50 Jahre Seelsorgevereinbarung in Bundesgrenzschutz und Bundespolizei: Religiöses Bekenntnis im neutralen Staat 9783666570445, 9783525570449


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50 Jahre Seelsorgevereinbarung in Bundesgrenzschutz und Bundespolizei: Religiöses Bekenntnis im neutralen Staat
 9783666570445, 9783525570449

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Helmut Blanke / Hans-Jochen Jaschke / Karl-Hinrich Manzke / Jordanus von Sachsen Brand (Hg.)

50 Jahre Seelsorgevereinbarung in Bundesgrenzschutz und Bundespolizei Religiöses Bekenntnis im neutralen Staat

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit einer Abbildung Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-57044-5 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Dieses Werk ist als Open-Access-Publikation im Sinne der Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND International 4.0 („Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitung“) unter dem DOI 10.13109/9783666570445 abzurufen. Um eine Kopie dieser Lizenz zu sehen, besuchen Sie http://creativecommons.org/licences/by-nc-nd/4.0/. Jede Verwertung in anderen als durch diese Lizenz zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: Konrad Triltsch, Ochsenfurt

Inhalt

Grußwort des Bundesministers des Innern

. . . . . . . . . . . . . . . . .

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Grußwort des Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums . . . . . . . . . .

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Grußwort der Beauftragten für die Seelsorge in der Bundespolizei

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Patricia M. Schütte-Bestek Wandel des Bundesgrenzschutzes zur Bundespolizei – Eine Bilanz zu mehr als 60 Jahren Organisationsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . .

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Klaus Papenfuß Spurensuche mit Zeitzeugen. Die Seelsorge im Bundesgrenzschutz, mit und ohne Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

Christian Waldhoff Die rechtlichen Grundlagen der Seelsorge in der Bundespolizei . . . . . .

43

Markus Heintzen Die Vereinbarungen über die Seelsorge in der Bundespolizei in staatsrechtlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Matthias Pulte Seelsorge in der Bundespolizei – Anmerkungen aus der Perspektive des katholischen Kirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ansgar Hense Religion im öffentlichen Raum. Einige nicht nur rechtsgrundsätzliche Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6

Inhalt

Ralf Röger Aktuelle staatskirchenrechtliche Problemfelder der Vereinbarungen über die Seelsorge in der Bundespolizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Reiner Anselm Seelsorge und Polizei: Von der staatlichen Sittenaufsicht zum Dienst am Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Johanna Rahner Polizeiseelsorge als ‚Ernstfall‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Richard Hartmann Eine pastoraltheologische Verortung der Seelsorge in der Bundespolizei . 151 Franz Josef Jung Seelsorge bei der Bundespolizei als Ausdruck staatlich garantierter Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Thomas Oppermann Kirche und Staat im gesellschaftlichen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . 171 Volker Beck Seelsorge in der Bundespolizei im Spannungsfeld von Religionsfreiheit und religiöser Pluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Gregor Gysi Zwischen Laizismus und religiösem Staat – Über die Notwendigkeit der Seelsorge in der Bundespolizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Thomas Osterroth Die Vereinbarung über die evangelische Seelsorge aus Sicht der Bundespolizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Hinnerk Wißmann Kooperation im öffentlichen Raum – Staat und Kirche im Religionsverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . 197 Vereinbarung über die katholische Seelsorge im Bundesgrenzschutz – Bek. d. BMI v. 18.10.1965 – VI B 8 – 651 005 – (Gemeinsames Ministerialblatt – Seite 377) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

Inhalt

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Vereinbarung über die evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz Bekanntmachung des Bundesinnenministers vom 18. Oktober 1965 (Gemeinsames Ministerialblatt S. 374 – i. d. F. der Änderung durch Schriftwechsel vom 1. 7. 1968/8. 5. 1969) Vom 12. August 1965 . . . . . . . 217 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Grußwort des Bundesministers des Innern

Mit den Vereinbarungen über die evangelische und katholische Seelsorge vom 12. August 1965 wurde der Grundstein für die seelsorgerliche Betreuung der Polizeivollzugsbeamten im damaligen Bundesgrenzschutz gelegt. Die Vereinbarungen regeln die Seelsorge in der Bundespolizei als Teil der kirchlichen Arbeit, die im Auftrag der Kirche von Polizeiseelsorgerinnen und Polizeiseelsorgern ausgeübt wird. Die evangelische und katholische Seelsorge in der Bundespolizei können für sich in Anspruch nehmen, die Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes bzw. der Bundespolizei seit nunmehr 50 Jahren seelsorgerlich begleitet zu haben. Bundespolizisten riskieren bei ihrer Berufsausübung oftmals ihr Leben für unser aller Sicherheit. Zunehmende körperliche Gewalt gegen Polizisten bei Einsätzen, der dienstliche Umgang mit der steigenden Terrorgefahr, Auslandseinsätze in Krisengebieten wie zum Beispiel in Afghanistan und oftmals auch die Trennung von der Familie führen häufig zu besonderen physischen und psychischen Belastungen. Die evangelische und katholische Seelsorge in der Bundespolizei nehmen den Auftrag, Bundespolizisten Halt und Trost anzubieten, ernst und ermöglichen für diese Situationen eine seelsorgerliche Betreuung in Einzelgesprächen ebenso wie in Nachbereitungsseminaren, etwa für Rückkehrer aus Auslandseinsätzen. Im berufsethischen Unterricht und Seminaren werden aktuelle ethische Fragestellungen des Polizeiberufes und -dienstes behandelt. Mit Kompetenz und Einfühlungsvermögen betreuen sie ebenfalls die Familien unserer Polizisten in besonderen Lebenslagen, sei es bei Auslandseinsätzen oder bei schweren Schicksalsschlägen in der Familie. Die Betreuung der Polizeivollzugsbeamten haben die Seelsorgerinnen und Seelsorger beider Konfessionen in den vergangenen 50 Jahren engagiert und verantwortungsvoll wahrgenommen. Sie sind es, die zuhören, den Polizisten als Beraterinnen und Berater, aber auch den Familien zur Seite stehen. Ihre Arbeit genießt deshalb zu Recht ein hohes Ansehen in der Bundespolizei.

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Grußwort des Bundesministers des Innern

Die vergangenen 50 Jahre Seelsorge in der Bundespolizei sind eine Erfolgsgeschichte: Beide Kirchen haben die Zeichen der Zeit verstanden. Der evangelischen und der katholischen Kirche ist es gelungen, sich immer wieder auf neue Herausforderungen einzustellen und dabei den Polizisten in der neuen Lebenssituation beratend und unterstützend zur Seite zu stehen. Ich darf an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der evangelischen und katholischen Seelsorge zu danken. Für Ihre verdienstvolle Arbeit zum Wohle unserer Bundespolizisten und deren Familien wünsche ich Ihnen weiterhin eine glückliche Hand und Gottes Segen.

Dr. Thomas de Maizière, MdB

Bundesminister des Innern

Grußwort des Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums

Liebe Leserinnen und Leser, im Herbst dieses Jahres können die Bundespolizei und die Kirchen gemeinsam auf ein halbes Jahrhundert der evangelischen und katholischen Seelsorge in dieser für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland so wichtigen Institution zurückblicken. Vieles hat sich in diesem Zeitraum verändert. Der Bundesgrenzschutz, ein Resultat der unmittelbaren Nachkriegszeit und der deutschen Teilung, hat sich nach der Wiedervereinigung zur Bundespolizei weiterentwickelt. Mit ihren über 40.000 Beschäftigten ist sie heute ein unverzichtbarer Baustein und das Rückgrat in der deutschen Sicherheitsstruktur, 365 Tage im Jahr. Nicht nur der Name und der Personalumfang haben sich geändert, sondern auch Erscheinungsbild und Aufgaben. Während der Bundesgrenzschutz noch eine überwiegend in Verbänden strukturierte Polizeitruppe war, deren Polizisten im Spannungs- und Verteidigungsfall als Teil der bewaffneten Macht Kombattantenstatus hatten, ist die heutige Bundespolizei überwiegend einzeldienstlich strukturiert. Die Bundespolizei nimmt insbesondere Aufgaben des Grenzschutzes, der Bahnpolizei und der Luftsicherheit wahr, ist auf See und in der Strafverfolgung tätig, ebenso in der Luftrettung. Hinzu kommen vielfältige Unterstützungsaufgaben für verschiedene Bundesorgane und die Bundesländer. Auch im Ausland ist die Bundespolizei zwischenzeitlich sehr stark vertreten. Gleich, ob im Bundesgrenzschutz oder in der Bundespolizei, die Angehörigen sind in ihrem täglichen Dienst und insbesondere in Einsätzen bisweilen Belastungen ausgesetzt, mit denen man sie nicht alleine lassen darf. Hier boten sich vor 50 Jahren die beiden großen Kirchen an, seelsorgerisch für die „Grenzschützer“ da zu sein und daran hat sich bis in die Gegenwart nichts geändert.

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Grußwort des Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums

– Gott sei Dank – Heute sind 22 hauptamtliche und neun nebenamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger der evangelischen und katholischen Kirche in der Bundespolizei tätig, denn angesichts neuer und schwieriger Aufgaben in einer sich immer rascher verändernden Welt ist das Angebot einer seelsorgerischen Begleitung der Beschäftigten und ihrer Angehörigen gefragter denn je. Die kirchliche Seelsorge in der Bundespolizei kann dort helfen, wo Vorgesetzte und Kollegen mit ihren Möglichkeiten an Grenzen stoßen oder diese Hilfe selbst beanspruchen. Das gilt insbesondere für die seelsorgerische Begleitung, die Einsatzbetreuung und -nachsorge sowie die Beratung in Krisenzeiten. Ergänzt wird dieses Angebot durch berufsethische Lehrgänge, Wallfahrten und Gottesdienste, welche den Beschäftigten und deren Familienangehörigen Gelegenheit geben, die für den Berufsalltag und belastende Einsätze notwendige Kraft zu tanken oder nach Einsatzende wieder zur Ruhe zu kommen. Denn eines ist unbestritten: Trotz aller politischen Veränderungen, Modernisierungsschübe und technischer Fortschritte sind und bleiben es die Menschen in der Bundespolizei, welche diese Organisation und ihren Charakter ausmachen. Ihnen gilt unser aller Aufmerksamkeit. Die kirchliche Seelsorge gewährt den Menschen diese Aufmerksamkeit seit nunmehr 50 Jahren und dafür sind wir dankbar.

Dr. Dieter Romann

Präsident des Bundespolizeipräsidiums

Grußwort der Beauftragten für die Seelsorge in der Bundespolizei

Im Jahre 2015 können wir dankbar auf eine 50jährige Geschichte der Vereinbarungen zwischen dem Bundesministerium des Inneren und den beiden großen Kirchen über die Seelsorge im Bundesgrenzschutz und dann in der Bundespolizei zurückschauen. Wenn wir auf diese Jahre und die Erfahrungen mit den Vereinbarungen blicken, bewegt uns vor allem die Arbeit der Frauen und Männer in der Bundespolizei. Wer aufmerksam in die Vereinbarungen von 1965 hineinschaut, merkt schon in den Bezeichnungen, aber auch in der Beschreibung und auch der Diktion der Texte, die Unterschiede zwischen einst und heute. Aus dem Bundesgrenzschutz ist nach der glücklichen Wiedervereinigung des geteilten Deutschland 2005 die Bundespolizei geworden. Wir begehen unser Jubiläum mit der Festschrift und mit einem feierlichen Gottesdienst. Wir kommen zu einem Festakt und einem großen Empfang mit vielen Gästen und Angehörigen der Bundespolizei zusammen. Eines liegt uns von Seiten der Seelsorge besonders am Herzen: Wir würdigen die Arbeit der Frauen und Männer in der Bundespolizei, die in entscheidenden Brennpunkten unserer Gesellschaft tätig sind. Ihr Dienst steht uns in vielen Bereichen vor Augen. Ohne die Polizistinnen und Polizisten in der besonderen Aufgabenstellung unserer Bundespolizei wäre eine verlässliche und humane Aufnahme von Flüchtlingen, die in unser Land kommen und hier Zuflucht suchen, nicht denkbar. Ohne die Frauen und Männer in der Bundespolizei würden an Bahngleisen verunglückte Menschen und ihre Angehörigen keine zuverlässige Betreuung erfahren. Ohne den Dienst von Polizistinnen und Polizisten in der Bundespolizei wäre der Fußball von der Bundesliga bis zur Regionalliga nicht denkbar. Ohne den Einsatz der Frauen und Männer in der Bundespolizei gäbe es keinen verlässlichen Schutz vor Gewalt, die sich unberechenbar austoben will. Einst wurden die Vereinbarungen getroffen, um den Kirchen „die Ausübung ihrer Seelsorge im Bundesgrenzschutz“ zu ermöglichen und die berufliche Bildung der Frauen und Männer im Bundesgrenzschutz zu begleiten. Inzwischen sind die Aufgaben vielfältiger und anspruchsvoller geworden, weil sich auch die gesellschaftlichen Bedingungen verändert haben. Die Beanspruchungen der Polizei an Brennpunkten

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Grußwort der Beauftragten für die Seelsorge in der Bundespolizei

unseres Zusammenlebens, das sich technisch, medial und organisatorisch stark differenziert hat, haben sich rasant entwickelt. So bleibt die begleitende Seelsorge in der Bundespolizei von der Grunderfahrung bestimmt, dass unsere Demokratie und das Zusammenleben über Grenzen von Konfessionen und Weltanschauungen hinweg ohne den Einsatz und Dienst der Polizistinnen und Polizisten keinen Bestand haben könnten. Im Mittelpunkt des Polizeidienstes stehen der Mensch und die Wahrung seiner Würde. Deshalb bleibt es eine der vornehmsten und großartigsten Aufgaben der Kirchen in Deutschland, Polizistinnen und Polizisten respektvoll und vertrauensvoll zu begleiten und zu unterstützen. Die Partnerschaft hat sich bewährt und ist lebendig. Zu würdigen, was Frauen und Männer in der Bundespolizei im täglichen Dienst für unser Land mit Idealismus und Kompetenz leisten, ist der entscheidende Zweck unserer Feier. Nicht die Kirchen als Institution, sondern der Dienst an den Menschen in Spannungen und Herausforderungen des gesellschaftlichen Lebens steht im Mittelpunkt des Jubiläums der Seelsorge. Wir danken allen, die in den vergangenen 50 Jahren dazu beigetragen haben, dass die Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium des Inneren und den beiden großen Kirchen von 1965 mit Leben gefüllt worden ist. Wir danken dem Bundesinnenminister des Inneren, Herrn Dr. Thomas de Maizière, dem Abteilungsleiter im Bundesinnenministerium des Inneren, Herrn Dr. Helmut Teichmann, und dem Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums, Herrn Dr. Dieter Romann, für die wohlwollende Förderung der Idee, das Jubiläum zum Anlass zu nehmen, um den Dienst der Polizistinnen und Polizisten für unser Land in besonderer Weise zu würdigen. Wir danken allen, die in der Festschrift aus ganz unterschiedlicher Perspektive die unterstützende Arbeit der Seelsorge beleuchten. Wir sind sicher, dass der weltanschaulich neutrale Staat das religiöse Bekenntnis braucht und es unterstützen sollte. Die Mütter und Väter der Verfassung haben eine doppelte Aufgabe für die politisch Verantwortlichen in unserem Land gesehen und formuliert: an der weltanschaulichen Neutralität des Staates und seiner Organe festzuhalten und zugleich die ethisch verantwortete Bildung und seelsorgerliche Begleitung der Polizistinnen und Polizisten, die mit den Zumutungen der Gesellschaft zu tun haben, zu fördern. Die beiden großen Kirchen sind auch weiterhin sehr gerne bereit, dafür ihren Dienst an der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland zu leisten.

Bückeburg und Hamburg im Februar 2015

Dr. Karl-Hinrich Manzke Dr. Hans-Jochen Jaschke

Vorwort

Wer zukünftigen Herausforderungen gerecht werden will, tut gut daran, seine Vergangenheit kritisch und genau anzuschauen. Ein Jubiläum kann dafür eine gute Gelegenheit sein. 50 Jahre ist es her, dass die Seelsorge im Bundesgrenzschutz und der späteren Bundespolizei zwischen der Bundesrepublik und der evangelischen und der katholischen Kirche in Deutschland vertraglich geregelt wurde. Wir haben diesen Anlass genutzt, um würdigend und kritisch auf die Arbeit der Seelsorge zurückzublicken. Dazu haben wir Impulse „von außen“ erbeten, um die rechtlichen, theologischen und empirischen Grundlagen der Arbeit in den Blick zu nehmen. Das Ergebnis dieser Bitte ist die vorliegende Festschrift. Im September 1965 wurden die Vereinbarungen über die Seelsorge im Bundesgrenzschutz zwischen dem Bundesminister des Innern und den katholischen Bischöfen in der Bundesrepublik Deutschland sowie zwischen sechs evangelischen Landeskirchen1 in der Republik geschlossen. Bis zum Jahr 1998 hatte sich die Zahl der evangelischen Landeskirchen, die sich an der Vereinbarung beteiligten, auf 16 erhöht,2 bis dann mit dem Kirchengesetz vom 6. 11. 2004 die Wahrnehmung der evangelischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz als Gemeinschaftsaufgabe der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Zusammenwirken mit den Gliedkirchen festgelegt wurde.

1 Braunschweigische evangelisch-lutherische Landeskirche, Evangelisch-lutherische Landeskirche in Bayern, Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers, Evangelische Landeskirche von Kurhessen-Waldeck, Evangelisch-lutherische Landeskirche in Lübeck, Evangelischlutherische Landeskirche Schleswig-Holsteins. 2 Ev. Landeskirche in Baden, Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig, Ev.-Luth. Kirche in Bayern, Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, Nordelbische Ev.-Luth. Kirche, Ev. Kirche der Pfalz, Ev. Kirche im Rheinland, Ev. Landeskirche in Württemberg, Pommersche Evangelische Kirche, Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen, Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz, Ev.-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs, Ev. Kirche in BerlinBrandenburg.

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Vorwort

Beide Vereinbarungen regeln im Grundsatz die evangelische und die katholische Seelsorge in gleicher Weise. Geringfügige Unterschiede im Wortlaut, die u. U. größere Auswirkungen hätten haben können, sind bedeutungslos geblieben. Seelsorge im Bundesgrenzschutz geschah und geschieht in der Bundespolizei in bewährter, funktionierender ökumenischer Zusammenarbeit und Partnerschaft. In der vorliegenden Festschrift zeigt Dr. Patricia Schütte-Bestek die Entwicklung des Bundesgrenzschutzes hin zu einer modernen Polizei des Bundes. Anhand eines Interviews, das Klaus Papenfuß und Rainer D. Klostermann3 mit den Dekanen i.R. Msgr. Helmut Oberle (Dekan im BGS von 1974–1980) und Prälat Patrick Boland (Dekan im BGS/BPOL von 1981–2007) führte, sollen die Vorgeschichte und die Hintergründe erhellt werden, die der Unterzeichnung der Vereinbarungen vorausgegangen sind. Prof. Dr. Hinnerk Wißmann beleuchtet in einem Grundsatzbeitrag die rechtlichen Grundzüge des Verhältnisses von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland. Die übrigen Aufsätze betrachten speziell die Vereinbarungen, um sie einer kritischen Würdigung aus juristischer, politischer, theologischer und polizeilicher Perspektive zu unterziehen. Bei der Auswahl der politischen, juristischen und theologischen Beiträge wurde Wert darauf gelegt, möglichst mehrere Stimmen hörbar werden zu lassen, um zu erfahren, wo Vertreter derselben Disziplin einander bestätigen, ergänzen oder auch widersprechen. Da es sich bei den Vereinbarungen um juristische Texte handelt, liegt auch der Schwerpunkt der Beiträge im juristischen Bereich. Prof. Dr. Markus Heintzen und Prof. Dr. Christian Waldhoff schreiben als Staatsrechtler, Prof. Dr. Matthias Pulte und Prof. Dr. Ansgar Hense als Kirchenrechtler. Der Beitrag von Prof. Dr. Ralf Röger fußt auf den Erfahrungen eines Hochschullehrers für Rechtswissenschaften am Fachbereich Bundespolizei der Hochschule des Bundes. Ralf Röger rückt die Frage in den Vordergrund, ob die Vereinbarungen einer modernen Bundespolizei des 21. Jahrhunderts noch gerecht werden und an welchen Stellen Modernisierungsbedarf rechtlich geboten oder zumindest rechtlich erlaubt sei. Aus theologischer Sicht legen Prof. Dr. Reiner Anselm und Prof. Dr. Johanna Rahner den Akzent auf die systematisch-theologische Fragestellung, während Prof. Dr. Richard Hartmann den Akzent auf die Fragestellung der praktischen Theologie legt. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE), Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Thomas Oppermann (SPD) und Dr. Franz-Josef Jung (CDU/CSU) haben aus dem 3 Klaus Papenfuß, Polizeihaupkommissar a.D. war u. a. Pressesprecher der Bundespolizeidirektion München. Rainer D. Klostermann OP ist Oberpfarrer in der Bundespolizei für die Bundespolizeidirektionen München und Stuttgart.

Vorwort

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Blickwinkel der Politik die Zusammenarbeit von Kirche und Staat in der Bundespolizei betrachtet. Der Präsident der Bundespolizeidirektion Hannover, Thomas Osterroth, nimmt schließlich Stellung aus der Sicht der Bundespolizei. Der Kreis der Autoren hätte sicher noch erweitert werden können, u. a. um die Sichtweisen der Seelsorger und Seelsorgerinnen, der Vertreter des Netzwerkes, in dem die Seelsorge in der Bundespolizei arbeitet, oder durch Menschen, die Erfahrungen mit der Seelsorge im praktischen Berufsalltag der Polizei machen. Diese Erweiterung geschieht hoffentlich in der Fortsetzung einer in diesem Buch nur begonnenen Diskussion. Herzlichen Dank sei allen gesagt, die an der Entstehung dieses Aufsatzbandes mitgewirkt haben. Potsdam im Juni 2015

Dr. Helmut Blanke

Patricia M. Schütte-Bestek

Wandel des Bundesgrenzschutzes zur Bundespolizei – Eine Bilanz zu mehr als 60 Jahren Organisationsgeschichte

Hintergrund des Aufsatzes „Die Entwicklung des Bundesgrenzschutzes von seiner Gründung bis zur Umbenennung in Bundespolizei ist ein Spiegel der Geschichte Deutschlands und Europas“.1 Diese Aussage unterstreichen auch die Ergebnisse der Untersuchung, auf denen der vorliegende Aufsatz beruht.2 Die Auswertung von Experteninterviews mit 42 aktiven und ehemaligen Angehörigen des Bundesgrenzschutzes (BGS) bzw. der Bundespolizei (BPOL) legt die Binnenperspektive frei auf die Entwicklung der Organisation seit ihrer Gründung bis in die Gegenwart. Dabei wird ersichtlich, dass insbesondere drei relevante Entwicklungslinien den Wandel des BGS zur heutigen BPOL geprägt und gleichzeitig wesentliche Bedingungen für die Anerkennung bzw. Legitimität der Organisation geschaffen haben. Die nachfolgenden Ausführungen zielen darauf ab, diese Entwicklungslinien nachzuzeichnen und deutlich zu machen, wie der BGS zu der Polizeiorganisation wurde, die er heute ist: die deutsche BPOL.

1 Wagner, Marc, Von der „Repolizeilitarisierung“ zum Reformreigen – 60 Jahre Bundespolizei, in: Die Polizei, 102. Jahrgang 2011, Heft 4, S. 97–106, 102. 2 Der vorliegende Aufsatz basiert auf der von der Autorin im Jahr 2014 verfassten Dissertation, in der sie die Entwicklung des BGS zur BPOL zwischen 1951 und 2012 aus organisationssoziologischer Perspektive untersucht und erklärt (vgl. Wagner, Marc, Von der „Repolizeilitarisierung“ zum Reformreigen – 60 Jahre Bundespolizei, in: Die Polizei, 102. Jahrgang 2011, Heft 4, S. 97–106). Die Ergebnisse der Dissertation werden in diesem Aufsatz in einer stark zusammengefassten und gekürzten Form präsentiert. Schütte, Patricia M., Wie und warum entwickelt sich der Bundesgrenzschutz zur Bundespolizei? Untersuchungen der Entwicklung einer deutschen Polizeiorganisation des Bundes und ihrer Legitimität zwischen 1951 und 2012, Diss., Bochum 2014; Schütte-Bestek, Patricia M., Aus Bundesgrenzschutz wird Bundespolizei. Entwicklung einer deutschen Polizeiorganisation des Bundes aus organisationssoziologischer Perspektive, Wiesbaden 2015.

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Patricia M. Schütte-Bestek

Drei Entwicklungslinien des Wandels vom BGS zur BPOL Die BPOL ist mit mehr als 40.300 Mitarbeitern3 eine der größten Polizeiorganisationen Deutschlands.4 Der BPOL-Flugdienst, die GSG 9, die BPOL See, Flugsicherheitsbegleiter, aber auch die personalmäßig stärkste deutsche Bereitschaftspolizei als Teil der BPOL sind heute markante Aushängeschilder der Organisation. Die Aufgaben Grenzschutz, Schutz von Bundesorganen, Aufgaben auf See, im Notstands- und Verteidigungsfall, Bahnpolizei und Luftsicherheit sowie die Verwendungen im Rahmen polizeilicher Auslandsmissionen und zur Unterstützung anderer Bundesbehörden und der Polizeien der Bundesländer im Inland verweisen auf die tragende Rolle der BPOL innerhalb des deutschen Sicherheitsgefüges.5 Dies ist das Ergebnis eines mehr als 60-jährigen Entwicklungsprozesses, den die Organisation seit ihrer Gründung als BGS im Jahre 1951 durchlaufen hat. Der Wandel des BGS zur BPOL ist durchzogen von Höhen und Tiefen, die sich in kritischen Ereignissen und bedeutenden Entwicklungspunkten der Organisation selbst widerspiegeln. Die Angaben der von der Autorin befragten 42 aktiven und ehemaligen Organisationsmitglieder ermöglichen es, die Entwicklung des BGS zur BPOL anhand des Wechselspiels zwischen der Organisation und ihrer Umwelt, aber auch zwischen der formalen und der informalen Organisation nachzuvollziehen. Dabei kristallisieren sich drei relevante Entwicklungslinien heraus6: 1) Entwicklung zu einer modernen Polizei/Modernisierung der Organisation 2) Professionalisierung/Spezialisierung durch grundlegende Aufgabenerweiterungen 3) Integration/zentrale Positionierung im Sicherheitsgefüge

3 Für eine bessere Lesbarkeit wird die männliche als neutrale Form eingesetzt, wenn beide Geschlechter angesprochen werden. In dieser Arbeit wird daher z. B. von Polizeivollzugsbeamten, Mitarbeitern etc. gesprochen. Dies gilt auch im Singular. 4 Vgl. Bundespolizeipräsidium, Jahresbericht 2013, S. 9. Verfügbar unter http://www.bundes polizei.de/SharedDocs/Downloads/DE/jahresbericht_2013_pdf:jsessionid= 0EBD10 A5D0 A00DE8EB7C28E96E416496.2_cid324?_blob=publicationFile, erstellt am 14. 08. 2014, Recherche am 18. 08. 2014. 5 Vgl. BPOLG; Schütte-Bestek, Patricia M., Aus Bundesgrenzschutz wird Bundespolizei. 6 Vgl. a. a. O., S. 231.

Wandel des Bundesgrenzschutzes zur Bundespolizei

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Zu 1) Entwicklung zu einer modernen Polizei/ Modernisierung der Organisation Die Entwicklung des BGS zu einer modernen Polizei, der BPOL, wird an Veränderungen extern sichtbarer Wesenszüge der Organisation über die Zeit festgemacht. Dazu zählen die Struktur bzw. Gliederung der Organisation, das Organisationsbild, das Auftreten ihrer Mitglieder sowie das Bundesgrenzschutzgesetz (BGSG) bzw. Bundespolizeigesetz (BPOLG).7 In der Zeit zwischen 1951 und 1971 verändert sich der BGS vor dem Hintergrund der anhaltenden Bedrohungslage des Kalten Krieges kaum, weil der (v. a. politische) Bedarf nach einer entsprechenden Organisation – wie der BGS sie seinerzeit darstellt – schlicht groß ist.8 Der BGS bewährt sich in dieser Phase zunächst als Polizei für die spezielle Aufgabe des Grenzschutzes und besondere Einsatzlagen wie die Flutkatastrophen in den Jahren 1954 und 1962.9 Dabei präsentiert sich die Organisation nach außen hin als robuste, voll motorisierte Polizei.10 Auch wenn die polizeiliche Ausrichtung des BGS von Anfang an gesetzlich verankert ist, wird die Organisation v. a. von Außenstehenden nicht unbedingt als Polizeiorganisation wahrgenommen. Merkmale wie formale Disziplin, Kasernierung, Geschlossenheit der Verbände, spezielle technische Ausrüstungen z. B. zum Brückenbau, die Motorisierung in Form gepanzerter Fahrzeuge, Hubschrauber, eine (schwere) Bewaffnung, das Festhalten am Stahlhelm, an (Marsch-)Stiefeln, einer militärähnlichen Uniform, entsprechenden Schulterstücken (nach dem Vorbild der Preußischen Sicherheitspolizei) sowie der Kombattantenstatus der Verbandskräfte (ab 1965) tragen dazu bei, dass der BGS mit militärischen Organisationen verglichen wird. Von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) bspw. wird der BGS seinerzeit nicht einmal anerkannt als Polizei und sogar dessen Auflösung bzw. Aufgehen in der Bundeswehr gefordert.11 Erst ab den 1970er Jahren wird allmählich begonnen, militärähnliche Attribute, die sowohl die gesamte Organisation als auch das Auftreten ihrer Mitglieder prägen, abzulegen. Dadurch verändert sich das öffentlich „plakatierte“ Bild des

7 Vgl. a. a. O. 8 Vgl. Dierske, Ludwig, Der Bundesgrenzschutz. Geschichtliche Darstellung seiner Aufgabe und Entwicklung von der Aufstellung bis zum 31. März 1963, Regensburg, München und Wien 1967; Walter, Bernd, BGS: Polizei des Bundes, Stuttgart 1983. 9 Vgl. Website der Bundespolizei. Verfügbar unter http://www.bundespolizei.de/DE_Homepage/home_node.html, laufende Recherche zwischen 2009 und 2013. 10 Vgl. die Werbeplakate des Bundesgrenzschutzes. Verfügbar unter http://www.beim-altenbgs.de/BGS-Werbung/bgs-werbung.html, Recherche am 12. 11. 2013. 11 Vgl. Dierske, Ludwig, Die Geschichte des Bundesgrenzschutzes Band II, Bonn (o. J.), S. 60; Schütte-Bestek, Aus Bundesgrenzschutz wird Bundespolizei, S. 119.

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Patricia M. Schütte-Bestek

vermeintlich „paramilitärischen“ bzw. militärähnlichen BGS immer mehr12, wie die nachfolgenden Zitate beschreiben.13 Man hat in den Verbänden […] Veränderungen vorgenommen. Ich war noch […] [Angehöriger] des schweren Zuges […] mit 7,62 cm Kanonen, die sind da gerade abgeschafft worden […] ’70. Aber die 2 cm Kanonen hatten wir noch längere Zeit. Das gibt es heute nicht mehr. Und man hat den Pionierzug früher, wie er genannt worden ist, [umgebaut]. Heute gibt es die technischen Dienste […]. Da […] [sind] Veränderungen aus dem militärischen Bereich weg, hin zu dem polizeilichen Bereich vorgenommen worden. Ich denke mal auch, das sind so Äußerlichkeiten, aber trotzdem. Das zählt auch dazu. […] Das ist auch etwas, was so einen Touch Richtung Polizei noch beim Bundesgrenzschutz gegeben hat […]. [PVB36, 70–70]

Die Modernisierung der Organisation in der Zeit wird insbesondere mit der schrittweisen Angleichung des BGS an die Landespolizeien in einen Zusammenhang gesetzt. Treibende Faktoren dieser Entwicklung sind in erster Linie gesetzliche Veränderungen. Im Jahr 1972 bzw. 1973 tritt ein neues BGSG in Kraft, das eine Erweiterung der Paragraphen von ursprünglich vier bzw. fünf 14 auf 74 Paragraphen15 beinhaltet. Diese ausführliche gesetzliche Basis entspricht nunmehr auch den landespolizeilichen Gesetzen und wird danach nur noch wenig verändert und ergänzt.16 Also am Anfang war es wohl das BGS-Gesetz […], von 1972, […] aber das Inkrafttreten war meines Wissens Anfang 1973. […] und wenn ich mich recht erinnere, wurden da die Aufgaben des Bundesgrenzschutzes, die vorher sehr rudimentär nur beschrieben waren, also in einer heute für ein Polizeigesetz wohl üblichen Weise konkretisiert, die Eingriffsbefugnisse gesetzlich ausdrücklich normiert und so weiter. Also das war der erste für mich einschneidende Punkt. [PVB47, 15–15]

Nach der offiziellen Festschreibung des BGS als Polizei des Bundes und Polizeireserve im Programm Innere Sicherheit im Jahre 197417 führen das Gesetz über die Personalstruktur des Bundesgrenzschutzes18, die Verordnung über die allgemeinberufliche Ausbildung der Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenz-

12 Vgl. a. a. O., S. 232. 13 Die Zitate sind entnommen aus der von der Autorin im Zuge ihres Promotionsprojektes durchgeführten Befragung von Polizeivollzugsbeamten (PVB). 14 Vgl. Bundesgesetzblatt Teil I (BGBl. I), S. 201: Gesetz über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden, 16. 03. 1951; BGBl. I, S. 436: Zweites Gesetz über den Bundesgrenzschutz, 30. 05. 1956. 15 Vgl. BGBl. I, S. 1834ff: Gesetz über den Bundesgrenzschutz, 18. 08. 1972. 16 Vgl. Schütte-Bestek, Aus Bundesgrenzschutz wird Bundespolizei; Wagner, Von der „Repolizeilitarisierung“ zum Reformreigen. 17 Vgl. IMK, Programm für die Innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland, Mainz 1974. 18 Vgl. BGBl. I, S. 1357.

Wandel des Bundesgrenzschutzes zur Bundespolizei

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schutzes19 und die Bundesgrenzschutz-Laufbahnverordnung20 von 1976 dazu, dass der BGS optisch (Angleichung an landespolizeiliche Amtsbezeichnungen), inhaltlich (Angleichung an die landespolizeiliche Ausbildung), von der personellen und der materiellen Ausstattung her (Wegfall des einfachen Dienstes) den Polizeien der Länder immer ähnlicher wird21. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass Kräfte des BGS und der Polizeien der Länder in den zunehmenden, gemeinsam wahrzunehmenden Einsatzlagen der 1970er und 1980er Jahre störungsfrei zusammenarbeiten können müssen. Die spätere Zusammenlegung der Laufbahnausbildung des höheren Dienstes sowie die BundLänder-Vereinbarungen tragen ein Übriges dazu bei.22 Der BGS erhält so auch die Gelegenheit, sich als Polizeiorganisation (des Bundes) und Polizeireserve über schrittweise Veränderungen der gegebenen Strukturen und Anpassungsleistungen an andere Polizeiorganisationen zu etablieren. In der Rückschau betrachtet, wird in dieser Zeit bereits der Grundstein für die Entwicklung des BGS zur BPOL gelegt. Das war ein Schritt nach dem anderen, die Veränderung durch die Amtsbezeichnung, die Veränderung der Ausbildung natürlich, die vergleichbare […] Laufbahnprüfung, Einstellungsvoraussetzungen sind auch völlig gleich wie bei der Polizei und letztendlich auch das polizeiliche Handeln. Wir hatten ja in der ersten Zeit […] das BGS-Gesetz und das musste ja ergänzt werden durch eine Dienstanweisung. Eine Dienstanweisung ist aber kein Gesetz und deswegen haben wir ja dann unsere gesetzliche Basis verändert, auch unsere BGS-Gesetze, wo dann auch das polizeiliche Verhalten gesetzlich normiert wurde. [PVB44, 61–61]

Die deutsche Wiedervereinigung und die anschließenden Neuorganisationen (1992, 1998 und 2008) verändern die Dynamik des Wandels und beschleunigen den Prozess der Modernisierung des BGS. Die Struktur der Organisation wird entsprechend den neuen Aufgaben im Bahn- und Luftsicherheitsbereich umgestaltet, die v. a. eine bundesweite Zuständigkeit in der Fläche mit sich bringen. Neben der Auflösung der Standorte („Perlenkette“) entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze, der Neuausrichtung auf die deutschen Außengrenzen sowie – in Folge der dritten Neuorganisation – einer regionalen Zuschneidung ist v. a. die Reduzierung der vormals starken Verbandskomponente zugunsten des Ausbaus des Einzeldienstes zu benennen.23 Also die Rolle hat sich dahingehend verändert, dass wir sagen müssen, bis […] 1990, 1992, dann später 1998 war die Masse des Bundesgrenzschutzes verbandsmäßig orga-

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Vgl. BGBl. I, S. 1678. Vgl. BGBl. I, S. 1723ff. Vgl. Website der Bundespolizei; Wagner, „Repolizeilitarisierung“, S. 101. Vgl. Schütte-Bestek, Aus Bundesgrenzschutz wird Bundespolizei. Vgl. a. a. O.; Website der Bundespolizei.

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nisiert, kaserniert […]. Und heute sieht es so aus, dass [sich die Anzahl der Verbandskräfte] [a]n der Gesamtzahl von etwa 40.000 Angehörigen der Bundespolizei, damit meine ich Verwaltung und auch Angestellte und auch Arbeiter mit inbegriffen, völlig geändert hat. Die Verbände sind alles in allem noch etwa fünfeinhalb bis 6.000 Mann stark. […] Das heißt also, es ist völlig umgekehrt. Der Einzeldienst […] überwiegt. Das ist aber auch klar, weil das […] Tagesaufgabe [ist]. […]. [PVB22, 47–47]

Setzt sich der BGS seit seiner Gründung bis zur Wiedervereinigung noch zu ca. 90 % aus Verbandskräften und lediglich 10 % Einzeldienst zusammen, kehrt sich dieses Verhältnis bis in die 2000er Jahre im Zuge der Reorganisationen beinahe vollkommen um. Einige betrachten dies als notwendigen Entwicklungsschritt zu einer modernen Polizei, wodurch der BGS „viel ziviler wahrgenommen [wird]“ und Kräfte wie Organisation „aus den Wäldern raus in die Städte gebracht“ werden [PVB2, 34–34]. Andere kommentieren die Entscheidung zum Umbau des BGS in eine einzeldienstlich ausgerichtete Polizei mit nur noch kleiner Verbandskomponente kritisch: „Weil Innovation immer verbunden [ist] mit der Gleichung Innovation gleich Einzeldienst gleich moderne Polizei. Oder umgedreht als Negativfolie, Truppenpolizei, paramilitärisch, innovationsresistent, rückständig […].“ [PVB10, 161–161].

Trotz der Reduzierung bleibt diese Organisationseinheit der BPOL mit mehr als 6.000 Beschäftigten die größte Bereitschaftspolizei Deutschlands und damit nach wie vor ein Aushängeschild der BPOL neben den anderen speziellen Einheiten, BPOL-Flugdienst, GSG 9 und BPOL See. Wenngleich der Umbau des BGS nach der Wiedervereinigung von Unruhen unter den Organisationsangehörigen begleitet wird, was sich aufgrund von Standortschließungen, mehrfachen Zwangsversetzungen und ungewissen Perspektiven in Folge der Neuausrichtung ergibt24, ist er dennoch für die Zukunftsfähigkeit der Organisation notwendig: „Nein, ich sage nur, dann wären wir heute tot. Das glauben ja auch viele. Es gäbe keinen Bundesgrenzschutz mehr oder keine Bundespolizei, wenn man dieses System nicht geändert hätte […].“ [PVB27, 522–522]

Letztlich demonstriert die Organisation damit, wie wandlungsfähig sie ist: Ja, es war in diesen 26 Jahren der große Wandel der Organisation. In diesem Zeitraum, in dieser Periode, hat die Organisation auch ihre Wandlungsfähigkeit mehrfach unter Beweis gestellt. Mit einer doch fundamentalen Neuausrichtung, mehrfachen Neuausrichtung. [PVB15, 30–30]

Die radikalen Veränderungen des BGS der 1990er und 2000er Jahre münden im Ergebnis darin, dass der BGS seine militärähnlichen Merkmale endgültig ablegt 24 Vgl. Schütte-Bestek, Aus Bundesgrenzschutz wird Bundespolizei.

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und sich zu einer modernen, vornehmlich einzeldienstlich ausgerichteten Polizei des Bundes entwickelt, die als Polizei große Anerkennung findet. Obwohl sich die Organisation unter dem Namen BGS als Polizeiorganisation verdient gemacht hat, ist die Umbenennung in „Bundespolizei“ im Jahr 2005 sicherlich ein Höhepunkt des Umwandlungsprozesses, der von vielen Angehörigen als ein logischer Schritt der Entwicklung aufgefasst wird: Ja, letztendlich war es ja eigentlich der längst überfällige letzte Schritt, weil wir ja seit vielleicht schon, kann man sagen, seit ’76 ja dabei waren, Polizei zu werden. Und das war eigentlich mehr als überfällig, dass dann endlich mal Bundespolizei kam […]. [PVB11, 260–260].

Der neue Name wird dem breiten Aufgabenportfolio gerecht. Erst ab Mitte der 2000er Jahre findet der Prozess der Neuausrichtung allmählich ein Ende, dessen wesentlicher Abschlusspunkt im Aufbau des Bundespolizeipräsidiums in Potsdam zu sehen ist. Dadurch wird die Position der BPOL innerhalb des deutschen Polizeiverbundes und ihre Gleichwertigkeit mit den anderen Polizeiorganisationen des Bundes und der Länder unterstrichen.

Zu 2) Professionalisierung/Spezialisierung durch grundlegende Aufgabenerweiterungen Die zweite hier relevante Entwicklungslinie bei der Entwicklung des BGS zur BPOL setzt sich zusammen aus einer kontinuierlichen Professionalisierung und Spezialisierung der Organisation, die sich seit der Gründung bis in die Gegenwart vollzieht. Sie wird hier an Veränderungen der Aufgaben, Zuständigkeiten sowie der Aus- und Fortbildung festgemacht.25 Die über die Zeit zunehmende Bedeutung des BGS wird v. a. aus der kontinuierlichen Erweiterung seiner Aufgaben abgeleitet. Neben der originären Aufgabe des Grenzschutzes und der damit einhergehenden „Pufferfunktion“ an der innerdeutschen Grenze, die der BGS seit seiner Gründung inne hat, gewinnt die Organisation insbesondere personalintensive Aufgaben hinzu, für die andere Sicherheitsorganisationen keine Kräfte bereitstellen (können). […] das sehen Sie alleine daran, dass im Grunde genommen von Stund an, kaum war der [BGS] 1951 gegründet worden, […] sämtliche Aufgaben, Sicherheitsaufgaben, für die keine anderen Kräfte vorhanden waren, also für die die Länder nicht zuständig waren oder […] die also andere nicht wollten und so weiter, sind stillschweigend auf den BGS verlagert worden, zum Teil mit ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung, aber

25 Vgl. a. a. O., S. 234 ff.

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zum Teil indirekt mit juristischen Hilfskonstruktionen. Und der BGS […] von 1951 bis heute ist sein Aufgabenplafond […] ständig erweitert worden. [PVB10, 34–34]

Ähnlich wie die erste Entwicklungslinie vollziehen sich die Veränderungen der Aufgaben in der Zeit vor der Wiedervereinigung eher schrittweise. In den 1970er und 1980er Jahren dehnen sich die Aufgabenfelder zwar immer mehr in die Fläche der Bundesrepublik aus. Mit Ausnahme des Schutzes von Bundesorganen und der Auslandsverwendungen handelt es sich dabei aber in erster Linie um Unterstützungsleistungen für andere Polizeiorganisationen bspw. bei Großdemonstrationen oder im Bereich der innerdeutschen Terrorismusbekämpfung.26 Deutlich ausgeweitet werden die Zuständigkeiten des BGS erst in Folge der Wiedervereinigung und des Aufgabenübertragungsgesetzes im Jahr 1992, durch die Übertragung der Bereiche Bahnpolizei und Luftsicherheit.27 Der BGS übernimmt damit im Inland die Verantwortung für kritische Infrastrukturen des Transports und des Verkehrs und tritt nun bundesweit in Erscheinung. Vor diesem Hintergrund werden die Strafverfolgungskompetenzen des BGS (zumindest auf den Bahnanlagen und zur Sicherheit der Nutzer, der Anlagen sowie des Betriebs der Bahn28) deutlich ausgeweitet. In den folgenden Jahren wird auch eine eigene Inspektion Kriminalitätsbekämpfung aufgebaut: Mit den Inspektionen Verbrechensbekämpfung, heute heißen sie […] Inspektion Kriminalitätsbekämpfung. Also eine Aufgabe, die sich auch aus dem […] Bundesgrenzschutzgesetz ’92 [ergab] […], wo also die bestimmten Aufgaben aus dem Bereich der Bahnpolizei […] dem Bundesgrenzschutz oder der Bundespolizei dann zugeordnet worden sind. [PVB29, 44–44]

Nicht zuletzt in Folge der terroristischen Anschläge am 11. September 2001 auf Einrichtungen in den USA sowie jener ab Mitte der 2000er Jahre in London, Madrid und in deutschen Städten rücken die Bereiche Bahn- und Luftsicherheit in das Zentrum der öffentlichen und politischen Aufmerksamkeit. Im Zuge der unter dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily in Kraft gesetzten AntiTerror-Pakete erhält der BGS finanzielle Mittel, mit denen die Organisation personell gestärkt, die technische Ausstattung erneuert wird und letztlich auch eine Spezialisierung in den Aufgabenbereichen z. B. mit der Aufstellung von Flugsicherheitsbegleitern erfolgen kann.29 Aber mit ’92 mit Luftsicherheit, Anti-Terrorpaket, dann die Twintowers, wo die Flugzeuge reingeflogen sind, das gab natürlich, sage ich mal, so tragisch wie das war, nochmal einen Boom auch für die Bundespolizei. Weil an den Flughäfen, da waren wir. Die Sky Marshals sind ins Leben gerufen worden, die Luftsicherheitsbegleiter, die heute 26 27 28 29

Vgl. a. a. O., S. 235. Vgl. BGBl. I., S. 178 ff.; Wagner, „Repolizeilitarisierung“, S. 101 f. Vgl. a. a. O., S. 102. Vgl. Schütte-Bestek, Aus Bundesgrenzschutz wird Bundespolizei, S. 179 ff.

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weltweit unterwegs sind und ja, Luftsicherheitspakete wurden geschnürt, auch viel, viel Geld investiert und dass man da urplötzlich ja wieder einen anderen Puls hatte in der Firma Bundespolizei. [PVB9, 95–95]

Die Auslandsverwendungen gewinnen ebenfalls spätestens ab dieser Zeit merklich an Gewicht. Zusätzlich zur Beteiligung an internationalen Polizeimissionen zählen Hausordnungs- und Objektschutzdienste an deutschen Auslandsvertretungen, die Entsendung von Dokumenten- und Visumberatern sowie grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten ins Ausland bis heute zu den internationalen Aktivitäten der BPOL.30 Der BGS verbreitert sein Profil somit zu einer multifunktionalen Polizei des Bundes, spezialisiert sich aber gleichzeitig auch in seinen Aufgabenfeldern Grenzschutz, Bahnpolizei, Luftsicherheit und den Auslandsverwendungen. Dadurch ist die Organisation sowohl national als auch international einsetzbar und gefragt.31 Die speziellen Organisationseinheiten der BPOL (Bereitschaftspolizei der BPOL, BPOL Fliegergruppe, GSG 9, BPOL See und Flugsicherheitsbegleiter) sind nicht nur außenwirksame Alleinstellungsmerkmale der Organisation, sondern unterstreichen bei einer enormen Aufgabenvielfalt gleichzeitig ihre Spezialisierung „zu Lande, zu Wasser und in der Luft“. Der Ausbau der Aufgaben in den 1970er und 1980er Jahren, aber auch die neuen Zuständigkeiten, Aufgaben und Verwendungen nach der Wiedervereinigung finden organisationsintern ihre Entsprechung in der Anpassung der Ausund Fortbildung. In dem Zusammenhang wird auch von einer „Professionalisierung“ (PVB50, 112–112) der Organisation gesprochen. Dahinter steht eine zunehmende Annäherung an allgemein geteilte polizeiliche Vorstellungen und Standards, denen auch andere Polizeiorganisationen folgen. Insgesamt wird die Ausbildung des BGS/der BPOL sowie anderer Polizeien hinsichtlich der Bildungsvoraussetzungen, der Dauer, der Laufbahnen und Qualifizierungsmöglichkeiten stärker als zuvor aufeinander abgestimmt.32 Dadurch ergibt sich eine gemeinsame inhaltliche Basis für die polizeiliche Zusammenarbeit. Die Inhalte der Aus- und Fortbildung verändern sich gemäß den Aufgaben. Sie werden angereichert um rechtliche, psychologische und sozialwissenschaftliche Elemente, aber auch ergänzt um Aspekte der „Service“- bzw. Bürgerorientierung, um soziale Kompetenzen und Situationstrainings.33 Also, inzwischen ist es so, dass Module ausgebildet werden […]. Früher war es […] viel Einsatzlehre, ganz viel Absperr- und Räumdienst, hier mit Schild, Helm, Stock, aber Geländeausbildung noch. Die ist komplett weggefallen, gibt es nicht mehr. Das ist schon im Zuge der Zeit immer […] bundesweit als einheitlich durchzuführen. Da ist viel 30 31 32 33

Vgl. Website der Bundespolizei. Vgl. Schütte-Bestek, Aus Bundesgrenzschutz wird Bundespolizei, S. 235. Vgl. a. a. O. Vgl. a. a. O.

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Gesprächsbedarf […], um die Ausbildungspläne anzupassen. Es wurde auch im Norden immer anders ausgebildet als im Süden und […] bestimmte Standorte hatten so einen bestimmten Ruf, wie da ausgebildet wurde, der eine hart der andere weniger. […], aber ich finde schon, dass in relativ kurzer Zeit das Ganze auf ein sehr modernes Niveau gehoben wurde. Weg von Geländeausbildung, […]. […] Das würde ich schon sagen, [wurde] also im Zuge weniger Jahre auf [ein] modernes Niveau gebracht, auf polizeiliche Sachverhalte, freiheitsentziehende Maßnahmen, Gefangenentransporte, Fußballlagen, Demonstrationslagen. [PVB9, 82–82]

Komponenten wie die Geländeausbildung werden abgeschafft und die Ausbildung wird im Rahmen der Neuorganisationen bundesweit vereinheitlicht. Dabei rückt die Praxis zu Gunsten der Theorie in den Hintergrund, was anhand der inhaltlichen Gestaltung ablesbar ist, aber auch anhand des eingesetzten Lehrpersonals, das sich heute mehr als früher aus Wissenschaftlern und Professoren zusammensetzt, die weniger praxiserfahren sind als bspw. Polizeivollzugsbeamte, die als Ausbilder tätig werden (vgl. PVB47, 47–47). Also es schlägt ja dann das Pendel immer so um, dass plötzlich alles nur noch im Lehrsaal gemacht ist […]. Aber die praktische Übung selbst ist wesentlich in den Hintergrund getreten. Das hat man dann erst wieder nachträglich im Laufe der Zeit korrigiert durch entsprechende Spielszenen oder entsprechende Einlagen, die da gemacht wurden, oder Szenarien, die speziell entwickelt wurden […]. PVB40, 90–90]

Heute stellt die BPOL eine multifunktionale, bundesweit disponible Polizeiorganisation dar, deren spezielle Expertise in ihren verschiedenen Aufgabenfeldern national wie international nachgefragt wird. Dies steht auch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der im Folgenden zu erläuternden dritten Entwicklungslinie der Organisation.

Zu 3) Integration/zentrale Positionierung im Sicherheitsgefüge Die dritte zentrale Entwicklungslinie des BGS im Wandel zur BPOL wird aus den Veränderungen der Beziehungen zu anderen Akteuren der inneren Sicherheit auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene, aber auch zur allgemeinen Öffentlichkeit bzw. zur Bevölkerung abgeleitet, die die Organisation im Laufe der Zeit auf- und ausbaut.34 In den ersten zwanzig Jahren seines Bestehens ist der BGS öffentlich weitgehend unbekannt.35 Außerhalb der Grenzgebiete treten Kräfte des BGS zunächst nur selten in Erscheinung. Oftmals bleibt das Schild mit der Aufschrift „Halt! Hier Grenze. Bundesgrenzschutz“ der einzige Hinweis auf die Organisation. Vor 34 Vgl. a. a. O., S. 236 ff. 35 Vgl. Dierske, Bundesgrenzschutz.

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der Wiedervereinigung treffen Polizeivollzugsbeamte des BGS lediglich z. B. bei Grenzkontrollen oder Besucherführungen auf Bürger, die nicht in den Grenzregionen ansässig sind. Ausnahmesituationen, in denen von den Verbandskräften des BGS öffentlich mehr Notiz genommen wird, beschränken sich anfangs auf Katastropheneinsätze. Und wenn Naturkatastrophen waren, es gab keine Bundeswehr, das technische Hilfswerk war erst im Aufbau, das hat der Bundesgrenzschutz gemacht […]. Wenn also irgendwo Hochwasser war, wo was gemacht werden musste oder eine Brücke gesichert werden musste vorm Hochwasser oder wie ich erwähnte, die Ernte drohte nicht eingebracht werden zu können, dann hat der Bundesgrenzschutz geholfen. [PVB38, 46–46]

Im Rahmen der Unterstützungsleistungen des BGS bei Großlagen in den 1970er und den 1980er Jahren in der Fläche erleben immer mehr Bürger (v. a. Demonstranten) den BGS und seine Kräfte im Einsatz: Ich weiß zum Beispiel auch […] von Gesprächen, bei der Startbahn West hatten die Demonstranten einen unheimlichen Respekt vor den Hundertschaften vom Grenzschutzkommando Süd, weil die dort stramm aufmarschiert sind und auch eine Grenze aufgezeigt haben und wenn die Grenze überschritten war, wurde eingeschritten […]. Also der BGS hatte […] damals auch schon einen guten Stellenwert, das muss man einfach so sehen. [PVB21, 39–39]

Erst nach der Wiedervereinigung, im Zuge der neuen Aufgaben und der Verteilung der BGS-Kräfte in der Fläche (an Bahnhöfen und Flughäfen), wird die Organisation zu einem festen öffentlich kontinuierlich in Erscheinung tretenden Bestandteil des deutschen Polizeiverbundes. Spätestens mit der Umbenennung und der farblichen Umstellung auf blaue Uniformen und Einsatzmittel tritt sie ähnlich den Landespolizeien als eine Polizeiorganisation auf und findet als Polizei des Bundes Anerkennung – wenn auch nicht unbedingt als die Bundespolizei.36 [In einer Stadt in Hessen] war das so, da kannte jeder den Bundesgrenzschutz und wenn man 50 Kilometer von der Grenze weg war, kannte niemand mehr den Bundesgrenzschutz oder 200 Kilometer. Die wussten auch nicht, was die tun. Durch die Aufgabenveränderung der […] 90er Jahre sind wir jetzt an den Bahnhöfen bis hin an den großen Flughäfen sehr präsent […], noch stärker an den Bahnhöfen und dort werden wir das erste Mal auch als […], ich will nicht sagen, es ist ja falsch, wenn ich sage allgemeine Polizei, weil wir das nicht sind, aber als Sonderpolizei in der Mitte der Gesellschaftsverwendung [wahrgenommen] […]. […] und wir haben natürlich in der Wertschätzung der Bevölkerung zugenommen, weil wir überhaupt das erste Mal als Sicherheitsdienstleister so breit wahrgenommen worden sind und gerade an den Bahnhöfen, ge36 Vgl. Höser, Rudolf, Nachgefragt: So sehen Bürger die Bundespolizei, in: Bundespolizei Kompakt, 40. Jahrgang 2013, Heft 3, S. 4–6; Schütte-Bestek, Aus Bundesgrenzschutz wird Bundespolizei, S. 237.

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rade in Bereichen, die von den Menschen auch durchaus als nicht so sicher wahrgenommen werden, (….) sieht der Bürger natürlich gerne Polizei und ist auch froh, wenn Polizei da ist und so gesehen haben wir in unserer Wertstellung als Sicherheitsleister für die Bürger deutlich zugenommen. [PVB5, 103–103]

Auch die Beziehungen zu anderen Sicherheitsorganisationen auf nationaler und internationaler Ebene verändern sich zwischen der Gründungszeit des BGS und der Gegenwart deutlich. Während der BGS anfangs aufgrund seiner „Pufferfunktion“ vornehmlich Bezugspunkte zu militärischen Organisationen hat und kaum zu anderen zivilen Sicherheitsorganisationen, verändert sich dies zusehends mit den zunehmenden Einsätzen in der Fläche in den 1970er und 1980er Jahren. […] das hat sich dem Grunde nach […] ein bisschen verlagert aus diesem militärischen Bereich. […] Früher war die Bundeswehr öfter und regelmäßiger Kontaktpartner und [wir sind] auch öfter aufgetreten gemeinsam irgendwo als heute. Das […] sind eher dann Dienststellen der Landespolizei, mit denen da auch irgendwas gemeinsam veranstaltet [wird]. Da gibt es ja bestimmte Zusammenarbeiten, die da länderbezogen abgewickelt werden. Zum Beispiel eine gemeinsame Fahndungsgruppe Taschendiebstahl […]. [PVB16, 55–55]

Insgesamt wird in den Angaben der Interviewpartner ersichtlich, dass spätestens mit der verstärkten Einbindung des BGS in das Feld der Inneren Sicherheit (ab den 1970er Jahren) eine kontinuierliche Verdichtung und Intensivierung der Kooperationen insbesondere z. B. mit den Polizeien der Länder oder dem Bundeskriminalamt stattfindet. Dies wird u. a. durch die veränderte gesetzliche Normierung, die Erweiterung der Aufgabenfelder des BGS/der BPOL und damit verbundenen neuen Schnittstellen verstärkt. Dabei vernetzt sich die Organisation auf operativer wie auf strategisch-institutioneller Ebene, was u. a. das folgende Zitat anspricht. […] und im Sicherheitsgefüge selbst hat der BGS tatsächlich mühsam über Jahre […] und so über Schrittkooperationen erst mit den Landespolizeien im Osten, weil es da einfacher war und dann schwappte das so über […] die Innenministerkonferenz, über den AK II der Innenministerkonferenz, über Kooperationsvereinbarungen mit den Landespolizeien, über kleine Face-to-Face-Geschichten, […] wir sind jetzt auch hier Dienststelle […] und über die Kooperation mit der Justizverwaltung und den Staatsanwaltschaften. Da hat man sich erst mal so […] in dieses Netz der inneren Sicherheit auch mit eingebracht. [PVB3, 48–48]

Die Beziehungen auf internationaler Ebene entwickeln sich ähnlich. Dies wird durch das spätestens nach dem Inkrafttreten des Schengener Durchführungsübereinkommens zunehmende Engagement der BPOL in europäischen Sicherheitszusammenhängen wie „RAILPOL“ (Netzwerk europäischer Bahnpolizeibehörden), „Baltic Sea Region Border Control Cooperation“ für die Ostsee (In-

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formations- und Interaktionsnetzwerk der Zusammenarbeit zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität mit maritimen Schwerpunkten), das Zivile Krisenmanagement der EU und die Grenzschutz-Agentur Frontex sowie ausgeprägte Kooperationen mit Polizeiorganisationen in europäischen Nachbarländern gestärkt.37 Die Zunahme und die Intensivierung der Beziehungen zu anderen Sicherheitsorganisationen auf nationaler und internationaler Ebene sowie eine damit einhergehende Integration und zentrale Positionierung im deutschen bzw. europäischen Sicherheitsgefüge über die mehr als 60jährige Entwicklungsgeschichte verweisen darauf, wie stark der BGS/die BPOL insgesamt an Bedeutung gewonnen hat.38

Eine Bilanz zu mehr als 60 Jahren Organisationsgeschichte aus organisationssoziologischer Sicht Die zusammengefassten Entwicklungslinien bilden ab, dass sich der BGS seit seiner Gründung im Jahr 1951 stets im Wandel befunden und dass die Organisation mit der Entwicklung zur BPOL eine enorme Wandlungsfähigkeit unter Beweis gestellt hat. In dem Zusammenhang ist zu betonen, dass BGS und BPOL zwei verschiedene Stadien der Entwicklung ein- und derselben Organisation repräsentieren. In den ersten 40 Jahren des Bestehens bewährt und etabliert sich der BGS zunächst als spezielle Polizei des Bundes. Deren Funktion und Einsatzfähigkeit im Rahmen von Unterstützungsleistungen für andere Polizeien prägen den Ruf als robust auftretende Polizeireserve für herausfordernde Großlagen. Dabei passt sich die Organisation immer wieder in inkrementeller Weise den Anforderungen aus ihrer Umwelt an, indem sie ein kontinuierliches, schrittweises „fine tuning“39 der Gegebenheiten vornimmt. In den letzten ca. 20 Jahren beweist die Organisation, dass sie sich auch auf eine dynamischere Umwelt einstellen kann. Über eine vollständige Neuausrichtung und Umgestaltung nach der deutschen Wiedervereinigung wandelt sich die Organisation radikal und wird zur heutigen BPOL, indem sie sich von Merkmalen des „alten BGS“ trennt und ein neues Profil als multifunktionale Polizeiorganisation des Bundes ausformt. Da erfolgreiche Organisationen sowohl dazu in der Lage sind, über längere Zeiträume hinweg ein Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, als auch kurzfristig 37 Vgl. Website der Bundespolizei; Schütte-Bestek, Aus Bundesgrenzschutz wird Bundespolizei, S. 226. 38 Vgl. a. a. O., S. 238f. 39 Vgl. Greenwood, Roysten/Hinings, C.R., Understanding Radical Organizational Change. Bringing together the Old and the New Institutionalism, in: The Academy of Management Review, Vol. 21, No. 4 1996, S. 1024.

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Umbrüche und radikale Veränderungen einzuleiten, wenn sie z. B. durch neue Umweltbedingungen schlagartig vor neue Herausforderungen gestellt werden40, ist wohl davon auszugehen, dass die BPOL für die Zukunft gerüstet ist. Letztlich hat die Organisation als BGS mit dem Aufbau ihres Rufs, ihrem Ansehen und den Leistungen eine notwendige Basis geschaffen, um sich zur BPOL zu entwickeln. Die Entwicklungsschritte zur BPOL waren dann die wesentliche Bedingung, um als moderne, multifunktionale Polizeiorganisation des Bundes, als ein selbstverständlicher Bestandteil der sozialen Wirklichkeit Anerkennung zu finden und sich zukunftsfähig auszurichten.41

40 Vgl. Tushman, Michael L. e. a., Convergence and Upheaval: Managing the Unsteady Pace of Organizational Evolution, in: California Management Review, 29 1986, S. 29. 41 Vgl. Schütte-Bestek, Aus Bundesgrenzschutz wird Bundespolizei, S. 250.

Klaus Papenfuß

Spurensuche mit Zeitzeugen. Die Seelsorge im Bundesgrenzschutz, mit und ohne Vereinbarung

Wer auf die Suche geht nach den Anfängen der Seelsorge im damaligen Bundesgrenzschutz (BGS), stößt auf die 1965 geschlossenen formellen Vereinbarungen über die evangelische bzw. katholische Seelsorge – und stellt gleichzeitig überrascht fest, dass die realen Spuren viel weiter zurückreichen. Gemessen an ihrem tatsächlichen Wirken kann die Bundespolizei-Seelsorge Ende 2015 nicht nur auf 50, sondern auf 63 Jahre zurückblicken. Die Vereinbarungen von 1965 schufen also nicht die Grundlage, auf der erst Seelsorge stattfinden konnte. Im Wesentlichen fassten sie zusammen und beschrieben, was sich bereits in 13 Jahren entwickelt und bewährt hatte. Die Vereinbarungen waren Grundlage für kommende Jahrzehnte, nicht geschaffen durch die meist übliche rein theoretische Erörterung und Festlegung, sondern entwickelt aus der Praxis heraus, im Wissen um den tatsächlichen Regelungsbedarf. Wie ist es aber dazu gekommen, dass bereits ab 1952 Seelsorger im BGS tätig waren? Unter welchen Bedingungen arbeiteten die Seelsorger damals? Was prägte ihren Dienst am Menschen? Welche Eindrücke und Erfahrungen nahmen sie auf ? Wie entwickelte sich die Seelsorge in diesen frühen Jahren? Brachte die Unterzeichnung der Vereinbarungen spürbare Veränderungen für den Alltag der Seelsorger? Will man diesen Fragen auf den Grund gehen, bietet sich an, sich auf die Schilderung von Zeitzeugen abzustützen. Ihre schriftlichen Aufzeichnungen oder Erinnerungen im Gespräch sind authentisch, lebendig, unersetzlich. Ein glücklicher Umstand ist hierbei, dass der damalige Ministerialrat Ludwig Dierske, der im Bundesministerium des Innern (BMI) an entscheidender Stelle als Personalreferent für den BGS tätig war, akribisch nicht nur die Entwicklung des BGS, sondern dabei auch die der BGS-Seelsorge aufgezeichnet hat1. Als Insider, 1 Ludwig Dierske, Der Bundesgrenzschutz: Geschichtliche Darstellung seiner Aufgabe und Entwicklung von der Aufstellung bis zum 31. März 1963, Walhalla- und Praetoria-Verlag, 1967, S. 392 ff.

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der in die meisten Vorgänge selbst involviert war, hat er der Nachwelt wertvolle zeitgeschichtliche Einblicke und sachkundige Einschätzungen hinterlassen. Unter anderem eine umfangreiche Sammlung von Hinweisen auf wichtige Entwicklungsschritte, Organisations- und Ausstattungsdetails sowie BMI-Erlasse in Sachen BGS.2 Dass es darüber hinaus heute noch möglich ist, das von Ludwig Dierske vermittelte Bild abzurunden und zu ergänzen durch Gespräche mit Zeitzeugen, die die Entwicklung der Seelsorge in Bundesgrenzschutz und Bundespolizei3 über Jahrzehnte hautnah erlebt und an maßgeblicher Stelle mit geprägt haben4, ist ein weiterer glücklicher Umstand. Wem hat die BGS-Seelsorge nun zu verdanken, dass sie – ohne irgendeine Vereinbarung – seit 1952 den Dienst im BGS aufnehmen konnte? Dierske offenbart es: Dem damaligen Bundesinnenminister5 persönlich. Er notiert: 13. 10. 1952 Seelsorge im Bundesgrenzschutz Bundesminister des Innern Dr. Lehr ersucht, mit den beiden Kirchen unverzüglich Verbindung aufzunehmen, um die Einberufung von je 1 evangelischen und 1 katholischen Geistlichen für den Bundesgrenzschutz zu erreichen. Es werden am 1. November 1952 für die evangelische Kirche Pfarrer Leis, für die katholische Kirche Domkapitular Friedrichs eingestellt und zunächst dem Bundesgrenzschutzkommando Nord zugeteilt.

Einmal abgesehen vom – erst recht nach heutigen Maßstäben – unglaublichen Tempo der praktischen Umsetzung dieses Ministerwunsches ist bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit und Übereinstimmung in Grundüberzeugungen dies damals geschah. Dierske erläutert: Nach Auffassung des BMI war die Beachtung der Grundsätze christlicher Lebensführung ein wertvoller Beitrag zu der Erziehung der BGS-Beamten; er entschloss sich daher am 13. 10. 1952 dazu, an die Kirchenleitungen der beiden christlichen Konfessionen mit der Bitte heranzutreten, die berufsethische Erziehung und die seelsorgerische Betreuung der BGSAngehörigen auch durch Abordnung hauptamtlicher BGS-Geistlicher zu unterstützen. Die Kirchen waren hierzu unverzüglich bereit und stellten zunächst je einen Geistlichen mit dem zentralen Sitz in Hannover zur Verfügung.

2 Zweibändige Quellensammlung, Ludwig Dierske, Die Geschichte des Bundesgrenzschutzes, Bonn 1975. 3 Am 1. Juli 2005 wurde der Bundesgrenzschutz (BGS) in Bundespolizei (BPOL) umbenannt. 4 Hier stellvertretend die beiden katholischen Dekane a. D. Oberle und Boland, die im November 2014 in Würzburg in gemeinsamer Runde mit BPOL-Oberpfarrer Pater Rainer Klostermann befragt werden konnten. Msgr. Helmut Oberle, geb. 1925, BGS-Seelsorger 1959–1980; Prälat Patrick Boland, geb. 1942, BGS- bzw. BPOL-Seelsorger 1975–2007. 5 Dr. Robert Lehr (1883–1956), Bundesinnenminister 11. 10. 1950–20. 10. 1953.

Spurensuche mit Zeitzeugen – Die Seelsorge im Bundesgrenzschutz

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Die Selbstverständlichkeit, mit der diesem Anliegen ohne lange Diskussionen über eventuell noch erforderliche schriftliche Festlegungen entsprochen wurde, überrascht Dekan a.D. Helmut Oberle nicht. Als der 34-Jährige 1959 seinen Dienst als BGS-Seelsorger aufnahm, lagen hinter ihm bereits bittere Kriegsjahre als junger Soldat an der Ostfront, zweijährige russische Kriegsgefangenschaft, und – nach Studium, Priesterweihe und erster Tätigkeit als Kaplan – zwei Jahre intensiver Erfahrungen als Seelsorger in Lagern für Spätaussiedler. Ähnliche kriegsbedingte Erfahrungen waren der gemeinsame und verbindende Hintergrund seiner Generation wie auch der Generation der Eltern und Großeltern. „Eine schriftliche Vereinbarung mit Vorgaben habe ich nicht gebraucht. Ich bin da hingegangen, wo ich glaubte, dass Menschen das Gespräch mit einem Seelsorger suchen und dass meine Aktivitäten helfen können. Ich hatte das Vertrauen des Kommandeurs und der Vorgesetzten. Ich habe sehr früh sehr viele vertrauliche Gespräche in Empfang nehmen dürfen. Das hat mich sehr beglückt damals. Die Sprechstunden bei mir waren der Schwerpunkt meiner Tätigkeit,“ erinnert sich Oberle. „Ich habe mich auch außerordentlich wohl gefühlt im BGS. Das haben die Leute natürlich gespürt. So war ich an manchen Abenden schon ein bisschen traurig, dass ich nicht genügend Zeit für ein Gespräch hatte. Das Gefühl hatte ich oft: man müsste noch mehr Zeit investieren.“ Die Bedeutung der BGS-Seelsorger für die, „die in den Wirren der Nachkriegszeit sittlichen Halt suchten“, erwähnt auch Ludwig Dierske. Wieso war es trotz des beiderseitigen Verständnisses und der übereinstimmenden Grundüberzeugungen aber auch damals schon ein Anliegen der Verantwortlichen, schriftliche Vereinbarungen zur Seelsorge zu treffen? Dekan a.D. Patrick Boland formuliert dies im Gespräch so: „Die Menschen der Generation, die Geistliche im neu aufgestellten BGS ganz selbstverständlich wollten, kamen aus dem Zweiten Weltkrieg. Auch die ersten BGS-Offiziere waren in der Regel im Krieg gewesen. Sie hatten eine ganz bestimmte persönliche Prägung und Erfahrung. Wir können heute kaum ermessen, was es hieß, aus dem Krieg zu kommen. Vor allen Dingen einem Krieg, in dem nach und nach sichtbar wurde, welch furchtbares Unrecht geschehen ist, und zwar in einem unermesslichen Ausmaß. In dieser Gesellschaft war vieles weggebrochen, hatten viele im Krieg ihre Grenzen als Menschen gespürt. Alles wurde in Frage gestellt. Christliche Werte boten da die einzige verlässliche und bewährte Orientierung. Auch Politiker wie Adenauer und seine engsten Minister waren alle christlich orientiert. Hierauf allein konnte man aber nicht für die Zukunft bauen. Wenn man etwas über Jahre absichern wollte, brauchte man eine Rechtsgrundlage. Das, was zuerst spontan aus der Erkenntnis des Augenblicks und aus der Gebrochenheit der Bundesrepublik entstanden war, wäre später allein nicht tragfähig genug gewesen. Die nachwachsende Generation würde spätestens in 20 Jahren nichts mehr davon wissen. Das Gedächtnis ist kurz. Wir

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erleben dies heute genauso im Hinblick auf den Mauerfall. So war der eigentliche Grund für die Vereinbarungen, dass man Erkenntnisse weitergeben und zwei Prinzipien verankern wollte: Auf der einen Seite die Notwendigkeit einer Berufsethik mit einer sehr klaren Werteoption, um im III. Reich festgestellte Fehlentwicklungen zu verhindern. Und auf der anderen Seite – das war das Interesse der Kirche – die seelsorgerische Betreuung all derer, die eine solche wünschten. Und diese beiden Interessen trafen sich damals.“ Schon für die ersten Jahre ihres Bestehens skizziert Dierske das Spannungsfeld, in dem sich die BGS-/BPOL-Seelsorge seither bewegt: Dabei ging es um zwei grundsätzliche Fragen: sollte sich die Mitwirkung der BGS-Geistlichen auf eine seelsorgerische Tätigkeit beschränken oder sollte die Beteiligung an der berufsethischen Erziehung im Vordergrund stehen? Wobei er deutlich zum Ausdruck bringt, warum nach Auffassung des BMI die als Dienst für alle Beamten – unabhängig von ihrer konfessionellen Bindung oder Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft – vorgegebene berufsethische Erziehung im Mittelpunkt stehen sollte: Die vom BMI und den Kirchen erstrebte Breitenwirkung war nur zu erzielen, wenn unabhängig von einer konfessionellen Bindung die mit dem Beruf im weitesten Sinne zusammenhängenden Fragen in einer für jeden Beamten verständlichen und lebensnahen Form durch Besprechung mit allen BGS-Beamten behandelt wurden… Der berufsethische Unterricht, der frei von Glaubensdogmen abwechselnd von den BGS-Geistlichen beider Konfessionen im Beisein des anderen Geistlichen abgehalten wurde, war gewissermaßen der Vorhof, über den Zweifelnde und Suchende in die kirchliche Stille ihres Glaubens hinein- oder zurückfinden konnten. Seelsorge dagegen durfte nur auf freiwilliger Basis und nur nach Konfessionen getrennt erfolgen. Es kam hinzu, dass der BMI in Übereinstimmung mit den beiden Kirchen den Schwerpunkt der seelsorgerischen Betreuung in den Händen der Kirchen-Gemeinden lassen wollte, um – von den organisatorischen Schwierigkeiten abgesehen – auch dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass die BGS-Angehörigen Mitglieder dieser Gemeinden sein und werden sollten und nicht Fremdkörper in ihnen. Jahrelang bemühten sich BMI und Kirchen im Hintergrund in diesen Punkten um einvernehmliche Auffassungen und einheitliche Vorgaben – während die BGS-Seelsorger ihren Dienst in der Praxis mit Erfolg weitgehend nach eigenen Vorstellungen und in individueller Absprache mit den Verantwortlichen im BGS gestalteten. Dierske vermerkt, dass der BMI den Kirchen einen ersten Referentenentwurf für eine Dienstanweisung am 25. 9. 1953 übersandte. Drei Jahre vergingen dann, bis der BMI am 11. 11. 1956 getrennte – aber inhaltlich deckungsgleiche – Dienstanweisungen für die im BGS tätigen hauptamtlichen Geistlichen herausgeben konnte, die mit der Evangelischen Kirche in Deutschland bzw. dem Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz abgestimmt waren. Diese gemein-

Spurensuche mit Zeitzeugen – Die Seelsorge im Bundesgrenzschutz

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same Fassung von 1956 löste eine zwischenzeitlich schon für die evangelischen Geistlichen herausgegebene Dienstanweisung vom 10. 5. 1955 ab. Die Kirchen hatten sich letztendlich mit ihrer Auffassung durchgesetzt, der seelsorgerischen Betreuung den Vorrang vor der Mitwirkung bei der berufsethischen Erziehung zu geben. So regelten die Dienstanweisungen: Dienstliche Stellung und Zuständigkeit der Bundesgrenzschutz-Geistlichen, Zuordnungsverhältnis zu Kirche und Bund, Dienstlichen Wohnsitz, Schaffung eines „Ersten unter Gleichen“, Mitwirkung bei der berufsethischen Erziehung, Seelsorgerische Betreuung. Im Zuge dieser Entwicklung wurden 1965 die ersten BGS-Dekane ernannt6. Gerade das Jahr 1956 war dabei ein einschneidendes in der BGS-Geschichte. Der inzwischen auf über 16.000 Polizeivollzugsbeamte angewachsene BGS verlor 58 Prozent seines Personals. Zur Aufstellung der Bundeswehr am 1. Juli 1956 wurden die ausgebildeten Grenzschutzbeamten bei ihrem Einverständnis dorthin überführt. Für die Bundeswehr ein willkommener Grundstock, für den BGS ein existenzgefährdender Verlust, von dem er sich in den nächsten zwei Jahrzehnten nur schwer erholte. Umso bemerkenswerter, dass Dierske ausgerechnet in dieser Schwächephase des BGS wieder ein deutliches Bekenntnis des Bundesinnenministers7 zur BGSSeelsorge verzeichnet: 17. 7. 1956 Beibehaltung der Bundesgrenzschutz-Geistlichen Bundesminister des Innern teilt der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei – und dem Generalvikariat der Erzdiözese Köln mit, dass trotz Überführung eines Teiles des Bundesgrenzschutzes in die Bundeswehr ein dringendes Bedürfnis dafür besteht, die seelsorgerische Betreuung und berufsethische Erziehung der Angehörigen des Bundesgrenzschutzes in dem bisherigen Umfange fortzuführen, zumal der Bundesgrenzschutz baldmöglichst auf seine Sollstärke von 20.000 Mann wieder aufgefüllt werden soll.

Die BGS-Seelsorge hatte bis dahin einen steten Aufwuchs erfahren. Dierske vermerkt: Während im Jahre 1952 für den BGS nur ein evangelischer und ein katholischer Geistlicher hauptamtlich angestellt war, wurde ihre Zahl im Laufe des Jahres 1953 auf je zwei und im Jahre 1954 auf je drei erhöht, so dass für jedes BGS-Kommando ein evangelischer und ein katholischer Geistlicher zur Verfügung 6 Katholischer BGS-Dekan wurde Paul Breuer (1965–1967), gefolgt von Anton Wirtz (1968– 1974), Helmut Oberle (1975–1980), Patrick Boland (1981–2007) und Pater Jordanus von Sachsen Brand (seit 2008). Evangelischer Dekan wurde Fritz-Georg Ulbrich (1965–1978), gefolgt von Dr. Rolf Sauerzapf (1979–2000), Peter Jentsch (2001–2013) und Dr. Helmut Blanke (seit 2013). 7 Inzwischen Dr. Gerhard Schröder (1910–1989), Bundesinnenminister 20. 10. 1953–13. 11. 1961.

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standen. Lediglich das BGS-Kommando Küste und das Kommando der BGSSchulen mussten zunächst von den BGS-Geistlichen des BGS-Kommandos Nord mit versorgt werden. Zur Dienststellung der Seelsorger ergänzt er: Entsprechend der Bedeutung ihrer Stellung wurden die BGS-Geistlichen den Kommandeuren der BGS-Kommandos bzw. später den Kommandeuren der BGS-Gruppen unmittelbar zugeordnet. Außerdem war den BGS-Geistlichen bei allen Grundsatzfragen, welche die Erziehung, die Betreuung und die geistige Haltung der Polizei-Truppe betrafen, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; sie sollten an Offizier-Besprechungen beteiligt werden und die Möglichkeit erhalten, sich auch durch Vorträge zu den in ihr Arbeitsgebiet fallenden Fragen zu äußern. Die Kommandeure und Einheitsführer sollten die Hilfe der BGS-Geistlichen in Anspruch nehmen, wenn das Verhalten einzelner BGS-Angehöriger eine persönliche Einwirkung wünschenswert erscheinen ließ. Dass diese Vorgaben auch tatsächlich beachtet und gelebt wurden, bestätigen die Erfahrungen von Helmut Oberle, der als junger Seelsorger dem damaligen Kommandeur des BGS-Kommandos Küste zugeordnet war: „Für den Kommandeur war der Pfarrer aus seiner Fronterfahrung etwas ganz Kostbares. Es war ostpreußische Mentalität: der Pfarrer ist ganz wichtig. Dieses besondere Vertrauensverhältnis habe ich sehr zu schätzen gelernt. Der General war ein väterlicher Freund. Der meinte, ‚wenn der Oberle schon bei uns ist, dann muss er auch effektvoll eingesetzt werden‘. Dadurch war bei allen Vorgesetzten außerordentliches Wohlwollen für uns Geistliche spürbar.“ In einer Zeit, in der das Zusammenleben in der Gesellschaft – und damit auch der private Erfahrungshorizont der BGS-Beamten – weit mehr als heute von konfessioneller Trennung bestimmt war, hatten die BGS-Seelsorger mit ihrem nicht konfessionsgebundenen Wirken eine besondere und alle verbindende Bedeutung. „Das war für mich eine tolle Chance. Das habe ich äußerst positiv gesehen. Diese Erfahrungen im BGS haben mich geprägt. Konfession hat keine Rolle gespielt; uns ging es um den Menschen. Auch der Kontakt zu den evangelischen Kollegen war immer optimal. Es war eine außerordentlich brüderliche Beziehung.“, erinnert sich Helmut Oberle. Wie fundamental damals noch außerhalb der BGS-Seelsorge, wechselnd nach Region und jeweiliger Minderheit, die Vorbehalte zwischen den Konfessionen waren, hat Oberle als junger katholischer Priester selbst erlebt: „Ich bin ein paar Mal von Friedland aus in niedersächsische Dörfer zu alten Menschen geschickt worden, die im Sterben lagen. Am Anfang hatte ich dabei das Kollar umgelegt und war dadurch als katholischer Priester erkennbar. Da ist mir tatsächlich passiert, dass sich die Leute bei meiner Frage nach dem Weg einfach abgewendet haben und weggegangen sind. Bis ich gemerkt habe, die haben was gegen katholische Priester,

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gegen ‚Pfaffen‘. Von da an bin ich nur noch mit Schlips und Kragen losmarschiert und dann hat es geklappt.“ Nicht nur Konfessionsgrenzen hat die BGS-Seelsorge innerhalb des BGS vergessen lassen. Die „berufsbegleitende Seelsorge“, wie Patrick Boland sie bezeichnet, hat mit ihren Angeboten auch früh dazu beigetragen, dass andere Grenzen überwunden wurden. Noch in den 1970er Jahren war im BGS eine Trennung nach Offizieren, also höherem und gehobenem Dienst, Unterführern, also mittlerem Dienst, und Grenzjägern, dem einfachen Dienst, selbstverständlich für das innere Gefüge. Dies ging bis zu eigenen Aufenthalts- und Speiseräumen. „Wir haben dagegen bei Familienfreizeiten nicht mehr unterschieden zwischen Beamten, Angestellten und Arbeitern. Wer beim BGS war, hatte einen Platz. Wir waren eine Familie. Das war sehr befriedigend, weil es keine Unterschiede gab. Da konnte ein Hauptmann mit einem Grenzjäger im selben Quartier Urlaub verbringen. Das war eine der erfolgreichsten Entwicklungen.“, erinnert sich Helmut Oberle. Bereits in den ersten Jahren ihres Bestehens hatte die kleine Schar der BGSSeelsorger es auch geschafft, externe Tagungen für BGS-Angehörige an den renommierten evangelischen und katholischen Akademien zu organisieren. Hierzu vermerkt Dierske: Bereits in den Jahren 1952 und 1953 hatte die Evangelische Akademie in Friedewald (bei Betzdorf a. d. Sieg) mehrere Tagungen für BGS-Angehörige durchgeführt, Loccum war gefolgt. Auf Grund der guten, nachhaltigen und in die Breite gehenden Erfolge solcher Tagungen schlugen die BGSGeistlichen dem BMI vor, solche Arbeitstagungen zum Bestandteil der berufsethischen Erziehung zu machen. Der BMI entsprach dieser Anregung und legte für das Jahr 1954 bei jedem BGS-Kommando 2 Tagungen für BGS-Wm (SB) 8 und Gj. (SB) 9 – getrennt nach Konfessionen – und 2 Tagungen für BGS-Offz. fest; für BGSKommando Süd in Tutzing und Kloster Vierzehnheiligen, für Mitte in Hofgeismar und Fulda, für Nord in Loccum und Burg Gemen (Borken), für Küste in Sankelmark und Schloß Nütschau; die Tagungen für BGS-Offz. fanden in Friedewald und Maria Laach statt. Die Teilnahme ( je Tagung etwa 35 BGS-Angehörige – auch Lehrkräfte, Verwaltungsbeamte –) galt als Dienst bei freiwilliger Meldung und erstreckte sich auf 5 Tage; die Kosten – je Tagung etwa 2.500 DM – wurden auf Bundesmittel übernommen. Helmut Oberle sieht darin einen gerade zur damaligen Zeit wichtigen Schritt in die Gesellschaft hinein, der auch mit einer Aufwertung der Seelsorge-Tagungen für den BGS verbunden war: „Das war auch eine Frage des Prestiges. Die Akademien hatten damals schon einen hohen Stellenwert. Allein die Überschrift: 8 BGS-Wachtmeister (Sammelbezeichnung), also Unterführer, mittlerer Dienstes. 9 BGS-Grenzjäger (Sammelbezeichnung), also die überwiegende Zahl der Beamten des einfachen Dienstes.

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‚Lehrgang in der Akademie …‘ wirkte schon. Die Akademien waren überall in Deutschland angesehene Organisationen und personell sehr gut besetzt. Ihre Möglichkeiten mit zu nutzen, war in mehrerer Hinsicht geschickt.“ Welchen Stellenwert diese ersten Akademietagungen genossen, belegt beispielsweise ein am 15. 12. 1953 beginnender Schriftwechsel10 zwischen Pastor Leis, „Beauftragter der Kirchenkanzlei der EKD für die evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz, Hannover, Nordring 1“ und dem Leiter der Evangelischen Akademie Tutzing. Den Unterlagen über die ersten dort für das Grenzschutzkommando Süd durchgeführten Lehrgänge ist nicht nur zu entnehmen, dass 1954 der Philosoph Prof. Dr. Erwin Reisner von der Kirchlichen Hochschule Berlin als Referent zum Thema „Die Grenze“ nach Tutzing reiste. 1955 besuchte der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Herman Dietzfelbinger, die Akademietagung für die BGS-Beamten. Ebenso der Kommandeur des Grenzschutzkommandos Süd, Hans Höffner, der an der ersten Tagung 1954 selbst teilgenommen hatte. Das Selbstverständnis der BGS-Seelsorger in Abgrenzung zu den örtlichen Kirchengemeinden war eindeutig: „Wir haben uns von Anfang an als Standesseelsorger gefühlt, die auf die verbindenden Besonderheiten der beruflichen Tätigkeit für den BGS eingehen und die Menschen in diesem speziellen Aufgabenfeld begleiten.“, betont Helmut Oberle. Vor diesem Hintergrund war auch die Zusammenarbeit mit den Ortspfarreien problemlos. „Jeder Ortspfarrer wusste, dass ich keine Konkurrenz für ihn bin. Mir war klar – und das habe ich nie in Frage gestellt –, dass die Zivilgemeinde der richtige Ort für die normale Seelsorge ist.“, so Oberle, der noch den fast ausschließlich in Großstandorten untergebrachten BGS erlebt hat. Hier war es noch möglich gewesen, alle BGS-Angehörigen der Abteilungen und Hundertschaften an wenigen Orten konzentriert zu erreichen – durch Gesprächsangebote, Unterrichte oder die monatlichen Standortgottesdienste. Und es war noch möglich gewesen, die Verbindung zu einer überschaubaren Zahl von Ortspfarrern zu pflegen. Dies änderte sich im Lauf der Jahrzehnte mit Zunahme der BGS-Aufgaben, Zunahme langzeitiger Abordnungen der BGS-Angehörigen zu Schwerpunktdienststellen, Zunahme der im Schichtdienst zu leistenden Aufgaben und der bundesweit aufgegliederten kleineren Dienststellen von BGS bzw. Bundespolizei. Was dies auch für die BGS- bzw. BPOL-Seelsorge bedeutete, hat Patrick Boland in seiner Tätigkeit von 1974 bis 2007 unmittelbar erlebt. Umorganisationen und 10 Akten der Evangelischen Akademie Tutzing aus den Jahren 1954 und 1955, archiviert im Landeskirchlichen Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (LAELKB) in Nürnberg.

Spurensuche mit Zeitzeugen – Die Seelsorge im Bundesgrenzschutz

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Veränderungen prägten immer wieder den Alltag und belasteten die BGS-Angehörigen und ihre Familien in vielfacher Weise. „Gewachsene soziale Strukturen, die vorher Sicherheit und Beständigkeit bedeutet hatten, wurden grundlegend verändert. Und das mehrfach. Mit neuen Aufgaben und der Zuordnung der Menschen zu anderen, oft weit entfernten Dienststellen waren schwierige soziale Probleme verbunden. Wir Seelsorger waren dabei nicht nur Anteil nehmende Begleiter, sondern oft auch die letzte Hoffnung der Hilfesuchenden.“, so Boland. „Die gewaltigen Strukturveränderungen haben gleichzeitig aber auch flexiblere Strukturen der Seelsorge erfordert. Weg von vor allem standortbezogener Tätigkeit, hin zur begleitenden Betreuung der BGS-/BPOL-Beamten in ihrer Ausbildung und den vielfältigen Aufgaben- und Einsatzbereichen.“ Nicht nur im seelsorgerischen Wirken hatten sich die Geistlichen auf erhebliche Veränderungen einzustellen. Auch die berufsethische Erziehung stellte neue Anforderungen. Patrick Boland: „Es begann 1976 mit Personalstrukturgesetz und zweieinhalbjähriger Ausbildung gegenüber 10 Monate nach altem Recht. Nach altem Recht waren mit den Beamten, die meist nur ein paar Jahre im BGS dienten, einige grundsätzliche ethische Fragen zu behandeln. Grundwerte, Polizei im Rechtsstaat, Waffengebrauch und solche Dinge. Nach neuem Recht, bei der Ausbildung von Polizisten für einen Beruf auf Lebenszeit, musste systematischer vorgegangen werden. Jetzt waren Stundensätze einzuhalten. Damals haben wir uns die Köpfe zerbrochen, wie viele Stunden wir wenige Seelsorger überhaupt halten können. Mehr und mehr gewann zudem der gehobene Dienst an Bedeutung und Zahl. Sein Studium gab anders formulierte Pläne vor. Die Inhalte der berufsethischen Erziehung sind nicht gänzlich andere geworden als in früheren Jahren. Aber auch berufsethische Erziehung muss heute systematischer und logisch durchdachter dargeboten werden als früher. Für ad-hoc-Angebote – früher die Regel – war in späteren Jahren selten Raum.“ Als 1956 die ersten zwischen BMI und den beiden Kirchen abgestimmten Dienstanweisungen für die BGS-Seelsorge erlassen wurden, konnte man derartige Entwicklungen nicht ahnen. Auch als danach in jahrelangen Verhandlungen und durchaus kontrovers über die Inhalte der schließlich 1965 erlassenen Vereinbarungen über die BGS-Seelsorge diskutiert wurde, war der BGS in Aufgaben und Struktur noch weitgehend unverändert. Umso bemerkenswerter ist, dass sich der Text der damaligen Vereinbarungen über Jahrzehnte als tragfähige Grundlage für das Wirken der Seelsorger im später völlig veränderten BGS bzw. der Bundespolizei erwiesen hat. Auch daran wird deutlich, mit wieviel Weitsicht die Verhandlungspartner damals nach Lösungen gesucht haben, die auch in der Zukunft Bestand haben konnten. Dass die Verhandlungen über die Vereinbarungen schließlich 1965 in dieser Form abgeschlossen werden konnten, ist nach Erinnerung von Helmut Oberle wieder maßgeblich dem persönlichen Einsatz

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Klaus Papenfuß

und Nachdruck des verantwortlichen Bundesinnenministers11 zuzurechnen. Und auch hier dürften gemeinsame Kriegserfahrungen von zwei Verantwortlichen den Weg erleichtert haben. Patrick Boland: “Der BGS-Seelsorger und spätere Dekan Toni Wirtz hatte eine besonders innige Beziehung zu Bundesinnenminister Höcherl. Toni Wirtz war mit Höcherl in russischer Gefangenschaft gewesen. Als er die Möglichkeit hatte, nach dem Krieg wieder nach Deutschland zurückzukehren, hatte er das abgelehnt zugunsten eines dortigen Bleibens für die restlichen Soldaten. Und unter diesen restlichen war Höcherl gewesen. Dies begründete die besondere Wertschätzung des späteren Bundesinnenministers.” Überhaupt erinnern sich Helmut Oberle und Patrick Boland gern an das Vertrauen, das der BGS-Seelsorge seitens der jeweiligen Bundesinnenminister entgegengebracht wurde: „Man brauchte keine Termine; kurzfristige Vereinbarung über das Vorzimmer war ausreichend. Der Minister nahm sich immer Zeit für ein Gespräch. Insofern war das eine hochprivilegierte Stelle. Wer konnte sonst schon ohne weiteres zum Minister.“, so Oberle, der auch erlebte, wie Hermann Höcherl sich einmal persönlich dafür interessierte, als ein junger Beamter aus Liebeskummer Selbstmord beging: „Im Gespräch kündigte er dann einen Erlass an, dass zu allen Suiziden auch der jeweilige Seelsorger ein Gutachten schreiben soll. Das war Höcherl. Das hat mir damals sehr imponiert, dass er sich diesem Problem aufgrund seiner eigenen Erfahrungen von sich aus widmete.“ Auch Patrick Boland hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Da waren keine Barrieren. Den BGS-Seelsorgern wurde sehr großes Vertrauen entgegengebracht. Ihre Einschätzungen galten etwas beim Minister. Das war für mich neu. Hatte ich so nicht erwartet.“ Die positiven Erinnerungen und Bewertungen der Zeitzeugen sind zahllos. Geht man mit ihnen auf Spurensuche, kann man ermessen, wieviel Wertschätzung, Unterstützungsbereitschaft und Dankbarkeit für ihr Wirken die BGS-Seelsorge von Anfang an erfahren hat. Ausgerichtet auf die Menschen in ihrer speziellen beruflichen Situation hatte die Seelsorge gleich einen festen Platz in der von ihr betreuten Bundespolizei. Gleich. Auch schon Jahre vor Abschluss der Vereinbarungen.

11 Hermann Höcherl (1912–1989), Bundesinnenminister 14. 11. 1961–25. 10. 1965.

Christian Waldhoff

Die rechtlichen Grundlagen der Seelsorge in der Bundespolizei

I.

Polizeiseelsorge als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche

Die Seelsorge in der Bundespolizei ist „Sonderseelsorge“1. Als Spezialfall der Polizeiseelsorge wird sie staatsrechtlich unter den Begriff der Anstaltsseelsorge gefasst und gehört zu den gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche (sog. res mixtae) 2. Dabei handelt es sich um eine spezifische Ausprägung des Grundverhältnisses von Staat und Kirche in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes: Es gibt keine Staatskirche (Art. 137 Abs. 1 WRV), die Verfassung selbst sieht jedoch zahlreiche Fälle einer engen Kooperation zwischen Staat und Kirchen vor oder ermöglicht sie (Art. 7 Abs. 3 GG; Art. 137 Abs. 5 und 6; 141 WRV u. a.). Dieses staatskirchenrechtliche Prinzip der „hinkenden Trennung“ (Ulrich Stutz) oder in der Diktion des Bundesverfassungsgerichts: der fördernden Neutralität3, vermeidet eine religiöse Begründung und Legitimierung der Staatsgewalt, verbietet die Identifikation des Staates mit einer konkreten Religion oder Konfession und grenzt sich so von staatskirchlichen Systemen ab; auf der anderen Seite ermöglicht es jedoch Kooperationen, wie sie in laizistischem Verständnis nicht möglich wären. Im internationalen und im europäischen Kontext dürfte es sich damit um das zukunftsfähige Modell handeln4. Der staatskirchenrechtliche Terminus der res mixtae umschreibt die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche. Jenseits eines solchen Schlagworts ist genauer zu betrachten, was dies bedeutet. Zum einen handelt es 1 Dietrich Pirson, Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 23, 1989, S. 4 (12). 2 Axel von Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 196 ff. (206 f.); Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/2, 2011, S. 1349. 3 BVerfGE 108, 282 (300); zur „freundlichen“ Trennung auch Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2. Aufl. 2012, Rdnr. 144 f. 4 Christian Waldhoff, Die Zukunftsfähigkeit des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 42, 2008, S. 55 ff.

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Christian Waldhoff

sich um eine begriffliche Abstraktion, einen „Hilfsbegriff“, aus dem nicht ohne weiteres juristische Deduktionen getroffen werden können5. Zum anderen betont die neuere und zutreffende Ansicht, dass die res mixtae nicht zu einer Vermischung staatlicher und kirchlicher Hoheit führen, sondern dass es sich um ein spezifisches Zuordnungsverhältnis in gemeinsamer Interessenverfolgung handelt6. Der Staat öffnet für einen klar definierten Bereich seine Rechtsordnung und überlässt den Kirchen eine konkrete Aufgabe. Im vorliegenden Fall, die der Seelsorge in der Bundespolizei. Trotz der Bezeichnung als „gemeinsame“ Angelegenheit bleiben staatliche und kirchliche Sphäre grundsätzlich getrennt7.

II.

Die (verfassungs-)rechtlichen Grundlagen

Nachdem kurz in Erinnerung zu rufen ist, wie die Bundespolizei entstanden ist und welchen (verfassungsrechtlichen) Status sie besitzt, sind einerseits die verfassungsrechtlichen, andererseits die vertraglichen Grundlagen der Seelsorge in ihrem Bereich zu untersuchen.

1.

Bundespolizei

Die Bundespolizei ist – wie bereits der Name sagt – die Polizei des Bundes, während traditionell in Deutschland Polizeirecht in die Landesgesetzgebungsund Verwaltungskompetenz fällt8. Das sich auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 5; 87 Abs. 1 Satz 2 GG sowie verschiedene Annexkompetenzen von Zuständigkeiten des Bundes stützende Gesetz über die Bundespolizei vom 19. Oktober 19949 hat den ehemaligen Bundesgrenzschutz, der bereits 1992 u. a. Aufgaben der Bahnpolizei sowie des Schutzes vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs übertragen erhalten hatte10, zur Bundespolizei umgeformt11. Sie wird in bundeseigener 5 von Campenhausen/de Wall (Fn. 2), S. 196; Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 3), Rdnr. 381. 6 Grundlegend Dirk Ehlers, Die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, ZevKR 32 (1987), S. 158 ff. 7 Das wurde unter der WRV teilweise noch anders gesehen: Gleichzeitig eigene Angelegenheit der Kirchen und staatliche Angelegenheit, Godehard Josef Ebers, Artikel 137, 138, 140, 141. Religionsgesellschaften, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Bd. 2, 1930, S. 361 (395). 8 Vgl. nur Hans-Jürgen Papier, Polizeiliche Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, DVBl. 1992, 1 ff. 9 BGBl. I S. 2978 mit späteren Änderungen. 10 Gesetz vom 23. Januar 1992, BGBl. I S. 178. 11 Umbenennung durch das Gesetz zur Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundes-

Die rechtlichen Grundlagen der Seelsorge in der Bundespolizei

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Verwaltung wahrgenommen, nach § 1 Abs. 1 BPolG ist die Bundespolizei eine Polizei des Bundes im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Dass die Vereinbarungen von 1965 sich seinerzeit auf den Bundesgrenzschutz bezogen, ist für die Gegenwart ohne Belang; der ehemalige Bundesgrenzschutz bildet den Kern der heutigen Bundespolizei.

2.

Anstaltsseelsorge nach Art. 141 WRV i. V. m. Art. 140 GG

Die in der Weimarer Reichsverfassung erstmals ausdrücklich garantierte Anstaltsseelsorge beruht auf dem Gedanken, dass auch den in „öffentlichen Anstalten“ Tätigen Seelsorge nicht vorenthalten werden soll12. Das Institut knüpft an sog. besondere Gewaltverhältnisse (Sonderstatusverhältnisse) 13 an, in denen die dort Tätigen, zumeist Beamten, in einer besonderen Pflichten- und Nähestellung zum Staat stehen oder die Betroffenen – im Gefängnis bzw. im Krankenhaus – ihrer Freiheit beraubt oder zumindest in ihr eingeschränkt sind14. In Ergänzung zur auch hier grundsätzlich geltenden Religionsfreiheit sorgt der Staat „positiv“ für deren Verwirklichungschancen. Auf eine Kurzformel gebracht: „Die Anstaltsseelsorge dient […] der Kompensation für eingetretene Freiheitseinbuße“15, sie ist „Grundrechtsermöglichung unter den besonderen Bedingungen des Anstaltsverhältnisses“16. Das impliziert zugleich, dass es um Seelsorge für die Amtsträger bzw. die Insassen/Benutzer geht; nicht die Institution Bundeswehr, Polizei oder Strafvollzugsanstalt, sondern die konkreten Individuen sind begünstigt. Inwiefern dies auch ohne die Spezialnorm aus der Schutzpflichtendimension von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG folgen würde17, kann hier

12

13 14 15 16 17

polizei vom 21. Juli 2005, BGBl. I S. 1818; zum Ganzen ferner Peter Badura, Staatsrecht, 5. Aufl. 2012, Rdnr. G 70. von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Fn. 2), S. 197; im Weimarer Schrifttum wurde freilich noch weitgehend vertreten, dass es dem Staat unbenommen sei, die Anstaltsseelsorge auch selbst in die Hand zu nehmen, vgl. nur Ebers, Religionsgesellschaften (Fn. 7), S. 395 f.; Gerhard Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reichs vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 14. Aufl. 1933, Art. 141 Anm. 2. Eingehend Wolfgang Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982. Jörg Ennuschat/Clemens Munoz, Art. „Seelsorge in Polizei/Militär/Gefängnis/Krankenhaus“, in: Heinig/Munsonius (Hrsg.), 100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht, 2012, S. 232. von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Fn. 2), S. 197; Stefan Korioth, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 140 GG/141 WRV, Rdnr. 1 (Loseblattsammlung; Stand der Kommentierung: 42. Lfg. Februar 2003). Ebd., S. 198; Dirk Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 140 GG/141 WRV Rdnr. 1. von Campenhausen/Unruh, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 141 WRV Rdnr. 6; Stern, Staatsrecht (Fn. 2), S. 1351; Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 3), Rdnr. 379.

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offen bleiben. Mag man so den Anspruch der Soldaten oder Polizisten fundieren, der Anspruch auf Zugang der Kirchen ist anders herzuleiten; hier bedarf es auch heute noch der expliziten Gestattung durch Art. 141 WRV, denn die korporativen Rechte der Kirchen beziehen sich nur auf den ihnen offenstehenden Bereich18. Auch im vorliegenden Zusammenhang sollte keine übertriebene Vergrundrechtlichung des Staatskirchenrechts die Substanz des Institutionellen verdrängen19: Die Anstaltsseelsorge dient der Grundrechtsverwirklichung der Betroffenen; Anspruchsberechtigter der institutionellen Garantie des Art. 141 WRV sind jedoch ausschließlich die Kirchen und Religionsgemeinschaften20. Aufgrund seiner religiösen Neutralität kann und darf der Staat Seelsorge nicht selbst betreiben, sondern öffnet sich auf den Antrag der Religionsgemeinschaften insofern für deren entsprechende Tätigkeiten. Das wurde unter der Reichsverfassung von Weimar noch anders gesehen21. Anders als beim Religionsunterricht an öffentlichen Schulen nach Art. 7 Abs. 3 GG erschöpft sich die staatliche Mitwirkung in der Gewährung des Zutritts, dem organisatorischen Aufbau und der Finanzierung; die eigentliche Seelsorge ist und bleibt „Teil der kirchlichen Arbeit im Auftrag der Kirchen“22. Beim Religionsunterricht handelt es sich trotz des inhaltlichen Bestimmungsrechts der jeweiligen Religionsgemeinschaft demgegenüber insgesamt um eine staatliche Veranstaltung23. Anstaltsseelsorge beruht insofern, wie durch die Art. 136 Abs. 4 WRV konkretisierende Formulierung der Freiheit von jedem Zwang in Art. 141 WRV deutlich wird, auf einer doppelten Freiwilligkeit: Die Kirchen oder Religionsgemeinschaften erhalten eine Option, keine Pflicht zur Anstaltsseelsorge24; die Adressaten der Seelsorge werden nicht dazu gezwungen, diese in Anspruch zu nehmen. Die Aufzählung der Fälle der Anstaltsseelsorge in Art. 141 WRV ist nicht abschließend, sondern nur beispielhaft, wie schon aus der Formulierung „sonstige[…] öffentliche Anstalten“ deutlich wird. Mit „Anstalt“ ist nicht der verwaltungsorganisatorische Begriff gemeint25, entscheidend ist die Teleologie 18 von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Fn. 2), S. 199. 19 Allgemein zu dem Problem Waldhoff, Zukunft (Fn. 4), S. 81 ff. 20 von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Fn. 2), S. 202; Stefan Mückl, Freiheit kirchlichen Wirkens, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 161 Rdnr. 55; Karl-Hermann Kästner, in: Kahl/Waldhoff/ Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 140 Rdnr. 688 (Loseblattsammlung; Stand der Kommentierung: 145 Lfg. April 2010). 21 Oben Fn. 7. 22 Rudolf Seiler, Seelsorge in Bundeswehr und Bundesgrenzschutz, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 1995, § 68, S. 982. 23 Korioth (Fn. 15), Art. 141 WRV Rdnr. 3. 24 Zum „Angebotscharakter“ des Staatskirchenrechts Waldhoff, Zukunft (Fn. 4), S. 96 ff. 25 Dazu statt aller nur Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 23 Rdnr. 46 ff.

Die rechtlichen Grundlagen der Seelsorge in der Bundespolizei

47

der Norm26: Überall, wo die Grundrechtsverwirklichung der Beamten in Bezug auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG dies verlangt, greift Art. 141 WRV. Wie die überkommene Polizeiseelsorge27 stellt sich die Seelsorge in der Bundespolizei als Fall der Auffangklausel („sonstigen öffentlichen Anstalten“) dar. Angesichts der Vielgestaltigkeit der Bundespolizei stellt sich die Frage, ob sich die gesamte Seelsorgetätigkeit, die für die Bundespolizei einheitlich erfolgt, auf Art. 141 WRV stützen kann28. Während Markus Heintzen „die Polizei“ als solche nicht als „Anstalt“ i. S. dieser Norm ansieht29, sondern allenfalls die einzelne Dienststelle, ist dies für die Bundespolizei anders zu beurteilen30. Kriterium ist, ob die Betroffenen „in ähnlicher Weise wie in den aufgeführten Beispielen auf eine Religionsausübung im staatl. Bereich angewiesen sind“31. Sieht man den Grenzschutz nach wie vor personell und finanziell als Kern der Bundespolizei an, steht diese trotz ihrer Vielgestaltigkeit im Hinblick auf die Anstaltsseelsorge der Bundeswehr näher als den Landespolizeien. Die Verträge zwischen den Kirchen und dem Bund aus dem Jahr 1965 bezogen sich ausschließlich auf den seinerzeitigen Bundesgrenzschutz. Die bahnpolizeiliche Tätigkeit etwa, die seit einigen Jahren ebenfalls zu den Aufgaben der Bundespolizei gehört, steht den Schutzpolizeien der Länder näher als dem alten BGS. Insgesamt sollten die Anforderungen an den Maßstab nicht übertrieben werden32. Daher ist zur Zeit eine einheitliche staatskirchenrechtliche Qualifikation der Bundespolizei als Ganzes als „Anstalt“ i. S. des Rechtsinstituts der Anstaltsseelsorge möglich33. Die Beurteilung dieser Fragen kann sich freilich bei Änderungen in Struktur und Zusammensetzung der Bundespolizei ändern. Jenseits von Art. 141 WRV muss der Staat bei Gestattung und (Mit-)Organisation der Seelsorge in der Bundespolizei das übrige Verfassungsrecht beachten. Dies betrifft vor allem das Gebot, sich nicht inhaltlich mit einer konkreten Religion oder Konfession zu identifizieren34, die Achtung der negativen Religionsfreiheit der Beamten35 sowie die Beachtung des Paritätsprinzips36 bei der Verteilung finanzieller und materieller Ressourcen. 26 Korioth (Fn. 15), Art. 141 WRV Rdnr. 5. 27 Markus Heintzen, Polizeiseelsorge, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 69, S. 987 f. 28 Für die Polizei ebenso Heintzen, Polizeiseelsorge (Fn. 27), S. 989. 29 Ebd., S. 989 f. 30 Vgl. auch von Campenhausen/Unruh (Fn. 17), Art. 141 WRV Rdnr. 8; Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 3), Rdnr. 383. 31 Ehlers (Fn. 16), Art. 141 WRV Rdnr. 4. 32 Vgl. auch Kästner (Fn. 20), Art. 140 Rdnr. 687. 33 I. E. auch Ehlers (Fn. 16), Art. 141 WRV Rdnr. 4. 34 Zum Gebot der Nichtidentifikation etwa BVerfGE 30, 415 (422); 93, 1 (17). 35 Vgl. etwa Stefan Muckel, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Rdnr. 21, 27, 41 f., gegen Johannes Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 140 f.

48 3.

Christian Waldhoff

Vertragliche Vereinbarungen

Traditionell wird die Anstaltsseelsorge vertraglich zwischen Staat und Kirchen geregelt37. Das Zusammenwirken erfordert erhöhte Koordination; die Rechtsform des Vertrags ist das angemessene Instrument38. Art. 141 WRV enthält nur eine Mindestgarantie, dem Staat ist es unbenommen, sich darüber hinausgehend weiter zu verpflichten39. Zentral für die Seelsorge in der Bundespolizei ist deren vertragliche Absicherung durch zwei Vereinbarungen aus dem Jahr 1965: Der Vereinbarung über die evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz vom 12. August 196540 sowie der Vereinbarung über die katholische Seelsorge im Bundesgrenzschutz vom 14. September 196541, auf Seiten des Bundes beide vom damaligen Bundesinnenminister Hermann Höcherl unterzeichnet. Vorbild waren wohl ältere Vereinbarungen zwischen den Kirchen und der Polizei in Nordrhein-Westfalen42. Weiter konkretisiert werden diese Verträge durch die in Abstimmung mit den Kirchen erlassene Richtlinie des Bundesministers des Innern vom 19. Dezember 196643 in Form einer Verwaltungsvorschrift. Die genannten Verträge konkretisieren das aus Art. 141 WRV folgende Kooperationsgebot. Durch die §§ 9 (dienstliche Unterstützung der Grenzschutzseelsorger) und 19 (gegenseitige Verständigung) der Vereinbarungen wird das Kooperative, ja Freundschaftliche in diesem Bereich verdeutlicht. Die etwas zurückhaltend „Vereinbarung“ benannten Verträge sind weder Konkordate, noch Staatskirchenverträge im Sinne von Staatsverträgen i. e. S., denn es fehlt an der parlamentarischen Zustimmung auf staatlicher Seite44. In der Präambel der katholischen Vereinbarung ist die Zustimmung des Hl. Stuhls erwähnt. Dogmatisch 36 Dazu allgemein etwa Martin Heckel, Die religionsrechtliche Parität, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 20. 37 Jörg Ennuschat, Art. „Anstaltsseelsorge ( J)“, in: Heun u. a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Neuausgabe 2006, Sp. 62 f.; von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Fn. 2), S. 206 f. 38 Eingehend Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 3), Rdnr. 343 f. 39 Heintzen, Polizeiseelsorge (Fn. 27), S. 989. 40 GMBl. S. 374; auch abgedruckt in Joseph Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 1987, S. 120 sowie in Heribert Schwark, Geschichte und Rechtsgrundlagen der Polizeiseelsorge in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West), 1986, Anlage 21. 41 GMBl. S. 377; ebenfalls bei Listl, Konkordate (Fn. 40), S. 85 ff. sowie in Schwark, Polizeiseelsorge (Fn. 40), Anlage 22. 42 Schwark, Polizeiseelsorge (Fn. 40), S. 260 ff. 43 Mitteilungsblatt für den Bundesgrenzschutz 1967, S. 1. 44 Hier ist terminologisch freilich vieles unklar, vgl. nur Stefan Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 159 Rdnr. 44 ff.; Katia Schier, Die Bestandskraft staatskirchenrechtlicher Verträge, 2009, S. 27 ff.; Julia Lutz-Bachmann, Mater rixarum? Verträge des Staates mit jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften, 2015 (im Erscheinen).

Die rechtlichen Grundlagen der Seelsorge in der Bundespolizei

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wird die Transformation in staatliches Recht hier durch die Bekanntmachung durch das Bundesinnenministerium im Gemeinsamen Ministerialblatt erzielt. Die vertragliche Bindung ist unbestritten; freilich könnte – um den Preis des Vertragsbruchs – der Staat entgegenstehendes Recht setzen45. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die Konkretisierung der im staatlich einseitig gesetzten Recht nur rudimentär ausgestalteten gemeinsamen Angelegenheit der Anstaltsseelsorge durch vertragliche Absprachen entspricht Tradition und Funktion des deutschen Staatskirchenrechts46.

4.

Staatskirchenrechtliche Bedeutung kirchlichen Rechts

Wie bei gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche üblich, erhält das (inner-)kirchliche Recht ein Anwendungsfeld. Zu bestimmen, was genau Seelsorge bedeutet, insbesondere welche religiösen Inhalte im Rahmen solcher Seelsorge vermittelt werden oder die Seelsorge fundieren, muss den Kirchen überlassen bleiben. Insofern durchaus ähnlich wie beim Religionsunterricht an öffentlichen Schulen kann der Staat, will er nicht seine religiöse Neutralität verletzen, zu Glaubensfragen nicht Stellung beziehen. Ihm fehlt dazu im doppelten Sinn die Kompetenz: er darf es nicht und er könnte es auch nicht. Die Inhalte und Formen der Seelsorge sind so weitgehend den Kirchen überlassen. Dieser Bereich wird in je unterschiedlicher Weise durch Kirchenrecht ausgefüllt. So hat Art. 18 der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland die „Evangelische Seelsorge … im Bundesgrenzschutz“ zur Gemeinschaftsaufgabe von EKD und Gliedkirchen erklärt47. Ein Kirchengesetz hat dies umgesetzt48. Was Seelsorge in diesem Kontext bedeutet, erläutert ein Kommentar: „Die Seelsorge umfasst den Dienst an Wort und Sakrament einschließlich des Vollzugs kirchl. Amtshandlungen und die Einzelseelsorge an den ev. Polizeivollzugsbeamten in der Bundespolizei. Sie wird als Teil der kirchl. Arbeit im Auftrag und unter der Aufsicht der Kirche von Geistlichen ausgeübt. Sie sind im Dienst an Wort und Sakrament und in der Seelsorge im Rahmen der kirchl. Ordnung selbständig und in ihrem geistlichen Auftrag von staatl. Weisungen unabhängig. Für Gottesdienst und Amtshandlungen ist die Ordnung der Gliedkirche am Ort maßgebend.“49 45 Zum Diskussionsstand Mückl, Grundlagen (Fn. 44), Rdnr. 46; eigener, freilich nicht voll überzeugender Lösungsansatz bei Schier, Bestandskraft (Fn. 44). 46 Allgemein Mückl, Grundlagen (Fn. 44), Rdnr. 30 ff., 39 ff.; Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 3), Rdnr. 343 ff. 47 Herbert Claessen, Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Kommentar und Geschichte, 2007, S. 153, 371. 48 Kirchengesetz zur Regelung der evangelischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz vom 6. November 2003, ABl. EKD, S. 407. 49 Claessen (Fn. 47), S. 371.

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Christian Waldhoff

III.

Typologische und rechtliche Abgrenzung der Militärseelsorge sowie der Polizeiseelsorge auf Landesebene von der Seelsorge in der Bundespolizei

Auch wenn die Seelsorge in der Bundespolizei in ihrer Konstruktion der Militärseelsorge folgt50, gibt es doch Unterschiede. Anders als in der Militärseelsorge kennt die Seelsorge in der Bundespolizei keine besonderen Gemeinden oder personalen Seelsorgebereiche; in der Sache handelt es sich um ergänzende berufsgruppenorientierte Seelsorge; die Beamten gehören weiter ihren (Orts-) Kirchengemeinden an51. Die Seelsorge folgt nicht der Territorialstruktur einer Armee, sondern Verbänden bzw. Dienststellen52. Eine Gemeinsamkeit mit der Militärseelsorge ist jedoch die hierarchische Organisation und die Entlohnung durch den Staat. Die übliche Polizeiseelsorge steht demgegenüber in der Verantwortung des Ortsbischofs bzw. der Landeskirche53. Auch phänotypisch gibt es Unterschiede zur Landespolizei, v. a. hinsichtlich des Kasernierungsgrades, der insofern wiederum – zumindest für die Frage der Seelsorge – eine Nähe zum Militär deutlich macht54. Der Seelsorge in der Bundespolizei fehlt auch der einfachgesetzliche Rechtsanspruch des § 36 SoldG; die Rechtsposition des einzelnen Beamten folgt – noch unkonkretisiert – unmittelbar aus seinem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG. Vom Status her handelt es sich bei den Geistlichen, die in der Bundespolizei zum Einsatz kommen, nicht um Beamte, sondern um Angestellte.

IV.

Die einzelnen Regelungen im Überblick

1.

Gewährleistung der Seelsorge

§ 1 Abs. 1 der Vereinbarungen „gewährleistet“ die Seelsorge im Bundesgrenzschutz, d. h. heute in der Bundespolizei. Das stellt eine Konkretisierung des im Ausgangspunkt ohnehin aus Art. 141 WRV Folgenden dar. Abs. 2 Satz 1 definiert dann Seelsorge als „den Dienst an Wort und Sakrament einschließlich des Vollzugs kirchlicher Amtshandlungen und die Einzelseelsorge an den evangelischen Polizeivollzugsbeamten im 50 51 52 53 54

Ennuschat, Anstaltsseelsorge (Fn. 37), Sp. 64; Mückl, Freiheit (Fn. 20), Rdnr. 64. Schwark, Polizeiseelsorge (Fn. 40), S. 264. Seiler, Seelsorge (Fn. 22), S. 982. Schwark, Polizeiseelsorge (Fn. 40), S. 266 f.; Heintzen, Polizeiseelsorge (Fn. 27), S. 986. Heintzen, Polizeiseelsorge (Fn. 27), S. 988, macht darauf aufmerksam, dass die kasernierte Polizei als „Keimzelle“ der Polizeiseelsorge betrachtet wird.

Die rechtlichen Grundlagen der Seelsorge in der Bundespolizei

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Bundesgrenzschutz bzw. Aufgabe der Seelsorge im Bundesgrenzschutz ist – bei Wahrung der freiwilligen Entscheidung des Einzelnen – die Verkündung und Lehre des Wortes Gottes, die Sakramentenspendung, einschließlich der kirchlichen Amtshandlungen, und die seelsorgliche Betreuung der Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz.“

Das stellt keinen staatlichen Übergriff in Definitionskompetenzen der Kirchen dar, denn die Umschreibungen wurden konsensual getroffen. In einem zweiten Satz wird – was wiederum sowohl aus Art. 141 WRVals auch aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG folgt – die freie Entscheidung des einzelnen Beamten betont. Die Mitwirkung der Geistlichen in der Bundespolizei an der berufsethischen Erziehung gem. § 7 der Vereinbarungen gehört nicht zur Seelsorge i. e. S. Demgegenüber enthält § 8 eine Konkretisierung von Seelsorge, wenn die Erörterung religiöser Lebensfragen und der Gottesdienst angesprochen werden. Wichtig ist, dass den Beamten der Bundespolizei gem. § 9 Raum zur religiösen Betätigung und zur Inanspruchnahme der Dienste der Kirchen garantiert wird. Für bestimmte religiöse Veranstaltungen wird Diensturlaub gewährt. Die Vorgesetzen sollen „für die religiösen Anliegen“ ihrer Untergebenen „aufgeschlossen“ sein, insofern verantwortlich und unterstützend handeln. Die dienstlichen Notwendigkeiten bleiben unberührt – eine Konkretisierung der Funktionsfähigkeit der jeweiligen Anstalt als verfassungsimmanenter Schranke von Art. 141 WRV55. Abgerundet wird die Kooperation durch die in vielen Staatskirchenverträgen übliche Freundschaftsklausel des § 19, die wiederum eine verfassungsrechtliche Rücksichtnahmepflicht konkretisiert56.

2.

Verantwortlichkeit und Aufsicht der Kirche; die Seelsorger und ihr Status

§ 2 der Vereinbarungen betont, dass die Seelsorger kirchliche Ämter ausüben und dass sie „als Teil der kirchlichen Arbeit“ fungieren. Sie unterliegen in ihrer Seelsorgetätigkeit und in der Ausübung ihres kirchlichen Amtes kirchlicher, nicht staatlicher Aufsicht. Zu diesem Zweck bestellen die Kirchen jeweils einen Beauftragten für die Seelsorge in der Bundespolizei, § 3 Abs. 1 der Vereinbarungen. Diese werden im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern ernannt. Organisatorisch ergibt sich eine dreistufige Struktur: Der Beauftragte in der Spitze, der Grenzschutzdekan als dienstaufsichtsführender Seelsorger in der Bundespolizei sowie die eigentlichen Seelsorger (Grenzschutzoberpfarrer; Grenzschutzpfarrer). Hauptamtliche Seelsorger werden als Angestellte im öf55 Ehlers (Fn. 16), Art. 141 WRV Rdnr. 8; von Campenhausen/Unruh (Fn. 17), Art. 141 WRV Rdnr. 20. 56 Vgl. allgemein für die Anstaltsseelsorge Ehlers (Fn. 16), Art. 141 WRV Rdnr. 1.

52

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fentlichen Dienst beschäftigt (§§ 10ff.). Allein aus Art. 141 WRV folgt keine Pflicht des Staates, die Anstaltsseelsorge zu finanzieren57. Der Bund hat sich in den Vereinbarungen in §§ 14, 17f. jedoch dazu verpflichtet.

3.

Berufsethische Erziehung

Neben der Seelsorge wirken die Geistlichen in der Bundespolizei auch bei dem auf christlichen, freilich nicht konfessionellen Grundsätzen beruhenden berufsethischen Unterricht als Bestandteil der Laufbahnausbildung mit (§ 7 der Vereinbarungen). Der verpflichtende Unterricht wahrt die Religionsfreiheit – § 7 Abs. 3 der Vereinbarungen als Konkretisierungen von Art. 4 Abs. 1 GG58. Konfessionelle Fragen sind den freiwilligen Erörterungen religiöser Lebensfragen vorbehalten, §§ 7 Abs. 3 Satz 3; 8 der Vereinbarungen. Anders als der in der Militärseelsorge besonders umstrittene lebenskundliche Unterricht wird die präzisere rechtliche Fixierung im Bereich der Bundespolizei hervorgehoben59. Gleichwohl wird die derzeitige Ausgestaltung teilweise für verfassungswidrig gehalten60.

V.

Zukunftsperspektiven

Auch staatsrechtlich stellen sich angesichts der zunehmenden religiösen Pluralisierung einerseits, einer weiter voranschreitenden Säkularisierung andererseits Zukunftsfragen der Seelsorge in der Bundespolizei61. Die Tatsache, dass zunehmend mehr Beamte der Bundespolizei keiner Religion oder Konfession angehören, unterminiert zwar vielleicht langfristig die Legitimität der vertraglichen Absicherung, stellt jedoch keine rechtsdogmatischen Probleme i. e. S. Ob auch Weltanschauungsgemeinschaften zuzulassen wären, ist umstritten62. Das sieht 57 58 59 60 61

Mückl, Freiheit (Fn. 20), Rdnr. 56. Vgl. auch Seiler, Seelsorge (Fn. 22), S. 983 f. von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Fn. 2), S. 207. Unruh, Religionsverfassungsrecht (Fn. 3), Rdnr. 408. Allgemein in ihren Auswirkungen auf das Staatskirchenrecht Waldhoff, Zukunft (Fn. 4), S. 65 f. und durchgehend; auf die Anstaltsseelsorge bezogen von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Fn. 2), S. 200 f. 62 Vgl. allgemein auf die Anstaltsseelsorge bezogen von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Fn. 2), S. 197, 202 f., freilich mit dem Hinweis, es müsse einer der – seltenen – Fälle wirklicher Weltanschauungsgemeinschaften vorliegen; die h. M. postuliert hier freilich eine völlige Gleichstellung, siehe etwa nur Ehlers (Fn. 16), Art. 141 WRV Rdnr. 1; demgegenüber mit überzeugender Argumentation Korioth (Fn. 15), Art. 141 WRV Rdnr. 6: „Schwer vorstellbar ist allerdings, wie Weltanschauungsgemeinschaften die in Art. 141 WRV genannten

Die rechtlichen Grundlagen der Seelsorge in der Bundespolizei

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anders aus bei nichtchristlichen und d. h. hier vorwiegend muslimischen Polizisten. Zwar mag der Anteil im Vergleich zum muslimischen Bevölkerungsanteil angesichts des strikten Staatsangehörigkeitsvorbehalts unterdurchschnittlich sein; gleichwohl wird die Frage einer nichtchristlichen Polizeiseelsorge auf die Tagesordnung kommen. In der Sache gibt es bei hinreichender Anzahl muslimischer Beamter keinen Grund, das bewährte Modell nicht zu übertragen. Freilich fehlt es hier – wie in vielen anderen staatskirchenrechtlichen Bereichen – auf muslimischer Seite noch an verlässlichen Ansprechpartnern63 und auch Vorbildung und Qualifikation der Seelsorge wird zu thematisieren sein.

Rechte wahrnehmen, also Seelsorge ausüben oder religiöse Handlungen vornehmen könnten. Gegen die Gleichstellung spricht deshalb, daß nicht nur beim Inhaber des Anspruchs, sondern auch beim Anspruchsinhalt Art. 141 WRV in vollem Umfang entsprechend angewendet werden müßte.“; Stern, Staatsrecht (Fn. 2), S. 1352; bemerkenswerterweise auch bereits Anschütz, Kommentar (Fn. 12), Anm. 1; in anderem Zusammenhang – Religionsunterricht – ebenfalls zurückhaltend hinsichtlich der durch Art. 137 Abs. 7 WRV prinzipiell angeordneten Gleichstellung Christian Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität: Erfordern weltanschauliche und religiöse Veränderungen Antworten des Staates? Gutachten D zum 68. DJT, 2010, S. D 39 ff. 63 von Campenhausen/Unruh (Fn. 17), Art. 141 WRV Rdnr. 14.

Markus Heintzen

Die Vereinbarungen über die Seelsorge in der Bundespolizei in staatsrechtlicher Perspektive

Die Jubilare dieser Festschrift sind zwei Vereinbarungen. Es handelt sich um die am 12. August 1965 geschlossene Vereinbarung über die evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz, die vom Bund damals mit sechs, inzwischen mit der EKD und sechzehn Landeskirchen geschlossen worden ist, und um die am selben Tag mit den katholischen Bischöfen in der Bundesrepublik Deutschland, mit Zustimmung des Heiligen Stuhls, geschlossene Vereinbarung über die katholische Seelsorge im Bundesgrenzschutz.1 Beide Vereinbarungen sind seitdem inhaltlich wenig2 geändert worden und stehen nach der Wiedervereinigung Deutschlands3 und nach der Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in die Bundespolizei4 in einem erweiterten und veränderten administrativen und juristischen Kontext. 1 Hier zitiert nach Joseph Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1987, S. 120 ff., 85 ff. Zur Frage einer Wiedervereinigung Deutschlands hatten evangelische und katholische Kirche 1965 unterschiedliche Ansichten, wie ein Vergleich der Paragrafen 20 beider Verträge ergibt. 2 Durch Schriftwechsel ist 1968/69 der Aufgabenbereich des Dekans verkleinert (§ 5 Abs. 1), der Aufgabenbereich des Oberpfarrers erweitert (§ 6 Abs. 1) und die Besoldung des Dekans angehoben worden (§ 14 Abs. 1). Ohne Textänderung ist der in § 16 Abs. 1 geregelte Zuschuss durch Erlass des BMI von 25 auf 35 % erhöht worden. 3 Die Wiedervereinigung hat zu keiner inhaltlichen Änderung geführt. Der Beitritt der ostdeutschen Landeskirchen ist gemäß § 20 der evangelischen Vereinbarung erfolgt. Für katholische Bistümer stellte sich die Beitrittsfrage nicht, weil nicht einzelne, sondern alle deutschen Bistümer Vertragspartei sind. 4 Vgl. das Gesetz zur Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei vom 21. 6. 2005 (BGBl. I, S. 1818). Da es um eine bloße Umbenennung, keine Rechts- oder Funktionsnachfolge geht, ist keine Änderung der beiden Verträge erforderlich. Das deutsche Verfassungsrecht hat die Umbenennung im Übrigen nicht nachvollzogen. Im Grundgesetz ist nach wie vor an zwölf Stellen und damit für eine einzelne Verwaltungseinheit erstaunlich vielen Stellen vom Grenzschutz die Rede (Art. 12a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 3, Art. 35 Abs. 2 (2x), Art. 35 Abs. 3 Satz 1, Art. 73 Abs. 1 Nr. 5, Art. 87 Abs. 1 Satz 2, Art. 87a Abs. 4 (2x), Art. 91 (2x) und Art. 115f Abs. 1 Nr. 1 GG). Gemäß BVerfGE 97, 198, Leitsatz 2, darf der Bundesgrenzschutz nicht zu einer allgemeinen, mit den Landespolizeien konkurrierenden Bundespolizei ausgebaut werden und damit sein Gepräge als Polizei mit begrenzten Aufgaben verlieren. Zur Bundespolizei allgemein: Volkmar Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 15. Aufl., 2013, § 16 Rn. 17–24; Martin Ibler, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 87 Rn. 87–104 (Stand: Januar

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Auf diese Vereinbarungen bezogen sind Innenrecht der Kirchen und des Bundes. Auf Seiten des Bundes sind die Richtlinien zu der Vereinbarung über die evangelische Seelsorge im BGS und zu der Vereinbarung über die katholische Seelsorge im BGS vom 19. Dezember 1966 zu nennen.5 Auf evangelischer Seite verdienen Erwähnung: Art. 18 der Grundordnung der EKD, wo die Seelsorge in der Bundespolizei zu einer Gemeinschaftsaufgabe der EKD und der in ihr verbundenen Gliedkirchen erklärt wird,6 das EKD-Gesetz zur Regelung der Evangelischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz vom 6. November 20037 und ein Zusatzprotokoll der evangelischen Landeskirchen zu der mit dem Bund geschlossenen Vereinbarung. Zu erwähnen sind schließlich Richtlinien der EKD-Finanzabteilung zu haushälterischen Verfahrensfragen. Auf katholischer Seite finden die allgemeinen Vorschriften des Codex Iuris Canonici über Kategorialund Territorialseelsorge Anwendung8; bundespolizeiseelsorgespezifisches katholisches Kirchenrecht gibt es nicht. Die unterschiedliche Quantität und Qualität des innerkirchlichen Sekundärrechts bei beiden Konfessionen könnte weiteres Nachdenken veranlassen, doch wäre dies kirchenrechtlich, nicht staatsrechtlich. Die staatsrechtliche Würdigung der beiden Kernvereinbarungen aus dem Sommer 1965 ist das Thema dieses Beitrags. Es bietet sich an, diese Würdigung mit der Frage nach ihrer Rechtsnatur zu beginnen und im Weiteren nach Verfassungs- und Verwaltungsrecht, nach Grundsatz- und nach Alltagsfragen zu differenzieren. Verfassungsrechtlich geht es um die Fragen, was von der gegenwärtigen Seelsorge in der Bundespolizei von Art. 140 GG (Grundgesetz) i. V. m. Art. 141 WRV (Weimarer Reichsverfassung) geboten ist, was der Grundsatz der religiösen Neutralität des Staates verbietet und was, weil von keinem Ge- oder Verbot erfasst, erlaubt und zweckmäßiger Ausgestaltung der Beteiligten, unter dem Vorbehalt entgegenstehender Rechte Dritter (z. B. negative Religionsfrei-

5

6 7 8

2012); Patricia M. Schütte, Wie und warum entwickelt sich der Bundesgrenzschutz zur Bundespolizei?, Diss., 2014. Die Zahl der Polizeivollzugsbeamten bei der Bundespolizei hat sich von 1965 bis 2014 von ca. 20.000 auf 30.900 erhöht. Abgedruckt im Mitteilungsblatt für den Bundesgrenzschutz, Jahrgang 1967, Nr. 1, S. 1. Eine Änderung erfolgte am 10. März 1976 (MBl. BGS, Jahrgang 1976, Nr. 10, S. 163). Vgl. weiter ein darauf bezogenes internes Schreiben des BMI vom 13. Juni 1995. Weitere Verwaltungsvorschriften bzw. Ergänzungen der Kern-Verwaltungsvorschrift betreffen die Einbeziehung von Nicht-Polizeivollzugsbeamten oder von Familienangehörigen in die Seelsorge oder Vergütungs- oder Finanzierungsfragen. Dementsprechend ist die evangelische Seelsorgevereinbarung durch Schriftwechsel vom 10. August/28. September 1999 dahin geändert worden, dass künftig die Evangelische Kirche in Deutschland anstelle zahlreicher Landeskirchen Vertragspartner ist. Fundstelle für Letzteres: ABl. EKD 2003, S. 407; seither nicht geändert. Zum kirchlichen Organisationsrecht s. Heribert Schwark, Die Polizeiseelsorge. Geschichte und Rechtsgrundlagen der Polizeiseelsorge in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West), 1986, S. 189 ff., 192 ff.

Die Vereinbarungen über die Seelsorge in der Bundespolizei

57

heit), anheimgegeben ist. Verwaltungsrechtlich geht es um Fragen des Dienstrechts (bei Polizisten und bei Seelsorgern), um Fragen der Finanzierung, um Kooperation.

I.

Die Rechtsnatur der Vereinbarungen

Aus der Bezeichnung „Vereinbarung“ lässt sich wenig ableiten. Sie ist im Verhältnis von Staat und Kirche üblich und enthält keine präzise Aussage zur Rechtsnatur.9 In Abgrenzung zu den Verträgen, die über die Militärseelsorge geschlossen worden sind, lässt diese Rechtsnatur sich wie folgt charakterisieren: Anders als bei der Militärseelsorge sind bei der Polizeiseelsorge nur inländische kirchliche Rechtsträger Vertragspartner; es geht nicht um Konkordate, wenn auch der Heilige Stuhl der katholischen Seelsorgevereinbarung zugestimmt hat. Anders als bei der Militärseelsorge sind diese Vereinbarungen nicht vom Bundestag ratifiziert worden; entsprechend der Terminologie von Art. 59 Abs. 2 GG handelt es sich um Verwaltungsabkommen, nicht um Staatsverträge. Also weder Papst noch Parlament! Die Qualifikation als Verwaltungsabkommen wird dadurch unterstrichen, dass die Verträge nicht durch Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in allgemein verbindliches Recht umgewandelt und in das staatliche Rechtsquellensystem eingeordnet worden sind; auf staatlicher Seite wurden sie im Gemeinsamen Ministerialblatt veröffentlicht;10 Rechtswirkungen entfalten die Verträge nur im Innenverhältnis der Vertragsparteien. Die Regelungen der §§ 54 ff. des Verwaltungsverfahrensgesetzes über öffentlich-rechtliche Verträge sind nicht anwendbar. Diese Regelungen erfassen nur Verträge, die Einzelfälle regeln, nicht aber Verträge, die für eine unbestimmte Vielzahl von Anwendungsfällen konzipiert sind.11 Bei der Suche nach einem Vertragsstatut, das Auskunft etwa zu Fragen der Vertragsauslegung oder bei Leistungsstörungen gibt, wird man sich, mangels ausdrücklicher Regeln, wegen ihrer Sachnähe trotzdem an allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts orientieren.

9 So schon Alexander Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, 1965, S. 73. 10 Hierzu allgemein Stefan Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, 2009, § 159 Rn. 44. 11 Zum eingeschränkten Anwendungsbereich Hans Joachim Bonk/Werner Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 54 Rn. 24–27; zu Verträgen zwischen Staat und Kirche ebd., Rn. 69.

58

Markus Heintzen

II.

Verfassungsrechtliche Grundsatzfragen

1.

Staatskirchenrechtliche Legitimationsgrundlagen der Seelsorge in der Bundespolizei

Die Seelsorge in der Bundespolizei wird von keiner deutschen Verfassungsnorm ausdrücklich erwähnt und damit institutionell gewährleistet.12 Trotzdem kann Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 der WRV als verfassungsrechtliche Grundlage angesehen werden. Die Vorschrift lautet: „Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.“ Art. 141 der Weimarer Reichsverfassung ist vollgültiges13 Verfassungsrecht der Bundesrepublik. Eine Anknüpfung der Bundespolizeiseelsorge kann sowohl bei dem Merkmal „Heer“ als auch bei dem Merkmal „sonstige öffentliche Anstalten“ erfolgen. Der Begriff „Heer“ ist weit zu verstehen. Luftwaffe und Marine sind selbstverständlich mit umfasst. Eine analoge Anwendung dieses Merkmals auf die Bundespolizei ist wegen ihrer Entstehungsgeschichte,14 wegen ihrer Organisation und ihrer Aufgaben gut vertretbar. Für die Polizei der Länder scheidet eine solche Analogie aus föderal-kompetenzrechtlichen Gründen aus. Die dortige Seelsorge wird von der im juristischen Schrifttum inzwischen herrschenden Meinung dem Merkmal „sonstige Anstalten“ zugeordnet, wobei auch dieses Merkmal weit und entsprechend dem Zweck von Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV ausgelegt wird.15 Dieser Zweck besteht darin, solchen Personen eine Sonderseelsorge anzubieten, die im Rahmen eines Sonderstatusverhältnisses und der damit verbundenen teilweisen Herauslösung aus ihrem sozialen Umfeld an der allgemeinen Seelsorge nicht oder nur unter erheblichen Erschwernissen teil12 Art. 38 Satz 1 der Verfassung von Brandenburg, die einzige Verfassungsnorm, die sich überhaupt zur Polizeiseelsorge äußert, betrifft die Landespolizei und kann wegen der föderalen Kompetenzverteilung für die Bundespolizei keine Wirkung haben. Für die Bundespolizei fehlen weiter allgemeine Gewährleistungen der Seelsorge, wie man sie in den Grundsatzvereinbarungen findet, die viele Bundesländer mit den Kirchen zur Regelung ihrer Beziehungen und ihrer Zusammenarbeit geschlossen haben; Übersicht bei Markus Heintzen, Polizeiseelsorge, in: Michael Germann/Stefan Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, im Erscheinen, Bd. II, § 69, Gliederungspunkt II.2. und Fußnote 5. Das Reichskonkordat äußert sich nur zur Militär-, nicht zur Polizeiseelsorge (vgl. dort Art. 27 und 28). 13 So wörtlich und in ständiger Rechtsprechung das Bundesverfassungsgericht; BVerfGE 19, 206 (219); 19, 226 (236); 53, 366 (400). Dies ist – bezogen auf Art. 140 GG – eine Bestätigung für den Satz, dass Provisorien dauerhaft sein können. 14 Hierzu Schütte (Fn. 4). Zur Militärähnlichkeit der Bundespolizei s. auch Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG. 15 Nachweise bei Heintzen (Fn. 12), Fn. 9 bis 11.

Die Vereinbarungen über die Seelsorge in der Bundespolizei

59

nehmen können. „Anstalt“ ist vor diesem Hintergrund jede staatliche Organisationseinheit, der solche Personen, auch Anstaltspersonal, zuzurechnen sind. Auch die Bundespolizei ist „Anstalt“, soweit ihr Personal infolge dienstlicher Verpflichtungen an der allgemeinen kirchlichen Seelsorge nicht oder nur unter erheblichen Erschwernissen partizipieren kann. Dies trifft in erster Linie auf die Angehörigen kasernierter Polizeieinheiten zu. Die kasernierte Polizei wird darum zu Recht als „Keimzelle“ der Polizeiseelsorge bezeichnet.16 Ob schon die Erschwernisse durch Schichtdienst, heimatferne Verwendung oder häufige Versetzungen oder ein berufsspezifischer Seelsorgebedarf ausreichen, um einen Anspruch – nach Art. 141 WRV der Kirchen, nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG der Bundespolizisten – auf Sonderseelsorge zu begründen, läuft auf eine juristisch schwierige, in der Realität freilich unerhebliche (weil unkontroverse) Grenzziehung zwischen rechtlich erheblichen und rechtlich unerheblichen Behinderungen hinaus, bei der es auf eine typisierende Betrachtung einzelner Dienststellen, nicht der Bundespolizei insgesamt ankommt. Art. 141 WRV kann damit nur einen Teil der gegenwärtig praktizierten Bundespolizeiseelsorge abdecken.17 Die Voraussetzungen, auf denen diese Norm aufbaute, haben sich im Laufe der Zeit mit der Auflockerung von Kasernierung und Dienstzeitreglement abgeschliffen. Gegenläufige Abdeckungsakzente setzt in neuerer Zeit nur die Möglichkeit von Auslandseinsätzen von Bundespolizisten.18 Die Akzeptanz des von Art. 141 WRV nicht abgedeckten Teiles des kirchlichen Dienstes beruht auf einer Entscheidung der staatlichen Seite, für die Verfassungsrecht nicht in erster Linie Grundlage, sondern Grenze ist. Die Trennlinie zwischen verfassungsrechtlich gebotener Grundversorgung und weitergehender Polizeiseelsorge läuft mitten durch den Alltag polizeiseelsorgerischer Tätigkeit hindurch. In dem von Art. 141 WRV nicht geforderten Bereich erlangen die Jubilare dieser Festschrift eigenständige Bedeutung. Durch sie hat der Staat sich in – wie im nächsten Abschnitt zu zeigen sein wird – verfassungsrechtlich zulässiger Weise weitere Verpflichtungen auferlegt.

16 So Jochen Buchter, Polizeiseelsorge, in: Peter C. Bloth (Hrsg.), Handbuch der Praktischen Theologie, Bd. 4, 1987, S. 540. 17 Ebenso mit Blick auf die Landespolizeien Schwark (Fn. 8), S. 101 f., 186 ff. 18 Hierzu unten III. 6.

60 2.

Markus Heintzen

Religionsverfassungsrechtliche Legitimation und Vorgaben für die Bundespolizeiseelsorge

Art. 141 WRV hat trotz des Wortes „soweit“ keine Sperrwirkung in dem Sinne, dass in der Bundespolizei Seelsorge und kirchliche Tätigkeit nur in den Grenzen seines Tatbestandes erlaubt wären. Die Grenzen des Tatbestandes betreffen die Frage, wozu der Staat verpflichtet ist und worauf ein Rechtsanspruch besteht, nicht aber die Frage, was erlaubt ist. Art. 141 WRVenthält eine Mindestgarantie.19 Was darüber hinaus zulässig und legitim ist, richtet sich nach den allgemeinen religionsverfassungsrechtlichen Regeln des Grundgesetzes, insbesondere der Glaubensfreiheit in Art. 4 Abs. 1/2 GG. a)

Neutralität

Entgegen nicht selten zu hörender Meinung kennt das Grundgesetz weder Laizismus noch ein grundsätzliches Verbot einer Zusammenarbeit von Staat und Kirchen. Wenn es in Art. 137 Abs. 1 WRV, heute ebenfalls vollgültiges Verfassungsrecht, heißt, es bestehe keine Staatskirche, so ist damit, auf 1919 bezogen, eine organisatorische Trennung von preußischem Staat und evangelischer Kirche gemeint, aber doch kein grundsätzliches, nur unter dem Vorbehalt ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Ausnahme zu lockerndes Kooperationsverbot. Dies würde nicht zu anderen Vorschriften des Grundgesetzes passen, insbesondere Art. 7 Abs. 3 zum Religionsunterricht. Soweit das Verbot einer organisatorischen Verbindung von Staat und Kirche, der Anspruch aller „Religionsgesellschaften“ (so die Terminologie der WRV) auf Gleichbehandlung und die negative Religionsfreiheit anderer beachtet werden, darf der von Art. 141 WRV geforderte Mindeststandard in mehrfacher Hinsicht überschritten werden: personell insoweit, als Personal der Bundespolizei in die Seelsorge einbezogen wird, dessen Dienst nicht anstaltlich geordnet ist, inhaltlich insoweit, als die kirchlichen Angebote über Seelsorge im engeren Sinne hinausgehen (berufsethischer Unterricht, Weiterbildungs- und Freizeitveranstaltungen, Letztere unter Einbeziehung auch von Familienangehörigen), organisatorisch insoweit, als der Staat selbst Polizeiseelsorger einstellt oder sich an den Kosten beteiligt. Eine Pflicht des Staates zu einer über Art. 141 WRV hinausreichenden Kooperation mit den Kirchen besteht von Verfassungs wegen nicht. Eine Legitimation für staatliche Kooperation in Bereichen wie Polizei, Zoll, Feuerwehr und Rettungsdienste ergibt sich auch aus den besonderen psychischen Belastungen für das hier tätige Personal, die die allgemeine Seelsorge überfordern können.20 19 Zum BGS zweifelnd Armin Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 226 f. 20 Ebenso Jörg Ennuschat/Clemens Munoz, Seelsorge in Polizei/Militär/Gefängnis/Kranken-

Die Vereinbarungen über die Seelsorge in der Bundespolizei

61

Polizei klingt nach Hierarchie; Grundprinzipien der Polizeiseelsorge müssen aber Freiwilligkeit (Art. 141 WRV spricht etwas unterkühlt von „Bedürfnis“) und individuelles religiöses Bekenntnis sein. In besonderer Weise gilt dies für die individuelle Seelsorge, die Polizeiseelsorge im engeren Sinne, die Thema von § 1 Abs. 2 und dann der §§ 8 und 9 der beiden Vereinbarungen ist. Der Gedanke der Freiwilligkeit wird in § 1 Abs. 2 hervorgehoben und mit Blick auf die berufsethische Erziehung in § 7 Abs. 3 Satz 2 noch einmal besonders erwähnt.21 Die berufsethische Erziehung ist Teil der staatlichen Polizeiausbildung, und die Teilnahme ist grundsätzlich obligatorisch. Sie muss deshalb klar von der religionsgebundenen Polizeiseelsorge im engeren Sinne unterschieden werden, auch wenn er von Polizeiseelsorgern erteilt wird. Bei der Polizeiseelsorge im engeren Sinne liegt die Verantwortung bei den Kirchen, bei der berufsethischen Erziehung liegt die Verantwortung beim Staat.22 Die Aussage in § 7 Abs. 1 beider Vereinbarungen, die berufsethische Erziehung, die ein Teil der Gesamterziehung sei, beruhe auf den Grundsätzen christlicher Lebensführung,23 muss im Lichte des Grundsatzes religiöser Neutralität des Staates und der individuellen Religionsfreiheit restriktiv interpretiert werden. Einerseits darf der Staat sich bei einem von ihm zu verantwortenden Unterricht nicht mit religiösen Inhalten identifizieren (wobei das Wort „Grundsätze“ Spielräume lässt), andererseits kann es nicht verfassungswidrig sein, Bundespolizisten zu vermitteln, welche ethischen Maßstäbe ein zwar schrumpfender, aber immer noch sehr großer Teil der Bevölkerung in Deutschland für richtig hält. Kirchliche Mitwirkung an Öffentlichkeitsarbeit der Bundespolizei, zum Beispiel Ansprachen bei oder Gottesdienst im Rahmen von Festakten, ist neben der individuellen Seelsorge und dem berufsethischen Unterricht eine dritte Säule der Polizeiseelsorge im weiteren Sinne. Öffentlichkeitsarbeit ist rechtlich kaum fassbar und wird von den beiden Vereinbarungen nicht thematisiert. Es geht hier nicht um Rechtspflichten, und sowohl der Staat als auch die Kirchen – jedenfalls

haus, in: Hans Michael Heinig/Hendrik Munsonius (Hrsg.), 100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht, 2012, S. 232 (234); Karl-Hermann Kästner, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 140, Stand: April 2010, Rn. 687. Überblick über weitere Sonderseelsorgebereiche, die teilweise ähnlich legitimiert werden, bei Uwe Kai Jacobs, Gemeindeformen und Seelsorgefelder in der evangelischen Kirche, KuR 2012, S. 224 (228 ff.). 21 Zu der im Rahmen der Militärseelsorge diskutierten Frage, ob ein Soldat zu einmaliger Teilnahme verpflichtet werden darf, bevor er befreit wird: Kästner (Fn. 20), Rn. 702. 22 Polizeiethik ohne religiösen Bezug bei Erhard Denninger, Zehn Thesen zum Ethos der Polizeiarbeit, Juristische Arbeitsblätter 1987, S. 131 ff. 23 Nicht so weit geht Nr. 3 des nordrhein-westfälischen Erlasses über den berufsethischen Unterricht (Text bei Schwark (Fn. 8), S. 277 f.). Kritisch Gerhard Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, 2008, Rn. 417 (die beiden BPol-Vereinbarungen werden dort nicht explizit benannt).

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Markus Heintzen

soweit sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind – haben einen Öffentlichkeitsauftrag.24 Hier besteht darum ein großer Gestaltungsspielraum. b)

Parität

Verfassungsrechtliche Vorgaben anderer Art ergeben sich aus dem Grundsatz der Parität und religiösen Gleichbehandlung. Das Verhältnis von evangelischer und katholischer Kirche stellt sich heute entspannter dar als in den 1960er Jahren der alten Bundesrepublik. Neue Herausforderungen ergeben sich aus dem Ansteigen der Zahl von Bundespolizisten islamischen Glaubens. Eine islamische Seelsorge in der Bundespolizei gibt es derzeit nicht. Gleiches gilt für die jüdische Religion und christliche Glaubensgemeinschaften außerhalb der Hauptkirchen. Verfassungsrechtlich maßgeblich ist insoweit das Merkmal „Bedürfnis“ in Art. 141 WRV, das den Religionsgesellschaften und in ihnen Aktiven die Initiative zuweist. Sobald ein solches Bedürfnis artikuliert wird, muss die Bundespolizei darauf in der gleichen Weise eingehen wie im Verhältnis zur evangelisch-lutherischen und zur römisch-katholischen Konfession. Solange ein solches Bedürfnis nicht artikuliert wird, wird die derzeitige Seelsorge in der Bundespolizei durch die Nichtberücksichtigung anderer Glaubensrichtungen aber auch nicht delegitimiert. Sollte von islamischer Seite ein Bedürfnis artikuliert werden, so wird für die staatliche Seite ein Problem darin bestehen, dort einen repräsentativen und verlässlichen Ansprechpartner zu finden; gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV ist die Erwartung, einen solchen Partner zu finden, legitim.25 c)

Zusammenfassung

Die Seelsorge in der Bundespolizei hat zwei verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlagen, eine engere staatskirchenrechtliche mit einem höheren Verpflichtungsgehalt für den Staat und eine weitere religionsverfassungsrechtliche. Art. 4 Abs. 1/2 GG, die Grundnorm des Religionsverfassungsrechts, hat nicht nur einen negativen, sondern auch einen positiven Aspekt.26 Die Förderung individueller Religionsausübung und kirchlichen Wirkens in der Öffentlichkeit sind dem Staat erlaubt, sofern die Prinzipien der Neutralität, der Parität und der Toleranz beachtet werden. 24 Zu diesem Thema siehe in dieser Festschrift Ansgar Hense, Religion im öffentlichen Raum, S. 83. 25 Nach Auskunft des Bundespolizeipräsidiums gibt es dort keine Daten zur Zahl islamischer oder jüdischer Bundespolizisten. 26 Siehe nur Axel Frhr. von Campenhausen, Religionsfreiheit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Bd. VII, 2009, § 157 Rn. 127 ff.

Die Vereinbarungen über die Seelsorge in der Bundespolizei

III.

Praktische Fragen

1.

Allgemeines

63

Die evangelische und die katholische Vereinbarung haben zwanzig Paragrafen und stimmen textlich fast überein. Regelungsschwerpunkte sind die Ausgestaltung des Seelsorgeramtes als konfessionsgebundenes Staatsamt, allein darauf entfallen 7 Paragrafen,27 und Fragen von Organisation, Zuständigkeit und Aufsicht, die entsprechend der spezifischen Organisationsstruktur der Bundespolizei beantwortet werden. Zieht man zum Vergleich die Vereinbarungen heran, die das Land Nordrhein-Westfalen über die evangelische und die katholische Seelsorge in der Landespolizei schon im Juli 1962 geschlossen hat,28 so fällt auf, dass diese kürzer sind und die beiden genannten Regelungsschwerpunkte dort weniger ausgeprägt sind. Nur der hauptamtliche katholische Polizeipfarrer in Bayern steht in einem Anstellungsverhältnis zum Freistaat, alle anderen Seelsorger auf Landesebene haben ein rein kirchliches Amt inne, wobei Nebentätigkeit hier häufiger anzutreffen ist.29 Dass die Bundespolizei als Ausnahme vom Grundsatz der Polizeihoheit der Bundesländer generell besonders regelungsintensiv ist, wirkt sich mittelbar in der Häufung von Organisations- und Zuständigkeitsregelungen aus. Gemeinsam haben Bundes- und Landesvereinbarungen den Fokus auf die Aufgabe, Polizeiseelsorge, dies getrennt nach Einzel- oder Gruppenseelsorge im Sinne eines kirchlichen Angebots und der berufsethischen Erziehung als Teil der staatlichen Polizeiausbildung. Sie haben weiter gemeinsam die Formulierung von Ansprüchen einzelner Polizeivollzugsbeamter auf Seelsorge, eine allgemeine Kooperations- und Unterstützungspflicht der staatlichen Seite, die es im Fall der beiden Bundesvereinbarungen bis zur Detailschärfe von Dienstwagen bringt ( jeweils § 18 Abs. 2 Nr. 2), und eine Verständigungs- und Konfliktlösungsklausel.

27 §§ 10 bis 16 in beiden Vereinbarungen; weitere Vorschriften betreffen nebenamtliche Seelsorger und Hilfskräfte (im Wesentlichen §§ 3 Abs. 4 Nr. 2, 4 Abs. 3 sowie 17). Zu den nebenamtlichen Seelsorgern gibt es einiges an Verwaltungsvorschriften. 28 Fundstellen: Listl (Fn. 1), Bd. 2, S. 252 ff., 337 ff. Ihnen wird bundesweite Vorbildfunktion zugeschrieben; s. Michael Arnemann, Kirche und Polizei: Zwischen Gleichschaltung und Selbstbehauptung. Historische Grundlagen und aktuelle Perspektiven für kirchliches Handeln in staatlichen Institutionen, Diss., 2004, S. 185. 29 Vgl. Heintzen (Fn. 12), Gliederungspunkte III.2. und VI.

64 2.

Markus Heintzen

Das Dienstrecht der Bundespolizisten

Im Dienstrecht der Bundespolizisten hat die Seelsorge keinen Niederschlag mit Gesetzesrang gefunden. Die auf Grenzschutzdienstpflichtige beschränkte Verweisung auf § 36 des Soldatengesetzes in § 59 Abs. 1 BGS-Gesetz ist seit der faktischen Abschaffung der Grenzschutzdienstpflicht bedeutungslos.30 Praktische Fragen, wie Freistellung, Urlaub oder Zuschüsse zu Kosten der Teilnahme, werden im Rahmen gesetzlich eröffneten Ermessens beantwortet, wobei die beiden Seelsorgevereinbarungen und die beiden darauf bezogenen Richtlinien und weitere Verwaltungsvorschriften des Dienstherrn das Ermessen dirigieren. In den Seelsorgerichtlinien vom Dezember 196631 wendet der Bund sich nicht nur an seine kirchlichen Partner, sondern auch an seine Bediensteten. Die Richtlinien zeugen von dem Bemühen, die sich stellenden praktischen Fragen, bis hin etwa zu Unfallversicherungsschutz, angemessen zu regeln.

3.

Die Polizeiseelsorge in weiteren Rechtsbereichen

Auch ohne explizite Erwähnung wirft die Polizeiseelsorge in weiteren Rechtsbereichen Fragen auf. Exemplarisch sei auf die Frage hingewiesen, ob die vom Staat im Einvernehmen mit den Kirchen eingerichteten Seelsorgeeinrichtungen in der Bundespolizei dem Geltungsbereich des Personalvertretungsrechts unterfallen.32

4.

Das konfessionsgebundene Staatsamt

Ein wichtiger – und für die Kirchen finanziell lukrativer – Unterschied zwischen Seelsorge in einer Landespolizei und Seelsorge in der Bundespolizei besteht darin, dass Bundespolizeiseelsorger als Angestellte im staatlichen öffentlichen Dienst beschäftigt werden und dass § 11 Abs. 2 der beiden Vereinbarungen sogar die Möglichkeit einer Verbeamtung kennt33 und § 14 die Vergütung und § 16 die

30 Art. 3 BGSNeuRegG (BGBl. 1994 I, S. 2978). Dazu Michael Drewes/Karl Magnus Malmberg/ Bernd Walter, Bundespolizeigesetz, 4. Aufl., 2010, S. 701–703. 31 Nachweis oben in Fn. 5. 32 Dazu Reinhard Richardi, in: ders./Hans-Jürgen Dörner/Christoph Weber, Personalvertretungsrecht, 4. Aufl., 2012, § 112 Rn. 22 f. 33 Von dieser Möglichkeit ist nach den Informationen, die der Autor dieses Beitrags einziehen konnte, freilich nie Gebrauch gemacht worden.

Die Vereinbarungen über die Seelsorge in der Bundespolizei

65

Versorgung unabhängig von der Frage einer Verbeamtung an der Beamtenvergütung – des Bundes34 – ausrichtet. Polizeiseelsorger haben ein kirchliches, aber auch ein staatliches Amt (§§ 2 Abs. 2 und 10 der Vereinbarungen). Konfessionsgebundene Staatsämter gibt es auch außerhalb der Seelsorge in der Bundespolizei. Das bekannteste Beispiel ist die Militärseelsorge, weitere Beispiele sind Gefängnis- und Krankenhausseelsorge und Lehrstühle an staatlichen theologischen Fakultäten; zum Teil werden auch Konkordatslehrstühle oder Lehrerstellen an christlichen Gemeinschaftsschulen genannt. Ganz überwiegend werden konfessionsgebundene Staatsämter in Bereichen enger Zusammenarbeit von Staat und Kirche für zulässig gehalten, dies auch dann, wenn nicht der Nachweis erbracht werden kann, dass ohne die Begründung eines Dienstverhältnisses nach staatlichem Recht die Zusammenarbeit nicht oder nur erschwert funktioniere. Letzteres lässt sich für die Bundespolizei schwer behaupten; ein Blick auf die Polizei der Bundesländer zeigt, dass Alternativen praktikabel sind. Die noch überwiegende Meinung in der juristischen Literatur hält an dem Rechtsinstitut des konfessionsgebundenen Staatsamts fest.35 Es gibt aber auch die Gegenposition, die darin eine Verletzung des Verbots einer institutionellen Verbindung von Staat und Kirche und eine Beeinträchtigung kirchlicher Unabhängigkeit – durch staatliche Weisungsrechte und staatliche Mitwirkung bei der Personalrekrutierung – sieht.36 Hier ist nicht der Ort, einen staatskirchenrechtlichen Grundsatzstreit zu entscheiden. Es muss der Hinweis genügen, dass die gegenwärtige Ausgestaltung der Rechtsstellung der hauptamtlichen Seelsorger in der Bundespolizei verfassungsrechtlich nicht unangreifbar ist.

5.

Das Verhältnis von Bundes- und Länderpolizeiseelsorge

Bundes- und Länderpolizeiseelsorge haben sich teilweise unabhängig voneinander entwickelt und haben bis heute keine gemeinsamen Institutionen. In der ersten und zweiten Auflage des Handbuchs des Staatskirchenrechts37 war die 34 Nach Beendigung der Besoldungseinheit von Bund und Ländern durch die 2006 erfolgte Aufhebung von Art. 74a GG dürfte nur die Anwendung der Bundestarife dem Willen der Vertragsparteien entsprechen. 35 Grundsätzlich Jörg Ennuschat, Militärseelsorge, 1996. Aus der Kommentarliteratur: Ulrich Battis, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Aufl., 2009, Art. 33 Rn. 44; Monika Jachmann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Aufl., Bd. 2, 2010, Art. 33 Rn. 27. 36 Stefan Korioth, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 140, Art. 141 WRV Rn. 12 m. w. N. (Stand: Februar 2003). 37 Die erste Auflage, erschienen in zwei Bänden 1974 und 1975, wurde von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner herausgegeben, die zweite Auflage, erschienen in zwei Bänden 1994 und

66

Markus Heintzen

damalige Bundesgrenzschutzseelsorge Annex zur Militärseelsorge. Erst in der zweiten Auflage ist ein Beitrag über Polizeiseelsorge hinzugekommen, der die Polizei der Bundesländer und den Zoll in den Blick nimmt. In der demnächst erscheinenden dritten Auflage wird die nunmehrige Bundespolizeiseelsorge aus dem Beitrag über die Militärseelsorge herausgelöst und gemeinsam mit der Länderpolizeiseelsorge abgehandelt. Zwischen Bundespolizei und Länderpolizei und zwischen den jeweils auf sie ausgerichteten kirchlichen Sonderseelsorgen gibt es Unterschiede. Die Bundespolizei ist eine Sonderpolizei mit begrenzten Aufgaben und höherer Standortbindung. Die Seelsorge auf Landesebene ist föderal unterschiedlich, mit Schwerpunkten im Westen und Süden Deutschlands. Das Verhältnis von hauptund nebenamtlichen Seelsorgern ist unterschiedlich. Andererseits bestehen große Übereinstimmungen. Das betrifft vor allem den Seelsorgeauftrag und die Unterscheidung von Einzelseelsorge und berufsethischem Unterricht bzw. berufsethischer Erziehung. Es gibt darum einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch, und es finden gemeinsame Fortbildungen der Seelsorger statt. Die Zusammenarbeit ist aber weder auf evangelischer noch auf katholischer Seite in einer rechtlich dokumentierten Weise verdichtet.

6.

Seelsorge(r/innen) im Auslandseinsatz

Bis 1989 waren Auslandseinsätze der Bundespolizei auf den Schutz deutscher Auslandsvertretungen beschränkt (siehe § 9 Abs. 1 Nr. 2 BPolG). Heute wird die Bundespolizei auch im Mandat internationaler Organisationen im Ausland tätig (§ 8 BPolG).38 Für die Seelsorge sind Auslandseinsätze zunächst und ganz schlicht ein Zuständigkeitsproblem. Eine dauerhafte Präsenz von Seelsorgern im Ausland kann nicht gewährleistet werden. Anlassbezogen finden Kurzbesuche von Bundespolizeiseelsorgern mit Dienstreisegenehmigung des Bundesministers des Innern statt. Weiterhin gibt es eine Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium der Verteidigung vom September 2010, wonach die seelsorgerische Betreuung von Bundespolizisten durch Militärseelsorger erfolgt. In Kriseninterventionsteams des Bundesministeriums des Innern sind auch Seelsorger vertreten. Deutschen, die im Ausland von schweren Unglücksfällen oder Terroranschlägen betroffen sind, dient die Nachsorge-, Opfer- und Angehörigen-Hilfe (NOAH) als zentrale Ansprechstelle. 1995, wurde von Joseph Listl und Dietrich Pirson herausgegeben. Die dritte Auflage ist ebenfalls auf zwei Bände ausgelegt und wird von Michael Germann und Stefan Muckel herausgegeben. 38 Vgl. Marc Wagner, Die Bundespolizei – wer ist das, was darf und was macht die?, Jura 2009, S. 94 (99 f.).

Die Vereinbarungen über die Seelsorge in der Bundespolizei

IV.

67

Schluss

50 Jahre sind für einen Rechtstext heute eine sehr lange Zeit. Erstaunlich ist auch, dass die beiden Bundespolizeiseelsorgevereinbarungen in dieser Zeit nur einmal und marginal geändert worden sind. Offensichtlich ist die Idee, die hinter beiden Vereinbarungen steht, beständig und vernünftig, so dass den beiden Jubilaren dieser Festschrift eine gute Zukunft prognostiziert werden kann. Der Satz, angesichts der harmonischen Zusammenarbeit von Staat und Kirchen sei Motiv für den Abschluss und die Pflege von Polizeiseelsorgevereinbarungen weniger ein vorhandener Regelungsbedarf als vielmehr das Bedürfnis, sich das gute Einvernehmen wechselseitig zu bestätigen,39 mag mit Blick auf Organisations- und Finanzdetails zart überpointiert sein, doch trifft er den Kern. Polizei und Kirchen sind Institutionen mit Öffentlichkeitsauftrag und Pflichten und Aufgaben gegenüber ihrem Personal bzw. ihren Mitgliedern. Was die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1/2 GG) betrifft, so kommt beides in der Polizeiseelsorge zusammen, bei der es sich um eine konfliktarme,40 sachlich-konstruktiv wahrgenommene „res mixta“ von Staat und Kirchen handelt.

39 Peter von Tiling, Buchbesprechung, ZevKR 36 (1991), S. 109 f. 40 Gerichtsentscheidungen zu dem Themenkreis Seelsorge in der Bundespolizei wird man wohl vergeblich suchen.

Matthias Pulte

Seelsorge in der Bundespolizei – Anmerkungen aus der Perspektive des katholischen Kirchenrechts

Die Geschichte der Seelsorge in der heutigen Bundespolizei ist eng verknüpft mit dem Entstehen der Eigenstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland und der Notwendigkeit eines effektiven Grenzschutzes.1 Unter diesen Bedingungen konnten die dort einzusetzenden Beamten aufgrund ihres spezialpolizeilichen Auftrags, der Grenzsicherung vor allem der innerdeutschen Grenze2 und den entsprechenden Rahmenbedingungen an der ordentlichen diözesanen und pfarrlichen Seelsorge nur eingeschränkt teilnehmen. Wenn jedoch der religionsneutrale Staat allen seinen Bürgern die ungestörte Religionsausübung zu gewährleisten hat (Art. 4 Abs. 2 GG), dann ist es unabweislich, den Kirchen und Religionsgemeinschaften einen angemessenen und entsprechenden Raum zu geben, innerhalb dessen die Beamten Seelsorge erhalten können. Daneben war es aufgrund der Erfahrungen aus der Nazi-Diktatur nicht unbedeutend, den Beamten auch eine berufsethische Bildung zukommen zu lassen, die für Ihren Dienst in einem freiheitlichen Rechtsstaat sinnvoll und notwendig erscheint. In diesem Zusammenhang galt und gilt, was Ernst-Wolfgang Böckenförde bereits 1976 treffend formulierte.3 Der Staat, der von Voraussetzungen lebt, die er selbst 1 Zur Geschichte der Polizeiseelsorge vgl. Markus Heintzen, Zur Geschichte der Polizeiseelsorge vor Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung, in: ZEvKR 37 (1992), 58–63. Heribert Schwark, Geschichte und Rechtsgrundlagen der Polizeiseelsorge in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West), Frankfurt a. M. u. a. 1986 (= Europäische Hochschulschriften – Reihe II, Rechtswissenschaft; 559). Zu den Anfängen der Bundesgrenzschutzseelsorge siehe: Wolfgang Wild, Evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz. Geschichtliches und Änderungen der Rechtsgrundlagen, in: Joachim Heubach, Klaus-Dieter Stephan (Hg.), Berufsethik – Glaube – Seelsorge. Evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz Polizei des Bundes. Festschrift für Rolf Sauerzapf, Leipzig 1998, 727–733. 2 Vgl. BGS Gesetz vom 16. März 1951. 3 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt a. M. 1976, 60: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit

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Matthias Pulte

nicht schaffen kann, bedarf außenstehender Institutionen, um ethische Werte zu vermitteln. Wertevermittlung setzt einen Standpunkt voraus. In ethischen Fragen kann der religionsneutrale Staat hier nicht selbst handeln, sondern bedarf der Kirchen und Religionsgemeinschaften zu dieser Vermittlung. Das galt 1951 genauso wie heute. Als weiterer Aspekt trat bei der Gründung hinzu, dass eine ethische Wertevermittlung, von den systematischen Bedenken einmal abgesehen, nur von Institutionen geleistet werden konnte, die über die Zeit der Diktatur hinweg ihre Glaubwürdigkeit weitestgehend haben bewahren können. Dafür standen damals keine anderen Institutionen als die Kirchen zur Verfügung, die überdies auch in der Lage gewesen wären, eine so umfangreiche und umfassende Aufgabe zu erfüllen. Daher haben der Bundesminister des Inneren und die beiden großen christlichen Kirchen in der Bundesrepublik 1965 miteinander Vereinbarungen über die Seelsorge im Bundesgrenzschutz geschlossen. Diese Vereinbarungen gelten unter eher marginalen Veränderungen auch für die Seelsorge in der Bundespolizei fort.4

1.

Die kirchenrechtlichen Grundnormen über die Sonderseelsorge im CIC/1983

Während die EKD durch ein Kirchengesetz5 umfängliche Bestimmungen zur Ordnung der Seelsorge in der Bundespolizei in Kraft gesetzt hat, gibt es für die katholische Kirche keine besonderen universal- oder partikularrechtlichen Normen. Der wesentliche Grund dürfte darin zu erkennen sein, dass die Seelsorge nach Maßgabe der Vereinbarung von 1965 als eine rein kirchliche Aufgabe determiniert wird und demzufolge die kodikarischen Bestimmungen des jeweils geltenden CIC anzuwenden sind. Die sog. Anstaltsseelsorge, d. h. die Seelsorge in Einrichtungen, in denen Menschen für einen längeren Zeitraum untergebracht, oder denen sie beruflich inkorporiert sind, bemisst sich nach den Bestimmungen der cann. 564–572. An dieser Stelle handelt der CIC/1983, ohne den Begriff der Anstaltsseelsorge selbst zu verwenden, in sehr allgemeiner und grundle-

den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“ 4 Vgl. Markus Heintzen, Die Vereinbarungen über die Seelsorge in der Bundespolizei aus staatsrechtlicher Sicht, in diesem Band, 55. 5 Kirchengesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Regelung der Evangelischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzseelsorgegesetz der EKD – BGSSG.EKD) vom 6. November 2003, ABl. EKD 2003, 407.

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gender Weise über die Seelsorger für besondere Gemeinschaften.6 Sie bedürfen ggf. der näheren rechtlichen Ausgestaltung nach Maßgabe der jeweiligen Form der Sonderseelsorge. Der CIC hält sowohl für die pfarrliche als auch die nichtpfarrliche Seelsorge Rechtsvorschriften bereit, deren Anwendung und Anwendbarkeit mit Blick auf die Seelsorge in der Bundespolizei zu betrachten ist. Aus katholischer Perspektive geht es bei der Ordnung von Sonderseelsorgebereichen nicht um eine bestimmte institutionelle Form dieser Seelsorge. Vielmehr geht es entscheidend um die Frage, ob und in welchem Rahmen Menschen, die in besonderer Weise Grenzsituationen ausgesetzt sind, eine ganzheitliche Seelsorge angeboten werden kann. Das kirchliche Gesetzbuch von 1983 sieht ebenso wenig wie das vorhergehende Gesetzbuch eine spezielle Seelsorge für Polizeikräfte vor. Daher sind hier solche universalkirchlichen Bestimmungen heranzuziehen, die sich der Sonderseelsorge widmen. Dabei ist es grundsätzlich denkbar und angezeigt, die Polizeiseelsorge so zu organisieren, wie es der Struktur der Behörde und des Dienstes ihrer Mitarbeiter zweckmäßig ist. Die Bundespolizei nimmt hier eine Sonderstellung unter den Polizeien der Bundesrepublik ein. Insofern wäre es historisch durchaus denkbar gewesen, die Bundespolizeiseelsorge in ähnlicher Weise zu organisieren, wie das für die Militärseelsorge geschehen ist. Damit hätte man in Deutschland auch keinen Alleingang veranstaltet. Frankreich und Italien haben die Sonderseelsorge ihrer teilweise paramilitärisch organisierten Polizei entsprechend geregelt.7 In Deutschland hat man sich aber bereits seit 1951 für einen anderen Weg entschieden. Die Seelsorge für den Bundesgrenzschutz, als Polizei des Bundes, wurde von vornherein als eine polizeiliche Seelsorge und nicht als eine Seelsorge für Militärs angesehen. Dementsprechend erweist sich hier Seelsorge mit einem kleinen strukturellen Grundgerüst versehen von vornherein als pfarrliche Seelsorge im Kontext der jeweiligen diözesanen Seelsorge. Daher ist es für die Seelsorge in der Bundespolizei vor allem zweckmäßig die Vorschriften in den Blick zu nehmen, die sich mit der pfarrlichen bzw. der quasipfarrlichen Seelsorge befassen. Can. 515 § 1 CIC8 definiert erstmals im kanonischen Recht den Begriff der Pfarrei als eine dauerhaft im Rechtssinne errichtete Personengemeinschaft, die sich mit ihrem eigenen Hirten unter der Autorität des Diözesanbischofs kon6 Alfred Hierold, Anstaltseelsorge, in: Stephan Haering (Hg.), Lexikon des Kirchenrechts, Freiburg/Br. 2004, 51–52. 7 So ist die KHG Bonn in der Rechtsform einer KdöR konstituiert. Die KHG Mainz ist vom Bischof von Mainz als Pfarrei errichtet. 8 Can. 515 — § 1. Die Pfarrei ist eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen, die in einer Teilkirche auf Dauer errichtet ist und deren Seelsorge unter der Autorität des Diözesanbischofs einem Pfarrer als ihrem eigenen Hirten anvertraut wird. § 2. Pfarreien zu errichten, aufzuheben oder sie zu verändern, ist allein Sache des Diözesanbischofs, der keine Pfarreien errichten oder aufheben oder nennenswert verändern darf, ohne den Priesterrat gehört zu haben. § 3. Die rechtmäßig errichtete Pfarrei besitzt von Rechts wegen Rechtspersönlichkeit.

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stituiert.9 Auch wenn der CIC in dieser Norm nicht direkt das territoriale Prinzip als erstrangigen Ordnungsmodus für die Pfarrei anspricht, ist doch ganz offensichtlich, dass dieses Ordnungsprinzip vorrangig im Blick zu sein scheint. Das wird deutlich an der Tatsache, dass die Pfarrei nach dem Wortlaut des can. 515 § 2 vom Diözesanbischof errichtet, aufgehoben oder verändert wird, der selbst Vorsteher einer territorial umschriebenen Jurisdiktionseinheit ist. Gleichwohl bleibt daran festzuhalten, dass can. 515 § 1 die Errichtung von speziellen Personalpfarreien innerhalb seiner vorrangig territorialen Jurisdiktion ermöglicht.10 Solche Personalpfarreien finden sich außerhalb der Seelsorge für Menschen, die in einem besonderen Gewaltverhältnis stehen, eher selten. An den Universitäten Bonn und Mainz sind die dort ansässigen Hochschulgemeinden als Personalpfarreien konstituiert. Sie verfügen auch über alle Gremien, die entweder vom Universalrecht (Pastoralrat und Verwaltungsrat) 11 oder vom deutschen, diözesanen Partikularrecht (Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand bzw. Vermögensverwaltungsrat) vorgesehen sind. Mit Blick auf die Seelsorge in der Bundespolizei wäre für die Möglichkeit der Errichtung von Personalpfarreien also derjenige Diözesanbischof anzusprechen, in dessen Jurisdiktionsbereich die entsprechende Direktion mit den zugeordneten Abteilungen ihren Sitz hat. Ob die Errichtung von eigenen Pfarreien jedoch opportun erscheint, ist eine Entscheidung, die die Bundespolizeiseelsorge, gem. § 3 der Vereinbarung vertreten durch ihren bischöflichen Beauftragten, im Benehmen mit den Diözesanbischöfen zu treffen hat. Da der Beauftragte gem. § 3 (1) zwar für „alle Angelegenheiten“ im Zusammenhang mit der Seelsorge in der Bundespolizei zuständig, er aber zugleich kein Ordinarius im Sinne des can. 381 § 2 ist, der einem Diözesanbischof rechtlich gleichsteht, wird man in § 3 (1) nicht die Vollmacht zur Errichtung von Pfarreien im Sinne des can. 515 § 2 enthalten sehen können.12 Alternativ dazu bietet es sich an, Seelsorgebereiche zu errichten, die nicht über eine vollumfängliche pfarrliche Struktur verfügen. Diese findet ihren rechtlichen 9 Vgl. Reinhild Ahlers, in MKCIC 43. Erg.Lfg. Januar 2008, 515, 1 und 4. 10 Ebd. 11 Pastoralrat: can. 536; Vermögensverwaltungsrat: can. 537. Kennzeichen der kodikarisch vorgesehenen Räte ist erstens der Vorsitz durch den Pfarrer und zweitens die Tatsache, dass die Mitglieder der Gremien nur beratendes Stimmrecht haben. Handelt es sich hingegen um die kraft diözesanen Rechts errichteten Pfarrgemeinderäte, so kommt diesen beschließendes Stimmrecht zu. Der Pfarrer ist hier nicht Vorsitzender. Von diesen Regelungen weicht lediglich das Bistum Regensburg ab. Hinsichtlich der kirchlichen Vermögensverwaltung ist das weltliche Recht zu beachten, das in den ehemals preußischen Gebieten ebenfalls Laien beschließendes Stimmrecht zuspricht. Die meisten Diözesen außerhalb der preußischen Gebiete haben diese Vorschrift partikularrechtlich als Kirchengesetz adaptiert. 12 Vgl. Hans Paarhammer, in MKCIC, 1. Erg.Lfg. August 1985, 10. Ebenso: Reinhild Ahlers, in MKCIC 43. Erg.Lfg. Januar 2008, 515, 5.

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Anker in can. 516 § 1,13 der solche Einrichtungen als Quasipfarreien bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine rechtlich verfasste Gemeinschaft von Gläubigen mit einem eigenen Hirten in einer Teilkirche, die aber nicht alle Voraussetzungen für eine Pfarrei erfüllt. Historische Beispiele aus deutschen Diözesen sind hier die Kuratie, die Vikarie, das Rektorat und andere Bezeichnungen.14 Anders als bei der Pfarrei gibt der Gesetzgeber hier der territorialen Komponente keinen Vorzug.15 Ein Vorteil dieser Gestaltungsalternative besteht darin, dass die rechtliche Stellung des Quasipfarrers im CIC weitestgehend jener entspricht, die auch der kanonische Pfarrer in seiner Pfarrei innehat. Als dritte und letzte Form der Organisation der örtlichen Seelsorge schafft can. 516 § 216 einen sehr weiten Rahmen, indem er es dem Diözesanbischof anheimstellt, die Seelsorge in einer geeigneten Weise zu ordnen, wo die Errichtung von Quasipfarreien auch nicht möglich ist. Der Codex Iuris Canonici entfaltet keine genaueren Vorstellungen, wie man sich diese Organisationsformen vorzustellen habe. Erst im Jahr 2004 lässt das Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe erkennen, dass man sich darunter exemte oder quasiexemte Personalgemeinden vorstelle, die als Seelsorgezentren für die Feier der Gottesdienste und die Durchführung der anderen gemeindlichen Aktivitäten geschaffen werden könnten.17 Ob es sich dabei vor allem um territoriale Gemeinschaften handelt, bleibt offen.18 Zweifellos kommt jeder kirchlichen Gemeinschaft eine räumliche Komponente zu. Entscheidend ist jedoch, welches der vorrangige Grund für die förmliche Errichtung der jeweiligen Gemeinschaft ist. Mit Blick auf die Seelsorge in der Bundespolizei wäre im Falle einer derartigen rechtlichen Organisation die Personengruppe der Polizeibeamten dieser Behörde anzusprechen. Für alle drei Organisationsformen der Sonderseelsorge sieht der CIC einen leitenden Priester vor, der vom CIC in can. 56419 als Capellanus bezeichnet wird.20 13 Can. 516 — § 1. Wenn das Recht nichts anderes vorsieht, wird der Pfarrei die Quasipfarrei gleichgestellt, die eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen in einer Teilkirche ist und einem Priester als eigenem Hirten anvertraut wird, die aber wegen besonderer Umstände noch nicht als Pfarrei errichtet ist. 14 Vgl. Ludwig Schick, Die Pfarrei, in: Joseph Listl, Heribert Schmitz, Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 21999, § 45, 484–496, 491. 15 Vgl. Reinhild Ahlers, in MKCIC 43. Erg.Lfg. Januar 2008, 516, 3. 16 Can. 516 — § 2. Wenn irgendwelche Gemeinschaften nicht als Pfarrei oder Quasipfarrei errichtet werden können, hat der Diözesanbischof für deren Seelsorge auf andere Weise Vorkehrungen zu treffen. 17 Vgl. Kongregation für die Bischöfe, Apostolorum successores. Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe, ital., in: Xaverius Ochoa (Hg.), Leges Ecclesiae post Codicem Iuris Canonici editae X, n. 6177, Sp. 17402–17562 dt. in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 173, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2004, Rdn. 215d. 18 Anders Reinhild Ahlers, in MKCIC 43. Erg.Lfg. Januar 2008, 516, 5. 19 Can. 564 — Capellanus ist ein Priester, dem auf Dauer die Seelsorge für irgendeine Ge-

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Es wäre allerdings verfehlt, in diesem Priester einen Kaplan21 oder einen Pfarrvikar22 nach deutschem Sprachgebrauch zu erkennen, da beiden keine selbständige Leitungskompetenz in der Pfarrei zukommt. Diese bezeichnet der CIC zutreffend als vicarii cooperatores oder vicarii paroecialis, also als in der Seelsorge unter der Leitung des Pfarrers mitarbeitende Seelsorger. Demgegenüber ist dem Capellanus nach can. 564 die Seelsorge für die näher zu beschreibende Gemeinschaft von Gläubigen verantwortlich und mit Leitungskompetenz anvertraut. Treffend werden die leitenden Seelsorger in der Seelsorge der Bundespolizei auch als Pfarrer, bzw. Oberpfarrer, bezeichnet. Diese Bezeichnung bildet nach deutschem Sprachgebrauch eher jene Kompetenzen im Amt ab, die den Inhabern der Stellen auch nach dem Willen des Gesetzgebers aus den cann. 564– 566 zukommen. Einen rechtlichen Vorteil dieser Form der Organisation der Seelsorge gilt es unter den heutigen Bedingungen zurückgehender Kirchlichkeit in allen Bereichen in den Blick zu nehmen. In den letzten Jahren zurückgehender Kirchlichkeit zeichnet sich ab, dass der Heiligungsdienst, speziell der Dienst an den Sakramenten, in diesen Bereichen der Sonderseelsorge weit weniger als früher nachgefragt wird. Hier stellt sich die Frage, ob und inwieweit eine plena cura animarum im Sinne des can. 150, der begrifflich die cura pastoralis des can. 515 § 1 entspricht, durch die Sonderseelsorge vorgehalten werden muss. Das ist insofern bedeutsam, als dass speziell für den sakramentalen Heiligungsdienst, genauerhin die Feier der Eucharistie, der Krankensalbung und des Bußsakraments die Seelsorge im Sinne einer plena cura animarum nur einem Priester übertragen werden kann.23 Hier geht es demnach um eine zeitbezogene Selbstvergewisserung der Seelsorge in der Bundespolizei, wie sie also im 21. Jahrhundert ihren Auftrag versteht.24 Diese Frage vermag der Kanonist nicht zu beantworten. Er kann nur den rechtlichen Rahmen seelsorglichen Handelns unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen aufzeigen.

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meinschaft oder für einen besonderen Kreis von Gläubigen wenigstens zum Teil anvertraut wird, die er nach Maßgabe des allgemeinen und des partikularen Rechts wahrzunehmen hat. Vgl. Daniel Cenalmor, Jorge Miras, El Derecho de la Iglesia. Curso básico de Derecho canónico, Pamplona 32010, 305. Vgl. Karl-Heinz Selge, Kaplan, in: Lexikon des Kirchenrechts, a. a. O., 475 Zum Herkommen des Begriffs und seiner rechtlichen Ausgestaltung: Hans Paarhammer, Pfarrvikar, in: Lexikon des Kirchenrechts, a. a. O., 765–767. Vgl. Heribert Hallermann, Pfarrei und pfarrliche Seelsorge. Ein kirchenrechtliches Handbuch für Studium und Praxis, Paderborn 2004, 270 f. Vgl. Reinhard Marx, Die Vergrößerung des pastoralen Raums und die Nähe zu den Menschen, in: „Mehr als Strukturen … Entwicklungen und Perspektiven der pastoralen Neuordnung in den Diözesen“ Dokumentation des Studientages der Frühjahrs-Vollversammlung 2007 der Deutschen Bischofskonferenz, Arbeitshilfen 213, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2007, 62–67, 63.

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Der Rückgang an geistlichen Berufungen in der katholischen Kirche lässt es auch immer schwieriger erscheinen, unter den zur Verfügung stehenden Priestern für diesen Dienst geeignete freizustellen. Hingegen stellt sich die Situation bei Diakonen und Laien im pastoralen Dienst bislang günstiger dar. Vor allem mit Blick auf den berufsethischen Unterricht und die seelsorgliche Begleitung können diese Seelsorgerinnen und Seelsorger einen wertvollen Dienst leisten und zugleich im Konzept von can. 516 § 2 Leitungskompetenz für die Ihnen anvertraute Gemeinschaft von Gläubigen übernehmen. Die Gemeindeleitung muss in nichtpfarrlichen Organisationen nicht an den Besitz von Weihevollmacht gebunden sein. Diese ist von Gesetzes wegen ausschließlich auf die Leitung einer Pfarrei oder Quasipfarrei bezogen. In can. 516 § 2 fehlt es an einer entsprechenden Vorschrift. Diese Vorschrift fordert auch nicht zwingend, die Leitung der Seelsorge unter diesen Voraussetzungen durch einen Priester ein. Daher muss auch nicht zwingend ein Capellanus im Sinne des can. 564 ernannt werden. Wäre dies der Fall, so wäre die Leitung der Seelsorge in diesen Gemeinschaften wieder Priestern vorbehalten und damit kein weiterer Gestaltungsspielraum eröffnet.25 Ob der Gesetzgeber nun bewusst in can. 516 § 2 eine Festlegung hinsichtlich der Leitung der Seelsorge unterlassen hat oder dieses Rechtsproblem im Zuge der Codexreform einfach nicht bedacht wurde, ist hier nicht entscheidend, da man nach den Auslegungsvorschriften des can. 1726 durch eine wortgetreue und kontextuelle Normauslegung zu hinreichenden Ergebnissen gelangt. Die partikularrechtliche Lage für die Seelsorge in der Bundespolizei wird weiter unten angesprochen. Berücksichtigt man den Umstand, dass die Seelsorge in der Bundespolizei, ähnlich wie jene in der Militärseelsorge, staatskirchenrechtlich gesprochen, eine Res mixta darstellt, erscheint es besonders wichtig, die Seelsorgerinnen und Seelsorger mit jenen Kompetenzen auszustatten, die sie für die Kommunikation und Koordination mit den staatlichen Ansprechpartnern benötigen. Das gleiche gilt mit Blick auf die ökumenische Zusammenarbeit und ggf. auch für den Dialog 25 Vgl. Hans Paarhammer, in MKCIC 11. Erg.Lfg. November 1989, 564, 3. John A. Renken, in: John P. Beal, James A. Coriden, Thomas J. Green (ed.), New Commentary on the Code of Canon Law, New York 2000, 682. Eine Kommentierung von can. 516 § 2 fehlt bei Aymans – Mörsdorf gänzlich: Aymans – Mörsdorf, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, bearbeitet von Winfried Aymans, Bd. 2 Paderborn 131997, 424–439. Ohnehin erweist sich die Präsumtion von Aymans in diesem Abschnitt, nur Kleriker seien Seelsorger, alle anderen hingegen Seelsorgshelfer als kanonistisch und doktrinell problematisch. Das Gleiche gilt für die Ansicht der Autoren des Salamanca-Kommentars, die in can. 516 § 2 einen Verweis auf can. 564 entdecken wollen. Vgl. Lamberto de Echeverria (ed.), Código de Derecho Canónico, Madrid 21983, 296 f. 26 Can. 17 — Kirchliche Gesetze sind zu verstehen gemäß der im Text und im Kontext wohl erwogenen eigenen Wortbedeutung; wenn sie zweifelhaft und dunkel bleibt, ist zurückzugreifen auf Parallelstellen, wenn es solche gibt, auf Zweck und Umstände des Gesetzes und auf die Absicht des Gesetzgebers.

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mit den Seelsorgern nichtchristlicher Religionen, die aufgrund der staatskirchenrechtlichen Lage keinen Zugang zu ihren Gläubigen im Dienstbetrieb der Bundespolizeiseelsorge haben.

2.

Bundespolizeiseelsorge im Lichte der Verfassungsstruktur der Katholischen Kirche

Die wesentlichen Rechtsgrundlagen für die Seelsorge in der Bundespolizei sind die universalkirchlichen Normen des CIC und die Vereinbarung über die katholische Seelsorge im Bundesgrenzschutz vom 14. September 1965.27 Dabei handelt es sich um eine staatskirchenrechtliche Vereinbarung zwischen dem Bundesminister des Inneren und den katholischen Bischöfen in der Bunderepublik Deutschland. Diese wurden bei Vertragsabschluss vertreten durch den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Inwieweit diese Vereinbarung auch als partikulares Kirchenrecht anzuerkennen ist, hängt davon ab, wie die deutschen Bischöfe seit 1965 dieser Vereinbarung Rechtskraft verliehen haben. Der erste und ordentliche Weg ist gem. can. 8 § 2 die Veröffentlichung in der vom Gesetzgeber bestimmten Weise. Das sind regelmäßig die kirchlichen Amtsblätter.28 Für die Gliedkirchen der EKD ist eine derartige Rechtsgrundlage, wie eingangs angesprochen, aufzufinden.29 Mangels eines Verordnungsblattes der Deutschen Bischofskonferenz ist hier gem. Art. 16 Abs. 4 iVm Art. 14 Abs. 1a DBK Statut eine Einzelveröffentlichung in allen 27 Diözesen erforderlich.30 Die Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass nicht alle Beschlüsse der Deutschen Bischöfe oder des Ständigen Rates rechtsförmlich einheitlich veröffentlicht worden sind. In manchen diözesanen Rechtssammlungen findet sich gar kein Hinweis auf 27 GMBl. 377; ebenfalls Joseph Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, Berlin 1987, 85–93; Heribert Schwark, Geschichte und Rechtsgrundlagen der Polizeiseelsorge in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West), Berlin u. a. 1986, Anlage 22. 28 Stichproben in den kirchlichen Amtsblättern der (Erz-)Bistümer Mainz, Speyer, Freiburg und Rottenburg-Stuttgart in den Jahrgängen 1965 und 1966 sowie nach 1983 haben ergeben, dass es dort keine Veröffentlichung der Vereinbarung gegeben hat. 29 Kirchengesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Regelung der Evangelischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz vom 6. November 2003, a. a. O. 30 Art. 14 Abs. 1a DBK Statut: „In Angelegenheiten, in denen Beschlüsse der Deutschen Bischofskonferenz keine Rechtsverbindlichkeit beanspruchen können, a) gelten Beschlüsse als Empfehlungen der Deutschen Bischofskonferenz zur Förderung eines gemeinsamen oder gleichmäßigen Vorgehens der einzelnen im eigenen Namen handelnden Diözesanbischöfe, wenn die Beschlüsse mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder zustande gekommen sind; darin muss die Zweidrittelmehrheit der in Art. 2 Abs. 1 a) bis c) genannten Mitglieder enthalten sein.“

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diese Vereinbarung.31 Insofern wird man auf dieser Grundlage nicht von einer lex canonizata im Sinne des can. 22 CIC32 für den gesamten Bereich der Deutschen Bischofskonferenz sprechen können. Eine derartige Veröffentlichung, wie sie auch von der evangelischen Kirche praktiziert worden ist, hätte allerdings zur Rechtssicherheit beigetragen. Stattdessen muss hier aus dem Text der Bekanntmachung zur Vereinbarung deren Rechtsförmlichkeit rekonstruiert werden. Danach bliebe nach dem Wortlaut von can. 8 § 2 noch die Möglichkeit einer nicht öffentlichen Promulgation, wenn der Vorsitzende der Bischofskonferenz gem. Art. 16 Abs. 2 DBK Statut die Vereinbarung nach römischer Approbation den einzelnen Bischöfen förmlich zugestellt hat.33 Die Bekanntmachung der Vereinbarung vom 18. Oktober 1965 verweist darauf, dass der Vorsitzende der Bischofskonferenz aufgrund eines von Rom approbierten Beschlusses der deutschen Bischöfe mit dem Bundesminister des Inneren die hier diskutierte Vereinbarung getroffen hat.34 Es bleibt aber darauf hinzuweisen: Die Anerkennung staatlicher Normen durch die universale oder partikulare kirchliche Rechtsordnung verändert grundsätzlich nicht deren rechtlichen Charakter. Freilich entfalten die Normen durch die Anerkennungserklärung Wirkungen im kirchlichen Rechtsbereich.35 Nach der Umbenennung des BGS in Bundespolizei hat sich bisher keine Änderung der vertraglichen Grundlagen für die Seelsorge in der Bundespolizei zwischen dem Bundesministerium des Inneren und der Deutschen Bischofskonferenz ergeben. Daher wird man trotz der Umbenennung und der Neuumschreibung des dienstlichen Auftrags der Institution von der Fortgeltung der Vereinbarung ausgehen dürfen.36 Damit ist Rechtssicherheit für die Seelsorge in der Bundespolizei sowohl im staatskirchenrechtlichen als auch im kanonisch rechtlichen Sinne gewährleistet.

31 Vgl. z. B. Rechtssammlung der Diözese Rottenburg-Stuttgart, online: http://recht.drs.de/ index.php?id=789 (Zugriff: 15. 1. 2015). 32 Can. 22 — Weltliche Gesetze, auf die das Recht der Kirche verweist, sind im kanonischen Recht mit denselben Wirkungen einzuhalten, soweit sie nicht dem göttlichen Recht zuwiderlaufen und wenn nicht etwas anderes im kanonischen Recht vorgesehen ist. 33 „Art. 16 Abs. 2 Statut DBK: Gemäß Art. 8 Abs. 1 b) erlassene allgemeine Dekrete bedürfen zu ihrer Rechtskraft der Promulgation, die erst nach Überprüfung durch den Apostolischen Stuhl vorgenommen werden kann; die Promulgation erfolgt dadurch, dass der Vorsitzende das Dekret den einzelnen Diözesanbischöfen zustellt. Das Dekret ist in den betreffenden Amtsblättern abzudrucken, wenn nicht der Vorsitzende etwas anderes bestimmt hat. Dabei ist der Termin anzugeben, von dem an das jeweilige Dekret für den Bereich der Deutschen Bischofskonferenz Rechtskraft erlangt.“ 34 Vgl. Joseph Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, a. a. O., 85. 35 Vgl. Hubert Socha, in MKCIC 47. Erg.Lfg., Stand: Februar 2012, 22, 11. 36 Vgl. Christian Waldhoff, in diesem Band, 45.

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Die Seelsorge in der Bundespolizei ist anders als jene in der Militärseelsorge für die Deutsche Bundeswehr nicht in der Form eines Personalordinariates organisiert. Bedeutet das mithin, dass diese Form der Sonderseelsorge stets unter der Jurisdiktion desjenigen Ortsordinarius steht, in dessen Zuständigkeitsbereich sich die jeweiligen Dienststellen des Seelsorgers befinden? Das entspräche der universalkirchlichen Verfassungsstruktur, nach der der Diözesanbischof der Hirte der ihm anvertrauten portio populi Dei ist. Dafür spricht, dass die rechtliche Stellung des Beauftragten für die Seelsorge in der Bundespolizei mit der eines Ordinarius nicht vergleichbar ist. Bereits die Bekanntmachung der Vereinbarung vom 18. Oktober 196537 macht deutlich, dass die Ermächtigungsgrundlage für die nachstehende Vereinbarung der Sache nach den Beauftragten als Delegaten der 27 deutschen Diözesanbischöfe ansieht. Hinsichtlich seiner Vollmachten bleibt er gem. Art. 29 Abs. 1 DBK Statut an die Beschlusslage der Bischofskonferenz gebunden.

3.

Organisationsstruktur der Seelsorge in der Bundespolizei

Die grundlegende dienstrechtliche Einordung der Seelsorge in der Bundespolizei ergibt sich aus der Vereinbarung von 1965. Der dortige § 2 betont, dass es sich bei der Seelsorge in der Bundespolizei um einen Teil der originär kirchlichen Arbeit handelt, der im Auftrag der Kirche von kirchlichen Bediensteten ausgeführt wird. Im Lichte von Art. 140 GG iVm Art. 137 und Art. 141 WRV bildet diese grundlegende Norm einen präzisen Anwendungsfall der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates.38 Daher ist es nur folgerichtig, wenn § 2 (3) die gesamte seelsorgliche Tätigkeit der Seelsorger ausschließlich der kirchlichen Dienst- und Fachaufsicht unterstellt. Das öffnet die Tür für die Anwendung der kanonischen Rechtsnormen im Bereich der Seelsorge in der Bundespolizei. Darüber hinaus wird an § 11 deutlich, dass zwar die Besoldung und Vergütung der Seelsorger nach Maßgabe des Tarifwerks für Angestellte des Bundes erfolgt. Anders als in der Militärseelsorge werden jedoch die Seelsorger der Bundespolizei nicht in ein Beamtenverhältnis auf Zeit und damit auch nicht in ein hoheitliches Dienstverhältnis berufen. Damit bleibt auf der Ebene des Dienstrechts eine gewisse institutionelle Distanz zwischen Kirche und Staat erkennbar. Zur Koordination der Seelsorge ist ein Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz als deren Beauftragter für die Seelsorge in der Bundespolizei ernannt. Aus § 3 der Vereinbarung wird ersichtlich, dass mit dieser Ernennung einige juridi37 Vgl. Joseph Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, a. a. O., 85. 38 Vgl. Christian Waldhoff, in diesem Band, 45 f.

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sche Kompetenzen übertragen werden. Diese liegen allerdings ausschließlich auf der Ebene der Exekutive. Dazu gehört auch die Ernennung der Seelsorger. Zwar wird diese wichtige Amtskompetenz nicht wörtlich in § 3 (1) erwähnt. Sie fällt jedoch unter die Generalklausel „alle kirchlichen Angelegenheiten“. Daher darf die sich in diesem Absatz aufzufindende Aufzählung von sechs Tätigkeitsbereichen des Beauftragten nicht als abschließend aufgefasst werden. Die offene Formulierung schafft gerade die Möglichkeit, ohne Veränderung der vereinbarten Rechtsgrundlagen, den seelsorglichen Dienst in der Bundespolizei den Erfordernissen angepasst zu gestalten. Weder weist der Gesetzgeber in can. 45539 den Bischofskonferenzen eine besondere Vollmacht zu, das Amt des Beauftragten jurisdiktionell auszugestalten, noch enthält die Satzung der Deutschen Bischofskonferenz eine Bestimmung, durch die dem Beauftragten speciali modo Kompetenzen von allen Mitgliedern der Konferenz delegiert werden. Daher ist es auch möglich, die Aufgabe des Beauftragten einem Weihbischof zu übertragen, ohne ihn damit zu einem, dem Diözesanbischof gleichgestellten Ordinarius im Sinne des can. 38140 § 2 zu erheben. Beide Positionen sind folglich nicht inkompatibel. Zugleich ist es aber wegen der staatskirchenrechtlichen Verhältnisse nicht unbedeutend, mit dieser wichtigen Aufgabe einen Bischof zu beauftragen, der gem. can. 375 schon kraft seiner empfangenen Weihe am dreifachen Amt Christi, des Lehrens, Heiligens und Leitens, teilhat, auch wenn es zur Entfaltung dieser Vollmachten einer entsprechenden Ermächtigung bedarf. Das nachstehende Organigramm veranschaulicht die Struktur der Seelsorge sowie auch zum Teil die hierarchische Kompetenzzuweisung für den Bereich der Bundespolizeiseelsorge.

39 Can. 455 — § 1. Die Bischofskonferenz kann nur in den Angelegenheiten allgemeine Dekrete erlassen, in denen das allgemeine Recht es vorschreibt oder eine besondere Anordnung dies bestimmt, die der Apostolische Stuhl aus eigenem Antrieb oder auf Bitten der Konferenz selbst erlassen hat.§ 2. Die in § 1 genannten Dekrete müssen, um gültig in der Vollversammlung erlassen werden zu können, von wenigstens zwei Dritteln der Stimmen jener Vorsteher, die mit entscheidendem Stimmrecht der Konferenz angehören, getragen werden; sie erhalten erst dann Rechtskraft, wenn sie nach Überprüfung durch den Apostolischen Stuhl rechtmäßig promulgiert worden sind. 40 Can. 381 — § 1. Dem Diözesanbischof kommt in der ihm anvertrauten Diözese alle ordentliche, eigenberechtigte und unmittelbare Gewalt zu, die zur Ausübung seines Hirtendienstes erforderlich ist; ausgenommen ist, was von Rechts wegen oder aufgrund einer Anordnung des Papstes der höchsten oder einer anderen kirchlichen Autorität vorbehalten ist. § 2. Diejenigen, die den anderen in can. 368 genannten Gemeinschaften von Gläubigen vorstehen, werden dem Diözesanbischof im Recht gleichgestellt, wenn nicht aus der Natur der Sache oder aus einer Rechtsvorschrift etwas anderes hervorgeht.

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Abbildung 1. Organigramm der Seelsorge in der Bundespolizei

4.

Seelsorge in der Bundespolizei – ein ausschließlich priesterlicher Dienst?

An dieser Stelle ist angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen im Feld der geistlichen Berufungen noch einmal die Frage zu vertiefen, ob und inwieweit der Dienst von Seelsorgern in der Bundespolizei, vergleichbar dem der Seelsorger in den Landespolizeien, auch Nichtpriestern eröffnet werden kann. Wie bereits oben dargelegt, ergeben sich diesbezüglich aufgrund der universalkirchlichen Rechtslage aus dem CIC keine zwingenden Probleme, weil die Seelsorge in der Bundespolizei rein formalrechtlich standortbezogen und nicht pfarrlich strukturiert ist.41 Daher wird man es auch vertreten können, diese Sonderseelsorge nicht unbedingt als Seelsorge im Sinne der cann. 150 und 515 als umfassende cura annimarum bzw. cura pastoralis verstehen zu müssen. Aus der Vereinbarung von 1965 ist nicht erkennbar, dass die Vertragspartner die Errichtung von Personalpfarreien erstrebt haben. Darin unterscheidet sich diese Sonderseelsorge wiederum deutlich von der Militärseelsorge. Zugleich eröffnet diese Rechtslage, wie bereits ausgeführt, Spielräume zur Ausgestaltung der Seelsorge. Wird keine förmliche Pfarrei oder Quasipfarrei errichtet, sondern in sonstiger Weise gem. can. 516 § 2 für die Seelsorge Vorsorge getroffen, gibt es auch keine personelle Beschränkung auf eine bestimmte Personengruppe von Seelsorgern. Es geht dann auch hinsichtlich der Leitung dieser Seelsorgeeinheiten nicht mehr um eine Pfarreileitung iSd can. 519.42 Denn in diesem Fall können Nichtpriester 41 Vgl. Christian Waldhoff, in diesem Band, 50. 42 Can. 519 — Der Pfarrer ist der eigene Hirte der ihm übertragenen Pfarrei; er nimmt die

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nach dem Wortlaut der Norm an der verantwortlichen Ausübung der Seelsorge lediglich „mitwirken“ oder „mithelfen“. Diese Bestimmungen machen deutlich, dass der Pfarreileitung im kanonischen Recht die Idee zugrunde liegt, dass die theologische Begründung der administrativen Leitung einer als Pfarrei definierten Gemeinschaft von Gläubigen vom sakramentalen Dienst des Heiligens her gedacht und gerechtfertigt wird. Dieses Axiom wird für die ordentliche territoriale Pastoral nicht infrage gestellt. Mit Blick auf den seelsorgerischen Dienst in der Bundespolizei wäre hingegen zu bedenken, ob und inwieweit die dortige Lage der Präsumtion des Codex Iuris Canonici entspricht. Gem. § 1 (1) der Vereinbarung umfasst die katholische Seelsorge in der Bundespolizei neben allen anderen seelsorglichen Diensten auch die Sakramentenspendung. Das spricht zunächst dafür, diesen Dienst vorrangig jenen kirchlichen Mitarbeitern zu übertragen, die diesen Dienst auch vollumfänglich zu leisten vermögen. Sollte das jedoch aus den beschriebenen Gründen nicht immer möglich sein, wäre es vertretbar und angemessen, all jene in den §§ 7–9 der Vereinbarung aufgeführten seelsorglichen Dienste und Aufgaben sicherzustellen, die auch nach staatlicher Rechtsauffassung in das Feld der Seelsorge in der Bundespolizei fallen. Freilich wird man Nichtpriestern in diesem Fall die besondere Verpflichtung aufgeben müssen, den Heiligungsdienst für die ihnen anvertrauten Gläubigen anderweitig sicherzustellen, z. B. in Kooperation mit den örtlichen zivilen Pfarreien. Zu der beschriebenen Öffnung der Seelsorge in der Bundespolizei bedarf es nach der hier vertretenen Auffassung keiner gravierenden Veränderungen der bestehenden kirchlichen und staatlichen rechtlichen Ordnungen. Bereits nach Maßgabe der kodikarischen Bestimmungen des can. 517 § 243 kann Diakonen und Laien im seelsorglichen Dienst die Verantwortung für einen oder mehrere Teilbereiche der Seelsorge übertragen werden.44 Im Prinzip gilt dies sogar in cumulo für all jene Seelsorgeaufgaben, die nicht zu ihrer Wahrnehmung und Erfüllung den Empfang der Priesterweihe voraussetzen.45 Da can. 517 § 2 auf die Wahrnehmung von Seelsorgeaufgaben in der Pfarrei gerichtet ist, nicht aber auf Seelsorge für die ihm anvertraute Gemeinschaft unter der Autorität des Diözesanbischofs wahr, zu dessen Teilhabe am Amt Christi er berufen ist, um für diese Gemeinschaft die Dienste des Lehrens, des Heiligens und des Leitens auszuüben, wobei auch andere Priester oder Diakone mitwirken sowie Laien nach Maßgabe des Rechts mithelfen. 43 Can. 517 — § 2. Wenn der Diözesanbischof wegen Priestermangels glaubt, einen Diakon oder eine andere Person, die nicht die Priesterweihe empfangen hat, oder eine Gemeinschaft von Personen an der Wahrnehmung der Seelsorgsaufgaben einer Pfarrei beteiligen zu müssen, hat er einen Priester zu bestimmen, der, mit den Vollmachten und Befugnissen eines Pfarrers ausgestattet, die Seelsorge leitet. 44 Vgl. Heribert Hallermann, Pfarrei und pfarrliche Seelsorge, a. a. O., 369. 45 Vgl. Matthias Pulte, Der Ständige Diakon als Militärgeistlicher. Kirchenrechtliche und Staatskirchenrechtliche Aspekte für ein neues Dienstamt in der katholischen Militärseelsorge Deutschlands, BzMKCIC 33, Essen 2001, 94, 96.

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Matthias Pulte

Organisationsformen des can. 516 § 2, liegt hier vor allem hinsichtlich der Frage der Leitung dieser Seelsorge eine Rechtslücke vor, die der Gesetzgeber seit 1983 nicht geschlossen hat. In vielen Teilen der Weltkirche wird diese Rechtslücke genutzt, um vorpfarrliche oder außerpfarrliche Gemeindestrukturen zu organisieren und auch zu leiten.46 Weil die Seelsorge in der Bundespolizei eine klassische Res mixta ist, bedarf die Frage der Leitung dieser Seelsorge nicht nur einer kirchlichen, sondern auch einer staatlichen Normierung. Dabei ist es günstig, wenn diese Normen einander nicht entgegenstehen. Die Leitungsfunktionen der Seelsorger in der Bundespolizei sind ausschließlich nach Maßgabe der Vorschriften des öffentlichen Dienstes geregelt. Daher wird man auch unter Berücksichtigung der besoldungsund versorgungsrechtlichen Eingruppierung der Seelsorger hier die akademischen Voraussetzungen und eine Bewährung in der pastoralen Praxis einfordern müssen. Gemeindereferenten/innen können für diese Seelsorge aus formalrechtlichen Gründen nicht berücksichtigt werden. Das Gleiche gilt für Diakone, denen es an einem Vollstudium Theologie (Diplom/Mag. Theol.) mangelt. Wenn die Vereinbarung von 1965 für die Strukturen der Seelsorge in der Bundespolizei die entscheidende Rechtsgrundlage ist, wäre bei Gelegenheit zu überdenken, wie § 12 Abs. 1 Satz 2 zeitgemäß auszulegen und ggf. im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Inneren anzupassen wäre. Bisher hindert hier die Klausel „Berechtigung zur Ausübung eines Pfarramtes in einer Diözese“ die Einstellung von Nichtpriestern, selbst wenn diese die Zweite Dienstprüfung abgelegt haben, die nach dem diözesanen Partikularrecht der deutschen Diözesen das adäquate Aliud für die nichtpriesterlichen Seelsorger zum Pfarrexamen darstellt. Während nämlich von den Bedingungen des § 12 Sätze 1 und 3 nach Maßgabe von § 12 Abs. 2 abgesehen werden kann, fehlt eine entsprechende Öffnungsklausel für den diskutierten Fall. Berücksichtigt man die Tatsache, dass man sich 1965 die gegenwärtige Entwicklung geistlicher Berufungen in Deutschland ebenso wenig vorstellen konnte wie den Einsatz von Nichtpriestern im pastoralen Dienst, entspräche eine Neuauslegung oder gar Neuformulierung von § 12 Abs. 1 Satz 2 dem Sinnziel der Sicherung anspruchsgerechter Seelsorge im herausfordernden Umfeld der Polizeiseelsorge. Nach der hier vertretenen Ansicht wäre heute sogar eher auf das Kriterium des priesterlichen Amtes als auf das der wirklichen Erfahrung in der Seelsorge und hier insbesondere in Bereichen menschlicher Grenzerfahrungen zu verzichten.

46 Vgl. Hans-Martin Barth, Einander Priester sein: Allgemeines Priestertum in ökumenischer Perspektive, Göttingen 1990, 142–144.

Ansgar Hense

Religion im öffentlichen Raum. Einige nicht nur rechtsgrundsätzliche Bemerkungen

Einführendes Der Bundespolizeiseelsorge ist es wie der Militärseelsorge und anderen Formen seelsorgerlicher Betreuung in Anstaltsformen eigen, dass sie das religiöse Moment nicht auf den Privatbereich des Einzelnen verweist und damit aus den dienstlichen bzw. den anstaltlichen Zusammenhängen exkludiert, sondern gerade im Gegenteil die seelsorgerliche Betreuung in den Öffentlichen Dienst und dessen Ausübung bzw. den jeweiligen Anstaltszweck als Betreuungsangebot integriert. Die Varianten der Anstaltsseelsorge sind durchaus zahlreich und reichen von der Militär-, Polizei-, Krankenhausseelsorge bis hin zur Gefängnisseelsorge. Verfassungsrechtlich ist dies durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV normiert, wird durch Landesverfassungen (siehe etwa Art. 20 LVerf NRW) aufgenommen und ergänzt sowie gerade durch kontraktuelles Religionsrecht in Form von Staatskirchenverträgen bzw. anderen religionsverfassungsrechtlichen Abmachungen – mit nichtchristlichen Religionsgemeinschaften – näher konkretisiert und gerade auch organisatorisch ausgeformt.1 Anspruchsgegner eines individuellen, aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit abgeleiteten Rechts auf seelsorgerliche Betreuung und Teilnahme an Gottesdiensten und dessen institutionelle Seite, dass die betreffenden Kirchen und Religionsgemeinschaften die entsprechenden Anstalten betreten und dort gottesdienstliche Handlungen vornehmen dürfen und Seelsorge ausüben können, ist der Staat; je nach Gesetzgebungszuständigkeit ist dies entweder der Bund oder die Länder, die nach der Föderalismusreform im Jahr 2006 mittlerweile auch über die Gesetzgebungszuständigkeit und –befugnis für den Bereich des Strafvollzugs und damit auch der Gefängnisseelsorge besitzen. Ein Problem tritt dann auf, wenn staatliche Trägerschaften privatisiert werden. Zwar ist es durchaus rechtswissenschaftlich umstritten, ob z. B. der Strafvollzug sich einfach privatisieren lässt oder hier angesichts des staatlichen Gewaltmonopols nicht doch eine notwendige Staats1 Näher dazu in diesem Band die Beiträge von Markus Heintzen und Christian Waldhoff.

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aufgabe vorliegt, aber gerade im Krankenhauswesen ist es gang und gäbe, dass Einrichtungen in die Trägerschaft von Privaten überwechseln oder eine privatrechtliche Organisationsform annehmen und damit die Rechtsverpflichtung aus Art. 4 GG und Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV problematisch wird. Privatisierung von Einrichtungen muss und darf nicht das Ende seelsorgerliche Betreuung sein. Diese Andeutungen zeigen aber auch schon, dass es durchaus sehr unterschiedliche institutionelle Arrangements gibt, wo religiöse Interessen von Bediensteten, Betreuten oder zu Versorgenden nicht nur zu gewärtigen sind, sondern auch insofern erfüllt werden sollten, als „religiöse Versorgung“ zu gewährleisten ist. Die Verfassung schreibt hier strenggenommen nur Mindeststandards fest, die teilweise auch als Maximalstandards interpretiert werden, um das religiöse Moment so weit wie möglich zurückzudrängen auf das verfassungsrechtlich unbedingt geforderte. Einem eher laizistisch-etatistischen Verständnis wird die teilweise recht enge Kooperation – am deutlichsten vielleicht in dem Sektor Militärseelsorge – von Staat und Kirche „ein Dorn im Auge sein“, da man in einem solchen Ordnungsarrangement ein Fortleben alter, für überwunden gehaltener staatkirchlicher Elemente sieht, die es nach Möglichkeit zurückzudrängen gilt. Interessant ist bisweilen, dass diese Grundannahme sich nicht nur in der Form einer antikirchlich eingestellten Attitüde des Laizistischen wiederfindet, sondern gerade auch bei religiös sehr Gebundenen. Diese gehen dann davon aus, dass sich das freiheitliche Wirken einer religiösen Institution nur und vor allem in möglichst größter Staatsdistanz verwirklichen lasse. An diesem Befund zeigt sich dann, dass sich eigentlich von ihren Grundhaltungen völlig entgegengesetzte Gruppen durchaus in inhaltlichen Ergebnissen entsprechen können. Diese kursorischen Andeutungen und Hinweise verdeutlichen, dass das religiöse Feld ein Kraftfeld voller Spannungen und Gegensätze ist. Grundsätzlich wird die Modernität mit der Ausdifferenzierung der Gesellschaft gesehen. Sektoren wie Religion, aber auch Wirtschaft, Recht und Politik werden auseinandergezogen und mutieren zu eigenen, eigenständigen Sozialordnungen. Die verschiedensten Sozialordnungen, sozialen Systeme agieren untereinander in der Regel nicht abgestimmt, sondern führen ganz plastisch ihr Eigenleben und agieren nach ihrer Eigenlogik. Es kann und soll das Thema Religion hier nicht nach systemtheoretischen Grundsätzen behandelt werden, sondern danach bedacht werden, wo und wie es jenseits des Individuellen existiert. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der „Verortung“ des Religiösen im öffentlichen Raum. Hierzu bedarf es einiger kursorischer Hinweise, was ‚öffentlich‘ und ‚Öffentlichkeit‘ dem Grunde nach bedeutet und wie dieser Aspekt religionsverfassungsgeschichtlich schon einmal über lange Zeit eine Rolle spielte (II.). Daran schließen sich – unter Bezugnahme

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auf Normatives – einige Erwägungen zum Topos Raum an (III.), bevor abschließend einige andeutende Bemerkungen zu rechtswissenschaftlichen Aspekten gemacht werden (IV.).

Religion und Öffentlichkeit Der Soziologe Alois Hahn hat in einem sehr grundlegenden Beitrag zum Thema „Kirche ohne Öffentlichkeit“ konstatiert: „Öffentlichkeit ist der Generator für Aufmerksamkeit. Was sich in ihr nicht abspielt, findet gesamtgesellschaftlich nicht statt. Es mögen noch so bedeutende Dinge geschehen, Erfindungen und Katastrophen, philosophische oder theologische Revolutionen, Heiliges oder Profanes: Solange die Dinge nicht öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sind sie nur in dem begrenzten sozialen Kreis Wirklichkeit, wo sie Gegenstand von Kommunikation sind“.2 Hahn führt weiter aus, dass die Kirche es aber nicht nur mit einer Öffentlichkeit zu tun hat, sondern mit mehreren: „mit ihrer eigenen, ohne die sie nicht sein kann, durch die sie sich selbst definiert, mit der Gemeinschaft der Gläubigen, und der anderen: mit der ‚Welt‘, in der sie lebt, ohne aber je von ihr sein zu dürfen.“ Es deutet sich bei den Topoi Öffentlichkeit und öffentlich eine nicht unerhebliche Komplexität an, die in den 1960er/1970er Jahren Gegenstand eingehender öffentlichrechtlicher, soziologischer und sozialphilosophischer Untersuchungen gewesen ist, für die die Namen Jürgen Habermas („Strukturwandel der Öffentlichkeit“, 1962), Peter Häberle („Öffentliches Interesse als juristisches Problem“, 1969), Wolfgang Martens („Öffentlich als Rechtsbegriff“), Alfred Rinken („Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem dargestellt am Rechtsstatus der Wohlfahrtsverbände“, 1971) exemplarisch wie paradigmatisch stehen.3 Der Begriff des Öffentlichen und der Öffentlichkeit steht nach wie vor in rechtswissenschaftlichen Diskussionen eher für ein von der staatlichen Ordnung her verstandenes Prädikat, wenngleich die erwähnte interdisziplinäre Diskussion der Topoi aus dem staatszentrierten Bezug eher herausgelöst wurden und in dem intermediären Bereich zwischen Staat und Gesellschaft verortet worden sind. Aber auch der Kirche „an sich“ ist ein Öffentlichkeitscharakter eigen und zwar sowohl in ihrem Innenbereich als auch nach außen. Letzteres kommt etwa in dem aus dem Loccumer Vertrag stammenden Öffentlichkeitsauftrag der Kirche zum Ausdruck. Öffentlichkeit der Kirche ist aber nicht eine bloß vom Staat „geliehene oder verliehene“, sondern die 2 Alois Hahn, Kirche ohne Öffentlichkeit?, in: R. Bürgel/A. Nohr (Hrsg.), Kirchliche Präsenz im öffentlichen Raum – Glaube und Architektur im 21. Jahrhundert, 1996, S. 70. 3 Als eine höchst aufschlußreiche Selbstreflektion näher m. w. N. Alfred Rinken, Geschichte und heutige Valenz des Öffentlichen, in: G. Winter (Hrsg.), Das Öffentliche heute. Kolloquium zu Ehren von Alfred Rinken, 2002, S. 7–74.

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Kirche ist ihrem Wesen nach öffentlich. Der Philosoph Hermann Krings hielt in einer Besprechung einer Publikation des Theologen Erik Peterson fest: „Der Öffentlichkeitscharakter der Kirche ergibt sich also nicht aus ihrer Beziehung zum Staat, sondern umgekehrt: weil die Kirche ihrem Wesen nach öffentlich ist, hat sie einen Bezug zum Politischen, besonders dort wo sie am ‚kirchlichsten‘ ist: in ihrer Liturgie, in ihrer Dogmenverkündigung“.4 Nicht immer wird dann unter Umständen beachtet, dass es verschiedene Arten von öffentlichem Handeln der Kirche gibt. Nicht alles, was dabei nach außen hin undifferenziert als ‚öffentlich‘ wahrgenommen wird, gilt – etwa im katholischen Kontext – nach innerkirchlichem Verständnis – „in nomine ecclesiae“ – als öffentlich.5 Verfassungsgeschichtlich gerade in Bezug auf das Feld des Religiösen und des Kirchlichen hat das Thema öffentlich/Öffentlichkeit infolge der Reformation und der Konfessionalisierung größte Bedeutung gewonnen. Die Frage des öffentlichen Religionsexerzitiums war eine Problematik, die bis ins 20. Jahrhundert hierbei eine Rolle spielte.6 Das Attribut ‚öffentlich‘ ist dabei mehrdeutig und bedeutet dem Grunde nach allgemein zugänglich, für jedermanns Gebrauch bestimmt. Das Wesen des öffentlichen Gottesdienstes und die Zulässigkeit der öffentlichen Religionsausübung wurden dadurch definiert, dass die Gottesdienstgebäude frei zugänglich waren und die Religion sich bestimmter Zeichen äußerer Erkennbarkeit – insbesondere Kirchturm und Gebrauch von Glocken – bedienen durfte. Dem Attribut öffentlich wurde aber auch eine statusrechtliche Qualifikation eingelesen und ging damit über den engen Zusammenhang des Religionsexerzitiums hinaus; hier liegt eine verfassungsrechtliche Traditionslinie für die Verleihung des Körperschaftscharakters an Religionsgemeinschaften, die heute in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV geregelt ist. Dem Begriff des Öffentlichen und der Öffentlichkeit war über lange Zeit ein wertender Charakter besonderer Anerkennungswürdigkeit eigen, die eng mit der Nützlichkeit von Religion für das staatliche Gemeinwesen verbunden war. Öffentlichkeit und öffentliches Religionexerzitium waren Privilegien. Die ersten Verfassungen deutscher Staaten trafen diese Unterscheidung. Die Reichsverfassung der Paulskirche, die aber nie in Kraft trat, intendierte in diesem Punkt eine Deprivilegierung der vorrangig öffentlich anerkannten Religionsparteien, die letztendlich erst durch die Weimarer Reichsverfassung auch gesamtstaatlich eingelöst wurde. Öffentlichkeit und öffentlich waren jetzt nicht mehr Statusmerkmale, sondern haben sich (spätestens) ab diesem Zeitpunkt aus ihrer Staatsverbundenheit 4 Hermann Krings, in: Frankfurter Hefte 7 (1952), S. 294 (295). 5 Siehe dazu die grundlegende Arbeit Stephan Schwarz, Strukturen von Öffentlichkeit im Handeln der katholischen Kirche. Eine begriffliche, rechtshistorische und kirchenrechtliche Untersuchung, 2004, S. 24 und passim. 6 Zum Folgenden siehe näher Ansgar Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag. Der Gebrauch von Kirchenglocken in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, 1998, S. 188–191.

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herausgelöst und werden seitdem freiheitsrechtlich konnotiert und fundiert. Freiheit ist immer auch öffentliche Freiheit. Aus dem Status ist im modernen freiheitlichen Verfassungsstaat eine Sphäre geworden. Diese Sphäre ist eine Sphäre, die durch Verwirklichung des Freiheitsangebots auszufüllen ist. Den Staat trifft die Sorge, reale Freiheitschancen zu schaffen. Dies impliziert die Schaffung bestimmter Ordnungsarrangements, die zur Freiheitsverwirklichung erforderlich sind. Das Freiheitsangebot zu realisieren, ist dann aber die ausschließliche Option des einzelnen Grundrechtsberechtigten.

Religion und – öffentlicher – Raum Die Thematik Raum ist gegenwärtig ein vielfach traktierter Forschungsaspekt. Hier können nicht in allen Facetten die Aspekte dieses Forschungsdesigns dargelegt und diskutiert werden.7 Die Topographie des Religiösen im und hinsichtlich des öffentlichen Raumes ist deshalb so aufschlussreich, weil der Aspekt Öffentlichkeit eine nicht unerhebliche Dimension zur näheren Bestimmung von religiösen Orten und Räumen bietet.8 Man darf die Topoi Ort und Raum dabei nicht einfach auf Kirchengebäude und feste Raumstrukturen festlegen. Das Feld des Religiösen ist auch in dieser Hinsicht vielfältiger und vielschichtiger als angenommen bzw. bewusst. Räume und Orte sind keine vorgegeben Größen, sondern Resultate von Handlungen und Wahrnehmungen. Im Übrigen wird auch nicht selten konstatiert, dass die klassischen religiösen Gebäude hinsichtlich kirchlicher Präsenz in der Öffentlichkeit zwar nach wie vor ein nicht unwichtiger Faktor sind, ihre überkommene Bedeutung gleichwohl ein wenig relativiert ist. Neben den klassischen Kirchengebäuden treten neue kirchliche und öffentliche Räume, die sich auch religiös füllen lassen, in denen Religion öffentlich wirken kann und will. Auf Religion und Kirche bezogen heißt dies dann, dass an die Seiten der Amtskirchen noch weitere, andere Formen kirchlicher Öffentlichkeiten treten, die der Bochumer Historiker Lucian Hölscher als „zweiten sozialen Körper“ des Gefüges Kirche als komplexer Wirklichkeit tituliert. Darüber hinaus bestehen (weiterhin) die Dialektik und das Spannungsverhältnis zwischen kirchlicher und gesellschaftlicher Öffentlichkeit, bei der sich kirchliche und gesellschaftliche Räume des Öffentlichen ebenso durchdringen wie auch gegeneinander abgrenzen. Das „Verhältnis des Widersprechens“ und 7 Statt vieler und sehr grundlegend, sowohl in der Darstellung anderer Forschungsansätze als auch in der Konzeption eigener Susanne Rau, Räume: Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen, 2013. 8 Vgl. Susanne Rau, Raum und Religion. Eine Forschungsskizze, in: dies./G. Schwerhoff, Topographie des Sakralen. Religion und Raumordnung in der Moderne, 2008, S. 10 (24).

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das „Verhältnis des Entsprechens“9 ist eine Grundkonstante des religiösen Feldes, weil dieses nicht nur im weltimmanenten Bereich verharrt, sondern auf die den irdischen Bereich übersteigenden religiösen Verpflichtungen und Erwartungen zu rekurrieren hat. Kirche oder Religion ist demzufolge immer ein Gegenüber der profanen und säkularen Sphäre des Weltlichen, wenngleich sie natürlich auch in und von dieser Welt ist. Die Dualität zwischen Transzendenz und Immanenz ist letztlich unaufgebbar und dem religiösen Feld inhärent. Der wesenseigene Kontrast wirkt im öffentlichen Raum dann pluralisierend, bewirkt erst seine Vielgestaltigkeit und Mannigfaltigkeit. Den religiösen Vorgaben und Anforderungen zu entsprechen, ist nicht automatisch gleichförmig mit herkömmlichen gesamtgesellschaftlichen Vorstellungen, sondern kann zu diesen geradezu in einem scharfen Kontrast stehen. Freiheitsrechtlich ist dies im Rahmen der gegenseitigen Rücksichtnahme durchaus intendiert, da Freiheit differenzierend wirkt und eben nicht uniformisierend. Hieraus resultiert dann auch, dass sie – wie der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts Udo Di Fabio zu Recht bemerkte – anstrengend ist. Sowohl für denjenigen, der die Grundrechtsofferte des Staates beansprucht, als auch denjenigen, der mit der Freiheitsausübung konfrontiert wird. Die Begegnung mit religiösen Symbolen im öffentlich Raum kann jedenfalls nicht durch die Aktivierung der sog. negativen Religionsfreiheit unterbunden werden, denn Art. 4 GG bietet keinen Konfrontationsschutz.10 Dass dabei Andersdenkende und Andersgläubige nicht zu religiösen Handlungen, wie weiland der sog. Kniebeugeerlass in Königreich Bayern, gezwungen werden können, ist heute durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 4 WRV ausdrücklich verfassungsrechtlich klargestellt. Wenn der klassische Sakralraum wirklich an Bedeutung verliert, Religion im öffentlichen Raum – allen Unkenrufen zum Trotz – aber an Bedeutung durchaus zunimmt, so ist dies vielleicht auch eine (nachträgliche) Rechtfertigung dafür, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung – seit der sog. Lumpensammler-Entscheidung11 – den Schutzbereich der Religionsfreiheit seit langem entgegen seines historischen Ursprungs nicht auf die freiheitliche Ausübung von Kultus beschränkt, sondern vielmehr relativ weit interpretiert. Eine Tendenz, die immer wieder kritisiert wird, da dies eine Mutation des Art. 4 GG zu einer allgemeinen religiösen Handlungsfreiheit bedinge und das Grundrecht letztlich „entgrenze“. Man wird auch aus anderen grundrechtstheoretischen und –systematischen Gründen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kritisch würdigen können, unter dem Aspekt von Freiheitlichkeit ist sie aber 9 Eberhard Jüngel, Zwei Schwerter – Zwei Reiche. Die Trennung der Mächte in der Reformation, in: ders., Ganz werden. Theologische Erörterungen V, 2003, S. 137 (147 und passim). 10 Dies wird auch in der umstrittenen Kruzifix-Entscheidung BVerfGE 93, 1 angenommen, im Ergebnis angesichts der besonderen Schulsituation aber anders entschieden. 11 BVerfGE 24, 236.

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durchaus zutreffend. Das Grundrecht wird im Übrigen auch nicht zum völligen Freifahrtschein, unter dem Vorwand des religiösen im öffentlichen Raum Schalten und Walten zu können. Zum einen muss der jeweilige Akteur plausibel und konsistent darlegen können, ob und weshalb sich eine nach außen wirkende Verhaltensweise als Religionsausübung bezeichnen lässt; dies ist für staatliche Gerichte nachprüfbar. Zum anderen ist auch das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht schrankenlos gewährt. Zum öffentlichen Raum gehören sicherlich Punktinfrastrukturen wie soziale Dienstleistungseinrichtungen u. a. mehr. Solche sog. Gemeinbedarfsanlagen müssen sich ebenso dem Thema der Religionsausübung ihrer Kunden stellen, wie etwa Gefängnisse als besonders „totale Institutionen“ (Erving Goffman) der Religionsfreiheit von Gefangenen. Religiöse Betreuung von Menschen auch in anderen Konstellationen – wie beim Militär oder der Bundespolizei – sind in einer vergleichbaren Weise zu behandeln. Diese und andere Konstellation lösen eine staatliche Schutzverpflichtung aus,12 in der der Staat Ordnungsarrangement bereitzustellen hat, dass die religiöse Betreuung ermöglicht wird und realisiert werden kann. Wie dies sachgerecht und angemessen geschieht, lässt sich an der Bundespolizei, deren Jubiläum diese Festschrift gewidmet ist, sehr schön ablesen. Wenn in der gegenwärtigen Raum-Diskussion, die sich gerade auch den religiösen Aspekten in der Lebenswelt zuwendet, darauf hingewiesen wird, dass die Thematik sich nicht in heiligen Räumen bzw. heiligen Orten erschöpft,13 sie sich also sowohl auf gebaute wie nicht gebaute Raumtypen erstrecken kann, der polyvalente Charakter dieser Räume und Orte nicht verkannt werden dürfe, stehen wir vor einem analytischen Neubuchstabieren des Themas Religion und öffentlicher Raum. Dies trifft sich dann auch mit der allgemeinen Diskussion über das Säkularisierungstheorem. Die lange gehegte Annahme, dass Moderne und Modernität sich in Distanz zum religiösen Feld manifestiere, ist nicht mehr Stand der Diskussion. Stattdessen wird zunehmend – in sehr unterschiedlichen Konzeptionen und wissenschaftlichen Ansätzen14 – über die Notwendigkeit der Inklusion von Religion nachgedacht. Dies reicht dann von der Präsenz der Religion an staatlichen Hochschulen, die der Wissenschaftsrat 2010 so nachdrücklich hervorgehoben hat, bis hin zum Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG. Angesichts religiöser Pluralisierung, die in sehr unterschiedlichem quantitativen und qualitativen Maße von Statten gehen mag, lädt das Forschungskonzept „öffentlicher Raum“ ein, sich mit religiösen Phänomenen und deren 12 Dazu nur Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2. Aufl. 2012, Rdn. 104 f. m. w. N. 13 So Rau, Raum und Religion (Fn. 8), S. 10 (13 f.). 14 Instruktiver Überblick dazu in den einzelnen Beiträgen in: Thomas M. Schmidt/Annette Pitschmann (Hrsg.), Religion und Säkularisierung. Ein interdisziplinäres Handbuch, 2014.

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Öffentlichkeitsdimension neu zu beschäftigen und neue Perspektiven auf diesen Bereich zu gewinnen. Die öffentliche Existenz des Religiösen fordert andere soziale Systeme ebenso zur Positionierung auf, wie auch die Religion herausgefordert wird und sich ggf. in Frage stellen lassen muss. Exklusion des Religiösen aus der Sphäre des Öffentlichen ist jedenfalls keine Notwendigkeit mehr, sondern vielmehr ist eine wohlverstandene Inklusion gefordert, die für alle Seiten als Lerngeschichte organisiert werden kann und insofern durchaus Chancen bereit hält.

Ausblickendes Die Rolle des Staates ist, Freiheitlichkeit zu gewährleisten. Dies geschieht nicht nur dadurch, dass er Eingriffe in die Freiheitsbereiche des Einzelnen oder anderer autonomer Teilsysteme des gesellschaftlichen Lebens unterlässt, sondern auch dadurch, dass er – wo dies erforderlich ist – auf unterschiedliche Weise Förder- oder Schutzmaßnahmen ergreift, die es ermöglichen, dass etwa die Eigenheit des Religiösen in öffentliche Zusammenhänge inkludiert werden kann, ohne dass diese Eigenheit durch die Inklusion verloren gehen darf oder muss. Dies kann auf sehr unterschiedliche Weise geschehen. Nicht selten bedarf es der Zulassung oder Organisation von Trägerpluralität. Der Staat hat zu ermöglichen, dass etwa im Schul- oder Sozialwesen, auch um einem Nachfragebedarf an entsprechend ausgerichteten Einrichtungstypen erfüllen zu können und damit dem Wahlrecht der Bürger zu entsprechen, religiöse, kirchliche Anbieter zuzulassen sind. Dies umfasst auch ausdrücklich eine staatliche institutionelle Förderung, bei der diese Einrichtungen gerade auch um ihres eigenen Profils willen unterstützt werden sollen; dies gilt aber nicht nur für Religion und Kirche, sondern ebenso etwa für Weltanschauungen u. a. Religiöse oder kirchliche Monopole im öffentlichen Raum zu sichern, ist nicht Aufgabe des Staates. Weiterhin sieht § 2 Abs. 3 SGB XI für den Pflegesektor die Rücksichtnahme auf religiöse Bedürfnisse des Pflegebedürftigen ausdrücklich vor und gewährleistet u. U. die Wahl einer stationären Einrichtung, in der die Betreuung durch einen Geistlichen der eigenen Konfession gesichert ist. Die Teilhabe der Kirchen um der Religionsfreiheit willen ist gerade in dem Sektor Anstaltsseelsorge auf vielfältigste Weise Regelungsgegenstand, sowohl von Gesetzen als auch vertraglichen Abmachungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften.15 Der Staat signalisiert, dass es zu 15 Noch nicht abzusehen ist, wie im Einzelnen die religiöse Pluralisierung konkret sich auf diesen Sektor auswirken wird. Siehe etwa Markus Schulten, Anstaltsseelsorge für Muslime. Eine verfassungsrechtliche Problemanzeige zu Art. 141 WRV, in: Kirche und Recht 2014, S. 50–66.

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seiner Fürsorgeverpflichtung gehört, in diesen Kontexten Religionsfreiheit zu ermöglichen. Bei den zum Teil anstehenden Landesstrafvollzugsgesetzen wird es zu beachten sein, dass allein die Norm des Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV nicht der Bezugspunkt sein kann, sondern bei allem gesetzgeberischen Ermessen sich durchaus die Frage stellt, wie eine zeitgemäße, wohlverstandene funktionsfähige Gefängnisseelsorge aussehen sollte. Religion und öffentlicher Raum betreffen aber auch andere Fragen; bsp. wie sieht es mit der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeiten von Vorhaben zu kirchlichen Zwecken aus (vgl. § 1 Abs. 6 Ziff. 6 BauGB und Regelungen der BauNVO)? Pfarrumstrukturierungen und die damit verbundene Neukonzeption kirchlichen Gebäudemanagements bieten hier aktuelles Anschauungsmaterial, wie ggf. kirchliche Zwecke angesichts öffentlicher kirchlicher Gebäude neu justiert werden müssen. Vorstehend waren nur ganz kursorisch ein paar Bemerkungen zum Thema Religion und öffentlicher Raum zu machen. Vieles wurde ausgelassen, vom Religionsunterricht bis hin zur heiklen Frage von religiösen Symbolen im öffentlichen Raum.16 Abschließendes war nicht zu bieten, nur dies: es ist ein nahezu unerschöpflich vielfältiges Themenfeld, das nie abgeschlossen, sondern über das beständig neu nachzudenken ist – um der Freiheitlichkeit des Staates willen, der sich zwar wegen seiner Neutralitätsverpflichtung nicht mit einer Kirche oder Religion identifizieren darf, gleichwohl gehalten ist, das religiöse Feld auch in das öffentliche Leben zu integrieren, auf dass es sich nach seinen Eigengesetzlichkeiten und Selbstverständnissen entfalten möge. Die Religionen trifft die Obliegenheit, religiöse Übersetzungsarbeiten zu leisten, auf dass sie auch wirklich im öffentlichen Kontext gehört und wahrgenommen werden können – und als Bereicherung empfunden werden, selbst wenn sie Kritik üben oder dem Mainstream gerade um des Religiösen Willen nicht entsprechen können.

16 Dazu Ansgar Hense, Das Kreuz in der Öffentlichkeit. Staatskirchenrechtliche Perspektive(n), in: Engagement. Zeitschrift für Erziehung und Schule 1/2013, S. 10–18.

Ralf Röger

Aktuelle staatskirchenrechtliche Problemfelder der Vereinbarungen über die Seelsorge in der Bundespolizei

I.

Einleitung

Anlässlich eines 50. Geburtstages erfolgt in der Regel eine freundliche retrospektive Betrachtung des bisher Erreichten, eine knappe Analyse des mehr oder weniger erfreulichen Ist-Zustandes und ein wohlmeinender prospektiver Wunsch „ad multos annos“. Gerade der letztgenannte Aspekt scheint der entscheidende: So wichtig auch der Rückblick auf vergangene Jahrzehnte sein mag, so sehr tritt er doch in seiner Bedeutung zurück hinter die Frage, welche Entwicklungsmöglichkeiten und –notwendigkeiten den Jubilar pro futuro erwarten. Genau hier möchte der vorliegende Festschriftbeitrag ansetzen: Es soll nicht primär darum gehen, die beiden Vereinbarungen über die katholische und evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz aus dem Jahre 1965 in ihrer zweifellos wichtigen historischen Bedeutung zu würdigen und ihre Strukturen beschreibend nachzuzeichnen – im Mittelpunkt der Untersuchung soll vielmehr die Frage stehen, ob die Vereinbarungen einer modernen Bundespolizei des 21. Jahrhunderts noch gerecht werden und an welchen Stellen Modernisierungsbedarf entweder rechtlich geboten oder zumindest rechtlich erlaubt ist. Hierbei soll – schon aus Gründen des in dieser Festschrift zur Verfügung stehenden Raumes – auf ausgewählte Problemfelder eingegangen werden, in denen aus Sicht des Verfassers in den letzten fünf Jahrzehnten die deutlichsten Veränderungen in der Arbeit und Struktur der Bundespolizei bzw. des Bundesgrenzschutzes1 bzw. im relevanten gesellschaftlichen Umfeld eingetreten sind.

1 Durch das „Gesetz zur Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei“ vom 21. Juni 2005 (BGBl. I 2005, S. 1818), das gemäß seinem Art. 137 am 1. Juli 2005 in Kraft trat, fand die Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei statt. Hintergrund war gemäß dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BRats-Dr. 87/05 vom 4. Februar 2005) die Tatsache, dass „der Bundesgrenzschutz […] eine Polizei des Bundes [ist], deren Aufgaben sich längst nicht mehr auf den klassischen Schutz der Grenzen beschränkt. Die bestehende Bezeichnung ‚Bundesgrenzschutz‘ wird der tatsächlichen Aufgabenvielfalt nicht mehr gerecht“

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II.

Ralf Röger

Vom paramilitärischen Bundesgrenzschutz zur modernen Bundespolizei

Die wohl grundlegendsten Änderungen haben sich im Aufgabenspektrum der Bundespolizei und dem zur Erfüllung dieser Aufgaben notwendigen organisatorischen Rahmen ergeben.

1.

Historischer Befund

Als der Bundesgrenzschutz durch das lediglich vier Paragraphen umfassende „Gesetz über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden“ vom 16. März 19512 gegründet wurde, hatte er ausschließlich grenzpolizeiliche Aufgaben: „Die Bundesgrenzschutzbehörden sichern das Bundesgebiet gegen verbotene Grenzübertritte, insbesondere durch die Ausübung der Passnachschau. Sie sichern das Bundesgebiet ferner gegen sonstige die Sicherheit der Grenze gefährdende Störungen der öffentlichen Ordnung im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern“. Dies war auch Mitte der 1960er Jahre noch der Fall, als die seelsorgerischen Vereinbarungen zwischen dem Bundesminister des Innern und der katholischen und evangelischen Kirche geschlossen wurden. Die politisch bedingte Hauptaufgabe des Bundesgrenzschutzes lag dabei vor allem im Schutz vor Störungen der Grenzsicherheit im Bereich der Grenze zur damaligen sowjetischen Besatzungszone3. Dort waren dementsprechend die „BGS-Truppen“ stationiert4, die organisatorisch die Ostgrenze im Grenzstrei(BRats-Dr. 87/05, S. 1 sowie mit umfassender Darstellung der Aufgabenveränderungen auf S. 49). 2 BGBl. I 1951, S. 201. § 1 des Gesetzes regelte knapp die Organisation, der oben zitierte § 2 sowohl die Aufgaben als auch die Befugnisse, § 3 die Möglichkeit der Übernahme von Landesgrenzschutzpersonal und § 4 das Inkrafttreten. 3 Vgl. Rüdiger Kass, Der moderne Bundesgrenzschutz, in: Joachim Heubach/Klaus-Dieter Stephan, Berufsethik-Glaube-Seelsorge, Evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz, 1997, S. 45: „Der Bundesgrenzschutz wurde im Jahre 1951 in erster Linie mit dem Ziel aufgebaut, das Bundesgebiet vor Übergriffen aus der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone zu sichern. Da eigene Streitkräfte fehlten …, musste ein wirksamer Schutz gegen die Übergriffe der sich ständig verstärkenden militanten sowjetzonalen Volkspolizei geschaffen werden“. Augenfälliger Beleg für diesen Aufgabenschwerpunkt in räumlicher Hinsicht ist die Tatsache, dass die Vereinbarung über die evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz in ihrer ursprünglichen Fassung im Juli 1965 auch nur von den evangelischen Landeskirchen unterzeichnet wurde, die ihrerseits an den Ostblock angrenzten. Vgl. hierzu Walther Roth, Evangelische Kirche und Grenzschutzseelsorge, in: Der Beauftragte für die Evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz, Der Dienst der Evangelischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz 1954–1978, S. 26. 4 Vgl. die Karte „Standorte des Bundesgrenzschutzes“ und die dort wiedergegebene geographische Verortung der „BGS-Truppen“ in Manfred Michler, Der Bundesgrenzschutz – Ein Bildband, 1966, S. 112.

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fendienst sowie durch den Einsatz geschlossener Einheiten schützten5. Untergebracht waren die – damals ausschließlich männlichen6 – Beamten regelmäßig in Unterkünften, die „in größeren und kleineren Städten entlang der Demarkationslinie zur sowjetisch besetzten Zone [liegen], zum Teil auch im rückwärtigen Gebiet“7 und in denen die Beamten auch einen wesentlichen Teil ihrer Freizeit verbrachten: „Der Dienst wird im Rahmen einer 44-Stunden-Woche, in der Regel von 07.00 bis 17.00 Uhr … durchgeführt. […] Jedes zweite Wochenende ist dienstfrei. […] Mit seiner Freizeit kann an sich jeder anfangen, was er will. Unterhaltungsräume mit Spielen, Rundfunk- und Fernsehgerät, eine Bücherei und Gerät für außerdienstlichen Sport stehen zur Verfügung … Die Einheiten fördern eine sinnvolle Freizeitpflege“.8 Betrachtet man die Fotos zum Thema „Freizeit“ in den damaligen Veröffentlichungen, so sieht man die Beamten des Bundesgrenzschutzes beim Briefeschreiben, beim Schachspiel oder beim Musizieren – aber stets uniformiert, innerhalb ihrer Unterkünfte und im Kreise ihrer Kameraden9. Ein wirkliches familiengebundes Privatleben fand nicht statt bzw. war den „Heimaturlauben“ vorbehalten. Lediglich der 1961 aus dem Bundespasskontrolldienst hervorgegangene Grenzschutzeinzeldienst als ein „besonderer Dienstzweig des Bundesgrenzschutzes“, in den man nicht unmittelbar eintreten konnte, sondern der sich aus Beamten der Grenzschutztruppen ergänzte10, wurde von nicht kaserniert untergebrachten Beamten wahrgenommen. Diesen oblag die Passnachschau an den Grenzübergangsstellen inklusive der See- und Flughäfen11. Seine Stärke betrug Mitte der 1960er Jahre nicht einmal eintausend Mann12 – von insgesamt ca. 17.000 BGSBeamten der damaligen Zeit13. 5 Vgl. zur historischen Situation beispielsweise die Darstellung des Grenzüberwachungsdienstes in: Bundesgrenzschutz – Die vollmotorisierte Polizeitruppe, Stand Mai 1964, S. 13. 6 Erst im Jahre 1987 wurden die ersten Frauen in den mittleren Polizeivollzugsdienst des Bundesgrenzschutzes eingestellt; vgl.: Sonderausgabe der Zeitschrift des Bundesgrenzschutzes 2001: 50 Jahre BGS, 1951–2001, Mehr als Schutz der Grenzen, S. 34. 7 Bundesgrenzschutz – Die vollmotorisierte Polizeitruppe, Stand Mai 1964, S. 29: „Unterkünfte des Bundesgrenzschutzes“. 8 Bundesgrenzschutz – Die vollmotorisierte Polizeitruppe, Stand Mai 1964, S. 28: „Freizeit“. 9 Vgl. beispielsweise Manfred Michler, Der Bundesgrenzschutz – Ein Bildband, 1966, S. 96 f. zum Thema „Freizeit“. 10 So die Formulierung und Erläuterung in Bundesgrenzschutz – Die vollmotorisierte Polizeitruppe, Stand Mai 1964, S. 8. 11 Zur historischen Entwicklung und Funktion des Grenzschutzeinzeldienstes vgl.: Manfred Michler, Der Bundesgrenzschutz – Ein Bildband, 1966, S. 79–81: Grenzschutzeinzeldienst; Bundesgrenzschutz – Die vollmotorisierte Polizeitruppe, Stand Mai 1964, S. 8: Grenzschutzeinzeldienst. 12 Manfred Michler, Der Bundesgrenzschutz – Ein Bildband, 1966, spricht S. 80 von den „971 Polizeivollzugsbeamten des Grenzschutzeinzeldienstes“. 13 Manfred Michler, Der Bundesgrenzschutz – Ein Bildband, 1966, S. 25: „Zur Zeit beträgt die Stärke etwa 17.000 Mann“.

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Die vorwiegend paramilitärische Funktion des historischen Bundesgrenzschutzes wird gerade Mitte der 1960er Jahre auch deutlich durch die ausdrückliche14 Verleihung des Kombattantenstatus15 durch das „Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden“ vom 11. Juli 196516, das u. a. folgenden § 2b Abs. 1 in das damalige Bundesgrenzschutzgesetz einfügte: „Mit dem Beginn eines bewaffneten Konflikts gehört es zu den Aufgaben der Verbände des Bundesgrenzschutzes, mit militärischen Mitteln geführte Angriffe gegen das Bundesgebiet mit der Waffe abzuwehren. Mit dem gleichen Zeitpunkt sind die Verbände des Bundesgrenzschutzes Teil der bewaffneten Macht der Bundesrepublik Deutschland“. Dieser Kombattantenstatus wurde auch im Bundesgrenzschutzgesetz vom 18. August 197217 ausdrücklich beibehalten18 und entfiel erst durch das Gesetz zur Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz vom 19. Oktober 199419 mit Wirkung zum 1. November 199420.

14 Für die Zeit bis 1965 kann von einer „faktische[n] Einstufung der BGS-Beamten als völkerrechtliche Kombattanten“ ausgegangen werden; vgl. Uwe Brinkmann, Vom Bundesgrenzschutz zur Bundes(welt)polizei?, Die Polizei 2014, S. 16, 17. 15 Kombattanten sind – im Gegensatz zu Zivilisten – die zu Kriegshandlungen berechtigten Personen im Sinne des Völkerrechts, die damit den völkerrechtlichen Regeln für bewaffnete kriegerische Konflikte – insbesondere der Genfer Konvention – unterfallen. Dies sind typischer Weise die regulären Streitkräfte eines Staates (also in der Bundesrepublik die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr) sowie sonstige mit Kombattantenstatus versehene Einheiten. 16 BGBl. I 1965, S. 603. Es mag ein durchaus eigenwilliger Zufall sein, dass die offizielle gesetzliche Festschreibung des militärischen Kombattantenstatus für den BGS mit Wirkung zum 16. Juli 1965 nur wenige Tage vor der Unterzeichnung der Vereinbarungen über die evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz (unterzeichnet am 23. Juli 1965) und die katholische Seelsorge im Bundesgrenzschutz (unterzeichnet am 29. Juli 1965 und durch den Bundesinnenminister am 12. August 1965) erfolgte. 17 BGBl. I 1972, S. 1834. 18 Nämlich als „Vorschrift für besondere Fälle“ in § 64 BGSG 1972. 19 BGBl. I 1994, S. 2978. In der entsprechenden Gesetzesbegründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BRats-Dr. 418/94 vom 11. Mai 1994, S. 31 heißt es hierzu nur: „Von den Abweichungen gegenüber dem bisherigen BGSG besonders hervorzuheben ist der Verzicht auf den Kombattantenstatus der BGS-Verbände (bisher § 64)“. 20 Vgl. die Inkrafttretens- und Außerkrafttretensregelung des Art. 3 des Gesetzes zur Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz) vom 19. Oktober 1994, BGBl. I 1994, S. 2978, 3000. Vgl. insgesamt zur Entwicklung des Kombattantenstatus′ im Bundesgrenzschutz: Markus Alexander Schneider, Die Entwicklung der Polizei in den Jahren zwischen 1945 und 2008 am Beispiel der Polizei von Baden-Württemberg und der Bundespolizei unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Kompetenz- und Aufgabenverteilung, 2010 (zugleich Diss. Univ. Tübingen 2010), S. 61 ff., 86 und 116.

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Aktuelle Entwicklungen und Folgen für die rechtliche Bewertung der Seelsorge

Seit den 1960er Jahren haben sich nun aber nicht nur die Aufgaben, sondern vor allem auch die Rahmenbedingungen der „BGS-Arbeitswelt“ nachhaltig verändert. a)

Veränderungen des Aufgaben- und Organisationsspektrums

In Bezug auf die Änderungen und Modifikationen von Aufgaben und Organisation sei ohne Anspruch auf Vollständigkeit erwähnt: – die Angleichung der Ausbildung und der Amtsbezeichnungen im Bundesgrenzschutz an die der Landespolizeien durch das „Gesetz über die Personalstruktur im Bundesgrenzschutz“ vom 3. Juni 197621; – die Einstellung von Frauen in den Bundesgrenzschutz seit dem Jahre 1987; – die Übernahme bahnpolizeilicher und luftsicherheitsrechtlicher Aufgaben in den neuen Bundesländern seit dem 3. Oktober 1990 auf der Grundlage des Einigungsvertrages22; – die Übernahme bahnpolizeilicher und luftsicherheitsrechtlicher Aufgaben im gesamten Bundesgebiet seit dem 1. April 1992 durch das „Gesetz zur Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherheit auf den Bundesgrenzschutz“ vom 23. Januar 199223; – die Schaffung eines modernen BGS-Gesetzes zum 1. November 1994 durch das „Gesetz zur Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz“ vom

21 BGBl. I 1976, S. 1357. 22 Genauer: Die Übernahme der bahnpolizeilichen Aufgaben im Beitrittsgebiet beruhte auf Anlage 1, Kapitel XI (Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr), Sachgebiet A (Eisenbahnverkehr), Abschnitt III, Ziff. 6 lit. b und c des Einigungsvertrages (BGBl. II 1990, S. 889, 1099). Danach gelten Angehörige des Bundesgrenzschutzes mit bahnpolizeilichen Aufgaben als Bahnpolizeibeamte im Sinne der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung und Behörden des Bundesgrenzschutzes mit bahnpolizeilichen Aufgaben als Bahnpolizeibehörden im Sinne der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung. Die Übernahme von Luftsicherheitsaufgaben im Beitrittsgebiet beruhte auf Anlage 1, Kapitel XI (Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr), Sachgebiet C (Luftfahrt), Abschnitt III, Ziff. 1 lit. b des Einigungsvertrages (BGBl. II 1990, S. 889, 1106) in Verbindung mit einem entsprechenden Organisationserlass des Bundesverkehrsministers. 23 BGBl. I 1992, S. 178. Vgl. zu den neuen Aufgaben des Bundesgrenzschutzes aufgrund des Einigungsvertrages 1990 und des Aufgabenübertragungsgesetzes 1992 den Beitrag von Wolfgang Schreiber, Der Bundesgrenzschutz mit erweitertem Aufgabenspektrum, DVBl. 1992, S. 589.

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19. Oktober 199424, welches sich von der Normierung der Rechtsgrundlagen her am Landespolizeirecht25 orientierte; die Schaffung einer ausdrücklichen klarstellenden Rechtsgrundlage für die Mitwirkung an nichtmilitärischen Einsätzen im Ausland in § 8 des BGS-Gesetzes 199426; der Wegfall der Binnengrenzkontrollen im Schengen-Raum zum 26. März 1995 aufgrund des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) vom 19. Juni 199027; die Neuorganisation des Bundesgrenzschutzes zum 1. Januar 1998 mit einer stärkeren Betonung der einzeldienstlichen Komponente (Inspektionen als „Basisdienststellen“) und einer Reduzierung der bereitschaftspolizeilichen Anteile28 die Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei zum 1. Juli 2005 mit der Begründung: „Aus einer früher vornehmlich verbandsmäßig aufgestellten Organisation ist eine mehr und mehr einzeldienstlich orientierte, moderne Polizei des Bundes geworden, deren Bezeichnung ‚Bundesgrenzschutz‘ ihrem heutigen Aufgabenspektrum nicht mehr gerecht wird“.29

24 BGBl. I 1994, S. 2978. Wie dargestellt entfiel erst durch dieses Gesetz der Kombattantenstatus der BGS-Verbände. 25 Genauer: Am Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder. 26 Vgl. dazu die Gesetzesbegründung, BRats-Dr. 418/94 vom 11. Mai 1994, S. 32: „Gleichwohl haben die genannten Verwendungen in der Vergangenheit gelegentlich Anlass zu Zweifeln an ihrer Zulässigkeit gegeben, da sie im bisherigen BGSG oder in anderen Bundesgesetzen nicht erwähnt sind. Dies betraf vor allem die Entsendung von BGS-Beamten zu Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Anlässlich der Teilnahme des BGS an den polizeilichen Komponenten der VN-Friedensmission in Namibia und Kambodscha ist deshalb vom Innenausschuss des Deutschen Bundestages eine alsbaldige klarstellende Regelung im BGSG gefordert worden“. 27 „Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen“ vom 19. Juni 1990; in Deutschland umgesetzt durch das „Gesetz zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffen den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen“ vom 15. Juli 1993, BGBl. II 1993, S. 1010. 28 Eine instruktive Erläuterung des Konzeptes zur Umstrukturierung des Bundesgrenzschutzes bietet der damalige Abteilungsleiter Bundesgrenzschutz im Bundesministerium des Innern, Rüdiger Kass, in seinem Beitrag „Der moderne Bundesgrenzschutz“, in: Berufsethik–Glaube– Seelsorge, Evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz, 1997, S. 49 ff. Nach Kass, a. a. O. S. 52 sollen nach der Umorganisation nur noch ca. 19 % des Gesamtpersonals des Bundesgrenzschutzes in Einsatzverbänden tätig sein. 29 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei vom 04. 02. 2005, BRats-Dr. 87/05, S. 49.

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Konsequenzen für die rechtliche Begründbarkeit einer Anstaltsseelsorge

Zu prüfen bleibt, wie sich diese Änderungen auf die rechtliche Begründung der Seelsorge in der Bundespolizei auswirken. Historisch betrachtet ist die Seelsorge im Bundesgrenzschutz Teil der sog. „Anstaltsseelsorge“ nach dem über Art. 140 GG30 in das Grundgesetz inkorporierten Art. 141 WRV31. Die letztgenannte Norm lautet: „Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist“. Diese Anstaltsseelsorge dient der „Kompensation der besonderen Schwierigkeiten, die sich in bestimmten Situationen für die ungehinderte Ausübung der religiösen Freiheiten ergeben“32 und soll den entsprechenden bedingten „Entzug an Religionsfreiheit“33 ausgleichen. Sie ist dann, aber auch nur dann verfassungsrechtlich einschlägig, wenn die Nutzer der Anstalten „aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auf eine Weise in der selbstbestimmten Ausübung ihrer Religion beschränkt sind, die vergleichbar ist mit den Beeinträchtigungen in den ausdrücklich genannten Anstalten Heer, Strafanstalten oder Krankenhäusern“.34 Insofern war es letztlich rechtlich unerheblich, ob man den Bundesgrenzschutz im weiteren Sinne mit unter das Tatbestandsmerkmal „Heer“ zu subsumieren versuchte35 oder ihn als eine dem Heer vergleichbare sonstige öffentliche Anstalt ansah36. Entscheidend war und ist, dass die Angehörigen des Bundes-

30 Auf die durchgängige ergänzende Benennung der Inkorporationsklausel des Art. 140 GG wird im Folgenden verzichtet. 31 Nur am Rande sei erwähnt, dass sich die Anstaltsseelsorge in Form der Gefängnisseelsorge auch auf biblische Grundlagen stützen lässt: „… ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen“, Matthäus 25, 36. 32 Stefan Muckel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2014, Art. 141 WRV Rn. 3. 33 Axel v. Campenhausen/Peter Unruh, in: Hermann von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck, Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 141 WRV Rn. 3. 34 Muckel, Berliner Kommentar, Art. 141 WRV Rn. 8; ähnlich Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2. Aufl. 2012, S. 230/231, Rn. 383. 35 So wohl auch heute noch Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/2, 2011, S. 1353: „Art. 141 WRV nennt ausdrücklich das ‚Heer‘ … Obwohl nicht ausdrücklich genannt, dürften auch die Kräfte der Bundespolizei und der Polizeien der Länder einbezogen werden, da sich die Lage bei ihnen substanziell gleich gestaltet wie bei der Bundeswehr …“ Auch Rudolf Seiler, in: Joseph Listl/Dietrich Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, 2. Aufl. 1995, § 68 (S. 961 ff.) behandelt die „Seelsorge in Bundeswehr und Bundesgrenzschutz“ in einem Kapitel und nimmt offensichtlich insofern eine strukturelle Vergleichbarkeit an, als beides „für Soldaten und Grenzschutzangehörige eine Herausnahme aus ihren normalen Lebensverhältnissen und Seelsorgemöglichkeiten [bedeutet]“ (a. a. O., S. 961). 36 So Muckel, Berliner Kommentar, Art. 141 WRV Rn. 8; v. Campenhausen/Unruh, in: v.

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grenzschutzes historisch nicht nur in rechtlicher, sondern auch faktischer Hinsicht paramilitärisch-truppenmäßig strukturiert und im Wesentlichen kaserniert in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht waren und daher besonderen Schwierigkeiten bei der Ausübung ihrer religiösen Freiheiten ausgesetzt waren37. Dieser Befund kann aber heute nicht mehr als aktuell angesehen werden. Entscheidend ist dabei weniger die Tatsache, dass sich die Aufgaben wie oben dargestellt verändert haben und die Bundespolizei heute keine ausschließliche „Grenzschutztruppe“ mehr ist, sondern eine multifunktionale Infrastrukturpolizei38 des Bundes. Entscheidend sind vielmehr die in Folge dieser Aufgabenmodifikationen eingetretenen Veränderungen in der organisatorischen Gestaltung des Dienstablaufs und die damit verbundene Reduktion „der besonderen Schwierigkeiten, die sich in bestimmten Situationen für die ungehinderte Ausübung der religiösen Freiheiten ergeben“.39 Es ist anerkannt, dass insbesondere der Kasernierungsgrad der entscheidende Faktor für die Bewertung der Einschlägigkeit von Art. 141 WRV im Bereich der Bundeswehr oder der Polizeien des Bundes und der Länder ist. So hat Schwark schon 1986 zutreffend klargestellt, dass die „Bundespolizei mit ihren kasernierten Einheiten stärker militärische als polizeiliche Züge [trägt]“40; und auch Korioth begrenzt entsprechend den Anwendungsbereich des Art. 141 WRV auf „kasernierte Einheiten der Polizei und des Bundesgrenzschutzes“.41 Konsequenterweise kann daher auch (nur) „die kasernierte Polizei … als Keimzelle der Polizeiseelsorge bezeichnet“42 werden. Dies ist auch sachlich zutreffend, denn der hinter Art. 141 WRV stehende Kompensationsgedanke bezieht sich eben auf „Institutionen, die besonders verdichtet sind, teilweise Geschlossenheit aufweisen“43 und die gerade dadurch den Anstaltszugehörigen eine besondere Einschränkung des Auslebens ihrer reli-

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Mangoldt/Klein/Starck, Art. 141 WRV Rn. 8: Stefan Korioth, in: Theodor Maunz/Günter Dürig, Grundgesetz, Stand Februar 2003, Art. 141 WRV Rn. 5. So stellt Walther Roth, in: Der Dienst der Evangelischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz 1954–1978, S. 12 in Bezug auf die Situation Anfang der 1950er Jahre fest: „Doch bereits hier zeigte sich, dass die Truppenstruktur des Bundesgrenzschutzes und seine besondere Aufgabenstellung an der innerdeutschen Grenze einen spezielleren Dienst der Kirche erforderten, als die Orts-Kirchengemeinden zu leisten imstande waren“. Im Sinne der polizeilichen Sicherung von Landesgrenzen, Bahnanlagen und Flughäfen. So wie dargestellt die Formulierung von Muckel, in: Berliner Kommentar, Art. 141 WRV Rn. 3. Heribert Schwark, Geschichte und Rechtsgrundlagen der Polizeiseelsorge in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West), 1986, S. 264. Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 141 WRV Rn. 5. Markus Heintzen, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 1995, S. 988 m. w. N. So die Formulierung von Stern, Staatsrecht IV/2, 2011, S. 1353.

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giösen Freiheit zumuten bzw. die Teilnahme an der allgemeinen Seelsorge sogar völlig unmöglich machen44. Vor diesem Hintergrund ist aber im Jahre 2015 zu konstatieren, dass die moderne Bundespolizei diesen „Kasernierungsgrad“ schlicht nicht mehr aufweist. Dabei dürfen aber zwei Aspekte nicht verwechselt werden: Die Organisation von Einsätzen und die Gestaltung des außerdienstlichen Lebens. Selbstverständlich verfügt die Bundespolizei über eine Vielzahl von Polizeibeamtinnen und -beamten, die in den insgesamt zehn Bundespolizeiabteilungen45 unter Leitung der Direktion Bundesbereitschaftspolizei in geschlossenen Verbänden eingesetzt werden. Diese auf den Dienstbetrieb bezogene Form der „geschlossenen Verbandseinsätze“ zur Erfüllung eigener bundespolizeilicher Aufgaben, aber insbesondere auch zur Unterstützung der Landespolizeien nach § 11 BPolG ist aber nicht maßgeblich für die Frage, ob und inwieweit die Bundespolizei als „Truppe“ noch dem Anwendungsbereich der Anstaltsseelsorge nach Art. 141 WRV unterfällt, da sie nicht die dem privaten außerdienstlichen Bereich zuzuordnende Ausübung der Grundrechte betrifft. Grundrechtsrelevant ist vielmehr die Frage, inwieweit die Beamtinnen und Beamten auch außerhalb des eigentlichen Einsatzgeschehens noch „kaserniert“ untergebracht und dem normalen Seelsorgebetrieb entzogen sind. Und hier ist nicht nur festzustellen, dass der für die Bundespolizei inzwischen prägende Bereich des Einzeldienstes per se nicht mehr „kaserniert“ ist46; vor allem ist auch festzustellen, dass selbst in den Verbänden der Bundespolizeiabteilungen eine verpflichtende Unterbringung der Beamten in Gemeinschaftsunterkünften heute grundsätzlich nicht mehr erfolgt. Die von § 10 BPolBG rechtlich vorgesehene Möglichkeit der verpflichtenden Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ist entweder ausbildungsbezogen auf jüngere Beamte unter 25 Jahren mit weniger als fünf abgeleisteten Dienstjahren beschränkt47 oder – auch für ältere Beamte – auf besondere Einsatzlagen48.

44 Vgl. Heintzen, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 1995, S. 988. 45 Nämlich in den Bundespolizeiabteilungen Ratzeburg, Uelzen, Hünfeld, Duderstadt, Blumberg, Bad Düben, Sankt Augustin, Bad Bergzabern, Bayreuth und Deggendorf; vgl. die im Internet (Stand 12/2014) unter www.bundespolizei.de abrufbare Karte „Standorte der Bundespolizei mit Direktions- und Inspektionszuschnitt“. 46 Vgl. die oben schon angeführte Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei vom 04. 02. 2005, BRats-Dr. 87/05, S. 49: „Aus einer früher vornehmlich verbandsmäßig aufgestellten Organisation ist eine mehr und mehr einzeldienstlich orientierte, moderne Polizei des Bundes geworden …“ 47 § 10 Abs. 1 BPolBG lautet: „Die Polizeivollzugsbeamten, die noch nicht fünf Dienstjahre abgeleistet oder noch nicht das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben, sind auf Anordnung des Dienstvorgesetzten verpflichtet, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen und an einer Gemeinschaftsverpflegung teilzunehmen“. 48 § 10 Abs. 2 BPolBG lautet: „Andere als in Absatz 1 bezeichnete Polizeivollzugsbeamte können aus Anlaß besonderer Einsätze sowie bei der Teilnahme an Lehrgängen und Übungen zum

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De facto wird davon in der Ausbildung im mittleren Dienst für einige Ausbildungswochen (und dann regelmäßig auch nur während der Arbeitswoche und nicht an den Wochenenden) im ersten Dienstjahr Gebrauch gemacht49 sowie bei wenigen besonderen Einsatzlagen im Jahr. Ansonsten findet aber eine auch den Freizeitbereich betreffende verpflichtende „kasernierte“ Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften weder in den Bundespolizeiabteilungen noch – erst recht – im Einzeldienst der Flächendirektionen statt50. Insofern hat die Direktion Bundesbereitschaftspolizei gegenüber dem Verfasser auch eindeutig erklärt, dass grundsätzlich keine Polizeivollzugsbeamtinnen oder –beamten in der Bundesbereitschaftspolizei verpflichtet sind, in Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen51. Folge dieser Veränderungen ist nun, dass nach hier vertretener Ansicht die Seelsorge in der Bundespolizei verfassungsrechtlich in der Regel nicht mehr auf Art. 141 WRV i. V. m. Art. 140 GG gestützt werden kann. Dass Bundespolizeibeamte auch ohne „kasernierte“ Unterbringung aufgrund von oftmals mehrjähriger heimatferner Verwendung oder aufgrund der besonderen Situationen des Schichtdienstes durchaus nicht unerheblichen Belastungen ausgesetzt sind, soll nicht geleugnet werden. Diese Situation trifft aber auch auf andere Berufsgruppen sowie insbesondere auch auf Polizeibeamte der Bundesländer52 zu, und der Dienst in der modernen Bundespolizei unterscheidet sich insoweit nicht vom Dienst in den Landespolizeien. Diese Belastungen alleine sollen aber nach zutreffender Ansicht nicht ausreichen, um schon den Tatbestand der Anstalts- oder Sonderseelsorge zu erfüllen53. Dem ist zuzustimmen, denn selbst in den Bundespolizeiabteilungen führt die Notwendigkeit des regelmäßigen Ableistens von

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Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft und zur Teilnahme an einer Gemeinschaftsverpflegung vorübergehend verpflichtet werden“. Darüber hinaus praktizierte Unterbringungen in Gemeinschaftsunterkünften der fünf Ausund Fortbildungszentren der Bundespolizei oder der Bundespolizeiakademie während der Ausbildung zum mittleren Dienst oder während des Studiums am Fachbereich Bundespolizei der Hochschule des Bundes für den gehobenen Dienst beruhen auf freiwilliger Basis und stellen ein nicht verpflichtendes Angebot des Dienstherrn an die Auszubildenden bzw. Studierenden dar. Nach Auskunft des Bundespolizeipräsidiums an den Verfasser (Schreiben vom 19. Dezember 2014) stehen in den Liegenschaften des Einzeldienstes schon rein räumlich keinerlei Gemeinschaftsunterkünfte mehr zur Verfügung. Schreiben der Direktion Bundesbereitschaftspolizei an den Verfasser vom 11. Dezember 2014. Was heimatferne Verwendungen angeht naturgemäß nur in den Flächenstaaten und nicht den Stadtstaaten. Vgl. Schwark, Polizeiseelsorge, S. 101 Fn. 32. Das Problem nur aufwerfend, aber ohne eigene Stellungnahme Heintzen, Polizeiseelsorge, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, S, 988.

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Wochenenddiensten54 nicht zu einem derartigen Herauslösen aus den Möglichkeiten der normalen Seelsorge, dass dies eine Sonderseelsorge in Form der Anstaltsseelsorge rechtfertigen würde. Zwar sind die Abteilungskräfte statistisch an mehr als der Hälfte der Wochenenden pro Jahr im Einsatz – im Normalfalle aber eben nicht an Samstagen und Sonntagen, sondern an (nur) einem der beiden Tage55, so dass vor dem Hintergrund der üblicherweise an beiden Tagen angebotenen Heiligen Messen ein wesentlicher Teil der Seelsorge in Form des Gottesdienstbesuches möglich ist56. Damit kann nach hier vertretener Auffassung in der modernen Bundespolizei des 21. Jahrhunderts die Anstaltsseelsorge des Art. 141 WRV grundsätzlich nicht mehr als verfassungsrechtliches Fundament der Bundespolizeiseelsorge herangezogen werden. c)

Schutzpflichtrechtliche Verortung der Bundespolizeiseelsorge

Dies bedeutet nun aber nicht, dass die Seelsorge in der Bundespolizei verfassungsrechtlich „entwurzelt“ wäre – sie ist lediglich anders zu fundamentieren. So stellt Heintzen schon 1995 mit Blick auf die allgemeine Polizeiseelsorge zutreffend fest, dass Art. 141 WRV „nur einen Teil der gegenwärtig praktizierten Polizeiseelsorge ab[deckt]“ und sich „die Voraussetzungen, auf denen er aufbaute, … im Laufe der Zeit mit der Auflockerung von Kasernierung und Dienstzeitreglement abgeschliffen [haben]“.57 Bedenkt man, dass das Konstrukt der 1919 in der Weimarer Reichsverfassung verorteten Anstaltsseelsorge verfassungsrechtlich nur ein Hilfsmittel war, um trotz des zu dieser Zeit noch unbekannten individuell einklagbaren Grundrechtsschutzes einen zumindest indirekt58 dem Gläubigen zukommenden Schutz zu gewährleisten, so wird klar, dass die moderne rechtliche Fundamentierung der (Bundes-)Polizeiseelsorge am individuellen Grundrechtsträger anzusetzen und die Schutzpflichtlehre mit einzubeziehen hat. 54 Als Stichwort seien nur die auf § 11 BPolG beruhenden allwochenendlichen Fußball-Einsätze zur Unterstützung der Landespolizeien benannt. 55 Nach Schätzung der Direktion Bundesbereitschaftspolizei (Schreiben an den Verfasser vom 11. Dezember 2014) dürfte der zeitliche Schwerpunkt der Wochenendeinsätze zu ca. 70 % auf den Samstagen liegen. 56 Wobei selbstverständlich nicht verkannt werden soll, dass sich Seelsorge weder aus der Sicht der Kirchen noch aus der Sicht der Gläubigen auf das Angebot oder den Besuch von Gottesdiensten reduzieren lässt. Der Gottesdienst stellt aber einen ganz wesentlichen Teil des seelsorgerischen Spektrums dar und ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass er – anders als z. B. persönlich vereinbarte Gespräche mit einem Seelsorger – terminlich vorgegeben und keiner individuellen Absprache zugänglich ist. 57 Heintzen, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 1995, S. 989. 58 Indirekt deshalb, weil unmittelbar Berechtigte der Anstaltsseelsorge nicht etwa die Nutzer der Anstalt sind, sondern die Kirchen.

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Es ist hier nicht der Raum, um die Entwicklung der Schutzpflichtlehre im Detail nachzuzeichnen59. Anerkannt ist jedoch, dass die schutzpflichtrechtliche Dimension der Grundrechte den Staat verpflichten kann, durch grundrechtssichernde Ausgestaltung z. B. von Organisations- und Verfahrensabläufen die Verwirklichung grundrechtlich verbürgter Freiheiten auch tatsächlich zu ermöglichen. Dies gilt umso mehr, wenn die Verwirklichungsbedingungen per se staatsgeprägt sind und damit ausschließlich der Staat die Möglichkeit hat, die Rahmenbedingungen angemessen zu gestalten. Von daher ist im Zusammenhang mit der Anstaltsseelsorge anerkannt, dass in ihr ein schutzpflichtrechtlicher Anteil enthalten ist. Dies deutet Eick-Wildgans an, wenn sie konstatiert: „Der individuelle Mensch, der selbständig sein Recht auf Religionsfreiheit nicht ausüben kann, hat einen Anspruch darauf, dass der Staat sich seiner religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse in adäquater Weise … annimmt“60; und auch von Campenhausen/de Wall argumentieren letztlich schutzpflichtrechtlich, wenn sie in Bezug auf die historisch zu erklärende Konstruktion des Art. 141 WRV feststellen: „Nach der heutigen Rechtslage würde schon Art. 4 GG in diesem Zusammenhang eine starke Rechtsposition verleihen“61. Am klarsten bezieht aber Klaus Stern Position, wenn er in Bezug auf den wie dargestellt institutionell zu interpretierenden Art. 141 WRV feststellt: „Es spricht vieles dafür, die institutionelle Deutung aufzugeben, weil sie nichts bringt. Was sie bringen könnte, lässt sich ebenso gut, wenn nicht besser, mit den Schutzpflichtfunktionen des Staates zur Verwirklichung des subjektiven verfassungsmäßigen Rechts der Religionsgemeinschaften auffangen. Auch dieser Funktion lassen sich die notwendigen institutionellen Komponenten entnehmen, um die Seelsorge effektiv zu gestalten“62. Es mag offen bleiben, ob tatsächlich im Sinne Sterns ein gänzlicher Abschied von der institutionellen Garantie des Art. 141 WRV sinnvoll oder gar notwendig ist. Für die Seelsorge in der Bundespolizei lässt sich aber feststellen: Dem gerade dargestellten schutzpflichtrechtlichen Anteil der Anstaltsseelsorge kommt im „Anstaltsrecht“ der Beamten eine besondere Bedeutung zu, da dort über die 59 Vgl. aus der monographischen Literatur nur: Josef Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit – Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, 1983; Peter Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996; Günter Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003; Johannes Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005. Grundlegend auch die Ausführungen bei Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, Allgemeine Lehren der Grundrechte, 1988, § 69 IV, S. 931 ff. Das Bundesverfassungsgericht hat im sog. Fristenlösungsurteil aus dem Jahre 1975 die Schutzpflichtlehre erstmals umfassend erörtert (BVerfGE 39, 1, 41 f.) und seitdem immer wieder auf diese Bezug genommen. 60 Susanne Eick-Wildgans, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Band 2, 2. Aufl. 1995, S. 1001. 61 Axel Freiherr von Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 198. 62 Klaus Stern, Staatsrecht, Band IV/2, 2011, S. 1351.

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genannten Aspekte hinaus die bundesgesetzlich in § 78 BBG63 verankerte und verfassungsrechtlich von Art. 33 Abs. 4 und Abs. 5 GG getragene Fürsorgepflicht des Dienstherrn64 eine schutzpflichtverstärkende Rolle spielt65. Die psychisch wie physisch außergewöhnlich belastenden, beim Beamten ein gefestigtes ethisches Fundament voraussetzenden66 und in ihren Wirkungen nur für einen mit dem Innenleben der Polizei vertrauten Seelsorger nachvollziehbaren polizeilichen Aufgaben gebieten es schutzpflichtrechtlich, den Beamtinnen und Beamten in Ausübung ihrer durch Art. 4 GG geschützten Religionsfreiheit die Möglichkeit zur Inanspruchnahme entsprechend fachspezifischer Seelsorge seitens des Staates zu gewähren67. Berechtigte beim historischen Bundesgrenzschutz das verfassungsrechtliche Fundament des Art. 141 WRV die Kirchen zur Wahrnehmung ihrer seelsorgerischen Aufgaben unter gleichzeitiger Erstreckung eines „Schutzreflexes“ auf den einzelnen Grenzschutzangehörigen, so ist bei der modernen Bundespolizei der Staat schutzpflichtrechtlich den einzelnen Bundespolizeiangehörigen gegenüber zur Ermöglichung der Inanspruchnahme seelsorgerischer Leistungen verpflichtet, woraus im Sinne eines „Anspruchsreflexes“ den Kirchen ein entsprechendes Recht auf „Zugang zum Beamten“68 zur Aus63 Für Landes(polizei)beamte gilt entsprechend § 45 BeamtStG. 64 Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn erwächst aus dem verfassungsrechtlich festgeschriebenen öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis nach Art. 33 Abs. 4 GG und ist zugleich ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG. 65 Anschaulich betont Dietrich Pirson, Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Band 23, 1989, S. 16 die die Anstaltsseelsorge ergänzende besondere Bedeutung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber den Soldaten. Diese Überlegungen lassen sich grundsätzlich auch auf die waffentragenden Beamtinnen und Beamten des Polizeivollzugsdienstes übertragen. 66 Treffend formuliert Dieter Beese, Kirchlicher Dienst in der Polizei, Deutsches Pfarrerblatt 1996, Heft 2, S. 71: „Das Mandat zur Prävention, Gefahrenabwehr und Repression schließt schwerwiegende ethische Probleme ein.“ 67 Einen umfassenden aktuellen Überblick über die vielfachen Aufgabenfelder der Polizeiseelsorge und ihre jeweiligen Bezüge zum Alltag der Polizeibeamtinnen und –beamten liefern Kurt Grützner/Wolfgang Gröger/Claudia Kiehn/Werner Schiewek, Handbuch Polizeiseelsorge, 2. Aufl. 2012, Abschnitt II: Arbeitsfelder (S. 89 ff.). Einen individuellen Erfahrungsbericht vom „Pfarrersein … im Zentrum staatlich legitimierter Gewaltausübung einer Polizeibehörde“ bietet Matthias Gärtner, Das Verhältnis von Staat und Kirche am Beispiel der Seelsorge im Bundesgrenzschutz, Deutsches Pfarrerblatt 2000, Heft 2, S. 66 ff. (das angeführte Zitat a. a. O. S. 67). 68 Die von Stern a. a. O. (vgl. Fn. 58) angedeutete Frage, inwieweit unabhängig von Art. 141 WRV den Kirchen selbst ein schutzpflichtrechtlich begründbarer subjektiver Anspruch auf Seelsorgeerbringung zukommt, kann hier nur kurz skizziert werden: Spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1965 zur Umsatzsteuerpflicht für Religionsgesellschaften (BVerfGE 19, 129, Leitsatz 2) steht fest, dass auch die Kirchen selbst Träger des Grundrechts aus Art. 4 GG sind und dieses materiell und prozessual geltend machen können. Allerdings kann die Kirche dieses Grundrecht außerhalb ihres eigenen kirchlichen Wirkungskreises nur dort ausüben, wo sie „zugangsberechtigt“ ist. Dieses „Zutrittsrecht“ in den staatlich-anstaltlichen Bereich hinein wird nach der hier vertretenen

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übung der seelsorgerischen Betätigung erwächst. Damit ist zwar aufgrund der tatsächlichen Entwicklungen der letzten 50 Jahre das verfassungsrechtliche Grundgerüst der seelsorgerischen Vereinbarungen grundlegend umgestaltet worden – die Vereinbarungen selbst stehen aber auf dem neuen Fundament ebenso fest und sicher wie auf dem alten. Fast fühlt man sich an das legendäre Vorwort zu Otto Mayers 3. Auflage des Deutschen Verwaltungsrechts 1924 erinnert: „Groß Neues ist ja seit 1914 und 1917 nicht nachzutragen. ‚Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht‘; dies hat man anderwärts schon längst beobachtet. Wir haben hier nur Anknüpfungspunkte entsprechend zu berichtigen“69.

III.

Paritätische Seelsorge in einer multireligiösen Bundespolizei

Als weiteres Themenfeld, das unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten 50 Jahre staatskirchenrechtlich70 untersucht werden soll, ist auf das Gebot der paritätischen Ermöglichung kirchlicher Seelsorge einzugehen, bei der alle Religionsgemeinschaften71 gleichwertig berücksichtigt werden. Hier soll insbesondere der Frage nach der Notwendigkeit und Möglichkeit einer muslimischen Seelsorge nachgegangen werden.

Auffassung nun nicht mehr über Art. 141 WRV gewährleistet, sondern als „Reflex“ der dem Dienstherrn gegenüber seinen Polizeibeamtinnen und -beamten zukommenden grundrechtlichen Schutzpflicht. Die Schutzpflicht gegenüber dem einzelnen Beamten gebietet es dem Dienstherrn, den Kirchen Zugang zur Ermöglichung der Seelsorge in der Bundespolizei zu verschaffen; sie ist gewissermaßen der „Schlüssel“ für den „Anstaltsraum“. Die im Anschluss an die Zugangsgewährung erfolgende seelsorgerische Tätigkeit selbst ist dann auch für die Kirchen wiederum durch Art. 4 GG geschützt; hierfür bedarf es keines vom Beamten ausgehenden „Schutzpflicht-Reflexes“ mehr. Vgl. zum Vorgängerproblem des Verhältnisses von Art. 141 WRV zum Seelsorgerecht der Kirchen aus Art. 4 GG: Pirson, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Band 23, 1989, S. 11 f. 69 Die Jahreszahlen 1914 und 1917 beziehen sich auf das Erscheinen des ersten und zweiten Bandes der Vorauflage. 70 Auf die Diskussion, ob statt des Begriffs „Staatskirchenrecht“ heute der Begriff des „Religionsverfassungsrechts“ vorzugswürdig sei, soll hier nicht weiter eingegangen werden; siehe dazu Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2. Aufl. 2012, S. 23 f., Rn. 2 ff. 71 Der modernere, in Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG verwendete Begriff der „Religionsgemeinschaft“ wird in diesem Beitrag der herrschenden Meinung entsprechend als identisch mit dem älteren, in den inkorporierten Artikeln der Weimarer Reichsverfassung verwendeten Begriff der „Religionsgesellschaft“ verstanden. Vgl. dazu BVerwG, BVerwGE 123, 49, 54: „Der Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG ist gleichbedeutend mit demjenigen der Religionsgesellschaft in den Bestimmungen der Art. 136 ff. WRV, die gemäß Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes sind“ (m. w. N.).

Aktuelle staatskirchenrechtliche Problemfelder der Seelsorge-Vereinbarungen

1.

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Historischer Befund

Die Zahl der Katholiken in Deutschland lag nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz im Jahre 1960 bei ca. 25,7 Mio.72, die Zahl der evangelischen Gläubigen 1970 bei ca. 29,7 Mio.73 Verbindliche statistische Erhebungen über die Zahl der Muslime in Deutschland aus den 1960er oder 1970er Jahren liegen dem Verfasser nicht vor. Nach Schätzungen des Statistik-Portals „Statista“74 lebten im Jahre 1972 ca. 0,5 Mio. Muslime in Deutschland und im Jahre 1976 ca. 1,2 Mio.75 Auch liegen dem Verfasser keine statistischen Erhebungen vor, die die Religionszugehörigkeit der BGS-Angehörigen zur damaligen Zeit aufschlüsseln würden. Es darf aber getrost davon ausgegangen werden, dass die weitaus überwiegende Zahl der BGS-Beamten christlichen Glaubens war, dass es eventuell einige Konfessionslose gab, dass aber andere Religionen schlicht keine nennenswerte Rolle spielten.

2.

Aktuelle Entwicklungen und Folgen für die rechtliche Bewertung

Die aktuelle Entwicklung ist zum einen geprägt von den gesellschaftlichen Veränderungen im Bereich der Religionszugehörigkeiten und zum anderen von dem besonderen Augenmerk, dass die Bundespolizei auf die Gewinnung von Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund richtet. a)

Gesellschaftliche Veränderungen im Bereich der Religionszugehörigkeit

Lag die Zahl der Katholiken in Deutschland wie dargestellt im Jahre 1960 bei ca. 25,7 Mio., so ging sie bis zum Jahre 2013 auf ca. 24,2 Mio. zurück76; in der evangelischen Kirche erfolgte ein Rückgang von den o.g. ca. 29,7 Mio. Gläubigen im Jahre 1970 auf ca. 23,4 Mio. im Jahre 201277. Im Gegenzug stieg die Zahl der 72 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Katholische Kirche in Deutschland – Zahlen und Fakten 2013/14, Tabelle S. 7: Katholiken in Deutschland 1960–2013. 73 Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, Tabelle „Religionszugehörigkeit Deutschland 1970–2011“, S. 7; abrufbar im Internet unter http://fowid.de/fileadmin/ datenarchiv/Religionszugehoerigkeit/Religionszugehoerigkeit_Bevoelkerung_1970_2011. pdf (Abruf Dez. 2014). 74 www.statista.com. 75 Übersicht „Entwicklung der Anzahl der Muslime in Deutschland von 1945 bis 2009“, abgerufen unter http://de.statista.com/statistik/daten/studie/72321/umfrage/entwicklung-der-an zahl-der-muslime-in-deutschland-seit–1945/ im Dez. 2014. 76 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Katholische Kirche in Deutschland – Zahlen und Fakten 2013/14, Tabelle S. 7: Katholiken in Deutschland 1960–2013. 77 Evangelische Kirche in Deutschland, Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben, 2014, Tabelle S. 4: Christen in Deutschland.

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Konfessionslosen stark an: Waren 1970 ca. 49 % der Deutschen evangelisch, ca. 44,6 % katholisch und nur ca. 3,9 % konfessionslos78, so betrug der Anteil der Konfessionslosen im Jahre 2010 schon etwa 37,2 %, während der Anteil der katholischen und evangelischen Gläubigen zurückging auf 29,2 % bzw. 29,3 %79. Aus den letzten Jahren liegen nun auch Untersuchungen über die Zahl der muslimischen Gläubigen in Deutschland vor: Aus der im Juni 2009 veröffentlichten und auf Befragungen aus dem ersten Halbjahr 200880 beruhenden Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz erstellt hat81, ergibt sich, dass „zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime in Deutschland wohnen. Berücksichtigt man, dass in Deutschland insgesamt rund 82 Millionen Menschen leben, beträgt der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung zwischen 4,6 und 5,2 Prozent. Rund 45 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime mit Migrationshintergrund aus den berücksichtigten Herkunftsländern sind deutsche Staatsangehörige, rund 55 Prozent verfügen über eine ausländische Nationalität“.82 Aktuellere Studien, die die Entwicklung seit 2008 bundesweit nachzeichnen, sind dem Verfasser derzeit nicht bekannt. Gleichwohl sind zwei Grundtendenzen klar erkennbar: – Die christlichen Kirchen haben einen deutlichen Mitgliederschwund zu verzeichnen, weil die Zahl der Sterbefälle die der Taufen deutlich übersteigt und zusätzlich Kirchenaustritte und damit ein Wechsel in die (zumindest formale) Konfessionslosigkeit festzustellen ist.83

78 Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, Tabelle „Religionszugehörigkeit Deutschland 1970–2011“, S. 1; abrufbar im Internet unter http://fowid.de/fileadmin/ datenarchiv/Religionszugehoerigkeit/Religionszugehoerigkeit_Bevoelkerung_1970_2011. pdf (Abruf Dez. 2014). 79 Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, Tabelle „Religionszugehörigkeit Deutschland 1970–2011“, S. 5; abrufbar im Internet unter http://fowid.de/fileadmin/daten archiv/Religionszugehoerigkeit/Religionszugehoerigkeit_Bevoelkerung_1970_2011.pdf (Abruf Dez. 2014). 80 Vgl. S. 21 der Studie: „Zur Bearbeitung der genannten Forschungsfragen wurden im ersten Halbjahr 2008 insgesamt 6.004 Personen mit Migrationshintergrund aus knapp 50 muslimisch geprägten Ländern in circa halbstündigen Interviews telefonisch befragt“. 81 Sonja Haug/Stephanie Müssig/Anja Stichs, Muslimisches Leben in Deutschland (Hrsg.: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), Stand Juni 2009. 82 Muslimisches Leben in Deutschland, Kapitel 2, S. 57 ff.: Wie viele Muslime leben in Deutschland? Eine knappe Zusammenfassung der Zahlen mit dem angeführten Zitat findet sich bei der Darstellung der zentralen Ergebnisse, a. a. O., S. 11. 83 Vgl. hierzu insgesamt auch: Joachim Eicken/Ansgar Schmitz-Veltin, Die Entwicklung der Kirchenmitglieder in Deutschland – Statistische Anmerkungen zu Umfang und Ursachen des Mitgliederrückgangs in den beiden christlichen Volkskirchen, in: Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, Heft 6/2010, S. 576.

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– Der Anteil der muslimischen Gläubigen in Deutschland nimmt deutlich zu und ist auch keineswegs mehr typischer Weise mit der Ausländereigenschaft verbunden. Vielmehr sind fast die Hälfte der Muslime mit Migrationshintergrund deutsche Staatsbürger.

Gerade letzteres, also die Kombination von deutscher Staatsangehörigkeit und muslimischer Religion, ist für die rechtliche Bewertung nicht unerheblich: Bundespolizeibeamtinnen und -beamte müssen grundsätzlich die deutsche oder eine andere EU-Staatsangehörigkeit besitzen, um in den Polizeivollzugsdienst des Bundes aufgenommen zu werden84. Wäre also der muslimische Glauben regelmäßig mit nicht-deutscher bzw. nicht-europäischer Staatsangehörigkeit verknüpft, so würde sich die rechtliche Frage nach einem möglichen seelsorgerischen Betreuungsanspruch muslimischer Bundespolizisten faktisch nicht ernsthaft stellen. Das Gegenteil ist aber der Fall: Es ist nicht nur wie dargestellt davon auszugehen, dass ca. 1,7–1,9 Mio. Muslime mit Migrationshintergrund und deutscher Staatsangehörigkeit in Deutschland leben; es muss weiterhin bedacht werden, dass auch in den anderen derzeit 28 EU-Staaten Angehörige muslimischen Glaubens mit der Staatsangehörigkeit des entsprechenden EUStaates leben und diese damit auch die Einstellungsvoraussetzungen des deutschen Beamtenrechtes erfüllen.85 b)

Gewinnung von Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund

Hinzu kommt ein Weiteres: „Seit Anfang 2010 hat die Bundespolizei auf Initiative des Bundesministeriums des Innern ihre Bemühungen zur Gewinnung von Bewerberinnen und Bewerbern mit Migrationshintergrund deutlich verstärkt. In der Bundespolizeidirektion Flughafen Frankfurt/Main und der Bundespolizeidirektion München wurden jeweils Projekte initiiert, die folgende Ziele verfolgen: 84 Vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 BBG. 85 Wobei in den meisten anderen EU-Staaten jedenfalls die absolute Zahl der Muslime hinter der Deutschlands zurückbleibt. Einen Überblick auf dem Stand 2006 liefert die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, Muslime in der Europäischen Union – Diskriminierung und Islamophobie, 2006, S. 32, Tabelle 1: Die muslimische Bevölkerung in den Mitgliedstaaten der EU. Danach sind die EU-Länder mit den in absoluten Zahlen meisten Muslimen neben Deutschland (damals geschätzt 3,4 Mio.): Frankreich (ca. 3,5 Mio.), Spanien (ca. 1,1 Mio.) und die Niederlande (0,9 Mio.). Einen Überblick über den relativen Bevölkerungsanteil der Muslime kann man sich anhand des vom amerikanischen CIA herausgegebenen World Fact Book (Stand 2014) verschaffen, das auch im Internet unter https://www.cia. gov/library/publications/the-world-factbook/ abrufbar ist. Danach hat von den aktuellen EUStaaten Zypern mit 18 % einen relativ hohen muslimischen Bevölkerungsanteil. Noch höher sind die Anteile bei einigen EU-Beitrittskandidaten, nämlich der Türkei mit 99,8 %, Albanien mit 56,7 % und Mazedonien mit 33,3 %.

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Nachwuchs mit Migrationshintergrund gewinnen, Image der Vielfalt positionieren, Integration durch Netzwerke fördern und interkulturelle Kompetenz ausbauen und weitergeben. Im Rahmen dieser Projekte kooperiert die Bundespolizei mit den vor Ort für Integration zuständigen Einrichtungen und ausgewählten Schulen, die einen besonders hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund haben. Zugleich wurden die Werbemaßnahmen regional und medial verstärkt“.86 Dementsprechend ist die Bundespolizei im Nationalen Aktionsplan Integration der Bundesregierung mit dem Pilotprojekt „Gewinnung von Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund“ vertreten87 und sie hat die von der Bundesregierung geförderte „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet88. Darüber hinaus wird in den Medien nachhaltig und intensiv um entsprechende Nachwuchskräfte geworben. So heißt es hierzu auf der Homepage der Bundespolizei89: „Das Besondere an Mitarbeitern mit Migrationshintergrund ist, dass sie nicht nur mehrere Sprachen sprechen, sondern häufiger als andere Kollegen bestimmte Verhaltensweisen von Menschen anderer Kulturkreise verstehen. Dieses gilt es zu erkennen und für die vielschichtigen Aufgaben innerhalb der Bundespolizei zu nutzen.“ Bedenkt man, dass zahlenmäßig derzeit nur etwa 800 der ca. 40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundespolizei Migrationshintergrund haben90 (wobei die aus der Fundstelle übernommene Formulierung von den „Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ darauf hindeutet, dass auch das nicht im Polizeivollzugsdienst tätige Verwaltungspersonal der Bundespolizei mit erfasst wurde), so ist klar, dass auch in den nächsten Jahren eine nicht unerhebliche Zahl von Polizeibeamtinnen und -beamten mit Migrationshintergrund eingestellt werden wird. Berücksichtigt man nun, dass gerade bei dieser Personengruppe der Anteil von Muslimen überdurchschnittlich hoch sein dürfte, so wird klar, dass damit 86 Bundespolizei kompakt – Zeitschrift der Bundespolizei, Heft 6/2013, Vielfalt als Chance begreifen – was kann interkulturelle Kompetenz leisten?, S. 4, 8. Die Ausgabe ist online abrufbar unter www.bundespolizei.de/DE/06Die-Bundespolizei/BPOL_Kompakt/2013/kom pakt_6–13_file.pdf (Abruf Dez. 2014). 87 Bundesregierung, Nationaler Aktionsplan Integration: Zusammenhalt stärken, Teilhabe verwirklichen, 2012, Kap. IV.4. Migranten im öffentlichen Dienst, S. 140, 143. 88 Vgl. den Artikel „Charta der Vielfalt – Bundespolizei wirbt um Migranten“ vom 09. 01. 2013; abrufbar unter www.bundespolizei.de/DE/00Aktuelles/_News/2013/01/130109_charta-dervielfalt.html (Abruf Dez. 2014). 89 Artikel „Die Bundespolizei wird ‚bunter‘ – und das ist auch gut so!“, abrufbar unter www. bundespolizei.de/DE/_Homepage/_functions/Buehne/2012/bundespolizei-wird-bunter. html (Abruf Dez. 2014). 90 Zahlen nach: Bundespolizei kompakt – Zeitschrift der Bundespolizei, Heft 6/2013, Vielfalt als Chance begreifen – was kann interkulturelle Kompetenz leisten?, S. 4, 8. Die Ausgabe ist online abrufbar unter http://www.bundespolizei.de/DE/06Die-Bundespolizei/BPOL_Kom pakt/2013/kompakt_6-13_file.pdf ?__blob=publicationFile (Abruf Dez. 2014).

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gerade auch Menschen muslimischen Glaubens ein wichtiger Faktor für den zukünftigen Personalaufbau einer modernen Bundespolizei sind und diese durchaus überproportional für den Dienst in der Bundespolizei gewonnen werden und gewonnen werden müssen.

c)

Rechtliche Konsequenzen unter dem Aspekt der Parität

Diese schon begonnene und sich zukünftig sicher noch verstärkende Entwicklung kann nicht ohne Folgen für die Seelsorge in der Bundespolizei bleiben. Der auf Art. 3 Abs. 1 und 3 GG sowie verschiedenen Elementen der inkorporierten Kirchenrechtsartikel der Weimarer Reichsverfassung91 beruhende staatskirchenrechtliche Grundsatz der Parität, der hier nicht in seiner ganzen Vielschichtigkeit ausgebreitet werden kann92, besagt, dass alle Kirchen und Religionsgemeinschaften nach der Verfassungsordnung gleichwertig und gleichberechtigt sind und vice versa ohne sachlichen Grund große Kirchen gegenüber kleinen Religionsgemeinschaften nicht besser gestellt sein dürfen93. In Bezug auf das Zusammenwirken von Staat und Kirche94 verlangt der Paritätsgrundsatz insoweit unter anderem auch, „dass der Staat sich zum Abschluss eines nach Inhalt und rechtlichem Rang gleichwertigen (nicht inhaltsgleichen!) Vertrags91 Insbesondere der Abkehr von einer Staatskirche nach Abs. 137 Abs. 1 WRV; der umfassend gewährten religionsgesellschaftlichen Vereinigungsfreiheit nach Art. 137 Abs. 2 WRV; der für alle Religionsgesellschaften geltenden Selbstverwaltungsgarantie des Art. 137 Abs. 3 WRV sowie des für alle Religionsgesellschaften geltenden Anspruchs auf Zuerkennung des Körperschaftsstatus nach Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen. 92 Vgl. zur Vertiefung beispielsweise: Martin Heckel, Die religionsrechtliche Parität, in: Listl/ Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, S. 589 ff.; Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 82 ff. („Religionsrechtliche Parität durch staatliche Letztentscheidung“); v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 90 ff. 93 Heckel, Handbuch des Staatskirchenrechts, S. 589; Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 82; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 91. 94 Es ist heute staatskirchenrechtlich anerkannt und bedarf hier keiner weiteren Vertiefung, dass die in Art. 137 Abs. 1 WRV postulierte Trennung von Staat und Kirche einem Zusammenwirken beider nicht entgegensteht. Die Verfassungsnorm legt fest, dass weder der Staat von der Kirche noch die Kirche vom Staat abhängig ist. Sie schließt aber nicht aus, dass sich die damit voneinander unabhängigen Rechtssubjekte gleichberechtigt begegnen und auf freiwilliger Basis miteinander kooperieren. Das Trennungsgebot ist somit keineswegs als „Berührungsverbot“ zu verstehen. Es ist gerade kein Widerspruch zur, sondern konsequente Folge der die wechselseitige Selbständigkeit begründenden und anerkennenden Trennung von Staat und Kirche, dass sich beide auf der Basis eigenständiger freier Entscheidung jeweils miteinander befassen dürfen – aber eben nicht müssen. Treffend insofern die Formulierung von Dieter Beese, Kirchlicher Dienst in der Polizei, Deutsches Pfarrerblatt 1996, Heft 2, S. 71: „In kritischer Solidarität, rechtlicher und faktischer Unabhängigkeit sind beide Partner gleichermaßen zur uneigennützigen Hinwendung zu den Menschen verpflichtet“.

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werkes mit einer anderen Religionsgemeinschaft bereitfindet, wenn bei ihr entsprechende Regelungsbedürfnisse auftreten“95. Von daher ist es konsequenterweise auch in Bezug auf die Anstaltsseelsorge anerkannt (und dies gilt ebenso bei der hier vertretenen schutzpflichtrechtlichen Einordnung der Bundespolizeiseelsorge), dass „eine Privilegierung bestimmter, etwa christlicher Religionsgemeinschaften … aus Neutralitäts- und Paritätsgründen unzulässig [ist]“96 und daher eine Anstaltsseelsorge an Muslimen „an sich angezeigt“97 sei. Insofern ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass die aufgezeigten Entwicklungen vor dem Hintergrund der staatskirchenrechtlichen Grundüberlegungen eigentlich eine muslimische Seelsorge in der Bundespolizei zu gebieten scheinen. d)

Mögliche Bedenken an einer muslimischen Seelsorge in der Bundespolizei

Zu prüfen bleibt, ob diesem grundsätzlichen Befund spezifische Bedenken entgegengehalten werden können, die entweder aus empirischen Defiziten oder religionsspezifischen Besonderheiten herrühren. aa)

Problem der derzeit fehlenden Erfassung der Konfessionszugehörigkeit

In historischer Hinsicht war die Situation die, dass die Konfessionszugehörigkeit im Bundesgrenzschutz gerade mit Blick auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Anstaltsseelsorge erfasst wurde. So findet sich in den dem Verfasser vom Evangelischen Dekan in der Bundespolizei zur Verfügung gestellten Unterlagen ein Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 29. November 197998 an die damaligen Grenzschutzbehörden mit dem Hinweis: „Aus gegebenem Anlaß bitte ich, allen Beamten des Bundesgrenzschutzes Gelegenheit zu geben, Angaben über ihre Religionszugehörigkeit nach beiliegendem Formblatt zu machen. Die Beamten sind darüber zu belehren, daß das Ausfüllen des Formblattes in das freie Ermessen den Beamten gestellt ist und nur dazu dient, die seelsorgerische Betreuung sowie die Betreuung in Sonderfällen durch die Grenzschutzseelsorger zu ermöglichen und zu erleichtern. […] Neu eingestellten Beamten ist ebenfalls Gelegenheit zur Ausfüllung des Formblattes zu geben.“ 95 Heckel, Handbuch des Staatskirchenrechts, S. 613. 96 v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein, Grundgesetz, 6. Aufl. 2000, Art. 141 WRV Rn. 13. 97 v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein, Grundgesetz, 6. Aufl. 2000, Art. 141 WRV Rn. 14. 98 Geschäftszeichen P II 4–651 000/9.

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Aktuell dagegen wird nach Auskunft des Bundespolizeipräsidiums99 die Religionszugehörigkeit von Polizeibeamtinnen und -beamten in der Bundespolizei weder individuell noch anonymisiert erfasst, so dass derzeit jegliche Bewertungsgrundlage fehlt, um die bundespolizeispezifischen Anteile muslimischer, aber auch christlicher Mitarbeiter zu bestimmen oder zumindest ansatzweise zu schätzen. Hintergrund dieser geänderten Handhabung der mitarbeiterbezogenen Datenerhebung in Bezug auf die Konfessionszugehörigkeit dürfte die im Laufe der Zeit strenger gewordene Begrenzung zulässiger Fragen bei Bewerbungs- und Einstellungsgesprächen sein. So ist (spätestens) seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im Jahre 2006100 davon auszugehen, dass die Frage nach Religion oder Weltanschauung als einem der in § 1 AGG genannten Kriterien grundsätzlich nicht mehr zulässig ist, soweit ein Bewerber befürchten muss, dass die Beantwortung dieser Frage als Auswahlkriterium für die Einstellung oder den beruflichen Aufstieg relevant ist. Konsequenterweise ist auch im Beamtenrecht festgeschrieben, dass beamtenrechtliche Ernennungen ohne Rücksicht auf Religion und Weltanschauung zu erfolgen haben101. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache und dem offensichtlichen Befund, dass die Bundespolizei nicht von der Ausnahmevorschrift des § 9 AGG102 erfasst wird, erscheint es von der Motivlage her durchaus nachvollziehbar, dass die Bundespolizei aktuell auf die Erfassung der Konfessionszugehörigkeit verzichtet. Allerdings wird dabei nach Ansicht des Verfassers ein wesentlicher Aspekt übersehen: Die Bundespolizei ist wie dargestellt ein insoweit besonderer Arbeitgeber, als sie (nach der älteren Auffassung) einer Pflicht zur Anstaltsseelsorge bzw. (nach der hier vertretenen Auffassung) einer Schutzpflicht zur Ermöglichung der Seelsorge im Interesse der Beamtinnen und Beamten unterfällt. Insofern sind sowohl die Regelungen des Beamtenrechtes als auch die des AGG auch vor dem Hintergrund der grundrechtlichen Schutzpflichten sowie des in das Grundgesetz inkorporierten Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV zu sehen. Die Norm besagt, dass staatlicherseits durchaus nach der Religionszugehörigkeit gefragt werden darf, soweit „davon Rechte und Pflichten abhängen“; z. B. das Recht auf Anstaltsseelsorge oder auf Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht. Insofern hat 99 Schriftliche Auskunft des Bundespolizeipräsidiums an den Verfasser vom 19. Dezember 2014. 100 Das als Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14. August 2006 (BGBl. I 2006, S. 1897) erlassene AGG ist gemäß Art. 4 des genannten Artikelgesetzes am 18. August 2006 in Kraft getreten. 101 Vgl. § 9 BBG und § 9 BeamtStG. 102 § 9 AGG erlaubt ausnahmsweise religions- oder weltanschauungsspezifische Differenzierungen, wenn es um eine Beschäftigung bei Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften selbst oder ihnen zugeordneten Einrichtungen geht.

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auch das Bundesverfassungsgericht schon 1977 klargestellt, dass gerade im Bereich der Anstaltsseelsorge die Frage nach der Religionszugehörigkeit zulässig ist, sofern auf die Freiwilligkeit der Beantwortung der Frage hingewiesen wird und sichergestellt ist, dass durch eine eventuelle Nichtbeantwortung weder Nachteile tatsächlich erwachsen noch ernsthaft beim Betroffenen die Befürchtung des Erleidens von Nachteilen bestehen muss103. Dies entspricht nach wie vor auch der einhelligen Auffassung in der wissenschaftlichen Literatur, die durchgängig davon ausgeht, dass im Rahmen der Anstaltsseelsorge die Frage nach der Konfessionszugehörigkeit gestellt werden darf, wenn auf die fehlende Verpflichtung zur Beantwortung dieser Frage eindeutig hingewiesen wird104. Geht man wie hier davon aus, dass in einer modernen (Bundes-)Polizei die Polizeiseelsorge primär auf den grundrechtlichen Schutzpflichten und nicht mehr der althergebrachten Anstaltsseelsorge beruht, so verdichtet sich dieses staatliche Recht zur Frage nach der Konfessionszugehörigkeit (als Schranke der individuellen Religionsfreiheit) zu einer grundrechtsschützenden staatlichen Verfahrenspflicht zur Sicherung der individuellen Religionsfreiheit, denn nur durch die entsprechende Befragung und Auswertung der dadurch erlangten Daten kann sichergestellt werden, dass ein gegebenenfalls notwendig werdender Seelsorgebedarf auch außerhalb der beiden großen christlichen Kirchen erkannt und staatlicherseits ermöglicht wird. Um allerdings im Sinne der dargestellten Vorgaben des AGG und des Beamtenrechtes jedwede Befürchtung eines (zukünftigen) Polizeibeamten zu zerstreuen, dass die „Gretchenfrage“105 nach der Religion oder ihre Nichtbeantwortung für seine Einstellung relevant sein könnte, empfiehlt es sich, nicht nur eindeutig und unmissverständlich auf die Freiwilligkeit der Beantwortung dieser Frage hinzuweisen, sondern die Frage überhaupt erst nach erfolgter Einstellung zu stellen. Auch sollte wie schon in der oben zitierten Formulierung aus dem Jahre 1979 klargestellt werden, dass die Frage ausschließlich der Ermöglichung einer – ebenfalls auf freiwilliger Basis beruhenden – zukünftigen seelsorgerischen Betreuung dient. Weiterhin sollte dem muslimischen Gläubigen die Möglichkeit gegeben werden, seine konkrete muslimische Glaubensrichtung innerhalb des Islam mitteilen zu können. Von daher erscheint eine Wiedereinführung der Erfassung der Religionszugehörigkeit auf freiwilliger Basis ausschließlich zur Wahrnehmung einer ebenfalls seitens der Beamten der Freiwilligkeit unterliegenden seelsorgerischen Be103 BVerfG, BVerfGE 46, 266. 104 Muckel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 141 WRV Rn. 11; v. Campenhausen/ Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 141 Rn. 12; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 141 WRV Rn. 7; Stern, Staatsrecht Band IV/2, S. 1356; alle jeweils m. w. N. 105 Johann Wolfgang von Goethe, Faust – Der Tragödie Erster Teil, Marthens Garten, Vers 3415: Margarete: „Nun sag, wie hast Du′s mit der Religion?“

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treuung unter entsprechend eindeutiger Belehrung sinnvoll und geboten. Diese Aufgabe kann auch nicht auf die Kirchen verlagert werden, denn es ist ja gerade Aufgabe des grundrechtsgebundenen Staates, überhaupt erst einmal den schutzpflichtrechtlich relevanten Bedarf nach Seelsorge zu erfassen und als Reflex dann den insoweit betroffenen Kirchen und Religionsgemeinschaften Zugang zu den entsprechenden staatlichen Einrichtungen zu gewähren. bb)

Problem der Organisationsstruktur der Muslime

Als weiterer möglicher Einwand ist noch auf die Tatsache einzugehen, dass gerade Muslime – ohne hier auf die Vielfältigkeit der verschiedenen religiösen Strömungen eingehen zu können106 – über keine übergreifende kirchenartige Organisationsform verfügen. Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass der Islam „kein sichtbares Oberhaupt hat“, weitgehend „ohne Organisationsstruktur aus [kommt]“ und „die Stärke des Islam … also kaum in seiner Organisationsstruktur liegt“107. Und auch die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte weist in ihrer Studie „Muslime in der Europäischen Union“ aus dem Jahre 2006 deutlich auf diesen Punkt hin: „Die Tatsache, dass der Islam nicht hierarchisch organisiert ist, ist in Verbindung mit der ethnischen, kulturellen und theologischen Vielfalt der muslimischen Gemeinschaften in Europa Ursache für die besonderen Schwierigkeiten bei der Bildung von Vertretungsorganisationen auf Länderebene, die in der Lage wären für ‚die Muslime‘ zu sprechen“.108 Nun ist es sicher zutreffend, dass sowohl die klassische Anstaltsseelsorge, bei der per se die Kirche Berechtigter des staatlichen Zulassungsanspruches ist, als auch die schutzpflichtrechtlich begründete moderne Polizeiseelsorge, in der der Religionsgemeinschaft als Reflex des individuellen Grundrechtsschutzes des einzelnen Beamten ein Zugangsanspruch zukommt, auf Seiten der Religionsgemeinschaft eines verlässlichen Ansprechpartners bedarf. Jede paritätisch gebotene Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaft verlangt auf Seiten der Religionsgemeinschaft eine für den Staat nachvollziehbare Legitimation der für die Gemeinschaft handelnden Repräsentanten. Da dies wie angesprochen bei Muslimen ausgesprochen problematisch ist, wird zum Teil die 106 Nach der von der Deutschen Islamkonferenz in Auftrag gegebenen Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“, 2009, S. 97 gehören 74,1 % der in Deutschland lebenden Muslime der sunnitischen Glaubensrichtung an, 12,7 % der alevitischen und 7,1 % der schiitischen; daneben existiert noch eine Vielzahl weiterer Glaubensrichtungen. 107 Peter Antes, Die Religionen der Gegenwart, S. 72. Vgl. zu den für das deutsche Staatskirchenrecht problematischen organisatorischen Besonderheiten der muslimischen Religion auch Stefan Muckel, Muslimische Gemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, DÖV 1995, S. 311, 314 f. 108 Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, Muslime in der Europäischen Union – Diskriminierung und Islamophobie, S. 37.

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Auffassung vertreten, dass eine entsprechende Kooperation schlicht an der faktischen Unmöglichkeit einer legitimen muslimischen Vertretung sowie einer entsprechenden Definition spezifisch „muslimischer Seelsorge“ scheitert109. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass gerade in den letzten Jahren auch die Muslime selbst erkannt haben, dass eine effektive Vertretung ihrer Interessen in einem säkularen Staat einer gewissen Mindestorganisation bedarf. So hat sich in Folge der vom Bundesministerium des Innern initiierten110 Deutschen Islamkonferenz der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland gegründet. Dieser „organisiert die Vertretung der Muslime in der Bundesrepublik und ist Ansprechpartner für Politik und Gesellschaft. Er arbeitet an der Schaffung einer einheitlichen Vertretungsstruktur auf der Bundesebene und wirkt gemeinsam mit den bereits bestehenden muslimischen Länderstrukturen sowie den vorhandenen Lokalstrukturen an der Schaffung rechtlicher und organisatorischer Voraussetzungen für die Anerkennung des Islam in Deutschland im Rahmen von Staatsverträgen“111. Auch wenn die vier im Koordinationsrat zusammenarbeitenden großen muslimischen Dachverbände112 einen erheblichen Teil der Muslime in Deutschland vertreten, so ist der Alleinvertretungsanspruch des Koordinationsrates durchaus umstritten113. So fällt auf, dass die Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. nicht Mitglied des Koordinationsrates ist, obwohl die alevitischen Gläubigen nach den sunnitischen die zweitgrößte Gruppe der Muslime in Deutschland stellen114. Weniger ausschlaggebend dürfte dagegen das Argument sein, dass im Jahre 2008 – also nur ein Jahr nach seiner Gründung – nur 10 % der in Deutschland lebenden

109 Vgl. v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 141 WRV Rn. 14: „Eine an sich angezeigte Anstaltsseelsorge an Muslimen ist vor diesem Hintergrund derzeit nicht im Bereich des Möglichen, weil in formeller Hinsicht die muslimischen Organisationen (noch) nicht über die organisatorischen Voraussetzungen verfügen und in inhaltlicher Hinsicht das Anforderungsprofil einer spezifisch muslimischen ‘Seelsorge′ noch definiert werden muss“. 110 Die Auftaktsitzung der Deutschen Islamkonferenz fand am 27. September 2006 auf Initiative des damaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble statt. Vgl. zu den Hintergründen die Regierungserklärung Schäubles in der 54. Sitzung der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages am 28. September 2006, Plenarprotokoll 16/54, S. 5148 ff. 111 § 2 der Geschäftsordnung des Koordinationsrats der Muslime in der Fassung vom 28. März 2007; abrufbar im Internet unter http://islam.de/files/misc/krm_go.pdf (Abruf Januar 2015). 112 Nämlich die DITIB (Diyanet I˙s¸leri Türk I˙slam Birlig˘i, Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.), der VIKZ (Verband der Islamischen Kulturzentren e.V.), der IR (Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e.V.) und der ZMD (Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.). 113 Vgl. den Artikel „Neuer Dachverband als zu konservativ kritisiert“, in: Die Welt vom 12. 04. 2007, im Internet abrufbar unter http://www.welt.de/politik/article805367/Neuer-Dachver band-als-zu-konservativ-kritisiert.html (Abruf Jan. 2015). 114 Vgl. die Übersicht in der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“, 2009, S. 97.

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Muslime den Koordinationsrat der Muslime kannten115. Dieser Anteil dürfte sich mit zunehmender Dauer der Existenz und vor allem mit zunehmender Öffentlichkeitsarbeit des Koordinationsrates erhöhen. Daher kann die Gründung des Koordinationsrates als ein erster wichtiger Schritt zur Schaffung eines Ansprechpartners für staatliche und gesellschaftliche Akteure angesehen werden. Insofern scheint es nahe liegend, Fragen einer zukünftigen muslimischen Seelsorge in der Bundespolizei durch das Bundesministerium des Innern als oberster Dienstbehörde der Bundespolizei116 sowohl in der Islamkonferenz als insbesondere auch gegenüber dem Koordinationsrat zu thematisieren. In einem zweiten, späteren Schritt wird dann sicherlich in wesentlich formalerer Hinsicht zu untersuchen sein, ob und in welchem Umfange die – zum Teil wie dargestellt im Koordinationsrat zusammenarbeitenden – Dachverbände der muslimischen Glaubensrichtungen auch den Begriff der Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes erfüllen und daher konkret zur Seelsorge in der Bundespolizei zuzulassen sind. Das von Heinrich de Wall im Auftrag der Hansestadt Hamburg im Jahre 2011 vorgelegte Gutachten über die Eigenschaft verschiedener in Hamburg tätiger muslimischer Verbände als Religionsgemeinschaft und ihre Eignung als Kooperationspartner der Freien und Hansestadt Hamburg in religionsrechtlichen Angelegenheiten117 kommt insoweit zu Ergebnissen, die durchaus Entwicklungsmöglichkeiten für eine zukünftige staatliche Zusammenarbeit erkennen lassen – wobei insbesondere die Dachverbandsstruktur der Verbände dem Religionsgemeinschaftsstatus nicht entgegensteht.118 Selbstverständlich kann der Staat letztendlich keine dem deutschen staatskirchenrechtlichen Begriff der Glaubensgemeinschaft entsprechende „Selbstorganisation“ der Muslime in Deutschland erzwingen – er kann und muss den muslimischen Gläubigen und ihren Vertretern aber wenigstens die ernsthafte Chance einräumen, eine solche Selbstorganisation in die Wege zu leiten und im Rahmen dieses Prozesses Möglichkeiten zur formalen und inhaltlichen Gestaltung einer muslimischen Seelsorge in der Bundespolizei aufzuzeigen. Ob dieser 115 Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ 2009, S. 173; basierend auf Befragungen aus dem ersten Halbjahr 2008. 116 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 BPolG: „Sie [die Bundespolizei] ist eine Polizei im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern“. 117 Heinrich de Wall, „Rechtsgutachten über die Eigenschaft von ‚DITIB Landesverband Hamburg e.V.‘ ‚SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V.‘ und ‚Verband der Islamischen Kulturzentren e.V.‘ Köln als Religionsgemeinschaften und weitere Aspekte ihrer Eignung als Kooperationspartner der Freien und Hansestadt Hamburg in religionsrechtlichen Angelegenheiten“ vom 9. März 20111, erstellt im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg; abrufbar im Internet unter http://www.hamburg.de/contentblob/ 3620002/data/download-rechtsgutachten.pdf (Abruf Januar 2015). 118 Heinrich de Wall, a. a. O., S. 44 Nrn. 5 ff., insbes. Nr. 14 und Nr. 17.

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Prozess am Ende erfolgreich abgeschlossen werden kann, wird maßgeblich auch von der Kooperationsfähigkeit der muslimischen Verbände und Vereine untereinander abhängen – der Prozess darf aber jedenfalls nicht an staatlicher Untätigkeit scheitern. Sollte in der Zukunft tatsächlich eine muslimische Seelsorge in der Bundespolizei institutionalisiert werden, so wird sich auch die Frage stellen, ob die dafür verantwortlichen Geistlichen muslimischen Glaubens vergleichbar den katholischen und evangelischen Seelsorgern in der Bundespolizei angestellt werden müssen und (aus der Sicht der betroffenen Geistlichen selbst) angestellt werden wollen. Spätestens im Zusammenhang mit dieser Frage wird man dann überdenken müssen, ob das derzeit noch praktizierte Modell der beim Bund angestellten Bundespolizeiseelsorger119, das man als „kleine Schwester“ der Militärseelsorge einordnen kann120, noch zeitgemäß ist oder ob nicht vergleichbar zur Seelsorge in den Landespolizeien im Regelfalle auf eine Anstellung der Polizeipfarrer in einem staatlichen Amt verzichtet werden sollte. Diese Fragen können hier nur angedeutet werden und bedürfen zukünftig umfassender weiterer Untersuchungen.

d)

Rechtliche Konsequenzen im Hinblick auf die berufsethische Erziehung

Die oben dargestellte Parität steht in einem engen sachlichen Zusammenhang zum korrespondierenden Gebot staatlicher Neutralität: Soweit es um die Möglichkeit religionsspezifischer seelsorgerischer Betätigung der Religionsgemeinschaften im Staat geht, haben alle Religionsgemeinschaften den dargestellten Anspruch auf gleichwertige, paritätische Berücksichtigung durch den Staat. Soweit es um wertevermittelnde Tätigkeit des Staates selbst geht121, haben alle Religionsgemeinschaften einen Anspruch auf staatliche Neutralität und Distanz. Dies kann nun nicht ohne Auswirkungen auf die berufsethische Erziehung gemäß den Vereinbarungen über die evangelische und katholische Seelsorge in der Bundespolizei bleiben. In den insoweit wortgleich formulierten jeweiligen §§ 7 Abs. 3 Satz 1 der Vereinbarungen wird die Teilnahme am berufsethischen Unterricht als Dienst für die Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten definiert 119 Vgl. jeweils § 11 Abs. 1 der Seelsorgevereinbarungen, die wortgleich lauten: „Soweit diese Vereinbarung keine besonderen Regelungen enthält, sind auf die Rechtsverhältnisse der Grenzschutzseelsorger die Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages anzuwenden“. 120 Als „kleine Schwester“ deshalb, weil die Militärgeistlichen sogar verbeamtet werden. Die Möglichkeit der Verbeamtung ist zwar nach § 11 Abs. 2 der Seelsorgevereinbarungen grundsätzlich auch bei den Bundespolizeiseelsorgern gegeben; sie wird aber in der Praxis soweit ersichtlich nicht genutzt. 121 Auf Ausnahmen von dieser Grundregel beispielsweise im Bereich des in Art. 7 Abs. 3 GG gesondert geregelten Religionsunterrichtes soll hier nicht eingegangen werden.

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und damit eindeutig der staatlichen Sphäre zugeordnet122. Insofern ist es konsequent, die Erörterung spezifisch konfessioneller Fragen durch den jeweiligen Satz 3 der Norm aus dem Anwendungsbereich der staatlichen berufsethischen Erziehung auszuscheiden und dem seelsorgerischen Bereich zuzuordnen, in welchem auf freiwilliger Basis religiöse Lebensfragen nach den jeweiligen §§ 8 der Vereinbarungen erörtert werden können. Vor dem Hintergrund des staatlichen Neutralitätsgebotes erscheint es aber in hohem Maße bedenklich, wenn die wie dargestellt der Staatssphäre zuzuordnende berufsethische Erziehung der Polizeivollzugsbeamten nach § 7 Abs. 1 der Seelsorgevereinbarungen „auf den Grundsätzen christlicher Lebensführung“123 beruht. Diese Problematik wurde schon vor Jahren in Bezug auf die ähnlich formulierte Grundlage des „lebenskundlichen Unterrichts“ in der Bundeswehr erkannt124 und ist auch schon im Hinblick auf die Bundespolizei artikuliert worden: „Besonders problematisch ist hier der ‚Berufsethische Unterricht‘, der Bestandteil der Laufbahnausbildung ist. Er basiert inhaltlich auf den Grundsätzen christlicher Lebensführung, wird aber nicht getrennt nach Konfessionen und ohne Befreiungsmöglichkeit erteilt. Die religionsverfassungsrechtlichen Bedenken gegen den ‚lebenskundlichen Unterricht‘ im Rahmen der Seelsorge in der Bundeswehr … gelten hier nicht nur entsprechend, sondern in verstärktem Ausmaß“.125 Mit Blick auf die oben skizzierte Entwicklung, die im Vergleich zu den 1960er Jahren nicht nur durch eine stärkere Pluralität religiöser und weltanschaulicher Auffassungen gekennzeichnet ist, sondern auch durch eine Zunahme der bewusst gewählten „Konfessionslosigkeit“, kann diese Bezugnahme auf spezifisch christliche Wertvorstellungen nicht mehr überzeugen. Die Lösung sollte nun aber nicht darin liegen, in einem – zum Scheitern verurteilten – Versuch der Erfassung aller maßgeblichen religiösen und weltanschaulichen Strömungen die staatliche berufsethische Erziehung analog zur Seelsorge paritätisch allen entsprechenden Gemeinschaften und Vereinigungen zu öffnen – die Lösung sollte vielmehr in einer bewussten religionsspezifischen Neutralität der zu wählenden Formulierungen liegen und in einer Ausrichtung auf die Werte, die „religionsneutral“ als 122 § 7 Abs. 3 Satz 1 der Vereinbarungen lautet: „Die Teilnahme am berufsethischen Unterricht ist für die Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz Dienst“. 123 Hervorhebung nur hier. 124 Vgl. v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 141 WRV Rn. 32, die in Bezug auf den lebenskundlichen Unterricht in der Bundeswehr von „gravierenden religionsverfassungsrechtlichen Bedenken“ sprechen und einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot annehmen. Ähnlich auch Muckel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 141 WRV Rn. 24 sowie Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 141 WRV Rn. 15. 125 V. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 141 WRV Rn. 34; ebenso (aufgrund Bearbeiteridentität nahezu wortgleich) Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2. Aufl. 2012, S. 243 Rn. 408.

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Grundlage staatlichen und in Sonderheit auch polizeilichen Handelns anerkannt sind: die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Es fällt insofern auf, dass im Modulhandbuch der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung für das Diplomstudium „Bundespolizei (Diplomverwaltungswirt)“ am Fachbereich Bundespolizei (dessen erfolgreicher Abschluss zugleich die Laufbahnbefähigung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst in der Bundespolizei vermittelt) 126 bei der Darstellung des Berufsbildes zwar selbstverständlich auch die „berufsethische Wertorientierung“ benannt wird127, dass aber eine wie auch immer geartete Bezugnahme auf christliche oder sonstige religiöse Wertvorstellungen fehlt. Gerade auch die u. a. von den Polizeipfarrern durchzuführende berufsethische Lehrveranstaltung im Gruppenführerpraktikum128 soll „die Bedeutung ethischer Werte und Normen“ vermitteln – spezifisch christliche Wertgrundlagen werden selbst hier nicht als Lehrinhalt benannt. Noch deutlicher wird das Modulhandbuch für den Masterstudiengang „Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement“ der Deutschen Hochschule der Polizei (dessen erfolgreicher Abschluss die Laufbahnbefähigung für den höheren Dienst in der Landes- und Bundespolizei vermittelt). Dort wird bei der Beschreibung des Studienziels präzise die auch den ethischen Bereich erfassende verfassungsrechtliche Bindung betont: „Grundlage allen polizeilichen Handelns sind die Werteentscheidungen der Verfassung. Sie sind ethische Handlungsmaxime für Führungskräfte bei der Wahrnehmung der polizeilichen Aufgaben und der Mitarbeiterführung. Sie prägen die Rolle der Polizei im Staat und in der Gesellschaft.“129 Auch auf landespolizeilicher Ebene wird zunehmend betont, dass berufsethische Wertevermittlung im säkularen Rechtsstaat an der grundgesetzlichen Werteordnung und nicht an religiösen Werten anzusetzen hat130. Und in Bezug auf den oben angesprochenen, staatskirchenrechtlich umstrittenen lebenskundlichen Unterricht in der Bundeswehr weist Muckel darauf hin, dass dieser seit 2009 neu geordnet wurde und nun nicht mehr auf die „Grundlagen christlichen Glaubens“ bezogen ist131.

126 Vgl. § 4 der Verordnung über den Vorbereitungsdienst für den gehobenen Polizeivollzugsdienst in der Bundespolizei (GBPolVDVDV) vom 9. April 2013. 127 Modulhandbuch (Stand 17. Dezember 2014), S. 8, Ziff. 1.2.1. Ebenso bei der Darstellung der zu vermittelnden Aspekte sozialer Kompetenz auf S. 10, Ziff. 1.2.3.3. 128 Lehrveranstaltung 16.4 – Berufsethik, S. 123 des Modulhandbuchs. 129 Modulhandbuch Masterstudiengang 2014/2016, S. 4, Ziff. 2 (Hervorhebung nur hier). 130 Vgl. Thomas Eder, Ausmaß und Sicherung des berufsethischen Unterrichts in der polizeilichen Aus- und Fortbildung im Lande NRW 2012, in: 50 Jahre Seelsorge und berufsethischer Unterricht in der Polizei NRW, 2012, S. 15, 19 131 Muckel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 141 WRV Rn. 25; ähnlich Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2. Aufl. 2012, S. 243 Rn. 408.

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Dieser Entwicklung sollte sich auch die Bundespolizei nicht verschließen: Wenn und soweit christliche Grundsätze tatsächlich als Fundament einer allgemeinen konfessionsunabhängigen ethischen Lebensführung angesehen werden können (was nach Ansicht des Verfassers durchaus in umfassender Weise der Fall ist) 132, bedarf es keiner besonderen Betonung der „Christlichkeit“ dieser Grundsätze. Wenn und soweit einzelne christliche Grundsätze dagegen nicht deckungsgleich mit aus der Verfassungswerteordnung ableitbaren Grundsätzen allgemein ethischer Lebensführung sind, ist ihre Normierung als Grundlage einer bundespolizeilich-berufsethischen Erziehung mit dem staatskirchenrechtlichen Grundsatz staatlicher Neutralität nicht vereinbar. Insofern sollten die Regelungen der §§ 7 Abs. 1 der Seelsorge-Vereinbarungen dahingehend modifiziert werden, dass zukünftig die berufsethische Erziehung auf den Grundsätzen und Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes beruht.

III.

Zusammenfassung

50 Jahre gesellschaftlicher Veränderung und (staatskirchen-)rechtlicher Entwicklung sind auch an den Vereinbarungen über eine katholische und evangelische Seelsorge in der Bundespolizei nicht spurlos vorüber gegangen. Auch wenn die Geltungskraft der Vereinbarungen selbst davon unberührt bleibt, wird man das verfassungsrechtliche Fundament der spezifisch seelsorgerischen Tätigkeit in einer modernen und nahezu vollständig auf „kasernierte Einheiten“ verzichtenden Bundespolizei nicht mehr im althergebrachten Institut der Anstaltsseelsorge nach Art. 141 WRV i. V. m. Art. 140 GG sehen können, sondern im (auch schon in der Anstaltsseelsorge mit angelegten) Institut der staatlichen Schutzpflicht zugunsten der Grundrechtsverwirklichung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. In Folge sind primär nicht mehr die Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern die an Seelsorge interessierten Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei Adressat eines verfassungsrechtlichen Seelsorgeanspruchs; den Kirchen und Religionsgemeinschaften kommt ein entsprechender Zulassungsanspruch dann als Rechtsreflex zu. Unter dem Gesichtspunkt der staatskirchenrechtlichen Parität wird man im 21. Jahrhundert auch den verstärkt im Bundespolizeivollzugsdienst tätigen muslimischen Beamtinnen und Beamten einen Anspruch auf seelsorgerische Be132 Vgl. zu dieser Thematik umfassend die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland: Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie – Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe, 4. Aufl. 1990, bei der es sich um eine „Ortsbestimmung für das Verhältnis evangelischer Christen zu diesem Staat“ (a. a. O., S. 7) handelt.

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treuung durch ihre muslimischen Glaubensgemeinschaften zuerkennen müssen. Hier wird zum einen der Staat gehalten sein, empirische Befunde über die Konfessionszugehörigkeit der Bundespolizeiangehörigen zu erheben, soweit die betroffenen Mitarbeiter auf freiwilliger Basis zu einer entsprechenden Erklärung bereit sind. Weiterhin wird von staatlicher Seite der Versuch zu unternehmen sein, gemeinsam mit Repräsentanten muslimischer Glaubensrichtungen erste Grundüberlegungen zu Form und Inhalt muslimischer Seelsorge in der Bundespolizei anzustellen. Der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland könnte – auch wenn ein Alleinvertretungsanspruch derzeit jedenfalls bedenklich erscheint – insofern ein erster Ansprechpartner sein. Im Bereich der kirchlichen Mitwirkung an der dem staatlichen Bereich zuzurechnenden berufsethischen Erziehung erscheint die in den Seelsorgevereinbarungen festgeschriebene Bezugnahme auf die Grundsätze gerade der christlichen Lebensführung nicht bzw. nicht mehr mit dem staatskirchenrechtlichen Neutralitätsgebot vereinbar. Hier sollte eine Änderung dahingehend erfolgen, dass auf die Grundsätze und Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes rekurriert wird.

Reiner Anselm

Seelsorge und Polizei: Von der staatlichen Sittenaufsicht zum Dienst am Bürger

Nicht nur in ihrer Organisationsstruktur, sondern auch in ihrer theoretischen Ausrichtung stellt die Polizeiseelsorge ein corpus permixtum dar. Zwischen Staat und Kirche angesiedelt und in der gemeinsamen Verantwortung durchgeführt, spiegeln sich hier die charakteristischen Merkmale und auch die Veränderungen evangelischen Staatsverständnisses. Bis in die jüngste Vergangenheit konzipierte der Protestantismus den Staat mehrheitlich als einen Sittlichkeitsstaat und war auch darum bemüht, die Ordnungsfunktion des Staates als Ausdruck des Willens Gottes zu verstehen und diese zugleich für die Durchsetzung seiner eigenen Ziele zu verwenden. Umgekehrt allerdings suchte, spätestens seit dem Aufkommen des Absolutismus im 17. Jahrhundert, der Staat auch immer wieder, sich über die Hof- und Garnisonsprediger der Kirche zu bemächtigen und diese für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren.1 Zwischen den Vertretern des Staates und der Kirche, zwischen dem status politicus und dem status ecclesiasticus, kommt es daher seit der Konstitutionszeit evangelischer Territorien zu einer Auseinandersetzung um die Vorherrschaft. Beiden Kontrahenten ist dabei gemeinsam, im Schema von Obrigkeit und Untertan zu denken und das staatliche Gesetz als Umsetzung der göttlichen Gebote des Zusammenlebens zu sehen. Der staatlichen Ordnungsmacht kommt somit nicht nur die Aufgabe zu, für inneren und äußeren Frieden zu sorgen, sondern sie hat auch die sittliche Ordnung sicherzustellen. Wer dabei freilich über die Definitionshoheit des Sittlichen verfügen sollte, das war zwischen Staat und Kirche, zwischen Obrigkeit und Theologie strittig – ein Differenzpunkt, der sich bis heute in der gemeinsamen Verantwortung für die Seelsorge in Polizei und Bundeswehr wiederfindet und auch auf die in ähnlicher Weise strukturierte Präsenz der Kirche im Ausbildungssystem ausstrahlt.

1 Vgl. Wolfgang Sommer: Gottesfurcht und Fürstenherrschaft. Studien zum Obrigkeitsverständnis Johann Arndts und lutherischer Hofprediger zur Zeit der altprotestantischen Orthodoxie (=FKDG 41), Göttingen 1988.

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Über dieser Gemeinsamkeit und der Auseinandersetzung um die jeweilige Vorherrschaft geriet allerdings im evangelischen Staatsdenken aus dem Blick, dass sich mit dem Beginn der Neuzeit die Legitimationsgrundlage für den Staat überhaupt zu verändern begonnen hatte: Nicht mehr die göttliche Einsetzung, sondern die Konstitution durch die Bürger stellt nun die Grundlage des Staatswesens dar. Für die Aufgaben der Polizei und damit auch der Präsenz der Kirche in der Polizei ergeben sich dadurch weitreichende Veränderungen. Den Weg dahin nachzuzeichnen und diese Änderungen zu markieren stellt das Thema der ersten beiden Abschnitte dieses Beitrags dar.2 Welche Konsequenzen sich daraus für das Verständnis der Polizei und die Polizeiseelsorge ergeben, wird sodann in den beiden nachfolgenden letzten Abschnitten thematisiert.

Der Sittlichkeitsstaat als Anordnung Gottes – Grundelemente traditioneller evangelischer Staatsmetaphysik Zwar drängt die Reformation zunächst auf eine Unterscheidung zwischen den Fragen des politischen Zusammenlebens und denen der Heilsvermittlung – und damit auch auf eine Trennung zwischen kirchlicher und weltlicher Machtausübung. Faktisch aber sehen sich die Reformatoren schon bald dazu genötigt, der Staatsmacht eine leitende Funktion für die Kirche zuzubilligen: Nur mit dem Schutz der Landesherren kann die Reformation nach außen wie nach innen bestehen. Die Landesherren garantieren die Integrität der reformatorischen Territorien gegen den Widerstand der Altgläubigen, nach dem Wegfall der kirchlichen Organisationsstrukturen durch die Trennung von der römischen Kirche fallen zudem die Aufgaben kirchlicher Verwaltung an den Landesherrn und die entsprechenden Organe. Luthers bereits in der Adelsschrift eher en passant geäußerte Auffassung von den Fürsten als Notbischöfen sah in diesen zwar wohl wirklich nur den temporären und unausweichlichen Ersatz für die seiner Auffassung nach unchristlichen weil altgläubigen Bischöfe, dennoch nahmen die Landesherren diese ihnen zugeschriebene Funktion schnell bereitwillig auf.3 In der Dauerkontroverse um das Verhältnis zwischen kirchlicher und staatlicher Autorität verstanden es dabei die Landesherren, entgegen der ursprünglichen Intentionen der Reformatoren die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten zu verschieben. Ernst Troeltsch kommentierte diese Verschiebung nicht 2 Vgl. zu dieser Verschiebung ausführlich: Reiner Anselm: Politische Ethik, in: Wolfgang Huber, Torsten Meireis und Hans-Richard Reuter (Hg.): Handbuch der Evangelischen Ethik, München 2015, 195–263. 3 Vgl. zur Thematik James L. Schaaf: Der Landesherr als Notbischof, in: Martin Brecht (Hg.): Martin Luther und das Bischofsamt, Stuttgart 1990, 105–108.

Seelsorge und Polizei: Von der staatlichen Sittenaufsicht zum Dienst am Bürger

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ohne Süffisanz: „In der Theorie regierten Christus und die Schrift in der Gemeinde, praktisch regierten die Landesherrn und die Theologen“4. Der von Troeltsch diagnostizierte Beitrag der Theologen zu dieser Entwicklung bestand in erster Linie darin, das staatliche Gesetz mit einer theologischen Legitimation auszustatten. Die Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Verwendungsformen des Gesetzes dient dabei als Ausgangspunkt. Wenn die Reformatoren im Anschluss an Martin Luther zwischen dem politischen und dem theologischen Gebrauch des Gesetzes unterscheiden, so sprechen sie zwar dem Gesetz die Heilsbedeutung ab: der usus theologicus legis dient ausschließlich dazu, dem Einzelnen die Verfehlungen gegenüber den von Gott in der Heiligen Schrift, insbesondere der ersten Tafel des Dekalogs und den Vorschriften der Bergpredigt, gebotenen Verhaltensweisen deutlich zu machen und ihn Zuflucht bei Gottes rechtfertigender Gnade suchen zu lassen. Allerdings werden gerade die Gebote der zweiten Tafel des Dekalogs als Vorbild für die politischen Gesetze angesehen: Durch das sanktionierende Handeln des Landesherrn soll der in der Sünde begründeten Selbstsucht des Einzelnen und damit vor allem dem Chaos in der Gesellschaft, das durch die Sündhaftigkeit des Menschen droht, entgegengewirkt werden. In der Konsequenz dieses Denkens kommt es in der Folgezeit zur Gleichsetzung von Sittengesetz und Gottes Gebot. Dementsprechend umfassen die Aufgaben der „Polizey“ bis ins 17. Jahrhundert hinein ganz allgemein „die regierung, verwaltung und ordnung, besonders eine art sittenaufsicht in staat und gemeinde und die darauf bezüglichen verordnungen und maszregeln“, wie Grimms Wörterbuch festhält.5 Darum ist im allgemeinsten Sinne „polizei die sorge eines staats oder eines gemeindewesens (unter staatlicher leitung) für das gemeinwohl mittels obrigkeitlichen zwanges“.6 Im Hintergrund steht dabei ein Denken, das mit der antiken Tradition der Überzeugung ist, das Wohl des Einzelnen könne sich am Besten im Kontext des Allgemeinen entwickeln – und dieses Allgemeine repräsentierten eben Kirche und Staat, die beide gleichermaßen als Formen des göttlichen Handelns in der Welt gedacht und verstanden werden. Über diese Figur lösten die reformatorischen Theologen in der Nachfolge Luthers auch die Spannung zwischen dem christlichen Liebesgebot und den Anforderungen staatlicher Zwangsgewalt: Diese Gewalt ist eben auch nur eine Ausdrucksform des Handelns Gottes, sie kann darum auch in pointierter Weise als eine Form göttlicher Liebe dargestellt werden. Nur wo die weltliche Gewalt sich explizit gegen das göttliche Gebot stellt, insbesondere dort, wo sie die Ver-

4 Ernst Troeltsch: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (=Gesammelte Schriften, Bd. 1), Tübingen 1912, 518. 5 Grimms Wörterbuch, München 1999, Bd. 13, 1981. 6 Ebd., 1982.

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kündigung von Gottes Wort behindert, dort ist der einzelne von der Gehorsamspflicht gegenüber dem Staat suspendiert. Mit dem Übergang in die Moderne änderte sich das Koordinatensystem für die Verhältnisbestimmung von Individuum und Allgemeinheit und damit zugleich das Staatsverständnis maßgeblich: Das einzelne Subjekt, der einzelne Bürger, rückt nun ins Zentrum der Ethik und von dort aus auch der politischen Diskurse. Die Pointe aufklärerischer Ethik besteht darin, das Allgemeine, das Gemeinwohl nun nicht mehr als dem Handeln des Einzelnen vorgeordnet zu verstehen, sondern gerade umgekehrt das allgemeine Wohl als Konsequenz rational reflektierten Handelns aufzufassen. Die Ausrichtung des Handelns an den Prinzipien vernünftiger Moral garantiert jene Allgemeinheit, die die von Staat und Kirche tradierten Formen unter den Bedingungen konfessioneller und staatlicher Pluralität und der daraus resultierenden Konflikte nicht mehr sicherstellen können. So sehr durch das Denken der Aufklärung das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Staat auf eine neue Grundlage gelegt wurde, so stark waren doch die Beharrungskräfte auf der Seite der staatlichen Ordnung und auch auf der Seite der Kirche. Gerade die lutherische Staatsphilosophie des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tut sich lange schwer mit dem Gedanken, dass sich das allgemeine Wohl auf der Grundlage sich zusammenfindender und sich gegenseitig respektierender Einzelner bilden könne. Als zu dominant erweist sich hier die lutherische Sündenlehre. Dementsprechend bleibt eine Sichtweise bestimmend, die die Ordnung des Staates als Äquivalent zum göttlichen Willen auffasst, der wiederum das Gemeinwohl garantiert. Verbunden mit den nationalreligiösen Auffassungen konnte sich gerade diese Sichtweise in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur so furchtbar auswirken: In dem restituierten Obrigkeitsstaat der Nationalsozialisten sah man die wiedererstarkte göttliche Ordnungsmacht, während man die Weimarer Demokratie als Ausdruck menschlicher Selbstermächtigung diskreditiert hatte.7 Noch 1956 konnte der damalige Göttinger Theologe Wolfgang Trillhaas konstatieren, die Demokratie stelle das „eigentlich unbewältigte Thema“ des Protestantismus dar.8 Dennoch bedeuteten der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Unrechtsstaates und der Neuaufbruch in eine menschenrechtsgebundene, den Einzelnen mithin als Fundament der staatlichen Ordnung anerkennende Demokratie einen nachhaltigen Wechsel des dominanten Paradigmas im Staatsverständnis. Der Grundgedanke besteht nun darin, dass es sich beim Staat nicht 7 Vgl. dazu Klaus Tanner: Die fromme Verstaatlichung des Gewissens. Zur Auseinandersetzung um die Legitimität der Weimarer Reichsverfassung in Staatsrechtswissenschaft und Theologie der zwanziger Jahre, Göttingen 1989. 8 Wolfgang Trillhaas: Die lutherische Lehre von der weltlichen Gewalt und der moderne Staat, in: Hans Dombois und Erwin Wilkens (Hg.): Macht und Recht. Beiträge zur lutherischen Staatslehre der Gegenwart, Berlin 1956, 22–33, 26.

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selbst um eine gottgegebene Ordnung handelt und dementsprechend auch dessen Organe nicht einfach als Ausdruck des göttlichen Willens gedeutet werden können. Sondern dem Staat wird jetzt die Aufgabe übertragen, den Schutz der personalen Identität des Einzelnen sicherzustellen. Die entsprechende Formulierung des Art. 1 GG, die Menschenwürde zu achten und zu schützen stelle den Maßstab aller staatlichen Gewalt dar, bringt dies prononciert zum Ausdruck. In der theologischen Rezeption dieser Grundgedanken kam besonders der fünften These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 eine Schlüsselrolle zu: Hier wurde, in Aufnahme reformierten Gedankenguts, nicht mehr explizit vom Staat als einer göttlichen Ordnung gesprochen, sondern lediglich davon, dass die Aufgabe des Staates sich Gottes Anordnung verdanke. Diese Aufgabe besteht darin, für Recht und Frieden zu sorgen und in der Garantie von Recht und Frieden liegt auch der Maßstab zur Beurteilung staatlichen Handelns. Die Maßstäbe für dieses Handeln entstammen jedoch der Vernunft, nicht unmittelbar einem göttlichen Gebot. Der dadurch gegebenen theologischen Depotenzierung des Staates entspricht es, dass er als Bestandteil der noch nicht erlösten Welt klassifiziert und so eschatologisch relativiert wird.

Auf dem Weg zur Akzeptanz des demokratischen Rechtsstaats – Umgestaltungen evangelischer Staatslehre in der Bundesrepublik Trotz dieser Anknüpfungspunkte, trotz zahlreicher Vorarbeiten in der akademischen Theologie dauerte es dennoch bis 1985, ehe der deutsche Protestantismus diese Zustimmung zur staatlichen Ordnung des Bonner Grundgesetzes auch explizit zur Geltung brachte. Erst in der Demokratiedenkschrift wurde die Affinität des evangelischen Glaubens zur freiheitlichen Demokratie herausgestellt und damit zu einer grundsätzlich auf den durch die Kodifizierung der Menschenwürde und der Grundrechte gesicherten Freiheiten der Bürger aufbauenden Staatsordnung, die ihre Legitimität durch die Bürger erhält. Diese werden ihrerseits zur Wahrnehmung von politischer Verantwortung und zur Gestaltung des Staates aufgerufen. Zugleich distanziert sich der Protestantismus explizit von seiner eigenen etablierten Staatslehre, die so unheilvolle Folgen bewirkt hatte. Unmissverständlich wird festgehalten: „Die Zustimmung zur Demokratie schließt evangelische Selbstkritik ein an solchen theologischen Überzeugungen, die sich der Forderung nach politischer Selbständigkeit der Bürger in den Weg gestellt haben. Diese Korrektur ruft zugleich dazu auf, unsere eigene evangelische Tradition neu zu verstehen. Die politische Verantwortung ist im Sinne Luthers ‚Beruf‘ aller Bürger in der Demokratie.“9 9 Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1985, 16.

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In der Folge dieser Korrektur wird die evangelische Sicht des Staates gewissermaßen vom Kopf auf die Füße gestellt. Nun verläuft das Legitimationsgefälle nicht mehr vom Staat zum Bürger, wobei der Staat als Anordnung Gottes gesehen wird, der das individuelle Verhalten der Menschen zu regulieren habe, sondern die biblische Vorstellung vom Staat als göttlicher Anordnung wird jetzt ausgelegt als Aufforderung an die Bürger, ihre politische Verantwortung als diejenigen, die den Staat bilden, wahrzunehmen, und diese Auslegung wird explizit als Weiterentwicklung der Barmer Theologischen Erklärung verstanden: „Wenn wir heute von der nach ‚göttlicher Anordnung‘ dem Staat zukommenden Aufgabe (Barmen V) sprechen, dann richtet sich diese ‚Anordnung‘ in einer Demokratie in erster Linie an die politische Verantwortung der Bürger, die den Staat bilden. Die Art und Weise, wie der Staat durch die Staatsorgane seine Aufgabe wahrnimmt, ist von der politischen Verantwortung der Bürger abgeleitet; sie ist ihr nicht übergeordnet“10. Die fundamentale Umbildung im evangelischen Staatsverständnis nach 1945, die ihren vorläufigen Endpunkt in der Demokratiedenkschrift fand, blieb im Protestantismus keineswegs unumstritten. Dabei weist der Kern der Auseinandersetzung in der Frühphase der Bundesrepublik bereits die Richtung für eine heutige systematisch-theologische Würdigung der Vereinbarungen über die Seelsorge im Bundesgrenzschutz bzw. der Bundespolizei: Strittig ist nämlich, in welcher Weise die Präsenz christlicher Grundsätze in der Gesellschaft gedacht werden sollte. Einig war man sich in der – aus heutiger Sicht zumindest sehr viel stärker zu differenzierenden – Überzeugung, dass der Irrweg in die Barbarei des Nationalsozialismus in einer mangelnden Präsenz christlicher Überzeugungen im öffentlichen Raum begründet war. Sollte ein erneutes Abgleiten Deutschlands in die Diktatur verhindert werden, so müsse sichergestellt werden, dass die Grundsätze christlicher Lebensgestaltung sich auch im öffentlichen Leben als prägend erweisen könnten. Jede Beschränkung des christlichen Glaubens auf eine Privatsphäre der Innerlichkeit, wie sie in der Kirchenpolitik des nationalsozialistischen Staates nach dem anfänglichen Bekenntnis zum „positiven Christentum“11 immer eindeutiger zum Ausdruck gekommen war, wurde daher von kirchlicher Seite vehement zurückgewiesen. Kontrovers war jedoch, wie dieser Präsenz christlicher Überzeugungen in der Sphäre des Politischen garantiert werden sollte. Die bereits kurz angesprochene, traditionelle Auffassung des Luthertums, die in der Ordnung des Staates selbst die Verkörperung von Gottes Wirken in der Welt gesehen hatte, war nach dem Kirchenkampf und dem 10 Ebd., 17. 11 So hieß es im § 24 des – unveränderbaren – Parteiprogramms des NSDAP vom 24. Februar 1920, dass die „Partei als solche […] den Standpunkt eines positiven Christentums“ vertrete; vgl. Kirchliches Jahrbuch Jg. 60–71, 1933–1944, Gütersloh 1948, 12.

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mehrheitlichen Versagen des Protestantismus im Widerstand gegen den Nationalsozialismus weitgehend in die Minderheit geraten. Um die Nachfolge dieses Denkens bewarben sich zwei Konzepte, zwischen denen es in der Theologie und der Kirchenpolitik zu einer teils heftigen Auseinandersetzung kam – zusätzlich angefacht durch die mit diesen Konzepten jeweils verbundenen politischen Optionen: Auf der einen Seite vertraten Theologen wie Helmut Thielicke und vor allem die in dem von Eberhard Müller, dem Leiter der Akademie in Bad Boll, gegründeten Kronberger Kreis versammelten Protestanten12 die Auffassung, dass es die Aufgabe christlich geprägter Akteure in Politik und öffentlichem Leben sei, die angesprochenen christlichen Grundsätze im gesellschaftlichen Zusammenleben zu vertreten und ihnen zur Durchsetzung zu verhelfen. Auf der anderen Seite reklamierten Theologen insbesondere des bruderrätlichen Flügels der Bekennenden Kirche, die sich der Theologie Karl Barths und der von ihm skizzierten Zuordnung von Christentum und Politik als der Beziehung zwischen Christengemeinde und Bürgergemeinde dachten, ein besonderes Wächteramt der Kirche. Sie ist es, die die Grundsätze des christlichen Glaubens für die Sphäre des Politischen artikuliert.13 Die spezifische Unschärfe des evangelischen Kirchenbegriffs, der ebenso ein Verständnis von Kirche als den glaubenden Einzelnen umfassen konnte wie die Vorstellung von der Kirche als communio, als christlicher Gemeinde oder aber eben auch als Kirchenorganisation, tat in diesem Konflikt ein Übriges. Strittig war damit, ob der einzelnen Überzeugung oder der kirchlich formulierten Auffassung der Primat zukommen sollte. Während dabei die Angehörigen des Kronberger Kreises ein Modell westlicher Demokratie favorisierten und daher auch für die Westintegration der jungen Bundesrepublik – und damit für die Politik Adenauers – optierten, vertraten die Theologen im Umfeld Karl Barths eher einen gesamtdeutsch ausgerichteten christlichen Sittlichkeitsstaat, in dem die Kirche eine tragende, weil die Leitlinien des politischen Handelns formulierende Rolle spielen sollte. Zurecht ist dabei immer wieder festgestellt worden, dass gerade die Akzeptanz der Volkssouveränität und der Selbstkonstitution des modernen demokratischen Verfassungsstaates das unerledigte Problem der evangelischen Staatslehre darstellen. Auch wenn die theologische Legitimierung des Staates ein wesentlicher Faktor für die mangelnde Kritikfähigkeit des Protestantismus im Gegenüber zum Obrigkeits- und später vor allem zum totalitären Staat war, hielt sich doch in der Vorstellung vom Wächteramt die Auffassung einer besonderen, nämlich transzendenten Be12 S. dazu Thomas Sauer: Westorientierung im deutschen Protestantismus? Vorstellungen und Ta¨tigkeit des Kronberger Kreises (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit 2), Mu¨ nchen 2009. 13 Vgl. dazu insbesondere Ernst Wolf: Die Königsherrschaft Christi und der Staat, in: Ders. und Wilhelm Schmauch: Königsherrschaft Christi. Der Christ im Staat (Theologische Existenz heute, NF 46), München 1958, 20–61.

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gründungsbedürftigkeit des Staates. Ein deutliches Zeichen dafür ist die spätere Rezeption des sog. Böckenförde-Theorems, „der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist“.14 Im Hintergrund steht dabei das Interesse, den Emanzipationsbestrebungen des Staates entgegenzuwirken und für die Kirche ein Monopol im Blick auf die Legitimitätsbeschaffung staatlichen Handelns zu reklamieren. Im Gedanken des Öffentlichkeitsauftrags der Kirche, der nach dem Vorbild des Loccumer Vertrags vom 19. März 1955 in vielen geschlossenen Staatskirchenverträgen festgeschrieben wurde, fand man eine Kompromissformel, in der sich beide Seiten wiederfinden konnten – wenn man denn Kirche in der eben beschriebenen unterschiedlichen Weise auslegen wollte. Denn auch wenn es in der Logik eines solchen Vertragsschlusses liegt, dass dabei von der Koordination zwischen der verfassten Kirche und dem Staat gehandelt wird, ist die Formel doch offen genug für eine gemeindekirchliche Interpretation und auch für eine Auslegung, die den Akzent auf der vom Einzelnen im Raum des Politischen vertretenen christlichen Auffassung legt.

Vom Instrument der Obrigkeit zum Dienst am Bürger – Auswirkungen auf das Polizeiverständnis Es kann nun kein Zweifel daran bestehen, dass diese grundlegenden Akzentverlagerungen im evangelischen Staatsdenken Auswirkungen auf die Aufgabenbeschreibung der Polizei und damit der staatlichen Ordnungsmacht haben. Während traditionell der Polizei – und zwar sowohl im weiteren wie im engeren Sinn verstanden – als Ausdruck von Gottes Wirken in seiner Welt verstanden wurde, verändert sich nun die Legitimationsgrundlage. Die Polizei wie das staatliche Handeln überhaupt sind nun die Konsequenz einer Selbstbindung der Bürger durch Verfassung und Recht, die in der Rechtsetzung ebenso zum Ausdruck kommt wie in der Rechtsdurchsetzung. Dabei bleibt letztere notwendig und strikt an erstere gebunden. Denn im Unterschied zur Rechtsetzung, die sich auch inhaltlich auf die Übertragung von Macht durch Prozesse demokratischer Mitbestimmung stützen kann, ist dies im Fall der Rechtsdurchsetzung nur sehr eingeschränkt der Fall. Das dem Staat und seinen Exekutivkräften übertragene Monopol zur Ausübung von Gewalt muss strikt begrenzt sein durch die Aufgaben, die sich aus dem Recht als freiheitsbewahrendem Garanten für das Zu14 Ernst Wolfgang Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: ders., Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt/M. 1992, 92–114, 112.

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sammenleben ergeben. Wie für den Staat als Ganzen ergibt sich auch für die unterschiedlichen Handlungsformen staatlicher Verwaltung die Legitimation nur aus der Funktion für die Einzelnen, deren Zusammenleben er sichert und deren Entfaltung er ermöglicht und unterstützt. Das Wohlergehen des Einzelnen, nicht die Aufrechterhaltung einer sittlichen Ordnung bildet so die Grundlage und die Grenze des Staates. Dabei ist zudem wesentlich, dass diese Aufgabe sich aus der in der demokratischen Partizipation gegebenen Legitimation ableitet, sich also staatliches Handeln auf allen Ebenen auf der Autorisierung durch die Bürger gründet und ihnen nicht, wie das die traditionelle Staatsmetaphysik dachte, als freiheitsbegrenzende oder Sittlichkeit garantierende Ordnung Gottes gegenübersteht. Jede Exekutivgewalt muss damit der Demokratie als Lebensform in dem oben entwickelten Sinne entsprechen. Zwei Aspekte sind dabei besonders hervorzuheben: einmal die weltanschauliche Zurückhaltung des Staates, sodann ein Selbstverständnis der Exekutive, die sich selbst als Dienstleistungsinstanz gegenüber den Bürgern versteht. Zur weltanschaulichen Zurückhaltung der Exekutive gehört es, Eingriffe in die individuelle Form der Lebensführung auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken und im Zweifelsfall der Freiheit den Vorrang vor der Regulierung zu gewähren – unter dem Vorbehalt, dass die im politischen Prozess gefundenen Lösungen auch von denen akzeptiert werden können, die die Überzeugungen nicht teilen, aus denen heraus die entsprechenden Regeln formuliert wurden. Zum Selbstverständnis der Exekutive als einer der Freiheit aller verpflichteten Dienstleistungsinstanz gehören sodann auch transparente Strukturen, die mit nachvollziehbaren Entscheidungswegen dem Partizipationsideal der Demokratie entspricht und – etwa durch die direkte Adressierung des Exekutivpersonals – auch deutlich macht, dass die Einzelnen als Bürger, nicht als Vertreter einer davon unabhängigen oder übergeordneten Staatsmacht agieren. Das Vorhandensein klarer Zuständigkeiten, die einer Verantwortungsdiffusion entgegenwirken, ist hier ebenso unabdingbar wie eine Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Entscheidungen der Exekutive überprüfbar und einklagbar macht. Denn wie andere Teile des politischen Systems ist jedoch auch die Exekutivgewalt ständig der Versuchung ausgesetzt, sich und ihre Eigenrationalitäten zum Maßstab des Handelns zu erheben. Im Extremfall kann das zur Rückkehr des Obrigkeitsstaats führen, der seine Bürger als Untertanen betrachtet. Diese Gefahr besteht immer dann, wenn sich die Akteure des Staates einem eigenen, material qualifizierten Staatsideal verpflichtet sehen und dabei unterschiedliche, aus der im Rahmen des Rechts verwirklichten Freiheit entstehende, Handlungsformen als Bedrohung der eigenen Vorstellung empfinden. Die Übergriffe der Exekutive bei Demonstrationen, aber auch das Sammeln von Informationen über die eigene Bevölkerung sind Beispiele für die mögliche Rückkehr eines solchen Obrigkeitsstaates. Konkreter für Polizeieinsätze formuliert: Die Ge-

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waltanwendung ist stets an den Maßstäben auszurichten, die für ein der Freiheit verpflichtetes Gemeinwesen gelten. Willkürliche, unverhältnismäßige Gewalt, etwa bei Demonstrationen oder auch im Strafvollzug, ist damit ebenso unvereinbar wie Folter und Unproportionalität der Mittel. Umgekehrt ist allerdings auch mit demselben Nachdruck Zurückhaltung auf der Seite der Bürger im Rahmen von politischen Kundgebungen zu fordern. Exekutivkräfte repräsentieren das Gemeinwesen, keinen Obrigkeitsstaat. Übergriffe oder Provokationen, die sich gegen Polizeikräfte richten, sind daher mit Nachdruck abzulehnen. Aus dem Dargestellten ergibt sich zugleich, dass einer Berufung auf das eigene Gewissen im Rahmen eines Widerstands gegen die Staatsgewalt engste Grenzen gesetzt sind. Der Ort der Opposition in einem Rechtsstaat ist der politische Prozess. Zeichenhandlungen und auch Widerstand gegen die Rechtsordnung können sich keiner grundsätzlich höheren ethischen Legitimität verdanken. Sie sind nur dort ethisch akzeptabel, wo sich der Einzelne durch Maßnahmen der Exekutive oder der Legislative im Kern seiner Persönlichkeit tangiert sieht, insbesondere dann, wenn ihm dadurch das Realisieren seiner eigenen weltanschaulichen Überzeugung unmöglich zu sein scheint. Dennoch suspendiert ein solcher Rekurs auf das eigene Gewissen nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der Gesetze, solange diese sich in Einklang mit den Grundrechten befinden und parlamentarisch legitimiert sind. Darüber hinaus gilt, dass allein unmittelbares, persönliches Betroffensein einen solchen Rekurs auf das Gewissen und einen entsprechenden Widerstand gegen Recht und Staatsgewalt legitimiert. Umgekehrt gilt aber auch, dass einem Rekurs auf das persönliche Gewissen auf der Seite von Exekutivkräften, auch und gerade im Fall der Polizei, enge Grenzen gesetzt sind. Die Polizeikräfte stellen keine durch individuelle weltanschauliche Überzeugungen oder Werte bestimmte gesellschaftliche Ordnung sicher, sondern repräsentieren den demokratisch legitimierten Rechtsstaat und dessen Werteordnung. Im Unterschied zu der auf die Reformatoren zurückgeführten Unterscheidung zwischen einer Amts- und einer Individualmoral gilt dabei unter den Bedingungen des Rechtsstaats, dass die Amtsmoral eben kein Durchgreifen göttlicher Ordnungsvorstellungen darstellt, sondern sich der demokratisch legitimierten, parlamentarischen Urteilsbildung verdankt. Die sich daraus ableitende, strikte Bindung an das Recht bei gleichzeitiger Äquidistanz zu widerstreitenden politischen Positionen ist vor diesem Hintergrund für die Arbeit der Exekutive, insbesondere für die Polizeikräfte, deren Präsenz immer bereits mit Machtausübung verbunden ist, von herausragender Bedeutung. Gerade weil es diese Korrelation zwischen Polizeieinsatz und Machtausübung gibt, ist darauf zu achten, dass bei polizeilichem Handeln auch in den Einzelaktionen deutlich wird, dass allein die Sicherung der rechtstaatlichen Ordnung, nicht die Parteinahme oder gar Durchsetzung für eine bestimmte politische Option Aufgabe der Polizei sein kann.

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Es ist nicht zu übersehen, dass sich hier unter den Bedingungen weltanschaulicher Pluralisierung deutliche Probleme ergeben können, die entstehen, wenn der gemeinsam getragene Konsens über die Werteordnung des Staates und dessen demokratische Legitimierung fragil wird und zugleich die unterschiedlichen, wert- und weltanschauungsbasierten Überzeugungen zunehmen. Dabei bilden sich die entsprechenden Spannungen innerhalb der Gesellschaft auch in der Polizei selbst ab, die in ihrem Aufgabenspektrum, aber auch in ihrer eigenen Zusammensetzung an den Individualisierungs- und Pluralisierungsprozessen moderner Gesellschaften in vollem Umfang partizipiert. Das bedeutet nicht nur, dass Exekutivkräfte als solche häufiger in Konfliktsituationen geraten, wo, etwa in Fragen der Flüchtlings- oder Umweltpolitik, polarisierte Positionen aufeinandertreffen. Es bedeutet zudem, dass es zu immer größeren Spannungen kommen kann zwischen den persönlichen Überzeugungen der Einsatzkräfte und denen der Mitglieder der Gesellschaft, die einen solchen Einsatz notwendig werden lassen. Und schließlich ergibt sich dadurch auch eine wachsende positionelle Pluralität auf der Seite der Polizistinnen und Polizisten. Diese Pluralität erhöht zwar den internen Verständigungsbedarf und kann auch zu einer wachsenden Distanz zwischen den eigenen Auffassungen und den zu schützenden Rechtsgütern und den darauf basierenden politischen Entscheidungen beitragen. Sie wirkt aber zugleich auch einer möglicherweise zunehmenden Spannung zwischen den Sicherheitskräften und der Bevölkerung entgegen, insofern eine Vielzahl von gesellschaftlichen Überzeugungen auch innerhalb der Polizei repräsentiert wird. In all diesen Fällen verlangt eine Ethik der Machtordnungsverhältnisse15 eine Zurückhaltung in Fragen des Guten auf der Seite der Einsatzkräfte. Aus dieser Zurückhaltung darf freilich nicht gefolgert werden, dass diese Fragen für das Zusammenleben im Gemeinwesen irrelevant sind. Auch wenn sich westliche Demokratien durch eine große Enthaltsamkeit in den Fragen des Guten ausgezeichnet haben und gerade deswegen Integration über die Rechtsordnung aufbauen konnten, wird doch in fortgeschritten modernisierten Gesellschaften deutlich, dass es eine Grenze solcher Enthaltsamkeit gibt16. Allerdings ist es notwendig, dass die Fragen des Guten im Rahmen des Rechtsetzungs- und nicht des Rechtsdurchsetzungsprozesses thematisch werden. Eine solche Zurückhaltung bedeutet jedoch nicht, dass es keine ethische Verantwortung der einzelnen Handelnden für ihre Taten gebe, wenn diese im Rahmen eines Einsatzes geboten sind. Diese Auffassung, die sich leider in ihren Wurzeln ebenfalls auf die reformatorische Unterscheidung von Amts- und Privatmoral zurückführen lässt, 15 Vgl. dazu Trutz Rendtorff: Die gute Regel als Weg des guten Lebens. Bemerkungen zu einer Ethik der Machtordnungsverha¨ ltnisse, in: ZEE 33 (1989), 98–108. 16 S. dazu die instruktive Monographie von Rahel Jaeggi: Kritik von Lebensformen, Berlin 2014.

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entspricht nicht den Kriterien ethisch verantwortlichen Handelns, die wie für jeden Bürger auch für die Vertreter der Exekutive verpflichtend sind. Allerdings besteht der Kern einer solchen ethischen Verantwortung in der Verpflichtung auf die Grundsätze des Rechtsstaats – im Übrigen auch dann, wenn eine direkte Vorgabe der Einsatzleitung dem entgegensteht.

Konsequenzen für das Verständnis der Polizeiseelsorge Das Selbstverständnis und die Ausgestaltung der Polizeiseelsorge fügen sich ein in die hier skizzierten Wandlungsprozesse. Dabei entspricht es zunächst dem Selbstverständnis des Protestantismus nach 1945, darauf zu beharren, dass die Präsenz weltanschaulicher Orientierung im Raum der Polizei nicht durch den Staat verantwortet werden könne. In einer solchen Konstellation würde, so die Befürchtung, die Religion zur Durchsetzung staatlicher Machtansprüche missbraucht. Dies aber entspreche weder dem Selbstverständnis der Kirche, die sich als kritisches Gegenüber zum staatlichen Handeln zu profilieren habe, noch dem Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates, die im Grundgesetz verankert worden war. Zudem ist es für den bundesdeutschen Nachkriegsprotestantismus eben auch wesentlich, im Glauben nicht allein eine private Sinnorientierung zu sehen, sondern ihn als eine Korrektur- und Motivationsinstanz für das ethische Handeln des Einzelnen zu verstehen. Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, dass der Protestantismus zunächst mehrheitlich darauf drängte, über die Präsenz der Kirche in der Polizei nicht nur Individualseelsorge zu ermöglichen, sondern auch ein Wächteramt gegenüber dem Staat, präziser: gegenüber der staatlichen Machtausübung durch Polizeikräfte sicherzustellen. Diese selbst gestellte Aufgabe entsprach zudem dem Seelsorgeverständnis der 1950er-Jahre, in denen man versuchte, aus der Zurückdrängung der Seelsorgeaktivitäten in den Privatbereich herauszufinden und wieder weite Kreise der Bevölkerung ansprechen zu können, wobei man seelsorgerliches Handeln im Wesentlichen als Verkündigung und damit als Wegweisung der Kirche für den Einzelnen verstand.17 Es liegt auf der Hand, dass diese Zielsetzung durchaus in Konflikt geraten konnte mit einer Vorstellung der Polizeiaufgaben, die diese konsequent an den Maximen des Rechtsstaats ausrichten wollte. Allerdings darf dabei auch nicht übersehen werden, dass gerade in den Anfangsjahren der Bundesrepublik sich auf der Seite der Polizei auch noch die Auffassung halten konnte, hier werde eine besondere Autorität verkörpert, der sich die Einzelnen bedingungslos unterzuordnen hätten. 17 Vgl. dafür als zeitgenössischen Beitrag Gottfried Holtz: Art. Seelsorge, in: RGG3, Bd. 5, 1640– 1647.

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Dennoch gelang es mit der Verabschiedung der Vereinbarung u¨ ber die evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz vom 18. Oktober 1965 die Präsenz der Kirche in der Polizei auf eine Grundlage zu stellen, die über punktuelle einseitige Aktivitäten durch einzelne Geistliche oder Akademietagungen zur Berufsethik hinausging. Diese zunächst für die Bundesebene geschlossene Vereinbarung wurde in der Folgezeit stilbildend für andere Regelungen auf Länderebene.18 Hier wurde den beiderseitigen Interessen insofern Rechnung getragen, als für die Polizeiseelsorge nach dem Vorbild der Militärseelsorge eine doppelte Bindung festgehalten wurde: Die Polizeiseelsorger sind zwar in die Struktur der Polizei eingebunden und stehen in einem staatlichen Dienstverhältnis, Auftrag und Dienstaufsicht wird aber von der Seite der Kirche ausgeübt. Dabei dominiert zunächst weiterhin die Vorstellung eines Wächteramts, die allerdings schon bald transformiert wird in eine Auffassung, die die Aufgabe der Seelsorge primär darin sieht, in kritischer Solidarität den Einsatz für rechtsstaatliche Prinzipien und inneren Frieden zu unterstützen. Darüber hinaus gilt es, durch die institutionelle Präsenz von Religion am Ort staatlicher Gewaltausübung gerade die Differenz von Religion und Politik herauszustellen und damit jene religiöse Aufladung staatlichen Handelns zu verhindern, die zu Recht als Wurzel der problematischen Staatsethik des deutschen Protestantismus identifiziert wurde. Charakteristisch dafür hält Werner Schiewek unter Berufung auf Dietrich Bonhoeffers Unterscheidung zwischen Letztem und Vorletzten summarisch fest: Die Polizeiseelsorge „dient […] der ‚Wegbereitung für das Wort‘ (Dietrich Bonhoeffer), denn mit ihrer kritischen Solidarität mit dem Staat geleisteten Arbeit in diesem Bereich der Organisation des Gewaltmonopols trägt die Polizeiseelsorge ihren Teil dazu bei, ‚für das Vorletzte Sorge zu tragen, in dem Sinne, dass nicht das Letzte durch Zerstörung des Vorletzten verhindert werde‘“19. Im weiteren Verlauf führt jedoch die geschilderte Pluralisierung zu einer weiteren Akzentverlagerung in der Seelsorge: Nun erscheint es immer weniger möglich, eine klare, wegweisende Position der Kirche in den Handlungsfragen der Polizei zu formulieren. Stattdessen erscheint es als geboten, die ethische Persönlichkeit der einzelnen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten zu stärken und diese so in Stand zu setzen, situativ und ethisch verantwortlich zu entscheiden. Dem entspricht es, dass der berufsethische Unterricht sachgerecht nun 18 Zu den geschichtlichen Entwicklungen vgl. insbes. Wolfgang Hinz: Geschichtliche Entwicklung der Polizeiseelsorge, in: Kurt Grützner, Wolfgang Gröger, Claudia Kiehn und Werner Schwiewek (Hg.): Handbuch Polizeiseelsorge, Göttingen 2006, 50–60. 19 Werner Schiewek: Polizeiseelsorge und ihre theologischen Grundlagen, in: Handbuch der Polizeiseelsorge (wie Anm. 17), 29–38, 38 unter Berufung auf Dietrich Bonhoeffer: Ethik, hg. von hg. v. Ilse Tödt, Heinz Eduard Tödt, Ernst Feil und Clifford Green (=DBW 6), München 1992, 143.

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zur Aufgabe der Polizeiseelsorge wird, eine Verschiebung, die aus der Sicht einer am Bürger und dessen Verantwortung orientierten politischen Ethik, wie sie hier vertreten wurde, ausdrücklich zu begrüßen ist. Zudem korrespondiert diese Veränderung auch einem neuen Verständnis der Seelsorge, das nun weniger auf Verkündigung, als auf die Stärkung des Einzelnen durch den Glauben abzielt. Allerdings wird man darauf drängen müssen, dass eine solche auf den Einzelnen und seine ethische Kompetenz abzielende Weiterbildung selbst eine Professionalisierung im Bereich der Polizeiseelsorge nach sich ziehen muss: Die ethische Ausbildung und die individuelle seelsorgerliche Begleitung sollten durch verschiedene, auch verschieden qualifizierte Personen wahrgenommen werden, damit nicht der immer auch mit dienstlichen Aufgaben und Beurteilungen verbundene Unterricht vermischt wird mit der Zuwendung zum Einzelnen und seinen spirituellen Bedürfnissen. Die Fähigkeit, ethisch-situativ kompetent zu entscheiden und sich dabei bewusst zu werden, welch zentrale Rolle weltanschauliche Orientierungen für ethische Fragestellungen haben auf der einen Seite, die Möglichkeit, auch Fehler und individuelle Belastungen im geschützten Raum des seelsorgerlichen Gesprächs artikulieren zu können auf der anderen Seite sollten durch die organisatorische und personelle Trennung von Seelsorge und ethischer Ausbildung als zwei unterschiedliche Dimensionen der Präsenz von Religion in der Polizei zum Ausdruck gebracht werden.

Johanna Rahner

Polizeiseelsorge als ‚Ernstfall‘

Vom ‚Ernstfall‘ ist immer dann die Rede, wenn es zur Sache geht, wenn die Entwicklung einer Angelegenheit jenseits aller vorläufigen und verdeckenden sekundären Faktoren zu ihrem herausfordernden und entscheidenden Punkt vordringt, auf den es letztlich ankommt. In diesem Sinne ist Polizeiseelsorge ein Ernstfall. Und sie ist es in unterschiedlichen Perspektiven.

Der religionspolitische Ernstfall Als klassische ‚res mixta‘ findet sich die Polizeiseelsorge gerade in jenem Schnittfeld von Religion und Politik wieder, die die Eigenart des bundesrepublikanischen religionspolitischen Gefüge deutlich werden lässt. Gemeint ist jenes hierzulande geübte, ‚kooperative‘ Verständnisses des Verhältnisses von Religionsgemeinschaften und säkularem Staatswesen – die berühmte ‚hinkende Trennung von Staat und Kirche(n)‘. Zwar fordert das neuzeitliche Autonomiebewusstsein – so Jürgen Habermas in seiner Analyse des gegenseitigen Lernprozess von säkularer Vernunft und Religion, der allein dem demokratischen Verfassungsstaat als ‚vernunftrechtlich konstruiertem Gebäude‘ angemessen ist –, „den Abstand zu einer religiösen Überlieferung“ ein, gleichwohl, so Habermas weiter, zehren wir „von deren normativen Gehalten“ (Glauben 20) 1. Denn religiöse Überlieferungen besitzen „für moralische Intuitionen, insbesondere im Hinblick auf sensible Formen eines humanen Zusammenlebens, eine besondere Artikulationskraft. Dieses Potential macht religiöse Rede bei entsprechenden politischen Fragen zu einem ernsthaften Kandidaten für mögliche Wahrheitsgehalte, die dann aus dem Vokabular einer bestimmten Religionsgemeinschaft in 1 Die Seitenangaben im Text beziehen sich im Folgenden auf die Preisrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2001: ‚Glauben und Wissen‘, Frankfurt 2001 [zit.: Glauben] und den Beitrag ‚Religion in der Öffentlichkeit. Kognitive Voraussetzungen für den ‚öffentlichen Vernunftgebrauch‘ religiöser und säkularer Bürger, in: ders. Zwischen Naturalismus und Religion, Philosophische Aufsätze, Frankfurt 2005, 119–154 [zit.: Religion].

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eine allgemein zugängliche Sprache übersetzt werden können“ (Religion 137). Darum ist es notwendig, dass die Weltreligionen „innerhalb des differenzierten Gehäuses der Moderne einen Platz [behaupten], weil ihr kognitiver Gehalt noch nicht abgegolten ist. Jedenfalls ist nicht auszuschließen, dass sie semantische Potentiale mit sich führen, die eine inspirierende Kraft für die ganze Gesellschaft entfalten, sobald sie ihre profanen Wahrheitsgehalte preisgeben“ (Religion 149). Nur so entgeht die postsäkulare Gesellschaft „der schleichenden Entropie der knappen Ressource Sinn“ in ihrem eigenen Haus (Glauben 29). Dabei sind es gerade moralische Empfindungen, „die bisher nur in religiöser Sprache hinreichend differenzierten Ausdruck besitzen“; sie „können allgemeine Resonanz finden, sobald sich für ein fast schon Vergessenes, aber implizit Vermisstes eine rettende Formulierung einstellt“ (Glauben 29). Darum muss gerade der moderne demokratische Rechtsstaat ein vitales Interesse daran haben, dass die religiöse Orientierungen seiner Bürger und Bürgerinnen fruchtbar gemacht werden. Denn es sind gerade moralische Empfindungen, für deren Formulierung Religionen differenzierte und kulturell tief verankerte Ausdrucksformen entwickelt haben. Daher räumt in der „säkularen Rechtsordnung der pluralistischen Gesellschaft […] der Staat bewusst Raum ein für eine Botschaft und ein Bündel von Lebensentwürfen, die das Politische transzendieren und nicht selten auch im politischen Raum anstößig sind. Der Staat tut dies im Wissen darum, dass er die Frage nach einem gelingenden Leben, nach Heil und Erlösung, nicht politisch beantworten kann. Das politische Gemeinwesen ist darauf angewiesen, dass kulturelle, ethische und geistliche Ressourcen für Bürgerinnen und Bürger zugänglich sind, damit sie eigene Lebensentwürfe artikulieren und gestalten können. In diesem »Wettbewerb« und in dieser Kooperation der Entwürfe für ein gelingendes Leben steht das Evangelium und steht die Erinnerungsaufgabe der Kirche“2. Indes lassen sich die konkreten Konturen dieser Erinnerung noch etwas exakter bestimmen. Es ist gerade die Grundidee biblischer Anthropologie, die insbesondere die erste Schöpfungserzählung mit dem Gedanken der Gottesebenbildlichkeit verbindet (vgl. Gen 1,27) und die sich notwendige daraus ergebende anthropologische Konsequenz der Beziehung von Gott und Mensch3, in der sich jene, im säkular-nachaufklärerischen Autonomiebegriff niemals erschöpfend erfassbare und auslotbare Grundlegung einer nicht verzweckbaren Würde des Menschen artikuliert, die Jürgen Habermas einmal als ‚Intuition‘ der jüdisch-christlichen Tradition bezeichnet hat, „die auch dem religiös Unmusikalischen etwas zu sagen 2 N. Schneider, Kirchliches Wächteramt – Auftrag oder Anmaßung? In: epd-Dokumentation Nr. 16 vom 15. 4. 2014, 4–8, 6 f. 3 Vgl. M. Striet, Grenzen der Übersetzbarkeit. Theologische Annäherungen an Jürgen Habermas, in: R. Langenthaler/H. Nagl-Docekal (Hg.), Glauben und Wissen. Ein Symposion mit Jürgen Habermas, Wien 2007, 259–282, 269f; 273 ff.

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hat“ (Glauben 30). Hierin begründet sich jene, dem jüdisch-christlichen Glauben eigene ‚Anwaltschaft‘, „die sich dazu bestimmt, dem anderen Menschen seine Würde schulden zu wollen, seinem um Anerkennung seiner Würde bittenden Blick nicht auszuweichen. Dies meint Autonomie. Dem anderen Menschen schulden zu wollen, was dieser zum Leben benötigt, und gerade darin wahrhaft Mensch zu sein“4. Biblische Anthropologie kreist um diesen Glutkern und nimmt von ihm die entscheidende Energie der Fundierung einer Anthropologie der Subjektivität und der Freiheit. Es zielt auf das nervöse Zentrum einer unverlierbaren Würde des Menschen, die sich theologisch am Ebenbildgedanken festmacht und gerade daraus den Gedanken der Unverwechselbarkeit entwickelt, der die Dimension der Freiheit trotz Herkünftigkeit und die Tiefendimension der Einmaligkeit als bleibend Verpflichtendes stark macht. Nicht ‚Du sollst‘ oder ‚Du musst‘, sondern ‚Du bist‘! Du musst dir dein Dasein, dein Leben, dein ‚Du-selbstsein-dürfen‘ nicht machen, verdienen, rechtfertigen, weder durch moralisches Spitzenverhalten, noch durch das, was du selbst leistest und dir daher ‚leisten‘ kannst. Es genügt, dass es dich gibt, weil Gott gesagt hat: ‚Sei!‘ und: ‚Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen!‘ Nur im Horizont einer solch grundlegenden, transzendenten Bejahung entkommt der Mensch wirklich jener prinzipiellen ‚Angst ums Dasein‘, in die jede auf sich allein gestellte, rein aufs Diesseits konzentrierte Existenz notwendig gerät.5 Darum ist es gerade die „Rede von der Würde des Menschen“, die darauf hinweist, „dass der Mensch im Vorhandenen nicht aufgeht und sein Wert in keiner innerweltlichen Beziehung umfassend definiert werden kann. Der Wert eines Menschen kann weder durch seine Eigenschaften noch durch seine Taten begründet werden. Seine einzigartige, unverlierbare Würde gewinnt er vielmehr aus der freien Zuwendung Gottes. Die Fähigkeit zum Überschreiten innerweltlicher Zusammenhänge findet für Christinnen und Christen ihren Ausdruck in der auch im Versagen und auch angesichts der Sündhaftigkeit des Menschen tragenden Gottesbeziehung. Für die menschliche Freiheit kann aus dieser Beziehung ein Maß für eine ihr entsprechende Lebensform gewonnen werden. Glauben lässt sich in dieser Perspektive verstehen als eine Form und Kraft der Stellungnahme zu den Grunddimensionen des Lebens, die sich am Willen Gottes als dem Inbegriff des Guten und des gelingenden Lebens orientiert. […] Wem so seine Angst genommen und Lebensmut geschenkt wird, der kann auch andere ermutigen. Der kann der Gesellschaft und dem demokratischen Gemeinwesen

4 M. Striet, Verteidiger der Religion. Zu einem neuen Buch von Jürgen Habermas: HerKorr 59, 2005, 508–512, hier 512. 5 Vgl. K. Müller, Dem Glauben nachdenken. Eine kritische Annäherung ans Christsein in zehn Kapiteln. Münster 2010, 224 f.

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das geben, was sie vielleicht in der Gegenwart am meisten brauchen: Ermutigung in kritischer Zeit, in Wort und Tat“6. Das ist das eigentliche Potenzial der jüdisch-christlichen Tradition, das es in die säkulare Gesellschaft und das religiös wie weltanschaulich plurale Staatswesen hinein zu übersetzen und dadurch zu erhalten gilt.

Der ekklesiologische Ernstfall Doch können die Kirchen mit diesem ‚Wissen‘ überhaupt noch ‚landen‘, wenn ja, wie und wo? Sicher nicht jenseits des Bruchs, der Gott so rigoros aus unserer Welt verbannt hat. Das wird gerade in der nachmetaphysischen, späten Moderne sichtbar. „Wir können nicht redlich sein“, so schreibt einmal Dietrich Bonhoeffer, „ohne zu erkennen, dass wir in der Welt leben müssen ‚etsi deus non daretur‘. Und eben dies erkennen wir – vor Gott! Gott selbst zwingt uns zu dieser Erkenntnis. So führt uns unser Mündigwerden zu einer wahrhaftigeren Erkenntnis unserer Lage vor Gott. Gott gibt uns zu wissen, dass wir leben müssen als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden“7. Die weltliche NichtNotwendigkeit Gottes und seine mangelnde Erfahrbarkeit in der Welt bilden die entscheidende theologische Herausforderung in der späten Moderne. Das ist der Kern der ‚Gotteskrise‘ unserer Zeit. Der personale Gott, der den Menschen als Individuum und Du gegenübertritt, der als Herr der Geschichte und Hoffnung jenseits dieses Lebens geglaubt wird, ist unserer Zeit gehörig abhandengekommen. Er hat sich im Feuer der Religionskritik, in der Frage der Theodizee in Asche verwandelt, in der man fast vergeblich die Glut des noch-an-ihn-Glauben-Könnens sucht. Die erste und eigentliche Herausforderung einer Theologie, die das Paradies einer ‚selbstverständlichen Gottesrede‘ verloren hat, ist daher die Frage, wie unsere metaphysisch ernüchterte Gegenwart zu einer ‚neuen Heimat‘ von Glaubenden wie Suchenden werden kann. „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände“ (GS 1).

Mit diesen programmatischen Worten hatte die Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils Gaudium et spes für die katholische Kirche die Marschrichtung vorgegeben. Nicht in der Sphäre weltentrückter Heiligkeit lebt und wirkt 6 Demokratie braucht Tugenden. Gemeinsames Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur Zukunft unseres demokratischen Gemeinwesens, Gemeinsame Texte Nr. 19, Bonn 20. November 2006, 13f; 15. 7 D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, in: ders., Werke Bd. 8, Gütersloh 1998, 191 f.

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die Kirche, sondern mittendrin in Welt und Gesellschaft. Sie ist solidarisch, sucht zusammen mit der Welt nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens und ist gerade dadurch wahrhaft und authentisch Kirche Jesu Christi. Mit der Selbstbindung der Verkündigung an die ‚Zeichen der Zeit‘, die es ‚im Licht des Evangeliums‘ zu deuten gilt (vgl. GS 4), verweist das Konzil all jene, die fürderhin Theologie, Verkündigung und Seelsorge treiben wollen, quasi mitten hinein in den Transitraum des Lebens: „Wo kein menschlicher Ort mehr die Kirche begründen kann, ist der Ort der Kirche“8. Kirchliche Identität in der (späten) Moderne ist notwendig eine prekäre Identität. Doch darf die ‚Ortlosigkeit‘ der Kirche nicht dazu führen, dass sich Kirche nun – wiederum Dietrich Bonhoeffer – ‚bevorzugte‘, d. h. bequeme Orte sucht, sondern eine alternative Ortbestimmung ist vonnöten. Angesichts dieser Weichenstellung des Konzils muss daher die zunehmende ‚Berührungsangst‘ vor dem modernen Menschen, die in manch katholischen Kreisen spürbar ist, mitunter beunruhigen.9 Stattdessen hat Theologie an der Grundeinsicht des Konzils festzuhalten: Die Mitte unseres Glaubens ist eine sakramentale Wahrheit und keine sakrale. Sie ist keine weltlose Wahrheit, sondern eine Wahrheit in und für die Welt. Gerade die Pastoralkonstitution des Konzils macht daher die Außenperspektive ganz bewusst zum eigentlichen Thema der Pastoral. Die katholische Kirche entdeckt die Welt ‚da draußen‘ als relevanten Ort des theologischen Wissens und des existentiellen Glaubens.10 Das bedeutet zunächst einmal, dass Religiosität und Glaube nicht mehr nur anhand binnenkirchlicher Kriterien zu entwickeln sind, sondern auch und gerade in der Herausforderung durch die ‚Zeichen der Zeit‘ ihre prägenden Konturen erhalten. Eine rein binnenkirchliche und binnenkonfessionelle Identitätssuche und -findung scheint fürderhin ausgeschlossen. Darüber hinaus kehrt sich die Sprach- und Fragerichtung um. Die Welt hat nicht einfach nur von der Kirche zu lernen, sondern auch und gerade die Kirche von der Welt. Welche Chancen hat hier Kirche, wenn sie sich dazu bekennen würde, dass sie sich selbst immer auf den Weg machen, selbst immer wieder nach der Wahrheit Ausschau halten muss, weil man sie zwar stets vor Augen hat, aber dennoch nicht in Händen hält! Freilich wird auch deutlich: Kirche riskiert sich selbst, wenn sie zur dienenden Kirche wird und diesen Dienst als ihre zentrale Identitätsbestimmung definiert, denn von der Welt, von den Menschen her sich bestimmen zu lassen ist ein 8 D. Bonhoeffer, Das Wesen der Kirche, in: ders., Werke Bd. 11, Gütersloh 1994, 229–303, hier 248. 9 Vgl. J. B. Metz, Memoria passionis. Ein provozierendes Gedächtnis in pluralistischer Gesellschaft, Freiburg 42011, 115. 10 Vgl. dazu auch H.-J. Sander, Der Ort der Ökumene für die Katholizität der Kirche – von der unmöglichen Utopie zur prekären Heterotropie: in: HThKVatII Bd. 5: Theologische Zusammenschau und Perspektiven, Freiburg 2006, 186–200, hier 186.

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riskantes, gefährdendes Tun: „Ich wiederhole hier für die ganze Kirche, was ich viele Male den Priestern und Laien von Buenos Aires gesagt habe: Mir ist eine ‚verbeulte‘ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist. Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein, und schließlich in einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist. Wenn uns etwas in heilige Sorge versetzen und unser Gewissen beunruhigen soll, dann ist es die Tatsache, dass so viele unserer Brüder und Schwestern ohne die Kraft, das Licht und den Trost der Freundschaft mit Jesus Christus leben, ohne eine Glaubensgemeinschaft, die sie aufnimmt, ohne einen Horizont von Sinn und Leben“ (Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium Nr. 48) 11. Es sind gerade jene „Zeichen der Zeit“ in der Peripherie, am Rand, die – wie es Papst Franziskus so nachdrücklich einfordert – die Richtung für eine alternative Ortsangabe von Kirche in der Welt von heute vorgeben. Diese neue Ortlosigkeit der Kirche entspricht dem Ort Gottes in der Welt: Denn Transzendenzerfahrung heute, so noch einmal Dietrich Bonhoeffer, ist auch immer die Erfahrung des ‚Daseins für andere‘, des Menschseins für andere. Dadurch bewahrt Kirche ihr kritisches Potenzial, das sich auf die Frage zuspitzt, ob die Kirche „der Mitte ihrer eigenen Hoffnung gerecht wird“12. Denn nur dort, wo „man ganz ortlos ist, wo man an der Peripherie ist, da ist die kritische Mitte der Welt“13. Das alles entgrenzt Kirche und Glaube notwendigerweise. Kirche „begreift sich von den Menschen her, die es hier und heute gibt“14. Nur in dieser bleibenden Selbstentfremdung und Selbstentzogenheit, die die eigene Identität im Dienst am Anderen bestimmt, kann Kirche erneut heimisch werden. Die neue Ortsbestimmung dieser ‚kenotischen Existenz‘ der Kirche ist durch jene „Ortsbestimmungen mitten in dieser Zeit“ gekennzeichnet, „die dort etwas freilegen, was verschwiegen wird, aber für die Auseinandersetzung um Humanität und menschenwürdige Verhältnisse repräsentativ ist“15. Signifikant sind dabei jene Orte, „an denen jeweils messianische Heilung beschädigten Lebens erwartet

11 Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben ‚Evangelii gaudium‘, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 194, 2. Auflage Bonn 2013. 12 L. Lies, Beobachtungen zu einem neuen Theologieverständnis (Vat. II und Würzburger Synode), in: ZKTh 130 (2008) 4–34, hier 13. 13 Bonhoeffer, Kirche, 248 f. 14 H.-J. Sander, Die pastorale Grammatik der Lehre – ein Wille zur Macht von Gottes Heil im Zeichen der Zeit, in: Wassilowsky, Günther (Hg.), Zweites Vatikanum – vergessene Anstöße, gegenwärtige Fortschreibungen (QD 207), Freiburg (u. a.) 2004, 185–209, hier 188. 15 H-J. Sander, Theologischer Kommentar zu Gaudium et Spes, in: HThK Vat. II, Bd. 4, Freiburg (u. a.) 2005, 868.

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wird“16. Es ist gerade diese inkarnatorische Logik, die die Kirche mitten hinein in die Ungesichertheit einer geschichtlichen Existenz zwingt, die auf jede Selbstvergewisserung verzichtet. Dort, wo es gelingt, um der Dynamik der Menschwerdung Gottes willen, Fremdes und Eigenes im Ringen um Heil und Heilung zusammenkommen und Selbstentzogenheit zum Identitätskriterium werden zu lassen, wäre tatsächlich ein Modell entwickelt, das sich als gefährliches Wissen für die ganze Welt, insbesondere gegen ihre latente Neigung zu einer ‚Globalisierung der Gleichgültigkeit‘ (Papst Franziskus) in Anschlag bringen ließe. Wer sich aber darauf einlässt, dem muss klar sein: Die Identität von Kirche zerrinnt ihm unter der Hand, bzw. er kommt nicht umhin, diese und sein Bekenntnis dazu und den Glauben daran stets neu erringen zu müssen. Hüten wir uns vor der Illusion, dass das ein ungefährlicher Weg sei und dass er gar noch attraktiver für die Welt wäre, als die selbstgewisse und gesicherte Identität der verblüffungsresistenten, erschütterungsfreien, und darum letztlich harmlos-ungefährlichen Katechismusantworten. Denn christlicher Glaube und kirchliches Wissen entgrenzen sich dort, wo sich Kirche „von diesen menschlichen Angelegenheiten her zum Thema [macht]. […] Deshalb ist sie pastoral konstituiert. […Die Pastoral] ist nicht irgendeine Größe in der Kirche unter ferner liefen, sondern jener Vorgang, der signifikant und konstitutiv dafür ist, was Kirche selbst ist.“17 Mit dieser ‚kenotischen Wende‘ bestimmt Kirche ihren Ort neu: „Eine Kirche, die bislang nach und in der etablierten Ordnung gelebt hat, beschließt ihren Ort zukünftig innerhalb der Bewegung der Welt zu sehen“18. Sie lässt sich ein in einen „Prozess des risikoreichen Sich-Entäußerns hinein in den gefährlichen Raum der Geschichte, des Konkreten, des Politischen auch, und damit hinein in die Unüberschaubarkeiten und Unübersichtlichkeiten aller menschlichen Prozesse, die sich grundsätzlich jeder souveränen Beherrschung entziehen“19. Diese pastoral-kenotische Grundstruktur von Kirche hat konkrete Kennzeichen: die innere und äußere Widerständigkeit gegen eine kulturell oder politisch inspirierte machtstrebige Verfügung von Politik und Religion; eine selbstkritische Re-Vision der eigenen Verkündigung auf Glaubwürdigkeit, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit hin; die innere Verbindung von modernem Autonomiestreben und Freiheit mit den Dimen16 C. Theobald, Zur Theologie der Zeichen der Zeit. Bedeutung und Kriterien heute, in: P. Hünermann (Hg.), Das zweite Vatikanische Konzil und die Zeichen der Zeit heute, Freiburg 2006, 71–84, hier 82. 17 Sander, Ort, 188f. 18 Th. Eggenspeger/ U. Engel (Hg.), M-Dominique Chenu im Gespräch mit Jacques Duquesne. Bd. 3 der Collection Chenu, Mainz 2005, 227. 19 R. Bucher, Die kenotische Wende der katholischen Ekklesiologie, in: ders., Theologie im Risiko der Gegenwart. Studien zur kenotischen Existenz der Pastoraltheologie zwischen Universität, Kirche und Gesellschaft, Stuttgart 2010, 205–232, 211

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sionen von Gewissensfreiheit und Verantwortung; der Rekurs auf jene „natürliche Gotteskompetenz“ jedes Menschen, wie dies Johann Baptist Metz einmal im Rekurs auf Karl Rahner formuliert hat.20 Robert Musil hat dies in seinem Epocheroman ‚Der Mann ohne Eigenschaften‘ einmal so formuliert: „Die Moral, die uns überliefert wurde, ist so, als ob man uns auf ein schwankendes Sein hinausschickte, das über dem Abgrund gespannt ist […] und uns keinen anderen Rat mitgäbe als den: Halte dich recht steif! […] Ich glaube, man kann mir tausendmal aus geltenden Gründen beweisen, etwas sei gut oder schön, es wird mir gleichgültig bleiben, und ich werde mich einzig und allein nach dem Zeichen richten, ob mich seine Nähe steigen oder sinken macht. Ob ich davon zum Leben erweckt werde oder nicht“ (769f). ‚Zum Leben zu erwecken‘ – dieser Maßstab stellt Theologie und alles, was sie lehrt, vertritt, darstellt etc., vor neue Herausforderungen. Denn die Frage nach Gott wird „in der Gegenwartskultur […] mit Nachdruck gestellt, aber: nicht mehr ungebrochen, nicht mehr ohne Irritation durch die Abgründigkeit der Welt“21. Eine dieser Erfahrung angemessene Gottesrede aber hofft mehr als sie weiß. Sie tut das indem sie zeigt, dass sie auch die Abgründigkeit und die Endlichkeit menschlicher Existenz ernst nimmt, dass sie die Fragen nach Sünde, Schuld, Ungerechtigkeit, Leid und Tod nicht dadurch ‚löst‘, dass sie sie ignoriert. Sie leistet das dort, wo die im Inkarnationsbekenntnis gründende Sehnsucht nach Vollendung in einer noch unvollendeten Welt offengelegt wird; wo die Hoffnung auf Frieden in einer friedlosen Zeit und der Glaube an Gerechtigkeit auch angesichts erfahrener Ungerechtigkeit als die Orte benannt werden, an denen sich für heutige Menschen die Frage nach Heil und Erlösung artikuliert; wo sie solche Suchbewegungen als Orte identifiziert, an denen der Mensch heute noch die Sehnsucht nach Heil spürt, weil er die eigene Heillosigkeit wie die Geschundenheit der Welt als eine Herausforderung erfährt, auf die er alleine keine Antwort weiß, bzw. sie sich nicht (mehr) zutraut. Genau hier erweist sich der Mensch nämlich als erlösungsbedürftig und vollendungsfähig zugleich. Das sind Orte, wo für heutige Menschen Gott, seine Transzendenz, erfahrbar werden kann. Hier aber wird „Kirche nur dann mit der Frage nach Gott, ja Gott selbst nur dann mit der Kirche identifiziert, wenn man sie als einen Ort vermutet, an dem die Gottesfrage in ihrer ganzen Ambivalenz und damit als Frage angesichts der konkreten Lebenswirklichkeiten der Menschen von heute gestellt werden darf und wird“22, kurz: wenn der existentielle Ernstfall eintritt.

20 Vgl. Metz, Memoria passionis, 108ff. 21 M. Striet Was ist „katholisch“? Ein Bestimmungsversuch im Horizont „der“ Moderne, in: M. Heimbach-Steins/G. Kruip/S. Wendel (Hg.), „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“. Argumente zum Memorandum, Freiburg 2011, 58–70, 62. 22 Ebd.

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Der existentielle Ernstfall Dieser existentielle Ernstfall ist geradezu der ‚Testfall‘ der Polizeiseelsorge, der auch und gerade der institutionellen wie menschlichen Nähe und der professionell notwendigen, weil Kritik und Bewertung erst ermöglichenden Distanz entspringt23 – also der Tatsache, dass ‚man sich auf die Finger schauen‘ lässt24. Er tritt dort zu Tage, wo die zentrale staatliche Institution der Polizei, die nach dem Willen des Grundgesetzes allein dazu dient, das staatliche Gewaltmonopol zu repräsentieren und durchzusetzen, sich eingestehen muss, dass es Situationen gibt, an denen sie gerade mit dem Thema ‚Gewalt‘ und ‚Würde des Menschen‘ an ihre eigenen Grenzen kommt. Denn als ‚Organisation mit Gewaltlizenz‘25 ist sie immer mit jener ‚Ambivalenz‘ der dem Gewaltmonopols stets innewohnenden Macht konfrontiert, die von der „Spannung zwischen einem legitimen Machtgebrauch einerseits und einem illegitimen Machtmissbrauch andererseits“ als ihr eigenes Konstitutivum und damit als unlösbares Dilemma und stetige Herausforderung der eigenen Integrität kennzeichnet.26 Gerade in diesen Grenzsituationen wird das eigene Tun, die polizeiliche Arbeit selbst als durch und durch moralisch imprägniertes ‚Geschäft‘ deutlich, das die Frage von Gewissensklärung und Wertebegründung des eigenen Handelns mitunter unmittelbar, weil intuitiv stellt und die Problematik von Legitimität und Legitimierung dieses Handelns stets aufs Neue herausfordert.27 Es sind gerade jene Grenzfälle polizeilichen Handelns, die als existentielle Grenzsituationen oder als Grauzonen zwischen legitimer Handlung und Legalität, nicht nur „eine solide juristische Urteilskompetenz […], ein gut entwickeltes Rechtsgefühl, eine hohe moralische Sensibilität […] und eine solide ethische Reflexionsfähigkeit“ als ‚Ressource moralischer Integrität‘ einfordern28, sondern die gerade dadurch auch den ‚Ernstfall‘ seelsorgerlicher Begleitung darstellen. Dass hier insbesondere Konstellationen in den Blick kommen, nicht nur die Frage nach einem moralisch problematische Mittel heiligenden moralisch guten Zweck stellen, sondern „die insbesondere Konflikte in den Bereichen der Men23 Vgl. F. Rutkowsky, Gewissensnot – Unglück oder Glücksfall? Ethische Konflikte als seelsorgliche Aufgabe, epd-Dokumentation Nr. 16 vom 15. 4. 2014,14–19, 17. 24 Vgl. W. Schiewek, Berufsmoralische Risiken und die Sichtung moralischer Integrität in der Polizei. Über die Kooperation von Kirchen und Polizei im Hinblick auf die moralisch-ethischen Herausforderungen polizeilicher Arbeit, in: W.K. Smidt/U. Pappe (Hg.) Fehlbare Staatsgewalt. Sicherheit im Widerstreit mit Ethik und Bürgerfreiheit, Münster 2009, 1–13, 12. 25 Zum Begriff vgl. M. Herrnkind/S. Scherrer (Hg.), Die Polizei als Organisation mit Gewaltlizenz. Möglichkeiten und Grenzen der Kontrolle, Hamburger Studien zur Kriminologie und Kriminalpolitik Bd. 31, Hamburg/London 2003. 26 Vgl. Schiewek, Berufsmoralische Risiken, 2. 27 Vgl. ebd. 2f. 28 Vgl. ebd. 5.

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schenwürde und die körperlichen Unversehrtheit abbilden“, ist aber kein Zufall, sondern es zeigt, „wie stark gerade diese Rechtsgüter durch moralisch-ethische Überzeugungen gestützt werden. Dementsprechend massiv werden die situativen Konflikte erlebt, wenn in konkreten Situationen diese Rechtsgüter bzw. die sie stützenden moralisch-ethischen Überzeugungen in Spannung zueinander geraten, als z. B. Konstellationen, in denen ‚Leben gegen Leben‘, ‚Würde gegen Würde‘ oder ‚Würde gegen Leben‘ steht“.29 Ebenso wenig mag erstaunen, dass gerade an diesem Punkt die Frage der Seel-Sorge als ‚Ernstfall‘ in den Blick kommt. Gerade an diesem Punkt stellt die Polizeiseelsorge aber auch den Ernstfall für die kirchlichen Institutionen dar, die sich hier mit ihrem innersten Kerngeschäft, der Seelsorge, ihrer Sendung zu den Menschen gerade an jenen Ort begibt, der ihr auf den ersten Blick allzu bekannt ist, auf den zweiten Blick aber gerade das mitunter auch tabuisierte Andere ihrer Selbst darstellt: Es ist der Ort der politischen Macht und Gewalt, ihres Gebrauchs wie Missbrauchs, ja der Macht des Bösen und der Verstrickung in dieses, der zum Ort menschlichen Versagens, von Schuld, von Enttäuschung, von existentieller Not wird, der die Frage nach Verantwortung, nach Begleitung und Beistand, aber auch die nach Versöhnung und Vergebung aufwirft. Indes sind gerade diese Erfahrungen und der Umgang damit in unserer spätmodernen, medial geprägten Zeit höchst ambivalent. Zum einen leben wir heute in einer Ära der Inflation von Entschuldigungsgesten wie der Instant-Reue. In diesem Zeitalter der inflationären Entschuldigungen geschieht zwar den Opfern nicht mehr notwendig Gerechtigkeit, aber sie dürfen zumindest mit dem Kult der Reue rechnen. Die ‚Generation Sorry‘ (T. Judt) entschuldigt sich (wohlgemerkt: man bittet nicht etwa andere um Entschuldigung!) und kann so Schuld einräumen, ohne einen Schuldigen benennen oder wirklich Verantwortung übernehmen zu müssen. Zum anderen wird heute aber höchst emotional und lautstark darüber diskutiert, ob der Rechtsstaat einen Schwerverbrecher nach verbüßter Strafe als Gnadenakt aus der Haft entlassen darf, auch wenn dieser keine Reue zeigt. Warum ist Reue für so viele Menschen wichtig, mitunter wichtiger als die Strafe selbst? Vielleicht weil sich darin jenseits des modernen Emanzipationsstrebens gegen die Fremdbestimmung durch aufgezwungene Schuldgefühle eine Sehnsucht zeigt, die nach Gerechtigkeit angesichts geschehenen Unrechts ruft. Dieses ‚Bedürfnis‘ lässt offensichtlich werden, dass geschehenes Böse nicht einfach ungeschehen zu machen ist, dass es Dinge gibt, die 29 Ebd. 6. Zu Recht stellt W. Schiewek hier fest: „Dass aber solche Spannungen überhaupt auftauchen und gespürt werden, ist in keiner Weise kritikwürdig, sondern geradezu ein gutes Zeichen für eine hohe moralische Sensibilität […]. Die Vielfalt dieser Spannungen, ihre Komplexität und das Ausmaß der mit ihnen verbundenen persönlichen Betroffenheit macht geradezu ein Spezifikum des Polizeiberufes aus“ (ebd. 7).

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ich selbst weder ‚rechtfertigen‘, noch aus der Welt schaffen oder wieder gut machen kann.30 Zu Recht hat daher die Theologie des Mittelalters zwischen jener Reue unterscheiden, die Menschen angesichts der Strafe wie der Abgründigkeit ihrer Tat empfinden und jener eigentlichen Reue, die der Mensch gerade nicht durch eigene Leistung, sondern als ‚Gnade‘ Gottes vollbringen kann. Am Ende bleibt nicht einfach jener Ekel vor den Konsequenzen der eigenen bösen Tat, der das Gefühl der Reue erzeugt, das den Menschen wirklich menschlich werden lässt. Es bleibt auch der nagende Zweifel daran, ob und wie je alles wieder gut werden kann und die Hoffnung darauf, dass dem – wider alle weltliche Erfahrung – doch irgendwann so sein wird. Daher lebt die theologische Idee von Vergebung, die es nun seelsorgerlich auch fruchtbar zu machen gilt, von einer ganz anderen, die Geläufigkeit des Sichabfindens grundlegend verstörenden Dynamik. „Vergebung scheint mit einer gewissen Idee von Erlösung verbunden zu sein, mit einer Idee von Umkehrbarkeit des Unumkehrbaren, die mit dem Horizont einer immanenten Politik in der Moderne nicht zu vereinbaren ist. Fluchtpunkt der Vergebung ist die Wiederherstellung von allen Verlorenen und Zerstörten, die integrale Wiedergutmachung von allem, was durch das Verbrechen zerstört wurde in den Opfern aber auch in den Tätern, d. h., die radikale Heilung der Subjekte und der Geschichte“31. Diese Option bedarf freilich der Kategorie der Geschichte und der Erinnerung. Darum muss die spätmoderne Ideologie des Vergessens, die der Welt und der Geschichte müde geworden ist, jener allzu gefälligen ‚Verblüffungsfes-

30 Selbst der archetypische Gedanke der Rache scheitert genau an dieser Dimension des keinenwirklichen-Ausgleich-schaffen-Könnens: „Die Logik der Rache ist eine Logik der Gegenseitigkeit. Der Gewaltakt hat beim Opfer eine Verletzung verursacht. Der Schaden bedeutet einen Verlust des Gleichgewichts vor ihm. Der Täter trägt die Verantwortung. Die Rache versucht das gebrochene Gleichgewicht wiederherzustellen. Verletzung um Verletzung, Schaden um Schaden, Auge um Auge, aber auch Schuld um Schuld. Der Täter bekommt denselben Schaden, aber das Opfer macht sich schuldig, begeht dieselbe Verletzung. Die Rache sucht aber ein unmögliches Gleichgewicht. Es gibt keine Verletzung, die einer anderen gleicht ist. Jedes Opfer ist einzigartig. Jeder Täter auch. Es gibt keine Gleichung, nach der beide ausgetauscht werden könnten. Dasselbe passiert mit der Schuld. Es gibt keine zwei Verbrechen, die gleich sind, auch nicht zwei Täter, die sich mit derselben Art von Verbrechen gleich schuldig machen. Im Bereich der Schuld lässt sich auch keine Gleichung machen. Da die Verletzung bzw. der Mord wirklich nicht ungeschehen gemacht werden kann, kann keine Rache sie löschen und sie wieder gutmachen. Kein Schaden wird durch einen anderen beseitigt. Es gibt kein Zurück hinter die geschehene Aggression. Die neue Aggression oder die Strafe stellen keinen verlorenen Zustand wieder her, gewinnen das Verlorene nicht wieder, weder beim Opfer noch beim Täter“ ( J. A. Zamora, Gedächtnis, Gerechtigkeit, Vergebung, in: Th. Polednitschek, M. J. Rainer, J. A. Zamora (Hg.): Theologisch-politische Vergewisserungen. Ein Arbeitsbuch aus dem Schüler- und Freundeskreis von Johann Baptist Metz. Münster et al. 2009, 302–323, 314). 31 Ebd. 309.

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tigkeit‘32 entrissen werden, die sich gerade an einem Punkt festmacht: ihrer entwürdigenden Amnesie gegenüber den Opfern der Geschichte, die letztlich auch die Täter entwürdigt. Es ist wohl gerade der politischen Theologie, wie wir sie mit dem Namen Johann Baptist Metz verbinden, zu verdanken, dass nach der großen Katastrophe des 20. Jahrhunderts, die Metz selbst mit dem Zäsurbegriff ‚Auschwitz‘ verbindet, einer allzu geschichtsvergessenen Theologie wieder eine Zeitsignatur, ein apokalyptischer Stachel eingesenkt und der Schmerz daran stets wachgehalten worden ist. „Gegen spirituelle Selbsterfahrungstechniken und Schwärmerei für subjekt- und geschichtsferne Alleinheit setzt [Metz] ‚Gottesleidenschaft in Mitleidenschaft‛, also eine biblisch inspirierte Mystik der Gerechtigkeit. Religion unterbricht in seinen Augen das Faktische in irritierender Weise, sie erschöpft sich nicht in Liebesrhetorik, sondern manifestiert sich als Schrei angesichts der Ungerechtigkeit der Welt“33. Je länger je deutlicher verbindet Metz diese apokalyptische Grunddimension der christlich-jüdischen Überlieferung in seiner ‚Theologie nach Ausschwitz‘ mit der These einer anamnetischen Vernunft. Er verknüpft darin die Gottesfrage untrennbar mit der Frage nach dem bleibenden Recht des Gehörtwerdens der Opfer und der Theodizee als (Ein-)Klage des Gedächtnisses der Leidenden: „Es geht […] um die Frage, wie denn überhaupt von Gott zu reden sei, angesichts der abgründigen Leidensgeschichte der Welt, ‚seiner‘ Welt“. Das ist – so Metz – „die Frage der Theologie; sie darf von ihr weder eliminiert noch überbeantwortet werden. Sie ist ‚die‘ eschatologische Frage, die Frage, auf die die Theologie keine alles versöhnende Antwort ausarbeitet, sondern eine unablässige Rückfrage an Gott“34. Ihr angemessen ist jenes ‚Eingedenken‘, „das“ – so Metz – „dem so Vergessenen auf der Spur bleibt, das, analog zum alttestamentlichen Bilderverbot, auf eine Kultur des Vermissens zielt, [und…] als Organ einer Theologie […] als Theodizee – unser […] Bewußtsein mit der in ihm systematisch vergessenen Klage und Anklage des Geschehenen zu konfrontieren sucht“35. Vergangenheit und Erinnerung sind Grundmodi des Christentums; denn das Christentum schätzt das Individuelle, Konkrete und nicht wie die gnostische Verführung das Universale, Allgemeingültige. Das Christentum verkündet eben keine ewigen Wahrheiten, sondern eine konkrete Geschichte; der Glaube hat einen Zeitindex, „weil Sinn, also der Gehalt von Wahrheit, aus der Zeit entsteht“36. Darum setzt sich auch kein neuplatonisch oder gnostisch aufgeladener Mythos 32 Vgl. Metz, Memoria passionis, 32. 33 H. Schmoll, In kritischer Situation glauben, in: FAZ vom 5. 8. 2013. 34 J. B. Metz, Theologie als Theodizee?, in: W. Oelmüller (Hg.), Theodizee – Gott vor Gericht? München 1990, 103–118, hier 104. 35 Ebd. 112f. 36 Ebd. 233.

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als Kern des Christentum durch, sondern ein an eine konkrete Geschichte, die Realität des Fleisches gebundener Inkarnationsglaube. Inkarnation bedeutet eben für das Christentum: Zerstörbarkeit, Verwundbarkeit, Verwandelbarkeit, Leidhaftigkeit, Individualität, die Narben trägt.37 Die Wunden der Geschichte prägen uns selbst; sie machen uns zu dem, was wir sind; ohne die Narben unseres Lebens sind wir nicht wir. Erst das macht unser Menschsein einmalig; unableitbar faktisch, konkret, unverwechselbar, unaustauschbar, unersetzlich und damit eigentlich unzerstörbar; eine Grundsignatur, die sich in der Zeit einprägt und die durch nichts aufhebbar oder ersetzbar ist. Was einmal gewesen ist, ist nicht aufzuheben. Die solchermaßen geschichts- und damit leidsensible Theologie hält gerade als ‚memoria passionis‘ die Geschichte Gottes mit den Menschen offen. Gerade weil sie in ihrem Zentrum des Glaubens an Tod und Auferstehung nicht die ewige Wiederholung des Sieges von Gewalt und Macht proklamiert, sondern die leise einmalig konkrete Gabe der unbedingten Liebe feiert, die den Tod und seine versklavenden Mächte endgültig überwindet. Gottes allmächtig-ohnmächtige Liebe denkt nicht in den Überbietungsstrukturen von Macht und Gewalt, die ihre Widersacher in die Knie zwingt, sondern hier tobt sich die Gewalt der Sünde umsonst aus, weil sie als Antwort doch immer nur die Liebe erfährt und damit eben nicht das letzte Wort behält. Denn eine solche Liebe kann auch nicht durch den Tod zum Verstummen gebracht werden. Die Erinnerung daran bricht bewusst mit den allzu menschlichen Selbstverständlichkeiten und setzt ihnen eine begründete Alternative der Hoffnung entgegen. Denn diese Erinnerung daran bricht notwendig mit der Vergangenheit, indem sie den wahrhaft unterbrechenden Charakter des heilvollen Handelns Gottes als Durchbrechung des Alten und Beginn des Neuen zu glauben wagt. Der Kern dieser Hoffnung aber ist die bergende Erinnerung und Wiedereinholung alles Vergangenen. Walter Benjamins ‚Engel der Geschichte‘ ist daher notwendig eine Gegenbesetzung zu jenem martialischen Posaunespielers der Apokalypse. Er ist derjenige, der auf die Trümmer der Geschichte zurückblickt und die Hoffnung auf Heil selbst dort nicht aufgibt, wo sie aus Respekt vor den Opfern der Geschichte verboten scheint. Er weiß um die Frage nach dem ‚wie lange noch‘ und stellt sie auf beunruhigende Weise neu, weil er sich Zeit nimmt, zurückzublicken, sich Zeit nimmt, sich zu erinnern. Sich erinnern bedeutet hier nicht einfaches Wiederholen des Vergangenen, sondern ein sich immer mehr verstärkendes Durchsetzen der versöhnenden Anwesenheit dessen, der das Ganze rekapituliert; und zwar nicht im Sinne von ‚Wiederholung‘ sondern – so die Tradition der Kirchenväter – im Sinn von ‚Vollendung‘, von ‚Heimholung‘, von ‚unter ein Haupt‘, an ein Ziel

37 Vgl. Müller, Nachdenken, 11–42.

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bringen, um es zu heilen.38 Es ist eine Erinnerung, die das Vergangene wiederholt, um es auf-zu-heben und damit gut sein zu lassen.39 Die Abgründe der Theodizee wie die notwendige Offenheit der Geschichte konfrontieren den Glauben in der späten Moderne mit der Hoffnung auf das, was da sein soll, aber irgendwie doch nicht sein kann. Hier provoziert das gefährliche Wissen der Kirche mit der Zusage, dass sich die Lücke zwischen dem, was ist, und dem, was als Erhofftes sein könnte, nicht durch unser Zutun, sondern nur durch das liebende Tun eines ganz Anderen schließen wird. Aber gerade in diesem Modus der Hoffnung – Immanuel Kant würde sagen: im Postulat Gottes – wahrt dieses Wissen am Ende das entscheidende ‚Humanum‘.40 Das Humanum aber, d. h. die unantastbare Würde der menschlichen Person, ist der entscheidende Punkt, an dem sich die Überzeugungen des Christentums und die Verfassungswirklichkeit treffen. Diese Würde unbedingt, voraussetzungslos ohne Ansehen von Person und Tat jedem und jeder entgegen zu bringen, ist letztlich die innerste Norm wie der entscheidende Beweggrund jeder Seel-Sorge, wie sie auch im ‚Ernstfall‘ der Polizeiseelsorge stets aufs Neue sichtbar zu werden hat.

38 Vgl. G. Agamben, Die Zeit, die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief, Frankfurt a.M. 2006, 91. 39 Das kennzeichnet auch die Differenz von Vergebung und Ressentiment: „Vergebung und Ressentiment spüren die Wunde der Unumkehrbarkeit des verübten Übels. Während die Vergebung aber auf die Möglichkeit eines neuen Anfangs hofft, glaubt das Ressentiment an sie nicht. Die Möglichkeiten einer von der Schuld befreiten Zukunft scheinen versperrt“ (Zamora, Gedächtnis, 317). 40 Vgl. dazu ausführlich: J. Rahner, Einführung in die christliche Eschatologie, bes. 284 ff.

Richard Hartmann

Eine pastoraltheologische Verortung der Seelsorge in der Bundespolizei

Polizeiseelsorge allgemein und speziell die Seelsorge bei der Bundespolizei ist kaum als Thema pastoraltheologischer Forschung präsent. Dies hängt zum einen daran, dass im speziellen Fall der katholischen Seelsorge der Bundespolizei neben dem Dekan nur zehn hauptamtliche und drei nebenamtliche Pfarrer diesem Dienst zugeordnet sind.1 Zum anderen ist die sogenannte „kategoriale Seelsorge“ inzwischen so ausdifferenziert, dass meist nur noch tatsächlich in diesen Feldern Arbeitende sich der Herausforderung der Reflexion stellen. Zwar habe ich selber bereits zu den Feldern Polizeiseelsorge und Militärseelsorge Studien veröffentlicht und kleine Einblicke erarbeitet.2 Bei den hier vorgetragenen Reflexionen habe ich mich weitgehend auf die Online-Veröffentlichungen gestützt und zwei vertiefende Gespräche mit dem Polizeiseelsorger Christian Preis in Koblenz und dem Direktor und Inspektionsleiter Rainer Willbrand in Frankfurt geführt. Diesen Beobachtungen folgend lege ich einige Beobachtungen vor.

Polizeiseelsorge allgemein eine Form kategorialer Seelsorge Die Gegenüberstellung von „Kategorialer Seelsorge“ und „Gemeindeseelsorge“ bestimmte lange Zeit die Strukturen der kirchlichen Arbeit. Dabei wurde die Arbeit in Pfarrei und Gemeinde als ordentliche oder normale, die kategoriale Arbeit als außerordentliche und Sonderseelsorge markiert. Nicht selten waren es auch besondere „Typen“, die diese Arbeit besetzten. In den kirchlichen Verwaltungen gab es dann Stellen, mit allgemeiner Zuständigkeit für diese „Son1 http://www.bundespolizei-seelsorge-katholisch.de/common/content/organisation/ [Zugriff 8. 1. 2015]. 2 GMELCH, MICHAEL, HARTMANN, RICHARD (Hg.): Soldatenfamilien im Stress: Kriegseinsätze als Herausforderungen für die Militärseelsorge mit den Familien. Würzburg: Echter 2014; HARTMANN, RICHARD: Polizeiseelsorge – randständig? Eine theologische Ortsbestimmung. In: Unsere Seelsorge (2012) Juni, S. 20–23.

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Richard Hartmann

derseelsorge“. Im Rahmen der Pluralisierung und Ausdifferenzierung der Grundseelsorge, verbunden mit der Profilierung größerer Räume und damit auch unterschiedlicher Ausprägung der Arbeit an einzelnen Standorten wurde meist dafür plädiert, die „kategoriale Seelsorge“ wieder in neue Beziehung zur „allgemeinen Seelsorge“ zu setzen. Krankenhausseelsorge, Schulseelsorge, Gehörlosenseelsorge, Betriebsseelsorge und vieles andere sollte in größerer Verzahnung mit territorialer Seelsorge arbeiten und so neue Netze schaffen. Wer sich dem Feld der Seelsorge bei der Bundespolizei nähert, wird schnell einsehen, dass solche Strategien in etlichen Fällen zu kurz greifen. Die Aufgaben in diesem Feld sind nicht regional und diözesan, sondern nur überregional zu leisten und sie brauchen eine spezifische Kenntnis des Feldes und seiner Herausforderungen. Insofern wird Seelsorge bei der Bundespolizei ausdrücklich als kategoriale Sonderseelsorge verstanden werden müssen, ohne damit Vernetzungen zu anderer Pastoralarbeit auszuschließen.

Bestimmte Berufe fordern bestimmte Seelsorge Wer bei der Bundespolizei arbeitet, wird vor spezifische Herausforderungen gestellt, die auch spezifische Formen der Begegnung und Begleitung der Pastoral brauchen. Eines haben die Bundespolizisten mit etlichen anderen gemein, was aber auch sehr selten pastoral reflektiert wird: Sie sind immer wieder mit wechselnden Einsatzorten, mit der Herausforderung des Pendelns zwischen Wohnort und Arbeitsplatz (in Frankfurt 70 %!) und unregelmäßigen Schichtzeiten konfrontiert. Alle drei Belastungen erschweren eine klassische örtliche und damit auch territorialgemeindliche Verwurzelung. Ihr Lebensraum ist nur begrenzt der Ort, wo sie wohnen, dort sind sie nur begrenzt wahrnehmbar. Dazu kommt die spezifische Form ihrer beruflichen Beanspruchung. Zwar ist die Bundespolizei, wie sie selber formuliert, aufgrund der unüberschaubaren Vielfalt ihrer Aufgaben so etwas wie ein „Gemischtwarenladen“3. Dennoch gibt es vor allem in der Konfrontation mit Flucht, Tod, Elend und Krise eine kaum berechenbare und immer wieder betreffende Belastung. „Mitfühlen ohne Mitleiden“, sozial sensibel und zugleich mit professioneller Distanz ist mit manch tragischer Situation umzugehen. Um dies zu lernen und um in konkreter Situation Hilfe zu finden, braucht es ein gutes Netzwerk, zu dem Seelsorge wie soziale und psychologische Dienste und v. a. m. gehören. Keine dieser Funktionen darf außen vor bleiben. 3 Von Objektschutz bis zur Bahnpolizei, von Grenzschutzarbeiten bis zum Flughafen, von Castortransporten bis Sicherungseinsatz bei Fußballspielen, von Terroreinsatz („GSG 9“) bis zu Auslandseinsätzen bei Botschaften und in Krisengebieten ist alles zu haben.

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„In einer Krisensituation käme ich nicht auf die Idee zum Heimatpfarrer zu gehen“… so die Aussage aus der Bundespolizei. Die Mitarbeiter kennen die Komplexität dieses Feldes und können sich kaum vorstellen, dass und wie jemand außerhalb einen ausreichenden Einblick in die Herausforderungen dieser Arbeit haben kann. Darum ist es nötig, so Polizeidirektor Willbrand, dass der Pfarrer den „Blick ins Gelände braucht“. Es ist hilfreich, wie in anderen Feldern der kategorialen Seelsorge, wie im Krankenhaus oder der Notfallseelsorge, dass der Seelsorger, die Seelsorgerin sich auskennt mit Abläufen und den jeweiligen Zusammenhängen. In konkreten Einsätzen kann nicht erst das ganze System erschlossen werden. Auch die Vernetzung zu anderen Unterstützungssystemen gehört zum Handwerkszeug der Polizeiseelsorge. Nicht jeder Polizeiseelsorger muss alles können, aber er braucht jene Kompetenz, mit der er die nötigen Prozesse befördern kann.

Polizeiseelsorge als personale Seelsorge Polizeiseelsorge ist wenig gestützt durch formale Begegnungsorte und Strukturen, sie ist par excellence personale Seelsorge. Es kommt darauf an, den Menschen nahe zu sein und ihnen immer wieder zu begegnen. „Kaum verbringe ich mehr als einen Tag im Büro“, so Christian Preis. Wichtig ist, dabei zu sein, die Einsatzorte zu besuchen und damit zu rechnen, dass dann aus dem Smalltalk mehr wird. Wenn es z. B. Einsätze in Fußballstadien gibt, kann es geschehen, dass – wenn die Arbeit vor dem Spiel getan wird –zur „ruhigeren Spielzeit“ der Polizeipfarrer angesprochen wird: „Wenn Sie jetzt gerade da sind, …“ Bei solchen Kurzbegegnungen entstehen dann wichtige Beziehungen, die die Lebensthematik der Polizisten aufnehmen. Solche Begegnungen sind dann jedoch weniger formal, von der Rolle bestimmt, als von der erlebten Persönlichkeit: „Mit dem kann ich reden“. Die Rolle stützt dann diesen Zugang aufgrund der zugesicherten Vertraulichkeit und der vermuteten Kompetenz in Lebensfragen. In dieser Erfahrung kommt Seelsorge zum „Eigentlichen“. Solche Ansprechbarkeit wird auf Dauer auch zum Prüfstein der „ordentlichen Seelsorge“. Wenn die räumliche Distanz der Seelsorgerinnen und Seelsorger zu den Menschen wächst, braucht es neue Überlegungen, wie dieser Dienst geleistet werden kann. Für die Polizisten sind Persönlichkeit, Vertrauen und Kompetenz wichtiger als die Priesterweihe. Darum könnte recht unkompliziert der Dienst auch von „Laien“ im pastoralen Dienst wahrgenommen werden. Die Themen, die zur Sprache kommen, sind so unterschiedlich wie die Personen. Zum Teil sind es die klassischen Themen der Fernbeziehung, die Familien belasten, die gemeinsame Zeit und Freizeit begrenzen. Zum anderen Teil werden

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die Polizisten belastet aufgrund der beruflichen Grenzerfahrungen. Es geht sowohl um die grundsätzliche Kompetenz, im Dienst sich betreffen zu lassen, von Leid und Elend, Krankheit und Not und gleichzeitig die psychohygienisch notwendige Distanz zu wahren, um überhaupt kompetent helfen zu können. Diese Lernprozesse sind zwar auch aus sozialarbeiterischer und psychosozialer Kompetenz zu begleiten, die Weisheit spiritueller und theologischer Erfahrungen können jedoch ausdrücklich weitere hilfreiche Beiträge leisten. Noch zentraler wird dies, wenn es um konkrete Krisen und Traumabewältigung geht. Polizisten sind immer wieder mit Todesfällen, mit extremer Not aufgrund von Flucht und psychischer wie physischer Krankheit, mit tragischen Situationen, in denen keine durchgreifende Hilfe möglich scheint, … konfrontiert und brauchen hier die Nähe einer schnellen Hilfe. Dem dienen innerhalb der Inspektionen die Peers, erfahrene und ausgebildete Kollegen, die laut Aussage des Polizeidirektors jedoch nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind. Dann braucht es aber ein gut eingespieltes Netz weiterer Hilfen, in denen die Polizeiseelsorger eine wichtige Rolle spielen. Solche Netze zwischen den verschiedenen Personen, Fachdiensten und deren Kompetenzen brauchen unbedingt persönliche Nähe, sie lassen sich nicht allein über Anruflisten und PC-Kontakte regeln. Auch dies verdeutlicht, dass die von der Polizeiseelsorge geleistete Arbeit nicht allgemein von der örtlichen Grundseelsorge bewältigt werden kann, sondern den vollen Einsatz braucht.

Polizeiseelsorge mehr Diakonia und Martyria – weniger Koinonia und Leiturgia Polizeiseelsorge lässt sich nur ausnahmsweise als Sakramentenpastoral verstehen. Es gibt wenige Gelegenheiten gottesdienstlicher Gemeinschaft mit den Polizisten. Sicher kann aus der Beziehung zwischen Polizist und Polizeiseelsorger eine Vertrautheit wachsen, die den Seelsorger auch zur Begleitung der Lebenswendesakramente einlädt. Wenn in besonderen die Öffentlichkeit betreffenden Katastrophen ein Gottesdienst gefeiert wird, sogar auch bei Einweihungen von größeren Dienststellen, wird der Seelsorger vor Ort oft nur die Brücke bauen zu den hierarchisch höherrangigen Kirchenvertretern. Polizeiseelsorge ist zu allererst diakonische Seelsorge und erst dann von der Verkündigung bestimmt. Alles, was ich zur Einzelbegleitung ausführte, gehört zum Kern diakonischer Arbeit. Der Einzelne, unabhängig von seiner kirchlichen und religiösen Bindung, ist mit seiner Freude und Hoffnung, Trauer und Angst4 4 S. Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils „Gaudium et spes 1“.

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Thema der Seelsorge und ihrer Angebote. Dass in diesen Begegnungen auch implizite und explizite Verkündigung (Martyria) geschieht, ist mehr oder weniger selbstverständlich. Darüber hinaus sind die Polizeiseelsorger, nicht zuletzt im Rahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung, wichtige Gesprächspartner und Lehrer in berufsethischen Fragen. Wie in anderen kritischen gesellschaftlichen Feldern ist hier die Seelsorge und die mit ihr verbundene theologische Kompetenz deutlich angefragt. Das Programm berufsethischer Veranstaltungen 2015 zeigt hier die Weite der Themen und ihrer Möglichkeiten:5 • Bundespolizei und Ehrenamt – geht das zusammen? • Damit mehr LEBEN ins „Dienst-Leben“ kommt. Die Gefahr eines „Burnout“, die Ursachen und Hilfsmöglichkeiten. • Der Eifer im Dienst • Die Eifersucht • Die Krisen in der islamischen Welt und die Auswirkungen auf meinen Polizeialltag • Fit für den Ruhestand – Wie bereite ich mich auf die dritte Lebensphase vor? • Führen mit Werten • Führung in Zeiten des Wandels • Herausforderungen im polizei-medizinischen Alltag, Teamtraining • Kirche und Staat • Meine Verantwortung für konstruktive Kommunikation und gelingende Zusammenarbeit • Menschlichkeit oder Sand im Getriebe? • Nur ein Rädchen im Getriebe? • Polen – unser unbekannter Nachbar – Kultur, Religion und Gegenwart • Selbstverständnis als Führer und Geführter • Tot – und dann? • Umgang mit Konflikten • Wenn das Leben dunkel zu werden scheint – Umgang und Verarbeitung von Erlebnissen mit Sterben und Tod im Dienst • Wert des Lebens – lebenswert – was ist das Leben wert? Wertewandel in einer multikulturellen und alternden Gesellschaft! Wer bestimmt über die „Unverfügbarkeit“ menschlichen Lebens? • Zwischen hoffnungslos und hoffnungsvoll

5 Siehe Homepage http://www.bundespolizei-seelsorge-katholisch.de/common/content/lehr gaenge-_-tagungen–2015/berufsethische-lehrgaenge/ [Zugriff 9. 1. 2015].

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Über diese allgemeinen Angebote der Polizeiseelsorge hinaus werden die Seelsorger immer wieder in einzelnen Inspektionen zu Thementagungen für Teams oder zu Führungsklausuren angefragt und gebeten. Auch spezifische Themen des Glaubens stehen auf der Angebotsagenda der Polizeiseelsorge. Auch hier ein Einblick in das vielfältige Angebot 2015: • „So war’s doch nicht gemeint“ – Streitkultur • Adventswochenende • Auf dem Jakobsweg von Hohenberg bis Esslingen • Auf den Spuren des Heiligen Benedikt (Motorradwallfahrt) • Auffrischungs-Kommunikationskurs für Paare • Der Glaube als praktische Einübung in gegenseitiges Vertrauen • Die Lebensläufe und die Lebenspläne • Drei Religionen – ein Gott? ( Judentum, Christentum, Islam) • Entschleunigung • Freundlich sein • Glaube – brauchen wir das heute noch? Wenn ja – wie geht das!? • Klosterwege erleben und erfahren (Fahrradwallfahrt) • Kommunikationskurs für Paare • Kraft aus Stille • Mehr als bunte Uniformen und Hellebarden: Die Päpstliche Schweizergarde • Polen – unser unbekannter Nachbar – Kultur, Religion und Gegenwart • Radpilgern auf den Spuren der Ottonischen Kaiser • Radpilgern auf der Via Regia im Bistum Meißen/Dresden • Romseminar • Theorie und Praxis – Analyse, Handlungsoptionen, Begründungsstrategien und Ethos der Verantwortbarkeit eigenständigen Handelns im Rahmen der BPOL-Leitlinien • Unterwegs auf den Spuren des Heiligen Bernhard (Skiwallfahrt) • Wallfahrt nach Schlesien • Was mir Kraft gibt • Was stresst mich? • Weihnachten – nur ein Geschenkefest? Adventswochenende für Familien • Wertschätzung der Schöpfung. Gesund durch Sport, Grundlagen für eine bessere körperliche Fitness • Wie aus einer Gruppe eine Weltkirche entstanden ist • Wozu noch in der Kirche sein? 6

6 S. http://www.bundespolizei-seelsorge-katholisch.de/common/content/lehrgaenge-_-tagun gen–2015/kirchliche-tagungen/ [Zugriff 9. 1. 2015].

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Schließlich werden immer wieder Familienfreizeiten und -rüstzeiten angeboten, die tatsächlich der Gemeinschaftsbildung (Koinonia) dienen, aber v. a. auch wichtig sind, für die Beziehungs- und Vertrauensbildung zwischen Polizisten und Seelsorgern. Darüber hinaus ist wichtig, die Familiensysteme aufgrund ihrer besonderen Belastungen zu stützen.

Polizeiseelsorge im institutionellen staatlichen Raum Polizeiseelsorge steht auf dem Boden der Verträge zwischen Bund und Ländern und Kirchen. Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit ermöglicht, dass durch dieses kirchliche Engagement den Menschen gedient werden kann. Offenbar wissen die staatlichen Einrichtungen diesen Dienst zu schätzen. Auch in einer Gesellschaft, in der längst nicht mehr alle Glieder der Kirche sind, werden diese Dienste wertgeschätzt. Gerade dann, wenn in den Inspektionen ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen allen Beteiligten herrscht, werden Polizeiseelsorger auch zur ethischmenschlichen Formation der Arbeitsgruppen hinzugezogen. Manchmal können sogar die materiellen Ressourcen der Polizeiseelsorge helfen, Maßnahmen für die Polizisten zu ermöglichen, die sonst kaum zu organisieren wären. Von daher scheint Polizeiseelsorge eingebunden, gewünscht, gehört und geschätzt zu sein. Ob und inwieweit sie auch innerhalb des Systems prophetisch kritisch arbeiten kann oder muss, konnte ich nicht wahrnehmen. Die politische Dimension der Bundespolizei wird an anderer Stelle verhandelt und diskutiert. Innerhalb des Systems scheint die strikte Neutralitätsforderung das Handeln zu bestimmen.

Polizeiseelsorge als Betriebsseelsorge Genau gesehen scheint die Arbeit der Seelsorge bei der Bundespolizei ein typisch ausgearbeitetes Beispiel für qualifizierte Betriebsseelsorge zu sein. Sie kennt die spezifischen Herausforderungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des konkreten Betriebs. Es gibt qualifizierte Begegnungsräume, die ein vertrautes Verhältnis zu den Seelsorgerinnen und Seelsorgern fördern. Mit konkreten und vor allem spezifischen Angeboten wird den Menschen geholfen und so das Evangelium präsent gehalten. Zum Spezifikum dieses Betriebs gehört, wie in anderen Wirtschaftskonzernen auch, die Bedeutung einer Karriereplanung für die konkrete Lebensgestaltung. Damit verbunden sind die Herausforderungen beruflicher Mobilität und auch die Abwägung, sich auf Auslandseinsätze unterschiedlicher Art einzulassen. Der

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Zusammenhang von Arbeitsplatz und Familienbindung wird wahrgenommen und erkannt. Gute Betriebsseelsorge leistet schließlich eine Brücke zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Betrieb und den jeweiligen Führungsetagen, wenn es gelingt, gute Vertrauensarbeit zu leisten.

Die Situation der Polizeiseelsorger Polizeiseelsorger überlasten oder überfordern sich, so eine der Vermutung von Polizeidirektor Willbrand. Eine solche Beobachtung wäre sicher Anlass, innerhalb der Einsatzbereiche zu prüfen, wieviel Selbstsorge für diese Mitarbeiter im Blick ist und welche Förderung möglich ist. Sicher gilt – auch aufgrund der spezifischen Bewerbungssituation und organisatorischen Verortung außerhalb der diözesanen Arbeit – dass es auch spezifische Priester sind, die sich für diesen Dienst interessieren. Dennoch wäre zu prüfen, ob und wie sie als Ordens- und Diözesanpriester nicht auch der Versuchung erliegen, zu vereinzeln. Gerade auch die recht geringe Bedeutung der Liturgie für ihren Dienst muss m. E. durch eine Beheimatung in der feiernden Kirche an einem bestimmten Ort oder eine bestimmten Einrichtung gesichert werden. Gerade als oft reisende Seelsorger brauchen sie ein Netz spiritueller und persönlicher Bindungen, um sich nicht als „presbyter vagans“ (vagabundierender Priester) auszugrenzen. Eine solche kirchliche Verortung kann zugleich weitere Kontakte und Beziehungen eröffnen, die ihnen für die Ausübung ihrer konkreten Aufgaben hilfreich sind. Dieser Beitrag skizziert einen Einblick in die Arbeit der Bundespolizeiseelsorge. Es wäre sicher spannend, die Arbeit noch genauer empirisch zu beleuchten und zu erheben. Der Einblick provoziert jedoch sowohl einzelne Einsichten für die Pastoral der Kirche insgesamt, wie Impulse, die die Arbeit der Bundespolizeiseelsorge für ihre Weiterentwicklung erwägen könnte.

Bundespolizeiseelsorge als Paradigma der Seelsorge Papst Franziskus hat mit seiner Antrittsenzyklika „Evangelii gaudium“7 deutliche Impulse für die Arbeit der Kirche gesetzt. So schreibt er: 7 Apostolisches Schreiben EVANGELII GAUDIUM des Heiligen Vaters Papst Franziskus an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die Personen geweihten Lebens und an die christgläubigen Laien über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. 24. November 2013 (Deutsche Bischofskonferenz, Sekretariat (Hg.):Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles Nr. 194. Bonn, 2013).

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„24. Die Kirche ‚im Aufbruch‘ ist die Gemeinschaft der missionarischen Jünger, die die Initiative ergreifen, die sich einbringen, die begleiten, die Frucht bringen und feiern. ‚Primerear – die Initiative ergreifen‘: Entschuldigt diesen Neologismus! Die evangelisierende Gemeinde spürt, dass der Herr die Initiative ergriffen hat, ihr in der Liebe zuvorgekommen ist (vgl. 1 Joh 4,10), und deshalb weiß sie voranzugehen, versteht sie, furchtlos die Initiative zu ergreifen, auf die anderen zuzugehen, die Fernen zu suchen und zu den Wegkreuzungen zu gelangen, um die Ausgeschlossenen einzuladen. Sie empfindet einen unerschöpflichen Wunsch, Barmherzigkeit anzubieten – eine Frucht der eigenen Erfahrung der unendlichen Barmherzigkeit des himmlischen Vaters und ihrer Tragweite. Wagen wir ein wenig mehr, die Initiative zu ergreifen! Als Folge weiß die Kirche sich ‚einzubringen‘. […] Die evangelisierende Gemeinde stellt sich durch Werke und Gesten in das Alltagsleben der anderen, verkürzt die Distanzen, erniedrigt sich nötigenfalls bis zur Demütigung und nimmt das menschliche Leben an, indem sie im Volk mit dem leidenden Leib Christi in Berührung kommt. So haben die Evangelisierenden den ‚Geruch der Schafe‘, und diese hören auf ihre Stimme. Die evangelisierende Gemeinde stellt sich also darauf ein, zu ‚begleiten‘. Sie begleitet die Menschheit in all ihren Vorgängen, so hart und langwierig sie auch sein mögen. Sie kennt das lange Warten und die apostolische Ausdauer. Die Evangelisierung hat viel Geduld und vermeidet, die Grenzen nicht zu berücksichtigen.“ Diesen Impuls bedenkend, wird klar, dass sich Kirche nicht „auf ihr Feld“ zurückziehen darf, nur im klassischen pfarrlichen Raum zwar „flächendeckend präsent“, aber eben doch noch vor Ort in der Lebenswelt der Menschen. Ansätze, wie die der Betriebsseelsorge dürfen daher m. E. nicht Felder der Pastoral werden, für die gilt „nice to have“. Vielmehr sind sie Vorbilder, was die Nähe zu den Menschen bedeutet. Nur wer in die Welten der Menschen geht, nur wer sie exemplarisch und in ihrer Differenziertheit wahrnimmt, der kann zur rechten Zeit am rechten Ort das richtige Wort finden. Die Arbeit für die 41.000 Mitarbeiter der Bundespolizei kann in diesem Sinn Vorbild für Seelsorge sein. Der Frage müssen wir uns stellen, ob im ortsgemeindlichen Feld so viel echte Seelsorge gelingt. Schließlich lässt sich aus den Erfahrungen lernen, dass Seelsorge in der Regel selbstverständlich konfessionsübergreifend und somit ökumenisch sein kann.

Ideen zur weiteren Vernetzung und Präsenz Zugleich kann jedoch auch gefragt werden, ob aufgrund der personellen und lokalen Bedingungen der Bundespolizei nicht auch hier die Arbeit erweitert werden kann. Drei Aspekte will ich als Anregung leisten:

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a) Die hauptberuflichen Seelsorger müssen nicht alle Priester sein. Es kommt auf die jeweiligen Persönlichkeiten und Kompetenzen an. Und es muss vielleicht mehr als bislang deren Vernetzung in den innerkirchlichen Raum gestärkt werden. b) Die regionalen Arbeitsbereiche der Seelsorger sind sehr weit aufgespannt. Zugleich braucht es für die Nähe zu den Polizistinnen und Polzisten konkrete Personen, die nah ansprechbar sind. Es wäre zu prüfen, ob nahe an den Standorten der Bundespolizei weitere in der territorialen Seelsorge wirkende Hauptberufliche gefunden werden, die Ansprechpartner werden können. c) Eine Ausweitung „nebenamtlicher Seelsorger“ wäre zu prüfen, selbstverständlich mit klarer Einführung in die systemischen Bedingungen der Arbeit der Bundespolizei. Wie in den Inspektionen „Peers“ als Erstansprechpartner in Krisensituationen gefördert werden, so könnte geprüft und gefördert werden, ob nicht engagierte Christinnen und Christen als Polizisten auch gefördert werden, seelsorgliche Kompetenz einzuüben und in ihren Feldern einzubringen. Seelsorge ist nicht und muss nicht allein eine berufliche Aufgabe sein. Diese abschließenden Überlegungen verdeutlichen, dass eine Trennung oder gar Polarisierung zwischen kategorialer und territorialer Seelsorge niemandem dient, dass vielmehr die Grundhaltung und -kompetenz dazu da sind, das Leben der Menschen in dieser Zeit zu fördern.

Franz Josef Jung

Seelsorge bei der Bundespolizei als Ausdruck staatlich garantierter Religionsfreiheit

50 Jahre Seelsorge bei der Bundespolizei ist Ausdruck einer der Schnittstellen zwischen Kirche und Staat. Sie ist auf der einen Seite Teil unseres Selbstverständnisses und unseres verfassungsrechtlich verankerten Grundrechts auf freie Ausübung der Religion und der Verpflichtung, die sich auf der anderen Seite für den Staat daraus ergibt. Sie gibt auch Auskunft über die Rolle von Religion und Glaube im öffentlichen Raum. Die genaue Balance ist zugleich Aufgabe und Herausforderung für alle Beteiligten. Ein halbes Jahrhundert evangelische Seelsorge bei der Bundespolizei ist aber vor allem auch ein Gang durch die jüngere, wechselvolle Geschichte unseres Landes, die von einschneidenden politischen Veränderungen und sich daraus ergebenden neuen Aufgaben und Herausforderungen geprägt war. Allein die Umbenennung von Bundesgrenzschutz in Bundespolizei stößt auch den externen Betrachter schnell auf den grundlegenden Wandel, den die Institution im historischen Kontext vollzogen hat.

Das Verhältnis von Staat, Kirche und Religion – Auftrag aus dem Grundgesetz Kirche und Staat stehen in der Bundesrepublik Deutschland in einem Verhältnis, das sich in Jahrhunderte langen Auseinandersetzungen zunächst um grundsätzliche Unterscheidung, dann um gegenseitige Beeinflussung, und, im Zuge der Reformation, auch um den rechten Glauben ausgeformt hat. Am vorläufigen Ende dieser Entwicklung stehen die Weimarer Verfassung von 1919 und das Bonner Grundgesetz von 1949, das weite Teile des Weimarer Staatskirchenrechts zum „Bestandteil dieses Grundgesetzes“ (Artikel 140) erklärt. Einen konkreten verfassungsrechtlichen Rückhalt finden die Vereinbarungen über die Polizeiseelsorge in den Artikeln 4 und 140 GG. Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Dazu heißt es konkret in

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Absatz 1: „ Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“1 Artikel 4 Absatz 2 des Grundgesetzes garantiert die Ausübung seiner Religion. Anknüpfend an dieses Grundrecht garantiert der Staat die freie Ausübung der Religion auch den in einem besonderen Dienstverhältnis stehenden, an ihrer freien Orts- und Zeiteinteilung häufig gehinderten Personen – ebenso wie es den im normalen Arbeitsleben stehenden Personen möglich ist. Eine weitere verfassungsrechtliche Grundlage findet die Polizeiseelsorge in Art 140 GG. Demnach sind, dem aufgezeigten Gedanken entsprechend, die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen öffentlichen Anstalten zuzulassen, soweit dort das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge besteht. Die besondere Form der Seelsorge garantiert also, dass trotz Einsatzplänen, anhaltenden Dienstphasen und räumlichen Begebenheiten die hinreichenden Ausübungsmöglichkeiten geschaffen werden. Hier hat der Staat eine besondere Verantwortung gegenüber seinen Beamten. Das Grundrecht zur freien Ausübung der Religion hat seine Existenzberechtigung im Bedürfnis der Betroffenen, der Erfüllung der staatlichen Verantwortung und dem Ort ihrer Ausübung benannte Polizeiseelsorge gefunden. Für den säkularen Staat bedeutet der Anspruch der Verfassung gerade nicht, die Religionsfreiheit als negativ verstandene Ausklammerung der Religion aus dem öffentlichen Leben zu deuten und das religiöse Phänomen in das individuelle Gewissen und in den Privatbereich zu verdrängen. Auch den Kirchen garantiert das Gesetz weitreichende Religionsfreiheit sowie das Recht, ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbstständig zu ordnen und zu verwalten. Mit dem Verbot einer Staatskirche Art. 137 (1) WRV „ geht eine grundsätzliche institutionelle Trennung von Kirche und Staat einher. Gleichwohl wird sie aber wegen der vorhandenen verbindenden Elemente schon seit Weimarer Zeiten als ‚hinkende Trennung‘ bezeichnet.“2 Der Staat trennt sich mit seinem säkularen Selbstverständnis von Religion und Kirche, aber er hat beide als schutzwürdige und für sich bedeutsame Faktoren anerkannt, mit denen eine Zusammenarbeit ermöglicht wird. Die Polizeiseelsorge ist somit ein Handlungsfeld, an dem Staat und Kirche gemeinsam beteiligt sind und ihre jeweiligen Interessen einbringen. Der Staat öffnet einen seiner Hoheitsbereiche für die kirchliche Arbeit, um seinem grundgesetzlichen Auftrag nachzukommen. Staatskirchenrechtlich gehört die Polizeiseelsorge entsprechend zu den rex mixtae – den gemeinsamen Angelegenheiten – ähnlich wie die Militärseelsorge. 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Stand: September 2010 2 http://www.kas.de/wf/de/71.8845/ vom 22. 01. 2015

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Im Ergebnis steht bei der Seelsorge in staatlichen Institutionen bis heute im Zentrum, die Verbindung zwischen Staat und Kirche dort herzustellen, wo es um das Recht auf freie Ausübung der Religion geht und die Möglichkeit eingeräumt werden muss, dieses Recht auch wahrzunehmen.

Ein Gang durch die Geschichte – Ursprung der polizeilichen Seelsorge bei den (Landes-)polizeien Fakt ist: Der Zeitpunkt des Beginns der Seelsorge innerhalb staatlicher Institutionen wie der Polizei reicht deutlich weiter zurück als die letzten 50 Jahre. Die Historie der Militärseelsorge reicht gar zurück bis zum 30jährigen Krieg. Da die Erfahrung der Seelsorge in den Landespolizeien als eine Art Blaupause zur Vereinbarungen über die Seelsorge im Bundesgrenzschutz von 1965 diente, wird im Folgenden auf deren Entwicklung abgestellt. So liegen die ersten Anfänge der Polizeiseelsorge in den Ländern, genauer: im Gebiet des damaligen Deutschen Reiches in Bayern. Dort entwickelte sich dieser besondere kirchliche Dienst – zunächst ausschließlich katholisch geprägt – parallel mit der Entstehung einer Polizeitruppe im Jahr 1919. Zwei Jahre später fasste man den Gedanken, für die evangelischen Beamten der Landespolizei München einen Geistlichen im Nebenamt einzustellen. Als Hauptgründe für die Notwendigkeit einer Polizeiseelsorge wurde vor allem die örtlich gebundene Arbeit – der „kasernierte“ Charakter – der Polizisten und die unregelmäßigen Dienstzeiten angeführt, die eine Teilnahme an einem regelmäßigen religiösen Leben in ihren eigentlichen Heimatgemeinden erschwerten. Denkansatz war somit das berechtigte Anliegen auf die freie Ausübung der Religion. Dieses maßgebliche Grundrecht, das sich heute in Artikel 4 unseres Grundgesetzes findet, fand auf diese Weise beispielhafte Anwendung. Angesichts heutiger Diskussionen, Interpretationen und komplexer Fragestellungen darüber, wie die Religionsfreiheit wirken kann und darf, wäre es manchmal wünschenswert, man würde sich auf dieses vergleichsweise schlichte Beispiel zurückbesinnen. Schnell entwickelten sich landesweit feste Strukturen. Ende 1932 bot die bayerische Polizeiseelsorge folgendes Bild: an jedem der Standorte waren Geistliche beider Konfessionen tätig. Mindestens einmal im Monat fanden „lebenskundliche“ Vorträge mit anschließender Diskussion statt. Hinzu kamen gemeinsame „Freizeitenbewegungen“3, wie es damals hieß, sowie die Abhaltung von regelmäßigen Polizeigottesdiensten.Ähnliche Bemühungen gab es parallel vor allem auch in Württemberg und teilweise in Preußen. 3 Geschichte und Rechtsgrundlagen der Polizeiseelsorge in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und Berlin, Heribert Schwark, 1986.

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Erstaunlich ist, wie sich, zumindest in ihren Grundanlagen und in ihrem Anspruch, die damaligen seelsorgerischen Angebote von damals mit der Polizeiseelsorge von heute decken. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde alsbald auch das Ende der Polizeiseelsorge in den Ländern eingeläutet. Schnell zeigten sich Bestrebungen der neuen Machthaber, ihre Ideologie in die Arbeit der Seelsorge hineinzutragen. In Bayern wurde mit der Überführung der Landespolizei in die Wehrmacht gleichzeitig finanziell und personell der Polizeiseelsorge der Nährboden entzogen. Auch in Preußen kam mit der Eingliederung der Landespolizei in die Reichswehr die Polizeiseelsorge quasi zum Erliegen. Viele Geistliche wurden entlassen oder in Rente geschickt. Den vorläufigen Schlußpunkt bildete ein Erlass Heinrich Himmlers 1937, der die Bestimmungen über die Polizeiseelsorge aufhob.

Nach dem zweiten Weltkrieg – Neuorientierung und Wertebildung Nach Ende des zweiten Weltkriegs nahmen sowohl die katholische und als auch die evangelische Kirche bereits 1945 – auch auf Mitinitiative der Alliierten – die Arbeit der Polizeiseelsorge gemeinsam wieder auf. Personell knüpfte die Seelsorge teilweise genau dort an, wo sie 1933 aufgehört hatte. Die Erkenntnis zu einer verstärkten Ausrichtung hin zu ethischen Fragen, die dem besonderen Profil der Polizeiarbeit beim Neuanfang der noch jungen Demokratie Rechnung tragen sollten, war eine eindeutige Neuerung in der Seelsorge. 1950 kam es im Polizeiinstitut Hiltrup zu einer ersten Arbeitstagung für Berufsethik. Grundsätzlich standen die Menschen nach der Katastrophe des Nationalsozialismus nicht nur vor Trümmern aus Schutt, sondern vor allem vor den Trümmern fehlgeleiteter Moral und hoher Schuld. In einem mühsamen Prozess musste zunächst eine tragende Basis für jene verloren gegangenen Werte gefunden werden, auf die eine zunächst desorientierte Gesellschaft und eine junge Demokratie begründet werden konnten. Eben dieses Bewusstsein um die eigene große Schuld- und Fehlerhaftigkeit veranlasste diese Generation, Gott als Instanz zu erkennen und zuzulassen. Auch später, während der Zeit der Überwindung der DDR-Diktatur und danach, war es das Christentum mit seinen Werten, das vielen Menschen Halt und eine Richtung gab. Damit sind die christlichen Werte eine wesentliche Quelle jener gemeinsamen Überzeugung und Orientierung unserer Gesellschaft, ohne die diese auf Dauer keinen Bestand hätte.

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Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, wenn damals festgestellt wurde, dass die gesamte polizeiliche Arbeit dem Fundament einer Berufsethik bedürfe. Diese müsse neben den Grundwerten auch Fragen der letzten Verantwortlichkeit behandeln. Die EKD appellierte 1950 entsprechend an die Leitungen ihrer Landeskirchen, die Polizeiseelsorge in den Ländern neu zu beleben und entsprechenden Kontakt mit den Regierungen und Polizeibehörden der Länder aufzunehmen. 1952 fand im Rahmen der EKD die erste Tagung der mit der Seelsorge an der Polizei, dem damals gerade neu gegründeten Bundesgrenzschutz und dem Zolldienst befassten Pfarrern statt. Ziel waren der Erfahrungsaustausch sowie die Gewinnung gemeinsamer Richtlinien für die Arbeit. Mit dieser Tagung wurde der Grundstein für die Seelsorge beim Bundesgrenzschutz und der späteren Bundespolizei gelegt.

Seelsorge bei Bundesgrenzschutz/Bundespolizei – Neugründung, Aufgaben und Aufbau Der besondere kirchliche Dienst im Bundesgrenzschutz fand seine Regelung in den Vereinbarungen über die evangelische bzw. katholische Seelsorge im Bundesgrenzschutz, die 1965 in Kraft traten. Die Seelsorge beim Bundesgrenzschutz, der späteren Bundespolizei, war geboren. Dass letztlich die Erfahrung der Seelsorge in den Landespolizeien quasi als Blaupause zur Vereinbarungen über die Seelsorge im Bundesgrenzschutz diente, zeigt sich in den deutlichen Parallelen mit den drei Jahre älteren Vereinbarungen über die Wahrnehmung der Polizeiseelsorge in Nordrhein-Westfalen. Vertragspartner der Vereinbarung waren auf evangelischer Seite zunächst 6 Landeskirchen. Die Vereinbarung wurde jedoch mit einem gesonderten Paragraphen versehen, der den Beitritt weiterer Landeskirchen vorsah. Im Gegensatz zu „echten“ Staatskirchenverträgen wurde die parlamentarische bzw. synodale Zustimmung als nicht notwendig erachtet, da es sich um reine Verwaltungsabkommen handelte. Es wurde festgelegt, dass die künftigen Grenzschutzseelsorger hauptamtlich tätig sein würden. Dabei würden sie ausschließlich ihren Landeskirchen unterstehen, d. h. der Staat verzichtete gemäß der Trennung zwischen Kirche und Staat auf mögliche Eingriffsbefugnisse. Gleichwohl übernahm der Bund die Besoldung sowie die Ausstattung mit Hilfsmitteln. Die Grenzschutzseelsorger verwalten bis heute ein kirchliches Amt und sind in Ausübung von Lehre und Seelsorge an staatliche Weisungen nicht gebunden, sondern ausschließlich ihren kirchlichen Vorgesetzten verantwortlich. Die Seelsorge ist damit eindeutig Teil kirchlicher Arbeit.

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Franz Josef Jung

Zu Beginn wurden neun Seelsorger von ihren Landeskirchen für das neue Amt beurlaubt. Dass die Tätigkeit nicht nur Beruf sondern auch Berufung sein würde, wurde in Artikel 6 der Vereinbarung von 1965 deutlich: hier wurde geregelt, dass der dienstliche Wohnsitz in der Regel am Standort des für sie zuständigen Grenzschutzkommandos sein würde. Doch im Gegensatz zur Militärseelsorge, die quasi den Charakter einer gesonderten Gemeinde hat, handelt es sich bei der Grenzschutzseelsorge vielmehr um eine berufsgruppenorientierte Seelsorge. Die Beamten gehören weiterhin ausschließlich ihrer Ortskirche an. Die kirchliche Leitung obliegt bis heute dem „Beauftragten für die evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz“, der in Stellung und Kompetenz dem Militärbischof gleich kommt. Dieses Amt wurde zuerst von Prälat Walter Roth wahrgenommen. Nach den organisatorischen und strukturellen Fragen wurden die Aufgaben festgelegt. Dazu gehörten u. a. die Gewährleistung der Ausübung der Seelsorge beim Bundesgrenzschutz, der Vollzug kirchlicher Amtshandlungen und die Seelsorge am Einzelnen. Wichtiges Detail: die Verankerung der negativen Religionsfreiheit, d. h. die freie Entscheidung der einzelnen Vollzugsbeamten bleibt gewahrt, die persönliche Seelsorge in Anspruch oder eben auch nicht in Anspruch zu nehmen. War und ist die Erörterung religiöser Lebensfragen oder die Teilnahme am kirchlichen Leben im Sinne der Religionsfreiheit freiwillig, so ist eines verpflichtend: die Teilnahme am berufsethischen Unterricht. Bis heute bildet dieser eine zentrale Säule der Ausbildung und der Lehrpläne. In diesem Sinne wahrt der Staat seine Neutralität. Fundamente der seelsorgerischen Tätigkeit sind somit auch heute, neben der berufsethischen Erziehung der Beamten, die eigentliche Seelsorge sowie religiöse Lebensfragen und die dienstliche Unterstützung der Grenzschutzseelsorger – auch durch die Vorgesetzten im Bundesgrenzschutz – sowie die Ermöglichung der Teilnahme am kirchlichen Leben. Doch die neue Arbeit war über die Jahre auch von einer soziologischen Entwicklung gekennzeichnet: Die Vorstellung der Kirche war nicht, sich als eine Art moralische Instanz zu sehen, vielmehr war und ist es Anspruch der Seelsorger, in kritischer Solidarität zu begleiten, das Gewissen zu schärfen und Fragen der letzten Verantwortlichkeit des Handelns nahezubringen. Die kirchliche Arbeit in der Polizei hat den historischen Prozess und den Wandlungsprozess des Bundesgrenzschutzes hin zur Bundespolizei auf ihre Weise mit vollzogen. Veränderungen im Aufgabenprofil, Einbindung von einem jeweiligen politischen System geprägte staatliche Institutionen sind Herausforderungen, denen sich die Seelsorge der Bundespolizei in den letzten Jahrzehnten stellen musste.

Seelsorge bei der Bundespolizei als Ausdruck staatlich garantierter Religionsfreiheit

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Christliches Menschenbild als Fundament staatlichen Handelns in einem säkularisierten Staat In der Präambel des Grundgesetzes heißt es: „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“. Daraus ergibt sich eine Verpflichtung, die von einem säkular ausgerichteten Staat zunächst mit Leben gefüllt werden muss. Die Seelsorge bei der Bundespolizei unterstreicht die Bedeutung des heutigen Verhältnisses zwischen Kirche und Staat: die Unabhängigkeit des Seelsorgers in der staatlichen Institution muss gewahrt werden bei gleichzeitiger Bereitschaft der Kirche, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die berufsethische Bildungsarbeit in der Polizei zur Verfügung zu stellen bzw. diesen Dienst dem Staat anzubieten. Dies ist jedoch überhaupt nur möglich, wenn Polizei eine Institution des Staates ist, dessen ethische Grundlagen mit der christlichen Ethik in Einklang und nicht im Gegensatz zueinander stehen. Dies ist nicht unbedingt selbstverständlich. „Ohne Werte ist kein Staat zu machen“4, so könnte man es kurz und knapp formulieren. Wie in vielen Fragen geht es in einem säkularen Staat und einer zunehmend orientierungslosen Gesellschaft darum, welche gemeinsame geistige Grundlage er findet. Eine der bekanntestes Einlassungen hierzu ist die Überlegung des Richters am Bundesverfassungsgerichts Ernst Wolfgang Böckenförde, der hierzu feststellte: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“5 Nach Böckenförde ist der Staat darauf angewiesen, Ressourcen – oder auch „soziales Kapital“ – zu schaffen, die er selbst nicht schaffen kann. Er kam zu der Schlussfolgerung: „Für Staat und Gesellschaft liegt es nahe, die Begründung, die sie aus sich nicht leisten können, vor allem der Kirche zuzuweisen, ja sie von ihr zu erwarten; im Konzept segmentierender gesellschaftlicher Differenzierungen erscheint die Kirche zwar nicht ausschließlich, aber neben Kunst, Dichtung, Philosophie doch in bevorzugter Weise für Sinnfragen und Sinnvermittlung zuständig.“6

Damit räumt Böckenförde – zu Recht – der Bedeutung christlicher Werte einen hohen Stellenwert für das Zusammenleben unserer Gesellschaft ein, die sich auch in den zentralen Grundrechten unserer Verfassung widerspiegeln. Ausgangspunkt hierfür ist das christliche Menschenbild. Das heißt: Jeder Mensch ist einzigartig und steht als Einzelner vor seinem Schöpfer. Der Mensch besitzt damit eine Würde und Unantastbarkeit, die ihm nicht erst von der Gesellschaft aktiv zuerkannt werden muss, sondern die nur anerkannt werden 4 Titel des 8. Kongress christlicher Führungskräfte, 19. 01. 2013. 5 Staat, Gesellschaft, Freiheit, Ernst-Wolfgang Böckenförde, 1976, S. 60. 6 Staat, Gesellschaft, Freiheit, Ernst-Wolfgang Böckenförde, 1976. S. 167

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kann. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich für den einzelnen Menschen in seiner natürlichen Würde und für den einzelnen Christen zentrale Tugenden wie Glaube, Liebe, Hoffnung und Barmherzigkeit. Übersetzt auf den Staat, kristallisieren sich aus den christlichen Tugenden vor allem die Würde und die Freiheit als Eckpfeiler heraus, auf denen das staatliche Gefüge ruht. Die spezielle Bedeutung diese Eckpfeiler zeigt sich meist erst dann, wenn der Staat die Würde und Freiheit der Menschen nicht achtet. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Religionsfreiheit), die Meinungsfreiheit sowie die Freiheit von Kunst und Wissenschaft und der Schutz von Ehe, Familie und Kindern sind zentrale Grundrechte unserer Verfassung, die sich direkt oder mittelbar aus den Tugenden des christlichen Menschenbildes ableiten. Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag fühlt sich seit ihrer Gründung einer Politik auf der Basis des christlichen Menschenbildes verpflichtet. Um Missverständnissen vorzubeugen: es gibt keine christliche Politik, ebenso wie es keine christliche Bundespolizei gibt. Doch es sind christliche Werte, die in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und in unserem Zusammenleben ihre Entfaltung finden. Für die Innenwirkung ist daher die christliche Seelsorge der Bundespolizei die Erfüllung eines Auftrages, den uns die Verfassung klar vorgibt. In der Außenwirkung bildet sie eines der Fundamente für ein tiefes Vertrauensverhältnis zwischen Bundespolizei und Bürgern, ohne das unsere Demokratie so nicht denkbar wäre.

Ausblick und Perspektive der Seelsorge bei der Bundespolizei Deutschlandweit arbeiten rund 40.000 Beamte bei der Bundespolizei, vor allem an Häfen, Flughäfen und Verkehrswegen. Sie sind für den Objektschutz besonderer Gebäude verantwortlich und engagieren sich weltweit in 73 Ländern für auswärtige Aufgaben. Aktuell gibt es bundesweit 11 hauptamtliche und 6 nebenamtliche evangelische Seelsorgerinnen und Seelsorger. Sie organisieren berufsethische Lehrgänge, kirchliche Tagungen, Bildungsangebote und seelsorgerische Begleitung. Sie begleiten bei Einsätzen und beraten in Krisensituationen. Aus dem Alltag der Bundespolizei sind sie nicht mehr wegzudenken. Auch wenn die religiöse Bindung in der Gesamtbevölkerung zu schwinden scheint: gerade in einsatzbedingten Extrem- und Grenzsituationen, auf die Sinnfragen oder Fragen um die eigene Existenz folgen, wird sich häufig auf die

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Seelsorge zurückbesonnen. Hier liegen zugleich Chance und Herausforderung der Seelsorge in der Zukunft. Die Zahlen belegen: Trotz aller Behauptungen, die Menschen seien weniger religiös, liegt der Anteil religiös und spirituell geprägter Menschen in Deutschland immer noch bei rund 68 Prozent. Rund 24 Millionen Gläubige gehören der evangelischen Kirche an. Bei den Zuwanderern finden sich unterschiedlichste religiöse Strömungen. Die Religionslandschaft in Deutschland wird vielfältiger werden. Dies könnte auch die Seelsorge in der Bundespolizei beeinflussen. Die bedeutende Funktion der Seelsorge in der Bundespolizei als Ausdruck des gelebten Grundrechts auf Religionsfreiheit und ihr ethischer Auftrag als Grundpfeiler für das Vertrauensverhältnis zwischen staatlicher Institution und Bürgern wird bleiben.

Thomas Oppermann

Kirche und Staat im gesellschaftlichen Wandel

Es ist ein Beruf, bei dem Extremsituationen zum Alltag gehören: Bundespolizistinnen und Bundespolizisten werden bei ihren Einsätzen immer wieder enormen körperlichen und seelischen Belastungen ausgesetzt. Seit über 50 Jahren steht die kirchliche Seelsorge den Beamten und ihren Angehörigen dabei zur Seite. Die Zusammenarbeit zwischen Bundespolizei und Kirchen, wie sie in den „Vereinbarungen über die evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz“ 1965 erstmals geregelt wurde, hat sich als Erfolgsgeschichte erwiesen. Im Namen der SPD-Bundestagsfraktion gratuliere ich allen Verantwortlichen zum Jubiläum. Ihre Arbeit verdient großen Respekt und Anerkennung. Weil der Bundespolizei in den vergangenen Jahren zusätzliche Aufgaben übertragen wurden, gilt dies heute umso mehr. Gleichwohl: Dass die Seelsorger in einem Dienstverhältnis mit der Bundespolizei stehen, aber „der Lehrzucht und Disziplinargewalt ihrer Landeskirchen“ unterworfen und „an die landeskirchlichen Ordnungen gebunden“ sind, ist keine Selbstverständlichkeit. Sondern an der Seelsorge in der Bundespolizei entzündet sich die verfassungsrechtliche Grundfrage, in welchem Verhältnis Kirche, Religionen und deutscher Staat angesichts eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels heute stehen. Denn Gesellschaft und Kirchen befinden sich inmitten von enormen Veränderungen: Im Jahr 1950 gehörten noch gut 95 Prozent der Deutschen einer der beiden großen Kirchen an. Heute sind es weniger als 60 Prozent. Zugleich sucht mit dem Islam eine weitere Weltreligion ihren Ort in der deutschen Gesellschaft; mittlerweile gehören ihr knapp vier Millionen Einwohner an. Durch diese Verschiebungen geraten die hergebrachten Beziehungsstrukturen zwischen den christlichen Volkskirchen und dem Staat unter Druck und die Stellung von Religion im öffentlichen Raum wird immer häufiger zum Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung – vom Streit um den Religionsunterricht in Berlin bis zum aktuellen „Kopftuch-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts. Es gibt Stimmen, die angesichts der sich verändernden Verhältnisse für eine rigorose Trennung von Religion und Staat nach französischem Vorbild plädie-

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Thomas Oppermann

ren. Der Gedanke dahinter: Erst ein wirklich religionsdistanzierter Staat entspreche der Maßgabe des Grundgesetzes, keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Ich halte diese Forderung für nicht zielführend. Ja, dem Grundgesetz zufolge ist der Staat gegenüber den Religionen neutral – aber er ist ihnen zugleich zugewandt und offen. In den vergangenen Jahrzehnten ist ein kooperatives Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften entstanden, von dem die ganze Gesellschaft profitiert. Neben der Seelsorge ist die Wohlfahrtspflege ein gutes Beispiel: Wer würde bestreiten, dass die Angebote der kirchlichen Verbände das deutsche Sozialsystem vielfältiger und stabiler machen? „Nicht weniger Kirche ist deshalb das Gebot der Stunde, sondern mehr Partner in die Zusammenarbeit mit dem Staat einzubeziehen“, bringt es der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Thierse auf den Punkt. Aus diesem Grund will sich die Deutsche Islamkonferenz künftig mit den Schwerpunktthemen „muslimische Wohlfahrtspflege“ und „muslimische Seelsorge“ beschäftigen. Richtig so! Klar ist aber auch: Parallel zu diesem Öffnungsprozess stehen der Staat und die beiden Großkirchen unter Druck zu begründen, warum der Staat den Kirchen Vorrechte einräumt, die manche als überholte Privilegien ansehen. Und an einigen Stellen werden Veränderungen im Verhältnis von Kirchen und Staat notwendig sein – nicht im negativen Sinne als bloße Rückzugsgefechte, sondern durchaus positiv im Eigeninteresse lebendiger Kircheninstitutionen. Beispielsweise hat sich die SPD-Bundestagsfraktion in den vergangenen Jahren intensiv mit dem kirchlichen Arbeitsrecht beschäftigt. Dieses unterscheidet sich in Bezug auf Löhne und Arbeitsbedingungen von den für sonstige Arbeitnehmer geltenden Bestimmungen. Unserer Meinung nach darf das grundgesetzlich garantierte Recht der Kirchen auf die Gestaltung der eigenen Angelegenheiten nicht dazu führen, dass die kirchlichen Beschäftigten weniger Rechte haben als andere Angestellte. Das Streikrecht etwa muss auch im so genannten Dritten Weg gelten. Zudem lehnen wir es ab, wenn Menschen aufgrund ihrer individuellen Lebensführung außerhalb des Arbeitsplatzes im Berufsleben diskriminiert werden – ein Problem, das insbesondere in der Katholische Kirche zu Diskussionen geführt hat. Hinzu kommen weitere Themen, die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden und mit denen sich die großen Kirchen auseinandersetzen müssen: Wie gehen wir mit dem Gesetzgebungsauftrag aus Art. 138 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung um, die Vermögensbeziehungen zwischen Staat und Kirchen zu entflechten? Müssen öffentliche Gremien wie die Rundfunkräte so umgestaltet werden, dass neben den großen Kirchen auch andere Religionsgemeinschaften angemessen repräsentiert sind – und welches Repräsentationsverhältnis ist fair? Sollten bei Feierlichkeiten zur Eröffnung öffentlicher Gebäude oder Einrichtungen Vertreter aller am Ort relevanten Religionsgemeinschaften mitwirken?

Kirche und Staat im gesellschaftlichen Wandel

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Die christlichen Kirchen sind längst dabei, diese für ihre Zukunft elementaren Fragen zu diskutieren und die eigenen Positionen weiterzuentwickeln. Das zeigt nicht zuletzt die vorliegende Festschrift, in der die Balance zwischen Religionen und Staat eine zentrale Rolle spielt. Den Herausgebern gebührt großer Dank dafür, diesen Schwerpunkt gewählt zu haben.

Volker Beck

Seelsorge in der Bundespolizei im Spannungsfeld von Religionsfreiheit und religiöser Pluralität

Seelsorge ist elementarer Glaubensvollzug. Sie markiert den Anspruch und die Aufgabe der christlichen Theologie, gerade in der Sorge um die psychischen Aspekte des Menschseins ansprechbar und erlebbar zu sein. Dieses dimensionale Verständnis von Seelsorge als Grundeinstellung, die alle religiösen Lebensäußerungen beeinflusst, war mit Sicherheit auch einer der bestimmenden Faktoren dafür, Seelsorge auch für die Angestellten und Beamten der Bundespolizei vorzusehen und formal zu regeln. Denn Seelsorge findet zwar überwiegend im Nahbereich der Gemeinde statt, aber sie kann und sollte auch und gerade dort gewährleistet sein, wo Menschen in konkreten Situationen Beistand und Hilfe brauchen oder brauchen könnten: Im Krankenhaus, im Gefängnis oder eben auch bei der Bundespolizei. Die folgenden Gedanken wollen, von diesem Grundgedanken ausgehend, einige Aspekte dessen benennen, was religiöse Seelsorge im religionsneutralen Staat bedeutet und wie sie zu rechtfertigen ist. Der Titel dieses Beitrags deutet die Schwierigkeiten bereits an: Religionsfreiheit in all ihren drei Dimensionen (positiv, individuell, kollektiv, aber auch negativ) bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Staat niemanden zur Wahrnehmung des Angebotes zur Seelsorge verpflichten darf, der dies nicht möchte. Gleichzeitig aber hat der Staat mit Art. 3 Grundgesetz sicherzustellen, dass die faktisch existierende religiös-weltanschauliche Pluralität in Deutschland nicht zu gleichheitswidrigen Bevorzugungen oder Benachteiligungen bestimmter religiöser oder weltanschaulicher Überzeugungen führt. Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.

So prosaisch und pragmatisch regelt die Weimarer Reichsverfassung von 1919 in Artikel 141 das, was herkömmlich unter dem Begriff „Anstaltsseelsorge“

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Volker Beck

verhandelt wird. Das Bonner Grundgesetz von 1949 hat diese weise Regelung übernommen und erlaubt es grundsätzlich allen Religionsgemeinschaften, ihre Angehörigen in „öffentlichen Anstalten“ zu betreuen. Glaubt man der rechtswissenschaftlichen Literatur, ist dies heute im Grundsatz unstrittig und für den Bereich der Krankenhäuser, Gefängnisse und der Bundeswehr relativ selbstverständlich etabliert. Auch im Bereich der Polizei- und Notfallseelsorge gibt es Bedürfnisse nach Beratung und Betreuung, sind es doch gerade Polizistinnen und Polizisten, Pflegerinnen und Pfleger sowie Ärztinnen und Ärzte, die im Fall von Unglücken, Unfällen oder sonstigen Gefahren als erste vor Ort sind und das Grauen, das sich dem Betrachtenden bietet, verarbeiten müssen. Insofern ist es nur naheliegend und sinnvoll, dass – neben den Polizeien der Länder – selbstverständlich auch die Bundespolizei seelsorglich betreut wird. Zu diesem Zwecke vereinbarten die Bundesrepublik Deutschland und die katholische bzw. evangelische Kirche 1965 die rechtliche Regelung über die Seelsorge im Bundesgrenzschutz, dessen Abschluss sich aktuell zum 50. Mal jährt. Anlass also, ausgehend von der „Anstaltsseelsorge“ im Allgemeinen und der Seelsorge bei der Bundespolizei im Besonderen einmal das deutsche Verhältnis von Staat und Religion zu betrachten und auf seine Zukunftsfähigkeit hin zu befragen.

Geschichte und Gegenwart der Seelsorge bei der Bundespolizei Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es der Polizeiseelsorge in der BRD v. a. um die pastorale Betreuung der durch den Berufsalltag ihren Heimatgemeinden entfremdeten Polizeibeamten. Weitreichende Veränderungen in der Gesellschaft stellen die Polizeiseelsorge vor neue Herausforderungen. […] Zunehmend gefragt sind Orientierungshilfen und Sinnantworten in persönlich belastenden Spannungssituationen zwischen Gewissen und Gesetz, mit Ad-hoc-Entscheidungen (mit z. T. irreversiblen Folgen), ständiger Konfrontation mit Kriminalität, Brutalität und akuten Notfällen. Die Polizeiseelsorge muß im Polizeialltag sinnorientierende und kritisch-reflektierende Begleitung aus dem christlichen Glauben geben.1

Aus katholischer Perspektive ist hier Geschichte und Gegenwart dessen beschrieben, was Polizeiseelsorge ist und leisten kann. Pars pro toto gilt dies auch für die Bundespolizei-Seelsorge, die ein spezifisches Gepräge hat und haben muss, ist sie einerseits Betreuung einer Bundespolizei, die (im Gegensatz zu den Polizeien der Länder) im gesamten Bundesgebiet und darüber hinaus einsetzbar ist und eingesetzt wird, aber andererseits auch Tätigkeitsfeld von Menschen, die 1 Franke: Art. Polizeiseelsorge in: Lexikon für Theologie und Kirche, durchgesehene Ausgabe der dritten Aufl., Band 8, Freiburg im Breisgau 2006, Sp. 396.

Seelsorge im Spannungsfeld von Religionsfreiheit und religiöser Pluralität

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mitunter fernab ihrer Heimat leben und arbeiten müssen oder zumindest einen Großteil ihrer Arbeitszeit so verbringen. Denn mit der Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei am 01. 07. 2005 ist ein Prozess zu einem vorläufigen Ende gekommen, der zu einer Erweiterung der Aufgaben der Bundespolizei über den Kernbereich der Grenzsicherung hinaus geführt hat. Heute ist die Bundespolizei nicht nur für den Schutz der Grenzen (§ 2 BPolG) zuständig. Sie hat auch die Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (§ 3 Absatz 1 BPolG). Ihr obliegt der Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs (§ 4 BPolG) auf zur Zeit 14 Großflughäfen. Sie kann zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Sicherheit oder Ordnung an Bord deutscher Luftfahrzeuge eingesetzt werden (§ 4a BPolG). Sie kann Verfassungsorgane des Bundes und Bundesministerien gegen Gefahren, die die Durchführung ihrer Aufgaben beeinträchtigen, schützen (§ 5 BPolG). Ihr obliegen Aufgaben auf See (§ 6 BPolG). Sie kann zur Mitwirkung an polizeilichen oder anderen nichtmilitärischen Aufgaben im Ausland verwendet werden (§ 8 BPolG). Sie unterstützt andere Bundesbehörden (§§ 9, 10 BPolG) oder ein Land (§ 11 BPolG) und verfolgt Straftaten sowie Ordnungswidrigkeiten (§§ 12, 13 BPolG).2

Damit wird deutlich, dass die Bundespolizei einerseits klassische Polizeiaufgaben wahrnimmt, andererseits aber aufgrund der Arbeitssituation, insbesondere hinsichtlich der persönlichen Beanspruchung für die BundespolizistInnen, gewisse Ähnlichkeiten mit der Organisation der Bundeswehr besitzt. Unter diesen Bedingungen erscheint eine seelsorgliche Betreuung nicht nur unter dem Aspekt der Notfall- oder Dienstbetreuung sinnvoll, sondern auch, um die Härten der Verwendung weitab vom Wohnort zu mildern. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Struktur der Seelsorge in der Bundespolizei, wie sie katholische und evangelische Kirche etabliert haben, nicht derjenigen der Bundeswehr nachgebildet ist, sondern sozusagen „unecht“ die Zugehörigkeit des Seelsorgers wie des Bundespolizei-Angehörigen zu „seiner“ Landeskirche oder „seinem“ Bistum nicht aufhebt. Zeigt sich hierin der verfassungspolitische Pragmatismus in der konkreten Regelung? Mir erscheint dies sehr plausibel.

2 Scheuring: 1951 bis 2005 – vom Bundesgrenzschutz zur Bundespolizei in: NVwZ 2005, 903–905.

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Volker Beck

Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Rahmenbedingungen von Staat und Religion Jenseits der begriffspolitischen Grundsatzstreitigkeiten der Benennung dieses Verhältnisses einerseits („Staatskirchenrecht“ vs. „Religionsverfassungsrecht“) bzw. der Charakterisierung des deutschen Modells der Trennung von Staat und Kirche andererseits („hinkende Trennung“ vs. „wohlwollende Neutralität“) lässt sich festhalten, dass die religionsrechtliche Ordnung, die sich in Deutschland auf Basis der Religionsartikel der Weimarer Reichsverfassung nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert hat, den Kirchen und partiell auch den jüdischen Gemeinden eine ganze Reihe von Möglichkeiten gegeben hat, öffentlichkeitswirksam und gleichsam als Gegenüber des Staates zu agieren. Berücksichtigt man die Zahlenverhältnisse der Bevölkerung und die Integrationskraft der christlichen Großkirchen in den ersten Jahrzehnten nach 1949, so war dies sowohl sachgerecht wie notwendig, denn die Kirchen waren für die absolute Mehrheit der Bevölkerung die wichtigste wertebildende Institution. Doch die Zeit geht weiter: Mit der Wiedervereinigung wurden nicht nur knapp 17 Millionen Menschen Teil des einen Deutschland, sondern auch eines der am meisten säkularisierten Gebiete der Erde. Diese Kluft zwischen dem einstmals religiös-volkskirchlich gebundenen ehemaligen Westdeutschland und dem weithin religionsfreien Osten ist bis heute nicht richtig verarbeitet, geschweige denn religionspolitisch analysiert und diskutiert worden. In eine ganz andere, jedoch nicht weniger wichtige Richtung zielt die Feststellung, dass mittlerweile mit ca. vier Millionen Menschen etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus mehrheitlich muslimischen Ländern stammen, wovon mindestens 45 % die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Aus politischer Bequemlichkeit oder mangelndem Realitätssinn ist die „religiöse Versorgung“ dieser Bevölkerungsgruppe erst in Ansätzen verwirklicht. Seit wenigen Jahren gibt es vier sogenannte „Zentren für Islamische Studien“ an sechs Universitäten und in drei Bundesländern einen islamischen Religionsunterricht, der den Verfassungsvorgaben des Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz entspricht. Da ist noch viel zu tun. Was hat das alles mit der Bundespolizei zu tun? Die staatlich Handelnden, denen der einzelne Bürger, die einzelne Bürgerin sich gegenübersieht, sollen Ausdruck der Vielfalt dessen sein, was Deutschland ausmacht. Dazu gehören Menschen mit Migrationshintergrund ebenso wie Personen, die eine muslimische, alevitische, orthodoxe oder auch gar keine religiöse Zugehörigkeit besitzen. Die Polizei ist hier in der Pflicht, und ich will nicht verschweigen, dass diese Problemanzeige bekannt ist und mannigfache Ansätze bestehen, die Pluralität abzubilden. Wenn es aber der politische Wille ist, die gesamtgesellschaftliche Pluralität auch und

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gerade in Bundeswehr und Bundespolizei sachgerecht zum Ausdruck zu bringen, dann darf die Seelsorge nicht beim Status quo stehenbleiben. So wertvoll und wichtig die existierende christliche Seelsorge bei der Bundespolizei ist, so notwendig ist heute ein Weiterdenken, eine Erweiterung der Seelsorge, zumindest im Hinblick auf muslimische Angehörige der Bundespolizei. Dies ist nicht nur Ausdruck einer politischen Grundüberzeugung, die als Anerkennung gesellschaftlicher Realitäten verstanden werden kann, sondern auch eine harte religionspolitische Forderung: Zu Recht wird die Erlaubnis zu „Anstaltsseelsorge“ aus der Religionsfreiheit des und der Einzelnen hergeleitet, die innerhalb einer solchen „Anstalt“ (freiwillig oder zwangsweise) leben: Die Regelungen zur Anstaltsseelsorge in Art. 141 WRV und in ausführenden Bestimmungen reagieren auf die besonderen Schwierigkeiten von Anstaltsunterworfenen, religiöse Freiheit in öffentlichen Anstalten mit oder ohne Sonderstatusverhältnissen auszuüben. Der aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Grundrechtsberechtigte kann freiwillig oder unfreiwillig von einer staatlichen Anstalt und ihrem Anstaltszweck erfaßt sein, die seine ganze Lebensführung bestimmen (vor allem als Strafgefangener), er kann aus Gründen beruflicher oder sonstiger Dienstpflichten besonderen Freiheitsbeschränkungen unterliegen (z. B. als Soldat, Polizeibeamter oder Angehöriger des Bundesgrenzschutzes) oder aus physischen oder psychischen Gründen auf Unterstützung bei der Religionsausübung angewiesen sein (z. B. als Krankenhauspatient). In solchen staatlich veranlaßten, geschaffenen oder organisierten Anstalten mit rechtlichen oder tatsächlichen Freiheitsbeschränkungen bezweckt die Anstaltsseelsorge, das Grundrecht der religiösen Freiheit zu sichern und zu effektivieren. Es geht um Kompensation: Die staatlich geschaffene Erschwerung der Grundrechtswahrnehmung soll durch die Pflichten des Staates aus Art. 141 WRV ausgeglichen werden.3

Wenn aber die Zahl der „Anstaltsunterworfenen“, um diesen Terminus aufzugreifen, zunimmt, die nicht mehr Mitglied einer christlichen Kirche sind, stattdessen aber einer anderen Religion bzw. Religionsgemeinschaft angehören, so ist es politisch sinnvoll und notwendig, auch bspw. muslimische Seelsorge in Bundeswehr und Bundespolizei zuzulassen.

Schlussbemerkungen Ist die Seelsorge in der Bundespolizei also als sachgerechter Ausdruck der religiösen Fürsorge zu verstehen (was in der Gesellschaft keineswegs unumstritten ist), so sind die Rahmenbedingungen, unter denen sie geleistet wird, wohl als relativ zufriedenstellend zu bezeichnen. Die Kontinuitäten und Brüche, die 3 Maunz/Dürig/Korioth: Grundgesetz-Kommentar (72. EL 2014), WRV Art. 141 Rn. 1.

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zwischen dem Abschluss der Seelsorge-Verträge 1965 und heute liegen, zeigen auf, dass die Rolle der Polizei, aber auch die Rolle der Religion im und für das Gemeinwesen alles andere als statisch zu verstehen ist. Die Dynamik, die das religiöse Feld in Deutschland schon seit Langem auszeichnet, ist politisch bisher kaum sachgerecht wahrgenommen worden. Nun ist insbesondere die Bundespolizeiseelsorge nicht dazu geeignet, als Testfall für den staatlichen und rechtlichen Umgang mit religiöser Pluralität zu dienen. Ein Gedanke dazu soll aber erlaubt sein: Die Vielfalt betrifft (neben „dem“ äußerst heterogenen Islam) in erster Linie die christlichen Konfessionen. In Deutschland leben zusammengenommen etwa eine Million Angehörige verschiedener orthodoxer Kirchen, ohne dass sich dies in der Bundespolizeiseelsorge formal widerspiegelte. Allerdings soll dies nicht als Kritik missverstanden sein, denn im exemplarischen Feld der Seelsorge werden die konfessionellen Unterschiede schnell unscharf. Seelsorge ist immer konkret, und sie fragt im Idealfall nicht nach Herkunft oder Überzeugung einer Person, sondern bietet Hilfe und Unterstützung an. Für das Feld der Ökumene bedeutet dies, dass es vielleicht gar nicht so sehr die rechtlichen Rahmenbedingungen sind, die verändert werden müssen. Stattdessen muss in den Kirchen der Sinn für das Zusammenleben und -arbeiten wachsen: Die Weiterentwicklung der Ökumene wie auch die Herausforderungen des interreligiösen Dialogs gehören zu den wichtigsten Zukunftsaufgaben. In diesem Sinne wünsche ich den Seelsorgevereinbarungen, dass sie ein hohes Alter erreichen und dass sie alsbald Nachkommen hervorbringen in Form weiterer Vereinbarungen mit muslimischen, alevitischen, vielleicht auch orthodoxen Religionsgemeinschaften oder, bis zur Entstehung derselben, übergangsweise auch mit den islamischen Interessensverbänden.4 Denn religiöse Vielfalt ist eine gesellschaftliche Grundtatsache, der wir uns als Politik nicht verschließen sollten. Dies ist der Auftrag unserer Verfassung, wie auch das Bundesverfassungsgericht in seinem jüngsten Kopftuchurteil zutreffendfestgestellt hat: „Die dem Staat gebotene weltanschaulichreligiöse Neutralität ist indessen nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung.“5

4 Vgl. hierzu die Forderungen in der „Roadmap“ zur „Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam in Deutschland“ der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen unter http:// www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/ Islam.pdf (letzter Abruf am 24. 03. 2015) 5 BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2015–1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 –, Rn. 110, juris.

Gregor Gysi

Zwischen Laizismus und religiösem Staat – Über die Notwendigkeit der Seelsorge in der Bundespolizei

Um die Wahrheit zu sagen: Von Militärseelsorge haben alle schon gehört, aber dass es etwas Derartiges auch für die Bundespolizei gibt, dürfte nicht annähernd so bekannt sein. Der Grund liegt einfach in der Populärkultur. Durch Kino, Fernsehen und Unterhaltungsliteratur kennt man einfach, und sei es als Klischee, den „Feldprediger“, der auch seelsorgerischer Tätigkeit nachgeht. Und in eben dieser Populärkultur kommt die Seelsorge für die Polizei nicht vor. An ihre Stelle rückt, insbesondere in amerikanischen Krimiserien, der Polizeipsychologe bzw. die Polizeipsychologin. Wer ab und zu über Populärkultur nachdenkt, weiß, dass sie fast schon unheimlich stark unsere Vorstellungen über das Leben prägt, wie stark auch immer das gleichzeitige Wissen um die Fiktionalität dieser Vorstellungen präsent sein mag. Aber in diesen Vorstellungen drückt sich etwas Richtiges aus: dass Seelsorge und psychologische Betreuung eng miteinander zu tun haben. Man redet über Belastungen. Aber was für Belastungen? Die meisten Menschen kennen die Bundespolizei nur als den einstigen Bundesgrenzschutz (BGS), also als eine Polizei, die Grenzkontrollen durchführt, in den letzten Jahren durch „Schengen“ modifiziert. Man sieht sie auf Bahnhöfen und in Flughäfen. Dann wissen manche, dass die GSG 9, die legendäre Spezialeinheit, zur Bundespolizei gehört. Nur wenige kennen weitere Aufgabengebiete. So werden Sicherungsaufgaben in deutschen Botschaften von der Bundespolizei wahrgenommen. Das habe ich in Bagdad sehr gut erlebt, weil ich in der deutschen Botschaft übernachtete. Viele polizeiliche Aufgaben, die die Bundespolizei übernimmt, sind mit größeren psychischen Belastungen verbunden. Es ist nicht einfach, in einer Stadt wie Bagdad, in der jeden Tag Anschläge stattfinden, auszuharren, ohne die Nerven zu verlieren. Aber auch lange Trennungen von Partnern bzw. Partnerinnen, von Kindern, generell von der Familie wirken sich belastend aus. Oftmals, zumindest für die Bundeswehr und die Militärseelsorge kann man das belegen, werden dafür seelsorgerische Angebote eher in Anspruch genommen als psychologische. Offenbar bestehen bei letzteren größere Probleme, angenommen zu werden.

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Gregor Gysi

Ich habe das alles nur erwähnt, um deutlich zu machen, dass es nicht nur mir einleuchtet, was der Sinn einer Seelsorge für die Bundespolizei sein soll. Ich vermute, daher mein Bezug auf die Populärkultur, dass man das vielen Menschen schnell plausibel machen kann. Dennoch gibt es immer auch ein Problem. Das Problem bezieht sich auf das in Deutschland umstrittene Verhältnis zwischen Staat und Religion. Die verfassungsrechtliche Lage zum Verhältnis zwischen Staat und Religion ist nicht klar. Deutschland ist kein religiöser, aber auch kein laizistischer Staat. Die Weimarer Verfassung, deren diesbezüglich einschlägige Artikel durch das Grundgesetz weiter wirksam sind, bestimmen das Verhältnis von Staat und Religion dahingehend, dass der Staat weltanschaulich-religiös neutral zu sein habe. Eine Art Trennungsgebot zwischen Staat und Religion, im Sinne des Laizismus, ist das nicht, auch wenn das viele glauben. Im Gegenteil. Religionen genießen Privilegien, da sie eine positive Rolle für das Gemeinwohl spielen. Diese rechtssoziologische Prämisse mögen manche bestreiten, aber sie wird verfassungsrechtlich postuliert. Darüber hinaus kann der Staat mit Religionsgemeinschaften Verträge zur Beförderung wichtiger Anliegen schließen. Aber gerade weil die Verfassungslage zum Verhältnis zwischen Religion und Staat nur die liberale Idee der weltanschaulichen Neutralität zum Ausdruck bringt, bleibt dieses Verhältnis politisch stark umstritten. Es gab Ereignisse, an denen das deutlich wird. Das war beim Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts so, das zeigte sich, als die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger beim Missbrauchsskandal von den Kirchen uneingeschränkte Zusammenarbeit bei der Aufklärung von Straftaten einforderte und dafür massive Kritik von katholischer Seite einstecken musste. Das zeigte sich bei den Debatten um Abtreibung und um den Religionsunterricht. Und selbstverständlich ist es äußerst schwierig, die Entschädigungsleistungen des Staates für die Säkularisierung der Kirchengüter zu problematisieren. Die Debatte darum, wie ein angemessenes Verständnis des Verhältnisses von Staat und Religion gefunden und gestaltet werden kann, kann nicht beendet werden. Damit werden alle Kooperationsstrukturen zwischen Staat und Religion, zumindest in der Tendenz, zum Gegenstand kritischer Debatten werden. Das könnte auch die vertragliche Regelung zur Seelsorge bei der Bundespolizei betreffen. Die Kirchen können nur dagegen halten, indem sie deutlich machen, was es den Menschen, in diesem Fall den bedürftigen Polizistinnen und Polizisten, nützt. Ganz unaufgeregt, ganz pragmatisch.

Thomas Osterroth

Die Vereinbarung über die evangelische Seelsorge aus Sicht der Bundespolizei

50 Jahre Seelsorge – noch immer auf der Höhe der Zeit? Seit nunmehr 50 Jahren gibt es die Seelsorge im Bundesgrenzschutz/in der Bundespolizei. Ein wahrlich bedeutsames Jubiläum, in einer nunmehr „50 jährigen Erfolgsgeschichte“ – so hat es der Bundesinnenminister in seinem Grußwort zu dieser Festschrift formuliert. Ein Grund zu feiern. Die formale Gründung der evangelischen Seelsorge erfolgte am 12. August 1965. An diesem Tag trat die Vereinbarung über die evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz in Kraft und – zeitgleich – auch eine im Wesentlichen gleichlautende Vereinbarung über die katholische Seelsorge im Bundesgrenzschutz. Beide Vereinbarungen haben auch heute noch Gültigkeit und sind im Wortlaut nahezu unverändert geblieben. Sind sie aber schon deshalb veraltet, unmodern und nicht mehr zeitgemäß? Gerade in den letzten 50 Jahren haben sich über die gesellschaftlichen Entwicklungen hinaus gerade für den Bundesgrenzschutz/die Bundespolizei erhebliche Veränderungen ergeben. Die Einheit Deutschlands wurde nach 28 Jahren der Trennung wiederhergestellt, die Aufgaben des damaligen Bundesgrenzschutzes und der heutigen Bundespolizei haben sich in gravierender Weise gewandelt und die Organisationsform des Bundesgrenzschutzes/der Bundespolizei ist mehrfach und grundlegend angepasst worden. All dies müsste doch auch entsprechende Auswirkungen auf die Seelsorge haben. Sind also deshalb die grundlegenden Vereinbarungen dringend zu erneuern, um den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden, oder sind sie geeignet als Basis auch für weitere 50 Jahre? Am Beispiel der evangelischen Seelsorge der Bundespolizei möchte ich auf diese Fragen genauer eingehen. Hierzu ist es erforderlich, die Entwicklung der Seelsorge vor dem Hintergrund der Geschichte des Bundesgrenzschutzes (BGS) näher zu beleuchten.

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Die Grundlagen und Anfangsjahre der evangelischen Seelsorge im BGS Die eigentliche Geburtsstunde, der 12. August 1965, stand am Ende eines Prozesses, der sehr viel früher begann. Als der Bundesgrenzschutz 1951 in Lübeck aufgestellt wurde, sollte er in einer Zeit, in der es noch keine Bundeswehr gab, vor allem die Sicherheit der Grenzen der seit zwei Jahren existierenden Bundesrepublik Deutschland insbesondere gegenüber der ebenfalls bereits existierenden DDR gewährleisten. Zu diesem Zweck wurde der Bundesgrenzschutz als „Polizeitruppe“ gegründet, also mit militärisch gegliederten Verbänden, aber von Anfang an polizeilichen Aufgaben. Ausgehend von den schrecklichen Erfahrungen des „Dritten Reiches“ erschien es von Anfang an wünschenswert, darauf hinzuwirken, dass die „Grundsätze einer christlichen Lebensführung“ in die Aufgabenwahrnehmung und die innere Struktur dieser neu aufgestellten Polizeitruppe, die sich zu einem nicht unerheblichen Teil auch aus früheren Wehrmachtsangehörigen rekrutierte, Einzug halten konnten. Des Weiteren war es auch die Sorge um die Seele der Menschen, die nunmehr kaserniert arbeiten und leben sollten, die eine ganzheitliche und somit auch seelsorgerliche Betreuung erforderlich machten. Im Oktober 1952 wurde daher gegenüber den Kirchenleitungen der beiden christlichen Konfessionen die Bitte geäußert, die berufsethische Erziehung und die seelsorgerische Betreuung der BGS-Angehörigen auch durch Abordnung hauptamtlicher Geistlicher zum BGS zu unterstützen. Die Kirchen waren hierzu sofort bereit und stellten zunächst je einen Geistlichen mit dem zentralen Sitz in Hannover zur Verfügung. An diesen Grundpositionen änderte sich auch nichts, als 1956 die Bundeswehr aufgestellt wurde und fast 60 Prozent des damaligen Personalbestandes von rund 14.000 „Grenzschützern“ in die Bundeswehr wechselten. 5 Jahre später, am 13. August 1961, wurde die Teilung Deutschlands durch den Mauerbau manifestiert. Die Auswirkungen des „Kalten Krieges“ waren damit an der innerdeutschen Grenze auch für die BGS-Beamten – mitunter persönlich durch die Trennung von Familien und Freunden betroffen – tagtäglich spürbar und sichtbar. Der Bedarf, sich um die Menschen im BGS seelsorgerlich zu kümmern sowie berufsethische Grundlagen für die Tätigkeit der Beschäftigten zu schaffen, war noch stärker geworden. Und so trat dann schließlich 1965 die längerfristig verhandelte Vereinbarung in Kraft. War es aber überhaupt erforderlich, eine solche Zusammenarbeit zwischen den Kirchen und einer staatlichen Organisation in einer formellen Vertragsform zu regeln, wo doch auch ohne diese Grundlage die Kirchen bereits unterstützt hatten?

Die Vereinbarung über die evangelische Seelsorge aus Sicht der Bundespolizei

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Ein solcher „Staatskirchenvertrag“ hat eine durchaus weiter reichende Wirkung. Denn, wie der heutige Präsident des Kirchenamts der Evangelischen Kirche in Deutschland Hans-Ulrich Anke 2003 in seinen Ausführungen zum Staatskirchenrecht formulierte, wird damit eine „dauerhafte und zuverlässige Ausgestaltung des Verhältnisses von Kirche und Staat“ geschaffen, die sich „als flexibles Instrument zur Ausgestaltung verlässlicher Kooperationen von Staat und Kirchen bewährt hat“. Die über nunmehr 50 Jahre bestehende Vereinbarung und genauso lange praktizierte erfolgreiche Zusammenarbeit bestätigen diese Feststellungen auch für den BGS. Zum besseren Verständnis für die Rolle der Seelsorge im BGS lohnt sich ein Blick in den Text der nun schon mehrfach erwähnten Vereinbarung. Ganz wesentliche Aspekte sind in den §§ 1 und 7 Abs. 1 geregelt. §1 Gewährleistung einer evangelischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz (1) Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet den evangelischen Landeskirchen die Ausübung der Seelsorge im Bundesgrenzschutz. (2) Die Seelsorge umfasst den Dienst an Wort und Sakrament einschließlich des Vollzugs kirchlicher Amtshandlungen und die Einzelseelsorge an den evangelischen Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz. Die freie Entscheidung des einzelnen Polizeivollzugsbeamten bleibt gewahrt. §7 Mitwirkung bei der berufsethischen Erziehung (1) Die berufsethische Erziehung der Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz, die ein Teil der Gesamterziehung ist, beruht auf den Grundsätzen christlicher Lebensführung

Aus diesen Formulierungen werden die beiden Hauptaufgaben der Seelsorge deutlich. Zum einen die seelsorgerliche Tätigkeit im engeren kirchlichen Sinne, zum anderen die Mitwirkung an der berufsethischen Erziehung. Schon 1965 hat man hinsichtlich der berufsethischen Erziehung ganz bewusst die Formulierung „Mitwirkung“ gewählt, um deutlich zu machen, dass diese Aufgabe nicht allein den Seelsorgern übertragen wurde, sondern berufsethische Erziehung in erster Linie in der Verantwortung der Vorgesetzten liegt. Auch wenn sich die damalige Vereinbarung zunächst ausschließlich an Polizeivollzugsbeamte im Bundesgrenzschutz richtete, gab es von Anfang an eine Absprache, dass auch Verwaltungsbeamte auf ihren Wunsch an berufsethischen Veranstaltungen und an der seelsorgerlichen Betreuung teilnehmen können.

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Erwähnenswert ist auch der Umstand, dass auf der kirchlichen Seite insgesamt sechs Unterzeichner aufgeführt waren, die Landeskirchen Bayern, Braunschweig, Hannover, Kurhessen-Waldeck, Lübeck und Schleswig-Holstein. Hierbei handelte es sich um diejenigen Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschlands (EKD), die damals als „Gründungväter“ der Vereinbarung mit dem Bundesministerium des Innern beigetreten sind. Allerdings hatte man klugerweise in § 20 festgelegt, dass auch andere evangelische Landeskirchen dieser Vereinbarung beitreten können. Dies war auch tatsächlich in den Jahren 1979 mit der Landeskirche Baden, 1980 mit den Landeskirchen Württemberg, Rheinland und Hessen-Nassau sowie 1989 mit der Landeskirche Pfalz der Fall. Welche weitreichende Bedeutung diese Beitrittsklausel einmal haben sollte, wurde dann mit der Einheit Deutschlands 1990 deutlich. Denn ab diesem Zeitpunkt gab es auch in den nunmehr neuen BGS-Dienststellen im Beitrittsgebiet einen seelsorgerlichen Betreuungsbedarf, für den die Gliedkirchen in den alten Bundesländern nicht zuständig waren. Die Landeskirchen für die neuen Bundesländer traten dann in den Jahren 1995 bis 1998 auch der Vereinbarung bei. 1999 wurde durch Briefwechsel zwischen der EKD und dem Bundesminister des Innern vereinbart, dass in Zukunft die EKD anstelle zahlreicher Landeskirchen als Vertragspartner bestimmt wird. Die Vereinbarung von 1965 orientierte sich an den damaligen Aufgaben und der Lebenssituation der Polizeibeamten des Bundesgrenzschutzes. In dieser Zeit war die Arbeit der BGS-Beamten geprägt durch die alltägliche Aufgabenwahrnehmung an der Innerdeutschen Grenze in Form von Streifentätigkeit und Postierungen. Aufgabe war auch das Bereithalten für sog. „Grenzzwischenfälle“ wie Fluchtversuche aus der DDR sowie als Extremfall das Vorbereiten auf erste Maßnahmen im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Blöcken (Nato und Warschauer Pakt) am „Eisernen Vorhang“. Diese Situation war sicherlich auch der Grund dafür, dass im Fokus der Seelsorge ausschließlich die Polizeivollzugsbeamten standen und zunächst auch nur für den Bereich der kasernierten Truppen. Obwohl es schon seit 1954 einen Grenzschutzeinzeldienst als Teil des Bundesgrenzschutzes gab, war dieser zunächst nicht von der Seelsorge erfasst. Erst 1971 wurde die Zuständigkeit der Seelsorge dann auch auf den Grenzschutzeinzeldienst ausgeweitet. Der Grenzschutzeinzeldienst hatte in dieser Zeit allerdings auch nur einen Anteil von weniger als 20 Prozent am Personalbestand des Bundesgrenzschutzes. Stets musste sich die Seelsorge auf die sich verändernde personelle Situation und die Entwicklungen in der Aufgabenwahrnehmung des BGS einstellen. Der Bundesgrenzschutz, der 1951 mit zunächst 10.000 Polizeivollzugsbeamten aufgestellt wurde, sollte schon bald auf 20.000 PVB aufgestockt wer-

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den. Diese Zahl wurde jedoch zunächst nicht erreicht. Als mit der Aufstellung der Bundeswehr – wie bereits erwähnt – 60 % der Angehörigen des BGS in die Bundeswehr wechselten, entstanden erhebliche personelle Schwierigkeiten. Aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwunges fanden viele geeignete junge Menschen andere, finanziell weitaus attraktivere, Berufsmöglichkeiten. Dieser Umstand führte sogar in den sechziger Jahren dazu, dass zur Erreichung der angestrebten Personalstärke über eine „Grenzschutzdienstpflicht“ – analog zur allgemeinen Wehrpflicht – zunächst nachgedacht und dieses Vorhaben 1969 tatsächlich realisiert wurde, mit allerdings sehr „gemischten“ Erfahrungen. 1973 konnte diese Personalgewinnungsmaßnahme wieder beendet werden. Bis Ende Juni 1976 war generell mit dem Eintritt in den Bundesgrenzschutz als Polizeivollzugsbeamte noch keine Lebenszeitperspektive in diesem Beruf verbunden. Junge Männer verpflichteten sich für 2, 4, 8 oder 12 Jahre, um nach dieser Zeit eine berufliche Zukunft woanders zu suchen. Es gab zwar die Möglichkeit bei entsprechender Eignung und Qualifikation Beamter auf Lebenszeit (BaL) zu werden, dies war jedoch nicht der Regelfall. Der Bundesgrenzschutz war also geprägt durch junge Männer, die nur eine relativ kurze Zeitdauer in diesem Beruf blieben. Viele von ihnen wohnten in der Unterkunft. Das Leben fand für sie – außer an dienstfreien Tagen – in der Kaserne statt. Daran hatte sich damals die seelsorgerliche Betreuung zu orientieren. Die kurze Verweildauer im BGS hatte zudem zur Folge, dass die Ausbildungsaufgaben einen enormen Anteil an der Dienstwahrnehmung hatten. Ständig (mehrmals im Jahr) wurden immer wieder neue Dienstanfänger eingestellt und absolvierten ihre Grundausbildung. Dies bedeutete für die Seelsorge eine intensive Verpflichtung, an der berufsethischen Erziehung in der Grundausbildung und darüber hinaus mitzuwirken. Nach Abschluss der Grundausbildung war in den „sechziger Jahren“ der alltägliche Dienst im Wesentlichen geprägt durch die eher eintönige Wahrnehmung des Streifendienstes an der innerdeutschen Grenze sowie des Sicherungs- und Wachdienstes. Übungen irgendwo im Gelände, manchmal mehrtägig, bildeten eine weitere Säule des dienstlichen Alltags. Berufsethische Lehrgänge und kirchliche Tagungen, wie sie mit Unterstützung der Seelsorge angeboten werden konnten, boten eine willkommene Abwechslung zum Einsatz, insbesondere auch für die länger dienenden Führungskräfte, das BaL-Korps und die Offiziere (gehobener Polizeivollzugsdienst). Diese kirchlichen Angebote, zu denen auch kirchliche Freizeiten gehörten, wurden gern angenommen. Auch Gottesdienste wurden damals zahlreich besucht, die Teilnahme am Gottesdienst war schließlich auch Dienst und Arbeitszeit.

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Insgesamt hatte sich die Seelsorge im BGS also zu einem integrierten und akzeptierten Teil des BGS entwickelt. Die Vereinbarung von 1965 war also relativ schnell mit Leben erfüllt worden.

Die Seelsorge im BGS bei steigender polizeilicher Anforderung In den siebziger Jahren änderte sich die Rolle des Bundesgrenzschutzes spürbar. Es begann die Zeit der Großdemonstrationen gegen Atomkraftwerke oder den „Nato-Doppelbeschluss“. Die olympischen Spiele 1972 in Deutschland, die auch für BGS-Beamte eine besondere Abwechslung in Form eines Einsatzes ganz anderer Art ermöglichte, führten aufgrund Ihres tragischen Verlaufes (Angriff auf die israelische Delegation in München) zu neuen polizeilichen Herausforderungen für den BGS. In der Folge dieser Ereignisse wurde die GSG 9 gegründet und immer mehr und ganz besonders im sog. „heißen Herbst 1977“ war der Bundesgrenzschutz intensiv eingebunden in Fahndungsmaßnahmen, den Schutz von Gerichtsverhandlungen, beim Transport von Terroristen und viele andere polizeiliche Anlässe. Diese Einsätze in der Regel zur Unterstützung zur Landespolizei in „Fällen von besonderer Bedeutung“ wurden mehr und mehr zum „Kerngeschäft“ für die Bundesgrenzschutzbeamten in den Abteilungen. Dies brachte ganz neue Herausforderungen auch für die Seelsorge mit sich, in beiden Hauptaufgaben, der seelsorgerischen Betreuung und der berufsethischen Begleitung. Verletzte Polizeivollzugsbeamte bei gewalttätig verlaufenden Demonstrationen wurden genauso zum Thema wie die innerliche Auseinandersetzung mit der Rolle der Polizei bei Demonstrationen aus durchaus kontrovers diskutierten und streitbefangenen Anlässen. Hinzu kamen auch Belastungen in den privaten Bereich hinein durch häufige Einsätze, insbesondere an Wochenenden und den damit verbundenen manchmal längeren Abwesenheiten von der Familie. Auch die personelle Situation des BGS änderte sich erheblich. Die Annäherung an die allgemeinen polizeilichen Aufgaben spiegelte sich dann auch im Personalstrukturgesetz wider, dass am 01. 07. 1976 in Kraft trat. Der Dienst im Bundesgrenzschutz wurde zum Lebenszeitberuf. Die Ausbildung für den mittleren Polizeivollzugsdienst (den einfachen Dienst gab es nun nicht mehr) dauerte von diesem Zeitpunkt an dreißig Monate und war inhaltlich in weiten Teilen angepasst an die Polizeiausbildung der Länderpolizeien. Auch der Gedanke der Erziehung und geistig moralischen Prägung der teils sehr jungen Polizeianwärter (ab 16 Jahre) bekam einen neuen Stellenwert. Denn schließlich sollte all das in der Ausbildung Erlernte und Erfahrene die Basis für ein ganzes Berufsleben sein. Dies galt insbesondere für die zu vermittelnden Werte.

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Ganz im Sinne der Grundgedanken aus der „alten“ Vereinbarung von 1965, in der schon damals die Mitwirkung der Seelsorger an der berufsethischen Erziehung festgeschrieben war, wurde die Berufsethik, die unterrichtsbegleitend während der gesamten Laufbahnausbildung stattfand, zur festen Säule für die Arbeit der Seelsorger, die die Führungskräfte und Ausbilder bei dieser so wichtigen Erziehungsaufgabe unterstützten. Die berufsethische Begleitung der jungen Polizeivollzugsbeamten durfte jedoch nicht mit dem Abschluss der Laufbahnausbildung zu Ende sein. Vielmehr ging es darum, diese ethische Grundprägung in die Bewältigung der nunmehr kommenden vielfältigen Einsatzlagen einzubringen. Brokdorf, Wackersdorf, Gorleben und andere Einsatzorte waren in den späten siebziger Jahren allen Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes ein Begriff. Berufsethische Lehrgänge und kirchliche Tagungen griffen häufig diese Einsatzanlässe auf und wurden so zu einem durchaus wichtigen Bestandteil in den Dienstplänen der Hundertschaften. Mit den Veränderungen der personellen Rahmenbedingungen und der gestiegenen Einsatzforderungen war auch die Wahrnehmung von Führungsaufgaben im Laufe der Jahre einem enormen Wandel unterzogen. Der Grundgedanke der kooperativen Führung hielt Einzug in die Polizeien der Länder und in den Bundesgrenzschutz. Das Fach Führungslehre wurde Teil der Ausbildungsund Studienpläne für alle Führungskräfte. Dabei ging es inhaltlich nicht nur um die Vermittlung kooperativer Grundsätze, Verfahren und Techniken, sondern insbesondere um ein entsprechendes Menschenbild als Grundlage für den Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es lag somit nahe, dass gerade bei der Vermittlung eines solchen Menschenbildes, das dem Artikel 1 des Grundgesetzes entspricht und dem christlichen Menschenbild nahe kommt, zum Thema für die Berufsethik wurde. Führungslehre und Berufsethik als Unterrichtsfächer sowie die auf diesem Gebiet agierenden Seelsorger, Lehrer und Vorgesetzte konnten gemeinsam dazu beitragen, dass kooperative Führung verstanden und auch im Bundesgrenzschutz praktiziert wurde. Somit leistete die Seelsorge auch bei diesem Prozess eine wesentliche Hilfe. Dies belegt einmal mehr, dass die Seelsorge es immer verstand, sich den jeweiligen Herausforderungen zu stellen. Und obwohl der Wortlaut der Vereinbarung von 1965 kooperative Führung oder kooperatives Menschenbild nicht ausdrücklich nannte (und auch damals sicherlich nicht konnte), stand die Vermittlung dieses modernen Führungsverständnisses mit den Zielen der Berufsethik im Sinne dieser Vereinbarung immer in Einklang. Die größte Veränderung für den Bundesgrenzschutz stand allerdings noch bevor. Ich meine hier ausdrücklich nicht die erstmalige Einstellung von Frauen im Jahre 1988, die sicherlich auch das Gesicht des Bundesgrenzschutzes verän-

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derte, sondern den Mauerfall am 9. November 1989 und die Einheit Deutschlands zum 3. Oktober 1990.

Die Wiedervereinigung Deutschlands – eine Herausforderung für die Seelsorge Die Herausforderungen waren in dieser Zeit auch für den Bundesgrenzschutz enorm. Dabei ging es insbesondere um die Frage, wie eine Zusammenarbeit mit den Angehörigen der „Bewaffneten Organe der DDR“, die ganz anders sozialisiert waren, gelingen könne. Viele Begegnungen zeitnah nach der Grenzöffnung machten Hoffnung, und der Wille war da, als sich die Wiedervereinigung abzeichnete. Es war jedoch zwingend erforderlich, eine Grundhaltung für die Frage zu entwickeln, wer in den Bundesgrenzschutz übernommen werden darf und bei wem persönliche Belastungen aus der Vergangenheit einer Übernahme aus rechtlichen und moralischen Gründen entgegen standen. Für viele Angehörige aus den Grenztruppen, der Transportpolizei und der Volkspolizei war dies von durchaus existenzieller Bedeutung. Wie schwierig solche Entscheidungen waren, wird auch dadurch belegt, dass es Fälle gab, in denen Betroffene übernommen, dann wieder entlassen, wieder eingestellt und dann doch ausscheiden mussten. Angesichts der gravierenden Wirkungen für die Menschen und die Organisation hatten diese Personalmaßnahmen eine ausgeprägte ethische Dimension. Auch bei denen, die übernommen wurden und bleiben durften, war es unverzichtbar, sie für die gemeinsame Arbeit im Bundesgrenzschutz mit den Grundprinzipien einer Polizei im demokratischen Verfassungsstaat vertraut zu machen. Bei all diesen Aufgaben waren es wieder einmal mehr die Seelsorger, die ihre Unterstützung anboten und einbrachten. Generell stellte sich in dieser Zeit die Frage, ob der Grundgedanke einer kirchlichen Seelsorge im Bundesgrenzschutz überhaupt bei den neuen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen waren, funktionieren könne. Die Grundsätze einer christlichen Lebensführung, die auch im Kern das wesentliche Element der Seelsorge darstellten, waren in der breiten Gesellschaft dort sicherlich nicht so verankert. Würde die Arbeit kirchlicher Seelsorger überhaupt akzeptiert werden? Kann gerade ein Pfarrer in den neuen Bundesländern den neuen BGS-Angehörigen berufsethische Grundlagen vermitteln? Und werden diese dann angenommen?

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Der Wortlaut der Vereinbarung von 1965 erforderte für eine solche räumliche Ausweitung der Seelsorge den ausdrücklichen Beitritt der Gliedkirchen im Beitrittsgebiet. War das denn gewollt? In der Praxis spielten diese Fragen für die Kirchen keine herausragende Rolle. Denn die evangelischen Seelsorger fühlten sich – genau wie die katholischen Seelsorger – selbstverständlich für die Betreuung aller BGS-Beamtinnen und BGS-Beamten in den neuen Bundesländern verantwortlich. Dies galt auch für diejenigen, die aus den ehemaligen Grenztruppen, der Volkspolizei oder der Transportpolizei in den Bundesgrenzschutz übernommen wurden. Wenn tatsächlich die Seelsorge auch in „Ostdeutschland“ unproblematisch „ankommen“ konnte, oder zumindest bestehende Schwierigkeiten nicht offenkundig wurden, dann spricht das einmal mehr für die Qualität dieser jetzt schon recht alten Vereinbarung von 1965. Sie bot also auch 25 Jahre nach ihrem Inkrafttreten für das nunmehr wiedervereinte Deutschland eine gute Grundlage, die Seelsorge für den gesamten Bundesgrenzschutz überall im deutlich größeren Deutschland zu gewährleisten. Natürlich war es nicht das „Stück Papier“, auf dem die Vereinbarung stand, sondern vielmehr das Handeln der Seelsorger, die Wege gefunden hatten, die Seelsorge unabhängig von einer religiösen oder weltanschaulichen Ausrichtung der Beschäftigten auch in den Dienststellen in der ehemaligen DDR zu etablieren. In den neunziger Jahren ging es aber nicht nur darum, Menschen in den Bundesgrenzschutz zu integrieren, die in einer anderen Umgebung aufgewachsen waren. Auch die Übernahme neuer Aufgaben für den BGS fiel in diese Zeit. Zunächst in den neuen Bundesländern – ab 1992 auch in den alten Bundesländern – kamen die Aufgabenfelder Bahnpolizei und Luftsicherheit hinzu. Und die „alte“ grenzpolizeiliche Aufgabe bekam an der „neuen“ Ostgrenze Deutschlands zu Polen und Tschechien eine ganz andere Bedeutung. Viele BGSAngehörige fanden sich jetzt in einer eher einzeldienstlichen Tätigkeit und im Schichtdienst wieder. Nach vielen Jahren in den Abteilungen änderte sich für sie der Arbeitsalltag gewaltig, und sie mussten sich in ganz neue Aufgabengebiete einarbeiten. Flüchtlingsströme, menschliches Leid, deutliches Wohlstandsgefälle und vielfältigste Formen grenzüberschreitender Kriminalität waren für viele neu, ungewohnt und bedrohlich. Auch die räumlichen Schwerpunkte verschoben sich von der ehemaligen Grenze zur DDR weg und hin zur polnischen oder tschechischen Grenze sowie in die Ballungsräume. Viele wurden zu Tagespendlern oder Wochenendpendlern oder zogen ganz um. All dies hatte erhebliche Auswirkungen auch auf die private Lebenssituation. Und es gab viele Betroffene, denen es nicht leicht fiel, sich all diesen Veränderungen anzupassen, und die sich als „Verlierer“ fühlten. „Das ist nicht mehr mein BGS“, so formulierte manch „Altgedienter“ seine Empfindungen.

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Die veränderte Aufgabenstellung an den Grenzen, auf den Bahnhöfen und Flughäfen brachte vielfältige und schwierige, manchmal überaus belastende Situationen im Umgang mit Menschen verschiedenster Herkunft und Nationalität. Gewalttätigkeiten aus Anlass von großen Störungslagen – insbesondere beim Einsatz der Abteilungen und Hundertschaften – ergänzten das Bild eines durchaus strapaziösen Berufsalltags. Um dies alles bewältigen zu können, bedurfte es einer gefestigten Einstellung zum Beruf, einer humanen Grundhaltung im Umgang mit den Bürgern, einer hohen Berufszufriedenheit und Leistungsbereitschaft sowie einer ethischen Dimension des Führungsverhaltens. Mit der Reform des Bundesgrenzschutzes 1998 wurde die bisherige Verbandsstruktur nun endgültig in eine dauerhafte Einzeldienstorganisation überführt. Dies hatte für alle davon Betroffenen noch einmal erhebliche persönliche Veränderungen und Belastungen zur Folge. Daraus erwuchs ein besonderer Betreuungsbedarf, der auch eine Beratung und Unterstützung der Vorgesetzten, die sich mit den persönlichen Problemen ihrer Mitarbeiter auseinander setzen mussten, einschloss. Berufsethische Begleitung und seelsorgerliche Betreuung erlangten insgesamt in dieser Zeit eine hohe Bedeutung. Dies stellte auch die Seelsorge und die verantwortlichen Pfarrer vor große Herausforderungen. Es galt, durch eine intensivere Präsenz überall in der größer gewordenen Bundesrepublik Deutschland, orientiert an den Einsatzschwerpunkten sowie an den Aus- und Fortbildungsstandorten, die zu betreuenden Menschen im Bundesgrenzschutz auch tatsächlich zu erreichen. Besonders schwierig war dies für den überwiegenden Teil der Mitarbeiter, die im Schichtdienst arbeiteten und damit auch zumeist während der üblichen Tagesbürozeiten nicht anzusprechen waren. War die Seelsorge dafür richtig aufgestellt oder gab es auch hier Anpassungsund Änderungsbedarf ? Diese Fragen wurden gemeinsam zwischen Vertretern des Bundesministeriums des Innern und den beiden Grenzschutzdekanen erörtert. Dabei wurde unter anderem vereinbart, die Dislozierung der Seelsorger anzupassen, wobei die Anzahl der Pfarrerinnen und Pfarrer beibehalten werden sollte. Weiterhin war eine Schwerpunktverlagerung der berufsethischen Lehrgänge und Unterrichtungen von der Ausbildung zur Fortbildung beabsichtigt, und berufsethische Inhalte sollten verstärkt im Rahmen der Vor- und Nachbereitung von Einsätzen sowie der anlassbezogenen Fortbildung vermittelt werden. Die schon immer praktizierten Familienfreizeiten sollten neben dem Erholungszweck vor allem dem Zusammenwachsen des BGS dienen (insbesondere

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der Integration Ost/West) und – unter dem Aspekt der Fürsorgepflicht – der Einbindung der Familien in das dienstliche Umfeld zu Gute kommen. Alle sonstigen kirchlichen Aufgaben als Kern der Seelsorge waren auch für die Zukunft unverzichtbar. Dazu gehörten seelsorgerliche Amtshandlungen wie Vereidigungsgottesdienste, saisonal bedingte Gottesdienste genauso wie Taufen, Trauungen und Beerdigungen. Im Sinne einer „Lebenshilfe“ hatte gerade die seelsorgerliche Betreuung in ihrer Bedeutung nichts verloren. Dienstliche Belastungen und Konflikte verschiedenster Art, persönliche Probleme und Krisensituationen (mit häufig dienstlichen Hintergrund), familiäre Probleme, Suchterkrankungen, schwerwiegende Krankheitsfälle bis hin zu Todesfällen/Suiziden boten ein breites Betätigungsfeld für die Seelsorge. Einigkeit bestand bei den Vertretern des Bundesinnenministeriums und den Dekanen darüber, dass solche Veränderungen der BGS-Seelsorge aber nicht die Substanz der Vereinbarungen berührten. Wieder einmal hatte sich gezeigt, dass die Vereinbarung von 1965 auch solche gravierenden Reformen des BGS überdauerte und ihre Bedeutung und Aktualität nicht verloren hatte. Betrachtet man die aktuelle Situation der Bundespolizei, so klingen die Herausforderungen sehr ähnlich. Insbesondere Stichworte wie hohe dienstliche Beanspruchung, Belastungen durch Schichtdienst und Wochenenddienste, heimatferne Verwendungen sowie familiäre Verpflichtungen fallen auch heute immer wieder.

Vom BGS zur Bundespolizei – stets begleitet durch die Seelsorge Auch in den Jahren nach den Reformen von 1998 gab es keinen Stillstand im BGS, sondern ganz im Gegenteil, auch weiterhin durchaus beachtliche Veränderungen. So änderte sich nicht nur der Name – aus Bundesgrenzschutz wurde 2005 Bundespolizei – und es wurde nicht nur die Uniformfarbe von Beige/Grün auf Blau umgestellt (2006), sondern vor allem die Führungsorganisationen 2008 komplett reformiert. Ein wesentlicher Grund für diese Reform war der Beitritt Polens und Tschechiens zum Schengen-Verbund und damit verbunden der Wegfall der Grenzkontrollen an den Ostgrenzen. Auch das verstärkte Engagement der Bundespolizei im Ausland und insbesondere in den Krisengebieten der Welt blieb nicht ohne Wirkung auf die gesamte Bundepolizei. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA sowie den Terroranschlägen in London 2004 und 2005 war die abstrakte Terrorgefahr in Deutschland höher geworden. Dies galt

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auch für die kritischen Infrastrukturen (Flughäfen und Bahnhöfe in den Ballungsräumen) und berührte damit die Aufgaben der Bundespolizei. Die umfassende Neuorganisation 2008 bedeutete nicht nur eine gewaltige Veränderung der Führungsstruktur. Sie hatte erhebliche Auswirkungen auf die Menschen in der Bundespolizei auch tief in ihren persönlichen Lebensbereich hinein. Ganz besonders betroffen waren viele Führungskräfte, noch mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Führungsgruppen und Führungsstäben, sowie insbesondere die Polizeivollzugsbeamten an der polnischen und tschechischen Grenze. Viele Bundespolizeiangehörige mussten ihren Dienstort wechseln und/oder sich in ganz andere Aufgaben einarbeiten, Perspektiven und Aufstiegsmöglichkeiten im Nahbereich fielen manchmal weg, Trennung von der Familie, längere Fahrtwege und damit verbunden auch höhere Fahrtkosten waren die Folge. Es gab persönliche Enttäuschungen sowie Schwierigkeiten und Konflikte beim Zusammenwachsen fusionierter Dienststellen und Organisationseinheiten. Die polizeiliche Einsatzsituation ist bis heute geprägt von hohem Straftatenaufkommen auch im Bereich von Gewaltdelikten, Respektlosigkeit, Anfeindungen, Beleidigungen, Widerstände und tätliche Angriffe gegen Polizeivollzugsbeamte, insbesondere bei Rechts/Links Demonstrationen unterschiedlichster Art, dem Fußball-Reiseverkehr kreuz und quer durch Deutschland sowie bei den Castortransporten (2008, 2010, 2011). Auch im Bereich der klassischen Aufgabe Grenzpolizei gab es Entwicklungen. So wurden die grenzpolizeilichen Aufgaben in Bayern 2008 zurück übernommen sowie in den bremischen Häfen (Bremen, Bremerhaven) im Jahr 2012. Die in den letzten Monaten enorm gestiegenen Feststellungszahlen auf dem Gebiet der illegalen Migration, insbesondere in Bayern, machen deutlich, dass die Anforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keineswegs geringer geworden sind. Die Auslandseinsätze schwerpunktmäßig in den Krisengebieten der Welt, wo die eingesetzten Bundespolizistinnen und Bundespolizisten erheblichen physischen und psychischen Belastungen sowie Gefährdungen unterliegen, haben zugenommen. Auch die Bundespolizei hat Tote und Verletzte zu beklagen. Diesen Herausforderungen hat sich die Seelsorge gestellt. Die Pfarrerinnen und Pfarrer werden heute wie damals angesprochen, um Mithilfe gebeten oder nehmen bei ihrer alltäglichen Arbeit sehr deutlich wahr, dass Mitarbeiter von dienstlichen und persönlichen Problemen belastet sind. Was können Seelsorger konkret tun, wie können sie helfen und was wird von ihnen erwartet? Bundespolizeipfarrerinnen und -pfarrer können den Menschen zuhören, sie sind ihnen zugewandt, sie sind Teil der Organisation Bundespolizei, haben aber auch eine gewisse, manchmal kritische Distanz. Sie können unterschiedliche Positionen aushalten, Notwendigkeiten erklären, ohne selbst in die Hierarchie

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eingebunden zu sein. Sie können in Konfliktsituationen als Moderatoren wirken und in Lebenskrisen Beistand leisten. Die Seelsorge kann sicherlich nicht alle dienstlichen Probleme lösen. Sie kann aber mit dazu beitragen, dass sich die Betroffenen mit schwierigen Situationen zumindest arrangieren, insbesondere dann, wenn sie nicht verändert werden können. Auch bei schwierigen Einsatzsituationen, wie gewalttätige Angriffe auf Polizeivollzugsbeamte oder gar der Tod eines Kollegen durch Unfall, Erkrankung oder Suizid, sind es die Seelsorger, die sehr schnell da sind, angesprochen werden können und den Schmerz des Einzelnen mittragen. Auch wenn dies – Gott sei Dank – nur sehr selten passiert, ist es doch gut zu wissen, dass es die Seelsorge in der Bundespolizei und die Seelsorger mit ihrem Engagement gibt. Niemand ist alleingelassen, jeder kann sich auf ein Netzwerk stützen, in dem auch und gerade die Seelsorger eine unverzichtbare Rolle spielen.

Die Zukunft der Seelsorge in der Bundespolizei Über die Jahrzehnte hinweg hat die Seelsorge ihren Stellenwert bewahrt, es immer wieder verstanden, mit den Veränderungen „Schritt zu halten“ und sich den jeweils aktuellen Herausforderungen zu stellen. Ihre überall feststellbare sehr hohe Akzeptanz hat sich die Seelsorge durch ihre Pfarrerinnen und Pfarrer in den zurückliegenden 50 Jahren erarbeitet. Die Arbeit der Seelsorger erfolgte dabei stets auf der Grundlage der Vereinbarung von 1965. Sie ist im Wortlaut nahezu unverändert geblieben ist und hat sich somit in diesen langen Jahren mehr als bewährt. Vor diesem Hintergrund ist die Prognose nicht besonders gewagt, dass es auch in den nächsten fünfzig Jahren den Bedarf für eine Seelsorge der Bundespolizei geben wird. Die Regelungen der Vereinbarung von 1965 könnten auch weiterhin als Grundlage für die gute Zusammenarbeit im Interesse der Seelsorger und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundespolizei erhalten bleiben. Und wenn auf Seiten der Kirchen auch für die Zukunft die Bereitschaft besteht, sich mit Ihrer Arbeit dauerhaft in eine solche staatliche Organisation wie die Bundespolizei einzubringen, werden unsere Nachfolger vielleicht im Jahre 2065 das hundertjährige Bestehen der Vereinbarung über die Seelsorge in der Bundespolizei feiern können.

Hinnerk Wißmann

Kooperation im öffentlichen Raum – Staat und Kirche im Religionsverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland

I.

Einleitung: Religion als öffentliche Angelegenheit

Im offenen Verfassungsstaat ist die Religion eine öffentliche Angelegenheit, die von der Freiheit der Bürger, der fördernden Neutralität des Staates und von vielfältigen Formen der Kooperation mit Leben erfüllt wird: Auf diesen Nenner lässt sich das Modell bringen, das vom Grundgesetz vorgegeben ist und das in der Praxis die Zusammenarbeit staatlicher Stellen und der Religionsgemeinschaften prägt. „Religion als öffentliche Angelegenheit“ ist dabei eine geschichtlich gewachsene Grundformel, die zugleich für neue Entwicklungen offen bleibt: Denn auch wenn die Formen der Kooperation in der Regel zwischen Staat und den großen christlichen Kirchen entwickelt und vertieft worden sind, gilt das Angebot einer gemeinsamen Gestaltung des Gemeinwesens im weltanschaulich neutralen Staat allen Religionsgemeinschaften in grundsätzlich gleicher Weise. Die Vereinbarungen über die Seelsorge im Bundesgrenzschutz (Bundespolizei), die vor nunmehr 50 Jahren zwischen dem Bundesinnenministerium und den evangelischen Landeskirchen sowie der Fuldaer Bischofskonferenz geschlossen wurden, sind – auch in ihrer Entwicklung über fünf Dekaden – ein sprechendes Beispiel für die Formensprache eines Gemeinwesens, das die positive Kraft der Religion aufnimmt, in ihrer Eigentümlichkeit anerkennt und ihr einen Platz mit allgemeiner Wirksamkeit einräumt. Die allgemeinen Grundlagen und Hintergründe dieses Regelungsmodells sollen im Folgenden skizziert werden. Hierfür sind die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen (II.), die besonderen Gegebenheiten im Bereich des Vertragsstaatskirchenrechts (III.) sowie verwandte Einzelfragen der Kooperation im Religionsverfassungsrecht (IV.) darzustellen, um den Beitrag der Vereinbarungen über die Seelsorge im Bundesgrenzschutz für das Verfassungsmodell der Beziehung von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland würdigen zu können.

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II.

Grundentscheidungen

1.

Der Schutz der Religionsfreiheit

Das Grundrecht der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1f. GG ist zum entscheidenden Ausgangspunkt der Gewährleistung religiöser Freiheit und Selbstbestimmung in Deutschland geworden.1 Es ergänzt sich mit vergleichbaren Bestimmungen auf internationaler Ebene sowie der Ebene der Bundesländer.2 So wie auch sonst im Bereich der Grundrechte hat aber auch für die Religionsfreiheit das Grundgesetz die höchste Prägekraft. Insbesondere durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das die zunächst unterschiedlichen Gewährleistungsgehalte zu einem einheitlichen Grundrecht zusammengefasst hat, nimmt die Religionsfreiheit einen ganz besonderen Platz im System der Grundrechte ein.3 Durch den weiten Schutzgehalt, der die religiös motivierte Entscheidung prinzipiell in jedem Lebensbereich für möglich hält und Einschränkungen religiös bestimmter Lebensentscheidungen nur bei entgegenstehenden Verfassungsrechtsgütern anerkennt, wird letztlich das Verfassungsmodell der Bundesrepublik Deutschland grundlegend mitbestimmt: Der ausgreifende Schutz gerade der Religionsfreiheit stellt dem individualistischen Freiheitsverständnis eine rückgebundene, auf Gemeinschaft und Verantwortung

1 Statt vieler Mückl, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar (2008), Art. 4 Rn. 8 ff. 2 Zum Teil detailliertere Regelungen als das Grundgesetz weisen das allgemeine Völkerrecht (Art. 1 Nr. 3 UN-Charta; Art. 2 Abs. 1 AEMR; Art. 18 AEMR; Art. 14 UN-Kinderrechtskonvention), die EMRK (Art. 9) und die Grundrechtecharta der EU (Art. 10 Abs. 1; vgl. zur primärrechtlichen Qualität Art. 6 EUV) auf. Vgl. insgesamt v. Ungern-Sternberg, Religionsfreiheit in Europa, 2008, insb. S. 31ff., zum Rechtsvergleich S. 287ff.; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 23ff.; Pieroth, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, 2006, § 25 Rn. 33ff. – Auf Ebene der Bundesländer findet sich eine (beinahe) wortgleiche Wiederholung oder ein Verweis auf Art. 4 GG bzw. die gesamten Grundrechte des Grundgesetzes in Art. 2 Abs. 1 LV-BW, Art. 29 Abs. 1 LV-B, Art. 13 Abs. 1 LV-Bbg, Art. 5 Abs. 3 LV–MV, Art. 3 Abs. 2 LV-Nds, Art. 4 LV-NW, Art. 4 LV-Saar, Art. 19 LV-Sa, Art. 9 LV–LSA, Art. 39 LV-Thür, Art. 107 Abs. 1f. LV-Bay, Art. 4 LV-HB, Art. 8 Abs. 1 LV-RP. In der hessischen Verfassung ist die Glaubensfreiheit (Art. 9 LV-Hess) von der (öffentlichen) „Religionsausübung“ (Art. 48 LV-Hess) getrennt. Die Verfassungen von Hamburg und Schleswig-Holstein treffen hingegen keine Aussage zur Religionsfreiheit, besitzen aber auch ansonsten keinen Grundrechtskatalog. 3 Konkret zur Einheitlichkeit des Schutzgehalts von Art. 4 Abs. 1f. GG grundlegend BVerfGE 12, 1 (3f.); 24, 236 (245f.); 32, 98 (106f.); bestätigend BVerfGE 108, 282 (297) – ständige Rechtsprechung. Zustimmende Rekonstruktion der Entwicklung bei v. Campenhausen, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 3. Aufl. 2009, § 157 Rn. 6 ff., 51ff.; Zuordnung der Teilgehalte bei d’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 69ff. – Zur Rolle des Bundesverfassungsgerichts s. allgemein Schmidt, Grundrechte – Theorie und Dogmatik seit 1946 in Westdeutschland, in: Simon (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, 1994, S. 188ff.

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angelegte Freiheitsdimension an die Seite und schützt gerade diese Form von Freiheit in besonderer Weise.4 Da der Verfassungsstaat dabei selbst zugleich nicht religiös determiniert ist, sondern sich ausdrücklich als religiös neutral versteht (Art. 137 Abs. 1 WRV: Es besteht keine Staatskirche), ist auch die negative Religionsfreiheit, also die Abwehrmöglichkeit gegenüber glaubensgerichteten Einwirkungen, gleichwertig geschützt.5 Diese duale Aufstellung der Religionsfreiheit steht angesichts der religiösen Pluralisierung und eines zunehmend größeren Anteils der Bevölkerung, der jeder Glaubensüberzeugung fern steht, vor neuen Herausforderungen. Sie ist jedoch in ihrer Tiefenstruktur nicht davon abhängig, ein volkskirchliches Modell zu perpetuieren. Vielmehr ist der zugrundeliegende Ansatz der verantworteten und religiös determinierten Freiheit gerade in dem Moment wichtig und schützenswert, wo verschiedene Religionen diese Freiheit im öffentlichen Raum in Anspruch nehmen. Nicht zuletzt gilt dies auch deshalb, weil alle Beteiligten so durch das rationalisierende Kraftfeld der Kooperation geprägt werden können. Das Gegenmodell der Ausgrenzung von (bestimmter) Religion aus dem öffentlichen Leben, sei es prinzipiell begründet, sei es „staatsschützend“ oder „gemeinschaftsschützend“ motiviert, kann angesichts der Kraft, die religiöse Überzeugungen entfalten können, nicht überzeugen: Denn es drängt bestimmte Auffassungen in dunkle Winkel und befördert so ihre Abständigkeit, wenn nicht Radikalisierung.

2.

Religiöse Organisationsfreiheit und Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften

Glaube ist regelmäßig Gemeinschaftssache. Schon die Weimarer Reichsverfassung anerkannte die religiöse Vereinigungsfreiheit und die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften, Art. 140 GG hat diese „Weimarer Kirchenartikel“ als vollgültiges Verfassungsrecht in das Grundgesetz integriert.6 Sowohl bürgerlich-rechtliche wie öffentlich-rechtliche Formen stehen den Religionsge4 Zum extensiven Verständnis der Religionsfreiheit bzw. zum Ausgreifen der Glaubensentscheidung auf sämtliche Lebensbereiche s. nur BVerfGE 32, 98 (106f.); 108, 282 (297); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, 6. Aufl. 2010, Art. 4 Abs. 1, 2 Rn. 32ff. (insb. 37ff.). 5 S. dazu BVerfGE 69, 1 (34); 93, 1 (15f.); 122, 89 (119); vgl. weiter v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 59f. 6 Zur Inkorporation über Art. 140 GG BVerfGE 19, 206 (219); 66, 1 (22). Zum Verhältnis von Art. 4 Abs. 1f. GG und den Rechten aus Art. 140 GG Korioth, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 140 Rn. 8, zur Entstehung ebenda Rn. 4 ff.; Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2014, Art. 140 Rn. 2 ff.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2009, Rn. 150ff. Zur Position des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 42, 312 (322); 53, 366 (400f.).

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meinschaften zur Verfügung, dabei ist insbesondere auf ihre religiös begründeten Modifikationsbedürfnisse Rücksicht zu nehmen.7 Insbesondere ist das besonders privilegierte Ordnungsmodell der Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht als mittelbare Verstaatlichung von Religionsgemeinschaften misszuverstehen. Es schafft in erster Linie die Möglichkeit, zwischen Gläubigen und ihren Religionsgemeinschaften eine adäquate Organisationsform zu vereinbaren, die mit einem höheren Maß von Transparenz und Verbindlichkeit operieren kann als die bürgerlich-rechtlichen Organisationsformen.8 Zugrunde liegt sowohl diesen Organisationsangeboten als auch den gemeinsamen Handlungsfeldern von Staat und Kirche das Grundmodell einer zugewandten Kooperation. Die weltanschaulich religiöse Neutralität des Staates ist im Grundgesetz nicht als Gebot strikter Trennung zu verstehen, sondern als Möglichkeit der grundrechtsfördernden Zusammenarbeit. Hierfür lassen sich zunächst historische Gründe anführen, die wesentlich im kompromisshaften Entstehungsprozess der Verfassungen von 1919 und 1949 begründet sind: Ein revolutionärer Bruch mit einer dominierenden Altkirche war im religiös paritätischen Deutschland nicht in gleicher Weise notwendig wie in den Republiken von Frankreich oder den USA. Schon die „Weimarer Koalition“ aus Zentrum, Demokratischer Partei und Sozialdemokraten einigte sich letztlich auf ein offenes Modell, das den Abschied vom „landesherrlichen Kirchenregiment“ der Monarchie mit der Fortführung einer Sonderrolle der Religion in den sogenannten „Kirchenartikeln“ (Art. 136ff. WRV) verband.9 Hinzu kam 1949, dass das totale Scheitern einer verbrecherisch-totalitären Staatsidee im Dritten Reich die Rolle der Kirchen nochmals in neuer Weise mobilisierte. Die Legitimation einer Staatsordnung kann danach nicht ohne weiteres und ausschließlich durch demokratische Prozeduren gesichert werden; individuelle und kollektive Gegenrechte bilden ein notwendiges Gegengewicht.10 Die öffentliche Ordnung vertraut nicht nur auf die Klugheit der Mehrheit, sondern auch auf deren stetige Relativierung, festgehalten in den Freiheitsrechten, 7 BVerfGE 83, 341 (355f.); zu den Kriterien für den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts BVerfGE 102, 370 (378); auch Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften, 2003. Vgl. weiter Towfigh, Die rechtliche Verfassung von Religionsgemeinschaften, 2006; Munsonius, Die juristische Person des evangelischen Kirchenrechts, 2009. Zum Problem des religiösen Wirtschaftsvereins Walter, Religionsverfassungsrecht, 2006, S. 186ff.; insb. zu Scientology Winter, Staatskirchenrecht, 2. Aufl. 2008, S. 115ff. 8 BVerfGE 102, 370 (insb. 386ff.). 9 Vgl. dazu v. Campenhausen/de Wall (Fn. 5), S. 30ff.; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 2010, § 26 Rn. 9 ff. 10 Selbstredend muss auch die Rolle der Kirchen im Nationalsozialismus kritisch beleuchtet werden, vgl. für einen knappen Gesamtüberblick Oelke, Art. Nationalsozialismus und Kirche, in: Heun/Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 1855ff.; weiter z. B. Böckenförde, Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933 (1957), Schriften zu Staat – Gesellschaft – Kirche, Bd. 1, 1988, S. 21ff.

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die gerade die Minderheit schützen. In dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 3 GG) ist die Aufgabe des Gemeinwesens vom Individuum her formuliert. Und schon in der Präambel der Verfassung erkennt unsere Rechtsordnung an, dass Menschen ihren Platz in der Welt nicht nur aus sich selbst heraus bestimmen, sondern „vor Gott und den Menschen“ Verantwortung tragen – während der Staat selbst sich nur nach eigenen Maßstäben organisieren und verwalten kann.11 Unter dem Grundgesetz ist die Absage an eine Staatskirche damit dialektisch zu verstehen: Der Verfassungsstaat wendet sich im Verbot der Staatskirche der Religion zu und räumt ihr einen Platz in der öffentlichen Ordnung ein – gerade weil der Staat diesen Platz letzter Legitimität und innerer Ordnung nicht einnehmen kann. Im klassischen Diktum von Ernst Wolfgang Böckenförde ist dies zusammengefasst: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“12 Die entscheidende Pointe dieser Formel liegt dann in der Einsicht, dass die prinzipielle Limitierung des Staates gerade nicht Ignoranz in den Fragen transzendenter Rückbindung verlangt, sondern zu einem Modell der offenen Verständigung und Zusammenarbeit ruft.

III.

Die Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften in Form des Vertragsstaatskirchenrechts

Die Vereinbarungen über die Seelsorge im Bundesgrenzschutz, die zwischen dem Bundesinnenminister und der evangelischen und katholischen Seite im Jahre 1965 geschlossen wurden, stehen in einer langgestreckten Kette vertraglicher Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche. Nach den Frühformen der Konkordate schon in Vormoderne und 19. Jahrhundert ist das Vertragsinstrument insbesondere nach der Trennung von Staat und Kirche 1919 zu einem wichtigen Instrument geworden, die Rolle der Religion im öffentlichen Raum zu ordnen und im Konsens zwischen den Beteiligten weiter zu entwickeln.13 11 Zur Wendung „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ s. Ennsuchat, NJW 1998, 953; Maunz, in: ders./Dürig (Hrsg.), GG, Präambel Rn. 17ff.; krit. Czermak NJW 1999, 1300. 12 Böckenförde, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, 2. Aufl. 1992, S. 112. 13 Eine Übersicht über Konkordate und Kirchenverträge zwischen 1924–1933 gibt Link (Fn. 9), § 28 Rn. 1 ff.; s. für die Nachkriegszeit (u. a. auch in Bezug auf die Militärseelsorge und Verträge mit anderen Religionsgemeinschaften als Vertragspartner) ebda. § 31 Rn. 6 ff. Einen Überblick über das Vertragsstaatskirchenrecht findet sich auch bei v. Campenhausen/de Wall (Fn. 5), S. 45ff. sowie knapp und allgemein bei de Wall/Muckel, Kirchenrecht, 4. Aufl. 2014, § 15 Rn. 1 ff.

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Ausgangspunkt war insoweit die besondere Stellung des Heiligen Stuhls und der daraus folgenden Qualität der Konkordate als völkerrechtliche Verträge. Seit 1919 wurde damit nach dem Grundgedanken der Parität der Anspruch verbunden, zu gleichgerichteten Vereinbarungen auch mit den Evangelischen Landeskirchen zu kommen.14 Später, spätestens seit dem Loccumer Vertrag von 1955, haben die Vereinbarungen der Evangelischen Kirche hier sogar die Vorreiterrolle eingenommen.15 Zuletzt sind die Verträge mit jüdischen und islamischen Gemeinschaften in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.16 Die Besonderheit des religionsverfassungsrechtlichen Vertrags liegt im identischen personalen Substrat, das beide Vertragspartner für sich reklamieren sowie dem umfassenden Regelungsanspruch, der auf das Gesamtverhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften zielt. Auffällig ist dabei, dass die ganz unterschiedliche Situation zwischen den jeweiligen Religionsgemeinschaften und dem Vertragspartner (der Bundesrepublik Deutschland oder in spezifischen Materien den Bundesländern) in den Verträgen eher nivelliert als pointiert werden.17 Das Vertragsstaatskirchenrecht ist so zu einem Instrument ge14 Link (Fn. 9), § 28 Rn. 1 ff.; auch mit Blick auf die Zeit vor 1919 v. Campenhausen/de Wall (Fn. 5), S. 28ff. Vgl. allgemein auch zu den Phasen des Vertragsrechts, das 1919–1933, 1945– 1990 und ab 1990 von je unterschiedlichen Parametern geprägt wurde, Unruh (Fn. 6), Rn. 331ff. 15 Zur Bedeutung des Loccumer Vertrages (abgedruckt bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1987, S. 109ff.; Ergänzungsvertrag von 1965 ebda. S. 138ff.) s. etwa Link (Fn. 9), § 31 Rn. 7; v. Campenhausen/de Wall (Fn. 5), Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 45f. und Anm. 43 m.w.N.; Müller, DÖV 1955, 421. 16 Eine Übersicht über neuere Verträge zwischen Bundesländern und der Jüdischen Gemeinde findet sich bei v. Campenhausen/de Wall (Fn. 5), S. 47 Anm. 48. m. w. N. Nach 1990 sind die jüdischen Religionsgemeinschaften bereits weitgehend in das Religionsvertragsrecht einbezogen worden (vgl. auch die integrierte Betrachtung bei Anke, Die Neubestimmung des StaatKirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge, 2000; zu den Verträgen mit jüdischen Religionsgemeinschaften im Rechtsvergleich Nolte, Jüdische Gemeinden in Baden und Basel, 2002. Vgl. für Verträge mit islamischen Gemeinschaften die jüngst abgeschlossenen Verträge zwischen dem Land Hamburg bzw. dem Land Bremen mit islamischen Gemeinschaften und Verbänden. Die Verträge sind abgedruckt unter http://www.hamburg.de/contentblob/ 3551370/data/download-muslim-verbaende.pdf [24. 02. 2015] und http://senatspressestelle. bremen.de/sixcms/media.php/13/2013_01_04 %20Vertragsentwurf.pdf [24. 02. 2015]. 17 Unter föderalen Aspekten wäre gerade eine vielgestaltige Vertragspraxis zu erwarten gewesen, die die religionspolitischen Unterschiede noch verstärkt. Selbst Verträge mit einer „Volkskirche“ und Verträge mit der gleichen Konfession in Gebieten der Diaspora ähneln sich stark (vgl. dazu Wißmann, Religionsverfassungsrecht im föderalen Mehrebenensystem, in: Härtel (Hrsg.), Handbuch Föderalismus – Föderalismus als demokratische Rechtsordnung und Rechtskultur in Deutschland, Europa und der Welt, Bd. III, 2012, § 60 Rn. 36). Dies gilt insb. auch für die inhaltliche Gestaltung der Staatskirchenverträge in den neuen Bundesländern, vgl. hierzu Germann, Die Staatskirchenverträge der Neuen Bundesländer, in: Mückl (Hrsg.), Das Recht der Staatskirchenverträge, 2007, S. 102ff., der ausdrücklich feststellt, dass die „vertragliche Kommunikation zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften…nicht

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worden, gegebene Unterschiede zwischen Religionsgemeinschaften tendenziell ineinander aufzuheben, statt sie durch unterschiedliche Behandlung verschieden starker Partner weiterzuentwickeln. Maßgeblich hierfür dürfte die Prägung durch die paritätische Situation zwischen den beiden großen christlichen Konfessionen sein, die die gemeindeutsche Rechtslage seit Jahrhunderten prägt;18 ein aussagekräftiges Beispiel dafür ist die parallele Konstruktion der Seelsorgeverträge mit den beiden großen christlichen Kirchen 1965. Da der Vertragsschluss ein freiwilliges Regelungsinstrument ist, besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Abschluss solcher Verträge. Doch ist es ein Gebot verfassungspolitischer Klugheit, allen relevanten Religionsgemeinschaften die Möglichkeit entsprechender Vertragsschlüsse einzuräumen, da es hier nicht um einseitige Privilegierung, sondern aus Sicht des Staates maßgeblich um die Stärkung gegenseitiger Berechenbarkeit und Verlässlichkeit geht.19

IV.

Die Seelsorge für die Bundespolizei als Teil der Kooperationsbeziehungen zwischen Staat und Kirche

1.

Kooperation als Normalfall

Die Aufgaben, die der Staat für seine Bürger wahrnimmt, können nicht aus einer allgemeingültigen Staatsaufgabenlehre abgeleitet werden.20 Erst das konkrete Verfassungsrecht bzw. die Entscheidung des einfachen Gesetzgebers legt fest, welche Tätigkeiten staatlich verantwortet werden, sei es durch eigene Ausführung, sei es durch die Gewährleistung bestimmter Ergebnisse, die durch gesellschaftliche Akteure erbracht werden.21 Selbst für einen Kernbereich wie den der

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an einen soziologischen Bestand ungebrochener ‚volkskirchlicher Verhältnisse‘ gebunden [ist]“, S. 113. Richtig ist allerdings auch, dass in den deutschen Einzelstaaten, die bis 1871 bzw. 1919 maßgeblich waren, in der Regel eine Konfession vorherrschte. Die allmähliche Angleichung der Rechtsstellung ist praktisch insbesondere nach 1945 befördert worden, als die über Jahrhunderte weitgehend stabilen Bevölkerungskohorten nach Krieg und Vertreibung neu zusammengesetzt wurden. Zur Unterscheidung von Funktionen der Verträge im einzelnen Anke (Fn. 16), S. 68ff. – Der differenzierte Einsatz des Vertragsinstruments kann insbesondere in Bezug auf den Islam auch der Integration dienen (dazu näher Hense, in: Mückl (Hrsg.), Das Recht der Staatskirchenverträge, 2007, S. 115ff.; insb. zur Frage der Vertragsfähigkeit islamischer Vereinigungen Unruh (Fn. 6), Rn. 33). Wißmann, Verfassungsrechtliche Vorgaben der Verwaltungsorganisation, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Aufl. 2012, § 15, Rn. 10 m.w.N. Grundlegend Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, VVDStRL 62 (2003), S. 266 (304 ff.). Darstellung der viel-

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inneren Sicherheit steht nicht von vornherein fest, ob und in welchem Umfang der Staat hier bestimmte Dienstleistungen verspricht oder gar selbst erbringt. Freilich tut der liberal gesonnene und auf Friedlichkeit bestehende Staat gut daran, Sicherheit und Freiheit nicht einem anonymen Marktgeschehen zu überlassen, sondern die entsprechenden Strukturen selber zu schaffen.22 a)

„Dritter Sektor“

In vielen anderen Handlungsfeldern ist es dagegen ein seit langem gewohnter Gedanke, dass bestimmte allgemein verfügbare Dienstleistungen nicht von eigener Hand erbracht werden müssen. Noch vor den modernen Konstellationen des sogenannten Regulierungsverwaltungsrechts, das sich auf technische Infrastrukturen konzentriert,23 ist hierbei der in besonderer Weise auch religiös imprägnierte Bereich des sogenannten dritten Sektors zu erwähnen:24 Die Leistungen, die das Sozialstaatsprinzip und vor allem der Sozialgesetzgeber verheißen, können nach einer immer wieder bestätigten Grundlinie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in erster Linie durch freie Träger erbracht werden.25 Dies ist ein hervorgehobener Bereich der Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften: Diakonie und Caritas, die unter dem Rubrum des Selbstverwaltungsrechts zu den Kirchen gezählt werden, erfüllen die sozialstaatlichen Leistungsangebote zu einem erheblichen Teil, in Jugendhilfe, vorschulischer Erziehung wie auch im Bereich der Krankenversorgung. Zugleich sind diese Felder in hohem Maße staatlich reguliert, was in gleichem Maße für die inhaltliche Qualitätssicherung wie für die Finanzierung durch Beiträge und steuerliche Zuschüsse gilt.26

22 23 24 25 26

fältigen Regelungsmodelle für das Beispiel der öffentlichen Infrastrukturen Wißmann, Die Anforderungen an ein zukunftsfähiges Infrastrukturrecht, VVDStRL 73 (2014), S. 369 (379 ff.). Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2002, insb. S. 42ff. Masing, Regulierungsverwaltungsrecht, NJW-Beilage 22/2006, S. 18ff.; Wißmann, Art. Regulierung, Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 1978ff. In allgemeiner Perspektive Wißmann, Kooperation im Wettbewerb: Soziale Dienstleistungen als Herausforderung staatlicher Regulierung, in: von Arnauld/Musil (Hrsg.), Strukturfragen des Sozialverfassungsrechts, 2009, S. 139ff. BVerfGE 22, 180. Zum gleichwohl bestehenden erheblichen Umfang des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts zuletzt traditionell perpetuierend BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014, 2 BvR 661/12.

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b)

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Schule

Auch in der Schule, einem klassischen Feld kirchlicher Bewirkungsansprüche, sind vielfältige Formen der Zusammenarbeit erprobt. Das gilt insbesondere für den Religionsunterricht, den der religiös neutrale Staat von vornherein nur nach den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaften anbieten kann.27 In diesem Feld ist zuletzt besonders sichtbar geworden, dass die an den Kirchen ausgerichteten Voraussetzungen der Zusammenarbeit in Bezug auf den Islam flexibilisiert werden müssen, um nicht zu einem völlig unbefriedigenden und wenig zukunftsfähigen Ausschluss großer Teile der Bevölkerung zu kommen (um den Preis einer Segregation und des Ausweichens in weniger öffentlich und rational verantwortete Bildungseinrichtungen).28 Insbesondere spielt in der gegenwärtigen Debatte aber auch eine Rolle, ob und wie für den immer größeren Bereich der konfessionslosen Schülerinnen und Schüler legitime Ersatzlösungen gefunden werden können („Ethikunterricht“), ohne dass der religionsneutrale Staat seine selbstgesetzten Grenzen überschreitet und das Wirkungsfeld der Religionsgemeinschaften untergräbt.29 Aber auch jenseits des Religionsunterrichts spielt die Religion eine erhebliche Rolle im Bildungswesen, die religiöse Identität steht als Paradigma für die Frage nach der Selbstentfaltung der Schülerinnen und Schüler und der Achtung der Elternrechte.30 Ein glattes Verständnis von Integration, das letztlich Anpassung an eine historische oder gegenwärtige Mehrheit einfordert, verfehlt den Gedanken der Grundrechtsorientierung staatlichen Handelns in erheblichem Maß. Pluralität ist insoweit als ein Normalfall aus der demografischen Entwicklung der Gesellschaft heraus zu verstehen, nicht zu bekämpfen, sondern mit einer zweiten Ebene der legitimen verfassungsstaatlichen Anforderungen an jeden Teil der Bevölkerung zu verkoppeln. c)

Seelsorge im Justizvollzug, Friedhofswesen, Militärseelsorge

Ein weiteres Feld gewachsener Kooperationsbeziehungen stellt schließlich die Seelsorge im Justizvollzug dar.31 Auch hier ist, ebenso wie in den Fragen der gemeinsamen Totenversorgung zwischen Kommunen und Kirchen,32 der Bereich 27 Heimann, Art. Religionsunterricht, Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 2031ff.; Unruh (Fn. 6), Rn. 412ff. insb. Rn. 434ff. 28 Oebbecke, Die rechtliche Ordnung des islamischen Religionsunterrichts in Deutschland – Stand und Perspektiven, Essener Gespräche 49 (2015), i. E. 29 Unruh (Fn. 6), Rn. 430ff. 30 Wißmann, Bildung im freiheitlichen Verfassungsstaat – Standort, Funktion, Herausforderungen, JöR n. F. Bd. 60 (2012), S. 225 (239ff.); ders., Schule und Religion: Entwicklungsphasen des Religionsverfassungsrechts, ad legendum 2015, S. 1ff. 31 Unruh (Fn. 6), Rn. 375ff.

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von Grenz- und Grundfragen menschlicher Existenz berührt. Es ist die stabile historische Erfahrung, dass in diesen Grenzsituationen staatliche und äußerliche Klugheit endet, und der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit angesprochen und aufgefangen werden muss. Nicht zuletzt ist auch die Militärseelsorge ein Bereich traditioneller Kooperation zwischen Staat und Kirchen.33 Damit ist – nach schrecklichen Verirrungen der Vergangenheit – keine bedingungslose Unterstützung des Staates in Krieg und Frieden verbunden, die die Untertanen in Uniform zum Gehorsam anhält.34 Vielmehr geht es im Kern darum, für die Staatsbürger auch dann, wenn sie Dienst an Waffen tun, in kritischer Solidarität geistliche Präsenz zu zeigen und so Begleitung zu ermöglichen. Dazu dient nicht zuletzt die zeitliche Befristung der entsprechenden (staatlichen) Dienstverhältnisse, so wie es auch im Bereich der Bundespolizei vorgesehen ist. Das Grundgesetz hat sich in allen angesprochenen Bereichen klugerweise so positioniert, dass es diese Identitätsfragen nicht in einen Bereich von Privatheit abschiebt, sondern sich innerhalb der staatlichen Institutionen der Bearbeitung stellt. Allen genannten Feldern ist gemein, dass die entsprechenden Modelle nicht von einer gegenseitigen Indienstnahme ausgehen, sondern Prozeduren der Sicherung von Unabhängigkeit und Qualität entwickeln.

2.

Resümee: Partnerschaft als Chance

Die Vereinbarungen über die Seelsorge im Bundesgrenzschutz (Bundespolizei) sind vor dem Hintergrund des geltenden Religionsverfassungsrechts keine Irregularität oder seltene Ausnahme. Vielmehr lässt sich feststellen, dass die Frage der Religion im modernen Staat stets eine hervorgehobene Rolle gespielt hat und in der deutschen Tradition das Modell der Kooperation bestimmend war und ist. Dabei geht es wohlverstanden nicht um eine einseitige Privilegierung von Religionsgemeinschaften gegenüber anderen Vereinigungen oder Interessen, schon gar nicht um eine Hervorhebung der großen Kirchen. Der innere Kern der Zusammenarbeit richtet sich vielmehr in den verschiedenen Feldern darauf, Bürgergesellschaft und staatliche Institutionen ineinander zu verschränken. Wenn Religion dafür steht, dass Individualinteressen nicht materiell privatnützig sein müssen, können Kooperationsbeziehungen den jakobinischen Übermut des 32 Unruh (Fn. 6), Rn. 166, 382; Mainusch, Art. Friedhofsrecht, Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl. 2006, Sp. 680ff. 33 Aus weltkirchlicher Perspektive Niermann, Art. Militärseelsorge, Staatslexikon, Band 3, 7. Aufl. 1987, Sp. 1155ff. 34 Darstellung der Auseinandersetzungen nach 1990 vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der DDR bei Unruh (Fn. 6), Rn. 394ff.

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Staates mildern, sich aller Fragen zu bemächtigen, und zugleich die Abständigkeit der Religion von der allgemeinen kulturellen und sozialen Entwicklung der Gesellschaft begrenzen. Dass dieser Prozess der gegenseitigen Beschränkung im öffentlichen Raum, in öffentlichen Institutionen stattfindet, ist die Pointe des Religionsverfassungsrechts.

Vereinbarung über die katholische Seelsorge im Bundesgrenzschutz – Bek. d. BMI v. 18.10.1965 – VI B 8 – 651 005 – (Gemeinsames Ministerialblatt – Seite 377)

Nachstehend gebe ich die Vereinbarung über die katholische Seelsorge im Bundesgrenzschutz bekannt, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister des Innern, und den katholischen Bischöfen in der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Seine Eminenz Dr. Joseph Kardinal Frings nach Zustimmung des Heiligen Stuhls abgeschlossen worden ist. Die Vereinbarung ist am 14. September 1965 in Kraft getreten.

Vereinbarung über die katholische Seelsorge im Bundesgrenzschutz Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister des Innern, und die katholischen Bischöfe in der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Seine Eminenz Dr. Joseph Kardinal Frings, schließen nach Zustimmung des Heiligen Stuhls folgende Vereinbarung: § 1 Gewährleistung einer katholischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz (1) Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet der katholischen Kirche die Ausübung der Seelsorge im Bundesgrenzschutz. (2) Aufgabe der Seelsorge im Bundesgrenzschutz ist – bei Wahrung der freiwilligen Entscheidung des Einzelnen – die Verkündung und Lehre des Wortes Gottes, die Sakramentenspendung, einschließlich der kirchlichen Amtshandlungen, und die seelsorgliche Betreuung der Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz. § 2 Verantwortlichkeit und Aufsicht der Kirche (1) Die Seelsorge im Bundesgrenzschutz wird als Teil der kirchlichen Arbeit im Auftrag der Kirche und unter kirchlicher Aufsicht von Grenzschutzseelsorgern ausgeübt. (2) Die in der Seelsorge des Bundesgrenzschutzes tätigen Grenzschutzseelsorger verwalten ein kirchliches Amt.

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Vereinbarung über die katholische Seelsorge im Bundesgrenzschutz

(3) In Ausübung von Lehre und Seelsorge sind die Grenzschutzseelsorger an staatliche Weisungen nicht gebunden, sondern ausschließlich ihren kirchlichen Vorgesetzten verantwortlich. § 3 Beauftragter für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz (1) Der Beauftragte für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz ist zuständig für alle kirchlichen Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Seelsorge im Bundesgrenzschutz. Hierzu gehören insbesondere 1. Einführung der Grenzschutzseelsorger in ihr kirchliches Amt, 2. Erlaß von Richtlinien im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern über die Ausübung der Grenzschutzseelsorge und über ihre Koordinierung mit der allgemeinen Seelsorge durch die Grenzschutzseelsorger; Überwachung der Durchführung dieser Richtlinien, 3. Mitwirkung bei der Aufstellung von Gesamtjahresausbildungs- und Lehrgangsplänen durch das Bundesministerium des Innern, soweit Fragen der berufsethischen Erziehung berührt werden, sowie bei den Plänen für die Gestaltung der berufsethischen Lehrgänge für katholische Polizeivollzugsbeamte durch das Bundesministerium des Innern, 4. Anregungen für die Auswahl und Gestaltung von Themen für Vorträge der Grenzschutzseelsorger auf dem Gebiet der berufsethischen Erziehung, 5. Abhaltung von kirchlichen Dienstbesprechungen der Grenzschutzseelsorger, 6. das religiöse Schrifttum für die Grenzschutzseelsorge. (2) Die kirchliche Dienstaufsicht wird unbeschadet des Verbleibens der Jurisdiktionsgewalt bei den Ortsbischöfen dem Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz übertragen. Er soll in den wichtigsten Fragen im Einverständnis mit den zuständigen Bischöfen handeln. (3) Der Beauftragte für die Seelsorge wird im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern von der Fuldaer Bischofskonferenz ernannt. Die Fuldaer Bischofskonferenz kann den Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz aus wichtigen kirchlichen Gründen abberufen. (4) Der Beauftragte für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz kann 1. seine Befugnisse dem dienstaufsichtführenden Seelsorger im Bundesgrenzschutz (Grenzschutzdekan) übertragen, 2. in den einzelnen Grenzschutzstandorten zusätzlich Seelsorger mit der Seelsorge im Bundesgrenzschutz mit Zustimmung des Bundesministers des Innern im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel nebenamtlich betrauen. § 4 Grenzschutzseelsorger (1) Zu den hauptamtlichen Grenzschutzseelsorgern gehören

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1. der Grenzschutzdekan, 2. die Grenzschutzoberpfarrer, 3. die Grenzschutzpfarrer. (2) Für den Bereich jedes Grenzschutzkommandos und jeder Grenzschutzgruppe sowie für das Kommando der Grenzschutzschulen wird die Seelsorge durch hauptamtliche Seelsorger durchgeführt. Die Zahl der hauptamtlichen Seelsorger beträgt zur Zeit neun. (3) In besonderen Fällen werden in den einzelnen Grenzschutzstandorten zusätzlich Seelsorger mit der Seelsorge nebenamtlich betraut. Die Aufgaben, Rechte und Pflichten dieser Seelsorger werden durch Vereinbarung zwischen dem Bundesminister des Innern und dem Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz geregelt. § 5 Grenzschutzdekan (1) Auf Vorschlag des Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz bestellt der Bundesminister des Innern einen dienstaufsichtführenden Seelsorger im Bundesgrenzschutz (Grenzschutzdekan), der zugleich die Aufgaben eines Grenzschutzoberpfarrers bei einem Grenzschutzkommando wahrzunehmen hat. (2) Der Grenzschutzdekan hat das Recht des unmittelbaren Vortrags beim Bundesminister des Innern. (3) Am dienstlichen Wohnsitz des Grenzschutzdekans wird zur Wahrnehmung der zentralen Aufgaben der katholischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz eine Dienststelle eingerichtet; der dienstliche Wohnsitz wird im Einvernehmen mit dem Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz vom Bundesminister des Innern festgelegt. Leiter dieser Dienststelle ist der Grenzschutzdekan, der in kirchlichen Angelegenheiten den Weisungen des Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz, in grenzschutzdienstlichen Angelegenheiten denen des Bundesministers des Innern unterstellt ist. Die wirtschaftlichen Angelegenheiten werden durch die zuständige Grenzschutzverwaltung geregelt. (4) Der Grenzschutzdekan hat die Aufgabe, 1. auf Einheitlichkeit in der Tätigkeit der Grenzschutzseelsorger hinzuwirken, 2. die Dienststellen des Bundesgrenzschutzes in grundsätzlichen Fragen der Unterstützung der Seelsorge im Bundesgrenzschutz und der berufsethischen Erziehung zu beraten, 3. die Dienstaufsicht in kirchlichen Angelegenheiten über die Grenzschutzseelsorger auszuüben und die Einhaltung der vom Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz aufgestellten Richtlinien zu überwachen, 4. die Grenzschutzseelsorger in der Ausübung ihres Dienstes zu beraten, ihnen die hierfür nötigen Unterlagen an die Hand zu geben und sie entsprechend zu unterweisen,

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5. den Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz zu beraten, in welchen besonderen Fällen in den einzelnen Grenzschutzstandorten zusätzlich Seelsorger mit der Seelsorge im Bundesgrenzschutz nebenamtlich zu betrauen sind (§ 4 Abs. 3), 6. die Seelsorge im Bundesgrenzschutz bei Grenzschutzdienststellen zu regeln, die außerhalb von Grenzschutzgruppenbereichen liegen. (5) Der Grenzschutzdekan ist für sämtliche Dienststellen der Grenzschutztruppe und des Grenzschutzeinzeldienstes zuständig. Für den Bereich des Grenzschutzeinzeldienstes kann er sich durch einen von ihm zu bestimmenden Grenzschutzseelsorger vertreten lassen. § 6 Grenzschutzoberpfarrer und Grenzschutzpfarrer (1) Die Grenzschutzoberpfarrer üben die Dienstaufsicht über die Grenzschutzpfarrer und über die nebenamtlich tätigen Seelsorger im Bereich ihres Grenzschutzkommandos in kirchlichen Angelegenheiten und die Seelsorge im Bundesgrenzschutz in den Fällen aus, die ihnen vom Grenzschutzdekan zugewiesen worden sind. (2) Es sind zuständig 1. die Grenzschutzseelsorger – Grenzschutzoberpfarrer – bei den Grenzschutzkommandos für sämtliche Dienststellen der Grenzschutztruppe im Bereich ihres Kommandos; der Grenzschutzseelsorger beim Grenzschutzkommando Mitte auch für die Dienststellen der Grenzschutztruppe im Raum Bonn, 2. die Grenzschutzseelsorger – Grenzschutzpfarrer – bei den Grenzschutzgruppen bzw. beim Kommando der Grenzschutzschulen für die Dienststellen der Grenzschutztruppe im Bereich ihrer Grenzschutzgruppe bzw. ihres Kommandos. (3) Der dienstliche Wohnsitz der Grenzschutzseelsorger ist der Standort des für sie zuständigen Grenzschutzkommandos oder Grenzschutzgruppenstabes, soweit nicht in gegenseitigem Einvernehmen etwas anderes festgelegt wird. § 7 Mitwirkung bei der berufsethischen Erziehung (1) Die berufsethische Erziehung von Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz, die ein Teil der Gesamterziehung ist, beruht auf den Grundsätzen christlicher Lebensführung. (2) Bei der Aufstellung der Gesamtjahresausbildungs- und Lehrgangspläne durch das Bundesministerium des Innern und die Kommandeure der Grenzschutzkommandos ist der berufsethische Unterricht als Dienstunterricht zu berücksichtigen. Die Grenzschutzseelsorger wirken bei der berufsethischen Erziehung mit und führen wie bisher den berufsethischen Unterricht durch. Im übrigen gilt § 3 Abs. l Nr. 3 für die Grenzschutzseelsorger entsprechend. (3) Die Teilnahme am berufsethischen Unterricht ist für die Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz Dienst. Artikel 4 Abs. 1 des Grundgesetzes für

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die Bundesrepublik Deutschland ist zu beachten. Konfessionelle Fragen werden bei der Erörterung religiöser Lebensfragen (§ 8 Abs. l) behandelt. § 8 Erörterung religiöser Lebensfragen und Gottesdienst (1) Für Polizeivollzugsbeamte in der Grenzschutztruppe ist in der Regel vierzehntägig, mindestens jedoch monatlich, eine Stunde innerhalb der Dienstzeit für die Erörterung religiöser Lebensfragen mit dem Grenzschutzseelsorger zur Verfügung zu stellen. (2) Außerdem ist den Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz während der Dienstzeit Gelegenheit zu persönlichen Aussprachen mit dem Grenzschutzseelsorger sowie mindestens einmal im Monat zur Teilnahme am Gottesdienst zu geben. § 9 Dienstliche Unterstützung der Grenzschutzseelsorger (1) Den Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz wird im Rahmen der seelsorglichen Betreuung Gelegenheit zu freiwilliger religiöser Betätigung und zur Inanspruchnahme der Dienste ihrer Kirche gegeben. Die Ausübung der religiösen Pflichten wird, soweit nicht dienstliche Notwendigkeiten entgegenstehen, gewährleistet. (2) Für die Teilnahme an Exerzitien, Einkehrtagen, Werkwochen und sonstigen kirchlichen Tagungen kann die zuständige Dienststelle jedem Polizeivollzugsbeamten Urlaub bis zu insgesamt sechs Arbeitstagen im Jahre ohne Anrechnung auf den Erholungsurlaub und unter Fortzahlung der Bezüge erteilen. (3) Jeder Vorgesetzte im Bundesgrenzschutz soll für die religiösen Anliegen seiner Untergebenen aufgeschlossen sein, sich für ihre religiöse Betreuung mitverantwortlich fühlen und die Grenzschutzseelsorger in ihrer Tätigkeit weitgehend unterstützen. (4) Bei Grundsatzfragen, welche die Erziehung, die Betreuung und die geistige Haltung der Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz betreffen, ist den Grenzschutzseelsorgern Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. § 10 Dienstvertrag Die Rechtsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem einzelnen Grenzschutzseelsorger im Hauptamt werden durch einen Dienstvertrag im Sinne der nachstehenden Vereinbarungen geregelt. § 11 Anwendung des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) (1) Soweit diese Vereinbarung keine besonderen Regelungen enthält, sind auf die Rechtsverhältnisse der Grenzschutzseelsorger die Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages anzuwenden.

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(2) Sobald die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, sollen, wenn die Kirche es wünscht, die Grenzschutzseelsorger, welche die Voraussetzungen hierfür erfüllen, in ein Beamtenverhältnis übergeführt werden. § 12 Einstellungsvoraussetzungen (1) Voraussetzungen für die Einstellung eines Grenzschutzseelsorgers sind 1. ein mindestens dreijähriges theologisches Studium an einer deutschen staatlichen Hochschule, einer deutschen kirchlich-akademischen Lehranstalt oder einer päpstlichen Hochschule in Rom, 2. Berechtigung zur Ausübung eines Pfarramtes in einer Diözese, 3. mindestens dreijährige Tätigkeit in der Seelsorge. (2) Von den Erfordernissen des Absatzes 1 Nr. l und Nr. 3 kann in Ausnahmefällen abgesehen werden. § 13 Einstellung; Versetzung, Kündigung usw. (1) Die Grenzschutzseelsorger werden auf Vorschlag des Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz durch den Bundesminister des Innern eingestellt, höhergruppiert, versetzt und abgeordnet. Das gilt auch für die Kündigung. (2) Wichtige Entscheidungen des Bundesministers des Innern in personellen Angelegenheiten der Grenzschutzseelsorger ergehen im Einvernehmen mit dem Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz. (3) Die ersten drei Monate nach der Einstellung gelten als Probezeit. (4) Die Grenzschutzseelsorger werden für sechs bis acht Jahre in das Dienstverhältnis beim Bundesgrenzschutz eingestellt. Die Dienstzeit kann verlängert werden; in diesem Fall gilt das Dienstverhältnis als nicht unterbrochen. § 14 Vergütung (1) Die Grenzschutzseelsorger erhalten eine Vergütung in Höhe der Dienstbezüge der Bundesbeamten; 1. der Grenzschutzdekan nach Besoldungsgruppe A 15 Bundesbesoldungsgesetz, zuzüglich einer monatlichen Aufwandsentschädigung, die zwischen dem Bundesminister des Innern und der katholischen Kirche mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen vereinbart wird, 2. der Grenzschutzoberpfarrer nach Besoldungsgruppe A 14 Bundesbesoldungsgesetz, 3. der Grenzschutzpfarrer nach Besoldungsgruppe A 13 Bundesbesoldungsgesetz, zuzüglich einer Zulage in Höhe der den Militärpfarrern gewährten Zulage. (2) Für die Festsetzung der Vergütung der Grenzschutzseelsorger ist das Bundesbesoldungsgesetz sinngemäß anzuwenden. Dabei gilt der Tag der Einstellung des Grenzschutzseelsorgers als der Tag, mit dem nach § 3 Bundesbesoldungsgesetz die Ernennung wirksam wird. Dementsprechend ist nach § 6

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Abs. 2 Bundesbesoldungsgesetz von diesem Tag bei der Festsetzung des Besoldungsdienstalters auszugehen. Bei der Festsetzung des Besoldungsdienstalters ist die bisherige Tätigkeit des Grenzschutzseelsorgers im Dienste der Kirche (und ihrer Verbände) nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 Bundesbesoldungsgesetz der Tätigkeit im Dienste eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn im Reichsgebiet gleichzusetzen. § 15 Kündigung in besonderen Fällen Als wichtiger Grund für die Kündigung des Dienstverhältnisses ohne Einhaltung einer Frist gilt auch 1. die Abberufung des Grenzschutzseelsorgers durch den Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz oder den zuständigen Ortsbischof, wenn die Verwendung im Dienst der Kirche im wichtigen Interesse der Kirche liegt, 2. der Entzug der kirchlichen Jurisdiktionsgewalt sowie die disziplinarrechtliche Entfernung aus dem kirchlichen Amt. § 16 Versorgung (1) Der Bund zahlt als Zuschuß zu der der katholischen Kirche erwachsenden Versorgungslast an das zuständige Generalvikariat für die Dauer der Tätigkeit des Grenzschutzseelsorgers einen Betrag von monatlich fünfundzwanzig vom Hundert der jeweiligen Gesamtbruttobezüge der Grenzschutzseelsorger. (2) In diesem Betrag ist auch der Zuschuß für alle Leistungen enthalten, welche die Kirche auf Grund von Arbeitsunfällen der Grenzschutzseelsorger während ihrer Tätigkeit im Bundesgrenzschutz übernimmt oder erstattet. (3) Der Zuschuß wird unter der Voraussetzung gezahlt, daß die Kirche 1. die Anwartschaften, auf Grund deren Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Unfallversicherung besteht (§ 541 Reichsversicherungsordnung), aufrechterhält und eine hierdurch erwachsende zusätzliche Versorgungslast übernimmt oder, soweit solche Regelungen nicht bestehen, 2. alle auf Arbeitsunfällen der Grenzschutzseelsorger beruhenden Verpflichtungen des Bundes aus der gesetzlichen Unfallversicherung abgilt, 3. darüber hinaus etwa nach allgemeinen gesetzlichen Vorschriften bestehende Verpflichtungen des Bundes abgilt. (4) Die Zahlungen sind vierteljährlich nachträglich zu leisten. (5) Der Zuschuß wird nicht gezahlt für Grenzschutzseelsorger, die Anspruch auf Versorgung nach dem Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen haben. Soweit in Einzelfällen das Ruhegehalt nach dem genannten Gesetz einen Ruhegehaltssatz von fünfundsiebzig vom Hundert nicht erreicht, bleibt die Gewährung eines besonderen Zuschusses durch den Bund einer Vereinbarung mit dem zuständigen Generalvikariat vorbehalten.

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§ 17 Hilfskräfte Den Grenzschutzseelsorgern werden vom Bund die zur Unterstützung bei gottesdienstlichen Handlungen und bei Verwaltungsaufgaben im Zusammenhang mit der Seelsorge im Bundesgrenzschutz erforderlichen geeigneten katholischen Hilfskräfte zur Verfügung gestellt. § 18 Kosten und Hilfsmittel (1) Der Bund sorgt für den organisatorischen Aufbau der Seelsorge im Bundesgrenzschutz und trägt ihre Kosten. (2) Der Bund stellt den Grenzschutzseelsorgern zur Wahrnehmung der Aufgaben im Bundesgrenzschutz die erforderlichen Hilfsmittel unentgeltlich bereit, insbesondere 1. die notwendigen Räume, 2. Dienstkraftwagen unter Einhaltung der für ihre dienstliche Verwendung bestehenden Bestimmungen. § 19 Gegenseitige Verständigung Der Bundesminister des Innern und die katholische Kirche werden zwischen ihnen entstehende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von Bestimmungen dieser Vereinbarung in dem Bestreben gegenseitiger Verständigung beseitigen. In gleicher Weise werden sie sich über etwa notwendig werdende Sonderregelungen und über den Erlaß von Dienstanweisungen verständigen. § 20 Inkrafttreten Die Vereinbarung tritt in Kraft, wenn die Apostolische Nuntiatur im Namen des Heiligen Stuhls gegenüber der Regierung der Bundesrepublik Deutschland ihre Bestätigung zu dem Vertragsinhalt durch eine Note gegeben hat. Bonn, den 12. August 1965 Der Bundesminister des Innern, gez. Hermann Höcherl Köln, den 29. Juli 1965 Der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenzen gez. Dr. Jos. Card. Frings

Vereinbarung über die evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz Bekanntmachung des Bundesinnenministers vom 18. Oktober 1965 (Gemeinsames Ministerialblatt S. 374 – i. d. F. der Änderung durch Schriftwechsel vom 1. 7. 1968/8. 5. 1969) Vom 12. August 1965

Nachstehend gebe ich die Vereinbarung über die evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz bekannt, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister des Innern, und den beteiligten evangelischen Landeskirchen abgeschlossen worden ist. 2Die Vereinbarung ist mit der Unterzeichnung am 12. August 1965 in Kraft getreten. 1

Vereinbarung über die evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister des Innern, und – die Braunschweigische evangelisch-lutherische Landeskirche, – die Evangelische-Lutherische Kirche in Bayern, die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers, – die Evangelische Landeskirche von Kurhessen-Waldeck, – die Evangelisch-lutherische Kirche in Lübeck und – die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Schleswig-Holsteins schließen folgende Vereinbarung:

§ 1 Gewährleistung einer evangelischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz (1) Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet den evangelischen Landeskirchen die Ausübung ihrer Seelsorge im Bundesgrenzschutz. (2) 1Die Seelsorge umfasst den Dienst an Wort und Sakrament einschließlich des Vollzugs kirchlicher Amtshandlungen und die Einzelseelsorge an den evangelischen Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz. 2Die freie Entscheidung des einzelnen Polizeivollzugsbeamten bleibt gewahrt.

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§ 2 Verantwortlichkeit und Aufsicht der Kirche (1) 1Die Seelsorge im Bundesgrenzschutz wird als Teil der kirchlichen Arbeit durch die evangelischen Landeskirchen von Grenzschutzseelsorgern ausgeübt. 2 Die hauptamtlichen Grenzschutzseelsorger werden für ihren Dienst von den Landeskirchen beurlaubt. (2) Die in der Seelsorge des Bundesgrenzschutzes tätigen Grenzschutzseelsorger verwalten ein kirchliches Amt. (3) In der Verwaltung ihres kirchlichen Amtes und in der Ausübung der seelsorglichen Betreuung der Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz unterstehen die Grenzschutzseelsorger der Lehrzucht und Disziplinargewalt ihrer Landeskirchen und sind an die landeskirchlichen Ordnungen gebunden; sie sind insbesondere gehalten, die Parochialrechte der Ortskirchengemeinden zu beachten. (1) § 3 Beauftragter für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz (1) Der Beauftragte für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz ist zuständig für alle kirchlichen Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Seelsorge im Bundesgrenzschutz. Hierzu gehören insbesondere 1. Einführung der Grenzschutzseelsorger im Hauptamt in ihr kirchliches Amt, wenn sich die zuständige Landeskirche die Einführung nicht vorbehält, 2. Erlass von Richtlinien im Einvernehmen mit den Landeskirchen und im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern über die Ausübung der Grenzschutzseelsorge und über ihre Koordinierung mit der allgemeinen Seelsorge durch die Grenzschutzseelsorger; Überwachung der Durchführung dieser Richtlinien, 3. Mitwirkung bei der Aufstellung von Gesamtjahresausbildungs- und Lehrgangsplänen durch das Bundesministerium des Innern, soweit Fragen der berufsethischen Erziehung berührt werden, sowie bei den Plänen für die Gestaltung der berufsethischen Lehrgänge für evangelische Polizeivollzugsbeamte durch das Bundesministerium des Innern, 4. Anregung für die Auswahl und Gestaltung von Themen für Vorträge der Grenzschutzseelsorger auf dem Gebiet der berufsethischen Erziehung, 5. Abhaltung von kirchlichen Dienstbesprechungen der Grenzschutzseelsorger, 6. das religiöse Schrifttum für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz. (2) 1Die kirchliche Dienstaufsicht über die Seelsorger im Bundesgrenzschutz wird im Auftrag und unter der Verantwortung der zuständigen Landeskirche (§ 2 Abs. 3) von dem Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz wahrgenommen. 2Er ist verpflichtet, den Landeskirchen regelmäßig Bericht über die kirchliche Arbeit im Bundesgrenzschutz zu erstatten. (3) 1Der Beauftragte für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz wird im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern von den evangelischen Landes-

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kirchen ernannt. 2Die evangelischen Landeskirchen können den Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz aus wichtigen kirchlichen Gründen abberufen. (4) Der Beauftragte für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz kann 1. seine Befugnisse dem dienstaufsichtführenden Seelsorger im Bundesgrenzschutz (Grenzschutzdekan) übertragen, 2. in den einzelnen Grenzschutzstandorten im Einvernehmen mit der zuständigen Landeskirche und mit Zustimmung des Bundesministers des Innern im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zusätzlich Seelsorger mit der Seelsorge im Bundesgrenzschutz nebenamtlich betrauen. § 4 Grenzschutzseelsorger (1) Zu den hauptamtlichen Grenzschutzseelsorgern gehören 1. der Grenzschutzdekan, 2. die Grenzschutzoberpfarrer, 3. die Grenzschutzpfarrer. (2) 1Für den Bereich jedes Grenzschutzkommandos und jeder Grenzschutzgruppe sowie für das Kommando der Grenzschutzschulen wird die Seelsorge durch hauptamtliche Seelsorger durchgeführt. 2Die Zahl der hauptamtlichen Seelsorger beträgt zurzeit neun. (3) 1In besonderen Fällen werden in den einzelnen Grenzschutzstandorten von der zuständigen Landeskirche zusätzlich Seelsorger mit der Seelsorge nebenamtlich betraut. 2Die Aufgaben, Rechte und Pflichten dieser Seelsorger werden im Einvernehmen mit der zuständigen Landeskirche durch Vereinbarung zwischen dem Bundesminister des Innern und dem Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz geregelt. § 5 Grenzschutzdekan (1) Auf Vorschlag des Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz bestellt der Bundesminister des Innern einen dienstaufsichtführenden Seelsorger im Bundesgrenzschutz (Grenzschutzdekan). (2) Der Grenzschutzdekan hat das Recht des unmittelbaren Vortrags beim Bundesminister des Innern. (3) 1Am dienstlichen Wohnsitz des Grenzschutzdekans wird zur Wahrnehmung der zentralen Aufgaben der evangelischen Seelsorge im Bundesgrenzschutz eine Dienststelle eingerichtet; der dienstliche Wohnsitz wird im Einvernehmen mit dem Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz vom Bundesminister des Innern festgelegt. 2Leiter dieser Dienststelle ist der Grenzschutzdekan, der in kirchlichen Angelegenheiten den Weisungen des Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz, in grenzschutzdienstlichen Angelegenheiten denen des Bundesministers des Innern unterstellt ist. 3Die

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wirtschaftlichen Angelegenheiten werden durch die zuständige Grenzschutzverwaltung geregelt. (4) Der Grenzschutzdekan hat die Aufgabe, 1. auf Einheitlichkeit in der Tätigkeit der Grenzschutzseelsorger hinzuwirken, 2. die Dienststellen des Bundesgrenzschutzes in grundsätzlichen Fragen der Unterstützung der Seelsorge im Bundesgrenzschutz und der berufsethischen Erziehung zu beraten, 3. im Rahmen der Vertretungsermächtigung durch den Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz (§ 3 Abs. 4) Weisungen für die Durchführung des kirchlichen Dienstes im Bundesgrenzschutz zu erteilen, 4. die Grenzschutzseelsorger in der Ausübung ihres Dienstes zu beraten, ihnen die hierfür nötigen Unterlagen an die Hand zu geben und sie entsprechend zu unterweisen, 5. den Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz zu beraten, in welchen besonderen Fällen in den einzelnen Grenzschutzstandorten zusätzlich Seelsorger mit der Seelsorge im Bundesgrenzschutz nebenamtlich zu betrauen sind (§ 4 Abs. 3), 6. die Seelsorge im Bundesgrenzschutz bei Grenzschutzdienststellen zu regeln, die außerhalb von Grenzschutzgruppenbereichen liegen. (5) 1Der Grenzschutzdekan ist für sämtliche Dienststellen der Grenzschutztruppe und des Grenzschutzeinzeldienstes zuständig. 2Für den Bereich des Grenzschutzeinzeldienstes kann er sich durch einen von ihm zu bestimmenden Grenzschutzseelsorger vertreten lassen. § 6 Grenzschutzoberpfarrer und Grenzschutzpfarrer (1) Die Grenzschutzoberpfarrer, die zugleich die Aufgaben eines Grenzschutzpfarrers bei einer Grenzschutzgruppe wahrzunehmen haben, üben die Dienstaufsicht über die Grenzschutzpfarrer und über die nebenamtlich tätigen Seelsorger im Bereich ihrer Grenzschutzkommandos in kirchlichen Angelegenheiten und die Seelsorge im Bundesgrenzschutz in den Fällen aus, die ihnen vom Grenzschutzdekan zugewiesen worden sind. (2) Es sind zuständig 1. die Grenzschutzseelsorger – Grenzschutzoberpfarrer – bei den Grenzschutzkommandos und dem Kommando der Grenzschutzschulen für sämtliche Dienststellen der Grenzschutztruppe im Bereich ihres Kommandos; der Grenzschutzseelsorger beim Grenzschutzkommando Mitte auch für die Dienststellen der Grenzschutztruppe im Raum Bonn, 2. die Grenzschutzseelsorger – Grenzschutzpfarrer – bei den Grenzschutzgruppen bzw. beim Kommando der Grenzschutzschulen für die Dienststellen der Grenzschutztruppe im Bereich ihrer Grenzschutzgruppe bzw. ihres Kommandos.

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(3) Der dienstliche Wohnsitz der Grenzschutzseelsorger ist der Standort des für sie zuständigen Grenzschutzkommandos oder Grenzschutzgruppenstabes, soweit nicht in gegenseitigem Einvernehmen etwas anderes festgelegt wird. § 7 Mitwirkung bei der berufsethischen Erziehung (1) Die berufsethische Erziehung der Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz, die ein Teil der Gesamterziehung ist, beruht auf den Grundsätzen christlicher Lebensführung. (2) 1Bei der Aufstellung der Gesamtjahresausbildungs- und Lehrgangspläne durch das Bundesministerium des Innern und die Kommandeure der Grenzschutzkommandos ist der berufsethische Unterricht als Dienstunterricht zu berücksichtigen. 2Die Grenzschutzseelsorger wirken bei der berufsethischen Erziehung mit und führen wie bisher den berufsethischen Unterricht durch. 3Im Übrigen gilt § 3 Abs. 1 Nr. 3 für die Grenzschutzseelsorger entsprechend. (4) 1Die Teilnahme am berufsethischen Unterricht ist für die Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz Dienst. 2Artikel 4 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ist zu beachten. 3Konfessionelle Fragen werden bei der Erörterung religiöser Lebensfragen (§ 8 Abs. 1) behandelt. § 8 Erörterung religiöser Lebensfragen und Gottesdienst (1) Für die Polizeivollzugsbeamten in der Grenzschutztruppe ist in der Regel vierzehntäglich, mindestens jedoch monatlich, eine Stunde innerhalb der Dienstzeit für die Erörterung religiöser Lebensfragen mit dem Grenzschutzseelsorger zur Verfügung zu stellen. (2) Außerdem ist den Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz während der Dienstzeit Gelegenheit zu persönlichen Aussprachen mit dem Grenzschutzseelsorger sowie mindestens einmal im Monat zur Teilnahme am Gottesdienst zu geben. § 9 Dienstliche Unterstützung der Grenzschutzseelsorger (1) 1Den Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz wird im Rahmen der seelsorglichen Betreuung Gelegenheit zu freiwilliger religiöser Betätigung und zur Inanspruchnahme der Dienste ihrer Kirchen gegeben. 2Die Teilnahme am kirchlichen Leben wird, soweit nicht dienstliche Notwendigkeiten entgegenstehen, gewährleistet. (2) Für die Teilnahme an Rüsttagen, Rüstzeiten, Werkwochen und sonstigen kirchlichen Tagungen kann die zuständige Dienststelle jedem Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz Urlaub bis zu insgesamt sechs Arbeitstagen im Jahre ohne Anrechnung auf den Erholungsurlaub und unter Fortzahlung der Bezüge erteilen.

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(3) Jeder Vorgesetzte im Bundesgrenzschutz soll für die religiösen Anliegen seiner Untergebenen aufgeschlossen sein, sich für ihre religiöse Betreuung mitverantwortlich fühlen und die Grenzschutzseelsorger in ihrer Tätigkeit weitgehend unterstützen. (4) Bei Grundsatzfragen, welche die Erziehung, die Betreuung und die geistige Haltung der Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz betreffen, ist den Grenzschutzseelsorgern Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. § 10 Dienstvertrag Die Rechtsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem einzelnen Grenzschutzseelsorger im Hauptamt werden durch einen Dienstvertrag im Sinne der nachstehenden Vereinbarungen geregelt. § 11 Anwendung des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) (1) Soweit diese Vereinbarung keine besonderen Regelungen enthält, sind auf die Rechtsverhältnisse der Grenzschutzseelsorger die Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages anzuwenden. (2) Sobald die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, sollen, wenn die Kirchen es wünschen, die Grenzschutzseelsorger, welche die Voraussetzungen hierfür erfüllen, in ein Beamtenverhältnis übergeführt werden. § 12 Einstellungsvoraussetzungen (1) Voraussetzungen für die Einstellung eines Grenzschutzseelsorgers sind 1. ein mindestens dreijähriges theologisches Studium an einer deutschen staatlichen Hochschule, 2. Berechtigung zur Ausübung eines Pfarramtes in einer evangelischen Landeskirche, 3. mindestens dreijährige Tätigkeit in der Seelsorge. (2) Von den Erfordernissen des Absatzes 1 Nr. 1 und Nr. 3 kann in Ausnahmefällen abgesehen werden. § 13 Einstellung, Versetzung, Kündigung usw. (1) 1Die Grenzschutzseelsorger werden auf Vorschlag des Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz durch den Bundesminister des Innern mit Zustimmung der zuständigen Landeskirche eingestellt, höher gruppiert, versetzt und abgeordnet. 2Das gilt auch für die Kündigung. (2) Wichtige Entscheidungen des Bundesministers des Innern in personellen Angelegenheiten der Grenzschutzseelsorger ergehen im Einvernehmen mit dem Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz. (3) Die ersten drei Monate nach der Einstellung gelten als Probezeit.

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(4) 1Die Grenzschutzseelsorger werden für sechs bis acht Jahre in das Dienstverhältnis beim Bundesgrenzschutz eingestellt. 2Die Dienstzeit kann verlängert werden; in diesem Fall gilt das Dienstverhältnis als nicht unterbrochen. § 14 Vergütung (1) Die Grenzschutzseelsorger erhalten eine Vergütung in Höhe der Dienstbezüge der Bundesbeamten; 1. der Grenzschutzdekan nach Besoldungsgruppe A 16 Bundesbesoldungsgesetz. 2. der Grenzschutzoberpfarrer nach Besoldungsgruppe A 14 Bundesbesoldungsgesetz, 3. der Grenzschutzpfarrer nach Besoldungsgruppe A 13 Bundesbesoldungsgesetz, zuzüglich einer Zulage in Höhe der den Militärpfarrern gewährten Zulage. (2) 1Für die Festsetzung der Vergütung der Grenzschutzseelsorger ist das Bundesbesoldungsgesetz sinngemäß anzuwenden. 2Dabei gilt der Tag der Einstellung des Grenzschutzseelsorgers als der Tag, mit dem nach § 3 Bundesbesoldungsgesetz die Ernennung wirksam wird. 3Dementsprechend ist nach § 6 Abs. 2 Bundesbesoldungsgesetz von diesem Tag bei der Festsetzung des Besoldungsdienstalters auszugehen. 4Bei der Festsetzung des Besoldungsdienstalters ist die bisherige Tätigkeit des Grenzschutzseelsorgers im Dienste der Kirche (und ihrer Verbände) nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 Bundesbesoldungsgesetz der Tätigkeit im Dienste eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn im Reichsgebiet gleichzusetzen. § 15 Kündigung in besonderen Fällen Als wichtiger Grund für die Kündigung des Dienstverhältnisses ohne Einhaltung einer Frist gilt auch 1. die Abberufung des Grenzschutzseelsorgers durch den Beauftragten für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz oder die zuständige Landeskirche, wenn die Abberufung im wichtigen Interesse der Kirche liegt, 2. der Verlust der durch die Ordination erworbenen Rechte sowie die disziplinarrechtliche Entfernung aus dem kirchlichen Amt. § 16 Versorgung (1) Der Bund zahlt als Zuschuss zu der den Kirchen erwachsenden Versorgungslast an die zuständige Landeskirche für die Dauer der Tätigkeit des Grenzschutzseelsorgers einen Betrag von monatlich fünfundzwanzig vom Hundert der jeweiligen Gesamtbruttobezüge der Grenzschutzseelsorger. (2) In diesem Betrag ist auch der Zuschuss für alle Leistungen enthalten, welche die Kirchen auf Grund von Arbeitsunfällen der Grenzschutzseelsorger während ihrer Tätigkeit im Bundesgrenzschutz übernehmen oder erstatten. (3) Der Zuschuss wird unter der Voraussetzung gezahlt, dass die Kirchen

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1. die Anwartschaften, auf Grund deren Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Unfallversicherung besteht (§ 541 Reichsversicherungsordnung), aufrechterhalten und eine hierdurch erwachsende zusätzliche Versorgungslast übernehmen oder, soweit solche Regelungen nicht bestehen, 2. alle auf Arbeitsunfällen der Grenzschutzseelsorger beruhenden Verpflichtungen des Bundes aus der gesetzlichen Unfallversicherung abgelten, 3. darüber hinaus etwa nach allgemeinen gesetzlichen Vorschriften bestehende Verpflichtungen des Bundes abgelten. (4) Die Zahlungen sind vierteljährlich nachträglich zu leisten. (5) 1Der Zuschuss wird nicht gezahlt für Grenzschutzseelsorger, die Anspruch auf Versorgung nach dem Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen haben. 2Soweit in Einzelfällen das Ruhegehalt nach dem genannten Gesetz einen Ruhegehaltssatz von fünfundsiebzig vom Hundert nicht erreicht, bleibt die Gewährung eines besonderen Zuschusses durch den Bund einer Vereinbarung mit der zuständigen Landeskirche vorbehalten. § 17 Hilfskräfte Den Grenzschutzseelsorgern werden vom Bund die zur Unterstützung bei gottesdienstlichen Handlungen und bei Verwaltungsaufgaben im Zusammenhang mit der Seelsorge im Bundesgrenzschutz erforderlichen geeigneten evangelischen Hilfskräfte zur Verfügung gestellt. § 18 Kosten und Hilfsmittel (1) Der Bund sorgt für den organisatorischen Aufbau der Seelsorge im Bundesgrenzschutz und trägt ihre Kosten. (2) Der Bund stellt den Grenzschutzseelsorgern zur Wahrnehmung der Aufgaben der Seelsorge im Bundesgrenzschutz die erforderlichen Hilfsmittel unentgeltlich bereit, insbesondere 1. die notwendigen Räume, 2. Dienstkraftwagen unter Einhaltung der für ihre dienstliche Verwendung bestehenden Bestimmungen. § 19 Gegenseitige Verständigung Der Bundesminister des Innern und die evangelischen Landeskirchen in der Bundesrepublik Deutschland werden zwischen ihnen entstehende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von Bestimmungen dieser Vereinbarung in dem Bestreben gegenseitiger Verständigung beseitigen. In gleicher Weise werden sie sich über etwa notwendig werdende Sonderregelungen und über den Erlass von Dienstanweisungen verständigen.

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§ 20 Beitritt von Landeskirchen Andere evangelische Landeskirchen in der Bundesrepublik Deutschland können der vorstehenden Vereinbarung beitreten. § 21 Inkrafttreten Die Vereinbarung tritt mit ihrer Unterzeichnung in Kraft. Bonn, den 12. August 1965 Der Bundesminister des Innern Hermann Höcherl LS Wolfenbüttel, den 21. Juli 1965 Die Braunschweigische evangelisch-lutherische Landeskirche – Die Kirchenregierung – D. Martin Erdmann München, den 20. Juli 1965 Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern – Der Landesbischof – I. V. Riedel Hannover, den 22. Juli 1965 Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers – Das Landeskirchenamt – Dr. Wagenmann Kassel, den 21. Juli 1965 Die Evangelische Landeskirche von Kurhessen-Waldeck D. Vellmer LS Lübeck, den 23. Juli 1965 Die Evangelisch-lutherische Kirche in Lübeck – Die Kirchenleitung – Jansen Göbel LS Kiel, den 23. Juli 1965 Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Schleswig-Holstein D. Wester LS Dr. Grauheding Bischof, Vorsitzender Präsident des der Kirchenleitung Landeskirchenamtes

Die Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Reiner Anselm ist Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Volker Beck MdB ist innen- und religionspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Dr. Gregor Gysi MdB ist Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag. Prof. Dr. Richard Hartmann ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Theologischen Fakultät Fulda. Prof. Dr. Markus Heintzen ist Professor für Öffentliches Recht, Staats-, Verwaltungs- und Steuerrecht an der Freien Universität Berlin. Prof. Dr. Ansgar Hense ist Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands. Dr. Franz Josef Jung MdB ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender für Außenund Sicherheitspolitik sowie Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Thomas Oppermann MdB ist Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Thomas Osterroth ist Präsident der Bundespolizeidirektion Hannover. Klaus Papenfuß ist Erster Polizeihauptkommissar a.D. und war zuletzt Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundespolizeidirektion München. Prof. Dr. Matthias Pulte ist Professor für Kirchenrecht, kirchliche Rechtsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Johannes Gutenberg Universität Mainz.

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Die Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Johanna Rahner ist Professorin für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. Prof. Dr. Ralf Röger ist Inhaber einer Professur für Rechtswissenschaften am Fachbereich Bundespolizei der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Lübeck sowie Privatdozent mit der venia legendi für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität zu Köln. Dr. Patricia M. Schütte-Bestek ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl „Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung“ an der Ruhr-Universität Bochum. Prof. Dr. Christian Waldhoff ist Professor für Öffentliches Recht und Finanzrecht an der Humboldt-Universität Berlin. Prof. Dr. Hinnerk Wißmann ist Professor für Öffentliches Recht, Verwaltungswissenschaften, Kultur- und Religionsverfassungsrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.