180 120 8MB
German Pages 60 [51] Year 1876
Zur Hrmgesckickte des
trsssburgerl 11! finster 5 von
Georg Mitscher, Landgerichtsrat in Ltrasidnrg.
Wit einer Avöirdnng.
Straßvurg, Verlag von V. Schultz und Comp.
(Berger-Levrault's Nachf.).
1876.
PHoioanAvuHE
von
gillot.
Das Süd-Portal des Straßburger Münsters vor der Zerstörn Nach einem Stiche in dem, 1617 znm ersten Male i
Verstörung des größten Teiles der Bildwerke im Lahre 1793. en Male erschienenen Mnnsterbüchlein von L'chad.
ur Hrlugesckickte des
trsZZbnrgeij Hü n Sters vor:
Georg Mitscher, Landgerichtsrat in Straßburg.
Wit einer Aööikdnng.
Straßburg, Verlag von R. Schultz und Comp. (Bergcr-Levrault's Nachf.). 1876.
Straßburg, Buchdruckerei R. Schultz u. Co., Bergcr-Levrault's Nachf.
Vorbemerkung. Diese Beiträge zu einer Baugeschichte des Münsters von Straßburg sollten Gegenstand eines Vortrages sein, welchen der Verfasser am 18. Februar 1876 für den vaterländischen
Frauenverein gehalten hat. Die kurze Zeit von einer Stunde
gestattete aber nur die erste Hälfte wirklich vorzutragen; von der zweiten konnte nur einzelnes und, wie es bei Abkürzungs versuchen zu
gehen pflegt, nur in sehr mangelhafter Form
gesagt werden. Da aber manches von dem, was übergangen
werden mußte, vielleicht doch der Mitteilung
wert ist, so ist
das Ganze dem Drucke übergeben worden.
Die Angabe der Quellen, sowie der Abdruck der auf die Baugeschichte des Münsters
Stellen
wird
vielen
Lesern
unmittelbar Bezug habenden
nicht
unwillkommen
sein,
die
Abbildung des Portales am südlichen Arme des Querschiffes in seinem früheren Zustande wahrscheinlich allen.
Daß ein Einzelner nicht vermag, einen Gegenstand, wie die Baugeschichte des
Straßburger Münsters
erschöpfend zu
behandeln, daß er Jrtümern ausgesetzt ist und manches über sieht, bedarf kaum eines ausdrücklichen Vorbehaltes. Straßburg, im April 1876.
4-
Das Münster zu Straßburg unterscheidet sich
in einer Beziehung
wesentlich von anderen bedeutenden Kirchen Deutschlands. Die Dome
zu Speier, Worms und Köln sind in einem Stile erbaut, und bei den Domen zu Mainz und Freiburg herrscht ein Stil — sei es der roma nische oder gotische — so entschieden vor, daß der Eindruck, den das Ganze macht, davon beherrscht wird.
Bei dem Straßburger Münster verhält sich das anders. Querschiff
und Chor — die Apsis mit den beiden daneben liegenden Kapellen — gehören dem romanischen Stil an, Langschiff und Turmhaus mit dem
hochaufragenden Turme sind gotisch. Aber auch der gotische Stil die ser Teile gehört nicht demselben Zeitraume, selbst nicht einem Jahr
hundert an. Das Langschiff zeigt noch die ernste strenge Schönheit des gotischen
Stils aus seiner Blütezeit um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. Es wird von vielen — und wohl nicht mit Unrecht — als das schönste
Werk betrachtet, welches Deutschland in diesem Stile besitzt. Das Turm haus ist in den beiden unteren Stockwerken schon in einem anspruchs
volleren Stile erbaut, bei welchem besonders das Zierwerk mehr hervor tritt, als vielleicht gut ist. Das dritte Stockwerk und der Turm selbst zeigen
bereits entartende Formen, die aber, namentlich am Turm, in einer solchen Kühnheit und mit so großer Fertigkeit angewendet sind, daß selbst der Kenner über der Großartigkeit des Ganzen Mängel der Einzelheiten vergessen wird.
— 2 — Kein Zweifel! eS ist dieser große Reichtum an Formen, der das
Straßburger Münster so anziehend macht, der jeden, welcher sich den
Eindrücken der Kunst nicht verschließt, immer von neuem zur Betrachtung anregt. Diesem Reichtum an Formen ist aber noch mehr zu verdanken,
als Anregung.
In Deutschland giebt es keine bedeutende Kirche, in welcher eine ro manische ApsiS mit der Vierungskuppel unmittelbar an ein gotisches Langschiff stößt, wie dies in Straßburg der Fall ist. Die Wirkung dieser
eigentümlichen Zusammenstellung ist eine sehr glückliche.
Der gotische Chor ist aus der romanischen Apsis — das überwölbte
Halbrund, welches
standen.
schon die
altchristlichen Basiliken schloß — ent
Dieses Halbrund ist in einzelne Bogenstellungen aufgelöst,
und dadurch
wird dem Auge der Ruhepunkt entzogen, welcher als
Abschluß in romanischen Kirchen so günstig wirkt. Die Verlängerung der Seitenwände der Apsis, welche zuerst bei den Klosterkirchen aus
gottesdienstlichen Gründen vorgenommen wurde, ist im gotischen Stil
zur Regel geworden.
In den meisten Fällen ist diese Verlängerung
eine so bedeutende, — z. B. bei dem Kölner Dom und den französischen Kathedralen — daß Chor und Langhaus nur wenig an Ausdehnung
verschieden sind und das letztere seinen Namen nicht mehr mit Recht führt.
Unterscheidet sich demnach der Grundriß des gotischen Chors
von dem des romanischen sehr wesentlich, so ist zwischen einem goti schen und romanischen Langhause ein solcher wesentlicher Unterschied
im Grundriß
nicht vorhanden und dies
ist die Ursache, weshalb
Chor und Langhaus des Straßburger Münsters so gut zu einander paffen, obgleich die Zeiten, in welchen die Pläne zu beiden entwor
fen wurden, vielleicht 100 Jahre aus einander liegen. Noch in einer anderen Beziehung hat dieser eigentlich für ungün stig zu haltende Umstand günstig gewirkt. Die Meister des
gotischen
Stils sind alle, in Frankreich wie in
Deutschland, nur zu sehr geneigt, die Höhenentwicklung zu Übertrei ben. Dem Erbauer des Straßburger Langhauses war jedoch eine feste
Grenze gezogen, die er nicht überschreiten durfte: die Maße des Chors
und des Querschiffes.
Er hat zwar das Langhaus so hoch hinauf-
— 3 —
geführt, als
es irgend anging.
Unter der Spitze des ersten Quer
gurts des Gewölbes, welcher sich unmittelbar an die Vierung anlegt, sind mehrere Würfel des Frieses zu sehen, welcher die Merungskuppel
umgiebt und
welcher nach dem Plane des Erbauers derselben ganz
von Außen zu sehen sein sollte. Wäre das Langhaus noch weiter
hinaufgeführt worden, so würde ein Teil des romanischen Säulen umganges, der unmittelbar über jenem Friese um die Außenseite der
Vierungskuppel läuft, im Innern der Kirche zu sehen sein.
Zu Hülfe kamen dem Erbauer des Langhauses
die ungewöhnlich
mächtigen Verhältnisse*, in denen die romanischen Teile des Straß burger Münsters erbaut
sind, und diese Verhältnisse
hatten
auch
Einfluß auf die Breite der drei Schiffe des Langhauses. Das Mittel
schiff desselben mußte der Vierung, die Seitenschiffe den beiden daran stoßenden Gewölben des Querschiffes entsprechen. Diese notwendige
Rücksichtnahme auf die vorhandenen Teile, welche von dem Meister,
der den Plan zum Langhause entwarf, wahrscheinlich als ein drücken
der Zwang empfunden worden ist, hat bewirkt, daß Breite und Höhe des Straßburger Langhauses, wenigstens nach dem jetzigen Geschmack,
in einem so glücklichen Verhältnisse zu einander stehen. Es liegt hierin Kirchen,
eine
namentlich
große Verschiedenheit von anderen gotischen
vom Kölner Dom.
Während das Mittelschiff
desselben bei nur 44 Fuß lichter Breite zu der gewaltigen Höhe von 140 Fuß aufsteigt, ist
das Mittelschiff des Straßburger Münsters
fast 48 Fuß breit, aber nur 96 Fuß hoch.
jenige,
welcher in einem
In diesem kann der
der Seitenschiffe steht,
den Aufriß
des
Mittelschiffes vollständig übersehen und betrachten. In Köln ist dieses
»Auch am Dom zu Freiburg ist ein gotisches Langschiff an ein romanisches
Ouerschiff und Chor angebaut worden. Dort aber hatten diese Teile nicht außer gewöhnliche Verhältnisse und so ist denn die Bierungskuppel völlig in das Dach des Langhauses hineingebaut. Im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert ist
dann ein spätgotisch« Chor an die Stelle der romanischen Apsis getreten und bei
dessen Erbauung sind wiederum die Höhenverhältnisse des Langhauses überboten worden.
— 4 möglich
im Mittelschiff selbst und wenn der Kopf stark zurück
gelegt wird,
eine Stellung, die selbst für den begeistertsten Kunst
nur
freund unbequem ist und jede eingehende Betrachtung hindert. Schon seit einiger Zeit wird auch von vielen anerkannt, daß der
Kölner Dom gewinnen würde,
wenn cs möglich wäre, aus seinen
fünf Schiffen drei zu machen,
und dies würde nicht nur dem In
neren, sondern auch dem Aeußeren zu gute kommen.
In Kirchen gotischen Stils, bei denen es eine eigentliche Wand gar nicht giebt, können die Gewölbe nur durch äußere Strebepfeiler gegen den
Seitenschub
gesichert werden.
Pfeiler
Diese
können
nirgend
anders angebracht werden als an den Außenwänden der Seitenschiffe und giebt es deren zwei auf jeder Seite, so müssen die Strebebögen
durch auf die Jnnenpfeiler, welche die Seitenschiffe trennen, gesetzte Zwischenpfeiler hinübergeleitet werden.
Sind die Gewölbe des Mit
telschiffes sehr hoch, wie in Köln, so
müssen doppelte Strebebögen
geschlagen werden und so entsteht jenes Gewirre von Pfeilern, Bö gen und Fialen, welche der Außenansicht des Kölner Domes etwas
entschieden unruhiges verleihen.
Das Langhaus
des
Straßburger
Münsters hat nur drei Schiffe und daher bietet die Außenseite des selben einen viel ruhigeren und also wohl schöneren Anblick.
Noch
eines
Vorzuges
sei
hier erwähnt,
der
das
Straßburger
Münster auszeichnet. Das ist der herrliche rote Sandstein der Voge
sen,
der zum Bau verwendet ist und welcher dem Münster jene
dunkle, satte Färbung verleiht, die mit der Pracht der bunten Fen ster so gut übereinstimmt. Diesen Vorzug
teilt es mit den Domen
zu Worms, Freiburg, Mainz und Basel; an Reichtum der Formen kommt ihm in Deutschland nur eine Kirche gleich: der Dom von Trier.
Merkwürdig ist, wie sich beide Kirchen ergänzen. Das Straßburger
Münster zeigt alle Stile vom entwickelten romanischen bis zum völlig ausblühenden gotischen. Am Trierer Dom sind nur die jüngsten Teile
in dem romanischen Stile vom errichtet und betreten,
heute noch
welche die
Ende des zwölften Jahrhunderts
kann man sein Inneres durch eine Tür
Römer
unter
den Kaisern
Valentinian und
Gratian, also um
370 unserer Zeitrechnung,
beide Kirchen genau kennt, der
erbaut haben. Wer
hat ein treues Bild von der Ent
wicklung der christlichen Baukunst durch ein volles Jahrtausend, und
zwar hat er aus jeder Zeit ein Meisterwerk ersten Ranges vor Augen
gehabt. Die Westseite des Trierer Domes tigste Bauwerk des
ist
weitaus
frühromanischen Stiles aus
dem
das
großar
elften Jahr
hundert, welches unversehrt bis auf unsere Zeit gekommen ist. Man
sieht ihr an, daß sie in einer Statt entstand, welche heute nach Rom die bedeutendsten Reste von römischen Bauten enthält.
Der Trierer Dom hat itt dem Domkapitular von Wilmovski einen ausgezeichneten Beschreiber gefunden, und das Werk desselben ist mit
vorzüglichen Zeichnungen und Plänen ausgestattet. Ueber das Straß
burger Münster fehlt ein solches Werk.
Dies wird mit ein Grund
sein, daß alle Pläne und Zeichnungen*, welche von ihm vorhanden sind, an den bedenklichsten Fehlern und Mängeln leiden.
Es wäre
sehr zu wünschen, daß es ebenso beschrieben würde, wie der Trierer Dom. Aber die Mittel eines Einzelnen reichen für ein solches Unter
nehmen nicht hin; es muß der Staat oder die Statt eintreten. Wird das Werk unternommen, so wäre nur zu wünschen, daß sich für das Straßburger Münster ein Beschreiber fände, der,
Domherr,
künstlerische
Wissenschaft mit
Anlage
und
wie der Trierer
vollständige Beherrschung
der
dem feinen Verständniß verbindet, welches natur
gemäß der gebildete katholische Priester für ein Gebäude hat, das
vor mehr als
600 Jahren
für den Gottesdienst
der katholischen
Kirche errichtet worden ist. Bei jedem bedeutenden Kunstwerke drängt sich
unwillkürlich die
Frage auf: wann ist es entstanden? wer hat es geschaffen? und bei
einer Kirche, der auf den ersten Blick anzusehen ist, daß Jahrhun-
* Noch der neueste Grundriß in Waltmans „Geschichte der deutschen Kunst
im Elsaß" hat über ein Dutzend so grober Fehler wie versetzte oder ganz wegge lassene Türen, die Eingänge zur Krypta und Aufgänge zum Chor an falscher Stelle, Angabe von gemauerten Wänden, wo nur Bretterverschläge sind und dergleichen.
— 6 — derte an ihr gebaut haben, sind diese Fragen doppelt berechtigt. Sie
sollen hier, so gut als möglich, beantwortet werden.
Selbstverständlich ist es nur zum kleinsten Teil das Ergebniß eige
ner Forschungen des Verfassers, das vorgelegt wird. Er würde nicht viel zu sagen haben, hätten Andere nicht vor- und mitgearbeitet.
Unter den Vorarbeitern muß an erster Stelle der Straßburger
genannt werden, welcher durch seine Forschungen ganz besonders zur Aufklärung
der Baugeschichte des Münsters
beigetragen hat; dessen
Schriften, die größeren wie die kleineren, im hohen Grade die Merk male jeder echten Wissenschaft zeigen:
Sorgfalt
in der Forschung,
Wahrhaftigkeit in den Angaben, Besonnenheit in den Schlüssen.
Dieser Straßburger ist der
leider schon im Jahre 1858 verstor
bene Statt-Archivar Ludwig Schneegans.
veröffentlichte*,
„Ueber die Bildhauerin Sabine"
ersten Aufsatz:
Als er seinen
beruhte die Kenntniß
Münsters, abgesehen
von
dem
sehr
über die guten,
Baugeschtchte des
aber wenig bekannten
Buche des Badeners, Dr. Heinrich Schreiber, aus dem Jahre 1829, wesentlich auf drei Werken, deren Verfaffer sämmtlich in Straßburg
gelebt haben. Diese Werke sind : 1) Die in der Stattbibliothek verwahrten handschriftlichen Auf
zeichnungen des berühmten Baumeisters Specklin, welcher im Jahre 1589 in Straßburg starb und als der eigentliche Erfinder der Be-
festigungstpeise gilt, welche ihren Namen von dem Franzosen erhal ten hat, der sie am meisten anwendete, von Vauban.
2) Das bekannte und vielverbreitete Münsterbüchlein, von Magi ster Oseas
Schad,
Diakonus
an
der Kirche Alt-St.-Peter, zuerst
erschienen 1617. Der deutsche Titel dieses Werkes lautet: „Ausführliche
und
eigentliche Beschreibung des viel künstlichen,
sehr kostbaren und in aller Welt berühmten Münsters zu Straßburg."
Aus diesem Titel läßt sich auch der Inhalt schließen. ist in einem sehr
schlechten Deutsch
geschrieben,
Das Buch
und in seinen ge-
* In der Revue d’Alsace, Jahrgang 1850; einer in Deutschland sehr wenig
bekannten Zeitschrift in französischer Sprache.
schichtlichen Angaben ohne allen Wert. Unschätzbar aber sind die sie ben Abbildungen, welche cs enthält. Nicht weniger als sechs derselben zeigen uns Dinge, die nicht mehr erhalten sind.
Göthe's Kenntnisse über
das Münster und seine Erbauer dürften
ausschließlich auf diesem Münsterbüchlein beruht haben.
3) Ein kurz vor der Revolution erschienenes Werk des bekannten Abbö Grandidicr, dem die reichhaltigen, jetzt zum Teil untergegange
nen Urkunden des Straßburger Bistums noch vollständig zur Ver fügung standen.
Hauptsächlich
diese
Auge gehabt haben,
drei seiner Vorgänger dürfte Schneegans im als
er in dem erwähnten Aufsatze von der
Baugeschichte des Münsters sagte:
„Sie ist ein Feld, auf welchem nicht blos zu säen und zu
ernten ist; ebenso sehr gilt es, die Dornen und Unkräuter auszureißen, welche unsere Vorgänger ohne ihr Wissen und unge
achtet ihres Eifers und
ihrer Kenntnisse mit vollen Händen
darauf gepflanzt haben. Seit Jahrhunderten bereits gingen und
gehen die gröbsten geschichtlichen Jrtümer von einem Buche in das andere
Zeit und
über;
eine
gute Anzahl derselben ist seit langer
allgemein angenommen, und sehr oft ist es weit
schwerer, Jrtümer dieser Art zu entwurzeln, als ein noch jung fräuliches und nicht bestelltes Feld anzubauen."
Aber nur zu gut paffen diese Worte auch auf manche Leistungen, welche die
neuere Zeit, insbesondere
die nach 1870 neu erwachte
Teilnahme am Elsaß und an seinen Kunstschätzen hervorgerufen hat. Noch in der jüngsten Zeit — am 2. Januar 1875 — ist in der
Hauptstatt Deutschlands, vor einem so ausgewählten Publikum, wie sich bei den wissenschaftlichen Vorträgen in der Berliner Singakademie
zu versammeln pflegt, ein Vortrag gehalten worden, nach welchem
der berühmte Erwin am Straßburger Münster nicht nur dcp oberen
Teil des gotischen Langhauses, nischen Querschiffe
sondern auch allerlei an dem roma
gebaut haben soll,
nach welchem diesem Meister
auch ein wesentlicher Anteil an anderen großen Kirchenbauten seiner
— 8 — Zeit zugeschrieben wird, und zwar nicht blos im Rheinlande — zn
Freiburg und Haßlach in den Vogesen — sondern auch in anderen
Gegenden Deutschlands, zu Regensburg und Wimpfen. Für eine solche ganz unerhörte Vielgeschäftigkeit fehlt jeder An
halt, und daß Erwin an dem Straßburger Münster nichts anderes
gebaut hat, als einen Teil des Turmhauses ist nicht schwer nachzu
weisen. Aber bei dem großen und keineswegs ungerechtfertigten An
sehen, welches der Vortragende* in Kunst-Angelegenheiten genießt,
seinen Ansichten über Erwins Tätigkeit,
wird es sehr schwer sein,
die
und Schrift
welche durch Wort
weiteste Verbreitung
doch
haben, entgegenzutreten. Zeigt sich
gefunden
das neueste Buch, welches
sich mit dem Straßburger Münster beschäftigt — „die Geschichte der
deutschen Kunst im Elsaß",
einem Schriftsteller,
der
von Dr. Alfred Woltmann,
gewiß zu
also
von
eigenem Urteil berechtigt ist —
keineswegs frei von der Neigung, Erwin mehr zuzuschreiben, als ihm zukommt, während
die Elsässer Forscher
sich davon schon seit
längerer Zeit losgemacht haben.
Auf Veranlassung des Ober-Präsidenten von Elsaß-Lothringen und mit den von ihm zur Verfügung
gestellten Mitteln werden jetzt alle
Kunst-Denkmäler in Elsaß-Lothringen
wissenschaftlicher Weise beschrieben.
ausgenommen
und
in streng
Für den Artikel, welcher
vom
Straßburger Münster handeln wird, sind die reichen Urkundenschätze
des Frauenhauses
genau und
vollständig
durchgesehen worden —
vielleicht zum ersten Male. Ein Professor der Straßburger Universität
hat diese Durchforschung angeregt und ausgeführt, und er ist dabei
von
einem seiner Schüler
Beide Herren**
auf das Wirksamste
unterstützt worden.
haben die Güte gehabt, dem Schreiber dieses die
Ergebnisse ihrer Forschungen nicht vorzuenthalten, und derselbe würde sich geradezu mit fremden Federn schmücken, wollte en dieser Förderung
* Professor Adler. Sein Vortrag ist abgedruckt in der National-Zeitung vom
3. und 5. Januar 1875. ** Professor Kraus und slud.jur. von Meyer, ein Sohn des Abgeordneten von
Meyer-Arnswalde.
— 9 —
nicht wenigstens im allgemeinen gedenken. Dies ist die Mitarbeiter schaft, von welcher oben die Rede war. Da die Baugeschichte des Münsters keineswegs ohne bestrittene Punkte ist, so empfiehlt es sich, die Nachrichten, welche aus früherer Zeit erhalten sind, namentlich die Stellen aus alten Chroniken, in der Regel wörtlich mitzuteilen. Es wird dadurch zweierlei gewonnen. Erstens kann sofort geprüft werden, ob das, was aus jenen Stellen gefolgert wird, auch wirk lich darin steht, und zweitens gewährt der Inhalt und die Art der Darstellung ein viel deutlicheres Bild von der Denkart und Sinnes weise jener entlegenen Zeiten, als es sonst mit vielen Worten gege ben werden könnte. Auch der Umstand, wie wenige Nachrichten über liefert sind, trägt viel zu diesem Bilde bei. Daß die Baugeschichte des Münsters oft zusammenfällt mit der Geschichte der Statt Straßburg, und daß häufig die Geschichte der christlichen Baukunst überhaupt berücksichtigt werden muß, wird nicht auffallen. Aus der ältesten Zeit ist nichts anderes bekannt, als daß späte stens im siebenten Jahrhundert Straßburg eine bischöfliche oder Kathedral-Kirche hatte; denn seit jener Zeit kommt es als Sitz eines Bischofes vor. Nach alter Ueberlieferung hat diese Bischofskirche stets da gestanden, wo der jetzige Bau steht, und es ist kein Grund vor handen, dies zu bezweifeln. Diese Stelle ist der höchste Punkt der alten Römerstatt und sehr wahrscheinlich ist, daß sie früher einen heidnischen Tempel* getragen hat. Schad weiß sogar zu erzählen, daß derselbe dem Herkules geweiht war und er giebt nach einer Zeichnung von Specklin eine Abbildung des dem Gotte geweihten Standbildes, welcher „Abgott" bis zum Jahre 1525 im Münster zu sehen gewe sen und von den Alten Krutzmann genannt worden sein soll. Nach der Zeichnung bei Schad hätte das Standbild freilich nicht einen * Das römische palatium — die fränkische Pfalz — lag an dem Zusammenfluß der beiden Marine, wo jetzt die Kirche St. Stephan und das kleine bischöfliche
Seminar liegen.
— 10 — antiken Gott, sondern allenfalls einen allemannischen Krieger darge stellt und damit wäre der eigentümliche Name* eher zu vereinigen. Ueber das Aussehen der alten Kirche giebt erst eine Nachricht aus
dem neunten Jahrhundert einigen Aufschluß. AIS der Sachse Bernold den bischöflichen Stuhl innehatte, von 825 bis 835, lebte in Straßburg der Abt eines Klosters zu Or leans, Ermoldus Nigellus,
von aquitanischem Geschlecht, welcher
von Ludwig dem Frommen aus seiner Heimat verbannt war, weil er den Sohn des Kaisers, Pippin, König von Aquitanien, gegen seinen Vater aufgereizt hatte. Dieser Abt hat seine Muße in Straß
burg unter den „fremden Leuten" (Elisaffen) benutzt, um die Taten
des Kaisers in lateinischen Hexametern und Pentametern zu besingen. Er brachte vier lange Gedichte zu Stande und sendete sie dem Kai ser, um dessen Gnade wieder zu erlangen.
In dem vierten dieser Gedichte finden sich nun mehrere Verse**, aus denen hervorgeht, daß die Straßburger Kirche schon damals der Jungfrau Maria geweiht war. Der rechte Teil der Kirche war durch
Reliquien von Paulus,
der linke durch solche von Petrus geziert.
* Noch heute wird den Reisenden von den Münstersührern und den Arbeitern des Frauenhauses ein Standbild unter einem der kleinen Baldachine am untersten
Stockwerk des nördlichen Turmes als der Krutzmann gezeigt. Dasselbe stellt wirk lich einen Herkules mit der Löwenhaut dar, ist aber spätestens aus dem 16. Jahr
hundert.
**
649: Hjec quoquc dum canerem Strazburc custode tuebar, Delicti proprii conscius atque reus, Virgo Maria tibi quo templa dicata nitescunt, Quo tuus in terris rite veretur bonos.
705: Dcxtera pars aidis Pauli nam munere gaudet, Fulcitur lieva nomine quippe Petri, Aegregius doctor hinc, claviger inde polorum, Inter utrosque micat mater opima Bei, Michael mediam sibi seu crux vindicat aulam, Ultima Johannis unguine laeta nitet. Monumenta Germania SS. 11, p. 513 s.
— 11 — während zwischen beiden, also in dem Mittelteil, „die hehre Mutter Gottes erglänzte". Auch die heiligen Michael und Johannes hatten in anderen, schwer bestimmbaren Teilen der Kirche Altäre.
Das Münsterbüchlein von Schad enthält einen Plan des ersten, angeblich unter Klodwig
erbauten Münsters, welchen Specklin aus
einem alten Verzeichniß entnommen haben soll und welcher recht gut
zu der Beschreibung des aquitanischen Abtes stimmt*. Danach wäre
diese älteste Kirche eine dreischiffige Basilika ohne Querschiff und Apsis gewesen, in unmittelbarer Verbindung mit den Wohnungen
der Priester, welche da gelegen hätten, wo jetzt das große bischöfliche Seminar, der frühere Bruderhof steht. Es ist nicht leicht, sich von der Beschaffenheit der ältesten Kirchen
in Deutschland eine Vorstellung zu machen.
Aus dem achten und
neunten Jahrhundert haben sich nur sehr wenige Bauten erhalten,
und diese wenigen — das Achteck am Münster zu Aachen, der Rund
bau von St. Michael in Fulda, die bunte Kapelle in Lorsch** — find nicht geeignet, eine Vorstellung von der Kirche zu geben, die
Ermoldus Nigellus besingt.
ganz anderer Anlage,
Sie sind entweder zu klein oder von
so daß auch der oberflächlichste Beschreiber
nicht von einem mittleren, rechten und linken Teile sprechen könnte.
Die uralte Kirche im Dorfe Steinbach, unweit Michelstadt, auf die man erst seit einigen Jahren wieder aufmerksam geworden ist, würde
zwar sehr gut zu jenen Versen passen, aber es steht noch nicht fest,
daß sie wirklich Teile von dem alten Bau des berühmten Eginhard,
* Mit dem erhaltenen Plane der Kirche des Klosters St. Gallen, welche in der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts erbaut worden ist, hat der Plan bei Schad keine Aehnlichkeit.
** Das berühmte Kloster zwischen Rhein und Odenwald, in welchem Ludwig,
der erste König der Deutschen, seine Ruhestätte gefunden hat; jetzt ein stiller Markt flecken an der Eisenbahn von Worms nach Bensheim. Nicht viele von den zahl
reichen Reisenden, welche die Main-Neckar-Bahn benutzen, mögen wissen, daß
hinter dem Gebäude mit dem hohen Dache und den Pappeln, die man vom Bahn
höfe Bensheim sieht, eines der merkwürdigsten kirchlichen Denkmäler verborgen ist, die cs in Deutschland giebt.
— 12 —
des Geschichtsschreibers Karl's des Großen, enthält, und sie liegt in einem abgelegenen Tale des Odenwald, ist also so gut wie unbekannt. In Italien — und auch dort, seit St. Paul vor Rom im Jahre 1823 ein Raub der Flammen geworden, nur noch in Ravenna —
haben sich altchristliche Basiliken zwar erhalten, allein mit der Pracht,
die in der alten Kaiserstatt angewendet werden konnte, ist in den halb barbarischen Teilen des früheren Römerreichs, welche die Pro
vinz Ober-Germanien gebildet hatten, gewiß nicht gebaut worden. Auch haben in dem römischen Argentoratus, das
Hauptstatt einer Provinz war,
sich
nicht
einmal
gewiß keine römischen Bauten
erhalten, wie in dem Kaisersitz Augusta Treverorum und zu Mo-
guntiacum, der Hauptstatt
von Ober-Germanien, dem
jetzigen
Mainz. Es gab also weder großartige Vorbilder, noch konnten, wie
bei dem Bau des Nicetius in Trier, die Trümmer eines römischen Gebäudes, das nicht Tempel gewesen war, zur Anlage einer Kirche benutzt werden. Der berühmte Straßburger Chronist, dem wir die meisten Nach richten über den Bau des Münsters verdanken, Jakob Twinger von
Königshofen, der von 1346 —1420 gelebt hat, in Straßburg als Kanonikus von St. Thomas gestorben ist und um 1382 seine Chro nik begann, sagt von dem ersten Münster, das nach ihm Klodwig
gebaut haben soll: „Doch was das Münster, do es zum ersten mole gentaht
wart, nüt also gros und
also kostper an gebuwe, also es
ignoten (jetzund) ist. wan hievor mähte men die kirchen vaste
mit holtzwerke und mit flehten steinen und man hette nüt not umb kostper steine noch umb grosse gezierde*." Besser läßt sich der Gegensatz zwischen jetzt und sonst nicht schil
dern, und so
wird man sich die erste Kirche Straßburgs als eine
schlichte Basilika mit drei Schiffen vorzustellen haben, das mittlere
* Hegel, Chroniken der deutschen Stätte, Bd. 9, S. 722. Auf dieser und der
folgenden Seite finden sich alle später noch angezogenen Stellen Königshofens.
— 13 —
etwas
höher als die
beiden anderen,
der Dachstuhl im Inneren Schmuck
Mosaiken und
der Kirche
Erzplatten,
alle drei ungewölbt, so daß
zu sehen war; als einziger woraus
die Verse
des
Er-
moldus Nigellus fast mit Sicherheit schließen lassen, und vielleicht
einige Säulen und Architrave aus den Trümmern der alten Römer Auch die Mosaiken aber waren gewiß weit entfernt von der
statt.
Pracht und Schönheit, die wir noch heute an den Mosaiken aus der ältesten christlichen Zeit in Rom und Ravenna bewundern.
Selbst in diesen Stäten war im achten und neunten Jahrhundert diese Kunst
völlig verwildert, und die Mosaiken in
dem ältesten
Straßburger Münster werden die, welche noch heute an den Wänden
von San Praffede in Rom zu sehen sind, an Barbarei in den Um rissen der Figuren und der Wahl der Farben noch weit übertroffen haben.
Es ist wahrscheinlich, daß dieses älteste Münster bis 1002 gestan
den hat.
Zu diesem Jahre
ist die Nachricht überliefert*, daß in
dem Kampfe um die Kaiserkrone, der nach entstand,
Straßburg
von
seinem
dem Tode Otto's III
eigenen Herzog, Hermann von
Schwaben und Elsaß, überfallen und das Münster verbrannt wurde.
Schon nach
nen
wenigen Jahren muß mit dem Wiederaufbau begon
worden sein, denn die Straßburger Annalen** berichten zum
Jahre 1015:
„Das Münster der heiligen Jungfrau Maria in Straßburg erhob sich zuerst aus seinen Grundmauern."
* In der Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg (lebte von 976—1015). Mon. Germ. SS. III, S. 794: Sed execrata Alemannorum turba, ad rapiendum promptissima, inscio duce, majorem ecclesiam sanct® Dei genitricis intrepida intrans, omnem thesaurum diripit et quod maximum erat facinus, igne domum Domini consumpsit. ** Annales Argentincnses abgedruckt in den Monumenta Germaniae SS. XVII. Die betreffende Stelle (S. 87) lautet: A. dom. 1015 monasterium s. Marie virginis in Argentina surgit primo a fundacione sua.
— 14 — Es war damals eine sehr glaubenseifrige, für Kirchenbauten besonders günstige Zeit und es ist nicht zu bezweifeln, daß der begonnene Bau auch vollendet worden ist. Die Annalen — für jene Zeit die einzige
Quelle — enthalten freilich die Dauer von mehr
von
nichts
darüber, es
tritt vielmehr auf
als 100 Jahren völliges Schweigen ein, bis
fünf Bränden berichtet
wird, die in der kurzen Zeit von 46
Jahren (1130—1176) auf einander gefolgt sind.
Sie werden in
den Annalen mit der trockenen Bemerkung erzählt: Combustum est monasterium Das Münster ist abgebrannt
primo, secundo.... quinto zum ersten, zweiten.... fünften Male.
Völlige Zerstörungen der vorhandenen Baulichkeiten können
Brände nicht verursacht haben. Zu dem Brande von 1130
diese
bemerkt
Königshofen *:
„zum
ersten mole brante das nuwe Münster ein teil an
dem türme",
und eS sind noch jetzt nicht unbedeutende Teile aus der Zeit vor
1176 erhalten. Noch von dem ersten Bau seit 1015, unter Bischof
Wernher, rühren wahrscheinlich Teile der Krypta her — der Innen bau des östlichen Teiles, die Umfaffungsmauern sind vielleicht noch älter — und auch von dem Querschiffe, namentlich von
dem nörd
lichen Arme, stammen nicht unbeträchtliche Teile, wenn nicht aus dem elften, so jedenfalls aus den ersten Jahrzehnten des zwölften Jahr hunderts.
Auf Einzelheiten kann hier um so weniger eingegangen
werden, als die Untersuchungen darüber noch keineswegs abgeschlossen sind. Die erhaltenen ältesten Teile sind, wie zu erwarten, im früh
romanischen Stile erbaut.
*Er erwähnt vier jener Brände (von 1130,1140,1150 und 1176), von denen
die Annalen berichten, und leitet seinen Bericht über dieselben mit den Worten ein: „Die wile men nu das nuwe Münster mähte, also vor ist gefeit und auch sither,
so ist es etwie dicke (oft) ein teil verbrant." Der Brand von 1142, den Königshofen nicht erwähnt, ist der einzige aus
dieser Zeit, von welchem sein Vorgänger Klosencr berichtet. Hegel, Bd. 8, S. 96.
— 15 -
Von dem letzten Brande im Jahre 1176 an enthalten die Chro
niken und anderen
geschichtlichen Quellen wiederum für eine Zeit
von fast hundert Jahren keine Nachricht über den Bau des Mün
sters. Erst zum Jahre 1275 wird überliefert, daß am 7. September die Gewölbe des Mittelschiffes geschlossen worden sind und daß die ganze Kirche, mit Ausnahme der vorderen Türme, vollendet war.
Diese Nachricht ist besonders
gut verbürgt.
Königshofen sagt,
indem er die ganze Baugeschichte von 1015—1275
zusammenfaßt:
„Donoch (nach einem angeblichen Brande von 1007) samelte men gelt, steine und gezüg, ein ander Münster zu buwende.
und in dem jore do men zalte noch gotz gebürte 1015 jor, do
ving men das Münster das ignoten (jetzund) ist, von gründe
uf ane zu machende mit einte liessen starken fundamente und mit kostpern steinen und gezierden. und ging von tage zu tage
uf, das der kor und daz Münster one die zwene vorder türne wurdent geweilbet und gedecket unde vollebroht noch gotz ge
bürte 1275 jor." Und diese Vollendung wird bestätigt durch einen Vermerk* der in einem alten Straßburger Lektionen-Buch, jetzt zu Wolfenbüttel, gefunden worden ist. Es kann demnach an der Richtigkeit nicht wohl
gezweifelt werden. In diese 100 Jahre, von 1176 bis 1275, fällt aber eine große
Umwälzung in der deutschett Baukunst. In Nordfrankreich hat sich aus
dem romanischen der sogenannte gotische Stil entwickelt, und dieser neue Stil wird von Frankreich nach Deutschland verpflanzt.
Ueber diese Verpflanzung enthält eine Chronik aus dem Ende des
dreizehnten Jahrhunderts eine Nachricht**, welche höchst bezeichnend
* Mon, Germ. SS. XVII, 90: Anno Domini 1275 7 Idus Septembris vigilia nalivitatis beate Virginis completa est structura media testitudinuin superio runi et tocius fabrice preter turres anteriores ecclesie Argentinensis. ** Burchardi de Haitis chronicon ecclesiae collegiatae 8. Petri Wimpensis bei Schannat vindemiae litterariac, collectio secunda, p. 59: Monasterium areverendo patre Crudolfo praefato conslructum prae nimia velustate ruinosum ita ut jam in
— le ist. Es wird erzählt, daß
die
Stiftskirche zu
Wimpfen
im
Tal,
wegen hohen Alters, den Einsturz gedroht habe. Da sei mit dem
Bau einer neuen Kirche ein hocherfahrener Baumeister betraut wor
den, welcher erst kürzlich aus der Stadt Paris, in Frankreich, gekom-
men war, und es sei ihm anbefohlen worden die Kirche im franzö sischen Stil zu erbauen. Mit Recht sagt Schnaase:
„Diese Chronikstelle ist allerdings vereinzelt, aber ihr Ton und ihre Worte lassen darauf schließen, daß sie
einen
sehr
gewöhnlichen Hergang erzählt*."
Der Name jenes Baumeisters, welcher aus Paris nach Wimpfen gekommen war, ist leider nicht
überliefert, und es ist daher nicht
möglich an diesem Namen zu erkennen, ob sein Träger ein Franzose
war oder ein Deutscher, der in Paris gelernt hatte. In Frankreich, namentlich in Paris, zu studiren und sich in den Künsten auszu bilden, war zu jener Zeit so häufig, daß ein Schriftsteller des drei
zehnten Jahrhunderts geradezu
sagt :
Die Deutschen
hätten
das
Imperium und die Franzosen das Studium.
Es liegt in der Natur der Sache, daß die Verbreitung eines neuen Baustils von einem Lande aus zuerst nach den angrenzenden Gebie
ten stattfindet und nur allmälig sich
vorschreitet, und in der Tat läßt
die Verbreitung des gotischen Stils in Deutschland auf seinem
Wege von Westen nach Osten sehr gut verfolgen.
proximo Ruinam minari putaretur, diruit accitoque peritissimo architectoriae artis latomo, qui tune noviter de villa Parisiensi e partibus venerat Franciae,
opere Francigeno Basilicam ex septis Lapidibus construi jussit. Der Verfasser der Chronik sagt, daß er die Taten des Dekanes Richard von Dietensheim erzählen wolle und es ist aus den von ihm gebrauchten Worten zu
schließen, daß dieser den Neubau der Kirche nicht nur angesangen, sondern auch vollendet hat. Er ist nach der Chronik im Jahre 1278 gestorben. Die letzte in der
selben vorkommende Jahreszahl ist 1289. * Geschichte der bildenden Künste. 2. Auflage. Bd. 5, S. 445.
— 17 — Zu
derselben
Zeit
als die Liedfrauenkirche in Trier vollendet
war, als an der Elisabethkirche zu Marburg gebaut in Köln der Chor des Domes sich bereits
wurde, und
erhob, wurde im Osten
Deutschlands, an den großartigen Domen zu Bamberg und Naum burg noch
im romanischen Stile gebaut, und der gewaltige Turm
bau der Peter- und Paulskirche zu Görlitz, der bedeutendsten Kirche
in
Meißen und
gaitz
Schlesien,
wurde in demselben
erst
Stile
gegründet. Nicht viel später, als in Frankreich der gotische Stil anfing sich
auszubilden,
um die Scheide des zwölften und dreizehnten Jahr
hunderts, macht sich auch in Deutschland das Streben bemerkbar, die Formen des romanischen Stils zu verlaffen und aus ihnen etwas
neues herauszubilden. Es entsteht jene Bauweise, die treffend der Uebergangsstil
genannt wird, und die besonders am Niederrhein,
in den Diözesen Köln und Trier, angewendet worden ist. Aber noch
ehe es
gelungen war, sich völlig loszumachen von den überlieferten
Formen, hat der gotische Stil in Frankreich seine höchste Ausbil dung
erreicht. Die Kathedrale
Kölner
Dom, war
von Amiens, das Borbild für den
im Jahre 1247, mit Ausnahme der Türme,
fast vollendet. Und in den 50 Jahren, von 1220—1270, erfolgt dann in Deutschland die allgemeine Annahme dieses gotischen, oder richtiger
französischen Stils.
Es ist derselbe
Zug
unwiderstehliche
von dem einheimischen zu dem fremden, französischen* Wesen, der sich in Deutschland so oft gezeigt hat, der die Ritter trieb sich fran
zösische
Gebräuche und Sprache anzueignen und die Dichter, fran
zösische Gedichte zu übersetzen, und dessen Kraft ja noch immer nicht erschöpft ist.
Das Straßburger Münster zeigt die deutlichsten Spuren
dieser
allgemeinen Entwicklung des Baustiles, und da das Elsaß an Frank
reich grenzt, so hat die Gotik frühzeitig ihren Einzug gehalten.
* ES darf freilich nicht vergessen werden, daß im zwölften und dreizehnten Jahrhundert Nord-Frankreich nach Einrichtungen, Sitten und Gebräuchen dem westlichen Deutschland näher stand, als dem Süden Frankreichs.
— 18 — Nirgends in Deutschland,
vielleicht auch
in Frankreich, giebt" es
eine Kirche, an welcher besser zu beobachten wäre, wie der romani sich zum Uebergangsstil fortbildet,
sche Stil
wie an die Stelle der
schweren, massenhaften Gebilde feinere treten, als am Straßburger Münster, insbesondere am Querschiff desselben.
An dem oberen Teile der beiden Wände des Querschiffes, die nach dem Langhause zu liegen,
ist deutlich zu erkennen, daß der Bau
längere Zeit unterbrochen und worden
ist.
Aber es
nicht gleich
Querschiff
dann in anderen Formen fortgesetzt
wäre ganz unrichtig,
von Anfang
anzunehmen, daß das
an auf die jetzige Ausdehnung
berechnet war, denn gerade die beiden Portale gehören zu den älte
sten Teilen. Das nördliche,
dern in
welches jetzt nicht mehr in's Freie, son
den als Sakristei benutzten Vorbau des Laurentius-Portals
führt, ist wiederum älter als das südliche Doppel-Portal.
Von den
und Kuppelträgern sind drei gewaltige,
vier Gewölbe-
runde Säulen,
nur auf halber Höhe durch ein Band geziert, der
vierte aber ist der berühmte Engelpfeiler, ein eckiger Kem, an dem
vier stärkere und vier schwächere Dienste aufsteigen, und der in die ser Gliederung schon ganz dem gotischen Stile angehört. Die sämmt
lichen Gewölberippen sind im südlichen Arme des Querschiffes viel feiner, als im nördlichen, und die Dienste, welche an den Wänden
aufsteigen, werden nach dem ersten Drittel leichter, oder sie sind, wie der schwere Dienst an der Wand gegenüber der Uhr, einfach abge
brochen und darüber erscheint ganz unvermittelt eine andere, feinere Form.
Besonders lehrreich ist der verschiedene Stil der Fenster. Im süd lichen Arme
des Querschiffes, wo im übrigen
Formen zu
finden sind, befinden sich in der Wand, gegenüber der
Uhr, zwei
Leibung,
rundbogige Fenster mit tiefer, aber
wie
sterpaar ist
das älteste im
Dieses Fen
ganzen Münster, selbst älter
eine Fenster der Krypta und
1176.
ganz ungegliederter
sie dem romanischen Stile eigen sind.
es
zwölften Jahrhunderts, jedenfalls von
gerade die späteren
als das
stammt aus der ersten Hälfte des aus
der Zeit vor dem Brande
Die drei Fenster in der Apsis sind jünger als dieses
- 19 -
Fensterpaar,
aber älter als die Fenster des nördlichen Querschiffes,
welche zum Teil schon Formen des Uebergangsstiles zeigen und nicht
zu gleicher Zeit mit dm Wänden ausgeführt zu denen sie angebracht sind.
sein scheinen, in
Die übrigen Fenster des südlichen Quer
schiffes, außer den beiden erwähnten, sind die jüngsten und die bei einem runden Lichte
Paare Doppelfenster, mit
den
zwischen
den
Spitzen, in der Wand, an welcher die Uhr steht, bilden den unmit
telbaren Uebergang zu den gotischen Fenstern des Langschiffes.
Es
bedarf nur noch einer kleinen Verringerung des Zwischenraumes, und
aus dem, was noch eine Wand mit Fenstern genannt werden kann, ist
das
gotische
Maßwerk geworden, bei welchem für eine Wand
fläche überhaupt kein Platz mehr ist*.
Die Tür aber, welche unter
einem dieser jüngsten Fensterpaare in die Andreaskapelle führt, ge
hört wieder zu den ältesten Teilen des Querschiffes. Sie ist bedeu
tend
älter als
die beiden Portale und stammt wahrscheinlich noch
aus dem elften Jahrhundert.
Die Kapelle dagegen, in welche diese
Tür führt, ist ebenso wie die auf der anderen Seite der Apsis lie
gende Johanniskapelle, erst nach dem Brande von 1176 erbaut wor
den, die letztere sogar erst um 1200. Auch
die Formen,
welche an
den beiden Stirnseiten des Quer#
*Ein ganz ähnliches 'Fortschreiten des Stils läßt sich an den Blendbögen (Arkaturen nennen sie die Bauverständigen mit einem recht unschönen Fremd worte) beobachten, durch welche der untere Teil der Wand im Querschiffe, in den Seitenschiffen des Langhauses und im Turmhause gegliedert ist.
Ob die
Formen dieser Blendbögen in den vier westlichen Jochen des Langhauses älter
oder jünger sind, als die im dritten (von der Vierung aus gerechnet) dürste nicht leicht auszumachen sein. Woltmann sagt in seinem schon erwähnten Werke,
S. 116, 128 und 129, die Blendbögen in den vier westlichen Jochen hätten eine spätere Ueberarbeitung erfahren, aber diese so hingeworfene Bemerkung
wird wohl ebenso wenig Anspruch auf ernsthafte Widerlegung machen, wie die
weiteren, daß Erwin erst den Fenstern der Seitenschiffe die jetzige Breite ge geben habe (S.
129), daß die Krönungen der westlichen Strebepfeiler von
ihm herrühren (S. 128) und daß der früher vorhandene Lettner nicht zwischen den beiden westlichen Pfeilern der Vierung, sondern zwischen den Pfeilern des ersten Langhausjoches gestanden habe (S. 118).
— 20 — schiffes zu sehen sind, beweisen deutlich, daß dieselben nicht zu einer Zeit oder nach
einem Plane errichtet sind.
ältesten Formen und als die Wölbung
Die Portale zeigen die
sie scheinen beide schon fertig gewesen zu sein, erst beschloffen und damit die
des Querschiffes
Die
Errichtung von Strebepfeilern nötig wurde.
jetzt vorhandenen
Strebepfeiler, denen bei aller Maffenhaftigkeit doch die Oberbelastung
abgeht, beweisen gerade dadurch, daß sie zu einer Zeit erbaut wor den sind,
wo die beste Art, den Schub der Gewölbe auszufangen,
noch nicht genügend erkannt war. In ganz ähnlicher Weise finden sie sich am Nordportal des Münsters zu Basel.
Die beiden Rosen der nördlichen Stirnseite in Straßburg — Über
dem später vorgebauten Laurentius-Portal — erinnern an verwante
Formen in Worms, wohin auch die Eigentümlichkeit weist, daß die Apsis
nach Außen
gradlinig
geschlossen
ist.
Die Rosen über dem
südlichen Portal haben dagegen eine ausgesprochene Aehnlichkeit mit der Rose über dem Westportal von St. Thomas in Straßburg und
dieses ist etwa 1220 fertig geworden. Uebrigens zeigen beide Stirn seiten des
sehr deutlich die Mängel des
Straßburger Querschiffes
Uebergangsstils. Sie haben weder den Schwung des gotischen Stils, noch die ernste Großartigkeit des romanischen, wie sie an den Domen
zu Speier, Mainz und Bamberg so gewaltig wirkt.
So hat eine genaue Betrachtung des Querschiffes und des Chors bis in die Zeit von
etwa 1220 geführt,
also bis dahin, wo die
Gotik — der französische Stil — anfing sich in Deutschland zu ver breiten. Es ist natürlich, daß er zuerst in Bischofsstäten, wie Trier
und Köln, und in Fürstensitzen, wie Marburg Aufnahme fand, und daß dasselbe in Straßburg geschah,
und
im Westen
Deutschlands
ebenfalls Sitz eines Bischofes
gelegen.
Dem
entspricht, was am
Münster warzunehmen ist. Das Langhaus, welches im Jahre 1275
vollendet wurde, und dessen Beginn werden kann, ist in dem
reinsten
nicht wohl vor
1230 gesetzt
gotischen Stile erbaut, der die
Mitte hält zwischen der Kathedrale von Amiens und dem Dom von Köln. An dem Querschiff hat gewiß ein ganzes Jahrhundert gebaut und es sind mindestens vier Meister, welche ihre Pläne und Bau-
— 21 —
wkise daran ausgcführt haben, fortwährend suchend und doch nicht
zum Abschlüsse kommend.
Das Langschiff macht dagegen auf den
ersten Blick den Eindruck, daß es nach einem Plane und in einem dieser Eindruck hält auch vor der genauesten
Zuge gebaut ist, und Untersuchung Stand.
Es finden sich allerdings einzelne, nicht ganz
unbedeutende Unterschiede, sowohl von unten nach oben — die oberen Fenster (die des Mittelschiffes) sind außen mit Krabben besetzt, die
unteren (die der Seitenschiffe) nicht — als von Westen nach Osten, wo die Blendbögen an den Wänden der Seitenschiffe im fünften Joche andere Formen zeigen, als in den vier ersten und die Ecken
der Triforien der drei Joche, welche dem Querschiffe zunächst liegen, mit Figuren geschmückt sind, was bei den vier westlichen Jochen nicht der Fall ist. Diese Unterschiede sind aber keineswegs sy erheb
lich, daß sie durch die Annahme
einer Bauzeit selbst von nur 20
Jahren — und das würde für das dreizehnte Jahrhundert eine
ungewöhnlich kurze Zeit sein — nicht vollständig erklärt würden. Nachrichten über eine Unterbrechung des Bau's fehlen vollständig,
aber die Geschichte der Statt gäbe wohl Anhalt für die Annahme einer solchen Unterbrechung.
Die Regierungen der Bischöfe Berthold von Teck, 1223—1244, und Heinrich von Stahleck, 1244—1260, waren friedlich. Die Statt
nahm zu und gedieh, und
alle Verhältnisse lagen günstig für den
Bau der bischöflichen Kathedrale, Aber mit dem Bischof Walter von Geroldseck — einer Burg zwischen Lahr und Biberach
auf
dem
Schwarzwalde — der bis 1263 regierte, kam es zu jenem berühm ten Streite, in welchem die Bürger von Straßburg
am 8. März
1262 bei den Hausbergen über den Bischof und die mit ihm ver
bündeten Herren einen glänzenden Sieg erfochten und ihre völlige
Unabhängigkeit erkämpften. Jener Sieg, von dem Königshofen * sagt: „Also gewan dirre (dieser) krieg und strit ein ende, domitte
die bürgere ervohtent und erwurbent nutz und ere der stette und ihr selbes und ir nochkumen große friheit und selikeit". * Hegel, Bd. 9, S. 663.
— 22 — Seitdem hatte der Rat der Statt die Verwaltung des Kirchen
vermögens — das Frauenwerk —, die bisher die Domherren geführt
hatten, an sich gezogen
und von da
an wurden die Bauherren,
Pfleger und Schaffner, von ihm ernannt.
Auch ein Baumeister —
magister operis — erscheint nun, zwar nicht in den Chroniken,
denn die geben keine Namen von Werkmeistern und auch Erwin's Name wird in keiner Chronik bei den Nachrichten über den Münster bau genannt, aber in den Urkunden. Der Name dieses ersten Bau
meisters
ist Konrad Oleymann* und er
kommt
von 1261—1274
vor.
*Jn einem Nachtrag zu seiner Geschichte der deutschen Kunst im
Elsaß
(S. 321), behauptet Weltmann, daß der Baumeister des „frühgotischen" Lang hauses Heinrich Wegelin geheißen habe. In dem großen Buche, welches aus
der Zeit
von
mehr als
zwei Jahrhunderten
ungefähr 1250—1520, die
Namen aller Wohltäter des Frauenwerkes, auch mehrere Male den Erwins enthält und im Frauenhause verwahrt wird, kommen allerdings zwei Eintra gungen und zwar noch von der ersten Hand vor, welche einen Heinricus dictus Wehelin Werkmeister, magister operis, nennen und ihn als den Erbauer des Manen-Altars bezeichnen. Allein dieser Altar ist nicht der im Jahre 1252
geweihte Früh- (Früge-) Altar, wie Woltmann meint, sondern, wie aus einer Urkunde im Copial^-Buche des Frauenhauses von 1254 hervorgeht, ein anderer
in der Nähe des Früge-Altars befindlicher und in dieser Urkunde wird Wehelin
nur ei vis Argentinensis und vir honorabilis, nicht magister operis genannt, auch heißt es nur: Dei genitricis mariae suis altare sumptibus prope altare quod dicitur früge altar in remedium anime sue fecil construi et construxit.
Woltmann macht selbst darauf aufmerksam, daß die sämmtlich von einer
Hand gemachten ersten Eintragungen auf jeder Seite des Wohltäterbuches aus
einer gegen 70 Jahre späteren Zeit herrühren als die, zu welcher die betref fenden Schenkungen gemacht wurden. Es ist daher ganz natürlich, daß derje
nige, welcher nach einem anderen Buche oder aus Urkunden jene ersten Eintra
gungen machte, über die Stellung des Wehelinus nicht mehr genau unter richtet war. Daß Herr Woltmann bei der kurzen Zeit von etwa einer Woche, welche er der Durchforschung des Münsterarchivs widmen konnte, nicht im Stande gewesen ist, außer dem Wohltäterbuch auch alle Urkunden durchzusehen, ist ihm gewiß nicht zum Vorwurf zu machen. Bedauerlich ist nur, daß Be
hauptungen, die
auf
einer
ungenügenden Kenntniß der Tatsachen beruhen,
in einem Werk ausgesprochen werden, dessen Verfaffer einen bekannten Namen hat und welches eine weite Verbreitung finden wird.
— 23 —
Es ließe sich nun aus diesem Gang der Stattgeschichte folgern, daß
dis zum Jahre
1260 der eine Teil des Langhauses und von
1263—1275 der andere gebaut worden ist, und zwar die drei östlichen Joche zuletzt, denn sie zeigen in den vorerwähnten kleinen Verschieden
heiten etwas reichere Formen und diese sind im dreizehnten Jahr-
Hundert nach ziemlich feststehender Regel die späteren.
Es ließe sich
eine solche Behauptung so schön ausschmücken, wie nur irgend eine in der Kunstgeschichte, aber es soll dies nicht versucht werden, und aus
gutem Grunde.
Denn bei der weiteren Durchforschung des Archives
int Frauenhause * könnte irgend eine bisher unbekannte Urkunde ge
funden werden, in
welcher mit dürren Worten zu lesen wäre, daß
es eben doch anders gewesen, und daß wirklich die, auf ihre eben
erkämpfte Freiheit stolze Statt das ganze Langschiff in der für das
dreizehnte Jahrhundert außerordentlich
erbaut hat.
kurzen Zeit von 12 Jahren
Daß der Plan dazu nach französischen Vorbildern ent
worfen ist, sei es von einem Franzosen selbst oder von einem Deut
schen, der in den Bauhütten von Nord-Frankreich sich als Baumei
ster gebildet hatte, darüber kann nach allem, was über die Entwick lung der deutschen Baukunst bekannt ist, kein Zweifel sein.
Am
verwantesten ist das Straßburger Langschiff, wie schon bemerkt, dem
der Kathedrale von Amiens und es übertrifft dasselbe in dem schönen Ebenmaße des Verhältniffes zwischen Breite und Höhe, was aber, wie
auch
schon angedeutet, wahrscheinlich nicht das Verdienst des
Erbauers ist.
So ist die Zeit bis
1275
erfüllt und man muß, um weitere
Nachrichten zu erhalten, wiederum zu Königshofen zurückkehren, wel
cher erzählt, daß über zwei Jahr am Sankt-Urbanstage — also am
*So wird das Haris mit beit beiden Giebeln genannt, welches neben dem Schloß, dem Münster gegenüber liegt.
Es dient der Verwaltung des Vermö
gens der der Jungfrau Maria geweihten Kirche zum Sitze, und ist nicht nur seiner Bauart, namentlich einer herrlichen Treppe wegen, eines Besuches wert,
sondern enthält auch eine große Anzahl von Abgüffen und anderen Gegen
ständen, die aus das Münster Bezug haben.
— 24 —
25. Mai 1277 — mit dem Bau der Türme begonnen worden sei. Dies ist der Teil des Münsters, an welchen sich
der Name Erwin's knüpft.
Er wird
zwar
am beharrlichsten
in keiner gleichzeitigen
Schrift oder Urkunde mit dem Münsterbau in Verbindung gebracht und auf den im Frauenhause
verwahrten Plänen, die ein günstiges
Geschick erhalten hat, ist sein Name noch nicht entdeckt worden. Aber es sind, wenigstens bis jetzt, keine entscheidenden Gründe gegen die
Richtigkeit der Ueberlieferung gefunden worden. Das Bedenken, wel ches sich
dem für jene Zeit sehr jugendlichen Alter —
ergiebt aus
da Erwin erst 41 Jahre nach dem Beginn des Turmbaus gestorben
ist, so könnte er nur ihm ein so
wenig über 30 Jahre alt gewesen sein, als
bedeutendes Werk übertragen wurde — dieses Bedenken
ist nicht durchschlagend genug, um die allgeniein angenommene Ueber
lieferung zu verwerfen. Mag Erwin aber schon in
so jungen Jahren den Plan zu dem
Turmbau entworfen haben, oder hat er es erst später getan, er ist
in jeden» Falle ein hochbegabter Mensch
gewesen.
Das zeigt sein
Werk, über dessen Schönheit ja keine Meinungsverschiedenheit herrscht.
Die maßvolle Beschränkung, welche sich sein Vorgänger von den vor handenen Teilen
des Münsters auferlegen ließ,
hat Erwin jedoch
nicht mehr eingehalten. Die unteren zwei Stockwerke des Turmbau's mit der Rose — die
beiden
einzigen, welche nach dem Plane Er
win's ausgeführt sind — sind höher angelegt, als das Mittelschiff des Langhauses, obgleich bauliche Gründe dazu nicht vorlagen.
In
Folge dessen ragt das innere Gewölbe des Turmhauses beträchtlich
über das
des Mittelschiffes hinaus; die Rose wird, vom Chor aus
gesehen, schon teilweise von dem letzten Quergurt des Gewölbes ver
deckt, und obgleich sie in demselben Stile erbaut sind, paffen Turm
bau und Langhaus
weniger
gut zusammen, als
dieses
mit dem
romanischen Querschiff und Chor.
Auch in dem Aeußeren zeigt sich
etwas, von dem die Griechen
gesagt haben würden, daß es das Maß überschritte. Erwin hat vor die Wände, welche er nicht durchbrechen konnte, weil sie die Türme
zu tragen haben, Stabwerk gelegt, das eine Anlage
für sich bildet.
— 25 — und
das so fein gegliedert ist, daß es, um zusammenzuhalten, mit
Eisen gebunden werden mußte.
Dieses Bauen mit Stein und doch
gegen die Natur des Steines,
ist
eben das Uebermaß,
welches die
Griechen tadeln würden, und welchem auch manche Neuere den un bedingten Beifall versagt haben.
vollendet schön troffenes
und die
Meisterwerk,
Alle Einzelformen sind zwar noch
Gliederung
aber
eS
des Ganzen
kündigt
sich
ist ein unüber
bereits
die Neigung
zum Übertreiben an, welche den gotischen Stil so schnell verdorben
hat. Auch für dieses Meisterwerk des gotischen Stils muß das Vorbild
in Frankreich gesucht werden, aber nicht in Amiens. Bei der Kathe
drale dieser Statt und bei der von Rheims, deren Portalbauten für die reichsten in ganz Frankreich gelten, sind die drei Portale, welche den Schiffen des Langhauses entsprechen, entweder vor die Strebe pfeiler der Türme gesetzt, oder mit diesen verbunden. Dadurch ent
stehen nicht nur unruhige Linien, sondern der Beschauer erhält auch den Eindruck, als wären die drei Portale ein besonderer Teil des
Gebäudes für sich. Das Aussehen desselben entspricht also nicht der Wirklichkeit. Erwin hat in Straßburg diesen Fehler mit außerordent
lichem Geschick vermieden.
Er
hat die Strebepfeiler
so angeordnet
und so weit hervortreten lassen, daß die Portale zwischen ihnen Platz haben und
so entstehen klare und
doch
ununterbrochen
aufwärts
strebende Linien. Wenn aber nicht in Amiens und Rheims, wo ist dann das Vor
bild zu suchen?
Höchst wahrscheinlich an Notre-Dame zu Paris und
an der alten Abtei-Kirche von St. Denis, bei deren Bau die ersten
Anfänge des gotischen
Stils sich
entwickelt haben.
Beide Kirchen
zeigen dieselbe klare Gliederung der Turmanlage, welche in Straßburg
zu finden ist, und die gleiche Anordnung der Portale.
Für die An
nahme, daß jene Kirchen das Vorbild für das Turmhaus des Mün sters
abgegeben
haben,
läßt sich noch
ein besonderer Grund
an
führen.
Die spätromanischen und alle gotischen Kirchen verlangen für ihre Portale und die zahllosen Blenden und Streben eine außerordentlich
— 26 — große Zahl von Bildwerken.
Die Gegenstände dazu wurden aus der
biblischen Geschichte genommen und würfe
besonders beliebt.
sehr bald wurden einzelne Vor
Auch ist das Mittelalter hinsichtlich
der
Nachahmung von Kunstwerken sehr viel unbefangener als die neuere
Zeit, und
ein Steinmetz ahmte ohne weiteres die Erfindungen des
anderen, eine Bauhütte die Bildwerke der anderen nach. Einer be sonderen Beliebtheit erfreute sich z. B. die Geschichte von den weisen
und törichten Jungfrauen, schon deshalb, weil sie sehr viele Figuren lieferte.
Diese Jungfrauen haben für das
südliche Nebenportal des
Münsters die Bildwerke geliefert und sie sind in ganz gleicher Weise
am Freiburger und Baseler Münster zu finden.
Bei dem ersteren wie
derholt sich sogar eine ganz besondere Einzelheit. Wenn man am Münster vor das Portal
zunächst liegt, so
hat man rechts
tritt, welches
der Post
die weisen Jungfrauen mit dem
Bräutigam — der, es läßt sich nicht läugnen, einen etwas trübseligen
Eindruck macht — und
links
die törichten Jungfrauen, mit einem
Manne, der die weltliche Anschauung
— die Frau Welt, wie
im
dreizehnten Jahrhundert gesagt wurde, — versinnbildlichen soll. Der selbe ist dargestellt als stattlicher Edelmann mit feinen Kleidern;
hält in der rechten Hand einen Apfel
und
sein Gesicht
zeigt
er
die
größte Freundlichkeit. Auf seinem Rücken aber wimmelt es von Krö ten, Schlangen und allerlei Ungeziefer,
als Zeichen, daß die Welt
und ihre Freuden zwar äußerlich schön und glänzend sind, inwendig
aber voll Gift und Verderben.
Dieses Gleichniß ist im Mittelalter
sehr beliebt und wird auch von den Dichtern sehr viel gebraucht. betreffende Figur findet sich denn am-Freiburger Münster
Die
ebenfalls
und so genau wieder, daß man die Sttaßburger für eine Nachah mung der dortigen halten möchte, oder umgekehrt. Eine ganz ähnliche Wiederholung weist nun
Notre-Dame zu Paris und nach St. Denis.
von Straßburg auf
An den Pfeilern eben
desselben Portales, auf welchen jene Jungfrauen mit dem Bräutigam
und dem Weltmann stehen, sind die Zeichen
des Tierkreises ange
bracht, und bei jedem ist ein Bild, welches eine Verrichtung der be treffenden Jahreszeit darstellt.
Das
Ganze
von vorzüglicher Arbeit
— 27 — und sehr einer genauen Betrachtung wert.
Ein solcher Tierkreis mit
fast genau denselben Sinnbildern, z. B. dem Manne der am Feuer seine Schuhe trocknet bei dem Zeichen der Fische, also im Februar und März wenn es taut, findet sich nun an einem Portale von Notre»
Dame und an einem von St. Denis.
Dieser besondere Umstand be
weist mehr, als es vielleicht scheint, daß Erwin seine Ausbildung an
der Bauhütte zu Paris erhalten hat.
Mehrere Pläne zu dem Turmbau werden, wie gesagt, noch im Frauenhause verwahrt und es die ursprünglichen sind.
geworden.
heute
ist höchst wahrscheinlich, daß sie
Ueber diese Pläne ist nur wenig
bekannt
Diejenigen, welche bis jetzt über das Münster geschrieben
haben, hatten offenbar nicht die nötige Zeit, um sie einigermaßen zu durchforschen, und derjenige, welcher sie gewiß genau kennt — der
Dombaumeister Klotz — hat nichts darüber veröffentlicht.
Für daS
auf Veranlassung des Ober-Präsidenten erscheinende Werk, dessen schon einmal gedacht ist,
werden sie jetzt durchforscht.
Die Untersuchung
ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber das steht schon fest, daß auch einem so hochbegabten Menschen, wie Erwin gewesen ist,
nicht auf
den ersten Wurf der Plan zu seinem viel bewunderten Meisterwerke gelungen ist.
Es sind Zeichnungen und Pläne
vorhanden, welche
klar dartun, daß auch Erwin wiederholt vergebliche Versuche machen
mußte, ehe es ihm gelang,
die Maße und Verhältnisse zu finden,
welche jetzt das Auge entzücken.
Ganz besonders erwähnenswert ist aber, daß sich ein älterer Plan für daS Turmhaus erhalten hat, welcher nicht allein im Stil,
son
in den Maßen genau an das Langschiff anschließt
und
dern auch
offenbar nicht von Erwin herrührt.
In den Nachrichten über den Bau des Münsters tritt nach 1277 wiederum eine lange Pause von fast 90 Jahren, bis 1365, ein, und wäre sonst nichts überliefert,
so
Phantasie auch noch so lebhaft,
würde niemand, und wäre seine auf den Gedanken kommen, einen
Anteil an dem Langhause oder gar an den, im romanischen und Ueber-
gangsstile erbauten Teilen des
Münsters
einem Meister zuzuschrei
ben, der, wie Erwin, bei dem Turmhause gezeigt hat, daß er in
— 28 —
anderen Formen baut und zwar in feineren und
entwickelteren als
sie das Langschiff zeigt, und daß es nicht seine Art ist, sich an die einen Plan verwarf,
gegebenen Maße zu binden, der
welcher sich
den gegebenen Verhältnissen anpaßte und einen andern an die Stelle
setzte, welcher ohne Not den vorhandenen Maßen
widerstrebt.
Es
würde jeder Versuch, eine solche Behauptung aufzustellen, überall zu
rückgewiesen werden mit dem einfachen Hinweis, daß aus der Zeit des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts kein Fall bekannt ist, daß ein Baumeister nicht in dem Stil seiner eigenen, sondern in dem einer vergangenen Zeit
habe, und daß im Gegenteil
gebaut
eine
außerordentlich große Zahl von Kirchen aus jener Zeit beweist, daß
geschichtlicher Sinn — wie wir es nennen — dem Mittelalter völlig abging, und daß,
unbekümmert um die Gesammtwirkung, jede Zeit
an demselben Bauwerk in ihrem eigenen Stile gebaut hat. Unglück
Zum
aber
für
die
Kunstgeschichte
ist
die
Nachricht
von einem großen Brande überliefert, welcher am 15. August 1298
Straßburg verwüstete und auch das Münster ergriff.
Da
von der Auslegung der betreffenden Chronikstellen die Ent
scheidung der Frage abhängt,
ob
es in Folge jenes Brandes
für
Erwin an dem Langhause und dem Querschiff überhaupt etwas zu bauen gab,
so muß genauer auf diese Stellen eingegangen werden.
Ueberdies sind dieselben noch in anderer Beziehung für die Beurtei
lung und Kenntniß des Münsters wesentlich, als für die Entscheidung
jener Streitfrage.
An und für sich ist dieselbe ja nicht
so wichtig,
als daß sie die eigentlichen Kunstliebhaber nicht unter sich ausmachen könnten.
Außer einer ganz kurzen Bemerkung in den Kolmarer Annalen ist eine ausführliche und
gleichzeitige Nachricht
über jenen großen
Brand überliefert in der Chronik des Ellenhard. Dieser war ein an
gesehener Bürger von Straßburg, längere Zeit Pfleger des Münsters,
in dessen Nähe er wohnte, und er hat eine Chronik in lateinischer Sprache schreiben lassen, welche bis zum Februar 1299, also 6 Mo
nate nach jenem Brande, reicht. gesagt:
An der betreffenden Stelle wird
— 29 — „Das Feuer habe auch die edle Kirche von Straßburg er
griffen und dieselbe
Glocken, Orgeln
im Innern kirchlichen
und
die Werkstätten in Asche
verzehrt.
Es
seien
auch die
Gewänder verbrannt, sowie
verwandelt,
daß die Wände und
so
Dächer der Mauern den Einsturz drohten*." Abgesehen davon, daß die letzten Worte sich
nur
auf die Werk
stätten und nicht auf die Kirche beziehen können, wird überhaupt nicht gesagt, daß die Mauern in der Tat eingestürzt seien, und außerdem ist die ganze Stelle unter dem ersten Eindruck geschrieben, große Unglück machte.
den das
Daß der gefürchtete Einsturz wirklich erfolgt
sei, davon findet sich bei Ellenhard nichts. Die Chroniken von Klosener und Königshofen, von denen der eine etwa 60, der andere gegen 80 Jahre nach Ellenhard schrieb, erwähnen
jenes großen Feuers
auch.
Beide
erzählen,
daß das Münster
ge
brannt habe, aber keiner von beiden sagt, daß es eingestürzt oder daß
ein größerer Neubau nötig geworden sei und doch schrieben beide nicht
so
lange Zeit
hätte unbekannt
nach
dem Brande, daß ihnen
bleiben können.
wieder so bezeichnend, daß sie
Die
ein solches Ereigniß
Stelle bei Königshofen ist
ganz mitgeteilt zu werden
verdient;
sie zeigt, daß sich bereits eine Sage über die Ursache des Unglücks
und
seinen
Verlauf gebildet
hatte. Es werden Dinge erzählt
von
denen der Zeitgenosse Ellenhard nichts weiß.
* Die Stelle bei Ellenhard lautet: «Anno Domini ut supra (1298) festo assumptionis beate Virginia hota matti* tina, cum jam quatuor essent lecte lectiones, ignis invaluit iuxta locum, qui dicitur die Schnipse, in domo, que dicitur der Stempfin hus, qui consumpsit totum illum vicum, vicum sutorum ex utraque parte (jetzt Korduangasse). Ex illo igne incensa fuit nobilis ecclesia Argentinensis et consumpta fuit penitus morsu ignis, qui non solum ipsam consumpsit ecclesiam, sed campanas, organa et ornatus ecclesie devoravit, imo etiam remotas in cinerem redegit oslicinas in tantum, quod parietes et testudines murorum ruinam minabantur.» Mon. Germ. SS. XVII, p. 139.
— 30 Der Brand ist nach Königshofen der fünfte und es heißt bei ihm
also: „Zum fünften mole braute es gar schedeliche mit 355 hüsern die umb das Münster stundent und geschach das also, do men zalte noch gotz gebürte 1298 jor, an unser frowen tage der
eren was Herzoge Obreht von Oesterich über naht zu Stras burg gelegen mit einte grossen Volke, man er striten wolle mit künig Adolf von Naßowe umb das römesche rich, also er auch bet. und do der Herzoge des morgens früge an unser frowen
tage der eren enweg us der stat für mit firne Volke, do hettent die stalknehte das lieht in einte stalle nüt wol versorget oder gelöschen: also ging ein hus ane in dem ftonhofe zu bürnende und brante das gantze ende in dem fronhofe (jetzt Schloßplatz)
abe und die Kurdewangafse. und von demselbm füre ging ane das seyl das von der winden am Münster herabe in den fron«
Hof dozumale hing, und drug das fehl, das für hynuf untz
(bis) in die winde und in das Münster, das tzaz Münster ane« ging und brante
gar schedeliche.
do verbrantent die
glocken
und die orgeln und die dach und was do obewendig der
geweilbe was und vil andere gezierde indewendig des Mün sters und von der Hitze sprungent vil stücke us von den steynen
und von den sülen in dem Münster." An einer anderen Stelle (S. 752 a. a. O.) heißt es:
„und von bis ent brande (als die 355 Häuser verbrannten) ging das Münster ouch ane, und verbrantent die glocken und orgeln also davor bi des Münsters brenden ist gefeit." In diesen Stellen ist der Brand von 1298 so geschildert, daß an
eine Zerstörung oder erhebliche Beschädigung der Kirche gar nicht zu
denken ist, und es ist dies bei einem Gebäude, welches nur aus Stein besteht, ganz natürlich. Bei der Belagerung von 1870 ist das schwere
Holzdach, welches nach dem Brande von 1759 errichtet worden war,
ebenfalls abgebrannt, aber die aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammenden Gewölbe sind 1870 so wenig beschädigt worden, wie 1759.
- 31 — Weshalb sollten im Jahre 1298 die Gewölbe
weniger widerstandst
fähig gewesen sein, die vor erst 23 Jahren vollendet worden waren?
Daß damals die Orgel und einiges Holzwerk im Innern der Kirche eben falls verbrannt ist, kann unmöglich den Mauern und Gewölben so ver
derblich geworden sein, daß sie eingestürzt wären oder daß ihre Abtragung notwendig geworden wäre. Crgiebt sich also aus einer genauen Prüfung der geschichtlichen Ueber
lieferung, daß der Brand von 1298 das Münster, mit Ausnahme der Türme, gar nicht so beschädigt hat, daß ein Neubau nötig gewesen wäre,
so fällt auch jeder Grund fort für eine Tätigkeit Erwins am Langhause
oder gar an dem Querschiffe. Und jene mit so großer Sicherheit auf gestellte Behauptung erweist sich als völlig haltlos.
Dies schließt aber
nicht aus, daß von den Bildhauerarbeiten im Langhause manche erst unter Erwin ausgeführt sein mögen. Namentlich an den Triforien der drei östlichen Joche des Langschiffes sind die Kapitelle sehr viel feiner
ausgeführt, als in den vier anderen Jochen und die Annahme, daß diese
Arbeiten erst nach dem Brande von 1298 ausgeführt worden seien, würde sehr gut stimmen zu der Schlußbemerkung Königshofens von den gesprungenen Gezierden und Steinen inwendig im Münster.
Die Stelle Königshofens verdient aber noch aus einem anderen
Grunde eine nähere Betrachtung. Die alten Chronisten haben leider nicht die Gewohnheit, ihre Mitteilungen auf das zu richten, was für uns gerade wissenswert ist : wie man zu ihrer Zeit lebte, aß, trank, wohnte.
Und sich vergnügte, in welchen Formen Handel und Verkehr sich bewegten Und was für schön oder gut, was für schlecht oder häßlich gehalten wurde. Statt solcher Nachrichten, die von dem größten Werte sein würden,
nehmen in den Chroniken des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts, und auch bei Königshofen fabelhafte Papst- und Kirchengeschichten den größten Raum* ein, und was dabei vorgebracht wird, ist so krauses.
"Auch in den S. 10 erwähnten Gedichten des Ernoldus Nipellus, welche meh
rere tausend Verse enthalten, findet sich verhältnißmäßig nicht viel, das für die Zustände des neunten Jahrhunderts von Bedeutung wäre. Einige Verse —in dem
Gedichte zum Lobe des „glorreichsten Königs Pippin" — sind aber so bezeichnend,
— 32 —
verworrenes Zeug, daß es auch dem ernstesten Forscher schon manches
Lächeln abgenötigt haben dürfte. Dabei schreibt immer einer den andern
ab, und dieselben Fabeln, welche ein Troppauer Mönch — Martinus Polonus — zusammen geschrieben hat, finden sich
bei Königshofen
wieder. Um so willkommener ist eine Nachricht, welche, wie die über
den Brand von 1298, einen Einblick in die Verhältniffe des damaligen Lebens gewährt.
Nicht weniger als 355 Häuser der Statt sind damals verbrannt und
sowohl Königshofen, wie sein Vorgänger Klosener erzählen, daß dieses große Unglück die Ursache
war zu dem Verbote,
an den Häusern
mehr als einen Ueberhang auf die Straße zu machen. Klosener* setzt
daß sie hier mitgeteilt werden mögen, obgleich sie auf die Baugeschichte des Mün
sters keinen Bezug haben. In jenem Gedichte halten der Rhein und das Vogesen-
Gebirge ein Zwiegespräch. Das Letztere beklagt sich, daß der Rhein alle Erzeugnisse von Wald und Feld außer Landes führe und der Rhein antwortet:
V. 115 omnia si populus proprios misisset ih usus, quae, Helisacci, tuus gignit amönus ager, gens animosa armis vinoque sepulta jaceret . vix in tarn magna urbe maneret homo. Auf Deutsch:
wenn zum eigenen Gebrauch das Volk verwendete alles, was dein Gefilde erzeugt, Elsaß du herrliches Land,
läge das zornmüt'ge Volk von Waffen und Weine begraben, kaum in so großer Statt bliebe ein einziger Mensch.
Noch heute, nach Verlauf von mehr als 1000 Jahren, ist int Elsaß die Wahrnehmung zu machen, daß die Todschläge sich in beunruhigender Weise ver mehren, wenn der neue Wein gut geraten ist. * Die Stelle bei Klosener lautet:
„Es brantent ouch die Kreme vor sant Martin (eine im Jahre 1527 abgebrochene
Kirche, an deren Stelle das neue Rathaus erbaut wurde, das jetzt der Handels kammer gehörige Gebäude am Gutenbergsplatz) und die douchlaube vor dem munster. die huser, die do brantent, der woren 355. donoch verböte man: wer do
buwen wolle, der solle keinen Überhang machen, wand einen, und mäht ein
benemde dran, wie lang er solle fin. des mäht man ein Zeichen an die mure us der grete. wände vormols mahl ieder man an sin hus alse mangen Überhang ube? enander, als er wolte, und sü ouch alse lang als er wolle herus gonde."
Hegel, Chroniken der deutschen Stäte, Bd. 8, S. 95.
— 33 — hinzu, daß die Größe dieses Ueberhanges festgesetzt und daß am Mün
ster, — an die Mauer „uf der Grete" — ein Zeichen eingehauen worden sei, als Maß, wie groß der Ueberhang künftig nur sein dürste. Das Wort Grete ist eine Verderbung aus dem lateinischen Worte gradus,
welches Stufen bedeutet und es ist damit der Platz vor dem südlichen Arme des Querschiffes gemeint, wo noch jetzt mehrere Stufen zu dem
Doppelportal hinaufführen. Dort, an der Mauer, an welche ein Gebäude
des'Lyceums stößt und welche zu dem alten Bruderhof gehört hat, ist heute noch das Zeichen und die Inschrift zu sehen. Die letztere lautet: „DIS IST DI MAZC DES VBERHANGES“ und ist wahrscheinlich
die älteste Steininschrift am Münster, welche
deutsch abgefaßt ist; da die Ueberhänge im Jahre 1352* ganz verboten wurden, so muß sie vor diesem Jahre verfertigt sein. An der unbehol
fenen Schreibart ist leicht zu erkennen, daß der Steinmetz ein solches
Werk nicht gewöhnt war. Die besondere Bedeutung jener Stelle Königshofen's liegt aber nicht
in ihrer Beziehung zu dieser Inschrift. Wir sind sehr geneigt uns von den Zuständen im Mittelalter ein
falsches Bild zu machen, namentlich sie für großartiger zu halten, als
sie gewesen sind.
In Bezug aus die Volksmenge und die wirtschaftliche
Bedeutung Straßburg's im dreizehnten und fünfzehnten Jahrhundert
hat Profeffor Schmoller in seinen beiden Antrittsreden** als Rektor der Universität diesen übertriebenen Vorstellungen zwar ein Ende gemacht.
* Nachdem Klosener von einem neuen großen Brande berichtet hat, der am 4. Oktober 1352 ungefähr denselben Statteil betraf, sagt er: „Donoch verbot man, daz meman keinen Überhang me machen sol über die atmende." Hegel, Bd. 8, S. 96. Klosener hat jenen Brand selbst erlebt, denn er sagt am Schluß seiner Chronik: „Do man zalt 1362 jor, do kam ein erwidern zu Strasburg an dem 9 tage noch saut Peters dag zu sungihten, und was daz des morgens do man nieltm zu dem Münster hette gesungen in der tagemesse. des selben tages wart auch dis buch vollebroht von Fritschen Closener eime Priester zu Strasburg. ** Im Druck erschienen bei Trübner in Straßburg.
— 33 — hinzu, daß die Größe dieses Ueberhanges festgesetzt und daß am Mün
ster, — an die Mauer „uf der Grete" — ein Zeichen eingehauen worden sei, als Maß, wie groß der Ueberhang künftig nur sein dürste. Das Wort Grete ist eine Verderbung aus dem lateinischen Worte gradus,
welches Stufen bedeutet und es ist damit der Platz vor dem südlichen Arme des Querschiffes gemeint, wo noch jetzt mehrere Stufen zu dem
Doppelportal hinaufführen. Dort, an der Mauer, an welche ein Gebäude
des'Lyceums stößt und welche zu dem alten Bruderhof gehört hat, ist heute noch das Zeichen und die Inschrift zu sehen. Die letztere lautet: „DIS IST DI MAZC DES VBERHANGES“ und ist wahrscheinlich
die älteste Steininschrift am Münster, welche
deutsch abgefaßt ist; da die Ueberhänge im Jahre 1352* ganz verboten wurden, so muß sie vor diesem Jahre verfertigt sein. An der unbehol
fenen Schreibart ist leicht zu erkennen, daß der Steinmetz ein solches
Werk nicht gewöhnt war. Die besondere Bedeutung jener Stelle Königshofen's liegt aber nicht
in ihrer Beziehung zu dieser Inschrift. Wir sind sehr geneigt uns von den Zuständen im Mittelalter ein
falsches Bild zu machen, namentlich sie für großartiger zu halten, als
sie gewesen sind.
In Bezug aus die Volksmenge und die wirtschaftliche
Bedeutung Straßburg's im dreizehnten und fünfzehnten Jahrhundert
hat Profeffor Schmoller in seinen beiden Antrittsreden** als Rektor der Universität diesen übertriebenen Vorstellungen zwar ein Ende gemacht.
* Nachdem Klosener von einem neuen großen Brande berichtet hat, der am 4. Oktober 1352 ungefähr denselben Statteil betraf, sagt er: „Donoch verbot man, daz meman keinen Überhang me machen sol über die atmende." Hegel, Bd. 8, S. 96. Klosener hat jenen Brand selbst erlebt, denn er sagt am Schluß seiner Chronik: „Do man zalt 1362 jor, do kam ein erwidern zu Strasburg an dem 9 tage noch saut Peters dag zu sungihten, und was daz des morgens do man nieltm zu dem Münster hette gesungen in der tagemesse. des selben tages wart auch dis buch vollebroht von Fritschen Closener eime Priester zu Strasburg. ** Im Druck erschienen bei Trübner in Straßburg.
- 34 —
aber es bleibt noch immer die Frage, welches Aussehen die Statt in jenen Zeiten eigentlich gehabt hat.
Mit Ausnahme der Kirchen stammen fast alle mittelalterlichen Ge
bäude, die erhalten sind, aus der zweiten Hälfte des vierzehnten, und aus dem fun^ehnten Jahrhundert. Nur in Regensburg sind noch einige
Streittürme, in Trier einige Häuser aus früherer Zeit erhalten. Daher wird häufig an die mittelalterlichen Bauten von vor 1350 ein zu großer
Maßstab angelegt, und namentlich zu leicht vergessen, daß bis dahin so gut wie ausschließlich in Holz gebaut wurde. In Frankfurt steht ein Haus, welches noch jetzt das „steinerne" Haus genannt wird, und das
selbe ist in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts erbaut. Einen ähnlichen Fingerzeig wie diese Benennung gewähren Ellen-
hard's und Königshofen's Nachrichten über den Brand von 1298. Wenn die Ausbreitung desselben — nach den Namen der Gassen — so groß
als möglich angenommen wird, so umfaßt die Brandstätte den Teil der Statt zwischen Münster und altem Fischmarkt, große Metzig und Spieß gasse. Jezt stehen in diesem Statteile kaum 200 Häuser mit eigenen
Nummern und mehr als 40 sind nicht zu rechnen für die im Jahre 1298
größere Bebauung des Schloßplatzes, des früheren Frohnhofes. Auch ge
hören mehrere Straßen, z. B. Spital- und Korduangaffe, noch heute
zu den engbebautesten Teilen der Statt. Im Jahre 1298 aber haben auf jenem Raume nicht weniger als 355 Häuser gestanden und ihre Ueber«
hänge bedeckten fast die Straße, so daß der Verbreitung des Feuers nicht Einhalt zu tun war.
Die mächtigen Dome, welche das Mittelalter gebaut, machen noch
heute einen überaus großartigen Eindruck und erfüllen mit Bewunderung für die Macht der religiösen Ueberzeugung in jener Zeit. Wie viel gewal tiger aber müssen sie denen erschienen sein, welche sie aus der Mitte von
Gebäuden aufragen sahen, die wir nur für Hütten ansehen würden. Vielleicht ist dem Leser aufgefallen, daß der Name „Erwin" stets genannt worden ist ohne den Zusatz „von Steinbach", obgleich in allen Büchern, — von den Reisehandbüchern bis zu der neuesten Geschichte
der deutschen Kunst im Elsaß — stets und ohne alles Bedenken -Erwin „von Steinbach" genannt wird,
und ihm in dem badischen Dorfe
— 35 —
Steinbach sogar ein Denkmal gesetzt worden ist. Der Grund ist daß dieser Name durch nichts verbürgt ist, daß im Gegenteil alles, was über Erwin erhalten ist, gegen diesen Zunamen spricht. Es ist der Mühe wert darauf näher einzugehen. Viele Angaben, die in der Kunst
geschichte von einem Buche in das andere übergehen, sind nicht besser beglaubigt.
Erwins Name kommt vor in seiner eigenen Grabschrist, der seiner Frau und eines im Jahre 1339 gestorbenen Sohnes oder Enkels,
Johannes. Diese Grabschristen befinden sich alle an einem äußeren Strebepfeiler der Johannes-Kapelle in dem sogenannten Leichenhöfel*.
Erwin's Name kommt ferner vor, auf den im Frauenhause ver wahrten Bruchstücken der von ihm erbauten, jetzt nicht mehr vorhan
denen Marien-Kapelle, auf dem Grabsteine seines im Jahre 1329 oder
1330 gestorbenen Sohnes, der Werkmeister an der Kirche zu
Haßlach in den Vogesen war, und in mehreren Eintragungen des im Frauenhause verwahrten, sogenannten Donationenbuches, in welchem
alle verzeichnet wurden, die dem Frauenwerk etwas zuwanten. Der
* Die Stelle ist nur mit Hülse der Münsterpsörtner zu finden. Nach dem Brande von 1759 und wahrscheinlich in Folge des Bau's des großen Seminars
war die Stelle der Grabschriften völlig in Vergessenheit geraten, und Göthe
suchte bekanntlich vergebens nach ihnen. Erst Boisseree und der Straßburger Moritz Engelhard sanden sie im Jahre 1816 hinter einem Haufen von Unrat und Kohlen wieder auf (Schneegans, Epitaphe d'Erwin de Steinbach, Revue
d’Alsace, 1852, S. 7). Ein Gips-Abguß der Grabschriften ist jetzt im Frauen
hause aufgestellt.
Die Grabschristen, welche an dem unteren Teile des Strebepfeilers eine unter der anderen, ohne Zwischenraum, die beiden ersten auch ohne Unterbrechung der
Zeilen, eingehauen sind (wahrscheinlich aber nur die beiden ersten von einer Hand), lauten (unter Auflösung der Abkürzungen):
ANNO DOMINI MCCCXVI XII KALENDAS AUGUSTI (21. Julis OBIIT DOMINA HÜSA UXOR MAGISTRI ERWINI f ANNO DOMINI MCCCXVIIl XVI KALENDAS FEBRUAR» (17. Januars OBIIT MAGISTER ERWINUS GUBERNATOR FABRICE EGCLESIE ARGENTINENSIS. T. ANNO DOMINI MCCCXXXV1III XV KALENDAS APPRILIS (18. März) OBIIT MAGISTER JOHANNES FILIUS ERWINI MAGISTRI OPERIS HUJUS EGCLESIE.
— 36 —
Name wird endlich noch
einige Male in Urkunden und Verhand
lungen genannt, die aber sämmtlich nach Erwin's Todestag — dem
17. Januar 1318 — ausgenommen sind.
In allen diesen Grab-
und Stein-Inschriften, in allen Urkunden und Vermerken
ist
nie
etwas anderes zu finden, als:
magister Erwinus, Meister Erwin. In» vierzehnten Jahrhundert war es aber schon längst Sitte geworden, Zunamen zu führen und dieselben werden auch ganz allgemein in
Urkunden und Inschriften
dem
Rufnamen zugesetzt. Schon 1261
kommt ein Werkmeister am Münster vor, Konrad genannt Oleymann, und an der Kirche selbst, da wo die kleinen Türen aus dem nörd
lichen Seitenschiffe führen, findet sich eine Grabschrift aus der Zeit von 1327—1338, von Mutter, Sohn und Schwiegertochter und
bei allen drei wird hinzugesetzt: genannt Russer oder Rufferin. Hätte Erwin also wirklich von Steinbach geheißen, so ist gar nicht abzusehen
weshalb gegen die Sitte und den Gebrauch der Zeit dieser Name stets weggelaffen worden wäre, und zwar nicht nur bei ihm, sondern
auch bei allen seinen Nachkommen, so weit sie zu verfolgen sind. Der Umstand, daß Erwins Frau, Husa, auf ihrer Grabschrift domina,
„ Herrin" genannt wird, ist nach der Ansicht der bewährtesten Rechts lehrer durchaus kein Grund dafür, daß
Erwin von Adel gewesen
sein müsse. Woher nun die so allgemeine Ueberlieferung daß er von Steinbach
geheißen hat? Sie ist nicht weiter zu verfolgen als bis in das siebzehnte Jahrhundert, wo zuerst von dem Magister Schad in seinem
Münsterbüchlein erzählt wird,
daß
über der Mittel-Münstertür eine
lateinische Inschrift gestanden habe des Inhalts, daß im Jahre 1277 am St. Urbanstage
Erwin von
Steinbach
Werk begonnen habe*. Zum letzten
dieses
glorreiche
Male wird diese Inschrift im
* ANNO DOMINI MCCLXXVII IN DIE BEATI URBANI HOC GLORIOSUM OPUS 1NCHOAV1T MAGISTER ERWINUS DE STEINBACH. Schad, S. 14 und 45.
37 Jahre 1698 von dem berühmten Straßburger Gelehrten Schiller als vorhanden erwähnt, welcher die Chronik von Königshofen neu heraus
gegeben
und mit Zusätzen
und
ist jetzt nicht einmal zu ermitteln, wo sie gestanden haben
es
könnte. Denn
versehen hat. Seitdem ist sie verschollen
an dem Mittelportal
ist nirgends Platz für so viele
Wörter und die alten Türen dieses Portales waren von Kupfer; es
konnte also auch dort nicht wohl etwas aufgemalt sein.
Trotz so bedenklicher Umstände hat diese Inschrift, von der schon
seit fast 200 Jahren niemand auch nur behauptet, daß er sie gesehen, geschweige
denn
geprüft hat, in allen Werken die sich mit Kunst
geschichte im allgemeinen
oder mit dem
Straßburger Münster im
besondern beschäftigen, Eingang gefunden, und sie ist allgemein geglaubt worden*.
Schon der Inhalt aber
spricht
gegen ihre Echtheit. Bis in das
sechszehnte Jahrhundert hätte es keinem Baumeister einfallen dürfen seinen Namen an das Portal einer Kirche zu setzen und sein eigenes
Werk als ein glorreiches zu preisen. Höchstens ihr in Stein gehauenes Bildniß haben die mittelalterlichen Baumeister irgendwo angebracht, aber gewiß nicht an einem hervorragenden, sondern stets an einem
bescheidenen Platze. So findet sich an dem südlichen Seitenschiff von St. Martin zu Kalmar in dem Bogen des Portals ein kleines Männchen mit einer Platte und einem Richtscheite und daneben stehen die Worte:
MAISTRES HUMBRET. Daher kann mit völliger Sicherheit der Schluß gezogen werden, daß die Inschrift, welche zuerst von Schad erwähnt wird, erst Jahr
hunderte nach Erwin's Tot am Münster angebracht, vielleicht irgendwo
mit Farbe aufgemalt** worden ist, und alsdann beweist sie gegen die
* Auch der Verfasser hat zu den Gläubigen gehört, bis er durch Professor Kraus aufgeklärt worden ist. Derselbe hat seine Ansicht ausführlich begründet
in „Lützow's Zeitschrift für bildende Kunst", Jahrgang 1875, Nr. 12 u. 13, und
dort auch eine Stammtafel von Erwin's Nachkommen gegeben. ** Schiller (S. 558 der Anmerkungen zu Königshofen) sagt zwar ausdrücklich:
„wie die noch befindliche eingehauene Schrift bezeuget", und ein früherer
37 Jahre 1698 von dem berühmten Straßburger Gelehrten Schiller als vorhanden erwähnt, welcher die Chronik von Königshofen neu heraus
gegeben
und mit Zusätzen
und
ist jetzt nicht einmal zu ermitteln, wo sie gestanden haben
es
könnte. Denn
versehen hat. Seitdem ist sie verschollen
an dem Mittelportal
ist nirgends Platz für so viele
Wörter und die alten Türen dieses Portales waren von Kupfer; es
konnte also auch dort nicht wohl etwas aufgemalt sein.
Trotz so bedenklicher Umstände hat diese Inschrift, von der schon
seit fast 200 Jahren niemand auch nur behauptet, daß er sie gesehen, geschweige
denn
geprüft hat, in allen Werken die sich mit Kunst
geschichte im allgemeinen
oder mit dem
Straßburger Münster im
besondern beschäftigen, Eingang gefunden, und sie ist allgemein geglaubt worden*.
Schon der Inhalt aber
spricht
gegen ihre Echtheit. Bis in das
sechszehnte Jahrhundert hätte es keinem Baumeister einfallen dürfen seinen Namen an das Portal einer Kirche zu setzen und sein eigenes
Werk als ein glorreiches zu preisen. Höchstens ihr in Stein gehauenes Bildniß haben die mittelalterlichen Baumeister irgendwo angebracht, aber gewiß nicht an einem hervorragenden, sondern stets an einem
bescheidenen Platze. So findet sich an dem südlichen Seitenschiff von St. Martin zu Kalmar in dem Bogen des Portals ein kleines Männchen mit einer Platte und einem Richtscheite und daneben stehen die Worte:
MAISTRES HUMBRET. Daher kann mit völliger Sicherheit der Schluß gezogen werden, daß die Inschrift, welche zuerst von Schad erwähnt wird, erst Jahr
hunderte nach Erwin's Tot am Münster angebracht, vielleicht irgendwo
mit Farbe aufgemalt** worden ist, und alsdann beweist sie gegen die
* Auch der Verfasser hat zu den Gläubigen gehört, bis er durch Professor Kraus aufgeklärt worden ist. Derselbe hat seine Ansicht ausführlich begründet
in „Lützow's Zeitschrift für bildende Kunst", Jahrgang 1875, Nr. 12 u. 13, und
dort auch eine Stammtafel von Erwin's Nachkommen gegeben. ** Schiller (S. 558 der Anmerkungen zu Königshofen) sagt zwar ausdrücklich:
„wie die noch befindliche eingehauene Schrift bezeuget", und ein früherer
38 —
zahlreichen Grabschriften, sowie gegen die Urkunden, in denen Erwin ohne Zunamen vorkommt, eben nichts.
Wer aber hat eine solche Inschrift anbringen lassen? Es weist eine
Spur auf Specklin, und einem Notizen-Sammler des sechszehnten Jahrhunderts,
über
deffen
Unzuverlässigkeit und
Kritiklosigkeit
in
geschichtlichen Dingen Schneegans in seinem Buche über die Münster sagen wiederholt Klage führt, wäre ein solches Beginnen wohl zuzu
trauen. Eine Prüfung ist leider nicht mehr möglich, denn die beiden Bände schriftlicher Aufzeichnungen,
welche
Specklin hinterlassen hat
und die in der Straßburger Statt-Bibliothek verwahrt wurden, sind
mit dieser während der Belagerung zu Grunde gegangen. Ein Verlust, der nicht den Belagerern sondern der Nachlässigkeit derer zur Last fällt, denen die Hut der Bibliothek anvertraut war und die nicht Tage, sondern
Wochen verstreichen ließen, ohne auch nur die uner
setzlichen Bücher in Sicherheit zu bringen. Eine Nachlässigkeit von der kaum zu sagen ist, was sie mehr war: unverzeihlich oder unbegreiflich. Aber wenn auch Specklin's Aufzeichnungen jetzt nicht mehr vorhanden
sind, Schneegans hat sie durchforscht und er ist ein durchaus zuver lässiger
Gewährsmann. Er
sagt
welcher Erwin eine Tochter —
nun*, daß Specklin der erste ist,
die bekannte Savina — zuschreibt,
und aus der Zusammenstellung der Namen Erwin und Savina läßt sich auch erklären, woher in der von Schad zuerst erwähnten Inschrift
der Zusatz „von Steinbach" gekommen ist. Das Jahr und der Tag der Grundsteinlegung war aus Königshofens Chronik zu entnehmen.
Das Doppelportal des Münsters
nach dem Schlosse zu, welches
noch heute das Sabinen-Portal genannt wird, hatte bis zur franzö
sischen Revolution
einen viel reicheren
Schmuck an Bildwerken als
Maire von Straßburg, Hermann, welcher im Jahr 1817 Notices historiques, statistiques et litleraires sur la ville de Strasbourg herausgegeben hat, sagt daselbst, Bd. 1, S. 132: «Dans une niche, sur une petite bände en Ire les decorations du portail gauche, etait sculptee, en caractdres gothiques, l’inscription suivante: Anno Domini 1277, etc. Celte inscription n’existe plus.» * Revue d'Alsace, 1850, S. 261.
— 39 — jetzt.
Die Stelle des
oberen
Teils
vorhandenen
der jetzt
Säulen,
nahmen die Standbilder der 12 Apostel ein und einer derselben — der zweite
links
an der
rechten Tür,
den Schlüssel bezeichnet wird —
durch
der
neben Petrus, welcher
hielt ein Spruchband, auf
welchem folgende Inschrift zu lesen war:
GRATIA DIV1NAE P1ETATIS ADESTO SAVINAE DE PETRA DURA PER QUAM SUM FACTA FIGURA. Auf Deutsch etwa:
Wog' Gottes Gnade mit Kavinen sein Dir mich zum Hild gemacht ans hartem Frlsgestein. Die Inschrift, wie der ganze frühere Bilderschmuck jenes Portals sind überliefert* durch eines der gradezu unschätzbaren Bilder, welche
dem Münsterbüchlein von Schad
beigegeben
sind. Der Maßstab ist
zum Glück nicht zu klein und läßt deutlich erkennen, daß die darge
stellten
Bildwerke, von denen vier noch heute erhalten sind, ebenso
wie diese der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts Die
Berse
entsprechen
dieser Zeit
ebenfalls
angehören.
genau und alles dies
schließt die Annahme einer Erfindung seitens des Schad aus.
Savina
Daß
eine Tochter Erwins gewesen, nimmt Schad als selbstver
ständlich an, ohne jedoch eine Uebersetzung der Inschrift zu geben. Sein
Nachfolger aber, der
schon
erwähnte
Schilter, druckt die
Inschrift ebenfalls ab**, und zwar wie folgt:
Gratia divinae Pietatis adesto SAVINAE DE PETRA DURA per quam sum facta figura, so daß kein Zweifel sein kann, daß Schilter die mit großen Buchstaben
gedruckten Worte als zusammengehörig hervorheben wollte. Er
* Zu vergleichen die Abbildung vor dem Titel. Sie ist nach dem Kupfersüch
Nr. 6 bei Schad angefertigt. **Jn den Anmerkungen zu Königshofe», S. 559, § 15 der neunten An merkung.
— 39 — jetzt.
Die Stelle des
oberen
Teils
vorhandenen
der jetzt
Säulen,
nahmen die Standbilder der 12 Apostel ein und einer derselben — der zweite
links
an der
rechten Tür,
den Schlüssel bezeichnet wird —
durch
der
neben Petrus, welcher
hielt ein Spruchband, auf
welchem folgende Inschrift zu lesen war:
GRATIA DIV1NAE P1ETATIS ADESTO SAVINAE DE PETRA DURA PER QUAM SUM FACTA FIGURA. Auf Deutsch etwa:
Wog' Gottes Gnade mit Kavinen sein Dir mich zum Hild gemacht ans hartem Frlsgestein. Die Inschrift, wie der ganze frühere Bilderschmuck jenes Portals sind überliefert* durch eines der gradezu unschätzbaren Bilder, welche
dem Münsterbüchlein von Schad
beigegeben
sind. Der Maßstab ist
zum Glück nicht zu klein und läßt deutlich erkennen, daß die darge
stellten
Bildwerke, von denen vier noch heute erhalten sind, ebenso
wie diese der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts Die
Berse
entsprechen
dieser Zeit
ebenfalls
angehören.
genau und alles dies
schließt die Annahme einer Erfindung seitens des Schad aus.
Savina
Daß
eine Tochter Erwins gewesen, nimmt Schad als selbstver
ständlich an, ohne jedoch eine Uebersetzung der Inschrift zu geben. Sein
Nachfolger aber, der
schon
erwähnte
Schilter, druckt die
Inschrift ebenfalls ab**, und zwar wie folgt:
Gratia divinae Pietatis adesto SAVINAE DE PETRA DURA per quam sum facta figura, so daß kein Zweifel sein kann, daß Schilter die mit großen Buchstaben
gedruckten Worte als zusammengehörig hervorheben wollte. Er
* Zu vergleichen die Abbildung vor dem Titel. Sie ist nach dem Kupfersüch
Nr. 6 bei Schad angefertigt. **Jn den Anmerkungen zu Königshofe», S. 559, § 15 der neunten An merkung.
— 40 —
giebt auch eine Übersetzung der Inschrift und wie übersetzt er die
hervorgehobenen Worte:
Lamm von Steinbach, obgleich de petra dura, wenn es wirklich einen Zunamen bedeutete, höchstens von Hartenstein heißen könnte. Für die geschichtliche Forschung dürfte damit in schlagender Weise
dargetan sein, woher der Name Steinbach stammt, und daß er weiter nichts ist, als ein Mißverständniß des 16. oder 17. Jahrhunderts.
Es ist ferner dargetan, daß Savina nicht von Steinbach hieß, und
daß sie in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts gelebt hat, also nicht Erwin» Tochter sein konnte, der 1318 gestorben ist.
Ob aber die „öffentliche Meinung" sich Erwin's Zunamen und seine Tochter wird nehmen lassen, ist eine andere Frage. Schneegans hat
schon vor mehr als 25 Jahren den Nachweis geführt, daß Savina nicht Erwin's Tochter war und doch erscheint sie als solche nach wie
vor in fast allen Kunstgeschichten und Reisehandbüchern.
Wessen Tochter Savina eigentlich gewesen, darüber hat Schneegans nur
eine
Vermutung, allerdings
eine
höchst geistreiche
aufgestellt.
Merkwürdigerweise ist er nicht darauf aufmerksam geworden, daß in den vier lateinischen Versen, welche in dem Bogen des nördlichen
Portals eingehauen und jenem Spruchbande ganz ähnlich sind — gereimte Hexameter und Pentameter — der Name Sabeus
vor
kommt. Diese Inschrift* führt Schneegans zwar auch in dem erwähnten
Aufsatze an, aber der Zusammenklang von Savina und Sabeus ist
ihm nicht aufgefallen. Wir wissen also über die Bildhauerin Savina nur, daß sie
als
* Die Verse lauten :
SÜSCIPE • TRINE • DEUS • OUE ■ FERT • ITA. DONA -SABEUS• HEG • TIBI > QÜI • DEDERIT • DONA • BEATUS • ERIT • AURO • DONANTIS • VIRTUSQUE • PROBATUR • AMAN TIS • IN - MIRRA - BONA • SPES • THÜRE • BEATA • FIDES Das während der Revolution zerstörte Bildwerk in der Füllung des Tür bogens stellte eine Anbetung der heiligen drei Könige dar, wie die abgeschlagenen Stellen noch jetzt deutlich erkennen lassen.