Reinbek bei Hamburg 1994, vor allem S. 223-284. 2 Zur Einordnung Mesmers und seiner Heilmethode in die Geschichte der dynamischen Psychiatrie nach wie vor unentbehrlich Henry F. Ellenberger, Die Entdeckung des Unbewussten, 2 Bde., Bern 1973, hier Bd. 1, S. 89-134.
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in den Blick zu nehmen, bevor die Haltungen der beiden großen Konfessionen gegenüber diesen „neuen" Aberglaubensvarianten abgehandelt werden. Folgende Fragen sollen diese Perspektiven leiten: Was veranlaßte die Beteiligten zu dem Aberglaubensvorwurf, und was daran war neu? In welches Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, therapeutischer Praxis und religiösmagischer Tradition sind die Vorwürfe einzuordnen?
1. Animalischer Magnetismus zwischen Wissenschaft und Aberglauben Die Person Franz Anton Mesmers (1734-1815) faszinierte die medizinhistorische Forschung von Beginn an, zumal Erfolge und Mißerfolge des animalischen Magnetismus lange nicht von seinem Lebenslauf zu trennen waren. Davon zeugen trotz dürftiger Quellenlage zahlreiche Biographien. 3 Zugespitzt formuliert bewegen sich die biographischen Überlegungen dabei zwischen den Polen mißverstandenes Genie, geheimnisvoller Scharlatan und psychoanalytischer Pionier. Sodann wurde der animalische Magnetismus wissenschaftsgeschichtlich untersucht. Neben einem fast schon etablierten psychohistorischen Erkenntnisinteresse widmete sich auch die Medizingeschichte dieser Heilmethode. Sie wurde seit der sogenannten romantischen Medizin intensiv rezipiert und erhielt 1984 durch Mesmers 250. Geburtstag einen weiteren Aufschwung. Dabei blieben sozialgeschichtliche Fragen weitgehend ausgeblendet.4 Zuletzt entwickelte sich verstärkt eine 3
Von den Biographien seit Justinus Kerners erster Lebensbeschreibung von 1856 sind nach wie vor wichtig Rudolf Tischner/Karl Bittel, Mesmer und sein Problem. Magnetismus - Suggestion - Hypnose, Stuttgart 1941. Jean Thuillier, Die Entdeckung des Lebensfeuers. Franz Anton Mesmer. Eine Biographie, Wien 1990 (fiktional). Frank A. Pattie, Mesmer and Animal Magnetism: A Chapter in the History of Medicine, Hamilton/New York 1994. Ernst Florey , Ars Magnetica. Franz Anton Mesmer 1734-1815. Magier vom Bodensee, Konstanz 1995. Ein gutes Beispiel für die Verdammung Mesmers als Scharlatan im 19. Jahrhundert liefert Eugen Sierke, Schwärmer und Schwindler zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts, Leipzig 1874, S. 70-221. Biographische Zugänge dominieren vielfach auch bei den Nachfolgern Mesmers. Vgl. etwa Gerhard Bauer, Eberhard Gmelin (1751-1809) - Sein Leben und sein Werk. Ein Beitrag zum Quellenstudium des thierischen Magnetismus im deutschsprachigen Raum, med. Diss, masch., Freiburg im Breisgau 1989. 4 Vgl. Wolf gang Kupsch, Franz Anton Mesmer. Eine medizingeschichtliche Standortbestimmung von Theorie und Praxis des „Thierischen Magnetismus", med. Diss, masch., Freiburg im Breisgau 1984. Heinz Schott (Hg.), Franz Anton Mesmer und die Geschichte des Mesmerismus. Beiträge zum internationalen wissenschaftlichen Symposion anläßlich des 250. Geburtstags von Mesmer, 10. bis 13. Mai 1984 in Meersburg, Stuttgart 1985. Gereon Wolters (Hg.), Franz Anton Mesmer und der Mesmerismus. Wissenschaft, Scharlatanerie, Poesie, Konstanz 1988. Dietmar Stucke, Mesmerismus und deutscher Idealismus, phil. Diss, masch., Düsseldorf 1989.
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VI. Verdächtige Neulinge
mentalitäts-, rezeptions- und geschlechtergeschichtliche Forschungstätigkeit. Die interdisziplinäre Aufmerksamkeit dokumentieren in jüngerer Zeit erschienene Arbeiten zur Rezeptionsgeschichte des Mesmerismus in Aufklärung und Romantik. 5 Das mittlerweile breitgestreute Forschungsinteresse hat mit der schon zu Lebzeiten Mesmers einsetzenden vielgestaltigen Rezeption zu tun, die man sich heute nur noch durch Spezialbibliographien erschließen kann. 6 Mesmer hatte mit der Formel „animalischer Magnetismus" im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine therapeutische Methode bezeichnet, mit der er ein subtiles, unwägbares Fluidum beeinflussen zu können glaubte. Von dem Fluidum nahm er an, es durchströme alles - Menschen, Erde und Sterne. Sämtliche Krankheiten sah er dadurch verursacht, daß dieses Fluidum sich ungleichmäßig im Körper verteile. Die Aufgaben eines magnetisierenden Arztes bestanden für Mesmer nun darin, das verlorengegangene Gleichgewicht wiederherzustellen und den regelmäßigen Fluß des Fluidums beim Kranken zu reaktivieren. Dazu mußte mit dem Kranken eine enge Beziehung, der sogenannte „Rapport" aufgebaut werden. Vor der endgültigen Heilung hatten die Patienten einen schwierigen Zustand - die Krise - zu durchlaufen, welcher der Genesung unmittelbar voranging. Mesmers ausdrücklich physikalisches Verständnis von der magnetischen Therapie änderte sich zwar schon in seinen eigenen theoretischen Äußerungen, wandelte sich dann aber vor allem unter dem Einfluß der romantischen Rezeption, die es metaphysisch überhöhte und sakralisierte. 7 Dennoch hatten 5
Ego, Magnetismus. Barkhoff, Magnetische Fiktionen. Weiter Anneliese Ego, Magnetische Auftritte - ideologische Konflikte. Zur Problematik eines medizinischen Konzeptes im Zeitalter der Aufklärung, in: Hans-Jürgen Schings (Hg.), Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert, Stuttgart/Weimar 1994, S. 187-213. Ingrid Kollak, Literatur und Hypnose. Der Mesmerismus und sein Einfluß auf die Literatur des 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main/New York 1997. Heike Scheuerbrandt, „... ich rede mit Dir in Geheimnissen, schreckliche Sachen." Vergessen und Erinnern im Kontext des Mesmerismus, in: Claudia Öhlschläger/Birgit Wiens (Hg.), Körper - Gedächtnis - Schrift. Der Körper als Medium kultureller Erinnerung, Berlin 1997, S. 93-121. Die Verfasserin des anregenden Beitrags verzeichnet freilich die magnetische „Asymmetrie der Geschlechter" (S. 94), da sie sich ausschließlich auf theoretische Texte und Krankengeschichten der Puységurschen Magnetismusvariante stützt. 6 Unentbehrlich ist die kommentierte Bibliographie von Adam Crabtree, Animal Magnetism, Early Hypnosis and Psychical Research 1766-1925. An Annotated Bibliography, White Plains/New York 1988. Weiter Heinz Schott, Bibliographie: Der Mesmerismus im Schrifttum des 20. Jahrhunderts (1900-1984), in: Ders., Mesmer, S. 253-271. 7 Zu Mesmers spätem Konzept Karl Christian Wolfart (Hg.), Mesmerismus. Oder System der Wechselwirkungen. Theorie und Anwendung des thierischen Magnetismus als die Heilkunde zur Erhaltung des Menschen von Dr. Friedrich [!] Anton Mesmer, ND der Ausgabe Berlin 1815, Amsterdam 1966. Der falsche Vorname im
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bereits Mesmers Anspruch, mit dem animalischen Magnetismus ein Universalheilmittel entdeckt zu haben, und die Schwierigkeiten, dessen Wirkungen zu erklären, zu Streit in Gelehrtenkreisen geführt. Bald nach seiner Entdeckung durch Mesmer galt der animalische Magnetismus als äußerst fragwürdige Heilmethode. Eine weiter reichende Entdeckung, welche die Wirkungen und das Ansehen der mesmeristischen Heilmethode in der Folge maßgeblich prägte, stammt jedoch vom Marquis de Puységur, einem der zahlreichen Schüler Mesmers. Dieser hatte an einem seiner männlichen Patienten einen Zustand festgestellt, den er in Anlehnung an das Schlafwandeln, den natürlichen Somnambulismus, als künstlichen Somnambulismus bezeichnete.8 Somnambule Patienten konnten über ihre Krankheit und geeignete Therapien Auskünfte erteilen. Dieses vielfach verwendete Verfahren ließ nicht nur die preußischen Medizinalbehörden gegen Laientherapeuten und somnambule Medien einschreiten. a) Staatliche Perspektiven und Reaktionen Erfolge und Geltung des animalischen Magnetismus hingen in Theorie und Praxis von Beginn an eng mit staatlicher Förderung, Duldung oder Ablehnung zusammen. Im kurfürstlichen Bayern hatte die Akademie der Wissenschaften Mesmer zwischen 1774 und 1776 protegiert, um eine halbwegs akzeptable wissenschaftliche Alternative zu den spektakulären Exorzismen des Pfarrers Johann Joseph Gaßner (1727-1779) anbieten zu können. Der Magnetismus war im 18. Jahrhundert nach Mesmers Abreise aus Österreich vor allem in Frankreich erfolgreich und dort von vielen späteren Revolutionären begeistert aufgenommen worden. 9 Andernorts stieß die neue HeilmeTitel geht bereits auf Wolfarts Ausgabe von 1815 zurück. Der gesamte zweite Abschnitt von Mesmers Spätwerk (S. 215—341) ist staatstheoretischen Überlegungen gewidmet, die maßgeblich auf seinen magnetischen Ansichten fußen. Die Magnetismus-Forschung hat sich für diesen Zusammenhang bis auf wenige knappe Bemerkungen bisher nicht interessiert, obwohl hierin einer der Gründe für den breitenwirksamen Erfolg des Mesmerismus liegen könnte. Vgl. Florey, Ars Magnetica, S. 190-192. Zu Mesmers medizinisch-physikalischen Konzepten Heinz Schott, Die Mitteilung des Lebensfeuers. Zum therapeutischen Konzept von Franz Anton Mesmer (1734-1815), in: MedhJ 17 (1982), S. 195-214. Ders., Über den „thierischen Magnetismus" und sein Legitimationsproblem. Zum 250. Geburtstag von F. A. Mesmer (1734-1815), in: MedhJ 21 (1986), S. 104-112. 8 Der Artillerieoffizier und Gründer der Société de Harmonique des Amis Réunis in Straßburg, Amand-Marie-Jacques de Chastenet Marquis de Puységur (17511825), war ein Schüler Mesmers und gilt als Entdecker des künstlichen Somnambulismus. Vgl. Ego, Magnetismus, S. 383 f. 9 Vgl. dazu die hervorragende Studie von Robert Darnton, Der Mesmerismus und das Ende der Aufklärung in Frankreich. Mit einem Essay von Martin Blanken-
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thode dagegen überwiegend auf Ablehnung, so in Berlin, wo die Preußische Akademie der Wissenschaften einen Vorstoß Mesmers auf Prüfung des Magnetismus abschlägig beschied. Bis auf kleinere Konjunkturen in den 1780er Jahren in Baden und Bremen gelang es Mesmer und seinen Nachahmern kaum, den Magnetismus im deutschen Sprachraum zu etablieren. Dennoch unterscheidet die Forschung bereits für das 18. Jahrhundert zwei deutsche Rezeptionswellen, zwischen 1774 und 1778 sowie zwischen 1786 und 1794, wobei die zweite im wesentlichen durch Besprechungen zahlreicher französischer Schriften in den führenden deutschen Aufklärungsorganen gekennzeichnet ist. 1 0 Für eine Renaissance der Heilmethode im Preußen des 19. Jahrhunderts spielte dann das Interesse an höchster Stelle des Staates eine entscheidende Rolle. Schon länger ist bekannt, daß hauptsächlich Staatskanzler Hardenberg sowie die Magnetiseure und Ärzte Wolfart und David Ferdinand Koreff sie begünstigten. 11 Im Unterschied zum 18. Jahrhundert förderte man in Preußen nun auf mehreren Ebenen die Erforschung der nach wie vor umstrittenen und fragwürdigen Heilmethode und popularisierte sie damit gleichzeitig. Friedrich Wilhelm III. setzte 1812 eine wissenschaftliche Kommission zur Prüfung des animalischen Magnetismus ein, nachdem mehrere einflußreiche Ärzte in Berlin erneut begonnen hatten, sich für diese Heilmethode zu interessieren. Einen wichtigen Impuls hatte zudem die Wiederentdekkung Mesmers im Schweizerischen Frauenfeld 1808 gegeben, seit es nach der Französischen Revolution zunächst still um ihn geworden war. Als Vorsitzender der Kommission fungierte der bekannte Mediziner und Staatsrat im Innenministerium Christoph Wilhelm Hufeland. Ihrer Aufgabe, die Existenz des animalischen Magnetismus nachzuweisen und den wissenschaftburg, München 1983 (engl. Original 1968). Zu Gaßner Ego, Magnetismus, S. 1-39. Josef Hanauer, Der Teufelsbanner und Wunderheiler Johann Joseph Gaßner (17271779), in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 19 (1985), S. 303-545. Beate Meißner, Urformen der Psychotherapie. Die Methoden des Exorzisten Johann Joseph Gaßner (1727-1779), in: ZPGP 27 (1985), S. 181-208. 10 Vgl. Ego, Magnetismus, S. 57-87 und S. 159-266. Alfred John, Tierischer Magnetismus und Schulmedizin in Bremen während der Aufklärung, Frankfurt am Main u.a. 1997. 11 Vgl. Thomas Stamm-Kuhlmann, Die Tagebücher Karl August von Hardenbergs als Quelle zur Geschichte des tierischen Magnetismus in Preußen, in: Sudhoffs Archiv 77 (1993), S. 231-235. Überblicke bieten Wilhelm Erman, Der tierische Magnetismus in Preussen vor und nach den Freiheitskriegen. Aktenmäßig dargestellt, München/Berlin 1925. Walter Artelt, Der Mesmerismus in Berlin, Wiesbaden 1966, S. 22-87. Zu Koreff (1783-1851) Friedrich von Oppeln-Bronikowski, David Ferdinand Koreff, Serapionsbruder, Magnetiseur, Geheimrat und Dichter. Der Lebensraum eines Vergessenen, Berlin/Leipzig 21928. Die Biographie besteht zum größten Teil aus einem Urkundenanhang mit separater Seitenzählung.
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liehen Wert dieser Heilmethode zu bestimmen, kam die Kommission - unterbrochen durch Meinungsverschiedenheiten und die Befreiungskriege erst 1816 nach; sie beurteilte die Wirkungen dann relativ positiv. 1 2 Eine Preisaufgabe über den Magnetismus, welche die Akademie der Wissenschaften stellte und deren erster Preis mit dreihundert Dukaten dotiert war, ergänzte die Forschungen 1817. Unter staatlicher Obhut sollten damit die wissenschaftlichen Kenntnisse erweitert werden. Von den vermutlich 22 Bewerbungsschriften erachtete die Kommission dann allerdings im Schlußbericht von 1822 keine für preiswürdig. 13 Diese theoretischen wissenschaftlichen Untersuchungen komplettierte eine praxisorientierte Kommission, die 1824 die magnetischen Fähigkeiten des Pferdeknechts Johann Gottlieb Grabe in der Charité prüfte, obwohl die staatliche Aufgeschlossenheit gegenüber der Heilmethode ihren Zenit wohl bereits überschritten hatte. Weniger das Interesse an der magnetischen Heilmethode als vielmehr die große öffentliche Erregung war es gewesen, die das Kultusministerium bewogen hatte, am 1. Mai 1824 eine Kommission aus der Elite der preußischen Wissenschaftler zu bilden, die überprüfen sollte, „welche Bewandniß es mit den dem Grabe beigemessenen Heilkräften habe". 14 Diese bestand aus zunächst sechs Mitgliedern: dem Chirurgen Rust, dem Anatom Karl Asmund Rudolphi (1771-1832), dem Botaniker Heinrich Friedrich Link (1767-1851), dem Physiker Paul Erman (17641851), dem praktischen Arzt Karl Georg Neumann (1772-1850) sowie dem Chirurgen Karl Alexander Ferdinand Kluge (1782-1844). Später kamen aus praktischen Erwägungen noch der Medizinalrat des Berliner Polizeipräsidiums und Entomologe Klug sowie der Justizrat Kempf hinzu. Schließlich Schloß sich auf eigenen Wunsch auch der Generalstabsarzt Johann Wilhelm 12 Ausführlich, aber parteiisch Erman, Magnetismus, S. 24-54. Vorsichtiger im Urteil dagegen der gelungene Überblick von Martin Blankenburg, Der „thierische Magnetismus" in Deutschland, in: Darnton, Mesmerismus, S. 192-231. Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836), seit 1801 erster Arzt an der Charité und Professor der neugegründeten Berliner Universität, war Geheimer Staatsrat in der Abteilung Gesundheitswesen im Innenministerium und an der Neuorganisation des preußischen Gesundheitswesens maßgeblich beteiligt. Er gilt als einer der bedeutendsten Mediziner seiner Zeit. Josef N. Neumann, Christoph Wilhelm Hufeland (17621836), in: Dietrich von Engelhardt/Fritz Hartmann (Hg.), Klassiker der Medizin. Erster Bd.: Von Hippokrates bis Christoph Wilhelm Hufeland, München 1991, S. 339-359. 13 Zur Preisaufgabe und den eingereichten Schriften Erman, Magnetismus, S. 55116. Artelt, Mesmerismus, S. 77 f. Beide berichten von 20 Schriften. In einem Konzept des Kultusministeriums an Friedrich Wilhelm III. vom 25.1.1822 ist allerdings von 22 Preisschriften die Rede, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2197, Bl. 88. 14 Kultusministerium an Rust vom 1.5.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2183, Bl. lr-2r, Zitat Bl. lr. 17 F r e y t a g
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Wiebel (1767-1847) der Kommission mit königlicher Rückendeckung an, allerdings ohne wesentlichen Einfluß auf die Entscheidungsfindung zu nehmen. Rudolphi und Erman konnten schon auf einschlägige Erfahrungen mit der Prüfung des animalischen Magnetismus zurückblicken, hatten sie doch bereits der ersten Kommission von 1812 angehört. 15 Als der magnetische Fachmann par excellence muß jedoch Kluge gelten, dessen 1811 erschienene und von seinen Arztkollegen nachweislich vielgelesene Magnetismusbibel inzwischen die dritte Auflage erreicht hatte. 16 Ihrem Auftrag kam die Kommission am 24. Juli 1824 in einem Abschlußbericht nach, den Generalstabsarzt Rust in verschiedenen medizinischen Journalen publizieren ließ. Die Kommission ließ in dieser Stellungnahme keine Zweifel aufkommen und bilanzierte unmißverständlich, Grabe besitze keinerlei magnetische Fähigkeiten. 17 Allenfalls zweifelte sie noch daran, ob es sich bei ihm um einen Betrüger handle oder nicht. Soweit festzustellen war, gab es keine Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Gremiums, zu eindeutig erwies sich die Sachlage nach anfänglicher Hoffnung. Fast lesen sich die Bemerkungen zu dem „Wunderdoktor" wie ein Nachruf auf den tierischen Magnetismus. 1 8 Die Kommission stufte Grabe als einen gefährlichen Quacksalber und „abergläubischen Beschwörer" ein, der, „unter Missbrauch der Religionsformen und des Namen Gottes, die entblössten Theile [der Patienten], sie mögen seyn, welche sie wollen, mehr oder minder unsanft betastet, dann auch gewöhnlich bekreuzt, und dabei drei Mal hintereinander seinen Spruch hermurmelt". 19 Die kurzfristige staatliche Aufgeschlossenheit gegenüber dem animalischen Magnetismus hatte auch personelle Konsequenzen. So besetzte Friedrich Wilhelm III. Lehrstühle an den Universitäten in Berlin und Bonn mit entsprechenden Kandidaten, was Hardenberg und vermutlich sein Günstling Koreff maßgeblich vorantrieben: Koreff selbst und Wolfart erhielten gegen teilweise erhebliche Widerstände innerhalb der Professorenschaft Medizinprofessuren in Berlin. 2 0 An die neugegründete Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn wurden - wiederum durch Koreffs Einfluß auf 15
Vgl. Artelt, Mesmerismus, S. 38. Karl Alexander Ferdinand Kluge, Versuch einer Darstellung des animalischen Magnetismus als Heilmittel, Berlin 1811 (31819). 17 Vgl. Johann Nepomuk Rust, Ueber den sogenannten Wunderdoctor Grabe. Nebst Mittheilung des amtlichen Berichts über seine angestellten Heilversuche, in: Magazin für die gesammte Heilkunde 18 (1825), S. 371-415, hier S. 374-377. 18 Vgl. Artelt, Mesmerismus, S. 84-86. Rust, Ueber den sogenannten Wunderdoctor. [ - ] , Der Wunderthäter Grabe in seiner wahren Gestalt dargestellt in einem officiellen Bericht der zu seiner Untersuchung ernannten Commission. Nebst einem Anhang von den Gasner'sehen Wunderkuren, in: Journal der practischen Arzneykunde und Wundarzneykunst 59/6 (1824), S. 47-75. 19 Rust, Ueber den sogenannten Wunderdoctor, S. 400 f. 16
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Hardenberg befördert - darüber hinaus auf Lehrstühle für Medizin und Philosophie Wissenschaftler berufen, die der magnetischen Heilmethode zugeneigt waren: Karl Joseph Hieronymus Windischmann, Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck, Christian Friedrich Nasse und Joseph Ennemoser. Sie alle traten in der Folge mit diversen Veröffentlichungen zum tierischen Magnetismus hervor. 21 Das Innenministerium wies sodann sämtliche Regierungen in den preußischen Provinzen am 19. Februar 1817 an, Kreisphysiker und approbierte Ärzte regelmäßig über magnetische Behandlungen berichten sowie die zuständigen Medizinalkollegien gutachterliche Stellungnahmen dazu abfassen zu lassen. 22 Diese Stellungnahmen waren anfangs zusätzlich zu den Sanitätsberichten zu erstellen, ab 1823 durften sie dann in diese aufgenommen werden. 23 Die Rückmeldungen aus den einzelnen Regierungsbezirken waren insgesamt spärlich, was nicht zwangsläufig bedeutet, daß approbierte Ärzte dort nicht mit der magnetischen Therapie experimentierten, sondern viele sich vermutlich zurückhielten, dies öffentlich bekanntzumachen, da immer noch harsche Kritik am Magnetismus geübt wurde. Hinzu kamen der nicht unerhebliche Aufwand für den einzelnen Arzt, umfangreiche Berichte zu schreiben, sowie die als zeitaufwendig geltenden Kuren. Gleichzeitig verhängten die Medizinalbehörden gegen beamtete Ärzte Geldstrafen, wenn diese ihre Berichte über Magnetkuren trotz diverser Mahnungen nicht eingereicht hatten - so 1822 im Falle des säumigen Koblenzer Medizinalrats und Kreisphysikers Settegast.24 Einer Anzeige der Düsseldorfer 20
Bericht Schuckmanns über die Einrichtung einer Magnetismus-Professur vom 9.9.1816, in: Oppeln-Bronikowski, Koreff, Urkunden, S. 176-178. 21 Die Rolle Koreffs bei Berufungen von Mesmeristen beurteilt zurückhaltend Christian Renger, Die Gründung und Einrichtung der Universität Bonn und die Berufungspolitik des Kultusministers Altenstein, Bonn 1982, hier S. 162-184. Immer noch unverzichtbar ist Friedrich von Bezold, Geschichte der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität von der Gründung bis zum Jahre 1870, Bonn 1920, S. 67-79. Adolf Dyroff, Carl Jos[ef] Windischmann (1775-1839) und sein Kreis, Köln 1916. Gottfried Höpfner, Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck (1776-1858) ein deutscher Gelehrter an der Seite der Arbeiter, in: [-], Beiträge zur NachmärzForschung. Schriften aus dem Karl-Marx-Haus Nr. 47, Trier 1994, S. 9-102. Werner von Noorden, Der Kliniker Christian Friedrich Nasse. 1778-1851, Jena 1929, hier S. 70-74. Jakob Bremm, Der Tiroler Joseph Ennemoser 1787-1854. Ein Beitrag zur Kenntnis des sog. tierischen Magnetismus, zur Geschichte der Freiheitskriege und der Medizinischen Fakultät in Bonn, Jena 1930. 22 Innenministerium an alle preußischen Regierungen vom 19.2.1817, in: LHAK, Best. 441, Nr. 13540; HStAD, Oberpräsidium Köln, Nr. 1624, S. 2; die zugrundeliegende Kabinettsordre Friedrich Wilhelms III. vom 7.2.1817, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2197, Bl. 8. 23 Kultusministerium an Regierung Koblenz vom 30.8.1823, in: LHAK, Best. 441, Nr. 13540 und Konzept in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2197, Bl. 146r. 17*
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Regierung vom 18. August 1823 ist zu entnehmen, das Interesse der Ärzte sei insgesamt rückläufig, weil viele nun von weiteren Studien absähen.25 Ebenso meldete die Koblenzer Regierung wiederholt nach Berlin, es hätten keine Therapien stattgefunden, obwohl das mesmeristische Schrifttum weitere Kuren magnetisierender Ärzte in der preußischen Rheinprovinz belegt. 2 6 Schließlich bemühte sich der preußische Staat, über die Medizinalbehörden die unerwünschten Begleiterscheinungen der magnetischen Therapie gesetzlich zu regeln und zu kontrollieren. Seit einer Verordnung vom 23. Mai 1812 war die Ausübung der Heilmethode ausdrücklich an die ärztliche Approbation gebunden. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wandte man diese Verordnung vorwiegend dann an, wenn es darum ging, magnetische Behandlungen von Laientherapeuten zu überwachen. 27 Auf deren Entstehung lohnt ein genauerer Blick, denn Aberglauben erweist sich hier als zentrales Reizwort. Sie band die relativ junge Heilmethode des animalischen Magnetismus ausdrücklich an die ärztliche Approbation. Jeder Arzt hatte seine magnetischen Behandlungen danach dem zuständigen Medizinalrat seines Regierungsbezirks zu melden, der sie wiederum an die Provinzialmedizinalkollegien weiterleitete. In einem ersten Konzept vom 29. April 1812 bemühte sich der unverhohlene Magnetismusgegner, der Geheime Staatsrat und spätere Innenminister Schuckmann, 28 diese Therapie an die Approbation zu koppeln und damit eine „Beförderung des Aberglaubens" zu unterbinden, wie er dem Entwurf seines Kollegen Hufeland hinzufügte. 29 Nachdem diese Bemerkung aus dem ersten Konzept gestrichen worden war, er24 Regierung Koblenz an Settegast vom 7.3., 27.3. und 23.4.1822, in: LHAK, Best. 441, Nr. 2857. 25 Regierung Düsseldorf an Altenstein vom 18.8.1823, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2197, Bl. 143r-144v. 26 Konzepte Kultusministerium vom 29.2.1820 und 6.1.1821, in: LHAK, Best. 441, Nr. 2857. Vgl. dagegen Joseph Ennemoser, Anleitung zur Mesmerischen Praxis, Stuttgart/Tübingen 1852, S. 104. Heinrich Moritz Wesermann, Der Magnetismus und die allgemeine Weltsprache, Creveld/Cöln 1822, S. 24 f. 27 So wies das Kultusministerium mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Verordnung am 7.10.1841 die Bitte des Breslauer Kaufmanns Ferdinand Schneider ab, magnetisch therapieren zu dürfen, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2198, Bl. 89r. Daß medizinische Überlegungen bei der Erforschung des Magnetismus sich unmittelbar auf die Gesetzgebung auswirkten, zeigte sich auch im Königreich Sachsen. Vgl. Ludwig Choulant, Gesetzentwurf den thierischen Magnetismus betreffend in amtlichem Auftrage verfaßt, Leipzig 1841. Choulant vergleicht darüber hinaus die gesetzlichen Regelungen mit Österreich und Preußen, S. 18-22. 28 Kaspar Friedrich Freiherr von Schuckmann (1755-1834), 1795-1806 Kammerpräsident in Ansbach-Bayreuth, war seit 1810 Geheimer Staatsrat im Innenministerium, das er dann von 1814 bis 1834 leitete. Vgl. ADB, Bd. 32, S. 647-650. Vgl. zu seiner aufgeklärten Haltung auch Hofmeister-Hunger, Pressepolitik, passim.
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gänzte Schuckmann im zweiten Konzept vom 23. Mai eine ähnliche Formulierung, mit der er die behördliche Kontrolle der Heilmethode begründete und die schließlich in der Verfügung auch beibehalten wurde. Ziel des Erlasses sei es, „die Mißbräuche zu verhüten, die wie die Erfahrung früherer und neuerer Zeiten bewiesen hat, nicht selten mit dem Magnetismus unter dem Vorwande, ihn als Heilmittel anzuwenden, getrieben worden sind, und somit die Gesundheit und Moralität der Staatsbürger gegen der Sache unkundige oder sie zu Unsittlichkeit, Betrug und Aberglauben benutzende Menschen zu sichern". 30 In klassisch aufgeklärter Perspektive bewertete die Berliner Zentrale „Aberglauben" damit nicht nur als Ergebnis verführbarer preußischer Untertanen, sondern stellte diesen mit „Betrug" und „Unsittlichkeit" auf eine Stufe. Damit unterstrich sie ebenfalls schlicht, daß der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit noch lange nicht erreicht war. Das Ministerium zog daraus den Schluß, die unerwünschten Begleiterscheinungen der Heilmethode obrigkeitlich zu kontrollieren und gesetzlich zu regeln. 31 Aus behördlicher Perspektive verband sich die magnetische Therapie in unerwünschter Weise mit traditionellen Aberglaubensvarianten, wie sie sich etwa in sympathetischen Heilmitteln äußerten. So überrascht es nicht, daß sich unter den Prüfungsfragen des Innenministeriums, die der Koblenzer Mediziner Ulrich 1817 beantworten mußte, um als Medizinalrat bei der Regierung angestellt werden zu können, auch folgende befand: „Ist die Anwendung des animalischen Magnetismus durch Gesetze zu hindern oder zu fördern?" 32 Mit seiner ausführlichen und differenzierten Anwort war Berlin ungemein zufrieden, zeigte sich der Arzt doch mit den gesetzlichen Regelungen bestens vertraut. Ulrich band die Ausübung der noch nicht gesicherten, mit dem Vorwurf der „Charlatanerie" belasteten magnetischen Therapie ausschließlich an approbierte Ärzte, und glaubte, befähigte Laientherapeuten, die mit einer magnetischen Kraft ausgestattet seien, unter „der Aufsicht kräftiger Aerzte" einzeln prüfen zu kön29
Erster und zweiter Entwurf des Ministerialreskripts mit handschriftlichen Ergänzungen Schuckmanns, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2196, Bl. 8r-9r und Bl. 10. 30 Verordnung vom 23.5.1812, in: LHAK, Best. 441, Nr. 13540. Die Formulierung „listige" hatte Schuckmann gestrichen und statt dessen „sie zu Unsittlichkeit, Betrug und Aberglauben benutzende" gesetzt, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2196, Bl. lOr. 31 Für die „Vermeidung des blinden Aberglaubens", der mit magnetischen und somnambulen Kuren verknüpft war, belobigte Berlin das Kölner Medizinalkollegium 1823 ausdrücklich. Kultusministerium an Medizinalkollegium Köln vom 22.2.1823, in: HStAD, Best. BR 1040, Nr. 267, Bl. 221r. 32 Antworten Ulrichs auf die Prüfungsfragen des Innenministeriums vom 4.9.1817, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII B, Nr. 144.
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nen. Allerdings pochte er auf einen engen gesetzlichen Rahmen, womit er in der Tat ein wesentliches Problem des behördlichen Umgangs mit Laientherapeuten ansprach, das sich bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinzog. Die Versuche mit dem „Baquet" sollten indessen einer Kommission überlassen werden. 33 Abschließend wies Ulrich darauf hin, daß der Magnetismus immer nur ein therapeutisches Mittel unter vielen sein sollte. Die gesetzlichen Regelungen führten vielfach zu Anträgen von Laientherapeuten bei den Behörden. Diejenigen, die glaubten, besondere magnetische Kräfte zu besitzen, suchten oftmals Kontakt zu Ärzten, um unter ihrer Anleitung Kuren durchführen zu können. 34 Die Ärzte mußten über Erfolge und Mißerfolge der angeleiteten Kuren ebenfalls Berichte bei den lokalen Behörden erstatten, wobei das Kultusministerium ihnen auferlegte, darauf zu achten, daß für diese als wissenschaftliche Testläufe verstandenen Kuren nicht öffentlich geworben werde. 35 Bis zur Aufhebung des Kurpfuschereiparagraphen 1869 hatten Laienheiler keine Alternative, die magnetische Therapie offiziell auszuüben. Damit gerieten laienheilkundige Magnetiseure und Ärzte in eine wechselseitige Beziehung zueinander. Einerseits waren die Magnetiseure von den sie kontrollierenden Ärzten und deren Wohlwollen abhängig. Andererseits aber hatten auch Ärzte ein Interesse an einer Zusammenarbeit mit erfolgreichen Laienheilern, weil sie dadurch neue Patienten und einen höheren Bekanntheitsgrad gewinnen konnten. Das Ministerium achtete neben der beruflichen vor allem auf die moralische Eignung der Antragsteller. Sobald bereits Gesetzesverstöße bekannt waren, oder es sich um Berufe wie Lehrer oder Pfarrer handelte, lehnte die Zentrale die Anträge durchweg ab. Ganz wesentlich bei der Kontrolle der Begleiterscheinungen waren freilich die sicherheitspolitischen Absichten des preußischen Staates, in welche die approbierten Mediziner, die sich magnetisch betätigten, weitgehend eingebunden waren. Eine in den Augen des Innenministeriums inakzeptable 33
Beim „Baquet" handelte es sich in der Regel um einen hölzernen Zuber, der mit von Wasser bedeckten Glasscherben oder Eisenstückchen gefüllt war. Gebogene Eisenstäbe oder nasse Seile, die aus dem Zuber ragten, sollten das Fluidum zu den Patienten fließen lassen. Davon weiß beispielsweise auch Caroline von Humboldt am 20.6.1815 in einem Brief an ihre Freundin Friederike Brun zu berichten. Wolfarts magnetische Praxis war 1815 eines der wichtigsten Gesprächsthemen in Berlin. Gedruckt in Ilse Foerst-Crato (Hg.), Frauen zur Goethezeit. Ein Briefwechsel. Caroline von Humboldt. Friederike Brun. Briefe aus dem Reichsarchiv Kopenhagen und dem Archiv Schloß Tegel, Berlin, Düsseldorf 1975, S. 128. Vgl. Abbildung 2, S. 277. 34 Zahlreiche Gesuche sind überliefert in GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2197-2200. 35 Konzept Kultusministerium an Polizeipräsidium Berlin vom 23.12.1859, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2199, Bl. 47.
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Konjunktur hatten Somnambulisten, Mondsüchtige und Nachtwandler kurz nach der Revolution von 1848/49 im Osten der Monarchie. Hier gewann der Umgang mit den abergläubisch-magnetischen Begleiterscheinungen für den Obrigkeitsstaat eine gefährliche politische Dimension. Als 1849 der evangelische Stahlschmiedegeselle Carl Köhn in ekstatischen Zuständen, welche die Ärzte für magnetischen Schlaf hielten, prophezeite, daß Friedrich Wilhelm IV. nicht mehr lange regieren würde, reagierten die Behörden ungehalten. Zumal sich auch in diesem Fall Gerüchte - für die das zuständige Domänenamt „Freiheitsschwindler" verantwortlich machte - verbreiteten, daß ein Rücktritt der Staatsregierung unmittelbar bevorstünde. Die Gerüchte sah der Verfasser eines in der Neuen Königsberger Zeitung veröffentlichten amtlichen Berichtes vor allem beim „gemeinen Mann" wirken, welchen die „magnetischen Predigten" Köhns intensiv beeindruckten. 36 Besonders gut sind die polizeilichen Absichten sowie die ärztlichen Rollen am Beispiel der Neukircher Somnambulen Wilhelmine Lange (Marienwerder) dokumentiert, welche die Behörden zwischen 1851 und 1852 fast ein Jahr beschäftigte. Die 23jährige Schuhmachertochter hielt im Schlaf Bußreden und behauptete, der heilige Geist oder Engel sprächen durch sie. Sie zitierte im Schlaf Kirchenlieder und Bibeltexte. Obwohl der Oberstaatsanwalt, der Kreisrichter und der Staatsanwaltsgehilfe Betrug nicht ausschlossen, vor allem da ihre Visionen denen Carl Köhns frappierend ähnelten, hielt sich der Landrat in seinem Bericht an das Innenministerium zurück und verließ sich auf die Empfehlungen des Kreisphysikers Wilczewski. Dem Mediziner war es nach landrätlicher Ansicht gelungen, mit der kranken Lange in „Rapport" zu gelangen, weshalb er „seinen Zweifel unterdrücken u[nd] es der Wissenschaft überlassen [wollte], Licht und Aufklärung über eine Erscheinung zu verbreiten, die dem Laien nur allzu räthselhaft dünkt". 3 7 Das Innenministerium zeigte sich vor allem um Ruhe und Ordnung besorgt, „insofern nicht Sittenlosigkeit, Gaukeleien und Quacksalbereien hinzutreten". 38 Die sicherheitspolitischen Erwägungen ließen sich trotz des großen Zulaufs „eines theils neugierigen, theils abergläubischen Publikums" offenkundig mit der medizinischen Diagnose des Arztes in Einklang bringen, der die somnambulen Wachschlafzustände als Ausdruck „eines scheinbar hauptsächlich im Nervensystem derselben begründeten Krankheitsprozeßes" interpretierte. 39 36 Zeitungsausschnitt Neue Königsberger Zeitung, Nr. 256, 31.10.1849, S. 1121 f., Zitate S. 1122, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 719, Nr. 6. 37 Abschrift Landratsamt Marienwerder an Regierung Danzig vom 18.8.1851, in: ebenda. 38 Konzept Innenministerium und Kultusministerium an Regierung Danzig vom 25.10.1851, in: ebenda.
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Die amtlichen Reaktionen sahen jedoch nur kurze Zeit später anders aus, als im Regierungsbezirk Danzig - hier vor allem auf der Kuhrischen Nehrung - eine magnetische Epidemie ausbrach, „welche durch ungefähr fünfzehn, angeblich somnambule Mädchen in Verbindung mit anderen, von religiöser Schwärmerei befangenen Personen angeregt" worden war. 4 0 Die Danziger Behörde reagierte umgehend, weil sie nicht mit der Hilfe der Ortsvorstände rechnete und der zuständige Landrat vom Ort der Ereignisse zu weit entfernt residierte. Hinzu kam die große Anzahl der betroffenen Kinder. Die Regierung schickte umgehend einen Sonderkommissar und zwei Gendarmen nach Stutthof, um die Epidemie einzuhegen, strafbare Handlungen festzustellen und die Verantwortlichen zu maßregeln. Die Beamten hielten sich nahezu vier Monate in Stutthof auf, ehe es gelang, der Sache Herr zu werden, da sich einige aufgebrachte Personen hartnäckig gegen polizeiliche Maßnahmen wehrten. Den meisten der 15 Kindern im Alter zwischen neun und sechzehn Jahren attestierte der zuständige Kreisphysiker zwar eine „Spinal-Epilepsie [...], die bei an und für sich vorhandenem krankhaften Organismus und erregbarer Einbildungskraft durch das Beispiel Anderer" entstanden sei, weshalb gegen die Mehrzahl der Kinder kein strafgerichtliches Verfahren wegen „Betrug" eingeleitet werden konnte. Dagegen mußte sich ein Mädchen, Renate Schönhof, gründlich im städtischen Lazarett untersuchen lassen, da ihren Eltern nachgewiesen worden war, von Besuchern Geschenke erhalten zu haben. 41 Weniger wichtig für die Einweisung war der Vorwurf der religiösen Schwärmerei, der allein nicht strafbar war und erst bei Exzessen griff. Allerdings offenbarte sich hier für die Behörden nochmals der für sie gefährliche Zusammenhang zwischen magnetischer Heilmethode und religiöser Überspanntheit. Die Auftritte Somnambuler nahmen nach 1848 deutlich zu, was dazu führte, daß manche Landräte entsprechende medizinische Gutachten erwarteten, um die Betroffenen in Krankenhäuser einweisen zu können. Der Stargader Landrat Palm (Kreis Saatzig) schnitt im März 1853 im Falle einer 15jährigen Somnambulen diesen Punkt an, „denn das Zuströmen der abergläubigen und neugierigen Menge wird stets zunehmen, so lange die Ursache nicht entfernt ist". Der Kreisphysiker Dross wies das Mädchen daraufhin in das zuständige Krankenhaus ein, wo schließlich - aus Sicht der Behörden „Betrug" nachgewiesen werden konnte. 42
39 Abschrift der Gutachten Wilczewskis über den Krankheitszustand Wilhelmine Langes vom August 1851 und 8.3.1852, in: ebenda. 40 Regierung Danzig an Innenministerium vom 8.4.1852, in: ebenda. 41 Abschrift Rechtsanwalt Giehlow an Oberstaatsanwalt Gerlach (Marienwerder) vom 4.1.1853, in: ebenda. 42 Abschrift Landrat Palm an Regierung Stettin vom 23.3.1853; Regierung Stettin an Innenminister Ferdinand Otto Wilhelm von Westphalen vom 9.6.1853, in:
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Indes funktionierte das Zusammenspiel zwischen preußischer Ordnungsmacht und medizinischer Diagnose nicht immer reibungslos. Als 1837 der angeblich somnambule Junge Peter Hennes Koblenz mit ekstatischen Teufelsvisionen beunruhigte, zeigten sich Differenzen zwischen den sicherheitspolitischen Ansprüchen der Ortspolizei und den therapeutischen Ansichten des zuständigen Armenarztes Richter. Mit dem Polizeisergeanten kam es zu einem handgreiflichen Konflikt. Als sich der Arzt gegen dessen Auftreten im Krankenzimmer verwahrte, sei der Polizist doch mit Säbel und Uniform überaus rüde und barsch aufgetreten. In seiner Vernehmung zog sich Richter - mit einem ausdrücklichen Hinweis auf Fachliteratur und die kollegiale Ansicht des Kreisphysikers Settegast - auf die fatalen Folgen eines derartigen Eingriffs in die Behandlung zurück. 43 Die Motive von staatlicher Seite, magnetische Therapien und deren Erforschung zu fördern, zu kontrollieren oder gegen sie vorzugehen, waren vielfältig - und sie waren von einzelnen Personen abhängig. So bedeutete Hardenbergs Tod (1822) einen tiefen Einschnitt für den Mesmerismus, da einer seiner wichtigsten Fürsprecher nun fehlte. Neben Ruhe und Ordnung wollte man auch Sittlichkeit und Moral der Untertanen bewahren, wie Schuckmann 1821 an seinen Kollegen im Kultusministerium, Altenstein, schrieb, denn das „Baquet [sei] als Mördergrube der Sittlichkeit" anzusehen. 4 4 Kontrolle und Erforschung der umstrittenen Heilmethode erwiesen sich ebenso als ein Bestandteil staatlicher Gesundheitsfürsorge wie sie ein Spielball politischer Kontrahenten in der Ministerialbürokratie waren. Die beteiligten Beamten sorgten sich um das Wohlergehen der Untertanen und versuchten zugleich, praktische Kenntnisse über die Anwendbarkeit der jungen Therapie zu sammeln, indem sie sich die magnetischen Kuren von den Ärzten beschreiben ließen. Dies war aber nur zeitweise durchzusetzen, was die wiederholten Aufforderungen an säumige Berichterstatter belegen. Dennoch zeigt die Auseinandersetzung um den Magnetismus, daß Medikalisierung selbst aus ausschließlich behördlich-staatlichen Perspektiven nicht als einheitlicher und geradlinig verlaufender Prozeß verstanden werden kann. So zeugt die Verwendung des Begriffs „Aberglauben" von klassisch aufgeklärten Ausschlußmechanismen, welche Behördenvertreter gegenüber dem neuen therapeutischen Verfahren anwandten. 45 Schuckmann äußerte unübersehbar seine moralischen Vorbehalte dagegen, den Mesmerismus so zu förebenda. Westphalen (1799-1876), preußischer Innenminister von 1849-1858, gilt als Hauptvertreter der Reaktionsdekade. 43 Verhandlungsprotokoll vom 30.5.1837, in: LHAK, Best. 441, Nr. 2858. 44 Schuckmann an Altenstein vom 6.4.1821, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. II Generalia, Nr. 25, Bl. 4r. 45 Vgl. zur aufklärerischen Kampfidee „Aberglauben" Pott, Aufklärung und Aberglaube, S. 337^12.
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dem, wie Hardenberg dies tat. Er erkannte hier, darin vielen medizinischen Publizisten gleich, die Gefahr einer „Beförderung des Aberglaubens" durch unbefugte Laientherapeuten. b) Wissenschaftliche Argumentationsmuster Die im frühen 19. Jahrhundert aufflammenden publizistisch-medizinischen Kontroversen um den Mesmerismus hat man jüngst als letztes, vergebliches Aufbäumen vormoderner Wissensformen gegen eine zunehmend naturwissenschaftlich ausgerichtete Medizin gedeutet. 46 Abgesehen davon, daß die Medizingeschichte diesen Übergang zu einer primär naturwissenschaftlich orientierten Medizin zumeist um die Jahrhundertmitte ansiedelt, wurden zwar wichtige romantische Systementwürfe detailliert erläutert, um die These zu untermauern. Indes wurde nicht nach der Beschaffenheit der Mechanismen gefragt, mit denen man ein vermeintlich magiebeladenes Medizinverständnis ausgrenzte. Wenngleich wissenschaftliche von medizinischpraktischen Laufbahnen bis weit ins 19. Jahrhundert nicht streng zu trennen sind, liegt es nahe, den Argumenten nachzuspüren, welche die Teilnehmer an der wissenschaftlichen Diskussion formulierten. Verschiedene Konfliktzonen waren vorhanden, die eben nicht nur innerwissenschaftlich anzusiedeln sind und die sich schwerlich auf eine Auseinandersetzung zwischen moderner und vormoderner Wissenschaft einengen lassen. Die Teilnehmer fochten die Kontroversen nicht nur in zahlreichen Monographien aus, sondern auch in den neu herausgegebenen Fachzeitschriften, die im ersten Jahrhundertdrittel einen kurzen Aufschwung erlebten. 47 Entwirrt man das oft unübersichtliche Knäuel theoretischer Entwürfe und metaphysischer Spekulationen, dann sind in den Argumentationszusammenhängen von Freunden wie Feinden des Magnetismus mehrere Konfliktfelder zu erkennen, die durchaus quer zur grundsätzlichen Absage an die Heilmethode oder zu ihrer Befürwortung liegen: Die weitaus meisten Autoren waren sich darüber einig, daß wissenschaftliche Laien an den Diskussionen um den Magnetismus nicht teilhaben soll46
Vgl. Barkhoff, Magnetische Fiktionen, S. 85-136. Zu verschiedenen Konzeptionen in der romantischen Medizin Wiesing, Kunst oder Wissenschaft?, vor allem S. 285-301. Wiesing betont allerdings weniger eine Differenz zwischen alten und neuen medizinischen Zugängen als vielmehr den Unterschied zwischen wissenschaftlicher Theorie und „künstlicher" Praxis. 47 Wichtig waren sicher AThM (1817-1824), Zeitschrift für psychische Ärzte (1818-1822), fortgeführt unter dem Titel Zeitschrift für die Anthropologie (18231826), Neues Askläpieion. Jahrbücher für den Lebensmagnetismus (1818-1819), Blätter für höhere Wahrheit (1818-1832). Später gab Justinus Kerner Blätter aus Prevorst (1831-1839) und Magikon. Archiv für Beobachtungen aus dem Gebiete der Geisterkunde und des magnetischen und magischen Lebens (1840-1853) heraus.
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ten, geschweige denn ihn ausüben durften, weil damit „Aberglauben" ausgenutzt oder sogar befördert werden könne. 48 Dieser Meinung waren zahlreiche Ärzte, die sich öffentlich zum Magnetismus äußerten. Die Vorwürfe konzentrierten sich dabei auf die rechtliche Kategorie der „Pfuscherei", von der sich die Autoren, die den Magnetismus befürworteten, nicht nur abgrenzen, sondern Laientherapeuten damit auch dingfest gemacht wissen wollten. Es waren auch andere Stimmen zu vernehmen. Einige Befürworter beabsichtigten, gerade Laientherapeuten für magnetische Behandlungen zu gewinnen und sie mit den magnetisch-medizinischen Prinzipien vertraut zu machen - im Sinne ihrer Patienten. 49 Auch galt vielen Kritikern das Auftreten somnambuler Medien als überaus zweifelhaft, die Selbst-, Fern- und Fremddiagnosen stellten und Therapien empfahlen. 50 Diese Behandlungsprognosen der Medien liefen einer in der medizinisch-aufgeklärten Debatte immer wieder gestellten Forderung zuwider, Kranke hätten die Diagnosen von Ärzten nicht zu beurteilen und noch viel weniger selbst welche zu stellen. 51 Die Grenzen des aufklärerischen Vorhabens, den Ausgang des Kranken aus seiner medizinischen Unmündigkeit zu bewirken, waren so besehen eng gesteckt und vertrugen sich kaum mit den ärztlichen Ansprüchen, fundiertes Expertenwissen zu vermitteln. Dabei hat der Historiker im Auge zu behalten, daß kritisierte Verhaltensweisen wie handschriftliche Ferndiagnosen auch bei den akademisch ausgebildeten Ärzten durchaus an der Tagesordnung waren. Die teilweise ausführlichen Schilderungen über somnambule Einwirkungen auf den Krankheitsverlauf sowie Heilungen durch den Magnetismus rechnete man der „Einbildungskraft" oder dem „Aberglauben" der anwesenden Personen, ja sogar der behandelnden Ärzte zu. 5 2 Eingehend erörterten die beteiligten 48
Johann Christoph Friedrich Bährens, Der animalische Magnetismus und die durch ihn bewirkten Kuren, Elberfeld/Leipzig 1816, S. 151. Zu dieser Haltung vgl. auch eine ausführliche Rezension des Jenaer Medizinprofessors Dietrich Georg Kieser (1779-1862), einer der Herausgeber des AThM. Dieser kritisierte an der besprochenen Schrift des Düsseldorfer Regierungsassessors und Oberwegeinspektors Wesermann, Magnetismus, in: AThM 11 (1822), S. 157-160, vor allem die Tatsache, daß sie von einem Laien stammte. Zu Kieser Walter Brednow, Dietrich Georg Kieser. Sein Leben und Werk, Wiesbaden 1970. 49 Vgl. Renard, Der Magnetismus und [s]eine Fortdauer nebst Angabe der Dispositionen, welche vorzüglich zum psychischen Magnetismus führen. Aus eigenen Erfahrungen geschöpft und geschrieben für Gläubige und Ungläubige, besonders aber zur Bekehrung der Letztern, mit Berücksichtigung für Nichtärzte, Elberfeld 1819, S. 3 f. 50 Einen gerafften Überblick dazu gibt Dietlinde Goltz, Nachtwanderei, Mondsucht und Somnambulismus - Eine Nachtseite der Medizingeschichte, in: MedhJ 28 (1993), S. 321-343. 51 Vgl. Loetz, Vom Kranken zum Patienten, S. 73-85. Dies ließ sich in der Praxis freilich erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts durchsetzen.
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Mediziner hier das Arzt-Patient(innen)-Verhältnis, das durch den notwendigen Körperkontakt bei dieser Heilmethode von besonderer Vertrautheit und Abhängigkeit schien, zumal es sich meistens um junge und in den Augen der Zeitgenossen damit leicht beeinflußbare Patientinnen handelte. 53 Moralische Argumente flankierten diese Diskussion: Der nicht unbegründete und durch manche Affäre bestätigte Verdacht war weitverbreitet, der animalische Magnetismus begünstige eine sexuelle Beziehung zwischen dem Arzt und seiner Patientin. Diese Annahme hat schon Daniel Chodowiecki in seiner Radierung „Der Magnetiseur" 1791 dargestellt. Der Magnetiseur umgreift mit beiden Händen die gesamte Aura der Patientin und versucht, den regelmäßigen Fluß des Fluidums bei der sich offensichtlich in der „Krise" befindlichen jungen Frau wiederherzustellen. Gleichzeitig deutet die in einer unnatürlichen Haltung gezeichnete linke Hand des Magnetiseurs die Erotik der Situation an, befindet sich jene doch fast zwischen den Beinen der Magnetisierten. Die Fürsprecher der Heilmethode gestanden die in Chodowieckis Radierung greifbaren erotischen, die engen moralischen Grenzen der Zeit überschreitenden Bezüge durchaus ein, denen die ausschließlich männlichen Ärzte ausgesetzt waren. Sie glaubten indes, diese kontrollieren zu können, und wiesen darauf hin, daß es bei anderen Therapien vergleichbar aussähe. Die Befürworter appellierten an die Vernunft der Magnetiseure, hatten allerdings im Zweifelsfall auch keine Lösung anzubieten: „Wessen Vernunft nicht stark genug ist, die niedrigen Sinnlichkeitsreize zu unterdrücken, der ist zu bedauern", so lautete noch 1852 das Fazit des Magnetismusexperten und Vielschreibers Joseph Ennemoser. 54 Es bleibt sicher richtig, daß die Differenzen um die magnetische Heilmethode auch ein Konflikt zwischen altem und neuem Wissenschaftsverständnis waren. Hier hatten sich die Grenzen noch nicht eindeutig etabliert. So belastete den Magnetismus in der theoretischen Diskussion auf der einen Seite ständig seine Nähe zu religiös-magischen Therapiekonzepten: Die Bayerische Akademie der Wissenschaften hatte ihn 1774 zunächst als Alternative zu den aufsehenerregenden Exorzismen Gaßners akzeptiert. Vielfach erkannten und diskutierten Ärzte die enge Verbindung zum katholischen Austreibungsritus und zu zeitgenössischen Wunderheilungen. 55 Nicht von 52
So Friedrich Bird , Mesmerismus und Belletristik in ihren schädlichen Einflüssen auf die Psychiatrie geschildert, Stuttgart 1839, S. 41. Damit Schloß Bird an die bereits im 18. Jahrhundert geführte Diskussion an. Vgl. zuletzt John, Magnetismus. 53 Vgl. Ennemoser, Anleitung, S. 84. 54 Ebenda, S. 86. 55 Vgl. Carl Philipp Eduard Lillbopp, Über die Wunder des Christenthums und deren Verhältniß zum thierischen Magnetismus mit Berücksichtigung der neuesten Wunderheilungen nach römisch-katholischen Prinzipien, Erster Theil, Mainz 1822
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Abbildung 1: Daniel Chodowiecki: Der Magnetiseur (1791) 5 6
[mehr nicht erschienen], S. 10-19 und S. 129-134. Dietrich Georg Kieser, Ueber die magischen Kräfte der Reliquien der Heiligen, in: A T h M 7 (1820), 3. Stück, S. 38^4-8. Johann Christian August Grohmann, Ueber religiösen Aberglauben und Mysticismus in der Geschichte der Menschheit. Eine anthropologische Untersuchung, in: Zeitschrift für die Anthropologie 1825, 4. Heft, S. 193-307. Die Nähe zum Exorzismus drückt sich auch in der anhaltenden Beschäftigung mit Johann Joseph Gaßner aus: Adolph Karl Gustav Eschenmayer, Nachtrag zu der Ansicht der Gaßnerischen Heilmethode, in: A T h M 9 (1821), 2.+3. Stück, S. 1-41. 56 Quelle: Taschenbuch für Aufklärer und Nichtaufklärer auf das Jahr 1791, Berlin 1792.
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ungefähr war es der dem ultramontanen Koblenzer Kreis zuzurechnende Medizinalrat Settegast, der intensiv mit der Heilmethode experimentierte. Diese Haltung läßt sich auch an Stellungnahmen zu den Gebetsheilungen Hohenlohe-Schillingsfürsts beobachten. Dietrich Georg Kieser, Mitherausgeber und -begründer des Archivs für den Thierischen Magnetismus, äußerte diesen Zusammenhang unmißverständlich, da für ihn „jeder intensive Glaube [...] magnetisch wirken" konnte. 57 Auf der anderen Seite wehrten sich viele akademisch gebildete Mediziner gegen magnetisierende Emporkömmlinge, indem sie diese persönlich diffamierten und wissenschaftlich zu diskreditieren suchten, sicher auch aufgrund ihres teilweise großen Erfolges bei dem zahlungskräftigen bürgerlichen und adligen Publikum. Ohnehin ist nicht zu übersehen, daß die mit der Heilmethode verbundenen Rationalitätsprobleme oftmals von sachfremden Motiven und Argumenten überlagert wurden. 58 Hinzu kam die gewiß wichtige Frage nach der Effizienz der magnetischen Therapie, die häufig bestritten wurde. Solange die akademische Heilkunde jedoch keine besseren Ergebnisse erzielen konnte, fiel es den Kritikern schwer, den therapeutischen Wert des Magnetismus zu ignorieren. Dann stritt man sich über Universaltheorien, die mit der Heilmethode des Magnetismus verbunden wurden. Gerade die Behauptung, mit ihr alle Krankheiten nicht nur ergründen, sondern auch heilen zu können, stieß auf heftigen Widerspruch und verstärkte den Bezug zu magischen Traditionen, in die man Magnetiseure stellte. 59 Dennoch gingen zahlreiche Befürworter noch weiter, indem sie selbst christlich-magische Wunder aus der Vergangenheit jetzt magnetisch zu deuten suchten; diese Autoren beförderten in den Augen ihrer Kritiker längst überwunden betrachteten Aberglauben in das 19. Jahrhundert. Trotzdem beanspruchten diese, mit ihren Theorien althergebrachten Aberglaubensvarianten entgegenzuwirken und viele bisher ungeklärte Phänomene vermeintlich rational und wissenschaftlich auszulegen - so manch langer Buchtitel war für diese Funktionalisierung des Magnetismus Programm. 60 Während sich den einen im animalischen Magne57
Dietrich Georg Kieser, Über die Wunderheilungen des Fürsten von Hohenlohe, in: A T h M 9 (1821), 2.+3. Stück, S. 311-314, Zitat S. 312. 58 Vgl. Gereon Wolters, Mesmer und sein Problem: Wissenschaftliche Rationalität, in: Ders., Mesmer, S. 121-137. 59 Zu astrologisch-magischen Wurzeln des Magnetismus Barkhoff, Magnetische Fiktionen, S. 43-54. Ego, Magnetismus, S. 46-51. Zu den philosophischen Bezügen Ernst Benz, Franz Anton Mesmer und die philosophischen Grundlagen des „animalischen Magnetismus", Wiesbaden 1977. 60 So Johann Heinrich Voss, Der thierische Magnetismus als Wirkung der höchsten Naturkraft; Oder: Geist und Materie bilden keinen Gegensatz; sie sind in ihrem Grundwesen verwandt, und begründen die Einheit des Ganzen in myriadenfachen Offenbarungen und Gradationen der wirkenden Geisteskräfte, deren Erscheinungen
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tismus eine historische Erklärung für Hexerei und Zauberei bot, 6 1 hielten ihnen die anderen entgegen, den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Glauben an Geister, Gespenster und Hexen in neuem Gewände fortzusetzen. So formulierte der Bonner Mediziner und Schriftsteller Friedrich Ludwig Heinrich Bird 1839, solange der Mesmerismus bestünde, würde „das Reich des alten Aberglaubens [...] nicht untergehn". 62 Die Befürworter widmeten ganze Schriften antiken sowie religiösen Wundern, die sie nun mit wenigen Einschränkungen endlich zu entzaubern trachteten, 63 denn alle „Nachrichten vom Wunderbaren früherer Jahrhunderte aus den Zeiten des frommen, beschaulichen Lebens für geflissentliche Machinationen des Aberglaubens oder des Betrugs zu halten, würde eben so hart seyn, als die gläubige Gemütserhebung des Gebets eine Thorheit zu nennen". 64
So erhielt der Magnetismus gleichsam religiöse Funktionen zugewiesen, schien er doch vereinbar mit dem katholischen Glauben und bot darüber hinaus für viele religiöse Wunder plausible Antworten. Der Blick auf die theoretische Beschäftigung mit dem tierischen Magnetismus verdeutlicht das nahezu unlösbare Dilemma, in dem sich diese Heilmethode befand. Diejenigen, die es mit ihren Forschungen ernst nahmen, sahen sich vor ein doppeltes Problem gestellt. Sie hatten sich auf der einen Seite gegenüber den zahlreichen Kritikern zu rechtfertigen, für die der Mesmerismus „Unsinn" und „Aberglauben" blieb. Auf der anderen Seite mußten sie sich ihrerseits aber gleichzeitig von den „Pfuschern" und „Quacksalbern" abgrenzen, welche die Heilmethode auch in ihren Augen mißbrauchten. Sie bekämpften also teilweise das, was ihre Gegner ihnen vorwarfen, und räumten damit ein, daß die magnetische Therapie nicht unproblematisch war, sofern sie in falsche Hände geraten sollte. Es fiel den Zeitgenossen dabei offenbar schwer, eine exakte Grenze zwischen „Wissenschaft" und „Aberglauben" zu ziehen. Die konfliktauslösende Problematik, die mit der Theorie des animalischen Magnetismus verknüpft war, lag wesentlich in der nicht zu ermittelnden Quelle seiner augenscheinlichen Wirkungen. Erkennbar wird am sich nur in den niedrigsten Potenzen als Materie ankündigen, welche dem Gesetze der Nothwendigkeit unterworfen ist. Ein Buch zur Vertilgung des Aberglaubens. M i t einer Vorrede begleitet von C. Renard, Dr. der Medizin, Köln 1819. 61 Ein kurzer Hinweis findet sich bei Barkhoff, Magnetische Fiktionen, S. 252, Fußnote 40. Ausführlicher dazu Ennemoser, Anleitung, S. 6 und S. 22. Oers., Der Magnetismus im Verhältnis zur Natur und Religion, Stuttgart/Tübingen 1842, §§ 78-82. 62 Bird , Mesmerismus, S. 22. 63 Vgl. Johann Christian Ludwig Ziermann, Geschichtliche Darstellung des thierischen Magnetismus als Heilmittel mit besonderer Berücksichtigung des Somnambulismus in einer Reihe ähnlicher Erscheinungen der Vorzeit bis auf Mesmer, Berlin 1824. Ennemoser, Magnetismus, §§ 46-108. 64 Bährens, Magnetismus, S. 23.
272
VI. Verdächtige Neulinge
Beispiel der Auseinandersetzungen eine Übergangsphase zu einem gewandelten Wissenschaftsverständnis, obgleich religiöse und moralische Argumente der Konkurrenz empirisch-wissenschaftlicher Deutungsmacht offenkundig noch gewachsen waren. Schließlich hingen die intensive Resonanz des Mesmerismus in Preußen und ihre Wandlungen im Verlauf des 19. Jahrhunderts bekanntlich auch eng mit naturphilosophisch-romantischen Konzepten zusammen. 65 Sie lassen sich personalisieren. Die romantische Wendung ins Spekulative, in der die therapeutische Anwendung des animalischen Magnetismus fast vollständig zurücktrat, veranschaulichen die „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften" am eindringlichsten, die Gotthilf Heinrich Schubert 1808 veröffentlichte. Schubert reduzierte die magnetische Heilmethode in seinen aus Vorlesungen entstandenen Ausführungen dabei auf eine Bindegliedfunktion zwischen Einzelnem und Ganzem in der Natur. Mittels der somnambulen Fähigkeiten magnetisierter Patienten sollten metaphysische und religiöse Geheimnisse gelöst sowie das Verhältnis zwischen Mensch und Natur geklärt werden. 66 Schubert versuchte damit im Rahmen seines naturphilosophischen Systementwurfs, sympathetische Verwandtschaften und Analogien in der Natur- und Menschheitsgeschichte aufzuspüren. Den fließenden Übergang vom animalischen Magnetismus zur spätromantischen Tiefenpsychologie repräsentieren dann zwei Personen. Zunächst ist Justinus Kerner (1786-1862) zu nennen. 67 Der schwäbische Arzt, Dichter und Gespensterexperte arbeitete mit der Försterstochter Friederike Hauffe (1801-1829), der Seherin von Prevorst, der wohl berühmtesten deutschen Somnambulen, zusammen und veröffentlichte unmittelbar nach deren Tod ihre Lebens- und Leidensgeschichte. Zwar fußten Kerners therapeuti65
Vgl. Dietrich von Engelhardt, Mesmer in der Naturforschung und Medizin der Romantik, in: Schott, Mesmer, S. 88-107. 66 Gotthilf Heinrich Schubert, Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft, neubearbeitete und wohlfeilere Aufl., Dresden 1818 ^ΙδΟδ). Knapp dazu Barkhoff, Magnetische Fiktionen, S. 98-105. Zu Schubert (1780-1860) vgl. ADB, Bd. 32, S. 631-635. Dietrich von Engelhardt, Schuberts Stellung in der romantischen Naturforschung, in: Alice Rössler (Hg.), Gotthilf Heinrich Schubert. Gedenkschrift zum 200. Geburtstag des romantischen Naturforschers, Erlangen 1980, S. 11-36. 67 Vgl. Andrea Berger-Fix (Hg.), Justinus Kerner. Nur wenn man von Geistern spricht. Briefe und Klecksographien, Stuttgart/Wien 1986. Otto-Joachim Grüsser, Justinus Kerner. 1786-1862. Arzt - Poet - Geisterbeschwörer. Nebst Anmerkungen zum Uhland-Kerner-Kreis und zur Medizin- und Geistesgeschichte im Zeitalter der Romantik, Berlin u.a. 1987. Heinz Schott, Justinus Kerner. Jubiläumsband zum 200. Geburtstag. Teil 2: Medizin und Romantik. Kerner als Arzt und Seelenforscher. Beiträge zum Symposium, Weinsberg 1990. Burkhard Grell, Medizingeschichtliches bei Justinus Kerner. Ein Beitrag zur Geschichte der Medizin der Romantik, med. Diss, masch., Würzburg 1939.
1. Animalischer Magnetismus
273
sehe Maßnahmen als Arzt der schwerkranken, fast in einem permanenten Somnambulismus verharrenden Hauffe auf dem animalischen Magnetismus, mit dem er bereits früh in seiner Biographie erste Erfahrungen gemacht hatte. 68 Auch pflegte er mit mehreren der bekanntesten Magnetismus-Theoretiker engen Kontakt und war mit der gesamten Literatur bestens vertraut. Allerdings steht Kerner doch wie kein anderer für die dem Magnetismus so schädliche enge Verbindung mit okkulten und seit der Jahrhundertmitte auch spiritistischen Vorstellungen. Bereits Kerners Gliederung der „Seherin von Prevorst" in die beiden Teile „Eröffnungen über das innere Leben des Menschen" und „Eröffnungen über das Hereinragen einer Geisterwelt in die unsere" belegt seine vielfach erläuterte Nähe zu Geisterspuk und Dämonologie. Vor allem im zweiten Teil versuchte Kerner, die Kontakte zwischen den beiden Welten empirisch zu belegen. 69 Ganz in romantischer Tradition glaubte er an ein Fortleben des Menschen nach dem Tode, was ihm die somnambulen Visionen der Seherin von Prevorst immer wieder bestätigten. In seinen Beobachtungen notierte er sorgfältig alle noch so seltsamen Phänomene, die in den magnetisierten Zuständen der Seherin auftraten, auch wenn seine eigenen therapeutischen Versuche an ihr weitgehend erfolglos verliefen. Diese Nähe zum Okkulten verstärkte die Aberglaubensvorwürfe und die wissenschaftlichen Vorbehalte gegenüber dem Mesmerismus. Sie drückte sich bei Kerner in erster Linie in der intensiven Rezeption von Johann Heinrich Jung-Stillings 1808 erschienener „Theorie der Geister-Kunde" aus. 70 Der pietistische Schriftsteller, Kameralist und Augenarzt JungStilling hatte sich in seiner Schrift mit dem Problem beschäftigt, ob die Geister verstorbener Personen auf die diesseitige Welt einwirken könnten. Er bewegte sich damit an den Grenzen menschlicher Erkenntnis, in den Augen der württembergischen Zensurbehörde indessen jenseits der Grenzen des Zumutbaren. 71 Als Mittler zwischen menschlicher und Geisterwelt 68
Justinus Kerner, Die Seherin von Prevorst, Berlin u.a. [1894] ( 1 1829). Vgl. dazu Johann Glatzel, „Die Seherin von Prevorst" - gelesen als eine psychiatrische Krankengeschichte, in: Schott, Justinus Kerner, S. 4 1 1 ^ 2 1 . 69 Vgl. Kerner, Seherin von Prevorst, Teil II, S. 9-14 und S. 219-225. 70 Johann Heinrich Jung-Stilling, Theorie der Geister=Kunde in einer Natur-, Vernunft- und Bibelmäsigen Beantwortung der Frage: Was von Ahnungen, Gesichten und Geistererscheinungen geglaubt und nicht geglaubt werden müße, mit einem Nachwort von Michael Titzmann, Hildesheim 1979 [ND der Ausgabe Nürnberg
1808].
71 Während über Jung-Stillings Biographie zahlreiche Details bekannt sind, sind seine okkulten Überlegungen vor allem in der Theorie der Geisterkunde vernachlässigt worden. Vgl. zu Johann Heinrich Jung-Stilling (1740-1817) Badische Landesbibliothek Karlsruhe (Hg.), Jung-Stilling. Arzt - Kameralist - Schriftsteller zwischen Aufklärung und Erweckung. Eine Ausstellung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe in Zusammenarbeit mit der Stadt Siegen/Siegerlandmuseum und in Ver-
ls Freytag
274
VI. Verdächtige Neulinge
nahm Jung-Stilling, Mesmers „ F l u i d u m " nicht unähnlich, ein „ätherisches Lichtwesen" an, das über den T o d hinaus eine individuelle Existenz garantiere. Er stand i n seiner Studie damit seinerseits i n berühmter aufklärerischer Tradition. So fußten seine Überlegungen nicht nur auf den Spekulationen des schwedischen Philosophen Emanuel Swedenborg (1688-1772), sondern auch auf Kants Studie „Träume eines Geistersehers", die 1766 zunächst anonym veröffentlicht worden w a r . 7 2 Gleichzeitig dürfen freilich die überdeutlichen Bezüge z u m animalischen Magnetismus nicht außer A c h t gelassen werden, i n die Jung-Stilling seine Überlegungen stellte. Z w a r distanzierte er sich i m zweiten Hauptteil v o n der Person Mesmers, den er als Scharlatan einstufte, aber er hielt doch etliche Ergebnisse der Magnetismusforschung für beachtenswert. 7 3 Sodann muß der bekannte spätromantische A r z t und Naturforscher Carl Gustav Carus (1789-1869) als Übergangsfigur genannt werden, der sich i n seiner Abhandlung über den Lebensmagnetismus 1857 intensiv m i t Mesbindung mit dem Generallandesarchiv Karlsruhe, Karlsruhe 1990. Otto W. Hahn, Jung-Stilling zwischen Pietismus und Aufklärung. Sein Leben und sein literarisches Werk 1778 bis 1787, Frankfurt am Main u.a. 1988. Hans-Günter Krüsselberg/Wolfgang Liick (Hg.), Jung-Stillings Welt. Das Lebenswerk eines Universalgelehrten in interdisziplinären Perspektiven, Krefeld 1992. Michael Titzmann, Zu Jung-Stillings „Theorie der Geisterkunde": Historischer Ort und Argumentationsstruktur, in: JungStilling, Theorie der Geisterkunde, S. 381^-17. Zur württembergischen Zensur von Jung-Stillings Geisterkunde vgl. Siemann, Normenwandel, S. 74-76. 72 Der vollständige Titel von Kants Auseinandersetzung mit Swedenborg lautet Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, Königsberg 1766. 73 Vgl. Jung-Stilling, Theorie der Geister=Kunde, §§ 64-94. Jung-Stillings Widmung ist sicher auch vor dem Hintergrund zu verstehen, daß Baden im ausgehenden 18. Jahrhundert eines der wenigen deutschen Zentren für die Beschäftigung mit dem animalischen Magnetismus war. Vgl. Ego, Magnetismus, S. 166 f. Zu Emanuel Swedenborg diverse Beiträge in Erland J. Brock (Hg.), Swedenborg and his Influence, Bryn Athyn 1988. Gottlieb Florschütz, Swedenborgs verborgene Wirkung auf Kant. Swedenborg und die okkulten Phänomene aus der Sicht von Kant und Schopenhauer, Würzburg 1992. Michael Heinrichs, Emanuel Swedenborg in Deutschland. Eine kritische Darstellung der Rezeption des schwedischen Visionärs im 18. und 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main u.a. 1979. Ernst Benz, Swedenborg in Deutschland. Ffriedrich] C[hristoph] Oetingers und Immanel Kants Auseinandersetzung mit der Person und Lehre Emanuel Swedenborgs. Nach neuen Quellen bearbeitet, Frankfurt am Main 1947. Ders., Emanuel Swedenborg. Naturforscher und Seher, München 1948. Für die polarisierende Deutung des 19. Jahrhunderts steht Sierke, Schwärmer und Schwindler, S. 6-69. Ein Beispiel für die intensive katholische Swedenborg-Rezeption des 19. Jahrhunderts bietet Johann Joseph Görres, Nachschrift über Swedenborg, seine Visionen und sein Verhältniß zur Kirche, in: Heribert Raab (Hg.), Joseph Görres. Schriften der Strassburger Exilzeit 1824-1827. Aufsätze und Beiträge im „Katholik", Paderborn u.a. 1987, S. 297-363. Görres Nachschrift erschien 1826 und 1827 als Artikelserie im Katholik und 1827 als Separatdruck.
1. Animalischer Magnetismus
275
mers Heilmethode auseinandersetzte. 74 Auf seiner Suche nach der verborgenen menschlichen Natur wendete Carus den animalischen Magnetismus ins Psychologische. Für ihn war er Ausdruck eines unbewußten Seelenlebens. Ihm galt Sympathie, verstanden als unbewußte zwischenmenschliche Beziehung, als Voraussetzung für den Heilungsprozeß, womit er diesen in das Innere des Menschen verlegte. Carus interessierte sich damit in erster Linie für die menschliche Seele als Element zwischen Bewußtem und Unbewußtem, wobei er im 19. Jahrhundert den Bereich des Unbewußten durch den Siegeszug der Wissenschaft in die Defensive gedrängt sah. In dem mehr und mehr verborgenen Unbewußten sah der Naturforscher den Schlüssel zur menschlichen Seele. 75 Nach wie vor dominierte in seinen theoretischen Überlegungen über den therapeutischen Stellenwert die besondere Rolle des Arztes. Die Krankheit beim Patienten selbst stand dagegen im Hintergrund. Insgesamt läßt sich festhalten, daß das öffentliche Interesse am Magnetismus seit den 1820er Jahren abnahm. Dies zeigt nicht nur eine verminderte Publikationstätigkeit, sondern auch die Behörden stellten dies in ihren Schriftwechseln fest. 76 Sieht man von Ausnahmen wie Ennemoser, Kerner und Carus - wobei letztere ohnehin ein beträchtliches Stück weit Übergangsfiguren waren - ab, dann erschienen die wichtigsten Werke zum Thema im ersten Jahrhundertdrittel. Auch die periodischen Publikationsorgane wie das „Archiv für den Thierischen Magnetismus" verschwanden vom Buchmarkt, weshalb man durchaus vom Abflauen einer „wissenschaftlichen Modewelle" in bürgerlichen und adeligen Kreisen sprechen kann. Mit dem Ende dieser Modewelle läßt sich dann freilich eine verstärkte Ausbreitung des Magnetismus unter Laienheilern feststellen, gegen welche die Behörden einschritten. Bis in das dritte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurden die Kontroversen überaus kämpferisch und teilweise polemisch geführt. Später versachlichten sich die Auseinandersetzungen zusehends, was ein umfangreicher und ausgewogener Lexikonbeitrag von 1840 im Enzyclopädischen Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften belegen mag. 7 7 Dessen Verfasser Karl Lehfeldt machte als wichtigsten Grund für den wissenschaftlichen Streit aus, daß erst „Anfechtungen und Persiflagen [...] viele Zweifler zu gläubigen Märtyrern 74
Carl Gustav Carus, Über Lebensmagnetismus und über die magischen Wirkungen überhaupt, unverändert hg. und eingeleitet von Christoph Bernoulli, Basel 1925 C11857). Ders., Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele, ND der 2., verbesserten und vermehrten Aufl., Pforzheim 1860 ( 1 1846), Darmstadt 1964. Zu Carus Hans Kern, Carl Gustav Carus. Persönlichkeit und Werk, Berlin 1942. 75 Carus, Psyche, S. 1-13. Ders., Lebensmagnetismus, S. 6. 76 Regierung Düsseldorf an Altenstein vom 18.8.1823, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2197, Bl. 143r-144v. 77 Karl Lehfeldt, Magnetismus, animalischer, in: Carl Ferdinand von Graefe (Hg.), Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, 37 Bde., Berlin 1828-1849, hier Bd. 22, Berlin 1840, S. 242-299. 18*
276
VI. Verdächtige Neulinge
der Sache" gemacht hätten. 78 Ihm schien es jetzt wichtiger, sich den konkreten praktischen Fragen zuzuwenden, als weiter theoretische Spekulationen anzustellen, womit er gleichzeitig die Probleme der Heilmethode auf den Punkt brachte. Für ihn waren zwar die Heilungen Tatsachen, aber die Theoriebildungen oft unsinnig, denn „die gesammten magnetischen Wirkungen auf dämonologische oder unmittelbar göttliche Einflüsse zurückzuführen [...] ist eine Theorie, die freilich mit der Nacht des Aberglaubens und des Obscurantismus jedem Forschen die Augen schließt". 79
c) Ärzte und ihre magnetische Therapeutik Das praktische Handwerk von Magnetiseuren seit Mesmers erster Veröffentlichung ist kaum auf einen Nenner zu bringen. 80 Um das Fluidum im menschlichen Körper wieder in die richtigen Bahnen zu lenken, den Rapport mit den Patienten herzustellen und bei ihnen den alles bereinigenden Zustand der Krise hervorzurufen, bedienten sich viele Therapeuten unterschiedlicher Hilfsmittel. Zahlreiche akademische Ärzte folgten Mesmer, der sich im wesentlichen auf die heilende Wirkung seiner Hände verließ und die Körper der Patienten schließlich nur noch bestrich, nachdem er zunächst noch Magneten benutzt hatte. Es blieb jedoch durchweg üblich, weiterhin mit Magneten zu behandeln, deren Einfluß auf den menschlichen Körper man bereits vor der Entdeckung des animalischen Magnetismus für erwiesen hielt. Der bekannte Berliner Arzt und Magnetiseur Wolfart setzte weiterhin auf das „Baquet" zur magnetischen Gruppentherapie. In gleicher Weise verfuhr Medizinalrat Settegast bei der Therapie eines zwölfjährigen Jungen. 81 Es dominierte indes die Variante, Patienten in somnambule Trance zu versetzen und so den Heilungsprozeß einzuleiten. Mehrere Quellen dokumentieren, wie vorsichtig viele Ärzte zu Werke gingen, um mit ihren Patienten in Rapport zu gelangen und dann von den Somnambulen durch Fragen etwas über die Krankheitsursachen zu erfahren. 82 Vielfach war die
78
Ebenda, S. 282. Ebenda, S. 260. Zudem läßt sich für Preußen-Deutschland kein stetiges Ansteigen der Beschäftigung mit dem Mesmerismus erkennen, wie dies Shorter, Moderne Leiden, S. 234, für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA festgestellt hat. 80 Dazu Jiitte, Geschichte der Alternativen Medizin, S. 104-106. 81 Vgl. Artelt, Mesmerismus, S. 54-57. Settegast an Regierung Koblenz vom 20.3.1822, in: L H A K , Best. 441, Nr. 2857. 82 Vgl. Johann Wilhelm Spiritus, Krankheitsgeschichten, in: Zeitschrift für psychische Ärzte, mit besonderer Berücksichtigung des Magnetismus 5 (1822), 1. Heft, S. 179-221, hier S. 186-200. 79
83 Quelle: Collection De Vinck, Nr. 900, Bibliothèque Nationale Paris, abgebildet in: Ernst Florey, Franz Anton Mesmers magische Wissenschaft, in: Wolters, Mesmer, S. ll^tO, hier S. 30.
Abbildung 2: Darstellung einer magnetischen Baquetsitzung, Ende 18. Jahrhundert83
1. Animalischer Magnetismus 277
278
VI. Verdächtige Neulinge
magnetische Heilmethode in der Praxis aber nur eine ergänzende Maßnahme - vor allem das therapeutische Dreigestirn Aderlaß, Schröpfen und Klystiersetzen blieb unentbehrlich. Zuverlässige Aussagen darüber, wie viele Ärzte den Magnetismus als therapeutische Methode anwandten, sind in der Forschung nicht zu finden. In den Quellen sieht es kaum anders aus: Offensichtlich hatten die meisten Ärzte nur ein geringes Interesse daran, die Behörden einzuweihen und in einigen Fällen auch eine „geheime Scheu vor der Sache", wie Settegast in einem Bericht an die Koblenzer Regierung äußerte. 84 Zudem kosteten die mit einer Magnetkur verbundenen zahlreichen, teilweise langwierigen und auf dem Lande sicher auch aufwendigen Patientenbesuche einigen Ärzten zu viel Zeit. Daher verzichteten sie oft schnell wieder auf die Therapie. 85 Obwohl die Heilmethode diversen praktischen Erfolgen zum Trotz anrüchig erschien, lassen verschiedene Quellen doch erkennen, daß weitaus mehr Mediziner - zumindest kurzzeitig oder probehalber - magnetisch therapierten, als die in den preußischen Akten überlieferten Berichte über magnetische Kuren erkennen lassen, welche die Ärzte seit 1817 bei den Medizinalbehörden einreichen mußten. Der Rücklauf erwies sich insgesamt als unbefriedigend, weshalb das Kultusministerium Ärzte und Medizinalbehörden verschiedentlich ermahnen mußte, die Berichte abzufassen. 86 Scheinbar ging auch das ärztliche Interesse an der magnetischen Therapie Mitte der 1820er Jahre zurück. Aber bis dahin hatten sich doch diverse Ärzte mit dieser Heilmethode beschäftigt, wie für die Rheinprovinz anhand gedruckter Quellen belegt werden kann, etwa an den Ausführungen des Düsseldorfer Regierungsassessors Heinrich Moritz Wesermann. Er nannte in seiner Schrift nicht nur namentlich fünfzehn magnetisierende Ärzte aus dem Regierungsbezirk, sondern hielt diese Region in seiner Begeisterung auch für einen Vorreiter in Sachen Magnetismus. 87 Ausführlich dokumentierte desgleichen der Solinger Kreisphysiker Johann Wilhelm Spiritus seine Erfahrungen in zwei der wichtigsten Publikationsorganen für die magnetische Behandlungsmethode.88 Auch der Velberter Arzt Karl Ludwig Bährens berichtete eingehend über seine zwischen 1813 und 1818 durchgeführten 84 Settegast an Regierung Koblenz vom 20.3.1822, in: L H A K , Best. 441, Nr. 2857. 85 Ebenda. 86 Kultusministerium an Regierung Koblenz vom 25.3.1818, in: ebenda. 87 Wesermann, Magnetismus, S. 24 f. Vgl. auch ders., Versuche willkührlicher Traumbildung, mitgetheilt in einem Briefe an den Herausgeber, in: A T h M 6 (1820), 2. Stück, S. 135-142, hier S. 135 f. 88 Johann Wilhelm Spiritus, Beobachtungen über die Heilkraft des animalischen Magnetismus, in: A T h M 5 (1819), 3. Stück, S. 78-87. Ders., Krankheitsgeschichten, S. 179-221. Dazu GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2197, Bl. 143v.
1. Animalischer Magnetismus
279
Magnetkuren. Gleichwohl beklagte sich Ennemoser 1852, daß die magnetisch interessierten Ärzte im Verlaufe der ersten Jahrhunderthälfte ein großes Problem nicht hätten lösen können: Obwohl doch der akademisch ausgebildete, bürgerliche Arzt den moralischen Anfechtungen, die eine magnetische Behandlung mit sich bringe, weitaus besser begegnen könne als der ungebildete Laientherapeut, führten meistens Laien die Therapie durch. 89 Auch wenn es sich hier um eine in der ärztlichen Publizistik übliche Klage gehandelt haben mag, so bestätigen die preußischen Akten über magnetische Laienkuren Ennemosers Lamento teilweise. Viele Ärzte lasen sich ihre Kenntnisse über die Heilmethode an. Als einschlägig galt den Praktikern das Lehrbuch, welches Kluge 1811 veröffentlicht hatte. Nicht von ungefähr hatte dieser im Vorwort zur ersten Auflage betont, ihn interessiere vor allem die „praktische Seite" des Magnetismus. 90 Ärzte studierten seine Ausführungen und erprobten sie in der Praxis. Dies dokumentiert etwa die ausführliche Stellungnahme Settegasts über eine Kur, beobachtete er an seinem jugendlichen Patienten doch von Kluge beschriebene, verschiedene Grade des somnambulen Zustandes.91 Ein Bild davon, welche Krankheiten man mit dem Magnetismus therapierte, bietet eine Übersicht der 1821 in Berlin behandelten Krankheitsfälle. 92 An der Spitze standen Augenerkrankungen, Rheumatismus, Krämpfe, Rachitis, Abzehrungen und Gehörleiden. Wenn man noch die Hysterie hinzunimmt, dann tauchen die dort zumeist gestellten Diagnosen immer wieder in den ärztlichen Sanitätsberichten und Fallgeschichten auf. Meistens wurde nach der Diagnose einer bestimmten Krankheit aber nicht sofort der Magnetismus angewandt. So berichtete der praktische Arzt Dr. Eichmann 1847 aus Kaldenkirchen (Regierungsbezirk Düsseldorf) über eine erfolgreiche Kur, die er - eher zufällig - mittels des Magnetismus durchgeführt hatte. Bei allen Vorbehalten, die er in seinem Bericht äußerte, schien ihm die magnetische Therapie doch zumindest ergänzend hilfreich, vor allem in Fällen von Katalepsie, die man auch als Starrsucht bezeichnete.93 Blickt man auf die ärztlichen Begründungen, warum sie den Magnetismus einsetzten, so findet sich oft der Hinweis, alle anderen Heilmittel hätten das Leid des Patienten nicht gelindert. 94 Sieht man von den Fällen ab, 89
Vgl. Ennemoser, Anleitung, S. 32 und S. 90. Kluge, Darstellung, S. 20. 91 Settegast an Regierung Koblenz vom 20.3.1822, in: L H A K , Best. 441, Nr. 2857. 92 Vgl. Tabelle 3, S. 280. 93 Sanitätsbericht 2. Quartal 1847 (Eichmann), in: L H A K , Best. 407, Nr. 357, S. 153-167, hier S. 165-167. 94 Vgl. Karl Ludwig Bährens, Merkwürdige Beobachtungen über die Heilkraft des Lebensmagnetismus, nebst einem Versuche über die Analogie des Traums und 90
1746
731
8 152
738
36
16
10
130
20
229
44
17
21
19
75
54
65
31
91
30
39
7
5
7
28
19
8
7
12
32
21
28
8
3
8 2
7
1
2
3
9
13
Gebesserte
16
1
1
9
2
Ungewisse
9
1
1
1
2
2
Verschlimmerte
Gestorbene
Errechnet aus GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. VIII A, Nr. 2197, Bl. 121r-123r. Bei den Übersichten handelt es sich um gedruckte Vorlagen, die von den Berliner Medizinalbehörden an Ärzte verteilt wurden. Insgesamt sind drei Übersichten von Dr. Martins, Dr. Schweitzer und Dr. Wolfart in den preußischen Akten erhalten. Die umfangreichste magnetische Praxis betrieb dabei Karl Christian Wolfart.
Gesamt
143
13
33
66
40
21
130
67 46
98
4
Genesene
VI. Verdächtige Neulinge
a
108
Gehörkrankheiten
16
Chronische Ausschläge
327
41
Äußere Übel
Augenkrankheiten
52
Organische Umbildungen
308
Rheumatismus, Gicht
55
151
Kachexien, Skrofeln, Rachitis
Unterdrückte Exkretionen
112
Blut-und Schleimflüsse
60
Lähmungen, Apoplexien
123
55
Entzündungen
Abzehrungen
95
219
24
Anzahl
Fieber, fieberhafte Ausschläge
Krampfübel
Geistes- und Gemütskrankheiten
Krankheitsformen
Tabelle 3 Übersicht der 1821 in Berlin mit Mesmerismus behandelten Krankheiten2* 280
2. Übergang zu hypnotischen und suggestiven Therapien
281
in denen Magnetiseure auf die somnambulen Selbstdiagnosen und Therapievorschläge vertrauten und damit weitgehend Patienten oder Medien die Behandlung überließen, dann setzten sie vielfach ohnehin bewährte Arzneien und Therapien begleitend ein. Doch blieben sie in der Praxis gegenüber somnambulen Medien durchaus skeptisch, wie der Bericht des Dürener Kreisphysikers Günther über eine junge Frau zeigt: Diese „hatte bereits die ganze Familie und Haushaltung zum Glauben an Wunder durch mancherlei Nervenzufälle, Wahrsagungen & gebracht, bis durch das Abtreiben einer ungeheuren Menge Spül- und Springwürmer allen Wundern ein Ende gemacht wurde, und das 18jährige Frauenzimmer ihrer Familie und ihren Geschäften wiedergegeben wurde". 9 5
Jedoch ist im Blick zu behalten, daß nur wenige gewöhnliche Fälle in die Quellen eingingen, für die Fachwelt war oft nur das Außergewöhnliche notierenswert; nicht von ungefähr findet sich in vielen Fallbeschreibungen die Formulierung: „Merkwürdige Heilung". 9 6 Die sich daran anschließende Frage, weshalb Krankheiten, die am ehesten magnetisch zu behandeln wären, im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zugenommen hätten, erklärten die Beteiligten teils damit, die Menschen seien körperlich wie geistig durch die Befreiungskriege und den Hungerwinter 1816/17 erschöpft und daher seien viele nervenverursachte Krankheiten zu verzeichnen, wobei sich allerdings nervliche und körperliche Faktoren im Krankheitsbild zumeist vermischten. 97
2. Der fließende Übergang zu hypnotischen und suggestiven Therapien Seit dem Ende der 1870er Jahre ist erneut ein signifikanter Aufschwung des wissenschaftlichen Interesses an magnetischen Therapien zu beobachten, nun allerdings unter den Stich Wörtern Hypnose oder Hypnotismus. Der englische Chirurg James Braid (1795-1860) hatte 1843 in seiner Studie Neurypnology den epochemachenden Begriff Hypnose in die Medizin eingeführt, den er als nervösen Schlaf definierte. 98 Bei Braid, wie später auch Somnambulismus, Essen/Duisburg 1819, S. 3. Ennemoser, Anleitung, S. 31. Diesem Argumentationsmuster begegnet man bei nahezu allen angefeindeten Behandlungsmethoden. 95 Sanitätsbericht 1819 (Aachen), in: L H A K , Best. 402, Nr. 32, S. 237. 96 Renard, Magnetismus, S. 66. 97 Vgl. Spiritus, Krankheitsgeschichten, S. 181-183. 98 Parallel zum Begriff Hypnose verwendeten die Zeitgenossen alternativ den des Hypnotismus. Vgl. Heinz Schott, Mesmer, Braid und Bernheim. Zur Entstehungsgeschichte des Hypnotismus, in: Gesnerus 41 (1984), S. 33-48. Walter Bongartz, Das Erbe des Mesmerismus: Die Hypnose, in: Wolters, Mesmer, S. 41-54. Adolf Kurzweg, Die Geschichte der Berliner „Gesellschaft für Experimental-Psychologie" mit
282
VI. Verdächtige Neulinge
bei deutschen Hypnoseforschern, hatten spektakuläre öffentliche Auftritte von umherreisenden Magnetiseuren Überlegungen auf diesem medizinischen Feld ausgelöst. In deutlicher Abgrenzung zu magnetischen Therapien löste Braid die direkte Verbindung zwischen dem Magnetiseur und seinen Patienten auf. Er bestritt dabei die Existenz eines allgegenwärtigen Fluidums, dessen unregelmäßiger Fluß für Krankheiten verantwortlich sein sollte. Vielmehr suchte Braid die Ursache für hypnotische Zustände in der Suggestibilität einzelner Personen. Im Unterschied zum animalischen Magnetismus ging es ihm nicht mehr um einen Rapport zwischen Arzt und Patient, sondern die Aufmerksamkeit des Patienten sollte durch die therapeutische Maßnahme konzentriert und seine Körperwahrnehmung verändert oder intensiviert werden. Hypnose war und ist also stärker auf den Patienten und seine Beschwerden bezogen als auf die Rolle des Arztes oder eines Mediums. Während der Magnetiseur noch weitgehend ohne zu sprechen auskommen konnte, und sich auf die besondere Kraft seiner Hände verließ, vertraute die Hypnose auf diverse Techniken, darunter auf Sprache oder Gegenstände, um Personen in Trance zu versetzen und ihre Suggestionen zu verbalisieren. Die entscheidenden Grundlagen für die Ausbreitung der Hypnose legten neben den Anhängern Braids vor allem die sogenannte Schule von Nancy um den Begründer der modernen Suggestionstherapie Hippolyte Bernheim (1840-1919) sowie das Pariser Zentrum der Salpêtrière um Jean-Martin Charcot (1825-1893) und den späteren Nobelpreisträger Charles Richet (1850-1935)." Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Hypnose löste sich allerdings nur langsam aus ihren magnetischen Grundlagen; nach wie vor griffen etwa Charcot und seine Kollegen in Experimenten auf Magnete zurück. Charcot war maßgeblich für die lange wirksame Diagnose verantwortlich, bestimmte neuropsychologische Persönlichkeitsmerkmale würden die hypnotische Empfänglichkeit befördern, wohl auch deshalb, weil er sich überwiegend auf die Behandlung hysterischer Patientinnen beschränkte. Dagegen geht die Auffassung, Hypnose fuße auf der Wirkung von besonderer Berücksichtigung ihrer Ausgangssituation und des Wirkens von Max Dessoir, med. Diss, masch., Berlin/West 1976, S. 61-74 und S. 148-202. Eine Zusammenstellung zahlreicher Fälle des 19. Jahrhunderts bietet Liselotte Moser, Hypnotism in Germany 1800-1900, in: Eric J. Dingwall (Hg.), Abnormal Hypnotic Phenomena. A Survey of Nineteenth Century Cases, 4 Bde., London 1967-1968, hier Bd. 2, S. 103-199, vor allem S. 180-194. 99 Zur französischen Entwicklung Edelman , Voyantes, S. 182-190. Jacqueline Carroy, Hypnose, suggestion et psychologie. L'invention de sujet, Paris 1991. M i t dem Blick für die Doppelbödigkeit des langsamen Wandels Jan Goldstein, Console and Classify. The French Psychiatric Profession in the Nineteenth Century, Cambridge u.a. 1987, vor allem S. 322-377. Ellenberger, Entdeckung des Unbewussten, Bd. 1, S. 137-161. Einen zeitgenössischen Literaturüberblick bietet Max Dessoir, Bibliographie des Modernen Hypnotismus, Berlin 1888.
2. Übergang zu hypnotischen und suggestiven Therapien
283
„Suggestionen", auf Bernheim zurück, dessen Ideen Sigmund Freud in Deutschland verbreitete. Bernheim wandte sich darin massiv gegen die These Charcots, Hypnose beruhe auf einem pathologisch-neurotischen Zustand, der besonders bei Hysterikerinnen anzutreffen sei. Zwei weitere Punkte sind zu nennen, in denen Charcot noch deutlich auf Elementen des animalischen Magnetismus aufbaute. Einesteils hatte er drei aufeinanderfolgende Stadien unterschieden, die seine Patientinnen durchliefen, bevor sie den Zustand der hypnotischen Neurose erreichten. Die Stadien bezeichnete er als Lethargie, Katalepsie und schließlich Somnambulismus. Gerade mit dem Begriff „Somnambulismus" oder mit somnambulen Zuständen verbanden die Zeitgenossen immer noch den Mesmerismus und die spektakulären Auftritte einzelner Medien. 1 0 0 Andernteils blieb die Nähe der Hypnose zum Mesmerismus in der schillernden und eigenwilligen Persönlichkeit Charcots selbst präsent, dem vor allem in den 1880er Jahren der Ruf eines Wundertäters anhaftete. Seine Person war es, die das Zentrum der Salpêtrière zum europäischen Hypnosemekka werden ließ. Auch glaubte man, er habe endlich - ganz in der Tradition Mesmers stehend, als dieser Gaßners Exorzismen rationalisieren wollte - eine wissenschaftliche Erklärung für Besessenheit entdeckt. 101 Diesen auch in den folgenden Jahrzehnten immer wieder anzutreffenden engen Beziehungen zwischen Hypnose und Magnetismus - die sich in einer sprachlichen Vielfalt niederschlugen - zum Trotz sind vier Aspekte für eine nachhaltige medizinische Etablierung der Hypnose und ihre zögerliche Loslösung vom Aberglaubensvorwurf hervorzuheben. Erstens war für die wissenschaftliche Diskussion um den therapeutischen Stellenwert der Hypnose die Auseinandersetzung um medizinischen Aberglauben wichtig. Es fiel den Hypnoseforschern deutlich leichter als noch ihren magnetisierenden Vorgängern, vormoderne therapeutische Verfahren der Geistheilung zu beurteilen. Man verfügte nun über eine weit weniger angezweifelte Erklärung für historisch verbürgte Phänomene und konnte deren frühere Auslegungen zugleich als Aberglauben abtun. In seinem vielbeachteten Werk über die Hypnose diskutierte der Berliner Arzt und Sexualwissenschaftler Albert Moll (1862-1939) diesen Zusammenhang. Moll war ein Schüler Virchows und verbreitete in den 1880er Jahren gegen erhebliche Widerstände französische Hypnosetheorien in der Berliner Wissenschaftslandschaft. 102 Wie die Theoretiker des animalischen Magnetismus 100 Hippolyte Bernheim, Die Suggestion und ihre Heilwirkung. Autorisierte deutsche Ausgabe von Sigmund Freud, 2., umgearbeitete Aufl., Leipzig/Wien 1896 (nach der 3. franz. Aufl. von 1890), S. 84 f. Der Begriff „Suggestion" wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem vieldeutigen Modewort, um die Wirkungen der Hypnose und auch Krankheitszustände zu erklären. 101 Vgl. Ellenberger, Entdeckung des Unbewussten, S. 151 f.
284
VI. Verdächtige Neulinge
glaubte Moll, im Hypnotismus eine plausible Erklärung für die großräumige Verbreitung des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Hexenaberglaubens gefunden zu haben. Zentral waren dabei die Begriffe der Massensuggestibilität und der Autosuggestion, auf denen er den konkreten Glauben an die Macht von Teufeln und Hexen fußen sah. Gleiches galt für die Wirkungen sympathetischer Mittel, für Beschwörungen und Zaubermittel. Sogar die Blutungen der bekanntesten Stigmatisierten des 19. Jahrhunderts, Katharina Emmerich und Louise Lateau, deutete er autosuggestiv und versuchte damit, eine hypnotische mit einer religiösen Suggestion zu verbinden. Die Bezeichnungen Selbst- oder Autosuggestion dienten von nun an auch den hypnotischen Therapeuten als Erklärungsmuster für alle Schwierigkeiten, die Wirkungen ihres Heilverfahrens einzuordnen. 103 Sicher blieb die Nähe zum Aberglaubens- und Kurpfuschereivorwurf zunächst noch vorhanden, wohl auch deshalb, weil sich nicht alle hypnotischen Wirkungen vollständig rationalisieren ließen. Auch befaßten sich nach wie vor viele Laientherapeuten mit dieser Heilmethode, indem sie diese ihrem therapeutischen Arsenal hinzufügten, was vielen Ärzten weiterhin ein Dorn im Auge blieb. 1 0 4 Hinzu kam, daß sie den Laienheilern vorwarfen, den Aberglauben ihrer Patienten auszunutzen und oftmals mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. 105 Zwar verwendeten Hypnoseforscher die Bezeichnungen Hypnose, Hypnotismus und Magnetismus eine beträchtliche Zeit noch parallel, aber Hypnose oder Hypnotismus besetzten in einem schleichenden, nicht eindeutig zu datierenden Prozeß doch begrifflich zunehmend die Position des animalischen Magnetismus. Magnetismus oder Mesmerismus wurden mehr und mehr zu historischem Vokabular, um einen mit zahlreichen Makeln belasteten Vor-, wenn nicht sogar Irrläufer auszugrenzen. Die Bezeichnung Hypnose zielte zudem stärker auf den künstlich hervorgerufenen, schlafähnlichen Zustand, der im Trancezustand erreicht werden sollte, und weniger auf die individuelle Beziehung zwischen Arzt und Patient. 106 Wichtig für den dauerhaften 102 Vgl. Albert Moll, Der Hypnotismus. M i t Einschluss der Hauptpunkte der Psychotherapie und des Okkultismus, 4., vermehrte Aufl., Berlin 1907 01889), S. 481489. M o l l war ein herausragender Gegner von Okkultismus und Spiritismus. Zu seiner Rolle bei der Verbreitung der Hypnose in Preußen Otto Winkelmann, Albert M o l l (1862-1939) als Wegbereiter der Schule von Nancy in Deutschland, in: Praxis der Psychotherapie 10 (1965), S. 1-7. 103 Ygj £ Trömner; Hypnotismus und Suggestion, Leipzig 1908, S. 23 f. 104 Vgl. Eugen Dreher, Der Hypnotismus, seine Stellung zum Aberglauben und zur Wissenschaft, Berlin/Neuwied am Rhein 1889, S. 24-27. Trömner, Hypnotismus, S. 50-52. 105 V g L Trömner, Hypnotismus, S. 92-97. 106
Diesen schleichenden sprachlichen Übergang markieren etwa Engelbert Lorenz Fischer, Der sogenannte Lebensmagnetismus oder Hypnotismus, Mainz
2. Übergang zu hypnotischen und suggestiven Therapien
285
Erfolg der Hypnose war der Bruch mit der persönlichen Macht des einzelnen Magnetiseurs, die den animalischen Magnetismus noch maßgeblich in die Tradition religiös-magischer Formen der Geistheilung gestellt hatte. Diese Tradition hatte den Gegnern eine breite Angriffsplattform geboten, von der aus sie, aufgrund des erläuterten Erklärungsnotstands der Befürworter, moralisch-sittliche und aufklärerische Argumente gegen die Heilmethode vortragen konnten. Die Angriffe hatten sich sprachlich um den ausgrenzenden Aberglaubensbegriff herum gruppieren lassen. Die Auseinandersetzung mit den als fehlgeleiteten Hypnosepionieren verstandenen Magnetiseuren im Gefolge Mesmers blieb für den neuen Forschungszweig wohl auch aufgrund deren Bekanntheitsgrades unumgänglich. In keinem ernstzunehmenden Werk über Hypnose fehlt die kritische Distanzierung von ihrem historischen Vorläufer. Die bereits erzielten Erkenntnisse und Fortschritte sah man dabei weitestgehend durch einzelne Scharlatane diskreditiert, zu denen auch Mesmer selbst zählte. Vor allem ihr skandalöses Auftreten und ihre spekulativen Theorien galten als verantwortlich für die Schwierigkeiten, von denen hypnotische und suggestive Therapien nicht ganz freizusprechen waren. Vermutlich auch deshalb forderten viele Mediziner ein wissenschaftliches und gleichzeitig vorsichtiges Erforschen hypnotischer Zustände, zumindest wollten sie dies nicht weiter umherreisenden Magnetiseuren überlassen. Bernheim brachte die Vorbehalte 1890 auf den Punkt: „Die Wahrheit war lange Zeit durch einen Haufen wüster Gaukeleien und abgeschmackter Hirngespinste so vollständig verhüllt, dass sich die Geschichte des thierischen Magnetismus als eine der grössten Verirrungen des menschlichen Geistes darstellt". 1 0 7
Dazu grenzte er seine Suggestionstherapie gegenüber dem animalischen Magnetismus und dessen Gleichsetzung mit anderen „vorwissenschaftlichen" und damit abergläubischen Heilweisen ab, um seine eigene wissenschaftliche Leistung herauszustreichen. Erst mit seiner Theorie sei es möglich, die schon immer ausgeübte Therapieform der Suggestion von ihren historischen Altlasten zu befreien und den Aberglauben in der Medizin endgültig zu beseitigen. Wie wichtig dieser Faktor in seiner Beweisführung war zeigt, daß er die erste Lektion seiner aus zehn Vorlesungen und einigen klinischen Beobachtungen bestehenden „Neuen Studien über Hypnotismus" wie folgt Schloß: 1883, hier S. 1 und S. 8. Joh. G. Sallis, Der tierische Magnetismus (Hypnotismus) und seine Genese. Ein Beitrag zur Aufklärung und eine Mahnung an die Sanitätsbehörden, Leipzig 1887. 107 Bernheim, Suggestion, S. 101. Daß keine unmittelbare Kontinuität zwischen den frühen Mesmeristen und Suggestionstheoretikern des letzten Jahrhundertdrittels herzustellen ist, betont Paul Hoff, Der Einfluß des Mesmerismus auf die Entwicklung der Suggestionstheorie in Deutschland, med. Diss, masch., Mainz 1980, hier S. 98 f.
286
VI. Verdächtige Neulinge
„Nichts anderes als Suggestivtherapie steckte hinter allem geheimen Kram der alten Magie und steckt noch jetzt hinter den magischen Künsten wilder Völker [...]. Während des ganzen Mittelalters und bis zum letzten Jahrhundert lag sie zu Grunde dem Spuk des Hexenwesens, den Exorcismen [...]. Unserem Zeitalter blieb es vorbehalten, das volle Licht über diesen Gegenstand zu verbreiten, einen klaren Begriff der wissenschaftlichen Lehre von der Suggestion zu bilden, vor dem alle Verirrungen der Phantasie und alle Ausschweifungen des Aberglaubens, welche die arme Menschheit so lange verblendet haben, schwinden müssen". 1 0 8
Der Bruch mit der medizinischen Vorgeschichte erwies sich für Bernheims Argumentation konstitutiv. Die in der Freudschen Übersetzung gewählte Formulierung „das volle Licht" knüpft nicht von ungefähr an aufklärerische Positionen an, denn auch Bernheim formte „Aberglauben" zur wohlbekannten Formel, um das vermeintlich Überholte zu diskreditieren. Wie bereits die Anhänger des animalischen Magnetismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts, glaubte er sich mit der Suggestivtherapie auf einer höheren wissenschaftlichen Stufe angekommen, die es ihm erlaube, veraltete Methoden bis auf ihren wahren und wertvollen Kern zu verwerfen. Hier hatte sich der wissenschaftliche Fortschrittsmythos faßlich Bahn gebrochen. 109 Daneben ist das Argumentationsmuster zu beobachten, daß Bernheim mit der Suggestion den Glauben an die Wirksamkeit von Wundern, Hexen und Teufeln erklären wollte; damit wurde er den historischen Quellen allerdings kaum gerecht. Auch die erfolgreichen Gebetsheilungen Hohenlohe-Schillingsfürsts oder die Wunderheilungen in Lourdes erklärte Bernheim weitgehend mit der Suggestion. 110 Die alten Deutungsmuster galten ihm - und damit stülpte er ihnen gewaltsam sein eigenes Weltbild über - als Ausdruck des historischen Aberglaubens, der nun von der medizinisch-wissenschaftlichen Therapie „Suggestion" zu trennen war. Suggestion diente ihm damit auch als rationale Reduktionsformel, um bisher nicht erklärbare und als Aberglauben ausgegrenzte Heilungen oder Therapien im nachhinein wissenschaftlich einzubinden. Zweitens trug die zunehmende therapeutische Konzentration auf bestimmte Krankheiten entscheidend dazu bei, die Hypnose zu etablieren und vom Aberglaubensballast zu befreien. Man verzichtete vollkommen auf den 108
Hippolyte Bernheim, Neue Studien ueber Hypnotismus, Suggestion und Psychotherapie, uebersetzt von Sigmund Freud, Leipzig/Wien 1892, S. 15. Dazu Heinz Schott, Die „Suggestion" und ihre medizinhistorische Bedeutung, in: Eduard Seidler/Ders. (Hg.), Bausteine zur Medizingeschichte. Heinrich Schipperges zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1984, S. 111-121. Ders., Zum Verhältnis von Glaube (Aberglaube) und Medizin in der Geschichte, in: Böhme, Glaube und Aberglaube, S. 15-26. 109 Dazu Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, München/Wien 1976, vor allem S. 197-214. 110 Vgl. Bernheim, Suggestion, S. 189-192.
2. Übergang zu hypnotischen und suggestiven Therapien
287
mesmeristischen Anspruch, ein Universalheilmittel entdeckt zu haben, denn mit dem Übergang zur Hypnose beschränkten sich Ärzte und Wissenschaftler zunehmend auf die Therapie nervlich verursachter Krankheiten. Ein Kernpunkt für den Erfolg der hypnotischen Heilmethode liegt dabei in einem zeitgenössischen Wahrnehmungswandel gegenüber Krankheiten. Für die Darstellung dieses Prozesses kann auf erste Ergebnisse einer noch wenig konturierten Tempo- und Körpergeschichte zurückgegriffen werden. Ohne sich auf die theoretische Debatte um die Hypnose zu beziehen, versuchte Joachim Radkau die wilhelminische Epoche unlängst als „nervöses Zeitalter" einzufangen. 111 Danach galten den Zeitgenossen zwischen 1880 und 1910 Nervosität und Nervenschwäche als typische Merkmale der Zeit. Auch wenn bereits um 1800 Nervenleiden registriert worden waren, traten psychosomatische Störungen als typische Begleiterscheinungen einer beschleunigten Modernitätserfahrung verstärkt erst nach der Jahrhundertmitte auf. 1 1 2 Zur nun intensivierten Behandlung von Krankheiten wie Kopfschmerzen, Melancholie oder Hysterie, deren Ursache viele Ärzte mittlerweile in einer Nervenschwäche sahen, verfügten sie mit der Hypnose über eine akzeptable Therapie. Übersehen werden darf dabei jedoch nicht, daß die neue Therapie bereits bekannte Symptome nun einem neuen Krankheitsbild zuordnete, der Medikalisierungsprozeß also die menschlichen Nervenbahnen erreichte. Auch wenn bereits seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert Zeitgenossen immer wieder von einem „Zeitalter der Nervosität" sprachen - womit vor allem eine Zunahme des „Lebenstempos" gemeint war - , so läßt sich doch ein Paradigmenwechsel im medizinischen und auch sozialen Umgang mit Krankheit am Ende des 19. Jahrhunderts erkennen, auf den Edward Shorter eindringlich hingewiesen hat. Dieser Wandel ist in den von Bernheim hypnotisch therapierten Krankheiten und seinen Diagnosen durchaus wiederzufinden. 113 Danach deuteten Mediziner nervöse Symptome bis etwa 1870 ganz vorwiegend reflextheoretisch, d.h. über die Nervenbahnen 111
Vgl. Joachim Radkau, Die wilhelminische Ära als nervöses Zeitalter, oder: Die Nerven als Netz zwischen Tempo- und Körpergeschichte, in: GG 20 (1994), S. 211-241. Ders., Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler 1871-1933, München 1998, hier S. 263-271. Dazu auch Peter Gay, Die zarte Leidenschaft. Liebe im bürgerlichen Zeitalter, München 1987, S. 331-354. Freilich waren Nervenleiden das gesamte 19. Jahrhundert hindurch ein bevorzugtes Untersuchungsobjekt von magnetisierenden Ärzten. Vgl. Johann Graf Mailâth, Der animalische Magnetismus als Heilkraft, Regensburg 1852, der die Studie allen „Nervenleidenden" widmet. Ein gelungenes Beispiel für medizinhistorische Fragestellungen im Kontext beschleunigter Modernitätserfahrungen bietet Matthias Lentz, „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht". Lärm, Großstadt und Nervosität im Spiegel von Theodor Lessings „Antilärmverein", in: MedGG 13 (1994), S. 81-105. 112 A m Beispiel der Eisenbahnreisen Wolf gang Schivelbusch, Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1989 ( ! 1977), hier S. 106-113.
288
VI. Verdächtige Neulinge
konnte sich Nervosität an jedem beliebigen Organ äußern. Entsprechend versuchten Ärzte, die Symptome durch eine direkte Behandlung der betroffenen Organe zu therapieren - das magnetische Bestreichen konnte sich eben auch auf einen bestimmten Körperteil beschränken. Nach 1870 gewannen zwei andere Deutungsmuster für nervöse Krankheiten an Bedeutung. Einesteils ging man von einem direkten Befall des Zentralnervensystems mit den Krankheitserregern aus. Diese Sicht leitete bis zum Ende des Ersten Weltkriegs die therapeutischen Maßnahmen. Andererseits deutete man nervöse Symptome psychologisch. Der Triumphzug dieser Richtung begann allerdings erst nach 1918. Die Hypnose war ein wesentlicher Baustein dieses Wandels, galten doch vor allem die Nerven als krankheitsverursachend. Die gestiegene Akzeptanz dieser nicht immer exakt nachweisbaren Heilungen - ganz im Gegensatz zu dem universal wirksamen magnetischen Fluidum - trug dazu bei, den Aberglaubensvorwurf in den Hintergrund treten zu lassen. Offenkundig hing dieser Wandel mit einer gestiegenen Wissenschaftsgläubigkeit zusammen, fehlte doch ein endgültiger Beweis des hypnotischen Einflusses auf das Nervensystem, zumal nicht alle Nervenleiden therapierbar waren. Dennoch erreichte der Medikalisierungsprozeß im letzten Jahrhundertviertel zweifellos die Köpfe der Patienten, d.h. man war viel eher bereit, nicht exakt lokalisierbare Symptome als Krankheit und sich selbst als krank zu begreifen. Für diese Krankheit mußte es eine Therapiechance geben. Die im Vergleich zur therapeutischen Allzweckwaffe Mesmerismus (Vgl. Tabelle 3, S. 280) geringere Bandbreite der behandelten Krankheiten wenn man von unscharfen Kategorien wie „Schmerzen" absieht - schützte ein beträchtliches Stück weit vor dem Aberglaubensvorwurf. Dies zeigt eine Zusammenstellung der vor 1886 von Braid behandelten Krankheiten. Weitaus eindeutiger als es 1821 in den Berliner Magnetismuspraxen der Fall war, dominierten im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts nervlich bedingte Störungen, die hypnotisch behandelt wurden (1, 3, 4, 9). In der Praxis vermischten sich neue und alte Elemente allerdings, was zu einer eigentümlichen Auflösung des animalischen Magnetismus in hypnotischen und suggestiven Therapien führte. Für die psychotherapeutische Wende war wohl weniger die obrigkeitliche Unterdrückung von Magnetiseuren verantwortlich, wie dies in der Forschung teilweise angenommen wird, als vielmehr die spektakulären Erfolge der hypnotischen Versuche und die neue Aufgeschlossenheit verschiedener Wissenschaftsinstitutio-
113 Vgl. Shorter , Moderne Leiden, S. 341-391, hier S. 360-371. Zur sozialen Konstruktion von „Krankheit" verschiedene Beiträge in Jens Lachmund/Gunnar Stollberg (Hg.), The Social Construction of Illness. Illness and Medical Knowledge in Past and Present, Stuttgart 1992.
2. Übergang zu hypnotischen und suggestiven Therapien
289
Tabelle 4 M i t der Hypnose vor 1886 behandelte Krankheiten 3 Nr.
Krankheitsformen
1
Organische Erkrankungen des Nervensystems
2
geheilt
gebessert
ungeheilt
Insgesamt
7
2
1
10
Hysterie
15
1
1
17
3
Neuropathien
15
3
-
18
4
Neurosen
12
3
-
15
5
Dynamische Lähmungen
3
-
3
6
Affektionen des Magendarmkanals
1
_
4
7
Schmerzen
12
8
Rheumatismus
14
9
Neuralgien
3
Menstruationsstörungen
2
10
Insgesamt
84
-
3
-
12
5
-
19
2
-
5
-
-
2
19
2
-
105
a Zusammengestellt nach Bernheim, Neue Studien über Hypnotismus, S. 206-209, der seine Beobachtungen über hypnotische Erfolge 1886 zusammenfaßte. Bernheim führt noch die Kategorien „langsame Heilung" (7), „vorübergehende Heilung" (2), „fast vollständige Heilung" (1) und „unvollständige Heilung" (1) an, die in der Tabelle unter „gebessert" zusammengefaßt sind.
A l s herausragendes Beispiel dafür kann der dänische Kaufmann und - so bezeichnete er sich selbst - Magnetiseur Carl Hansen gelten, der 1879/80 Deutschland und Österreich bereiste und dessen Auftritte i n Preußen zu staatlichen Eingriffen und neuen gesetzlichen Regelungen i n Sachen M a gnetismus und Hypnose führten. Hansen, der alle Höhen und Tiefen eines unsteten Gauklerlebens erlebte, versetzte F r e i w i l l i g e aus seinem P u b l i k u m mittels eines Glasstücks i n einen schlafähnlichen Zustand und führte m i t ihnen verschiedene Kunststücke durch, ließ sie etwa quakend und bellend 114
Im Gegensatz zu dieser These haben Heinz Schott und Barbara Wolf-Braun neben einer „psychotherapeutischen Wende" der 1850er Jahre vor allem obrigkeitliche Unterdrückung als Grund für einen Niedergang des Mesmerismus ausgemacht. Vgl. Dies., Zur Geschichte der Hypnose und der Entspannungsverfahren, in: Dieter Vaitl/Franz Petermann (Hg.), Handbuch der Entspannungsverfahren, Bd. 1: Grundlagen und Methoden, Weinheim 1992, S. 113-133. 19 Frey tag
290
VI. Verdächtige Neulinge
über die Bühne hüpfen. 115 Hier erinnerten nicht nur die spektakulären Auftritte an das späte 18. und frühe 19. Jahrhundert, sondern greifbar wird auch die zeittypische Mischung der hypnotischen Praxis aus Medizin, Sensation und Geschäft. Hansens dauerhaftes Verdienst liegt in dem Anstoß, den er der wissenschaftlich-medizinischen Beschäftigung mit der Hypnose in Deutschland gab. Vor allem sein Breslauer Auftritt am Neujahrstag 1880 sorgte für Furore, gelang es dem Copperfield jener Jahre doch, mehrere Ärzte der Stadt zu hypnotisieren, die sich in der Folge dann ernsthaft mit dieser neuen Heilmethode befaßten. Drittens ist die behördliche Haltung gegenüber der Hypnose zu beachten, die weniger von aufklärerischen Absichten geleitet war als noch zu Beginn des Jahrhunderts, obwohl hier die Bezüge zum Aberglaubensvorwurf am greifbarsten waren. Das preußische Kultusministerium ließ 1881 die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen ein Gutachten über die Veranstaltungen Hansens erstellen. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage nach der Gesundheit der Hypnotisierten. 116 Obwohl die Deputationsmitglieder offenkundig keine persönlichen Erfahrungen mit Hansens Kuren gemacht hatten, kamen sie zu dem Fazit, Schädigungen der Hypnotisierten seien keinesfalls auszuschließen. Die Deputation stützte sich bei ihrem Gutachten vor allem auf eine Studie Rudolf Peter Heinrich Heidenhains. Dieser war Professor für Physiologie in Breslau und durch die Auftritte Hansens zu seinen Beobachtungen angeregt worden, weil „die Erscheinungen, wie sie Hr. Hansen vorführt, zu einer neuen Form des Aberglaubens verleiten" und er gegen die verbreitete Annahme einschreiten wollte, daß es sich dabei um Spiritismus handle. 1 1 7 Bewußt instrumentalisierte Heidenhain damit wissenschaftliche Argumente, um einem vermeintlichen Aberglauben zu begegnen. Dazu stufte er die hypnotischen Zustände als künstlich erzeugte Katalepsie ein, bei der das Bewußtsein unterdrückt werde, weshalb gesundheitliche Schäden durchaus möglich seien. 118 Daß die Deputation und in 115 Hansens Auftritte beschreibt knapp Shorter , Moderne Leiden, S. 261-265. Für Shorter handelt es sich bei dem schlafähnlichen Zustand um eine „kataleptische Starre". Carl Willmann, Moderne Wunder. Natürliche Erklärung der neueren und älteren Geheimnisse der Spiritisten und Antispiritisten, Geistercitierer, Hellseher, Gedankenleser, Heilmedien, Mnemotechniker, Rechenkünstler sowie der neueren sensationellen Wunder und Darstellungen aus dem Gebiete der Optik, Physik und Mechanik, ND der 3. Aufl., Leipzig 1897, Zürich 1979, S. 195-197. Zu Carl Hansen (1833-1897) Karl Friedrich Zöllner; Die trancendentale Physik und die sogenannte Philosophie, 4 Bde., Leipzig 1878-1881, hier Bd. 3, S. 556-558. 116 Konzept des Gutachtens der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen vom 13.4.1881, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I B, Nr. 1324, Bl. l r - l l r . 117 Rudolf Peter Heinrich Heidenhain, Der sogenannte thierische Magnetismus. Physiologische Beobachtungen, 3., vermehrte Aufl., Leipzig 1880, S. 4. 118 Vgl. ebenda, S. 34-37.
2. Übergang zu hypnotischen und suggestiven Therapien
291
ihrem Gefolge auch die Ministerialbürokratie Heidenhain hierin folgten, markiert keinen grundsätzlichen Unterschied zum frühen 19. Jahrhundert und dem Umgang mit dem animalischen Magnetismus. Allerdings spielten neben den medizinisch-wissenschaftlichen Argumenten der Deputation zwei weitere Überlegungen für ein am 12. Mai 1881 vom Innen- und Kultusministerium erlassenes Verbot der Vorstellungen Hansens eine herausragende Rolle, welche die staatliche Haltung deutlicher in die Umgangstradition mit dem animalischen Magnetismus stellte. 119 Der Polizeipräsident von Frankfurt am Main befürchtete nicht nur Störungen von „Ruhe und Ordnung", sondern gemeinsam mit dem zuständigen Kreisphysiker glaubte er darüber hinaus, daß durch solche öffentlichen Veranstaltungen „dem Aberglauben Thür und Thor geöffnet u[nd] eine Verleitung zum Mißbrauch u[nd] zu unbefugten Nachahmungen nahe gelegt werde". 1 2 0 Mit dem Hinweis auf einen möglichen „Mißbrauch" klangen zugleich Befürchtungen an, den Teilnehmern könnten Verbrechen suggeriert werden. Sie bedeuteten eine andere Qualität behördlicher Bedenken, da dies beim animalischen Magnetismus so noch keine Rolle gespielt hatte. 1 2 1 Der aufgrund der Vorführungen Hansens entwickelte behördliche Erlaß bildete jedenfalls bis zum Ende des Kaiserreichs die Grundlage für den staatlichen Umgang mit Hypnotiseuren, denen nach Aufhebung des Kurpfuschereiparagraphen Kuren nicht grundsätzlich untersagt werden konnten. Auch 1895 führten ministerielle Korrespondenzen zu keiner konkreten Änderung der Haltung. Dennoch zeigen sie unterschiedliche Interessenlagen innerhalb der Berliner Zentrale. Das Innenministerium beabsichtigte, gegen Hypnotiseure gesetzlich wegen „Freiheitsberaubung" und „Körperverletzung" vorzugehen, um gesundheitliche Schädigungen zu vermeiden. Das Kultusministerium hingegen hielt ein Eingreifen nicht für sinnvoll und stützte sich dabei auf eine Abhandlung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, welches hypnotische und suggestive Phänomene für noch zu wenig erforscht hielt, um sie rigoros zu unterbinden. 122 Allerdings stufte die Studie 119 Erlaß Innen- und Kultusministerium vom 12.5.1881, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I B, Nr. 1324, Bl. 17; Abschrift in: L H A K , Best. 441, Nr. 23066. 120 Konzept des Gutachtens der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen vom 13.4.1881, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I B, Nr. 1324, Bl. l r - l l r , Zitat Bl. 4r. 121 Vgl. Stefan Andriopoulos, Besessene Körper. „Criminelle Suggestion" und „Körperschaftsverbrechen" in Literatur, Medizin und Rechtswissenschaft des späten 19. Jahrhunderts, in: Scienta Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur und der Wissenschaften 2 (1998), S. 129-150. Werner Lucas, Der Hypnotismus in seinen Beziehungen zum deutschen Strafrecht und Strafprozeß, Berlin/Bonn 1930. August Forel, Der Hypnotismus. Seine psychologische, psychophysiologische und therapeutische Bedeutung oder die Suggestion und Psychotherapie, 5., umgearbeitete Aufl., Stuttgart 1907, hier S. 249-274.
19*
292
VI. Verdächtige Neulinge
Hypnose nicht als völlig ungefährlich ein, da Hypnotisierte „einer hochgradigen Willensbeschränkung" unterworfen und daher Verbrechen nicht auszuschließen seien. Deshalb drängte das Gesundheitsamt darauf, die Ausübung nur Wissenschaftlern oder psychologisch ausgebildeten Medizinern zu gestatten, was indes mit der Gewerbeordnung nicht vereinbar war. 1 2 3 So beschränkten sich die Ministerien in der Folge weitgehend darauf, Auswüchse zu verhindern und den hypnotisch-magnetischen Gesundheitsmarkt genaustens zu beobachten. In dieses Bild fügt sich ein ministerieller Erlaß vom 5. April 1902, nach dem alle preußischen Kreisärzte und Polizeibehörden über nichtapprobierte Hypnotiseure berichten mußten. Während der Rücklauf 1902 noch ein eher geringes Interesse rheinpreußischer Ärzte und Laientherapeuten an der Hypnose ausweist, bot sich nur vier Jahre später ein verändertes B i l d . 1 2 4 Bei einer preußenweiten Erhebung fanden sich 1906 insgesamt 210 „Kurpfuscher", die Hypnose oder hypnoseähnliche Therapien anwandten, darunter allein 97 aus Berlin. Die Verteilung in der Rheinprovinz, hier betätigten sich insgesamt 45 Personen, weist aus, daß es sich in erster Linie wohl um ein städtisches Phänomen handelte. Der größte Teil der Hypnotiseure war in den Regierungsbezirken Köln (18) und Düsseldorf (21) tätig, dagegen in den übrigen nur sechs: Aachen (4), Koblenz (2) und Trier ( 0 ) . 1 2 5 Nur selten gelang es den Betrugs zu belangen. Gerade enheilern zu argumentieren, relevant sei, da sie ohnehin
Behörden, Magnetopathen gerichtlich wegen die hypnotische Therapie ermöglichte es Laidaß eine exakte Diagnose weitgehend irauf den ganzen Körper wirke, wie 1902 der
122 Kultusministerium an Innenminister Ernst Matthias von Koller vom 12.8.1895; Abhandlung des kaiserlichen Gesundheitsamts über Hypnose und Suggestion vom 25.6.1895, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I B, Nr. 1324, Bl. 29r-30v und Bl. 34r-44r. 123 Abhandlung des Kaiserlichen Gesundheitsamts über Hypnose und Suggestion vom 25.6.1895, in: ebenda, Bl. 41 v. Vergleichbar argumentierten die Behörden in anderen deutschen Staaten. Entschließung bayerisches Innenministerium vom 15.11.1893, in: LAS, Landratsamt St. Ingbert, Nr. 291. Zum Kaiserlichen Gesundheitsamt Göckenjan, Kurieren und Staat machen, S. 327-335. 124 Übersicht über die Anwendung der Hypnose bei der Behandlung von Kranken durch nicht approbierte Heilpersonen nach dem Runderlaß vom 5.4.1902, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I B, Nr. 1324, Bl. 220r-223r. Für die Rheinprovinz meldeten die Behörden lediglich zwei Fälle. Regierungspräsident Hans Dietrich von Holleuffer (Düsseldorf) an Kultusministerium vom 11.12.1902; Regierungspräsident Max von Balan (Köln) an Kultusministerium vom 1.3.1903, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I B, Nr. 1325, Bl. 38r-41v. 125 Anwendung der Hypnose, Suggestion, des Magnetismus und ähnlicher Verfahren bei der Behandlung von Kranken durch Kurpfuscher und Ärzte nach dem Erlaß vom 13.6.1906, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I B, Nr. 1324, Bl. 248r-249v.
2. Übergang zu hypnotischen und suggestiven Therapien
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Magnetopath Vigano aus Düsseldorf vor Gericht angab, um sich für eine falsche Behandlung zu rechtfertigten. 126 So überrascht es kaum, daß die preußische Verwaltung alternative Wege suchte, um die medizinische Gewerbefreiheit zu unterhöhlen. Dem Düsseldorfer Magnetopathen Ludwig Tormin, der seit 1885 in der Stadt eine offensichtlich sehr erfolgreiche Heilpraxis unterhielt, versuchten sie 1898 „unlauteren Wettbewerb" nachweisen, da dieser mit Danksagungen von geheilten Patienten in der lokalen Presse warb. Bereits zuvor waren mehrere Versuche gescheitert, diesen Magnetiseur, der mit seiner Methode vor allem Nervenkrankheiten und -Störungen kurierte, wegen fahrlässiger Tötung und Betrug gerichtlich zu belangen. Einen weiteren klassischen Verdacht gegenüber dem Magnetismus sahen die preußischen Behörden allerdings auch bei der Hypnose aufs Neue wieder bestätigt: die negativen sittlichen Folgen dieser Therapie. Gerade weibliche Medien ließen sich danach unter Hypnose leicht verführen, was die Verwaltung wiederholt monierte. 127 Viertens sind schließlich der ansteigende Organisationsgrad und die Professionalisierung der Magnetiseure, Magnetopathen oder Hypnotiseure hervorzuheben. Offenbar fand die Hypnose stärkeren Rückhalt in der Ärzteschaft als dies noch beim Magnetismus der Fall gewesen war. Eine Professionalisierung der hypnotisch tätigen Mediziner oder Laienheiler ist an zwei Punkten besonders gut meßbar. Einerseits organisierten sich die deutschen Heilmagnetiseure reichsweit in einer Standesvereinigung, die sich 1887 in einer Petition an den Reichstag wandte, um die von Schulmedizinern geforderte Wiedereinführung des Kurpfuschereiparagraphen zu torpedieren. 128 Dieser Prozeß verlief weitgehend parallel zu der bereits im Rahmen der Naturheilkunde festgestellten Institutionalisierung. 129 Andererseits sind aber auch die bereits im Zusammenhang des behördlichen Umgangs mit Laienheilern erwähnten Gesuche, sich magnetisch oder hypnotisch betätigten zu dürfen, beachtenswert. Während sich die Bittsteller in den erhaltenen Akten des Kultusministeriums bis 1870 zumeist mit ihren Berufsangaben an den König wandten, traten sie ihm danach überwiegend als Magnetopathen oder 126
Zeitungsausschnitt Ärztliches Correspondenzblatt für Niedersachsen 1 (1902), Nr. 18, S. 145, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I B, Nr. 1329. 127 Konzept Landrat Carl Möllenhoff (Solingen) an Kreisphysiker Wiesemer vom 29.3.1890, in: HStAD, Best. Landratsamt Solingen, Nr. 110, Bl. 5; Balan (Köln) an Kultusministerium vom 1.3.1903, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I B, Nr. 1325, Bl. 41. 128 Petition der deutschen Heilmagnetiseure (Leipzig) an den Reichstag vom 25.10.1887, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2199, Bl. 144r-145v. 129 Vgl. Regln, Naturheilkundige und Naturheilbewegung. Gunnar Stollberg, Die Naturheilbewegung im Deutschen Kaiserreich, in: AfS X X V I I I (1988), S. 287-305.
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VI. Verdächtige Neulinge
Magnetiseure entgegen, verzichteten also auf eine andere Angabe. Wenngleich die Behörden 1881 „öffentliche Veranstaltungen" untersagt hatten, führte dies in den folgenden Jahrzehnten lediglich dazu, daß Hypnotiseure ihre Vorführungen auf Vereinsveranstaltungen beschränkten, die nicht als „öffentlich" eingestuft werden konnten, solange nur Vereinsmitglieder teilnahmen. 130 Damit gelang ihnen ein beträchtliches Stück weit der Anschluß an die Naturheilbewegung. Einer weiterer greifbarer Unterschied zum Magnetismus der ersten Jahrhunderthälfte lag in der offensiven, öffentlichen Werbung für die eigenen Fähigkeiten. Bei einer ministeriellen Umfrage ergab sich 1897 wohl auch deshalb, daß die Regierung in Köln vorrangig Magnetopathen zu den gefährlichsten Pfuschern zählte. Sie begründete ihre Haltung, indem sie darauf hinwies, daß gerade diese Gruppe von Kurpfuschern für ihre medizinischen Dienstleistungen in öffentlichen Blättern überaus aggressiv mit Patiententestaten warb. 1 3 1 Diese Testate veröffentlichte etwa Ludwig Tormin als Werbeanzeigen in den Zeitungen, um auf seine Praxis aufmerksam zu machen. 132 Tormin vermied in seinen Anzeigen, in denen er auch sein Heilverfahren beschrieb, den ausdrücklichen Hinweis auf die Tradition des animalischen Magnetismus, betonte allerdings, es handle sich keinesfalls um den neumodischen Hypnotismus - ein weiterer Beleg für Mischformen innerhalb der therapeutischen Praxis. Als Gewährsleute dienten ihm vor allem Goethe, Carus und Alexander von Humboldt, weshalb er seine Therapie auch als Lebensmagnetismus bezeichnete. 133 Der Düsseldorfer Magnetopath perfektionierte seine Vorgehensweise, mit Patiententestaten zu werben. So gab er bereits in den 1880er Jahren gemeinsam mit seinem später in Wiesbaden tätigen Kollegen Philipp Kramer eine 32seitige Werbebroschüre heraus, die mit Berichten über magnetische Heilungen gespickt war und 1890 bereits die 17. Auflage erreichte. 134 In dieser Schrift erläuterten die beiden 130 Regierung Stade an Kultusministerium vom 11.11.1899, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I B, Nr. 1325, Bl. 60r-61v. 131 Zusammenstellung der auf den Erlaß vom 9.10.1897 eingegangenen Berichte der Regierungs- und Oberpräsidenten, die Kurierfreiheit betreffend, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I B, Nr. 1328. 132 Regierungspräsident Rheinbaben (Düsseldorf) an Oberpräsident Nasse vom 19.5.1898, in: L H A K , Best. 403, Nr. 11070, S. 185-188. 133 Werbezettel Tormin, in: ebenda, S. 453 f. 134 Der Titel der Broschüre lautet Magnetische Heilungen von Kramer und Tormin. Düsseldorf, Sternstr. 20a, Empfangsstunden 9 - 1 Uhr, auch an Sonn- und Feiertagen, Düsseldorf 17 1890. Ein Exemplar befindet sich in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2199, Bl. 191r-207v. Der gleiche Tenor bei Philipp Kramer, Der Magnetismus in Wiesbaden und sein Kampf mit der Schul=Medizin. Ein Beitrag zur Geschichte der Heilkunde, Wiesbaden 1890. Ein Exemplar befindet sich in: ebenda, Bl. 223r-240v. Kramer und Tormin berichteten über ihre Aktivitäten und Erfolge auch immer wieder in der spiritistischen Presse.
3. Spiritistischer Geisterglauben
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Laienheiler neueren Typs ihre Vorgehensweise detailliert. Zur Heilung seien in der Regel sieben bis vierzehn heil- oder lebensmagnetische Sitzungen nötig, allerdings sei der Erfolg vom Grad der Empfänglichkeit des Patienten abhängig. Bemerkenswert ist, daß sie sich auch hier überdeutlich von Hypnotiseuren distanzierten. Die Kraft, die sie - wie alle richtigen Magnetiseure - auszeichne, begriffen sie im Anschluß an die magnetischen Theorien des Chemikers Karl Freiherr von Reichenbach (1788-1859) als Odkraft: „Und vermöge dieser Essenz werden die magnetischen Heilungen bewerkstelligt". 135 Für Tormin und Kramer, und das unterschied sie greifbar von wissenschaftlich-medizinischen Hypnosetheorien, blieb die Heilung an die Fähigkeiten des einzelnen Magnetiseurs gebunden. Einesteils zeigt dies, wie sehr man in der hypnotisch-magnetischen Praxis mit therapeutischen Mischformen und Bezügen zum animalischen Magnetismus zu rechnen hat, weshalb der schulmedizinische Kurpfuschereivorwurf nur wenig überrascht. Dennoch ist ein charakteristischer Wandel zum frühen Magnetismus zu erkennen, der unübersehbar mit der Gewerbefreiheit zusammenhing. Andernteils aber konnten sich Hypnotiseure nicht vollständig von der spiritistischen Bewegung lösen, diente doch Reichenbachs Od auch dazu, das Tischrücken zu erklären.
3. Spiritistischer Geisterglauben zwischen Aberglauben und wissenschaftlichem Anspruch Mit dem Spiritismus entstand seit den 1850er Jahren auch in Preußen und im Deutschen Bund eine Bewegung, die umgehend zu einer neuen Zielscheibe für den Aberglaubensvorwurf wurde. Nach den berühmt-berüchtigten Anfängen 1847 im Haus der Familie Fox in Hy des ville (Staat New York) und in Stratford (Connecticut) breitete sich die spiritistische Bewegung in einer für die Mitte des 19. Jahrhunderts untypischen Migrationsrichtung - zumindest wenn man die Auswanderungszahlen gerade der Reaktionsdekade in den Blick nimmt - von der Neuen in die Alte Welt aus. 1 3 6 Vgl. Kramer, Heilmagnetismus, in: NSB 4 (1886), Nr. 25, S. 4. Oers., Heilmagnetismus und Polizei, in: NSB 5 (1887), Nr. 14, S. 3 f. [ - ] , Der Magnetismus am Rhein, in: NSB 14 (1896), Nr. 8, S. 31. 135 Vgl. Kramer, Magnetismus, S. 2. Zur Odkraft Lehmann, Aberglaube, S. 308311. Reichenbach nannte die unbekannte Kraft Od, die dafür sorgte, daß Gegenstände, die dem Licht ausgesetzt waren, auch wieder Licht im Dunkeln abstrahlten (vom isländischen Odr=Gefühl). Lohr, Aberglauben, S. 117-120. 136 Vgl. Ellenberger, Entdeckung des Unbewussten, S. 134 f. Zu den amerikanischen Ereignissen und der ersten Rezeptionswelle in Europa Lehmann, Aberglaube, S. 277-308. Unter Spiritismus wird die Lehre und Praxis von der Beschwörung von Geistern verstanden, die sich materialisieren oder in verschiedenen Formen mit dem Diesseits kommunizieren. Auch wenn unter Spiritualismus philosophisch ebenfalls
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VI. Verdächtige Neulinge
1847 erschien der epochemachende Bestseller des Spiritismuspapstes Andrew Jackson Davis (1826-1910) über die Prinzipien der Natur, der bis zur Jahrhundertwende 40 umfangreiche Auflagen und zahlreiche Übersetzungen erlebte. Davis malte das Leben der Geister in einer anderen Sphäre in den hellsten Farben, prophezeite ein besseres Leben im Jenseits und in absehbarer Zukunft auch im Diesseits. Den religiös-sozialen Inhalt der Naturund Geisterphilosophie Davis' setzten viele Spiritisten in den USA und England begeistert und programmatisch u m . 1 3 7 Maßgeblich für die einschlägigen Erfolge der neuen Bewegung aus Übersee dürfte zweitens das spektakuläre, aber dennoch einfache Tischrücken gewesen sein. Das Tischrücken oder auch Tischtanzen konnten und wollten alle probieren, ohne gleich als Spiritisten gelten zu müssen. Das bekannteste Verfahren bestand darin, daß sich alle Beteiligten um einen Tisch setzten - sie bildeten damit den sogenannten Zirkel - und die Hände auf ihn legten. Bei erfolgreichen Sitzungen stellten sich nach kurzer Zeit Klopfgeräusche („Raps") ein, oder der Tisch begann, sich auf und ab zu bewegen. Um mit den für diese Bewegungen verantwortlichen Geistern zu kommunizieren, wurde ein Klopfalphabet entwickelt, das es erlaubte, Fragen zu beantworten. 138 In jedem Fall steigerte all dies den Bekanntheitsgrad des Spiritismus und war allen eingängig: „La Danse des Tables" wurde zum einprägsamen Bild für die Geisterkontakte der spiritistischen Bewegung. Hinter dem Tischtanzen verbirgt sich indes mehr als nur Müßiggang und die Lehre zu begreifen ist, daß alles Materielle Erscheinungsform eines Geistes ist, so wird die Bewegung der Spiritualisten um die Jahrhundertwende doch eher dem Spiritismus zuzuordnen sein. Artikel „Spiritismus", in: HDA, Bd. 8, Sp. 285-303. Zur Unterscheidung innerhalb der spiritistischen Bewegung vgl. [ - ] , Verzeichniß der im Spiritualismus üblichen Bezeichnungen, in: NSB 8 (1890), Nr. 51, S. 201 f. Danach bezieht sich Spiritismus ausschließlich auf die französische Variante nach Allan Kardec. Dagegen gibt es im englischsprachigen Raum lediglich die Bezeichnung Spiritualism. Linse, Geisterseher, S. 189 f. Ein knapper Überblick zur Auswanderung bei Siemann, Staatenbund, S. 90-93. 137 Andrew Jackson Davis, The Principles of Nature, her Divine Relevations, and a Voice to Mankind, 2 Bde., London 1847. Bemerkens werterweise sind Davis' Überlegungen wie Mesmers Spätwerk von egalitär-demokratischen Gedanken durchzogen. Der breitenwirksame Erfolg ihrer Theorien läßt sich teilweise auch damit erklären. Vgl. zu Davis und der Ausbreitung des Spiritismus James Webb, The Occult Underground, La Salle/Illinois 1974, S. 26-33. Zu amerikanischen Vorläufern im 18. Jahrhundert Herbert Leventhal, In the Shadow of the Enlightenment. Occultism and Renaissance Science in Eighteenth-Century America, New York 1976. 138 Zum Tischrücken Hans Freimark, Das Tischrücken. Seine geschichtliche Entwicklung und Bedeutung. Auf Grund der neuesten Forschungsergebnisse dargestellt, 2.-3. Aufl., Pfullingen 1921. Hans Sexauer, Die tanzenden Tische, in: Neue Wissenschaft. Zeitschrift für Grenzgebiete des Seelenlebens 9 (1960), Heft 2, S. 15-22. Eberhard Bauer, Kerner und die Parapsychologie, in: Berger-Fix, Nur wenn man von Geistern spricht, S. 105-123, hier S. 121-123. Vgl. Abbildung 3, S. 299.
3. Spiritistischer Geisterglauben
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Zeitvertreib. Gerade die seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts allenthalben spürbare Verbesserung der „Communication" - von der Eisenbahn über den Telegraphen bis hin zum Telefon - ließ die durchaus berechtigte Frage entstehen: Warum sollte es nicht möglich sein, auch mit einer Geisterwelt in Kontakt zu treten? In den zahllosen Versuchen, die Geister zu fotografieren, ist ein Stück weit jedenfalls der Wunsch erkennbar, das Jenseits dauerhaft ins Diesseits zu holen. 1 3 9 Um den Kontakt mit einem Geist herzustellen, konnte auch ein spiritistisches Medium als Mittlerinstanz auftreten. Daß hierbei wiederholt Skandale und betrügerische Begleitumstände zu beobachten waren, beförderte das öffentliche Interesse nur noch mehr. Einer der bekanntesten Fälle war der des berühmten Blumenmediums Anna Auguste Rothe. Presse, Gerichte und Behörden warfen ihr immer wieder Betrug und groben Unfug vor, und sie wurde mehrfach verurteilt. 1 4 0 Rothe trat seit 1890 in nahezu allen größeren deutschen Städten als spiritistisches Medium auf. Durch sie sprachen und schrieben nicht nur Geister, sondern sie apportierte - wie der spiritistische Fachbegriff für das Herbeibringen eines Gegenstandes auf übersinnliche Weise lautet - bei ihren Vorstellungen auf rätselhafte Weise Blumen aus der Luft. Ein weiterer wichtiger Grund für den fruchtbaren Boden, auf den die spiritistische Mode fiel, liegt zweifellos in ihren religiösen Wurzeln. Sicher haben die ersten Erfolge in England und Frankreich auch etwas mit einer apokalyptischen Stimmung um die Jahrhundertmitte zu tun, wie Ulrich Linse betont: 1 4 1 Die Revolution 1848/49, die zweite große europäische Cholerawelle, der Krimkrieg (1853-1856) und die Erneuerung des französischen Kaisertums mochten auf die Zeitgenossen beängstigend gewirkt haben, aber vieles davon betraf auch Preußen und die anderen Staaten des Deutschen Bundes, wo der Spiritismus nach einem kurzen Zwischenspiel in den 1850er Jahren erst im Kaiserreich wieder an Dynamik gewann. Den ersten 1853 in Bremen erzielten Erfolgen folgten in Deutschland zunächst Rückschläge und auch ein gewisses Desinteresse. Doch in den 1870er Jahren gelang mit Schwerpunkten in Sachsen und Thüringen der Anschluß an das moderne Vereinswesen, und eine intensive öffentlich-wissenschaftliche 139
Einige Fotografien finden sich in Lehmann, Aberglaube, S. 328. mo Ygi Trömner, Hypnotismus, S. 104. Hans Freimark, Moderne Geisterbeschwörer und Wahrheitssucher, Berlin/Leipzig 1907, S. 37-48. Aus der umfangreichen Literatur sei hier nur genannt Erich Bohn, Der Fall Rothe. Eine criminal=psychologische Untersuchung, Breslau 1901. Bohn hat in seiner kritischen Stellungnahme ein Literaturverzeichnis über den Fall Rothe angelegt. Vgl. ebenda, S. IX-XII. Zuletzt Corinna Treitel, The Culture of Knowledge in the Metropolis of Science. Spiritualism and Liberalism in Fin-de-Siècle Berlin, in: Constantin Goschler (Hg.), Wissenschaft und Öffentlichkeit in Berlin, 1870-1930, Stuttgart 2000, S. 127-154. 141 Vgl. Linse, Geisterseher, S. 59 f.
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VI. Verdächtige Neulinge
Debatte um den Stellenwert des Spiritismus erhielt neuen Auftrieb. 1 4 2 Den Spiritisten galt die menschliche Seele als unsterblich, weshalb neben einer apokalyptischen Grundstimmung wichtig gewesen zu sein scheint, daß die neue Verbindung zur Geisterwelt eben auch die Endgültigkeit des Todes in Zweifel zog und man eine nichtkirchliche, teilsäkularisierte Antwort auf die alte religiöse Frage nach dem Leben nach dem Tode hinzugewonnen hatte, die sich im Kaiserreich durchsetzte. Zudem war der Umgang mit Geistern und Gespenstern als Bestandteil des religiös-magischen Glaubens etwas Normales und Bekanntes gewesen, nur daß viele Zeitgenossen jetzt auf eine neue Art versuchen konnten, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Mehrfach und mit gutem Recht ist bereits eine Sozialgeschichte der modernen Magie mit ihren spiritistischen oder okkultistischen Ausformungen in Deutschland angemahnt worden. 1 4 3 Wichtige Fragen sind noch zu klären: Handelte es sich wirklich in erster Linie um eine bürgerliche und adelige Modewelle? Auch ist die Annahme Ulrich Linses noch nicht überprüft, daß spiritistisch-okkultistische Zirkel in Deutschland stärker staatsloyal und kirchentreu waren als in England, und es hier kaum einen sozialistisch ausgerichteten Spiritismus gab. 1 4 4 Bei allen Unterschieden, die zwischen verschiedenen spiritistischen Richtungen vorhanden waren, äußerten die kritischen Zeitgenossen doch grundlegende Vorbehalte, die sie mit dem Aberglaubensvorwurf koppelten. Die 142
Karl Andree, Geisterklopfen und Tischrücken in den Hansestädten, in: Die wandernden magnetisirten Tische und die Klopfgeister, 2. fliegendes Blatt (1853), S. 1-5. Auch die Augsburger Allgemeine Zeitung veröffentlichte den Artikel des Geographen Andree, der damit zur ersten spiritistischen Modewelle in Deutschland maßgeblich beitrug. Rudolf Tischner, Einführung in den Okkultismus und Spiritismus, 2., umgearbeitete und verbesserte Aufl., München 1923, hier S. 101-117. Linse, Geisterseher, S. 55-87. 143 Etwa Linse, Geisterseher, S. 235, Fußnote 111. Knoblauch, Welt der Wünschelrutengänger, S. 26. Wichtig ist immer noch Carl Kiesewetter, Geschichte des Neueren Occultismus. Geheimwissenschaftliche Systeme von Agrippa von Nettesheim bis zu Carl du Prel, Leipzig 1891. Einen kommentierten bibliographischen Überblick über okkultistische und spiritistische Literatur im 19. und 20. Jahrhundert im westlichen Kulturkreis bietet Robert Galbreath, The History of Modern Occultism: A Bibliographical Survey, in: Journal of Popular Culture 5 (1971), S. 726-754. Vgl. jetzt grundlegend Sawicki, Leben mit den Toten. 144 Einiges spricht gegen die These. Linse, Geisterseher, S. 69-72. Zum gut erforschten englischen Spiritismus und dessen Beziehungen zu den modernen Naturwissenschaften Janet Oppenheim, The Other World. Spiritualism and Psychical Research in England 1850-1914, Cambridge 1985. Alex Owen, The Darkened Room. Women, Power and Spiritualism in Late Victorian England, Philadelphia 1990. Den engen Zusammenhang zwischen englischer Arbeiterklasse und Spiritismus herausgestrichen hat Logie Barrow, Independent Spirits. Spiritualism and English Plebeians 18501910, London/New York 1986. Ruth Brandon, The Spiritualists. The Passion for the Occult in the Nineteenth and Twentieth Centuries, New York 1983, hier S. 164-189.
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Anhänger des Spiritismus, die sich immer wieder mit diesem Vorwurf konfrontiert sahen, versuchten, ihm mit verschiedenen Theorien zu begegnen. 1 4 6 Es gibt jedoch einige Tatsachen, die die Wirksamkeit des Aberglaubensvorwurfs auch gegenüber den Spiritisten mittlerweile begrenzten. Was den Anhängern des animalischen Magnetismus lediglich in Ansätzen gelungen war - wenn man sich an die vormärzlichen Versuche des badischen Pfarrers Oschwald erinnert, einen magnetischen Verein zu gründen - gelang dem Spiritismus. Sie bildeten eine eigene Teilöffentlichkeit aus, die sich jenseits der Wissenschaft in spiritistischen Zirkeln und Vereinen etablierte. Neben publizistischen Organen wie der in München erscheinenden „Sphinx", den „(Neuen) Spiritualistischen Blättern", der „Okkultistischen Rundschau" und der Rostocker „Spiritistischen Wochenschrift" ist an den Berliner Spiritistenverein „Psyche" zu denken. Dabei schrieben sich die publizistischen Organe wie die Spiritualistischen Blätter den Kampf gegen Materialismus und Aberglauben geradezu programmatisch auf die Fahnen. 1 4 7 Sie hoben dabei immer wieder hervor, daß es sich beim Spiritismus 145
Quelle: Berger-Fix, Nur wenn man von Geistern spricht, S. 104. Vgl. dazu diverse Beiträge in den Spiritualistischen Blättern (seit 2 (1884), Nr. 24, Neue Spiritualistische Blätter) [ - ] , Aberglaube in verschiedenen Gegenden, in: Spiritualistische Blätter 1 (1883), Nr. 12, S. 1-3; Nr. 13, S. 1 f. G. Bloede, Spiritualismus und Aberglaube, in: NSB 4 (1886), Nr. 24, S. 2 f. [ - ] , Die Notwendigkeit des Spiritualismus, in: NSB 7 (1889), Nr. 1, S. 1 f. Wilhelm Feller, Ueber angeblichen Aberglauben, in: NSB 11 (1893), Nr. 30, S. 118. 146
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oder Spiritualismus um eine neue Wissenschaft handle und verwahrten sich nachdrücklich gegen den Aberglaubensvorwurf. Vier Felder sind hervorzuheben, auf denen Spiritisten und ihre Gegner um Aberglauben rangen: Erstens war es die Annahme von Betrug, Spektakel oder Schwindel, die Kritiker am intensivsten mit dem Aberglaubensvorwurf koppelten. Die Gegner sparten dabei keineswegs mit Polemik. In der liberalen Reihe „Deutsche Zeit- und Streitfragen" geißelte der protestantische Theologe und Philosoph Friedrich Kirchner 1883 den Spiritismus auf das Heftigste. Dieser sei „nichts weiter als Aberglaube, und zwar einer der wüstesten, rohesten Formen desselben. Seine Phänomene beruhen, wie alle abergläubischen Dinge, theils auf Betrug, theils auf psychologischer Selbsttäuschung. [...] Die Aufklärung hat uns endlich, nach unsäglicher Mühe, vom mittelalterlichen Spuk der Teufel, Hexen und Zauberer befreit - der Spiritismus bringt die ganze Hexenküche wieder zurück!"
Besonders scharf ging Kirchner damit ins Gericht, daß viele Aufgeklärte an der „Narrheit" teilhatten, und er malte die Folgen in den düstersten Farben: „Oder was für Handlungen im öffentlichen Leben werden diejenigen begehen, deren Kopf von solchem Wust stupenden Aberglauben verwirrt worden i s t ? " 1 4 8 Nicht selten beschäftigte Kommissionen und Wissenschaftler die Frage, ob Aberglauben oder wissenschaftliche Grundlagen hinter den Geisterauftritten steckte: So hatte eine Kommission der Petersburger Universität mediumistische Erscheinungen 1876 nach eingehender Untersuchung als Betrug und Aberglauben abgetan, worauf sich Spiritismusgegner immer wieder beriefen. 149 Das sensible Spannungsfeld zwischen Betrug, Spektakel, wissenschaftlicher Deutung und Aberglauben läßt sich faßlich an einem Beispiel abschreiten, das Ende 1888 zu dem Berliner Tagesgespräch geriet und die preußischen Gerichte lange beschäftigen sollte. In dem kleinen brandenburgischen Vorwerk Resau, das der Familie Rochow gehörte und lediglich aus einigen Katen bestand, sollte ein Geist
147 Bernhard Cyriax, Unser Programm, in: Spiritualistische Blätter 1 (1883), Nr. 1, S. 1. 148 Friedrich Kirchner, Der Spiritismus, die Narrheit unseres Zeitalters, Berlin 1883, Zitate S. 92 f. Bohn, Rothe. Dagegen Wilhelm Schneider, Der neuere Geisterglaube. Thatsachen, Täuschungen und Theorien, 2., verbesserte und bedeutend vermehrte Aufl., Paderborn/Münster 1885, S. 350-386. Beide Seiten in ihrer überzogenen Polemik beleuchtet Richard Hennig, Der moderne Spuk- und Geisterglaube. Eine Kritik und Erklärung der spiritistischen Phänomene. II. Theil des Werkes „Wunder und Wissenschaft", Hamburg 1906, hier S. 14-20. 149 Vgl. Lehmann, Aberglaube, S. 340-343. Christoph Meinel Karl Friedrich Zöllner und die Wissenschaftskultur der Gründerzeit. Eine Fallstudie zur Genese konservativer Zivilisationskritik, Berlin 1991, S. 39. Becker, Aberglaube, S. 61 f.
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sein Unwesen getrieben haben. 1 5 0 Im November und Dezember 1888 hatten zunächst Klopfgeräusche die Familie Böttcher in ihrer Resauer Wohnung aufgeschreckt. Später kamen dann fliegende Kartoffeln, Schinken und Bratpfannen sowie andere scheinbar von Geisterhand bewegte Gegenstände hinzu, wobei mehrere Fenster zu Bruch gingen. Sie erweckten bei einer ganzen Reihe von Anwesenden, unter anderem auch bei dem aus Bliesendorf herbeigeeilten Pastor Carl Friedrich Wilhelm Müller, den Eindruck, als spuke es in dem einzigen Zimmer der kleinen Hütte. Die behördlichen Ermittlungen hatten bereits Ende November begonnen und gewannen an Intensität durch die Besuche einiger Berliner „Gespensterseher". 151 Umgehend hatte der zuständige Gendarm indes auch einen Hauptverdächtigen im Visier: den 15jährigen Dienstknecht und Großneffen Karl Wolter, der sich seit einigen Jahren bei der Familie Böttcher aufhielt. Das Schöffengericht in Werder und auch die mehrfach mit Revisionsverfahren befaßte Potsdamer Strafkammer verurteilten Wolter dann im Frühjahr 1889 wegen Sachbeschädigung (§§ 57, 74, 77, 303 Strafgesetzbuch) und groben Unfugs (§ 360 Absatz 11) zu einer Gefängnis- und Haftstrafe von insgesamt sechs Wochen. Obwohl eine ganze Reihe von Umständen gegen seine Schuld sprachen, galt er als der Verursacher des Spuks, zumal sein fragwürdiger Lebenswandel ihn in einem eher ungünstigen Licht erscheinen ließ. 1 5 2 Auch eine erneute gerichtliche Hängepartie, in der die Verteidiger Wolter als Medium hinstellten, änderte nichts an dem Urteil der preußischen Justiz. 1 5 3 Einige Mitglieder der Berliner Gesellschaft für Experimental-Psychologie und des Spiritisten Vereins , Psyche4 waren wiederholt nach Resau gereist, um die Angelegenheit zu untersuchen. Allen voran Hans Natge und Egbert 150
Hugo Puls, Der Spuk von Resau. Eine praktische Studie über die Kulturfrage: Giebt es einen natürlichen Spuk? M i t dem Resultate: Es spukt doch. Ein Buch für alle Freunde wahrer Aufklärung, Berlin 5 1889, hier S. 179-204 und S. 224-271. Puls war einer der beiden Verteidiger Karl Wolters. Das Buch erreichte 1889 innerhalb kürzester Zeit fünf Auflagen. Hans Natge, Der Spuk von Resau. M i t Abbildung des Spukhauses, des Grundrisses und 3 Portraits, Berlin 3 1889. Ein Exemplar befindet sich in der Stadtbibliothek Köln unter der Signatur K G 7/5782. Egbert Müller, Enthüllung des Spukes von Resau, 3., durch eine Nachschrift vermehrte Aufl., Berlin 1889. Ein Exemplar befindet sich in der Stadtbibliothek Köln unter der Signatur KG 7/5780. Hennig, Spuk- und Geisterglaube, S. 220-226. Die Akten des Amtsgerichts Werder faßte 1929 zusammen Hellwig, Okkultismus und Verbrechen, S. 327-361. Auf die Rolle der Berliner Gesellschaft für Experimental-Psychologie konzentriert sich Kurzweg, Geschichte, S. 202-254, der zudem die Personalakte des Bliesendorfer Pastors Müller ausgewertet hat. 151 Vgl. Kurzweg, Geschichte, S. 215. 152 Abschrift des Urteils der Strafkammer Potsdam vom 13.3.1889, in: Hellwig, Okkultismus und Verbrechen, S. 345-351. 153 Vgl. Kurzweg, Geschichte, S. 338-340. Hellwig, Okkultismus und Verbrechen, S. 342.
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VI. Verdächtige Neulinge
Müller befragten die Beteiligten und Zeugen, prüften die paranormal bewegten Gegenstände und veröffentlichten schließlich ihre Ergebnisse, um dem Geist zu Leibe zu rücken. Sie interessierten sich in besonderem Maße für die suggestive Empfänglichkeit Wolters, ohne jedoch zu gesicherten Ergebnissen gelangen zu können. 1 5 4 Egbert Müller glaubte indessen, den Spuk dingfest gemacht zu haben: den Geist des verstorbenen Bruders der Hausbesitzerin, den Schäfer Peter Drinkwitz. 1 5 5 Allerdings führten die Ereignisse zu Differenzen innerhalb der Gesellschaft für Experimental-Psychologie. Albert Moll und einige andere Mitglieder waren dagegen, sich zu intensiv an der Erforschung des Resauer Spuks zu beteiligen, weil sie mit gutem Recht scharfe Angriffe und Spott der nichtspiritistischen Presse befürchteten. 156 Den angereisten Berliner Forschern hielten die Behörden denn auch vor, „den Aberglauben und die Neugierde" gefördert zu haben, während sie Pfarrer Müller „Beschwörungsversuche" unterstellten, die - in aufklärerischem Vokabular - „an die finstersten Zeiten des Mittelalters" gemahnten. Hinzu kamen die einschlägigen Absichtserklärungen, für „Ruhe und Ordnung" sorgen zu müssen und die Landbevölkerung aufklären zu wollen. 1 5 7 Doch die Öffentlichkeit ließ sich nicht mehr so wirkungsvoll einhegen, wie noch in der ersten Jahrhunderthälfte. Die Prozesse gegen Wolter fanden unter starker öffentlicher Anteilnahme statt, wobei sich spiritistische Vereine und Zeitungen besonders hervortaten. Die Affäre geriet so auch ins Visier von Karikaturisten und Humoristen, die Pfarrer Müller anrieten den sie zu einem aber- und spukgläubigen Landpfarrer stilisierten - die fliegenden Kartoffeln zu einem „vierdimensionalen Kartoffelpüree" verarbeiten zu lassen. 158 Wichtig an diesen Ereignissen ist vor allem, daß die spiritistische Bewegung sie noch über Jahre hinaus publizistisch ausschlachtete, um übersinnlichen Zwischenfällen nachzujagen. 159 Offenkundig ließ sich der Verdacht nicht ganz ausräumen, die Justiz habe sich als Handlanger sicherheitspolitischer Interessen der staatlichen Vertreter einspannen lassen. Resau wurde der spiritistischen Bewegung zum Synonym für ein Hereinragen der Geisterwelt in die reale Welt. Auch der Arzt und Parapsychologe Albert 154
Vgl. Kurzweg, Geschichte, S. 207 f. Vgl. Müller, Resau, S. 3 f. 156 Vgl. Kurzweg, Geschichte, S. 253-258. 157 Zitiert nach ebenda, S. 216 und S. 229 f. Kurz weg unterstellt den Gerichten verschiedener Instanzen, mit Wolters einen geeigneten Schuldigen ausgemacht zu haben, da sich keine andere rationale Erklärung der Ereignisse finden ließ. Er stuft dabei das staatliche Interesse hoch ein, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. 158 Ebenda, S. 242. 159 Zu nennen sind hierbei in erster Linie die Artikel in den Neuen Spiritualistischen Blättern. Vgl. NSB 6 (1888), Nr. 52, S. 1 f.; 7 (1889), Nr. 6, S. 1-3, Nr. 15, S. 3. 155
3. Spiritistischer Geisterglauben
303
Freiherr von Schrenck-Notzing (1862-1929) versuchte noch in den 1920er Jahren, für Resau „aus dem Konglomerat von Legende, Aberglauben, phantastischer Ausschmückung sowie von bewußter und unbewußter Täuschung einen Tatsachenkern herauszuschälen". 160 Beim Blick auf die vier Konfliktfelder zwischen Spiritisten und ihren Gegnern sind zweitens Theorien zu nennen, die an althergebrachte Deutungsmuster anknüpften. Sie waren nicht nur in der spiritistischen Frühzeit eng mit magnetisch-romantischen Überlegungen verbunden. Ohnehin scheint die Akzeptanz oder Ausübung angefeindeter Heilmethoden - wie animalischer Magnetismus oder Homöopathie - die Aufgeschlossenheit gegenüber dem Spiritismus begünstigt zu haben. 161 Bei diesen Überlegungen dominierten Annahmen über die Wirkungen des Teufels oder von Dämonen. Diese Nähe zum Teufelsglauben bot den Kritikern eine Angriffsplattform, da die Eingriffe teuflischer Geister nicht wissenschaftlich nachzuweisen waren. Neu und Alt, Tradition und Innovation griffen ineinander und machten es den Gegnern leicht, hier eine Aberglaubensvariante auszumachen, die altbekannten Wein in neuen Schläuchen präsentierte. An diesem Punkt erwiesen sich nun allerdings die vor Beginn der Spiritismuskonjunktur geäußerten regressionstheoretischen Annahmen als hinfällig, da sich der Spiritismus zusehends verfestigte. Mit derartigen Äußerungen hatte Carus Sterne in seiner vielbeachteten Naturgeschichte der Gespenster noch 1863 Geisterglauben mit dem Hinweis abgetan: „Vorübergehende Rückfälle in den Aberglauben werden in Stunden höherer und krankhafter Aufregung, bei den nicht hinlänglich Aufgeklärten allerdings stets wiederkehren". 162 Zudem konnten die spiritistischen Bestrebungen auf dem nicht nur in der deutschsprachigen Literatur weitverbreiteten Motiv der Gespenstergeschichte aufbauen, das auch im 19. Jahrhundert verschiedene Konjunkturen 160
Vgl. Hellwig, Okkultismus und Verbrechen, S. 331. Vgl. Carl Gerster, Das Universum und dessen Geheimnisse; oder Die Natur, dargestellt in ihrer wechselseitigen Anziehung, und die geheimsten Wirkungen ihrer Kraft. Eine Anleitung und Erklärung des Tischklopfens und der Geister-Manifestationen, nebst Mittheilungen aus der Geisterwelt, Leipzig 1854, §§83-84. Diese Verknüpfung findet sich auch in der romanartigen Schrift zur Verteidigung des Magnetismus W. F. A. Zimmermann, Magnetismus und Mesmerismus oder Physische und geistige Kräfte der Natur. Der mineralische und thierische Magnetismus sowohl in seiner wirklichen Heilkraft, als in dem Mißbrauch, der von Betrügern und Narren damit getrieben worden, im Zusammenhange mit der Geisterklopferei - der Tischrückerei - dem Spiritualismus, Leipzig 1862. Nach Crabtree, Animal Magnetism, S. 207, handelt es sich bei Zimmermann um ein Pseudonym von Carl Gottfried Wilhelm Vollmer. 162 Carus Sterne [Ernst Ludwig Krause], Die Naturgeschichte der Gespenster. Physikalisch-physiologisch-psychologische Studien, Weimar 1863, S. IV. Weiter [ - ] , Vom Geister- und Gespensterglauben in Deutschland, in: Deutsche VierteljahrsSchrift 1839, Heft 3, S. 126-191. 161
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VI. Verdächtige Neulinge
durchlief. 163 Eine besondere Wirkung hatte dabei das wohl bekannteste deutsche Gespensterbuch von Johann August Apel und Friedrich Laun entfaltet, das zugleich eines der erfolgreichsten überhaupt w a r . 1 6 4 Zahlreiche dieser Gespenstererscheinungen deuteten Spiritisten jetzt als gescheiterte Versuche, Kontakt zum Diesseits aufzunehmen. 165 Verdächtig schien der Spiritismus darüber hinaus, weil er an die Praxis der magnetischen Gruppenbehandlung anknüpfte, indem sich Spiritisten bei ihren Séancen an den Händen faßten, um einen geschlossenen Kreis zu bilden. Ähnlich war bei den Baquetsitzungen verfahren worden, um das Fluidum weiterzuleiten und zu verstärken sowie die „Krise" herbeizuführen. 166 Diese theoretischen Zugänge sind faßliche Beispiele für die enge Verbindung zwischen der tiefenpsychologischen Interpretation des animalischen Magnetismus und spiritistischen Ansichten. 167 Zugleich dokumentieren sie einmal mehr die religiös-magischen Wurzeln des Spiritismus. 168 Die oft nicht belegten Hinweise in der spiritistischen Literatur, der Spiritismus sei so alt wie die Menschheit selbst, fußten zu einem beträchtlichen Teil auf der Absicht, den eigenen Stellenwert zu erhöhen. Die Traditionen, in die Spiritisten sich dabei stellten, knüpften unmittelbar an die Gruppen und Personen an, die bereits im Zusammenhang mit dem Übergang des animalischen Magnetismus zu spiritistischen Überlegungen benannt worden sind. In erster Linie standen dafür Jung-Stilling, Swedenborg und Kerner, der auch eine Schrift über das aus Amerika importierte Tischklopfen verfaßte. 169 Eben deshalb galt alles, was mit Spiritismus zu tun hatte, den Kritikern als alter Zopf. Vor allem der Adel war für sie in dieser Hinsicht rückstän163
Vgl. Wilpert, Gespenstergeschichte, S. 183-358. Vgl. Johann August Apel/Friedrich Laun (Hg.), Gespensterbuch, 4 Bde., Stuttgart 1814-1815. 165 Ygj R e s a U i passim. 164
166
Vgl. Bongartz, Erbe des Mesmerismus, S. 42. Vgl. Carus, Lebensmagnetismus, S. 174-188. Barkhoff, Magnetische Fiktionen, S. 85-136. 168 Vgl. Schneider, Geisterglaube, S. 525-550. 169 Vgl. Justinus Kerner, Die somnambülen Tische. Zur Geschichte und Erklärung dieser Erscheinung, Stuttgart 1853. Gerade Kerner hatte sich bereits seit Jahren bei der Untersuchung von Spuk- und Gespenstererscheinungen hervorgetan. Rainer Brüning, Justinus Kerner und der Spuk im Gefängnis zu Weinsberg 1835/36, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 57 (1998), S. 253-272. Carl Kiesewetter, Die Entwickelungsgeschichte des Spiritismus von der Urzeit bis zur Gegenwart, Leipzig 1893. Fanny Moser, Der Okkultismus. Täuschungen und Tatsachen, 2 Bde., München 1935. Den Einfluß des Mesmerismus auf die Anfänge parapsychologischer Forschung betont Eberhard Bauer, Mesmerismus, Spiritismus und die Anfänge der „Psychical Research" - Zur Rezeption des Mesmerismus in der parapsychologischen Forschung, in: Schott, Mesmer, S. 116-132. 167
3. Spiritistischer Geisterglauben
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dig und der Moderne hinderlich, weil gerade in seinen Reihen viele Anhänger spiritistischer Zirkel und Medien ausgemacht worden waren, wie der am Rothe-Skandal besonders interessierte Jurist Erich Bohn festhielt, als er Aberglaubens- mit scharfer Adelskritik kombinierte: „Wo auch immer ein magischer Schwindel auftaucht, leistet ihm die Aristokratie Gefolgschaft: Ich erinnere an Schrepfer, Saint=Germain, Cagliostro und Blavatzky. Nicht nur in ihren glänzenden Seiten erinnert sie an das Mittelalter". 1 7 0
Drittens sind wissenschaftliche Auseinandersetzungen zu beachten. Diese verbanden sich eng mit der Person Johann Karl Friedrich Zöllners (1834— 1882). Zöllner muß als herausragende Figur innerhalb der wissenschaftlichen Spiritismusszene gelten. 1 7 1 Der Leipziger Astrophysiker nahm eine vierte Dimension mit intelligenten Wesen an, mit der er das spiritistische Hellsehen sowie das Verschwinden und Wiedererscheinen von Gegenständen erklären wollte. 1 7 2 Unmittelbar verantwortlich für sein spiritistisches Interesse war nicht nur ein Englandbesuch, bei dem er mit britischen Spiritisten bekannt wurde, sondern gleichermaßen ein spektakulärer Anstoß von außen. Das bekannte amerikanische Medium Henry Slade - in England nur knapp einer Verurteilung wegen Betrugs entkommen - verursachte 1877 bei seiner Deutschlandrundreise nachgerade eine Spiritismusepidemie in Berlin und inspirierte den Leipziger Wissenschaftler. 173 Für Zöllner war der Spiritismus Ausdruck einer Verbindung zwischen Körper- und Geisterwelt in der vierten Dimension. 1 7 4 Dem Physiker ging es in seiner Auseinandersetzung mit dem Spiritismus um eine grundlegende Kritik an der Wissenschaftslandschaft im Reichsgründungsjahrzehnt, die sich vor allem gegen die Ver170
Vgl. Bohn, Rothe, S. 150 f., Zitat S. 151. Vgl. Walter, Aberglaube, S. 334 f. Lehmann, Aberglaube, S. 339-351. Schneider, Geisterglaube, S. 517-525. Becker, Aberglaube, S. 57-59. Zu Zöllner Meinel, Zöllner, S. 36-43. Dieter B. Herrmann, Karl Friedrich Zöllner, Leipzig 1982, S. 79-85. Vgl. auch Michael Heidelberger, Die innere Seite der Natur. Gustav Theodor Fechners wissenschaftlich-philosophische Weltauffassung, Frankfurt am Main 1993, S. 94-96. 172 Vgl. Karl Friedrich Zöllner, Vierte Dimension und Okkultismus, aus den „Wissenschaftlichen Abhandlungen" ausgewählt und hg. von Rudolf Tischner, Leipzig 1922. 173 Zum Sladeprozeß, der vielen Zeitgenossen als die Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Aberglauben galt, Richard Milner, Charles Darwin and Associates, Ghostbusters. When the Scientific Establishment put a Spiritualist on Trial, the Co-Discovers of Natural Selection took opposing Sides, in: Scientific American 275 (1996), Heft 4, S. 72-77. 174 Vgl. Franz Luttenberger, Friedrich Zöllner, der Spiritismus und der vierdimensionale Raum, in: ZPGP 19 (1977), S. 195-214. M. Remminger, Echte vierte Raumdimension als paranormale Wirksphäre?, in: ZPGP 19 (1977), S. 215-226. Zu Zöllners Verehrung durch die spiritistische Bewegung Johann Gabiezel, F. Zöllner, der rechte Mann zur rechten Zeit, in: Beilage zu den Spiritualistischen Blättern 1 (1883), Nr. 2d. 171
20 Freytag
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VI. Verdächtige Neulinge
treter der Berliner Naturwissenschaft richtete. Er versuchte auch in der Hochzeit des Kulturkampfs, religiöse Wunder wissenschaftlich zu erklären und ein Stück weit zu rationalisieren, gerade vor dem Hintergrund der Marienerscheinungen. Nach 1878 bekamen Zöllners Polemiken allerdings zunehmend pathologische Züge, und er selbst verstieg sich darüber hinaus in verbitterte antisemitische Parolen. Der Fall Zöllner ist ein Beleg dafür, daß der Versuch fehlschlug, den Spiritismus in ein naturwissenschaftlich-technisch dominiertes Weltbild einzubinden. Die Grenze zwischen einer wissenschaftlichen Kultur und ihrer nichtakademischen Gegenkultur war im Deutschen Reich offenbar schärfer gezogen als in anderen Ländern. 175 In diesem Punkt unterschied sich die spiritistische Bewegung eindeutig von ihrem magnetischen Vorgänger. Den Anhängern des animalischen Magnetismus war es in Preußen noch gelungen - eben auch aufgrund der Unterstützung aus höchsten politischen Kreisen - , eine magnetische Forschung in der Wissenschaftslandschaft zu etablieren. Zöllner gelang dies nicht mehr. Aller Kritik an ihm zum Trotz forderte man nun von den Naturwissenschaften eine ernsthafte Erforschung des Spiritismus und glaubte fortschrittsoptimistisch auch an deren Erfolge. 1 7 6 In Deutschland beschäftigten sich vergleichsweise wenige Privatgelehrte - anders als in den angloamerikanischen Ländern - mit dem Spiritismus: Schrenck-Notzing sowie Carl du Prel sind die berühmtesten Ausnahmen. 177 Viertens ist ein Blick auf die Halluzinationstheorie zu werfen; sie ging davon aus, daß die Medien oder die Zuschauer sich die Geisterphänomene in einer hitzigen und erwartungsvollen Atmosphäre bloß einbildeten. Ein wichtiger Name ist in diesem Zusammenhang Eduard von Hartmann (1842-1906). 1 7 8 Hartmanns 1885 veröffentlichte Untersuchung gilt als erster gründlicher Versuch, spiritistische Phänomene jenseits des Betrugsverdachts zu rationalisieren. Er erklärte Geistererscheinungen und -Wahrnehmungen mit einer ungewöhnlichen mediumistischen Fähigkeit, welche teilweise Halluzinationen hervorriefe. 179 Den Magnetismustheoretikern des 175
Vgl. Meinel, Zöllner, S. 56. Oppenheim, The Other World, S. 391-397. Vgl. Becker, Aberglaube, S. 62. 177 Vgl. Albert Freiherr von Schrenck-Notzing, Gesammelte Aufsätze zur Parapsychologie, hg. von Gabriele Freifrau von Schrenck-Notzing, Stuttgart u.a. 1929. Ders., Kriminalpsychologische und psycho-pathologische Studien, Leipzig 1902. Ders., Der Hypnotismus im Münchener Krankenhause. Eine kritische Studie über die Gefahren der Suggestivbehandlung, Leipzig 1894. Vor allem in seiner ersten Studie über die Hypnose wendet sich Schrenck-Notzing gegen die Gefährlichkeitstheorien der frühen Hypnosekritiker. Linse, Geisterseher, S. 69. Zu anderweitigen Versuchen, eine neue Wissenschaft zu etablieren, die auch Prophetie und Spiritismus verbinden sollte, Kemmerich, Prophezeiungen, S. 152-171. 178 Eduard von Hartmann, Der Spiritismus, Leipzig/Berlin 1885, hier S. 106118. Vgl. Lehmann, Aberglaube, S. 414. 176
4. Kirchliche Reaktionen auf „Neuen Aberglauben"
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frühen 19. Jahrhunderts nicht unähnlich, stützte Hartmann seine Hypothese dabei auf die individuellen Fähigkeiten einzelner Medien. Dazu erklärte er den durchschlagenden Erfolg des Geisterklopfens und der Medien mit dem ohnehin verbreiteten Glauben an das Erscheinen verstorbener Verwandter oder Bekannter, mit denen viele gerne Kontakt aufnehmen wollten. Damit stellte Hartmann wiederum den Bezug zu überkommenen Vorstellungen vom Wirken von Geistern und Gespenstern her. Darüber hinaus schloß sich diese Diskussion an die augenscheinliche Wirkung der „Einbildungskraft" an, die im ausgehenden 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem animalischen Magnetismus intensiv erörtert und kritisiert worden w a r . 1 8 0 Im „Zeitalter der Nervosität" billigte man die Wahrnehmungen ebenso wie die Einstufung der Einbildung als Krankheitsschema, denn dieser theoretische Zugang bot eine willkommene Erklärung für Mediziner. Einmal als Halluzination erkannt, konnte guten Gewissens jede andere Deutung des Spiritismus als abergläubisch abgelehnt werden, welche „die Heranziehung der Geisterhypothese oder einer besonderen psychischen Kraft nötig" machte. 181
4. Kirchliche Reaktionen auf „Neuen Aberglauben4' Jenseits der wissenschaftlichen und staatlichen Handlungsfelder sahen sich vor allem die beiden großen Kirchen vom Magnetismus und Spiritismus bedroht. Die ablehnende katholische Haltung gegenüber den als neue Aberglaubensvarianten eingestuften Therapien und Moden animalischer Magnetismus, Hypnose sowie Spiritismus hatte auch funktionale Gründe. Die Ablehnung diente dazu, ihren verschiedenen Kritikern zu beweisen, daß auch die katholische und romorientierte Amtskirche sich gegen Aberglauben wandte. Dabei war wieder das Problem der Wundergläubigkeit in den Vordergrund der Argumentation getreten. Gerade Magnetiseure und Spiritisten glaubten für viele Wunder eine Erklärung gefunden zu haben, welche katholische Kritiker ablehnten. Die ambivalente katholische Haltung veranschaulicht sehr klar Constantin Gutberlets Argumentation für den Umgang mit dem Spiritismus. In der Schriftenreihe der Görres-Gesellschaft 179
Die Halluzinationstheorie nutzte Hartmann nur teilweise als Erklärung. Als Ursache für den Erfolg mancher Medien wollte er auch Besessenheit nicht ausschließen. Hartmann, Spiritismus, S. 112. 180 Yg| Magnetismus, S. 160 f. 181 Albert Moll, Gesundbeten. Medizin und Okkultismus, Berlin 1902, S. 44-47, Zitat S. 46, der auf das Miteinander verschiedener angefeindeter Heilverfahren mit dem Spiritismus hinweist. M o l l setzte sich in seiner Schrift vor allem mit der sogenannten „christlichen Wissenschaft" - auch Eddyismus genannt - der Mary Baker Eddy auseinander, die nach der Jahrhundertwende an Bedeutung gewann. Vgl. Schneider, Geisterglaube, S. 386-401. 20*
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VI. Verdächtige Neulinge
erkannte er in dessen Erfolgen vor allem die untrennbare Verbindung von Unglauben und Aberglauben. Dieses innerkatholisch folgerichtige Urteil über neuen Aberglauben hatte gleichzeitig eine überkonfessionelle Stoßrichtung, denn damit prangerten die katholischen Kritiker den Rationalismus und die zunehmende Entchristlichung an, die sie als Quelle magnetischer und später auch spiritistischer Erfolge ansahen. Dieser Standpunkt war bereits in der Diskussion um religiösen Aberglauben zutage getreten. 182 Besonderen Wert legte Gutberiet auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen spiritistischen Phänomenen und christlichen Wundern, da der Spiritismus in seinen Augen noch ausgeprägt religiöse Züge trug. Diesem für den Katholizismus wichtigen Problem widmete er ein eigenes Kapitel seines Spiritismus-Buchs, in dem er sich mit dem grundsätzlichen Verhältnis der Spiritisten zum Christentum auseinandersetzte und deren Erfolge unter anderem darauf zurückführte, daß sie die großen Konfessionen nicht ablehnten, sondern sogar deren Nähe suchten. 183 Die römische Amtskirche fixierte ihre Haltung zum animalischen Magnetismus in Rundschreiben an alle Bischöfe vom 28. Juli 1847 und 4. August 1856. Die Kongregation der heiligen römischen und allgemeinen Inquisition ließ die Diözesanspitzen wissen, daß somnambulen Medien und Magnetiseuren strikt entgegengetreten werden müsse, sofern die Grenzen des wissenschaftlich Beweisbaren und des moralisch Vertretbaren überschritten würden. 1 8 4 Das Rundschreiben von 1856 verbot den animalischen Magnetismus zwar nicht grundsätzlich, unterwarf ihn aber strengen Einschränkungen. Die Kongregation knüpfte damit ein beträchtliches Stück an die Bestimmungen des Rituale Romanums von 1614 an, das die Verhaltensweisen bei Teufelsaustreibungen bis ins 20. Jahrhundert hinein regelte. 185 Die un182 Constantin Gutberiet, Der Spiritismus, Köln 1882, S. 1. Constantin Gutberiet (1837-1928) war seit 1886 Professor für Dogmatik und Apologetik in Fulda. Vgl. DBA, Fiche Nr. 440. 183 Ygi Gutberiet, Spiritismus, S. 78-99. Dazu auch August Friedrich Ludwig, Okkultismus und Spiritismus im Lichte der Wissenschaft und des katholischen Glaubens, München ^1921 ( 1 1921), S. 42-46. 184
Vgl. Simar, Aberglaube, S. 65 f. Der vollständige Wortlaut des Rundschreibens von 1856 in Johann Baptist Wirthmüller, Die moralische Tugend der Religion, in ihren unmittelbaren Akten und Gegensätzen, Freiburg im Breisgau 1881, S. 628637, hier S. 634 f. 185 Das Rituale Romanum von 1614 hatte die komplizierter werdende katholische Exorzismuspraxis in Form des „Ritus exorcizandi obsessos a daemonio" (Tit. XI, Kapitel 1-2) festgelegt und an eine ganze Reihe von Bedingungen gebunden. Vgl. Pius Parsch (Hg.), Laien-Rituale. Deutsche Übersetzung des römischen Rituale von Paul Lieger, Klosterneuburg 2 1937, S. 330-357. Adolf Rodewyk, Die Teufelsaustreibung nach dem Rituale Romanum, in: Geist und Leben. Zeitschrift für Aszese und Mystik 25 (1952), S. 121-134. Joseph Lenz, Die Kennzeichen dämonischer Besessenheit und das Rituale Romanum, in: Trierer Theologische Zeitschrift 62 (1953),
4. Kirchliche Reaktionen auf „Neuen Aberglauben 4'
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bestreitbare Nähe magnetischer und auch noch hypnotischer Kuren zum Exorzismus hat für die Entscheidung der Kongregation vermutlich eine wegweisende Rolle gespielt, da die Therapien und die Auftritte somnambuler und spiritistischer Medien vielfach jene Begleiterscheinungen zeigten, welche die katholische Kirche bei Austreibungen unbedingt unterbinden wollte. Auch konnten verschiedene Formen der Besessenheit Ähnlichkeiten mit magnetischen oder spiritistischen Zuständen aufweisen. So besehen waren die neuen Aberglaubensformen gar nicht so neu, sondern in katholischkirchlichen Traditionen durchaus bekannt. Als neu galten lediglich die Bezeichnungen und der wissenschaftliche Hintergrund, mit denen sich nun beschäftigt werden mußte. Entscheidend waren dabei Täuschung und sittliche wie moralische Verführbarkeit der Menschen. Wiederholt stuften katholische Kritiker diesen neuen Aberglauben auch als Häresie e i n . 1 8 6 Dabei darf man indessen nicht übersehen, daß vor allem der spiritistische Glauben an die Existenz von Geistern, die Möglichkeit eines Kontaktes mit ihnen oder gar die phasenweise Rückkehr von Geistern ins Diesseits zentrale Lehren des Christentums von Tod und Auferstehung berührte. Das unterschied ihn und den Umgang mit ihm ganz maßgeblich von der Hypnose. Diese Fragen waren dogmatisch geregelt und oblagen allein der Geistlichkeit. Die Macht, über Geister zu verfügen und sie herbeizurufen, galt daher als gefährlicher Aberglauben. 187 Der spätere Kölner Erzbischof Simar äußerte dies bereits 1877 unmißverständlich: „Die Geister kehren nicht zurück, wann und weil es den Überlebenden beliebt, sie zu ,beschwören 4. [...] Die Toten sind in Gottes Hand". 1 8 8 Der Spiritismus fügte sich - verstanden als Kommunikation mit der Geisterwelt - in die relikttheoretischen Argumentationen; diese sahen in ihm keine vollkommen neue Erscheinung, sondern meinten, daß er sich aus verschiedenen Wurzeln speiste, die heidnischen Ursprungs sein sollten. 1 8 9 Auch wenn die katholische Haltung sich hier also mit relikttheoretischen Auffassungen von Aberglauben vermischte, so hatte dieser Aberglauben eine ganze andere Qualität. Wichtig war dabei für die katholische Kirche, daß die hohe Geistlichkeit ihre Monopolstellung und Deutungsmacht im Umgang mit übersinnlichen Phänomenen wie Geistern gefährdet sah. Dies brachte der Straßburger Theologe Franz Walter 1904 auf den Punkt, als er festhielt, daß S. 129-143. Artikel „Besessenheit", in: L T h K 2 , Bd. 2, S. 294-300. Artikel „Exorzismus" in: HDA, Bd. 2, Sp. 1098-1108. 186 Vgl. Walter, Aberglaube, S. 231. 187 Vgl. ebenda, S. 303. 188 Simar, Aberglaube, S. 16. 189 Etwa Schneider, Geisterglaube, S. 23-60. Artikel „Geist", in: HDA, Bd. 3, Sp. 472-510.
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VI. Verdächtige Neulinge
„katholischerseits da und dort die Neigung [besteht], wegen der geheimnisvollen Erscheinungen auf diesem Gebiet übernatürliche Einflüsse anzunehmen, ja den ganzen Komplex auffallender Tatsachen oder für tatsächlich hingenommener Phänomene in die Regionen des Dämonischen überzuschieben, ein Verfahren, das, wenn es nicht selbst schon Aberglauben ist, jedenfalls daran grenzt und in den Aberglauben hineinführt". 1 9 0
Sodann bestand eine nicht zwangsläufig auf eine ultramontane Haltung zurückzuführende Affinität zwischen Geistlichkeit und „neuem Aberglauben", die in der medizinhistorischen ebenso wie in der Katholizismusforschung bisher zu wenig berücksichtigt worden ist. Zwar war vielfach nicht exakt zu ermitteln, ob ein geistliches Handauflegen oder ein magnetisches Bestreichen vorlag, zumal animalischer Magnetismus auch ein Etikett sein konnte. Dennoch dokumentieren einige Punkte den Zusammenhang. So widmete sich nicht nur Görres in seiner christlichen Mystik im sechsten Buch ausführlich dem magnetischen „Rapport", sondern auch die Kurversuche Settegasts als eines der aktivsten Mitglieder des katholischen Koblenzer Kreises sind dafür ein Beleg. 1 9 1 Die Nähe zum Katholizismus wurde zugleich in dem geistig-magnetischen Verein offenkundig, den Ambrosius Oschwald 1850 gründete und der regen Zulauf aus seiner katholischen Anhängerschaft erhielt. 1 9 2 Folgt man dem zeitgenössischen Magnetismusexperten Ennemoser, dann waren Geistliche zumindest in England die aktivsten Magnetiseure. 193 Solche Fälle begegnen auch in der Rheinprovinz wiederholt. 1843 vermerkte die Kölner Regierung in ihrem Sanitätsbericht, daß Pfarrer Johann Wilhelm Hermanns (Dekanat Lechenich) bereits seit mehreren Jahren magnetische Kuren durchführe. 194 Hermanns hatte nicht nur schon 1831 ein junges Mädchen mit seinen Händen bestrichen, sondern dieses auch in somnambule Trance versetzt. Als er 1842 erneut magnetisch tätig wurde und die 26jährige Dienstmagd Anna Sibilla Nicolin behandelte, brachte er dadurch einen großen Teil seiner Gemeinde gegen sich auf. Der wegen des Aufruhrs hinzugezogene Kölner Kreisphysiker Canetta konnte an der Dienstmagd keinerlei Symptome einer Krankheit feststellen, obwohl sie über typische psychosomatische Leiden klagte: Kopf- und Magenschmerzen sowie Krämpfe, bei denen sie feste und flüssige Nahrung erbrach. Canetta entlarvte die Magd als Betrügerin und glaubte, der Pfarrer 190
Walter, Aberglaube, S. 113. Vgl. Görres, Mystik, Bd. 3, S. 301-335. Settegast an Regierung Koblenz vom 20.3.1822, in: L H A K , Best. 441, Nr. 2857. 192 Vgl. Treiber, Wie man wird, S. 314-318. Bereits 1851 verbot der Freiburger Erzbischof Hermann von Vicari den Verein. 193 Vgl. Ennemoser, Anleitung, S. 27-29. 194 Sanitätsbericht 2. Semester 1843 (Köln), in: L H A K , Best. 407, Nr. 353, S. 532-540. 191
4. Kirchliche Reaktionen auf „Neuen Aberglauben
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habe als selbst Betrogener die Leichtgläubigkeit seiner Gemeinde ausgenutzt. Diese Selbsttäuschung hatte sicher auch mit geistlichen Funktionen, den ohnehin stark auf den Geist konzentrierten seelsorgerischen Aufgaben zu tun. Für die preußischen Behörden kam erschwerend hinzu, daß magnetische Kuren mit der geistlichen Amtswürde nicht vereinbar schienen, zumal viele Laienheiler, zu denen auch Geistliche gerechnet wurden, kurzerhand verdächtigt wurden, „unsittliche" Verhältnisse zu ihren Patientinnen zu etablieren. 195 Auch der umtriebige Ottweiler Pfarrer Hansen provozierte durch ein Manuskript über die neue spiritistische Mode eine grundlegende Stellungnahme des Trierer Generalvikariats. An dieser Äußerung ist die amtskirchliche Haltung gut zu erkennen. Hansen hatte ein fiktives Antwortschreiben an einen Freund über das Tischklopfen entworfen, in dem er die Möglichkeiten eines Geisterkontaktes auslotete und sie nicht verwarf. Dieses Manuskript reichte er beim Generalvikariat ein, um das Imprimatur zu erhalten. Hochgradig empört verweigerte die kirchliche Behörde die Genehmigung, beförderte Hansen in ihren Augen doch damit den „verderblichsten Aberglauben". Sie drohte dem Pfarrer mit ernsthaften Konsequenzen: „Wenn ein solcher in dem Glauben, daß an der Sache etwas sei, oder daß er wirklich auf diesem Wege durch die Geister etwas erfahren könne, so handelt, so verfällt er auch der im Kirchenrecht verhängten Strafe". Trier empfahl ihm dringend die Lektüre der Werke Thomas von Aquins, die den Umgang mit dem Geist im rechten Licht darstellten. 196 Schließlich zeigte die Reaktion der Kirche bereits die Geltungsmacht der Wissenschaft, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Meßlatte für ein geistliches Verbot von mesmeristischen Kuren geworden war. Das Verbot der Kongregation bezog sich dabei maßgeblich auf die Gefahren und abergläubischen Konsequenzen, die mit den neuen therapeutischen Methoden verknüpft waren. Die Schwierigkeiten des ausgehenden 18. Jahrhunderts, Mesmers neue Therapie gegenüber Gaßners Exorzismen durchzusetzen, waren verschwunden. Das Rundschreiben von 1856 erlaubte ausdrücklich die Ausübung des Magnetismus, um wissenschaftliche Beobachtungen anzustellen. 1 9 7 Damit nahm die Kirche jene medizinisch-wissenschaftliche Position 195
Regierung Liegnitz an Kultusminister Eichhorn vom 29.9.1846, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2198, Bl. 112r-114v. 196 Generalvikariat Trier an Hansen vom 12.8.1853, in: BAT, Best. 71,55, Nr. I l l , S. 65 f., Zitate S. 65. 197 Der Wortlaut des Rundschreibens in diesem Punkt lautet: „Etenim compertum est, novum quoddam superstitionis genus invehi ex phaenomenicis magneticis, quibus haud scientiis physicis enucleandis, ut par esset, sed decipiendis ac seducendis hominibus student neoterici plures, rati, posse occulta, remota ac futura detegi magnetismi arte vel praestigio, praesertim ope muliercularum, quae unice a magnetizatoris nutu pendent". Wirthmiiller, Tugend, S. 634. Walter ; Aberglaube, S. 233.
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VI. Verdächtige Neulinge
ein, die den Magnetismus und später auch die Hypnose als Universalheilmittel ablehnte und diese Annahme für Aberglauben hielt. Indessen blieb die Nähe zu Wunderheilungen ein heikler Punkt, da auch die Wissenschaften selten in der Lage waren, die Heilerfolge zu erklären, auch wenn man die wundersamen Effekte für wenig verbürgt hielt. 1 9 8 Ein Stück weit instrumentalisierten katholische Kritiker die gesundheitlichen Gefahren, die sie mit sittlichen und moralischen Vorbehalten kombinierten, und griffen damit ärztlich-medizinische Argumente auf. 1 9 9 Die Haltung der protestantischen Kirche zu den neuen Aberglaubensvarianten läßt sich am eindringlichsten kurz nach der Jahrhundertwende ablesen. Zwar hatten sich die Spiritisten um Einverständnis bemüht, aber sie stießen auf deutliche Ablehnung. Die nationale Hauptstadtpresse zeigte sich 1902 darüber entsetzt, daß Spiritismus, christliche Wissenschaft und Gesundbeten vor allem in den höchsten Kreisen der Berliner Gesellschaft auf großes Interesse stießen, was den Reichstag, Wilhelm II. und auch die preußischen Generalsuperintendenten motiviert haben mag, sich damit auseinanderzusetzen. 200 Der Kaiser war in diesem Jahr an den Vorgängen überaus interessiert und ließ sich wiederholt Immediatberichte über spiritistische Literatur und Zeitungsmeldungen vortragen. So informierte ihn das Auswärtige Amt über Pressemitteilungen zu den Auftritten des Blumenmediums Rothe in Dresden, und auch ein Gutachten über eine kritische Auseinandersetzung des Pastors der Berliner Nicolaikirche, Otto Riemann, mit dem Spiritismus legten die verantwortlichen Minister ihm vor. 2 0 1 In der Auseinandersetzung mit modernen Aberglaubensformen setzte der Kaiser vor allem auf die Seelsorge durch die protestantische Geistlichkeit. Allen voran der protestantische Theologe, vormalige Hofprediger und Begründer der Christlich-Sozialen Arbeiterpartei Adolf Stoecker verstieg sich angesichts einer Entchristlichungsgefahr in harschen Tiraden gegen die 198
Vgl. Walter, Aberglaube, S. 235. Vgl. ebenda, S. 331. 200 Zeitungsausschnitte Beiblatt zur National-Zeitung Nr. 73 vom 1.2.1902; Berliner Tageblatt vom 8.2.1902, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2180; dieses Urteil auch in EZA Berlin, Best. 7, Nr. 3946, Bl. 23v. Gleiche Töne finden sich bei Karl Julius Müller, Aberglaube und Occultismus in Berlin und der Provinz Brandenburg. Vortrag gehalten in Berlin, Oranienburg und Landsberg a.W. Nebst Anhang: Die Chiromantie in ihrer praktischen Anwendung, Berlin 1899, S. 37. Ein Exemplar befindet sich in der Stadtbibliothek Köln unter der Signatur KG 8 1250. 201 Gutachten über Otto Riemann, Ein aufklärendes Wort über den Spiritismus auf Grund praktischer Erfahrungen und wissenschaftlicher Studien, Berlin 1902, in: GStA PK, I. HA, Rep. 2.2.1. (Geheimes Zivilkabinett) Nr. 15340, Bl. 8r-9v; ebenso ließ Wilhelm II. sich ausführlich über Scientisten und Sekten informieren: Abschrift Polizeipräsident von Borries (Berlin) an Wilhelm II. vom 5.3.1907, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 I I I (Kultusministerium), Sekt. 1, Abt. X l l l a , Nr. 41 Beiheft. 199
4. Kirchliche Reaktionen auf „Neuen Aberglauben
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„Schwärmerei" und forderte in Übereinstimmung mit Medizinern eine schärfere Gesetzgebung: „Die ganze Sache hängt zusammen mit der Neigung der Zeit nach dem Abenteuerlichen und Unnatürlichen. Das Christenthum ist vielen verleidet, verekelt; nun greifen sie nach allem Wunderbaren, das ihnen entgegentritt. [...] Und es entspricht in der That unseren rechtlichen Zuständen nicht, daß Betrüger, die auf den Aberglauben ihrer Mitmenschen spekuliren, damit noch große Geschäfte machen". 2 0 2
Stoeckers herausragendes Ziel war es, sich dem Verfall christlicher Werte entgegenzustemmen. Seine Argumentation, und das macht sie so bemerkenswert, verband den regressions- mit dem relikttheoretischen Zugang. Die Voraussetzung für den breitenwirksamen Erfolg des Spiritismus - und der christlichen Wissenschaft - sah er in der „Neigung der Zeit". Dies koppelte er mit dem Aberglauben Verführbarer. Dabei setzte Stoecker offenkundig weniger auf Aufklärung als vielmehr auf verbietende Gesetzgebung, womit er sich allerdings nicht durchzusetzen vermochte. Diese Verbindung läßt sich auch in der Haltung des Evangelischen Oberkirchenrats erkennen. Wie eine in seinen Akten erhaltene, umfangreiche Zeitungsausschnittsammlung zeigt, beobachtete dieser die Erfolge der spiritistischen Bewegung überaus intensiv. Zahlreiche Anstreichungen verdeutlichen, daß man hier die „satanische Welt", eine „raffinirte, moderne Form des krassesten Aberglaubens, den jeder wahre Christ bekämpfen muß", wirken sah. 2 0 3 So stand an erster Stelle der Tagesordnung einer „Konferenz des preußischen Evangelischen Ober-Kirchenrats mit den Generalsupersuperintendenten der älteren Provinzen" vom 12. November 1901 die „Neigung für Spiritismus, Scientismus, sowie die religiös motivirte Ablehnung ärztlicher Hülfe" zu diskutieren. 204 Der Berliner Generalsuperintendent Braun klagte darüber, daß der Spiritismus nun auch zunehmend unter den einfachen Leuten auf dem Land verbreitet würde. 2 0 5 Gefährlich und politisch brisant schien den beteiligten Geistlichen dies auch deshalb, weil es sich gelegentlich mit der Ablehnung ärztlicher Hilfe koppelte und mit einer „Art von sittlichem Kommunismus (gegenseitiges Duzen, Bruderkuß pp.)" vermenge.
202
Auszug aus den Stenographischen Verhandlungen des Reichstages vom 30.1.1902, 130. Sitzung, S. 3860, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2180. Zu Stoecker (1835-1909), 1881-1893 und 1898-1908 Mitglied des Reichstags, 1879-1898 Mitglied des preußischen Landtags, dazu knapp Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Erster Bd., S. 4 9 7 ^ 9 9 . 203 Zeitungsausschnitt Kreuz-Zeitung vom 14.4.1901; Zeitungsausschnitt Bremer Zeitung vom 26.11.1902, in: EZA Berlin, Best. 7, Nr. 3946, Bl. l r und Bl. 80. 204 Auszug aus dem Protokoll der Konferenz vom 12.11.1901, in: ebenda, Bl. 18r-29r. 205 Vgl. ebenda, Bl. 19r.
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VI. Verdächtige Neulinge
Grundsätzlich galten Spiritismus und Gesundbeten der Versammlung als „Aberglaube in wissenschaftlicher Begründung" und weitaus gefährlicher als der klassische, vor allem noch in Pommern verbreitete „Aberglaub e n " . 2 0 6 Bedenklich schien dabei vor allem, daß auch Pastoren sich von der Kanzel herab zustimmend gegenüber dem Spiritismus geäußert hatten - der Fall des in Resau zuständigen Pastors Müller hatte dies eindringlich gezeigt. Die beiden Generalsuperintendenten der westlichen preußischen Provinzen hatten ein bemerkenswertes Argument, weshalb Spiritismus und Gebetsheilungen unter den Protestanten nur wenig Anklang fanden, seien diese doch durch ihre Erfahrungen mit den katholischen Wunderheilungen und ein lebendiges Gemeindebewußtsein weitgehend immunisiert. 207 Dennoch sollten die Stärkung des Gemeinschaftslebens, intensivierte individuelle seelsorgerische Betreuung und schließlich auch direkte Äußerungen von der Kanzel den spiritistischen Vormarsch stoppen helfen. 2 0 8 Eines aber ließ sich damit keinesfalls stoppen: Die beiden großen Kirchen verloren zusehends ihr Monopol im Umgang mit dem Jenseits; der Säkularisierungsprozeß als Entkirchlichungsprozeß fand in den Erfolgen des Spiritismus seinen sichtbarsten Ausdruck. Die Auseinandersetzungen um den animalischen Magnetismus belegen einen komplexen Prozeß, der nicht auf eine ausschließliche Inanspruchnahme und Vereinheitlichung medizinischen Wissens durch akademische Eliten hinauslief. Viele der augenscheinlichen Wirkungen dieser jungen Therapie konnten die Zeitgenossen offensichtlich nur schwer nachvollziehen, weshalb romantische Spekulationen und Entwürfe in diesem Zusammenhang Auftrieb erhielten. Diese, wie die Nähe zum katholischen Austreibungsritus und zu magischen Heilungswundern, machten den Magnetismus für den Aberglaubensvorwurf sehr anfällig. Dabei hatten die Befürworter der Heilmethode gerade mittels des Magnetismus versucht, vermeintlichen Aberglauben früherer Jahrhunderte zu entzaubern. Den Anhängern des Spiritismus gelang es dauerhafter als denen des animalischen Magnetismus, sich in verschiedenen Bereichen zu verwurzeln. Die neue Bewegung stützte sich um die Jahrhundertwende auf mehrere Fundamente: vor allem auf die Presse und das Vereinswesen. Eine solche Bandbreite war beim animalischen Magnetismus nur kurzfristig in den 1820er Jahren gelungen, obwohl er stärker in der Wissenschaftslandschaft Fuß faßte. Dieser Vorgang, der in der Soziologie mit der Formel der „kulturellen Entdifferenzierung" beschrieben worden ist, stattete die spiritistische Bewegung mit vielen typischen Merkmalen der Moderne aus. 2 0 9 Trotz 206 207 208
Ebenda, Bl. 21r und Bl. 22v. Vgl. ebenda, Bl. 23r und 25v. Vgl. ebenda, Bl. 27v.
4. Kirchliche Reaktionen auf „Neuen Aberglauben
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eines wissenschaftlichen Anstrichs gelang es den Spiritisten freilich nicht, sich vom Aberglaubensvorwurf zu lösen. Das lag ganz entscheidend daran, daß die vor allem von der katholischen Kirche als „neuer Aberglauben" bezeichnete Variante gar nicht so neu war. Dazu waren die Verbindungen zum überkommenen Geister- und Gespensterglauben, die sich in verschiedenen Formen äußerten, zu offensichtlich. Neu waren in erster Linie die Bezeichnungen, die ausgeprägt wissenschaftlichen Kontroversen und das überregionale Interesse an den Phänomenen. Der allenthalben anzutreffende unregelmäßige Wechsel zwischen den Begriffen Hypnose, Hypnotismus und Magnetismus ist ebenso ein augenfälliger Ausdruck des fließenden Übergangs zur Hypnose wie die staatliche Verwendung des Aberglaubensbegriffs. Die preußische Verwaltung stellte vor allem ihre Beurteilung der Hypnosepraxis bewußt in die Umgangstradition mit dem animalischen Magnetismus. Von wissenschaftlicher Seite ist lediglich eine schubweise Annäherung an das Paranormale zu beobachten. Dagegen weigerten sich Staat und Justiz, solches zu akzeptieren und aktivierten die typischen obrigkeitsstaatlich-spätabsolutistischen Argumente: „Ruhe und Ordnung", „Sittlichkeit und Moral" sowie „Aufklärung" der Untertanen. Hervorgehoben seien schließlich zwei Aspekte des Wandels, die dazu führten, daß die Hypnose trotz diverser Bezüge zu ihrem Vorläufer dem Aberglaubensvorwurf im letzten Jahrhundertdrittel deutlich weniger ausgesetzt war als der animalische Magnetismus. Einerseits lag dies darin, daß man sich auf die Therapie bestimmter, in der Regel nervlich verursachter Krankheiten konzentrierte und damit den mesmeristischen Universalanspruch aufgegeben hatte, alle Leiden kurieren zu können. Andererseits hatten die Befürworter die Hypnose von den besonderen Fähigkeiten des einzelnen magnetisierenden Heilers gelöst und eine Erklärung für die therapeutischen Wirkungen in der Suggestibilität gefunden.
209 Ygi Wolfgang Lipp, Magie - Macht und Gefahr. Zur Soziologie des Irrationalen, in: Zingerle/Mongardini, Magie und Moderne, S. 63-97.
V I I . Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen Der Aberglaubensvorwurf polarisierte auf verschiedenen Ebenen, wie bisher deutlich geworden ist. Aberglauben erwies sich dabei als eine teils religiöse, teils politische, teils medizinische und teils wissenschaftliche Diskriminierung mit der einzelne Personen, veraltet empfundene Verhaltensmuster wie magische Rituale oder sogar ganze gesellschaftliche Formationen ausgegrenzt werden sollten. Als eine weitere wichtige Zuschreibung, die das gesamte 19. Jahrhundert hindurch anhielt und die als analytisches Instrumentarium auch in die moderne geschichtswissenschaftliche Forschung einging, entpuppt sich die eng mit dem Aberglaubensvorwurf verwobene Trennung von volks- und elitenkulturellen Handlungsmustern. Als besonders aberglaubensanfällig galten vielen Zeitgenossen nämlich die unaufgeklärten und ungebildeten, die einfachen Leute, die zumeist mit der Volkskultur identifiziert wurden. Dieser Blick hat zu einem guten Teil damit zu tun, daß die sogenannten höheren oder gebildeten Stände in der Minderheit waren. Die Zuweisungen - hier Volkskultur, dort Elitenkultur - erzeugten und erzeugen dabei eine soziale Kluft zwischen althergebrachten und modernen Auffassungen und Handlungen, die in ihrer polarisierenden Schärfe so nicht bestand. Aller mittlerweile in der historischen Forschung geübten Kritik an einer analytischen Trennung zwischen Volks- und Elitenkulturen zum Trotz finden sich immer noch ausgeprägte soziale Zuweisungen.1 Dies überrascht vor allem deshalb, weil die theoretischen Debatten um eine kulturwissenschaftliche Wende gezeigt haben, daß der Kulturbegriff nur wenig trennscharf ist. Auf die Probleme, die sich um Kultur ranken - nicht nur in der Geschichtswissenschaft - , soll kurz eingegangen werden. 2
1
Ein herausragendes Beispiel der jüngsten Zeit ist die Konstruktion einer bis ins 19. Jahrhundert wirksamen, von einer Gelehrtenmagie weitgehend getrennten Volksmagie bei Labouvie, Verbotene Künste. Bestritten wird dies bereits von Daxelmüller, Zauberpraktiken, vor allem S. 38 f. Daxelmüller verliert in seiner polemischen Kritik allerdings aus dem Auge, daß vielfach Wechselwirkungen zwischen gelehrter und populärer Magie bestanden. 2 Vgl. etwa allgemein Wolfgang Frühwald u.a., Geisteswissenschaften heute. Eine Denkschrift, Frankfurt am Main 1991. Für die Literaturwissenschaft Doris Bachmann-Medick (Hg.), Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft, Frankfurt am Main 1996. Für die Soziologie Jörg Bergmann u.a. (Hg.), Religion und Kultur, Opladen 1993.
VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
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Verschiedentlich ist angeregt worden, der B e g r i f f K u l t u r 3 solle den der Gesellschaft als Leitstern am H i m m e l der historischen Sozialwissenschaft ergänzen oder gar ablösen. 4 O b nun „historische Kulturwissenschaft", „Sozialgeschichte i n der Erweiterung" oder „Erforschung historischer Lebenswelten", gemeinsam ist den Überlegungen, den Menschen wieder stärker als denkendes und handelndes I n d i v i d u u m ins B l i c k f e l d der Geschichtswissenschaft zu rücken. Nachdem lange die Analyse v o n Strukturen und Prozessen dominierte, soll dies nun eine angemahnte
„kulturtheoretische
W e n d e " 5 bewirken. A u c h wenn jüngere sozialgeschichtliche Untersuchungen zumeist nicht so menschenleer sind, w i e ihnen vorgehalten wird,
finden
sich diese und ähnliche K r i t i k e n schon seit Jahrzehnten unter dem Deckmantel i m m e r neuer Etikette w i e Alltagsgeschichte, Mentalitätsgeschichte oder auch Historische A n t h r o p o l o g i e . 6 Sie zielen damit wiederholt auf die bereits früh von Thomas Nipperdey formulierten Defizite einer historischen
3 Begriffsgeschichtlich grundlegend ist Jörg Fisch, Zivilisation, Kultur, in: Brunner u.a., Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, S. 679-774. Vgl. auch Gottfried Korff, Kultur, in: Hermann Bausinger u. a. (Hg.), Grundzüge der Volkskunde, Darmstadt 3 1993 (^978), S. 17-80. 4 Vgl. Ute Daniel „Kultur" und „Gesellschaft". Überlegungen zum Gegenstandsbereich der Sozialgeschichte, in: GG 19 (1993), S. 69-99. Reinhard Sieder, Sozialgeschichte auf dem Weg zu einer historischen Kulturwissenschaft?, in: GG 20 (1994), S. 4 4 5 ^ 6 8 . Kritisch dazu Thomas Sokoll, Kulturanthropologie und Historische Sozialwissenschaft, in: Thomas Mergel/Thomas Welskopp (Hg.), Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft. Beiträge zur Theoriedebatte, München 1997, S. 233-272. Rudolf Vierhaus, Die Rekonstruktion historischer Lebenswelten. Probleme moderner Kulturgeschichtsschreibung, in: Hartmut Lehmann (Hg.), Wege zu einer neuen Kulturgeschichte, Göttingen 1995, S. 7-28. Die außerwissenschaftlichen Zusammenhänge dieser Diskussionen unterstreicht Ute Daniel, Clio unter Kulturschock. Zu den aktuellen Debatten der Geschichtswissenschaft, in: G W U 48 (1997), S. 195-219 und S. 259-278, vor allem S. 195-200. Zur komplexen Entwicklung kulturgeschichtlicher Konzeptionen Gangolf Hübinger, Konzepte und Typen der Kulturgeschichte, in: Wolfgang Küttler u. a. (Hg.), Geschichtsdiskurs Bd. 4: Krisenbewußtsein, Katastrophenerfahrungen und Innovationen 1880-1945, Frankfurt am Main 1997, S. 136-152. Vgl. auch Hans-Ulrich Wehler, Die Herausforderung der Kulturgeschichte, München 1998 sowie Ute Daniel, Kompendium Kulturgeschichte. Theorie, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt am Main 2001. 5 Sieder, Sozialgeschichte, S. 449 und S. 456. 6 Genannt seien Überblicke überwiegend internationalen Zuschnitts. Nicht von ungefähr benennt Heide Wunder in ihrem gelungenen Resümee als gemeinsamen Fluchtpunkt für diese Ansätze Kultur: Heide Wunder, Kulturgeschichte, Mentalitätengeschichte, Historische Anthropologie, in: Richard van Dülmen (Hg.), Fischer Lexikon Geschichte, Frankfurt am Main 1990, S. 65-86. Georg G. Iggers, Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein kritischer Überblick im internationalen Zusammenhang, Göttingen 1993, S. 73-87, betont dagegen stärker die Gemeinsamkeiten mit der historischen Sozialwissenschaft. Wichtig ist auch Lynn Hunt, Introduction: History, Culture, and Text, in: Dies. (Hg.), The New Cultural History, Berkeley u.a. 1989, S. 1-22.
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
Sozialwissenschaft. 7 Erneut betont man verstärkt die dezentrale Vielfalt von Kulturen und ihrer Geschichte und plädiert für eine damit verbundene methodische Vielseitigkeit der Geschichtswissenschaft. 8 Über den ohnehin facettenreichen Kulturbegriff ist man sich dabei in den Theoriediskussionen alles andere als einig, 9 was allerdings auch kaum verwundern kann, wenn er neue Leitperspektiven auf Vergangenes ermöglichen soll. Es gibt bereits diverse sozialgeschichtliche Studien, die sich mit kulturhistorischen Fragestellungen befassen. Dabei werden unter Kultur meist Wahrnehmungen, Bedeutungen und Erfahrungen sowie deren symbolischer Ausdruck in jeder schriftlichen oder nichtschriftlichen Form verstanden. Sie können in einem aktiven Prozeß der Aneignung umgeformt werden und bilden dann das, was Clifford Geertz in Anlehnung an Max Weber vage als „selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe" bezeichnet hat. 1 0 Die Fragen nach dem verborgenen Sinn und Hintergrund kultureller Handlungen kann der Historiker dabei ohnehin nicht aus ihren je sozialen, wirtschaftlichen oder religiösen Kontexten lösen. Der Kulturbegriff dient so dazu, die oft wenig regelmäßigen Wechselwirkungen zwischen Individuen, sozialen Formationen und Institutionen, also die komplexen Beziehungen zwischen den Menschen und ihren Umgebungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu analysieren. Zwar darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß Kultur kein ausschließlich handlungstheoretischer Begriff ist, dennoch muß dieser Aspekt besonders betont werden, denn gerade Handlungen stiften neuen kulturellen Sinn und überformen vorhandene Inhalte oder Symbole. Ein vorzügliches Beispiel für diese Zusammenhänge liefert die historische Festkulturforschung, die gerade auch von sozialgeschichtlichen Fragestellungen profi7 Immer noch bedenkenswert aktuell Thomas Nipperdey, Kulturgeschichte, Sozialgeschichte, historische Anthropologie, in: VSWG 55 (1968), S. 145-164. Ders., Die anthropologische Dimension der Geschichtswissenschaft, in: Gerhard Schulz (Hg.), Geschichte heute, Göttingen 1973, S. 225-255. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die weiterführende Kritik von Hans Medick, „Missionare im Ruderboot"? Ethnologische Erkenntnisweisen als Herausforderung an die Sozialgeschichte, in: GG 10 (1984), S. 295-319, hier S. 309. 8 Vgl. hierzu Christoph Conrad/Martina Kessel, Geschichte ohne Zentrum, in: Dies. (Hg.), Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion, Stuttgart 1994, S. 9-36. Dies. (Hg.), Kultur und Geschichte. Neue Einblicke in eine alte Beziehung, Stuttgart 1998. 9 Zu unterschiedlichen Bedeutungssträngen von Kultur in den Kontroversen vgl. Thomas Mergel, Kulturgeschichte die neue „große Erzählung"? Wissenssoziologische Bemerkungen zur Konzeptualisierung sozialer Wirklichkeit in der Geschichtswissenschaft, in: Wolfgang Hardtwig/Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Kulturgeschichte Heute, Göttingen 1996, S. 41-77, hier S. 59-63. 10 Clifford Geertz , Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur, in: Ders., Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1983, S. 7-43, hier S. 9.
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tiert: So versucht man, über Feste kollektive Handlungen und Symbole zu rekonstruieren, und fragt nach deren sozialer wie kultureller Bedeutung im Alltag der Festteilnehmer und -Veranstalter. 11 Sodann ist zu bedenken, daß Kultur, getragen vom aufklärerischen Optimismus, gebraucht wurde und wird, um historischen Fortschritt sprachlich einzufangen. Er ist ein hierarchischer und hierarchisierender Prozeßbegriff, der widersprüchliche Definitionen bis hin zu einem Mißbrauch als politischem Schlagwort ermöglicht. Unauflöslich ist der Terminus mit Wertungen verbunden, deren Gefahren nicht unterschätzt werden sollten. Weitere Schattenseiten einer kulturorientierten Wende liegen in einer inflationären Beliebigkeit, mit der diese Kategorie dann auf alles angewendet werden kann, und darin, wichtige sozialgeschichtliche Fragestellungen wie die nach sozialer Ungleichheit zu vernachlässigen. Dem kann zwar durch eine Konzentration auf konfliktträchtige Felder begegnet werden, sicher aber bleibt eine Rückbindung an die Ergebnisse sozialgeschichtlicher Forschungen unerläßlich. 12 Die Verbindungen von Kultur mit ihrem Pendant Gesellschaft werden in den momentanen Debatten noch zu wenig gesehen.13 Beide Zugänge verorten größere sozialhistorische Formationen, indem sie diese auf ein kulturelles oder gesellschaftliches Ganzes beziehen. Hierfür ist die weit verästelte und differenzierte Erforschung des Bürgertums ein herausragendes Beispiel, zerfällt dieses soziale Gefüge doch gerade im 19. Jahrhundert in viele kleinere Gruppierungen, von noch ständischen Stadtbürgern über Bildungsbürger und Beamte bis hin zu Wirtschafts- oder Kleinbürgern. Um Bürgerlichkeit überhaupt als soziale Einheit fassen zu können, bemühte Jürgen Kocka bereits 1988 neben der Frontstellung gegenüber dem Adel und im Verlaufe des Jahrhunderts zunehmend gegenüber den Unterschichten ein vages „Ensemble kultureller Momente". 1 4 11 Problemorientierte Zugänge bieten Michael Maurer; Feste und Feiern als historischer Forschungsgegenstand, in: HZ 253 (1991), S. 101-130. Manfred Heuling/ Paul Nolte , Bürgerliche Feste als symbolische Politik im 19. Jahrhundert, in: Dies. (Hg.), Bürgerliche Feste. Symbolische Formen politischen Handelns i m 19. Jahrhundert, Göttingen 1993, S. 7-36. Weiter sind wichtig Dieter Düding u.a. (Hg.), Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Reinbek bei Hamburg 1988. Uwe Schultz (Hg.), Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 1988. Walter Haug/Rainer Warning (Hg.), Das Fest, München 1989. 12 Vor Gefahren warnt nachdrücklich Wolf gang Kaschuba, Kulturalismus: Kultur statt Gesellschaft?, in: GG 21 (1995), S. 80-95. Ders., Kulturalismus: Vom Verschwinden des Sozialen im gesellschaftlichen Diskurs, in: ZfV 91 (1995), S. 2Ί-45. 13 Angedeutet wird dies bei Daniel, Clio unter Kulturschock, S. 202. 14 Vgl. Jürgen Kocka, Das europäische Muster und der deutsche Fall, in: Ders. (Hg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. I: Einheit und Vielfalt Europas, Göttingen 1995, S. 9-75, hier S. 14-22. Es handelt sich um eine überarbeitete Fassung von
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
Volkskultur einerseits und Elitenkultur andererseits - wobei strenggenommen i m m e r der Plural zu verwenden wäre - waren gedachte Ordnungen, u m eigene Vorstellungen durchzusetzen und sich selbst und die eigenen sozialen Formationen v o n ungelittenen kulturellen Handlungsmustern abzugrenzen. 1 5 Solche Fragen und Probleme werden seit einiger Zeit auch i n der Medizingeschichte diskutiert, w o b e i vor allem die Verhältnisse
zwi-
schen Ärzten und Patienten, zwischen akademischer M e d i z i n und Laienheilkunde i n den Vordergrund geraten. 1 6 Dabei geht es weniger u m Fragen nach der Mentalität beider Gruppen als vielmehr nach dem Verhältnis unterschiedlicher Wahrnehmungen. Dennoch findet sich selbst i n guten medizingeschichtlichen Studien bis i n die jüngste Zeit hinein die Annahme, daß eine offenkundige Distanz der Unterschichten z u m Mediziner Ausdruck eines Gegensatzes zwischen „der an aufklärerischen Leitbildern orientierten bürgerlichen K u l t u r und der traditionellen V o l k s k u l t u r " war -
eine A n -
nahme, die von den hier ausgewerteten Quellen nicht gestützt w i r d . 1 7 V i e l mehr hat man es m i t vielfältigen Überschneidungen und kulturellen Gemengelagen zu tun, die von den dichotomischen Deutungen vereinheitlicht, verzerrt wahrgenommen und letztlich auch überlagert werden. Ders., Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert, 3 Bde., München 1988, hier Bd. 1, S. 11-76. Eindrucksvoll auch am Beispiel der Mannheimer Familie Bassermann Lothar Gall, Bürgertum in Deutschland, Berlin 1989. Die Bedeutung einer kulturellen Sphäre des Bürgertums unterstreicht gleichfalls Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918. Erster Bd., S. 374-395. Einen wichtigen Forschungsüberblick gibt Utz Haltern, Die Gesellschaft der Bürger, in: GG 19 (1993), S. 100-134. Die kulturelle Praxis von Bürgerlichkeit betont Ulrike Docker, Die Ordnung der bürgerlichen Welt. Verhaltensideale und soziale Praktiken im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main/New York 1994. Verschiedene kulturelle Zugänge wählen Dieter Hein/Andreas Schulz (Hg.), Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996, hier die Einleitung, S. 9-16. 15 Das Konzept der gedachten Ordnung hat in der Nationalismusforschung Konjunktur. Vgl. Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt am Main/New York 2 1993 (engl. Original 1983), vor allem S. 14-17. Dazu der gelungene und wichtige Überblick von Dieter Langewiesche, Nation, Nationalismus, Nationalstaat: Forschungsstand und Forschungsperspektiven, in: NPL 40 (1995), S. 190-236, hier S. 198-202. 16 Vgl. etwa Frane is ca Loetz, Andere Grenzen: Faktoren ärztlicher Inanspruchnahme in Deutschland, 1780-1830. Empirische Ergebnisse und methodologische Überlegungen, in: Schnalke/Wiesemann, Die Grenzen des Anderen, S. 25-48. Wegweisend ist Roy Porter, Doing Medical History from Below, in: Theory and Society 14 (1985), S. 175-198. 17 Lachmund/ Stollber g, Patienten weiten, S. 223. Auf Überschneidungen und Mischformen haben schon hingewiesen Chartier, Volkskultur und Gelehrtenkultur. Camporesi, Bauern, Priester, Possenreißer, S. 7-38. Aus medizinhistorischer Perspektive Wolff, Einschneidende Maßnahmen. Beachtenswert ist Martin Dinges, Ehrenhändel als „Kommunikative Gattungen". Kultureller Wandel und Volkskulturbegriff, in: A f K 75 (1993), S. 359-393, hier S. 368-372.
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Diese Verzerrungen sind in der Folge im Blick zu behalten, weshalb die Auswahl der fünf Fallbeispiele auf drei Leitmotiven fußt. Erstens ging es um die Wechselwirkungen zwischen Kirche oder Wissenschaft einerseits und Laientherapeuten oder Laien andererseits. Zweitens spielte die Verteilung über das gesamte 19. Jahrhundert bei der Auswahl eine Rolle, um die Frage des Wandels in den Blick zu bekommen. Drittens sodann war die Überlieferung wichtig. Hier sollen nicht nur behördliche Quellen gegen den Strich gelesen werden, um Fragen nach dem komplexen Verhältnis zwischen eliten- und volkskulturellen Wahrnehmungen wenigstens ansatzweise zu beleuchten. Es sollten vielmehr soweit wie möglich auch die Betroffenen selbst Zeugnisse hinterlassen haben oder aber in den staatlich-behördlichen und kirchlichen Akten zumindest indirekt zu Wort kommen. Sei es, daß sie Eingaben schrieben, sich vor Gericht oder vor besonderen Kommissionen verantworten mußten, oder sei es, daß sie einen Rechtsanwalt beauftragten, um sich verteidigen zu lassen. Auch wenn diese Funde ein breiteres Bild kultureller Handlungsweisen in den Bereichen der Medizin, Religion oder Wissenschaft ermöglichen, so sind die Aufzeichnungen aufgrund ihrer Überlieferungszufälligkeit dennoch auch vorsichtig zu behandeln. 18 Folgenden Fragen sollen dabei vorrangig nachgegangen werden: Wie gingen die Betroffenen - Akteure wie ihre Patienten, 19 Anhänger oder Kunden - mit dem Aberglaubensvorwurf um und hatten sie ihm etwas entgegenzusetzen? Welche Absichten und Motive leiteten ihr Handeln? Und lassen sich tatsächlich einseitige soziale Zuweisungen vornehmen oder liegt nicht vielmehr eine Gemengelage von Motiven und Teilnahmen vor?
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Diese Quellen, die über die Selbstsicht der Menschen informieren, werden neuerdings als Ego-Dokumente bezeichnet. M i t fast ausschließlichem Augenmerk auf der Frühneuzeitforschung vgl. die Beiträge in Winfried Schulze (Hg.), Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996. Weiter Ders., Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte?, in: Bea Lundt/ Helma Reimöller (Hg.), Von Aufbruch und Utopie. Perspektiven einer neuen Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters. Für und mit Ferdinand Seibt aus Anlaß seines 65. Geburtstages, Köln u.a. 1992, S. 4 1 7 ^ 5 0 . 19 Auch wenn bis weit ins 19. Jahrhundert das Verhältnis zwischen Arzt und Krankem so blieb, daß man noch nicht von einer modernen Patientenrolle - beispielsweise die weitgehende Akzeptanz des ärztlichen Expertenstatus und die Anerkennung medizinischer Verhaltensweisen - sprechen kann, wird der Begriff Patient im folgenden verwendet. Im Vordergrund steht dabei das Leiden (lat. patientia), das einen Kranken bewegte, einen Arzt oder Laienheiler aufzusuchen. 21 Frey tag
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
1. Die Charité-Karriere des Pferdeknechtes Johann Gottlieb Grabe (1824) Bei den Vorgängen um den Pferdeknecht Johann Gottlieb Grabe handelt es sich um eine aufschlußreiche und bisher unterschätzte Episode aus dem direkten Umfeld des animalischen Magnetismus. Das Fallbeispiel ist zunächst wichtig, weil die Zeitgenossen es ernst nahmen. Die Ereignisse bildeten den Auftakt zu einer neuen Konjunktur des animalischen Magnetismus unter Laienheilern, die das gesamte 19. Jahrhundert andauerte. Man kann an dem Laienheiler Grabe eindrucksvoll verfolgen, wie ein ursprünglich wissenschaftliches, wenn auch fragwürdiges Therapiekonzept ausgegrenzt und dennoch zeitgleich unfreiwillig popularisiert und dann Bestandteil einer angeblichen Laien- oder Volkskultur wurde. Es zeigen sich hier somit vielfältige Wechselwirkungen, welche die Komplexität und den keineswegs geradlinigen Verlauf des Modernisierungsprozesses im Bereich der Medizin belegen. Obwohl Laienheiler und ihre therapeutische Vielfalt insgesamt immer noch sehr wenig erforscht sind, läßt sich festhalten, daß sich die Laienheilkunde nicht problemlos in den Prozeß der Medikalisierung einfügt. Dabei stellt sich die Frage immer wieder neu, was das eigentlich ist, ein Laienheiler, ein Laienheilkundiger oder ein Laientherapeut. Die Begriffe führen genaugenommen in die Irre, denn sie setzen einen Unterschied voraus zum professionellen Heiler, worunter in der Regel heute der Mediziner mit einer universitären Bildung und Ausbildung verstanden wird. Diese Unterscheidung war dem frühen 19. Jahrhundert weitgehend fremd, sie stammt aus kirchlichen Zusammenhängen und grenzte zunächst den einfachen Gläubigen vom Geistlichen ab. Erst in den professionstheoretischen Debatten der 1840er Jahre etablierte sich der Begriff des medizinischen Laien als Gegenbegriff zu dem des ärztlichen Standes - sicher auch, weil der Gesetzgeber hier klar trennte. Die Begriffe sollen im folgenden dennoch verwendet werden, um den universitär gebildeten - den Arzt - und den nichtgebildeten Heiler - den Laien - auseinanderzuhalten. Da vieles hinsichtlich laienmedizinischer Therapien noch ungeklärt ist, ist es augenblicklich kaum möglich, eine Binnendifferenzierung anzubieten. Hier stellen sich noch mehr Fragen, als es Antworten gibt. Worauf basierte beispielsweise heilkundliches Laienwissen, wie und an wen wurde es weitergegeben? Welche wechselseitigen Beziehungen gab zwischen ärztlicher und Laienmedizin? Welche Rollen kamen dabei den Kranken zu? Und wie lassen sich unterschiedliche Laienheiler klassifizieren? Zwar sind einige Gruppen bekannt, die über therapeutisches Wissen verfügten. So gab es die kräuterkundige dörfliche Hebamme, den umherreisenden Bader, den religiös motivierten Gebetsheiler, aus Sicht der vereinfachenden Behörden und
1. Johann Gottlieb Grabe (1824)
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vieler Ärzte „Pfuscher" oder „Quacksalber". 20 Jedenfalls fällt es bis über die Mitte des 19. Jahrhundert hinaus schwer, eine deutliche Trennlinie zwischen akademischer und Laienmedizin zu ziehen. Gleichzeitig war dies aber auch eine Übergangsphase, in der die Gesundheitstherapeutik akademischer wurde und den medizinischen Dienstleistungsmarkt zunehmend dominierte. Die Vorgänge um Grabe - im Abschlußbericht der Kommission, die seine Fähigkeiten untersuchte, nur unzureichend zusammengefaßt - sind in drei umfangreichen Faszikeln des Kultusministeriums im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz dokumentiert und lassen die überragende Bedeutung erkennen, die nicht nur die Berliner Öffentlichkeit ihnen im Sommer 1824 beimaß. In diesen Akten finden sich die wöchentlichen Verhandlungsprotokolle der Kommission, Zeitungsausschnitte, Stellungnahmen der Verwaltungsbeamten, ministerielle Verfügungen, Vernehmungs- und Visitenprotokolle, Patiententestate und auch Patientengesuche.21 Die letztgenannten Quellengruppen, Gesuche und Zeugnisse von Patienten, die sich immer wieder in Akten über einzelne Laienheiler finden, sind medizinhistorisch aufschlußreiche und bisher wenig verwendete Quellen, ist es mit ihnen doch möglich, den Medikalisierungsprozeß aus einer anderen Perspektive, nämlich aus der der Adressaten, zu beleuchten. In ihnen bezogen Patienten Stellung zu therapeutischen Maßnahmen und Erfolgen bzw. Mißerfolgen von Ärzten und Laientherapeuten. Meist setzten sie sich für eine bestimmte Person ein und versuchten, die behördliche Zustimmung für deren Therapien zu erlangen. Oft fügten Laienheiler selbst ihren eigenen Gesuchen bereits derartige Zeugnisse bei, um ihre Erfolge zu dokumentieren. Dies ist ein deutliches Kennzeichen dafür, daß auch diese Quellen stark interessengeleitet und mit Umsicht zu verwenden sind. Leider nicht mehr erhalten sind Krankenjournale, welche die Kommissionsmitglieder in den Akten für jeden von Grabe behandelten Patienten angelegt hatten. In den etwa vier Monaten, in denen Grabe in der Charité festgehalten und geprüft wurde, insgesamt waren es 129 Tage, die allein an Lebenshaltungskosten für Grabe 69 Taler und zwölf Groschen verursachten, wie die preußische Verwaltung akribisch festhielt, 22 erschienen zwei Lebensbeschreibungen seiner Person. 23 Auch verwandelte sich das Berliner Kranken20 Dazu Jütte y Geschichte der Alternativen Medizin, S. 18-23. Loetz, Vom Kranken zum Patienten, S. 112-123. Dies., Andere Grenzen, S. 34-36. 21 GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2181-2183. 22 Abschrift der Charité-Rechnung vom 2.11.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2182. 23 [ - ] , Der Magnetiseur Grabe, oder die kurze Erzählung von dem, was derselbe Heilkünstler leistet, nebst Rückblick auf die frühere Geschichte des Magnetismus, und als Vorläufer seiner nächstens zu erscheinenden Biographie, unparteilich dar21*
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
haus gleichsam zu einem Wallfahrtsort, lagerten hier doch täglich so viele Kranke vor dem Eingang, daß sich die Kommissionsmitglieder darüber beklagten, es sei kein Durchkommen mehr. Und dies, obwohl die Charité zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht unbedingt als attraktiver Ort galt und die Heilungschancen bei einem Aufenthalt alles andere als gut standen. Zudem sind die Akten der preußischen Gesundheitsverwaltung übervoll von Gesuchen Berliner Einwohner, die darum baten, von dem „Wunderdoktor" in der Charité geheilt zu werden. Wie ein Lauffeuer hatte sich in der Stadt verbreitet, Grabe sei nach Berlin gekommen. Das Kultusministerium mußte wiederholt Zeitungsannoncen veröffentlichen, daß dieser keine weiteren Kranken mehr therapieren könne, weil die Charité überfüllt sei. Zu dieser öffentlichen Aufmerksamkeit hatten nicht nur Zeitungsmeldungen beigetragen, sondern auch die Vorgeschichte Grabes. Der 1795 geborene, der lutherischen Konfession angehörige Grabe hatte in der sächsischen Garnisonsstadt Torgau, die seit 1815 zur preußischen Provinz Sachsen gehörte, unter Aufsicht des Militärarztes Lehmann Kranke behandeln dürfen, weil die ortsansässigen Ärzte an ihm eine besondere Kraft entdeckt zu haben glaubten. Der Militärarzt Lehmann meinte offensichtlich, bei Grabe magnetische Fähigkeiten erkannt zu haben, oder er witterte ein gutes Geschäft, wofür ihn die preußische Gesundheitsverwaltung später auch ausdrücklich abstrafte. 24 Jedenfalls förderte Lehmann Grabe nach Kräften, und in Torgau behandelte der vormalige Pferdeknecht weit über hundert Kranke täglich, an einem Tag sollen gar 365 Wagen mit Kranken bei ihm vorgefahren sein. 25 Auch wenn dies übertrieben sein mag, so reisten doch viele Berliner kurzfristig nach Torgau, bevor Grabe selbst in die preußische Haupt- und Residenzstadt kam. Für Lehmann geriet der Laientherapeut so in die Rolle eines Ersatzmediums, wobei die Quellen indes über die genaue Vorgehensweise schweigen, in jedem Fall war der Militärmediziner aber bei den Therapien nicht immer anwesend.
gestellt von einem Freunde der Wahrheit, Zerbst/Leipzig 1824. Ein Exemplar befindet sich in GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2183, Bl. 133 (innenliegend). [ - ] , Lebensgeschichte des Magnetiseurs Grabe, wahr und unpartheisch dargestellt und für seine Freunde und Gegner zugleich interessant. Eine Fortsetzung der Schrift, die ohnlängst unter dem Titel herauskam: Der Magnétiseur Grabe, oder kurze Erzählung von dem, was derselbe als Heilkünstler leistet etc. und die als Vorläufer der gegenwärtigen Biographie anzusehen war, Leipzig 1824. Ein Exemplar befindet sich in der Staatsbibliothek Berlin unter der Signatur Kk 6351. Die angekündigte Biographie des gut informierten Verfassers konnte nicht ermittelt werden. 24 Konzept Rust an Generalstabsarzt Wiebel vom 3.7.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2183, Bl. 137r-138r. 25 Verhandlungsprotokoll vom 29.5.1824, 17 Uhr, in: ebenda, Bl. 48r-55v, hier Bl. 48r.
1. Johann Gottlieb Grabe (1824)
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Dieser Vorgang erstaunt um so mehr, da durchaus bekannt war, daß Grabe bereits eine längere Karriere als sogenannter Quacksalber hinter sich hatte. Seit 1821 war er wiederholt zu Gefängnis- und Prügelstrafen verurteilt worden. 26 Dennoch konnte er in Torgau mit behördlicher Genehmigung kurieren. Das Allgemeine Landrecht bot hierfür die rechtliche Grundlage, denn es gestattete allen Nichtmedizinern, unter Aufsicht und auf Anweisung eines Arztes zu therapieren. Auf diesem Wege trugen Lehmann und einige seiner Kollegen zur Popularisierung des animalischen Magnetismus bei, indem sie Grabe als Medium und Heiler verwendeten und aus dem Laientherapeuten erst einen überregional bekannten Magnetiseur machten. Grabe hatte die Bezeichnung, die Lehmann ihm nahelegte, vermutlich nicht richtig verstanden, denn er bezeichnete sein therapeutisches Verfahren als „Melixieren". 2 7 An diesem Punkt zeigt sich, daß das therapeutische Arsenal, über das ein Laienheiler verfügte, nicht eine Frage traditioneller oder moderner Verfahren war, sondern vielmehr an der Effizienz und damit an dem Erfolg bei seinen Patienten gemessen werden muß. Zu Beginn ihrer Untersuchung waren die Kommissionsmitglieder Grabe gegenüber aufgeschlossen. In seiner ersten Vernehmung, unmittelbar nach seiner Ankunft in Berlin, gab Grabe zu Protokoll, er sei in seinem Heimatort zunächst als „Viehdoktor" tätig gewesen und dort weitgehend unbehelligt geblieben. Allerdings seien nach anfänglichen Erfolgen bei Tieren dann auch menschliche Patienten hinzugekommen, die der Knecht mit Gebetsformeln therapierte. Mehrere dieser Formeln mußte er zu Protokoll geben. So beispielsweise seinen Spruch gegen Verstopfung: „Verstopfung! ich sage dir, daß du sollst vergehen, im Namen Gottes, des Vaters u des Sohnes, u des Heiligen Geistes. Amen!" Ergänzend setzte er das Bestreichen mit seinen Händen ein, was das Gremium aufhorchen ließ. Grabe mußte dies mehrfach vorführen und im ersten Protokoll vermerkten die Spezialisten: „die Mitglieder der Commission erkannten die Manipulation durchaus kunstgemäß", 28 was nur so zu verstehen ist, daß sie hier einen Magnetiseur am Werke sahen. Die Wissenschaftler wiesen dem Pferdeknecht in der Charité dreizehn Kranke zur Probebehandlung zu, von denen er einen am Star leidenden Mann umgehend ablehnte. 29 Unter den verbleibenden zwölf waren zwei 26
Bericht Kempf über das Vorleben Grabes vom 15.7.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2183, Bl. 172r-174v. 27 Abschrift Bericht Medizinalrat Niemann (Merseburg) vom 22.6.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2182. 28 Protokoll vom 28.5.1824, 17 Uhr, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2183, Bl. 31r-39v, Zitate Bl. 34r und Bl. 36r. 29 Protokoll vom 30.5.1824, 17 Uhr, in: ebenda, Bl. 56r-61v; ein Mann verstarb bereits am 2. Juni. Protokoll vom 2.6.1824, 17 Uhr, in: ebenda, Bl. 62r-63v.
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
Epileptiker (Mann und Frau) und zehn nicht weiter differenzierte chirurgische Fälle, ein Kind, drei Frauen und sechs Männer, die Grabe mit seinen Verfahren alle heilen wollte. In den folgenden Wochen kamen immer wieder neue Fälle hinzu, weshalb Grabe bis zu seiner Abreise aus Berlin schließlich 70 Kranke in der Charité betreut hatte. Rasch zeigte sich freilich, daß der Laientherapeut sich keineswegs auf magnetisches Bestreichen beschränkte, sondern sich einer therapeutischen Vielfalt bediente. Er bespuckte offene Wunden, rieb seine Patienten mit verschiedenen Ölen ein, verabreichte letztere auch innerlich, leckte sie in den Ohren, murmelte Gebetssprüche, gab ihnen Kräutermischungen in Ziegenmilch und vollzog sympathetisch-magische Kuren. So vergrub er ein blutiges Tuch der Epileptikerin Amalia Elzinger an einem feuchten Ort. Der Fäulnisprozeß sollte auch die Krankheit der Patientin ergreifen. Als dies nicht wirkte, warf er ihr verschwitztes Hemd über seinen Rücken in fließendes Wasser, um die Krankheit wegzuschwemmen. Verbunden mit derartigen Handlungen waren in der Regel magische Rituale, so ging er zumeist dreimal um seine Patienten herum, wenn er sein Gebet sprach. Auch wenn sich der Zustand seiner 70 Charité-Patienten kaum besserte, entwickelten diese größtenteils Vertrauen zum vormaligen Pferdeknecht, wie aus Befragungen bei Visiten durch das Prüfungsgremium hervorgeht. Zum Abschluß des Feldversuchs steckte ihm sogar eine Patientin unter den Augen der Gutachter einen Zettel zu, daß sie von ihm weiter behandelt werden wolle und sich an seine Anweisungen halten werde. 30 Dabei hat man indes zu bedenken, daß die Patienten im Krankenhaus aus ihren alltäglichen sozialen Beziehungen herausgelöst waren und dem Heiler in der stärker bilateralen Beziehung zum Kranken eine besondere Rolle zuwuchs. Einesteils war der Kranke im Krankenhaus weniger selbständig, und der Arzt war andernteils weniger dem Urteil von dessen Umgebung unterworfen. Allerdings ließ sich die bürgerliche Klientel weiterhin zu Hause behandeln. 3 1 Darüber hinaus war Grabe aus dem öffentlichen Beziehungsdreieck Heiler - Kranker - Publikum bzw. Verwandtschaft herausgelöst und der Macht 30 Verhandlungsprotokoll vom 11.7.1824, in: ebenda, Bl. 141r-152r, hier Bl. 147v. 31 Dazu mit Schwerpunkten i m späten 19. Jahrhundert Barbara Elke les, Der Patient und das Krankenhaus, in: Alfons Labisch/Reinhard Spree (Hg.), „Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett". Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main/New York 1996, S. 357-373. Zu grundlegenden Überlegungen Johanna Bleker, Krankenhausmedizin im frühen 19. Jahrhundert. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen, in: Dies. u.a. (Hg.), Kranke und Krankheiten i m Juliusspital zu Würzburg 1819— 1829. Zur frühen Geschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland, Husum 1995, S. 163-174.
1. Johann Gottlieb Grabe (1824)
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einer Kommission aus medizinischen Experten unterworfen; die besondere Arzt-Patient-Beziehung war so nur noch teilweise vorhanden. Diese Beziehung war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nach allem was bekannt ist, weniger ein therapeutisches Unterordnungsverhältnis. Zumindest der bürgerliche Patient war dem Urteil eines Arztes nicht unterworfen, sondern dieser war oftmals Protégé seines Patienten. 32 Auch Grabe war bei der Behandlung von 15 Kranken außerhalb der Charité - unter anderem therapierte er den todkranken preußischen Generalmajor Wilhelm von Schack zweimal täglich 3 3 - unter Kontrolle, denn die Hausärzte waren jedesmal anwesend. Von den damit insgesamt 85 Patienten Grabes waren schließlich fünf während der Behandlung gestorben, bei 17 gestand Grabe ein, sie nicht heilen zu können, 14 beendeten von sich aus die Therapie, 49 mußten aus der Charité ungeheilt entlassen werden. Lediglich 13 Kranke behaupteten, ihr Zustand habe sich gebessert - eine Ansicht, welche die Kommissionsmitglieder allerdings nicht teilten. Das Fazit ihrer Untersuchung fiel vernichtend aus, Grabe war ein „abergläubischer Beschwörer" der bewies, „wie schädlich der leidenden Menschheit und dem Staat selbst derley Pfuschereien und abergläubische Curmethoden sind und wie durch die Versäumung einer zweckmäßigen ärztlichen Hülfe Menschen auf indirectem Wege hingeopfert werden können". 3 4
Das Untersuchungsergebnis spiegelt die Wahrnehmung verschiedener medizinischer Kulturen trefflich wider. Gleichzeitig setzte die Kommission die Legende in die wissenschaftliche Welt, der „Volksglaube" habe Grabe magnetische Kräfte „beigelegt", 35 obwohl dies nachweislich auf den Militärarzt Lehmann zurückzuführen war. Bei der Frage nach dem Vertrauen zwischen Arzt und Patient darf man nicht übersehen, daß Grabe ein überaus erfolgreicher Ruf vorauseilte und er von Geheimnissen umgeben war. Es kursierten verschiedenste Gerüchte über seine therapeutischen Grundlagen und seine Person. Zwei Gerüchte, die bei überregional aufsehenerregenden Kuren immer wieder eine wichtige Rolle spielten, seien herausgegriffen. So hieß es, Grabe sei ein Schäfer, was das therapeutische Ansehen des Pferdeknechtes offensichtlich beträchtlich erhöhte. 36 Der Schäfer gehörte in der Frühen Neuzeit zu den
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Lachmund/Stollberg, Patienten weiten, S. 222. Konzept Rust an Kluge vom 25.5.1824; Protokollabschrift vom 26.5.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2183, Bl. 24r und Bl. 27r-29r. 34 Abschlußbericht vom 24.7.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2181. 35 Rust, Ueber den sogenannten Wunderdoctor, S. 374. 36 Vgl. ebenda, S. 372. 33
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
„latent unehrlichen" Berufsgruppen, und vielfach verdingten sich soziale Absteiger als Schäfer oder übten diese Tätigkeit häufig neben der Abdeckerei aus. Als Außenseiter innerhalb der Dorfgemeinschaft schrieb man ihm nicht nur geheimnisvolle Kräfte zu, sondern er galt als besonders erfahren im Umgang mit Heilkräutern und laienmedizinischen Praktiken. 37 Ein weiteres Gerücht bestätigte sich, nämlich daß Grabe ein Buch besaß. Er gab an, dieses Buch von einem geheimnisvollen Reisenden erhalten zu haben. 38 Das Buch existierte tatsächlich, denn Grabe legte es der Kommission schließlich vor, und offensichtlich konnte er auch ein wenig lesen. Es handelte sich dabei um ein 1767 in Leipzig erschienenes Kunst- und Kräuterbüchlein, in dem viele Kräuterrezepte zum Kurieren kranken Viehs standen. 39 Allein die Gerüchte um so manchen wunderbar Genesenen ließen nicht wenige Schwerhörige plötzlich Linderung verspüren. Gerüchte hatten bei der Karriere eines Laienheilers eine wichtige Funktion, entschieden sie doch nicht nur über das Interesse an ihm, sondern sie waren gerade noch in der ersten Jahrhunderthälfte eine dem Lesen oftmals ebenbürtige Informationsquelle. 40 Auf dem Gipfel seiner therapeutischen Erfolge erhielt Grabe eine Aufmerksamkeit, die an modernen Starrummel erinnert. Einem solchen Vergleich haftet eine gewisse Ernsthaftigkeit an, denn durch ihre physische Nähe zum Magnetiseur wollten viele Kranke an der Aura desselben teilhaben, hier die magnetischen Fähigkeiten, dort der Sangesruhm. So berichtete der Merse37 Vgl. Jutta Nowosadtko, Scharfrichter und Abdecker. Der Alltag zweier „unehrlicher Berufe" in der Frühen Neuzeit, Paderborn u.a. 1994, hier S. 267-269. Wolfgang Jacobeit, Schafhaltung und Schäfer in Zentraleuropa bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Berlin/West 1961, hier S. 173-224 und S. 367-389. Artikel „Schäfer", in: HDA, Bd. 9, Nachtrag, Sp. 123-126. 38 Protokoll vom 28.5.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2183, Bl. 31r-39v, hier Bl. 32v. 39 [ - ] , Kunst- und Kräuterbüchlein darinnen hundert und dreißig [Recepte] vor Menschen und Vieh, sonderlich vor reisende Leute. Darbei auch absonderlich 34 Kräuter, nebst ihrer Wirkungen, den Menschen zu Nutz beschrieben. Von einem geborenen Zigeuner D.P.St., Frankfurt am Main/Leipzig 1767. Titel in: 2. Verhandlungsprotokoll vom 16.6.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2183, Bl. 114r-116v, hier Bl. 115v. 40 Vgl. Rust , Ueber den sogenannten Wunderdoctor, S. 372. Zur Bedeutung und Reichweite von Gerüchten Jean-Noël Kapferer, Gerüchte. Das älteste Massenmedium der Welt, Leipzig 1996. Beachtenswert ist auch die medienwissenschaftliche Studie von Edmund Lauf Gerücht und Klatsch. Die Diffusion der „abgerissenen Hand", Berlin 1990. Als Fallstudie für den Vormärz und die Revolution 1848/49 anregend Joachim Eibach, Gerüchte im Vormärz und März 1848 in Baden, in: Historische Anthropologie. Kultur Gesellschaft Alltag 2 (1994), S. 245-264. Einige Bemerkungen zu deren Bedeutung und Dynamik in der Revolution 1848/49 bei Wolfram Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt am Main 4 1991 C11985), S. 178 f.
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burger Medizinalrat Niemann, der Grabe für einen „in Aberglauben befangenen Bauer[n]" hielt, über dessen Patienten im Juni 1824 nach Berlin: „Sie [die Menge] ist noch so für ihn eingenommen, daß wenn er heute in Freiheit kommt, morgen Wallfahrten zu ihm werden gehalten werden. Wie die Rede geht, so hat ein Kaufmann in Torgau vor seiner Abreise die ledernen Beinkleider des Grabe gekauft, um sich durch den Ueberrest magnetischer Kraft in denselben zu stärken, so hat eine Frau sein Hemde erhandelt, um durch achttägigen Gebrauch den Kraftstoff einzuziehen, der ihre Nerven beleben soll, so haben einige empfindsame Schönen Minuten lang sich an dem magnetischen Duft ergötzt, den sie in seinem letzten Wohnzimmer noch einzuathmen wähnten". 41
Die medizinalrätlichen Ausführungen, die teils zum Schmunzeln anregen und zugleich religiösem Reliquienkult nahekommen, haben einen für den Stellenwert des animalischen Magnetismus gewichtigen Hintergrund. So lange die offensichtlich erzielte therapeutische Wirkung dieses Verfahrens weder theoretisch noch praktisch vollständig zu rationalisieren war, blieb sie an die als besonders und einzigartig begriffenen Fähigkeiten von Magnetiseuren oder von einzelnen somnambulen Medien gebunden. Darin liegt eine Schanierstelle, um die Nähe des animalischen Magnetismus zu laienheilkundlichen Therapien und zum Exorzismus zu erklären. Sieht man einmal von allgemein bekannten Rezepten ab, dann lag ein ganz maßgeblicher Grund in den außergewöhnlichen Fähigkeiten des einzelnen Heilers, ob nun Geistlicher oder Schafhirte. Nicht von ungefähr galt den romantischen Zeitgenossen der Magnetiseur auch als Priester und der Magnetismus als reinigender Ersatzexorzismus. 42 Oftmals blieben die therapeutischen Verfahren ein persönliches Geheimnis, welches Laienheilern eine magisch-übersinnliche Aura verlieh - erinnert sei an die Formulierungen Niemanns, der von „Kraftstoff 4 und von „magnetischem Duft" sprach. Die magische Deutung bestimmter Heilungen und Heilverfahren war so lange eine Ersatzerklärung, bis eine wissenschaftliche Rationalisierung möglich war, wie sie nach und nach erst im letzten Jahrhundertdrittel mit der Hypnose gelang. Magie beruhte auf einer eigenen Rationalität, bot sie doch eine subjektivierte Interpretation von Geschehnissen, die anders nicht zu erfassen waren. Indes heißt dies nicht, daß Magie ein vorrationales und vorwissenschaftliches System war und ist, sie besitzt lediglich eine eigene Handlungslogik, die sich empirisch-wissenschaftlichen Maßstäben weitgehend entzieht. 43 41
Abschrift Bericht Niemann (Merseburg) vom 22.6.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2182. 42 So äußerte sich der romantische Physiker und Begründer der Elektrochemie Johann Wilhelm Ritter (1776-1810) in seinen nachgelassenen Tagebüchern, zitiert in Artelt, Mesmerismus, S. 23 f. 43 Vgl. dazu Kippenberg, Einleitung. /. C. Jarvie/Joseph Agassi, Das Problem der Rationalität von Magie, in: Kippenberg/Luchesi, Magie, S. 120-149.
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
Die Distanz zwischen akademischer und Laienmedizin war 1824 keineswegs so groß, jedenfalls läßt sich seitens des Laienheilers Grabe eine rasche Akzeptanz eines vorgeblich wissenschaftlichen Verfahrens ausmachen, mit dem er sein heilkundliches Repertoire bereicherte. Die Ereignisse lassen vielmehr erkennen, wie flexibel und komplex sogenannte laienmedizinische Heilverfahren waren und wie wenig sie sich den in der weitaus größten Zahl der Quellen überlieferten ärztlichen und behördlichen Zuschreibungen fügen. Es ist zu beachten, daß diese Zuschreibungen sich auch auf wissenschaftliche Forschungsinteressen und Weitungen ausgewirkt haben. Dabei grenzten die Gegner mit einem sprachlichen Vokabular aus, das sich in der Aufklärung bewährt hatte und das lange - und größtenteils immer noch - den Blick für die therapeutische Vielfalt, Offenheit und Bedeutung laienmedizinischer Therapien verstellt hat. Das trifft beispielsweise für einen Begriff wie „Einbildungskraft", aber noch viel mehr für den aufklärerischen Kampfbegriff „Aberglauben" zu. Was Eberhard Wolff in einem breiten Zugriff als „traditionale Medikalkultur" bezeichnet hat, erweist sich bei einem Blick hinter die sprachlichen Barrieren als bemerkenswert innovativ und flexibel. 4 4 Die Laienheilkunde - sofern man überhaupt im Singular davon sprechen kann - war also nicht nur etwas Rückwärtsgewandtes, sondern fand als offenes Phänomen durchaus den Anschluß an neue oder modische medizinische Verfahren. Auch füllten sich die Akten des Innenministeriums mit Gesuchen preußischer Bürger, als Magnetiseure therapieren zu dürfen. Nun mag man einwenden, beim animalischen Magnetismus handle es sich um eine Therapie, die aufklärerischen Leitbildern nicht entsprach, aber das hieße, nicht nur die Wurzeln der magnetischen Therapie, sondern auch „Aufklärung" zu verkennen. Der Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, endete eben nicht an der Schwelle des Erklärbaren, sondern versuchte gerade, diese zu überschreiten. Und auch die preußische Medizinalverwaltung und viele Ärzte durchbrachen diese vorgebliche medizinische Distanz zwischen bürgerlicher und nichtbürgerlicher Medizinalkultur. Wie gezeigt, fielen die Auseinandersetzungen um die therapeutischen Maßnahmen Grabes in eine Phase der behördlichen Aufgeschlossenheit gegenüber der sogenannten Laien- oder nach zeitgenössischem Sprachgebrauch „Volksmedizin". 45 Wenn die Gesundheitsverwaltung sich in den 1820er Jahren hier ein Stück weit auf volksmedizinische Heilmittel und -methoden einließ, so hat diese 44 Wolff, Einschneidende Maßnahmen, S. 90, wonach er unter „traditional" einen Relationsbegriff versteht, Medikalkultur indes nicht als geschlossenes System sieht. Zur umsichtigen Kritik daran Volker Roelcke, Medikaie Kultur: Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung eines kulturwissenschaftlichen Konzepts in der Medizingeschichte, in: Paul/Schlich, Medizingeschichte, S. 45-68. 45 Zur Volksmedizin Stolberg, Probleme und Perspektiven.
1. Johann Gottlieb Grabe (1824)
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Aufgeschlossenheit auch eine andere Konsequenz: Viele preußische Ärzte und die Medizinalbehörden unterschieden zu Beginn der 1820er Jahre klarer zwischen akademischer und Laienmedizin, und entsprechend urteilte die Kommission auch über Grabe. Trotz dieser Zusammenarbeit, und auch wenn das Landrecht eine Kooperation zwischen Ärzten und Laienheilern ermöglichte, sind weder die Konkurrenzsituation noch die ärztliche Distanz zum Laientherapeuten zu übersehen. Gerade die während der Kommissionsermittlungen befragten Mediziner der sächsischen Provinz äußerten sich harsch und ablehnend über Grabe und nutzten dies zu einem Rundumschlag gegen den animalischen Magnetismus und volksmedizinische Therapien. Der Dübener Regimentsarzt Gagern führte den „Erfolg desselben größtentheils auf Täuschung, wie es beim thierischen Magnetismus und dem hier vorherrschenden finstern Aberglauben und Mysticismus so oft der Fall ist" zurück. 46 Es gibt zahlreiche Belege, daß auch auf einer anderen Ebene die Unterschiede zwischen den Kulturen nicht so groß waren, wie der Aberglaubensvorwurf von Ärzten und Behörden weismacht. In bezug auf die Behandlungen registrierte die Regierung in Merseburg erstaunt, daß unter den Patienten des „dümmsten Bauernburschen der hiesigen Gegend" nicht nur viele Soldaten, sondern auch die „gebildeten Stände" waren 4 7 Soweit aus den Quellen zu ersehen ist, war die Kundschaft Grabes überaus heterogen. Ganz offenbar wuchs das Interesse des bürgerlichen und adeligen Publikums mit den ersten Erfolgsmeldungen und Gerüchten, zumal man in Berlin ohnehin lange viel auf den Magnetismus gehalten hatte. Bis zu einer Schwangerschaftsaffäre um eine Patientin - vermutlich Caroline von Blücher, eine Enkelin des berühmten Generals - war die gutbesuchte magnetische Praxis Wolfarts das Berliner Stadtgespräch. 48 Natürlich dürften auch Neugier oder Sensationslust eine Rolle gespielt haben, denn der Heilerbesuch lief dem üblichen Verfahren einer medizinischen Konsultation zuwider, was die Behörden kritisch registrierten. 49 Der Aufenthaltsort des kranken Bürgers oder Adeligen war normalerweise das Bett im eigenen Haus. Der Arzt kam also üblicherweise zum Kranken und nicht umgekehrt. Erst die ministeriell an46 Gagern aus Düben [Schreibung unsicher] an Rust vom 2.5.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2183, Bl. l l r - 1 4 v , Zitat Bl. 13v. 47 Regierung Merseburg an Kultusministerium vom 30.6.1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2182. 48 Vgl. Artelt, Mesmerismus, S. 54-57. Burkhard Peter, Magnetismus und Immoralität - Oder das schnelle Ende des Magnetismus in Berlin um 1819/20, in: Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie 45 (1995), S. 266-276. 49 Zeitungsbericht der Regierung Merseburg für April 1824, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2183, Bl. 16r-18v.
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
geordnete Prüfung Grabes in der Charité stellte dieses Verhältnis wieder vom Kopf auf die Füße. Während seines Aufenthalts behandelte Grabe 15 bürgerliche Kranke in ihren Häusern, wozu ihm eine Kutsche zur Verfügung stand, wohl nicht nur, weil die Charité einen schlechten Ruf als Armenhaus und Ort der Sterbenden hatte, sondern auch, weil die Bürger ihre Krankheiten im häuslichen Umfeld auskurieren wollten. 5 0 Die von der Kommission angestrebte vollständige Kontrolle des Knechtes erwies sich indes als undurchführbar. Grabe hatte sich in der Charité ein Zimmer mit dem Chirurgen Klebsch teilen müssen, der ihn während seines gesamten Aufenthalts überwachen sollte. Klebsch wich ihm nicht von der Seite, und auch seine Patienten durfte Grabe nur in Anwesenheit des Chirurgen oder der Kommissionsmitglieder behandeln. Fast ein halbes Jahr nachdem Grabe Berlin verlassen hatte und längst wieder wegen Quacksalberei im Gefängnis saß, gab die 24jährige Dienstmagd und offenbar syphilitische Johanna Roeseier bei ihrer Aufnahme in die Charité an, von dem Pferdeknecht angesteckt worden zu sein. Dies löste umgehend intensive Nachforschungen des Polizeipräsidiums aus, das diverse Beteiligte in der Charité bis hin zu den Küchenhilfen und Aufwärterinnen befragte und schließlich ermittelte, daß Grabe und der Dienstmagd wohl tatsächlich „in der Küche [...] verbotener Umgang" gelungen sei. 51 Festzuhalten ist, daß die Grabe-Episode keineswegs nur eine Marginalie in der Geschichte des animalischen Magnetismus war. Dazu nahmen sie schon die Zeitgenossen zu wichtig. Und man kann an diesem Beispiel auch eindrucksvoll die Popularisierung dieser Therapie beobachten. Nahezu problemlos konnte sie neben anderen magisch-therapeutischen Behandlungen eingesetzt werden, wobei Grabe sie keinesfalls ausschließlich benutzte. Ebenso dokumentiert der Fall, wie unsicher Ärzte waren, was die praktische Anwendung des Magnetismus anlangt. Nun mag man argumentieren, der Mesmerismus sei ebenso wie laienheilkundliche Therapien eher ein Opfer des Medikalisierungsprozesses, von Ärzten verworfen und lediglich posthum wieder in den Rang eines Vorläufers von Hypnose und Psychotherapien gehoben. Das hieße aber, den historischen und gesellschaftlichen Wandel im Bereich der Medizin zu sehr von seinem derzeitigen Standpunkt, wenn man so will, von einem Zwischenergebnis, aus zu sehen und von neuen medizinischen Erkenntnissen her zu beurteilen. Weitaus wichtiger ist, daß dieses Verfahren weitgehend an die Fähigkeiten eines einzelnen gebunden blieb, welche die Zeitgenossen gerade bei Grabe aufspüren wollten, und man die augenscheinlichen Wirkungen, die teilweise auch Laien50
Münch, Gesundheitswesen, S. 46 und S. 180. Diverse Hinweise bei Frey, Der reinliche Bürger. 51 Polizei-Präsidium Berlin an Kultusministerium vom 15.2.1825, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2182.
2. Heinrich Mohr (1842/43)
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therapeuten erzielten, weder in der Theorie noch in der Praxis erklären konnte. Heilverfahren oder therapeutische Maßnahmen, die notgedrungen mit Begriffen wie Laienmedizin oder nichtärztlicher Praxis umschrieben werden, waren überaus komplex. Was in Dichotomien wie Laien- versus akademische Medizin oder Volks- versus Elitenkultur gepresst wird, entpuppt sich vielfach eher als wechselseitig aufeinander bezogen, denn als ein Gegenoder Nebeneinander. Zu schnell folgt der Historiker den zeitgenössischen Zuschreibungen und Kampfbegriffen wie „Quacksalber", „Mysticismus" und „Aberglauben". Gerade am Beispiel eines wissenschaftlich noch nicht abgesicherten therapeutischen Verfahrens läßt sich dies erkennen. Im laienmedizinischen Bereich existierten danach fast ausschließlich Mischformen: Sympathiebehandlungen, Gebetsheilungen und im 19. Jahrhundert eben auch der animalische Magnetismus, die alle einem ständigen Wandel und Wechselwirkungen unterworfen waren.
2. Die „Beschränktheit der Bewohner der Provinz am Rhein": Heinrich Mohr (1842/43) Auf den Niederembter und Neurather Schäfer Heinrich Mohr und dessen laientherapeutische Laufbahn in den Jahren 1842 und 1843 wurde bereits wiederholt kurz verwiesen. Dieser geriet mit seinen Gebetsheilungen zwischen die Fronten von Staat, Medizinern, Patienten und - das ist ein ergänzender Aspekt zum Fall Grabe - katholischer Kirche. Dabei hatte sich die Haltung der Pfarrgeistlichkeit in der Erftgegend ebenso gespalten gezeigt wie die der Mediziner. Möhrs therapeutische Anfänge liegen ebenfalls weitgehend im dunkeln, auch wenn im Nachhinein zwei bereits herausgestellte Elemente maßgeblich zu seiner steilen, aber kurzen Laienheilerkarriere beitrugen. Einerseits übertrug Mohr seine zunächst erfolgreich an Schafen vorgenommene Gebetstherapie auf Menschen. An deren Beginn stand Ostern 1842 die spektakuläre Kur eines als unheilbar geltenden Jungen. 52 Andererseits aber unterstützte der Neurather Pfarrer Johann Heinrich Lennarz - bei Grabe war dies der Mediziner Lehmann - ihn anfangs bedingungslos, was dem Zuspruch in der Gemeinde sicher den entscheidenden Anschub verlieh. Die dann einsetzende große überregionale Aufmerksamkeit speiste sich indes aus verschiedenen Quellen: Nachdem bei den bisherigen Ausführungen über die Gebetsheilungen Möhrs das Hauptaugenmerk auf staatlichen, kirchlichen und medizinisch-wissenschaftlichen Reaktionen lag, sollen nun 52
Vgl. Bertrams , Heinrich Mohr, S. 2 f. Knapp auch Jacobeit, Schäfer, S. 383.
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
die vier Handlungsfelder Öffentlichkeit, Therapien, Patienten und Gerüchte abgeschritten werden. 53 Gerade die zensierte „öffentliche Meinung" machte Mohr zu einer interessanten und auch widersprüchlichen Persönlichkeit. Sie stilisierte ihn teils zu einem heiligen Mann und teils zu einem abergläubischen Wunderdoktor. Abbildung 4 gibt einen trefflichen Eindruck dieses widerspüchlichen öffentlichen Bildes. 5 4 Der bärtige, schlicht gekleidete Schäfer segnet eine Mutter und ihr Kind, während am linken Bildrand zahlreiche, achtlos auf einen Haufen geschmissene Krücken und Gehhilfen von seinen therapeutischen Erfolgen zeugen. Freilich wird die an Jesus gemahnende Darstellung durch ängstliche Figuren - der Junge, der sich ängstlich an den Rockzipfel klammert, und die alte Frau, die ihre Hände verkrampft übereinanderschlägt im Vordergrund bereits wieder konterkariert. Das in den Kölner Generalvikariatsakten erhaltene Bild, welches Mohr bei seinen Heilungen zeigt, trägt noch weitere kritische Züge. Auch die Unterschrift „1842!" weist - vor allem durch das Ausrufezeichen - auf die distanzierte Haltung des unbekannten Künstlers, wähnte man sich doch im 19. Jahrhundert und nicht in biblischer Zeit. Die Szene vermittelt darüber hinaus einen gelungenen Eindruck über das heterogene Publikum, das Mohr aufsuchte. Neben den ärmlich gekleideten einfachen Leuten, den Kranken mit Krücken und den überfüllten Planwagen ist im Bildhintergrund ebenfalls eine Kutsche zu erkennen. Aufschlußreich ist außerdem, daß alle Personen, welche die Szene verlassen, entweder noch an Krücken laufen oder aber gestützt werden müssen; offensichtlich verlief ihre Heilung erfolglos. Der Bildeindruck läßt sich durch das schriftliche Quellenmaterial ergänzen und in wesentlichen Bereichen detaillierter fassen. Das Interesse der bürgerlichen und adeligen Schichten war für den großen Erfolg von sowie die überregionale Aufmerksamkeit gegenüber Laienheilern in der ersten Jahrhunderthälfte ausschlaggebend, auch weil es sich bei ihnen um die zahlungskräftigere Klientel handelte. Hinzu kam die gestiegene Aufmerksamkeit der Presse, sobald auch „gehobene Stände" einen Wunderheiler aufsuchten. Das Interesse der „gehobenen" Schichten an Mohr gewinnt schär53
Erhalten ist umfangreiches staatliches sowie kirchliches Aktenmaterial, darunter ein Verhör Möhrs durch verschiedene Geistliche, einen Landrat und einen Kreisphysiker sowie zahlreiche Patiententestate. Hinzu kommt eine Zeitungsausschnittsammlung in den Akten des Kölner Generalvikariats. Da Neurath und Niederembt sowohl in verschiedenen Kreisen (Grevenbroich und Erkelenz) als auch Dekanaten (Bergheim und Neuss) lagen, ergänzen sich die erhaltenen Quellen und beleuchten die Vorgänge von verschiedenen Seiten. 54 In den Quellen ist die Rede davon, daß aus Köln mehrfach Zeichner anreisten, um Mohr zu porträtieren, weil sie sich ein gutes Geschäft mit den Lithographien versprachen. Zeitungsausschnitt Kölnische Zeitung vom 12.12.1842, Nr. 324, in: HAEK, Generalia I 31,5. Vgl. Abbildung 4, S. 335.
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Abbildung 4: Schäfer Heinrich Mohr während seiner Gebetsheilungen (1842) 5 5
fere Konturen durch Berichte von Medizinern und Geistlichen. Danach gehörte es offenbar eine Zeit lang zum guten Ton, den Schäfer in Niederembt oder Neurath mit einem Besuch zu beehren. 56 Mohr wurde so zu einem erstrangigen Streitthema in Flugschriften, Bildern und der Presse. Gerade die Aachener Zeitung rückte seine Wundertaten in einem Artikel am 17. November 1842 in den Blickpunkt der Öffentlichkeit; andere Zeitungen 55
Quelle: HAEK, Generalia I 31,5 (Aktendeckel). Landrat Vorst-Gudenau an Regierung Düsseldorf vom 17.12.1842, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 241, Bl. 25r-27r. 56
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
übernahmen diese Hagiographie umgehend. 57 Gleichzeitig stellten Kritiker ihn in eine Reihe mit anderen rheinisch-westfälischen Wahrsagern, Geistersehern, Teufelsaustreibern und Wunderdoktoren. 58 Während er für den kritischen Teil der Presse „ein Beweis für die Obscurität, den Aberglauben und die Beschränktheit der Bewohner der Provinz am Rhein" war, verwahrten sich diverse rheinische Zeitungen energisch gegen diese Vorhaltungen. Allen voran die Kölnische Zeitung bemühte sich in der wundersamen Angelegenheit um Schadensbegrenzung und rückte die Leistungen der rheinischen Bevölkerung wieder ins rechte Licht: „Was die Provinz am Rhein ist, wie ihre Bewohner denken, was sie im Felde der Wissenschaft und Kunst in jüngster Zeit geleistet haben, das steht zu fest in der Erinnerung von ganz Deutschland, als daß der Schäfer von Niederempt mit seinem Anhange dieses beeinträchtigen könnte oder einige Zeitungsschreiber, die von ihm aus Schatten auf unsere vaterländische Provinz werfen, sie der Leichtgläubigkeit, des Aberglaubens oder der religiösen Schwärmerei beschuldigen möchten, dazu Beifall und Ueberzeugung finden sollten". 5 9
Wichtig ist darüber hinaus, daß Gegner wie Befürworter ihre Auseinandersetzungen bis in das Organ des Katholizismus, die Historisch-politischen Blätter, trugen. Hier sah sich die betroffene Ortsgeistlichkeit genötigt, dem Vorwurf entgegenzutreten, ihre ablehnende Haltung gegenüber dem wundertätigen Schäfer fuße auf einer mangelhaften Verehrung der Jungfrau Maria.60 Obwohl der öffentliche Zuspruch gegenüber dem Schäfer zum Zeitpunkt der Publikation seinen Zenit bereits überschritten hatte, fokussierte der Pfarrklerus damit nochmals die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Frage katholischer Frömmigkeit. Obwohl die Historisch-politischen Blätter in Preußen verboten waren, lasen sie offenkundig viele Geistliche in der Rheinprovinz. 61 Möhrs Heilungen bestanden aus einer therapeutischen Vielfalt, auch wenn er sich auf Gebete konzentrierte. Zunächst betastete er das kranke Körperteil seiner Patienten und murmelte dazu Gebetssprüche. Dann gab er den Kranken neuntägige Gebete an die Jungfrau Maria sowie täglich neun „Vater Unser" auf, um den Heilungsprozeß einzuleiten oder zu beschleunigen. Die Gebete sollten kniend in einem verschlossenen Raum gesprochen werden und nicht in der Kirche. 6 2 Nach neun Tagen hatten die Patienten 57
Vgl. Bertrams , Heinrich Mohr, S. 5. Vgl. Mering/Reichert, Historische Nachrichten. Unter diesen befindet sich auch der Geistliche Adam Knoerzer, der 1783 bereits im Kurfürstentum Trier aufsehenerregende Teufelsaustreibungen vorgenommen hatte und diese in französischer Zeit in Köln fortsetzte. Vgl. ebenda, S. 19-23. Freytag, Exorzismus. 59 Zeitungsausschnitt Kölnische Zeitung vom 10.12.1842, Nr. 324, in: HAEK, Generalia I 31,5. 60 Zur Kontroverse [ - ] , Schäfer von Niederempt. Bono, Reclamation. 61 Vgl. knapp Schneider, Katholiken auf die Barrikaden?, S. 85-94. 58
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Mohr wieder aufzusuchen, wenn ihre Beschwerden noch nicht abgeklungen waren. Überdies segnete der Schäfer die Kranken oder schrieb Gebetszettel, die er ihnen mitgab. 63 Der Segen und das Betasten waren aus verschiedenen Gründen höchst problematisch und boten Angriffsflächen für die Kritiker der Gebetstherapien: Segnen war Geistlichen vorbehalten, und Betasten galt als moralisch verwerflich; sogar Ärzte verzichteten darauf, sofern es möglich war. Der wundertätige Schäfer sagte in seiner Vernehmung durch zwei Kleriker aus, er „betupfe" die Kranken, um „der allerheiligsten Dreifaltigkeit den schmerzhaften und leidenden Theil zur Heilung anzuempfehlen". 64 Damit - das machte ihn weniger angreifbar - nahm er seinen persönlichen Anteil an der Heilung zurück und reduzierte sich auf ein Handlanger Gottes. Mohr verlängerte die Genesungsfrist in der Regel um weitere neun Tage, wenn ihn noch nicht Geheilte wieder aufsuchten. Letztendlich erklärte er die Kranken dann irgendwann zu unverbesserlichen Sündern, weshalb seine Therapie bei ihnen nicht anschlage. Sie sollten fortan bis zu ihrem Tod um göttliche Vergebung beten. Seine Heilbehandlung begleiteten diätetische Forderungen: So durften Patienten mit offenen Wunden keinen Branntwein trinken und kein gesalzenes Fleisch essen.65 Augenscheinlich folgten die Patienten diesen fordernden Ratschlägen eher als denen der Ärzte, worüber sich einige Mediziner bitter beklagten. Auch hier scheint weniger die Akzeptanz kultureller Muster zur Befolgung diätetischer Vorgaben beigetragen zu haben, als vielmehr das Vertrauen auf die Erfolge, die einem Therapeuten nachgesagt wurden. Mohr beanspruchte, mit seinen Gebeten alle Krankheiten heilen zu können, auch wenn nicht er selbst für die Heilung verantwortlich war, sondern das Vertrauen auf Gott, wie er in seinen Vernehmungen angab. Besonders häufig kurierte er Epilepsie, Fallsucht und Gicht. Der Schäfer selbst sah seine Beweggründe in einer tiefen Frömmigkeit und der Erkenntnis, daß durch das Gebet alles zu bewirken sei, wie er in einem Buch gelesen habe. Er glaubte die Heilungen indessen nicht durch seine besonderen Fähigkeiten bewerkstelligt, sondern durch die Macht Gottes. 66 Es existieren über die Zahl der Patienten Möhrs unterschiedliche Angaben, welche auf verschiedenen Quellen basieren. Nach einem schleppenden Start Anfang 1842 stieg die Zahl der Hilfesuchenden allmählich auf etwa 62
Untersuchungsbericht und Verhör Möhrs vom 15.12.1842, in: HAEK, Generalia I 31,5. Bertrams , Heinrich Mohr, S. 14. 63 Landdechant Bono an Generalvikariat vom 28.11.1842, in: HAEK, Generalia I 31,5. Bertrams, Heinrich Mohr, S. 7. 64 Untersuchungsbericht und Verhör Möhrs vom 15.12.1842, in: HAEK, Generalia I 31,5. 65 Untersuchungsbericht von Landdechant Bono vom 28.12.1842, in: ebenda. 66 Untersuchungsbericht und Verhör Möhrs vom 15.12.1842, in: ebenda. 22 Freytag
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
200 täglich an. Auf dem Gipfel seiner therapeutischen Praxis kamen vermutlich jeden Tag über 1000 Kranke nach Neurath oder Niederembt, um sich behandeln zu lassen. Der eigens aus Anlaß der Wunderheilungen in Neurath stationierte Gendarm berichtete am 5. Dezember über mehr als 1000 Personen und 60 Karren mit Kranken. 67 Dieser außergewöhnliche Ansturm hielt etwa zwei Monate an, von Mitte November 1842 bis Mitte Januar 1843, wobei die Entfernungen, welche die Kranken zurücklegten, immer mehr zunahmen. Schließlich führten sogar diverse Wallfahrtszüge zum Schäfer. 68 Anfang Februar 1843 waren dann nur noch zwanzig Kranke täglich zu beobachten, nachdem Landrat Vorst-Gudenau schon in der Woche zuvor etwa noch 120 Fremde registriert hatte. 69 Bei diesen Zahlen kann es kaum überraschen, daß Patienten in der Regel mehrere Tage vor Ort und auch in den Nachbarorten warten mußten, ehe Mohr sie behandelte. Die Masse dürfte allen überlieferten Berichten zufolge aus armen Kranken bestanden haben, auch wenn Vorst-Gudenau - die Abbildung spiegelt dies durchaus wider - das ganze Spektrum ausmachte: „Menschen aller Claßen, jedes Alters, jedes Standes, von der Betschwester bis zum jungen Husarenoffizier strömen herbei". 70 Dennoch hoben die Zeitgenossen immer wieder eine ganze Reihe wohlhabender Patienten - man denke an die Kutsche auf Abbildung 4 - hervor, so gehörte eine Gutsbesitzerin zu einer von Möhrs herausragendsten Gönnerinnen. Sie ließ ihn mit ihrer Kutsche zu einer Vernehmung durch den Landrat und den Kreisphysiker nach Grevenbroich bringen. 71 Bei den genannten Zahlen - bis zu 1000 Patienten pro Tag erscheint es durchaus plausibel, daß Mohr sich in kürzester Zeit ein Vermögen verdiente, selbst wenn man Doppel- und Mehrfachkonsultationen einkalkuliert und Mohr eine Menge der Einkünfte an Bedürftige spendete. Der Schäfer jedenfalls verdiente so viel Geld, daß er sich ein Landgut im Eifelort Hergarten (Dekanat Gemünd) für 15.000 Taler leisten konnte - angesichts der ständig in den behördlichen Akten wiederholten Feststellungen, Mohr nähme lediglich Geschenke an, ein ungeheure Summe. 72
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Bürgermeister Gohammer (Frimmersdorf) an Landrat Vorst-Gudenau (Grevenbroich) vom 9.12.1842, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 241, Bl. 28r29v. Anfang November 1842 hatte Vorst-Gudenau noch von täglich 200 bis 300 Kranken berichtet. Vorst-Gudenau an Regierung Düsseldorf vom 8.11.1842, in: ebenda, Bl. lr-3r. Mohr behandelte einen Teil der Woche in Niederembt, wo seine Familie lebte, einen anderen Teil in Neurath. 68 Vorst-Gudenau an Regierung Düsseldorf vom 17.12.1842, in: ebenda, Bl. 25r21 τ. Bertrams , Heinrich Mohr, S. 9. 69 Vorst-Gudenau an Landrat Daniel Wilhelm Beermann (Erkelenz) vom 8.2.1842, in: HStAD, Best. Landratsamt Erkelenz, Nr. 290. 70 Vorst-Gudenau an Regierung Düsseldorf vom 30.11.1842, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 241, Bl. 7r-16r, hier Bl. 12r. 71 Ebenda, Bl. 8r.
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Folgt der Historiker den erhaltenen Berichten der Ärzte, dann täuschte sich der weitaus größte Teil der Patienten über seinen Gesundheitszustand - aus verschiedenen Gründen. Sei es, daß sie sich einbildeten, es ginge ihnen besser, sei es, daß sie sich schämten einzuräumen, auch der Wunderheiler und ihr eigener Glaube habe ihnen nicht helfen können. 73 Medizinisch war nur gegen die Fahrten der wohlhabenden Patienten nichts einzuwenden, da diese in ihren Kutschen vor der naßkalten Witterung geschützt waren. Auch wenn die zahlreichen kirchlichen und staatlichen Verwaltungsakten sowie die ärztlichen Berichte so gut wie keine Heilungen akzeptierten, sprechen die Patiententestate eine andere Sprache. Mohr hatte diese Zeugnisse bei seiner Vernehmung durch die geistlichen Untersuchungskommissare, zunächst durch den Bergheimer Landdechanten Peter Bono und den Quadrather Pfarrer Joseph Weiler, später dann noch durch den Neusser Landdechanten Johann Heinrich Leuffen und den Pfarrer Wilhelm Josef Wirtz, vorgelegt, um seine Erfolge zu untermauern. Meistens bestätigten neben dem Patienten auch mehrere Zeugen die Heilungen der Betroffenen. Mohr sandte zahlreiche dieser Testate an das Kölner Generalvikariat, von denen 19 erhalten sind. Aus einem Bericht des Frimmersdorfer Bürgermeisters Gohammer geht hervor, daß die Zensurverwaltung eine ganze Reihe weiterer Testate konfiszierte, die zum Druck vorgesehen war. 7 4 Die zumeist sehr knapp gehaltenen, oftmals von diversen Zeugen unterschriebenen Erklärungen weisen einige typische Merkmale auf, die an einem Testat erläutert werden sollen. „ W i r Endes Unterschriebene erklären himit das die frau des Johann Maasen seit Jahren so an der Gicht gelitten hat, das Selbige zu Allen auch den geringsten Häußlichte verrichten unfähig wahr, das ebenfalls der Sohn des genannten Johann Maßen seit Mehren Jahren an Knochenfras gelitten, beide alle ärtzliche Hülfe vergebens angewendet, Jetz aber durch die zu Neurath gesuchte Hülfe bedeutende beßerung verspüre besonders aber die frau. Johan Maßen Margarete Sener [...] +++ als zeugen Gottfried Birk [...] Bürgermeister Berens". 75
72 Pfarrer Johann Anton Henrichs (Niederembt) an Generalvikariat vom 20.2.1846, in: ebenda; Beermann an Regierung Aachen vom 11.2.1843, in: HStAD, Best. Landratsamt Erkelenz, Nr. 290. Es liegen allerdings auch Zeugnisse über wertvolle Geschenke vor. So erhielt Mohr einen gläsernen Pokal als Belohnung von einer Patientin. Vorst-Gudenau an Regierung Düsseldorf vom 17.12.1842, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 241, Bl. 25r-27r, hier Bl. 25v. Zu den finanziellen Verhältnissen Möhrs Bertrams , Heinrich Mohr, S. 27-30. 73 Zeitungsausschnitt vom 27.11.1842, verfaßt von Kreisphysiker Alken (Bergheim), in: HAEK, Generalia I 31,5. 74 Gohammer an Vorst-Gudenau vom 9.12.1842, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 241, Bl. 28r-29v, hier Bl. 29r. Einige Testate auch in Bertrams , Heinrich Mohr, S. 12-14. 75 Zeugnis vom 28.11.1842, in: HAEK, Generalia I 31,5 [Unterschiedliche Schreibweisen der Namen im Original].
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Geradezu stereotyp ist der Hinweis auf die zuvor vergeblich gesuchte ärztliche Hilfe. Die Testate stellten den Schäfer als die letzte Hoffnung dar, nachdem Mediziner versagt hatten. Möglicherweise deutet die Formulierung „ärztliche Hülfe" auch bereits auf anderweitig gesuchte therapeutische, nichtärztliche Hilfe hin. Wie deutlich diese Zeugnisse bereits auf staatlichbehördliche Argumente abgestellt waren, zeigt andererseits die oft anzutreffende Betonung des ökonomischen Wertes, hier verbunden mit der Bemerkung, daß die Frau vor ihrer Heilung „den geringsten Häußlichte verrichten unfähig wahr". Dies verbirgt den Hinweis darauf ein wenig, daß die Ehefrau und Mutter durch die Heilung zumindest wieder für die Familie hilfreich war. Die Formulierung „beßerung verspüre besonders aber die frau" schränkt die Heilung jedoch in doppelter Hinsicht wieder ein. Einerseits ist nicht die Rede von einer vollständigen Heilung, die sonst bestimmt erwähnt worden wäre, andererseits aber scheint die Besserung bei dem Sohn doch noch geringer als bei seiner Mutter ausgefallen zu sein. Man muß sich an dieser Stelle indes auch die Grenzen der Quelle bewußt machen. Testate sind - zumeist im Auftrag des Laientherapeuten oder sogar von diesem selbst verfaßt - stark interessengeleitet. So ging es in der Regel darum, bei staatlichen oder kirchlichen Behörden eine Erlaubnis für die eigenen Therapien zu erhalten oder die moralische Integrität des Laienheilkundigen zu dokumentieren. Besonders erwünscht waren als Zeugen dabei Mediziner, Geistliche oder andere amtliche Würdenträger, im Falle Möhrs Gemeinderäte und Bürgermeister. Den genannten Einschränkungen zum Trotz bleiben die Gebetstherapien Ausdruck eines nach wie vor ausgeprägten medizinischen Pluralismus. Wenn Ärzte keine Erfolge erzielten, suchten Kranke unabhängig von ihrer sozialen Stellung eben auch bei Wunderheilern ihr Glück, denn eine Krankheit konnte in ihren Augen durchaus übernatürliche Ursachen haben. 76 Selbst wenn die Testate oftmals wenig aussagekräftig sind, so lassen sie doch gelegentlich Schlüsse über Alter, Geschlecht und Beruf sowie Herkunft und Krankheit der Patienten zu. In den erhaltenen 19 Testaten bezeugen 28 Personen, zwölf Männer, vierzehn Frauen und zwei Kinder, geheilt worden zu sein, was viele durch ihre Unterschriften bestätigten. 77 Das große Vertrauen von Patienten wie Anhängern drückte sich nicht nur in den Zeugnissen aus, sondern bahnte sich auch andere Wege. So befürchtete der Niederembter Pfarrer Joseph Adolf Obry zu Recht den Zorn der Anwesen76
Vgl. Jütte, Ärzte, Heiler und Patienten, S. 148-162. Devlin , Superstitious Mind, S. 43-51. Loetz, Andere Grenzen, S. 37-39. 77 Testate in HAEK, Generalia I 31,5 (letztes Viertel). Daß die Anzahl der Testate nicht mit der der Patienten identisch ist, liegt daran, daß wiederholt ein Testat für mehrere Geheilte ausgestellt wurde, wie ja auch am gewählten Beispiel - für Mutter und Sohn - zu erkennen ist.
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den, wenn er nicht mit dem Schäfer Mohr kooperierte. Dies zeigte auch das Beispiel des Aachener Pfarrers, der sich mit dem geradezu klassischen Rügebrauch konfrontiert sah - eine tote Katze an sein Haus genagelt - , als er sich im Gottesdienst nachdrücklich gegen die Wunderheilungen ausgesprochen hatte. Daß es sich bei diesem Geistlichen um den wichtigen und bekannten Aachener Stadtdechanten und Erzstiftherrn Johann Theodor Mürckens handelte, dokumentiert zugleich, daß die Wut in solchen Fällen nicht vor höhergestellten Persönlichkeiten haltmachte. 78 Schließlich sind Gerüchte als spezieller Teil der Öffentlichkeit und als wichtiges Element der Heilungserfolge zu beachten. Die Gerüchte um Mohr hatten maßgeblich mit seinen Patienten zu tun, sie kolportierten diese und trugen sie bei ihrer Heimreise weiter. Entscheidend war dabei zunächst das Gerücht über die Genesungen unheilbar Kranker, die den Ruf als „Wundermann" begründeten und in der Folge, zumindest für eine kurze Zeit, festigten. 79 Gerüchte rankten sich rückwirkend um den Beginn der therapeutischen Heilerfolge, sollte Mohr doch - wie die Aachener Zeitung und die Regierung in Düsseldorf übereinstimmend zu berichten wußten - als Dank von einem Fremden ein geheimnisvolles Buch erhalten haben, das ihn nach sieben Jahren befähigte, alle menschlichen Leiden zu heilen. Nach sieben Jahren öffnete sich das Buch dem Gerücht zufolge selbständig, der Schäfer - bis dahin des Lesens unkundig - konnte darin alles verstehen und Blinde, Taube sowie Lahme plötzlich erfolgreich mit den dort niedergeschriebenen Gebetssprüchen behandeln. 80 Offenkundig entstand nach den ersten aufsehenerregenden Erfolgen eine Ursprungslegende, auf die sich die außerordentlichen Fähigkeiten eines Wunderheilers gründen sollte - hierin unterschied sich Mohr nicht von Grabe. Ein Kritiker machte darin sogar die Hauptursache allen Übels aus: „Alles beruht auf Erzählungen, die, von Mund zu Mund auf Kosten der Wahrheit fortgepflanzt, das Erklärbarste zu einem ,Wunder' stempeln". 81 Viele Gerüchte um den Schäfer waren sicher funktional angelegt und hatten unterschiedliche Adressaten. So hatten vor 78
Obry an Iven vom 27.11.1842, in: ebenda. Kreisphysiker Helle Kehsel (Erkelenz) an Regierung Düsseldorf vom 19.11.1842, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 241, Bl. 4. Piel, Vor 150 Jahren, S. 4 f. 80 Zeitungsausschnitt Aachener Zeitung vom 17.11.1842, in: HAEK, Generalia I 31,5; Konzept Regierung Düsseldorf an Vorst-Gudenau vom 22.11.1842, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 241, Bl. 5r-6r. Mohr selbst erklärte in seinem Verhör, daß er kein solches Buch besitze und das Gerücht „ein erdachtes Märchen sei". Untersuchungsbericht und Verhör Möhrs vom 15.12.1842, in: HAEK, Dekanatsarchiv Grevenbroich, Nr. 243. 81 Zeitungsausschnitt in HAEK, Generalia I 31,5. Es war nicht zu ermitteln, aus welcher Zeitung der Ausschnitt stammt. Der auf den 26. November 1842 mit der Ortsangabe Bergheim datierte Artikel ist kritisch gegenüber den Wunderheilungen. Ähnlich argumentierte auch der niedergelassene Arzt de Witt, der die Gerüchte für 79
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allem Wirte und Kutscher der unmittelbaren Umgebung ein großes Interesse an positiven Nachrichten aus Neurath und Niederembt. 82 Mit Blick auf protestantische Kreise mutmaßte der Arzt de Witt über eine andere Funktion: Es „gibt Personen, welche das Treiben des Schäfers nicht gesteuert wünschen, um später mit einem um so größeren Eklat sagen zu können, seht wie dumm und abergläubisch das papistische Volk ist". 8 3
Einige Munkeleien waren speziell gegen Ärzte gerichtet. So hatten Unbekannte einem Arzt einen Dreschflegel an die Haustür gehängt, damit er sich in Zukunft als Knecht verdinge. 84 Die Gerüchte gingen jedoch noch deutlich darüber hinaus: Von einem Dr. Sartorius wurde kolportiert, er sei unmittelbar, nachdem er die Heilungserfolge lauthals angezweifelt habe, bei einem Unfall mit seiner Kutsche tödlich verunglückt. Ganz offensichtlich sollten Gerüchte Ängste schüren, sich gegen Mohr zu stellen. Sie kannten keine Grenzen, denn der Wunderheiler sollte sogar einem verunglückten Schiffer den abgetrennten Kopf - allerdings verkehrt herum - wieder aufgesetzt haben. Aber die wohlmeinende Flüsterpropaganda machte selbst dies zu einem Erfolg, denn danach konnte der Schiffer nun auch im Rückwärtsgehen alles im Blick behalten. 85 Letzteres mutet nun allerdings überaus merkwürdig an, weshalb es naheliegt, daß dieses Gerede die Wunderheilungen ins Lächerliche ziehen sollte, selbst wenn über Verursacher und Empfänger nichts bekannt ist. Auch Mohr selbst geriet zur Zielscheibe. So diffamierten ihn seine Kritiker wegen seiner „plumpen" und „ungehobelten" Manieren persönlich. 86 Vorst-Gudenau erschien Mohr als „ganz roher ungebildeter Mensch". 87 Allerdings mehrten sich Ende 1842 insgesamt die weniger günstigen Gerüchte, so schien er sich Frauen gegenüber zu aufdringlich zu verhalten und Geschenke mittlerweile ohne Widerspruch anzunehmen.88 Der Klatsch mündete in der offenbar nicht ganz unbegründeten Vermutung, das Hauptübel von Möhrs Erfolg hielt, de Witt an Kreisphysiker Jäger vom 1.12.1842, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 241, Bl. 20r-23r. 82 Vgl. Kapferer, Gerücht, vor allem S. 109-116. Zum Stellenwert von abergläubischen Gerüchten im spätabsolutistischen Frankreich vgl. die lesenswerte Studie von Arlette Farge, Lauffeuer in Paris. Die Stimme des Volkes im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1993 (franz. Original 1992), hier S. 128-145. 83 de Witt an Jäger vom 1.12.1842, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 241, Bl. 20r-23r, Zitat Bl. 22r. 84 Vgl. Bertrams , Heinrich Mohr, S. 10. 85 Vgl. ebenda, S. 8 f. Fiel, Vor 150 Jahren, S. 5. 86 Zeitungsausschnitt, datiert auf den 26.11.1842, in: HAEK, Generalia I 31,5. 87 Vorst-Gudenau an Regierung Düsseldorf vom 30.11.1842, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 241, Bl. 7r-16r, hier Bl. 9r. 88 Kaplan Barmenthai (Köln) an Iven vom 16.12.1842, in: HAEK, Generalia I 31,5.
2. Heinrich Mohr (1842/43)
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der zuvor mittellose Schäfer besäße mittlerweile ein Faß mit Kupfer- sowie Silbermünzen, und seine Kinder spielten mit diesen Reichtümern. 89 Lieder rundeten dies schließlich ab, machten Mohr weiter bekannt und nährten neue Gerüchte. „Ich bin der Schäfer Mohr. Ich packe so manches Schaf beim Ohr. Ich schmiere nicht ich bete nur, dann erfolget einen Kühr.
Bürgermeister und Landrathur, sie glauben schon einen Kühr. Drum tu ich mich ins Fäustchen lachen, und mir ein Häufchen Geldes machen.
Durch Kreuzersegnen, Händestreichen, muß mir so manches Übel weichen. Doktor und Apotheker weinen, weil seine Kuhren heilig scheinen.
Ich hab ein schönen Backenbart, kurier die Leut auf meine Art, sie kommen ja aus fremdem Land M i t dem Beutel in der Hand". 9 0
Wie sehr die Urteile über therapeutische Verfahren mit Etikettierungen zu tun hatten, zeigen die wilden Spekulationen, die über die Gebetsheilungen ins Kraut schössen. Ein Mediziner sah hier den animalischen Magnetismus wirken, der nächste tat Mohr als abergläubischen Laienheiler ab und die untersuchenden Geistlichen erkannten in ihm einen fehlgeleiteten Christen, der sich überschätzte. 91 Das Etikett „animalischer Magnetismus" ist zugleich ein Beleg für dessen Nähe zu religiös-therapeutischen Verfahren. Das „Betuppen" Möhrs galt dem beobachtenden Arzt unbedingt als magnetisches Bestreichen, wobei ihn die begleitenden Gebetstherapien offenkundig nicht weiter irritierten. In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage danach, wieso ausgerechnet 1842/43 ein ausgeprägter, weit um sich greifender Wunderglauben zu den - wenn auch kurzfristigen - Erfolgen Möhrs beitrug, der ja bei der Trierer Rockwallfahrt 1844 einen erneuten Gipfel erklomm. Die Gründe hierfür liegen teilweise in der passiven Verwaltung, die den Dingen in der Hoffnung auf Einsicht weitgehend ihren Lauf ließ. Hinzu kommt aber sicher auch die kirchenpolitisch nach wie vor angespannte Situation, die für die Zurückhaltung der preußischen Behörden ebenfalls bedeutsam war. Aus der Perspektive der wundergläubigen Patienten spielte einerseits die weitgehende Ohnmacht der Medizin gegenüber vielen Krankheiten eine wichtige Rolle, aber dann andererseits auch die wirtschaftlich prekäre Lage der 1840er Jahre, die viele Menschen auf Wunder hoffen ließ. Kaum ausreichend ist dagegen die Erklärung, daß die Wirren und die Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu schlechter religiöser Erziehung bei89
Vgl. Piel, Vor 150 Jahren, S. 5. Bertrams, Heinrich Mohr, S. 32. Weitere Strophen S. 32 f. Gesungen wurden diese Zeilen nach der Melodie des Liedes „Ich bin der Doktor Eisenbart". 91 de Witt an Jäger vom 1.12.1842, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 241, Bl. 20r-23r. 90
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
getragen hätten und diese Generation gegenüber Wundern aufgeschlosse• 92
ner sei.
3. Flesch und Kickertz - Die Blutschwitzerin und ihr Mentor (1873-1877) Eine eigentümliche Mischung aus Wunderglauben, somnambulen Visionen sowie Betrug und sexueller Belästigung bildeten die Ereignisse um die sogenannte Blutschwitzerin von Eppelborn (Kreis Ottweiler). Es handelt sich hierbei um einen Vorfall, welchen die liberalen Zeitgenossen unmittelbar mit den Marpinger Marienerscheinungen verbanden und als Folge eines dumpfen katholischen Aberglaubens bewerteten. 93 Der 31jährige Kaplan Nikolaus Kickertz und die 52jährige Elisabeth Flesch mußten sich für die skandalösen Vorkommnisse in dem kleinen Dorf Eppelborn 1877 vor dem Saarbrückener Landgericht verantworten. Dabei standen in diesem Fall anders als bei den beiden zuvor behandelten Laientherapeuten - keine Wunderheilungen zur Debatte. Die Berührungen zwischen volks- und elitenkulturellen Deutungen lagen hier vielmehr im Bereich der Religiosität. 94 Der ausführlich begründete Urteilsspruch mit detaillierten Hinweisen auf Zeugenvernehmungen, diverse Zeitungsausschnitte in den Akten des Innenministeriums sowie einige Mitteilungen in der zeitgenössischen Literatur zu den Marpinger Marienerscheinungen bilden die Quellengrundlagen für diesen Fall. Kickertz war nach seiner Priesterweihe 1870 in Trier zunächst in Speicher Kaplan, wo er die deutlich ältere Flesch kennenlernte. Der Ort hatte einen schlechten Ruf, das brachten nicht nur die späteren Ermittlungen ans Licht, sondern dies meinten Verwaltung und Gerichte bereits seit längerem zu wissen, da Speicher für seine Hausierer bekannt war. Hausieren verbanden sie nicht ganz zu Unrecht immer schnell mit Schmuggeleien und Betrügereien. 95 Vermutlich seit 1873 installierte Kickertz dann als Kaplan in Eppelborn den Mythos von der Blutschwitzerin Flesch, welche in wöchentlichen religiösen Verzückungen, jeweils freitags, Blut schwitzte und sich 92
Vgl. Bertrams , Heinrich Mohr, S. 15. Vgl. Blackbourn, Marpingen, S. 188, S. 190 und S. 518, erwähnt kurz die Namen, geht auf die Geschehnisse selbst aber nicht ein. Meyer, Wunderschwindel, S. 12 f. 94 Vgl. zum Wahrnehmungswandel gegenüber der Religiosität der Vielen seit dem späten 18. Jahrhundert Dipper , Volksreligiosität. Schieder, Einleitung. 95 Vgl. Blackbourn, Marpingen, S. 301 und S. 517 f. Kickertz' dünne Personalakte in BAT, Abt. 85, Nr. 833, enthält nur eine Verurteilung von 1879 wegen Verstosses gegen das Kulturkampfgesetz vom 11.5.1873 (gesetzeswidrige Anmaßung geistlicher Handlungen). 93
3. Flesch und Kickertz (1873-1877)
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visionär über Zukunft und Vergangenheit äußerte. Dabei gab sie sowohl in Trance- als auch Wachzuständen individuelle Auskünfte über bevorstehende Schicksale. Der Kleriker hatte die ehemalige Hebamme dazu als eine fromme und gottbegnadete Person in der Gemeinde eingeführt, die sich zu einem längeren Besuch im Pfarrhaus in Eppelborn aufhielt. Nachdem sich ihr Ruf in dem Ort gefestigt hatte, brachte Kickertz sie dann beim Wirt Spaniol unter, der ihre Verzückungen und das Blutschwitzen bestätigte. 96 Obwohl Flesch schon 1875 wegen Betrugs zu einer kurzen Haftstrafe und Kickertz 1873/74 von der geistlichen Behörde in Trier zu einem Aufenthalt im Emeritenhaus in St. Thomas verurteilt worden waren, setzten die beiden danach ihre Inszenierungen ungehindert und offenbar überaus erfolgreich fort. Dabei scheint der Kaplan seine geistliche Stellung ausgenutzt zu haben, um die wunderbaren Verzückungen und deren Resonanz innerhalb des Dorfes zu fördern. Mit seiner Hilfe verbreitete sich der Ruf Fleschs rasch in der näheren Umgebung, weshalb zahlreiche Pilger - verschiedenster sozialer Herkunft - nach Eppelborn kamen. Leider lassen sich hier keine Zahlen nennen, da in den Quellen keine Angaben überliefert sind. 97 Selbst wenn es hieß, daß kurzzeitig auch Marpingenpilger die Blutschwitzerin in Eppelborn aufsuchten, so ist indes davon auszugehen, daß keinesfalls die Besucherdimensionen der Wunderquelle im Marpinger Härtelwald erreicht 98
wurden. Folgt man dem überlieferten Gerichtsurteil des Saarbrückener Landgerichts vom 7. August 1877, dann ging es Kickertz vor allem darum, den Ortspfarrer Peter Müller persönlich zu verleumden. Zwar spielten danach auch die sexuellen Absichten Kickertz' eine wichtige Rolle, aber in erster Linie hatte der Pfarrer sich die unversöhnliche Abneigung seines wundergläubigen Kaplans zugezogen, weil er sich bereits früh gegen den Wahrheitsgehalt der blutigen Visionen Fleschs ausgesprochen hatte. 99 Das rheinpreußische Gericht verurteilte Kickertz schließlich wegen dreier Delikte. Danach hatte er Flesch zum Betrug angestiftet, öffentliches Ärgernis erregt, indem er Frauen in der Kirche körperlich und sexuell bedrängte und sie 96 Gerichtsurteil des Saarbrückener Landgerichts vom 2.8.1877, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 500, Nr. 44, Vol. 1, Bl. 74r-86r, hier Bl. 81r. 97 Ebenda, Bl. 81v. 98 Zu den Zahlen vgl. Blackbourn, Marpingen, S. 250-252. Gerade in Marpingen waren zahlreiche Katholiken aus den höchsten Adelskreisen zu beobachten. Auffallend ist nach Blackbourns Urteil, S. 259, lediglich das Ausbleiben des männlichen Bürgertums. 99 Gerichtsurteil des Saarbrückener Landgerichts vom 2.8.1877 sowie einige Zeitungsausschnitte, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 500, Nr. 44, Vol. 1, Bl. 66r-86r. Zu Peter Müller (1826-1916), seit 1868 Pfarrer in Eppelborn, Diözesanarchiv Trier, Weltklerus, S. 243.
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aufforderte, ihn unsittlich zu berühren, und schließlich den Pfarrer samt seiner Schwester durch üble Verleumdung beleidigt. Während Elisabeth Flesch mit einem Jahr Gefängnis davonkam, mußte Kickertz eine Gefängnisstrafe in Höhe von zwei Jahren hinnehmen. 100 Das Gericht faßte die offiziell-behördliche Lesart der Vorfälle zusammen, indem es sich den Ermittlungsergebnissen des Eppelborner Bürgermeisters anschloß: In den Augen der lokalen Behörden versuchte Kickertz, einen „mystischen Cultus" zu inszenieren, um seinen sexuellen Gelüsten nachgehen und Geld verdienen zu können, indem er die schwärmerischen Neigungen der katholischen Bewohner in Eppelborn und Umgebung ausnutzte. 101 Erstaunlich aber bleibt der Erfolg nach bereits vollzogener Verurteilung wegen Betrugs für Flesch und dem erzwungenen Klosteraufenthalt für Kickertz allemal. Da hierüber die Quellen schweigen, kann man leider nur mutmaßen. Entweder war es für Pilger wie Dorfbewohner kein Makel, wegen Betrugs zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden zu sein, oder die Wundergläubigkeit war stärker als der Glaube an die Richtigkeit behördlicher Interpretationen. Gerade während des Kulturkampfs konnte eine Haftstrafe durch den preußischen Staat einem Ritterschlag gleichkommen und die Betroffenen geradezu adeln. Wenn man sich an die Pfarrer oder Bischöfe erinnert, die nach einem Gefängnisaufenthalt von der katholischen Bevölkerung enthusiastisch mit großen Festumzügen empfangen worden waren, ist dies zumindest nicht völlig von der Hand zu weisen. 1 0 2 So sind die Erfolge der Blutschwitzerin und ihres Mentors nur vor dem Hintergrund des preußisch-deutschen Kulturkampfs und des gerade im südlichen Teil der Rheinprovinz um sich greifenden katholischen Wunderglaubens zu verstehen. Das Erscheinen von Stigmatisierungen, die Beförderung des HerzJesu-Kults, der Glaube an die Erfüllung von Prophezeiungen - man denke nur an die Lehninsche Weissagung, die nicht nur den Kulturkampf und dessen erfolgreichen Ausgang für die Katholiken vorhersagte, sondern in dieser Zeit ohnehin hoch im Kurs stand - , all dies trug dazu bei, daß Katholiken gegenüber dem Wunderbaren aufgeschlossener waren als zuvor. Hinzu kam die harsche öffentliche Ablehnung in der liberalen Presse, die ein Beharren auf althergebrachten religiösen Frömmigkeitsformen ebenso verstärkte wie die katholischen Schriften, die auf die Wunder pochten. Im Mittelpunkt dieser breiter angelegten und öffentlich ausgetragenen Kontroversen standen dabei vor allem das Pro und das Contra der Marienerscheinungen in Marpingen, Mettenbuch und Dietrichswalde. 103 100 Gerichtsurteil des Saarbrückener Landgerichts vom 2.8.1877, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 500, Nr. 44, Vol. 1, Bl. 74 und Bl. 84. 101 Ebenda, BL 81. 102 Ygj j a z u djg Beispiele aus der Diözese Trier in Kammer, Trierer Kulturkampfpriester.
3. Flesch und Kickertz (1873-1877)
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Die Ereignisse in Eppelborn beruhten teils sicher auf der Schwäche der amtskirchlichen Gewalt während des Kulturkampfs. Nachdem Kickertz 1873/74 nur einen kurzen Aufenthalt im Emeritenhaus abbüßen mußte, konnte er danach wieder als Kaplan tätig sein; angesichts der drastischen staatlichen Kulturkampfmaßnahmen war es für die Trierer Diözesanbehörde offenbar nur im äußersten Notfall möglich, vollständig auf einen Seelsorger zu verzichten. Teils muß man im Auge behalten, daß auch gleichzeitig die ländliche Pfarrgeistlichkeit immer noch eine herausragende Stellung innerhalb der Dörfer einnahm. So war es nicht ungewöhnlich, wenn Geistlichen der Ruf anhing, den Teufel austreiben, heilen oder sonstige Wunder vollbringen zu können. Als unmittelbare Diener Gottes standen sie in den Augen der katholischen Bevölkerung unter höherem Schutz und übten eine besondere Gewalt aus. Mehrfach rankten sich dann schnell sagenhafte Geschichten um ihre Fähigkeiten. Zwei solcher Fälle hat der Volkskundler Matthias Zender in seiner Studie über Sagen und Geschichten aus der Westeifel überliefert. Es handelte sich um die Pfarrer Anton Clemens in Auw (1818-1855, Kreis Bitburg) und Adam Thomas in Aidlingen (18491877, Dekanat St. Vith, Regierungsbezirk Aachen), die Teufel austrieben und wundersame Heilungen durchfühlten, ohne daß sie dabei überregionale Bedeutung erlangten. 104 Beide waren mit ihren wundertätigen Fähigkeiten noch Mitte des 20. Jahrhunderts im regionalen Gedächtnis der Westeifel präsent, weshalb eine ganze Reihe Befragter diverse Geschichten über sie wiederzugeben wußte.
103 Es versteht sich fast von selbst, daß die katholischen Streitschriften die Ereignisse im nahegelegenen Eppelborn weitestgehend verschwiegen, während die protestantischen Gegner und die liberale Presse sie aufgriffen und als unmittelbare Folge des Marpinger „Schwindels" deuteten. Vgl. beispielsweise Joseph Reichert, Marpingen und seine Gegner. Apologetische Zugabe zu den Schriften und Berichten über Marpingen, Mettenbuch und Dietrichswalde. Ein Schutz- und Trutzbüchlein für das katholische Volk. M i t specieller Rücksicht auf die protestantische Broschüre: „Marpingen und das Evangelium", Paderborn 1877. Polemisch: St. Johanner Zeitung vom 12.9.1877, Nr. 212, S. 1 f., in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 500, Nr. 44, Vol. 1, Bl. 71. Einige Hinweise bei Meyer, Wunderschwindel, S. 12 f. und S. 62. 104 Anton Clemens (1782-1855) war von 1811 bis 1818 zunächst Pfarrer in Bettingen (Saar), ehe er bis zu seinem Tod in der Nähe seines Geburtsorts als Pfarrer in Auw tätig war. Vgl. Diöze sanar chiv Trier, Weltklerus, S. 79. Adam Thomas (17991877) war von 1849 bis zu seinem Tod Pfarrer in Aidlingen. Vgl. Matthias Zender, Sagen und Geschichten aus der Westeifel, 2., ergänzte Aufl., Bonn 1966 (4935), S. 589, Nr. 574. Zenders kurze Geschichten fußen auf Befragungen, die er zwischen 1929 und 1936 durchführte. Er ließ sich dazu in der gesamten Westeifel Sagen und Geschichten - größtenteils in Mundart - erzählen, die er später verschriftlichte. Ein Verzeichnis der Erzähler und Erzählerinnen befindet sich im Anhang Zenders, S. 593-611.
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
Von der besonderen Rolle der Geistlichkeit innerhalb der dörflichen Gemeinschaft ist auch im Fall Kickertz noch einiges zu erkennen. Obwohl nach den Zeugenaussagen vor Gericht in Eppelborn längst allgemein bekannt war, daß er Frauen sexuell bedrängte, unternahm zunächst niemand etwas dagegen. Kickertz förderte den mystischen Kult um die Blutschwitzerin - womit deutlich wird, daß er unmittelbar vor Ort weitgehende Möglichkeiten hatte, katholische Frömmigkeit nach seinen Wünschen zu formen. Dies widerspricht den im Kapitel über populäre Frömmigkeit analysierten amtskirchlichen Haltungen keineswegs, muß Kickertz doch als Geistlicher gelten, der für seine Abweichungen von konfessionellen Frömmigkeitsnormen ermahnt und schließlich auch bestraft wurde. Dennoch gelang es dem Kaplan, seinen visionären Frömmigkeitskult erneut für einen längeren Zeitraum zu etablieren, was deutlich für eine Schwäche der amtskirchlichen Gewalt spricht. Zudem hatte die Gemeinde nur deshalb nach wie vor Interesse an den Visionen der keineswegs so angesehenen Flesch gezeigt, weil Kickertz sie weithin vernehmlich befürwortete, wie mehrere Zeuginnen aussagten. 105 Dieses Argument mag zwar vor Gericht im Nachhinein vorgeschoben worden sein, sein Wahrheitsgehalt kann aber nicht vollständig ausgeschlossen werden. Dafür spricht, daß die Verhandlung weitere Frauen aus dem Dorf als Vertraute oder zumindest Anhängerinnen des Kaplans und der Blutschwitzerin ausmachte. So war eine Frau an den Vorkommnissen beteiligt, die nach den ekstatischen Visionen der Flesch in Kürze die Wundmale Christi bekommen sollte. 1 0 6 Fleschs Rolle als wundertätige Frau fußte indes nicht ausschließlich auf der geistlichen Autorität des Kaplans, sondern sie war durch ihre vorherige Tätigkeit als Hebamme bereits mit einer weiblichen Sonderstellung innerhalb der dörflichen Gemeinschaft bestens vertraut. 107 Dann ist keineswegs zu übersehen, daß die Quellen einen konfliktträchtigen dörflichen Hintergrund offenbaren, eine Auseinandersetzung zwischen dem Pfarrer Müller und seinem Kaplan. Müller wohnte mit seiner Schwester und Wirtschafterin Regina im Pfarrhaus, die ihm, wie es vielerorts durchaus üblich war, in seinem Haushalt zur Hand ging. 1 0 8 Zunächst hatte auch der Kaplan das Pfarrhaus mitbewohnt, bevor er auf dem Höhepunkt seiner Beschuldigungen auszog. Hier scheinen neben den Differenzen über wunder- oder abergläubische Auslegung der Blutschwitzereien eben auch persönliche Animositäten eine gewichtige Rolle gespielt zu haben.
105
Gerichtsurteil des Saarbrückener Landgerichts vom 2.8.1877, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 500, Nr. 44, Vol. 1, Bl. 80r. 106 Ebenda, Bl. 81v-82r. 107 Ebenda, BL 78v. 108 Vgl. zur Kultur und Lebensweise des Trierer Pfarrklerus im 19. und 20. Jahrhundert Persch, Lebenskultur.
3. Flesch und Kickertz (1873-1877)
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Die dörfliche Aufgeschlossenheit gegenüber wunderbarer Frömmigkeit fügt sich in das Urteil Pfarrer Müllers, welches dieser anläßlich einer Visitation gegenüber dem Trierer Bischof bereits 1868 geäußert hatte. Gerade frisch im Amt, klagte er über die fehlgeleitete Frömmigkeit seiner Pfarrkinder, die durch die „Kohle befleckt und geschändet" worden sei. 1 0 9 Damit faßte er den tiefgreifenden Wandel, den die Erschließung des saarländischen Bergbaureviers auf die katholische Frömmigkeit und das Zusammenleben der Konfessionen ausübte, in ein eingängiges Bild. In den kleinen saarländischen Bergbaudörfern, zu denen Eppelborn ebenso wie Marpingen zählte, befand sich vieles im Umbruch, was populäre Frömmigkeitsformen keineswegs unberührt ließ. 1 1 0 Eine gerütteltes Maß an Schuld an dem kurzfristigen Erfolg der Blutschwitzerin und ihres Mentors dürfte auch hier in den Gerüchten gelegen haben, die sich um die Visionen rankten. Da der Kaplan den Wahrheitsgehalt der Visionen mehr oder weniger bestätigte, scheinen diese zunächst auf durchaus fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Flesch nutzte ihre Stellung, um der Schwester des Pfarrers in ihren freitäglichen Verzückungen eine Schwangerschaft durch ihren Bruder einzuflüstern. Offenbar war die augenscheinlich einfältige Regina Müller leicht zu beeinflussen, da sie selbst mittlerweile an die inzestuöse Beziehung zu ihrem Bruder und an eine Schwangerschaft glaubte. 111 Kickertz und Flesch gingen in ihrer Verleumdungskampagne damit über die Verbreitung harmlosen Klatsches hinaus: Beide schrieben anonyme Briefe an den Eppelborner Bürgermeister Schwan, in denen sie den Pfarrer anschwärzten und des Inzests bezichtigten. 1 1 2 Flesch legte der Pfarrersschwester zudem schwere Bußen auf, da sie ja schreckliche Sünden begangen habe und schädigte sie ferner finanziell. 1 1 3 Gerüchte spielen hier eine herausragende Rolle, weil Kickertz unablässig versuchte, Pfarrer Müller durch das Gerede zu diskreditieren, indem er im ganzen Dorf erzählte, Regina Müller sei bereits zum drittenmal von ihrem Bruder schwanger. Pfarrer Müller habe sich auch an anderen Frauen in Eppelborn sexuell vergangen. Um diese üble Nachrede endgültig zu entkräften, ließ sich die Schwester des Pfarrers sogar von einem amt109 Vgl. Guido Schneider, Geschichte der Pfarrei Eppelborn, masch. Manuskript, Trier 1952, S. 23. Ein Exemplar befindet sich in der Bibliothek des bischöflichen Priesterseminars Trier unter der Signatur Ζ 843. Schneider, 1952 Kaplan in Eppelborn, konnte für seine kleine Geschichte auf bisher nicht verzeichnete Pfarrakten zurückgreifen. 110 Einen guten Überblick über den Frömmigkeitswandel in der Saarregion unter dem Einfluß des zunehmenden Bergbaus gibt Mallmann, Volksfrömmigkeit. 111 Gerichtsurteil des Saarbrückener Landgerichts vom 2.8.1877, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 500, Nr. 44, Vol. 1, Bl. 78r. 112 Ebenda, Bl. 79r. 113 Ebenda, Bl. 79v.
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
liehen Arzt bestätigen, daß sie noch Jungfrau w a r . 1 1 4 An den Munkeleien war wohl auch der Wirt Spaniol beteiligt, wie ihm das urteilende Landgericht unterstellte. Sein Interesse habe den Wallfahrten nach Eppelborn gegolten, von denen er finanziell stark profitierte. Unbewiesene Mutmaßungen kursierten während des Saarbrückener Prozesses gegen die Blutschwitzerin und den Kaplan. An diesen Spekulationen beteiligte sich vor allem die Presse, die geradezu sexuelle Exzesse Kickertz' an seinen Beichtkindern vermutete. Eine ministeriell verordnete Geheimhaltung des Gerichtsverfahrens potenzierte diese Spekulationen noch. 1 1 5 Dies hatte der Trierer Regierungspräsident Wolff auf ministerielle Anordnung hin streng zu kontrollieren. 1 1 6 In dem Fall der Blutschwitzerin lassen sich zwei bisher behandelte Aberglaubensstränge parallel nebeneinander erkennen, welche sich im Spannungsfeld zwischen volks- und elitenkulturellen Deutungen bewegen. Einerseits ist das Blutschwitzen im Lichte der klassischen Stigmatisation zu sehen, auch wenn die typischen Wundmale Christi hier fehlten. A l l dies erinnert nicht von ungefähr an die bekannten Stigmatisationen des 19. Jahrhunderts von Katharina Emmerich bis zu Louise Lateau. So hatte Elisabeth Flesch ja auch angekündigt, daß eine Frau im Dorf demnächst die Wundmale Christi tragen würde. 1 1 7 Andererseits aber zeigt sich, daß somnambule Visionen nicht nur im städtisch-bürgerlichen Umfeld blühten, sondern auch in ländlichen Gegenden verbreitet waren. So besteht hier ein enger Zusammenhang zwischen somnambuler Vision und altbekannter, aus biblischen Zusammenhängen stammender Stigmatisation. Die kritischen Zuweisungen und Benennungen von außen polarisieren auch hier, denn in der praktischen Ausübung dominierten vielfältige Mischformen und Wechselwirkungen. Ferner war religiöse Erregung im Kaiserreich - wie sie hier und in Marpingen auftrat - keineswegs nur auf die katholische Bevölkerung begrenzt. Selbst wenn die liberale Presse dies Glauben machen wollte, waren über114
Ebenda, Bl. 77v. Zeitungssauschnitt St. Johanner Zeitung vom 12.9.1877, Nr. 212, S. 1 f., in: ebenda, Bl. 71. 116 Konzept Innenministerium an Kultusministerium und Wolff vom 26.11.1877, in: ebenda, Bl. 60. 117 Vgl. [ - ] , Die Stigmatisierten des neunzehnten Jahrhunderts: Anna Katharina Emmerich, Maria von Morl, Domenica Lazzari, Juliana Weiskircher, Josepha Kümi, Bettina Bouquillon, Bernada vom Kreuze, Maria Rosa Andriani, Maria Cherubina Clara vom heiligen Franziskus, Louise Lateau, Helena von Bolawatta, Margaretha Bays und Esperanza von Jesu. Nach authentischen Quellen hg. von einem Curatpriester, Regensburg 1877. Zuletzt an Beispielen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts Muhs, Stigmata der Karoline Beller. Weiß, Seherinnnen und Stigmatisierte. Anna Maria Zumholz, Die Resistenz des katholischen Milieus: Seherinnen und Stigmatisierte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Götz von Olenhusen, Wunderbare Erscheinungen, S. 221-251. 115
4. Maria Funken und der Klopfgeist von Eckhausen (1890)
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spannte religiöse Äußerungen auch im Protestantismus nicht selten und dem Aberglaubensvorwurf ausgesetzt. 118 Hinzu kommt, daß auch im vorliegenden Fall wieder ein Angehöriger der meinungsbildenden Elite nötig war, um den Erscheinungen zum Durchbruch zu verhelfen.
4. Maria Funken und der Klopfgeist von Eckhausen (1890) Die Geistererscheinung im Hause Funken ist ein Beleg für die Wechselwirkungen zwischen Spiritismus und einem auch noch zum Ende des Jahrhunderts weitverbreiteten althergebrachten Geisterglauben, der sich wiederholt Bahn brach. Die Eckhausener Ereignisse sind dabei rasch umrissen. Die Quellen dazu speisen sich aus unterschiedlichen Überlieferungen. Einesteils liegt hier der glückliche Fall einer dichten landrätlichen Überlieferung vor und auch amtskirchliche Akten des Kölner Generalvikariats sind erhalten. Andernteils lassen sich weitere Einblicke aus einer Artikelserie der Bonner Zeitung und einigen Nachrichten in den Neuen Spiritualistischen Blättern gewinnen. Vermutlich seit Ende des Jahres 1889 sprach sich in dem kleinen, aus zwölf Häusern bestehenden und etwas abgelegenen Dorf Eckhausen im Siegkreis das Gerücht herum, im Hause des Gerald Funken spuke ein Geist, welcher sich durch Klopfgeräusche bemerkbar mache. Mitte Februar war die Rede davon, daß der Spuk bereits seit neun Wochen andauere. Da „in Folge dieses Aberglaubens [...] zahlreiche Bewohner des Ortes Eckhausen und der Umgebung zu dem Hause" pilgerten, sahen sich die Lokalbehörden veranlaßt einzugreifen. 119 Das übliche und bereits erläuterte behördliche Deutungs- und Verfolgungsmuster „Betrug" ließ zunächst den Hausherrn in den Mittelpunkt der Ermittlungen rücken, jedoch geriet dann zunehmend die 16jährige Tochter, Maria Funken, ins Visier der lokalen Verwaltungsvertreter, nachdem ihrem Vater kein Betrug nachzuweisen war. Dies geschah vermutlich auch deshalb, weil das Gespenst Maria Funken zu begleiten begann und außerhalb des Hauses mit ihr und ihrer unmittelbaren Umgebung kommunizierte. 120 Der Zustrom neugieriger Geisterhörer nahm in den Augen der Behörden ab Ende Januar bedrohliche Ausmaße an, so sollen sich am 3. Februar 1890 über 400 Personen in der kleinen Siedlung aufgehalten haben. 121 Nachdem für die Nacht auf den 22. Februar 1890 gar 118 Zur protestantischen Schwärmerei im Kaiserreich grundlegend Ribbat, Religiöse Erregung, hier S. 29. 119 Erster Staatsanwalt Hupertz (Bonn) an Landrat Eugen Freiherr von Loë vom 17.2.1890, in: HStAD, Best. Landratsamt Siegkreis, Nr. 288, Bl. 13r-14v, hier Bl. 13r. 120 Jülich an Loë vom 26.3.1890, in: ebenda, Bl. 20r-25r, hier Bl. 21v. 121 Gendarm Bautz (Seelscheid) an Loë vom 15.2.1890, in: ebenda, Bl. 16.
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das persönliche Erscheinen des Geistes angekündigt worden war, wuchs die Anzahl der Pilger noch weiter an. Aus einem Umkreis von acht bis zehn Stunden Entfernung kamen in dieser Nacht hunderte Neugierige, um dem Erscheinen des Gespenstes beizuwohnen. 122 Teilweise fielen dabei in der Nacht Schüsse, und Steine wurden auf Gendarmen geworfen. Der lautstarke, weithin vernehmbare Ruf, daß der preußische Staat sich einmal mehr unschicklicherweise in Religionsangelegenheiten einmische, war sicher noch der Kulturkampfkonfrontation geschuldet, auch wenn sich durchaus Protestanten an den Orten des Geschehens einfanden. 123 Widersetzlichkeiten breiteten sich zunehmend aus, und das Festhalten am Geisterglauben wuchs in dem Maße, wie die Lokalverwaltung begann, härter durchzugreifen. Ein Großteil der Bewohner und Besucher Eckhausens weigerte sich, den polizeilichen Anweisungen des zuständigen Mucher Bürgermeisters Jülich zu folgen, und schützte Maria Funken vor dessen Zugriff. 1 2 4 In dieser Nacht griff Jülich ausweislich der behördlichen Akten unerbittlich durch, ließ das Spukhaus sperren und kontrollierte die 16jährige, um weiteren „Unfug" zu verhindern. Er rechnete es sich ausdrücklich als Erfolg an, daß der Geist nicht wie angekündigt in der Nacht erschien. In seinem ausführlichen Resümee berichtete Jülich Ende März schließlich, daß die gesamte Familie verzogen sei. Sie hatte auf ausdrücklichen Wunsch ihres Vermieters das Spukhaus schließlich verlassen müssen und war ins nahegelegene Overath gezogen. 125 Dennoch nahm der Glauben an den Eckhausener Klopfgeist nur zögerlich ab. Und katholische Kreise rechneten es dem Gespenst hoch an, daß es nicht in Anwesenheit der Behördenvertreter erschienen w a r . 1 2 6 Den gerichtlichen Abschluß der Spukereien konnte dies freilich nicht beeinflussen. Das Bensberger Schöffengericht verurteilte Maria Funken wegen groben Unfugs zu vier Wochen Gefängnis, obwohl - wenn man dem Fazit der Neuen Spiritualistischen Blätter folgt erhebliche Zweifel an der Schuld des Mädchens bestanden. 127 Die Kritiker sahen hier eine Mischung aus spiritistischem „neuen" und „alten" Gespenster- und Geisteraberglauben. Maria Funken befragte den Geist unter sachverständiger spiritistischer Anleitung, wer er sei. Danach handelte es sich bei ihm um den 1879 verstorbenen, berüchtigten und im Dorf noch wohlbekannten Johann Krütt, der sich angeblich jetzt im Fegefeuer befand. Dieser gab in der Befragung an, Maria Funken dazu auserko122
Aktenvermerk Jülich vom 23.3.1890, in: ebenda, Bl. 28v-33r, hier Bl. 29v. NSB 8 (1890), Nr. 13, S. 51. 124 Aktenvermerk Jülich vom 23.3.1890, in: HStAD, Best. Landratsamt Siegkreis, Nr. 288, Bl. 28v-33r, hier Bl. 29r. 125 Jülich an Loë vom 26.3.1890, in: ebenda, Bl. 20r-25r, hier Bl. 24v. 126 Vgl. Bonner Zeitung vom 20.4.1890, Nr. 109, S. 418. 127 Vgl. NSB 8 (1890), Nr. 27, S. 108. 123
4. Maria Funken und der Klopfgeist von Eckhausen (1890)
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ren zu haben, ihn von seinen schrecklichen Qualen zu befreien. 128 Überaus enge Bezüge sind in jedem Fall zur spiritistischen Bewegung zu erkennen, denn nicht nur der Resauer Spukfall des Jahres zuvor war noch in bester Erinnerung, sondern die spiritistische Presse beschäftigte sich ausführlich mit dem Spuk in der Rheinprovinz. Die Neuen Spiritualistischen Blätter parallelisierten dabei das behördliche Verhalten in der unmittelbaren - protestantischen - Umgebung Berlins mit dem im katholischen Westen Preußens und sahen die üblichen Vorbehalte gegenüber den von ihnen akzeptierten Geistererscheinungen am Werk. 1 2 9 Mit ihrer Kritik an der behördlichen Vorgehens weise in Eckhausen und Resau drängte die Bonner Zeitung konfessionelle Zuweisungen in den Hintergrund, da Katholiken in Resau keine Rolle gespielt hatten. Dennoch verband sich der Gespensterglauben auf das Engste mit bekannten katholischen Frömmigkeitsformen, darunter besonders der Wallfahrt. Maria Funken pilgerte auf Anraten verschiedener Personen ihrer unmittelbaren Umgebung nach Kevelaer, nicht nur um Fragen an den Geist stellen zu können. Krütt selbst hatte von ihr eine Wallfahrt verlangt, die er zu Lebzeiten nicht mehr hatte vollbringen können, obwohl er ein Wallfahrtsgelübde abgelegt hatte. Das 16jährige Mädchen reiste daher mit der Eisenbahn in den niederrheinischen Wallfahrtsort, um dieses Gelübde zu erfüllen. Daß Tote gelobte Wallfahrten noch als Geister einlösen mußten, gehörte zu einem weitverbreiteten Glauben - nicht nur in der Eifel. 1 3 0 Erinnert sei an die Vorkommnisse im ersten Jahrhundertdrittel in der Zentraleifel. Als mehrfach Geister erfolgreich Wallfahrten nach Barweiler anregten, war Bischof Hommer behutsam dagegen vorgegangen. Wallfahrten boten sich für diese Mischung zwischen altem und neuem Geisterglauben an, denn in ihnen konnten sich lebensweltliche Absichten und christliche Vorstellungen vom Jenseits unproblematisch miteinander verbinden. Die Eifelschriftstellerin Clara Viebig hat diesen Vorstellungen im Umgang mit Wallfahrten in ihrer Novelle „Das Heiligenhäuschen" ein literarisches Denkmal gesetzt. 131 Das Erscheinen eines Geistes oder die Erfüllung weltlicher Wünsche wurden als mit dem katholischen Glauben vereinbar empfunden. Maria Funken stellte in der entscheidenden Nacht erschrocken fest, daß alle geweihten Gegenstände aus dem Haus entfernt worden waren. 1 3 2 Damit er-
128
Vgl. Bonner Zeitung vom 18.4.1890, Nr. 107, S. 411. [ - ] , Spuk in allen Ecken, in: NSB 8 (1890), Nr. 13, S. 50 f. [ - ] , Der Spuk in Eckhausen geklärt, in: NSB 8 (1890), Nr. 14, S. 56. [ - ] , Der Spuk in Eckhausen, in: NSB 8 (1890), Nr. 27, S. 107 f. Die Neuen Spiritualistischen Blätter übernahmen hier teilweise Artikel aus der Kölnischen Zeitung. 130 Vgl. dazu Zender, Sagen und Geschichten, S. 255-258. 131 Vgl. Clara Viebig, Das Heiligenhäuschen, in: Dies., Heimat. Eifel-Novellen, Briedel 1996 ( ! 1914), S. 6-21. 129
23 Freytag
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
klärten sich Katholiken das Ausbleiben des Klopfens; dagegen akzentuierte Jülich andere Gründe: „Nur wenn Kinder oder Mädchen, welche durch voraufgegangenes Beten und Erzählen von Spukgeschichten in hohem Grade erregt und zu scharfen Beobachtungen nicht mehr fähig waren, sich bei ihr im Zimmer befanden, klopfte e s " . 1 3 3
Die potentiell magische Qualität katholischer Religiosität offenbarte sich in Eckhausen allenthalben. So entstand ein Wallfahrtstourismus zum Ortsfriedhof, um dort für Krütts Geist zu beten, und die Räume des Spukhauses mußten mit Weihwasser gereinigt werden, damit der Geist klopfte, was ein zusätzlicher Beleg für die religiös-magischen Bezüge dieser Geistererscheinung ist. Weihwasser empfahl auch der Marialindener Pfarrer Friedrich Wilhelm Esch dringend: Allerdings gegen das Auftreten des Geistes. Die vom Spuk betroffenen Räume sollten mit Weihwasser besprengt werden und alle Anwesenden gemeinschaftlich die Sakramente empfangen. 134 Gleichwohl sind die Grenzen kirchlicher Gewalt und geistlicher Einflußnahme auf den Geisterglauben der katholischen Gläubigen deutlich zu erkennen. Sie umriß ein nach Eckhausen gereister Pilger unmißverständlich: „Wenn alle Bischöfe der Welt kommen und sagen, es sei nichts übernatürliches, dann sage ich, es ist doch etwas übernatürliches". 135 Auch Gerald Funken glaubte - wie der weitaus größte Teil der Besucher - nach Aussage des Mucher Bürgermeisters an eine übernatürliche Ursache des Klopfens. 1 3 6 Als schlagkräftiger Beweis galt den meisten Pilgern die eingetroffene Prophezeiung Krütts, daß der Handelsmann Funken eine Beichte nicht wie ursprünglich geplant in der Rheinmetropole ablegen konnte. Er mußte dies vielmehr in Kalk nachholen, weil ein Kleriker ihn aus der rheinischen Metropole gewiesen hatte, nachdem er begonnen hatte, über das Geisterklopfen in seinem Haus zu berichten. 137 Die Geisterangelegenheit gewann für die meisten Einwohner Eckhausens zusätzlich an Glaubwürdigkeit, weil Maria Funken eine zeitlang bei einer angesehenen, mit ihr verwandten Familie im nahegelegenen Wellerscheid wohnte, die das Klopfen bestätigte. 138 132 Aktenvermerk Jülich vom 23.2.1890, in: HStAD, Best. Landratsamt Siegkreis, Nr. 288, Bl. 28v-33r, hier Bl. 31r. 133 Ebenda, Bl. 32v. 134 Pfarrer Friedrich Wilhelm Esch (Marialinden) an Generalvikariat Köln vom 10.3.1890, in: HAEK, Generalia I 31,6,1. 135 Ebenda. 136 Jülich an Loë vom 26.3.1890, in: HStAD, Best. Landratsamt Siegkreis, Nr. 288, Bl. 20r-25r, hier Bl. 20v. 137 Bonner Zeitung vom 18.4.1890, Nr. 107, S. 411. 138 Jülich an Loë vom 26.3.1890, in: HStAD, Best. Landratsamt Siegkreis, Nr. 288, Bl. 20r-25r, hier BL 22r.
4. Maria Funken und der Klopfgeist von Eckhausen (1890)
355
Auch in Eckhausen gehörten vielfach Zuschauer und Pilger zu den „besseren Ständen", wie Bürgermeister Jülich feststellte. 139 Dies offenbarte vor allem die Bonner Zeitung in einer Artikelserie. Sie vermutete nicht nur sämtliche Gemeinde- und Kirchenräte der Umgebung hinter den Vorkommnissen, sondern erwähnte auch viele reiche Bürger und katholische Adelige, welche nach Eckhausen gepilgert waren. Bemerkenswerterweise stellte der unbekannte Verfasser der Artikel indessen keinen Zusammenhang zur im Rheinland offensichtlich nur wenig schlagkräftigen spiritistischen Bewegung her. Den Fluchtpunkt der Kritik bildete für ihn vielmehr der eben auch unter gebildeten Katholiken verbreitete Geisteraberglauben. 140 So waren ihm die Eckhausener Ereignisse Ausdruck eines katholischen „Aberglaubens] der Geisterklopferei". 141 Die Schuld für die weiten Kreise, welche diese Angelegenheit zog, gab er der Zurückhaltung der katholischen Geistlichkeit. Sie sei nicht energisch genug gegen den Unfug eingeschritten, was indes nur teilweise den Verhältnissen vor Ort entsprach. Zwar war eine Passivität des Pfarrers Esch nicht zu übersehen, aber dennoch ließen sich andere Stimmen finden. Ein unbekannter Geistlicher urteilte schließlich sogar: „Die Klopfer verdienen selbst geklopft zu werden". 1 4 2 Die lokale Verwaltung machte immer neue Profiteure und Verantwortliche für das Umsichgreifen des Geisteraberglaubens aus. So verdächtigte sie einmal mehr den Wirt, der von dem starken Besuch im Ort profitierte, mit Familie Funken gemeinsame Sache zu machen. 143 Diese Mutmaßung erhärtete sich, da der Wirt ankündigte, Maria Funken gegen ein Honorar zu verpflichten und in seinem Gasthaus auftreten zu lassen. 144 Die Geistergläubigen deuteten die staatlichen Repressionen als Schutz der protestantischen Konfession und Vorgehen gegen den wahren Glauben. 1 4 5 Der Kulturkampf schwelte hier fort, und bei den Auseinandersetzungen spielte weniger die Frage der wissenschaftlichen Nachweisbarkeit des Geistes eine Rolle als vielmehr die Frage nach der Konfession. Diejenigen, die aus den „besseren Ständen" nach Eckhausen reisten, waren der kritischen Presse zufolge katholisch. Dies verdeutlicht wiederum die Artikelserie der Bonner Zeitung, die den Geisterspuk mit dem vorgeblichen katholischen Bildungsdefizit koppelte. Der Verfasser sah die Schuld einerseits in 139
Ebenda. Vgl. Bonner Zeitung vom 17.4.1890, Nr. 106, S. 406; 21.4.1890, Nr. 110, S. 422 f. 141 Bonner Zeitung vom 16.4.1890, Nr. 105, S. 402 f. Die Bonner Zeitung verfaßte im April 1890 eine mehrteilige Serie über die Eckhausener Spukgeschichte. 142 Ebenda, S. 402. 143 Aktenvermerk Jülich vom 13.2.1890, in: HStAD, Best. Landratsamt Siegkreis, Nr. 288, Bl. 27v-28v. 144 Aktenvermerk Jülich vom 23.2.1890, in: ebenda, Bl. 29r-33r, hier Bl. 29r. 145 Bonner Zeitung vom 17.4.1890, Nr. 106, S. 406. 140
23*
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
der mangelhaften Bildung der Kinder und der Abgeschiedenheit des katholischen Dorfes, aber andererseits begünstigten für ihn auch die Gespenstererzählungen und „die Beschränkung des Lesens auf Kalender, Heiligenlegenden und ultramontane Blätter [...] die Neigung zum Wunderbaren". 146 Dieses Urteil erstaunt angesichts der Resauer Spukereien nur kurze Zeit zuvor, die vor allem protestantische und hauptstädtische Kreise bewegt hatten. Es zeigt aber auch, wie rasch die Zeitgenossen die Deutung übersinnlicher Wahrnehmungen mit Stereotypen kombinierten. Zudem rankten sich auch um den Geisteraberglauben wiederum zahlreiche Gerüchte. Diverse Munkeleien knüpften unmittelbar an das Klopfen und den Geist an, und mit der Zeit wollten einige Personen dem Geist Krütts sogar begegnet sein. 1 4 7 Dadurch, daß Details aus dem Leben des Geistes erzählt wurden, erhöhte sich in der Sicht der Beteiligten offenbar die Wahrscheinlichkeit, daß es sich wirklich um Krütt handelte. Danach war Krütt ein enger Freund Gerald Funkens gewesen und sie hatten miteinander vereinbart, der zuerst Verstorbene solle sich bei dem länger Lebenden aus dem Jenseits melden. 1 4 8 Die Geschichten um den Klopfgeist Krütt knüpften an einen vielen noch erinnerlichen Vorfall zwölf Jahre zuvor an, den die preußischen Behörden nicht hatten aufklären können. So hatten 1878 auf der nahegelegenen Burg Oberbach wiederholt Ketten gerasselt und Glocken geläutet. 149 Gleichzeitig verstärkte das kolportierte Gerede die konkrete Macht des Gespenstes, indem es Zweifelnden ein schlimmes Schicksal androhte. Ein mißtrauischer Bürgermeister, der sich lieber beide Beine brechen wollte, als an den Spuk zu glauben, erlitt danach angeblich eben diesen körperlichen Schaden. 150 Die behördlichen Bedenken gegenüber dererlei Gerüchten hatten wohl vor allem damit zu tun, daß sie Ängste schürten, womit sich einmal mehr die Verbindung zwischen Aberglauben und Furcht dokumentiert. 1 5 1 Denn seitens der Beteiligten überwogen konkrete Ängste vor dem Fegefeuer und der Hölle, die sie sich in den schlimmsten Farben ausmal-
146 Ebenda. Vgl. zu Reichweite und Motiven solcher Geschichten Wilpert, Gespenstergeschichte, S. 9-22. 147 Bonner Zeitung vom 19.4.1890, Nr. 108, S. 414. 148 Vgl. NSB 8 (1890), Nr. 13, S. 50. 149 Vgl. Bonner Zeitung vom 17.4.1890, Nr. 106, S. 406. 150 Bonner Zeitung vom 24.4.1890, Nr. 113, S. 434 f. 151 Friedrich Wilhelm Esch an Generalvikariat Köln vom 10.3.1890, in: HAEK, Generalia I 31,6,1. Dazu einschlägig Jean Delumeau, Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts, Reinbek bei Hamburg 1985 (franz. Original 1978), S. 108-125 und S. 240-254. 152 Zu Vorstellungen von der Hölle im 19. Jahrhundert Georges Minois , Die Hölle. Zur Geschichte einer Fiktion, München 1994 (franz. Original 1991), S. 373-
5. Anna Schulten (1913/14)
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Was die Behörden für ausgemachten Aberglauben hielten, war den meisten selbstverständlich - der Glaube an das Fegefeuer und die Kommunikation mit einem Toten an diesem Ort. Offenkundig war eine sehr lebensnahe Vorstellung von einem Leben nach dem Tode mit dem Geisterglauben verbunden. Davon zeugen die meisten Fragen der Besucher und Pilger, die konkret wissen wollten, wie es Krütt im Fegefeuer ergehe, ob er Schmerzen oder Freude empfände. Sie stellten dem Geist ferner religiöse und persönliche Fragen, die dieser durch sein Klopfen beantwortete. 153 Zu erkennen sind in jedem Fall fließende Übergänge zwischen katholischen, magischen und spiritistischen Vorstellungen, die sich in der Sicht der Betroffenen problemlos miteinander verflochten, auch wenn die Kulturkampfkonfrontation die Situation noch überlagerte. Es war keinesfalls unvereinbar, an den Klopfgeist zu glauben, Weihwasser zu benutzen und gleichzeitig einen spiritistischen Zirkel zu bilden, um den verstorbenen Krütt herbeizurufen und etwas Wissenswertes zu erfahren. Gegen die magische Umdeutung kirchlicher Elemente konnte offenkundig auch die katholische Amtskirche nur wenig ausrichten.
5. Wahrsagerin oder Phrenologin? Anna Schulten (1913/14) Ganz sicher fügen sich die Werbeaktionen Anna Schultens in das herkömmliche Auftreten von umherreisenden Laienheilern oder Hausierern. Sie hatte Handzettel verteilt, auf denen sie darauf aufmerksam machte, in der Stadt zu sein und die Zukunft zu deuten. „Reich und Arm, Hoch und Niedrig, Alle holen sich bei ihr Rat in Geschäftsangelegenheiten, Spekulationen und Ereignissen des Lebens". 1 5 4 Dabei scheint die Wahrsagerin ihre Kundschaft - wie es durchweg üblich war - in ihrer Wohnung empfangen zu haben. Auch wenn das Koblenzer Oberverwaltungsgericht zu einem anderen Urteil kam und Schultens Prognosen für „haltlos und willkürlich" hielt, so scheinen die Kunden ihr zunächst doch teilweise vertraut zu haben. Die behördlichen Zeugenvernehmungen zeigen ein ambivalentes Bild, wohl auch deshalb, weil nicht alle Kunden mit den Ergebnissen der Deutungen zufrieden waren. Das, was das Gericht als unsittlich, beunruhigend und dem „Aberglauben Vorschub leistend" einstufte, waren allerdings 387. Minois hat dabei ausschließlich die theoretischen Debatten um die Hölle im Blick. Auch wenn die Blütezeit eines Höllenglaubens vorüber war und er sich weitgehend ins moderne Bewußtsein verlagert hatte, so lassen sich doch auch im 19. Jahrhundert immer noch Rückzugsgefechte beobachten. 153 Jülich an Loë vom 26.3.1890, in: HStAD, Best. Landratsamt Siegkreis, Nr. 288, Bl. 20r-25r, hier Bl. 21r. Bonner Zeitung vom 19.4.1890, Nr. 108, S. 414. 154 Wortlaut einer Verfügung der Polizeiverwaltung Kleve vom 12.4.1913, in: L H A K , Best. 403, Nr. 6939, S. 62.
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
durchaus geläufige Auskünfte einer Wahrsagerin. So kam vor Gericht zur Sprache, daß die Angeklagte einer 16jährigen Dienstmagd bedeutet habe, sie werde trotz vorehelichen Geschlechtsverkehrs mit wechselnden Männern keine Kinder bekommen. Erst nach der Hochzeit sei damit zu rechnen, daß sie schwanger würde. Angesichts der vorehelichen Geschlechterbeziehungen und der nach wie vor hohen unehelichen Geburtenraten dürfte dies eine häufiger von einer Wahrsagerin gewünschte Auskunft gewesen sein. 1 5 5 Skandalös war lediglich, daß die Wahrsagerin diese Informationen auch an die Verwandten und die Dienstherrschaft der Magd weitergegeben hatte. 1 5 6 In den Kontext fügt sich auch die vom Gericht als unmoralisch eingestufte Weissagung gegenüber einer Kundin, sie werde sechs tote Kinder zur Welt bringen. Diese Aussage war sicher aufgrund ihrer hohen Zahl überaus ungewöhnlich und auch nicht dazu angetan, die Kundin erfreut zu stimmen. Schulten beriet offenkundig in allen Wechselfällen des Lebens, so auch einen Mann in bezug auf seinen Arbeitsplatz, der aus ihrer Prophezeiung unmittelbare Konsequenzen zog: Er kündigte seine Stellung in Kleve, weil ihm die Wahrsagerin bedeutet hatte, er bekäme in einer anderen Stadt eine besser bezahlte Arbeit. Schulten hatte entgegen der anderslautenden Eingaben ihres Rechtsanwalts bereits eine typische Strafkarriere hinter sich. So war sie 1912 von einem Schöffengericht wegen Betrugs zu 30 Reichsmark Strafe und 1913 vom Schöffengericht Hagen (Westfalen) zu 25 Reichsmark wegen groben Unfugs und Übertretung des preußischen Pressegesetzes verurteilt worden. 1 5 7 Im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher und abergläubischer Deutung bewegte sich dieser Fall. Die verheiratete Schulten aus Gelsenkirchen wehrte sich 1913 und 1914 gegen ein von der Polizei Verwaltung Kleve und vom Düsseldorfer Regierungspräsidenten Francis Kruse ausgesprochenes Verbot des gewerbsmäßigen Wahrsagens. Die Behörden hatten sich auf den Erlaß des Innenministeriums vom 14. Oktober 1873 bezogen, wonach gewerbsmäßige Wahrsagerei als dem ,Aberglauben Vorschub leistend" nach § 360, Nr. 11 des Strafgesetzbuchs (grober Unfug) strafbar sei. Hierbei handelt es sich um einen der wenigen überlieferten Fälle, in denen die Polizeibehörden den Erlaß von 1873 anwendeten. Dabei war dies, wie der Regierungspräsident äußerte, durchaus häufiger der Fall, da er die Polizeiverwaltungen seines Bezirks auf diese rechtliche Grundlage wiederholt hingewiesen habe. 1 5 8 Freilich hatten die Polizeibeamten Zweifel, da die Be155
Zu Zahlen und sexuellen Normen im Kaiserreich Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Erster Bd., S. 28 f. und S. 95-112. Peter Gay, Erziehung der Sinne. Sexualität i m bürgerlichen Zeitalter, München 1986, hier S. 269-288. 156 Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 8.10.1914, in: L H A K , Best. 403, Nr. 6939, S. 61-68, hier S. 66. 157 Vgl. ebenda, S. 67.
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5. Anna Schulten (1913/14)
klagten v o n Gerichten i n der Regel freigesprochen wurden; ein Umstand, den Kruse nutzen wollte, u m ein höchstrichterliches U r t e i l gegen A n n a Schulten herbeizuführen. E i n m a l legten die Behörden ihr ein zweifelhaftes Gebaren zur Last, da sie Betrug annahmen, was Kruse damit begründete, daß die Wahrsagerei auf „ d i e w e n i g urteilsfähigen Volksschichten" z i e l e . 1 5 9 Sodann habe Schulten ein „öffentliches Ä r g e r n i ß " erregt, w e i l vor ihrem Haus eine größere Menschenmenge zusammengelaufen w a r . 1 6 0 Diese
behördliche
Argumentation
selbst
unterscheidet
sich
zunächst
k a u m von der des frühen 19. Jahrhunderts, die 1819 der Ottweiler Schöffe Georg Edern i n seinem Bericht über die verhaftete, vagabundierende Wahrsagerin Barbara Schmidt festgehalten hatte: „Da das Wahrsagen, nichts als Uneinigkeiten in den Ehen und Haushaltungen stiften kann, so habe ich mich veranlaßt gefunden dieselbe zu arrettiren, und durch die Bürgermilitz an den Herrn Landrath in Ottweiler überliefern zu lassen, damit derselbe die nöthigen Masregeln gegen diese Vagabondin treffen möge". 1 6 1 Schulten ließ
sich zu ihrer
Verteidigung
durch den
Gelsenkirchener
Rechtsanwalt und Notar Gruchot vertreten. Sie bezeichnete ihre Handlungen nicht als Wahrsagerei, sondern als K o p f - und Handliniendeutung nach dem System G e ß m a n n . 1 6 2 D i e Wahrsagerei „spekuliere auf die D u m m h e i t 158
Regierungspräsident Kruse an Oberpräsident Rheinbaben vom 17.10.1913, in: Best. 403, Nr. 6939, S. 1-5, hier S. 2. 159 Ebenda, S. 3. 160 Ebenda, S. 1-3; Abschrift Innenministerium an Regierung Koblenz vom 14.10.1873, in: L H A K , Best. 441, Nr. 9481 [Hervorhebung im Original]. Fehl greift Labouvie, Verbotene Künste, S. 315, welche die ministerielle Verfügung von 1873 als staatliche Maßnahme einstuft, die „sich bereits gegen Erscheinungsformen einer Kommerzialisierung ehemals volksmagischer Praktiken" wandte. Im Vordergrund stand dagegen vielmehr, daß das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 keine andere Handhabe bot, um gegen Wahrsagerei vorzugehen. Bezeichnend für eine teilweise assoziative Arbeitsweise ist die Koppelung mit dem ministeriellen Vorgehen gegen sogenannte Geheimmittel von 1908. Letzteres ist nur vor dem Hintergrund der ärztlichen Kurpfuschereidebatte nach der Jahrhundertwende zu verstehen. Zudem ist dies ein weiterer Beleg dafür, daß Labouvie ein weitgehend statisches und wenig wandelbares Bild einer frühneuzeitlichen Volksmagie entwirft. 161 Bericht Edern vom 20.9.1819, in: LAS, Friedensgericht Ottweiler, Nr. 21. 162 Gruchot an Kruse vom 3.7.1913, in: L H A K , Best. 403, Nr. 6939, S. 7-9. Welches Buch genau gemeint war, geht aus den Akten nicht eindeutig hervor. Geßmann veröffentliche - teilweise unter dem Pseudonym G. Manetho - zahlreiche Publikationen zu verschiedenen Formen der Wahrsagerei, zum Spiritismus und zur Hypnose, die diverse Auflagen erlebten. Gustav W. Geßmann, Katechismus der Wahrsagekünste mit besonderer Berücksichtigung der Punktirkunst. Eine kulturhistorische Studie, Berlin 1892. Oers., Katechismus der Gesichtslesekunst, das ist die Lehre, aus den Gesichtszügen und Stirnlinien den Charakter des Menschen zu erkennen. Nach alten Quellen zusammengestellt, 3., durchgesehene und ergänzte Aufl., Berlin 1923 ( 1 1896).
360
VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
des Menschen, diese [Phrenologie] sei eine Wissenschaft, die von Autoritäten gelehrt und ausgeübt werde". 1 6 3 Die Phrenologie galt und gilt neben der Physiognomik und der Chiromantie als Hauptbestandteil der Wahrsagerei und sie konzentriert sich auf das Studium des Kopfes und des Gehirns. 164 Der Rechtsanwalt begründete seine Einwände weiter mit dem noch aus landrechtlicher Zeit stammenden Argument, seine Klientin fordere von ihren Kunden keine Gebühren, sondern diesen sei selbst überlassen, wieviel sie ihr zahlen wollten. Außer Frage stand dabei indes, daß eine Zahlung für die wissenschaftliche Leistung zu erbringen war. Auch habe seine Klientin keineswegs ein „öffentliches Ärgerniß" erregt. Um seine Beweisführung zu unterstreichen, verwies er auf verschiedene Urteile - bis hin zum Oberlandesgericht Hamm - , welche die Phrenologie freigegeben und als wissenschaftliches Deutungssystem anerkannt hätten. In einem weiteren Schreiben an das zuständige Oberverwaltungsgericht forderte er einen Sachverständigen, der diese wissenschaftliche Ansicht bestätigen sollte. 1 6 5 Die anwaltlich vorgetragene Klage zwang nicht nur den rheinpreußischen Oberpräsidenten im Januar 1914 zu einer Stellungnahme und führte kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs zu einer Verhandlung vor dem rheinischen Oberverwaltungsgericht, sondern sie ergab auch mehrere Zeugenaussagen, die den Umgang mit Wahrsagerei zu Beginn des 20. Jahrhunderts dokumentieren. Der Oberpräsident bestritt zwar den Stellenwert der Wissenschaftlichkeit des Verfahrens. Letztlich aber erfolgreich hebelte er die anwaltliche Argumentation aus, indem er auf die staatliche Aufgabe verwies, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Ihre Kunden jedenfalls schienen Anna Schulten ein sehr großes Vertrauen entgegenzubringen, zumindest hatte sie im April nach Aussagen des Oberpräsidenten und der lokalen Behörden einen so großen Zulauf in Kleve, daß die Polizei umgehend eingreifen mußte, um Ausschreitungen zu verhindern. Eine deutlich größere Rolle als das in der ersten Jahrhunderthälfte der Fall gewesen wäre, spielte für die Wahrsagerin die Wissenschaftlichkeit ihres Verfahrens. Ihr Rechtsanwalt baute seine gesamte Verteidigungsstrategie auf der wissenschaftlichen Nachweisbarkeit ihrer Zukunftsdeutungen auf. Das mag weniger für ihre Kunden gegolten haben, aber gegenüber den preußischen Behörden und Gerichten versprach diese Argumentation den größeren Erfolg. Ein deutlicher Unterschied zum frühen 19. Jahrhundert
163 Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 8.10.1914, in: L H A K , Best. 403, Nr. 6939, S. 61-68, hier S. 64. 164 „Phrenologie" gehört bedauerlicherweise zu den zahlreichen Artikeln des HDA, die im Nachtrag behandelt werden sollen, dort aber nicht auftauchen. Vgl. HDA, Bd. 7, Sp. 20. Vgl. weiter Müller, Aberglaube, S. 35 f. 165 Gruchot an Oberverwaltungsgericht zu Händen Rheinbaben vom 5.11.1913, in: L H A K , Best. 403, Nr. 6939, S. 23 f.
5. Anna Schulten (1913/14)
361
liegt darin, daß die Wahrsagerin selbst die vorgebliche Wissenschaftlichkeit als Instrument nutzte, um den abgesicherten Stellenwert ihrer Verfahrensweise zu untermauern, während es bei Grabe noch so war, daß die Kommission prüfte, ob seine therapeutische Methode wissenschaftlich zu verorten sei. Indes scheint Schultens Praxis eine Mischform gewesen zu sein, nicht nur der rheinpreußische Oberpräsident zweifelte unverhohlen an der Wissenschaftlichkeit ihres Verfahrens. Und auch ein Zeuge sagte bei der polizeilichen Vernehmung aus, die Wahrsagerin habe lediglich seine Handfläche mit einem Vergrößerungsglas betrachtet und die Kopflinien außer Acht gelassen, was weitere Zeugen bestätigten. 166 Festzuhalten ist jedenfalls, daß das gesamte 19. Jahrhundert hindurch weit weniger die wissenschaftliche oder akademische Herkunft einer medizinischen Therapie für ihre Akzeptanz entscheidend war, als vielmehr ihre Effizienz oder ihr Nutzen für Patienten oder Kunden. Für die betroffenen Kranken war es dabei offensichtlich von nebensächlicher Bedeutung, ob ein Laienheiler als abergläubisch bezeichnet wurde, solange ihm nur ein erfolgreicher Ruf vorauseilte. Einem an aufklärerischen Maßstäben gemessenen Verhalten, wie es sich die Behörden wünschten, standen lange die Grenzen entgegen, die der akademischen Medizin gesteckt waren. Dabei konnte ein Erfolg, der nicht unbedingt mit einer endgültigen Heilung enden mußte, bereits aus einem Trost und der Gewißheit bestehen, alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben. Die Patiententestate zeigen, daß es sich nicht ausschloß, einen akademisch gebildeten Mediziner und einen Laienheiler in beliebiger Reihenfolge aufzusuchen. A m letzten Beispiel läßt sich ein Wandel ablesen, der sich langsam durchgesetzt zu haben scheint. Bei der Wahrsagerin Schulten stand die wissenschaftliche Argumentation im Vordergrund, um dem Aberglaubensvorwurf zu begegnen. Bei aller gebotenen Vorsicht, die Fälle miteinander zu vergleichen, scheinen sich doch die Bewertungsmaßstäbe verschoben zu haben. Was im Bereich populärer Frömmigkeit sicher noch eine untergeordnete Rolle spielte, setzte sich bei halbwissenschaftlichen und medizinischen Aberglaubensvarianten zunehmend durch: eine wissenschaftliche Argumentation, um das eigene Handeln zu begründen. Auf verschiedenen Ebenen ließen sich Wechselwirkungen zwischen überlieferten und modernen Verhaltensweisen erkennen, zwischen akademischer und Laienheilkunde, zwischen überkommenem Geisterglauben und neuem Spiritismus, zwischen Stigmatisationen und somnambulen Visionen. Die zeitgenössischen Deutungsmuster, zwischen volks- und elitenkulturellen Verhaltensweisen zu unterscheiden, welche sich bis in die moderne Geschichtswissenschaft als analytisches Instrumentarium gehalten haben, pola166
40.
Konzept Gegenerklärung Rheinbabens vom Januar 1914, in: ebenda, S. 37-
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VII. Grenzfälle zwischen Volks- und Elitenkulturen
risieren in einer Art und Weise, die an den vielfältigen zeitgenössischen Wahrnehmungen deutlich vorbeizielen. Wer den facettenreichen Kulturbegriff ernst nimmt, darf keine zu große Kluft zwischen unterschiedlichen kulturellen Handlungen konstruieren. Immer wieder schalteten sich gerade auch die Vertreter der meinungsbildenden Eliten ein und gaben entscheidende Anstöße für ein breiteres Interesse an abergläubischen Vorfällen. Zugleich waren die kulturell polarisierenden Deutungsmuster im 19. Jahrhundert ein rückwärtsgewandtes Argument, um zeitgenössische Handlungen auszugrenzen und als veraltet darzustellen, die damit dann leichter zu kritisieren waren.
V I I L Patienten, Publikum, Profite Aberglauben war und ist keine Frage der Mentalität, sondern eine stigmatisierende Zuweisung von außen, eine Deutung bestimmter Verhaltensweisen und Zustände, die an sich wandelnden Normen gemessen wurde und immer noch wird. Zwar versuchten einige Autoren in den zeitgenössischen Debatten, einen relikttheoretisch begründeten Aberglauben in den Rang einer Mentalität zu heben, aber dies mißlang auf Dauer vor dem Hintergrund der Flexibilität und Offenheit des Aberglaubensbegriffs. 1 Mit der bisher betonten Vielschichtigkeit des ausgrenzenden Vorwurfs Aberglauben fallen fast schon zwangsläufig auch die Reaktionen der betroffenen sozialen Gruppen oder Konfessionen auseinander. Doch wird man sich die Frage stellen können, von welchen Motiven althergebrachtes medizinisches Verhalten, religiöse Frömmigkeit oder die Teilnahme an spiritistischen Sitzungen geleitet war, was also alles zum sogenannten abergläubischen Verhalten veranlassen konnte, und welche Motive sich veränderten. Hinzu kommen Überlegungen zu weiteren Zuweisungen, welche Kritiker mit dem Aberglaubensvorwurf verknüpften. Mit den Vorwürfen waren zumindest teilweise Aussagen über abergläubische Landstriche, Gegenden und auch Städte verbunden, weshalb sich bisher behandelte Phänomene teilweise an konkreten Orten lokalisieren lassen. Dies bedeutet nun nicht, danach forschen zu wollen, wie es um Aberglauben wirklich stand. Aber der Historiker sollte nach verschiedenen zeitgenössischen Wahrnehmungen und Deutungen fragen und versuchen, sie zu rekonstruieren und einzuordnen. Folgende Fragen sollen den Blick auf diese Seite der Aberglaubensvorwürfe leiten: Waren Frauen, und unter ihnen vor allem die in der Aberglaubenskritik herausgestellten „alten Weiber", im Vergleich zu Männern tatsächlich überproportional an abergläubischen Vorfällen beteiligt? Und unterlagen die mit dem Aberglaubensvorwurf verbundenen geschlechterstereotypen Zuweisungen Wandlungen? Wie reagierten Kranke auf den Vorwurf, abergläubisch zu sein? Inwieweit bestimmten Ängste und Fremdheit abergläubisches Verhalten oder die Wahrnehmung abergläubischen Verhaltens? Und schließlich: Welche Orte waren von den Vorwürfen am stärksten betroffen? Um diese Fragen zu beantworten, werden die Berichte in den staatlichen und kirchlichen Verwaltungsakten stärker auf Informationen über durchscheinende Absichten, Wünsche und Einstellungen der Ausgegrenzten ge1
Vgl. Busch, Volksglaube, S. 1-10. Freybe, Volksaberglaube, S. 2-8.
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VIII. Patienten, Publikum, Profite
prüft, um sich den auf den ersten Blick oftmals verborgenen Seiten des Aberglaubensvorwurfs zu nähern. Es lassen sich in der Regel allerdings keine direkten Reaktionen auf die Vorwürfe finden, wohl aber kann dem Wandel im Umgang mit verschiedenen Aberglaubensvarianten nachgespült werden.
1. Eine „innere heilige Kraft": Aberglauben und Geschlecht Die Auseinandersetzungen um Aberglauben fügen sich in die zeitgenössischen Auffassungen vom polarisierten Geschlechterverhältnis. 2 Frauen und Männer wurden als unterschiedlich empfänglich für Aberglauben eingestuft. Die mit Aberglauben verknüpften Elemente Angst und Passivität ordneten Kritiker eher dem weiblichen Geschlecht zu, während sie die klassische Aufklärungskategorie „Vernunft" als Mittel im Kampf gegen den Aberglauben in geschlechterstereotyper Zuweisung als wesentlichen Bestandteil des männlichen Tugendkatalogs ansahen. Auch wenn männliche und weibliche Eigenschaften sich nach dem bürgerlichen Konzept der polaren Geschlechtscharaktere ergänzen sollten, kam dem aufgeklärten Mann die emanzipatorische Rolle zu. Er sollte derjenige sein, der Frau und Familie aufklärte und damit vom Aberglauben befreite. 3 Nicht von ungefähr waren es auf der anderen Seite die alten Weiber, denen Aberglaubenstheoretiker die Bewahrung und Verbreitung überkommener Aberglaubensvarianten unterstellten: „Das Einbildungsvermögen der Frauen ist wärmer und empfänglicher, von jeher wurde in ihnen eine innere heilige Kraft der Weissagung verehrt. Frauen waren Priesterinnen und Weissagerinnen. Wiederum aber mußten Heil- und Zauberkunde
2 Einen guten Überblick liefert Ute Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, Frankfurt am Main 4 1990 ( ^ δ ό ) . Zum Wandel des Geschlechterverhältnisses im 19. Jahrhundert auch Dies., „Mann und Weib, und Weib und Mann". Geschlechter-Differenzen in der Moderne, München 1995. Weiter wichtig Claudia Honegger, Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib. 1750-1850, Frankfurt am Main/New York 1991. Nicht nur im Rahmen der Geschlechtergeschichte gewinnt eine Geschichte der Männer und der Männlichkeit zunehmend an Kontur. Dazu George L. Mosse, Das Bild des Mannes. Zur Konstruktion der modernen Männlichkeit, Frankfurt am Main 1997 (amerik. Original 1996). Diverse Fallstudien dazu in Thomas Kühne (Hg.), Männergeschichte - Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, Frankfurt am Main/New York 1996. Walter Erhart/Britta Herrmann (Hg.), Wann ist der Mann ein Mann? Zur Geschichte der Männlichkeit, Stuttgart/ Weimar 1997. 3
Vgl. Frevert, Frauen-Geschichte, S. 21-23. Außer Acht gelassen wird häufig die Aufklärungsdefinition, die Kant 1790 in der Kritik der Urteilskraft formulierte: „Befreiung vom Aberglauben heißt Aufklärung". Zitiert nach Pott, Aufklärung und Aberglaube, S. 3.
1. Aberglauben und Geschlecht
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hauptsächlich alten Weibern eigen sein, die der Liebe und der Arbeit abgestorben, ihr ganzes Sinnen und Trachten auf geheime Künste stellten". 4
Albert Freybes hier im historischen Rückgriff gegenüber alten Frauen formulierte Vorbehalte als Verbreiterinnen und vor allem Bewahrerinnen geheimer magischer Künste waren ein zentraler Wesenszug der relikttheoretischen Aberglaubensargumentation. In den Augen ihrer männlichen Kritiker waren sie es - vor allem in den ländlichen Gegenden - , die mit alten Hausmitteln aushalfen und magische Ratschläge für schwierige Lebenslagen parat hatten. Das Zitat steht darüber hinaus für eine angeblich ausgeprägte weibliche Veranlagung zum Aberglauben und für einen charakteristischen Umgang von Frauen mit magischen Mitteln. Dazu argumentierte Freybe einesteils mit einem wärmeren und empfänglicheren Einbildungsvermögen, womit er typische Elemente der den Frauen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zugewiesenen, biologisch bestimmten Geschlechterrolle benannte.5 Dieses zunächst ins Positive gewendete Attribut von Weiblichkeit - gipfelnd in der Formulierung, Frauen seien mit einer ,,innere[n] heilige[n] Kraft" ausgestattet - verkehrt er jedoch umgehend wieder ins Gegenteil. Wenn die bürgerlichen Leittugenden „Arbeit" und „Liebe" diese Kraft nicht einhegten, konnte das stärkere Einbildungsvermögen dazu führen, verbotene Künste auszuüben, was Freybe unmittelbar mit der Formel von den „alten Weibern" verknüpfte. Jenseits dieser nicht erst seit der Aufklärung anzutreffenden Vorurteile gegenüber alten Frauen sind zwei Punkte im Zusammenhang von Aberglauben und Geschlecht besonders hervorzuheben. Sie gestatten einen Blick auf den Wandel im Umgang mit ausgegrenztem medizinischen wie religiösen Verhalten. Zunächst geht es um die Kopplung von bestimmten Krankheitsbildern mit (jungen) Frauen und dann um die „Feminisierung von Religion und Kirche" im 19. Jahrhundert. Nicht nur Ärzte, sondern auch die unmittelbaren Umgebungen von Kranken verbanden eine ganze Reihe von Krankheitsbildern schnell mit Frauen und parallel dazu mit übernatürlichen Einflüssen: Wer stärker empfand und sich von Gefühlen leiten ließ, der war offenkundig auch eher teuflischen Einflüsterungen ausgesetzt. So wurde psychisch Kranken oftmals mit geistlicher Unterstützung eingeredet, an Besessenheit zu leiden. Dies mußte der Bürgermeister Theisen aus dem kleinen Moseldorf Lutzerath 1844 über die offensichtlich an epileptischen Anfällen leidende Anna Josephina Wagner 4
Freybe, Volksaberglaube, S. 71. Vgl. auch Lehmann, Aberglaube, S. 251. Zur Diskussion um den Altweiberaberglauben im 18. Jahrhundert vgl. Pott, Aufklärung und Aberglaube, S. 48-55 und S. 151. 5 Vgl. dazu die schematische Aufstellung in dem wichtigen Aufsatz von Karin Hausen, Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere". Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Neue Forschungen, Stuttgart 1976, S. 363-393, hier S. 368.
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VIII. Patienten, Publikum, Profite
an den Landrat Karl Julius Schönberger nach Cochem melden. Das junge Mädchen, so der Bürgermeister, sei „ i m Jahre 1839 von einem spasmatischen Übel befallen [worden], das der Volksglaube für die Einwirkungen des Teufels hält [...], einem Fanatismus, dem der Pfarrer von Alflen nicht einmal fremd bleibet". 6 Psychische Erkrankungen wurden das gesamte 19. Jahrhundert hindurch eher Frauen zugeordnet, und ihre Ursachen suchten viele Betroffene und deren Verwandtschaft weiterhin im übernatürlichen Wirken des Teufels. Im Fall der Elise Breuer, die 1888/89 offensichtlich an Halluzinations- und Wahnsinnsschüben litt und sich von einem Düsseldorfer Franziskaner hatte exorzieren lassen, diagnostizierte der hinzugezogene Arzt Diel, nachdem sich die kranke Frau zwei Monate in seinem Krankenhaus aufgehalten hatte: „Die geistige Erkrankung hatte ihren Grund in Störungen von Funktionen, die dem weiblichen Geschlechte eigenthümlich sind. Eine jede andere Deutung der Krankheit ist ausgeschlossen". 7
Abweichungen vom als normal begriffenen - männlichen - Verhalten erklärten männliche Ärzte auch am Ende des Jahrhunderts mit einer unterschiedlichen körperlichen Organisation von Männern und Frauen, die sich in einer besonderen weiblichen Veranlagung für seelisch verursachte Störungen niederschlug. Noch lange verbanden sie nach alten medizinischen Lehren die Gebärmutter unmittelbar mit religiöser Schwärmerei, Aberglauben, Melancholie und Hysterie, eben allen abnormen seelischen Verhaltensweisen.8 Bei den verschiedenen, nebeneinander existierenden Wahrnehmungen dieses abweichenden Verhaltens sind die Perspektiven der Betroffenen am schwierigsten zu erfassen, da sie zumeist nur indirekt in den Quellen auftauchen. Ein binnen-, oder wie es in der Volkskulturforschung zumeist heißt, eigenlogischer Zusammenhang läßt sich daher nur in Ausnahmefällen 6 Konzept Theisen an Schönberger vom 19.5.1844, in: L H A K , Best. 655,117, Nr. 315, Bl. 1. 7 Gutachten von Dr. Diel, Arzt des Kaiserwerther Marienkrankenhauses vom 14.2.1889, in: HAEK, Generalia I 31,4 [Hervorhebung im Original]. M i t den Deutungen weiblicher Einbildungskrankheiten befaßt sich Esther Fischer-Homberger, Krankheit Frau. Zur Geschichte der Einbildungen, Darmstadt/Neuwied 1984, hier vor allem S. 10-33. Der Krankheitsbegriff Hysterie leitet sich unmittelbar von dem griechischen Terminus für Gebärmutter „hystéra" ab. 8 Vgl. Regina Schaps, Hysterie und Weiblichkeit. Wissenschaftsmythen über die Frau, Frankfurt am Main/New York 1982, S. 42-54. Fischer-Homberger, Krankheit Frau, S. 134-144. Anregend dazu auch Doris Kaufmann, Wahnsinn und Geschlecht. Eine erfahrungsseelenkundliche Fallgeschichte aus der Entstehungszeit der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland, in: Christiane Eifert u. a. (Hg.), Was sind Frauen? Was sind Männer? Geschlechterkonstruktionen im historischen Wandel, Frankfurt am Main 1996, S. 176-195. Kaufmann verbindet diese Deutungen mit den Professionalisierungsbestrebungen der jungen Disziplin Psychiatrie, die um „die Zuständigkeit und die Verwaltung der so diagnostizierten kranken Seelen" stritt (S. 178).
1. Aberglauben und Geschlecht
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rekonstruieren. Elise Breuer jedenfalls gab gegenüber ihrem Ortspfarrer Frank an, bereits alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben und nun auf die Kraft eines reinigenden Exorzismus vertraut zu haben, den sie als letzte Chance zur Heilung begriff. 9 Aus dieser Perspektive verstand die junge Witwe ihre Leiden, sofern man ihrer Beteuerung glaubt, vorher einen Mediziner konsultiert zu haben, also als eine Krankheit, die grundsätzlich von Ärzten hätte geheilt werden können. Erst nach den ausbleibenden therapeutischen Erfolgen suchte sie für ihre Krankheit im religiösen Bedeutungszusammenhang Hilfe. Stellt man dieses letzte Argument in den Vordergrund, dann muß nicht lange nach einer völlig fremden Binnenlogik der Handelnden gesucht werden, denn es scheint durchaus verständlich, alle verfügbaren medizinischen Angebote wahrzunehmen. Doch sind einige Gesichtspunkte darüber hinaus bedenkenswert. So muß man feststellen, daß Theorie und Praxis der Geschlechtercharaktere auseinanderfielen, wenn sich nicht nur Frauen, sondern auch Männer besessen wähnten. Einerseits zeugt das in den Kölner Generalvikariatsakten auch zu Ende des 19. Jahrhunderts anzutreffende Beharren auf Teufelsaustreibungen durch die Pfarrgeistlichkeit doch von einer heute weitgehend fremden Verhaltensweise, denn immerhin wandten sich Männer und Frauen mit hilfesuchenden Anfragen ausdrücklich an die Ortsgeistlichkeit, den Kölner Erzbischof oder das Generalvikariat, um die Erlaubnis für einen Exorzismus zu erhalten. 10 Die letzte Hoffnung auf Heilung wurde eben nicht nur im medizinischen Umfeld gesucht, sondern auch noch beim Pfarrer und in der geistlichen Therapie der Austreibung. Breuer und ihr Umfeld kamen vermutlich auch deshalb zu der Diagnose Besessenheit, weil die Kranke in ihren Anfällen „verba obscoenissima contra Jesum" ausstieß.11 Die Austreibung war also immer noch eine Alternative zur medizinischen Diagnose der Unheilbarkeit. So ist in Rechnung zu stellen, daß viele Patienten und Patientinnen Krankheit und Schmerzen immer noch als potentiell übernatürlich verursacht annahmen. Andererseits muß aber wieder einschränkend hinzugefügt werden, daß die Besessenheit eben nicht mehr durch eine unmittelbar körperliche Anwesenheit des Teufels erzeugt, sondern jener überwiegend nur noch für die Halluzinationen oder Anfälle verantwortlich gemacht wurde. Der Satan hatte also schon einen beträchtlichen Teil seiner lange noch sehr konkreten Macht über die Deutungen von Krankheit verloren, auch wenn 9
Pfarrer Frank (Wittlaer) an Generalvikariat Köln vom 4.12.1888, in: HAEK, Generalia I 31,4. 10 Wilhelm Rochow aus Obersülze bei Lindlar an Generalvikariat Köln vom 4.2.1896; Pfarrer Tils (St. Ursula, Köln) an Generalvikariat vom 13.12.1898; Pfarrer Johann Josef Wynands (Mühlheim) an Generalvikariat vom 11.11.1905; Theresia Habets an Erzbischof Hartmann vom 27.6. und 21.11.1916, 17.3., 1.5., 9.5., 16.5. und 10.6.1917, in: ebenda. 11 Frank an Generalvikariat vom 4.12.1888, in: ebenda.
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VIII. Patienten, Publikum, Profite
Ärzte weiterhin keine ausschließliche Heilungskompetenz im Umgang mit Krankheiten des Geistes hatten. 12 Allen sicher erkennbaren Medikalisierungstendenzen zum Trotz standen auch im ausgehenden 19. Jahrhundert noch alte und neue Deutungen von Krankheiten nebeneinander, selbst wenn die Akzeptanz medizinisch-wissenschaftlicher Sichtweisen bedeutend an Boden gewonnen hatte. Überkommene Auffassungen von unmittelbaren körperlichen Einwirkungen des physischen Bösen auf Männer wie Frauen wandelten sich also nur langsam und blieben neben neuen medizinischen Sichtweisen durchaus präsent. In das an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert entwickelte polare Geschlechtermodell fügte sich auch die lange verbreitete Ansicht männlicher Mediziner, Frauen seien leichter zu magnetisieren als Männer, vor allem da es sich in ihren Augen oftmals um junge und damit leicht beeinflußbare Patientinnen handelte. 13 Diese Annahme widerlegte erst die Hypnoseforschung der 1890er Jahre endgültig, schrieb damit allerdings mit ihrer Argumentation die Geschlechterdifferenz auf einer anderen Ebene fest. Das Kaiserliche Gesundheitsamt bilanzierte in seiner 1895 erstellten Expertise über „Hypnose und Suggestion", daß eher die Personen zu hypnotisieren seien, die ihre „Gedanken [...] auf einen Punkt konzentrieren können", worunter - so das Gremium weiter - eher Männer sowie „kräftige und intelligente Individuen" zu verstehen seien. 14 Man darf indessen nicht übersehen, daß Frauen Lebenssituationen ausgesetzt waren, die im gesamten 19. Jahrhundert immer noch von magischen Ritualen begleitet waren. Während schon bei der Schwangerschaftsdiagnose magische Mittel halfen, erwies die Geburt selbst sich als herausragende Form des Übergangs, den viele Frauen immer noch mit magischen Rezepten und Hilfen bewältigten. Diese Maßnahmen waren den männlichen Theoretikern der medizinischen Aberglaubensdiskussion - ohnehin Ärzte durchaus nichts Fremdes, und sie verbanden sie zumeist mit Hebammenschelte. 15 Die Geburt blieb nicht nur mit großen Schmerzen, sondern lange 12
A m Beispiel der Krankengeschichten eines Eisenacher Arztes hat Barbara Duden ausgeführt, wie wenig körperliche und seelische Krankheiten in der Mitte des 18. Jahrhunderts voneinander getrennt wurden. Barbara Duden, Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730, Stuttgart 1987, hier S. 163-172. Für den Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert Kaufmann, Wahnsinn und Geschlecht, S. 188. 13 Vgl. Ennemoser, Anleitung, S. 84. 14 Abhandlung über Hypnose und Suggestion des Kaiserlichen Gesundheitsamts vom 25.6.1895, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I B, Nr. 1324, Bl. 34r-44r, hier Bl. 35r. 15 Vgl. Lammert, Volksmedizin und medizinischer Aberglaube, S. 158 f. Fossel, Volksmedicin und medicinischer Aberglauben, S. 47-60. Höfler, Volksmedizin und Aberglaube, S. 194-207.
1. Aberglauben und Geschlecht
369
eben auch mit lebensbedrohlichen Risiken für die werdende Mutter und das Neugeborene verbunden, weshalb die Betroffenen immer wieder verschiedene Schutz- und Hilfsmittel anwandten, die preußischer Staat und katholische Amtskirche als abergläubisch abtaten, zumal bis ins 20. Jahrhundert Klagen anhielten, daß Frauen und Hebammen „auf diese Mittel ein solch unberechtigtes Vertrauen setzen, dass sie es unterlassen rechtzeitig ärztliche Hilfe zu erbitten, da wo es notwendig ist, und so kann dieses Mittel verhängnisvoll werden für das Leben des Kindes oder auch der Mutter". 1 6
Solange diese Mittel, wie das Kölner Generalvikariat 1913 in bezug auf die Verwendung von Geburtsgürteln erläuterte, lediglich ergänzend zur ärztlichen Hilfe eingesetzt würden, sei „mit denselben kein Aberglauben verbunden". Ein gewisser Pragmatismus seitens der Amtskirche war hier nicht zu verkennen, fügte die katholische Behörde ihrem Schreiben doch die Bemerkung bei, eine psychologische Wirkung der Gürtel sei nicht auszuschließen. 17 So verwundert es nicht, daß die entsprechenden Akten des Generalvikariats voller Hinweise auf die Verwendung geweihter Kerzen, Geburtsgürtel und verschiedener Pulver sind. Aus Sicht der Schwangeren galt es in der Ära vor der modernen Apparatemedizin vor allem, die Schmerzen und die Risiken mit allen verfügbaren Mitteln zu lindern. Wichtig ist dabei, daß die Geburt aller medizinischen Hilfe, Begleitung durch Hebammen und Vereinnahmung durch ärztliches Expertenwissen zum Trotz lange ein Vorgang blieb, bei dem die Schwangeren selbstverständlich alternativ und begleitend kirchlich-magische Mittel einsetzten. Ausweislich der archivalischen Überlieferung sind für die Geburt in der Erzdiözese in erster Linie sogenannte Geburts- oder Mariengürtel verwendet worden, die zuvor Geistliche benediziert hatten. 18 Freilich darf eine gehörige Portion Skepsis gegenüber ihrer ausschließlichen Anwendung nicht verschwiegen werden: Der Endorfer Landwirt Anton König (Kreis Arnsberg), dessen Frau unmittelbar vor der Niederkunft stand, fragte etwa 1910 in der rheinischen Metropole besorgt an, ob es tatsächlich hilf-
16 Paderborner Domkapitel an Generalvikariat Köln vom 25.5.1912, in: HAEK, Generalia I 31,2. 17 Konzept Generalvikariat Köln an Verein katholischer Priester Deutschlands PAX vom 26.7.1913, in: ebenda. 18 Geburtsgürtel: Pfarrer Schüller (Kell, Landkreis Trier) an Generalvikariat Köln vom 27.12.1908; Kerzen und Pulver: Seminarpräses Lansberg (Düsseldorf) an Generalvikariat vom 28.7.1903, in: ebenda. Ein 1896 konfiszierter Gürtel befindet sich in den Akten. Es handelt sich dabei um ein weißes, sieben Zoll langes und 0,4 Zoll breites Bändchen, mit Kreuzen und der Aufschrift S.M.R.A.v.L. O.R.P.N., das vor der Geburt berührt oder um die Hüften geschlungen wurde. Die Aufschrift bedeutet vermutlich Santa Maria von Loreto ora pro nobis. 24 Freytag
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VIII. Patienten, Publikum, Profite
reich sei, geweihte Kerzen aus dem Kölner St. M a r i a Kloster zu benutzen, w i e seine Schwiegermutter behaupte. 1 9 Dennoch war es eben noch nicht vollständig
gelungen,
den Geburtsvorgang
zu medikalisieren
und
aus-
schließlich medizinischen Gepflogenheiten zu unterwerfen. Weiter hat der konstruierte Zusammenhang zwischen Weiblichkeit und Aberglauben m i t einem W a n d e l von Religiosität i m 19. Jahrhundert zu tun, welcher i n der historischen Forschung i n die Formel „Feminisierung von R e l i g i o n und K i r c h e " gegossen w i r d . 2 0 Danach hielten Frauen stärker an den traditionellen Formen religiösen Lebens fest und gewannen ein Übergew i c h t i m kirchlichen Raum. A u c h wenn dieser W a n d e l längst noch nicht geklärt ist, so war die zeitgenössische Roilenzuschreibung ohne Frage auch davon getragen, daß eine Verkirchlichung v o n Frau und Familie i n Katholizismus w i e Protestantismus schärfere Konturen bekam. Indes hat man dabei zu beachten, daß feminine katholische Religiosität weiterhin ganz deutlich männlich gelenkt war. V o m Bischof bis z u m Pfarrer bestimmten und leiteten Männer katholische Frömmigkeit. Andachtsübungen für Mädchen wurden sorgfältiger versehen, und i n kirchlichen Vereinigungen w i e den Herz-
19 König an Generalvikariat Köln vom 30.10.1910, in: HAEK, Generalia I 31,2. Dazu auch Eva Labouvie, Andere Umstände. Eine Kulturgeschichte der Geburt, Köln/Weimar 1998. Erste Überlegungen zuvor schon Dies., Selbstverwaltete Geburt. Zu den zahlreichen Mitteln, den GeburtsVorgang zu erleichtern, vgl. Artikel „Geburt", in: HDA, Bd. 3, Sp. 406-419, hier Sp. 412-414. Gélis , Geburt, S. 224-230. 20 Obwohl hierzu noch detaillierte Untersuchungen fehlen, hat die These von der „Feminisierung des Religiösen" fast schon Schlagwortcharakter gewonnen. Einen Forschungsüberblick liefert Irmtraud Götz von Olenhusen, Die Feminisierung von Religion und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert: Forschungsstand und Forschungsperspektiven, in: Dies. (Hg.), Frauen unter dem Patriarchat der Kirchen. Katholikinnen und Protestantinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart u.a. 1995, S. 9-21. Doris von der Brelie-Lewien, „Die Erlösung des Menschengeschlechts". Prophetinnen, Besessene, Hysterikerinnen (1690-1890), in: Karsten Rudolph/Christi Wickert (Hg.), Geschichte als Möglichkeit. Über die Chancen von Demokratie. Festschrift für Helga Grebing, Essen 1995, S. 478-506. Edith Saurer, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Die Religion der Geschlechter. Historische Aspekte religiöser Mentalitäten, Wien u.a. 1995, S. 7-14. Vgl. weiter Hugh McLeod, Weibliche Frömmigkeit männlicher Unglaube? Religion und Kirchen im bürgerlichen 19. Jahrhundert, in: Ute Frevert (Hg.), Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert, Göttingen 1988, S. 134-156, der die Verhältnisse in Deutschland allerdings nur am Rande behandelt. Michaela de Giorgio, Das katholische Modell, in: Geneviève Fraisse/Michelle Perrot (Hg.), Geschichte der Frauen, Bd. 4: Das 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main u.a. 1994, S. 187-220. Irmtraud Götz von Olenhusen, Vorwort, in: Dies., Wunderbare Erscheinungen, S. 7-12. Wichtig und anregend ist auch Edith Saurer, Frauen und Priester. Beichtgespräche im frühen 19. Jahrhundert, in: Richard van Dülmen (Hg.), Arbeit, Frömmigkeit und Eigensinn. Studien zur historischen Kulturforschung II, Frankfurt am Main 1990, S. 141-170. Zum Protestantismus Lucian Hölscher, Die Religion des Bürgers. Bürgerliche Frömmigkeit und protestantische Kirche im 19. Jahrhundert, in: HZ 250 (1990), S. 595-630.
1. Aberglauben und Geschlecht
371
Jesu-Vereinen waren Frauen überrepräsentiert. 21 A m anschaulichsten aber spiegelt sich die Wendung der Kirche zur Frau in der Marienverehrung wider, die alle Klischees eines christlich und positiv verstandenen Frauenbildes der Ehefrau und Mutter bündelte. 22 Nach der These von der Feminisierung von Religion und Kirche wandelte sich auch der katholische Wunderglauben von einer in der Frühen Neuzeit eher geschlechtsspezifisch ausgewogenen Angelegenheit zu einer am Ende des 19. Jahrhunderts ganz überwiegend weiblich dominierten Frömmigkeitsäußerung. 23 Es spricht einiges für die Annahme, etwa wenn man sich an die Zusammensetzung der 33 Kranken aus Koblenz und Umgebung erinnert, die 1821 die Wunderheiler Hohenlohe-Schillingsfürst und Michel aufsuchten; unter ihnen waren 16 männlichen und 17 weiblichen Geschlechts.24 Auch bei den Gebetsheilungen Heinrich Möhrs 1842/43 begegnet ein weitgehend ausgeglichenes Verhältnis, zumindest wenn man sich an den Patienten- und Patientinnentestaten orientiert. 25 Das Bild ändert sich indes mit einem Blick auf die Teilnahme an Wallfahrten. Nicht erst in das saarländische Marpingen pilgerten mehr Frauen als Männer, wie David Blackbourn betont hat, 2 6 sondern Wallfahrten waren bereits im Vormärz eine weibliche Domäne. Bekannt ist, daß die von den preußischen Behörden erhaltenen Listen der Pilger für den Zeitraum zwischen 1816 und 1824, die an sogenannten übernachtenden Wallfahrten teilnahmen, überproportional viele unverheiratete junge Frauen als Teilnehmerinnen ausweisen.27 Man wird sicher auch auf die tiefgreifenden religiösen, sozialen und politischen Umwälzungen des frühen 19. Jahrhunderts mit all ihren erschütternden Veränderungen verweisen können, aber warum dies dann eher Frauen betroffen haben soll, leuchtet nicht unmittelbar ein. 2 8 Die Perspektive des gesamten 19. Jahrhunderts zeigt, daß die Umbruchzeit um 1800 zwar außergewöhnlich war, aber sich exaltierte Religiosität bei Frauen wie Männern bis ans Ende des Kaiserreichs immer wieder beobachten läßt. 2 9 So sind also 21
Vgl. Norbert Busch, Die Feminisierung der Frömmigkeit, in: Götz von Olenhusen, Wunderbare Erscheinungen, S. 203-219, hier S. 205. 22 Vgl. Guth, Marianische Wallfahrtsbewegungen, S. 823-833. 23 So Götz von Olenhusen, Vorwort, S. 10. 24 Vgl. Tabelle 2, S. 239. 25 Auch Abbildung 4, S. 335, ermöglicht keinen eindeutigen Schluß, ob mehr Frauen als Männer den Wunderheiler aufsuchten. 26 Vgl. Blackbourn, Marpingen, S. 262 f. 27 Vgl. Sperber, Popular Catholicism, S. 19. 28 Aufschlußreich für die Auswirkungen des Umbruchs um 1800 ist Werner K. Blessing , Umbruchskrise und „Verstörung". Die Napoleonische Erschütterung und ihre sozialpsychologische Bedeutung (Bayern als Beispiel), in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 42 (1979), S. 75-106. 29 Vgl. Ribbat, Religiöse Erregung. Weiß, Seherinnen und Stigmatisierte. 24*
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VIII. Patienten, Publikum, Profite
gewisse Vorbehalte gegenüber einem geradlinigen Verlauf der Feminisierung von Religion angebracht. Auch wenn sich nicht leugnen läßt, daß an den aufsehenerregendsten Stigmatisationen, religiösen Schwärmereien und an religiösen Mißbräuchen eher Frauen als Männer teilhatten. Gerade im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts und während des Kulturkampfs verkörperte die wundervolle Frau für einen Großteil des Katholizismus, gipfelnd in der stigmatisierten Katharina Emmerich und der Jungfrau Maria, zunächst die Überwindung der verhaßten - im Kulturkampf vom Liberalismus verfochtenen - Aufklärung. Die immer wieder betonte stärkere Glaubensgewißheit von Frauen wird sicher zu einem intensiveren, teilweise mystisch-magischen Religionserleben beigetragen haben, das Kritiker dann wiederum als weiblichen Aberglauben verurteilten. 30 Sicher muß man bei der These von der Feminisierung der Religion den langfristigen Wandel durch die Industrialisierung und ihre Begleiterscheinungen im Auge behalten. Mit den Industrialisierungsschüben entwuchsen die Männer althergebrachten Zeitabläufen und Lebensformen eher als Frauen. Auch wenn Männer damit empfänglicher für säkularisierte und säkularisierende Einflüsse waren, kann man daraus dann aber doch nicht schließen, Frauen hätten mehr Zeit als Männer gehabt und seien deshalb stärker im religiös-kirchlichen Leben verankert gewesen.
2. Kommerzialisierung und Vergnügen Soziale Zuweisungen waren innerhalb der theoretischen Aberglaubensdebatte, die seit Wuttkes Standardwerk von 1860 Volks- von Kunstaberglauben unterschied, 31 fest verankert. Spätestens mit der Unterscheidung eines Völksaberglaubens vom Kunstaberglauben hatte man diese Zuweisungen zementiert. Wie bereits betont, waren die Diskussionen um Aberglauben zwar schon seit dem 18. Jahrhundert mit dezidiert sozialen Zuschreibungen verbunden, selbst wenn man sich weitgehend darüber im klaren war, daß in der Praxis mit vielfältigen Mischformen zu rechnen war. Auch wenn dies nicht über die medizinischen wie religiösen Motive hinwegtäuschen darf, waren profane Inhalte wie Kommerz, Vergnügen und Sensationslust integraler Bestandteil von Aberglauben. Unweigerlich wurden die großen rheinpreußischen Wallfahrtsziele des 19. Jahrhunderts wie Kevelaer, Trier, Aachen oder auch Marpingen zu Orten, an denen Kommerz eine herausragende Rolle spielte. Dabei gilt es zu 30
Vgl. Rudolf Schlögl, Sünderin, Heilige oder Hausfrau? Katholische Kirche und weibliche Frömmigkeit um 1800, in: Götz von Olenhusen, Wunderbare Erscheinungen, S. 13-50, hier S. 49. 31 Vgl. Wuttke, Volksaberglauben, S. 7-11. Henne am Rhyn, Reise durch das Reich des Aberglaubens, S. 3-12.
2. Kommerzialisierung und Vergnügen
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bedenken, daß an den etablierten Wallfahrtsorten eine feste Infrastruktur vorhanden war, in die eine Kommerzialisierung der Wallfahrten sich einfügte. 32 In Marpingen oder bei den kurzfristig auftretenden Wunderheilern wie Mohr und Hohenlohe-Schillingsfürst fehlte dies, weshalb Kommerz hier einen eher provisorischen Charakter annahm, was nicht heißt, daß an den Pilgern kein Geld zu verdienen gewesen wäre. Daß Pilger auf ihren Reisen viel Geld ausgaben, hatten die Berechnungen der preußischen Behörden im Vormärz ergeben, weshalb die Verwaltung auch aufgrund des mutmaßlichen volkswirtschaftlichen Schadens versuchte, das Wallfahrtswesen zu unterbinden. 33 Pilger und Pilgerinnen benötigten zumindest bei den sogenannten übernachtenden oder Fernwallfahrten Speisen, Getränke und Unterkünfte. Zudem - denn die klassische behördliche Vermutung, Wallfahrtsorte seien herausragende Umschlagplätze für verbotene abergläubische Zettel und Heftchen, kam ja nicht von ungefähr 34 - kauften sie an den Zielorten für gewöhnlich Andenken und Devotionalien. Dazu zählten geweihte Kerzen und Rosenkränze ebenso wie Gebetbücher und Bilder oder Skapuliere und Pilgerflaschen. Dennoch standen die vormärzlichen Kostenkalkulationen und moralischen Bedenken der Behörden durchaus im Gegensatz zur Sichtweise der Pilger. Zumindest eine Wallfahrt zum nächstgelegenen lokalen Heiligtum kostete diese verhältnismäßig wenig Zeit und war neben Frömmigkeitsausübung eben auch Geselligkeit und Vergnügen. Freude, Spaß und sicher auch Sexualität - in den staatlichen wie kirchlichen Wallfahrtsakten zumeist mit dem Hinweis auf die „Unsittlichkeit" solcher Veranstaltungen abqualifiziert - werden als Motive leicht unterschätzt, weil sie in den Quellen selten direkt anzutreffen sind. Von den durchaus ganz lebensweltlich angelegten Absichten und Motiven für Wallfahrten zeugen Testate, welche die Geistlichkeit Pilgern dafür erteilte, daß sie einen bestimmten Wallfahrtsort aufgesucht hatten. 35 Diese Zeugnisse konnten dann zuhause als Beweis für 32
Für Trier 1844 Schieder, Religion und Revolution, S. 55 f. Für Marpingen 1876/77 Blackbourn, Marpingen, S. 292-303. Für Kevelaer Dohms, Rheinische Katholiken, S. 137. Zum Wandel von Kommerz im 19. Jahrhundert Lynn Abrams, Zur Entwicklung einer kommerziellen Arbeiterkultur im Ruhrgebiet (1850-1914), in: Dagmar Kift (Hg.), Kirmes, Kneipe, Kino. Arbeiterkultur im Ruhrgebiet zwischen Kommerz und Kontrolle (1850-1914), Paderborn 1992, S. 33-59. 33 Vgl. zu den berechneten Kosten von Wallfahrten Sperber, Popular Catholicism, S. 21. Umfangreiche Aufstellungen aus den fünf rheinpreußischen Regierungsbezirken befinden sich in L H A K , Best. 403, Nr. 16003 und 16005. 34 Oberpräsident Bodelschwingh an Regierung Koblenz vom 22.11.1836, in: L H A K , Best. 441, Nr. 24274. Zudem mußte sich an den rechtlich relevanten Verwaltungsvorwurf „Betrug" auch immer unmittelbar die Frage anschließen, wer von einem Betrug überhaupt profitierte. 35 Regierung Trier an Landrat Gärtner (Bitburg) vom 24.1.1831, in: L H A K , Best. 442, Nr. 1888, Bl. 97.
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VIII. Patienten, Publikum, Profite
eine aus diversen Gründen gelobte oder in Vertretung geleistete Wallfahrt vorgewiesen werden. In ländlichen Gegenden boten Prozessionen und Wallfahrten in vielerlei Hinsicht eine Gelegenheit, um der Öffentlichkeit Wissenswertes mitzuteilen. Da die Mehrheit des Dorfes an ihnen teilnahm, nutzte 1818 etwa Anna Maria Euters die Bendorfer Fronleichnamsprozession, um alle wissen zu lassen, wer der Vater ihres unehelichen Sohnes war. Ungeniert bezichtigte sie teils zum Vergnügen, aber teils auch zum Mißfallen der Teilnehmer den angeblichen Kindeserzeuger, seinen väterlichen Pflichten nicht nachzukommen und sorgte so für einen Skandal, der bis zur Regierung nach Koblenz vordrang. 36 Die Vermutung, daß mit althergebrachten Heilverfahren Geschäfte gemacht wurden, bestätigte sich für die preußischen Behörden immer wieder. Dies war für viele Laientherapeuten lange selbstverständlich. 1834 mußte der Unterlehrer Heinrich Loehten sich vor dem Lanker Bürgermeister Peter Burcher (Kreis Krefeld) dafür rechtfertigen, gegen Bezahlung mit dem Hubertusschlüssel gebrannt zu haben. Der Verdächtigte gab an, nur gegen freiwillige Geschenke Gebissene behandelt und von einem Verbot des Brennens nichts gewußt zu haben. Der Schlüssel sollte ein altes Familienerbstück gewesen sein, über dessen Herkunft er keine genaueren Angaben zu machen vermochte. 37 Auch wenn diese Äußerungen gegenüber Behördenvertretern, Ärzten oder Geistlichen zweifelsohne auch immer eine Rechtfertigung waren, so zeigt sich doch, daß es üblich war, von Wunderglauben und kirchlich-magischen Ritualen finanziell zu profitieren. Das Argument, lediglich freiwillige Geschenke angenommen zu haben, erweist sich vor diesem Hintergrund als Ausrede, um einer Strafe vorzubeugen. Diese Normalität brachte der Tagelöhner Anton Oligschläger aus Linn (Kreis Krefeld) ebenfalls 1834 auf den Punkt, als er wegen des Gebrauchs eines Hubertusschlüssels folgendes zu Protokoll gab: „Da es nun seit vielen Jahren her hier in der Gegend bekannt ist, daß ich in dem Besitz dieses Schlüssels bin, so kamen neulich ohne jede andere Veranlassung mehrere Bewohner aus benachbarten Gemeinden die ich dem Namen nach nicht kenne zu mir, und haben ihre Hunde brennen lassen, wahrscheinlich aus dem Grunde weil kürzlich zu Lank ein rasender Hund soll getödtet worden sein. Für das Brennen eines Hundes mit dem Hubertus Schlüssel bin ich befugt zwei Groschen zu nehmen". 38
Ebenso wie hier kein Unrechtsbewußtsein zu erkennen ist, Kranke mit einer geistlichen Therapie - durch den Hubertusschlüssel - zu behandeln, 36
Pfarrer Johann Peter Klein (Bendorf) an Kirchen- und Schulkommission Koblenz vom 22.5.1818, in: L H A K , Best. 441, Nr. 3476. 37 Venehmungsprotokoll des Bürgermeisteramts Lank vom 7.10.1834, in: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 130, Bl. 20. 38 Vernehmungsprotokoll des Bürgermeisteramts Linn vom 2.10.1834, in: ebenda, Bl. 21r-22r.
2. Kommerzialisierung und Vergnügen
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so war es offensichtlich gleichfalls normal, dafür auch eine angemessene Entlohnung zu erhalten. Die Aussage des Tagelöhners, er sei „befugt zwei Groschen zu nehmen", verweist deutlich darauf, daß er sich hier an bestimmten, was die Bezahlung anbelangt, sogar allgemein bekannten Regeln orientierte, wie sie der „Unterricht" für den Gebrauch des Hubertusschlüssels ja ohnehin detailliert vorschrieb. 39 Viele profitierten von wundersamen und abergläubischen Ereignissen, und sie alle sahen sich in der Regel mit dem staatlichen Betrugsvorwurf konfrontiert. Wunder- und Geistererscheinungen waren ebenso wie spiritistische Sitzungen Ereignisse, die man sich ansah oder an denen man teilhatte, wenn Möglichkeiten dazu bestanden. Die teilweise hohen Zahlen rühren sicher auch daher, daß sich viel Neugierige an den Orten der Ereignisse aufhielten. An herausragender Stelle der Profiteure aber standen aus behördlicher Perspektive Gastwirte, die Pilger oder Neugierige versorgten und sie in ihren Häusern unterbrachten. 40 Aber auch Kutscher und Hausierer nutzten das Zusammenströmen vieler Menschen, um Geld zu verdienen. Als Joseph Reichert aus Vallendar 1821 durch ein Wunder in der Kapelle Maria Hilf von seinen Polypen befreit wurde, geriet er umgehend zum bestaunten Objekt vieler Rheinreisender, die sich des Wunders vergewissern wollten und Geld boten, um ihn sehen zu können; viele Kutscher mußten deshalb einen Umweg über Vallendar machen. 41 In Neurath berichteten 1842/ 43 sogar Gerüchte davon, daß die Gendarmen es sich hatten bezahlen lassen, Kranken einen schnelleren Zugang zum Wunderheiler Mohr zu verschaffen. 42 Und schließlich erlangte auch Karl Wolter - der 14jährige aus dem Resauer Spukfall - 1889/90 in der preußischen Hauptstadt eine derart intensive öffentliche Aufmerksamkeit, daß er als Variétékûnstler in einer Show gut verdiente. 43 Bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus waren Nahwallfahrten wie Kirmessen ein integraler Bestandteil des katholisch-ländlichen Jahresablaufs und des Kommunikationsprozesses, an dem sich alle Schichten bis hin zur lokalen Oberschicht beteiligten. 44 Jonathan Sperber hat für die zweite Jahr39
Vgl. Anhang, Dokument 6. Vgl. Blackbourn, Marpingen, S. 292-303. 1876/77 setzten die Gastwirte im nahegelegenen Ort St. Wendel ein vielfaches ihrer üblichen Summe um. 41 Bericht Settegast über die an dem Joseph Reichert von Vallendar in der Kapelle Maria-Hülf während des Gebets erfolgte schnelle Heilung vom 5.9.1821, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2180. 42 Vgl. Bertrams, Heinrich Mohr, S. 7. 43 Vgl. Kurzweg, Geschichte, S. 250. 44 Vgl. Marrus, Pilger auf dem Weg, S. 335. Dazu auch Werner K. Blessing, Fest und Vergnügen der „kleinen Leute". Wandlungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, in: Dülmen/Schindler, Volkskultur, S. 352-379. 40
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VIII. Patienten, Publikum, Profite
hunderthälfte dann einen epochalen Wandel bei Wallfahrten ausgemacht, weil sich Pilger nun immer mehr auf die großen Wallfahrtsziele konzentrierten und Nahwallfahrten unbedeutender wurden. 45 Diese Konzentration hatte sicher mit einer langsamen Verbesserung der Infrastruktur zu tun, und der Wandel wurzelt gleichfalls in einer schleichenden Säkularisierung populärer Frömmigkeit. 46 Dennoch waren geistlich-religiöse Bedürfnisse weiterhin vorhanden und wurden vor allem in Krisensituationen reaktiviert. Wallfahrten waren aus diesem Blickwinkel nicht nur etwas Überkommenes, sie waren vielfach auch neu eingeführt worden oder hatten sich in ihrer Eigenart stark verändert. Während bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts jede Region zumeist ihren eigenen religiösen Atlas, ihre eigenen heiligen Stätten hatte, die sie verehrte, so wandelte sich diese Verehrung zusehends. Dabei hatte der Bedeutungsverlust der kleineren Nahwallfahrtsorte vielfältige Gründe. Teils sind - wenn man an die lebensweltlichen Inhalte von Wallfahrten wie etwa die Heilung von Krankheiten denkt - die zunehmend flächendeckendere ärztliche Versorgung und die Fortschritte der erfolgreicher werdenden akademischen Medizin zu nennen. Teils muß man ihren Niedergang auch vor dem Hintergrund der Industrialisierung und des mit ihr einhergehenden sozialen Umbruchs sehen, der die Struktur vieler Dörfer grundlegend veränderte. Dieser Umbruch zerstörte - nach ersten Ansätzen in der Aufklärungsepoche - zugleich das weitgehend selbstverständliche Mit- und Nebeneinander von Vergnügen und Religiosität. Kommerzielle und auch touristische Aspekte gewannen für die Pilger an Gewicht, und mit der ursprünglich religiösen Frömmigkeit verloren auch Wallfahrten einen zentralen Teil ihres Gehalts. 47 A l l dies trug dazu bei, daß sich die größeren Fernwallfahrtsziele etablierten und man nun leichter Reisen zu weiter entfernten Wallfahrtszentren unternahm, was mit einer intensivierten klerikalen Kultkontrolle einherging. Dem trugen im letzten Jahrhundertdrittel nun überregionale Wallfahrtsführer Rechnung, die Geistlichen und Pilgern halfen, ihre Reisen leichter zu arrangieren und sich zu orientieren. 48 Diesem Trend fügen sich die in den kirchlichen Archivalien deutlich greifbaren Bemühungen, Prozessionen und Wallfahrten einzelner Bruderschaften und Vereine stärker zu organisieren und damit auch zu kontrollieren. 49
45 Vgl. Sperber, Popular Catholicism, S. 63-65. Der Gedanke findet sich bereits bei Marrus, Pilger auf dem Weg, S. 343 f. 46 Vgl. Marrus, Pilger auf dem Weg, S. 332. 47 Vgl. ebenda, S. 343 f. 48 Beispielsweise Aegidius Müller, Das heilige Deutschland. Geschichte und Beschreibung sämmtlicher im deutschen Reiche bestehender Wallfahrtsorte, 2 Bde., Köln 1887. 49 Dechant Johann Franz Lefranc (Krefeld) an Generalvikariat Köln vom 31.8.1897, in: HAEK, Generalia I 4,4,2.
3. Laienheiler und bürgerliche Patienten
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3. Laienheiler und bürgerliche Patienten Die Hinweise in den Berichten der preußischen Medizinalverwaltung und in den Aberglaubensdiskussionen, daß die „gebildeten Stände" - unter ihnen selbst Ärzte 5 0 - Laien- und Wunderheiler aufsuchten, lassen sich an dieser Stelle konkretisieren. Die gegen Ende des Untersuchungszeitraums sogar noch häufiger anzutreffenden Äußerungen, fast ausschließlich die „wohlhabenderen, mittleren Stände" suchten „kurpfuschende" Laientherapeuten auf, sind sicher auch in den Kontext der Auseinandersetzungen um die Naturheilbewegungen einzuordnen, wie dies 1899 bei dem sogenannten Lehmpastor Emanuel Felke in Repelen nach dem Eindruck eines gutachtenden Medizinalreferenten der Fall war. 5 1 Doch es sind nicht nur eine stillschweigende Akzeptanz oder heimliche Besuche von Laien- und Wunderheilern durch das katholische wie protestantische Bürgertum zu erkennen, sondern sogar deren aktive Förderung. Vieles spricht daher dafür, daß die in bürgerlichen Autobiographien geäußerte Distanz gegenüber diesen Therapeuten eben zu einem guten Stück ein stilisierter Topos war, und die Verbindungen zwischen offizieller Medizin und laientherapeutischer Praxis in vielen Fällen fließend waren. 52 Die für das städtische Bürgertum durchaus selbstverständlichen Übergänge sind an dem besonders gut dokumentierten und in seinen medizinalpolizeilichen Zusammenhängen bereits dargestellten Fall des Franziskaners Joseph Martin detailliert zu erkennen. Diese Angelegenheit gipfelte im Sommer 1842 in einem Bittgesuch angesehener Trierer Bürger an den Koblenzer Oberpräsidenten Schaper. 53 Der Franziskaner erzielte mit seinen Kuren offenkundig Erfolge in den Reihen des Stadtbürgertums, wußte doch Polizeikommissar Müller am 3. Juli an den Oberbürgermeister Goertz zu berichten, daß Martin die schwerhörigen Söhne des Malermeisters Christian Hawich 5 4 und des Handelsgerichtsschreibers Theodor Schneider 55 sowie die Ehefrau 50
Regierung Koblenz an Kultusministerium vom 15.2.1822, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2180. 51 Regierungspräsident Rheinbaben (Düsseldorf) an Kultusministerium vom 8.1.1899, in: L H A K , Best. 403, Nr. 11070, S. 207-216, Zitat S. 214. 52 Vgl. zu bürgerlich-autobiographischen Äußerungen über nicht-ärztliche Heiler Lachmund/Stollberg, Patienten weiten, S. 126-130. Dazu auch Eberhard Wolff, Perspektiven einer Patientengeschichtsschreibung, in: Paul/Schlich, Medizingeschichte, S. 311-334. 53 Bittgesuch Trierer Bürger an Schaper vom 27.7.1842, in: L H A K , Best. 403, Nr. 1613, S. 35-37. 54 Vgl. Jürgen Herres, Cholera, Armut und eine „Zwangssteuer" 1830/32, in: KTJ 30 (1990), S. 161-203, hier S. 194. Im Anhang (S. 189-203) führt Herres die 1831/32 zu einer außerordentlichen Steuer veranschlagten Trierer Bürger auf. 55 Vgl. ebenda, S. 200.
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V .
Patienten, Publikum, Profite
des Tuchfabrikanten Johann Philipp Müller 5 6 mit Erfolg behandelt hatte. 57 Außerdem kuriere der Laienbruder auch Sophie Rautenstrauch und Frau von Stüsen. Diese erfolgreich verlaufenen Therapien bestätigt ein am 27. Juli 1842 von 20 Trierer Bürgern - federführend war der Kaufmann Johann Wilhelm Rautenstrauch für seine Schwester Sophie - verfaßtes Gesuch an Schaper, in dem die Verfasser baten, Joseph Martin weiterhin Kuren zu gestatten und das sechs Tage zuvor erlassene Verbot der Bezirksregierung aufzuheben, denn der Franziskaner übe doch „seit ein Paar Monaten in hiesiger Stadt mit der größten Menschenliebe unentgeltlich an Arme und Reiche die seltene Kunst, auf eine durchaus schmerzlose und nach unserer eigenen Erfahrung ganz unschädliche, sehr erfolgreiche Art, Kranke Augen und Ohren zu putzen, dadurch das Gesicht und Gehör zu stärken, und in vielen Fällen Taubheit und Blindheit zu heben". 58
In dem persönlich gehaltenen Schreiben hoben die Verfasser ausdrücklich das Wohl der Stadt Trier hervor, welches auch dem zum Oberpräsidenten beförderten Schaper am Herzen liegen müsse. Schaper war zuvor Regierungspräsident in Trier gewesen und hatte bei seinem Abschied aus der Stadt wiederholt geäußert - vor allem bei einem Fackelzug am 7. Juni 1842 und einem Festbankett am 2. Juli - , daß „er Gelegenheit finden werde, den Bewohnern der Stadt Trier seine Anhänglichkeit zu beweisen und denselben nützlich zu sein". 5 9 Diese Gelegenheit sahen die Bittsteller nun bereits gekommen. In den Mittelpunkt ihrer Argumentation stellten die Verfasser die Wohltätigkeit des Laienheilers, der kostenlos Arme behandle und das Geld, welches ihm die Reichen schenkten, nicht behielte, sondern an Bedürftige weitergäbe. Rautenstrauch und die anderen Unterzeichner zeigten sich mit den gesetzlichen Grundlagen hinsichtlich des staatlichen Umgangs mit Laienheilern bestens vertraut, denn sie versuchten, die strafbare Entlohnung auszuhebeln, die allein zu einer Verurteilung führen konnte. Sie baten den Oberpräsidenten, Martin so lange seine Therapien zu gestatten, bis eine ministerielle Entscheidung über ein Immediatgesuch getroffen sei.
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Vgl. ebenda, S. 197. Müller an Goertz vom 3.7.1842, in: StA Trier, Tb 16/195. 58 Rautenstrauch an Schaper vom 27.7.1842, in: L H A K , Best. 403, Nr. 1613, S. 35-37, hier S. 35. Die Unterzeichner gehörten unterschiedlichen Konfessionen an. So war der angesehene Kaufmann Rautenstrauch Protestant, was der Eingabe die konfessionelle Spitze nahm. Vgl. Dietrich Höroldt, Die konfessionelle Entwicklung der Stadt Trier unter der preußischen Krone, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte 34 (1985), S. 41-56, hier S. 45. 59 Trier'sehe Zeitung, Nr. 152 vom 8.6.1842, S. 815. Zum Festessen im Casino vgl. Trier'sehe Zeitung, Nr. 177 vom 3.7.1842, S. 943; Nr. 178 vom 4.7.1842, S. 951 f. 57
3. Laienheiler und bürgerliche Patienten
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Es kann nur wenig überraschen, daß das Oberpräsidium die Wünsche zurückwies. Dieses hielt sich ganz an die Linie der Trierer Regierung. Da der Andrang bis in den August 1842 fortbestand - so war sogar ein Buchhandlungsgehilfe eigens aus Stuttgart angereist - und mittlerweile auch der Stadtphysiker Hansen die Kuren angezeigt hatte, beobachtete die Gendarmerie weiterhin alles aufmerksam. Diese „geschärftere Aufsicht über das Treiben des Martin, [...] jedoch ohne Aufsehen zu erregen", förderte Bemerkenswertes zu Tage. Die Polizei verfolgte den Franziskaner bei seinen Gängen durch die Straßen und berichtete Mitte August, der Heiler verkehre in den Häusern angesehener Bürger: bei den Kaufleuten Rautenstrauch und Nikolaus Schalkenbach, bei der reichen Bankierswitwe Reverchon, beim Tuchfabrikanten Müller und sogar bei Bischof Arnoldi. Obwohl er selbst die Häuser nicht betreten konnte, war sich der Polizeikommissar nach wie vor sicher, Martin behandle dort Kranke. Er erhielt freilich auf Nachfrage immer die gleiche Antwort: Alle Beteiligten gaben an, der Franziskaner sei lediglich zum Essen eingeladen gewesen. 60 Das Wie der medizinischen Hilfe durch den Laientherapeuten bleibt leider auch hier weitgehend im Dunkeln, denn über die Therapien erfährt man nur weniges. Er kurierte hauptsächlich Augen- und Ohrenkranke, wie in der behördlichen Korrespondenz betont wird. Gleichwohl nahm sich der Laienheiler auf Drängen seiner Patienten nach den ersten Erfolgen auch anderer Krankheiten an, wobei dies nicht detaillierter ausgeführt wird. Martin kochte jedenfalls zu Beginn seiner Kuren einige Kräuter und leitete den entstehenden Wasserdampf über ein Rohr in die Ohren der Patienten: Er blies den „Dampfe aus Kräutern [...] in die Ohren mittelst eines Rohres" und blieb damit seinen bürgerlichen Patienten gegenüber zumindest körperlich distanziert. 61 Die eben auch von bürgerlichen Patienten gestellten Gesuche sind einesteils Ausdruck einer dem späten 20. Jahrhundert vielfach fremden medikalen Kultur, für die es selbstverständlich war, einen Laienheiler aufzusuchen, dem ein erfolgreicher Ruf vorauseilte oder der seine Fähigkeiten vor den Augen der Antragsteller demonstrierte - allen Aberglaubensvorwürfen zum Trotz. Sobald sich Gerüchte über wundersame Heilungen verbreiteten, war es angesichts der begrenzten Erfolge der universitär gebildeten Mediziner für das Bürgertum nicht abwegig, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um an den Ort dieser Ereignisse zu gelangen. Insofern spielte bei der Therapeutenwahl das konfessionelle Bekenntnis keine Rolle. Hinsichtlich der Vielfalt des medizinischen Angebots freien Reisen zu einem Laienheiler in das
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Goertz an Müller vom 13.8.1842; Müller an Goertz vom 17.8.1842, in: StA Trier, Tb 16/195. 61 Müller an Goertz vom 3.7.1842, in: ebenda.
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VIII. Patienten, Publikum, Profite
nächste Dorf nicht einmal sonderlich aus dem Rahmen. Etwas anders sieht dies bei überregional bekannten Wunderheilern wie Hohenlohe-Schillingsfürst, Grabe oder auch Mohr aus, deren Patienten nicht selten mehrere Tagesreisen in Kauf nahmen. Andernteils sind die Testate aber auch ein Beleg dafür, daß sich Kranke zunehmend akademischen und behördlichen Gepflogenheiten unterwarfen, weil sie sich in den Zeugnissen eben für ihren Besuch eines Laienheilers rechtfertigten und häufig die Formel der zuvor vergeblich gesuchten ärztlichen Hilfe zu finden ist. Das außeralltägliche Auftreten von Wunderheilern und deren Charisma beruhten zu einem guten Teil auf Zuschreibungen von außen, sind also genaugenommen Perspektiven ihrer Bewunderer und Patienten. Je größer deren Zahl war, desto größer war auch das Wunder, das sich nochmals durch eine harsche publizistische, amtskirchliche oder behördliche Kritik vergrößern konnte. Dies sah in bezug auf den animalischen Magnetismus und dessen therapeutische Formen kaum anders aus. Staatliche Stellen stuften Somnambule und spiritistische Medien oftmals als - da es sich ganz überwiegend um Frauen handelte 62 - Betrügerinnen ein, und in wenigen spektakulären Fällen wurden sie auch verurteilt. 63 Sie tauchen in den publizistischen und wissenschaftlichen Debatten immer wieder als Vermittlerinnen und Profiteure von Aberglauben auf. 6 4 Dabei waren die meisten Somnambulen - und auch das unterscheidet sie nur wenig von nichtmagnetischen Laientherapeuten - selbst felsenfest davon überzeugt, wissenschaftlichen Standards zu genügen und ihre Visionen auf eine wissenschaftliche Basis gründen zu können, wie Nicole Edelman in ihrer Untersuchung für Frankreich im 19. Jahrhundert plausibel nachgewiesen hat. 6 5 Den wissenschaftlichen Grundlagen zum Trotz sind die somnambulen Diagnosen wie Therapievorschläge aus ihren religiösen Bezügen kaum zu lösen. So ist - und das machte den Fall der Blutschwitzerin Flesch in den 1870er Jahren so interessant - zu bedenken, daß das Etikett „Somnambule" unterschiedliche Erwartungen weckte. Es sind eben auch religiöse Motive der Patienten nicht auszuschließen. Hinsichtlich vieler Laienheiler mutmaßten Ärzte wie Behörden wiederholt auch grundlos, daß sie mit dem animalischen Magnetismus behandelten, wie zwei gutachtende Ärzte im Fall des Gebetsheilers Eulenburg 1830 auf den Punkt brachten: „Da er seine Persönlichkeit aus dem Spiele läßt, so erspart er seinen Beobachtern die erdenkbare Mühe, ihm auf dem dunklen Felde 62
Eine statistische Übersicht über hypnotische Medien gibt Aufschluß darüber, daß das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Männern und Frauen in etwa ausgeglichen war. Vgl. Bernheim, Suggestion, S. 20 f. 63 Vgl. Bohn, Rothe. 64 [ - ] , Aberglaube, Zauberei, S. 21. Ennemoser, Anleitung, S. 84-86. Becker, Aberglaube, S. 57. A m Beispiel der Seherin von Prevorst verfolgt dies Bird, Mesm e r i s m i , S. 3-75. 65 Vgl. Edelman, Voyantes, S. 111-113.
3. Laienheiler und bürgerliche Patienten
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des animalischen Magnetismus zu folgen". 6 6 Diese feinen Unterschiede zwischen offizieller Medizin, Laientherapie und animalischem Magnetismus erschlossen sich den bürgerlichen Kranken freilich kaum, und sie vermischten sich in der Praxis auch unauflöslich miteinander, das mag ein weiteres Beispiel dokumentieren. Vorzüglich sind die Ereignisse um den vorgeblichen Magnetiseur Georg Heinrich Pflüger dokumentiert, der in den 1840er Jahren in der Provinz Westfalen und in der Rheinprovinz umherreiste und wiederholt Immediatgesuche in Berlin einreichte, mit seiner Heilmethode Kranke behandeln zu dürfen. Der vagabundierende ehemalige Kutscher war erst kurz zuvor aus dem hessischen Niedermelsungen nach Preußen eingewandert und bereits mehrfach wegen „Quacksalberei", „Diebstahls" und „Hausierhandels" verhaftet sowie zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt worden. Den behördlichen Berichten zufolge hatte er Salben und Tinkturen überteuert verkauft und sich von Kranken für magische Rituale bezahlen lassen: Einer bürgerlichen Patientin riet er, ihre abgeschnittenen Nägel in beschriebenes Papier gewickelt auf der Brust zu tragen und bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang jeweils dreimal kniend zu beten - so lange, bis sie geheilt sei. Der Gesundheitsverwaltung war all dies ein Dorn im Auge: „Keck", „arglistig" und „arbeitsscheu", so lautete ihre Einschätzung seiner Person. 67 Dies stellte sich aus Pflügers wie aus Sicht der Patienten freilich anders dar. Pflüger gab 1844 in einem Schreiben an Kultusminister Eichhorn an, er sei mit einer „göttlichen Kraft" ausgestattet, die es ihm erlaube, mittels des Magnetismus „alle hysterischen und krampfleidenden Personen zu heilen"; 6 8 alles Krankheiten, die auch Ärzte mit dem animalischen Magnetismus behandelten. Der Kutscher spielte mit hohem Einsatz, als er dem preußischen König 1846 versprach, dessen Schwester zu kurieren, wenn er ihm nur endlich magnetische Therapien gestatte. 69 Ablehnende Behördenbescheide bremsten weder Pflügers Tatendrang, eine amtliche Erlaubnis für seine Kuren zu erwirken, noch seine laienheilkundlichen Aktivitäten. Um den Erfolg seiner Fähigkeiten zu unterstreichen, fügte er mehreren seiner Gesuche Patienten- und Augenzeugentestate hinzu. Aufschlußreich ist dabei vor allem ein Brief von 19 Düsseldorfer Patienten, die sich im Herbst 1849 für den Laienheiler einsetzten. Aus Angst vor der Choleraepidemie jener 66 Bericht Dr. Philippi in: GStA PK, I. HA, Rep. 67 Regierung Arnsberg (Kultusministerium), Abt. 150. 68 Pflüger an Eichhorn sterium), Abt. V I I I A, Nr. 69 Pflüger an Friedrich
und Dr. Pahlmann an Regierung Potsdam vom 28.5.1830, 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2180. an Eichhorn vom 19.8.1844, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 V I I I A, Nr. 2246. Vgl. Freytag, Magnetismus, S. 148vom 2.7.1844, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusmini2246. Wilhelm IV. vom 19.11.1846, in: ebenda.
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VIII. Patienten, Publikum, Profite
Jahre baten sie darum, daß „es ihm [Pflüger] vergönnt wäre, öffentlich seine Heilmethode verwenden zu dürfen". 70 Dem Brief sind zwanzig Atteste in Abschrift beigeheftet, welche die medizinischen Erfolge des Laientherapeuten belegen sollten. Die in den Attesten teilweise angegebenen Berufe oder der gesellschaftliche Status der Zeugen - praktischer Arzt, Kaufmann, Medizinprofessor, Buchdrucker, Pfarrer, Goldarbeiter, Juwelier und Gemeinderat - geben über die bürgerliche Klientel des Laienmagnetiseurs ebenso Aufschluß wie über die zumindest kurzfristigen Erfolge seiner therapeutischen Vielfalt. Besonders hilfreich schienen dem Laienheiler die Testate approbierter Mediziner, auf die er ausdrücklich aufmerksam machte, während er sich über seine Diagnosen und Therapien ausschwieg. Ganz offenkundig aber trennte Pflüger nicht zwischen akademischen, magischen und magnetischen Therapien. So behauptete er 1848, im Besitz eines Balsams zu sein, mit dem er nicht nur die Cholera „gänzlich", sondern alle anderen Krankheiten ebenso kurieren könne - von Magnettherapien war in seinem Schreiben mittlerweile keine Rede mehr. 71 Die von den Behörden verfaßten Berichte über des Kutschers Vergangenheit zeigen, daß jener verschiedene Methoden anwandte und diverse Arzneien anbot, mit denen er seinen Lebensunterhalt verdiente. Er verpaßte sich mit dem tierischen Magnetismus so ein Etikett, von dem er mutmaßte, es verhülfe ihm zu der begehrten amtlichen Erlaubnis. Vielen Laienheilern und Kranken konnte der Mesmerismus schon deshalb bekannt sein, weil sie von Kuren gehört oder sie sogar persönlich miterlebt hatten. Zwar blieben die Eingaben Pflügers erfolglos, aber aus den verschiedenen Quellen wird deutlich, daß es in den Augen bürgerlicher Patienten eine strikte Trennung zwischen akademischer Medizin und Laienheilkunde nicht gab. Auch für sie zählte in erster Linie der Erfolg einer Therapie. 72 Wie ähnlich Patienten aus unterbürgerlichen Schichten akademische Medizin und Laienheilkunde wahrnahmen, zeigt das Beispiel der Christine Jacobi aus Ehrenbreitstein bei Koblenz eindringlich. 1860 magnetisierte sie der Schneider Georg Wenz in dem Glauben, eine magnetische Gabe zu besitzen. Jacobis Arzt Frank zeigte darauf an, Wenz behandle die halbseitig gelähmte Tochter des Brückenwärters Johann Jacobi verbotenerweise, weshalb ein Untersuchungsverfahren gegen den Schneider eingeleitet wurde. 70 Brief aus Düsseldorf vom Gemeinderat Joseph Stüttgen an Friedrich Wilhelm IV. vom 26.9.1849, in: ebenda. 71 Pflüger an Friedrich Wilhelm IV. vom 13.8.1848, in: ebenda. 72 Zum Neben- und Miteinander eliten- und volkskultureller Vorstellungen und Handlungen Chartier , Volkskultur und Gelehrtenkultur. Ein differenzierter Forschungsüberblick bei Kaschuba, Volkskultur - Themen, Publikationen, Perspektiven. Weiter Camporesi, Bauern, Priester, Possenreißer, S. 7-38. Dinges, Ehrenhändel, S. 368-372.
3. Laienheiler und bürgerliche Patienten
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Wenz hatte die Kranke im Glauben an seine magnetischen Fähigkeiten unentgeltlich behandelt; das geht aus zwei erhaltenen Verhandlungsprotokollen hervor. Der Vater von sieben Kindern berief sich bei seiner Vernehmung durch die Koblenzer Polizei auf den Kölner Medizinalrat Eulenburg, der magnetische Kräfte an ihm festgestellt haben wollte. Eulenburg, den die Polizei schriftlich befragte, erinnerte sich nur noch daran, mit dem Schneider einen „Spaß" gemacht zu haben, als er scherzte, „seine magnetische Kraft einmal auf die Probe stellen [zu] wolle[n]". 7 3 Wenz wurde schließlich wegen „medizinischer Pfuscherei" nach § 199 preußisches Strafgesetzbuch verwarnt. Dem Schneider wurde für den Wiederholungsfall eine Geldbuße zwischen fünf und fünfzig Talern oder eine sechsmonatige Gefängnisstrafe angedroht. Aufschlußreich aber war dann vor allem eine Bemerkung seiner Patientin Christine Jacobi, die bei ihrem Verhör angab, auch der Arzt Frank magnetisiere sie nun, allerdings nicht mit der Hand, wie dies Wenz getan habe, sondern mit einer Maschine, die dieser ihr „auf die leidende Hand leg[e]". 7 4 Die laienheilkundlichen Gesuche und Patientenaussagen zeigen, daß die Unterschiede zwischen akademischer Medizin und Laienheilkunde aus der Patientenperspektive lange geringer waren, als in der Forschung vielfach angenommen wird. Was Ärzte oftmals als Aberglauben abqualifizierten und damit gleichzeitig vereinheitlichten, erweist sich als vielschichtiges und von verschiedenen Seiten genutztes Nebeneinander auf dem medizinischen Dienstleistungsmarkt. Zudem konnte akademisches Wissen schnell Bestandteil medizinischen Laienwissens und -handelns werden und „von oben nach unten" durchsickern. Während der Magnetismus vielen Ärzten noch als vermintes Experimentierfeld galt, fand er schon Niederschlag in der Laienheilkunde. Medikalisierung erweist sich aus der Patienten- wie der Anwendungsperspektive laienheilkundlicher Therapien und des animalischen Magnetismus als wenig einheitlich und gradlinig verlaufender Prozeß. Vielmehr erscheint er als ein ineinander verschlungenes, gleichzeitiges Mit- und Nebeneinander von Wechselwirkungen, das Laienheiler wie Ärzte aktiv mitbestimmten. Dabei ist die moderne Trennung zwischen körperlich und geistig verursachten Leiden die Kluft, die das ausgehende 20. Jahrhundert von diesem Ineinander weitgehend scheidet. Das betraf bis zum Erfolgszug von Hypnose und Psychoanalyse das Verhältnis von Körper und Geist. Die immer wieder frequentierten Wunder- und Laienheiler waren für Geist und Körper noch gleichzeitig zuständig, vermochten sie doch den Geist anzusprechen und damit den Körper zu heilen. Eine deutliche Unterscheidung zwischen körper73 Eulenburg an Polizeidirektion Koblenz vom 16.1.1861, in: L H A K , Best. 441, Nr. 2857. 74 Abschrift Verhandlungsprotokoll in Sachen Christine Jacobi (Ehrenbreitstein) vom 28.11.1860, in: ebenda.
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VIII. Patienten, Publikum, Profite
liehen und geistigen Leiden in Krankheit, Diagnose wie Therapie war den Heilern und den Patienten offenkundig fremd oder aber gleichgültig, solange nur eine gute Chance auf Erfolg bestand und die Ängste um die eigene Gesundheit bewältigt werden konnten. 75
4. Ängste, der fremde Blick und das Eigene Für viele Aberglaubenstheoretiker bestand ein unauflösbarer Zusammenhang zwischen Aberglauben und Angst. Danach verstärkte Aberglauben die Angst vor den Unwägbarkeiten des Lebens ebenso wie umgekehrt Angst Aberglauben hervorrufen konnte. Diese auch in den Aberglaubensdebatten des 19. Jahrhunderts betonte enge Verbindung zur Angst hat einerseits sicher mit der antiken Herleitung des Aberglaubensbegriffs zu tun. 7 6 Andererseits aber ist Angst eine menschliche Ur- und Grunderfahrung, und ebenso gehören Bewältigungsstrategien von Angstzuständen unabdingbar zum Menschsein. 77 Gleichzeitig sind und waren Ängste und ihre Bewältigungsstrategien historischen Wandlungen ausgesetzt. Selbst wenn viele Ängste sich im Vergleich zur Vormoderne nur wenig änderten, hatten individuell und graduell ohnehin sehr verschiedene Angstzustände im Jahrhundert der Revolutionen und der Modernisierung auch andere Ursachen als in der Frühen Neuzeit; dies gilt auch für die Bewältigungsstrategien. Wolf Lepenies hat das 18. und vor allem das 19. Jahrhundert als die Säkula ausgemacht, in denen Wissenschaft und Technik sich dauerhaft als konkurrenzlose Mechanismen der Angstbewältigung durchsetzten und Magie und Religion in dieser Funktion ablösten. 78 Doch wenn man sich die Lektüren und Verhaltensweisen der Menschen in den großen Krisensituationen des 19. und auch noch frühen 20. Jahrhunderts ansieht, scheint diese Ablösung keine Breitenwirkung gehabt zu haben und immer wieder von Rückfällen begleitet worden zu sein. Wie langsam und eigentümlich dieser Prozeß jedenfalls vonstatten ging, zeigte sich nochmals im Ersten Weltkrieg. Viele katholische Soldaten traten den Weg an die 75
Zu diesen Überlegungen grundsätzlich anregend sind die psychohistorischen Arbeiten von Lyndal Roper. Vgl. etwa Lyndal Roper, Ödipus und der Teufel, in: Andreas Blauert/Gerd Schwerhoff (Hg.), M i t den Waffen der Justiz. Zur Kriminalitätsgeschichte des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1993, S. 32-53, hier S. 34-37. Weiter Porter, The Patient's View, S. 187 f. 76 Zu den Diskussionen um Deisidaimonia Pott, Aufklärung und Aberglaube, S. 9 ^ 0 . 77 Grundlegend ist Delumeau, Angst im Abendland, hier vor allem S. 47-107. Knapp Rebekka Habermas, Ängste und Rituale des Schutzes in der frühen Neuzeit, in: Sozial wissenschaftliche Informationen 21 (1992), S. 77-81. 78 Vgl. Wolf Lepenies, Angst und Wissenschaft, in: Ders., Gefährliche Wahlverwandtschaften. Essays zur Wissenschaftsgeschichte, Stuttgart 1989, S. 39-60.
4. Ängste, der fremde Blick und das Eigene
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Front nicht an, ohne Rosenkränze, Agni Dei oder Schutzbriefe mit sich zu führen. Sie alle sollten vor Schußverletzungen und Tod schützen. Die Zuflucht zu diesen von Kirche und preußischem Staat als Aberglauben verfolgten Schutzmitteln verstärkte sich in lebens- und existenzbedrohenden Krisen unterschiedlicher Art, und Kirche wie Staat legten ihnen gegenüber dann eine größere Toleranz an den Tag. 7 9 Die Hoffnung auf eine magische Hilfestellung bewegte Menschen in schweren persönlichen oder gesundheitlichen Krisen nach wie vor. Um solche Krisen zu bewältigen, setzten sie ebenso auf ein diffuses religiöses Schicksal wie auf magische Mächte. Im Unterschied zu diesen individuell ausgerichteten Schutzmitteln scheinen Prophetien dagegen stärker in kollektiven Krisen zu Rate gezogen worden zu sein. Nicht von ungefähr ließen sich Konjunkturen um 1848 und während des Kulturkampfes ausmachen. Prophezeiungen dienten eher als Instrument, um die Angst vor einer ungewissen und bedrohten Zukunft zu bewältigen, denn ein gnädiger Gott offenbarte sich in ihnen nach wie vor als direkt mit der Welt verbunden. Mit konkreten lebensweltlichen Absichten waren lange auch noch Wallfahrten verknüpft, die dazu dienten, Ängste zu verarbeiten. Auch dies ermöglichte es den aufgeklärten Kritikern, sie mit Aberglauben gleichzusetzen. So pilgerten viele Katholiken zum nächstgelegenen Heiligtum, um sich von schweren Krankheiten heilen zu lassen, eine ersehnte Beziehung zu erbitten oder Bedrohungen abzuwenden. 80 Egal, ob es sich um Viehseuchen, die Tollwut oder die Vertreibung von Gespenstern handelte. 81 Dies bestätigten die das gesamte 19. Jahrhundert anhaltenden Wallfahrten nach St. Hubert in die Ardennen, um sich mit dem Hubertusschlüssel brennen zu lassen, und auch die bei fehlendem Regen stattfindenden Bittgänge zur Mumie - dem heiligen Vogt - nach Sinzig. 8 2 Auch konnte es in den Augen der Zeitgenossen schlimme Folgen für die dörfliche Glaubensgemeinschaft haben, wenn eine einmal gelobte Wallfahrt unterblieb - zumindest hatten die Dorfbewohner dann eine Erklärung für alle zukünftigen Schäden und Naturkatastrophen. 83 Vor diesem Hintergrund erklären sich die immer wieder zu Tage tretenden Schwierigkeiten von Staat wie katholischer Amtskirche, 79
Mitteilung der Kölnischen Volkszeitung an Generalvikariat Köln vom 3.5.1897, in: HAEK, Generalia I 31,2. Vgl. auch den Schutzbrief von 1875 im Anhang, Dokument 3. Hellwig, Weltkrieg und Aberglaube, S. 35. Vgl. für den Ersten Weltkrieg Ziemann, Katholische Religiosität, S. 123-125. 80 Vgl. die literarische Umsetzung der Eifelschriftstellerin Clara Viebig. Viebig, Heiligenhäuschen. 81 Pfarrer Johann Wilhelm Brauweiler aus Briedel (Kreis Zell) an Generalvikariat Trier vom 2.9.1848, in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 209r. 82 Abschrift Goldfuß an Rehfues vom 15.7.1829, in: L H A K , Best. 441, Nr. 9481. 83 Hommer an Ingersleben vom 4.9.1826, in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 15r-19v. 25 Freytag
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Wallfahrten oder Reisen zu Wunderheilern dauerhaft zu unterbinden. So hielt auch der mahnende Aufruf der Pfarrgeistlichkeit in der Erftgegend 1842, es sei „Aberglaube [...], wenn wir wähnen jemand habe eine übernatürliche Kraft von dem, der Himmel und Erde geschaffen hat und in dem unsere Hülfe ist", kaum jemanden davon ab, zum Gebetsheiler Mohr nach Neurath oder Niederembt zu pilgern. 84 Die Annahme, an einer unheilbaren Krankheit zu leiden, führte in der Rheinprovinz wiederholt dazu, daß Kranke ein frommes Leben führten und die Wundergläubigkeit in ihrer näheren Umgebung anwuchs, wenn sich dann eine unerwartete Besserung einstellte. Viele waren dazu bereit, einem als fromm angesehenen Menschen zuzugestehen, Gott habe ein Wunder an ihm vollbracht, wie dies am Schicksal des Vallendarer Tuchmachergesellen Joseph Reichert 1821 offenkundig wurde. 85 Alle Aberglaubensvorwürfe von Behörden- und Kirchenvertretern prallten an einem solchen Geschehnis ab, und viele sahen ihren Wunderglauben bestätigt. Vor allen sozialen Zuweisungen war und ist der individuelle Glauben an eine wunderbare Heilung oder ein magisches Heilverfahren entscheidend. Dieser Glauben war ebenso in unteren sozialen Schichten anzutreffen wie in bürgerlichen Kreisen. Es lassen sich im 19. Jahrhundert kaum einmal bestimmte soziale Gruppen ausmachen, in denen Aberglauben fester verwurzelt war; allen Zuweisungen von außen zum Trotz. 8 6 Eine für die Rheinprovinz außergewöhnliche Quelle gibt über Wunderglauben weitere Aufschlüsse. In seiner rheinischen Dorfchronik für Dormagen informiert der Verfasser und Landwirt Johann Peter Delhoven von Juli bis Oktober 1822 über das wundersam erleuchtete Zonser Marienbild, das nicht nur die Aufmerksamkeit von Staat und Kirche auf sich zog, sondern auch umgehend zu Wallfahrten führte. „Sogleich ergrif der fanatische Pöbel diesen Schein und machte ein Miracul daraus. Nun strömet täglich eine Menge Menschen dem neuen Gnadenorte zu, von Worringen, Hittorf etz. prozessionsweise; von Bedburg, Düsseldorf, Neus etz. in kleineren Truppen. [...] Der Zufluss nahm täglich mehr und mehr zu".
Dem Chronisten, der harsche Urteile meist vermied und dessen kritische Haltung gegenüber dem Zonser Marienwunder kaum zu übersehen ist, gelang es dennoch nicht, sich von den wundersamen Geschehnissen vollständig zu lösen. Überrascht mußte er im November 1822 einräumen, daß all denen, die sich gegen eine Andacht in Zons ausgesprochen hatten, mittlerweile ein Unglück widerfahren sei. 87 Geschichten und Gerüchte von Wall84
Zitiert bei Bertrams , Heinrich Mohr, S. 16. Bericht Settegast vom 5.9.1821, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2180. 86 Vgl. dazu die Ergebnisse der medizinethnologischen Studie von Monika Habermann, „Man muß es halt glauben". Magische Heilformen aus Klientenperspektive, in: curare 17 (1994), S. 199-215. 85
4. Ängste, der fremde Blick und das Eigene
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fahrtsorten und Wundern, jahrhundertelang sowohl mündlich als auch durch Mirakelbücher tradiert, schürten einesteils die Wundererwartungen der Pilger. Andernteils aber ließ die moderner werdende Gesellschaft auch neue kulturelle Ängste und emotionale Defizite entstehen, welche durch die anwachsende Wunderbegeisterung des 19. Jahrhunderts teilweise ausgeglichen werden konnten. Der Rückgriff auf das Wunder war damit auch eine psychische Kompensation für das dominanter werdende rational-wissenschaftliche Weltbild. 88 Altbekannte Formen der Angstbewältigung waren der Teufelsglaube und die Bannung des personifizierten Bösen, der Exorzismus, die bereits eine lange und wechselvolle Karriere hinter sicher hatten. 89 In ihnen fanden Ängste vor lebensweltlichen Unwägbarkeiten nach wie vor einen handfesten Fluchtpunkt. Der in der Praxis kaum vom kleinen unterschiedene große Exorzismus wurde nicht erst seit Rituale Romanum von 1614 als geistliche Maßnahme verstanden, die den außergewöhnlichen Zustand der Besessenheit kurieren sollte. 90 Jedoch waren weltlichen und geistlichen Obrigkeiten Exorzismen als Geist-Heilungen spätestens im 18. Jahrhundert zunehmend fragwürdiger geworden, als das Neben- und Miteinander religiösmagischer und naturwissenschaftlicher Begründungen von Krankheiten mehr und mehr brüchig wurde. Spätestens mit der Emanzipation der Naturwissenschaften hatte diese Verflechtung begonnen, sich allmählich aufzulösen, und der Teufel taugte immer weniger dazu, epidemische oder geistige Krankheiten zu erklären. Auch deshalb erlaubte die katholische Amtskirche den Exorzismus nur noch in sehr wenigen Fällen.
87
Hermann Cardauns/Reiner Müller (Hg.), Die rheinische Dorfchronik des Joan Peter Delhoven aus Dormagen (1783-1823), Dormagen 1966, S. 237 f. 88 Anregend ist in diesem Kontext Urs Altermatt, Bemerkungen zum Thema, in: Hehl/Repgen, Katholizismus, S. 65-77. 89 Vgl. Artikel „Exorzismus" in: RGG, Bd. 2, S. 832-834. Artikel „Besessenheit", in: L T h K 3 , Bd. 2, Sp. 312-318. Artikel „Exorzismus" in: HDA, Bd. 2, S. 1098-1108. Aus medizinhistorischer Sicht gilt der Exorzismus als eine frühe therapeutische Behandlung für Neurotiker und Hysteriker. Hier soll sich allerdings auf die vielschichtigeren zeitgenössischen Wahrnehmungen konzentriert werden. Vgl. Jütte, Geschichte der Alternativen Medizin, S. 78-90. Nach wie vor wichtig ist die Studie von Gustav Roskoff, Geschichte des Teufels, 2 Bde., N D der Ausgabe Leipzig 1869, Aalen 1967. Vgl. zum Folgenden Alfonso di Nola, Der Teufel. Wesen, Wirkung, Geschichte, München 1990, S. 329-357. 90 Überblicke bieten Herbert Haag, Teufelsglaube, Tübingen 1974, S. 3 9 1 ^ 2 0 . Cécile Ernst, Teufelsaustreibungen. Die Praxis der katholischen Kirche im 16. und 17. Jahrhundert, Bern u.a. 1972, S. 17-23. Rodewyk, Teufelsaustreibung. Lenz, Kennzeichen der dämonischen Besessenheit. Johannes Mischo, Ein interdisziplinärer Zugang zum Thema „Dämonische Besessenheit", in: ZPGB 27 (1985), S. 157— 180, hier S. 161 f. Giovanni Levi, Das immaterielle Erbe. Eine bäuerliche Welt an der Schwelle zur Moderne, Berlin 1986, hier S. 1 5 ^ 1 . 25*
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VIII. Patienten, Publikum, Profite
Zwar diente der Teufel in gelehrten Kreisen seit der Aufklärung kaum mehr als außenbestimmtes Erklärungsmuster für Katastrophen, jedoch blieb er außerhalb dieser Kreise als Begründung für viele nicht heilbare Leiden, vor allem psychische Krankheiten wie Epilepsie, Schizophrenie und Depressionen präsent. Auch wenn in der Praxis dieses letztlich religiöse dem medizinischen Verständnis von Krankheit wich, so spricht doch einiges gegen eine weit über gelehrte Kreise hinausreichende Geltung der von Heinz Dieter Kittsteiner formulierten These, nach der sich in der Epoche der Aufklärung das Böse verinnerlichte, sich der personifizierte Teufel in das schlechte Gewissen verpuppte. 91 Die andauernde physische Präsenz des Bösen hat zunächst auch damit zu tun, daß der Teufel aus dem religiös-christlichen Denken des 19. Jahrhunderts eben nicht verschwunden war. Nach wie vor erklärten sich viele ihre Leiden und Krankheiten unter einem guten und absoluten Gott mit dem Glauben an etwas Teuflisches; 92 dieser blieb Ängstigendes und Vertrautes zugleich. Damit sahen sich rheinpreußische katholische wie weltliche Behörden in Eingaben und Anfragen immer wieder konfrontiert. Geister, den Teufel oder das Unheil zu bannen oder zu beschwören blieb wichtig, wie eine Heft- und Zettelsammlung aus der Pfarrei Konfeld (Bistum Trier) belegt, in der zahlreiche Sprüche handschriftlich verzeichnet sind. Diese vermutlich Anfang des 19. Jahrhunderts konfiszierte und aus Anlaß einer Mission beim Pfarrer abgegebene Anthologie scheint von mehreren schriftkundigen Verfassern aus verschiedenen magischen Büchern der Frühen Neuzeit zusammengestellt worden zu sein. Die auch in frühneuzeitlichen Zusammenhängen anzutreffende Schutzformel „Für böse Geister und böse Menschen aus Haus und Ställen zu verbannen" sei hier ausführlich wiedergegeben: „Bethzairle, und allen bösen Geister, Menschengeister Luft, Wasser, Feuer Samen, Erd und alle Geister, ich N. verbiethe euch mein und meiner Kinder Bettstädte, ich verbiethe euch im Namen Gottes mein Haus Ställe Scheuer, mein, meiner Frau und meinen Kindern Blut und Fleisch, unser Leiber und Seelen, ich N. verbiete euch alle Löcher, ja gar Nägellöcher in meinem Haus, Ställen, Scheuer, überall meines Hauses, bis alle Berglein [...] und alle Wässerlein wattelt, alle Blättlein, an den Bäumen zehlet, und alle Sterne am Himmel zehlet, bis, uns 91 Vgl. Heinz Dieter Kittsteiner, Die Abschaffung des Teufels im 18. Jahrhundert. Ein kulturhistorisches Ereignis und seine Folgen, in: Alexander Schuller/Wolfert von Rahden (Hg.), Die andere Kraft. Zur Renaissance des Bösen, Berlin 1993, S. 55-92. Die fortdauernde Präsenz gilt für Katholiken wie Protestanten. Daß auch viele Protestanten an einer konkreten Macht des Teufels festhielten, belegt der enorme Zulauf, den Johann Christoph Blumhardt um die Jahrhundertmitte bei seinen Exorzismen im württembergischen Möttlingen hatte. Zu Blumhardt Thomas Freimann, Die Teufelsaustreibung in Möttlingen, Lorch 1910. 92 Vgl. etwa Westermayer, Bauernpredigten, Bd. 1, S. 232-246.
4. Ängste, der fremde Blick und das Eigene
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kommt der liebe Tag, wo die Hl. Maria Mutter Gottes ihren zweiten Sohn gebähret +++ Diese verbiethe ich euch im Namen der allerheiligsten Dreyfaltigkeit Gott Vater + Sohn + und Hl. Geist + Amen". 9 3
Bemerkenswert ist, daß der Spruch Geister oder Teufel vor unlösbare Aufgaben stellen sollte, die sie ewig beschäftigten und sie so von ihrem bösen Treiben abhielt. Der Spruch besiegte das Böse also nicht, sondern hielt es lediglich fern, wobei der Sprecher um göttlichen Beistand bat und es gleichzeitig durch die Namensnennung bannte. Von der Kontinuität solcher Glaubensvorstellungen zeugen die genannten Schutzbriefe. Ängstigende oder wunderbare Ereignisse wie Stigmatisationen, ekstatische Visionen oder Schicksalsschläge erhöhten nicht nur den Glauben an die Wirksamkeit des Teufels, sondern auch die Bereitschaft, gegen ihn mittels Exorzismus vorzugehen. Die Breitenwirkung bestätigte sich selbst im revolutionär-großstädtischen Berlin. Das elfjährige „Wunderkind" Luise Braun hatte 1849 allen politischen Geschehnissen zum Trotz „Menschenmassen" mit seinen Teufelsvisionen elektrisiert. 94 Angst- und Schuldgefühle gehörten bei katholischen Männer wie Frauen zum religiösen Alltag, wie Untersuchungen auf Basis autobiographischer Quellen zeigen. Diese Gefühle gipfelten bis ins frühe 20. Jahrhundert in der konkreten Angst vor der Hölle als Strafe für religiöses und moralisches Fehlverhalten. 95 Hinter jedem Ereignis einen tieferen Sinn zu vermuten bestärkte die Vorstellung von Krankheit als göttliche Strafe ebenso wie den Versuch, das eigene Glück beim Lottospiel durch bestimmte Rituale zu zwingen oder in Krisen Zuflucht bei Gebetszetteln zu suchen. Doch auch neue Ängste verbanden Zeitgenossen mit überkommenen Deutungsmustern; ihr greifbarster Ausdruck war die Weigerung, die Eisenbahn zu benutzen, weil der Teufel sich als Lohn an jeder Station einen Passagier hole. 9 6 93 Diese mit Vorsicht zu behandelnde Sammlung exakt zu datieren und ihre Herkunft detailliert zu ermitteln, scheint nicht mehr möglich, auch wenn sich unter den Zetteln ein kaum leserlicher Brief vom 6.6.1824 aus Pellingen befindet, in: BAT, Best. 71,43, Nr. 8,8. Zitierte Beschwörungsformel, in: ebenda, Nr. 1. Die Auslassung ist im Original unleserlich. 94 Vgl. A. Mielay, Das Berliner Wunderkind. Ein Beitrag zur Tagesgeschichte nach vierzehntägigen genauesten Beobachtungen, Berlin 1849, S. 12. Ein Exemplar befindet sich in GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2180. Rudolf Leubuscher, Das Wunderkind in der Schifferstrasse, in: Robert Jütte (Hg.), Wege der Alternativen Medizin. Ein Lesebuch, München 1996, S. 97100. Knapp dazu Gailus, Strasse und Brot, S. 136. Rüdiger Hachtmann, Berlin 1848. Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution, Bonn 1997, S. 838 f. 95 Andreas Heller, „Du kommst in die Hölle...". Katholizismus als Weltanschauung in lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen, in: Ders. u.a. (Hg.), Religion und Alltag. Interdisziplinäre Beiträge zu einer Sozialgeschichte des Katholizismus in lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen, Wien/Köln 1990, S. 28-54.
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Ein deutlicher Wandel im Umgang mit Teufeln und Hexen ist insgesamt aber doch nicht zu übersehen. An die Stelle des frühneuzeitlichen öffentlichen Kampfes der Gerichte trat die private oder weitgehend heimlich verlaufende dörfliche Abwehr der vermeintlich bösen Geister und Hexen. Das dokumentieren die Hexereifälle der 1830er Jahre auf der Ostseehalbinsel Heia, auf der Bönningharder Heide und in Remagen eindrucksvoll. Nachdem die staatlichen und kirchlichen Gewalten diese Form der Lebens-, Konflikt- und Krisenbewältigung nicht mehr mittrugen, sind nur noch außergewöhnliche Fälle überliefert, während die allenthalben noch anzutreffenden Hexereibeleidigungen innerhalb der dörflichen Streitkultur kaum an die Öffentlichkeit drangen. 97 Aberglaubensvermutungen und -vorwürfe haben auch immer etwas mit Fremdheit eines beobachteten und bewerteten Verhaltens zu tun. So kann zumindest für die ersten Jahrzehnte nach dem preußischen Regierungsantritt auch eine kulturelle Distanz vieler Beamter und der Verwaltung gegenüber rheinischem, lokalem und ländlichem Brauchtum angenommen werden, die zu zahlreichen Verboten und Vorbehalten beigetragen hat. Die Klagen mündeten oft in den Aberglaubensvorwurf, weil dieses Brauchtum den neuen Landesherrn etwas zutiefst Fremdes war. 9 8 Das grausame Gänsereiten oder -hauen, das Reuessen oder -trinken, die Gebehochzeiten, das Brautfangen all diese Bräuche waren den neuen Landesherren zunächst einmal nur wenig vertraut. 99 Es traten weitere sicherheits- und medizinalpolizeiliche Überlegungen und aufklärerische Anliegen wie Argumente der Verwaltung hinzu, diese Bräuche zu verbieten. Doch spielte auch die kulturelle Distanz eine wichtige Rolle und sollte nicht unterschätzt werden, zumal sie als begleitendes Argument eingesetzt werden konnte, das mit dem Aberglaubensvorwurf einen griffigen und schlagwortartigen Fluchtpunkt erhielt. Das richtige Verhalten wurde damit weniger durchgesetzt als vielmehr in der 96
Vgl. Riehl, Land und Leute, S. 78 f. Einige Beispiele dazu für den Raum Lippe im 19. und 20. Jahrhundert bei Scheffler, Hexenglaube, hier S. 271-276. 98 Dieses Argument kann für die Zeit des Kulturkampfes nur eingeschränkt gelten. Blackbourn, Marpingen, S. 373, führt die überzogene Reaktion einiger lokaler Beamter darauf zurück, daß der katholische Wunderglaube den Preußen „zutiefst wesensfremd" sei. 99 Zum Gänsereiten: Abschrift Regierung Aachen an Polizeidirektion vom 15.12.1820, in: HStAD, Best. Landratsamt Erkelenz, Nr. 208. Reuessen und -trinken: Regierung Aachen an Ingersleben vom 30.5.1823, in: L H A K , Best. 403, Nr. 953, S. 1-7. Um sich über die Gebehochzeiten zu informieren, griff die Verwaltung auf eine ausführliche Schilderung der französischen Behörden zurück: Beilage E Unterpräfekt Arrondissement Hamm an Präfekt Ruhrdepartement vom 24.1.1810, in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. 435, Nr. 7, Vol. I. Zum Brautfangen: Landrat Georg Bärsch (Prüm) an Regierung Trier vom 4.6.1830, in: L H A K , Best. 442, Nr. 3768, Bl. 5. 97
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Aufklärung verankert. Auch wenn die behördlichen Urteile in der Regel schädlich, abergläubisch oder besorgniserregend lauteten, setzte sich diese Sicht bei der Bevölkerung erst zögerlich durch. Als dem Kölner Oberpräsidenten Solms-Laubach 1818 ein vermutlich mit falschem Absender versehener Brief zugespielt wurde, welcher das abergläubische Gewitter- oder Wetterläuten in der Bürgermeisterei Wichterich (Kreis Lechenich) anprangerte, reagierte der Verwaltungschef umgehend und ließ die „Mißbräuche" genau untersuchen und verbieten. 100 Mit dem Gewitter- oder Wetterläuten verband der Oberpräsident nicht zu Unrecht noch den voraufklärerischen Brauch der Blitz- oder Hexenabwehr, der erst 1783 den aufklärerischen Verboten des letzten Trierer Kurfürsten und Erzbischofs Clemens Wenzeslaus zum Opfer gefallen war. 1 0 1 So kann es genaugenommen nur wenig überraschen, daß auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Dörfern der Rheinprovinz hin und wieder die Glocken geläutet wurden, um Unwetter und Hexen fernzuhalten. Die Fremdheit der Verwaltungsbeamten mit oder die fehlende Vertrautheit gegenüber dem regionalen, teilweise lokalen Brauchtum, baute sich aber langsam ab. Zum Teil änderten sich auch die Bräuche selbst, lösten sie sich doch aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen, büßten Funktionen ein und wandelten sich zu säkularisierter, kulturell austauschbarer Unterhaltung. Fremdheit und Aberglaubensvorwürfe verbanden sich darüber hinaus in der Ausgrenzung sozialer, konfessioneller und kultureller Außenseiter. Die nicht nur von antisemitischen Kreisen immer wieder bemühte und im Kaiserreich wiederaufgelegte Ritualmordthese, wonach Juden das Blut junger Christen zu rituellen Zwecken mißbrauchten, wurde bereits im Kontext der Diskussionen um die volkskundliche Kriminalistik behandelt. Hier gewannen die zahllosen Vorbehalte gegenüber Juden einen bequemen Fixpunkt. 1 0 2 In der zeitgenössischen Aberglaubensliteratur finden sich aber gleichfalls Warnungen vor Zigeunern, die angeblich verwerfliche Aberglaubensformen nach Deutschland einschleppten. Danach betrieben vor allem Juden und Zigeuner gewerbsmäßige Wahrsagerei, und wurden auch für die Hexenverfol100
Solms-Laubach an Landrat Joseph Freiherr von Weichs vom 24.7.1818; Weichs an Solms-Laubach vom 13.8.1818, in: HStAD, Best. Oberpräsidium Köln, Nr. 804, Bl. 3 und Bl. 4r-5v. 101 Vgl. Artikel „Gewitter", in: HDA, Bd. 3, Sp. 815-833, hier Sp. 828. Nikolaus Kyll, Die Glocke im Wetterglauben und Wetterbrauch des Trierer Landes, in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 9 (1958), S. 130-179. Vgl. zum Wandel der Gewitterwahrnehmung zwischen Reformation und Aufklärung Heinz D. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, Frankfurt am Main 1995 (^991), hier S. 55-79. 102 Ausschließlich damit beschäftigen sich Joël, Aberglaube. Strack, Blutaberglaube. Die Diskussionen und Vorfälle fassen präzise zusammen Rohrbacher/ Schmidt, Judenbilder, S. 274-368.
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gungen der Frühen Neuzeit verantwortlich gemacht. 103 Doch steckt hinter den als Ausdruck von Irrationalität diffamierten Verhaltensweisen mehr an Rationalität als vielleicht auf den ersten Blick sichtbar wird. So war das Aufsuchen eines Wunderheilers, nachdem bereits diverses medizinisches Personal konsultiert worden war, rational und durchaus auch zukunftsorientiert, wenn man denn Gesundheit als ein zukunftssicherndes Gut einstuft. Auch handelte es sich zumeist um einen aktiven, selbstbestimmten Vorgang, aus freiem Antrieb eine Reise anzutreten, um doch noch Heilung für ein Leiden zu erlangen. Dies ist eine Handlungsweise, welche das aufklärerische Urteil vom Aberglauben den Betroffenen absprach.
5. Aberglauben zwischen Land und Stadt Mit der Verwendung des Aberglaubensbegriffs waren ganz unterschiedliche räumliche Zuweisungen verbunden. Dabei waren die räumlichen Schwerpunkte, welche die Kritiker setzten, abhängig von ihren jeweiligen Standorten in der Aberglaubensdebatte. Für aufgeklärt-bürgerliche Autoren gerieten fast schon selbstverständlich alle Orte in Aberglaubensverdacht, an denen ihnen katholische Frömmigkeit begegnete: Wallfahrtsziele, katholische Städte und Landstriche sowie Klöster. Dies zeigt bereits eine Analyse der bildungsbürgerlichen Reiseberichte des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts. 104 Diese ausdrücklich aufklärerische Quellengattung gestattet, für die linksrheinischen Territorien in der französischen Zeit Gegenden zu ermitteln, die vielen reisenden Berichterstattern als abergläubisch galten. Neben den Wallfahrtsorten und den reliquienübersäten katholischen Städten wie Trier und vor allem Köln gehörten dazu die abgelegenen ländlichen Gebiete in Hunsrück und Eifel. Vor allem der Hexen- und Teufelsglauben galten als ländliche Phänomene, die sich in den von der Industrialisierung zunächst nur wenig erfaßten ländlichen Regionen hielten. Diese Deutung Schloß sich unmittelbar an die Debatten um Volksaberglauben an, der den Beobachtungen der Theoretiker zufolge genuiner Bestandteil dörflichen Lebens war. 1 0 5 Daß Theorie und Praxis indes auseinanderfielen, dürften die bisher zusammengetragenen 103
[ - ] , Aberglaube, Zauberei, S. 16 f. Vgl. Uta Piereth, Dem Aberglauben auf der Spur. Notizen zu „abergläubischen" Phänomenen zwischen Maas und Rhein in Reiseberichten um 1800. Reiseberichte als Quelle der Aberglaubens- und Magieforschung, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 24 (1998), S. 245-268. 105 Vgl. Strümpell Aberglaube, S. 15. Busch, Volksglaube, S. 1-10. Simar, Aberglaube, S. 30. Daß hier oft das abergläubische Landleben mit einem vermeintlichen katholischen Bildungsrückstand gekoppelt wurde, findet sich ausgeprägt bei König, Ausgeburten, S. 616-621. 104
5. Aberglauben zwischen Land und Stadt
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Fakten zur Genüge belegen, und auch die relikttheoretisch orientierten Aberglaubenskritiker hatten ja einräumen müssen, daß es neue und modische Aberglaubensvarianten wie den animalischen Magnetismus oder den Spiritismus gab, die vorzugsweise in den Städten Fuß gefaßt hatten. Der gegenüber dörflichem Gesundheitsverhalten wiederholt von Medizinern vorgetragene Aberglaubensvorwurf hatte wohl vor allem mit Laientherapeuten älteren Typs zu tun. Sie galten neben den alten Weibern als die Bewahrer eines überkommenen medizinischen, eben nichtärztlichen Aberglaubens schlechthin, den die stärkere Ärztedichte in den Städten bereits beseitigt hatte. 1 0 6 Eine lebensweltlich ausgerichtete Frömmigkeit war bis in die Jahrhundertmitte auf dem Land offenkundig stärker ausgeprägt als in den wenigen städtischen Zentren. Dies war zunächst und vor allem eine zeitgenössische Wahrnehmung, die auch Bischof Hommer 1826 gegenüber Ingersleben geäußert hatte, als er über die besondere, nach außen drängende und auf Körperlich- wie Äußerlichkeiten zielende Frömmigkeit unter den Gläubigen seiner Diözese reflektierte. 107 Katholischer Glauben drängte nach außen und fand sich in der Verehrung von Reliquien und Heiligen wieder; vor allem die Heiligenverehrung war oftmals auch ganz konkret mit Orten, zumeist deren Todesstätten, verbunden, zu denen dann Wallfahrten stattfanden. 1 0 8 Wie fremd den Behörden anfangs neben dieser Frömmigkeit auch der ländliche katholische Pfarrklerus gewesen sein muß, zeigt ein - sicher katholiken- und kirchenkritischer - Reisebericht vom Beginn des 19. Jahrhunderts, nach dem sich der ländliche Seelsorger so gar nicht in das bürgerlich-aufgeklärte und weitgehend protestantische Bild fügen wollte, sondern in seinem Äußeren und Auftreten eher dem bäuerlichen Landmann glich. 1 0 9 Selbst Bischof Hommer konstatierte noch 1829 eine enge Verbundenheit des Pfarrklerus mit der ländlichen Bevölkerung, die bis hin zu einer „ländlichen Urwüchsigkeit" reiche. 1 1 0
106 Ygi Gerhard Wilke, Die Sünden der Väter. Bedeutung und Wandel von Gesundheit und Krankheit im Dorfalltag, in: Labisch/Spree, Medizinische Deutungsmacht, S. 123-140. 107 Hommer an Ingersleben vom 4.9.1826, in: BAT, Best. Β III, Nr. 11,14, Bd. 1, Bl. 15r-19v, hier Bl. 15r. Dazu auch Schneider, Entwicklungstendenzen, S. 180 f. 108 A m Beispiel der bayerischen Heiligen Stefan Laube, Religiosität, Arbeit und Erholung. Bayerische Heiligentage im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 61 (1998), S. 347-382, hier S. 350 f. 109 Persch, Lebenskultur, S. 374 f. 110 Das ist zumindest in seiner Autobiographie überliefert. Vgl. Thomas, Hommer. Meditationes, S. 311. Beispiele aus einer anderen deutschen Region liefert Peter G. Tropper, Zur Lebenskultur des alpenländischen Seelsorgeklerus in den letzten beiden Jahrhunderten, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 88 (1993), S. 332-355.
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VIII. Patienten, Publikum, Profite
Einen bemerkensweiten Einblick in eine weitgehend mühelose, ja selbstverständliche Kombination von Glauben, überlieferter Sitte und praxisorientierter Anwendung vermitteln eher auf dem Land verbreitete Brauchbücher. Bei ihnen handelt es sich zumeist um handgeschriebene, in der Familie weitervererbte Bücher, die zahlreiche Beschwörungsformeln, Heil- und Zaubermittel enthalten. 111 Der Begriff „brauchen" ist wohl im Sinn von „besprechen" oder „besegnen" zu verstehen, wobei die Formeln aus den Büchern zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten über dem kranken Körperteil der Patienten gesprochen wurden. 1 1 2 Sieht man einmal von den Auseinandersetzungen um den animalischen Magnetismus ab, so setzte sich die Erkenntnis, auch in den städtischen Zentren mit Aberglauben rechnen zu müssen, erst in der zweiten Jahrhunderthälfte nachhaltig durch. Die Feststellung der National-Zeitung von 1902, weshalb Aberglauben mittlerweile in der preußischen Hauptstadt Berlin überaus erfolgreich geworden sei, entbehrt nicht einer gewissen Komik: „Man irrt indessen in der Voraussetzung, als ob die Reichshauptstadt kein günstiger Boden für derartigen Schwindel wäre. [...] In einer Großstadt, die neben dem gesunden autochtonen Kern der Bewohnerschaft so viele der verschiedenartigen Elemente von Unbildung und Aberglauben aus Dörfern und kleinstädtischen Bezirken aufgenommen hat, ist es kein Wunder, daß Ammenmärchen, Teufelswahn, Gespensterfurcht, der Glaube an überirdische Dinge u.s.w. noch sehr im Schwange sind. In solchen Schichten finden Spiritismus und Obscurantismus, Kurpfuscherei und Gesundbeten ihre gläubigsten Anhänger und stecken dann gelegentlich auch weitere Kreise an, denen man sonst mehr Bildung und U r t e i l s kraft zuzutrauen pflegt". 1 1 3
Grundsätzlich ging der Verfasser des Artikels zunächst einmal davon aus, Aberglauben spiele unter der städtischen Bevölkerung nur eine untergeordnete Rolle. Interessanterweise unterschied er dabei nicht zwischen verschiedenen Aberglaubensvarianten, sondern strich als wichtigste Zuweisung den Stadt-Land-Unterschied heraus, obwohl gerade in der Gesundbeter- und Spiritismusdebatte adelige und bürgerliche Schichten als Hauptträger dieses neuen Aberglaubens ausgemacht worden waren. Das Grundübel des Aberglaubens sah er in der Migration aus den ländlichen Regionen der Monarchie. Erst durch die Landbevölkerung sei schließlich auch die ursprünglich aberglaubensfreie städtische Bevölkerung infiziert worden. Hier liegt einer der mehrfach angetroffenen Fälle vor, in denen Aufklärung und Bildung ausschließlich mit großstädtischem Leben parallelisiert wurden. In ähnlicher 111
Vgl. Karin Dosch-Muster, Das Brauchbüchlein der Caroline Otte. Handschriftliche Aufzeichnungen aus dem Jahre 1842 von der Insel Rügen, Mainz 1996. Zahlreiche dieser Quellen benutzt auch Labouvie, Verbotene Künste. 112 Vgl. Artikel „Brauchbüchlein", in: HDA, Bd. 1, Sp. 1512 f. 113 Zeitungsausschnitt National-Zeitung, Drittes Beiblatt zu Nr. 127 vom 22.2.1902, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium), Abt. V I I I A, Nr. 2180.
5. Aberglauben zwischen Land und Stadt
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Weise hatte bereits ein Großteil der Hauptstadtpresse versucht, den Resauer Spuk zu einem ländlichen Vorfall abseits der aufgeklärten Berliner Verhältnisse zu stilisieren, was freilich gründlich mißlang, da eben zahlreiche Berliner die Spukstätte aufsuchten und auch später den Prozessen gegen Karl Wolter beiwohnten. 114 Gerade die relikttheoretische Deutung von Aberglauben verband die durchbrechende Moderne mit einem fortschreitenden Verfall unaufgeklärten Verhaltens: In den Stadt-Land-Zuweisungen ist dieser Fortschrittsoptimismus des 19. Jahrhunderts besonders gut zu greifen. Zugleich aber steckt in der Aberglaubensdebatte des ausgehenden 19. Jahrhunderts auch ein Stück weit großstädtische Zivilisationskritik des späten Kaiserreichs. 115 Die nun immer umfangreicher werdenden Darstellungen über medizinischen Aberglauben und über Volksaberglauben, mit der im Gefolge Riehls entstehenden Sammlung volkskundlicher Fakten über das Landleben, führte zu einem idyllischen Schwarz-Weiß-Bild ländlichen Verhaltens und Brauchtums. Jenseits des konfessionell eingefärbten Aberglaubensvorwurfs war ländlicher Aberglauben - verstanden als Volksglauben - aus dieser Perspektive zu etwas Bewahrens- und Erinnernswertem geworden. Die mit dem Aberglaubensvorwurf verbundenen Zuweisungen stellten sich als überaus hartnäckig heraus. Die Außenperspektive, ländliche Gebiete - was sich auch auf Frauen und etwas Fremdes beziehen läßt - seien für abergläubisches Verhalten besonders empfänglich, wurde sogar dann aufrechterhalten, wenn sie sich als eindeutig falsch erwies. Zwar ließ sich nicht leugnen, daß auch Großstädte davon betroffen waren, aber erklärt wurde dies dann doch wieder über das polarisierende Stadt-Land-Modell, indem städtischer Aberglauben auf ländliche Wurzeln zurückgeführt wurde. Für bürgerliche wie nichtbürgerliche Patienten war der behördliche Versuch, einen erfolgreichen Laientherapeuten einzudämmen, so lange völlig unerheblich, wie sie sich Erfolg von einer Therapie versprachen. Bei dem Blick auf bürgerliche Patienten zeigte sich, daß eine soziale Kluft im Umgang mit Laientherapeuten dort eine untergeordnete Rolle spielte, wo es um die eigene Gesundheit ging.
114
Vgl. Kurzweg, Geschichte, S. 251 f. Dazu grundlegend Klaus Bergmann, Agrarromantik und Großstadtfeindlichkeit, Meisenheim am Glan 1970. Vgl. auch Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt am Main 1985, S. 139-144. 115
IX. Bilanz „Preußen und seine Rheinprovinz zwischen Tradition und Moderne" dieser Untertitel steckt das weite Feld ab, auf dem die vorliegende Untersuchung den Umgang mit Phänomenen beschrieben und analysiert hat, welche Johann Georg Theodor Grässe in seiner „Bibliotheca Magica et Pneumatica" mit der Formulierung vom „Zauber-, Wunder- Geister- und sonstigen Aberglauben" charakterisierte. Tradition und Moderne sollten dabei nicht als gegensätzliche, einander ausschließende Begriffe verstanden werden, sondern bildeten den Bezugsrahmen, um sich einem zentralen kulturpolitischen Schlagwort des 19. Jahrhunderts zu nähern. Die im Aberglaubensvorwurf liegende Spannung zwischen modernem und überkommenem Verhalten brachten Zeitgenossen mit der Formel vom „neuen Aberglauben" auf den Punkt, wenn es darum ging, mit dem animalischen Magnetismus und dem Spiritismus Verfahren auszugrenzen, die den eigenen Normen zuwiderliefen und die zugleich von der Wissenschaft bisher unerforschtes Neuland betraten. In den zahlreichen Disziplinen, die an der Aberglaubens- und Magieforschung beteiligt sind, kursieren die verschiedensten Erklärungen für Aberglauben. Dabei wird der Begriff sowohl als Analysekriterium als auch unreflektiert weitend und polarisierend verwendet. Ein prägnantes Beispiel einer solchen Wertung in der geschichtswissenschaftlichen Forschung bietet Hans-Ulrich Wehler im dritten Band seiner deutschen Gesellschaftsgeschichte. Über die im Gefolge des Kulturkampfs verstärkt von amtskirchlicher Seite geförderten barocken Frömmigkeitsformen, die sich vor allem im Marien- und Herz-Jesu-Kult äußerten, urteilt er: „Uralte Formen des Aberglaubens wurden revitalisiert", 1 womit er unausgesprochen die Perspektive protestantisch-liberaler, aufgeklärter Zeitgenossen übernimmt. Auf dieser Weitungsebene sind Urteile von der Qualität eines „sowohl als auch", eines „weniger oder mehr", also vergleichenden und abwägenden Stils eher angemessen, um den langsamen und widersprüchlichen historischen Wandel von kulturellen Handlungen und des Umgangs mit ihnen zu würdigen. 2 1
Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Dritter Bd.: Von der „Deutschen Doppelrevolution 4 ' bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849-1914, München 1995, S. 1189. 2 Für den Bereich des Wandels in der Medizin hat darauf zu Recht hingewiesen Loetz, Vom Kranken zum Patienten, S. 322.
IX. Bilanz
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Die Reaktionen auf abergläubische Phänomene waren jedenfalls vielschichtig, wobei sich der Umgang mit ihnen im 19. Jahrhundert grundlegend wandelte. Hatte noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts das Hauptaugenmerk auf religiösen Aberglaubensvarianten gelegen, so verschob sich dies im Untersuchungszeitraum unumkehrbar in Richtung medizinisch-wissenschaftlicher Formen. Preußischer Staat und katholische Kirche maßen im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert abergläubisches Verhalten nicht nur vermehrt an wissenschaftlichen Standards, vielmehr produzierte die Wissenschaft selbst in ihren Randbereichen Phänomene, die zum Synonym für Aberglauben wurden. Auch wenn ein Zusammenhang zwischen religiösem und medizinischem Aberglauben auf mehreren Ebenen fortbestand, war dennoch eine bereits im 18. Jahrhundert einsetzende Lösung dieser Verbindung zu beobachten, die sich als schubweise Säkularisierung des Aberglaubensbegriffs erklären läßt. Dabei ließen sich vier dichotomische Zuweisungen erkennen, die bestehen blieben, immer wieder mit dem Aberglaubensvorwurf verbunden wurden und mit denen man sich unausgesprochen des eigenen konfessionellen, politischen, aufklärerischen oder eben auch wissenschaftlichen Standorts versicherte. Die Pole waren: gebildet und ungebildet, neu und alt, bekannt und fremd, Stadt und Land. Wichtig ist zunächst die Frage nach dem Stellenwert der Ergebnisse. In der preußischen Rheinprovinz lebten ganz überwiegend Katholiken, womit der hier behandelte konfessionell-religiös verstandene Aberglauben eher katholisch als protestantisch ist. Sicher gingen die deutschen und europäischen Staaten auf je eigene Weise mit dem Phänomen „Aberglauben" um, und konfessionelle Unterschiede werden festzustellen sein, zumal sich die Normen, an denen Abweichungen gemessen wurden, unterschieden. Aber es spricht angesichts der überkonfessionellen und breitenwirksamen Erfolge von Magnetismus und Spiritismus vieles dafür, den Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten nicht zu hoch anzusiedeln. Festzuhalten ist jedenfalls, daß sich Aberglauben als Straftatbestand im Jahrhundert der Verstrafrechtlichung allmählich aus den Gesetzbüchern löste. Während das aus der staatsabsolutistischen Aufklärung herrührende Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten noch die Tatbestände der „abergläubigen und betrüglichen Gaukeley" enthielt, verfügten der Code pénal, das preußische Strafgesetzbuch (1851) und das Reichsstrafgesetzbuch (1871) über andere Regelungen, um gegen abergläubische Straftaten einzuschreiten. Zu nennen sind in erster Linie § 360, Nr. 11 Reichsstrafgesetzbuch (grober Unfug), bis zu seiner Aufhebung 1869 § 199 preußisches Strafgesetzbuch (Kurpfuschereiverbot) sowie linksrheinisch §§35 und 36 des Gesetzes vom 19. Ventôse des Jahres XI, Titel V I (Strafen wegen Verstoßes gegen die Medizinalgesetzgebung). Gleichwohl löste sich Aberglauben nicht vollständig aus seinen rechtlichen Bezügen. Der Begriff gewann im
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Rahmen einer Individualisierung der Strafzumessungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wieder eine größere strafrechtliche Bedeutung und blieb in den polemischen Auseinandersetzungen um die Wiedereinführung des Kurpfuschereiparagraphen ständig präsent. Bei der Bedeutung der Debatten um religiösen Aberglauben darf nicht übersehen werden, daß es sich in den Augen der Aberglaubenskritiker unabhängig von ihrer Konfession - immer um eine Diskussion handelte, bei der es um populäre und weitverbreitete Frömmigkeit ging. 3 Hier bündelte Aberglauben ihre Einschätzung überholter, lebensweltlich ausgerichteter Religiosität, wie sie sich in Wallfahrten, besonders aber im Hexen- und Teufelsglauben äußerte. Gleichzeitig verlor der Aberglaubensvorwurf im letzten Jahrhundertdrittel einen beträchtlichen Teil seiner die aufklärerischen Kräfte bündelnden Stoßrichtung, weil er im Umfeld kirchenrechtlicher, kirchenpolitischer und weltanschaulicher Konflikte als polemischer Kampfbegriff funktionalisiert wurde. Aus protestantisch-liberaler Perspektive richtete der Vorwurf sich dann gegen jede katholische Frömmigkeitsäußerung, die nun als ultramontan und amtskirchlich gelenkt galt. Der Klage, abergläubisch zu sein oder abergläubisch zu handeln, erlaubte den Kritikern im Jahrhundert der Klassenbildung einen Rückgriff auf traditionelle soziale Zuweisungen wie Volks- und Elitenkultur. Der Forschungsstreit um das Verhältnis und die Beziehungen zwischen Gelehrten- und Volksmagie fügt sich in den Problemhorizont des Verhältnisses zwischen Eliten- und Volkskulturen. 4 Diese Forschungen zu volks- und elitenkulturellen Wahrnehmungen, Deutungen und Handlungen stehen unterdessen vor zwei grundsätzlichen Problemen. Einerseits stammt der größte Teil der überlieferten Quellen bis weit ins 19. Jahrhundert in der Regel aus der Feder der sogenannten Eliten. Andererseits entwickelten bereits die Zeitgenossen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert Kategorien, mit denen sie Zuweisungen vornahmen. Mißliebige religiöse Frömmigkeit wurde vielen Gebildeten so zur Volksfrömmigkeit und im 19. Jahrhundert dann zunehmend zum Volksaberglauben, obwohl sie lange auch Bestandteil eigener Religiosität gewesen war. Von diesen Schwierigkeiten waren die Überlegungen zum bearbeiteten Quellenmaterial zwar nicht zu trennen, aber sie ließen doch auch Erkenntnisse über das vielfältige Neben- und Ineinander volkskultureller Vorstellungen und Praktiken sowie über deren Wechselwirkungen mit kulturellen Verhaltensweisen und Bewertungen von Eliten im Modernisierungsprozeß zu. Die kulturellen Praktiken fügen sich zu einer Schnittmenge zusammen, der in vielen Fällen Volkskulturen und Elitenkul3
Vgl. Dipper ; Volksreligiosität. Schieder, Einleitung. Vgl. Labouvie, Verbotene Künste, S. 298-316. Dies., Wissenschaftliche Theorien, S. 300-307. Dagegen Daxelmüller, Zauberpraktiken, S. 3 7 ^ 0 . 4
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turen zuzuordnen sind. Zusammengenommen sind Resultate auf fünf Feldern hervorzuheben: Erstens bestätigte sich die Annahme, daß voraufklärerische Formen von Teufels- und Hexenglauben trotz der gelehrten aufklärerischen Diskussionen bis weit ins 19. Jahrhundert ein zentraler Bestandteil von Vorstellungswelten und Handlungsweisen vieler Zeitgenossen blieben. Eine Entpersonalisierung des Bösen, wie sie sich in der theoretischen Diskussion beobachten ließ, blieb in ihrer Breitenwirkung beschränkt, zumal der Teufel durch seine Präsenz in Predigten weiterhin einen konkreten Fluchtpunkt für das Böse darstellte. Bemerkenswerterweise waren für dieses Fortwirken vielfach Gebildete selbst verantwortlich, die als Exorzisten oder Wunderheiler wirkten. Sobald sich ihre Wundertaten verbreiteten, strömten ihnen Patienten zu. Die theoretischen Diskussionen um Aberglauben entzündeten sich teilweise an diesen konkreten Vorkommnissen, was in einem nichtgewünschten Sinne das Interesse an ihnen erst recht steigerte. Die Reaktionen auf die Wunderheiler belegen diese gesteigerte öffentliche Aufmerksamkeit auf augenfällige Weise; das hatte sich auch schon in den Debatten im ausgehenden 18. Jahrhundert gezeigt. Staatliches Handeln war in solchen Fällen weniger zukunftsorientiert als vielmehr von kurzfristigen Reaktionen auf abergläubische Ereignisse geleitet. In vielen Fällen griffen die Behörden erst dann ein, wenn sich Gerüchte über Wunderheilungen wie ein Lauffeuer verbreitet hatten. Die staatlichen wie kirchlichen Versuche, bei ihren Untersuchungen ein größtmögliches Maß an Geheimhaltung zu wahren, fußten sicher auf diesen Erfahrungen. Preußischer Staat und katholische Kirche ließen im 19. Jahrhundert mehrfach geheime wissenschaftliche Expertisen anfertigen, um abergläubische Vorgänge zu begutachten. Dafür kamen kirchliche Sonderkommissare ebenso in Frage wie Wissenschaftler, die einzeln oder in Kommissionen tätig waren. Ihre Gutachten entschieden in der Regel über das weitere Vorgehen. Langfristig konnte man barocker oder voraufklärerischer Frömmigkeit sowie Teufels- und Hexenglauben dagegen nur damit begegnen, auf die aufklärerischen Wirkungen des Schulunterrichts und der Predigt zu vertrauen, wie auch der ministerielle Umgang mit dem schrecklichen Helaer Hexenmord von 1836 belegt. Zweitens zeigte sich, daß auch die ländliche Bevölkerung neuartige, (halb)wissenschaftliche Therapien schnell akzeptieren und durchaus aktiv anwenden konnte. So ließen sich zahlreiche nicht universitär ausgebildete Laienheiler nachweisen, die über Kenntnisse der umstrittenen magnetischen Behandlungskur verfügten, welche sich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wellenförmig zunächst in bürgerlichen und adeligen Schichten ausgebreitet hatte. Durch Verordnungen schränkte die Ministerialbürokratie gerade diese therapeutischen Behandlungen durch Laien ein, um damit Aber-
400
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glauben entgegenzuwirken. Die Gesundheit seiner Untertanen gewann für den aufgeklärt-absolutistischen Staat mehr und mehr an Bedeutung, weshalb der Kampf gegen medizinischen Aberglauben besonderes Gewicht bekam. Gemeinsam mit Ärzten suchte die Gesundheitsverwaltung Laienheiler und geistliche Heilmethoden einzuhegen, indem sie sie als abergläubisch bezeichnete oder sie durch ergänzende abqualifizierende Bezeichnungen wie „Quacksalberei" und „Volksmedizin" stigmatisierte. Mehrfach wandte sich die Koblenzer Oberpräsidialverwaltung mit Verordnungen gegen weitverbreitete populäre Heilbräuche. Unter Strafandrohung wurde darin Geistlichen untersagt, Kranke medizinisch-therapeutisch zu betreuen, die nicht nachweisen konnten, bereits einen Mediziner konsultiert zu haben. Diese Haltung fügt sich teilweise in jene medizinischen Modernisierungsprozesse, die als „Medikalisierung" oder „medizinische Vergesellschaftung" beschrieben werden. 5 Darüber hinaus spielte eine entscheidende Rolle, wie weit es Ärzten und Medizinern gelang, ihr Verständnis von Gesundheit und Krankheit durchzusetzen und erfolgreich an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Dies hatte weniger mit dem auch wirksamen Professionalisierungsprozeß innerhalb der Medizin zu tun als vielmehr mit den Erfolgen, den die Ärzte ganz konkret erzielen konnten. Erst mit Erfolgen konnten sie sich dauerhaft gegenüber einem vielfältigen medizinischen Dienstleistungsangebot durchsetzen. Zu erkennen ist dabei, daß die Kontaktzonen zwischen den beiden Kulturen der Laienheilkunde und der akademischen Medizin viel größer waren, als dies in dichotomisierenden Modellen angenommen wird: Einfache Leute und gelehrte Mediziner, Händler und Bettler, Frauen und Männer profitierten vom Aberglauben und den damit verbundenen Begleitumständen. Testate, in denen sich Patienten für Wunderheiler einsetzten, belegen eindrucksvoll, wie Unterschichten, gebildete Bürger und Adelige es gleichermaßen in Kauf nahmen, als abergläubisch bezeichnet zu werden, sofern sie sich Vorteile davon versprachen. Es ließen sich behördlicherseits indes nicht ausschließlich unterdrückende Maßnahmen im Umgang mit Laientherapeuten und volksmedizinischen Verfahren beobachten. Teils förderte die Gesundheitsverwaltung auch eine Verbreitung des Mesmerismus in laienheilkundlichen Kreisen und prüfte laientherapeutische Verfahren, indem sie bis zur Aufhebung des Kurpfuschereiparagraphen 1869 Kuren unter ärztlicher Aufsicht gestattete, um über ihre Grundlagen weitere Kenntnisse zu erlangen. Im Bereich volksmedizinischer Bräuche war die Verwaltung zwar insgesamt bemüht, schädliche und abergläubische „Quacksalbereien" ebenso zu verfolgen wie sie die Tätig5 Dazu Loetz, Vom Kranken zum Patienten, S. 112-123. Durchgängig aus der Patientenperspektive Wolff, Einschneidende Maßnahmen.
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keitsfelder von Laienheilern einschränkte und Hebammen dem staatlichen Ausbildungsmonopol unterwarf. Gleichzeitig jedoch sammelte zumindest das rheinpreußische Medizinalkollegium im Vormärz gegen erhebliche ärztliche Vorbehalte volksmedizinische Rezepte, um sie auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Sogenannte volkskulturelle Handlungen wurden vielschichtig wahrgenommen und bewertet. Auch wenn barocke Frömmigkeitsäußerungen der preußischen, sich als Träger der Aufklärung begreifenden Verwaltung mißfielen, läßt sich eine einheitliche Haltung ihnen gegenüber nicht erkennen. Bei den unterschiedlichen Wahrnehmungen handelte es sich keineswegs nur um einen Perspektivenwechsel zwischen traditionellen und aufgeklärtmodernen Bewertungen. Die Motive, derartige Handlungen zu akzeptieren oder sogar zu unterstützen - man denke nur an die organisierten Massenwallfahrten - , an ihnen teilzunehmen, sie zu diffamieren, sie zu dulden oder sie zu verbieten, variierten je nach dem weltanschaulichen und konfessionellen Standort der Zeitgenossen und nach der Intensität kirchenpolitischer Konflikte. Jüngere Überlegungen zum Problemfeld der Pockenschutzimpfung im frühen 19. Jahrhundert haben ergeben, daß der Historiker rasch zeitgenössischen Klischees und normativen Urteilen aufsitzt, wenn er Widerstände gegen Neuerungen auf Formeln wie „Eigensinn", „Irrationalität" oder „Traditionalität" reduziert. 6 Ein herausragendes Klischee ist das kulturelle Schlagwort „Aberglauben". Vielfach waren diese Vorurteile Ausdruck der zeitgenössischen Wahrnehmungen von Veränderungen, weshalb sie nur wenig geeignet sind, um heutige Fragestellungen nach Dynamik, Zweckrationalität, Wissenschaftsferne oder auch Effizienz historischer Gesellschaften in modernisierungstheoretische Modelle zu gießen. Was das Handeln von Menschen anlangt, wird man in historischen Quellen immer Belege finden, die Bezüge in die Vergangenheit und das Festhalten an bekannten Deutungen und Handlungen aufweisen. Dies sagt freilich noch nichts darüber aus, inwieweit nicht gleichzeitig Absichten wie Rationalität oder Effizienz dieses Handeln leiteten. Wer will beurteilen, ob es nicht rational war, neben einem - möglicherweise gar erfolglosen - Mediziner auch noch einen Wunderheiler aufzusuchen? Zudem schlossen sich neue und alte Verhaltensmuster keineswegs aus, wie die großen Wallfahrten nach Trier, Aachen, Kevelaer oder gar Lourdes zeigen. Was zu Beginn des 19. Jahrhunderts fast ausschließlich nur als Fußwallfahrt zu bewältigen war, wurde an dessen Ende vielfach mit der Eisenbahn erreicht. Drittens begann mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert die historische Aufarbeitung der frühneuzeitlichen Hexenprozesse. Über die Historisierung 6
Vgl. Wolff,
26 Freytag
Einschneidende Maßnahmen, S. 447-483.
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des Glaubens an die konkrete Macht von Hexen und Teufeln gewann die Verwendung des Aberglaubensbegriffs eine zusätzliche Funktion: Die Ausgrenzung volkskultureller Praktiken und Handlungen war damit immer weniger vorrangig religiös motiviert, auch wenn diese Deutung wichtig blieb. Mit der typisch aufklärerischen Lichtmetaphorik wiesen Relikttheoretiker Aberglauben als Kulturgut einer „dunklen" Vergangenheit zu. Dem Alten und historisch Überkommenen stellten die Kritiker so vermeintlich rationalwissenschaftliche Fortschrittsargumente entgegen, die sich dann gegen kirchlich-katholische Riten ins Feld führen ließen, was in erster Linie für die großen Konfrontationsphasen zwischen katholischer Kirche und preußischem Staat gilt. Der von Keith Thomas für die Frühe Neuzeit beschworene „Decline of Magic" war offenkundig weniger ein geradliniger prozessualer Niedergang, als eher ein von Schüben sowie vielen Brüchen und Verzögerungen bestimmter Vorgang, der sich auch noch über das gesamte 19. Jahrhundert hinzog. 7 In bestimmten Bereichen und Phasen verlief dieser Prozeß schneller, in anderen wiederum langsamer, wobei gleichzeitig neue Varianten des Magischen hinzukamen. Wesentliche Brüche und Verzögerungen sind sicher im preußisch-deutschen Kulturkampf zu sehen, der zu einer vertieften Wundergläubigkeit mit diversen magischen Bezügen führte. Davon zeugen gerade in der Rheinprovinz die Eppelborner Blutschwitzerin, die zahlreichen Marienerscheinungen im Gefolge von Marpingen sowie auch die Flaschenwunder mit Marpinger Heilwasser. Von liberal-protestantischer Seite als Aberglauben ausgegrenzt, überstieg jene Wundergläubigkeit zwar die kirchenüblichen Formen von Frömmigkeit, wurde aber aus verschiedenen Gründen geduldet oder gefördert. Diese Duldung war einesteils fest in der Ortsgeistlichkeit verankert. So ließ diese nun, teilweise mit Rückendeckung der Diözesanspitzen, zuvor bekämpften und katholischerseits als Aberglauben befehdeten populären Frömmigkeitsformen weitgehend freien Lauf. Weniger der Erziehung der Gemeindemitglieder zum rechten katholischen Glauben als vielmehr dem gemeinsamen Gegner im weltanschaulichen Kampf galt dabei das Hauptaugenmerk. Indes sah sich andernteils gerade der Pfarrklerus während des Kulturkampfs zu einem Spagat zwischen popularreligiösem Verlangen und staatlichen sowie amtskirchlichen Anordnungen gezwungen. Vielfach strömten die Gläubigen auch und gerade ohne ihre Ortsgeistlichen zu den Wundererscheinungen. So entwickelten die Marienwunder jener Jahre eine ausgeprägte Eigendynamik, welcher der Klerus durchaus ohnmächtig gegenüberstehen konnte.
7 Vgl. Keith Thomas, Religion and the Decline of Magic. Studies in Popular Beliefs in Sixteenth- and Seventeenth-Century England, London 1991 hier S. 767-800, der diesen Prozeß weitestgehend im 18. Jahrhundert enden läßt.
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Viertens zeigen wissenschaftliche Deutungsmuster besonders präzise, wie Aberglaubensvorwürfe sich an neue Erscheinungen anlagerten. Sie wurden gegen den Mesmerismus und die spiritistische Bewegung vielfach eingesetzt, um jene von vornherein wissenschaftlich zu diskreditieren. Gleichzeitig ist das wellenförmige und schwankende öffentliche Interesse am Magnetismus und auch Spiritismus neben dem Hinweis auf eine instrumentalisierte Gebundenheit des Begriffs Aberglauben auch ein Merkmal für die Diskontinuität von Aberglaubensvarianten. Neue Aberglaubensformen faßten ganz überwiegend zunächst in städtischen und herrschaftlichen Zentren Fuß. Der animalische Magnetismus und später auch die spiritistische Bewegung verbreiteten sich dann allerdings auch in ländlichen Gegenden, wie es vor allem für die magnetische Heilmethode innerhalb der Laienheilkunde zu beobachten war. Der Aufschwung von Spiritismus und Hypnotismus in der zweiten Jahrhunderthälfte und ihre Wahrnehmung als neue Aberglaubensvarianten beförderten das volkskundliche Interesse an Aberglaubensformen, welche die Zeitgenossen als traditionell einstuften. 8 Man wird auch vor diesem Hintergrund nicht prinzipiell sagen können, daß überkommene Formen der Geistheilung - wie sich sie vor allem im katholischen Exorzismus ausdrückten - auf dem Land länger akzeptiert blieben. Ob dies so war, hing sicher zu einem bedeutenden Teil auch von der Unterstützung einzelner Geistlicher ab. Fünftens und schließlich war die abergläubische Binnenperspektive, die der Betroffenen und der vom Aberglaubensvorwurf Ausgegrenzten, weitaus heterogener, als die Zuschreibung von außen glauben machen soll. Das Handeln der Patienten und Patientinnen, die einen Wunderheiler aufsuchten oder bei der katholischen Geistlichkeit um einen Exorzismus baten, war rational und auch anpassungsfähig. Sie wählten diese Therapien oder Alternativen in erster Linie, um über die medizinische Therapie beim Arzt hinaus eine zusätzliche Heilungschance zu erhalten. Einer an aufklärerischen Maßstäben gemessenen vernünftigen Handlungsweise in Fragen der Gesundheit, wie sie sich die Behörden offenkundig wünschten, standen lange Zeit die engen Grenzen entgegen, welche der akademischen Medizin gesteckt waren. Dabei konnte ein therapeutischer Erfolg, der nicht unbedingt in eine vollständige Genesung münden mußte, bereits aus Trost und der Gewißheit bestehen, alle verfügbaren medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben. Lange geschah das Aufsuchen von Ärzten und Laienheilern im 19. Jahrhundert noch in einer beliebigen Reihenfolge; die Arztkonsultation als medizinischer Erstkontakt setzte sich erst nach und nach durch und schloß es auch dann nicht aus, anschließend noch einen Laientherapeuten hinzuzuziehen. 8
26*
Vgl. dazu Lehmann, Aberglaube, S. 224.
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Volkskulturen sind ein beliebtes negatives Pendant zu den Modernisierungstheorien der historischen Sozialwissenschaft. Vieles, was sich auf den ersten Blick deren prozessualen Entwicklungskategorien nicht fügt, wird unter vormodernem Verhalten klassifiziert. 9 Damit führt die historische Forschung die zeitgenössischen Zuweisungen fort. Dichotomien wie Volks- und Elitenkultur ergeben als Idealtypen für die Forschung zwar durchaus einen Sinn, um einen Sachverhalt analytisch zugespitzt zu erfassen, indes darf dabei nicht stehengeblieben werden. Sie sind eher Werkzeuge, womit Eckpunkte abgesteckt werden können, und deren Erklärungsreichweite der Historiker nicht überschätzen darf. Das 19. Jahrhundert ist der Zeitraum, in dem Veränderungen intensiv und beschleunigt wahrgenommen wurden. Dennoch behielten der von zahlreichen Seiten als Aberglauben ausgegrenzte Glauben an Zauber, Wunder und Geister sowie magische Rituale weiterhin eine große Bedeutung, die sich insbesondere in der Bewältigung schwieriger Lebens- und Konfliktsituationen sowie kollektiver Krisen zeigte. Auch sie waren ein Bestandteil des Modernisierungsprozesses, der weder einheitlich noch gradlinig verlief. Historische Urteile, die sich die Aberglaubenssicht zu eigen machen, berücksichtigen jedenfalls zu wenig die unterschiedlichen Interessenlagen und stülpen den Auseinandersetzungen um Aberglauben zugleich die heutige Perspektive über.
9 Vgl. dazu Carola Lipp, Alltagskulturforschung im Grenzbereich von Volkskunde, Soziologie und Geschichte. Aufstieg und Niedergang eines interdisziplinären Forschungskonzepts, in: Z f V 93 (1993), S. 1-33, hier S. 20. Sie spricht dort sogar von einer ,,negative[n] Modernisierungstheorie".
X. Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Archivalische Quellen Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz
Berlin (GStA PK)
I. HA, Rep. 76 (Kultusministerium) Abt. V I I I A, Nr. 130-134
Jährliche Sanitätsberichte der rheinischen Regierungen 1818-1858
Abt. V I I I A, Nr. 2178
Anwendung der Vorschriften des Allgemeinen Landrechts I I Tit. X X § 691 unbefugte Ausübung der Heilkunde in den Provinzen Westfalen, Kleve-Berg und Niederrhein 1818-1833
Abt. V I I I A, Nr. 2180
Angebliche Wunderkuren und Wunderkrankheiten 1821-1904
Abt. V I I I A, Nr. 2181-2182
Angebliche Heilkräfte des Dienstknechts Grabe, seine Heilversuche in der Charité 1824-1825
Abt. V I I I A, Nr. 2183
Zur Prüfung des Heilverfahrens des Dienstknechts Joh. Gotti. Grabe aufgenommenen Vernehmungsprotokolle 1824
Abt. V I I I A, Nr. 2196-2200
Die zur Prüfung des thierischen Magnetismus niedergesetzte Kommission und deren Resultate 18 Π Ι 904
Abt. V I I I A, Nr. 2246
Die Anwendung des mineralischen Magnetismus und die damit angestellten Kurversuche 1834-1851
Abt. V I I I B, Nr. 1 4 ^ 1 4 9
Medizinalkollegium in Koblenz 1816-1929
Abt. V I I I B, Nr. 1324
Anwendung des Hypnotismus und des Magnetismus zu Heilzwecken 1881-1927
Abt. V I I I B, Nr. 1325
Anwendung der Hypnose durch nicht approbierte Vertreter der Heilkunde 1902-1925
Abt. V I I I B, Nr. 1327-1332
Ausübung der Heilkunde durch Laien 1894-1927
III, Sekt. 1, Abt. XHIa, Nr. 41 Beih.
Der Spiritismus, der Scientismus, das Gesundbeten, 1901, Vol. I
IV, Sekt. 1, Abt. X I V , Nr. 1
Wallfahrten und Abstellung der Mißbräuche 18111827, Vol. I - I I
406
X. Quellen- und Literaturverzeichnis
IV, Sekt. 1, Abt. X I V , Nr. 9
Die von einer angeblichen Gesellschaft barmherziger Brüder verschiedenen Geistlichen in den rheinischen und westfälischen Provinzen zugesandten Briefe und Aufsätze kirchlich-politischen und schwärmerischen Inhalts 1829-1830
IV, Sekt. 1, Abt. X X V I , Nr. 1 Die im Auslande oder Inlande selbst oder von inländischen Verlegern im Auslande gedruckten, staatsgefährlichen und sonstigen Bücher, einzelne Blätter und Schriften aller Art 1834-1924, Vol. I - V I I I IV, Sekt, la, Abt. I, Nr. 309
Der sogenannte heilige Rock in Trier 1886-1894, Vol. I
I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern) Tit. I, Nr. 26
Zensurverwaltung der Rheinprovinz 1819-1849, Vol. I-III
Tit. I I Generalia, Nr. 17
Zensur geistlicher und religiöser Schriften 1847, Vol. I—II
Tit. I I Generalia, Nr. 25
Zensur und Debit der über den Magnetismus erschienenen Schriften und Bücher 1821-1822
Tit. I I Generalia, Nr. 112
Zensur und Debit der über Prophezeiungen und Weissagungen erschienenen Schriften 1844-1847
Tit. I I Generalia, Nr. 113
Unterdrückung irreligiöser, die Verführung des Volkes zum Unglauben bezweckender und bewirkender Druckschriften 1846-1847
Tit. 78, Nr. 26
Die polizeiliche Beaufsichtigung der Leihbibliotheken in der Rheinprovinz 1842-1847
Tit. 78, Nr. 31
Verzeichnisse derjenigen Druckschriften, welche in den Leihbibliotheken nicht geführt werden dürfen 1853-1867
Tit. 242, Nr. 11
Die Buchdruckereien und die Ansetzung der Buchdrucker in der Rheinprovinz 1818-1868, Vol. I—II
Tit. 243, Nr. 50
Die von Colporteurs ausgetragenen gedruckten Lieder, Pamphlets, Wundergeschichten und den Debit derselben 1810-1892, Vol. I - I I
Tit. 413, Nr. 17
Die Wallfahrten und Prozessionen der Katholiken 1824-1906, Vol. I - I X
Tit. 415, Nr. 7
Die Herausgabe und Verbreitung christlicher Erbauungsschriften 1821-1913, Vol. I - V
Tit. 415, Nr. 39
Die auf der Halbinsel Heia im Regierungsbezirk Danzig gegen Aberglauben und Fanatismus und gegen die dadurch entstehenden Verbrechen getroffenen Maßregeln 1836-1837
1819-
407
1. Archivalische Quellen Tit. 418b, Lit. M , Nr. 1
Der sogenannte Prophet Adam Müller 1818-1820
Tit. 435, Nr. 7, Vol. I
Die Abstellung der in Westphalen und den Rheinprovinzen gebräuchlichen sogenannten Gebehochzeiten 1819-1849
Tit. 500, Nr. 44
Maßnahmen gegen die durch angebliche Wundererscheinungen eingetretenen Ruhestörungen 18771892, Vol. I—II
Tit. 505, Nr. 17
Die in Marpingen im Trierischen Regierungsbezirk nach Verbreitung des Gerüchts der Mutter-GottesErscheinung stattgehabten tumultarischen Bewegungen 1876-1879, Vol. I - I V
Tit. 719, Nr. 6
Die Behandlung der Somnambulisten, Mondsüchtigen und Nachtwandler 1849-1854
Tit. 979, Nr. 7
Die zu Düsseldorf in Druck und Verlag erschienene Schrift zur Widerlegung der bekannten Lehninschen Weissagung aus dem Jahre 1850 1854-1856
Tit. 2168 Generalia, Nr. 12
Die polizeiliche Aufsicht auf sogenannte Wunderkuren und Wunderdoktoren 1821-1829
I. HA, Rep. 2.2.1. (Geheimes Zivilkabinett) Nr. 15139
Volkstumult und Unruhen in Münster, Paderborn, Koblenz, Geilenkirchen, Neuss, Kleve, Essen, Braunfels, Trier, Dülmen und die dort verübten Exzesse 1837-1848
Nr. 15142
Mißhandlung und Ermordung einer als Hexe verdächtigten Frau in dem Dorfe Ceynowa auf der Halbinsel Heia (Provinz Westpreußen) 1836
Nr. 15340
Scientismus und Spiritismus 1902
Nr. 23468
Wallfahrten und Prozessionen, Reliquienverehrung 1838-1915
Nr. 24541
Magnetismus 1845
I. HA, Rep. 101C (Ober-Zensur-Kollegium) Nr. 11
Zensurverwaltung im Oberpräsidialbezirk des Großherzogtums Niederrhein. Regierungen zu Koblenz, Trier und Aachen 1819-1843, Vol. I - I I I
I. HA, Rep. 101D (Ober-Zensur-Kollegium) Nr. 8
Unterdrückung 1820-1841
verbotener
Schriften
und
Bücher
Nr. 13
Ankündigung und Debit obszöner Schriften und ungeprüfter Heilmittel 1820-1841
408
X. Quellen- und Literaturverzeichnis
Nr. 15
Zensur geistlicher und religiöser Schriften 1820-1842, Vol. I—II
Nr. 27
Zensur der über die Verhältnisse zwischen evangelischen Glaubensgenossen und Katholiken erschienenen Aufsätze und Schriften 1821-1843, Vol. I—II
Landeshauptarchiv Koblenz (LHAK) Best. 354 Generalgouvernementskommissariat des Nieder- und Mittelrheins für das neugebildete Saardepartement Nr. 53
Gesuch der Brüder Pies in Kastellaun um Erlaubnis, Bein- und andere Brüche und Verrenkungen heilen zu dürfen 1816
Best. 402 Oberpräsidium des Großherzogtums Niederrhein Nr. 32
Zusammenstellung und Abfassung der Berichte, welche sich auf das Medizinal- und Sanitätswesen beziehen, durch das Medizinalkollegium des Großherzogtums Niederrhein 1818-1822
Nr. 160
Zensur der Kalender 1819-1820
Nr. 163
Verzeichnis der zensierten Schriften 1820
Nr. 474
Brennen mit dem St. Hubertusschlüssel als angebliches Mittel gegen die Folgen des Bisses wütender Tiere 1820-1821
Nr. 635
Beschränkung des Hausierhandels 1818-1821
Best. 403 Oberpräsidium der Rheinprovinz Nr. 197
Vertrieb der Kalender 1823-1838
Nr. 953
Der Gebrauch des sogenannten Reu-Essens und Reu- oder Trauertrinkens 1823
Nr. 1127
Die Rundreisen des Bischofs von Trier 1829
Nr. 1613
Krankenbehandlung von nichtapprobierten Ärzten unter Aufsicht approbierter Ärzte 1827-1842
Nr. 2137
Hausierer Federkeil aus Neuhütten 1834
Nr. 2252
Maßregeln zur Aufrechterhaltung 1825-1860
Nr. 2318
Wegen der Cholera anzuordnende Gebete 1831-1832
Nr. 2515
Vorgefundene Schmähschriften 1836-1866
Nr. 2523
Exzesse 1837-1840
Nr. 4455
Das angebliche Wunderbild in Zons im Kreis Neuss 1822
Nr. 4545
Broschüren zur Unterhaltung des Aberglaubens unter dem gemeinen Volk 1825-1836
Nr. 4618
Die dem Pfarrer Binterim zu Bilk zugesandten schwärmerischen Briefe und Aufsätze 1829
der öffentlichen
Sicherheit
1. Archivalische Quellen
409
Nr. 4808
Der ehemalige Franziskanerpater Clementinus zu Hardenberg 1836
Nr. 6716
Das Feilhalten von Medikamenten, Geheimmitteln und Giften durch Nichtapotheker 1826-1896
Nr. 6939
Verwaltungsstreitsache der Frau Robert Schulten in Gelsenkirchen in polizeilicher Angelegenheit 1913-1914
Nr. 7137-7145
Zensurbestimmungen und Beschlagnahmung von Schriften und Zeitungen 1822-1912
Nr. 7532
Die Auseinandersetzung des Staates mit der Kirche 1856-1869
Nr. 8313
Gesetzgebung über den Gewerbebetrieb im Umherziehen 1856— 1883
Nr. 8417
Verkauf von Kalendern 1830-1872
Nr. 11058
Gesuche um Erlaubnis zur Ausübung der niederen Chirurgie 1825-1906
Nr. 11070-11071 Anträge auf Erteilung der Ermächtigung zur vorläufigen ärztlichen Praxis (Kurpfuscherei) 1831-1912 Nr. 13687
Ausstellung heiliger Reliquien in Aachen und Trier und die für die Dauer der Heiligtumsfahrt getroffenen polizeilichen Maßregeln 1832-1874
Nr. 16003-16009 Wallfahrten und Prozessionen 1822-1915 Nr. 16220
Ausstellung heiliger Reliquien in Aachen und Trier und die für die Dauer der Heiligtumsfahrt getroffenen polizeilichen Maßregeln 1888-1925
Best. 407 Medizinalkollegium Nr. 43
Urinbeschauen 1817
Nr. 44 I + I I
Sanitätsberichte der Sanitätskommission Trier 1819-1826
Nr. 45
Sanitätsberichte der Sanitätskommission Aachen 1819-1825
Nr. 68
Vorschriften wegen Anfertigung und Einsendung der Sanitätsberichte 1817-1880
Nr. 115
Sammlung der Nachrichten über die in den rheinischen Provinzen unter dem Volk gebräuchlichen Heilmittel 1823-1826
Nr. 137
Unterdrückung der Quacksalbereien und der unbefugten Praxis der Chirurgie und der Medizin 1818-1910
Nr. 234
Berichte der Ärzte über merkwürdige Krankheits- und Unglücksfälle, desgleichen über epidemische Krankheiten 1817-1899
Nr. 257
Mittel wider den Biß toller Hunde und gegen die Verbreitung der Hundswut und die darüber abgegebenen Gutachten 1818-1904
Nr. 338-352
Sanitätsberichte der Regierungen 1827-1841
Nr. 353-357
Sanitätsberichte der Regierungen 1843-1847
410
X. Quellen- und Literaturverzeichnis
Nr. 360-373
Generalberichte über den Gesundheitszustand im Wirkungskreis des Medizinalkollegiums 1817-1832
Nr. 382
Sanitätsberichte der Regierungen 1842
Best. 441 Bezirksregierung Koblenz Nr. 2857
Berichte der Ärzte über magnetische Kuren und deren Einsendung an das Kultusministerium 1818-1823, 1860-1861
Nr. 2858
Die über merkwürdige Erscheinungen bei Krankheitsfällen angestellten Untersuchungen 1819-1855
Nr. 2878
Verbot des Handelns mit Universalmitteln 1818-1837
Nr. 2880
Medizinalkontravention des Fr. Baader von Dürrenbach und des Pfarrer Bartels von Alterkülz 1817-1857
Nr. 3476
Prozessionen und Wallfahrten 1816-1881
Nr. 3611
Zensur der Erbauungsschriften 1830-1846
Nr. 5118
Zensurwesen 1817-1844
Nr. 5120
Prophezeiung des 1773 verstorbenen Jesuiten-Generals Ricci 1816
Nr. 9480
Der Wahnsinn aus Religiosität 1816-1817
Nr. 9481
Die Bekämpfung des unter der niederen Einwohnerklasse noch herrschenden Aberglaubens 1817-1877
Nr. 13439
Die Bestimmungen wegen der über das Medizinalwesen periodisch zu erstattenden Berichte 1816-1884
Nr. 13540
Die Anwendung des Magnetismus als Heilmittel, desgl. Spiritismus 1812-1898
Nr. 17084-17085 Prozessionen, Wallfahrten und sonstige kirchliche Aufzüge 18791923 Nr. 23066
Veranstaltungen öffentlicher Magnetiseure 1881-1921
Vorstellungen
durch
sogenannte
Nr. 24083
Prozessionen, Wallfahrten und sonstige kirchliche Aufzüge 18251917
Nr. 24106
Aufsicht auf Wirtshäuser 1816-1921
Nr. 24274
Katholische Missionen, Prozessionen und Wallfahrten 1819-1917
Nr. 47026
Berichte über merkwürdige Krankheitsfälle 1824-1848
Best. 442 Bezirksregierung Trier Nr. 1888
Aufsicht auf Personen, die durch irrige Religionsansichten und durch sonstigen Unfug gefährlich werden können 1816-1843
Nr. 3443
Verzeichnis der seit 1816 verbotenen Schriften
Nr. 3768
Verbot von Maibäumen, Brautfangen und Gebehochzeiten 18301849
1. Archivalische Quellen
411
Nr. 3915
Der öffentliche Unfug und die zur Verhütung desselben zu ergreifenden Maßregeln 1857-1877
Nr. 3927
Verbreitung von Schmähschriften 1842-1863
Nr. 6474
Die bei der Fronleichnamsprozession zu Ottweiler vorgefallenen Unordnungen und die bei der Beerdigung eines evangelischen Kindes auf dem Kirchhof zu Saarwellingen vorgekommenen Exzesse 1853
Best. 491 Landratsamt Simmern Nr. 274
Maßregeln gegen Hundswut, tollwutkranke Tiere 1821-1910
Best. 635 Bürgermeisterei Remagen Nr. 407
Unterdrückung des Aberglaubens 1837-1839
Best. 655,014 Bürgermeisterei Kastellaun Nr. 892
Verfolgung und Beaufsichtigung der Quacksalber und der wundärztlichen Praxis der Familie Pies. Aufsicht auf Heilkünstler 1819-1921
Best. 655,033 Bürgermeisterei Polch Nr. 403
Wundererscheinungen zu Geißmühle 1877-1878
Best. 655,117 Bürgermeisterei Lutzerath Nr. 315
Anna Josephina Wagener aus Alflen, nunmehr verheiratet mit dem Zimmermann Johann Eiden aus Retterath 1844-1846
Best. 655,184 Bürgermeisterei Sinzig Nr. 236
Wallfahrten 1823-1826
Best. 708 Lebensbeschreibungen Nr. 64
Verschiedene Personenzusammenfassungen
Hauptstaatsarchiv
Düsseldorf (HStAD)
Best. Oberpräsidium Köln Nr. 700
Medizinalpolizei 1815-1818
Nr. 753
Vorurteile, Prophezeiungen 1816
Nr. 804
A u f dem Lande statthabende Mißbräuche 1818
Nr. 895
Die Wunderkraft des Fürsten von Hohenlohe 1821-1822
Nr. 1624
Die medizinische Anwendung des tierischen Magnetismus 1817-
1818
412
X. Quellen- und Literaturverzeichnis
Best. Regierung Aachen Nr. 1070
Klagen gegen Quacksalber, deren Verfolgung und Bestrafung 1856-1889
Nr. 1175
Nachrichten über die unter dem Volk gebräuchlichen Heilmittel 1823-1824
Nr. 4762-4763
Verordnungen und Vorschriften über das Zensurwesen 1817-1847
Nr. 4880-4881
Prozessionen, Wallfahrten und Bittgänge 1816-1880
Nr. 6891-6894
Maßregeln gegen die Hundswut, Maulkorbzwang 1816-1911
Nr. 23187
Leihbibliotheken 1819-1861
Best. Regierung Düsseldorf Nr. 130
Der Hubertus-Schlüssel 1827-1834
Nr. 226
Der auf der Bönningharder Heide herrschende Hexenglauben 1836-1837
Nr. 241
Die angeblichen Wunderkuren des Schäfers Mohr zu Neurath, Kreis Grevenbroich 1842-1844
Nr. 29134
Prozessionen und Wallfahrten 1838-1883
Best. Regierung Köln Nr. 78
Zensurwesen 1835-1839
Best. Behörden Rheinland 1040 (Kahn-Akten) Nr. 267
Medizinisch-wissenschaftliche Gutachten 1818-1823
Nr. 429
Angelegenheiten der evangelischen und katholischen Kirche. Religiöse Mißbräuche 1816-1867
Best. Landratsamt Erkelenz Nr. 208
Verbotswidrige Volksgebräuche 1819-1917
Nr. 290
Unbefugte Medizinalpersonen, Quacksalbereien, Verkauf von Geheimmittel 1821-1925
Best. Landratsamt Geilenkirchen Nr. 20
Buchdruckereien und Handel mit Büchern und Druckschriften 1837-1865
Best. Landratsamt Gladbach Nr. 64
Unbefugte Ausübung der Heilkunde 1833-1894
Best. Landratsamt Kleve Nr. 86
Wallfahrtszüge 1835-1842
1. Archivalische Quellen
413
Best. Landratsamt Rheinbach Nr. 213
Muttergotteserscheinungen in Merzbach 1877-1879
Best. Landratsamt Siegkreis Nr. 288
Unterdrückung des Aberglaubens, Intoleranz, Wunder, Wunderkuren, Weissagen, Schatzgräberei 1852-1901
Best. Landratsamt Solingen Nr. 110
Behandlung der magnetischen Kranken und der Magnetismus 1881-1890
Landesarchiv Saarbrücken (LAS) Landratsamt St. Ingbert Nr. 291
Hypnose, Spiritismus, Okkultismus etc. 1893-1950
Friedensgericht Ottweiler Nr. 21 Anzeige und Verhaftung einer Wahrsagerin 1819
Historisches Archiv des Erzbistums Köln (HAEK) Generalia I 4,4,2
Wallfahrten und Prozessionen überhaupt 1852-1940
31.2
Religiöse Mißbräuche hinsichtlich sogenannter Corneliuszettel und anderer den Aberglauben befördernder Broschüren 1825-1939
31.3
Nachteilige Folgen des Gebrauchs geistlicher Heilmittel zur Abwendung der Hunds wut mit Vernachlässigung ärztlicher Mittel 1826-1862
31.4
Einzelne Vorstellungen in Beziehung auf die Anwendung der sogenannten Exorzismen, wie auch das Überleben der Kranken 1830-1938
31.5
Die von dem Schäfer Heinrich Mohr zu Niederembt und Neurath angeblich verrichteten Wunderkuren und deren Untersuchung 1842-1846
31,6,1
Sogenannte wunderbare Erscheinungen & Frömmeleien etc. 1852-1935
Dekanatsarchiv Grevenbroich Nr. 243
Pfarrei Neurath 1827-1917
Bistumsarchiv
Trier
(BAT)
Best. Β I I I Verwaltung des preußischen Bistums Trier Nr. 11,14
Wallfahrten im Bistum Trier 1814-1872, Bd. 1
Nr. 16,10
Volksglauben 19720. Jahrhundert, Bd. 5
414
X. Quellen- und Literaturverzeichnis
Best. 71,43 Pfarrarchiv Konfeld Nr. 1-8
8 Hefte und 15 verschiedene Zettel meist Geisterbeschwörungen und ähnliche abergläubige Dinge betr., Anfang 19. Jahrhundert
Best. 71,55 Pfarrarchiv Ottweiler Nr. 12
Berichte und Notizen über den Zustand der Pfarrei Ottweiler 1769-1875
Nr. 111
Antwortschreiben an einen Freund über das Tischklopfen 1853
Nr. 117
Die Kuren und Teufelsaustreibereien des Herrn Wilh. Weyl vulgo Schalken zu Ottweiler 1856
Nr. 189
Fronleichnamsakten 1742-1856, Bd. 1
Best. 71,129 Pfarrarchiv Oberwesel Nr. 634
Prozessionen und Wallfahrten 1829-1844, 1919
Abt. 85 Personalakten Nr. 833
Nikolaus Kickertz
Abt. 91 Dom- und Domkapitelsarchiv Trier Nr. 219
Verzeichnis der wunderbaren Heilungen 1844
Nr. 220
Protokollarische Verhandlungen über die während der Rockausstellung 1844 vorgekommenen wunderbaren Heilungen
Evangelisches Zentralarchiv
Berlin (EZA)
Best. 7 Evangelischer Oberkirchenrat Nr. 3512
Anträge, Vorstellungen und Gesuche religiös-schwärmerischen Inhalts 1887-1898
Nr. 3946
Die spiritistische und scientistische Bewegung 1901-1934
Stadtarchiv
Trier
(StA Trier)
Tb 15/692
Leihbibliotheken 1824-1847
Tb 16/32
Verwaltung der Medizinalpolizei 1832-1888
Tbl6/152
Medizinische Pfuscherei 1826-1831
Tbl6/194
Medizinalpolizei 1841-1846
Tbl6/195
Medizinalpolizei 1840-1842
2. Gedruckte Quellen (bis 1918)
415
2. Gedruckte Quellen (bis 1918) [ - ] , Aberglaube in verschiedenen Gegenden, in: Spiritualistische Blätter 1 (1883), Nr. 12, S. 1-3; Nr. 13, S. 1 f. [ - ] , Aberglaube, Zauberei und Sympathie. Von einem Geistlichen, Hamburg 1884. [ - ] , A m Ausgange des 19. Jahrhunderts. Eine Teufelsaustreibung geschehen zu Wemding (Regierungsbezirk Schwaben=Neuburg) in Bayern anno 1891, Barmen 8 1892. [ - ] , Beitrag zum Beweise, daß der religiöse Aberglaube noch in unsern Tagen, in unser [!] Gegend nicht völlig ausgerottet ist, in: Trierische Kronik 10 (1825), S. 87-95. [ - ] , Das Buch der Geheimnisse. Eine Sammlung von mehr als 200, besonders magnetischen und sympathetischen Mitteln wider Krankheiten, körperliche Mängel und Uebel und zur Beförderung anderer nützlichen und wohlthätigen [!] Zwecke, Ilmenau 1824. [ - ] , Das schwarze Buch vom Teufel, [!] Hexen, Gespenstern, Zauberern und Gaunern. Dem Ende des philosophischen Jahrhunderts gewidmet, Leipzig 1796. [ - ] , Der Magnetiseur Grabe, oder die kurze Erzählung von dem, was derselbe Heilkünstler leistet, nebst Rückblick auf die frühere Geschichte des Magnetismus, und als Vorläufer seiner nächstens zu erscheinenden Biographie, unparteilich dargestellt von einem Freunde der Wahrheit, Zerbst/Leipzig 1824. [ - ] , Der Magnetismus am Rhein, in: NSB 14 (1896), Nr. 8, S. 31. [ - ] , Der Schäfer von Niederempt in Rheinpreußen und seine Gebetsheilungen, in: Historisch=politische Blätter für das katholische Deutschland 11 (1843), S. 374382. [ - ] , Der Schlüssel zur Offenbarung von Jesus Christus selbst aufgeschlossen und entsiegelt, Philadelphia, den 12. August 1825, Laodiceae 1825. [ - ] , Der Wunderthäter Grabe in seiner wahren Gestalt dargestellt in einem officiellen Bericht der zu seiner Untersuchung ernannten Commission. Nebst einem Anhang von den Gasner'sehen Wunderkuren, in: Journal der practischen Arzneykunde und Wundarzneykunst 59/6 (1824), S. 47-75. [ - ] , Die denkwürdigsten Prophezeihungen [!] der jungen Somnambüle Iphigenia Stradella auf die Jahre 1859-65, durch welche die Folgen des raschen Friedens enthüllt werden, Tübingen 2 1858. [ - ] , Die Nothwendigkeit des Spiritualismus, in: NSB 7 (1889), Nr. 1, S. 1 f. [ - ] , Die Stigmatisierten des neunzehnten Jahrhunderts: Anna Katharina Emmerich, Maria von Morl, Domenica Lazzari, Juliana Weiskircher, Josepha Kümi, Bettina Bouquillon, Bernada vom Kreuze, Maria Rosa Andriani, Maria Cherubina Clara vom heiligen Franziskus, Louise Lateau, Helena von Bolawatta, Margaretha Bays und Esperanza von Jesu. Nach authentischen Quellen hg. von einem Curatpriester, Regensburg 1877.
416
X. Quellen- und Literaturverzeichnis
[ - ] , Die Wemdinger Teufelsaustreibung. Nach authentischen Angaben. Nebst stenographischem Bericht der Verhandlung vor dem kgl. Landgerichte Cöln, Regensburg 1892. [ - ] , Geschichte des Neuen Propheten Johann Adam Müller, eines Landmanns auf dem Maisbacher Hofe, 2 Stunden von Heidelberg, Berlin 1816. [ - ] , Getreue Beschreibung der wunderbaren Heilungen des Fürsten Alexander von Hohenlohe, von einem glaubwürdigen Augenzeugen zur Vermeidung alter irriger Urtheile niedergeschrieben, o.O. 1821. [ - ] , Glaube, Aberglaube und Unglaube oder einige Worte über die Glaubenskraft aus der apostolischen Zeit. Von einem Laien, Braunschweig 1893. [ - ] , Kunst- und Kräuterbüchlein darinnen hundert und dreißig Recepte vor Menschen und Vieh, sonderlich vor reisende Leute. Darbei auch absonderlich 34 Kräuter, nebst ihrer Wirkungen, den Menschen zu Nutz beschrieben. Von einem geborenen Zigeuner D.P.St., Frankfurt am Main/Leipzig 1767. [ - ] , Lebensgeschichte des Magnetiseurs Grabe, wahr und unpartheisch dargestellt und für seine Freunde und Gegner zugleich interessant. Eine Fortsetzung der Schrift, die ohnlängst unter dem Titel herauskam: Der Magnetiseur Grabe, oder kurze Erzählung von dem, was derselbe als Heilkünstler leistet etc. und die als Vorläufer der gegenwärtigen Biographie anzusehen war, Leipzig 1824. [ - ] , Mitteilungen über die Hundswuth, wie sie in den Jahren 1861 und 1862 in der Rheinprovinz beobachtet wurde. Zusammengestellt aus den Sanitäts-Berichten der Aerzte und Thierärzte vom königlichen Rheinischen Medicinal-Collegium. Referent: Veterinär-Assessor Becker. Correferent: Geh. Medicinal-Rath Dr. Julius Wegeier, Coblenz 1864. [ - ] , Napoleons I. Rückkehr. Eine Botschaft aus der Geisterwelt, so in der Stadt Washington am 14. und 16. Januar 1854 in Gegenwart mehrerer Zeugen vom Geiste Napoleons verkündet wurde, Oldenburg 1854. [ - ] , Vom Geister- und Gespensterglauben in Deutschland, in: Deutsche Vierteljahrsschrift 1839, Heft 3, S. 126-191. [ - ] , Wahre Geschichte der Befreiung eines vom Teufel Besessenen. Ein sensationelles Ereigniß aus unsern Tagen. Ausführlich berichtet von einem Augenzeugen, Aachen 2 1887. Alexander, Karl, Wahre und falsche Heilkunde. Ein Wort der Aufklärung über den Wert der wissenschaftlichen Medicin gegenüber der Gemeingefährlichkeit der Kurpfuscherei. Von der Ärztekammer für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin preisgekrönte Schrift, Berlin 1899. Andree, Karl, Geisterklopfen und Tischrücken in den Hansestädten, in: Die wandernden magnetisirten Tische und die Klopfgeister, 2. fliegendes Blatt (1853), S. 1-5. Apel, Johann August/Laun, Friedrich (Hg.), Gespensterbuch, 4 Bde., Stuttgart 1814/ 1815. Bährens, Johann Christoph Friedrich, Der animalische Magnetismus und die durch ihn bewirkten Kuren, Elberfeld/Leipzig 1816.
2. Gedruckte Quellen (bis 1918)
417
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420
X. Quellen- und Literaturverzeichnis
heiten geheilt werden können, sondern auch der Hauswirthschaft ungewöhnliche Vortheile erschließen, Weiden 4 1851. Gerster, Carl, Das Universum und dessen Geheimnisse; oder Die Natur, dargestellt in ihrer wechselseitigen Anziehung, und die geheimsten Wirkungen ihrer Kraft. Eine Anleitung und Erklärung des Tischklopfens und der Geister-Manifestationen, nebst Mittheilungen aus der Geisterwelt, Leipzig 1854. Gesetz-Sammlung für die königlichen Preußischen Staaten 1850, Berlin o.J., Nr. 20. Geßmann, Gustav W., Katechismus der Gesichtslesekunst, das ist die Lehre, aus den Gesichtszügen und Stirnlinien den Charakter des Menschen zu erkennen. Nach alten Quellen zusammengestellt, 3., durchgesehene und ergänzte Aufl., Berlin 1923 ( 1 1896). -
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Zauber=Bibliothek oder von Zauberei, Theurgie und Mantik, Zauberern, Hexen, [!] und Hexenprozessen, Dämonen, Gespenstern, und Geistererscheinungen. Zur Beförderung einer rein=geschichtlichen, von Aberglauben und Unglauben freien Beurtheilung dieser Gegenstände, 6 Teile, Mainz 1821-1826.
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Sieh' Deine Mutter! Ein Gebetbuch für Wallfahrer zur schmerzhaften Mutter Gottes Maria in Eberhards=Clausen nebst Geschichte und Erzählung einiger Wunderwerke aus älterer und neuerer Zeit vor dem Gnadenbilde daselbst, 2., vermehrte Aufl., Trier 1862 ( 1 1852).
Lillbopp, Carl Philipp Eduard, Über die Wunder des Christenthums und deren Verhältniß zum thierischen Magnetismus mit Berücksichtigung der neuesten Wunderheilungen nach römisch-katholischen Prinzipien, Erster Theil, Mainz 1822. Löwenstimm, August, Aberglaube und Strafrecht. M i t einem Vorwort von Josef Kohler, Berlin 1897. -
Aberglaube und Verbrechen, in: Zeitschrift für Sozialwissenschaft 6 (1903), S. 209-231 und S. 273-286.
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Aberglaube und Gesetz. Ein Kapitel aus der russischen Rechts- und Kulturgeschichte, in: A K K 25 (1906), S. 131-233.
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Das Wallfahrten in der katholischen Kirche. Historisch-kritisch dargestellt nach den Schriften der Kirchenväter und den Concilien von den ersten christlichen Jahrhunderten bis auf die neuere Zeit, Trier 1842.
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426
X. Quellen- und Literaturverzeichnis
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Müller, Aegidius, Das heilige Deutschland. Geschichte und Beschreibung sämmtlicher im deutschen Reiche bestehender Wallfahrtsorte, 2 Bde., Köln 1887. Müller, Egbert, Enthüllung des Spukes von Resau, 3., durch eine Nachschrift vermehrte Aufl., Berlin 1889. Müller, Karl Julius, Aberglaube und Occultismus in Berlin und der Provinz Brandenburg. Vortrag gehalten in Berlin, Oranienburg und Landsberg a.W. Nebst Anhang: Die Chiromantie in ihrer praktischen Anwendung, Berlin 1899. Natge, Hans, Der Spuk von Resau. M i t Abbildung des Spukhauses, des Grundrisses und 3 Portraits, Berlin 3 1889. Nippold, Friedrich, Die gegenwärtige Wiederbelebung des Hexenglaubens. M i t einem literarisch-kritischen Anhang über die Quellen und Bearbeitungen der Hexenprozesse, Berlin 1875 (=Deutsche Zeit- und Streit-Fragen. Flugschriften zur Kenntnis der Gegenwart, Heft 57/58). Nußbaum, Arthur, Der psychopathische Aberglaube, in: ZStW 27 (1907), S. 350375. -
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X L Anhang Dokument 1 Quelle: BAT, Best. Β III, Nr. 16,10, Bd. 5 [vier Stücke aus dem Pfarrarchiv Oberwesel]. Kräftiges Gebeth von den sieben heiligen Himmels-Riegeln, oder von den sieben Worten, welche Christus am Stamme des heiligen Kreuzes gesprochen hat „Beschreibung. Ihr fromme und andächtige Christen, ich bitte euch im Namen Jesu, ihr wollet anhören die große Kraft und Wirkung von den heiligen sieben Himmelsriegeln. Wie man erzählet, hat ein frommer Einsiedler dieselben von seinem Schutzengel bekommen und als er sterben wollte, hat er die große Kraft und Wirkung von den heiligen sieben Himmelsriegeln auch andern glorwürdigen Personen geoffenbart und gesprochen: Welcher Mensch die sieben heiligen Himmelsriegel bei sich hat von diesem sollen die bösen höllischen Gespenster bei Tag und Nacht abweichen und in welchem Hause die sieben heiligen Himmelsriegeln gedruckt liegen, in dasselbe soll kein Donnerwetter einschlagen und es soll von allen Feuersbrünsten befreit seyn. Wenn aber eine Frau in Kindesschmerzen kommt, so nehme man die sieben heiligen Himmelsriegeln und lege sie ihr auf die Brust oder auf das Haupt, so soll sie ohne große Schmerzen gebähren. Die sieben heiligen Himmelsriegeln sind auch zu Prag probirt worden bei einem Weibe, welches schon fünf todte Kinder auf die Welt geboren hatte, als sie aber mit dem sechsten schwanger ging und Kindesmutter werden sollte, so hat man ihr die heiligen Himmelsriegeln auf das Haupt gelegt, und sie ist den Augenblick mit einer lebendigen Leibesfrucht erfreut worden. Die sieben heiligen Himmelsriegeln sind approbirt worden bei einem Mannsbilde, welches acht und dreißig Jahr lang mit drey hundert bösen Geistern besessen war; ein Geistlicher aus dem Orden des heiligen Franciscus nahm die sieben heiligen Himmelsrigeln [!], las sie über die besessene Person und legte ihr dieselben auf das Haupt, und sehet, die bösen Geister sind auf einmal aus ihm gefahren. Derjenige Mensch, welcher die sieben heiligen Himmelsriegeln bei sich hat, soll auch von großen Gefahren befreit seyn. Wenn aber einer die sieben heiligen Himmelsriegeln sieben Freitag nach einander bethet und solche für seine verstorbene Freunde oder für andere arme Seelen aufopfert; so kann er eine Seele aus dem Fegefeuer erlösen; und in welchem Hause die sieben heiligen Himmelsriegeln sind, in dasselbe soll keine üble Krankheit eingreifen. Wer aber nicht lesen kann, bethe alle Freitage sieben Vater unser, sieben Ave Maria und einen Glauben, zu Ehren des bittern Leidens und Sterbens Jesu Christi. Hüte Dich vor schweren Sünden, liebe deinen Nächsten und halte die Gebothe, so wirst du gewiß nicht zu Grunde gehen. Gebeth von den sieben heiligen Himmelsriegeln.
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XI. Anhang
Ο allerheiligster Herr Jesu Christel ich ermahne dich deiner heiligsten Menschheit die mit Verwilligung Gottes Vaters von dem heiligen Geist in dem Leib der allerheiligsten Jungfrau Maria empfangen worden. Ο Jesu! du hast dein heiliges Blut ganz geduldig für uns arme Sünder vergossen. Ο mein Jesu! du hast uns mit deinem heiligen bittern Leiden und Sterben die himmlische Pforte aufgeriegelt, drei und dreysig [!] Jahre für uns große und elende Sünder ganz geduldig gelitten. Ο mein Jesus! ich betrachte deine schmerzliche Beurlaubung von deiner herzliebsten Mutter Maria. Ο mein Jesus! ich gedenke an dein demüthiges Gebeth an dem heil. Oelberge, als dir vor Mattigkeit ganz blutige Schweißtropfen über dein heiliges Angesicht herab geronnen sind. Ο mein Jesu! ich betrachte wie du gefangen, mit Stricken gebunden, von einem Richter zu dem andern geführet worden, wie man deinen allerheiligsten Leib mit Geißeln zerfetzt! [!] daß das Blut über deinen ganzen heiligen Leib wieder abgeronnen ist, hernach eine Krone von spitzigen Dörnern auf das Haupt gedrucket, daß eine Dornspitze deine heilige Hirnschale durchstochen hat, und darin abgebrochen und stecken geblieben ist. Ο mein Jesu, ich betrachte wie du mit einem schweren Kreuz bist beladen worden und uns dasselbe bis auf den Berg Calavariä getragen, daß du eine tiefe Wunde auf deiner heiligen Schulter empfangen hast. Ο mein Jesus, ich betrachte, wie du nackend und blos an dem heiligen Kreuz lebendig verblieben und hast sieben kräftige heilige Worte gesprochen, nach diesem bist du, ο mein herzlichster Jesu! an dem heiligen Kreuze verschieden. Ο mein Jesus! mit deinem allerheiligsten bittern Leiden und Sterben und mit deinen sieben heiligen Worten w i l l ich N. meinen Leib und meine Seele verriegeln. Amen."
Dokument 2 Quelle: GStA PK, I. HA, Rep. 76 I V (Kultusministerium), Sekt. 1, Abt. X X V I , Nr. 1, Vol. I V [Hervorhebungen im Original]. Abschrift eines 1847 konfiszierten und aus dem Polnischen übersetzten, sogenannten Hirtenbriefs, der in verschiedenen Dörfern des Regierungsbezirks Marienwerder kursierte. „Der Brief ist gefunden zu Rom vor dem Altare des heiligen Michael des Erzengels, kein Mensch hatte ihn gesehen, von wo er kam, wußte auch nicht den Inhalt desselben, er öffnete sich selbst und war mit goldenen Buchstaben geschrieben. Ich Jesus, Sohn des lebendigen Gottes gebiete Euch sämmtlichen Geistlichen und weltlichen Prälaten, Edelleuten gläubiger Christen, damit ihr glaubet an die heilige römisch-katholische Kirche, am Sonntag auch nicht die geringste Arbeit zu verrichten, in den Gärten nicht zu graben und wenn es auch zu eurem Nutzen wäre, denn ich habe Euch 6 Arbeitstage gegeben und den 7ten habe ich mir geweiht und geheiligt, damit Ihr an dem Tage für alle euch erzeugten Wohlthaten betet und den Armen mittheilt. Glaubet es zu Eurem Frommen. Ich habe Euch geweihet durch meine Auferstehung und die Sendung des heiligen Geistes, damit Ihr denselben zum Guten genießet, aber es ist viel Böses unter Euch. Ich Jesus des lebendigen Gottes Sohn werde Euch strafen mit Hunger, Pestilenz, Feuer, Schwerdt, Krieg und verschiedenen Krankheiten, welche durch meine Zulassung lange dauern werden, wenn Ihr Euch nicht in Euren Sünden demüthigt und nicht vom Bösen abiaßet, mit Höllenpla-
XI. Anhang gen werde ich Euch strafen, ich werde aufhetzen einen König auf den andern, den Herrn auf den Herrn, den Meister auf den Meister, eine Stadt auf die andere, den Vater auf den Sohn, den Sohn auf den Vater, die Mutter auf die Tochter und die Tochter auf die Mutter, den Richter auf den Richter und einen Nachbarn auf den andern, und es wird ein großes Blutvergießen unter Euch, und Ihr werdet nicht wissen, wohin Ihr fliehen oder Euch verbergen sollt, und Ihr werdet Euch ängstigen, bis zu dem Ende Eures Lebens, und damit Ihr meinen Zorn erkennt, werdet Ihr keinen weiteren antreffen. Ich werde Euch strafen mit Hagel, Blitz, Donner und Donnerschlägen. Ich gebiete Euch noch einmal, daß Ihr die von meinem Herrn festgesetzten Feiertage feiert und Euch der Arbeit enthaltet; denn wenn Ihr Euch nicht bessert, so werdet Ihr eines schnellen Todes sterben, und ich werde mein Antlitz von Euch abwenden, schwarze Vögel werde ich auf Euch herabschicken, die in der Luft fliegen und Euch lebendig verzehren werden, und hieraus wird die Pest entstehen, die überall herrschen wird. Ich Jesus des lebendigen Gottes Sohn gebiete Euch, daß Ihr schon Sonnabend von Vesper ab nicht in Euren Gärten grabet, denn es ist ein Gräuel für meine Mutter, und würde sie sich nicht für Euch verwenden, so wäret Ihr längst verloren. A m Sonntage soll alt und jung zur Kirche gehen, damit ihr eure Sünden bereut mit denen ihr die Majestät Gottes beleidigt, und sollt den ganzen Tag mich beten und zu mir beten um Vergebung Eurer Sünden. Schwöret nicht bei meinem Blute und meinem Gebeine, mit denen ich Euch nach meinem Ebenbilde geschaffen habe, ehret Vater und Mutter, schonet Euren Nebenmenschen und gönnet ihm alles Gute. Höret die Priester, treibet nicht Luxus, sammelt keine Schätze denn ich w i l l Euch das Himmelsreich geben. Ich Jesus des lebendigen Gottes Sohn befehle Euch, daß wer diesem Briefe nicht glaubet, der wird von meiner Gnade und von meinem Thron verflucht. Endlich verheißt ich Euch, daß wer einen solchen oder ähnlichen Brief bei sich hat, denselben zum Durchlesen oder Abschreiben Andern giebt, demselben sollen und wenn er so viel Sünden hätte, wie Sand am Meere, dieselben vergeben werden, und derjenige, der diesen Brief hat, und ihn weder zum Durchlesen noch Abschreiben giebt, wird verflucht sein vom Himmelreich. Jetzt befehle ich Euch Ihr Prälaten, haltet meine Gebote, und Ihr werdet Eure Freude daran finden. Derjenige, der diesen Brief werth hält, wird meiner Gnade theilhaftig werden und meiner Wohlthaten wird er ihn aber in seinem Hause haben, so werden ihn Blitz, Donner und Donnerschläge nichts schaden und die andern, die nichts von ihm wissen wollen, werden ohne Beichte nicht sterben. Dieser Brief wurde dem Pabst Leo zugeschickt, der Pabst schickte ihn seinem Bruder dem Könige wider seine Feinde. Zur Zeit dieses Papstes wurde er abermals publizirt. Wer diesen Brief liest oder lesen hört, erlangt einen hunderttägigen Ablaß, und der Feind wird ihm nichts schaden. Wenn eine schwangere Frau den Brief bei sich hat, wird sie leicht gebähren und das Kind wird glücklich sein, und wer diesen Brief werth schätzt und in Ehren hält, erlangt das ewige Leben. Die Prophezeiung des Johannes, der König wird weinend sterben, und das weib wird weinen, der Niedrige wird sich erheben und wird wohlhabend werden, die Herren werden im Blute waten, die Geistlichen werden in Wuth entbrennen. Am 16. Mai wird ein blutiger Krieg sein, die Sonnenhitze wird unaufhörlich sein; es werden 2 Heerführer entstehen und werden den Sieg erhalten. Es werden 3 Tage hindurch Zeichen am Himmel sein, welche Grausen und Donner, Erdbeben und die Entzündung zweier Städte verursachen werden."
486
XI. Anhang
Dokument 3 Quelle: Privatbesitz von Marlene Müller (Pronsfeld). Sogenannter Schutzbrief „Metz, le 13 Okober [!] 1875 Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes Amen. So wie Christus i m Oelgarten still gestanden hat so sollen Geschütze still stehen. Wer diesen Brief bei sich trägt dem wird nichts schaden u. ihn auch beschützen vor Dieben Mörder. Es müssen still stehen alle sieht bahren und unsicht bahren Geister auf den Befehl des Erzengel Michael. + Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Es sollen Ihm nichts schaden Geschütze Pistolen alle Waffen müssen still stehen wenn man auf ihn hählt, durch den Befehl Jesus Christus. Bs Gott sei mir gnädig und mit mir. Wer diesen Brief bei sich trägt vor dem Feinde der wird vor der Gefahr beschützt bleiben. Wer dies nicht glauben w i l l der hänge einem Hund ihn um dem Hals dor wir d und schieße nach ihm der wird erfahren daß es wahr ist. Wer diesen Brief bei sich hatt [!] der wird nicht Gefangen noch durch des Feindes Waffen verletzt werden. So war Christus gestorben und gegen Himmel auf gefahren ist so war Er auf Erden gewandelt hat, kann er nicht geschossen, gestochen noch am Leibe verlätzt werden. Fleisch und Gedärm alles soll Unverlätzt bleiben. Ich beschwöhre alle Gewehre und Waffen dieser Welt. + Im Namen des Vater + und des Sohnes + und des heiligen Geistes. Amen. Gelobt sei Jesus Christus in Ewigkeit. Amen. Ο süses Herz Maria sei meine Rettung."
Dokument 4 Quelle: HAEK, Generalia I 31,2 [Hervorhebungen i m Original von unbekannter Hand]. Sogenannter Corneliuszettel,
konfisziert
1825 in Cornelimiinster
Der Heil. Kornelius ist ein Patron wider die fallende Seuche. Zum ersten soll er durch sich, oder durch einen andern laßen betteln zur Ehre des allmächtigen Gottes und St. Cornely so viel Korn als er am Leibe schwer ist, das Geld, was es werth ist, soll man senden zu Corneli-Münster bei Aachen für ein Opfer in die Capelle hinter dem hohen Altare, und zur Ehre des bittern Leidens Christi, und Mitleiden der gebenedeiten Mutter Gottes Mariä und der Verdienste des Martyren St. Cornely soll er fasten ein Jahr lang, alle Freitage mit einer Mahlzeit zufrieden seyn; kann er selbst nicht fasten, soll er einen andern thun fasten, oder nach seiner Macht einem armen Menschen eine Mahlzeit geben und etliche Vater Unser und englische Grüße sprechen: so lang er lebt, soll er des h. Cornely Tag feyern gleich dem Sonntage, und des vorigen Abends fasten. Der Tag kommt im Herbste auf den h. Kreuz=Tag den 14. Sept. und soll alle Jahr bringen oder senden in vorgemeldete Capelle einen silbernen Pfennig oder Münze, damit er bekenne ein Pflegekind oder Pilgram des h. Cornely zu seyn. Nun folgen Speise und Trank, so den Kranken aus Rath der Aerzte verboten. Erstlich soll er nicht essen von Häuptern, sie seyen von Fischen oder Fleisch. Item soll
XI. Anhang er sich hüten vor Schweinefleisch, das gartzachtig, unrein, sinnig oder ungeef ist. Item vor Beesten, die geschnitten sind, da sie nicht jung waren. Item vor Vögel, die aufm Wasser schwimmen, und haben geschlossene Füße, als Gänse, Endten und Schwanen. Item vor Fische, die keine Schuppen noch Schalen haben, als Aal, Pricken, Schleyen, sonderlich die in der See gefangen, auch vor Eingeweide der Fische. Item vor Hönig, Myd, und alles, was mit Hönig gekocht oder gemischet ist. Item hüte er sich vor Pfeffer, hitzige Gekräute und viel Essig, auch vor Speise und Trank, so sehr gesalzen. Item vor Zwiebeln und Knoblauch, sonderlich das roh und ungesotten ist. Item vor ungesottener Milch und weichem Käs. Er hüte sich vor Trunkenheit, jungem Trank, als junges Bier und neuem Most. Item soll er sich hüten vor großem Zorn, Erschreckniß, Zanken, Fechten und Schlagen, auch vor hitzigem Baden. Er traue in Gott den Herrn, Mariam, die Mutter Gottes, und den heil. Märtyrer Cornelius, und soll wegen des bittern Leidens unseres Herrn Jesu Christi gesund werden. Ists Sache, daß ein junges Kind, so eine Mutter säuget, mit diesem Gebrechen oder Krankheit beladen wäre, so lang das Kind säuget, soll die Mutter von gemeldten Speisen nicht essen noch trinken. Item soll man den Kindern keine ungesottene Milch noch Wein, oder junges starkes Bier geben. Man soll den Kranken warten, bis sie 3 oder 4 Jahre ohne das Gebrechen verbleiben. Zu wissen, daß die vorgemeldten verbotenen Speisen keine Buße sind, dann allein Warnungen oder Vermahnungen sich hüten, aber die Bußen sind Fasten und Beten. V. Bitt für uns ο heiliger Vater Cornely, R. Auf daß wir würdig werden der Verheißung Christi. Falls der 14. September nicht Sonntag ist, wird künftig die Oktav des heil. Cornelius den Sonntag nach dem 14. ihren Anfang nehmen."
Dokument 5 Quelle: HAEK, Generalia I 31,2 [Hervorhebungen im Original vom Kölner Generalvikariat]. Wunderbare Verkündigung der überausgroßen und liebevollen Gütigkeit Gottes, dessen Approbation 1891 wegen Aberglauben verweigert wurde „Dieser Brief wurde in Rom im Jahre 1788 in der St. Peterskirche gefunden und dem Papst in Gegenwart aller Cardinäle und anderer frommen Personen vorgelesen. Wahrhaft Abschrift mit Eingebung diesen Brief allen Menschen der ganzen Welt zu offenbaren. Meine Kinder! Ich habe euch erkauft mit dem Blute meiner eigenen Seite und am Stamme des heiligen Kreuzes. Ihr fahret aber fort zu sündigen und habt mich ganz vergessen, und dieses große Werk so ich euch vollbracht habe, soll für euer Seelenheil bestimmt sein; ihr entzündet öfters meinen Zorn und wenn nicht wären die Verdienste meines bitteren Leidens, das beständige Anhalten meiner Mutter, die Fürbitte aller meiner treuen Freunde, so hätte ich schon längst meinen ganzen Zorn ausgegossen und die Welt verheert, wegen dem Laster, so sie gegen mich verübet und einer gegen den andern. Ich habe euch sechs Tage zum arbeiten gegeben und den siebenten zum Ruhen, in Haltung desjenigen, so euch meine Braut die Kirche verleihet, damit ich das Opfer eures Herzens und eurer Seele empfange, um damit meinen heiligen Namen zu beehren. Allein heute ist das Gegentheil, das La-
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XI. Anhang
ster regieret, die Hoffart obsieget, meine heiligen Gebote werden mit Füße getreten und durch tausend Vermaledeiungen mein heiliger Name und Gebote verachtet. Die Reichen verachten die Armen, die vor Kreuz, Hunger und Durst schmachten, und durch diese Verachtung schließen sie sich die Thüre des Himmels zu, die doch durch die Almosen aufgeschlossen wird. Den Geiz, der sie verblendet, thun sie für die Welt und nicht für den Himmel sammeln. Uebermuth, Verschwendung, Unzucht und vergängliche Wolllust, nimmt dermaßen ihre Seele ein, daß sie meine heiligen Gebote verachten und von ihrem Seelenheil abgewandt werden, ohne nachzudenken, daß der Himmel durch Fasten, Beten und Wachen müsse erlangt werden und keiner hinein kommt, als durch die Wege so ich durch das Kreuz und Leiden vorgewiesen habe. Sie halten sich an alte Sorten Sachen, als Abgötter aufzurichten vor meinem Angesichte, als wie die Gottlosen von Sodam und Gomora, die ich ihnen zum Exempel mit Feuer, so ich vom Himmel hatte fallen lassen, verbrennt habe. Diese Strafen machen keinen Eindruck in ihren Sinn, da ich doch ein viel erschrecklicheres Strafgericht ergehen zu lassen und mein Donner, um eine so verkehrte Welt zu strafen, abzuschicken bereit bin und besonders auf diejenigen, die so gegen meine heiligen Gebote sündigen. Wahrlich ich sage Euch! so fern ich nicht sehen werde eine allgemeine Buße und Abbitte wegen der mir zugefügten Unehr, so soll euch mein Friede nimmermehr sein, ich werde euch durch Donner, Erdbeben, Wasser, Feuer, und Schwerdt einen ewigen Krieg bereiten bis zur Vollziehung eurer allgemeinen Zerstörung. Eure schnelle Bekehrung aber ist meine Gebote zu halten und Almosen zu geben; meine Gnadenversicherung, durch geliebte Exempel, mein Kreuz und Leid mit Sanftmüthigkeit zu betrachten, die Erde zu verachten und nach dem Himmel zu trachten, mir zum Gefallen der Eitelkeit der Welt nicht zu achten, für mich zu leben und zu sterben, und also meines Zornes und meinen Vermaledeiungen zu entgehen. Fanget endlich eine Besserung des Lebens an, und denket daß ich eure Tage in meinen Händen habe und selbige nach meinem Belieben endige. Nehmet diese Ermahnungen, so mein Vater und ich euch schicken an, und bittet den heiligen Geist, so aus uns ausgeht, daß er euch die heilige Gnade und Eingebung zu erkennen gebe, wie wir drei Personen nur einen Gott ausmachen: wir wünschen Heil unsern Geschöpfen und Zerstörung des Reichs des Satans und der rebellischen Engeln, damit ihr euch mit uns in Ewigkeit erfreuet in Christo Jesu. Einer soll dem andern sagen, daß derjenige so den Sonntag arbeitet, ausgeschlossen sei von mir Jesu Christo. Ihr sollet den Sonntag in der Kirche in der größten Andacht heiligen, und von Samstag Abend aufhören zu arbeiten bis Montag Morgens. [Satz am Rand angestrichen] Haltet demnach mein Gebot und glaubet, daß das Original dieses Briefes von mir selbst geschrieben, und wenn ihr es glaubet und haltet doch mein Gebot nicht, so werdet ihr von mir ausgeschlossen! [Satz am Rand angestrichen] wenn ihr aber meine Gebote haltet, so werdet ihr einen großen Ueberfluß von Allem haben, eure Felder und Bäume sollen mit Segen und Früchten angefüllt werden und [unleserliche Zeile] haltet so werdet ihr verflucht sein in der Stadt und auf dem Lande, eure Kinder und Kirchen sollen zu Grunde gehen, ich werde euch schicken großen Hunger, Krieg, Pest und schwarzes Ungeziefer, die euch insgesammt aufzehren werden, hingegen werde ich euch alle eure Sünden vergessen, wenn ihr mir in Andacht dienen werdet, und Sonntags sollet ihr nichts anders thun, als mich bitten, euch eure Sünden zu verzeihen. [Satz am Rand angestrichen] Ihr sollet fünf Freitage im Jahr fasten zu Ehren meiner heiligen fünf Wunden, die ich für euch empfangen habe. Ihr sollet weder Gold noch Silber nehmen und nicht das
XI. Anhang Gut eurer Nächsten unrechterweise behalten und mich mit meinem Gebote verachten. Ich befehle den Reichen Allmosen zu geben, ein Jeder nach seinem Vermögen. Die Ungetauften sollet ihr zur Kirche führen und taufen lassen. Diejenigen so wieder die Schrift murren und nicht glauben, daß dieser Brief von mir geschrieben, werden gestraft werden, und die so diesen Brief von mir schreiben und ihren Nächsten nicht mittheilen, sollen von mir verachtet sein bis an den jüngsten Tag, der in kurzer Zeit sein wird. [Satz am Rand doppelt angestrichen] Diejenigen, welche Gott gefällig thun und handeln werden glückseelig sein, und wenn sie so viel Sünden als Stern am Himmel gethan haben, so werde ich ihnen sonderlich dieselben alle verzeihen, nachdem sie solche alle bereut und gebeichtet, und Alle die meine Gebote halten, thun wohl. Diejenigen, welche eine Abschrift von diesem in ihrem Hause halten oder bei sich tragen, sollen kein Unheil vom Donner und Blitz zu fürchten haben, so auch die Gebärenden werden leichtlich erledigt, in Haltung meiner Gebot werde ich meinen Segen vor das Haus ausgießen, wo dieser Brief sorgfältig und in Andacht aufbewahrt wird. [Satz am Rand doppelt angestrichen] Im Namen meines Herrn Jesu Christi Amen. Rom, auf Befehl des Papstes Pius 1788."
Dokument 6 Quelle: HStAD, Best. Regierung Düsseldorf, Nr. 130, Bl. 9 [Hervorhebungen im Original, konfisziert in der Gemeinde Osterath (Kreis Krefeld)]. Unterricht Wie man sich der so genannten SANCTI HUBERTI Schlüsseln / oder Eisenen Hörnlein / so durch absonderliche Gebetter gesegnet / und dann an die Wunderbare Stohl des H. HUBERTI angerühret werden / gebrauchen muß „So bald als man muthmaßen kann, daß ein Vieh von einem andern Wütenden gebissen, oder sonsten angesteckt worden, muß das Hörnlein des Schlüssels glüend gemacht, und auf die Wund, oder wenn dies nicht füglich geschehen kann, auf die Stirn bis ins lebhafte Fleisch getrucket werden. Gleich darauf und am selbigen Tag fanget man für das gebrannte Vieh, eine fünf= oder neun tägige Andacht an, zwischen welcher man ihm täglich ein wenig gesegnetes Brod, oder Haber, von einem Priester zu Ehren des h. Huberti, vor allem andern Essen geben muß. Man bettet darbei alle Tag fünf, oder neun Vater Unser und Ave Maria, zu Ehren Gottes, seiner glorwürdigen Mutter, und des h. Huberti. Es ist nicht vonnöthen für jedes Vieh, eine absonderliche fünf oder neun tägige Andacht zu halten, wann man mehr als eins am selbigen Tag mit dem Schlüssel brennet; es ist aber rathsam, das beschädigte Viehe in währenden fünf oder neun tagen eingespärt zu halten, auf daß sich das Gift durch zu viele Bewegung und Erhitzung des Viehes nicht ausbreite. Und je ehender man das beschädigte Viehe brennen kann, je besser ist es. Man kann auch aus Vorsichtigkeit das gesunde Vieh mit dem Schlüssel auf die Stirn brennen, und die Andacht verrichten, wie sie hier oben vorgeschrieben stehet und als dann ist es nicht nöthig das Viehe einzusperren. Die Kraft und Wirkung dieses obgenanten Mittels ist durch die tägliche Erfahrnuß zeugsam kundbahr; und wann es je geschehen sollte, daß unangesehen dieses Mittels, das gebrannte Viehe die rasende Sucht bekam: so siehet man allzeit, daß es ruhig und ohne Weithes verrecket und andern keinen Schaden zufüget, es wäre aber ein Misbrauch davon gesegnten Schlüsseln,
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XI. Anhang
wann man Menschen, oder Holz, oder etwas anders damit brennen thäte; indem sie nur allein für das Viehe gesegnet seynd. Sie verliehren aber den Segen nicht, wie etliche aus Irthums meynen, wann man sie auf den Boden fallen ließ, oder mit bloßen Händen angreift. Zum Beschluß ermahnet man, daß wider den rasenden Zufall, kein besseres Mittel zu finden seye, als daß wan man sich bei Zeiten in die Bruderschaft des H. Huberti einschreiben laßet und nach Belieben und Andacht einen jährlichen Zinß für sich, und sein Vieh, Gott und diesem Heiligen zu Ehren verspricht, wie es in vielen Oerthern schon längstens gebräuchlich ist."
Personen- und Ortsregister Aachen 91-93, 101, 114, 117, 121, 149 f., 167, 178, 191, 195, 197, 211, 213 f., 221, 225, 227 f., 231, 248, 281, 341, 372, 401 - B i s t u m 118
Amsterdam 84
- Dekanat 191
Antwerpen, Johann Franz 120
- Generalvikariat
118, 124, 136
Andernach 239 Andree, Karl 298 Angeli, Leonhard 89 Ansbach-Bayreuth 260 Apel, Johann August 304
- Polizeidirektion 390
Aquin, Thomas von 311
- Regierung 104, 148 f., 168 f., 172, 174, 194, 204, 211, 226-230, 232, 241, 248, 339, 390
Ardennen 227, 230, 385
- Regierungsbezirk 233, 292, 347
88, 107, 150, 228,
- Sanitätskommission 227
Arenberg 88 Arndt, Johann 174 Arnheimer, 215 f.
Bitburger
Kreisphysiker
Arnim-Boitzenburg, Adolf Graf 92, 95, 150 f., 241
Abels, Peter Aloys 221 Adenau, Dekanat 89
Arnoldi, Wilhelm
Affeid, Nicolaus 240 Ahn, Aachener Vermessungskondukteur 167 Ahrweiler 126, 225 - Kreis 134
92, 95-97, 100 f.,
110, 217, 379 Arnsberg, Kreis 369 - Regierung 39 f., 381 Arzheim 240 Auer, Konsistorialrat
Aichner, Clara 239
Heinrich
167, 170
Auerswald, Rudolf von 93, 205
Alberti, Pastor 40
Augsburg 196
Albertus Magnus 144 f.
Auw 347
Albertz, Wilhelm Josef 112 Aidlingen 226,347
Avenarius, Johann Ernst 88
Alflen, Gemeinde 243 Alken, Bergheimer Kreisphysiker 339
240,
Altenkirchen 148, 152 Altenkirchen, Michael Joseph 117 Altenstein, Karl Sigmund Franz Stein zum 84, 131, 173 f., 260, 265, 275 Alterkülz 221 Altona 150 Altötting/Bayern
192
Alvensleben, Albrecht Graf von 153
Bach, Joseph 240 Baden 164, 217, 234, 236, 256, 274, 299 Bährens, Karl Ludwig 278 Bake, Alfred Georg von 111 f. Baker Eddy, Mary 307 Balan, Max von 292 f. Balsamo, Giuseppe 305 Baltz, Constanz Maximilian von 113 Bardeleben, Heinrich Moritz von 103105
Personen- und Ortsregister
492
Barmenthai, Kölner Kaplan 342
- Handelsministerium
Bärsch, Georg 390
- Innenministerium 131, 133 f., 153, 158, 161 f., 167, 169 f., 174-179, 182, 206, 227, 230, 235, 241, 256 f., 259-264, 291, 330, 344, 350, 359
Bartels, Alterkülzer Pfarrer 220 f. Barts,
Vallendarer
Schuhmachermei-
ster 235
174
- Justizministerium 161 f.
Barweiler 88, 353 Basel 167 Bassewitz, Magnus Friedrich von 169 Bauer, Max 79
- Kaiserliches Gesundheitsamt 368 - Kammergericht
291 f.,
110
Beck, Thomas 152
- Kultusministerium 40, 44 f., 126, 131, 134, 158, 160 f., 170, 173, 178, 204 f., 210, 217-221, 223, 227, 230, 232, 235, 237, 257, 259-263, 265, 278, 280, 290-294, 323 f., 331 f., 350, 377
Becker, Rudolph Zacharias 175
- Nicolaikirche 312
Bautz, Seelscheider Gendarm 351 Bayern
123, 167, 207, 216, 246, 255,
393 - Innenministerium 292
Bedburdyck 119, 192
- Ober-Zensur-Gericht
Bedburg 242, 386
- Ober-Zensur-Kollegium 160, 162, 165-167
Beermann,
Daniel
Wilhelm
241,
160, 162 140,
158-
- Obertribunal 169
338 f. Belgien 151
- Polizeipräsidium 179, 257, 262, 332
Beller, Karoline 118 Bendorf 81, 374
- Preußische Akademie der Wissenschaften 256 f.
Benediktiner 194
- Schöffengericht
Bensberg, Schöffengericht
- Spiritisten verein Psyche 299, 301
352
51
Berg, Großherzogtum 41
- Staatsbibliothek 72, 188, 225, 324
Bergheim 240, 242, 339
- Universität 257 f.
- Dekanat 128, 334
- Wutschutzstation 232
- Dekanatsarchiv 122 Berlin 32, 46, 48, 69, 72, 74, 76, 78, 90, 92, 100, 103 f., 106, 109, 112, 129, 131-133, 136 f., 148, 150, 153, 156, 161, 165, 174, 179, 181, 191, 210, 217, 219 f., 225, 230, 249, 256, 260-262, 276, 279, 280, 283, 288, 291 f., 300-302, 305 f., 312, 323325, 331, 353, 375, 381, 389, 395
Berlingen 88 f.
- Außenministerium
Berman, Morris 16 Bernheim, Hippolyte 282 f., 285-287 Bernkastel 186 - Kreis 215 Bernuth, Heinrich Friedrich von 84 Berru, Arheimer Kranke 240 Bertrich 243 Besser, Hugo 137
158, 161
- Charité 166, 257, 322-327, 332
Besseringen 150
- Evangelischer Oberkirchenrat 313
Bettingen/Saar 347
- Evangelisches Zentralarchiv
Bierdrager, Bernard Florian 121
- Finanzministerium
32
169, 174
- Geheimes Staatsarchiv 323 - Gesellschaft für Experimental-Psychologie 301 f.
Bilberath 183 f. Bilk bei Düsseldorf 160, 178 Binterim, Anton Joseph 160, 178 Bird, Friedrich Ludwig Heinrich 271
Personen- und Ortsregister Birgelen 192
Braun, Berliner Generalsuperintendent 313
Birk, Gottfried 339 Birkenbaum/Westfalen
184, 188 f.
Braun, Frau Heinrich 240
Birkhäuser, Johann Wilhelm 114
Braun, Godehard 97
Bismarck, Otto von 62 f.
Braun, Luise 389
Bitburg 108, 182, 215 f., 373
Brauweiler, Johann Wilhelm 385
- Kreis 347
Bremen 256, 297 Brender, Johann Peter 192, 196
Blackbourn, David 371 Blankenheim, Pfarrgemeinde
104
Breslau
168,260,290
Blavatzky, Helena Petrowna 305
- Bistum 168
Bliesendorf 301
- Regierung 169
Blücher, Caroline von 331
Breuer, Elise 366 f.
Bluff, Mathias Joseph 226
Briedel 385
Blumhardt, Johann Christoph 388
Brun, Friederike 262
Blutschwitzerin von Eppelborn Siehe Flesch, Elisabeth Bodelschwingh, Ernst Albert von 90 f., 93, 152, 158, 160, 167-172, 174, 191, 212, 230, 245, 373 Bohn, Erich 305 Bolschwing, Otto Wilhelm von 117 f. Bonin, Gustav Karl von 153 Bonn 69, 72, 120, 134, 185, 221, 245, 271 - Entbindungsanstalt 243 - Landkreis 207 - Universität 158, 258 Bönningharder Heide 126, 130, 133, 390 Bono, Peter
117,337,339
Brunner, Otto 141 Büdingen 248 Bülow, Carl von 248 Burcher, Peter 374 Burke, Peter 26 Burret, Karl Georg 212 Buschhoff, Metzger 56 Cagliostro Siehe Balsamo, Guiseppe Canetta, Kölner Kreisphysiker 310 Cappe, Karl 229 Carus, Carl Gustav 274 f., 294 Castello, Johann Wilhelm Josef 85 f. Ceinowa 131, 133 Champagne 143
Boppard 214
Charcot, Jean-Martin 282 f.
Borchert, Dagobert 108
Chodowiecki, Daniel 268
Borken 181
Christa, Dechant 110
Bornhofen 102 Bornes, von, Berliner Polizeipräsident 312
Ciaessen, Johann Matthias 191
Böttcher, Familie 301 Bötticher, Ottweiler Bürgermeister 186 f. Bouverot, Ludwig von 182 f. Bowi, Johann Joseph 88 Braid, James 281, 282, 288 Brandenburg, Mark 179 f.
- Kreis 243
- Provinz 169, 191, 300
Clemens, Anton 347 Cochem 243, 366 Coels
von
der
Brügghen,
Freiherr von 178 Coenen, Peter 240 Connecticut 295 Copperfield, David 290 Cornelimünster bei Aachen 213
Friedrich
171, 194,
494
Personen- und Ortsregister 223, 229, 241, 267, 278, 292-294, 358, 366, 377, 381 f., 386
Cornelius, Schutzheiliger 194 Corschenbroich 123 f. Cramer, Johann 170
- Landgericht
Cuny, Johann Jacob Christoph von 91
- Regierung 118, 126, 130, 167, 170, 183, 214, 222, 227-230, 241, 259 f., 275, 335, 338 f., 341 f. - Regierungsbezirk 150, 207, 233, 279, 292
Dahlen 198 Daniel, Helena 244 Danzig 131, 165 - Regierung 131, 165, 263 f. - Regierungsbezirk
182
Eberhard, Matthias 107, 349
131, 264
Eberhardsklausen 101
Darwin, Charles 49
Ebermaier,
Daun 88, 215
Düsseldorfer
Medizinalrat
241 f.
- Kreis 213
Eckerhof bei Osterath 229
Davis, Andrew Jackson 296
Eckhausen 48, 120, 135, 351-355
Daxelmüller, Christoph 142 de Witt, Grevenbroicher Arzt 241 f., 341-343 Delhoven, Johann Peter 386 Delius, Ludwig 106, 109 Deuster, Trierer Oberprokurator 216 Deutz 120 - Generalvikariat 237 Diefenbach, Johann 79 Diel, Kaiserwerther Arzt 366 Diepenbrock, Melchior Ferdinand Joseph Freiherr von 168 Dieschneider, Aachener Stadtdechant 195
Edelman, Nicole 380 Edern, Georg 359 Eerde, Friedrich Freiherr von 126 Ehrang 104 f. - Dekanat 125 Ehrenberg, Johann Peter Knopp von 185 Ehrenbreitstein 40, 97, 240, 382 f. Ehrl bei Linz 185 Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich 40, 92 f., 168,241,245,311,381 Eichmann, Franz 93, 222 Eichmann, Kaldenkirchener Arzt
207,
279
Dietrichswalde 346 Dockweiler 88
Eifel 214 f., 338, 347, 353, 385, 392
Dormagen 386
Einig, Peter 113 Einmüller, Ponsrather Pfarrer
Dresden 312 Driesch, Polcher Bürgermeister
106
192
Eisenach 368
Drinkwitz, Peter 302
Elberfeld 94, 121
Dross, Saatziger Kreisphysiker 264
Elfes, Neusser Kreisphysiker 228 f.
Droste zu Vischering, Clemens August
Elias, Norbert 25
von 61, 93, 160, 171 f., 191, 241 Droste zu Vischering, Gräfin Johanna von 96, 242 f. Dudeldorf 182 Düren 280 Dürkheim, Emile 20 Düsseldorf 84, 90, 92, 117, 150, 167, 170, 182 f., 197, 205, 212 f., 219,
Elversberg 112 Elzinger, Amalia 326 Emmerich, Katharina 284, 350, 372 Endorf 369 Endres, Bernhard Johann 113 Engels & Lensch, Düsseldorfer Buchhandlung 183 England 281, 296-298, 305, 310
Personen- und Ortsregister Ennemoser, Joseph 279, 310
259, 268,
275,
Foegen, Dr., Büdingen 248
Ensdorf 91 Eppelborn
Flottwell, Heinrich Eduard von 169 f. Fonk, Peter Anton 43
124,344-350,402
Erkelenz 241, 247 f., 338, 341
Foucault, Michel 202 Fox, Familie 295
- Dekanat 192
Frank, Koblenzer Arzt 382 f.
- Kreis 241, 334
Frank, Wittlaer Pfarrer 367
Erlangen 166
Frankfurt/Main
161, 170, 291
Erman, Paul 257 f.
Frankfurt/Oder
48
Esch, Ehrenbreitsteiner Kranke 240 Esch, Friedrich Wilhelm 120, 354 f. Essen, Strafkammer
132
Eulenburg zu Eisholz, Berliner Laienheiler 249,380 Eulenburg, Friedrich Graf zu 103-105, 136 f., 225 Eulenburg, Kölner Medizinalrat 383 Eulenspiegel vom Rathausturm Siehe Heller, Verkäufer
Frankreich 41, 43, 151 f., 178-180, 187, 204, 221, 226, 229, 237, 255 f., 283, 297, 342, 380, 390 Franz II. 219 Franziskaner 379
44, 215-217, 366, 377-
Frauenfeld/Schweiz
256
Frazer, James George 19 Freiburg
175,310
- Erzbistum 124
Euskirchen 250
Freud, Sigmund 54, 283, 286
Euters, Anna Maria 374
Freusberg 146, 177
Evans-Pritchard, Edward Evan 20 f.
Freybe, Albert 365
Everatz, Johanna Plosina 172
Friaul 26
Everhard, Kölner Druckerei 196 Faber, Karl Georg 42 Falderen, Johann Franz von 182 Falk, Adalbert 103 f. Fatima 109 Federkeil, Hausierer 151 Fehr, Josef 77 Feilner, Kölner Buchhandlung 196 Feiten, Heinrich 113 Felke, Emanuel 222 f. Feuerbach, Paul Johann Anselm Ritter von 45 Finck, Sebastian 239 Fischbach 146 Fischer, Antonius Hubert 119 Fischer, Friedrich 167 Fischer, Ludwig 239 Fischer, Matthias 125 Flesch, Elisabeth 124, 344-346, 348350, 380, 402
Friederici, Friedrich 121 Friedrich I. 179 Friedrich Wilhelm III. 256-259
91, 178, 180,
Friedrich Wilhelm IV. 40, 42, 62, 95, 161 f., 210, 249, 263, 381 f. Frimmersdorf 338 f. Frink, Catharina 240 Fritsche, Regierungsrat
170
Frühbuss, Ernst von 232 Fuchs, Frau Franz 240 Fuchs, Innozenz Anton 89 Fuchs, Joseph 215 Fulda 308 Funken, Gerald 351, 354, 356 Funken, Maria 135, 351-355 Fürth, Joseph Freiherr von 150 Gagern, Dübener Militärarzt 331 Gall, Franz Alois 149, 187
Personen- und Ortsregister
496 Gappenach 106, 108
Gärtner, Carl Gerhard von 126, 373
Granderat, Mettmanner arzt 119
Amtsgerichts-
Geertz, Clifford 318
Grässe, Johann Georg Theodor 140, 396 Greiffenclau, Guido Graf Matuschka Freiherr von 225
Geilenkirchen 150, 168
Grein, Matthias 230
- Dekanat 192
Greven, Louise 193
Gaßner,
Johann
Joseph
167,
237,
255 f., 268 f., 283, 311 Gebertshain 146
- Kanton 228
Grevenbroich 161, 241, 247, 338
- Kreis 228
- Dekanat 128
Geissei, Johannes von 93, 100 f., 123
-Kreis
Geißmühle 137
Griebeler, Leopold 88
Geldern 126
Grisar, Vinzenz Valerius 114
Geller, Koblenzer Kranke 239
Groß, Hans 53-55
Gelsenkirchen 358 f.
Gruber, Hermann 73
Gemünd, Dekanat 338
Gruchot,
Gerlach,
Marienwerder
Oberstaatsan-
118,238,241,334
Gelsenkirchener
Rechtsan-
walt 359 f. Grünberg 182
walt 264 Gersmann, Gudrun 151
Günther, Dürener Kreisphysiker 281
Gerson, Malmedyer Sanitätsrat 231
Günther, Wilhelm Arnold
Geßmann, Gustav W. 359 Geuer, Joseph 225 Giehlow, Marienwerder 264
87, 89, 92,
94 Gürath, Gut bei Neurath 238
Rechtsanwalt
Gutberiet, Constantin 307 f.
Giersberg, Heinrich Hubert 119
Habets, Theresia 127, 367
Giesenkirchen 118, 123
Hagen/Westfalen, Schöffengericht
Gillenfeld
Hallauer, Sponheimer Pfarrer
101
Ginzburg, Carlo 26
Halle 69
Gladbach, Kreis 198
Halm, Franz Alexander 123
Göbbel, Franz Anton 194 f.
Hambach 84, 134, 161
Goertz, Franz Damian 44, 149, 212, 216 f., 377-379 Goethe, Johann Wolfgang von 294 Gohammer, Frimmersdorfer Bürgermeister 338 f. Goldfuß, Georg August 134 f., 385 Göller, Maria Gertrud 123 Gondorf bei Koblenz 239
Hambuch, Barbara 235
Gorius, Christina 191 Görres, Johann Joseph 78 f., 274, 310 Götz von Olenhusen, Irmtraud 124 Grabe, Johann Gottlieb 146, 166, 249, 257 f., 322 f., 341, 361, 380 Gracher, Conrad 216
358
110
Hamm 125 - Arrondissement 390 - Oberlandesgericht 360 Hanau 179 Hansen, Carl 289-291 Hansen, Heinrich Hubert 119 Hansen, Johann Anton Joseph
91 f.,
99 f., 186 f., 311 Hansen, Valentin 96, 379 Hardenberg, Franziskanerkloster
121
Hardenberg, Karl August von 83, 157, 181, 256, 258 f., 265 f. Hardt, Friedrich 169
Personen- und Ortsregister Harnack, Adolf von 74
Hommen, Lorenz 239
Härtelwald bei Marpingen 137
Hommer, Joseph Ludwig Alois von 61, 84-89, 94, 96, 125 f., 160, 196,
Hartmann, Eduard von 306 f. Hartmann, Felix von 127, 225, 367
200, 227 f., 353, 385, 393
Härtung, Franz Peter 83 f., 158
Hönningen 89
Hauer, Georg von 159
Horn, Carl Wilhelm von 103 f.
Hauffe, Friederike 272 f., 380
Horst, Georg Conrad 140, 146, 177
Hauser, Clara 216
Hövel, Friedrich August Freiherr von
Haw, Wilhelm Georg Nikolaus
149,
111 Hoyerswerda, Kreis 40
196, 221 Hawich, Christian 377
Hubertus, Schutzheiliger 226-228, 231
Heggels, Hermann Matthias 192 f.
Hufeland, Christoph Wilhelm
Heidenhain,
Rudolf
Peter
Heinrich
Humboldt, Alexander von 294
290 f.
Humboldt, Caroline von 262
Heiligenwald 112
Hunsrück 186, 215, 218-220, 392
Heiliger Vogt Siehe Sinzig Heia, Ostseehalbinsel 131 f., 215, 390, 399 Helff, Koblenzer Kranke 239 Helle Kehsel, Erkelenzer
Kreisphysi-
Hunt, William 91 Hupertz, Bonner Staatsanwalt 351 Hüsgen, Johann 121, 160, 194 f., 224, 228, 231 Hydesville/New York 295
ker 341 Heller, Verkäufer
256 f.,
260
195
Hymmen, Eberhard von 120
Hellwig, Albert 50-52, 55 f., 188 Hennes, Peter 224, 265
Ilmenau 144, 166
Henrichs, Johann Anton 339
Ingersleben, Karl Heinrich Ludwig Freiherr von 83-86, 118, 124, 126, 136, 140, 148, 151 f., 171, 173-176, 178, 206, 224, 227-229, 238, 385, 390, 393 Italien 188
Heppe, Adolf von 110,114 Heppe, Heinrich 79 Herbertz, Louis 105 Hergarten/Eifel
338
Hermann, Abt von Lehnin 150, 179183, 185, 187, 346 Hermanns, Johann Wilhelm 310 Heufei, Johannes 146 Hilgenfeld, Adolf 183 Hirsingen/Elsaß 215 Hittorf 386 Hobbé, Joseph 239 Hoensbroech, Paul Graf von 74 Hohenbrocka 40 Hohenlohe-Schillingsfürst, Alexander Fürst von 133, 135, 167, 236 f., 270, 286, 371, 373, 380 Holleuffer, Hans Dietrich von 292 Holzer, Karl Josef 119 32 Freytag
Itzenplitz, Ferdinand von 110 Iven, Johann Jacob 120 f., 341 f. Jacobi, Christine 382 f. Jacobi, Johann 382 Jäger, Grevenbroicher 241, 342 f.
Kreisphysiker
Jagow, Gustav Wilhelm von 184 Janssen, Johannes 79 Jena 72, 267 Jerusalem 178, 195 Jesaja 178 Jesse, Franz Joseph Anton 91 Jogand-Pagès, Gabriel Siehe Taxil, Leo
498
Personen- und Ortsregister
Juch, Karl 134 Jülich 248 Jülich, Dekanat 128, 192 Jülich,
Mucher
Bürgermeister
135,
351 f., 354 f., 357
- Polizeiverwaltung 357 Klopfgeist von Eckhausen Siehe Krütt, Johann Klöthner, Peter 239 Klug, Johann Christoph Friedrich
Kant, Immanuel 274
165 f., 257 Kluge, Karl Alexander Ferdinand 257 f., 279, 327 Kneip, Heinrich Wilhelm 123 Kniprath, Nicolaus 124 Knoerzer, Adam 336 Koblenz 30-32, 45, 48, 81, 83-85, 88-91, 99, 106, 109-111, 117, 136, 146, 148 f., 151, 157 f., 160, 179, 206, 211-213, 219 f., 224, 230, 234 f., 237-239, 259, 261, 265, 270, 310, 371, 377, 382 f. - Kirchen- und Schulkommission 374
Kardec, Allan 296
- Kreis 235, 237
Jülich-Kleve-Berg, Provinz 30, 83 Jung, Philipp 152 Jung-Stilling, Johann Heinrich 304
273 f.,
Junker, Jakob August 195 Kaatzer, Hermann 197 Kaldenkirchen 207, 279 Kalten-Engers bei Koblenz 239 Kaminski, Stanislaus 131, 215 Kamptz, Karl Christoph Albert von 45
Kell bei Trier 369
- Landeshauptarchiv 231
Kempf, Berliner Justizrat 257, 325
- Medizinalkollegium 44, 204 f., 211, 214, 219, 227, 229, 235-237, 240, 246
Kendenich 198 Kerner, Justinus 266, 272 f., 275, 304 Kessel, Erkelenzer Kreisphysiker 241 Ketteier, Wilhelm Emmanuel Freiherr von 107 Kevelaer
92, 95, 101, 104, 109, 114,
170, 353, 372 f., 401 Kickertz, Nikolaus 124 f., 344-350 Kieser, Dietrich Georg 267, 270 Kirch, Johann 250 Kirchgässer, Arzt 213 Kirchner, Friedrich 300 Kirchweiler 88 Kittsteiner, Heinz Dieter 388 Klatte, Gendarm 182 Klebsch, Charité-Chirurg 332 Klein, Dr., Andernach 239 Klein, Johann Peter 81, 374 Klein, Remagener Polizeidiener 126 Kleist-Retzow, Hans Hugo von
182, 221 Klessen, Gerhard 130 Kleve 83, 92, 159, 358, 360
99,
- Oberpräsidium 157, 159, 172, 174, 183, 186, 196, 198, 204, 221, 248, 400 - Oberverwaltungsgericht
357, 360
- Polizeidirektion 383 - Regierung 38 f., 126, 130, 136, 157 f., 169, 173 f., 176 f., 204 f., 211 f., 219 f., 222, 224, 235-237, 240, 242 f., 259 f., 276, 278 f., 310, 359, 373 f., 377 - Regierungsbezirk 150, 206, 292 Köhn, Carl 263 Koller, Ernst Matthias von 292 Köln 39, 43, 45, 58, 61, 69, 76, 82, 84-87, 90, 93, 100 f., 107, 117-119, 122, 128, 135 f., 144, 150 f., 160 f., 171 f., 174, 188, 193-197, 200, 210, 212, 214, 221, 224, 228, 236, 250, 292, 309 f., 334, 336, 354, 369, 391 f. - Bistumsarchiv 32, 171 - E r z b i s t u m 58 f., 88, 93, 107, 118, 123, 127, 138, 199, 231 f., 369
Personen- und Ortsregister - Generalvikariat 58, 114, 116-118, 120 f., 123, 127, 169, 172, 192-200, 228-231, 233, 334, 337, 339, 351, 354, 356, 367, 369 f., 376, 385 - Kloster der heiligen Maria 233, 370 - Kurfürstentum
81
- Landgericht 123
Kühlwetter, Friedrich Christian Hubert von 104 Kuhrische Nehrung 264 Küth, Oberlahrer Pfarrer 38
Labouvie, Eva 359
- Offizialat 58 167,
174,
- Regierungsbezirk 88, 158, 292 - Stadtbibliothek 301, 312 Köln-Ehrenfeld
Krütt, Johann 135, 351-354, 356 f.
La Salette 109
- Medizinalkollegium 261 -Regierung 44, 136 f., 184 f., 225, 294, 310
499
197
Ladenburg, Adalbert von 152 Lampen, Mündter Pfarrer
192
Landkern 89 Landsberg, Ernst 46 Lange, Wilhelmine 263 f. Lank 374
Köln-Kalk 354
- Bürgermeisteramt
Konfeld 193
374
Lansberg, Düsseldorfer 369
- Pfarrei 388 König, Anton 369 f.
Seminarpräses
Lateau, Louise 284, 350
Königsberg 103, 132, 178
Laun, Friedrich 304
- Konsistorium 126
Laur
Konkel, Johann 131 Koreff, David Ferdinand 256, 258 f. Korff, Gottfried 129 Körper, Jannes-Pitter Siehe Ehrenberg, Johann Peter Knopp von Korum, Michael Felix 110, 112 f., 244 Kotzebue, August Friedrich Ferdinand von 157
von
Freiherr
Münchhofen,
Maximilian
111 f.
Lechenich, Dekanat 310 - Kreis 391 Lefranc, Johann Franz 376 Lehfeldt, Karl 275 Lehmann, Alfred 76 Lehmann, Torgauer Militärarzt
324 f.,
327, 333
Krafft, Georg 178
Lehnin Siehe Hermann, Abt von Lehnin
Kramer, Philipp 294 f.
Leidgens, Friedrich Matthias 123
Krassenberg, Dekanat 192
Leipzig 165, 170, 293, 328
Krauss,
Düsseldorfer
Medizinalrat
229 f. Krefeld
Leiwen 94 Lennarz, Johann Heinrich 118, 333
170, 229 f., 376
Leo XIII. 73, 123
- Dekanat 89
Leonegg, Autor 160
- Kreis 374
Lepenies, Wolf 384
Kreid, Gebertshainer Lehrer 146
Leuffen, Johann Heinrich 192 f., 339
Krementz, Philippus 119
Licht, Peter Alois 94 f.
Kreuznach, Bad 152, 184, 242 f.
Lichter, Philipp 95
- Kreis 207
Liegnitz 153
Krumscheid, Aloys 185 f.
- Regierung 40, 311
Kruse, Francis 358 f.
U l i , Rudolf 80
Kruse, Johann 133
Link, Heinrich Friedrich 257
32*
Personen- und Ortsregister
500
- Regierung 168
Linn 374 - Bürgermeisteramt
- Regierungsbezirk 263
374
Linse, Ulrich 297 f.
Mark, Grafschaft
Linz 185
Marlow, James Siehe Meerscheidt-Hüllessem, Leopold Friedrich Wilhelm Freiherr von Marpingen 105 f., 109, 124, 137, 225,
- Kirchspielwald 185 Lippe/Westfalen 390 Lippold, Friedrich 198 f.
185
344-347, 349 f., 371-373, 402
Lisdorf 91, 99
Martin, Franz Joseph 44, 215-217
Liszt, Franz von 53 Loë, Eugen Freiherr von
351 f., 354,
357
Martin, Joseph 377-379 Martins, Berliner Arzt 280 Marx, Jakob 94 f.
Loehten, Heinrich 374
Masuren 227
Lohr, Gereon Joseph 118
Maurer, Carl 184
Lohr,
Mayen 83, 89, 106, 108, 158
Siegburger
Anstaltsseelsorger
224
Meder, Ehrenbreitsteiner Kranke 240
Lombroso, Cesare 49
Meerscheidt-Hüllessem, Leopold Fried-
Lorenzi, Philipp de 113 Lourdes
rich Wilhelm Freiherr von 106, 225
109,114,286,401
Melchers, Paulus 107, 198
Lowing, Karl 119
Melsbach, Konrad 230
Lüdemann, Georg Wilhelm von 149
Menocchio 26
Ludwig,
Merrem, Karl Theodor 236 f.
Euskirchener
Kreisphysiker
Merseburg 325, 329
250 Lüttgeneder/Westfalen
- Regierung 331
118
Lütz, Catharina 240
Merzbach 136 f., 225
Lutzerath/Mosel 243, 365
Merzig 150
Luxemburg 107, 214
Mesmer, Franz Anton 253-256, 274276, 283, 285, 311 Mettenbuch 346 Metternich bei Koblenz 239 Mettmann 119 Metz 198 Meyer, Mindener Medizinalrat 232 Michel, Martin 135, 236 f., 371 Mies, Ferdinand 239 Milz, Neuendorfer Kranker 240 Minden 232
Lyon 152 Maasen, Johann 339 Machey, Bopparder Arzt 214 Machner, Sophie 239 Mainz 107 Malinowski, Bronislaw 20 Malmedy 225, 231 f., 244 - Kreis 244 Manderscheid 214 Manetho, G. Siehe Geßmann, Gustav W. Maria H i l f Kapelle bei Koblenz 375 Marialinden 120, 354 Marienwerder 264 - Landratsamt 263
235,
Mohr, Heinrich 118, 121 f., 127 f., 161, 238, 240-242, 333-343, 371, 373, 375, 380 Moll, Albert 283 f., 302, 307 Möllenhoff, Carl 293 Montjoie 169 Mosel, Christian Friedrich von der 159
Personen- und Ortsregister Möttlingen/Württemberg 388
Neurath 118, 241, 333-335, 338 f., 342, 375
Much 135 Mühlheim 367
Neuss 92, 117, 192, 195 f., 228, 339, 386
- Dekanat 120
- Dekanat 193, 334
Müller, Carl Friedrich Wilhelm 301 f., 314
Neuwied 152 Neviges 121
Müller, Egbert 302
New York, Staat 295
Muchembled, Robert 25
Müller, Johann Adam 177 f.
Nicolin, Anna Sibilla 310
Müller, Johann Philipp 378 f.
Niederehe, Hermann 239
Müller, Marlene 198
Niederembt
118, 121, 241, 333-335,
338-340, 342
Müller, Peter 345 f., 348 f. Müller, Regina 346, 348 f.
- Pfarrarchiv
Müller, Trierer Polizeikommissar
Niederemmel 196
149,
216, 377-379 München 69, 299 - Bayerische Akademie der Wissenschaften 255, 268
Niederlande 84 Niedermelsungen/Hessen 381 Niederrhein, Provinz
30, 32, 83, 130,
135 f., 167 Niemann,
- Staatsbibliothek 73, 188
122
Merseburger
Münster 130, 151, 195
Nipperdey, Thomas 317
- Bistum 232
Nippold, Friedrich 72
- Generalvikariat
Medizinalrat
325, 329
Mündt 192
Niquet, Johann Heinrich 228
130, 197
- Regierung 133 f.
Normand, Marie-Anne Le 155, 179
Mürckens, Johann Theodor 122, 341
Nottebaum, Karl Hermann 197 Nußbaum, Arthur 55 f.
Nancy 282
Nußbaum, Johann Adam 96 f.
Napoleon I. 41, 135, 139, 178, 180, 187 f., 238
Oberbach, Burg 356
Napoleon III. 187 f. Nasse, Berthold Johannes von
110,
114, 294
Nees von Esenbeck, Christian Gottfried Daniel 259
Neukirch 263 Neukirchen 120 Neumann, Karl Georg 257
197
Oligschläger, Anton 374 f. Ombert, Ackerer 88 Oschwald, Ambrosius 234, 299, 310
Neresheim, Oberamt 178
Neuhütten 151
Oberwesel 237, 249 f. Oepe, Pfarrverwalter
Natge, Hans 301
Neuendorf bei Koblenz 239 f.
Obersülze bei Lindlar 127, 367 Obry, Joseph Adolf 121, 340 f.
Nasse, Christian Friedrich 259
Neß, Merzbacher Bürgermeister
Oberlahr 38 f.
137
Osnabrück 107 Osterath, Pfarrei 229 Österreich 255, 260, 289 Ostlender, Johann Hubert 197 Ostpreußen, Provinz 103, 132 Otten, Johann Wilhelm 119
502
Personen- und Ortsregister
Ottweiler 91, 96, 99 f., 111 f., 186, 247, 311, 359 - Kirchenrat
100
Preußen, Provinz
103,227
Prieger, Bad Kreuznacher 242 f.
- Kreis 124, 344
Prinz, Gotthard 104 f.
- Landratsamt 187
Pronsfeld 198
Overath 352
Prüm
Sanitätsrat
110,390
Püllen, Gertrud 118 f. Paderborn 69
Puls, Hugo 301
-Bistum
Pustkuchen, Geistlicher 178
118
- Domkapitel 233, 369 Pahlmann, Berliner Arzt 249, 381
Puységur,
Amand-Marie-Jacques
de
Chastenet Marquis de 255
Palm, Stargader Landrat 264 Paris 135
Quadrath 339
- Salpêtrière 282 f.
Quos, Jacob 195
Pasteur, Louis 226, 232 Paté, Maria Anna 239
Raach, Nikolaus 221
Pauli, Ludwig 212
Radkau, Joachim 287
Pellingen 193, 389 Pestel, Philipp von
Raffel, Wilhelm 182 148, 159, 174,
Randerath 228 Raumer, Karl Georg von 165
179, 230, 232 Petersburg 300
Rautenstrauch, Johann Wilhelm 378 f.
Peuckert, Will-Erich 141 f.
Rautenstrauch, Sophie 378
Pfleiderer, Otto 72
Recht 244
Pflüger, Georg Heinrich 39 f., 381 f.
Reckershausen 234
Philippi, Berliner Arzt 249, 381
Redemptoristen 192
Philipps, Friedrich Christian 120
Rees 84
Pies, Distriktsarzt 220
Rehfues, Philipp Joseph von
Pies, Familie 218-220
134 f.,
158 f., 385
Pies, Franz 218 f.
Reichel, Hans 52
Pies, Johannes 218 f.
Reichenbach, Karl Freiherr von 295
Piesport 95
Reichert, Joseph 235-237, 375, 386
Pius IX. 68
Reiff, Koblenzer Buchhandlung 179
Polch 106
Reiffenberg, Anna Maria 240
Polen 170
Reinarz, Johann Heinrich Gottfried 229
Pommer Esche, Adolph von 184 f.
Remagen 126, 132, 230, 390
Pommern 314
Rembold, Johann Bernhard 185
Ponsrath 192
Repelen 222 f. Resau 300-303, 314, 352 f., 356, 375, 395
Posen 169 - Provinz
103, 170
- Regierung 169
Reusch, Franz Heinrich 72
Potsdam, Regierung 249, 381
Reverchon, Trierer Bankierswitwe 379
- Strafkammer
Rhein 45, 97, 134, 219, 336, 375
301
Prel, Carl du 306
Rhein-Mosel-Departement
206
Personen- und Ortsregister Saarbrücken
100,111,350
Rheinbaben, Georg Kreuzwendedich Freiherr von 223, 294, 359-361, 377
- Landgericht 344-346, 348-350
Rheinbach 225
Saarland 110 f., 250, 349, 371
- Kreis 184, 225
Saarlouis 91, 186
Rheinpfalz
125
Saatzig, Kreis 264
Rheinprovinz, Konsistorium 121, 223 Rhonig, Witwe 185 Ricci, Jesuit
Koblenzer
- Provinz 35, 331
Armenarzt
224,
265 Riehl, Wilhelm Heinrich 75, 141, 181, 395 Riemann, Otto 312
Saint=Germain, Graf von 305 Sandt, Karl von 185 Sartorius, Arzt 342 Sassen, Familie 229 Sauer, Heinrich 239 Sayn-Wittgenstein,
Ritter, Johann Wilhelm 329
Georg Fürst zu
Rochow, Familie 300 Rochow, Gustav Adolf Rochus von 91, 131, 153, 159, 170, 218 Rochow, Wilhelm 127, 367
Wilhelm
Schack, Wilhelm von 327 Schäfer Thomas 144 f., 150, 155 Schaffrath, Bedburger Arzt 242 Schaper, Justus Eduard Wilhelm von
Roeseier, Johanna 332
92, 149-151, 162, 215, 218, 377 f.
Rohr, Fritz 189
Schauf, Johann 240
107,251
Rom, Kongregation der heiligen römischen und allgemeinen
Inquisition
308 f., 311
Scheible, Johann 142 Schenda, Rudolf
151,244
Scheuffgen, Franz Jakob 113 Schieder, Wolfgang 80
Ronge, Johannes 95 f., 112
Schiefen 213
Roppertz, Peter Joseph 197
Schiefen, Philipp 213
Rostock 299
Schieffbahn 230
Rotberg, von, Major 40 Rothe, Anna Auguste 297, 305, 312
Schinkenberg, Mathias 168
Rothenberger, Simmerner
Schlesien, Provinz 103, 168
Kreisphysi-
Schlink, Hubert 239
ker 234 f. Rott 123
Schmidt, Barbara 359
Rouprez, Malmedyer Augenarzt 244
Schmidt, Christian Ludwig 220
Rudolphi, Karl Asmund 257 f.
Schmidt, Jacob 120
Ruhrdepartement 390
Schmitz, Anna Maria 239
Rumschöttel, Karl Hermann 137
Schmitz, Clementinus 121
Rußland 238
Schmitz, Hubert 88
Rust, Johann Nepomuk 324, 327, 331 Ruwer 105
Ludwig
178
Schalkenbach, Nikolaus 379
Rockeskyll 88
Rom
Sabell, Eduard Wilhelm 180, 183 Sachsen, Königreich 260, 297
146,177
Richet, Charles 282 Richter,
Saardepartement 219
210, 257 f.,
Schmitz, Johann Hubert 101 Schmitz, Kreisphysiker 215 Schmitz, Walther Joseph 221
504
Personen- und Ortsregister
Schmitz-Grollenburg, Franz Ignatz Freiherr von 218 f.
Edmund
Schnabel, Franz 62 Schnarks Joseph Siehe Reichert, Joseph Schneider, Ferdinand 260 Schneider, Goswin 126 Schneider, Theodor 377 Schön, Theodor 132 Schönberger, Karl Julius 243, 366 Schönhof, Renate 264 Schorb, Margaretha 239 Schorlemer-Lieser,
Clemens
August
Freiherr von 111 f. Schrammen, Wilhelm Arnold 123, 192 Schreiner, Düsseldorfer Buchhandlung 167 Schreiner, Ludwig Joseph 97 Schrenck-Notzing, Albert Freiherr von 303, 306 Schrepfer, Johann Georg 305 Schubert, Gotthilf Heinrich 166, 272 Schuckmann, Kaspar Friedrich Freiherr von
83, 165, 169, 173, 175, 259-
261, 265 Schüller, Keller Pfarrer 369 Schulten, Anna 357-361 Schümmer, Gerhard Hubertus 198 Schützendorf, Franz Anton 89 Schwaab, Franz Xaver 112 Schwan,
Eppelborner
Bürgermeister
349 Schweden 274 Schweich 105 Schweitzer, Berliner Arzt 280 Schweitzer, Dompropst Köln 158 Sebastiani, Matthias 126 Séché, Kölner Buchdrucker
197
Sedan 189 Seelscheid 351 Seherin von Prevorst
Siehe Hauffe,
Friederike Selasinsky, Friedrich von 186 Sener, Margarete 339
Settegast, Joseph Maria 235-237, 259 f., 265, 270, 276, 278 f., 310, 375, 386 Shorter, Edward 287 Sieben, Maria 198 f. Siebold, Peter 195 Siegburg 135,223,225 - Anstalt 120 Siegert, Reinhart 175 Siegkreis 184,213,351 Simar, Hubert Theophil 309
69,
144 f.,
Simmern 174, 220 - Kreis 220 f., 234 Sinzig 126, 134 f., 385 Slade, Henry 305 Smets, Pfarrer und Zensor 158 Sobernheim, Bürgermeisterei 207 Soldan, Wilhelm 79 Solingen 159, 245, 278, 293 Solms-Laubach, Friedrich Ludwig Graf zu 82 f., 151, 177, 237, 391 Spangenberg, Eduard Otto 105 Spaniol, Eppelborner Wirt 345, 350 Speicher 344 Sperber, Jonathan 375 Speyer 101, 144 Spiegel, Ferdinand August Graf 39, 83-85, 87, 136, 171, 194, 200, 228 f. Spiel- oder Lügenbähn Siehe Rembold, Johann Bernhard Spiritus, Johann Wilhelm 245, 278 Sponheim 110 Sprenger, Johann Peter 182 St. Hubert/Ardennen 226-228, 385 St. Katharinen, Berlin 191 St. Martin, Köln 195 St. Matthias, Trier 87 St. Thomas, Emeritenhaus 345, 347 St. Ursula, Köln 367 St. Vith, Dekanat 347 St. Wendel 134, 375 Stachelroth, Ottweiler Kreisphysiker 247
Personen- und Ortsregister Stade, Regierung 294
- Diözese 346
Stargad 264
-Domkapitel
Staub, Hermann 114
- Emeritenhaus 105
Stelckens, Johann Andreas 228 Sterne, Carus 303
- Generalvikariat 89, 94, 97, 192, 311, 347, 385
119 101,
Stettin 153
- Kurfürstentum 81, 336
- Regierung 264
- Landarmenhaus 91
Stockart, Nicolaus 117
- Landgericht 217
Stoecker, Adolf 312 f.
- Landkreis 151
Strack, Hermann Lebrecht 56
- Polizeidirektion 187, 216
Straßburg 69,255,309
- Priesterseminar 95, 107, 115
Stratford/Connecticut
- Regierung 44, 88, 90 f., 99 f., 105, 108, 110 f., 149, 182, 186 f., 204, 211 f., 215-218, 221, 373, 379, 390
295
Stubenvoll, Franz Beda 73 Stüsen, Frau von 378 Stüttgen, Joseph 382
- Regierungsbezirk 249 f., 292
Stutthof 264
- Sanitätskommission 227
Stuttgart 142
106,
150,
206,
- Stadtbibliothek 140 Swedenborg, Emanuel 274, 304
- Strafanstalt 91 Troyes 143
Taxil, Leo 73 f. Theisen, Lutzerather 243, 365 f.
Bürgermeister
Thomas, Adam 226, 347 Thomas, Keith 402
Uerdingen 105 Ulrich, August Leopold 237 f., 261 f. Unbehaun, Johann Salomon 152
Thompson, Edward P. 27
Unterwittighausen/Baden 236
Thorney, Obermedizinalrat 214
Urmetzer, Nicolaus 240
Thüringen 297
USA 296,305
Tils, Kölner Pfarrer 367 Tobias, Trierer Medizinalrat 216 f. Torgau 324 f., 329 Tormin, Ludwig 293-295 Treitschke, Heinrich von 36, 74 Trient 94 Trier 44, 61, 67, 80, 83-85, 87-89, 91-94, 96 f., 105-107, 110-114, 125, 129 f., 137, 149, 152, 160, 180, 187, 196, 198, 214-217, 219, 221, 225, 242-245, 343-345, 348, 350, 372 f., 377 f., 392, 401 - Bibliothek des Priesterseminars 349 - Bistum 87, 95, 101, 107, 125, 193, 232, 388, 393 - Bistumsarchiv 32, 124 - Casino 378
Vallader, Erkelenzer Kreisphysiker 247 Vallendar 96 f., 235, 375, 386 Vaughan, Diana 73 Velbert 278 Velten, Anton 224 f., 245 Vicari, Hermann von 310 Viebig, Clara 353 Vigano, Düsseldorfer Magnetopath 293 Virchow, Rudolf 103, 234, 283 Vollmer, Carl Gottfried Wilhelm 303 Vollmer, Erkelenzer Kreisphysiker 248 Vorst-Gudenau, Richard Freiherr 241, 335, 338 f., 341 f. Vossen, Peter Joseph 88 f.
von
506
Personen- und Ortsregister
Wagner, Anna Josephina 242 f., 365
Wilczewski, Marienwerder Kreisphysiker 263 f.
Wagner, Maria Elisabetha 234 Waldbröl 184
Wilhelm II. 312
Waldorf, Medizinalrat 32, 205 f.
Wilken, Friedrich 181
Walldorf bei Bonn 120
Willems, Christoph 114
Wallersheim 85
Windeck, Johann Joseph 126
Wallscheid, Laienheiler 214
Windischmann, Karl Joseph Hieronymus 259
Walter, Franz Xaver 69, 309
Wirth, Apollonia 239
Washington 187 Weber, Max
Wecus, Pfarrer Wegeier,
Wirth, Maria 239
15 f., 176, 318
Wirtz, Wilhelm Josef 339
183 f., 187
Franz
Gerhard
158,
235,
238, 245
Wittlich, Kreis 214 f. Wittmann, Reinhard 155
Wegeier, Julius 245
Wolfart, Karl Christian
Wehler, Hans-Ulrich 396 Wehren, Dahlener Druckerverleger 198 Weichs, Joseph Freiherr von 391 Weiler 89
165 f., 255 f.,
258, 262, 276, 280, 331 Wolff, Arthur von 106, 137, 225, 350 Wolff, Eberhard 248,330 Wolff, Otto 182
Weiler, Joseph 339
Wolframm, Johannes 165
Wellerscheid 354
Wöllner, Johann Christoph von 156
Welter, Jacob 168
Wolter, Karl 301 f., 375, 395
Wemdingen, Bayern 122
Worringen 386
Wenner, Borkener Autor 181
Wülffing, Franz 184
Wenz, Georg 382 f.
Wundt, Wilhelm 76
Wenzeslaus, Clemens 391 Werder, Schöffengericht
Württemberg
301
Wesermann, Heinrich Moritz 267, 278 Westfalen, Provinz
Wittlaer 367
35, 39, 85, 92,
103 f., 133, 178, 188 Westphalen, Ferdinand Otto Wilhelm von 264
151 f., 165, 178, 217,
224, 273 Würzburg
133,236
Wuttke, Karl Friedrich Adolf
69, 76,
144 f., 372 Wylich und Lottum, Karl
Friedrich
Heinrich Graf von 132
Westpreußen, Provinz 132
Wynands, Johann Josef 367
Wetzlar 40
Wyott, Wilhelm 137
Weyl, Wilhelm 100 Weynen, Aachener Tierarzt 231 Wichterich, Bürgermeisterei
Xanten 56
391
Wiebel, Johann Wilhelm 258, 324
Zell/Mosel 97
Wied und Runckel, Fürst zu 39
- Kreis 385
Wieler, Distriktsarzt 243
Zender, Matthias 347
Wiesbaden 294
Zilt, Bernhard 239
Wiesemer, Kreisphysiker 225 f., 293
Zöllner, Johann Karl Friedrich 305 f.
Wiethaus, Julius 186
Zons 117 f., 124, 386