Zwischen Verklärung und Verführung: Die Frau in der französischen Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts [1. Aufl.] 9783839430774

From the romanticized ideal form to the seductive demimondaine - early French poster art courts the favor of the observe

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German Pages 450 Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
1.1 Stand der Forschung
1.2 Methodik und Aufbau der Untersuchung
1.3 Die Entwicklung der Plakatkunst im späten 19. Jahrhundert
1.4 Die Stellung der Frau in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts
2. Die Frau im häuslichen Umfeld
2.1 Die Mutter
2.2 Dienstmädchen und Hausherrin
3. Die Parisienne
3.1 Die Konsumentin
3.2 Die Frau im städtischen und ländlichen Umfeld
3.3 Die Parisienne als Innbegriff von Mode und Modernität
3.4 Die Parisienne im Genussmittelplakat
3.5 Exkurs: Kurtisane und Parisienne – die Vermischung zweier Stereotypen
4. Tänzerinnen und andere Bühnenkünstlerinnen
4.1 Die Entwicklung der Plakatwerbung für Café-concerts und Music-Halls
4.2 Die Balletttänzerin
4.3 Der Tanz als spezifisch ‚weibliche‘ Kunstform
4.4 Tanz, weibliche Verführungskunst und Halbwelt
4.5 Die Tänzerin im Warenplakat
4.6 La Fée lumineuse – Loïe Fuller
4.7 La Diseuse fin de siècle – Yvette Guilbert
4.8 Die ‚göttliche Sarah‘ – Sarah Bernhardt
4.9 Exkurs: Die Frau im Publikum
5. Das entrückte Ideal
5.1 Die femme fragile
5.2 Die Verklärung der Vergangenheit
5.3 Femme-fleur und Naturidyll
5.4 Das ‚Rätsel Weib‘ als Ideal des Symbolismus
5.5 Exkurs: Exotismus im Plakat
6. Die weibliche Gestalt im Kontext der Allegorie
6.1 Exkurs: Die Krise der Allegorie
6.2 Allegorie und zeitgenössische Lebenswirklichkeit
6.3 Das Bild der Frau zwischen allegorischer Rolle und Realität
7. Muse und Modell – die Frau im Kunst- und Ausstellungsplakat
7.1 Die Frau als Sinnbild männlichen Kunstschaffens
7.2 Exkurs: Die Stellung der Frau im Kunstbetrieb des 19. Jahrhunderts
7.3 Frau und Natur als Themen der Kunst
7.4 Der weibliche Akt
7.5 Exkurs: Der Künstler als Narr und die Motivwelt der commedia dell’arte
7.6 Die ‚moderne Muse‘
7.7 Die spirituelle Verklärung der Kunst
7.8 Die Frau als Rezipientin der Kunst
8. Das Plakat im Kontext der ‚sozialen Frage‘
8.1 Plakate als Mittel zur Demokratisierung der Kunst
8.2 Die Evokation von Luxus und Prestige als Werbestrategie
9. Weibliche Erotik als Werbestrategie
9.1 Esprit français oder Sittenverfall ? – Erotische Plakatkunst in der Sicht des 19. Jahrhunderts
9.2 Zensur
10. Frauenfiguren als künstlerisches ‚Markenzeichen‘
10.1 Die Chérette
10.2 Die Mucha-Frau
10.3 Zeitgenössische Kritik an der künstlerischen ‚Marke‘
11. Konklusion
12. Literatur
12.1 Historische Quellen
12.2 Forschungsliteratur
13. Verzeichnis der Abbildungen
13.1 Bildnachweis
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Zwischen Verklärung und Verführung: Die Frau in der französischen Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts [1. Aufl.]
 9783839430774

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Barbara Martin Zwischen Verklärung und Verführung

Image | Band 78

Barbara Martin ist wissenschaftliche Volontärin an der Landesgalerie des Landesmuseums Hannover. Daneben ist sie als freie Kuratorin und Publizistin tätig. Ihr fachlicher Schwerpunkt liegt in der Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Barbara Martin

Zwischen Verklärung und Verführung Die Frau in der französischen Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts

Dissertation an der Fakultät für Architektur am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), angenommen unter dem Titel »Die Frau in der französischen Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts«. Tag der mündlichen Prüfung: 10. Februar 2014

Gedruckt mit der freundlichen Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Jules Chéret: Quinquina Dubonnet, 1895, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3077-0 PDF-ISBN 978-3-8394-3077-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1. Einleitung | 7 1.1 Stand der Forschung | 8 1.2 Methodik und Aufbau der Untersuchung | 16 1.3 Die Entwicklung der Plakatkunst im späten 19. Jahrhundert | 19 1.4 Die Stellung der Frau in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts | 23 2. Die Frau im häuslichen Umfeld | 27 2.1 Die Mutter | 27 2.2 Dienstmädchen und Hausherrin | 44 3. Die Parisienne | 51 3.1 Die Konsumentin | 51 3.2 Die Frau im städtischen und ländlichen Umfeld | 55 3.3 Die Parisienne als Innbegriff von Mode und Modernität | 59 3.4 Die Parisienne im Genussmittelplakat | 69 3.5 Exkurs: Kurtisane und Parisienne – die Vermischung zweier Stereotypen | 76 4. Tänzerinnen und andere Bühnenkünstlerinnen | 85 4.1 Die Entwicklung der Plakatwerbung für Café-concerts und Music-Halls | 86 4.2 Die Balletttänzerin | 103 4.3 Der Tanz als spezifisch ‚weibliche‘ Kunstform | 112 4.4 Tanz, weibliche Verführungskunst und Halbwelt | 113 4.5 Die Tänzerin im Warenplakat | 117 4.6 La Fée lumineuse – Loïe Fuller | 119 4.7 La Diseuse fin de siècle – Yvette Guilbert | 128 4.8 Die ‚göttliche Sarah‘ – Sarah Bernhardt | 136 4.9 Exkurs: Die Frau im Publikum | 149 5. Das entrückte Ideal | 167 5.1 Die femme fragile | 167 5.2 Die Verklärung der Vergangenheit | 181 5.3 Femme-fleur und Naturidyll | 186 5.4 Das ‚Rätsel Weib‘ als Ideal des Symbolismus | 192 5.5 Exkurs: Exotismus im Plakat | 195

6. Die weibliche Gestalt im Kontext der Allegorie | 209 6.1 Exkurs: Die Krise der Allegorie | 220 6.2 Allegorie und zeitgenössische Lebenswirklichkeit | 223 6.3 Das Bild der Frau zwischen allegorischer Rolle und Realität | 230 7. Muse und Modell – die Frau im Kunst- und Ausstellungsplakat | 235 7.1 Die Frau als Sinnbild männlichen Kunstschaffens | 235 7.2 Exkurs: Die Stellung der Frau im Kunstbetrieb des 19. Jahrhunderts | 238 7.3 Frau und Natur als Themen der Kunst | 245 7.4 Der weibliche Akt | 248 7.5 Exkurs: Der Künstler als Narr und die Motivwelt der commedia dell’arte | 256 7.6 Die ‚moderne Muse‘ | 259 7.7 Die spirituelle Verklärung der Kunst | 267 7.8 Die Frau als Rezipientin der Kunst | 274 8. Das Plakat im Kontext der ‚sozialen Frage‘ | 283 8.1 Plakate als Mittel zur Demokratisierung der Kunst | 283 8.2 Die Evokation von Luxus und Prestige als Werbestrategie | 300 9. Weibliche Erotik als Werbestrategie | 309 9.1 Esprit français oder Sittenverfall ? – Erotische Plakatkunst in der Sicht des 19. Jahrhunderts | 320 9.2 Zensur | 328 10. Frauenfiguren als künstlerisches ‚Markenzeichen‘ | 339 10.1 Die Chérette | 342 10.2 Die Mucha-Frau | 366 10.3 Zeitgenössische Kritik an der künstlerischen ‚Marke‘ | 388 11. Konklusion | 391 12. Literatur | 399 12.1 Historische Quellen | 399 12.2 Forschungsliteratur | 404 13. Verzeichnis der Abbildungen | 425 13.1 Bildnachweis | 439

1. Einleitung

Ausgehend von Frankreich erlebte die Plakatkunst Ende des 19. Jahrhunderts eine europaweite Blüte. Von versierten, teils hierauf spezialisierten Künstlern gestaltet, erlangten Plakate eine neue ästhetische Qualität. Verstanden als ‚Galerie der Straße‘, dienten sie nicht nur der Beeinflussung des Konsumverhaltens, sondern vor allem der Geschmacksbildung der breiten Öffentlichkeit. Unabhängig von ihrer eigentlichen Werbefunktion wurden sie nun als vollwertige Kunstform angesehen, avancierten zu begehrten Sammelobjekten wie auch zum Gegenstand der Kunstkritik – es kam zu einer regelrechten Affichomanie.1 Vor allem in der französischen Plakatkunst erfreute sich hierbei die Darstellung der Frau größter Beliebtheit: In unzähligen Plakaten dienten Frauen als Blickfang, warben für Konsum- und Luxusartikel ebenso wie für Kultur- und Vergnügungsveranstaltungen. Angesichts der Fülle von erhaltenem Material nimmt es Wunder, dass sich die feministische Kunstgeschichte wie auch die gender studies bisher nur am Rande mit der Darstellung der Frau in der Plakatkunst beschäftigt haben. Ziel dieser Arbeit ist es daher, das Ende des 19. Jahrhunderts in der französischen Plakatwerbung kursierende Frauenbild zu analysieren und dessen ideologischen Gehalt kritisch zu hinterfragen. Nach verschiedenen ikonografischen Typen geordnet, wird die Funktion der Frauenfiguren sowie das hierin zutage tretende Verständnis des weiblichen Wesens untersucht. Gerade vor dem Hintergrund einer sich rapide wandelnden Gesellschaft, die angesichts der politischen wie der wirtschaftlichen Entwicklung auch die Rolle der Frau neu definierte, ist dabei die Verortung im sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Kontext von größter Bedeutung, denn: „Plakate sind Barometer sozialer,

1

Vgl. hierzu Harms-Lückerath, Martina: Galerie der Straße. Höhepunkte der Plakatkunst von ihren Anfängen bis heute, Ausst.Kat. Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Heidelberg 1998, S. 8–17. Eine ausführliche Untersuchung des Phänomens im Hinblick auf die damalige Sammeltätigkeit und Bewertung durch die Kunstkritik leistet Zmelty, HenriNicholas: L’Affiche illustrée au temps de l’affichomanie (1889–1905), [Diss.] Paris 2014; zum Begriff der affichomanie siehe Zmelty 2014, S. 7.

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wirtschaftlicher, politischer, kultureller Ereignisse und Wechselbeziehungen, Spiegel geistiger und praktischer Aktivitäten, der lebenszugewandten Seite des Menschen.“2 Nicht nur die Mentalität ihrer Epoche, die jeweiligen Wünsche und Idealvorstellungen bilden Plakate ab, im Hinblick auf ihre Werbefunktion suchen sie zudem neue Wunschbilder zu generieren – in ihrer Frühzeit wie auch heute noch primär transportiert über weibliche Figuren. Als Massenmedium im städtischen Raum unterlag das künstlerisch gestaltete Plakat dabei gänzlich anderen Rezeptionsbedingungen als die in Ausstellungen und Museen präsentierten Werke der traditionellen, freien Kunst. In besonderen Maße vermag eine grundlegende Untersuchung der Plakatkunst Ende des 19. Jahrhunderts daher Aufschluss zu geben über die damalige Wahrnehmung der Frau in der Öffentlichkeit, über ein sich wandelndes Rollenbild zwischen häuslicher Unterordnung und beginnender Emanzipation – konträre Pole, die den Kampf um Gleichberechtigung nachhaltig prägen sollten.

1.1 S TAND

DER

F ORSCHUNG

Zur Geschichte der Plakatkunst existieren vielfältige Publikationen; bereits um die Jahrhundertwende begann man, Künstlerplakate zu dokumentieren und zu erläutern. Zahlreiche Zeitschriften zu Kunst und Kunstgewerbe widmeten sich ausführlich der zeitgenössischen Plakatwerbung.3 Mit Ernest Maindrons Les Affiches illustrées4 erschien 1886 die erste Abhandlung zum Thema in Buchform, 1896 gefolgt von einer zweiten Veröffentlichung gleichen Titels, die die in der Zwischenzeit neu entstan-

2

Müller-Brockmann, Josef und Shizuko: Geschichte des Plakats, Zürich 1971, S. 10.

3

Aus der großen Zahl von Zeitschriften zu Kunst und Kunstgewerbe, die zeitweise oder dauerhaft einen inhaltlichen Schwerpunkt auf die zeitgenössische Plakatkunst legten, sei hier nur eine exemplarische Auswahl genannt: Revue des arts décoratifs, Paris 1880–1902. La Plume. Littéraire, Artistique et Sociale, Paris 1889–1905 und 1911–1913. The Studio. An Illustrated Magazine of Fine & Applied Art, London 1893–1974. Maîtres de l’affiche, Paris 1895–1900. Art et Décoration. Revue mensuelle d’art moderne, Paris 1897–1914; 1919–1939 und 1946 bis heute. L’Estampe et l’affiche, Paris 1897–1899. The Poster. An Illustrated Monthly Chronicle, London 1898–1900. Das Plakat. Mitteilungen des Vereins der Plakatfreunde, Berlin 1913–1921.

4

Maindron, Ernest: Les Affiches illustrées, Paris 1886.

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denen Plakate thematisierte.5 Grundlegend waren auch Charles Hiatts Picture Posters6 von 1895 und Jean-Louis Sponsels Das moderne Plakat7 von 1897. Eine wissenschaftliche Betrachtung aus historischer Distanz erfolgte erstmals 1958 mit der Dissertation Annemarie Hagners,8 die das Plakat als Ausdrucksform der Jugendstilkunst untersuchte. Hagners Methodik – die Gliederung des Bildmaterials nach stilistischen Gesichtspunkten, Nationalitäten und einzelnen Künstlern sowie ihre auf stilgeschichtliche Aspekte konzentrierte Analyse – sollte Vorbildwirkung für zahlreiche weitere Publikationen entwickeln.9 Die Darstellung der Frau in der Plakatkunst wurde in diesem Kontext in der Regel nur thematisiert, um die besprochenen Künstler stilistisch voneinander abzugrenzen. So stellt beispielsweise Hermann Schardt die beschwingten Figuren Jules Chérets den schonungslos sozialkritischen Darstellungen Henri de Toulouse-Lautrecs oder Alfons Muchas luxuriösdekorativen ‚Werbedamen‘ gegenüber.10 Ergänzend zur stilgeschichtlichen Einordnung der Plakate selbst wurden die historischen Hintergründe und Auswirkungen der affichomanie thematisiert –11 zuletzt ausführlich und erhellend in der Dissertation Nicholas-Henri Zmeltys, der sich intensiv mit der damaligen Sammeltätigkeit, der Vermarktung von Plakaten sowie den Urteilen der zeitgenössischen Kunstkritik auseinandersetzte.12 Wiederholt beleuchteten auch Museen ihre Plakatsammlungen.13 Ein wichtiges Überblickswerk

5

Maindron, Ernest: Les Affiches illustrées (1886–1895), Paris 1896.

6

Hiatt, Charles: Picture Posters, London 1895.

7

Sponsel, Jean Louis: Das moderne Plakat, Dresden 1897.

8

Hagner, Annemarie: Das Plakat im Jugendstil [Diss.], Freiburg 1958.

9

Exemplarisch seien hier genannt: Barnicoat, John: A Concise History of Posters, London 1972 [dt.: Das Poster, Wien/München/Zürich 1972]. Schindler, Herbert: Monografie des Plakats, München 1972. Weill, Alain: L’Affiche dans le monde, Paris 1984 [engl.:The Poster. A Worldwide Survey and History, London 1985].

10 Vgl. Schardt, Hermann: Französische Plakatkunst. Paris 1900, Sonderausgabe Stuttgart/Zürich 1987. 11 So etwa bei: Abdy, Jane: The French Poster. Chéret to Capiello, London 1969. Hillier, Bevis: Plakate, Hamburg 1969.

12 Zmelty 2014. 13 Als Beispiele seien hier genannt: Le Salon de la rue. L’Affiche illustrée de 1890 à 1910, Ausst.Kat. Musées de la Ville de Strasbourg, Straßburg 2007.

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entstand ab 1973 mit dem Bestandskatalog der frühen Plakate in Europa und den USA in deutschen Museen.14 Daneben erschienen zahlreiche Monografien und Ausstellungskataloge, die sich speziell dem Werk einzelner Plakatkünstler widmeten;15 teils in Form von kommentierten Werkverzeichnissen.16 Zudem wurden be-

Anna, Susanne (Hg.): Historische Plakate 1890–1914, Ausst.Kat. Städtische Kunstsammlungen Chemnitz, Stuttgart 1995. Buschhoff, Anne: Blickfänger. Französische Plakate um 1900 aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen, Ausst.Kat. Kunsthalle Bremen, Bremen 2001. Döring, Jürgen: Plakatkunst von Toulouse-Lautrec bis Benetton, Ausst.Kat. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Heidelberg 1994. Orchard, Karin (Hg.): Plakativ. Toulouse-Lautrec und das Plakat um 1900, Ausst.Kat. Sprengel Museum Hannover, Hannover 2015. Thon, Christina: Französische Plakate des 19. Jahrhunderts, Berlin 1968 [= Bilderhefte der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin, Heft 7/8]. 14 Popitz, Klaus u. a. (Hg.): Das frühe Plakat in Europa und den USA. Ein Bestandskatalog, 4 Bde., Berlin 1973–1980. Bd. 1: Großbritannien. Vereinigte Staaten von Nordamerika, Berlin 1973. Bd. 2: Frankreich und Belgien, Berlin 1977. Bd. 3: Deutschland; Teil 1: Text, Berlin 1980. Bd. 4: Deutschland; Teil 2: Tafeln, Berlin 1980. 15 Exemplarisch seien hier genannt: Alfons Mucha 1860–1939, Ausst.Kat. Mathildenhöhe Darmstadt, München 1980. Alfons Mucha. Triumph des Jugendstils, Ausst.Kat. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Heidelberg 1997. Toulouse-Lautrec et l’affiche, Ausst.Kat. Fondation Dina Vierny – Musée Maillol Paris, Paris 2002. Théophile-Alexandre Steinlen (1859–1923), Ausst.Kat. Musée de Payerne/Musée de Montmartre Paris 2004. Théophile-Alexandre Steinlen. L'Œil de la Rue, Ausst.Kat Musée Cantonal des BeauxArts Lausanne/Musée Communal d'Ixelles Brüssel, Lausanne/Brüssel 2009. Arwas, Victor: Berthon & Grasset, London 1978. Collins, Bradford Ray jr.: Jules Chéret and the Nineteenth-Century French Poster, [Diss.], o. O. 1980. Mauclair, Camille: Jules Chéret, Paris 1930. Murray-Robertson-Bovard, Anne: Grasset. Pionnier de l’Art Nouveau, Lausanne 1981. Noël, Benoît/Herbaut, Véronique: Jules Grün (1868–1938). Trublion de Montmartre. Seigneur du Breuil-en-Auge, Sainte-Marguerite-des-Loges 2012.

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stimmte Themengebiete der Plakatwerbung sowie einzelne Produktgruppen und Marken in gesonderten Untersuchungen behandelt.17 Sozialgeschichtliche Hintergründe wie auch die gesellschaftliche Relevanz des Massenmediums Plakat rückten seit den 1970er Jahren vermehrt ins Zentrum der Aufmerksamkeit – zu nennen ist hier beispielsweise Max Gallos Buch L’affiche. Miroir de l’histoire, miroir de la vie18, das die Wunschwelten der Werbung mit der historischen Wirklichkeit einer Gesellschaft im Umbruch konfrontiert. Im Zuge der Auseinandersetzung mit dem ideologischen Gehalt von Plakaten fand nun auch deren Frauenbild vermehrt Beachtung. Einen wichtigen Grundstein legte diesbezüglich Annemarie Springer mit ihrer Dissertation Woman in French Fin-de-Siècle Posters19 von 1971. Springer arbeitet darin fünf ikonografische Typen heraus, die sie als charakteristisch für die Darstellung von Frauen in der Plakatkunst ansieht, und vergleicht diese mit dem Frauenbild der zeitgleich entstandenen freien Kunst und Literatur. Jedoch vermag Springers Typologie bei genauerer Betrachtung des Bildmaterials nicht durchgehend zu überzeugen, die Einteilung erscheint eher durch literarische Stereotype vorgeprägt als tatsächlich anhand der Plakate entwickelt. Auch lässt ihre Untersuchung eine feministisch-kritische Auseinandersetzung mit der Thematik weitgehend vermissen.

16 La Belle Époque de Jules Chéret. De l’affiche au décor, Ausst.Kat. Musée des Arts Décoratifs Paris/Museum Villa Stuck München/Musée Toulouse-Lautrec Albi, Paris 2010. Bargiel, Réjane/Zagrodzki, Christophe: Steinlen. Plakate. Œuvrekatalog, Tübingen 1987. Broido, Lucy: The Posters of Jules Chéret, New York 1980. Rennert, Jack/Weill, Alain: Alphonse Mucha. The Complete Posters and Panels, Uppsala 1984. 17 Darunter etwa: Le café-concert 1870–1914. Affiches de la Bibliothèque du Musée des Arts Décoratifs, Ausst.Kat. Musée des Arts Décoratifs Paris, Paris 1977. Moeller, Magdalena M.: Kommt, sehet die Kunst. Frühe Kunstausstellungen, Dortmund 1984. Rademacher, Hellmut: Theaterplakate – ein internationaler historischer Überblick, Braunschweig 1989. Rennert, Jack: 100 Jahre Fahrrad-Plakate, Berlin 1973. Weill, Alain: 100 ans d’affiches des Music Halls parisiens, New York 1977. 18 Gallo, Max: L’Affiche. Miroir de l’histoire, miroir de la vie, Paris 1972 [engl.: The Poster in History, New York 2001]. 19 Springer, Annemarie: Woman in French Fin-de-Siècle Posters, [Diss.], Indiana 1971.

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Michael Weisser kombiniert in seinem 1981 erschienen Buch Die Frau in der Reklame20 die Gliederung nach verschiedenen ikonografischen Typen mit Auszügen aus zeitgenössischen Quellen zur ‚Frauenfrage‘, die einen wertvollen Überblick zum damals vorherrschenden Idealbild von Weiblichkeit bieten. Das Bildmaterial selbst bleibt dabei jedoch weitestgehend unkommentiert, eine interpretatorische Verknüpfung mit den beigegebenen Zitaten findet nicht statt. Auch beschränkt der Autor seine Untersuchung auf die deutsche Plakatkunst, deren Frauenbild deutlich von französischen Werken abweicht. Unter neuen methodischen Gesichtspunkten betrachtete Martin Henatsch 1994 Die Entstehung des Plakates:21 In seiner rezeptionsästhetischen Untersuchung der frühen Plakatkunst werden verschiedene Werbe- und Gestaltungsstrategien erläutert. Die Frage, wie hierbei Frauenfiguren instrumentalisiert werden, bleibt dabei aber außen vor. In Frankreich fand das Frauenbild der Werbung seit den 1990er Jahren zunehmend Beachtung: Anhand von Einzelanalysen ausgewählter Plakate beschreibt so beispielsweise Patrick Boulanger im Katalog zur Ausstellung 100 femmes 1900 à l’affiche22 verschiedene Frauenstereotypen, ohne diese jedoch zu hinterfragen. Sozialhistorische Hintergründe werden dabei nur in Bezug auf das jeweils beworbene Produkt erläutert. Einen eklatanten Mangel an kritischer Reflexion offenbart François-Regis Gastous Katalog zur Ausstellungsreihe Femmes…Femmes…23 – die Instrumentalisierung der Frau als erotischer Blickfang wird hier als legitimes Werbemittel geradezu begrüßt. Kritisch untersucht wurde das Frauenbild der Plakatwerbung dagegen bisher nur in Bezug auf einzelne Künstler. So beschäftigt sich Annegret Winter in ihrer Dissertation zum ‚style Mucha‘ intensiv mit dem Bild der Frau im Werk Alfons Muchas.24 In ähnlicher Weise verbindet auch Anne Murray Robertson-Bovard in ihrer Untersuchung zu Eugène Grasset stilistische Fragen mit einer Analyse des Frauen-

20 Weisser, Michael: Die Frau in der Reklame. Bild- und Textdokumente aus den Jahren 1827–1930, Münster 1981. 21 Henatsch, Martin: Die Entstehung des Plakates. Eine rezeptionsästhetische Untersuchung [Diss.], Hildesheim/Zürich/New York 1994 [= Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 91]. 22 Boulanger, Patrick: 100 femmes 1900 à l’affiche, Ausst.Kat. Affaires culturelles. Chambre de commerce et d’industrie Marseille-Provence, o. O. 1991. 23 Gastou, François-Régis: Femmes…Femmes…, Ausst.Kat. Centre de l’Affiche – Mairie de Toulouse, Toulouse 2001. 24 Winter, Annegret: Ein ‚Style Mucha‘? Zum Frauenbild in Kunst und Dekoration um 1900 [Diss.], Weimar 1995.

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bilds.25 Eine kurze, aber äußerst prägnante Analyse der Figuren Jules Chérets legte Marcus Verhagen vor.26 Deutlich zahlreicher als die Abhandlungen zum Frauenbild der Plakatkunst sind Untersuchungen zur Rolle der Frau in der Kunst des 19. Jahrhunderts allgemein. Die feministische Kunstgeschichte fand hier seit den 1970er Jahren ein ergiebiges Arbeitsfeld: Die Darstellung der Frau war ein zentrales Thema in der Kunst dieser Epoche, wobei verschiedenste Rollenstereotype und Bildkontexte die zeitgenössischen Vorstellungen von Weiblichkeit in all ihren Facetten offenbarten. Zugleich eröffnete die künstlerische Avantgarde am Vorabend der Moderne neue Sichtweisen auf eine im Wandel befindliche Gesellschaft, die auch die Rolle der Frau neu definierte. Prominente Vertreterinnen der Fachrichtung wie etwa Griselda Pollock oder Linda Nochlin exemplifizierten so an den Werken des 19. Jahrhunderts ihre Methode einer feministisch-kritischen Kunstbetrachtung.27 Auch Tamar Garb griff den hier entwickelten Ansatz auf; unter anderem untersuchte sie die Stellung von Frauen im Kunstbetrieb des 19. Jahrhunderts sowie das Rollen- und Körperbild von Männern und Frauen in der Kunst der damaligen Zeit.28 Zudem widmete sich ein ganze Reihe von Ausstellungen den Leitbildern der Frauendarstellung im 19. Jahrhundert –29 hervorzuheben sind hier vor allem die

25 Murray-Robertson-Bovard, Anne: Eugène Grasset: une certaine image de la femme, Ausst.Kat. Fondation Neumann Gingins, Mailand 1998. 26 Verhagen, Marcus: „The Poster in Fin-de-Siècle Paris: ‚That Mobile and Degenerate Art‘“. In: Charney, Leo/Schwartz, Vanessa R. (Hg.): Cinema and the Invention of Modern Life, Berkeley/Los Angeles/London 1995, S. 103–129. 27 Exemplarisch seien hier genannt: Nochlin, Linda: „Eroticism and Female Imagery in Nineteenth-Century Art“: In: dies./Hess, Thomas B.: Woman as Sex Object. Studies in Erotic Art. 1730–1970, London 1973, S. 8–15. Dies.: Representing Women, London 1999. Pollock, Griselda: Vision and Difference: Feminism, Femininity and Histories of Art, London/New York 1987. Dies.: Spaces of Femininity, London/New York 2003. 28 Garb, Tamar: Frauen des Impressionismus. Die Welt des farbigen Lichts, Stuttgart/Zürich 1987. Dies.: Bodies of Modernity. Figure and Flesh in Fin-de-Siecle-France, London 1998. Dies.: The Body in Time. Figures of Femininty in late Nineteenth-Century France, Seattle/London 2008. 29 La France. Images of Women and Ideas of Nation 1789–1989, Ausst.Kat. Hayward Gallery London/Walker Art Gallery Liverpool, London 1989.

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eingehenden Analysen Werner Hofmanns, der dem Thema neben einer eigenen Ausstellung30 auch ein Kapitel seiner epochengeschichtlichen Untersuchung Das Irdische Paradies31 widmete. An seine Forschungen anknüpfend beleuchtet Ursula Bode das Frauenbild in Jugendstil und Symbolismus.32 Auch Ian Thompson analysiert die Darstellung der Frau in der Kunst des Art Nouveau, die meist rein dekorative Funktion weiblicher Figuren setzt sie in Bezug zur tatsächlichen Rolle der Frau in der damaligen Gesellschaft.33 Beatrix Schmaußer verknüpft in ihrer Blaustrumpf und Kurtisane betitelten Abhandlung von 1991 sozialgeschichtliche Hintergründe interpretatorisch mit Darstellungen der Kunst, Literatur und insbesondere der Karikatur Frankreichs.34 Ruth E. Iskin widmet sich in ihrer Dissertation dem Frauenbild der Impressionisten im Kontext der im 19. Jahrhundert neu entstandenen Massenkonsum-Kultur.35 Umfassend untersucht wurde auch die Lebenssituation der Frau im 19. Jahrhundert, sodass für eine kunstgeschichtliche Analyse eine Fülle von sozialhistorischen Hintergrundinformationen verfügbar ist. Bereits 1894 publizierte Octave Uzanne eine ausführliche Schilderung der Lebensumstände seiner Zeitgenossinnen, beschränkt auf die Situation in Paris.36 Uzannes Ausführungen offenbaren dabei jedoch eine

Portraits de femmes. La femme dans la peinture au XIXème siècle, Ausst.Kat. Musée des Beaux-Arts Carcassonne/Musée Joseph Déchelette Roanne/Musée départemental de l’Abbaye de Saint-Riquier 2001. Femme, femme, femme. Les femmes dans la société française de Daumier à Picasso. Peintures des musées de France/Paintings of Women in French Society from Daumier to Picasso from the Museums of France, Ausst.Kat. New Orleans Museum of Art, Paris 2007. 30 Hofmann, Werner (Hg.): Eva und die Zukunft. Das Bild der Frau seit der Französischen Revolution, Ausst.Kat. Hamburger Kunsthalle, München 1986. 31 Hofmann, Werner: Das Irdische Paradies. Kunst im neunzehnten Jahrhundert, München 1960. 32 Bode, Ursula: Kunst zwischen Traum und Alptraum. Phantastische Malerei im 19. Jahrhundert, Braunschweig 1981. 33 Thompson, Jan: „The Role of Woman in the Iconography of Art Nouveau“. In: Art Journal, published by the College Art Association of America, 31, 1971/72, S. 158–167. 34 Schmaußer, Beatrix: Blaustrumpf und Kurtisane. Bilder der Frau im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1991. 35 Iskin, Ruth E.: Modern Women and Parisian Consumer Culture in Impressionist Painting, [Diss.] New York City 2007. 36 Uzanne, Octave: La Femme à Paris: vos comtemporaines, notes successives sur les Parisiennes de ce temps en leur divers milieux, états et conditions, Paris 1894 [dt.: Die

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stark klischeebehaftete Sicht auf die Frau, die in hohem Maße durch die damals kursierenden stereotypen Vorstellungen von Weiblichkeit geprägt scheint, sodass seine Arbeit eher als historische Quelle denn als wissenschaftliches Referenzwerk angesehen werden muss. Eine eingehende, kritische Analyse erfuhr die Stellung der Frau in Geschichte und Gesellschaft dagegen erst seit Ende der 1960er Jahre: Vor dem Hintergrund der Emanzipationsbewegung begannen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die soziale Rolle der Frau und die hiermit verbundenen Handlungsmöglichkeiten zu hinterfragen;37 im Folgenden entstanden Untersuchungen zur historischen Situation von Frauen verschiedenster Nationalitäten, Epochen und sozialer Milieus. Für das 19. Jahrhundert sind hier insbesondere die Sammelbände von Renate Bridenthal und Claudia Koonz38 sowie von Claudia Honegger und Bettina Heintz39 zu nennen. Beide loten die Handlungsspielräume von Frauen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Umfeldern aus. Beschränkt auf Frankreich zur Zeit der Jahrhundertwende, erläutert Marie Louise Roberts die Möglichkeiten weiblicher Selbstbestimmung und -behauptung am Beispiel der Schauspielerin Sarah Bernhardt sowie der feministischen Zeitung La Fronde,40 während Claire Goldberg Moses die Geschichte der dortigen feministischen Bewegung beleuchtet.41 Die ideologischen Hintergründe, gesellschaftlichen Leitbilder, Werte und Normen, die derartigen Emanzipationsbestrebungen entgegenstanden, haben ebenfalls eine eingehende Untersuchung erfahren. So setzen sich etwa Elke Haarbusch42, Do-

Pariserin. Studien zur Geschichte der Frau der Gesellschaft, der französischen Galanterie und der zeitgenössischen Sitten, übersetzt von J. von Oppen, Dresden o. J.]. 37 Vgl. Bock, Gisela: „Historische Frauenforschung: Fragestellungen und Perspektiven“. In: Hausen, Karin (Hg.): Frauen suchen ihre Geschichte. Historische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, München 1983 [= Beck’sche Schwarze Reihe, Bd. 276], S. 22–60, hier insbes. S. 22f. 38 Bridenthal, Renate/Koonz, Claudia (Hg.): Becoming Visible. Women in European History, Boston u. a. 1977. 39 Honegger, Claudia/Heintz, Bettina (Hg.): Listen der Ohnmacht. Zur Sozialgeschichte weiblicher Widerstandsformen, Frankfurt a. M. 1984. 40 Roberts, Marie Louise: Disruptive Acts. The New Woman in Fin-de-Siècle France, Chicago/London 2002. 41 Moses, Claire Goldberg: French Feminism in the Nineteenth Century, Albany 1984. 42 Haarbusch. Elke: „Der Zauberstab der Macht: ‚Frau bleiben‘. Strategien zur Verschleierung von Männerherrschaft und Geschlechterkampf im 19. Jahrhundert“. In: dies./Grubitzsch, Helga/Cyrus, Hannelore (Hg.): Grenzgängerinnen. Revolutionäre Frauen im 18. und 19. Jahrhundert. Weibliche Wirklichkeit und männliche Phantasien, Düsseldorf 1985 [= Geschichtsdidaktik: Studien, Materialien, Bd. 33], S. 219–255.

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rothea Mey43 und Karin Hausen44 mit der Theorie der ‚Geschlechtscharaktere‘ auseinander, die die gesellschaftlichen Rollen von Mann und Frau durch deren vermeintlich natürliche Veranlagung zu legitimieren suchte. Die Erziehung von Mädchen und jungen Frauen gemäß diesen Rollenidealen erläutern Isabelle Bricard45 und Ann Ilan-Alter46. Einen Überblick über die Einschätzung des weiblichen Wesens durch die intellektuelle Elite Frankreichs hat Nicole Priollaud in ihrem Sammelband La femme au 19e siècle47 zusammengestellt, der bedeutende Quellen zur ‚Frauenfrage‘ in Auszügen wiedergibt. Wichtige Anhaltspunkte für eine Untersuchung des Frauenbilds in der Plakatkunst bieten zudem Arbeiten zur Entwicklung der Massenkonsumkultur des 19. Jahrhunderts – zu nennen sind hier insbesondere die Publikation von Rosalind Williams48 sowie der Sammelband zum Thema gender und Konsum von Victoria de Grazia und Ellen Forlough49.

1.2 M ETHODIK

UND

AUFBAU

DER

U NTERSUCHUNG

Die vorliegende Arbeit untersucht, welche Bilder und Vorstellungen von Weiblichkeit die Darstellung von Frauen in der französischen Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts bestimmen. Ausgangspunkt ist eine ikonografische Untergliederung der auf den historischen Plakaten dargestellten Frauenfiguren. In Bezugnahme auf das in Kunst und Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts vorherrschende Frauen-

43 Mey, Dorothea: „Courtisane oder ménagère? Zwei Pole des bürgerlichen Frauenbildes. Männliche Liebesideologie in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich“. In: Die ungeschriebene Geschichte. Historische Frauenforschung. Dokumentation des 5. Historikerinnentreffens, Wien 1984 [= Frauenforschung, Bd. 3], S. 187–198. 44 Hausen, Karin: „Die Polarisierung der ‚Geschlechtscharaktere‘ – Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben“. In: Conze, Werner (Hg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976 [= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, Bd. 21], S. 363–393. 45 Bricard, Isabelle: Saintes ou pouliches. L’éducation des jeunes filles au XIXe siècle, Paris 1985. 46 Ilan-Alter, Ann: Women are made, not born: Making Bourgeois Girls into Women, France 1830–1870, [Diss.], New Brunswick 1981. 47 Priollaud, Nicole (Hg.): La Femme au 19e siècle, Paris 1983. 48 Williams, Rosalind H.: Dream Worlds. Mass Consumption in Late Nineteenth-Century France, [Diss.] Berkeley/Los Angeles/London 1982. 49 de Grazia, Victoria/Furlough, Ellen (Hg.): The Sex of Things. Gender and Consumption in Historical Perspective, Berkeley/Los Angeles/London 1996.

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leitbild lassen sich hierbei verschiedene Typen herausarbeiten, die in ihrem sozialund mentalitätsgeschichtlichen Kontext näher beleuchtet und im Sinne der feministischen Kunstgeschichte kritisch hinterfragt werden. Zum einen wird dabei untersucht, inwieweit die Plakatkunst populäre Frauenstereotype der freien Kunst übernimmt und an ihre eigenen Zwecke anpasst. Zum anderen werden die im Plakat manifesten Konzepte von Weiblichkeit in Bezug gesetzt zu den im 19. Jahrhundert kursierenden pseudowissenschaftlichen Theorien über vermeintlich naturgegebene Charakteristika des weiblichen Wesens, die das gesellschaftliche Idealbild der Frau maßgeblich prägten. Soweit anhand des überlieferten Quellenmaterials möglich, erfolgt zudem der Vergleich mit der historischen Lebenswirklichkeit von Frauen Ende des 19. Jahrhunderts. In der Gegenüberstellung von fiktionalen Bildern, pseudowissenschaftlicher Geschlechtscharakterisierung und sozialer Realität werden die Frauendarstellungen der Plakatkunst im Kontext des damaligen Diskurses über das Wesen der Frau und ihre Rolle in der Gesellschaft verortet. Die Vorstellung von Weiblichkeit, die die Plakate vermitteln, offenbart sich damit – entsprechend den Erkenntnissen der gender studies – als historisch und kulturell geprägtes, veränderbares Konstrukt.50 Berücksichtigung muss nicht zuletzt auch die Doppelfunktion des Plakats als Kunstwerk und Werbemittel finden – vor diesem Hintergrund wird die Darstellung der Frau und ihre Funktion im jeweiligen Bildkontext auch im Hinblick auf rezeptionsästhetische Aspekte hinterfragt: Inwieweit fungieren die dargestellten Frauen als Identifikationsfiguren für potentielle Käuferinnen, stehen sie in Bezug zu deren sozialer Realität oder zielen sie als (erotischer) Blickfang in erster Linie auf ein männliches Publikum? Handelt es sich um wirklichkeitsnahe Figuren oder vielmehr um entrückte Idealbilder, die nicht nur eine Überhöhung des Produkts, sondern auch der Frau an sich suggerieren? Aufgrund ihrer spezifischen Erscheinungsform liegt es nahe, speziell die Darstellung von Frauen in den französischen Plakaten der späten 1880er und 1890er Jahre bis hin zur Jahrhundertwende zu untersuchen – einer Blütezeit der Plakatkunst, in der die Frau als das zentrale Werbemotiv schlechthin fungierte. Maßgeblich prägend für die französische Plakatkunst waren jedoch auch zahlreiche aus dem Ausland stammende Künstler, die sich Ende des 19. Jahrhunderts in Paris ansiedelten – darunter etwa der in Mähren geborene Alfons Mucha, die Schweizer Eugène Gras-

50 Vgl. hierzu Paul, Barbara: „Kunstgeschichte, Feminismus und Gender Studies“. In: Belting, Hans u. a. (Hg.): Kunstgeschichte. Eine Einführung, 6., überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 2003, S. 297–328; sowie Zimmermann, Anja: „Einführung. Gender als Kategorie kunsthistorischer Forschung“. In: dies. (Hg.): Kunstgeschichte und Gender. Eine Einführung, Berlin 2006, S. 9–35.

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set und Théophile-Alexandre Steinlen oder der Italiener Leonetto Capiello, deren Werke folgerichtig ebenfalls in die Untersuchung miteinbezogen werden. Nach einer kurzen Einführung zur Entwicklung der Plakatkunst sowie zur gesellschaftlichen Situation der Frau im 19. Jahrhundert werden im ersten Teil der Arbeit die zentralen ikonografischen Typen herausgearbeitet, die das Frauenbild der Plakate prägten. Das inhaltliche Spektrum der Darstellungen reicht dabei von der Frau im häuslichen Umfeld – als Hausfrau, Mutter, aber auch Dienstmädchen – über die modische Parisienne und die Bühnenkünstlerin bis hin zum entrückten Ideal der unschuldig-zarten Jungfrau und der allegorischen Personifikation, die, ausgestattet mit den entsprechenden Attributen, das beworbene Produkt selbst verkörpert. Ein eigenes Kapitel widmet sich der Frau im Kunst- und Ausstellungsplakat der Zeit, die dort zwar in vielfältiger Gestalt in Erscheinung tritt, jedoch weitestgehend auf ihre Rolle als Muse und Modell männlicher Künstler beschränkt bleibt. Der zweite Teil der Untersuchung setzt sich im Anschluss mit der Funktion der Werbefiguren über typologische Grenzen hinweg auseinander; thematische Schwerpunkte sind hierbei die Suggestion von Prestige und Luxus, die Stilisierung der Frau zum dekorativen Versatzstück und künstlerischen ‚Markenzeichen‘, das primär für den Plakatgestalter selbst wirbt, sowie die Instrumentalisierung weiblicher Sinnlichkeit. Die Arbeit verbindet dabei die Untersuchung der Frauendarstellungen im Plakat aus heutiger Sicht mit einer Analyse der Wahrnehmung dieser Werke im 19. Jahrhundert. Wichtige Quellen hierzu sind vor allem historische Zeitschriften zu Kunst und Kunstgewerbe wie beispielsweise L’Estampe et l’affiche, La Plume oder Art et Décoration, sowie frühe Publikationen zur Plakatkunst.51 Auch über die im 19. Jahrhundert kursierenden Vorstellungen von Weiblichkeit geben historische Publikationen Aufschluss. Neben pseudowissenschaftlichen Abhandlungen wie etwa Octave Uzannes La Femme à Paris und Karl Schefflers Die Frau und die Kunst52 sind hier Benimmbücher und Erziehungsratgeber wie Madame Molinos-Lafittes L’Éducation du foyer53 oder Felix Dupanloups Lettres sur l’education des filles54 zu nennen. Für die vorliegende Untersuchung wurden zudem

51 Vgl. hierzu S. 8f. dieser Arbeit. 52 Scheffler, Karl: Die Frau und die Kunst, Berlin 1908. 53 Molinos-Lafitte, A.: L’Éducation du Foyer. Conseils aux mères qui élevent leurs filles, 4. Aufl., Paris 1859. 54 Dupanloup, Felix A. Philibert: Lettres sur l’éducation des filles et sur les études qui conviennent aux femmes dans le monde, Paris 1879.

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Frauenzeitschriften des 19. Jahrhunderts wie das Magasin des demoiselles55, der Moniteur des dames et demoiselles56 oder La Grande Dame57 ausgewertet.

1.3 D IE E NTWICKLUNG 19. J AHRHUNDERT

DER

P LAKATKUNST

IM SPÄTEN

Die Geschichte des öffentlichen Anschlags lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen; zahlreiche Autoren sehen hierin die Ursprünge des Werbeplakats.58 Doch erst die Industrielle Revolution schuf die Grundlagen für die Entwicklung der Werbung im heutigen Sinne, brachte sie doch tiefgreifende soziale und marktwirtschaftliche Veränderungen mit sich. Durch die industrielle Massenproduktion war es im 19. Jahrhunderts erstmals möglich, Güter in Mengen zu produzieren, die den tatsächlichen Bedarf deutlich überschritten. Die Nachfrage von Seiten der Käufer musste daher durch Werbung forciert werden – insbesondere in Bezug auf nichtlebensnotwendige Güter und Luxuswaren, die folgerichtig das Gros der beworbenen Produkte ausmachen.59 Durch das rapide Anwachsen der städtischen Bevölkerung im Zuge der Industrialisierung entstand zudem eine urbane Massengesellschaft, die Abnehmer der en masse produzierten Waren und folgerichtig auch Hauptadressat der Werbung war. Wichtigstes Werbemedium war das Plakat:60 Es diente nicht nur dem wirtschaftlichen Konkurrenzkampf, sondern fungierte auch als Kommunikationsmittel innerhalb der urbanen Öffentlichkeit, wurden neben Konsumgütern doch auch Kultur- und Vergnügungsveranstaltungen durch Plakate angepriesen. Das Werbeplakat war damit nicht nur ein Produkt der Großstadt, es galt vielmehr als Sinnbild des Lebens in der modernen Metropole selbst.61

55 Le Magasin des demoiselles. Morale, Éducation, Histoire, Science, Littérature, Beauxarts, Voyages, Nouvelles, Variétés, Opérettes et Comédies, Paris 1844–1883. 56 Moniteur des dames et demoiselles, Paris 1855–1878. 57 La Grande Dame. Revue Mondaine Cosmopolite, Paris 1893–1896. 58 Vgl. etwa Hillier 1969, S. 11–32; oder zur Westen, Walter von: Reklamekunst aus zwei Jahrtausenden, Berlin 1925, S. 1–15. 59 „Das Notwendige verkauft sich von selbst, zumal wenn es rar ist; der Überfluß zwingt zur Reklame.“ – Spielmann, Heinz: „Einführung“. In: Internationale Plakate 1871–1971, Ausst.Kat. Haus der Kunst München, München 1971, o. S. 60 Das Plakat lässt sich mit Jürgen Döring definieren als ein auf Papier gedrucktes Werbemedium, das im Zusammenwirken von Bild und Text einen bestimmten Inhalt bewirbt und für den öffentlichen Aushang gedacht ist. Vgl. Döring 1994, S. 6. 61 Vgl. Döring 1994, S. 6; sowie Metz, Katharina: „Einführung“. In: Anna 1995, S. 9–22, hier S. 11.

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Geradezu ideale Bedingungen für eine frühe Blüte der Plakatkunst bot Paris: Im Zuge der baulichen Veränderungen unter Baron Haussmann mussten die engen, verwinkelten Gassen der alten Stadt modernen, breiten Boulevards weichen – die dort flanierenden Menschenmassen versprachen eine breite öffentliche Wahrnehmung der Werbebotschaften; die omnipräsenten Bauzäune eigneten sich hervorragend als Anschlagfläche.62 Hinzu kam die Stellung der französischen Hauptstadt als Zentrum der damaligen Kunstwelt: Zwar verfügten Großbritannien und die USA bereits deutlich früher als Frankreich über die nötigen drucktechnischen Kenntnisse, um auch großformatige Werbeplakate zu drucken, doch wurde das Medium hier rein funktional gesehen, den Motiven fehlte in der Regel der künstlerische Anspruch.63 Es bedurfte des kreativen Potentials der in Paris ansässigen Künstler, damit aus einem bloßen Werbemedium hochwertige Plakatkunst hervorgehen konnte. Eine Schlüsselfigur in der Entstehung der Plakatkunst war der 1836 in Paris geborene Jules Chéret. Der ausgebildete Lithograf verbrachte mehrere Jahre in London, wo er die notwendigen technischen Kenntnisse zum Druck großformatiger Plakate erwarb. Auch vereinfachte Chéret den Vorgang des Farbdrucks maßgeblich: Zuvor waren Farbdrucke meist im überaus komplizierten Verfahren der so genannten Chromolithografie ausgeführt worden, bei dem bis zu 20 verschiedene Farbschichten übereinander gedruckt wurden, um feine Nuancierungen zu erreichen. Chéret dagegen beschränkte sich in seinen Plakaten auf drei Grundtöne; Mischfarben erlangte er durch die selbst entwickelte Technik des crachis. Mittels einer Bürste werden dabei zahlreiche kleine Farbspritzer auf den jeweiligen Druckstein aufgetragen; nach entsprechender chemischer Behandlung des Steins lassen sich diese auf dem Papier reproduzieren. Durch die Dichte der abgedruckten Pünktchen lässt sich die Intensität des jeweiligen Farbtons regulieren, sodass fein abgestufte Nuancen erzielt und die verwendeten Grundtöne in verschiedensten Mischverhältnisse kombiniert werden können. Chéret reduzierte mit dieser Technik die Zahl der benötigten Drucksteine erheblich, was neben der technischen Erleichterung auch einen deutlichen wirtschaftlichen Vorteil brachte.64 Vor allem aber revolutionierte er die Gestaltungsprinzipien des Werbeplakats: Hatte die bildliche Darstellung zuvor nur als schmückendes Beiwerk für die dominierende Textinformation fungiert, so setzte Chéret primär auf die Werbewirkung des Bildes, in das kurze Texte harmonisch eingebunden wurden. Der Künstler ori-

62 Vgl. Abdy 1969, S. 14–20; Hillier 1969, S. 49–51; sowie Geyer, Marie-Jeanne: „L’Affiche illustrée, essor et engouement“. In: Kat. Straßburg 2007, S. 17–22, hier S. 17f. 63 Vgl. Döring 1994, S. 6f.; Metz 1995, S. 15f.; sowie Rennert, Jack: Posters of the Belle Epoque. The Wine Spectator Collection, New York 1990, o. S. 64 Vgl. Döring, Jürgen: Toulouse-Lautrec und die Belle Époque, Ausst.Kat. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, München u. a. 2002, S. 10f.

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entierte seine Entwürfe ganz an der Rezeptionssituation der Passanten im öffentlichen Raum; große, ausdrucksstarke Figuren, klare Konturen und leuchtende Farben zielten auf Fernwirkung und schnelle Erfassbarkeit.65 Die Funktionalität der Werbemotive verband sich mit einem expliziten künstlerischen Anspruch der Darstellung – Chéret selbst nannte so bedeutende Maler wie Jean-Honoré Fragonard oder Giovanni Battista Tiepolo als seine künstlerischen Vorbilder.66 Jules Chéret gilt damit als Vater der Plakatkunst, bis in die 1880er Jahre war er die alleinig dominierende Figur in diesem Feld.67 In den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wandten sich weitere Künstler dem Plakat zu, darunter sowohl kunstgewerbliche Entwerfer wie Eugène Grasset oder Alfons Mucha als auch Vertreter der Avantgarde wie etwa Henri de Toulouse-Lautrec oder Pierre Bonnard. Der künstlerische Wert der Plakatwerbung war nun in Frankreich weitestgehend anerkannt; prominente Kunstkritiker zogen die moderne, innovative Plakatkunst sogar der Salonmalerei vor. So schrieb Joris-Karl Huysmans in seiner Kritik zur offiziellen Salonausstellung von 1880: „Bevor ich diesen Artikel abschließe, kann ich denjenigen, die wie ich von dieser dummdreisten Zurschaustellung von Drucken und Gemälden angeekelt sind, nur raten, sich die Augen im Freien zu reinigen durch einen langen Aufenthalt vor jenen Bauzäunen, auf denen die erstaunlichen Fantasien Chérets glänzen, diese Fantasien in Farbe, die so flink gezeichnet und so lebendig gemalt sind. Es ist tausendmal mehr Talent im schwächsten dieser Plakate als in der Mehrzahl der Gemälde, von denen ich die traurige Gelegenheit hatte zu berichten.“68

Werbeplakate wurden zum Gegenstand der Kunstkritik, Fachzeitschriften wie L’Estampe et l’affiche besprachen ausführlich das Schaffen der Plakatkünstler. Mit-

65 Vgl. Sponsel 1897, S. 20–22; Geyer 2007, S. 18; sowie Thon, Christina: „Zur Geschichte des französischen und belgischen Plakats“. In: Popitz 1977, S. XI-L, hier S. XVIII–XIX. 66 Vgl. Bargiel, Réjane: „Jules Chéret décorateur“. In: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 77–107, hier S. 77; Laps, Thierry: „Un Art au service de la réclame“. In: Kat. Straßburg 2007, S. 34f., hier S. 34; sowie Boulanger 1991, S. 17f. 67 Vgl. Henatsch 1994, S. 41-44; sowie Weill 1985, S. 24–28. 68 „…je ne puis, avant de clore cet article, que conseiller aux gens écœurés, comme moi, par cet insolent déballage de gravures et de toiles, de se débarbouiller les yeux au dehors, par une station prolongée devant ces alissades où éclatent les étonnantes fantaisies de Chéret, ces fantaisies en couleurs si alertement dessinées et si vivement peintes. Il y a mille fois plus de talent dans la plus mince de ces affiches que dans la plupart des tableaux dont j’ai eu le triste avantage de rendre compte.“ – Huysmans, Joris-Karl: „Le Salon officiel de 1880“. In: ders.: Écrits sur l’art 1867–1905, hg. und kommentiert von Patrice Locmant, Paris 2006, S. 185–107, hier S. 206.

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te der 1880er Jahre folgten erste Ausstellungen, die speziell der Plakatkunst gewidmet waren; sogar im Rahmen der Pariser Weltausstellung von 1889 präsentierte man einen Überblick über die Geschichte des französischen Künstlerplakats. Immer wieder bestachen Sammler die Plakatkleber, damit diese ihnen die Werke für ihre Kollektionen überließen, anstatt sie zu plakatieren. Als Reaktion hierauf wurden zusätzlich Abzüge für den Kunsthandel angefertigt – teils als Sondereditionen avant la lettre oder auf qualitativ besonders hochwertigem Papier. Galerien wie Sagot, Pierrefort oder Arnould spezialisierten sich sogar ganz auf Plakatkunst.69 Die um sich greifende affichomanie brachte jedoch eine ganz eigene Problematik mit sich, orientierte sich die Gestaltung der Plakate doch nun vermehrt am Geschmack der Sammler statt an ihrer eigentlichen Werbefunktion:70 „…das Plakat hat sich von seinem praktischen Zweck entfernt […] Man sieht, wie es sich immer mehr an der kostbaren Druckgrafik orientiert, am gesuchten Sammlerstück. Nun ist es weder seine Funktion als Hinweisschild, noch sein provokanter Ausdruck, nach dem man fragt, man entwirft es im Hinblick auf den Sammler, man nutzt es als Rarität, man verurteilt es, nur noch ausnahmsweise auf den Anschlagflächen zu erscheinen“71,

bemängelte entsprechend Henri Bouchot 1898 in der Zeitschrift Art et Décoration. Auf die Blüte der Plakatkunst und die damit einhergehende affichomanie folgte nach der Jahrhundertwende eine Stagnation auf diesem Feld: Die zunächst übermäßige Nachfrage hatte zu einer starken Kommerzialisierung des Kunstplakats geführt; der Markt war schließlich übersättigt. Auch verloren die neu entstehenden Avantgarde-Bewegungen das Interesse an der Plakatgestaltung und konzentrierten sich nun wieder primär auf die freie Kunst.72

69 Vgl. Abdy 1969, S. 14–20; Buschhoff 2001, S. 9–11.; Rennert 1990, o. S.; sowie Weill, Alain: „Einführung“. In: Marx, Roger: 250 Meisterwerk der Plakatkunst 1896–1900. Vollständiger Katalog mit allen Tafeln und Texten der Sammlung „Les Maîtres de l’Affiche“, Gütersloh 1978, S. 3–5. 70 Vgl. Döring, Jürgen: „The World’s Greatest Decorative Artist“. In: Kat. Hamburg 1997, S. 24–30, hier S. 30. 71 „…l’affiche est détournée de sons sens pratique […]. On la voit d’heure en heure s’orienter dans le sens de l’estampe précieuse, de l’image recherchée et collectionnée. Alors ce n’est plus son rôle de plaque indicatrice, ni son expression provocante qu’on demande, on la travaille en vue du collectionneur, on l’exploite en objet rare, on la condamne à n’être aux murailles que par exception.“ – Bouchot, Henri: „Propos sur l’affiche“. In: Art et Décoration, Bd. 3/ Jan.–Juni 1898, S. 115–120, hier S. 119. 72 Vgl. Thon 1968, S. 36 sowie dies. 1977, S. XLf.

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Innerhalb dieser relativ kurzen Blütezeit entstand jedoch eine Fülle von Plakaten, allein das Oeuvre Jules Chérets umfasst mehr als 1.300 Werke. Kein anderes Motiv ist dabei für die französische Plakatkunst so zentral wie die Darstellung der Frau: sei es, dass sie im Rückgriff auf tradierte Bildformeln als allegorische Figur in Erscheinung tritt, als Hausfrau und Mutter Wunschbilder eines häuslichen Idyll beschwört oder in Gestalt der modischen Parisienne den Innbegriff des modernen Großstadtlebens verkörpert. Angesiedelt im Spannungsfeld von Tradition und Avantgarde, spiegeln die Plakate so einerseits die Kunstentwicklung der Zeit, geben andererseits aber auch Zeugnis von der Stellung der Frau in der Gesellschaft und dem damaligen Bild von Weiblichkeit.

1.4 D IE S TELLUNG DER F RAU 19. J AHRHUNDERTS

IN DER

G ESELLSCHAFT

DES

Angesichts tief greifender sozialer Umbrüche war auch das Rollenbild der Frau im 19. Jahrhundert dem Wandel unterworfen: Die Französische Revolution war erfolgreich für Freiheit und Gleichheit eingetreten, doch wurden die hier erstrittenen Rechte einzig für die männliche Bevölkerung geltend gemacht. Frauen dagegen waren auch Ende des 19. Jahrhunderts nach wie vor von politischer Teilhabe ausgeschlossen und rechtlich benachteiligt.73 1804 hatte der Code Civil Napoleons die Frau sogar faktisch zum Eigentum des Ehemannes erklärt. Der Status als mündige Bürgerin blieb ihr so lebenslang verwehrt, von der Vormundschaft des Vaters ging sie direkt in diejenige des Ehemanns über.74 Zugleich fand ein weibliches Rollenideal weite Verbreitung, das den Handlungsspielraum der Frau fast gänzlich auf das häusliche Umfeld beschränkte.75 Die öffentliche Arbeitswelt – im Zuge der Industriellen Revolution mehr und mehr von der privaten Sphäre des eigenen Heims getrennt – war dagegen die Domäne des Mannes. Geprägt von Konkurrenzkampf und Profitdenken, wurde sie als feindliche Außenwelt wahrgenommen. Aufgabe der Frau war es, durch liebevolle Hingabe sowie umsichtige Haushaltsführung demgegenüber einen Rückzugsort zu schaffen.76 Entsprechend definierten auch zahlreiche Ratgeber und Zeitschriften für junge Frauen wie beispielsweise das Magasin des demoiselles die Rollenverteilung der Geschlechter:

73 Vgl. Schmaußer 1991, S. 15–17. 74 Vgl. Moses 1984, S. 18f.; sowie Schmaußer 1991, S. 35f., S. 89. 75 Vgl. Schmaußer 1991, S. 242f. 76 Vgl. Hausen 1976, S. 379; Mey 1984, S. 188f.; sowie Bridenthal/Koonz 1977, S. 8.

24 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG „Wenn es die Aufgabe des Ehemannes ist zu arbeiten, das Vermögen und die außerhäuslichen Angelegenheiten klug zu verwalten, so ist es unsere eigene Aufgabe, unseren Haushalt gut zu führen, mit Ordnung, falls wir können mit Eleganz; ihn angenehm zu machen durch den Geschmack und die Gestaltung, die wir ihm angedeihen lassen.“77

Umsetzen ließ sich dieses Ideal freilich nur im Bürgertum; Frauen aus niedereren Gesellschaftsschichten waren dagegen meist gezwungen, durch Lohnarbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen.78 Eine solche Erwerbstätigkeit der Frau galt vielen Zeitgenossen als geradezu widernatürlich, wurde doch die Rollenzuschreibung durch pseudowissenschaftliche Theorien gestützt, die die Beschränkung auf die häusliche Sphäre sowie eine Veranlagung zu Unterordnung und Passivität bereits im ureigenstem Wesen der Frau angelegt sahen, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse, Rasse oder Epoche.79 Männer dagegen galten als von Natur aus aktiv, energisch und durchsetzungsfähig.80 Entsprechende Abhandlungen über den so genannten ‚Geschlechtscharakter‘ von Mann und Frau entstanden im 19. Jahrhundert zuhauf. Soziale Verhaltensnormen und Geschlechterrollen wurden damit auf vermeintlich wissenschaftlicher Basis als naturgegeben legitimiert, was wohl nicht unerheblich zu deren Verinnerlichung beitrug – führte ein Lebensstil wider die Veranlagung des eigenen Geschlechts doch angeblich zu Nervenkrankheiten bis hin zu Hysterie und Wahnsinn.81 Entsprechend erklärte auch Karl Scheffler in seiner 1908 erschienen Schrift Die Frau und die Kunst: „Wer sich bemüht, die Frau in ihre Schranken zurückzuweisen oder sie wenigstens vom Irrtum vollkommener Emanzipation zurückzuhalten, wird ganz gewiß [sic] dem Manne einen Dienst leisten; einen größeren Dienst aber noch leistet er der Frau. Denn Glück ist nur in der Übereinstimmung mit der Natur.“82

77 „Si la tâche du mari est de travailler, de gouverner sagement la fortune et les affaires du dehors, notre tâche, bien à nous, c’est de bien diriger notre maison, de la tenir avec ordre, avec élégance, si nous le pouvons; de la rendre agréable par le goût et l’arrangement que nous y mettons." – de Soisy, Jeanne: „Notes d’une Parisienne“. In: Le Magasin des demoiselles, 4. Bd./3. Serie, Nr. 10/1881, S. 35–37, hier S. 36. 78 Vgl. Hausen 1976, S. 382–387. 79 Vgl. Roberts 2002, S. 3. 80 Zu einer tabellarischen Gegenüberstellung der vermeintlich charakteristischen Eigenschaften von Mann und Frau siehe: Hausen 1976, S. 368. 81 Vgl. Roberts 2002, S. 3. 82 Scheffler 1908, S. 12.

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Das Weiblichkeitsideal des 19. Jahrhunderts trug somit deutlich zur Unterdrückung der Frau bei, ohne dass selbige offen zutage treten musste,83 es war laut Elke Haarbusch geprägt von „massiver ideologischer Gewalt“84. Nichtsdestotrotz kämpften Frauen für Gleichberechtigung, politische Mitbestimmung und Bildung; aus ihrem Engagement im Rahmen der Französischen Revolution war auch eine frühe feministische Bewegung hervorgegangen. So hatte Marie Olympe de Gouges bereits 1791 eine Erklärung von Frauenrechten (Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne) veröffentlicht, in der sie gleiche Rechte für beide Geschlechter forderte.85 Im Laufe des Jahrhunderts erlebte die feministische Bewegung in Frankreich jedoch immer wieder herbe Rückschläge, nicht zuletzt bedingt durch die ständigen politischen Umwälzungen der Zeit: Waren etwa in Folge der Revolution vom Februar 1848 zunächst sämtliche Restriktionen bezüglich der Presse- und Versammlungsfreiheit aufgehoben worden, sodass Feministinnen ihre Anliegen öffentlich publik machen und um Mitstreiter werben konnten, so kamen bereits bei den Wahlen im April desselben Jahres konservative, antifeministische Kräfte an die Macht. Diese beschnitten nicht nur massiv die Pressefreiheit, sondern reagierten auch mit deutlichen Repressionen gegen die politische Linke und die feministische Bewegung, die in den folgenden 20 Jahren weitgehend zum Stillstand kam.86 Erst in den letzten Jahren des Second Empire beförderte eine liberalere Gesetzgebung das Wiederaufleben feministischer Aktivitäten, die in der Dritten Republik fortgesetzt und noch verstärkt wurden: Die Bewegung organisierte sich nun erneut in Verbänden und politischen Clubs. Anlässlich der Weltausstellung von 1878 wurde in Paris ein Internationaler Kongress für Frauenrechte abgehalten; weitere Kongresse folgten 1889, 1892, 1896 und 1900. Zudem wurde die indirekte Pressezensur des Second Empire abgeschafft, die Zeitungsverleger gezwungen hatte, im Hinblick auf eventuelle zukünftige Verstöße gegen die öffentliche Ordnung eine nicht unerhebliche Kaution zu entrichten. In der Folge wurden zwischen 1889 und 1900 in Frankreich 21 feministische Zeitungen gegründet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnte die feministische Bewegung Frankreichs so erstmals ihre Aktivitäten längerfristig entwickeln und publik machen, ohne dass Repressionen von Seiten der Regierung gedroht hätten. Mit der gesetzlichen Einführung von weiterführenden Schulen für Mädchen im Jahr 1880 und der Wiedereinführung des

83 Vgl. Haarbusch 1985, S. 220–223. 84 Ebd., S. 222. 85 Vgl. Schmaußer 1991, S. 16. 86 Vgl. Moses 1984, S. 126–172.

26 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG

Scheidungsrechts 1884 konnten die französischen Feministinnen erste entscheidende Erfolge verbuchen.87 Der in der vorliegenden Untersuchung behandelte Zeitraum von Mitte der 1880er Jahre bis zur Jahrhundertwende war somit geprägt durch massive Umwälzungen bezüglich der Rolle der Frau in der Gesellschaft; die so genannte ‚Frauenfrage‘ war ein zentrales Thema zeitgenössischer Diskurse. Wie sich dieser Wandel in der Plakatkunst niederschlug, soll im Folgenden untersucht werden.

87 Vgl. Moses 1984, S. 173–227; sowie Silverman, Deborah L.: Art Nouveau in Fin-deSiècle France. Politics, Psychologie, and Style, [Diss.] Berkeley/Los Angeles/London 1989, S. 63–74.

2. Die Frau im häuslichen Umfeld

„In einer gut aufgestellten Gesellschaft sollte sich die Frau nur um die Liebe, den Haushalt und die Erziehung der Kinder kümmern.“1 So skizzierte Victor Joze 1895 das allgemein verbreitete Rollenbild, das die Konzentration der Frau auf das häusliche Umfeld sowie auf die Mutterrolle als erstrebenswertes Ideal darstellte. Die liebevolle Hingabe und Fürsorge für die Familie, insbesondere für die eigenen Kinder, galten als in der Natur der Frau verankert. Wie sich dieses Rollenbild in der Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts manifestierte, ist Thema dieses Kapitels.

2.1 D IE M UTTER Maßgeblich geprägt wurde die damalige Auffassung von Mütterlichkeit durch die Lehren Jean-Jacques Rousseaus, der bereits 1762 die Rolle der Mutter innerhalb der Familie wie folgt schilderte: „…sie muß, um [die Kinder] zu erziehen, Geduld und Sanftmut, einen Eifer, eine Hingabe haben, die nichts abschreckt. Sie dient zwischen ihnen und dem Vater als Bindeglied, sie allein läßt ihn sie lieben und gibt ihm das Vertrauen, sie die Seinen zu nennen. Was für Zärtlichkeit und Fürsorge braucht sie nicht, um die ganze Familie in ihrer Einigkeit zu erhalten! Und endlich muß all dies nicht Tugend, sondern Neigung sein, ohne welche das Menschengeschlecht bald ausgestorben sein würde.“

1

2

„Dans une société bien constituée, la femme ne devrait s‘occuper que de l’amour, du ménage et de l’éducation des enfants.“ – Joze, Victor: „Le Feminisme et le bon sens“. In: La Plume, Nr. 154/15.9.1895, S. 391f., hier S. 392.

2

Zitiert nach der dt. Erstübertragung von 1762, überarbeitet von Siegfried Schmitz: Rousseau, Jean-Jacques: „Emile oder Von der Erziehung“,. In: Emile oder Von der Erziehung. Emile und Sophie oder Die Einsamen, 2. Aufl., Düsseldorf/Zürich 1997, S. 5–641, hier S. 471. [franz. Original: Émile ou De l’éducation, Amsterdam 1762]

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Insbesondere die frühkindliche Erziehung war so im Bürgertum des 19. Jahrhunderts primär Aufgabe der Mutter. Der Vater dagegen wurde in seiner Elternfunktion erst aktiv, wenn es galt, den heranwachsenden Söhnen vermeintlich spezifisch männliche Eigenschaften wie Rationalität und Durchsetzungsvermögen zu vermitteln.3 Abbildung 1: Théophile-Alexandre Steinlen Compagnie française des chocolats et des thés 1895

Um den Eindruck familiärer Harmonie zu vermitteln, bedient sich das Werbeplakat des 19. Jahrhunderts daher fast ausschließlich Darstellungen von Müttern und Kindern in einträchtigem Beisammensein. Théophile-Alexandre Steinlen zeigt so in seinem Plakat für die Compagnie française des chocolats et des thés (Abb. 1) von 1895 Mutter und Tochter bei einer gemeinsamen Teestunde. Beide sitzen eng zusammengerückt am Tisch, auf dem noch die geöffnete Teedose steht. Die Mutter, deren elegantes rotes Kleid sie als bourgeoise ausweist, erscheint dabei ganz auf ihre nicht minder adrette Tochter konzentriert; sie hat sich dem Mädchen zugewandt

3

Vgl. Hausen 1976, S. 392, Ilan-Alter 1981, S. 10; sowie Roberts 2002, S. 55.

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und die Hand locker auf dessen Stuhllehne gelegt. Die Aufmerksamkeit der Tochter gilt dagegen einer großen schwarzweißen Katze, die sich direkt vor ihr auf dem Tisch niedergelassen hat – ein typisches Motiv für den als ‚Katzen-Raffael‘ bekannten Steinlen.4 Ganz allgemein galten Katzen als Verkörperung von Eleganz wie auch Gemütlichkeit und waren damit ein fast schon unverzichtbarerer Bestandteil der gepflegten bürgerlichen Wohnung (auch wenn ihnen dort realiter wohl kaum ein so prominenter Platz bei Tisch zugekommen sein dürfte wie in Steinlens Plakat). Vor diesem Hintergrund erfreuten sich Katzen in der Bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts einer enormen Beliebtheit, meist wurde durch das ruhige, anschmiegsame Tier der idyllisch-vertrauliche Charakter einer Darstellung unterstrichen.5 Entsprechend bringt auch Steinlen in seinem Plakat die Katze in eine Szene von familiärer Vertrautheit und Nähe ein. Den Betrachter trennt zwar die Tischplatte von den Dargestellten, doch wird sie zugleich vom vorderen sowie vom linken Bildrand angeschnitten, sodass die Figuren zum Greifen nah erscheinen – unterstützt wird dieser Eindruck auch durch die Tatsache, dass die Schulter der Mutter über die helle Rahmenlinie hinausragt. Der Betrachter ist somit unmittelbar an das Geschehen herangerückt und darf sich gleichsam als Teil der gezeigten Gemeinschaft fühlen; das Bild familiärer Harmonie wird dabei mit dem beworbenen Produkt und dessen Genuss verknüpft. Mit häuslicher Gemütlichkeit und familiärer Vertrautheit wirbt auch Jules Chéret für den Kaminofen Salamandre. Er entwarf hierzu mehrere Plakate, die dasselbe Motiv variieren: Der beworbene Ofen ist in einem gemauerten, offenen Kamin platziert, vor dem eine junge Frau mit ihrer kleinen Tochter steht. Während das Mädchen die Hände ausstreckt, um sie zu wärmen, fasst die direkt hinter ihr aufragende Mutter gerade nach dem Griff der Ofentür; sie ist diejenige, die den Ofen bedient und damit für wohlige Wärme im Haus sorgt. Eine erste Version des Plakats, die Chéret 1886 schuf (Abb. 2), zeichnet sich durch die plastische Modellierung und detaillierte Darstellung von Figuren und Hintergrund aus. Mittels geschickt eingesetzter Helldunkel-Effekte und warmer Rottöne vermittelt der Künstler hier den Eindruck, der gezeigte Raum werde einzig durch das Feuer im Ofen erhellt, und steigert so noch die behagliche Anmutung der gezeigten Szene. Zugunsten die-

4

Zu Steinlens Katzendarstellungen siehe Cate, Phillip Dennis: „Steinlen and his Art: A Chronological Survey”. In: ders./Gill, Susan: Théophile-Alexandre Steinlen, Salt Lake City 1982, S. 17–75, hier S. 72–74 sowie Damoulakis, Kiriakoula: „Théophile-Alexandre Steinlen“. In: Auf leisen Pfoten. Die Katze in der Kunst, Ausst.Kat. Städtische Galerie Karlsruhe, Heidelberg 2007, S. 68f.

5

Vgl. Damoulakis, Kiriakoula: „Populäre Katzenmaler“. In: Kat. Karlsruhe 2007b, S. 56f. sowie Rödiger-Diruf, Erika: „Die Katze in der Kunst“. In: Kat. Karlsruhe 2007b, S. 9–20, hier S. 11–15.

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ser vertraulich-häuslichen Atmosphäre verzichtet Chéret in seiner Darstellung auch auf die leicht frivole Note und ausgelassene Heiterkeit, die sonst für seine Arbeiten typisch sind. Die elegante Kleidung der Dargestellten wie auch das Interieur – auf dem ornamentverzierten Kaminsims stehen eine kunstvoll gestaltete Uhr sowie eine kleine Vase – weisen auf ein bürgerliches Milieu hin, das wohl der anvisierten Käuferschicht entsprochen haben dürfte. Abbildung 2:

Jules Chéret La Salamandre 1886

Abbildung 3: Jules Chéret La Salamandre 1889

Eine spätere Variante desselben Werbeplakats (Abb. 3) zeigt eine deutliche Vereinfachung des Motivs, die dessen plakative Wirkung unterstreicht: Die Darstellung des Wohnraums sowie die Helldunkel-Effekte sind weitestgehend zurückgenommen, die Figuren in blasseren Farben gehalten; sie treten hinter der prominent ins Bild gesetzten Beschriftung zurück, sodass die Aufmerksamkeit des Betrachters stärker als zuvor auf den beworbenen Ofen gelenkt wird. Offenbar genügte jedoch bereits diese reduzierte Darstellung, um den Kerngedanken des Entwurfs, die Verknüpfung von familiärer Nähe und häuslicher Gemütlichkeit mit dem angepriesenen Produkt, zu vermitteln. Im Einklang mit dem zeitgenössischen Ideal zeigen sowohl Steinlen als auch Chéret das Heim als Sphäre der Familie und insbesondere der Frau – ein idyllischer, privater Rückzugsort, dessen Harmonie aufrechtzuerhalten die wichtigste Aufgabe der Hausherrin darstellte. Entsprechend definierten auch Ratgeber und Zeitschriften

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für junge Frauen deren häusliches Aufgabenfeld. So stilisierte beispielsweise Etienne Marcel die sparsame, aber nichtsdestotrotz stilsichere Hausfrau zur „tapfersten Hüterin der Würde des Haushalts“, dessen „Frieden, Ehre und manchmal auch Glück“ sie sichere.6 Abbildung 4:

Abbildung 5:

Eugène Grasset Chocolat Masson 1898

Théophile-Alexandre Steinlen Racahout des Arabes 1905

Gänzlich auf das Verhältnis von Mutter und Kind konzentriert zeigt sich Eugène Grassets Plakat für Chocolat Masson (Abb. 4) aus dem Jahr 1898: Umgeben von Schriftfeldern und Ornamentbändern platziert der Künstler ein rundes Bildfeld im Zentrum seines Entwurfs. Hierin ist eine elegant gekleidete junge Frau zu sehen, die ihrem kleinen Kind aus einer Tasse Schokolade zu trinken gibt. Mit beiden Händen versucht das Kind nach der Tasse zu greifen. Dicke Pausbacken und blonde Locken verleihen ihm ein besonders niedliches Aussehen, das lebhafte Rot seines Kleidchens hebt es zudem effektvoll vom schwarzen Kleid der Mutter wie auch vom warmen Braunton des Hintergrunds ab. Die Beziehung zwischen Mutter und Kind

6

„…la gardienne la plus vaillante de la dignité du ménage; […] elle en assure la paix, l’honneur, et parfois le bonheur aussi.“ – Marcel, Etienne: „Education: L’Économie“. In: Le Magasin des demoiselle, 4. Bd./3. Serie, Nr. 25/1881, S. 8f., hier S. 8.

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erscheint besonders innig,7 was durch die Positionierung beider Figuren noch unterstrichen wird: Das Kleinkind steht auf einem Tisch, sodass sich sein Kopf auf einer Höhe mit dem der Mutter befindet, die sich ihm liebevoll lächelnd zuwendet. Um es zu stützen, fasst sie das Kind zudem mit der Linken um die Taille – die emotionale Bindung findet somit auch in der körperlichen Nähe der Dargestellten Ausdruck. Ein vergleichbares Bild liebevoller mütterlicher Fürsorge findet sich in Théophile-Alexandre Steinlens Plakat für Kindernahrung der Marke Racahout des Arabes (Abb. 5): Eine junge Mutter, im Brustbild wiedergegeben und damit unmittelbar an den Betrachter herangerückt, ist gerade im Begriff, ihr kleines Kind mit einem Löffel zu füttern. Wie bei Grasset werden beide Figuren in größtmöglicher Nähe zueinander gezeigt: Auch hier hält die Mutter ihr Kind umfasst, befinden sich beider Köpfe durch die erhöhte Platzierung des Kindes nahezu auf gleicher Höhe. Das Kind greift nach der Hand der Mutter – eine fast zufällig scheinende, dabei jedoch anrührende Geste, die die enge Bindung der beiden noch unterstreicht. Während in Grassets Plakat zu Chocolat Masson die betonte Flächigkeit und die reiche Ornamentierung der Darstellung eine deutliche Stilisierung bewirken, zielt Steinlen mittels warmer Farbgebung und plastischer Modellierung auf eine möglichst lebensnahe Darstellung, die die Einfühlung des Betrachters in die intime Familienszene begünstigt. Besonders deutlich wird dies in der Gestaltung des Kindes, das mit seinen vollen rosigen Wangen, den blonden Locken und ungelenken kleinen Händen Beschützerinstinkte weckt – potentiellen Käuferinnen des Produkts mag so die Identifikation mit der Figur der Mutter nahe gelegt worden sein. Deren gesenkter Blick sowie das selige Lächeln verdeutlichen das völlige Aufgehen in der Mutterrolle und verleihen ihr eine geradezu entrückte, madonnenhafte Anmutung. Tatsächlich wurden Marienbilder im 19. Jahrhundert bevorzugt als Vorbilder für rein profane Darstellungen von Mütterlichkeit herangezogen, wie Tamar Garb anmerkt: „Die mystisch entrückte Mutter wurde zum irdisch greifbaren Vorbild.“8 Zugleich erfuhr damit die Mutterrolle eine quasi-religiöse Überhöhung. Eine Tendenz zur Idealisierung von Mutterfiguren wird auch in Alfons Muchas Plakat für Kindernahrung der Schweizer Firma Nestlé (Abb. 6) offenbar:9 Mit grazilen Gesten rührt die Dargestellte in einer kleinen Tasse das Milchpulver für ihr

7

Vgl. Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 86.

8

Garb 1987, S. 74, Nr. 74.

9

Die englische Beschriftung legt nahe, dass das Plakat für Großbritannien bestimmt war (vgl. hierzu Rennert/Weill 1984, S. 124, Nr. 26). Stil und Figurenauffassung differieren jedoch in keiner Weise zu Muchas Plakaten für den französischen Markt, sodass eine Zurechnung zur französischen Plakatkunst im weitesten Sinne gerechtfertigt erscheint.

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Abbildung 6: Kind an; die dazugehörige Produktpackung ist Alfons Mucha gut sichtbar am linken Bildrand auf halber Nestlé’s Food for Infants Höhe der Darstellung platziert. Das Kind 1897 selbst wird rechts im Vordergrund in einer Wiege sitzend wiedergegeben. Mit dem Rücken zum Betrachter platziert, wendet es den Blick zurück über die Schulter, sodass sein Gesicht im Dreiviertelprofil sichtbar wird. Die Mutter wiederum ist frontal dem Betrachter zugewandt; zentral im Bild platziert und hoch über dem Kind aufragend, kennzeichnet sie eine statuarische, geradezu hieratische Ausstrahlung. Unterstrichen wird dies noch durch ihr antik anmutendes, weißes Gewand samt passender Stola, das die Figur zeitlos erscheinen lässt. Fast nahtlos gehen die elegant drapierten Stoffmassen in das überbordende Bettzeug des Kindes über, das weit über die Wiege hinausragt. Ungewöhnlich ist die Schnürung der Kissenbezüge, die den Blick auf das leuchtende Rot der eigentlichen Kissen freigibt. Die Wiege selbst trägt ein Dekor in Bauernmalerei, das mit der verfeinerten Eleganz der übrigen Szene kontrastiert. Kopf und Oberkörper der Mutter werden hinterfangen von einem halbkreisförmigen Mosaik in goldenem Ornamentrahmen. In den zwei Eckfeldern schließen sich Darstellungen von Vögeln an, die ihre Jungen im Nest füttern –10 das zentrale Motiv der elterlichen Fürsorge wird so nochmals allegorisch verschlüsselt aufgegriffen. Muchas Plakat kennzeichnet damit weniger die emotionale Innigkeit der MutterKind-Beziehung, die in Steinlens und Grassets Arbeiten zutage tritt, als vielmehr die Entrückung des Motivs aus der Realität ins Überzeitliche, Allgemeingültige. Die Überhöhung, welche die Mutterfigur hier erfährt, entspringt dabei einem im 19. Jahrhundert weit verbreiteten Idealbild: Die soziale Aufgabe der Mutter wurde in der Nachfolge Rousseaus zunehmend verklärt; wobei das Hauptaugenmerk auf einer liebevollen, umsichtigen Erziehung der Kinder lag.11 Die Mutter garantierte nicht nur deren Wohlergehen, sondern wurde durch die Weitergabe von Werten an

10 Vgl. Rennert/Weill 1984, S. 124, Nr. 26. 11 Bridenthal, Renate/Koonz, Claudia: „Introduction“. In: dies. 1977, S. 1–10, hier S. 8.

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die nächste Generation auch zur Hüterin der gesellschaftlichen Moral.12 Diese Aufgabe versprach der Frau emotionale Erfüllung, da sie ihrem ureigensten, naturgegebenen Wesen gerecht werde, wie zeitgenössische Abhandlungen erklärten: „Die Frau ist in der Mutter und nirgendwo sonst; die Mutterschaft ist ihr Alpha und Omega.“13 Die größte Wirkkraft besaß dieses Idealbild wiederum im Bürgertum; befreit von den Pflichten der Erwerbsarbeit, konnte sich die bourgeoise ganz auf die Erziehung der Kinder konzentrieren. Abbildung 7: Mary Cassatt Erste Liebkosung 1891

Abbildung 8: Eugène Carriere Intimität oder Die große Schwester um 1889

Unter dem Einfluss der Lehren Rousseaus waren Zuneigung und emotionale Bindung von Mutter und Kind an die Stelle elterlicher Autorität getreten.14 Dies illustrieren nicht nur die besprochenen Plakate, sondern ganz allgemein zahlreiche Beispiele aus der Bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts. Besonders intensiv widmeten sich beispielsweise Mary Cassatt und Eugène Carriere dem Thema der Mutterliebe. So zeigt erstere in ihrem Pastell Erste Liebkosung (Abb. 7) eine Frau, die ihr nacktes Kleinkind auf dem Schoß hält und sich ihm liebevoll zuwendet: Mit der Linken

12 Vgl. Bridenthal/Koonz 1977, S. 8.; Ilan-Alter 1981, S. 12–18; sowie Roberts 2002, S. 55. 13 „La femme est dans la mère et pas ailleurs; la maternité est son alpha et son oméga.“ – Dr. Fonssagrives: L’Education physique des jeunes filles, Paris 1869, zitiert nach: Bricard 1985, S. 18. 14 Vgl. Bricard 1985, S. 17.

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umfasst sie sein Füßchen, während der kleine Knabe selbst ihr mit kindlichunbeholfener Geste ins Gesicht fasst. Mutter und Kind sind dabei ganz aufeinander konzentriert; der Betrachter hat den Eindruck, einer Szene intimer Vertrautheit beizuwohnen. Auf Carrieres Intimität (Abb. 8) betiteltem Gemälde sind drei Figuren zu sehen: Die Mutter, die ein Kleinkind auf dem Schoß hält, sowie zu ihren Füßen die ältere Schwester, die sich gerade mit sichtlicher Wonne von ihrem kleinen Geschwister auf die Wange küssen lässt. Mit der Idealisierung der Mütterlichkeit entstand zugleich ein verstärktes Bewusstsein für die Bedürfnisse des Kindes, das nicht länger als ‚kleiner Erwachsener‘ gesehen, sondern seinem Entwicklungstand angemessen behandelt werden sollte.15 Besonderes Augenmerk lag auf der Gesundheit der Kinder, zu der Hygiene und Ernährung wesentlich beitragen sollten.16 Folgerichtig werben die besprochenen Plakate für Trinkschokolade und Kindernahrung nicht nur mit dem Idealbild der fürsorglichen Mutter, sondern in erster Linie mit wohlgenährten, glücklich und gesund erscheinenden Kindern.17 Auf den Punkt gebracht wird dieses Werbekonzept in Steinlens Plakat für Lait de la Vingeanne (Abb. 9) von 1894: Milch galt im Frankreich der damaligen Zeit als typisches Kindergetränk,18 wobei die explizit erwähnte Sterilisation ihren Genuss unbedenklich machte. Getrunken wird sie hier von einem Mädchen im adretten roten Kleid. Es handelt sich um die Tochter des Künstlers, Collette, die als Innbegriff des sauberen, gesunden Mädchens präsentiert wird;19 mit ihren rosigen Wangen, dem vollen roten Mund und dem blonden Haar weist sie deutliche Parallelen zu den Kinderfiguren der Plakate für Chocolat Masson und Racahout des Arabes auf. Besonderes Gewicht erhielt die Sorge um das kindliche Wohlergehen in den 1890er Jahren: Zwar war durch eine verbesserte Hygiene die Kindersterblichkeit zurückgegangen, doch sanken in Frankreich zugleich die Geburtenraten. Man be-

15 Vgl. Gallo 2001, S. 123–126 sowie Higonnet, Anne: „Schöpfer, Geschöpf. 19. und 20. Jahrhundert“. In: Duby, Georges/Perrot, Michelle: Geschichte der Frauen im Bild, Frankfurt a. M. 1995, S. 138–173, hier S. 148. 16 Vgl. Miller, Jill: „Les enfants des ivrognes. Concern for the Children of Montmartre“. In: Weisberg, Gabriel P. (Hg.): Montmartre and the Making of Mass Culture, New Brunswick/London 2001, S. 72–93, hier S. 73–75; sowie Hirsh, Sharon L.: Symbolism and Modern Urban Society, Cambridge 2004, S. 200. 17 Vgl. Gallo 2001, S. 123–126. 18 Vgl. Ilan-Alter, Ann: „Paris as Mecca of Pleasure: Women in Fin-de-siècle France“. In: Cate, Phillip Dennis (Hg.): The Graphic Arts and French Society 1871–1914, New Brunswick/London 1988, S. 55–81, hier S. 58f. 19 Vgl. Miller 2001, S. 77–79.

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fürchtete die Stagnation oder gar den Rückgang der Bevölkerungszahlen. Dies erschien umso gravierender, als es das verfeindete Deutschland durchaus verstand, durch zahlreiche Nachkommen die eigene Militärmacht zu stärken. 1896 gründete Jacques Bertillon daher eigens die Alliance nationale pour l’accroissement de la population française (Nationale Vereinigung zum Wachstum der französischen Bevölkerung), nur eine von zahlreichen Maßnahmen, um der beschriebenen Entwicklung entgegenzuwirken.20 Vor diesem Hintergrund kommt dem in der freien Kunst wie auch im Plakat der Zeit propagierten Ideal der fürsorglichen Mutter im damaligen Verständnis eine Aufgabe nicht nur von großer gesellschaftlicher, sondern im weiteren Sinne sogar von politischer Tragweite zu – umso größer war die Angst, Frauen könnten zugunsten eigener Emanzipationsbestrebungen ihre vermeintlich naturgegebene Mutterrolle vernachlässigen oder gar völlig ablehnen.21 Abbildung 9: Théophile-Alexandre Steinlen Lait de la Vingeanne 1894

Abbildung 10: Lucien Lefèvre Cacao lacté de Charles Gravier 1893

Neben der Gesundheit des Kindes rückt Steinlen in seinem Plakat für Lait de la Vingeanne jedoch auch den Genuss des Getränks sowie die hierauf gerichtete Begehrlichkeit in den Fokus der Darstellung: Zu Füßen Collettes sitzen drei Katzen, die begierig zur Milchschüssel des Mädchens aufblicken; eines der Tiere hat sich

20 Vgl. Silverman 1989, S. 66; sowie Miller 2001, S. 77–79. 21 Vgl. Hirsh 2004, S. 163–217.

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aufgerichtet und legt, auf den Hinterbeinen stehend, die Vordertatze auf den Schoß des Mädchens. Dieses ist jedoch gänzlich in den Genuss der Milch versunken und macht keine Anstalten zu teilen. Abbildung 11: H. Gerbault Chocolat Carpentier um 1895

Abbildung 12: Alfons Mucha Cacao Schaal um 1897

Die Gegenüberstellung von Kindern und Tieren, die um besondere Leckerbissen konkurrieren, findet sich häufiger in der damaligen Plakatkunst. So zeigt etwa Lucien Lefèvre in seinem Plakat für Cacao Lacté de Ch. Gravier (Abb. 10) aus dem Jahr 1893, wie ein Junge seine Schüssel mit Kakao gegen einen Hund zu verteidigen sucht, während dieser an ihm hochspringt. H. Gerbault lässt gleich drei Kontrahenten – einen Säugling, einen Hund und eine Katze – nach Trinkschokolade der Marke Carpentier (Abb. 11) verlangen. Während der Hund auf dem Boden und das Kind auf dem Schoß seiner Amme sich vergeblich mühen, die Schokolade zu erreichen, steht die Katze bereits auf dem Tisch und tut sich an der dampfenden Schüssel gütlich. Ihr kerzengerade erhobener Schwanz bildet dabei das ‚i‘ des Produktnamens – nur ein humoristisches Detail einer insgesamt nicht allzu ernst gemeinten Darstellung. So wirken die Amme mit ihrer ausladenden roten Haube wie auch die kecken Züge des Säuglings überzeichnet; zudem verschmäht das Kind sogar die Brust, um sich nach der Schokolade zu recken. Das ungezügelte, triebhafte Begehren der Tiere dient dabei auch zur Charakterisierung des kindlichen Wesens. Dies zeigt nicht nur die beschriebene Gleichsetzung

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in Gerbaults Plakat, sondern auch eine Arbeit Alfons Muchas, die für Kakao der Marke Schaal (Abb. 12)22 wirbt: Ein Mädchen und sein jüngerer Bruder bedrängen ihre Mutter, die ein Tablett mit dampfenden Tassen bringt und den Ansturm ruhig über sich ergehen lässt. Das ungestüme Verhalten der Kinder ist in seiner Vehemenz den beschriebenen Tierdarstellungen durchaus vergleichbar: Die Geschwister treten der Mutter in den Weg, greifen in die Falten ihres Hauskleids und betteln um den Kakao. Während das Mädchen ordentlich bekleidet ist, trägt der kleine Junge lediglich ein Hemd und nur einen Strumpf – hierin mag die Eile angedeutet werden, mit der er seinem Kakao entgegengeeilt ist. Zugleich wirft Mucha mit diesem Detail jedoch auch einen amüsierten Blick auf kindlich-liebenswerte Impulsivität und Unbeholfenheit. Eugène Ogé stellt in seinem Plakat für Dubonnet (Abb. 13) verschiedene Altersschichten in ihrem Konsumverhalten einander gegenüber: Eine ganze Familie, von den Großeltern über die Eltern bis zu den Kindern, tut sich am beworbenen Tonikum gütlich. Während die Erwachsenen bedächtig ihre Gläser halten, scheint der Sohn des Hauses das seine in nur einem Zug leeren zu wollen; er hat den Kopf zurückgelegt und die Augen genießerisch geschlossen. Seine kleine Schwester sowie das jüngste Kind, fast noch ein Säugling, bedrängen derweil die liebevoll lächelnde Amme und recken sich nach dem Glas, das sie in Händen hält. Deutlich tritt hier der Kontrast zwischen distinguiertem, ‚erwachsenen‘ Verhalten und kindlichem Ungestüm zutage – entsprechend der damaligen Auffassung vom Wesen des Kindes, dessen ungezügelte Leidenschaften durch Erziehung ‚domestiziert‘ werden sollten. Entgegen der zentralen These Rousseaus, der Mensch werde ‚gut‘ geboren und erst von der Gesellschaft korrumpiert, war im Frankreich des 19. Jahrhunderts ein diametral entgegengesetztes Kinder- und Menschenbild verbreitet, wie Ann Ilan-Alter anmerkt: Kinder seien damals als ‚kleine Barbaren‘ angesehen worden, so die Autorin; erst durch die Erziehung würden sie moralisch ‚geformt‘ und seien fähig, sich in die Gesellschaft einzufügen –23 noch einmal wird hier die enorme Bedeutung der Mutter als Erzieherin deutlich, die gesellschaftliche Werte und Moralvorstellungen bewahrt und weitergibt. Die besprochenen Plakate zeichnen sich jedoch durch einen durchaus liebevollen Blick auf das ungezügelte Verhalten der Kinder aus; die gezeigten Mütter und Ammen scheinen (noch) Nachsicht walten zu lassen. Dass von Ogé und Gerbault überhaupt Ammen ins Bild gesetzt werden, er-

22 Von diesem Plakat existieren zwei motivisch identische Varianten, die jedoch aufgrund der deutsch-französischen Konflikte verschiedene Beschriftungen tragen: Für den französischen Markt wurde die Herkunft des Produkts aus Frankreich betont, für deutsche Kunden dagegen der Sitz des Herstellers im Elsass. Vgl. Rennert/Weill 1984, S. 138–140, Nr. 32. 23 Vgl. Ilan-Alter 1981, S. 100.

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scheint dabei angesichts der damaligen Betonung der Muterrolle als höchst ungewöhnlich, galt es doch seit Rousseau als geradezu widernatürlich, seine Kinder in fremde Obhut zu geben.24 Abbildung 13: Eugène Ogé Dubonnet um 1905

Die Plakatkunst des fin de siècle thematisiert immer wieder, wie gerade Mädchen durch das mütterliche Vorbild geprägt und zur Nachahmung angeregt werden. Häufig steht dabei jedoch nicht die häusliche Tätigkeit der Frau im Vordergrund, sondern vielmehr deren elegante Erscheinung und das Interesse an Mode. So zeigt beispielsweise Alfred Choubrac in seinem Plakat für das Kaufhaus Aux Travailleurs (Abb. 14) eine äußerst elegant gekleidete Frau in einem beigefarbenen, dezent gemusterten Kleid mit passendem Hut und Sonnenschirm. An der Hand hält sie ihre kleine Tochter, die ebenso schick ausstaffiert ist: Über roten Strümpfen trägt sie einen rot gepunkteten Rock, ein Muster, das sich im Kragen ihrer Bluse sowie dem Träger ihrer kleinen Handtasche wiederholt. Auch ihren Kopf ziert ein passender Hut. Preisangaben rings um die beiden Figuren machen deutlich, dass die gezeigten Kleidungsstücke und Accessoires zum Sortiment des beworbenen Kaufhauses gehören. Mit leicht schräg gelegtem Kopf blickt die Mutter den Betrachter freundlich an, wie ein Mannequin präsentiert sie die beworbenen Stücke. Bewundernd schaut das kleine Mädchen zu ihr auf – seine eigene elegante Aufmachung wie auch die farbliche Abstimmung zur Kleidung der Mutter machen deutlich, dass es deren Rolle nacheifert. Entsprechend erklärt auch Ann Ilan-Alter, die Bildende Kunst streiche Ähnlichkeiten zwischen Müttern und Töchtern heraus, um die prägende Wirkung

24 Vgl. Held, Jutta/Schneider, Norbert: Sozialgeschichte der Malerei. Vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, 2., durchges. Aufl., Köln 1998, S. 325f.

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der mütterlichen Erziehung vor Augen zu führen: „Mutter und Kind gleichen einander, da die Mutter das Kind formt.“25 Abbildung 14: Alfred Choubrac Aux Travailleurs um 1890

Abbildung 15: Jules Chéret Halle aux Chapeaux 1892

Noch deutlicher wird dieser Aspekt in einem Plakat Jules Chérets thematisiert: Mit der Darstellung einer Mutter und ihrer Töchter, die gemeinsam Hüte aufprobieren, wirbt der Künstler für die Halle aux Chapeaux (Abb. 15), ein Fachgeschäft für Damen-, Herren- und Kinderhüte. Während das kleinere der beiden Kinder noch etwas verhalten hinter seiner älteren Schwester hervorlugt, zeigt diese die gleiche grazile Gestik wie die Mutter; beide nehmen charmant lächelnd Blickkontakt zum Betrachter auf. Die Tochter scheint das mütterliche Rollenvorbild bereits völlig verinnerlicht zu haben, imitiert sie doch das Verhalten der Mutter nahezu perfekt. Auffallend ist auch hier die ausgesuchte Eleganz der Kleidung: Die Mutter im leuchtend roten Kleid mit bauschigen Ärmeln und hohem Kragen probiert einen federgeschmückten Hut, während das Mädchen im Vordergrund einen weißen Mantel mit Pelzbesatz und ausladendem Kragen trägt. Die einzige männliche Figur im Bild ist dagegen ganz in den Hintergrund gerückt und verschmilzt mit diesem geradezu.

25 „…mother and child look alike because the mother molds the child.“ – Ilan-Alter 1981, S. 100.

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Lediglich das Gesicht ist plastisch herausgearbeitet und farblich abgesetzt, Anzug und Zylinder werden nur durch Konturen angedeutet. Das Hauptaugenmerk der Darstellung liegt auf den weiblichen Figuren; sich herauszuputzen wird damit als eine primär weibliche Tätigkeit vorgeführt, was auch der damaligen Auffassung von der natürlichen Veranlagung der Geschlechter entspricht. So erklärte Pierre-Joseph Proudhon: „Durch ihre Natur und Bestimmung sucht die Frau Eleganz und Luxus“26, und Jean-Jacques Rousseau bemerkte: „Die kleinen Mädchen lieben fast von Geburt an den Putz. Sie sind nicht zufrieden damit, daß sie hübsch sind, sie wollen auch, daß man sie so findet…“27 Mädchen interessierten sich daher vor allem für das, „was ins Auge fällt und zum Zierrat dient: Spiegel, Schmucksachen, Flitter…“, so Rousseau – ganz anders als Jungen, die sich eher für „Bewegung und Lärm“ 28 begeistern könnten. Das weibliche Geschlecht erscheint somit stark auf seine Außenwirkung bedacht; in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Garderobe und Toilette der Frau sogar als untrennbar mit ihrer Weiblichkeit verknüpft angesehen.29 Handeln und Erscheinung der Frau sollten aus damaliger Sicht vor allem darauf abzielen, dem Mann zu gefallen und ihm das Leben angenehm zu machen.30 Eine gewisse Koketterie, wie sie in Chérets Plakat durch Haltung und Mimik der Mutter- und Tochterfigur gegenüber dem Betrachter zum Ausdruck kommt, galt daher ebenfalls als natürliche weibliche Eigenschaft.31 So konstatierte etwa Georges d’Avenel: „…jung oder alt, beruhigend oder begehrenswert, lasterhaft oder keusch, oder schlicht platonisch und nur für die Berührung der Seele empfänglich, die weiblichen Wesen bleiben alle mehr oder weniger kokett; wirkliche Töchter Evas, die ein Kostüm verlangte, sobald sie ihre Unbefangenheit verloren hatte und sich ihres Geschlechts bewusst geworden war. Dieses Geschlecht, das wir ‚schön‘ nennen, ist selbiges vor allem durch seine Aufmachung…“

32

26 Proudhon, Pierre-Joseph: Notes et pensées. Œuvre posthume, zitiert nach: Priollaud 1983, S. 149. 27 Rousseau 1997, S. 477f. 28 Ebd. 29 Vgl. Clayson, Hollis: Painted Love. Prostitution in French Art of the Impressionist Era, New Haven/London 1991, S. 58. 30 Vgl. Rousseau 1997, S. 467; sowie Ilan-Alter 1981, S. 12–28. 31 Vgl. Rousseau 1997, S. 477. 32 „...jeunes ou vieilles, calmantes ou désirables, vicieuses ou chastes, ou simplement platoniques et ne laissant toucher qu’à leur âme, les créatures féminines demeurent toutes plus ou moins coquettes; en vraies filles de cette Ève qui demanda un costume dès qu’elle eut perdu son ingénuité et pris conscience de son sexe. Ce sexe, que nous appelons ‚beau‘, l’est surtout par sa parure…“ – d’Avenel, Georges: Le mécanisme de la vie

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Eine gute Erziehung ermöglichte es den Mädchen dabei, einen Mittelweg zwischen Prüderie und einem übertriebenen Sich-Anbiedern zu finden.33 Abbildung 16: René Péan À la Place Clichy um 1898

Abbildung 17: Privat Livemont Palais de la Femme 1900

In den oben besprochenen Plakaten erscheint die Eleganz der Werbefiguren an den Erwerb der gezeigten Mode gekoppelt. Die dargestellten Mütter vermitteln ihren Töchtern als Grundlage ihrer Weiblichkeit nicht nur das Wissen um eine elegante Erscheinung, sondern auch um den hierfür notwendigen Konsum.34 Deutlich wird dies in René Péans Plakat für das Kaufhaus À la Place Clichy (Abb. 16): Im Hintergrund ist die Fassade des Kaufhausgebäudes zu sehen, während vorn eine modisch herausgeputzte Frau samt Tochter ins Bild gesetzt wird. Die Kleidung der Mutter ist besonders auffällig: Über einem gelbweiß gestreiften Rock trägt sie eine leuchtend rote Bluse mit farblich abgesetzten Puffärmeln in Grün. Ein rüschenverziertes weißes Halstuch, zu einer großen Schleife gebunden, sowie ein Hut mit blauschwarzen

moderne, Quatrième Série: L’habillement féminin. La publicité. Le théâtre (décors, acteures, public et directeurs). Le prêt populaire, 2. Aufl., Paris 1907, S. 57. 33 Vgl. Ilan-Alter 1981, S. 133f. 34 Zu einer ausführlicheren Darstellung der modischen Konsumentin vgl. Kap. 3 dieser Arbeit.

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Federn komplettieren die Aufmachung. Die Tochter im dunklen Mantel erscheint weniger auffällig, doch trägt auch sie einen federgeschmückten Hut, der mit einer großen Schleife unter dem Kinn festgebunden ist. Dass beide gerade von einem Einkauf kommen, zeigen nicht nur die Pakete im Arm des Mädchens, sondern auch die kleinen Sträußchen, über die sich Mutter und Tochter sehr zu freuen scheinen – eine Werbeaktion des Kaufhauses, die das Plakat ankündigt. Wie bei Choubrac blickt auch hier das Mädchen zu seiner Mutter auf, bewundert offenbar ihre Erscheinung. Die Pakete in seinen Armen weisen darauf hin, dass es in die Rolle der Konsumentin bereits hineinwächst – die beste Voraussetzung, um dem mütterlichen Vorbild in Sachen Mode und Eleganz zu entsprechen, so suggeriert es Péans Plakat. Allegorisch überhöht gestaltet Privat Livemont das Verhältnis von Mutter und Tochter in seinem Plakat für den Palais de la femme (Abb. 17). Dieser sollte als zentrale Anlaufstelle für die Besucherinnen der Pariser Weltausstellung von 1900 fungieren; präsentiert wurden dort Themen wie Mode, Erziehung und Literatur sowie eine Ausstellung mit Werken speziell von Künstlerinnen.35 Livemont wirbt hierfür mit einem Plakat, das weibliche Eleganz vor Augen führt, den Fokus aber dezidiert auf die Rolle der Frau als Mutter legt. Die Mutterfigur wird dabei in ihrer Vorbildfunktion aus der Alltagsrealität entrückt und in eine zeitlose Szenerie von allgemeiner Gültigkeit transferiert. Mutter und Tochter sind in idyllischem Beisammensein in der freien Natur zu sehen; die Farbgebung verleiht der Szene dabei eine unwirkliche Anmutung: Der Hintergrund ist in ein tiefes Rot getaucht, von dem sich die hell scheinenden Figuren abheben; verstärkt wird dieser Effekt noch durch eine breite weiße Konturlinie, die Mutter und Tochter wie eine Aura einrahmt. Die Mutter trägt ein locker fallendes schulterfreies Kleid in hellem Gelb, der Ausschnitt ist mit weißer Spitze besetzt. Sie erscheint ganz auf ihre Tochter konzentriert, die dem Betrachter frontal zugewandt ist. Das Mädchen ist nackt, wohl zum Zeichen seiner natürlichen Unschuld;36 seine Scham wird verdeckt durch ein herabhängendes weißes Stoffband in seinen Händen. Die Mutter flicht dem Kind Weißdorn ins Haar, sie selbst ist mit gelben Rosen bekränzt, die sich auch durch den Bildvordergrund ranken.37 Der Blumenschmuck sowie die Verortung der Figuren in unberührter Landschaft suggerieren Naturnähe, die in der zeitgenössischen Vorstellung sowohl für das kindliche als auch für das weibliche Wesen schlechthin charakteristisch erschien.38 Bezeichnend ist die Zuordnung der Pflanzen: Das kleine Mädchen wird mit Wildblumen ge-

35 Vgl. Boulanger 1991, S. 35f. 36 Vgl. ebd. 37 Zum hier in Erscheinung tretenden Stereotyp der femme-fleur vgl. Kap. 5.3 dieser Arbeit. 38 Vgl. Hausen 1976, S. 382–387; sowie Hirsh 2004, S. 172.

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schmückt, seine Mutter dagegen trägt die Blüten einer edlen Zuchtrose im Haar –39 hierin kommt nochmals die damals verbreitete Auffassung von Erziehung als ‚Domestizierung‘ des noch wilden, ungezügelten Kindes zum Ausdruck. Erst die liebevolle Zuwendung der Mutter, die Livemont hier ins Bild setzt, ermöglicht es der Tochter, durch Zügelung ihrer Instinkte und Verfeinerung des eigenen Wesens zu einer Frau von ebensolcher Eleganz heranzuwachsen.

2.2 D IENSTMÄDCHEN

UND

H AUSHERRIN

Auffallend ist, dass Werbeplakate der Jahrhundertwende zwar immer wieder Frauen im häuslichen Umfeld präsentieren, sich dabei jedoch meist auf die Mutterrolle der Hausherrin konzentrieren – bei der Hausarbeit wird sie hingegen kaum gezeigt. Dies entspricht durchaus den Gegebenheiten in großbürgerlichen Haushalten der damaligen Zeit: Ehefrauen und Töchter erfüllten innerhalb der Bourgeoisie primär repräsentative Pflichten. Sie waren nicht nur von der Erwerbsarbeit außer Haus, sondern weitestgehend auch von der Hausarbeit selbst entbunden, die als minderwertig, ja vulgär galt.40 Diese wurde stattdessen von Dienstboten übernommen, die fast ausschließlich weiblichen Geschlechts waren; die vermeintlich natürliche Veranlagung der Frau zur Häuslichkeit prädestinierte sie geradezu für diesen Sektor. Dienstmädchen stellten daher die größte weibliche Beschäftigungsgruppe des 19. Jahrhunderts dar.41 In der Plakatkunst der damaligen Zeit werden sie meist herangezogen, um Wasch- und Reinigungsmittel oder Küchengeräte zu bewerben. So zeigt beispielsweise Alfons Mucha in seinem Plakat für Bleu Deschamps (Abb. 18), ein Bläuemittel, das weiße Wäsche vor dem Vergilben schützen sollte,42 eine Frau hinter einem großen hölzernen Waschzuber, die gerade das Ergebnis ihrer Arbeit begutachtet. Sie trägt – wie für Muchas Figuren typisch – ein zeitloses, weich fließendes Gewand, ist aber durch ihr Häubchen deutlich als Dienstmädchen

39 Vgl. Boulanger 1991, S. 35f. 40 Vgl. Auslander, Leora: „The Gendering of Consumer Pratices in Nineteenth-Century France“. In: de Grazia/Furlough 1996, S. 79–112, hier S. 82–85; Bricard 1985, S. 126f.; sowie de Grazia, Victoria: „Part II: Establishing the Modern Consumer Household. Introduction“. In: dies./Furlough 1996, S.151–162, hier S. 153f. 41 Vgl. McBride, Theresa M: „The Long Road Home: Women’s Work and Industrialization“. In: Bridenthal/Koonz 1977, S. 280–295; sowie Schmaußer 1991, S. 177–189. 42 Vgl. Rennert/Weill 1984, S. 172, Nr. 41.

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zu identifizieren.43 Zwar ist die Figur frontal zum Betrachter ausgerichtet, doch nimmt sie keinerlei Blickkontakt auf. Vielmehr erscheint sie gänzlich in die Betrachtung des sauberen Wäschestücks in ihren Händen vertieft. Mit diesem wird zugleich dem Betrachter die Produktwirkung vor Augen geführt. Abbildung 18: Alfons Mucha Bleu Deschamps 1897

Abbildung 19: Théophile-Alexandre Steinlen Brillant d’or 1885

Eine vergleichbare Bildstrategie verfolgt Théophile-Alexandre Steinlen mit seinem Plakat für die Metallpolitur Brillant d’or (Abb. 19): Auch hier begutachtet ein Dienstmädchen das Resultat der Arbeit – rechts neben ihr stapeln sich verschiedene Metallgefäße, auf dem Schoß hält sie einen großen Krug. Die daneben liegende Politurbürste verweist auf die eben erst beendete Arbeit. Die rechte Hand der Frau ruht auf einer Flasche des beworbenen Produkts, dessen Etikett noch einmal dasselbe Motiv wie das Plakat zeigt. Mit einem rotweiß gestreiften, rüschenbesetzten Kleid, weißer Schürze und passender Haube erscheint das Dienstmädchen einfach, jedoch adrett gekleidet. Ein Plakat Jules Chérets für Brillants Bühler (Abb. 20), ebenfalls ein Politurmittel für Metall, zeigt ein Dienstmädchen in nahezu identischer Aufmachung, das den Betrachter explizit auf das beworbene Mittel in seiner Hand hinweist. Die polierten Töpfe und Kannen sind zu seinen Füßen aufgereiht. Die überragende Wirkung der Politur wird durch die Figur eines kleinen Mädchens rechts

43 Zur Kleiderfrage vgl. Väth-Hinz, Henriette: Odol. Reklame-Kunst um 1900 [Diss.], Gießen 1985, S. 85–91. [= Werkbund-Archiv, Bd. 14]

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neben der Dienstbotin vor Augen geführt: Es hält einen der Töpfe hoch und betrachtet sein Spiegelbild auf der glänzenden Oberfläche. Zugleich verdeutlicht der Künstler mit diesem Motiv, dass der Sinn für Sauberkeit und Gründlichkeit – im damaligen Verständnis grundlegende ‚Tugenden‘ der Haushaltsführung – an die nächste Generation weitergegeben wird. Von der großen Bedeutung, die diesen ‚Tugenden‘ beigemessen wurde, zeugen zahlreiche zeitgenössische Leitfäden für Dienstboten;44 in den besprochenen Plakaten wird sie nicht nur im dargestellten Hausrat offenbar, sondern auch in der Erscheinung der Dienstmädchen selbst: In strahlend weiße Schürzen gekleidet und zufrieden lächelnd, lassen sie nichts von der Schwere der Arbeit erahnen, die dieser Berufsstand auszuführen hatte. Hierin wird eine allgemeine Tendenz im Bürgertum des 19. Jahrhunderts sichtbar, Hausarbeit als solche zu leugnen– als Rückzugsort vor der Öffentlichkeit und feindlich gesinnten Arbeitswelt sollte das Heim ein Idyll frei von Arbeit sein.45 Zwar konnte diese nicht realiter abgeschafft, doch zumindest delegiert und damit weitgehend ausgeblendet werden. Dienstmädchen ermöglichten die Aufrechterhaltung dieses Idealbilds, waren darin aber zugleich ein konstanter Störfaktor: Sie waren nicht nur Fremde in der privaten Sphäre des eigenen Heims, sondern erinnerten als bezahlte Arbeitskräfte auch ständig daran, dass eben dieses Heim letzten Endes doch nicht gänzlich von der öffentlichen Sphäre der Arbeit zu trennen war.46 Beikommen ließ sich diesem Problem nur, indem man die Tätigkeit des Dienstmädchens zum „Innbegriff sittsamer Weiblichkeit und Selbstaufgabe“47 stilisierte, doch blieben Hausangestellte weiterhin suspekt und unterstanden daher der ständigen Kontrolle der Hausherrin. In den reinlichen, adretten Dienstmädchen der Plakatwerbung, die ganz in ihrer Aufgabe aufzugehen scheinen, dürfte diese ein Ideal erblickt haben, das sich assoziativ mit dem jeweils beworbenen Produkt verband. Explizit setzt Leonetto Capiello das Verhältnis von Hausherrin und Angestellter ins Bild: Sein Plakat für Charbon Chimique Rubaudo (Farbabb. 1, S. 50), einen Kohlebrikett-Anzünder, zeigt eine Dame in orangefarbenem Kleid, die ihrem Dienstmädchen die Benutzung des Produkts demonstriert. Mit begeistertem Lächeln hält sie ein brennendes Streichholz an den Anzünder in ihrer Hand. Die Miene des Dienstmädchens erscheint dagegen völlig neutral, streng im Profil gegeben, streckt sie der Hausherrin die Schachtel mit den Anzündern entgegen. Die starre

44 Vgl. Walser, Karin: Dienstmädchen. Frauenarbeit und Weiblichkeitsbilder um 1900, Frankfurt a. M. 1986, S. 38 sowie S. 42. 45 Vgl. Mey 1984, S. 188f. 46 Vgl. Walser 1986, S. 20–24 sowie S. 43f. 47 Ebd., S. 43.

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Haltung des Mädchens steht dabei in deutlichem Kontrast zur Agilität seiner Herrin, die noch unterstrichen wird durch die dynamisch schwingenden Bänder, die deren Kleid zieren. Während das lebhafte Orange des Kleides die Figur der Hausherrin noch zusätzlich hervorhebt, verschmilzt die Kleidung des Dienstmädchens farblich mit dem rotbraunen Hintergrund – lediglich die weiße Schürze und die helle Kontur setzen die Figur ab. In der Plakatgestaltung kommt damit auch das zeitgenössische Postulat zum Ausdruck, Dienstmädchen sollten ihren Status als ‚Eindringling‘ in die familiäre Sphäre durch ein möglichst unauffälliges Auftreten kompensieren und die eigene Persönlichkeit so weit als möglich zurücknehmen.48 Als Identifikationsfigur für potentielle Käuferinnen wird primär die dargestellte bourgeoise gedient haben, die die Szene ebenso selbstbewusst wie elegant dominiert. Die Figur des Dienstmädchens nutzt Capiello, um den hohen sozialen Status der Hausherrin zu verdeutlichen. Auch die Darstellung eines geschmackvollen Beistelltischchens links vorn im Bild verweist auf ein entsprechendes großbürgerliches Milieu. Abbildung 20: Jules Chéret Brillants Bühler 1875

Abbildung 21: Jules Chéret Rotissoire automatique 1876

Das Konfliktpotential in der Beziehung von Hausherrin und Bediensteter thematisiert Chéret in seinem Plakat für einen automatischen Grill (Abb. 21) in Form einer Bildinschrift. Zu sehen ist links im Bild eine junge Köchin in rotem Kleid und weißer Schürze. Entspannt stützt sie sich auf den althergebrachten Herd – eine betont

48 Vgl. Walser 1986, S. 43f.

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immobile Haltung, die die enorme Arbeitserleichterung durch das beworbene Gerät rechts vorn im Bild suggeriert. Lächelnd blickt sie hinunter zu dem detailliert dargestellten Automatikgrill, dessen weit geöffnete Tür den Blick auf ein bratendes Hähnchen im Innern freigibt. Am unteren Bildrand wird die Reaktion der Köchin wiedergegeben: „Mein Gott, ist das praktisch! Nichts mehr zu tun! Und Madame tadelt mich nicht länger wegen der emporschlagenden Flammen.“49 Dass hier explizit die Vorzüge des Produkts für die Bediensteten herausgestellt werden, stellt eine Ausnahme innerhalb der damaligen Plakatwerbung dar. Doch macht der Ausruf der Köchin zugleich deutlich, dass ihre Herrin zumindest indirekt Nutznießerin des Geräts ist, hilft dieses doch offenbar, lästige Auseinandersetzungen mit dem Personal zu vermeiden. Dass derartige Konflikte gang und gäbe waren, bezeugen zeitgenössische Abhandlungen50 wie auch die Charakterisierung von Dienstmädchen in der damaligen Literatur: Neben den „namenlose[n] Dienerinnen ihrer Herrschaft“51 findet sich eine Vielzahl von negativ gezeichneten Figuren. Als ‚Eindringlinge‘ in die Privatsphäre der Familie per se suspekt, wurden Dienstmädchen als Gegenbild zum Ideal der keuschen, tugendsamen Hausfrau verstanden, fungierten als Projektionsfläche für Verbotenes und Triebhaftes.52 Die angebliche ‚Vergnügungssucht‘ der Dienstmädchen suggeriert Leonetto Capiello in seinem Plakat für Cognac Fine Champagne (Abb. 22): Vor unbestimmtem, schwarz schraffiertem Hintergrund zeigt er eine Bedienstete, die zwei Flaschen des beworbenen Getränks auf einem Tablett trägt. Die Bewegung der Figur ist betont leichtfüßig und beschwingt, fast scheint sie zu hüpfen. Deutlich unterstreicht Capiello die weiblichen Reize der Dargestellten, von der koketten Mimik und Gestik über die extrem kurvige Figur bis hin zu ihrem auffliegenden Kleid, das die Wade sehen lässt – in der damaligen Zeit ein als erotisch geltender Anblick. Durch die Darstellung im Profil ist die Frau den Blicken des Betrachters preisgegeben, ohne direkt mit ihm Kontakt aufzunehmen. Entsprechend dem verbreiteten Stereotyp zeigt der Künstler somit ein stark sexualisiertes Bild des Dienstmädchens, das hier jedoch nicht negativ gewertet wird: Vielmehr soll sich der erotische Reiz der Figur assoziativ mit dem beworbenen Getränk verbinden, das selbst eher unscheinbar ins Bild gesetzt wird. Capiellos Darstellung der beschwingten Bediensteten erscheint so den in der damaligen Plakatwerbung gängigen Bildern sittsam-zurückhaltender Dienstmädchen geradezu diametral entgegengesetzt. Gemeinsam ist den besprochenen Arbeiten jedoch, dass die

49 „Dieu, c’est commode!/Plus rien à Faire!/Et Madame ne me reproche plus le coups de Feu.“ 50 Siehe bspw. Uzanne o. J., S. 133–152. vgl. zudem Mey 1984, S. 188f. 51 Walser 1986, S. 63. 52 Vgl. Schmaußer 1991, S. 177–189; sowie Walser 1986, S. 52 und S. 63–72.

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eigentliche Arbeit der Frauen weitgehend ausgeblendet wird: Zeigen Künstler wie Chéret, Mucha oder Steinlen das Ergebnis der Arbeit, nicht jedoch die vorangegangene Anstrengung, so scheint in Capiellos Bild ausgelassenen Vergnügens schlicht negiert, dass es sich bei der Tätigkeit des gezeigten Dienstmädchens überhaupt um Arbeit handelt. Abbildung 22: Leonetto Capiello Cognac Fine Champagne (avant la lettre) 1905

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Farbabbildung 1: Leonetto Capiello Charbon chimique Rubaudo 1903

Farbabbildung 3: Jules Chéret Palais de Glace 1896

Farbabbildung 2: Théophile-Alexandre Steinlen Motocycles Comiot 1899

3. Die Parisienne

„Alles an der Pariserin ist von anbetungswürdiger Weiblichkeit…“1, lobte Octave Uzanne die Bewohnerinnen der französischen Hauptstadt – eine Einschätzung, die von zahlreichen Zeitgenossen geteilt wurde. Entsprechend erfreute sich der Typus der Parisienne enormer Beliebtheit, sowohl in den frühen Massenmedien als auch in der bildenden Kunst. Das so verbreitete Idealbild der modernen Pariserin zeugt dabei vom Wandel des weiblichen Rollenbildes im urbanen Umfeld. Das folgende Kapitel beleuchtet die verschiedenen Facetten dieses Stereotyps, die von der kompetenten Konsumentin über die Verkörperung modischer Eleganz und Modernität bis hin zur Darstellung sinnlichen Genusses reichen.

3.1 D IE K ONSUMENTIN Neben der Erziehung der Kinder und dem Erhalt der häuslichen Idylle galt im 19. Jahrhundert auch der Konsum als eine zentrale gesellschaftliche Pflicht der Frau – die notwendige Ergänzung zur produzierenden Tätigkeit des Mannes. So erklärte Pierre Joseph Proudhon in seiner erstmals 1846 erschienen Philosophie der Staatsökonomie: „Inwiefern steht die Rolle der Frau, die beauftragt ist mit der Leitung des Haushaltes und allem, was sich auf Konsum und Ersparnis bezieht, der des Mannes nach, dessen eigene Aufgabe die Leitung der Werkstatt, das heißt die Verwaltung der Produktion und des Tausches ist? Mann und Frau sind einander notwendig als die beiden konstitutiven Prinzipien der Arbeit: Die Ehe in ihrer unzertrennlichen Dualität ist die Verkörperung des ökonomischen Dualismus, der, wie man weiß, in den allgemeinen Begriffen Konsum und Produktion zum Aus-

1

Uzanne o. J., S. 40.

52 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG druck kommt. Von diesem Gesichtpunkt aus sind die Fähigkeiten der Geschlechter geregelt, die Arbeit für das eine, die Ausgabe für das andere…“

2

Abbildung 23:

Jean-Alexis Rouchon Au Paradis des dames 1856

Hatte Proudhon den Konsum dabei noch als Teil der Haushaltung charakterisiert, so verortete die Plakatwerbung des 19. Jahrhunderts ihn zunehmend in der Öffentlich-

2

„En quoi le rôle de la femme, chargée de la conduite du ménage, de tout ce qui se rapporte à la consommation et à l'épargne, est-il inférieur à celui de l'homme, dont la fonction propre est le commandement de l'atelier, c'est-à-dire le gouvernement de la production et de l'échange? L'homme et la femme sont nécessaires l'un à l'autre comme les deux principes constitutifs du travail : le mariage, dans sa dualité indissoluble, est l'incarnation du dualisme économique, qui s'exprime, comme l'on sait, par les termes généraux de consommation et production. C'est dans cette vue qu'ont été réglées les aptitudes des sexes, le travail pour l'un, la dépense pour l'autre…“ – Proudhon, Pierre-Joseph: Système des contradictions économiques ou philosophie de la misère, 2. Ausgabe, Paris 1850, Bd. 2, S. 191f.; vgl. hierzu auch Schmaußer 1991, S. 41–43; sowie Mey 1984, S. 187–197.

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keit –3 wohl mitbedingt durch das Aufkommen großer Kaufhäuser seit der Jahrhundertmitte, die den Einkauf von einer Notwendigkeit zum Erlebnis werden ließen.4 Folgerichtig entfernt sich das Gros der damaligen Werbeplakate deutlich vom Ideal einer Frau, die sich ganz auf die häusliche Sphäre beschränkt. Ein frühes Beispiel für die Darstellung weiblichen Konsumverhaltens findet sich in Jean-Alexis Rouchons Plakat für ein Kaufhaus mit dem viel sagenden Namen Au Paradis des dames (Abb. 23) von 1856: Im Hintergrund strömt eine Menschenmenge, hauptsächlich aus Frauen bestehend, durch den mit Vorhängen verhängten Eingang des Verkaufsraums; vorn sind mehrere modisch gekleidete Damen an den Verkaufstresen herangetreten. Hinter diesem stehen zwei männliche Verkäufer, die den Kundinnen verschiedene Stoffe zur Begutachtung präsentieren.5 Kombiniert wird diese realitätsnahe, zeitgenössische Szene mit Versatzstücken aus der Kunsttradition: zwei Putti, die ein Schriftband mit der Adresse des Geschäfts emporhalten. Abbildung 24: Henri Thiriet À la Place Clichy 1900

3

Vgl. de Grazia, Victoria: „Part III: Empowering Women as Citizen-Consumers. Introduction“. In: dies./Furlough 1996, S. 275–286, hier S. 281.

4

Vgl. Williams 1982, S. 58–78; sowie Wilson, Elizabeth: In Träume gehüllt. Mode und Modernität, Hamburg 1989, S. 157–161.

5

Vgl. Iskin 2007, S. 45–51.

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Eine vergleichbare Verkaufssituation zeigt Henri Thiriet in seinem um 1900 entstandenen Plakat für das Kaufhaus À la Place Clichy (Abb. 24): Zu sehen ist die Abteilung für Wäscheaussteuer des Geschäfts.6 Vorn rechts hat sich eine äußerst elegant gekleidete Kundin – zu einem türkisfarbenen Kleid mit Rüschenkragen und Puffärmeln trägt sie einen mit Federn und Blumen geschmückten Hut – auf einem Stuhl niedergelassen. Das Kinn nachdenklich in die linke Hand gestützt, wendet sie sich dem Verkaufstresen zu und befühlt mit der Rechten ein Wäschestück, das ihr die links hinter dem Tresen stehende Verkäuferin präsentiert. Hinter beiden Frauen stapeln sich weitere Wäschestücke, die die große Bandbreite des Angebots vor Augen führen. War im Plakat Rouchons die Frau noch ganz auf ihre Rolle als Konsumentin beschränkt, so tritt sie bei Thiriet in der Figur der Verkäuferin auch als Erwerbstätige auf – tatsächlich begann man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auch weibliches Verkaufspersonal einzusetzen.7 Im Fokus der Plakate Thiriets und Rouchons steht jedoch die Darstellung kritischer, kompetenter Kundinnen, die sich aktiv mit der angebotenen Ware auseinandersetzen –8 ein deutlicher Gegenentwurf zu damals grassierenden Ängsten, das reiche Angebot der Kaufhäuser könne ein regelrechtes ‚Konsum-Delirium‘ hervorrufen und zu unkontrolliertem Kaufrausch, ja sogar zu Kleptomanie führen.9 Betroffen von dieser neuen Form der Neurose seien vor allem Frauen, so der damalige Glaube, da sie von Natur aus leichter sinnlichen Eindrücken erlägen und somit besonders empfänglich für die verführerisch gestalteten Angebote der Kaufhäuser seien.10 Mit dem Bild der besonnnen, kompetenten Konsumentin sucht die Plakatwerbung derartigen Ängsten entgegenzuwirken.

6 7

Vgl. Schardt 1987, S. 165. Vgl. Wilson 1989, S. 160. Siehe hierzu auch Émile Zolas Roman Das Paradies der Damen, dessen Protagonistin als Verkäuferin im titelgebenden Kauhaus arbeitet: Zola, Émile: Au Bonheur des Dames, Paris 1883. [dt.: Das Paradies der Damen, übersetzt von Hilda Westphal, Berlin 2002.]

8

Vgl. Lavallée, Michèle: „France“. In: Belle époque à l’affiche 1885–1914, Ausst.Kat.

9

Vgl. hierzu Zolas Schilderung kleptomanischen Verhaltens in seinem Roman Das Para-

Musées de Strasbourg, Strasbourg 1981, S. 5–54, hier S. 43–47. dies der Damen: Zola 2002, S. 329f. und S. 540–546. 10 Vgl. Auslander 1996, S. 103; Clayson 1991, S. 63; sowie Jones, Jennifer: „Coquettes and Grisettes. Women Buying and Selling in Ancien Régime Paris“. In: de Grazia/Furlough 1996, S. 25–53, hier S. 35–37.

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3.2 D IE F RAU

IM STÄDTISCHEN UND LÄNDLICHEN

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Selbstsicher und ohne männliche Begleitung bewegen sich nicht nur die von Rouchon und Thiriet gezeigten Frauen, sondern ganz allgemein die meisten ‚Werbedamen‘ der damaligen Zeit in der Öffentlichkeit. Die Plakatkunst offenbart hier den Wandel des weiblichen Rollenbildes im späten 19. Jahrhundert – noch zu Beginn des Jahrhunderts hatte es als unschicklich gegolten, wenn eine Frau sich überhaupt auf der Straße aufhielt.11 Zugleich fördern die Plakate ein neues Ideal, indem sie bevorzugt mit Bildern modisch gekleideter, selbständig agierender Frauen in urbaner Umgebung werben. Abbildung 25: Albert Guillaume Dentifrices du Docteur J.V. Bonn 1893

Abbildung 26: Georges de Feure Paris-Almanach 1894

Zu sehen ist dies beispielsweise bei Albert Guillaumes Plakat für Zahnpasta der Marke J. V. Bonn (Abb. 25): Eine junge Frau in einem pelzverbrämtem Kleid samt passender Pelerine und Hut steht mit dem Rücken zum Betrachter neben einer Litfaßsäule. Dort angeschlagen sind ausschließlich reine Schriftplakate, die die genannte Zahnpasta anpreisen. Anstatt das beworbene Produkt selbst zu thematisieren, zeigt das Plakat so in einer geradezu paradoxen Doppelung nochmals die Werbesituation. Die dargestellte Frau in ihrer ausgesucht eleganten Kleidung dient als

11 Vgl. Wilson 1989, S. 44.

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Blickfang und weist zugleich explizit auf die Werbebotschaft hin: Sie hat sich zum Betrachter umgewandt und deutet mit dem Finger auf die Litfaßsäule. Deutlich wird so die Vermittlerfunktion der ‚Werbedame‘ vor Augen geführt; mit ihrem anziehenden Äußeren und der modischen Aufmachung wertet sie die Werbebotschaft auf und fungiert zugleich als positive Identifikationsfigur für die Rezipientinnen des Plakats. Ein vergleichbar positives Bild der Frau im urbanen Umfeld zeigt auch Georges de Feure in seinem Plakat für den Paris-Almanach (Abb. 26): Den beworbenen Reiseführer in der Hand, erkundet die Dargestellte offenbar auf eigene Faust die Stadt. Deutlich setzt sie de Feure dabei von der grau in grau gehaltenen Menschenmenge im Hintergrund ab. Prominent im Vordergrund platziert und in kräftigen, wenn auch gedeckten Farben gehalten, dominiert die Figur der Touristin die Darstellung. Detailliert ist ihre Kleidung wiedergegeben: Über einem braunen Kleid trägt sie eine pelzverbrämte Pelerine und einen mit Federn und Schleife verzierten Hut. Zwar diskret, aber doch überaus elegant gekleidet, zieht sie nicht nur die Blicke der Betrachter, sondern auch die der im Bild gezeigten Passanten auf sich. Ein Kontakt kommt jedoch nicht zustande, die Dargestellte bleibt von der Menschenmenge isoliert.12 Die ausgesuchte Eleganz der Kleidung ist dabei typisch für de Feure, dessen Werbefiguren meist in der gesellschaftlichen Elite zu verorten sind. Charakteristisch ist auch die betonte Selbständigkeit der Frau, die laut Ian Millman mit deren sozialem Status Hand in Hand geht: Vor allem Frauen aus höheren Kreisen sei es dank ihrer besseren Bildungschancen möglich gewesen, sich von tradierten Rollenbildern zu emanzipieren, so Millman.13 Daneben war es in erster Linie das städtische Umfeld, in dem sich Frauen einen größeren Handlungsspielraum abseits des häuslichen Umfelds und der damit verbundenen Rolle erobern konnten. Dies belegen auch zeitgenössische Quellen: In seiner 1878 erschienen Typologie der Frauen Frankreichs erklärt beispielsweise Emile Zola, das Leben der Frau auf dem Land sei geprägt von harter Arbeit, konzentriert auf die Pflichten des Haushalts und der Kindererziehung, während in der großstädtischen Anonymität die gesellschaftlichen Rollenvorgaben wesentlich weniger rigide seien. Die Städterin sei kultivierter, sie verfüge über Geschäftssinn und unterstütze damit häufig sogar den Ehemann.14

12 Vgl. Abdy 1969, S. 151–156. 13 Vgl. Millman, Ian: Georges de Feure. Maître du symbolisme et de l’art nouveau, Paris 1992, S. 64–66; sowie ders.: „Georges de Feure affichiste“. In: Signes, Nr. 7/Sommer 1992, S. 42–44. 14 Vgl. Zola, Émile: „Types de femmes en France“. In: Le Messager de l’Europe, Nov. 1878; abgedruckt in: Priollaud 1983, S. 22–47.

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Die Gegenüberstellung von fortschrittlicher Stadt- und rückständiger Landbevölkerung findet sich exemplarisch dargestellt in Théophile-Alexandre Steinlens Plakat für Motocycles Comiot (Farbabb. 2, S. 50) von 1899: Der Künstler zeigt eine junge Frau mit ihrem motorbetriebenen Fahrrad bei einem Ausflug aufs Land. Im Hintergrund haben ein Bauer und eine Bäuerin in ihrer Feldarbeit innegehalten und beobachten das Geschehen verwundert. Vorn flieht aufgeschreckt eine Schar Gänse vor dem Rad, was den Eindruck von großer Geschwindigkeit evoziert, während die diagonale Fluchtlinie die Tiefe des Raums erschließt, den die Ausflüglerin in schneller Fahrt bereits hinter sich gelassen hat.15 Diese betonte Dynamik führt vor Augen, wie sehr Fahrradfahren mit Freiheit und Mobilität assoziiert wurde. Ab dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, als die Erfindung von luftgefüllten Reifen und Kettenantrieb das Fahren deutlich komfortabler machte, avancierte es zu einem regelrechten Volkssport.16 Fahrräder versprachen dabei auch Frauen eine deutlich größere Unabhängigkeit, wobei die Plakatkünstler durch weibliche Werbefiguren die Leichtigkeit der Handhabung demonstrieren konnten und zugleich Vorwürfen entgegenzuwirken suchten, wonach die körperliche Betätigung beim Radfahren zum Verlust der Weiblichkeit führte.17 Entsprechend gestaltet auch Steinlen seine Radfahrerin als moderne, adrett und modisch gekleidete junge Frau, zugleich „frei und feminin“18. Kleidung und Fahrrad charakterisieren diese als Stadtbewohnerin – als zur Jahrhundertwende auch die Arbeiterschicht in den Städten zunehmend das Fahrrad nutzte, suchten Angehörige der Bourgeoisie sich abzusetzen, indem sie ihre Fahrradausflüge aufs Land verlegten.19 Steinlens Rad fahrende, dynamische Städterin in leuchtend roter Bluse fungiert als Gegenbild zu dem immobilen Bauernpaar, das sich, in bräunlich-monochromer Zeichnung wiedergegeben, nahezu nahtlos in die Umgebung einfügt. Die summarisch vereinfachten, groben Körperformen der Bauern unterstreichen noch den Eindruck von Urwüchsigkeit, der deutlich mit der modischen Raffinesse und Mobilität der Radfahrerin kontrastiert. Die Städterin verkörpert so Modernität und neue Freiheiten – ein Motiv, das in Jules Alexandre Grüns Plakat für den Fahrradhersteller Withworth (Abb. 27) noch eine Steigerung erfährt: Grün wirbt mit dem Bild einer Frau in überaus extravaganter und freizügiger Aufmachung. Über Knickerbockerhosen – damals für Frauen noch ein höchst kontrovers diskutiertes, da vermeintlich ‚unweibliches‘ Kleidungsstück – trägt sie ein extrem tief dekolletiertes Oberteil, den Mantel hat sie ausgezo-

15 Vgl. Henatsch 1994, S. 159–161; sowie Thon 1968, S. 26f. 16 Vgl. Boulanger 1991, S. 25–27. 17 Vgl. Rennert 1973, S. 3f. 18 Ebd., S. 3. (Herv. i. O.) 19 Vgl. Thon 1968, S. 26f.

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gen und über den Arm gelegt. Bis über den Ellbogen reichende Handschuhe, ein zu einer riesenhaften Schleife gebundenes Halstuch und ein federgeschmückter Hut komplettieren das Ensemble, das zwischen Sportlichkeit, urbaner Eleganz und betonter Erotik changiert. Das beworbene Fahrrad selbst ist nicht zu sehen, vielmehr fragt sich die Dargestellte, welche Marke sie wohl kaufen solle;20 die rechte Hand an die Stirn gelegt, hält sie offenbar Ausschau nach dem nächsten Fahrradgeschäft. Wie für Grün typisch, wird dieser koketten ‚Werbedame‘ ein Repräsentant der gesellschaftlichen Ordnung beigegeben – in scherenschnittartiger Reduktion ist rechts die Figur eines Polizisten zu sehen, dessen Oberkörper jedoch größtenteils mit dem schwarzen Hintergrund verschmilzt, nur Details wie Augen, Haare, Knöpfe und Gürtelschnalle sind weiß hervorgehoben. Weitere Passanten sind dagegen nur an ihren Beinen zu erkennen, die in die helle untere Bildhälfte ragen. Abbildung 27:

Jules Alexandre Grün Withworth 1897

Grüns Darstellung einer „modernen Amazone auf der Suche nach dem Abenteuer“21 weist eine deutlich humoristische Note auf und reizt zugleich in einem sugges-

20 „Quelle machine acheter?“ 21 „moderne amazone à la recherche de l’aventure“ – Boulanger 1991, S. 27.

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tiven Spiel die moralischen Grenzen der damaligen Zeit aus. Aus diesem Grund blieb das Plakat einem rein städtischen Rezipientenkreis vorbehalten. In ländlichen Gegenden der Ile-de-France durfte es nicht plakatiert werden, da man es dort womöglich als anstößig empfunden hätte.22 Hierin wird offenbar, wie stark sich die Rollenbilder und die Moralvorstellungen von Stadt und Land – insbesondere in Bezug auf die Frau – Ende des 19. Jahrhunderts unterschieden.23 Als primär urbanes Phänomen brachte die Plakatkunst konsequent städtische Ideale zum Ausdruck.

3.3 D IE P ARISIENNE M ODERNITÄT

ALS I NNBEGRIFF VON

M ODE

UND

Als eine der wichtigsten Metropolen des 19. Jahrhunderts war Paris aufs Engste verknüpft mit dem Bild der modernen Städterin. Die Parisienne galt den Zeitgenossen als Innbegriff der (französischen) Frau. Julia Daudet etwa sah in ihr die Französin schlechthin verkörpert,24 und Octave Uzanne lobte: „Auf allen Stufen der Gesellschaftsleiter ist die Frau in Paris hundertmal mehr Frau als in jeder anderen Stadt der Welt.“25 Derart zum Ideal stilisiert, avancierte die Parisienne zu einer regelrechten Ikone der Massenmedien; auch in der Kunst des späten 19. Jahrhunderts spielte sie eine gewichtige Rolle.26 Bereits die Impressionisten setzen immer wieder modisch-elegante Großstadtbewohnerinnen ins Bild – Edouard Manets Frühling genannte Studie Jeanne Demarsys (Abb. 28) wurde von der zeitgenössischen Kritik als Verkörperung der modernen Pariserin gefeiert, während Renoir eine Arbeit von 1874 gleich selbst als La Parisienne (Abb. 29) betitelte.27 Der Fokus beider Werke liegt dabei auf der modischen Kleidung der Dargstellten sowie den hierauf abgestimmten Accessoires. Gleiches gilt auch für die Arbeiten James Tissots: Bis 1880 schuf der Künstler eine ganze Serie von Darstellungen der Parisienne; in insgesamt 15 Gemälden zeigte er modebewusste Pariserinnen in unterschiedlichsten Situationen (Abb. 30). Geplant

22 Vgl. Boulanger 1991, S. 25ff. 23 Zum Wandel der Moralvorstellungen in der Stadt vgl. Collet, Isabelle: „La Parisienne“. In: Paris 1900 dans les collections du Petit Palais, Ausst.Kat. Musée d’Ixelles Brüssel, Brüssel/Gand 2002, S. 74–77, hier S. 74; sowie Gallo 2001, S. 106–110. 24 „De la Française, la Parisienne est devenue le type…“ – Daudet, Julia: „La femme française“. In: Journées de Femmes, Alinéas, unveröffentlichter Text von 1898, zitiert nach: Priollaud 1983, S. 229. 25 Uzanne o. J., S. 40. 26 Zur Charakterisierung der Parisienne vgl. etwa Uzanne o. J., S. 40–44. 27 Vgl. Iskin 2007, S. 184–186.

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war zudem eine auf den Gemälden basierende Grafikedition, ergänzt durch Erzählungen bekannter Autoren, die jedoch nicht vollendet wurde.28 Abbildung 28: Edouard Manet Frühling 1881

Abbildung 29: Auguste Renoir La Parisienne 1874

Nichts zeugt jedoch so sehr von der umfassenden Popularität des Typus und seiner Bedeutung für das französische Selbstverständnis wie die Skulptur, die Paul Moreau-Vauthier anlässlich der Weltausstellung des Jahres 1900 schuf (Abb. 31). Seine monumentale, 5 Meter hohe Statue der Parisienne krönte das Haupteingangstor der Ausstellung an der Place de la Concorde. Moreau-Vauthier kombinierte die Darstellung einer Dame im zeitgenössischen Kostüm – eigens entworfen von Jeanne Paquin, der führenden Couturière der Stadt – mit allegorischen Details wie etwa einem Diadem in Schiffsform, das den Wahlspruch der Stadt Paris trug: „fluctuat nec mergitur“ („Sie fließt, doch geht nicht unter“). Die modische Pariserin wurde so zum Sinnbild der Stadt selbst stilisiert und fungierte als deren Repräsentantin gegenüber der Weltöffentlichkeit.29

28 Vgl. Garb 1998, S. 83f.; sowie Marshall, Nancy Rose/Warner, Malcolm: James Tissot. Victorian Life/Modern Love, Ausst.Kat. Yale Center for British Art, New Haven/Musée du Québec/Albright-Knox Art Gallery Buffalo, New York 1999, S. 147–161. 29 Vgl. Collet 2002, S. 74; sowie Iskin 2007, S. 215–222.

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Abbildung 30: James Tissot Der Ball 1878

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Abbildung 31: Paul Moreau-Vauthier La Parisienne 1900

Angesichts einer solchen Überhöhung erscheint es nur folgerichtig, dass sich die Parisienne auch in der Plakatwerbung höchster Beliebtheit erfreute.30 Wie in den bereits besprochenen Plakaten zu sehen, waren auch hier das Selbstbewusstsein und vor allem die ausgesucht modische Erscheinung charakteristisch für diesen Stereotyp. Unabhängig von ihrem eigentlichen Werbezweck repräsentieren die Plakate das verbreitete Idealbild der Pariserin, die als Innbegriff von Eleganz und modischer Raffinesse galt.31 So erklärte etwa Maurice Guillemot, an ihrem stilsicheren Umgang mit Mode und Accessoires werde die Parisienne überall auf der Welt erkannt, mit ihrem Chic übertreffe sie die Frauen aller übrigen Nationen: „Bezüglich ihrer Art, ihre Hutbänder in Falten zu legen, ihr Kleid zu schürzen, ihren Schirm zu halten, ihre Handschuhe zu knöpfen, die Arme unter ihren Faltenumhang zu schnüren, auf hohen Absätzen zu gehen, kann man sich nicht täuschen. […] keine Frau der Welt macht ihr

30 Vgl. Williams 1982, S. 90–94. 31 Vgl. Iskin 2007, S. 184–186.

62 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG das Szepter der Eleganz, des Charmes, des gewissen Etwas streitig, das aus ihr die höchste Verführerin, die ideale Zauberin macht…“

32

Die Idealisierung der modebewussten Pariserin ging Hand in Hand mit der enormen Bedeutung der Bekleidungsindustrie für die französische Wirtschaft – laut Georges d’Avenel beschäftigte um die Jahrhundertwende der Sektor der Damenmode allein in Paris 80.000 Menschen; die großen Modehäuser verzeichneten Jahreseinnahmen zwischen fünf und acht Millionen Francs. Insgesamt würden in Frankreich jährlich 2 Milliarden Francs für Kleidung und Accessoires ausgegeben; angelockt vom herausragenden Ruf der französischen Modebranche, kämen viele ausländische Besucherinnen eigens nach Paris, um sich dort neu einzukleiden.33 Folgerichtig finden sich unzählige Plakate, die für Mode werben: Damenbekleidung war das wichtigste Werbemotiv der neu entstandenen Kaufhäuser, die mittels Konfektionswaren den Pariser Chic auch für weniger Begüterte erschwinglich machten.34 Exemplarisch lässt sich Jules Chérets Plakatserie für das Kaufhaus À la Parisienne nennen, die junge Damen in wechselnder, hochmodischer Kleidung und eleganten Posen präsentierte. Eine Arbeit aus dem Jahr 1878 (Abb. 32) etwa zeigt eine Frau im rotweiß gestreiften Kostüm, bestehend aus einem Rock mit geraffter Schleppe und einer lang über die Hüfte reichenden, auf Taille geschnittenen Jacke mit aufgesetzter roter Tasche. Der dazu passende Hut ist üppig mit Schleifen verziert. Die Figur ist in Rückenansicht wiedergegeben, sodass die Details der Schleppe sichtbar werden, blickt jedoch kokett über ihre Schulter zum Betrachter. Ein mit graziler Geste gehaltener weißer Fächer in ihrer Rechten verstärkt das Moment der Koketterie noch. Entsprechend der damaligen Mode betont das Kostüm der Werbefigur die Körpersilhouette im Bereich der Hüfte und des Oberschenkels in neuartiger Weise, weshalb konservative Zeitgenossen derartige Aufmachungen als allzu

32 „A sa façon de chiffonner les rubans de son chapeau, de retrousser sa robe, de tenir son ombrelle, de boutonner ses gants, de serrer ses bras sous sa pèlerine à plis, de trottiner su ses hauts talons, on ne peut s’y tromper. […] nulle femme au monde ne lui dispute le sceptre de l’élégance, du charme, du je ne sais quoi qui en fait la suprème séductrice, l’idéale enchanteresse…“ – Guillemot, Maurice: „La ,petite femme‘ de Boutet“. In: La Plume, Nr. 146/15.5.1895, S. 206–208., hier S. 206. 33 Vgl. d’Avenel, Georges: Le mécanisme de la vie moderne, Quatrième Série: L’habillement féminin. La publicité. Le théâtre (décors, acteures, public et directeurs). Le prêt populaire, 2. Aufl., Paris 1907, S. 71–84. 34 Vgl. d’Avenel 1907, S. 88–103; sowie Perrot, Philippe: Fashioning the Burgeoisie. A History of Clothing in the Nineteenth Century, Princeton 1994, S. 71f.

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aufreizend kritisierten.35 Die hier ins Bild gesetzte Verbindung von modischer Kleidung und weiblicher Koketterie offenbart so, wie sehr Mode im Verständnis der damaligen Zeit mit weiblicher Attraktivität verknüpft war, ja für diese sogar als konstitutiv angesehen wurde. 36 Abbildung 32:

Jules Chéret À la Parisienne 1878

Eine eher distanzierte Eleganz verleiht dagegen Maurice Réalier-Dumas seiner ‚Werbedame‘ im Plakat für Paris-Mode (Abb. 33), eine der zahlreichen, in der zweiten Jahrhunderthälfte neu aufkommenden Modezeitschriften, die das Modebewusstsein der Frau noch forcieren sollten.37 Auch Réalier-Dumas’ Figur wendet

35 Zur Mode der Zeit vgl. Clayson 1991, S. 89f.; sowie Marshall/Warner 1999, S. 156, Nr. 68. 36 Vgl. Clayson 1991, S. 58f. 37 Es ist zu erwähnen, dass Réalier-Dumas’ Plakat mit veränderter Beschriftung, aber identischer Figur neben Paris-Mode auch die Wiener Mode bewarb (ein entsprechendes Exemplar findet sich im Bestand der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Inv.-Nr. 732.) – die Parisienne konnte augenscheinlich problemlos zur Österreicherin umdeklariert werden.

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dem Betrachter den Rücken zu, blickt sich jedoch nicht nach ihm um, sondern scheint mit einem Lorgnon den Werbeschriftzug des Plakats zu fixieren. Sie trägt ein schlicht geschnittenes Abendkleid in zartem Gelb, das mit einer schwarzen Schärpe gegürtet ist, sowie lange graue Handschuhe. Ihre schlichte Hochsteckfrisur und der vergleichsweise knapp gehaltene Rückenausschnitt des Kleides betonen die schlanke Nackenpartie. Auf einem ebenfalls höchst geschmackvollen Beistelltisch ruhen einige Grafiken mit Frauen- und Pflanzendarstellungen, typischen Motiven des Art Nouveau – höchstwahrscheinlich handelt es sich um einige Seiten der beworbenen Zeitschrift. Réalier-Dumas Figur ist dabei im Gegensatz zu Chérets Werbedamen für À la Parisienne nicht nur ein Mannequin, das die neueste Mode vorführt und damit kokettiert; der Blick durchs Lorgnon charakterisiert sie vielmehr als aufmerksame Beobachterin, die durch die (nur angedeutete) Lektüre der Zeitschrift selbst modischen Sachverstand und Sinn für Eleganz ausbildet. Hierin erscheint sie den kritischen Konsumentinnen der Plakate Rouchons und Thiriets verwandt. Mit ausgesprochen positiven Assoziationen belegte nicht nur die Modebranche den Stereotyp der Parisienne. In der Plakatkunst verschiedenster Sparten war sie quasi omnipräsent, warb für unterschiedlichste Produkte – von Parfum über Hustenpastillen bis hin zu Zeitungen –, ohne dass ein direkter inhaltlicher Bezug gegeben sein musste. Mit der Ausweitung des weiblichen Aktionsradius über den Haushalt hinaus in die urbane Öffentlichkeit wurde in der Plakatkunst zudem eine neue Bandbreite möglicher Freizeitbeschäftigungen vor Augen geführt: Frauen trieben Sport, unternahmen selbständig Ausflüge und Reisen. Die moderne Städterin fuhr nicht nur Rad, sondern setzte sich sogar selbst ans Steuer eines Automobils, wie ein Plakat Jules Chérets für den Kraftstoff Benzo Moteur (Abb. 34) belegt – Autofahren wurde damals ganz allgemein als Sport eingestuft. Ein Plakat Mistis für die Eisenbahnlinie Vicinaux (Abb. 35) zeigt zwei sportlich-elegant gekleidete Damen bei der Rast während einer Gebirgswanderung, während P.-H. Lobel für eine Ausstellung des Salon des Cent (Abb. 36) mit dem Bild einer Tennisspielerin wirbt. Ihr langes Kleid scheint für den Sport völlig ungeeignet, doch wurde Tennis, das sich seit den Abbildung 33: Maurice Réalier-Dumas Paris-Mode 1893

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1870er Jahren auch bei Frauen großer Beliebtheit erfreute, zunächst tatsächlich in langem Rock, Tournüre und Korsett gespielt.38 Abbildung 34: Jules Chéret Benzo Moteur 1900

Abbildung 35: Misti (Ferdinand Mifliez) Chemins de Fer Vicinaux um 1898

Die Figur der Parisienne fungiert in diesen Plakaten geradezu als Verkörperung der Modernität, die auch mit dem jeweils beworbenen Produkt assoziiert werden soll. Sie erscheint Innovationen gegenüber aufgeschlossen – Chéret beispielsweise zeigt sie nicht nur beim Autofahren, sondern auch bei der Benutzung des Théâtrophone (Abb. 37), eines neuartigen Apparats, der Audioübertragungen von Theateraufführungen möglich machte –, und neben ihrer Kleidung entsprechen auch die ausgeübten Freizeitbeschäftigungen der neuesten Mode. Zu einer regelrechten Trendsportart avancierte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Eislaufen. Für den Palais de Glace, das exklusivste Eislaufstadion der französischen Hauptstadt, entwarf Jules Chéret eine ganze Serie von Plakaten, die dasselbe Motiv variieren (Farbabb. 3, S. 50):39 Eine höchst modisch gekleidete Parisienne demonstriert mit schwungvoller Eleganz ihre Eislaufkünste. Haltung und Kostüm der Eisläuferin zeigen dabei immer neue Varianten, gemeinsam ist je-

38 Vgl. Wilson 1989, S. 172. 39 Vgl. Boulanger 1991, S. 17f., Hagner 1958, S. 135f.; sowie Thon 1968, S. 11.

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doch allen Plakaten die leuchtende Farbigkeit der Kostüme – überwiegend Rot oder Gelb – sowie deren ausgesuchter Chic, der durch passende Accessoires wie federgeschmückte Hüte, farblich abgesetzte Handschuhe und pelzbesetzte Pelerinen noch vermehrt wird. Weit ausschwingende Mantel- und Rocksäume und Schals betonen die wirbelnde Dynamik der Bewegung. Abbildung 36: P.-H. Lobel Salon des Cent 1897

Abbildung 37: Jules Chéret Théâtrophone 1890

In einer Arbeit aus dem Jahr 1900 (Abb. 38) rückt Chéret das Kostüm seiner Protagonistin stärker in den Bereich des Irrealen, statt Mantel oder Cape trägt die Dargestellte nun ein tief dekolletiertes Abendkleid mit passenden, bis über den Ellbogen reichenden Handschuhen; ihre Brust ziert eine Blumengirlande. Die Umgebung des Eislaufstadions wird von Chéret nicht ausgearbeitet, im Hintergrund deutet er lediglich die Silhouetten einiger weiterer Eisläufer an, deren monochromer Blaugrau-Ton mit der farbenfrohen Kleidung der Frau im Vordergrund kontrastiert. In den Versionen von 1896 und 1900 wird dabei die ‚Werbedame‘ direkt von einem Herrn in dunklem Anzug und Zylinder hinterfangen, dessen gegenläufige Bewegung den Schwung der Frau zusätzlich betont.40 Der Kontrast von männlicher und weiblicher Figur akzentuiert dabei auch die gravierenden Un-

40 Vgl. Thon 1968, S. 11.

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terschiede in der Herren- und Damenmode der damaligen Zeit, die Georges d’Avenel wie folgt schilderte: „…in der heutigen Ehe erscheint die Gattin, mit

Blumen, Bändern und Sternen geschmückt, triumphierend, […] an der Seite eines gefassten, düsteren, erloschenen und faden Mannes.“41 Abbildung 38:

Jules Chéret Palais de Glace 1900

Eislaufen galt als ein Sport, der die weibliche Anmut besonders gut zur Geltung brachte, hier konnte die Frau ihre natürliche Grazie und Koketterie zur Schau stellen – zumal die Eisbahnen ein beliebter gesellschaftlicher Treffpunkt waren und daher auch als Kontaktbörse fungierten.42 Sehen und Gesehen Werden dürfte die Hauptmotivation der Eisläufer(innen) gewesen sein, wie Chéret durch die modische Aufmachung und betonte Eleganz seiner Werbefiguren andeutet.

41 „…dans le ménage actuel, l’épouse fleurie, enrubannée, constellée, triomphante, […] apparaît à côté du mari résigné, sombre, éteint et plat.“ – d’Avenel 1907, S. 61. Vgl. hierzu auch Garb 1998, S. 81f. 42 Vgl. Boulanger 1991, S. 17f.

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Im Vordergrund steht damit nicht der eigentliche Sport, sondern vielmehr der vermeintlich naturgegebene Hang der Frau, mit ihrem Äußeren zu kokettieren – ein Motiv, das sich durch die Plakatkunst insgesamt zieht. So fällt bei sämtlichen bisher besprochenen Beispielen auf, dass die Darstellung körperlicher Anstrengung konsequent vermieden wird. Während konservative Stimmen die Sportlerinnen angesichts ihres Ausbruchs aus tradierten Rollenbildern vor dem Verlust der Weiblichkeit warnten,43 betonten Werbeplakate die modisch-elegante Seite des Frauensports. Implizit negieren sie damit jedoch zugleich dessen Ernsthaftigkeit. Entsprechend polemisierte Octave Uzanne, den Sportlerinnen sei weniger an ihrer physischen Ertüchtigung als an der modischen Pose gelegen: „Jeder Sport wird für die zeitgenössische Pariserin eher zum annehmbaren Vorwande für das Kostüm, als daß er ihr ein innerer Beruf ist. Man verbiete das Reitkleid, und lebewohl [sic] Pferd! Man nehme der Autofahrerin, der demnächst kommenden Flugzeugführerin, der Radfahrerin, der Jägerin, der Fechterin ihre besondere Kleidung, und der Frauensport hat ein Ende.“

44

So scheint die Plakatkunst in der Figur der Parisienne einen neuen, unabhängigeren Frauentypus zu propagieren, doch zeigt eine genauere Untersuchung, dass die Frau auch hier letzten Endes wieder auf ein stereotypes Bild von Weiblichkeit zurückgeworfen wird. Im Fokus steht vor allem ihre äußere Erscheinung, bestimmt von Garderobe und Toilette – im Verständnis vieler Zeitgenossen konstitutive Elemente des weiblichen Wesens. Frauen und Kleider bildeten aus damaliger Sicht „eine unteilbare Einheit“45, wie Charles Baudelaire schrieb; die Toilette galt als „Synthese des allgemeinen Wesens der eleganten Frau.“46 Diese erschien bereits durch ihre natürliche Veranlagung zur Beschäftigung mit Äußerlichkeiten prädestiniert: Nicht nur war ihre Existenz darauf ausgerichtet, dem

43 Zeitgenössische Feministinnen propagierten dagegen den Frauensport in der Hoffnung, mittels körperlicher Ertüchtigung auch typisch ‚weibliche‘ Charakterschwächen wie Schüchternheit kurieren zu können. Vgl. zu dieser Kontroverse Menon, Elizabeth K.: „Images of Pleasure and Vice. Women of the Fringe“. In: Weisberg 2001, S. 37–71, hier S. 55–58. 44 Uzanne o. J., S. 298. 45 Dt. Übersetzung von Max Bruns, zitiert nach: Baudelaire, Charles: „Der Maler des modernen Lebens“. In: ders.: Der Künstler und das moderne Leben. Essays, „Salons“, Intime Tagebücher, hg. von Henry Schumann, 2. Aufl., Leipzig 1994, S. 290–320, hier S. 312 [franz. Original: „Le peintre de la vie moderne“. In: Le Figaro, 26.11., 29.11. und 3.12.1863]. Vgl. hierzu auch Clayson 1991, S. 165, Anm. 12. 46 Uzanne o. J., S. 311.

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Mann zu gefallen, auch glaubte man, dass das Wahrnehmungsvermögen wie auch die spezifische psychologische Disposition der Frau sie für die sinnlichen Reize von Stoffen, Kleidung und Schmuck besonders empfänglich machten.47 Somit wird verständlich, weshalb man gerade die primär durch ihre modische Erscheinung charakterisierte Parisienne zum Innbegriff von Weiblichkeit stilisierte. Zugleich repräsentierte die Pariserin die international führende Rolle Frankreichs in der Modebranche und die Überlegenheit des französischen Geschmacks. Diesen Mythos nutzte die Plakatwerbung, um Konsum und Modebewusstsein als konstitutiv für das nationale Selbstverständnis erscheinen zu lassen.48 Während ihr die politische Partizipation verwehrt blieb, sollte die Frau so in ihrer Rolle als Konsumentin zum Wohl des Staates (und natürlich auch der Wirtschaft) beitragen. Realiter dürfte der Besuch von Kaufhäusern jedoch wohl eher der Kompensation von restriktiven Rollenzwängen gedient haben, wie selbst Zeitgenossen mitunter zugaben: „Ach, welche Zuflucht sind doch diese Magazine heute für unsere vereinsamten gelangweilten Bürgersfrauen! Sie sind für sie die Vorwände, Ausreden und Ziele in ihren etwas aus dem Gleichgewicht geratenen und leeren Dasein. […] So geben sie oft grundlos, ohne Bedarf, aus Laune, aus einem unerklärlichen Einfall Geld aus, denn sie haben einen Drang nach Betätigung und ein Zerstreuungsbedürfnis, weil die Pariser Häuslichkeit, in der sie leben, ihre Regsamkeit und ihr Verlangen nach Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit nicht immer befriedigt.“

3.4 D IE P ARISIENNE

IM

49

G ENUSSMITTELPLAKAT

Da im 19. Jahrhundert die Frau im Gegensatz zum rational agierenden Mann als primär sinnenbetontes Wesen galt, eignete sie sich hervorragend dazu, in Plakaten für Genussmittel zu werben. Auch hier war es wieder vor allem der Stereotyp der Parisienne, der den sinnlichen Genuss von Süßwaren, Alkoholika und Ähnlichem vor Augen führte. So zeigt etwa Leonetto Capiello in seinem Plakat für Amandines de Provence (Abb. 39) eine mondäne ‚Werbedame‘, die mit sichtlichem Entzücken in einen der beworbenen Kekse beißt. Obschon die Arbeit gekennzeichnet wird durch die für Capiello typische plakative Vereinfachung der Form, besticht die Dargestellte durch ihre betont modische Erscheinung. Zu einem schulterfreien, tief dekolletierten Abendkleid in leuchtendem Gelb trägt sie einen farblich passenden großen Hut mit üppigem rotem Blumenschmuck. Im Gegensatz zu dieser auffälligen Figur ist das beworbene Produkt recht unscheinbar wiedergegeben – auf dem

47 Vgl. Jones 1996, S. 35–37. 48 Vgl. Iskin 2007, S. 223. 49 Uzanne o. J., S. 308f.

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Tisch steht eine geöffnete Schachtel voll kleiner blasser Kekse, einige weitere liegen auf einem Teller, daneben ist eine Flasche Champagner samt Glas zu sehen. Somit ist es weniger die Darstellung der Kekse selbst, die Genuss verspricht, als die Figur der ‚Werbedame‘ mit ihrem zurückgelegten Kopf, den genießerisch geschlossenen Augen und dem breiten Lächeln. Abbildung 39: Leonetto Capiello Amandines de Provence 1900

Abbildung 40: Tamagno La Framboisette um 1905

Völlig versunken in den Genuss ist die Frauenfigur, mit der Tamagno für La Framboisette (Abb. 40) wirbt. Der Künstler zeigt eine geschmackvoll gekleidete Dame auf Reisen, die während eines Zugaufenthalts in das Bahnhofslokal eingekehrt ist und hier ein Glas des beworbenen Fruchtsafts zu sich nimmt. Vor ihr auf dem Tisch steht, en detail wiedergegeben, die entkorkte Flasche; neben ihrem Ellbogen ruht eine kleine Reisetasche sowie der Fahrplan. Die Mimik der Figur, wie auch die grazile Geste, mit der sie das Glas zum Mund führt, sind nahezu identisch mit Capiellos Darstellung. Darüber hinaus gibt Tamagno auch die Kontextsituation detailliert wieder: Über den Genuss scheint seine ‚Werbedame‘ die Weiterfahrt vergessen zu haben – vor dem Fenster des Lokals mahnt der Schaffner mit einer Glocke zur Eile, im Hintergrund ist der Zug mit den übrigen (männlichen) Passagieren zu sehen. In der Gegenüberstellung der Hintergrundfiguren und der eleganten Frau im Vordergrund, die alle Blicke auf sich zieht, scheint die Darstellung de Feures Plakat für

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den Paris-Almanach (Abb. 26, S. 55) verwandt. Beide ‚Werbedamen‘ wirken selbstsicher und unabhängig, reisen ohne Begleitung. Tamagnos humoristische Szene entkräftet dieses emanzipatorische Moment jedoch wieder, indem die Frau als sinnlich-verführbares Wesen vor Augen geführt wird, das seiner neu erworbenen Selbständigkeit offenbar nicht ganz gewachsen ist. Abbildung 41: Georges Meunier Otard Dupuy & Co. um 1896

Abbildung 42: Georges Meunier Lox 1895

Die Verführbarkeit der Frau ist auch Thema zweier Plakate Georges Meuniers: Sowohl für den Cognac-Hersteller Otard Dupuy & Co. (Abb. 41) als auch für den Aperitif der Marke Lox (Abb. 42) wirbt der Künstler mit humoristischen Darstellungen trinkender Frauen. Das Lox-Plakat zeigt die moderne Parisienne par excellence. In hochmodischer Sportkleidung – einem Paar Knickerbockerhosen und einer Bluse mit riesenhaften roten Puffärmeln – ist sie zu einem Fahrradausflug aufgebrochen. Während im Hintergrund weitere Radfahrer die Szene passieren, pausiert vorn die ‚Werbedame‘ mit ihrem nicht minder modisch gekleideten Begleiter. Den Ellbogen auf sein Rad gestützt, beobachtet dieser amüsiert, wie die Frau dem beworbenen Getränk ganz offensichtlich über Gebühr zuspricht: Mit genießerisch geschlossenen Augen führt sie das Glas zum Mund und lehnt sich dabei soweit zurück, dass ihr Stuhl jeden Moment hintenüber zu kippen droht.

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Das Plakat für Otard Dupuy & Co. zeigt ein gehobenes Milieu; statt zwei Radsportlern unter freiem Himmel ist hier ein elegantes Paar zu sehen, sie im üppig verzierten Abendkleid mit übergroßen gelben Puffärmeln, er im schwarzen Frack. Der Herr rührt in einer Tasse Kaffe, sein Blick ruht auf der Dame, die mit graziler Geste ein winziges Cognac-Glas zum Mund hebt. Auch sie hält dabei die Augen geschlossen, hat den Kopf zurückgelegt und scheint ganz in den Genuss ihres Getränks vertieft. Obschon die Szene subtiler gestaltet ist als im Plakat für Lox, tritt auch hier deutlich die Gegenüberstellung des besonnenen männlichen Beobachters und der sinnenfrohen Frau, die der Versuchung des Alkohols erliegt, zutage.50 Mit der Situierung desselben Sujets in verschiedenen sozialen Milieus deutet Meunier an, dass der vorgeführte Kontrast von männlichem und weiblichem Verhalten unabhängig von der jeweiligen Klassenzugehörigkeit, weil bereits in der Natur der Geschlechter angelegt, ist. Abbildung 43: Jules Chéret Quinquina Dubonnet 1895

Abbildung 44: Jules Chéret Vin Mariani 1894

Mit der Darstellung selbstvergessenen Genusses von Frauen verknüpft ist die Assoziation des weiblichen Wesens mit unbeschwertem Vergnügen. Wie Ann Ilan-Alter aufzeigt, wurden Frauen diesbezüglich in Frankreich größere Freiheiten als im an-

50 Vgl. Rennert 1990, o. S., Nr. 25 und 26.

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gelsächsischen oder deutschen Kulturraum zugebilligt:51 Generell galt den Franzosen nicht die Kindheit, sondern das Erwachsenenalter als Zeit der Vergnügungen. Kinder sollten durch Erziehung an ihre gesellschaftlichen Pflichten herangeführt werden und lernen, sich diszipliniert in die Gemeinschaft einzufügen; erst als Erwachsene sollten sie von den Früchten des hierbei Erlernten zehren. Entsprechend idealisierte die französische Kultur weniger die jugendliche Unschuld als vielmehr die mondäne Dame, die sich gewandt auf dem gesellschaftlichen Parkett zu bewegen wusste.52 Während der Mann sich im Konkurrenzkampf der Arbeitswelt behaupten musste, billigte das Rollenideal des 19. Jahrhunderts der Frau ein großes Maß an Müßiggang zu, wobei insbesondere die Metropole Paris eine enorme Bandbreite an möglichem Zeitvertreib bot. Es erscheint daher nur folgerichtig, dass gerade die Parisienne nicht nur zum Sinnbild der Modernität, sondern auch des ausgelassenen Vergnügens stilisiert wurde. Der französische Terminus hierfür, jouissance, birgt auch eine sexuelle Konnotation, die in der offenherzigen, keck-koketten Erscheinung zahlreicher ‚Werbedamen‘ zum Tragen kommt. So zeigt etwa Jules Chéret in einem Plakat für den Magenbitter Quinquina Dubonnet (Abb. 43) eine Parisienne im tief dekolletierten, grünweiß gestreiften Kleid. Ihr hochgeschobener Rock lässt die schlanken Waden sehen, die noch betont werden durch schwarze Strümpfe – in der damaligen Wahrnehmung ein durchaus pikantes Detail: Ursprünglich ein Attribut der Prostituierten, entwickelten sich schwarze Strümpfe in der zweiten Jahrhunderthälfte zum modischen Accessoire der modernen Pariserin allgemein, ohne dabei jedoch ihre provokative erotische Note ganz zu verlieren.53. Eine weiße Katze schmiegt sich an die ‚Werbedame‘. Der Legende nach handelt es sich um das Haustier der Firmeninhaberin,54 das als eine Art Maskottchen immer wieder in Dubonnet-Plakaten erscheint. Da Katzen traditionell mit (freizügiger) weiblicher Sexualität assoziiert wurden,55 dient das Tier jedoch auch der Charakterisierung der dargestellten Frau. Obschon in einer räumlich nicht näher definierten Situation sitzend dargestellt, erscheint die ‚Werbedame‘ dynamisch-bewegt. Weit hat sie die Arme ausgebreitet und den Kopf lachend zurückgeworfen, die Beine lässt sie frei schwingen. Mit ihrer extrem schlanken Taille, den

51 Vgl. Ilan-Alter 1981, S. 3–5. 52 Vgl. ebd., S. 69 und 175–177; sowie Ilan-Alter 1988, S. 58–63. 53 Vgl. Perucchi-Petri, Ursula: Die Nabis und das moderne Paris. Bonnard, Vuillard, Vallotton und Toulouse-Lautrec, Ausst.Kat. Villa Flora Winterthur, Wabern/Bern 2001, S. 90. 54 Vgl. Rennert 1990, o. S., Nr. 4 und 5. 55 Vgl. Hofmann, Karl-Ludwig: „Grafik im 19. Jahrhundert“. In: Kat. Karlsruhe 2007b, S. 44f.; sowie Rödiger-Diruf 2007, S. 15f.

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riesigen Puffärmeln und dem übergroßen, federgeschmückten Hut wirkt die Figur überzeichnet, was den Eindruck überspannter Fröhlichkeit noch unterstützt. In ihrer alle Blicke auf sich ziehenden Extrovertiertheit dürfte diese Frau im 19. Jahrhundert die Grenzen der Dezenz klar überschritten haben. Dennoch (oder möglicherweise gerade deswegen) erfreuten sich die Frauenfiguren Chérets bei seinen Zeitgenossen großer Beliebtheit. Noch gesteigert findet sich die Ausgelassenheit der ‚Werbedame‘ in Chérets Plakat für Vin Mariani (Abb. 44), einen der damals überaus beliebten Tonic Wines.56 Die Figur wird mitten in einem weit ausgreifenden Sprung gezeigt, mit dem sie dem Betrachter entgegensetzt; gleichzeitig schenkt sie sich mit ausholender Geste ein Glas des beworbenen Tonikums ein. Ihr im Sprung auffliegender Rock gibt die nackten Beine frei, zudem lässt Chéret die Konturlinie der Oberschenkel unter dem Stoff durchscheinen – ein überaus freizügiges Motiv in einer Zeit, in der die Damenmode üblicherweise das Bein bis hinunter zum Knöchel völlig verdeckte.57 Den Eindruck von Lebhaftigkeit unterstreichen kräftige Farben: Kleid und Hut der Dargestellten sind in leuchtendem Gelb gehalten und mit rosafarbenen Rosen verziert, ihr Haar ist – wie häufig bei Chéret – orangerot. Der Produktname ist in einem prominenten roten Schriftzug wiedergegeben, der sich aus der Tiefe des Bildraums zum Betrachter hin zu schwingen scheint und damit die vorwärts strebende Bewegung der ‚Werbedame‘ aufgreift. Die räumliche Situation selbst bleibt unbestimmt; aus dem blau verschatteten Hintergrund hebt sich lediglich die Büste einer weiteren Frauenfigur ab, die ebenfalls ein Glas hält. Buchstäblich ohne festen Boden unter den Füßen, vermittelt die Werbefigur Chérets den Eindruck schwebender Leichtigkeit und energiegeladener Agilität – das Plakat deutet damit die stärkende Wirkung des Vin Mariani an und verbindet diese assoziativ mit der Vorstellung ausschweifenden Vergnügens. Äußerst lebhaft gibt sich auch die elegant gekleidete Parisienne in Capiellos Plakat für Champagner der Marke Damery-Epernay (Abb. 45): Der Künstler zeigt sie lachend, mit nach hinten gewandtem Kopf in schwungvoller Drehung, noch unterstrichen durch die flatternde schwarze Schleife, die ihr leuchtend rotes Kleid ziert, sowie die auf und ab ‚hüpfenden‘ Buchstaben des Werbeschriftzugs. Mit großer Geste schenkt sie sich ein Glas des beworbenen Champagners ein, dessen Überschäumen in ihrem eigenen Temperament gespiegelt erscheint. Ähnlich den Figuren Chérets wirkt auch Capiellos ‚Werbedame‘ überzeichnet mit ihrem großen, überreich mit flammend roten Federn geschmückten Hut, der extrem schlanken Taille und den hiermit kontrastierenden betonten Rundungen von Gesäß und Büste.

56 Vgl. Rennert 1990, o. S., Nr. 3. 57 Vgl. Perrot 1994, S. 11.

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Abbildung 45: Leonetto Capiello Chamapgne Damery-Epernay 1902

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Abbildung 46: Pierre Bonnard France-Champagne 1891

Ebenfalls am Vorbild Chérets orientiert ist Pierre Bonnards Plakat für FranceChampagne (Abb. 46): Auch seine Figur kennzeichnet eine heitere Ausgelassenheit, sie hat den Kopf zur Seite geneigt und lächelt den Betrachter an. Das tiefe, betonte Dekolletee und der leicht verrutschte Träger ihres Kleids lassen die Frau sehr offenherzig wirken. In ihrer Linken hält sie einen Fächer als typisches mondänes Accessoire der Zeit, in der Rechten ein Champagnerglas, aus dem sich das beworbene Getränk in schäumenden Kaskaden über die untere Bildhälfte ergießt. Der rechte Arm erscheint dabei unnatürlich verlängert, wodurch demonstrativ auf das beworbene Getränk hingewiesen wird – ein Detail, das von Bonnards intensiver Auseinandersetzung mit der ostasiatischen Kunst zeugt; vergleichbare Körperdeformationen finden sich beispielsweise in japanischen Farbholzschnitten. An asiatische Vorbilder erinnert zudem der arabeskenhafte Schwung der Konturlinie, die in ihrem An- und Abschwellen trotz einer insgesamt flächigen Bildanlage den Eindruck von Körpervolumen erzeugt.58 Auch die Dynamik der Darstellung resultiert weniger aus einer tatsächlichen Bewegung des Körpers als aus der schwungvollen

58 Vgl. Perucchi-Petri, Ursula: „Das Figurenbild in Bonnards Nabis-Zeit“. In: Bonnard, Ausst.Kat. Kunsthaus Zürich/Städtische Galerie im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt a. M., Zürich 1985, S. 33–42, hier S. 33; sowie dies. 2001, S. 15f.

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Linienführung, wie an den flatternden Trägern des Kleids und den locker hochgesteckten Locken der Dargestellten zu sehen ist. Selbst der Produktname ist in bewegtem Auf und Ab wiedergegeben. Das Plakat vermittelt so den Eindruck buchstäblich überschäumender Fröhlichkeit; zwischen dem angepriesenen Champagner und der hierfür werbenden Figur besteht eine „Wechselwirkung ‚prickelnder‘ Reize“59. Wie bei Capiello und Chéret wird auch hier assoziativ der erotische Reiz der Dargestellten auf das Produkt übertragen – eine Werbestrategie, der sich bereits damals zahlreiche Plakate bedienten.

3.5 E XKURS : K URTISANE UND P ARISIENNE – DIE V ERMISCHUNG ZWEIER S TEREOTYPE Die Plakatkunst des 19. Jahrhunderts stilisiert die ‚Werbedamen‘ zum eigentlichen Objekt des Verlangens; die Darstellung des Produkts tritt demgegenüber meist in den Hintergrund.60 Im Zuge einer solchen erotischen Aufladung überschreitet der Stereotyp der Parisienne speziell in der Werbung die damaligen Anstandsgrenzen und nähert sich der Kurtisane an – ein Typus, dem die zeitgenössische Kunst und Literatur ebenfalls großes Interesse entgegenbrachten. So reichte beispielsweise der Maler Ernest-Ange Duez 1874 zwei Gemälde zum Salon ein, die unter den Titeln Pracht (Abb. 47) und Elend eine luxuriös ausstaffierte junge Kurtisane und eine ältere, verarmte Prostituierte auf der Straße zeigten. Das erstgenannte Bild zeigt eine Kurtisane in typischer Ausstaffierung: Die modische Kleidung der jungen Frau wirkt durch die reiche Verwendung von Goldbrokat und Pelzbesatz ausgesprochen luxuriös. Effektvoll setzt der Künstler zudem den glitzernden Goldschmuck der Frau in Szene. Ihr Gesicht ist mit einer dicken Schicht weißen Puders bedeckt, die Schminke kann jedoch das leicht geschwollene Gesicht und die Augenringe der Dargestellten – wohl Anzeichen durchzechter Nächte – nicht kaschieren, auch sticht das stark gerötete Ohr deutlich ab. Das offenbar gefärbte Haar weist einen unnatürlich stechenden Gelbton auf. Die Figur der Kurtisane wird so primär über die Künstlichkeit ihrer Erscheinung definiert. Das Pendant hierzu ist nicht erhalten, doch wurde die Gegenüberstellung beider Arbeiten von der zeitgenössischen Kritik einhellig als zeitliche Abfolge interpretiert. Duez’ Bilderpaar fungierte damit als moralische Warnung vor den Versuchungen des Luxus’, den die Kurtisanen osten-

59 Perucchi-Petri 2001, S. 16. 60 Vgl. Solomon-Godeau, Abigail: „The Other Side of Venus: The Visual Economy of Feminine Display“. In: de Grazia/Furlough 1996, S. 113–150, hier S. 113.

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Abbildung 47: Ernest-Ange Duez Pracht 1874

tativ zur Schau stellten, und dem tiefen gesellschaftlichen Fall, der ihnen drohte, sobald sie ihre Attraktivität einbüßten.61 Eine der bekanntesten literarischen Schilderungen von Aufstieg und Fall einer Kurtisane schuf Emile Zola in seinem Roman Nana,62 der 1880 zunächst als Fortsetzungsreihe in einer Zeitung erschien: Selbst aus der Unterschicht stammend, dringt Nana bis in die obersten Ränge der Pariser Gesellschaft vor, bevor ihr ausschweifender, verschwenderischer Lebenswandel ihr zum Verhängnis wird. Bereits 1877 hatte Eduard Manet ein ebenfalls Nana betiteltes Gemälde (Abb. 48) zum Pariser Salon eingereicht, das die Jury jedoch ablehnte. Der Künstler nahm höchstwahrscheinlich Bezug auf Zolas Figur, die bereits im Vorgängerroman Der Totschläger von 1876/77 aufgetreten war. Manet zeigt die junge Kurtisane in Unterwäsche, Korsett und hochhakigen Schuhen in ihrem Boudoir. Nana ist gerade dabei, sich vor dem Spiegel zurechtzumachen, in der Hand hält sie eine Puderquaste. Rechts im Hintergrund hat sich ein Herr in Frack und Zylinder auf dem Sofa niedergelassen, wartend blickt er ins Leere. Die Aufmerksamkeit der Kurtisane gilt jedoch nicht ihrem Verehrer, der, vom Bildrand angeschnitten, buchstäblich als Nebenfigur präsentiert wird. Nana hat in ihrer Toilette innegehalten, um sich dem Bildbetrachter zuzuwenden, blickt ihn offen und mit einer gewissen Koketterie an. Deutlich betont Manet ihre füllige Körperform und das weiche Fleisch der Arme, in das Nanas Armreif einschneidet. Die so evozierte körperbetonte Sinnlichkeit der Kurtisane kontrastiert mit der steifen Garderobe des Mannes. Nanas Kokettieren mit dem Betrachter führt nicht nur vor Augen, dass sie sich von ihrem Verehrer nicht gänzlich vereinnahmen lässt. Vielmehr scheint sie grundsätzlich bemüht, alle Blicke auf sich zu ziehen; Toilette und Koketterie sind hierzu

61 Vgl. Clayson 1991, S. 65f. 62 Zola, Émile: Nana, Paris 1880 [dt.: Nana, übersetzt von Walter Widmer, 3. Aufl., Düsseldorf/Zürich 1996].

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wichtige Hilfsmittel. Sowohl in Manets als auch in Duez’ Darstellung inszeniert und definiert sich die Kurtisane so selbst mittels einer sinnlichen und/oder luxuriösen Erscheinung als Objekt bewundernder Betrachtung.63 Abbildung 48: Eduard Manet Nana 1877

Abbildung 49: Tricoche Paris Régénéree 1875/76

Neben der Zurschaustellung der eigenen Person war es der Luxus, der das Bild der Kurtisane im 19. Jahrhundert bestimmte. Die Edelprostituierte, deren kostspieliger Lebenswandel ihre vermögenden Liebhaber oft an den Rand des Ruins brachte, vereinte in sich das Bild der selbst hemmungslos Konsumierenden mit dem der Frau als Objekt der Begierde:64 „Diese Frauen repräsentierten die moderne Luxusware, den Inbegriff von Verlangen, verpackt und zur Schau gestellt zwecks einer größtmöglichen Wirkung nicht nur auf den potentiellen Konsumenten, sondern auch auf all dessen Neider.“65

63 Zu Zolas Nana sowie Manets gleichnamigem Bild vgl. Clayson 1991, S. 67–75. 64 Vgl. Mey 1984, S. 194; Perrot 1994, S. 168–174; sowie Schmaußer 1991, S. 41–43. 65 „These women represented the deluxe modern commodity, the image of Desire packaged and displayed for greatest impact not just on the potential customer but also on everyone who would envy him.“ – Bernheimer, Charles: Figures of Ill Repute. Representing Prostitution in Nineteenth-Century France, Cambridge/London 1989, S. 96.

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Die Kurtisane fungierte folgerichtig auch als Statussymbol ihres Liebhabers, stärker noch als andere Frauen definierte sie sich durch ihre Außenwirkung. Entsprechend luxuriöse und extravagante Garderoben stellten die Edelprostituierten zur Schau, wodurch sie im Laufe des 19. Jahrhunderts selbst zu modischen Vorbildern avancierten. Ihre Kleidung und Wohnungseinrichtung, ja selbst ihre Freizeitbeschäftigungen vermochten neue Moden zu lancieren, wobei ihre bürgerlichen Nachahmerinnen zur Wahrung des eigenen Rufs jedoch immer darauf bedacht sein mussten, die Grenzen der Dezenz und des Anstands nicht allzu sehr auszureizen.66 In der zweiten Jahrhunderthälfte mehrten sich konservative Stimmen, die eine immer stärkere Angleichung von bourgeoise und Kurtisane beklagten. So schrieb A. de Portmartin in der Gazette de France: „…Toilette, Jargon, Neugier, Vergnügen, Kosmetik, alles nähert die Halbwelt und die übrige Welt einander an; alles erlaubt die zu verwechseln, die sich nicht einmal kennen dürften… Die Patrizierin des Faubourg Saint-Germain kreuzt auf der Treppe [des Modeschöpfers] Worth den Weg der eleganten [Prostituierten] des Quartier Breda.“67

Diese Annäherung führte zu einer erheblichen Verunsicherung, konnte sich doch hinter einer vermeintlich ‚anständigen‘ Frau eine Prostituierte verbergen – 68 ein Thema, dass auch Anlass zu Karikaturen gab. In Le Monde Comique stellte so etwa Tricoche Dame und demimondaine einander gegenüber, ohne dass ein äußerlicher Unterschied ersichtlich wäre (Abb. 49). Auch in der Plakatkunst lässt sich diesbezüglich keine klare Grenze ziehen. Wie an den besprochenen Plakaten Chérets, Capiellos und Bonnards gezeigt, bewegen sich die ‚Werbedamen‘ in ihrer extrovertierten Art und freizügigen, extravaganten Aufmachung häufig bereits jenseits allgemein akzeptierter Normen von Anstand und Dezenz, erscheinen aber dennoch als positiv besetzte Figuren, deren Reiz gerade das Spiel mit den Anstandsgrenzen ausgemacht haben dürfte.

66 Vgl. Clayson 1991, S. 59–61; Schmaußer 1991, S. 41–43; sowie Weaver Chapin, Mary: „Toulouse-Lautrec and the Culture of Celebrity“. In: Toulouse-Lautrec and Montmartre, Ausst.Kat. National Gallery of Art Washington/The Art Institute of Chicago, Princeton 2005, S. 46–63, hier S. 46f. 67 „…toilette, jargon, curiosité, plaisir, cosmétiques, tout rapproche le demi-monde et le monde entier; tout permet de confondre ce qui ne devrait pas même se connaître.…La patricienne du faubourg Saint-Germain se croise, dans l’escalier de Worth, avec l’élégante du quartier Bréda.“ – A. de Pontmartin: „Semaines littéraires“. In: La Gazette de France, 11.6.1865; zitiert nach: Clark, Timothy J.: The Painting of Modern Life. Paris in the Art of Manet and His Followers, Princeton 1986, S. 293, Anm. 109. 68 Vgl. Bernheimer 1989, S. 90; Ilan-Alter 1988, S. 72f.; sowie Peruchi-Petri 2001, S. 92.

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Überdeutlich kommt dies in Plakaten zum Tragen, die mit Frauenfiguren für Rauchwaren werben: Tabakgenuss sollte dem Mann vorbehalten bleiben, für Frauen galt er als ungebührlich, ja sogar entstellend. Frauen, die dennoch rauchten, waren entweder emanzipatorischer Absichten oder der Zugehörigkeit zur Halbwelt verdächtig – nahmen die Kurtisanen doch wiederum eine Vorreiterrolle unter den Raucherinnen ein.69 Abbildung 50: Jules Chéret Job 1895

Für eine ganze Serie von Plakaten setzte der Zigarettenpapier-Hersteller Job auf Frauen als Werbefiguren. Da Männer noch meist Zigarren und Tabak den Vorzug gegenüber Zigaretten gaben, mag dies auch der Erschließung einer neuen, weiblichen Zielgruppe gedient haben,70 doch zielt die erotisch aufgeladene Erscheinung der Job-‚Werbe- damen‘ wohl primär auf ein männliches Publikum ab.

69 Vgl. Farwell, Beatrice (Hg.): The Cult of Images (Le Culte des Images). Baudelaire and the 19th-Century Media Explosion, Ausst.Kat. UCSB Art Museum, Santa Barbara 1977, S. 67, Nr. 64; sowie Weisser, Michael: Cigaretten-Reclame. Über die Kunst blauen Dunst zu verkaufen. Die Geschichte der Zigarette, ihrer Industrie und ihrer Werbung, von 1860 bis 1930, Bassum 2002, S. 103–107. 70 Vgl. Peters, Heinz: „,Gallia‘ – der Opernsiegfried mit dem Petroleum-Gral. KonsumPlakate in Frankreich und Belgien“. In: Popitz 1977, S. CI–CXIX, hier S. CVIII.

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Kokett und selbstbewusst blickt die Abbildung 51: Frauenfigur in Jules Chérets Job-Plakat Georges Meunier (Abb. 50) über ihre Schulter. Dem BetJob rachter hat sie den Rücken zugewandt, 1894 fixiert ihn jedoch aus dem Augenwinkel. Eine große weiße Rauchwolke strömt aus der Zigarette in ihrer rechten Hand. Ihr gelbweiß gestreiftes Kleid lässt den Rücken unbedeckt; riesenhaft überzeichnete Puffärmel und ein prominentes Gesäß kontrastieren effektvoll mit der extrem schlanken Wespentaille, die in ein gelbes Mieder geschnürt ist. In einem Kniestück wiedergegeben, wird die Dargestellte unter Betonung ihrer weiblichen Reize unmittelbar an den Betrachter herangerückt. Überdeutlich verweist Georges Meuniers Plakat für Job (Abb. 51) ins Milieu der demimonde: Während Chéret die räumliche Situation in seiner Darstellung unbestimmt lässt, deutet Meunier die Intimität eines privaten Innenraums an. Auf einem weich gepolsterten Sofa oder Bett hat sich in eleganter Pose eine Frau niedergelassen, deren freizügige Aufmachung sie als Kurtisane identifiziert: Das Oberteil ihres blassgrünen Kleides ist bis zur Taille aufgeschnürt, ihre nackten Brüste werden lediglich vom ausgestreckten rechten Arm verdeckt. Die schwarzen Strümpfe der Figur sowie die Katze zu ihren Füßen, Sinnbild weiblicher Sexualität,71 steigern noch die verruchte Anmutung der Szene. Mit graziler Geste hält die Frau ein brennendes Streichholz in der rechten sowie die entzündete Zigarette in der linken Hand. Am Boden liegen zahllose Päckchen des beworbenen Zigarettenpapiers verstreut, was auf einen geradezu exzessiven Konsum verweist. Die Dargestellte erscheint so zügellos in ihrem Genuss und weckt mit ihrer verführerischen Ausstrahlung zugleich das Begehren des (männlichen) Betrachters, der sich ob der gezeigten

71 Vgl. Damoulakis, Kiriakoula: „Künstler um 1900“. In: Kat. Karlsruhe 2007b, S. 78f.

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intimen Situation als Voyeur fühlen muss. Deutlich tritt hier die Doppelrolle der Kurtisane als konsumierendes Subjekt und Objekt männlichen erotischen Verlangens zutage, die sich hervorragend für Werbezwecke instrumentalisieren ließ. Nur selten werden die Werbefiguren jedoch so eindeutig als Halbweltdamen charakterisiert wie bei Meunier. Chéret oder Capiello verunklären vielmehr die soziale Zugehörigkeit ihrer ‚Werbedamen‘: Trotz ihrer modischen Erscheinung eignet den Dargestellten kein elitärer Charakter; sie wirken zugänglich, lebhaft und keck. Durch die Situierung in einem undefinierten Bildraum, das Fehlen eines konkreten Kontextes sowie die bewusste Überzeichnung ihrer Kleidung erscheinen die gezeigten Frauen meist zu weit von der Alltagsrealität entfernt, als dass eine eindeutige Zuordnung zu einem bestimmten gesellschaftlichen Milieu möglich wäre. Laut Georges d’Avenel lag der Reiz der Werbung für seine Zeitgenossen gerade in einem solchen Verwischen von Klassengrenzen.72 In Gestalt der Parisienne wurde so ein klassenübergreifendes Idealbild propagiert, das einen möglichst weiten Rezipientenkreis ansprechen sollte:73 „Sei sie Gräfin oder Modistin, Marquise oder

Straßenmädchen, Schauspielerin oder Dame von Welt, die Geburt beeinflusst sie genauso wenig wie das Kostüm; sie ist, weil sie ist – die Pariserin“74, schrieb folgerichtig Maurice Guillemot. „Halb Märchenprinzessin und halb Freudenmädchen“75, verband der Stereotyp der Parisienne weibliche Wunschbilder von modischer Eleganz mit erotisch aufgeladenen männlichen Fantasien und eignete sich damit hervorragend, um als Werbefigur potentielle Konsumenten beider Geschlechter anzusprechen.76 Das Idealbild der Pariserin war dabei ein rein artifizielles Konstrukt, wie schon die Zeitgenossen bemerkten. So schrieb etwa Henri Second: „Man glaubt im Allgemeinen, dass die großen Künstler die Natur, die Wirklichkeit wiedergeben. Man hat unrecht. […]die Grisette, die Lorette vor allem sind fertig ausgebildet den Legenden und den Zeichnungen Gavarnis entsprungen. In gleicher Weise beeilen sich die Pariserinnen in Massen, die charmanten kleinen Frauen zu imitieren, die [der Plakatkünstler Henri] Boutet eingeführt hat.“

77

72 Vgl. d’Avenel 1907, S. 121f. 73 Vgl. Ilan-Alter 1988, S. 75–79; sowie Perucchi-Petri 2001, S. 92. 74 „Qu’elle soit duchesse ou modiste, marquise ou trottin, actrice ou grande dame, la naissance non plus que le costume n’influent; elle est parce qu’elle est, c’est la Parisienne. “ – Guillemot 1895, S. 206. 75 „moitié princesse de féerie et moitié ‚gigolette‘“ – d’Avenel 1907, S. 177f. 76 Vgl. Williams 1982, S. 90–94. 77 „On croit généralement que les grands artistes copient la nature, la réalité. On a tort. Ils la créent. […] la grisette, la lorette surtout sont sorties tout armées des légendes et des

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Hierin wird bereits angedeutet, wie sehr das Bild der Parisienne mit seiner Omnipräsenz in der Werbung und den Massenmedien das Rollenverhalten zeitgenössischer Frauen beeinflusste. Diese waren einerseits bestrebt, die bestehenden Normen von Sitte und Anstand nicht zu verletzen – genügte doch schon ein extravagantes, allzu modisches Erscheinungsbild oder ein Hang zu exzessivem Konsum, um Zweifel an der moralischen Integrität einer völlig untadeligen Frau aufzuwerfen.78 Andererseits war es kaum möglich, sich dem Leitbild der Werbung konsequent zu entziehen: „Die graziöse Wirkung eines gerafften Kleides prägt sich einer Frau ein, auch wenn sie beim Beschauen Schicklichkeitsbedenken hatte – sie ist aber eine Frau – die Schicklichkeitsbedenken verblassen – die Erinnerung an die graziöse Wirkung bleibt. […] die Mode ist mehr oder weniger von Cocotten gemacht – das wissen die Damen. Sie verachten die Cocotten, aber sie lieben den Schnitt ihrer Kleider, die Raffung ihrer Taillen, den Chic ihrer Hüte. Es gibt wohl keine Dame, die ein Plakat, ein gewagtes Inserat nicht mit dem Gefühl ansehen würde: wie kann diese Person sich nur so zur Schau stellen! Aber die Wirkung dieser Schaustellung, das Gefallen, das Reizen, das Anziehen gucken sie ihnen doch ab.“

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Die Plakatkunst spiegelt somit nicht nur den Wandel der Moralvorstellungen im 19. Jahrhundert, sondern förderte diesen zugleich. Wie die untersuchten Plakate gezeigt haben, handelt es sich beim Stereotyp der Parisienne jedoch um eine nur scheinbar emanzipierte, unabhängige Frau. Primär durch Äußerlichkeiten definiert und von (männlichen) Künstlern zum Objekt des Verlangens und Vergnügens stilisiert, war auch die so selbstbewusst scheinende Pariserin in restriktiven Rollenzwängen gefangen und letzten Endes vom Mann abhängig. Wiederum in Annäherung an das Klischeebild der Kurtisane beschrieb so Uzanne die Parisienne als ein „Luxuswesen, das allein der erwählte Gebieter, der Bezwinger, der Geliebte, nach seinem Willen lenken, beherrschen und beglücken kann“80.

dessins de Garvani. De même, les Parisiennes se sont empressées d’imiter, en masse, les charmantes petites femmes initiales de Boutet.“ – Second, Henri: „Histoire de l’Art Moderne“. In: La Plume, Nr. 146/15.5.1895, S. 212–214, hier S. 213. Vgl. hierzu auch Collet 2002, S. 74, die den Typus der Parisienne auf Gavarni und Balzac zurückführt. 78 Vgl. Clayson 1991, S. 56–64. 79 Halbert, A.: „Das Schönheits- und Schicklichkeitsideal im modernen Plakat“. In: Das Plakat, Nr. 2/März 1914, S. 86f., hier S. 86. 80 Uzanne o. J., S. 45.

4. Tänzerinnen und andere Bühnenkünstlerinnen

Im 19. Jahrhundert galt Paris nicht nur als Hauptstadt der Mode, sondern auch des Vergnügens. Die Umgestaltung der Stadt unter Baron Haussmann hatte ihr den Ruf einer modernen Metropole eingebracht, der noch durch die seit 1855 regelmäßig im Elfjahresrhythmus stattfindenden Weltausstellungen gefestigt wurde. Allein zur Ausstellung des Jahres 1900 strömten rund 50 Millionen Besucher in die Stadt, die selbst gerade einmal 1,5 Millionen Einwohner hatte.1 Begünstigt durch den Tourismus erlebte die Pariser Unterhaltungsindustrie einen regelrechten Boom, zumal eine Lockerung der Gesetzgebung die Eröffnung neuer Vergnügungslokale und Theater in der zweiten Jahrhunderthälfte enorm vereinfachte. In Paris florierten so unzählige Tanzlokale, literarische cabarets, café-concerts (Cafés mit angeschlossener Konzertbühne) sowie die hieraus hervorgegangenen großen Revue-Theater, music halls genannt.2 In diesem Kapitel soll die Rolle der Frau in den Werbeplakaten derartiger Etablissements untersucht werden, wobei der Fokus auf dem Motiv der Tänzerin liegt. Ergänzend werden am Beispiel der Tänzerin Loië Fuller, der Sängerin Yvette Guilbert sowie der Schauspielerin Sarah Bernhardt die Mechanismen von Imagebildung und Starkult im Plakat näher beleuchtet.

1

Vgl. Assante di Panzillo, Maryline: „Au jour le jour“. In: Kat. Brüssel 2002, S. 30–34, hier S. 30; Chazal, Gilles: „Paris 1900“. In: Kat. Brüssel 2002, S. 13–15.; sowie Rearick, Charles: Pleasures of the Belle Epoque. Entertainment and Festivity in Turn-of-theCentury France, New Haven/London 1985, S. 89.

2

Zu einer ausführlichen Differenzierung der verschiedenen Kategorien von Vergnügungslokalen siehe Barthelmess, Wieland: Das Café-Concert als Thema der französischen Malerei und Graphik des ausgehenden 19. Jahrhunderts, [Diss.], Berlin 1987, S. 1–5.

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4.1 D IE E NTWICKLUNG DER P LAKATWERBUNG FÜR C AFÉ - CONCERTS UND M USIC H ALLS Erst allmählich begann die Plakatkunst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, den neu entstandenen Kult um zeitgenössische Bühnenstars für Werbezwecke zu nutzen. Zuvor bewarb man die Vergnügungslokale an und für sich. So zeigte beispielsweise Jules Chéret in einem Plakat von 1875 (Abb. 52) den Innenraum der Folies-Bergère, eines der damals erfolgreichsten Vergnügungslokale. Besonders betont der Künstler hierbei die Größe sowie die opulente Innenausstattung nach dem Umbau des Etablissements im Jahr 1871: Unmengen anonymer Zuschauer füllen die Ränge und die hufeisenförmig angeordneten Balkone im Hintergrund der Darstellung; über den Köpfen des Publikums schwingen Trapezkünstler zwischen großen Kronleuchtern. In der Bildmitte sitzt eine Gruppe von elegant gekleideten Besuchern um einen Tisch versammelt; rechts sind zwei Herren in Frack und Zylinder zu einigen Damen an die Bar getreten. Abbildung 52: Jules Chéret Folies-Bergère 1875

T ÄNZERINNEN

UND ANDERE

B ÜHNENKÜNSTLERINNEN

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Deutlich führt Chéret hier die Doppelfunktion der Folies-Bergère vor Augen, die einerseits ein Bühnenprogramm mit Sängern, Tänzern und Artisten boten und andererseits als mondäner gesellschaftlicher Treffpunkt fungierten, an dem auch zwanglose Konversation und das Umherschlendern zwischen den Besuchern möglich waren.3 Über dieser Szenerie schwebt als Versatzstück aus der Kunsttradition eine Schar von Putti, die ein Schriftband mit dem Namen des Etablissements sowie eine groteskengeschmückte Leier als Sinnbild der darstellenden Künste emporheben. Am linken Bildrand geht die Gruppe fast nahtlos über in eine Ansammlung von Akrobaten, leicht bekleideten Tänzerinnen und Clowns, die mit weiteren Schriftbändern und -tafeln über die Attraktionen der Folies-Bergère informieren. Anstatt sie realitätsgetreu auf der weit entfernten Bühne im Hintergrund wiederzugeben, platziert Chéret diese Figuren ganz vorn im Bild. Teils in lebhafter Bewegung gezeigt, teils in gewagten Balanceakten regelrecht aufgetürmt, überlagern sie die Darstellung des Zuschauerraums. Abbildung 53: Jules Chéret Folies-Bergère 1875

3

Abbildung 54: anonym Folies-Bergère 1869

Vgl. Herbert, Robert L.: Impressionismus. Paris – Gesellschaft und Kunst, Stuttgart/Zürich 1989, S. 99f.; sowie Rearick 1985, S. 86.

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Ein weiteres Plakat Chérets für die Folies-Bergère von 1875 (Abb. 53), konzentriert sich dagegen ganz auf die Figur einer einzelnen Tänzerin. Effektvoll wird die Frau in ihrem leuchtend roten und gelben Kleid von einer bläulich-monochromen, riesenhaften Leier hinterfangen, die eine Faunsmaske ziert. Der kleine Strohhut der Figur und ein mit einer großen gelben Schleife verzierter Hirtenstab weisen sie als Schäferin aus – ein allegorisch verschlüsselter Hinweis auf den Namen des Etablissements.4 Doch verdeutlichen die tänzerische Bewegtheit der Dargestellten, ihr reicher Schmuck und das knappe, mit Glöckchen verzierte Kleid, dass es sich hier mitnichten um eine wirkliche Schäferin handelt, sondern vielmehr um eine kostümierte Bühnenkünstlerin.5 Chérets Entwurf orientiert sich am bereits einige Jahre zuvor entstandenen Plakat eines anonymen Künstlers für dasselbe Etablissement (Abb. 54). Dieser zeigt zwei kostümierte Tänzerinnen in einer Bühnensituation. Die rechte der beiden Figuren ist mit Strohhut, Hirtenstab und Blumenkörbchen wiederum als Schäferin kostümiert; sie zieht den Bühnenvorhang beiseite, während von rechts eine zweite Frau in einem schellengeschmückten Kleid auftritt. In der Figurengestaltung wie auch im Dekor – am oberen Rand zieht sich eine Blumengirlande durchs Bild, auf der mittig ein Faunskopf thront – schöpft die Darstellung dabei aus der Kunst des 18. Jahrhunderts.6 Sowohl Chéret als auch sein anonymer Vorgänger kombinieren so in ihren Werbefiguren die Kunsttradition allegorischer Verschlüsselung (in Gestalt des Schäferinnenkostüms) mit der realen Bühnenattraktion der leicht bekleideten, attraktiven Tänzerin. Indem beide Künstler gerade die Figur einer Tänzerin als Allegorie des beworbenen café-concerts zeigen, heben sie den Tanz gegenüber anderen Darbietungen klar hervor – eine Werbestrategie, die für viele Plakate der zeitgenössischen Vergnügungsindustrie kennzeichnend ist. Gänzlich ohne allegorische Verbrämung setzen so etwa Leonetto Capiello und Maurice Biais auf ihren Plakaten für die FoliesBergère (Abb. 55, Abb. 56) kokette Cancan-Tänzerinnen ins Bild. Vor hellgelbem Hintergrund wirft Capiellos Figur das rechte Bein in die Höhe, mit dem Zeigefinger weist sie auf den Namenszug des Etablissements. Sie trägt ein tief dekolletiertes violettes Kleid, dessen bauschig flatternder Rock den Eindruck von dynamischer Bewegung deutlich unterstreicht. Der schwarz abgesetzte Träger des Kleids ist auf der linken Seite über die Schulter herabgerutscht, rechts fehlt er völlig, was den

4

Der Begriff Folies bezeichnete ursprünglich einen Treffpunkt für Vergnügungen unter freiem Himmel; der Zusatz Bergère bezog sich auf die nahe gelegene Rue Bergère, die wiederum nach dem Färbermeister Jacques Bergier benannt war – mit einer wirklichen Schäferin hatte der Name des Etablissements somit gar nichts zu tun. Vgl. Herbert 1989, S. 99; sowie Weill 1977, S. 6, Nr. 33.

5

Vgl. Weill 1977, S. 4, Nr. 17.

6

Vgl. ebd., S. 6, Nr. 33.

T ÄNZERINNEN

UND ANDERE

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Eindruck einer gewissen Freizügigkeit erzeugt. Die Dargestellte wirkt überaus extrovertiert und ausgelassen, breit lachend hat sie im Tanz den Kopf zurückgeworfen und suggeriert dem Betrachter damit, welch enormes Vergnügen ein Besuch der Folies-Bergère mit sich bringt. Abbildung 55: Leonetto Capiello Folies-Bergère 1900

Abbildung 56: Maurice Biais Folies-Bergère um 1895

Ebenso beschwingt gestaltet Maurice Biais die fünf Tänzerinnen seines Plakats. Auch sie haben die Köpfe zurückgeworfen, schürzen ihre Röcke und werfen die Beine in die Höhe. Die Anordnung der Figuren in einer diagonal verlaufenden Reihe vermittelt dabei trotz des flächigen, monochrom braunen Hintergrunds den Eindruck von räumlicher Tiefe. Effektvoll heben sich die völlig identischen roten Kleider der Tänzerinnen, die weißen Unterröcke und schwarzen Strümpfe vom Braun des Untergrunds ab. Die Gesichter der Dargestellten wirken in ihrer Gleichförmigkeit völlig anonym; der Fokus liegt klar auf der wirbelnden Masse der Unterröcke – vor allem sie waren es, die den Reiz des damals überaus beliebten Cancan ausmachten.7 Begründet lag dies in der Damenmode des 19. Jahrhunderts, die zwar die Büste und das Gesäß besonders betonte, die Beine jedoch völlig unter langen Röcken verbarg. Bereits der Anblick eines weiblichen Knöchels erschien den Zeitgenossen daher überaus pikant, während die mit Spitzen und Rüschen verzierten

7

Zur Darstellung von Cancan-Tänzerinnen vgl. Gallo 2001, S. 110.

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Unterröcke ein regelrechtes ‚erotisches Kapital‘ bargen.8 Neben der Suggestion ausgelassenen Vergnügens sind es so vor allem die weiblichen Reize der Tänzerinnen, mit denen die Plakate werben. Auch in Jules Chérets Plakat für das 1889 neu eröffnete Moulin Rouge (Abb. 57) ist dies deutlich sichtbar: Im Zentrum der Komposition zeigt der Künstler die rote Mühle, Blickfang der markanten, eigens von Adolphe Willette entworfenen Fassadengestaltung des Etablissements. Rings um die Mühle sind beschwingte, leicht bekleidete Tänzerinnen zu sehen, die auf Eseln reiten – ein Motiv mit realer Grundlage: Zu Werbezwecken veranstalteten die Inhaber des Moulin Rouge, Charles Zidler und Joseph Oller, Umzüge mit ihren Tänzerinnen, die auf Eseln durch die Straßen Montmartres ritten. Die Tiere erinnerten dabei an die Ursprünge Montmartres als wichtiger Mühlenstandort, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum beliebten Ausflugsziel und schließlich zum Vergnügungsviertel der Stadt avanciert war – sinnfällig wurde diese Entwicklung durch das Motiv des Esels, der nun nicht länger Mehlsäcke, sondern Tänzerinnen trug.9 Typisch für Chéret ist die Kontrastierung einer farblich hervorgehobenen ‚Werbedame‘ im Vordergrund mit blassen, teils nur schemenhaft wiedergegebenen Hintergrundfiguren. Die grazile, kokette Eselreiterin rechts vorn im tief dekolletierten hellgelben Kleid samt passendem Hut zieht alle Blicke auf sich, während ihre gräulich verschatteten Gefährtinnen den Eindruck ausgelassenen Trubels verstärken. Ihr Zug strebt in weitem Kreisbogen der Mühle zu und spiegelt so die Drehbewegung der Mühlenflügel; im blauen Farbnebel eines nicht näher definierten Bildraums scheinen die Figuren regelrecht zu schweben. Obschon die Szene auf den realen Umzügen des Moulin Rouge basiert, wirkt sie der Wirklichkeit entrückt und überhöht.10 Es entsteht der Eindruck ausgelassenen, übermütigen Vergnügens – ein charakteristisches Merkmal der Arbeiten Chérets, deren unbeschwerter Fröhlichkeit angesichts realer sozialer Spannungen und Konflikte ein geradezu eskapistisches Moment innewohnt. Entsprechend erklärt auch Hellmut Rademacher: „[Chéret] sah sein Paris durch die rosarote Brille unbefangener Lebenslust und eines überschäumenden Optimismus und wurde zu einem Chronisten und Schilderer der Sonnenseite des Lebens in der französischen Hauptstadt. Chéret, der Meister des Plakats ausgelassener Lebensfreude, wurde gleichsam zum Propagandisten französischen Charmes. […] Geist, Glanz und Glamour der Belle Epoque werden unkritisch und aus der sympathisierenden An-

8 9

Vgl. Perrot 1994, S. 11. Vgl. Kat. Brüssel 2002, S. 58; sowie Oberthür, Mariel: Montmartre en liesse 1880–1900, Ausst.Kat Musée Carnavalet Paris, Paris 1994, S. 81f.

10 Vgl. Affiches ‚Belle Epoque‘, Ausst.Kat. Museum Vleeshuis Antwerpen, o. O. 1979, S. 5; sowie Thon 1968, S. 9f.

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teilnahme des miterlebenden und ‚dazu gehörenden‘ Zeitgenossen in verklärender Sicht lebendig.“11

Abbildung 57: Jules Chéret Moulin Rouge 1889

Abbildung 58: Henri de Toulouse-Lautrec Moulin Rouge 1891

Das überaus positive Bild, das der Künstler in seinem Plakat von der Vergnügungskultur Montmartes zeichnet, spiegelt dabei auch die Geschäftsstrategie des Moulin Rouge: Am Fuße der Butte Montmartre gelegen, markierte es den Übergang des leichtlebigen Boheme-Viertels zu den eleganteren Bezirken der Stadt und ermöglichte es so den Besuchern, typische Attraktionen wie den Cancan zu bestaunen, ohne sich den Gefahren eines nächtlichen Ausflugs ins Innere des zwielichtigen Viertels aussetzen zu müssen.12 Die ursprünglich subversive Vergnügungskultur der Boheme wurde damit zur populären, kommerzialisierten Unterhaltung für die breite bürgerliche Mittelschicht.13

11 Rademacher 1989, S. 24. 12 Vgl. Kat. Brüssel 2002, S. 58; sowie Oberthür 1994, S. 75. 13 Vgl. Ochaim, Brygida: „Varieté-Tänzerinnen um 1900“. In: Varieté-Tänzerinnen um 1900. Vom Sinnenrausch zur Tanzmoderne, Ausst.Kat. Deutsches Theatermuseum München/Georg-Kolbe-Museum Berlin/Tanzarchiv Leipzig, Frankfurt a. M. 1998, S. 69–116, hier S. 71.

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In deutlichem Kontrast zu Chérets Arbeit steht Henri de Toulouse-Lautrecs Plakat für das Moulin Rouge (Abb. 58), das zwei Jahre später entstand. Um die neue Saison 1891 zu bewerben, wechselten Zidler und Oller zu einem explizit avantgardistischen Künstler, dessen Plakat den typischen Boheme-Flair Montmartres auf das Moulin Rouge übertragen sollte.14 Abbildung 59: Henri de Toulouse-Lautrec Tanz im Moulin Rouge 1890

Bereits im Vorjahr hatte Lautrec den Tanz im Moulin Rouge (Abb. 59) in einem großformatigen Gemälde festgehalten, das seitdem im Foyer des Etablissements hing. Es zeigt inmitten eines mondänen Publikums den als Valentin le Désossé (Valentin der Knochenlose) bekannten Jacques Renaudin und Louise Weber, die unter dem Namen La Goulue (die Gefräßige) auftrat – zwei Stars der Szene, die das Moulin Rouge erst kürzlich vom konkurrierenden Élysée Montmartre abgeworben hatte.15 Toulouse-Lautrec greift die Darstellung der beiden auch in seinem Plakat wieder auf, hier jedoch in einer dem Medium entsprechenden, stark flächigen Vereinfachung. Im Zentrum des Bildes tanzt La Goulue, deutlich erkennbar an ihrem Dutt – als einzige Tänzerin durfte sie auf einen Hut verzichten – sowie ihrem charakte-

14 Vgl. Verhagen 1995, S. 110. 15 Vgl. Kat. Antwerpen 1979, S. 6; sowie Barthelmess 1987, S. 178–180.

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ristischen schwarzen Halsband.16 Dem Betrachter hat sie den Rücken zugewandt und das rechte Bein auf Hüfthöhe gehoben, der Kopf ist nach rechts ins Profil gedreht. Deutlich gesteigert gegenüber dem vorangegangenen Gemälde erscheint das schwungvolle Wirbeln ihrer Röcke, die den Blick auf eine knielange weiße Unterhose und rotbraune Strümpfe freigeben.17 War Valentin le Désossée ihr im Gemälde noch als Tanzpartner direkt zur Seite gestellt, so wird er im Plakat in den Vordergrund gerückt und als dunkelviolett-gräulich changierende Silhouette wiedergegeben. Seine wie erstarrt wirkende Haltung kontrastiert mit der ausgreifenden Bewegung La Goulues. Die hagere Gestalt Valentins und seine ausgemergelten Gesichtszüge werden in karikierend überzeichneter Schärfe wiedergegeben – ein typisches Merkmal der Arbeiten Toulouse-Lautrecs, der das Charakteristische eines Menschen möglichst pointiert und ungeschönt zeigen wollte.18 Der Künstler selbst erklärte, er suche primär nach Authentizität und schrecke dabei auch nicht vor Abstoßendem zurück: „Ich habe die Aufgabe, Wahres und nicht Ideales zu zeigen. Das ist möglicherweise ein Makel, denn Warzen finden vor mir keine Gnade und ich liebe es, sie mit ausgelassenen Haaren 19

zu verzieren, sie zu runden und ihnen eine glänzende Spitze zu geben…“

Deutlich tritt hier der Kontrast zu Chérets idealisiertem Bild unbeschwerten Vergnügens zutage, wie auch Jean-Louis Sponsel bemerkte: „Anstatt des schönen und lockenden, aber falschen Scheins bei Chéret erscheinen [Toulouse-Lautrecs] Gestalten häufig in grausamer Wahrheit.“20 Zudem verortet Lautrec die dargestellte Szene im realen Umfeld des Etablissements; im Gegensatz zu Chéret zeigt er wirkliche zeitgenössische Stars bei einem Bühnenauftritt anstatt sich ausgelassen vergnügender, irrealer ‚Werbedamen‘. Auch die markanten Farbflächen in Toulouse-Lautrecs Plakat setzen sich deutlich von Chérets Bildgestaltung mittels duftiger Farbnebel ab: Hinter La Goulue ist das Pub-

16 Vgl. Crépineau, Jacques/Pessis, Jacques: Le Moulin Rouge, o. O. 1989, S. 23; sowie Gastou, François-Régis (Hg.): Toulouse-Lautrec. Petit mais grand, Ausst.Kat. Centre de l’affiche – Mairie de Toulouse, Toulouse 1997, S. 65–71. 17 Vgl. Eckert Boyer, Patricia: „ The Artist as Illustrator in Fin-de-siècle Paris“. In: Cate 1988, S. 113–169, hier S. 146f. 18 Vgl. Döring 2002, S. 14. 19 „J’ai tâche de faire vrai et non pas idéal. C’est un défaut peut-être car les verrues ne trouvent pas grâce devant moi et j’aime à les agrémenter de poils folâtres, à les arrondir et à leur mettre un bout luisant…“; zitiert nach: Méric, Solange: „Lautrec et l’affiche“. In: Kat. Paris 2002a, S. 13–21, hier S. 20. 20 Sponsel 1897, S. 50.

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likum zu sehen, reduziert zu einer schattenrissartigen Silhouette, aus der lediglich Köpfe und Hüte Einzelner hervorstechen. Als einfache gelbe Kugeln gibt der Künstler die Lampen des Etablissements über den Köpfen der Zuschauer sowie links im Vordergrund wieder.21 Diese formale Vereinfachung zeugt ebenso von Toulouse-Lautrecs intensiver Auseinandersetzung mit japanischen Farbholzschnitten wie die stark fluchtende Perspektive der Bodendielen; auch die ausdrucksstarke Mimik Valentins erinnert an japanische Schauspielerporträts.22 Die Silhouette des Publikums wiederum verweist auf das im damaligen Paris überaus populäre Schattentheater. Der Künstler greift damit explizit avantgardistische Gestaltungsmittel auf und transportiert somit auch auf formaler Ebene die Modernität des beworbenen Etablissements und seiner Attraktionen.23 Das Fehlen der Bühne und die Situierung der Tänzer direkt inmitten des Publikums ist dabei charakteristisch für das Moulin Rouge, zeugt aber auch von der Entwicklung des Berufsstands der Tänzer– ursprünglich hatten diese lediglich als Eintänzer in Ballsälen fungiert; als die Figuren von Modetänzen wie dem Cancan immer komplizierter wurden, war es jedoch zu einer Professionalisierung gekommen, die Besucher der Ballsäle wurden zu bloßen Zuschauern.24 Entsprechend platziert Toulouse-Lautrec das Publikum des Moulin Rouge als anonyme Masse im Hintergrund. Zugleich wird jedoch der Betrachter des Plakats unmittelbar an die gezeigte Szene herangerückt und kann sich so als Teil des Geschehens fühlen – die Figur Valentins, in der vordersten Bildebene platziert und in Hüfthöhe vom Bildrand abgeschnitten, erscheint buchstäblich zum Greifen nah.

21 Vgl. Bachollet, Raymond: „Toulouse-Lautrec et la presse illustrée“: In: Les Nuits de Toulouse-Lautrec. De la scène aux boudoirs, Ausst.Kat. CREC Dinan, Paris 2007, S. 54–71, hier S. 58; sowie Feinblatt, Ebria: „The Posters of Toulouse-Lautrec: Art for the Pavement Public”. In: Davis, Bruce/Feinblatt, Ebria: Toulouse-Lautrec and His Contemporaries: Posters of the Belle Epoque from the Wagner Collection, Ausst.Kat. Los Angeles County Museum of Art, o. O. 1985, S. 10–37, hier S. 14–16. 22 Vgl. Adriani, Götz: Toulouse-Lautrec und das Paris um 1900, Köln 1978 [= Dumont Kunst-Taschenbücher, Nr. 57], S. 115; Buschhoff 2001, S. 42–48 sowie Döring 2002, S. 78–85. 23 Vgl. Barthelmess, Wieland: „Zwischen Montmartre und Champs-Élysées: Pariser Vergnügungsetablissements und ihre Stars in den 1890er Jahren“. In: Pariser Nächte. Henri de Toulouse-Lautrec, Ausst.Kat. Kunsthalle Bremen, Heidelberg 1994, S. 14–23, hier S. 15–18. 24 Vgl. Lorquin, Bertrand: „L’affiche dans tous ses états“. In: Kat. Paris 2002a, S. 23–31, hier S. 26; sowie Ochaim 1998, S. 81f.

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Sind die Zuschauer der Tanzdarbietung auch nicht individuell zu identifizieren,25 so weisen sie ihre Kopfbedeckungen, federgeschmückte Damenhüte und Zylinder, doch als Angehörige der Bourgeoisie aus:26 Ein gehobenes Klientel sucht das Abenteuer in der Begegnung mit der ausschweifenden Subkultur Montmartres – Ausdruck eines regelrechten ‚Sozial-Tourismus‘, der in Mode gekommen war, nachdem mit dem literarischen Naturalismus beispielsweise eines Emile Zola die unteren Schichten der Gesellschaft in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt waren. Gerade das Moulin Rouge spielte mit den Möglichkeiten einer vermeintlichen Aufhebung von Klassenschranken; Angehörige des Großbürgertums, ja sogar des Hochadels trafen hier auf Tänzerinnen, die häufig aus mehr als prekären Verhältnissen stammten.27 Entsprechend war auch Toulouse-Lautrecs Hauptfigur La Goulue, geboren 1866 im Elsass und als Flüchtling im deutsch-französischen Krieg nach Paris gekommen, zunächst als einfache Wäscherin tätig, bevor sie der Legende nach in einem Tanzlokal entdeckt wurde. Im Élysée-Montmartre und im Moulin Rouge avancierte sie schließlich mit der Quadrille naturaliste, einer Variante des Cancan, zum Star.28 Als einzige Figur im Plakat in leuchtender Farbigkeit wiedergegeben – zu ihren strahlend weißen Röcken trägt sie eine rotweiß-getupfte Bluse, das Haar ist in intensivem Gelb gehalten – steht sie im Zentrum der Komposition wie auch im Fokus der Aufmerksamkeit. Besonders stechen dabei ihre wirbelnden weißen Unterröcke ins Auge, mit deren Darstellung Toulouse-Lautrec gleichsam die Essenz des Cancan erfasste.29 „Die Quadrille naturaliste, das ist keine Kunst, das sind Röcke“30, fasste Louis Le Grand das Prinzip dieses Tanzes zusammen, der vor allem darauf abzielte, die Unterwäsche der Tänzerinnen sichtbar werden zu lassen (sofern sie denn welche trugen, was nicht immer der Fall gewesen sein soll). Deutlich tritt

25 Entsprechende Versuche, im Schattenriss des Publikums reale Persönlichkeiten zu identifizieren (so etwa bei Feinblatt 1985, S. 14–16) erscheinen angesichts der vereinheitlichten, detailarmen Gestaltung des Motivs wenig überzeugend. 26 Vgl. Thomson, Richard: „Toulouse-Lautrec and Montmartre: Depicting Decadence in Fin-de-Siècle Paris“. In: Kat. Washington/Chicago 2005, S. 2–23, hier S. 7–10. 27 Vgl. Barthelmess 1994, S.15; Buisson, Sylvie/Parisot, Christian: Paris – Montmartre. Les Artistes et les lieux 1860–1920, Paris 1996, S. 78; Munholland, John Kim: „Republican Order and Republican Tolerance in Fin-de-Siècle France. Montmartre as a Delinquent Community“. In: Weisberg 2001, S. 15–36, hier S. 30f.; sowie Weisberg 2001, S. 4. 28 Vgl. Devynck, Danièle: Henri de Toulouse-Lautrec. Les Affiches. The Posters, Best.Kat. Musée Toulouse-Lautrec Albi, Graulhet 2001, S. 40. 29 Vgl. Rennert 1990, o. S., Nr. 40. 30 „Le quadrille naturaliste, ce n’est pas un art, ce sont des jupons.“ – Le Grand, Louis: Cours de danse fin de siècle, Paris 1892, zitiert nach: Bals et cabarets au temps de Bruant et Lautrec, Ausst.Kat. Musée de Montmartre Paris, Paris 2002, S. 32.

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die Pikanterie derartiger Auftritte in einer Beschreibung durch die Sängerin Yvette Guilbert zutage: „La Goulue, in schwarzen Seidenstrümpfen, ihren in schwarzen Satin gehüllten Fuß in der Hand, ließ die sechzig Meter Spitze ihrer Röcke herumwirbeln und zeigte ihre Unterhose, drollig mit einem Herzen bestickt, das sich schelmisch auf ihrem kleinen Hintern spannte, sobald sie sich zu respektlosen Grüßen neigte; an den Knien blütenförmige Büschel rosafarbener Bänder, ein reizender Schaum von Spitzen, der bis zu den zierlichen Knöcheln hinabreichte, wobei sie ihre anbetungswürdigen, flinken, spirituellen, verführerischen Beine erscheinen und verschwinden ließ.“

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Durch ihre wie entfesselt wirkenden, provokativen Bewegungen, hohes Kreischen und immer wieder empor geschleuderte Beine betonten Tänzerinnen wie La Goulue das sexuelle Moment des Cancan, der vielen Zeitgenossen als obszön galt.32 Gerade deshalb übte dieser ‚proletarische‘ Tanz eine große Anziehungskraft auf das bürgerliche Publikum aus und schockierte es zugleich.33 Auch Toulouse-Lautrec unterstreicht die Anzüglichkeit des dargebotenen Tanzes. Hierzu bedient er sich nicht nur des Motivs der wirbelnden Röcke, die La Goulues Hinterteil in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken, sondern auch der Gestik Valentins, der zwar seltsam unbeteiligt am Auftritt seiner Tanzpartnerin erscheint, mit dem Daumen der rechten Hand jedoch direkt auf ihren weit gespreizten Schritt deutet und gleichzeitig die linke auf Höhe seines Geschlechts waagrecht nach vorn streckt.34 Entgegen La Goulues realer Gewohnheit, die Zuschauer direkt ins Geschehen mit einzubeziehen, kommt es hier zu keinerlei Interaktion mit dem Publikum. Beide Tänzer erscheinen vielmehr ganz auf sich selbst bezogen – Valentin hält sogar die

31 „La Goulue, aux bas de soie noire, son pied de satin noir dans la main, faisait virevolter les soixante mètres de dentelles de ses jupons, et montrait son pantalon cocassement brodé d’un cœur qui se tendait farceur, sur son petit postérieur, lorsqu’elle s’inclinait en des saluts irrespectueux; des touffes de choux de rubans roses aux genoux, une mousse adorable de dentelles descendant jusqu’aux chevilles fines, laissaient paraître et disparaître ses adorables jambes, agiles, spirituelles, aguicheuses.“ – zitiert nach: Oberthür 1994, S. 80. 32 Vgl. Lorquin 2002, S. 26; Ochaim 1998, S. 79–84; sowie Thomson, Richard: „Introducing Montmartre“. In: Kat. Washington/Chicago 2005, S. 65–70, hier S. 110. 33 Vgl. Eckert Boyer 1988, S. 46f.; sowie Rearick 1985, S. 49. 34 Vgl. Weaver Chapin, Mary: „Toulouse-Lautrec and the Culture of Celebrity“. In: Kat. Washington/Chicago 2005, S. 46–63, hier S. 51–55.

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Augen geschlossen. Wieland Barthelmess spricht diesbezüglich von einer fast narzisstischen Attitüde, die die Figuren kennzeichne.35 Mit seiner Fokussierung auf reale, konkrete Persönlichkeiten der Zeit liefert Toulouse-Lautrecs Plakat zudem ein wichtiges Zeugnis des frühen Starkults, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzte: Bühnenkünstler wurden nicht mehr allein ihres Könnens wegen, sondern vor allem aufgrund ihres Images bewundert. Das Leben der Prominenten wurde zu einem bevorzugten Thema der Presse, ihr Bild fand weite Verbreitung und garantierte so einen hohen Wiedererkennungswert. Henri de Toulouse-Lautrec setzte insbesondere die Stars der Vergnügungsindustrie von Montmartre immer wieder ins Bild – in Malerei und Grafik wie auch in Werbeplakaten. Der Künstler förderte damit nicht nur die Bekanntheit der Dargestellten, sondern profitierte auch selbst von ebendieser – eine regelrecht symbiotische Wechselwirkung.36 Für das Plakat des Moulin Rouge jedoch betont er weniger die individuelle Person La Goulues; vielmehr erscheint die Tänzerin auf das Motiv der fliegenden Röcke reduziert, sodass sich Lautrecs Darstellung an der Grenze von Individualität und Allgemeingültigkeit bewegt : Zwar wirbt er mit dem Bild einer konkreten Tänzerin, die jedoch als Sinnbild für den Cancan schlechthin sowie für das Etablissement insgesamt steht. Abbildung 60: Henri de Toulouse-Lautrec Jardin de Paris – Jane Avril 1893

35 Vgl. Barthelmess 1987, S. 99. 36 Vgl. Weaver Chapin 2005a, S. 51–55.

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Eine stärkere psychologische Durchdringung der Hauptfigur zeigt hingegen Toulouse-Lautrecs Plakat für den Auftritt der Tänzerin Jane Avril (bürgerlich Jeanne Richepin) im Jardin de Paris (Abb. 60). Der Künstler konzentriert seine Darstellung hier ganz auf den beworbenen Star; aus nächster Nähe wird Avril beim Tanz auf der Bühne gezeigt. Auch sie hat das Bein zu einer typischen Cancan-Figur gehoben, entblößt jedoch deutlich weniger von ihren Unterröcken als La Goulue. Effektvoll kontrastieren die schwarzen Strümpfe Avrils mit ihrem Rock, der in leuchtenden Gelb- und Orangetönen gehalten ist; im Gegensatz zu La Goulue trägt sie bei ihrem Auftritt einen großen, üppig mit Schleifen verzierten Hut. Der Bretterboden der Bühne ist stark fluchtend dargestellt, was die Dynamik der Szene unterstreicht. Ähnlich der Komposition für das Moulin Rouge ist rechts vorn aus nächster Nähe das gräulich verschattete Profil eines Bassisten zu sehen; der Hals seines Instruments ragt prominent in den Bühnenraum hinein. Der Betrachter erhält so den Eindruck, unmittelbar an das Geschehen herangerückt zu sein, ja selbst mit im Orchestergraben zu sitzen – ein Gestaltungsmittel, das Edgar Degas in seinen Darstellung der Pariser Oper und ihrer Orchestermusiker (Abb. 61) eingeführt hatte.37 Nahtlos gehen der Hals und der am unteren Bildrand nur angedeutete Schallkörper des Kontrabasses in die schwarze Rahmenlinie über, die die Szene umgibt. Abbildung 61: Edgar Degas Das Orchester der Pariser Oper um 1870

37 Vgl. Feinblatt 1985, S. 22f.

Abbildung 62: Georges Seurat Le Chahut 1889/90

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Die Gegenüberstellung der Tänzerin auf der Bühne und des Bassisten im Orchestergraben mag dabei auch inspiriert gewesen sein vom Vorbild Georges Seurats, den Toulouse-Lautrec bei einer gemeinsamen Ausstellungsteilnahme 1890 kennenlernte. In Seurats Gemälde Le Chahut (Abb. 62) von 1889/90 ist es eine ganze Reihe von (männlichen und weiblichen) Tänzern, die den titelgebenden Tanz, eine Variante des Cancan, auf einer Bühne vorführen und dabei die gestreckten Beine in perfekter Synchronizität hoch in die Luft werfen – genau parallel zum leicht schräg stehenden Hals des Kontrabasses, der hoch über die Köpfe der Orchestermusiker aufragt.38 Während Seurat primär die formale Entsprechung von Tänzerpose und Instrumentenhals zeigt, schwingt in Toulouse-Lautrecs Plakat die Kontrastierung der weiblichen und männlichen Figur mit, die auch als sexuelle Anspielung gelesen werden kann: Geradezu phallisch erscheint der hoch aufragende Hals des Kontrabasses, vor dem Avril ihre Röcke hebt.39 Deutlich sind die Tänzerin und der Musiker dabei in der Farbgebung wie insgesamt in ihrer physischen Erscheinung voneinander abgesetzt: Mit seinem übergroßen Ohr, dem ausgeprägten Kiefer und dem wild in alle Richtungen stehendem Haarschopf mutet der Bassist wie eine Karikatur an, besonders auffällig ist seine grobschlächtige Hand mit den behaarten Fingerknöcheln. Jane Avril dagegen ist ausgesprochen blass und schlank, ihre Gesichtszüge wirken fein, introvertiert und distinguiert, was der Überlieferung zufolge auch ihrem tatsächlichen Charakter entsprach. Im Gegensatz zu vielen anderen Tänzerinnen der Zeit, die aus einem proletarischen Milieu stammten, war Avril gebildet und kultiviert, verkehrte privat in intellektuellen Kreisen. Bei ihren Bühnenauftritten erschien sie äußerst temperamentvoll, was ihr den Spitznamen la Mélinite – nach einer zeitgenössischen Sprengstoffmarke – einbrachte.40 Deutlich wird dies in Lautrecs Darstellung an der heftigen Bewegung der Tänzerin, deren Körper geradezu unnatürlich verrenkt erscheint. Als Vorlage für diese Haltung diente ToulouseLautrec wohl ein Pressefoto Avrils (Abb. 63), das sie in einem nahezu identischen Kostüm und vergleichbarer Pose zeigt: Den linken Fuß hat Avril leicht ausgestellt und das rechte Knie fast bis zum Brustbein gehoben, Wade und Fuß hält sie locker ausgestreckt. Lautrec lässt in seiner Darstellung die Beine seltsam verdreht erscheinen. Während Avril auf dem Foto mit ihrer extravaganten tänzerischen Pose kokettiert, wirken Haltung und Mimik im Plakat regelrecht angestrengt. Das Lächeln und der kokette Blick aus dem Augenwinkel sind ersetzt durch halbgeschlossene Augen, gerunzelte Brauen und einen leicht verzerrt wirkenden Mund. In der Forschungsliteratur wird dies meist gedeutet als Hinweis auf die Erschöpfung der Tänzerin; schon Ernest Maindron schrieb in seiner Abhandlung über die französische

38 Vgl. Barthelmess 1987, S. 130–137. 39 Vgl. ebd. 40 Vgl. Crépineau/Pessis 1989, S. 27–29; sowie Devynck 2001, S. 54.

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Plakatkunst von 1896, Jane Avril tanze nicht zu ihrem eigenen Vergnügen, sondern einzig zur Unterhaltung des Publikums.41 Dass Avril in Toulouse-Lautrecs Darstellung keinerlei Begeisterung für den Tanz zeigt, mag jedoch zum Teil auch der damaligen Mode geschuldet sein, die im Zuge einer allgemeinen Begeisterung für Großbritannien eine vermeintlich typisch englische Zurückhaltung propagierte.42 Bereits Jane Avrils Künstlername zeugt von der verbreiteten Anglophilie; auch begründeten Zeitgenossen den Reiz ihrer Auftritte gerade durch den Kontrast exzentrischer, temperamentvoller Bewegtheit und einer Introvertiertheit, die sich bis zur Prüderie steigerte: „Sie gibt sich prüde, obschon alles an ihr eine Art verderbte Jungfräulichkeit, eine Mischung aus Perversion und Unbefangenheit suggeriert…“43, schrieb so etwa Arthur Symons. Abbildung 63: anonym Jane Avril undatiert

Abbildung 64: Henri de Toulouse-Lautrec Jane Avril tanzt 1892

41 Vgl. Maindron 1896, S. 111f. 42 Vgl. Rearick 1985, S. 48. 43 „Elle se donne des airs prudes, alors que tout en elle suggère une sorte de virginité dépravée, un mélange de perversion et d’ingénuité…“ – zitiert nach: Gastou 1997, S. 54.

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Die Kombination von extremer, unnatürlich anmutender Bewegung und einer nahezu ausdruckslosen Miene erprobte Toulouse-Lautrecs bereits ein Jahr vor Entstehen des Plakats in einer Ölstudie Jane Avrils (Abb. 64). Der Unterkörper der Frau wirkt hier völlig verdreht, eine Haltung, die an die Verrenkungen der Grands Hysteriques erinnert. Tatsächlich gehörte Jane Avril, die nach einer traumatischen Kindheit unter psychischen Problemen litt, zu den Hysterikerinnen, an denen Dr. Martin Charcot in der Pariser Salpétrière neue Behandlungsmethoden wie Hypnose und Suggestion erprobte und diese regelmäßig einem Publikum von Fachleuten, aber auch interessierten Laien vorführte. Avril sollte dort schließlich den Tanz für sich entdecken, der eine geradezu therapeutische Wirkung auf die junge Frau hatte – auch hiervon könnte der seltsam verinnerlichte Ausdruck in den Darstellungen Toulouse-Lautrecs zeugen.44 Das vermeintliche Krankheitsbild der Hysterie stieß damals auf reges öffentliches Interesse, galt sie doch als Symptom der schnelllebigen, überspannten Moderne. Wie schon in seinem Plakat für das Moulin Rouge zeigt sich Toulouse-Lautrec auch in seiner Arbeit für Jane Avril damit wieder unmittelbar am Puls der Zeit, die er in ihrer ganzen Ambivalenz einzufangen suchte, wie Victor Joze erklärt: „Denn die Plakate Lautrecs, das ist unser ganzes modernes Leben, mit seinen Traurigkeiten und kränklichen Freuden, mit seinen Ausschweifungen, seinen Scheußlichkeiten, seinen Lügen, seinen grausamen Wunden, bedeckt von einer Maske der Ausgelassenheit, seinen Lachsalven, durchbrochen von Schluchzern!“

45

Nochmals erscheint Jane Avril in Toulouse-Lautrecs Plakat für die Tanztruppe Mlle Eglantines (Abb. 65), mit dem ein Auftritt im Londoner Palace Theatre beworben werden sollte.46 Auch hier wird dem Betrachter das Geschehen auf der Bühne in unmittelbarer Nähe vor Augen geführt, wobei der leicht seitliche Blickwinkel einen Standpunkt in den Kulissen statt im Publikum suggeriert.47 Zu sehen ist eine Gruppe von vier Cancan-Tänzerinnen, von rechts nach links Jane Avril, Cléopâtre, Eglantine Demay und Gazelle; in einer Reihe stehend, werfen sie ihre schwarzbestrumpften Beine in die Luft. Die Röcke der Tänzerinnen verschmelzen in Lautrecs

44 Vgl. Thomson 2005a, S. 18–20. 45 „…car les affiches de Lautrec, c’est toute notre vie moderne, avec ses tristesses et ses joies maladives, avec ses excès, ses hideurs, ses mensonges; ses plaies cruelles couvertes d’un masque de gaieté, ses éclats de rire coupés de sanglots!“ – Joze, Victor: „ToulouseLautrec“. In: La Plume, Nr. 264/ 15.4.1900, S. 244. 46 Vgl. Toulouse-Lautrec. Woman as Myth, Ausst.Kat. Basil & Elise Goulandris Foundation – Museum of Contemporary Art Andros, Turin 2001, S. 173; sowie Devynck 2001, S. 82. 47 Vgl. Henatsch 1994, S. 192f.

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Darstellung zu einer einzigen, wogenden weißen Masse, aus der die einzelnen Beine herausragen – fast wirken sie wie vom restlichen Körper abgetrennt. Die diagonal verlaufende Reihung der Figuren erinnert an Maurice Biais’ ein Jahr zuvor entstandene Darstellung anonymer Tänzerinnen auf dem Plakat der Folies-Bergère (Abb. 56), doch arbeitet Toulouse-Lautrec die individuellen Züge jeder Tänzerin heraus. Zudem durchbricht er die Synchronizität der Darbietung – Jane Avril scheint beim Heben ihres Beins leicht aus dem Takt geraten zu sein. Dieser angedeutete Mangel an tänzerischer Perfektion und Uniformität ist es jedoch gerade, der die Darstellung belebt.48 Wie schon in den Plakaten für das Moulin Rouge und Jane Avrils Auftritt im Jardin de Paris lässt Toulouse-Lautrec den schönen Schein der Bühnenwelt brüchig werden – auch hier wirken die Tänzerinnen keineswegs vergnügt, sondern introvertiert oder sogar verstimmt. Ludwig Hollfeld nannte sie in einem Artikel von 1897/98 „abgelebte Figuren mit eckigen Bewegungen, denen Laster und Sorgen ihren Stempel ins Gesicht geschrieben hatten“; statt eines anziehenden Idealbilds zeige Lautrec die „abstoßende Wahrheit“49. Abbildung 65: Henri de Toulouse-Lautrec Troupe de Mlle Églantine 1896

48 Vgl Hagner 1958, S. 98–100; sowie Hofmann, Werner: Pariser Leben. Toulouse-Lautrec und seine Welt, Ausst.Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg 1985., S. 92. 49 Hollfeld, Ludwig: „Das moderne Plakat“. In: Die Kunst für alle, Heft 7/1.1.1898, S. 97– 103, hier S. 99; vgl. hierzu auch Hofmann 1985, S. 39.

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Ermöglicht wurde dem Künstler eine solche Haltung durch seine Herkunft aus reichem Hause – finanziell nicht auf kommerzielle Aufträge angewiesen, konnte er mit seinen ungeschönten Darstellungen die üblichen Mechanismen der Werbung unterlaufen, auch wenn dies bedeutete, die Ablehnung seiner Entwürfe zu riskieren – tatsächlich polarisierte Toulouse-Lautrec mit seinen Arbeiten wie kaum ein anderer Plakatkünstler der Zeit.50

4.2 D IE B ALLETTTÄNZERIN Als Gegenbild zur frivolen, enthemmten Cancan-Tänzerin fungierte in der Wahrnehmung des späten 19. Jahrhunderts die elegante, disziplinierte Ballerina, die von Plakatkünstlern jedoch deutlich seltener ins Bild gesetzt wurde. Grund hierfür war nicht etwa mangelnde Popularität – auch unter Balletttänzerinnen gab es regelrechte Stars, denen weit reichende Verehrung entgegengebracht wurde. Doch warben traditionsreiche Institutionen der darstellenden Kunst wie die Pariser Opéra oder auch die Comédie Française ausschließlich mit rein schriftlichen Anschlägen. Bildplakate kamen in diesem Kontext lediglich zum Einsatz, wenn Musikverlage die Partituren der aufgeführten Ballette publizierten.51 So entwarf beispielsweise Jules Chéret ein Plakat für Théodore Dubois’ Ballett La Farandole (Abb. 66), dessen Partitur 1884 anlässlich einer Inszenierung der Pariser Oper von Musikalienhändlern angeboten wurde. Chéret zeigt die titelgebende Farandole, einen Ringtanz, der den Höhepunkt des Stücks markiert: In der Hoffnung, Reichtum zu erlangen und so standesgemäß um seine geliebte Yvette freien zu können, begibt sich die männliche Hauptfigur, Olivier, um Mitternacht zu einer Ruine, die von den Geistern junger Tänzerinnen heimgesucht wird – im Plakat zu sehen ist eine ganze Legion beschwingter Ballerinen, deren Reihen bis weit in den Hintergrund der Szene reichen. Rechts unten wird die Darstellung ergänzt durch eine zweite Szene, in der einige Mädchen Olivier unterweisen, wie er beim Vater Yvettes um die Hand der Tochter anhalten solle. Daneben ist ein provenzalisches Tamburin zu sehen, das auf den glücklichen Ausgang verweist: Mit ihm werden am Ende des Stücks die tanzenden Geister davon geführt.52 Die Handlung ist geradezu idealtypisch für das romantische Ballett der Zeit: Nicht nur beschränkte man sich nun fast gänzlich auf Tänzerinnen (Männerrollen

50 Vgl. hierzu Gastou 1997, S. 41–46. 51 Vgl. Wild, Nicole: Les Arts du spectacle en France. Affiches illustrées (1850–1950), Paris 1976 [= Catalogues de la Bibliothèque de l’Opéra, Bd. II], S. 137. 52 Vgl. Broido, Lucy: French Opera Posters 1868-1930, New York 1976, S. xvi, Nr. 4.

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wurden deutlich reduziert oder von Frauen en travesti getanzt),53 auch spielten diese Tänzerinnen meist vergeistigte, verwunschene und überirdische Wesen – ein Handlungsmuster, das sich auch auf die Wahrnehmung der Ballerinen ganz allgemein auswirkte. So zeigt beispielsweise eine zeitgenössische Darstellung die berühmte Tänzerin Marie Taglioni im Bühnenkostüm als ätherische Gestalt, in vollendeter Eleganz scheinbar schwerelos dahinschwebend (Abb. 67).54 Abbildung 66: Jules Chéret La Farandole 1884

Abbildung 67: nach Alfred-Edward Chalon Marie Taglioni in „Flore et Zéphire“ 1831

Eine solch schwerelose Anmutung kennzeichnet auch die Tänzerinnen in Jules Chérets Plakat. Im Gegensatz zu Taglionis entsinnlichter, geradezu puppenhafter Erscheinung verfügen Chérets Ballerinen jedoch auch über ein deutliches Maß an erotischer Attraktivität. Ihre Silhouetten bestechen durch betont weibliche Formen, die durch tiefe Dekolletes und durchsichtige Tutus noch hervorgehoben werden. Ganz allgemein galten Balletttänzerinnen für damalige Verhältnisse als überaus leicht bekleidet, was den Reiz des Balletts in erheblichem Maße mit ausmachte – so beschwerte sich etwa ein Kritiker 1866 nach der Premiere des Stücks La Source, die

53 Vgl. The Dancer. Degas. Forain. Toulouse-Lautrec, Ausst.Kat. Portland Art Museum Portland, Seattle 2008, S. 63. 54 Vgl. DeVonyar, Jill: „Re-Presenting the Dance. Degas’s Inheritance and Legacy“. In: Kat. Portland 2008, S. 199–233, hier S. 204.

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Tänzerinnen hätten zuviel Kleidung getragen.55 Im Plakat zu La Farandole werden die gegensätzlichen Momente der erotischen Anziehung und des vergeistigten, entrückten Idealbilds kombiniert, wobei der Fokus auf ersterem liegt. Die Ballerinen werden dabei nicht als Individuen wiedergegeben, sondern bestechen primär durch ihre anonyme Masse – ein wiederkehrendes Motiv in Ballettplakaten, wie auch Théophile-Alexandre Steinlens Enwurf für Le Rêve (Abb. 68) zeigt. Abbildung 68: Théophile-Alexandre Steinlen Le Rêve 1890

Das Ballett Léon Gastinels, dessen Handlung auf einer japanischen Legende beruht, wurde 1890 an der Pariser Opéra aufgeführt; im selben Jahr erschien die Partitur im Handel. Steinlen wirbt hierfür mit der Darstellung einer Szene aus dem ersten Akt: Über der Bühne öffnet sich ein riesenhafter magischer Fächer, darüber schwebt die Göttin Isanami. Sie wird Daїta, die Heldin des Stückes – rechts im Vordergrund zu sehen – in die Traumwelt hinter dem Fächer führen.56 Das Plakat betont sowohl die

55 Vgl. DeVonyar 2008, S. 231, Anm. 9; sowie zur Erotik der Balletttänzerin allgemein Herbert 1989, S. 149. 56 Vgl. Broido 1976, S. xxf., Nr. 28.

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opulente exotische Ausstattung wie auch die schiere Masse der Tänzerinnen, deren lange Reihen in perfekt synchronisierter Bewegung die Bühne füllen. Rosita Mauri, die Primaballerina in der Rolle Daїtas, ist zwar gegenüber dem Corps de Ballett hervorgehoben und stark vergrößert wiedergegeben, doch fehlen auch ihrer Figur jegliche individuelle Züge. Abbildung 69:

Gustave Doré Die Ratten der Oper 1854

Die Anonymität der Tänzerin, die in der perfekt synchronisierten Masse ihrer Kolleginnen untergeht und als Individuum nicht mehr auszumachen ist, war augenscheinlich ein wichtiger Topos in der Wahrnehmung des späten 19. Jahrhunderts. Hiervon zeugt beispielsweise auch eine Karikatur Gustave Dorés (Abb. 69): Der Künstler zeigt eine lange Reihe fast gänzlich identischer ‚Ballett-Ratten‘, die sich im Hintergrund im Dunkel der Bühne verlieren. Rechts vorn klatschen zwei Zuschauer in ihrer Loge begeistert Beifall, ein Dritter direkt dahinter hat – obwohl selbst in unmittelbarer Nähe zur Bühne platziert – das Opernglas zu Hilfe genommen, um die Tänzerinnen genauer begutachten zu können. Während die Ballerinen gänzlich gesittet und diszipliniert die technische Herausforderung des Spitzentanzes bewältigen, verdeutlicht Doré, dass dem (hier ausschließlich männlichen) Publikum weniger an der tänzerischen Raffinesse als an der Zurschaustellung weiblicher Reize gelegen haben dürfte.57

57 Vgl. Schmaußer 1991, S. 191f.

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Abbildung 70:

Léopold Lelée Folies-Bergère um 1895

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hielt das Ballett schließlich auch Einzug in die Revuen der music halls, sogar die Stars unter den Ballerinen wurden angeworben – so tanzte etwa Cléo de Merode in den Folies-Bergère. Hierin offenbart sich das Bemühen der Direktoren, das Niveau ihrer Programme aufzuwerten und sich verstärkt an den Standards der ‚Hochkultur‘ zu orientieren.58 Zugleich erfuhr in diesem neuen Umfeld aber auch der erotische Aspekt des Balletts eine stärkere Betonung. Zu sehen ist dies beispielsweise an einem Plakat Léopold Lelées für die FoliesBergère (Abb. 70), das im Vordergrund drei Tänzerinnen in äußerst freizügigen, floral anmutenden Kostümen zeigt. Rechts hat sich eine der Frauen, deren Tutu an eine Klatschmohnblüte erinnert, auf die Knie niedergelassen und präsentiert dem Betrachter ihr ausgesprochen tiefes Dekollete. Die Kostüme der beiden Tänzerinnen neben ihr bestehen aus langen, blütenblattartigen Röcken, lassen jedoch die Brüste der Frauen gänzlich unbedeckt. Die mittlere Tänzerin spielt kokett mit einem durchsichtigen Schleier, ihre Kollegin ganz links hat sie um die Hüfte gefasst, so-

58 Vgl. Ochaim 1998a, S. 101.

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dass diese sich weit zurücklehnen kann. Im Hintergrund bevölkern wiederum lange Reihen anonymer Tänzerinnen, ebenfalls in Blumenkostümen, die Bühne. Diese Frauen sind ohne jegliche individuelle Züge und in einer gänzlich synchronen Bewegung festgehalten. Zudem zeigt der Künstler ihre Metamorphose zu großen Lilienblüten – zugleich ein traumartiges Moment und eine Bildidee ganz im Sinne des Art Nouveau, der florale Formen mit weiblichen Figuren verband. Lelée illustriert mit dieser Darstellung die Verse am unteren Bildrand des Plakats:59 „Die Biegsamkeit der Köper der Akrobaten und die Nacktheit der Tänzerinnen – die Gestalten langer Blumen der einen im Strudel der zum Kelch geweiteten Röcke, die schlanken Beine, die wie zwei Blütenstempel wirken, die abrupte Überstreckung der rückwärts gebogenen Hüften, wie große Lilien nach dem Regen, und dabei fegt die ausgebreitete Flut des Haars plötzlich den Boden.“

60

Ein Plakat Maurice Biais’, das ebenfalls für das Ballett-Corps der Folies-Bergère wirbt (Abb. 71), zeigt dagegen nicht die Aufführungssituation, sondern gewährt einen Blick hinter die Kulissen. Zu sehen sind vier Tänzerinnen in weißen, stark gebauschten Tutus, die an den geschlossenen Vorhang herangetreten sind. Eine der Frauen versucht, durch ein Loch einen Blick aufs Publikum zu erhaschen. Der Betrachter kann sich so direkt ins Geschehen hineinversetzt fühlen; er erhält Einblicke, die ihm selbst beim Besuch der entsprechenden Aufführung versagt bleiben würden. Wegweisend für eine derartige Darstellung des Ballettbetriebs hinter der Bühne dürften die Arbeiten Edgar Degas’ gewesen sein, der sich bereits einige Jahrzehnte zuvor mit dem Sujet der auf ihren Auftritt wartenden Tänzerin beschäftigt und selbiges vielfach variiert ins Bild gesetzt hatte. Während Degas’ Arbeiten den Eindruck einer spontanen Momentaufnahme vermitteln, in der die Tänzerinnen sich augenscheinlich unbeobachtet fühlen und mitunter wenig elegante Posen einnehmen, betont Biais die Reize der Ballerinen durch äußerst knappe Tutus, schlanke Taillen und tiefe Dekolletes. Kokett blickt die Tänzerin rechts im Vordergrund aus dem Augenwinkel zum Betrachter, dessen Anwesenheit sie sich bewusst zu sein

59 Vgl. Schardt 1987, S. 108; sowie Weill 1977, S. 6, Nr. 32. 60 „La souplesse étirée et robuste des corps d’acrobates et des nudités de danseuses – l’aspect de longues fleurs des unes dans le remous des jupes évasées en calice, les jambes fines apparues comme deux pistils, le cambrement brisé des tailles renversées en arrière, tels de grands lys après la pluie, et balayant soudain le sol, le flot éployé des chevelures.“ – Der Autor dieser Zeilen wird im Plakat mit „Rattif de la Bretonne“ angegeben, doch lässt sich kein Schriftsteller dieses Namens ausfindig machen. Ende des 18. Jahrhundert war Restif de la Bretonne schriftstellerisch tätig – ob ihm diese Zeilen zuzuschreiben sind, ist jedoch nicht gesichert. Vgl. hierzu Weill 1977, S. 6, Nr. 32.

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scheint. Ein zusätzliches Spannungsmoment erzeugt der Blick ihrer Kollegin durch das Loch im Vorhang, der auch auf die voyeuristische Rolle des Betrachters in dieser ganz augenscheinlich nicht für das Publikum bestimmten Situation vor dem Auftritt anspielt. Abbildung 71:

Maurice Biais Folies-Bergère um 1900

Der Blick hinter die Kulissen des Balletts war offenbar ganz allgemein von großem Interesse, wie eine überaus erfolgreiche Wachsfiguren-Ausstellung des Pariser Musée Grévin belegt: Les Coulisses de l’Opéra zeigte Tänzerinnen in typischen Situationen auf und hinter der Bühne.61

61 Zur Ausstellung selbst vgl. Schwartz, Vanessa R.: Spectacular Realities. Early Mass Culture in Fin-de-Siècle Paris, Berkeley/Los Angeles/London 1998, S. 135.

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Abbildung 72: Das Plakat zur Ausstellung stammt von Jules Jules Chéret Chéret (Abb. 72), lässt jedoch den Blick hinter Musée Grévin – die Kulissen kaum erahnen. Vielmehr wird der Les Coulisses de l’Opéra Betrachter direkt mit einer Tänzerin in vollende1891 ter Ballett-Pose konfrontiert; elegant balanciert sie auf den Zehenspitzen und fasst mit graziler Geste den Saum ihres gelben Tutus. Letzteres wird in einer impressionistisch anmutenden Strichtextur aufgelöst, die Bewegung im flirrenden Rampenlicht suggeriert und die Darstellung so der Alltäglichkeit entrückt.62 Hinterfangen wird die Figur von weiteren, bläulich verschatteten Tänzerinnen in nicht minder eleganten Posen, deren Körper jedoch durch Überschneidungen fragmentiert erscheinen; links oben ist so etwa eine Reihe anmutig erhobener Arme zu sehen. Ein Foto der beworbenen Ausstellung (Abb. 73) zeigt die Ballerinen beim Aufwärmen, beim Zurechtzupfen ihrer Kostüme und in der Begegnung mit den Abonnenten der Oper, die auch zu den Bereichen hinter der Bühne Zugang erhielten. Hier konnten sie Bekanntschaften schließen mit jungen, hübschen Tänzerinnen, die meist aus ärmlichen Verhältnissen stammten und hofften, unter den wohlhabenden abonnés einen Gönner zu finden – das Ballett erhielt damit den Beigeschmack der Halbwelt. Insbesondere der Karikaturist Jean-Louis Forain nahm sich dieser Thematik in zahlreichen, variierenden Arbeiten an.63 So zeigt etwa die Unterhaltung mit einer Tänzerin hinter der Bühne (Abb. 74) eine Ballerina, die auf ihrem Weg von einem augenscheinlich gut situierten Herrn in Frack und Zylinder angehalten wird. Spielerisch versperrt er ihr mit seinem Gehstock den Weg, sie lehnt sich zurück und lächelt ihren Verehrer an.

62 Vgl. Buschhoff 2001, S. 21–23; sowie Hagner 1958, S. 51. 63 Zu Forain vgl. Dixon, Annette: „Investigations of Modernity. The Dancer in the Works of Degas, Forain, and Toulouse-Lautrec“. In: Kat. Portland 2008, S. 13– 39, hier S. 26–33; sowie Valdès-Forain, Florence: „Forain at the Opéra. Fascinated Observer“. In: Kat. Portland 2008, S. 81–113.

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Abbildung 73: Musée Grévin – Blick in die Ausstellung „Les Coulisses de l’Opéra“ 1890

Eine ähnliche Situation gestaltet Georges Redon in seinem Plakat für eine Revue der Scala, La Tournée des Grands Ducs (Abb. 75): Zu sehen ist wiederum ein wohlhabender abonné mit Frack, Zylinder, weißen Handschuhen und Spazierstock. Mit seinem weißen Haar und Bart erscheint er deutlich älter als die Tänzerin in seinem Arm, die kokett lächelnd zu ihm emporblickt. Mit dem Ellbogen stützt sich der Mann auf eine Ballettstange, ein Hinweis darauf, dass die Szene im Foyer de la Danse, dem Aufwärmraum der Tänzerinnen hinter der Bühne, spielt. Die entspannte, selbstbewusste Haltung der jungen Ballerina – die Hand hält sie in die Hüfte gestützt, die Beine übereinander geschlagen – sowie ihr wissendes Lächeln deuten an, dass sie nicht als Ausgebeutete zu sehen ist, sondern bewusst auf ihren persönlichen Vorteil aus der Bekanntschaft spekuliert. Der Realität dürfte dies wohl kaum entsprochen haben, drohte den Tänzerinnen ohne einen Förderer doch meist eine finanzielle Notlage, da sie nicht nur selbst für ihre Kostüme aufkommen, sondern in der Regel auch ihre Familie finanziell unterstützen mussten.64

64 Vgl. DeVonyar 2008, S. 203; sowie Dixon 2008, S. 13f.

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Abbildung 74 Jean-Louis Forain Unterhaltung hinter der Bühne um 1885-90

4.3 D ER T ANZ

Abbildung 75: Georges Redon Scala – La Tournée des grands ducs 1906

ALS SPEZIFISCH ‚ WEIBLICHE ‘

K UNSTFORM

Das Gros der Plakate, die mit oder für Tänzerinnen werben, fokussiert deren verführerische Zurschaustellung. Entsprechend damaliger Vorstellungen erscheint der Tanz als eine rein körperliche Kunstform, häufig mit stark erotischer Komponente, die keinerlei intellektuelle Durchdringung erfordert. „Ihre Kunst wendet sich an die Sinne, nicht an den Geist…“65, schrieb etwa Octave Uzanne über die Tänzerinnen, denen er daher auch tiefer greifende geistige Fähigkeiten absprach: „Der Stern der Tanzkunst hat ein Pfauenhirn und ein Putenherz: seine ganze Psychologie steckt in den Beinen.“66 Gerade diese Reduktion auf die reine Körperlichkeit ließ den Tanz als perfekte künstlerische Ausdrucksform für die Frau erscheinen, galt sie doch als von Natur aus irrational und sinnenbetont. So erklärte etwa Karl Scheffler in seiner Abhandlung Die Frau und die Kunst von 1908, aufgrund mangelnder Ratio seien Frauen zu

65 Uzanne o. J., S. 277. 66 Ebd., S. 278.

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originären Schöpfungen in den Bereichen der Bildenden Kunst, Musik oder Literatur nicht fähig. Einzig in der rein instinktbasierten Tanzkunst könnten sie reüssieren:67 „Im Tanz äußern sich die künstlerischen Grundinstinkte, ohne zu bleibenden Gebilden selbst schon zu gelangen, er ist ganz ein Ausdruck des universellen, noch nicht intellektuell zerlegten Lebensdranges, ist eine elementarische Äußerung des Instinkts und des mit sich selbst 68

noch unbekannten Gefühlslebens.“

Die allgemeine Begeisterung für den Tanz, gerade auch in exzentrischen Formen wie dem Cancan, der sich in entfesselten Bewegungen über alle gesellschaftlichen Regeln und Anstandsvorstellungen hinwegzusetzen schien, mag so auch einer Sehnsucht nach Ursprünglichkeit geschuldet sein, die wiederum primär durch die Frau verkörpert wird. Der Tanz gilt Scheffler folgerichtig als primär weibliche Domäne, als „Universalkunst, die eigentlich gar keine ist und worin doch alle Künste wurzeln; versucht [die Frau] es aber einer einzelnen sich hinzugeben, so zerstört sie die Geschlossenheit ihrer Natur.“69 – Wollten Frauen nicht ihrer Natur zuwider handeln, mussten sie demnach von wirklichen künstlerischen Ambitionen absehen.

4.4 T ANZ , WEIBLICHE V ERFÜHRUNGSKUNST H ALBWELT

UND

In seiner betonten Sinnlichkeit wurde der Tanz als Teil weiblicher Verführungskunst angesehen, Tänzerinnen hatten häufig einen zweifelhaften Ruf. Hinzu kam, dass in den music halls auch immer wieder bekannte Kurtisanen der Zeit, wie beispielsweise Liane de Pougy oder Émilienne d’Alençon (bürgerlich Émilienne André), mit Tanzdarbietungen auftraten. De Pougy war so in den Folies-Bergère in einem Stück zu sehen, das bewusst mit dem Image der femme fatale spielte – das zugehörige Plakat (Abb. 76) zeigt sie inmitten eines großen Spinnennetzes; einige zu Boden gefallene Rüstungsteile rechts im Vordergrund verweisen auf die männlichen Opfer der verführerischen, Verderben bringenden Frau.70

67 Vgl. hierzu auch Schmaußer 1991, S. 190–199. 68 Scheffler 1908, S. 44f. 69 Ebd., S. 47f. 70 Vgl. Weill 1977, S. 4f., Nr. 24.

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Abbildung 76: Paul Berthon Folies-Bergère – Liane de Pougy 1896

Das Plakat für Émilienne d’Aleçons Auftritt in den Folies-Bergère (Abb. 77) zeigt die Kurtisane in tänzerischer Pose auf der Bühne. Sie trägt ein äußerst freizügiges Kostüm, ebenso knapp geschnitten wie durchsichtig, und einen extravaganten, übergroßen Hut. Im Vordergrund ist eine weitere Figur mit Hut, Mantel und Schirm zu sehen, die sich erschrocken zur Seite beugt – möglicherweise ein Bühnenkünstler, der dem Auftritt der Kurtisane weichen muss. Die bewundernden Blicke des im Hintergrund gezeigten Publikums zieht jedoch einzig d’Alençon auf sich, darunter auch mehrere Frauen, die buchstäblich zu ihr aufschauen.71 Stärker als eine Bewunderung durch die Zuschauerinnen dürfte jedoch realiter die Tatsache ins Gewicht gefallen sein, dass die Kurtisanen auf der Bühne sich zumindest den Blicken eines breiten männlichen Publikums feilboten – Claudia Balk nennt dies eine „vorgegaukelte Verfügbarkeit der Frau“72 (beziehungsweise mehrerer auftretender Frauen zur gleichen Zeit). Die Zurschaustellung der ‚käuflichen‘ Frauen auf der Bühne steht dabei im Kontext der im 19. Jahrhundert neu entstandenen Konsumgesellschaft, in der eine Vielzahl verschiedenster Genüsse für die breite Masse zugänglich wurden. Nicht unerheblich für die sexualisierte Wahrnehmung der Tänzerin dürfte auch der gerade erst ‚erfundene‘ Striptease gewesen sein – 1894 machte das Pariser Ambassadeurs erstmals die Entkleidung einer Frau zum Bühnenprogramm.73 Besonders freizügig gestaltete in der Folge JulesAlexandre Grün seine Variété-Plakate: Für die Revue à Poivre der Scala (Abb. 78) etwa setzte er eine modisch gekleidete, ausgelassen lachende Parisienne ins Bild,

71 Vgl. Weill 1977, S. 4f., Nr. 23. 72 Balk. Claudia: „Vom Sinnenrausch zur Tanzmoderne“. In: Kat. München/Berlin/Leipzig 1998, S. 7–68, hier S. 15. 73 Vgl. Barthelmess 1994, S. 22; sowie Rearick 1985, S. 104.

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die sich gerade mit sichtlichem Vergnügen ihrer Kostümjacke entledigt. Die tief dekolletierte, durchsichtige Bluse darunter gibt den Blick auf ihre Brüste frei; die in ein Mieder geschnürte Wespentaille kontrastiert mit den üppigen, ausladenden Hüften der Figur. Abbildung 77: Jules Chéret Folies-Bergère – É. d’Alençon 1894

Abbildung 78: Jules Alexandre Grün Scala – Revue à Poivre 1900

Andere Plakate des Künstlers betonen den Halbwelt-Flair der café-concerts und music halls durch die Darstellung von demimondaines, die tatsächlich häufig in entsprechenden Etablissements verkehrten – hier gingen sie auf Kundenfang und erhielten dazu teils sogar Freikarten, um als zusätzliche ‚Attraktion‘ ein sensationslüsternes Publikum anzuziehen. Das Élysée Montmartre warb in der Saison 1886/87 sogar ganz ungeniert damit, dass sich dort „…auf zwanglose Art und Weise Gentlemen und hübsche Frauen kennen lernen können.“74 Grüns Plakat für das Tréteau de Tabarin (Abb. 79) zeigt einen augenscheinlich gut situierten Herrn in Frack und Zylinder zwischen zwei Frauen, deren ebenso freizügige wie extravagante Kleidung sie als Edelprostituierte identifiziert. Laut Bildinschrift kommen sie soeben aus dem beworbenen Lokal.75 Alle drei lachen ausgelassen, während im Hintergrund zwei

74 Zitiert nach: Barthelmess 1994, S. 19f. 75 „D’où viennent-ils? Du Tréteau de Tabarin“

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Polizisten gleichmütig die Szene betrachten. Direkt ins Geschehen involviert sind die Ordnungshüter in Grüns Plakat für das Café Riche (Abb. 80): Zwei Polizisten haben eine modisch gekleidete Kokotte in ihre Mitte genommen, laut Plakattext eskortieren sie die Frau „au Violon“76, ein anzüglicher Spitzname für das Untergeschoss des beworbenen Etablissements,77 zugleich aber auch ein umgangssprachlicher Ausdruck für Gefängnis. Grün spielt hier auf die strengen staatlichen Reglements an, die zu regelmäßigen Verhaftungen von Frauen aufgrund von Prostitutionsverdacht führten. In seinem Plakat zeigt er jedoch nicht die oft willkürlichen Repressalien von Seiten der Sittenpolizei, sondern eine geschönte Szene, in der Polizisten und Prostituierte sich gemeinsam vergnügen.78 Abbildung 79: Jules Alexandre Grün Treteau de Tabarin 1898

Abbildung 80: Jules Alexandre Grün Café Riche – Au Violon 1896

76 „Où la mènent-ils? Au Violon“ 77 Vgl. Noël/Herbaut 2012, S. 33. 78 Vgl. Ilan-Alter 1988, S. 71f.; sowie Springer 1971, S. 382–385.

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4.5 D IE T ÄNZERIN IM W ARENPLAKAT Nicht nur für die Vergnügungsindustrie, auch für Konsumartikel warben Plakatkünstler mit der Darstellung von Tänzerinnen – ein Beleg für die überaus große Beliebtheit, derer sich dieser Typus Ende des 19. Jahrhunderts erfreute. So zeigt beispielsweise Leonetto Capiello in seinem Plakat für die Zeitschrift Le Frou-Frou (Abb. 81) eine beschwingt in die Luft springende Cancan-Tänzerin, die das beworbene Blatt empor hält – ihre Dynamik überträgt sich auch auf den Werbeschriftzug am unteren Bildrand; die Buchstaben scheinen auf und ab zu hüpfen. Durch die heftige Bewegung bauscht sich der üppig mit Rüschen verzierte Rock der Tänzerin und gibt dabei den Blick frei auf die schwarzen Strümpfe sowie den Saum der leuchtend roten Unterhose. Mehr noch als in seinem Plakat für die Folies-Bergère (Abb. 55) arbeitet Capiello so die Pikanterie des Tanzes heraus und spielt zugleich auf den Titel der beworbenen Zeitschrift an: Frou-Frou bezeichnet ursprünglich das Rascheln der Unterröcke, hier wird der Begriff auf das Rauschen im Blätterwald übertragen. Abbildung 81: Leonetto Capiello Le Frou-Frou 1899

Abbildung 82: Weiluc (Lucien-Henri Weil) Le Frou-Frou 1900

Folgerichtig legt auch Lucien-Henri Weil, bekannt unter dem Künstlernamen Weiluc, in seinem Plakat für dasselbe Blatt (Abb. 82) den Fokus auf die Unterröcke einer Tänzerin. Diesmal hat sich die Figur in einem breiten Sessel niedergelassen und die Beine übereinander geschlagen. Ihre bauschig zurückgeschlagenen Unter-

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röcke verdecken den Körper der Dargestellten dabei fast völlig, neben Augen und Stirn ragt lediglich die rechte Hand mit einer Ausgabe des Frou-Frou hinter dem Rocksaum hervor. Umso mehr betont werden die schwarzbestrumpften Beine, die sich effektvoll vom flächigen Weiß der üppigen Unterröcke abheben. Wie in Toulouse-Lautrecs Plakat für die Troupe de Mlle Églantine (Abb. 65) erscheinen die Beine der Tänzerin so vom restlichen Körper isoliert; Weiluc entwickelt die erotische Ausstrahlung seiner Figur sogar fast ausschließlich aus diesem Motiv. En detail sind die Strümpfe dargestellt, die über dem Knie enden und mit blumenverzierten Strumpfbändern befestigt sind. Hierin spiegelt sich die geradezu fetischhafte Verehrung, die das späte 19. Jahrhundert schwarzen Damenstrümpfen entgegenbrachte. Ursprünglich ein Attribut der Prostituierten, entwickelten sie sich in der zweiten Jahrhunderthälfte zum modischen Accessoire der modernen Pariserin allgemein, ohne dabei jedoch ihre provokative erotische Note ganz zu verlieren.79 Sogar ein eigenes Lied wurde diesem Kleidungsstück gewidmet; anschaulich beschreibt es die Faszination, die schwarze Strümpfe auf einen Mann ausüben – die Trägerin selbst wurde dabei zur Nebensache.80 Deutlich kommt dies in Weilucs Plakat zum Ausdruck, der die Frau auf ihre Beine sowie einen verruchten Blick über den Rocksaum reduziert. Zusätzlich erzeugt der Künstler ein gewisses Halbweltflair, indem er die Dargestellte als Raucherin identifiziert; neben der beworbenen Zeitschrift hält sie eine brennende Zigarette in der Hand, die aufsteigenden Rauchschwaden bilden den Werbeschriftzug des Plakats. Deutlich weniger betont erscheint das erotische Moment bei der Ballerina, die Léo Gausson als Werbefigur für Lessive Figaro ins Bild setzt (Abb. 83). Die Dargestellte trägt ein rotes Trikot und Strümpfe in derselben Farbe, von denen sich ein voluminöses gelbes Tutu effektvoll absetzt. Ihre Figur ist betont schlank, die Wespentaille kontrastiert jedoch mit einer üppigen Büste. Auf Zehenspitzen balanciert die Tänzerin auf einer Tonne des beworbenen Waschmittels, um ein großes weißes Laken an einer Wäscheleine aufzuhängen. In einer für Wasch- und Reinigungsmittel typischen Manier wird so das makellose Ergebnis der Wäsche vor Augen geführt. Dass Gausson hierzu eine Tänzerin als Werbefigur wählt, erscheint ungewöhnlich, unterstreicht jedoch noch einmal nachdrücklich die große Beliebtheit

79 Vgl. Perucchi-Petri 2001, S. 90. 80 „Au jardin de Paris/ Lorsque je vis Palmyre/ Elle avait des bas gris/ Je ne sus rien lui dire./ Mais quand le lendemain/ J’aperçus à la belle des bas de noir satin/ Mon cœur prit feu pour elle./ Les bas noirs./ Les bas noirs./ Sont les bas que je préfère./ Bien des jours, bien de soirs/ A mon cœur ils ont su plaire/ Les bas noirs./ Les bas noirs./ En disent plus qu’un poème/ Et la danse que j’aime/ C’est la valse des bas noirs…“ – La Valse des bas noirs, um 1895, Text: Delormel und Garnier, Musik: Gaston Maquis; zitiert nach: Eckert Boyer 1988, S. 168, Anm. 75.

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derartiger Darstellungen: Auch ohne erkennbaren inhaltlichen Bezug warb die zeitgenössische Plakatkunst mit Tänzerinnen für verschiedenste Produkte. Offenbar wird dies auch an den ‚Werbedamen‘ Jules Chérets, die, obschon nicht eindeutig als Tänzerin identifiziert, doch durch ihre beschwingte, tänzerische Anmutung bestechen – zu sehen ist dies beispielsweise in Chérets Plakat für Vin Mariani (Abb. 44, S. 72), das bereits im vorangegangene Kapitel besprochen wurde. Abbildung 83:

Léo Gausson Lessive Figaro 1893

4.6 L A F ÉE

LUMINEUSE

– L OÏE F ULLER

Eine ganz eigene Form des Tanzes kreierte die Amerikanerin Loïe Fuller, die ab den 1890er Jahren in Paris mit ihren so genannten ‚Serpentinentänzen‘ immense Erfolge feierte.81 Von eher kleiner, untersetzter Statur, verhüllte sie ihren Körper fast

81 Zur Biografie Loïe Fullers vgl. Gastou 1997, S. 62–64.; sowie Perrin, Jérôme: „Repères biographiques“. In: Loïe Fuller. Danseuse de l’art Nouveau, Ausst.Kat. Musée des Beaux-Arts Nancy, Paris 2002, S. 19–25.

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vollständig mit meterlangen Stoffbahnen, die sie mittels eingearbeiteter Bambusstäbe in Bewegung zu setzen vermochte. Während sich die Tänzerin selbst kaum bewegte (sie schwang lediglich die Arme und drehte sich mit kleinen Schritten im Kreis), entstanden durch die schwingenden und flatternden Stoffmassen bewegte ‚Skulpturen‘ im Raum, die ihre Gestalt fortwährend veränderten – ein Prinzip, das sich Fuller sogar eigens patentieren ließ. Die im Tanz entstehenden Figuren wurden mit wechselnder, farbiger Beleuchtung angestrahlt, während der übrige Bühnenraum in völliger Dunkelheit lag.82 Technisch penibel durchgeplant, bestachen die Auftritte Fullers durch ihre irreell-phantastische Anmutung, weshalb Zeitgenossen sie auch als la fée lumineuse (die leuchtende Fee) bezeichneten.83 Enthusiastisch beschrieb Georges Rodenbach Fullers Tanz als fortwährende Metamorphose: „Welch ein Wunder unaufhörlicher Verwandlungen! Die Tänzerin bewies, daß die Frau, wenn sie will, das ganze Universum in sich vereinigen kann: Sie war Blume, Baum im Wind, sich wandelnde Wolke, riesiger Schmetterling, Garten mit Stoffalten als Wegen. Aus heiterem Himmel war sie da, und dann kehrte sie plötzlich dorthin zurück. Sie gab sich hin, sie 84

entzog sich. Sie ging und erschuf so sich selbst…“,

Nicht minder begeistert zeigte sich auch Ernest de Crauzat: „Blume! Schmetterling! Flammen! Flammen! Aus dem Mysterium des Schattens, den Tiefen der Nacht, bricht ein Traumwesen hervor, gespenstisch, unwirklich, eine feengleiche Erschei85

nung, die sich in einer Apotheose aus Licht und Feuer zu erkennen gibt.“

Auch viele bildende Künstler waren von diesem Spektakel fasziniert und suchten Fullers Darbietungen im Bild festzuhalten. Die Tänzerin selbst wiederum war bestrebt, die Aufmerksamkeit der Kunstwelt und der Medien für eigene Zwecke ein-

82 Vgl. Garelick, Rhonda K: Electric Salome. Loie Fuller’s Performance of Modernism, Princeton/Oxford 2007, S. 32–41 und S. 124; Le Coz, Francçoise: „Loïe Fuller et la danse“. In: Kat. Nancy 2002, S. 35–41; sowie Lista, Giovanni: „Loïe Fuller et le cinéma“. In: Kat. Nancy 2002, S. 71–81, hier S. 71–75. 83 Vgl. Brandstetter, Gabriele: Loïe Fuller – Mythos einer Tänzerin“. In: dies./Ochaim, Brygida Maria: Loïe Fuller. Tanz – Licht-Spiel – Art Nouveau, Freiburg i. Br. 1989, S. 86–146, hier S. 128. 84 Zitiert nach: Brandstetter/Ochaim 1989, S. 199. 85 „Fleur! papillon! flammes! flammes! Du mystère de l’ombre, des profondeurs de la nuit, surgit, fantomatique, irréel, un être de rêve, apparition féerique se révélant dans une apothéose de lumière et de feu. “ – de Crauzat, Ernest: „La Loïe Fuller“. In: L’Estampe et l’affiche, Nr. 10/Dez. 1897, Bd. 1/1. Jahrgang, S. 242f., hier S. 242.

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zusetzen. Folgerichtig wurden einige der bedeutendsten damaligen Plakatkünstler beauftragt, für die Auftritte Fullers zu werben. Die spezifischen visuellen Effekte ihrer Tanzkunst stellten dabei eine besondere Herausforderung dar, der die Künstler auf verschiedenste Art begegneten.86 Fernand Sigismond Bach etwa, tätig unter dem Künstlernamen Bac, verzichtete in seinem Plakat für Fullers Auftritt in den Folies-Bergère von 1892 (Abb. 84) gänzlich auf die Wiedergabe der charakteristischen changierenden Licht- und Farbeffekte. Er zeigt die Tänzerin zur Seite gewandt und wie eine Ballerina auf Zehenspitzen stehend. Mit hoch erhobenen Armen versetzt sie die Stoffbahnen ihres Kostüms in kunstvolle Wellenbewegung. Die dargestellte Figur hat dabei jedoch keinerlei Ähnlichkeit mit der realen Person – das Gesicht lässt keine individuellen Züge erkennen und auch die schlanke, grazile Körperform, die unter dem durchsichtigen Stoff sichtbar wird, ist nicht der untersetzen Figur Fullers nachempfunden, sondern dem zeitgenössischen Idealbild einer Balletttänzerin. Abbildung 84:

Bac (Fernand Sigismond Bach) Loïe Fuller aux Folies-Bergère 1892

86 Vgl. Boulanger 1991, 19–21; sowie Weaver Chapin, Mary: „Stars of the Café-Concert“. In: Kat. Washington/Chicago 2005, S. 137–143, hier S. 141f.

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1893 entwarf Jules Chéret ein Plakat für Loïes Auftritt in den Folies-Bergère, das in vier verschiedenen Farbvarianten gedruckt wurde (Farbabb. 4, 5, S. 162). Nebeneinander plakatiert, sollten diese das Licht- und Farbenspiel der Darbietungen Fullers vor Augen führen.87 Vor dunklem Grund wird die Figur der Tänzerin in nahezu schwebender Leichtigkeit wiedergegeben. Elegant auf der Spitze des linken Fußes balancierend, führt sie eine Pirouette aus, die auch ihr weites Gewand in wirbelnde Bewegung versetzt – eine Bewegung, die jedoch nicht annähernd so elaboriert und elegant ist wie in den realen Bühnendarbietungen Fullers. Den Reiz der Darstellung macht vielmehr die Figur der Tänzerin selbst aus. Diese ist wiederum weniger der wirklichen Erscheinung Fullers als dem vorherrschenden Schönheitsideal nachempfunden: Lachend hat sie den Kopf zurückgeworfen, erscheint ausgelassen und beschwingt. Die Konturen des Körpers scheinen durch den dünnen Stoff hindurch, Waden, Arme und Dekollete bleiben gänzlich unbedeckt. Während Fuller bei ihren Auftritten realiter fast gänzlich hinter bewegten Stoffmassen verschwand, wird hier gerade das körperlich-sinnliche Moment des Tanzes betont –88 ganz entsprechend der damaligen Assoziation von Tanz und weiblicher Verführungskunst. Dasselbe Darstellungsschema greifen zwei weitere Plakate Chérets für Loïe Fuller auf, die 1897 entstanden (Farbabb. 6, 7, S. 162). Auch hier werden Fullers körperliche Reize betont; sie erscheint dynamisch-bewegt in klassischen tänzerischen Posen. Die Farbeffekte, die zuvor auf das Gewand der Dargestellten beschränkt waren, erfassen nun die gesamte Figur, was ihre unwirkliche Erscheinung noch unterstreicht. Ähnlich verfährt auch der unter dem Pseudonym Pal tätige Jean de Paléologue in einem um 1895 entstandenen Plakat für Loïe Fuller (Farbabb. 8, S. 163): Die Tänzerin balanciert auf Zehenspitzen inmitten einer spiralförmig wirbelnden Stoffbahn, der zahlreiche leuchtende Farbsplitter die Anmutung eines flirrenden Regenbogens verleihen. Deutlich zeichnen sich durch den transparenten Stoff die idealisierten Körperformen der augenscheinlich nackten Tänzerin ab, deren blauviolett verschattete Figur gänzlich irreal anmutet. Zwei weitere Plakate Pals für Loïe Fuller entstanden um 1897; sie bilden Fuller einmal schräg von hinten (Abb. 85) und einmal von vorn ab (Farbabb. 9, S. 163). Wie bei Chéret wird die Tänzerin auch hier in beschwingter Bewegung gezeigt; mitten im Sprung erfasst, scheint sie regelrecht im Bild zu schweben. Beide Plakate zeigen typische Bewegungsfiguren aus Fullers Tänzen, verhüllen jedoch den Körper der Dargestellten kaum. Wiederum betont der Künstler die wohlgeformten weiblichen Rundungen der Tänzerin, wohl aus Gründen der Dezenz verzichtet er jedoch auf Details. Die vielfarbigen, splitterartigen

87 Vgl. Thon 1968, S. 34f.; sowie Weill 1977, S. 4, Nr. 19. 88 Vgl. Garelick 2007, S. 166; sowie Hagner 1958, S. 133–135.

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Lichtreflexe aus Pals erstem Plakat für Fuller sind ersetzt durch weniger spektakuläre, weich fließende Farbverläufe in Blau, Rot und Gelb, die in gleichem Maße Gewand und Körper erfassen. Während die Rückenansicht Fullers Technik, die Stoffbahnen mittels Stäben zu bewegen, noch recht genau wiedergibt, gehen in der frontalen Darstellung die Arme der Tänzerin scheinbar nahtlos in den schwingenden Stoff über – Tänzerin und Gewand verschmelzen zu einer Einheit. Pal greift hiermit das Motiv der Metamorphose auf, das bei Fullers Auftritten eine zentrale Rolle spielte, bindet es jedoch wieder an den weiblichen, erotisch aufgeladenen Körper, von dem Loïe Fuller die optische Erscheinung ihrer Tanzdarbietungen gerade zu lösen suchte. Abbildung 85:

Pal (Jean de Paléologue) Folies-Bergère – La Loïe Fuller 1897

Obschon Fullers Tänze zu Anfang ihrer Karriere noch als Abfolge von rein abstrakten, inhaltslosen Bewegungsformen konzipiert waren, assoziierten Zuschauer und Kritiker konkrete Bilder – meist aus der Natur, wie bereits de Crauzats Vergleich der Tänzerin mit einer Blume, einem Schmetterling oder züngelnden Flammen zeigte. Loïe Fuller reagierte hierauf mit einer Reihe von Tänzen, die konkrete Bil-

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der umzusetzen suchten, wie beispielsweise dem Danse du Lys oder dem Danse du Feu.89 Für den ‚Feuertanz‘ entstand eine Reihe eigener Plakate, wiederum von verschiedenen, namhaften Künstlern gestaltet: Jules Chéret (Farbabb. 7, S. 162) zeigt in seiner Arbeit von 1897 die Figur der Tänzerin schwebend vor dunklem Grund; während Kopf, Oberkörper und die hoch erhobenen Arme bläulich verschattet sind, umgibt die Beine der Dargestellten ein Strudel flammenden Lichts, der nahtlos in die Stoffbahnen ihres Gewandes übergeht. Die Farbgebung spielt dabei an auf die spezifische Beleuchtungstechnik des ‚Feuertanzes‘: Auf einer durchsichtigen Platte stehend, wurde Fuller von unten in Rot- und Gelbtönen angestrahlt, sodass der Eindruck empor züngelnder Flammen entstand.90 Besonders zur Geltung kommt dieser Effekt in einem Plakat Georges Meuniers, das 1898 für die Folies-Bergère entstand (Farbabb. 10, S. 163): Deutlich ist die hell erleuchtete Bodenplatte auszumachen, auf der sich die Tänzerin dreht und so die sie umgebenden Stoffbahnen in wirbelnde Bewegung versetzt. Intensives Rot, Gelb und Orange sowie starke Kontraste von Licht und Schatten verleihen der Darstellung Dramatik; die fransig auslaufenden Enden des Stoffes suggerieren Flammen. Aus den Stoffmassen ragt die Büste Fullers hervor, die starke Schlagschatten und eine tiefrote Färbung als geradezu abstraktes Gebilde erscheinen lassen. Gänzlich nackt scheint die Tänzerin dem Betrachter in einem undatierten Plakat Pals für das Apollo-Theater (Abb. 86) entgegenzutreten; statt bewegter Stoffmassen scheinen sie tatsächliche Flammen zu umgeben, die den plastisch wiedergegebenen Körper nur notdürftig verhüllen. Zwar verbildlicht das Gros der Plakate für Fullers Auftritte mehr oder minder geschickt die optischen Effekte ihrer Kunst. Zugleich übertragen sie jedoch zeitgenössische Klischeevorstellungen auf die Figur der Tänzerin, die mal als grazile, auf den Zehenspitzen balancierende Ballerina, mal als fröhlich-ausgelassene VariétéTänzerin erscheint. Realiter setzte sich Fullers spezifischer Tanzstil dagegen deutlich ab von den frivolen Bewegungen der Cancan-Tänzerinnen wie auch von der aufs Äußerste gesteigerten Körperbeherrschung und den strengen Regeln des Balletts – sie selbst betonte immer wieder, keine klassische Tanzausbildung genossen zu haben.91

89 Vgl. Le Coz, Françoise: „Erstarrte Pose? Photographie des Tanzes“. In: Birnie Danzker, Jo-Anne (Hg.): Loïe Fuller. Getanzter Jugendstil, Ausst.Kat. Museum Villa Stuck München, München/New York 1995, S. 39–44, hier S. 40. 90 Vgl. Kat. Nancy 2002, S. 150, Nr. 68f.; sowie Le Coz 2002, S. 37. 91 Vgl. Le Coz 2002, S. 35.

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Abbildung 86:

Pal (Jean de Paléologue) Apollo Theater – La Loïe Fuller undatiert

Augenscheinlich frei von Tradition und Reglement, erschien Fullers Serpentinentanz den Zeitgenossen so als unverfälschter, unmittelbarer Ausdruck ursprünglicher Kreativität. Gerade der hohe Abstraktionsgrad ihrer Tanzdarbietungen, das völlige Verschwinden ihrer Person in der wirbelnden Bewegung des Stoffes und dem Spiel des farbigen Lichts lieferte dem Publikum eine Projektionsfläche für eigene Vorstellungen und Wunschbilder –92 sei es die Assoziation abstrakter Bewegungsformen mit Bildern aus der Natur93 oder die Imagination eines sinnlichen weiblichen Körpers hinter den Schleiern. Entsprechend schrieb Georges Rodenbach über Fuller:

92 Vgl. Garelick 2007, S. 15. 93 Nur wenige Tänze Fullers wie der Danse du lys (Lilientanz) oder der Danse du feu (Feuertanz) suchen tatsächlich, konkrete Bilder aus der Natur umzusetzen, doch nutzen zeitgenössische Beschreibungen eine reiche Naturmetaphorik, um die Auftritte der Tänzerin zu beschreiben. Vgl. hierzu Le Coz 1995, S. 40 sowie die Zitate Georges Rodenbachs und Ernest de Crauzats in diesem Kapitel.

126 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG „Hier hat man das Symbol des ewig Weiblichen, dessen Verkörperung die Tänzerin ist, die alle Vorstellungen vom Leben und von der Liebe um ihren Körper schart, der diese aber nur 94

ahnen läßt – nicht zeigt –, denn in ihm gipfeln sie alle!“

Wie entscheidend die Möglichkeit der Projektion für Fullers Erfolg war, verdeutlicht ihre Inszenierung der lyrischen Pantomime Salome von 1895: Das Stück von Armand Sylvestre und C. H. Metzler machte aus der biblischen femme fatale eine keusche Jungfrau. Die Titelrolle übernahm Fuller selbst, die entgegen ihrer üblichen Aufführungspraxis dabei jedoch nicht von wirbelnden Stoffmassen verdeckt wurde.95 Deutlich trat so ihre untersetze, wenig anmutige Figur zutage, die Illusion einer mystisch verklärten Weiblichkeit konnte sich nicht einstellen. Das Stück wurde ein Misserfolg.96 Die Plakate für Loië Fuller rücken den idealisierten, sinnlichen Körper der Tänzerin in den Fokus der Aufmerksamkeit und schaffen damit eine Fiktion, die ganz dem damaligen Verständnis des Tanzes als Form weiblicher Verführungskunst entspricht. Im Gegensatz zu den tatsächlichen Tanzdarbietungen Fullers eignet den fraglichen Darstellungen ein deutlich erotisches Moment, das der Werbewirkung sicherlich förderlich gewesen sein dürfte, den charakteristischen künstlerischen Ausdruck Loïes jedoch stark verfälschte.97 Wie bestimmend die Klischeevorstellung der verführerischen Tänzerin für die damalige Wahrnehmung war, offenbaren auch zahlreiche Darstellungen Fullers aus dem Bereich der freien Kunst. Insbesondere Bildhauer wie François Rupert Carabin oder Louis Chalon (Abb. 87) zeigen Loïe als halbnackte, sinnliche Figur, deren körperliche Reize ebenso viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen wie der kunstvolle Schwung des sie umhüllenden Stoffs. Eine Ausnahme bildet hier Toulouse-Lautrec, der die Tänzerin 1893 in einer Grafik festhielt (Farbbb. 11, S. 163). Wie Chéret versucht auch Lautrec, die Vielfalt des Farbenspiels durch verschiedene Druckvarianten einzufangen: Insgesamt existieren 50 Abzüge, alle in verschiedener Farbgebung und zusätzlich mit Gold- und Silberstaub überarbeitet.98 Der Körper der Dargestellten erscheint dabei stark zurückgenommen; nur Kopf und Füße sind zu sehen. Auch die Bühnensituation samt Orchestergraben, aus dem der Hals eines Kontrabasses

94 Zitiert nach: Brandstetter/Ochaim 1989, S. 199. 95 Vgl. Brandstetter 1989, S. 96f.; sowie Garelick 2007, S. 90–106. 96 Vgl. Garelick 2007, S. 5f. 97 Vgl. Birnie Danzker, Jo Anne: „Plakatkunst und Skulptur um die Jahrhundertwende: Loïe Fuller als Modell“. In: dies. 1995, S. 61–64, hier S. 61. 98 Vgl. Adriani, Götz: Toulouse-Lautrec. Das gesamte graphische Werk, Bildstudien und Gemälde, Ausst.Kat. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, Köln 2005, S. 36; sowie Döring 2002, S. 58.

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hervorragt, wird nur angedeutet; der Raum versinkt gänzlich im Dunkel. Die Aufmerksamkeit des Betrachters konzentriert sich so ganz auf die changierenden, fein nuancierten Farbverläufe auf dem Kleid der Tänzerin; die Bewegungsform der Stoffbahnen wird kürzelhaft abstrahiert.99 Abbildung 87:

Louis Chalon Loïe Fuller um 1903

Gänzlich aufgelöst erscheint das Gewand der Tänzerin in Manuel Orazis Plakat für das Théâtre de Loïe Fuller (Farbabb. 12, S. 164), das eigens für die Weltausstellung des Jahres 1900 erbaut wurde. Als heller Umriss wird die Silhouette der Tänzerin vor einem in Blau, Grün und Gelb changierenden Grund angedeutet, von dem sich

99 Vgl. Birnie Danzker 1995a, S. 61–64; sowie Holler, Wolfgang: „Getanztes Licht – Miss Loїe Fuller und andere. Zum graphischen Stil in den Lithographein Henri de ToulouseLautrecs”. In: ders./Kuhlmann-Hodick, Petra/Schuhmann, Katja: Henri de ToulouseLautrec. Noblesse des Gewöhnlichen, Ausst.Kat. Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden/Sinclair-Haus Bad Homburg/Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck, Köln 2004, S. 54–65, hier S. 59–61.

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ihr flammend rotes Haar – das einzig farblich abgesetzte Detail der Figur – effektvoll abhebt. Goldene Ornamente durchziehen die Bildfläche und verweisen auf Fullers Experimente mit entsprechenden Projektionen, die das Farbspiel ihrer Darbietungen ergänzten.100 Durchscheinend, geradezu ätherisch mutet die Figur der Tänzerin an. Im Gegensatz zu den bereits besprochenen, erotisch aufgeladenen Plakaten setzt so einzig Orazis Darstellung die Loslösung der Tanzkunst vom Körper der Tänzerin um, die Fullers Darbietungen auch realiter suggerierten. Entsprechend erklärte Arthur Moeller-Bruck 1902, dass Fuller „die vollständige Entäußerung des Frauenleibes durch die Kunst ist und nur als herrlich bewegte farbige Fläche reizt.“101

4.7 L A D ISEUSE

FIN DE SIECLE

– Y VETTE G UILBERT

Zu den großen Stars der Pariser café-concerts zählte in den 1890er Jahren auch die Sängerin Yvette Guilbert. Nach nur mäßig erfolgreichen Anfängen wuchs mit der Entwicklung eines eigenen Images, das Guilbert deutlich von den übrigen Bühnenkünstlerinnen ihrer Zeit abhob, auch die Popularität der Sängerin.102 Nicht nur durch ein Repertoire, das sich an Vorbildern aus den literarischen Cabarets der Zeit orientierte und inhaltlichen Anspruch mit beißender Satire und Schlüpfrigkeiten kombinierte, unterschied sich Guilbert von ihren Bühnenkolleginnen. Auch setzte sie deren zumeist opulenter Garderobe ein betont schlichtes, elegantes Erscheinungsbild entgegen und verzichtete auf jeglichen Schmuck.103 Während Loië Fuller bei ihren Auftritten die eigene Person den Blicken des Publikums bewusst entzog, um eine frei verfügbare Projektionsfläche für die Zuschauer zu schaffen, leitete Guilbert aus ihren spezifischen physischen Merkmalen ein bis ins Detail durchgeplantes, unverwechselbares Erscheinungsbild ab. „Ich wollte vor allem distinguiert wirken, um in einem Repertoire, das absichtlich schlüpfrig, mit verschleierter Satire vermengt und dabei doch direkt sein sollte, mir alles Gewagte erlau-

100 Vgl. Thon 1968, S. 34f. 101 Moeller-Bruck: Arthur: Das Variété, Berlin 1902; zitiert nach: Birnie Danzker 1995, S. 63. 102 Vgl. Caradec, François/Weill, Alain: Le Café-concert, o. O. 1980, S. 166–171; Cate, Phillip Dennis: „Paris Seen through Artists’ Eyes“. In: ders. 1988, S. 1–53, hier S. 7f.; sowie Gastou 1997, S. 73–81. 103 Vgl. Joannis, Claudette: „La Dame rousse aux gants noirs, vêtue de satin vert“. In: Yvette Guilbert. Diseuse Fin de siècle, Ausst.Kat. Musée Toulouse-Lautrec Albi/Pavillon de Vendôme Aix/Bibliothèque nationale Paris, Boulogne Billancourt 1994, S. 19–25.

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ben zu können. Aus all den Schamlosigkeiten, Exzessen und Lastern meiner Zeitgenossen eine Ausstellung gesungener humoristischer Skizzen zu machen und die Leute über sich selbst lachen zu lassen (denn weinen wird keiner): das war meine Entdeckung, war das Neue, das ich brachte“104,

schilderte Guilbert das eigene Image in ihren Memoiren.105 Die ironisch-satirische Aufarbeitung zeitgenössischer Befindlichkeit sowie Guilberts spezifische Vortragsweise – ein von ausdrucksstarker Mimik und Gestik begleiteter Sprechgesang –106 brachten ihr die Bezeichnung la diseuse fin de siècle ein. Abbildung 88: anonym L’Horologe – Yvette Guilbert um 1890

Abbildung 89: Jules Chéret Yvette Guilbert au Concert Parisien 1891

Der Fokus der Plakate, die für die Auftritte Yvette Guilberts warben, lag jedoch weniger auf den Inhalten oder der Ausgestaltung ihrer Darbietungen, als auf der äußeren Erscheinung der Sängerin. Eine anonyme, um 1890 entstandene Arbeit (Abb. 88) beispielsweise zeigt Guilbert gänzlich unbewegt vor neutralem Grund stehend; 104 Guilbert, Yvette: Lied meines Lebens, Berlin 1928; zitiert nach: Kat. Bremen 1994, S. 202. 105 Vgl. hierzu auch Dauriac 1994, S. 11f. 106 Vgl. Kat. Bremen 1994, S. 202; Buisson-Parisot 1996, S. 78; sowie Oberthür 1994, S. 35–37.

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mit leicht zur Seite geneigtem Kopf blickt sie ausdruckslos ins Leere. Die Züge der Sängerin erscheinen stark idealisiert; genau wiedergegeben wird dagegen ihr Bühnenkostüm: Sie trägt ein tief dekolletiertes, grünes Abendkleid von schlichter Eleganz. Ihre einzigen Accessoires sind ein rosa Gürtel, der die überaus schlanke Taille betont, sowie lange schwarze Handschuhe, die zu einem Markenzeichen Guilberts avancierten.107 Deutlich lebhafter erscheint Yvette auf einem Plakat Jules Chérets von 1891 (Abb. 89): Lächelnd hat sie den Kopf zur Seite gedreht; ihre beredte Gestik, die noch durch die schwarzen Handschuhe unterstrichen wird, suggeriert den Vortrag eines Lieds. Doch gleicht Chéret das Bild der Sängerin stark an die für ihn typischen, attraktiven ‚Werbedamen‘ an, von denen sie wiederum allein ihre Handschuhe unterscheiden. Abbildung 90: Henri de Toulouse-Lautrec Yvette Guilbert – Linger, longer, loo um 1894

Abbildung 91: Camus Yvette Guilbert singt „Linger, longer, loo“ 1894

Die enorme Bandbreite der expressiven Mimik und Gestik Yvette Guilberts lassen jedoch nur die Darstellungen Toulouse-Lautrecs erahnen: Völlig fasziniert von den Auftritten der Sängerin, hielt er sie gleich mehrfach im Bild fest. Eine um 1894 entstandene Arbeit (Abb. 90) etwa zeigt Yvette spöttisch lächelnd mit unter dem Kinn verschränkten Händen, effektvoll wird ihr Gesicht von unten durch die Rampenbeleuchtung erhellt. Mit welch karikaturistischer Schärfe Lautrec dabei vorgeht, offenbart der Vergleich mit einer zeitgenössischen Fotografie, die Guilbert in dersel107 Vgl. Joannis 1994, S. 19–25.

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ben Pose festhält (Abb. 91). Ein weiteres Blatt Toulouse-Lautrecs (Abb. 92) zeigt sie mit gerade an den Körper gepressten Armen, die Hände im rechten Winkel nach außen abgespreizt. Das Kinn ist vorgeschoben, die Lippen zu einem übertriebenen Kussmund gespitzt. Abbildung 92:

Henri de Toulouse-Lautrec Yvette Guilbert undatiert

Abbildung 93: Théophile-Alexandre Steinlen Ambassadeurs – Yvette Guilbert 1894

Die Darstellung war als Plakatmotiv konzipiert; jedoch reagierte Guilbert auf die stark karikierende Überzeichnung ihrer Person mit deutlicher Ablehnung und vergab den Auftrag für das fragliche Plakat stattdessen an Théophile-Alexandre Steinlen.108 In offensichtlicher Abgrenzung zu Lautrecs Arbeit gestaltete dieser ein idealisiertes Bild der Künstlerin (Abb. 93), die hinter dem Bühnenvorhang auf ihren

108 Vgl. Devynck, Danièle: „,Petit monstre!! Mais vous avez fait une horreur!‘“. In: Kat. Albi/Aix/Paris 1994, S. 27–33, hier S. 28; sowie dies. 2001a, S. 106.

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Auftritt im Garten des Ambassadeurs wartet. Sie hat sich vom Betrachter abgewandt und blickt nach rechts, wo der Vorhang den Blick auf den Orchestergraben und die anonyme Menge des Publikums freigibt. Dem Betrachter des Plakats wird so eine exklusive Beobachterposition suggeriert, die ihn die Sängerin aus nächster Nähe, abseits ihrer Bühnenrolle erleben lässt. Abbildung 94: Bac (Fernand Sigismond Bach) Ambassadeurs – Yvette Guilbert 1895

Abbildung 95: Bac (Fernand Sigismond Bach) Horologe – Yvette Guilbert 1892

Große motivische Ähnlichkeit mit Steinlens Arbeit hat das Plakat Bacs aus dem Folgejahr (Abb. 94): Auch er zeigt die Sängerin bei einem Auftritt im Garten des

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Ambassadeurs – am oberen Bildrand ragen die Zweige der umstehenden Bäume ins Bild, in denen Lampions hängen. Die Mitglieder des Orchesters sowie das Publikum werden durch einige summarisch aufgefasste Figuren verbildlicht, die sich in der Ferne verlieren. Yvette Guilbert selbst ist in Rückenansicht zu sehen; versonnen blickt sie in den Nachthimmel, scheint weder Orchester noch Publikum wahrzunehmen. Mit der realen Person hat die stark geschönte, lieblich anmutende Plakatfigur dabei kaum noch Ähnlichkeit. Abbildung 96: Bac variiert mit dieser Darstellung Bac (Fernand Sigismond Bach) nicht nur Steinlens Bildfindung, sondern Scala – Yvette Guilbert auch eine eigene Arbeit von 1892 (Abb. 1893 95): Um den Auftritt Yvettes im Horologe zu bewerben, hatte er die Sängerin ebenfalls in Rückenansicht und mit tiefsinnigem, gen Himmel gerichteten Blick ins Bild gesetzt. Mit Lampions bestückte Zweige, die die Büste Guilberts umrahmen, lassen wiederum auf eine Bühne unter freiem Himmel schließen. Die Bühnensituation wird von Bac jedoch nicht weiter konkretisiert, auch auf die Darstellung von Orchester oder Publikum verzichtet der Künstler. Der Betrachter erhält somit den Eindruck, einer intimen Situation künstlerischer Verinnerlichung beizuwohnen. Die zarten Farbverläufe des Plakats suggerieren dabei eine geradezu lyrische Stimmung. Die satirische Schärfe der Auftritte Guilberts, mit denen sie ihren Zeitgenossen den Spiegel vorzuhalten trachtete, blenden die fraglichen Plakate dagegen gänzlich aus. Ein weiteres Plakat Bacs für Yvette Guilbert aus dem Jahr 1893 (Abb. 96) zeigt den Star als überlebensgroßes, verklärtes Idealbild. Die Sängerin trägt ein tief dekolletiertes weißes Abendkleid, dessen Rock sich, offenbar von einer Windböe bewegt, in dekorativen Falten bauscht. Geradezu heroisch mutet diesmal der himmelwärts gewandte Blick Guilberts an, auch erscheinen ihre Züge wiederum stark geschönt – ein klassisches Profil ersetzt die

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spitze, keck vorspringende Nase Yvettes, die etwa in Charles Léandres karikaturistischem Tourneeplakat (Abb. 97) für die Sängerin deutlich zu erkennen ist. Abbildung 97: Charles Léandre Montmartre en Ballade – Tournée Yvette Guilbert 1901

Situiert wird die Sängerin in Bacs Plakat in einer traumartig anmutenden nächtlichen Landschaft: Unter dem Sternenhimmel erstreckt sich eine in BlauviolettTönen changierende Ebene, durch die sich silbrig glänzend die Seine schlängelt. Am Horizont werden die Silhouetten Sacre Cœurs – zur Entstehungszeit des Plakats noch im Bau befindlich, wie die Gerüste zeigen – und Notre Dames mit den charakteristischen Türmen sichtbar. Die übrige städtische Bebauung von Paris lässt Bac außen vor. Die Figur Guilberts scheint über dieser Szenerie zu schweben, wobei die Lichtsituation die irreale Anmutung der Darstellung noch verstärkt – wohl inspiriert durch die typische Bühnenbeleuchtung der Zeit, erscheint die Sängerin von unten angestrahlt. In ihrer monumentalen Erscheinung überragt sie die im Hintergrund sichtbaren Bauten bei weitem. Yvette Guilbert nimmt die Stelle des Eiffelturms an der westlichen Seinekurve ein – die Sängerin wird so den im Hintergrund

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gezeigten Wahrzeichen von Paris an Bedeutung gleichgestellt.109 Mehr noch: prominent im Zentrum der Darstellung platziert, erscheint „dieses so moderne Kind des alten Paris“110, wie Marcel Proust sie einmal nannte, in seiner monumentalen Größe selbst als wichtigstes Wahrzeichen der Stadt. Abbildung 98: Félicien Rops Dame mit Hampelmann und Fächer 1873

Abbildung 99: C. Grimm M. Damala aus: Triboulet, September 1882

In Händen hält die Sängerin eine kleine Statuette, die eine Sockelinschrift als Verkörperung des fin de sièc[le] – und damit des zentralen Themas in Guilberts Repertoire – identifiziert. Trübsinnig lässt das spindeldürre Männlein seinen grotesk großen Kopf hängen; weder sein eleganter Frack und Zylinder, noch mondäne Accessoires wie Handschuhe, Monokel und Gehstock können ihm wirklichen Chic verleihen. Mit eingeknickten Knien und vor der Brust abgewinkelten Händen wirkt es, als wolle es gleich einem dressierten Hund Männchen machen. In der Gegenüberstellung des kleinen Mannes in seiner durch und durch bedauernswerten Erscheinung und der riesenhaften, heroischen Figur der Sängerin mag dabei der jahrhun-

109 Vgl. Cate 1988a, S. 7f. 110 „cette enfant si moderne du vieux Paris“ – Proust, Marcel: Portraits de cire, Paris 1891; zitiert nach: Dauriac, Jacques Paul: „Impressions d’Yvette“. In: Kat. Albi/Aix/Paris 1994, S. 11–17, hier, S. 14.

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dertealte Topos der ‚Weibermacht‘ mitschwingen. Dass sich dieser auch im 19. Jahrhundert noch großer Popularität erfreute, belegt ein Blick auf die zeitgenössische Karikatur: Félicien Rops’ Dame mit Hampelmann (Abb. 98) etwa zeigt eine Kokotte, in deren Händen der Mann zum manipulierbaren Spielzeug wird;111 und auch die Schauspielerin Sarah Bernhardt degradiert in einer Karikatur der Zeitschrift Triboulet (Abb. 99) den kurzzeitig mit ihr verheirateten Diplomaten Jacques Damala zum bloßen Hampelmann. Während in letztgenannter Darstellung jedoch sowohl Bernhardt als auch ihr Mann in karikierender Überzeichnung dem Spott preisgegeben werden, konzentriert Bac das satirische Moment seiner Darstellung ganz auf die kleine Personifikation des fin de siècle. Yvette Guilbert dagegen erscheint als makelloses Ideal dem bedauernswerten kleinen Mann geradezu diametral gegenübergestellt. Wie im Falle Loïe Fullers wird so auch in den geschönten Darstellungen der Plakate für Yvette Guilbert das charakteristische Moment ihrer Bühnendarbietungen kaum erfasst. Vielmehr werden stereotype Vorstellungen eines weiblichen Idealbilds auf die Sängerin projiziert: Guilbert erscheint als Innbegriff von Anmut und Eleganz; statt der typischen, expressiven Mimik und Gestik zeigt sie Zurückhaltung und Verinnerlichung, die im 19. Jahrhundert als grundlegende weibliche Tugenden galten.

4.8 D IE ‚ GÖTTLICHE S ARAH ‘ – S ARAH B ERNHARDT Als „die göttliche Sarah“ wurde die französische Schauspielerin Sarah Bernhardt gefeiert. Nicht nur die ausdrucksstarke Darstellung von ganz auf ihre Person zugeschnittenen Rollen, auch ein bis ins Privatleben hinein perfekt inszeniertes Image machte die Aktrice zu einem frühen Star von internationalem Rang.112 In ihrer Tätigkeit als selbständige Unternehmerin bewies Bernhardt zugleich ein beträchtliches Maß an Unabhängigkeit für eine Frau der damaligen Zeit: Seit 1882 leitete sie in Paris verschiedene Theater in Folge, darunter das Théâtre de la Renaissance und

111 Vgl. Schmaußer 1991, S. 212–214. 112 Vgl. Balk, Claudia: Theatergöttinnen. Inszenierte Weiblichkeit. Clara Ziegler – Sarah Bernhardt – Eleonora Duse, Ausst.Kat. Deutsches Theatermuseum München, Frankfurt a. M. 1994, S. 94–104; sowie Levitov, Karen: „The Divine Sarah and the Infernal Sally: Bernhardt in the Words of her Contemporaries“. In: Ockman, Carol/Silver, Kenneth E.: Sarah Bernhardt. The Art of High Drama, Ausst.Kat. The Jewish Museum New York, New Haven 2005, S. 125–143, hier S. 125–133.

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das Théâtre Sarah Bernhardt.113 Anders als die großen, traditionsreichen Häuser der französischen Hauptstadt wie etwa die Comédie Française oder die Opéra, die ihre Aufführungen ausschließlich mit rein schriftlichen Anschlägen ankündigten, bewarb Bernhardt ihre Stücke intensiv mit Bildplakaten.114 Wie die gespielten Stücke selbst waren auch die Plakate ganz auf Bernhardt als Star des Ensembles zugeschnitten. Zugleich verweisen sie auf den Schauplatz der jeweiligen Handlung – üblicherweise waren die Stücke in fernen Ländern und Zeiten angesiedelt, was die Möglichkeit zu opulenter Ausstattung bot und die zeitgenössische Vorliebe für alles Exotische bediente.115 Abbildung 100: Manuel Orazi Théodora 1884

Abbildung 101: Manuel Orazi Théodora 1884

113 Zu Bernhardts Tätigkeit als Theaterdirektorin vgl. Stokes, John: „Sarah Bernhardt“. In: ders. u. a.: Sarah Bernhardt, Ellen Terry, Eleonora Duse. Ein Leben für das Theater, Weinheim/Berlin 1991, S. 19–87, hier S. 22–42. 114 Vgl. Ockmann, Carol: „Was She Magnificent? Sarah Bernhardt’s Reach“. In: dies./ Silver 2005, S. 24–74, hier S. 61. 115 Vgl. ebd., S. 56–59; sowie Stokes 1991, S. 51–62, der das Zusammenspiel von Inszenierung und Ausstattung am Beispiel des Stückes Théodora beschreibt.

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Eines der frühesten erhaltenen Plakate für Bernhardt entwarf Manuel Orazi; es bewirbt Victorien Sardous Stück Théodora (Abb. 100, Abb. 101), das Ende 1884 mit Sarah in der Titelrolle der byzantinischen Kaiserin uraufgeführt wurde.116 Als Inspirationsquelle für die prunkvolle Ausstattung der Inszenierung wie auch für Orazis Plakat dienten die Mosaike der Kirche San Vitale in Ravenna aus dem 6. Jahrhundert.117 Mit Unmengen von Goldfarbe, reich verzierten Architekturelementen und Mosaikdarstellungen vermittelt Orazi den Eindruck von Üppigkeit und spätantikem Luxus. Säulen und Arkadenbögen unterteilen die Bildfläche in mehrere Felder: Im mosaizierten Brustbild ist links oben Sarah Bernhardt als Theodora dargestellt. Sie trägt ein goldfarbenes Gewand und wird von einem großen goldenen Nimbus hinterfangen. Darunter ist, ebenfalls als Mosaikdarstellung, jedoch in kleinerem Maßstab, Kaiser Justitian zu sehen. Flankiert von zwei Säulen, wird der Gatte Theodoras in einer engen Nische stehend gezeigt. In Händen hält er Reichsapfel und Szepter, der Kopf wird wiederum von einem goldenen Nimbus hinterfangen. Während das Porträt Bernhardts als Theodora trotz der Umsetzung als Mosaik durchaus lebensnah erscheint, verweisen die steife Haltung Justitians und seine streng frontale Ausrichtung zum Betrachter deutlich auf das Vorbild der byzantinischen Mosaiken. Das größte Bildfeld rechts unten gestaltete Orazi in zwei Varianten. Zum einen zeigt er das Kaiserpaar auf einem Podest, umringt vom Hofstaat, zum anderen eine höchst dramatisch anmutende Szene, in der ein Gefesselter – wohl einer der Aufständischen, die das Kaiserpaar stürzen wollen – zu Füßen der augenscheinlich vor Schreck erstarrten Kaiserin liegt, während aus dem Hintergrund weitere Männer herbeieilen.118 Orazis Plakat kombiniert so Prunk und Dramatik, um einen Eindruck von der Wirkung der Inszenierung zu vermitteln. Zugleich wird Bernhardt klar als Hauptfigur hervorgehoben: Als größte Figur des Plakats an prominenter Stelle platziert, scheint sie den Betrachter direkt anzublicken. Ganz auf die Hauptdarstellerin konzentriert sich ein nicht plakatierter Entwurf George Clairins für dasselbe Stück (Abb. 102): Eingerahmt von zwei Säulen und einem akanthusverzierten Rundbogen, wird Bernhardt als Theodora in einer Nische

116 Zu Théodora vgl. Stokes 1991, S. 51–53. 117 Vgl. Balk 1994, S. 76. 118 Orazis Darstellung lässt sich nicht zweifelsfrei der Handlung des Stücks zuordnen: Vermutlich handelt es sich bei dem Gefesselten um Andreas, der mit Theodora eine Affäre begonnen hat, ohne um ihre Identität zu wissen. Auch er gehört zu den Aufständischen. Als Andreas nach seiner Gefangennahme in der Geliebten die Kaiserin erkennt, stößt er eine Beleidigung aus. Justitian lässt ihn daraufhin in Fesseln vorführen. Alternativ könnte es sich jedoch auch um eine vorangegangene Szene handeln, in der Theodora – noch vor Andreas’ Gefangennahme – dessen bereits verhafteten Komplizen Marcellus ersticht, um zu verhindern, dass dieser unter der Folter Andreas verrät.

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stehend gezeigt, im Hintergrund ist eine mosaikverzierte Kuppel angedeutet. Trotz der monochromen Ausführung in Grautönen lässt sich die Pracht von Theodoras Schmuck und reich verziertem Gewand erahnen. Die starre, geradezu statuarische Haltung und ihre streng frontale Ausrichtung verleihen der Dargestellten eine hieratische Anmutung; die architektonische Rahmung lässt an eine Heiligenfigur in ihrem Schrein denken. Abbildung 102: Obschon Clairins Entwurf verworfen George Clairin wurde, war seine Komposition in der alleiThéodora nigen Konzentration auf den ‚Star‘ Bern1902 hardt wegweisend für die weiteren Plakate, die für die Aktrice geschaffen wurden. Deutlich wird dies etwa in Eugène Grassets Plakat zu Jules Barbiers Drama Jeanne d’Arc (Abb. 103), das 1890 im Théâtre de la Porte St. Martin uraufgeführt wurde; Sarah spielte die Titelrolle der französischen Nationalheldin. Ganz in weiß, gekleidet in ein langes, besticktes Gewand, nimmt sie das Zentrum des Bildes ein. Den Blick hat sie – wohl in Erwartung göttlichen Beistands – mit heroischer Miene gen Himmel erhoben, die linke Hand fasst ans Herz, während die rechte eine im Wind flatternde Standarte mit der Darstellung der Muttergottes inmitten von Bourbonen-Lilien hält. An der Hüfte trägt sie ein Schwert, die altertümlichen Schnabelschuhe sind mit Sporen bewehrt. Ungerührt steht Jeanne d’Arc inmitten eines dramatischen Kampfgeschehens, das Grasset jedoch nur andeutet: Von links prasselt ein Pfeilhagel auf die Dargestellte nieder, von rechts unten ragen die Lanzen des ihr nachfolgenden Heeres herauf – die eigentlichen Kämpfer sind nicht zu sehen. Rauchschwaden, durchsetzt mit flammenden Rot, durchziehen diagonal von links unten nach rechts oben den Hintergrund. Eingefasst wird die Szene durch Schriftfelder am oberen und unteren Bildrand, die den Titel des Stückes sowie den Namen der Hauptdarstellerin angeben. Der linke Fuß der Figur ragt dabei in das unten stehende Textfeld hinein. Bernhardt scheint so im Begriff, aus dem

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Bild heraus und direkt auf den Betrachter zuzutreten. Stilistisch kombiniert Grasset Verweise auf die Spätgotik – sei es in der Minuskelschrift der Textbänder oder Details der Kleidung wie den eckigen Mantelschößen und den Schnabelschuhen der Dargestellten – mit einer betont modernen Stilisierung der Rauchschwaden im Hintergrund, deren Wellenmuster ihr Vorbild in der damals überaus populären japanischen Kunst hat.119 Abbildung 103: Eugène Grasset Jeanne d’Arc – Sarah Bernhardt 1889/90

Abbildung 104: Eugène Grasset Jeanne d’Arc – Sarah Bernhardt 1890

Sarah Bernhardt war jedoch mit dem ursprünglich von Grasset vorgelegten Entwurf nicht zufrieden und forderte eine Überarbeitung: Die zweite Version des Plakats (Abb. 104) zeigt sie mit langen rotblonden Locken statt kurzem Kraushaar; das Gesicht wirkt jugendlich-idealisiert, der nun seelenvolle Blick ist geradeaus gerichtet.120 Bei aller Beherztheit Jeanne d’Arcs erscheint so ihre Weiblichkeit stärker betont. Zudem verzichtet der Künstler in seinem zweiten Entwurf auf die kalten Blautöne, die in der ersten Version die obere Bildhälfte dominierten.

119 Vgl. Buschhoff 2001, S. 30f.; Döring 2002, S. 60f.; Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 19–22 sowie Thon 1968, S. 13f. 120 Vgl. Arwas 1978, S. 39-43; sowie Rademacher 1989, S. 34f.

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Abbildung 105: Maßgeblich prägend für das öffentliche Bild Alfons Mucha Bernhardts sollten die Plakate Alfons Muchas Gismonda werden. 1894 schloss Bernhardt einen Sechsjah1894 resvertrag mit dem mährischen Künstler ab, der für sie Plakate, Kostüme und Bühnenbilder entwarf.121 Muchas erstes Plakat für die Aktrice bewarb die Wiederaufnahme des Stückes Gismonda (Abb. 105) von Victorien Sardou am 4. Januar 1895 – die Uraufführung hatte am 31. Oktober des Vorjahres stattgefunden. In der Titelrolle war Bernhardt selbst zu sehen, die Mucha stehend als Ganzfigurenporträt ins Bild setzt; sie trägt das von René Lalique entworfene, reich verzierte Kostüm des letzten Aktes. Der Palmzweig, den sie in Händen hält, verweist auf den Höhepunkt des Stückes im letzten Akt, eine Palmsonntagsprozession.122 Die Büste der Figur wird von einem als Mosaik gestalteten Goldgrund hinterfangen, der den Eindruck von Exotik und Opulenz noch steigert. Dieser verweist auf Ort und Zeit der Handlung, das Athen der Spätantike, und suggeriert zugleich eine quasi-sakrale Überhöhung der Hauptfigur wie auch ihrer Darstellerin – direkt hinter dem Kopf Gismondas/Bernhardts zeigt der mosaizierte Goldgrund einen Kreuznimbus. Dieser mag hier durch die religiöse Thematik der Palmsonntagsprozession motiviert sein, doch gestaltete Mucha auch in seinen späteren Plakaten für Sarah Bernhardt immer wieder an Heiligenscheine erinnernde Kreis- und Rundbogenformen, die den Kopf der Schauspielerin hinterfangen – gleichgültig, ob die von Bernhardt verkörperte Figur tatsächlich christliche Bezüge hat wie Die Samariterin (Abb. 106), die Bernhardt 1897 im gleichnamigen Stück Edmond Rostands verkörperte,123 oder moralisch verwerflich

121 Vgl. Kotalík, Jiří: „Alfons Mucha und die tschechische Kunst“. In: Kat. Darmstadt 1980, S. 9–38, hier S. 18. 122 Vgl. Kat. Hamburg 1997, S. 34, Nr. 3; Rennert/Weill 1984, S. 48, Nr. 3; Kat. Darmstadt 1980, S. 93, Nr. 25; sowie Winter 1995, S. 62f. 123 Vgl. Rennert/Weill 1984, S. 118, Nr. 24.

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handelt wie die Kindsmörderin Medea (Abb. 107). Die Idolisierung Bernhardts zur ‚göttlichen Sarah‘ findet damit in den Plakaten Muchas ihre optische Entsprechung:124 „Der vom Publikum vergötterten Schauspielerin wurde so das Siegel der Heiligkeit zuteil.“125 Abbildung 106: Alfons Mucha Die Samariterin 1897

Abbildung 107: Alfons Mucha Medea 1898

Entsprechend der Selbstvermarktung des Stars Bernhardt, deren Erfolg in erster Linie auf Wiederholung und Variation – sowohl besonders beliebter Stücke, die immer wieder aufgenommen wurden, als auch allgemein gleich bleibender Hand-

124 Vgl. Balk 1994, S. 81. 125 Srp, Karel: „Alfons Mucha – Stil und Individualität.“ In: Alfons Mucha. Meditation und Botschaft, Ausst.Kat. Museum Fridericianum Kassel, Kassel 1989, S. 12–24, hier S. 13.

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lungsmuster – beruhte, entwickelte Alfons Mucha für seine Plakate einen variationsfähigen und zugleich überaus wirkungsvollen Gestaltungstypus:126 Im gestreckten Hochformat tritt Sarah Bernhardt als Hauptdarstellerin des jeweils beworbenen Stücks dem Betrachter in Lebensgröße entgegen; stets ist sie im Kostüm ihrer Rolle mit einem charakteristischen Requisit in Händen zu sehen. Hinterfangen wird sie von bildimmanenten ornamentalen Rahmungen, in die am oberen und unteren Bildrand Textfelder mit dem Titel des Stückes, dem Namen Bernhardts und dem jeweiligen Theater eingebunden sind.127 Die Schauspielerin selbst – zu Beginn der Zusammenarbeit mit Mucha bereits 50 Jahre alt – erscheint jugendlich-idealisiert, die gestreckte Darstellung betont ihre überaus schlanke Figur. Tatsächlich verkörperte Bernhardt in den Augen ihrer Zeitgenossen den Mythos ewiger Jugend und Schönheit, obschon ihre Figur kaum den damaligen Idealvorstellungen entsprach.128 In ihrer extremen Schlankheit erschien ‚die göttliche Sarah‘ mehr als vergeistigtes Ideal denn als Frau aus Fleisch und Blut: „Wie wundervoll sie in diesen Tagen aussah! Sie war so durchscheinend wie eine Azalee, nur noch mehr; wie eine Wolke, nur nicht so dick. […] Ihr Körper war nicht das Gefängnis ihrer Seele, sondern deren Schatten […] Auf der Bühne erschien sie mir immer mehr als ein Symbol, ein Ideal, ein Innbegriff, denn als eine Frau“

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begeisterte sich so die englische Schauspielerin Ellen Terry noch 1928; während das New Yorker Telegram Bernhardt 1905 explizit in die Sphäre des Übernatürlichen rückt. Über die damals 61jährige heißt es dort: „Sie mag jedes Alter haben oder keines. Dieses seltsame Wesen, dessen Körper aufgehört hat, 130

von den hinderlichen Gesetzen des Fleisches regiert zu werden, ist etwas Übernatürliches.“

126 Vgl. Brabcová, Jana: „Plakate und panneaux décoratifs“. In: Kat. Darmstadt 1980, S. 51–58, hier S. 53. 127 Vgl. Ockman 2005, S. 61. 128 Vgl. Levitov 2005, S. 126–129. 129 „How wonderful she looked in those days! She was as transparent as an azalea, only more so; like a cloud, only not so thick. Smoke from a burning paper describes her more nearly! [...] Her body was not the prison of her soul, but its shadow […] On the stage she always seemed to me more a symbol, an ideal, an epitome than a woman.“ – Ellen Terry in John O’London’s Weekly vom 14. Jan. 1928, zitiert nach: Levitov 2005, S. 133. (Herv. i. O.) 130 „[she] might be any age or no age at all […This] strange being [whose body] had ceased to be governed by the hampering laws of flesh [is] something supernatural.“–

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Abbildung 108: Alfons Mucha Hamlet 1899

Wie bereits Clairin und Grasset konzentriert auch Mucha seine Plakate ganz auf die Figur der Hauptdarstellerin;131 die Handlung wird dagegen – wenn überhaupt – nur am Rande angedeutet. So etwa im Plakat zu Hamlet (Abb. 108), den Bernhardt 1899 in einer französischen Bearbeitung des Shakespeare-Stückes von Eugène Morand und Marcel Schwob spielte:132 Der Dänenprinz wird aufrecht stehend im Profil gezeigt, in eindrücklicher Pose hält er mit beiden Händen sein Schwert vor der Brust umklammert. Im Hintergrund zeigt ein ganz in Blautönen gehaltenes Bogenfeld den Geist seines toten Vaters; die ertrunkene Ophelia ist zu Füßen Hamlets in einem ebenfalls weitgehend bläulich monochromen Bildfeld zu sehen.133 Ähnlich präsentiert sich das Geschehen auf Muchas Plakat zu Medea von 1898 (Abb. 107), das eine Inszenierung der Neubearbeitung des antiken Stoffes durch Catulle Méndes im Théâtre de la Renaissance bewarb: Die beiden soeben getöteten Kinder Medeas sind zusammengekrümmt zu Füßen der Mutter niedergesunken. Wie der blutige Dolch in der Rechten Medeas erscheinen auch die Leichen als bloßes Attribut der Protagonistin, das auf den gerade verübten Mord verweist. Die eigentliche Handlung wird bewusst ausgeklammert; die Figur Medeas allein fesselt mit ihrem starren, entsetzten Blick den Betrachter, dem sie sich direkt zuwendet. Dramatik entsteht somit nicht durch das eigentliche Geschehen, sondern in erster Linie durch den mimischen Ausdruck Bernhardts, die die Titelrolle verkörpert.

Fanny Fair im New Yorker Telegram vom Dez. 1905, zitiert nach: Levitov 2005, S. 129. 131 Rademacher 1989, S. 35. 132 Vgl. Rennert/Weill 1984, S. 238, Nr. 63. 133 Vgl. Kat. Hamburg 1997, S. 47, Nr. 14.

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Auch dort, wo er nicht direkt auf die jeweilige Handlung der Stücke verweist, versteht es Mucha, durch die ornamentale Gestaltung des Hintergrunds Ort und Zeit des Geschehens anklingen zu lassen. So zeigt der Künstler nicht nur auf seinem Plakat zu Gismonda (Abb. 105) antik anmutende Mosaike, sondern auch bei Medea (Abb. 106) und der Samariterin (Abb. 105). In letztgenanntem Plakat verwendet Mucha zudem eine ans Hebräische angelehnte Schrifttype, um auf die Situierung im jüdischen Kulturkreis hinzuweisen.134 Aus der germanischen Kunst scheinen dagegen die Ornamente im Hintergrund des Plakates zu Hamlet (Abb. 108) zu schöpfen: Sie erinnern an die Schnitzereien der Wikinger, wohl als Verweis auf Skandinavien als Ort der Handlung.135 Bei allen Reminiszenzen an ferne Orte und Zeiten liegt der Fokus jedoch immer auf der Person Sarah Bernhardts. Folgerichtig bemerkt Hellmut Rademacher: „Das Plakat Muchas diente nahezu uneingeschränkt dem Kult der Schauspielerin, nicht dem Theater oder einer bestimmten Aufführung.“136 Die Wirkung der Plakate macht vor allem die klare, einprägsame Gestaltung der Einzelfigur aus: In ausdrucksstarken Posen und Gesten erscheint Sarah Bernhardt regelrecht still gestellt. Der statuarische Charakter der Arbeiten trägt zur Idolisierung der Aktrice bei, zugleich orientiert sich der Künstler damit wohl auch an dem von Bernhardt entwickelten Schauspielstil:137 An der Comédie Française war Sarah Bernhardt als darstellerische Grundregel vermittelt worden, dass dem gesprochenen Wort eine einfache Geste zu dessen Unterstützung voranzugehen habe. Bernhardt ergänzte dies durch eine – wiederum der Geste vorausgehenden – Veränderung des mimischen Ausdrucks, sodass eine Dreiheit von ‚Blick – Geste – Wort‘ entstand, die stark artifiziell erschien:138 „[O]ft genug erstarrte in Momenten der émotion forte, in denen die Heldin ihre höchste Leidenschaft äußerte, das szenische Arrangement zum Tableau, sorgfältig inszeniert, jedoch allemal illusionsdurchbrechend.“

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Bezeichnenderweise wurde Bernhardts Schauspielstil von ihren Zeitgenossen als besonders ‚feminin‘ eingestuft – ein Aspekt, den die Aktrice bei ihren Bühnenauftritten noch durch eine deutlich zur Schau getragenen Sinnlichkeit zu unterstreichen verstand. In Alfons Muchas Plakaten wird das sinnliche Moment jedoch meist zu-

134 Vgl. Kat. Hamburg 1997. S. 42, Nr. 8. 135 Vgl. Reade 1966, S. 16. 136 Rademacher 1989, S. 35. 137 Vgl. Brabcová 1980, S. 52f. 138 Vgl. Ockman 2005, S. 35; sowie Balk 1994, S. 93. 139 Balk 1994, S. 93. (Herv. d. A.)

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gunsten einer statuarischen, idolisierenden Auffassung der Figur vernachlässigt. Lediglich die Samariterin trägt ihre verführerische Weiblichkeit deutlich zur Schau: Den rechten Unterarm auf eine große Amphore stützend, beugt sie sich dem Betrachter entgegen. Ihr überlanges blondes Haar umspielt den Körper – ein Motiv, das an Sandro Botticellis Geburt der Venus erinnert;140 zahlreiche Gürtel lenken den Blick auf die Rundung der Hüften. Indem sie jedoch auch immer wieder Hosenrollen wie etwa den Hamlet spielte,141 stellte Bernhardt zugleich ihre enorme Wandlungsfähigkeit unter Beweis – eine Eigenschaft, die sie selbst nicht nur als charakteristisch für ihren Berufsstand, sondern auch für ihr Dasein als Frau empfand. So erklärte sie in ihrer 1907 erschienenen Biografie: „Die Kunst des Theaters scheint mir vor allem eine weibliche Kunst zu sein: Sie beinhaltet [...] all die Kunstgriffe, die die Domäne der Frau sind: der Wunsch zu gefallen, die Fähigkeit, seine Gefühle auszudrücken und seine Schwächen zu verbergen, und die Anpassung, die das 142

Wesen der Frau ist.“

Als Schauspielerin wie als Frau war es für Sarah Bernhardt somit selbstverständlich, in verschiedene Rollen zu schlüpfen und sich fortwährend selbst – auch als Privatperson – zu inszenieren. Bereits in den maßgeblich von der Verklärung und Idolisierung Sarah Bernhardts geprägten Plakaten Alfons Muchas wird die Wechselwirkung von Image und bildlicher Darstellung der Schauspielerin offenbar. Um diese wusste wohl auch Bernhardt selbst, die sowohl ihre Bühnenauftritte wie auch die eigene Person im privaten Ambiente in unzähligen Fotografien und Porträts festhalten ließ. Ergänzt wurden die zahlreichen Bilder der Schauspielerin durch ausführliche Beschreibungen ihres extravaganten Lebensstils in der Presse. Somit wurde die Selbstinszenierung der Schauspielerin auch über den Theaterraum hinaus öffentlichkeitswirksam.143

140 Vgl. Balk 1994., S. 82. 141 Zu den Hosenrollen Bernhardts vgl. ebd., S. 77. 142 „L’art théâtral me semble plutôt un art féminin : il contient en lui-même, cet art, tous les artifices qui sont du ressort de la femme : le désir de plaire, la facilité d’extérioriser ses sentiments et de dissimuler ses défauts, et l’assimilation qui est l’essence même de la femme.“ – Bernhardt, Sarah: L’Art du Théâtre. La Voix – Le Geste – La Prononciation, Paris 1993 [= Nachdruck der Ausgabe o. O. 1923], S. 145. 143 Janis Bergman-Carton spricht diesbezüglich sogar von einer regelrechten „image bank“ Bernhardts, die diese seit Beginn ihrer Karriere systematisch ausbaute. Vgl. BergmanCarton, Janis: „,A Vision of a Stained Glass Sarah‘: Bernhardt and the Decorative Arts“. In: Ockman/Silver 2005, S. 99–124, hier S. 111.

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In ihren Bühnenauftritten wie im Privatleben verstand es Bernhardt dabei ausgezeichnet, die Erwartungen des Publikums zu erfüllen. Dieses verlangte eine möglichst weitgehende Entsprechung von Rollenrepertoire und tatsächlicher Person – ein im Grunde irrationaler Wunsch, der jedoch den Starkult bis heute prägt und die Popularität von Schauspielerinnen und Schauspielern maßgeblich mitbestimmt.144 Mit Claudia Balk lässt sich daher feststellen: „Der Übergang zwischen der Bühnenfiktion ihrer Rollengestalten und [dem] vielbeachteten sogenannten Privatleben [Bernhardts], dessen Erscheinungsbild ihr theatralisches Image kongenial ergänzte, ist konsequenterweise fließend.“145 Die Rollen, die Bernhardt spielte, waren nicht nur ganz auf ihre Person zugeschnitten, sie bedienten auch verschiedene Stereotype, die um die Jahrhundertwende in der Bildenden Kunst und Literatur Konjunktur hatten, und dürften damit den Klischeevorstellungen des Publikums über das Wesen der Frau entsprochen haben. So schien die Schauspielerin mit ihrer zierlichen Figur geradezu prädestiniert für die Darstellung der femme fragile – ein Typus, der sich durch eine zerbrechlichzarte Gestalt und ätherische Schönheit auszeichnet. In literarischen Schilderungen geht diese Zartheit mit übergroßer Empfindsamkeit und einer schwachen Gesundheit einher; häufig leiden die Protagonistinnen an einer tödlichen Krankheit. Diese wird jedoch nicht als qualvolles Siechtum dargestellt, sondern ist vielmehr Ausdruck einer zunehmenden Vergeistigung.146 Entsprechend reich war Sarah Bernhardts Rollenrepertoire an eindrucksvollen Sterbeszenen, deren unendliche Variation und zugleich große Überzeugungskraft zu einem regelrechten Markenzeichen der Schauspielerin wurden.147 Einer ihrer populärsten Rollen war Die Kameliendame, eine Figur, die durch ihr langsames Sterben an der Schwindsucht als femme fragile par excellence erscheint. Im Laufe der Jahre verkörperte sie Bernhardt in nicht weniger als 22 Inszenierungen an verschiedenen Theatern.148 Auch Alfons

144 Vgl. Balk 1994, S. 102. 145 Ebd., S. 94. 146 Vgl. Thomalla, Ariane: Die ,femme fragile‘. Ein literarischer Frauentypus der Jahrhundertwende, Düsseldorf 1972 [= Literatur in der Gesellschaft, Bd. 15], S. 13–15 und S. 29–31. 147 Zusätzlich unterstützte Bernhardt dieses Image durch eine private Vorliebe für alles, was in Verbindung mit dem Tod stand: Sie besaß einen menschlichen Totenschädel, den Victor Hugo ihr geschenkt hatte, sowie einen Sarg, in dem sie angeblich sogar schlief. Vgl. Ockman 2005, S. 51–54; sowie dies./Silver, Kenneth E.: „Introduction: The Mythic Sarah Bernhardt“. In: dies. 2005, S. 1–17, hier S. 13. 148 Vgl. Stokes 1991, S. 28.

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Mucha suchte in seiner Darstellung der Kameliendame (Farbabb. 13, S. 164)149 dem Stereotyp der femme fragile gerecht zu werden: Die entrückte Gestalt der Protagonistin verschwindet nahezu in den Stoffmassen ihres üppigen Kleides, das ganz in Weiß gehalten ist – eine Farbgebung, die symbolisch die Reinheit und Unschuld der femme fragile zum Ausdruck bringt.150 Ebenso zart und blass wie die Figur selbst erscheinen auch die großen Kamelienblüten im Vordergrund. Deren Gegenbild, die Verderben bringende femme fatale, setzte Mucha in seinem Plakat zu Medea (Abb. 107) ins Bild: Die Protagonistin, die von ihrem Gatten Jason verlassen wurde und daraufhin aus Rache die gemeinsamen Kinder tötete, zeigt er unmittelbar nach der grausamen Tat, wie sie mit blutigem Dolch und starrem Blick über den zusammengesunkenen Leichnamen aufragt. Auch der Schmuck Medeas kennzeichnet diese in Muchas Darstellung als Verderben bringende Gestalt, windet sich doch um ihren linken Unterarm ein Armband in Gestalt einer Schlange. Sarah Bernhardt war von Muchas Motiv so begeistert, dass sie ein reales Schmuckstück danach fertigen ließ und dieses auch privat trug – ein prägnantes Beispiel für die Vermischung der Sphären des Privaten und des Theaters, die Bernhardt regelrecht forcierte. Auch im täglichen Leben inszenierte sich die Schauspielerin als femme fatale; nicht nur durch ihre Herkunft – sie war die uneheliche Tochter einer jüdisch-holländischen Prostituierten –, sondern auch durch ihren Beruf war sie aus Sicht des 19 Jahrhunderts mit dem Hautgout der Halbwelt behaftet.151 Hiermit eng verknüpft war eine weitere Komponente ihres Images: der Reiz des Exotischen. Sarah Bernhardt orientierte nicht nur ihre Rollenwahl,152 sondern ebenso ihren privaten, ausgesprochen exzentrischen Lebensstil an der zeitgenössischen Mode des Exotismus. Sie richtete ihr Haus mit reich verzierten Möbeln und Kunstgegenständen aus aller Welt ein und hielt exotische Tiere, darunter einen Panther, einen Löwen und mehrere Schlangen.153 Als symbolträchtige, lebende ‚Attribute‘ trugen sie zu Bernhardts Image als femme fatale bei, galt diese doch als elegant und verführerisch schön, dabei wild und zerstörerisch wie ein Raubtier.154

149 Das Plakat bewarb die Wiederaufnahme eine Inszenierung des Théâtre de la Renaissance im September 1896; zwei weitere Varianten wurden für Gastspiele in anderen Städten sowie für Bernhardts Abschiedstournee durch Amerika 1905 benutzt. Vgl. Rennert/Weill 1984, S. 76–78, Nr. 13. 150 Vgl. Thomalla 1972, S. 28 sowie S. 46–48. 151 Vgl. Balk 1994, S. 62f.; sowie Roberts 2002, S. 54–56. 152 Vgl. Balk 1994, S. 77f. 153 Vgl. ebd., S. 95–102. 154 Vgl. Hilmes, Carola: Die Femme fatale. Ein Weiblichkeitstypus in der nachromantischen Literatur, Stuttgart 1990, S. 108.

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In ihrer exzessiven Selbstinszenierung eignete sich Bernhardt so zentrale zeitgenössische Klischeevorstellungen von Weiblichkeit an und instrumentalisierte diese zugleich für eigene Zwecke. Vielen Zeitgenossen erschien sie folgerichtig als Innbegriff der Frau an sich, doch beinhaltet ihre übertriebene Zurschaustellung von Luxus und Extravaganz auch ein subversives Element, grenzte ihr Image doch bereits an eine Parodie des weiblichen Rollenbilds. Sarah Bernhardts spielerischer Umgang mit gender-Normen wie auch ihre berufliche und private Unabhängigkeit demonstrieren so einen Weg weiblicher Selbstbehauptung jenseits der feministischen Bewegung.155

4.9 E XKURS : D IE F RAU IM P UBLIKUM Nicht nur die Künstlerinnen auf der Bühne, auch das Publikum war ein beliebtes Plakatmotiv der café-concerts und music halls, wobei vor allem die Zuschauerinnen im Fokus standen. Henri de Toulouse-Lautrecs Plakat für den Divan Japonais (Abb. 109) etwa rückt die Figur einer eleganten, ganz in schwarz gekleideten Zuschauerin in den Mittelpunkt. Ihr flammend rotes Haar und der extravagante, federgeschmückte Hut identifizieren sie als die Tänzerin Jane Avril; weiße Handschuhe, ein Fächer sowie eine leuchtend gelbe Tasche komplettieren das mondäne Erscheinungsbild. Rechts neben ihr ist der Schriftsteller und Musikkritiker Édouard Dujardin zu sehen. Mit seinem dunklen Anzug und Zylinder, Monokel und Gehstock ist er nicht minder elegant ausstaffiert als Avril selbst, wirkt in seinem Verhalten jedoch eher linkisch. Er hat die Lippen gespitzt und scheint gänzlich auf Jane Avril konzentriert, die ihm mit amüsierter Miene den Rücken zuwendet.156 Eine Brüstung trennt die beiden vom Orchestergraben, aus dem zwei Basshälse und der Oberkörper des Dirigenten als graue Schattenrisse hervorragen. Die Bühne selbst wird gänzlich in den Hintergrund gerückt, der auftretenden Sängerin – durch ihre extrem schlanke Figur und die typischen, langen schwarzen Handschuhe als Yvette Guilbert zu identifizieren – wird vom Bildrand sogar der Kopf abgeschnitten.157 Zu dieser ungewöhnlichen Komposition mag Toulouse-Lautrec ein Bild Edgar Degas’ inspiriert haben, das die Orchestermusiker der Pariser Opéra zeigt (Abb. 61, S. 98): Auch hier sind die Köpfe der Tänzerinnen im Hintergrund abgeschnitten.158 Zugleich löste Lautrec mit seiner Bildgestaltung ein werbestrategisches Problem: In der öffentlichen Wahrnehmung war der Divan Japonais eng verknüpft mit der Per-

155 Vgl. Roberts 2002, S. 9–15. 156 Vgl. Devynck 2001, S. 56; sowie Rennert 1990, Nr. 42. 157 Vgl. Thon 1968, S. 16f. 158 Vgl. Devynck 2001, S. 56.

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son Guilberts, die dort 1890 ihre ersten großen Bühnenerfolge gefeiert hatte. Als Toulouse-Lautrec 1892 sein Plakat für das Etablissement entwarf, trat Guilbert dort jedoch schon nicht mehr auf.159 Lautrec deutet daher den ehemaligen Star des Programms auf der Bühne nur an und konzentriert seine Darstellung stattdessen auf die Prominenten im Publikum. Die populäre Tänzerin Avril und der Intellektuelle Dujardin stehen stellvertretend für die elegante Pariser Boheme, als deren Treffpunkt der Divan Japonais hier beworben wird.160 Mit der Gegenüberstellung der selbstsicheren Frau, die mit ausgreifender Pose den Raum dominiert, und dem sich ihr unbeholfen nähernden Mann wirft Lautrec zudem einen ironisch überspitzten Blick auf das Verhältnis der Geschlechter, deren Rollen angesichts der beginnenden Frauenemanzipation neu verhandelt werden mussten. Zugleich kennzeichnet die Darstellung die Frau auch abseits einer Zurschaustellung auf der Bühne als Objekt (männlicher) Betrachtung – ein Motiv, das sich in zahlreichen Plakaten der Zeit findet. Abbildung 109: Henry de Toulouse-Lautrec Le Divan Japonais 1892/93

Abbildung 110: René Péan Olympia 1899

159 Vgl. Barthelmess 1994, S. 19f.; Devynck 2001, S. 56; sowie Weaver Chapin 2005b, S. 138. 160 Vgl. Kat. Bremen 1994, S. 154; Barthelmess 1994, S. 19f.; Rennert 1990, o. S., Nr. 42; sowie Laps, Thierry: „Inivitation à la fête“. In: Kat. Straßburg 2007, S. 166f., hier S. 166.

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Während Lautrec auch in der Darstellung der Zuschauer ganz auf die Werbewirksamkeit der Pariser Prominenz setzt, zeigt René Péan in seinem Plakat für das Olympia (Abb. 110) von 1899 ein gänzlich anonymes, jedoch nicht minder elegantes Publikum. Der Blick auf die Bühne, wo eine scheinbar endlose Reihe attraktiver, beschwingter Tänzerinnen in gelben Tutus zu sehen ist, wird rechts im Vordergrund ergänzt durch eine unmittelbar an den Betrachter herangerückte Loge. Von dort aus beobachten mehrere Zuschauer das Geschehen; ein Herr im dunklen Frack ist vor Begeisterung aufgesprungen und beugt sich weit nach vorn über die Brüstung der Loge. In Händen hält er einen Strauß Blumen, den er wohl jeden Augenblick auf die Bühne werfen wird, wo bereits ein ähnliches Bouquet liegt. Hinter ihm ist die gräulich verschattete Silhouette eines weiteren Mannes mit Zylinder auszumachen. Im Fokus der Darstellung steht jedoch eine Zuschauerin im eleganten Abendkleid, die mit einem Opernglas das Geschehen auf der Bühne verfolgt. Die Dargestellte wird nicht nur ganz vorn im Bild platziert, sondern auch farblich deutlich hervorgehoben: Das leuchtende Rot ihres Kleids kontrastiert effektvoll mit dem Weiß der langen Handschuhe und der Schleife an ihrem Hut. Während die männlichen Zuschauer im Bild sich ganz auf die Tänzerinnen konzentrieren, wird so die Aufmerksamkeit des Betrachters vor allem auf die Dame im Publikum gelenkt. In ihrer ebenso modisch-eleganten wie attraktiven Erscheinung dürfte diese Rezipienten beiderlei Geschlechts gleichermaßen angesprochen haben. Indem er das Publikum in seine Darstellung mit einbezieht, schafft Péan Identifikationsfiguren für die potentiellen Besucherinnen und Besucher des Olympia, wobei augenscheinlich vor allem eine gehobene Klientel angesprochen werden sollte. Zugleich veranschaulicht der Künstler, dass das Programm des beworbenen caféconcerts auch für ein weibliches Publikum geeignet war; im Gegensatz zu den verruchten Etablissements der Boheme drohte hier offenbar keine Verletzung der Anstandsnormen und des – vermeintlich empfindlicheren – weiblichen Ehrgefühls. Tatsächlich versuchte die Pariser Vergnügungsindustrie der damaligen Zeit vermehrt, auch Frauen als Publikum zu gewinnen.161 So bewarb etwa Georges Redon das Théâtre Marigny mit der Darstellung dreier gänzlich identischer Frauenfiguren im eleganten roten Kleid samt passendem Hut, die mit dem Rücken zum Betrachter auf einer Bank vor dem Theater sitzen (Abb. 111). „Auf was warten sie? – Auf die Wiedereröffnung des Marigny“162, klärt die Bildinschrift den Betrachter auf. Das dort gezeigte Programm blendet die Darstellung völlig aus, einzig durch die Erwartungshaltung der Dargestellten wird die Neugier des Betrachters geweckt. Ähnlich verfährt Jules-Alexandre Grün in seinem Plakat für die Revue Tu marches? des Moulin Rouge (Abb. 112): Das Geschehen auf der Bühne ist auch hier

161 Vgl. Gallo 2001, S. 106–110; sowie Iskin 2007, S. 45–51. 162 „Qu’attendent-elles? – La réouverture de Marigny“

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nicht sichtbar, der Fokus liegt auf den Reaktionen des Publikums. Die männlichen Besucher werden dabei gänzlich an den Rand gerückt; im Zentrum der Darstellung stehen zwei elegant gekleidete Zuschauerinnen, die sich augenscheinlich bestens amüsieren. Auch Georges Meunier konzentriert sich in seinem Plakat für das Trianon-Concert (Abb. 113) auf die Darstellung zweier Besucherinnen in modischer Garderobe. Beide unterhalten sich angeregt bei Getränken und einer Schale mit Kirschen. Das Geschehen auf der Bühne – nur mehr als bloßer Schemen im Hintergrund erkennbar – wird zur Nebensache, das Gartenlokal primär als sozialer Treffpunkt beworben. Abbildung 111: Georges Redon Théâtre Marigny 1907

Abbildung 112: Jules-Alexandre Grün Moulin Rouge – Tu marches? um 1905

Hierin wird auch ein allgemeiner Wandel des weiblichen Rollenbildes offenbar, hatte der Besuch entsprechender Etablissements für Frauen doch noch einige Jahre zuvor als moralisch fragwürdig gegolten. 1867 äußerte sich so beispielsweise Louis Veuillot äußerst kritisch über die Zuschauerinnen im Alcazar: „Überall um uns herum waren nicht nur Frauen, sondern Damen. Noch vor zwanzig Jahren hätte man in ganz Paris vergeblich nach einem solchen Anblick gesucht. Offensichtlich hatten diese Damen ihre überwältigten Ehemänner mitgeschleppt; die verärgerten und beschämten Minen dieser Unglücklichen machten dies allzu deutlich. Die Damen selbst hingegen schienen kaum befremdet […] Die Anwesenheit dieser ‚anständigen‘ Frauen drückte dem Publi-

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kum den Stempel einer ganz eigentümlichen Schludrigkeit auf – einer sozialen Schludrigkeit!“163

Abbildung 113: Georges Meunier Trianon-Concert 1895

Abbildung 114: anonym (Druckerei Émile Lévy) Folies-Bergère 1874

Als eleganter gesellschaftlicher Treffpunkt für beiderlei Geschlechter präsentieren sich die Folies-Bergère in einem Plakat der Druckerei Émile Lévy (Abb. 114) aus dem Jahr 1874 – vor allem dem weiblichen Publikum scheint hier ein luxuriöser Rahmen zur (modischen) Selbstdarstellung geboten. Das Bühnenprogramm tritt demgegenüber buchstäblich in den Hintergrund: Nur mehr als weit entfernter Schemen ist die Bühne auszumachen; davor erstreckt sich ein weitläufiger, opulent ausgestatteter Saal, in dem sich Unmengen elegant gekleideter Zuschauer drängen. Aus der Menge sticht eine einzelne Besucherin hervor; am rechten Bildrand promi-

163 „Nous avions autour de nous non-seulement des femmes, mais des Dames. Il y a vingt ans, on eût inutilement cherché ce spectacle dans tout Paris. Visiblement, ces dames avaient traîné là leurs maris vaincus; l’air dépité et empêtré de ces malheureux le proclamait assez haut. Mais, pour elles, à peine semblaient-elles dépaysées. […] La présence de ces femmes ‚comme-il-faut‘ donnait à l’auditoire un cachet tout particulier de débraillement: le débraillement social!“ – Veuillot, Louis: Les Odeurs de Paris, 2. Aufl., Paris 1867, S. 142f. (Herv. i. O.); vgl. hierzu auch Clark 1986, S. 208.

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nent im Vordergrund platziert, präsentiert sie sich in ebenso modischer wie farbenfroher Garderobe: Über ihrem blauen Kleid trägt sie ein gelbes Korsett; die riesenhaft überzeichnete Tournüre schmückt eine große rote Schleife. Wie die Zuschauerin in Péans Plakat für das Olympia (Abb. 110) hat auch sie ein Opernglas zu Hilfe genommen, um das Programm auf der Bühne verfolgen zu können. Beide Frauen nehmen so eine Doppelrolle ein: Durch ihre Operngläser als aktive Beobachterinnen des Bühnengeschehens gekennzeichnet, fungieren sie in ihrer modischen Aufmachung zugleich selbst als Objekt der Betrachtung. Die Plakate illustrieren damit das Prinzip des ‚Sehens und Gesehen-Werdens‘, das augenscheinlich für die Besucher der Pariser Vergnügungslokale von zentraler Bedeutung war. Insbesondere die Bourgeoisie, die im Laufe des 19. Jahrhunderts erheblich an Wohlstand und gesellschaftlichem Einfluss gewonnen hatte, nutzte die zahlreichen café-concerts der Hauptstadt, aber auch das Theater und die Oper zur Selbstdarstellung –164 eine Tendenz, die auch in der freien Kunst der damaligen Zeit offenbar wird: Vor allem die Vertreter des Impressionismus setzten zahlreiche elegant gekleidete Theaterbesucher ins Bild.165 Wiederum ist es dabei das weibliche Publikum, das die Darstellungen dominiert. Abbildung 115:

Auguste Renoir Die Loge 1874

164 Vgl. Bershad, Deborah: „Looking, Power and Sexuality: Degas’ Woman with a Lorgnette“. In: Kendall, Richard/Pollock, Griselda (Hg.): Dealing with Degas. Representations of Women and the Politics of Vision, New York 1992, S. 95–105, hier S. 100. 165 Vgl. Herbert 1989, S. 116.

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So zeigt etwa Auguste Renoirs Loge (Abb. 115) eine Dame im schwarzweiß gestreiften Seidenkleid, die üppigen Perlen- und Goldschmuck sowie Ansteckblumen trägt. Etwas weniger opulent, jedoch nicht minder elegant gekleidet erscheint die Zuschauerin, die Eva Gonzales in einer Loge im Théâtre des Italiens (Abb. 116) darstellt. Völlig passiv bieten sich beide Frauen der Betrachtung dar; ihre eigenen Operngläser – Sinnbild des aktiven, aufmerksamen (Zu-)Sehens – ruhen unbenutzt in ihren Händen. Direkt an der Brüstung ihrer Logen platziert, stellen sie vor allem ihre luxuriöse Garderobe zur Schau. Ihre männlichen Begleiter, entsprechend der damaligen Mode mit unauffälligen schwarzen Anzügen bekleidet, wirken dagegen eher unscheinbar. Besonders Renoir rückt den Herrn in seinem Bild gegenüber der Dame deutlich in den Hintergrund; zudem verdeckt ein Opernglas sein Gesicht. Der Mann erscheint so als aktiver Betrachter, die Frau dagegen als passives Objekt der Betrachtung – eine allgemein etablierte Rollenverteilung in der Kunst des 19. Jahrhunderts.166 Abbildung 116: Eva Gonzales Loge im Théâtre des Italiens um 1874

Dabei offenbaren Gonzales’ und Renoirs Frauenfiguren nicht nur ihr eigenes Modebewusstsein. Mit ihrem ausgesuchten Chic verweisen sie vor allem auf das Vermögen und die gesellschaftliche Stellung ihrer männlichen Begleiter, die für die

166 Vgl. Bershad 1992,S. 100; sowie Solomon-Godeau 1996, S. 128.

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kostspieligen Roben und Accessoires aufgekommen sein dürften.167 Insbesondere die aufstrebende Bourgeoisie schrieb dem weiblichen Erscheinungsbild eine entsprechende repräsentative Funktion zu: Nicht nur die aufgeputzte, elegant gekleidete Ehefrau fungierte als Statussymbol und Prestigeobjekt des Mannes, das öffentlich zur Schau gestellt wurde. Auch die Kurtisanen als „Inkarnation des Luxus und der Verschwendung“168 ließen keinen Zweifel am Vermögen ihrer Liebhaber.169 Abbildung 117: Mary Cassatt In der Loge um 1879

Jenseits einer solch ostentativen Präsentation von Luxus und Vermögen siedelt Mary Cassatt ihre Darstellungen von Theaterbesucherinnen an. Um 1879 malte sie zwei junge Frauen – ohne männliche Begleitung – in einer Theaterloge (Abb. 117). Der Betrachter wird dabei zum unbemerkten Beobachter: Die Dargestellten werden zwar aus nächster Nähe gezeigt, haben sich jedoch abgewandt. Eine der Frauen hat die Augen niedergeschlagen und hält einen Fächer in der Hand, während ihre Begleiterin konzentriert durch ein Opernglas blickt. Ob sie tatsächlich zur (nicht sichtbaren) Bühne schaut oder vielmehr die anderen Theaterbesucher beobachtet, bleibt unklar. Indem Cassatt den übrigen Theaterraum nur schemenhaft andeutet und die beiden jungen Zuschauerinnen unmittelbar an den Betrachter heranrückt, entsteht

167 Vgl. Herbert 1989, S. 116; sowie Iskin 2007, S. 33. 168 Mey 1984, S. 194. 169 Vgl. Bricard 1985, S. 127; Schmaußer 1991, S. 39; sowie Solomon-Godeau 1996, S. 128.

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eine regelrecht intim anmutende Situation. Noch verstärkt wird dieses intime Moment durch die besondere Betonung, die die nackten Schultern und Nackenpartien der Dargestellten erfahren – ein fein nuanciertes Inkarnat erzeugt den Eindruck weichen, rosigen Fleisches, das stellenweise fast nahtlos in den pastellfarbenen Stoff der Abendkleider überzugehen scheint. Abbildung 118: Mary Cassatt In der Oper 1888

Ganz anders wirkt ein 9 Jahre später entstandenes Bild Cassatts (Abb. 118): Auch hier ist der Blick in eine Loge dargestellt; die dort platzierte Zuschauerin erscheint jedoch weiter vom Betrachter entfernt. Statt zarter Pastellfarben, die ihre Weiblichkeit unterstreichen, trägt sie nüchternes Schwarz. Ihr schlicht geschnittenes Kleid ist hochgeschlossen, der Schmuck äußerst dezent. Aufmerksam blickt sie durch ihr Opernglas in den Saal, ein männlicher Begleiter ist nicht auszumachen. Nicht die Repräsentation von Status und Vermögen oder die Reize weiblicher Jugend und Schönheit sind es, die Cassatt hier herausstellt. Die Dargestellte agiert vielmehr selbst als aktive Beobachterin des Geschehens im Theatersaal; ihre selbstbewusste Haltung und augenscheinliche Unabhängigkeit veranschaulichen die Emanzipation von tradierten weiblichen Rollenbildern. Doch ist auch Cassatts Figur zugleich Objekt der Betrachtung – im Bildhintergrund hat sich ein Herr im schwarzen Anzug

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weit aus seiner Loge gelehnt, um sie, wiederum mit Hilfe eines Opernglases, zu beobachten.170 Abbildung 119: Eugène Grasset Théâtre national de l’Odéon 1890

Abbildung 120: anonym (Druckerei Charles Lévy) Concert Européen undatiert

Auf die Thematik des ‚Sehens und Gesehen-Werdens‘ spielt auch Eugène Grasset in seinem Plakat für das Théâtre national de l’Odéon (Abb. 119) an: Der Betrachter blickt von der Seite in eine der Logen, in der eine junge Frau Platz genommen hat. Detailliert gibt Grasset ihr elegantes, grün gemustertes Abendkleid wieder, das effektvoll mit der blassen Haut und dem zum Dutt gebundenen roten Haar der Dargestellten kontrastiert. Ihr Opernglas liegt unbenutzt vor ihr auf der Brüstung der Loge; mit einem großen schwarzen Fächer schirmt sie sich vor den Blicken eines Herrn aus der Nebenloge ab – ob aus Selbstschutz oder Koketterie, lässt sich angesichts ihrer unbewegten Züge kaum sagen. Links hinter der jungen Frau ist eine ältere Zuschauerin mit fülliger Figur zu sehen. Ihr schwarzes, eher konservativ anmutendes Abendkleid kontrastiert mit der betont modischen Garderobe der jungen Frau.171 In der Gegenüberstellung beider Figuren veranschaulicht Grasset, dass das

170 Vgl. Iskin 2007, S. 27–34 sowie Pollock, Griselda: „The Gaze and the Look: Women with Binoculars – A Question of Difference”. In: dies./Kendall 1992, S. 106–130, hier S. 112 und S.122. 171 Vgl. Arwas 1978, S. 32–37; sowie Rennert 1990, o. S., Nr. 33.

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Programm des Odéon alle Altersklassen gleichermaßen anzusprechen vermochte. Deutet man die ältere Dame als Verwandte oder Anstandsdame der jüngeren Frau, mag hierin zugleich eine damals im Bürgertum gängige Praxis angedeutet sein: Um die Aufmerksamkeit potentieller Verehrer zu wecken, präsentierte man Töchter im heiratsfähigen Alter in den Theaterlogen.172 Während Grassets Figur sich den Blicken zu entziehen sucht, bietet sich in einem Plakat der Druckerei Charles Lévy für das Concert Européen (Abb. 120) eine Zuschauerin geradezu ostentativ der Betrachtung dar. Rechts im Vordergrund hat sie in einer Loge Platz genommen, die einen Ausblick auf den vollbesetzten, luxuriös ausgestatteten Zuschauerraum des Etablissements bis hin zur weit entfernten Bühne gibt. Vom dortigen Geschehen hat sich die junge Zuschauerin abgewandt, kokett lächelnd blickt sie zum rechten Bildrand. Wem dabei ihre Aufmerksamkeit gilt, zeigt das Plakat jedoch nicht. Die Dargestellte trägt ein für damalige Verhältnisse äußerst figurbetontes Kleid, unter dem sich deutlich die Rundungen der Brüste und der Oberschenkel abzeichnen. Ein federgeschmückter Hut sowie ein riesiger, mit Federn besetzter Fächer runden das extravagante Ensemble ab. Das beliebte Plakatmotiv der mondänen Zuschauerin, die sich in luxuriöser Garderobe selbst zur Schau stellt, erfährt so eine deutliche Sexualisierung: Die Frau im Publikum wird als Objekt nicht nur der Betrachtung, sondern auch des männlichen Verlangens charakterisiert. Die Verknüpfung liegt durchaus nahe, hält man sich vor Augen, dass sich nicht nur potentielle Heiratskandidatinnen, sondern auch Kurtisanen auf der Suche nach Liebhabern im Publikum zeigten. Eine zunehmende Verwischung von Klassengrenzen erschwerte dabei die Unterscheidung zwischen ‚anständiger‘ Frau und demimondaine.173 Ganz allgemein gingen Sehen und Begehren im Verständnis des 19. Jahrhunderts miteinander Hand in Hand. Dies galt einerseits für die neu entstandene Konsumgesellschaft, wo eine entsprechende Präsentation von Waren das Verlangen der Kunden wecken sollte, andererseits aber auch für das Verhältnis von Mann und Frau. So bezeichnete das Verb voir, sehen, umgangssprachlich auch den Geschlechtsakt.174

172 Vgl. Solomon-Godeau 1996, S. 128. 173 Vgl. Clark 1986, S. 238; sowie Ilan-Alter 1988, S. 75–79. Siehe hierzu auch meine Ausführungen in Kapitel 3.5, insbes. S. 80 dieser Arbeit. 174 Vgl. Bershad 1992, S. 99; sowie Marshall/Warner 1999, S. 162, Nr. 66.

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Abbildung 121: Grandville (Jean-Ignace-Isidore Gérard) Venus in der Oper 1844

Besonders deutlich zum Tragen kommt die assoziative Verbindung des Visuellen und Sexuellen in zeitgenössischen Karikaturen: Grandville setzt so etwa eine Opernbesucherin ins Bild, nach deren Loge sich das – ausschließlich männliche – Publikum im Parkett umdreht (Abb. 121). Die Köpfe der Zuschauer sind durch riesenhafte, einzelne Augäpfel ersetzt, die sich der jungen Frau auf phallisch anmutenden, faltigen Stielen begierig entgegenrecken.175 Selbst die Wimpel der Saaldekoration im Hintergrund tragen Gesichter, die sämtlich der Zuschauerin zugewandt sind. Diese selbst blickt mit unbewegter Miene über die gaffende Menge hinweg. Der Bildtitel Venus in der Oper legt mit dem Verweis auf die antike Liebesgöttin nahe, dass es sich bei der Dargestellten um eine Kurtisane handelt. Ein weiteres Blatt des Karikaturisten (Abb. 122) zeigt eine junge Frau in eleganter Robe inmitten einer Menschentraube. Vor allem Männer sind es, die ihr mit übergroßen Operngläsern und lüsterner Miene buchstäblich zu Leibe rücken. Die riesenhaft anmutenden Sehhilfen, die von allen Seiten auf die Frau gerichtet werden, mögen dabei wieder die Assoziation des Phallischen hervorrufen; aus nächster Nähe eingesetzt, lassen sie die Szene gänzlich absurd erscheinen. Die dargestellte Frau ist den Blicken der Männer buchstäblich ausgeliefert, ihre Mimik verrät Verdruss, möglicherweise auch Scham.176 Sie selbst hat die Augen niedergeschlagen; in einer schützenden

175 Vgl. Solomon-Godeau 1996, S. 128. 176 Vgl. Iskin 2007, S. 24.

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Geste hebt sie die Hände, die einen zusammengeklappten Fächer halten, vor die Brust. Nicht nur die Operngläser, sondern auch die Dekorationen aus Säulen und Vorhängen im Hintergrund verorten das Geschehen wiederum im Theaterpublikum. Die besprochenen Karikaturen veranschaulichen so nochmals in aller Deutlichkeit die tradierte Rollenzuschreibung des Mannes als aktivem Betrachter und der Frau als passivem, ja geradezu hilflosen Objekt seiner Betrachtung und offenbaren zugleich das sexuelle Moment, das im Verständnis des 19. Jahrhunderts mit dem Motiv des ‚Sehens und Gesehen-Werdens‘ verknüpft war. Auch die Plakatkunst der Zeit spielt mit entsprechenden Assoziationen, indem sie bevorzugt junge, attraktive ‚Werbedamen‘ im Publikum der Theater und café-concerts zeigt, die ihre modische Garderobe zur Schau stellen. Zugleich wird hier aber auch ein beginnender Wandel des Rollenbilds der Frau offenbar: Die Dargestellten werden zwar weiterhin ostentativ den Blicken des Betrachters dargeboten, agieren nun aber häufig auch selbst als aktive Beobachterinnen des Geschehens. Als neu entdeckte Klientel der Vergnügungsindustrie stoßen die gezeigten Frauen damit in Räume vor, die ihnen das tradierte weibliche Rollenbild in seiner Beschränkung auf das häusliche Umfeld verwehrt hatte. Doch dürften es weniger feministische Bestrebungen als vielmehr kommerzielle Interessen gewesen sein, die die Plakatkünstler zu entsprechenden Darstellungen anregten. Abbildung 122: Grandville (Jean-Ignace-Isidore Gérard) Die Neugierigen beim Opernbesuch 1843

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Farbabbildung 4: Jules Chéret Folies-Bergère – La Loïe Fuller 1893

Farbabbildung 6: Jules Chéret Folies-Bergère – Loïe Fuller 1897

Farbabbildung 5: Jules Chéret Folies-Bergère – La Loïe Fuller 1893

Farbabbildung 7: Jules Chéret Folies-Bergère – La Danse du Feu 1897

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Farbabbildung 8: Pal (Jean de Paléologue) Folies-Bergère – La Loïe Fuller um 1894

Farbabbildung 10: Georges Meunier Folies-Bergère – La Loïe Fuller 1898

Farbabbildung 9: Pal (Jean de Paléologue) Folies-Bergère – La Loïe Fuller 1897

Farbabbildung 11: Henri de Toulouse-Lautrec Miss Loïe Fuller 1893

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Farbabbildung 12: Manuel Orazi Théâtre de Loïe Fuller 1900

Farbabbildung 13: Alfons Mucha Die Kameliendame 1896

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Farbabbildung 14: Maurice Pillard Verneuil Le Monde moderne 1896

Farbabbildung 15 : Pal (Jean de Paléologue) Dentifrice Orientale, Parfumerie Orientale 1894

ENTRÜCKTE I DEAL

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5. Das entrückte Ideal

Bei aller Stilisierung und Idealisierung waren die in den vorangegangenen Kapiteln besprochenen Werbestereotype doch in der zeitgenössischen Lebenswirklichkeit verankert. Im Folgenden sollen nun Frauentypen untersucht werden, die der Alltagsrealität des späten 19. Jahrhunderts deutlich enthoben sind, den Betrachter in ferne Zeiten, Länder oder Wunschwelten führen.

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FEMME FRAGILE

Ein beliebter Typus nicht nur der Plakatwerbung, sondern auch der bildenden Kunst und Literatur des 19. Jahrhunderts allgemein war das ätherisch-entrückte, zarte und unschuldige Mädchen. Bereits die literarische Strömung der Romantik hatte begonnen, junge Frauen in naturhafter Unschuld zu verklären. Von den Zeitgenossen wurde dieser Typus als vièrge (Jungfrau) oder ingènue (Unschuldige) betitelt. Ariane Thomalla, die eine umfassende Untersuchung zur literarischen Gestaltung dieses Stereotyps vorlegte, prägte dagegen die Bezeichnung femme fragile, die auf die Zartheit, aber auch mangelnde Vitalität der entsprechenden Frauenfiguren verweist. Zum zeitlosen Ideal verklärt, fungierten sie als Gegenbild zur verführerischen, Verderben bringenden femme fatale, die sich im 19. Jahrhundert ebenfalls großer Beliebtheit unter Künstlern und Literaten erfreute,1 für die Plakatwerbung aufgrund ihrer negativen Konnotation jedoch kaum geeignet war. Die femme fragile dagegen hatte ihren festen Platz in der Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts, besonders häufig dargestellt findet sie sich in den Werken Eugène Grassets sowie bei seinen Schülern Paul Berthon und Maurice Pillard Verneuil. Grasset, ein gebürtiger Schweizer, hatte noch in seinem Heimatland eine kunstgewerbliche Ausbildung absolviert und war später nach Frankreich emigriert, wo er sich der Plakatkunst zuwandte. Mit historischen (und historisierenden) Stilformen

1

Vgl. Bode 1981, S. 68; sowie Thomalla 1972, S. 18f.

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bestens vertraut, begeisterte sich Grasset besonders für die Kunst des Mittelalters. Beeinflusst wurde er diesbezüglich auch von der englischen Arts and CraftsBewegung sowie der Künstlergruppe der Präraffaeliten, deren Arbeiten in Frankreich seit Ende der 1860er Jahre intensiv rezipiert wurden. Ihre entrückten, rätselhaft-ätherischen Frauengestalten waren ganz allgemein eine wichtige Inspirationsquelle für den Typus der femme fragile – entsprechend sind auch Grassets Plakatfiguren stark geprägt vom Frauenbild der Präraffaeliten.2 Abbildung 123: Eugène Grasset Eau de Lubin undatiert

Abbildung 124: Eugène Grasset Grafton Gallery – Exhibition of Decorative Arts (avant la lettre) 1893

Deutlich sichtbar wird dies beispielsweise in Grassets Plakat für Eau de Lubin (Abb. 123): Gezeigt wird eine femme fragile par excellence. Ganz im Gegensatz zu den vitalen ‚Werbedamen‘ Chérets oder Capiellos mit ihren überzeichneten weiblichen Formen wirkt sie ausgesprochen schlank und zart, in ihrer Weiblichkeit eher unterentwickelt. Ihre extreme Blässe unterstreicht die ätherische Anmutung der Dargestellten noch, lässt sie geradezu vergeistigt wirken und kontrastiert zugleich effektvoll mit dem überlangen roten Haar der Frau, das in weichen Locken über die rechte Schulter fließt. Mit ihrer leicht kantigen Körperform, der blassen Haut und

2

Vgl. Springer 1971, S. 26–28; sowie Thon 1977, S. XXVf.

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dem wallenden Haar erinnert Grassets ‚Werbedame‘ stark an die Frauenfiguren Edward Burne-Jones’ oder Dante Gabriel Rossettis, wie diese wirkt sie unnahbar, der Wirklichkeit entrückt. Auch ihr zeitloses, lang fließendes Gewand, das ein dezentes, stark abstrahiertes florales Muster ziert, verrät den präraffaelitischen Einfluss. Die Frau steht vor einem geschmackvollen Waschtisch in typischem Art Nouveau-Stil – ein Versatzstück des zeitgenössischen Kunstgewerbes, das hier in ein zeitlos-entrücktes Idyll integriert wird. Mit weit ausgestrecktem Arm gießt die Dargestellte das beworbene Eau de Toilette in eine Waschschüssel. Ihre Pose wirkt kunstvoll arrangiert und wenig lebensnah, was die statuarische Anmutung der Figur unterstreicht. Im Hintergrund geben Arkaden den Blick in eine südlich anmutende Parklandschaft frei. Innen- und Außenraum gehen so fast nahtlos ineinander über, ein Eindruck, der noch durch einen großen, gelb blühenden Strauch im Topf rechts vorn verstärkt wird. Links im Hintergrund ist eine Amorstatue platziert, eine typische Parkdekoration, die implizit zugleich auf den Zweck der weiblichen Toilette verweisen mag: dem Mann zu gefallen. Grasset verzichtet in seiner Arbeit jedoch auf jegliche Andeutung von Koketterie; im Gegensatz zur kecken, mitunter regelrecht aufreizenden Parisienne wirkt seine femme fragile völlig in sich selbst versunken und nimmt keinerlei Kontakt zum Betrachter auf.3 Deutlich sichtbar ist dies auch in Grassets Plakat für eine Kunstgewerbeausstellung der Londoner Grafton Gallery von 1893 (Abb. 124). Es zeigt eine der für den Künstler typischen „selbstvergessenen Schönen“4 beim Blumenpflücken inmitten einer blühenden Landschaft. Mit verträumtem Blick wendet sie sich leicht zur Seite und fasst nach einer der blauen Schwertlilien, die links im Vordergrund wachsen. In der linken Hand hält sie ein Körbchen mit weißen Rosen, ihren Kopf schmückt ein kleiner Kranz derselben Blumen. Wie die Werbefigur für Eau de Lubin ist auch diese femme fragile äußerst schlank, grazil und blass. Ihre weichen, jugendlichen Gesichtszüge und das zarte, stille Lächeln lassen sie jedoch insgesamt lieblicher erscheinen, mehr Mädchen als Frau. Grasset unterstreicht somit nochmals ihre jugendliche Unschuld, auf die auch die weißen Blüten symbolisch hinweisen mögen.5 Die Dargestellte trägt ein unter der Brust gegürtetes, weich fließendes Kleid mit kleinen Puffärmeln, dessen zartgelber Stoff ebenso reich plissiert ist wie das braune Untergewand, das am Halsausschnitt sichtbar wird. Um Hüfte und Schulter hat sie eine hellblaue Stola gewunden, die sich hinter ihr im Wind bauscht. Entgegen der zeitgenössischen Mode der Hochsteckfrisuren fließt ihr überlanges goldblondes Haar offen über Schultern und Rücken – ein charakteristisches Merkmal der femme

3

Vgl. Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 59.

4

Döring 2002, S. 136.

5

Vgl. Springer 1971, S. 25.

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fragile, das auch in literarischen Bearbeitungen des Stereotyps immer wieder besonders hervorgehoben wurde.6 Kleidung und Frisur offenbaren dabei nicht nur den Einfluss der Präraffaeliten, sondern verweisen darüber hinaus auch auf die Vorbilder der englischen Künstlergruppe aus der italienischen Renaissance. Die flatternden Draperien und locker fallenden, plissierten Gewänder, teils mit reichen Mustern verziert, finden ihre Vorbilder ebenso in den textilen Entwürfen der Arts and Crafts-Bewegung wie in der Malerei Sandro Botticellis.7 Der Einfluss Botticellis auf die Frauenfiguren Eugène Grassets tritt auch deutlich in deren Physiognomie zutage: ovale Gesichter mit großen, mandelförmigen Augen, die häufig in einem Ausdruck der Verinnerlichung und Verträumtheit niedergeschlagen werden, einer geraden Nase und einem kleinen Mund mit vollen, schön geschwungenen Lippen.8 Entsprechend erklärte Paul Cirou in einem 1900 erschienen Artikel über Grasset, dessen immer wieder ins Bild gesetzter Idealtypus sei nicht nur auf Naturbeobachtung, sondern auch auf kunstgeschichtliche Vorbilder gegründet: „Seine Frauen, mit großen verwunderten Augen, kindlich, mit willensstarkem Kinn, mit anmutig sinnlichen Lippen, sind schön, nicht hübsch, von dieser etwas primitiven Schönheit, die uns zurückbringt zu den unvergesslichen Unbekannten der italienischen Renaissance.“

9

Ein maßgeblicher Unterschied zu den Meistern der Renaissance besteht jedoch in Grassets plakativer Vereinfachung seiner Darstellungen. Wo Botticelli weiches Fleisch und rosiges Inkarnat ins Bild setzte, gestaltet Grasset zumeist flächig aufgefasste Figuren ohne plastische Modellierung, eingerahmt von prominenten schwarzen Konturen. Besonders betont findet sich dieses Gestaltungsmittel im Plakat für die Grafton Gallery, das zugleich als Vorlage für ein Glasgemälde diente. Der Künstler mag hier die Konturlinien noch stärker als in seinen übrigen Arbeiten hervorgehoben haben, da sie auch den Verlauf der Bleiruten vorgaben.10 Zugleich lassen sie die ‚Werbedame‘ jedoch wie in ihrer Bewegung erstarrt wirken. Ganz allgemein erscheinen die Figuren Grassets häufig in effektvollen, anmutigen Posen regelrecht still gestellt, was den Eindruck von Entrücktheit und Zeitlosigkeit noch

6

Vgl. Thomalla 1972, S. 27.

7

Vgl. Arwas 1978, S. 23–37; sowie Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 29.

8

Vgl. Murray-Robertson-Bovard 1981, S. 41; sowie Springer 1971, S. 17f.

9

„Ses femmes, aux grands yeux étonnés, enfantins, aux mentons volontaires, aux lèvres gracieusement voluptueuses, sont belles, non jolies, de cette beauté un peu primitive qui nous reporte vers les inoubliables inconnues de la Renaissance italienne.“ – Cirou, Paul: [unbetitelter Artikel]. In: La Plume, Nr. 261/1.3.1900, S. 159f., hier S. 159.

10 Vgl. Arwas 1978, S. 16–22; sowie Murray-Robertson-Bovard 1981, S. 117.

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unterstreicht. In Gewänder gehüllt, die Stilelemente verschiedener Epochen kombinieren, ohne sich eindeutig zuordnen zu lassen, und häufig in einem Naturidyll situiert, werden sie jeglichem konkreten historischen oder sozialen Kontext enthoben und in vermeintlich überzeitliche, idealisierte Wunschwelten transferiert.11 Gleichzeitig überhöht der Künstler so die profane, banale Werbebotschaft. Deutlich sichtbar wird dies auch in den Arbeiten seiner Schüler Paul Berthon und Maurice Pillard Verneuil. Abbildung 125: Paul Berthon Grenade-Extincteur Harden 1900

Abbildung 126: Maurice Pillard Verneuil Dentifrice de Docteur Pierre 1893

So gestaltet etwa Berthon eine femme fragile im geblümten Kleid als Werbefigur für Feuerlöschgranaten der Marke Harden (Abb. 125): Während rechts vorn im Bild die Flammen bereits hoch auflodern, holt die ‚Webedame‘ weit mit der beworbenen Löschgranate aus, um sie ins Feuer zu schleudern. Die Szene entbehrt dabei jedoch jeglicher Dramatik; die Dargestellte lässt auch angesichts der prekären Situation keinerlei Regung erkennen, wirkt weniger an der Bekämpfung des Feuers interessiert als vielmehr in einer pathetischen Pose ‚eingefroren‘. Der alltäglichen Realität gänzlich entrückt, vermittelt die Darstellung so einen Eindruck zeitloser Gültigkeit, die den eigentlichen Werbezweck überhöht. Gleiches gilt auch für ein

11 Vgl. Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 16 sowie S. 35f.

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Plakat Verneuils, mit dem für Zahnpasta der Marke Docteur Pierre (Abb. 126) geworben wurde: Ohne direkten Bezug zum beworbenen Produkt zeigt der Künstler eine langhaarige femme fragile in einem Kleid, das deutlich vom italienischen Quattrocento inspiriert ist. Zwischen Wolkenbändern und funkelnden Sternen schwebt sie im All; ihre rechte Hand ruht auf der Weltkugel, die linke hat sie, ebenso wie ihren Blick, zur Werbeinschrift am oberen Bildrand erhoben. Gerade diese Verklärung und Idealisierung war es jedoch, die die Kritiker der Zeit besonders lobten, scheint sie doch der Plakatkunst über den bloßen Werbezweck hinaus einen tieferen Gehalt zu geben. So schrieb etwa Arsène Alexandre über Grasset: „Er ist ein Denker, der […] seinen Visionen der Buchkunst, des Plakats, der Glasmalerei einen Sinn gegeben hat, der weit über das bloße Vergnügen des Bildes hinausgeht. Er ist ein Dichter, der es durch strenge und fruchtbare Geistesübung […] vermochte, diese Formen und Harmonien freizulegen. Hervorgegangen aus der durchdringenden Beobachtung des Lebens, behalten sie davon nur das, was Höheres in den Sinn ruft.“

12

Kennzeichnend für diese Idealisierung ist auch, dass Grasset – ganz im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Plakatkünstlern wie Chéret, Capiello oder Grün – zumeist auf die Werbewirkung weiblicher Erotik verzichtet. Seine Frauenfiguren kennzeichnet vielmehr eine gänzlich unsinnliche, mädchenhaft-unschuldige Erscheinung. So zeigt beispielsweise sein Plakat für eine Ausstellung Grassets im Salon des Cent (Abb. 127) von 1894 das Brustbild einer femme fragile mit feinen Zügen und rotbraunem Haar, deren durchscheinende Blässe und zierliche Gliedmaßen sie geradezu ätherisch erscheinen lassen. Das Mädchen trägt ein hochgeschlossenes, plissiertes Kleid in zartem Gelb mit langen Ärmeln. Konzentriert betrachtet es die großen weißen Blüten eines Doldengewächses auf der rechten Seite des Bildfelds. In der rechten Hand hält die femme fragile Stift und Zeichenbrett – ein Hinweis auf die große Bedeutung, die Grasset Naturformen als Inspirationsquelle seiner Kunst zumaß. Wie auch die Werbefiguren für Eau de Lubin oder die Grafton Gallery wirkt die Dargestellte introvertiert und entrückt, verfügt über keinerlei sinnliche Ausstrahlung.

12 „C’est un penseur qui a […] donné à ces visions du livre, de l’affiche, de la verrière, un sens qui va bien au delà du simple amusement de l’image. C’est un poète qui, par un sévère et fécond exercice de méditation, […], a pu dégager ces formes et ces harmonies. Issues de l’observation pénétrante de la vie, elles en gardent seulement ce qui rappelle et l’évoque en supérieur.“ – Alexandre, Arsène: „L’Œuvre d’Eugène Grasset“. In: Catalogue de la deuxième exposition du Salon des Cent réservée à un ensemble d’œuvres d’Eugène Grasset, Paris 1894, S. 3–15, hier S. 14.

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Als „rein und keusch“13 beschrieb daher auch Jean-Louis Sponsel die Frauenfiguren Grassets; im Gegensatz zu den aufreizenden ‚Werbedamen‘ Chérets oder Capiellos fungieren sie nicht als Objekt des erotischen Verlangens, sondern als ein rein geistiges Ideal, das nicht nur naturhaft-unschuldig, sondern häufig geradezu asexuell wirkt. Ganz im Einklang mit dem Stereotyp der femme fragile gestaltet Grasset das Idealbild einer im Grunde geschlechtslosen, völlig vergeistigten Weiblichkeit, dem Diesseits fast gänzlich entrückt. Durch ihre Blässe und die zerbrechlich anmutende, feingliedrige Gestalt, die oft regelrecht unterentwickelt wirkt, erscheint die femme fragile jeglicher Vitalität beraubt – nicht nur rein, sondern steril. Bezeichnend ist, dass die zeitgenössischen literarischen Bearbeitungen des Stereotyps diesen meist als kränklich oder sogar einem langsamen Sterben ausgeliefert darstellen, um so die Vergeistigung und Entrücktheit der entsprechenden Figuren bis zum Äußersten zu steigern.14 Abbildung 127: Eugène Grasset Salon des Cent – Exp. E. Grasset 1894

13 Sponsel 1897, S. 88. 14 Vgl. Thomalla 1972, S. 41–43.

Abbildung 128: Paul Berthon Salon des Cent 1895

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Maßgeblich beeinflusst vom Frauenbild Grassets zeigen sich dessen Schüler Paul Berthon und Maurice Pillard Verneuil, wobei Berthon den Typus der femme fragile stärker abwandelt. Deutlich führt dies sein Plakat für die Ausstellung des Salon des Cent (Abb. 128) von 1895 vor Augen: Wie Grasset setzt auch Berthon eine junge, blasse Frau ins Bild, die mit graziler Geste eine Blume hält. Doch ist die Dargestellte hier nicht in die Betrachtung der Blüte versunken, vielmehr hat sie sich bewusst dem Betrachter zugewandt und blickt diesen direkt an. Das lange blonde Haar trägt sie nach dem Vorbild der damals populären Tänzerin Cléo de Mérode modisch frisiert: in der Mitte gescheitelt und im Nacken zusammengebunden.15 Die Kleidung und der reiche Schmuck der ‚Werbedame‘ sind dagegen zeitlose Fantasiekreationen: Der Schnitt ihres weich fallenden Gewandes erinnert entfernt an antike Vorbilder; im Gegensatz zum hochgeschlossenen, schlichten Kleid der femme fragile Grassets lässt es die Schultern unbedeckt und zeigt den Ansatz des Dekolletees. Die Dargestellte trägt ein mit sternförmig geschliffenen Edelsteinen verziertes Diadem – in der Kunst des 19. Jahrhunderts ein typisches Motiv der Überhöhung und Verklärung –16, einen steinbesetzten Ring sowie mehrere Armreifen, einer davon in Form einer Schlange, die sich um den Oberarm der Figur windet. Als Sinnbild moralisch-verderbter Verführungskraft schon in der Bibel eingeführt, stellt die Schlange ein typisches Attribut der femme fatale dar. Wo Grassets Figur durch naturhafte Unschuld und Einfachheit charakterisiert ist, deutet Berthon so eine raffinierte und möglicherweise sogar gefährliche Sinnlichkeit an, der sich die Dargestellte durchaus bewusst zu sein scheint. Die gegensätzliche Charakterisierung der beiden Werbefiguren wird nochmals in den ihnen beigegebenen Pflanzen gespiegelt: Berthon ersetzt Grassets wild in der heimischen Natur vorkommendes Doldengewächs durch eine exotische Orchidee, die nur in der künstlichen Umgebung eines Gewächshauses gedeihen kann und gerade dadurch den Reiz des Besonderen ausstrahlt.17 Mit ihrem Bedürfnis nach Schutz und spezieller Pflege mag die Orchidee auch auf die Zartheit und zerbrechliche Anmutung verweisen, die den Typus der femme fragile kennzeichnet. In Kombination mit dem üppigen Schmuck der Figur lässt sie zugleich jedoch an die weltfernen und betont künstlichen Szenarien denken, die die Künstler der Décadence zum Ideal stilisierten.18 Berthons Frauenfigur changiert so zwischen idealisierter Unschuld und verderbter Verführungskraft: Die vermeintlich unvereinbaren Gegensätze von femme fragile und femme fatale geben sich hier als Kehrseiten ein und derselben Medaille zu

15 Vgl. Arwas 1978, 95. 16 Vgl. Thomalla 1972, S.45. 17 Vgl. Arwas 1978, S. 95; sowie Springer 1971, S. 31. 18 Zur künstlerischen Strömung der Décadence vgl. Wolf, Norbert: Symbolismus, Köln u. a. 2009, S. 6f.

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erkennen, wurzeln doch beide in der rigiden, sinnenfeindlichen Sexualmoral des 19. Jahrhunderts. Diese Prüderie, die der Frau im Hinblick auf ihre Sexualität realiter nur die alternativen Rollenbilder von ‚Heiliger‘ und ‚Hure‘ bot, fand auch in der damaligen Kunst und Literatur reichen Ausdruck – zumeist wurde weibliche Sinnlichkeit hier entweder im Bild der femme fatale dämonisiert oder im Ideal der unsinnlichen, gänzlich vergeistigten femme fragile schlicht negiert.19 Abbildung 129: Eugène Grasset Sociéte des Artistes décorateurs – 1e exposition d’art décoratif 1901

Abbildung 130: Paul Berthon Le Livre de Magda 1898

Noch deutlichere Unterschiede treten in den Aktdarstellungen Grassets und Berthons zutage, ein Motiv, das beide Künstler jedoch nur selten gestalteten.20 Auf seinem Plakat für die Ausstellung der Sociéte des Artistes décorateurs (Abb. 129) etwa zeigt Grasset eine nur mit einer Draperie verhüllte Frauenfigur. Mit beiden Händen greift sie nach einer rot blühenden Ranke, die sich an einer von links ins Bild ragenden Wand empor schlängelt. Das rechte Bein hat die Dargestellte angewinkelt, den Blick über ihre linke Schulter zu Boden gewandt, wo rechts unten ein reich verziertes Kapitell sichtbar ist. Der Hintergrund wird von stark abstrahierten,

19 Vgl. Thomalla 1972, S. 60f. 20 Vgl. Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 40–46.

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diagonal verlaufenden Wolkenbändern in gedeckten Gelb- und Grüntönen bestimmt, die von Grassets Auseinandersetzung mit den stilisierten Naturformen der japanischen Grafik zeugen.21 Aus der Bildanlage geht dabei nicht klar hervor, ob möglicherweise ein Aufstieg der Kunst, verkörpert durch die nackte Werbefigur, zu neuen Höhen gemeint ist, oder lediglich eine besonders elaborierte Pose des Aktmodells abgebildet werden soll. Obwohl Grasset mittels der ins Bild gesetzten Draperie den nackten weiblichen Körper zugleich effektvoll enthüllt und verbirgt, fehlt seiner Figur doch jegliche Sinnlichkeit und weibliche Anmut. Ihr Körper wirkt vielmehr robust, knochig und muskulös, die Gesichtszüge androgyn.22 Das für eine Figur Grassets vergleichsweise kurze, lockige Haar erscheint seltsam stilisiert, beinahe wie eine feste Masse. Auch verleiht die weitgehend monochrome Gestaltung der Figur eine fast schon statuarische Anmutung. Für das Plakat zu Le Livre de Magda (Abb. 130), einem Gedichtband Armand Silvestres, setzt Paul Berthon ebenfalls einen Frauenakt in kunstvoll arrangierter Pose ins Bild. Die Frau wird im Kontrapost stehend inmitten der freien Natur gezeigt, hinterfangen von Bäumen, einer hügeligen Landschaft und diagonal verlaufenden, stilisierten Wolkenbändern, wie sie sich in ähnlicher Form auch bei Grasset finden.23 Wo Grasset den Körper seiner Werbefigur weitgehend durch eine Draperie verhüllt, stellt Berthon deren deutlich ausgeprägtere weibliche Reize stärker zur Schau: Ein blühendes Gebüsch im Vordergrund verdeckt nur teilweise Unterkörper und Schambereich der Figur. Die Hüfte wirkt entgegen dem damaligen Schönheitsideal eher knabenhaft schlank, die Brüste dagegen sind voll entwickelt – der Körper der Frau verbindet so Jugendlichkeit und sinnliche Reife.24 Mit graziler Geste reckt die Dargestellte den linken Arm in die Höhe; ein Schwarm Tauben umflattert ihre Hand. Der rechte Arm ist angewinkelt und größtenteils hinter dem Körper verborgen, die Hand hält eine kleine weiße Schale, wohl gefüllt mit Vogelfutter. Mit zurückgelegtem Kopf beobachtet die Frau die heran fliegenden Tauben; ihre großen Augen blicken verträumt. Ihr überlanges blondes Haar fließt in weichen Wellen über den Nacken, weht effektvoll im Wind und hinterfängt die blasse Haut des Oberkörpers. Eine verträumte Sinnlichkeit kennzeichnet die Figur, die den Blicken des Betrachters preisgegeben ist, ohne von ihm Notiz zu nehmen oder gar zu kokettieren. Entsprechend beschreibt auch Michael Weisser diesen Typus:

21 Zum stilistischen Einfluss der japanischen Kunst auf die Werke Grassets vgl. Arwas 1978, S. 23–37. 22 Vgl. Murray-Robertson-Bovard 1981, S. 118; sowie dies. 1998, S. 59. 23 Vgl. Arwas 1978, S. 95; sowie Rennert 1990, o. S., Nr. 35. 24 Vgl. Weisser 1981, S. 7–9.

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„Es sind die Geschöpfe eines männlichen Voyeurs, der aus räumlicher Distanz die zärtliche Erotik einer selbstvergessenen Weiblichkeit genießt, die er zum Zweck dieser Anschauung 25

geschaffen hat.“

Eingebettet in ein Naturidyll und ganz in ihre Tätigkeit versunken, ist die Dargestellte der Realität entrückt, eine Annäherung ausgeschlossen. Bei allem erotischen Reiz der Darstellung bleibt so das Ideal naturhafter Unschuld und Reinheit bestehen. Trotz ihrer im Vergleich zu Grasset gesteigerten Sinnlichkeit erscheinen auch die Frauenfiguren Berthons nie sexuell aggressiv, sondern vielmehr als introvertierte, passive Objekte der Betrachtung. Abbildung 131: Paul Berthon Leçons de Violon 1898

Zum Ausdruck gebracht wird die weltabgewandte Verinnerlichung der Figuren vor allem über deren seelenvoll verträumte Blicke. Meist haben sie die Augen zum Himmel gewandt, mitunter auch andächtig geschlossen. So zeigt etwa ein Plakat Berthons, mit dem für Musikunterricht geworben wurde (Abb. 131), das Brustbild einer musizierenden femme fragile, die, offenbar gänzlich in ihr Geigenspiel versunken, nach links oben ins Leere blickt.26 Die Dargestellte ist wiederum ausgesprochen blass und hat langes, offen über ihre Schultern fallendes Haar. Sie trägt

25 Weisser 1981, S. 8. 26 Vgl. Arwas 1978, S. 95.

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ein zeitloses Fantasie-Kleid, das überreich mit Mustern verziert ist – Paul Duverney identifiziert diese in einem zeitgenössischen Artikel als byzantinische Ornamente.27 Hinterfangen wird die Figur von dicht an dicht stehenden Baumstämmen. Ohne jeglichen Realitätsbezug situiert Berthon die Szene so buchstäblich außerhalb von Raum und Zeit; die bräunlich-monochrome Farbgebung unterstreicht noch die unwirkliche Anmutung. Abbildung 132: Paul Berthon L’Ermitage 1897

Ein dem Alltag entrücktes Idealbild gestaltet Berthon auch auf einem Plakat für die Zeitschrift L’Ermitage (Abb. 132): Zu sehen ist eine grazile femme fragile mit wallendem roten Haar inmitten blühender weißer Lilien – als traditionelle Mariensymbole mögen die Blumen auch im gänzlich profanen Kontext der Werbung die Assoziation von Reinheit und Unschuld auslösen.28 Über ihr leuchtet ein einzelner heller Stern am von stilisierten Wolkenbändern durchzogenen Himmel, ein Motiv, das die verklärte Anmutung der Szene noch unterstreicht. Die Dargestellte hat den Kopf gesenkt und die Augen niedergeschlagen, was ihre Verinnerlichung und die fast

27 Vgl. Duverney, Paul: „Paris“. In: The Poster, Bd. 1, Nr. 2/ Juli 1898, S. 64–68, hier S. 68. 28 Vgl. Schardt 1987, S. 42.

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schon tranceartige Versunkenheit in das umgebende Naturidyll vor Augen führt. Das zeitlos anmutende Fantasiegewand der Figur lässt die linke Schulter frei, wirkt jedoch in keiner Weise freizügig. Dazu trägt sie dezenten Goldschmuck: einen Fingerring, zwei Armreifen sowie einen mit Anhängern verzierten Stirnreif. Wie das juwelenverzierte Diadem aus Berthons Salon des Cent-Plakat (Abb. 128) lässt auch hier der Stirnschmuck an eine Prinzessin denken – tatsächlich stellten Prinzessinnenfiguren eine beliebte Variante des femme fragile-Typus dar.29 So schildert beispielsweise Edmond de Rostands Drama La Princesse lointaine (Die Prinzessin in weiter Ferne) die Suche eines jungen Prinzen nach der unbekannten Geliebten, die ihm immer wieder im Traum erscheint. Die femme fragile wird hier zum mystifizierten, unantastbaren Wunschbild, das gerade durch seine Unerreichbarkeit eine besondere Anziehungskraft entwickelt – Ariane Thomalla spricht diesbezüglich von einem „Eros der Distanz“30, der noch zur Verklärung des Stereotyps beiträgt: Die unerreichbare Frau wird zum überhöhten Ideal stilisiert, die Liebe zu ihr muss eine rein geistige bleiben. Wie die ‚Prinzessin in weiter Ferne‘ erscheinen auch die Werbefiguren Grassets und Berthons der Realität entrückt, dem Zugriff des Rezipienten entzogen. Nicht nur bewegen sie sich in zeitlosen Fantasiewelten fernab der Alltagswirklichkeit, ihre meditative Verinnerlichung verhindert zudem jegliche Kontaktaufnahme mit dem Betrachter. Die femme fragile steht somit für das Ideal eines vergeistigten, vor allem auf das seelische Erleben fokussierten Daseins, das besonders die Anhänger des Symbolismus als Gegenentwurf zur hektischen Realität des modernen Großstadtlebens propagierten – bereits der Titel der von Berthon beworbenen Zeitschrift, L’Ermitage (die Einsiedelei) weist auf derartige Wunschvorstellungen hin.31 Introvertiert und von schutzbedürftiger Zartheit, erscheinen die Frauenfiguren Grassets und Berthons dem Typus der modernen, selbstbewussten und agilen Parisienne diametral entgegengesetzt. Als gänzlich passive Objekte (männlicher) Betrachtung und Bewunderung verleihen sie dem konservativen Weiblichkeitsideal des 19. Jahrhunderts Ausdruck, das Nachgiebigkeit, Empfindsamkeit und Schamhaftigkeit als naturgegebene Tugenden der Frau ausgab. Den Mann hingegen zeichneten nach damaligem Verständnis Agilität, Willensstärke und Durchsetzungskraft aus –32 ein Geschlechterbild, das der Unterdrückung des vermeintlich ‚schwachen‘ weiblichen Geschlechts in der patriarchalen Gesellschaft Vorschub leistete. Ent-

29 Vgl. Thomalla 1972, S. 80f. 30 Ebd., S. 81. 31 Vgl. Hirsh 2004, S. 1–8; sowie Schardt 1987, S. 42. 32 Zu einer ausführlichen Gegenüberstellung der Charakteristika von Mann und Frau nach dem Verständnis des 19. Jahrhunderts siehe Hausen 1976, S. 368. Zum Frauenideal der Zeit vgl. zudem Schmaußer 1991, S. 23–43.

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sprechend wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Ideal der ingénue in der Mädchenerziehung propagiert: Behütet aufgewachsen, unselbständig, zurückhaltend und schüchtern, sollten sie weder allein in der Öffentlichkeit auftreten noch in Gesellschaft ungefragt das Wort ergreifen. Ganz im Einklang mit dem Bild der femme fragile galt es unter jungen Frauen zudem als modisch, introvertiert, blass und ätherisch zu erscheinen.33 Um die Jahrhundertmitte begann sich in Frankreich jedoch ein neues Ideal durchzusetzen, das die ingénue nach und nach verdrängen sollte: Junge Frauen fielen nun mehr und mehr durch selbstsicheres Auftreten und Entschlossenheit auf, waren ungezwungener und ausgelassener.34 Selbst Erziehungsratgeber der Zeit warnten davor, Mädchen zu übertriebener Zurückhaltung anzuhalten. So schreibt beispielsweise Mme Molinos-Lafitte im mehrfach aufgelegten Band L’Education du foyer: „Es ist ein rechtes Mittelmaß einzuhalten zwischen einer grundsätzlich schädlichen Dreistigkeit in der Jugend und einer bis zum Äußersten getriebenen Schüchternheit, die die geistigen Fähigkeiten lähmt und den Eindruck von Schwachsinnigkeit vermittelt.“

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Entsprechend erklärte auch die feministische Journalistin Gyp 1893, die Zeit der femme fragile sei vorbei: „Sie sind fern, die sentimentalen und zarten Heldinnen [des Schriftstellers] Octave Feuillet. […] Dieser anmutige Schwarm von Frauen, ein wenig zu blond, ein wenig zu fade, ein wenig zu zart, möglicherweise ein wenig zu ideal, aber nichtsdestotrotz anbetungswürdig, hat das Feld geräumt für das rüstige kleine Bataillon moderner Frauen.“

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Die Plakate Grassets und Berthons spiegeln somit weniger die zeitgenössische Realität, als dass sie ein überholtes Ideal propagieren; ihre introvertierten, passiven Frauenfiguren erscheinen als rückwärtsgewandte Gegenentwürfe zur modernen, nach Emanzipation strebenden femme nouvelle.

33 Vgl. Bricard 1985, S. 117–120 und S. 181–184; sowie Springer 1971, S. 78–83. 34 Vgl. Bricard 1985, S. 121–123. 35 „Il y a un juste milieu à tenir entre un aplomb toujours nuisible dans la jeunesse et une timidité poussée à l’excès qui paralyse les moyens et donne l’apparence du crétinisme.“ – Molinos-Lafitte 1859, zitiert nach: Ilan-Alter 1981, S. 42. 36 „Elles sont loin, les héroïnes sentimentales et tendres d’Octave Feuillet! […] Ce gracieux essaim de femmes un peu trop blondes, un peu trop mièvres, un peu trop délicates, un peu trop idéales peut-être, mais adorables tout de même, a fait place au solide petit bataillon des femmes modernes.“ – Gyp: „Les Femmes“. In: La Grande Dame, 1. Jahrgang, 1893, S. 20–22., hier S. 20.

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Abbildung 133: Eugène Grasset Georges Richard Cycles & Automobiles 1897

Besonders deutlich wird dies in Grassets Plakat für Fahrräder und Automobile der Marke Georges Richard (Abb. 133): Eine junge, blasse Frau, deren rote Locken zu einem Zopf gebunden sind, steht vor einem von Ornamentbändern durchzogenen Hintergrund, die linke Hand hat sie auf die Lenkstange des beworbenen Fahrrads gelegt. Die Dargestellte trägt für eine Figur Grassets gänzlich untypische, zeitgenössische Kleidung: einen gemusterten Strickpullover und einen schlichten Rock in Orange. Von der Mobilität, Freiheit und Unabhängigkeit, die andere Künstler wie beispielsweise Steinlen (Farbabb. 2, S. 50) oder Tamagno (Abb. 165, S. 215) in ihren Plakaten mit dem Radfahren assoziieren, ist hier jedoch nichts zu spüren. Grassets femme fragile steht mit andächtig gesenktem Kopf neben dem Rad und blickt auf ein großes, stilisiertes Kleeblatt – das Markenemblem – in ihrer rechten Hand; dass sie sich selbst zu einer rasanten Fahrt auf den Sattel schwingt, ist kaum denkbar.

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DER

V ERGANGENHEIT

Die Sehnsucht nach einer besseren, der Alltagsrealität entrückten Welt ging im 19. Jahrhundert häufig Hand in Hand mit der Verklärung einer vermeintlich glücklicheren Vergangenheit, insbesondere des Mittelalters. Die gedankliche Flucht in frühere

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Zeiten offenbart die Verunsicherung angesichts eines gravierenden gesellschaftlichen Wandels in Folge der wiederholten politischen Umwälzungen, die mit der Revolution von 1789 ihren Ausgang genommen hatten, wie auch der rapide zunehmenden Industrialisierung. Abbildung 134: Eugène Grasset Librairie Romantique 1887

Besonders deutlich zum Ausdruck kommt diese eskapistische Tendenz in Eugène Grassets um 1890 entstandenem Plakat für die Librairie Romantique (Abb. 134), eine Buchreihe des Verlegers E. Monnier. Zu sehen ist eine lesende junge Frau, die sich vom Betrachter abgewandt auf einem Stapel Bücher niedergelassen hat. Ihr schwarzes Kleid mit weißem Spitzenkragen sowie ihre Hochsteckfrisur geben ein realistisches Bild der Mode der 1830er Jahre, einzig die riesenhaft empor ragende Haarschleife ist stark überzeichnet.37 Die Dargestellte erscheint so selbst der Ära der Romantik zugehörig, die Monniers Buchreihe wieder aufleben ließ. In Rückenansicht wiedergegeben, dient sie als Identifikationsfigur für den Betrachter,38 der

37 Vgl. Hagner 1958 , S. 53–60; sowie Sponsel 1897, S. 82–88. 38 Vgl. Henatsch 1994, S. 208–215.

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sich, so wird hier suggeriert, bei der Lektüre der beworbenen Buchreihe selbst in die Zeit der Romantik zurückversetzt fühlen wird. Zugleich verweist Grasset auch auf das von den Romantikern idealisierte Mittelalter: Gleich einer durch die Lektüre hervorgerufenen Vision wird im Hintergrund die gotische Fassade von Notre-Dame sichtbar, die sich als unwirklicher rötlicher Schemen vor dem nächtlichen Himmel abzeichnet – ein Motiv, das an Victor Hugos 1831 erschienen Glöckner von NotreDame, ein zentrales Werk der romantischen Literatur, denken lässt.39 Grassets Plakat thematisiert so gleich in doppelter Hinsicht den Blick zurück in die Vergangenheit – sowohl in die Romantik als auch ins Mittelalter. Ein Totenschädel, den der Künstler links vorn in die Szene integriert, deutet jedoch an, dass beide Epochen unwiederbringlich vergangen sind, und verweist zugleich auf die Auseinandersetzung der Romantik mit Vergänglichkeit und Tod.40 Die realistische Wiedergabe konkret identifizierbarer historischer Stile und Monumente, wie sie Grasset hier zeigt, bilden in der Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts eine Ausnahme. Typisch ist vielmehr die eklektizistische Kombination altertümlicher und aktueller Gestaltungselemente, die die Assoziation früherer Zeiten hervorruft, ohne sich wirklich zuordnen zu lassen: das nur vage definierte Idealbild einer verklärten Vergangenheit, in die der Betrachter seine eigenen Sehnsüchte und Wünsche projizieren kann. Entsprechend schrieb auch Camille Lemmonier über die Werke Grassets, sie seien „…von einer Schönheit, zu der ein ergreifender Sinn für das Leben durch die Zeiten hindurch beiträgt. Die Gegenwart wird mit der Vergangenheit vermählt in diesem weit reichenden und synthetischen Geist…“

41

In seinem Plakat für den Likör Abricotine (Abb. 135) von 1905 wirbt Grasset mit einer rothaarigen ‚Werbedame‘ beim Obstpflücken. Die Dargestellte trägt ein zeitloses, gemustertes Fantasiekleid in hellem Orange; lediglich ihr bereits halb gelöster Haarknoten, ein so genannter chignon, verweist auf die zeitgenössische Frisurenmode. Sie kniet an einem grasbewachsenen, nach links abfallenden Hang und reckt den linken Arm nach den Früchten eines Aprikosenbäumchens. Mit der Rechten hält sie einen blauen Weidenkorb, der bereits randvoll mit reifen Früchten ist. Weitere, überreich tragende Obstbäume sind im Hintergrund zu sehen. Grasset verweist somit auf die wichtigste Zutat des beworbenen Getränks; statt der tatsäch-

39 Vgl. Arwas 1978, S. 32; sowie Thon 1968 , S. 12f. 40 Vgl. Murray-Robertson-Bovard 1981, S. 118. 41 „…d’une beauté à laquelle concourt un sens émouvant de la vie à travers les âges. Le présent se marie au passé dans ce large et synthétique esprit…“ – Lemonnier, Camille: „Eugène Grasset“. In: La Plume, Nr. 261/1.3.1900, S. 132–138, hier S. 134.

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lichen industriellen Herstellung oder des sonst so beliebten Werbemotivs des ausgelassenen Genusses zeigt er jedoch eine idealisierte agrarische Szene: In idyllischer Natur sammelt die junge Frau offenbar ohne jede Anstrengung das benötigte Obst. Die realen Produktionsbedingungen werden so ausgeblendet zugunsten eines historisch rückwärtsgewandten Wunschbildes, dessen Werbewirkung noch durch den erotischen Reiz der Dargestellten gesteigert wird – eine Ausnahme im Werk Grassets, der sonst meist völlig auf die Zurschaustellung weiblicher Reize verzichtet. Ihr freizügiges Kleid wird nur über der linken Schulter von einem Träger gehalten, auch ist ihr Rock so weit geschlitzt, dass er das nackte Bein freigibt. Der vornüber gebeugte Oberkörper betont das Dekolletee, das noch zusätzlich durch den quer über die Brust verlaufenden Träger des Kleides hervorgehoben wird. Anders als die Werbefiguren Chérets kokettiert die Frau jedoch nicht mit ihren Reizen; sie erscheint völlig in ihre Tätigkeit vertieft und ist somit den Blicken des Betrachters preisgegeben, ohne von diesem Notiz zu nehmen. Gerade dieser fehlende Kontakt zum Rezipienten verstärkt den Eindruck der Entrücktheit: die dargestellte Szene zeigt ein unerreichbares Ideal fern der als unzureichend empfundenen Alltagswirklichkeit. Abbildung 135: Eugène Grasset Abricotine 1905

Deutlich zutage tritt diese Werbestrategie auch in Jane Atchés Plakat für die Likörmarke La Céléstine (Abb. 136). Zu sehen ist eine Frau, dargestellt im Profil, in altertümlich anmutender, historisch jedoch nicht zuzuordnender Fantasiekleidung –

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sie trägt ein hochgeschlossenes gelbes Gewand von schlichter Eleganz; um Kopf und Schultern ist ein schwarzes Tuch geschlungen. Die Stoffmassen des weit geschnitten Rocks schlagen große, weich schwingende Falten, was der ansonsten eher statischen Figur eine gewisse Dynamik verleiht. In betont würdevoller Haltung präsentiert die Dargestellte eine Flasche des beworbenen Getränks, dessen Rezeptur angeblich aus dem Kloster Vichy stammte.42 Dazu passend gestaltete Atché ihre ‚Werbedame‘ als hieratisch anmutende Figur, deren Umfeld den Eindruck klösterlicher Stille und Abgeschiedenheit vermittelt. Die Frau steht vor einer alten Steinmauer, die reich mit gotischen Architekturornamenten verziert ist. Ein großes Fenster hinterfängt ihre Büste und gibt den Blick frei auf eine menschenleere Parklandschaft mit einem kleinen hölzernen Pavillon. Auf der linken Seite wird der Park begrenzt von einem wuchtigen Backsteinbau. Darüber erstreckt sich ein golden getönter Himmel, der das irreale Moment der Szene noch verstärkt – entsprechend dem Markennamen lässt sich eine geradezu ‚himmlische‘ Idylle assoziieren. Abbildung 136: Jane Atché La Céléstine um 1898

42 Vgl. Rennert 1990, o. S., Nr. 100.

Abbildung 137: Andhré des Gachons Salon des Cent (avant la lettre) 1895

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Eine märchenhaft-mittelalterliche Anmutung verlieh Andhré des Gachons, der maßgeblich durch Eugène Grasset inspiriert wurde,43 seinen Werken. In seinem 1895 für den Salon des Cent entstandenen Plakat (Abb. 137) etwa zeigt der Künstler eine streng blickende Frau mit langem schwarzem Haar, deren weit geschnittenes Gewand mit ausgestellten Ärmeln an die Mode des 15. Jahrhunderts erinnert. Sie ist an einen Brunnen herangetreten und greift mit der linken Hand nach einem blühenden Zweig, der über die steinerne Einfassung des Wasserbeckens ragt, in der Rechten hält sie bereits einige weiße Blüten. Im Mittelgrund sind grünende Büsche und ein kahler Baum zu sehen, dahinter erhebt sich vor strahlend blauem Himmel ein Gebäudekomplex in romanisch anmutender Architektur. Mehrere weiße Vögel komplettieren das Idyll, in dem die Zeit still zu stehen scheint – des Gachons schafft so einen Gegenentwurf zur Hektik der im 19. Jahrhundert entstehenden modernen Großstädte. Überdeutlich kommt das hierin liegende eskapistische Moment auch in den Beschreibungen zeitgenössischer Kunstkritiker zum Tragen. So erklärte beispielsweise Gustave Soulier angesichts der Arbeiten Andhré des Gachons’: „Es genügte nicht, Anhänger der [italienischen] Kunst des 15. Jahrhunderts zu sein, man suchte, sich eine naive Seele zu geben, indem man sich an weit zurückliegenden Legenden erfreute und von künstlichen Paradiesen träumte, wo die Bäume sämtlich von Blüten rosa gefärbt sind und goldene Flüsse sich unter verblassten Himmeln dahinschlängeln.“

5.3 F EMME - FLEUR

UND

44

N ATURIDYLL

Mehr noch als eine verklärte Vorstellung vergangener Epochen fungierte die unberührte Natur als eskapistisches Wunschbild des 19. Jahrhunderts. Die Rückkehr zu einem vermeintlichen ‚Urzustand‘ natürlicher Unschuld hatte bereits 1755 JeanJacques Rousseau in seiner wegweisenden Schrift Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen postuliert – die Errungenschaften der Zivilisation, so der Philosoph, hätten die Menschheit in erster Linie moralisch korrumpiert:45

43 Vgl. van Deputte, Jocelyne: Le Salon des Cent: 1894–1900. Affiches d’artistes, Paris 1994, S. 53–56. 44 „Il ne suffisait pas d’être quattrocentiste, on cherchait à se faire une âme naïve, se plaisant aux lointaines légendes, et rêvant des paradis artificiels où les arbres sont tout roses de fleurs et où des fleuves d’or se déroulent sous des ciels pâlis.“ – Soulier, Gustave: „Un Arstiste de l’âme“. In: La Plume, Nr. 159/1.12.1895, S. 529–531, hier S. 529. 45 Vgl. Held/Schneider 1998, S. 369.

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„Kehrt zu eurer frühen und ersten Unschuld zurück […] Geht in die Wälder und vergeßt Anblick und Erinnerung der Verbrechen eurer Zeitgenossen und befürchtet nicht, ihr würdet eure Gattung erniedrigen, wenn ihr, um auf ihre Laster zu verzichten, auf ihre Kenntnisse verzichtet.“

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Obschon seine radikalen Forderungen realiter kaum einzulösen waren, sollte Rousseaus idealisierende Sicht der Natur seine Zeitgenossen wie auch die nachfolgenden Generationen in besonderem Maße prägen. Die Tendenz zur Verklärung der Natur resultierte dabei auch aus einer zunehmenden Entfremdung von ebendieser durch das rasche Anwachsen der Städte und die Technisierung im Zuge der Industriellen Revolution. Folgerichtig situieren Eugène Grasset und seine Schüler ihre fragilen Frauenfiguren bevorzugt in idyllischen Landschaften fernab der zeitgenössischen Alltagswirklichkeit. Inmitten blühender Wiesen träumen so die ‚Werbedamen‘ für die Londoner Grafton Gallerys (Abb. 124, S. 168) und die Zeitschrift L’Ermitage (Abb. 132), während Berthons Plakat für Le Livre de Magda (Abb. 130) eine abgeschiedene Waldlandschaft andeutet, in der Mensch und Tier in Harmonie verbunden sind. Eine vergleichbare Szene gestaltete auch Maurice Pillard Verneuil in einem Plakat für die Zeitschrift Le Monde Moderne (Farbabb. 14, S. 165) von 1896: Gezeigt wird gerade nicht die im Titel genannte ‚moderne Welt‘, gekennzeichnet von Schnelllebigkeit, Urbanisierung und technischem Fortschritt, sondern ein entrücktes, zeitloses Naturidyll als deutlicher Gegenentwurf hierzu: Inmitten eines von Bäumen umstandenen Sees treibt ein kleines Boot. Darin sitzt mit träumerisch geschlossenen Augen eine junge Frau. Sie trägt ein plissiertes weißes Kleid mit kleinen Puffärmeln, das lange blonde Haar fließt offen über ihre Schultern. Gänzlich ohne Scheu schwimmt ein Schwan in unmittelbarer Nähe des Boots, ein zweiter ist weiter entfernt im Hintergrund zu sehen. Als literarisches und bildkünstlerisches Motiv erfreuten sich diese Vögel größter Beliebtheit; maßgeblich hierzu beigetragen haben dürfte die große Begeisterung für das Werk Richard Wagners, die in Frankreich seit den 1880er Jahren grassierte – man denke nur an die Rolle des Schwans im Lohengrin.47 Komplettiert wird das Idyll durch einige gelbe Schwertli-

46 Rousseau, Jean-Jacques: Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, Amsterdam 1755; dt. Übersetzung zitiert nach: Rödiger-Diruf, Erika: „Zivilisationskritik – Zivilisationsflucht. Zum Thema Natur in der Kunst von 1800 bis heute“. In: Zurück zur Natur, aber wie?. Kunst der letzten 20 Jahre, Ausst.Kat. Städtische Galerie im Prinz-Max-Palais Karlsruhe, Karlsruhe 1988, S. 13–25, hier S. 13. 47 Vgl. Springer 1971, S. 37–39.

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lien, die im Vordergrund ins Bild ragen. Gerade erst aus Japan importiert, waren diese Blumen überaus populär.48 Verneuil gestaltet hier eine geradezu märchenhaft anmutende Szene, die – ähnlich Berthons Plakat für Le Livre de Magda – Mensch und Tier in harmonischer Vertrautheit zeigt. Bezeichnend ist diesbezüglich auch die farbliche Übereinstimmung zwischen dem Gefieder des Schwans und dem blassen Inkarnat der femme fragile, die deren Wesensverwandtheit andeuten mag. Immer wieder betonen Grasset, Berthon und Verneuil so die Verbundenheit ihrer Frauenfiguren mit dem umgebenden Naturidyll. Träumend inmitten blühender Landschaften und überreich mit Blumen geschmückt, erscheint die Frau in ihren Plakaten selbst als Teil der Natur. Abbildung 138: Georges de Feure Margerite 1896

Derartige Bildfindungen rekurrieren dabei auch auf den damals überaus populären Topos der femme-fleur: In der Gleichsetzung mit einer Blume sollten Schönheit und Zartheit der Frau zum Ausdruck gebracht werden.49 Entsprechend schrieb eine anonyme Verfasserin 1896 in der Zeitschrift La Grande Dame: „Nie erschüttern sie unsere Bewunderung, die Blumen und die Frauen, die in gemeinsamer Schönheit er-

48 Vgl. Thompson 1971, S. 166f. 49 Vgl. Thomalla 1972, S. 49.

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strahlen und uns mit denselben Reizen zu begeistern wissen.“50 Selbst die Mode der Zeit griff den Topos der femme-fleur auf: Frauen trugen Kleider und Schmuck, die von floralen Formen inspiriert waren.51 Insbesondere die Künstler des Art nouveau schätzten die dekorativen Qualitäten der motivischen Verbindung von Frauen und Blumen. So gestaltete etwa Alfons Mucha eine Serie von vier panneaux décoratifs, die beliebten Blumensorten gewidmet sind; sie zeigen ätherische Frauengestalten in zeitlosen Gewändern inmitten von Nelken, Lilien, Iris und Rosen (Abb. 139–142). Eine vergleichbare Bildserie plante Georges de Feure, von dessen femininflores jedoch nur wenige Beispiele tatsächlich umgesetzt wurden, darunter die Margerite (Abb. 138). Abbildung 139: Alfons Mucha Nelke 1898

Abbildung 140: Alfons Mucha Lilie 1898

Abbildung 141: Alfons Mucha Iris 1898

Abbildung 142: Alfons Mucha Rose 1898

Auch in seinen Plakaten griff Mucha den Typus der femme-fleur mit Vorliebe auf; im Gegensatz zu Grassets fragilen Frauengestalten strahlen seine ‚Werbedamen‘ je-

50 „Jamais elles ne lassent notre admiration, les fleurs et les femmes, resplendissant de communes beautés et sachant nous éprendre par les mêmes charmes.“ – Une Parisienne: „Femmes et Fleurs“. In: La Grande Dame, Nr. 48/Dez. 1896, S. 377f., hier S. 377. 51 Vgl. de Perthuis, Bruno: „La mode et l’image de la femme au XXe siècle. I. Du mythe au phénomene de masse“. In: La Gazette de l’Hôtel Druot, Nr. 32/13.09.2002, S. 141–143, hier S. 143; sowie Plauzewski, P.: „Un Salon de fleurs. À l’exposition des arts de la femme“. In: Revue des arts décoratifs, Nr. 12/ 1891–92, S. 319f., hier S. 320.

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doch eine deutlich stärkere physische Präsenz und Vitalität aus; wie die ihnen beigegebenen Blumen stehen sie selbst buchstäblich ‚in voller Blüte‘. So zeigt beispielsweise Muchas Plakat für die Druckerei F. Champenois (Abb. 143) eine Frauenfigur mit rosigen Wangen, die zarte rote und rosafarbene Blüten im Haar trägt. Den Hintergrund füllen große florale Ornamente, die farblich mit ihrem Blumenschmuck korrespondieren. Zwischen Figur und Ornament schlängeln sich orange blühende Rankengewächse durchs Bild. Ähnlich gestaltet Mucha auch sein Plakat Monaco – Monte Carlo (Abb. 144), mit dem die Eisenbahngesellschaft Chemins de Fer P.L.M. für ihre Dienste warb. Zu sehen ist eine junge Frau mit roten Blüten im Haar, die betend mit erwartungsvoll gen Himmel gewandtem Blick am Strand kniet. Hinterfangen wird sie von stilisierten Fliederdolden – gleich einem floralen Nimbus schließen sie sich zu einem großen, kreisförmigen Ornament zusammen. Im Vordergrund ranken sich stark vergrößerte Hortensienzweige durchs Bild, sodass die Dargestellte gänzlich von Blumen umrahmt erscheint. Abbildung 143: Alfons Mucha F. Champenois. Imprimeur 1897

Abbildung 144: Alfons Mucha Chemins de Fer P.L.M. 1897

Während Muchas Arbeiten sich vor allem auf die dekorativen Qualitäten des Motivkreises des femme-fleur konzentrieren, bringen Grasset und seine Schüler in ihren harmonisch in ein Naturidyll eingeschriebenen Figuren auch grundlegende Vorstellungen des 19. Jahrhunderts über den ‚Geschlechtscharakter‘ der Frau zum Ausdruck: Im Gegensatz zum rational agierenden Mann, dem allein man die Fähigkeit

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zuschrieb, große Leistungen in Forschung und Kultur zu erbringen, galt die Frau als ein passives ‚Naturwesen‘, das die ursprüngliche Einheit und Harmonie der Schöpfung verkörperte. So erklärte etwa Friedrich Ehrenberg 1827: „Vollstimmig töne in der weiblichen Seele die Harmonie der Natur, während der Mann ihre Umrisse mißt, oder ihr Wesen und ihre Wirkungen ergründet.“52 Entsprechend argumentierte auch Karl Scheffler in seiner 1908 erschienen Abhandlung Die Frau und die Kunst, das in seinem ‚Geschlechtscharakter‘ verankerte Leistungsstreben zwinge den Mann dazu, den vermeintlichen ‚Urzustand‘ natürlicher Harmonie aufzugeben; im weiblichen Wesen erkenne er jedoch die verlorene Einheit mit der Natur wieder: „Wenn er die Frau erhebt und vergöttert, so wendet

er sich rückwärts der schönen Ruhe zu, woraus er hervorgegangen ist und worin er ein Gegenbild seines, das heißt: des allgemeinen Endziels erblickt.“53 Zeitgenössische Theorien über den ‚Geschlechtscharakter‘ der Frau wurden so verknüpft mit dem Rousseauschen Idealbild natürlicher Ursprünglichkeit. Angesichts der rapide fortschreitenden Industrialisierung und Urbanisierung blieb der „umarmende, vereinigende Weltzusammenhang des Weibes, der den Menschen wieder zu den Naturkräften zurückführt“54 jedoch ein utopisches Ideal.55 In der Kunst avancierten Frauen und Pflanzen zu „Symbolen einer noch unberührten Welt“56. Insbesondere die Frauengestalten Grassets und seiner Schüler entsprechen in ihrer Passivität und Verinnerlichung ganz der zeitgenössischen Vorstellung von der Frau als in sich ruhendem Naturwesen, das auch Scheffler beschrieb: „Die Frauennatur ist ein in sich geschlossener Organismus, der scheinbar schweigend das Glück genießt, da zu sein.“57 Die hier zutage tretende Stilisierung der Frau zu einer Verkörperung von natürlicher Unschuld, Ursprünglichkeit und Harmonie offenbart ein Weiblichkeitsideal, das nicht nur fern jeder Alltagsrealität angesiedelt war, sondern auch dem zunehmenden Streben der Frau nach Emanzipation entgegenstand – schienen vermeintlich männliche Eigenschaften wie Rationalität und Leistungsstreben doch die Frau von ihrer ureigensten, passiven Natur zu entfremden. Folgerichtig erklärt Beatrix Schmaußer, nicht nur unmittelbare Unterdrückung, sondern auch „erstickendes Lob“58 von Seiten der Zeitgenossen habe das Gros der Frauen im 19. Jahrhundert

52 Ehrenberg, Friedrich: Rede an Gebildete aus dem Weiblichen Geschlechte, Bd. 1, Eberfeld 1827; zitiert nach: Weisser 1981, S. 28. Vgl. hierzu auch Scheffler 1908, S. 14–27. 53 Scheffler 1908, S. 23. 54 Hofmann 1960, S. 46. 55 Vgl. Hirsh 2004, S. 8. 56 Weisser 1981, S. 9. 57 Scheffler 1908, S. 16f. 58 Schmaußer 1991, S. 25.

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davon abgehalten, ihre Gleichberechtigung einzufordern.59 Wie unmittelbar Misogynie und idealisierende Verklärung des weiblichen Wesens damals Hand in Hand gehen konnten, belegt Charles Baudelaires Huldigung der Frau im Rahmen seines 1864 publizierten Essays Der Maler des modernen Lebens: „Es [das Weib] ist vielmehr eine Gottheit, ein Gestirn, unter dessen Aspekt alle Schöpfungen des männlichen Gehirns entstehen; es ist eine Spiegelung alles Anmutigen, das die Natur besitzt und das sich hier in einem einzigen Wesen verdichtet; es ist der Gegenstand der lebhaftesten Bewunderung und Neugier, die das Bild des Lebens im Beschauer erregen kann. Es ist eine Art Idol, stupid vielleicht, aber blendend, bezaubernd: an seinen Blicken hangen Schicksal und Wille.“

60

5.4 D AS ‚R ÄTSEL W EIB ‘

ALS I DEAL DES

S YMBOLISMUS

Mit ihren der Alltagswirklichkeit entrückten, zeitlos anmutenden Szenen und ätherisch verklärten Frauenfiguren suggerieren Künstler wie Grasset, Berthon und Verneuil eine Tiefgründigkeit, die weit über den eigentlichen, profanen Werbezweck ihrer Plakate hinausgeht. Entsprechend schrieb Arsène Alexandre, im Oeuvre Eugène Grassets werde das „Materielle zur Ausdrucksform des Immateriellen“ 61; und Grasset selbst erklärte, der Künstler müsse sich von einer ‚höheren Schönheit‘ nähren und ein inneres, emotionales Erleben zum Ausdruck bringen, anstatt nur sklavisch die äußere Wirklichkeit abzubilden.62 Deutlich offenbart sich in derartigen Äußerungen die Affinität Grassets zu den Ideen des Symbolismus. Vor allem auf das Seelisch-Geistige, intellektuell nicht Fassbare konzentrierte sich diese Strömung der damaligen Avantgardekunst; mit Bildfindungen fernab der Alltagsrealität und häufig fantastischen Motiven suchten die Symbolisten eine künstlerische Gegenposition zum Positivismus der Wissenschaften und Rationalismus des Industriezeitalters zu schaffen.63 Offenbar wird der Einfluss des Symbolismus im Werk Grassets und seiner Schüler nicht zuletzt in der Vorliebe für die ätherisch-vergeistigte femme fragile, deren verträumte, seelenvolle Blicke Tiefgründigkeit und meditative Verinnerlichung suggerieren. Tatsächlich geben die Künstler jedoch kaum etwas vom Seelenleben ihrer Figuren preis – lediglich eine vage Melancholie deutet sich mitunter in

59 Vgl. Schmaußer 1991, S. 23–28. 60 Baudelaire 1994, S. 311. 61 „…le matériel devient le véhicule de l’immatériel.“ – Alexandre 1894, S. 14f. 62 Vgl. Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 44. 63 Vgl. Wolf 2009, S. 7f.

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den ansonsten glatten, unbewegten Gesichtszügen an. Deutlich Parallelen hierzu finden sich in den Werken von symbolistischen Malern wie etwa Fernand Khnoppf oder Gustave Moreau (Abb. 276, S. 381), deren Frauengestalten über ein gänzlich unergründliches Wesen zu verfügen scheinen. Das sich hierin offenbarende Weiblichkeitsideal des Symbolismus fußt wiederum in zeitgenössischen Vorstellungen vom ‚Geschlechtscharakter‘ der Frau: Weit verbreitet war im 19. Jahrhundert die Überzeugung, das weibliche Wesen sei von Natur aus undurchschaubar und wandelbar. Octave Uzanne bezeichnete folgerichtig die Frau als „lebendes Geheimnis“ und erklärte: „In welcher Gestalt sie uns auch erscheinen mag, […] sie bleibt ewig wahr in der Mannigfaltigkeit ihrer Verwandlungen und straft ihre Bilder oder ihre Mythologie nie Lügen.“64 Stilisiert zum ‚Rätsel Weib‘, avancierte die Frau zum Sinnbild des intellektuell nicht Fassbaren, Geheimnisvollen und Unausgesprochenen, das nach symbolistischen Vorstellungen das Wesen der Kunst ausmachen sollte.65 So erklärte Stéphane Mallarmé, einer der Gründerväter der symbolistischen Literatur „…einen Gegenstand direkt zu benennen, heißt dreiviertel des Genusses […] zu unterdrücken, der darin besteht, nach und nach zu erraten: andeuten, suggerieren, das ist der Traum.“66 Die Unergründlichkeit des weiblichen Wesens, die hier zum künstlerischen Ideal erklärt wurde, war realiter jedoch nicht der natürlichen Veranlagung der Frau geschuldet, sondern der restriktiven Erziehung und dem damals vorherrschenden rigiden Verhaltenskodex: Wie bereits dargelegt, wurde gerade in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die introvertierte, schüchterne ingénue als weibliches Idealbild propagiert; Gefühlsregungen offen auszuleben, galt dagegen für junge Frauen als unschicklich. Derartige Anstandsnormen dürften jedoch kaum zu tatsächlicher Tiefgründigkeit und Verinnerlichung geführt haben, sondern vielmehr zu einer Unterdrückung der individuellen Persönlichkeit. Entsprechend erklärt Isabell Bricard: „Erzogen in denselben Formen, nach denselben unabänderlichen Prinzipien, verdammt zu derselben Schalheit, zu derselben Unpersönlichkeit, gleichen sich alle jungen Mädchen, die

64 Uzanne o. J., S. 59. 65 Vgl. Arwas, Victor: „Le Style Mucha and Symbolism“. In: ders. u. a.: Alphonse Mucha. The Spirit of Art Nouveau, Ausst.Kat. San Diego Museum of Art u. a., Alexandria, Virginia 1998, S. 62–67, hier S. 62; sowie Eschenburg, Barbara: „Der Kampf der Geschlechter. Der neue Mythos in Literatur, Philosophie und Kunst“. In: Friedel, Helmut (Hg.): Der Kampf der Geschlechter. Der neue Mythos in der Kunst 1850–1930, Ausst.Kat. Städtische Galerie im Lehnbachhaus München, Köln 1995, S. 9–42, hier S. 17–19. 66 Dt. Übersetzung zitiert nach: Krämer, Felix: „Édouard Vuillard. Kammerspiele“. In: Édouard Vuillard, Ausst.Kat. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Heidelberg 2008, S. 138– 144, hier S. 142. (i. O. teilw. herv.)

194 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG durch eine stereotype Erziehung geformt wurden. […] In ein Korsett der Schicklichkeit gezwängt, lässt eine junge Person nichts von ihrer wirklichen Persönlichkeit nach außen dringen...“

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Bereits 1876 kritisierte folgerichtig die deutsche Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, dass ihre Zeitgenossinnen nur durch Selbstverleugnung den gesellschaftlichen Rollenerwartungen gerecht werden konnten: „Und dieses chronische Heuchlerthum [sic], zu dem die Frauen verdammt sind, das ist die Hieroglyphenschrift des weiblichen Herzens, über die so viel gefabelt worden ist, darauf lassen sich zurückführen all die dichterischen Anspielungen auf die Sphynxnatur [sic] des Weibes. Nein, die Frau ist keine Sphynx [sic], kein Mysterium, keine Hieroglyphe, kein Chamäleon – (wenigstens nicht mehr, als der Mensch es im allgemeinen ist) sie lügt blos [sic] und heuchelt, und sie lügt, weil sie lügen muß.“

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Ähnlich argumentierte 1897 Marie-Anne de Boye in der feministischen Zeitschrift La Fronde – das vermeintliche Geheimnis des weiblichen Wesens sei „ein leicht zu durchschauendes Mysterium“69, geschuldet allein den restriktiven Verhaltensnormen der Zeit. In Anspielung auf den Topos der nuda veritas konstatiert die Autorin: „…was man sich geeinigt hat, die weibliche Lüge zu nennen, ist ein unterschwelliges, allgemeines Verheimlichen bezüglich der allgemeinsten Themen. Es ist eine besondere Dezenz, die unserem Geschlecht auferlegt ist, genau wie die Polizei wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses ein Protokoll der Wahrheit aufnähme, ginge diese nackt durch die Straßen. Weiß man, dadurch dass wir Röcke tragen, weniger gut, wie wir gemacht sind? […] Und also unsere Widersprüche! Ja, unser Gebaren widerspricht unserer Gefühlen, da man es ja so will.“70

67 „Elevées dans les mêmes moules, d’après les mêmes principes immuables, condamnées à la même fadeur, à la même impersonnalité, toutes les jeunes filles se ressemblent, modelées par un éducation stéréotypée […] Comprimée dans un corset de bienséances, une jeune personne ne laisse rien transparaître de sa propre personnalité…“ – Bricard 1985, S. 321. Vgl. hierzu auch Kap. 6.3 dieser Arbeit, insbes. S. 234f. 68 Dohm, Hedwig: Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen, Neunkirch 1986 [= Nachdruck der Ausgabe Berlin 1876], S. 46f. 69 „un mensonge de carton et un mystère cousu de fil blanc.“ – de Boye, Marie-Anne: „L’,Éternel Féminin‘!!!“. In: La Fronde, 22.12.1897, o. S. 70 „…ce qu’il est convenu d’appeler le mensonge féminin, c’est une dissimulation latente, ambiante s’exerçante sur les sujets les plus généraux. C’est une décence particulière imposée à notre sexe, exactement comme la police dresserait procès-verbal à la vérité en

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5.5 E XKURS : E XOTISMUS

IM

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P LAKAT

Die eskapistischen Wunschvorstellungen des 19. Jahrhunderts richteten sich nicht nur auf vergangene Epochen oder die unberührte Natur. Auch exotische, vor allem orientalische Sujets erfreuten sich größter Beliebtheit in der bildenden Kunst und Literatur der Zeit. Das Interesse der Künstler wie auch der Öffentlichkeit galt insbesondere dem Nahen Osten und Nordafrika – Gebiete, die in kultureller Hinsicht vollkommen fremdartig erschienen, von Europa aus dank neuer Transportmittel wie Dampfschiff und Eisenbahn jedoch gut zu erreichen waren. Zusätzlich gefördert wurde der Kontakt zu fremden Kulturen durch die politischen Entwicklungen der Zeit, in Frankreich vor allem durch den Ägypten-Feldzug Napoleons von 1798 bis 1801 und die in den 1830er Jahren erfolgte Kolonisierung Algeriens, sowie den Ausbau von Handelsbeziehungen.71 Dabei ging es Künstlern und Literaten jedoch weniger um eine dokumentarisch genaue Schilderung der fremden Lebenswelt, als vielmehr um deren Instrumentalisierung als Projektionsfläche für europäische Eskapismus-Fantasien. Bestimmend für die hiesige Wahrnehmung des Orients waren idealisierte Wunschvorstellungen eines der Zeit und Alltagsrealität entrückten Ortes, der vermeintlich frei war von restriktiven westlichen Verhaltensnormen: „Der Orient wurde als unbestimmte, zwischen Traum und Wirklichkeit angesiedelte Phantasmagorie dargestellt, in der die Personage aus 1001 Nacht die Szene bevölkert“72, erklärt folgerichtig auch Davy Depelchin. Angesichts der enormen Popularität exotischer Sujets überrascht die vergleichsweise geringe Zahl der damaligen Werbeplakate, die entsprechende Motive aufgreifen. Selbst in Plakaten für typische Importware wie Tee und Trinkschokolade gaben französische Künstler häufig Darstellungen von heimischer Familienidylle den Vorzug gegenüber exotischen Werbemotiven, wie beispielsweise Grassets Plakat für die mexikanische Chocolat Masson (Abb. 4, S. 31) zeigt. Um für das Kauf-

rupture de polis, si elle se promenait nue par les rues. De ce que nous portons des jupes, en sait-on moins bien comment nous sommes faites? […] Et nos contradictions, donc! Oui, notre attitude est contradictoire avec nos sentiments, puisqu’on le veut ainsi.“ – de Boye 1897, o. S. 71 Vgl. Depelchin, Davy: „Im Banne des Ostens. Motive und Erscheinungsformen einer künstlerischen Strömung“. In: ders./Diederen, Roger: Orientalismus in Europa. Von Delacroix bis Kandinsky, Ausst.Kat. Musées royaux de Belgique, Brüssel/Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München/Centre de la Vieille Charité Marseille, München 2010, S. 15–32, hier S. 17–22; sowie Stevens, MaryAnne: „Western Art and its Encounter with the Islamic World“. In: dies. (Hg.): The Orientalists: Delacroix to Matisse, Ausst.Kat. Royal Academy of Arts London, London 1984, S. 15–23. 72 Depelchin 2010, S. 29.

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haus À la place Clichy (Abb. 145) zu werben – laut Bildinschrift „das führende Haus weltweit für orientalische Importwaren“73 –, setzt Grasset hingegen einen dunkelhäutigen, mit Kaftan und Turban bekleideten Händler ins Bild, der kunstvolle Orientteppiche feilbietet. Von rechts ist ein potentieller Kunde herangetreten, dessen helle Haut und blondes Haar ihn deutlich als Europäer kennzeichnen. Sein schlichter weißer Anzug hebt ihn deutlich von der exotischen Farbenpracht und Ornamentfülle ab, die die Kleidung des fremdländischen Händlers und dessen Ware bestimmen. Der Hut des Europäers ist einem Tropenhelm nachempfunden, sodass die Assoziation von Expeditionen in ferne Länder hervorgerufen wird – hierdurch wird suggeriert, mit den Angeboten des beworbenen Kaufhauses könne man sich die Anmutung eines Abenteuers in der Fremde in die eigenen vier Wände holen.74 In der Gegenüberstellung der beiden Männer veranschaulicht Grasset dabei das Aufeinandertreffen von Orient und Okzident. Abbildung 145: Eugène Grasset À la place Clichy 1891

Abbildung 146: Pal (Jean de Paléologue) Crème Orientale undatiert

73 „la première maison du monde pour ses importations orientales“ 74 Vgl. Laps 2007a, S. 34f.

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Zumeist werben Plakate mit exotischen Motiven jedoch nicht mit männlichen, sondern vielmehr mit verführerischen weiblichen Figuren. So auch zwei Plakate Pals für die Pariser Parfumerie Orientale (Farbabb. 15, S. 165, Abb. 146): Beide zeigen eine Frau in einem orientalisch anmutenden Gewand, dessen dünner gelber Stoff die üppigen Rundungen des Körpers weich umspielt; die Hüfte wird durch ein umgebundenes Tuch in leuchtendem Rot zusätzlich betont. Die Dargestellten haben wallendes schwarzes Haar, das sich effektvoll von ihrer auffällig hellen Haut abhebt. Eine der ‚Werbedamen‘ hat ihre Locken mit einem gelbrot gemusterten Tuch zusammengebunden, die andere trägt eine goldene Kette um die Stirn; goldene Ohrringe und Armreifen komplettieren das Ensemble. Beide Frauen werden bei der Körperpflege gezeigt: Eine steht vor einem kleinen Beistelltischchen und trägt die beworbene Crème Orientale auf ihren ausgestreckten linken Arm auf; in der linken Hand hält sie das dazugehörige Fläschchen. Die andere Figur wirbt für die Zahnpasta Dentifrice Orientale. Sie ist entspannt auf großen, weichen Kissen lagernd dargestellt; die Träger ihres weit ausgeschnittenen Gewandes sind ihr über die Schultern geglitten, was ihre sinnlich-freizügige Anmutung noch verstärkt. In der linken Hand hält sie eine Zahnbürste, in der rechten einen Spiegel, mit dem sie lächelnd das Ergebnis ihrer Zahnpflege begutachtet. Das beworbene Produkt ist am linken Bildrand auf einem Beistelltischchen, ganz ähnlich demjenigen des Plakats für Crème Orientale, zu sehen. Beide Frauen werden in nur rudimentär angedeuteten Innenraumsituationen gezeigt, wobei die bläuliche Farbgebung des Hintergrunds den Eindruck schattiger Kühle hervorruft und zugleich effektvoll mit dem leuchtenden Rot und Gelb der Gewänder kontrastiert. Pal setzt hier seine Vorstellung eines Harems ins Bild, ein überaus beliebtes Sujet in der Kunst des 19. Jahrhunderts. Dass Europäern der Zugang zu entsprechenden Räumen realiter verwehrt blieb, beflügelte die Fantasie der Künstler, zumal die islamische Kultur als besonders sinnenfreudig galt. Fernab christlicher Moralvorstellungen und westlicher Anstandsnormen gab man sich hier vermeintlich ohne Reue sinnlichen Genüssen hin.75 So stellte etwa der Engländer John Frederick Lewis 1849 den Harem eines mamelukischen Bey dar (Abb. 147). Der Hausherr ist ganz links zu sehen, rechts neben ihm werden seine drei Ehefrauen gezeigt, die teils belustigt, teils gelangweilt dreinblicken. Ganz ähnlich Pals sinnlicher ‚Werbedame‘ lagern sie in entspannter Haltung auf voluminösen, weichen Kissen; angesichts der strikten englischen Anstandsnormen gestaltet Lewis ihre Kleidung jedoch deutlich weniger freizügig als diejenige der Plakatfiguren. Der Bey selbst begutachtet mit gespannter Aufmerksamkeit eine neue Sklavin, die ihm im Zentrum des Bildes von einem schwarzen Eunuchen vorgeführt wird. Dieser nimmt der Sklavin gerade ih-

75 Vgl. Stevens 1984a, S. 18; sowie Warner, Malcolm: „The Question of Faith: Orientalism, Christianity and Islam“. In: Stevens 1984, S. 32–39, hier S. 37.

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ren Umhang ab und enthüllt so die feilgebotene ‚Ware‘ in einer effektvollen Inszenierung, die nicht nur die Blicke des Hausherrn und seiner Frauen, sondern auch die des Bildbetrachters auf sich zieht. Die Frau selbst hingegen wendet beschämt den Blick zu Boden. Um Beine und Hüften hat sie ein großes gelbes Tuch geschlungen, das sie nun mit beiden Armen nach oben zieht, um ihren entblößten Oberkörper zu bedecken. In krassem Kontrast zu dieser Präsentation weiblicher Reize steht eine gänzlich verhüllte und verschleierte Frauenfigur, die links neben der Sklavin im Hintergrund zu sehen ist – es handelt sich um die Frau des Sklavenhändlers, der als Mann selbst keinen Zugang zum Harem hat.76 In der Gegenüberstellung dieser Frau, die sich konsequent dem fremden männlichen Blick entzieht, und der Sklavin, die in ihrer Blöße ostentativ zur Schau gestellt wird, unterstreicht Lewis das scheinbar gänzlich Fremdartige des orientalischen Kulturkreises. Tatsächlich spiegelt seine Haremsdarstellung jedoch vor allem die erotischen Wunschfantasien des europäischen Betrachters. Abbildung 147: John Frederick Lewis Der Harem 1849

Als eine den Wünschen des Mannes beliebig verfügbare Ware wird die Frau auch Jean Auguste Dominique Ingres’ orientalistischen Gemälden inszeniert. So zeigt

76 Vgl. Benjamin, Roger: „The Oriental Mirage“ In: ders. (Hg.): Orientalism. Delacroix to Klee, Ausst.Kat. The Art Gallery of New South Wales, London/Port Melbourne, Victoria 1997 , S. 7–31, hier S. 15f.; sowie ders. 1997, S. 79f., Nr. 24.

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etwa Ingres’ Türkisches Bad von 1862 ganze Scharen junger, wiederum größtenteils hellhäutiger Frauen, die ihre nackten Körper in sinnlichen Posen dem Betrachter präsentieren. Wie in Pals Werbeplakaten für Kosmetika klingt auch in der Darstellung des Bades das Thema der weiblichen Körperpflege an – in der damaligen Vorstellung war es eng mit dem Sujet des Harems verknüpft, mussten die dort lebenden Frauen doch vermeintlich vor allem danach trachten, dem Hausherrn zu gefallen und Vergnügen zu bereiten.77 In Ingres’ Türkischem Bad sowie in seinen zahlreichen Bildern sich lasziv räkelnder, gänzlich nackter Odalisken nimmt dabei der Betrachter selbst die Position des Hausherrn ein, dem sich die Frauen willig darbieten.78 Gerechtfertig wurden derartige Sujets durch ein vermeintlich ethnografisches Interesse an der fremden Kultur, auch wenn sie realiter vor allem die voyeuristischen Bedürfnisse des europäischen Betrachters bedienen.79 Tatsächlich sind sowohl Ingres’ erotisch aufgeladene Bilder als auch Lewis’ exotische Szenen gänzlich fiktiv: Ingres, dessen laszive Odalisken das Bild des ‚sinnlichen‘ Orients maßgeblich mitprägten, hatte die fraglichen Länder selbst niemals bereist. John Frederick Lewis lebte zwar zwischen 1840 und 1850 in Kairo, einen Harem hat jedoch auch er nie von innen gesehen.80 Auf die vermeintlich amoralische Welt des Orients wird so ein Rollenbild der Frau als Objekt männlichen Verlangens und Vergnügens projiziert, das realiter jedoch in Europa ebenso gültig war. Gerade in der Plakatkunst tritt dies deutlich zutage, präsentiert sie doch nicht nur orientalische Frauen, sondern ebenso Pariserinnen als freizügige ‚Werbedamen‘, deren erotische Anmutung das eigentlich beworbene Produkt in den Hintergrund treten lässt. Eine Verbindung von exotischem und erotischem Wunschbild gestaltet auch Jules Alexandre Grün in seinem Plakat für die Revue Les Petits croisés (Abb. 148), die im Pariser La Cigale gezeigt wurde. Die titelgebenden ‚kleinen Kreuzfahrer‘ erscheinen als winzige Gestalten in mittelalterlicher Rüstung in der oberen Bildhälfte; dominiert wird die Darstellung von einer attraktiven Frau in Rückenansicht. Sie trägt eine grünweiß gestreifte Hose, die mit einem roten Tuch gegürtet ist; ein angedeuteter Hüftschwung lässt die Rundung des Gesäßes deutlich hervortreten. Noch gesteigert wird die erotische Anmutung durch die kurze, gänzlich durchsichtige Bluse der Dargestellten, die den Blick auf den Rücken und die rechte Brust freigibt. In ganz ähnlichem Kostüm hatte bereits 1873 Jean-Leon Gérôme eine Almeh, eine ägyptische Tänzerin, ins Bild gesetzt (Abb. 149): Über weiten roten Pluderhosen trägt auch sie eine durchsichtige und zudem tief dekolletierte Bluse. Sie hat sich

77 Vgl. Depelchin 2010, S. 30. 78 Vgl. Benjamin 1997, S. 69, Nr. 14. 79 Vgl. Warner 1984, S. 37. 80 Vgl. Benjamin 1997, S. 79f., Nr. 24; sowie Stevens 1984a, S. 16f.

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dem Betrachter zugewandt und präsentiert kokett lächelnd mit lasziver Pose ihre körperlichen Reize. Die betonte Freizügigkeit der Darstellung lässt darauf schließen, dass die Gezeigte nicht nur mit Tanz, sondern wohl auch mit Prostitution ihren Lebensunterhalt verdient.81 In ihrer provokant-lasziven Anmutung entspricht Gérômes Almeh den damals verbreiteten Klischeevorstellungen eines moralisch verderbten, da nicht-christlichen Orients. Der Bruch mit westlichen Anstands- und Verhaltensnormen wird nochmals unterstrichen durch die langstielige Pfeife, die die Frau in ihrer Rechten hält – galt Rauchen unter europäischen Frauen doch als unsittlich und mit dem Flair der Halbwelt behaftet.82 Abbildung 148: Jules Alexandre Grün La Cigale – Les Petits croisés 1900

Abbildung 149: Jean-Leon Gérôme Die Almeh 1873

Grüns aufreizende ‚Werbedame‘ wiederum präsentiert sich zwar in orientalisch anmutender Garderobe. Ihr Haarknoten, ein so genannter chignon, entspricht jedoch ganz der französischen Frisurenmode der damaligen Zeit; wie die Haremsdamen Pals oder Ingres’ ist auch sie auffallend hellhäutig. Hierin wird eine grundlegende Tendenz orientalistischer Malerei im 19. Jahrhundert offenbar, die einerseits im Dekor der Darstellungen und der Aufmachung der gezeigten Frauen exotische Wunschwelten evoziert, in Bezug auf Haut- und Haarfarbe sowie die Physiognomie

81 Vgl. Benjamin 1997, S. 101, Nr. 42. 82 Vgl. Weisser 2002, S. 103–107.

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Abbildung 150: der Figuren jedoch westlichen SchönheitsideJules Chéret alen verhaftet bleibt. Dass orientalische FrauMusée Grevin – en zudem vornehmlich als erotisch aufgelaSouvenir de l’exposition dene, weitgehend passive Objekte der Be1890 gierde ins Bild gesetzt werden, mag dabei auch auf die (vermeintliche) kulturelle und politische Überlegenheit Europas gegenüber dem Orient anspielen: Im Verhältnis des (europäischen) Betrachters und der sich ihm willig darbietenden Haremsdame erscheint das Kräftegefüge zwischen dem dominanten Westen und dem unterworfenen Nahen Osten gespiegelt.83 Besonders sinnfällig wird dies in Grüns Revue-Plakat: Die attraktive ‚Werbedame‘ steht hier gleichsam sinnbildlich für die fernen Länder, die zu erobern die Kreuzfahrer ausgezogen sind. Vergleichbares klingt auch in Jules Chérets Plakat Souvenir de l’exposition (Abb. 150) an: Beworben wird eine Ausstellung des Pariser Musée Grevin, in der mittels Wachsfiguren Szenen der Weltausstellung von 1889 nachgestellt wurden. In einer als Exposition coloniale betitelten Abteilung hatte sich Frankreich dort erstmals als bedeutende Kolonialmacht präsentiert. Waren die Kolonien auf vorhergehenden Weltausstellungen kaum thematisiert worden, so nahmen sie nun eine Schlüsselrolle in der Selbstdarstellung des Landes ein – hatte Frankreich seine diesbezügliche Rolle doch derart ausbauen können, das es neben England an der Spitze des Weltmachtgefüges stand.84 Ganze Dörfer samt ihren eingeborenen Bewohnern wurden auf das Ausstellungsgelände transloziert, exotische Bau- und Kunstwerke nachgebildet. So hatte man beispielsweise den kambodianischen Pavillon der Pago-

83 Vgl. Peltre, Christine: „Und die Frauen?“. In: Depelchin/Diederen 2010, S. 155–165, hier S. 159–164. 84 Vgl. Sonntag, Dina: „Gauguins Weg nach Tahiti“. In: Becker, Christoph (Hg.): Paul Gauguin. Tahiti, Ausst.Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Ostfildern-Ruit 1998, S. 85–106, hier S. 95–99.

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de von Angkor nachempfunden und hielt dort sogar buddhistische Gottesdienste für die Schaulustigen ab.85 Chérets Plakat deutet die exotischen Bauten der Exposition coloniale jedoch nur im Hintergrund an; dominiert wird die Darstellung stattdessen von drei exotischen ‚Werbedamen‘ – zwei Asiatinnen und einer Schwarzafrikanerin – in ihren jeweiligen Landestrachten. Die kolonisierten Gebiete werden so wiederum von hübschen jungen Frauen verkörpert, die das Begehren des europäischen Betrachters wecken und ihn im Bild des vermeintlich ‚schwachen‘ Geschlechts zugleich seiner ‚männlichen‘ Überlegenheit gegenüber den Kolonien versichern. Abbildung 151: Jules Chéret L’Ambelanine. Sirop Indien 1880

Auch jenseits orientalischer Motive setzten Plakatkünstler damit auf die verführerische Wirkung des Exotischen. Für L’Ambelanine, einen angeblich aus Indien importierten Sirup etwa gestaltete Chéret eine attraktive ‚Werbedame‘ in einem nur entfernt indisch anmutenden Fantasiegewand (Abb. 151). Deutlich sind die üppigen Brüste der Dargestellten sowie die Konturen von Hüfte und Schenkeln durch den transparenten Stoff zu erkennen, der flatternd die Figur umspielt. Ein kleiner roter

85 Vgl. Heermann, Ingrid: „Gauguins Tahiti – Anmerkungen aus ethnologischer Sicht“. In: Becker 1998, S. 147–165, hier S. 150–152.; sowie Sonntag 1998, S. 97–99.

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Hut, dessen Form an einen Fez erinnert, sowie farblich abgestimmte Armreifen und eine Halskette komplettieren die Garderobe. Gleich einer Bedienung balanciert die Frau ein Tablett mit graziler Geste auf ihrer erhobenen linken Hand und präsentiert so eine Kanne, in der sich das beworbene Getränk vermuten lässt. Den rechten Arm hat sie hinter dem Rücken verborgen, die Beine deuten einen Kontrapost an. Während Chérets ausgelassene Parisiennes selbst als genussfreudige Konsumentinnen der beworbenen Produkte dargestellt werden, erscheint die hier gezeigte Inderin damit als servile Dienerin, die mit einem zurückhaltenden Lächeln den Wünschen des Rezipienten zu entsprechen sucht. Wiederum klingt so im Verhältnis des Betrachters und der exotischen Werbefigur die Dominanz Europas gegenüber den kolonisierten Gebieten an. Abbildung 152: Alfons Mucha Vin des Incas 1897

Ganz anders Alfons Muchas Plakat für Vin des Incas (Abb. 152), ein auf Kokasubstanz basierendes, medizinisches Getränk:86 Im gestreckten Querformat wird eine nackte Frau liegend im Profil gezeigt. Den Oberkörper hat sie, locker auf den Ellbogen gestützt, aufgerichtet. Scham und Beine werden von einer weißen Draperie bedeckt, eine leichte Torsion des Körpers betont die ausladende Hüfte. Auf dem Kopf trägt die Dargestellte einen indianisch anmutenden Federschmuck. In der rechten Hand hält sie eine Flasche des beworbenen Produkts, die linke streckt sie in beschwichtigender Geste einem älteren Mann entgegen, der sich ihr von rechts mit gebeugtem Oberkörper und zu einer Schale geformten Händen nähert. Als Vorbild für diese Figur diente wohl eine Maya-Stele, die einen Priester bei einer nicht näher

86 Vgl. Rennert/Weill 1984, S. 176, Nr. 43.

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zu benennenden Opferhandlung zeigt.87 Im Gegensatz zu den lasziven exotischen ‚Werbedamen‘ Pals oder der servilen Inderin, die Chéret für L’Ambelanine ins Bild setzt, wirkt Muchas Frauenfigur überaus selbstbewusst und ihrem männlichen Gegenpart überlegen. Die unterwürfige Haltung des Priesters sowie die angedeutete Opferhandlung lassen sie geradezu als anbetungswürdiges Idol erscheinen – eine Assoziation, die noch durch die stark stilisierte, kreisrunde Form ihres Federschmucks verstärkt wird, der wie ein Nimbus anmutet. In Gestalt eines sinnlichen Frauenakts wird jedoch auch hier wiederum das exotische mit dem erotischen Ideal verbunden.88 Dass Mucha sich für seine Darstellung von der Kunst der Maya inspirieren ließ, um ein Getränk zu bewerben, dessen Rezeptur angeblich auf die Inkas zurückgeht, veranschaulicht dabei den allgemein recht freien Umgang der damaligen Künstler mit exotischen Versatzstücken. Eine Asiatin gestaltete Michel Simonidy als Werbefigur für die Zeitung Le Figaro (Abb. 153): Die Dargestellte wird vor einem dunkelvioletten Hintergrund gezeigt, den stilisierte goldene Blumenmotive im asiatischen Stil zieren; ihr grüner, mit rotem Blumenmuster verzierter Kimono sowie die kunstvolle, mit Blumen und Troddeln geschmückte Hochsteckfrisur weisen sie als Japanerin aus. Mit einer etwas gekünstelt anmutenden Geste hält sie die beworbene Zeitung. Welche Neuigkeiten sie hier zur Kenntnis nimmt, bleibt jedoch unbekannt, da nur der Titel des zusammengefalteten Blattes sichtbar ist. Allgemein galt der Ferne Osten als „hochstehende Kulturlandschaft, zu der man nicht nur einen intensiven Warenaustausch suchte, sondern von der man sich auch geistigen Gewinn erhoffte“89 – dass hier nun gerade eine Asiatin mit interessiertem Blick eine französische Zeitung liest, suggeriert eine internationale Bedeutung des Nachrichtenblattes. Der Nachteil einer derartigen Werbestrategie ist jedoch, dass die von Simonidy gezeigte, betont exotische Figur den französischen Lesern des Figaro wohl kaum zur Identifikation gedient haben dürfte. Gerade hierin mag auch begründet liegen, warum das Gros der Plakatgestalter auf exotische Werbemotive verzichtete.

87 Woher Mucha die fragliche Stele bekannt war, ist unklar, gehört sie doch zur Sammlung des Anthropologischen Museum von Mexico City. Da Mucha selbst nie in Südamerika war, kannte er das fragliche Objekt wohl durch Fotografien. vgl. Rennert/Weill 1984, S. 176, Nr. 43. 88 Zur Verbindung von Exotik und Erotik als allgemeines Motiv der Kunst vgl. Hoffmann 1960, S. 315; sowie – mit stärkerem Blick auf die Literatur – Praz, Mario: Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik, München 1963, S. 138. 89 Scholz-Hänsel, Michael: Das exotische Plakat, Ausst.Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart 1987, S. 21.

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Abbildung 153: Michel Simonidy Le Figaro vor 1904

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Abbildung 154: Réne-Louis Péan Le Figaro undatiert

Réne-Louis Péan löste dieses Dilemma in einem Plakat für dieselbe Zeitung (Abb. 154), indem er eine modische Parisienne als Leserin des Blattes zeigt, ihr aber zugleich einen spanischen Torero im typischen rotgelben Kostüm zur Seite stellt. Dieser sitzt mit einer Schreibfeder in der Hand an einem Tisch, auf dem ein leerer Bogen Papier, ein großes Tintenfass sowie, vom Bildrand angeschnitten, eine Seite der beworbenen Zeitung zu sehen sind – die Vorstellung liegt nah, der Spanier sei im Begriff, gerade einen Artikel für den Figaro zu verfassen. Doch hat er im Schreiben innegehalten und dreht sich lächelnd mit einer Bemerkung zu der Leserin links hinter ihm um, seine Hand weist auf die Zeitung. Péan ersetzt so die unpersönliche schriftliche Nachricht der Presse durch einen direkten menschlichen Kontakt, der dem Betrachter den Eindruck vermitteln mag, durch die Lektüre des Figaro erhalte er einen unmittelbaren Zugang zu den Geschehnissen der Welt. Dass der Künstler dies in Gestalt eines Toreros zu verdeutlichen sucht, entbehrt aus heutiger Sicht sicher nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik. Doch greift Péan mit dieser Figur auf einen damals überaus populären Motivkreis zurück, erfreuten sich spanische Sujets in der Kunst wie auch der Literatur des späten 19. Jahrhunderts doch größter Beliebtheit: Mit dem Spanien-Feldzug General Hugos, der Ende des 18. Jahrhunderts die Pyrenäen überschritt, waren spanische Kunstwerke als Kriegsbeute nach Frankreich gekommen; in der Folge reisten zahl-

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reiche französische Künstler nach Spanien, um die dortige Kunst zu studieren.90 Eine wahre Spanien-Begeisterung löste schließlich Prosper Mérimée mit seinem 1845 in der Revue des deux mondes erschienen Roman Carmen aus, der maßgeblich das verklärte Idealbild der leidenschaftlichen spanischen Zigeunerin prägte. Ganz allgemein fungierte das Bild der temperamentvollen Spanierin als Projektionsfläche für die Sehnsucht nach Freiheit und Ungebundenheit.91 Abbildung 155: Leonetto Capiello Tog Quinquina 1905

Abbildung 156: Armand Rassenfosse Job 1910

Entsprechend bediente sich auch die Werbung immer wieder stereotyper Bilder von feurigen, selbstbewussten Südländerinnen, wie etwa in Leonetto Capiellos Plakat für den Magenbitter Tog Quinquina (Abb. 155) zu sehen: Die ‚Werbedame‘ wird hoch zu Pferde gezeigt; sie trägt einen dunkelblauen Rock mit weißem Muster sowie ein helles Oberteil, das jedoch größtenteils von einem roten Schultertuch mit Fransenbesatz verdeckt wird. Das dunkle, hochgesteckte Haar zieren eine große ro-

90 Vgl. Lobstein, Dominique: „Ein spanischer Traum. Die Spanien-Abbildungen in den Pariser Salons 1845–1865“. In: Formanek, Veronika /Pakesch, Peter (Hg.): Blicke auf Carmen. Goya. Courbet. Manet. Nadar. Picasso, Ausst.Kat. Landesmuseum Joanneum Graz, Köln 2005, S. 166–191, hier S. 168. 91 Vgl. Formanek, Verena: „Blicke auf Carmen. Zur Ausstellung“. In: dies./Pakesch 2005, S. 10–43, hier S. 30–33; sowie Lobstein 2005, S. 170.

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te Rose sowie ein am Hinterkopf festgesteckter weißer Schleier – die typische Landestracht, in der beispielsweise auch der spanische Maler Manuel Cabral Aguado Bejarano seine Landsmänninnen darstellt (Abb. 157). In der erhobenen Linken hält Capiellos ‚Werbedame‘ eine Flasche des beworbenen Getränks, die rechte Hand ist hinter dem Kopf verborgen. Lächelnd und scheinbar mühelos hält sie sich auf ihrem sich aufbäumenden Rappen; das Ungestüm des Pferdes mag dabei auch als Spiegel ihres eigenen Temperaments fungieren. Den Stereotyp der feurigen Spanierin gestaltet auch Armand Rassenfosse in einem Plakat für Zigarettenpapier der Marke Job (Abb. 156): Zu sehen ist eine schwarzhaarige Frau mit rosigen Wangen, die sich mit lässig-selbstbewusster Haltung – den Oberkörper vorgebeugt, die Unterarme auf die Knie gestützt – auf einem Schemel niedergelassen hat und eine Zigarette raucht; ein rotblau gemustertes Tuch verhüllt kunstvoll drapiert die Sitzgelegenheit. Bekleidet ist die ‚Werbedame‘ wiederum mit einer typisch spanischen Tracht, bestehend aus einem dunkelgrünen Rock und einem orangefarbenem Schultertuch mit rotem Kreismuster. Zwei rote Rosen schmücken das Haar der Figur, eine weitere Blume liegt vor ihr auf dem Boden, eine hält sie in ihrer linken Hand. Nicht nur verstößt die Dargestellte als Raucherin gegen die damaligen Anstandnormen; auch ihre ungezwungene und zugleich betont selbstsichere Haltung zeigt, dass sie sich jenseits der strikten Konventionen ihrer Zeit bewegt. Auch die zeitgenössische Vergnügungsindustrie bediente sich der allgemeinen Begeisterung für alles ‚Spanische‘. So zeigte etwa der Nouveau Cirque ein Programm, das dem berühmten Jahrmarkt von Sevilla gewidmet war. Das Plakat hierzu entwarf Jules Chéret (Abb. 158); darauf zu sehen ist im Hintergrund das Rund der Zirkusarena, in dem gerade ein Stierkampf stattfindet, sowie rechts vorn den Auftritt zweier Tänzerinnen auf einer einfachen Bretterbühne. Begleitet werden sie von einem Musikantenpaar, das von seiner Position am linken unteren Bildrand mit sichtlicher Begeisterung zur Bühne aufschaut. Evozieren die Kostüme der Musikanten ein deutliches spanisches Flair, so lassen die Tänzerinnen selbst eher an das zeitgenössische Ballett denken: Sie tragen kurze, weit ausgestellte Kleider, die Tutus ähneln, und vollführen mit grazilen Bewegungen einen Spitzentanz – Chéret gestaltet hier im Grunde die für ihn typischen ‚Werbedamen‘; nur durch kleine Details werden sie an das Spanien-Thema angepasst: So haben beide Tänzerinnen schwarzes Haar; ein kunstvoll durchbrochener Kamm ziert als typisch spanisches Accessoire die Hochsteckfrisur der vorderen Figur, die zudem den eigenen Tanz mit Kastagnetten begleitet. Überdeutlich tritt damit an diesem Beispiel zutage, dass die Plakatkunst des 19. Jahrhunderts lediglich werbewirksame Versatzstücke aus den Kulturen anderer Länder übernimmt, um die Klischeevorstellungen und eskapistischen Wunschbilder des Betrachters zu bedienen, jedoch keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Fremdländischen sucht.

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Abbildung 157: Manuel Cabral Aguado Bejarano Szene in einem Wirtshaus um 1855

Abbildung 158: Jules Chéret Nouveau Cirque – La Foire de Seville 1889

6. Die weibliche Gestalt im Kontext der Allegorie

In der Plakatkunst des 19. Jahrhunderts verkörperten Frauenfiguren nicht nur beliebte Stereotypen wie die Parisienne oder die femme fragile, sondern fungierten häufig auch als allegorische Personifikationen1 für die beworbenen Güter. Die Plakatwerbung zeugt hier von einer allgemein verbreiteten Vorliebe des 19. Jahrhunderts für Allegorien jeglicher Art,2 die man nicht mehr allein zur Veranschaulichung abstrakter Begriffe heranzog – auch konkret Fassbares wurde nun in menschlicher Gestalt versinnbildlicht. Künstler wie Alfons Mucha rückten so immer wieder die menschliche Figur ins Zentrum der Aufmerksamkeit, das eigentlich beworbene Produkt wurde zu einem bloßen Attribut degradiert.3 Erst bei genauerem Hinsehen bemerkt der Betrachter so beispielsweise den überschäumenden Bierkrug, den die ‚Werbedame‘ in Muchas Plakat für Bières de la Meuse (Abb. 159) vor sich abgestellt hat. Die Dargestellte ist dabei nicht als Konsumentin zu verstehen, vielmehr präsentiert sie das beworbene Bier und repräsentiert es zugleich. Um dies zu verdeutlichen, stattet der Künstler seine Figur mit Attributen aus, die auf das angepriesene Getränk hinweisen: Sie trägt einen ausladenden Kranz aus Gerstenähren und grünem Hopfen, den pflanzlichen Ausgangsstoffen für Bier. Der ebenfalls in den Kranz eingeflochtene Klatschmohn stellt den Bezug zur Herkunftsregion der

1

Die allegorische Figur oder auch Personifikation lässt sich als der Allegorie zugehörig und dieser untergeordnet klassifizieren. Eine Differenzierung beider Begriffe findet sich bei Heinz-Toni Wappenschmidt: „Während mit der Allegorie die Umsetzung eines gedanklichen in einen komplexen bildlichen Zusammenhang gemeint ist, veranschaulicht die allegorische Figur Begriffe oder Bereiche aus dem Kosmos, der Natur, der Welt des menschlichen Lebens, des Wissens oder der Künste sowie Tätigkeiten einzelner menschlicher oder zoomorpher Lebewesen, zumeist unter Einbeziehung signifikanter Attribute.“ – Wappenschmidt, Heinz-Toni: Allegorie, Symbol und Historienbild im späten 19. Jahrhundert, München 1984, S. 38.

2

Vgl. Brabcová 1980, S. 54; sowie Winter 1995, S. 68.

3

Vgl. Brabcová 1980, S. 53.

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beworbenen Biermarke her – er gilt als typische Pflanze für den Nordosten Frankreichs, durch den die Maas (französisch Meuse) fließt.4 Eine Personifikation dieses Flusses, zu sehen in einem Bildmedaillon direkt unterhalb des Bierkrugs, zierte das Etikett der Marke und dürfte wohl zum Zweck einer besseren Wiedererkennung eingefügt worden sein; hinzu kommt ein weiteres Bildfeld am unteren Rand des Plakats, das die Fabrikanlagen des Herstellers zeigt. Durch eine doppelte Rahmenlinie in rot und weiß sowie durch die monochrome Ausführung in Grautönen werden beide Motive deutlich von der leuchtend buntfarbigen zentralen Szene abgesetzt. Der Verweis auf die moderne, industrielle Produktion wird somit unmittelbar kombiniert mit der althergebrachten Bildform der Allegorie – entsprechend erklärt Markus Müller: „Die Plakatkunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist eine Übergangskunst und von janusköpfiger Gestalt: Sie ist traditionsverhaftet und innovativ zugleich, schöpft aus den bildnerischen Quellen der Vergangenheit und lotet gleichzeitig neue Bildwelten aus.“

5

In identischer Form findet sich die Personifikation der Maas bereits auf einem früheren Plakat für Bières de la Meuse (Abb. 160), das Marc Auguste Bastard gestaltete. Bei Bastard ist das monochrome Bildmedaillon Teil eines mehrstufigen Steinsockels, auf dem sich seine Werbefigur niedergelassen hat. Mit ihrem überlangen offenen Haar, der blassen Haut und dem weich fließenden, mit reichen Mustern verzierten Kleid erinnert sie stark an die Frauengestalten Eugène Grassets;6 die längliche Körperform mit massigem Hals und vergleichsweise kleinem Kopf verrät hingegen die Inspiration durch die Kunst des Manierismus. Wie Muchas Figur ist auch Bastards ‚Werbedame‘ rothaarig und mit Blumen bekränzt, wobei ihr Blütenkranz jedoch wesentlich bescheidener ausfällt und mit seiner gräulichen Färbung seltsam unwirklich anmutet. Als Verweis auf das beworbene Bier hält sie ein Ährenbündel mit Gersten und Hopfen in Händen, auf die Darstellung des Getränks selbst verzichtet der Künstler hingegen. Den nicht näher bestimmten dunklen Hintergrund durchziehen hellgelbe, stark stilisierte Wolkenbänder. Gerade die Anlehnung Muchas an Bastards Arbeit macht die Variationsbreite in der Gestaltung von Allegorien deutlich: Bastard gestaltet seine Figur als gänzlich

4

Vgl. Kat. Hamburg 1997, S. 60f., Nr. 25; Döring 1994, S. 28f.; sowie Rennert/Weill 1984, S. 126, Nr. 27.

5

Müller, Markus: „Der Gentleman mit dem Brecheisen. Henri de Toulouse-Lautrec und das zeitgenössische Künstlerplakat“. In: ders. (Hg.): Affichomanie – Plakatwahn.. Toulouse-Lautrec & die französische Plakatkunst um 1900, Ausst.Kat. Graphikmuseum Pablo Picasso Münster/Kunstmuseum Heidenheim, Bönen 2003, S. 11–28, hier S. 12.

6

Vgl. Thon 1968, S. 15.

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abstraktes Sinnbild des beworbenen Produkts, sie wirkt steif und stilisiert. Muchas Plakat dagegen zeigt eine vital anmutende, ebenso liebliche wie verführerische junge Frau – verträumt blickt sie ins Ungewisse, beugt den Oberkörper vor und stützt das Kinn in die Hand. Diese Haltung suggeriert Entspannung und hebt zugleich die Rundungen von Hüfte und Gesäß hervor, die noch zusätzlich betont werden durch eine überlange Haarsträhne, die sich um den Körper der Dargestellten windet. Hinterfangen von einer idyllischen Waldlandschaft und bekleidet mit einem figurbetonten zeitlosen Fantasiegewand, ist sie ebenso weit abgerückt von der zeitgenössischen Alltagswelt der potentiellen Konsumenten wie Bastards ‚Werbedame‘, erscheint in ihrer Gestaltung aber dennoch wesentlich lebensnaher und ansprechender. Abbildung 159: Alfons Mucha Bières de la Meuse 1897

Abbildung 160: Marc Auguste Bastard Bières de la Meuse vor 1896

Deutlich tritt in Muchas Arbeit die Strategie zutage, mittels allegorischer Personifikationen positive Assoziationen zum repräsentierten Produkt auszulösen. Bereits in der Rhetorik der Antike als probates Mittel zur Überredung und Verführung angesehen, scheint die Allegorie in ihrer bildlichen Ausgestaltung auch hervorragend für Werbezwecke geeignet. Hatte man traditionell das Geschlecht einer Personifikation

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am grammatischen Genus des verkörperten Begriffs orientiert, so entwickelte sich im 19. Jahrhundert eine deutliche Vorliebe für Allegorien in weiblicher Gestalt.7 Der Alltagsrealität enthoben, durften diese durchaus freizügig gestaltet sein, ohne damit Anstandsgefühle zu verletzen –8 die erotische Verlockung verstärkte noch die Verführungskraft der Allegorie, wie auch Marina Warner erklärt: „Verführen, entzücken, anregen, schmeicheln, damit wird der Überredung Macht verliehen: Als Reiz für die Sinne, als Waffe des Entzückens erscheint die weibliche Gestalt über all die Jahrhunderte hinweg bis heute, um uns von der Botschaft zu überzeugen, die sie übermitteln soll.“

9

Abbildung 161: Alfons Mucha Cycles perfecta 1902

Abbildung 162: Alfons Mucha Waverley Cycles 1897

Selbst Objekte des Begehrens, sollen die verführerischen Frauenfiguren der Plakatwerbung den Betrachter auch nach den Produkten verlangen lassen, die sie repräsentieren. So ließ sich ein Markenimage schaffen, ohne das beworbene Objekt selbst direkt in den Fokus der Darstellung rücken zu müssen. Vor allem in Bezug auf optisch wenig ansprechende Güter sei dies ein entscheidender Vorteil gewesen,

7

Vgl. Warner, Marina: In weiblicher Gestalt. Die Verkörperung des Wahren, Guten und Schönen, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 128f.

8

Vgl. hierzu Kap. 9 dieser Arbeit, insbes. S. 310f.

9

Warner 1989, S. 15.

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so Jack Rennert.10 Als Beispiel nennt Rennert die Fahrradwerbung des 19. Jahrhunderts, die sich tatsächlich mit auffallender Häufigkeit allegorischer Darstellungen bediente.11 Für die französischen Cycles perfecta (Abb. 161) wie auch die amerikanischen Waverley Cycles (Abb. 162) gestaltet Alfons Mucha Plakate, in denen das beworbene Rad selbst gar nicht zu sehen ist – lediglich die Lenkstange ragt ins Bild. Zusätzlich verdeckt wird diese im Plakat der Waverley Cycles durch einen Lorbeerzweig, den die zugehörige „Werbedame“ in der Hand hält. Als tradiertes Ruhmessymbol mag dieser die internationale Anerkennung der Marke verdeutlichen,12 während der rechts im Vordergrund dargestellte Amboss samt Hammer das Schmiedehandwerk versinnbildlicht – angesichts der industriellen Massenfertigung Ende des 19. Jahrhunderts ein Anachronismus, der jedoch auf tradierten Wertvorstellungen von handwerklicher Qualität fußt. Als Anspielung hierauf lässt sich auch das Kleid der Dargestellten deuten: Mit ungewöhnlich groben Nähten versehen und offenbar aus Leder genäht, erinnert es entfernt an die Schürze eines Schmiedes.13 Abbildung 163: Alfons Mucha F. Guillot-Pelletier, Orleans 1897

10 Vgl. Rennert, Jack: „Would Mucha Have Made It on Madison Avenue?“. In: Arwas u. a. 1998, S. 54–61, hier S. 57f. 11 Vgl. Thon 1977, S. XXIX. 12 Vgl. Rennert/Weill 1984, S. 206, Nr. 52. 13 Vgl. Kat. Hamburg 1997, S. 68, Nr. 32.

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Bekräftigt wird diese Interpretation durch den Vergleich mit Muchas Kalenderentwurf für F. Guillot-Pelletier (Abb. 163): Ergänzend zu den Attributen Hammer und Amboss trägt die Werbefigur des Metall verarbeitenden Betriebes ebenfalls ein schurzartiges Gewand, dessen Oberteil aus Leder gefertigt scheint. In beiden Plakaten werden die Dargestellten dabei jedoch nicht als aktiv Handelnde gezeigt, sondern bleiben auf eine rein repräsentative Funktion beschränkt – die ‚Werbedame‘ für Waverley Cycles hat sich zwar auf einem Rad niedergelassen, fährt dieses aber nicht. Abbildung 164: Henri Thiriet Cycles & Accessoires Griffiths 1898

Henry Thiriet dagegen zeigt in seinem Plakat für Cycles & Accessoires Griffiths (Abb. 164) eine junge Frau, die tatsächlich in die Pedale tritt, auch ihr langes, im Wind flatterndes Haar deutet eine schnelle Fahrt an. Zugleich entrückt der Künstler die Szene jedoch in die Sphäre des Irrealen: Die Dargestellte trägt ein Diadem sowie ein langes weißes Kleid, das zum Radfahren völlig ungeeignet erscheint; weiße Rosen ranken sich um die Lenkstange – wiederum das einzige Detail des Rads, das deutlich sichtbar ist. Größtenteils verdeckt wird das Fahrrad durch die Figur einer alten, verhärmten Frau im blauen Gewand, die rechts vorn inmitten eines Dornengestrüpps sitzt. Nachdenklich hat sie das Kinn in die Hand gestützt, ein Krückstock

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lehnt an ihrer linken Schulter. „Das Fahrrad also verkörpert Jugend, Bewegungsfreiheit und Beschwingtheit, der Krückstock Alter, Unbeweglichkeit und Gram“14, deutet Jack Rennert die Attribute beider Figuren, deren Gegenüberstellung die Vorzüge des modernen, dynamischen Fortbewegungsmittels eindrücklich vor Augen führt. Eine solch elaborierte allegorische Verschlüsselung der Werbebotschaft erscheint aus heutiger Sicht kaum geeignet für die typische Rezeptionssituation von Plakaten, verlangt das Umfeld der modernen urbanen Öffentlichkeit doch eine auffällige Gestaltung und schnell erfassbare Inhalte. Die Ende des 19. Jahrhunderts im Entstehen begriffene Werbepsychologie sah aber gerade in der Verrätselung der Bildinhalte ein wirksames mnemotechnisches Mittel, um die Einprägsamkeit der transportierten Botschaft zu steigern.15 Abbildung 165: Tamagno Terrot Dijon Cycles Automobiles 1898

Abbildung 166: Pal (Jean de Paléologue) Falcon vor 1896

Die Bandbreite der damaligen Plakatkunst erstreckt sich dabei von rein allegorischen Bildfindungen bis hin zu gänzlich narrativen Darstellungen, die mittels aktiv handelnder zeitgenössischer Figuren die Identifikation des Betrachters begünsti-

14 Rennert 1973, S. 6. 15 Vgl. Henatsch 1994, S. 256.

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gen,16 wie beispielsweise Tamagnos Darstellung einer modisch gekleideten ‚Werbedame‘, die scheinbar mühelos selbst der Eisenbahn davonfährt (Abb. 165).17 Zwischen den beiden Polen Narration und Allegorisierung existierten zahlreiche Zwischenstufen und Mischformen. So setzt etwa Pal für Fahrräder der Marke Falcon (Abb. 166) eine Werbefigur in antikisch anmutendem Gewand ins Bild, auf deren rechter Hand sich ein sternbekrönter Falke als Verkörperung des Markennamens niedergelassen hat. Im Gegensatz zu den Plakaten Muchas wird die „Werbedame“ jedoch zugleich in rasanter Fahrt auf dem Rad gezeigt, auch gegenüber Thiriets Arbeit erscheint die Dynamik der Szene maßgeblich gesteigert. Pal macht das Fahrvergnügen für den Betrachter so unmittelbar anschaulich und nachvollziehbar. Aus heutiger Perspektive krankt sein Plakat dabei jedoch an einem „übergroßen Kontrast zwischen der idealen Frauengestalt und dem Element der Wirklichkeit“18, wie Karel Srp bemerkt. Indem der Künstler eine alltägliche Erfahrung allegorisch versinnbildlicht, rückt er sie zugleich in eine Sphäre jenseits der Lebenswirklichkeit des Betrachters. Die an sich banale Werbebotschaft wird so überhöht, das Produkt erscheint gegenüber der Konkurrenz nobilitiert.19 Deutlich zum Tragen kommt dies etwa in Eugène Grassets Plakat für Encre Marquet (Abb. 167), das die beworbene Tinte im Kontext poetischen Kunstschaffens zeigt: Zu sehen ist eine der typischen Werbefiguren Grassets, schlank, blass und mit überlangem roten Haar. Sinnend hat sie das Kinn auf die rechte Hand gestützt, in der sie eine Schreibfeder hält. Mit der Linken hat sie einige unbeschriftete Blätter von einem Steinsockel im Vordergrund aufgenommen, auf dem auch ein großes Tintenfass steht. Ihre Ellbogen ruhen auf einer Harfe, ein Motiv, das das traditionelle Attribut der Sänger und Poeten, die Leier, variiert. Bekleidet ist die Figur mit einem zeitlosen, reich plissierten Gewand, das ein Muster stilisierter Flügel trägt, ihren Kopf ziert ein Kranz aus Ahornlaub. In ihrem Warten auf Inspiration lässt sich die Dargestellte als Muse der Schriftstellerei deuten. Den Blick hat sie melancholisch ins Leere gerichtet; ihr dramatisch im Wind flatterndes Haar und die über den nächtlichen Himmel ziehenden Wolkenfetzen im Hintergrund mögen zugleich sinnbildlich für ihre innere Bewegtheit stehen.20 Die dargestellte Szene wird damit der zeitgenössischen Realität gänzlich entrückt, sie strahlt ein gewisses Pathos aus und erweckt damit den Eindruck zeitloser

16 Vgl. zum Verhältnis von Allegorie und Narration im Plakat des 19. Jh. allgemein Henatsch 1994, S. 143–170. 17 Vgl. Paris – Belle Époque. Faszination einer Weltstadt, Ausst.Kat. Kulturstiftung Ruhr, Villa Hügel Essen, Recklinghausen 1994, S. 395, Nr. 403. 18 Srp 1989, S. 13. 19 Vgl. Henatsch 1994, S. 143; sowie Thon 1977, S. XXV–XXVII. 20 Vgl. Boulanger 1991, S. 23f.; sowie Thon 1968, S. 14.

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Gültigkeit. Das Plakat scheint so tiefsinnige Inhalte zu transportieren, wo realiter nur Tinte angepriesen wird. Gerade hierdurch soll jedoch der potentielle Käufer das Produkt mit positiven Assoziationen verbinden. Zwecks einer derartigen Überhöhung der Werbebotschaft orientierten sich die Plakatkünstler des 19. Jahrhunderts bei der Gestaltung ihrer Allegorien mehr oder minder stark an Vorbildern der Kunsttradition, wie auch Roger Marx 1896 erklärte:„Um nachdrücklich und besser zu überzeugen, hat die Werbung die Kunst in ihre Dienste gestellt; ihr hat sie die Poesie der Allegorien entliehen…“21 Abbildung 167: Eugène Grasset Encre L. Marquet 1892

Abbildung 168: François Flameng Paris Exposition 1900 – Le Guide 1899

Um einen Reiseführer zur Pariser Weltausstellung von 1900 zu bewerben, greift so etwa François Flameng auf die traditionelle Ikonografie der personifizierten Fama zurück (Abb. 168): Auf einer Wolke sitzend, hält die Frau im blaugelben Fantasiegewand die Ruhmessymbole Posaune und Lorbeerkranz in Händen; den Blick hat sie heroisch in die Ferne gerichtet. Ein großes rotes Buch, das aufgeschlagen auf ih-

21 „C’est que, pour frapper sûrement et mieux convaincre, la Réclame [sic] a appelé l’art à son aide; elle a emprunté la poésie des allégories…“ – Marx, Roger: [Unbetiteltes Vorwort]. In: Maîtres de l’affiche, Bd. 1, Nr. 1/Dez. 1895, S. I.

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rem Schoß ruht, mag auf den angepriesenen Reiseführer verweisen. Hinter der Figur gibt ein rundes Fenster den Blick frei auf die nur skizzenhaft angedeutete französische Hauptstadt. In Maurice Réalier-Dumas’ Plakat für GlühlamAbbildung 169: pen der Firma Bec Auer (Abb. 169) tritt klar die Maurice Réalier-Dumas Inspiration durch antike Vasenmalerei zutage: Bec Auer Säulenähnlich ragt die streng im Profil wiederge1892 gebene Werbefigur auf, auch ihr Gewand und die Frisur sind von der Antike inspiriert. Zu Füßen der Dargestellten ist die Adresse des Herstellers in einen Mosaikstreifen eingebettet. In Händen hält die ‚Werbedame‘ eine Lampe, die antiken Öllämpchen nachgebildet ist, an Stelle des Dochtes befindet sich jedoch das beworbene Glühlicht. Selbst die hier beworbene Technik wird so mit antiken Reminiszenzen umkleidet, was zu einer paradoxen Negierung ihrer Modernität und Fortschrittlichkeit führt.22 Bei seinen Zeitgenossen stieß das Plakat Réalier-Dumas’ nichtsdestotrotz auf Begeisterung. Jean-Louis Sponsel etwa verglich in seiner 1897 erschienen Abhandlung zur Plakatkunst die dargestellte Figur mit einer das heilige Feuer hütenden Vestalin –23 deutlich kommt hierin die Überhöhung eines banalen Alltagsgegenstandes durch die Werbung zum Tragen. Ein eher spielerischer Umgang mit Versatzstücken der Antike kennzeichnet die Arbeiten Pals: Die Haltung seiner ‚Werbedame‘ für Cycles Clément Paris (Abb. 170) beispielsweise gleicht der Nike von Samothrake. In ein recht freizügiges, antikisch anmutendes Gewand gehüllt, stürmt sie, hoch über den Dächern der französischen Hauptstadt schwebend, dem Betrachter entgegen. An den Füßen trägt sie die Flügelsandalen des Hermes, auf dem Kopf den gallischen Hahn, der seine Flügel spreizt – eine Anspielung auf die heimische Herstellung des beworbenen Rads. Scheinbar mühelos hält die Figur mit nur einer Hand ein Fahrrad in der Luft, was auf das geringe Gewicht und die einfache Hand-

22 Vgl. Hagner 1958, S. 132f.; sowie Thon 1968, S. 23f. 23 Vgl. Sponsel 1897, S. 91–93.

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habbarkeit der beworbenen Marke verweisen mag. In einer Siegesgeste reckt sie gleichzeitig einen Lorbeerkranz in die Höhe. Abbildung 170: Pal (Jean de Paléologue) Cycles Clément Paris undatiert

In ihrer eklektizistischen Kombination unterschiedlichster Versatzstücke mag Pals Bildfindung für den heutigen Betrachter unfreiwillig komisch wirken. Doch gingen Plakatkünstler mitunter auch ganz bewusst humoristisch, ja sogar persiflierend mit bedeutenden Motiven der Kunsttradition um. So setzt etwa Henri Thiriet in seinem Plakat für Dayton Cycles (Abb. 171) die Versuchung des Heiligen Antonius ins Bild – ein Thema, das durch Gustave Flauberts literarische Bearbeitung von 1874 wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt war.24 Ganz im Einklang mit der traditionellen Ikonografie zeigt Thiriet Antonius als alten Mann, der vor einem kleinen hölzernen Kruzifix auf der Erde kniet. Die heilige Schrift ruht aufgeschlagen vor ihm. Den Eremiten plagen jedoch keine Dämonen, seine „höchste Versuchung“25 ist laut der Bildinschrift vielmehr eine tief dekolletierte ‚Werbedame‘ im extravagant drapierten und mit Bändern geschmückten Fantasiegewand, die das

24 Zu zeitgenössischen Bearbeitungen des Motivs vgl. Wolf 2009, S. 20f. 25 „Tentation suprème“

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beworbene Fahrrad präsentiert. „Der Einsiedler sieht sich hier also in ironischer Kontrafaktur zur christlichen Darstellungstradition anachronistischen, aber umso verlockenderen Reizen ausgesetzt“26, bemerkt entsprechend Markus Müller. Mit den allegorischen Personifikationen der Werbung wurde so eine der traditionellen Strategien der ‚Hochkunst‘ in den Bereich des Trivialen übertragen. Überdeutlich führen die Beispiele Pals und Thiriets vor Augen, wie zuvor hehren Inhalten vorbehaltene Formen banalisiert wurden –27 ein Umstand, der als exemplarisch angesehen werden kann für die Krise und Neuorientierung der Allegorie im 19. Jahrhundert. Abbildung 171: Henri Thiriet Dayton Cycles um 1898

6.1 E XKURS : D IE K RISE

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Ein Kernproblem der Kunst des 19. Jahrhunderts stellt laut Werner Hofmann das zunehmende Auseinanderdriften von idealisierenden und realitätsnahen Tendenzen dar; tradierte Formen und vor allem überlieferte allegorische Typen waren nur noch bedingt geeignet, die sich unter dem Einfluss von Industrialisierung und technischem Fortschritt schnell wandelnde Wirklichkeit wiederzugeben.28

26 Müller 2003, S. 14. 27 Vgl. Henatsch 1994, S. 107f. 28 Vgl. Hofmann 1960, S. 21–31.

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„Wo bleibt Vulkan gegen Roberts & Co […] Jupiter gegen den Blitzableiter und Hermes gegen den Crédit mobilier? Ist Achilles möglich mit Pulver und Blei? Oder überhaupt die Illiade mit der Druckerpresse und der Druckmaschine? Hört das Singen und Sagen und die Muse mit dem Preßbengel nicht notwendig auf, also verschwinden nicht notwendige Bedingungen der 29

epischen Poesie?“

,

fasste Karl Marx das Problem pointiert in seinem Beitrag zur Kritik der politischen Ökonomie zusammen; während Maxime Ducamp in Les Chants modernes das Festhalten der Künstler an tradierten Themen kritisierte: „Alles um uns geht voran, entwickelt sich, wächst… Die Wissenschaft bringt wahre Wunder hervor, die Industrie ebenfalls. Nur wir bleiben untätig und verstimmt und entlocken unsrer Leier die falschen Töne, schließen die Augen, weil wir nicht sehen wollen, oder wir schauen in die Vergangenheit zurück, der wir nicht nachtrauern sollten. Die Dampfkraft regiert, doch wir huldigen der Venus, die Elektrizität wird entdeckt und wir lobsingen Bacchus, dem 30

Freund der rosigen Traube. Absurd!“

Entsprechend irre nicht nur die Poesie, sondern auch die bildende Kunst des 19. Jahrhunderts „zwischen äußerer Wirklichkeit und höherer Bedeutung“31, so Hofmann. Nichtsdestotrotz wurden beständig Versuche unternommen, die tradierte Form der Allegorie auf neue, zeitgenössische Inhalte zu übertragen. Vorbildwirkung erlangte der von Martin Gerlach 1882 erstmals herausgegebene Band Allegorien und Embleme; die mitwirkenden Künstler suchten dabei auch die Neuerungen der Technik in allegorischer Gestalt wiederzugeben:32 Die Dampfkraft (Abb. 172) verkörpert so in einer Darstellung Franz von Stucks der dreiköpfige, Feuer speiende Höllenhund Cerberus; ihn zügelt ein nackter athletischer Jüngling – Sinnbild des Menschen, der die Dampfkraft nutzbar zu machen versteht.33 Die hier vorgeführte freie Kombination von Versatzstücken der antiken Mythologie wie auch der Kunsttradition ist kennzeichnend für die Beliebigkeit, mit der im ausgehenden 19. Jahrhundert neue Allegorien aus tradierten Formen gebildet wurden.

29 Zitiert nach: Hofmann 1960, S. 31. 30 Zitiert nach: Herbert 1989, S. 24. 31 Hofmann 1960, S. 50. 32 Zu Gerlach vgl. Henatsch 1994, S. 146f. 33 Vgl. Wenn, Anja: „Vom Tode, erster Theil“. In: Max Klinger. Die druckgraphischen Folgen, Ausst.Kat. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Heidelberg 2007, S. 116–119, hier S. 118.

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Abbildung 172: Franz von Stuck Allegorie der Dampfkraft 1882

Abbildung 173: Ernest-Ange Duez Das Telefon 1889

Richtete sich die allegorische Figur traditionellerweise nach dem grammatikalischen Geschlecht des verkörperten Begriffs, so waren es nun überwiegend weibliche Gestalten, die jegliche Errungenschaften des modernen Lebens verkörperten. Von der Elektrizität und Fotografie über das Allgemeine Stimmrecht bis hin zur Sozialversicherung erstreckt sich beispielsweise das Spektrum der allegorischen Frauenfiguren, die die Wände des Pariser Hôtel de Ville schmücken.34 Dem Alltag entrückt, in zeitlose Gewänder oder Draperien gehüllt und zugleich mit einem zeitgenössischen Attribut wie dem Telefon (Abb. 173) ausgestattet, scheinen sie den ‚Werbedamen‘ der Plakatkunst eng verwandt. Tatsächlich wertet Marina Warner derartige Erweiterungen des traditionellen allegorischen Repertoires als Grundstein für die moderne Werbung.35 In der Kunst des 19. Jahrhunderts erlebte die Allegorie damit eine beachtliche Blüte – trotz aller Anpassungsschwierigkeiten an die sich wandelnde Lebenswelt und auch trotz der Absage, welche die damalige Kunsttheorie der Allegorie erteilte. Letztere ging einher mit der Aufwertung des Symbolbegriffs seit dem 18. Jahrhundert: Während das Symbol nach damaligem Verständnis in erster Linie auf emotionaler Ebene wirkte, vermittelte die Allegorie durch Tradition festgelegte, intellektuell ausgerichtete Inhalte. Bereits die deutsche Klassik trachtete jedoch danach, „rationale Denkweisen durch emotionale Schauweisen“36 zu ersetzen, im Verständnis der Romantik wurde der Symbolbegriff zusätzlich noch metaphysisch überhöht – intuitiv sollten höhere Gehalte übermittelt werden, die intellektuell allein nicht

34 Vgl. Warner 1989, S. 128f. 35 Vgl. ebd., S. 130. 36 Vgl. Wappenschmidt 1984, S. 13.

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fassbar waren.37 Demgegenüber wurde die Allegorie als dogmatisch und unzeitgemäß abgewertet. Gerade diese regelrechte tabula rasa auf theoretischer Ebene aber machte die nun „von traditioneller Inhaltlichkeit erheblich entbunden[en]“38 Formen in der Praxis beliebig für neue Zwecke verfügbar.39

6.2 ALLEGORIE UND ZEITGENÖSSISCHE L EBENSWIRKLICHKEIT Im Zuge der Neuorientierung der Allegorie im 19. Jahrhundert wurde in der Plakatwerbung wie auch der freien Kunst die Erscheinung allegorischer Personifikationen häufig wirklichen Frauen angenähert. So kennzeichnet beispielsweise die Frauenfiguren Alfons Muchas bei aller allegorischen Verschlüsselung des Werbeinhalts eine lebensnahe Figurenauffassung, die neben der kognitiven Entschlüsselung des Bildinhalts auch eine Einfühlung des Betrachters erlaubt. Muchas ‚Werbedame‘ für Bières de la Meuse (Abb. 187) etwa ist nicht allein im Hinblick auf die Repräsentation des beworbenen Getränks mittels entsprechender Attribute konzipiert; ihre ausdrucksstarke Mimik charakterisiert sie vielmehr als Person mit individuellem Seelenleben und damit als ein gleichwertiges Gegenüber für den Betrachter. In besonderem Maße lässt Jules Chéret die Grenzen zwischen Allegorie und Realität verschwimmen, wenn er in seinem Plakat für die Folies-Bergère (Abb. 53, S. 87) eine junge Tänzerin zeigt, die im Kostüm einer Schäferin auftritt – ein verschlüsselter Hinweis auf den Namen der beworbenen music hall. Chérets Figur führt so das realiter in den Folies-Bergère gebotene Bühnenprogramm vor Augen und verkörpert als allegorische Personifikation zugleich das Etablissement selbst.40 Für eine Ausstellung des Salon des Cent (Abb. 174) schließlich setzt Gaston Noury zwei modisch-extravagant gekleidete Frauen ins Bild, die dem Werbestereotyp der Parisienne entsprechen. Die ihnen beigegebenen Attribute, eine große weiße Feder und ein Schreibheft, weisen jedoch in allegorischer Verschlüsselung auf die Zeitschrift La Plume (die Feder) hin, die die fragliche Ausstellung veranstaltete. Nourys Bildfindung changiert damit zwischen Allegorie und zeitgenössischer Realität.

37 Eine ausführliche Diskussion der Begriffe Allegorie und Symbol kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. In umfassender Weise hat Heinz-Toni Wappenschmidt deren Entwicklung zusammengefasst. Vgl. hierzu Wappenschmidt 1984, S. 11–40; sowie außerdem Henatsch 1994, S. 143–145 und Winter 1995, S. 66f. 38 Henatsch 1994, S. 146. 39 Vgl. ebd. 40 Zu einer ausführlichen Interpretation von Chérets Plakat siehe S. 88 dieser Arbeit.

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Abbildung 174: Gaston Noury Salon des Cent 1894

In Annäherung an die Lebenswirklichkeit des Betrachters agieren so allegorische Figuren wie reale Menschen, erscheinen diesen gleichgestellt – ein Prinzip, mit dem auch die freie Kunst des 19. Jahrhunderts experimentierte. Ein bedeutendes Beispiel hierfür stellt Eugène Delacroix’ Revolutionsbild Die Freiheit führt das Volk an (Abb. 175) dar: Der Künstler verherrlicht die Julirevolution von 1830, die zum Sturz der Bourbonen-Regierung führte, mit einer Darstellung der kämpfenden Bevölkerung auf den Barrikaden. Angeführt werden die Revolutionäre von einer energisch vorwärts strebenden Frauengestalt. Sie trägt ein einfaches Gewand, das den Oberkörper weitgehend unbedeckt lässt, und eine Jakobinermütze zur Erinnerung an die Revolution von 1789 und deren Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.41 Die Dargestellte gibt sich damit als Marianne zu erkennen, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts als Sinnbild der französischen Nation etablieren sollte.42 Hier erscheint sie jedoch weniger als realitätsferne Repräsentationsfigur

41 Zum politischen Hintergrund des Bildes vgl. Held/Schneider 1998, S. 362f. 42 Zur Figur der Marianne vgl. Jeffrey, Ian: „Introduction“. In: Kat. London/Liverpool 1989, S. 8–80, hier S. 11–13 und S. 26–29; sowie Julia, Isabelle: „Daughters of the Century“. In: Kat. London/Liverpool 1989, S. 86–96, hier S. 90f.

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denn als Frau aus dem Volk:43 Ihr nacktes Fleisch ist vom Kampfgeschehen rußgeschwärzt. In der Linken hält sie ein Bajonett, die Rechte reckt die Trikolore in die Höhe. Vehement schreitet Marianne über eine Barrikade aus Balken und Pflastersteinen hinweg und blickt sich nach den ihr nachfolgenden Revolutionären um. Im Vordergrund zeigt Delacroix die Opfer des Kampfes: Gefallene und Verwundete, die die Basis einer Dreieckskomposition mit Marianne an der Spitze bilden.44 Als Vorkämpferin der Revolution wird die nationale Symbolfigur so zur Verkörperung der Freiheit, nach der das aufbegehrende Volk strebt. Abbildung 175: Eugène Delacroix Die Freiheit führt das Volk an 1830

Nur leicht variiert griff Théophile-Alexandre Steinlen Delacroix’ Bildidee in seinem Plakat für die sozialistische Zeitschrift Le Petit Sou (Abb. 176) aus dem Jahr 1900 auf: Auch hier wird Marianne als Befreierin des Volkes gezeigt. Dieses erscheint als anonyme graue Menschenmasse, aus der verhärmte Gesichter zu Marianne empor blicken – nur im Vordergrund sind einige männliche Figuren detaillierter ausgearbeitet. Marianne, diesmal ganz in Rot gekleidet, scheint über der Menge zu schweben; energisch reckt sie ein Paar zerbrochener Ketten als Zeichen der Befreiung in die Luft und ruft zum Kampf auf, wobei sie einen muskulösen Arbeiter im Vordergrund mit sich zieht. Als Sinnbild der Unterdrückung, gegen die es sich zu erheben gilt, fungiert die Kirche Sacre-Cœur rechts im Hintergrund. Nach der

43 Vgl. Held/Schneider 1998, S. 362f.; sowie Schmaußer 1991, S. 167–170. 44 Vgl. Held/Schneider 1998, S. 362f.

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Pariser Commune von 1871 auf Betreiben der Regierung im Montmartre-Viertel, dem Ausgangspunkt der damaligen Aufstände, erbaut, fungierte der Bau als „Zeichen der Sühne“45 und repräsentierte die ungebrochene, gemeinsame Macht von Kirche und Staat. Für das progressive politische Lager, das die Trennung beider Instanzen forderte, wurde Sacre-Cœur so zu einem Stein des Anstoßes – „…ein Bauwerk des Stolzes und der Herrschsucht, ein Symbol klerikaler Erneuerung, die den Fortschritt bremst und dazu beiträgt, das Volk weiterhin in Knechtschaft zu halten“46, wie Horace Valbel 1895 schrieb. Hinzu kam die extrem verzögerte Bauzeit der Kirche: Von der Grundsteinlegung 1875 bis zur tatsächlichen Nutzung vergingen 16 Jahre, endgültig fertig gestellt wurde der Bau erst nach dem Ersten Weltkrieg.47 Abbildung 176: Théophile-Alexandre Steinlen Le Petit Sou 1900

45 Döring 2002, S. 75 46 Valbel, Horace: Les Chansonniers e les Cabarets Artistiques de Paris, Paris 1895, S. 90; dt. Übersetzung zitiert nach: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 65. 47 Vgl. Bargiel/Zagrodzki 1987, S 64f., Nr. 39; sowie Cate 1988a, S. 7 und S. 15.

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Im Innern des Kirchenbaus zeigt Steinlen ein goldenes Kalb, das die hier stattfindende Anbetung falscher Götzen offenbart; links vor dem Gebäude ist ein Reiterstandbild als Sinnbild staatlicher und militärischer Macht zu sehen. Umgeben von Festungsmauern, hinter denen Soldaten mit Kanonen Aufstellung bezogen haben, gleicht Sacre-Cœur mehr einem Fort als einer Kirche.48 Anschaulich führt der Künstler so die „unheilvolle Verbindung von Kirche, Staat und Kapital“49 vor Augen. Anders als Delacroix lässt er Marianne und die ihr nachfolgenden Revolutionäre jedoch nicht dem Betrachter entgegenstürmen. Durch die Ausrichtung der vorrückenden Figuren und deren Platzierung unmittelbar im Vordergrund vermittelt er dem Betrachter vielmehr das Gefühl, selbst Teil der aufständischen Menge zu sein und fordert ihn so auf, Partei zu ergreifen und selbst aktiv zu werden. Abbildung 177: Gustave Courbet Das Atelier 1855

Wie weitreichend die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Allegorie und Realität in der Kunst des 19. Jahrhunderts war, zeigt Gustave Courbets monumentales, programmatisches Gemälde Das Atelier (Abb. 177) von 1855. Als „reale Allegorie“ 50 (allegorie réelle) bezeichnete der Künstler sein monumentales Werk, das

48 Vgl. Gill, Susan: „Steinlen’s Social and Political Imagery”. In: dies./Cate 1982, S. 83– 107, hier S. 125f. 49 Döring 2002, S. 75. 50 Zitiert nach: Eschenburg, Barbara/Güssow, Ingeborg: „Romantik und Realismus. Europäische Malerei im 19. Jahrhundert“. In: Walther, Ingo F. (Hg.): Malerei der Welt. Eine

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programmatisch die eigene Kunstauffassung zum Ausdruck bringen sollte. Dargestellt ist eine große Gruppe von Menschen, die sich im Atelier um den arbeitenden Künstler versammelt hat. Auf der rechten Bildseite zu sehen sind, in den Worten Courbets „die Teilhabenden, d. h. die Freunde, die Mitarbeiter und die Liebhaber der Welt der Kunst“51, darunter etwa Charles Baudelaire, der Romancier Jules Champfleury oder der sozialistische Philosoph Pierre Joseph Proudhon. Auf der linken Bildseite werden diesen konkreten historischen Persönlichkeiten typisierte Vertreter des zeitgenössischen Alltagslebens gegenübergestellt – „die andere Welt, das tägliche Leben, das Volk, das Elend, de[r] Reichtum, die Armut, die Ausbeuter und die Ausgebeuteten, die Menschen, die vom Tode leben“52, verkörpert von so unterschiedlichen Gestalten wie einem Juden, einem Geistlichen, einem alten Republikaner, einer Arbeiterfrau, einem Totengräber oder einem Harlekin – nicht weniger als „die ganze menschliche Gesellschaft“53 wollte der Künstler durch sein Bild ziehen lassen.54 Im Zentrum des Bildes ist Courbet selbst bei der Arbeit an einem Landschaftsgemälde zu sehen; ein nach oben geschobener Vorhang, der noch die linke obere Ecke der Leinwand verdeckt, verleiht dem Bild im Bild Offenbarungscharakter: Das gezeigte Idyll einer weitgehend unberührten Natur lässt sich als Anspielung lesen auf die Kritik Rousseaus an der Zivilisation und seine Forderung nach einer Rückkehr der Menschen zu einem vermeintlich besseren, ursprünglichen Naturzustand. Die ‚natürliche‘ Unschuld und Naivität versinnbildlicht auch ein kleiner Junge, der, im Gegensatz zu den dargestellten Mäzenen und Kunstliebhabern, direkt an das Gemälde herangetreten ist und es mit dem unverbildeten Blick der Kindheit betrachtet.55 Die eigene Person zeigt Courbet als Verkörperung des Künstlers schlechthin, der sich bei seiner Arbeit allein von der ‚nackten Wahrheit‘ leiten lässt, versinnbildlicht durch ein direkt hinter ihm stehendes weibliches Aktmodell, das mit einer vor den Körper gehaltenen Draperie ebenfalls auf das Moment der Enthüllung beziehungsweise Offenbarung anspielt. Courbet verweist so auf sein künstlerisches Programm des Realismus, der sich primär der zeitgenössischen Wirklichkeit verpflichtet sieht. Durch die allegorische Verschlüsselung der Bildbotschaft, die der Realitätswiedergabe in paradoxer Weise entgegenzustehen scheint, verdeutlicht er jedoch, dass auch seine Kunst nicht einfach das Äußere abbildet, sondern die eigene

Kunstgeschichte in 900 Bildanalysen. Von der Gotik bis zur Gegenwart, Köln u. a. 2003, S. 407–474, hier S. 446. Vgl. hierzu auch Held/Schneider 1998, S. 368. 51 Zitiert nach: Eschenburg/Güssow 2003, S. 446. 52 Zitiert nach: ebd. 53 Zitiert nach: ebd. 54 Vgl. ebd. 55 Vgl. ebd.; sowie Held/Schneider 1998, S. 368f.

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Epoche im Spiegel der Wertvorstellungen und der schöpferischen Individualität des Künstlers reflektiert.56 Bezeichnend ist, wie Courbet zu diesem Zweck konkrete Persönlichkeiten, allegorische und typisierte zeitgenössische Figuren miteinander kombiniert und die Grenzen zwischen diesen verschwimmen lässt. So changiert etwa die Figur der nackten Frau zwischen einem ‚realen‘ Aktmodell, dessen abgestreiftes Kleid im Vordergrund achtlos zu Boden geworfen ist, und der Bildtradition der nuda veritas, während die Person Courbets zugleich sinnbildlich für den künstlerischen Schöpfergeist im Allgemeinen steht. Häufig diente die allegorische Darstellung im 19. Jahrhundert jedoch weniger der Vermittlung derartig gewichtiger kunsttheoretischer oder politischer Inhalte, als der Legitimation eines weiblichen Aktes.57 So gestaltete beispielsweise Hans Makart einen Bildzyklus zum Thema der fünf Sinne (Abb. 178), verkörpert durch fünf nackte Frauengestalten, die primär durch ihre physische Präsenz und die lebensecht wiedergegebenen, sinnlichen Körperformen bestechen. Noch gesteigert wird die erotische Wirkung der Figuren durch kostbare Schmuckstücke und durchsichtige Draperien. Als allegorische Personifikationen waren Makarts gänzlich irdische Nackte dennoch zur Dekoration eines aristokratischen Salons geeignet,58 galten sie dank ihres allegorischen Gehalts doch bei aller sinnlichen Präsenz als unwirkliche Kunstfiguren. Deutlich sichtbar wird dies auch in der Plakatwerbung der Zeit: Alfons Mucha etwa gestaltete für ein Ausstellungsplakat des Salon des Cent (Abb. 193, S. 251) einen sinnlich-lasziven Frauenakt, der als Personifikation künstlerischer Inspiration jedoch keinerlei Anstoß erregt zu haben scheint, während die Dar-

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Abbildung 178: Hans Makart Geruch 1872–79

56 Vgl. Eschenburg/Güssow 2003, S. 446; sowie Held/Schneider 1998, S. 368f. 57 Vgl. Winter 1995, S. 68. 58 Der Zyklus der fünf Sinne wurde 1872 im Auftrag Joseph Alexander Freiherr von Helferts von Makart begonnen und sollte ursprünglich den Salon des Wiener Palais Helfert schmücken. Aus ungeklärten Gründen lieferte Makart die Arbeiten jedoch nie an Helfert; erst 1879 wurden sie für den Wiener Kunsthändler H. O. Miethke fertig gestellt. Vgl. hierzu Hans Makart. Malerfürst, Ausst.Kat. Historisches Museum der Stadt Wien, Wien 2001, S. 46, Nr. 2.1.

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stellung auch nur teilweise entblößter zeitgenössischer Frauen die Zensur auf den Plan rief.59 Im Kontext der Werbung erweist sich wiederum die erotisch aufgeladene ‚Werbedame‘ als eigentliches Objekt des Verlangens, wobei die Bildform der Allegorie insbesondere im Konsumgüterplakat eine Gleichsetzung der Frau mit käuflicher Ware suggeriert – angesichts der im 19. Jahrhundert enorm florierenden Prostitution ein Topos, der ein zweifelhaftes Licht auch auf die zeitgenössische Wahrnehmung realer Frauen wirft.

6.3 D AS B ILD DER F RAU ZWISCHEN R OLLE UND R EALITÄT

ALLEGORISCHER

Die beschriebene Vermengung von Allegorie und Realität in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts wurde mit inspiriert von den damals populären ,lebenden Bildern‘, die auch ein wichtiger Bestandteil von Künstlerfesten und Festumzügen waren – wirkliche Frauen schlüpften hier in allegorische Rollen.60 In Paris initiierten so beispielsweise Adolphe Leon Willette und Roedel, beide auch als Plakatkünstler tätig, in den Jahren 1896/97 Straßenumzüge zugunsten Not leidender Künstler, die so genannten vachalcades – eine Verballhornung von cavalcade (Umzug), beruhend auf der französischen Redewendung manger à la vache enragée, was soviel meint wie „ein kärgliches Mahl verzehren“ (weil die wütende Kuh dem Schlachter entkommen ist). Schon 1885 hatte der Schriftsteller Émile Goudeau einen Roman mit dem Titel La Vache enragée veröffentlicht, in dem er die Widrigkeiten des Künstlerdaseins zwischen verarmter Boheme und dem Verrat der eigenen Ideale zwecks Anbiederung an den Publikumsgeschmack thematisierte.61 Zusammen mit Willette veröffentlichte er in den 90er Jahren auch eine gleichnamige Zeitschrift, aus der die Idee der vachalcades hervorging –62 aufgrund des großen Aufwandes wurden diese jedoch nach nur zwei Jahren wegen mangelnder Rentabilität wieder eingestellt. Um den Umzug von 1897 zu bewerben, gestaltete Roedel ein Plakat (Abb. 179), dessen Motiv auf die Präsentation eines Umzugswagens aus dem Vorjahr zurückging: War dort die vache enragée noch von mehreren jungen Frauen gebändigt worden,63 so zeigt Roedel eine einzelne siegreiche Kämpferin für die Kunst, gekleidet in einer zum Entstehungszeitpunkt des Plakats schon leicht veralteten

59 Vgl. hierzu Kap. 9.2 dieser Arbeit. 60 Vgl. Wappenschmidt 1984, S. 57–60; sowie Winter 1995, S. 68. 61 Vgl. Cate, Philip Dennis: „The Social Menagerie of Toulouse-Lautrec’s Montmartre“. In: Kat. Washington/Chicago 2005, S. 26–43, hier S. 33f.; sowie Eckert Boyer 1988, S. 128f. 62 Zu den vachalcades vgl. Noël/Herbaut 2012, S. 26–30. 63 Vgl. Cate 1988a, S. 25–27; sowie ders. 2005, S. 33f.

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Mode. Gleich einem Torero hat sie die ‚wütende Kuh‘ mit einem Degenhieb niedergestreckt – nun setzt sie in einer Siegerpose den Fuß auf die Stirn des toten Tieres, in dessen Rücken noch ein mit Bändern geschmückter Spieß, die so genannte banderilla, steckt, und wischt die blutige Waffe an ihrer Schürze sauber.64 Geschmückt mit Blüten und Bändern in den Farben der Trikolore, soll die Kämpferin für die (französische) Kunst auch an das Nationalgefühl des Betrachters appellieren. Sie steht vor der Fassade des Kabaretts Nouvelles Athènes mit der Büste der Athene; im Hintergrund zeichnet sich der Montmartre-Hügel mit seinen Mühlen – der Hauptsitz der Pariser Boheme – als Schattenriss vor hellem Himmel ab.65 Abbildung 179: Roedel La Vache enragée 1897

Als „charmante Muse“, die „kaum olympisch“ (sprich: eher an wirklichen Frauen denn an der klassischen Kunsttradition orientiert) sei, beschreibt ein anonymer zeit-

64 Vgl. Woestyn, H. R.: „The Cabarets of Montmartre and their Posters“. In: The Poster, Nr. 29 /Bd. 4, Dez. 1900, S. 122–131, hier S. 130. 65 Vgl. Abdy 1969, S. 110–114.

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genössischer Kommentator Roedels Figur, die jedoch leider nur die „Allegorie eines Wunsches“ verkörpere.66 Inspiriert durch das ‚lebende‘ Bild des Festumzugs, zeigt Roedels Plakat wiederum die Annäherung der allegorischen Personifikation an die zeitgenössische Lebenswirklichkeit sowie die wechselseitige Beeinflussung von bildender Kunst und realem Rollenspiel. Deutlich tritt dies auch in den Arbeiten Alfons Muchas zutage: Der aus Mähren stammende Künstler arbeitete zunächst in Wien als Theatermaler, in Paris feierte er erste Erfolge mit seinen Plakaten für die Schauspielerin Sarah Bernhardt. Die frühe Auseinandersetzung mit dem Theater schlug sich auch später noch in den ausdrucksstarken Gesten der ‚Werbedamen‘ Muchas sowie der häufig bühnenartigen Raumkonzeption seiner Arbeiten nieder. Die theatralische Anmutung der gezeigten Posen prädestinierte seine Arbeiten geradezu für eine Umsetzung auf der Bühne. Entsprechend feierte eine Pariser Tänzerin, bekannt unter dem Künstlernamen Lygie, mit der Aufführung ‚lebender Bilder‘ nach Darstellungen Muchas an den Folies-Bergère Erfolge.67 Der Künstler selbst ließ 1926 für das achte Sportfest des Prager Turnvereins Sokol im Rahmen einer Bootsprozession auf der Moldau Szenen aus seinem monumentalen Bildzyklus des Slawischen Epos nachstellen.68 Bereits seit dem 18. Jahrhundert war es üblich, dass sich Damen der Aristokratie als Verkörperung von Tugenden porträtieren ließen.69 So zeigte etwa Augustin Pajou im Salon von 1869 ein Bildnis der französischen Königin Marie Leczinska als Caritas. In der Linken hält sie ein Porträtmedaillon ihres Vaters, des polnischen Königs Stanislas I. Ein Storch, der unter ihrem Gewand Zuflucht sucht, sowie die entblößte rechte Brust weisen sie als Personifikation der Nächstenliebe aus, während die Schlange und der Spiegel zu Füßen der Figur ihre Umsicht versinnbildlichen. Allegorische Personifikation und konkrete, reale Persönlichkeit fallen in derartigen Bildnissen in einer Figur zusammen. Entsprechend charakterisiert auch Ursula Bode die Rolle der Frau in der Kunst des 19. Jahrhunderts: „Frauen spielen Al-

66 „Il a montré une muse charmante et fort peu olympique, qui met à mort la Vache [sic] enragée. Ce ne malheureusement que l’allégorie d’un désir…“ – anonym: „Nos Illustrations“. In: L’Estampe et l’affiche, Nr. 5/Juli 1897, S. 133. 67 Vgl. Henderson, Marina: „Women and Flowers. The Life and Work of Alphonse Mucha“. In: Mucha, Jiří (Hg.): The Graphic Work of Alphonse Mucha, London/New York 1973, S. 7–16, hier S. 14; sowie Rennert/Weill 1984, S. 284, Nr. 77 68 Zu Makart vgl. Frodl, Gerbert: Hans Makart. Monographie und Werkverzeichnis, Salzburg 1974, S. 24–26.; zu Mucha vgl. Sayer, Derek: The Coasts of Bohemia. A Czech History, Princeton, New Jersey 1998, S. 177. 69 Vgl. Warner 1989, S. 386.

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DER

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legorien, und Allegorien werden Frauen übergestülpt wie Schutzmäntel oder umgehängt wie ein blendender Schmuck.“70 Auf den ersten Blick scheint dieses spezifisch weibliche Rollenspiel der Frau im 19. Jahrhundert neue Freiheiten zu verschaffen, wenn ihr die Allegorie beispielsweise ermöglicht, als siegreiche Kämpferin für Kunst oder Revolution aufzutreten. Tatsächlich ist die hier vorgeführte Befreiung jedoch nur eine „Freiheit des ästhetischen Scheins“71. Realiter wurde das Leben der Frauen weiterhin durch restriktive Rollenzwänge geprägt, sodass ein „erheblicher Widerspruch zwischen der Lebensrealität der Frau und ihrer künstlerisch bildnerischen Verarbeitung durch den Mann“72 bestand. Mittels der Allegorie in die zeitlose Sphäre der Kunst transferiert, wurden Frauen zudem als Rollenträgerinnen nahezu grenzenlos verfügbar: „In die Allegorie abgedrängt und von ihr gleichzeitig auf ein Piedestal gehoben, wurde das Bild der Frau seit der Renaissance immer mehr zu einem ubiquitären Versatzstück“73, bemerkt entsprechend Werner Hofmann. Zwar scheint mit der Blüte der neu erstarkten Allegorie im 19. Jahrhundert die weibliche Gestalt in der Kunst eine allgegenwärtige Huldigung zu erfahren, doch wirkt sie lediglich „als schöner, aber leerer Umriß […], in den sich jede Bedeutung eintragen lässt.“74 Die Identität der Frau selbst bleibt dabei auf der Strecke, ihre Funktion erschöpft sich in der Verkörperung wesensfremder Inhalte. Entsprechend kritisch fällt auch das Urteil der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm aus, die 1876 in ihrer Schrift Die Eigenschaften der Frau erklärte: „Nach all diesen Auslassungen erscheint das Weib als ein Potpourri der allerentgegengesetztesten Eigenschaften, als ein Kaleidoskop, das, je nachdem man es schüttelt, jede beliebige Charakternuance in Form und Farbe zu Tage fördert. Der Grundstoff dieser weiblichen Seele scheint nach dem Dafürhalten der kritisierenden Menge ein chaotischer Nebel, aus dem willkürlich der Schöpfermund des Mannes jeder von ihm beliebten Eigenschaft sein ‚Werde‘ zu75

ruft.“

Hierin wird deutlich, dass die beliebige Rollenzuschreibung, welche die Frau in der Allegorie erfährt, nicht auf die Kunst beschränkt bleibt, sondern sich ganz allgemein mit der zeitgenössischen Sicht weiblichen Verhaltens deckt: Nicht nur wurde

70 Bode 1981, S. 58. 71 Ebd. 72 Schmaußer 1991, S. 167. 73 Hofmann, Werner: „Evas neue Kleider“. In: ders. 1986, S. 13–23, hier S. 16. 74 Ebd. 75 Dohm 1986, S. 10. Vgl. hierzu auch Bode 1981, S. 67.

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die Frau im 19. Jahrhundert mehr denn je zur realitätsfernen Idealgestalt, zu einem künstlichen Idol stilisiert,76 auch attestierte man ihr einen Hang zur Verstellung, zum Verbergen ihres wahren Wesens. Deutlich tritt diese Auffassung beispielsweise in Sarah Bernhardts Aussage zutage, die Schauspielerei sei gerade in der unablässigen Verleugnung der eigenen Persönlichkeit eine durch und durch weibliche Kunst, „denn der Wunsch zu gefallen, die Sorgfalt, mit der man sein Gesicht schminkt, seine Persönlichkeit anpasst, sind Eigenschaften und Laster, die eher zur Natur der Frau gehören als zu der des Mannes“77. Vergleichbares war bereits in Denis Diderots Encyclopédie zu lesen, deren letzter Band 1765 erschien – nicht weniger als die „Summe des theoretischen und praktischen Wissens“78 des Jahrhunderts der Aufklärung sollte das monumentale Werk festhalten. Im Artikel „femme“ heißt es dort, die Frau habe sich die Künste der Verstellung angeeignet und wisse aus ihrer Seele ein Geheimnis zu machen: „Alles an der Frau spricht, doch es ist die Sprache der Zweideutigkeit“79. Als Grund hierfür wird die falsche, oberflächliche Erziehung der Zeit genannt: Diese halte die Frauen an, durch gesuchte Formen einem Ideal zu entsprechen, das ihrer natürlichen Veranlagung zuwiderlaufe. Die Verstellung der Frau erscheint somit als notwendige Voraussetzung, um gesellschaftlichen Erwartungen überhaupt erst gerecht werden zu können, wie auch Hedwig Dohm kritisierte: „Ja, Lüge ist das Erbtheil [sic] der Frauen. Wahrhaftigkeit wohnt nur in den Seelen freier Menschen. Die Sitte zwängt die Frauen in ein geistiges Modecostüm [sic]. Sie muß die einmal acceptirten [sic] Attribute ihres Geschlechts zur Schau stellen, ob die Natur sie damit ausgerüstet hat oder nicht. ‚Scheine‘, ruft die Gesellschaft ihr zu, ‚wie du bist, ist gleichgültig‘. Und so krümmt und verzerrt die Frau, dieser arme moralische Clown, ihre Seele nach Möglichkeit. […] Man könnte es auch höflicher ausdrücken und sagen: sie paßt [sic] sich den Verhältnissen an, sie arrangiert sich; es arrangiert sich aber niemand, es sei denn auf Kosten der Wahrheit und der Menschenwürde.“

80

76 Vgl. Bode 1981, S. 58. 77 „…car le désir de plaire, le soin de farder son visage, de composer sa personne, sont qualités et défauts appartenant plus à la nature de la femme qu’à celle de l’homme.“ – Bernhardt 1993, S. 167f. Vgl. hierzu auch Balk 1994, S. 93f. 78 Hofmann 1986a, S. 13. 79 Ebd. 80 Dohm 1986, S. 46f.

7. Muse und Modell – die Frau im Kunst- und Ausstellungsplakat

Nicht nur Konsumgüter, Kaufhäuser oder Vergnügungslokale wurden Ende des 19. Jahrhunderts mit Plakaten beworben; seit den 1890er Jahren bediente man sich des neuen Mediums auch zunehmend, um Kunstausstellungen und -publikationen anzukündigen. Vor allem kleinere, avantgardistische Gruppierungen und progressive Künstlervereinigungen nutzten Plakate, um auf sich aufmerksam zu machen, während der jährlich stattfindende, offizielle Salon der Ecole des Beaux-arts, aber auch die größeren antiakademischen Ausstellungen wie beispielsweise der 1884 initiierte Salon des Indépendants auf derartige Werbemaßnahmen verzichteten – als gesellschaftlichen Großereignissen war ihnen das Interesse der Öffentlichkeit ohnehin sicher.1 So bringen die Ausstellungsplakate des späten 19. Jahrhunderts vor allem das Kunstverständnis der Avantgarde in zahlreichen, teils sehr unterschiedlichen Facetten zum Ausdruck. Auffällig ist die große Zahl weiblicher Werbefiguren, die hierfür ins Bild gesetzt wurden. Welche Funktion sie in den Plakaten einnehmen, welche Auffassung von Kunst, aber auch von Weiblichkeit sie transportieren, soll in diesem Kapitel untersucht werden.

7.1. D IE F RAU ALS V ERKÖRPERUNG MÄNNLICHEN K UNSTSCHAFFENS Auch in den Ausstellungsplakaten schlug sich die allgemeine Vorliebe des 19. Jahrhunderts für allegorische Personifikationen in weiblicher Gestalt nieder. Für ein Plakat der Académie de la Grande Chaumière, eine private Pariser Kunstschule, setzte so Eugène Grasset eine Frauenfigur mit stark stilisierten Zügen ins Bild, die als typische Künstlerwerkzeuge Pinsel und Palette präsentiert (Abb. 180). Die völ-

1

Vgl. Moeller 1982, S. 7f.

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lig passive Haltung der Dargestellten – sie hat den Ellbogen aufgestützt und blickt sinnend ins Leere – sowie ihr antikisierend anmutendes Fantasiegewand in leuchtendem Orange machen jedoch deutlich, dass es sich hier keineswegs um eine Schülerin der Kunstakademie handelt, sondern vielmehr um eine allegorische Verkörperung der Kunst selbst. Abbildung 180: Eugène Grasset Académie de la Grande Chaumière undatiert

Abbildung 181: Eugène Grasset Exposition A. Falguière 1898

Weniger eindeutig erscheint die Rolle der Frau in einem Ausstellungsplakat Grassets von 1898 (Abb. 181): Zu sehen ist eine etwas burschikos anmutende ‚Werbedame‘ in einem schlichten, grauschwarz gestreiften Kittel. Um den Kopf hat sie ein weißes Band geschlungen; ihr Blick ist auf den Betrachter gerichtet. Den rechten Arm stützt die Dargestellte auf die Skulptur eines männlichen Aktes, die vom unteren Bildrand angeschnitten wird. Hammer und Meißel in den Händen der Frau erwecken den Eindruck, sie habe gerade erst bei der Arbeit an der Figur innegehalten, die entsprechend auch noch deutliche Bearbeitungsspuren aufweist. Dem Betrachter wird so suggeriert, direkten Einblick in den Entstehungsprozess der Skulptur zu erhalten. Tatsächlich ist es jedoch keine Künstlerin, für deren Ausstellung hier geworben wird, sondern eine Werkschau des Bildhauers Alexandre Falguière – Grassets Figur fungiert somit als gänzlich abstrakt zu denkende allegorische Personifikation des kreativen Schaffens eines männlichen Künstlers.

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Abbildung 182: Jules Chéret Exposition A. Willette 1888

Ähnlich verfährt auch Jules Chéret, um eine Ausstellung des Malers und Plakatkünstlers Adolphe Léon Willette zu bewerben. Chérets Plakat (Abb. 182) zeigt eine seiner typischen ‚Werbedamen‘ im modischen, äußerst figurbetonten weißen Kleid samt passendem Hut. Palette und Pinsel in der Hand, hat sie sich auf einem Schemel vor der Staffelei niedergelassen und legt eben letzte Hand an das Profil Willettes, das auf einem großen roten Tondo festgehalten ist. Rings um den Rand dieses Bildes im Bild verläuft eine Inschrift, die das Thema der Ausstellung angibt und zugleich den Kopf des Dargestellten umrahmt. Der Tondo erinnert so an die charakteristische Gestaltung antiker römischer Münzen, die mit Profildarstellungen und entsprechenden Inschriften die regierenden Kaiser priesen, und suggeriert damit eine Nobilitierung des Künstlers. Eine schwarze Katze, die über einen am Boden liegenden Farbkasten läuft, lässt sich als Hinweis auf das Kabarett Le Chat Noir deuten, in dessen Umfeld Willette tätig war. Da die Katze in der damaligen Kunst zudem als Sinnbild weiblicher Sexualität fungierte, mag das Tier zugleich auf die aufreizende Gestalt der Dargestellten anspielen. Ganz im Gegensatz zu Grassets burschikos anmutender, in ihrer Tätigkeit innehaltender Figur zeigt Chéret so eine attraktive zeitgenössische Parisienne, die aktiv ein Kunstwerk gestaltet. Auf überraschende Weise scheinen damit die Rollen von männlichem Künstler und weiblichem Modell vertauscht. Gerade hierin lässt sich jedoch ein Indiz für die realiter

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überaus klare Rollenverteilung der Geschlechter innerhalb des zeitgenössischen Kunstbetriebs erkennen – der Topos vom aktiven männlichen Künstler und passiven weiblichen Modell war augenscheinlich so stark in der Vorstellung der Zeit verankert, dass Chéret einen derartigen Rollentausch vornehmen konnte, ohne Missverständnisse zu riskieren: Die aktiv tätige Frauenfigur konnte hier nur als eine Verkörperung männlichen Kunstschaffens fungieren.

7.2 E XKURS : D IE S TELLUNG DER F RAU DES 19. J AHRHUNDERTS

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K UNSTBETRIEB

Im 19. Jahrhundert war der Beruf des Künstlers weitestgehend Männern vorbehalten. Die Beschäftigung mit bildender Kunst und Literatur galt zwar als angemessener Zeitvertreib für Töchter der höheren Gesellschaftskreise, doch waren ernstzunehmende berufliche Ambitionen in diesem Feld für Frauen verpönt – einzig im häuslichen Umfeld sollten diese ihre kreativen Neigungen ausleben. Selbständige Leistungen öffentlich zu präsentieren oder damit gar in Konkurrenz zu Männern zu treten, galt dagegen als äußerst unschicklich.2 Entsprechend erklärt auch Tamar Garb: „Ein anmutiges Dilettieren in der Kunst war gesellschaftlich sanktioniert, die eigene Leistung und soziale Stellungnahme wurden dagegen als subversiv und gefährlich beargwöhnt.“3 Viele Künstlerinnen beschränkten ihre Arbeit auf bescheidene Formate und unverfängliche Sujets aus dem Bereich der Stillleben- und Genremalerei, die ihnen als vermeintlich ‚niedere‘ Gattungen jedoch kaum Prestige einbringen konnten. In Anbetracht der Werke Berthe Morisots, die als Impressionistin durchaus zur ambitionierten künstlerischen Avantgarde ihrer Zeit zu zählen ist, schrieb so der Kunstkritiker Paul Mantz 1865: „Da für das Malen eines Kupferkessels, eines Kerzenleuchters, eines Rettichbündels keine tiefgründige künstlerische Ausbildung erforderlich ist, eignet sich diese Art häuslicher Malerei vorzüglich für Frauen…“

4

Folgerichtig existierte in Frankreich lange Zeit keinerlei staatliche Förderung für Frauen, die den Künstlerberuf ergreifen wollten. Erst ab 1897 wurden sie nach erbitterten Kämpfen zum Studium an der École Nationale des Beaux-arts zugelassen, wo ihnen – aus Gründen der Sittlichkeit – jedoch auch weiterhin der Zugang zur

2

Vgl. Garb 1987, S. 8; sowie dies. 2008, S. 66.

3

Garb 1987, S. 8.

4

Zitiert nach: ebd., S. 6.

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Aktklasse verwehrt blieb. Auch die jährlichen offiziellen Salons, in denen Künstler die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erlangen konnten, wurden von Männern dominiert. Zumeist nahmen angehende Künstlerinnen mit dem Besuch von kostspieligen privaten Kunstschulen wie der Pariser Académie Julian oder einer Ausbildung im Atelier bereits etablierter Künstler vorlieb. Häufig waren sie auch als Kopistinnen im Louvre tätig.5 Mehr noch als die prekäre Ausbildungssituation verhinderten jedoch zeitgenössische Vorurteile über die künstlerischen Fähigkeiten der Frau deren Erfolg. Im Kontext der Theorie der differierenden ‚Geschlechtscharaktere‘ von Frau und Mann wurde Künstlerinnen die Gabe kreativer Erfindung zumeist gänzlich abgesprochen, wie zahlreiche zeitgenössische Zitate belegen: „Ihre Fähigkeiten, die grundsätzlich subjektiv sind, passen schlecht zu den so genannten freien Künsten. Und dass keiner ihre unzureichende Ausbildung einwerfe, den sie praktizieren die Malerei und die Musik genauso sehr wie wir; […] der Salon ist jedes Jahr voll von Gemälden, die mit Frauennamen signiert sind; und falls einige Künstler in Röcken eine bemerkenswerte Übung in der Ausführung erreichen, konnte doch keine jemals die schwierige 6

Grenze überschreiten, die den Meister vom Amateur trennt“ ,

schrieb so Guy de Maupassant 1881 in Gil Blas, während Jules Michelet erklärte: „Man kann nicht sagen (wie es Proudhon getan hat), dass die Frau nur rezeptiv ist. Sie ist auch produktiv durch ihren Einfluss auf den Mann in der Sphäre der Idee und der Realität. Aber ihre Idee erreicht kaum die harte Wirklichkeit. Deshalb schafft sie wenig […] Die gro-

5

Vgl. Garb 1987, S. 6–8.; Perrot, Michelle: „Les femmes ou les silences de la peinture“. In: Kat. Carcassonnne/Roanne/Saint Riquier 2001, S. 11–15, hier S. 11; Ribemont, Francis: „Introduction. La femme dans la vie sociale: un sujet neuf/Women in Society: a New Subject“. In: Kat. New Orleans 2007, S. 16–19, hier S. 18; sowie Schmaußer 1991, S. 190–199.

6

„Leurs facultés, essentiellement subjectives, s’adaptent mal aux arts dits libéraux. Et qu’on n’aille point objecter l’insuffisance de leur instruction, car elles pratiquent autant que nous la peinture et la musique; […] le Salon chaque année est plein de toiles signées de petits noms féminins; et si quelques artistes en jupons arrivent à une habileté remarquable d’exécution, aucun cependant n’a jamais pu franchir la limite difficile qui sépare le maître de l’amateur.“ – de Maupassant, Guy: „Politiciennes“. In: Gil blas, 10.11.1881; zitiert nach: Priollaud 1983, S. 71.

240 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG ßen künstlerischen Schöpfungen scheinen ihr bisher unmöglich. Jedes große Werk der Zivilisation ist die Frucht des männlichen Genies.“

7

Lediglich die künstlerische Technik könnten Frauen erlernen, so der damals weit verbreitete Glaube, zu wirklich originären Schöpfungen seien sie jedoch nicht fähig, sodass sich ihre Kunst in der Nachahmung von Werken männlicher Künstler erschöpfe.8 Als „Imitatorin par excellence“ und „geborene Dilettantin“9 beschrieb folgerichtig der deutsche Kunstkritiker Karl Scheffler die künstlerisch tätige Frau in seiner 1908 erschienenen Schrift Die Frau und die Kunst. Schefflers Urteil über das weibliche Kunstschaffen fällt geradezu vernichtend aus: „Überall sieht man die Malerin darum den Moden folgen, den guten und schlechten. Zuweilen mit großem Geschick; meistens aber als schlimme Dilettantin. Fester als der Mann hält sie an geltenden Konventionen fest, täuscht sich fortgesetzt über ihre eigenen Fähigkeiten und tut eigentlich nichts, als die Masse der Produktion zu vermehren.“

10

Das uninspirierte künstlerische Schaffen der Frau wirke „nivellierend“ auf die allgemeine Kunstproduktion, so Scheffler weiter, und trage damit zum „Sieg der modernen Mittelmäßigkeit“11 bei. Schlimmer noch: als Künstlerin handle die Frau ihrer eigenen Natur zuwider, im Gegensatz zum Mann, der in seinen Leistungsstreben der Kunst als Ausgleich, „als Medium zur Harmonie“12 bedürfe, sei ihr weder die innere Notwendigkeit noch das für die Kreativität grundlegende Streben nach Erkenntnis gegeben. Mit ihrer vermeintlich ‚widernatürlichen‘ Tätigkeit schade die Künstlerin somit nicht nur dem Ansehen der Kunst, sondern in erster Linie sich selbst:13

7

„On ne peut dire (comme Proudhon) que la femme n’est que réceptive. Elle est productive aussi par son influence sur l’homme et dans la sphère d’idée, et dans le réel. Mais son idée n’arrive guère à la forte réalité. C’est pourquoi elle crée peu. […] Les grandes créations de l’art semblent jusqu’ici lui être impossibles. Toute œuvre forte de la civilisation est un fruit du génie de l’homme.“ – Michelet, Jules: Revue encyclopédique – Le travail des femmes, 1886 (unveröffentlicht); zitiert nach: Priollaud 1983, S. 89.

8

Vgl. Scheffler 1908, S. 57–60.

9

Ebd., S. 42.

10 Ebd., S. 60. 11 Ebd., S. 109. 12 Ebd., S. 29. 13 Vgl. ebd., S. 28–33 sowie S. 40–43.

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„Die Frau aber leidet, ohne es zugeben zu wollen. Seht doch diese freudlosen, männischen [sic], verbitterten Mädchen in der Kunstwerkstatt, hört ihre Gespräche, beobachtet ihr 14

selbstbewußtes und doch lebensmattes Gebahren [sic]!“

Abbildung 183: Charles Léandre Malweiber undatiert

Wie eine Illustration dieser Thesen mutet Charles Léandres Karikatur der Malweiber (Abb. 183) an, deren künstlerische Tätigkeit sich augenscheinlich sehr zu Lasten der vermeintlich naturgegebenen weiblichen Anmut ausgewirkt hat: Die dargestellten Künstlerinnen blicken dümmlich oder griesgrämig, sind teils mager und verhärmt, teils pummlig. Ebenso unansehnlich sind die Modelle, die sie im Bild festzuhalten suchen: Links oben thront eine feiste Frau von ausladenden Proportionen und geradezu walkürenhafter Erscheinung, direkt darunter posiert eine völlig verhärmte Alte mit mürrischer Miene für eine ebenso betagte Malerin. Bereits die Auswahl ihrer Modelle lässt so an der ästhetischen Urteilsfähigkeit der Künstlerinnen zweifeln. Gänzlich der Lächerlichkeit preisgegeben werden deren Ambitionen durch die zentrale Figur im Bildvordergrund. Stolz präsentiert sie dem Betrachter zwei große Medaillen, die anstelle des Busens auf ihrer gänzlich flachen Brust prangen; laut Inschrift prämieren sie das ‚künstlerische Sehen‘ sowie die ‚maleri-

14 Scheffler 1908, S. 109.

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sche Ausführung‘ – Fähigkeiten, die man der Dargestellten angesichts ihrer übrigen Erscheinung jedoch kaum zugestehen mag: Das Gesicht ist zu einer dümmlichen Grimasse verkniffen, zudem schielt die Frau stark. Ihre hagere Gestalt hat sie in ein antikisches Gewand gehüllt, das Haar zu einer absurd anmutenden Frisur aufgetürmt. Ihre Pinsel trägt sie – gleich einer ‚Amazone der Kunst‘ – auf dem Rücken, offenbar wie Pfeile in einem Köcher verstaut. Mit einer mehr als drastischen Überzeichnung der Figuren und beißendem Spott verunglimpft Léandre so das Streben der Frau nach Gleichberechtigung auf dem Feld der Kunst. Er zeigt die Künstlerinnen als lächerliche ‚Blaustrümpfe‘, die sich in völliger Überschätzung ihrer Fähigkeiten eine dem überlegenen männlichen Talent vorbehaltene Rolle anmaßen. Damit verleugnen sie jedoch zugleich ihre natürlichen weiblichen Anlagen und büßen folgerichtig auch die Vorzüge ihres Geschlechts ein.15 Einzig im Bereich des Dekorativen, in der Ausstattung des eigenen Heims oder der ‚Toilettenkunst‘ wurde der Frau im 19. Jahrhundert eine kreative Tätigkeit zugestanden – hier lag aus damaliger Sicht ihre eigentliche gestalterische Aufgabe. Zum Tragen kam dies in der Exposition des Arts de la Femme, die ab 1892 von der Union des arts décoratifs im Pariser Palais de l’Industrie veranstaltet wurde. Durch die Präsentation ‚weiblicher‘ Kunst versuchte man hier, die zentrale Rolle aufzuzeigen, die die Frau als Gestalterin des Heims wie auch als ‚Muse‘ männlicher Künstler für die historische Entwicklung des Kunsthandwerks spielte, und diese nach Möglichkeit auch in die Gegenwart zu übertragen. Neben einer geschichtlichen Sektion, die unter anderem die Geschichte des Kostüms und der Frisurenmode behandelte, umfasste die Ausstellung so auch kunstgewerbliche Arbeiten zeitgenössischer Gestalterinnen.16 Das Plakat zur Ausstellung von 1892 (Abb. 184) stammt dagegen von der Hand eines männlichen Künstlers: Jean-Louis Forain gestaltete eine Frauenfigur im eleganten Abendkleid; lange, bis über die Ellbogen reichende Handschuhe und ein Fächer komplettieren die mondäne Erscheinung der Dargestellten. Den Rücken zum Betrachter gewandt, zieht sie einen rosafarbenen Vorhang zur Seite und enthüllt so die Plakatinschrift mit dem Titel der Ausstellung.17 Gezeigt wird somit wiederum nicht eine tatsächliche künstlerische Tätigkeit der Frau; vielmehr fungiert Forains ‚Werbedame‘ als elegante Präsentationsfigur und Blickfang für den Betrachter. Für die drei Jahre später stattfindende Folgeausstellung verzichtete man auf eine historische Sektion, auch waren nur mehr Arbeiten von Künstlerinnen zugelassen. Doch auch hierfür warb das Plakat (Abb. 185) eines männlichen Künstlers: Etienne Mo-

15 Vgl. Schmaußer 1991, S. 206–208. 16 Vgl. Silverman 1989, S. 186–191. 17 Vgl. ebd., S. 204.

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reau-Nélaton zeigt in farblich stark reduzierter Ausführung zwei stilisierte Frauenfiguren in zeitgenössischer, hochgeschlossener Tageskleidung. Links im Bild hat sich eine der beiden Dargestellten auf einem Stuhl niedergelassen. Sie ist mit Nähoder Stickarbeiten beschäftigt, hat aber in der Arbeit innegehalten, um zur Werbeinschrift des Plakats aufzublicken. An diese legt gerade die zweite Frau auf der rechten Seite des Bildes letzte Hand an, in Händen hält sie Pinsel und Palette. Zwischen beiden Frauen ist ein geschmackvoll gestaltetes Beistelltischchen platziert, das – wie auch eine wuchtige, mit Vasen und Ziergegenständen bestückte Kommode im Hintergrund – auf den kunstgewerblichen Schwerpunkt der Ausstellung verweist. Abbildung 184: Jean-Louis Forain Exposition des Arts de la Femme 1892

Abbildung 185: Etienne Moreau-Nélaton Exposition des Arts de la Femme 1895

Obschon Moreau-Nélaton hier im Gegensatz zu Forain tatsächlich zwei Künstlerinnen bei der Arbeit zeigt, ist seine Motivwahl doch bezeichnend für die damalige Einschätzung weiblicher Kreativität: Die Tätigkeit der gezeigten Malerin beschränkt sich auf das schlichte Anbringen eines Schriftzugs, während ihre Mitstreiterin sich nicht der Kunst im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr traditionell als ‚weiblich‘ angesehenen textilen Handarbeiten widmet. Zusätzlich verweisen die Möbel und Ziergegenstände im Bild auf die Rolle der Frau als Gestalterin des Heims. Es ist somit weniger die professionelle Tätigkeit ernstzunehmender Künstlerinnen, die Moreau-Nélaton hier thematisiert, als vielmehr die Beschränkung der

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Frau auf eine dilettierende kreative Tätigkeit innerhalb des eigenen häuslichen Umfelds – ganz im Sinne des zeitgenössischen Vorurteils, wonach das künstlerische Talent der Frau sich auf das „Klanghafte, Dekorative und Ornamentale“18 beschränke, sodass sie nur als „Hüterin des Hauses und als Toilettenkünstlerin“19 reüssieren könne. Doch auch auf dem Gebiet des Kunstgewerbes sei die Frau nicht wirklich zu originären Schöpfungen fähig, so Scheffler: „…sie scheint Neues zu schaffen, während sie tatsächlich die strenge Kunstform in angewandtes Leben umsetzt. […] Überall besteht ihre Selbständigkeit nur im Arrangieren der vorhandenen Werte; ihre Begabung ist durchaus ein Dekorateurtalent.“

20

Die maßgebliche Rolle, die man der Frau im Kunstbetrieb des 19. Jahrhunderts zuschrieb, war dagegen die der ‚Muse‘ für den männlichen Künstler – nicht als aktiv künstlerisch Tätige sollte sie wirken, sondern vielmehr als passive Quelle der Inspiration. Entsprechend schrieb L. de Fourcaud in seiner Ausstellungskritik zur Exposition des Arts de la Femme, der Kunst seien die Aktivitäten, zu denen die Frau den Mann anrege, sehr viel förderlicher als der weibliche Schöpfergeist selbst.21 In ihrer Rolle als ‚Muse‘ wurde die Frau dabei wiederum gänzlich auf Äußerlichkeiten reduziert; inspirierend für den Künstler wirkte das sprichwörtlich ‚schöne Geschlecht‘ aus damaliger Sicht primär durch die physische Erscheinung, die individuelle Persönlichkeit der ‚Muse‘ hingegen erschien unerheblich. „Die Frau ist künstlerisch unproduktiv, aber sie ist als Individuum ästhetisch im Körperlichen und Geistigen“22, erklärte auch Karl Scheffler, während der Kunstkritiker Rodolphe Bringer die Frau zur Verkörperung der Schönheit schlechthin und somit auch zum zentralen Thema der Kunst erklärte:„Was ist die Kunst? Die Wiedergabe des Schönen. Und was ist das Schöne? Die Frau!“23

18 Scheffler 1908, S. 59. 19 Ebd., S. 61. 20 Ebd., S. 61f. 21 „On peut dire que l’activité qu’elle excite profite beaucoup plus à l’art que son propre esprit créateur.“ – de Fourcaud, L.: „Les Arts de la femme au Palais de l’Industrie“. In: La Grande Dame, 1. Jahrgang, 1893, S. 23–30, hier S. 24. 22 Scheffler 1908, S. 32f. 23 „Qu’est-ce que l’art? La reproduction du beau. Qu’est-ce que le beau? La femme!“ – Bringer, Rodolphe: „La femme au Salon“. In: Fin de Siècle, 6.5.1893; zitiert nach: Sèrié, Pierre: „Du Modèle à la muse: les peintres de figure sous le patronage de Phryné. Nus au Salon (1861–1901). In: Schmitt, Virginie (Hg.): L’Artiste et sa muse, Paris 2006, S. 19– 41, hier S. 32.

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7.3 F RAU

UND

N ATUR

ALS

T HEMEN

DER

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K UNST

Einer der wichtigsten Auftraggeber für Ausstellungsplakate war La Plume, eine avantgardistische Zeitschrift für Kunst und Literatur, die von 1894 bis 1899 den so genannten Salon des Cent veranstaltete. In Form von Gruppen- und Einzelausstellungen wurden hier die Arbeiten zeitgenössischer Künstler präsentiert, die häufig auch als Plakatgestalter tätig waren, hatte sich die Zeitschrift doch in besonderem Maße der Förderung der Plakatkunst verschrieben. Um den Salon des Cent zu bewerben, wurden insgesamt 42 Plakate in Auftrag gegeben, die teils von versierten Plakatkünstlern, teils von Neulingen in diesem Feld gestaltet wurden.24 Ikonografisch zeigen diese Plakate eine große Bandbreite – von Darstellungen zeitgenössischer Parisiennes bis hin zu zeitlosen Personifikationen der Kunst –, doch sind auch hier Frauenfiguren das zentrale Werbemotiv. Ein häufig wiederkehrendes Sujet ist die femme-fleur, die zuerst Eugène Grasset für das Plakat seiner Einzelausstellung im Salon des Cent (Abb.127, S. 173) ins Bild setzte.25 Die Dargestellte, eine der für Grasset so typischen femmes fragiles, betrachtet konzentriert die großen weißen Blüten eines Doldengewächses; in der rechten Hand hält sie Stift und Zeichenbrett. Die künstlerische Inspiration, so wird hier suggeriert, entsteht direkt aus der Anschauung der Natur – eine Auffassung, die auch Emil Causé in seinem 1898 entstandenen Ausstellungsplakat (Abb. 186) zum Ausdruck bringt: Zu sehen ist eine mit Blumen bekränzte Frau in zeitgenössischer Kleidung. Hinterfangen wird sie von einigen üppig belaubten Lorbeerzweigen, die von oben ins Bild ragen. Inmitten dieser Zweige ist eine große Palette an einem gelben Band aufgehängt, ein Sinnbild der Kunst, das Causé aus der Malerei des 18. Jahrhunderts entlehnt.26 Die Farben auf der Palette sind hier jedoch durch verschiedenfarbige Blüten ersetzt, die die dargestellte Frau mit Bedacht anordnet: Die Kunst scheint unmittelbar aus der Natur zu schöpfen. Die kreative Anverwandlung der in der Natur vorgefundenen For-

24 Vgl. Eckert Boyer, Patricia: Le rôle de La Plume et de son Salon des Cent dans la défense de l’avant-garde“. In: Les Affiches du Salon des Cent. Bonnard, Ensor, Grasset, Ibels, Mucha, Toulouse-Lautrec, Ausst.Kat. Fondation Neumann Gingins/Musée de PontAven/Musée des Arts décoratifs de Bordeaux, o. O. 2000, S. 8-–7, hier S. 15–17.; Laps, Thierry: „Du mur aux cimaises“. In: Kat. Straßburg 2007, S. 118f., hier S. 118; Zmelty 2014, S. 84; sowie van Deputte 1994, S. 35–41. 25 Vgl. Bieri Thomson, Helen: „De l’iconographie des affiches du Salon des Cent“: In: Kat. Gingins/Pont-Aven/Bordeaux 2000, S. 18–24. 26 Vgl. Kunst im Alltag. Plakate und Gebrauchsgraphik um 1900 aus der Jugendstilsammlung der Kunsthalle Bremen, Ausst.Kat. Kunsthalle Bremen, Bremen 1977, S. 40; sowie Kat. Gingins/Pont-Aven/Bordeaux 2000, S. 50.

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men veranschaulicht das ausgefallene Muster auf dem Rock der Dargestellten, das aus stilisierten fliegenden Schwalben gebildet wird. Abbildung 186: Emil Causé Salon des Cent 1898

Abbildung 187: Arsène Herbinier Salon des Cent 1899

Die von Causé und Grasset thematisierte Hinwendung der Kunst zu Motiven und Formen der Natur war im späten 19. Jahrhundert vor allem unter progressiven Künstlern weit verbreitet, erlaubte sie doch die Loslösung von den überkommenen Stilkonventionen des Historismus. Zusätzlich Vorschub geleistet wurde dieser Entwicklung durch die Popularisierung botanischer Forschungen im 19. Jahrhundert. Publikationen wie der 1899 erschienene Band Kunstformen der Natur27 des deutschen Zoologen Ernst Haeckel boten mit mikroskopisch vergrößerten Abbildungen von Pflanzen und Kleinstlebewesen neue Einsichten in die Formensprache der Flora und Fauna.28 Vor allem die Künstler des Art Nouveau orientierten sich bei der Gestaltung von Dekorationsformen an der Natur, ohne diese sklavisch nachzuahmen. Entsprechend erläuterte auch Paul Berthon die Grundsätze seines künstlerischen Schaffens:

27 Haeckel, Ernst: Kunstformen der Natur, Leipzig 1899–1904. 28 Vgl. Ulmer, Renate: „Einführung“. In: dies. (Hg.): Art Nouveau. Symbolismus und Jugendstil in Frankreich, Stuttgart/New York 1999, S. 8–21, hier S. 17–19.

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„Unser Ziel ist es, eine neue Kunst zu schaffen, die kein anderes Vorbild hat als die Natur, keine andere Regel kennt als die der Phantasie und Logik […] Ich selber bin lediglich bemüht, die Natur in ihrem wahren Wesen nachzuahmen. Wenn ich eine Pflanze als Dekorationsform verwenden möchte, werde ich nicht versuchen, sämtliche Blattadern oder die genaue Färbung der Blüten wiederzugeben. Vielleicht sehe ich mich gezwungen, dem Stengel der Blume eine mehr harmonische, geometrische Linie zu geben oder auch eine ungewöhnliche Farbe, die das vor mir befindliche Modell nicht besitzt.“

Abbildung 188: Firmin Bouisset Salon des Cent 1899

29

Abbildung 189: Henry-Julien Detouche Salon des Cent 1896

Die dekorative Stilisierung von Naturformen wird dabei in den Plakaten des Salon des Cent bevorzugt in Kombination mit der Darstellung weiblicher Modelle demonstriert. So gestaltete beispielsweise Arsène Herbinier eine von Weißdorn umrankte femme-fleur (Abb. 187), und Firmin Boussiet setzte ein junges Mädchen ins Bild, das von üppig wachsenden, elegant geschwungenen Mohnpflanzen mit übergroßen rosafarbenen Blüten umrahmt wird (Abb. 188). Henri-Julien Detouche dagegen kombiniert die Darstellung stilisierter Schwäne, die in ornamentaler Reihung den Hintergrund seines Plakates durchziehen, mit einer modisch gekleideten Frauenfigur, die sich vorn im Bild auf einem Stuhl niedergelassen hat (Abb. 189). Mit

29 Zitiert nach: Barnicoat 1972, 35f.

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erhobenen Armen ahmt sie gestisch die elegante Haltung der Vögel nach, wobei ihre weißen Handschuhe und Hammelkeulenärmel die formale Analogie zur Gestalt der Tiere noch unterstreichen. In der dekorativen Verbindung von Frauenfiguren mit Motiven aus Flora und Fauna führen die Plakate Herbiniers, Boussiets und Detouches die bevorzugten Sujets und Gestaltungsprinzipien des Art Nouveau vor Augen. In der Verbindung weiblicher Werbefiguren mit Pflanzen- und Tiermotiven kommt dabei auch der zeitgenössische Topos von der Frau als ‚Naturwesen‘ zum Tragen. Im Gegensatz zum konkurrenzorientierten, aktiv nach Leistung und Fortschritt strebenden Mann stand die Frau aus Sicht des 19. Jahrhunderts noch ganz im Einklang mit der ursprünglichen Harmonie der Schöpfung und konnte gerade dadurch zu einer Quelle der Inspiration für den männlichen Künstler werden.

„Selbst unfähig zu bilden, hat sie [die Frau] den Künstler von je zum Schaffen begeistert, hat mit der Harmonie ihrer Natur seiner Sehnsucht nach Harmonie stets ein Gegenbild gegeben“30, schrieb etwa Karl Scheffler, der in einer für das 19. Jahrhundert typischen idealisierenden Verklärung das ‚Naturwesen‘ Frau selbst als Kunstwerk verstanden wissen wollte: „Sie selbst ist als Seele und Erscheinung ein Kunstwerk der Natur…“31

7.4 D ER

WEIBLICHE

A KT

Primär auf ihre äußere Erscheinung reduziert und als passiv in sich ruhendes ‚Naturwesen‘ zur maßgeblichen Inspirationsquelle des Künstlers erklärt, wird die weibliche Gestalt im Ausstellungsplakat zum Grundstoff, der dem männlichen Gestaltungswillen beliebig verfügbar ist –32 eine Rollenverteilung, die in der europäischen Kunst eine Jahrhunderte lange Tradition hat: Bereits um 1525 veranschaulichte Albrecht Dürer in seinem Holzschnitt Der Zeichner des weiblichen Modells (Abb. 190) den Gebrauch künstlerischer Hilfsmittel zur Wiedergabe perspektivischer Verkürzungen.33 Bezeichnend ist die Wahl des Motivs, an dem dies exemplarisch vorgeführt wird: Völlig passiv bietet sich ein Aktmodell als Objekt der Betrachtung wie auch der künstlerischen Gestaltung durch den Mann dar. Diesem wird damit

30 Scheffler 1908, S. 80. 31 Ebd., S. 32. 32 „She is matter waiting to be formed and moulded by the active male principle.“ – Saunders, Gill: The Nude. A New Perspective, London 1989, S. 21. 33 Vgl. Sonnabend, Martin (Hg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum, Ausst.Kat. Guggenheim Museum Bilbao/Städel Museum Frankfurt am Main, Köln 2007, S. 230, Nr. 157/158.

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der aktiv tätige, schöpferische Part zugesprochen. Die Frau dagegen ist zwar Thema der Kunst, kann aber nicht mehr als ihr Äußeres einbringen.34 Mehr noch: Ihr Körper wird erst durch die intellektuell-schöpferische Leistung des männlichen Künstlers in die Sphäre der Kunst erhoben – ein Umstand, den Dürer auch formal verdeutlicht: Den üppig schwellenden Formen des liegenden Modells stellt er den streng aufrecht sitzenden, konzentrierten Künstler gegenüber, umgeben von den klar konturierten geometrischen Formen seiner Instrumente, die den Akt der rational gesteuerten Aneignung des Motivs verbildlichen.35 Abbildung 190: Albrecht Dürer Der Zeichner des weiblichen Modells 1525

In vergleichbarer Weise sind die Geschlechterrollen in Alfons Muchas Plakat für die Druckerei Cassan Fils (Abb. 191) verteilt. Auch hier kommt der aktive Part einer männlichen Figur zu: einem Faun, der jedoch nicht den Künstler selbst, sondern den Drucker repräsentiert. Ihm zugewandt ist ein halbnacktes, nur von einer Draperie verhülltes Modell – eine typische ‚Mucha-Frau‘ mit überlangem Haar, das ein Kranz aus frischem Grün ziert. Auf ihrem Schoß und zu ihren Füßen verstreut finden sich zahlreiche Grafiken, die ausschließlich ihr Porträt aus verschiedenen Ansichten zeigen. Besonders sinnfällig wird der Status der Frau als Objekt der Betrachtung dabei durch das Motiv dicht an dicht aneinander gereihter Augen, die im Bildhintergrund eine umlaufende Bordüre schmücken. Überdeutlich kommt hier nochmals die für die Kunst des 19. Jahrhunderts charakteristische Rollenzuschrei-

34 Vgl. Saunders 1989, S. 22; sowie Schmaußer 1991, S. 199f. 35 Vgl. Nead, Linda: The Female Nude. Art, Obscenity and Sexuality, London/New York 1992, S. 11.

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Abbildung 191: Alfons Mucha Cassan Fils 1896

bung zum Tragen, wonach Männer aktiv handeln, während Frauen allein über ihre äußere Erscheinung definiert werden.36 Dem weiblichen Akt kam dabei aus damaliger Sicht eine besondere Bedeutung zu. Waren in der Kunst früherer Jahrhunderte ästhetische Idealvorstellungen noch in Figuren beiderlei Geschlechts zur Anschauung gebracht worden, so galt dem 19. Jahrhundert vor allem der Körper der Frau als Sinnbild des Schönen wie auch der Erotik.37 Entsprechend erklärte Armand Silvestre, in der Darstellung des nackten weiblichen Körpers liege „wahrhaftig das Geheimnis aller unsterblichen Meisterwerke“38, und Adolphe La Lyre schrieb: „Der weibliche Akt […] ist die unerschöpfliche Quelle der Reinheit des Stils, der Zeichnung und des Spiels anmutiger Farbgebung auf der zarten Oberfläche weiblichen Inkarnats. Er verkörpert die reinste Schönheit der Form, die im künstlerischen Schaffen anzutreffen ist.“

39

Folgerichtig war der Frauenakt auch für die Ausstellungsplakate des Salon des Cent ein beliebtes Motiv. So zeigte etwa G. Boutrou in seinem Plakat von 1899 (Abb. 192) eine halbnackte Frauenfigur vor Landschaftshintergrund, die den Blick in unbestimmte Ferne richtet, als suche sie nach Inspiration. Ihre

36 Vgl. Saunders 1989, S. 23. 37 Vgl. Solomon-Godeau 1996, S. 116. 38 „vraiment le secret de tous les chefs-d’œuvre immortels“ – Silvestre, Armand: Le Nu au Salon de 1888, zitiert nach: Sèrié 2006, S. 33. 39 „Le ‚nu féminin‘ […] est la source inépuisable de la pureté du style, du dessin et du jeu de la connaissance des colorations suaves sur la surface satinée des carnations féminines. Il représente la beauté la plus pure de la forme qui se puisse rencontrer dans la création.“ – La Lyre, Alphonse: „Le Double Salon de 1898“. In: Le National, 14.5.1898; zitiert nach: Sériè 2006, S. 33.

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Attribute Pinsel und Palette weisen sie als allegorische Verkörperung der Kunst aus, das halb gelöste Gewand gibt die üppigen Brüste frei. Boutrous Bildfindung wurde vermutlich durch das Vorbild Alfons Muchas angeregt –40 bereits 1896 hatte dieser in seinem Plakat für den Salon des Cent (Abb. 193) eine „Musen-Allegorie mit erotischer Ausstrahlung“41 gestaltet. Abbildung 192: G. Boutrou Salon des Cent (avant la lettre) 1899

Abbildung 193: Alfons Mucha Salon des Cent 1896

Zu sehen ist ein weiblicher Halbakt mit dem für Mucha typischen arabeskenhaft stilisierten Haar.42 In der Linken hält die Dargestellte einen Pinsel als Sinnbild der Malerei sowie eine Schreibfeder als Hinweis auf den Titel der Zeitschrift La Plume, die für den Salon des Cent verantwortlich zeichnete. Die künstlerische Inspiration wird durch Nebelschwaden verdeutlicht, die Oberkörper und Kopf der Figur umwehen. Sie entspringen aus einem Sternenregen auf Höhe des Herzens, dem sinnbildlichen Sitz der Emotion. Die Inspiration, so wird suggeriert, erwachse aus dem Sentiment, und finde ihre Verwirklichung in der handwerklichen Umsetzung, ver-

40 Vgl. Bieri Thomson 2000, S. 19–21. 41 Mellinghoff, Frieder: „Plakate – die schönen Bilder für die Straße“. In: Kat. Essen 1994, S. 133–147, hier S. 142. 42 Vgl. Rennert/Weill 1984, S. 72, Nr. 12.

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körpert durch die prominent ins Bild gesetzten Künstlerwerkzeuge Pinsel und Feder, die unmittelbar neben der sternbedeckten Brust zu sehen sind.43 Die Dargestellte hat das Kinn in die Rechte geschmiegt und den Ellbogen auf das Knie gestützt – ein Pose, die Dürers berühmten Stich Melencolia I zitiert. Das historische Vorbild thematisiert ebenfalls „die Erkenntnis- und Gestaltungskraft des Menschen“44, verstand man das melancholische Gemüt doch als Charakteristikum des schöpferischen Genies.45 Im Gegensatz zu Dürers Genius der Melancholie hält Muchas Figur als Zeichen ihrer Verinnerlichung die Augen träumerisch geschlossen.46 Dieses Motiv verweist jedoch nicht nur auf den Ursprung der kreativen Kräfte im Innern des Menschen, sondern steigert zugleich die sinnlich-laszive Anmutung der Dargestellten; völlig passiv und in sich selbst versunken bietet sie sich als Objekt der Betrachtung dar.47 Auch die zeitgenössischen Kritiker betonten vor allem die erotische Ausstrahlung der ‚Werbedame‘ – „…eine göttliche Trägheit lag auf diesem flüchtig entworfenen Gesicht, ein unbeschreibbarer Charme ging davon aus“48, beschrieb so etwa Leon Deschamps, der Herausgeber von La Plume, Muchas Figur, und Jean-Louis Sponsel erklärte: „Die niedergeschlagenen Augen, der leicht geöffnete Mund, die lässige Haltung verleihen dem jugendlichen weiblichen Körper etwas Weiches, Hingebendes, Schmachtendes; eine nur leicht versteckte ungesunde Sinnlichkeit spricht aus dem Bilde…“

49

Die allegorischen Personifikation, als Bildform per se auf eine primär intellektuelle Vermittlung von Inhalten angelegt, erfährt so in Muchas wie auch Boutrous Plakat eine stark sinnliche Aufladung; der künstlerischen Inspiration scheint eine erotische Komponente zu eigen – ein im 19. Jahrhundert durchaus geläufiger Topos. So zeigt Auguste Rodin den Bildhauer und seine Muse50 als eng miteinander verbundene Aktfiguren. Die Muse steht auf dem Oberschenkel des Künstlers und beugt sich zu

43 Vgl. Kat. Hamburg 1997, S. 52, Nr. 18/19; sowie Buschhoff 2001, S. 88f. 44 Sonnabend 2007, S. 198, Nr. 142. 45 Vgl. ebd. 46 Vgl. Döring 1997, S. 28f.; sowie Kat. Hamburg 1997, S. 52, Nr. 18/19. 47 Zum Verhältnis von weiblicher Aktfigur und (männlichem) Betrachter allgemein vgl. Saunders 1989, S. 23–25. 48 „…une divine langueur était répandue sur ce visage à peine ébauché, un charme indicible s’en dégageait.“ – Deschamps, Leon: „A. Mucha“. In: La Plume. No. consarcé à Alphonse Mucha: Alphonse Mucha et son œuvre, Paris 1897, S. 2–15, hier S. 4. 49 Sponsel 1897, S. 104. 50 Auguste Rodin: Der Bildhauer und seine Muse, modelliert 1890/93, gegossen wohl 1908, Bronze, 67 x 48 x 45 cm, Kunsthalle Bremen.

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ihm herab; ihren Mund an seinem Ohr, scheint sie ihm Inspiration einzuflüstern und greift zugleich mit der Hand tief in seinen Schritt: Die künstlerische Eingebung erscheint als ebenso geistiges wie sinnliches Erlebnis, das in diesem Fall jedoch weniger lustvoll, als in seiner Intensität vielmehr überwältigend, ja regelrecht schmerzhaft zu sein scheint, betrachtet man die verzerrten Züge des Bildhauers, der mit vor den Mund geschlagener Hand den Kopf abwendet. Abbildung 194: Armand Rassenfosse Salon des Cent 1896

Den Status der weiblichen Aktfigur als Objekt der Betrachtung thematisiert besonders explizit ein Ausstellungsplakat, das der gebürtige Belgier Armand Rassenfosse 1896 für den Salon des Cent schuf (Abb. 194): Zu sehen ist eine nackte Personifikation der Kunst, die durch eine Lupe eine zweite, wesentlich kleinere Aktfigur betrachtet, welche auf ihrem linkem Handteller sitzt. Rassenfosse verdeutlicht so die grundlegende Bedeutung einer präzisen Beobachtung für das künstlerische Schaffen. Martin Henatsch deutet das Motiv der Lupe als Sinnbild „eines eingeschränkten und vorstrukturierten Betrachtungsaktes“51, aus dem das Kunstwerk resultiere. Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass in der Kunst des 19. Jahrhunderts Sehhilfen wie Lupen oder Lorgnons ganz allgemein als wertfreier Hinweis auf eine ge-

51 Henatsch 1994, S. 220.

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naue, präzise Betrachtung fungierten.52 Der explizit als Objekt der Betrachtung ausgewiesene Frauenakt trägt mehrere modische Accessoires, die jedoch gerade die Nacktheit der Figur unterstreichen: einen mit Bändern und Federn verzierten Hut, einen gerüschten Kragen sowie mit Schleifen verzierte Schuhe und Strümpfe, die bis übers Knie reichen. Die Dargestellte wird so als zeitgenössische Frau charakterisiert, was die pikante Wirkung in den Augen der damaligen Betrachter noch gesteigert haben mag – wurde die Darstellung des nackten weiblichen Körpers doch traditionellerweise durch mythologische oder allegorische Sujets legitimiert, die die fraglichen Figuren der Realität deutlich entrückten.53 Doch auch Rassenfosses Frauenakt wird in einen allegorischen Bildkontext eingebettet und changiert somit zwischen den Realitätsebenen. In ihrer Miniaturisierung erinnert die Frauenfigur zudem an die von Künstlern als Anschauungsobjekt genutzten Modellpuppen – 1850 hatte der Bildhauer Albert-Ernest Carrier-Belleuse ein solches Modell seiner Porträtfigur Michelangelos54 beigegeben: In Händen hält der Künstler ein so genanntes ecorché, eine wie gehäutet erscheinende Figur, die mit ihren freigelegten Muskelpartien dem Studium der Anatomie diente.55 Wo Carrier-Belleuse so eine naturwissenschaftlich genaue Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper als grundlegendes Merkmal der Kunst Michelangelos andeutet, weist Rassenfosse mit seinem modisch aufgeputzten Frauenakt die zeitgenössische Lebenswirklichkeit als maßgebliches Sujet der Kunst aus – ein Konzept, das durch die allegorische Verschlüsselung der Bildaussage jedoch zugleich wieder unterlaufen wird. Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund auch die realistische, ungeschönte Wiedergabe der Körperform beider Frauenakte. Ins Auge fällt insbesondere die gänzlich unklassische, gekrümmte Haltung der größeren Figur, die den Unterbauch hervortreten lässt. Rassenfosse wendet sich hier in aller Deutlichkeit ab vom tradierten Kunstideal des makellos geformten und proportionierten nackten Körpers. Galt den Kunstakademien des 19. Jahrhunderts noch die Schönlinigkeit und Glätte antiker Aktfiguren als Vorbild, so wandten sich die Künstler der Avantgarde ver-

52 Vgl. hierzu bspw. Maurice Réalier-Dumas’ Plakat für die Zeitschrift Paris-Mode (besprochen auf S. 63f. dieser Arbeit). 53 Vgl. Farwell 1977, S. 102, Nr. 108; sowie Solomon-Godeau 1996, S. 125f. 54 Albert-Ernest Carrier-Belleuse: Michelangelo, modelliert um 1850, gegossen 1855, Bronze, braun patiniert, 52 x 16 x 19 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie. 55 Zu Carrier-Belleuses Michelangelo vgl. elegant//expressiv. Von Houdon bis Rodin. Französische Plastik des 19. Jahrhunderts, Ausst.Kat. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Heidelberg 2007, S. 248–250, Nr. 123.

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mehrt einer lebensnahen Darstellung des Menschen zu.56 Zu nennen sind hier etwa Bilder von Prostituierten, die Edgar Degas oder auch Henri de Toulouse-Lautrec schufen; das prominenteste Beispiel dürfte jedoch Édouard Manets Olympia (Abb. 195) darstellen. Abbildung 195: Édouard Manet Olympia 1863

Zwar greift der Künstler in seiner Figur die Pose der Venus von Urbino57 Tizians auf. Zugleich unterstreicht Manet jedoch seine Distanz zum historischen Vorbild, indem er seine Figur deutlich als zeitgenössische Kurtisane kennzeichnet. Auch die kantige Körperform der Dargestellten, das gelbliche Inkarnat sowie ihre spröde und zugleich sehr selbstbewusste Ausstrahlung weichen deutlich von tradierten Idealvorstellungen ab.58 Rassenfosses allegorische Aktfigur wiederum lässt sich – ganz im Sinne des tradierten Topos der nuda veritas – in ihrer schonungslos realistischen Nacktheit auch als Sinnbild einer der Wahrheit verpflichteten Kunst verstehen, die sich von überkommenen Idealen freizumachen suchte.

56 Vgl. Gross, Friedrich: „Verkünderin der Schönheit“. In: Hofmann 1986, S. 91–101, hier S. 97–99. 57 Tiziano Vecellio: Die Venus von Urbino, vor 1538, Öl auf Leinwand, 119 x 165 cm, Galleria degli Uffizi, Florenz. 58 Vgl. Gross 1986, S. 99; sowie Needham, Gerald: „Manet, ‚Olympia‘, and Pornographic Photography“. In: Hess/Nochlin 1973, S. 81– 89, hier S. 81f.

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7.5 E XKURS : D ER K ÜNSTLER ALS N ARR UND M OTIVWELT DER COMMEDIA DELL ’ ARTE

DIE

Auffällig ist, dass Rassenfosse in seinem Plakat für den Salon des Cent darauf verzichtet, die dargestellte Personifikation der Kunst durch tradierte, allgemein verständliche Attribute wie Pinsel oder Palette zu kennzeichnen. Stattdessen stattet er seine Figur neben der bereits erwähnten Lupe mit einer Narrenkappe aus. Helen Bieri Thomson sieht in diesem Motiv eine geistige Nähe der Kunst zur Welt des Karnevals und ganz allgemein der Fantasie angedeutet, wie sie beispielsweise auch in den ausgelassenen Figuren Chérets zutage tritt.59 Abbildung 196: Gavarni (J.-I.-I. Gérard) Œuvres choisies de Gavarni 1845

Abbildung 197: Henri Gabriel Ibels Salon des Cent 1894

Entsprechend hatte bereits 1845 der Karikaturist Gavarni für eine Publikation seiner grafischen Werke ein Plakat (Abb. 196) gestaltet, auf dem eine allegorische Verkörperung der Kunst mit Narrenkappe, Tamburin und Narrenschelle zu sehen ist. Dem Betrachter kehrt die Dargestellte den Rücken zu; sie hat sich zwei kleinen, heftig gestikulierenden Figuren auf einer Holzplanke zugewandt, die die Assoziation eines Marionettenspiels nahe legen. Während Gavarni so die spielerische Krea-

59 Vgl. Bieri Thomson 2000, S. 24.

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tivität der Kunst unterstreicht, erscheint Rassenfosses Darstellung insgesamt eher nüchtern – die Narrenkappe mag hier vielmehr als Sinnbild für den Status des modernen, unabhängigen Avantgarde-Künstlers fungieren: ein gesellschaftlicher Außenseiter, der darum kämpfen muss, anerkannt und ernst genommen zu werden, sich jedoch zugleich selbstbestimmt über allgemein verbindliche Normen hinwegsetzt. Eng verwandt mit dem Topos vom Künstler als Narren ist die commedia dell’arte-Thematik, die Künstler und Literaten des 19. Jahrhunderts immer wieder aufgriffen, um ihr eigenes Schaffen zu reflektieren. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatte die ursprünglich aus Italien stammende commedia dell’arte in Frankreich dauerhaft Fuß gefasst und erfreute sich größter Beliebtheit. Bald wurden die typischen commedia-Figuren auch fester Bestandteil des Jahrmarkttheaters, das vor allem aus akrobatischen und pantomimischen Darbietungen bestand.60 Im 19. Jahrhundert entdeckte die künstlerische und literarische Avantgarde diese populäre Unterhaltungsform als Inspirationsquelle und Motivschatz, der beliebig eigenen Vorstellungen angepasst wurde – ein Umstand, den Jean Julien 1892 scharf kritisierte: „Pierrot, mit allen Saucen gemischt, pessimistisch oder fin de siècle, ist nicht mehr Pierrot. Colombina ist nicht mehr das Ideal, die Beatrix, der verfolgte Traum, sie wird kokett, schelmisch oder zur Kokotte.“

61

Besonders der Charakter des Pierrot, der in den Darbietungen der commedia weniger als aktiv Handelnder denn als vom Geschehen isolierter, gewitzter Kommentator agierte, avancierte dabei zu einer Identifikationsfigur für die Künstler der Boheme.62 Verträumt und sensibel, mitunter auch mit makaberen Zügen, erschien Pierrot als Innbegriff des modernen Lebensgefühls und blieb zugleich ein sozialer Außenseiter.63 In den Gedichten Théodore de Banvilles wird Pierrot so zum alter ego

60 Vgl. Riha, Karl: Commedia dell’arte. Mit den Figuren Maurice Sands, 4. Aufl., Frankfurt a. M. 1984, S. 61–63; sowie Storey, Robert F.: Pierrot. A Critical History of a Mask, Princeton 1978, S. 37–39. 61 „Pierrot mis à toutes les sauces, pessimiste ou fin de siècle, n’est plus Pierrot; Colombine n’est plus l’idéal, La Béatrix, le rêve poursuivi, et devient coquette, coquine ou cocotte.“ – Julien, Jean : „La Pantomime et la Comédie “. In: La Plume, Nr. 82/15.9.1892, S. 394f., hier S. 395. 62 Vgl. Jones, Louisa E.: Pierrot-Watteau. A Nineteenth Century Myth, Tübingen/Paris 1984 [= Études littéraires françaises, Bd. 32], S. 11; Oberthür 1994, S. 28; sowie Storey 1978, S. 27f. 63 Zu einer ausführlichen Analyse der verschiedenen Facetten Pierrots siehe Storey 1978.

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des Poeten,64 und auch Künstler wie Jules Chéret und Adolphe Willette setzten sich intensiv mit diesem Charakter auseinander – letzterer publizierte zwischen 1889 und ’91 eine ganz der Figur gewidmete Zeitschrift und inszenierte sich im entsprechenden Kostüm auch selbst als Pierrot. 65 In diesem Kontext ist auch Henri Gabriel Ibels’ Plakat für die erste Ausstellung des Salon des Cent überhaupt von 1894 (Abb. 197) zu sehen. Gezeigt wird eine Atelierszene mit Maler, Modell und Betrachter als grundlegende Trias des Kunstbetriebs. Die Protagonisten sind jedoch sämtlich Figuren der commedia dell’arte: Beobachtet von Harlekin, hat sich der ganz in Weiß gekleidete Pierrot an der Staffelei niedergelassen. Er wendet dem Betrachter den Rücken zu und malt ein Porträt Colombinas, die perspektivisch stark verkleinert im Hintergrund zu sehen ist. Mit der ursprünglichen Figur der commedia dell’arte hat diese jedoch kaum noch etwas gemein; in ihrem weißen Tutu wirkt sie vielmehr wie eine zeitgenössische Ballerina. Trotz des nicht näher definierten Bildraums erscheint sie weit entfernt: ein entrücktes Ideal, das weder für den Künstler noch den Betrachter greifbar ist.66 Wie auch Pierrot und Harlekin ist Colombina eine anonyme, im buchstäblichen Sinne gesichtslose Figur,67 ein Typus, der als Projektionsfläche für die Vorstellungen des Betrachters fungiert. Zugleich bleibt auch hier, im imaginären Raum der commedia dell’arte, die typische Rollenverteilung des männlichen Künstlers und Betrachters einerseits und des weiblichen Modells andererseits erhalten. 1897 griff Ibels die zentralen Figuren der commedia dell’arte erneut auf, um für Pierrefort, Paris’ größten Plakathändler, zu werben (Abb. 198). Von links nach rechts nebeneinander aufgereiht werden Colombina, Harlekin, Pierrot und Cassandre gezeigt. Mit exaltierten Posen präsentieren sich die Dargestellten auf einer einfachen Bretterbühne – dargestellt ist eine so genannte parade, eine Aufführung im Freien, mit der Zuschauer in die Jahrmarkttheater gelockt werden sollten.68 Während Ibels für den Salon des Cent eine still gestellte, zeitlos anmutende Szene ins Bild setzt, preisen sich die Dargestellten in seinem Plakat für Pierrefort ohne Rücksicht auf die damaligen Normen von Anstand und Dezenz offensiv selbst an. Mit dieser Motivwahl stellt Ibels nicht nur das eigene Schaffen in den Kontext der subversiven Vergnügungskultur der Boheme, sondern spielt zugleich auf die grundlegenden Werbemechanismen der Plakatkunst selbst an: Die Direktheit und Auf-

64 Vgl. Jones 1984, S. 58f. 65 Zu Chéret und Willette vgl. Hagner 1958, S. 124–126.; Mauclair 1930, S. 86; sowie Storey 1978, S. 120–122. 66 Vgl. Thon 1968, S. 21f. 67 Vgl. Hagner 1958, S.124–126; sowie Thon 1968, S. 21f. 68 Vgl. Storey 1978, S. 77; sowie Verhagen 1995, S. 113f.

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dringlichkeit, die dem Jahrmarkttheater zu eigen sind, kennzeichnen ebenso die Plakatwerbung.69 Abbildung 198: Henri Gabriel Ibels Pierrefort 1897

7.6 D IE ‚ MODERNE M USE ‘ Neben allegorischen Verkörperungen der Kunst finden sich in den Plakaten des Salon des Cent auch immer wieder zeitgenössische Figuren ins Bild gesetzt. So zeigt etwa Henri Boutet im Plakat zu seiner Einzelausstellung im Salon des Cent von 1895 (Abb. 199) eine geschmackvoll gekleidete Parisienne, deren modernes, elegantes Erscheinungsbild noch zusätzlich betont wird durch die bewusste Überzeichnung modischer Details, etwa der überdimensionierten Hammelkeulenärmel ihres Kostüms. Während Künstler wie Grasset oder Mucha in ihren Ausstellungsplakaten (Abb. 127, S. 173, Abb. 193, S. 251) selbstreflexiv Inspiration und künstlerisches Schaffen thematisieren, scheint Boutets Darstellung der modernen Städterin den Bezug zum Ausstellungskontext zu entbehren. Tatsächlich führt der Künstler hier jedoch das zentrale Sujet seiner Werke – quasi sein ‚Markenzeichen‘ – vor Augen. Mehr noch: seine Arbeiten hatten aus Sicht der Zeitgenossen das Bild der

69 Vgl. Verhagen 1995, S. 117–120.

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modischen Pariserin maßgeblich mitgeprägt.70 „Die Pariserin […] bleibt sein einziges Ziel, und niemand kennt sie so wie er“71, schrieb folgerichtig Hippolyte Devillers über das Werk Boutets. Stilisiert zum Innbegriff der Modernität, avanAbbildung 199: cierte die Parisienne zur neuen ‚Muse‘ einer Henri Boutet avantgardistischen Kunst, die sich von überSalon des Cent – Exposition kommenen akademischen Inhalten und Gestalde Pastels, Dessins et tungsweisen abwandte und die eigene LeGravures d’Henri Boutet benswirklichkeit zum maßgeblichen Sujet er1895 hob. Konsequent verzichtet auch Boutets Plakat auf jegliche allegorische Verschlüsselung und konzentriert sich ganz auf die populäre Figur der modischen Städterin. Doch auch die Parisienne fungiert letzten Endes nur als motivische Grundlage, die sich vom Künstler beliebig mit verschiedensten Inhalten füllen lässt. Besonders deutlich wird dies an Georges de Feures Plakat für den Salon des Cent von 1894 (Abb. 200): Zu sehen ist die Büste einer überaus elegant gekleideten Bourgeoise. Zu einem Kleid mit braunschwarz gestreiften Puffärmeln und farblich abgesetztem Brustteil in Orange trägt sie einen ausladenden Hut mit üppigem schwarzem Federbesatz; komplettiert wird das Ensemble von einer Stola aus Fuchspelz – eine äußerst exquisite, opulente Aufmachung, wie sie für die Frauenfiguren de Feures typisch ist. Mit konzentriertem Blick betrachtet die ‚Werbedame‘ eine weiße Rose, ein Motiv, das augenscheinlich durch Eugène Grassets im selben Jahr entstandenes Plakat für den Salon des Cent (Abb. 127, S. 173) inspiriert ist.72 Wo Grasset jedoch eine zarte, introvertierte femme fragile bei der

70 Vgl. Second 1895, S. 213; zitiert auf S. 82f. dieser Arbeit. 71 „La Parisienne […] reste son unique objectif; et nul autant que lui ne la connaît.“ – Devillers, Hippolyte: „Henri Boutet“. In: La Plume, Nr. 146/5.5.1895, S. 200f., hier S. 200. 72 Vgl. Döring 2002, S. 66f.

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Betrachtung eines wilden Doldengewächses zeigte, setzt de Feure eine kultiviert und selbstbewusst erscheinende Dame aus der Großstadt ins Bild, die eine voll erblühte Edelrose in Händen hält. Einfachheit und Unschuld werden so durch mondänes Raffinement ersetzt.73 Abbildung 200: Georges de Feure Salon des Cent 1894

Abbildung 201: Georges de Feure Die Botanistin 1894

Dem Plakat de Feures vorangegangen war eine spiegelverkehrte Studie mit dem Titel Die Botanistin (Abb. 201), die dem Motiv fantastische Züge verleiht: Die spätere ‚Werbedame’ sitzt hier inmitten üppig wuchernder Pflanzen an einem Tisch, auf dem ein Buch mit kunstvoll verziertem Einband liegt. Im Hintergrund erhebt sich ein altertümliches Gebäude – möglicherweise ein Schloss. Am linken Bildrand sitzt ein seltsam anmutendes Mischwesen mit dem Körper eines Vogels und dem Kopf eines Affen zwischen den Pflanzen und starrt die dargestellte Frau angstvoll an. Ian Millman deutet daher die Frauenfigur als Zauberin, die das schimärenhafte Ge-

73 Vgl. Millman, Ian: Georges de Feure. Du symbolisme à l’art nouveau (1890-1905), Ausst.Kat. Musée départemental Maurice Denis – „Le Prieuré“ Saint-Germain-enLaye/Fondation Neumann Gingins, Bonnières-sur-Seine 1995, S. 63, Nr. 59.

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schöpf mithilfe der Blume in ihrer Hand verwandelt hat.74 Die Botanistin ist damit dem Typus der Verderben bringenden femme fatale zuzurechnen, die in literarischen Werken der Zeit häufig auch über Zauberkräfte verfügt. Speziell während seiner symbolistischen Werkphase in den 1890er Jahren gestaltete de Feure immer wieder vergleichbare Motive, die im Nebeneinander der höchst ästhetischen Erscheinung der Frauenfiguren und deren angedeuteter Grausamkeit eine enigmatische Ambivalenz ausstrahlen.75 Im Plakat für den Salon des Cent dagegen blendet der Künstler das Fantastische und Rätselhafte weitgehend aus; was bleibt, ist eine elegante, etwas elitär anmutende Frauenfigur in dekorativer Aufmachung. Folgerichtig beschreibt auch Millman den Unterschied zwischen de Feures symbolistisch inspirierten Arbeiten und seinen stärker auf Allgemeinverständlichkeit abzielenden Plakaten: „Im Gegensatz zur grundlegend von Baudelaire geprägten Vorstellung von der femme fatale, die man in zahlreichen symbolistischen Werken findet, ist das maßgebliche Sujet seiner Kunstplakate eine vereinzelte Frau, schön und kultiviert, dem reichen Großbürgertum zugehörig. Durch ihr Kostüm wird sie zugleich als zeitgenössisch charakterisiert und so weit stili76

siert, dass sie nur mehr ein Idealbild darstellt.“

Zwischen beiden Polen angesiedelt ist das Plakat de Feures für Pierrefort (Abb. 202), den größten Plakathändler von Paris: Vor einem ganz in Grautönen gehaltenen Landschaftshintergrund zeigt der Künstler eine Frau im eleganten schwarzgrünen Kostüm samt passendem Hut. Dessen übergroßer Federschmuck sowie die wuchtigen Ärmel des Kleides lassen den Kopf der Figur geradezu winzig, die Pro-

74 Zur Bekräftigung dieser Interpretation führt Millman die zwei Jahre später entstandene Grafik Margerite (Abb. 138, S. 188) aus der unvollendeten Serie der Femininflores an, die dieselbe Grundidee aufgreift: Auch dort ist eine opulent gekleidete Frauenfigur zu sehen, die eine Blume in Händen hält. Gerade ist sie im Begriff, eines der wenigen noch verbliebenen Blütenblätter auszureißen. Offenbar ist dies Teil einer Beschwörung, wendet sich die Dargestellte doch furchtlos zu einer gequält anmutenden Geistererscheinung links im Hintergrund um. Vgl. Millman 1992a, S. 60f.; sowie ders.: Georges de Feure 1868–1943, Ausst.Kat. Van Gogh Museum Amsterdam, Zwolle 1993 [= 19th-century Masters, Bd. 4], S. 40, Nr. 12. 75 Vgl. Millman 1992, S. 60f. 76 „En contraste avec la conception essentiellement baudelairienne de la femme fatale, que l’on trouve dans de nombreuses œuvres symbolistes, le sujet dominant de ses affiches ‚artistiques‘ est une femme solitaire, belle et cultivée, appartenant à la haute bourgeoisie nantie. Elle est à la fois contemporaine par le costume et stylisée au point de n’être plus qu’une représentation idéale.“ – Millman 1992a, S. 43.

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portionen insgesamt verzerrt erscheinen. Den eigentlichen Werbeinhalt thematisiert de Feure hier buchstäblich nur am Rande: In Händen hält die Frau eine vom Bildrand angeschnittene Grafik. Das Gesicht der Frau ist auffällig schmal und blass, das extrem spitze Kinn wird noch durch ein rotes Halstuch betont. Die Dargestellte lächelt und blickt den Besucher aus dem Augenwinkel an, doch wirkt sie dabei nicht kokett, sondern vielmehr geradezu diabolisch – im Gegensatz zu seinem vor allem dekorativ anmutenden Plakat für den Salon des Cent tritt hier die Vorliebe de Feures für den Typus der femme fatale deutlich zutage. Abbildung 202: Georges de Feure Affiches et estampes Pierrefort vor 1898

Eine eher humoristische Note kennzeichnet dagegen das Plakat Pierre Bonnards für den Salon des Cent (Abb. 203): Zu sehen ist wiederum eine Pariserin, dargestellt in Rückenansicht. Ihr modisches Erscheinungsbild wird vor allem durch einen extravaganten Hut mit rotem Blumenschmuck und transparentem Schleier definiert, das Kleid dagegen reduziert Bonnard auf eine summarisch angedeutete Schulterpartie mit großen Puffärmeln. Darunter geht die Figur fast nahtlos in den Papierton des Hintergrunds über, lediglich ihre Vorderseite setzt der Künstler nochmals durch eine Konturlinie ab. Die Dargestellte hebt drohend den Finger – offenbar weist sie gerade den kleinen Hund zurecht, der mit aufmerksam erhobenem Kopf vor ihr steht. Durch einige mit wenigen Strichen angedeutete Pflastersteine wird das Geschehen auf der Straße verortet. Die Asymmetrie der Komposition wird ausgeglichen durch

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das Monogramm Bonnards, das dieser auf Kniehöhe der Frau äußerst prominent ins Bild setzt.77 Bei aller formalen Verknappung und Stilisierung schafft Bonnard so eine äußerst prägnante Szene, die Mensch und Tier in ausdrucksstarken, charakteristischen Posen zeigt. Deutlich tritt hierin die intensive Auseinandersetzung des Künstlers mit der ukiyo-e-Schule der japanischen Kunst zutage78. Nicht nur durch die Wahl eines Sujets aus der zeitgenössischen Alltagswirklichkeit, sondern vor allem durch dessen ausgesprochen innovative formale Umsetzung verleiht Bonnard seiner Arbeit so eine betont moderne, avantgardistische Anmutung. Abbildung 203: Pierre Bonnard Salon des Cent 1896

Abbildung 204: Henri de Toulouse-Lautrec Einladung zu einer Ausstellung 1898

Wiederholt griff der Künstler während der 1890er Jahre das Sujet der Frau mit Hund auf, wobei die Konfrontation von Mensch und Tier meist eine karikierende Überzeichnung erfuhr: Mit vehementer Gestik weisen adrett aufgeputzte junge Frauen ihre kleinen Schoßhunde zurecht. Humorvoll kommentiert Bonnard damit die überaus rigide Mädchenerziehung der damaligen Zeit – in Verhalten und Erscheinung gänzlich auf die Einhaltung von Anstandsnormen konzentriert, glich die

77 Vgl. Döring 2002, S. 66–68; sowie Ives, Colta: „An Art for Everyday”. In: dies./Giambruni, Helen/Newman, Sasha M.: Pierre Bonnard. The Graphic Art, Ausst.Kat. The Metropolitan Museum of Art New York/Museum of Fine Arts Houston/Museum of Fine Arts Boston, New York 1989, S. 3–38, hier S. 15–17. 78 Vgl. Ives 1989, S. 15–17.

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ingénue des 19. Jahrhunderts selbst einem dressierten Schoßtier, das hier nun seinerseits dem Hund sein spontanes, natürliches Verhalten auszutreiben sucht.79 Im Kontext des Ausstellungsplakats lässt sich das Motiv darüber hinaus als humoristisch-kritischer Kommentar zu den Mechanismen des zeitgenössischen Kunstbetriebs deuten, die den Künstler ebenso stark reglementierten wie die junge Dame ihr Hündchen. Als „ironische[n] Seitenhieb auf den Künstler, der seinem Publikum zu gefallen gedenkt“80 gestaltete Henri de Toulouse-Lautrec 1898 für eine Ausstellungseinladung (Abb. 204) eine vergleichbare Szene: einen Pudel, der artig vor seiner jungen Herrin Männchen macht. Abbildung 205: Pierre Bonnard La Revue Blanche 1894

Abbildung 206: Henri de Toulouse-Lautrec La Revue Blanche 1895

Ein karikierendes Moment kennzeichnet auch Bonnards Plakat für die Zeitschrift La Revue Blanche (Abb. 205) von 1894,81 dessen Gestaltung noch stärker als die Arbeit für den Salon des Cent durch japanische Vorbilder inspiriert erscheint: Zu sehen ist eine Frau im modischen Kostüm, deren Kopf und Büste in ihrem enormen, in mehreren Lagen gerüschten Stoffs aufgeschichteten Pelerinenkragen regelrecht

79 Vgl. Giambruni, Helen: „Domestic Scenes“. In: dies./Ives/Newman 1989, S. 39–92, hier S. 70f. 80 Döring 2002, S. 204. 81 Vgl. Hagner 1958, S. 103–117.

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versinken; ein blumengeschmückter Hut komplettiert die extravagante Aufmachung. In Händen hält sie ein Exemplar der beworbenen Zeitschrift. Rechts neben ihr steht ein Junge, der mit seinen groben Gesichtszügen und der karikaturhaft verzerrten Mimik einen deutlichen Kontrast zur betonten Eleganz der Frauenfigur bildet. Mit dem Daumen zeigt er in Richtung des Hefts, das die Dargestellte offenbar gerade erst an einem im Hintergrund sichtbaren Verkaufsstand erworben hat. Nur summarisch wird dessen Auslage angedeutet, die gänzlich mit Ausgaben der Revue Blanche angefüllt ist. Zwischen diesem Stand und den Figuren im Vordergrund erhebt sich die Silhouette eines Mannes mit Zylinder, wohl ein weiterer Kunde, den Bonnard jedoch zu einem gesichtslosen Schattenriss reduziert.82 Auch die übrigen Figuren werden in einer prägnanten Verknappung der formalen Mittel wiedergegeben, auffällig sind vor allem die betonte Flächigkeit und die farbliche Reduktion auf Schwarz und Grau sowie den Beigeton des unbedruckten Papiers. Bonnard äußerst innovative Umsetzung des Sujets spiegelt dabei auch den avantgardistischen Geist der beworbenen Zeitschrift: Die 1889 in Belgien begründete Revue Blanche, deren Redaktionssitz 1891 nach Paris verlegt wurde, galt als kulturelles Organ ersten Ranges. Führende Intellektuelle und Literaten der Avantgarde waren für das Blatt tätig, dem ab 1894 auch Originalgrafiken von Künstlern wie Édouard Vuillard, Maurice Denis und Bonnard beilagen. Als ‚Muse‘ des Kreises um die Revue Blanche galt Misia Nathanson, Ehefrau des Mitherausgebers Thadée Nathanson und der Überlieferung nach eine ebenso attraktive wie kultivierte Frau und selbst eine begabte Pianistin.83 In der kunstgeschichtlichen Forschung wird folgerichtig die elegante Städterin aus Bonnards Plakat fast einstimmig als Misia identifiziert,84 die hier zum Sinnbild der Zeitschrift selbst avanciert – in ihrer modischen Extravaganz spiegelt sich die avantgardistische Haltung der Revue Blanche.85 Der populäre Stereotyp der Parisienne wird so von einer konkreten historischen Person verkörpert. Gleiches gilt für Henri de Toulouse-Lautrecs Plakat für die Revue Blanche (Abb. 206), das ein Jahr nach Bonnards Arbeit entstand: Auch hier ist Misia Nathanson zu sehen; sie trägt ein betont flächig wiedergegebenes blaues Kleid mit

82 Vgl. Hagner 1958, S. 112–114; Harms-Lückerath 1998, S. 28f.; sowie Ives, Colta: „City Life“. In: dies./Giambruni/Newman 1989, S. 93–144, hier S. 103–117. 83 Vgl. Harms-Lückerath 1998, S. 28f.; sowie Jacob-Friesen, Holger: „Die Musik des Bildes. Misia Nathanson und ihr Kreis“. In: Kat. Karlsruhe 2008, S. 102–109, hier S. 102f. 84 Vgl. etwa Devynck 2001a, S. 66; Döring 2002, S. 64f.; oder Newman, Sarah M.: „Nudes and Landscapes“. In: dies./Ives/Giambruni 1989, S. 145–191, hier S. 149–158. Lediglich Martina Harms-Lückerath identifiziert die Dargestellte als Marthe Méligny, Bonnards spätere Ehefrau. Vgl. Harms-Lückerath 1998, S. 28f. 85 Vgl. Devynck 2001a, S. 66.

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orangefarbenen Punkten, einen üppig mit Federn verzierten Hut mit Schleier und eine Pelzpelerine samt passendem Muff – elegante, aufeinander abgestimmte Accessoires, die das Modebewusstsein der Dargestellten hervorheben.86 Ungewöhnlich erscheint die schräge Haltung der Figur, über die eine zusätzliche Remarque der Sammleredition des Plakats Aufschluss gibt. In stark verkleinertem Maßstab ist dort die Darstellung einer Schlittschuhläuferin zu erkennen. Sie legt nahe, dass auch Misia selbst bei der Ausübung dieses damals überaus populären Sports gezeigt wird; die Wiedergabe der Figur in einem Kniestück lässt jedoch die Schlittschuhe nicht erkennen.87 Toulouse-Lautrec und Bonnard stilisieren Misia Nathanson in ihren Plakaten so zum attraktiven ‚Aushängeschild‘ der Zeitschrift. Als ‚moderne Muse‘ der künstlerischen Avantgarde besticht sie allein durch ihr anziehendes Äußeres und eine modische Erscheinung; obschon gebildet und musikalisch überaus talentiert, wird Misias eigenes kreatives Potential in den Darstellungen gänzlich außen vor gelassen.

7.7 D IE

SPIRITUELLE

V ERKLÄRUNG

DER

K UNST

Der konsequenten Hinwendung des Künstlers zur zeitgenössischen Lebensrealität diametral entgegengesetzt erscheint eine in der damaligen Avantgardekunst fast ebenso starke Tendenz: die spirituelle Überhöhung und Verklärung der Kunst, mit der zahlreiche Künstler auf den allgemeinen Verlust traditionell verbindlicher Glaubensinhalte im Zuge der Aufklärung und die Empirie der Wissenschaften reagierten. Im selben Maße, in dem die Heilgewissheit des Christentums infrage gestellt wurde, gewannen neue, individuelle Glaubensformen an Bedeutung. Künstler avancierten dabei nicht selten zu Stiftern subjektiver ‚Ersatzreligionen‘, es entwickelten sich pseudoreligiöse Kunstbewegungen wie beispielsweise die der englischen Präraffaeliten oder des französischen Symbolismus, deren Anhänger den Künstler zum Priester und Magier verklärten.88 Unter den zeitgenössischen Plakatgestaltern vertrat vor allem Alfons Mucha eine derartige Kunstauffassung. Obschon seinen Arbeiten ein primär dekorativer Charakter eignet, wollte er sie doch als Medien tiefer greifender spiritueller Gehalte verstanden wissen. Angedeutet hatte dies der Künstler bereits in seinem ersten Ausstellungsplakat für den Salon des Cent von 1896 (Abb. 193, S. 251), das eine geradezu meditative Verinnerlichung als maßgebliche Quelle künstlerischer Inspiration vor Augen führte – dies jedoch in Gestalt einer überaus sinnlichen Muse. Im Plakat

86 Vgl. Hagner 1958, S. 85f.; sowie Jacob-Friesen 2008, S. 102. 87 Vgl. Kat. Bremen 1994, S. 241; sowie Thon 1968, S. 18f. 88 Vgl. Bode 1981, S. 33–36.

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zu seiner Einzelausstellung im Salon des Cent (Abb. 207), das im Folgejahr entstand, bediente sich der Künstler dagegen einer komplexen, enigmatischen Symbolik, die weniger auf die breite Öffentlichkeit denn auf den symbolistischen Künstlerkreis um die Zeitschrift La Plume abgezielt haben dürfte:89 Abbildung 207: Alfons Mucha Salon des Cent – Exposition A. Mucha 1897

Zu sehen ist ein ernstes, nachdenklich wirkendes Mädchen in züchtiger Kleidung, das den Betrachter mit starrem Blick fixiert und so Tiefgründigkeit suggeriert. Mit der rechten Hand bedeckt sie ihren Mund, die linke hält Pinsel und Maltafel. Im Haar, das sich in typischer Mucha-Art ornamenthaft über die Bildfläche schlängelt, trägt sie weiße Blüten. Ihre kunstvoll bestickte Haube ist augenscheinlich durch slawische Volkstrachten inspiriert – ein Verweis auf die mährischen Wurzeln Alfons Muchas. Als Bild im Bild präsentiert die Figur eine Darstellung dreier ineinander greifender Kreisformen, gebildet aus Dornen, Blüten und Knospen, die von einem Herzen hinterfangen werden.

89 Vgl. Döring 1997, S. 29.

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Der Sinn dieser symbolischen Darstellung ist nicht eindeutig zu entschlüsseln. So ist sie beispielsweise als Sinnbild der christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung gedeutet worden– mit der Liebe in Form des Herzens als zentralem Element –90; Bezug nehmend auf eine frühere Illustration Muchas für die Zeitschrift Le Monde moderne lassen sich die drei Kreise aber auch lesen als Sinnbild der drei Stadien der Liebe, Erwartung, Erklärung und Leid.91 Mit Dornenkranz und Herz greift Mucha zudem die grundlegenden Symbole der Rosenkreuzer auf, einer mystizistischen Sekte, welcher der Künstler nahe stand. Angeblich bereits im 17. Jahrhundert als Geheimbund gegründet, lebte die Vereinigung in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts unter Führung Joséphin Péladans wieder auf.92 Der Ordre de la Rose + Croix war nun in erster Linie ein Künstlerbund, der ab 1892 auch einen eigenen Salon veranstaltete. Bereits ein Jahr zuvor hatte Péladan sein Manifeste de la Rose + Croix veröffentlicht, das das quasireligiöse Sendungsbewusstsein der Gruppe offenbart: „Künstler, du bist Priester: Deine Kunst ist das große Mysterium, und wenn dein Bemühen zu einem Meisterwerk führt, so steigt ein Strahl des Göttlichen wie auf einen Altar herab. O wahrhafte Gegenwart der Gottheit, die du uns entgegenleuchtest aus den erhabenen Namen: Vinci, Michelangelo, Beethoven, Wagner […] Brüder in der Kunst, ich lasse den Kriegsruf 93

erschallen, bilden wir eine heilige Schar zur Rettung der Identität.“

Der Kunst wird hier ein regelrechter Offenbarungscharakter zugeschrieben – im ästhetischen Genuss soll sie zugleich spirituelle Einsicht in höhere Wahrheiten ver-

90 Vgl. Kat. Hamburg 1997, S. 62, Nr. 27. 91 Vgl. Lacambre, Geneviève: „Die Illustrationen“. In: Kat. Darmstadt 1980, S. 45–50, hier S. 46. In der verrätselten Symbolik des Werks mag dabei auch Muchas Selbstverständnis bezüglich seiner nationalen wie kulturellen Identität als slawischer Künstler zum Ausdruck kommen. In einer unveröffentlichten Monografie erläutert dies der mit Mucha befreundete Jindřich Čadík wie folgt: „Der slawischen bildenden Kunst ist ein einheitlicher Wille zum symbolischen Ausdruck gemeinsam“, denn „die Neigung zu Symbolen haben alle Slawen geerbt, und auch wir zählen zu diesen glücklichen Erben. Deshalb bleibt diese Sprache der Symbole das sicherste Mittel, den slawischen Brüdern unsere Gefühle zu vermitteln, und deshalb liegt auch in dieser Richtung der Weg der Entwicklung der slawischen Kunst.“ –Zitiert nach: Brabcová 1980b, S. 70. 92 Maßgeblich am Wiederaufleben der Rosenkreuzer beteiligt war neben Péladan auch der Marquis Stanislas de Guaïta. Nachdem es zwischen beiden zum Zerwürfnis kam, gründete Péladan 1891 seine eigene Rosenkreuzer-Sekte. Vgl. hierzu Arwas, Victor: „Le Style Mucha and Symbolism“. In: ders. u. a. 1998, S. 62–67, hier S. 62f. 93 Zitiert nach: Bode 1981, S. 53.

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mitteln. Entsprechend erklärte auch Mucha, das hehre Ziel des Künstlers bestehe darin, „die Mittel zu finden, durch die die göttliche Natur zur [menschlichen] Seele zu sprechen vermag“94. Transportiert wurde dieser spirituelle Gehalt aus Sicht Muchas dabei vor allem durch die ästhetischen Qualitäten der Kunst: „Das Ziel der Kunst ist es, die Schönheit zu preisen. Und was ist Schönheit? Schönheit ist die Projektion moralischer Harmonien auf materieller und physischer Ebene. Auf moralischer Ebene wirkt die Schönheit auf die Entwicklung des Geistes, und auf materieller Ebene auf die Verfeinerung der Sinne, durch deren Vermittlung sie die Seele erreicht.”95

Muchas spirituell überhöhter Schönheitsbegriff fußt dabei auf einer jahrhundertealten geistesgeschichtlichen Tradition: Bereits zur Zeit der Renaissance hatten die Anhänger des Neoplatonismus das Schöne und Gute als kongruent aufgefasst – Mucha dürfte diese Philosophie wohl durch die Lehren der Freimaurer vermittelt worden sein, deren Bund er ab 1898 auch selbst angehörte.96 Schönheit sei der „Widerschein einer höheren Vollkommenheit“97, so die Neuplatoniker; ihr hafte grundsätzlich ein übernatürliches Moment an, da sie aus der weitgehenden Übereinstimmung zwischen der äußeren Gestalt und der zugrunde liegenden transzendenten Idee resultiere. In der Erkenntnis von Schönheit liege somit ein Weg zur Kontemplation des Göttlichen.98 Schönheit wird damit zu einem abstrakten, spirituell verklärten Prinzip, das vom Menschen jedoch nur in der Vermittlung eines materiellen Mediums wahrgenommen werden kann. Im Oeuvre Alfons Muchas kommt diese Funktion primär der weiblichen Figur zu. In der Gestalt der idealisierten Frau spiegelt sich sowohl die Schönheit der Kunst als auch eine transzendente ‚himmlische‘ Schönheit. Entspre-

94 „…to find the means by which divine nature may speak to the soul“ – Mucha, Alfons: Lectures on Art, London/New York 1975, S. 9. 95 „The aim of art is to glorify beauty. And what is beauty? Beauty is the projection of moral harmonies on material and physical planes. On the moral plane, beauty addresses itself to the evolution of the spirit, and on the material plane, it addresses itself to the refinement of the senses through which medium it reaches the soul.“ – Mucha 1975, S. 9. 96 Als Mitglied der Freimaurer zeigte Alfons Mucha bemerkenswertes Engagement. So gründete er 1919 die erste Freimaurer-Loge Tschechiens und wurde schließlich zum Großmeister des Ordens in der Tschechoslowakischen Republik. Vgl. BrabcováOrlíková, Jana: „Mucha: Bohemia and Paris“. In: Arwas u. a. 1998, S. 16–29, hier S. 21. 97 Srp 1989, S. 14. 98 Vgl. Beardsley, Monroe C.: Aesthetics from Classical Greece to the Present. A Short History, 11. Auflage [Nachdruck der ersten Auflage 1966], Tuscaloosa/London 1998, S. 118f.

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chend charakterisiert auch der Sohn des Künstlers, Jiří Mucha, das Frauenbild seines Vaters: „Eine Frau war für ihn nicht ein Körper, sondern Schönheit, die in Materie eingegangen war und durch die Materie handelte. Deshalb sind all seine weiblichen Figuren, wie solide sie auch scheinen mögen, nicht wirklich von dieser Welt. Sie sind Symbole, unerreichbare Träume…“

99

Folgerichtig machte Mucha die zum Inbegriff der Schönheit verklärte Frau zur zentralen Protagonistin seiner Werbeplakate und dekorativen Wanddrucke, mit denen er eine möglichst breite Masse zu erreichen hoffte.100 Vergleichbare Ziele verfolgte auch der Ordre de la Rose + Croix, der seine Kunstauffassung durch zahlreiche Publikationen in der Presse, vor allem aber über die ab 1892 veranstalteten Salons publik machte. Erklärtes Ziel des Salon de la Rose + Croix war „der Ruin des Realismus und die Erschaffung einer Kunstströmung, die der göttlichen Schönheit und dem mystischen Ideal gewidmet ist“101, so Péladan. Angekündigt wurde diese Ausstellung durch ein Plakat des symbolistischen Künstlers Carlos Schwabe (Abb. 208); anhand dreier weiblicher Figuren zeigt er den Aufstieg der Menschheit zu höheren spirituellen Sphären. Ganz unten im Bild verkörpert ein Frauenakt inmitten eines dunklen Tümpels die unerleuchtete, noch gänzlich im Materiellen befangene Menschheit. Sehnsüchtig blickt diese Figur zu zwei weiteren Frauengestalten auf, die über ihr eine Treppe erklimmen. Überreich ist diese Treppe mit Passionsblumen, Lilien und Rosen bewachsen – sämtlich Pflanzen mit christlicher Symbolik. Die oberen Stufen verlieren sich in dichten Wolken. Erhellt wird die Szene von gleißendem Licht als Sinnbild der erhofften Erleuchtung, das aus einem Sternenfeld am oberen Bildrand auf die Figuren strahlt.

99

„A woman, for him, was not a body, but beauty incorporated in matter and acting through matter. That is why all his female figures, however solid, are not really of this world. They are symbols, unattainable dreams …“ – zitiert nach: Thompson 1971, S. 162.

100 Vgl. Mucha, Jiří: Alfons Mucha. Meister des Jugendstils, Prag 1965, S. 78. 101 „la ruine de réalisme et la création d’une école d’art vouée à la Beauté divine et à l’idéal mystique“ – zitiert nach: Hand, Marla H.: „Quelques thèmes symbolistes dans des œuvres de Carlos Schwabe conservées au Musée d’art et d’histoire de Genève“. In: Carlos Schwabe 1866–-1926, Ausst.Kat. Musée d’art et d’histoire Genève, Genf 1988, S. 39–44, hier S. 40.

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Abbildung 208: Carlos Schwabe Salon de la Rose + Croix 1892

Auf den unteren Stufen steht links im Bild eine grazile Frau im langen, schlichten Kleid, die eine Lilie als traditionelles Symbol der Reinheit und Unschuld in Händen hält. Eine zerbrochene Kette am Fuße der Treppe deutet an, dass sie sich bereits von den Fesseln der Materie befreit hat und nun höheren Sphären entgegenstrebt. Geleitet wird sie dabei von einer ihr in Kleidung, Frisur und Physiognomie gleichenden Figur in der rechten Bildhälfte, die jedoch ganz in Weiß wiedergegeben ist. Auf ihrer Handfläche ruht ein flammendes Herz – ein Symbol für Frömmigkeit und Spiritualität.102 Die zunehmende Vergeistigung der Figuren kommt auch in ihrer physischen Erscheinung zum Ausdruck: Während die untere der drei Frauengestalten tief verschattet, plastisch modelliert und in ihrer Körperform detailliert ausgearbeitet ist, erscheint die Mittlere stark stilisiert und bereits ätherischentrückt. Dem Betrachter hat sie den im Schatten liegenden Rücken zugewandt, während sie von vorn das himmlische Licht erhellt. Die zuoberst angeordnete Verkörperung des ‚flammenden Glaubens‘ schließlich wirkt gänzlich vergeistigt, es scheint, als löse sich ihre Gestalt im Licht auf.103 Unterstrichen wird Schwabes Bildkonzept vom Aufstieg der Menschheit auf formaler Ebene durch das auffällig lang gestreckte Hochformat des Plakats; die monochrom-blaue Farbgebung trägt zur irrealentrückten Anmutung der Szene bei. Umrahmt wird die zentrale Szene durch Or-

102 Vgl. Hand, Marla H.: „Caloz Schwabe’s Poster for the Salon de la Rose + Croix: A Herald of the Ideal in Art“. In: Art Journal. Published by the College Art Association of America, Bd. 44, Nr 1/Frühjahr 1984, S. 40-45; dies 1988, S. 40; Jumeau-Lafond, JeanDavid: Carlos Schwabe. Symboliste et visionnaire, Paris 1994, S. 18–20.; sowie PincusWitten, Robert: Occult Symbolism in France. Joséphin Peladan and the Salons de la Rose-Croix, [Diss.] New York/London 1976, S. 102f. 103 Vgl. Hand 1984, S. 40–45.

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namentborten, die – in Anspielung auf den Namen des Künstlerbundes – von Kreuzen durchdrungene Rosen zieren.104 „Das ist mehr als ein Plakat, das ist ein Manifest,“105 beschrieb der Kritiker Léon Bazalgette die programmatische Bildfindung Schwabes, die im Aufstieg zu himmlischen Sphären implizit auch die spirituelle Läuterung der Menschheit durch die Kunst thematisierte.106 Tatsächlich glaubte Schwabe – ähnlich wie auch Alfons Mucha – fest daran, dass Kunst ethische und spirituelle Werte vermitteln und so der moralischen Korrumpierung der Gesellschaft entgegenwirken könne. Sich selbst sah er als erleuchtetes Genie.107 Auf die spirituelle Dimension der Kunst spielt auch Aman-Jean mit seinem im Folgejahr entstandenen Plakat für den zweiten Salon de la Rose + Croix (Abb. 209) an: Zwei Arkadenbögen geben den Blick auf einen verdunkelten Himmel frei, an dem rechts oben ein strahlendes Kruzifix erscheint. Darunter schwebt eine ätherisch-verklärte Frauenfigur in der Luft. Eine Inschrift weist sie als Beatrix aus, die verstorbene Geliebte Dantes, die in der Göttlichen Komödie dem Dichter als spirituelle Führerin durch die höheren Sphären des Jenseits beisteht. Hier wird sie selbst von einem Engel geleitet, der nach links aus dem Bild strebt. Beatrix jedoch blickt zurück zum rechten Bildrand, mit gestrecktem Arm hält sie eine große Leier in der Hand. Dem Betrachter wird so suggeriert, hinter den Arkaden sei eine weitere Person verborgen: höchstwahrscheinlich Dante, dem Beatrix die Leier, Sinnbild seiner Dichtkunst, reicht – die dem Diesseits entrückte, zu himmlischen Sphären strebende Geliebte lässt dem Künstler die nötige spirituelle Inspiration für sein Schaffen zukommen.108 In allen genannten Arbeiten sind so die dargestellten Frauen nicht als konkrete, individuelle Personen, sondern vielmehr als Verkörperung und Medium geistiger Gehalte aufzufassen. Diese Verklärung der Frau zu einem weltfernen, spirituell überhöhten Idealbild der Kunst impliziert jedoch zugleich deren Verleugnung als ein reales, gleichwertiges Gegenüber des Mannes. Die idealen, entrückten Frauengestalten, die Künstler wie Mucha und Schwabe ins Bild setzten, lenken den Blick ab von der realen Unterdrückung der Frau im 19. Jahrhundert. Frauen wurden von männlicher Seite wahlweise „gering geschätzt oder vergöttert“109 – in ihren Rechten und Bedürfnissen ernst genommen wurden sie dagegen kaum. Folgerichtig erklärte Karl Scheffler in seiner Schrift Die Frau und die Kunst: „…immer ist die Frau dem

104 Vgl. Jumeau-Lafond 1994, S. 18–20. 105 „C’est plus qu’une affiche, c’est un manifeste.“ – zitiert nach: ebd., S. 19. 106 Vgl. ebd., S. 18–20. 107 Vgl. ebd. 108 Vgl. Pincus-Witten 1976, S. 150. 109 Scheffler 1908, S. 14.

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Mann Dienerin oder Heilige gewesen. Zuweilen beides zugleich. Niemals aber war sie ihm eine gleichberechtigte Kameradin.“110 Abbildung 209: Aman-Jean Salon de la Rose + Croix 1893

7.8 D IE F RAU

ALS

R EZIPIENTIN

DER

K UNST

Neben der Verbildlichung des künstlerischen Selbstverständnisses ist auch die Rezeption von Kunst ein zentrales Sujet im Kunsthandels- und Ausstellungsplakat des 19. Jahrhunderts; vor Augen geführt wird es wiederum primär anhand weiblicher Figuren. Dass die Plakatgestalter zeitgenössische Frauenfiguren – zumeist elegante Parisiennes – beim Besuch von Ausstellungen und der Kunstbetrachtung zeigten, mag dabei auch als Reaktion auf eine sich verändernde Rezeptionshaltung des Publikums zu werten sein: Mehr und mehr avancierten Kunstausstellungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu beliebten sozialen Treffpunkten. Innerhalb von 55 Tagen konnte so beispielsweise der Salon von 1884 über 200.000 Besucher verzeichnen – an die Stelle eines individuellen, kontemplativen Kunsterlebens trat das

110 Ebd., S. 15.

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gesellschaftliche Großereignis.111 Deutlich zu sehen ist dies beispielsweise in Jules Alexandre Grüns monumentalem Gemälde Ein Freitag im Salon des Artistes Français (Abb. 210), das weniger die ausgestellten Kunstwerke als vielmehr die eleganten Besucher der Ausstellung in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt.112 Abbildung 210: Jules Alexandre Grün Ein Freitag im Salon des Artistes Français um 1910

In einer ganzen Reihe von Karikaturen schildert Honoré Daumier die großen Kunstausstellungen seiner Zeit. Ziel seines Spotts sind dabei vor allem die Ausstellungsbesucher. Dicht an dicht drängen sich diese beispielsweise in Daumiers Karikatur zur Skulpturenausstellung von 1857 (Abb. 211) – jedoch nicht, um die gezeigten Kunstwerke zu betrachten, sondern um zwei lebende Enten zu beobachten, die im Bildvordergrund auf dem Wasser schwimmen. „Den größten Erfolg haben in diesem Jahr auf der Skulpturenausstellung die Enten!“113, erklärt folgerichtig die Bildunterschrift. Die Besucher werden so als Banausen entlarvt, die zwar zahlreich in die Ausstellung strömen, an der Kunst selbst dabei aber kaum Interesse hegen.

111 Vgl. Iskin 2007, S. 52. 112 Zu Grüns Gemälde vgl. Noël/Herbaut 2012, S. 87–99. 113 „Décidément, ce qui, cette année, obtient le plus de succès à l’exposition de sculpture…ce sont les canards!…“

276 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG

Abbildung 211: Honoré Daumier Den größten Erfolg haben in diesem Jahr auf der Skulpturenausstellung die Enten! 1857

Über die tatsächliche Motivation des Ausstellungspublikums gibt dagegen eine zeitgenössische Frauenzeitschrift Aufschluss: „Die Besuche von Kunstausstellungen sind die beliebtesten Spaziergänge und Treffpunkte der Mondänen und Eleganten, die dort ihre neuen Toiletten vorführen und ihren Ruf als modische Damen festigen.“

114

Entsprechend beschrieb auch Emile Zola die Besucher der Salonausstellungen: „Im Publikum die Damen der Gesellschaft. Man kommt, um gesehen zu werden. Die Frauen, alle Klassen. Die Toiletten, die Aufmerksamkeit erregen, denen man nacheifert. Die gesuchte Reklame für morgen.“

115

114 „Les visites à l’Exposition [sic] de peinture sont la promenade favorite et le lieu de rendez-vous des mondaines et des élégantes qui vont y produire leurs nouvelles toilettes et y consolider leur réputation de femmes à la mode.“ – de Montalchez, Marie: „Causerie“. In: Moniteur des dames et demoiselles, Bd. 1876/77, 15.6.1877, S. 243– 245, hier S. 244. 115 „Dans le public, les mondaines. On vient pour être vue. Les femmes, toutes les classes. Les toilettes qui font sensation, qu’on suit. La réclame recherchée pour le lendemain.“ –

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Abbildung 212: Fernand Fau Salon des Cent (avant la lettre) 1895

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Abbildung 213: Armand Rassenfosse Salon des Cent 1896

Ein deutlich positiveres Bild der Ausstellungsbesucher zeichnen die Plakatkünstler der damaligen Zeit: Zwar spielt auch Fernand Fau in seinem Plakat für den Salon des Cent (Abb. 212) auf die Tendenz des Ausstellungspublikums zur Selbstdarstellung an – in karikaturistischer Überzeichnung zeigt er eine äußerst extravagant gekleidete Besucherin. Zu einem Kleid mit blauweißem Blumenmuster trägt sie eine weiße Pelerine und eine stark gerüschte Halskrause, die farblich auf ihre langen gelben Handschuhe und den federgeschmückten Hut abgestimmt ist. Doch erscheint die Frau in völlig vereinzelter, konzentrierter Betrachtung der ausgestellten Bilder. Das Lorgnon, das sie zu Hilfe nimmt, unterstreicht noch einmal ihren genauen Blick, eine Broschüre, die vor ihr auf einer Brüstung ruht, mag ihr die nötigen Hintergrundinformationen zu den gezeigten Werken liefern. Mit denselben Hilfsmitteln ausgestattet sind auch die beiden Ausstellungsbesucherinnen in Armand Rassenfosses Plakat für den Salon des Cent von 1896 (Abb. 213). Während die linke mittels eines Lorgnons die an einer Wand im Hintergrund gezeigten Werke genauer in den

Zola, Emile: Carnets d’enquêtes. Une ethnographie inédite de la France; zitiert nach: Le Men, Ségolène: „La Femme française vivante/The Living Frenchwoman“. In: Kat. New Orleans 2007, S. 21–35, hier S. 22.

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Blick nimmt, liest ihre Begleiterin rechts in der Ausstellungsbroschüre. Beide Frauen tragen modische, elegante Kleidung; im Gegensatz zu Faus Figur wirkt ihre Garderobe jedoch ausgesprochen dezent. Der Fokus der Darstellung liegt somit klar auf der ernsthaften, fachkundigen Auseinandersetzung der Frauen mit der Kunst, die Rassenfosses Arbeit gleichsam wie einen Gegenentwurf zu den zeitgenössischen Beschreibungen von Ausstellungen als Orten bloßer Selbstinszenierung erscheinen lässt. Bereits im Plakat wird so dem Betrachter die angemessene Rezeptionshaltung beim Besuch der beworbenen Ausstellung vor Augen geführt. Dass die genannten Beispiele ein ausschließlich weibliches Ausstellungspublikum zeigen, mag dabei nicht nur der Werbewirkung weiblicher Attraktivität geschuldet sein, die sich vor allem französische Plakatkünstler mit Vorliebe zunutze machten. Vielmehr erkannte die künstlerische Avantgarde der Zeit zunehmend gebildete Frauen aus der gesellschaftlichen Oberschicht als potentiellen neuen Adressatenkreis für ihre Werke. 1877 wandte sich Georges Rivière so in der Zeitschrift L’Impressionniste bewusst an seine Zeitgenossinnen, um für die Belange der Impressionisten – insbesondere deren Förderung durch Porträtaufträge – zu werben. Er zeichnet ein bewusst schmeichelhaftes Bild der ebenso kunstverständigen wie jungen, attraktiven Ausstellungsbesucherin, die die Qualität impressionistischer Malerei zu schätzen weiß – ganz im Gegensatz zum männlichen Publikum, das sich zwar in Bezug auf die Politik fortschrittlich gebe, in der Kunst jedoch an einer antiquierten Formensprache festhalte.116 Folgerichtig zeigen auch die einschlägigen Plakate bevorzugt elegant gekleidete Bourgeoises, die als versierte Kunstkennerinnen auftreten. Für eine Ausstellung der Peintres Lithographes (Abb. 214) beispielsweise wirbt Fernand Gottlob mit dem Bild einer Dame im modischen Kostüm samt federgeschmückten Hut; in einem nicht näher bestimmten Innenraum hebt sie sich als dunkle Silhouette vor einem großen Fenster ab. Die Dargestellte hat neben einem Grafikständer Platz genommen und betrachtet eine Landschaftsdarstellung, die sie augenscheinlich gerade aus dem Ständer entnommen hat. Eine vergleichbare Szene zeigt auch Hugo d’Alesi in seinem Plakat für die Ausstellung Centenaire de la Lithographie (Abb. 215), die anlässlich der Weltausstellung von 1900 die künstlerische Entwicklung der Druckgrafik beleuchten sollte.117 Zu sehen ist ein Verkaufsstand mit Grafiken am Pariser Seineufer, an den eine Dame in Kostüm und Hut herangetreten ist. Selbstsicher und unabhängig scheint sie

116 Vgl. Rivière, Georges: „Aux Femmes“. In: L’Impressionniste, Nr.3/ 21.4.1877, S. 2; neu abgedruckt in: Venturi, Lionello: Les Archives de l’Impressionnisme. Lettres de Renoir, Monet, Pissarro, Sisley et autres. Mémoires de Paul Durand-Ruel. Documents, Paris/New York 1939, Bd. 2, S. 322. Vgl. hierzu auch Iskin 2007, S. 21–23. 117 Zur Ausstellung selbst vgl. Zmelty 2014, S. 182f.

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sich ohne männliche Begleitung in der städtischen Öffentlichkeit zu bewegen. In der Hand hält die Frau die Darstellung eines uniformierten Militärs. Motiv und Signatur weisen die Grafik als Arbeit Nicolas Toussaint Charlets aus, der die Entwicklung der französischen Lithografie zu Beginn des 19. Jahrhunderts entscheidend geprägt hatte. Direkt daneben ist ein Plakat Jules Chérets zu sehen – mit seiner innovativen Gestaltung gab er der Druckgrafik in der zweiten Jahrhunderthälfte neue Impulse. Pointiert fasst diese Gegenüberstellung zweier für die Lithografie wegweisender Künstler das Thema der beworbenen Ausstellung zusammen, deren Titel als Beschriftung auf einer Grafikmappe ins Bild integriert ist.118 Abbildung 214: Fernand Gottlob Peintres Lithographes 1898

Abbildung 215: Hugo d’Alesi Centenaire de la Lithographie 1895

Während die Arbeiten Charlets und Chérets en detail wiedergegeben werden, sind die Gesichtszüge der dargestellten Dame kaum auszumachen: Dem Betrachter hat sie den Rücken zugewandt, ihr Gesicht liegt im Schatten und wird noch zusätzlich durch ihren Hut verdeckt. Wie Gottlobs zu einer dunklen Silhouette reduzierte Figur bleibt somit auch hier die Dargestellte anonym. Beide Frauen fungieren als

118 Vgl. Lavallé 1981, S. 15–17; Le Men, Ségolène/Bargiel, Réjane: „L’Art de Jules Chéret. Côté rue et côté salon“. In: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 11–33, hier S. 20; sowie Sponsel 1897, S. 43–45.

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Identifikationsfiguren für die Betrachterinnen des Plakats, die sich nicht nur in der modisch-eleganten Aufmachung der ‚Werbedamen‘, sondern auch in deren verständigem Umgang mit der Kunst wieder finden sollen. Bezeichnenderweise wird dabei jedoch nicht die kontemplative Kunstbetrachtung im Rahmen einer Ausstellung ins Bild gesetzt, was ja durchaus dem Werbeinhalt entspräche, sondern vielmehr der Umgang mit Kunst als einer käuflichen Ware – eine Motivwahl, in der sich die zunehmende Kommerzialisierung der Kunstwelt spiegelt: Nachdem mit dem Zusammenbruch des Feudalsystems das traditionelle Mäzenatentum an Bedeutung verloren hatte, mussten sich Künstler verstärkt auf dem freien Markt behaupten. Durch Ausstellungen ließ sich öffentliche Aufmerksamkeit für die zum Verkauf stehenden Werke generieren; auch scheute man sich nicht mehr, Kunst in einem kommerziellen Umfeld zu zeigen. So stellte beispielsweise Édouard Manet sein Gemälde Nana (Abb. 48, S. 78) kurzerhand im Schaufenster der Kunsthandlung Girouc & Cie aus, nachdem es 1877 vom Salon zurückgewiesen worden war.119 Die Plakate, die für den Kunsthandel selbst werben, zeigen wiederum bevorzugt eine weibliche Kundschaft. So blättert etwa auf einem Plakat P. H. Lobels eine schicke, selbstbewusste Parisienne bei Pierrefort (Abb. 216), dem größten Plakathändler der französischen Hauptstadt, in den zum Verkauf stehenden Blättern. Die potentiellen Kundinnen begnügen sich dabei nicht mehr mit einer kontemplativen Kunstbetrachtung, sondern inspizieren die dargebotenen Werke genau, wie Georges de Feure in seinem Plakat für das Brüsseler Kunsthandelsblatt Le Journal des Ventes (Abb. 217) deutlich macht: Im Profil ist die Büste einer überaus exquisit gekleideten Dame zu sehen; eingehend begutachtet sie eine Vase, die mit der Darstellung eines Ritters verziert ist. Ihr verständiger Umgang mit dem Stück lässt auf Kunstsinn und Bildung schließen. Gleichzeitig spiegelt die Selbstverständlichkeit, mit der sie die Vase befühlt und betrachtet, ganz allgemein ein neues Verhältnis des Kunden zur Ware, das im Entstehen der ersten großen Kaufhäuser um die Jahrhundertmitte begründet lag: Güter wurden hier nicht mehr in nüchterner Geschäftatmosphäre zum Kauf angeboten, sondern in verschwenderischer Fülle präsentiert und häufig regelrecht inszeniert, um das Verlangen der Kundschaft zu wecken. Diese wiederum konnte nun die dargebotene Ware ohne Kaufzwang rein zum Vergnügen in Augenschein nehmen, sodass der Einkauf von einer bloßen Notwendigkeit zum Erlebnis avancierte.120

119 Vgl. Iskin 2007, S. 38–40; sowie allgem. zur wachsenden Bedeutung des Kunstmarkts Zmelty, Nicholas-Henri: „L’Affiche illustrée, miroir de la modernité esthétique et culturelle en france à la fin du XIXe siècle“. In: Kat. Straßburg 2007, S. 23–31, hier S. 23. 120 Vgl. Iskin 2007, S. 40.

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Abbildung 216: P. H. Lobel Chez Pierrefort 1897

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Abbildung 217: Georges de Feure Le Journal des Ventes 1898

Das Ergebnis des Einkaufs zeigt Roedel in einem Plakat, das für eine Kunstauktion des Pariser Hôtel Drouot werben sollte (Abb. 218): Eine ganz in rot gekleidete, elegante Bourgeoise geht, ein Gemälde unter jeden Arm geklemmt, durch die Straßen Montmartres, dessen Bauten sich hinter ihr abzeichnen. Augenscheinlich transportiert sie die gerade erworbenen Werke nach Hause; ihre Mimik verrät die zufriedene Käuferin. Da sich das Hôtel Drouot jedoch für die Plakatierung rein schriftlicher Anschläge entschied, übernahm das café-concert Moulin de la Galette Roedels Entwurf mit veränderter Beschriftung – ist im Hintergrund doch die Mühle zu sehen, in der das fragliche Etablissement untergebracht war.121 Die besprochenen Plakate scheinen somit den weiblichen Kunstverstand besonders zu unterstreichen. Doch wird auch hier die Frau letzten Endes wieder auf ihre tradierte gesellschaftliche Rolle als Konsumentin zurückgeworfen; die Produktion von Kunst dagegen sollte allein dem – schöpferisch vermeintlich überlegenen – Mann vorbehalten bleiben.

121 Vgl. Abdy 1969, S. 110–114; sowie Woestyn 1900, S. 129f.

282 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG

Abbildung 218: Roedel Moulin de la Galette 1896

8. Das Plakat im Kontext der ‚sozialen Frage‘

Die zunehmende Industrialisierung führte im 19. Jahrhundert zu einem raschen Anwachsen der Städte; eine urbane Massengesellschaft entstand, geprägt von gravierender sozialer Ungleichheit: Während insbesondere das aufstrebende Bürgertum vom kapitalistischen Wirtschaftssystem profitierte, an Vermögen und gesellschaftlichem Einfluss gewann, verarmten große Teile der Arbeiterschaft, es kam zur Verelendung ganzer Stadtteile.1 Die französische Regierung zeigte sich unfähig, die so genannte ‚soziale Frage‘ zu lösen – sprich, der sozialen Ungerechtigkeit und den durch die Missstände bedingten Aufständen und Unruhen entgegenzuwirken. Wie die Plakatkunst als „ästhetisches Mittel im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf“ und „Kommunikationsmittel urbaner Öffentlichkeit“2 auf die sozialen Spannungen und Probleme der Zeit reagierte und welche Rolle die Darstellung der Frau dabei spielte, soll im folgenden Kapitel untersucht werden.

8.1 P LAKATE ALS M ITTEL ZUR D EMOKRATISIERUNG DER K UNST Das Gros der Künstler und Intellektuellen des 19. Jahrhundert sah im Werbeplakat nicht primär ein Werkzeug des kapitalistischen Marktes, um die Nachfrage nach bestimmten Waren zu steigern oder ein Bedürfnis nach neuen Produkten überhaupt erst zu generieren. Vielmehr betonte man die soziale Verantwortung des Mediums:3 Als vollwertige Kunstwerke aufgefasst, standen Plakate für die Einebnung von Hoch- und Gebrauchskunst, wie sie vor allem die Künstler des Art Nouveau propa-

1

Vgl. Buschhoff 2001, S. 14–17; sowie Fuchs, Eduard: Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Bd. 3: Das bürgerliche Zeitalter, München 1912, S. 79.

2

Metz 1995, S. 11.

3

Vgl. Henatsch 1994, S. 28.

284 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG

gierten. Ziel war die „Erhöhung der ästhetischen Lebensqualität“4, auch über Standesunterschiede und Klassenschranken hinweg.5 Entsprechend erklärten Roger Marx, Frantz Jourdain und Jean Lahor 1901 in ihrem Manifest für den Art Nouveau: „…denn wir wollen […] daß Kunst zu allen kommt, wie Luft und Licht. Und wir wollen, daß sie überall, wo im Haus des Handwerks wie in unserem eigenen, in der Schule wie in der Universität gegenwärtig sei […] Die Notwendigkeit einer dekorativen Kunst ergibt sich für uns um so zwingender, als wir seit dem Ende des feudalistischen Zeitalters mit seinem Stolz auf Glanz und Prachtentfaltung ins Zeitalter der Demokratie eingetreten sind, das heißt der 6

Massen, nicht der Elite.“

Das Plakat, so Marx an anderer Stelle, habe dabei maßgeblich zum Wiederaufleben der postulierten dekorativen Kunst beigetragen.7 Als frühes Massenmedium erschien das Werbeplakat zudem besonders geeignet, Kunst jenseits aller sozialen Schranken einer breiten Öffentlichkeit vertraut zu machen und direkt in das Alltagsumfeld der städtischen Massengesellschaft zu tragen. Anlässlich einer Plakatkunst-Ausstellung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe propagierte so 1896 Maria Brinckmann das Werbeplakat als Mittel zur Demokratisierung der Kunst: „Jedem soll die Kunst zugängig sein, Jedem [sic] soll sie Erhebung und Freude gewähren; nicht nur denjenigen, die ihre Werke kaufen können oder Zeit haben, sie in den Gallerien [sic] aufzusuchen. Um diesen Zweck zu erfüllen, muss die Kunst auf die Strasse [sic] gehen und wie von ungefähr den Arbeitsweg der vielen Tausende kreuzen, welche ihr nicht Zeit noch Geld schenken können.“8

Zugleich wurde die Straße als öffentlicher (Lebens-)Raum entdeckt und aufgewertet, sodass Walter Benjamin in seinem Passagenwerk feststellen konnte: „Straßen sind die Wohnungen des Kollektivs. Das Kollektivum ist ein ewig waches, ewig bewegtes Wesen, das zwischen Häuserwänden soviel erlebt, erfährt, erkennt und ersinnt wie

4 5

Winter 1995, S. 68. Vgl. Wittlich, Petr: Zeichnungen aus der Epoche des Jugendstils, Hanau a. M. 1974, S. 12.

6

Zitiert nach: Bode 1981, S. 185.

7

Marx, Roger : „L’Affiche et les arts du décor“. In: L’Estampe et l’affiche, Bd. 1/1. Jahrgang, 1897, Nr. 9/ Nov. 1897, S. 222f.

8

Maria Brinckmann: „Nachwort“, in: Plakatausstellung, Ausst.Kat., Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Hamburg 1896, S. 85–93, hier S. 92.

D AS P LAKAT

IM

KONTEXT

DER , SOZIALEN

FRAGE ‘

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Individuen im Schutze ihrer vier Wände. Diesem Kollektivum sind die glänzenden emaillierten Firmenschilder so gut und besser ein Wandschmuck wie im Salon dem Bürger ein Ölgemälde…“

9

In der Folge wurden die über und über mit Plakaten beklebten Häuserwände, Bauzäune und Litfaßsäulen10 der modernen Großstädte stilisiert zur „Galerie der Straße“11 oder auch zum „Salon der Armen“ – in diesem galt freilich nicht das elitäre Kunstverständnis der académie, sondern das Urteil der breiten Masse.12 Auch sah man in der Plakatwerbung eine moderne Fortführung der Wandmalerei: „…in der Öffentlichkeit und im Heim hat [das Plakat] die Malereien ersetzt, die von jeher auf den Schwellen der Paläste, in den Gewölben der Klöster und Kirchen zu sehen waren; es ist das bewegliche, vergängliche Gemälde, das eine Epoche fordert, die von der Tendenz zur Allgemeinverständlichkeit erfasst und voll von Wandel ist. Seine Kunst steht dem Fresko we13

der in Bedeutung noch in Prestige nach…“ ,

erklärte etwa Roger Marx, und auch Kritiker wie Gustave Kahn und Jean Lorrain beschrieben das Plakat als „leichtes“14 oder „modernes Fresko“15. Während die offi-

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Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften. Unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Schober, Bd. V, II: Das Passagenwerk, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schneppenhäuser, 3. Auflage, Frankfurt a. M. 1989, S. 1051. Vgl. hierzu auch Henatsch 1994, S. 231.

10 Ihren Ausgang genommen hatten diese Plakatsäulen in den 1820er Jahren in Großbritannien, doch erst Mitte des 19. Jahrhunderts fanden sie, ausgehend von Berlin und benannt nach dem Verleger Ernst Litfaß, konsequente Verwendung in den Großstädten Europas. Vgl. Henatsch 1994, S. 230f. 11 Kat. Darmstadt 1998, S. 13. 12 Vgl. Bois, Jules: „Le Salon du pauvre“. In: Le Courrier Français. Illustré paraissant tous les samedis. Littérature – Beaux-arts – Théâtres – Médicine – Finance, 7. Jahrgang, 1890, Nr. 46/16.11.1890, S. 2–4.; sowie Zmelty 2014, S. 209–218. 13 „…elle a remplacé, au dehors et au foyer, les peintures jadis visibles au seuil des palais, sous les voûtes des cloîtres et des églises; elle est le tableau mobile, éphémère, que réclamait une époque éprise de vulgarisation et avide de changement. Son art n’a ni moins de signification ni moins de prestige que l’art de la fresque…“ – Marx 1897, S. 223. Vgl. hierzu auch Bois 1890, S. 2–4. 14 „…une affiche de Chéret, c’est une fresque légère.“ – Kahn, Gustave: „Jules Chéret“. In: Art et Décoration, Bd. 12/Juli–Dez. 1902, S. 177–192, hier S. 181. 15 „l’affiche, cette moderne fresque“ – Lorrain, Jean: „Chéret“. In: Le Courrier Français, Nr. 6/9.2.1890, S. 5f., hier S. 6.

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ziellen Wandgemälde im Auftrag der herrschenden Elite entstanden und mit teils überaus komplexen Bildprogrammen vor allem repräsentativen Zwecken dienten, verherrlichten die „Fresken des Trottoirs“16 Konsumgüter und Freizeitvergnügungen. Dass die Plakatkünstler ihre profanen Werbebotschaften hierbei auch in Darstellungsformen der ‚Hochkunst‘ kleideten, die zuvor hehren Inhalten vorbehalten waren (wie etwa die Allegorie), wertete man nicht als Banalisierung, sondern vielmehr als einen Aspekt der Demokratisierung. Dem kommerziellen Zweck der Arbeiten wurde dagegen praktisch keinerlei Bedeutung zugemessen. So erklärte etwa Charles Hiatt: „Tatsächlich entspricht das Plakat einem Fresko, das für die Außendekoration gemalt wurde. […] dass es die Vorzüge eines Produkts unterstreicht anstatt historische Ereignisse oder Legenden zu illustrieren, oder ein religiöses, ethisches oder emotionales Konzept zu verbildlichen, ist nicht von Belang.“

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Über die zu transportierenden Inhalte wie auch die angemessene Gestaltung der Plakate herrschte allerdings nicht immer Einvernehmen. So ließ 1896 die Union pour l’action morale einen Bildzyklus plakatieren, in dem der renommierte Salonkünstler Puvis de Chavannes die Jugend der Heiligen Genoveva, der Stadtpatronin von Paris, wiedergab.18 Die Aktion, die keinen konkreten Werbezweck verfolgte, war gemeint als „ein Protest gegen die Frivolität und den Zynismus des modernen Pariser Plakats“19, wie es in einer zeitgenössischen Rezension heißt. Als „künstlerische und ethische Antithese“ zu den sinnenfrohen, aufreizenden Plakatmotiven eines Chéret oder Grün sollten Puvis’ Darstellungen „den Geschmack und die Moral der Bevölkerung beeinflussen“20. Tatsächlich war die ästhetische Erziehung der Massen, ihre Bildung in Geschmacksfragen das erklärte Ziel vieler Plakatkünstler. „Das Plakat in seiner neuen Form ist vielleicht der mächtigste Agent in der Erzie-

16 Döring 1997, S. 24. 17 „As a matter of fact the poster is analogous to a frescoe [sic] painted for external decoration. […] the fact that it calls attention to the merits of an article, instead of illustrating history or legend, or symbolizing [sic] a religious, ethical, or emotional idea, is not of vital importance.“ – Hiatt, Charles: „The Posters at the Advertisers’ Exhibition“. In: The Poster, Bd. 4, Nr. 23/Juni 1900, S. 143–151, hier S. 143 18 Vgl. Harms-Lückerath 1998, S. 13; Hofmann 1985, S. 17; sowie Thon 1977, S. XXXf. 19 „a protest against the frivolity and cynism of the modern Parisian poster“ – Hiatt, Charles: „Les Maîtres de l’affiche. – A Review“. In: The Poster, Bd. 1, Nr. 2/Juli 1898, S. 78f. 20 Thon 1977, S. XXXI. Vgl. hierzu auch de Crauzat, Ernest: „Les Affiches illustrées en 1896“. In: L’Estampe et l’affiche, Bd. 1, Nr. 1/1897, S. 13–20, hier S. 19f.

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hung des Volkes zum Kunstempfinden und zum Kunstbedürfnis“21, schrieb folgerichtig Jean-Louis Sponsel, und auch Roger Marx erklärte: „Verstanden von allen Altersklassen, geliebt vom Volke, wendet sich das Plakat an die Seele aller: Es ist gekommen, neue Ansprüche und die Liebe zur Schönheit zu befriedigen, die die Geschmackserziehung ohne Unterlass fordert und entwickelt…“

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Indem man den Kunstsinn der Menschen schulte, so die damalige Überzeugung, hob man zugleich ihre Moral.23 So sah beispielsweise Alfons Mucha, der sich selbst als „Bildermacher für das einfache Volk“24 verstand, in der Kunst Nahrung für hungernde Seelen, die allzu leicht verdorben werden könnten. Hebe der Künstler jedoch den Sinn der Menschen, indem er sie die Liebe zur Schönheit lehre, so Mucha, mache er sich um die gesamte Menschheit verdient.25 So idealistisch dieser Ansatz auch anmutet, wohnt ihm doch eine gewisse soziale Überheblichkeit inne: Aus der vermeintlichen moralischen Minderwertigkeit der Unterschicht leitete man das Recht zu deren ‚sittlicher Erziehung‘ ab,26 wie auch die Aktivitäten der Union pour l’action morale deutlich vor Augen führen. Obschon deren Plakataktion zur Hebung der Moral im Ansatz von den Zeitgenossen vorbehaltlos begrüßt wurde, erntete die Umsetzung harsche Kritik: Die Plakate seien in zu geringer Auflage gedruckt und einzig in den besseren Vierteln der Stadt angeschlagen worden, bemängelte etwa Ernest de Crauzat. Die gesellschaftliche Unterschicht, die nach damaligem Dafürhalten der ästhetischen und moralischen Erziehung durch Puvis’ Bilder am meisten bedurft hätte, war folglich mit der Aktion gar nicht erreicht worden.27 Mehr noch, die fraglichen Arbeiten seien generell ungeeignet für die Plakatierung, wie Charles Hiatt erklärte: Zwar genössen Puvis de Chavannes Werke ihr hohes Ansehen durchaus zu Recht, doch seien sie „Or-

21 Sponsel 1897, S. V. 22 „Comprise par tous les âges, aimée du peuple, l’affiche s’adresse à l’âme universelle: elle est venue satisfaire des aspirations nouvelles et cet amour de la beauté que l’éducation du goût répand et développe sans arrêt “ – Marx 1897, S. 223. 23 Vgl. Döring 1994, S. 6 und S. 54; sowie Kat. Darmstadt 1998, S. 16. 24 Zitiert nach: Kukla, Otokar A.: „Anmerkungen zur Ikonografie des slawischen Epos von Alfons Mucha.“ In: Alfons Mucha. Meditation und Botschaft, Ausst.Kat. Museum Fridericianum Kassel, Kassel 1989, S. 28–39, hier S. 30. 25 Vgl. Brabcová-Orlíková 1998, S. 20. Zum Sendungsbewusstsein Alfons Muchas siehe auch Kukla 1989, S. 30; Lipp, Ronald F./Jackson, Suzanne: „The Spirit of Mucha“. In: Arwas u. a. 1998, S. 12–15, hier S. 15; sowie Mellinghoff 1994, S. 142. 26 Vgl. Fuchs 1912, S. 106–115. 27 Vgl. de Crauzat 1897a, S. 19f. Siehe hierzu auch Sponsel 1897, S. 104f.

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namente, die besser zur Stille eines Klosters passen als zum fiebrigen, sich zur Schau stellenden Wirbel der Boulevards.“28 Abbildung 219: Théophile-Alexandre Steinlen Die Straße 1896

Als Gegenbild zu Puvis de Chavannes der Realität entrückten Szenen entwarf Théophile-Alexandre Steinlen im Auftrag der Druckerei Charles Verneau ein überdimensionales Plakat mit dem Titel Die Straße (Abb. 219). Als „Spiegelbild der Gesellschaft“29 setzte der Künstler eine belebte Menschenmenge ins Bild, die die Lebenswirklichkeit der Großstadt vor Augen führen sollte. Im öffentlichen Raum der titelgebenden Straße treffen Angehörige verschiedener sozialer Schichten aufeinander. Entsprechend der allgemeinen motivischen Vorlieben der Plakatkunst sind die Dargestellten jedoch auch hier überwiegend weiblich, jung und attraktiv. Ganz links hält eine junge Frau, vermutlich ein Kindermädchen, einen Säugling mit gerüschtem Häubchen auf dem Arm. Daneben ist eine Wäscherin zu sehen; einen großen Korb mit Wäsche über dem Arm, eilt sie mit vehementem Schritt vorwärts. Dahinter werden zwei verhärmte Gestalten sichtbar, deren Schiebermützen sie als einfache Arbeiter ausweisen. In der Bildmitte hat ein Kindermädchen ihren

28 „They are ornaments more suited to the quietude of the cloister than to the feverish flaunting whirl of the boulevards.“ – Hiatt 1898, S. 78f. 29 Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 14.

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Schützling am Handgelenk gefasst; das kleine Mädchen, für das Steinlens Tochter Colette Modell stand, hält Stock und Reifen in der Hand – typische Spielgeräte der damaligen Zeit. Rechts im Bild zeigt Steinlen überwiegend Vertreter der Bourgeoisie, darunter zwei elegant gekleidete Damen, ein junges Mädchen, das eine große Schachtel mit Einkäufen trägt, sowie zwei Herren im Anzug.30 Der Künstler führt so das bunte Gedränge der Bevölkerung in der modernen Großstadt vor Augen, ohne eine bestimmte Handlung zu fokussieren. Die urbane Massengesellschaft wird dabei als sozialer Schmelztiegel charakterisiert, in dem Menschen verschiedenster Schichten aufeinander treffen. Nichtsdestotrotz ist die soziale Zugehörigkeit der Dargestellten dank ihrer Kleidung und Haltung klar auszumachen – Steinlen zeigt sie als standardisierte Typen.31 Der Künstler greift damit eine in der Literatur und bildenden Kunst Frankreichs verbreitete Praxis auf: Schon im 17. Jahrhundert hatten sich bestimmte Schemata herausgebildet, wonach soziale Gruppen charakterisiert wurden durch vermeintlich allgemeingültige äußere Merkmale wie eine bestimmte Physis, Kleidung oder berufliche Attribute. Noch verstärkt wurde diese Tendenz in den folgenden Jahrzehnten durch den Siegeszug der modernen Wissenschaft – deren grundlegende Verfahren der Kategorisierung versuchte man auch auf die Gesellschaft zu übertragen. Eine regelrechte Blüte erlebte die Praxis der Typisierung im 19. Jahrhundert, als das rasche Anwachsen der städtischen Bevölkerung und die Verwischung von Standesgrenzen die eindeutige Zuordnung von Fremden zu bestimmten sozialen Schichten zunehmend erschwerten. Der hieraus resultierenden gesellschaftlichen Verunsicherung begegneten nun auch Medien wie Presse und Fotografie mit einer vermehrten Verwendung standardisierter Typen. Publikationen wie der 1889 erschienene Band Les Types à Paris – mit Texten naturalistischer Schriftsteller wie Guy de Maupassant und Octave Mirabeau und Zeichnungen von Jean-François Raffaëli – festigten die verbreiteten stereotypen Vorstellungen noch.32 Besonders beliebt war die typisierende Darstellung auch bei Künstlern, die sich – wie Steinlen – mit der sozialen Ungerechtigkeit der damaligen Gesellschaft auseinandersetzten. Angesichts der wiederkehrenden sozialen Unruhen und Aufstände, mit denen die Arbeiterschaft auf ihre massenhafte Verarmung und Verelendung reagierte, war das typisierte Bild des Proletariers für die höheren Gesellschaftsschichten dabei durchaus angstbesetzt.33

30 Vgl. Döring 1994, S. 26f. 31 Vgl. Döring 2002, S. 74f.; sowie Thomson 2005a, S. 11–13. 32 Vgl. Thomson 2005a, S. 11–13. 33 Vgl. ebd.

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Steinlens Straße dagegen zeigt ein friedliches Miteinander der verschiedenen Schichten, wobei die Gegenüberstellung von verhärmten Arbeitern und bourgeoises in opulenter Garderobe die soziale Ungleichheit nur versteckt anklingen lässt. Abbildung 220: Théophile-Alexandre Steinlen Der Boulevard 1904

Deutlicher tritt dieses Moment in einem ergänzenden Entwurf zutage, der jedoch nicht als Plakat ausgeführt wurde: Unter dem Titel Der Boulevard (Abb. 220) zeigt Steinlen vor allem Angehörige der oberen gesellschaftlichen Kreise.34 Elegant gekleidete Damen, Herren und junge Mädchen drängen sich dicht an dicht, während im Hintergrund zwei Kutschpferde durchs Bild preschen. In Gestalt eines vorwärts stürmenden Zeitungsjungen links und eines ärmlichen Blumenmädchens rechts dringt die Unterschicht in die Szene ein. Besonders prekär erscheint die Gegenüberstellung von Arm und Reich, da Steinlen gerade Kinder zeigt, die durch ihre Armut zur Arbeit gezwungen werden. Von den dargestellten Bürgern, die mit luxuriösen Roben ihren Status zur Schau tragen, erhalten sie jedoch keinerlei Beachtung. Ob es gerade diese explizit sozialkritische Komponente der Darstellung war, die letzten Endes die Umsetzung als Plakat verhinderte, bleibt unklar. Doch erscheint es bezeichnend, dass in der plakatierten Arbeit Die Straße ein deutlich harmonischeres –

34 Vgl. Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 99, Nr. 78; sowie Döring 1994, S. 26f.

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und damit werbewirksameres Bild – vom sozialen Schmelztiegel der Großstadt gezeichnet wird. Äußerst positiv wurde Steinlens Arbeit von der Kritik aufgenommen: Als „ein aus dem Leben gegriffenes Bild von durchdringendem Realismus“35 lobte Ernest de Crauzat Die Straße. Indem er auf jegliche Verschlüsselung der Bildsprache – etwa durch die Allegorie als tradiertem Stilmittel der elitären ‚Hochkunst‘ – verzichtet, schafft der Künstler eine lebendige, lebensnahe Darstellung, die auch der breiten Masse der Bevölkerung leicht verständlich ist und durch ihre typisierten Figuren Identifikationspotential für Angehörige aller Gesellschaftsschichten bietet.36 Abbildung 221: Clémentine-Hélène Dufau La Fronde 1898

Mit einer ähnlichen Bildstrategie arbeitet auch Clémentine-Hélène Dufau, eine der wenigen Plakatkünstlerinnen, in einem Plakat für die Zeitschrift La Fronde (Abb. 221). Das Ende 1897 von Marguerite Durand gegründete Blatt beschäftigte ausschließlich Frauen und wurde darum von den Zeitgenossen scherzhaft als ‚Le Temps in Röcken‘ bezeichnet. Obgleich in ihren Inhalten nicht radikal feministisch, war La Fronde doch konzipiert zu demonstrieren, dass Frauen sich auch mit ver-

35 „un tableau pris sur le vif, rendu avec une vérité saisissante“ – de Crauzat 1897a, S. 19. 36 Vgl. Harms-Lückerath 1998, S. 32f.; sowie Krummenacker, Carolyne: „Steinlen, Bürger von Montmartre”. In: Kat. Payerne/Paris 2004, S. 27–56, hier S. 48.

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meintlich ‚unweiblichen‘ Sparten wie Politik und Finanzen auseinanderzusetzen verstehen. Nicht ein festgelegtes, stereotypes Bild des weiblichen Wesens sollte dabei gezeichnet, sondern die Frau in ihrer ganzen Diversität sichtbar gemacht werden –37 ein Aspekt, der auch in Dufaus Plakat zum Tragen kommt: In typisierter Form zeigt die Künstlerin Frauen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und verschiedenen Alters, darunter im Vordergrund eine einfach gekleidete Mutter mit Kind, die aufgrund ihres schwarzen Schultertuchs in einer zeitgenössischen Rezension als Witwe identifiziert wurde.38 Eine bourgeoise in eleganter Garderobe hat sie bei der Hand genommen und weist mit ausgestrecktem Arm über die Dächer der Stadt, die tief unter dem Aussichtspunkt der Dargestellten liegen. Die Blicke der beiden Frauen sind in weite Ferne gerichtet, wo der Himmel in goldenes Licht getaucht ist – La Fronde, so wird suggeriert, eröffnet ihren Leserinnen buchstäblich neue Horizonte.39 Dass die bourgeoise hierbei den übrigen Frauen mit weit ausgreifender Geste den Weg weist und so gegenüber den Angehörigen der Unterschicht eine leitende Rolle einnimmt, offenbart jedoch zugleich das von elitären Vorurteilen geprägte Gesellschaftsbild der Herausgeberin: „Im Kern von Durands Projekt existierte eine soziale Überheblichkeit, die viele Sozialistinnen und Feministinnen aus der Arbeiterklasse befremdete“40, erklärt folgerichtig Mary Louise Roberts. Nichtsdestotrotz verknüpft Clémentine-Hélène Dufau als überzeugte Feministin und Sozialistin41 in ihrer Darstellung von Vertreterinnen der Ober- und Unterschicht die ‚soziale Frage‘ mit dem Streben der Frau nach Emanzipation – ein Thema, dass bei anderen Plakatkünstlern gänzlich außen vor bleibt. Selbst bei einem überzeugten, engagierten Sozialkritiker wie Steinlen erscheinen Frauen in erster Linie als attraktiver Blickfang für den Betrachter, wie die unabhängig von ihrer sozialen Zugehörigkeit durchgehend jungen, hübschen Passantinnen in Die Straße zeigen. Im Plakat für die sozialistische Zeitschrift Le Petit Sou (Abb. 176, S. 226), mit dem der Künstler deutlich für die unterdrückte Arbeiterschaft Partei ergreift, nimmt die Frau dagegen die tradierte Rolle der allegorischen Personifikation ein: Marianne, Sinnbild der französischen Nation, führt das Volk im Freiheitskampf gegen die herrschenden Mächte von Kirche und Staat.42 Obschon eine deutliche moti-

37 Zu den Zielen und Inhalten La Frondes vgl. Mary Louise Roberts umfassende Untersuchung der Zeitschrift: Roberts 2002. 38 Vgl. Verneuil, Maurice-Pillard: „Quelques Affiches“. In: Art et Décoration, Paris, Bd. 20/ Juli–Dez. 1906, S. S. 164–172., hier S. 169f. 39 Vgl. ebd. 40 „At the heart of Durand’s project lay a class snobbery that alienated many socialists and working-class feminists.“ – Roberts 2002, S. 64. 41 Zu Dufau vgl. Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 18f. 42 Zu einer ausführlichen Interpretation von Steinlens Plakat siehe S. 225–227 dieser Arbeit.

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vische Nähe zu Eugène Delacroix’ berühmtem Gemälde Die Freiheit führt das Volk an (Abb. 175, S. 225) besteht, erscheint Steinlens Frauenfigur der Wirklichkeit stärker entrückt: Gleich einem Rachengel schwebt sie, Mund und Augen im Zorn weit aufgerissen, über der Menge der ausschließlich männlichen Arbeiter; ihr leuchtend rotes, antikisch anmutendes Gewand flattert hinter ihr im Wind.43 Einzig als realitätsferne Symbolfigur tritt die Frau hier in Erscheinung; gemäß dem androzentrischen Geschichtsverständnis der patriarchalen Gesellschaft wird ausgeblendet, dass Frauen auch realiter für soziale Gleichheit kämpften und durchaus großen Anteil am revolutionären Geschehen in Frankreich hatten.44 Abbildung 222: Théophile-Alexandre Steinlen Paris 1897

Das Motiv der allegorischen Personifikation, die sich über die anonyme Menschenmasse erhebt, hatte Steinlen bereits 1897 in einem Plakat aufgegriffen, das für

43 Zu dieser im 19. Jahrhundert verbreiteten Bildstrategie vgl. Schmaußer 1991, S. 167–170. 44 Vgl. Haarbusch 1985, S. 219f. Es bleibt jedoch anzumerken, dass Steinlen an anderer Stelle die revolutionären Verdienste der Frauen durchaus würdigte. So identifiziert er in einem um 1885 entstandenen Gemälde die kämpferische Marianne mit einer konkreten, historisch nachweisbaren Persönlichkeit: Louise Michel, eine Lehrerin und Schriftstellerin, die aktiv an den Aufständen der Pariser Commune beteilig gewesen war. Vgl. hierzu Schmaußer 1991, S. 170.

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Émile Zolas Roman Paris (Abb. 222) warb:45 Der Roman, der in Le Journal als Fortsetzungsserie veröffentlicht wurde, thematisiert die Attentate der Anarchisten zu Beginn der 1890er Jahre als Reaktion auf die gravierende soziale Ungleichheit der Zeit. Steinlens Plakat zeigt die Bewohner von Paris als anonyme Masse ineinander verknäulter, muskulöser Leiber, die sich wie Meereswogen über die Stadt ergießen. Am linken Bildrand hat sich eine einzelne männliche Figur bis zum Oberkörper aus dem Gewühl erhoben und schüttet aus einem großen Topf Geldstücke in die äußerst aggressiv agierende Menge. Im Hintergrund zeichnet sich die Silhouette von Paris ab, aus der besonders der eingerüstete Bau von Sacre-Cœur hervorsticht – Symbol der Unterdrückung des Volkes durch die Allianz von Kirche und Staat. Links oben schwebt eine nackte Frauengestalt über der Menschenmenge; im Gegensatz zu den stark verschatteten Massen unter ihr wird sie von einem hellen Licht angestrahlt. Deuten lässt sich die Figur als Verkörperung der nuda veritas – Zolas Roman, so suggeriert es die Allegorie, bringt buchstäblich Licht ins Dunkel der politischen und sozialen Verstrickungen seiner Zeit.46 Entgegen seiner üblichen Bildpraxis zeigt Steinlen hier jedoch nicht typisierte Vertreter unterschiedlicher Gesellschaftsschichten, die sich eindeutig zuordnen lassen. Im Kontext der Allegorie erscheinen die Menschenmassen der Stadt vielmehr als Schreckensbild eines unkontrollierbaren, wütenden Mobs, ein Bild, das geschickt mit zeitgenössischen Ängsten vor Aufruhr und sozialen Unruhen innerhalb der neu entstandenen urbanen Massengesellschaft spielt.47 Die Thematisierung von sozialer Ungleichheit und Standesunterschieden weckte jedoch nicht nur Ängste, sondern auch reges Interesse, insbesondere in den gehobenen Kreisen der Gesellschaft. In Zeiten rapiden sozialen Wandels suchten Angehörige der Bourgeoisie häufig das Abenteuer einer Begegnung mit der Lebenswelt der Unterschicht, die mit dem literarischen Naturalismus beispielsweise eines Émile Zola in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt war. Die Folge war ein regelrechter ‚Sozial-Tourismus‘, der vor allem dem Vergnügungsviertel Montmartres einen regen Zulauf bescherte. Dort ließen sich die ausschweifenden Vergnügungen des einfachen Volkes bestaunen, wobei das bürgerliche Publikum in der innerlichen Distanzierung von den dargebotenen Freizügigkeiten zugleich die eigene soziale und moralische Überlegenheit bestätigt gesehen haben mag.48 Die Bühnenkünstler Montmartres vermochten das rege Interesse der Bourgeoisie an der Unterschicht dabei durchaus werbewirksam zu vermarkten. So zeigte etwa Steinlen in einem

45 Vgl. Bargiel/Zagrodzki 1987, 65. 46 Vgl. Buschhoff 2001, S. 74–77; sowie Döring 1994, S. 26f. 47 Zur Angst vor der urbanen Massengesellschaft vgl. Hirsh 2004, S. 43; sowie Roberts 2002, S. 82. 48 Vgl. Barthelmess 1994, S. 15.

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Plakat von 1893 (Abb. 223) die Couplet-Sänger Mothu und Doria in der Rolle des Bürgers in Frack und Zylinder sowie des Proletariers, deutlich erkennbar an seinem einfachen Kittel und der charakteristischen Schiebermütze.49 Beide treffen auf einer nächtlichen Straße aufeinander, der Bürger entzündet mit seiner Zigarre die Zigarette des Arbeiters – ein friedliches Nebeneinander der sozialen Schichten, das seine Bildwirkung vor allem aus dem Kontrast der typisierten Figuren gewinnt.50 Abbildung 223: Théophile-Alexandre Steinlen Mothu und Doria 1893

Vergleichbar gestaltete auch die Sängerin Eugénie Buffet ihr Image: Mit sozialkritischen Liedern von Aristide Bruant reüssierte sie in den Pariser café-concerts und cabarets. Selbst aus einfachen Verhältnissen stammend, trat Buffet dabei als „Mädchen aus dem Volke“51 im Kostüm einer Straßensängerin auf.52 In entsprechender Weise warben auch Plakatkünstler wie Léopold Stevens oder Lucien Métivet für

49 Vgl. Rademacher 1989, S. 34. 50 Vgl. Hagner 1958, S. 137–144. 51 Sponsel 1897, S. 79. 52 Vgl. Buschhoff 2001, S. 64f.; Pacini, Piero: Moulin Rouge & Caf’conc’. Manifesti e Grafica 1884–1904, Florenz 1989, S. 18; sowie Thon 1968, S. 22f.

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Abbildung 224: Lucien Métivet Concert de la Cigale – Eugénie Buffet vor 1894/95

die Auftritte Buffets: Statt auf der Bühne zeigen sie die ärmlich gekleidete Sängerin im öffentlichen Raum der Stadt. Beim Betrachter wird so der Eindruck hervorgerufen, die Bühnenrolle des Straßenmädchens entspreche den realen Lebensumständen Buffets, das kalkulierte Image der Sängerin erhält den Anschein der Authentizität. „Sie ist die Sängerin der Halbwelt, die Zikade der Weinhändler, die Spaßmacherin der Stundenhotels. Die Hände in den Taschen, ein Schal nachlässig um den Hals gebunden, sucht sie die dunklen Gassen, die verlassenen Kreuzungen, wo sich auf der Jagd nach Abenteuern Gestalten herumtreiben, deren Aufmachung ihr scheußliches Metier verrät. Inmitten dieser Welt fühlt sie sich zuhause und schmettert frech eine sentimentale Romanze oder 53

ein zotiges Lied in den Wind…“ ,

beschrieb folgerichtig Ernest Maindron die Plakate Buffets. Bei Métivet (Abb. 224) ist so beispielsweise zu sehen, wie Eugénie Buffet auf der Straße einem Publikum aus zufälligen Passanten ihre Lieder vorträgt – tatsächlich soll die Sängerin mitunter spontan im öffentlichen Raum Auftritte improvisiert haben.54 Im Hintergrund zeichnet sich die Silhouette Montmartres als Zentrum der Boheme ab.55 Eine weitere Arbeit Métivets (Abb. 225) zeigt Eugénie, wie sie, die Hände tief in den Taschen vergraben, auf einer winterlichen Straße Wind und Kälte trotzt. Rechts neben Buffet begrenzt ein Bretterzaun die Szene, auf dem ein Schriftplakat

53 „Celle-là est la chanteuse interlope, la cigale des marchands de vins, le boute-en-train des hôtels meublés. Les mains dans les poches, un foulard négligement noué autour du cou, elle recherche les rues noires, les carrefours déserts où rôdent, enquête d’aventures, des personnages dont le costume ou la coiffure révèlent le hideux métier. Au milieu de ce monde, elle se sent chez elle et jette effrontément au vent une romance sentimentale ou une chanson ordurière…“ – Maindron 1896, S. 91. 54 Vgl. Pacini 1989, S. 18; sowie Thon 1968, S. 22f. 55 Vgl. Buschhoff 2001, S. 64f.

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mit dem Namen der Sängerin angeschlagen ist – implizit wird damit auch die typische Rezeptionssituation von Werbeplakaten thematisiert. Eugénie Buffet scheint dem Betrachter direkt entgegenzukommen, ein Effekt, der noch verstärkt wird durch die Diagonalkomposition sowie die Tatsache, dass Buffets rechter Fuß scheinbar den Schriftzug des Plakats überschreitet.56 Métivet schafft damit die „Illusion einer aus dem Bildraum herausführenden und im nächsten Moment innerhalb der Realitätssphäre des Betrachters stattfindenden, direkten Begegnung“57. Die für einen Bühnenauftritt spezifische Distanz zum Publikum fällt demgegenüber völlig weg.58 Abbildung 225: Lucien Métivet Ambassadeurs – Eugénie Buffet 1892

Abbildung 226: Lucien Métivet La très charmante et élégante Mlle Gigi – chanteuse réaliste 1896

Während Lucien Métivet mit seinen Plakaten so das Image Buffets als ‚Mädchen aus dem Volke‘ unterstreicht, entlarvt er es an anderer Stelle als genau kalkulierte Bühnenrolle: In einer 1896 für die deutsche Zeitschrift Die Jugend entstandenen Karikatur (Abb. 226) zeigt Métivet „die überaus charmante und elegante Mademoi-

56 Vgl. Henatsch 1994, S. 200–202. 57 Ebd., S. 202. 58 Vgl. ebd., S. 200–202.

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selle Gigi – chanteuse réaliste“59 – eine deutliche Anspielung auf Eugénie Buffet, die mit ihrem sozialkritischen repertoire réaliste Erfolge feierte.60 Zu sehen ist eine überaus opulent gekleidete Dame im modisch geschnittenen, reich bestickten Kleid samt passender Pelerine. Ein Pompadour-Beutel, ein Schirm mit glitzerndem Knauf und ein extravaganter Hut mit riesigem Federschmuck ergänzen die mondäne Garderobe. Die Dargestellte scheint gerade einer Kutsche entstiegen, die im Hintergrund vorgefahren ist. In völligem Gegensatz zu dem ostentativ vorgeführten Pomp steht das Bühnenkostüm der Sängerin, das Métivet rechts in einem in die Szene eingeschobenen Bildfeld darstellt: Vor der tristen Silhouette der Stadt zeigt sich ‚Gigi‘ mager und verhärmt im ärmlichen Kleid des Straßenmädchens. Métivets Karikatur führt so in satirisch überspitzter Deutlichkeit den scharfen Kontrast zwischen der Bühnenrolle Buffets und ihrer Lebenswirklichkeit als kommerziell erfolgreicher Sängerin vor Augen; ihre sozialkritische Haltung erscheint als bloße Vermarktungsstrategie.61 Eine ernstzunehmende, kritische Auseinandersetzung mit der bestehenden sozialen Ungleichheit im Frankreich des 19. Jahrhunderts fand so in der Plakatkunst der damaligen Zeit kaum statt. Obgleich als volksnahe ‚Galerie der Straße‘ verstanden, ergreifen die Plakate nur selten explizit Partei für die unterdrückte Unterschicht. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, werden Standesunterschiede – sofern man sie überhaupt thematisiert – zu Vermarktungszwecken instrumentalisiert und die real bestehenden gesellschaftlichen Konflikte werbewirksam beschönigt. Überdeutlich wird dies an einer Arbeit Adolphe Léon Willettes: 1885 hatte Willette, der sich immer wieder für sozial Benachteiligte engagierte,62 das Titelblatt (Abb. 227) zu einer Sonderausgabe des Courrier français entworfen, die anlässlich einer Spendensammlung für die Armen von Paris erschien. Im Vordergrund der Darstellung ist eine junge Näherin in ärmlicher Kleidung zu sehen, die zu später Stunde völlig erschöpft über ihrer Arbeit eingeschlafen ist. Dahinter schneidet Pierrot, Alter ego des Künstlers und Symbolfigur der darbenden Boheme,63 eine langstielige Lilie ab. Patricia Eckert Boyer sieht hierin eine Anspielung auf die Entfremdung der städtischen Arbeiterschicht von der Natur,64 doch lässt sich das Motiv auch allgemeiner deuten als Sinnbild einer harten Arbeit, die die Dargestellte ihrer Jugend und Schönheit beraubt. Bezeichnend ist dabei, dass die Ausbeutung der Arbeiterschicht hier gerade anhand einer weiblichen Figur vor Augen geführt wird: Zwar verrichtet die Näherin

59 „La très charmante et élégante Mlle Gigi – chanteuse réaliste“ 60 Vgl. hierzu die Inschrift auf Métivets Plakat für Buffets Auftritt im La Cigale (Abb. 224). 61 Vgl. Buschhoff 2001, S. 64f.; sowie Thon 1968, S. 22f. 62 Zu Willettes Engagement bspw. für Not leidende Künstler vgl. S. 230 dieser Arbeit. 63 Zur Bedeutung Pierrots allgem. vgl. S. 257f. dieser Arbeit. 64 vgl. Eckert Boyer 1988, S. 135f.

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in Willettes Bild eine ‚typisch weibliche‘ Arbeit. Dass Frauen jedoch überhaupt einer Erwerbstätigkeit nachgingen, wurde von konservativen Zeitgenossen bereits als widernatürlich angesehen. Entsprechend erklärt beispielsweise Karl Scheffler, einzig aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus würden Frauen im Arbeitsleben nach Gleichstellung mit dem Mann streben. Die soziale Ungleichheit der Zeit zwinge Frauen aus der Unterschicht, zum Einkommen der Familie beizutragen und damit ihre vermeintlich naturgegebene Beschränkung auf die Rolle als Hausfrau und Mutter abzulegen.65 Die Emanzipationsbewegung stelle folglich einen „Irrglauben“ dar; die erwerbstätige Frau werde ihrer Würde und ihres Lebensglückes beraubt, so Scheffler, denn „Glück ist nur in der Übereinstimmung mit der Natur.“66 Abbildung 227: Adolphe Léon Willette Rayon de lune 1885

Abbildung 228: Adolphe Léon Willette Fer Bravais 1898

1898 griff Willette das Motiv der schlafenden Näherin mit einigen Veränderungen in einem Werbeplakat für Fer Bravais (Abb. 228) erneut auf:67 Die junge, schlafende Frau an der Nähmaschine ist nun deutlich eleganter gekleidet und trägt Schmuck, auch hat sie offenbar nicht bis tief in die Nacht gearbeitet – der Himmel über der Stadt im Hintergrund ist noch hell. Die Figur des Pierrot fehlt. Eine Katze,

65 Vgl. Scheffler 1908, S. 5–13 sowie S. 104–110. 66 Ebd., S. 12. 67 Vgl. Eckert Boyer 1988, S. 135f.

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die sich auf dem Nähtisch niedergelassen hat, ein Vogelkäfig sowie eine blühende Winde, die sich am linken Bildrand empor rankt, verleihen der Szene eine geradezu idyllische Anmutung. Willette prangert hier nicht mehr die Ausbeutung der Näherin an, die bis zur Erschöpfung arbeitet. Stattdessen zeigt er eine attraktive junge Frau, die nicht eindeutig einer sozialen Schicht zuzuordnen, auf jeden Fall aber nicht gänzlich mittellos ist. So mag das Nähen für sie auch keine Erwerbstätigkeit, sondern als ‚weibliche‘ Handarbeit schlicht ein Zeitvertreib sein. Warum sie dabei eingenickt ist, erklärt die Werbeinschrift: Fer Bravais, ein Eisenpräparat, kuriert Anämie und die daraus resultierenden Erschöpfungszustände. Das ursprünglich sozialkritische Motiv der Zeitungsillustration wird so im Werbeplakat gänzlich verharmlost – nicht die Überarbeitung ist es, die die Dargestellte erschöpft über ihrer Nähmaschine hat zusammensinken lassen, sondern eine allgemeine physische Schwäche. Nur folgerichtig erscheint es, dass diese im Bild des vermeintlich schwachen weiblichen Geschlechts vor Augen geführt wird.

8.2 D IE E VOKATION VON L UXUS ALS W ERBESTRATEGIE

UND

P RESTIGE

In scharfem Kontrast zum Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten Bild der Plakatkunst als volksnahem ‚Salon der Armen‘ steht die Tatsache, dass primär Luxusartikel wie Mode, Rauch- oder Süßwaren beworben wurden. Gerade diese nicht lebensnotwendigen Güter bedurften jedoch der Werbung, um eine entsprechende Nachfrage überhaupt erst zu generieren.68 Zugleich schien mit der preisgünstigen industriellen Massenproduktion der Weg zu einer allgemeinen Demokratisierung des Luxus geebnet. Zwar blieb das wahrhaft Exklusive weiterhin der gesellschaftlichen Elite vorbehalten. Die neu entstandenen Kaufhäuser boten jedoch modische Konfektionskleidung und Billigimitate von Luxusartikeln zu erschwinglichen Preisen an – so war es nun auch der breiten Masse möglich, zumindest den Anschein von Prestige und Wohlstand zu erwecken. Standesunterschiede, die zuvor bereits an der äußeren Erscheinung der Menschen

68 Vgl. Kat. Antwerpen 1979, S. 4–7; Peters 1977, S. CI–CXIX; sowie Thon 1977, S. XXVIIIf.

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Abbildung 229: deutlich abzulesen gewesen waren, schienen zu69 Maurice Réalier-Dumas nehmend verwischt. Dem trugen auch PlakatkünstChampagne Jules Mumm ler wie Leonetto Capiello und Jules Chéret Rech& Co. nung: Indem sie ihre Figuren zumeist in einem weit1895 gehend undefinierten Bildraum situieren, deren modische Garderobe stark überzeichnen und zugleich auf allzu deutliche Statussymbole wie etwa kostbaren Schmuck verzichten, verunklären sie die soziale Zugehörigkeit der ‚Werbedamen‘. Jenseits eines konkreten gesellschaftlichen Milieus angesiedelt, verkörpern ihre Figuren ein im Grunde klassenloses Idealbild, das real bestehende Standesunterschiede nivelliert, um einen möglichst großen Rezipientenkreis anzusprechen. Eine gänzlich andere Strategie verfolgen Georges de Feure und Maurice Réalier-Dumas – ihre ‚Werbedamen‘ geben sich durch eine ausgesucht elegante, vornehme Erscheinung als Angehörige der gesellschaftlichen Elite zu erkennen und betonen so die Exklusivität der beworbenen Produkte. Zeigt de Feure seine Figuren mit Vorliebe in opulenter Garderobe, mit großen, federgeschmückten Hüten oder in edlem Pelz, so tragen die Frauen in RéalierDumas’ Arbeiten zumeist Kleider von betont zurückhaltender Eleganz. Im Plakat für Champagne Jules Mumm (Abb. 229) beispielsweise stellt Réalier-Dumas eine Dame im tief dekolletierten, schlicht geschnittenen Abendkleid dar. Außer einem Paar langer, bis über die Ellbogen reichender Handschuhe trägt sie keinerlei Accessoires oder Schmuck. Gerade durch das Fehlen jeglichen ostentativ zur Schau getragenen Pomps erscheint die Dargestellte jedoch besonders vornehm und stilsicher; ihre Garderobe wirkt umso exquisiter. Entsprechend beschrieb auch Jean-Louis Sponsel die Figur: „Diese schmale Dame […] ist mit jedem Zoll eine Dame der vornehmen Welt, die jede Bewegung, jeden Zug ihres Antlitzes in ihrer Gewalt hat.“70

69 Vgl. Perrot 1994, S. 71-81; sowie Williams 1982, S. 90–99. 70 Sponsel 1897, S. 92.

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Exklusivität strahlen auch die Werbedamen Alfons Muchas aus: Zwar tragen sie zeitlose Fantasiegewänder, die sie der Alltagswirklichkeit gänzlich entrückt erscheinen lassen. Doch stattet der Künstler seine Figuren bevorzugt mit extravaganten Schmuckkreationen aus und präsentiert sie vor reich ornamentierten, üppig mit Gold durchsetzten Hintergründen. Die Darstellungen erwecken so den Eindruck von Opulenz – assoziativ verbindet der Betrachter das beworbene Produkt mit Luxus und Prestige.71 Derartige Werbestrategien standen ganz im Einklang mit dem damaligen Stand der Wissenschaft, namentlich den Theorien der gerade erst im Entstehen begriffenen Sozial- und Werbepsychologie.72 So untersuchte beispielsweise Gabriel de Tarde in seiner Abhandlung Les Lois de l’imitation, étude sociologique73 aus dem Jahr 1900 die Motivation, die dem Konsumverhalten zugrunde liegt. Menschliches Sozialverhalten, so erklärte Tarde, werde wesentlich durch eine instinktive Nachahmung bestimmt, wobei die Elite der Gesellschaft die zu imitierenden Denk- und Verhaltensmuster präge. Der Mensch sei sich dabei der Motivation seines Handelns jedoch nicht wirklich bewusst; sein Zustand entspreche eher dem eines Hypnotisierten, sodass er für Suggestionen von außen – beispielsweise durch die Werbung – empfänglich sei.74 Auch Konsum ziele nicht in erster Linie auf Genuss oder die Anhäufung von Besitz, sondern sei vielmehr durch den Wunsch bestimmt, das Verhalten und den Lebensstil der höheren gesellschaftlichen Kreise nachzuahmen und so selbst soziales Ansehen zu erwerben. Das Verlangen des Konsumenten werde folglich gar nicht durch die Ware selbst, sondern vielmehr durch ein vermittelndes Vorbild ausgelöst.75 Nur folgerichtig erscheint es daher, dass die Werbeplakate der Zeit nicht die

71 Vgl. Harms-Lückerath 1998, S. 34f.; Kähler, Susanne: „Mucha und die Pariser Salonkünstler“. In: Kat. Hamburg 1997, S. 18–23, hier S. 19; sowie Winter 1995, S. 88. Zur charakteristischen Figurengestaltung Muchas siehe außerdem Kap. 10.2 dieser Arbeit. 72 Vgl. Henatsch 1994, S. 253f.; sowie Wittlich, Petr: „Alfons Mucha. Der Mensch und sein Werk“. In: Kat. Hamburg 1997, S. 12–17, hier S. 13. 73 de Tarde, Gabriel: Les Lois de l’imitation, étude sociologique, Paris 1900. [dt: Die Gesetze der Nachahmung, übersetzt von Jadja Wolf, Frankfurt am Main 2003.] 74 Vgl. de Tarde 2003, insbes. Kap. 3.III, S. 98–112 und Kap. 6.II, S. 238–268. Zu einer Zusammenfassung der Thesen de Tardes siehe Lipp, Ronald F.: „Alfons Mucha. Der Mensch und seine Botschaft.“ In: Alfons Mucha, Zum Anlass der Gründung des MuchaMuseums, Prag, Stuttgart/Zürich 2000 , S. 10–21, hier S. 12; Williams 1982, S. 342–405; sowie Wittlich 1997, S. 13. 75 Vgl. de Tarde 2003, insbes. S. 217–224 und Kap. 6.II, S. 238–268. Zusammengefasst bei Lipp 2000, S. 12; Williams 1982, S. 342–405 sowie Wittlich 1997, S. 13.

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eigentlich beworbenen Güter in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken, sondern vielmehr das prestigeträchtige Bild eleganter ‚Werbedamen‘. Zugleich bot sich mit dem Aufkommen von erschwinglicher Konfektionskleidung und Billigimitaten von Luxusartikeln nun tatsächlich die Möglichkeit, durch ein entsprechendes Auftreten eine höhere gesellschaftliche Stellung vorzugaukeln, als man sie tatsächlich einnahm – eine weit verbreitete Praxis, wie zeitgenössische Quellen offenbaren. Octave Uzanne etwa beschreibt in aller Ausführlichkeit die Mittel und Wege, mit denen Frauen unterschiedlicher Schichten preisgünstige Kleidung aufputzten, um sie als exquisite, kostspielige Garderobe erscheinen zu lassen.76 Vor allem das aufstrebende Bürgertum war darauf bedacht, seinen neu erworbenen sozialen Status und Wohlstand zu demonstrieren: Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, der auf die Zeiten der Not unmittelbar nach der Niederlage im deutsch-französischen Krieg 1870/71 gefolgt war, hatte die Bourgeoisie erheblich an Einfluss und Vermögen gewonnen, was sie nun bis ins Privatleben hinein ostentativ zur Schau stellte.77 Um das gesellschaftliche Ansehen noch über den tatsächlichen sozialen Status hinaus zu steigern, nahm man dabei auch manche Entbehrungen in Kauf; zur Finanzierung eines entsprechend luxuriösen Lebenswandel mitsamt einem nobel ausgestatteten Heim und Dienstboten wurde im Zweifelsfall sogar am Essen gespart:78 „Man isst schlecht, verknappte Portionen, minderwertiges Fleisch, zubereitet mit ranziger Butter, damit man die Garderobe von Madame und Mademoiselle mit Bändern ausstaffieren kann. Der Familienvater lässt es zu und drängt mitunter sogar zu derartigen Ausgaben für die Selbstdarstellung, denn sein Axiom ist, dass man es zu etwas bringen muss. Er verdient 3.000 Francs und die Familie scheint für 7.000 oder 8.000 zu leben, dank eines ganzen Systems von Entbehrungen, unerbittlicher Knauserei und Ramsch, unter Vorspielung mondäner Äußer79

lichkeiten“ ,

76 Vgl. Uzanne o. J., S. 86–98. 77 Vgl. Lipp 2000, S. 12; Mucha, Jiří: Alphonse Maria Mucha. His Life and Art, London 1989, S. 35–37; sowie Wittlich 1997, S. 13. 78 Vgl. de Grazia 1996a, S.153f. 79 „On mange mal, des portions rognées, de la viande inférieure accommodée au beurre rance, pour pouvoir ajouter des rubans aux toilettes de madame et de mademoiselle. Le père laisse faire et pousse même parfois à cette dépense d’étalage, parce que son axiome est qu’il faut arriver. Il gagne trois mille francs et la famille semble vivre sur un pied se sept ou huit mille, grâce à tout un système savant de privations, une lésinerie et une saleté féroces, sous une affectation de dehors mondains.“ – Zola, Émile: „L’Adultère dans la bourgeoisie“. In: Le Figaro, 28.2.1881; zitiert nach: Priollaud 1983, S. 153.

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beschreibt etwa Émile Zola das Streben der Bourgeoisie nach Prestige. Eine zentrale Rolle kam dabei der Frau zu: In ihrem Aktionsradius primär auf das häusliche Umfeld konzentriert, wurde die bourgeoise zugleich durch Bedienstete von den Pflichten des Haushalts entbunden. Ihre primäre Aufgabe war damit die zeitaufwändige Pflege der eigenen Erscheinung sowie die geschmackvolle Ausstattung des Heims.80 Beides entsprach nach damaligem Dafürhalten ganz der naturgegebenen Veranlagung der Frau, verfügte diese doch über besondere Talente „…in der subtilen Lenkung des Lebensstils, der unbestimmten Zusammenstellung der Toilette, der ausdrucksstarken Anordnung des Mobiliars, der bis ins Detail harmonischen Inneneinrichtung“, wie 1893 in der Frauenzeitschrift La Grande Dame zu lesen war: „Sie ist die geborene Schöpferin von Tapisserien, Schneiderin, raffinierte Dekorateurin intimer Umgebungen, unerschöpfliche Gestalterin mondäner Eleganz.“81 Entsprechend erklärte auch Pierre-Joseph Proudhon: „Bedingt durch ihre Natur und ihre Bestimmung, sucht die Frau die Eleganz und den Luxus; so muss es sein. In einer Gesellschaft und einem Haushalt, die gut geführt sind, erlangt sie diese Eleganz allein mit den Mitteln des Hauses, dem Einkommen aus der Arbeit des Mannes...“

82

Das Erscheinungsbild der Ehefrau wie auch des eigenen Heims ließen folglich auf das Vermögen und die soziale Stellung des Hausherrn schließen. Hatte dieser in der vorrevolutionären, feudalistischen Gesellschaft seinen Reichtum und Status noch selbst durch entsprechenden Putz zur Schau getragen, so nahm angesichts der betont schlichten, schmucklosen Herrenmode des 19. Jahrhunderts nun die Frau die Rolle eines Repräsentationsobjekts und Statussymbols für den Mann ein.83 „Die wohlhabenden Bürger verlangten von ihrer Gattin und ihren Töchtern nichts, als

80 Vgl. Auslander 1996, S. 82–85. 81 „…la subtile direction des usages, la combinaison indéfinie des toilettes, l’ordonnance expressive des ameublements, le détail harmonieux de l’intérieur. Elle naît tapissière, couturière, décoratrice raffinée des milieux intimes, inépuisable organisatrice des élégances mondaines.“ – de Fourcaud 1893, S. 28. 82 „Par sa nature et sa destination, la femme recherche l’élégance et le luxe; il faut qu’il en soit ainsi. Dans une société et un ménage bien ordonné, cette élégance, elle l’obtient avec les seules ressources de la maison, le produit du travail du mari…“ – Proudhon, PierreJoseph: Notes et pensées. Œuvre posthume; zitiert nach: Priollaud 1983, S. 149. 83 Vgl. De Montclos, Brigitte: „Gesellschaft, Gesellschaftliches Leben, Wohnkultur“. In: Kat. Essen 1994, S. 39–53, hier S. 51; Perrot 1994, S. 34f.; sowie Thompson 1971, S. 158f.

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wandelnde Schaufenster ihres Wohlstands zu sein, so untätig wie möglich“84, beschreibt daher Isabell Bricard die Rollenverteilung innerhalb der Bourgeoisie. In ihrem vermeintlichen Müßiggang erfüllte die Frau jedoch eine überaus wichtige Funktion – war sie es doch, die durch eine umsichtige, stilsichere Auswahl ihrer Garderobe und des Mobiliars die gehobene Lebensart und Kultiviertheit der Familie demonstrierte und so deren soziales Ansehen sicherte.85 Mehr noch, ihr Konsum geschah vermeintlich zum Wohle der gesamten Nation: Mit dem Erwerb hochwertiger Luxusgüter unterstützte sie einen zentralen Sektor der heimischen Wirtschaft und bekräftigte zugleich den Mythos des überlegenen französischen Geschmacks in Sachen Mode und Inneneinrichtung. Der so zur Schau gestellte ‚typisch französische‘ Chic sollte Frankreichs Ruf als Mekka der Eleganz und des Luxus untermauern – ein Image, das intensiv zur Vermarktung französischer Exporte genutzt wurde und damit maßgeblich für die Position Frankreichs auf dem Weltmarkt war. In ihrer Rolle als Konsumentin sollte die Frau so zum Prosperieren der Nation beitragen.86 In einem Artikel des Moniteur des dames et demoiselles aus dem Jahr 1877 wurde der Konsum nicht lebensnotwendiger Luxusartikel folgerichtig nicht nur legitimiert, sondern geradezu als eine soziale Verpflichtung propagiert: „Wenn Sie über Vermögen verfügen, genießen Sie es ohne Skrupel. Abgesehen von dem Anteil, der für Almosen vorgesehen ist, legen Sie einen Anteil für Luxus, Wohlbefinden, für Vergnügungen fest. Der schlechteste Gebrauch, den man von Geld machen kann, ist allzu gründlich zu sparen. Wenn Sparsamkeit eine Tugend ist, so ist Geiz ein abscheuliches Übel. Vor allem zum Winteranfang müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass Ausgaben in vernünftigem Umfang der Familie des Arbeiters Feuer, Kleidung, gesunde und kräftigende Nahrung verschaffen, die in der schlechten Jahreszeit so nötig sind.“

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84 „Les bourgeois opulents ne demandent à leur femme et à leur filles que d’être les vitrines ambulantes de leur prospérité, aussi inactives que faire se pourra.“ – Bricard 1985, S. 127. 85 Vgl. Auslander 1996, S. 82–85. 86 Vgl. ebd., S. 82 und S. 93–96; sowie Silverman 1989, S. 53f. 87 „Donc, vous qui avez de la fortune , jouissez-en sans scrupule. A côté de la part réservée à l’aumône, faites la part du luxe, du bien-être, des plaisirs. Le pire usage que l’on puisse faire de l’argent est de le conserver trop soigneusement. Si l’économie est une vertu, l’avarice est un vice odieux. Surtout à l’entrée de l’hiver nous devons nous rappeler que les dépenses faites dans une sage mesure donnent à la famille de l’ouvrier le feu, les vêtements, la nourriture saine et fortifiante si nécessaire pendant la mauvaise saison. “ – d’Albrays, Georges: „Chronique“. In: Moniteur des dames et demoiselles, Bd. 23, 1877/78, Ausgabe vom 1.11.1877, S. 11–13, hier S. 13.

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Die notwendige Geschmackssicherheit sollte den Konsumentinnen dabei vermittelt werden durch entsprechende Ratgeber, Frauenzeitschriften und kunstgewerbliche Ausstellungen wie beispielsweise der Exposition des Arts de la Femme, die ab 1892 von der Union des arts décoratifs im Pariser Palais de l’Industrie veranstaltet wurde.88 Abbildung 230: Maurice Biais La Maison moderne um 1900

Nur folgerichtig erscheint es, dass auch die Plakatkunst der Zeit das Bild der eleganten, stilsicheren Konsumentin propagiert. Für das 1889 von Julius Meier-Graefe gegründete Kunstgewerbe-Geschäft La Maison moderne (Abb. 230) setzte so etwa Maurice Biais eine modisch gekleidete ‚Werbedame‘ ins Bild, die im Verkaufsraum eine Vitrine mit Keramik in Augenschein nimmt. Als anonyme Rückenfigur wiedergegeben, dient sie den Betrachterinnen des Plakats zur Identifikation.89 Auch Georges de Feure zeigt in seinem Plakat für das Brüsseler Kunsthandelsblatt Journal des Ventes (Abb. 217, S. 281) eine Dame im eleganten Kostüm, die – augen-

88 Vgl. Auslander 1996, S. 83; sowie Silverman 1989, S. 188–198. 89 Vgl. Abdy 1969, S. 161.

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scheinlich mit großem Sachverstand – eine Vase begutachtet. De Feures Werbefigur verkörpert jedoch nicht nur die verständige Kundin des Kunsthandels. Inmitten von floralen und abstrakten Ornamenten platziert und überreich ausstaffiert mit einer gerüschten Bluse sowie einem großen, üppig mit Federn und Blumen verzierten Hut, gleicht sie selbst einem dekorativen objet d’art. Abbildung 231: Manuel Orazi La Maison moderne 1900

Gleiches gilt auch für die Figur, mit der Manuel Orazi im Jahr 1900 für MeierGraefes Maison moderne warb (Abb. 231): Vor einer Auswahl von Vasen, Skulpturen, einer Lampe und anderen dekorativen Objekte im Stil des Art Nouveau, die im Hintergrund auf einer Brüstung aufgereiht sind, ist das Profil einer überaus eleganten ‚Werbedame‘ zu sehen. Der Stuhl, auf dem die Dargestellte sitzt, verrät im Schwung der Arm- und Rückenlehne den Entwurf Henry van de Veldes. Ihr reicher Schmuck, bestehend aus Fingerringen, einer Brosche mit Perlenanhängern und extravaganten Zierkämmen, sowie das mit Ornamentstickereien verzierte, dunkelblaue Kleid sind ebenfalls ganz dem Art Nouveau verpflichtet. Selbst der Rüschenkragen ihrer Bluse und die hochgesteckten Locken der Dargestellten werden zu organisch fließenden Jugendstil-Ornamenten stilisiert.90 In ihrer völlig passiven Haltung reiht sich die Figur nahtlos in das Ensemble der dargebotenen objets d’art ein

90 Vgl. Abdy 1969, S. 161; Döring 1994, S. 32f.; sowie ders. 2002, S. 38f.

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und erscheint selbst mehr als dekoratives Ausstellungsstück denn als kunstsinnige Kundin des Maison moderne. Orazis Bildfindung ist symptomatisch für das restriktive weibliche Rollenbild des 19. Jahrhunderts, das vor allem innerhalb des Großbürgertums Umsetzung fand: Dass man den Konsum exklusiver Luxusartikel zu einer Aufgabe von nationaler Bedeutung hochstilisierte, konnte kaum über den realiter äußerst beschränkten Handlungsspielraum der Frau hinwegtäuschen. Abgesehen von ihren Mutterpflichten erfüllte sie – durch ihre eigene Erscheinung ebenso wie durch die Ausstattung des Heims – vor allem eine dekorative Funktion, erschien als schmückendes Beiwerk und Prestigeobjekt des Mannes.91 „Die Frau war eine bloße Erweiterung des Mobiliars, dazu bestimmt, sich harmonisch in das Dekor der Salons einzufügen“92, erklärt folgerichtig auch Ian Thompson. Dass dies bereits den Zeitgenossen bewusst war, offenbart Pierre-Joseph Proudhon in seiner 1875 erschienen Schrift La Pornocratie.93 Dort lässt er eine Frau über ihre Rolle als Statussymbol des Mannes klagen: „Um seinetwillen hat er mich genommen, nicht um meinetwillen. Ich bin nichts als Schmuck, ich gehöre zum Mobiliar! Ich wurde bewundert, umworben, gepriesen, ich hatte Erfolg; aber wozu? Alles war für ihn, alles kam ihm als meinem Besitzer zu.“

94

Proudhon war jedoch weit davon entfernt, diesen Missstand anzuprangern. Vielmehr rät er in seiner Abhandlung den Männern, derartige Klagen zu übergehen und ihren Frauen zu verdeutlichen, dass dies ihre naturgegebene Funktion in der Gesellschaft sei. Ebenso pointiert fasst Émile Zola die Rolle der Frau in einem Entwurf zu seinem 1876 erschienen Roman Son Excellence Eugène Rougon zusammen – der Protagonist erklärt, er habe seine Frau als Ware erworben, damit diese weitere Waren kaufe, um seine Position zu sichern.95

91 Vgl. Roberts 2002, S. 3; sowie Thompson 1971, S. 158f. 92 „an extension of the furnishings, intended to blend harmoniously with the decor of salons.“ – Thompson 1971, S. 159. 93 Proudhon, Pierre-Joseph: La Pornocratie ou les Femmes dans les Temps Modernes, Paris 1875 [dt: Von der Anarchie zur Pornokratie, Zürich 1970]. 94 Proudhon 1970, S. 25. 95 Vgl. Auslander 1996, S. 98.

9. Weibliche Erotik als Werbestrategie

„Wohin das farbige Plakat ohne Unterlass zurückkehrt, worin es sich gefällt, wo es triumphiert, ist die Darstellung eines weiblichen Wesens mit müden Gesichtszügen, halb Märchenprinzessin und halb Freudenmädchen, die Lippen halb geöffnet, zerzauste Strähnen in der Stirn, in den Augen ein Versprechen – unsere Vorfahren sagten dazu auch ,schelmisch‘, was auf dasselbe hinausläuft – Ein illusorischer Typus […] im Ausdruck immer die gleiche, wenn auch in der Haltung auf unbestimmte Weise verschieden, leiht sie allen Angeboten des Handels den Charme ihrer kleinen Person, ein wenig leichtlebig und, wenn man so will, zu ge1

wagt in der Entfaltung ihrer Verführungskraft“ ,

beschrieb Georges d’Avenel 1907 das bevorzugte Motiv der damaligen Plakatkunst. Tatsächlich setzte die Werbung bereits im 19. Jahrhundert bevorzugt auf das erotische Potential verführerischer Frauenfiguren, um die Aufmerksamkeit der Passanten zu erregen und zugleich die Eindrücklichkeit der Werbebotschaft zu steigern.2 Das Spektrum der Darstellungen ist dabei ebenso breit wie das der beworbenen Produkte. So setzte etwa Jules Chéret mit Vorliebe attraktive Parisiennes ins Bild, die mit tiefen Dekolletes und kurzen, hoch aufliegenden Röcken ihre weiblichen Reize zur Schau stellen.3 Das Auftreten der ‚Werbedamen‘ dürfte dabei nach den Maßstäben des 19. Jahrhunderts fast ebenso aufreizend gewesen sein wie ihre Klei-

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„Où l’affiche coloriée revient sans cesse, où elle se complaît, où elle triomphe, c’est dans la représentation d’un être femelle aux traits chiffonnées, moitié princesse de féerie et moitié ‚gigolette‘, les lèvres entr’ouvertes, des mèches folles sur le front, les yeux prometteurs – nos aïeux disaient ‚fripons‘, ce qui d’ailleurs revient au même. – Type illusoire […] toujours la même par l’expression, quoique indéfiniment différente dans l’attitude, elle prête à toute les offres du commerce le charme de sa petite personne, un peu légère et, si l’on veut, trop hardie dans le déploiement de ses séductions.“ – d’Avenel 1907, S. 177f.

2

Vgl. Väth-Hinz 1985, S. 27–32.

3

Vgl. hierzu auch Kap. 10.1 dieser Arbeit, hier insbes. S. 345f.

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dung. In ihrer heiteren Ausgelassenheit, die die damaligen Grenzen von Anstand und Dezenz klar überschreitet, scheinen sie das Vergnügen selbst zu verkörpern und ziehen alle Blicke auf sich. Maßgeblich vom Vorbild Chérets beeinflusst sind die Arbeiten des eine Generation jüngeren Leonetto Capiello: Auch seine Werbefiguren sind stets ausgelassen und beschwingt, wie beispielsweise in den Plakaten für Champagne Damery – Epernay (Abb. 45, S. 75) und Cognac Fine Champagne (Abb. 22, S. 49) zu sehen. Die Körperformen der Dargestellten wirken dabei stark überzeichnet; prominent hervortretende Gesäße und üppige Büsten kontrastieren effektvoll mit extrem schlanken Wespentaillen – die ‚Sanduhr-Figur‘, das Schönheitsideal der damaligen Zeit, erscheint bis zur völligen Unnatürlichkeit übersteigert, die Darstellung der Frau vor allem auf körperliche Schlüsselreize konzentriert. Die ‚Werbedamen‘ Chérets und Capiellos sind dabei zwar aufreizend gekleidet, jedoch nie völlig nackt. Vielmehr dient ihre modische Garderobe dazu, ihre weiblichen Reize noch zu unterstreichen. Abbildung 232: Fernand Fernel Cycles Georges Richard 1896

Abbildung 233: Henri Gray (Henri Boulanger) Cycles Sirius 1899

Freizügiger präsentiert sich die ‚Werbedame‘, die Fernand Fernel für Cycles Georges Richard ins Bild setzte (Abb. 232). In Schnitt und Gestaltung erinnert ihre modisch-extravagante Kleidung an die Frauenfiguren Chérets; über einem weißen, knielangen Kleid trägt sie ein rotes Bolero-Jäckchen, auf das Strümpfe und Hut farblich abgestimmt sind. Doch lässt das Kleid die Brüste der Dargestellten unbe-

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deckt; anstelle der Brustwarzen sind Kleeblätter zu sehen: das Markenemblem der Cycles Richard. Überdeutlich führt diese inhaltlich völlig unmotivierte Entblößung vor Augen, wie die Werbung weibliche Reize instrumentalisiert, um Aufmerksamkeit für das angepriesene Produkt zu generieren. Von ihren nackten Brüsten abgesehen, erscheint die dargestellte Frau als typisch zeitgenössische Parisienne, in selbstbewusster Pose präsentiert sie sich auf dem beworbenen Fahrrad und blickt den Betrachter direkt und offen an. Während Chéret, Capiello und Fernel ein stark sexualisiertes Idealbild ihrer Zeitgenossinnen gestalten, sind die meisten Aktdarstellungen in der Plakatkunst fern jeglicher Lebenswirklichkeit angesiedelt. Im Rückgriff auf die Traditionen der freien Kunst werden beispielsweise häufig allegorische Figuren ins Bild gesetzt. So verkörpert in Alfons Muchas Plakat für den Salon des Cent von 1896 (Abb. 193, S. 251) ein betont sinnlicher Frauenakt die Kunst selbst;4 während Henri Gray für Cycles Sirius (Abb. 234) mit einer weitgehend entblößten Frauenfigur wirbt, die in Anspielung auf den Markennamen mit großer Geste auf einen hell leuchtenden Stern deutet. Den Körper der Dargestellten umspielt eine antikisch anmutende Draperie, die von einem goldenen Gürtel unter der Brust gehalten wird. Der transparente Stoff lässt jedoch die Rundungen der Hüfte deutlich durchscheinen, die Brüste sind gänzlich unbedeckt. Die betont plastische Wiedergabe des weichen Fleisches und das rosige Inkarnat verleihen dem Akt eine sinnliche Anmutung. Die nackte ‚Werbedame‘ wirkt dabei äußerst beschwingt; auf neutralem schwarzem Grund wiedergegeben, scheint sie – ebenso wie das angepriesene Fahrrad, das direkt unter ihr zu sehen ist – frei im Raum zu schweben. Sowohl die Geste der Frau, die mit ausgestrecktem Arm nach oben weist, als auch das in Untersicht gezeigte Fahrrad suggerieren dabei ein Emporstreben in Richtung des Sterns, das die Assoziation von müheloser Mobilität und Freiheit nahe legt: Mit einem Rad der Marke Sirius scheint man nicht einmal mehr an irdische Gefilde gebunden. Bezeichnend für die allegorische Verbrämung der Werbebotschaft ist dabei, dass die Dargestellte zwar direkt oberhalb des Fahrradsattels platziert wird, doch nicht darauf sitzt, geschweige denn selbst in die Pedale tritt – als allegorische Figur verkörpert sie vielmehr die Marke selbst und nimmt dabei eine künstlerisch äußerst elaborierte Pose ein: Das linke Bein ist angewinkelt und nach rechts gedreht, sodass der Schambereich verdeckt wird, der Oberkörper dagegen nach links gewandt. Diese Torsion unterstreicht den Eindruck von Beschwingtheit und betont zugleich die weiblichen Rundungen der Dargestellten. Lachend hat sie den Kopf zurückgeworfen und hebt den angewinkelten linken Arm hinter den Kopf. Geradezu ostentativ bietet sich Grays ‚Werbedame‘ so in ihrer Nacktheit dem Betrachter dar. Als allegorische Figur wird sie jedoch zugleich der Wirklichkeit entrückt und in die Sphäre der Kunst gehoben. Hierdurch

4

Für eine ausführliche Interpretation des Plakats siehe S. 251f. dieser Arbeit.

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ließ sich ganz allgemein die Darstellung von Nacktheit legitimieren: Indem der Frauenakt als allegorische oder mythologische Figur identifiziert wurde, erschien die Nacktheit als Kostüm und Maskerade. Ausgewiesen als nach Idealität strebendes Kunstwerk, konnten so auch erotisch aufgeladene Darstellungen des nackten weiblichen Körpers als vermeintlich primär ästhetischer Genuss deklariert und goutiert werden.5 Entscheidend für die Differenzierung zwischen künstlerisch ‚hochwertigen‘ und obszönen oder gar pornografischen Darstellungen war so häufig weniger der Akt selbst als vielmehr der Bildkontext, in den dieser eingebettet wurde.6 Abbildung 234: Alexandre Cabanel Geburt der Venus 1863

Entsprechend feierte beispielsweise Alexandre Cabanel mit seiner Geburt der Venus (Abb. 234), die er 1863 auf der offiziellen Salon-Ausstellung präsentierte, enorme Erfolge: Die antike Liebesgöttin, der Sage nach aus dem Schaum des Meeres geboren, zeigt Cabanel als betont sinnlichen Akt, von den Wellen getragen und von Amoretten umschwirrt. Scheinbar schwerelos räkelt sich die Dargestellte auf der Wasseroberfläche und bietet ihren makellos geformten, milchig-blassen Körper der Betrachtung dar. Cabanels Gemälde vereint so ein stark erotisches Moment mit dem Idealbild gleichsam übernatürlicher Schönheit.

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Vgl. Väth-Hinz 1985, S. 74.

6

Vgl. Menon 2001, S. 39f.

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Abbildung 235: Jules Chéret Lactéoline 1884

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Abbildung 236: Jules Chéret L’Eau des Sirènes 1888

In der Plakatwerbung des 19. Jahrhunderts treten Frauenakte auch häufig in Gestalt irrealer Fabel- und Mischwesen in Erscheinung. So wirbt beispielsweise Jules Chéret mit nackten Meerjungfrauen für Badezusatz (Abb. 235) und Haarfärbemittel (Abb. 236); die weiblichen Reize der Dargestellten werden dabei jedoch durch ihre Arme und das lange Haar weitgehend verdeckt. Pal gestaltete 1898 für die FahrradMarke Cycles Déesse eine ‚Werbedame‘ mit Libellenflügeln (Abb. 237), deren nackter Körper von einer durchsichtigen Draperie kaum verhüllt wird. In Rückenansicht wiedergegeben, schwebt sie über einer staunenden Menschenmenge, in der sich Vertreter verschiedenster Nationen finden, und präsentiert das beworbene Fahrrad – mit erhobenen Armen reckt sie es in den gelbrot gefärbten Himmel, vor dem sich fern am Horizont die Silhouette von Paris abzeichnet. Die Cycles Déesse werden so als französisches Produkt mit internationaler Vorrangstellung gekennzeichnet; zugleich spielt die Figur der geflügelten ‚Göttin‘ auf den Markennamen an. Nahezu identisch ist die Werbefigur in Pals Plakat für die Glühlampen-Marke Rayon d’Or (Abb. 238), eine äußerst sinnliche, nackte Frau mit winzigen, transparenten Flügeln, die augenscheinlich vom strahlenden Licht der beworbenen Lampe angezogen wird. Die Dargestellte wird wiederum in Rückenansicht gezeigt, was

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den Blick des Betrachters auf die üppigen Rundungen von Hüfte und Gesäß lenkt – in Bezug auf den weiblichen Körper galt weiches, fülliges Fleisch nicht nur als erotisch, sondern auch als ein Anzeichen für Schamlosigkeit.7 Abbildung 237: Pal (Jean de Paléologue) Cycles Déesse um 1898

Abbildung 238: Pal (Jean de Paléologue) Rayon d’Or vor 1896

Dieselbe Bildidee greift Gray in seinem Plakat für Petrole Stella (Abb. 239) von 1897 auf: Hier sind es drei Aktfiguren mit Schmetterlingsflügeln, die wie Motten ein blendend helles Licht umschwirren. Prominent hervorgehoben wird dabei die nackte Frau rechts oben im Bild. Als größte der Figuren erscheint sie dem Betrachter am nächsten und präsentiert diesem ostentativ ihre weiblichen Reize – lediglich der Schambereich wird von der Spitze ihres Flügels dezent verdeckt. Effektvoll hat die Dargestellte den Oberkörper zurückgebogen; die erhobenen Arme sind hinter dem Kopf verschränkt, sodass der Blick auf ihre makellos-idealisierte Büste gelenkt wird. Wie in Grays Plakat für Cycles Sirius hat auch hier die ‚Werbedame‘ den Kopf so weit zurückgeworfen, dass ein Blickkontakt mit dem Betrachter verhindert wird. Gleiches gilt auch für die geflügelten Frauenakte Pals, die das Gesicht abwenden, sowie für die sinnliche Muse aus Muchas Salon des Cent-Plakat, die die Augen geschlossen hält. Dem Betrachter kommt damit die Rolle eines Voyeurs zu,

7

Vgl. Clayson 1991, S. 69.

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der die ‚Werbedamen‘ in ihrer scheinbar selbstvergessenen Nacktheit unbemerkt goutieren kann.8 Abbildung 239: Henry Gray (Henri Boulanger) Petrole Stella 1897

Die Plakate vermitteln das Bild einer Verlangen erweckenden Weiblichkeit, die zugleich als Sinnbild der beworbenen Ware wie auch als Lockmittel für ebendiese fungiert – eigentliches Objekt des Verlangens ist die erotische ‚Werbedame‘, deren verlockende Erscheinung zugleich assoziativ mit dem Produkt verknüpft werden soll. Die Ware selbst erfährt so eine Sexualisierung, die charakteristisch ist für die Entstehung der modernen Massenkonsum-Kultur im 19. Jahrhundert: Frauen und Konsumgüter erscheinen beide ebenso verführerisch wie frei verfügbar.9 Entsprechend konstatierte auch Walter Benjamin in seinem Passagenwerk: „Die moderne Reklame erweist, wie sehr die Verlockungen von Weib und von Ware miteinander verschmelzen können.“10

8

Zum Motiv des abgewandten Blicks in Aktdarstellungen allgemein vgl. Saunders 1989, S. 23–25.

9

Vgl. Saunders 1989, S. 25; sowie Solomon-Godeau 1996, S. 113f.

10 Zitiert nach: Perucchi-Petri 2001, S. 16.

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Abbildung 240: anonym Achetez des Pommes

Überdeutlich tritt diese Gleichsetzung in einer humoristischen zeitgenössischen Fotografie zutage, deren Titel „Kauft Äpfel“11 fordert (Abb. 240): Eine nackte junge Frau hält ein Tablett mit den angepriesenen Früchten, die nicht nur in Form und Größe ihren üppigen Brüsten zu entsprechen scheinen, sondern auch in unmittelbarer Nähe zu diesen platziert sind.12 Die assoziative Verbindung von Frauen und käuflicher Ware steht im Kontext einer deutlichen Zunahme der Prostitution im 19. Jahrhundert, sowie deren geradezu exzessiver Thematisierung in der Kunst und Literatur der Zeit.13 Entsprechend haftet auch den aufreizenden ‚Werbedamen‘ der Plakatkunst häufig der Hautgout der Halbwelt an – sei es durch ihre unmittelbare Freizügigkeit oder durch ein betont exaltiertes Auftreten, das die damals vorherrschenden Anstandsnormen verletzte. In herausfordernder Pose präsentiert so beispielsweise Georges Meuniers Werbefigur für Cavour Cigars (Abb. 241) dem Betrachter ihre weiblichen Reize:

11 „Achetez des Pommes“ 12 Vgl. Nochlin 1973, S. 11. Die Fotografie stammt aus einer Zeitschrift des späten 19. Jahrhunderts; auf eine exakte Quellenangabe verzichtet die Autorin jedoch. 13 Vgl. hierzu Clayson 1991, S. 1; sowie Schmaußer 1991, S. 209.

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Abbildung 241: Georges Meunier Cavour Cigars 1895

Ihr schwarzes Mieder hebt die schlanke Taille hervor, während das Dekollete einen Großteil der Büste freigibt. Zusätzlich betont werden die Brüste der Frau durch zwei am Mieder angebrachte gelbe Quasten, die in eine schwungvolle Pendelbewegung versetzt erscheinen, sowie eine rote Blume, die mittig in ihrem Ausschnitt steckt. Keck lächelnd kommt die Dargestellte mit weit ausgreifenden Schritten dem Betrachter entgegen; in der erhobenen linken Hand hält sie eine brennende Zigarre; mit der rechten schürzt sie ihren gelben Rock, sodass die voluminösen, schwingenden Unterröcke und auch die grellroten Strümpfe sichtbar werden – ein äußerst pikantes Detail in der Wahrnehmung des 19. Jahrhunderts. Lange weiße Handschuhe, riesenhaft anmutende Puffärmel sowie ein üppig mit Rüschen, Schleifen und Blumen verzierter Hut komplettieren die extravagante Aufmachung. Die stark überzeichnete, geradezu geckenhaft anmutende Garderobe sowie das unkonventionelle Verhalten der Frau, die entgegen der damaligen Konventionen eine Zigarre raucht, charakterisieren Meuniers ‚Werbedame‘ als demimondaine – ebenso käuflich wie das angepriesene Produkt. In Gestalt der aufreizenden Werbefiguren erfährt dabei nicht nur die beworbene Ware, sondern auch die Frau selbst eine deutliche Sexualisierung. Entsprechend konstatiert Marina Warner: „Die weibliche Gestalt

kann […] Verlangen erregen und uns dadurch Seife, Getränke, Autos, Butter, Flugzeuge, Ferien oder was auch immer verkaufen. Daß sie begehrenswert ist, wird als selbstverständlich vorausgesetzt…“14 Tatsächlich wurden im 19. Jahrhundert ganz allgemein Erotik und Weiblichkeit gleichgesetzt: Die in dieser Epoche entstandene enorme Fülle sowohl von Aktdarstellungen mit künstlerischem Anspruch als auch von rein pornografischen Bildern

14 Warner 1989, S. 432.

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konzentriert sich auf den Körper der Frau –15 nur diesem wurde eine sinnlicherotische Wirkung zugesprochen. Die zahlenmäßig deutlich selteneren männlichen Akte des 19. Jahrhunderts entbehren dagegen jeder Sinnlichkeit. Dementsprechend wird auch in der damaligen Plakatkunst Erotik allein über weibliche Figuren transportiert. Die Darstellungen sind folglich ganz auf den männlichen Betrachter ausgerichtet, dem die ‚Werbedamen‘ als Objekt des Verlangens erscheinen sollen. Die Sexualität der Frauen selbst bleibt dabei außen vor –16 zwar zeigt insbesondere die Genussmittelwerbung Frauen bevorzugt als genießerische Sinnenwesen, doch sind es hier die angepriesenen Süßigkeiten, Alkoholika oder Rauchwaren, auf die sich das Begehren der Frau richtet. So etwa in Meuniers Plakat für Job-Zigarettenpapier (Abb. 51, S. 81): Zahlreiche am Boden verstreute Päckchen des beworbenen Produkts offenbaren den exzessiven Konsum der dargestellten demimondaine, die damit als unersättliche Raucherin charakterisiert wird. Dass Meunier die ‚Werbedame‘ dabei mit entblößten Brüsten zeigt, entbehrt im Kontext der Bildszene jeglicher Motivation – nicht das eigene Erleben der Frau ist erotisch, sondern nur ihre Wirkung auf den (männlichen) Betrachter. Dieser mag freilich aus dem augenscheinlich zügellosen Genuss der Raucherin auf eine ebenso zügellose Sexualität der Dargestellten schließen, im Bild selbst wird diese jedoch nicht thematisiert. In der Plakatwerbung wie auch in der Kunst des 19. Jahrhunderts insgesamt werden Erotik und Sexualität so aus einer rein männlichen Perspektive gesehen;17 sowohl die Gestalter als auch die intendierten Betrachter der sinnlich-aufreizenden ‚Werbedamen‘ waren Männer. Deutlich wird dies im Vergleich zweier Plakate für Job-Zigarettenpapier (Abb. 242, Abb. 243), die von Alfons Mucha und Jane Atché gestaltet wurden: Mit halb gesenkten Lidern und zurückgelegtem Kopf erscheint die Frauenfigur in Muchas Plakat geradezu lasziv, ganz dem lustvollen Genuss hingegeben. Ihr rosiges Inkarnat und die plastische modellierte Wiedergabe des weichen Fleisches verstärken die sinnliche Wirkung noch. Die Frau ist entspannt sitzend, mit leicht nach vorn gebeugtem Oberkörper dargestellt. Ihr Knie durchstößt den ornamentalen Rahmen der Komposition, sodass die Figur in greifbare Nähe des Betrachters gerückt scheint. Der rechte Arm ruht angewinkelt auf dem Oberschenkel,

15 Vgl. Nochlin 1973, S. 9f. 16 Vgl. Solomon-Godeau 1996, S. 115f.; sowie Warner 1989, S. 438. Zwar merkt Marina Warner an, dass Frauen von den erotischen Darstellungen der Plakate zumindest mittelbar durch eine Identifikation mit den Dargestellten angesprochen wurden. Dies erscheint jedoch eher fraglich angesichts der rigiden Sexualmoral der damaligen Zeit, die das Idealbild weiblicher Keuschheit bzw. demütiger Hingabe ausschließlich an den Ehemann propagierte. 17 Vgl. Nochlin 1973, S. 9f.

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in der Hand hält sie eine Zigarette, von der stilisierte Rauchschwaden ausgehen. Details des tief dekolletierten Kleides sind kaum auszumachen, das Hauptaugenmerk des Künstlers ruht vielmehr auf dem überlangen, golden glänzenden Haar der Figur. Wie für Muchas ‚Werbedamen‘ typisch, scheinen die ornamental aufgefassten, bewegten Haarsträhnen ein regelrechtes Eigenleben zu entwickeln. Sie zeugen von einer im 19. Jahrhundert weit verbreiteten, geradezu fetischhaften Begeisterung für Frauenhaar, das zum Sinnbild weiblicher Verführungskraft stilisiert wurde.18 Abbildung 242: Alfons Mucha Job 1896

Abbildung 243: Jane Atché Job 1896

Ganz anders präsentiert sich das Bild der Raucherin in Jane Atchés Arbeit, dem einzigen Job-Plakat, das von der Hand einer Künstlerin stammt: Zwar orientiert sich die Künstlerin deutlich am Vorbild Muchas – Parallelen finden sich etwa in der Platzierung und Körperhaltung der Werbefigur, auch die ornamental stilisierte Darstellung des Zigarettenrauchs ist vergleichbar.19 Doch strahlt Atchés ‚Werbedame‘ nicht laszive Sinnlichkeit, sondern vielmehr kühle Eleganz aus. Das Haar ist in ei-

18 Zur Darstellung von Frauenhaar im 19. Jh. vgl. Hofstätter, Hans H.: Symbolismus und die Kunst der Jahrhundertwende. Voraussetzungen. Erscheinungsformen. Bedeutungen, 2. verbesserte Auflage, Köln 1973, S. 202f.; sowie Reade, Brian: Art Nouveau and Alphonse Mucha, Ausst.Kat. Victoria and Albert Museum London 1963, 2. Aufl. London 1966, S. 15. 19 Vgl. Rennert 1990, o. S., Nr. 101.

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nem strengen Knoten frisiert, die Kleidung hochgeschlossen und in gedeckten Farben gehalten. Ein langes schwarzes Cape schirmt die Frau blockartig vom Betrachter ab; streng im Profil gegeben, nimmt sie keinerlei Kontakt auf. Auch die halbgeschlossenen Augen der Raucherin erwecken hier weniger den Eindruck selbstvergessenen Genusses, als dass sie Entrücktheit und Unnahbarkeit evozieren. Fast wirkt sie damit wie ein bewusster weiblicher Gegenentwurf zu den verführerischen ‚Werbedamen‘, die Atchés männliche Kollegen ins Bild setzten. Indem die Kunst des 19. Jahrhunderts fast ausschließlich die männliche Sicht auf Erotik und Sexualität vor Augen führt, erscheint diese als alleingültige Norm.20 Die weibliche Sexualität wurde dagegen im Ideal der ‚keuschen‘ Frau, etwa der ätherisch-entrückten femme fragile, negiert oder im Typus der femme fatale dämonisiert.21 Marie-Anne de Boye konstatierte diesbezüglich 1897 in La Fronde, die zeitgenössischen Konventionen verwehrten es den Frauen, die physische Attraktivität von Männern wahrzunehmen oder sich gar dazu zu äußern – andernfalls riskierten sie, ihren guten Ruf zu verlieren.22 Entsprechend erscheinen die Aktfiguren der damaligen Zeit zumeist als völlig passive Objekte der Betrachtung; wie die angepriesenen Waren scheinen auch sie selbst frei verfügbar und ‚konsumierbar‘. Dem lassen sich die nicht minder sexualisierten, dabei aber äußerst lebhaften ‚Werbedamen‘ Chérets und Capiellos entgegenhalten, die aktiv mit dem Betrachter kokettieren. Letzten Endes ist jedoch auch die weibliche Koketterie wieder ganz auf das männliche Gegenüber ausgerichtet, dem die gezeigten Frauen ihre Reize präsentieren. Die Darstellungen offenbaren so zeitgenössische Klischeevorstellungen, wonach Handeln und Escheinung der Frau vor allem darauf abzielen sollten, dem Mann zu gefallen.23

9.1 E SPRIT FRANÇAIS ODER S ITTENVERFALL ? – E ROTISCHE P LAKATKUNST IN DER S ICHT DES 19. J AHRHUNDERTS Das Verhältnis des 19. Jahrhunderts zu Erotik und Sexualität war ausgesprochen ambivalent: Offiziell herrschte eine äußerst rigide Sexualmoral, zugleich erlebten jedoch Prostitution und Pornografie im Verborgenen eine regelrechte Blüte.24 Mit neuen Gesetzeserlassen zur Presse- und Meinungsfreiheit kam es in den 1880er Jah-

20 Vgl. Nochlin 1973, S. 9f. 21 Vgl. Thomalla 1972, S. 60f. 22 Vgl. de Boye 1897, o. S. 23 Vgl. Rousseau 1997, S. 467; sowie Ilan-Alter 1981, 12–28. Siehe hierzu auch S. 41 dieser Arbeit. 24 Vgl. Needham 1973, S. 81–89.

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ren zu einer Flut von Veröffentlichungen erotischen und teils obszönen Charakters –25 ein zeitgenössischer Kritiker sprach etwa von 1889 als einem „pornografischen Jahr“26. Zu werten ist dies nicht zuletzt als eine Reaktion auf die Dominanz des Katholizismus und die restriktive Moral des vorangegangenen Jahrzehnts, das maßgeblich durch die restaurativen Tendenzen der Royalisten geprägt gewesen war.27 Vor allem aber galten (erotische) Sinnes- und Lebensfreude als Ausdruck des esprit français: der ureigensten Mentalität des französischen Volkes, durch deren Betonung man sich von anderen Nationen abzusetzen suchte.28 Sogar Maurice Talmeyer, im Übrigen ein scharfer Kritiker freizügiger Plakatmotive, hob so die lebhaft-koketten ‚Werbedamen‘ Jules Chérets lobend von den steifen Figuren seiner englischen Kollegen ab: „Seine [= Chérets] Frauen sind Geister, aber Geister mit klopfenden Herzen; man würde sie leben fühlen, wenn man sie anfasste; sie ließen Ihnen die Düfte liebenden Fleisches und das Rascheln von Seide zwischen den Fingern. Die Frauen [der britischen Plakatküntler] DudleyHardy und Greiffenhagen, die von denjenigen Chérets abstammen, geben vor allem die englische Marionette wieder, kalt, ironisch, zugleich frenetisch und steif; wenn sie sich bewegen, müssen sie wie Holzpuppen klappern.“

29

Deutlich zutage trat das französische Selbstverständnis etwa in den Attraktionen der Rue de Paris, die als Teil der Weltausstellung von 1900 die Lebensart der französischen Hauptstadt repräsentierte – zur Veranschaulichung des ‚gallischen Charakters‘ wurde den dortigen Bühnendarbietungen von offizieller Seite ein deutlich grö-

25 Vgl. Cate, Phillip Dennis: „Prints Abound: Paris in the 1890s“. In: Prints Abound. Paris in the 1890s, Ausst.Kat. National Gallery of Art Washington, London 2000, S. 12–47, hier S. 35f.; Melot, Michel: Les Femmes de Toulouse-Lautrec, Paris 1985 [= Les Albums du Cabinet des Estampes de la Bibliothèque nationale], S. 8; sowie Weill, Alain: L’Affiche française, Paris 1982. [= „Que sais-je?“. Le Point des conaissances actuelles, Bd. 153],S. 24–26. 26 „l’année pornographique“ – zitiert nach: Melot 1985, S. 8. 27 Vgl. Melot 1985, S. 8. 28 Vgl. hierzu auch S. 352f. dieser Arbeit. 29 „Ses femmes sont des fantômes, mais des fantômes palpitans [sic]; on les sentirait vivre en les touchant; ils vous laisseraient des parfums de chair amoureuse et des bruissements de soie entre les doigts. Les femmes de Dudley-Hardey [sic] et de Greiffenhagen, tout en procédant de celles de Chéret, reproduisent surtout la marionette anglaise, froide, ironique, à la fois frénétique et raide; elles doivent, quand elles remuent, claquer comme des poupées des bois.“ – Talmeyer, Maurice: „L’Age de l’affiche“. In: Revue des deux mondes, LXVI. Jahr/4. Periode, Bd. 137, 1.9.1896, S. 201–216, hier S. 205f.

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ßeres Maß an Freizügigkeit zugebilligt als den Präsentationen anderer Nationen, die diesbezüglich einer strengen Reglementierung unterlagen.30 Entsprechend intensiv nutzte die Vergnügungsindustrie die zeitgenössischen Klischeevorstellungen von einer vermeintlich ‚typisch französischen‘ Melange von Sinnlichkeit und Lebensfreude zu Werbezwecken. Die Plakate für café-concerts und Music Halls zeigen bevorzugt leichtbekleidete, ausgelassene und teils äußerst frivole ‚Werbedamen‘ – war das Aushebeln gesellschaftlicher Anstandsnormen dort doch auch realiter ein Hauptbestandteil der Attraktion.31 Überdeutlich kommt dies in den Plakaten Jules Alexandre Grüns für die Pariser Vergnügungslokale zum Tragen; seine ausgelassenen ‚Werbedamen‘ scheinen fast ausnahmslos der Halbwelt anzugehören. So scherzen beispielsweise im Plakat für Le Tréteau de Tabarin (Abb. 79, S. 116) übermäßig herausgeputzte Kokotten mit einem offenbar wohlhabenden Gönner, während in einer Arbeit für das Café Riche (Abb. 80, S. 116) eine lachende demimondaine von der Polizei abgeführt wird.32 Mehrfach warb Grün zudem mit expliziten StripteaseDarstellungen – seit Mitte der 1890er Jahre gehörten sich entkleidende Frauen auch realiter zu den Attraktionen der Pariser Bühnen.33 Grüns Plakat für das Concert Européen (Abb. 244) etwa zeigt eine Frau im hautengen roten Kleid, dessen Träger die Dargestellte augenscheinlich gerade gelöst hat; effektvoll umflattern sie ihre Figur. Das Kleid selbst ist unter die Brust herab geglitten; die helle Haut von Rücken und Schultern kontrastiert mit dem tiefschwarzen Bildhintergrund. Durch die Wiedergabe der ‚Werbedame‘ in Rückenansicht erscheint deren nackte Büste etwas kaschiert; erst auf den zweiten Blick bemerkt der Betrachter die entblößte Brust, die hinter dem angewinkelten Arm der Frau hervorschaut – gerade aus diesem Spiel mit Zeigen und Verbergen schöpft die Darstellung ihre erotische Raffinesse. Gleichzeitig rückt damit das ausladende Hinterteil der Figur in den Fokus, dessen Proportionen Grün deutlich überzeichnet. Kokett lächelnd blickt die Dargestellte über ihre Schulter zum Betrachter zurück; sie scheint sich seiner Anwesenheit wie auch ihrer eigenen Wirkung bewusst. In zweideutiger, anzüglicher Formulierung fragt die Werbeinschrift „Willst du hinaufklettern?“34; gemeint ist der Aufstieg auf die Butte Montmartre als Zentrum der Pariser Vergnügungskultur.35 Nicht zuletzt die mondäne Aufmachung der Frau – zu ihrem roten Abendkleid trägt sie einen weißen Hut in ausgefallener Form mit einem rot

30 Vgl. Garelick 2007, S. 89. 31 Vgl. Ilan-Alter 1988, S. 65–68; sowie Weisberg, Gabriel P.: „Montmartre’s Lure. An Impact on Mass Culture“. In: ders. 2001, S. 1–11, hier S. 4. 32 Zu einer ausführliche Erläuterung diese beiden Plakate siehe S. 115f. dieser Arbeit. 33 Vgl. Barthelmess 1994, S. 22; sowie Rearick 1985, S. 104. 34 „Veux-tu grimper?“ 35 Vgl. Noël/Herbaut 2012, S. 48.

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gemusterten Band sowie lange weiße Handschuhe – verdeutlicht, dass hier eine klar kalkulierte Bühnendarbietung ins Bild gesetzt wird, nicht etwa ein privater, intimer Moment. Zugleich rückt Grün seine Figur jedoch in unmittelbare Nähe des Betrachters; sie erscheint buchstäblich zum Greifen nah. Abbildung 244: Jules-Alexandre Grün Concert Européen 1901

Abbildung 245: Jules-Alexandre Grün La Cigale 1898

Gleiches gilt auch für die ‚Werbedame‘, die der Künstler für eine Revue der Scala (Abb. 78, S. 115) gestaltete. Sie trägt ebenfalls ein leuchtend rotes Kleid, unter dem sich die üppigen Rundungen von Hüfte und Schenkeln deutlich abzeichnen. Im Kontrast hierzu steht die betont schlanke Taille, die in ein rotweiß gemustertes Mieder geschnürt ist. Der dazugehörigen Kostümjacke entledigt sich die Dargestellte gerade mit sichtlichem Vergnügen, darunter wird die betont helle Haut ihrer Büste sichtbar, kaum verhüllt durch eine tief dekolletierte, durchsichtige Bluse. Übermütig lachend wirft die gezeigte Frau den Kopf zurück; ein flatternder Schleier, der an ihrem blumengeschmückten Hut befestigt ist, unterstreicht die Bewegung noch. Eine ebenso fröhlich-frivole Ausgelassenheit charakterisiert auch die Figuren in Grüns Plakat für das café-concert La Cigale (Abb. 245). Rechts im Vordergrund ist wiederum eine Frau im roten Kleid in Rückenansicht zu sehen; lachend hat sie ihre nackte Brust umfasst und präsentiert sich so eine Gruppe augenscheinlich begeisterter Männer, die aus dem Bildhintergrund nach vorn drängen – Frack und Zylinder

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oder Melone sowie ganz rechts eine nur schemenhaft angedeutete Uniform weisen sie als Vertreter der oberen Gesellschaftsschichten aus, die hier in der Begegnung mit der Halbwelt (erotisches) Vergnügen suchen. Von links wird der dargestellten ‚Werbedame‘ ein Bouquet entgegengestreckt, das auf weitere Verehrer jenseits des Bildrandes schließen lässt. Darüber ist im Hintergrund eine nicht minder freizügige Frauenfigur sichtbar. Von der Menge gänzlich unbeachtet, scheint sie im Begriff, den Ort des Geschehens zu verlassen. Über der Schulter trägt sie eine Fahne, deren Inschrift sie als „die Hundertste“ ausweist – gemeint ist die hundertste Aufführung einer Revue von Henry Fursy, die hier beworben wird. Der übrige Bildtext klärt über die Hintergründe auf: „Für wen stimmt man? Man stimmt für die 150. [Aufführung]“36 Diese wird offenbar durch die Figur im Vordergrund versinnbildlicht, streckt ihr doch einer der Männer einen ‚Stimmzettel‘ entgegen. Mit dieser Anspielung auf Wahlen und politische Abstimmungen greift Grün ein Thema auf, dem die Zeitgenossen schwerwiegende Bedeutung beigemessen haben dürften angesichts der wiederholten politischen Umbrüche und Revolutionen, die Frankreich seit dem späten 18. Jahrhundert erschütterten. Übertragen in die Welt der Vergnügungsindustrie und kombiniert mit einer explizit erotischen Darstellung, erfährt das Motiv jedoch eine Ironisierung – dem gravitätischen Ernst der Politik wird die Ausgelassenheit der café-concerts und Music Halls entgegengesetzt. Durch das erotische Moment der Darstellung werden so die oftmals subversiven Züge der Pariser Vergnügungskultur verbildlicht: Vor allem in den cabarets und Vergnügungslokalen Montmatres setzte man sich bewusst über gesellschaftliche Verhaltensnormen und etablierte Moralvorstellungen hinweg. Derartige Grenzüberschreitungen sind auch ein zentrales Charakteristikum der Plakatkunst selbst – sollten Plakate doch alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um für ihre Werbebotschaft die größtmögliche Aufmerksamkeit der Passanten zu erregen.37 Besonders augenscheinlich wird dies wiederum am Beispiel Grüns, dessen freizügig-frivole Plakatmotive den eher unspektakulären, konventionellen Sujets seiner Malerei – darunter vor allem Stillleben und Darstellungen der Bourgeoisie – geradezu diametral entgegengesetzt erscheinen.38 Entsprechend erklärte A. Halbert, das Plakat habe gegenüber anderen Kunstformen die Rechte des enfant terrible:39

36 „Pour qui votait-on? On vote pour la 150ème de la Revue…“ 37 Vgl. Verhagen 1995, S. 117–120. 38 Zum malerischen Oeuvre Grüns vgl. Noël/Herbaut 2012, bspw. S. 73–75, S. 106f. und S. 111f. 39 Vgl. hierzu auch Kat. Antwerpen 1979, S. 8.

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„Es kann [sich] austoben. Es hat Bewegungsfreiheit – ins Groteske – ins Halbsittliche. […] Das Plakat kommt (für das Publikum) von der ‚andern Seite‘; von jener Welt, die leichtfertig ist, die übertreibt, die aufträgt. Ist diese Übertreibung elegant, graziös – eben: künstlerisch, […] dann wird sogar die Moral abgeschaltet. Darin hat die Plakatkunst ihre stärkste Macht: sie kann umgaukeln, kann faszinieren, kann in eine Situation hineinzwingen – auch entgegengesetzte Welten und Anschauungen. Man wird vielleicht sagen: Wie frech – aber man wird seine Freude daran haben…“40

Folgerichtig besprach das Gros der zeitgenössischen Kritiker die Arbeiten der Plakatkünstler, ohne auf eventuelle Sittenverstöße näher einzugehen. Doch finden sich diesbezüglich auch einige betont kritische Stimmen, die Halberts Position teils geradezu diametral entgegengesetzt sind: Jean-Louis Sponsel etwa attestierte der französischen Plakatkunst einen geradezu „pornografischen Zug“41; sie gebe Zeugnis vom „leichtlebige[n] und sittenlose[n] Treiben […] der französischen Hauptstadt“42, so der Autor. Maurice Talmeyer wiederum sieht gerade in der Werbefunktion des Plakates dessen Unsittlichkeit begründet – da es im Betrachter und potentiellen Konsumenten ein gänzlich egoistisches Verlangen nach Genuss wecken müsse, könne es per se nicht moralisch sein; die Plakatwerbung sei damit „die natürliche und logische Kunst einer Epoche des bis auf Äußerste gesteigerten Individualismus und Egoismus“43. Talmeyer wie auch Sponsel verstehen die freizügigen Plakatmotive als Ausdruck eines allgemeinen Sittenverfalls und schreiben diesen zugleich eine äußerst demoralisierende Wirkung zu.44 So konstatiert Talmeyer: „…das Kunstplakat vermag nichts zum Guten, und alles zum Schlechten. Die Frauen, die Gesetze, die Autorität, die Familie, den Besitz, die Justiz und all das, was die Moral [uns] verpflichtet zu respektieren, wird es [das Plakat] nie respektieren, sondern ganz natürlich dazu drängen, es zu verletzen.“45

40 Halbert 1914, S. 18–20. Vgl. hierzu auch Kat. Antwerpen 1979, S. 8. 41 Sponsel 1897, S. 60. 42 Ebd., S. 104f. 43 „l’art naturel et logique d’une époque d’individualisme et d’égoïsme à outrance“ – Talmeyer 1896, S. 209. 44 Vgl. Sponsel 1897, S. 60; sowie Talmeyer 1896, S. 210f. 45 „…l’affiche d’art ne peut rien pour le bien, et peut tout pour le mal. Elle n’engagera jamais à respecter les femmes, les lois, l’autorité, la famille, la propriété, la justice, et tout ce que toute morale engage à respecter, mais poussera tout naturellement à le violer.“ – Talmeyer 1896, S. 211.

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Der Autor unterscheidet dabei klar zwischen den freizügigen Figuren der Plakatwerbung und den Aktdarstellungen der freien Kunst. Letztere sind vermeintlich ganz dem ästhetischen Ideal verpflichtet, das es in kontemplativer Versenkung zu goutieren gilt, und damit bei aller Freizügigkeit über den Vorwurf der Unsittlichkeit erhaben. Im Plakat hingegen wird Nacktheit für die ‚niederen‘ Beweggründe der kommerziellen Werbung instrumentalisiert und ostentativ zur Schau gestellt, um die Aufmerksamkeit des Rezipienten zu erregen: „Das Plakat ist etwas ganz anderes [als die ‚Hochkunst‘], und seine Schamlosigkeit ist wissend, systematisch, kalkuliert, dosiert, kommerziell, es ist eine professionelle Schamlosigkeit, die sich nach den Ansprüchen und Gaunereien eines Gewerbes richtet; es ist die Schamlosigkeit der Prostitution. Diese lebhafte und behände Frau der Werbeanzeige, die sich ganz nach belieben ent- und wieder ankleidet, sich in Pelze einmummelt oder uns ihre Schultern zeigt und sich bis ins kleinste mit so viel Sachverstand präsentiert, unter all den Lichtverhältnissen und Windstößen, diese hübsche Frau tut all das nicht zu ihrem Vergnügen, […] sondern mit Absicht, für die Galerie, für die Straße, für den Sohn einer Familie, der vorübergeht, oder den alten Herrn, der sie betrachtet. Sie ruft uns zu, zwinkert uns zu, wiegt sich in den Hüften, lacht, tänzelt und rackert sich ab, damit man ihr folgt.“

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Die Figuren der Plakatkunst trügen eine „geschminkte Nacktheit“47 zur Schau, so der Autor weiter: Sie sind ganz auf ihre erotische Wirkung hin konzipiert und heischen damit Aufmerksamkeit – gerade hierin liegt für Talmeyer die Obszönität der Darstellungen begründet. Tatsächlich lassen sich bezüglich ihrer Intention und Wirkung Parallelen zwischen der Bildwelt der Werbung und der Pornografie feststel-

46 „L’affiche est toute autre chose, et son impudeur, à elle, est savante, systématique, calculée, dosée, commerciale; c’est une impudeur de profession, qui se gouverne selon les exigences et les roueries d’un métier; c’est l’impudeur de la prostitution. Cette femme agile et preste de l’annonce, qui se déshabille ou se rhabille à volonté, s’emmitouffle [sic] de fourrures ou nous montre ses épaules, et se détaille avec tant de science, sous tous ces effet de lumière ou de coups de vent, cette jolie femme-là ne fait pas tout cela pour son plaisir, […] mais dans une intention, pour la galerie, pour la rue, pour le fils de famille qui va passer, ou le vieux monsieur qui la regarde. Elle nous appelle, nous cligne de l’œil, se déhanche, rit, trottine et se démène pour qu’on la suive.“ – Talmeyer 1896, S. 213. Vgl. auch ebd., S. 215. 47 „une nudité maquillée“ – Talmeyer 1896, S. 213. Die von Talmeyer gewählte Formulierung ist äußerst bezeichnend, dient das sichtbare Vorhandensein von Schminke doch als ein Kriterium der kulturell codierten Unterscheidung zwischen obszönen Zurschaustellungen von Nacktheit und ‚geschmackvollen‘ Akten mit künstlerischem Anspruch. Vgl. hierzu Nead 1992, S. 53f.

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len, die diese von der ‚Hochkunst‘ absetzen: Beide sind auf einen großen Rezipientenkreis ausgerichtet, wecken ein Verlangen, das über natürliche Bedürfnisse hinausgeht, und bewegen damit letzten Endes zum Handeln (sprich: zur Befriedigung des erzeugten Verlangens).48 Besonders schwer wiegt die Obszönität der Plakatwerbung Talmeyers Ansicht nach dadurch, dass diese den Rezipienten im öffentlichen Raum uneingeschränkt zugänglich ist – so würden auch besonders leicht zu beeinflussende Bevölkerungsgruppen wie Frauen, Kinder und Menschen vom Land der demoralisierenden Wirkung der Darstellungen ausgesetzt.49 Angesichts ihrer um Aufmerksamkeit heischenden Gestaltung könne man diese kaum ignorieren: „…das Plakat, so wie es heute auf unseren Wänden erblüht, ist ein zweifelhaftes Agens der Perversion. Es begeistert für jegliche Frivolität und Sinnlichkeit, zersetzt jede hohe Idee, jedes starke Gefühl, und agiert zugleich mit despotischer Unverschämtheit und Spektakel, nach Art einer Standarte oder einer Sturmglocke, deren Anblick oder Geräusch man nicht entkommen kann.“

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Eine derartige Argumentation ist dabei ganz allgemein typisch für Debatten um Obszönität und deren Reglementierung, die sich nicht nur im 19. Jahrhundert häufig weniger um die Inhalte selbst drehen, als vielmehr um die Frage, wem diese zugänglich sind. Implizit kommen dabei auch soziale Hierarchien und Machtstrukturen zum Tragen, wie Lynda Nead anmerkt: Stets sei es eine gesellschaftlich dominante Gruppe, die das vermeintlich obszöne Material von den weniger einflussreichen Teilen der Bevölkerung fernzuhalten suche.51 Was angeblich dem Schutz der ‚Schwächeren‘ dient, zielt so vor allem darauf, die von der dominanten Gruppe gesetzten Normen und Werte aufrechtzuerhalten. Talmeyers Sorge um die Moral von Frauen und Kindern verweist damit implizit auf die Herrschaftsstrukturen der patriarchalischen Gesellschaftsordnung. Dass er zudem die Landbevölkerung in seine Argumentation mit einbezieht, offenbart, wie die im Zuge der Industrialisierung rapide angewachsenen Städte den ländlichen Bereich sozial und kulturell dominierten. So durfte etwa Jules-Alexandre Grüns Plakat für Cycles Withworth (Abb. 30,

48 Vgl. Nead 1992, S. 87–91. 49 Vgl. Talmeyer 1896, S. 213f. 50 „…l’affiche, telle qu’elle fleurit aujourd’hui sur nos murs, est une redoutable agent de perversion. Exaltant pour tout ce qui est frivolité et sensualité, dissolvante de toute idée haute, de tout sentiment fort, elle agit en même temps avec une insolence et un tapage despotiques, à la façon d’un étendard ou d’un tocsin, à la vue ou au son desquels on n’est pas libre d’échapper.“ – Talmeyer 1896, S. 216. 51 Vgl. Nead 1992, S. 91f.

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S. 58) nicht in den ländlichen Gegenden der Ile-de-France plakatiert werden, da die gezeigte Szene von der vermeintlich ‚rückständigen‘ Landbevölkerung angeblich nicht verstanden und als anstößig empfunden wurde – bezüglich der Rezipienten im ‚fortschrittlichen‘ städtischen Raum hatte man dagegen keine derartigen Bedenken.52

9.2 Z ENSUR Obschon die Gesetzgebung der 1880er Jahre zu einer Lockerung der Zensur führte, wurde diese doch nicht gänzlich aufgehoben. Vor allem René Bérenger, seit 1873 Senator auf Lebenszeit, verschrieb sich dem Kampf gegen die vermeintliche Unsittlichkeit seiner Zeit, was ihm den Spitznamen ,le père la pudeur‘ (Vater Schamhaftigkeit) einbrachte. Vehement ging Bérenger etwa gegen die florierende Prostitution und Pornografie sowie die freizügigen Bühnendarbietungen der Pariser Vergnügungsindustrie vor.53 Unterstützung fand er hierbei in der privaten Union pour l’action morale, die unter anderem 1886 einen Bilderzyklus zum Leben der heiligen Genoveva plakatieren ließ, dessen ‚erbauliches‘ Sujet den Frivolitäten der Werbung entgegenwirken sollte.54 Auch die populären Bildmedien der damaligen Zeit wurden wiederholt zensiert. Die Differenzierung zwischen bloßen Obszönitäten und ‚geschmackvollen‘ Akten, die durch einen künstlerischen Anspruch legitimiert schienen, war dabei vor allem vom jeweiligen Bildkontext abhängig: Als ‚unsittlich‘ galt die Darstellung von Nacktheit vor allem dort, wo sie auf die zeitgenössische Lebenswirklichkeit verwies, anstatt – eingebettet in allegorische oder mythologische Kontexte und so der Realität entrückt – tradierte ästhetische Idealvorstellungen der Hochkunst abzubilden.55 Entsprechende Maßstäbe wurden auch im Hinblick auf die Plakatkunst angelegt: So durfte etwa Alfons Muchas Salon des Cent-Plakat von 1896 (Abb. 193, S. 251) ohne Einschränkungen verbreitet werden, war dessen sinnlicher Halbakt doch als allegorische Personifikation der Kunst gekennzeichnet.56 Théophile-Alexandre Steinlens Plakat für Dubut de Laforests Roman La Traite des Blanches (Abb. 246) dagegen wurde angesichts seines sozialkritischen Realismus zensiert und musste

52 Vgl. Boulanger1991, S. 25–27. Zu einer ausführlichen Beschreibung des fraglichen Plakats siehe S. 57–59 dieser Arbeit. 53 Vgl. Munholland 2001, S. 21; Newman 1989, S. 149–158; sowie Weill 1982, S. 24–26. 54 Vgl. hierzu S. 286–288 dieser Arbeit. 55 Vgl. Cate 2002, S. 35–41. 56 Vgl. Henatsch 1994, S. 47f.

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überarbeitet werden: Der beworbene Roman versteht sich als öffentliche Anklage von Mädchenhandel und Prostitution, ein Thema, das Steinlen durch die Gegenüberstellung eines augenscheinlich wohlhabenden Zuhälters im weißen Anzug und zweier ‚käuflicher‘ Frauen verbildlicht. Die rechte der beiden scheint sich ganz in ihre Profession ergeben zu haben. Sie hat ihr Mieder geöffnet und das Hemd von den Schultern gestreift; mit einem angedeuteten Lächeln präsentiert sie dem Betrachter ihre nackten Brüste. Die Frau in der Mitte dagegen trägt ein hochgeschlossenes Kleid und protestiert offenbar vehement; der Mund ist zu einem empörten Schrei aufgerissen, die rechte Hand rauft das lange schwarze Haar.57 Eine weitere Frauenfigur im Vordergrund hat sich weinend, das Gesicht in den Armen vergraben, über einen roten Sessel geworfen – sie gehört jedoch nicht zu den im Roman beschriebenen ‚weißen Sklavinnen“; vielmehr zeigt Steinlen hier eine von der Lektüre tief betroffene Leserin, wie die etwas breitere zweite Version des Plakats offenbart. Dort ist deutlich eine bildimmanente Rahmung zu erkennen, welche die Leserin von der Szene im Hintergrund trennt.58 Abbildung 246: Théophile-Alexandre Steinlen La Traite des Blanches 1899

Abbildung 247: Théophile-Alexandre Steinlen La Traite des Blanches 1899

57 Vgl. Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 58f.; sowie Schardt 1987, S. 154. 58 Vgl. Buschhoff 2001, S. 74–77.

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Obschon Steinlens Plakat jegliche Sinnlichkeit und Erotik entbehrt, wurde die Darstellung der nackten Brust beanstandet – im Kontext einer solch sozialkritischrealistischen Schilderung des zeitgenössischen Halbweltmilieus schien sie nicht tolerierbar. In der überarbeiteten Version des Plakats (Abb. 247) trägt die fragliche Figur ein schwarzes Spitzenmieder. Abbildung 248: Jules Chéret Alcazar d’Été – Les Rigolboches 1876

Zensiert wurden jedoch nicht nur die Darstellungen von Nacktheit, sondern auch von ‚unsittlichem‘ Verhalten– so etwa im Fall eines Plakats, das Jules Chéret für den Auftritt der Tanztruppe Les Rigolboches im Alcazar d’Été schuf: Die ursprüngliche Version des Plakats (Abb. 248) zeigt zwei Cancan-Tänzerinnen in rotweißen Kostümen; schwungvoll werfen sie ihre Beine in die Luft und lassen so die wirbelnden Unterröcke sehen. Zwischen den beiden Frauen sind ihre männlichen Tanzpartner platziert; der linke der beiden Männer trägt eine schwarzen Anzug und schwingt ebenfalls ein Bein in die Luft; der rechte, im rotweiß karierten Anzug, bückt sich zum Sprung. Da er hierbei vermeintlich seiner Partnerin unter den geschürzten Rock schaut (tatsächlich verläuft seine Blickachse deutlich oberhalb), wurde die Darstellung beanstandet und musste überarbeitet werden (Abb. 249): Chéret behielt die beiden männlichen Figuren bei, ordnete sie aber spiegelbildlich versetzt an. Die Tänzerinnen dagegen sind nun beide in einem weit ausgreifenden Sprung begriffen, der keinen Blick mehr unter ihrer Röcke erlaubt. Die überarbeitete Version des Plakats zeigt, dass offenbar nur das Detail des ‚pikanten Einblicks‘ das Missfallen der Zensoren erregte, nicht die exaltierte Zur-

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schaustellung der Tänzerinnen oder die wirbelnden Röcke an sich – galt der übermütige Cancan doch als Ausdruck des esprit français. Zugleich tritt am Beispiel Chérets die Willkür der damaligen Zensur klar zutage: Andernorts gestaltete der Künstler deutlich freizügigere ‚Werbedamen‘, die nicht beanstandet wurden; tatsächlich war Les Rigolboches offenbar das einzige zensierte Plakat Chérets. 59 Abbildung 249: Jules Chéret Alcazar d’Été – Les Rigolboches 1876

Das prominenteste Beispiel für die Zensur von Werbeplakaten im 19. Jahrhundert dürfte jedoch Alfred Choubracs Arbeit für die Zeitschrift Fin de siècle (Abb. 250) von 1898 sein – im ursprünglichen Zustand zeigt es eine äußerst aufreizende ‚Werbedame‘, die den Bühnen der Pariser Vergnügungslokale entsprungen zu sein

59 Eine entsprechende Angabe findet sich im Katalog des Plakathändlers Edmond Sagot. Vgl. Kat. Albi/München/Paris 2010, S. 163, Nr. 205. Zwar nennt Ségloène Le Men mit L’Eaux des Sirènes (überarbeitete Version Abb. 236, S. 313) noch ein weiteres Beispiel für eine zensierte Arbeit Chérets, doch erklärt Sagot angesichts der zwei Versionen des Plakats, die Überarbeitung sei durch den Hersteller des beworbenen Haarfärbemittels veranlasst worden, da diesem das Haar der dargestellten Meerjungfrauen nicht lang und üppig genug war. Dies bekräftigen auch die fraglichen Arbeiten selbst: In der zweiten Version des Plakats ist das Haar der Figuren länger, deren nackte Körper sind jedoch noch in gleicher Weise sichtbar. Vgl. Le Men 2010, S. 58; Zmelty 2014, S. 70f.; sowie Kat. Albi/München/Paris 2010, S. 311, Nr. 1210f.

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scheint: Sie trägt ein tief dekolletiertes, durchsichtiges schwarzes Spitzenleibchen, unter dem sich deutlich ihre Brüste abzeichnen, sowie ein kurzes rotes Tutu mit schwarzem Unterrock, das den Blick auf die Beine bis hinauf zum Oberschenkel freigibt – ein Motiv, dessen Pikanterie noch durch bis übers Knie reichende schwarze Strümpfe gesteigert wird. Effektvoll heben sich hierauf die leuchtend roten Strumpfbänder und Schuhe ab. Rote Ansteckblumen im Haar der Figur sowie am Träger des Leibchens setzen zusätzliche Farbakzente. In beschwingt anmutender Pose sitzt die Dargestellte auf einer Mondsichel und lächelt kokett; in der erhobenen Rechten hält sie einen Fächer als typisches mondänes Accessoire der Zeit, die linke Hand ist hinter dem Rücken verborgen; die Beine sind leicht geöffnet. Abbildung 250: Alfred Choubrac Fin de siècle 1891

Abbildung 251: Alfred Choubrac Fin de siècle 1891

In der zensierten Version des Plakats (Abb. 251) ist der Rumpf der Figur durch einen großen weißen Fleck ersetzt, auf dem demonstrativ der Eingriff der Zensoren vermerkt ist: „Dieser Teil der Zeichnung wurde verboten“60, ist dort in großen roten Buchstaben zu lesen. Im Gegensatz zu Steinlen und Chéret, die ihre Plakate inhaltlich stimmig überarbeiteten, stellt Choubrac so die Zensur seines Werks in provokativ-anklagender Weise zur Schau – 61 mehr noch: Auf eigene Kosten ließ der Künst-

60 „Cette partie du dessin a été interdite“ 61 Vgl. Zmelty 2014, S. 68.

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ler ein weiteres Plakat drucken, das den Maßnahmen der Zensur mit satirischer Schärfe begegnet (Abb. 252): Es zeigt ein großes Weinblatt, hinter dem eine Schere hervorragt – Sinnbild des Eingriffs durch die Zensoren, der in schönfärberischer Weise bemäntelt wird. Die dazugehörige Bildinschrift preist eine „große Auswahl an Weinblättern aller Größen für Bildplakate“ an, „auf Bitte der tugendhaften Zeitschriften T_[,] G_ und D_“62 – die vermeintlich auf den Erhalt der öffentlichen Moral abzielende Zensur wird so als eine von konkurrierenden Blättern lancierte Boykottmaßnahme entlarvt. Abbildung 252: Alfred Choubrac Grand choix de feuilles de vigne 1891

Das Beispiel Choubracs zeigt, dass Zensur häufig nicht kritiklos hingenommen wurde. Ganz im Geiste der Klischeevorstellungen eines sinnenfrohen esprit français warfen viele Künstler der Zeit Senator Bérenger vor, er zerstöre mit seinen Restriktionen die französische Kunst und Kultur.63 Der Courrier français, selbst im-

62 „Grand choix de feuilles de vigne de toutes grandeurs pour affiches illustrées. À la demande des vertueux journaux le T_ le G & les D_“; vgl. Weill 1982, S. 24–26. 63 Vgl. Cate 2000, S. 35f.

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mer wieder von Zensur betroffen, verteidigte in diesem Kontext vehement die Freiheit der Presse wie auch der Kunst: Über Jahre hinweg veröffentlichte das Blatt Frauenakte, die in einem zeitgenössischen Umfeld situiert waren – diese seien ‚ehrlicher‘, so die Verantwortlichen, als die Aktdarstellungen konkurrierender Zeitschriften, die aufgrund ihrer allegorischen oder mythologischen Verbrämung der Beanstandung durch die Zensoren entgingen.64 Abbildung 253: Jules Chéret Le Courrier français. Exposition… 1891

Abbildung 254: Adolphe-Léon Willette Le Courrier français 1885

Die Werbeplakate des Courrier français lösen hingegen den selbst formulierten Anspruch des Realismus nicht ein; die freizügigen ‚Werbedamen‘ werden der Wirklichkeit deutlich entrückt. So zeigt etwa eine 1891 entstandene Arbeit Chérets für eine Ausstellung mit Originalillustrationen der Zeitschrift (Abb. 253) eine beschwingte Frauenfigur im gelben Kleid, die mit angewinkelten Beinen und auffliegendem Rock mitten im Sprung begriffen oder frei zu schweben scheint. In der linken Hand hält die Dargestellte ein Exemplar der beworbenen Zeitung, auf dem Rücken trägt sie einen Köcher mit Pfeilen sowie einen Bogen: Attribute, die auf den antiken Liebensgott Amor verweisen mögen. Der Hintergrund wird bestimmt von einem gänzlich irrealen ‚Farbnebel‘ in Rot, Blau und Gelb, aus dem die Büste eines

64 Vgl. Rearick 1985, S. 43.

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lachenden Fauns auftaucht – augenscheinlich aus Stein gefertigt, wirkt dieser dennoch höchst lebendig. Den Kopf weit zurückgeworfen, scheint die ‚Werbedame‘ mit ihm zu scherzen, mit einer Feder kitzelt sie ihn an der Nase. Im Zusammenspiel der ausgelassenen ‚Muse‘ und des antiken Fabelwesens, das für seine Lüsternheit bekannt ist, versinnbildlicht Chéret so den Charakter des beworbenen Blattes, das sich vor allem der Pariser Vergnügungskultur widmete und dank seiner zahlreichen Veröffentlichungen pikanter Aktbilder auch einen erotischen Hautgout besaß. Entsprechend schrieb Jules Roque, Verleger des Courrier français und ein früher Förderer Chérets, über dessen Werke:65 „Mit einer perfekten Intuition hat es Meister Chéret verstanden, auf einen Schlag sowohl durch die Zeichnung als auch durch die Farbgebung, den gallischen Geist der Zeitschrift mit unserer Liebe zur Form – vor allem der weiblichen Form – zu verbinden.“

66

Adolphe Willettes Plakat für den Courrier français (Abb. 254) nimmt zwar stärker Bezug auf die zeitgenössische Kunstszene, doch erscheint auch seine Arbeit vor allem durch sinnbildliche Verschlüsselung geprägt: Eine junge Frau nimmt offenbar gerade ihr Frühstück im Bett zu sich; sie hat sich aufgesetzt und hält einen Löffel in der Hand, vor ihr steht eine Schale. Ihr Nachthemd ist herab geglitten und gibt den Blick auf ihre nackten Brüste frei, in einem eher halbherzigen Versuch, diese zu bedecken, rafft die Dargestellte mit graziler Geste einen Zipfel des Betttuchs nach oben. Neben ihr ruht augenscheinlich selig schlafend eine geflügelte Amorette auf den Kissen – ein Motiv, das die gezeigte Szene der Realität deutlich entrückt und zugleich sinnbildlich deren erotisches Moment unterstreicht. Ergänzt wird diese intim anmutende Situation durch zahlreiche verschlüsselte Verweise auf die BohemeKultur Montmartres, welcher der Courrier français eng verbunden war: So trägt der Fuß der Nachttischlampe, die am rechten Bildrand aufragt, als Dekor die Darstellung einer Asiatin, die von einer schwarzen Katze überrannt wird – eine Anspielung auf die Begeisterung der künstlerischen Avantgarde für den Japonismus sowie auf das berüchtigte cabaret Le Chat Noir, in dem auch Willette selbst bevorzugt verkehrte. Daneben liegt aufgeschlagen Émile Goudeaus Roman La Vache enragée, der die Probleme eines verarmten Boheme-Künstlers schildert.67 Die gelbe Tapete im Hintergrund schließlich trägt ein Muster aus zahlreichen kleinen Pierrot-Figuren

65 Vgl. Rearick 1985, S. 26. 66 „Maître Chèret, avec une intuition parfaite, a su d’un seul coup, aussi bien par le dessin que par la couleur, synthétiser l’esprit gaulois du journal ainsi que notre amour de la forme – surtout de la forme féminine.“ – J. R. (= Roque, Jules): „Notre Prochain Numéro. Les Affiches illustrées de Cheret“. In: Le Courrier français, Nr. 5/2.2. 1890, S. 3. 67 vgl. hierzu S. 230 dieser Arbeit.

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– der damaligen Avantgarde galten diese als Personifikationen des modernen Künstlers.68 Der Fokus der Darstellung liegt jedoch auf einem riesenhaften Rosenstrauß, der den gesamten Vordergrund einnimmt. Ihn überreicht ein winziger geflügelter Bote im altmodischen Kostüm, bestehend aus einer livrée-ähnlichen, blaugelben Jacke, gelben Handschuhen und gespornten Stiefeln sowie einem schwarzen Hut, unter dem eine weiße Perücke hervorschaut. Er personifiziert (im wortwörtlichen Sinn) den Courrier français, dessen Titel auch noch einmal auf dem weißen Einwickelpapier des Bouquets zu lesen ist. Patricia Eckert Boyer sieht in der Figur ein humoristisches Porträt des Verlegers Jules Roque, der galant die künstlerische Muse Montmartres für seine Zeitschrift umwirbt.69 Zugleich lässt sich die Überreichung des Bouquets aber auch deuten als eine allgemeine Huldigung an die Frau – entsprechend wollte der Courrier français auch die zahlreichen, erotisch aufgeladenen Aktbilder verstanden wissen, die er regelmäßig veröffentlichte. Als Reaktion auf die wiederholte Zensur des Blattes wurde so 1888 der angebliche Brief einer Leserin abgedruckt, der die freizügigen Darstellungen legitimieren sollte: „…die schöne Frau, sei sie aus Terrakotta oder Marmor, gemalt oder gezeichnet, oder auch ausführlich in Prosa oder in Versen beschrieben, ist sie nicht die großartigste Verkörperung unserer Weiblichkeit? – wir haben das Recht, [darauf] stolz zu sein, und die Männer müssen eine recht kleine moralische Spannweite und ein hübsch kleinkariertes Gehirn haben, eine wahre intellektuelle Schwindsucht, dass sie es wagen, diese Verherrlichung der Frau mit Obszönität zu verwechseln.“

70

Die polemische Argumentation lässt jedoch vermuten, dass die verantwortlichen Redakteure selbst die Verfasser sind; eine tatsächlich weibliche Urheberschaft ist mehr als zweifelhaft angesichts der fraglichen Motive wie auch der rigiden Moralvorstellungen und Anstandsnormen, denen gerade Frauen im 19. Jahrhundert unterworfen waren. Doch ist eine derartige Haltung bezeichnend für den Umgang mit erotischen Darstellungen im 19. Jahrhundert: Dass das Bild des nackten weiblichen Körpers vor allem auf das erotische Begehren des männlichen Rezipienten zielte

68 Vgl. hierzu S. 257f. dieser Arbeit. 69 Vgl. Eckert Boyer 1988, S. 131–133. 70 „…la femme belle, qu’elle soit de terre cuite ou de marbre, peinte ou dessinée, ou bien encore largement décrite en prose ou en vers, n’est-elle pas la manifestation la plus grandiose de notre féminité? – nous avons le droit de nous enorgueillir; et il faut que des hommes aient une envergure morale bien petite et un cerveau joliment étriqué, une véritable phtisie intellectuelle, pour oser confondre cette glorification de la femme avec l’oscénité.“ – Raymonde: „Opinion des Femmes sur le Nu“. In: Le Courrier français, Nr. 37/9.9.1888, S. 2. (Herv. i. O.)

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und dabei auch bewusst instrumentalisiert wurde, um seine Aufmerksamkeit zu erregen und ihn zum Kauf zu verführen, wurde schlicht negiert. Stattdessen gab man auch betont sinnliche Darstellungen in schönfärberischer Weise als eine idealistische ‚Huldigung‘ der Weiblichkeit aus. Tatsächlich schafft jedoch gerade die Plakatwerbung ein übermäßig sexualisiertes weibliches Idealbild, mit dem reale Frauen schwerlich konkurrieren konnten. Letzten Endes gilt damit auch für die Plakatkunst, was Hubert Juin ganz allgemein für die bildliche Darstellung der Frau im 19. Jahrhundert feststellt: Sie ist „zuallererst und ganz grundsätzlich, ein Objekt. Ein Objekt der Betrachtung, des – lüsternen – männlichen Blicks.“71

71 „…d’abord, et essentiellement, un objet. Objet d’un regard, qui est le regard mâle – concupiscent.“ – Juin, Hubert: La Parisienne. Les élégantes, les célébrités et les petites femmes 1880/1914, Paris 1978, S. 10.

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Farbabbildung 16: Jules Chéret Musée Grévin (avant la lettre) 1900

10. Frauenfiguren als künstlerisches ‚Markenzeichen‘

Mit dem Siegeszug der industriellen Massenproduktion entstand im Laufe des 19. Jahrhunderts ein Überangebot nicht unmittelbar lebensnotwendiger Güter, für die eine Nachfrage erst geschaffen werden musste. Auch wurde der Markt von einer Fülle neuer Waren überschwemmt – darunter technische Neuerungen wie Fahrräder, Automobile oder etwa Nähmaschinen, aber auch Genussmittel wie Süßigkeiten oder Alkoholika, die nun zunehmend überregional in großem Stil vertrieben wurden. Um sich von der wachsenden Konkurrenz abzuheben, suchten die Hersteller, eigene Marken für ihre Ware zu etablieren: Eingetragene Warenzeichen stellten die Identität der Produkte unter gesetzlichen Schutz, sie kennzeichneten ihre Herkunft und ermöglichten die Unterscheidung von den Erzeugnissen konkurrierender Hersteller. Werbekampagnen machten den Namen des jeweiligen Produkts bekannt; eine spezifische Gestaltung – der Verpackung oder der Ware selbst – vermochte den Wiedererkennungswert noch zusätzlich zu steigern. Durch eine entsprechende Reklame avancierten Waren so zu allseits bekannten Markenartikeln.1 Um das Image einer bestimmten Marke zu festigen und öffentlich zu verbreiten, wurde mitunter über Jahre hinweg derselbe Plakatkünstler mit immer wieder ähnlichen Werbeentwürfen beauftragt. Jules Chéret etwa gestaltete zwischen 1891 und 1900 für das Lampenöl Saxoléine zahlreiche verschiedene Plakatentwürfe, die alle das Motiv einer jungen Frau mit Lampe variieren. Als gleich bleibendes Erkennungsmerkmal wurde teils auch das Markenemblem des beworbenen Produkts in die Plakatdarstellungen integriert. So findet sich beispielsweise in den Plakaten Marc-Auguste Bastards (Abb. 160, S. 211) wie auch Alfons Muchas (Abb. 159, S. 211) für Bières de la Meuse ein Bildmedaillon, das die allegorische Darstellung des Flaschenetiketts wiedergibt. Eugène Grasset und Fernand Fernel dagegen integrieren in ihre – an-

1

Vgl. Väth-Hinz 1985, S. 17f.

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sonsten gänzlich verschieden gestalteten – Plakate für Cycles Georges Richard (Abb. 133, S. 181, Abb. 232, S. 310) das Kleeblatt-Emblem des Herstellers. Jedoch war den frühen Plakatkünstlern in der Regel weniger daran gelegen, ein spezifisches Markenimage für das jeweils beworbene Produkt zu etablieren. Vielmehr waren sie bemüht, einen individuellen, charakteristischen Stil zu entwickeln, der sich von den Entwürfen anderer Künstler deutlich abhob und leicht wiederzuerkennen war. An die Stelle des anonymen Entwerfers ohne spezifischen künstlerischen Anspruch, der noch um die Jahrhundertmitte das Feld dominiert hatte, trat so der Plakatkünstler mit eigener Handschrift. Viele Zeitgenossen sahen gerade hierin ein Qualitätsmerkmal, musste ein Plakat doch deutlich aus der Masse der Werbeanschläge hervorstechen, um den Passanten in Erinnerung zu bleiben. Folgerichtig schrieb Maria Brinckmann 1896 im Nachwort des Katalogs zur Plakatausstellung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe: „Welches sind nun die von der Technik unabhängigen Bedingungen eines guten Plakats? Erstens seine Wirkung und zwar nicht nur die ihm allein eigene, sondern auch die, welche es unter den ihm vom Zufall angewiesenen Nachbarn behauptet. Am vorteilhaftesten kann es sich die sichern durch die ausgesprochene Individualität seines Künstlers. Mögen auch die verschiedenen Plakate eines Künstlers mit einander verwandt sein, sie werden sich unter den von anderen Künstlern geschaffenen Plakaten behaupten, wenn ihr Urheber über einen ausgebildeten eigenen Stil verfügte. Kräftige Farben und herausfordernde Darstellungen allein werden die Wirkung nicht sichern; sondern zarte Farben werden neben kräftigen oder stumpfen, ernste und liebliche Bilder neben grotesken wirken.“

2

Ähnlich argumentierte im Jahr 1900 auch Austin Fryers in der Fachzeitschrift The Poster: „Gerade die Einfachheit der Plakatkunst – perfekter Plakatkunst – macht sie umso schwieriger. Eine herausragende Plakatgestaltung wird durch Individualität erreicht. In keinem anderen Bereich künstlerischer Bemühungen ist Individualität so grundlegend für das Zutagetreten des Genies. Die Idee, die Sichtweise, die Umsetzung – alle sind sie individuell. Auf einen Blick können wir das Werk eines unserer führenden Plakatkünstler fast so sicher und schnell zuordnen, wie wir seine Handschrift erkennen. Plakatgestaltung führt daher fast unvermeidlich zu charakteristischen Arbeiten oder mehr oder minder zur Imitation von bekannten Ty3

pen.”

2

Brinckmann 1986, S. 89.

3

„The very simplicity of poster art – perfect poster art – renders it all the more difficult. Greatness in poster designing is achieved by individuality. In no other sphere of artistic effort is individuality so essentially the expression of genius. The idea, the point of view,

F RAUENFIGUREN ALS KÜNSTLERISCHES ,M ARKENZEICHEN ‘

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Vor allem ermöglichte die Ausbildung eines individuellen Stils den Plakatgestaltern, mittels ihrer Arbeiten gleichsam eine eigene künstlerische ‚Marke‘ zu lancieren; galt es doch, sich angesichts einer zunehmenden Kommerzialisierung der Kunst auf dem freien Markt zu behaupten.4 Als frühes Massenmedium garantierte das Plakat dabei eine breite öffentliche Wahrnehmung und erschien so insbesondere für junge Künstler als probates Mittel, die eigene Bekanntheit zu fördern.5 In der Folge zielte die Gestaltung von Plakaten meist eher auf eine Werbewirkung für den entwerfenden Künstler als für das eigentlich angepriesene Produkt. „Viele Plakate sind nur durch die Namen derer bekannt, die sie signieren, während das Produkt selbst unbekannt bleibt. Die individuelle Gestaltung ist nur sinnvoll unter der ausdrücklichen Bedingung, dass sie zugunsten des Produkts suggestiv ist und dass sie nicht zum Nach6

teil des Werbenden für den Künstler [selbst] wirbt“ ,

mahnten entsprechend Octave-Jacques Gérin und Camille Espinadel in ihrer Abhandlung La Publicité sugesstive von 1911 – vor der Jahrhundertwende findet sich derartige Kritik jedoch nur äußerst selten. Exemplarisch sollen im Folgenden die künstlerischen ‚Handschriften‘ und charakteristischen Werbemotive zweier Künstler näher beleuchtet werden, die die Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts entscheidend prägten: Jules Chéret und Alfons Mucha. Obschon stilistisch gänzlich verschieden, liegt der motivische Fokus beider

the touch – all are individual. We can tell the work of one of our leading poster artists at a glance almost as surely and as quickly as we can recognise his handwriting. Poster work, therefore, leads almost inevitably to the performance of characteristic work or the duplication, more or less, of well-known types.“ – Fryers, Austin: First Annual International Advertisers’ Exhibition, Crystal Palace, 1900“. In: The Poster, Bd. 4, Nr. 20/März 1900, S. 112–117, hier S. 115. 4

Eine derartige Entwicklung zeichnet sich nicht nur in der Plakatwerbung ab; sie ist auch ganz allgemein charakteristisch für die populäre Druckgrafik der Zeit, die en masse produziert und vermarktet wurde – auch hier sollten bekannte Künstler mit wiedererkennbarem Stil den nötigen Absatz garantieren. Vgl. Farwell 1977, S. 8.

5

Vgl. Buschhoff 2001, S. 17–19;Geyer 2007, S. 17f.; Sponsel 1897, S. 8–10.; Zmelty 2007, S. 23; sowie Verneuil 1906, S. 164.

6

„Beaucoup d’affiches ne sont connues que des noms de ceux qui les signent, le produit lui-même étant ignoré. La tache n’est utile qu’à la condition expresse qu’elle soit suggestive en faveur du produit et qu’elle ne fasse pas une réclame à l’artiste, au détriment de l’annonceur.“ – Espinadel, Camille/Gérin, Octave-Jacques: La Publicité suggestive. Théorie et technique, Paris 1911, S. 259; zitiert nach: Le Men 2010, S. 64.

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Künstler wiederum ganz auf der Darstellung der Frau; die ‚Werbedame‘ erscheint als Markenzeichen des Künstlers.

10.1 D IE C HÉRETTE Als „Vater des modernen Plakats“7 war Jules Chéret zugleich einer der ersten Künstler, der durch einen unverkennbar eigenen Stil seiner Plakate eine eigene ‚Marke‘ innerhalb der Plakatkunst kreierte: Hatten Chérets frühe Werke noch verschiedenste stilistische Einflüsse verraten, so fand er Ende der 1880er Jahre zu einem eindrücklichen Gestaltungsschema mit hohem Wiedererkennungswert, das mit wenigen, leuchtenden Farben sowie klar umrissenen, prägnanten Formen und Figuren operierte. Während in Chérets früheren Arbeiten Rot- und dunkle Grüntöne dominierten, konzentrierte sich seine Palette ab 1885 vor allem auf leuchtendes Gelb, Rot und Blau; auch verwendete der Künstler für die Konturen nun Blau statt Schwarz, was seine Entwürfe heller und strahlender wirken ließ. Kräftige Kontraste intensivierten die Farbwirkung noch.8 Mischtöne wie helles Grün, Orange oder auch Fleischfarbe erreichte Chéret durch das Übereinanderdrucken mehrerer Farbschichten. Ab Mitte der 1880er Jahre verwendete er hierbei eine selbst entwickelte Technik, das so genannte crachis: Mittels einer Bürste werden dabei zahlreiche kleine Farbspritzer auf den jeweiligen Druckstein aufgetragen; nach entsprechender chemischer Behandlung des Steins lassen sich diese auf dem Papier reproduzieren. Statt einer durchgehenden Fläche entsteht so der Eindruck eines diffusen ‚Farbnebels‘. Da sich die Intensität des jeweiligen Farbtons durch die Dichte der abgedruckten Pünktchen regulieren lässt, können die verwendeten Grundtöne in verschiedensten Mischverhältnisse kombiniert und fein abgestufte Farbnuancen erzielt werden.9 Besonders intensive Verwendung fand die crachis-Technik in der Hintergrundgestaltung der Plakate. In der Regel verzichtete Chéret auf einen klar definierten Bildraum zugunsten rötlich oder bläulich changierender Farbwolken, vor denen sich seine Werbefiguren abheben.10 Wie die leuchtende Farbigkeit seiner Plakate zielt auch Chérets Figurengestaltung in erster Linie auf Fernwirkung ab.11 Zumeist konzentriert sich die Kompositi-

7 8

Sponsel 1897, S. 14. Vgl. Collins 1980, S. 112–119; Döring 2002, S. 54–59; Harms-Lückerath 1998, S. 24– 27; sowie Schindler 1972, S. 40–42.

9

Vgl. Döring 2002, S. 9–11.

10 Vgl. Kat. Antwerpen 1979, o. S.; Döring 1994, 20f.; sowie Müller-Brockmann 1971, S. 31. 11 Vgl. Sponsel 1897, S. 20–22.

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on ganz auf eine einzelne, weibliche Werbefigur, die dem Betrachter häufig sogar in Lebensgröße gegenübertritt – möglich machte dies das von Chéret neu eingeführte, extrem gestreckte Hochformat des quadruple colombier, bei dem zwei separate Bögen des bisherigen Standardformats double colombier übereinander geklebt wurden, um Höhen bis zu 2,50 m zu erreichen.12 Mitunter wird die zentrale ‚Werbedame‘ von einer Gruppe weiterer Figuren hinterfangen, die ihr gegenüber jedoch deutlich zurücktreten –13 so etwa im Plakat Chérets für das Musée Grévin (Abb. 72, S. 110), das eine Tänzerin im leuchtend gelben Tutu in den Mittelpunkt rückt, während ihre Kolleginnen im Hintergrund nur mehr als bläulich verschattete Schemen erscheinen; teils sind nur noch vereinzelte, scheinbar körperlose Arme und Beine zu erkennen. In der Plakatserie für den Pariser Palais de Glace (Farbabb. 3, S. 50, Abb. 38, S. 67) wiederum heben sich die farbenfroh gekleideten Eisläuferinnen im Vordergrund deutlich von ihren männlichen Begleitern dahinter ab, die mit ihrer gegenläufigen Bewegung sowie der dunklen, dezenten Garderobe die schwungvolle Eleganz und die leuchtende Farbigkeit der ‚Werbedamen‘ noch akzentuieren.14 Gleiches gilt auch für eine ganze Reihe von Plakaten, die Chéret für die Maskenbälle der Pariser Oper schuf: Beschwingt feiernden Damen in teils recht offenherziger Abendgarderobe – meist in strahlendem Gelb oder zarten pastellfarbenen Mustern – werden Herren in dezentem schwarzen Frack und Zylinder zur Seite gestellt. Nicht nur die Bildanlage insgesamt, auch das Aussehen der ‚Werbedamen‘ selbst offenbart ein immer wiederkehrenden Schema – Chéret kreierte einen einprägsamen Frauentypus mit hohem Wiedererkennungswert, den die zeitgenössische Kritik als ‚Chérette‘ betitelte. Vorbild hierfür soll die dänische Schauspielerin und Tänzerin Charlotte Wiehe gewesen sein, ein bevorzugtes Modell des Künstlers.15 Doch bemerkten schon Zeitgenossen wie etwa Camille Mauclair, Chéret habe zwar die Inspiration durch reale Frauen gesucht, diese jedoch in seinen Arbeiten mit eigenen Idealvorstellungen verbunden.16 „Bevor er sie uns vor Augen führt, hat der Künstler indessen Sorge getragen, sein Modell zu bereinigen und sie mit sämtlicher Anmut seines Pinsels zu schmücken. Er zeigt uns die Frau

12 Vgl. Döring 1994, S. 20 und S. 56; sowie Thon 1977, S. XVIII–XIX. 13 Vgl. Müller-Brockmann 1971, S. 31. 14 Vgl. Boulanger 1991, S. 17f.; sowie Collins 1980, S. 123–131. 15 Vgl. Kat. Antwerpen 1979, o. S. (dort allerdings als „Charlotte Wieke“); Barnicoat 1972, S. 7–25; sowie Mauclair 1930, S. 26f. 16 Vgl. Mauclair 1930, S. 75f.

344 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG einzig in ihrer verfeinerten, adretten, koketten und unwiderstehlichen Form, in geliehener 17

Maske und Kleidung, mit denen sie seine Fantasie bekleidet...“ ,

erklärt auch H. Durand-Tahier. Entsprechend weist die Chérette nicht nur immer wieder dieselbe Körperform auf – extrem schlank und zierlich mit zugleich überdeutlich betonten weiblichen Rundungen –, sondern auch die immer gleiche, gefällige Physiognomie: ein spitzes Kinn, eine Stupsnase, hohe Wangenknochen und rosige Wangen sowie volle rote Lippen, die sich lächelnd öffnen. Das Haar ist in der Regel von einem etwas unnatürlichen Orangerot und ringelt sich in einer Masse kleiner Locken, die die Chérette entsprechend der damaligen Mode hochgesteckt trägt. Die Dargestellten vermitteln so den Eindruck jugendlicher Frische und Attraktivität, doch fehlt es ihren Zügen zugleich an Individualität. Augenscheinlich zielt Chéret nicht auf die Darstellung eigenständiger Persönlichkeiten ab, sondern vielmehr auf die Gestaltung eines quasi entpersonalisierten, anonymen Ideals von Weiblichkeit, das sich in heiterer Beschwingtheit sowie einem anziehenden Äußeren erschöpft.18 Auch in der Kleidung der Frauenfiguren verbindet sich zeitgenössische Mode mit den Idealvorstellungen des Künstlers: Meist tragen Chérets ‚Werbedamen‘ unifarbene oder gestreifte Kleider in leuchtendem Gelb, Rot oder hellem Blau und Grün, deren Schnitt vor allem die weiblichen Reize der Figuren betont. Tiefe Dekolletés werden kombiniert mit extrem engen Wespentaillen, die effektvoll mit weit ausladenden Röcken und riesenhaften Puffärmeln kontrastieren, sodass eine stark überzeichnete ‚Sanduhr-Figur‘ entsteht. Die Chérette erscheint damit als unnatürlich übersteigerte Version des damaligen Schönheitsideals – suchte man doch im 19. Jahrhundert, die Form des weiblichen Körper durch Korsette und Reifröcke oder Tournüren aufs Extremste zu verändern. Ergänzt wird die Aufmachung durch farblich abgestimmte Accessoires, die den modischen Chic der Garderobe unterstreichen. Typisch ist die Aufmachung der ‚Werbedame‘ für Quinquina Dubonnet (Abb. 43, S. 72), die Chéret 1895 ins Bild setzte: Zu einem grünweiß gestreiften Kleid trägt sie schwarze Strümpfe, mit Schleifen verzierte grüne Schuhe sowie einen großen grünen Hut mit einer weißen Feder; in ihren hellroten Locken steckt eine kleine dunkle Blüte. Kleid und Hut der Plakatfigur für Vin Mariani (Abb. 44, S. 72) wiederum sind in strahlendem Gelb

17 „Toutefois, avant de nous le présenter, l’auteur a pris le soin de nettoyer son modèle et de le parer de tous les agréments de son pinceau. Il ne nos montre la femme qu’affinée, pimpante, coquetante [sic], irrésistible sous le masque et le vêtement d’emprunt dont sa fantaisie le revêt…“ – Durand-Tahier, H.: „Exposition des œuvres de M. Jules Chéret“. In: La Plume, Nr. 20/1.2.1890, S. 23f., hier S. 24. 18 Vgl. Verhagen 1995, S. 104.

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gehalten; Dekolleté, Hüfte und Haar schmücken rosafarbene Ansteckblumen. Die Accessoires tragen maßgeblich zur weiblich-verspielten Anmutung der Garderobe bei. Pomp und Prestige, wie sie etwa die Frauenfiguren de Feures in ihrer üppigen Toilette vermitteln, entbehrt die Chérette hingegen völlig, auch trägt sie in der Regel keinen Schmuck. Abbildung 255: Jules Chéret Le Pays des Fées 1889

Abbildung 256: Jules Chéret Taverne Olympia 1899

Bezüglich der im 19. Jahrhundert vorherrschenden Anstandsnormen sind die Werbefiguren Chérets zudem meist überaus leicht bekleidet; sie zeigen nicht nur ihre üppigen Dekolletés, sondern enthüllen mit hoch auffliegenden Röcken auch ihre Beine – ein Anblick, dem ein enormes erotisches Potential zukam, verdeckte die Damenmode des 19. Jahrhunderts das Bein doch üblicherweise bis hinunter zum Knöchel.19 Als äußerst freizügig und gewagt dürfte den Zeitgenossen beispielsweise das Plakat für Le Pays des Fées (Abb. 255), einen Themenpark im Rahmen der Weltausstellung von 1889, erschienen sein: Mit weit gespreizten Beinen wird hier

19 Vgl. Perrot 1994, S. 11.

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eine Chérette in beschwingter Bewegung gezeigt; die Oberschenkel sind entblößt, die Träger des Kleids über die Schultern herab geglitten.20 Zum erotischen Reiz des weiblichen Körpers gesellt sich in Chérets Arbeiten häufig eine gewisse Koketterie in Haltung und Mimik der ‚Werbedamen‘. So zeigt etwa das Plakat für die Taverne Olympia (Abb. 256) zwei elegante Paare, die sich mit großer Geste über einen Tisch hinweg zuprosten. Doch gilt die Aufmerksamkeit der Dame im Vordergrund nicht ihrem männlichen Begleiter; vielmehr schaut sie über die eigene Schulter hinweg direkt den Betrachter an, wobei ein einladendes Lächeln ihre Lippen umspielt. Mit der linken Hand fasst sie sich an die Brust und lenkt damit den Blick auf ihr üppiges, tief ausgeschnittenes Dekolleté. Nicht minder kokett gibt sich Chérets Werbefigur für Job-Zigarettenpapier (Abb. 50, S. 80): Zwar kehrt sie dem Betrachter den Rücken zu, schaut sich jedoch zugleich aus dem Augenwinkel nach diesem um, als wolle sie die Wirkung ihrer eigenen Erscheinung auf ihn prüfen. Die Dargestellte nimmt damit Kontakt zum Betrachter auf, entzieht sich diesem aber gleichzeitig wieder, indem sie den Körper von ihm abwendet – gerade in dieser Ambivalenz liegt der Reiz der Figur begründet. Ihre Pose lenkt den Blick auf den tiefen Rückenausschnitt des Kleides; die linke Hand stützt sie mit leicht gekünstelter Geste auf ihre extrem schlanke Taille. Durch ein über dem Kleid getragenes Mieder noch zusätzlich betont, kontrastiert diese ‚Wespentaille‘ effektvoll mit den übergroßen Puffärmeln sowie der prominent hervortretenden Rundung des Gesäßes. Die ‚Werbedamen‘ Chérets verkörpern somit ein stark sexualisiertes Bild von Weiblichkeit; die Werbestrategie konzentriert sich primär auf den offensiv erotischen Reiz der Figuren, der deutlich mit den strikten Anstandsnormen des 19. Jahrhunderts bricht. Nur folgerichtig erschien die Chérette den Zeitgenossen als Inbegriff weiblicher Verführungskraft. „Die Frau Chérets ist die Frau, die man begehrt; das ist ihr höchstes Lob. Sie ist die Frau, die man fürchtet; das ist ihre höchste Ehre […] Sie ist die Hingabe oder die Fantasie. Sie ist die 21

Laune schlechthin!“ ,

erklärte etwa René Dubreuil 1893 in La Plume; während Jean Lorrain in der Chérette den Innbegriff der Parisienne verkörpert sah:

20 Vgl. Lay, Howard G.: „Pictorial Acrobatics“. In: Weisberg 2001, S. 145–179, hier S. 172–174. 21 „La femme de Chéret est la femme que l’on désire; C’est son plus bel éloge. C’est la femme qu’on craint; c’est sa plus belle gloire […] C’est l’Abandon ou la Fantaisie. C’est le Caprice!“ – Dubreuil, René: „Sur les ,femmes‘ de Chéret“. In: La Plume, Nr. 110/15.11.1893, S. 493f., hier S. 494.

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„Die Pariserin: das heißt, die angeborene Eleganz und Biegsamkeit, ich weiß nicht welch aufregende und gepfefferte falsche Magerkeit, das Geheimnis der geschickten Haltungen, des bezaubernden Schmachtens und der provokativem Hüftschwünge; die Pariserin, das heißt die künstliche Frau, mit Flitter behangen, geschminkt wie ein kleines Mädchen, naiv und verderbt, erlesen und vulgär, Gräfin und Straßenmädchen, die ganze Skala schließlich der Blicke und des Lächelns, all die Schwindeleien und all die Schminke!“

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Indem beide Autoren das Bild der verführerischen Frau mit Launenhaftigkeit und Verstellung assoziieren, bringen sie zudem zeitgenössische Klischeevorstellungen von der Unbeständigkeit und Undurchschaubarkeit des weiblichen Wesens zum Ausdruck – diese scheint den Reiz der Figuren für sie jedoch noch zu verstärken. Vor allem Lorrain fördert mit seiner Beschreibung der Chérette die ganze Ambivalenz dieses Typus zutage: Nicht nur changiert sie – „naiv und verderbt“ zugleich – zwischen jugendlicher Unbeschwertheit und aufreizender Freizügigkeit. Auch ist sie in Auftreten und Garderobe keiner Gesellschaftsschicht zweifelsfrei zuzuordnen, ebenso „Gräfin wie Straßenmädchen“.23 Dieses widersprüchliche Erscheinungsbild mag dabei auch die allgemeine Verunsicherung reflektieren, die damals angesichts sozialer Umbrüche, zunehmend verwischter Klassenschranken und sich wandelnder Verhaltensnormen um sich griff. So sieht beispielsweise H. DurandTahier in der Chérette „ein Mädchen, das von der Mansarde auf den Gehsteig gefallen ist, oder aus der mütterlichen Loge in die benachbarte Gosse“24. Die fragwürdige Moral und unsichere soziale Stellung, die hierin angedeutet sind, würden von Chéret freilich in stark geschönter, idealisierter Form wiedergegeben, so der Autor weiter.25 Wie weit selbst die Körperform der Chérette von der Realität entfernt ist, deutet Lorrains Beschreibung des Typus als unnatürlich magerer, ‚künstlicher‘ Frau an. Chérets Frauenfiguren erscheinen in ihren Proportionen stark gelängt, was ihnen eine äußerst zierliche Anmutung verleiht. Die Rundungen von Brust, Hüfte und Gesäß sind ebenso überzeichnet wie die extrem schmalen Taillen. Die Köpfe sind im

22 „La Parisienne: c’est-à-dire l’élégance et la souplesse innées, je ne sais quelle fausse maigreur excitante et poivrée, le secret même des attitudes savantes, des langueurs charmeresses et des déhanchements provocateurs; la Parisienne, c’est-à-dire femme artificielle, fanfreluchée, fardée aux mineurs de petite fille naïve et dépravée, exquise et canaille, duchesse et gavroche, toute la gamme enfin des œillades et des sourires; tous les mensonges et tous les fards!“ – Lorrain 1890, S. 5. 23 Vgl. hierzu auch Kap. 8 dieser Arbeit, insbes. S. 301. 24 „La fille, tombée de la mansarde sur le trottoir, ou de la loge maternelle dans le ruisseau voisin…“ – Durand-Tahier 1890, S. 24. 25 Vgl. ebd.

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Verhältnis zum Körper meist etwas zu klein.26 Das Erscheinungsbild der Chérette zielt so ganz auf die Betonung weiblicher Schlüsselreize. Entsprechend beschreibt sie Yvanhoé Rambosson als „irreale Frau, voller Anziehungskraft, mit einer unendlich schlanken Taille und unendlich langen Beinen.“27 Ihre jeder natürlichen Anatomie trotzende Erscheinung mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass die Frauenfiguren Chérets immer wieder mit Puppen verglichen wurden. So charakterisiert Durand-Tahier die Chérette als „eine ganz in Rosa gehüllte Puppe“ und „niedliche Marionette“28, und auch Camille Mauclair sieht in ihr eine „begehrenswerte und dennoch unantastbare Puppe“29 – eine Formulierung, in der wiederum die Ambivalenz dieses Typus zum Tragen kommt: Jugendlichunbeschwert und zugleich kokett und freizügig, erscheinen die Frauenfiguren Chérets als Projektionsfläche für die Fantasien des Betrachters, als frei verfügbare ‚Spielzeuge‘. Die forcierte Idealisierung der ‚Werbedamen‘ verstärkt zwar deren erotische Anziehungskraft noch, doch werden sie der Wirklichkeit gleichzeitig deutlich entrückt. Oft scheinen die Figuren sogar gänzlich schwerelos im Raum zu schweben, wie etwa in den Plakaten für das Moulin Rouge (Abb. 57, S. 91) oder Le Pays des Fées (Abb. 255, S. 345) zu sehen. Immer wieder betonten die Zeitgenossen daher die Irrealität von Chérets Bildfindungen, beschrieben sie als féerie.30 Im Schwebezustand scheinen die Frauenfiguren ihre betont sinnliche Körperlichkeit zu transzendieren;31 in Sphären jenseits jeglicher Realität transferiert, werden sie dem Zugriff des Rezipienten wieder entzogen –32 dieser soll sein Verlangen stattdessen auf das jeweils beworbene Produkt umlenken. Mit ihrer zierlichen Gestalt und geradezu schwerelosen Anmutung scheinen die ‚Werbedamen‘ Chérets zudem dem zeitgenössischen Idealbild einer Balletttänzerin verwandt: Diese sollte als gleichsam ätherisches Wesen über die Bühne schweben, ohne dass die immense körperliche Anstrengung des Tanzes zu erahnen war.33 Betont extrovertiert und häufig in heftiger Bewegtheit gezeigt, lässt das Auftreten der typischen Chérette jedoch eher an die Ballsäle und music halls Montmartres denken

26 Vgl. d’Avenel 1907, S. 160–178; Lay 2001, S. 172–174.; sowie Mauclair 1930, S. 76f. 27 „cette femme irréelle et pour ce pleine d’attirance, à la taille tendant vers moins l’infini et aux jambes vers plus l’infini“ – Rambosson, Yvanhoé: „Psychologie de Chéret“. In: La Plume, Nr. 110/15.11.1893, S. 499–501, hier S. 499. (Herv. i. O.) 28 „poupée emmaillotée de rose, marionnette mignarde“ – Durand-Tahier 1890, S. 24. 29 „La désirable et pourtant intangible poupée…“ – Mauclair 1930, S. 77. 30 Siehe bspw. Kahn 1902, S. 177–192. 31 Vgl. Verhagen 1995, S. 103f. 32 Vgl. Mauclair 1930, S. 78. 33 Vgl. hierzu auch Kap. 4.2 dieser Arbeit, insbes. S. 104.

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als an das Ballett –34 tatsächlich entwarf Chéret eine Vielzahl von Plakaten für derartige Etablissements. Doch nicht nur seine Arbeiten für die Pariser Vergnügungsindustrie, auch die Werbung für Konsumartikel gestaltete der Künstler in dieser Weise.35 So hat etwa die Werbefigur für Quinquina Dubonnet (Abb. 43, S. 72) lachend den Kopf zurückgeworfen und die Arme weit ausgebreitet, während das Plakat für Vin Mariani (Abb. 44, S. 72) eine Frau mitten im weit ausgreifenden Sprung zeigt. Immer wieder werden die ‚Werbedamen‘ zudem in beschwingter Drehbewegung dargestellt, wie beispielsweise in einer weiteren Arbeit für Quinquina Dubonnet (Abb. 257) oder auch den Plakaten für den Palais de Glace (Farbabb. 3, S. 50, Abb. 38, S. 67) zu sehen. Abbildung 257: Jules Chéret Quinquina Dubonnet 1896

Ausgelassenheit und Übermut erscheinen damit ganz allgemein als zentrale Charakteristika der Chérette. Chérets Plakate evozieren so – vom jeweiligen Werbezweck gänzlich unabhängig – die Vorstellung eines fortwährenden Festes, einer „ewige[n]

34 Vgl. Maindron 1896, S. 46–50; Sponsel 1897, S. 17–19; sowie Verhagen 1995, S. 103. 35 Vgl. Thon 1977, S. XVIIIf.

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Karnevalsfreude“36. Joris-Karl Huysmans beschrieb die hier evozierte Stimmung als „frenetische und schelmische“, ja „verrückte, fast schon explosive Freude“37, die beinahe bis zum Schmerz gesteigert erscheine;38 und auch Jean Lorrain sah in den Arbeiten „eine verrückte Freude, ein Delirium von Harmonie und Bewegung, eine Fanfare blitzender Farben […] diese fast schon explosive Freude des modernen Lebens“39. In ihrer übermütigen Ausgelassenheit überträfen die Darstellungen sogar das Leben selbst, so der Autor weiter: „…Monsieur Chéret, Sie haben wahrhaftig etwas mehr als Lebendiges geschaffen: Sie haben etwas Überragendes geschaffen, rasend vor Pariser Lebensart und Lebenslust, vor Eleganz und zauberischen Farben, etwas Glänzendes.“

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Wie Lorrain und Huysmans sah auch das Gros der Zeitgenossen in den Bildfindungen Chérets das Lebensgefühl der Epoche und speziell der Stadt Paris zum Ausdruck gebracht. Die Werbefiguren des Künstlers seien „gesättigt von Pariser Lebensart“41, meinte etwa Félicien Champsaur, und Georges Rodenbach schrieb: „Ein Werk von Chéret zu besitzen heißt, Paris in seinem Heim zu haben.“42 Vor allem in der übersteigerten Ausgelassenheit der Chérette, ihrer Verbindung zur Welt der music halls, spiegelt sich nach damaliger Auffassung der Zeitgeist. So erklärte Fritz Hellwag, die Pariser Bevölkerung habe nach der Niederlage im deutsch-

36 Sponsel 1897, S. 22. Vgl. hierzu auch Hillier 1969, S. 49; sowie Jessen, Peter: „Die Kunst im Plakatwesen“. In: Kunstgewerbeblatt, 7. Jahrgang, Nr. 6/1896, S. 81–91, hier S. 84. 37 „la joie frénétique et narquoise“; „cette joie démentielle, prèsque explosible“ – Huysmans,

Joris-Karl:

„Chéret“.

In:

La

Plume,

5.

Jahrgang,

Paris

1893,

Nr. 110/15.11.1893, S. 482f. Vgl. hierzu auch ders.: „Jules Chéret “. In: Certains, Paris 1889; neu abgedruckt in: ders.: Écrits sur l’art 1867–1905, édition établie, présentée et annotée par Patrice Locmant, Paris 2006, S. 363–366, hier S. 364. 38 Vgl. ebd. 39 „Une joie démentielle, un délire d’harmonie et de mouvement, une fanfare de couleurs éclatant […]Cette joie presque explosible de la vie moderne…“ – Lorrain 1890, S. 5. 40 „…en vérité, monsieur [sic] Chéret, vous avez fait plus que vivant: vous avez fait débordant, endiablé de parisianisme et de joie de vivre, d’élégance et de couleurs féeriques, éclatant.“ – Lorrain 1890, S. 5. 41 „saturés de parisianisme“ – Champsaur, Félicien: „Le Roi de l’affiche“. In: La Plume, Nr. 110/15.11.1893, S. 480–482, hier S. 482. 42 „Posséder une œuvre de M. Chéret, c’est avoir, chez soi, Paris.“ – Rodenbach, Georges: L’Élite: écrivains, orateurs sacrés, peintres, sculpteurs, Paris 1899, S. 248; vgl. hierzu auch Le Men 2010, S. 59.

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französischen Krieg von 1870/71 und der blutigen Niederschlagung der Commune in den zahlreichen Unterhaltungsbetrieben und Vergnügungslokalen der Stadt Vergessen gesucht:43 „Die heftig erwachte Lebenslust betätigte sich am stärksten in den öffentlichen Vergnügungsstätten, in denen sich das Volk von den gemeinsam getragenen Leiden gemeinsam erholen wollte und so den ohnedies reich ausgebildeten Drang zur Geselligkeit fast ins Bacchantische steigerte.“

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Als „wollüstige Rauschzustände“ beschrieb dementsprechend Félicien Champsaur die Bildfindungen Chérets, in denen er spezifisch „heutige Formen“45 zu erkennen glaubte. Den Künstler selbst nannte er „ein[en] Meister unserer Modernität“46. Roger Marx sah in dessen Plakaten sogar nichts weniger als „die illustrierte Chronik [unserer] Epoche“47. Als zentrales Charakteristikum des modernen Lebens galt den Zeitgenossen dabei auch eine gewisse Überspanntheit und Nervosität, die aus der zunehmenden Reizüberflutung im urbanen Umfeld resultierte.48 In den heftigen Bewegungen und teils unnatürlich verrenkten Gliedern der Frauenfiguren Chérets schien diese Überreizung zum Ausdruck gebracht. Georges Rodenbach nannte die Chérette daher eine „Trophäe der Nerven“49, und René Dubreuil sah in ihr nicht nur „die nervöse Frau“, sondern auch die „hysterische, verrückte Frau“50 schlechthin verkörpert. Dubreuils Gleichsetzung von übermütiger Ausgelassenheit und Hysterie offenbart dabei wiederum das restriktive weibliche Rollenbild der Epoche: Als augenscheinlich extrovertierte Frau, die sich nicht in die Schranken gesellschaftlicher Anstandnormen fügt, war die Chérette einer psychischen Instabilität verdächtig. Mit der Hysterie wird ihr ein Leiden zugeschrieben, das nicht nur als charakteristisch für die schnelllebige Moderne galt, sondern auch als spezifisch weibliche Krankheit – in der Psychiatrie des 19. Jahrhunderts führte man die Hysterie entweder auf eine

43 Vgl. Hellwag, Fritz: „Jules Chéret zum 85. Geburtstag“. In: Das Plakat, Nr. 5/Mai 1921, S. 289–304, hier S. 289–291. 44 Ebd., S. 291. 45 „des ivresses voluptueuses, des formes d’aujourd’hui“ – Champsaur 1893, S. 481. 46 „un maître de notre modernité“ – ebd., S. 482. 47 „la chronique illustrée de l’époque“ – Marx, Roger: „L’Œuvre de Chéret“. In: La Plume, Nr. 110/15.11.1893, S. 483–485, hier S. 483. 48 Vgl. Hirsh 2004, S. 43. 49 „trophée de nerfs“ – Rodenbach 1899, S. 247. 50 „la femme nerveuse“; „la femme hystérique, folle“ – Dubreuil 1893, S. 493.

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erhöhte Reizbarkeit des weiblichen Nervensystems oder auf eine pathologische Störung der Geschlechtsorgane der Frau zurück.51 Vor allem wurde die fröhliche Ausgelassenheit der ‚Werbedamen‘ jedoch als ‚typisch französische‘ Eigenheit aufgefasst; Chérets Plakatmotive erschienen als treffendes Abbild des esprit français, der unter den Intellektuellen der Zeit intensiv diskutiert wurde: Nach der preußischen Invasion von 1870/71 hatte eine vermehrte Selbstreflexion eingesetzt, im Zuge derer man die vermeintlich ureigensten Charakteristika des französischen Volkes herausstrich, um sich so positiv von anderen Nationen wie etwa Deutschland und England abzusetzen. Besondere Betonung erfuhren dabei die französische Lebensfreude und Heiterkeit, die bereits in der Vergangenheit immer wieder in intellektuellen Diskursen thematisiert worden waren.52 Schon 1748 hatte Montesquieu den Franzosen ein besonderes Maß an Geselligkeit, Offenherzigkeit und Lebensfreude attestiert, sie als „eine von Natur aus fröhliche Nation“53 beschrieben, während Antoine Rivarol 1784 äußerst pointiert die französische und englische Mentalität verglich: „Der Unterschied von Volk zu Volk ist nicht weniger stark als der von Mensch zu Mensch. Der Engländer, trocken und schweigsam, vereint das Schamgefühl und die Schüchternheit des Nordländers mit Ungeduld, mit einem Abscheu vor allem, der häufig sogar das Leben selbst mit einschließt – der Franzose verfügt über ein Übermaß an Fröhlichkeit, das ihm nie abhanden kommt […] Der Franzose sucht die angenehmen Seiten dieser Welt, der Engländer scheint immerzu einem Drama beizuwohnen…“

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51 Zum Verständnis der Hysterie im 19. Jh. vgl. Schaps, Regina: Hysterie und Weiblichkeit. Wissenschaftsmythen über die Frau, Frankfurt a. M./New York 1982, hier insbes. S. 42– 54. 52 Vgl. Newman 1989, S. 145–148; sowie Rearick 1985, S. 36f. 53 „une nation naturellement gaie“ – Montesquieu, Charles de Secondat: L’Esprit des Lois, 1748; zitiert nach: Bouglé, Célestin: Qu’est-ce que l’esprit français ? Vingt définitions choisies et annotées, Paris 1920, S. 13. 54 „La différence de peuple à peuple n'est pas moins forte d'homme à homme. L'Anglais, sec et taciturne joint, à l'embarras et à la timidité de l'homme du Nord, une impatience, un dégoût de toute chose, qui va souvent jusqu'à celui de la vie – le Français a une saillie de gaieté qui ne l'abandonne pas […] Le Français cherche le côté plaisant de ce monde, l'Anglais semble toujours assister à un drame …“ – Rivarol, Antoine: L’Universalité de la langue française, 1784; zitiert nach: Bouglé 1920, S. 17.

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Entsprechend nannte auch Madame de Staël Frankreich „die Nation Europas, die über die meiste Anmut, den meisten Geschmack, die meiste Fröhlichkeit verfügte“55. Chérets heitere Bildwelten erschienen den Zeitgenossen folgerichtig als Fortführung einer nationalen Traditionslinie.56 So erklärte beispielsweise Camille Mauclair, der Künstler habe „die alte französische Fröhlichkeit“57 rehabilitiert, die durch Lachen und Energie auch in widrigen Zeiten Ausdruck finde.58 Neben Heiterkeit und Humor galt jedoch auch erotische Sinnlichkeit als charakteristisch für die französische Mentalität und Kultur. Auch der erotische Aspekt des esprit français war in der nationalen Tradition verankert, hatte doch schon die Kunst des Rokoko Heiteres und Humorvolles mit sexuell suggestiven Motiven zu einem spielerisch-frivolen Gesamteindruck verbunden – man denke nur an Jean-Honoré Fragonards Darstellung einer jungen Dame auf der Schaukel, die einem im Gebüsch liegenden Voyeur pikante Einblicke bietet,59 oder an François Bouchers miteinander kokettierende Schäferpaare. In Chérets ebenso ausgelassenen wie aufreizenden Frauenfiguren sah man diese Tradition fortgeführt,60 sodass Camille Mauclair feststellte: „…nichts ist französischer als sie“61. Im Unterschied zu den Werken des Rokoko wenden sich die ‚Werbedamen‘ jedoch nicht einem Partner im Bild zu, sondern sind vielmehr ganz auf den Betrachter und potentiellen Konsumenten ausgerichtet, den es nun im Sinne der Werbung zu verführen gilt. Immer wieder wurde Chéret mit bedeutenden Künstlern des 18. Jahrhunderts verglichen;62 Félicien Champsaur etwa betitelte ihn als „Fragonard der Straße“, „Watteau der Kreuzungen“ und „Tiepolo der öffentlichen Plätze“63. Für den heuti-

55 „la nation de l'Europe qui avait le plus de grâce, de goût et de gaieté“ – Madame de Staël (Germaine Baronin von Staël-Hohenstein): La Littérature considérée dans ses rapports avec les institutions sociales, 1802; zitiert nach: Bouglé 1920, S. 20, Anm. 1. 56 Vgl. Newman 1989, S. 145–148; sowie Verhagen 1995, S. 111. 57 „la vielle gaîté française“ – Mauclair 1930, S. 78. 58 Vgl. Mauclair 1930, S. 108. 59 Jean-Honoré Fragonard: Die Schaukel, 1767, Öl auf Leinwand, 81 x 65 cm, Wallace Collection, London. 60 Vgl. Newman 1989, S. 149–158. 61 „… rien n’est plus français qu’elles“ – Mauclair 1930, S. 99. 62 So etwa bei Huysmans 2006a, S. 366; Kahn 1903, S. 189; Mauclair 1930, S. 88; sowie bei Marx, Roger: „Vorwort“. In: Maîtres de l’affiche, Bd. 2/1897, S. I–IV, hier S. III. Vgl. hierzu auch Döring 2002, S. 54–59; Harms-Lückerath 1998, S. 24–27; Newman 1989, S. 145–148; sowie Schindler 1972, S. 42. 63 „ce Fragonard de la rue“, „Watteau des carrefours“, „Tiepolo des places publiques“ – Champsaur 1893, S. 481. Auffällig ist, dass Champsaur nicht nur französische Meister

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gen Betrachter mögen derartige Bezüge nicht mehr auf den ersten Blick evident sein; verständlich werden sie vor dem Hintergrund einer allgemeinen Begeisterung für das Rokoko, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts um sich griff: Als Artikelserie veröffentlichten Edmond und Jules de Goncourt von 1859 bis 1875 eine wegweisende Abhandlung,64 die Kunst und Lebensart dieser Epoche in völlig neuem Licht erscheinen ließ. Hatte den Revolutionären von 1789 das Rokoko noch als Ausdruck höfischer Dekadenz und Verschwendungssucht gegolten, so verklärte man es nun zum Innbegriff von Anmut und Eleganz, von verfeinerten aristokratischen Sitten und überlegenem französischem Geschmack.65 Vor allem die Bourgeoisie war begeistert von der prunkvollen künstlerischen Formensprache dieser Zeit – als Neo-Rokoko wiederbelebt, eignete sie sich hervorragend, den eigenen, neu erworbenen Reichtum zur Schau zu stellen, und entsprach so ganz dem gesteigerten Repräsentationsbedürfnis des aufstrebenden Bürgertums.66 Entsprechend suchte auch Jules Chéret, seine Arbeiten dem Geschmack der Zeit anzupassen.67 Als wichtiges Vorbild nannte er – neben den Meistern des französischen Rokoko – den italienischen Maler Giovanni Battista Tiepolo, von dessen Deckengemälden Chéret zahlreiche Reproduktionen besaß.68 Tatsächlich verrät Chérets charakteristische Bildgestaltung die Auseinandersetzung mit der Wandmalerei des 18. Jahrhunderts: Waren es in den Fresken des Rokoko zumeist allegorische Personifikationen oder Götterfiguren der antiken Mythologie, die in teils wirbelnder Bewegung in von goldenem Licht durchstrahlte himmlische Höhen aufstiegen, so lässt Chéret seine Figuren in einem irrealen, von duftigen Farbwolken durchzogenen Bildraum schweben. Häufig sind sie dabei in einer großen Spiralbewegung angeordnet; die Gestalten im Hintergrund scheinen sich geradezu im Farbnebel aufzulösen, wie etwa im Plakat für das Moulin Rouge (Abb. 57, S. 91) oder auch in einer Arbeit für das Musée Grévin (Farbabb. 16, S. 390) zu sehen.69 Während die Wand- und Deckengemälde des 18. Jahrhunderts mit allegorischen Darstellungen, mythologischen oder religiösen Sujets oft äußerst komplexe Bildprogramme vor Augen führten, erschöpft sich die Plakatkunst Chérets jedoch in einer

zum Vergleich heranzieht, sondern mit Giovanni Battista Tiepolo auch einen italienischen Maler. 64 Veröffentlichungen aller Artikel in Sammelbänden: de Goncourt, Edmonde und Jules: L’Art du XVIIIe siècle, 3 Bde., Paris 1881–1882. 65 Vgl. Collins 1980, S. 80–89; sowie Silverman 1989, S. 8f. und S. 17–39. 66 Vgl. Collins 1980, S. 80–89; sowie Newman 1989, S. 145–148. 67 Vgl. Boulanger 1991, S. 17f.; sowie Davis, Bruce: „The Art of Persuasion: Sources of Style and Content in Belle Epoque Posters”. In: ders./Feinblatt 1985, S. 38–49, hier S. 40. 68 Vgl. Bargiel 2010, S. 77; sowie Boulanger 1991, S. 17f. 69 Vgl. Davis 1985, S. 38–41; sowie Mauclair 1930, S. 95f.

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Verklärung gänzlich profaner Konsumgüter und Freizeitvergnügen. Darstellungsformen, die ursprünglich hehre Inhalte transportierten, werden durch den Transfer in die Bildwelt der Werbung banalisiert, zugleich erfährt die an sich triviale Werbebotschaft eine Aufwertung. Von den Zeitgenossen wurde der kommerzielle Aspekt der Arbeiten allerdings kaum thematisiert. Chérets Aneignung von Gestaltungsmodi der ‚Hochkunst‘ werteten sie vielmehr im Kontext einer Demokratisierung der Kunst durch das Plakat.70 Roger Marx etwa sah in den Plakaten Chérets eine zeitgemäße Fortführung der Wandmalerei, die nun nicht mehr der fürstlichen Repräsentation dienen, sondern die „Saga der Moderne“71 vor Augen führen sollte.72 Auch Jules Chéret selbst stellte Parallelen zwischen beiden Kunstformen heraus, betonte jedoch zugleich, dass die spezifische Rezeptionssituation der Plakatkunst eine speziell abgestimmte Gestaltung erfordert: „Plakatzeichnen ist wie Freskomalerei; man muß die besonderen äußeren Umstände in Betracht ziehen, unter denen das Werk erscheinen wird, und darnach seine Methode einrichten. […] Der Plakatkünstler muß ein Psychologe sein, eine tüchtige Schule durchgemacht und sich mit den logischen und optischen Gesetzen seiner Kunst wohl vertraut gemacht haben. Er muss etwas erfinden, das selbst den Durchschnittsmenschen anhält und anregt, wenn er vom Pflaster oder vom Wagen aus das Bild der Strasse an seinen Augen vorbeieilen lässt; und dazu, glaube ich, ist nichts so sehr geeignet, wie ein einfaches, liebliches und doch packendes Bild in lebhaften und doch harmonischen Farben.“

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Neben der formalen Nähe zur Wandmalerei betonten die Zeitgenossen Chérets inhaltliche Anlehnung an die großen Meister des französischen Rokoko wie etwa Boucher, Fragonard oder Watteau. Mit deren Werken haben Chérets Plakate nicht nur die verspielt-heitere und leicht frivole Bildstimmung gemeinsam, sondern auch eine gewisse Unbestimmtheit, mit der die dargestellten Szenen und Figuren zwischen idealistisch verklärter Wirklichkeit und Bühneninszenierung changieren.74 So führen François Bouchers Schäferstücke das damalige Ideal eines Daseins in idyllischer Natur, fernab gesellschaftlicher Zwänge vor Augen. Doch erscheinen die gezeigten Schäfer und Schäferinnen für ein wirkliches Landleben viel zu reinlich und

70 Vgl. hierzu Kap. 8 dieser Arbeit, insbes. S. 283–286; sowie Barnicoat 1972, S. 7–25. 71 Roger Marx im Vorwort zum Katalog der Ausstellung Chérets in La Bodinière 1889; zitiert nach: Le Men, Ségolène: Seurat et Chéret. Le peintre, le cirque et l’affiche, Paris 1994, S. 45. 72 Vgl. ebd.; sowie Marx 1897, S. 223. 73 Zitiert nach: Sponsel 1897, S. 20–22. 74 Zu den Charakteristika der Rokoko-Kunst insgesamt vgl. Baur, Eva-Gesine: „Rokoko und Klassizismus“. In: Walther 2003, S. 335–400, hier insbes. S. 335–337.

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adrett; in manchen Werken75 stattet sie der Künstler gar mit Rockbäuschen, Schärpen und Seidenstrümpfen aus – Accessoires, die die Kleidung der Figuren als Theaterkostüm und das gezeigte Idyll als bloßes Rollenspiel erscheinen lassen.76 Entsprechend beschrieb auch Théophile Gautier die Pastoralen Bouchers als „…diese idyllische Welt, von Boucher erfunden entsprechend der Sitte des 18. Jahrhunderts, [das] trotz seines ruralen Anspruchs das am wenigsten ländliche von allen Jahrhunderten [war]. Die Schafe sind eingeseift, die Schäferinnen haben Korsette mit Reihen von Schleifen und eine Haut, die die ländliche Sonnenbräune nicht spürt, und die Schäfer gleichen den Balletttänzern der Oper. Aber all dies ist von einer unwiderstehlichen Verführungskraft und von einer Lüge, die lieblicher ist als die Wahrheit.“

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Parallelen hierzu finden sich beispielsweise in einem Plakat, das Chéret für das Kaufhaus La Belle Jardinière entwarf (Abb. 258):78 In Anspielung auf den Namen des beworbenen Hauses gestaltete der Künstler eine ‚schöne Gärtnerin‘ im rot und gelb gestreiften Kleid samt passendem Hut. Die linke Hand hat sie mit graziler Geste in die Taille gestützt, die Füße elegant versetzt; am rechten Arm hängt dekorativ ein Korb voll Blumen. Die anmutige Haltung der Figur, der Schnitt ihres Kleides wie auch das Motiv des Blumenkorbs verweisen deutlich auf die Kunst des 18. Jahrhunderts und deren Inszenierung eines vermeintlich naturnahen, ländlichen Ideals.79

75 Siehe etwa François Boucher: Der galante Schäfer, 1738, Öl auf Leinwand, 147 x 198 cm, Hôtel de Soubise, Paris. 76 Vgl. François Boucher, Ausst.Kat. The Metropolitan Museum of Art New York/The Detroit Institute of Arts/Réunion des Musées Nationaux, Grand Palais Paris, o. O 1986, S. 233–237, Nr. 53; Held/Schneider 1998, S. 322f.; sowie Lang, Alastair: „Boucher: The Search for an Idiom“. In: Kat. New York/Detroit/Paris 1986, S. 56–72, hier S. 69f. 77 „…ce monde idyllique inventé par Boucher à l’usage du 18e siècle, le moins champêtre des siècles, en dépit de ses pretentions bocagères. Les moutons sont savonnés, les bergères ont des corsets à echelles de rubans et des teints qui ne sentent pas du hâle campagnard, et les bergers ressemblent á des danseurs d’opéra. Mais tout cela ets d’une séduction irrésistible, et d’un mensonge plus aimable que la vérité.“ – Gautier, Théophile: „Le Musée du Louvre“: In: Paris Guide, par les principaux écrivains et artistes de la France, Paris 1867, S. 404f.; vgl. hierzu auch Lang 1986, S. 72, Anm. 114. 78 Nachdem der ursprüngliche Auftraggeber die Arbeit abgelehnt hatte, übernahm sie – mit veränderter Beschriftung – die Kunsthandlung Sagot für eigene Werbezwecke. Vgl. Döring 2002, S. 56; sowie Thon 1968, S. 10f. 79 Vgl. Thon 1968, S. 10f.

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Abbildung 258: Besonders häufig wurden Chérets BildfinJules Chéret dungen mit den Werken Jean-Antoine WatLibrairie Ed. Sagot teaus verglichen, evozierten doch beide Künst(La Belle Jardinière) ler in ihren Arbeiten bevorzugt eine heitere, 1891 scheinbar immerwährende Feststimmung. Ein zentrales Sujet im Werk Watteaus sind die fêtes galantes – Darstellungen eleganter Festgesellschaften, die bei kultivierten Vergnügungen inmitten einer friedlichen, topografisch weitgehend unbestimmten Naturkulisse gezeigt werden. Das Motiv des fröhlichen Festes überhöhte der Künstler dabei zu einer eskapistischen, sorglosen Wunschwelt. Gleich mehrfach gestaltete er etwa das Motiv der Einschiffung nach Kythera (Abb. 359): In idyllischer Landschaft zeigt er elegante Paare im harmonischen Miteinander; durch ihre Hüte, Stäbe und Umhänge werden sie als Pilger ausgewiesen. Ziel ihrer Reise ist die sagenhafte Insel der Aphrodite, die als Reich der Liebe und Glückseligkeit galt.80 In zwei Versionen ist die antike Liebesgöttin selbst rechts vorn als steinerne Statue zu sehen; fliegende Eroten geleiten die Pilger auf ihrem Weg und suggerieren ein realitätsfernes Arkadien. Zugleich verweist Watteau mit nach der Mode des 18. Jahrhunderts gekleideten Figuren auf die eigene Lebensrealität; die gezeigten Szenen changieren zwischen zeitgenössischer Wirklichkeit und zeitloser Utopie.81 Hinzu kommen Elemente, die an eine Theaterinszenierung denken lassen. In der ersten Version des Sujets, entstanden um 1709/10, erinnert der Bildaufbau so an einen gemalten Bühnenprospekt, der Handlungsraum der Figuren ist auf eine schmale Zone im Bildvordergrund beschränkt. Der Eindruck, es handle sich um Schauspieler, die vor einer bloßen Bühnenkulisse agieren, wird noch durch die Beleuchtungs-

80 Vgl. Held, Jutta: Antoine Watteau. Einschiffung nach Kythera. Versöhnung von Leidenschaft und Vernunft, Frankfurt a. M. 1985, S. 5. 81 Vgl. Held/Schneider 1998, S. 317–319.

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situation innerhalb des Bildes verstärkt: Wie von Rampenlicht angestrahlt, treten die Figuren plastisch hervor, während die Landschaft im Hintergrund diffus und unwirklich erscheint. Auch die etwas altertümliche Kleidung der Damen – anders als in den späteren Versionen des Themas tragen sie hier die Mode der 1620er und ’30er Jahre – mag den Zeitgenossen Watteaus als Theaterkostüm erschienen sein.82 Abbildung 259: Jean-Antoine Watteau Einschiffung nach Kythera um 1709/10

Mitunter mischen sich in Watteaus fêtes galantes auch Figuren der commedia dell’arte unter die elegante Gesellschaft,83 wie beispielsweise in einem Voulez-vous triompher des belles…? betitelten Bild (Abb. 260): Im Zentrum der Darstellung ist eine Dame in eleganter Robe zu sehen, der sich ein maskierter Harlekin im charakteristischen, blaugelb karierten Kostüm nähert. Links geben sich weitere vornehme Herrschaften ein Stelldichein, musizieren und lesen gemeinsam. Der zufriedene

82 Vgl. Jean-Antoine Watteau. Einschiffung nach Cythera. L’Ile de Cythère, Ausst.Kat. Städtische Galerie im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt a. M., o. O. 1982, S. 13f.; sowie Held 1985, S. 9f. 83 Zu einer Übersicht über die verschiedenen commedia dell’arte-Figuren in den Werken Watteaus siehe Tomlinson, Robert: „Fête galante et/ou foraine? Watteau et le théâtre“. In: Antoine Watteau (1684–1721). Le peintre, son temps et sa légende, Paris/Genf 1987, S. 203–211, hier S. 210.

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Pierrot84 sitzt gelöst lächelnd zwischen zwei Damen, die wiederum von ihren männlichen Begleitern flankiert werden; eine der Frauen spielt Gitarre. Mit Darstellungen wie diesen zollt Jean-Antoine Watteau der Vorliebe seiner Zeit für Theater und Rollenspiel Tribut: Kaum ein Fest kam im 18. Jahrhundert ohne Theateraufführung aus. Dabei lässt der Künstler jedoch die Grenzen zwischen Fest und Schauspiel, zwischen Bühnencharakteren und wirklichen Menschen verschwimmen.85 Abbildung 260: Jean-Antoine Watteau Voulez-vous triompher des belles…? 1716–18

Wie bereits dargelegt, verweist auch Jules Chéret in seinen Plakaten auf die Welt der Bühne – sei es durch die tänzerische Bewegtheit seiner Figuren oder durch das Licht, das, gleich der Rampenbeleuchtung im Theater, in seinen Arbeiten häufig von unten einzufallen scheint. Zudem zeigt auch Chéret neben seinen ‚Werbedamen‘ immer wieder Clowns und Figuren der commedia dell’arte. Für das Musée Grévin (Farbabb. 16, S. 390) etwa gestaltete der Künstler eine ganze Parade von Bühnenfiguren: Links vorn ist ganz in weiß mit schwarzer Kappe ein beschwingt

84 Jean-Antoine Watteau: Voulez-vous triompher des belles…?, 1716–18, Öl auf Holz, 36 x 26 cm, Wallace Collection, London. 85 Vgl. Held 1985, S. 51; sowie Held/Schneider 1990, S. 319.

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ausschreitender Pierrot zu sehen, der auf einer Laute spielt. Eine Tänzerin im hellgelben Kleid nimmt das Zentrum der Darstellung ein; auf Zehenspitzen, mehr schwebend als stehend, tritt sie dem Betrachter frontal gegenüber und hebt mit graziler Geste ihren Rock an. Links hinter ihr schwingt ein Harlekin im charakteristischen gelbrot karierten Kostüm einen Degen über dem Kopf, rechts davon reitet eine nicht eindeutig bestimmbare männliche Figur auf einem Pferd – die leuchtend rote Kleidung lässt an Pantalone denken, doch fehlt die typische Maske; die Kopfbedeckung, ein Zweispitz, erinnert eher an die Zeit Napoleons. Rechts hinter dem Reiter lässt eine maskierte Tänzerin im grünen Tutu die Beine baumeln; weitere Gestalten erscheinen im Hintergrund als bloße Schemen vor dem tiefblauen Nachthimmel. Ganz hinten hebt sich der Schattenriss einer Windmühle vor dem Vollmond ab, als typisches Erkennungsmerkmal Montmartres verweist sie auf die dortige subversive Vergnügungskultur. Von dieser Mühle aus strebt der Zug fröhlicher Gestalten in einem großen Bogen auf den Betrachter zu. Aus tiefdunkler Nacht scheint sich die Figurenkaskade auf eine hell erleuchtete Bühne zu ergießen – ‚Farbnebel‘ in hellem Gelb und Orange deuten in der unteren Bildhälfte eine Bühnenbeleuchtung an, während ein gazeartiger Schleier oder Vorhang die Komposition nach oben hin abschließt. Ein großer Blumenkübel auf der linken Bildseite sowie einige darüber baumelnde, bunte Lampions vervollständigen die Szene. Die Darstellung dieses fröhlichen Festzuges muss auf große Begeisterung gestoßen sein, warb das Musée Grévin damit unter wechselnder Beschriftung doch gleich für drei verschiedene Attraktionen des Jahres 1900: eine Puppentheateraufführung, ein Künstlerfest, sowie das Journal Lumineux. Zudem griff Jules Chéret zwei Jahre später noch einmal auf die zentrale Figur der Tänzerin in Gelb zurück; im Plakat für die Pantomimes lumineuses (Abb. 261), die ebenfalls im Musée Grévin dargeboten wurden, ist sie in nahezu unveränderter Pose zu sehen. Lediglich die Haltung des Kopfes und der rechten Hand sowie die Position der Füße variieren leicht. Rote Punkte zieren nun ihr gelbes Kleid; zu ihren Füßen liegen Musikinstrumente und eine Karnevalsmaske verstreut. Begleitet wird die Frau in diesem Plakat von einem Laute spielenden Clown rechts hinter ihr, die übrigen Figuren der ersten Arbeit fehlen. Festgehalten in der Pose einer Ballerina und umringt von Clowns und Charakteren der commedia dell’arte, erscheint die Chérette in derartigen Darstellungen als Synthese von Tänzerin und Colombina; ja sogar den Typus der Parisienne sahen Zeitgenossen wie Gustave Kahn oder Camille Mauclair hier mit verkörpert.86 Einendes Element in diesem Gemisch verschiedener Frauenstereotype ist dabei die sorglose Ausgelassenheit und verführerische Erscheinung der Figuren:

86 Vgl. Kahn 1902, S. 182–184; sowie Mauclair 1930, S. 86f.

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„Colombina ist diese große Puppe mit göttlichem Gesichtchen geworden, der das Lachen von Paris die Miene ohne nachzudenken erhellt, diese menschliche Blume, die nichts zu tun weiß als zu lachen, die geboren ist, um zu gefallen, die weder Herz noch Hirn hat, deren Kleider abgefallene Blütenblätter sind, deren Fleisch ein Strauß von Lichtreflexen ist, die sowohl tanzt als auch schwebt […] Frau und Kind zugleich!“

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Abbildung 261: Jules Chéret Pantomimes lumineuses 1892

Ähnlich den Arbeiten Watteaus changieren die Plakate Chérets so zwischen zeitgenössischer Lebensrealität, Bühneninszenierung und überhöhtem Ideal. Im Zitat Mauclairs werden jedoch die Unterschiede zwischen den Bildfindungen beider Künstler offenbar: Zwar bedienen sich beide der Charaktere der commedia dell’arte. Doch fügen sich die fraglichen Figuren bei Watteau harmonisch in die ruhige, verträumte Bildwelt der fêtes galantes ein. Ihre in sich gekehrte Haltung und

87 „Colombine est devenue cette grande poupée à frimousse divine dont le rire de Paris illumine le visage sans pensée, cette fleur humaine qui ne sait que rire, qui est née pour plaire, qui n’a ni cœur ni cerveau, dont les robes sont des pétales effeuillés, dont la chair est un bouquet de reflets et qui danse, et qui flotte […] la Femme Enfant!“ – Mauclair 1930, S. 86f.

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zurückgenommene Mimik und Gestik lassen nicht mehr auf ihre eigentliche Herkunft aus dem derben Volkstheater schließen.88 Mitunter kennzeichnet die Dargestellten sogar eine gewisse Melancholie. So etwa bei Gilles89, eigentlich eine dem Pierrot verwandte Jahrmarktsfigur,90 die bei Watteau jedoch als leicht wehmütiger Außenseiter inmitten einer Festgesellschaft erscheint – die Interpreten des 19. Jahrhunderts erkannten hierin den Prototyp des feinfühligen, von der Gesellschaft unverstandenen Künstlers.91 Chérets Werbefiguren wirken dagegen regelrecht exaltiert; in ihrer übermütigen Ausgelassenheit, der heftigen Bewegtheit kommt nicht nur der Charakter der damaligen Vergnügungsindustrie zum Ausdruck, sondern ganz allgemein das Lebensgefühl einer bewegten Zeit.92 Entsprechend schrieb Peter Jessen 1896 im Kunstgewerbeblatt, Chéret habe ein „Schäferspiel aus Watteaus Zeit ins heutige Boulevardtreiben übersetzt“93, und Yvanhoe Rambosson erkannte in der Chérette eine der eleganten Damen Watteaus, die in den modernen Tanzsälen wie etwa dem Bal Mabile und dem Bal Bullier in zweifelhafte Gesellschaft geraten sei. Nichtsdestotrotz habe sie sich die „aristokratische Anmut einer Blume oder eines Schmetterlings“ bewahrt.94 Die Kritiker des 19. Jahrhunderts begriffen die Plakate Chérets so als mo-

88 Vgl. Held/Schneider 1990, S. 321; sowie Mauclair 1930, S. 83. Zwar hatte sich die commedia dell’arte im 17. Jahrhundert am französischen Hof etablieren können. Als Watteau sich 1702 in Paris niederließ, hatten die italienischen Komödianten bei Hofe jedoch Spielverbot, nachdem sie 1697 in der Posse La Fausse prude allzu deutlich auf Madame de Maintenon, die Ehefrau und frühere Mätresse des Königs, angespielt hatten. Die commedia dell’arte wurde damit in das théâtre de la foire abgedrängt. Weitgehend auf pantomimisches Spiel reduziert und durch akrobatische Einlagen ergänzt, war sie in den Folgejahren eine beliebte Jahrmarktsattraktion für die unteren Schichten. Vgl. hierzu Riha 1984, S. 61–63; sowie Miller, Norbert: „Masken im Park. Marivaux und das Theater der Régence“. In: Kat. Frankfurt a. M. 1982, S. 98–104, hier S. 99. 89 Jean-Antoine Watteau: Gilles, 1721, Öl auf Leinwand, 184 x 149 cm, Musée du Louvre, Paris. 90 Tatsächlich wurden die Bezeichnungen Gilles und Pierrot im Jahrmarktheater synonym verwendet; ursprünglich stellte auch Watteau sein Bild unter dem Titel Pierrot aus. Vgl. hierzu Jones 1984, S. 23. 91 Vgl. Jones 1984, S. 40f. 92 Vgl. Mauclair 1930, S. 95f. 93 Jessen 1896, S. 84; vgl. hierzu auch Henatsch 1994, S. 43. 94 „C’est l’élégante des Watteau qui s’est, dans les Mabiles et les Bulliers modernes, encanaillée un peu à fréquenter des calicots et des étudiants. Elle n’en a pas moins […] conservé cette je ne sais laquelle aristocratie de la fleur et du papillon.“ – Rambosson 1893, S. 499–501. Vgl. hierzu auch Lay 2001, S. 174.

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derne Variante der Werke Watteaus, die sie in nostalgischer Verklärung als Bilder einer längst vergangenen, besseren Zeit interpretierten.95 Indem sie in ihren Arbeiten die Stimmung eines immer währenden, heiteren Festes evozieren, verbildlichen beide Künstler idealisierte Wunschwelten. Während Watteaus Gemälde jedoch als unerfüllbare Utopie erscheinen, transportieren Chérets Plakate die Glücksversprechen der Werbung: Dem Betrachter wird suggeriert, durch den Besuch der beworbenen music hall, den Erwerb des angepriesenen Produkts sei auch für ihn die Glückseligkeit der dargestellten Figuren zu erlangen. Abbildung 262: Jules Chéret Halle aux Chapeaux 1894

Abbildung 263: Jules Chéret Grands Magasins du Louvre – Étrennes 1897

Der Bezug zur Lebenswirklichkeit des Betrachters ist dabei augenscheinlich zweitrangig: So zeigt etwa Chérets Arbeit für die Pariser Halle aux Chapeaux von 1894 (Abb. 262) eine schwebende Chérette im gelbweiß gestreiften Kleid samt passendem Hut, die einem lachenden Clown im rotweißen Anzug Spitzhüte zuwirft, als bläuliche Schemen sind im Hintergrund weitere Clownfiguren auszumachen, die das ausgelassene Spiel beobachten. Auch im Plakat für die Grands Magasins du Louvre von 1897 (Abb. 263) sind mehrere Clowns zu sehen, darunter links unten ein springender Pierrot. Im Zentrum des Bildes zeigt Chéret einen Clown im ge-

95 Zur verklärenden Sicht auf das 18. Jh. vgl. Collins 1980, S. 80–89.

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ckenhaften gelben Kostüm, bestehend aus Kniebundhosen, die mit Schleifen verziert sind, einer Weste mit übergroßen Knöpfen und Puffärmeln. Ein farblich passender, federgeschmückter Hut, eine bauschige weiße Halskrause sowie weiße Strümpfe mit roten Punkten komplettieren das Ensemble. Der Dargestellte hat sich bei einer weiblichen Clownsfigur im rotweiß gestreiften Kostüm untergehakt, beide sind augenscheinlich mitten im Sprung begriffen. Die heitere Ausgelassenheit, die die Entwürfe Chérets charakterisiert, erscheint in Gestalt dieser Clowns bis zum äußersten gesteigert, ohne dass noch ein direkter inhaltlicher Bezug zu den beworbenen Kaufhäusern bestünde; die mit den music halls Montmartres und dem Zirkus assoziierte Fröhlichkeit soll vom Betrachter auf die Welt des Konsums übertragen werden. Zwar evoziert Chéret mit seinen Darstellungen von Clowns, ausgelassenen ‚Werbedamen‘ oder auch Figuren der commedia dell’arte eine ewige „Karnevalslaune“96, doch sind seine Bildfindungen im Gegensatz zum wirklichem Karneval nicht subversiv: Wo dieser bestehende Anstandsnormen aushebelt, soziale Grenzen und Rollenzwänge unterläuft und in Frage stellt, wirken Chérets Plakate affirmativ gegenüber der kapitalistischen Gesellschaftsordnung:97 Der Betrachter wird nicht zur Grenzüberschreitung, sondern vielmehr zum Konsum ermuntert; das gezeigte Glück scheint käuflich. Damit einher geht ein stark eskapistisches Moment der Darstellungen: In ihrer ausgelassenen Heiterkeit lässt der Künstler seine Werbefiguren buchstäblich vom Boden der Realität ‚abheben‘, ihr schwereloser Schwebezustand verortet sie in einer Fantasiewelt jenseits alltäglicher Probleme, sozialer oder wirtschaftlicher Zwänge.98 Entsprechend bemerkt auch Christina Thon, Chéret zeige einzig „...die Welt des schönen Scheins, die Schauseite des Pariser Lebens, der immer etwas von einer in strahlendes Rampenlicht getauchten Inszenierung anhaftet, auch wenn es sich nicht um Bühnenszenen, sondern um Produktreklame handelt. Die Figurenkaskaden fröhlicher, mit Spielzeug beschenkter Kinder oder die tänzerische Grazie einer jungen Frau im dekolletiertem Kleid, die lässig eine Lampe anzündet, sind Chiffren für die bei Chéret in immer neuen Variationen dargestellte Unbeschwertheit und Ausgelassenheit, die ein durch die Fortschritte der Zivilisation angenehm gewordenes Leben zu bieten vermag.“

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Entsprechend erklärte auch Chéret selbst seine künstlerische Intention:

96 Hillier 1969, S. 49. 97 Vgl. Verhagen 1995, S. 104. 98 Vgl. Mauclair 1930, S. 74f. 99 Thon S. XVIIIf.; vgl. hierzu auch Zmelty 2014, S. 201.

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„Genügend andere stellen die Trauer dar, die Schmerzen, den Verrat des Lebens: Ich kenne sie, will sie aber nicht malen, es gibt [auch] Freuden, für diese habe ich blaue und rosafarbene Kreiden.“

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Er habe immer nur „Frauen und Lachen“101 zeigen wollen, so der Künstler: „Ich habe gedacht, dass es im Leben genug hässliche und traurige Dinge gibt, grausame Dinge, um der Menschheit einen anderen Anblick als den ihres Unglücks und ihrer Mittelmäßigkeit zu bieten. Ich wollte ihr die Illusion der Freude geben, die zusammen mit der Schönheit 102

unser einziger Trost ist.“

Gerade diese durchweg positive, optimistische Anmutung der Plakate dürfte den Erfolg des Künstlers ausgemacht haben.103 Nur selten wurde diesbezüglich Kritik artikuliert wie etwa von Jules Bois, der Chérets Motive als zu oberflächlich bemängelte: „…nachdem man [die Plakate] bewundert hat, wird man mitunter gewahr, dass man sich von den äußeren Erscheinungen und der bezaubernden Anmutung hat täuschen lassen, und dass trotz allen Charmes die Seele, der intime Sinn in keiner Weise vermittelt werden.“

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Dem widerspricht Joris-Karl Huysmans, der gerade in der Oberflächlichkeit einen Ausdruck des modernen Lebensgefühls, eine „ganz eigene Vision des Pariserischen“105 und zugleich wiederum eine Anknüpfung an französische Kulturtraditionen sieht: „Eine oberflächliche und charmante Vision, auf anbetungswürdige Weise falsch, wahrgenommen wie durch die Optik des Theaters, in einem Märchen, nach einem feinen Abendessen. In dieser Essenz von Paris, die er destilliert, vernachlässigt er den schrecklichen Ab-

100 „Assez d’autres […] dépeignent les tristesses, les douleurs, les trahisons de la vie: je les connais, mais ne les veux point peindre, il y a les joies, j’ai des crayons bleus et roses pour cela.“ – zitiert nach: Mauclair 1930, S. 24. 101 „toujours des femmes et des rires“ – zitiert nach: Champsaur 1893, S. 482 102 Jules Chéret 1928 im Gespräch mit Gabrielle Reval; zitiert nach: Verhagen 1995, S. 123. 103 Vgl. ebd. 104 „…après avoir admiré, on s’aperçoit quelquefois qu’on s’est illusionné d’apparences et d‘enchantements et que l’âme, le sens intime n’a pas été absolument livré malgré le charme.“ – Bois 1890, S. 4. 105 „une très particulière vision du parisianisme“ – Huysmans 2006a, S. 366.

366 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG schaum, gibt das Elixier selbst auf, das so ätzend und scharf ist, sammelt nur die Gaswallungen, die Bläschen, die an der Oberfläche perlen.“

106

10.2 D IE M UCHA -F RAU Wie Jules Chéret kreierte auch Alfons Mucha mittels eines individuellen, charakteristischen Stils eine eigene ‚Marke‘ innerhalb der französischen Plakatkunst. Der gebürtige Mähre, seit 1888 in Paris ansässig, setzte dabei konsequent auf die Gestaltungsprinzipien, die er anhand der Arbeiten für Sarah Bernhardt seit Mitte der 1890er Jahre entwickelt hatte. Mit den Plakaten für Bernhardt hatte Mucha nicht nur zur Idolisierung der Aktrice beigetragen, sondern zugleich auch selbst erste entscheidende Erfolge als Plakatkünstler gefeiert – die enorme Popularität Bernhardts hatte maßgeblich die Bekanntheit Muchas befördert.107 Nur folgerichtig erscheint es, dass der Künstler den einmal entwickelten Stil beibehielt und ausgehend von der ‚Marke‘ Sarah Bernhardt die ‚Marke‘ Alfons Mucha schuf. Neben Plakaten gestaltete der Künstler dabei auch zahlreiche panneaux décoratifs: großformatige Druckgrafiken, die als Wandschmuck konzipiert waren und die Vorläufer des heutigen Posters darstellen. Die Grenzen zwischen panneau décoratif und Werbeplakat sind im Oeuvre Muchas fließend. So gestaltete der Künstler etwa für die Druckerei F. Champenois ein Plakat (Abb. 143, S. 190), das unter dem Titel Träumerei auch als panneau vertrieben wurde – die ursprüngliche Werbebeschriftung ist hier durch ein Ornamentfeld ersetzt. Muchas Arbeiten unterschieden sich deutlich von der übrigen Plakatwerbung der Zeit, was ihren Wiedererkennungswert noch gesteigert haben dürfte: Suchten andere Plakatkünstler zumeist durch leuchtende Farbigkeit und starke Kontraste die Aufmerksamkeit der Passanten zu erregen, so hielt Mucha seine Entwürfe vorwiegend in zarten Pastelltönen. „Dem Spektakel der Farben hat er das Plakat entgegengesetzt, so weiß und rein wie eine Lilie“,108 schrieb entsprechend Charles Saunier

106 „Vision suprficielle et charmante, adorablement fausse, aperçue ainsi qu’au travers d’un optique de théâtre, dans une féerie, après un dîner fin. Dans cette essence de Paris qu’il distille, il abandonne l’affreuse lie, délaisse l’élixir même, si corrosif et si âcre, recueille seulement les bouillonements gazeux, les bullles qui pétillent à la surface.“ – Huysmans 2006a, S. 366. 107 Vgl. Henderson 1973, S. 10. 108 „Au charivari des couleurs il a opposé l’affiche claire et blanche comme un lis.“ – Saunier, Charles: „Un Afficheur blanc“. In: La Plume. No. consarcé à Alphonse Mucha: Alphonse Mucha et son œuvre, Paris 1897, S. 38–40., hier S. 40.

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1897 in La Plume. Die „Helle der weißen Drucke“109 Muchas, die „Nüchternheit der Farbgebung“ 110, die Saunier konstatierte, wird ergänzt durch überreich ververwendete Goldfarbe, die den Arbeiten eine äußerst opulente, luxuriöse Anmutung verleiht. Umgeben von einem goldenen Rahmen, besticht beispielsweise die ‚Werbedame‘ für Job (Abb. 240, S. 319) mit üppig wallendem Goldhaar. Kostbarkeit und Verfeinerung suggeriert auch die kleinteilige Ornamentierung des Hintergrunds, ein typisches Merkmal der Arbeiten Muchas. Der Künstler verstand sie schier unendlich zu variieren, indem er – ganz im Sinne des um die Jahrhundertwende vorherrschenden stilistischen Eklektizismus – Anleihen in der Kunst verschiedenster Kulturen und Epochen nahm. Ohne konkreten inhaltlichen Bezug zum jeweils beworbenen Produkt verarbeitete er so unter anderem byzantinische, maurische oder indische Ornamentformen, die seinen Plakaten eine exotische Anmutung verleihen. Anregungen hierfür fanden sich in Publikationen wie etwa den 1883 erschienenen Ornaments Arabes111 von E. Collinot und A. de Beaumont.112 Eingefasst werden die kleinteiligen Ornamente durch Kreis- oder Bogenformen, wie sie auch schon in den Plakaten für Sarah Bernhardt zu finden waren. Häufig verwendet Mucha zudem Sichelformen, für die sich nicht nur in der arabischen, sondern auch der byzantinischen Kunst zahlreiche Vorbilder finden – da die Formensprache des antiken Byzanz im slawischen Kulturraum deutlich nachwirkte, mag Mucha hiermit auch auf seine eigene Herkunft anspielen.113 Ebenfalls auf die byzantinische Kunst verweist die Darstellung mosaizierter Ornamente, die der Künstler im Plakat zu Gismonda (Abb. 105, S. 141) entwickelte und in seinen Arbeiten für die Tänzerin Lygie (Abb. 269, S. 374) oder auch Nestlé’s Food for Infants (Abb. 6, S. 33) wieder aufgriff. Daneben diente Mucha auch die Natur als Inspirationsquelle; ganz im Sinne des Art Nouveau gestaltete er Ornamente durch stilisierende Vereinfachung und Wiederholung vegetabiler Formen. Beispiele hierfür

109 „la sérénité des ses blanches estampes“ – Saunier 1897, S. 40. 110 „sobriété de couleur“ – Saunier 1897, S. 39. 111 Collinot, E./de Beaumont, A.: Ornaments Arabes. Recueil de dessin pour l’art et l’industrie, Paris 1883. 112 Vgl. Kotalík 1980, S. 24; Srp 1989, S. 12f.; sowie Winter 1995, S. 70f. 113 Vgl. Winter 1995, S. 70f. Der Künstler selbst beharrte lebenslang darauf, dass einzig die Kultur seiner mährischen Heimat seine Kunst beeinflusst habe. Vgl. Mucha, Jiři: „Alphonse Mucha. Sa vie et son œuvre“. In: ders. (Hg.): Alphonse Mucha, o. O. 1977, S. 11–62, hier S. 14.

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Abbildung 264: Alfons Mucha La Trappistine 1897

finden sich etwa im Plakat für die Druckerei F. Champenois (Abb. 143, S. 190) oder auch in der Arbeit für Chemins de Fer P.L.M. (Abb. 144, S. 190). Zugunsten der dekorativen Ornamentierung des Hintergrunds verzichtet Mucha meist auf eine klar definierte Raumsituation. Durch die Überschneidung ornamentierter Flächen sowie bildimmanente Rahmungen – so etwa im Plakat für die Druckerei Cassan Fils (Abb. 191, S. 249) – entsteht vielmehr der Eindruck eines kulissenhaft gestaffelten Bildraums ohne wirkliche Tiefe.114 Vor dieser Hintergrundfolie platziert Alfons Mucha in der Regel eine einzelne, weibliche Werbefigur; eine prominente schwarze Konturlinie hebt die Dargestellte von der umgebenden Ornamentierung ab und unterstreicht deren visuell einprägsame Posen. Die Betonung der Umrisslinien erinnert an die Werke Eugène Grassets; daneben mag Mucha hierbei auch vom Stil Paul Gauguins beeinflusst worden sein, mit dem er eine Zeit lang das Atelier teilte.115 Die Figurenauffassung lehnt sich ebenfalls an Muchas frühe Arbeiten für Sarah Bernhardt an. Besonders augenscheinlich wird dies in einem Plakat für den Likör La Trappistine (Abb. 264) von 1897: Im gestreckten Hochformat des quadruple colombier zeigt es eine aufrecht stehende junge Frau, die in ihrer reglosen Haltung geradezu statuarisch anmutet. Das überlange, gerade geschnittene Gewand der Dargestellten unterstreicht diesen Eindruck noch; einzig der Überwurf des Beistelltischchens rechts wird in einen kunstvollen Faltenwurf drapiert. Aufgelockert wird die statische, ganz auf die Vertikale konzentrierte Komposition durch grazile Ranken mit übergroßen, bunten Blüten, die sich in elegantem Schwung um Kopf und Oberkörper der ‚Werbedame‘ winden.

114 Vgl. Winter 1995, S. 51. 115 Vgl. ebd., S. 65.

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Abbildung 265: Die Büste der Frau hinterfängt eine mit Alfons Mucha Ornamenten geschmückte Kreisform, Moët & Chandon die an den mosaizierten Nimbus des 1899 Gismonda-Plakats erinnert. Parallelen zu den Plakaten für Bernhardt finden sich auch in der Physiognomie der Figur, die betont flächig wiedergegeben und auf wenige prägnante Gesichtszüge reduziert wird: den schmalen, strengen Zügen mit hohen Wangenknochen, schmaler Nase und voller Unterlippe sowie dem langen, schlanken Hals.116 Mit einer ganz ähnliche Komposition warb Mucha 1899 für den Weinlieferanten Moët & Chandon (Abb. 265): Auch hier wird eine junge Frau im gestreckten Hochformat wiedergegeben, stehend und frontal zum Betrachter ausgerichtet. Ihr langes Gewand schmiegt sich nun jedoch weich an den Körper und offenbart so die darunter liegenden weiblichen Rundungen. Auch das Gesicht der Dargestellten ist stärker plastisch ausgearbeitet, es erscheint rundlich, deutlich fülliger und weniger streng als die Physiognomie Bernhardts. Inspiriert wurde diese zweite Variante der ‚Mucha-Frau‘ von der langjährigen Geliebten des Künstlers, Berthe de Lalande.117 Dabei geht es Mucha jedoch nicht um eine möglichst getreue Wiedergabe der wirklichen Person. Wie in den Darstellungen Bernhardts wird das reale Vorbild auch hier in ein stereotypes Idealbild weiblicher Schönheit und Jugendlichkeit überführt, das keinerlei tief greifende Emotionen oder

116 Vgl. Winter 1995, S. 63. 117 Vgl. Arwas, Victor: „Mucha’s Debut in Fin de Siècle Paris“. In: ders. u. a. 1998, S. 42– 45, hier S. 43.

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eine individuelle Persönlichkeit offenbart.118 Der mimische Ausdruck der Figuren erschöpft sich vielmehr in verträumten Blicken und dem immer gleichen, lieblichen Lächeln. Im Gegensatz zu Chérets ausgelassenen ‚Werbedamen‘ erscheinen die Frauenfiguren Alfons Muchas still und introvertiert. Selbst wenn sie den Betrachter direkt anblicken, wie etwa im Plakat für die Druckerei F. Champenois (Abb. 143, S. 190), wirken sie seltsam entrückt. Albert de Rochas: Les Sentiments, la musique et le geste, 1900 Abbildung 266: Meditation (akademische Pose)

Abbildung 267: Meditation (in Hypnose suggerierte Pose)

Der teils geradezu tranceartige Ausdruck der Figuren mag dabei auch inspiriert worden sein durch die zeitgenössische Faszination für Hypnose und Suggestion. Tatsächlich stellte der Künstler sein Atelier für Experimente zur Verfügung, bei denen Oberst Albert de Rochas das Modell Lina de Ferkel in Trance versetzte. In der Hypnose erschien die eigene Persönlichkeit de Ferkels ausgelöscht, sodass sie überaus empfänglich für die Suggestion von Gefühlen und Stimmungen wurde – so sollte eine besondere Intensität des emotionalen Ausdrucks erreicht werden, die de Rochas durch vergleichende Fotografien von Modellposen mit und ohne hypnotische

118 Vgl. Kotalík 1980, S. 19; sowie Srp 1989, S. 14.

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Beeinflussung (Abb. 266, Abb. 267) dokumentierte.119 Unter dem Titel Les Sentiments, la Musique et le Geste120 veröffentlichte er 1900 die Ergebnisse seiner Experimente, die augenscheinlich auch Alfons Muchas Figurenauffassung stark beeinflussten – in Haltung und Mimik der ‚Werbedamen‘ scheint häufig ein regelrechter „Katalog sämtlicher Spielarten hypnotischer Selbstvergessenheit“121 umgesetzt. Abbildung 268: Alfons Mucha Job 1898

Entsprechend treten die Dargestellten nie als aktiv Handelnde in Erscheinung, sondern werden in ausdrucksstarken Posen regelrecht still gestellt – ein Stilmittel, das Mucha nicht nur aus de Rochas’ Hypnose-Experimenten, sondern auch aus dem expressiv-artifiziellen Schauspiel Sarah Bernhardts ableitete. Der ‚Mucha-Frau‘ eignet damit eine gewisse Theatralik, die die Figuren visuell besonders einprägsam

119 Vgl. Pierre, Arnauld: „Musikalische Ekstase und Fixierung des Blicks. Mucha und die Kultur der Hypnose“. In: Husslein-Arco 2009, S. 25–30. 120 de Rochas, Albert: Les Sentiments, la Musique et le Geste, Grenoble 1900. 121 Pierre 2009, S. 25.

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macht.122 Im Vergleich zu den Plakaten für Bernhardt variierte Alfons Mucha in seinen späteren Arbeiten die Posen der ‚Werbedamen‘ jedoch stärker, passte sie an verschiedene Bildformate und -ausschnitte an. Neben dem quadruple colombier nutzte der Künstler nun auch weniger gestreckte Hoch- und seltener Querformate. Die Dargestellten werden dabei meist sitzend wiedergegeben; der Bildausschnitt reicht häufig nur bis zu den Knien der Figur. Beispiele hierfür sind die Arbeiten für Waverley Cycles (Abb. 162, S. 212) oder Job (Abb. 240, S. 319).123 Der Untergrund, auf dem die Frauen sich niedergelassen haben, wird nur angedeutet, durch überlange Gewänder verunklärt oder sogar gänzlich unterschlagen, sodass die Figuren frei in der Luft zu schweben scheinen – so etwa in Muchas Job-Plakat von 1898 (Abb. 268).124 Während Jules Chéret das Schwebemotiv zumeist mit einer heftigen Bewegtheit seiner Figuren kombinierte, sie mitten im Sprung zeigte oder in schwungvollen Pirouetten buchstäblich vom Boden ‚abheben‘ ließ, verzichtete Mucha gänzlich auf die Darstellung von Bewegung. Galt die extrovertierte, lebhafte Chérette als Verkörperung des modernen Paris, so scheinen die ‚Werbedamen‘ Muchas der zeitgenössischen Lebenswirklichkeit gänzlich entrückt. In ihren still gestellten, theatralischen Posen muten sie zugleich zeitlos und fremdartig an.125 Charles Saunier schrieb dazu: „M. Mucha, ein Orientale, der sich in Paris eingewöhnt hat, ist im Grunde in seiner Kunst sehr wenig pariserisch. Da, wo der Meister [Chéret] ausgelassen fröhlich, fiebernd, schwir126

rend war, bleibt er gefasst, mosaikartig, fast hieratisch.“

Saunier impliziert hier, die stilistischen Eigenheiten Alfons Muchas ließen sich ableiten aus der fremdländischen Herkunft des vermeintlichen ‚Orientalen‘ – anders-

122 Die theatralische Anmutung der von Mucha gezeigten Posen prädestinierte seine Arbeiten geradezu für eine Umsetzung auf der Bühne. Entsprechend feierte eine Pariser Tänzerin, bekannt unter dem Künstlernamen Lygie, mit der Aufführung „lebender Bilder“ nach Darstellungen Muchas an den Folies Bergère Erfolge. Vgl. hierzu Rennert/Weill 1984, S. 284, Nr. 77; sowie Henderson 1973, S. 14. 123 Vgl. Winter 1995, S. 43. 124 Vgl. ebd., S. 51. 125 Vgl. ebd., S. 51f.; sowie Ulmer, Renate: Alfons Mucha 1860–1939. Auftakt zum Art Nouveau, Köln 2000, S. 10. 126 „M. Mucha, Oriental [sic] acclimaté à Paris, est au fond, dans son art, très peu Parisien. Là où le Maître par excellence fut frénétiquement joyeux, fébrile, papillotant, il reste impassible, mosaïste, presque hiératique“ – Saunier 1897, S. 39.

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wo wurde der Künstler als Ungar identifiziert,127 zudem kursierte das Gerücht, Sarah Bernhardt habe ihn in einem Zigeunerlager entdeckt.128 Tatsächlich stammte Mucha aus Mähren, das damals zum Kaiserreich Österreich-Ungarn gehörte. Er selbst sah sich aber in erster Linie als Slawe und betonte auch stets stolz seine Herkunft.129 Geradezu programmatisch bringt Muchas Plakat für seine Einzelausstellung im Salon des Cent (Abb. 207, S. 268) dieses Selbstverständnis zum Ausdruck: Zu sehen ist ein junges Mädchen, das eine bestickte Haube nach dem Vorbild slawischer Volkstrachten trägt; die zahlreichen Gänseblümchen im Haar der Dargestellten verweisen als typische Pflanze Mährens symbolisch auf Muchas Heimat.130 Derart explizite motivische Verweise auf die slawisch-mährische Kultur bilden in den Plakaten der Pariser Zeit jedoch die absolute Ausnahme. Zu einem zentralen Thema seiner Kunst machte Mucha die slawische Kultur erst in seinem Spätwerk, das geprägt ist von einem patriotischen Einsatz für die Belange der Tschechen wie der slawischen Völker insgesamt.131 Die stilistische Eigenart Muchas erscheint damit weniger durch seine osteuropäischen Wurzeln bedingt als vielmehr durch die Absicht, eine eigene, unverwechselbare ‚Marke‘ innerhalb der Plakatkunst zu generieren. Die Gefasstheit und hieratische Anmutung, die Saunier als zentrales Charakteristikum der ‚Mucha-Frau‘ benennt, stehen dabei im Kontext einer geradezu religiös anmutenden Verklärung und Überhöhung der Darstellungen. So zeigt etwa das Plakat Monaco – Monte Carlo der Chemins de Fer P.L.M. (Abb. 144, S. 190) eine junge Frau im schulterfreien weißen Gewand, die an einem Strand kniet. Hinter ihrem Rücken wird das Meer als glatte blaue Fläche sichtbar; am gegenüberliegenden Ufer der Bucht ist schemenhaft eine Stadt – wohl eines der beworbenen Reiseziele – angedeutet. Andächtig blickt die Dargestellte gen Himmel, gleich einer Betenden hat sie die gefalteten Hände erhoben. Umgeben wird die Figur von großen, stilisierten Blumenranken,

127 Vgl. Brabcová 1980a, S. 53; sowie Weill, Alain: „The Art of Alphonse Mucha“. In: ders./Rennert 1984,S. 10–12, hier S. 11. 128 Vgl. Balk 1994, S. 84. 129 Während seiner Studienzeit in München war Mucha ein engagiertes Mitglied des Vereins Škréta, zu dem sich eine Gruppe ortsansässiger Tschechen zusammengeschlossen hatte, und auch in Paris suchte er den Kontakt zu seinen Landsleuten. Selbst in seiner Kleidung suchte der Künstler, seine slawische Herkunft zum Ausdruck zu bringen, trug er doch mit Vorliebe mit folkloristischen Stickereien verzierte Hemden nach osteuropäischer Tracht. Vgl. Kotalík 1980, S. 17; Reade 1966, S. 4f.; sowie Rennert, Jack: „The Life of Alphonse Mucha“. In: ders./Weill 1984, S. 13–27, hier S. 14. 130 Zum Motiv des Gänseblümchens vgl. Rennert/Weill 1984, S. 302, Nr.83. 131 Vgl. hierzu Kat. Hamburg 1997, S. 202; sowie Brabcová, Jana: „Die verspätete Botschaft“. In: Kat. Darmstadt 1980, S. 70–75.

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Abbildung 269: Alfons Mucha Lygie 1901

die Ornamente formen; ein Kreis aus Fliederdolden hinterfängt den Oberkörper der ‚Werbedame‘ und mutet wie ein übergroßer Nimbus an. Ähnliche, ornamentierte ‚Heiligenscheine‘ finden sich etwa im Plakat für die Schauspielerin Lygie (Abb. 269), die ebenfalls die Hände vor der Brust gefaltet hat, sowie in den Arbeiten für den Parfümeur Bleuze-Hadancourt (Abb. 274, S. 379) und La Trappistine (Abb. 264, S. 368). Im letztgenannten Plakat wird die pseudoreligiöse Anmutung besonders hervorgehoben: Ihre streng aufrechte, geradezu statuarische Haltung und die ernste, distanzierte Erscheinung verleihen der dargestellten ‚Werbedame‘ eine hieratische Würde. Noch verstärkt wird der Eindruck von Erhabenheit und Sakralität durch das schlichte, weiße, fast gänzlich schmucklose Gewand – lediglich der hohe Stehkragen ist kunstvoll mit Malteserkreuzen bestickt. Auch in der Ornamentierung des Hintergrunds finden sich unzählige dieser Kreuze, eingefasst vom Kreisbogen des ‚Heiligenscheins‘. Im betont ‚religiösen‘ Gepräge des Plakats verbirgt sich in diesem Falle eine Anspielung auf das beworbene Produkt: La Trappistine war ein Likör, dessen Rezeptur angeblich auf Trappistenmönche zurückging.132 Dass Mucha fälschlicherweise mit dem Symbol der Malteser auf den Trappistenorden verweist, offenbart jedoch die Beliebigkeit in seinem Umgang mit religiösen Symbolen. Die dekorativen ‚Heiligenscheine‘ der ‚Werbedamen‘ entwickelten sich zu einem regelrechten Markenzeichen des Künstlers, doch entbehren sie in der Regel jeglichen Bezug zum beworbenen Produkt und dienen einzig der Verklärung der Figuren. Diese erscheinen als regelrechte „Heilige des Konsums“133, denen die angepriesenen Waren als bloße Attribute beigegeben sind. Die eigentlich profane Werbebotschaft wird so pseudo-religiös überhöht. Diese vermeintliche ‚Sakralisierung‘ der

132 Vgl. Rennert/Weill 1984, S. 134, Nr. 30. 133 Winter 1995, S. 69.

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Werbefiguren ist ein Alleinstellungsmerkmal der Plakate Alfons Muchas – zwar hatte bereits zuvor eine Überhöhung von Konsumprodukten durch die Werbung stattgefunden, jedoch nur im Rückgriff auf weltliche Hoheitszeichen und Zitate aus der Kunstgeschichte wie etwa historisierende Gewänder oder Ornamente.134 Mit seiner Übertragung des Nimbus-Motivs in einen weltlichen Kontext steht Alfons Mucha der Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts näher als der zeitgleich geschaffenen Plakatkunst; aus einem streng sakralen Sinnzusammenhang gelöst, erscheint der Nimbus in zeitgenössischen Gemälden in verschiedensten Kontexten.135 Beispiele hierfür finden sich etwa in der Kunst der Präraffaeliten, die besonders seit der Pariser Weltausstellung von 1855 auf europaweites Interesse stieß und – nicht nur für das Werk Alfons Muchas – bis nach der Jahrhundertwende wichtige Impulse lieferte.136 Abbildung 270: Ford Madox Brown Take Your Son, Sir 1851-92

Abbildung 271: Dante Gabriel Rossetti Venus Verticordia um 1863-68

Besonders deutliche religiöse Anklänge offenbart Ford Madox Browns unvollendetes Gemälde Take Your Son, Sir137 (Abb. 270): Einer Mariendarstellung vergleich134 Vgl. Henatsch 1994, S. 147; sowie Winter 1995, S. 69. 135 Vgl. Winter 1995, S. 73. 136 Vgl. Winter 1995., S. 73. 137 Da der Bildtitel durch eine flüchtige Bleistiftnotiz auf dem Werk selbst überliefert ist, die eine Identifizierung des von Brown am Ende gesetzten Satzzeichens erschwert, wird

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bar, zeigt der Künstler eine Frau, die dem Betrachter einen nackten Säugling entgegenhält. Die aufrechte Haltung der Dargestellten sowie die strenge Frontalansicht vermitteln den Eindruck hieratischer Würde. Den Kopf der Dargestellten scheint ein Nimbus zu hinterfangen, der sich bei näherer Betrachtung jedoch als runder Spiegel in goldenem Rahmen entpuppt. Das Spiegelbild zeigt den im Titel angesprochenen Vater. Der Bildtitel wie auch die Mimik der Mutter, die Erschöpfung und eine gewisse Resignation verrät, legen die Deutung nahe, dass hier eine ledige Mutter den Kindsvater auffordert, sich seiner Verantwortung zu stellen.138 Eine gänzlich unchristliche Figur stattet Browns Künstlerfreund Dante Gabriel Rossetti mit einem goldenen Nimbus aus: Venus Verticordia (Abb. 271), die „Wenderin der Herzen“. Die nackte, überaus sinnliche Liebesgöttin hält einen Pfeil, das Attribut ihres Sohnes Amor, sowie einen Apfel als Symbol der Verführung und des Verderbens. Die Frucht verweist nicht nur auf den biblischen Sündenfall, sondern auch auf Venus’ Rolle im Ausgangskonflikt des Trojanischen Krieges. Selbst der Nimbus wird in Rossettis Bild zum Instrument der Verführung, zieht er doch unzählige Schmetterlinge an, welche die Liebesgöttin umschwirren – Sinnbilder der von Liebe betörten Seelen.139 Während Rossetti und Brown mit der tradierten Bedeutung des Nimbus-Motivs spielen und diese in der Darstellung der Verführerin sowie der ‚gefallenen Frau‘ und ledigen Mutter bewusst konterkarieren, entbehren die ‚Heiligenscheine‘ Alfons Muchas jeglicher inhaltlichen Motivation; ihre Funktion ist in erster Linie dekorativ. Den Plakaten eignet so eine „pathetisch kultbildhafte, aber inhaltslos gewordene Sakralität“140, in der sich auch der damalige Zeitgeist spiegeln mag: Im Zuge der Französischen Revolution hatte die Kirche enorm an Macht verloren; zudem hatte bereits die Aufklärung eine positivistische Weltsicht postuliert, die blindem Glauben zugunsten wissenschaftlicher Empirie eine Absage erteilte. Traditionell verbindliche religiöse Normen und Werte hatten ihre Bedeutung eingebüßt.141 In der

der Titel wechselweise mit einem Ausrufezeichen (so bei Prettejohn, Elizabeth: The Art of the Pre-Raphaelites, London 2000, S. 214) oder einem Fragezeichen (so bei Upstone, Robert (Hg.): The Pre-Raphaelite Dream. Paintings and Drawings from the Tate Collection, Ausst.Kat. Art Gallery of Western Australia Perth/Dunedin Public Art Gallery Dunedin/Frist Center for the Visual Arts Nashville, London 2003, S. 46, Nr. 8) wiedergegeben, auf die hier mangels Eindeutigkeit bewusst verzichtet wurde. 138 Vgl. Prettejohn 2000, S. 215–217; Upstone 2004, S. 46, Nr. 8; sowie Winter 1995, S. 73. 139 Vgl. Winter 1995, S. 73; sowie Treuherz, Julian u. a.: Dante Gabriel Rossetti, Ausst.Kat. The Walker Art Gallery Liverpool/Van Gogh Museum Amsterdam, Zwolle/ Amsterdam/Liverpool 2003, S. 188–190, Nr. 104. 140 Henatsch 1994, S. 46. Vgl. hierzu auch Thon 1968, S. 29f. 141 Vgl. Hofmann 1960, S. 64.

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Kunst des 19. Jahrhunderts konnten tradierte religiöse Motive damit neu interpretiert und in verschiedenste Kontexte übertragen werden.142 Dass Mucha den Nimbus in die Bildwelt der Werbung transferiert und somit speziell die Sphäre des Konsums pseudo-religiös verklärt, erscheint mehr als bezeichnend angesichts des Siegeszuges der kapitalistischen Wirtschaftsordnung im 19. Jahrhundert. Entsprechend beschreibt auch Émile Zola in seinem 1883 erschienenen Roman Au Bonheur des Dames143, wie Konsum und Kommerz an die Stelle überkommener Glaubensvorstellungen treten: Das titelgebende Kaufhaus vergleicht er wiederholt mit einer Kathedrale,144 den Hauptverkaufsraum mit einem Kirchenschiff,145 Schaufenster und Auslagen erscheinen ihm als Kapellen.146 Diese ‚Kirche‘ des Handels ist ganz der weiblichen Kundschaft gewidmet, die der Geschäftsführer des Paradieses der Damen, Octave Mouret, mit geradezu kultischer Verehrung umgarnt, um sie zum Kauf zu verführen: „Er errichtete ihr [der Kundin] einen Tempel, ließ ihr von einer Legion Kommis Weihrauch streuen, schuf den Ritus eines neuen Kults.“147 Der Konsum selbst wird schließlich zum Glaubensersatz; an die Stelle religiöser Ekstase tritt der Kaufrausch: „Seine [= Mourets] Schöpfung führte eine neue Religion herauf, die Kirchen, die der wankende Glaube nach und nach veröden ließ, wurden in den nun unbeschäftigten Seelen durch einen Basar ersetzt. Die Frau verbrachte jetzt bei ihm ihre leeren Stunden, die Stunden des Schauderns und der Unruhe, die sie einst in den Kapellen verlebte: unerlässliche Verausgabung nervöser Süchtigkeit, wiederauflebender Kampf eines Gottes gegen den Gatten, unaufhörlich erneuerter Kult des Körpers, dazu das göttliche Jenseits der Schönheit. Wenn er seine Türen geschlossen hätte, wäre auf der Straße ein Aufstand ausgebrochen, das verzweifelte Geschrei der Frommen, die man daran hindern wollte, zur Beichte und zum Tisch des Herrn zu gehen.“

148

Während Zola in seinem Roman ein durchaus kritisches Bild des modernen ‚Konsum-Tempels‘ zeichnet, wurden Muchas ‚Werbe-Heilige‘ von den Zeitgenossen überwiegend positiv gewertet. Nicht die faktische Profanisierung und Banalisierung religiöser Darstellungstraditionen durch die Werbung stand für die damalige Kunst-

142 Vgl. Bode 1981, S. 33–36. 143 Zola, Émile: Au Bonheur des Dames, Paris 1883. [dt.: Das Paradies der Damen, Berlin 2002.] 144 Vgl. Zola 2002, S. 95, S. 302, S. 322. 145 Vgl. ebd., S. 65, S. 302. 146 Vgl. ebd., S. 38, S. 540. 147 Ebd., S. 100. Vgl. auch ebd., S. 328. 148 Ebd., S. 550.

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kritik im Vordergrund. Man glaubte vielmehr, in der pseudo-religiösen Überhöhung der Werbemotive eine spirituelle Dimension der Plakate zu erkennen. Tatsächlich war es Alfons Muchas erklärte Absicht, mit seiner Kunst ein nicht nur ästhetisches, sondern auch geistiges Ideal zu vermitteln; demgegenüber scheint für ihn der kommerzielle Aspekt der Arbeiten völlig ohne Bedeutung gewesen zu sein. „Mucha ist der Apostel des Schönen und des Ideals“149, erklärte folgerichtig P. G. Huardel in der Zeitschrift The Poster. Abbildung 272: Théophile-Alexandre Steinlen Le Chat Noir 1896

Abbildung 273: Adolphe-Léon Willette Der fromme Irrtum 1899

Von dezidiert sozialkritischen Künstlern wie Theophile Alexandre Steinlen oder Adolphe Lèon Willette erntete Mucha dagegen Spott für seine allzu realitätsfern erscheinenden ‚Heiligen des Konsums‘. So übernahm Steinlen das Motiv des ornamentierten ‚Nimbus‘ für ein Plakat des Chat Noir (Abb. 272).150 Doch ziert der dekorative Heiligenschein dort nicht mehr eine verklärte ‚Werbedame‘, sondern vielmehr einen struppigen schwarzen Kater – den Namenspaten des beworbenen Cabarets. Explizit thematisiert Willette Muchas ‚Konsum-Heilige‘ in seiner Karikatur

149 „…Mucha is the Apostle of the Beautiful and of the Ideal.“ – Huardel, P. G.: „A Chat with Alphonse Mucha“. In: The Poster, Bd. 4, Nr. 20/März 1900, S. 29–31, hier S. 31. 150 Vgl. Laps 2007c, S. 167.

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Der fromme Irrtum (Abb. 273), die 1899 in Maitres de l’Affiche erschien: Dargestellt ist ein einfaches Bauernmädchen, das offensichtlich voll Ehrfurcht vor Muchas Plakat für die Bières de la Meuse (Abb. 159, S. 211) auf die Knie gesunken ist und zu der vermeintlichen Heiligen betet, die dort abgebildet ist.151 Das von Willete präzise wiedergegebene Plakatmotiv der Bierwerbung hat dabei mit traditionellen Heiligendarstellungen kaum noch etwas Abbildung 274: gemein: Statt einer nimbusartigen KreisAlfons Mucha form findet sich hier ein bloßer RundboBleuze-Hadancourt. Parfumeur gen, der die Figur überspannt und zugleich um 1899 den Markennamen präsentiert; auch fehlt der lässig auf den Ellbogen gestützten Frau die hieratische Würde, die etwa die Plakate für Gismonda (Abb. 105, S. 141) oder La Trappistine (Abb. 264, S. 368) kennzeichnet. Gleiches gilt beispielsweise auch für die ‚Werbedamen‘, die Mucha für JobZigarettenpapier ins Bild setzte (Abb. 240, S. 319, Abb. 268, S. 371): Beide werden entspannt sitzend, in lockerer Haltung wiedergegeben; im Plakat von 1896 wirkt die Dargestellte sogar regelrecht lasziv. Während das ‚O‘ des Werbeschriftzugs hier gleich einer Aureole hinter ihrem Kopf aufscheint, wird in der zwei Jahre später entstandenen Version die gesamte Figur von einer großen Kreisform hinterfangen – von einem ‚Nimbus‘ kann hier keine Rede mehr sein. Die Karikatur Willetttes offenbart jedoch, wie stark das selbst geschaffene Markenimage Alfons Muchas die Wahrnehmung seiner Arbeiten prägte: Den Zeitgenossen erschienen seine Werbefiguren grundsätzlich als verklärte ‚Heilige des Konsums‘, obschon sich Mucha durch die Variation der Posen wie auch der Hintergrundgestaltung mitunter deutlich von den Darstellungstraditionen der religiösen Kunst entfernte.

151 Vgl. Winter 1995, S. 70.

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Die ‚Mucha-Frau‘ erscheint so als entrücktes, gänzlich irreales Idealbild. Maßgeblich tragen hierzu auch Kleidung und Schmuck der Dargestellten bei: Während das Gros der Plakatkünstler dem modischen Chic der Parisienne huldigte, kleidete Mucha seine ‚Werbedamen‘ in weich fließende, zeitlose Fantasiegewänder, die kunstvoll um den Körper drapiert sind – ganz entgegen der damaligen Mode, die die weibliche Figur durch Korsett, Reifrock und Tournüre zu formen suchte.152 Ein typisches Beispiel für die Kostüme der ‚Mucha-Frau‘ zeigt das Plakat des Parfümeurs Bleuze Hadancourt (Abb. 274): Dargestellt ist eine junge Frau in einem gerade geschnittenen zartrosa Kleid. Wie die meisten ‚Werbedamen‘ Muchas ist die Dargestellte barfuss; unter dem Saum des Gewandes blitzen die nackten Zehen des linken Fußes hervor. Das überlange Kleid ist unter der Brust mit einer gemusterten Borte gegürtet; darüber werden die bauschigen Stoffmassen eines weißen Untergewandes sichtbar. Quer über das Dekolleté spannen sich mehrere dünne goldene Ketten, die als Träger für das Kleid fungieren. Vom Gürtel baumeln weitere Ketten mit Edelstein-Anhängern; das Haar ist mit großen roten Blumen geschmückt. Die Gewänder der ‚Mucha-Frau‘ erscheinen dabei in keiner Weise alltagstauglich. Meist sind die Kleider deutlich zu lang; teils bauschen sich wahre Stoffkaskaden zu Füßen der Figuren, wie etwa im Plakat für Moët & Chandon (Abb. 265, S. 369) zu sehen: Die hier gezeigte ‚Werbedame‘ trägt wiederum ein gerade fallendes, golden schimmerndes Gewand. Dessen überlange Schleppe wird, in kunstvollen Falten drapiert, bis zur Hüfte gerafft. Hierdurch wird die rosafarbene Unterseite des Stoffes sichtbar, die ein Muster aus kreisförmigen Ornamenten trägt. Das überaus edel und opulent anmutende Kleid zieren zudem ein breiter, mit Schmucksteinen besetzter Schulterkragen sowie ein Patagium – eine lange, ornamentverzierte Stoffbahn, die, mittig auf der Vorderseite des Gewands platziert, in gerader Linie bis zum Boden reicht. Vorbilder hierfür sind vor allem in der byzantinischen, frühchristlichen Kunst dokumentiert.153 Die im Schulterbereich voluminös gebauschten, zu den Handgelenken hin schmal auslaufenden Hammelkeulenärmel des Kleides entsprechen dagegen der Mode des späten 19. Jahrhunderts. Ein goldener Armreif mit Anhänger, dazu passende lange Ohrringe, eine Kette aus roten Schmucksteinen sowie ein breiter goldener Stirnreif komplettieren die extravagante Aufmachung; etwas Weinlaub im Haar der ‚Werbedame‘ spielt auf das beworbene Getränk an. Auch die Werbefigur der Druckerei F. Champenois (Abb. 143, S. 190) trägt ein Patagium über ihrem beigefarbenen Kleid, hier kombiniert mit einem Pektoral – eine Brustplatte, deren Form und Verzierung in Gestalt ausgebreiteter, stilisierter

152 Vgl. Join-Diéterle, Catherine: „Die Pariser Mode der Belle Époque“. In: Kat. Essen 1994; S. 55–70. 153 Vgl. Winter 1995, S. 64f.

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Geierflügel typisch sind für die Schmuckkunst des alten Ägypten.154 Direkt daran befestigt scheinen die stark gebauschten, rüschenverzierten Ärmel des Kleides, die an die Mode des 18. Jahrhunderts erinnern. Die Schultern der Frau sind nackt, wie häufig bei Muchas ‚Werbedamen‘, das hochgesteckte Haar zieren rote und rosafarbene Blüten. Für Champenois entwarf Mucha auch einen Kalender, der eine Frauenbüste im Profil vor einer Darstellung der Tierkreiszeichen zeigt – die Zodiaque von 1896 (Abb. 275), die in den Folgejahren mit jeweils veränderter Beschriftung verschiedenen Auftraggebern als Werbemittel diente.155 Abbildung 275: Alfons Mucha Zodiaque 1896

Abbildung 276: Gustave Moreau Salome tanzt vor Herodes 1875–76

Konkrete historische Vorbilder für den opulenten Schmuck der Dargestellten lassen sich hier nicht mehr benennen: Den Kopf der Frau schmückt ein breites, mit Einlegearbeiten, Ketten und Anhängern verziertes Metallband, das auf der Stirn von einem großen, eiförmigen Edelstein bekrönt wird. Farblich hierauf abgestimmt, zieren verschiedenfarbige Steine, Perlen sowie dicht an dicht liegende tropfen- und blütenförmige Anhänger den Kragen des Gewandes. Gänzlich von Juwelen umrahmt, wirkt das Gesicht der Dargestellten selbst wie eine kostbar gefasste Preziose.

154 Vgl. ebd., S. 48. 155 Zu den verschiedenen Varianten siehe Rennert/Weill 1984, S. 100–106, Nr. 19.

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In Schmuck und Gewändern der ‚Mucha-Frau‘ verbinden sich so Versatzstücke aus verschiedenen Kulturen und Epochen mit gänzlich freier Erfindung zu opulenten Fantasiekostümen. Nur selten besteht dabei ein direkter Bezug zum beworbenen Produkt, wie etwa in den Arbeiten für Waverley Cycles (Abb. 162, S. 212) oder F. Guillot-Pelletier (Abb. 163, S. 213), für die der Künstler seine ‚Werbedamen‘ in Anspielung auf die Metallverarbeitung mit augenscheinlich ledernen, einer Schmiedeschürze ähnelnden Kleidern versieht.156 Vor allem verorten Muchas extravagante Entwürfe seine Werbefiguren in Sphären jenseits der Alltagswirklichkeit und verleihen ihnen – trotz ihrer gänzlich europäischen Physiognomie – eine fremdartige, exotische Anmutung. Dies wird noch verstärkt durch die prunkvolle Ornamentierung des Hintergrunds, die in eklektizistischer Manier Stilformen unterschiedlicher Kulturen miteinander verbindet. Mucha macht sich hierbei die zeitgenössische Faszination für das Fremdländische, Exotische zunutze; seine Arbeiten evozieren die Vorstellung von Prunk und Reichtum ferner Länder und bedienen damit auch eskapistische Bedürfnisse des Betrachters. Bei aller Exotik bleiben Muchas ‚Werbedamen‘ jedoch zugleich unbestimmt genug, um als Projektionsfläche für die individuellen Vorstellungen des Betrachters dienen zu können. So glaubte etwa Henri Delgron, in der überreich geschmückten Zodiaque eine orientalische Herrscherin zu erkennen: „…oh, dass es von kindlicher Anmut und perverser Mattigkeit ist, dieses Profil der langen Sultanin – wie es noch auf der Schwelle der goldenen Paläste von Mirzapour und Golconda wohnt.“

157

Mit der Assoziation von weiblicher Macht und Perversität, exotischer Entrücktheit und Opulenz charakterisiert Delgron die Dargestellte implizit als femme fatale. In Kunst und Literatur der damaligen Zeit war der Stereotyp der Verderben bringenden Frau äußerst populär; häufig erscheint sie als reich geschmückte, übermächtige Figur in exotischer Kulisse –158 so etwa in Gustave Moreaus zahlreichen Darstellungen der Salome. Ein zwischen 1874 und ’76 entstandenes Gemälde Moreaus (Abb. 276) zeigt Salome tanzend inmitten einer fantastischen Tempelarchitektur. Sie ist gänzlich unbekleidet, doch ist ihre weiß aus dem dunklen Bildgrund hervorleuchtende Haut über und über mit Schmuck bedeckt, der ihr regelrecht auftätowiert

156 Vgl. S. 213f. dieser Arbeit. 157 „…ô qu’il est de grâce puérile et de langueur perverse, ce profil de longue sultane – comme il en demeure encore au seuils des palais d’or de Mirzapour ou de Golconde.“ – Degron, Henri: „La Poésie dans l’œuvre d’Alphonse Mucha“. In: La Plume. No. consacré à Alphonse Mucha: Alphonse Mucha et son œuvre, Paris 1897, S. 66–79, hier S. 78. 158 Vgl. Hilmes 1990, S. 20, S. 56–58; sowie Praz 1963, 138.

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erscheint. Ein puppenhaft anmutender Körperbau verleiht der Figur eine forcierte Künstlichkeit, sie erscheint weniger als wahrhaft bedrohliche Frau von übermächtiger erotischer Ausstrahlung denn als ästhetisiertes Artefakt, still gestellt in einer effektvollen Pose.159 Hierin offenbaren sich deutliche Parallelen zu den ‚Werbedamen‘ Alfons Muchas: Auch seine Figuren wirken in ihrem überreichen Schmuck selbst wie kostbar gefasste Preziosen, die Vorstellungen von Luxus und Opulenz evozieren. Mit der Kombination von Juwelen, nackter Haut und exotischer Entrücktheit zitiert Mucha zwar Charakteristika der femme fatale, negiert den eigentlichen Gehalt des Typus jedoch zugunsten einer primär dekorativen Wirkung.160 Lieblich lächelnd und harmlos-verträumt, entbehren seine Figuren jegliche Bedrohlichkeit und vermitteln somit eine rein positive Werbebotschaft: In ihrer luxuriösen Aufmachung fungieren sie als „Botinnen eines höheren Lebensgenusses“161, transportieren ein utopisches Glückversprechen, das an den Konsum der beworbenen Güter gebunden scheint.162 Während der überreiche Gold- und Edelsteinschmuck der ‚Mucha-Frau‘ an den Typus der femme fatale gemahnt, verweist der nicht minder üppige Blumenschmuck, mit dem der Künstler viele seiner Figuren ausstattet, auf den Stereotyp der femme-fleur. Der Künstler variiert das Motiv wiederum auf vielfältige Weise: So schmückt er etwa in seinem Plakat für die Tänzerin Lygie (Abb. 269, S. 374) das Haar der Dargestellten mit weißen Lilien und violett schimmernden Iris – damals eine äußerst beliebte, exotische Modepflanze, die gerade erst aus Japan importiert worden war.163 Stilisierte Irisblüten zieren zudem den sichelförmigen Ornamentbogen, der den Kopf der Figur hinterfängt. Rustikal mutet dagegen der große, aus Klatschmohn, Gerstenähren und Hopfen geflochtene Kranz der ‚Werbedame‘ für Bières de la Meuse (Abb. 159, S. 211) an, mit dem Mucha auf das beworbene Getränk anspielt.164 Gänzlich von Blüten umrahmt erscheint schließlich die Frauenfigur, die Mucha für die Druckerei F. Champenois (Abb. 143, S. 190) ins Bild setzt: Feine rote und rosafarbene Blüten im Haar der Dargestellten unterstreichen ihre mädchenhafte Lieblichkeit und Zartheit und korrespondieren zugleich farblich mit den üppigen floralen Ornamenten des Hintergrunds. Dazwischen schlängeln sich orange blühende Rankengewächse durchs Bild.

159 Vgl. Bode 1981, S. 143; sowie Winter 1995, S. 81–83. 160 Vgl. Kotalík 1980, S. 22; sowie Winter 1995, S. 95–97. 161 Bode 1981, S. 184. 162 Vgl. ebd., S. 180–184. 163 Vgl. Thompson 1971, S. 166f. 164 Vgl. hierzu S. 210f. dieser Arbeit.

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Abbildung 277: Alfons Mucha Champagne Ruinart 1896

Muchas Darstellungen der femme-fleur evozieren jedoch weniger zeitgenössische Vorstellungen von der unverbildeten ‚Naturnähe‘ und Ursprünglichkeit des weiblichen Wesens. In ihrer ornamentalen Stilisierung erfüllen die ins Bild gesetzten „Blütenträume“165 vielmehr wiederum eine in erster Linie dekorative Funktion.166 Überreich mit Blumen und Juwelen geschmückt, verträumt und entrückt vereint die ‚Mucha-Frau‘ so Charakteristika populärer Frauenstereotype des 19. Jahrhunderts. Doch beschränken sich Muchas Anleihen bei der femme-fleur, der femme fatale oder fragile auf bloße Äußerlichkeiten, der eigentliche Gehalt der Typen bleibt außen vor. Entsprechend schreibt auch Jiří Kotalík: „Die verhängnisvolle Frau der Romantik und die ersehnte Prinzessin des Symbolismus verwandeln sich in den Typ eines anmutigen, manchmal schmachtenden Mädchens mit modischer Appretur. In einer solchen Auffassung […] haben Muchas Frauen eine überwiegend dekorative Mission.“

Betont dekorativ gestaltet der Künstler auch das überlange Haar seiner Figuren – das zentrale Charakteristikum der ‚Mucha-Frau‘ schlechthin. Während die Frisurenmode der Zeit realiter von hochgesteckten Haarknoten, so genannten chignons dominiert wurde,167 tragen Muchas ‚Werbedamen‘ ihre langen Locken in der Regel offen; in ihrer heftigen Bewegtheit scheinen diese häufig ein regelrechtes Eigenleben zu entwickeln. Als üppig wallen-

165 Bode 1981, S. 180. 166 Vgl. Kotalík 1980, S. 22; sowie Winter 1995, S. 95–97. 167 Vgl. Join-Diéterle 1994, S. 64.

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de ‚Mähne‘ hinterfangen und umspielen sie die Figuren, wie etwa in den beiden Arbeiten für Job-Zigarettenpapier (Abb. 240, S. 319, Abb. 268, S. 371) oder im Plakat für Champagne Ruinart (Abb. 277) zu sehen – in letzterem reicht das Haar der Dargestellten fast bis hinunter zu den Fußknöcheln. Typisch ist auch die kunstvolle Stilisierung der Locken, die von den Zeitgenossen scherzhaft als ‚Muchas Makkaroni‘ bezeichnet wurden:168 In zahlreiche einzelne Strähnen zergliedert, breiten sie sich in geschwungenen Bahnen aus, um schließlich in einem runden Schwung zu enden – das Haar wird selbst zu einem dekorativen Ornament und vermittelt optisch zwischen den meist plastisch ausgearbeiteten Gesichtern der ‚Werbedamen‘ und der rein flächigen Ornamentierung des Hintergrunds. Die sichelförmig auslaufenden Haarspitzen wirken dabei wie ein Echo der für Mucha so typischen Kreis- und Bogenformen und verstärken so deren suggestive Kraft.169 Abbildung 278: Dante Gabriel Rossetti Lady Lilith 1868

Muchas Darstellungen stehen dabei im Kontext einer geradezu fetischhaften Begeisterung, die Künstler und Literaten des 19. Jahrhunderts dem Haar der Frau ent-

168 Vgl. Deschamps 1897, S. 4; sowie Reade, 1966, S. 16. 169 Zum Prinzip der Suggestivitätssteigerung durch Formwiederholung vgl. Hofstätter, Hans H.: Idealismus und Symbolismus, Wien/München 1972 [= Aufbruch der Druckgraphik von der Romantik bis zur Gegenwart II], S. 71f.

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gegenbrachten –170 langes, wallendes Haar wurde zum Sinnbild weiblicher Verführungskraft, die den Mann gänzlich in ihren Bann schlägt. So widmete Charles Baudelaire in den Blumen des Bösen dem Haar der Geliebten ein eigenes Gedicht,171 und Emile Zola stattete seine Protagonistinnen bevorzugt mit überlangem Haar aus.172 Durch eine üppige Haarpracht bestechen auch die Frauenfiguren der Präraffaeliten: Vor allem Dante Gabriel Rossetti unterstrich die sinnliche Anmutung seiner Figuren durch deren langes, seidig schimmerndes Haar. Effektvoll setzte er etwa die Fülle roter Locken Lady Liliths (Abb. 278), der mythischen ersten Gefährtin Adams, ins Bild – selbstvergessen blickt die Dargestellte in einen Spiegel und kämmt sich das Haar. In Anlehnung an eine Passage aus Goethes Faust173 heißt es in einem dem Bild beigegebenen Sonnet: „Lo! As that youth’s eyes burned at thine, so went Thy spell through him, and left his straight neck bent And round his heart one strangling golden hair.“

174

Ganz allgemein kennzeichnet die ‚Mucha-Frau‘ eine äußerst sinnliche Erscheinung – wie andere Plakatkünstler der Zeit nutzte auch Alfons Mucha weibliche Reize, um die Eindrücklichkeit seiner Darstellungen zu steigern: In der Regel sind seine Frauenfiguren nach den Maßstäben der damaligen Zeit eher leicht bekleidet; ihre weich fallenden Gewänder passen sich den natürlichen Rundungen an und lassen die Form des Körpers unter dem Stoff erahnen. Fast immer bleiben die Schultern unbedeckt; bei den Plakaten für Waverley Cycles (Abb. 162, S. 212) und den Parfümeur Bleuze-Hadancourt (Abb. 274, S. 379) ist sogar der Brustansatz zu erahnen. Seltener finden sich dagegen Aktdarstellungen, wie sie auf den Plakaten für Vin des Incas (Abb. 152, S. 203) oder die Druckerei Cassan Fils (Abb. 191, S. 250) zu sehen sind. Auch die Posen der Frauen unterstreichen deren weibliche Reize. So erzeugt die Sitzhaltung der ‚Werbedame‘ für Job von 1898 (Abb. 268, S. 371) eine „besonders reizend geschwungenen Linie vom Gesäß in die Oberschenkel“175, während sich die

170 Vgl. Reade 1963, S. 15; sowie Hofstätter 1973, S. 202f. 171 Baudelaire, Charles: „Das Haar“. In: ders.: Les Fleurs du Mal. Die Blumen des Bösen, übersetzt von Monika Fahrenbach-Wachendorff, Stuttgart 1998, S. 53. Vgl. hierzu auch Hofstätter 1973, S. 202. 172 Siehe etwa Zola 1996, S. 182 und S. 252; sowie ders. 2002, S. 117f. 173 Vgl. Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie erster Teil, neu durchgesehene Ausgabe Stuttgart 1986, S. 119f., Vers 4119–4123. 174 Zitiert nach: Treuherz 2003, S. 191f., Nr. 107. 175 Winter 1995, S. 43.

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Figur für Bières de la Meuse (Abb. 159, S. 211) mit verträumter Miene weit nach vorne beugt, wodurch die Rundungen von Hüfte und Gesäß stark hervortreten – noch betont durch ihr überlanges, die Hüfte umspielendes Haar. Äußerst lasziv erscheint die Raucherin, die Mucha in seinem Job-Plakat von 1896 (Abb. 240, S. 319) ins Bild setzt: Genießerisch hat sie den Kopf zurückgelegt und die Augen halb geschlossen. Der Oberkörper ist weit nach vorn gebeugt; allein die Masse ihres goldglänzenden Haars verdeckt den Blick in das tief ausgeschnittene Dekolleté. Geradezu brav mutet demgegenüber die ‚Werbedame‘ für F. Champenois (Abb. 143, S. 190) an: eine liebliche femme-fleur, die den Betrachter verträumt anblickt. Aus Sicht der Zeitgenossen Muchas eignet jedoch offenbar auch derartigen Figuren ein stark sinnliches Moment. So schrieb Raymond Bouyer 1898, die Lippen der Dargestellten umspiele „das Lächeln des Boudoirs“176. Tatsächlich wecken das verträumte Mienenspiel, die verschleierten Blicke und die nur lose drapierten Gewänder der ‚Mucha-Frau‘ häufig die Assoziation von privater Ungezwungenheit und Intimität. Gänzlich in sich selbst versunken, erscheinen die Frauenfiguren Muchas bei aller Sinnlichkeit als rein passive Objekte des Begehrens – ganz im Gegensatz zu den lebhaft-extrovertierten ‚Werbedamen‘ Chérets, die offensiv mit ihrem erotischen Potential kokettieren. Muchas ebenso sinnliche wie entrückte Frauenfiguren werden so zu ‚verklärten Verführerinnen‘, die die an sich banale Werbebotschaft überhöhen. Ihr Erscheinungsbild suggeriert Luxus und Opulenz, die assoziativ mit dem beworbenen Produkt verbunden werden sollen. Vor allem wird jedoch die Frau selbst zu einem anbetungswürdigen Idol stilisiert – der Künstler ist hierin ganz Kind seiner Zeit, verklärte man doch im 19. Jahrhundert die Frau mehr als je zuvor zu einer lebensfernen Idealgestalt.177 So schrieb etwa Charles Baudelaire in seinem Essay Der Maler des modernen Lebens: „Die Frau ist ganz in ihrem Recht, und sie erfüllt sogar eine Art Pflicht, wenn sie das Bestreben hat, magisch und übernatürlich zu erscheinen; sie soll erstaunlich sein und voller Reiz; 178

ein Götzenbild, muß sie mit Gold sich schmücken, um angebetet zu werden.“

176 „le sourire du boudoir“ – Bouyer, Raymond: „L’Estampe murale“. In: Art et Décoration, Paris, Bd. 4/ Juli–Dez. 1898, S. 185–191, hier S. 190. 177 Vgl. Bode 1981, S. 58. 178 Baudelaire 1994, S. 314. (Herv. i. O.)

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10.3 Z EITGENÖSSISCHE K RITIK ‚M ARKE ‘

AN DER KÜNSTLERISCHEN

Sowohl Mucha als auch Chéret feierten mit ihrer jeweils eigenen künstlerischen Handschrift enorme Erfolge; ihre Arbeiten erfreuten sich größter Popularität. Das Ansehen der beiden Künstler, so die Hoffnung der Auftraggeber, sollte die Werbebotschaft maßgeblich mittragen; in den USA wurde so sogar eine eigene Seifenmarke unter dem Namen Muchas vertrieben.179 Doch fanden sich auch vereinzelte kritische Stimmen, die die Effektivität einer derartigen Werbestrategie in Zweifel zogen. So sprach Ludwig Hollfeld bezüglich der Plakate Chérets von einer „allzu oft wiederholte[n] Mache“180, die zu einer Übersättigung des Betrachters führe: „…man hatte bald die Blechmusik des Chéretschen Farbkonzertes schon zu häufig in ihrer geringen Abwechslung über sich ergehen lassen müssen, um nicht auch einmal nach einer 181

anderen Lebensauffassung und Farbenempfindung Verlangen zu tragen.“

Vor allem wurde bemängelt, dass die Gestaltung nach einem vorgefertigten Schema kaum an den jeweiligen Werbeinhalt angepasst wurde –182 bestes Beispiel hierfür ist Chérets Plakat für das Kaufhaus La Belle Jardiniere, das nach der Ablehnung durch den ursprünglichen Auftraggeber mit gänzlich unverändertem Motiv genutzt wurde, um für die Kunsthandlung Sagot zu werben (Abb. 258, S. 357).183 Entsprechend kritisierte Henri Bouchot den fehlenden Produktbezug der Chérette: „Ohne die Beschriftung des Plakats wüsste man nicht so einfach, warum diese entkleideten Personen ihren Bolero vor einer Flasche Géraudel tanzen… […] Es folgt hier wie überall, dass die vorgefasste Formel, im Voraus festgehalten und für verschiedenste Zwecke angewendet, ihr Ziel verfehlt.“

184

179 Vgl. hierzu Ellridge, Arthur: Mucha, Paris 2001, S. 162. 180 Hollfeld 1898, S. 99. 181 Ebd., S. 98. 182 Vgl. Henatsch 1994, S. 41–44; sowie Schardt 1987, S. 40. 183 Vgl. Döring 2002, S. 56; sowie Thon 1968, S. 10f. 184 „Sans les lettres de l’affiche, on ne saisirait pas facilement pourquoi ces personnes dévêtues dansent leur boléro devant une boîte Géraudel… […] Il s’ensuit qu’ici comme en tout, la formule préconçue, arrêtée d’avance, appliquée aux plus diverses causes, manque son but.“ – Bouchoz 1898, S. 118. Vgl. hierzu auch Zmelty 2007, S. 25.

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Gleiches gelte auch für die Arbeiten Alfons Muchas, so der Autor weiter.185 Im Gegensatz zu Chérets Plakaten, deren Gestaltung ganz auf die Plakatierung im öffentlichen Raum ausgerichtet war, verfügten Muchas Arbeiten zudem kaum über Fernwirkung; ihre blasse Farbgebung und kleinteilige Ornamentierung hob sie zwar deutlich von der Masse der übrigen Plakate ab, ließ sich jedoch nur bei längerer Betrachtung aus der Nähe angemessen rezipieren. Folgerichtig konstatierte Charles Hiatt, Mucha sei zwar ein begnadeter dekorativer Künstler, in Bezug auf ihre eigentliche Funktion ließen seine Plakate jedoch zu wünschen übrig: „Die Tatsache, dass man aus den Plakaten für Sarah Bernhardt gefällige Kaminschirme machen kann, beweist deren völlige Ungeeignetheit für den erklärten Zweck des Wandanschlags.“

186

Die Lancierung von künstlerischen ‚Marken‘ in Gestalt der Chérette wie auch der ‚Mucha-Frau‘ offenbart so, welch weit reichende Instrumentalisierung Frauenfiguren in der Plakatkunst des 19. Jahrhunderts erfuhren, und verweist zugleich auf die Nachteile, die sich hieraus für die Werbewirkung ergaben.

185 Vgl. Bouchoz 1898, S. 118. 186 „The fact that you can make agreeable fire screens of the Sarah Bernhardt posters in itself proves their unfitness for their avowed purpose of mural advertisement.“ – Hiatt 1900, S. 145.

11. Konklusion

Die vorliegende Untersuchung zeigt, wie vielfältig die Erscheinungsformen von Frauen in der französischen Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts sind: von der fürsorglichen Mutter und Hausfrau, die ganz dem gesellschaftlichen Rollenideal der damaligen Zeit entspricht, über die modische Parisienne, die zu einer Symbolfigur französischen Geschmacks stilisiert wurde, bis hin zu gänzlich realitätsfernen Idealfiguren wie der ätherisch-vergeistigten femme fragile oder der exotischen Verführerin. Als allegorische Personifikation schließlich erscheint die Frau nur mehr als bloße „Hülle“, in die verschiedenste Deutungen eingeschrieben werden können. In konzentrierter Form offenbaren noch einmal die Plakate für Kunstausstellungen und -handel die Beliebigkeit der Rollenzuschreibung an weibliche Werbefiguren. Frauen werden hier als Muse und Modell des (männlichen) Künstlers ins Bild gesetzt und veranschaulichen zugleich dessen Kunstverständnis: Als ‚Naturwesen‘ verkörpern sie die Inspiration durch Flora und Fauna und fungieren selbst als dekoratives Motiv des Art Nouveau, bewegen sich als allegorisch überhöhte Aktfiguren im Spannungsfeld von Idealisierung und Realismus, veranschaulichen in Gestalt der Parisienne die Auseinandersetzung der Avantgarde mit dem Lebensgefühl der modernen Großstadt oder stehen als ‚Rätsel Weib‘ für die künstlerischen Ideale des Symbolismus – einzig als eigenständige, ernst zu nehmende Künstlerinnen treten sie nicht in Erscheinung. Die Diversität und teilweise Widersprüchlichkeit der Rollenbilder, mit denen Frauen nicht nur in der Plakatwerbung, sondern ganz allgemein in Kunst und Kultur des 19. Jahrhunderts belegt wurden, ließ sich aus damaliger Sicht begründen und legitimieren durch das ureigenste Wesen der Frau selbst, ihren Geschlechtscharakter: Angeblich von Natur aus geheimnisvoll und undurchschaubar, fungierte sie als Projektionsfläche für verschiedenste männliche Fantasien, bis hin zur völligen Obsession für das vermeintliche Mysterium des weiblichen Wesens, wie Marie-Anne de Boye 1897 in der feministischen Zeitung La Fronde konstatierte.1

1

Vgl. de Boye, Marie-Anne: „L’,Éternel Féminin‘!!!“. In: La Fronde, 22.12.1897, o. S.

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Trotz der Vielzahl ihrer Erscheinungsformen sind die damaligen Darstellungen von Frauen so auf einige wenige, zentrale stereotype Vorstellungen von Weiblichkeit zurückzuführen. Folgerichtig lässt sich das Gros der untersuchten Plakate ohne Weiteres den oben genannten ikonografischen Kategorien zuordnen. Indem die besprochenen Frauenstereotypen aus den im 19. Jahrhundert kursierenden Erklärungsmodellen eines vermeintlich naturgegebenen weiblichen Geschlechtscharakters schöpfen, reproduzieren und verstärken sie diesbezügliche Klischeevorstellungen noch. Dass diese realiter keineswegs in der Natur des weiblichen Wesens begründet waren, sondern vielmehr durchaus einem historischen und gesellschaftlichen Wandel unterlagen, zeigen die Beispiele der femme fragile und der Parisienne: Während erstere ein konservatives Rollenbild von weiblicher Passivität und Introvertiertheit transportiert, verkörpert letztere einen bereits deutlich selbständigeren, unabhängigeren Frauentypus, der jedoch wiederum größtenteils auf seine modische Erscheinung reduziert wird. Tatsächlich hat die gender-Forschung immer wieder betont, dass Geschlechterrollen eine gesellschaftliche Konstruktion darstellen, die durch dauerhafte Wiederholung schließlich als naturgegebene Realität und Norm angesehen werden. Entsprechend erklärt etwa Judith Butler: „Hinter den Äußerungen der Geschlechtsidentität (gender) liegt keine geschlechtlich bestimmte Identität (gender identity). Vielmehr wird diese Identität gerade performativ durch diese ‚Äußerungen‘ konstituiert, die angeblich ihr Resultat sind.“

2

Entsprechend bemerkten Feministinnen bereits Ende des 19. Jahrhunderts, dass das Verhalten von Frauen maßgeblich durch kulturelle Rollenvorgaben geprägt wurde. So kritisierte etwa Paule Vigneron, dass ihre Zeitgenossinnen sich vor allem von Moden und literarischen Klischees leiten ließen, die jedoch allesamt von Männern lanciert und damit auch ganz auf deren Bedürfnisse abgestimmt seien: „Und sogar in ihren Typen von Liebenden und Ehefrauen sind die entstellten und aufgeplusterten Eigenschaften, die sie uns verleihen, diejenigen, die ihnen nützlich oder liebenswert erscheinen, und die sie uns als ästhetisch präsentieren, um uns dazu zu verleiten (dumm sind sie nicht), uns diesen anzugleichen.“

2

3

Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M. 1991, S. 49. (Herv. i. O.)

3

„Et même en leurs types d’amantes ou d’épouses, les qualités et les défauts qu’ils nous prêtent, déformés, agrandis, sont ceux qui leur semblent utiles ou aimables, et qu’ils nous présentent comme esthétiques, pour nous persuader (eux par bêtes) de nous en parer.“ – Vigneron, Paule: „Si nous ,leur répondions? ‘“. In: La Fronde, 25.12.1897, o. S.

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Gerade das Plakat als eine in der Öffentlichkeit präsentierte, um Aufmerksamkeit heischende Kunstform, die zu ignorieren schier unmöglich war, dürfte mit seinen massenhaft reproduzierten, klischeebehafteten ‚Werbedamen‘ einen enormen Einfluss auf das Selbstbild von Frauen gehabt haben. Gemeinsam ist dabei allen in der Plakatwerbung des 19. Jahrhunderts vertretenen Frauentypen ein überaus positives Bild von Weiblichkeit, das den Werbeffekt befördern sollte (negativ konnotierte Figuren wie etwa die Verderben bringende femme fatale wären dem Werbezweck kaum dienlich gewesen). Jedoch ist es ein „erstickendes Lob“4, das die Darstellungen der Plakatkunst zum Ausdruck bringen, verschleiert es doch das ausgesprochen restriktive Rollenbild, auf dem diese idealisierten Frauenfiguren fußen: sei es, dass in Gestalt der Hausfrau und Mutter die Beschränkung auf die häusliche Sphäre propagiert, oder im Typus der Parisienne die Frau ganz auf oberflächliche Äußerlichkeiten reduziert wird. Gerade die scheinbar so fortschrittliche Pariserin veranschaulicht die den Rollenklischees inhärente Benachteiligung von Frauen. Als stilsicheren Konsumentinnen wurde ihnen zwar eine konstitutive Funktion für das nationale Selbstverständnis wie auch für das Prosperieren der Modebranche als wichtigem Wirtschaftszweig zugeschrieben; durch politische Partizipation tatsächlich in die Geschicke der Nation einzugreifen, blieb ihnen jedoch verwehrt. Stattdessen fungierten modisch herausgeputzte Frauen als Prestigeobjekt und Statussymbol des Mannes, der ihre aufwendigen Toiletten finanzierte. In Frankreich, wo (erotische) Sinnen- und Lebensfreude als konstitutives Element des nationalen Selbstverständnisses angesehen wurden, ging die Reduktion der Frau auf ihre äußere Erscheinung einher mit einer Betonung ihrer sexuellen Attraktivität für den Mann. Daniel Lesuer sprach diesbezüglich in La Fronde von einem „Fehler der romanischen Rassen, die sich mit der Frau nur wegen der Liebe und unter dem Gesichtspunkt der Liebe befassen und die, sogar wenn sie sie befreien, sie wieder in die zärtlichen, aber engen und einseitigen Ketten männlichen Verlangens legen. […] In dem Land, in dem sich die Persönlichkeit der Frau am meisten behauptet, hat die Wollust die wenigsten Altäre. Nicht, wie man glauben könnte, weil die Frau vermännlicht und die Anmut ihres Geschlechts verliert, sondern weil ihre Fähigkeiten auf alle möglichen verschiedenen Arten in Erscheinung treten, kann sie verführerisch und interessant jenseits der sinnlichen Anziehung sein. […] Lombroso hat gesagt: ‚Die Feministinnen, das sind die Hässlichen. ‘ Und weniger Befugte prophezeien uns, dass die Frauen ihren Charme verlieren werden, wenn sie für die Erfüllung einer anderen Aufgabe als zu gefallen leben. Sie werden aufhören, das ewige Objekt eines ewigen sinnlichen Verlangens zu sein, das in unserem Land nur das repräsentiert, was ein Mann im anderen Geschlecht sucht. […] Wenn die Frau, anstatt eine raffinierte Ver-

4

Schmaußer 1991, S. 25.

394 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG suchung zu sein, die die Bildung, die Literatur, die Sitten in ihrer Abartigkeit anpreisen und steigern, eine verständige und zärtliche Macht wird, eine Kameradin, in deren Nähe man sich um anderes als um ihr Geschlecht sorgen kann, wird die Männlichkeit unserer Rasse daran nicht gewinnen?“5

Gerade die Plakatkunst bediente sich jedoch mit Vorliebe erotisch aufgeladener Bilder von Frauen, um ihre Werbebotschaften eindrücklicher zu gestalten, ja sie propagierte teils sogar ein über jedes reale Maß hinaus sexualisiertes Frauenbild. Im Typus der gänzlich unsinnlichen femme fragile hingegen wurden schüchterne Zurückhaltung und Passivität zum weiblichen Ideal erhoben. Verklärt zum mysteriös-vergeistigten ‚Rätsel Weib‘ und vermeintlich in der ursprünglichen Harmonie der Schöpfung verbliebenen ‚Naturwesen‘, erschien die Frau gänzlich aus der Sphäre der zeitgenössischen Lebenswirklichkeit entrückt. Diese realitätsferne Idolisierung ist nur die Kehrseite patriarchalischer Unterdrückung, verwehren doch beide der Frau den Status eines konkreten, gleichwertigen Gegenübers des Mannes.6 Selbst Karl Scheffler, der selbst ein mehr als konservatives Geschlechterrollenbild propagierte, konstatierte folgerichtig: „…immer ist die Frau dem Mann Dienerin oder Heilige gewesen. Zuweilen beides zugleich. Niemals aber war sie ihm eine gleichberechtigte Kameradin.“7

5

„l’erreur des races latines qui ne s’occupent de la femme que pour l’amour et au point de vue de l’amour, et qui, même en la délivrant, la rejettent encore dans les chaînes caressantes, mais étroites et exclusives, du désir masculin. […] C’est dans le pays où la personnalité de la femme s’affirme le plus que la volupté a le moins d’autels. Non pas, comme on pourrait le croire, parce que la femme se masculinise et perd la grâce de son sexe, mais parce que ses facultés se manifestent de toutes sortes de façons diverses, elle peut être séduisante et intéressante en dehors de l’attraction sensuelle. […] Lombroso a dit: ,Les féministes, ce sont les laides‘. Et de moins autorisés nous prophétisent qu’à vivre dans l’effort, dans l’accomplissement d’une tâche autre que celle de plaire, les femmes perdront leur charme. Elles cesseront d’être ce perpétuel objet d’un perpétuel désir sensuel qui, dans notre pays, représente seul ce qu’un homme cherche dans l’autre sexe. […] Si la femme, au lieu d’être une ingénieuse tentation, qui affichent, qu’aiguisent en perversité l’éducation, la littérature, les mœurs, devient une force compréhensive et tendre, une camarade près de qui l’on peut songer à autre chose qu’à son sexe, la véritable virilité de notre race n’y gagnera-t-elle pas?“ – Lesuer, Daniel: „Nos Idylles“. In: La Fronde, 10.12.1897, o. S.

6

Vgl. Schmaußer 1991, S. 167–169.

7

Scheffler 1908, S. 15.

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Mehr noch als andere Kunstformen weist die Plakatkunst des 19. Jahrhunderts ein gänzlich unausgewogenes Geschlechterverhältnis auf: Die überwältigende Mehrheit der damaligen Plakate konzentriert sich ganz auf die Darstellung von Frauenfiguren, Männer dagegen treten äußerst selten und meist nur am Rande auf – so etwa als dunkel-monochrome ‚Hintergrundfolie‘ für die farbenfrohen, beschwingten ‚Werbedamen‘ Jules Chérets. Gleichzeitig zeichnen jedoch fast ausschließlich männliche Künstler für die entsprechenden Arbeiten verantwortlich, Plakatgestalterinnen wie Jane Atché oder Clémentine-Hélène Dufau bilden dagegen im 19. Jahrhundert die absolute Ausnahme. Dies dürfte vor allem zurückzuführen sein auf die damals vorherrschenden restriktiven Rollenerwartungen – galt es doch für Frauen, insbesondere für Künstlerinnen, als unschicklich, sich mit ihren Leistungen allzu deutlich zu profilieren und nach öffentlicher Aufmerksamkeit zu streben. Gerade dies sind jedoch unabdingbare Grundvoraussetzungen für die Plakatwerbung, die sich unter den zahlreichen Eindrücken des modernen Großstadtlebens behaupten und die Aufmerksamkeit der Passanten fesseln muss, um ihre Funktion erfüllen zu können. So verwundert es denn auch nicht, dass die wenigen erhaltenen Plakate Atchés und Dufaus zwar eine hochwertige künstlerische Gestaltung zeigen, jedoch die ins Auge stechenden, um Aufmerksamkeit heischenden leuchtenden Farben und beschwingten, koketten Figuren vermissen lassen, die den Arbeiten ihrer männlichen Kollegen deren einprägsame plakative Wirkung verleihen. Fast ausnahmslos gestaltet von männlichen Künstlern, zeigen die Werbeplakate des 19. Jahrhunderts die Frau so als das ‚Andere‘ einer in männlichen Kategorien gedachten Kultur und Gesellschaft, die personifizierte Abweichung von der Norm:8 Als Sinnbilder eines privaten, häuslichen Idylls, genießerische Sinnenwesen oder Verkörperungen natürlicher Harmonie und Ursprünglichkeit stellen die Frauenstereotype der damaligen Plakatkunst ein Gegenbild zur von Rationalität, Fortschrittsdenken und Konkurrenzkampf geprägten männlichen Lebens- und Arbeitswelt dar. Dieses mag zum idealisierten Wunschbild verklärt werden, dient jedoch zugleich dazu, über die Abgrenzung vom ‚Anderen‘ die eigene soziale und kulturelle Identität zu definieren. Die Vorstellungen von Weiblichkeit, die das Frauenbild nicht nur der Plakatwerbung, sondern ganz allgemein der Kunst und Kultur des 19. Jahrhunderts prägten, sind somit fast ausschließlich Zuschreibungen von männlicher Seite, deren Beliebigkeit Paule Vigneron 1897 in La Fronde entlarvte:

8

Vgl. hierzu auch Simone de Beauvoirs wegweisende Untersuchung zur Frau als dem ‚anderen Geschlecht‘: de Beauvoir, Simone: Das andere Geschlecht. Sitten und Sexus der Frau, Stuttgart/Hamburg/München 1983, hier insbes. S. 10f.

396 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG „,Solange es Männer gibt‘, die sowohl schreiben… als auch sprechen, haben sie Pergamente und Bücher angehäuft; Worte, Vorträge und Lieder in die Luft gesät, um ihre Gedanken über uns auszusprechen; Gedanken, die oft von ihrer dichterischen Einbildungskraft, immer [aber] von ihrer egoistischen Leidenschaft und ihrem Leben als Männer geschaffen wurden. Sie haben aus uns Schutzengel wie Antigone gemacht, Kokette wie Penelope, Verräterinnen wie Dalila. Sie haben uns in den Wolken platziert wie Walküren, in Grotten und Wäldern wie Feen, [sie haben uns] zu Unzeiten über das Heidekraut wandern lassen wie die Hexen Macbeths, erstickt [und] wie Desdemona im Himmel und mit Beatrix und Francesca in der Hölle platziert, auf Triumphbogen und Pendeluhren gestellt. Je nach Jahreszeit haben sie uns Ähren, Lotusblumen oder phrygische Mützen aufgesetzt. Sie waren in Versen und in Prosa mit uns auf Du und Du, haben uns mit allen Tieren der Schöpfung verglichen: der Schlange, der Katze, der Färse, der Eule, der Turteltaube, manchmal mit dem Kranich, oft mit der Gans oder der Bekassine, sogar mit Wesen, die nie existiert haben; die Sphinx beispielsweise ist diejenige, die wohl am meisten Erfolg hatte. Sie haben [auch] noch gesagt, dass wir der Welle gleichen, den Sternen, dem Schnee, der Feder, die hinweg fliegt, dem Honig und dem Absinth, dem Alabaster und der Gischt, dem gespannten Netz und den Pflanzen: Rosen, Lilien, Eschenwurz, Pfirsichblüten, Lorbeer und Mohnblume. Sie haben uns in Schwänken als nichts Besonderes beschimpft, als Perverse in der Zeit der Romantik, als gestörte in den zeitgenössischen Romanen, fast immer als schwache und bornierte Geister.“9

9

„,Depuis si longtemps qu’il y a des hommes‘, et qui écrivent…et qui parlent, ils ont entassé les parchemins et les livres, semé dans l’air des mots, les conférences et les chansons pour dire leur pensée sur nous; pensée crée souvent par leur imagination de poètes, toujours par leurs passions égoïstes de leurs vies d’hommes. Ils ont fait de nous des anges gardiens comme Antigone, des flirteuses comme Pénélope, des traîtresses comme Dalila. Ils nous ont logées dans les nuages comme des Walküres, dans les forêts ou les grottes comme les fées, promenées sur la bruyère à des heures indues comme les sorcières de Macbeth, étouffées comme Desdémone placée au ciel et en enfer avec Béatrix et Francesca, mises sur des arcs de triomphe ou sur des pendules. Ils nous ont coiffées, suivant le temps d’épis, de fleurs de lotus, ou des bonnets phrygiens. Ils nous ont tutoyées en verse et en prose, nous ont comparées à tous les animaux de la création: le serpent, la chatte, la génisse, le hibou, la tourterelle, quelquefois la grue, souvent l’oie ou la bécasse; aux êtres même qui n’ont jamais existé, le sphinx, par exemple, et c’est peut-être celui qui a eu le plus de succès. Ils ont encore dit que nous ressemblons à l’onde, aux étoiles, à la neige, à la plume qui s’envole, au miel et à l’absinthe, à l’albâtre, á l’écume, au filet tendu; et aux plantes: roses, lis, dictame, fleurs de pêcher, laurier et fleur d’oubli. Ils nous ont traitées de pas grand’choses [sic] dans les fabliaux, de perverses au temps du romantisme, de détraquées dans les romans contemporains, d’esprits faibles et bornes presque toujours.“ – Vigneron 1897, o. S.

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An der sozialen Lebensrealität der damaligen Frauen gehen derartige Darstellungen jedoch größtenteils weit vorbei. So kreiert etwa die Plakatkunst ein irreales Idealbild von Weiblichkeit, das, im Grunde klassenlos, dennoch meist den Eindruck von Wohlstand und Prestige vermittelt. Tatsächlich sozialkritische Arbeiten, die ein wirklichkeitsnahes Bild weiblicher Lebensumstände zeichnen, finden sich hingegen äußerst selten, wie diese Untersuchung belegt hat. De facto sind es so nicht Frauen – in der realen Vielfältigkeit verschiedenster Lebenssituationen, sozialer Stellungen, Altersstufen und äußerer Erscheinungen –, die in den zahlreichen ‚Werbedamen‘ der damaligen Plakatkunst abgebildet werden, sondern vielmehr ein Klischeebild ‚der Frau‘ an und für sich, das auf der Vorstellung eines allgemeinen Geschlechtscharakters fußt.10 Auch für die bildende Kunst gilt damit, was Paule Vigneron für die damalige Literatur feststellte: „…die Männer haben ganz schöne Dummheiten auf unsere Kosten verlauten lassen und unter dem Krempel der Literatur ist die Frau, ein lebendes, denkendes, liebendes Wesen, fast verschwunden, überschwemmt von Worten: Words, words!“11

In Kunst und Kultur wird die weibliche Lebensrealität so fast gänzlich überdeckt durch zumeist von Männern kreierte Klischeebilder; trotz der unzähligen bildlichen und literarischen Darstellungen bleiben die Frauen im Grunde unsichtbar und ohne eigene Stimme, wie auch Vigneron bemerkte: „Sie [die Männer] haben sogar gesagt, wir seien geschwätzig, sie, die sie die Parlamente, Meetings, Tribunale erfunden haben, die sie ganz für sich behalten, die [Gesprächs-]Kreise und die Kabaretts. Geschwätzig! Wenn doch die Geschichte nur mit ihren Phrasen und den Zeitungen ihrer Reden angefüllt ist! Aber im Gegenteil, wir sind die ‚großen Schweigenden‘.“

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10 Bewusst wurde daher im Rahmen der Untersuchung auch immer wieder ‚die Frau in der Plakatkunst‘ im Singular beschrieben – die Einzahl soll dabei die Argumentationsstrukturen des 19. Jahrhunderts nachvollziehen und offen legen, jedoch keinesfalls bekräftigen. 11 „…les hommes ont dit bien des bêtises sur notre compte et […] sous le fatras de la littérature, la femme, être vivant, pensant, aimant, a presque disparue submergée sous les mots: Words, words!“ – Vigneron 1897, o. S. 12 „Ils ont même dit que nous étions bavardes, eux qui ont inventé les parlements, les meetings, les tribunaux où ils se réservent tous seuls, les cercles et les cabarets. Bavardes! Quand l’histoire n’est remplie que de leurs phrases et les journaux de leurs discours! Mais au contraire, nous sommes les ,grandes muettes‘.“ – Vigneron 1897, o. S.

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Dem entgegen steht die Forderung der damaligen Feministinnen nach dem Recht auf eine eigene, individuelle Identität, unbelastet von stereotypen Vorstellungen, weder idealisiert noch abgewertet: „Wir sind nicht alle gleich – oh! wie wenig. Aber in Bausch und Bogen spricht man uns eine Menge von erfundenen Verdiensten und Verfehlungen zu. Da man unser Tun mit ebendiesen mit gutem Grund nicht in Übereinstimmung sieht, stuft man uns als widersprüchlich und 13

komplex ein, rätselhaft und verlogen. Aber nein: Ihr seid es, die alles verkomplizieren“ ,

schrieb etwa Marie-Anne de Boye, und auch Paule Vigneron konstatierte: „…wir sind menschliche Wesen, vielleicht der Natur und Wahrheit näher als ihr, keine Kopfgeburten. Und wir haben auch, wie ihr, das Recht, hässlich zu sein, und töricht und alt, wenn wir wollen; wir haben das Recht, uns nicht gegenseitig zu ähneln, verschiedene Ideen und Gefühle zu haben (sogar in der Politik), und auch nicht die großen dramatischen Fehler zu haben, wir sind keine Dämonen, sondern eine Menge kleiner Fehler, sogar unelegante, und aufrichtige, aber kaum überragende Tugenden.“

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13 „Nous ne sommes pas toutes pareilles – oh! combien peu. Mais, en bloc, on nous fait honneur d’une foule de mérites et de démérites imaginaires. Alors ne trouvant pas, et pour cause, nos actes en conformité avec eux, on nous juge contradictoire et complexes, énigmatiques et mensongères. Mais non: c’est vous qui cherchez midi à quatorze heures.“ – de Boye 1897, o. S. 14 „…nous sommes des êtres humains, peut-être plus près que vous de la nature et de la vérité, non des créatures cérébrales. Et nous avons encore, comme vous, le droit d’être laides, et sottes, et vieilles, si nous voulons; nous avons le droit de ne pas ressembler les unes aux autres, d’avoir des idées et des sentiments divers (même en politique); et aussi d’avoir, non pas des grands défauts dramatiques, nous ne sommes pas des démons, mais une foule de petits défauts, même inélégants, et de vertus honnêtes, mais rarement transcendants.“ – Vigneron 1897, o. S.

12. L ITERATUR 12.1 Historische Quellen Art et Décoration Art et Décoration. Revue mensuelle d’art moderne, Paris 1897– 1914, 1919–1939 und 1946 bis heute. Das Plakat Das Plakat. Mitteilungen des Vereins der Plakatfreunde, Berlin 1913– 1921. La Fronde La Fronde, Paris 1897–1905. La Grande Dame La Grande Dame. Revue Mondaine Cosmopolite, Paris 1893– 1896. La Plume La Plume. Littéraire, Artistique et Sociale, Paris 1889–1905 und 1911– 1913. Le Courrier Français Le Courrier Français. Illustré paraissant tous les samedis. Littérature – Beaux-arts – Théâtres – Médicine – Finance, Paris 1884–1913. L’Estampe et l’affiche L’Estampe et l’affiche, Paris 1897–1899. Le Magasin des demoiselles Le Magasin des demoiselles. Morale, Éducation, Histoire, Science, Littérature, Beaux-arts, Voyages, Nouvelles, Variétés, Opérettes et comédies, Paris 1844–1883. Maîtres de l’affiche Maîtres de l’affiche, Paris 1895–1900. Moniteur des dames et demoiselles Moniteur des dames et demoiselles, Paris 1855–1878. Revue des arts décoratifs Revue des arts décoratifs, Paris 1880–1902. The Poster The Poster. An Illustrated Monthly Chronicle, London 1898–1900. The Studio The Studio. An Illustrated Magazine of Fine & Applied Art, London 1893–1974. Alexandre 1894 Alexandre, Arsène: „L’Œuvre d’Eugène Grasset“. In: Catalogue de la deuxième exposition du Salon des Cent réservée a un ensemble d’œuvres d’Eugène Grasset, Paris 1894, S. 3–15. anonym 1896 anonym [Une Parisienne] „Femmes et Fleurs“. In: La Grande Dame, Nr. 48/Dez. 1896, S. 377f. anonym 1897 anonym: „Nos Illustrations“. In: L’Estampe et l’affiche, Nr. 5/Juli 1897, S. 133. Baudelaire 1994 Baudelaire, Charles: „Le Peintre de la vie moderne“. In: Le Figaro, 26.11., 29.11. und 3.12 1863. [dt.: „Der Maler des modernen Lebens“. In: ders.: Charles Baudelaire. Der Künstler und das moderne Leben. Essays, „Salons“, Intime Tagebücher, hg. von Henry Schumann, 2. Aufl., Leipzig 1994, S. 290–320.] Baudelaire 1998 Baudelaire, Charles: „La Chevelure“. In: ders: Les Fleurs du Mal, 2, Aufl., erweitert um 35 neue Gedichte, Paris 1861, S. 55. [dt.: „Das Haar“. In: ders.: Les Fleurs du Mal. Die Blumen des Bösen, Stuttgart 1998, S. 53.]

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Bernhardt 1993 Bernhardt, Sarah: L’Art du Théâtre. La Voix – Le Geste – La Prononciation, Paris 1993 [= Nachdruck der Ausgabe o. O. 1923]. Bois 1890 Bois, Jules: „Le Salon du pauvre“. In: Le Courrier Français, Nr. 46/16.11.1890, S. 2–4. Bouchot 1898 Bouchot, Henri: „Propos sur l’affiche“. In: Art et Décoration, Bd. 3/ Jan.–Juni 1898, S. 115–120. Bouglé 1920 Bouglé, Célestin: Qu’est-ce que l’esprit français ? Vingt définitions choisies et annotées, Paris 1920. Bouyer 1898 Bouyer, Raymond: „L’Estampe murale“. In: Art et Décoration, Paris, Bd. 4/ Juli–Dez. 1898, S. 185–191. Brinckmann 1896 Brinckmann, Maria: „Nachwort“. In: Plakatausstellung, Ausst.Kat. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Hamburg 1896, S. 85– 93. Champsaur 1893 Champsaur, Félicien: „Le Roi de l’affiche“. In: La Plume, Nr. 110/15.11.1893, S. 480–482. Cirou 1900 Cirou, Paul: [unbetitelter Artikel]. In: La Plume, Nr. 261/1.3.1900, S. 159f. Collinot/de Beaumont 1883 Collinot, E./de Beaumont, A.: Ornaments Arabes. Recueil de dessin pour l’art et l’industrie, Paris 1883. d’Albrays 1977 d’Albrays, Georges: „Chronique“. In: Moniteur des dames et demoiselles, Bd. 23/1877–78, Ausg. v. 01.11.1877, S. 11–13. d’Avenel 1907 d’Avenel, Georges: Le mécanisme de la vie moderne, Quatrième Série: L’habillement féminin. La publicité. Le théâtre (décors, acteures, public et directeurs). Le prêt populaire, 2. Aufl., Paris 1907. de Boye 1897 de Boye, Marie-Anne: „L’,Éternel Féminin‘!!!“. In: La Fronde, 22.12.1897, o. S. de Crauzat 1897a de Crauzat, Ernest: „Les Affiches illustrées en 1896“. In: L’Estampe et l’affiche, Bd. 1, Nr. 1/1897, S. 13–20. de Crauzat 1897b de Crauzat, Ernest: „La Loïe Fuller“. In: L’Estampe et l’affiche, Bd. 1, Nr. 10/Dez. 1897, S. 242f. de Fourcaud de Fourcaud, L.: „Les Arts de la femme au Palais de l’Industrie“. In: La Grande Dame, 1. Jahrgang/1893, S. 23–30. de Goncourt 1875 de Goncourt, Edmonde und Jules: L’Art du XVIIIe siècle, 3 Bde., Paris 1881–1882. Degron 1897 Degron, Henri: „La Poésie dans l’œuvre d’Alphonse Mucha“. In: La Plume. No consarcé à Alphonse Mucha: Alphonse Mucha et son œuvre, Paris 1897, S. 66–79. de Montalchez 1877 de Montalchez, Marie: „Causerie“. In: Moniteur des dames et demoiselles, Bd.22/1876/77, Ausg. v. 15.6.1877, S. 243–245. de Rochas 1900 de Rochas, Albert: Les Sentiments, la musique et le geste, Grenoble 1900.

L ITERATURVERZEICHNIS

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402 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG

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L ITERATURVERZEICHNIS

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L ITERATURVERZEICHNIS

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L ITERATURVERZEICHNIS

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13. V ERZEICHNIS

DER

ABBILDUNGEN

Abb. 1 Théophile-Alexandre Steinlen: Compagnie française des chocolats et des thés, 1895, Lithografie, 80 x 60 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 2 Jules Chéret: La Salamandre. Cheminée roulante, 1886, Lithografie, 174 x 120 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 3 Jules Chéret: La Salamandre. Cheminée roulante, 1889, Lithografie, 116 x 88 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 4 Eugène Grasset: Chocolat Masson, 1898, Lithografie, 65 x 50 cm, Musée d’art et d’histoire, Genf Abb. 5 Théophile-Alexandre Steinlen: Racahout des Arabes, 1905, Lithografie, 62 x 47 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 6 Alfons Mucha: Nestlé Food for Infants, 1897, Lithografie, 71 x 35 cm, Kunstgewerbemuseum, Köln Abb. 7 Mary Cassatt: Erste Liebkosung, 1891, Pastell auf Papier, 74 x 60 cm, New Britain Museum of American Art, New Britain, Conneticut Abb. 8 Eugène Carriere: Intimität oder Die große Schwester, um 1889, Öl auf Leinwand, 130 x 99 cm, Musée d’Orsay, Paris Abb. 9 Théophile-Alexandre Steinlen: Lait de la Vingeanne, 1894, Lithografie, 139 x 100 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 10 Lucien Lefèvre: Cacao lacté de Charles Garvier, 1893, Lithografie, 124 x 88 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 11 H. Gerbault: Chocolat Carpentier, um 1895, Lithografie, 125 x 89,5 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 12 Alfons Mucha: Cacao Schaal, um 1897, Lithografie, 78 x 117 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 13 Eugène Ogé: Dubonnet, um 1905, Lithografie, 194,4 x 67,2 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Abb. 14 Alfred Choubrac: Aux Travailleurs, um 1890, Lithografie, 100,6 x 141,6 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Abb. 15 Jules Chéret: Halle aux Chapeaux, 1892, Lithografie, 124 x 87 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 16 René Péan: À la Place Clichy, um 1898, Lithografie, 124 x 88 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 17 Privat Livemont: Palais de la Femme, 1900, Lithografie, 120 x 81,5 cm, Museum Folkwang, Essen Abb. 18 Alfons Mucha: Bleu Deschamps, 1903, Lithografie, 48 x 33 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 19 Théophile-Alexandre Steinlen: Brillant d’or, 1885, Lithografie, 11, 5 x 10,5 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 20 Jules Chéret: Brillants Bühler, 1875, Lithografie, 105 x 80 cm, Musée de la Publicité, Paris

426 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG

Abb. 21 Jules Chéret: Rotissoire automatique, 1876, Lithografie, 102 x 77,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 22 Leonetto Capiello: Cognac Fine Chapagne (avant la lettre), 1905, Lithografie, 90,1 x 135,2 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Abb. 23 Jean-Alexis Rouchon: Au Paradis des dames, 1856, Lithografie, 145 x 103 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 24 Henri Thiriet: À la Place Clichy – Exposition de Blanc, 1898, Lithografie, 94,5 x 132 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 25 Albert Guillaume: Dentifrices du Docteur J. V. Bonn, undatiert, Lithografie, 127 x 195 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 26 Georges de Feure: Paris-Almanach, 1894, Lithografie, 80 x 62 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 27 Jules Alexandre Grün: Cycles Withworth, 1897, Lithografie, 129,5 x 94 cm, Sammlung Edouard Chaix-Bryan Abb. 28 Edouard Manet: Frühling (Studie Jeanne Demarsys), 1881, Öl auf Leinwand, 73 x 51 cm, Privatbesitz Abb. 29 Auguste Renoir: La Parisienne, 1874, Öl auf Leinwand, 163,2 x 108,3 cm, National Museum of Wales, Cardiff Abb. 30 James Tissot: Der Ball, um 1885, Öl auf Leinwand, 90 x 50 cm, Musée d’Orsay, Paris Abb. 31 Paul Moreau-Vauthier: La Parisienne, 1900, Höhe: 6 m, verschollen Abb. 32 Jules Chéret: À la Parisienne, 1878, Lithografie, 99 x 74,5 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 33 Maurice Réalier-Dumas: Paris-Mode, 1893, Lithografie, 174,5 x 60 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 34 Jules Chéret: Benzo Moteur, Lithografie, 122,5 x 85,5 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 35 Misti (Ferdinand Mifliez): Cheminis de Fer Vicinaux, 1903, Lithografie, 81 x 60 cm, Museum Folkwang, Essen Abb. 36 P.-H. Lobel: Salon des Cent, 1897, Lithografie, 47,7 x 63,5 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Abb. 37 Jules Chéret: Théâtrophone, 1890, Lithografie, 122 x 84,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 38 Jules Chéret: Palais de Glace, 1900, Lithografie, 60,5 x 42 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 39 Leonetto Capiello: Amandines de Provence, Lithografie, 140 x 100,5 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 40 Tamagno: La Framboisette, um 1905, Lithografie, 111,5 x 156,8 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Abb. 41 Georges Meunier: Otard Dupuy & Co., um 1896, Lithografie, 86 x 123,2 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Abb. 42 Georges Meunier: Lox, 1895, Lithografie, 81,3 x115,2 cm, The Wine Spectator Collection, New York City

V ERZEICHNIS DER A BBILDUNGEN

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Abb. 43 Jules Chéret: Quinquina Dubonnet, 1895, Lithografie, 124 x 87, 5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 44 Jules Chéret: Vin Mariani, 1894, Lithografie, 123,5 x 87,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 45 Leonetto Capiello: Champagne Damery-Epernay, 1902, Lithografie, 98,5 x 133,4 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Abb. 46 Pierre Bonnard: France-Champagne, 1889, Lithografie, 80,5 x 60 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 47 Ernest-Ange Duez: Pracht, 1874, Öl auf Leinwand, 191 x 82 cm, Musée des Arts Décoratifs, Paris Abb. 48 Eduard Manet: Nana, 1877, Öl auf Leinwand, 154 x 115 cm, Kunsthalle, Hamburg Abb. 49 Tricoche: Paris Régénéree, aus: Le Monde Comique, 1875/76 Abb. 50 Jules Chéret: Job, 1895, Lithografie, 121,5 x 87,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 51 Georges Meunier: Job, 1889, Lithografie, 95,5 x 34,5 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 52 Jules Chéret: Folies-Bergère, 1875, Lithografie, 54,5 x 44 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 53 Jules Chéret: Folies-Bergère, 1875, Lithografie, 80 x 52 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 54 anonym: Folies-Bergère, 1869, Lithografie, 38 x 53 cm, Privatbesitz Abb. 55 Leonetto Capiello: Folies-Bergère, 1900, Lithografie, 93 x 129 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 56 Maurice Biais: Folies-Bergère, um 1895, Lithografie, 81 x 119,4 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 57 Jules Chéret: Moulin Rouge, 1889, Lithografie, 130 x 92 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 58 Henri de Toulouse-Lautrec: Moulin Rouge, 1891, Lithografie, 170 x 124 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 59 Henri de Toulouse-Lautrec: Tanz im Moulin Rouge (Das Eintanzen der Neuen im Moulin Rouge), 1890, Öl auf Leinwand, 115,5 x 150 cm, Philadelphia Museum of Arts Abb. 60 Henri de Toulouse-Lautrec: Jardin de Paris – Jane Avril, 1893, Lithografie, 124 x 91,5 cm, Privatbesitz Abb. 61 Edgar Degas: Das Orchester der Pariser Oper, um 1870, Öl auf Leinwand, 56,5 x 46,4 cm, Musée d’Orsay, Paris Abb. 62 Georges Seurat: Le Chahut, 1889/90, Öl auf Leinwand, 171,5 x 140,5 cm, Kröller-Müller-Museum, Otterlo Abb. 63 anonym: Jane Avril, undatiert, Fotografie Abb. 64 Henri de Toulouse-Lautrec: Jane Avril tanzt, 1892, Öl auf Karton, 85,5 x 45 cm, Musée d’Orsay, Paris

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Abb. 65 Henri de Toulouse-Lautrec: Troupe de Mlle Églantine, 1896, Lithografie, 61,7 x 80,4 cm, Privatbesitz Abb. 66 Jules Chéret: La Farandole, 1884, Lithografie, 72 x 55 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 67 nach Alfred-Edward Chalon: Marie Taglioni in „Flore et Zéphire“ von Cesare Bossi, 1831, Lithografie, Victoria and Albert Museum, London Abb. 68 Théophile-Alexandre Steinlen: Le Rêve, 1890, Gillotage, 83 x 63 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 69 Gustave Doré: Die Ratten der Oper, 1854, Lithografie, 23 x 29,2 cm, aus: La Ménagerie Parisienne Abb. 70 Léopold Lelée: Folies-Bergère, um 1895, Lithografie, 88 x 123 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 71 Maurice Biais: Folies-Bergère, um 1900, Lithografie, 80 x 120 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 72 Jules Chéret: Musée Grévin – Les Coulisses de l’Opéra, 1891, Lithografie, 248 x 88 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 73 anonym: Musée Grévin– Blick in die Ausstellung „Les Coulisses de l’Opéra“, 1890, Fotografie, Musée Grévin archives, Paris Abb. 74 Jean-Louis Forain: Unterhaltung mit einer Tänzerin hinter der Bühne, um 1885–90, lavierte Tinte auf Papier auf Karton, 34 x 21,5 cm, The Dixon Gallery and Gardens, Memphis, Tennesse Abb. 75 Georges Redon: Scala – La Tournée des grands ducs, 1906, Lithografie, 128 x 94 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 76 Paul Berthon: Folies-Bergère – Liane de Pougy, 1896, Lithografie, 62,2 x 155,2 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Abb. 77 Jules Chéret: Folies-Bergère – Émilienne d’Alençon, 1894, Lithografie, 82 x 60,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 78 Jules Alexandre Grün: Scala – Revue à Poivre, 1900, Lithografie, 123 x 87,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 79 Jules Alexandre Grün: Treteau au Tabarin, 1898, 123 x 86,5 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 80 Jules Alexandre Grün: Café Riche – Au Violon, 1896, Lithografie, 120,5 x 85,5 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 81 Leonetto Capiello: Le Frou-Frou, 1899, Lithografie, 161 x 115 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 82 Weiluc (Lucien-Henri Weil): Le Frou-Frou, 1900, Lithografie, 153,5 x 107 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 83 Léo Gausson: Lessive Figaro, 1893, Lithografie, 112,5 x 73,5 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 84 Bac (Fernand Sigismond Bach): Loïe Fuller aux Folies-Bergère, 1892, Lithografie, 79,5 x 59,5 cm, Musée de la Publicité, Paris

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Abb. 85 Pal (Jean de Paléologue): Folies-Bergère – La Loïe Fuller, 1897, Lithografie, 132 x 95 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 86 Pal (Jean de Paléologue): Apollo Theater – La Loïe Fuller, undatiert, Lithografie, 140 x 105 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 87 Louis Chalon: Loïe Fuller, um 1903, Bronze, 22,2 x 20,3 x 16,5 cm, Privatbesitz, Courtesy Macklowe Gallery, New York Abb. 88 anonym: L’Horologe – Yvette Guilbert, um 1890, Lithografie, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 89 Jules Chéret: Yvette Guilbert au Concert Parisien, 1891, Lithografie, 118,1 x 84,1 cm, Kunstbibliothek, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin Abb. 90 Henri de Toulouse-Lautrec: Yvette Guilbert – Linger, longer, loo, um 1894, Öl auf Karton, 58 x 44 cm, Staatliches Puschkin Museum der Schönen Künste, Moskau Abb. 91 Camus: Yvette Guilbert singt „Linger, longer, loo“, 1894, Fotografie Abb. 92 Henri de Toulouse-Lautrec: Yvette Guilbert, Kohle, gehöht mit Gouache, auf Papier, 186 x 93 cm, Musée Toulouse-Lautrec, Albi Abb. 93 Théophile-Alexandre Steinlen: Ambassadeurs – Yvette Guilbert, 1894, Lithografie, 179,4 x 75,9 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 94 Bac (Fernand Sigismond Bach): Ambassadeurs – Yvette Guilbert, 1895, Lithografie, 196,5 x 74,5 cm, Bibliothèque Forney, Paris Abb. 95 Bac (Fernand Sigismond Bach): Horologe – Yvette Guilbert, 1892, Lithografie, 199 x 76 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 96 Bac (Fernand Sigismond Bach): Scala – Yvette Guilbert, 1893, Lithografie, 213 x 88 cm, Museum Folkwang, Essen Abb. 97 Charles Léandre: Montmartre en Ballade – Tournée Yvette Guilbert, 1901, Lithografie, 95 x 130 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 98 Félicien Rops: Dame mit Hampelmann und Fächer, 1873, Lichtdruck, gehöht mit Gouache, Farbstift und Aquarell, 32 x 22 cm, Musée provincial Félicien Rops, Namur Abb. 99 C. Grimm: M. Damala, aus: Triboulet, September 1882 Abb. 100 Manuel Orazi: Théodora, 1884, Lithografie, 126 x 91 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 101 Manuel Orazi/Auguste François Gorguet: Théodora, 1884, Lithografie, 125 x 90 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 102 George Clairin: Théodora, 1902, Lithografie, 200 x 78 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 103 Eugène Grasset: Jeanne d’Arc – Sarah Bernhardt, 1889/90, Lithografie, 119 x 75,57 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 104 Eugène Grasset: Jeanne d’Arc – Sarah Bernhardt, 1890, Lithografie, 119,5 x 77 cm, Musée d’art et d’histoire, Genf Abb. 105 Alfons Mucha: Gismonda, 1894, Lithografie, 217 x 75,5 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg

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Abb. 106 Alfons Mucha: Die Samariterin, 1897, Lithografie, 177 x 60 cm, Museum Folkwang, Essen Abb. 107 Alfons Mucha: Medea, 1898, Lithografie, 208,5 x 77 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 108 Alfons Mucha: Hamlet, 1899, Lithografie, 76,5 x 207,5 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 109 Henry de Toulouse-Lautrec: Le Divan Japonais, 1892/93, Lithografie, 80,8 x 60,8 cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg Abb. 110 René Péan: Olympia, 1899, Lithografie, 124 x 90 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 111 Georges Redon: Théâtre Marigny, 1907, Lithografie, 79,9 x 60 cm, Städtische Kunstammlungen, Chemnitz Abb. 112 Jules-Alexandre Grün: Moulin Rouge – Tu marches?, um 1905, Lithografie, 87 x 122 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 113 Georges Meunier: Trianon-Concert, 1895, Lithografie, 122 x 87 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 114 anonym (Druckerei Émile Lévy): Folies-Bergère, 1874, Lithografie, 63 x 43 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 115 Auguste Renoir: Die Loge, 1874, Öl auf Leinwand, 80 x 63, 5 cm, Courtauld Gallery, London Abb. 116 Eva Gonzales: Loge im Théâtre des Italiens, 1874, Öl auf Leinwand, 98 x 130 cm, Musée d’Orsay, Paris Abb. 117 Mary Cassatt: In der Loge, 1879, Öl auf Leinwand, 43,1 x 60,96cm, Privatbesitz Abb. 118 Mary Cassatt: In der Oper, 1888, Öl auf Leinwand, 81 x 66 cm, Museum of Fine Arts, Boston Abb. 119 Eugène Grasset: Théâtre national de l’Odéon, 1890, Lithografie, 122,2 x 81,5 cm, Musée d’art et d’histoire, Genf Abb. 120 anonym (Druckerei Charles Lévy): Concert Européen, undatiert, Lithografie, 58 x 43,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 121 Grandville (Jean-Ignace-Isidore Gérard): Venus in der Oper, 1844, Holzschnitt, 10,1 x 13 cm, aus: Un Autre Monde Abb. 122 Grandville (Jean-Ignace-Isidore Gérard): Die Neugierigen beim Opernbesuch, 1843, Holzschnitt, 10,7 x 9,5 cm, aus: Petites misères de la vie humaine Abb. 123 Eugène Grasset: Eau de Lubin, undatiert, Zinkätzung, 61 x 47 cm, Galerie Editions Graphiques, London Abb. 124 Eugène Grasset: Grafton Gallery – Exhibition of Decorative Arts (avant la lettre), 1893, schablonenkolorierte Gillotage, 66 x 45,5 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 125 Paul Berthon: Grenade-Extincteur Harden, 1900, Lithografie, 128,5 x 92,5 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg

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Abb. 126 Maurice Pillard Verneuil: Dentifrice de Docteur Pierre, 1893, Zinkätzung, 80 x 53 cm, Sprengel Museum, Hannover Abb. 127 Eugène Grasset: Salon des Cent – Exposition E. Grasset, 1894, Zinkätzung, 60 x 40 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 128 Paul Berthon: Salon des Cent (avant la lettre), 1895, Lithografie, 43,5 x 50,7 cm, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin, Kunstbibliothek Abb. 129 Eugène Grasset: Sociéte des Artistes dècorateurs – Première exposition d’art décoratif, 1901, Lithografie, 129,5 x 82,3 cm, Musée d’art et d’histoire, Genf Abb. 130 Paul Berthon: Le Livre de Magda, 1898, Lithografie, 48,9 x 41 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Abb. 131 Paul Berthon: Leçons de Violon, 1898, Lithografie, 40 x 54 cm, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin, Kunstbibliothek Abb. 132 Paul Berthon: L’Ermitage, 1897, Lithografie, 62 x 44 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 133 Eugène Grasset: Georges Richard Cycles & Automobiles, vor 1897, Lithografie, 43,5 x 60,5 cm, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin, Kunstbibliothek Abb. 134 Eugène Grasset: Librairie Romatique, 1887, Lithografie, 130,7 x 95,3 cm, Musée d’art et d’histoire, Genf Abb. 135 Eugène Grasset: Abricotine, 1905, Zinkätzung, 110 x 150 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 136 Jane Atché: La Celestine, um 1898, Lithografie, 113 x 160 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Abb. 137 Andhré des Gachons: Salon des Cent (Luxusabzug avant la lettre), 1895, schablonenkolorierte Gillotage, 64,5 x 50 cm, Collection Neumann, Gingins Abb. 138 Georges de Feure: Margerite, 1896, Öl auf Leinwand, 81 x 65 cm, Privatbesitz Abb. 139 Alfons Mucha: Nelke, aus der Serie Die Blumen, 1898, Lithografie, 43,3 x 103,5 cm, Badisches Landesmuseum, Karlsruhe Abb. 140 Alfons Mucha: Lilie, aus der Serie Die Blumen, 1898, Lithografie, 43,3 x 103,5 cm, Badisches Landesmuseum, Karlsruhe Abb. 141 Alfons Mucha: Iris, aus der Serie Die Blumen, 1898, Lithografie, 43,3 x 103,5 cm, Badisches Landesmuseum, Karlsruhe Abb. 142 Alfons Mucha: Rose, aus der Serie Die Blumen, 1898, Lithografie, 43,3 x 103,5 cm, Badisches Landesmuseum, Karlsruhe Abb. 143 Alfons Mucha: F. Champenois. Imprimeur, 1897, Lithografie, 72,7 x 55,2 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 144 Alfons Mucha: Monaco – Monte Carlo. Chemins de Fer P.L.M., 1897, Lithogafie, 110,5 x 76,5 cm, Museum Folkwang, Essen

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Abb. 145 Eugène Grasset: À la Place Clichy, 1891, Lithografie, 122 x 82 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 146 Pal (Jean de Paléologue): Crème Orientale, Parfumerie Orientale, 1894, Lithografie, 153 x 111 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 147 John Frederick Lewis: Der Harem, 1849, Wasserfarbe und Deckfarbe auf Papier, 88,6 x 133 cm, Privatbesitz Abb. 148 Jules Alexandre Grün: La Cigale – Les Petits croisés, 1900, Lithografie, 124,5 x 88,5 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 149 Jean-Leon Gérôme: Die Almeh, 1873, Öl auf Leinwand, 53 x 40,5 cm, Nadj Collection, im Besitz der Mathaf Gallery, London Abb. 150 Jules Chéret: Musée Grevin – Souvenir de l’exposition, 1890, Lithografie, 245 x 86 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 151 Jules Chéret: L’Ambelanine. Sirop Indien, 1880, Lithografie, 57 x 40 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 152 Alfons Mucha: Vin des Incas, 1897, Lithografie, 212 x 70 cm, Museum Folkwang, Essen Abb. 153 Michel Simonidy: Le Figaro, vor 1904, Lithografie, 126 x 83 cm, Bibliothèque Forney, Paris Abb. 154 Réne-Louis Péan: Le Figaro, 1895, Lithografie, 1195 x 84 cm, Bibliothèque Forney, Paris Abb. 155 Leonetto Capiello: Tog Quinquina, 1905, Lithgrafie, 97,8 x 136,2 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Abb. 156 Armand Rassenfosse: Job, 1910, Lithografie, 94,2 x 132,1 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Abb. 157 Manuel Cabral Aguado Bejarano: Szene in einem Wirtshaus, um 1855, Öl auf Leinwand, 62 x 52 cm, Collección Carmen Thyssen-Bornemisza en depósito en el Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid Abb. 158 Jules Chéret: Nouveau Cirque – La Foire de Seville, 1889, Lithografie, 58 x 40 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 159 Alfons Mucha: Bières de la Meuse, 1897, Lithografie, 153,5 x 104 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 160 Marc Auguste Bastard: Bières de la Meuse, vor 1896, Lithografie, 151 x 95,5 cm, Sprengel Museum, Hannover Abb. 161 Alfons Mucha: Cycles perfecta, 1902, Lithografie, 104,3 x 154,6 cm, Privatbesitz Abb. 162 Alfons Mucha: Waverley Cycles, 1897, Lithografie, 86 x 110 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 163 Alfons Mucha: F. Guillot-Pelletier, Orleans, 1897, Lithografie, 52 x 34 cm, Sammlung Jiří Mucha Abb. 164 Henri Thiriet: Cycles & Accessoires Griffiths, 1898, Lithografie, 130 x 94 cm, Bibliothèque des Arts Décoratifs, Paris Abb. 165 Tamagno: Terrot Dijon Cycles Automobiles, 1898, Lithografie, 132 x 92 cm, Museum Folkwang, Essen

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Abb. 166 Pal (Jean de Paléologue): Falcon, vor 1896, Lithografie, 148,5 x 104,5 cm, Sprengel Museum, Hannover Abb. 167 Eugène Grasset: Encre L. Marquet, 1892, Zinkätzung, 116 x70 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 168 François Flameng: Paris Exposition 1900 – Le Guide, 1899, Lithografie, 83,5 x 133,8 cm, Hessisches Landesmuseum, Darmstadt Abb. 169 Maurice Réalier-Dumas: Bec Auer, 1892, Lithografie, 174,5 x 61 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 170 Pal (Jean de Paléologue): Cycles Clement Paris, undatiert, Lithografie, 156 x 107,5 cm, Hessisches Landesmuseum, Darmstadt Abb. 171 Henri Thiriet: Dayton Cycles, um 1898, Lithografie, 159,7 x 238 cm, Los Angeles County Museum of Art, Wagner Collection Abb. 172 Franz von Stuck: Allegorie der Dampfkraft, 1882, aus: Martin Gerlach: Allegorien und Embleme Abb. 173 Ernest-Ange Duez, Das Telefon, 1889, Wandbild im Hôtel de Ville, Paris Abb. 174 Gaston Noury: Salon des Cent, 1894, Lithografie, 64,2 x 50 cm, Collection Neumann, Gingins Abb. 175 Eugène Delacroix: Die Freiheit führt das Volk an, 1830, Öl auf Leinwand, 360 x 225 cm, Musée du Louvre, Paris Abb. 176 Théophile-Alexandre Steinlen: Le Petit Sou, 1900, Lithografie, 203 x 100 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 177 Gustave Courbet, Das Atelier, 1855, Öl auf Leinwand, 359 x 598 cm, Musée d’Orsay, Paris Abb. 178 Hans Makart: Geruch, aus der Serie Die fünf Sinne, 1872–79, Öl auf Leinwand, 314 x 70 cm, Österreichische Galerie, Wien Abb. 179 Roedel: La Vache enragée (avant la lettre), 1897, Lithografie, 125 x 90 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 180 Eugène Grasset: Académie de la Grande Chaumière, undatiert, Lithografie, 44,9 x 32,4 cm, Sammlung Neumann, Gingins Abb. 181 Eugène Grasset: Exposition A. Falguière, 1898, Lithografie, 52,5 x 37 cm, Musée d’Elysée, Lausanne Abb. 182 Jules Chéret: Exposition A. Willette, 1888, Lithografie, 124 x 88,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 183 Charles Léandre: Malweiber, undatiert Abb. 184 Jean-Louis Forain: Exposition des Arts de la Femme, 1892, Lithografie, 169 x 118,5 cm, Museum Folkwang, Essen Abb. 185 Etienne Moreau-Nélaton: Exposition des Arts de la Femme, 1892, Lithografie, 175 x 200 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 186 Emil Causé: Salon des Cent, 1898, schablonenkolorierte Gillotage, 61 x 40,8 cm, Collection Neumann, Gingins

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Abb. 187 Arsène Herbinier: Salon des Cent, 1899, Lithografie, 65 x 47 cm, Privatbesitz Abb. 188 Firmin Bouisset: Salon des Cent, 1899, Lithografie, 65 x 50 cm, Bibliothèque Forney, Paris Abb. 189 Henry-Julien Detouche: Salon des Cent, 1896, Lithografie, 63 x 43 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 190 Albrecht Dürer: Der Zeichner des weiblichen Modells, 1525, Holzschnitt, 8 x 22 cm, Graphische Sammlung Albertina, Wien Abb. 191 Alfons Mucha: Cassan Fils, 1896, Lithografie, 174,7 x 68,4 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 192 G. Boutrou: Salon des Cent (Luxusabzug avant la lettre), 1899, schablonenkolorierte Gillotage, 64 x 45 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 193 Alfons Mucha: Salon des Cent, 1896, Lithografie, 43,2 x 63,6 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 194 Armand Rassenfosse: Salon des Cent, 1896, Lithografie, 46,5 x 64,5 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 195 Edouard Manet: Olympia, 1863, Öl auf Leinwand, 130,5 x 190 cm, Musée d'Orsay, Paris Abb. 196 Gavarni (Jean-Ignace-Isidore Gérard): Œuvres choisies de Gavarni, 1845, Lithografie, 73 x 56 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 197 Henri Gabriel Ibels: Salon des Cent, 1894, Lithografie, 60,2 x 40,1 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 198 Henri Gabriel Ibels: Pierrefort, 1897, Lithografie, 80,3 x 61,2 cm, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Kunstbibliothek, Berlin Abb. 199 Henri Boutet: Salon des Cent – Exposition de Pastels, Dessins et Gravures d’Henri Boutet, 1895, Lithografie, 109 x 45,5 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 200 Georges de Feure: Salon des Cent, 1894, Lithografie, 60,5 x 39 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 201 Georges de Feure: Die Botanistin (Studie für das Plakat Salon des Cent), 1894, Gouache auf Papier, 91 x 72,4 cm, Sammlung George Bon Salle, Key Biscayne, Florida Abb. 202 Georges de Feure: Affiches et estampes Pierrefort, vor 1898, Lithografie, 62 x 81 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 203 Pierre Bonnard: Salon des Cent, 1896, Lithografie, 61,5 x 42 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 204 Henri de Toulouse-Lautrec: Einladung zu einer Ausstellung, 1898, Lithografie, 21,7 x 13,7 cm, Privatbesitz Abb. 205 Pierre Bonnard: La Revue Blanche, 1894, Lithografie, 80,5 x 61,7 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 206 Henri de Toulouse-Lautrec: La Revue Blanche, 1895, Lithografie, 125,5 x 91,2 cm, Hamburger Kunsthalle

V ERZEICHNIS DER A BBILDUNGEN

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Abb. 207 Alfons Mucha: Salon des Cent – Exposition A. Mucha, 1897, Lithografie, 63,5 x 46 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 208 Carlos Schwabe: Salon de la Rose + Croix, 1892, Zinkätzung, 178 x 78 cm, Museum Folkwang, Essen Abb. 209 Aman-Jean: Salon de la Rose + Croix (avant la lettre), 1893, Lithografie, 110 x 60 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 210 Jules Alexandre Grün: Ein Freitag im Salon des Artistes Français, um 1910, Öl auf Leinwand, 362 x 617 cm, Musée des Beaux-Arts de Rouen Abb. 211 Honoré Daumier: Den größten Erfolg haben in diesem Jahr auf der Skulpturenausstellung die Enten!, aus: Le Charvivari, 21.07.1857 Abb. 212 Fernand Fau: Salon des Cent (Luxusabzug avant la lettre), 1895, schablonenkolorierte Gillotage, 64 x 50,3 cm, Collection Neumann, Gingins Abb. 213 Armand Rassenfosse: Salon des Cent, 1896, Lithografie, 64 x 43,8 cm, Privatbesitz Abb. 214 Fernand Gottlob: Peintres Lithographes, 1898, Lithografie, 76,2 x 116,2 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 215 Hugo d’Alesi: Centenaire de la Lithographie, 1895, Lithografie, 157 x 114,5 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 216 P. H. Lobel: Chez Pierrefort, 1897, Lithografie, 80,5 x 62 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 217 Georges de Feure: Le Journal des Ventes, 1898, Lithografie, 64 x 49,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 218 Roedel: Moulin de la Galette, 1895, Lithografie, 127 x 90 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 219 Théophile-Alexandre Steinlen: Die Straße, 1896, Lithografie, 238 x 304 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 220 Théophile-Alexandre Steinlen: Der Boulevard, 1904, Tusche, Aquarell und Kreide auf Papier, 168 x 228 cm, Petit Palais, Genf Abb. 221 Clémentine-Hélène Dufau: La Fronde, 1898, Lithografie, 137,1 x 97,8 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 222 Théophile-Alexandre Steinlen: Paris, 1897, Lithografie, 140 x 200 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 223 Théophile-Alexandre Steinlen: Mothu und Doria, 1893, Lithografie, 120 x 91 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 224 Lucien Métivet: Concert de la Cigale – Eugénie Buffet, vor 1894/95, Lithografie, 179,5 x 79 cm, Museum für Kunst und Gewerbe. Hamburg Abb. 225 Lucien Métivet: Ambassadeurs – Eugénie Buffet, 1892, Lithografie, 120 x 80,5 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 226 Lucien Métivet: La très charmante et élégante Mlle. Gigi – chanteuse réaliste, aus: Die Jugend, Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben, Nr. 5/1.2. 1896

436 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG

Abb. 227 Adolphe Léon Willette: Rayon de lune, 1885, aus: Le Courrier français, 28.6.1885 Abb. 228 Adolphe Léon Willette: Fer Bravais, 1898, Lithografie, 56 x 39 cm, Museum Folkwang, Essen Abb. 229 Maurice Réalier-Dumas: Champagne Jules Mumm & Co., 1895, Lithografie, 30,5 x 87,6 cm, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Kunstbibliothek, Berlin Abb. 230 Maurice Biais: La Maison moderne, 1902, Lithografie, 115 x 78 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 231 Manuel Orazi: La Maison moderne, 1900, Lithografie, 82 x 117,5 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 232 Fernand Fernel: Cycles Georges Richard, 1896, Lithografie, 100 x 139 cm, Museum Folkwang, Essen Abb. 233 Henri Gray (Henri Boulanger): Cycles Sirius, 1899, Lithografie, 137 x 97 cm, Privatbesitz Abb. 234 Alexandre Cabanel: Geburt der Venus, 1863, Öl auf Leinwand, 130 x 225 cm, Musée d'Orsay, Paris Abb. 235 Jules Chéret: Lactéoline, 1884, Lithografie, 124,5 x 86,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 236 Jules Chéret: L’Eau des Sirènes, 1888, Lithografie, 173 x 120,5 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 237 Pal (Jean de Paléologue): Cycles Déesse, um 1898, Lithografie, 142 x 104 cm, Galerie Documents, Paris Abb. 238 Pal (Jean de Paléologue): Rayon d’Or, vor 1896, Lithografie, 122,5 x 82 cm, Sprengel Museum, Hannover Abb. 239 Henry Gray (Henri Boulanger): Petrole Stella, 1897, Lithografie, 130,5 x 100, 5 cm, Sprengel Museum, Hannover Abb. 240 anonym: Achetez des Pommes, Fotografie Abb. 241 Georges Meunier: Cavour Cigars, 1895, Lithografie, 252 x 88 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 242 Alfons Mucha: Job, 1896, Lithografie, 67 x 46 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 243 Jane Atché: Job, 1896, Lithografie, 108 x 146 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Abb. 244 Jules-Alexandre Grün: Concert Européen – Veux-tu grimper?, 1901, Lithografie, 125 x 85 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 245 Jules-Alexandre Grün: La Cigale – Pour qui votait-on?, 1898, Lithografie, 129,5 x 94 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 246 Théophile-Alexandre Steinlen: La Traite des Blanches, 1899, Lithografie, 190 x 125 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 247 Théophile-Alexandre Steinlen: La Traite des Blanches, 1899, Lithografie, 79,5 x 58,5 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Abb. 248 Jules Chéret: Alcazar d’Été – Les Rigolboches, 1876, Lithografie, 61,5 x 81 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris

V ERZEICHNIS DER A BBILDUNGEN

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Abb. 249 Jules Chéret: Alcazar d’Été – Les Rigolboches, 1876, Lithografie, 62 x 80 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 250 Alfred Choubrac: Fin de siècle, 1891, Lithografie, 120 x 80 cm, Privatbesitz, Paris Abb. 251 Alfred Choubrac: Fin de siècle, 1891, Lithografie, 120 x 80 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 252 Alfred Choubrac: Grand choix de feuilles de vigne, 1895, Lithografie, 85 x 62 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 253 Jules Chéret: Le Courrier français. Exposition…, 1891, Lithografie,124 x 87,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 254 Adolphe-Léon Willette: Le Courrier français, 1890, Lithografie, 83 x 58 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 255 Jules Chéret: Le Pays des Fées, 1889, Lithografie, 83 x 66 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 256 Jules Chéret: Taverne Olympia, 1899, Lithografie, 58 x 39,5 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 257 Jules Chéret: Quinquina Dubonnet, 1896, Lithografie, 55 x 37,5 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 258 Jules Chéret: Librairie Ed. Sagot (La Belle Jardinière), 1891, Lithografie, 250 x 87 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Abb. 259 Jean-Antoine Watteau: Einschiffung nach Kythera, um 1709/10, Öl auf Leinwand, 43 x 53 cm, Städel-Museum, Frankfurt a. M. Abb. 260 Jean-Antoine Watteau: Voulez-vous triompher des belles…?, 1716–18, Öl auf Holz, 36 x 26 cm, Wallace Collection, London Abb. 261 Jules Chéret: Pantomimes lumineuses, 1892, Lithografie, 124 x 87,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 262 Jules Chéret: Halle aux Chapeaux, 1894, Lithografie, 51,5 x 40,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Abb. 263 Jules Chéret: Grands Magasins du Louvre – Étrennes 1897, 1897, Lithografie, 124 x 88,5 cm, Sprengel Msueum Hannover Abb. 264 Alfons Mucha: La Trappistine, 1897, Lithografie, 204 x 76,5 cm, Museum Folkwang, Essen Abb. 265 Alfons Mucha: Moët & Chandon, 1899, Lithografie, 58,1 x 19,6 cm, Städtische Kunstsammlungen, Chemnitz Abb. 266 Meditation: akademische Pose, Fotografie, aus: Albert de Rochas: Les sentiments, la musique et le geste, 1900 Abb. 267 Meditation: in Hypnose suggerierte Pose, Fotografie, aus: Albert de Rochas: Les sentiments, la musique et le geste, 1900 Abb. 268 Alfons Mucha: Job, 1898, Lithografie, 149,5 x 95,5 cm, Museum Folkwang, Essen Abb. 269 Alfons Mucha: Lygie, 1901, Lithografie, 59,5 x 175,5 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris

438 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG

Abb. 270 Ford Madox Brown: Take Your Son, Sir, 1851–92, Öl auf Leinwand, 70,5 x 38,1 cm, Tate Gallery, London Abb. 271 Dante Gabriel Rossetti: Venus Verticordia, um 1863–68, Öl auf Leinwand, 83,8 x 71,2 cm, Russell-Cotes Art Gallery and Museum, Bournemouth Abb. 272 Théophile-Alexandre Steinlen: Le Chat Noir, 1896, Lithografie, 139,5 x 98 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 273 Adolphe-Léon Willette: Der fromme Irrtum, 1899, aus: Les Maîtres de l’affiche Abb. 274 Alfons Mucha: Bleuze-Hadancourt. Parfumeur, um 1899, Lithografie, 25 x 60 cm, Privatbesitz Abb. 275 Alfons Mucha: Zodiaque, 1896, Lithografie, 76 x 53,5 cm, Museum Folkwang, Essen Abb. 276 Gustave Moreau: Salome tanzt vor Herodes, 1875–76, Öl auf Leinwand, 144 x 103, 5 cm, Armand Hammer Museum of Art, Los Angeles Abb. 277 Alfons Mucha: Champagne Ruinart, 1896, Lithografie, 172,5 x 59 cm, Kunsthalle, Bremen Abb. 278 Dante Gabriel Rossetti: Lady Lilith, 1868, Öl auf Leinwand, 97,8 x 85,1 cm, Delware Art Museum, Delaware Farbabb. 1 Leonetto Capiello: Charbon chimique Rubaudo, 1903, Lithografie, 98,5 x 131,4 cm, The Wine Spectator Collection, New York City Farbabb. 2 Théophile-Alexandre Steinlen: Motocycles Comiot, 1899, Lithografie, 200 x 140 cm, Musée de la Publicité, Paris Farbabb. 3 Jules Chéret: Palais de Glace, 1896, Lithografie, 58 x 40,5 cm, Musée de la Publicité, Paris Farbabb. 4 Jules Chéret: Folies-Bergère – La Loïe Fuller, 1893, Lithografie, 123,5 x 87,5 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Farbabb. 5 Jules Chéret: Folies-Bergère – La Loïe Fuller, 1893, Lithografie, 127 x 90 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Farbabb. 6 Jules Chéret, Folies-Bergère – Loïe Fuller, 1897, Lithografie, 123,5 x 87 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Farbabb. 7 Jules Chéret: Folies-Bergère – La Danse du Feu, 1897, Lithografie, 123,5 x 86 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Farbabb. 8 Pal (Jean de Paléologue): Folies-Bergère – La Loïe Fuller, um 1894, Lithografie, 121,9 x 83,8 cm, Los Angeles County Museum of Art Farbabb. 9 Pal (Jean de Paléologue): Folies-Bergère – La Loïe Fuller, 1897, Lithografie, 132 x 95 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Farbabb. 10 Georges Meunier: Folies-Bergère – Loïe Fuller, 1898, Lithografie, 124 x 88 cm, Privatbesitz Farbabb. 11 Henri de Toulouse-Lautrec: Miss Loïe Fuller, 1893, Lithografie, 36,8 x 26,8cm, Boston Public Library, Print Departement Farbabb. 12 Manuel Orazi: Théâtre de Loïe Fuller, 1900, Lithografie, 202 x 63,5 cm, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin, Kunstbibliothek

V ERZEICHNIS DER A BBILDUNGEN

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Farbabb. 13 Alfons Mucha: Die Kameliendame, 1896, Lithografie, 206 x 77 cm, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Farbabb. 14 Maurice Pillard Verneuil: Le Monde moderne, 1896, Zinkätzung, 63,8 x 42,9 cm, Städtische Kunstsammlungen, Chemnitz Farbabb. 15 Pal (Jean de Paléologue): Dentifrice Orientale, Parfumerie Orientale, 1894, Lithografie, 100 x 150 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris Farbabb. 16 Jules Chéret: Musée Grévin (avant la lettre), 1900, Lithografie, 119,5 x 82 cm, Bibliothèque Nationale de France, Paris

13.1 Verzeichnis der Bildquellen Abb. 1: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 43, Nr. 19. Abb. 2: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 319, Nr. 1271. Abb. 3: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 319, Nr. 1274. Abb. 4: Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 84, Nr. 96. Abb. 5: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 72, Nr. 46. Abb. 6: Rennert/Weill 1984, S.124, Nr. 26. Abb. 7: Pfeiffer/Hollein 2008, S. 165. Abb. 8: Rosenblum 1989, S. 54. Abb. 9: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 40, Nr. 16. Abb. 10: Marx 1978, Nr. 11. Abb. 11: Marx 1978, Nr. 83. Abb. 12: Kat. Hamburg 1997, S. 71, Nr. 34. Abb. 13: Rennert 1990, Nr. 122. Abb. 14: Rennert 1990, Nr. 23. Abb. 15: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 291, Nr. 1064. Abb. 16: Marx 1978, Nr. 191. Abb. 17: Boulanger 1991, S. 34. Abb. 18: Rennert/Weill 1984, S. 173, Nr. 41. Abb. 19: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 26, Nr. 2. Abb. 20: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 329, Nr. 1334. Abb. 21: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 317, Nr. 1264. Abb. 22: Rennert 1990, Nr. 166. Abb. 23: Iskin 2007, S. 18, Abb. 6. Abb. 24: Popitz 1977, S. 235, Nr. 815. Abb. 25: Gallo 2001, S. 122. Abb. 26: Millman 1992, S. 72. Abb. 27: Boulanger 1991, S. 26. Abb. 28: Iskin 2007, S. 213, Abb. 88.

440 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG

Abb. 29: Dumas/Collins 2005, S. 13, Abb. 3. Abb. 30: Rosenblum 1989, S. 199. Abb. 31: Silverman 1989, S. 293, Nr. 66. Abb. 32: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 271, Nr. 922. Abb. 33: Popitz 1977, S. 211, Nr. 732. Abb. 34: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 333, Nr. 1369 Abb. 35: Popitz 1977, S. 175, Nr. 607. Abb. 36: Rennert 1990, Nr. 60. Abb. 37: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 183, Nr. 341. Abb. 38: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 203, Nr. 490. Abb. 39: Popitz 1977, S. 35, Nr. 116. Abb. 40: Rennert 1990, Nr. 133. Abb. 41: Rennert 1990, Nr. 26. Abb. 42: Rennert 1990, Nr. 25. Abb. 43: Kat. Paris/München/Albi 2010, S, 299, Nr. 1125. Abb. 44: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 297, Nr. 116. Abb. 45: Rennert 1990, Nr. 160. Abb. 46: Müller 2003, S. 147, Abb. 45. Abb. 47: Clayson 1991, S. 66, Abb. 36. Abb. 48: Kat. Madrid 2003, S. 306, Abb. 142. Abb. 49: Clayson 1991, S. 7, Abb. 4. Abb. 50: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 333, Nr. 1365. Abb. 51: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg Abb. 52: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 147, Nr. 93. Abb. 53: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 147, Nr. 92. Abb. 54: Weill 1977, S. 33. Abb. 55: Weill 1977, S. 31. Abb. 56: Rennert 1990, Nr. 58. Abb. 57: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 191, Nr. 395. Abb. 58: Döring 2002, S. 79, Nr. 89. Abb. 59: Kat. Washington/Princeton 2005, S.122, Abb. 131. Abb. 60: Döring 2002, S. 95, Nr. 111. Abb. 61: Kat. Portland 2008, S. 208, Abb. 7. Abb. 62: Kat. Paris 2005, S. 61, Abb. 4. Abb. 63:Crépineau/Pessis 1989, S. 27. Abb. 64: Kat. Washington/Princeton 2005, S. 20, Abb. 23. Abb. 65: Döring 2002, S. 97, Nr. 114. Abb. 66: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 145, Nr. 71. Abb. 67: Kat. Portland 2008, S. 204, Abb. 2. Abb. 68: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 35, Nr. 10. Abb. 69: Schmaußer 1991, S. 191, Abb. 36. Abb. 70: Weill 1977, S. 32.

V ERZEICHNIS DER A BBILDUNGEN

Abb. 71: Weill 1977, S. 30. Abb. 72: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 221, Nr. 601. Abb. 73: Schwartz 1998, S. 136, Abb. 35. Abb. 74: Kat. Portand 2008, S. 107. Abb. 75: Boulanger 1991, S. 44. Abb. 76: Rennert 1990, Nr. 37. Abb. 77: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 155, Nr. 157. Abb. 78: Schardt 1987, S. 101. Abb. 79: Pacini 1989, S. 80, Abb. 74. Abb. 80: Pacini 1989, S. 79, Abb. 73. Abb. 81: Döring 1994, S. 59. Abb. 82: Rennert 1990, Nr. 64. Abb. 83: Marx 1977, Nr. 71. Abb. 84: Kat. Nancy 2002, S. 148, Nr. 65. Abb. 85: Kat. Nancy 2002, S. 148, Nr. 66. Abb. 86: Birnie Danzker 1995, S. 75. Abb. 87: Birnie Danzker 1995, S. 109, Nr. 104. Abb. 88: Müller 2003, S. 96. Abb. 89: Kat. Washington/Chicago 2005, S. 180, Abb. 179. Abb. 90: Kat. Washington/Chicago 2005, S. 171, Nr. 185. Abb. 91: Döring 2002, S. 6. Abb. 92: Kat. Albi 1973, S. 59, Nr. 161. Abb. 93: Kat. Washington/Chicago 2005 S. 170, Abb. 182. Abb. 94: Müller 2003, S. 97, Abb. 15. Abb. 95: Kat. Straßburg 1981, S. 37, Nr. 35. Abb. 96: Kat. Washington/Chicago 2005, S. 169, Abb. 180. Abb. 97: Delhaye 1990, S. 67. Abb. 98: Neuer 2000, S. 79, Nr. 49. Abb. 99: Roberts 2002, S. 182, Abb. 17. Abb. 100: Zmelty 2014, Fig. XXV. Abb. 101: Marx 1978, Nr. 214. Abb. 102: Ockman/Silver 2005, S. 139, Abb. 12. Abb. 103: Döring 2002, S. 61, Abb. 61. Abb. 104: Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 20, Abb. 11. Abb. 105: Rennert/Weill 1984, S. 49, Nr. 3. Abb. 106: Rennert/Weill 1984, S. 119, Nr. 24. Abb. 107: Rennert/Weill 1984, S. 209, Nr. 53. Abb. 108: Rennert/Weill 1984, S. 239, Nr. 63. Abb. 109: Döring 2002, S. 94., Nr. 109. Abb. 110: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 64. Abb. 111: Müller 2003, S. 151, Abb. 47. Abb. 112: Weill 1977, Nr. 29.

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442 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG

Abb. 113: Pacini 1989, S. 77, Nr. 70. Abb. 114: Iskin 2007, S. 49, Nr. 20. Abb. 115: Pollock 1980. Abb. 116: Garb 1987, Nr. 21. Abb. 117: Kat. New York 1966, Taf. 7. Abb. 118: Garb 1987, Nr. 22. Abb. 119: Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 89, Nr. 104. Abb. 120: Kat. Paris 1977, Nr. 6. Abb. 121: de Grazia/Furlough 1996, S. 129. Abb. 122: Iskin 2007, S. 25, Abb. 8. Abb. 123: Arwas 1978, S. 25, Abb. 30. Abb. 124: Döring 2002, S. 136, Abb. 171. Abb. 125: Boulanger 1991, S. 14. Abb. 126: Sprengel Museum Hannover Abb. 127: Döring 1994, S. 31. Abb. 128: Feinblatt/Davis 1985, Nr. 96. Abb. 129: Murray-Robertson-Bovard 1981, S. 119. Abb. 130: Rennert 1990, Nr. 35. Abb. 131: Arwas 1978, S. 96, Abb. 7. Abb. 132: Ulmer 1999, S. 112, Abb. 102. Abb. 133: Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 81, Abb. 92. Abb. 134: Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 88, Abb. 103. Abb. 135: Rennert 1990, Nr. 30. Abb.136: Rennert 1991, Nr. 100. Abb. 137: Kat. Gingins/Pont-Aven/Bordeaux 2000, S. 41. Abb. 138: Millman 1992, S. 113. Abb. 139–142: Rennert/Weill 1984, S. 196, Nr. 49. Abb. 143: Rennert/Weill 1984, S. 161, Nr. 39. Abb. 144: Rennert/Weill 1984, S. 285, Nr. 77. Abb. 145: Marx 1978, Nr. 18. Abb. 146: Bibilothèque Nationale de France, Paris Abb. 147: Benjamin 1997, S. 79, Nr. 24. Abb. 148: Noël/Herbaut 2012, S. 46. Abb. 149: Benjamin 1997, S. 101, Nr. 42. Abb. 150: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 219, Nr. 598. Abb. 151: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 295, Nr. 1099. Abb. 152: Rennert/Weill 1984, S. 177, Nr. 43. Abb. 153: Müller 2003, S. 162. Abb. 154: Müller 2003, S. 163, Abb. 54. Abb. 155: Rennert 1990, Nr. 177. Abb. 156: Rennert 1990, Nr. 102. Abb. 157: Pakesch 2005, S. 227.

V ERZEICHNIS DER A BBILDUNGEN

Abb. 158: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 211, Nr. 548. Abb. 159: Rennert/Weill 1984, S. 127, Nr. 27. Abb. 160: Popitz 1977, Taf. XVIII. Abb. 161: Rennert/Weill 1984, S. 295, Nr. 81. Abb. 162: Rennert/Weill 1984, S. 207, Nr. 52. Abb. 163: Rennert/Weill 1984, S. 183, Nr. 45. Abb. 164: Rennert 1972, Nr. 27. Abb. 165: Kat. Essen 1994, S. 393, Nr. 403. Abb. 166: Popitz 1977, Taf. XI. Abb. 167: Arwas 1978, S. 33, Abb. 5. Abb. 168: Rennert 1990, Nr. 153. Abb. 169: Marx 1978, Nr. 23. Abb. 170: Popitz 1977, S. 201, Nr. 701. Abb. 171: Davis/Feinblatt 1985, Nr. 102. Abb. 172: Kat. Karlsruhe 2007, S. 118, Abb. 2. Abb. 173: Warner 1989, Abb. 18. Abb. 174: Kat. Gingins/Pont-Aven/Bordeaux 2000, S. 62. Abb. 175: Held/Schneider 1998, S. 363. Abb. 176: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 65, Nr. 39. Abb. 177: Held/Schneider 1998, S 367. Abb. 178: Popitz 1977, S. 125, Nr. 435. Abb. 179: Pacini 1979, S. 42, Nr. 7. Abb. 180: Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 79, Abb. 88. Abb. 181: Murray-Robertson-Bovard 1998, S. 79, Abb. 87. Abb. 182: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 213, Nr. 556. Abb. 183: Schmaußer 1991, S. 207, Abb. 44. Abb. 184: Marx 1978, Nr. 186. Abb. 185: Popitz 1977, S. 177, Nr. 613. Abb. 186: Kat. Gingins/Pont-Aven/Bordeaux 2000, S. 50. Abb. 187: Kat. Gingins/Pont-Aven/Bordeaux 2000, S. 42. Abb. 188: Kat. Gingins/Pont-Aven/Bordeaux 2000, S. 46. Abb. 189: Kat. Gingins/Pont-Aven/Bordeaux 2000, S. 45. Abb. 190: Kat. Frankfurt 2007, S. 231, Nr. 158. Abb. 191: Döring 2002, S. 77, Abb. 87. Abb. 192: Kat. Gingins/Pont-Aven/Bordeaux 2000, S. 52. Abb. 193: Rennert/Weill 1984, S. 73, Nr. 12. Abb. 194: Popitz 1977, S. 327, Nr. 1115. Abb. 195: Rosenblum 1989, S. 199. Abb. 196: zur Westen 1925, S. 251, Abb. 254. Abb. 197: Döring 2002, S. 66, Abb. 69. Abb. 198: Rennert 1990, Nr. 54. Abb. 200: Döring 2002, S. 67, Abb. 72.

| 443

444 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG

Abb. 201: Millman 1992, S 63. Abb. 202: Kat. Gingins/Pont-Aven/Bordeaux 2000, S. 33. Abb. 203: Döring 2002, S. 67, Abb. 71. Abb. 204: Döring 2002, S. 205, Abb. 268. Abb. 205: Döring 2002, S. 5, Abb. 67. Abb. 206: Döring 2002, S. 177, Abb. 230. Abb. 207: Rennnert/Weill 1984, S. 149, Nr. 36. Abb. 208: Jumeau-Lafond 1994, S. 19. Abb. 209: Kat. Straßburg 2007, S. 126, Nr. 79. Abb. 210: Noël/Herbaut 2012, S. 87. Abb. 211: Schrenk 1977, S. 988. Abb. 212: Kat. Gingins/Pont-Aven/Bordeaux 2000, S. 67. Abb. 213: Kat. Gingins/Pont-Aven/Bordeaux 2000 S. 63. Abb. 214: Rennert 1990, Nr. 108. Abb. 215: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 20. Abb. 216: Rennert 1990, Nr. 61. Abb. 217: Millman 1992, S. 74. Abb. 218: Pacini1989, S. 39, Nr. 1. Abb. 219: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 44, Nr. 20. Abb. 220: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 99, Nr. 78. Abb. 221: Rennert 1990, Nr. 106. Abb. 222: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 52, Nr. 29. Abb. 223: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 37, Nr. 12. Abb. 224: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg Abb. 225: Marx 1978, Nr. 22. Abb. 226: Die Jugend, Nr. 5/1.2. 1896, S. 79. Abb. 227: Cate 1988, S. 135, Abb. 162. Abb. 228: Cate 1988, S. 135, Abb. 163. Abb. 229: Rennert 1990, Nr. 38. Abb. 230: Abdy 1969, S. 160. Abb. 231: Döring 2002, S. 39, Abb. 24. Abb. 232: Müller 2003, S. 154. Abb. 233: Rennert 1973, Nr. 26. Abb. 234: Rennert 1973, Nr. 26. Abb. 233: Rennert 1973, S. 26. Abb. 235: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 311, Nr. 1209. Abb. 236: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 311, Nr. 1211. Abb. 237: Rennert 1973, Nr. 62. Abb. 238: Rennert 1990, Nr. 129. Abb. 239:Boulanger 1991, S. 6. Abb. 240: Nochlin 1973, S. 12. Abb. 241: Marx 1978, Nr. 7.

V ERZEICHNIS DER A BBILDUNGEN

Abb. 242: Rennert/Weill 1984, S. 83, Nr. 15. Abb. 243: Rennert 1990, Nr. 101. Abb. 244: Noël/Herbaut 2012, S. 51. Abb. 245: Popitz 1977, S. 123, Nr. 429. Abb. 246: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 59, Nr. 35. Abb. 247: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 58, Nr. 35. Abb. 248: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 163, Nr. 205. Abb. 249: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 163, Nr. 206. Abb. 250: Zmelty 2014, S. 69, Abb. 32. Abb. 251: Zmelty 2014, S. 69, Abb. 33. Abb. 252: Maindron 1896, S. 57. Abb. 253: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 215, Nr. 570. Abb. 254: Cate 1988, S. 132, Abb. 159. Abb. 255: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 229, Nr. 653. Abb. 256: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 295, Nr. 1095. Abb. 257: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 301, Nr. 1143. Abb. 258: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 233, Nr. 669. Abb. 259: Held 1994, S. 11, Abb. 4. Abb. 260: Held 1994, S. 53, Abb. 28. Abb. 261: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 221, Nr. 604. Abb. 262: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 291, Nr. 1070. Abb. 263: Sprengel Museum Hannover Abb. 264: Rennert/Weill 1984, S. 135, Nr. 30. Abb. 265: Müller 2003, S. 111, Abb. 25. Abb. 266: Husslein-Arco u. a. 2009, S. 27. Abb. 267: Husslein-Arco u. a. 2009, S. 27. Abb. 268: Rennert/Weill 1984, S. 205, Nr. 51. Abb. 269: Rennert/Weill 1984, S. 285, Nr. 77. Abb. 270: Upstone 2003, S. 47. Abb. 271: Treuherz u. a. 2003, S. 15, Abb. 53. Abb. 272: Müller 2003, S. 91, Abb. 12. Abb. 273: Rennert/Weill 1984, S. 129. Abb. 274: Rennert/Weill 1984, S. 261, Nr. 71. Abb. 275: Rennert/Weill 1984, S. 101, Nr. 19; Var. 2. Abb. 276: Balk 1994, S. 70. Abb. 277: Rennert/Weill 1984, S. 87, Nr. 16 Abb. 278: Treuherz u. a. 2003, S. 63, Abb. 44. Farbabb. 1: Rennert 1990, Nr. 209. Farbabb. 2: Bargiel/Zagrodzki 1987, S. 61, Nr. 36. Farbabb. 3: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 203, Nr. 487. Farbabb. 4: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 155, Nr. 151. Farbabb. 5: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 155, Nr. 153.

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446 | ZWISCHEN V ERKLÄRUNG UND V ERFÜHRUNG

Farbbb. 6: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 157, Nr. 159. Farbabb. 7: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 157, Nr. 165. Farbabb. 8: Kat. Washington/Chicago 2005, S. 200, Nr. 224. Farbabb. 9: Kat. Nancy 2002, S. 149, Nr. 67. Farbabb. 10: Birnie Danzker 1995, S. 74. Farbabb. 11: Kat. Washington/Chicago 2005, S. 191, Abb. 209. Farbabb. 12: Staatliche Museen zu Berlin – Kunstbibliothek Farbabb. 13: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg Farbabb. 14: Anna 1995, S. 32, Abb. 11. Farbabb. 15: Bibliothèque Nationale Paris Farbabb. 16: Kat. Paris/München/Albi 2010, S. 221, Nr. 608. Copyright für die Werke von Pierre Binnard und Leopold Lelée: © VG Bild, Bonn 2015 Trotz intensiver Recherchen konnten nicht für alle Werke die Inhaber der Bildrechte ermittelt werden. Berechtigte Ansprüche werden selbstverständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.

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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Siegfried Mattl, Christian Schulte (Hg.)

Vorstellungskraft Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2014

Dezember 2014, 136 Seiten, kart., 14,99 €, ISBN 978-3-8376-2869-2 E-Book: 12,99 € ISBN 978-3-8394-2869-6 Vorstellungs- oder Einbildungskraft bezeichnet die Fähigkeit zur Erzeugung innerer Bilder, die entweder Wahrnehmungen erinnernd reproduzieren oder produktiv Gegebenheiten überschreiten. Vorstellungen konstruieren imaginativ zukünftige Szenarien oder erzeugen – wie in der Kunst – ästhetische Alterität. Die interdisziplinären Beiträge dieser Ausgabe der ZfK untersuchen Figurationen und Agenturen des Imaginären: von den Todes- und Jenseitsimaginationen der christlichen Kunst, den Denk- und Sehräumen in Kunst und Medizin über Rauminszenierungen der Moderne, dem frühen Amateurfilmdiskurs bis hin zur Techno Security und Big Data. Der Debattenteil befasst sich unter dem Titel »Transparenz und Geheimnis« mit medien- und kulturwissenschaftlichen Zugängen zu Dispositiven der Überwachung.

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