Zum Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht: Die Bedeutung der Kunstfreiheit für die Beschränkungen des deutschen und europäischen Urheberrechts [1 ed.] 9783428586707, 9783428186709

Künstlerische Erscheinungsformen wie der Remix, Mashups, Memes, GIFs oder Fan Art werfen die Frage nach einem angemessen

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Zum Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht: Die Bedeutung der Kunstfreiheit für die Beschränkungen des deutschen und europäischen Urheberrechts [1 ed.]
 9783428586707, 9783428186709

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Studien zu Eigentum und Urheberrecht Band 2

Zum Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht Die Bedeutung der Kunstfreiheit für die Beschränkungen des deutschen und europäischen Urheberrechts

Von

Felicitas Kahl

Duncker & Humblot · Berlin

FELICITAS KAHL

Zum Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht

Studien zu Eigentum und Urheberrecht Herausgegeben von

Eva Inés Obergfell Ronny Hauck

Band 2

Zum Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht Die Bedeutung der Kunstfreiheit für die Beschränkungen des deutschen und europäischen Urheberrechts

Von

Felicitas Kahl

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahr 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 2750-3321 (Print) ISSN 2750-333X (Online) ISBN 978-3-428-18670-9 (Print) ISBN 978-3-428-58670-7 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Diese Arbeit wurde an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin im Dezember 2021 als Dissertation eingereicht. Die Disputation erfolgte am 29. 03. 2022. Ein besonders herzlicher Dank gilt Prof. Dr. Eva Inés Obergfell, die meine Promotion betreut hat und mit wertvollen Anregungen und Hinweisen stets zuverlässig zur Seite stand. Weiterhin danke ich Prof. Dr. Artur-Axel Wandtke für die sehr zügige Anfertigung des Zweitgutachtens und für seine Vorlesung im Schwerpunkt­ studium, die mich für das Urheberrecht begeistert hat. Ein weiterer Dank gilt Prof. Dr. Ronny Hauck für die Übernahme des Vorsitzes der Prüfungskommission der Disputation. Schließlich danke ich meinen Eltern, die dieses Projekt und den gesamten Weg dahin mit ihrer großartigen Unterstützung erst ermöglicht haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 B. Schrankenregelungen des Urheberrechts als Ausdruck der Kunstfreiheit im ­europäischen und deutschen Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I.

Die Bedeutung des europäischen Urheberrechts für das deutsche Urheberrecht 33 1. Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers im Urheberrecht . . . . . . . . . . . 33 2. Die Rolle des EuGH für das europäische Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Die Bedeutung der InfoSoc- und DSM-RL für das Urheberrecht der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

II.

Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen im europäischen Urheberrecht  . . 38 1. Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL als Beschränkung des Urheberrechts zugunsten der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 a) Rechtsnatur und Bedeutung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL für das nationale Recht der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Voraussetzungen und Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 aa) Ausnahme oder Beschränkung von Art. 2 und Art. 3 der InfoSoc-RL 41 bb) Für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien und Pastiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 (1) Der Begriff der Parodie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (a) Der Parodiebegriff nach der Rechtsprechung des EuGH . . 44 (aa) Die Entscheidung Deckmyn und Vrijheidsfonds . . . . . 44 (bb) Persönliche Stellungnahme zur Auslegung der Ausnahme zugunsten von Parodien in der Entscheidung des EuGH in Deckmyn und Vrijheidsfonds . . . . . . . . 46 (cc) Die Bedeutung der Entscheidung Deckmyn und Vrijheids­ fonds für den Parodiebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (b) Der Parodiebegriff in der Kulturwissenschaft . . . . . . . . . . . 48 (aa) Die Vorlage als konstitutives Element der Parodie . . . 49 (bb) Die Kritik als Element der Parodie . . . . . . . . . . . . . . . 50 (cc) Die Komik als Element der Parodie . . . . . . . . . . . . . . 50 (dd) Abgrenzung zu anderen Kunstformen . . . . . . . . . . . . . 51 (c) Vergleich des Parodiebegriffs des EuGH und der Kulturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

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Inhaltsverzeichnis (2) Der Begriff des Pastiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (a) Der Anwendungsbereich der Pasticheschranke unter Berücksichtigung von Regelungszusammenhang und Zweck . . . . 54 (aa) Der Anwendungsbereich der Pasticheschranke unter Berücksichtigung ihres Regelungszusammenhangs . . . . 54 (bb) Der Anwendungsbereich der Pasticheschranke unter Berücksichtigung ihres Zwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (b) Historischer Ursprung und Entwicklung des Pastiche­ begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (c) Der Pastichebegriff nach dem deutschen Sprachgebrauch . 58 (d) Der Pastichebegriff im englischen Sprachgebrauch . . . . . . 59 (e) Der Pastichebegriff im belgischen Sprachgebrauch . . . . . . 61 (f) Der Pastichebegriff im polnischen Sprachgebrauch . . . . . . 61 (g) Der Pastichebegriff im französischen Urheberrecht . . . . . . 61 (h) Der Pastichebegriff in der Rechtsprechung des EGMR . . . 62 (i) Fazit zum Pastichebegriff und dessen Anwendungsbereich 63 (3) Der Begriff der Karikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (a) Der Begriff der Karikatur nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (b) Der Karikaturbegriff unter Berücksichtigung von Regelungszusammenhang und Ziel des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL 65 (c) Der Karikaturbegriff im französischen Urheberrecht . . . . . 67 (d) Der Karikaturbegriff in der Rechtsprechung des EGMR . . 68 (e) Der Karikaturbegriff in der deutschen Rechtsprechung . . . 68 (f) Der Karikaturbegriff in der rechts- und kulturwissenschaft­ lichen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (g) Fazit zum Karikaturbegriff nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) Info​ Soc-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL als Beschränkung des Urheberrechts zugunsten der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Rechtsnatur und Bedeutung von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL für das deutsche Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Voraussetzungen des Zitatrechts nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL . . 73 aa) Ausnahme oder Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 bb) Für Zitate zu Zwecken wie Kritik oder Rezension . . . . . . . . . . . . . . 73 cc) Werk oder Schutzgegenstand, der der Öffentlichkeit bereits recht­ mäßig zugänglich gemacht wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 dd) Quellenangabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 ee) Zitat entspricht anständigen Gepflogenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 ff) Umfang ist durch den besonderen Zweck gerechtfertigt . . . . . . . . . 76

Inhaltsverzeichnis

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3. Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) und b) DSM-RL als Beschränkungen des Urheberrechts zugunsten der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Rechtsnatur und Bedeutung der DSM-RL für das nationale Recht der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Rechtsnatur und Bedeutung von Art. 17 Abs. 7 UAbs.  2 lit. a) und b) DSM-RL für das deutsche Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 c) Voraussetzungen und Anwendungsbereich von Art. 17 Abs. 7 UAbs.  2 lit. a) und b) DSM-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 aa) Nutzer und nutzergenerierte Inhalte im Sinne von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 bb) Dienste für das Teilen von Online-Inhalten im Sinne von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 cc) hochladen oder zugänglich machen im Sinne von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 dd) Ausnahme oder Beschränkung in Form von Zitat, Kritik oder Rezension sowie zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches nach Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 c) Verhältnis von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL zu Art. 5 Abs. 3 lit. d) und lit. k) InfoSoc-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4. Die Bedeutung des Dreistufentests für die Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht auf Schrankenebene . . . . . . . . . . . 83 a) Stufe 1: Bestimmte Sonderfälle im Sinne des Dreistufentests . . . . . . . . 85 aa) „bestimmt“ im Sinne der Stufe 1 des Dreistufentests . . . . . . . . . . . . 85 bb) „Sonderfälle“ im Sinne der Stufe 1 des Dreistufentest . . . . . . . . . . 86 b) Stufe 2: „Normale Verwertung des Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands wird nicht beeinträchtigt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Stufe 3: „Berechtigten Interessen des Rechtsinhabers werden nicht ungebührlich verletzt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 d) Bedeutung des Dreistufentests für die Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5. Allgemeine Grundsätze bei der Auslegung der Ausnahmen und Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit im deutschen Urheberrecht 96 1. Die freie Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Voraussetzungen der freien Benutzung nach § 24 Abs.  1 UrhG a. F. . . . 97 aa) Selbständiges Werk im Sinne von § 24 UrhG a. F. . . . . . . . . . . . . . . 97 (1) Der Werkbegriff des UrhG unter Berücksichtigung des europä­ ischen Werkbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (a) Werkbegriff des UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (aa) Das Werk als persönliche Schöpfung . . . . . . . . . . . . . 99 (bb) Geistiger Gehalt des Werkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

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Inhaltsverzeichnis (cc) Wahrnehmbare Form des Werkes . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (dd) Individualität des Werkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (b) Auswirkungen des europäischen Werkbegriffs auf den deutschen Werkbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (2) Selbständigkeit des Werkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 bb) Werk eines anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Künstlerische Nutzungen im Anwendungsbereich der freien Benutzung 108 c) Rechtsnatur der freien Benutzung – Schranke oder immanente Begrenzung des Urheberrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 d) Der Melodienschutz des § 24 Abs. 2 UrhG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 e) Die Entwicklung der Rechtsprechung zur freien Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F. vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . 114 2. Das Zitatrecht nach § 51 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Voraussetzungen des Zitatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 aa) Veröffentlichtes Werk im Sinne des § 51 S. 1 UrhG . . . . . . . . . . . . . 119 bb) Zitatzweck nach § 51 S. 1 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (1) Allgemeine Voraussetzungen des Zitatzwecks: Das Zitat als Erörterungsgrundlage, Beleg und Mittel der Auseinandersetzung 119 (2) Kunstspezifische Betrachtung des Zitatzwecks: Das Zitat als Mittel künstlerischen Ausdrucks und künstlerischer Gestaltung . . . 121 cc) Umfang des Zitats nach § 51 S. 1 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 dd) Zitierendes Medium im Rahmen des § 51 S. 1 UrhG . . . . . . . . . . . . 124 ee) Besonderheiten des Kleinzitat nach § 51 Nr. 2 UrhG . . . . . . . . . . . . 125 ff) Besonderheiten des Musikzitats nach § 51 Nr. 3 UrhG . . . . . . . . . . . 127 gg) Zulässigkeit der Nutzung von Abbildungen oder sonstigen Vervielfältigungen des zitierten Werkes gem. § 51 S. 3 UrhG . . . . . . . . . . . . . 129 hh) Das Änderungsverbot des § 62 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 (1) Überblick zum Änderungsverbot nach § 62 UrhG . . . . . . . . . . . 130 (2) Die Anwendung des Änderungsverbots auf das Zitatrecht . . . . 131 (3) Folgen eines Verstoßes gegen das Änderungsverbot . . . . . . . . . 133 (4) Unionsrechtliche Zulässigkeit der Anwendung des Änderungsverbotes auf das Zitatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 (5) Einfluss des Bearbeitungsrechts auf das Änderungsverbot . . . . 134 (6) Zusätzliche Berücksichtigung des Entstellungsverbots nach § 14 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 ii) Die Quellenangabe nach § 63 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (1) Anwendungsbereich der Quellenangabe nach § 63 UrhG . . . . . 137 (2) Erforderlicher Inhalt der Quellenangabe im Sinne von § 63 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (3) Deutlichkeit der Quellenangabe gem. § 63 Abs. 1 S. 1 UrhG . . . 138

Inhaltsverzeichnis

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(4) Erforderlichkeit der Quellenangabe bei der öffentlichen Wiedergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 (5) Die Quellenangabe in der deutschen Rechtsprechung . . . . . . . . 140 (6) Ausnahmsweiser Entfall der Pflicht zur Quellenangabe . . . . . . 141 (7) Folgen eines Verstoßes gegen die Quellenangabe . . . . . . . . . . . 142 b) Künstlerische Nutzungen im Anwendungsbereich des Zitatrechts nach § 51 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Kunstzitate in Sprachwerken im Anwendungsbereich von § 51 UrhG 143 bb) Das Musikzitat im Anwendungsbereich von § 51 UrhG . . . . . . . . . . 144 cc) Mashups im Anwendungsbereich des § 51 UrhG? . . . . . . . . . . . . . . 147 dd) Das Zitat in Malerei und Fotografie im Anwendungsbereich von § 51 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 ee) Memes als Bildzitate im Anwendungsbereich von § 51 UrhG? . . . . 150 ff) Zulässigkeit des Filmzitats nach § 51 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 gg) GIFs als Zitate im Sinne des § 51 UrhG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 hh) Zulässigkeit des Kunstzitats in der Architektur nach § 51 UrhG? . . 154 ii) Die Parodie als Kunstzitat im Sinne des § 51 UrhG? . . . . . . . . . . . . 155 c) Entwicklung der Zitatschranke vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit

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3. Die Schrankenregelung zugunsten von Parodien, Karikatur und Pastiches nach § 51a UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Veröffentlichtes Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches . . . . . . . . . . . 160 aa) Die Parodie im Sinne des § 51a UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (1) Maßgeblichkeit des unionsrechtlichen Parodiebegriffs . . . . . . . 161 (2) Anwendungsbereich des Parodiebegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (a) Anwendung der Parodieschranke auf die bereits als Parodie anerkannten Kunstformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (b) Anwendung der Parodieschranke auf neue künstlerische Nutzungsformen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (aa) Das Meme als Parodie im Sinne des § 51a UrhG . . . . 162 (α) Erinnerung des Memes an ein bestehendes Werk . 163 (β) Wahrnehmbare Unterschiede des Memes gegenüber dem Ausgangswerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (γ) Das Meme als Ausdruck von Humor oder Ver­ spottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (δ) Angemessener Ausgleich bei der Nutzung eines Memes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (bb) GIFs im Anwendungsbereich der Parodieschranke . . . 165 (cc) Mashups im Anwendungsberich der Parodieschranke? 166 (dd) Remixe, Sampling, Fan Art und Fan Fiction als Parodie? 167

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Inhaltsverzeichnis (ee) Fazit zur Anwendung der Parodieschranke auf neue künstlerische Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) Pastiche im Sinne des § 51a UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (1) Der Remix als Pastiche im Sinne des § 51a UrhG? . . . . . . . . . . 170 (a) Erinnerung des Remixes an das Ausgangswerk . . . . . . . . . 170 (b) Wahrnehmbare Unterschiede gegenüber dem Ausgangswerk 171 (c) Inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einem dritten Bezugsgegenstand . . . . 172 (d) Angemessener Interessenausgleich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (e) Fazit zur Zulässigkeit des Remix als Pastiche nach § 51a UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (2) Memes als Pastiche im Sinne des § 51a UrhG? . . . . . . . . . . . . . 174 (3) GIFs als Pastiche im Sinne des § 51a UrhG? . . . . . . . . . . . . . . . 174 (4) Mashups als Pastiche im Sinne des § 51a UrhG? . . . . . . . . . . . . 175 (a) Erinnerung an das Ausgangswerk und wahrnehmbare Unterschiede gegenüber diesem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (b) Inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (c) Angemessener Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (5) Sampling als Pastiche im Sinne des § 51a UrhG? . . . . . . . . . . . 178 (a) Erinnerung an das Ausgangswerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (b) Wahrnehmbare Unterschiede gegenüber dem Ausgangswerk 178 (c) Inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einem dritten Bezugsgegenstand . . . . 179 (d) Angemessener Interessenausgleich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (e) Fazit zum Sampling als Pastiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (6) Fan Art und Fan Fiction als Pastiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (a) Erinnerung an das Ausgangswerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (b) Wahrnehmbare Unterschiede gegenüber dem Ausgangswerk 181 (c) Inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einem dritten Bezugsgegenstand . . . . 182 (d) Angemessener Interessenausgleich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (e) Fazit zu Fan Fiction und Fan Art als Pastiche . . . . . . . . . . . 184 cc) Karikatur im Sinne des § 51a UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (1) „Klassische“ Karikaturen als Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (2) Neuere künstlerische Erscheinungsformen als Karikatur nach § 51a UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

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(a) Remix und Sampling als Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (b) Memes als Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG . . . . . . . . 186 (c) GIFs als Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG . . . . . . . . . . 187 (d) Mashups als Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG . . . . . . 187 (e) Fan Art und Fan Fiction als Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (f) Fazit zur Anwendung der Karikaturschranke nach § 51a UrhG auf neue künstlerische Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . 188 c) Quellenangabe und Änderungsverbot bei Nutzungen nach § 51a UrhG . 188 d) Weitere allgemeine Voraussetzungen des § 51a UrhG . . . . . . . . . . . . . . . 189 4. Die Sonderregelungen des UrhDaG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Die Verweise in § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UrhDaG . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Mutmaßlich erlaubte Nutzungen nach § 9 UrhDaG . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 5. Entwicklung und Bewertung der Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht durch die Schrankenregelungen des UrhG und die Vorschriften des UrhDaG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 IV. Berücksichtigung der Kunstfreiheit jenseits der ausdrücklich normierten Schrankenregelungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Berücksichtigung der Kunstfreiheit durch eine unabhängige Grundrechts­ abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Die Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Entscheidungen Reformistischer Aufbruch II und Afghanistan Papiere II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Übertragbarkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf Fallkonstellationen im Spannungsverhältnis Kunstfreiheit und Urheberrecht . . . . . . . . . . . . 200 c) Stellungnahme zur Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen von Schrankenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 aa) Wesen und Wirkung der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Schrankenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 bb) Zulässigkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Schrankenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3. Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen der Rechtswidrigkeit . . . . 204 4. Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen des rechtfertigenden und übergesetzlichen Notstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen des rechtfertigenden Notstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen des übergesetzlichen Notstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

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Inhaltsverzeichnis 5. Fazit und Ausblick zur Berücksichtigung der Kunstfreiheit außerhalb der normierten Vorschriften des UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 V.

Vergleich von unionsrechtlichen und deutschen Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Vergleich des deutschen und europäischen Zitatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Das Zitatrecht im deutschen Urheberrechtsgesetz und der InfoSoc-RL . 211 aa) Vom Zitatrecht abgedeckte Nutzungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Regelbeispiele des § 51 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 cc) Ausnahme des § 51 S. 3 UrhG für sog. „vermittelnde Werke“ . . . . . 212 dd) Änderungsverbot des § 62 Abs. 1 S. 1 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 ee) Quellenangabe und anständige Gepflogenheiten . . . . . . . . . . . . . . . 213 ff) Ergebnis des Vergleichs des Zitatrechts des UrhG und der InfoSoc-RL 213 b) Das Zitatrecht in der Rechtsprechung von BVerfG, BGH und EuGH . . 214 aa) Das Zitatrecht in der Rechtsprechung von BGH und BVerfG . . . . . 214 bb) Das Zitatrecht in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . 215 cc) Vergleich des Zitatrechts in deutscher und europäischer Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2. Vergleich der freien Benutzung nach § 24 UrhG a. F. mit der Parodieschranke des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3. Die Schranke zugunsten von Parodie, Karikatur und Pastiche im deutschen Urheberrechtsgesetz und in der InfoSoc-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

VI. Reformbedürftigkeit der freien Benutzung aufgrund entgegenstehenden Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 VII. Eintritt eines „Solange-Falls“ aufgrund der Streichung von § 24 UrhG a. F.? . . 220 VIII. Ergebnis zu Kapitel B: Reformbedürftigkeit des europäischen Urheberrechts . 222 1. Wesentliche Übereinstimmung von deutschen und europäischen Schrankenregelungen zugunsten künstlerischer Nutzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Allenfalls geringe Schutzlücke für künstlerische Nutzungen durch Wegfall von § 24 UrhG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Reformbedürftigkeit der europäischen Schrankenregelungen . . . . . . . . . . . 224 C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems für das Urheberrecht als Teil des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 I.

Bedeutung der Grundrechte des Grundgesetzes für das Urheberrecht als Teil des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Grundrechte als Ausdruck einer objektiven Werteordnung . . . . . . . . . . . . . 225 2. Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte und grundrechtliche Ausgestaltungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

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3. Grundrechtskonforme Auslegung des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 4. Bedeutung der Grundrechte für die Ausgestaltung und Anwendung des Urheberrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II.

Maßgeblichkeit der Grundrechtecharta für das deutsche Privatrecht . . . . . . . . . 228 1. Systematik und Stellung der Unionsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Privatrechtliche Wirkung der Unionsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3. Bindung des deutschen und europäischen Gesetzgebers an die GRCh . . . . 230 4. Bindung von deutschen und europäischen Gerichten an die GRCh . . . . . . . 231 5. Wirkung der GRCh auf Privatpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 6. Wirkung der GRCh auf das deutsche Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

III. Verhältnis von Unionsgrundrechten und den Grundrechten des Grundgesetzes 232 1. Unionsgrundrechte als alleiniger Maßstab für das vollharmonisierte Privatrecht 233 2. Nebeneinander von Unionsgrundrechten und deutschen Grundrechten . . . 234 3. Ausnahmsweiser Vorrang deutscher Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 a) Der „Solange-Fall“ als Ausnahme vom Anwendungsvorrang der Unionsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Die Verfassungsidentität als Ausnahme vom Anwendungsvorrang der Unionsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 c) Der Ultra-vires Akt als Ausnahme des Anwendungsvorrangs von Unionsgrundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 IV. Maßgebliche Grundrechtsregime im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1. Grundrechtsregime des § 51 UrhG in Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 lit. d) ­InfoSoc-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Grundrechtsregime des § 51a UrhG in Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) ­InfoSoc-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL als vollständig vereinheitlichte Vorschrift des Unionsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 b) Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL als nicht vollständig vereinheitlichte Vorschrift des Unionsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 c) Fazit zum Harmonisierungsgrad von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL und dem davon abhängigen Grundrechtsregime des § 51a UrhG . . . . . . . . . . 246 3. Grundrechtsregime im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UrhDaG in Umsetzung von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSM-RL . . . . . . . . . . . . . . . 247 4. Grundrechtsregime im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 Nr. 2 UrhDaG in Umsetzung von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b) DSM-RL . . . . . . . . . . . . . . . 248 V.

Fazit zu Kapitel C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt von Kunstfreiheit und Urheberrecht im deutschen und europäischen Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 I.

Schutz des Urheberrechts nach Grundrechtecharta und Grundgesetz . . . . . . . 253 1. Schutz des Urheberrechts durch die Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Schutz des Urheberrechts nach Art. 17 Abs. 2 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . 254 aa) Systematik und Historie des Schutzes des Urheberrechts gem. Art. 17 Abs. 2 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 bb) Grundrechtlicher Schutz des Urheberrechts nach Art. 17 Abs. 2 GRCh in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (1) Erforderlichkeit der Zuweisung der Verwertungsrechte an den Urheber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (2) Kein bedingungsloser Schutz des Urheberrechts – Maßgeblichkeit eines angemessenen Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 cc) Einschränkbarkeit von Art. 17 Abs. 2 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (1) Anforderungen der Charta an einen Eigentumsentzug nach Art. 17 Abs. 1 S. 2 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (2) Anforderungen der Charta an Nutzungsbeschränkungen des Eigentums nach Art. 17 Abs. 1 S. 3 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (3) Allgemeine Vorgaben des Art. 52 Abs. 1 GRCh an Grundrechtsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Unklarheit über den grundrechtlichen Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 c) Bislang ausschließlich eigentumsgrundrechtlicher Schutz des Urheberrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 d) Unionsrechtlicher Grundrechtsschutz des Urheberrechts außerhalb der Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 e) Fazit zum Grundrechtsschutz des Urheberrechts nach der Charta . . . . . 261 2. Schutz des Urheberrechts durch das Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 a) Schutz des Urheberrechts nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . 262 aa) Erforderlichkeit der grundsätzlichen Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses zum Urheber aufgrund von Art. 14 Abs. 1 GG . . . . 262 bb) Bestimmung des konkreten grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Urheberrechts durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 cc) Vergütungsfreie Nutzung der Urheberrechte nur bei gesteigertem öffentlichem Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 dd) Durchsetzung des Urheberrechts auch gegenüber digitalen Nutzungen 265 ee) Keine grundsätzlich enge Auslegung der Schrankenregelung aufgrund von Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 b) Schutz des Urheberrechts durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG . . 265 c) Schutz des Urheberrechts nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . 267 d) Fazit zum Schutz des Urheberrechts nach dem Grundgesetz . . . . . . . . . 268

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3. Vergleich des Schutzes des Urheberrechts durch die Grundrechtecharta und das Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 II.

Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz . . . . . . . . . 270 1. Gewährleistung der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh . . . . . . . . . . . . . . 271 a) Die Entscheidung Pelham u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 aa) Auswirkungen der Kunstfreiheit gem. Art. 13 S. 1 GRCh auf das Vervielfältigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 bb) Auswirkungen der Kunstfreiheit auf das Zitatrecht nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 cc) Bedeutung des Urteils für die Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh 274 (1) Weitreichende zustimmungs- und vergütungsfreie Nutzung von Samples durch die Kunstfreiheit im Sinne des Art. 13 S. 1 GRCh? 274 (2) Bedeutung des Urteils Pelham u. a. für den Gehalt der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (a) Bedeutung der Ausführungen des EuGH in Pelham u. a. für den Gewährleistungsgehalt von Art. 13 S. 1 GRCh . . . . . . . 277 (b) Bedeutung der Ausführungen des Generalanwalts Szpunar in Pelham  u. a. für den Gewährleistungsgehalt von Art. 13 S. 1 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 b) Inhalt der Kunstfreiheit nach EMRK und Rechtsprechung des EGMR . 279 aa) Zulässigkeit der Ableitung des Gehalts von Art. 13 S. 1 GRCh aus Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 bb) Gehalt der Kunstfreiheit nach Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (1) Schutzbereich der künstlerischen Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (a) Sachlicher Schutzbereich der künstlerischen Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (aa) Grundsätzlich weiter Schutzbereich der künstlerischen Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . . 282 (bb) Werkartunabhängiges Kunstverständnis des EGMR . . 283 (cc) Schutz von Inhalt, Stil und Form der künstlerischen ­Äußerung sowie deren Mittel zur Verbreitung . . . . . . . 284 (dd) Keine unbeschränkte Wahlfreiheit des Forums oder Mediums, aber keine immanente Begrenzung des Schutzbereichs von Art. 10 EMRK durch Eigentumsrechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 (ee) Ausschluss des Schutzes von künstlerischen Äußerungen nach Art. 17 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 (b) Persönlicher Schutzbereich der künstlerischen Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (2) Schranken der künstlerischen Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

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Inhaltsverzeichnis (a) Gesetzlich vorgesehen im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EMRK 287 (b) Legitimes Ziel im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EMRK . . . . . . . 287 (c) Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 (3) Interessenabwägung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (a) Kein generell höheres Schutzniveau aber „kunstspezifische Betrachtung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (b) Auswirkungen von Reichweite und Inhalt der künstlerischen Äußerungen auf die Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . 291 (c) Besonderer Schutz für künstlerische Äußerungen mit Bezug zu Fragen von öffentlichem Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Zusammenschau: Art. 13 S. 1 GRCh unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung von EuGH, EGMR und der Grundrechtecharta . . . 292 aa) Orientierung des Schutzbereichs von Art. 13 S. 1 GRCh an Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 bb) Selbständiger und über Art. 10 EMRK hinausgehender Schutzbereich des Art. 13 S. 1 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 cc) Weiter Schutzbereich der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh . . . 295 (1) Schutz von Werk- und Wirkbereich nach Art. 13 S. 1 GRCh . . . 295 (2) Werkartunabhängiger und inhaltlich offener Kunstbegriff . . . . 296 (3) Keine immanente Begrenzung des Schutzbereichs durch Eigentumsrechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (4) Weiter personeller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 dd) Einschränkungsmöglichkeiten von Art. 13 S. 1 GRCh . . . . . . . . . . . 299 ee) Maßgeblichkeit der Auswirkungen der Ausübung der Kunstfreiheit für ihren Schutzumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 ff) Zielrichtung der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh . . . . . . . . . . 301 d) Fazit zum Gewährleistungsgehalt von Art. 13 S. 1 GRCh . . . . . . . . . . . . 302 2. Gewährleistung der Kunstfreiheit durch das Grundgesetz nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 a) Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 aa) Sachlicher Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . 304 (1) Der Kunstbegriff des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 304 (2) Staatliches Neutralitätsgebot im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG 306 (3) Schutz von Werk- und Wirkbereich nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . 307 (4) Beispiele aus der Rechtsprechung von nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützten Kunstformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 (5) „Werkgerechte Beurteilung“ und kunstspezifische Betrachtung im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 (6) Keine immanente Begrenzung des Schutzbereichs der Kunstfreiheit durch Eigentumsrechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312

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bb) Personeller Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . 313 b) Schranken der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . 314 c) Verhältnis der Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zur Meinungs­ äußerungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 d) Zielrichtung der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . 316 e) Fazit zum Schutz der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . 317 3. Vergleich des Gewährleistungsgehalts der Kunstfreiheit in Grundrechtecharta und Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 a) Gemeinsamkeiten des Gewährleistungsgehalts von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 aa) Werkartunabhängige Anerkennung von Kunst nach GRCh und GG 319 bb) Geltung des Neutralitätsgebots für Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 cc) Schutz von Werk- und Wirkbereich durch Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 dd) Kunstspezifische Betrachtung im Rahmen von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 ee) Weiter persönlicher Schutzbereich von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 ff) Keine immanente Begrenzung des Schutzbereichs von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG durch Eigentumsrechte Dritter . . . . . . . . . 320 b) Unterschiede des Gewährleistungsgehalts von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 aa) Unterschiedliche Intensität der Auseinandersetzung mit dem Kunstbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 bb) Unterschiedliches systematisches Verständnis der Kunstfreiheit? . . 321 cc) Unterschiedliche Behandlung von politisch-künstlerischen Ausdrucksformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 dd) Immanente Begrenzung des Schutzbereichs durch Art. 54 GRCh? . 322 ee) Unterschiedliche Schrankenanforderungen von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 c) Konsequenzen der Unterschiede von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG für das Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 aa) Eintritt eines „Solange-Falls“ aufgrund der Verkennung einer kunstspezifischen Betrachtung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 bb) Eintritt eines „Solange-Falls“ aufgrund abweichender Beschränkungsmöglichkeit der Kunstfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 cc) Eintritt eines „Solange-Falls“ aufgrund der Streichung von § 24 UrhG a. F.? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 III. Fazit zu Kapitel D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

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Inhaltsverzeichnis

E. Reformbedürftigkeit der Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit aufgrund technischer und gesellschaftlicher Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 I.

Grund der Reformbedürftigkeit der Kunstfreiheit dienenden Schranken­ regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 1. Regelungslücke im europäischen Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2. Grundrechtliche Erforderlichkeit einer neuen Schrankenregelung . . . . . . . . 332

II.

Vorgaben für einen Regelungsvorschlag zugunsten künstlerischer Nutzungen

333

1. Vorgaben der Grundrechtecharta an einen Regelungsvorschlag . . . . . . . . . . 333 a) Grundsätzliche Zulässigkeit von künstlerischen Werknutzungen und grundsätzliche Gleichbehandlung künstlerischer Nutzungsformen . . . . 333 b) Berücksichtigung des Schutzes des Urheberrechts nach Art. 17 Abs. 2 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 c) Berücksichtigung der Anforderungen an die Beschränkungen von Art. 17 Abs. 2 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 d) Berücksichtigung ideeller Interessen des Urhebers . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 2. Sekundärrechtliche Erwägungen für eine Neuregelung . . . . . . . . . . . . . . . . 337 a) Implementierung der Vorschrift in die InfoSoc-RL . . . . . . . . . . . . . . . . 337 b) Implementierung der Vorschrift auch in Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 der DSM-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 c) Konformität der Vorschrift mit dem Dreistufentest des Art. 5 Abs. 5 ­InfoSoc-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 III. Vorschlag für eine neue unionsrechtliche Schrankenregelung . . . . . . . . . . . . . . 339 1. Vorschlag für eine Schrankenregelung zugunsten künstlerisch-referenzieller Nutzungen mit eigenständigem Charakter in der InfoSoc-RL . . . . . . . . . . . 340 2. Erläuterungen zu Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . 340 a) Künstlerisch-referenzielle Werknutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 b) Werknutzung nicht-kommerzieller Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 c) Eigenständigkeit der Werknutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 d) Gerechter Ausgleich bei der Beeinträchtigung der normalen Verwertung des Werkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 aa) Beeinträchtigung der normalen Verwertung des Ausgangswerkes . . 344 bb) Gerechter Ausgleich für die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 e) Angemessene Vergütung bei kommerzieller Nutzung nach Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 aa) Kommerzielle Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 bb) Angemessene Vergütung im Sinne des Art. 5 Abs.  3 lit. p) InfoSoc-RLEntwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

Inhaltsverzeichnis

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3. Streichung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL im Zuge der Einführung von Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 4. Einführung der Schrankenregelung zugunsten künstlerisch-referenzieller Nutzungen mit eigenständigem Charakter in die DSM-RL . . . . . . . . . . . . . 349 F. Résumé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort a. F. alte Fassung ABl. Amtsblatt AcP Archiv für civilistische Praxis Abs. Absatz AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AfP Archiv für Presserecht Anm. Anmerkung AöR Archiv des öffentlichen Rechts Art. Artikel Aufl. Auflage Bd. Band BeckOK Beck’sche Online-Kommentare BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BMJV Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz bspw. Beispielsweise BT-Drs. Bundestags-Drucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Amtliche Sammlung des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht CML Rev. Common Market Law Review COM European Commission Computer- Richtlinie 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen  programm-RL CPI Code de la propriété intelectuelle Datenbank-RL Richtlinie 96/9/EG über den rechtlichen Schutz von Datenbanken ders. derselbe dies. dieselbe/dieselben DiskE Diskussionsentwurf Diss. Dissertation DPMA Deutsches Patent und Markenamt Richtlinie (EU) 2019/790 über das Urheberrecht und die verwandten DSM-RL Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt EG Europäische Gemeinschaft EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einl. Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention EMRK

Abkürzungsverzeichnis

25

Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten endg. endgültig Erwgr. Erwägungsgrund Europäische Union EU EuG Gericht der Europäischen Union Gerichtshof der Europäischen Union EuGH Zeitschrift Europarecht EuR Vertrag über die Europäische Union EUV Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EuZW Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG f. folgend ff. fortfolgende Fn. Fußnote FS Festschrift GA Generalanwalt Richtlinie 98/71/EG über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen Geschmacks‑  muster-RL GG Grundgesetz Charta der Grundrechte der Europäischen Union GRCh Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR GRUR International GRUR-Int. Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Rechtsprechungs-Report GRUR-RR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Praxis im ImmaterialgüterGRUR-Prax und Wettbewerbsrecht Habil. Habilitation HdB Handbuch Hrsg. Herausgeber Handbuch Staatsrecht HStR I. P. Q. Intellectual Property Quarterly im Sinne des i. S. d. im Sinne von i. S. v. in Verbindung mit i. V. m. International & Comparative Law Quarterly ICLQ The International Review of Intellectual Property and Competition Law IIC insbes. insbesondere Intellectual Property Journal IPJ Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des InfoSoc-RL Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informations­ gesellschaft Journal of Intellectual Property, Information Technology and Electronic JIPITEC Commerce Law Journal of Intellectual Property Law & Practice JIPLP Juristische Schulung JuS JZ Juristenzeitung Kommunikation & Recht K&R Kap. Kapitel Kritische Justiz KritJ. EMRKZusProt

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Abkürzungsverzeichnis

Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie Europäische Kommission KOM lit. littera Lindenmaier-Möhring – Kommentierte BGH-Rechtsprechung LMK LG Landgericht LS Leitsatz Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der LUG Tonkunst mit weiteren Nachweisen m. w. N. Multimedia und Recht MMR Neue Juristische Wochenschrift NJW Nr. Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ OLG Oberlandesgericht Revidierte Berner Übereinkunft RBÜ RefE Referentenentwurf Entwurf der Bundesregierung RegE RG Reichsgericht RGBl. Reichsgesetzblatt RL Richtlinie Rn. Randnummer Rspr. Rechtsprechung S. Seite s. siehe Schutzdauer-RL Richtlinie 93/98/EWG zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheber­ rechts und bestimmter verwandter Schutzrechte sog. sogenannte StGB Strafgesetzbuch StrG Gesetz zur Reform des Strafrechts Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights/Übereinkommen TRIPS über handeslbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums unter anderem u. a. unter Umständen u. U. UAbs. Unterabsatz Das Archiv für Medienrecht und Medienwissenschaft UFITA Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern UrhDaG für das Teilen von Online-Inhalten (Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz) Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechts­ UrhG gesetz) UrhR Urheberrecht Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse UrhWissG der Wissensgesellschaft (UrhWissG) Urt. Urteil v. vom/von vgl. vergleiche VO Verordnung Vorb. Vorbemerkung KUG

Abkürzungsverzeichnis Vorbem. Vorbemerkung wirtschaftsrechtliche Blätter wbl. World Intellectual Property Organization WIPO WCT WIPO-Urheberrechtsvertrag WIPO Performances and Phonograms Treaty WPPT WRP Wettbewerb in Recht und Praxis WTO Welthandelsorganisation zum Beispiel z. B. Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht ZaöRV Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZEuP Zeitschrift für Geistiges Eigentum ZGE zit. zitiert zugl. zugleich Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht ZUM Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht - Rechtsprechungsdienst ZUM-RD

27

A. Einleitung Die Beschreibung der Beziehung von Kunstfreiheit und Urheberrecht als Spannungsverhältnis mag auf den ersten Blick paradox erscheinen. Wollen doch einige Stimmen in der Literatur den grundrechtlichen Schutz des Urhebers neben der Eigentumsgarantie der Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 17 GRCh,1 dem Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 GG und der freien Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG2 auch über die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gewähren.3 Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass die Kunstfreiheit auch für die Beschränkungen des Urheberrechts eine bedeutende Rolle spielt.4 Denn auch Werknutzungen können künstlerischer Natur sein und damit ihrerseits den Schutz der Kunstfreiheit beanspruchen. Durch die immer einfacher zu nutzenden technischen Möglichkeiten, schutzfähige Werke oder deren Teile zu vervielfältigen, wird dieser Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Urheberrecht präsenter. Die Erscheinungsformen der Kunst haben sich gewandelt und beruhen zunehmend auf der Verarbeitung ursprünglicher Werke zu neuen Schöpfungen.5 Während in der analogen Welt die Collage ein eher wenig beachtetes praktisches Beispiel für die Kollision der Interessen darstellte, erfahren ihre digitalen Nachfolger viel Aufmerksamkeit. Remixe, Mashups und Memes sind mittlerweile übliche künstlerische Erscheinungen,6 mit denen viele Menschen alltäglich in Berührung kommen.7 Sie verschärfen jedoch den Konflikt zwischen Urheberrecht und Kunstfreiheit. Denn bei den transformativen Nutzungen ist es oftmals gerade Teil des künstlerischen Ausdrucks, das ursprüngliche 1

Näher dazu unter D. I. 2. a) und D. I. 1. a). Näher dazu unter D. I. 2. b). 3 So z. B. Dahm, Der Schutz des Urhebers durch die Kunstfreiheit, S. 140–172. Das BVerfG erwog dies nur bei Betroffenheit oder praktischen Unmöglichkeit der freien künstlerischen Betätigung oder deren Veröffentlichung, beantwortete die Frage jedoch nicht abschließend. BVerfGE 31, 229 (239–240) – Kirchen und Schulgebrauch; BVerfG NJW 2002, 3458 (3460) – Chick Corea. Dazu auch unter D. I. 2. c). 4 Wittreck bezeichnet das Verhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht zutreffend als ambivalent, Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 63. 5 Vgl. Klass, FS Schulze, S. 147 (147–148), die Fremdreferenzialität als Kennzeichen postmoderner Kunstformen beschreibt. 6 Während Mashups und Remixe regelmäßig unproblematisch in den Schutzbereich der Kunstfreiheit fallen, insbesondere wenn sie in der „klassischen“ Kunstform der Musik vorliegen, vgl. dazu Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 46 m. w. N., ist der Schutz durch die Kunstfreiheit für Memes weniger klar, dazu Maier, GRUR-Prax 2016, 397. Allerdings ist nach hier vertretener Auffassung davon auszugehen, dass die überwiegende Anzahl von Memes ebenfalls den Schutz der Kunstfreiheit genießt. 7 So auch Klass, FS Schulze, S. 147 und Peifer, FS Wandtke, S. 99 (101). 2

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A. Einleitung 

Werk auch in der neuen Schöpfung wiedererkennen zu können. So treffen die Interessen des Urhebers des Ausgangswerks auf die Interessen neuen künstlerischen Schaffens. Remix-, Netz- und Referenzkultur,8 nutzergenerierte Inhalte oder User Generated Content9 unter diesen und weiteren Schlagwörtern wird die beschriebene Entwicklung seit einigen Jahren in der urheberrechtlichen Literatur, aber auch außerhalb der Rechtswissenschaften geschildert und rege diskutiert. Die grundrechtlichen Hintergründe werden dabei allenfalls aufgezeigt und bleiben im Detail unbeleuchtet. Dabei zeigt sich gleichzeitig im deutschen und europäischen Privatrecht – und damit auch im Urheberrecht, – dass die Bedeutung der Grundrechte für dessen Auslegung und Anwendung zunimmt. Gerade auch für die Kunstfreiheit verdeutlicht der seit Jahrzehnten andauernde Rechtsstreit Metall auf Metall, wie schwierig eine interessengerechte Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht ist und dass eine rein nationale Betrachtung dafür nicht ausreicht. So musste sich das deutsche Urheberrechtsgesetz nach den Äußerungen des EuGH im genannten Rechtsstreit von der freien Benutzung nach § 24 UrhG a. F. verabschieden. Diese hatte bis dahin im deutschen Urheberrecht die künstlerische Auseinandersetzung mit einem bestehenden Werk unabhängig von dem Willen des Urhebers ermöglicht und damit letztlich der Kunstfreiheit gedient. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit eines „Solange-Falls“ aufgeworfen.10 Doch ist ein Festhalten an nationalen Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes aufgrund deutscher Grundrechte, z. B. als „Solange  III“, tatsächlich denkbar? Können deutsche Grundrechte für das Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht noch eine Rolle spielen oder sind allein die Grundrechte der Grundrechtecharta maßgeblich? Welchen Schutzgehalt der im Spannungsverhältnis widerstreitenden Grundrechtspositionen weisen die jeweiligen Grundrechtsordnungen auf und erreicht man auf deutscher und unionsrechtlicher Ebene ein gleichwertiges grundrechtliches Schutzniveau? Kommt das Urheberrecht de lege lata zu einem vor dem Hintergrund der einschlägigen Grundrechtspositionen und der beschriebenen technologischen Entwicklungen zu einem zufriedenstellenden Ergebnis oder bedarf es neuer nationaler und unionsrechtlicher Regelungen im Urheberrecht?

8

Vgl. Summerer, Illegale Fans, S. 26 m. w. N. Ausführlich zu dem Begriff: Bauer, User Generated Content, S. 7–27. 10 Diskutiert wurde dies u. a. in Entscheidungsbesprechungen von dem Urteil des EuGH in der Sache Pelham u. a. (Metall auf Metall), wo der Kunstfreiheit allerdings nicht das Urheberrecht im engeren Sinne, sondern die Leistungsschutzrechte des Tonträgerherstellers gegenüberstehen. Vgl. die Anmerkung von Apel, MMR 2019, 596 (602); s. auch: Oechsler, NJW 2020, 3206 Rn. 22. Die aus dem Urteil resultierenden Überlegungen sind, wie auch Prinz und Marly in ihrer Anmerkung in LMK 2019, 421261 mit Verweis auf Rn. 89 der Schlussanträge des GA Szpunar v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 – Pelham u. a. feststellen, jedoch übertragbar. 9

A. Einleitung 

31

Zwar stellen sich diese Fragen gegenwärtig verschärft im Online-Bereich, sie sind aber keinesfalls auf ihn begrenzt. Dies verdeutlichen die vielfachen Monografien, die die urheberrechtliche Zulässigkeit von spezifischen künstlerischen Werknutzungen wie Appropriation Art, Parodie oder Collage zum Gegenstand haben.11 Dennoch fehlt es bisher an einer umfassenden rechtswissenschaftlichen Untersuchung dieser Fragestellungen und damit der Untersuchung des Spannungsverhältnisses aus der Perspektive von Grundgesetz und Grundrechtecharta. Die vorliegende Arbeit unternimmt somit den Versuch, Licht in die Grundrechtshintergründe des Verhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht im Mehrebenensystem zu bringen und damit einen Beitrag zur Lösung des Spannungsverhältnisses zu leisten.12 Dies erfordert zunächst eine Betrachtung und Bewertung der Lösungsmöglichkeiten auf Schrankenebene im deutschen und europäischen Urheberrecht de lege lata (B.). Im Anschluss werden die Bedeutung und Wirkungsweise der Grundrechte des Grundgesetzes und der Grundrechtecharta für das Urheberrecht herausgearbeitet sowie die Maßgeblichkeit der Grundrechtsordnungen im Anwendungsbereich der Schrankenregelungen für künstlerische Nutzungen untersucht (C.). Schließlich werden der Inhalt des grundrechtlichen Schutzes von Kunstfreiheit und Urheberrecht sowie seine Grenzen ermittelt, um Rückschlüsse auf konkrete Anforderungen an die Lösung des Spannungsverhältnisses im Urheberrecht zu ziehen (D.). Abschließend wird die Reformbedürftigkeit des Urheberrechts dargelegt und ein auf den zuvor erfolgten Untersuchungen aufbauender Reformvorschlag entwickelt (E.).

11

Die vorliegende Arbeit beschränkt sich somit nicht auf die Untersuchung des Spannungsverhältnisses im Online-Bereich. Vielmehr kann sie in gleicherweise für die grundrechtliche Bewertung analoger Nutzungsformen herangezogen werden. Sie wird sogar zeigen, dass eine Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht losgelöst von konkreten Nutzungsarten überzeugender ist. 12 Dabei beschränkt sie sich auf eine Untersuchung und Lösungssuche auf Schrankenebene. Die Bedeutung des Werkbegriffs, des Bearbeitungsrechts oder dem Umfang des Vervielfältigungsrechts bleiben als dogmatisch eigenständige Themen unberücksichtigt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Lösung des Spannungsverhältnisses auf der Schrankenebene allerdings auch am besten adressiert. Denn die Schranken dienen regelmäßig der Ausübung bestimmter Grundrechtspositionen wie der Kunstfreiheit, während die genannten anderen Stellschrauben Auswirkungen auf das Verhältnis von Urhebern und jeglichen – auch nicht künstlerischen – Nutzungen hat.

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts als Ausdruck der Kunstfreiheit im europäischen und deutschen Urheberrecht Durch die Beschränkungen des Urheberrechts soll ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen des Urhebers und den Interessen der Allgemeinheit erzielt werden.1 Hintergrund dieses angestrebten Interessensausgleichs sind die einschlägigen Grundrechtspositionen der Beteiligten.2 Der Urheber genießt für die vermögensrechtliche Seite der Verwertungsrechte als geistiges Eigentum verfassungsrecht­ lichen Schutz nach Art. 14 Abs. 1 GG3 und Art. 17 Abs. 2 GRCh4. Dieser Schutz ist jedoch nicht grenzenlos. Vielmehr folgt aus der Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG der Grundsatz, dass der Gebrauch des Eigentums zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll. Dieser Aspekt findet auch auf unionsrechtlicher Ebene in Art. 17 Abs. 1 S. 2 GRCh Berücksichtigung, der ebenfalls für das nach Art. 17 Abs. 2 GRCh geschützte geistige Eigentum gilt.5 Die dem Urheberrecht und damit der Eigentumsfreiheit gegenüberstehenden Grundrechtspositionen der Allgemeinheit sind vielfältig. Eine der widerstreitenden Grundrechtspositionen ist die der nachschaffenden Künstler, die sich für die Schaffung ihres Kunstwerks an urheberrechtlich geschütztem Material bedienen. Sie können sich dabei auf die Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG berufen. Nach einer kurzen Einführung zur Bedeutung des europäischen Urheberrechts für das deutsche Urheberrecht (I.) soll dargestellt werden, durch welche Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts die nach Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützte Kunstfreiheit auf unionsrechtlicher (II.) und nationaler Ebene (III.) Ausdruck gefunden hat und damit der Lösung des Spannungsverhältnisses mit dem Urheberrecht dienen. Ebenso ist zu diskutieren, ob die Kunstfreiheit auch außerhalb der Schrankenregelungen zu der Zulässigkeit künstlerischer Nutzungen urheberrechtlich geschützter Gegenstände führen kann (IV). Schließlich soll ein Vergleich der Beschränkungen im Unionsrecht und im deutschen Urhe 1 Vgl. die Begründung des RegE eines Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte BT-Drs. IV/270, 30; Erwgr. 31 der InfoSoc-RL. 2 Dazu: Stieper, Schranken des Urheberrechts, S. 42–55. 3 Näher dazu unter D. I. 2. a). 4 Näher dazu unter D. I. 1. a). 5 Jarass, GRCh, Art. 17 Rn. 31 mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 24. 11. 2011  – C-70/10, ECLI:​EU:C:2011:771 Rn. 43 – Scarlet Extended.

I. Bedeutung des europäischen Urheberrechts für das deutsche Urheberrecht

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berrechtsgesetz stattfinden (V.). Dieser ermöglicht es, eine etwaige Reformbedürftigkeit des deutschen Urheberrechtsgesetzes aufgrund entgegenstehender unionsrechtlicher Vorgaben nachzuvollziehen (VI.) und bereitet die Grundlage für die Diskussion, ob der Wegfall der freien Benutzung nach § 24 UrhG a. F. zu einem „Solange-Fall“6 führen könnte (VII.)

I. Die Bedeutung des europäischen Urheberrechts für das deutsche Urheberrecht Um die Bedeutung des Unionsurheberrechts für das deutsche Urheberrecht zu verstehen, ist neben den bisherigen Rechtsakten des europäischen Gesetzgebers (1.) ein Blick auf die Rechtsprechung des EuGH zu werfen (2.).

1. Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers im Urheberrecht Ein einheitliches europäisches Urheberrecht existiert bislang nicht.7 Jedoch haben sich die unionsrechtlichen Vorgaben an das nationale Urheberrecht in den letzten Jahren zunehmend verdichtet.8 Ausgangspunkt der Regelungen ist das von der Europäischen Union in Art. 26 Abs. 1 AEUV formulierte Ziel, einen einheitlichen Binnenmarkt zu schaffen.9 Zu dessen Verwirklichung hat der europäische Gesetzgeber diverse Rechtsakte im Bereich des Urheberrechts erlassen.10 Bisher wurden zum Schutz des Urheberrechts zwei unionsrechtliche Verordnungen geschaffen, die Portabilitätsverordnung11 und die Marrakesch-Verordnung12. Größere Bedeutung für das europäische Urheberrecht haben jedoch die seit 1991 erlassenen elf Richtlinien: Die Computerprogramm-RL13, die Vermiet- und Ver 6

Unter einem „Solange-Fall“ wird in diesem Fall die Vorrangigkeit deutscher Grundrechte aufgrund eines unzureichenden Grundrechtsschutz auf Unionsebene verstanden, ausführlich dazu unter C. III. 3. a). 7 Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, Einl. Rn. 48. 8 Leistner spricht von einer harmonisierungsintensivierenden Tendenz sowie von einer faktischen Überformung, EuZW 2016, 166. 9 Dies wird in den Erwägungsgründen der einzelnen Richtlinien immer wieder unterstrichen, vgl. z. B. Erwgr. 1, 7 und 31, 47, 56 der InfoSoc-RL und Erwgr. 1, 2, 5, 41 der DSM-RL. 10 Für einen Überblick s. Winter, Die urheberrechtliche Bewertung des Samplings im Lichte des Unionsrechts S. 129–132. 11 Verordnung (EU) 2017/1128 vom 14. 06. 2017 zur grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten, ABl. L 168, 1–11. 12 Verordnung (EU) 2017/1563 vom 13. 09. 2017 über den grenzüberschreitenden Austausch von Vervielfältigungsstücken bestimmter urheberrechtlich oder durch verwandte Schutzrechte geschützter Werke und sonstiger Schutzgegenstände in einem barrierefreien Format zwischen der Union und Drittländern zugunsten blinder, sehbehinderter oder anderweitig lesebehinderter Personen, ABl. L 242, 1–5. 13 Richtlinie 91/250/EWG vom 17. 5. 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, ABl.  L  122, 42–46; aufgehoben durch die gleichnamige Richtlinie 2009/24/EG vom 23. 04. 2009, ABl. L 111, 16–22.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

leih-RL14, die Satelliten- und Kabelrichtlinie15, die Schutzdauerrichtlinie16, die Richtlinie zum Schutz von Datenbanken17, die sog. InfoSoc- oder auch Multi­ media-RL18, die Richtlinie über das Folgerecht19, die sog. Durchsetzungs- oder auch Enforcement-RL20, die Richtlinie über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke21, die Richtlinie über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten22, die sog. Marrakesch-RL23 und jüngst die umstrittene DSM-RL24. 14

Richtlinie 92/100/EWG vom 19. 11. 1992 zum Vermiet- und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, ABl. L 346, 61; aufgehoben durch die gleichnamige Richtlinie 2006/115/EG vom 12. 12. 2006, ABl. L 376, 28–35. 15 Richtlinie 93/83/EWG vom 27. 09. 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, ABl. L 248, 15–21; zuletzt geändert durch die Richtlinie (EU) 2019/789 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 04. 2019 mit Vorschriften für die Ausübung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten in Bezug auf bestimmte Online-Übertragungen von Sendeunternehmen und die Weiterverbreitung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen und zur Änderung der Richtlinie 93/83/EWG, ABl. L 130, 82. 16 Richtlinie 93/98/EWG vom 29. 10. 1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABl. L 290, 9–13; aufgehoben durch die gleichnamige Richtlinie 2006/116/EG, ABl. L 372 vom 27. 12. 2006, 12–18; zuletzt geändert durch die Richtlinie 2011/77/EU vom 27. 09. 2011 zur Änderung der Richtlinie 2006/116/EG über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABl. L 265, 1–5. 17 Richtlinie 96/9/EG vom 11. 03. 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, ABl. L 77, 20–28; zuletzt geändert durch Richtlinie (EU) 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 04. 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG, ABl. L 130, 92–125. 18 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 05. 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. L 167, 10–19; zuletzt geändert durch Richtlinie (EU) 2019/790 Rates vom 17. 04. 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG. 19 Richtlinie 2001/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 09. 2001 über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerks, ABl. L 272, 32–36. 20 Richtlinie 2004/48/EG vom 29. 04. 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. 21 Richtlinie 2012/28/EU vom 25. 10. 2012 über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke, ABl. L 299, 5–12. 22 Richtlinie 2014/26/EU vom 26. 02. 2014 über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt, ABl. L 84, 72–98. 23 Richtlinie (EU) 2017/1564 vom 13. 09. 2017 über bestimmte zulässige Formen der Nutzung bestimmter urheberrechtlich oder durch verwandte Schutzrechte geschützter Werke und sonstiger Schutzgegenstände zugunsten blinder, sehbehinderter oder anderweitig lesebehinderter Personen und zur Änderung der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. L 242, 6–13. 24 Richtlinie (EU) 2019/790 vom 17. 04. 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG, ABl. L 130, 92–125.

I. Bedeutung des europäischen Urheberrechts für das deutsche Urheberrecht

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Die wohl zentralste Stellung unter dieser Vielzahl von Richtlinien nimmt die InfoSoc-RL ein. Sie baut auf den Grundsätzen und Bestimmungen der vorherigen Richtlinien auf, entwickelt sie fort und ordnet sie im Rahmen der Informationsgesellschaft neu ein.25 Zwar hat die InfoSoc-RL nach Art. 1 Abs. 1 den rechtlichen Schutz des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte im Rahmen des Binnenmarktes, insbesondere in Bezug auf die Informationsgesellschaft zum Gegenstand, jedoch verankert sie darüber hinaus Entscheidungen des europäischen Gesetzgebers, die für das Urheberrecht von grundsätzlicher Bedeutung sind.26 Sie legt ein hohes Schutzniveau des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte fest27 und gibt ein weites Verständnis der unter das Vervielfältigungsrecht fallenden Handlungen28 und der öffentlichen Wiedergabe29 vor. Weiterhin regelt sie die zentralen Verwertungsrechte.30 Auch der durch internationale Verpflichtungen vorgegebene Dreistufentest hat Eingang in die Richtlinie gefunden.31 Zudem werden allgemeine Bestimmungen bspw. zu Sanktionen und Rechtsbehelfen getroffen.32 Von besonderer Bedeutung sind außerdem die Regelungen über Ausnahmen und Beschränkungen in Art. 5 der InfoSoc-RL33. Sie sind in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Wiedergabe erschöpfend aufgeführt34, sodass auf nationaler Ebene kein Spielraum für weitere Schrankenregelungen verbleibt. Gleichzeitig sind die Bestimmungen über die Ausnahmen und Beschränkungen in Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 InfoSoc-RL fakultativ.35 Diese Regelungs­systematik wird in der Literatur vielfach kritisiert. Sie führe zu Rechtsunsicherheit36 und verfehle das Ziel der Harmonisierung der Schranken37. Außerdem werde durch die Vielzahl an optionalen Ausnahmen und Beschränkungen deutlich, dass man sich auf konkrete Schrankenregelungen nicht einigen konnte.38 25

Vgl. Erwgr. 20 zur InfoSoc-RL. Schippan spricht davon, dass sich die Gemeinschaft erstmals ins „Epizentrum“ des Urheberrechts begebe, ZUM 2001, 116 (117). 27 Erwgr. 9 zur InfoSoc-RL. 28 Erwgr. 21 zur InfoSoc-RL. 29 Erwgr. 23 zur InfoSoc-RL. 30 Vgl. Art. 2–4 der InfoSoc-RL. 31 Vgl. Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-RL; Erwgr. 44 zur InfoSoc-RL. 32 Vgl. Art. 8 der InfoSoc-RL. 33 Schippan bezeichnet ihn als „kritischsten sowie augenfälligsten Artikel des Richtlinienvorschlags“, ZUM 2001, 116 (117). 34 Erwgr. 32 zur InfoSoc-RL. 35 Vgl. Erwgr. 36 zur InfoSoc-RL, während die Ausnahme in Art. 5 Abs. 1 InfoSoc-RL verpflichtend wirkt. 36 Spindler, in: Grünberger / Leible, Die Kollision von Urheberrecht und Nutzerverhalten, S. 232, der auf Guibault, Journal of Intellectual Property, Information Technology, and Electronic Commerce Law (JIPITEC) 1 (2) 2010, S. 55, verweist. 37 Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken im digitalen Umfeld, S. 125, der auf Schippan, ZUM 2001, 116 ff.; Hoeren, MMR 2000, 515, (519); Jehoram, GRUR Int. 2001, 810, verweist. 38 Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken im digitalen Umfeld, S. 125; vgl. auch Schippan, ZUM 2001, 116 (117), der von einer „wunderbare(n) Vermehrung“ der 26

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

2. Die Rolle des EuGH für das europäische Urheberrecht Im Rahmen des europäischen Urheberrechts nimmt der EuGH eine bedeutende Rolle ein. Er ist Verfassungs- und Fachgericht zugleich.39 Angestoßen von dem weiten Anwendungsbereich der InfoSoc-RL und dem Grundsatz der autonomen Auslegung der in ihr gewählten Begriffe, trägt seine Rechtsprechung zunehmend zur Harmonisierung bei.40 Die harmonisierende Wirkung verstärkt sich dadurch, dass der EuGH vergleichbare Begriffe richtlinienübergreifend einheitlich auslegt.41 Bis auf das bislang nicht harmonisierte Urheberpersönlichkeits- und Urhebervertragsrecht ist das Urheberrecht von der Rechtsprechung des Gerichtshofs geprägt.42 Der EuGH begnügt sich jedoch nicht nur mit der Auslegung bestehender Richtlinien, vielmehr ist er auch rechtsfortbildend tätig geworden.43 Das wohl eindrücklichste Beispiel dafür ist die Entwicklung eines europäischen Werkbegriffs, der für das Urheberrecht von grundlegender Bedeutung ist, dessen Definition der europäische Gesetzgeber aber versäumt hat.44 Auch für die Auslegung der Schranken ist die Rechtsprechung des EuGH prägend. Dies zeigte bereits die Infopaq-Entscheidung45 aus dem Jahre 2009, die Art. 5 Abs. 1 der InfoSoc-RL betraf.46 Zehn Jahre später folgte der Paukenschlag des EuGH mit den Entscheidungen Pelham u. a.47, Funke Medien NRW48 und Spiegel Online49, bei denen die Auslegung der in Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 der InfoSoc-RL enthaltenen Schrankenregelungen von maßgeblicher Bedeutung waren. Auch in diesen Entscheidungen zeigt die vordergründige Argumentation mit den maßgeblichen Grundrechtspositionen, dass der EuGH nicht nur als Fach- sondern auch als Verfassungsgericht fungiert.50

Schrankenkataloge durch Kompromissverhandlungen spricht; Hoeren spricht von „Spuren eines mühevollen Kompromisses“, MMR 2000, 515 (521). 39 Vgl. dazu Metzger, GRUR 2012, 118 (119). 40 Leistner, EuZW, 2016, 166. 41 Leistner, EuZW, 2016, 166 m. w. N. 42 Leistner, EuZW, 2016, 166 m. w. N. 43 So auch Berger, ZUM 2012, 353 (355); Metzger, ZEuP 2017, 836 (849, 852). 44 Metzger, GRUR 2012, 118 (121); Metzger, ZEuP 2017, 836 (849). 45 EuGH, Urt. v. 16. 07. 2009 – C-5/08, ECLI:EU:C:2009:465 Rn. 58 – Infopaq International. 46 Spindler, in: Grünberger / Leible, Die Kollision von Urheberrecht und Nutzerverhalten, S. 233. 47 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 – Pelham u. a. 48 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 – Funke Medien NRW. 49 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 – Spiegel Online. 50 Vgl. z. B. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 31–39 – Pelham u. a.; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 60, 72–76 – Funke Medien NRW und EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 45, 56–59 – Spiegel Online.

I. Bedeutung des europäischen Urheberrechts für das deutsche Urheberrecht

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3. Die Bedeutung der InfoSoc- und DSM-RL für das Urheberrecht der Mitgliedstaaten Art.  5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL, Art. 5 Abs. 3 lit. d)  InfoSoc-RL und Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL sind Bestandteile von Richtlinien im Sinne des Art. 288 Abs. 3 AEUV und gehören damit zum sekundären Unionsrecht. Richtlinien sind für die Mitgliedstaaten nach Art. 288 Abs. 3 AEUV hinsichtlich des Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Sie entfalten also zunächst keine unmittelbare Wirkung, sondern müssen nach ihrem Erlass in ein nationales Gesetz transformiert werden. Auch durch die Beibehaltung, Modifikation oder Beseitigung nationaler Regelungen können die Vorgaben einer Richtlinie erfüllt werden.51 Sinn dieses verbreiteten Instruments der Rechtssetzung ist es, die Harmonisierung europäischen Rechts auf möglichst schonende Weise zu erreichen. Damit verfolgen Richtlinien im Gegensatz zu den Verordnungen überwiegend das Ziel der Rechtsangleichung und nicht der Rechtsvereinheitlichung.52 Mit Ablauf der Umsetzungsfrist entsteht die Umsetzungspflicht, sodass die Mitgliedstaaten einen richtlinienkonformen Rechtszustand herzustellen haben.53 Bei einer nicht ordnungsgemäßen Umsetzung drohen Zwangsgelder nach Art. 260 Abs. 2 und Abs. 3 AEUV.54 Zudem entfaltet die Richtlinie bei Verletzung der Umsetzungspflicht unmittelbare Wirkung im nationalen Recht, soweit sie inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist.55 Die InfoSoc-RL wurde durch das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft56 umgesetzt. Die DSM-RL durch das Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts.57 Beide Richtlinien genießen als Bestandteil des Unionsrechts Anwendungsvorrang58 vor 51

Grabitz / Hilf / Nettesheim / Nettesheim, Recht der Europäischen Union, Art. 288 AEUV Rn. 104 m. w. N. 52 Grabitz / Hilf / Nettesheim / Nettesheim, Recht der Europäischen Union, Art. 288 AEUV Rn. 104. 53 Grabitz / Hilf / Nettesheim / Nettesheim, Recht der Europäischen Union, Art. 288 AEUV Rn. 114. 54 Grabitz / Hilf / Nettesheim / Nettesheim, Recht der Europäischen Union, Art. 288 AEUV Rn. 114. 55 Dazu Grabitz / Hilf / Nettesheim / Nettesheim, Recht der Europäischen Union, Art. 288 AEUV Rn. 142–147. 56 Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. 09. 2003, BGBl.  2003 I Nr. 46, S. 1774. 57 Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts vom 31. 05. 2021, BGBl. 2021 I Nr. 27, S. 1204. 58 Das BVerfG leitet den Anwendungsvorrang des Unionsrechts überwiegend aus Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG ab, BVerfGE 140, 317 Rn. 38 – Identitätskontrolle I; BVerfGE 142, 123 Rn. 118 – OMT; BVerfGE 152, 216 Rn. 44 – Recht auf Vergessen II. In BVerfGE 126, 286 (301–302) – Honeywell stellt das BVerfG hingegen fest, dass der Anwendungsvorrang aus dem Unionsrecht folge, aber Art. 23 Abs. 1 GG entspreche. Der EuGH begründet den Anwendungsvorrang mit der Aufnahme der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts in das Recht der einzelnen Mit-

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

nationalen Regelungen. Damit ist nationales Recht, das im Widerspruch zu Vorgaben der InfoSoc- und DSM-RL steht von den innerstaatlichen Gerichten nicht anzuwenden. Nur in außerordentlich begrenzten Fällen kann das deutsche Verfassungsrecht nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausnahmsweise vorrangig sein und damit eine vom Unionsrecht abweichende Auslegung gebieten. So im Falle des unzureichenden Grundrechtsschutz59, bei Betroffenheit der aus Art. 79 Abs. 3 GG folgenden Verfassungsidentität60 oder bei der Kompetenzüberschreitung der EU (Ultra-vires-Kontrolle)61.62

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen im europäischen Urheberrecht  Neben den zentralen Schrankenregelungen des Art. 5 der InfoSoc-RL, lassen sich auch in anderen Richtlinien vereinzelt spezifische Schrankenregelungen finden.63 Ausnahmetatbestände, die originär dazu bestimmt sind, von der Kunstfreiheit geschützte Handlungen vornehmen zu können, enthält neben der InfoSoc-RL jedoch nur die DSM-RL. In beiden Richtlinien sind Vorschriften vorgesehen, die eine Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke zum Zweck des Zitats sowie von Karikatur, Parodie und Pastiche privilegieren. Im Folgenden werden die Ausnahmetatbestände zur Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht in Form der Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL (1), Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL (2) und Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b) DSM-RL (3) hinsichtlich ihrer Rechtsnatur und ihres Anwendungsbereiches näher untersucht, um festzustellen, welchen Beitrag sie zur Lösung des Spannungsverhältnisses von Urheberrecht und Kunstfreiheit leisten.

gliedstaaten sowie dem Wortlaut und Geist des EWG-Vertrags, d. h. insbesondere den Zielen und der dafür erforderlichen Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts. Mit dem EWG-Vertrag hätten die Mitgliedstaaten eine eigenständige Rechtsordnung geschaffen und ihre Souveränitätsrechte beschränkt. Außerdem werde der Vorrang des Unionsrechts durch Art. 189 EWGVertrag (entspricht Art. 288 AEUV) bestätigt. Grundlegend dazu: EuGH, Urt. v. 15. 07. 1964 – C-6/64, ECLI:EU:C:1964:66, S. 1269–1271. 59 Vgl. BVerfGE 37, 271 (280–281) – Solange I. 60 Grundlegend dazu: BVerfGE 140, 317 Rn. 40–50 – Identitätskontrolle I. 61 Grundlegend dazu: BVerfGE 123, 267 (353–354) – Vertrag von Lissabon. 62 Näher zu den Ausnahmefällen vom Anwendungsvorrang des Unionsrechts unter C. III. 3. 63 Bspw. in Art. 5 der Computerprogramm-RL und Art. 6 der Datenbank-RL.

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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1. Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL als Beschränkung des Urheberrechts zugunsten der Kunstfreiheit Art. 5 Abs. 3 lit. k) der InfoSoc-RL ist einer von 15 in der InfoSoc-RL geregelten Tatbeständen, der es den Mitgliedstaaten der EU erlaubt, Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Wiedergabe vorzusehen.64 Nach der angeführten Norm sind Ausnahmen oder Beschränkungen „für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches“ zulässig. Da es sich bei Karikaturen, Parodien und Pastiches um referenzielle Kunstformen handelt, dient Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL der Tätigkeit nachschaffender Künstler und damit der nach Art. 13 S. 1 GRCh geschützten Kunstfreiheit.65 Karikaturen und Parodien ermöglichen darüber hinaus oftmals auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einem anderen Gegenstand, sodass sie von der Meinungsfreiheit nach Art. 11 Abs. 1 GRCh geschützt sein können. In der Regel stellt die Kunstfreiheit jedoch das speziellere Grundrecht dar, sodass sie für den Interessenausgleich zwischen Urheber und Nutzer im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL maßgeblich ist.66 a) Rechtsnatur und Bedeutung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL für das nationale Recht der Mitgliedstaaten Nach der InfoSoc-RL handelt es sich bei Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL um eine fakultative Schrankenregelung.67 Dies bedeutet, dass es den Mitgliedstaaten der Union freigestellt ist, die Beschränkung in das nationale Urheberrecht zu implementieren. Entscheiden sie sich jedoch für die Übernahme oder existiert bereits eine entsprechende Schrankenregelung in ihrem jeweiligen innerstaatlichen Recht, muss diese alle Voraussetzungen seines unionsrechtlichen Pendants erfüllen.68 64

In Bezug auf das Vervielfältigungsrecht kommen noch fünf weitere Ausnahmetatbestände dazu, vgl. Art. 5 Abs. 2 InfoSoc-RL. 65 Vgl. Erwgr. 70 der DSM-RL der feststellt, dass die Beschränkung zugunsten von (Zitaten) Karikaturen, Parodien und Pastiche dem Ausgleich zwischen Meinungs-, Kunst- und Eigentumsfreiheit Rechnung tragen soll. Da der EuGH den Schutz des Urhebers jedoch nicht auf die Kunstfreiheit stützt, kann damit nur die Kunstfreiheit des Nutzers gemeint sein, der sich auf die Ausnahme zum Zwecke von Karikatur, Parodie oder Pastiche beruft. 66 Heselhaus / Nowak / Haratsch, EU-Grundrechte-HdB, § 29 Rn. 21; Jarass, GRCh, Art. 13 Rn. 4 m. w. N. Vgl. für das deutsche Recht: BVerfGE 75, 369 (377)  – Strauß-Karikatur; BVerfGE 30, 173 (200)  – Mephisto; BVerfGE 33, 52 (70–71); v. Mangoldt / K lein / Starck /  Chr. Starck / A . L. Paulus, GG, Art. 5 Rn. 413 m. w. N.; Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 76 m. w. N.; Sachs / Bethge, GG, Art. 5 Rn. 194 m. w. N. Dazu auch unter D. II. 2. c). Allerdings versteht der EuGH parallel zur Rechtsprechung des EGMR die Kunstfreiheit als Unterfall der Meinungsfreiheit, dazu unter D. II. 1. a) cc) (2) (a). 67 Vgl. Erwgr. 36 zur InfoSoc-RL, während die Ausnahme in Abs. 1 verpflichtend wirkt. 68 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17 ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 48 – Funke Medien NRW m. w. N.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Gleichzeitig sind die Schrankenregelungen in Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 der InfoSoc-RL im Hinblick auf das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Wiedergabe erschöpfend aufgeführt69, sodass auf nationaler Ebene kein Spielraum für weitere Schrankenregelungen verbleibt. Bis zur Urheberrechtsreform 2021 hatte der deutsche Gesetzgeber die Regelung des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL nicht ausdrücklich in das Urheberrechtsgesetz aufgenommen. Mit dem Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes wurde die Schrankenregelung in § 51a UrhG umgesetzt. Bei Erlass der InfoSoc-RL ging die Literatur noch davon aus, dass eine gesonderte Vorschrift aufgrund der Anerkennung der Parodiefreiheit durch die Rechtsprechung im Rahmen von § 24 UrhG a. F. entbehrlich sei.70 Mangels Thematisierung in den einschlägigen Gesetzgebungsmaterialien ist zu unterstellen, dass auch der Gesetzgeber stillschweigend dieser Annahme gefolgt ist. Der BGH schloss aus der Untätigkeit des deutschen Gesetzgebers, dass im Hinblick auf die gefestigte Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Parodien und Karikaturen als freie Benutzung Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL durch § 24 Abs. 1 UrhG a. F. umgesetzt werde. Mangels entsprechender Rechtsprechung zu Pastiches setze § 24 Abs. 1 UrhG a. F. diesen Teil der Beschränkung nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSocRL jedoch nicht um.71 Durch den Erlass der DSM-RL wurde die Frage aufgeworfen, ob Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL weiterhin fakultativer Natur ist. Denn Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b) der DSM-RL gibt den Mitgliedstaaten auf, dass sich alle Nutzer, die nutzergenerierte Inhalte auf Diensten für das Teilen von Online-Inhalten zugänglich machen, auf die Ausnahme oder Beschränkung der Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches stützen können. Folglich ist für die beschriebene Situation die Beschränkung zugunsten von Karikaturen, Parodien oder Pastiches in das nationale Recht der Mitgliedstaaten verpflichtend einzuführen.72 Teilweise wird Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b)  DSM-RL darüber hinaus dahingehend interpretiert, dass er situationsunabhängig die allgemeine Regelung des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL für verpflichtend erkläre.73 Gegen solch eine Auslegung sprechen jedoch die Regelungssystematik und der eindeutige Wortlaut der Richtlinie. Bereits Art. 1 Abs. 2 der DSM-RL stellt fest, dass die Bestimmungen bereits bestehender Richtlinien, wie ausdrücklich aufgeführt der InfoSoc-RL, unberührt bleiben und sie in keiner Weise beeinträchtigen. Zwar wird in Erwägungsgrund 69

Erwgr. 32 zur InfoSoc-RL. So Hoeren, MMR 2000, 515 (519); Bayreuther, ZUM 2001, 828 (837). Der BGH hat festgestellt, „dass die Parodie in ihrer Wirkung als Schutzschranke der Sache nach durch § 24 Abs. 1 UrhG in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung umgesetzt“ wurde, s. BGHZ 211, 309 Rn. 24 – auf fett getrimmt. 71 BGHZ 225, 222 Rn. 65 – Metall auf Metall IV. 72 Vgl. Erwgr. 70 der DSM-RL. Deutschland hat die Schranke in § 5 Abs. 1 Nr. 2 UrhDaG umgesetzt. 73 Stieper, GRUR 2020, 1 (6). 70

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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70 der Richtlinie das Gleichgewicht zwischen den Rechten der Grundrechtecharta betont, insbesondere zwischen der Meinungsfreiheit, der Kunstfreiheit und dem (geistigen) Eigentum, welches situationsübergreifend und nicht nur im Bereich der Online-Dienste von Bedeutung ist. Jedoch hebt der Erwägungsgrund  ebenfalls den einheitlichen Schutz der Nutzer und nicht der Allgemeinheit in der Europäischen Union hervor. Zudem ergibt sich aus Art. 25 der DSM-RL, dass die in der Richtlinie enthaltenen Ausnahmen und Beschränkungen nur für bestimmte Arten oder Bereiche der Nutzung gelten. Auch die Konkretisierung des Begriffs der Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten sowie die Ausklammerung bestimmter anderer Anbieter in Art. 2 Nr. 6 DSM-RL74 sprechen dafür, dass die verpflichtenden Beschränkungen nur in diesem eng begrenzten Bereich vorzusehen sind. Folglich ist die Vorschrift des Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b) DSM-RL dahingehend auszulegen, dass sie die Parodieschranke des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL beim Teilen von nutzergenerierten Online-Inhalten als verpflichtend vorschreibt, sie aber in anderen Situationen die fakultative Natur der Schrankenregelung unberührt lässt. b) Voraussetzungen und Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL ermöglicht den Mitgliedstaaten der Europä­ ischen Union Ausnahmen oder Beschränkungen von dem Vervielfältigungsrecht nach Art. 2 der InfoSoc-RL und dem Recht der öffentlichen Wiedergabe nach Art. 3 der InfoSoc-RL (aa) für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches (bb) vorzusehen. aa) Ausnahme oder Beschränkung von Art. 2 und Art. 3 der InfoSoc-RL Das Bedürfnis einer Ausnahme oder Beschränkung der Rechte nach Art. 2 und Art. 3 InfoSoc-RL besteht nur, wenn diese Rechte auch entstanden sind. Die Entstehung des Vervielfältigungsrechts und des Rechts der öffentlichen Wiedergabe setzen voraus, dass ein schutzfähiges Werk vorliegt. Nach dem europäischen Werkbegriff ist dafür eine eigene geistige Schöpfung erforderlich. Der Werkbegriff ist nur in den Richtlinien für Computerprogramme, Datenbanken und Fotografien ausdrücklich harmonisiert worden.75 Der EuGH hat jedoch auch in anderen Fällen das Kriterium

74

S. auch Erwgr. 62 der DSM-RL. Vgl. Art. 1 Abs. 3 der Computerprogramm-RL, Art. 3 Abs. 1 der Datenbank-RL und Art. 6 der Schutzdauer-RL. Als Schutzvoraussetzung für Computerprogramme und Fotografien wird über die eigene geistige Schöpfung hinaus ein individuelles Werk gefordert. 75

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

einer eigenen geistigen Schöpfung zugrunde gelegt76, durch weitere Ausführungen konkretisiert77 und schließlich festgestellt, dass es sich bei dem Werkbegriff um einen autonomen Begriff des Unionsrechts handele, der daher unionsweit einheitlich auszulegen und anzuwenden sei.78 Viele Stimmen in der Literatur begrüßen das proaktive Verhalten des EuGH, während andere teilweise kritisch reagieren.79 Der unionsrechtliche Werkbegriff setzt das kumulative Vorliegen von zwei Tatbestandsmerkmalen voraus: „Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass es eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt. Zum anderen ist die Einstufung als ‚Werk‘ Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen.“80 Das erste Merkmal, ein Original im Sinne einer eigenen geistigen Schöpfung des Urhebers, ist zu bejahen, wenn der betroffene Gegenstand Ausdruck von freien kreativen Entscheidungen ist und damit die Persönlichkeit des Urhebers widerspiegelt.81 Mangels künstle­rischer Freiheit kann von Originalität nicht ausgegangen werden, wenn die Gestaltung des Gegenstands allein durch vorgegebene technische Erwägungen, Regeln oder andere Zwänge bestimmt wurde.82 Beispielsweise ist trotz einigen allgemeinen Vorgaben die an eine Portraitfotografie bestehen, der künstlerische Spielraum nicht zwingend verringert oder auf null reduziert, sodass auch in solchen Fällen noch von freien kreativen Entscheidungen des Künstlers gesprochen werden kann.83 Das zweite Merkmal zielt darauf ab, das Werk genau zu identifizieren und dessen Grenzen festzulegen. Danach setzt der Begriff Werk einen „mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbaren Gegenstand“ voraus.84 Grund da 76 Im Urt. v. 16. 07. 2009 – C-5/08, ECLI:EU:C:2009:465 Rn. 35–37 – Infopaq International, stellt der EuGH mit Verweis auf u. a. Erwgr. 20 der InfoSoc-RL fest, dass das Begriffsverständnis auch für die InfoSoc-RL gelten muss, da diese auf den Grundsätzen der bereits bestehenden Richtlinien aufbaut. 77 Vgl. bspw. EuGH, Urt. v. 13. 11. 2018 – C-310/17, ECLI:EU:C:2018:899 Rn. 35–44 – Levola Hengelo m. w. N. 78 EuGH, Urt. v. 13. 11. 2018  – C-310/17, ECLI:EU:C:2018:899 Rn. 33  – Levola Hengelo m. w. N.; EuGH, Urt. v. 12. 09. 2019 – C-683/17, ECLI:EU:C:2019:721 Rn. 29 – Cofemel. 79 Kritisch insbes. im Hinblick auf die Kompetenz des EuGH zur Harmonisierung z. B. Schack, GRUR 2019, 73 (75); Leistner, GRUR 2019, 1114 (1116). 80 EuGH, Urt. v. 12. 09. 2019 – C-683/17, ECLI:EU:C:2019:721 Rn. 29 – Cofemel; mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 16. 07. 2009 – C-5/08, ECLI:EU:C:2009:465 Rn. 37 und 39 – Infopaq International und EuGH, Urt.  v.  13. 11. 2018  – C-310/17, ECLI:EU:C:2018:899 Rn. 33 und 35–37 – Levola Hengelo. 81 EuGH, Urt. v. 12. 09. 2019 – C-683/17, ECLI:EU:C:2019:721 Rn. 30 – Cofemel; mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 88, 89, 94 – Painer und EuGH, Urt. v. 07. 08. 2018 – C-161/17, ECLI:EU:C:2018:634 Rn. 14 – Renckhoff; vgl. auch Erwgr. 17 der Schutzdauer-RL und Erwgr. 15–16 der Datenbank-RL. 82 EuGH, Urt. v. 12. 09. 2019 – C-683/17, ECLI:EU:C:2019:721 Rn. 31 – Cofemel; mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 01. 03. 2012 – C-604/10, ECLI:EU:C:2012:115 Rn. 39 – Football Dataco u. a. m. w. N. 83 EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 90–93 – Painer. 84 EuGH, Urt. v. 12. 09. 2019 – C-683/17, ECLI:EU:C:2019:721 Rn. 32 – Cofemel; mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 13. 11. 2018 – C-310/17, ECLI:EU:C:2018:899 Rn. 40 – Levola Hengelo.

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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für ist, dass sowohl Behörden als auch andere Dritte den geschützten Gegenstand, aus dem die Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers folgen und dessen Umfang genau erkennen müssen. Die Rechtssicherheit gebiete es deshalb, dass nur objektive und nicht etwa subjektive Kriterien für die Identifizierung maßgeblich sein können.85 Ein bestimmter Geschmack erfüllt dieses Kriterium im Gegensatz zu literarischen, musikalischen, bildnerischen oder filmischen Werken nicht, da er von zu vielen subjektiven und veränderlichen Faktoren abhängig ist, wie persönlichen Vorlieben, Alter oder Umfeld, in dem gekostet wird.86 Erfüllt ein Gegenstand beide Merkmale, genießt er als Werk urheberrecht­lichen Schutz unabhängig davon, wie groß die schöpferische Freiheit seines Urhebers war.87 Folglich sind an alle Werkkategorien dieselben zwei Anforderungen zu stellen, die bei ihrem Vorliegen zu einem einheitlichen von der InfoSoc-RL vorgegebenen Schutz führen. Liegt eine eigene geistige Schöpfung vor, aus dem sich die Rechte der Art. 2 und Art. 3 InfoSoc-RL ergeben, kann diese unabhängig vom Willen des Urhebers nur genutzt werden, wenn eine Ausnahme oder Beschränkung eingreift. Im Gegensatz dazu unterliegen geschichtliche Ereignisse, bestimmte Meinungen oder persön­ liche Eigenschaften nicht dem Werkbegriff, sodass selbst wenn von einer Parodie, Karikatur oder Satire die Rede ist, es für ihre Nutzung von vornherein keiner Schrankenregelung bedarf.88 Außerdem ist für die Nutzung eines Werkes keine Ausnahme oder Beschränkung notwendig, wenn Gemeinfreiheit vorliegt. Dies ist etwa der Fall, wenn es sich um ein amtliches Werk handelt oder die Schutzfrist abgelaufen ist.89 bb) Für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien und Pastiches Die Ausnahmen oder Beschränkungen von dem Vervielfältigungsrecht und der öffentlichen Wiedergabe dürfen nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen (3), Parodien (1) und Pastiches (2) eingeführt werden.

85

EuGH, Urt. v. 12. 09. 2019 – C-683/17, ECLI:EU:C:2019:721 Rn. 33–34 – Cofemel; mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 13. 11. 2018 – C-310/17, ECLI:EU:C:2018:899 Rn. 41–42 – Levola Hengelo. 86 EuGH, Urt. v. 13. 11. 2018 – C-310/17, ECLI:EU:C:2018:899 Rn. 42 – Levola Hengelo. 87 EuGH, Urt. v. 12. 09. 2019 – C-683/17, ECLI:EU:C:2019:721 Rn. 35 – Cofemel. 88 Dazu Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 112. 89 Vgl. Wandtke / Bullinger / Marquardt, UrhR, § 5 Rn. 1–2; a. a. O. Lüft, § 64 Rn. 13 m. w. N.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

(1) Der Begriff der Parodie Die Definition des Parodiebegriffs hat der europäische Gesetzgeber versäumt. Allerdings hat der EuGH eine Konkretisierung vorgenommen. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich und (zukünftige) Auslegungsmöglichkeiten soll im Folgenden neben der Rechtsprechung des EuGH (a) betrachtet werden, wie der Parodiebegriff in der Kulturwissenschaft (b) zu verstehen ist und welche Unterschiede zwischen den Begriffsverständnissen bestehen (c). (a) Der Parodiebegriff nach der Rechtsprechung des EuGH Bislang hat sich der EuGH allein in dem Fall Deckmyn und Vrijheidsfonds mit dem Begriff der Parodie im Sinne von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL auseinandergesetzt. Daher soll die Entscheidung im Hinblick auf den Parodiebegriff und die damit verbundene Auslegung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL kurz dargestellt (aa) und im Anschluss ihre Bedeutung für den Begriff erklärt werden (bb). (aa) Die Entscheidung Deckmyn und Vrijheidsfonds In der Entscheidung Deckmyn und Vrijheidsfonds im Jahr 2014 setzte sich der EuGH erstmals mit dem Parodiebegriff und dem Inhalt der ihr zugehörigen Schrankenregelung des Art. 5 Abs. 3 lit. k) der InfoSoc-RL auseinander. Bisher ist es die einzige Entscheidung zum Begriff der Parodie geblieben. Im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens hatte der EuGH zunächst zu beantworten, ob es sich bei dem Begriff der Parodie um einen autonom unionsrechtlichen Begriff handele. Soweit dies der Fall sei, wollte das vorlegende belgische Gericht wissen, welche Voraussetzungen und Merkmale eine künstlerische Erscheinung erfüllen müsse, um unter den Parodiebegriff zu fallen. Konkret fragte das vorlegende Gericht, ob (1.) ein eigener ursprünglichen Charakter (Originalität) vorliegen müsse, sodass die Parodie nicht dem Urheber des ursprünglichen Werks zugeschrieben werden kann, (2.) ob die Belustigung oder Verspottung des Ursprungswerkes oder eines anderen Gegenstandes oder einer Person (unabhängig von ihrer Zielrichtung) beabsichtigt sein muss und (3.) ob das parodierte Werk anzugeben ist. Darüber hinaus fragte das belgische Gericht nach weiteren notwendigen Voraussetzungen oder Merkmalen.90 Der EuGH stellte fest, dass es sich bei der Parodie im Sinne des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL um einen eigenständigen Begriff des Unionsrechts handele der daher autonom und einheitlich auszulegen sei. Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach dem eine solche Auslegung der Regelfall sei, wenn nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verwiesen werde. 90

S. zu den Vorlagefragen EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 13 – Deckmyn und Vrijheidsfonds.

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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Eine einheitliche Verwendung des Parodiebegriffs sei auch im Hinblick auf das Ziel der InfoSoc-RL geboten. Insbesondere die fakultative Natur des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL stehe dieser Auslegung nicht entgegen.91 Im Hinblick auf die Voraussetzungen einer Parodie konstatierte der Gerichtshof, dass aufgrund fehlender Definition in der InfoSoc-RL, der Begriff entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu ermitteln sei. Maßgeblich sei auch der Kontext der Verwendung und das Regelungsziel, zu dem er gehört.92 Nach dem Sinn des Begriffs sei wesentliches Merkmal der Parodie „zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder Verspottung darzustellen“93. Weitere, wie die von dem vorlegenden Gericht angeführte Voraussetzung eines eigenen ursprünglichen Charakters würden sich weder aus dem Sinn des Begriffs „Parodie“ noch aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch ergeben.94 Folglich ist es nicht erforderlich, dass die Parodie selbst ein urheberrechtlich geschütztes Werk verkörpert. Auch aus dem Erfordernis Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL als Ausnahme eng auszulegen, könne keine Einschränkung erfolgen, die über den Sinn des Begriffs oder den gewöhnlichen Sprachgebrauch hinausgehe. Schließlich müssten die praktische Wirksamkeit und das mit der Ausnahme verbundene Ziel berücksichtigt werden.95 Der EuGH weist darauf hin, dass im Rahmen der Auslegung nicht nur die Zielsetzung der einzelnen Beschränkung, sondern auch die allgemeinen Regelungsziele der InfoSoc-RL beachtet werden müssen. Zu letzteren zähle die Harmonisierung, welche von Bedeutung für einen freien Binnenmarkt und die „Beachtung der tragenden Grundsätze des Rechts (…), insbesondere des Eigentums einschließlich des geistigen Eigentums, der freien Meinungsäußerung und des Gemeinwohls“96 sei. Weiterhin betonte der Gerichtshof in Bezugnahme auf den 31. Erwägungsgrund der InfoSoc-RL den angemessenen Ausgleich bei einer Kollision von Urheberrechten und Nutzerverhalten. In der konkreten Situation bedeute dies, dass durch die Anwendung der Ausnahme zugunsten der Parodie ein angemessener Ausgleich zwischen den Rechten und Interessen von Schutzrechtsinhabern auf der einen und der freien Meinungsäußerung eines Werknutzers auf der anderen Seite erzielt werden müsse.97 Die Beurteilung, ob dieser Ausgleich ge 91

EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 14–17 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 92 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 19  – Deckmyn und Vrijheidsfonds m. w. N. 93 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 20  – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 94 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 21  – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 95 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 22–24 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 96 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 25  – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 97 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 26–27 – Deckmyn und Vrijheidsfonds.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

linge, sei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.98 Im anhängigen Rechtsstreit gehörte zu diesen Umständen des Einzelfalls die diskriminierende Aussage der streitgegenständlichen Parodie. Mit Verweis auf das Diskriminierungsverbot des Art. 21 Abs. 1 GRCh und auf die Richtlinie 2000/43/EG99 stellte das Gericht fest, dass aus dieser Aussage ein „berechtigtes Interesse“ des Originalurhebers resultiere nicht mit der Parodie in Verbindung gebracht zu werden.100 Für die Beurteilung des angemessenen Ausgleichs bei der Anwendung der Ausnahme zugunsten der Parodie nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) im konkreten Fall verwies der EuGH an das belgische Gericht zurück. (bb) Persönliche Stellungnahme zur Auslegung der Ausnahme zugunsten von Parodien in der Entscheidung des EuGH in Deckmyn und Vrijheidsfonds Rechtsdogmatisch erscheint die Herangehensweise des Gerichtshofs zunächst fragwürdig. Die Entstehung der skurrilen Konstruktion in Form einer nachgelagerten Interessenabwägung mag jedoch der Doppelstellung des EuGH als Fach- und Verfassungsgericht geschuldet sein. Eine Beantwortung der sekundärrechtlichen Fragestellungen ohne Beachtung der sich aus dem Primärrecht ergebenden Verpflichtungen ist dem Gerichtshof nicht möglich. Bei fehlendem Verständnis der Doppelstellung des EuGH gibt diese Entscheidung jedoch auch den ordentlichen Gerichten der Mitgliedstaaten den Anreiz, pauschal eine vom Gesetzestext losgelöste Interessenabwägung vorzunehmen. Eine enger an der Richtlinie orientierte Entscheidung wäre dogmatisch schlüssiger gewesen. Dazu hätte der EuGH auf „die berechtigten Interessen“ des Urhebers im Rahmen des Dreistufentests nach Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-RL verweisen können.101 Diese dürften auch beinhalten, als Urheber nicht mit einer diskriminierenden Aussage in Verbindung gebracht zu werden. Damit hätte der Gerichtshof nicht von der Prüfungssystematik eines ordentlichen Gerichts abweichen müssen, da der Dreistufentest bei der Auslegung aller Schranken zu berücksichtigen ist.102 Auch in der Literatur ist die Entscheidung des EuGH auf Kritik gestoßen.103 Bemängelt werden neben der von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL losgelösten allgemeinen Abwägung die ungenügende Beachtung der Meinungsfreiheit und 98

EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 28  – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 99 Richtlinie vom 29. 06. 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. L 180, 22. 100 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 30–31 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 101 Dazu auch Riesenhuber, LMK 2014, 363019. 102 Näher dazu unter B. II. 4. 103 v. Becker, GRUR 2015, 336 (338–339); Riesenhuber, LMK 2014, 363019; Unseld, EuZW 2014, 912 (915).

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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eine zu starke „Political-Correctness-Kontrolle“ des EuGH.104 Auch die fehlende Auseinandersetzung mit der belgischen Ausnahmeregelung zugunsten der Parodiefreiheit wird kritisiert.105 (cc) Die Bedeutung der Entscheidung Deckmyn und Vrijheidsfonds für den Parodiebegriff Der EuGH versteht die Parodie als eigenständigen Begriff des Unionsrechts,106 dessen einzig wesentlichen Merkmale es seien „zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen“107. Darüber hinaus bestehen keine weiteren Anforderungen an die Erfüllung des Parodiebegriffs. Insbesondere das in der deutschen Rechtsprechung und Kulturwissenschaft geforderte Merkmal der antithematischen Behandlung ist ausdrücklich nicht erforderlich.108 Ebenso schränkt der EuGH den Parodiebegriff nicht auf bestimmte Werkgattungen ein. Somit kann die Parodieschranke z. B. auf Zeichnungen, Texte oder Musik Anwendung finden. Bei der Auslegung der Schranke des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL seien jedoch sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.109 Dies hat zwar keine direkte Auswirkung auf den (insbesondere im Hinblick auf die Kulturwissenschaft, zum Vergleich, s. c)  relativ weiten Parodiebegriff des EuGH. Für die Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL bedeutet dies jedoch, dass sie nicht final über die Zulässigkeit einer Parodie ohne Einwilligung des Urhebers des Originalwerkes entscheiden kann. Vielmehr sind unter Umständen dem Urheberrecht fremde Erwägungen, wie bspw. das Diskriminierungsverbot zu beachten, welche schließlich zur Unzulässigkeit einer nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zulässigen Parodie führen.110 Dies soll dem angemessenen Ausgleich der Rechte und Interessen der Beteiligten im konkreten Einzelfall dienen.111 104

Unseld, EuZW 2014, 912 (915). v. Becker, GRUR 2015, 336 (339). 106 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 15  – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 107 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 20  – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 108 Vgl. EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 33 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 109 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 28  – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 110 In Deckmyn und Vrijheidsfonds war allerdings durch die diskriminierende Aussage das Urheberpersönlichkeitsrecht des Urhebers betroffen – auch wenn der EuGH dies nicht ausdrücklich feststellte –, sodass die Berücksichtigung des diskriminierenden Charakters im Ergebnis dem Urheberrecht nicht fremd war. Es bleibt abzuwarten, zu welchem Grad Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, die tatsächlich in keinster Weise mit dem Urheberrecht in Zusammenhang stehen. 111 Vgl. EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 27–28, 35  – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 105

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

(b) Der Parodiebegriff in der Kulturwissenschaft In der Kulturwissenschaft sind der Parodiebegriff und seine Merkmale viel diskutiert und höchst umstritten. Ausgangspunkt der Diskussion ist zunächst die Etymologie. Der Begriff der Parodie wurzelt im Griechischen („para“: gegen, neben; „ode“: Gesang).112 Daraus resultiert die Übersetzung als „Nach-, Neben-, Bei- und Gegengesang“.113 Besondere Bedeutung wird der Vorsilbe „Para“ zugeschrieben.114 Denn sie kann sowohl Ausdruck eines additiven als auch adversativen Charakters der Parodie gegenüber der Vorlage sein.115 Die wohl erste Parodie war rein additiver Natur. Sie stammt von dem Homer-Rezitator Hegemon von Thasos (mehr als 400 v. Chr.).116 Er folgte nicht dem üblichen Stil einer gesungenen Rezitation, sondern trug die Texte sprechend vor und erzielte dadurch eine neue Wirkung.117 Der Begriff der Parodie ist jedoch nicht auf Gesang als spezifische Kunstform beschränkt. Vielmehr lassen sich die Erscheinung der Parodie in der Gegenwart auch in Literatur, bildender Kunst, Architektur und Film finden.118 Die Definitions- und Charakterisierungsversuche für den Parodiebegriff sowie verschiedener Parodietechniken sind mannigfaltig.119 Einige Elemente treten im Rahmen der Definitionsversuche jedoch immer wieder auf.120 Dazu gehören im Wesentlichen die Charakteristika der Kritik und des Humors sowie die offene Bezugnahme auf eine dem Adressatenkreis bekannte Vorlage. Ob diese Elemente kumulativ vorliegen müssen, um von einer Parodie zu sprechen, wird differenziert beurteilt.121

112

Kuester, Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, S. 585. Wirth, in: Wirth, Komik, S. 26; Freund, Die literarische Parodie, S. 1; Wende, in: R ­ einalter /  Brenner, Lexikon der Geisteswissenschaften, S. 609 (610). 114 Dazu: Wirth, in: Wirth, Komik, S. 26; Freund, Die literarische Parodie, S. 1; Wende, in: Reinalter / Brenner, Lexikon der Geisteswissenschaften, S. 609 (610). 115 Freund, Die literarische Parodie, S. 1. 116 Neben Hegemon von Thasos wird auch immer wieder Hipponaux als Schöpfer der Pa­ rodie genannt, s. Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, S. 394. 117 Freund, Die literarische Parodie, S. 1; Wende, in: Reinalter / Brenner, Lexikon der Geisteswissenschaften, S. 609 (610). 118 Wende, in: Reinalter / Brenner, Lexikon der Geisteswissenschaften, S. 609 (614). 119 Dazu Verweyen / Witting, Reallexikon Bd. III, S. 24–25; s. auch: Wiencek, Englischsprachige Shakespeareparodien des 20. Jahrhunderts, S. 13–19. 120 Dies stellten auch Wiencek, Englischsprachige Shakespeareparodien des 20. Jahrhunderts, S. 15 und Hess in Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 92 fest. An dieser Stelle soll der an Merkmalen orientierter Betrachtung von Hess, S. 94–101, gefolgt werden. 121 Nach Freund ist „die parodistische Tonart“ von ihrem Gegenstand abhängig. Er will deshalb in Anlehnung an Schillers Satirentypologie, zwischen einer „lachenden“ und einer „strafenden“ Parodie unterscheiden. Freund, Die literarische Parodie, S. 15. Vgl. dazu auch Wiencek, Englischsprachige Shakespeareparodien des 20. Jahrhunderts, S. 16. 113

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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(aa) Die Vorlage als konstitutives Element der Parodie Unstreitig konstitutives Element jeder Parodie ist eine Vorlage122 sowie die objektiv erkennbare Bezugnahme auf eben diese123. Eine offene Bezugnahme kann nur gelingen, wenn dem Adressatenkreis das Originalwerk bekannt ist.124 Deshalb dienten in der Vergangenheit vor allem populäre Werke, wie die Verse Homers125, die Bibel126 oder die Dramen Shakespeares127 als Grundlage für Parodien. Gegenwärtig stellen beispielsweise TV-Formate mit hohen Zuschauerzahlen den Ausgangspunkt für parodistische Arbeiten dar. Der Bezug zur Vorlage wird durch die Übernahme ihrer charakteristischen Merkmale hergestellt.128 Imitiert werden können sowohl der Inhalt der Vorlage als auch ihr Stil.129 Im Hinblick auf die Abgrenzung zu anderen Kunstformen scheint es vorzugswürdig ein konkretes Werk als Vorlage zu fordern.130 Sitten, Gewohnheiten oder Personen können demnach nicht taugliche Grundlage einer Parodie sein.131 Obwohl durch die Übernahme bestimmter Charakteristika eine große Ähnlichkeit zur Vorlage gegeben ist unterscheidet sich die Parodie durch ihre humorvollen oder kritischen Merkmale erkennbar von dieser.132

122 Vgl. für die „Gegenstände“ einer Parodie: Verweyen, Eine Theorie der Parodie, S. 64 und Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 94–96 m. w. N. 123 Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 95; diese offene Erkennbarkeit grenzt die Parodie vom Plagiat ab. 124 Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 94 m. w. N. 125 Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 66, der auf Schröter, POETICA 1967, S. 8 (23), verweist. 126 Eingehend Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 71, 73–75. 127 Wiencek, Englischsprachige Shakespeareparodien des 20. Jahrhunderts, S. 206. 128 In einschlägigen Analysen der Kulturwissenschaft erfolgt eine noch viel differenziertere Betrachtung, welche für das Verständnis des Parodiebegriffs im Rahmen dieser juristischen Arbeit jedoch nicht dienlich ist. S. für einen Überblick Wiencek, Englischsprachige Shakespeare­parodien des 20. Jahrhunderts, S. 18–19. 129 Eingehend zur Beschaffenheit der Vorlage: Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 95 m. w. N.; Nach Verweyen / Witting bezieht sich die Parodie sowohl inhaltlich als auch formell auf die Vorlage, Verweyen / Witting, Walpurga, die taufrische Amme, S. 477–478; ­Verweyen / Witting, Die Parodie S. 70, 110 m. w. N. 130 Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 95. 131 Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 95 will für die Imitation von Sitten und Gewohnheiten den Begriff der Satire und für die Imitation von Personen den Begriff der Karikatur verwenden. 132 Vlah bildet dafür das Kriterium des Kontrastes, welches sich größtenteils mit dem hier beschriebenen kritischen Element der Parodie deckt. Vlah, Parodie, Pastiche und Karikatur, S. 44.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

(bb) Die Kritik als Element der Parodie Ob die kritische Auseinandersetzung ein notwendiges Element der Parodie darstellt, beantwortet die Literaturwissenschaft uneinheitlich.133 Einige Stimmen vertreten die Auffassung, dass auch rein humorvolle Parodien existieren würden, deren Hauptziel es sei das Publikum zu belustigen (sog. triviale Parodie).134 Diese Art von Parodie versuche anspruchsvolle oder auch nur prominente Thematiken durch einfache Komik für die Allgemeinheit verständlich und interessant aufzubereiten.135 Nach einem restriktiveren Begriffsverständnis muss die Parodie dagegen immer kritische Züge aufweisen.136 Ist eine kritische Auseinandersetzung gegeben, ist zu differenzieren zwischen Parodien, die ihre Vorlage und dessen enges Umfeld137 kritisieren (sog. direkte / antithematische oder totale138 Parodien) und solchen, die das zugrunde liegende Werk nutzen, um sich mit dritten Objekten auseinanderzusetzen (indirekte oder instrumentale139 Parodien).140 Von einem Teil der Literatur wird letzteren Erscheinungen die Parodieeigenschaft abgesprochen.141 Denn dort sei die Vorlage bloß substituierbares Mittel zum Zweck.142 Die Auseinandersetzung oder gar der Streit mit der Vorlage, d. h. „der Dialogcharakter“, sei aber gerade kennzeichnend für Parodien, die auch als „dialogisierte Hybride“ umschrieben werden.143 (cc) Die Komik als Element der Parodie Die Mehrheit der Literatur begreift die Komik als ein notwendiges Merkmal der Parodie.144 Die humorvolle Wirkung müsse vom Autor intendiert sein. Unfrei 133

Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 97. Freund, Die literarische Parodie, S. 15. S. auch Rotermund, Die Parodie in der modernen deutschen Lyrik, S. 9. Zur Unterscheidung von komischen und kritischen Parodien in der Literatur s. a. a. O. S. 20–21. 135 Freund, Die literarische Parodie, S. 15, welcher davon spricht, dass diese Art von Parodie „das Bedeutungs- und Anspruchsvolle (…) in die flache Alltäglichkeit zurückholt“. 136 So nach Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 97; Sulzer, hält eine Parodie, die sich im „Lustigmachen“ erschöpft sogar für missbräuchlich, Allgemeine Theorie der schönen Künste, S. 395. 137 Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 125. 138 Freund, Die literarische Parodie, S. 15. 139 Freund, Die literarische Parodie, S. 15. 140 Rütz, WRP 2004, 323 (324); Vlah, Parodie, Pastiche und Karikatur S. 44. 141 So bspw. von Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 99 m. w. N.; Das Merkmal dient auch als Abgrenzungsmerkmal zur Kontrafraktur, Verweyen / Witting, Die Parodie, S. 134 ff. 142 Vlah, Parodie, Pastiche und Karikatur, S. 45. 143 Haedicke, GRUR Int. 2015, 664 (666) m. w. N. 144 Wiencek, Englischsprachige Shakespeareparodien des 20. Jahrhunderts, S. 31; Hefti, Parodie im Urheberrecht, S. 120; Vlah, Parodie, Pastiche und Karikatur, S. 48. 134

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willige oder sonst faktische Komik erfasse der Begriff der Parodie daher nicht.145 Unerheblich sei ebenfalls, ob das Publikum die Parodie aufgrund von mangelndem Verständnis oder fehlender Akzeptanz komisch findet.146 Nach einer anderen Ansicht stellt die Komik kein konstitutives Charakteristikum dar. Würde die Vorlage beispielsweise Positionen unterstützen, welche grund­ legende menschliche Rechte verletzen dürfe die Parodie nicht belustigen, sondern müsse strafend reagieren. Deshalb seien auch rein „seriöse Parodien“ denkbar.147 Hess hingegen will die Komik als konstitutives Element der Parodie nicht aufgeben. Es müsse zwischen Nah- und Fernwirkung einer Parodie unterschieden, die Intention des Parodisten berücksichtigt und das Merkmal der Komik großzügig ausgelegt werden.148 (dd) Abgrenzung zu anderen Kunstformen Bei der Abgrenzung der Parodie zu anderen Kunstformen149 herrscht Uneinigkeit. Ursächlich dafür ist die uneinheitliche Verwendung der Begriffe sowie die Tatsache, dass die verschiedenen Bezeichnungen teilweise zu ihrer gegenseitigen Definition herangezogen werden.150 Auch die hierarchische und systematische Stellung der Begriffe zueinander wird unterschiedlich beurteilt.151 Problematisch ist weiterhin, dass die Abgrenzung mittels unterschiedlicher Kriterien erfolgt. Beispielsweise nach Vorlagengattung, Vorlagenart oder dem Gegenstand der Auseinandersetzung.152 Nach rein kulturwissenschaftlichem Verständnis ist die Tatsache, dass die Ursprünge der künstlerischen Erscheinungen oftmals einer spezifischen Gattung zuzuordnen sind für die heutige Definition jedoch unerheblich. Vielmehr können die Kunstformen gattungsübergreifend auftreten. Einige Medien sind dabei für die jeweilige Erscheinung typischer als andere. Theoretisch sei bspw. jedoch auch satirische Musik oder Architektur möglich.153

145

Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 96; Verweyen / Witting, Die Parodie, S. 57. Verweyen / Witting, Die Parodie, S. 57. 147 Freund, Die literarische Parodie, S. 15. 148 Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 96–97. 149 S. beispielhaft Wiencek, Englischsprachige Shakespeareparodien des 20. Jahrhunderts, S. 26–33, der die Parodie von einer Reihe verschiedener Gattungen abzugrenzen versucht. 150 Vlah, Parodie, Pastiche und Karikatur, S. 48, welcher beispielhaft Dünnwald, AfP 1972, 274 (275) und BGH GRUR 1971, 588 (589) – Disney-Parodie anführt. 151 Vgl. z. B. Freund, Die literarische Parodie, S. 22, der andere Kunstformen wie das Cento und den Pastiche als „parodistische Verfahrensweisen“ einordnet. Vgl. auch Hess, der das Pastiche ebenfalls als Unterbegriff der Parodie versteht, S. 101 m. w. N. 152 Dazu Vlah, Parodie, Pastiche und Karikatur, S. 49–50. 153 Zymner, in: Wirth, Komik, S. 21. 146

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(c) Vergleich des Parodiebegriffs des EuGH und der Kulturwissenschaft Im Gegensatz zu dem kulturwissenschaftlichen Parodiebegriff sind die Anforderungen des EuGH an das Vorliegen einer Parodie relativ gering. Im Rahmen der Untersuchung der kulturwissenschaftlichen Literatur kristallisierten sich drei Merkmale heraus, die für die Parodie von Bedeutung sind154: Die offene Bezugnahme auf eine bekannte Vorlage, die Komik und die Kritik. Der EuGH fordert von einer Parodie zur Erfüllung ihrer wesentlichen Merkmale allein, dass sie an ein bestehendes Werk erinnert, zugleich jedoch wahrnehmbare Unterschiede aufweist, und ein Ausdruck von Humor oder Verspottung darstellt.155 Damit deckt sich das Verständnis des EuGH mit dem kulturwissenschaftlichen Verständnis im Hinblick auf die erkennbare Bezugnahme auf eine bekannte Vorlage und das Merkmal der Komik. Ein kritisches Element wird dagegen nicht ausdrücklich verlangt. Man könnte es allenfalls in dem vom EuGH beschriebenen Charakteristikum der Verspottung wiederfinden. Denn Spott kennzeichnet sich nicht nur durch Komik aus, sondern beinhaltet immer auch einen abwertenden Aspekt in Form einer herabwürdigenden Kritik.156 Einige Stimmen der Literaturwissenschaft befinden jedoch gerade das kritische Element als für die Parodie unabdingbar. Dessen Ausgestaltung ist dabei besonders umstritten. Während es nach einigen Ansichten genügt, die Vorlage als Medium für die Kritik eines dritten Gegenstands zu nutzen, fordern andere eine kritische Auseinandersetzung mit der Vorlage selbst.157 Der Notwendigkeit einer antithematischen Behandlung erteilte der EuGH jedoch jedenfalls eine Absage, indem er eine Betroffenheit des Ausgangswerkes von Humor oder Spott ausdrücklich nicht für erforderlich hält.158 Er lässt eine Parodie also auch in seiner Funktion als bloßes Mittel der Kommunikation zu. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der EuGH den Parodiebegriff im Gegensatz zur Kulturwissenschaft weit zieht und die Parodie als eine vor allem humorvolle Kunstform versteht, welche sich nicht mit der Vorlage auseinandersetzen muss. Im Gegensatz dazu stellt die Kulturwissenschaft viel differenzierte Anforderungen an eine Parodie, zu denen vielfach auch die Kritik in Form einer antithematischen Behandlung gehört.

154 Insgesamt ist die Diskussion zum Parodiebegriff in der Kulturwissenschaft sehr unübersichtlich. Zur Vereinfachung der Darstellung wurden deshalb diese drei Kriterien ausgewählt, da sie sich in den Definitionsansätzen am häufigsten wiederholten, dazu B. II. 1. b) bb) (1) (b). 155 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 33  – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 156 Dies zeigt auch die Etymologie des Wortes „Spott“, welches verwandt mit dem Wort „Spucken“ ist, Brockhaus 17. Bd., S. 765. 157 Näher dazu unter B. II. 1. b) bb) (1) (b) (bb). 158 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 33  – Deckmyn und Vrijheidsfonds.

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Folglich ist auch im Hinblick auf den Karikatur- und Pastichebegriffs im Sinne von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zu erwarten, dass der EuGH sich bei deren Herleitung aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht strikt an dem kulturwissenschaftlichen Verständnis orientieren wird. (2) Der Begriff des Pastiches159 Die Konkretisierung des Begriffs des Pastiches stellt die größte Herausforderung im Rahmen der Auslegung des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL dar.160 An einer Konkretisierung durch den europäischen Gesetzgeber fehlt es ebenso wie an einer Auseinandersetzung des EuGH mit der Kunstform des Pastiches. Auch aus dem Gesetzgebungsverfahren lassen sich keine Anhaltspunkte für den Anwendungsbereich der Pasticheschranke entnehmen. Vielmehr scheint die Regelung schlicht aus dem französischen Recht übernommen und damit eher zufällig Eingang in den Schrankenkatalog der InfoSoc-RL gefunden zu haben.161 Zum Zwecke der Harmonisierung ist in Parallelität zum Parodiebegriff jedoch davon auszugehen, dass der Pastiche einen autonomen Begriff des Unionsrechts darstellt, der einheitlich ausgelegt werden muss.162 Generalanwalt Szpunar äußerte in seinem Schlussantrag in der Sache Metall auf Metall, dass der Pastiche „eine Nachahmung des Stils eines Werks oder eines Urhebers, ohne dass notwendigerweise Bestandteile dieses Werks übernommen werden“ bezeichne.163 Zudem würden die Ausnahmen des Art. 5 Abs. 3 lit. k) Info-

159 Für den Begriff Pastiche werden unterschiedliche Artikel verwendet. Im Folgenden wird dem Duden gefolgt, welcher von „der Pastiche“ ausgeht, www.duden.de/rechtschreibung/ Pastiche [zuletzt abgerufen am 10. 09. 2021]. 160 Ohly bezeichnet den Pastiche als „große Unbekannte“, BGH GRUR 2020, 843 (852). 161 Sie war zunächst auch nicht in dem Vorschlag für die InfoSoc-RL enthalten, vgl. den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 10. 12. 1997, KOM(97) 628 endg., dort insbes. Art. 5. Erst gegen Ende des Gesetzgebungsverfahrens, fand sie gemeinsam mit einer Reihe anderer Ausnahmen und Beschränkungen Eingang in die InfoSoc-RL, „um entsprechenden Anträgen von Mitgliedstaaten entgegenzukommen“, s. Gemeinsamer Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 28. 09. 2000, ABl. C 2000/​ 344/01, 18. Ebenso von einem „zufällig vorhandenen“ Begriff sprechend: Döhl, ZGE 2020, 380 (441). 162 Vgl. EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 14–17 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 163 GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 70, insbes. Fn. 30 – Pelham u. a.

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Soc-RL (und damit auch der Pastiche) eine Interaktion mit dem Werk oder dessen Urheber voraussetzen. Daher könne das Sampling nicht erfasst sein.164 Der gefestigten Methodik des Gerichtshofs folgend, ist für die Auslegung des Begriffs der gewöhnliche Sprachgebrauch unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und -zwecks des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL maßgeblich.165 Im Anschluss an die Ermittlung von Regelungsgehalt und Zweck von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL (a) soll nach einer kurzen Darstellung des historischen Ursprungs (b) der Begriff beispielhaft zunächst im deutschen (c), britischen (d), belgischen (e), polnischen (f) und insbesondere dem französischem (g) Sprachgebrauch ermittelt werden, da die französische Vorschrift Art. L. 122.–5 No. 4 CPI Vorbild für Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL stand.166 Die Rechtsprechung des EGMR bietet nur wenig Anhaltspunkte für die Begriffsauslegung (h). Schließlich ist ein Fazit zum Gehalt der Pasticheschranke zu ziehen (i). (a) Der Anwendungsbereich der Pasticheschranke unter Berücksichtigung von Regelungszusammenhang und Zweck Zur Ermittlung des Anwendungsbereichs der Pasticheschranke werden im Folgenden der Regelungszusammenhang (aa) und der Zweck (bb) der Pasticheschranke nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL untersucht. (aa) Der Anwendungsbereich der Pasticheschranke unter Berücksichtigung ihres Regelungszusammenhangs Für die Feststellung des Anwendungsbereichs der Parodie stellte der EuGH fest, dass aus dem Ausnahmecharakter von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zwar folge, dass die Vorschrift eng auszulegen sei.167 Dennoch müsse die praktische Wirksamkeit der Ausnahme gewahrt werden, sodass keine Voraussetzungen zu fordern seien, die sich nicht aus dem Begriff nach dem Sprachgebrauch oder der Bestim-

164

GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 70 – Pelham u. a. 165 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 19  – Deckmyn und Vrijheidsfonds m. w. N. 166 Bayreuther, ZUM 2001, 828 (836); Döhl, UFITA 83 (2019), 19 (30). Im britischen, belgischen und polnischen Recht wurde die Pasticheschranke außerdem bereits implementiert, Döhl, ZGE 2020, 380 (408–409). S. für eine vollständige Übersicht zu dem Umsetzungsstand der Pasticheschranke in den einzelnen Mitgliedstaaten: Döhl, a. a. O., (407–408). 167 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 22  – Deckmyn und Vrijheidsfonds mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014 – C-435/12, ECLI:EU:C:2014:254 Rn.  23 – ACI Adam u. a.

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mung ergäben.168 Dementsprechend gilt auch für die Ausnahme zugunsten von ­Pastiches zwar ein enges Begriffsverständnis, das jedoch nicht durch Voraussetzungen eingeschränkt werden kann, welche sich nicht aus dem Pastichebegriff oder Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL selbst ergeben. Die Ausnahme zugunsten von Pastiches ist gemeinsam mit der Ausnahme zugunsten von Parodien und Karikaturen in Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL geregelt. Daher spricht der Regelungszusammenhang dafür, dass der Pastiche eine der Parodie und Karikatur ähnliche Kunstform darstellt. Ebenso wie die Parodie und die Karikatur zeichnet sich ein Pastiche durch die Bezugnahme auf einen Lebenssachverhalt, eine Person oder auch ein urheberrechtlich geschütztes Werk aus, weshalb es überhaupt der Ausnahmeregelung bedarf. Eine vollständige Gleich­setzung des Pastichebegriffs mit dem Begriff der Parodie widerspräche aber dessen expliziter Aufzählung.169 Bei der Parodie, Karikatur und auch der Pastiche handelt es sich um vergleichsweise alte Kunstformen. Dies könnte dafür sprechen, dass die Pasticheausnahme, die 2001 mit Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL verabschiedet wurde, sich nicht auf jüngere Kunstformen wie das Sampling, Mashups oder vor allem die vergleichsweise besonders jungen digitalen Memes170 und GIFs erstreckt, die 2001 in ihrer heutigen Form noch gar nicht existierten. Überzeugender scheint es jedoch, dass der europäische Gesetzgeber 2001 bereits von postmodernen Formen des Pastiches ausging, die damals vielleicht nicht als GIFs und Memes aber z. B. in Form des Samplings bekannt waren.171 (bb) Der Anwendungsbereich der Pasticheschranke unter Berücksichtigung ihres Zwecks Der EuGH verwies für die Bestimmung des Ziels von Art. 5 Abs. 3 lit. k) I­ nfoSoc-RL zur Ermittlung des Parodiebegriffs auf die mit der InfoSoc-RL allgemein verfolgten Ziele. Dazu gehöre die Harmonisierung, die zu der Verwirklichung der vier Freiheiten des Binnenmarktes beitrage und die Beachtung der tragenden Grundsätze des Rechts. Letztere umfasse insbesondere das (geistige) Eigentum, die 168

EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 23–24 – Deckmyn und Vrijheidsfonds mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 04. 10. 2011 – C-403/08, ECLI:EU:C:2011:631 Rn.  163 – Football Association Premier League u. a. 169 So auch Pötzlberger, GRUR 2018, 675 (679) m. w. N. 170 Vor seiner heutigen Bedeutung als witziges Bild, das regelmäßig über das Internet verbreitet wird, www.duden.de/rechtschreibung/Meme [zuletzt abgerufen am 10. 09. 2021] wurde der Begriff bereits von dem Biologen Richard Dawkins zur Beschreibung von kulturellen Informationen, wie Ideen, Tönen oder Mode, die über Generationen weitervermittelt werden, verwendet, Dawkins, The Selfish Gene, S. 249. 171 Auch Pötzlberger hält den Pastichebegriff der Postmoderne für maßgeblich, s. GRUR 2018, 675 (676, 679).

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Meinungsfreiheit und das Gemeinwohl.172 Zum Zwecke der Harmonisierung müsse der Parodiebegriff im Unionsrecht autonom und einheitlich ausgelegt werden.173 Nichts anderes kann für die Pasticheschranke gelten: Auch der Pastichebegriff ist zum Zwecke der Harmonisierung autonom und einheitlich auszulegen. Zudem sind bei der Auslegung des Pastichebegriffs die Verwirklichung der vier Freiheiten des Binnenmarktes sowie die tragenden Grundsätze des Rechts, also insbesondere das geistige Eigentum, die Kunstfreiheit und das Gemeinwohl zu achten. Zudem stellt der EuGH fest, dass nach dem 32. Erwägungsgrund der ­InfoSoc-RL durch die Ausnahmen des Art. 5 InfoSoc-RL ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen und Rechten von Urhebern und Nutzern erzielt werden solle.174 Daraus folge, dass bei der Anwendung der Parodieschranke nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL im konkreten Einzelfall ein angemessener Ausgleich zwischen den Rechtsinhabern und der Meinungsfreiheit der Nutzer herzustellen sei. Dafür seien sämtliche Umstände des Einzelfalls zu prüfen.175 Insbesondere könne der Urheber des Ausgangswerks ein Interesse daran haben, nicht mit rassistischen Aussagen der Parodie in Verbindung gebracht zu werden.176 Folglich ist auch für die Ermittlung des Anwendungsbereichs der Pasticheschranke bedeutsam, dass im jeweiligen Einzelfall ein angemessener Ausgleich zwischen den Rechten und Interessen der Rechtsinhaber und der Kunstfreiheit des nachschaffenden Künstlers erzielt wird. Ob spezielle Kunstformen wie das Sampling, Remixe, Mashups, Memes oder GIFs von dem Begriff des Pastiches nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL erfasst werden, kann somit nicht pauschal beantwortet werden, sondern ist anhand des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Zwar kann die Frage, ob ein Pastiche vorliegt und damit der Anwendungsbereich zunächst eröffnet ist, nicht von Aspekten abhängen, die außerhalb des Begriffs liegen. Jedoch können im Anschluss an die Prüfung der Pasticheeigenschaft außerhalb des Wortlauts liegende Faktoren wie etwaige Aussagen des neuen Kunstwerks zu berücksichtigen sein. So könnte der Urheber des Originalwerks zum Beispiel geltend machen, dass die Nutzung ihn mit einer diskriminierenden oder anderen unliebsamen Aussage in Verbindung bringt, mit der er nicht assoziiert werden möchte. Dieses Interesse steht als Ausprägung 172

EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 25  – Deckmyn und Vrijheidsfonds mit Verweis auf Erwgr. 3 der InfoSoc-RL. 173 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 14–17 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 174 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 26 – Deckmyn und Vrijheidsfonds mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 21. 10. 2010 – C-467/08, ECLI:EU:C:2010:620 Rn. 43 – Padawan und EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 132 – Painer. 175 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 27–28 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 176 Vgl. EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 29–31 – Deckmyn und Vrijheidsfonds.

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des bisher nicht harmonisierten Urheberpersönlichkeitsrechts unter dem Schutz von Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.177 Ob und welche weiteren Faktoren für die Auslegung der Pasticheschranke im Einzelfall zu berücksichtigen sind ist in der Rechtsprechung bisher ungeklärt. Denkbar sind neben einer das Urheberpersönlichkeitsrecht beeinträchtigenden Aussage des Kunstwerks insbesondere auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Pastiches auf das Ausgangswerk. Allerdings wäre es – entgegen der Herangehensweise des EuGH in Deckmyn und Vrijheidsfonds – dogmatisch überzeugender, diese Erwägungen im Rahmen des Dreistufentests nach Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL und nicht bereits im Tatbestand des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zu berücksichtigen. Die vom EuGH genannten schrankenübergreifenden Maßgaben und Zwecke sind für die Anwendung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL im Einzelfall zwar hilfreich, bieten allerdings kaum Anhaltspunkte für die Konkretisierung des Pastichebegriffs als solchen. Sie verdeutlichen lediglich, dass neben dem autonomen Begriff auch außerhalb des Wortlauts liegende Erwägungen bei der Anwendung der Pasticheschranke zu berücksichtigen sind. Neben den von dem EuGH festgestellten allgemeinen Zielen der ­InfoSoc-RL könnte man der Pastischeschranke auch einen schrankenspezifischen Zweck entnehmen. Eine mögliche Deutung wäre, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Herstellung eines Pastiches und somit die Herstellung einer Kunstform, der es zum einen immanent ist, in Urheberrechte Dritter einzugreifen, die aber zum anderen in der Regel nicht darauf abzielt, das Ausgangswerk zu substituieren (dies war in der Renaissance noch anders, dazu sogleich) unabhängig von dem Willen des Rechtsinhabers grundsätzlich möglich sein soll. Folglich wäre aus dem Regelungszweck zu schließen, dass die künstlerische Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material immer dann ohne Einwilligung des Urhebers zulässig ist, wenn ein Rückgriff auf urheberrechtlich geschütztes Material Dritter charakterisierend für die jeweilige Kunstform ist und eine Substitutionsgefahr nicht besteht. Damit könnte unter Berücksichtigung des Regelungszwecks der Begriff des Pastiches auch auf Nutzungen wie Memes, Mashups oder Remixe erstreckt werden, soweit sie nicht in Konkurrenz mit dem Ausgangswerk stehen. Dass der Gesetzgeber mit Aufnahme der Pasticheschranke tatsächlich und vor allem bewusst diesen Regelungszweck verfolgte, erscheint allerdings vor dem Hintergrund der Entstehung der Vorschrift zweifelhaft.178

177 178

Dazu unter D. I. 2. b). Fn. 161.

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(b) Historischer Ursprung und Entwicklung des Pastichebegriffs Der französische Ausdruck Pastiche leitet sich von dem italienischen Wort Pasticcio („Pastete“, „Mischmasch“) ab.179 Der Begriff Pasticcio beschreibt die Nachahmung der Manier oder einzelner Elemente im Rahmen eines Bildes oder einer Oper.180 Seinen Ursprung findet der Pasticcio in der italienischen Renaissance-Malerei.181 Aufgrund des damaligen blühenden Kunsthandels stieg auch die Nachfrage an Werken bekannter Künstler. Deshalb entwickelten einige Maler eine Kombinationstechnik, bei der sie einzelne Bildausschnitte und Stile beliebter Künstler mit dem Ziel der Täuschung imitierten und zu einer neuen Darstellung zusammenführten.182 Die zunächst negativ rezipierte Vorgehensweise entwickelte sich zu einer anerkannten Methodik der Stilimitation, zu der sich die Maler schließlich offen bekannten. Ihre Werke verfolgten dabei humoristische, kritische, aber auch rein künstlerische Zwecke.183 Unter dem Pastiche ist historisch somit primär ein formales Gestaltungsmittel zu verstehen, das für die Darstellung unterschiedlichen, beispielsweise huldigenden184 oder parodistischen Inhalts185, genutzt werden kann. In der Postmoderne wurden die Eigenschaften des Pastiches auch im Zusammenhang mit verschiedenen neuen, insbesondere referenziellen Kunstformen diskutiert. So scheint Hoesterey die Collage als Form des Pastiche anzuerkennen und zeigt jedenfalls enge Zusammenhänge des Pastiche zur Appropriation Art auf.186 (c) Der Pastichebegriff nach dem deutschen Sprachgebrauch Die Heranziehung des gewöhnlichen Sprachgebrauchs hilft mit Blick auf die deutsche Sprache nur bedingt weiter, da der Begriff außerhalb von kulturwissenschaftlicher Literatur kaum Verwendung findet. Nach dem Duden handelt es sich um eine veraltete Bezeichnung, unter der die „Nachahmung des Stiles und der Ideen eines Autors“ zu verstehen sind.187 In der deutschen Sprache kann der Begriff seit dem 19. Jahrhundert nachgewiesen werden.188 Er ist in der Germanistik jedoch kaum erforscht. In der Literaturwissenschaft wird Thomas Manns Roman „Der Erwählte“ als Beispiel für ein Werk genannt, das „Pastiches eines mittel 179

Brockhaus 14. Bd., S. 289; www.duden.de/node/108995/revision/109031 [zuletzt abgerufen am 19. 08. 2020]; s. für die Entwicklung des Begriffs ursprünglich als Bezeichnung einer (gemischten) Speise, insbesondere in Form eines Kuchens: Dyer, Pastiche, S. 8. 180 Brockhaus 14. Bd., S. 289. 181 Freund, Die literarische Parodie, S. 23; nach Dyer migrierte der Begriff von der Küche zur Malerei, Pastiche, S. 8. 182 Freund, Die literarische Parodie, S. 23; s. auch Dyer, Pastiche, S. 8–9. 183 Freund, Die literarische Parodie, S. 23. 184 Zu dem Pastiche als Hommage: Pötzlberger, GRUR 2017, 675 (679). 185 Freund, Die literarische Parodie, S. 23. 186 Hoesterey, Pastiche, S. 10–11. 187 www.duden.de/node/108995/revision/109031 [zuletzt abgerufen am 19. 08. 2020]. 188 Antonsen, Reallexikon Bd. III, S. 34 m. w. N.

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alterlichen Legendenstils, Gelehrtenjargons und Umgangstons aufweist.“189 Dies deutet ebenfalls darauf hin, dass der Pastiche eine Stilimitation beschreibt. Nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers soll der Pastichebegriff sowohl klassisch literarische Pastiches als auch moderne Formen transformativer Nutzung, insbesondere bestimmte nutzergenerierte Inhalte auf Online-Plattformen erfassen. Remixe, Memes, GIFs, Mashups, Fan Art, Fan Fiction oder Sampling sollen somit ausdrücklich in den Anwendungsbereich der Pasticheschranke fallen.190 Für eine Berufung auf § 51a UrhG – und damit auch auf die Pasticheschranke – komme es auf das genutzte Medium, die konkrete Kunstform oder das gewählte Genre nicht an. Eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG sei aufgrund der Rechtsprechung des EuGH nicht erforderlich. Allerdings müssen alle Nutzungen nach § 51a UrhG – um sich vom Plagiat abzugrenzen – wahrnehmbare Unterschiede zum Originalwerk aufweisen. Dies bedeute jedoch nicht, dass das Werk „verblassen“ müsse. Weitere Voraussetzung sei jedoch, dass die Nutzung einer inhaltlichen oder künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Ausgangwerk oder einer dritten Thematik diene.191 Das LG Berlin hat sich bei der Auslegung des Pastichebegriffs überwiegend an der Gesetzesbegründung orientiert. Es definiert den Begriff als „einen kommunikativen Akt der stilistischen Nachahmung, wobei auch die Übernahme fremder Werke oder Werkteile erlaubt ist.“ Darüber hinaus verlangte das LG insbesondere eine „bewertende Referenz auf ein Original“ sowie ein „Mindestmaß eigener Kreativität“ des Nutzers.192 Auch das OLG Hamburg nahm eine überwiegend an der Gesetzesbegründung orientierte Auslegung vor und forderte mit Verweis auf das LG Berlin eine bewertende Referenz auf ein Original. Zudem subsumierte es das Sampling unter den Begriff des Pastiche.193 (d) Der Pastichebegriff im englischen Sprachgebrauch Auch im englischen Sprachraum wird der Begriff des Pastiches in unterschiedlichen Zusammenhängen und mit verschiedensten (teilweise negativen) Bedeutungen verwendet und beschränkt sich dabei nicht auf eine bestimmte Werkgattung.194 Der britische Anglist und Autor Richard Dyer definiert einen Pastiche als

189

Antonsen, Reallexikon Bd. III, S. 35. Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 89–91. Eine entsprechende Auslegung auf europäischer Ebene befürwortend: Lauber-Rönsberg, ZUM 2020, 733 (738). 191 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 90. 192 LG Berlin, GRUR-RR 2022, 216 (219) – The Unknowable m. w. N. 193 OLG Hamburg, ZUM 2022, 563 (571–572). 194 Rose, Post-modern Pastiche, S. 26, die insbesondere die Zusammenhänge von Pastiche und postmoderner Architektur darstellt; dazu beispielhaft die Aufzählungen in Dyer, Pastiche, S. 7–8, 21–22, vgl. auch a. a. O. S. 52; ebenso die Auseinandersetzungen von Hoesterey mit Pastiches in der bildenden Kunst, im Film, in der Literatur sowie in Werbung und Musik: 190

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

eine Form der Imitation, die dazu bestimmt ist, als solche erkannt zu werden.195 Zugleich problematisiert Dyer jedoch auch, dass der Begriff flexibel ist und von dem jeweiligen Verständnis des Betroffenen abhängt.196 Nach seiner Auffassung sind solche Fälle von dem Begriff des Pastiches auszuschließen, bei dem Werkteile unverändert reproduziert oder unmittelbar übernommen werden. Daher erfasse der Begriff Pastiche bspw. nicht das Sampling.197 Auch künstlerische Nutzungsformen wie GIFs oder Memes könnten nach diesem Verständnis aufgrund der unmittelbaren Übernahme von Bildern regelmäßig nicht vom Pastichebegriff erfasst sein. Im Gegensatz zur Hommage und Parodie sei es für das Vorliegen eines Pastiches nicht notwendig, dass es eine Wertung des Originalwerks (ehrend oder verspottend) vornimmt.198 Stimmen in der englischsprachigen rechtswissenschaftlichen Literatur, wollen hingegen auch Nutzungen bei denen Werkteile unmittelbar übernommen werden, wie bei der Praxis des Samplings und des Mashups vom Begriff des Pastiche erfasst sehen.199 Das britische Intellectual Property Office200 versteht ein Pastiche als musika­lische, filmische201 oder andere Komposition, die aus einer Auswahl von verschiedenen Quellen besteht oder einen Stil eines Künstlers oder einer Epoche imitiert.202 Nach diesem eher weiten Begriffsverständnis könnten auch künstlerische Ausdrucksformen wie Mashups, das Sampling, GIFs oder Memes in den Anwendungsbereich der Pasticheschranke fallen. Allerdings scheint das britische Intellectual Property Office vor dem Hintergrund des „fair dealing“ nur die Nutzung von kleinen Ausschnitten als gerechtfertigt anzuerkennen.203

Hoesterey, Pastiche, S. 16–104; vgl. auch die Definition in Danesi, Dictionary of Media and Communications, S. 226. 195 Dyer, Pastiche, S. 1. Die beabsichtigte Erkennbarkeit als Pastiche grenzt die Kunstform zugleich von dem Plagiat ab, a. a. O. S. 23. Zur Abgrenzung zum Plagiat s. auch a. a. O., S. 25–27. 196 Dyer, Pastiche, S. 9, 24–25. 197 Dyer, Pastiche, S. 23. 198 Dyer, Pastiche, S. 23; so auch Jameson, Postmodernism, S. 17 der einen Pastiche im Gegensatz zur Parodie als neutrale Nachahmung („neutral practice of such mimicry, without any of parody’s ulterior motives“, „blank parody“) einordnet; ebenso: Hudson, I. P. Q. (4) 2017, 346 (363–364). Ebenso Marshall, JIPLP 2018, 955 (960) der Hudson zustimmt. 199 So Hudson, I. P. Q. (4) 2017, 346 (347, 364). Gleichzeitig weist die Autorin auf eine Einschränkbarkeit der Ausnahme durch den Dreistufentest nach Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL hin. 200 Pendant zum DPMA, Döhl, UFITA 83 (2019), 19 (32). 201 Intellectual Property Office: Exceptions to copyright: Guidance for creators and copyright owners, October 2014 S. 5, abrufbar unter: assets.publishing.service.gov.uk/government/ uploads/system/uploads/attachment_data/file/448274/Exceptions_to_copyright_-_Guidance_ for_creators_and_copyright_owners.pdf [zuletzt abgerufen am 15. 11. 2021]. 202 Intellectual Property Office: Exceptions to copyright: Guidance for creators and copyright owners, October 2014 S. 6, abrufbar unter: assets.publishing.service.gov.uk/government/ uploads/system/uploads/attachment_data/file/448274/Exceptions_to_copyright_-_Guidance_ for_creators_and_copyright_owners.pdf [zuletzt abgerufen am 15. 11. 2021]. 203 Vgl. Intellectual Property Office: Exceptions to copyright: Guidance for creators and copyright owners, October 2014 S. 5–6, abrufbar unter: assets.publishing.service.gov.uk/ government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/448274/Exceptions_to_copyright_-_ Guidance_for_creators_and_copyright_owners.pdf [zuletzt abgerufen am 15. 11. 2021].

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(e) Der Pastichebegriff im belgischen Sprachgebrauch Das Königreich Belgien äußerte im Rahmen des Deckmyn und Vrijheidsfonds-Verfahrens, „dass die Unterscheidung zwischen ‚Parodie‘, ‚Karikatur‘ und ‚­Pastiche‘ keine Rolle für die Definition der Parodie spielen dürfte, denn die drei Begriffe seien zu ähnlich, als dass man sie unterscheiden könne.“204 Daraus kann geschlossen werden, dass nach dem belgischen allgemeinem Sprachgebrauch keine Unterscheidung zwischen Parodie und Pastiche vorgenommen wird, sodass der Pastiche danach an den Voraussetzung der Parodie zu messen wäre. (f) Der Pastichebegriff im polnischen Sprachgebrauch Nach der Auffassung des polnischen Gesetzgebers, welcher 2015 eine Schrankenregelung zugunsten von Parodie, Karikatur und Pastiche in das polnische Urheberrecht integrierte, stellt ein Pastiche die Imitation eines bestimmten Stils dar.205 Allerdings mangelt es in Polen bislang sowohl an rechtswissenschaftlicher Diskussion als auch an einschlägiger Rechtsprechung, die den Pastichebegriff konkretisieren könnte.206 (g) Der Pastichebegriff im französischen Urheberrecht Im französischen Urheberrecht, welches den Ausgangspunkt für die Regelung des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL darstellt,207 dient nach einer Auffassung in der Literatur die Werkgattung als wesentliches Abgrenzungsmerkmal der Begriffe Parodie, Karikatur und Pastiche. Der Pastichebegriff diene vor allem der Umschreibung von humoristisch-kritischen literarischen oder visuellen Kunstformen.208 Der Cour de Cassation scheint der Abgrenzung nach Werkgattungen hingegen nicht zu folgen.209

204 GA Villalón, Schlussanträge v. 22. 05. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:458 Rn. 42 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. Diese Sichtweise scheint in der Mehrheit der Mitgliedstaaten zu dominieren, vgl. Döhl, ZGE 2020, 380 (410). 205 Kempfert, UFITA 83 (2019), 123 (161) m. w. N. 206 Kempfert, UFITA 83 (2019), 123 (164). 207 Bayreuther, ZUM 2001, 828 (836); Döhl, UFITA 83 (2019), 19 (30). 208 Colombet, Propriété littéraire et artistique, Rn. 234; Mendis / Kretschmer, The Treatment of Parodies, S. 18; vgl. auch Döhl, UFITA 83 (2019), 19 (30) m. w. N. 209 Vgl. Lucas / Lucas-Schloetter / Bernault, Traité de la propriété littéraire et artistique, Rn. 480.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Materielle Voraussetzung aller drei Ausnahmetatbestände ist nach französischer Rechtsprechung zum einen, eine humoristische Absicht des Künstlers und zum anderen die Entlehnung charakteristischer Merkmale des Ausgangswerks.210 Sollte auch der EuGH die humoristische Absicht als zwingendes Merkmal der Pastiche fordern, so könnten künstlerische Phänomene wie das Sampling, Mashups oder Remixe ganz überwiegend nicht von der Schrankenregelung profitieren.211 Digitale und – je nach Einzelfall – künstlerische Ausdrucksformen wie GIFs oder Memes hingegen verfolgen regelmäßig einen humoristischen Zweck, sodass sie in den Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL fallen könnten. (h) Der Pastichebegriff in der Rechtsprechung des EGMR Soweit ersichtlich lassen sich allein der Entscheidung des EGMR in Leroy / France Anhaltspunkte zur Bestimmung des Pastichebegriffs entnehmen. Dort stellte der EGMR in der Schilderung des Sachverhalts fest, dass die Zeichnung des Antragsstellers mit einer Bildunterschrift, die ein Pastiche des Werbeslogans einer berühmten Marke sei, versehen war.212 Der Antragsteller zeichnete kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 vier Hochhäuser, die in einer Staubwolke zusammenstürzten, nachdem sie von zwei Flugzeugen getroffen wurden und versah sie mit dem Text „NOUS EN AVION TOUS RÊVÉ … LE HAMAS L’A FAIT“.213 Der Autor wollte nach eigenen Aussagen damit nicht den Terrorismus entschuldigen, sondern ausschließlich Kritik am Kapitalismus und amerikanischem Imperialismus üben. Die Bildunterschrift der Zeichnung sei nicht als positive Bewertung der Anschläge auf das World Trade Center, sondern als humorvoller Pastiche eines berühmten Werbeslogans der Marke Sony gedacht gewesen.214 Die Feststellungen des EGMR weisen darauf hin, dass er unter einem Pastiche eine Stilimitation (hier des ursprünglichen Werbeslogans von Sony) versteht. Weitere, insbesondere urheberrechtsspezifische Kriterien lassen sich der Entscheidung allerdings nicht entnehmen.

210

Lucas-Schloetter, UFITA 83 (2019), 99 (101) m. w. N.; Vgl. auch Kempfert, UFITA 83 (2019), 123, (161–162). Vgl. zur französischen Rechtsprechung auch die Ausführungen von Hudson, I. P. Q. (4) 2017, 346 (353–354) m. w. N. 211 So auch Döhl, UFITA 83 (2019), 19 (31). 212 EGMR, Urt. v. 02. 10. 2008  – 36109/03, ECLI:CE:ECHR2008:1002:JUD003610903 Rn.  6 – Leroy / France. 213 EGMR, Urt. v. 02. 10. 2008  – 36109/03, ECLI:CE:ECHR2008:1002:JUD003610903 Rn.  6 – Leroy / France. 214 EGMR, Urt. v. 02. 10. 2008  – 36109/03, ECLI:CE:ECHR2008:1002:JUD003610903 Rn.  34 – Leroy / France.

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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(i) Fazit zum Pastichebegriff und dessen Anwendungsbereich Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Konkretisierung des Pastichebegriffs eine Herausforderung darstellt, die mit einem hohen Maß an Rechtsunsicherheit verbunden ist. Sowohl die Ausführungen des Generalanwalts Szpunar in seinen Schlussanträgen zu Pelham u. a.215 als auch die Systematik und die Definitionsversuche der kultur- und rechtswissenschaftlichen Literatur sprechen dafür, dem Pastiche einen gegenüber der Parodie und Karikatur hinausgehenden, eigenständigen Anwendungsbereich zu gewähren. Aus der Zusammenschau der oben aufgeführten Quellen ergibt sich, dass der Pastiche ursprünglich eine Kunstform beschreibt, die von Stilimitation geprägt ist. Im urheberrechtlichen Kontext kann sich der Pastiche jedoch nicht in der reinen Imitation eines Stils oder einer Idee erschöpfen, da eine solche auch ohne Ausnahmeregelung zulässig wäre.216 Vielmehr muss er auch die Übernahme einzelner Werkausschnitte umfassen. Offen sind dabei jedoch insbesondere zwei Fragen: Erstens, ob allein die imitierende, reproduzierende oder auch die unmittelbare Übernahme von Werkausschnitten und Motiven erfasst ist. Und zweitens, ob ein Pastiche im Sinne des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL notwendigerweise humoristisch sein muss. Die Antworten auf diese Fragen sind maßgeblich für die Entscheidung ob moderne Kunstformen wie z. B. das Sampling, Remixe, Mashups, Memes oder GIFs einen nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zulässigen Pastiche darstellen können. Dies wird letztlich der EuGH entscheiden. Folgt er seiner bisherigen Rechtsprechung, wird er für den Pastichebegriff als Ausnahme von den Rechten nach Art. 2 und Art. 3 InfoSoc-RL, eine enge Auslegung für maßgeblich halten, die gleichzeitig praktisch wirksam ist und im Einzelfall zu einem angemessenen Ausgleich führt. Die Konkretisierung des Parodiebegriffs durch den EuGH zeigt jedoch, dass die vermeintlich enge Auslegung des Gerichtshofs tatsächlich umfassender war, als der bis dato zugrundegelegte Parodiebegriff der deutschen Rechtsprechung und Kulturwissenschaft.217 Somit ist es nicht abwegig, dass der EuGH den Pastiche möglicherweise schlicht als Imitation definiert, bei der geschützte Werkteile mit eigenen oder Werkteilen Dritter künstlerisch rekombiniert werden. Parallel zum Parodiebegriff,218 wird die Werkeigenschaft für das Vorliegen eines Pastiches nicht erforderlich sein.219 Denn ein entsprechendes Kriterium ergibt sich weder aus dem Begriff des Pastiches selbst noch aus Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL. Im Anschluss könnten sich jedoch Einschränkungen des Anwendungsbereichs daraus ergeben, dass die Regelung zu einem angemessenen Ausgleich im konkreten Einzelfall füh 215

GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002, insbesondere Fn. 30 – Pelham u. a. 216 So auch Stieper, GRUR 2020, 699 (702); ders., AfP 2015, 301 (305) m. w. N.; Pötzlberger, GRUR 2018, 675 (676). A. A. Döhl, ZGE 2020, 780 (426–428). 217 Dazu unter B. II. 1. b) bb) (1) (c). 218 Dazu unter B. II. 1. b) bb) (1) (a). 219 A. A. Stieper, GRUR 2020, 699 (703).

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

ren muss.220 Kunstformen, wie bspw. das Sampling, Mashups, GIFs oder Memes könnten somit je nach Einzelfall zunächst von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL erfasst sein,221 jedoch unter der Berücksichtigung eines angemessenen Ausgleichs wieder vom Anwendungsbereich ausgeschlossen werden, z. B. weil sie diskriminierende Aussagen enthalten oder die Verwertung des Ausgangswerks stark beeinträchtigen.222 All dies sind jedoch lediglich Thesen, um sich dem Gewährleistungsgehalt von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zu nähern. Rechtssicherheit können nur entsprechende Entscheidungen des EuGH gewähren, die abzuwarten sind. (3) Der Begriff der Karikatur Der Begriff der Karikatur wurde vom europäischen Gesetzgeber nicht definiert oder konkretisiert. Auch der EuGH musste sich bisher nicht ausführlich mit der Bedeutung und Tragweite des Karikaturbegriffs auseinandersetzen. In der Entscheidung Deckmyn und Vrijheidsfonds223 argumentierte Herr Deckmyn zwar, dass es sich bei der streitgegenständlichen Zeichnung um eine politische Karikatur handele, die als Parodie zulässig sei. Der EuGH griff im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens den Begriff der Karikatur jedoch nicht auf, sondern beschränkte sich auf die Prüfung des Parodiebegriffs, da auch das vorlegende, belgische Gericht nur nach den Merkmalen einer Parodie fragte.224 Folglich können an dieser Stelle nur der nach dem EuGH für die Auslegung maßgebliche gewöhnliche Sprachgebrauch (a)  unter Berücksichtigung des Zusammenhangs und Regelungsziels der Norm225 (b) herangezogen werden. Um weitere Anhaltspunkte zu sammeln, soll darüber hinaus auch der Karikatur­begriff im französischen Urheberrecht (c), in der Rechtsprechung des EGMR (d), in der deutschen Rechtsprechung (e) sowie Überlegungen der deutschen Rechts- und Kul 220

Lauber-Rönsberg, ZUM 2020, 733 (739) schreibt diesem Aspekt für die zukünftige Praxis eine zentrale Rolle zu. 221 So auch für Remixe, Sampling, Mashups und Fan Art: Pötzlberger, GRUR 2018, 675 (681); ders., Kreatives Remixing, S. 263; s. für einen weiten Anwendungsbereich der Pasticheschranke auch: Hudson, I. P. Q. (4) 2017, 346 (347, 368); restriktiver wohl Stieper, GRUR 2020, 699 (703); für eine Erfassung von Fan Fiction allerdings bejahend: ders., AfP 2015, 301 (305); für Sampling und Fan Fiction: Ohly, GRUR 2014, 964 (968). 222 Die Berücksichtigung der Verwertungsinteressen ergibt sich zugleich aus dem Dreistufentest nach Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL, vgl. dazu auch Lauber-Rönsberg, ZUM 2020, 733 (739); Stieper, GRUR 2020, 699 (703) m. w. N. 223 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 224 Auch der Generalanwalt hielt es für überflüssig eine Abgrenzung zur Karikatur vorzunehmen und beschränkte sich auf Ausführungen zu den Anforderungen einer Parodie, GA Villalón, Schlussanträge v. 22. 05. 2014, C-201/13 Rn. 46 – Deckmyn / Vandersteen. 225 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 19  – Deckmyn und Vrijheidsfonds m. w. N.

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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turwissenschaft (f) für das Begriffsverständnis herangezogen werden, um dann zu einem Fazit für den Karikaturbegriff im Sinne des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL (g) zu gelangen. (a) Der Begriff der Karikatur nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch Der Begriff der Karikatur findet seinen Ursprung im italienischen („caricare“: „überladen“, „übertragen“).226 Im gewöhnlichen Sprachgebrauch wird unter einer Karikatur die übertriebene oder verzerrende, oftmals auch spöttische bildliche Darstellung von menschlichen Eigenschaften oder Verhalten verstanden.227 Im Rahmen von politischen Karikaturen können neben einzelnen Persönlichkeiten auch gesellschaftliche Entwicklungen, Zustände oder Ereignisse Bezugspunkt der Karikatur sein.228 Dabei soll die übertriebene Darstellung und Herausarbeitung einzelner Merkmale die Aufmerksamkeit der Adressaten auf einen bestimmten Zustand oder eine Frage lenken.229 (b) Der Karikaturbegriff unter Berücksichtigung von Regelungszusammenhang und Ziel des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL Die Ausnahme zugunsten von Karikaturen ist gemeinsam mit der Ausnahme zugunsten von Parodien und Pastiches in Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL geregelt. Daher legt der Regelungszusammenhang nahe, dass die Parodie eine der Karikatur und dem Pastiche ähnliche Kunstform darstellt. Ebenso wie die Parodie und den Pastiche zeichnet sich eine Karikatur durch die Bezugnahme auf einen Lebenssachverhalt oder eine Person aus und kann dazu auch ein urheberrechtlich geschütztes Werk nutzen, weshalb es überhaupt der Ausnahmeregelung bedarf. Obwohl insbesondere Parodie und Karikatur sich überschneiden können, widerspräche eine vollständige Gleichsetzung des Karikaturbegriffs mit dem Begriff der Parodie aber dessen expliziter Aufzählung.230 Praktisch besteht der Zweck der Karikaturausnahme darin, eine bestimmte künstlerische Nutzungsform zu privilegieren, die mit Eingriffen in Urheberrechte

226

Brockhaus 9. Bd., S. 758. Brockhaus 9. Bd., S. 758; Nach dem Duden ist eine Karikatur eine „Zeichnung o. Ä., die durch satirische Hervorhebung bestimmter charakteristischer Züge eine Person, eine Sache oder ein Geschehen der Lächerlichkeit preisgibt“ oder ein „Zerr-, Spottbild“, abrufbar unter: www.duden.de/rechtschreibung/Karikatur [zuletzt abgerufen am 04. 11. 2021]; s. dazu auch Stieper, GRUR 2020, 699 (702) m. w. N. 228 Brockhaus 9. Bd., S. 758. 229 Nuissl / Przybylska, Karikaturen, S. 72. 230 Vgl. Pötzlberger, GRUR 2018, 675 (679) m. w. N. 227

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Dritter verbunden ist.231 Dahinter steht der Versuch das grundrechtliche Spannungsverhältnis zwischen Urheber der Vorlage und nachschaffendem Künstler zu lösen. Für die Ermittlung des Anwendungsbereichs der Parodie stellte der EuGH fest, dass aus dem Ausnahmecharakter von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL, zwar folge, dass die Vorschrift eng auszulegen sei.232 Dennoch müsse die praktische Wirksamkeit der Ausnahme gewahrt werden, sodass keine Voraussetzungen zu fordern seien, die sich nicht aus dem Begriff nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch oder der Bestimmung ergäben.233 Dementsprechend gilt auch für die Ausnahme zugunsten von Karikaturen als Teil des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zwar ein enges Begriffsverständnis, das jedoch nicht durch Voraussetzungen eingeschränkt werden kann, welche sich nicht aus dem Begriff der Karikatur oder Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL selbst ergeben. Des Weiteren verwies der EuGH für die Bestimmung des Ziels von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zur Ermittlung des Parodiebegriffs auf die mit der InfoSoc-RL allgemein verfolgten Ziele. Dazu gehöre die Harmonisierung, die der Verwirklichung der vier Freiheiten des Binnenmarktes beitrage und die Beachtung der tragenden Grundsätze des Rechts. Letztere umfasse insbesondere das (geistige) Eigentum, die Meinungsfreiheit und das Gemeinwohl.234 Zum Zwecke der Harmonisierung müsse der Parodiebegriff im Unionsrecht autonom und einheitlich ausgelegt werden.235 Somit ist neben dem Parodie- und Pastichebegriff auch der Begriff der Karikatur einheitlich und autonom auszulegen. Zudem stellt der EuGH fest, dass nach dem 32. Erwägungsgrund der ­InfoSoc-RL durch die Ausnahmen des Art. 5 InfoSoc-RL ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen und Rechten von Urhebern und Nutzern erzielt werden solle.236 Daraus folge, dass bei der Anwendung der Parodieschranke nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL im konkreten Einzelfall ein angemessener Ausgleich zwischen den Rechtsinhabern und der Meinungsfreiheit der Nutzer herzustellen sei. Dafür 231

Im Vergleich zur Parodie scheint die referenzielle Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke für die Kreation einer Karikatur weniger dringend, da sich die Karikatur eher auf Personen oder Lebenssachverhalte, als auf konkrete Werke bezieht. 232 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 22  – Deckmyn und Vrijheidsfonds mit Verwies auf EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014 – C-435/12, ECLI:EU:C:2014:254 Rn. 23 – ACI Adam u. a. 233 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 23–24 – Deckmyn und Vrijheidsfonds mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 04. 10. 2011 – C-403/08, ECLI:EU:C:2011:631 Rn. 163– Football Association Premier League u. a. 234 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 25  – Deckmyn und Vrijheidsfonds mit Verweis auf Erwgr. 3 der InfoSoc-RL. 235 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 14–17 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 236 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 26  – Deckmyn und Vrijheidsfonds; vgl. auch EuGH, Urt. v. 21. 10. 2010 – C-467/08, ECLI:EU:C:2010:620 Rn. 43 –  Padawan und EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 132 – Painer.

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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seien sämtliche Umstände des Einzelfalls zu prüfen.237 Insbesondere könne der Urheber des Ausgangswerks ein Interesse daran haben, nicht mit rassistischen Aussagen der Parodie in Verbindung gebracht zu werden.238 Folglich ist auch für die Ermittlung des Anwendungsbereichs der Karikaturschranke bedeutsam, dass im jeweiligen Einzelfall ein angemessener Ausgleich zwischen den Rechtsinhabern und der Kunstfreiheit des nachschaffenden Künstlers erzielt wird. Neben den Rechten des Urhebers könnten insbesondere die Persönlichkeitsrechte der karikierten Personen zu berücksichtigen sein. Allerdings scheint es aus dogmatischer Sicht vorzugswürdig die persönlichkeitsrechtlichen Interessen von Betroffenen, die nicht zugleich Urheber sind, außerhalb von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL, über Vorschriften zum Schutz des Persönlichkeitsrechts zu berücksichtigen. Denn Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL ist dazu bestimmt, den Interessenausgleich von Nutzer und Urheber – und nicht etwa von Nutzern und Dritten – zu lösen. Hingegen könnte im Rahmen der Auslegung des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zu berücksichtigen sein, ob die Karikatur sich negativ auf die wirtschaftliche Verwertung des Ausgangswerks auswirkt oder ob sie die Urheberpersönlichkeitsrechte beeinträchtigt. Beispielsweise könnte die Portraitfotografie eines Fotografen von einer dritten Person zum Zweck der Karikatur bearbeitet und in einen Zusammenhang gestellt werden, mit dem der Fotograf als Urheber nicht in Verbindung gebracht werden möchte. Dieser Faktor könnte nach der Rechtsprechung des EuGH dann bei der Erzielung eines angemessenen Ausgleichs im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zu berücksichtigen sein. Dogmatisch schlüssiger wäre es allerdings, – in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des EuGH239 – solche Faktoren im Rahmen des Dreistufentests nach Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL zu berücksichtigen.240 (c) Der Karikaturbegriff im französischen Urheberrecht Anknüpfungspunkt für die Definition des rechtlichen Karikaturbegriffs könnte für den EuGH in Zukunft auch die Ausnahmeregelung des Art. L. 122.–5 No. 4 CPI im französischen Urheberrecht sein, welche offensichtlich Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL als Vorbild diente.241

237

EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 27–28 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 238 Vgl. EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 29–31 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 239 Vgl. EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 28–34 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 240 So schon zur Parodie- und Pastischeschranke unter: B. II. 1. b) bb) (1) (a) (bb)  und B. II. 1. b) bb) (2) (a) (bb). 241 Bayreuther, ZUM 2001, 828 (836); Döhl, UFITA 83 (2019), 19 (30).

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Die Heranziehung des Rechts einzelner Mitgliedstaaten zur Entwicklung eines autonomen unionsrechtlichen Begriffs ist dem EuGH nicht fremd.242 Einige Stimmen der Literatur vertreten die Auffassung, dass im französischen Urheberrecht die Begriffe der Parodie (Musik), Karikatur (Kunst) und Pastiche (Literatur und visuelle Künste) in Abhängigkeit von der Gattung des genutzten Werks verwandt werden.243 Der Cour de Cassation scheint dieser Abgrenzung hingegen nicht zu folgen und nutzte den Begriff der Karikatur, wenn der betroffene Gegenstand sich über eine Person lustig mache.244 (d) Der Karikaturbegriff in der Rechtsprechung des EGMR Auch der EGMR, an dessen Rechtsprechung der EuGH sich insbesondere im Bereich der Grundrechte orientiert,245 hat den Karikaturbegriff bislang nicht eindeutig definiert. Er versteht unter einer Karikatur jedoch eine Kunstform, die naturgemäß provokativ ist,246 und ordnet sie – ebenso wie die Parodie – als Unterfall der Satire ein.247 In der Tendenz scheint er den Begriff der Karikatur als Beschreibung für die verzerrende Darstellung von Personen zu verstehen.248 (e) Der Karikaturbegriff in der deutschen Rechtsprechung Der BGH gebraucht zwar sowohl den Parodie- als auch den Karikaturbegriff, allerdings nutzte er die vom EuGH entwickelten Kriterien der Parodie zugleich für die Karikatur, ohne eine Unterscheidung vorzunehmen.249 242

Zu dieser Methodik des EuGH: Lenaerts, ICLQ 52 (2003), 873 (897); zur Bedeutung des Rechts der Mitgliedstaaten als Rechtsquelle s.: Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, S. 493–496. 243 Colombet, Propriété littéraire et artistique, Rn. 234; Mendis / Kretschmer, The Treatment of Parodies, S. 18; vgl. auch Döhl, UFITA 83 (2019), 19 (30) m. w. N. 244 So jedenfalls Lucas / Lucas-Schloetter / Bernault, Traité de la propriété littéraire et artistique, Rn. 480. 245 Dazu unter D. II. 1. a) cc) (2) (a) und D. II. 1. b) aa). 246 EGMR, Urt. v. 02. 10. 2008  – 36109/03, ECLI:CE:ECHR:2008:1002JUD003610903 Rn. 39 – Leroy / France; EGMR, Urt. v. 25. 01. 2007 – 68354/01, ECLI:CE:ECHR:2007:0125J UD006835401 Rn. 33 – Vereinigung Bildender Künstler / Austria. 247 EGMR, ECLI:CE:ECHR:2016:1122JUD000891805 Rn. 59 – Grebneva and Alisimchik /  Russia. 248 Vgl. EGMR, Urt. v. 25. 01. 2007 – 68354/01, ECLI:CE:ECHR:2007:0125JUD006835401 Rn. 33  – Vereinigung Bildende Künstler / Austria; EGMR, ECLI:CE:ECHR:2009:1020JUD 004166507 Rn. 27 – Alves da Silva / Portugal; anders hingegen in: EGMR, Urt. v. 02. 10. 2008 – 36109/03, ECLI:CE:ECHR:2008:1002JUD003610903 Rn. 39 – Leroy / France. 249 BGHZ 225, 222 Rn. 63 – Metall auf Metall IV. In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit kam es jedoch auch nicht auf eine Unterscheidung an, da beide Kunstformen offensichtlich nicht vorlagen. Es ist davon auszugehen, dass der BGH die Abgrenzung von Parodie und Karikatur als autonome Begriffe des Unionsrechts dem EuGH überlassen wollte.

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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Das BVerfG nutzt den Begriff der Karikatur im Zusammenhang mit der übertriebenen oder verzerrenden bildlichen Darstellung von Personen250 sowie Personen und Sachverhalten oder abstrakten Thematiken251. Dabei scheint das BVerfG die Karikatur, ebenso wie der EGMR, als Unterfall der Satire einzuordnen.252 Wobei es den Begriff der Satire vor allem im Zusammenhang mit sprachlichen Überspitzungen verwendet.253 Eine trennscharfe Abgrenzung der Begriffe kann der deutschen Rechtsprechung nicht entnommen werden.254 Vor der Parodie-Rechtsprechung des EuGH, nahm der BGH das Vorliegen einer Karikatur jedoch an, wenn eine kritisch-humorvolle Auseinandersetzung im Gegensatz zur Parodie nicht mit dem älteren Werk selbst erfolgt, sondern mit einem Gegenstand der in dem älteren Werk dargestellt ist.255 (f) Der Karikaturbegriff in der rechts- und kulturwissenschaftlichen Literatur In der Kunstgeschichte gelten die Gebrüder Caracci als Schöpfer der Karikatur. Die Zeichnung von Karikaturen in Form von Portraits diente ihnen „als scherzhafter Zeitvertreib“256. Bei einem engen Begriffsverständnis gelten daher nur solche Werke als Karikaturen, bei denen die Komik aus der übertriebenen Darstellung von Körperteilen resultiert.257 Über die Zeit hat sich das Begriffsverständnis aber geweitet: Nach der überwiegenden Meinung der rechts- und kulturwissenschaft­ lichen Literatur zeichne sich die Karikatur dadurch aus, dass sie in einer bild­lichen Darstellungsform, häufig auch in einer Kombination mit Text, auftrete und die Wirklichkeit, insbesondere Personen, gesellschaftlich-politische Zustände oder Ideologien thematisiere.258 Im Gegensatz dazu erscheine die Parodie auch in anderen Gattungsformen, wie bspw. der Musik, und setze sich mit einem konkreten Werk als Vorlage auseinander.259 250

Vgl. BVerfGE 75, 369 (377–378) – Strauß-Karikatur. Vgl. BVerfGE 81, 278 (294–295) – Bundesflagge. 252 BVerfGE 81, 278 (294) – Bundesflagge. 253 Für einen provokativ-kritischen Liedtext ohne Bezug zu oder Darstellung einer konkreten Person, s. BVerfGE 81, 298 (306–307) – Deutschlandlied. Bei einer überspitzten textlichen Zuschreibung von Eigenschaften einer Person, BVerfGE 86, 1 (9) – „geb. Mörder“. 254 In BVerfG NJW 2002, 3767 – Bonnbons, beschreibt das BVerfG bspw. eine Mischung aus bildlicher und textlicher Darstellung von Personen als Satire und nicht als Karikatur. 255 BGHZ 154, 260 (268) – Gies-Adler m. w. N. 256 Langemeyer, Karikatur – Bild als Waffe, S. 7. 257 Langemeyer, Karikatur – Bild als Waffe, S. 7. 258 Rösch, Reallexikon Bd. II, S. 233–234; Marshall, JIPLP 2018, 955 (958–959); Lange­ meyer, Karikatur  – Bild als Waffe, S. 7–11, a. a. O. auch Döring, S. 16; vgl. auch: Nuissl /  Przybylska, Karikaturen, S. 70–72. Während Nuissl / Przybylska, s. a. a. O., S. 70 Fn. 1 davon ausgehen, dass auch Videos unter den Begriff der Karikatur fallen können, lehnt Marshall Videos als Medium für eine Karikatur ab, a. a. O. (959). 259 Vgl. dazu B. II. 1. b) bb) (1) (b); DiskE des BMJV für ein Zweites Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse eines digitalen Binnenmarktes [Stand 24. 06. 2020], 64; 251

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Die Karikatur zeichne sich weiter dadurch aus, dass sie komisch und kumulativ oder alternativ kritisch sei.260 Zuzustimmen ist Langemeyer, der feststellt, dass es auf den eigenen Standpunkt ankomme, ob eine Karikatur Lachen erzeuge oder Wut auslöse.261 Gestaltungsmittel der Karikatur kann auch die Abstraktion sein, bei dem sich die Darstellung auf das Charakterisierende reduziert.262 Aufgrund des Personenbezugs spielt die Karikatur vor allem für das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine Rolle263. Von urheberrechtlicher Bedeutung und damit im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL relevant ist sie nur, soweit sie für die geistig-künstlerische Auseinandersetzung geschützte Werke oder Werkteile nutzt.264 Zum Beispiel können Karikaturen auf bekannte Vorlagen wie Gemälde zurückgreifen, um aktuelle Zeitgeschehnisse kritisch-komisch darzustellen.265 (g) Fazit zum Karikaturbegriff nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL Zwar fehlt es bislang an einer Definition des EuGH, dennoch können die Merkmale des Karikaturbegriffs mit einiger Sicherheit bestimmt werden. Denn die nach Auffassung des EuGH maßgeblichen Kriterien des gewöhnlichen Sprachgebrauchs, des Ziels und des Regelungszusammenhangs, aber auch die deutsche und französische Rechtsprechung, die Rechtsprechung des EGMR sowie die Auffassungen in rechts-und kulturwissenschaftlicher Literatur stimmen im Wesentlichen überein. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Karikaturbegriff zwecks Harmonisierung des Unionsrechts autonom und einheitlich ausgelegt werden muss.266 Zudem ist der Begriff im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH als Schrankenregelung zwar restriktiv, aber zugleich auch so auszulegen, dass die Ausnahme praktische Wirksamkeit entfaltet und schließlich zu einem im Einzelfall angemessenen Interessenausgleich zwischen Nutzer und Urheber führt. Weitere Kriterien, die sich nicht aus dem Begriff der Karikatur selbst ergeben, sind nicht heranzuziehen.267 Unter einer Karikatur ist eine bildliche oder bild- und textliche Darstellung einer Person, eines Lebenssachverhalts oder eines gesellschaftlichen s. zur Abgrenzung von Parodie und Karikatur auch: Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 128–129. 260 Rösch, Reallexikon Bd. II, S. 233. 261 Langemeyer, Karikatur – Bild als Waffe, S. 11. 262 Fuchs, Die Karikatur der europäischen Völker, S. 4. 263 Brockhaus 23. Bd., S. 42. 264 Stieper, GRUR 2020, 699 (702). 265 Langemeyer, Karikatur – Bild als Waffe, S. 14–17 mit entsprechenden Abbildungen. Für den referenziellen Charakter von Karikaturen s. auch: Schmidt, Kunstzitat und Provokation, S. 24–38. 266 Vgl. EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 14–17 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 267 Vgl. EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 22–28 – Deckmyn und Vrijheidsfonds

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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Themas zu verstehen, welche durch die Stilmittel der Verzerrung oder Übertreibung eine komische Wirkung erzielt oder Kritik äußert. Die Karikatur kann dabei auch provokativ sein. Es sind sowohl rein komische als auch rein kritische268 Karikaturen denkbar. Vielfach zeichnet sich die Karikatur aber durch ein Wechselspiel von Komik und Kritik aus.

2. Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL als Beschränkung des Urheberrechts zugunsten der Kunstfreiheit Art. 5 Abs. 3 lit. d) der InfoSoc-RL zählt ebenso wie Art. 5 Abs. 3 lit. k) I­ nfoSoc-RL zu den 15 in der InfoSoc-RL geregelten Tatbeständen, der es den Mitgliedstaaten der Union erlaubt, Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Wiedergabe vorzusehen.269 Nach der angeführten Norm sind Ausnahmen oder Beschränkungen „für Zitate zu Zwecken wie Kritik oder Rezensionen, sofern sie ein Werk oder einen sonstigen Schutzgegenstand betreffen, das bzw. der der Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht wurde, sofern – außer in Fällen, in denen sich dies als unmöglich erweist – die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers, angegeben wird und sofern die Nutzung den anständigen Gepflogenheiten entspricht und in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist;“ zulässig. Auf den ersten Blick scheint diese Regelung primär Ausdruck der von Art. 11 Abs. 1 GRCh geschützten Meinungsfreiheit zu sein. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass Zitate nicht nur eine Belegfunktion erfüllen, sondern auch ein wichtiges Instrument der künstlerischen Auseinandersetzung darstellen können.270 Somit kann das Zitatrecht des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL neben Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL als Vorschrift zugunsten der von Art. 13 S. 1 GRCh geschützten Kunstfreiheit verstanden werden und ist daher im Folgenden zu untersuchen. Im Anschluss an die Betrachtung von Rechtsnatur und Bedeutung der Vorschrift für das deutsche Urheberrecht (a) soll ihr Anwendungsbereich (b) ermittelt werden.

268 Parallel zu einer „seriösen Pariode“ ist auch eine „seriöse Karikatur“ denkbar, dazu Fn. 147. 269 In Bezug auf das Vervielfältigungsrecht kommen noch fünf weitere Ausnahmetatbestände dazu, vgl. Art. 5 Abs. 2 InfoSoc-RL. 270 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72 – Pelham u. a. Vgl. hierzu: BVerfG GRUR 2001, 149 (151) – Germania 3.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

a) Rechtsnatur und Bedeutung von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL für das deutsche Urheberrecht Auch bei Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL handelt es sich um eine fakultative Beschränkung.271 Die Umsetzung dieser Regelung in das nationale Recht ist für die Mitgliedstaaten damit nicht verpflichtend. Eine Verpflichtung ergibt sich auch nicht aus der DSM-RL, da sie nach ihrem eindeutigen Wortlaut die Regelungen der InfoSoc-RL unberührt lässt.272 Entscheiden sich die Mitgliedstaaten dafür, eine in Art. 5 Abs. 2 oder Abs. 3 der InfoSoc-RL genannte Ausnahme oder Beschränkung zu implementieren, müssen dabei alle Voraussetzungen der jeweiligen Bestimmung eingehalten werden.273 Art. 5 Abs. 3 lit. d)  InfoSoc-RL legt jedoch nur die Mindestvoraussetzungen einer Ausnahme oder Beschränkung zu dem Zweck eines Zitats fest. Die einzelnen Voraussetzungen bleiben den Mitgliedstaaten überlassen.274 Damit stellt Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL „keine Maßnahme zur vollständigen Harmonisierung der Reichweite der in ihm aufgeführten Ausnahmen oder Beschränkungen“275 dar.276 Folglich können die Mitgliedstaaten unter Einhaltung der durch die Regelung vorgegebenen Mindestbedingungen eigene Kriterien für eine Beschränkung der in Art. 2 und Art. 3 InfoSoc-RL festgelegten Rechte zwecks Zitats vorsehen. Bei der Umsetzung haben sie allerdings die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, wie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie die Ziele der InfoSoc-RL und die praktische Wirksamkeit der Ausnahme zu berücksichtigen.277 Ebenfalls zu beachten sind der in Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL verankerte Dreistufentest und die Grundrechtecharta der EU.278 Schon vor Erlass der InfoSoc-RL existierte das Zitatrecht im deutschen Urheberrechtsgesetz. Durch das Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft wurde die zuvor für bestimmte Fallgruppen geltende Regelung durch eine Generalklausel ergänzt und somit an Art. 5 Abs. 3 lit. d) I­ nfoSoc-RL

271 Vgl. Erwgr. 36 zur InfoSoc-RL, während die Ausnahme in Art. 5 Abs. 1 InfoSoc-RL verpflichtend wirkt. Näher zur Rechtsnatur der Schrankenregelungen der InfoSoc-RL unter B. II. 1. a). 272 Dazu näher unter B. II. 1. a). 273 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 48 – Funke Medien NRW m. w. N. 274 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17 Rn. 44 – Afghanistan Papiere. Grund dafür sei die begrenzte wirtschaftliche Bedeutung, a. a. O. 275 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17 Rn. 54 – Afghanistan Papiere. 276 Zuvor wurde im Schrifttum noch von einer verbindlich vorgegebenen Ausgestaltung der Beschränkungen ausgegangen s. Winter, Die urheberrechtliche Bewertung des Samplings im Lichte des Unionsrechts, S. 238–239; Stieper, ZUM 2016, 637 (639) der insbesondere auf die „durch die Kunstfreiheit gezogenen Schranken“ Bezug nimmt. 277 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17 Rn. 49–51 – Afghanistan Papiere. 278 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17 Rn. 52–53 – Afghanistan Papiere.

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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angeglichen.279 Ziel der Neufassung war jedoch keine grundlegende Erweiterung, sondern die Schließung einzelner Lücken, die aufgrund der unflexiblen kasuistischen Vorgängerregelung entstanden waren.280 Insbesondere Filmzitate und Zitate von Multimediawerken sollten durch die Änderungen erfasst werden.281 Das Merkmal der „anständigen Gepflogenheiten“ aus Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL nahm der deutsche Gesetzgeber bewusst nicht auf, da es nach Art. 10 Abs. 1 RBÜ ohnehin gelte.282 b) Voraussetzungen des Zitatrechts nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL findet als Ausnahme oder Beschränkung (aa) nur Anwendung, wenn ein Zitat zu Zwecken wie Kritik oder Rezension (bb) vorliegt, das Werk der Öffentlichkeit bereits zugänglich gemacht wurde (cc), eine Quellenangabe erfolgt (dd), die Nutzung anständigen Gepflogenheiten entspricht (ee) und der Umfang des Zitats durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist (ff). aa) Ausnahme oder Beschränkung Damit es einer Ausnahmeregelung bedarf muss zunächst ein schutzfähiges Werk vorliegen. Mithin bedarf es einer eigenen geistigen Schöpfung.283 bb) Für Zitate zu Zwecken wie Kritik oder Rezension Mangels Definition innerhalb der InfoSoc-RL ist der Begriff des Zitats, der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs entsprechend, nach seinem Sinn und dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen. Dabei sind auch der Kontext der Verwendung und die Ziele der zugehörigen Regelung zu beachten.284 Dieser Methodik folgend besteht nach Verständnis des EuGH das wesentliche Merkmal eines Zitats darin „dass ein Werk oder ganz allgemein ein Auszug aus einem Werk von einem 279

Dreier / Schulze / Dreier, Urheberrechtsgesetz, § 51 Rn. 1b; Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BTDrs. 16/1828, 25.  280 Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/1828, 25. 281 Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/1828, 25. 282 Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/1828, 25. 283 Dazu bereits unter B. II. 1. b) aa). 284 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 77 – Spiegel Online.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Nutzer, der nicht dessen Urheber ist, genutzt wird, um Aussagen zu erläutern, eine Meinung zu verteidigen oder eine geistige Auseinandersetzung zwischen dem Werk und den Aussagen des Nutzers zu ermöglichen, sodass der Nutzer eines geschützten Werks, der sich auf die Ausnahme für Zitate berufen will, das Ziel verfolgen muss, mit diesem Werk zu interagieren“.285 Die Interaktion mit dem genutzten Ausschnitt eines Werkes ist damit Kernmerkmal des Zitats. Sie belegt die eigene geistige Leistung des Zitierenden, die selbst nicht den Werkbegriff erfüllen muss286. Der EuGH fordert „zwingend eine direkte und enge Verknüpfung zwischen dem zitierten Werk und seinen eigenen Überlegungen“, bei derer das Zitat gegenüber den Aussagen des Nutzers akzessorisch sind.287 Eine bloße Wiedergabe des Werkes ist demnach unzulässig.288 Nicht erforderlich ist, dass das genutzte Werk untrennbar in den geschaffenen Gegenstand eingebunden ist. Auch ein Zitat durch Verlinkung auf eine selbständig abrufbare Datei ist möglich.289 Die Anwendung des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL auf neuartige Kunstformen wie z. B. das Sampling, hat der EuGH zwar grundsätzlich für zulässig erklärt, jedoch muss im Einzelfall geprüft werden, ob die Anforderungen an die Zitateigenschaft erfüllt sind.290 Grundvoraussetzung für die Interaktion ist die Erkennbarkeit des Zitats als fremder Bestandteil, der einem Dritten zuzuordnen ist.291 An Ausführungen zu den konkreten Anforderungen an die Erkennbarkeit der Fremdheit fehlt es in der Rechtsprechung bislang. Das Merkmal dient aber auch dazu, die Nutzung von einer schlichten Aneignung abzugrenzen, die ein Plagiat darstellen kann.292 Zudem ist der Zitatzweck auch ausschlaggebend für den zulässigen Umfang des Zitats. Denn die Nutzung des Zitates ist nur in einem eng umgrenzten Rahmen, nämlich nur soweit wie es zur Erreichung des von ihm verfolgten Ziel erforderlich ist, möglich.293 285

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 71 – Pelham u. a.; ähnlich auch EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 78 – Spiegel Online. 286 EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 136–137 – Painer. 287 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 79 – Spiegel Online. 288 Wandtke / Bullinger / L eenen, UrhR, Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL Rn. 120. 289 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 80, 84 – Spiegel Online. Für solch eine Auslegung spreche auch der Regelungszusammenhang. Denn die InfoSoc-RL soll nach Art. 1 Abs. 1 den rechtlichen Schutz des Urhebers im Binnenmarkt insbesondere in Bezug auf die Informationsgesellschaft regeln, s. Rn. 81 a. a. O. 290 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72 – Pelham u. a. 291 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 73 – Pelham u. a. Der EuGH griff das in der Vorlagefrage des BGH enthaltene Merkmal der „Fremdheit“ zwar nicht auf und stellte ausdrücklich nur fest, dass eine Interaktion die Erkennbarkeit des Werkes voraussetze. Vor dem Hintergrund der Fragestellung, den Ausführungen des GA Szpunar, dem sich der EuGH anschloss sowie dem Sinn und Zweck des Kriteriums – der Möglichkeit einer Interaktion mit dem Werk eines Dritten – ist das Urteil des Gerichtshofs dahingehend zu verstehen, dass das Werk nicht nur erkennbar, sondern auch als fremd erkennbar sein muss. 292 Vgl. Schlussanträge v. 12. 12. 2018  – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 65–67  – Pelham u. a. 293 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 68 – Pelham u. a.

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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Die Zwecke des Zitats „wie Kritik oder Rezension“ sind, wie sich aus der Formulierung ergibt, nicht abschließend, sodass den Mitgliedstaaten ein großer Umsetzungsspielraum eröffnet ist.294 Sie stützen jedoch die Argumentation des EuGH, dass das Zitatrecht eine Interaktion voraussetzt. Denn sowohl die Kritik als auch die Rezension zeichnen sich durch eine Auseinandersetzung mit dem kritisierten oder rezensierten Ausgangswerk aus. Das Urteil des EuGH in Pelham u. a. zeigt, dass unter Berücksichtigung von Art. 13 S. 1 GRCh der Zitatzweck auch künstlerischer Natur sein kann. Allerdings ist auch für die entsprechende künstlerische Nutzung erforderlich, dass sie mit der Vorlage interagiert.295 cc) Werk oder Schutzgegenstand, der der Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht wurde Weitere Mindestvoraussetzung für eine Ausnahme oder Beschränkung nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL ist, dass das betroffene Werk oder der betroffene Schutzgegenstand „der Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht wurde“296. Das bedeutet, dass eine Veröffentlichung mit Willen des Rechtsinhabers, aufgrund einer Zwangslizenz oder aufgrund einer gesetzlichen Erlaubnis erfolgt sein muss.297 Zudem setzt eine rechtmäßige Veröffentlichung grundsätzlich auch die Namensnennung des Urhebers voraus.298 An einer rechtmäßigen Veröffentlichung fehlt es, wenn an dem zitierten Werk ohne entsprechende Berechtigung zuvor redaktionelle Änderungen vorgenommen wurden.299 Hat der Rechtsinhaber sein Werk mit Distanzierungsvermerken öffentlich zugänglich macht, so ist eine Veröffentlichung ohne diese Vermerke unrechtmäßig.300 Der Schutzgegenstand muss also in seiner konkreten Gestalt rechtmäßig zugänglich gemacht worden sein.301

294

Begründet wird dies mit der begrenzten wirtschaftlichen Bedeutung der Regelung, EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17 Rn. 43–44 – Funke Medien NRW; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 28–29 – Spiegel Online. 295 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72 – Pelham u. a. 296 Dieser sehr eindeutige Wortlaut wurde zur Heranziehung der französischen Version der InfoSoc-RL herangezogen, EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 128 – Painer. 297 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019  – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 89  – Spiegel Online; Wandtke / Bullinger / L eenen, UrhR, Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL Rn. 121. 298 Eine Namensnennung ist entbehrlich, wenn sich der Nutzer auf Art. 5 Abs. 3 lit. e) Info­Soc-RL stützen kann. Vgl. EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 141–145 – Painer. 299 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 92 – Spiegel Online. 300 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019  – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 92–93  – Spiegel Online. 301 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 95 – Spiegel Online.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

dd) Quellenangabe Nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL ist die Quellenangabe, einschließlich des Namens des Urhebers grundsätzlich verpflichtend, es sei denn, dass sich dies als unmöglich erweist.302 Die Quelle umfasst solche Angaben, die nötig sind, um das Werk „identifizierbar und auffindbar zu machen“303. Dabei trifft den Nutzer eine eigene Recherchepflicht.304 Sollte sich der Urheber bewusst für die Anonymität entschieden haben ist eine Namensnennung nicht erforderlich. Es kann für ihn sogar je nach Ausgestaltung des nationalen Rechts des Mitgliedstaats ein Anspruch darauf bestehen nicht genannt zu werden. Dieser bleibt als Ausdruck des Urheberpersönlichkeitsrechts von der InfoSoc-RL unberührt.305 Im Einklang mit den allgemeinen Lehren des Zivilrechts kann die Unmöglichkeit tatsächliche, rechtliche oder wirtschaftliche Gründe haben.306 Auch die Angabe des Namens kann unmöglich sein, wenn zum Beispiel das Werk zuvor nach einer anderen Ausnahme oder Beschränkung wie Art. 5 Abs. 3 lit. e) InfoSoc-RL ohne Namensangabe veröffentlicht wurde. In einem solchen Fall wird man der Verpflichtung aus Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL bereits mit der Quellenangabe gerecht.307 ee) Zitat entspricht anständigen Gepflogenheiten Das Merkmal der „anständigen Gepflogenheiten“ eröffnet den Mitgliedstaaten nach Ansicht des EuGH erheblichen Umsetzungsspielraum, der eine Interessenabwägung ermöglicht.308 Es ist auch über Art. 10 Abs. 1 RBÜ für das deutsche Urheberrecht verbindlich. ff) Umfang ist durch den besonderen Zweck gerechtfertigt Gerechtfertigt ist der Umfang des Zitats nur, soweit er zur Erreichung des mit dem Zitat verfolgten Ziels erforderlich ist.309 Dabei ist der vom Nutzer im Einklang mit der Ausnahmeregelung bestimmte Zitatzweck maßgeblich. Auch der Dreistufentest des Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL kann Einfluss auf dieses Merkmal haben. 302

Vgl. EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 149 – Painer. Wandtke / Bullinger / L eenen, UrhR, Art. 5 Abs. 3 lit. a) InfoSoc-RL Rn. 106. 304 Wandtke / Bullinger / L eenen, UrhR, Art. 5 Abs. 3 lit. a) InfoSoc-RL Rn. 106. 305 Wandtke / Bullinger / L eenen, UrhR, Art. 5 Abs. 3 lit. a) InfoSoc-RL Rn. 106 mit Verweis auf Erwgr. 19 der InfoSoc-RL. 306 Wandtke / Bullinger / L eenen, UrhR, Art. 5 Abs. 3 lit. a) InfoSoc-RL Rn. 106. 307 EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 146–149 – Painer. 308 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 28 – Spiegel Online. 309 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 83 – Spiegel Online; nach Leenen, Wandtke / Bullinger / L eenen, UrhR, Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL Rn. 123, muss der Umfang sowohl „quantitativ“ als auch „qualitativ“ gerechtfertigt sein. 303

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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Danach darf ein Zitat nicht so umfangreich sein, „dass es die normale Verwertung des Werks oder eines sonstigen Schutzgegenstands beeinträchtigt oder die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers ungebührlich verletzt“.310

3. Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) und b) DSM-RL als Beschränkungen des Urheberrechts zugunsten der Kunstfreiheit Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) und b) der DSM-RL sehen Ausnahmen oder Beschränkungen für die Nutzung als Zitat und für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches vor. Die Regelungen stellen Sondervorschriften für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke auf Plattformen von Dienste­ anbietern im Internet dar. Damit versuchen sie das Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht dort zu regeln, wo es sich durch die Etablierung referenzieller Nutzungsformen in Gestalt von bspw. Sampling, Mashups, GIFs und Memes besonders zuspitzt. Denn diese Kunstformen werden als User Generated Content (UGC) vielfach auf Plattformen von Diensteanbietern wie z. B. YouTube veröffentlicht und verbreitet. Insbesondere unter Anerkennung des Zitats als künstlerisches Gestaltungsmittels ist lit. a) der angeführten Regelung damit auch sekundärrechtlicher Ausdruck der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh.311 Da es sich bei Karikaturen, Parodien und Pastiches um Kunstformen handelt, dient lit. b) ebenfalls der Kunstfreiheit.312 a) Rechtsnatur und Bedeutung der DSM-RL für das nationale Recht der Mitgliedstaaten Wie auch die InfoSoc-RL ist die DSM-RL313 als Richtlinie im Sinne des Art. 288 Abs. 3 AEUV Teil des sekundären Unionsrechts. Damit ist sie nach Art. 288 Abs. 3 AEUV hinsichtlich des Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Die Richtlinie entfaltet also zunächst 310

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 79 – Spiegel Online. Vgl. dazu B. II. 2. Im Übrigen dient das Zitatrecht vor allem der Meinungsfreiheit nach Art. 11 Abs. 1 GRCh. Greift die Kunstfreiheit ein, so ist sie allerdings vorrangig. Zum Verhältnis von Kunst- und Meinungsfreiheit nach der GRCh s. Fn. 66. 312 Vgl. Erwgr. 70 der DSM-RL der feststellt, dass die Beschränkung zugunsten von (Zitaten) Karikaturen, Parodien und Pastiche dem Ausgleich zwischen Meinungs-, Kunst- und Eigentumsfreiheit Rechnung tragen soll. Da der EuGH den Schutz des Urhebers jedoch nicht auf die Kunstfreiheit stützt, kann damit nur die Kunstfreiheit des Nutzers gemeint sein, der sich auf die Ausnahme zum Zwecke von Karikatur, Parodie oder Pastiche beruft. 313 Richtlinie (EU) 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 04. 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 96/9/EG und 2001/29/EG. 311

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

keine unmittelbare Wirkung, sondern muss nach ihrem Erlass in ein nationales Gesetz transformiert werden.314 Einzelne Regelungen der DSM-RL waren bereits im Gesetzgebungsprozess Gegenstand einer kritischen öffentlichen Diskussion.315 Selten erfuhr das europä­ ische Urheberrecht so viel Aufmerksamkeit von der breiten Gesellschaft, welche sich sogar in mehrfachen Demonstrationen niederschlug. Besonders im Fokus stand dabei die Regelung des Art. 17 DSM-RL316. Kritiker befürchten durch die in Art. 17 Abs. 4 DSM-RL normierte Verantwortlichkeit von Online-Diensteanbietern für die Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer eine Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit.317 Aufgrund der Vielzahl von hochgeladenen Inhalten zwingt die Regelung die meisten Diensteanbieter faktisch zur Verwendung von sog. UploadFiltern. Diese Upload-Filter sollen den User Generated Content bereits vor dessen Veröffentlichung auf seine urheberrechtliche Zulässigkeit überprüfen. Mangels technischer Ausgereiftheit ist es jedoch denkbar, dass die Filter nicht nur Urheberrechtsverletzungen, sondern auch rechtmäßige Inhalte wie bspw. Parodien sperren, weil sie deren geistige Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk nicht erfassen. In der juristischen Fachwelt gilt die Richtlinie als Meilenstein des Urheberrechts318, erfuhr jedoch insbesondere im Hinblick auf die Regelungssystematik auch Kritik.319 Die DSM-RL wurde im Rahmen des Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes in das deutsche Urheberrecht, insbesondere in Form des Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetzes (UrhDaG) umgesetzt. b) Rechtsnatur und Bedeutung von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) und b) DSM-RL für das deutsche Urheberrecht Bei Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) und b) DSM-RL handelt es sich im Gegensatz zu den Ausnahmen und Beschränkungen in Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 der InfoSocRL um eine für die Mitgliedstaaten verpflichtend einzuführende320 Regelung. Die 314 Näheres zur Bedeutung einer Richtlinie für das Recht der Mitgliedstaaten bereits unter B. I. 3. 315 Diese nahm „teilweise Züge eines Glaubenskriegs“ an, bei welcher sich Sinn und Unsinn wechselseitig die Hände gaben, so Wandtke, NJW 2019, 1841. 316 Zunächst noch Art. 13 DSM-RL, Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt, COM(2016) 593 final, 31. 317 In diesem Kontext fiel auch vielfach der Begriff des „Zensurheberrechts“. 318 So Wandtke / Hauck, ZUM 2019, 627 (628). 319 Stieper, ZUM 2019, 211 (217), s. aber auch a. a. O. (213, 214–215, 216); mit Bezugnahme auf Stieper ebenso: Wandtke / Hauck, ZUM 2019, 627 (628). 320 Erwgr. 70 DSM-RL.

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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Vorgabe wurde im Rahmen des Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes mit § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UrhDaG321 in das deutsche Urheberrecht eingeführt. c) Voraussetzungen und Anwendungsbereich von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) und b) DSM-RL Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL sieht vor, „dass sich alle Nutzer, die nutzergenerierte Inhalte [aa] auf Diensten für das Teilen von Online-Inhalten [bb] hochladen oder auf Diensten für das Teilen von Online-Inhalten zugänglich machen [cc], in jedem Mitgliedstaat“ auf die Ausnahme oder Beschränkung [dd] zum Zwecke von „Zitat, Kritik und Rezensionen“ (lit. a) und auf die „Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches“ (lit. b) berufen können. aa) Nutzer und nutzergenerierte Inhalte im Sinne von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL Mangels Definition durch den europäischen Gesetzgeber sind die Begriffe „Nutzer“ und „nutzergenerierte Inhalte“ der Vorgehensweise des EuGH folgend nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch, mit Rücksicht auf den Kontext der Verwendung und das Regelungsziel der betreffenden Vorschrift zu bestimmen.322 Unter den Begriff Nutzer sollten sowohl natürliche als auch juristische Personen fallen, da es für die urheberrechtliche Beurteilung unerheblich ist, ob eine juristische oder natürliche Personen in die Rechte des Urhebers eingreift.323 Des Weiteren sollte die Nutzereigenschaft von der Frage, ob eine private oder gewerbliche Handlung vorliegt, unabhängig sein. Zwar ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der als Nutzer zu erfassenden Personen im privaten Zusammenhang handelt, jedoch muss auch professionellen Künstlern eine Werknutzung im Rahmen der Schranken gestattet sein, da für sie die Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh im selben Maß streitet. Außerdem sollte jede tatsächliche Inanspruchnahme des Dienstes zur Nutzereigenschaft führen. Insbesondere ist jeder Nutzer, in dessen Namen ein Inhalt hochgeladen oder geteilt wird. Folglich ist Nutzer im 321

Dazu unter B. III. 4. a). Vgl. EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 19 – Deckmyn und Vrijheidsfonds m. w. N. 323 Bei Schaffung der Richtlinie wird der Gesetzgeber vor allem natürliche Personen vor Augen gehabt haben. Sowohl im Hinblick auf den Kontext der Verwendung als auch auf das Regelungsziel ist die Erfassung von juristischen Personen jedoch geboten. Durch sie können u. U. noch häufigere und schwerwiegendere Urheberrechtsverletzungen erfolgen. Andersherum ist nicht ersichtlich, warum ihnen eine Werknutzung im Rahmen der Schrankenregelungen versagt werden sollte. Auch der allgemeine Sprachgebrauch steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. 322

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Sinne von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL jede natürliche oder juristische Person, die kurz- oder langfristig, privat oder gewerblich324, das Angebot des OnlineDienstes wahrnimmt. Der Begriff ist also weit zu verstehen. Nutzergeneriert ist ein Inhalt, wenn er von dem Nutzer hergestellt, bearbeitet oder im Rahmen des Online-Dienstes verfügbar gemacht wurde. Inhalt kann jeder Schutzgegenstand von Urheber- oder Leistungsschutzrechten sein. bb) Dienste für das Teilen von Online-Inhalten im Sinne von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL Der Begriff des Dienstes bzw. des Dienstanbieters für das Teilen von OnlineInhalten ist in der DSM-RL legal definiert. Gemäß Art. 2 Nr. 6 DSM-RL ist dies ein „Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft, bei dem der Hauptzweck bzw. einer der Hauptzwecke darin besteht, eine große Menge an von seinen Nutzern hochgeladenen, urheberrechtlich geschützten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen zu speichern und der Öffentlichkeit Zugang hierzu zu verschaffen, wobei dieser Anbieter diese Inhalte organisiert und zum Zwecke der Gewinnerzielung bewirbt.“ Nach Art. 2 Nr. 6 DSM-RL bedeutet „Dienst der Informationsgesellschaft“ eine Dienstleistung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie (EU) 2015/1535, also „jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung.“325 Nach den Erwägungsgründen sollen nur solche Diensteanbieter erfasst sein, die mit anderen Online-Inhaltediensten in Konkurrenz um dieselbe Zielgruppe stehen und deshalb eine wichtige Rolle auf dem Markt für Online-Inhalte spielen.326 Beispielhaft dafür werden Audio- und Videostreamingdienste genannt. Unter diese Begriffsdefinition könnten konkret Unternehmen wie TikTok, Soundcloud oder YouTube327 fallen. Bei ihnen wäre auch das Merkmal „eine große Menge“ offensichtlich zu bejahen. In welchen anderen Fällen „eine große Menge“ im Sinne der Richtlinie vorliegt wird vom EuGH zu konkretisieren sein.328 Als Maßstab für diese Einzelfallentscheidung, sollen nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers mehrere Faktoren, wie das

324 Vgl. DiskE des BMJV für ein Zweites Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes [Stand 24. 06. 2020], 63. 325 Für die Legaldefinitionen der einzelnen Begriffe dieses Ausdrucks s. RL (EU) 2015/1535, ABl. 241, 3, Art. 1 Abs. 1 lit. b) i)–iii). 326 Erwgr. 62 der DSM-RL. 327 Soundcloud und YouTube werden auch vom deutschen Gesetzgeber beispielhaft angeführt, Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 44, 62, 63, 141, 152, 153, 155. 328 Fraglich ist insbesondere, ob auch soziale Netzwerke wie Facebook oder Instagram von der Regelung erfasst sein können.

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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Publikum der Dienste und die Anzahl von durch Nutzer hochgeladenen Dateien urheberrechtlich geschützter Inhalte dienen.329 Weiterhin erfolgt eine beispielhafte Negativ-Abgrenzung: „Anbieter von Diensten, etwa nicht gewinnorientierte Online-Enzyklopädien, nicht gewinnorientierte bildungsbezogene und wissenschaftliche Repositorien, Entwicklungs- und Weiter­ gabeplattformen für quelloffene Software, Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste im Sinne der Richtlinie (EU) 2018/1972, Online-Marktplätze, zwischen Unternehmen erbrachte Cloud-Dienste sowie Cloud-Dienste, die ihren Nutzern das Hochladen von Inhalten für den Eigengebrauch ermöglichen, sind keine Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten im Sinne dieser Richt­ linie.“330 Darüber hinaus stellt Erwägungsgrund 62 fest, dass Online-Dienste deren Hauptzweck nicht darin liegt Gewinne zu erzielen, indem Nutzern das Hochladen und Weiterleiten einer großen Menge von urheberrechtlich geschützten Inhalten ermöglicht wird, nicht erfasst werden sollen.331 Kernmerkmale eines Dienstanbieters sind damit zum einen die Gewinnerzielungsabsicht als Hauptzweck und zum anderen die Ermöglichung des Hochladens und Teilens einer großen Menge von urheberrechtlich geschützten Inhalten durch Nutzer. cc) Hochladen oder zugänglich machen im Sinne von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL Die von den Mitgliedstaaten umzusetzenden Ausnahmen beschränken sich auf die Handlung des Hochladens und des Zugänglichmachens.332 Das Hochladen beschreibt nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch einen Vorgang bei dem Daten von einem Computer oder Smartphone auf einen anderen Computer oder ein anderes Speichermedium übertragen werden.333 Da es sich bei dem Begriff der „öffentlichen Zugänglichmachung“ um einen Begriff des Unionsrechts handelt ist dieser richtlinienübergreifend auszulegen. Somit kann die Definition der öffentlichen Zugänglichmachung im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 InfoSoc-RL (der auf Art. 8 WCT beruht334) herangezogen werden. Unter 329

Erwgr. 63 der DSM-RL. Vgl. dazu die Umsetzung in § 3 UrhDaG. 331 Erwgr. 62 der DSM-RL. 332 Allerdings können die Mitgliedstaaten die Schrankenregelungen über den verpflichtenden Teil der DSM-RL hinaus auch auf andere Nutzungshandlungen erstrecken. Insoweit können sie sich dann auf Art. 5 Abs. 3 lit. d) und lit. k) der InfoSoc-RL berufen. Davon hat der deutsche Gesetzgeber Gebrauch gemacht, indem er die Geltung der Schrankenregelungen gem. § 5 Abs. 1 UrhDaG für die öffentliche Wiedergabe anordnet, vgl. Metzger / Pravemann, ZUM 2021, 288 (293–294). 333 www.duden.de/rechtschreibung/hochladen [zuletzt abgerufen am 05. 11. 2021]. 334 EuGH, Urt. v. 19. 12. 2019 – C-263/18, ECLI:EU:C:2019:1111 Rn. 41 – Nederlands Uitgeversverbond und Groep Algemene Uitgevers. 330

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

dem Ausdruck „öffentliche Zugänglichmachung“ ist das Angebot eines Werkes an einem öffentlich zugänglichen Ort335 in Form einer interaktiven Übertragung auf Abruf336 zu verstehen. Die öffentliche Zugänglichmachung fällt unter den Oberbegriff der „öffentlichen Wiedergabe“337. Sie umfasst alle Handlungen der Zugänglichmachung von Schutzgegenständen für Mitglieder der Öffentlichkeit, die an dem Ort, an dem die Zugänglichmachung ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend sind.338 Kumulative Voraussetzung ist weiter, dass der betreffenden Öffentlichkeit der Zugriff auf den Schutzgegenstand sowohl von Orten als auch zu Zeiten ihrer Wahl ermöglicht wird.339 Unerheblich ist, ob ein tatsächlicher Zugriff erfolgt.340 Im Gegensatz dazu wird bei anderen Formen der öffentlichen Wiedergabe der Zeitpunkt des Zugriffs nicht vom Empfänger, sondern vom Werknutzer bestimmt.341 Die betroffene Öffentlichkeit kann lediglich „einschalten“.342 Mithin ist die Wahlmöglichkeit der Öffentlichkeit über die Modalitäten des Abrufs ein wesentliches Abgrenzungsmerkmal. Die Versendung eines Links, welcher Dritten die öffent­ liche Wiedergabe eines Schutzgegenstandes ermöglicht, stellt keine öffentliche Zugänglichmachung dar. Vielmehr gibt der betroffene Sender den Schutzgegenstand u. U. selbst öffentlich wieder.343 Unter den Begriff der öffentlichen Zugänglich­ machung fällt beispielsweise das Downloadangebot eines E-Books.344 Ebenso auch das „Ins-Netz-Stellen“345 oder das Angebot zum Download eines Memes, eines Remixes oder anderer künstlerisch-referenzieller Nutzungen.

335

EuGH, Urt. v. 19. 12. 2019 – C-263/18, ECLI:EU:C:2019:1111 Rn. 64 – Nederlands Uitgeversverbond und Groep Algemene Uitgevers mit Verweis auf die Begründung des Vorschlags der InfoSoc-RL vom 10. 12. 1997, COM(97) 628 final, 97/0359 (COD). 336 Erwgr. 25 der InfoSoc-RL 337 EuGH, Urt. v. 19. 12. 2019 – C-263/18, ECLI:EU:C:2019:1111 Rn. 63 – Nederlands Uitgeversverbond und Groep Algemene Uitgevers mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 26. 03. 2015 – C-279/13, ECLI:EU:C:2015:199 Rn. 24–25 – C More Entertainment, s. dort vor allem Rn. 24. S. auch Art. 17 Abs. 4 DSM-RL. Differenzierend hingegen in Art. 8 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1, Abs. 3 DSM-RL sowie Erwgr. 19, 57, 64, 65, 66 338 Erwgr. 24 der InfoSoc-RL. 339 EuGH, Urt. v. 19. 12. 2019 – C-263/18, ECLI:EU:C:2019:1111 Rn. 63 – Nederlands Uitgeversverbond und Groep Algemene Uitgevers mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 26. 03. 2015 – C-279/13, ECLI:EU:C:2015:199 Rn.  24–25 – C More Entertainment; s. auch Erwgr. 25 der InfoSoc-RL. 340 EuGH, Urt. v. 19. 12. 2019 – C-263/18, ECLI:EU:C:2019:1111 Rn. 63 – Nederlands Uitgeversverbond und Groep Algemene Uitgevers mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 14. 06. 2017 – C-610/15, ECLI:EU:C:2017:456 Rn. 31 – Stichting Brein. 341 Wandtke / Bullinger / L eenen, UrhR, Art. 3 Abs. 2 InfoSoc-RL Rn. 50. 342 Wandtke / Bullinger / L eenen, UrhR, Art. 3 Abs. 2 InfoSoc-RL Rn. 50. 343 Wandtke / Bullinger / L eenen, UrhR, Art. 3 Abs. 2 InfoSoc-RL Rn. 51 mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 26. 03. 2015 – C-279/13, ECLI:EU:C:2015:199 Rn. 27 – C More Entertainment. 344 EuGH, Urt. v. 19. 12. 19 – C-263/18, ECLI:EU:C:2019:1111 Rn. 72 – Nederlands Uitgevers­ verbond und Groep Algemene Uitgevers. 345 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 19a Rn. 22.

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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dd) Ausnahme oder Beschränkung in Form von Zitat, Kritik oder Rezension sowie zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches nach Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL Die Mitgliedstaaten sollen sicherstellen, dass sich die Nutzer bei dem Teilen von Online-Inhalten auf jede der Ausnahmen und Beschränkungen zwecks (lit. a) Zitat, Kritik oder Rezension sowie (lit. b) der Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Paro­dien oder Pastiches stützen können, sodass der Inhalt verfügbar bleibt. Da die Begriffe des Zitats, der Karikatur, der Parodie und des Pastiches als autonome Begriffe des Unionsrechts einheitlich auszulegen sind, wird daher auf die unter B. II. 1. b) bb)346 und B. II. 2. b) bb)347 bereits untersuchten Begriffsbestimmungen verwiesen. c) Verhältnis von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL zu Art. 5 Abs. 3 lit. d) und lit. k) InfoSoc-RL Das Verhältnis von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL zu Art. 5 Abs. 3 lit. d) und k) InfoSoc-RL ist umstritten und erschließt sich nicht aus den Vorschriften selbst. Aus einer systematischen Auslegung unter Heranziehung der Gesetzgebungs­ materialien ergibt sich jedoch, dass die verpflichtenden Beschränkungen des Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL die fakultative Natur der Ausnahmen in Art. 5 Abs. 3 lit. d) und lit. k) unberührt lassen.348

4. Die Bedeutung des Dreistufentests für die Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht auf Schrankenebene Zusätzlich zu ihren spezifischen Voraussetzungen sind alle Ausnahmen und Beschränkungen der InfoSoc- und DSM-RL am Dreistufentest zu messen.349

346

Für die Begriffe Karikatur, Parodie und Pastiche. Für den Begriff des Zitats. 348 Näher dazu unter B. II. 1. a). 349 Deshalb kann er auch als „Schranken-Schranke“ verstanden werden, so Bayreuther, ZUM 2001, 828 (839); Senftleben, GRUR Int. 2004, 200; Wandtke / Bullinger / v. Welser, UrhR, § 44a Rn. 22. In früheren Urteilen wies der EuGH dem Dreistufentest keine gesonderte Bedeutung gegenüber der Ausnahme des Art. 5 Abs. 1 InfoSoc-RL zu, vgl. EuGH, Urt. v. 17. 01. 12 – C-302/10, ECLI:EU:C:2012:16 Rn. 56 – Infopaq International II; EuGH, Urt. v. 04. 10. 2011 – C-403/08, ECLI:EU:C:2011:631 Rn. 181– Football Association Premier League u. a. In den nachfolgenden Urteilen änderte der EuGH jedoch seine Herangehensweise und prüfte zusätzlich zu den Voraussetzungen des jeweiligen Ausnahmetatbestandes die Voraussetzungen des Dreistufentests. 347

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Der Dreistufentest ist in Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-RL verankert und beruht auf internationalen Verpflichtungen der Europäischen Union,350 namentlich aus Art. 9 Abs. 2 RBÜ, Art. 13 TRIPS, Art. 10 des WIPO-Urheberrechtsvertrag (WCT) und Art. 16 WPPT.351 Trotz fehlender ausdrücklicher Anordnung ergibt sich die Geltung des Dreistufentests auch für die DSM-RL unter Heranziehung des Erwägungsgrunds 6 und einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung. Nach dem Dreistufentest ist die Anwendung von Ausnahmen und Beschränkungen nur in bestimmten Sonderfällen zulässig (Stufe 1), in denen die normale Verwertung des Werkes oder des sonstigen Schutzgegenstandes nicht beeinträchtigt wird (Stufe 2) und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden (Stufe 3). Diese drei Vorgaben müssen kumulativ vorliegen, damit eine Ausnahme oder Beschränkung der Mitgliedstaaten zulässig ist. Der Dreistufentest ist primär bei der Ausgestaltung der Schrankenregelungen durch die nationalen Gesetzgeber zu beachten. Zudem ist er auch bei deren Anwendung durch die Gerichte im Einzelfall maßgeblich.352 Hingegen hat der Dreistufentest des Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL keine Auswirkungen auf den materiellen Gehalt des Schrankenkatalogs der InfoSoc-RL und DSM-RL selbst. Er kommt erst bei der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten zur Anwendung.353 Ebenso wenig kann der Dreistufentest zu einer Ausdehnung354 oder gar zu einer Erweiterung (im Sinne einer Fair-Use-Klausel) der Ausnahmen und Beschränkungen führen, da Art. 5 Abs. 1–4 InfoSoc-RL diese erschöpfend regelt.355 Nach der Ermittlung des Regelungsgehalts der einzelnen Stufen (a–c), wird die Bedeutung des Dreistufentests für die Ausnahmen und Beschränkungen erörtert (d).

350

Erwgr. 44 der InfoSoc-RL. Bayreuther, ZUM 2001, 828 (839). 352 BGH GRUR 2020, 859 Rn. 70 – Reformistischer Aufbruch II; BGH GRUR 2014, 549 Rn. 46 m. w. N. – Meilensteile der Psychologie; BGHZ 141, 13 (34) – Kopienversanddienst; EuGH, Urt. v. 17. 01. 2012 – C-302/10, ECLI:EU:C:2012:16 Rn. 56 – Infopaq International II m. w. N.; Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/1828, 21. 353 EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014 – C-435/12, ECLI:EU:C:2014:254 Rn. 25 – ACI Adam u. a.; s. aber auch EuGH, Urt. v. 16. 07. 2009 – C-5/08, ECLI:EU:C:2009:465 Rn. 58 – Infopaq International, der Art. 5 Abs. 1 InfoSoc-RL im Lichte des Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL auslegt und EuGH, Urt. v. 11. 09. 2014 – C-117/13, ECLI:EU:C:2014:2196 Rn. 33–34, 47 – Eugen Ulmer. 354 EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014 – C-435/12, ECLI:EU:C:2014:254 Rn. 26 – ACI Adam u. a. 355 Fischer, Digitale Kunst und freie Benutzung, S. 194; Zum Dreistufentest als Grundlage für flexiblere europäische Schrankenregelungen, s. Senftleben, JIPITEC 1 (2) 2010, S. 67. 351

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a) Stufe 1: Bestimmte Sonderfälle im Sinne des Dreistufentests Im Hinblick auf den Gehalt der ersten Stufe ist zu untersuchen, was unter bestimmten (aa) Sonderfällen (bb) im Sinne der ersten Stufe des Dreistufentests nach Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL zu verstehen ist. aa) „bestimmt“ im Sinne der Stufe 1 des Dreistufentests Die erste Stufe des Dreistufentests erfordert das Vorliegen eines „bestimmten Sonderfalls“. Sie stellt die Grundregel für die im Anschluss zu prüfenden zwei Bedingungen dar.356 Einige Stimmen in der Literatur leiten aus dem Merkmal „bestimmt“ ein gesondertes Bestimmtheitsgebot für eine präzise Definition der Ausnahmen ab.357 Gegen die Auslegung des Merkmals „bestimmt“ als Forderung nach einem konkreten Ausnahmetatbestand spricht jedoch, dass die Regelung auf einen Vorschlag Englands im Rahmen der Revidierten Berner Übereinkunft (RBÜ) zurückgeht. Gerade im englischen Recht sind offene Abwägungsklauseln jedoch ein vielfach gewähltes Instrument der Rechtssetzung.358 Die ursprüngliche Kodifizierung des Dreistufentests in Art. 9 Abs. 2 fordert außerdem „gewisse Sonderfälle“ und legt damit ein Bestimmtheitsgebot nicht nahe. Zudem wäre bei solch einer Betrachtung das Regelungskonzept der USA als Mitglied der RBÜ vertragswidrig. Der Dreistufentest soll jedoch als Kompromissformel359 internationale Regelungstechniken unterschiedlicher Art erfassen. Ein Vergleich mit der Auslegung des aus der RBÜ übernommenen Ausdrucks in Art. 13 TRIPS stützt ein offenes Verständnis. Dort setzt die erste Stufe voraus, dass Ausnahmen und Beschränkungen von Ausschließlichkeitsrechten auf „certain special cases“ begrenzt sind. Das WTO Panel legte in einem Verfahren360, bei dem es um die Vereinbarkeit von Art. 110 Abs. 5 des US-amerikanischem Copyright Acts mit Art. 9 Abs. 1 TRIPS ging, die englische Formulierung für „bestimmt“ dahingehend aus, dass sie eine „klar definierte, im Anwendungsbereich und Reichweite enge“361 Ausnahme oder Beschränkung verlange. Dabei muss die einschlägige Vorschrift nicht jeden denk-

356

Senftleben, GRUR Int. 2004, 200 (206). So z. B. Reinbothe, FS Dittrich S. 251 (257) und Bornkamm, FS Erdmann, S. 29 (45–46). Dazu auch: Senftleben, GRUR Int. 2004, 200 (206) m. w. N.; Ficsor, The 1996 WIPO Treaties, S. 284, 516. 358 Fischer, Digitale Kunst und freie Benutzung, S. 199. 359 Senftleben, GRUR Int. 2004, 200 (201). 360 Vor dem Verfahren holte das Panel von der WIPO die für Art. 9 Abs. 2 RBÜ und damit Art. 13 TRIPs relevanten Informationen ein, sodass die nachstehenden Erwägungen (vollständig) auf den Dreistufentest der RBÜ und die Richtlinien der EU übertragbar sind. WT / DS/160/R Rn.  1.7. 361 WT / DS/160/R Rn. 6.112: „clearly defined and narrow in scope and reach“. 357

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baren Fall aufführen, vielmehr sei ausreichend, dass die Reichweite der Vorschrift bekannt ist und konkretisiert wurde.362 Dies trage der Rechtssicherheit ausreichend Rechnung.363Auch der letzte Teil dieser Aussage ist interessant. Denn er verdeutlicht, dass das WTO Panel das Merkmal der Bestimmtheit im Rahmen von Art. 13 TRIPS als eine sich aus der Rechtssicherheit ergebende Anforderung versteht und nicht, wie etwa einige Stimmen der europäischen Literatur,364 daraus das Erfordernis einer engen Fassung der Ausnahmen und Beschränkungen herausliest. Somit spricht viel dafür, dass das Kriterium „bestimmt“ nicht Ausdruck eines gesonderten Bestimmtheitsgebots oder allgemein engen Verständnisses der Ausnahmen und Beschränkungen ist. Der Tatbestand der Beschränkung kann also zunächst unspezifisch sein,365 ist aber dann unter Heranziehung der dazu ergangenen Rechtsprechung im Einzelfall auf „bestimmte“ Sonderfälle zu begrenzen.366 Damit genügte neben den amerikanischen Fair-Use-Klauseln auch die freie Benutzung nach § 24 UrhG a. F. den Anforderungen des Dreistufentests. Schließlich ist eine offene Interpretation auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Entwicklung flexiblerer europäischer Schranken vorzugswürdig.367 bb) „Sonderfälle“ im Sinne der Stufe 1 des Dreistufentest Auch die Auslegung des zweiten Kriteriums der ersten Stufe eröffnet durch seine Formulierung und Regelungssystematik Interpretationsspielraum. Fraglich ist zum einen, ob die Voraussetzung der Sonderfälle durch die in Art. 5 Abs. 1–4 InfoSoc-RL und Art. 17 Abs. 7 DSM-RL aufgelisteten Beschränkungen bereits gegeben sind oder ob die Mitgliedstaaten die unionsrechtlichen Schrankenregelungen im Rahmen der Umsetzung weiter konkretisieren müssen. Zum anderen trifft Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL keine eindeutige Aussage darüber, ob die nationalen Gerichte bei Eingreifen eines nationalrechtlichen Ausnahmetatbestands zusätzlich noch das Vorliegen eines Sonderfalls im Einzelfall zu prüfen haben oder ob die Erfüllung des Ausnahmetatbestands selbst bereits den Sonderfall darstellt. Die Literatur begreift die in der InfoSoc-RL kodifizierten Beschränkungen bereits als Sonderfall.368 Auch Erwägungsgrund 44 der InfoSoc-RL spricht für eine solche

362 WT / DS/160/R Rn. 6.108: „However, there is no need to identify explicitly each and every possible situation to which the exception could apply, provided that the scope of the exception is known and particularised.“ 363 WT / DS/160/R Rn.  6.108. 364 So Ficsor, The 1996 WIPO Treaties, S. 284, 516; vgl. Senftleben, GRUR Int. 2004, 200 (206). 365 Wie bspw. die fair use doctrine oder auch die freie Benutzung nach § 24 UrhG a. F. 366 Senftleben, GRUR Int. 2004, 200 (207). 367 So auch Senftleben, GRUR Int. 2004, 200 (207). 368 Dreier, ZUM 2002, 28 (35) der von einem fehlerhaften Wortlaut spricht, welcher eine Anwendung des Dreistufentests innerhalb der Ausnahmevorschrift nahelege, jedoch so nicht verstanden werden dürfe; Bayreuther, ZUM 2001, 828 (839); Senftleben, GRUR Int. 2004,

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Sichtweise, indem er nur die zweite und dritte Stufe als für die in der Richtlinie niedergelegten Ausnahmen und Beschränkungen für beachtlich hält.369 Somit ist eine weitergehende Konkretisierung der unionsrechtlichen Ausnahmetatbestände nicht erforderlich, um eine Regelung für einen Sonderfall im Sinne des Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL zu treffen.370 Der europäische Gesetzgeber hat den Sonderfällen bereits bei der Kodifizierung Rechnung getragen, sodass die Mitgliedstaaten diese unter Einhaltung des Dreistufentests ohne eine weitergehende Konkretisierung ins nationale Recht übertragen können.371 Im Rahmen der Rechtsanwendung prüft der EuGH jedoch trotz Vorliegen eines Ausnahmetatbestands im Sinne der Art. 5 Abs. 1–4 InfoSoc-RL zusätzlich, ob ein Sonderfall im Sinne des Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL gegeben ist.372 Dahingegen stellt der BGH fest, dass mit Verwirklichung eines nationalen Ausnahmetatbestandes zugleich auch ein Sonderfall vorliegen würde. Erfasse der Ausnahmetatbestand als solcher nur Sonderfälle, sei im Rahmen seiner Auslegung nicht erforderlich, dass er seinerseits nur auf einen Sonderfall angewendet wird.373 Neben der Frage der Anwendbarkeit der ersten Stufe im Rahmen der InfoSoc-RL, sind auch die Anforderungen an einen Sonderfall streitig. Die Literatur diskutiert Sonderfälle sowohl qualitativer als auch quantitativer Natur.374 Ein quantitativer Sonderfall liegt vor, wenn die Nutzungshandlungen nach ihrem Umfang und ihrer Häufigkeit gegenüber der normalen Werkverwertung geringfügig erscheinen. Bei einer qualitativen Betrachtung muss die Nutzung ihrem Zweck nach eine Besonderheit gegenüber sonstigen Werknutzungen darstellen.375 Danach sei eine Nutzung als Sonderfall bspw. gerechtfertigt, wenn sie der Ausübung von Grundrechten oder anderen wichtigen Interessen der Allgemeinheit diene.376 Es müsse sich also um einen schützenswerten Nutzungszweck handeln.377 Während einige Stimmen der

200 (206). Für eine klarstellende, alternative Formulierung s.: Bornkamm, FS Erdmann, S. 29 (43). Gleiches muss auch im Rahmen der DSM-RL gelten. 369 In Art. 10 Abs. 3 der Verleih-RL, Art. 3 Abs. 3 der Marrakesch-RL, Erwgr. 20 der Richtlinie über die Nutzung verwaister Werke und Erwgr. 6 der DSM-RL wird das Erfordernis des „bestimmten Sonderfalls“ hingegen ausdrücklich genannt. 370 Senftleben, GRUR Int. 2004, 200 (206). 371 So Bayreuther, ZUM 2001, 828 (839). 372 EuGH, Urt. v. 05. 06. 2014 – C-360/13, ECLI:EU:C:2014:1195 Rn. 51–62 – Public Relations Consultants Association; EuGH, Urt. v. 26. 04. 2017 – C-527/15, ECLI:EU:C:2017:300 Rn. 66 – Stichting Brein. 373 BGH GRUR 2014, 549 Rn. 48 Meilensteine der Psychologie m. w. N.; BGH GRUR 2020, 859 Rn. 71 – Reformistischer Aufbruch II. 374 Senftleben, GRUR Int. 2004, 200 (207); Reschke, Auslegung der Schranken, S. 88–89; Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken im digitalen Umfeld, S. 114–115. 375 Vgl. Bornkamm, FS Erdmann, S. 29 (45): „spezifischer Nutzungszweck“; Ficsor, The 1996 WIPO Treaties, S. 284 m. w. N. 376 Ficsor, The 1996 WIPO Treaties, S. 284 m. w. N.; Senftleben, GRUR Int. 2004, 200 (207). 377 Vgl. Fischer, Digitale Kunst und freie Benutzung, S. 200 m. w. N.

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Literatur die Qualität der Nutzung als Kriterium des Sonderfalls präferieren378, hat das WTO Panel (in dem oben beschriebenen Verfahren) festgestellt, dass sowohl die Quantität als auch die Qualität der Nutzung einen Sonderfall rechtfertigen kann.379 Zudem sollte ein Sonderfall nach beiden Maßstäben einen eng umgrenzten Anwendungsfall darstellen, welcher Gegensatz zur gewöhnlichen Nutzung ist.380 Einen qualifizierten Zweck im Sinne eines legitimen oder schützenswerten Interesses ist nach Ansicht des Panels nicht erforderlich.381 In der Entscheidung Eugen Ulmer stellt der EuGH im Rahmen der Prüfung der Konformität des § 52b UrhG mit Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL auf die Anzahl der digital verfügbaren Werkexemplare ab, welche die Anzahl der analog verfügbaren Exemplare bei der Terminalnutzung in einer Bibliothek nicht übersteigen dürfe. Der Zweck der Nutzung oder die einschlägigen Grundrechte blieben unerwähnt.382 Folglich scheint nach Ansicht des Gerichts auch ein rein quantitativer Maßstab für die Feststellung eines Sonderfalls zu genügen. Auch qualitative Aspekte befand der EuGH für die Begründung eines Sonderfalls ausreichend, ohne dabei einen besonderen Nutzungszweck oder Grundrechtspositionen zu erläutern: Der Gerichtshof stellte fest, dass es sich bei Bildschirmund Cachekopien, die nur zur reinen Betrachtung der Internetseite erstellt werden um einen Sonderfall handele.383 b) Stufe 2: „Normale Verwertung des Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands wird nicht beeinträchtigt“ Die zweite Stufe erfordert, dass die Ausnahme zugunsten des Sonderfalls die normale Verwertung des Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt. Was unter der normalen Verwertung des Werks zu verstehen ist, ist vom konkreten Einzelfall abhängig. So werden bspw. Liedtexte primär für den Musikunterricht oder Chöre gebraucht, Memes überwiegend im Rahmen digitaler Kommunikation 378 Senftleben, GRUR Int. 2004, 200 (207); Reschke, Auslegung der Schranken, S. 89; ­Fischer, Digitale Kunst und freie Benutzung, S. 201. 379 WT / DS/160/R Rn.  6.109. 380 WT / DS/160/R Rn. 6.109: „In addition, an exception or limitation must be limited in its field of application or exceptional in its scope. In other words, an exception or limitation should be narrow in quantitative as well as a qualitative sense. This suggests a narrow scope as well as an exceptional or distinctive objective. To put this aspect of the first condition into the context of the second condition (‚no conflict with a normal exploitation‘), an exception or limitation should be the opposite of a non-special, i. e., a normal case.“ 381 WT / DS/160/R Rn.  6.111–6.1112. 382 EuGH, Urt. v. 11. 09. 2014 – C-117/13, ECLI:EU:C:2014:2196 Rn. 48 – Eugen Ulmer. 383 EuGH, Urt. v. 5. 06. 2014 – C-360/13, ECLI:EU:C:2014:1195 Rn. 55 – Public Relations Consultants Association.

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in Messengern, sozialen Netzwerken oder auf Blogs genutzt und bereits aufgenommene Musik vor allem in Clubs, Radios oder über Streamingdienste gehört. Deshalb halten Teile der Literatur für die Einschätzung, ob die normale Verwertung beeinträchtigt ist, eine Bestimmung des betroffenen Marktes für erforderlich.384 Nach Ansicht des WTO Panels beinhaltet die „normale Auswertung“ sowohl eine empirische als auch eine normative Komponente.385 Da sich die Verwertungsmöglichkeiten über die Zeit veränderten, müsse eine vorwiegend gegenwärtige Betrachtung erfolgen, die bisher übliche und zukünftige Möglichkeiten berücksichtige.386 Die Berücksichtigung von zukünftigen Verwertungsmöglichkeiten werde dabei durch das normative Kriterium ermöglicht.387 Ob eine Beeinträchtigung vorliegt, müsse nach der Auffassung des WTO Panels, der damaligen EG folgend, für jedes Verwertungsrecht gesondert betrachtet werden.388 So kann die fehlende Betroffenheit eines Rechtes nicht die Beeinträchtigung eines anderen Rechtes ausgleichen.389 Eine Beeinträchtigung sei nicht durch jeden durch die Ausnahme oder Beschränkung erzielten wirtschaftlichen Vorteil gegeben. Vielmehr müsse der Sonderfall in Wettbewerb mit der normalen Verwertung treten und dadurch die Rechtsinhaber in signifikanter oder greifbarer Weise an Gewinnen berauben.390 Die Rechtsprechung des EuGH zu der zweiten Stufe des Dreistufentests ist bisher vereinzelt geblieben und wenig ausdifferenziert. Der Gerichtshof stellte in Stichting Brein fest, dass eine Beeinträchtigung der normalen Verwertung vorliege, wenn die Ausnahme zu einer Verringerung von rechtmäßigen Transaktionen führt.391 Damit zieht auch der EuGH das Kriterium des Wettbewerbs heran. Denn nur wenn die Ausnahme und die normale Verwertung im Wettbewerb zueinander stehen wird die Ausnahme zur Verringerung eines Erwerbs führen. Die Heranziehung eines rechtmäßigen Erwerbs als Maßstab ergibt sich daraus, dass nur bei diesem die Rechtsinhaber von der Verwertung profitieren. Senkt sich durch die Schaffung einer Ausnahme oder Beschränkung die illegale Nutzung des Schutzgegenstandes, ergibt sich daraus keine Beeinträchtigung der normalen Verwertung. Denn die Geltendmachung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen die Verletzer stellt keine Verwertungshandlung dar, sondern ist auf Entschädigung gerichtet. Im Einklang mit den angeführten Grundsätzen liegt eine Beeinträchtigung der nor-

384 Reinbothe, FS Dittrich, S. 251 (258); Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken im digitalen Umfeld, S. 116. 385 WT / DS/160/R Rn.  6.166. 386 Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken im digitalen Umfeld, S. 117. 387 WT / DS/160/R Rn.  6.180. 388 WT / DS/160/R Rn. 6.173; Eine isolierte Betrachtung des jeweils betroffenen Nutzungsrechts befürwortend auch: Reinbothe, FS Dittrich, S. 251 (258). 389 Dies schlugen die USA im Rahmen des Verfahrens vor, vgl. WT / DS/160/R Rn. 6.172. 390 WT / DS/160/R Rn.  6.182–6.183. 391 EuGH, Urt. v. 26. 04. 2017 – C-527/15, ECLI:EU:C:2017:300 Rn. 70 – Stichting Brein.

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malen Verwertung z. B. vor, wenn das Zitat eines Werkes von solch einem Umfang ist, dass es gegenüber den Aussagen des Nutzers keine rein akzessorische Natur mehr aufweist.392 Wenn die durch die Ausnahme ermöglichte Nutzung einen Bestandteil der durch den Rechtsinhaber bereits erlaubten Nutzung bildet, ist eine Beeinträchtigung der normalen Verwertung hingegen nicht anzunehmen. Dies kann bspw. bei Bildschirm- oder Cachekopien der Fall sein.393 Die Beispiele verdeutlichen die Bedeutung des Wettbewerbskriteriums für die Beurteilung der Beeinträchtigung der normalen Verwertung: Ist das Zitat eines Werkes zu umfangreich, kann es dieses möglicherweise ersetzen. Hingegen kann eine besondere Form der Nutzung, die Bestandteil einer erlaubten Verwertungshandlung ist, niemals mit dieser konkurrieren. c) Stufe 3: „Berechtigten Interessen des Rechtsinhabers werden nicht ungebührlich verletzt“ Die letzte Stufe des Dreistufentests ermöglicht eine umfassende Interessen­ abwägung. Dabei stehen die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers im Fokus.394 Fraglich ist, welche Aspekte als „berechtigte Interessen“ zu berücksichtigen sind. Im Rahmen der RBÜ sieht die Literatur sowohl ökonomische als auch ideelle Interessen als erfasst an.395 Auch nach dem Verständnis des WTO Panels sind die Interessen nicht auf wirtschaftliche Anliegen begrenzt. Es kann ein Recht, ein Vorteil oder viel allgemeiner etwas sein, das für eine natürliche oder juristische Person von Bedeutung ist.396 Für die Frage, ob das Interesse berechtigt ist, kann die ökonomische Perspektive ebenfalls nicht allein maßgeblich sein. Vielmehr kann auch aus anderen Gründen ein legitimes Interesse des Rechtsinhabers bestehen, das gegen eine Ausnahmeregelung spricht. Beispielhaft nennt das Panel relevante von der Öffentlichkeit akzeptierte Grundsätze oder soziale Normen.397

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EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 79 – Spiegel Online. EuGH, Urt. v. 05. 06. 2014 – C-360/13, ECLI:EU:C:2014:1195 Rn. 60–61 – Public Relations Consultants Association. 394 In Art. 9 Abs. 2 RBÜ sind nur die Interessen des Urhebers maßgeblich. Der Anwendungsbereich des sich aus Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL ergebenden Dreistufentests ist also weiter und erfasst auch Inhaber von dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten. Eingehend zu der Bedeutung der unterschiedlichen Begriffsverwendung in RBÜ, TRIPs und InfoSoc-RL s. Senftleben, GRUR Int. 2004, 200 (209). 395 Senftleben, GRUR Int. 2004, 200 (209) m. w. N. 396 WT / DS/160/R Rn.  6.223. 397 WT / DS/160/R Rn. 6.227. An dieser Stelle verweist das Panel auf die Entscheidung eines anderen Panels (WT / DS/114/R Rn. 7.60 ff.) das im Rahmen des Patentrechts den Dreistufentest des Art. 30 TRIPs zu prüfen hatte. In Rn. 7.69 hält das Panel fest: „To make sense of the term ‚legitimate interests‘ in this context, that term must be defined inthe way that it is often used 393

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Mangels europäischer Harmonisierung des Urheberpersönlichkeitsrechts können aus diesem Recht resultierende Interessen jedoch nicht aus Art. 5 Abs. 5 der ­InfoSoc-RL folgen.398 Daher hat auch der EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung ein eher ökonomisches Verständnis der berechtigten Interessen zugrunde gelegt. Der Gerichtshof äußerte sich bislang nicht ausdrücklich zu den Anforderungen an die Verletzung eines berechtigten Interesses. Er hält es jedoch bei einer Verringerung der mit dem Werk im Zusammenhang stehenden rechtmäßigen Transaktionen399 und bei einem Zitat dessen Umfang nicht mehr seiner Akzessorietät entspricht400 für gegeben. Die Verletzung eines berechtigten Interesses durch eine Ausnahme zugunsten der Privatkopie kann verhindert werden, indem die Mitgliedstaaten die Zahlung eines „gerechten Ausgleichs“ vorsehen.401

d) Bedeutung des Dreistufentests für die Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts Die Bedeutung des Dreistufentests für die Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts wird sehr unterschiedlich beurteilt. Während einige Stimmen in der Literatur ihn im Rahmen der InfoSoc-RL für entbehrlich halten402, halten andere ihn für unterschätzt.403 Wieder andere schildern zunehmende Bedenken404 oder betrachten ihn als Hürde für den nationalen Gesetzgeber.405 Feststeht, dass der Dreistufentest als zweites Korrektiv den Ermessensspielraum bei der Auslegung und Umsetzung der Ausnahmen und Beschränkungen begrenzt.406 Fraglich ist allein das Maß der beschränkenden Wirkung. In der Rechtsprechung des EuGH hatte der Dreistufentest bisher kaum eigenständige Bedeutung. Ältere Entscheidungen des EuGH erwecken sogar den Eindruck, als sei er nicht als gesondertes Prüfungskriterium zu beachten, sondern liege immer bei Erfüllung eines der in Art. 5 Abs. 1–3 InfoSoc-RL genannten Aus-

in legal discourse – as a normative claim calling for protection of interests that are ‚justifiable‘ in the sense that they are supported by relevant public policies or other social norms.“ 398 Vgl. Erwgr. 19 der InfoSoc-RL. 399 EuGH, Urt. v. 26. 04. 2017 – C-527/15, ECLI:EU:C:2017:300 Rn. 70 – Stichting Brein. 400 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 79 – Spiegel Online. 401 EuGH, Urt. v. 16. 06. 2011 – C-462/09, ECLI:EU:C:2011:397 Rn. 22 – Stichting de Thuis­ kopie. 402 Bayreuther, ZUM 2001, 828 (839). 403 Reinbothe, GRUR In. 2001, 733 (740). 404 Geiger / Griffiths / Hilty, GRUR Int. 2008, 822. 405 Metzger, ZUM 2018, 233 (234) m. w. N. 406 Fischer, Digitale Kunst und freie Benutzung, S. 194 mit beispielhaftem Verweis auf LG-Stuttgart GRUR-RR 2011, 419 (421) – Elektronische Lernplattform; Vgl. EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 110 – Painer; Fn. 349.

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nahmetatbestände vor.407 Mittlerweile findet zwar formal eine gesonderte Prüfung statt, Dreh- und Angelpunkt eines Urteils war der Dreistufentest des Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL jedoch noch nie. Sind seine Voraussetzungen nicht erfüllt, scheiterte es meist zuvor auch schon an den Voraussetzungen der jeweiligen Ausnahme oder Beschränkung.408 In der Entscheidung Spiegel Online scheint der EuGH dem Dreistufentest eine eigenständige Bedeutung für den Umfang eines Zitats zuzuschreiben. Zwar ergibt sich bereits aus dem Wortsinn, dass ein Zitat der geistigen Auseinandersetzung dient und damit nur Beiwerk des Zitierenden sein kann, jedoch zieht der Gerichtshof für die Ermittlung des im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL gestatteten Umfangs explizit den Dreistufentest heran. Aus Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL ergebe sich, dass das Zitat nicht so umfangreich sein darf, dass es die dort niedergelegten Grundsätze verletze.409 Gewiss hätte man dieses Ergebnis auch durch eine restriktive Auslegung des Begriffs „Zitat“ erzielen können, sodass sich auch hier der Dreistufentest im Ergebnis als nicht unbedingt notwendig herausstellt. Im Urteil Deckmyn und Vrijheidsfonds hätte die Regelung ihren großen Auftritt haben können. Dort stellte der EuGH fest, dass der Rechtsinhaber grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran habe, nicht mit einer diskriminierenden Aussage in Verbindung gebracht zu werden.410 Diese Aussage hätte das Gericht dogmatisch überzeugend im Rahmen von Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL treffen können. Tatsächlich tat es dies jedoch nicht. Grund dafür, mag die Feststellung des Generalanwalts sein, dass das vorlegende Gericht den EuGH nicht nach dem Einfluss des Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL auf den betroffenen Sachverhalt befragte.411 Gerade das Interesse, nicht mit einer diskriminierenden Aussage assoziiert zu werden, stellt jedoch ein Paradebeispiel für ein ideelles berechtigtes Interesse dar. Dieses kann sich nicht nur aus dem von Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL unberührten Urheberpersönlichkeitsrecht, sondern auch aus gesellschaftlichen Grundsätzen oder sozialen Normen ergeben, sodass der EuGH nicht durch den Anwendungsbereich der Richtlinie an einer Entscheidung gehindert war. Es lässt sich festhalten, dass der Dreistufentest mit seinen allgemeinen und auslegungsbedürftigen Kriterien nur bedingt Bedeutung für die Ausnahmen und Beschränkungen der InfoSoc- und DSM-RL haben kann. In vielen Fällen wird die durch den europäischen Gesetzgeber in den Richtlinien getroffene Interessenabwägung bei angemessener Subsumtion durch die Gerichte die Vorgaben des Drei 407

Dazu EuGH, Urt. v. 17. 01. 12 – C-302/10, ECLI:EU:C:2012:16 Rn. 56 – Infopaq International II; EuGH, Urt. v. 04. 10. 2011 – C-403/08, ECLI:EU:C:2011:631 Rn. 181– Football Association Premier League u. a. 408 EuGH, Urt. v. 26. 04. 2017 – C-527/15, ECLI:EU:C:2017:300 Rn. 71 – Stichting Brein 409 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 79 – Spiegel Online. 410 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 29–31 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 411 GA Villalón, Schlussanträge vom 22. 05. 2014, C-201/13, ECLI:EU:C:2014:458 Rn. 29 – Deckmyn und Vrijheidsfonds.

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stufentests erfüllen. Gerade im Rahmen der Beschränkungen, die Ausdruck der Kunstfreiheit sind – namentlich Art. 5 Abs. 3 lit. d) und lit. k) InfoSoc-RL sowie Art. 17 Abs. 2 UAbs. 2 DSM-RL – könnte der Dreistufentest jedoch zukünftig eine nachjustierende Funktion erlangen. Denn bei den Beschränkungen zugunsten von Zitaten, Karikaturen, Parodien und Pastiches kann der betroffene Rechtsinhaber vor allem ein berechtigtes ideelles Interesse am Nichteingreifen der Ausnahmen und Beschränkungen haben. Bei all diesen Ausnahmen findet nämlich eine geistige oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem benutzten Werk statt, welche ihrer Natur nach primär dazu geeignet ist nicht ökonomische, sondern ideelle Interessen des Rechtsinhabers zu tangieren. Ein zitiertes, karikiertes oder parodiertes Werk wird selten in Wettbewerb zu dem Ursprungswerk stehen. Vielmehr tritt es in Interaktion mit ihm und kann durch die im Rahmen der Interaktion getroffenen Aussagen soziale Normen oder Persönlichkeitsrechte des Urhebers verletzen. Solche nicht-wirtschaftlichen Faktoren haben jedoch in den konkreten Ausnahmetatbeständen der Richtlinien wenig Eingang gefunden.412 In dieser Hinsicht besteht eine Schutzlücke für die Rechtsinhaber, welche der Dreistufentest füllen könnte. Voraussetzung für eine umfassende Berücksichtigung der Urheberpersönlichkeitsrechte durch den EuGH wäre jedoch zunächst die Harmonisierung in diesem Bereich. Gleichzeitig würde der Dreistufentest in dogmatisch schlüssiger Weise einfachgesetzliche Grenzen für Ausnahmen oder Beschränkungen setzen, die aufgrund kollidierender Grundrechte oder anderem primären Unionsrecht ohnehin bestehen. Über den Dreistufentest wäre es damit auch den ordentlichen Gerichten möglich, ideelle Konflikte zwischen Rechtsinhaber und Nutzer schlüssig zu lösen. Besonders im Rahmen der Beschränkungen zugunsten der Kunstfreiheit weist der Dreistufentest also das Potenzial auf, eine zunächst von der Ausnahmeregelung gedeckte Nutzung über die festgelegten Voraussetzungen hinaus nicht unerheblich einzuschränken. In Konsequenz könnte die von der Kunstfreiheit geschützte Grundrechtsposition der Nutzer stärker eingeschränkt werden als dies in den Tatbeständen der Art. 5 Abs. 3 lit. d) und lit. k) InfoSoc-RL sowie Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL vorgesehen ist. So könnte eine diskriminierende oder anstößige Parodie unter Umständen die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers der Vorlage verletzen und somit deren Nutzung trotz Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL aufgrund des Dreistufentests unzulässig sein. Allerdings bedeutet nicht jede Geltendmachung von ideellen Interessen, dass diesen im Rahmen der Interessenabwägung auch Vorrang zu gewährleisten wäre. Denkbar ist ebenso, dass der Urheber Nutzungen, die sein ideelles Interesse beeinträchtigen, aufgrund schwerer wiegender kollidierender Grundrechtspositionen hinnehmen muss. Durch die Anwendung des Dreistufentests werden der Kunstfreiheit vielfältige Erwägungen ökonomischer oder ideeller Art gegenübergestellt, die der Gesetz 412 Im Rahmen des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL könnten solche Interessen des Urhebers vom Merkmal der „anständigen Gepflogenheiten“ erfasst werden.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

geber im Detail nicht vorgesehen hat. Das Schicksal der Kunstfreiheit liegt damit in den Händen der Gerichte. Fraglich ist jedoch, ob dieses Ergebnis originär auf dem Institut des Dreistufentests beruht. Die Entscheidung Deckmyn und Vrijheidsfonds zeigt, dass der EuGH auch ohne dessen Heranziehung die Kunstfreiheit durch berechtigte Interessen weiter einschränkt, als dies durch die Richtlinie vorgegeben ist. Dies tut er unter Verweis auf primäres Unionsrecht. Ordentlichen Gerichten ist eine freischwebende Abwägung von primärem Unions- bzw. Verfassungsrecht jedoch nicht möglich. Für sie ist der Dreistufentest also die einzige Möglichkeit, die Ausnahmeregelungen zugunsten der Kunstfreiheit von zusätzlichen Anforderungen abhängig zu machen. Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass der Dreistufentest sich vor allem im Rahmen der Auslegung durch die ordentlichen Gerichte der Mitgliedstaaten einschränkend auf die von der Kunstfreiheit geschützte Position nachschaffender Künstler auswirken kann. Durch die flexiblen Begriffe des Art. 5 Abs. 5 InfoSocRL ist die Intensität der beschränkenden Wirkung maßgeblich von der Auslegung des beschäftigten Gerichts abhängig. Dieses müsste vor allem auf der dritten Teststufe bei der Bewertung, ob eine ungebührliche Verletzung durch eine von Art. 5 Abs. 3 lit. d) und lit. k) InfoSoc-RL und Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL gedeckten Ausnahme vorliegt, die Kunstfreiheit angemessen berücksichtigen.

5. Allgemeine Grundsätze bei der Auslegung der Ausnahmen und Beschränkungen Über die spezifischen Voraussetzungen der jeweiligen Ausnahmen und Beschränkungen hinaus ist nach der Rechtsprechung des EuGH unter Verweis auf Erwägungsgrund 31 der InfoSoc-RL bei der Anwendung aller Schrankenregelungen außerdem zu beachten, dass die Anwendung im Einzelfall zu einem angemessenen Ausgleich zwischen den Rechtsinhabern und den Nutzern des Werkes führt.413 Des Weiteren müssen die Schranken als Ausnahmen zwar grundsätzlich eng ausgelegt werden. Der EuGH relativiert diese Aussage jedoch durch die Feststellung, dass dennoch die praktische Wirksamkeit der Zielsetzung der Schrankenregelung gewahrt bleiben müsse.414 Zudem stellte er in den jüngeren Entscheidungen he­raus, dass es sich bei den Schrankenregelungen zugleich um Rechte der Nutzer hande-

413

Vgl. EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 26–28 – Deckmyn und Vrijheidsfonds; EuGH, Urt. v. 21. 10. 2010 – C-467/08, ECLI:EU:C:2010:620 Rn. 43 – Padawan; EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 134 – Painer. Vgl. auch B. II. 1. b) bb) (a) (aa). Darüber hinaus begrenzt der angemessene Ausgleich den Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten auch auf Rechtsetzungsebene, vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 46–53 – Funke Medien NRW. 414 EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011  – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 133  – Painer; EuGH Rn. 71 – Funke Medien.

II. Der Kunstfreiheit dienende Beschränkungen  

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le.415 Damit erscheint der vom EuGH aufgestellte Grundsatz einer engen Schrankenauslegung an tatsächlicher Bedeutung verloren zu haben. Im Vordergrund steht mittlerweile vielmehr die Erzielung eines angemessenen Rechts- und Interessenausgleiches zwischen Rechtsinhabern und Nutzern. Zum Beispiel ist es für die Erzielung des Ausgleichs im Rahmen des Zitatrechts nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL unerheblich, ob ein zitierendes Werk selbst urheberrechtlichen Schutz genießt oder nicht, sodass das Zitatrecht auch Anwendung findet, wenn das zitierende Werk nicht schutzfähig ist.416 In der Entscheidung Deckmyn und Vrijheidsfonds führte der Gedanke des angemessenen Ausgleichs sogar dazu, dass außerhalb der Parodieschranke liegende Erwägungen wie das Diskriminierungsverbot nach Art. 21 Abs. 1 GRCh und damit das berechtigte Interesse des Urhebers, dass das Werk nicht mit einer diskriminierenden Aussage in Verbindung gebracht wird, im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen waren.417 Vor allem in den jüngeren Entscheidungen des EuGH wird außerdem deutlich, dass der angemessene Ausgleich sowie die praktische Wirksamkeit als Auslegungshilfe in einem engen Zusammenhang mit einer Grundrechtsabwägung der Beteiligten stehen.418 Die Berücksichtigung der Grundrechte im Rahmen dieser Aspekte darf aber nicht zu einer losgelösten Grundrechtsprüfung führen, da die Mechanismen, die einen angemessenen Ausgleich erzielen in der InfoSoc-RL selbst, insbesondere in Art. 2–4 und Art. 5, verankert sind419 und eine freischwebende Abwägung die Harmonisierung gefährden würde.420 Bisher hat der EuGH die Grundsätze nur im Rahmen der InfoSoc-RL angewandt, sie müssen jedoch in gleicher Weise im Anwendungsbereich von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) und b) DSM-RL gelten, da die Ausnahmen und Beschränkungen dort dieselbe Funktion aufweisen.421

415

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019  – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 70  – Funke Medien NRW; vgl. auch EuGH, Urt. v. 11. 09. 2014 – C-117/13, ECLI:EU:C:2014:2196 Rn. 43 – Eugen Ulmer. 416 EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 136–137 – Painer. 417 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 26–34 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 418 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 71–76 – Funke Medien NRW; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 50–59 – Spiegel Online; ebenso – allerdings im Rahmen der Auslegung des Vervielfältigungsrechts: EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 32–39 – Pelham u. a. 419 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 60, 62 – Pelham u. a. m. w. N. 420 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 63–64 – Pelham u. a. m. w. N.; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 47–49 – Spiegel Online m. w. N. 421 Vgl. auch Erwgr. 6 DSM-RL.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit im deutschen Urheberrecht Auch das 1966 in Kraft getretene deutsche Urheberrechtsgesetz kennt Ausnahmen und Beschränkungen von den Ausschließlichkeitsrechten der Rechtsinhaber zugunsten der Kunstfreiheit der nachschaffenden Künstler. Diese Ausnahmen und Beschränkungen werden auch Schranken genannt. Viele der Schrankenregelungen in den §§ 44a ff. UrhG sowie die freie Benutzung gem. § 24 UrhG a. F.422 existierten bereits bevor die europäische Harmonisierung des Urheberrechts begann. Einige andere fanden erst durch die Umsetzung europa­rechtlicher Vorgaben Eingang in das deutsche Urheberrechtsgesetz, wie zum Beispiel die Schranke für vorübergehende Vervielfältigungshandlungen nach § 44a UrhG, die Art. 5 Abs. 1 InfoSoc-RL umsetzt. Für die Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht, war die freie Benutzung nach § 24  UrhG a. F.423 (1.), und sind gegenwärtig das Zitatrecht im Sinne des § 51 S. 1, S. 2 Nr. 2 und 3 UrhG (2.) sowie die Schranke zugunsten von Parodie, Karikatur und Pastiche nach § 51a UrhG (3.) maßgeblich. Denn alle drei Regelungen ermöglichen oder ermöglichten, unter Einhaltung ihrer jeweiligen Voraussetzungen, die künstlerische Auseinandersetzung mit einem bestehenden Werk ohne Einwilligung ihres Urhebers. § 24 UrhG a. F. und § 51 UrhG wurden bereits vor den europäischen Regelungen im Bereich des Urheberrechts geschaffen, sind aufgrund des abschließenden Charakters der Ausnahmen und Beschränkungen der InfoSoc-RL jedoch an dessen Vorgaben gebunden.424 § 51a UrhG setzt seit 2021 Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL um und muss sich damit ebenfalls an unionsrechtlichen Vorgaben messen lassen. Um zu verstehen, wie weit die Kunstfreiheit in den Ausnahmen und Beschränkungen des deutschen Urheberrechtsgesetzes Berücksichtigung gefunden hat und wie damit diese Schranken zur Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht beitragen, werden im Folgenden Voraussetzungen und Anwendungsbereich der Regelungen dargestellt. Anschließend soll noch auf die §§ 5, 9 UrhDaG hingewiesen werden, die selbst zwar keine eigenständigen Schrankenregelungen enthalten, aber für die Anwendung der Schranken im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht bedeutsam sind (4.) Schließlich soll Stellung zur Entwicklung der kunstfreiheitsdienenden Schrankenregelungen im Urheberrechtsgesetz genommen werden (5.).

422

Es ist streitig, ob die freie Benutzung nach § 24 UrhG a. F. tatsächlich eine Schrankenregelung oder nicht vielmehr eine immanente Begrenzung des Schutzbereichs verkörperte, dazu B. III. 1. c). 423 Vgl. Hilty, FS Schulze, S. 127 (133–134), der in § 24 UrhG a. F. das Potenzial einer „Kunstschranke“ sah. 424 Zur Bedeutung der InfoSoc-RL für das deutsche Urheberrechtsgesetz, B. I. 3.

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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1. Die freie Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F. Der Begriff der freien Benutzung wurde erstmals im Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste vom 9. Januar 1876425 verwendet.426 Dort bestimmt § 4: „Als Nachbildung ist nicht anzusehen die freie Benutzung eines Werkes der bildenden Künste zur Hervorbringung eines neuen Werkes.“ Damit legte die freie Benutzung die Grenze zur Nachbildung fest, ohne jedoch ihre Voraussetzungen zu regeln. Darauf folgten § 13 LUG427 und § 16 KUG428, welche eine freie Benutzung als gegeben ansahen, „wenn dadurch eine eigenthümliche Schöpfung hervorgebracht wird“. Zum 1. Januar 1966 wurden das LUG und weitgehend auch das KUG durch das Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) abgelöst. § 24 UrhG a. F. sollte dabei inhaltlich den Regelungen des LUG und KUG entsprechen.429 Nur der starre Melodienschutz des § 13 Abs. 2 LUG sollte zunächst nicht übernommen werden430, fand letztendlich jedoch Eingang in § 24 Abs. 2 UrhG a. F. a) Voraussetzungen der freien Benutzung nach § 24 Abs.  1 UrhG a. F. Gem. § 24 Abs. 1 UrhG a. F. durfte ein selbständiges Werk (aa), das in freier Benutzung des Werkes eines anderen (bb) geschaffen worden ist, ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden. aa) Selbständiges Werk im Sinne von § 24 UrhG a. F. In ständiger Rechtsprechung des BGH431 wurde aus dem Kriterium des selbständigen Werkes abgeleitet, dass im Rahmen der freien Benutzung eine neue eigene geistige Schöpfung entstehen müsse, die den Anforderungen des § 2 Abs. 2 UrhG genügt.432 Ziel der freien Benutzung war es nicht, dem Nutzer eigene Bemühungen 425

Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, RGBl Band 1876, Nr. 2, S. 4–8. 426 Chakraborty, Das Rechtsinstitut der freien Benutzung, S. 19. 427 Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst vom 19. Juni 1901, RGBl 1901, Nr. 27, S. 227–239. 428 Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie vom 9. Januar 1907, RGBl. Band 1907, Nr. 3, S. 7–18. 429 Begründung des RegE eines Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, BT-Drs. IV/270, 51; s. dazu auch die Gegenüberstellungen a. a. O. 171, 174. 430 Begründung des RegE eines Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, BT-Drs. IV/270, 51–52; s. dazu auch die Gegenüberstellungen, a. a. O. 171. 431 Vgl. BGH GRUR 1961, 631 (632) – Fernsprechbuch; BGHZ 141, 267 (280) – Laras Tochter; BGHZ 154, 260 (267) – Gies-Adler. Dies galt auch bei einer entsprechenden Anwendung der freien Benutzung: BGHZ 175, 135 Rn. 25 – TV-Total. 432 Vgl. auch die Ausführungen des deutschen Gesetzgebers nach denen eine freie Benutzung vorlag, wenn ein „in Anlehnung an ein anderes Werk geschaffenes Werk […] sich von

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

zu ersparen.433 Nur wer das kulturelle Gesamtgut bereicherte, indem er ein eigenes Werk schuf, durfte sich an bestehende Werke anlehnen.434 Der Konflikt zwischen dem ursprünglichen und dem nachschaffenden Künstler löste sich somit zugunsten der Kunstfreiheit des letzteren aus, wenn ein messbarer kultureller Fortschritt in Gestalt der Werkeigenschaft vorlag. (1) Der Werkbegriff des UrhG unter Berücksichtigung des europäischen Werkbegriffs Die Voraussetzungen an den Werkbegriffs des UrhG (a) können nicht mehr ohne den europäischen Werkbegriff betrachtet werden (b). (a) Werkbegriff des UrhG Das deutsche Urheberrecht schützt nach § 1 UrhG i. V. m. § 2 Abs. 1 UrhG Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst. Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 UrhG stellen nur „persönliche geistige Schöpfungen“ Werke im Sinne des Urheberrechtsgesetzes dar. In § 2 Abs. 1 UrhG werden beispielhaft Werkkategorien genannt, die eigene geistige Schöpfungen darstellen können. Darunter fallen unter anderem Sprachwerke, Werke der Musik, der bildenden Kunst oder der Tanzkunst. Um als schutzfähiges Werk anerkannt zu werden, müssen sie jedoch alle trotz ihrer äußerlichen Verschiedenheit die Voraussetzung einer persönlichen geistigen Schöpfung erfüllen.435 Nach herrschender Meinung in der Literatur sind „alle persönlichen Schöpfungen [aa], die einen geistigen Gehalt aufweisen [bb], eine wahrnehmbare Formgestaltung gefunden haben [cc] und in denen die Individualität des Urhebers in ausreichendem Maße zum Ausdruck kommt [dd]“436 vom Werkbegriff erfasst. Der BGH hat bisher keine werkartübergreifende Definition entwickelt, die sämtliche Merkmale der Literatur enthält. Vielmehr fokussiert er sich auf das Kriterium der Individualität und definiert die Anforderungen an die Gestaltungshöhe der unterder Vorlage so weit gelöst hat, daß es als eine völlig selbständige Neuschöpfung anzusehen ist“, Begründung des RegE eines Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, BT-Drs. IV/270, 51. 433 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 24 Rn. 5. 434 BGHZ 175, 135 Rn. 27 – TV-Total m. w. N. 435 Für die nach § 69a Abs. 3 UrhG existiert allerdings eine gesonderte Regelung, s. Dreier /  Schulze / Schulze, UrhG, § 2 Rn. 6. Aufgrund der Berücksichtigung des europäischen Werkbegriffs auch für alle anderen Werkarten kann sich daraus mittlerweile allerdings kein Unterschied mehr ergeben, so auch: Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 69a Rn. 14 m. w. N. 436 So zusammenfassend: Bisges, ZUM 2015, 357 m. w. N.; s. auch: Wandtke / Bullinger /  Bullinger, UrhR, § 2 Rn. 15–24; Schricker / Loewenheim / L eistner, UrhG, § 2 Rn. 32; Dreier /  Schulze / Schulze, § 2 Rn. 6–21.

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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schiedlichen Werkarten.437 Seine Rechtsprechung steht jedoch im Einklang mit den von der Literatur beschriebenen Voraussetzungen, die im Folgenden kurz erläutert werden sollen. (aa) Das Werk als persönliche Schöpfung Um eine persönliche Schöpfung handelt es sich nur, wenn der Gegenstand von einem Menschen geschaffen wurde. Dabei kann dieser sich auch Hilfsmittel bedienen, solange das Werk auf sein schöpferisches Tätigwerden zurückzuführen ist.438 Im Gegensatz dazu können eine juristische Person439 oder ein Tier440 nicht Urheber sein. Unerheblich ist, ob es sich bei den Menschen um einen professionellen Künstler oder einen Laien handelt. Da die Schöpfung eines Werkes einen Realakt darstellt und das Urheberrecht kraft Gesetzes entsteht, kann es ebenfalls nicht auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen ankommen.441 (bb) Geistiger Gehalt des Werkes Ein geistiger Gehalt des Werkes kann nur angenommen werden, wenn es Gedanken oder Emotionen des Urhebers beinhaltet und daher auf das Publikum eine geistig-anregende Wirkung hat.442 Teilweise wurde auch der Begriff des ästhetischgeistigen Gehalts gebraucht. Legt man diesen Begriff zugrunde, ist er jedoch weit zu verstehen. Ein Werk muss nicht ästhetisch im Sinne von schön oder geschmackvoll sein, um Schutz nach dem Urheberrechtsgesetz zu genießen.443 (cc) Wahrnehmbare Form des Werkes Die erforderliche wahrnehmbare Form grenzt das Werk vor allem zu bloßen Ideen oder Vorstellungen ab.444 Das Werk ist auch von seinem Publikum wahrnehmbar, wenn es nicht körperlich fixiert, sondern lediglich unkörperlich vorgetragen wird, wie bspw. ein improvisiertes Musik- oder Theaterstück.445 Gegenstand des Urheberrechts ist nämlich das Werk als geistiges, immaterielles Gut, sodass

437

Dazu sogleich unter B. III. 1. a) aa) (1) (a) (dd). Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 2 Rn. 16; Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 2 Rn. 8. 439 LG Berlin, Urt. v. 30. 05. 1989 – 16 O 33/89, GRUR 1990, 270. 440 Vgl. LG München I UFITA 54 (1969), 320 (323) – Tierdressur. 441 Schack, Kunst und Recht, Rn. 229–230, 238 m. w. N. 442 Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 2 Rn. 12. 443 Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 2 Rn. 12 m. w. N. 444 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 2 Rn. 19. 445 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 2 Rn. 20. 438

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

auch ein Vortrag, eine Aufführung oder andere flüchtige Erscheinungen ausreichen.446 Unerheblich ist weiterhin, ob das Werk direkt oder nur mittelbar (bspw. durch die Inanspruchnahme technischer Geräte) wahrgenommen werden kann.447 (dd) Individualität des Werkes Das in der Praxis streitigste und in Folge auch durch die Rechtsprechung des BGH meist thematisierte und ausdifferenzierteste Kriterium ist die Individualität des Werkes, die auch als Eigentümlichkeit, Schöpfungs- oder Gestaltungshöhe bezeichnet wird. Der Gesetzgeber schien die Individualität ebenfalls als entscheidendes Merkmal eines Werkes einzuordnen, denn er definierte „persönliche geistige Schöpfungen“ als Erzeugnisse, die etwas Neues und Eigentümliches darstellen.448 Das Kriterium zielt darauf ab, das urheberrechtlich geschützte Werk von schlichten Erzeugnissen des Alltagslebens449 sowie bloß Handwerksmäßigem und technisch vorgegebenen Gestaltungen abzugrenzen.450 In der Literatur wird vielfach die Prägung des Werkes durch den Urheber und dessen Persönlichkeit für maßgeblich gehalten (sog. Prägetheorie451). Eine allgemeingültige Definition für die Feststellung der Gestaltungshöhe eines Werkes existiert in der Rechtsprechung nicht. Sie wird mit dem Vorliegen einer „individuellen ästhetischen Ausdruckskraft“452, „schöpferischen Zügen“453 oder „individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer ‚künstle­ rischen‘ Leistung gesprochen werden kann“454, umschrieben. An das Vorliegen der Individualität werden in Abhängigkeit von der jeweiligen Werkart unterschiedliche Maßstäbe angelegt. Relevant sind dabei der konkrete Gestaltungsspielraum und das Freihaltebedürfnis.455 Bei Werken der Musik, der Literatur und der zweckfreien bildenden Kunst ist der Schutz der sog. kleinen Münze anerkannt.456 Danach genießen auch einfache geistige Leistungen mit geringem

446

Vgl. BGHZ 37, 1 (7); Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, S. 10–13, 114. Vgl. BGHZ 37, 1 (7). 448 Begründung des RegE eines Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, BT-Drs. IV/270, 36. 449 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 2 Rn. 23 m. w. N. 450 OLG Köln NJW-RR 2016, 165 (166) – Afghanistan Papiere. 451 Dazu Obergfell, GRUR 2014, 621 m. w. N. 452 BGH GRUR 2015, 1189 (1192) – Goldrapper. 453 BGH GRUR 2014, 772 (773) – Online-Stadtplan. 454 BGHZ 199, 52 Rn. 15 – Geburtstagszug m. w. N. 455 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 2 Rn. 25; vgl. auch BGHZ 199, 52 Rn. 41  – Geburtstagszug m. w. N. und Obergfell, GRUR 2014, 621 (624–625). 456 BGH GRUR 2012, 58 (62) – Seilzirkus. 447

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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Eigentümlichkeitsgrad urheberrechtlichen Schutz.457 Gleiches gilt für Computerprogramme.458 Und auch bei technischen Darstellungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG lies der BGH „ein geringes Maß an eigenschöpferischer Prägung“459 im Sinne der kleinen Münze genügen. Im Gegensatz dazu legte der Gerichtshof bei der Beurteilung der Individualität eines Werks der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG einen besonders strengen Maßstab an. Notwendig sei, insbesondere in Abgrenzung zum Geschmacksmusterrecht, ein „deutliches Überragen der Durchschnittsgestaltung“460. Nach Ansicht des BGH bestand ein Stufenverhältnis zwischen Geschmacksmuster­ recht als „kleinem Urheberrecht“461 und dem strengeren Schutzvoraussetzungen unterliegendem, aber dafür auch weitreichenderem Urheberrecht. Diese hohen Anforderungen gab der BGH in der Geburtstagszug-Entscheidung für Werke der angewandten Kunst im Hinblick auf das reformierte Geschmacksmusterrecht auf. Der europäische Werkbegriff war für die Aufgabe dieser Rechtsprechung ausdrücklich nicht maßgeblich, sodass die Entscheidung des BGH nicht als generelle Abkehr von seiner werkartabhängigen Differenzierung der Anforderungen an die Gestaltungshöhe zu deuten ist.462 Auch bei Schriftwerken mit Gebrauchszweck werden die Anforderungen des BGH als erhöht angesehen.463 Tatsächlich forderte der BGH „bei Gebrauchszwecken dienendem Schriftgut grundsätzlich ein deutliches Überragen des Alltäg­ lichen, des Handwerksmäßigen, der mechanisch-technischen Aneinanderreihung des Materials“.464 Relativiert wird die Aussage des BGH jedoch durch die gleichzeitige Feststellung, dass ein Anwaltsschriftsatz urheberrechtlichen Schutz genießen kann, wenn er sich „durch eine sprachliche Gestaltungskunst auszeichne, die eine tiefe Durchdringung des Tatsachen- und Rechtsstoffes und eine souveräne Beherrschung der Sprach- und Stilmittel erkennen lasse“ und er einen vielschichtigen Sachverhalt einfach und verständlich beschreibt.465 Ob es sich bei diesen Anforderungen wirklich um strenge Maßstäbe für die Beurteilung der Gestaltungshöhe handelt erscheint fraglich. Deshalb wird das betreffende Urteil teilweise sogar als „fatale Anerkennung“ der kleinen Münze gedeutet.466

457

BGH GRUR 2015, 1189 (1192) – Goldrapper. BGH GRUR 2013, 509 Rn. 24 – UniBasic-IDOS m. w. N. 459 BGH GRUR 1993, 34 (36) – Bedienungsanweisung. 460 BGH GRUR 1995, 581 (582) – Silberdistel m. w. N.; BGHZ 138, 143 (147) – Les-PaulGitarren; BGH GRUR 2004, 941 (942) – Metallbett; BGH GRUR 2012, 58 (62) – Seilzirkus. 461 Obergfell, GRUR 2014, 621 (622). 462 BGHZ 199, 52 Rn. 26–41 – Geburtstagszug. 463 BVerwG GRUR 2020, 189 Rn. 20–21; Richter, GRUR 2020, 358 (359). 464 BGH GRUR 1986, 739 (741) – Anwaltsschriftsatz; BGH GRUR 1993, 34 (36) – Bedienungsanweisung. 465 BGH GRUR 1986, 739 (741) – Anwaltsschriftsatz. 466 So Wild, in ihrer Anmerkung zu BGH GRUR 1986, 739 (742) – Anwaltsschriftsatz. 458

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Selbst wenn man jedoch der Einschätzung des BVerwG folgt und die Anforderungen des BGH bei zweckgebundenen Werken bisher für streng hält,467 so wird dieser strengere Maßstab in Zukunft aufgrund des europarechtlichen Einflusses nur bedingt eine Rolle spielen können.468 (b) Auswirkungen des europäischen Werkbegriffs auf den deutschen Werkbegriff Der vom EuGH entwickelte europäische Werkbegriff ist für die Auslegung des deutschen Werkbegriffs nach § 2 Abs. 2 UrhG maßgeblich, da er als Unionsrecht Anwendungsvorrang469 genießt. Nach Auffassung des EuGH ist die Werkeigenschaft bei einer eigenen geistigen Schöpfung zu bejahen, welche Originalität aufweist und objektiv hinreichend identifizierbar ist.470 Die Originalität entspricht dabei im Wesentlichen dem deutschen Kriterium der Individualität471 und die objektive Identifizierbarkeit kann als national bekanntes Kriterium der wahrnehmbaren Formgestaltung472 eingeordnet werden. Zudem schützt auch das europäische Urheberrecht nur Schöpfungen einer natürlichen Person.473 Die unionsrechtlichen Vorgaben an ein urheberrechtlich geschütztes Werk entsprechen damit grundsätzlich dem deutschen Verständnis. Trotzdem hat der BGH in einigen Bereichen des Urheberrechts zugunsten des Unionsrechts bereits eine ausdrückliche Rechtsprechungsänderung vornehmen müssen. Insbesondere das Kriterium der Gestaltungshöhe, das im deutschen Recht die Individualität konkretisiert, und ihre nach Werkarten differenzierenden Anforderungen scheinen vor dem Hintergrund des europäischen Werkbegriffs antiquiert.474 Nach der Harmonisierung des Werkbegriffs für Computerprogramme durch die Umsetzung der Computerprogramm-RL gab der BGH seine hohen Anforderungen an die Gestaltungshöhe im Hinblick auf Computerprogramme auf.475 Denn nach Art. 1 Abs. 3 der Computerprogramm-RL werden Werke geschützt, „wenn sie individuelle Werke in dem Sinne darstellen, dass sie das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung ihres Urhebers sind. Zur Bestimmung ihrer Schutzfähigkeit sind keine

467

BVerwG GRUR 2020, 189 Rn. 20. Dazu unmittelbar anschließend unter B. III. 1. a) aa) (1) (b). 469 Fn. 58. 470 Näher dazu unter B. II. 1. b) aa). 471 Bisges, ZUM 2015, 357 (358). 472 Vgl. dazu Leistner, GRUR 2019, 1114 (1116, 1117). 473 Ory / Sorge, NJW 2019, 710 (711) mit Verweis auf Art. 2 Abs. 1 InfoSoc-RL und Schricker /  Loewenheim / L oewenheim / L eistner, UrhG, § 2 Rn. 38. 474 Sehr kritisch dazu Bisges, ZUM 2015, 357 (360–361), der eine höchstrichterliche Aufgabe der Gestaltungshöhe als Voraussetzungen fordert. 475 BGHZ 123, 208 (211) – Buchhaltungsprogramm; s. zuvor noch BGHZ 94, 276 (287) – Inkassoprogramm m. w. N. 468

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anderen Kriterien anzuwenden.“ Qualitative oder ästhetische Vorzüge sollen ausdrücklich nicht maßgeblich sein.476 Damit folgte das Gericht nicht nur europarechtlichen Vorgaben, sondern auch dem Willen des deutschen Gesetzgebers der in der Umsetzung der Computerprogramm-RL durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Urheberrechts den Schutz der „kleinen Münze“ ausdrücklich vorsah.477Auch bei Lichtbild-478 und Datenbankwerken479 nahm der BGH mit Verweis auf die einschlägigen Richtlinien Abschied von den bisher aufgestellten strengeren Voraussetzungen an die Schöpfungshöhe. Denn Art. 6 der Schutzdauer-Richtlinie und Art. 3 Abs. 1 der Datenbank-Richtlinie lassen für dieses Kriterium ebenfalls keinen Raum.480 In der Geburtstagszug-Entscheidung gab er die gesteigerten Anforderungen an die Schöpfungshöhe auch für die angewandte Kunst auf. Er begründete dies allerdings mit dem reformierten Geschmacksmusterrecht. Die Rechtsprechung des EuGH war ausdrücklich nicht maßgeblich. Zwar führte der BGH die Entscheidungen, in denen der EuGH den europäischen Werkbegriff geformt hatte, an. Jedoch stellte er zugleich fest, dass aus diesen Entscheidungen nicht zu folgern sei, dass der Werkbegriff die Berücksichtigung der Gestaltungshöhe ausschließe. Lediglich für Computerprogramme, Datenbankwerke und Lichtbildwerke seien aufgrund der ausdrücklichen Regelungen in Art. 1 Abs. 3 S. 2 der Computerprogramm-RL, Art. 3 Abs. 1 S. 2 der Datenbank-RL und Art. 6 S. 2 der Schutzdauer-RL keine anderen Kriterien als die der „eigenen geistigen Schöpfung“ anzuwenden. Für alle anderen Werkarten sehe das europäische Urheberrecht keine Einschränkungen des Werkbegriffs vor.481 Zudem habe der EuGH die Prüfung der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit nach den von ihm aufgestellten Maßstäben den nationalen Gerichten überlassen.482 Weiterhin verteidigte der BGH die Gestaltungshöhe als nationale Voraussetzungen an die Schutzfähigkeit eines Werkes, indem er sich auf Art. 17 und Erwägungsgrund 8 der Geschmacksmuster-RL483 berief. Nach Art. 17 S. 2 der Geschmacksmuster-RL ist es ausdrücklich Aufgabe der Mitgliedstaaten zu entscheiden, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen, einschließlich der Gestaltungshöhe, ein geschütztes Muster auch urheberrechtlichen Schutz genießt. Erwägungsgrund 8 stellt fest, dass „solange das Urheberrecht nicht harmonisiert ist, (…) es den Mitgliedstaaten freigestellt bleibt, den Umfang des urheberrechtlichen Schutzes und die Voraussetzungen festzulegen, unter denen dieser Schutz gewährt wird.“

476

Erwgr. 8 der RL 91/250/EWG. Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes, BT-Drs. 12/4022, 10. 478 BGH GRUR 2000, 317 (318) – Werbefotos. 479 BGHZ 172, 268 Rn. 21 – Gedichttitelliste I. 480 Auch für diese beiden Werkarten sind qualitative und ästhetische Kriterien ausdrücklich unbedeutsam, s. Erwgr. 16 der Schutzdauer-RL und Erwgr. 8 der Datenbank-RL. 481 BGHZ 199, 52 Rn. 29–31 – Geburtstagszug. 482 BGHZ 199, 52 Rn. 31 – Geburtstagszug m. w. N. 483 Richtlinie 98/71/EG über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen. 477

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Aus dogmatischer Sicht konnte diese differenzierte Argumentation zum damaligen Zeitpunkt überzeugen.484 Denn auch der EuGH kann sich nicht über den Willen des europäischen Gesetzgebers hinwegsetzen, welcher in Art. 17 S. 2 Geschmacksmuster-RL eindeutig zum Ausdruck gekommen ist. Mittlerweile kann jedoch von einem, durch den EuGH, harmonisierten einheitlichen, d. h. richtlinienübergreifenden und autonomen Werkbegriff485 ausgegangen, werden, sodass sich der BGH in Zukunft wohl nicht mehr auf Erwägungsgrund 8 der Geschmacksmuster-­R L berufen könnte. Dies könnte zukünftig auch eine abweichende Auslegung des Art. 17 S. 2 Geschmacksmuster-RL gebieten. Dafür spricht die Entscheidung Cofemel in welcher der EuGH nun auch für Werke der angewandten Kunst den von ihm entwickelten Werkbegriff anwandte.486 Somit ist festzuhalten, dass der BGH den europäischen Werkbegriff grundsätzlich als maßgeblich anerkennt.487 Jedoch behält er sich bisher dort, wo dies nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde, die Heranziehung des Kriteriums der Gestaltungshöhe vor, auch wenn dieses in der Rechtsprechung des EuGH zum Werkbegriff als autonomen Begriff des Unionsrechts als solches nicht benannt wird. Eine generelle Abkehr von den werkartabhängigen Anforderungen an die Gestaltungshöhe ist durch den BGH somit (noch) nicht erfolgt. Bei konsequenter Fortführung der BGH-Rechtsprechung – entgegen der unionsrechtlichen Vorgaben – können die strengen Voraussetzungen an die Schöpfungshöhe insbesondere für die Schutzfähigkeit von Gebrauchszwecken dienenden Schriftwerken weiterhin eine Rolle spielen.488 Im Gegensatz dazu hat das BVerwG den vom EuGH entwickelten Werkbegriff auch für zweckgebundene Sprachwerke als allein maßgeblich für die Auslegung des § 2 Abs. 2 UrhG anerkannt und gesteigerten Anforderungen an die Gestaltungshöhe eine Absage erteilt. Nach Auffassung des BVerwG decken sich die Anforderungen des EuGH an die im Rahmen des Werkbegriffs zu fordernde Originalität grundsätzlich mit den im Rahmen von § 2 Abs. 2 UrhG entwickelten Voraussetzungen, jedoch würden sie zugleich eine einheitliche Schutzuntergrenze festlegen.489 Die Forderung des OVG nach einer „überdurchschnittlichen individuellen Eigenart“ berücksichtige nicht die Rechtsprechung des EuGH und stelle ein

484

Auch Leistner, hält die Auffassung des BGH für gut vertretbar, GRUR 2019, 1114 (1115). Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 12. 09. 2019  – C-683/17, ECLI:EU:C:2019:721 Rn. 27–29  – ­Cofemel. 486 EuGH, Urt. v. 12. 09. 2019 – C-683/17, ECLI:EU:C:2019:721 Rn. 28–49 – Cofemel; dies ging jedoch nicht mit einer Herabsetzung der urheberrechtlichen Schutzschwelle der angewandten Kunst einher, vielmehr ist die Entscheidung des EuGH dahingehend zu deuten, dass die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst die Ausnahme bildet, so Leistner, GRUR 2019, 1114 (1118). 487 Leistner spricht von einer ausgewogenen Spiegelung der europäischen Entwicklung, ZGE (5) 2013, 4 (41). 488 Bisges, ZUM 2015, 357 (358). 489 BVerwG GRUR 2020, 189 Rn. 22. 485

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überschießendes Erfordernis dar.490 Dass das in Rede stehende Gutachten „(auch) naturschutzfachliche Bewertungen mit prognostischen Elementen bzw. tatsächlich-prognostische Einschätzungen, die qualitativ über eine bloße Datensammlung oder Ähnliches hinausgehen“ enthält, „rechtfertigt den Schluss auf eine geistige Leistung, die sich durch hinreichende Originalität auszeichnet“. Trotz anerkannten Regeln und Standards, denen ein fachwissenschaftliches Gutachten folgen muss, blieben Freiräume die einer „eigenständigen und kreativen Ausfüllung zugänglich sind.“ Die Annahme, Prognosen seien schematisch zu begründen und erstellen verbiete sich. Für diese Bewertung habe es nicht einmal einer detaillierten Kenntnis der streitgegenständlichen Unterlagen bedurft.491 Damit erkennt das BVerwG einen pauschalen Schutz von Gutachten mit prognostischen Elementen an, ohne die Darstellung der Prognose im konkreten Einzelfall zu berücksichtigen. Ob dies mit der Rechtsprechung des BGH, der eine so pauschale Argumentation bisher zur Begründung der Werkeigenschaft nicht ausreichen ließ, vereinbar ist, scheint zweifelhaft.492 Ebenfalls unklar ist, ob diese Auslegung die Position des EuGH zutreffend widerspiegelt. Ob die Gestaltungshöhe als nationales Erfordernis im Rahmen der Auslegung des Werkbegriffs weiterhin Anwendung finden kann ist somit klärungsbedürftig.493 Eine eindeutige Beantwortung dieser Frage durch den EuGH wäre wünschenswert. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass der vom EuGH entwickelte Werkbegriff zwar maßgeblich für die Auslegung von § 2 Abs. 2 UrhG ist, sich jedoch in weiten Teilen mit dem bisherigen nationalen Begriffsverständnis deckt. Damit sind nur geringe Änderungen bei der Auslegung der national entwickelten Merkmale vorzunehmen. Die Anpassung betrifft hauptsächlich das Kriterium der Gestaltungshöhe. Dieses darf jedenfalls nicht mehr in der Weise zur Konkretisierung der Individualität (bzw. Originalität) herangezogen werden, als dass divergierende, werkartabhängige Maßstäbe anzulegen sind. Ebenso ist das Krite-

490

BVerwG GRUR 2020, 189 Rn. 23. BVerwG GRUR 2020, 189 Rn. 24. 492 Bisher neigte der BGH zu einer genauen Prüfung; so reichte ihm bei der Beurteilung der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Anwaltsschriftsätzen ein 10-seitiger Auszug des insgesamt 122 Seiten langen Dokuments nicht zu einer abschließenden Beurteilung aus. Für die Frage des Eigentümlichkeitsgrads sei der geistig-schöpferische Gesamteindruck des Schriftsatzes maßgebend, BGH GRUR 1986, 739 (741) – Anwaltsschriftsatz. S. auch die detaillierten Ausführungen des BGH in BGH GRUR 2002, 958 (960) – Technische Lieferbedingungen. Ebenso reichte dem BGH die Begründung des Berufungsgerichts für die Schutzfähigkeit militärischer Lageberichte nicht aus. Er ließ die Frage nach dem Vorliegen der Werkeigenschaft unbeantwortet und sah aufgrund des Eingreifens von § 50 UrhG von einer Zurückverweisung ab, BGH GRUR 2020, 853 Rn. 13 – Afghanistan Papiere II. 493 Dazu auch: Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 2 Rn. 14; Leistner ging bisher davon aus, dass den deutschen Gerichten die Forderung einer zusätzlichen Voraussetzung in Form der Gestaltungshöhe verwehrt sei, ZGE (5) 2013, 4 (36). Nun stellt er im Hinblick auf das ­Cofemel-Urteil des EuGH jedoch fest, dass unter bestimmten Bedingungen daran festgehalten werden könne, Leistner, GRUR 2019, 1114 (1118–1119). 491

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rium eines besonderen „ästhetischen Gehalts“ von der deutschen Rechtsprechung aufzugeben.494 Durch die ausschließliche Heranziehung von zwei kumulativen Merkmalen, der Originalität und der objektiven Identifizierbarkeit, scheint die Schutzschwelle des europäischen Werkbegriffs zunächst niedriger495. Das Urteil Cofemel zeigt jedoch, dass auch im Rahmen reduzierter Prüfungskriterien nicht zu geringe Anforderungen an die urheberrechtliche Schutzfähigkeit zu stellen sind. Eine Aufweichung des Werkbegriffs ist somit insgesamt nicht zu befürchten. Vielmehr stehen die vom EuGH aufgestellten, eher strengen Voraussetzungen bei der Beurteilung der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit angewandter Kunst im Einklang mit der deutschen Rechtsprechung.496 Im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UrhG a. F. bedeutet dies, dass ein Werk geschaffen werden musste, welches die Voraussetzungen der Originalität und der objektiven Identifizierbarkeit kumulativ erfüllte, ohne dabei eine besondere Gestaltunghöhe aufweisen zu müssen. (2) Selbständigkeit des Werkes Weiterhin musste das geschaffene Werk selbständig sein, um Geltung als freie Benutzung nach § 24 Abs. 2 UrhG a. F. zu beanspruchen. Maßgeblich für die Eigenständigkeit des neuen Werkes hielt der BGH dessen Abstand zu den entlehnten Zügen des ursprünglichen Werkes.497 Sie mussten angesichts der Eigenart des neuen Werkes verblassen498, sodass das ältere Werk nur noch als Anregung zu selbständigem Werkschaffen erschien.499 Ob das genutzte Werk als verblasst zu beurteilen war, hing maßgeblich von der Individualität der entlehnten Züge einerseits und der Individualität der neuen Schöpfung andererseits ab. Je individueller die übernommenen Ausschnitte des Ausgangwerks waren, desto schwerer konnten sie in dem neuen Werk verblassen. In diesem Zusammenhang konnte also von einer Art Wechselwirkung gesprochen werden.500 Obwohl 494

Leistner, GRUR 2019, 1114 (1119) mit Verweis auf Schack, JZ 2014, 207, der das Merkmal schon länger für veraltet hält. 495 Auch Leistner, ordnet die Schutzschwelle als tendenziell niedriger ein, welche jedoch „durch einen robusten Ausschluss technisch oder funktional geprägter sowie insgesamt praktisch regel- oder sachbezogener Formen von Kreativität gleichsam ausbalanciert“ wird. ZGE (5) 2013, 4 (25). 496 Leistner, GRUR 2019, 1114 (1119). 497 BGH GRUR 1959, 379 (381) – Gasparone; BGH GRUR 1994, 191 (193) – Asterix-Persiflagen; BGHZ 211, 309 Rn. 19 – auf fett getrimmt, jeweils m. w. N. 498 BGH GRUR 1994, 191 (193)  – Asterix-Persiflagen; BGH GRUR 1971, 588 (589)  – Disney-Parodie; BGHZ 141, 267 (280) – Laras Tochter, jeweils m. w. N.; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, S. 222. 499 BGHZ 154, 260 (267) – Gies-Adler; BGHZ 141, 267 (281) – Laras Tochter; BGHZ 211, 309 Rn. 20 – auf fett getrimmt m. w. N. 500 So Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 24 Rn. 8, mit Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BGH.

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bei der Beurteilung grundsätzlich ein strenger Maßstab galt, durfte das Kriterium des „Verblassens“ nicht zu wörtlich verstanden werden.501 Bei einigen Formen der künstlerischen Auseinandersetzung, zum Beispiel im Rahmen einer Parodie502, ist die Wiedererkennbarkeit ihrer Vorlage gerade erforderlich.503 In solchen Fällen lag sinngemäß ein „Verblassen“ vor, wenn das neue Werk einen inneren Abstand gegenüber den entlehnten Zügen des älteren Werks gewahrt hatte.504 Selbst die deutliche Übernahme der Formgestaltung war somit im Rahmen der freien Benutzung möglich.505 Eine andere Betrachtung hätte der künstlerischen Auseinandersetzung zu enge Grenzen gesetzt.506 Um eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 24 Abs. 1 UrhG a. F. zu erreichen, gab der BGH die Voraussetzung eines selbständigen Werkes für Parodien und Karikaturen jedoch nach der Entscheidung Deckmyn und Vrijheidsfonds ausdrücklich auf.507 Dort stellte der EuGH fest, dass es für die Beschränkung des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL unerheblich sei, ob die Parodie selbst den Werkbegriff erfülle. Vielmehr reiche es aus, wenn die Parodie gegenüber der Vorlage wahrnehmbare Unterschiede aufweise, sodass sie nicht dem ursprünglichen Urheber zugewiesen werden könne.508 Für alle anderen Fälle der freien Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F. war jedoch weiterhin die Schaffung eines selbständig schutzfähigen Werkes erforderlich.509 Ob im Rahmen der freien Benutzung ein neues Werk im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG entstehen musste, hing damit von dem mit der Nutzung verfolgten Zweck ab.510 bb) Werk eines anderen § 24 Abs. 1 UrhG a. F. setzte voraus, dass das Werk eines anderen benutzt worden war. Folglich musste die vom nachschaffenden Künstler gebrauchte Vorlage den Werkbegriff des § 2 Abs. 2 UrhG erfüllen, bei dessen Auslegung die Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen war.511 Für die Nutzung nicht urheberrechtlich geschützter, gemeinfreier Gegenstände fand die freie Benutzung keine 501

BGHZ 141, 267 (280–281) – Laras Tochter m. w. N. Als wohl häufigste Fallgestaltung, BGH GRUR 2014, 258 Rn. 39 – Pippi Langstrumpf; BGH GRUR 2011, 134 Rn. 34 – Perlentaucher; BGHZ 141, 267 (281) – Laras Tochter. 503 GRUR 1971, 588 (589–590) – Disney-Parodie; GRUR 1994, 191 (193) – Asterix-Persi­ flagen. 504 BGHZ 211, 309 Rn. 22 – auf fett getrimmt m. w. N.; BGH GRUR 2014, 258 (261) – Pippi Langstrumpf. 505 BGHZ 211, 309 Rn. 22 – auf fett getrimmt m. w. N. 506 BGH GRUR 1994, 191 (193) – Asterix-Persiflagen. 507 BGHZ 211, 309 Rn. 28 – auf fett getrimmt. 508 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 21, 33 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 509 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 24 Rn. 2. 510 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 24 Rn. 2. 511 Dazu unter B. III. 1. a) aa) (1) (b). 502

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Anwendung. Ihre Verwendung ist aus urheberrechtlicher Sicht immer zulässig, sodass es keiner Ausnahmeregelung bedarf. Frei von urheberrechtlichem Schutz sind bspw. reine Ideen und Theorien sowie tatsächliche historische Gegebenheiten und Ereignisse.512 Ebenso amtliche Werke.513 Ein zunächst geschütztes Werk wird zudem nach Ablauf der 70-jährigen Schutzfrist nach § 64 UrhG gemeinfrei und kann somit ohne gesondertes Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes genutzt werden.514 b) Künstlerische Nutzungen im Anwendungsbereich der freien Benutzung Durch die flexible Formulierung des § 24 Abs. 1 UrhG a. F. konnte die freie Benutzung potenziell alle Werkarten und unterschiedliche Fallgestaltungen erfassen. Ausdrücklich ausgenommen war allein die Benutzung einer Melodie nach § 24 Abs. 2 UrhG a. F.515 Einige Fallkonstellationen traten im Rahmen der Diskussion um eine mögliche Anwendbarkeit der freien Benutzung typischerweise immer wieder auf. Dazu gehörten insbesondere künstlerische Nutzungen wie Parodien, Karikaturen516, Satire517, die Übersetzung eines Werkes in eine andere Kunstform518, die Fortsetzung bestehender Erzählungen519 oder die Nutzung literarischer Figuren eines fremden Werkes für neue eigenständige Erzählungen.520 Lag eine Parodie oder Karikatur im Rechtssinne vor, war aufgrund einer unionrechtskonformen Auslegung des § 24 Abs. 1 UrhG a. F. immer von einer freien Benutzung auszugehen.521 512

S. Fromm / Nordemann / A . Nordemann, UrhG, § 24 Rn. 30–34; Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 24 Rn. 3. 513 Wandtke / Bullinger / Marquardt, UrhR, § 5 Rn. 1–2. 514 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 24 Rn. 3 m. w. N. 515 Künstlerische Auseinandersetzungen mit Melodien konnten somit vor der Urheberrechtsreform nur über das Zitatrecht gerechtfertigt werden. Vom Anwendungsbereich der freien Benutzung ausgenommen war außerdem die sog. Doppelschöpfung, d. h. der Vorgang bei dem zufällig, also ohne bewusste oder unbewusste Bezugnahme, ein Werk zweimal geschaffen wird, dazu: Wegmann, Der Rechtgedanke der freien Benutzung, S.  40–41. 516 BGHZ 154, 260 (268–269) – Gies-Adler. Der BGH stellt a. a. O. fest, dass es sich um eine freie Benutzung handelt, die sich sowohl der Parodie als auch der Karikatur bedient. 517 BGH GRUR 2000, 703 (705) – Mattscheibe. 518 Vgl dazu OLG Hamburg ZUM-RD 2016, 576 (589) – Tagebuch der Anne Frank m. w. N.; Schricker / Loewenheim / L oewenheim, UrhG, § 24 Rn. 24 m. w. N.; Dreier / Schulze / Schulze, UrhG § 24 Rn. 19 m. w. N. 519 S. z. B. BGHZ 141, 267 – Laras Tochter. 520 S. z. B. BGHZ 26, 52 – Sherlock Holmes; BGH GRUR 1958, 402 – Lili Marleen. 521 Zwar ist die Beschränkung des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL fakultativ, jedoch dürfen die Mitgliedstaaten keine weitergehenden Anforderungen an das Eingreifen des Ausnahmetatbestandes vorsehen, wenn sie die Ausnahme als solche anerkennen. Dazu bereits unter B. II. 1. a). Ob auch unabhängig von den unionsrechtlichen Vorgaben die Parodie immer eine freie Benutzung war, wurde unterschiedlich beurteilt, s. dazu Fechner, Geistiges Eigentum und

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In allen anderen Fällen war im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen, ob eine abhängige Bearbeitung oder freie Benutzung vorlag. Fortsetzungsromane konnten nach der Rechtsprechung des BGH regelmäßig keine freien Benutzungen darstellen, da sie naturgemäß zu sehr auf dem Ursprungswerk aufbauen und daher weder verblassen noch einen inneren Abstand wahren.522 Trat hingegen in einem nachgeschaffenen Werk der Protagonist nur auf523 oder wurde lediglich dessen Name genannt,524 war § 24 Abs. 1 UrhG a. F. anwendbar.525 Die Erscheinung der Fan Fiction war als freie Benutzung somit nur in Einzelfällen zulässig.526 Ob Memes oder GIFs als Parodie oder sonstige freie Benutzung zulässig waren, wurde höchstrichterlich nicht geklärt. Zwar zeichnen sich Memes und GIFs durch die direkte Übernahme von Werkteilen aus, sodass ein Verblassen wohl ausgeschieden wäre. Allerdings scheint es durchaus möglich, dass vor allem Memes im Einzelfall durch die Einhaltung eines inneren Abstands oder als Parodie hätten privilegiert werden können.527 Auch das Sampling hätte – wäre § 24 Abs. 1 UrhG a. F. nicht für unionsrechtswidrig erklärt worden528  – bei einer verfassungskonformen Auslegung je nach Einzelfall unter die freie Benutzung fallen können.529 Remixe wären hingegen mangels eines Verblassens und inneren Abstands sowie aufgrund des starren Melodienschutzes nach § 24 Abs. 2 UrhG a. F. in der Regel wohl nicht nach der freien Benutzung zulässig gewesen.530 Eine Privilegierung der Mashups nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F. wäre je nach den Umständen des Einzelfalls wohl denkbar ge-

Verfassung, S. 310–311; Hess, befürwortet dies für antithematische Parodien, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 161. Die Pasticheschranke wurde allerdings nicht durch § 24 UrhG a. F. umgesetzt, BGHZ 225, 222 Rn. 65 – Metall auf Metall IV. 522 Vgl. BGHZ 141, 267 (280–281) – Laras Tochter m. w. N. 523 Vgl. BGHZ 26, 52 (57) – Sherlock Holmes. 524 BGH GRUR 1958, 402 (404) – Lili Marleen. 525 Für eine sehr differenzierte Abgrenzung von freier Benutzung und abhängiger Bearbeitung bei der Nutzung der Figuren Asterix und Obelix in nachschaffenden Werken s. BGH GRUR 1994, 191 – Asterix-Persiflagen. 526 S. ausführlich für die Zulässigkeit der verschiedenen Erscheinungen von Fan Art nach § 24  UrhG a. F.: Summerer, Illegale Fans, S. 77–93. 527 Insbesondere nachdem der BGH die europäischen Vorgaben des Parodiebegriffs übernommen und somit keine antithematische Auseinandersetzung mehr verlangt hat. S. dazu (allerdings noch vor der Rechtsprechungsänderung): Maier, GRUR-Prax 2016, 397 (398), die die Anwendbarkeit der Parodieschranke auf Memes für möglich hält. Kritischer: Dobusch, Meme und Urheberrecht: Ohne Fair Use unversöhnt, abrufbar unter: www.irights.info/artikel/ meme-und-urheberrecht-ohne-fair-use-unversoehnt/27399 [zuletzt abgerufen am 16. 07. 2021]. Auch unter der neuen Rechtslage fehlt es bisher an höchstrichterlicher Rechtsprechung zur urheberrechtlichen Beurteilung von Memes. 528 Dazu unter B. VI. 529 Vgl. BVerfGE 142, 74 Rn. 110 – Metall auf Metall. 530 Dazu Pötzlberger, Kreatives Remixing, S. 178–182.

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wesen, insbesondere, wenn man auch hier eine „kunstspezifische Betrachtung“ zugrunde gelegt hätte.531 Der Grund für die Herausbildung der genannten Erscheinungen als typische Fallkonstellation lag darin, dass es sich um verbreitete Kunstformen handelt, bei denen die künstlerische Auseinandersetzung mit einem bestehenden Werk notwendiger Bestandteil des eigenen Schaffensprozesses ist. Aufgrund der Tatbestandsmerkmale, die sich nicht an einzelnen Werkgattungen, sondern vielmehr an dem Interessenausgleich von Urheber und Nutzer orientierten, war § 24 Abs. 1 UrhG a .F. grundsätzlich geeignet, auch neuartige künstlerische Nutzungsformen zu erfassen. Der Anwendungsbereich der freien Benutzung erstreckte sich aufgrund einer durch die Rechtsprechung gezogenen Analogie neben dem Urheberrecht im engeren Sinne auch auf Leistungsschutzrechte.532 c) Rechtsnatur der freien Benutzung – Schranke oder immanente Begrenzung des Urheberrechts? Die Rechtsnatur der freien Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F. war seit langem umstritten. Dazu trug auch eine missverständliche Äußerung des BGH533 bei. Denkbar ist die dogmatische Einordnung als immanente Begrenzung des Schutzbereichs des Urheberrechts oder als Schrankenregelung im Sinne der §§ 44a ff. UrhG.534 Die Frage nach der Rechtsnatur der freien Benutzung hat insbesondere für die Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem abschließenden Katalog der Ausnahmen und Beschränkungen in Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 InfoSoc-RL eine Rolle gespielt.535 Für die Einordnung des § 24 Abs. 1 UrhG a. F. als Schrankenregelung spricht dessen Ähnlichkeit im Hinblick auf die Funktion der §§ 44a ff. UrhG. Denn sowohl die freie Benutzung als auch die Schranken der §§ 44a ff. UrhG tragen zu einem gerechten Interessenausgleich von Urheber und der Allgemeinheit bei, welcher aufgrund der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG und der mit ihr verbundenen Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 Abs. 2 UrhG grundrechtlich geboten ist. Beide Rechtsinstitute begrenzen daher die ausschließlichen Rechte des Urhebers 531

Vgl. zur Zulässigkeit von Audio-Mashups nach § 24 UrhG a. F.: Gelke, Mashups im Urheberrecht, S. 167, 177. 532 Die Bedeutung der Kunstfreiheit für die Beschränkung von Leistungsschutzrechten ist jedoch nicht Teil dieser Arbeit, sodass eine nähere Erläuterung unterbleibt. 533 Dazu sogleich, Fn. 543. 534 Für die Einordnung als Schranke: Garloff, GRUR 2001, 476 (477); Stieper, ZUM 2009, 223 (224); differenzierter Dreier / Schulze / Schulze, UrhG § 24 Rn. 1, der § 24 Abs. 1 UrhG a. F. die Wirkung einer Schranke zuschreibt. Für die Einordnung als immanente Begrenzung des Schutzbereichs: Fn. 537 und 542. 535 Dazu unter B. VI.

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zugunsten des Interesses der Allgemeinheit, soweit bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.536 Überzeugender ist es jedoch, die freie Benutzung als immanente Begrenzung des Schutzbereichs einzuordnen.537 Denn sowohl die Historie als auch die Systematik legen ein solches Verständnis nahe. § 24 UrhG a. F. sollte den Regelungsgehalt der § 13 LUG und § 16 KUG in das Urheberrechtsgesetz übertragen.538 Beide Vorschriften waren nicht im Zusammenhang mit den Schrankenregelungen aufgeführt. Noch deutlicher war die systematische Einordnung der freien Benutzung durch den Gesetzgeber im Urheberrechtsgesetz. Während § 24 Abs. 1 UrhG a. F. in Abschnitt 4 (Inhalt des Urheberrechts), bei den Verwertungsrechten in Unterabschnitt 3 geregelt war, sind die Schranken des Urheberrechts ausdrücklich erst in den §§ 44a ff. UrhG in Abschnitt 6 zu finden. Die Zuordnung zu den Verwertungsrechten zeigt, dass die freie Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F. die Grenze des Schutzumfanges dieser Rechte festgesetzt hat.539 Es handelt sich genau genommen um eine Klarstellung. Ein selbständiges Werk darf frei verwertet werden, selbst wenn ein älteres Werk als Inspiration gedient hat. Auch der Regelungszusammenhang zur abhängigen Bearbeitung nach § 23 Abs. 1 und Abs. 2 UrhG a. F. (nun § 23 Abs. 2 UrhG) stützte dieses Verständnis. Danach reichen die Rechte des Urhebers soweit, dass die Veröffentlichung, Verwertung und für bestimmte Werkarten bereits das Herstellen einer Bearbeitung oder Umgestaltung unter dem Vorbehalt seiner Einwilligung stehen. Dort wo jedoch nicht mehr von einer Bearbeitung oder Umgestaltung gesprochen werden kann, sondern vielmehr ein eigenständiges Werk entstanden ist, enden die Rechte des Urhebers und § 24 Abs. 1 UrhG a. F. fand Anwendung. Typisches Charakteristikum der Schrankenregelungen ist es hingegen, bestehende Urheberrechte zu begrenzen. Dies war bei der freien Benutzung gerade nicht der Fall.540 Zudem verkürzen auch andere Vorschriften im Urheberrechtsgesetz die Rechte des Urhebers, ohne dass sie als Schrankenregelungen verstanden werden. Dazu gehört zum Beispiel die Schutzfrist nach § 64 UrhG, die den Schutz des Urheberrechts in zeitlicher Sicht auf 70 Jahre post mortem auctoris beschränkt.541 Auch der BGH stellte im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens im Rechtsstreit Metall auf Metall fest, dass die freie Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F.

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Wegmann, Der Rechtsgedanke der freien Benutzung, S. 157. So auch Chakraborty, Das Rechtsinstitut der freien Benutzung, S. 25; Wandtke / Bullinger /  Bullinger, UrhR, § 24 Rn. 1; Wegmann, Der Rechtsgedanke der freien Benutzung, S. 159; Schricker / Loewenheim / Schricker, § 24 Rn. 3. 538 Begründung des RegE eines Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, BT-Drs. IV/270, 51. 539 Diese Funktion übernimmt nun § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG. 540 Chakraborty, Das Rechtsinstitut der freien Benutzung, S. 26. 541 Fischer, Digitale Kunst und freie Benutzung, S. 208. 537

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

eine immanente Begrenzung des Schutzbereichs darstelle.542 Damit korrigierte er in gewisser Weise seine zu demselben Rechtsstreit ergangene missverständliche Aussage, dass es sich bei § 24 Abs. 1 UrhG a. F. „der Sache nach um eine, wenn auch an anderer Stelle des Urheberrechtsgesetzes geregelte Schranke“543 handele. Trotz dogmatischer Einordnung der freien Benutzung als Schutzbereichsbestimmung führte der BGH jedoch weiter aus, dass es sich bei § 24 Abs. 1 UrhG a. F. in ihrer Auslegung durch die deutsche Rechtsprechung um eine Schrankenregelung für die Nutzung von Werken oder sonstigen Schutzgegenständen zum Zwecke von Karikaturen und Parodien handelt.544 Damit verdeutlicht der BGH, dass die freie Benutzung nicht originär eine Schranke darstellt, die Rechtsprechung die Vorschrift mangels anderer passender Ausnahmeregelungen jedoch auch als solche nutzte. § 24 Abs. 1 UrhG a. F. verfolgte damit in der Praxis eine Doppelfunktion: Sie legte die Grenzen des Schutzbereichs fest und ermöglichte zugleich Ausnahmen vom Urheberrecht. Dieses Verständnis legten auch das Bundesjustizministerium und die Bundesregierung im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses des Zweiten Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes zugrunde.545 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass § 24 Abs. 1 UrhG a. F. originär eine immanente Begrenzung des Schutzbereichs darstellte, die durch die Rechtsprechung zugleich die Eigenschaft einer Schrankenregelung erhielt. Die freie Benutzung erfüllte in der Praxis damit die Funktion einer Schutzbereichsstimmung und die eines Ausnahmetatbestandes.546

542

BGH GRUR 2017, 895 Rn. 22, 27 und Vorlagefrage 3 – Metall auf Metall III. BGH GRUR 2009, 403 Rn. 21 – Metall auf Metall I. 544 BGH GRUR 2017, 895 Rn. 39 – Metall auf Metall III; BGHZ 225, 222 Rn. 61 – Metall auf Metall IV. Schon zuvor verfolgte der BGH im Hinblick auf die dogmatische Einordnung des § 24 Abs. 1 UrhG einen vorsichtigen und differenzierten Ansatz, wenn er feststellte, dass „die Parodie in ihrer Wirkung als Schutzschranke der Sache nach durch § 24 Abs. 1 UrhG in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung umgesetzt [wurde]“, BGHZ 211, 309 Rn. 24 – auf fett getrimmt. 545 DiskE des BMJV für ein Zweites Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes [Stand: 24. 06. 2020], 54. Ebenso der entsprechende RefE [Stand 02. 09. 2020], 81, abrufbar unter: www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Dokumente/RefE_Urheberrecht.pdf;jsessionid=26E0B753BC7F8C996E3AF5B14FD118B6.2_ cid297?__blob=publicationFile&v=7 [zuletzt abgerufen am 11. 11. 2021]; sowie die Begründung des RegE, BT-Drs. 19/27426, 55. 546 Ohly bezeichnet § 24 Abs. 1 UrhG daher als „Hybrid zwischen Schutzbereichsbestimmung und Schranke“, GRUR 2017, 964 (967). 543

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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d) Der Melodienschutz des § 24 Abs. 2 UrhG a. F. § 24 Abs. 2 UrhG a. F. nahm Werke der Musik, in welchen eine Melodie erkennbar dem ursprünglichen Werk entnommen worden war und einem neuen Werk zugrunde gelegt wurde vom Anwendungsbereich der freien Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F. aus. Gebrauchte ein nachschaffender Künstler die Melodie eines schutzfähigen Werkes, löste das Gesetz den Interessenkonflikt zugunsten des ursprünglichen Urhebers auf. Im Rahmen von § 24 Abs. 2 UrhG a. F. wurde unter einer Melodie eine geschlossene und geordnete Tonfolge verstanden, die dem Werk seine individuelle Prägung gibt.547 Dabei muss sich der individuelle und ästhetische Gehalt in der Melodie selbst ausdrücken.548 Sie ist von sehr kurzen Tonfolgen, sog. Motiven, abzugrenzen.549 Die Verwendung von sehr kurzen Sequenzen wie zum Beispiel beim Sampling konnte somit nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F. zulässig sein, ohne an § 24 Abs. 2 UrhG a. F. zu scheitern.550 Bei der Verwendung eines längeren Ausschnitts aus einem musikalischen Werk konnte sich der nachschaffende Künstler allenfalls auf das Musikzitat nach § 51 S. 2 Nr. 3 UrhG berufen.551 Dies setzt jedoch voraus, dass die betreffende Stelle der Musik einem Zitatzweck dient und dem Werk nicht im Sinne von § 24 Abs. 2 UrhG a. F. zugrunde gelegt wird.552 Eine Melodie als Werkleistung wird damit zunächst zugunsten ihres Urhebers monopolisiert. Dieser sog. starre Melodienschutz stieß seit seiner Genese auf Kritik. Vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich verbürgten Schutzes der Kunstfreiheit sei die Norm verfassungswidrig, da sie die Arbeit nachschaffender Künstler zu stark einschränke.553 Schon vor Inkrafttreten des Urheberrechtsgesetz 1966 war dem Gesetzgeber die Problematik des Melodienschutzes bewusst. Im Gesetzesentwurf der damaligen Bundesregierung war die Regelung deshalb ausdrücklich nicht enthalten, da der starre Schutz der Melodie dem künstlerischen Schaffen ungerechtfertigt 547 BGH GRUR 1988, 810 (811) – Fantasy; BGH GRUR 1988, 812 (814) – Ein bisschen Frieden. OLG München ZUM 2000, 408 (409) – Melodieentnahme. 548 BGH GRUR 1988, 810 (811) – Fantasy; BGH GRUR 1988, 812 (814) – Ein bisschen Frieden. 549 OLG München ZUM 2000, 408 (409) – Melodieentnahme. 550 Vgl. BGHZ 225, 222 Rn. 87 – Metall auf Metall IV. Bei sehr kurzen Sequenzen wird die Werkeigenschaft zudem fraglich sein, sodass es mangels urheberrechtlichen Schutzes oftmals keiner Ausnahmeregelung bedarf. Jedoch sind dann etwaige Leistungsschutzrechte zu berücksichtigen, auf die § 24 Abs. 1 UrhG a. F. entsprechende Anwendung fand, vgl. dazu a. a. O. Rn. 15–17. 551 Mit der Einführung der Pasticheschranke kommt auch diese für musikalische Nutzungen in Betracht, dazu unter B. III. 3. b) bb) (1), (4) und (5). 552 Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 S. 2 Nr. 3 Rn. 20; näher zu den Voraussetzungen des Musikzitats unter B. III. 2. b) bb). 553 So z. B. Schmieder, UFITA 93 (1982), 63 (69); Hess, fordert deshalb eine verfassungskonforme Auslegung insbes. für musikalische Parodien, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 168–171.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

enge Grenzen ziehe.554 Auch in der jüngeren Vergangenheit war § 24 Abs. 2 UrhG a. F. Kritik ausgesetzt. Insbesondere nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts, welches in der Metall auf Metall-Entscheidung die Berücksichtigung der Kunstfreiheit betonte, sei der starre Melodienschutz nicht mehr mit verfassungsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren.555 Im Rahmen von § 24 Abs. 2 UrhG a. F. waren jedoch auch die kollidierenden Grundrechte des ursprünglichen Urhebers zu berücksichtigen, der sich insbesondere auf sein Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG berufen kann.556 Deshalb wurde auch argumentiert, dass § 24 Abs. 2 UrhG a. F. als Ausdruck des grundrechtlich geschützten Eigentums erforderlich sei. Die Norm erfasse im Gegensatz zu § 51 S. 2 Nr. 3 UrhG vor allem die wirtschaftlich bedeutsamen Fälle von Bearbeitungen, an denen der Urheber partizipieren soll.557 Daher sei ein gerechter Interessenausgleich im Einzelfall durch eine verfassungskonforme Auslegung zu erzielen.558 Aus dieser ergebe sich z. B. nach Ansicht von Hess, dass § 24 Abs. 2 UrhG a. F. bei einer musikalischen Parodie nie Anwendung finden könne.559 Im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes entfiel der „starre Melodienschutz“ – die Nutzung einer Melodie sei regelmäßig als abhängige Bearbeitung zu bewerten.560 e) Die Entwicklung der Rechtsprechung zur freien Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F. vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit Die Rechtsprechung hat die Bedeutung und den Anwendungsbereich der freien Benutzung stark geprägt. Dies verdeutlichen die im Rahmen von § 24 Abs. 1 UrhG a. F. entwickelten Kriterien ebenso wie die Zuweisung der Schrankenfunktion. Mit der Verblassensformel und ihrer Modifikation durch die Abstandslehre hat der BGH einen praktikablen Weg gefunden, um die widerstreitenden Interessen von ursprünglichem Urheber und Werknutzer im Rahmen von § 24 Abs. 1 UrhG a. F. aufzulösen. Das flexible Kriterium des Verblassens verdeutlichte sinnbildlich, wann die Interessen der jeweiligen Partei überwogen. Durch die Ergänzung der Abstandslehre, nach der auch eine überwiegende Übernahme der Züge des älteren Werkes möglich war, sofern ein innerer Abstand zum neuen Werk ein 554 Begründung des RegE eines Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, BT-Drs. IV/270, 51. 555 Stieper, ZUM 2016, 637 (638); der schon zuvor kritisch war: Stieper, Schranken des Urheberrechts, S. 54. 556 Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 44–45. 557 So Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 304–305. 558 Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 305. 559 Dieses Ergebnis wird über eine enge Auslegung des Merkmals „zugrunde gelegt“ erreicht; Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 171. 560 Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 55.

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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gehalten wurde, hat sich der Anwendungsbereich der freien Benutzung mit der Zeit erweitert und damit der Kunstfreiheit der Werknutzer Rechnung getragen. Denn insbesondere bei den Kunstformen der Parodie und der Karikatur ist die Erkennbarkeit des genutzten Werkes unentbehrlich. Bei unveränderten Übernahmen legte der BGH jedoch einen besonders strengen Maßstab an.561 Dem von den Instanzgerichten verwendeten Merkmal der Erforderlichkeit der Übernahme der genutzten Werkausschnitte erteilte der BGH dennoch eine Absage.562 Unerheblich sei außerdem für das lange geforderte Kriterium der Selbständigkeit des jüngeren Werkes in Abgrenzung zu § 23 UrhG a. F., ob dieses geeignet und bestimmt sei das ältere zu ersetzen.563 Außerhalb des Urheberrechts liegende gesetzliche Regelungen waren im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens einer freien Benutzung bis zur Rechtsprechung des EuGH in Deckmyn und Vrijheidsfonds nicht zu berücksichtigen.564 Der EuGH stellte jedoch fest, dass im Rahmen des Eingreifens der Parodieschranke im Einzelfall andere Erwägungen, wie z. B. das Diskriminierungsverbot nach Art. 21 Abs. 1 GRCh zu beachten sei.565 Dies griff der BGH dahingehend auf, dass nicht jegliche Rechtsverletzungen Dritter für die Beurteilung einer Parodie als freie Benutzung eine Rolle spielen konnten, sondern nur solche bei denen der Urheber ein berechtigtes Interesse daran hat, dass sein Werk nicht mit der Rechtsverletzung in einen Zusammenhang gebracht wird.566 Diese Rechtsprechung wird zukünftig für die Auslegung von § 51a UrhG und auch für die Auslegung anderer Fälle der in Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 InfoSoc-RL geregelten Ausnahmen und Beschränkungen zu berücksichtigen sein. Weiterhin zeichnete sich die Rechtsprechung des BGH zu § 24 Abs. 1 UrhG a. F. durch eine sehr differenzierte Betrachtungsweise aus. So stellte das Gericht in der Pippi-Langstrumpf-Kostüm-Entscheidung fest, dass eine rein formelle Betrachtungsweise, die nur berücksichtige, ob ein Werk in eine andere Werkart übertragen wurde, nicht ausreiche, um eine freie Benutzung zu begründen.567 Ebenso konnten auch sog. Abstracts (kurze Textzusammenfassungen) nicht pauschal als unfreie Bearbeitung nach § 23 UrhG a. F. oder freie Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F. gewertet werden. Vielmehr sei eine Einzelfallentscheidung notwendig.568 Diese Herangehensweise verdeutlicht den Unterschied des § 24 Abs. 1 UrhG a. F. zu den in den §§ 44a ff. UrhG geregelten Schranken, bei denen Pauschalisierungen im

561 Vgl. BGH GRUR 1994, 191 (205, 206) – Asterix-Persiflagen; BGH GRUR 2000, 703 (704) – Mattscheibe m. w. N.; vgl. für Laufbilder: BGHZ 175, 135 Rn. 36 – TV Total. 562 BGH GRUR 2000, 703 (704) – Mattscheibe. 563 BGH GRUR 2011, 134 Rn. 45 – Perlentaucher. 564 BGH GRUR 2000, 703 (706) – Mattscheibe. 565 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 28–32 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 566 BGHZ 211, 309 Rn. 39 – auf fett getrimmt. 567 Dies ergebe sich aus § 23 S. 2 UrhG, BGH GRUR 2014, 258 Rn. 42 – Pippi Langstrumpf. 568 BGH GRUR 2011, 134 Rn. 72 – Perlentaucher.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Hinblick auf formelle Anforderungen wie zum Beispiel das Vorliegen eines Zitats in § 51 UrhG prägender sind. Obwohl der BGH lange Zeit den, strengen Maßstab betonte, der an das Vorliegen einer freien Benutzung zu stellen sei569 und auch das BVerfG § 24 Abs. 1 UrhG a. F. als eine enge Ausnahmereglung bezeichnete570, scheinen die Anforderungen über die Zeit zugunsten der Kunstfreiheit gesunken zu sein. Grund dafür ist zum einen die vom BVerfG geforderte kunstspezifische Betrachtungsweise571 und zum anderen der Einfluss unionsrechtlicher Vorgaben. Die vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG erforderliche kunstspezifische Betrachtung stärkt die Position der nachschaffenden Künstler und sorgte dafür, dass eine freie Benutzung bei einer künstlerischen Leistung häufiger anzunehmen war, als bei nicht künstlerischen Nutzungen.572 Dabei stellte die besondere Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens einer freien Benutzung keine Neuheit dar. Vielmehr stellte der BGH bereits in seiner Alcolix-Entscheidung heraus, dass vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit der Freiraum für anspruchsvolles, künstlerisches Schaffen nicht zu sehr eingeengt werden dürfe.573 Jedoch wurde die Rolle der Grundrechte und damit auch der Kunstfreiheit in jüngeren Entscheidungen häufiger hervorgehoben und gewann damit an Präsenz.574 Auch die Aufhebung der Metall auf Metall-Entscheidung durch das BVerfG575 führte zu einer Stärkung der Kunstfreiheit im Rahmen von § 24 Abs. 1  UrhG a. F.576 Doch nicht nur die nationalrechtlichen Vorgaben sorgten

569 Insbesondere bei der direkten Übernahme von Werken oder Werkteilen, die bei Paro­dien häufig sind: BGH GRUR 1971, 588 (589) – Disney-Parodie; BGH GRUR 1981, 267 (269) – Dirlada; besonders streng für die Fälle des inneren Abstands: BGH GRUR 1994, 191 (193, 205, 206) – Asterix-Persiflagen; BGHZ 122, 53 (61) – Alcolix; vgl. BGH GRUR 2000, 703 (704) – Mattscheibe; BGHZ 154, 260 (268) – Gies Adler; vgl. BGHZ 175, 135 Rn. 36 – TV Total. 570 BVerfGE 142, 74 Rn. 79 – Metall auf Metall. 571 BVerfG GRUR 149 (151) – Germania 3; BVerfGE 119, 1 (27) – Roman „Esra“; BVerfGE 142, 74 Rn. 85 – Metall auf Metall. 572 BVerfG GRUR 149 (151) – Germania 3; BVerfGE 142, 74 Rn. 86 – Metall auf Metall. 573 Deshalb sei die Beurteilung über das Vorliegen einer freien Benutzung von jemandem zu treffen, der das für das neue Werk notwendige intellektuelle Verständnis besitzt, BGHZ 122, 53 (62) – Alcolix; vgl. auch: BGH GRUR 1971, 588 (589) – Disney-Parodie. Vgl. ebenso BGH GRUR 2000, 703 (706) – Mattscheibe. 574 Vgl. BGHZ 175, 135 Rn. 38, 44 – TV-Total; BGH GRUR 2000, 703 (706) – Mattscheibe; BGHZ 211, 309 Rn. 33 – auf fett getrimmt; BGH GRUR 2013, 614 Rn. 41, 49, 52. – Metall auf Metall II. 575 BVerfGE 142, 74 – Metall auf Metall. 576 Zu beachten ist jedoch, dass in diesem Rechtsstreit der Kunstfreiheit nicht das Urheberrecht im engeren Sinne, sondern die Leistungsschutzrechte des Tonträgerherstellers gegenüberstehen. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts auf das Urheberrecht übertragbar sind. Der BGH hatte eine entsprechende Anwendung des § 24 Abs. 1 UrhG auf das Leistungsschutzrecht von der zusätzlichen Voraussetzung abhängig machen wollen, dass der Nutzer das Sample selbst nicht einspielen kann, BGH GRUR 2009, 403 (405) – Metall auf Metall I; BGH GRUR 2013, 614 Rn. 13 – Metall auf Metall II.

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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für eine tendenziell kunstfreiheitsfreundliche Entwicklung der freien Benutzung. Hinsichtlich der Parodie und der Karikatur hat auch das Unionsrecht den Anwendungsbereich des § 24 Abs. 1 UrhG a. F. zugunsten der Kunstfreiheit nachschaffender Nutzer ausgeweitet. Durch die harmonisierende Wirkung der InfoSoc-RL durften bei der Beurteilung, ob eine Parodie oder Karikatur als freie Benutzung zu werten sind, nur die in Art. 5 Abs.  3 lit. k) InfoSoc-RL genannten Kriterien herangezogen werden. Somit entfiel für diese Werkarten das Erfordernis der Schaffung einer neuen persönlichen Schöpfung im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG.577 Zudem sind die unionsrechtlichen Anforderungen an das Vorliegen einer Parodie vergleichsweise gering.578 Zugleich schränkten die unionsrechtlichen Vorgaben den Anwendungsbereich von § 24 Abs. 1 UrhG a. F. jedoch auch ein. Denn die freie Benutzung durfte keine Ausnahmen mehr erfassen, die nicht auch in dem Schrankenkatalog der InfoSoc-RL vorgesehen sind. Mangels entsprechender gesetzgeberischer Entscheidung konnte auch die Beschränkung zugunsten von Pastiches in Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL nicht über § 24 Abs. 1 UrhG a. F. Anwendung finden.579 Deshalb hat die unionsrechtskonforme Auslegung den Anwendungsbereich der freien Benutzung im Wesentlichen auf Parodien und Karikaturen begrenzt. Insbesondere für künstlerisch-musikalische Nutzungen konnte § 24 UrhG a. F. keine Anwendung mehr finden, wenn es sich nicht um eine musikalische Parodie handelte. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Rechtsprechung des BGH im Rahmen von § 24 Abs. 1 UrhG a. F. seit Inkrafttreten des Urheberrechtsgesetzes 1966 insgesamt als ausgeglichen gewertet werden kann. Eine drastische Entwicklung in der Auslegung der Norm zugunsten der Urheber oder der Nutzer ist nicht zu verzeichnen. Jedoch lässt sich in den letzten Jahren eine kunstfreiheitsfreundliche Tendenz beobachten, die dem Freiraum nachschaffender Künstler und neuen künstlerischen Erscheinungsformen Rechnung trägt. Durch die erforderlich gewordene unionsrechtskonforme Auslegung wurde der Anwendungsbereich des § 24 Abs. 1 UrhG a. F. zugunsten der Nutzungen von Parodien und Karikaturen geweitet, für alle anderen Fälle künstlerischer Nutzungen jedoch eingeschränkt. Als Schrankengeneralklausel580 konnte sie jedenfalls keine Anwendung mehr finden. Insbesondere die Erfassung referenzieller musikalischer Nutzungen, wie z. B. Mashups oder dem Sampling konnte von einem unionsrechtskonform ausgelegten und zugleich den Willen des deutschen Gesetzgebers berücksichtigenden § 24 UrhG a. F. nicht privilegiert werden.

577

BGHZ 211, 309 Rn. 28 – auf fett getrimmt. Dazu unter B. II. 1. b) bb) (1). 579 Vgl. BGHZ 225, 222 Rn. 65 – Metall auf Metall IV. 580 Der Begriff wird in unterschiedlichen Zusammenhängen von einigen Stimmen in der Literatur gebraucht, z. B. von Kleinemenke, Fair Use, S. 56 zur Beschreibung der Regelungstechnik der US-amerikanischen Fair Use-Vorschrift; im Zusammenhang mit der Pasticheschranke, v. Welser, GRUR Prax 2021, 463 (465); Schack, GRUR 2021, 904 (906). 578

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

2. Das Zitatrecht nach § 51 UrhG Bei dem Zitatrecht nach § 51 UrhG handelt es sich unbestritten um eine Beschränkung der Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers, die sich in den Schrankenkatalog der §§ 44a ff. UrhG einreiht. In erster Linie trägt die Regelung dabei der nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit Rechnung581, indem sie die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes ohne Einwilligung des Urhebers zum Zweck des Zitats ermöglicht. Jedoch ist die Beschränkung auch für erlaubnisfreie künstlerische Werknutzungen in Betracht zu ziehen.582 Damit ist sie zugleich als Ausdruck der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zu verstehen und deshalb an dieser Stelle zu untersuchen. Von der Untersuchung ausgeschlossen soll jedoch das Regelbeispiel des in § 51 S. 2 Nr. 1 UrhG normierten Großzitats bleiben. Dies dient nämlich ausschließlich der Nutzung für die Schöpfung eines neuen wissenschaftlichen und nicht künstlerischen Werkes. Bei Sprachwerken oder Werken der Musik ist jedoch eine künstlerische Nutzung in Form des Kunstzitats denkbar, sodass im Folgenden neben der Generalklausel des § 51 S. 1 UrhG auch die Regelbeispiele des § 51 S. 2 Nr. 2 und Nr. 3 UrhG als einfachgesetzlicher Ausdruck der Kunstfreiheit untersucht werden sollen. a) Voraussetzungen des Zitatrechts Gem. § 51 S. 1 UrhG ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats zulässig, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. Die Generalklausel setzt seit 2008 die unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL um. Zuvor bestand das Zitatrecht aus drei einzelnen Ausnahmetatbeständen, welche nun als Regelbeispiele in § 51 S. 2 Nr. 1–3 UrhG aufgeführt sind. Ihre Beibehaltung soll verdeutlichen, dass auch die bisher zulässigen Nutzungen weiterhin möglich bleiben und die Generalklausel das Zitatrecht lediglich vorsichtig erweitert.583 Im Folgenden werden zunächst die allgemeinen Voraussetzungen des Zitatrechts nach § 51 S. 1 UrhG (aa – dd) dargestellt. Anschließend erfolgt eine Betrachtung der Besonderheiten des Kleinzitats nach § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG (ee) sowie des Musik­ zitats nach § 51 S. 2 Nr. 3 UrhG (ff). 581

So auch Stieper, Schranken des Urheberrechts, S. 48 m. w. N. Dazu Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 52 m. w. N. und 136 ff., der § 51 UrhG als Schrankenregelung zugunsten der Parodie untersucht; in der Begründung des RegE eines Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, BT-Drs. IV/270, 31 wird § 51 UrhG gemeinsam mit § 24 UrhG a. F. unter der Überschrift „Freiheit des geistigen Schaffens“ genannt, unter das auch künstlerisches Schaffen fallen kann. 583 Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/1828, 25; zu den Vorteilen des reformierten Zitatrechts s. Rehse, Ungeschriebene Schranken, S. 43. 582

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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aa) Veröffentlichtes Werk im Sinne des § 51 S. 1 UrhG Erste Voraussetzung für das Eingreifen der Schranke des § 51 S. 1 UrhG zugunsten des Zitierenden ist, dass das zitierte Werk im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG584 gem. § 6 Abs. 1 UrhG veröffentlicht wurde. Dies erfordert, dass das Werk mit Zustimmung des Berechtigten in seiner konkreten Gestalt585 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.586 bb) Zitatzweck nach § 51 S. 1 UrhG Der gem. § 51 S. 1 UrhG erforderliche Zitatzweck unterliegt allgemeinen Voraussetzungen und liegt regelmäßig in der Nutzung des Zitats zur Erörterung oder zum Beleg der eigenen Ausführungen des Zitierenden (1). Allerdings ist unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG auch die Nutzung des Zitats zum Zweck der künstlerischen Gestaltung zulässig (2). (1) Allgemeine Voraussetzungen des Zitatzwecks: Das Zitat als Erörterungsgrundlage, Beleg und Mittel der Auseinandersetzung Der Zitatzweck stellt die entscheidende Voraussetzung für ein von § 51 S. 1 UrhG gedecktes Zitat dar.587 Er beeinflusst auch den zulässigen Umfang des Zitats.588 Für das Großzitat nach § 51 S. 1 Nr. 1 UrhG hat der Gesetzgeber den Zitatzweck konkretisiert. Dort ist die Aufnahme eines Werkes zur Erläuterung des Inhalts möglich. Für alle anderen, insbesondere auch künstlerischen Werkarten hat die Rechtsprechung die Voraussetzungen des Zitatzwecks näher bestimmt. Allgemeines Erfordernis des Zitatzwecks ist danach eine innere Verbindung zwischen dem entlehnten Werk und den Ausführungen des Zitierenden.589 Im Rahmen dieser Ver 584

Das Zitieren eines Objektes, das kein Werk i. S. d. § 2 Abs. 2 UrhG darstellt, ist aus urheberrechtlicher Sicht von vornherein zulässig, sodass es der Ausnahmeregelung des § 51 S. 1 UrhG nicht Bedarf. 585 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 95 – Spiegel Online; BGH GRUR 2020, 859 Rn. 96 – Reformistischer Aufbruch II. 586 Vgl. dazu B. II. 2. b) cc). 587 BGHZ 85, 1 (10–11) – Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe I; BGH GRUR 2020, 859 Rn. 82 – Reformistischer Aufbruch II; so auch: Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 Rn.  3; Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 3; vgl. dazu BGHZ 185, 291 Rn. 25 – Vorschaubilder; BGH GRUR 2016, 368 Rn. 25 – Exklusivinterview. 588 BGH GRUR 1986, 59 (60)  – Geistchristentum m. w. N.; BGHZ 50, 147 (150–151)  – Kandinsky. 589 BGH GRUR 1987, 362 (364) – Filmzitat; BGHZ 175, 135 Rn. 42 – TV-Total; BGHZ 185, 291 Rn. 26 – Vorschaubilder; BGH GRUR 2016, 368 Rn. 25 – Exklusivinterview; ebenso bereits für die Vorgängernorm: BGHZ 28, 234 (240) – Verkehrs-Kinderlied m. w. N.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

bindung reicht es aus, dass das verwendete Werk die Erörterungsgrundlage oder den Beleg590 für die selbständigen Leistungen des Nutzers bildet und damit eine geistige Auseinandersetzung ermöglicht.591 Dabei ist eine Auseinandersetzung in erheblichem Umfang nicht erforderlich.592 Wird das Werk lediglich zusammenhangslos eingefügt, angehängt oder zur Illustration verwendet ist das Vorliegen einer inneren Verbindung jedoch abzulehnen.593 Auch darf ein Werk nicht bloß seiner selbst willen zur Kenntnis der Allgemeinheit gebracht594 oder lediglich dessen Zugangsmöglichkeit erleichtert werden.595 Jedenfalls aufgrund einer unionsrechtkonformen Auslegung, kann es bei der Beurteilung einer inneren Verbindung jedoch nicht darauf ankommen, dass das entlehnte Werk untrennbar mit dem zitierenden Medium verbunden ist. Somit kann ein Zitat auch vorliegen, wenn das in Bezug genommene Werk verlinkt wurde.596 Zudem ist unter Berücksichtigung des Unionsrechts auch die inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einem dritten Bezugsgegenstand als Zitatzweck anzuerkennen.597 Die Anführung des Werks oder Werkteils muss nicht ausschließlich den Zitat­ zweck verfolgen, dieser muss jedoch gegenüber anderen, wie zum Beispiel Schmuckzwecken überwiegen.598 Im Rahmen der Beurteilung über das Vorliegen des Zitatzwecks sind sowohl wirtschaftliche als auch ideelle Interessen des Urhebers des Ausgangswerks zu berücksichtigen.599 Grundvoraussetzung für den spezifischen Zitatzweck ist, dass das Zitat als fremde Leistung erkennbar ist.600 Bei Sprachwerken ergibt sich dies in der Regel durch Anführungszeichen oder sonstige Kennzeichnungen. Im Rahmen des Musikzitats muss es ausreichen, dass die zitierte Passage aufgrund ihrer Bekanntheit 590

Für weitere klassische Funktionen des Zitats s.: Reiners, Stilkunst, S. 678–687. BGH GRUR 1986, 59 (60)  – Geistchristentum m. w. N.; BGHZ 185, 291 Rn. 26  – Vorschaubilder. 592 BGH GRUR 2016, 368 Rn. 31  – Exklusivinterview; BGH GRUR 2020, 859 Rn. 88  – Reformistischer Aufbruch II. 593 BGHZ 175, 135 Rn. 42 – TV-Total m. w. N.; BGH GRUR 2012, 819 Rn. 28 – Blühende Landschaften m. w. N.; BGH GRUR 2016, 368 Rn. 25 – Exklusivinterview; BGH GRUR 2020, 859 Rn. 82 – Reformistischer Aufbruch II; BGH GRUR 2017, 1027 Rn. 55 – Reformistischer Aufbruch I. 594 BGH GRUR 2012, 819 Rn. 28 – Blühende Landschaften. 595 BGHZ 185, 291 Rn. 26  – Vorschaubilder m. w. N.; BGH GRUR 2019, 284 Rn. 31  – Museumsfotos. 596 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 80 – Spiegel Online. 597 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 71 – Pelham u. a. 598 Vgl. BGHZ 50, 147 (151) – Kandinsky mit Bezugnahme auf RGZ 130, 196, 207 – Codex aureus; Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 Rn. 5 m. w. N. 599 Vgl. BGHZ 50, 147 (153) – Kandinsky; BGH GRUR 1973, 216 (218) – Handbuch moderner Zitate; KG GRUR-RR 2002, 313 (315) – Das Leben, dieser Augenblick. 600 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 74 – Pelham u. a.; vgl. BGH GRUR 2020, 843 Rn. 54–55 m. w. N.; Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 Rn. 5 m. w. N.; Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 3 m. w. N. 591

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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als Werk eines Dritten zu erkennen ist.601 Erfüllt das Zitat diese Voraussetzungen nicht und stellt der Zitierende seine Entlehnung als eigene Leistung dar, liegt ein Plagiat vor.602 Die selbständige Zusammenfassung von Sachverhalten liegt nicht im Anwendungsbereich des § 51 UrhG, da dort bereits keine Vervielfältigung des entlehnten Werkes stattfindet.603 (2) Kunstspezifische Betrachtung des Zitatzwecks: Das Zitat als Mittel künstlerischen Ausdrucks und künstlerischer Gestaltung Der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG kommt bei der Auslegung des Zitatrechts eine besondere Rolle zu. Sie gebietet bei der Anführung eines Werkes im Rahmen einer künstlerischen Leistung eine kunstspezifische Betrachtung.604 Diese führt dazu, dass eine Anwendung des § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG auch dann möglich ist, wenn der Zitierende die angeführten Stellen als Mittel künstlerischen Ausdrucks und künstlerischer Gestaltung verwendet ohne dabei die Belegfunktion zu erfüllen.605 Denn die künstlerische Verarbeitung fremder Texte geht nicht zwingendermaßen mit einer kritischen Auseinandersetzung einher.606 Jedoch erfordert es die Kunstfreiheit des Nutzers in Abwägung mit den Interessen des Urhebers, dass auch eine rein künstlerische Benutzung in Form des Zitats zulässig sein muss. Deshalb ist in Fällen der künstlerischen Verwendung des Zitats maßgeblich, ob das zitierte Werk „sich funktional in die künstlerische Gestaltung und Intention“ des zitierenden Kunstwerks „einfügt und damit als integraler Bestandteil einer eigenständigen künstlerischen Aussage erscheint.“607 Die Beurteilung erfordert daher zwingend eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem zitierten Werk, dem zitierenden Medium und vor allem der Funktion des Zitats im konkreten Einzelfall. Eine rein formale Betrachtung, die auf die Verwendung des Zitats als ein bestimmtes Stilmittel, wie das der Collage abstellt, ist hingegen für die Beurteilung ihrer künstlerischen Bedeutung nicht ausreichend.608

601

Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 Rn. 5 m. w. N. Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 3. 603 Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 3 m. w. N. Für den Sonderfall eines Zitats, das wiederum selbst ein Zitat enthält, s. a. a. O. Rn. 4. 604 BVerfG GRUR 2001, 149 (151) – Germania 3; BGH GRUR 2012, 819 Rn. 14 – Blühende Landschaften. 605 BVerfG GRUR 2001, 149, (151) – Germania 3; BGH GRUR 2012, 819, Rn. 14 – Blühende Landschaften. Eine innere Verbindung zwischen zitiertem Werk und dem zitierenden Objekt ist jedoch weiterhin erforderlich, BGH GRUR 2012, 819, Rn. 22, 27 – Blühende Landschaften. 606 BVerfG GRUR 2001, 149 (152) – Germania 3. 607 BVerfG GRUR 2001, 149 (152) – Germania 3. 608 BVerfG GRUR 2001, 149 (152) – Germania 3. 602

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Die gleichen Maßstäbe gelten für die Einordnung des zitierenden Mediums: Allein die Verwendung eines künstlerischen Stilmittels reicht für die Annahme eines Kunstwerkes im Sinne von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und einer damit verbundenen erweiterten Auslegung nicht aus. Vielmehr muss auch aus materieller Sicht ein Kunstwerk im Sinne eines Ergebnisses freier schöpferischer Gestaltung vorliegen.609 Die schlichte Zusammenstellung von Tagebuchberichten, Licht­ bildern und Zeitungsartikeln als literarische Collage erfüllt diese Anforderungen nicht.610 Die kunstspezifische Betrachtung führt dazu, dass der Anwendungsbereich der Zitierfreiheit bei künstlerischen Nutzungen weiter reicht als bei nicht künstle­ rischen Nutzungen.611 Damit nimmt die Kunstfreiheit eine Sonderstellung ein, denn weder der technische Fortschritt in Form der Informationsvermittlung im Internet noch die Informations-, Kommunikations- oder Gewerbefreiheit können eine erweiternde Auslegung von § 51 UrhG ermöglichen,612 sodass z. B. Vorschaubilder einer Suchmaschine (sog. Thumbnails) mangels innerer Verbindung den erforderlichen Zitatzweck nicht erfüllen.613 cc) Umfang des Zitats nach § 51 S. 1 UrhG Der erlaubte Umfang des Zitats ist weitgehend vom Zitatzweck abhängig.614 Nach dem Wortlaut des § 51 S. 2 Nr. 1 UrhG dürfen in einem Sprachwerk „Stellen“ bzw. nach § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG in einem Werk der Musik „einzelne Stellen“ angeführt werden. Diese Regelungen sind jedoch seit dem Zweiten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft als Regelbeispiele ausgestaltet615, sodass sie keine abschließende Vorgabe darstellen. Sie können aber als Indiz für die Zulässigkeit einer Nutzung herangezogen werden. Danach ermöglicht § 51 UrhG grundsätzlich nur die Anführung kurzer Ausschnitte, ausnahmsweise kann die Zitierfreiheit aber auch längere Übernahmen decken.616 Unter Umständen kann sogar die Anführung mehrseitiger Dokumente zulässig sein.617 Starre arithmetische Grenzen bestehen bei der Beurteilung über den zulässigen Umfang

609

BGH GRUR 2012, 819 Rn. 18 – Blühende Landschaften m. w. N. BGH GRUR 2012, 819 Rn. 18 ff. – Blühende Landschaften. 611 Vgl. BVerfG GRUR 2001, 149 (151)  – Germania 3; BGH GRUR 2012, 819 Rn. 14  – Blühende Landschaften. 612 BGHZ 185, 291 Rn. 27 – Vorschaubilder. 613 Vgl. BGHZ 185, 291 Rn. 27 – Vorschaubilder. 614 Dazu bereits B. III. 2. a) bb). 615 Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/1828, 25. 616 Vgl. BGH GRUR 1986, 59 (59–60) – Geistchristentum. 617 Vgl. BGH GRUR 2020, 859 – Reformistischer Aufbruch II. 610

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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nicht618, vielmehr ist eine Einzelfallabwägung maßgeblich, bei der vor allem das Verhältnis des zitierten zum anführenden Werk zu berücksichtigen ist.619 Dabei gilt es auch die Interessen des Urhebers des Originalwerks zu achten.620 Insbesondere darf es nicht zu einer unangemessenen Beeinträchtigung oder gar Substituierung des Ausgangswerkes kommen.621 In die Interessenabwägung können auch andere Aspekte des jeweiligen Einzelfalls, wie bspw. die Art der Zugänglichmachung des zitierenden Mediums einfließen.622 Überschreitet der Umfang den gebotenen Zitatzweck, ist das Zitat als Gesamtheit rechtswidrig, auch wenn einzelne Teile oder eine reduzierte Nutzung von § 51 UrhG umfasst wären.623 Der Mindestumfang eines Zitats ergibt sich aus seiner Erkennbarkeit.624 Die für den Zitatzweck erforderliche Interaktion ist nämlich nur möglich, wenn das zitierte Werk sich von dem zitierenden Medium abhebt und als fremder Gedanke hervortritt. Andernfalls kann von vornherein nicht von einem Zitat gesprochen werden.625 Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Zulässigkeit des Zitatumfangs von dem Ausgang einer Einzelfallabwägung abhängt, in welcher die grundrechtlich geschützten Positionen von dem Urheber des Ausgangswerks und des Zitierenden zu berücksichtigen sind. Während für die Interessen des Urhebers, die insbesondere regelmäßig das Interesse an einer allenfalls geringfügigen Nutzung enthalten, Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG streiten, kann sich der Nutzer in der Regel auf die Meinungs-, Wissenschafts- oder Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 GG berufen, welche für die Zulässigkeit einer großzügigen Übernahme sprechen können. Durch die sehr offene Formulierung des § 51 S. 1 UrhG genießt die Rechtsprechung im Rahmen der Abwägung großen Auslegungsspielraum, sodass sämtliche Besonderheiten des Einzelfalls einbezogen werden können.

618

BGH GRUR 1986, 59 (60) – Geistchristentum; BGHZ 50, 147 (158) – Kandinsky; BGH GRUR 1987, 362 (364) – Filmzitat; noch zu der Vorgängernorm § 19 Abs. 1 Nr. 1 LUG: BGHZ 28, 234 (242) – Verkehrs-Kinderlied. 619 BGH GRUR 1986, 59 (59–60)  – Geistchristentum; noch zur Vorgängernorm des § 19 Abs. 1 Nr. 1 LUG: BGHZ 28, 234 (242) – Verkehrs-Kinderlied m. w. N. 620 Vgl. BGHZ 28, 234 (242–243) – Verkehrs-Kinderlied. 621 Vgl. BGHZ 28, 234 (243) – Verkehrs-Kinderlied m. w. N.; vgl. BGH GRUR 1987, 362 (364) – Filmzitat; BGH GRUR 2016, 368 Rn. 33 – Exklusivinterview m. w. N. 622 Welche jedoch wiederum auch Einfluss auf die Verwertungsmöglichkeiten des Originalurhebers hat, dazu LG München I GRUR-RR 2006, 7 (8) – Karl Valentin. 623 BGH GRUR 2012, 819 Rn. 29 – Blühende Landschaften m. w. N. 624 So bereits Hertin, GRUR 1989, 159 (162, 165); Lissa, Ästhetische Funktionen des musikalischen Zitats, S. 365–366. 625 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 73–74 – Pelham u. a.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

dd) Zitierendes Medium im Rahmen des § 51 S. 1 UrhG Bis zur Entscheidung des EuGH in der Sache Painer, verlangte der BGH in ständiger Rechtsprechung für das Eingreifen des Zitatrechtes, dass das Zitat in einem selbständig geschützten Werk im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG angeführt wird.626 Der EuGH stellte jedoch fest, dass Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL eine dahingehende Vorgabe nicht treffe, da sie für den angestrebten Interessenausgleich zwischen Werknutzer und Urheber bedeutungslos sei.627 Eine richtlinienkonforme Auslegung gebietet es daher, die Beschränkung des § 51 S. 1 UrhG auch anzuwenden, wenn das zitierende Medium selbst kein urheberrechtlich schutzfähiges Werk darstellt. Da die Generalklausel des § 51 S. 1 UrhG das Kriterium der Selbständigkeit ohnehin nicht nennt, bedurfte es nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers keiner neuen Regelung.628 Die Literatur will an dem Merkmal der Selbständigkeit festhalten, ohne dabei jedoch ein urheberrechtsfähiges Werk zu fordern.629 Denn „Selbständigkeit“ umfasse unter anderem auch, dass das zitierende Werk urheberrechtlich unabhängig sei und sich nicht als Bearbeitung oder sonstige Umgestaltung im Sinne des § 23 UrhG darstelle.630 Weiterhin wird als Bedingung für die Selbständigkeit gefordert, dass der Schwerpunkt auf der geistigen Leistung des Zitierenden liegt.631 Aus der Rechtsprechung des BGH ergibt sich nicht eindeutig, ob sich dieser Prüfungspunkt auf das Erfordernis eines schutzfähigen Werkes beschränkt oder ob darüber hinaus eine anders geartete Selbständigkeit beispielsweise in Form der Unabhängigkeit notwendige Voraussetzung des Zitatrechts ist. So stellte der BGH fest, dass aus dem Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung in Form eines Sammelwerkes im Sinne von § 4 UrhG nicht der Schluss gezogen werden könne, dass das Werk auch 626 Vgl. BGH GRUR 1973, 216 (217) – Handbuch moderner Zitate; BGH GRUR 1987, 362 (363) – Filmzitat; BGHZ 126, 313 (320) – Museumskatalog; nicht ganz eindeutig: BGHZ 185, 291 Rn. 26 – Vorschaubilder; wohl anders noch: BGH GRUR 1986, 59 – Geistchristentum; s. auch OLG Hamburg GRUR 1970, 38 (39)  – Heintje; im Rahmen der Vorgängernorm § 19 LUG differenzierte der BGH nach Art des Zitats, BGHZ 28, 234 (239)  – Verkehrs-­ Kinderlied. 627 EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 136–137 – Painer. 628 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (UrhWissG), BT-Drs. 18/12329, 32. 629 Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 51 Rn. 47; Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 Rn.  8; Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 7; Fromm / Nordemann / Dustmann, UrhR, § 51 Rn. 19. 630 So allerdings noch zur alten Rechtslage: BGHZ 126, 313 (320)  – Museumskatalog; Vgl. auch Waiblinger, UFITA 2011/II, 323 (410–411) m. w. N. Zum modifizierten Merkmal der Selbständigkeit ohne Erfordernis des Werkcharakters: Steinbeck, FS Bornkamm, S. 977 (984) m. w. N. 631 Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 51 Rn. 48 m. w. N.; Fromm / Nordemann / Dustmann, UrhR, § 51 Rn. 20: das Zitat darf also nur eine „untergeordnete Rolle“ aufweisen; Dreier / ​ Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 7, der nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch nicht mehr an diesem Merkmal festhalten will.

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selbständig im Sinne des § 51 UrhG sei.632 Dies spricht für eine Interpretation, bei der sich die Beurteilung der Selbständigkeit des Werkes nicht in der Prüfung der Werkvoraussetzungen erschöpft. Auch in den Entscheidungen Geistchristentum633 und Museumskatalog634 schien der BGH neben dem Vorliegen einer eigenen geistigen Schöpfung weitere Kriterien für die Selbständigkeit der Nutzung maßgeblich zu halten.635 Festzuhalten ist jedoch, dass jedenfalls vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 3 lit. d)  InfoSoc-RL auch eine von den Werkvoraussetzungen unabhängige Prüfung des Merkmals der Selbständigkeit wohl unzulässig ist.636 Will man reine Zitatensammlungen von dem Schutz der Zitierfreiheit ausschließen637, so könnte man dies über eine engere, unionsrechtskonforme Auslegung des Zitatzweckes erreichen. Denn eine reine Zitatensammlung, die Zitate um ihrer selbst willen preisgibt, ist mit den in Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL genannten Zwecken der Kritik oder Rezension nicht vergleichbar.638 Ein Ausschluss dieser Erscheinungsform über das Merkmal des „Anführens“ scheint nicht sachgerecht, da auch dieses keine Entsprechung in Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL findet. ee) Besonderheiten des Kleinzitat nach § 51 Nr. 2 UrhG Das sog. Kleinzitat nach § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG ist seit dem Zweiten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft639 als Regelbeispiel ausgestaltet. Die danach zulässigen Nutzungen können somit als Maßstab für die Anwendung der Generalklausel dienen, regeln die Nutzungsmöglichkeiten jedoch nicht abschließend. Weitergehende Nutzungen können über § 51 S. 1 UrhG erfasst 632

BGH GRUR 1973, 216 (217) – Handbuch moderner Zitate. Ob die Zitatsammlung ein „selbständiges“ Sprachwerk im Sinne des § 51 Nr. 1 UrhG darstellte lies der BGH jedoch offen, da bei einer bloßen Sammlung jedenfalls nicht von einem „anführen“ in einem selbständigen Werk gesprochen werden könne. 633 Dazu BGH GRUR 1986, 59 – Geistchristentum. 634 BGHZ 126, 313 (320) – Museumskatalog. 635 Zuletzt weniger eindeutig: BGH GRUR 2020, 859 Rn. 82 – Reformistischer Aufbruch II; BGHZ 225, 222 Rn. 53 – Metall auf Metall IV. 636 Dies anerkennend für die Forderung des Überwiegens der geistigen Leistung des Zitierenden, Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 52 Rn. 7; Weiterhin daran festhaltend hingegen: Schricker / Loewenheim / Spindler, § 51 Rn. 48. m. w. N. Für die Zulässigkeit der Beibehaltung dieses Kriteriums könnte hingegen der Umsetzungsspielraum sprechen, der den Mitgliedstaaten nach Auffassung des EuGH nicht nur im Hinblick auf den Zitatzweck, sondern auch im Rahmen der Berücksichtigung des Kriteriums „der anständigen Gepflogenheiten“ zusteht, B. II. 2. b) ee). Nach dem Wortlaut sind unter dem Kriterium der anständigen Gepflogenheiten jedoch eher formelle Anforderungen an die Art und Weise der Nutzung des Zitats zu verstehen. 637 So verstand die Rechtsprechung bisher den Willen des Gesetzgebers, der den Ausnahmetatbestand zugunsten von Sammlungen in § 19 Abs. 4 LUG nicht in das Urheberrechtsgesetz übernahm, s. BGH GRUR 1973, 216 (218) – Handbuch moderner Zitate. 638 Ähnlich auch schon BGH GRUR 1973, 216 (218) – Handbuch moderner Zitate, der im Rahmen des „Anführens“ den erforderlichen Zitatzweck ablehnte. 639 BGBl 2007 I Nr. 54, S. 2513.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

werden. Aufgrund der ehemaligen Ausgestaltung als Ausnahmetatbestand existiert reichlich konkretisierende Rechtsprechung, die unter Berücksichtigung vorrangigen Unionsrechts und der neuen Systematik weiterhin zu beachten ist. Nach dem Wortlaut des § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG ist insbesondere das Anführen von Stellen eines Werkes nach der Veröffentlichung in einem selbständigen Sprachwerk zulässig. Dabei ist das „in“ nicht so eng zu verstehen, dass nur Anführungen im Textzusammenhang privilegiert werden. Vielmehr sind auch solche Zitate erfasst, die dem Sprachwerk angeführt sind, sodass sie „im Rahmen“ dessen erfolgen.640 Dieses Verständnis ist auch im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL, welcher keine entsprechenden Beschränkungen trifft, geboten. Der zulässige Umfang des zitierten Mediums ist als „Stellen“ umschrieben und damit nach dem Wortlaut gegenüber dem wissenschaftlichen Großzitat nach § 51 S. 2 Nr. 1 UrhG, der die Aufnahme einzelner Werke erlaubt, geringer. Gegenüber dem Musikzitat, das auf das Anführen „einzelne[r] Stellen“ beschränkt ist, ist das Kleinzitat jedoch weiter, da es nach Ansicht der Literatur auch die Übernahme einer Vielzahl von Stellen erlaubt.641 Unter Stellen eines Werkes sind kleine schutzfähige Ausschnitte zu verstehen.642 Bei der Beurteilung, ob es sich bei der angeführten Stelle um eine „kleine“ Stelle handelt, ist nach Dreier ein doppelter Maßstab anzulegen. Zum einen soll ein Vergleich des Umfangs des Zitats mit der Gesamtlänge des zitierten Werkes erfolgen (relativer Maßstab) und zum anderen soll der Umfang der Stellen selbst beurteilt werden (absoluter Maßstab).643 Jedenfalls darf, wie auch bei der Prüfung der Generalklausel, keine rein rechnerische Betrachtung erfolgen,644 welche ausschließlich auf die Anzahl von Wörtern, Zeilen, Strophen oder Darstellungen abstellt. Maßgeblich ist vor allem der Zweck des Zitats. Teilweise wird vertreten, dass zur Erreichung dieses Zwecks auch der Gebrauch längerer Ausschnitte im Einzelfall als sog. großes Kleinzitat zulässig sei.645 Dieses Verständnis steht im Einklang mit der Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL, welcher seinem Wortlaut nach den Umfang des Zitats allein von dem damit verbundenen Zweck abhängig macht. Gerade bei bildlichen Darstellungen, wie Grafiken, Zeichnungen oder Fotografien (als sog. Bildzitat) kann eine vollständige Übernahme des betroffenen Werkes geboten sein.646

640

LG München I ZUM 2009, 678 (679). Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 Rn. 14. 642 Würden die Stellen keinen urheberrechtlichen Schutz genießen, so würde es auch keines Ausnahmetatbestands bedürfen, s. Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 51 Rn. 81, 11 m. w. N. 643 Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 14. 644 Fn. 618. 645 Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 Rn. 15. 646 Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 Rn. 15 m. w. N.; s. auch OLG Hamburg GRUR 1993, 666 – Altersphoto, welches feststellt, dass auch sog. Bildzitate nach wohl allgemeiner Meinung zulässig sind m. w. N. 641

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Im Vergleich zu dem sog. Großzitat ist der Zitatzweck im Rahmen von § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG weiter zu verstehen und erfasst auch Zwecke, die über ein Erläutern hinausgehen. So ist auch die Nutzung als Devise oder Motto647, Hommage oder als Mittel des künstlerischen Ausdrucks zulässig.648 Nach alter Rechtslage wurde das sog. Kleinzitat analog auf Filmwerke angewandt.649Durch die Einführung der Generalklausel ist eine Analogie nicht mehr erforderlich und auch die Erfassung von Multimediawerken ausdrücklich möglich.650 Unerheblich ist die Art des Werkes, aus dem die zitierten Stellen stammen. Ebenso wie nach der Generalklausel des § 51 S. 1 UrhG muss das entlehnte Werk allerdings veröffentlicht im Sinne des § 6 Abs. 1 UrhG sein. § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG bezeichnet die Nutzungshandlung des Anführens, während § 51 S. 2 Nr. 1 UrhG von einem Aufnehmen ausgeht. Aus dieser sprachlichen Differenzierung ergeben sich jedoch keine rechtlichen Konsequenzen.651 Auch mangels Entsprechung in Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL kann diesem Kriterium bei richtlinienkonformer Auslegung keine eigenständige Bedeutung zugeschrieben werden. Dahingegen gelten für das sog. Kleinzitat als Regelbeispiel auch alle Vorgaben der Generalklausel nach § 51 S. 1 UrhG. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass das zitierende Medium schutzfähig ist. ff) Besonderheiten des Musikzitats nach § 51 Nr. 3 UrhG Das Musikzitat kann z. B. dem Zweck dienen, eine Verbindung zu anderen Komponisten, einer bestimmten Epoche, Kultur oder Situation herzustellen.652 Nach dem Wortlaut des § 51 Nr. 3 UrhG ist die Nutzung eines Werkes zum Zweck des Zitats insbesondere möglich, wenn einzelne Stellen eines erschienenen Werkes der Musik in einem selbständigen Werk der Musik angeführt werden. Soll es zur Anwendung dieses Regelbeispiels kommen, gilt es somit zu beachten, dass es sich sowohl bei dem zitierten als auch bei dem zitierenden Medium um Musik handelt. Weiterhin ist im Gegensatz zum sog. Kleinzitat nach § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG die Entlehnung „einzelner“ Stellen zulässig. Daraus wird gefolgert, dass die Über-

647 Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 15; KG ZUM-RD 2002, 462 (468) – Das Leben, dieser Augenblick m. w. N.; OLG München I ZUM 2009, 970 (971) m. w. N. 648 Insbesondere im Rahmen künstlerischer Nutzungen ist der Anwendungsbereich weiter zu fassen. So auch im Rahmen der Generalklausel, dazu unter B. III. 2. a) bb) (2). 649 BGHZ 99, 162 (164–165) – Filmzitat. 650 Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/1828, 25. 651 Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 Rn. 16 m. w. N. 652 Vgl. Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 Rn. 20; Möhring / Nicolini / Schulz, UrhG, § 51 Rn. 21–22 m. w. N.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

nahme auf den Umfang begrenzt ist, der für die Erkennbarkeit durch den durchschnittlichen Hörer absolut erforderlich ist.653 Eine solche Begrenzung scheint jedoch nicht sachgerecht, da auch bei der Nutzung musikalischer Werke der verfolgte Zitatzweck maßgeblich für den Umfang sein muss. Die Erfüllung des Zitatzwecks erschöpft sich in der Regel jedoch nicht allein darin, das zitierte Werk zu erkennen. Vielmehr kann es für die mit dem Zitat bezweckte geistige Auseinandersetzung oder künstlerische Gestaltung erforderlich sein, spezifische Werkstellen über die Erkennbarkeit des Werks hinaus zu nutzen. Z. B. weil es dem Zitierenden nicht lediglich auf die Interaktion mit dem Werk als solchem, sondern auf die Auseinandersetzung mit einem bestimmten (vollständigen) Abschnitt des Werkes ankommt. Zuzustimmen ist jedoch Hertin, der feststellt, dass sich aus der Erkennbarkeit eine absolute Untergrenze für den Umfang des Zitats ergibt.654 Bestätigt wird seine Aussage durch die Ausführungen des EuGH in der Entscheidung Pelham u. a. Dort führte der EuGH aus, dass die für die Nutzung eines Zitats zu fordernde Interaktion bei fehlender Erkennbarkeit nicht stattfinden kann. Folglich kann bei einem Sample, das das zitierte Werk als solches nicht erkennen lässt, von vornherein nicht von einem Zitat gesprochen werden.655 Die Beschränkung auf „einzelne“ Stellen wurde teilweise dahingehend gedeutet, dass im Gegensatz zu Sprachwerken nicht mehrere Ausschnitte unmittelbar hintereinander angeführt werden dürfen.656 Der Wortlaut solle also die Einmaligkeit der Nutzung verdeutlichen657, die für das Zitat typisch sei658. National war das Kriterium bisher insbesondere auch in Abgrenzung zu dem Melodienschutz nach § 24 Abs. 2 UrhG a. F. zu sehen659. Das Musikzitat darf nur soweit reichen, wie es tatsächlich dem mit ihm verfolgten Zweck dient. Eine reine Zugrundelegung ist demnach unzulässig. Diese Auslegung kann in Einklang mit europäischen Vorgaben gebracht werden. Zwar enthält die InfoSoc-RL keine dem starren Melodienschutz vergleichbare Regelung, jedoch erfüllt ein bloßes „Zugrundelegen“ ohne Verfolgung des Zitatzwecks auch nicht die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL, sodass insoweit nicht von einer unionsrechtlich unzulässigen

653

Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 20; Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 51 Rn. 91; Schulz, BeckOK, UrhG, § 51 Rn. 24 m. w. N. [Stand 15. 10. 2019]; wohl ein weiteres Verständnis befürwortend: Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 Rn. 19; s. auch Hertin, GRUR 1989, 159 (165–166). 654 Hertin, GRUR 1989, 159 (162, 165) m. w. N., Dabei muss das Zitat auch nicht von jedermann erkannt werden können, vielmehr ist auf den Adressatenkreis des zitierenden Musikers abzustellen, vgl. dazu Hertin, GRUR 1989, 159 (164); instruktiv dazu: Lissa, Ästhetische Funktionen des musikalischen Zitats, S. 365. 655 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 73–74 – Pelham u. a. 656 Hertin, GRUR 1989, 159 (166) m. w. N. 657 Hertin, GRUR 1989, 159 (166). 658 Lissa, Ästhetische Funktionen des musikalischen Zitats, S. 365. 659 Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 Rn. 20; Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 51 Rn.  92; Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 19.

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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Beschränkung des Zitatrechts gesprochen werden kann.660 Dem Merkmal einer „einzelnen Stelle“ kann im Lichte des Unionsrechts keine eigenständige Bedeutung mehr zukommen. Im Gegensatz zu der Generalklausel und den anderen Regelbeispielen setzt § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG nicht nur die Veröffentlichung, sondern auch das Erscheinen661 des zitierten Werks im Sinne des § 6 Abs. 2 UrhG voraus. Dies würde bedeuten, dass das Musikwerk über die Veröffentlichung hinaus bereits in Form von Noten oder auf Ton- oder Datenträger vervielfältigt und angeboten oder in Verkehr gebracht worden sein müsste.662 Ob diese Voraussetzung des Regelbeispiels nach der Harmonisierung des Zitatrechts durch Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL Geltung beanspruchen kann, scheint mangels Entsprechung zweifelhaft. Denkbar wäre allenfalls eine Berücksichtigung durch eine über den Wortlaut des § 51 UrhG unionsrechtskonforme Auslegung innerhalb des Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der „anständigen Gepflogenheiten“. gg) Zulässigkeit der Nutzung von Abbildungen oder sonstigen Vervielfältigungen des zitierten Werkes gem. § 51 S. 3 UrhG Nach § 51 S. 3 UrhG umfasst die Zitierbefugnis nach § 51 S. 1 und S. 2 UrhG die Nutzung einer Abbildung oder sonstigen Vervielfältigung des zitierten Werkes, auch wenn diese selbst durch ein Urheberrecht oder ein verwandtes Schutzrecht geschützt ist. Die Regelung ist 2018 im Rahmen des Urheberrechts-Wissens­ gesellschafts-Gesetz (UrhWissG) in Kraft getreten663 und führt zu einer praktischen Erweiterung des Zitatrechts. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll so beispielsweise auch die Nutzung eines bereits vorhandenen Lichtbildes oder Lichtbildwerkes für das Zitat eines Gemäldes zulässig sein. Unerheblich für die Verwendung ist, ob über die Auseinandersetzung mit dem zitierten Werk als solchem auch eine Auseinandersetzung mit der betreffenden Abbildung erfolgt.664 Die Erstreckung des Zitatrechts zu dem soeben beschriebenen Zweck wurde in der Literatur überwiegend positiv aufgenommen. Insbesondere im (kunst-)wissenschaftlichen Bereich sei eine Abbildung des besprochenen Werkes in der Regel erforderlich, aber auch mit Lizenzkosten verbunden, sodass das Zitatrecht in seiner praktischen Anwen-

660

Zudem steht den Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 lit. d) Info­ Soc-RL ein gewisser Umsetzungsspielraum zu. Dazu und zur weiteren Wirkung des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL auf das nationale Recht, unter B. II. 2. a). 661 Als qualifizierte Form des Veröffentlichens, Begründung des RegE eines Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte BT-Drs. IV/270, 40. 662 Zum Begriff des Erscheinens: Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 6 Rn. 12–17; Wandtke /  Bullinger / Marquardt, UrhR, § 6 Rn. 24. 663 BGBl. 2017 I Nr. 61, S. 3347. 664 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (UrhWissG), BT-Drs. 18/12329, 32.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

dung bisher zu stark eingeschränkt worden wäre.665 Die Ausnahmeregelung erfasst jedoch nicht nur Abbildungen, sondern auch sonstige Vervielfältigungen, sodass neben den Rechten des Urhebers eines Lichtbildwerks (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG) und eines Lichtbildners (§ 72 UrhG) auch die Rechte von Verfassern wissenschaftlicher Ausgaben (§ 70 UrhG), Herausgebern nachgelassener Werke (§ 71 UrhG), Herstellern von Tonträgern (§ 85 UrhG), Sendeunternehmen (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 UrhG), Filmherstellern (§ 94) und Hersteller von Laufbildern (§ 95 UrhG) gegenüber dem Recht des Zitierenden zurückzutreten haben.666 hh) Das Änderungsverbot des § 62 UrhG Einschränkend auf die Anwendung des Zitatrechts wirkt das Änderungsverbot nach § 62 UrhG. Nachdem ein kurzer Überblick über den Inhalt des Änderungsverbots gegeben wird (1), wird die Anwendung des Änderungsverbots speziell auf das Zitatrecht untersucht (2). Im Anschluss werden die Folgen eines Verstoßes gegen § 62 UrhG dargestellt (3) und die unionsrechtliche Zulässigkeit der Anwendung des Änderungsverbotes auf das Zitatrecht geprüft (4). Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass das Bearbeitungsrecht den Anwendungsbereich des Änderungsverbotes einschränkt (5) und dass neben dem Änderungsverbot auch § 14 UrhG die Anwendung des Zitatrechts begrenzen kann (6). (1) Überblick zum Änderungsverbot nach § 62 UrhG Bei der Berufung auf das Zitatrecht nach § 51 S. 1 UrhG ist das Änderungsverbot zu berücksichtigen, das gem. § 62 Abs. 1 S. 1 UrhG für alle zulässigen Nutzungen im Rahmen von §§ 44a – 53a UrhG gilt.667 § 62 Abs. 1 S. 2 UrhG ordnet die entsprechende Geltung von § 39 UrhG an, welcher den Inhalt des Änderungsverbots konkretisiert. Nach § 39 Abs. 1 UrhG ist ohne entgegenstehende Vereinbarung die Veränderung des Werks, dessen Titels oder die der Urheberbezeichnung im Sinne des § 10 Abs. 1 UrhG unzulässig. Ausnahmsweise sind jedoch solche Änderungen zulässig, zu denen der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann, § 39 Abs. 2 UrhG. Die dort entwickelten Grundsätze zur Interessenabwägung sind auf § 62 UrhG zu übertragen.668

665

Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 26. Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 27. 667 Schulze spricht insoweit von einem generellen Änderungsverbot, dessen Geltung bei den gesetzlichen Schranken durch § 62 UrhG klargestellt wird, Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 62 Rn.  1; ähnlich auch: Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 62 Rn. 1. 668 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 62 Rn. 4. 666

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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§ 62 Abs. 2–5 UrhG normieren weitere Fallgestaltungen in denen die Veränderung des Werkes zulässig ist. Sie sind als Ausnahmetatbestände grundsätzlich eng auszulegen.669 (2) Die Anwendung des Änderungsverbots auf das Zitatrecht Von besonderer Bedeutung für das Zitatrecht sind die Regelungen des § 62 Abs. 1 S. 2 UrhG i. V. m. § 39 Abs. 2 UrhG und § 62 Abs. 2 UrhG. Nach ihnen ist der Schrankenzweck für eine zulässige Änderung maßgeblich.670 Ein Zitat beschränkt sich in der Regel auf einen Ausschnitt des genutzten Werkes, sodass mit der Anführung die Änderung des Werkes einhergeht. Da der Zweck eines Zitates sowohl praktisch als auch rechtlich gerade die Reduktion auf einen bestimmten Umfang gebietet, wird sie in den meisten Fällen deshalb nach § 62 Abs. 2 UrhG671 oder § 62 Abs. 1 S. 2 UrhG i. V. m. § 39 Abs. 2 UrhG672 zulässig sein.673 Ebenfalls gem. § 39 Abs. 2 UrhG zulässig ist der Wechsel von direkter in indirekte Rede oder der Umstellung des Satzbaus, soweit dies notwendig ist.674 Auch die fehlende Übernahme eines Satzzeichens kann nach den Umständen des konkreten Einzelfalls unschädlich sein.675 § 62 Abs. 2 UrhG ermöglicht die Übersetzung des Zitats in eine andere Sprache, Tonart oder Stimmlage. Die Übersetzung ist auch dann zulässig, wenn sie bezüglich Metrik und Reimform abweicht. Maßgeblich ist allein die Beibehaltung des Sinngehalts.676 Es gilt jedoch zu beachten, dass bei einem belletristischen fremdsprachigen Werk vorrangig auf eine autorisierte deutsche Übersetzung zurückzugreifen ist.677 Herrscht Zeitdruck, darf ausnahmsweise auch eine eigene Übersetzung erfolgen.678 Wird ein Musikzitat in eine andere Tonart oder Stimmlage transponiert, muss dies aufgrund des Zitatzwecks notwendig sein.679 Nach Bullin 669

Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 62 Rn. 6; Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 62 Rn.  6, 13; Schricker / Loewenheim / Peukert, UrhG, § 62 Rn. 9 m. w. N. 670 Für die Maßgeblichkeit des Schrankenzwecks auch im Rahmen von § 39 Abs. 2 UrhG s. Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 62 Rn.12. 671 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 62 Rn. 15; Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 62 Rn. 16. 672 Vgl. Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 62 Rn. 14; dabei dürfte bei der Veränderung des Werks durch die Reduzierung auf einen bestimmten Ausschnitt § 62 Abs. 2 UrhG vorrangig gegenüber § 39 Abs. 2 UrhG sein. 673 Nach Peukert ergibt sich die Zulässigkeit der Werknutzung in Form eines Auszugs bereits aus dem Zitatrecht selbst, Schricker / Loewenheim / Peukert, UrhG, § 62 Rn. 16. 674 Vgl. OLG Hamburg GRUR 1970, 38 (39)  – Heintje; OLG Köln GRUR-RR 2010, 143 (144) – Wie ein Tier in einem Zoo; vgl. LG Stuttgart UFITA 23 (1957), 244 (245) m. w. N. 675 LG München I ZUM 2009, 678 (680). 676 OLG München, ZUM 2009, 970 (971). 677 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 62 Rn. 14. 678 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 62 Rn. 15. 679 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 62 Rn. 19; Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 62 Rn. 17.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

ger darf sich die Notwendigkeit nicht aus einer „künstlerischen Absicht“ ergeben, vielmehr müsse ein „technischer Sachzwang“ vorliegen.680 Die Beschränkung einer zulässigen Übertragung für rein technische Zwecke ist jedoch zu eng. Nach der Rechtsprechung führt eine kunstspezifische Betrachtung dazu, dass ein Zitat über seine bloße Belegfunktion hinaus zulässigerweise auch als künstlerisches Gestaltungsmittel verwendet werden kann. In logischer Konsequenz muss bei der künstlerischen Nutzung des Zitats auch für die Veränderung eine kunstspezifische Betrachtung gelten. Folglich sollte die Transposition eines Musikzitats auch aufgrund einer künstlerischen Notwendigkeit zulässig sein, solange dies dem künstlerischen Zitatzweck dient und die Voraussetzungen des § 51 S. 1 UrhG vorliegen.681 Trotz des Änderungsverbotes weiterhin zulässig ist bei Werken der bildenden Künste und Lichtbildwerken die Übertragung des Werkes in eine andere Größe oder die Vornahme solcher Änderungen, die im Rahmen des für die Vervielfältigung angewendeten Verfahrens entstehen, § 62 Abs. 3 UrhG. Solche Formatänderungen sind insbesondere im Rahmen von Berichterstattungen oder Untersuchungen in Sprachwerken erforderlich. Nach einhelliger Auffassung in der Literatur ist daher der Schwarz-Weiß-Druck eines farbigen Kunstwerkes oder Fotografie in einer Zeitung zulässig.682 Im Gegensatz dazu dürfen zwar übliche fotografische Mittel wie Einstellung von Belichtung und Brennweite, Wahl des Bildausschnitts sowie Vergrößerung oder Verkleinerung, nicht jedoch eine darüberhinausgehende nachträgliche digitale Bildbearbeitung erfolgen.683 Die Ausführungen lassen sich auch auf künstlerische Nutzungen des Zitats z. B. im Rahmen einer Collage übertragen. Allerdings muss bei einer kunstspezifischen Betrachtung dort auch eine Bearbeitung des Bildes zulässig sein, soweit sie für den künstlerischen Zweck erforderlich ist und das zitierte Werk wiedererkennbar bleibt. Nach herrschender Meinung in der Literatur gilt § 62 Abs. 3 UrhG analog auch für wissenschaftliche, technische oder musikalische Werke sowie für Änderungen im Rahmen der öffentlichen Wiedergabe,684 sodass Änderungen auch im Rahmen von künstlerischen Nutzungen in Form der Musik möglich sind.

680

Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 62 Rn. 19. Ähnlich auch: Dreier / Schulze / Schulze, § 62 Rn.  17; Fromm / Nordemann / A . Nordemann, UrhG, § 62 Rn. 9. 681 Im Ergebnis so wohl auch schon: Hertin, GRUR 1989, 159 (164). 682 HK-UrhR / Dreyer, 3. Aufl., § 62 Rn. 15; Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 62 Rn. 23; Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 62 Rn. 18. 683 OLG Köln, ZUM-RD 2012, 593 (595) – Liebe deine Stadt. 684 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 62 Rn. 24 m. w. N.; Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 62 Rn. 19; Peukert nimmt eine Analogie jedoch nur für die öffentliche Wiedergabe, nicht für andere Werkarten an, Schricker / Loewenheim / Peukert, UrhG, § 62 Rn. 19, 21.

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(3) Folgen eines Verstoßes gegen das Änderungsverbot Streitig ist, ob der Verstoß gegen das Veränderungsverbot zur Unzulässigkeit des Zitats als solchem führt. Nach einer Ansicht berührt eine Verletzung des § 62 UrhG nicht die Zulässigkeit des Zitats insgesamt, jedoch könnten die unzulässigen Änderungen eigenständig angegriffen werden.685 Nach einer anderen Ansicht sei das Zitat als solches für unzulässig zu erklären, da § 62 UrhG systematisch wie eine Schranken-Schranke des § 51 UrhG wirke, sodass bei einer rechtswidrigen Veränderung keine gesetzliche Nutzungserlaubnis vorläge.686 Im Rahmen der beiden Ansichten wird jedoch darauf hingewiesen, dass für die Rechtsfolge die Verbindung zwischen der unzulässigen Änderung und dem Zitat sowie die Bedeutung der Änderungen für das Zitat maßgeblich sind. Kann das Zitat auch ohne Änderung (rechtmäßig) genutzt werden oder stellt die Änderung keinen zentralen Bestandteil des Zitats dar, sollte der Urheber nur gegen die Änderung selbst vorgehen können.687 Lässt sich eine unzulässige Änderung jedoch nicht unabhängig von der Nutzung selbst beseitigen, kann die Nutzung insgesamt verboten werden.688 Werden die Anforderungen an das Änderungsverbot bei künstlerischen Nutzungen nicht aufgrund einer kunstspezifischen Betrachtung modifiziert, könnte somit regelmäßig die Nutzung insgesamt verboten werden. Denn gerade künstlerische Nutzungsformen wie z. B. das Mashup, das Sampling oder das Meme zeichnen sich durch die Veränderung des zitierten Werkes oder Werkteils durch Vermischung, Wiederholung und Kombination mit dritten Materialien aus. Denn dort geht es dem Werknutzer regelmäßig nicht darum, ein Zitat vollständig unverändert als Erörterungsgrundlage oder Beleg zu verwenden. Vielmehr wird das zitierte Werk Bestandteil eines übergeordneten Kunstwerkes, zu dessen Herstellungszweck entsprechende Änderungen häufig vorgenommen werden müssen. Die Veränderung stellt bei künstlerischen Nutzungen somit in der Regel einen zentralen Bestandteil dar und ist für die Werknutzung von besonderer Bedeutung. (4) Unionsrechtliche Zulässigkeit der Anwendung des Änderungsverbotes auf das Zitatrecht In der InfoSoc-RL fehlt eine dem Änderungsverbot nach § 62 UrhG vergleichbare Regelung, die im Rahmen der Beschränkungen des Art. 5 InfoSoc-RL zu be-

685

OLG Hamburg, GRUR 1970, 38 (39–40) – Heintje. Schricker / Loewenheim / Peukert / Spindler, UrhG, § 62 Rn. 23 m. w. N.; OLG Köln ZUMRD 2012, 593 (595) – Liebe deine Stadt; LG Mannheim GRUR 1997, 364 (366) – Freiburger Holbein-Pferd. 687 Vgl. Schricker / Loewenheim / Peukert / Spindler, UrhG, § 62 Rn. 23. 688 Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 62 Rn. 24. 686

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

rücksichtigen wäre. Grund dafür ist, dass das Änderungsverbot als Ausdruck des Urheberpersönlichkeitsrechts689 außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie liegt.690 Da der europäische Gesetzgeber anweist, die Urheberpersönlichkeitsrechte im Einklang mit den nationalen Vorschriften auszulegen, ist § 62 UrhG auch aus unionrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.691 Gestützt wird die unionsrecht­ liche Zulässigkeit des Änderungsverbotes außerdem auch von dem Umsetzungsspielraum, der den Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL zusteht.692 Zudem ergeben sich bereits aus der Natur und dem Zweck des Zitats, dass bei tiefgreifenden Änderungen von einem solchem – auch auf unionsrechtlicher Ebene – nicht mehr geredet werden kann. Denn ein Zitat zeichnet sich gerade dadurch aus, unverändert in einen Dialog zu treten, als Beleg zu dienen sowie eine Assoziation herzustellen. Die weitreichendsten Änderungen scheinen bei dem Vorliegen eines künstlerischen Zitatzwecks möglich, allerdings ist auch dort die Möglichkeit der Änderung jedenfalls durch die Erkennbarkeit des zitierten Werkes begrenzt. Dass dieses Verständnis auch dem Zitatbegriff in Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL zugrunde liegt stützt der EuGH, wenn er feststellt, dass ein Zitat jedenfalls dann nicht mehr vorliegen kann, wenn das zitierte Werk nicht zu erkennen ist.693 Somit wäre bereits nach der Auslegung unter Berücksichtigung von Wortlaut und Telos der Vorschrift von einer grundsätzlichen Unionsrechtskonformität des Änderungsverbots im Rahmen des Zitatrechts auszugehen. (5) Einfluss des Bearbeitungsrechts auf das Änderungsverbot Bearbeitungen sind nicht am Änderungsverbot zu messen, sodass der Anwendungsbereich des Änderungsverbots aufgrund der Herstellungsfreiheit des § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG in vielen Fällen nur die Veröffentlichung und Verwertung veränderter Zitate erfasst.694 Folglich ist die Veränderung von Zitaten als Bearbeitung im privaten Umfeld zulässig. Will der oder die Nutzende das Resultat jedoch gestützt auf § 51 UrhG veröffentlichen, sind die Anforderungen das Änderungsverbots nach § 62 UrhG zu beachten.695 Bei bestimmten Werkarten ist gem. § 23 Abs. 2 UrhG bereits bei der Herstellung der Bearbeitung § 62 UrhG zu berücksichtigen. Diese Regelung ist für die Zitatfreiheit nach § 51 UrhG jedoch eher unbedeutend, da nur wenige Fälle, der in § 23 689

Schricker / Loewenheim / Peukert, UrhG, § 62 Rn. 1. Erwgr. 19 InfoSoc-RL. 691 Schricker / Loewenheim / Peukert, UrhG, § 62 Rn. 3. 692 Dazu unter B. II. 2. a). Insbesondere im Rahmen der „anständigen Gepflogenheiten“ könnte das Änderungsverbot zu berücksichtigen sein, B. II. 2. b) ee). 693 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 74 – Pelham u. a. 694 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 62 Rn. 4 m. w. N. 695 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 62 Rn. 4. 690

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Abs. 2 UrhG beschriebenen Bearbeitungen, die Voraussetzungen des § 51 UrhG erfüllen würden und damit nicht in den Anwendungsbereich des Zitatrechts fallen.696 Somit kann festgehalten werden, dass die Herstellung künstlerisch veränderter Zitate zum Beispiel in Rahmen der Herstellung einer Collage, eines Memes oder der Nutzung eines Samples oder Remixes auch ohne Heranziehung einer kunst­ spezifischen Betrachtung zulässig sein kann, wenn es sich dabei um eine Bearbeitung oder Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG handelt. Dies setzt insbesondere voraus, dass schutzfähige Merkmale eines Werkes verändert werden.697 Im Umkehrschluss ist das Änderungsgebot für die Veröffentlichung oder Verwertung der genannten referenziellen Kunstformen beachtlich, sodass Änderungen aus rein künstlerischen Motiven regelmäßig nur bei der Vornahme einer kunstspezifischen Betrachtung zulässig sein können. (6) Zusätzliche Berücksichtigung des Entstellungsverbots nach § 14 UrhG Bei der Anwendung aller Ausnahmetatbestände des Änderungsverbots muss schließlich beachtet werden, dass die nach dem Wortlaut zulässige Veränderung nicht zur Entstellung des Werkes nach § 14 UrhG führt. Wird durch die Auswahl der Art und des Umfangs des Zitats, die Übersetzung oder grammatikalisch notwendige Änderungen eine solche Entstellung hervorgerufen, liegt zugleich ein Verstoß gegen das Änderungsverbot vor.698 Zentral für die Beurteilung, ob eine Entstellung im Sinne des § 14 UrhG vorliegt ist die Interessenabwägung von Urheber und Werknutzer. Bei künstlerisch-referenziellen Nutzungen ist im Rahmen von § 14 UrhG die Kunstfreiheit der Nutzer nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gegen den Eigentums- und Persönlichkeitsschutz des Urhebers nach Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abzuwägen. Dabei kann Kreativen, die Samples, Mashups, Collagen, Remixe, Fan Art und GIFs herstellen regelmäßig zugutekommen, dass sie nur ein Vervielfältigungsstück des Werkes umgestalten. Eine häufig irreversible Veränderung des Originals würde die Eigentumsinteressen des Urhebers hingegen besonders stark beeinträchtigen.699 Der Einfluss des § 14 UrhG auf das Zitatrecht scheint vor dem Hintergrund des Unionsrechts unbedenklich, da das Entstellungsverbot ebenso wie das Änderungsverbot gem. § 63 UrhG Ausdruck des Urheberpersönlichkeitsrechts ist700 und

696

Auch die meisten anderen Schrankenregelungen nach §§ 44a ff. UrhG werden in der Regel nicht einschlägig sein, Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 62 Rn. 5. 697 Schricker / Loewenheim / L oewenheim, UrhG, § 62 Rn. 6. 698 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 62 Rn. 16 m. w. N. 699 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 14 Rn. 19 m. w. N. 700 Vgl. Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 14 Rn. 7.

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damit nicht in den Anwendungsbereich des Unionsurheberrechts fällt.701 Zudem bewegt sich die Regelung in dem von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL gewährten Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten. Weiterhin wird sie im Ergebnis auch nicht zu einer vom Unionsrecht abweichenden Beurteilung der Zulässigkeit eines Zitates führen, da die berechtigten Interessen – wenn nicht schon im Rahmen der „anständigen Gepflogenheiten“ nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL oder zur Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen Nutzer und Urheber702 – auch nach dem Dreistufentest des Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL zu berücksichtigen sind. ii) Die Quellenangabe nach § 63 UrhG Für die zulässige Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks zum Zweck des Zitats ist weiterhin eine Quellenangabe im Sinne des § 63 UrhG erforderlich. § 63 UrhG setzt das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft nach § 13 S. 1 UrhG auch innerhalb des überwiegenden Teils der gesetzlichen Schranken der §§ 44a–61c UrhG durch.703 Sinn und Zweck der Regelung ist es, die geistigen und ideellen Interessen des Urhebers zu schützen und dem Urheber auch einen mittelbaren ökonomischen Ausgleich für die durch die Schrankenregelungen oftmals ermöglichte unentgeltliche Nutzung zu gewähren.704 Denn die Quellenangabe erfüllt zugleich eine Werbefunktion.705 Da § 63 UrhG gemeinsam mit § 51 UrhG der Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL dient, ist die Norm richtlinienkonform auszulegen.706 Relevant für das Zitatrecht sind insbesondere die Regelungen des § 63 Abs. 1 S. 1 UrhG, aus dem sich eine Verpflichtung zur Quellenangabe für die Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes ergibt, § 63 Abs. 1 S. 3 UrhG, der den ausnahmsweisen Entfall der Pflicht zur Quellenangabe vorsieht sowie § 63 Abs. 2 UrhG, der die Pflicht zur Quellenangabe für die öffentliche Wiedergabe regelt.

701

Erwgr. 19 InfoSoc-RL. Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 26 – Deckmyn und Vrijheidsfonds; EuGH, Urt. v. 21. 10. 2010 – C-467/08, ECLI:EU:C:2010:620 Rn. 43 – Padawan; EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 134 – Painer. 703 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn.  1; Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 63 Rn. 1; vgl. Waiblinger UFITA 2011/II, 323 (421) m. w. N. 704 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 63 Rn. 1. 705 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 63 Rn. 1 m. w. N.; Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 1. Deshalb ist in den Fällen des § 63 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 UrhG auch der Verlag anzugeben, Dreier / Schulze / Schulze, UrhG. § 63 Rn. 1. 706 BGHZ 225, 222 Rn. 52 – Metall auf Metall IV. 702

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(1) Anwendungsbereich der Quellenangabe nach § 63 UrhG Auch bei der Nutzung des Werks in veränderter, bspw. gekürzter Form, ist die Pflicht zur Quellenangabe zu beachten.707 Darüber hinaus muss der Rezipient erkennen, welcher Ausschnitt in der Darstellung des Nutzers ein Zitat darstellt und damit jemand anderem zuzuordnen ist.708 Dies kann je nach Art der Verarbeitung und des Bekanntheitsgrads des genutzten Werkes gerade bei künstlerischen Nutzungen mit Schwierigkeiten verbunden sein. (2) Erforderlicher Inhalt der Quellenangabe im Sinne von § 63 UrhG § 63  Abs.  1 S. 1 UrhG statuiert, dass bei der Anwendung bestimmter gesetz­ licher Schranken wie dem Zitatrecht nach § 51 UrhG bei der Vervielfältigung und Verbreitung stets die Quelle deutlich anzugeben ist. Eine Konkretisierung der Vorgaben für die Quellenangabe hält die Norm jedoch nicht bereit. Um die mit der Quellenangabe verfolgten Zwecke zu erreichen, muss die Quelle grundsätzlich den vollständigen Namen des Urhebers enthalten.709 Jedoch ist auch die Nennung des Künstlernamens als ausreichend oder sogar als erforderlich zu erachten, wenn dadurch die eindeutige Identifikation des Urhebers gewährleistet ist.710 Neben dem Namen des Urhebers ist auch die genaue Fundstelle anzugeben, um dem Publikum eine Überprüfung des Zitats zu ermöglichen und damit auch den Urheber vor Verfälschungen seines Werks zu schützen.711 Weiterhin maßgeblich für den Inhalt der Quellenangabe ist, welche Angaben vorliegen, ermittelbar und damit schließlich für die Zuordnung und Überprüfung erforderlich sind. So kann bspw. bei einem Zitat der Verlag, der sonst gem. § 63  Abs.  1 S. 2 UrhG nur bei Vervielfältigungen ganzer Sprachwerke oder ganzer Werke der Musik zu nennen ist, anzugeben sein, wenn dies für die Identifikation der Quelle notwendig ist.712 Je nach Art des zitierten Werkes können auch Informationen wie der Titel, der Herausgeber, das Entstehungsjahr sowie ein Link anzugeben sein.713 Gerade bei der im Rahmen des Zitatrechts relevanten Nutzung von Werkteilen ist die Quelle bspw. durch die

707

Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 63 Rn. 8. Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 12; dazu OLG Brandenburg ZUM-RD 1997, 483 (485–486) – Brecht-Texte. 709 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 63 Rn. 12; Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn.  11; Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 63 Rn. 13 m. w. N. 710 Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 63 Rn. 13; Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 63 Rn. 19. 711 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 1; vgl. Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 63 Rn. 2 m. w. N. 712 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 12. 713 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 63 Rn. 12; Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 63 Rn. 14. 708

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Angabe der konkreten Seitenzahl auf den jeweiligen Teil zu konkretisieren.714 Bei künstlerisch-referenziellen Nutzungen in Form des Mashups, des Memes, eines GIFs, eines Remixes oder des Samplings sollte jedenfalls die Angabe des Urhebers und ggf. weiterer Rechtsinhaber sowie des Werktitels erforderlich, aber auch regelmäßig ausreichend sein, um die Werbungs- und Überprüfungsfunktion der Quellenangabe zu erfüllen. Der Verlag der Quelle ist grundsätzlich nicht anzugeben,715 es sei denn es handelt sich um ganze Sprachwerke oder ganze Werke der Musik, § 63 Abs. 1 S. 2 UrhG. Da sich Zitate durch die Nutzung von Werkteilen auszeichnen und die Zitatschranke die Nutzung eines gesamten Sprach- oder Musikwerkes in der Regel nicht deckt, ist diese Vorschrift im Rahmen der Zitatnutzung kaum von Relevanz. Denkbar ist jedoch, dass die Nutzung ganzer Werke unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit zur Herstellung von Collagen über das Zitatrecht privilegiert werden könnte.716 Es ist davon auszugehen, dass § 63 Abs. 1 S. 2 UrhG analog auch auf andere Werkarten wie Fotografien anzuwenden ist, sodass in einem solchen Fall neben dem Fotografen auch der Verlag, die Bildagentur oder das Bildarchiv anzugeben wäre.717 Zudem sind bei der Vervielfältigung und Verbreitung ganzer Sprachwerke oder Werke der Musik ggf. erfolgte Kürzungen oder andere Änderungen kenntlich zu machen, § 63 Abs. 1 S. 2 UrhG. Im Umkehrschluss ist im Rahmen von künstle­r ischen Nutzungen die regelmäßig nur Teile eines Sprach- oder Musikwerks nutzen eine Angabe der Änderungen nicht erforderlich. (3) Deutlichkeit der Quellenangabe gem. § 63 Abs. 1 S. 1 UrhG Gem. § 63 Abs. 1 S. 1 ist stets die Quelle deutlich anzugeben. Das Zitatrecht des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL sieht das Kriterium der Deutlichkeit nicht ausdrücklich für die Quellenangabe vor. Jedoch ist davon auszugehen, dass auch im Rahmen einer teleologischen Auslegung der unionsrechtlichen Regelung eine deutliche Quellenangabe zu fordern wäre. Denn nur wenn die Quelle hinreichend deutlich angegeben wird, kann das Publikum die geistige Auseinandersetzung nachvollziehen und prüfen. Ebenso kann sich die Werbefunktion der Quellenangabe zugunsten der Rechtsinhaber nur bei einer ausreichenden Wahrnehmung der Quelle realisieren. Somit kann an dem Kriterium der Deutlichkeit trotz einer fehlenden vergleichbaren Formulierung in Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL festgehalten werden.

714

Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 12; Die Pflicht zur Quellenangabe besteht bei Werkteilen jedoch nur, wenn diese für sich schutzfähig im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG sind, Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 63 Rn. 10. 715 Vgl. Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 12. 716 Eher ablehnend Czernik, Die Collage, S. 294. 717 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 15.

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

139

Von großer Relevanz für die Deutlichkeit ist die Platzierung der Quellenangabe.718 Am deutlichsten erfolgt sie, wenn Urheber und Fundstelle des zitierten Werkes im unmittelbaren Zusammenhang mit der Nutzung angegeben werden.719 Wird ein Stück vervielfältigt, so ist also die Quellenangabe auf dem Stück selbst oder unmittelbar daneben zu platzieren.720 Gerade bei sog. Kunstzitaten kann es vor dem Hintergrund von Art. 5 Abs. 3 S. 1 UrhG als ausreichend zu erachten sein, wenn die Quelle im Zusammenhang mit der Angabe des Urhebers neben dem zitierenden Kunstwerk erfolgt, beispielsweise auf einer Künstlertafel in Ausstellungen oder in Katalogen.721 Ebenso denkbar ist eine eindeutige Zuordnung durch entsprechende Seiten und Positionsangaben.722 Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die künstlerische Gestaltung und der ästhetische Gesamteindruck in einem Maße gestört werden würde723, der sich nicht mehr mit der Kunstfreiheit des zitierenden Künstlers vereinbaren ließe. Beispielsweise könnte die direkte Integration der Quelle den visuellen Eindruck einer Collage oder auch die Wirkung, die durch einen reibungslosen sprachlichen Lesefluss erzielt wird, erheblich beeinträchtigen. Auch in anderen Fällen der sog. Appropriation Art würde eine unmittelbare Quellenangabe in der Regel zu einer Störung des künstlerischen Ausdrucks des zitierenden Werks führen.724 Die Deutlichkeit der Quellenangabe ist nicht mit der Erkennbarkeit des Werkes zu verwechseln, dessen Beurteilung unabhängig davon erfolgt.725 Verdeutlicht der Nutzer eines Zitates nicht durch Satzzeichen, Schriftart oder andere Kennzeichnungen, dass es sich um ein fremdes Werk handelt, so bewegt er sich schon nicht mehr in dem zulässigen Rahmen der Zitatnutzung. Vielmehr begeht er durch die ununterscheidbare Integration eines Werkes eine Urheberrechtsverletzung.726 (4) Erforderlichkeit der Quellenangabe bei der öffentlichen Wiedergabe Eine deutliche Quellenangabe wird nach § 63 Abs. 2 S. 1 UrhG auch bei der öffentlichen Wiedergabe verlangt, soweit die Verkehrssitte dies erfordert. Im Rahmen der öffentlichen Wiedergabe eines Zitats nach § 51 UrhG ist die Nennung des Namens des Urhebers und der Quelle jedoch immer erforderlich, 718

Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 R. 14. Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 R. 14. 720 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 63 Rn. 15. 721 Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 63 Rn. 15a. 722 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 14. 723 Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 63 Rn. 15; Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 63 Rn. 15a. 724 Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 63 Rn. 15a. 725 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 13. 726 Vgl. LG Berlin ZUM 2000, 513 (514–515) – Screenshots mit Verweis m. w. N.; Dreier /  Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 13; Dazu auch unter B. II. 2. b) bb) und B. III. 2. a) bb) (1). 719

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

es sei denn, dass dies nicht möglich ist, vgl. § 63 Abs. 2 S. 2 UrhG. Der Begriff der öffentlichen Wiedergabe umfasst dabei wie in § 15 Abs. 2 UrhG verschiedene Verwertungsrechte, insbesondere auch die öffentliche Zugänglichmachung gem. § 19a UrhG.727 Bei der öffentlichen Wiedergabe ist die Quellenangabe aufgrund der Flüchtigkeit der Darstellungsform als bewegtes Bild oder Audioformat oftmals problematisch.728 Im Bereich der Kunstzitate sind an dieser Stelle insbesondere die Film- und Musikzitate in den Blick zu nehmen. Wird ein Werk der Musik zitiert, so ist die Quelle bei der öffentlichen Zugänglichmachung so zu präsentieren, dass sie von den Zuhörern vor dem Werkgenuss eindeutig wahrgenommen wird. Denkbar ist ein Hinweis in Schriftform, der sich im Blickfeld des Abrufbuttons befindet oder während des Abspielens als Banner in dem jeweiligen Musikplayer zu sehen ist.729 Wohl eher unüblich, aber auch denkbar ist eine Ansage vor der Wiedergabe, bei der neben dem Titel des Stücks auch die zitierte Quelle genannt wird.730 Besonders schwierig erscheint die Quellenangabe bei dem Download eines zitierenden Musikwerkes im Rahmen eines Streamingdienstes, der häufig auch mobil z. B. über ein Smartphone genutzt wird. Dort sind die schriftlichen Angaben zu den einzelnen Werkstücken auf ein Minimum reduziert, sodass oftmals nur Titel, Album und der Künstler selbst genannt werden. Bei einer Werknutzung zum Beispiel in Form des Remix oder Samplings sind dann im unmittelbaren Zusammenhang auch der zitierte Titel und der jeweilige Urheber zu ergänzen. Bei der rein akustischen öffentlichen Wiedergabe genügt eine begleitende Nennung beispielsweise in Programmheften731, CD-Beilagen, Noten oder Partituren.732 Ebenso ist bei der Nutzung von Filmzitaten eine Einblendung der Quelle während der Wiedergabe nicht erforderlich. Es ist als ausreichend zu erachten, wenn ein diesbezüglicher Hinweis im Vor- oder Abspann erfolgt.733 (5) Die Quellenangabe in der deutschen Rechtsprechung Das OLG Brandenburg entschied, dass die Angabe einer genauen Fundstelle von Zitaten Brechts in Form von Seitenzahlen in einem Buch nicht erforderlich sei. Der verständige Leser erkenne durch die Art und Weise der Einarbeitung der Zitate, dass es sich um Werke Brechts handele, sodass die chronologische Angabe 727 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (UrhWissG), BT-Drs. 18/12329, 48. 728 Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 63 Rn. 15a. 729 Vgl. HK-UrhR / Dreyer, 4. Aufl., § 63 Rn. 19. 730 Vgl. HK-UrhR / Dreyer, 4. Aufl., § 63 Rn. 19. 731 Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 63 Rn. 15a. 732 Näher dazu s. Hertin, GRUR 1989, 159 (164–165). 733 Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 63 Rn. 15a.

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

141

der genutzten Werke inkl. Verlag und Erscheinungsjahr im Textnachweis ausreichend sei.734 Das Gericht erachtet die überprüfende Funktion der Quellenangabe offenbar als hintergründig und betont, dass es ausreichend sei, wenn durch die Quellenangabe die Fremdheit des zitierten Werkes verdeutlicht werde.735 Das Urteil ist in der Literatur teils auf Kritik gestoßen736, da als Maßstab nicht der mit Brecht vertraute Leser, sondern die objektiv eindeutige Erkennbarkeit und Zuordenbarkeit heranzuziehen sei. Auch fachfremden Lesern muss es möglich sein, durch genaue Angaben die Quelle eindeutig zu identifizieren und zu prüfen.737 Im Gegensatz zu dem Urteil des OLG Brandenburg steht das Urteil des LG Berlin, dass die Ermöglichung der Überprüfbarkeit der zitierten Quelle als von § 63 UrhG verfolgtes Ziel anerkennt, sodass eine konkrete Angabe der Fundstelle zu fordern ist.738 Zu beachten ist jedoch, dass es sich in diesem Sachverhalt nicht um eine künstlerische Nutzung des Zitats handelte, sodass im Rahmen der Quellenangabe eine möglicherweise den künstlerischen Ausdruck beeinträchtigende Wirkung – im Gegensatz zu der Entscheidung Brecht-Zitate – nicht zu berücksichtigen war. (6) Ausnahmsweiser Entfall der Pflicht zur Quellenangabe Die Pflicht zur Quellenangabe entfällt immer dann, wenn die Quelle dem Zitierenden unbekannt ist, vgl. § 63 Abs. 1 S. 3 UrhG. Jedoch trifft den Zitierenden zunächst eine Recherchepflicht.739 Diese besteht auch wenn der Hersteller die Urheberbezeichnung auf dem vom Zitierenden genutzten Werkstück unterließ, weil er glaubte, aufgrund einer Branchenübung dazu berechtigt zu sein.740 Dabei erfordert der ausnahmsweise Entfall eine sorgfältige Recherche. Ist die Quelle bloß nicht im Wege einer kurzfristigen Recherche auffindbar, muss auf die Nutzung des Werks verzichtet werden.741 Im Gegensatz zur öffentlichen Wiedergabe kann der Nutzer sich im Rahmen einer Vervielfältigung auch nicht auf eine entgegenstehende Verkehrssitte berufen.742 Ebenso kann die Pflicht zur Nennung der Urheberschaft im Rahmen der Quellenangabe entfallen, wenn der Urheber sein Recht auf Anonymität nach § 13 S. 2 UrhG 734

OLG Brandenburg, NJW 1997, 1162 (1163) – Brecht-Zitate. OLG Brandenburg, NJW 1997, 1162 (1163) – Brecht-Zitate; Das OLG München ließ die Frage nach einer deutlichen Quellenangabe hingegen offen, s. OLG München, NJW 1999, 1975 (1976). 736 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 17 m. w. N.; Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 63 Rn. 15a m. w. N. 737 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 17. 738 Vgl. LG Berlin, ZUM 2000, 513 (515) – Screenshots. 739 OLG Hamburg, GRUR 1970, 38 (40) – Heintje m. w. N. 740 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 19. 741 LG München I UFITA 52 (1969), 247, (251) – Wenn die Elisabeth. 742 OLG Hamburg, GRUR 1970, 38 (40) – Heintje. 735

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

wahrnimmt. Dann sind jedoch die anderen in der Quelle genannten Informationen wie bspw. der Titel des Werkes anzugeben.743 Die Beweislast für die Unbekanntheit der Quelle trägt der Zitierende. Darüber hinaus ist konkret anzugeben, welche angemessenen Anstrengungen unternommen wurden, um die Quelle zu ermitteln und zu welchen Ergebnissen diese geführt haben.744 (7) Folgen eines Verstoßes gegen die Quellenangabe Bisher wurde davon ausgegangen, dass eine fehlende oder unzureichende Quellenangabe nicht zur Rechtswidrigkeit der Nutzung insgesamt führe, die Nutzungshandlung jedoch unterbleiben müsse.745 Vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL und einer daraus resultierenden richtlinienkonformen Auslegung des Zitatrechts, wird bei fehlender Angabe der Quelle das Zitat insgesamt als unzulässig zu bewerten sein.746 Liegt ein Verstoß gegen das Gebot der Quellenangabe vor, kann der betroffene Urheber gem. § 97 Abs. 1 UrhG Unterlassung und gem. § 97 Abs. 2 UrhG Schadensersatz verlangen.747 Zu beachten ist, dass bei fehlender Quellenangabe in der Regel auch eine Verletzung des Urhebernennungsrechts nach § 13 UrhG gegeben ist.748 b) Künstlerische Nutzungen im Anwendungsbereich des Zitatrechts nach § 51 UrhG Die Generalklausel des § 51 S. 1 UrhG verhilft dem Zitatrecht zu einem weiten Anwendungsbereich, indem sie das Anführen unabhängig von der Art des zitierenden oder des zitierten Werks ermöglicht. Neben den in § 51 S. 2 UrhG genannten Fallkonstellationen des Zitats in wissenschaftlichen Werken, Sprachwerken und Werken der Musik ist dadurch auch das Filmzitat oder das Zitieren von Multimedia­werken erfasst.749 Auf den ersten Blick scheint der Anwendungsbereich des Zitatrechts vor allem in der Anführung sprachlichen oder bildlichen Materials zum Zweck des Belegs

743

Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 63 Rn. 24. Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 20, 26 m. w. N. 745 OLG Hamburg, GRUR 1970, 38 (40) – Heintje. 746 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 30; Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 63 Rn. 20 m. w. N. 747 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 30–31. 748 Dreier / Schulze / Schulze, UrhG, § 63 Rn. 10. 749 Zuvor wurde dieses Ergebnis in der Rechtsprechung durch eine analoge Anwendung des § 51 Nr. 2 UrhG auf Filmwerke erreicht, BGHZ 99, 162 (164–165) – Filmzitat. 744

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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oder der Bekräftigung der eigenen Auffassung in wissenschaftlichen Arbeiten zu liegen. In diesen Fällen sind bei der Anwendung aus grundrechtlicher Perspektive die Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 GG sowie Art. 11 und Art. 13 GRCh zu berücksichtigen. Vielfach wird die Technik des Zitierens jedoch auch als Stilmittel in literarischen750 und musikalischen Werken oder Werken in der bildenden Kunst sowie der Baukunst genutzt, sodass § 51 UrhG in Betracht zu ziehen ist. In diesen Fällen kann zugleich der Anwendungsbereich der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 13 GRCh eröffnet sein,751 soweit das Zitat ein künstlerisches Gestaltungsmittel darstellt. Dies zeigt, dass § 51 S. 1 UrhG der Ausübung der Kunstfreiheit nachschaffender Künstler dienen kann und somit für das Spannungsverhältnis zwischen der Kunstfreiheit und den Rechten des Urhebers neben § 24 UrhG a. F. und § 51a UrhG eine zentrale Rolle spielt. Um die praktische Bedeutung des Zitatrechts für den Ausgleich zwischen den Positionen des nachschaffenden Künstlers und des Urhebers zu verdeutlichen, sollen beispielhaft Formen des Kunstzitats erläutert und ihre Zulässigkeit als Zitat im Sinne des § 51 S. 1 UrhG untersucht werden. Schließlich sollen die aufgefundenen Ergebnisse auch als Grundlage für die Beantwortung der Folgefragen dienen, insbesondere wie sich die Zitatschranke vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit entwickelt hat und ob letzterer durch die bestehenden Beschränkungen des Urheberrechts ausreichend Rechnung getragen wird.752 aa) Kunstzitate in Sprachwerken im Anwendungsbereich von § 51 UrhG Insbesondere im Zusammenhang mit Sprachwerken liegt das Zitieren im Rahmen einer von der Kunstfreiheit geschützten Tätigkeit nahe. Als Beispiel kann der zugrundeliegende Sachverhalt der Germania 3-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angeführt werden, welcher grundlegend für die kunstspezifische Betrachtung des Zitatrechts ist. In dem Rechtsstreit ging es um die Nutzung von Brecht-Zitaten in dem Theaterstück „GERMANIA 3 GESPENSTER AM TOTEN MANN“ von Heiner Müller. Dieser arbeitete Ausschnitte von Bühnenwerken Bertolt Brechts, aber auch von anderen Autoren szenisch in sein Stück ein, welches sich mit der politisch-gesellschaftlichen Situation von 1941 bis 1956 beschäftigte.753 Dabei nutzte Müller die Verschränkung von eigenen und fremden Texten als durchgängiges Stilmittel und fügte die Geschichte, Rezeption, Kolorit und politischen Hintergrund der genutzten Werke nach Auffassung des Bundes-

750

Für Beispiele des Zitats als literarisches Stilmittel, s. Reiners, Stilkunst, S. 678–687. Zum Verhältnis von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG allgemein und im Rahmen der Anwendung des Zitatrechts s. unter C. III. und C. IV. 1. 752 Dazu unter B. III. 2. c) und B. III. 5. 753 BVerfG, GRUR 2001, 149 – Germania 3. 751

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

verfassungsgerichts in seinem eigenen Werk zu einem neuen Ganzen, ohne eine kritische Erörterung vorzunehmen.754 Das Bundesverfassungsgericht entschied erstmalig, dass der Anwendungs­ bereich des Zitatrechts bei künstlerischen Sprachwerken weiter zu fassen sei, als bei nicht künstlerischen Sprachwerken, sodass das Zitat auch als künstlerisches Ausdrucksmittel eine Ausnahme von den Rechten des Urhebers darstellen kann.755 Dafür muss das Zitat sich funktional in die künstlerische Gestaltung und Intention des zitierenden Werkes einfügen und damit als integraler Bestandteil einer eigenständigen künstlerischen Aussage erscheinen.756 Der bloße Gebrauch des Zitats als Stilmittel allein sagt jedoch nichts über dessen künstlerischen Gehalt, sodass eine rein formale Beurteilung für die Begründung einer kunstspezifischen Betrachtung nicht ausreicht.757 Somit kann nicht jedes, aus stilistischen Gründen genutztes Zitat eine Ausnahme im Sinne des § 51 UrhG rechtfertigen. Auch die Feststellung, dass die Zitate in Form einer Collagetechnik genutzt wurden, gibt keinen Aufschluss über die künstlerische Bedeutung.758 Die künstlerische Nutzung eines Zitats in Sprachwerken kann also immer dann von § 51 UrhG gedeckt sein, wenn das Zitat über den Gebrauch als formales Stilmittel hinaus einen materiellen künstlerischen Zweck erfüllt, der das Zitat als integralen Bestandteil erscheinen lässt. Dahingegen findet § 51 UrhG bei Kunstzitaten in literarischen Texten, bei denen im Rahmen eines Sprachwerks auf einen Gegenstand der bildenden Kunst Bezug genommen wird keine Anwendung, da mangels Vervielfältigung oder anderer urheberrechtlich relevanter Nutzungshandlung bereits kein Eingriff in die ausschließlichen Rechte des Urhebers vorliegt.759 bb) Das Musikzitat im Anwendungsbereich von § 51 UrhG Gerade das Musikzitat verfolgt fast ausschließlich einen künstlerischen Zweck, sodass es im Kontrast zu dem wissenschaftlichen Zitat auch als schöngeistiges Zitat bezeichnet wird.760 Die Belegfunktion spielt im Gegensatz zu Sprachwerken kaum eine Rolle, da Musik Sinngehalte lediglich assoziativ vermittelt.761

754

BVerfG, GRUR 2001, 149 (152) – Germania 3. BVerfG, GRUR 2001, 149 (151) – Germania 3. 756 BVerfG, GRUR 2001, 149 (152) – Germania 3. 757 BVerfG, GRUR 2001, 149 (152) – Germania 3. 758 BVerfG, GRUR 2001, 149 (152) – Germania 3; BGH, GRUR 2012, 819 Rn. 18 – Blühende Landschaften. 759 Vgl. zum Begriff des Kunstzitats in diesem Zusammenhang; Fliedl / Rauchenbacher / Wolf, Handbuch der Kunstzitate, Einleitung S. IX. 760 So Petzold, UFITA 10 (1937), 38; vgl. Hertin, GRUR 1989, 159 (161). 761 Hertin, GRUR 1989, 159 (162); vgl. Noé, Die Musik kommt mir äußerst bekannt vor, S. 52. 755

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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Nach Günther von Noé liegt gerade in dieser Vermittlung von prägenden, außermusikalischen Inhalten die Funktion des Musikzitats.762 Damit verfolgt das Musikzitat als künstlerische Technik einen inhaltlichen Zweck, welcher über die formalen Funktionen anderer Verarbeitungsformen musikalischer Entlehnungen hinausgeht.763 Aufgrund dieser Aufgabe sei das Musikzitat insbesondere im Rahmen von Programm-, Vokal- und dramatischer Musik passend.764 Es dient dabei insbesondere dem Fixieren von Zeit und Ort, dem Bewusstmachen inhaltlicher Zusammenhänge, der Schaffung einer Pointe in Form der Parodie,765 oder der Verstärkung einer bestimmten Stimmung766. Beispielsweise ist ein Musikzitat gegeben, wenn der bekannte Hochzeitsmarsch von Felix Mendelssohn-­ Bartholdy in der Rocky Horror Picture Show angespielt wird.767 Auch Mozart, Debussy, Tschaikowsky768 und insbesondere Richard Strauss769 zitierten Musik in ihren Werken. Musikzitate sind neben der sog. ernsten oder klassischen Musik auch in der Unterhaltungsmusik, wie beispielsweise in den Genren Jazz, Pop oder Hip Hop ein beliebtes Ausdrucks- und Stilmittel. Dort ist ebenfalls eine von der Zitierfreiheit des § 51 UrhG gedeckte Nutzungshandlung bspw. in Form des Samplings grundsätzlich möglich.770 Jedoch ist aufgrund der kürzeren Dauer der sog. Unterhaltungsmusik im Hinblick auf den Umfang des zitierten Werks eine strengere Beurteilung geboten.771 Zudem setzt die Zulässigkeit des Samplings nach dem Zitatrecht voraus, dass der gesampelte Werkausschnitt als fremder Bestandteil im neuen Werk erkennbar bleibt.772 Häufig werden die Samples aber so stark in die neue Musik eingearbeitet, dass für den Zuhörer nicht ersichtlich ist, ob und inwieweit ein fremdes Stück genutzt wurde. Bislang wurden die Anforderungen an die Erkennbarkeit der Fremdheit nicht von der Rechtsprechung konkretisiert. Man könnte überlegen, die Hörer auf die Fremdheit des genutzten Werkteils durch einen entsprechenden Hinweis im Titelverzeichnis, das dem betroffenen Tonträger beigefügt ist, aufmerksam zu machen. Jedoch scheint diese Möglichkeit nur wenige Nutzungsfälle des Samplings erfassen zu können, da die Mehrzahl musikalischer Werke nicht mehr körperlich in Form einer CD oder eines anderen Speichermediums erworben, sondern regelmäßig über Streamingdienste 762

Noé, Die Musik kommt mir äußerst bekannt vor, S. 51. Noé, Die Musik kommt mir äußerst bekannt vor, S. 51. 764 Noé, Die Musik kommt mir äußerst bekannt vor, S. 51. 765 Noé, Die Musik kommt mir äußerst bekannt vor, S. 51. 766 Petzold, UFITA 10 (1937), 38 (38, 40). 767 Vgl. Hertin, GRUR 1989, 159 (164). 768 Noé, Die Musik kommt mir äußerst bekannt vor, S. 67–74. 769 Noé, Die Musik kommt mir äußerst bekannt vor, S. 77–82. 770 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72 – Pelham u. a., der Samples unter bestimmten Voraussetzungen als Zitat im Sinne von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL anerkennt. Ebenso bereits: Spieß, ZUM 1991, 524 (528). 771 Hertin, GRUR 1989, 159 (166). 772 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 74 – Pelham u. a.; vgl. BGH GRUR 2020, 843 Rn. 54–55 m. w. N.; Wandtke / Bullinger / Lüft, UrhR, § 51 Rn. 5 m. w. N.; Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 3 m. w. N. 763

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wiedergegeben werden. Ebenso entfiele die Möglichkeit eines schriftlichen Hinweises, wenn der Hörer die Musik im Radio hört oder aus anderen Gründen mit einer Kenntnisnahme des Hinweises im Titelverzeichnis nicht zu rechnen ist. Die Möglichkeit, die Zuhörer durch einen schriftlichen Hinweis auf die Fremdheit des zitierten Werkteils aufmerksam zu machen, scheint daher unpraktikabel und unzureichend. Praxistauglicher erscheint es, die Fremdheit des Zitats im Rahmen der Nutzung selbst erkennbar zu machen. Ein gesonderter Hinweis im Werk durch eine sprachliche Ankündigung oder etwa eine Pause entspricht nicht dem Wesen des Samplings und würden den künstlerischen Ausdruck der Musik stören. Daher scheint die Erkennbarkeit der Fremdheit für Zuhörer nur dann möglich, wenn es sich um ein – jedenfalls dem angesprochenen Hörerpublikum – bekanntes Werk handelt, sodass diese das Werk zweifelsfrei als die Schöpfung eines anderen Künstlers erkennen und diesem zuordnen können. Dies ist allerdings meist nur bei der Nutzung eines längeren und wenig verändertem Samples möglich. Beim Sampling werden aber regelmäßig nur sehr kurze Ausschnitte oder einzelne Klangteile von Stücken genutzt und häufig stark, z. B. durch die Nutzung als Loop, bearbeitet. Insoweit unterscheidet sich das Sampling von dem Musikzitat in der klassischen Musik. Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass das Sampling mangels Erkennbarkeit der Fremdheit des zitierten Werkes als Grundvoraussetzung für eine Interaktion in der Regel nicht gem. § 51 UrhG zulässig sein kann. Die musikalische Erscheinungsform des Remix kann nicht in den Anwendungsbereich des Zitatrechts fallen, da im Rahmen eines Remix die angeführten Stellen nicht akzessorischer Natur sind. Sollte man das Kriterium der Akzessorietät mangels Entsprechung im Unionsurheberrecht ablehnen – wobei es überzeugender scheint, das Kriterium als zulässige Nutzung des Umsetzungsspielraums anzuerkennen – ist die Zulässigkeit des Remix als Zitat auch vor dem Hintergrund der nach der Rechtsprechung des EuGH erforderlichen Interaktion773 sowie dem nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL begrenzten Umfang zweifelhaft. Zwar sind die genutzten Werkteile im Remix in der Regel als fremder Bestandteil erkennbar, da der Remix sich häufig der Nutzung von längeren und bekannteren Werkausschnitten bedient. Jedoch erschöpft sich der Remix regelmäßig in der veränderten Wiedergabe bestehender Musikstücke, ohne dabei eine Interaktion mit eigenen Gedanken zu schaffen.774 Zudem ist der Umfang des Zitats nur gerechtfertigt, soweit er zur Erreichung des mit dem Zitat verfolgten Ziels erforderlich ist.775 Unter Berücksichtigung eines künstlerischen Zitatzwecks könnte man wohl noch argumentieren, dass die

773

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 71 – Pelham u. a. So auch im Ergebnis: Pötzlberger, Kreatives Remixing, S. 159. Ablehnend bereits Hertin, GRUR 1989, 159 (167). 775 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 83 – Spiegel Online; nach Leenen, Wandtke / Bullinger / L eenen, UrhR, Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL Rn. 123, muss der Umfang sowohl „quantitativ“ als auch „qualitativ“ gerechtfertigt sein. 774

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Nutzung längerer Werkausschnitte in einem Remix gerechtfertigt sei. Jedoch darf ein Zitat nach dem Dreistufentest gem. Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL nicht so umfangreich sein, „dass es die normale Verwertung des Werks oder eines sonstigen Schutzgegenstands beeinträchtigt oder die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers ungebührlich verletzt“.776 Jedenfalls daran wird eine Berufung auf das Zitatrecht bei der Mehrheit von Remixen scheitern, da diese häufig dasselbe Publikum ansprechen wie das Ausgangswerk und somit geeignet sind dessen Verwertung zu beeinträchtigen. Dieselben Probleme stellen sich bei der Coverversion und dem Soundalike. Sie sind ebenfalls nicht von § 51 UrhG erfasst und stellen regelmäßig eine unfreie Bearbeitung nach § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG dar.777 Musikzitate in Filmwerken können je nach den Umständen des Einzelfalls die Voraussetzungen des § 51 UrhG erfüllen und damit von der Zitierfreiheit gedeckt sein.778 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Musikzitat in der sog. ernsten Musik in den Anwendungsbereich des Zitatrechts fallen kann. Bei neueren künstlerischen Erscheinungsformen wie dem Sampling, dem Remix, dem Cover und dem Soundalike scheint die Zulässigkeit der Nutzung nach § 51 UrhG eher abwegig. cc) Mashups im Anwendungsbereich des § 51 UrhG? Fraglich ist, ob Mashups vom Schutzbereich der Kunstfreiheit erfasst werden und zugleich in den Anwendungsbereich des Zitatrechts fallen können. Bei der vergleichsweise jungen Gestaltungsform des Mashup werden digitale Medien miteinander vermischt, sodass ein neues digitales Produkt entsteht.779 Es existieren sowohl Audio- als auch Video-, Foto- und Web-Mashups.780 Während die Hersteller von Mashups sich in der Entstehungsgeschichte des Mashups zunächst selbst nicht als Künstler bezeichneten, ist die Tätigkeit in der breiten Bevölkerung mittlerweile als kreativer Prozess anerkannt und die Produzenten verstehen sich nun oftmals selbst als Künstler.781 Je nach Art des Mashup 776

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 79 – Spiegel Online. In der Vergangenheit war außerdem noch eine Einordnung als freie Benutzung denkbar, vgl. Loewenheim / Czychowski, Handbuch des Urheberrechts, § 9 Rn. 121. Auch eine Privilegierung von Cover und Soundalike als Pastiche scheint jedenfalls aufgrund der Anforderungen des Dreistufentests abwegig. 778 Hertin, GRUR 1989, 159 (167), der für eine vorsichtige Handhabung des Musikzitats in Filmwerken plädiert. 779 Ausführlich zu der Begriffsdefinition, Gelke, Mashups im Urheberrecht, S. 15. 780 Näher zu den einzelnen Formen von Mashups: Gelke, Mashups im Urheberrecht, S. 16–32. Speziell zum Audio-Mashup s. Pötzlberger, Kreatives Remixing, S. 77–83. 781 Zu dieser Entwicklung: Gelke, Mashups im Urheberrecht, S. 15. 777

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ist es durchaus denkbar, dass die Produktion sowie die betreffenden Kreativen sich im Einzelfall im Anwendungsbereich der Kunstfreiheit bewegen.782 Dennoch erscheint eine Anwendung des Zitatrechts auch bei einer kunstspezifischen Betrachtung zweifelhaft und wird in der Literatur abgelehnt.783 Gegen eine Erstreckung des § 51 Abs. 1 S. 1 UrhG auf Mashups spricht insbesondere, dass Mashup-Künstler ausschließlich Fremdmaterial verwenden und damit keine innere Verbindung zu einer eigenen künstlerischen Gestaltung vorliegt.784 Auch vor dem Hintergrund des bei der Anwendung des Zitatrechts zu berücksichtigendem Änderungsverbots scheint die Erstreckung von § 51 UrhG auf Mashups zweifelhaft.785 Ebenso könnte es – je nach Art des Mashups – bei fehlender Erkennbarkeit der genutzten Werkteile an der vom EuGH geforderten Interaktion786 fehlen. Somit ist festzuhalten, dass Mashups regelmäßig nicht von § 51 UrhG gedeckt sind. dd) Das Zitat in Malerei und Fotografie im Anwendungsbereich von § 51 UrhG In der Malerei und der Fotografie ist das sog. Kunstzitat787 eine weit verbreitete Form der künstlerischen Auseinandersetzung. Dabei fotografieren oder malen Kunstschaffende vor allem Werke oder Werkteile von hohem Bekanntheitsgrad ab, um sie in ihre eigenen Schöpfungen einzubinden.788 Ein häufiges Kunst­zitat 782

Auch Gelke scheint dies vorauszusetzen, wenn er Mashups als künstlerische Zitate diskutiert, Mashups im Urheberrecht, vgl. S. 154. 783 Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 51 Rn. 98; Gelke, Mashups im Urheberrecht, S. 155. 784 Gelke, Mashups im Urheberrecht, S. 154–155. 785 Aus dem Willen des Gesetzgebers, Mashups von § 51a UrhG erfassen zu wollen, s. die Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes BT-Drs. 19/27426, 91, kann hingegen keine grundsätzliche Unanwendbarkeit des § 51 UrhG auf Mashups geschlossen werden. Sollte eine Subsumtion des Mashups unter den Pastichebegriff aufgrund einer entgegenstehenden Auslegung des EuGH nicht möglich sein, ist § 51 UrhG weiterhin in Betracht zu ziehen. Denn der Gesetzgeber hat ausdrücklich den Willen zum Ausdruck gebracht, die Nutzungsform des Mashup privilegieren zu wollen. Daraus kann nicht zwingend geschlossen werden, dass die Nutzung unter den bestehenden Regelungen wie dem Zitatrecht bisher unzulässig war. Das zeigt auch ein Vergleich mit der künstlerischen Nutzungsform des Sampling, die der deutsche Gesetzgeber ebenfalls über § 51a UrhG erfassen möchte, die aber bereits nach der Rechtsprechung unter Einhaltung der Voraussetzungen von § 51 UrhG zulässig sein konnte. Zudem sollte das Zitatrecht jedenfalls seit dem Zweiten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft auch auf Multimediawerke Anwendung finden, Begründung des RegE BT-Drs. 16/1828, 25. 786 Dazu EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72–73 – Pelham u. a. 787 Zu Begriff und Anwendungsbereich des Kunstzitats in Form des Zitats von Bild in Bild: Kakies, Kunstzitate in Malerei und Fotografie, S. 5–8. Die Kunstzitate in Malerei und Fotografie fallen zugleich auch unter den Begriff der Appropriation Art, dazu: Huttenlauch, Appropriation Art, S. 22–25. 788 So mit zahlreichen Beispielen: Kakies, Kunstzitate in Malerei und Fotografie, S. 11.

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stellt z. B. Leonardo Da Vincis Mona Lisa dar, auf die Künstler wie Fernand Léger, Kasimir Malewitsch und Roy Lichtenstein im Rahmen eigener Arbeiten zurückgriffen.789 Während die Nutzung eines derart alten Werkes wie der Mona Lisa urheberrechtlich unproblematisch ist, da etwaige Rechte unter Zugrundelegung des heutigen Urheberrechts jedenfalls erloschen wären, sind auch Nutzungen von Werken zeitgenössischer Künstler denkbar, die in bestehende Urheberrechte eingreifen.790 Insbesondere die (Bild-)Collage ist eine in der Moderne verbreitete Nutzungsform,791 die als Kunstzitat in Konflikt mit den Urheberrechten Dritter geraten kann. Fraglich ist, ob die Nutzung des Kunstzitats in Malerie und Fotografie gem. § 51 UrhG ohne Erlaubnis des Urhebers zulässig sein kann. Bei der vom Bundesverfassungsgericht geforderten „kunstspezifischen Betrachtungsweise“ und der anerkannten Berücksichtigung von Art. 13 S. 1 GRCh durch den EuGH kann der Zitatzweck bei Kunstzitaten im Rahmen von Malerei und Fotografie regelmäßig vorliegen. Denn dort greifen die Künstler nicht lediglich auf fremde Werke zurück, um ihre neuen Schöpfungen mit ihnen anzureichern. Vielmehr werden viele der Zitate zu integralen Bestandteilen ihrer eigenen künstlerischen Aussage und verfolgen eine künstlerische Interaktion in Form der Provokation, der Kritik, des Kontrastes, des Anklangs oder der Hommage.792 Dabei ist die der Interaktion vorgelagerte Voraussetzung der Erkennbarkeit des Zitats als fremder Bestandteil regelmäßig gegeben. Denn die zitierenden Kunstschaffenden greifen häufig auf bekannte Werke Dritter zurück. Bei der Nutzung unbekannter Werke oder Werkteilen von geringem Umfang wird es für das Publikum hingegen schwierig sein, das Zitat als schöpferische Leistung eines Dritten zu identifizieren. Ist dem Publikum das genutzte Werk unbekannt, könnte sich die Fremdheit des Zitats im Einzelfall aus einem besonders starken Kontrast zum sonstigen Werkschaffen und insbesondere zum zitierenden Medium ergeben. Ist zum Beispiel ein Künstler für seine schwarz-weiß Zeichnungen bekannt und integriert ein Foto in eine seiner Zeichnungen, könnte sich die Fremdheit des Fotos für den Betrachter aufdrängen. Ebenso möglich, aber unüblich im Rahmen künstlerischer Nutzungen scheint ein Hinweis auf das Zitat innerhalb des Mediums oder in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang zu diesem. In den meisten Fällen wird die Erkennbarkeit als fremder Bestandteil bei der Nutzung unbekannter Werke oder nur kleiner Werkteile wohl eher zu verneinen sein. Ob die nach § 51 UrhG erforderliche Selbständigkeit der Nutzung und damit spiegelbildlich die Akzessorietät des genutzten Werkes vorliegt, kann nur im Hinblick auf den jeweiligen Einzelfall beurteilt werden. Sie ist jedoch grundsätzlich denkbar. Problematisch erscheint sie hingegen vor allem bei der Nutzung in Form 789

Kakies, Kunstzitate in Malerei und Fotografie, S. 7–8 m. w. N. Kakies, Kunstzitate in Malerei und Fotografie, S. 8. S. auch die Beispiele, a. a. O. S. 10–20. 791 S. zur Entwicklung der Collage als Kunsttechnik: Czernik, Die Collage, S. 15–40. Die Collage kann nicht nur als Bild, sondern auch in anderen Formen wie Musik, Literatur Happenings in Erscheinung treten. Dazu a. a. O., S. 43–53. 792 Vgl. Kakies, Kunstzitate in Malerei und Fotografie, S. 7 m. w. N. 790

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der Collage, da sich dort die Nutzung in der Wiedergabe des Werkes erschöpft und nicht alle Collage-Künstler ihren neu geschaffenen Werken etwas Eigenes hinzufügen.793 Für die Akzessorietät jedes einzelnen Zitats könnte allerdings sprechen, dass es dem großen Ganzen, nämlich der Collage als künstlerischem Ausdruck dient. Die nach § 63 UrhG erforderliche Quellenangabe könnte im Rahmen von Ausstellungen durch entsprechende Hinweisschilder oder bei Printmedien und digitalen Nutzungen durch eine Angabe unter oder neben dem Bild erfolgen. Bei der Nutzung von sehr bekannten Bildern könnte sie sogar entbehrlich sein.794 Je nach Art der Nutzung können im Rahmen des angemessenen Interessenausgleichs zugunsten des Urhebers sowohl seine persönlichkeitsrechtlichen als auch seine verwertungsrechtlichen Interessen zu berücksichtigen sein. Regelmäßig wird das zitierende Medium aufgrund seiner eigenständigen künstlerischen Wirkung jedoch nicht in Konkurrenz mit dem Ausgangswerk treten, sodass die vermögensrecht­ lichen Interessen des Urhebers nicht von der Nutzung betroffen sind.795 Von größerer Relevanz scheint das Urheberpersönlichkeitsrecht, dass z. B. bei einer verzerrenden Darstellung oder neuen Kontextualisierung gegen die von der Kunstfreiheit geschützte Position des Nutzers abzuwägen ist. Abschließend ist festzustellen, dass die Nutzung von Kunstzitaten in Malerei und Fotografie regelmäßig gem. § 51 UrhG zulässig sein kann. ee) Memes als Bildzitate im Anwendungsbereich von § 51 UrhG? Ein Meme ist eine Kombination aus einem oder mehreren Bildern und Text,796 wobei sich aus der Kombination regelmäßig eine komische Wirkung ergibt. Allerdings existieren auch Memes die nicht belustigend wirken, sondern Kritik oder eine andere Emotion ausdrücken. Für die Kreation des Memes wird in der Regel fremdes Bildmaterial wie z. B. Fotos von aktuellen Ereignissen, bekannten Persönlichkeiten oder auch Bildauszügen aus Filmen oder Serien genutzt. Meist ist dem Betrachter die Referenz in Form des Bildes bekannt. Der zugehörige kurze Text, der häufig nur einige Worte umfasst, stammt jedoch regelmäßig von dem Ersteller des Memes. Durch den Text kann das Bild in einen neuen Zusammenhang gesetzt oder auch erläutert werden. Ebenso können durch die Bildunterschrift einer abgebildeten Person vermeintliche Gedanken zugeschoben werden. Neben aktuellen Ereignissen können Memes auch überspitzt lustige Alltagssituationen beschreiben, mit denen sich die Betrachter identifizieren können. Memes werden überwiegend zur Kommunikation über das Internet, insbesondere in sozialen Medien genutzt. Damit können sie wohl überwiegend Schutz nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG 793

Im Ergebnis ablehnend auch: Czernik, Die Collage, S. 294–295. Kakies, Kunstzitate in Malerei und Fotografie, S. 136; Huttenlauch, Approproation Art, S. 108–109; vgl. auch Schulz, ZUM 1998, 221 (230) und Hertin, GRUR 1989 159 (164) m. w. N. 795 So auch: Kakies, Kunstzitate in Malerei und Fotografie, S. 91. 796 Vgl. Maier, GRUR-Prax 2016, 397. 794

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und Art. 11 GRCh beanspruchen. Je nach Einzelfall ist es jedoch auch denkbar, dass Memes als Kunstform in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 13 S. 1 GRCh fallen.797 Nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers sollen Memes von der neu eingeführten Pasticheschranke des § 51a UrhG erfasst werden.798 Sollte dies aufgrund einer abweichenden unionsrechtlichen Auslegung des Pastichebegriffs jedoch nicht möglich sein, wäre fraglich, ob die Nutzung von Memes nach § 51 UrhG zulässig sein kann. Dazu müssten die meist urheberrechtlich geschützten Bilder, die im Rahmen von Memes genutzt werden, Zitate im Sinne des § 51 UrhG darstellen. Für die Annahme eines Zitatzwecks spricht, dass das im Rahmen des Memes genutzte Bild fast immer als fremder Bestandteil erkennbar ist und zwischen dem eigenen Text des Meme-Erstellenden und dem genutzten Bild stets eine innere Verbindung vorliegt. Denn gerade diese Verbindung erzeugt erst die komische oder kritische Wirkung, die das Meme beabsichtigt. Gegen den Zitatzweck könnte jedoch angeführt werden, dass die innere Verbindung allein in der Illustration der eigenen Aussage in Form des Textes durch die Bilder liegen und damit dem Zitatzweck nicht genügen würde. Dies würde jedoch verkennen, dass das Bild nicht lediglich die Aussage des Texts veranschaulicht oder schmückt. Vielmehr ergänzt das Bild den Text und ermöglicht damit eine neue Aussage oder Wirkung, die Bild und Text getrennt voneinander nicht erreichen können. Nimmt man die Kunsteigenschaft des Memes im Einzelfall an, könnte auch eine kunstspezifische Auslegung das Vorliegen eines Zitatzwecks und damit die Zulässigkeit des Memes als Zitat stützen. Denn das Bildzitat könnte als integraler Bestandteil einer eigenständigen künstlerischen Aussage gewertet werden, die sich aus dem Zusammenspiel von Bild und Text ergibt. Dabei könnte jedoch das Merkmal der Eigenständigkeit zu diskutieren sein, die auch bei nicht-künstlerischen Werken im Rahmen von § 51 UrhG wohl noch in Form der Selbständigkeit gefordert wird. Im engen Zusammenhang mit der Selbständigkeit des zitierenden Mediums steht außerdem das Kriterium der Akzessorietät des Zitats. Memes bestehen in der Regel hauptsächlich aus dem fremden Bildmaterial, auf welches der Text platziert wird. Damit ist – zumindest visuell – auch der Umfang des Zitats im Vergleich zum eigenen Text alles andere als gering. Für die inhaltliche Wirkung des Memes trägt das Bild regelmäßig hälftig bei. Ebenso enthalten Memes üblicherweise keine Quellenangaben im Sinne des § 63 UrhG. Diese könnte jedoch ausnahmsweise bei den häufig sehr geläufigen Bildern entbehrlich sein.799 Weiterhin müssten Memes im Einklang mit dem Änderungsverbot nach § 62 UrhG stehen. Auch hier könnte mit einer kunstspezifischen Auslegung argumentiert werden, dass die Änderungen

797

Vgl. dazu Maier, GRUR-Prax 2016, 397. Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 91. Der Wille des deutschen Gesetzgebers Memes von § 51a UrhG zu erfassen, spricht jedoch nicht gegen eine grundsätzliche Unanwendbarkeit von § 51 UrhG für Memes, vgl. dazu Fn. 785. Zur Zulässigkeit des Memes als Pastiche unter B. III. 3. b) bb) (2). 799 Maier, GRUR-Prax 2016, 397 m. w. N. 798

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durch den Zitatzweck bedingt und daher zulässig seien.800 Gleichzeitig ist auch eine analoge Anwendung des § 62 Abs. 4a UrhG in Betracht zu ziehen, die aufgrund des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke abzulehnen wäre, wenn Memes tatsächlich von § 51a UrhG erfasst werden könnten. Abschließend lässt sich festhalten, dass das im Rahmen von Memes genutzte fremde Bildmaterial insbesondere aufgrund dessen Umfangs mit großer Wahrscheinlichkeit nicht als Zitat im Sinne des § 51 UrhG zulässig sein kann.801 ff) Zulässigkeit des Filmzitats nach § 51 UrhG Das Filmzitat, bei dem der zitierte Werkteil in einen neuen Film eingebettet wird (sog. Filmzitat im engeren Sinne)802 kann anerkanntermaßen in den Anwendungsbereich der Zitierfreiheit fallen. Vor der Schaffung der Generalklausel wandte der BGH die nach dem Wortlaut des § 51 Nr. 2 UrhG lediglich für Sprachwerke geltende Regelung analog auf Filmwerke nicht wissenschaftlicher Art an.803 Spielfilme mit frei erdachter Handlung können zudem ein Kunstwerk darstellen und somit in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG fallen.804 Folglich kann auch die Nutzung eines Zitats im Rahmen eines solchen Films vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit zu beurteilen sein. Auch im Bereich der Filme begünstigt die technische Entwicklung Referenzen: Durch die nahezu unbegrenzte Zugriffsmöglichkeit auf Werke der gesamten Filmgeschichte über Streamingdienste oder Plattformen wie YouTube entsteht anstatt des früher vorherrschenden Nacheinanders in der Filmgeschichte ein Nebeneinander von Filmen unterschiedlichen Alters.805 Dennoch existieren in der Filmwissenschaft bisher nur wenige Auseinandersetzungen über die Funktionen des Filmzitats.806 Die Nutzung von Filmzitaten zu einem künstlerischen Zweck ist jedoch durchaus denkbar.807 Homann, ist der Auffassung, dass die Mehrheit der Spiel- und Unterhaltungsfilme sich mangels ausreichenden künstlerischen Gehalts nicht auf eine kunstspezifische Betrachtung im Rahmen des Zitatrechts berufen können.808 Allerdings ist dem entgegenzuhalten, 800

Maier, GRUR-Prax 2016, 397 m. w. N. Im Ergebnis so auch: Maier, GRUR-Prax 2016, 397. 802 Denkbar ist jedoch auch das Zitieren von Musik- oder Sprachwerken im Rahmen eines Films, Haesner, GRUR 1986, 854 (855). Zu dem weitreichenden Begriff des Filmzitats aus filmwissenschaftlicher Perspektive, s. Ullrich, Gebaute Zitate, S. 49 ff. 803 BGHZ 99, 162 (164–165) – Filmzitat. 804 BVerwG NJW 1955, 1203. 805 Metten / Meyer, Film.Bild.Wirklichkeit., S. 37 m. w. N. 806 Ullrich, Gebaute Zitate, S. 49. 807 So im Ergebnis auch: Homann, Filmrecht, S. 60. 808 Homann, Filmrecht, S. 192 mit Verweis auf BGHZ 175, 135 – TV-Total. Dort lehnte der BGH die Zulässigkeit in den Eingriff von Leistungsschutzrechten auch bei kunstspezifischer Betrachtung ab, s. insbes. a. a. O., Rn. 45. 801

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dass es für die Eröffnung des Schutzbereichs der Kunstfreiheit keines besonderen Niveaus der künstlerischen Ausdrucksform bedarf,809 sodass die kunstspezifische Betrachtung durchaus auch für Spiel- und Unterhaltungsfilme maßgeblich sein kann. gg) GIFs als Zitate im Sinne des § 51 UrhG? Auch die Privilegierung von GIFs durch das Zitatrecht nach § 51 UrhG ist fraglich. Bei GIFs handelt es sich ebenso wie bei Memes primär um ein Mittel der Online-Kommunikation. Im Einzelfall ist jedoch nicht auszuschließen, dass sie in den Schutzbereich der Kunstfreiheit fallen. GIFs unterscheiden sich von Memes dadurch, dass sie animiert sind. Außerdem können GIFs zwar auch aus einer Kombination aus Bild und Wort bestehen, sie können jedoch auch als reiner Ausschnitt eines Videos, einer animierten Fotografie, Grafik oder Zeichnung ohne Text auftreten. Vielfach werden urheberrechtlich geschützte Filmausschnitte oder Zeichnungen für die Animation verwandt. Bei der Frage, ob die nach dem Willen des Gesetzgebers von § 51a UrhG erfassten GIFs810 als Zitat nach § 51 UrhG zulässig sein können, sind viele der Erwägungen, die bei der Beurteilung der urheberrechtlichen Zulässigkeit von Memes relevant wurden, zu übertragen. Auch bei GIFs könnte der Zitatzweck – insbesondere bei einer kunstspezifischen Betrachtung – in einer eigenständigen künstlerischen, kritischen oder humoristischen Aussage liegen. Problematisch erscheinen hingegen die Selbständigkeit der Aussage, der Umfang und die Akzessorietät der Werknutzung sowie die Einhaltung der Quellenangabe nach § 63 UrhG und des Änderungsverbots nach § 62 UrhG. Die Problematiken insbesondere hinsichtlich des Zitatzwecks, des Umfangs und der Akzessorietät verschärfen sich, wenn das GIF sich in der Wiedergabe eines urheberrechtlich geschützten Filmausschnittes oder einer urheberrechtlich geschützten Zeichnung erschöpft, ohne dass der Nutzer einen eigenen Text hinzufügt. Denn dann ist die Kreation einer eigenständigen Aussage durch die Wechselwirkung von Bild und Text nicht möglich. Das GIF kann nur noch eine Illustration des möglicherweise voran- oder nachgestellten Textes im Chat oder Blogpost darstellen. Das angeführte Werk ist dann keinesfalls akzessorischer Natur und im Vergleich – zu dem nicht vorhandenem eigenen Textteil – umfassend. Somit lässt sich festhalten, dass parallel zu Memes auch GIFs aufgrund des großen Umfangs der Übernahme wohl nicht nach dem Zitatrecht zulässig sind. Noch unwahrscheinlicher erscheint die Zulässigkeit von GIFs, die sich in der Wiedergabe fremden Materials erschöpfen.

809

Dazu unter D. II. 2. a) aa) (2). Vgl. auch D. II. 1. c) cc) (2). Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 191. Zu den Konsequenzen für die Anwendbarkeit von § 51 UrhG vgl. Fn. 785. Zur Zulässigkeit des GIFs als Pastiche unter B. III. 3. b) bb) (3). 810

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hh) Zulässigkeit des Kunstzitats in der Architektur nach § 51 UrhG? In der Architektur ist das Kunstzitat im Rahmen von Entwürfen in Anlehnung an bestimmte Gebäude wie bspw. die Akropolis811 aber auch im Zitieren bestimmter Epochen-, Regional- oder Personalstile zu finden.812 Von urheberrechtlicher Relevanz ist aber allein das Zitieren eines konkreten Gebäudes als Werk im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG. Fraglich ist jedoch, ob diese Nutzung, die je nach Art des konkreten Gebäudes in den Schutzbereich der Kunstfreiheit fallen813 zugleich auch die Anforderungen des § 51 UrhG erfüllen kann. Zwar wird in der Architekturtheorie bei dem Gebrauch von Referenzen teilweise von einem Zitat gesprochen, jedoch erscheint es zweifelhaft, ob in solchen Fällen ein Zitat im Sinne des § 51 UrhG vorliegen kann. Vor der Schaffung der Generalklausel nach § 51 Abs. 1 S. 1 UrhG hegte das LG München I Bedenken gegen eine analoge Anwendung des Zitatrechts nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 UrhG auf (Innen-)architektur.814 In dem zugrundeliegenden Sachverhalt des angeführten Urteils wurden die Anfangszeilen eines Gedichts von Eugen Roth als Wandinschrift in einem städtischen Gebäude wiedergegeben. Noch schwieriger erscheint die Beurteilung einer künstlerischen Auseinandersetzung und dessen Verortung als Zitat, wenn das Bauwerk kein Sprachwerk, sondern ein anderes Bauwerk zitiert. Vor dem Hintergrund der nun bestehenden Generalklausel und der von der Rechtsprechung entwickelten kunstspezifischen Betrachtungsweise des Zitatrechts, ist eine Anwendung des § 51 Abs. 1 S. 1 UrhG in solchen Fällen in Betracht zu ziehen.815 Allerdings scheint das Vorliegen einer Interaktion des zitierenden Bauwerks mit dem zitierten Bauteil fraglich. Insbesondere wird der genutzte Werkteil regelmäßig nicht als fremder Bestandteil erkennbar sein. Dies scheint möglicherweise denkbar, wenn der zitierte Werkteil große Bekanntheit genießt und sich durch das verwendete Material oder die Farbgebung so von dem zitierenden Bauwerk abhebt, dass es als eine Art Fremdkörper erscheint und daher einem Dritten zugewiesen werden kann. Eine weitere Möglichkeit wäre die Kennzeichnung durch Hinweistafeln an dem Gebäude – ob dies aber tatsächlich den bislang nicht konkretisierten Anforderungen der Rechtsprechung hinsichtlich der Erkennbarkeit der Fremdheit genügt, scheint zweifelhaft. Zudem werden in der Architektur eher Anspielungen als vollständige Vervielfältigungen von Werken Dritter verwendet. Eine Erstreckung des Anwendungsbereichs des Zitatrechts auf 811 Vgl. dazu als Beispiel Hesse, Moderne und Klassik, S. 374–375; im angeführten Fall zitierte der Architekt Johnson laut Hesse jedoch nicht lediglich die Akropolis selbst, sondern eine spezifische Interpretation dieser durch den Architekturhistoriker Choisy. 812 Vgl. dazu als Beispiel Hesse, Moderne und Klassik, S. 385. 813 Vgl. Hillisch, wbl 2009, 53 (57). 814 LG München I, NJW 1999, 1978. Das Gericht ließ die Frage der Anwendung des Zitatrechts auf ein (innen-)architektonisches Bauwerk offen, da sie im vorliegenden Fall jedenfalls an der inneren Verbindung zwischen Zitat und Bauwerk scheitere. 815 Die Anwendung des Zitatrechts auf Fotos von Bauwerken ist jedenfalls möglich, regelmäßig kann eine Nutzung jedoch bereits nach § 59 Abs. 1 UrhG zulässig sein, vgl. Schönewald, WRP 2014, 142 (143–144).

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Übernahmen von Werkteilen in der Architektur durch eine kunstspezifische Betrachtung könnte außerdem mit den Grenzen des Wortlauts in Konflikt geraten. Dieser Konflikt besteht auch bei anderen Formen des Kunstzitats, wird aber bei vermeintlichen Zitaten in der Architektur besonders deutlich. Denn es lässt sich nicht unter die vom Gesetzgeber genannten, besonderen Formen des Zitats wie das Musikzitat,816 das Filmzitat oder das Zitat von Multimediawerken817 subsumieren. Allerdings schien der Gesetzgeber die vorsichtige Erweiterung des Zitatrechts auch auf Zitate in der Innenarchitektur beziehen zu wollen, sodass aufgrund des Wortlauts eine Erstreckung auf die verwandte Außenarchitektur nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.818 Zudem enthält die unionsrechtliche Vorgabe des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL keine Einschränkungen des Anwendungsbereichs auf bestimmte Werktypen, sondern ist offen für eine werkartübergreifende Anwendung des Zitatrechts. ii) Die Parodie als Kunstzitat im Sinne des § 51 UrhG? Fraglich ist, ob die Parodie als anerkannte und von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützte Kunstform819 in den Anwendungsbereich des Zitatrechts fallen kann. Die Literatur hat diese Frage bereits diskutiert.820 Insbesondere Hess hat sich ausführlich mit der Anwendbarkeit von § 51 UrhG auf die Parodie beschäftigt und kommt zu dem Ergebnis, dass eine Privilegierung der Parodie durch das Zitatrecht zwar theoretisch denkbar ist, in der Praxis jedoch in der Regel zu verneinen sein wird. Die von Hess angeführten Bedenken, eine Pa­rodie werde in der Regel kein „selbständiges“ Werk im Sinne von § 51 Nr. 2 UrhG sein und könne sich ohnehin nur auf Sprachwerke erstrecken821 können nach der heutigen Rechtslage keine Geltung mehr beanspruchen. Denn durch die Neufassung des § 51 UrhG ist die Anwendung des Zitatrechts werkartunabhängig möglich und mit Blick auf die unionsrechtliche Vorgabe ist ein selbständiges Werk als zitierendes Medium entbehrlich. Darüber hinaus argumentiert Hess jedoch, dass Parodien regelmäßig gegen das Änderungsverbot des § 62 UrhG verstoßen würden. Ebenso würde eine Quellenangabe nach § 63 UrhG in der Regel unterbleiben und der gebotene Umfang des angeführten Werk(-teil)s überschritten.822 Diese Argumente können auch gegenwärtig noch 816

Vgl. § 51 S. 2 UrhG. Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/1828, 25. 818 Unklar ist allerdings, ob der deutsche Gesetzgeber auf Zitate aus Sprachwerken in der Innenarchitektur oder auf bauliche Zitate abzielte. 819 Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 150. 820 Schmieder, NJW 1971, 2169 (2173); Vgl. auch Dünnwald, AfP 1972, 274 (274–275); Slopek, WRP 2009, 20 (23–24); Mauch, Die rechtliche Beurteilung von Parodien, S. 66–72; Schricker / Loewenheim / Spindler, UrhG, § 51 Rn. 40 m. w. N. 821 Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 143. 822 Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 143. 817

156

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

gegen eine Anwendung des Zitatrechts auf Parodien sprechen. Jedoch sind sie nicht bei allen Erscheinungsformen der Parodie zutreffend. Denn es sind durchaus Parodien denkbar, in denen ein Werk unverändert übernommen und die parodistische Wirkung lediglich durch einen ergänzenden Text hervorgerufen wird. Ebenso könnte die Pflicht zur Quellenangabe nach § 63 UrhG für einige Parodien entfallen, da eine Parodie nur als solche funktioniert, wenn das genutzte Werk und damit auch in vielen Fällen die Quelle bekannt ist.823 Zudem wäre eine Quellenangabe im Rahmen von Parodien unüblich, aber nicht unmöglich.824 Der gebotene Umfang könnte im Hinblick auf die Parodie als Zitatzweck gerechtfertigt werden. Im Hinblick auf die deutsche Rechtsprechungspraxis und jedenfalls vor dem Hintergrund des europäischen Rechtsverständnisses ist eine Erstreckung der Zitierfreiheit auf die Parodie jedoch abzulehnen. Der BGH hat die Fälle einer urheberrechtlich relevanten Nutzung in Form der Parodie regelmäßig im Anwendungsbereich des § 24 UrhG a. F. verortet. Dies liegt vermutlich daran, dass in den vom Gericht zu beurteilenden Fällen bekannte Motive so stark verändert wurden, dass insbesondere auch vor dem Hintergrund des Änderungsverbots nicht mehr von einem Zitat gesprochen werden konnte.825 Lediglich im Gies-Adler-Urteil hat der BGH die Anwendung von § 51 Nr. 2 UrhG erwogen, dessen Eingreifen jedoch offen gelassen, da im zugrundeliegenden Sachverhalt jedenfalls eine freie Benutzung nach § 24 UrhG a. F. vorlag.826 Auch in seiner jüngsten Entscheidung zur urheberrechtlichen Beurteilungen von Parodien stellte der BGH auf die freie Benutzung ab und nahm im Rahmen von § 24 UrhG a. F. eine durch die Parodieschranke des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL gebotene unionsrechtskonforme Auslegung vor. Das Zitatrecht blieb unerwähnt.827 Denn über die starken Veränderungen der genutzten Werke hinaus, spricht auch die Dogmatik der InfoSoc-RL für eine Verortung der Parodie außerhalb des § 51 UrhG. Nach der InfoSoc-RL besteht neben der Ausnahme zum Zwecke des Zitats nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL eine ausdrückliche Beschränkung zugunsten der Parodie gem. Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL, sodass die Parodie nach europäischem Rechtsverständnis ein Aliud und keinen Unterfall des Zitatrechts darstellt. Zudem ist im Zuge des Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes die Parodieschranke ausdrücklich in § 51a UrhG aufgenommen. Einer Erfassung über § 51 UrhG bedarf es somit nicht mehr. Deshalb wird die Parodie auch in Zukunft nicht im Anwendungsbereich der Zitierfreiheit nach § 51 UrhG zu verorten sein.

823

v. Becker, GRUR 2004, 104 (109). Dazu eingehend: Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, S. 142. 825 Vgl. dazu: BGH GRUR 1994, 191  – Asterix Persiflagen, obwohl der BGH an einer Stelle dieser Entscheidung von einem „Zitat“ spricht dabei aber nicht auf § 51 UrhG abzielt, a. a. O. (199); BGHZ 122, 53 –  Alcolix; BGHZ 211, 309 – auf fett getrimmt. 826 BGHZ 154, 260 (269) – Gies-Adler. 827 BGHZ 211, 309 – auf fett getrimmt. 824

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

157

c) Entwicklung der Zitatschranke vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit Seit Bestehen des Urheberrechtsgesetzes betonte der BGH in ständiger Rechtsprechung, dass die Schrankenregelungen der §§ 44a ff. UrhG – und damit auch die Zitatschranke des § 51 UrhG828– als Ausnahme von den Ausschließlichkeitsrechten des Urhebers eng auszulegen sei,829 um eine angemessene Beteiligung des Urhebers an der Verwertung seines Werkes sicherzustellen.830 Die grundsätzlich enge Auslegung der §§ 44a ff. UrhG hinderte das BVerfG jedoch nicht daran, den Anwendungsbereich des Zitatrechts vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit durch eine kunstspezifische Betrachtungsweise auszuweiten. Das Gericht stellte in der Germania-3-Entscheidung fest, dass die Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG es gebiete, nicht nur die Erörterung oder den Beleg als den für § 51 UrhG maßgeblichen Zitatzweck anzuerkennen, sondern auch die künstlerische Auseinandersetzung.831 Die Ausführungen des BVerfG führen jedoch nicht dazu, dass im Rahmen jedweder künstlerischen Auseinandersetzung mit geschützten Werken die Zitierfreiheit eingreift. Der BGH stellte in der Entscheidung Blühende Landschaften klar, dass die kunstspezifische Betrachtung lediglich dazu führe, anstatt des Belegs oder der Erörterung die künstlerische Auseinandersetzung als Zitatzweck ausreichen zu lassen. Die weiteren Voraussetzungen des § 51 UrhG, insbesondere die innere Verbindung zwischen den Ausführungen des Zitierenden und dem Zitat, seien weiterhin in jedem konkreten Einzelfall zu prüfen.832 Zudem forderte der BGH als Voraussetzung für eine kunstspezifische Auslegung des Zitatrechts ausreichende Feststellungen zu der materiellen Eigenschaft des Mediums als Kunstwerk. Die bloße Verwendung von formal künstlerischen Gestaltungsmitteln wie der Collagetechnik ließ das Gericht für die Feststellung, dass das zitierende Medium ein Kunstwerk sei, nicht ausreichen.833 Damit ist der BGH einer ausufernden Anwendung des § 51 UrhG zugunsten der Kunstfreiheit entgegengetreten, die das OLG Brandenburg vorzunehmen schien. In der Entscheidung Metall auf Metall gab das BVerfG dem BGH auf, die Kunstfreiheit des Samplers durch eine entsprechende Auslegung von § 24 Abs. 1 UrhG a. F., § 85 Abs. 1 oder § 51 UrhG zu berücksichtigen.834 Der EuGH setzte einer 828

So in: BGHZ 185, 291 Rn. 27 – Vorschaubilder. BGHZ 114, 368 (371) – Liedersammlung; BGH GRUR 1993, 822 (823) – Katalogbild; BGHZ 126, 313 (317) – Museumskatalog, jeweils m. w. N. 830 BGHZ 150, 6 (8) – Verhüllter Reichstag; BGHZ 185, 291 Rn. 27 – Vorschaubilder m. w. N. 831 BVerfG GRUR 2001, 149 (151) – Germania 3. 832 BGH GRUR 2012, 819 Rn. 22  – Blühende Landschaften. In einem älteren Verfahren stellte der BGH außerdem fest, dass die Informations-, Kommunikations- oder Gewerbefreiheit eine erweiterte Auslegung des Zitatzwecks nicht rechtfertigen könnten, BGHZ 185, 291 Rn. 27 – Vorschaubilder. 833 BGH GRUR 2012, 819 Rn. 18 – Blühende Landschaften. 834 BVerfGE 142, 74 Rn. 110 – Metall auf Metall. 829

158

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

weiteren Ausdehnung des Zitatrechts im Rahmen des Samplings jedoch Grenzen. In der Vorlage des BGH stellte der Gerichtshof fest, dass von einem Zitat jedenfalls nicht die Rede sein könne, wenn der genutzte Ausschnitt nicht als fremder Bestandteil erkennbar sei und es somit an einer Interaktion fehle.835 Daraufhin verzichtete der BGH auf eine erneute Erweiterung des Zitatrechts und lehnte die Zulässigkeit des Samplings im konkreten Fall ab: Da das Werk wiedererkennbar sei, sei eine einschränkende Auslegung von § 85 Abs. 1 UrhG nicht geboten. Das Zitatrecht sei außerdem nicht anwendbar, da für den Hörer keine Anhaltspunkte bestünden, dass die gesampelte Rhythmussequenz aus einem fremden Werk oder Tonträger stammten. Dabei verwies der BGH auf die Ausführungen des Generalanwalts Szpunar, welcher die Nutzung im konkreten Fall als Aneignung und nicht als Interaktion bezeichnete.836 Der BGH ließ die Kunstfreiheit somit im konkreten Fall zurücktreten und macht mit seinen, dem EuGH folgenden Aussagen die erlaubnisfreie Nutzung von Samples in vielen Fällen unmöglich.837 Inwieweit das Sampling doch noch nach dem Zitatrecht zulässig sein kann, hängt vor allem davon ab, wie hoch die Hürden an die Erkennbarkeit des Zitats als fremder Bestandteil zukünftig sein werden und welche Anforderungen die Rechtsprechung an die Interaktion mit dem zitierten Werk stellt. Zu beiden Fragen enthielt sich der BGH bislang. Neben der dennoch eher kunstfreundlichen Auslegung des § 51 UrhG in der deutschen Rechtsprechung, hat auch der europäische Gesetzgeber zu einer Erweiterung des Zitatrechts beigetragen. Durch die Vorgabe des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL fand die Generalklausel des § 51 Abs. 1 S. 1 UrhG Eingang in das deutsche Zitatrecht. Damit verbunden war eine vorsichtige Erweiterung der Regelung, die auch zuvor nicht erfassten künstlerischen Zitaten in Rahmen von Multimediawerken zugutekommt.838 Zudem wurde aufgrund der Schaffung der Generalklausel, die von der Rechtsprechung anerkannte analoge Anwendung des Zitatrechts auf Filmwerke entbehrlich.839 Es lässt sich somit festhalten, dass sich der Anwendungsbereich des Zitatrechts seit Entstehung des Urheberrechts durch unionsrechtliche Vorgaben und die Berücksichtigung der Kunstfreiheit zugunsten von künstlerischen Nutzungen ausgeweitet hat.840 Eine erweiternde Auslegung des Anwendungsbereichs findet jedoch nur durch die Anerkennung der künstlerischen Auseinandersetzung als Zitatzweck 835

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 73–74 – Pelham u. a. BGHZ 225, 222 Rn. 55 mit Verweis auf GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 67 – Pelham u. a. 837 Zur Zulässigkeit des Samplings nach dem Zitatrecht unter B. III. 2. b) bb). 838 Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/1828, 25. 839 Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/1828, 25. 840 Eine großzügige Auslegung des Zitatrechts im Allgemeinen stellen auch Berberich /  Nordemann, GRUR 2010, 966, fest. 836

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

159

statt. Alle weiteren Merkmale des § 51 UrhG müssen weiterhin erfüllt sein, sodass die Zitierfreiheit nicht als Freibrief für die künstlerische Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken dienen kann. Insbesondere das Wesensmerkmal des Zitats, nämlich die Interaktion zwischen zitiertem Werk und zitierendem Medium muss auch bei einer kunstspezifischen Betrachtung vorliegen. Grundlegende Voraussetzung dafür ist jedenfalls, dass der übernommene Werkteil als fremd gegenüber den Ausführungen des Nutzers erkennbar ist und somit vom Publikum einem Dritten zugeordnet wird. Weiterhin ist eine kunstspezifische Betrachtung nur dann vorzunehmen, wenn das Medium tatsächlich ein Kunstwerk im Sinne des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG darstellt und das konkrete Zitat einer künstlerischen Auseinandersetzung dient. Diese Feststellungen können insbesondere bei den jüngeren referenziellen Nutzungsformen, bei denen das Zitatrecht in Betracht zu ziehen ist, wie Sampling, Mashups, GIFs, Memes oder Fan Art weder pauschal noch eindeutig getroffen werden. Insbesondere sind die sich aus Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL ergebenden Anforderungen zu beachten. Ob und unter welchen Voraussetzungen diese Kunstformen vom Anwendungsbereich des § 51 UrhG erfasst werden können, bedarf einer Klärung durch die Rechtsprechung.

3. Die Schrankenregelung zugunsten von Parodien, Karikatur und Pastiches nach § 51a UrhG Im Rahmen des Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes hat der deutsche Gesetzgeber in Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL eine Schranke zugunsten von Parodien, Karikaturen und Pastiches eingeführt. § 51a UrhG gestattet die Vervielfältigung, die Verbreitung und die öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes (a) zum Zwecke der Karikatur, der Parodie und des Pastiches (b). Dabei ist auch die Nutzung einer Abbildung oder sonstigen Vervielfältigung des genutzten Werkes erlaubt, auch wenn diese selbst durch ein Urheberrecht oder ein verwandtes Schutzrecht geschützt ist. Bei der Anwendung der Schrankenregelung sind auch die Quellenangabe und das Änderungsverbot (c) sowie weitere allgemeine Voraussetzungen zu berücksichtigen (d). a) Veröffentlichtes Werk § 51a S. 1 UrhG setzt zunächst voraus, dass das genutzte Werk im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG841 gem. § 6 Abs. 1 UrhG veröffentlicht wurde. Dies bedeutet, dass das

841

Die Nutzung eines Gegenstands, welcher kein Werk i. S. d. § 2 Abs. 2 UrhG darstellt, ist aus urheberrechtlicher Sicht von vornherein zulässig, sodass es der Ausnahmeregelung des § 51a S. 1 UrhG nicht Bedarf.

160

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Werk mit Zustimmung des Berechtigten in seiner konkreten Gestalt842 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.843 Diese Voraussetzung ist im Hinblick auf die unionsrechtliche Vorgabe des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL unschädlich. Zwar sieht Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL keine Einschränkung der Ausnahmeregelung auf veröffentlichte Werke vor. Jedoch ist diese Begrenzung des Anwendungsbereichs von § 51a UrhG auf veröffentlichte Werke Ausdruck des Urheberpersönlichkeitsrechts,844 welches bislang nicht durch das Unionsrecht harmonisiert ist und insbesondere nicht in den Anwendungs­ bereich der InfoSoc-RL fällt.845 b) Zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches Eine Nutzung nach § 51a UrhG setzt voraus, dass damit die Schaffung einer Karikatur, Parodie oder eines Pastiches bezweckt ist. Nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers bedeutet dies für alle drei Fälle, dass der Nutzer sich mit dem Ausgangswerk oder einem dritten Bezugsobjekt inhaltlich oder künstlerisch auseinandersetzen muss. Denn in der Auseinandersetzung kämen die Grundrechte der Nutzer zum Ausdruck, welche den Eingriff in die Rechte des Originalurhebers rechtfertigen würden.846 Ob sich das Kriterium der Auseinandersetzung – das der EuGH bislang nicht im Rahmen der europäischen Vorgabe des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL,847 sondern im Zusammenhang mit der Nutzung im Rahmen des Zitatrechts aufgestellt hat848 – tatsächlich für die Parodie, Karikatur und Pastiche nach § 51a UrhG maßgeblich sein kann, kann aufgrund der Harmonisierung durch Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zukünftig allein der EuGH abschließend entscheiden. Denn bei allen drei Begriffen handelt es sich um autonome Begriffe des Unionsrechts.849 Sollte auch der EuGH eine Auseinandersetzung im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL fordern, bleibt weiterhin klärungsbedürftig, wel-

842

Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 95 – Spiegel Online; vgl. auch: BGH GRUR 2020, 859 Rn. 96 – Reformistischer Aufbruch II. 843 Vgl. dazu bereits unter B. II. 2. b) cc). 844 Vgl. Stieper, GRUR 2020, 792 (795); vgl. Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 12 Rn. 1 m. w. N. 845 Erwgr. 19 InfoSoc-RL. 846 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 90. 847 In der Entscheidung Deckmyn und Vrijheidsfonds, auf die der deutsche Gesetzgeber verweist, stellte der EuGH jedoch für die Parodie fest, dass es Merkmal der Parodie sei, an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, sodass dies als eine Form der Auseinandersetzung gedeutet werden kann. EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 20 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 848 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 71 – Pelham u. a. 849 Bisher ausdrücklich festgestellt für die Parodie: EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 15, 17 – Deckmyn und Vrijheidsfonds.

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

161

che Voraussetzungen an das Merkmal der Auseinandersetzung zu stellen sind.850 Insbesondere der Anwendungsbereich der Pasticheschranke könnte durch entsprechende Kriterien geweitet oder verengt werden. Trotz ihrer Gemeinsamkeiten handelt es sich bei der Parodie (aa), dem Pastiche (bb) und der Karikatur (cc) um eigenständige Kunstformen und Tatbestände, sodass ihre spezifischen Merkmale bei der Auslegung zu berücksichtigen sind. aa) Die Parodie im Sinne des § 51a UrhG Maßgeblich für den Parodiebegriff nach § 51a UrhG ist der durch die Rechtsprechung des EuGH konkretisierte unionsrechtliche Parodiebegriff (1). Fraglich ist, welche künstlerischen Ausdrucksformen unter Zugrundelegung dieses Begriffsverständnisses als Parodie gem. § 51a UrhG privilegiert werden können (2). (1) Maßgeblichkeit des unionsrechtlichen Parodiebegriffs Nach Auffassung des EuGH sei es wesentliches Merkmal der Parodie „zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und zum anderen einen Ausdruck von Humor und Verspottung darzustellen“851. Da der Parodiebegriff bereits im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL untersucht wurde und dieser als autonomer Begriff des Unionsrechts auch für die Auslegung im Rahmen von § 51a UrhG maßgeblich ist, wird an dieser Stelle nach oben852 verwiesen. (2) Anwendungsbereich des Parodiebegriffs Der im Vergleich zur Kulturwissenschaft weite Parodiebegriff des EuGH erfasst grundsätzlich alle nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch als Parodie bezeichneten Kunstformen (a). Fraglich ist jedoch, ob der Parodiebegriff auch Anwendung auf neue künstlerische Erscheinungsformen finden kann, die im gewöhnlichen Sprachgebrauch regelmäßig nicht als solche bezeichnet werden, aber nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers privilegiert werden sollen.853 850

Im Rahmen des Zitatrechts geht der EuGH davon aus, dass das Sampling – sofern das Sam­ ple als fremder Bestandteil erkennbar ist – eine Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk darstellen könne, EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019  – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72  – Pelham u. a. Siehe zu der Frage nach den Kriterien der Interaktion bereits unter B. II. 2. b) bb). 851 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 20  – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 852 B. II. 1. b) bb) (1). 853 Vgl. die Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 89. Der deutsche Gesetzgeber

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

(a) Anwendung der Parodieschranke auf die bereits als Parodie anerkannten Kunstformen Bei Anwendung des maßgeblichen, unionsrechtlichen Parodiebegriffs, erfasst die entsprechende Schrankenregelung alle „klassischen“ Formen der Parodie, die im gewöhnlichen Sprachgebrauch auch als solche bezeichnet werden.854 Mangels Einschränkung des EuGH im Hinblick auf die Werkgattung können sowohl literarische, zeichnerische oder auch musikalische Parodien nach § 51a UrhG zulässig sein. Eine Berufung auf § 51a UrhG scheidet allerdings auch dort aus, wenn die Anwendung nicht zu einem angemessenen Ausgleich zwischen Rechtsinhabern und Nutzern führt. (b) Anwendung der Parodieschranke auf neue künstlerische Nutzungsformen? Fraglich ist jedoch, ob auch neue Nutzungsformen, die originär nicht als Parodien bezeichnet werden unter den Parodiebegriff von § 51a UrhG fallen und damit privilegiert werden können. Insbesondere ist zu untersuchen, ob die vergleichsweise jungen referenziellen Nutzungsformen in Form des Memes (aa), des GIFs (bb), des Mashups (cc), des Samplings, des Remix, der Fan Fiction und der Fan Art (dd) vom Parodiebegriff erfasst sein können, um dann ein Fazit zu ziehen (ee). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen diese Nutzungsformen zwar von der Pasticheschranke des § 51a UrhG privilegiert werden.855 Allerdings fehlt es bislang an einer Konturierung des Pastichebegriffs durch den EuGH. Daher ist zu untersuchen, ob für den Fall einer der Zulässigkeit der genannten Nutzungsformen entgegenstehenden Auslegung des Pastichebegriffs durch den EuGH diese auch als Parodie zulässig sein können. (aa) Das Meme als Parodie im Sinne des § 51a UrhG Bei Memes handelt es sich um Darstellungen, die aus einer Kombination aus einem oder mehreren Bildern und Text bestehen856 und überwiegend im Rahmen

will diese vor allem über den Pastichebegriff erfassen, a. a. O. 91, und geht davon aus, dass sie vor der Reform nicht vom Begriff der Parodie und Karikatur erfasst waren. Diese These gilt es zu überprüfen. 854 Vgl. die Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 89. 855 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 91. Vgl. sinngemäß Fn. 785. 856 Vgl. Maier, GRUR-Prax 2016, 397.

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

163

der Online-Kommunikation genutzt werden.857 Um als Parodie nach § 51a UrhG zulässig zu sein, müssten Memes zum einen an ein bestehendes Werk erinnern (α), gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufweisen (β), und zum anderen einen Ausdruck von Humor und Verspottung (γ) darstellen.858 Schließlich muss bei der Anwendung der Parodieschranke auf Memes ein angemessener Ausgleich zwischen den Rechten und Interessen der Rechtsinhaber und der Nutzer hergestellt werden (δ). (α) Erinnerung des Memes an ein bestehendes Werk Memes nutzen Werkausschnitte häufig in Form von Fotos oder Zeichnungen. Durch die in der Regel unveränderte oder nur teilweise bearbeitete Übernahme des Werks oder eines Werkausschnitts wird der Betrachter in jedem Fall an das zugehörige Werk erinnert. In manchen Fällen wird er sogar mit dem gesamten Werk konfrontiert. Dabei wird das Ausgangswerk jedoch nicht lediglich nachgeahmt, sondern unmittelbar übernommen. Dies könnte einer Anwendung der Parodieschranke entgegenstehen. Zwar führte der EuGH nicht näher aus, wie das Merkmal der Referenz, also das „Erinnern“ auszugestalten sei. Generalanwalt Villalón bezeichnet die Parodie jedoch als Nachahmung und geht davon aus, dass für eine Parodie einige Elemente kopiert werden müssen.859 Es müsse ein Gleichgewicht zwischen Nachahmung und Originalität bestehen, da nur durch die Ergänzung neuer Elemente die Wirkung einer Parodie erzeugt werde.860 Dies könnte ein eher restriktives Begriffsverständnis nahelegen, das vollständige unmittelbare Übernahmen zum Zwecke der Parodie ausschließt. Andererseits beschrieb der Generalanwalt die Parodie auch als Kopie861 und betonte im Anschluss, dass obwohl der Parodiebegriff unionsrechtlich autonom sei, den Mitgliedstaaten Spielraum bei der Beurteilung der Parodieeigenschaft zukommen müsse. Insbesondere müssten sie entscheiden, „ob die Parodie genug schöpferische Elemente im Verhältnis zu dem parodierten Werk aufweisen muss oder ob es sich um kaum mehr als eine Kopie mit unwesentlichen Änderungen handeln kann.“862 Dies spricht dafür, das Merkmal des „Erin-

857

Näher dazu bereits unter B. III. 2. b) ee). Vgl. EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 20 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 859 GA Villalón, Schlussanträge v. 22. 05. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:458 Rn. 48, 50 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 860 GA Villalón, Schlussanträge v. 22. 05. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:458 Rn. 58 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 861 GA Villalón, Schlussanträge v. 22. 05. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:458 Rn. 49–50 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 862 GA Villalón, Schlussanträge v. 22. 05. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:458 Rn. 55 Deckmyn und Vrijheidsfonds. 858

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

nerns“ nicht bereits aufgrund einer unmittelbaren Übernahme eines Werkes oder von Werkteilen abzulehnen. Zudem zeigt der BGH in auf fett getrimmt, dass nach seiner Auffassung eine Nutzung durchaus im Rahmen der Parodieschranke liegen kann, auch wenn Fotografien unmittelbar übernommen und nur im Anschluss mehr oder weniger bearbeitet wurden. In dem genannten Rechtsstreit ist die tatsächliche Änderung des Fotos nicht besonders umfangreich. Der Körper der abgebildeten, eigentlich schlanken Person wurde mit einem Bildbearbeitungsprogramm so verändert, dass sie fettleibig erschien. Ansonsten blieb das Bild gleich. Obwohl die tatsächliche Änderung an dem Bild gering ist, erzielt es jedoch eine ganz andere Wirkung und ist von dem Originalbild deutlich unterscheidbar. Folglich kann auch eine unmittelbare Übernahme von Werken oder Werkteilen nach dem deutschen, im Umsetzungsspielraum liegenden Verständnis, unter den Begriff der Parodie fallen. Der Aspekt der unmittelbaren Übernahme kann allenfalls innerhalb des Dreistufentest zu berücksichtigen sein. (β) Wahrnehmbare Unterschiede des Memes gegenüber dem Ausgangswerk Des Weiteren muss das Meme jedoch auch gegenüber dem Ausgangswerk wahrnehmbare Unterschiede aufweisen. Durch die Kombination mit Texten und evtl. auch Bearbeitungen oder Kombinationen mit weiteren Bildern weisen Memes in ihrer Gesamtheit wahrnehmbare Unterschiede gegenüber dem Ausgangswerk auf. Auch durch Bearbeitungen des Bildes, bspw. durch das Einfügen neuer Elemente ist bei einem Meme erkennbar, dass es nicht identisch mit dem genutzten Werk ist. Vielmehr setzt es sich mit dem Werk oder einer anderen Thematik in meist humoristischer manchmal auch in kritischer Weise auseinander und entwickelt dabei in der Regel eine neue eigenständige Aussage. Folglich weist das Meme wahrnehmbare Unterschiede gegen dem genutzten Ausgangswerk auf. (γ) Das Meme als Ausdruck von Humor oder Verspottung Das letzte Tatbestandsmerkmal der Parodie, einen Ausdruck von Humor oder Verspottung darzustellen ist wohl von jedem Meme erfüllt. Denn Memes zielen gerade auf eine komische Wirkung ab. Dass Memes regelmäßig keine Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk bezwecken, ist unerheblich. Nach der unionsrechtskonformen Auslegung von § 51a UrhG setzt eine Parodie keine antithema­ tische Behandlung des Ausgangwerks voraus.863

863

EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 33  – Deckmyn und Vrijheidsfonds; BGHZ 211, 309 Rn. 25 – auf fett getrimmt.

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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(δ) Angemessener Ausgleich bei der Nutzung eines Memes Schließlich ist im Rahmen der Prüfung der Parodieschranke zu berücksichtigen, dass ein angemessener Ausgleich zwischen den Rechten und Interessen des Urhebers der Vorlage und dem Nutzer erzielt wird. Dabei sind die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.864 Ökonomische Interessen des Urhebers des Ausgangswerkes werden in der Regel nicht gegen eine Nutzung sprechen, da die Nutzung von Memes in den meisten Fällen keine negative Auswirkung auf die wirtschaftliche Verwertung hat. Da Memes häufig auch ein Element der Verspottung enthalten, werden allerdings vielfach Persönlichkeitsrechte tangiert. In den meisten Fällen stimmt der Urheber jedoch nicht mit der abgebildeten Person überein, sodass er lediglich geltend machen kann mit einer derart verspottenden oder im schlimmsten Fall sogar diskriminierenden Aussage nicht in Verbindung gebracht zu werden. Ob diese Argumentation zu einer Abwägung zugunsten des Urhebers führt scheint jedoch hingegen zweifelhaft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei vielen der genutzten Abbildungen um Fotos handelt, dessen Urheber der Öffentlichkeit unbekannt ist. Damit kann das Publikum in der Regel durch das Meme keine Verbindung zum Urheber des genutzten Werkes herstellen. Allerdings können die deutschen Gerichte – im Gegensatz zum EuGH – sich direkt auf die Urheberpersönlichkeitsrechte des Urhebers stützen. Auch wenn das Publikum das Werk nicht mit ihm in Verbindung bringt, kann der Urheber somit geltend machen, dass die Nutzung seine Urheberpersönlichkeitsrechte verletze. Dagegen sind jedoch die Meinungs- und Kunstfreiheit der Nutzer abzuwägen, die bei lediglich verspottenden Nutzungen regelmäßig überwiegen wird. Bei Nutzungen mit diskriminierendem Charakter liegt hingegen eine Abwägung zugunsten des Urheberpersönlichkeitsrechts nahe. Abschließend ist festzuhalten, dass Memes, wenn sie nicht bereits als Pastiche von § 51a UrhG erfasst werden sollten, durchaus als Parodie zulässig sein können.865 (bb) GIFs im Anwendungsbereich der Parodieschranke Auf humoristische GIFs866 lassen sich die zu dem Meme angestellten Überlegungen übertragen. Denn der Unterschied zwischen einem Meme und einem humoristischen GIF liegt allein darin, dass es sich bei GIFs um Bildanimationen oder sehr kurze Filmausschnitte handelt, während es sich bei Memes um Text-Bild-Kombina 864

EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 26–28, 35 – Deckmyn und Vrijheidsfonds; EuGH, Urt. v. 21. 10. 2010  – C-467/08, ECLI:EU:C:2010:620 Rn. 43  – Padawan; EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 134 – Painer; BGHZ 211, 309 Rn. 26 – auf fett getrimmt. 865 So auch im Ergebnis noch zur alten Rechtslage: Maier, GRUR-Prax 2016, 397 (398). S. auch: Stieper, GRUR 2020, 792 (796). 866 Näher zu dem Begriff unter B. III. 2. b) gg).

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

tionen867 handelt, die regelmäßig nicht animiert sind. Diese enthalten, wie ­Memes nicht immer, aber regelmäßig urheberrechtlich geschütztes Material Dritter. Jedoch sind GIFs nicht zwangsläufig komisch. Die animierten Bilder können auch zur Kommunikation genutzt werden, um andere Emotionen wie Trauer, Sehnsucht oder Wut auszudrücken. Die Funktion der GIFs liegt dabei in der bildlichen Veranschaulichung des geschriebenen Textes, der in das GIF integriert oder gesondert verfasst werden kann. Mangels Ausdruck der Verspottung scheiden die nicht humoristischen GIFs somit aus dem Anwendungsbereich aus. Bei den GIFs, die belustigend wirken, ist zu differenzieren zwischen solchen, bei denen der Nutzer die animierten Bilder oder Filmausschnitte bearbeitet, und solchen, die vollständig unverändert übernommen und wiedergegeben werden. Letztere scheiden mangels wahrnehmbarer Unterschiede zum Ausgangswerk aus und dienen lediglich der Illustration der Kommunikation. Je nach Art der Bearbeitung – in der Regel durch die Ergänzung eines humoris­ tischen Textes – können dann auch GIFs potenziell von der Parodieschranke erfasst werden. Im Rahmen des angemessenen Ausgleichs zwischen Rechten und Interessen der Urheber und Nutzer sind parallel zu den Memes auch bei GIFs auf Seiten des Urhebers weniger wirtschaftliche, als persönlichkeitsrechtliche Interessen zu beachten. Beispielsweise kann ein GIF, das eine Dauer von wenigen Sekunden umfasst, nicht in Konkurrenz mit dem Kinofilm oder der Serie treten, dessen Ausschnitt es nutzt. Auf Seiten der Nutzer muss die Kunst- und Meinungsfreiheit bei der Einzelfallabwägung ausreichend zum Tragen kommen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass auch bestimmte GIFs als Parodie in den Anwendungsbereich von § 51a UrhG fallen können. Dazu müssen sie insbesondere humoristisch sein und durch die Bearbeitung des Nutzers wahrnehmbare Unterschiede aufweisen. Die Mehrheit der GIFs kann allerdings mangels Komik und eigenständiger Bearbeitung des Nutzers nicht unter den Begriff der Parodie subsumiert werden. (cc) Mashups im Anwendungsberich der Parodieschranke? Fraglich ist zunächst, ob Mashups an das Ausgangswerk erinnern. Mashups nut­ zen ausschließlich Werkteile Dritter. Zwar werden diese Werkteile miteinander vermischt, jedoch bleiben sie regelmäßig erkennbar. Damit können Mashups an die einzelnen genutzten Werke erinnern. Dass zur Produktion der Mashups die Werkteile nicht nachgeahmt, sondern unmittelbar übernommen werden, ist dabei unschädlich.868 Weiterhin muss das betreffende Mashup auch wahrnehmbare Unterschiede zu den genutzten Werkteilen aufweisen. Offensichtlich sieht ein Mashup anders aus 867 868

Maier, GRUR-Prax 2016, 397. Vgl. dazu die Ausführungen zu den Memes unter B. III. 3. b) aa) (2) (b) (aa) (α).

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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oder hört sich anders an als die einzeln genutzten Werkteile für sich. Der Unterschied ergibt sich jedoch nicht aus einem von dem Nutzer hergestellten Element, sondern aus der Kombination der verschiedenen Werkteile miteinander. Dass der Unterschied sich aus einem zusätzlich hinzugefügten Inhalt des Nutzers ergibt, hat die Rechtsprechung bislang jedoch nicht gefordert. Sollte ein entsprechendes Element notwendig sein, könnte der künstlerische Zusatz, d. h. die künstlerische Leistung die durch die Privilegierung nach § 51a UrhG belohnt werden soll außerdem in Art und Auswahl der Kombination liegen. Für Mashups869 ist das Element der Komik zwar nicht charakteristisch, dennoch können Mashups je nach Einzelfall komisch wirken. Insbesondere Video oder Foto Mashups, können durch eine bestimmte Zusammenstellung oder Vermischung verschiedenen Bildmaterials belustigen. Aber auch bei Audio Mashups ist eine humoristische Wirkung denkbar.870 Damit wäre das für eine Parodie erforderliche Merkmal der Komik erfüllt. Schließlich müsste die Nutzung in Form der Mashups im Einzelfall zu einem angemessenen Ausgleich von Rechten und Interessen des Urhebers und Nutzers führen.871 Im Gegensatz zu GIFs und Memes könnten bei Mashups auch wirtschaftliche Interessen häufiger eine Rolle spielen. Insbesondere wenn ein musikalisches Mash­ up aus zwei oder mehreren Songs dem Publikum besser gefällt als die Ausgangswerke selbst, ist es denkbar, dass das Mashup die einzelnen Werke substituiert und dadurch ihre wirtschaftliche Verwertung beeinträchtigt. Weiterhin könnten auch persönlichkeitsrechtliche Interessen auf Seiten des Urhebers zu berücksichtigen sein.872 Zugunsten des Nutzers ist hingegen die Kunstfreiheit zu berücksichtigen. Folglich ist festzustellen, dass komische Mashups im Einzelfall als Parodie gem. § 51a UrhG zulässig sein können. Allerdings könnten im Rahmen des Interessenausgleichs eine im Einzelfall nur geringe Eigenleistung sowie eine etwaige wirtschaftliche Beeinträchtigung des Ausgangswerks gegen die Anwendung der Parodieschranke sprechen. (dd) Remixe, Sampling, Fan Art und Fan Fiction als Parodie? Die Kunstformen des Remix, des Samplings, der Fan Art und der Fan Fiction können im Regelfall nicht in den Anwendungsbereich der Parodie fallen, da sie nicht auf eine humoristische Wirkung abzielen.873 Allerdings sind in Ausnahmefällen humoristische Fälle der genannten Kunstformen denkbar. 869

Näher zum Begriff des Mashup unter B. III. 2. b) cc). Vgl. dazu Gelke, Mashups im Urheberrecht, S. 175. 871 Vgl. Fn. 864. 872 Außerhalb des § 51a UrhG kommt insbesondere § 14 UrhG in Betracht. 873 A. A. für das Sampling wohl: Wagner, MMR 2016, 513 (514); Pötzlberger, Kreatives Remixing, S. 66 m. w. N. 870

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Insbesondere können parodistische Gestaltungen in Form der Fan Art und Fan Fiction auftreten, bspw. durch eine zeichnerisch oder erzählerisch zugespitzte oder verfremdete Darstellung der Charaktere des Ausgangswerks.874 Ebenso könnten Charaktere oder Handlungen des Originals ihrem ursprünglichen Umfeld entnommen und in eine neue Umgebung eingefügt werden, um eine komische Wirkung zu erreichen. Auch die Konfrontation von Charakteren verschiedener Werke als Fan Fiction könnte im Einzelfall belustigend wirken. Da Remix, Sampling, Fan Art und Fan Fiction regelmäßig sowohl an das Ausgangswerk erinnern als auch wahrnehmbare Unterschiede gegenüber ihm aufweisen,875 können sie, wenn sie zugleich humoristisch sind im Einzelfall auch als Parodie nach § 51a UrhG zulässig sein. Typisch ist die parodistische Eigenschaft für sie allerdings nicht. (ee) Fazit zur Anwendung der Parodieschranke auf neue künstlerische Erscheinungsformen Abschließend lässt sich feststellen, dass Memes regelmäßig in den Anwendungsbereich der Parodieschranke fallen können. Eine Privilegierung von GIFs als Parodie ist im Einzelfall möglich, allerdings erfüllt die Mehrheit der GIFs die Anforderungen der Schrankenregelung nicht. Bei komischen Mashups ist die Anwendung der Parodieschranke grundsätzlich denkbar. Dort kann insbesondere die Herstellung eines angemessenen Ausgleichs im Einzelfall über die Zulässigkeit entscheiden. Eine Nutzung in Form des Remix und des Sampling kann mangels humoristischen Charakters fast nie in den Anwendungsbereich der Parodieschranke fallen. Auch bei Fan Art und Fan Fiction scheidet eine Anwendung der Parodieschranke wegen fehlender humoristischer Wirkung regelmäßig aus. Maßgebliches Kriterium für die Zulässigkeit neuer künstlerischer Nutzungsformen ist vor allem das Kriterium der Komik, das bei Memes typischerweise vorliegt. Bei allen anderen genannten Formen ist es nicht kennzeichnend, kann im Einzelfall jedoch vorliegen. Somit können die einzelnen Kunstformen nicht in ihrer Gesamtheit als zulässige Parodien bewertet werden, sondern es ist immer eine Betrachtung der konkreten Nutzungsform im Einzelfall nötig. bb) Pastiche im Sinne des § 51a UrhG Parallel zum Parodie- und Karikaturbegriff ist der Begriff des Pastiches durch Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL determiniert. Bislang haben sich jedoch weder der europäische Gesetzgeber noch der EuGH zum Inhalt des Pastichebegriffs geäußert, weshalb bereits an anderer Stelle876 die rechtlichen Voraussetzungen des Pastiches 874

Vgl. Summerer, Illegale Fans, S. 28–29. Dazu auch a. a. O., S. 26; S. 18–19. Näher dazu unter der Prüfung ihrer Zulässigkeit als Pastiche, B. III. 3. b) bb) (1), (5) und (6). 876 B. II. 1. b) bb) (2). 875

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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zu ermitteln waren. Die dort getätigten Ausführungen sind auf den Begriff des Pastiches nach § 51a UrhG zu übertragen, da es sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch bei dem Pastichebegriff um einen autonomen Begriff des Unionsrecht handelt.877 Der deutsche Gesetzgeber hat  – wohl auch in dem Wissen, dass es letztlich einer Entscheidung des EuGH bedarf – den Begriff des Pastiches nicht eindeutig definiert. Allerdings möchte er mit der Vorschrift sowohl klassisch literarische Pastiches als auch moderne Formen transformativer Nutzung, insbesondere bestimmte nutzergenerierte Inhalte auf Online-Plattformen erfassen. Remixe, ­Memes, GIFs, Mashups, Fan Art, Fan Fiction oder Sampling sollen somit ausdrücklich in den Anwendungsbereich der Pasticheschranke fallen.878 Für eine Berufung auf § 51a UrhG – und damit auch die Pasticheschranke – komme es auf das genutzte Medium, die konkrete Kunstform oder das gewählte Genre nicht an. Eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG sei aufgrund der Rechtsprechung des EuGH nicht erforderlich. Allerdings müssen alle Nutzungen nach § 51a UrhG – um sich vom Plagiat abzugrenzen – wahrnehmbare Unterschiede zum Originalwerk aufweisen. Dies bedeute jedoch nicht, dass das Werk „verblassen“ müsse. Notwendig sei weiterhin, dass die Nutzung einer inhaltlichen oder künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Ausgangwerk oder einer dritten Thematik diene. Schließlich müssten sämtliche Umstände des Einzelfalls bspw. Umfang und Zweck der Nutzung sowie die Grundrechte der Nutzer berücksichtigt werden, um einen angemessenen Ausgleich zu erzielen. Einer Quellenangabe bedürfe es für die Nutzungen nicht. Ebenso gilt das Änderungsverbot nach § 62 Abs. 4a UrhG für Pastiches nur eingeschränkt.879 Ob die Kriterien des deutschen Gesetzgebers den Anforderungen des EuGH standhalten werden, ist offen. Die Einschätzung, dass auch eine Nutzung in Form eines Pastiches nicht Werkcharakter im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG aufweisen muss, trifft wohl mit großer Sicherheit zu. Denn parallel zum Parodiebegriff setzt der Begriff des Pastiches nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht das Erreichen der Schöpfungshöhe voraus. Die Entbehrlichkeit der Quellenangabe sowie die beschränkte Anwendbarkeit des Änderungsverbots stehen ebenfalls im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben. Ob allerdings die vom deutschen Gesetzgeber genannten Werknutzungen insbesondere in Form des User Generated Content in den Anwendungsbereich des Pastiches fallen können, ist weniger eindeutig. Als Voraussetzungen für die Anwendung der Pasticheschranke fordert der deutsche Gesetzgeber, dass die betreffende Nutzung an eine oder mehrere vorbestehende Werke erinnert, zugleich 877

Ebenfalls unter B. II. 1. b) bb) (2). Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 89–91. Eine entsprechende Auslegung auf europäischer Ebene befürwortend: Lauber-Rönsberg, ZUM 2020, 733 (738). Kritisch zu den Ausführungen des Gesetzgebers im RefE: Döhl, ZGE 2020, 380 (384, 389). S. auch a. a. O. (404–441). S. auch die Entscheidung des OLG Hamburg ZUM 2022, 563 (571–572), in der das OLG das Sampling unter den Begriff des Pastiches subsumiert. 879 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 90. 878

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

gegenüber ihr wahrnehmbare Unterschiede aufweist und sich mit dem Ausgangswerk oder einer dritten Thematik inhaltlich oder künstlerisch auseinandersetzt. Damit nutzt er die Voraussetzungen, die der EuGH bisher an die Parodie gestellt hat und ersetzt das Merkmal der Komik durch das offenere Erfordernis einer inhaltlichen oder künstlerischen Auseinandersetzung, das auch im Rahmen des Zitatrechts notwendig ist. Fraglich ist, ob nach diesem Verständnis die nach Wunsch des Gesetzgebers zu privilegierenden Kunstformen, d. h. Remixe (1), Memes (2), GIFs (3), Mashups (4), das Sampling (5) sowie Fan Fiction und Fan Art (6) tatsächliche einen Pastiche im Sinne des § 51a UrhG darstellen können. (1) Der Remix als Pastiche im Sinne des § 51a UrhG? Damit ein Remix als Pastiche nach § 51a UrhG zulässig sein kann, müsste der jeweilige Remix nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers an die genutzten Ausgangswerke erinnern (a), zugleich wahrnehmbare Unterschiede gegenüber ihnen aufweisen (b) und eine inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung beinhalten (c). Schließlich müsste bei der Nutzung des Remix als Pastiche ein angemessener Ausgleich zwischen Nutzern und Rechtsinhabern hergestellt werden (d). Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen erscheint eine Privilegierung des Remixes als Pastiche zwar grundsätzlich möglich. Eine erlaubnis- und entschädigungslose Nutzung des Ausgangswerks wird aber insbesondere aufgrund der entgegenstehenden wirtschaftlichen Interessen des Urhebers im Rahmen der Interessenabwägung regelmäßig abzulehnen sein (e). (a) Erinnerung des Remixes an das Ausgangswerk Bei Remixen werden einzelne oder mehrere Musikwerke Dritter so bearbeitet, miteinander vermischt oder auch mit eigenem Material kombiniert, dass die verwendeten Werke regelmäßig erkennbar bleiben.880 Damit wird jedenfalls an die betreffenden Werke erinnert. Fraglich ist jedoch, ob die unmittelbare Übernahme einzelner Werkteile nicht nur als Erinnerung, sondern vielmehr als direkte Konfrontation mit Teilen des Ursprungwerks zu werten ist (anders bspw. als bei einer Nachahmung des Werkes), sodass ein „Erinnern“ doch abzulehnen wäre. Wie bereits an anderer Stelle festgestellt,881 kann die direkte Übernahme allerdings nicht dazu führen, das Vorliegen des Tatbestandsmerkmal des Erinnerns abzulehnen. Denn die Voraussetzung zielt im Gegensatz zu der zweiten Voraussetzung der wahrnehmbaren Unterschiede, auf den referenziellen Charakter der Nutzung ab, 880 881

Zur Begriffsdefinition des Remix: Pötzlberger, Kreatives Remixing, S. 60. B. III. 3. b) aa) (2) (b) (aa) (α).

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und nicht auf die Erbringung einer künstlerischen schutzwürdige Eigenleistung des Nutzers. Damit kann in den Fällen von Remixen das erste Tatbestandsmerkmal regelmäßig angenommen werden. Nämlich dann, wenn die genutzten Teile weiterhin erkennbar bleiben. (b) Wahrnehmbare Unterschiede gegenüber dem Ausgangswerk Um als Pastiche zulässig zu sein, muss der Remix jedoch auch wahrnehmbare Unterschiede gegenüber den genutzten Ausgangswerken aufweisen. Durch die Vermischung verschiedener Werke der Musik klingen Remixe in ihrer Gesamtheit anders als die einzelnen Werkteile. Allerdings können die Werkausschnitte an einigen Abschnitten des Musikwerks auch isoliert auftreten, ohne mit weiteren Werkteilen vermischt zu sein, z. B. wenn als Intro lediglich ein einzelnes Musikstück genutzt wird. An diesen Abschnitten kann ein Unterschied zwischen dem verwendeten Werk und dem Remix nicht ausgemacht werden. Allerdings kann eine isolierte Betrachtung einzelner Abschnitte des Remix nicht maßgeblich sein. Vielmehr muss eine Gesamtbetrachtung der künstlerischen Nutzungsform erfolgen, da die Zulässigkeit der Nutzung der einzelnen Stellen in ihrem konkreten Zusammenhang beurteilt werden muss. Denn Zweck des Kriteriums ist es, die Nutzung vom Werkoriginal unterscheiden zu können und den Urheber damit vor einem Plagiat zu schützen.882 Der Adressatenkreis eines Remixes, d. h. die Hörer nehmen den Remix in seiner Gesamtheit und nicht nur isolierte Teile der Musik wahr, sodass sie trotz teilweise vollständig übereinstimmender Teile des Remixes den Unterschied zum Original erkennen können.883 Legt man also eine Gesamtbetrachtung zugrunde, ist ein wahrnehmbarer Unterschied des Remix zu den verwendeten Ausgangwerken gegeben. Fraglich ist jedoch, ob im Rahmen des wahrnehmbaren Unterschieds zu fordern ist, dass der Nutzer nicht ausschließlich fremde Werke nutzt, sondern auch Unterschiede durch eigenes Material schafft, z. B. indem er selbst produzierte Klänge, Rhythmen oder Melodien hinzufügt. Dies ist nicht bei jedem Remix der Fall. Für eine solche Auslegung könnte sprechen, dass eine Nutzung erst dann schutzwürdig ist, wenn der Nutzer eine eigenständige Leistung erbringt. Selbst wenn man jedoch eine eigenständige Leistung des Künstlers für eine Privilegierung als Pastiche nach § 51a UrhG fordert, so kann diese auch bei einem ausschließlich aus Fremdmaterial bestehendem Remix vorliegen. Denn je nach den Umständen des Einzelfalls kann auch die Auswahl und Art der Vermischung verschiedener Stücke als ausreichende künstlerische Leistung anzuerkennen sein. 882 Vgl. die Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes BT-Drs. 19/27426, 90. 883 Für eine Gesamtbetrachtung spricht weiterhin eine kunstspezifische Betrachtung. Auch die Kunsteigenschaft eines Werkes selbst kann nur so festgestellt werden, vgl. BVerfGE 81, 278 (291) – Bundesflagge.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

(c) Inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einem dritten Bezugsgegenstand Weiterhin ist nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers erforderlich, dass der Remix einer inhaltlichen oder künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einem dritten Bezugsgegenstand dient, um als Pastiche zulässig zu sein. Mangels konkretisierender Rechtsprechung ist jedoch fraglich, welchen Anforderungen die Annahme einer Auseinandersetzung unterliegt. Dieses Pro­ blem stellt sich auch im Rahmen des Zitatrechts gem. § 51 UrhG, das ebenfalls eine geistige Auseinandersetzung erfordert.884 Nach der Rechtsprechung des EuGH und BGH setzt eine Auseinandersetzung im Rahmen des Zitatrechts zumindest die Erkennbarkeit des Werkes als fremden Bestandteil voraus, um eine Interaktion zu ermöglichen. Somit erfordert auch eine im Rahmen des Remix vor allem künstlerisch mögliche Auseinandersetzung zumindest, dass der genutzte Werkteil als fremder Bestandteil erkennbar bleibt. Da sich Remixe regelmäßig längerer Werkausschnitte bedienen und häufig – im Gegensatz zu Mashups – so nutzen, dass prägende Werkteile im Kern unverändert bleiben, sind sie meist als fremder Bestandteil erkennbar. Unklar ist jedoch, welche Anforderungen darüber hinaus an eine Auseinandersetzung, insbesondere künstlerischer Natur zu stellen sind. Das Kriterium der Auseinandersetzung kann sich nicht in der Wiedererkennbarkeit erschöpfen. Denn bereits das Merkmal des „Erinnerns“ an das Ausgangswerk setzt die Erkennbarkeit des Ausgangswerkes – wohl auch als fremden Bestandteil – voraus. Zudem ist auch nach dem Wortlaut eine Auseinandersetzung mehr, als die bloße Wiedererkennbarkeit des Ausgangswerkes als fremder Bestandteil. Vielmehr erfordert sie, dass der Nutzer durch die Verwendung des Ausgangswerkes sich tiefergehend mit dem Ausgangswerk befasst885 und infolgedessen es eigenen (künstlerischen) Äußerungen gegenüberstellt oder sich ihnen anschließt. Durch die Verbindung des Ausgangswerks mit weiteren Werkteilen Dritter, eigenen Beats oder Melodien des Nutzers können im Rahmen des Remixes verschiedene künstlerische Äußerungen einander gegenübergestellt oder miteinander verbunden werden. Nach diesem Begriffsverständnis wäre somit eine künstlerische Auseinandersetzung im Rahmen eines Remixes möglich. (d) Angemessener Interessenausgleich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls Sollten die ersten drei Voraussetzungen (a), (b) und (c) vorliegen, muss die erlaubnisfreie Nutzung von Werken zum Zweck des Remixes im Einzelfall zu einem angemessenen Interessenausgleich zwischen dem Urheber des Ausgangwerkes und dem Nutzer führen. Insbesondere in den Fällen von Remixen ist der Umfang der 884 885

Dazu unter B. II. 2. b) bb); B. III. 2. a) bb) und D. II. 1. a) cc) (1). www.duden.de/rechtschreibung/auseinandersetzen [zuletzt abgerufen am 28. 11. 2021].

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genutzten fremden Werkteile maßgeblich. Ebenso ist zu berücksichtigen, wie groß der Unterschied zwischen dem Klang des Remix und den verwendeten Werken ist. Sollte der Unterschied nur gering sein, ist es denkbar, dass der Remix mit den verwendeten Werken in Wettbewerb tritt und so dessen wirtschaftliche Verwertung beeinträchtigt. Als Indiz für die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Beeinträchtigung könnte auch die Aktualität der im Remix verwendeten Werke herangezogen werden. Je älter die Werke sind, desto weniger schwer werden Remixe ihre Verwertung in der Regel beeinträchtigen. Weniger naheliegend, jedoch nicht auszuschließen, ist auch die Beeinträchtigung des Urheberpersönlichkeitsrechts durch den Remix, z. B. wenn dieser das Ausgangswerk entstellt.886 Zugunsten des Nutzers ist die Kunstfreiheit zu berücksichtigen. Aus dieser ergibt sich insbesondere, dass die Nutzung fremden Materials als Gestaltungsmittel des Remix anzuerkennen ist und berücksichtigt werden muss, dass die Nutzung ausschließlich eigenen Materials oder das Nachspielen keinen gleichwertigen Ersatz bieten kann. Auch der Verweis auf eine Lizenzierungsmöglichkeit würde keinen gleichwertigen Schutz für die Ausübung der Kunstfreiheit gewähren.887 (e) Fazit zur Zulässigkeit des Remix als Pastiche nach § 51a UrhG Erachtet man allein die eher vagen Voraussetzungen des deutschen Gesetzgebers als maßgeblich für den Pastichebegriff, so kann ein Remix ein Pastiche im Sinne des § 51a UrhG darstellen.888 Allerdings ist nicht auszuschließen, dass das Unionsrecht zukünftig strengere Anforderungen, insbesondere an die Art der Auseinandersetzung stellen könnte und eine Privilegierung des Remix als Pastiche an diesen scheitert. Zudem ist bei Nutzungen zum Zwecke des Remix die Gefahr hoch, dass der Remix mit dem Ausgangswerk in Konkurrenz tritt und deshalb dessen wirtschaftliche Verwertung beeinträchtigt.889 Dies wäre im Rahmen der Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zu berücksichtigen. Sollte der Remix die wirtschaftliche Verwertung des Werkes spürbar beeinträchtigen, so ist ein Zurücktreten der Nutzerinteressen in Betracht zu ziehen. Wird die wirtschaftliche Verwertung des Werkes stark beeinträchtigt, ist eine erlaubnis- und entschädigungslose Nutzung nach § 51a UrhG vor dem Hintergrund des grundrechtlichen Schutzes des Urhebers nach Art. 17 Abs. 2 GRCh, Art. 14 Abs. 1 GG890 in der Regel abzulehnen.

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Insoweit findet allerdings auch § 14 UrhG Anwendung. Vgl. so für das Sampling: BVerfGE 142, 74 Rn. 98 – Metall auf Metall. 888 Für die Zulässigkeit des Remix als Pastiche: Pötzlberger, GRUR 2018, 675 (680–681); Hauck, GRUR-Prax 2019, 385. 889 Daher die Subsumtion des Remix unter die Pasticheschranke ablehnend: Stieper, GRUR 2020, 792 (797). 890 Näher dazu unter D. I. 887

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Abschließend lässt sich festhalten, dass eine Privilegierung des Remix als Pastiche nach § 51a UrhG praktisch selten möglich erscheint. (2) Memes als Pastiche im Sinne des § 51a UrhG? Für die Zulässigkeit eines Memes als Pastiche im Sinne des § 51a UrhG müsste das jeweilige Meme nach Auffassung des Gesetzgebers an die genutzten Ausgangswerke erinnern, zugleich wahrnehmbare Unterschiede gegenüber ihnen aufweisen und eine Auseinandersetzung inhaltlicher oder künstlerischer Art bezwecken. Da die ersten beiden Voraussetzungen bereits im Rahmen der Frage der Anwendbarkeit der Parodieschranke auf das Meme geprüft wurden, soll an dieser Stelle nach oben verwiesen werden.891 Nach den obigen Feststellungen sind die Voraussetzungen, zum einen des „Erinnerns“ an das Ausgangswerks und zum anderen der „wahrnehmbare Unterschiede“, bei Memes regelmäßig erfüllt. Ebenso kann das Merkmal einer inhaltlichen oder künstlerischen Auseinandersetzung im Rahmen von Memes bejaht werden. Dabei setzten sich Memes durch die Interaktion zwischen Bild und Text meist mit einem außerhalb des Werks liegendem Thema auseinander. Werden bspw. die Fotografie eines Politikers oder die Darstellung bestimmter Filmfiguren mit einem eigenen Text versehen und damit in einen neuen Kontext gesetzt, zielt die durch den Text erfolgte, häufig komische oder auch komisch-kritische Auseinandersetzung nicht auf die Fotografie oder die Filmfiguren als solche ab, sondern auf einen dritten Umstand, der mit den abgebildeten Personen oder der dargestellten Situation in irgendeiner Art zusammenhängt. Die Nutzung der Bilder kann aber auch für die Auseinandersetzung eines vollständig außerhalb der ursprünglichen Bilder liegenden Themas verwendet werden. Da Memes ganz überwiegend nicht die wirtschaftliche Verwertung der Ausgangswerke beeinträchtigen und selten eine schwere Beeinträchtigung der Urheberpersönlichkeitsrechte zur Folge haben, wird auch die Interessenabwägung im Rahmen des angemessenen Ausgleichs regelmäßig zugunsten der Nutzer ausgehen.892 Somit ist festzuhalten, dass die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke im Rahmen von Memes nach den Voraussetzungen des deutschen Gesetzgebers als Pastiche gem. § 51a UrhG zulässig sein können. (3) GIFs als Pastiche im Sinne des § 51a UrhG? Wie für Memes wurden die Voraussetzungen des Erinnerns und der wahrnehmbaren Unterschiede auch für GIFs im Rahmen der Parodieschranke bereits 891

B. III. 3. b) aa) (2) (b) (aa). Für eine im Einzelfall zulässige Nutzung des Memes als Pastiche: Metzger / Pravemann, ZUM 2021, 288 (294). 892

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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geprüft.893 Zusätzlich erfordert ein Pastiche nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers eine inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einem dritten Gegenstand. Nach den obigen Feststellungen ist auch für die Anwendung der Pasticheschranke nach Art des GIFs zu differenzieren. GIFs, die sich darin erschöpfen, einzelne urheberrechtlich geschützte Werkausschnitte unverändert wiederzugeben, können mangels eines Unterschieds zum Ausgangswerk und damit auch mangels Interaktion nicht vom Pastichebegriff erfasst werden. Handelt es sich jedoch um GIFs bei denen Werkausschnitte von Nutzern bearbeitet wurden, z. B. durch die Ergänzung von grafischen Elementen oder Texten, kommt unter Zugrundelegung der Voraussetzungen des deutschen Gesetzgebers eine Privilegierung als Pastiche in Betracht. Je nach Art der Bearbeitung des genutzten Werkteils, z. B. durch die Ergänzung einer Animation durch einen Text des Nutzers könnte eine Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk selbst oder einem dritten Gegenstand vorliegen. Jedoch ist die Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einer anderen Thematik für GIFs nicht typisch. Vielmehr werden die Animationen hauptsächlich zur Illustration des Begleittextes verwendet. Die erlaubnisfreie Nutzung von GIFs als Pastiche wird regelmäßig nicht an der Erzielung eines angemessenen Interessenausgleichs scheitern. Denn GIFs sind aufgrund ihres häufig geringen Umfangs der verwendeten Werkteile sowie ihrem von dem Ausgangswerk abweichenden Nutzungszweck fast nie dazu geeignet, deren wirtschaftliche Verwertung zu beeinträchtigen. In Einzelfällen kann eine Beeinträchtigung der Urheberpersönlichkeitsrechte vorliegen, diese ist jedoch sorgfältig gegen die Meinungs- und Kunstfreiheit der betroffenen Nutzer abzuwägen. (4) Mashups als Pastiche im Sinne des § 51a UrhG? Zu untersuchen ist, ob Mashups in den Anwendungsbereich der Pasticheschranke nach § 51a UrhG fallen können. Dies setzt voraus, dass Mashups an das Ausgangswerk erinnern und zugleich wahrnehmbare Unterschiede gegenüber diesem aufweisen (a), dass sie eine inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung bezwecken (b) und dass es bei der Anwendung der Schranke zu einem angemessenen Interessenausgleich kommt (c).

893

B. III. 3. b) aa) (2) (b) (bb).

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(a) Erinnerung an das Ausgangswerk und wahrnehmbare Unterschiede gegenüber diesem Auch für die Zulässigkeit von Mashups als Pastiche kann auf die Ausführungen im Rahmen der Parodieschranke zurückgegriffen werden.894 Mashups können die geforderten Kriterien des „Erinnerns“ an das Ausgangswerk sowie die demgegenüber wahrnehmbaren Unterschiede erfüllen. Bei zu starkem Vermischen der Werkteile ist es jedoch möglich, dass mangels Erkennbarkeit der Ausgangswerke nicht an diese nicht erinnert würde, sodass eine Anwendung der Pasticheschranke nicht in Betracht käme. Regelmäßig bleiben die im Rahmen von Mashups verwendeten Werke jedoch erkennbar. (b) Inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk Bei fehlender Erkennbarkeit aufgrund zu starker Vermischung der Ausgangswerke wäre auch die nach Auffassung des Gesetzgebers im Rahmen der Pasticheausnahme erforderliche Interaktion abzulehnen. Denn die Grundvoraussetzung der Interaktion, nämlich die Erkennbarkeit des Werks oder Werkteils als fremd, wäre unmöglich. Doch auch wenn ein Mashup die Ausgangswerke noch erkennen lässt, bedeutet dies nicht, dass es auch als Werk eines Dritten erkannt wird. Dies ist gesondert zu prüfen. Audio- und Video-Mashups bedienen sich allerdings regelmäßig Ausschnitte aus bekannten Songs oder Filmen, sodass diese aufgrund ihrer Popularität als fremd erkannt und einem Dritten zugeordnet werden können. So zum Beispiel bei einem Mashup, das Tanzszenen aus einer Vielzahl verschiedener Filme miteinander verbindet.895 Schließlich ist jedoch fraglich, ob im Rahmen von Mashups eine inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung erfolgt. Dies hängt vor allem von den bereits an anderer Stelle problematisierten Anforderungen an eine entsprechende Auseinandersetzung ab. Im Hinblick auf die Zulässigkeit von Mashups ist insbesondere fraglich, ob eine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Ausgangswerken Dritter untereinander ausreicht, oder ob ein Pastiche eine Auseinandersetzung der genutzten Werkteile mit eigenen Ausführungen des Nutzers erfordert. Denn Mashups erschöpfen sich regelmäßig in der Nutzung von Fremdmaterial. Nach dem Wortlaut setzt eine künstlerische Auseinandersetzung, d. h. eine tiefergehende künstlerische Beschäftigung mit den Ausgangswerken,896 nicht zwingend voraus, 894

B. III. 3. b) aa) (2) (b) (cc). So zum Beispiel der „100 Movies Dance Scenes Mashup (Mark Ronson-Uptown Funk ft. Bruno Mars)-WTM“ von „What’s the Mashup?“ abrufbar unter: www.youtube.com/ watch?v=EmnSm_d2ll4 [zuletzt abgerufen am 28. 11. 2021]. 896 www.duden.de/rechtschreibung/auseinandersetzen [zuletzt abgerufen am 28. 11. 2021]. 895

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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dass der Nutzer dieser durch eine selbst geschaffene neue „Zutat“ zum Ausdruck verhilft. Vielmehr kann eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Werken oder Werkteilen auch durch eine Gegenüberstellung allein dieser erfolgen. Nach der Auffassung des deutschen Gesetzgebers soll das Kriterium der Auseinandersetzung Ausdruck der Grundrechte der Nutzer, wie insbesondere der Kunstfreiheit sein.897 Auch die Kunstfreiheit erfordert nicht, dass im Rahmen der Interaktion die Gedanken des Künstlers durch etwas neu geschaffenes Gegenständliches verkörpert werden muss. Vielmehr kann der künstlerische Charakter sich auch aus der Auswahl oder Anordnung der genutzten Werkteile ergeben. Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses könnte somit eine Auseinandersetzung im Rahmen von Mashups angenommen werden. (c) Angemessener Interessenausgleich Allerdings könnte im Rahmen des bei der Anwendung der Schranke zu berücksichtigenden angemessenen Interessenausgleichs eine im Einzelfall geringe Eigenleistung sowie eine wirtschaftliche Beeinträchtigung des Ausgangswerks gegen die Anwendung der Pasticheschranke sprechen. Im Vergleich zum Remix scheint die Gefahr einer wirtschaftlichen Beeinträchtigung jedoch geringer, da bspw. bei musikalischen Mashups häufig Werke aus verschiedenen Genres gemischt werden, sodass sich der Charakter eines Mashups regelmäßig stärker von den Ausgangswerken unterscheidet als ein Remix. Aufgrund des Genresprungs sind Audio Mashups daher regelmäßig weniger geeignet, mit den genutzten Werkteilen in Konkurrenz zu treten als Remixe. Ob und wie stark das jeweilige Mashup die wirtschaftliche Verwertung des Ausgangswerk beeinflusst ist jedoch anhand des jeweiligen Einzelfalls festzustellen. Ebenso ist eine etwaige Beeinträchtigung der Urheberpersönlichkeitsinteressen sowie die Gewährleistung der Kunstfreiheit nachschaffender Kreativer zu beachten. Zugunsten letzterer ist außerdem zu berücksichtigen, dass es ein charakterisierendes Element von Mashups ist, sich zu ihrer Herstellung bereits bestehenden Referenzmaterials Dritter zu bedienen, sodass die Vermischung von ausschließlich eigenem Materials ebenso wenig gleichwertigen Ersatz bieten würde, wie die Möglichkeit eines Lizenzerwerbs.898 Abschließend ist festzuhalten, dass Mashups je nach Einzelfall und insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Ausgangswerk nach den Voraussetzungen des deutschen Gesetzgeber als Pastiche gem. § 51a UhrG erlaubnisfrei genutzt werden können.899

897

Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes BT-Drs. 19/27426, 90. 898 Vgl. so für das Sampling: BVerfGE 142, 74 Rn. 98–99 – Metall auf Metall. 899 S. für die Zulässigkeit von Mashups als Pastiche auch: Stieper, GRUR 2020, 792 (796).

178

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

(5) Sampling als Pastiche im Sinne des § 51a UrhG? Wie auch für die Zulässigkeit der bereits untersuchten Kunstformen ist für die Zulässigkeit des Sampling als Pastiche nach § 51a UrhG unter Zugrundelegung der Auffassung des deutschen Gesetzgebers erforderlich, dass im Rahmen des Sampling an das genutzte Ausgangswerk erinnert (a) und zugleich ein wahrnehmbarer Unterschied (b) gegenüber ihm aufgewiesen wird. Zusätzlich muss das Sampling eine inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einem dritten Gegenstand verfolgen (c) und die Anwendung der Schrankenregelung muss zu einem angemessenen Ausgleich führen (d). Unter diesen Voraussetzungen kann das Sampling im Einzelfall als Pastiche zulässig sein (e). (a) Erinnerung an das Ausgangswerk Beim Sampling werden Tonspuren aus dem Werk eines Dritten entnommen und digitalisiert (gesampelt),900 um sie dann bearbeitet oder unbearbeitet in einem neuen eigenen Werk zu verwenden.901 Je nach Art der entnommenen Tonspur, der Bearbeitung und der Integration in das neue Werk kann ein Sample in dem neuen Werk mehr oder weniger erkennbar, aber auch unerkennbar sein.902 Die Nutzung von überhaupt nicht erkennbaren Samples kann allerdings schon ohne einen Rückgriff auf die Schrankenregelungen zulässig sein, da sie bereits nicht als Vervielfältigung zu werten ist.903 Somit wäre vor allem für die Fälle, in denen die Samples erkennbar sind, die Pasticheschranke in Betracht zu ziehen. In den Fällen, in denen das Sample erkennbar ist, erinnert es wohl auch an das Ausgangswerk, sodass das Tatbestandsmerkmal des „Erinnerns“ erfüllt wäre. (b) Wahrnehmbare Unterschiede gegenüber dem Ausgangswerk Beim Sampling werden die entnommen Audiospuren bearbeitet oder unbearbeitet in ein neues Werk eingebettet. Damit weist das neue Medium, dass die Samples enthält, bei der maßgeblichen Gesamtbetrachtung904 regelmäßig einen wahrnehmbaren Unterschied gegenüber dem Ausgangwerk auf.

900

Pötzlberger, Kreatives Remixing, S. 66. Zu dem gesamten Vorgang des Samplings: Pötzlberger, Kreatives Remixing, S. 65–69. 902 Vgl. Pötzlberger, Kreatives Remixing, S. 69 mit Verweis auf Spieß, ZUM 1991, 524 (528). 903 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 31 – Pelham u. a. 904 Vgl. B. III. 3. b) bb) (1) (b). 901

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

179

(c) Inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einem dritten Bezugsgegenstand Nach Auffassung des EuGH ist eine künstlerische Auseinandersetzung durch die Nutzung eines Samples grundsätzlich möglich.905 Grundvoraussetzung dafür ist, dass das Ausgangswerk als fremder Bestandteil erkennbar ist.906 Bei der Nutzung von längeren Ausschnitten aus populären Werken scheint dies möglich. Bei der weit verbreiteten Nutzung nur kleinster Teile – selbst eines populären – Werkes ist die Erkennbarkeit als fremder Bestandteil hingegen häufig abzulehnen.907 Welche weiteren Anforderungen für die Annahme einer Interaktion im Rahmen eines Samples erforderlich sind, hat der EuGH offengelassen. Es ist jedoch zu vermuten, dass die Nutzung von Samples, soweit sie erkennbar sind und mit eigenständigen Ausführungen des Nutzers verbunden werden, regelmäßig als künstlerische Auseinandersetzung bewertet werden können. (d) Angemessener Interessenausgleich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls Für den angemessenen Interessenausgleich zwischen den betroffenen Urhebern und den Nutzern können in den Fällen des Samplings sowohl wirtschaftliche als auch ideelle Interessen des Urhebers zu berücksichtigen sein. Je nach Art der Bearbeitung und Wiedererkennbarkeit könnte das veränderte Sample die Persönlichkeitsrechte des Urhebers, bspw. bei einer Entstellung,908 oder die wirtschaftliche Verwertung beeinträchtigen. Es sind aber auch viele Fälle denkbar, in denen durch das Sampling weder persönliche noch wirtschaftliche Interessen tangiert werden. Für die Zulässigkeit des Samplings könnte außerdem streiten, dass die gesampelten Tonspuren regelmäßig von geringem Umfang sind und auch nur einen kleinen Teil des neuen Werkes ausmachen, sodass die Eigenleistung des Nutzers als hoch zu bewerten ist. Des Weiteren ist auf Nutzerseite die von der Kunstfreiheit geschützte Rechtsposition zu berücksichtigen und eine kunstspezifische Betrachtung anzulegen. Aus dieser ergibt sich, dass das Sampling sich gerade durch die unmittelbare Übernahme fremder Audiofragmente auszeichnet und das Nachspielen insbesondere in bestimmten Genres wie dem Hip Hop, somit kein adäquater Ersatz wäre. Ebenso wenig würde durch den Verweis auf die Möglichkeit eines Lizenzerwerbs ein gleichwertiger Ersatz geboten.909

905

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72 – Pelham u. a. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 73–74 – Pelham u. a. 907 So auch in: BGHZ 225, 222 Rn. 55 – Metall auf Metall IV. 908 Dann wäre auch § 14 UrhG anwendbar. 909 Vgl. BVerfGE 142, 74 Rn. 98 – Metall auf Metall. 906

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

(e) Fazit zum Sampling als Pastiche Die Tatbestandsmerkmale des Erinnerns und der Unterscheidbarkeit können beim Sampling erfüllt werden. Erforderlich dafür ist jedoch meist ein Werkteil gewissen Umfangs und von besonderer Bekanntheit. Dies ist beim Sampling allerdings nicht immer der Fall. Weist das Sample diese Eigenschaften jedoch auf, kann die Nutzung regelmäßig auch als künstlerische Auseinandersetzung bewertet werden. Ob die Nutzung der Samples die Verwertung des Ausgangswerkes beeinträchtigt, hängt u. a. von Länge, Verarbeitung, Genre und damit auch Zielgruppe des neuen Werkes ab, sodass nach den vom deutschen Gesetzgeber formulierten Voraussetzungen das Sampling unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu einem angemessenen Interessenausgleich führen und somit nach § 51a UrhG zulässig sein kann.910 (6) Fan Art und Fan Fiction als Pastiche Damit Fan Fiction und andere Formen der Fan Art als Pastiche nach § 51a UrhG zulässig sein können, müssten sie nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers an die genutzten Ausgangswerke erinnern (a) und zugleich einen wahrnehmbaren Unterschied (b) gegenüber ihnen aufweisen. Des Weiteren müssten die genutzten Werkteile einer inhaltlichen oder künstlerischen Auseinandersetzung dienen (c). Schließlich müsste die Anwendung der Pasticheschranke auf Fan Fiction und anderer Fan Art einen angemessenen Ausgleich zwischen den Rechten und Interessen von Urheber und Nutzer erzielen (d). Unter diesen Voraussetzungen sind sowohl als Pastiche zulässige Fälle von Fan Fiction und weitere Fan Art, aber auch unzulässige Fälle denkbar (e). (a) Erinnerung an das Ausgangswerk Im Rahmen von Fan Fiction werden bestehende, meist filmische oder litera­ rische Werke von ihren Fans weitererzählt.911 Dabei müssen die neuen Erzählungen nicht an das Ende der Geschichte des Ausgangswerks anknüpfen. Es können auch Erzählungen entstehen, die sich auf die Zeit vor Beginn der Geschichte des Originalwerks beziehen. Ebenso ist denkbar, dass Fans nur einzelne Charaktere aufgreifen und an dem Originalwerk orientierte Nebengeschichten schreiben. In den Kreationen können auch die Perspektive des Erzählers gewechselt, Handlungen des Originalwerks abgeändert und alternative Fortsetzungen geschrieben werden.912 910

Kritisch zur Anwendung der Paticheschranke insbesondere auch auf das Sampling: Stumpf, GRUR Int. 2019, 1086 (1095) Fn. 37. 911 Vgl. dazu Schwabach, Fan Fiction and Copyright, S. 14. 912 Knopp, GRUR 2010, 28.

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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Zudem können Geschichten und Charaktere in sog. „Crossovers“ aus verschiedenen literarischen Werken, wie bspw. Harry Potter von J. K. Rowling und Twilight von Stephenie Meyer, gemischt werden. Die Erzählungen werden überwiegend auf Blogs veröffentlicht.913 Die Variationsmöglichkeiten der Fan Fiction sind nahezu unerschöpflich. Gemein haben sie, dass als Anknüpfungspunkt ihrer Erzählungen ein oder mehrere bekannte Originalwerke dienen. Damit erinnert Fan Fiction zwangsläufig an das als Referenz genutzte Ausgangswerk. Der Begriff Fan Art ist noch umfassender. Er erfasst nicht nur fiktive textbasierte Erzählungen der Fans des Originals, sondern auch visuelle oder musikalische Darstellungen, wie Fan Comics, Fanvideos oder Costume Play.914 Dennoch ist auch den verschiedenen Ausdrucksformen der Fan Art gemein, dass an das Ausgangswerk erinnert wird. Ohne die Erkennbarkeit der Bezugnahme auf das Original wäre Fan Art als solche nicht feststellbar. (b) Wahrnehmbare Unterschiede gegenüber dem Ausgangswerk Fan Fiction baut auf dem Ausgangswerk auf und spinnt dann die dem Werk zugrundeliegenden Gedanken weiter oder ändert sie ab. Damit weist Fan Fiction jedenfalls Unterschiede zum Ausgangwerk auf. Je nach Intensität der vorgenommenen Änderung (Wechsel der Erzählerperspektive, alternatives Ende, Fortsetzung der Geschichte oder Vermischung mit Handlungen und Charakteren eines weiteren Werkes) sind sie mehr oder weniger stark wahrnehmbar. Denkbar ist z. B., dass ein Fan an die Erzählung des Originalwerks nahtlos anknüpft, sie weiterschreibt und dabei Stil und Struktur des ursprünglichen Autors übernimmt. In solchen Fällen besteht zwar objektiv ein Unterschied zwischen Fan Fiction und Ausgangswerk. Für das Publikum kann dieser Unterschied allerdings kaum oder weniger stark heraustreten, insbesondere wenn der nachschaffende Autor seine Fortsetzung nicht ausdrücklich als solche kennzeichnet. Eine Quellen- oder Referenzangabe ist im Rahmen der Pasticheschranke allerdings nicht verpflichtend, vgl. § 63 UrhG. Da das Merkmal der wahrnehmbaren Unterschiede auch dazu dient vom Plagiat abzugrenzen,915 muss die Unterscheidbarkeit durch das Publikum von Ausgangswerk und Fan Fiction maßgeblich sein. Bei einer Vermischung von verschiedenen Romanen werden die Leser meist erkennen, dass es sich nicht um das Werk des ursprünglichen Autors handelt. Je näher sich jedoch der Nutzer an den Handlungssträngen, Charakteren und dem Stil des ursprünglichen Urhebers orientiert, desto

913

Für tausende Beispiele: fanfiction.net [zuletzt abgerufen am 21. 07. 2021]. Für die verschiedenen Erscheinungsformen von Fan Art s. Summerer, Illegale Fans, S. ­14–24. Nach Peifer, sollen sogar Mashups und Remixe Formen der Fan Art sein, vgl. FS  Wandtke, S. 99 (100–101). Nach der hier vertretenen Auffassung kann aber nicht jeder Mashup und Remix unter den Begriff der Fan Art fallen. 915 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 90. 914

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

eher wird aufgrund der Verwechselungsgefahr mit dem Original ein wahrnehmbarer Unterschied abzulehnen sein. Folglich können je nach den Umständen des Einzelfalls wohl die meisten, aber nicht alle Fälle der Fan Fiction die Anforderungen des zweiten Tatbestandsmerkmals der Pasticheschranke erfüllen. Auch für die anderen Erscheinungsformen der Fan Art kommt es auf den Einzelfall an. Bei transformativer Fan Art wird ein wahrnehmbarer Unterschied häufiger anzunehmen sein als bei transferierender Fan Art.916 (c) Inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einem dritten Bezugsgegenstand Weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit von Fan Fiction und Fan Art als Pastiche im Sinne des § 51a UrhG ist eine inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einem dritten Bezugsgegenstand. Dafür ist zunächst erforderlich, dass die genutzten Werkteile gegenüber den Ergänzungen des Nutzers als fremder Bestandteil hervortreten. Im Fall der Fan Fiction muss somit im Rahmen der Erzählung deutlich werden, welche Figuren und Handlungsstränge der Referenz entnommen sind und welche aus der Feder des Nutzers stammen. Dass eine Auseinandersetzung mit einem fremden Werk stattfindet, ergibt sich regelmäßig bereits aus den Begleitumständen der Rezeption von Fan Fiction. Denn die Geschichten werden überwiegend auf speziell dafür geschaffenen Blogs verbreitet. Die Abgrenzung zwischen den Werkteilen der Referenz und den Ausführungen des Nutzers ist jedoch häufig mit Schwierigkeiten verbunden, da die Teile der Ausgangswerke nicht schlicht abschnittsweise unverändert übernommen, sondern mit den Ausführungen der Nutzer verwoben werden. Somit kann insbesondere bei einer Rezeption der Nutzung durch Publikum, welches das Ausgangswerke nicht kennt, die Erkennbarkeit des Ausgangswerkes als fremder Bestandteil nahezu ausgeschlossen sein. Allerdings sind nicht nur die Autoren von Fan Fiction, sondern auch ihr Adressatenkreis fast ausschließlich besonders begeisterte Anhänger des Originals, die dieses im Detail kennen. Sie können daher regelmäßig feststellen, welche Figuren oder Handlungsstränge dem Ausgangswerk entstammen und welche Teile der Erzählungen auf den Nutzer zurückzuführen sind. Folglich ist die Erkennbarkeit als fremder Bestandteil davon abhängig, ob das Publikum mit dem Ausgangswerk vertraut ist. Lässt man es ausreichen, dass der jeweilige Adressatenkreis die fremden Bestandteile als solche identifiziert, wäre die Voraussetzung der Erkennbarkeit als fremder Bestandteil bei Fan Fiction anzunehmen. Grundsätzlich scheint bei der Beurteilung der Erkennbarkeit der Fremdheit ein objektiver Maßstab aus Sicht eines durchschnittlichen Lesers vorzugswürdig. Denn dieser ermöglicht eine eindeutige Abgrenzung zu einer plagiatorischen Nutzung. Bei der Bestimmung aus Sicht eines bestimmten Adressatenkreises bestünde

916

Vgl. Summerer, Illegale Fans, S. 84–91.

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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hingegen die Gefahr, dass die Abgrenzung zu einem Plagiat unscharf würde und der Nutzer sich gegenüber Publikum, das nicht mit dem zitierten Werk vertraut ist, sich der Leistung des betroffenen Urhebers rühmen könnte. Allerdings könnte ausnahmsweise auch auf den konkreten Adressatenkreis abzustellen sein, wenn dieser so spezifisch ist, dass mit einer Rezeption eines dem Ausgangswerk nicht vertrauten Lesers regelmäßig nicht zu rechnen ist und daher die Rechte und Interessen des Urhebers gewahrt werden. Ist die Erkennbarkeit des Ausgangswerks als fremder Bestandteil anzunehmen, liegt in den Fällen von Fan Fiction regelmäßig eine inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit diesem vor. Denn durch die Verknüpfung von Erzählungen unterschiedlicher Werke miteinander oder einzelner Werke mit den Ideen des Nutzers beschäftigt sich dieser häufig in besonderer Tiefe mit den einzelnen Figuren, ihren Charaktereigenschaften und den Hintergründen des Originals, um selbst eine spannende und schlüssige Geschichte produzieren zu können. Bei den anderen Formen der Fan Art scheint eine inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung weniger regelmäßig gegeben, ist jedoch je nach der konkreten Erscheinung der Fan Art durchaus möglich. Während originalgetreuen Charakterportraits keine Auseinandersetzung mit dem Werk oder einem dritten Bezugsgegenstand entnommen werden kann,917 bestehen auch Zeichnungen von Fans, die sich mit dem Protagonisten einer Geschichte, z. B. der Comicfigur Batman inhaltlich und künstlerisch auseinandersetzen. Beispielsweise indem sie anstatt des typischen Comicstils einen expressionistischen Zeichenstil oder die Form eines Aquarells wählen und dies dazu nutzen, der Figur einen anderen Charakter zu verleihen.918 Des Weiteren können Nutzer die Figuren auch in Situationen zeichnen, in denen sie im Ausgangswerk nie dargestellt wurden und die dort auch nicht angelegt sind. Zum Beispiel können die Nutzer ein familiär-freundschaftliches Verhältnis zwischen zwei Figuren eines Ausgangswerks in der von ihnen geschaffenen Zeichnung einen romantischen oder erotischen Charakter zuschreiben.919 Ebenso können Figuren zwei verschiedener Comicserien in der Zeichnung eines Nutzers aufeinandertreffen und miteinander interagieren.920 In solchen Fällen ist eine künstlerische Auseinandersetzung regelmäßig zu bejahen. Auch im Rahmen von Fanvideos, also von den Nutzern produzierten Kurzfilmen921 ist eine Auseinandersetzung inhaltlicher oder künstlerischer Natur denkbar.

917

Dazu Summerer, Illegale Fans, S. 14–15. Summerer, Illegale Fans, S. 16, 18. 919 Summerer, Illegale Fans, S. 18–19. 920 Summerer, Illegale Fans, S. 17. 921 Näher zu dem Begriff: Summerer, Illegale Fans, S. 22. 918

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(d) Angemessener Interessenausgleich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls Im Rahmen des Interessenausgleichs zwischen Urheber und Nutzer sind in den Fällen der Fan Fiction und den weiteren Formen der Fan Art zugunsten des Urhebers des Originalwerkes sowohl dessen wirtschaftliche als auch dessen persönlichkeitsrechtliche Interessen zu berücksichtigen. Im jeweiligen Einzelfall ist zu prüfen, ob die Fan Art geeignet ist, das Ausgangswerk zu substituieren und damit dessen wirtschaftliche Verwertung zu beeinträchtigen. Dabei könnten insbesondere die wirtschaftlichen Einbußen durch fehlenden Lizenzeinnahmen zu berücksichtigen sein.922 Ebenso ist denkbar, dass durch eine Umschreibung des Werkes, dieses entstellt und damit das geistige Band zwischen dem Urheber und seiner Schöpfung beeinträchtigt wird. Aufseiten der Fans als nachschaffende Künstler ist zu beachten, dass ihre Nutzungshandlungen durch die Kunstfreiheit geschützt sind. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es der Kunstform der Fan Fiction immanent ist, bekannte Werke Dritter zu nutzen, um diese weiterzuentwickeln. Das Schreiben von den Originalwerken vollständig losgelösten Geschichten kann daher ebenso wenig gleichwertigen Ersatz bieten wie die grundsätzliche Möglichkeit eines Lizenzerwerbs.923 (e) Fazit zu Fan Fiction und Fan Art als Pastiche Abschließend ist festzuhalten, dass die Zulässigkeit von Fan Fiction und anderer Fan Art als Pastiche insbesondere von dessen Unterscheidbarkeit zum Original und einer etwaigen Beeinträchtigung der Interessen des Urhebers abhängt. Je stärker der Nutzer sich vom Original löst, desto eher kann die Fan Art als Pastiche zulässig sein. Insgesamt sind sowohl nach § 51a UrhG zulässige, als auch unzulässige Fälle der Fan Art denkbar.924 cc) Karikatur im Sinne des § 51a UrhG Bisher hat der EuGH den Begriff der Karikatur noch nicht konkretisiert, scheint ihn aber weitestgehend mit dem Begriff der Parodie gleichzusetzen.925 Nach dem für den EuGH maßgeblichen gewöhnlichen Sprachgebrauch926 ist unter einer Kari-

922 Zur wirtschaftlichen Bedeutung von Fan Art für den Urheber, Peifer, FS Wandtke, S. 99 (102) m. w. N. 923 Vgl. BVerfGE 142, 74 Rn. 98–99 – Metall auf Metall. 924 Differenziert auch: Stieper, AfP 2015, 301 (305). 925 Dazu unter B. II. 1. b) bb) (3). 926 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 19  – Deckmyn und Vrijheidsfonds m. w. N.

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katur als autonomen Begriff des Unionsrechts die bildliche oder bild- und textliche Darstellung einer Person, eines Lebenssachverhalts oder eines gesellschaftlichen Themas zu verstehen, welche durch die Stilmittel der Verzerrung oder Übertreibung eine komische Wirkung erzielt oder Kritik äußert. Die Karikatur kann dabei auch provokativ sein. Es sind sowohl rein komische als auch rein kritische927 Karikaturen denkbar. Vielfach zeichnet sich die Karikatur aber durch ein Wechselspiel von Komik und Kritik aus.928 Die Auffassung des deutschen Gesetzgebers zur Interpretation des Karikaturbegriffs deckt sich überwiegend mit diesem Verständnis. Nach seiner Auffassung ist unter dem unionsrechtlichen Begriff der Karikatur unter Berücksichtigung der Auslegungsgrundsätze des EuGH und der deutschen Rechtsprechung eine Zeichnung oder andere bildliche Darstellung zu verstehen, die durch satirische Hervorhebung oder überzeichnete Darstellung bestimmter charakteristischer Züge eine Person, eine Sache oder ein Geschehen der Lächerlichkeit preisgibt. Sie unterscheide sich zur Parodie insbesondere dadurch, dass ihre kritisch-humorvolle Auseinandersetzung eher Personen oder gesellschaftlich-politische Zustände zum Gegenstand habe, wohingegen die Parodie tendenziell auf bestimmte Werke oder Werkgattungen abziele.929 Zudem ist dem deutschen Gesetzgeber zuzustimmen, dass die Karikatur parallel zum Parodiebegriff auch das Erinnern an das Ausgangswerk sowie wahrnehmbare Unterschiede zum Ausgangswerk voraussetzt. Denn ohne das erste Kriterium, dass die Referenzialität der Nutzung beschreibt, wäre die Berufung auf eine Schrankenregelung gar nicht notwendig. Das zweite Kriterium ist auch im Rahmen der Karikatur notwendig, um von einem Plagiat abzugrenzen. Da sich der Karikaturbegriff auf bildliche Darstellungen beschränkt, ist er insgesamt enger als der Begriff der Parodie. Fraglich ist, inwieweit neben den „klassischen“ Karikaturen (1) auch neuere künstlerische Erscheinungsformen (2) unter den Karikaturbegriff fallen können. (1) „Klassische“ Karikaturen als Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG Vom Karikaturbegriff im Sinne des § 51a UrhG können im Einzelfall jedenfalls „klassische“ Karikaturen erfasst sein, d. h. bildliche, verzerrte oder übertriebene Darstellungen in Form einer Zeichnung, eines Gemäldes, ggf. in Kombination mit Fotografien oder Texten, die eine komisch-kritische Wirkung erzeugen und 927 Parallel zu einer „seriösen Parodie“ ist auch eine „seriöse Karikatur“ denkbar, dazu Fn. 147. 928 Dies stellt das Ergebnis der unter B. II. 1. b) bb) (3) erfolgten Begriffsermittlung dar, s. insbesondere: B. II. 1. b) bb) (3) (g). 929 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 91.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

dabei auf ein bestehendes Werk zurückgreifen. Ihre Zulässigkeit hängt insbesondere von der Erzielung eines angemessenen Ausgleichs zwischen Urheber und Nutzer ab. (2) Neuere künstlerische Erscheinungsformen als Karikatur nach § 51a UrhG Fraglich ist jedoch, ob neben den klassisch anerkannten Karikaturen auch weitere, vergleichsweise neue künstlerische Erscheinungsformen als Karikatur gem. § 51a UrhG zulässig sein können. Zwar sollen Remix, Sampling, Meme, GIF, Mashup, Fan Art und Fan Fiction nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers als Pastiche zulässig sein.930 Sollte eine Privilegierung als Pastiche aufgrund eines entgegenstehenden Begriffsverständnis des EuGH ausscheiden, ist es für das Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht bedeutsam, ob diese Erscheinungen unter den Karikaturbegriff fallen können. (a) Remix und Sampling als Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG Da es sich bei dem Remix und dem Sampling nicht um bildliche, sondern um musikalische künstlerische Erscheinungsformen handelt, scheidet die Anwendung der Karikaturschranke bereits aufgrund ihrer Gattung aus. Zudem verfolgen der Remix und das Sampling keine Auseinandersetzung mit Personen oder gesellschaftlichen Themen, sodass eine Privilegierung als Karikatur auch aus inhalt­ lichen Gesichtspunkten ausscheidet. (b) Memes als Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG Einige Memes931 greifen auf bestehendes Bildmaterial zurück und versehen dieses mit Texten, sodass die Kriterien der Wiedererkennbarkeit der Vorlage sowie der wahrnehmbaren Unterschiede bei diesen Erscheinungsformen von Memes häufig erfüllt sein können.932 Als Bilder oder Bild-Text-Kombinationen933 decken sich Memes mit dem formalen Ausdrucksmittel der Karikatur. Viele Memes beschäftigen sich mit Alltagssituationen, einige Memes aber auch mit Personen oder politischen und gesellschaft­

930 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 89–91. 931 Zu dem Begriff unter B. III. 2. b) ee). 932 Dazu bereits unter B. III. 3. b) aa) (2) (b) (aa). 933 Maier, GRUR-Prax 2016, 397.

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lichen Themen. Allerdings weist der Bildteil selbst in der Regel keinen überspitzten oder verzerrenden Charakter auf. Vielmehr erzielt das Meme seine komische Wirkung durch die Änderung des Kontexts eines Bildes oder durch den Begleittext. Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass die ganz überwiegende Mehrheit von Memes nicht als Karikatur nach § 51a UrhG zulässig sein können. (c) GIFs als Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG Bereits die allgemeinen Kriterien der Ausnahmetatbestände des § 51a UrhG wie z. B. der des „wahrnehmbaren Unterschieds“ liegen bei GIFs häufig nicht vor.934 Zudem handelt es sich bei GIFs zwar um bildliche Darstellungsformen, allerdings zeichnen sie sich – ebenso wie Memes – nicht durch eine verzerrende oder übertriebene Darstellungsform aus. Darüber hinaus fehlt es GIFs an einem typischen Inhalt, d. h. im Hinblick auf die Karikatur der Thematisierung von Personen oder Zeitgeschehnissen. Vielmehr dienen sie häufig der reinen Illustrierung. Zwar kann im Einzelfall auch eine Karikatur als GIF genutzt werden, die ganz überwiegende Mehrheit der GIFs stellen aber keine Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG dar. (d) Mashups als Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG Mashups können in Abhängigkeit von ihrer konkreten Ausgestaltung die nach der Auffassung des deutschen Gesetzgebers für § 51a UrhG allgemein maßgeb­ lichen Voraussetzungen, d. h. die Wiedererkennbarkeit, die wahrnehmbaren Unterschiede, die inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung sowie den angemessenen Interessenausgleich erfüllen.935 Zudem können Foto- und Video-Mashups das formale Kriterium der Karikatur, die bildliche Darstellungsform aufweisen. Inhaltlich kann ein Mashup Personen- oder Gesellschaftsbezug besitzen, typisch ist dies allerdings nicht. Zwar mischen Mashups verschiedene Werke oder Werkteile, sodass ihnen in gewisser Weise verzerrende Wirkung zukommen kann. Allerdings fehlt es dabei meist an einer übertriebenen oder überspitzten Darstellung des Sujets, sodass der Begriff der Karikatur eher unpassend scheint. Jedenfalls aufgrund ihres inhaltlichen Bezugspunkts werden Mashups ganz überwiegend nicht als Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG zulässig sein können.

934 935

Dazu bereits unter B. III. 3. b) aa) (2) (b) (bb). Dazu bereits unter B. III. 3. b) aa) (2) (b) cc) und unter B. III. 3. b) bb) (4).

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(e) Fan Art und Fan Fiction als Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG Wie bereits geprüft, können Fan Art und Fan Fiction die gattungsübergreifenden, allgemeinen Voraussetzungen des § 51a UrhG erfüllen.936 Zudem können Fan Art sowie die spezielle Form der Fan Fiction in der für die Karikaturausnahme erforderlichen bildlichen Ausdrucksform bspw. als Zeichnung oder Comic auftreten. Zugleich weist Fan Art häufig Personenbezug auf, da sie meist die Charaktere des jeweiligen Werkes zum Gegenstand hat.937 Dabei kann sie im Einzelfall die Charaktere auch überspitzt oder verzerrt darstellen und damit eine komische oder kritische Wirkung erzeugen. Somit ist festzustellen, dass Fan Art und Fan Fiction nicht zwingend Karikaturen darstellen. Eine referenzielle Nutzung kann jedoch zugleich Fan Art und Karikatur sein, sodass sie unter die Karikaturschranke des § 51a UrhG fällt. (f) Fazit zur Anwendung der Karikaturschranke nach § 51a UrhG auf neue künstlerische Erscheinungsformen Insgesamt ist festzuhalten, dass die Karikaturschranke aufgrund ihrer gegenüber der Parodie und dem Pastiche noch spezifischeren formalen und inhaltlichen Anforderungen in der Regel nicht zu einer über diese Ausnahmen hinausgehenden Zulässigkeit referenziell-künstlerischer Nutzungen führen kann. Remixe, Sampling, GIFs und Mashups werden ganz überwiegend nicht vom Karikaturbegriff des § 51a UrhG erfasst. Nutzungen in Formen von Memes und Fan Art können im Einzelfall unter die Karikaturausnahme fallen, eine regelmäßige Zulässigkeit ergibt sich für sie aus der Schranke allerdings nicht. c) Quellenangabe und Änderungsverbot bei Nutzungen nach § 51a UrhG Ist eine Quellenangabe unüblich, ist sie nach der Rechtsprechung des EuGH für Parodien938 und mangels entsprechender Regelung auch für Karikaturen und Pastiches entbehrlich.939 Bei Nutzungen nach § 51a UrhG muss grundsätzlich zwar 936

Dazu unter B. III. 3. b) bb) (6). Dass es sich dabei regelmäßig nicht um reale, sondern fiktive Personen handelt, gebietet keine abweichende Beurteilung, da für die urheberrechtliche Beurteilung der Werkschutz der benutzen Vorlage maßgeblich ist und auch der Karikaturbegriff fiktive Personen nicht ausschließt. 938 EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014  – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 33  – Deckmyn und Vrijheidsfonds; BGHZ 211, 309 Rn. 25 – auf fett getrimmt. 939 Vgl. insbesondere § 63 UrhG. Dies entspricht ausdrücklich dem Willen des Gesetzgebers, s. die Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes BT-Drs. 19/27426, 90. 937

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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auch das Änderungsverbot beachtet werden. Gem. § 62 Abs. 4a UrhG liegt ein Verstoß gegen das Änderungsverbot jedoch nicht vor, wenn die am Ausgangswerk vorgenommenen Änderungen zur Schaffung der Parodie, Karikatur oder Pastiche erforderlich sind. Damit sind die jeweiligen künstlerischen Änderungen sowohl im Rahmen der klassischen als auch im Rahmen der neueren künstlerischen Erscheinungsformen regelmäßig zulässig. d) Weitere allgemeine Voraussetzungen des § 51a UrhG Unabhängig von der Frage, ob es sich um eine Parodie, eine Karikatur oder ein Pastiche handelt, kommt es, wie bereits im Rahmen der Erörterung des Anwendungsbereichs der Pasticheschranke erläutert, nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers für eine Berufung auf § 51a UrhG nicht auf das genutzte Medium, die konkrete Kunstform oder das gewählte Genre an. Unerheblich sei ebenfalls, ob die Nutzung gewerblich oder privat erfolge. Eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG sei mit Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH nicht erforderlich. Allerdings müssen alle Nutzungen nach § 51a UrhG – um sich vom Plagiat abzugrenzen – wahrnehmbare Unterschiede zum Originalwerk aufweisen. Dies bedeute jedoch nicht, dass das Werk „verblassen“ müsse.940 Schließlich müssen alle Nutzungen im Einzelfall auch dem Dreistufentest nach Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL genügen, um zulässig zu sein. Die Anforderungen des Dreistufentests werden allerdings bereits überwiegend im Rahmen der ebenfalls schrankenübergreifenden Voraussetzung der Erzielung eines „angemessen Ausgleichs“ berücksichtigt.941

4. Die Sonderregelungen des UrhDaG Das UrhDaG enthält in Umsetzung von Art. 17 DSM-RL942 Regelungen für nutzergenerierte Inhalte, die insbesondere auch künstlerische Nutzungsformen umfassen. Zwar enthalten die Vorschriften keine zusätzlichen Schrankenbestimmungen, die das Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht lösen. Dennoch spielen sie eine Rolle für die Lösung dieses Konflikts auf Schrankenebene, da sie die Anwendung der Schrankenregelungen im Online-Bereich modifizieren. Daher soll neben der Klarstellung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UrhDaG (a) insbesondere auf das Rechtsinstitut der mutmaßlich erlaubten Nutzungen hingewiesen werden (b). 940 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 90. 941 Vgl. B. II. 4.  und B. II. 5. 942 Vgl. die Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 1, 43–44.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

a) Die Verweise in § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UrhDaG Seit des Inkrafttretens des Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes stellen § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UrhDaG klar, dass die Nutzung von Zitaten nach § 51 UrhG sowie die Nutzung zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches im Sinne des § 51a UrhG auch bei der Inanspruchnahme von Online-Diensteanbietern im Sinne des § 2 Abs. 1 UrhDaG und damit auf Plattformen wie beispielsweise YouTube943, Soundcloud,944 Insta­ gram oder TikTok zulässig ist. Eine Erweiterung der Anwendungsbereiche von § 51 UrhG und § 51a UrhG ist mit der Vorschrift nicht verbunden. Außerdem befreit sie auch nicht von dem Änderungsverbot und der Verpflichtung zur Quellenangabe, die sich für das Zitatrecht aus §§ 62, 63 UrhG ergeben. Die explizite Aufzählung der Zitat- und Parodieschranke in § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UrhDaG945verdeutlicht jedoch, dass die Werknutzungen zum Zwecke der Meinungs- aber auch der Kunstfreiheit im digitalen Bereich eine besondere Rolle spielen. Dies könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass die Vorschrift – die Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL umsetzt946 – über §§ 51, 51a UrhG insbesondere auch künstlerische Nutzungsformen wie Memes und GIFs erfassen soll, die im Rahmen der Nutzung von sozialen Medien typischerweise auftreten. Die besondere Relevanz der Ausnahme des § 51a UrhG auf Online-Plattformen wird zudem durch die Vergütungsregelung des § 5 Abs. 2 S. 1 UrhDaG unterstrichen. Danach hat der Plattformbetreiber für Nutzungen nach § 51a UrhG dem Urheber eine angemessene Vergütung zu zahlen.947 b) Mutmaßlich erlaubte Nutzungen nach § 9 UrhDaG Die Vorschrift über mutmaßlich erlaubte Nutzungen enthält keine Regelung, die spezifisch darauf abzielt, von der Kunstfreiheit geschütztes Verhalten zu privilegieren. Vielmehr versucht sie die Kollision von Interessen der Nutzer, Plattformbetreiber und Rechtsinhaber für alle denkbaren Nutzungsarten zu lösen. Zudem stellt sie keine echte Schrankenregelung dar, da sie die Zulässigkeit nur widerleglich vermutet (§ 9 Abs. 2 S. 1 UrhDaG) und damit die Nutzung nur faktisch und

943 Vgl. dazu die Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, die durchgängig YouTube als Beispiel für einen Diensteanbieter nennt, BT-Drs. 19/27426, 44, 62, 63, 141, 152, 153, 155. 944 Vgl. die Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes BT-Drs. 19/27426, 63. 945 Alle weiteren Schranken des 6. Abschnitts des UrhG sind in Nr. 3 zusammengefasst. 946 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 45. 947 Anders noch der Regierungsentwurf, der eine angemessene Vergütung für alle gesetzlich erlaubten Nutzungen im Sinne des § 5 Abs. 1 UrhDaG vorsah, s. die Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 34, 45.

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

191

vorübergehend ermöglicht, nicht aber abschließend legalisiert.948 Deshalb soll ihr Regelungsgehalt an dieser Stelle nicht vertieft untersucht werden. Hervorzuheben ist jedoch, dass für mutmaßlich erlaubte Nutzungen nach § 9 Abs. 2 S. 1 UrhDaG widerleglich vermutet wird, dass sie nach § 5 UrhDaG gesetzlich erlaubt sind. Voraussetzung für die Annahme einer mutmaßlich erlaubten Nutzung ist, dass ein nutzergenerierter Inhalt 1. weniger als die Hälfte eines Werkes eines Dritten oder mehrere Werke Dritter enthält, 2. die Werkteile nach Nr. 1 mit anderem Inhalt kombiniert und 3. Werke Dritter nur geringfügig nutzt (§ 10 UrhDaG) oder als gesetzlich erlaubt gekennzeichnet ist (§ 11 UrhDaG). Gem. § 9 Abs. 2 S. 2 UrhDaG dürfen Abbildungen nach Maßgabe von §§ 10 und 11 UrhG abweichend von § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UrhDaG vollständig verwendet werden. Die Vermutung nach § 9 Abs. 2 S. 1 UrhDaG hat zur Folge, dass der nutzergenerierte Inhalt bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens auf der Plattform verfügbar bleibt, § 9 Abs. 1 UrhDaG. Damit sollen Nutzerrechte gewährleistet, dem sog. Overblocking entgegengewirkt und auch der „durch die Kunstfreiheit garantierte[n] kreative[n] Umgang mit vorbestehenden urheberrechtlich geschützten Inhalten“ gestärkt werden.949 Somit können auch künstlerische Nutzungen, bei denen die Anwendbarkeit von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UrhDaG bzw. § 51 UrhG und § 51a UrhG nicht sofort feststeht, von dieser Vorschrift profitieren. Zu beachten ist jedoch, dass die Vermutung insbesondere unter der Voraussetzung einer erheblichen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Verwertung gem. § 14 Abs. 4 UrhDaG widerlegt werden kann.

948

Differenziert zur Rechtsnatur von § 9 UrhDaG: Metzger / Pravemann, ZUM 2021, 288 (294–295) m. w. N., die die Konstruktion der mutmaßlich erlaubten Nutzung als „Bagatell-/ Overblocking-Schranke“ bezeichnen. 949 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 46. Im Gegensatz zu der noch vom RefE vorgesehenen Bagatellschranke für bestimmte Nutzungen, handelt es sich bei den mutmaßlich erlaubten Nutzungen nicht um eine – unionsrechtswidrige eigenständige Schrankenbestimmung – sondern lediglich um ein „prozedurales Instrument“, vgl. dazu a. a. O. 46. Sowohl zur Unionsrechtskonformität von Bagatellschranke und § 9 UrhDaG: Metzger / Pravemann, ZUM 2021, 288 (294–296). Für die unionsrechtliche Zulässigkeit von § 9 UrhDaG spricht neben ihrem prozessualen Charakter, der sie von einer Ausnahme und Beschränkung im Sinne der InfoSoc-RL abgrenzt, auch das Konsultationspapier der Kommission, das selbst eine ähnliche Regelungstechnik vorschlug, abrufbar unter: ec.europa.eu/newsroom/dae/document. cfm?doc_id=68591 [zuletzt abgerufen am 12. 11. 2021].

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

5. Entwicklung und Bewertung der Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht durch die Schrankenregelungen des UrhG und die Vorschriften des UrhDaG Wie bereits dargelegt, dienten seit Inkrafttreten des Urheberrechtsgesetz 1966 vor allem die freie Benutzung nach § 24 UrhG a. F. und das Zitatrecht des § 51 UrhG dazu, der Kunstfreiheit nachschaffender Künstler durch die Möglichkeit der zustimmungsfreien Nutzung urheberrechtlich geschützten Materials Rechnung zu tragen. Der Anwendungsbereich beider Normen hat sich mit der Zeit geweitet und somit zur Zulässigkeit der Verwendung von Werken oder Werkausschnitten im Rahmen verschiedener Kunstformen geführt. Ursächlich dafür waren die Berücksichtigung der Kunstfreiheit durch die Rechtsprechung des BVerfG und des BGH, die Rechtsprechung des EuGH zur unionsrechtlichen Vorgabe des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL950 sowie die Vorgabe des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL, die die Umwandlung von § 51 UrhG zu einer Generalklausel erforderlich machte.951 Sowohl § 24 Abs. 1 UrhG a. F. als auch § 51 UrhG konnten durch ihr weites Verständnis in der Rechtsprechung viele von der Kunstfreiheit geschützten Nutzungen abdecken und damit Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Rechnung tragen. Insbesondere im Zuge zunehmender technologischer Entwicklungen sind die Ausnahmeregelungen selbst bei kunstspezifischer Betrachtung jedoch an ihre Grenzen gestoßen. Vor allem die künstlerische Auseinandersetzung mit bestehenden Werken im Rahmen von musikalischen und audiovisuellen Medien war nur schwer unter die § 24 Abs. 1 UrhG a. F., § 51 UrhG subsumierbar. Der Rechtsstreit Metall auf Metall hat am Beispiel des Samplings gezeigt, dass es an einer konkreten gesetzgeberischen Entscheidung im Spannungsverhältnis von Urheberrecht und neuen künstlerischen Erscheinungsformen fehlte.952 Dazu kam, dass § 24 UrhG a. F. in seiner Funktion als Schrankengeneralklausel953 aufgrund entgegenstehenden Unionsrechts keine Anwendung mehr finden konnte. Neben dem Sampling kollidieren auch Kunstformen wie Remixe, Mashups, GIFs und Memes mit dem Urheberrecht. Durch den technologischen Fortschritt ist ihre Herstellung einfacher und schneller als je zuvor möglich, sodass sie sich zu Alltagsphänomenen entwickelt haben.954 Handelt es sich um nicht gewerbliche 950

Dazu unter B. II. 1. b) bb) (1) (a) (aa). Vgl. die Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/1828, 21. 952 Zwar stehen dort der Kunstfreiheit die Leistungsschutzrechte des Tonträgerherstellers gegenüber, jedoch ist bei einer geänderten Werknutzung auch die Kollision mit dem Urheberrecht im engeren Sinne denkbar. 953 Fn. 580. 954 Dies stellte die Kommission bereits im Jahr 2009 fest, Mitteilung der Kommission  – Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft, KOM (2009)532 endg., 11. Damals handelte es sich jedoch noch um „eine recht neue Erscheinung“ und den meisten Beteiligten der Konsultation war eine Regulierung von nutzergenerierten Inhalten „noch zu früh“, a. a. O. 951

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

193

Nutzungen, die insbesondere bei Mashups, GIFs und Memes in sozialen Medien eine Rolle spielen, wird oftmals der Begriff des User Generated Content (UGC)955 gebraucht. Die Beschreibung verdeutlicht, dass die referenzielle Nutzung lange keine Problematik einzelner Künstler ist, sondern auch die kreativen Leistungen der Nutzer von sozialen Netzwerken und anderen Online-Diensten als großen Teil der Bevölkerung betrifft. Für die urheberrechtliche Bewertung der zunehmenden künstlerisch-referenziellen Nutzungen waren die Regelungen des § 24 Abs. 1 UrhG a. F. und § 51 UrhG unzureichend. Beide Rechtsinstitute wurden in einer analogen Welt geschaffen und waren daher primär darauf ausgerichtet, die sich im damaligen Umfeld ergebenden Konflikte zu lösen. Die freie Benutzung war in ihrer Funktion als Schrankenbestimmung und Formulierung als Generalklausel zwar geeignet, auch neue künstlerische Nutzungsformen zu erfassen, jedoch konnte sie jedenfalls nur solche Ausnahmen und Beschränkungen umfassen, welche Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 InfoSoc-RL vorsehen.956 In dem Schrankenkatalog der InfoSoc-RL fehlt es jedoch an Beschränkungen, die die genannten künstlerischen Erscheinungsformen konkret erfassen.957 Allerdings war die Entwicklung des § 24 Abs. 1 UrhG a. F. auch vor dem aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG resultierendem Bestimmtheitsgebot958 nicht unbedenklich. Der deutsche Gesetzgeber schuf mit der freien Benutzung eine Regelung, welche die Reichweite des Schutzbereichs des Urheberrechts klarstellen sollte. Er traf jedoch nicht die Entscheidung zu einer flexiblen Schrankenbestimmung, die jegliche damals noch unbekannten künstlerischen Nutzungsarten privilegieren sollte. Somit wäre die Auflösung des Interessenkonflikts bei Festhalten an § 24 UrhG a. F. den Gerichten überlassen gewesen. Eine solche Verfahrensweise ist auch im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung und das Demokratieprinzip bedenklich.959 Im Bewusstsein fehlender Kompetenz wies der BGH deshalb bereits darauf hin, dass ohne entsprechende gesetzgeberische Entscheidung die Ausnahme zugunsten von Pastiches nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL, welche möglicherweise neue Nutzungsformen umfassen könnte, von den Gerichten nicht unter § 24 Abs. 1 UrhG a. F. subsumiert werden könne.960 955

Zu dem Begriff des User Generated Content: Bauer, User Generated Content, S. 7–26. BGHZ 225, 222 Rn. 36 – Metall auf Metall IV mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 56–65 – Pelham u. a. 957 Denkbar ist allenfalls eine Subsumtion der genannten Kunstformen unter den Begriff des Pastiche, dazu B. III 3. b) bb). Der BGH lehnte jedoch eine Erstreckung von § 24 UrhG a. F. auf den Begriff des Pastiches mangels Entscheidung des Gesetzgebers zur Umsetzung der Pasticheschranke ab, BGHZ 225, 222 Rn. 65 – Metall auf Metall IV. 958 Vgl. z. B. BVerfGE 80, 103 (107); BVerfGE 120, 274 (315–316) m. w. N.; BVerfGE 149, 293 Rn. 77. 959 Eine vergleichbare Problematik stellt die Anwendung unbenannter Grundrechtsschranken durch die Gerichte dar, vgl. Rehse, Unbenannte Schranken, S. 26–30; Für die grundsätzliche Zulässigkeit von Rechtsfortbildung innerhalb urheberrechtlicher Schranken s. Rehse, Unbenannte Schranken, S. 62 ff. 960 BGHZ 225, 222 Rn. 65 – Metall auf Metall IV. 956

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Nachdem der EuGH festgestellt hat, dass die freie Benutzung keine über Art. 5 Abs. 2, Abs. 3 InfoSoc-RL hinausgehenden Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts enthalten dürfe,961 vertrat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz die Auffassung, dass § 24 UrhG a. F. unionsrechtswidrig sei.962 Zwar wäre eine unionsrechtskonforme Auslegung wohl noch möglich gewesen, indem man von der freien Benutzung nur solche Ausnahmen erfasst hätte, die der Schrankenkatalog der InfoSoc-RL vorsieht. Dennoch ist es erfreulich, dass durch die Bestrebungen des BMJV und in Konsequenz die Streichung von § 24 UrhG a. F. im Hinblick auf den Anwendungsbereich der freien Benutzung eine eindeutige Rechtslage geschaffen wurde. Anstelle des § 24 Abs. 1 UrhG a. F. UrhG enthält nun § 51a UrhG eine Ausnahme zugunsten von Karikaturen, Parodien und Pastiches.963 Ob und unter welchen Voraussetzungen bspw. ein Meme oder ein GIF von der Regelung erfasst ist, ist bislang nicht abschließend geklärt. Insbesondere mangels konkreter Anhaltspunkte für den Pastiche als Rechtsbegriff, ist die Regelung mit viel Rechtsunsicherheit verbunden.964 Der Begründung des Regierungsentwurfes ist zu entnehmen, dass eine Privilegierung der genannten Nutzungsformen ausdrücklich dem Willen des deutschen Gesetzgebers entspricht und ihre Zulässigkeit als Nutzung nach § 51a UrhG – in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH zu Parodie und Zitat – davon abhängt, dass sie an das Ausgangswerk erinnern, aber zugleich wahrnehmbare Unterschiede sowie eine inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk oder einem dritten Bezugsgegenstand aufweisen.965 Ob eine solche Auslegung auch mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist und ob die genannten Kriterien abschließend sind, kann gegenwärtig hingegen nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Für eine auch nach Unions 961

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 65 – Pelham u. a. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, DiskE II, [Stand 24. Juni 2020], 1. Abrufbar unter: www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/DiskE_II_Anpassung%20Urheber ­recht_ digitaler_Binnenmarkt.pdf?__blob=publicationFile&v=2 [zuletzt abgerufen am 11. 11. 2021]. 963 Vgl. dazu Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, DiskE II, [Stand 24. Juni 2020], 2, 10. Abrufbar unter: www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/DiskE_II_Anpassung%20 Urheberrecht_digitaler_Binnenmarkt.pdf?__blob=publicationFile&v=2 [zuletzt abgerufen am 11. 11. 2021]. 964 Vgl. Döhl, UFITA 83 (2019), 29–35; dazu bereits unter B. II. 1. b) bb) (2) und B. III. 3. b) bb). Auch die Äußerungen der Kommission zu den maßgeblichen unionsrechtlichen Vorgaben der InfoSoc-RL sind wenig aufschlussreich. Zwar stellt sie zum einen fest, dass die InfoSoc-RL keine Vorschriften enthalte, die nutzergenerierte Inhalte privilegieren könne, Europäische Kommission, Grünbuch Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft, vom 16. 07. 2008, KOM(2008) 466 endg., 20. Gleichzeitig kommt sie jedoch zu dem Schluss, dass Art. 5 Abs. 3 lit. d) und lit. k) InfoSoc-RL „einen gewissen Spielraum“ für solche Nutzungen eröffnen, a. a. O. 20–21. 965 Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 89–91. 962

III. Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit  

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recht zulässige Erfassung von referenziellen Nutzungsformen wie Memes und GIFs durch § 51a UrhG könnte allerdings sprechen, dass Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b) DSM-RL die Ausnahme zugunsten der Nutzer von Karikaturen, Parodien und Pastiches ausdrücklich hervorhebt. Der Unionsgesetzgeber scheint die Schrankenregelung zugunsten von Parodie, Karikatur und Pastiche im digitalen Umfeld somit auch für besonders relevant zu erachten. Das Zitatrecht des § 51 UrhG vermag die bestehende Rechtsunsicherheit nicht auszugleichen und damit das Spannungsverhältnis zwischen der Kunstfreiheit nachschaffender Kreativer und den Rechten von Urhebern im Rahmen neuer Nutzungsformen zu lösen. Die Möglichkeit das Zitatrecht bei der urheberrechtlichen Bewertung neuer künstlerischer Erscheinungsformen heranzuziehen ist bereits durch dessen Formulierung eingeschränkt. Denn der Wortlaut zielt auf eine konkrete Nutzung in Form des Zitats ab.966 Zwar kann der Begriff des Zitats nach Auffassung des BVerfG auch künstlerische Nutzungen ohne geistige Auseinandersetzung in Form einer kritischen Erörterung umfassen, jedoch muss der angeführte Werkteil dazu als integraler Bestandteil einer eigenständigen künstlerischen Aussage fungieren.967 Zudem muss sich auch der Zitatbegriff des § 51 UrhG an den Vorgaben des Unionsrechts messen lassen. Ob die verfassungskonforme Auslegung des BVerfG mit dem unionsrechtlichen Verständnis des Zitatbegriffs vereinbar ist, kann nicht zweifelsfrei beantwortet werden. Jedenfalls ist die Anwendung des Zitatrechts auf die künstlerische Erscheinungsform des Samplings nach Auffassung des EuGH grundsätzlich möglich.968 Mangels entsprechender Ausführungen der Rechtsprechung besteht jedoch auch im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Zitatrechts auf andere künstlerische Erscheinungsformen erhebliche Rechtsunsicherheit, welche faktisch zu einer Einschränkung der künstlerischen Tätigkeit der Betroffenen führt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich der Anwendungsbereich des Zitatrechts nach § 51 UrhG und der freien Benutzung nach § 24 UrhG a. F. zugunsten der Kunstfreiheit nachschaffender Künstler erweitert hat. Durch eine kunstspezifische Auslegung ist es denkbar, dass sowohl das Zitatrecht als auch die Pasticheschranke des § 51a UrhG neue künstlerische Erscheinungsformen insbesondere in Form von referenziellen Werknutzung erfassen. Einige Nutzungsformen, wie zum Beispiel Memes könnten auch durch die bereits stärker konturierte Parodieschranke erfasst werden. Jedoch ist die Regelung des Spannungsverhältnisses zwischen Urheber und Werknutzer dabei stark von der Auslegung durch die

966

Vgl. Rehse, Unbenannte Schranken, S. 43. BVerfG GRUR 2001, 149 (152) – Germania 3. 968 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72 – Pelham u. a. Zuvor war unklar, ob das europäische Zitatrecht auch künstlerische Nutzungen erfassen könne oder auf Zwecke zugunsten der Meinungsfreiheit begrenzt sei, Stieper, ZGE 2011, 443 (449). 967

196

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Gerichte abhängig und aufgrund fehlender konkretisierender Rechtsprechung, vor allem des EuGH zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Rechtsunsicherheit verbunden. Insbesondere ist unklar, unter welchen Voraussetzungen die Pasticheschranke des § 51a UrhG eingreift, die nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers neue Kunstformen der Referenzkultur erfassen soll.

IV. Berücksichtigung der Kunstfreiheit jenseits der ausdrücklich normierten Schrankenregelungen? Die ausdrücklich geregelten Schrankenregelungen in Richtlinien und Urheberrechtsgesetz sind nicht das einzige Instrument für eine Beschränkung des Urheberrechts zugunsten der Kunstfreiheit. Im Folgenden soll diskutiert werden, ob die Kunstfreiheit auch durch eine unabhängige Grundrechtsabwägung (1.), im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung (2.), einer Prüfung der Rechtswidrigkeit (3.) oder durch die Berufung auf einen übergesetzlichen Notstand (4.) zu einer Beschränkung der Urheberrechte führen kann. Im Anschluss erfolgen ein Fazit und Ausblick zur weiteren Entwicklung der Berücksichtigung der Kunstfreiheit außerhalb von normierten Vorschriften des UrhG (5.).

1. Berücksichtigung der Kunstfreiheit durch eine unabhängige Grundrechtsabwägung In der Vergangenheit wurde die Auffassung vertreten, dass die Grundrechte auch ohne einfachgesetzliche Konkretisierung im UrhG, d. h. unmittelbar zu einer Einschränkung der Urheberrechte führen könnten. Zum Beispiel durch eine nachgeschaltete Interessenabwägung der sich gegenüberstehenden Grundrechte.969 Auch Generalanwalt Szpunar hielt eine externe Berücksichtigung von Grundrechten für möglich. Er beschränkte jedoch den Anwendungsbereich auf einzelne Sonderfälle, bei denen die Notwendigkeit einer gesonderten Abwägung der Grundrechte unter den speziellen Umständen des Einzelfalls zu prüfen sei. Das Urheberrecht enthalte bereits Mechanismen, welche zu einem Ausgleich der Grundrechtspositionen führe. Würde man die Geeignetheit dieser Regelungen für die Herstellung eines angemessenen Interessenausgleichs der Grundrechte in Frage

969

v.  Ungern-Sternberg, GRUR 2015, 533 (536), spricht von einer „gesonderten Grundrechtsabwägung“ und verweist auf EuGH, Urt. v. 16. 02. 2012 – C-360/10, ECLI:EU:C:2012:85 Rn. 41 ff. – SABAM; EuGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – C-314/12, ECLI:EU:C:2014:192 Rn. 45 ff., 63 – UPC Telekabel Wien. In den angeführten Entscheidungen hat das Gericht die Grundrechte jedoch lediglich zur Auslegung herangezogen. Für eine Interessenabwägung im Rahmen der Rechtswidrigkeit s. OLG Stuttgart NJW-RR 2004, 619 (621).

IV. Berücksichtigung der Kunstfreiheit  

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stellen (was eine pauschale zusätzliche Grundrechtsabwägung indiziert), bedürfte es einer Überprüfung und gegebenenfalls Reform des Gesetzes selbst.970 Würde man dieser Methodik folgen, könnte auch die Kunstfreiheit zumindest in Einzelfällen eine Beschränkung von Urheberrechten bewirken. Eine solche Vorgehensweise kann jedoch insbesondere mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung, dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip in Konflikt geraten.971 Denn die Entscheidung über die Lösung einer Interessenkollision zwischen Nutzern und Urhebern obliegt primär dem Gesetzgeber.972 Er trifft sie, indem er bestimmte einfachgesetzliche Ausnahmetatbestände schafft und damit die gesetzlichen Schranken des Urheberrechts im Sinne des Art. 17 Abs. 1 S. 3 GRCh bzw. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG konkretisiert.973 Durch eine nicht kodifizierte zusätzliche Interessenabwägung würden die Zivilgerichte ihre Kompetenz überschreiten und in unzulässiger Weise in diese Entscheidung eingreifen.974 Deshalb haben sowohl der EuGH als auch das BVerfG und der BGH eine „freischwebende Güterabwägung“975 abgelehnt.976 Vielmehr sind die Grundrechte im Rahmen der Auslegung der Regelungen der Richtlinien und des Urheberrechtsgesetzes zu berücksichtigen.977

970

GA Szpunar, Schlussanträge v. 25. 10. 2018 – C-469/17, ECLI:EU:C:2018:870, Rn. 29–31, 40 – Funke Medien NRW. 971 Differenziert dazu: Rehse, Ungeschriebene Schranken, S. 26–30, 37, welcher eine Anwen­ dung von ungeschriebenen Schranken insbes. im Rahmen der Rechtsfortbildung bei bestehenden Lücken für zulässig erachtet. 972 Rehse, umschreibt dies als „Normsetzungsprärogative des Gesetzgebers“, Ungeschriebene Schranken, S. 32; Stieper, Schranken des Urheberrechts, S. 64. 973 Stieper, Schranken des Urheberrechts, S. 64; zur Abgrenzung der Anwendbarkeit von Grundrechten der GRCh und des GG im Rahmen der Auslegung urheberrechtlicher Schranken s. BGH GRUR 2020, 859 Rn. 28–31 – Reformistischer Aufbruch II. 974 BGHZ 154, 260 (266–267) – Gies-Adler; BVerfG GRUR 2012, 389 Rn. 14 – Kunstausstellung im Online-Archiv; BGH GRUR 2017, 895 Rn. 51 m. w. N. – Metall auf Metall III; BGH GRUR 2020, 859 Rn. 32 m. w. N. – Reformistischer Aufbruch II. 975 Schack, FS Schricker, 2005, S. 511 (517). 976 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019  – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 49  – Spiegel Online; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 64 – Funke Medien NRW; BVerfG GRUR 2012, 389 Rn. 14 – Kunstausstellung im Online Archiv m. w. N.; BGHZ 154, 260 (266) – Gies-Adler m. w. N.; BGHZ 225, 222 Rn. 49 – Metall auf Metall IV m. w. N.; BGH GRUR 2020, 859 Rn. 32 – Reformistischer Aufbruch II. 977 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019  – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 31–39  – Pelham u. a.; BVerfG GRUR 2012, 389 Rn. 14 – Kunstausstellung im Online-Archiv m. w. N.; s. auch Czychowski, NJW 2020, 2554 (2564).

198

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

2. Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung In den Entscheidungen Reformistischer Aufbruch II978 und Afghanistan Pa­ piere II979 nahm der BGH das erste Mal eine in die urheberrechtlichen Schrankenregelungen eingeflochtene Verhältnismäßigkeitsprüfung vor (a). Im Rahmen dieser stellte das Gericht das Urheberrecht der Meinungs- und Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG gegenüber. Zu untersuchen ist, ob diese Methodik des BGH auch auf Fallkonstellationen übertragbar ist, in denen das Urheberrecht mit der Kunstfreiheit in Ausgleich zu bringen ist (b). Im Anschluss wird Stellung zur Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Auslegung von Schrankenregelungen bezogen (c). a) Die Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Entscheidungen Reformistischer Aufbruch II und Afghanistan Papiere II Nachdem der EuGH den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Auslegung der Schrankenregelungen betont hat, ist der BGH in den Entscheidungen Reformistischer Aufbruch II und Afghanistan Papiere II dazu übergegangen, den Grundrechten im Rahmen einer vierstufigen Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung zu tragen. Dazu wählte der BGH die Tatbestandsmerkmale des „durch den Zweck gebotenen Umfangs“ der Schranke für Berichterstattung über Tagesereignisse gem. § 50 UrhG und „soweit es der Informationszweck rechtfertigt“ der unionsrecht­ lichen Vorgabe des Art. 5 Abs. 3 lit. c) Fall 2 InfoSoc-RL als Anknüpfungspunkt für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit.980 Diese Tatbestandsvoraussetzungen würden den Mitgliedstaaten Umsetzungsspielraum eröffnen981 und somit auch eine Interessenabwägung ermöglichen.982 In beiden Fällen ging es um den missbräuchlichen Einsatz des Urheberrechts als Instrument zur Verhinderung von unliebsamer Presseberichterstattung. Somit waren die Interessen der Urheber mit der Meinungs- und Pressefreiheit in Ausgleich zu bringen. Im Anschluss an die Herleitung der Verhältnismäßigkeitsprüfung aus Art. 5 Abs. 3 lit. c)  Fall 2 InfoSoc-RL stellte der BGH fest, dass Ausnahmen und Beschränkungen nicht eng auszulegen seien983 und kehrte damit von einem gefestigten Grundsatz des deutschen Urheberrechts ab. Dies war hinsichtlich der Vorgaben 978

BGH GRUR 2020, 859 – Reformistischer Aufbruch II. BGH GRUR 2020, 853 – Afghanistan Papiere II. 980 BGH GRUR 2020, 853 Rn. 46 – Afghanistan Papiere II; BGH GRUR 2020, 859 Rn. 47– 48 – Reformistischer Aufbruch II. 981 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17 ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 27–29 – Spiegel Online; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 42–44 – Funke Medien NRW. 982 BGH GRUR 2020, 853 Rn. 29 – Afghanistan Papiere II. 983 BGH GRUR 2020, 859 Rn. 48 – Reformistischer Aufbruch II. 979

IV. Berücksichtigung der Kunstfreiheit  

199

des EuGH erforderlich, welcher im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens im Fall Reformistischer Aufbruch (= Spiegel Online) bereits darauf hinwies, dass die Schrankenregelungen Rechte der Nutzer darstellen würden und der Schutz des geistigen Eigentums nicht bedingungslos zu gewähren sei.984 Folglich könne nicht von einer grundsätzlich engen Auslegung der Ausnahmen und Beschränkungen ausgegangen werden. Maßgeblich seien vielmehr die praktische Wirksamkeit der Regelungen und die Achtung der Grundrechte.985 Nachdem der BGH die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Nutzungshandlungen für den Schrankenzweck geprüft hatte, führte er im Rahmen der Angemessenheit der Verhältnismäßigkeitsprüfung aus, dass die durch das Urheberrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützten verwertungsrechtlichen Interessen von der Nutzung durch die Presse „allenfalls unwesentlich betroffen“ seien, da im Fall Reformistischer Aufbruch II mit einer Verwertung durch den Urheber „nicht zu rechnen“ war und sie bei militärischen Lageberichten „naturgemäß“ ausschied.986 Auch im Hinblick auf die nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art.  1 Abs. 1 GG geschützten Urheberpersönlichkeitsrechte lag keine schwerwiegende Beeinträchtigung vor: Die im Rahmen der Nutzung erfolgte Darstellung der veränderten Beziehung zwischen Urheber und seinem Werk durch die Presse trage dem Urheberpersönlichkeitsrecht ausreichend Rechnung (Reformistischer Aufbruch II).987 Außerdem diene das Urheberpersönlichkeitsrecht nicht dem staatlichen Geheimnisschutz, sondern schütze nur das urheberrechtspezifische Interesse an der Entscheidung, ob und wann das Werk in die Öffentlichkeit treten soll und sich damit der Kenntnisnahme und Kritik Dritter aussetzt (Afghanistan Papiere II).988 Der Meinungs- und Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG kam in den Fällen hingegen besonderes Gewicht zu: Das Werk in Reformistischer Aufbruch II betreffe Angelegenheiten, die von erheblichem öffentlichem und politischem Interesse seien989 und die streitgegenständlichen Berichte in Afghanistan Papiere II würden der wahrheitsgemäßen Information der Bürger dienen, welche grundlegend für den demokratischen Willensbildungsprozess sei.990 Erfreulicherweise entschied der BGH somit zugunsten der Meinungs- und Pressefreiheit und erteilte der zweckwidrigen Verwendung des Urheberrechts als „Zensurrecht“ eine Absage.

984

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 54, 56 – Spiegel Online. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 59 – Spiegel Online; BGH GRUR 2020, 859 Rn. 48 – Reformistischer Aufbruch II. 986 BGH GRUR 2020, 853 Rn. 54 – Afghanistan Papiere II; BGH GRUR 2020, 859 Rn. 66 – Reformistischer Aufbruch II. 987 BGH GRUR 2020, 859 Rn. 66 – Reformistischer Aufbruch II. 988 BGH GRUR 2020, 853 Rn. 54 – Afghanistan Papiere II m. w. N. 989 BGH GRUR 2020, 859 Rn. 64 – Reformistischer Aufbruch II m. w. N. 990 BGH GRUR 2020, 853 Rn. 53 – Afghanistan Papiere II m. w. N. 985

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

b) Übertragbarkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf Fallkonstellationen im Spannungsverhältnis Kunstfreiheit und Urheberrecht An welche Bedingungen die Vornahme einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Auslegung von Schrankenregelungen zu knüpfen ist, insbesondere ob sie generell oder nur in einzelnen Missbrauchsfällen Anwendung findet, erläuterte der BGH nicht. Ebenso lässt sich den Urteilen nicht eindeutig entnehmen, ob die Verhältnismäßigkeit als neues Tatbestandsmerkmal für alle Schranken der §§ 44a ff. UrhG gesondert zu prüfen ist. Zwar erwog der BGH in Reformistischer Aufbruch II das Eingreifen des Zitatrechts, ließ dies mit Verweis auf den einschlägigen § 50 UrhG jedoch offen.991 Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass der BGH die Verhältnismäßigkeitsprüfung primär aus der unionsrechtlichen Vorgabe des Art. 5 Abs. 3 lit. c) Fall 2 InfoSoc-RL hergeleitet hat und nicht aus den für alle Schrankenregelungen geltenden Erwägungsgründe der InfoSoc-RL. Mangels Begrenzung auf einzelne Schrankenregelungen oder Missbrauchsfälle992 ist eine Übertragung der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf andere Schrankenregelungen somit durchaus denkbar, wenn der Wortlaut ihrer jeweiligen unionsrechtlichen Vorgabe eine solche Prüfung nahelegt. Folglich könnte auch bei der Anwendung von § 51 UrhG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen, im Rahmen derer die Kunstfreiheit nachschaffender Künstler zu berücksichtigen wäre. Denn § 51 S. 1 UrhG und vor allem die entsprechende Vorgabe des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL verfügt über ein mit § 50 UrhG vergleichbares Tatbestandsmerkmal, das als Anknüpfungspunkt für die Interessenabwägung dienen könnte: „sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist“ (§ 51 S. 1 UrhG) und „sofern die Nutzung den anständigen Gepflogenheiten entspricht und in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist“ (Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL). Dem für § 51a UrhG maßgeblichen Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL mangelt es hingegen an einem entsprechenden Kriterium der Rechtfertigung, sodass dort die Herleitung der Verhältnismäßigkeitsprüfung aus dem Wortlaut der Vorschrift ausscheidet. Festzuhalten ist somit, dass eine Übertragung der Verhältnismäßigkeitsprüfung vor allem im Hinblick auf das Zitatrecht denkbar scheint. Ob und an welchen Stellen die Rechtsprechung zukünftig eine Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Anwendung von §§ 51, 51a UrhG vornehmen wird, kann gegenwärtig mangels eindeutiger Begründung des BGH jedoch nicht mit Sicherheit abschließend beurteilt werden.993 991

BGH GRUR 2020, 859 Rn. 95 – Reformistischer Aufbruch II. Überhaupt fehlt es an einer Begründung für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, welche jedenfalls bei fehlender ausdrücklicher Ermächtigung durch den Gesetzgeber im dicht geregelten Privatrecht erforderlich scheint. Dazu sogleich unter B. IV. 2. c). 993 Allerdings ist das OLG Köln dem BGH bereits gefolgt und nahm in einem Afghanistan Papiere II ähnlich gelagerten Fall eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen von § 50 UrhG 992

IV. Berücksichtigung der Kunstfreiheit  

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c) Stellungnahme zur Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen von Schrankenbestimmungen Die extensive Auslegung des § 50 UrhG ist auf Kritik gestoßen, da sie nicht mehr mit Wortlaut und Sinn vereinbar sei und somit die „Grenzen der verfassungskonformen Norminterpretation“ überschreite.994 Zudem wird durch sie eine Verwässe­ rung der Schranken befürchtet.995 Die vom BGH vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung hat hingegen weniger Aufmerksamkeit erfahren,996 auch wenn sie in einem engen Zusammenhang mit der großzügigen Auslegung der Schranken steht. Da sie potenziell auch für den Interessenausgleich im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht von Bedeutung sein kann, sollen Wesen und Wirkung der Verhältnismäßigkeitsprüfung festgestellt (aa) sowie ihre Zulässigkeit (bb) untersucht werden. aa) Wesen und Wirkung der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Schrankenbestimmungen Im Gegensatz zu einer unabhängigen Grundrechtsabwägung stellt die vierstufige Verhältnismäßigkeitsprüfung ihrem Wesen nach eine Schranken-Schranke dar. Folglich kann sie nur zu einer Beschränkung der Reichweite der Schrankenregelungen aufgrund von Unverhältnismäßigkeit führen. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs zugunsten der Nutzer ermöglicht sie hingegen nicht. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit dient somit neben dem Dreistufentest des Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL als weiteres Korrektiv für die Auslegung der Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts. Aufgrund dieser zweifachen Nachjustierungsmöglichkeiten zugunsten der Rechtsinhaber scheint eine großzügige Auslegung der Schrankenregelungen sinnvoll, wenn man die grundrechtlich geschützten Interessen der Nutzer im Rahmen der Verhältnismäßigkeit würdigen möchte.

vor, OLG Köln GRUR 2021, 1078 Rn. 60–66 – Glyphosat-Bericht. In einem anderen Fall, in dem es den ebenfalls harmonisierten § 53 Abs. 1 UrhG anwandte, unterließ es die Prüfung hingegen, OLG Köln GRUR 2021, 1083 Rn. 23–28 – Flatster. 994 Nach Kraetzig hat der BGH durch die (extensive) Auslegung der Schrankenregelungen „die Grenzen der verfassungskonformen Norminterpretation (…) überschritten“, GRUR 2020, 955 (957). Kritisch auch Stieper, ZUM 2020, 753 (760). Ebenso Kritik erhielt die Auslegung im betreffenden Vorabentscheidungsverfahren durch den EuGH: Oechsler, NJW 2020, 3206 (3208). 995 Hofmann, K&R 2020, 629 (630). 996 Dazu jedoch: Goldhammer, ZUM 2020, 787 (789).

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

bb) Zulässigkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Schrankenbestimmungen Trotz ihrer Natur als Schranken-Schranke kommt die Prüfung der Grundrechte im Rahmen der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit einer extensiven Auslegung des Wortlauts im Ergebnis einer „losgelösten“ grundrechtlichen Interessenabwägung sehr nahe, die sowohl EuGH, als auch BVerfG und BGH zuvor für unzulässig erklärt haben.997 Auch wenn die Verhältnismäßigkeit ein anerkannter Grundsatz des Unionsrechts ist, dessen Berücksichtigung der EuGH immer wieder betont hat,998 dürfen die Zivilgerichte bei dessen Anwendung ihre von der Verfassung zugewiesene Kompetenz nicht überschreiten, indem sie in die Gestaltungsfreiheit des (Unions-) Gesetzgebers eingreifen.999 Die Interessenabwägung findet zwar erst statt, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen der jeweiligen Schrankenbestimmung bejaht wurde, sodass die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht zu einer Entbehrlichkeit der Tatbestandsmerkmale oder einer Auslegung entgegen des Wortlauts führt. Jedoch prüft der BGH im Anschluss ein zusätzliches zivilrechtliches Tatbestandsmerkmal, das eine freie Grundrechtsabwägung im Rahmen der Angemessenheit beinhaltet.1000 Zwar ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch im Zivilrecht anerkannt,1001 jedoch hat der Gesetzgeber diesen im enumerativen Schrankenkatalog nicht ausdrücklich vorgesehen.1002 Den Schrankenregelungen fehlt es außerdem auch an typischen Schlüsselbegriffen wie „Angemessenheit“ oder „Verhältnismäßigkeit“, die eine vom Gesetzgeber gewollte Verhältnismäßigkeitskontrolle nahelegen.1003 Während eine generelle Verhältnismäßigkeitsprüfung im Privatrecht

997

Fn. 976. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 49 – Funke Medien NRW; EuGH, Urt.  v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 105 – Painer m. w. N.; EuGH, Urt. v. 20. 06. 2002 – C-313/99, ECLI:EU:C:2002:386 Rn. 37 – Mulligan. Der EuGH führte den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insbesondere als Maßgabe für die Umsetzung von Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten an. Nähere Vorgaben zu der Art der Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit durch die Rechtsprechung traf der Gerichtshof hingegen nicht. 999 Vgl. Fn. 974. 1000 Dazu: Goldhammer, ZUM 2020, 787 (789), der die Aufbaufrage nicht „überstrapazieren“ will, da eine „grundrechtsorientierte Abwägung und der vierstufige „öffentlich-rechtliche“ Aufbau zu vergleichbaren Ergebnissen kommen. 1001 Besonders präsent ist er im Arbeitsrecht, wo er erstmals im Spielbankbeschluss auftauchte, BAG NJW 1971, 1668. Dort modifizierte das Gericht jedoch auch die öffentlich-rechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung, eingehend dazu: Tischbirek, Die Verhältnismäßigkeitsprüfung, S. 71–78; zu den beiden Erscheinungsformen der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht: Medicus, AcP 1992, 192. Bd., S. 37–38. 1002 Anders zum Beispiel § 3 Abs. 2 AGG, der die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich vorschreibt. 1003 Zu dieser Möglichkeit des Gesetzgebers, Tischbirek, Die Verhältnismäßigkeitsprüfung, S. 195. 998

IV. Berücksichtigung der Kunstfreiheit  

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bei fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung abzulehnen ist,1004 kann ihr selektiver Einsatz zulässig sein, wenn er lediglich den Willen des Gesetzgebers konkretisiert oder ein besonderer Härtefall vorliegt.1005 Für einen selektiven Einsatz der zusätzlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung, der sich noch innerhalb der Grenzen einer zulässigen Rechtsfortbildung1006 bewegt, spricht, dass Art. 5 Abs. 3 lit. c) InfoSoc-RL, eine Nutzung erlaubt „soweit es der Informationszweck rechtfertigt“. Durch dieses Merkmal der Rechtfertigung, an das auch der BGH anknüpfte1007, könnte der Unionsgesetzgeber die Prüfung der Verhältnismäßigkeit indiziert haben.1008 Zudem ist es erklärtes Ziel aller Schrankenregelungen einen angemessenen Ausgleich zwischen den Rechten und Interessen von Rechtsinhabern und Nutzern herzustellen,1009 sodass eine gleichrangige Abwägung der Grundrechtspositionen grundsätzlich im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers steht.1010 Daneben könnte die Verhältnismäßigkeitskontrolle in Reformistischer Aufbruch II und Afghanistan Papiere II auch damit begründet werden, dass es sich um Härtefälle handelte, in denen das Urheberrecht als Zensurrecht missbraucht wurde, sodass die Kontrolle erforderlich war. Man kann jedoch auch die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bereits bei der detaillierten Ausgestaltung der Schrankenbestimmungen Rechnung getragen hat und damit eine weitergehende Prüfung des Einzelfalls aufgrund des Wortes „rechtfertigt“ nicht gewollt war. Ebenso könnte man aufgrund des zunehmenden Gebrauchs des Urheberrechts als Zensurrecht1011 auch das Vorliegen eines vom Gesetzgeber unbedachten seltenen Härtefalls ablehnen. Dies hätte zur Folge, dass das Vorgehen des BGH mit Art. 20 Abs. 3 GG in Konflikt gerät.1012 Denn bei einer über den Wortlaut reichenden Kon 1004 Tischbirek, Die Verhältnismäßigkeitsprüfung, S. 198. Vgl. dazu auch BVerfGE 30, 173 (199) – Mephisto. 1005 Vgl. Tischbirek, Die Verhältnismäßigkeitsprüfung, S. 198–199. 1006 Diese Grenzen sind im Zivilrecht weiter zu ziehen als im Straf- oder öffentlichen Recht, Tischbirek, Die Verhältnismäßigkeitsprüfung, S. 165–166. 1007 BGH GRUR 2020, 859 Rn. 48 – Reformistischer Aufbruch II; In Afghanistan Papiere II nennt der BGH nur die deutsche Formulierung des § 50 UrhG „in einem durch den Zweck gebotenen Umfang“, verweist jedoch auf die Ausführungen in Reformistischer Aufbruch II, BGH GRUR 2020, 853 Rn. 46 – Afghanistan Papiere II. 1008 Ob allein der Begriff „rechtfertigt“ in Art. 5 Abs. 3 lit. c) InfoSoc-RL oder ggf. „gerechtfertigt“ in Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL tatsächlich als entsprechender Wille des europä­ischen Gesetzgebers interpretiert werden kann, scheint zweifelhaft. 1009 Erwgr. 31 der InfoSoc-RL. 1010 Das Verständnis von Nutzern als Eingreifenden beeinträchtigt diese Gleichrangigkeit jedoch. Goldhammer, ZUM 2020, 787 (789). 1011 Vgl. z. B. neben BGH GRUR 2020, 853 – Afghanistan Papiere II und BGH GRUR 2020, 859 – Reformistischer Aufbruch II auch OLG Köln GRUR 2021, 1078 – Glyphosat-Bericht. 1012 Vgl. zum Konflikt der justiziellen Migration des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit Art. 20 Abs. 3 GG: Tischbirek, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 164–165, 193–200.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

trolle der Verhältnismäßigkeit handelt es sich um einen Prüfungsschritt, der der Verfassungsgerichtsbarkeit, d. h. dem BVerfG oder dem EuGH überlassen ist. Die Feststellung der Verhältnismäßigkeit einer Norm, beispielsweise einer Schrankenregelung oder ihrer Anwendung im Einzelfall erfolgt dort im Rahmen der Prüfung eines Grundrechtseingriffs durch staatliches Handeln.1013 Die Kontrolle der Verfassungskonformität der Anwendung einer Norm, welche über eine Berücksichtigung der Grundrechte im Rahmen des Wortlauts hinausgeht, ist jedoch nicht Aufgabe der Zivilgerichte. Sie sind nach Art. 20 Abs. 3 GG an das Gesetz gebunden. Haben sie Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Ergebnisses einer methodengerechten Anwendung der Regelung, haben sie die Sache nach Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht vorzulegen.1014 Eine von den Zivilgerichten vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung birgt somit die Gefahr, dass die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts1015 und schließlich auch der Wille des Gesetzgebers übergangen wird. Betrachtet man die Prüfung der Verhältnismäßigkeit als vollwertige Voraussetzung und nicht nur als „Notbremse“ für eine extensive Auslegung der Schranken bei zweckwidrigem Einsatz des Urheberrechts, kann sie zudem mit Rechtsunsicherheit verbunden sein.1016 Denn sie stellt einen weiteren, jedenfalls nicht ausdrücklich genannten Faktor für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Nutzungshandlung dar und hängt in besonderer Weise von einer Einzelfallentscheidung des beschäftigten Gerichts ab.

3. Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen der Rechtswidrigkeit Neben einer unabhängigen Grundrechtsabwägung und einer Verhältnismäßigkeitsprüfung wird eine Interessenabwägung außerhalb der kodifizierten Schrankenregelungen im Rahmen der „Widerrechtlichkeit“ des Anspruchs aus § 97 Abs. 1 UrhG erwogen.1017

1013 Jüngst stellte das BVerfG klar, dass die vierstufige Prüfung der Verhältnismäßigkeit als Instrument für die Bewertung von Abwehrfällen gegenüber dem Staat und nicht im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung im Privatrecht Anwendung findet: BVerfGE 152, 152 Rn. 86–87 – Recht auf Vergessen I. 1014 Schack, FS Schricker, S. 511 (518) m. w. N. 1015 Vgl. zum Konflikt des Normverwerfungsmonopols des BVerfG mit ungeschriebenen Schranken, Rehse, Ungeschriebene Schranken, S. 30–32. 1016 Diese Gefahren stellt Schack, FS Schricker, S. 511 (518), bei einer freischwebenden Güterabwägung fest. Weniger bedrohlich, jedoch nicht aus dem Auge zu verlieren sind diese Aspekte im Hinblick auf die Abwägung innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung. 1017 Kraetzig (wohl beschränkt auf die Fälle eines missbräuchlichen Einsatzes des Urheberrechts), GRUR 2020, 955; Wandtke / Bullinger / v. Wolff, UrhR, § 97 Rn. 34; tatsächlich auch anwendend: OLG Stuttgart NJW-RR 2004, 619 (621).

IV. Berücksichtigung der Kunstfreiheit  

205

Sie stehe dem Unionsrecht nicht entgegen und führe zu denselben Ergebnissen wie eine Grundrechtsabwägung im Rahmen der Schranken, ohne dabei die Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung zu überschreiten.1018 Anhaltspunkte für eine Interessenabwägung im Rahmen der Rechtswidrigkeit enthalten jedoch weder das UrhG noch die Rechtsakte der Union. Auch die Befürworter einer Grundrechtsabwägung im Rahmen der Widerrechtlichkeit liefern keine dogmatische Begründung für diese Vorgehensweise. Bei der Prüfung anderer zivilrechtlicher Vorschriften zum Schutze des Eigentums findet bisher keine Grundrechtsabwägung statt, welche die Widerrechtlichkeit einer Verletzungshandlung entfallen lassen könnte. Vielmehr können auch im Rahmen von Vorschriften wie § 823 BGB nur einfachgesetzlich normierte Tatbestände wie die Einwilligung, die Notwehr nach § 227 BGB, der Notstand nach den §§ 228, 904 BGB oder die Selbsthilfe gem. § 229 BGB den Entfall der Rechtswidrigkeit begründen.1019 Somit kann sich eine Berücksichtigung der Grundrechte auch nicht durch eine Analogie ergeben. Eine grundrechtliche Interessenabwägung im Rahmen der Rechtswidrigkeit erfolgt nur, um den Inhalt von sog. „offenen“ Haftungstatbeständen1020 zu konkretisieren, welche dem Schutz der in § 823 BGB nicht aufgezählten absoluten Rechte wie dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht dienen.1021 Diese darf jedoch nicht mit einer generellen Interessenabwägung verwechselt werden.1022 Im Strafrecht wird hingegen teilweise vertreten, dass Grundrechte wie insbesondere auch die Kunstfreiheit, nicht nur im Rahmen von einfachem Recht wie z. B. § 193 StGB, sondern auch unmittelbar als Rechtfertigungsgrund herangezogen werden können.1023 Eine Prüfung der Grundrechte im Rahmen der Rechtswidrigkeit von § 97 Abs. 1 UrhG hätte zwar den Vorteil, dass sie nicht „freischwebend“ stattfinden müsste. Jedoch sehen weder das Urheberrechtsgesetz noch die Richtlinien eine Grundrechtsabwägung im Rahmen der Rechtswidrigkeit vor. Damit führt sie zu einem unzulässigen Eingriff in die in den Schrankenbestimmungen

1018 Nach Kraetzig habe der BGH in den Entscheidungen Reformistischer Aufbruch II und Afghanistan Papiere II den Wortlaut der Schrankenbestimmungen derart überdehnt, dass er mit einer verfassungskonformen Auslegung nicht mehr in Einklang stünde. Kraetzig, GRUR 2020, 955 (957–958). 1019 Zu den Rechtfertigungsgründen des § 823 BGB: MüKo-BGB / Wagner § 823 Rn. 77; ­Jauernig  /  Teichmann, BGB, § 823 Rn. 51–55; die Berufung auf Rechtfertigungsgründe des allgemeinen Zivilrechts ist auch im Urheberrecht möglich, jedoch kaum von praktischer Relevanz, Schack, FS Schricker, S. 511 (516). 1020 BGHZ 80, 25 (27) – Der Aufmacher I. 1021 BGHZ 80, 25 (27) m. w. N. – Der Aufmacher I; BGH GRUR 2018, 648 Rn. 19 m. w. N. – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen; BGH GRUR 2020, 435 Rn. 43 m. w. N. – Yelp. 1022 BVerfGE 66, 116 (138). 1023 OLG Jena NJW 2006, 1892 (1892–1893); OLG Saarbrücken NJW 2018, 3794 Rn. 25 m. w. N.; Roxin / Greco, Strafrecht AT, § 18 Rn. 50 m. w. N.; Valerius, JuS 2007, 1105 (­ 1107–1108) m. w. N.

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Entscheidung und verletzt Art. 20 Abs. 3 GG.1024 Allenfalls bei evidenten Missbrauchsfällen kann eine Rechtsfortbildung durch die Gerichte gerechtfertigt sein.1025 Vorzugswürdig ist es daher, allein im Rahmen der Auslegung der Tatbestandsmerkmale zu entscheiden, ob die Rechte des Urhebers aufgrund entgegenstehender Interessen zurücktreten müssen.

4. Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen des rechtfertigenden und übergesetzlichen Notstands Die Kunstfreiheit könnte auch im Rahmen des rechtfertigenden Notstands gem.  §§ 228, 904 BGB (a)  sowie bei Anerkennung eines übergesetzlichen Notstands (b) zu einer Einschränkung der Urheberrechte führen. Da es sich bei ihnen nicht um klassische Schrankenregelungen im Sinne der InfoSoc-RL, sondern um allgemeine zivilrechtliche Regelungen handelt, könnte ihre Anwendung im Hinblick auf den harmonisierten Schrankenkatalog mit dem Unionsrecht möglicherweise vereinbar sein. a) Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen des rechtfertigenden Notstands § 904 BGB gilt zwar unmittelbar nur für das Sacheigentum, nach der herrschenden Meinung findet die Vorschrift aber auch analoge Anwendung auf das Urheberrecht.1026 Somit könnte der rechtfertigende Notstand im Urheberrecht grundsätzlich Anwendung finden und daher auch zugunsten der Kunstfreiheit nachschaffender Künstler wirken. Allerdings setzen die §§ 228, 904 BGB voraus, dass der Eingriff in das Eigentum, d. h. in die betroffenen Urheberrechte zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr erforderlich und der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung entstehenden Schaden des Eigentümers unverhältnismäßig groß ist. Dabei gilt bei der Beurteilung des Vorliegens dieses Tatbestands ein strenger Maßstab, sodass der rechtfertigende Notstand im Urheberrecht praktisch keine Anwendung findet.1027 Insbesondere im Hinblick auf den Interessenausgleich zwischen der von der Kunstfreiheit geschützten Position nachschaffender Künst 1024

Vgl. dazu die Ausführungen unter B. IV. 2. c) bb). Vgl. auch dazu bereits unter B. IV. 2. c) bb). 1026 Schricker / Loewenheim / Stieper, UrhG, Vor §§ 44a ff. Rn. 22 m. w. N.; Wandtke / Bullinger /  Lüft, UrhR, Vor §§ 44a ff. Rn. 4 m. w. N.; Fromm / Nordemann / Dustmann, UrhG, Vor §§ 44a ff. Rn. 2 m. w. N. 1027 Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken im digitalen Umfeld, S. 48 m. w. N.; Schricker / Loewenheim / Stieper, UrhG, Vor §§ 44a ff. Rn. 22 m. w. N.: Fromm / Norde­ mann / Dustmann, UrhG, Vor §§ 44a ff. Rn. 2 m. w. N. 1025

IV. Berücksichtigung der Kunstfreiheit  

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ler und der Eigentumsposition der Urheber ist es kaum denkbar, dass ein künstlerischer Eingriff in die Urheberrechte zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr erforderlich wäre und dass dieser Eingriff einen Schaden abwenden würde, der im Vergleich zu dem mit dem Eingriff verbundenen Schaden des betroffenen Eigentümers unverhältnismäßig groß wäre. Vielmehr stellt sich die Abwägung zwischen den Rechten und Interessen von nachschaffendem Künstler und Urheber als Balanceakt dar. b) Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen des übergesetzlichen Notstands Einige Gerichte und Stimmen in der Literatur hielten den Rückgriff auf das Rechtsinstitut des übergesetzlichen Notstands bei kollidierenden Grundrechten im Rahmen einer urheberrechtlichen Auseinandersetzung für möglich.1028 Im gegenwärtigen Schrifttum findet diese Auffassung jedoch kaum noch Vertreter.1029 Auch der BGH hat sich bereits im Gies-Adler-Urteil gegen einen Rückgriff auf den übergesetzlichen Notstand ausgesprochen. Vielmehr seien im Zivilrecht die in §§ 228, 904 BGB normierten Tatbestände zu berücksichtigen.1030 Dass diese im Rahmen urheberrechtlicher Streitigkeiten aufgrund ihrer engen Voraussetzungen kaum zur Anwendung kommen können1031, kann jedoch nicht die Einführung eines übergesetzlichen Notstands rechtfertigen. Denn die urheberrechtlichen Schrankenregelungen regeln die Kollision von Urheber- und Nutzerinteressen als Leges speciales und sind damit Ausdruck des gesetzgeberischen Willens. Dieser darf nicht durch die Gerichte ausgehebelt werden. Zudem findet der übergesetzliche Notstand selbst im Strafrecht, wo er seinen Ursprung findet, als Rechtfertigungsgrund keine Anwendung mehr. Stattdessen hat er 1975 durch das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts (2. StRG) vom 04. 07. 19691032 als rechtfertigender Notstand Eingang in das StGB gefunden.1033 Konsequenterweise wird eine darüberhinausgehende Re-

1028 KG NJW 1995, 3392 (3394) – Botho Strauß; LG Berlin GRUR 1962, 207 (210) – Maifeiern; vgl. den Hinweis von Wandtke / Bullinger / v. Wolff, UrhR 4. Aufl., § 97 Rn. 34 auf die geränderte Rechtsauffassung; vgl. auch Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken im digitalen Umfeld, S. 49, dort Fn. 72 und 73 m. w. N. 1029 Schricker / Loewenheim / Leistner bezeichnet die Auffassung zutreffend als: „überholt und praktisch aufgegeben“, UrhG, § 97 Rn. 39 m. w. N.; von diesem Ansatz abgekehrt auch: Wandtke / Bullinger / v. Wolff, UrhR, § 97 Rn. 34 m. w. N. 1030 BGHZ 154, 260 (266) – Gies Adler m. w. N. 1031 Schack, FS Schricker, S. 511 (516). 1032 BGBl. 1969 I Nr. 56, S. 717. 1033 Schack, FS Schricker, S. 511 (517); s. zur historischen Entwicklung: MüKo-StGB /  Erb, § 34 Rn. 12. Zwar wird im Strafrecht noch die Rechtsfigur des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands diskutiert, MüKo-StGB / Erb, § 35 Rn. 89–91, diese betrifft jedoch die Frage der Schuld in extremen Katastrophenfällen und kann daher im Urheberrecht nicht bemüht werden.

208

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

gelung im Zivilrecht abgelehnt und kann auch im Teilbereich des Urheberrechts nicht überzeugen.1034

5. Fazit und Ausblick zur Berücksichtigung der Kunstfreiheit außerhalb der normierten Vorschriften des UrhG Die Entwicklung der verschiedenen Ansätze unterstreicht, dass die Grundrechte für die Auslegung der Beschränkungen des Urheberrechts eine zentrale Rolle spielen und der Schrankenkatalog allein bei einem starren Verständnis, die zwischen Urheber und Nutzer auftretenden Interessenkonflikte nicht in jedem Fall sachgerecht zu lösen vermag. Besonderes Konfliktpotenzial weist die missbräuchliche Verwendung des Urheberrechts auf.1035Aber auch in den Fällen, in denen Rechtsinhaber legitime und vom Schutzzweck des Urheberrechts gedeckte Interessen verfolgen, kollidieren ihre Rechte mit den Grundrechten der Nutzer. Im Kern geht es bei den vorgestellten Ansätze um die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten,1036 die in allen Bereichen des Zivilrechts zunehmend an Bedeutung erlangt. Einigkeit besteht darüber, dass die Grundrechte bei der Anwendung des Urheberrechts Berücksichtigung finden müssen, um einen Interessenausgleich zu erreichen, der mit der Verfassung in Einklang steht. Streitig ist allein das optimale „Instrument“ für eine methodisch und dogmatisch überzeugende Berücksichtigung. Überwiegender Konsens besteht mittlerweile auch dahingehend, dass ein Grundrecht wie die Kunstfreiheit jedenfalls nicht unmittelbar im Rahmen einer losgelösten Interessenabwägung oder durch das Rechtsinstitut des übergesetzlichen Notstands zur Einschränkung der Urheberrechte führen kann. Die Einstrahlung der Grundrechte muss durch eine grundrechtskonforme Auslegung der Tatbestände erfolgen, um zumindest ein Mindestmaß an Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. Neben einer grundrechtskonformen Auslegung der spezifischen Merkmale der einzelnen Schrankenbestimmung sind eine Interessenabwägung innerhalb der Rechtswidrigkeit im Sinne des § 97 UrhG oder eine Interessenabwägung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung in Erwägung zu ziehen. Für letzteres hat der BGH sich in den Entscheidungen Reformistischer Aufbruch II und Afghanistan Papiere II entschieden.1037 Die Einführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung scheint mit einer großzügigeren Auslegung der Schrankenregelungen, möglicherweise insbesondere auch

1034

Schack, FS Schricker, S. 511 (517) m. w. N.; Medicus / Petersen, Allgemeiner Teil des BGB Rn. 164. 1035 Für den missbräuchlichen Einsatz wird neben den vorgestellten materiell-rechtlichen Lösungsmöglichkeiten auch eine Lösung auf Rechtsdurchsetzungsebene vorgeschlagen: Hofmann, K&R, 2020, 629 (630); ders., GRUR 2020, 915 (918–922). 1036 Vgl. Czychowski, NJW 2020, 2554 (2564). 1037 Näher dazu unter B. IV. 2.

IV. Berücksichtigung der Kunstfreiheit  

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von § 51 UrhG einherzugehen.1038 Dadurch könnten auf Tatbestandsebene auch die Nutzer profitieren, deren Nutzungshandlung in den Schutzbereich der Kunstfreiheit fällt. Darüber hinaus könnte Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zukünftig im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen sein. Versteht man die Prüfung als Schranken-Schranke, kann dies jedoch nicht zu einem Eingreifen der Schrankenregelungen entgegen des Wortlauts führen. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung selbst stärkt somit unmittelbar die Interessen der Rechtsinhaber, nicht aber die von der Kunstfreiheit geschützte Position nachschaffender Kreativer. Vielmehr kann das Gericht durch die nachgeschaltete Prüfung die Anwendung des § 51 UrhG im Einzelfall als unverhältnismäßig bewerten und damit sein Eingreifen versagen. Der EuGH und BGH haben jedoch eine enge Auslegung der Schrankenregelungen abgelehnt und berücksichtigen in jüngerer Rechtsprechung vermehrt die Interessen der Nutzer. Folglich ist zu vermuten, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung zukünftig zwar als Korrektiv für eine extensive Auslegung der Schrankenregelungen hinzugezogen, jedoch insgesamt nicht mit einer stärkeren Einschränkung der Ausnahmen und Beschränkungen verbunden sein wird. Vielmehr könnten nachschaffende Künstler von einer extensiveren Auslegung der Schrankenregelung als mittelbarer Folge der Verhältnismäßigkeitsprüfung profitieren und somit eine Stärkung des Grundrechts der Kunstfreiheit auf einfachgesetzlicher Ebene verzeichnet werden. Bei der Auslegung der Schrankenregelungen müssen die Gerichte jedoch insbesondere die Grenze des Wortlauts wahren, um sich nicht der Kritik auszusetzen, dass sie die Grundsätze einer methodenkonformen Auslegung überschreiten1039 und die Schranken ihre Konturen verlieren würden.1040 Ebenso gilt es bei einer Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit die sich aus Art. 20 Abs. 2, Abs. 3 GG ergebenden Vorgaben einzuhalten. Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass auch für die Lösung des Spannungsverhältnisses zwischen Kunstfreiheit und Urheberrecht eine vierstufige Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die Gerichte möglich erscheint, bei der die grundrechtlich geschützten Positionen im Rahmen der Angemessenheit miteinander abgewogen werden. Aufgrund des Wortlauts von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL, der die Wendung „gerechtfertigt“ enthält, liegt dies insbesondere im Rahmen des Zitatrechts nach § 51 UrhG nahe, wohingegen eine Erstreckung der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf § 51a UrhG eher unwahrscheinlich erscheint. Bei den Entscheidungen Reformistischer Aufbruch II und Afghanistan Papiere II könnte es sich jedoch auch um Härtefälle des „Zensurheberrechts“ gehandelt haben, sodass die Verhältnismäßigkeitsprüfung dort nur ausnahmsweise stattfand und in anderen Fällen nicht zur Anwendung kommen wird. Diese Möglichkeit scheint jedoch mangels entsprechender Ausführungen des BGH und aufgrund dessen primärer 1038

Weiteres dazu ebenso unter B. IV. 2. So bereits Kraetzig, GRUR 2020, 955 (957). 1040 Hofmann, K&R 2020, 629 (630). 1039

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Herleitung der Verhältnismäßigkeitsprüfung aus dem Wortlaut der Regelung wenig überzeugend. Unmittelbar kann die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne einer Schranken-Schranke jedenfalls nur zu einer Einschränkung der Nutzerinterinteressen führen. Es scheint jedoch nicht das Anliegen der Gerichte zu sein, die bestehenden Schrankenregelungen und die dahinterstehenden Grundrechtspositionen der Nutzer dadurch stärker zu beschränken. Vielmehr scheint die Verhältnismäßigkeitsprüfung einen Ausgleich für die Abkehr von einer grundsätzlich engen Auslegung der Schrankenregelungen darzustellen.

V. Vergleich von unionsrechtlichen und deutschen Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit Im Folgenden werden die der Kunstfreiheit dienenden Schrankenregelungen im deutschen Urheberrechtsgesetz mit denen des europäischen Urheberrechts verglichen, um Auslegungsspielräume und ihre Grenzen zu ermitteln und die Frage nach der Unionsrechtskonformität der deutschen Vorschriften zu beantworten. Die Untersuchung des gestrichenen § 24 UrhG a. F. soll insbesondere der Beantwortung der Frage dienen, ob durch den Wegfall der Vorschrift möglicherweise eine Schutzlücke für künstlerische Nutzungen entstanden ist. Auf unionsrechtlicher Ebene wurden die Schranken des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL und des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL als einfachgesetzliche Grundlagen für den Interessenausgleich von Urhebern und nachschaffenden Künstlern identifiziert. Im Urheberrechtsgesetz waren dafür die freie Benutzung nach § 24 UrhG a. F. und das Zitatrecht nach § 51 UrhG heranzuziehen. Seit der Urheberrechts­reform 2021 sind weiterhin das Zitatrecht und die neue Schranke zum Zwecke von Parodien, Karikaturen und Pastiches nach § 51a UrhG maßgeblich. Während das deutsche und europäische Zitatrecht im Wesentlichen miteinander übereinstimmen (1.), zeigten sich in der Vergangenheit hinsichtlich der freien Benutzung und der Parodieschranke des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL deutliche Unterschiede (2.). Diese wurden durch die Einführung des § 51a UrhG überwunden (3.).

1. Vergleich des deutschen und europäischen Zitatrechts Sowohl das Urheberrechtsgesetz als auch die InfoSoc-RL erlauben eine Werknutzung zum Zweck des Zitats. Im Folgenden wird aufgezeigt, dass der Regelungsgehalt des § 51 UrhG sowohl nach seinem Wortlaut (a) als auch in seiner Ausformung durch die Rechtsprechung (b) von BGH und BVerfG im Wesentlichen dem Zitatrecht des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL entspricht.

V. Vergleich von unionsrechtlichen und deutschen Schrankenregelungen  

211

a) Das Zitatrecht im deutschen Urheberrechtsgesetz und der InfoSoc-RL Zunächst werden die nach dem Wortlaut von § 51 UrhG und Art. 5 Abs. 3 lit. d)  InfoSoc-RL abgedeckten Nutzungshandlungen (aa)  gegenübergestellt. Im Anschluss wird die unionsrechtliche Konformität der Regelbeispiele des § 51 UrhG (bb), der Ausnahme nach § 51 S. 3 UrhG (cc) und des Änderungsverbots gem. § 62 Abs. 1 S. 1 UrhG (dd) festgestellt. Schließlich stehen § 51 UrhG und Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL auch hinsichtlich des Erfordernisses einer Quellenangabe und der Berücksichtigung anständiger Gepflogenheiten im Einklang (dd). aa) Vom Zitatrecht abgedeckte Nutzungshandlungen Sowohl das deutsche Urheberrechtsgesetz als auch das europäische Urheberrecht enthalten eine ausdrückliche Ausnahmeregelung zugunsten des Zitats aus einem veröffentlichten Werk. Dabei deckt § 51 UrhG die Nutzung in Form der Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe (inkl. des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung, vgl. § 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 UrhG) ab. Diese Nutzungshandlungen sieht auch die fakultative Ausnahme des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL gem. Art. 5 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 InfoSoc-RL vor. bb) Regelbeispiele des § 51 UrhG Das deutsche Zitatrecht enthält neben einer Generalklausel auch Regelbeispiele für eine zulässige Nutzung. Nach § 51 S. 2 UrhG ist die Nutzung zum Zweck des Zitats insbesondere zur Erläuterung im Rahmen eines selbständigen wissen­ schaftlichen Werkes (1.), zur Anführung im Rahmen eines selbständigen Sprachwerkes (2.) oder zur Anführung in einem selbständigen Werk der Musik (3.) zulässig. Die Anführung der Regelbeispiele kann jedoch keine Konsequenz für die materielle Reichweite der Norm haben. Insbesondere folgt aus ihnen nicht, dass das zitierende Medium ein selbständiges Werk im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG sein muss. Vor dem Hintergrund einer unionsrechtskonformen Auslegung ist auf diese Voraussetzung nun zu verzichten.1041 Vielmehr sind die Regelbeispiele der Historie des Zitatrechts geschuldet, das bis zu seiner Harmonisierung einer kasuistischen Regelungssystematik folgte. Demgegenüber führt Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL beispielhaft die Zwecke der Kritik oder Rezension an. Die Formulierung („wie“) zeigt, dass es sich dabei nicht um eine abschließende Aufzählung handelt.1042 Ins-

1041

EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 137 – Painer. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019  – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 43  – Funke Medien NRW. 1042

212

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

besondere kann nach der Rechtsprechung des EuGH unter Berücksichtigung von Art. 13 S. 1 GRCh auch eine künstlerische Nutzung wie das Sampling vom Zitatzweck erfasst sein.1043 cc) Ausnahme des § 51 S. 3 UrhG für sog. „vermittelnde Werke“ Neben der Nennung von Regelbeispielen enthält § 51 S. 3 UrhG zudem eine Ausnahme für das Mitzitieren sog. „vermittelnder“ Werke,1044 welche die Nutzung einer Abbildung1045 oder sonstigen Vervielfältigung des zitierten Werkes ermöglicht, auch wenn dieses selbst durch ein Urheberrecht oder ein verwandtes Schutzrecht geschützt ist. Diese Ergänzung des Zitatrechts erfolgte im Rahmen des UrhWissG1046. Eine entsprechende Klarstellung fehlt jedoch in Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL. Ob die Verwendung sog. „vermittelnder“ Werke ebenfalls von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL gedeckt ist, hat der EuGH bisher nicht ausdrücklich festgestellt. Da der Gerichtshof jedoch immer wieder die Beachtung der praktischen Wirksamkeit und Zielsetzung der Ausnahmeregelungen bei ihrer Auslegung betont,1047 ist anzunehmen, dass die Regelung trotz fehlender ausdrücklicher Entsprechung in Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL unionsrechtskonform ist.1048 Denn insbesondere im (kunst-)wissenschaftlichen Bereich würde das Zitatrecht sein Ziel verfehlen, wenn es die Anführung bspw. eines bekannten Gemäldes selbst erlauben würde, aber Fotografien, die das Gemälde zeigen aufgrund entgegenstehender Leistungsschutzrechte nicht genutzt werden könnten.1049

1043

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72 – Pelham u. a. Zu der Problematik des Mitzitats „vermittelnder“ Werke vor der Klärung durch den deutschen Gesetzgeber: Berberich / Nordemann, GRUR 2010, 966. 1045 Schricker / Loewenheim / Spindler spricht von „Abbildungen der Abbildung“, UrhG § 51 Rn. 105. 1046 Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissens­ gesellschaft vom 01. 09. 2017, BGBl. 2017 I Nr. 61, S. 3346; vgl. die Begründung des RegE eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissens­ gesellschaft (UrhWissG), BT-Drs. 18/12329, 34. 1047 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 59 – Spiegel Online; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 51 – Funke Medien NRW m. w. N.; EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 133 – Painer. 1048 So wohl auch: Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 27; Berberich / Nordemann, GRUR 2010, 966 (971) m. w. N. 1049 Dreier / Schulze / Dreier, UrhG, § 51 Rn. 26; vgl. die Begründung des RegE eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (UrhWissG), BT-Drs. 18/12329, 32; s. dazu auch die angeführten Beispiele in Berberich /  Nordemann, GRUR 2010, 966. 1044

V. Vergleich von unionsrechtlichen und deutschen Schrankenregelungen  

213

dd) Änderungsverbot des § 62 Abs. 1 S. 1 UrhG Schließlich ist zu beachten, dass für das Zitatrecht des §  51 UrhG das Ände­ rungsverbot des § 62 Abs. 1 S. 1 UrhG gilt, welches in der InfoSoc-RL keine Entsprechung findet. Grund dafür ist, dass das Änderungsverbot eine Konkretisierung des Urheberpersönlichkeitsrechts darstellt und somit außerhalb des Anwendungsbereichs der InfoSoc-RL liegt1050. § 62 UrhG stellt somit keine unionsrechtliche unzulässige Einschränkung des Ausnahmetatbestandes dar.1051 Vielmehr bewegt sich die Regelung im Rahmen des zulässigen Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten.1052 ee) Quellenangabe und anständige Gepflogenheiten Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL führt die Voraussetzungen der Quellenangabe sowie die Berücksichtigung anständiger Gepflogenheiten an. Die Quellenangabe bei der Nutzung eines Zitats im Rahmen von § 51 UrhG ist auch im deutschen Urheberrecht gem. § 63 UrhG grundsätzlich verpflichtend. Die Berücksichtigung anständiger Gepflogenheiten ordnet das deutsche Urheberrechtsgesetz hingegen nicht ausdrücklich an. Sie ergibt sich für das deutsche Zitatrecht jedoch auch unabhängig von der Vorgabe des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL aus der Bindung an Art. 10 Abs. 1 RBÜ.1053 ff) Ergebnis des Vergleichs des Zitatrechts des UrhG und der InfoSoc-RL Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass trotz des unterschiedlichen Wortlauts das Zitatrecht auf deutscher und europäischer Ebene denselben Regelungsgehalt aufweist und § 51 UrhG bei einer unionsrechtkonformen Auslegung unproblematisch mit den Vorgaben des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL vereinbar ist.

1050

Erwgr. 19 InfoSoc-RL. Schricker / Loewenheim / Peukert, UrhG, § 62 Rn. 3 m. w. N. 1052 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 43–44 – Funke Medien NRW. 1053 Vgl. die Begründung des RegE für ein Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/1828, 25. 1051

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B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

b) Das Zitatrecht in der Rechtsprechung von BVerfG, BGH und EuGH Maßgeblich für Inhalt und Grenzen des Zitatrechts im deutschen und europä­ ischen Urheberrecht sind nicht nur die betreffenden Vorschriften selbst, sondern vor allem auch ihre Auslegung durch BGH, BVerfG (aa) und EuGH (bb). Der Vergleich zeigt, dass sich auch die deutsche und europäische Rechtsprechung zum Zitatrecht ähneln und hinsichtlich einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 51 UrhG keine Bedenken bestehen (cc). aa) Das Zitatrecht in der Rechtsprechung von BGH und BVerfG Die deutsche Rechtsprechung hat den Begriff des Zitats nicht abschließend definiert, aber bestimmte Kriterien aufgestellt. Zentral ist insbesondere der Zitatzweck: Die Zitierfreiheit soll die geistige Auseinandersetzung mit fremden Werken erleichtern. Dazu sei eine innere Verbindung zwischen zitierendem Medium und zitiertem Werk erforderlich, sodass das Zitat als Beleg oder Erörterungsgrundlage für selbständige Ausführungen verwendet wird.1054 Diese Voraussetzung fehle, wenn das Zitat nur zur Illustration erfolgt, eine informierende Berichterstattung bezweckt oder nur um seiner selbst willen zur Kenntnis der Allgemeinheit gebracht wird.1055 Eine ausführliche Auseinandersetzung des Zitierenden mit dem angeführten Werk sei jedoch nicht erforderlich.1056 Bei der Beurteilung des Zitatzwecks ist zwischen künstlerischen und nicht künstlerischen Zitaten zu differenzieren. Bei Erstgenannten, wie bspw. dem Musikzitat, kann aufgrund einer kunstspezifischen Betrachtung1057 von einer extensiveren Auslegung des Zwecks ausgegangen werden. Dort können nach Auffassung der deutschen Rechtsprechung einzelne Stellen auch „als Mittel künstlerischen Ausdrucks und künstlerischer Gestaltung“1058 zum Beispiel in ihrer Funktion „als Stilmittel des Anklangs oder Kontrasts, einschließlich der ‚Hommage‘“ zulässig sein.1059 Die formale Einordnung als Stilmittel allein reiche dabei jedoch nicht, vielmehr müsse das Zitat „integraler Bestandteil einer eigenständigen künstlerischen Aussage“ sein.1060

1054 BGHZ 225, 222 Rn. 53 m. w. N. – Metall auf Metall IV; BGH GRUR 2016, 368 Rn. 25 – Exklusivinterview m. w. N. 1055 BGH GRUR 2016, 368 Rn. 25 – Exklusivinterview. 1056 BGH GRUR 2016, 368 Rn. 31 – Exklusivinterview. 1057 BVerfG GRUR 2001, 149 (151) – Germania 3. 1058 BVerfG GRUR 2001, 149 (151) – Germania 3. 1059 BGHZ 225, 222 Rn. 53 – Metall auf Metall IV m. w. N. 1060 BVerfG GRUR 2001, 149 (152) – Germania 3.

V. Vergleich von unionsrechtlichen und deutschen Schrankenregelungen  

215

Des Weiteren sei auch bei einem künstlerischen Zitat erforderlich, dass das angeführte Werk sich in solcher Weise von dem zitierenden Medium abhebt, dass es von dessen Publikum als fremder Bestandteil erkannt werden kann.1061 Bei der Beurteilung, ob ein Zitat vorliegt, seien die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und die Interessen der Parteien abzuwägen. Dazu gehöre insbesondere auch das Verwertungsinteresse der Rechtsinhaber.1062 Nach Auffassung des BGH stehen die von ihm aufgestellten Anforderungen im Einklang mit den Vorgaben des Unionsrechts.1063 bb) Das Zitatrecht in der Rechtsprechung des EuGH Mangels Legaldefinition in der InfoSoc-RL hat der EuGH für die Definition des Zitatrechts den Sinn der Regelung und den gewöhnlichen Sprachgebrauch herangezogen.1064 Nach der Auffassung des Gerichtshofs ist ein Zitat die Nutzung eines Werks oder eines Auszugs daraus, um eine Aussage zu erläutern, eine Meinung zu verteidigen oder eine geistige Auseinandersetzung zu ermöglichen.1065 Um eine geistige Auseinandersetzung beispielsweise in Form von Kritik oder einer Rezension zu ermöglichen, sei eine direkte und enge Verknüpfung zwischen zitiertem Werk und den Ausführungen des Nutzers zwingend nötig. Einer untrennbaren Verknüpfung zwischen Zitat und zitierendem Medium bedürfe es hingegen nicht, sodass auch ein Link ausreiche.1066 Die Interaktion mit dem Zitat müsse außerdem von einer dahingehenden Absicht des Nutzers getragen sein.1067 Zudem betont der EuGH bei der Auslegung des Zitatrechts die Bedeutung des Dreistufentests: Nach Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL darf das Zitat nicht so umfangreich sein, dass es die normale Verwertung beeinträchtigt oder die Interessen des Rechtsinhabers ungebührlich verletzt. Daraus und aus seiner Funktion als Mittel von Kritik und Rezension ergibt sich auch, dass das Zitat akzessorisch zu den Ausführungen des Zitierenden sein muss.1068 Auch ein Sample kann ein Zitat darstellen, soweit das angeführte Werk erkennbar und Ziel der Nutzung die Interaktion ist.1069 Unerheblich für die Be 1061

BGHZ 225, 222 Rn. 53 – Metall auf Metall IV m. w. N. BGH GRUR 2016, 368 Rn. 29, 33 – Exklusivinterview m. w. N. 1063 BGH GRUR 2020, 859 Rn. 83 – Reformistischer Aufbruch II. 1064 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 77 – Spiegel Online. 1065 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 78 – Spiegel Online. 1066 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 79–80 – Spiegel Online. 1067 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 71 – Pelham u. a. mit Verweis auf GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 64 – Pelham u. a. 1068 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 79 – Spiegel Online. 1069 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72 – Pelham u. a. 1062

216

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

urteilung des Ausnahmetatbestands ist, ob das Zitat in einem urheberrechtlich schutzfähigen Werk erfolgt.1070 cc) Vergleich des Zitatrechts in deutscher und europäischer Rechtsprechung BGH und BVerfG orientieren sich für die Auslegung des Zitatrechts an einzelnen Merkmalen anstatt einer abschließenden Definition. Der EuGH hat hingegen eine Definition für das Zitat entwickelt, die er durch weitere Kriterien konkretisiert hat. Dabei decken sich die Anforderungen von nationaler und europäischer Rechtsprechung. Wesentliches Merkmal ist für beide der Zitatzweck. Ebenso setzen alle Gerichte eine enge, innere Verbindung zwischen zitiertem Werk und zitierendem Medium voraus und halten eine Abwägung der gegenüberstehenden Interessen von Nutzern und Rechtsinhabern für erforderlich. Auch das künstlerische Zitat ist sowohl in der Rechtsprechung des BGH und BVerfG als auch in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt. Zwar haben die deutschen Gerichte lange Zeit gefordert, dass das zitierende Medium selbst Werkcharakter aufweist. Nachdem der EuGH dies jedoch für unerheblich erklärt hat, haben die deutschen Gerichte sich dem EuGH angeschlossen und die Forderung nach der Werkeigenschaft des Mediums aufgegeben.1071 Insgesamt kann somit festgehalten werden, dass auch die Auslegung des Zitatrechts durch BGH und BVerfG unionsrechtskonform ist.

2. Vergleich der freien Benutzung nach § 24 UrhG a. F. mit der Parodieschranke des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL Während das Zitatrecht im deutschen und europäischen Urheberrecht im Wesentlichen gleichläuft, fand die freie Benutzung nach § 24 UrhG a. F. keine Entsprechung im europäischen Urheberrecht.1072 § 24 Abs. 1 UrhG a. F. konstatierte, dass ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden kann. Damit begrenzte § 24 UrhG a. F. den Schutzbereich des Urheberrechts und stellte

1070

EuGH, Urt. v. 01. 12. 2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2011:798 Rn. 136–137 – Painer. Dazu unter B. III. 2. a) dd). 1072 Allerdings wurde im Rahmen der jüngsten Urheberrechtsreform mit § 51a UrhG eine Schrankenbestimmung zugunsten von Parodien, Karikaturen und Pastiche eingeführt, die sich mit der unionsrechtlichen Vorgabe des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL deckt. 1071

V. Vergleich von unionsrechtlichen und deutschen Schrankenregelungen  

217

den Unterschied zu einer abhängigen Bearbeitung nach § 23 UrhG heraus. Wies eine Schöpfung genügend Abstand zum genutzten Werk auf, unterlag es nicht mehr der Verfügungsgewalt des ursprünglichen Urhebers. Zugleich hatte die freie Benutzung durch die deutsche Rechtsprechung die Funktion einer Schranke erhalten.1073 Eine Regelung, welche ausdrücklich der immanenten Begrenzung des Schutzbereichs dient, hält das europäische Urheberrecht nicht bereit. Ebenso fehlt es an einem mit § 24 UrhG a. F. vergleichbaren, flexiblen Ausnahmetatbestand. Vielmehr sind mögliche Ausnahmen und Beschränkungen kasuistisch und abschließend in Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 InfoSoc-RL geregelt. Zwar erfasst Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL Parodien und Karikaturen, die auf nationaler Ebene bisher unter § 24 UrhG a. F. subsumiert wurden.1074 Jedoch reichte der Anwendungsbereich der freien Benutzung über die urheberrechtliche Beurteilung von Parodien und Karikaturen hinaus. Die freie Benutzung erfasste verschiedene Arten von Nutzungen, die die europäischen Ausnahmen und Beschränkungen der Richtlinien wahrscheinlich1075 nicht regeln. Hinsichtlich künstlerischer Werknutzungen spielte § 24 UrhG a. F. besonders häufig für die Lösung des Interessenkonflikts bei Anlehnungen im Bereich der Musik1076 und in der angewandten Kunst1077 eine Rolle. Aber auch für die Fortsetzung von Romanen1078 oder Verfilmungen1079 zogen die Gerichte die freie Benutzung heran, um den Konflikt zwischen Nutzern und Rechtsinhabern zu lösen.1080

1073

Vgl. zur Rechtsnatur der freien Benutzung: B. III. 1. c). Dazu unter B. III. 1. b). 1075 Das Schicksal vieler Nutzungsformen hängt von dem bislang nicht konkretisierten Pastichebegriff, dazu unter B. III. 3. b) bb), ab. 1076 Vgl. BGH GRUR 1958, 402  – Lili Marleen; BGH GRUR 1981, 267  – Dirlada; BGH GRUR 1991, 531 – Brown Girl I; BGH GRUR 1991, 533 – Brown Girl II; BGH GRUR 2015, 1189 – Goldrapper; BGHZ 225, 222 – Metall auf Metall IV; OLG München GRUR-RR 2016, 62 – „Heute“-Jingle; OLG Zweibrücken GRUR-RR 2016, 141 – Piano-Lehrbuch; LG Hamburg ZUM-RD 2017, 221 – An Tagen wie diesen. 1077 Vgl. BGH GRUR 2014, 258 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm; OLG Köln GRUR-RR 2010, 139  – Weißbierglas mit Fußballkugel; OLG München GRUR-RR 2011, 54  – Eierkocher; OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 1. 11. 2011  – 11 U 57/10, BeckRS 2012, 8954; OLG Nürnberg GRUR 2014, 1199 – Kicker-Stecktabelle; OLG Köln GRUR-RR 2015, 275 – Airbrush-Urnen; OLG Frankfurt a. M. GRUR-RS 2018, 39892 – Modeschmuck; LG Braunschweig GRUR-RS 2019, 12528 – VW-Käfer; LG Düsseldorf Urt. v. 17. 9. 2019 – 14c O 225/17, BeckRS 2019, 26570. 1078 BGHZ 141, 267 – Laras Tochter. 1079 LG München I ZUM-RD 2019, 270. 1080 Neben künstlerischen Nutzungen spielte die freie Benutzung z. B. auch für die Beurteilung der Übernahme von Gestaltungselementen eines Stadtplans: BGH GRUR 1998, 916 – Stadtplanwerk, oder Zusammenfassungen („abstracts“): BGH GRUR 2011, 134 – Perlentaucher, eine Rolle. 1074

218

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Bei einer Vielzahl von Fällen geht es den Nutzern der Vorlage nicht um eine kritisch-humoristische Auseinandersetzung mit dem Ausgangswerk,1081 sodass die Schrankenregelung zugunsten von Parodien und Karikaturen im Sinne des § 51a UrhG und Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL keine Anwendung findet. Allenfalls die in den genannten Vorschriften ebenfalls geregelte Ausnahme zugunsten von Pastiches könnte in diesen Fällen relevant sein. Ein Blick auf die Historie und den allgemeinen Sprachgebrauch zeigt, dass ein Pastiche sich nicht durch Elemente der Kritik oder des Humors auszeichnet.1082 Jedoch hat die Rechtsprechung bisher keine Kriterien oder Definitionen entwickelt, die die Anforderungen an ein Pastiche konkretisieren. Damit ist unklar, ob die ehemals im Anwendungsbereich des § 24 UrhG a. F. liegenden Fälle zugleich in den Anwendungsbereich der Pasticheschranke fallen können. Auch unter der Heranziehung anderer Ausnahmen und Beschränkungen in den Urheberrechtsrichtlinien, wie der Zitatschranke nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSocRL oder der Schranke für die Nutzung in bestimmten Fällen von geringer Bedeutung nach Art. 5 Abs. 3 lit. o) InfoSoc-RL scheint eine vollständige Erfassung der von § 24 UrhG a. F. privilegierten künstlerischen Nutzungen nicht möglich. Folglich ist festzustellen, dass nicht alle in den bisherigen Anwendungsbereich des § 24 UrhG a. F. fallenden künstlerischen Nutzungsformen unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH von den Ausnahmen und Beschränkungen des europäischen Urheberrechts geregelt werden.1083 Insbesondere für den Umgang mit musikalisch-künstlerischen Nutzungen und Nutzungen im Bereich der angewandten Kunst hinterlässt § 24 UrhG a. F. eine Regelungs- und Schutzlücke.1084 Diese kann innerhalb des Schrankenregimes allenfalls von der Ausnahme zugunsten von Pastiches aufgefangen werden. Dessen Anwendungsbereich lässt sich allerdings bislang nur vermuten, sodass die Frage nach der Zulässigkeit einer entsprechenden erlaubnisfreien künstlerischen Nutzung mit großer Rechtsunsicherheit verbunden ist. Außerhalb der Schranken könnten künstlerische Nutzungen von dem reformierten § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG als Schutzbereichsbegrenzung erfasst werden.1085 Da § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG aufgrund entgegenstehenden Unionsrecht nicht als Schranke, genauer Schrankengeneralklausel1086 dienen darf, kann die 1081 So bei der überwiegenden Mehrheit der angeführten Entscheidungen in Fn. 1076 und 1077. 1082 Dazu unter B. II. 1. b) bb) (2) (b)–(f). 1083 So unter Vergleich von § 24 UrhG a. F. mit Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL auch: Schulze, GRUR 2020, 128 (12) m. w. N. 1084 Je nach den Umständen des konkreten Einzelfalls, wäre auch die Privilegierung von Fan Fiction gem. § 24 UrhG a. F. zwar selten, jedoch nicht ausgeschlossen gewesen, BGHZ 141, 267 (281) – Laras Tochter m. w. N. 1085 Natürlich kann es sich auch um eine zustimmungsbedürftige Bearbeitung i. S. d. § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG handeln. Dieser privilegiert künstlerische Nutzungen aber nicht im gleichen Maße wie eine Schrankenregelung, da die Veröffentlichung und Verwertung der Bearbeitung vom Willen des Urhebers des Ausgangswerks abhängig sind. 1086 Fn. 580.

VI. Reformbedürftigkeit der freien Benutzung  

219

Vorschrift allerdings nur solche künstlerischen Nutzungen erfassen, in denen das Ausgangswerk nicht erkennbar ist und somit schon kein Eingriff in die zugehörigen Urheberrechte vorliegt. Bei den ehemals von § 24 UrhG a. F. erfassten Fällen künstlerischer Nutzungen war das Ausgangswerk hingegen immer erkennbar, sodass § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG keinen gleichwertigen Ersatz für die freie Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F. darstellt.

3. Die Schranke zugunsten von Parodie, Karikatur und Pastiche im deutschen Urheberrechtsgesetz und in der InfoSoc-RL Lange Zeit mangelte es dem Schrankenkatalog der §§ 44a ff. UrhG an einer ausdrücklichen Ausnahme zugunsten der Nutzung zwecks Parodie, Karikatur oder Pastiche. In der Vergangenheit haben die deutschen Gerichte Parodien und Karikaturen daher anhand von §§ 23, 24 UrhG a. F. beurteilt. Aufgrund der Harmonisierung durch die InfoSoc-RL war jede Parodie von § 24 UrhG a. F. erfasst, soweit sie die vom EuGH aufgestellten Anforderungen erfüllte. Insbesondere das vom BGH im Rahmen des § 24 UrhG a. F. entwickelte Kriterium der Selbständigkeit wurde aufgrund der Harmonisierung durch Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL hinfällig.1087 Im Rahmen des Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes hat der Gesetzgeber die Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL durch die Schaffung von § 51a UrhG jedoch wortwörtlich übernommen. Damit stimmen die Vorschriften zugunsten der Nutzungen von Parodie, Karikatur und Pastiche nun miteinander überein. Bisher hat der BGH durch eine unionsrechtskonforme Auslegung seine Rechtsprechung zur Parodie angepasst. Auch bei der Auslegung der Karikatur- und Pasticheschranke hat der BGH zukünftig den Vorgaben des EuGH Rechnung zu tragen.

VI. Reformbedürftigkeit der freien Benutzung aufgrund entgegenstehenden Unionsrechts Mit zunehmender Harmonisierung des Urheberrechts wurde die Vereinbarkeit der freien Benutzung mit unionsrechtlichen Vorgaben in Frage gestellt.1088 Denn eine mit § 24 UrhG a. F. vergleichbare Regelung kennt das europäische Urheberrecht nicht. 1087

Dazu unter B. III. 1. a) aa) (2). So z. B. Ohly, GRUR 2020 843 (851); ders., GRUR 2017, 964 (968); Dreier, GRUR 2019, 1003 (1005); Leistner, GRUR 2019, 1008 (1011–1012); anders noch Peifer, der § 24 UrhG aus 1088

220

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

Zentral für die Frage der Vereinbarkeit des § 24 UrhG a. F. mit den Vorschriften der InfoSoc-RL ist die Bestimmung der Rechtsnatur der freien Benutzung.1089 Der BGH hat festgestellt, dass das Rechtsinstitut originär eine immanente Begrenzung des Schutzbereichs darstellt, jedoch in der Rechtsprechung die Funktion einer Schrankenregelung erhalten habe. In ihrer Ausprägung als Schrankenregelung unterlag die freie Benutzung jedoch dem Regelungsregime der InfoSoc-RL,1090 die von Art. 5 Abs. 2, Abs. 3 InfoSoc-RL abweichende Ausnahmen nicht zulässt. Nach entsprechendem Hinweis des EuGH1091 ist der BGH zu der Auffassung gelangt, dass § 24 UrhG a. F. eine außerhalb des Schrankenkatalogs der InfoSoc-RL liegende Nutzungshandlung nicht privilegieren kann.1092 Auch das BMJV zog in seinem Referentenentwurf für ein Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes diesen Schluss1093 und schlug vor, § 24 UrhG a. F. zu streichen.1094 Der Gesetzgeber hat diesen Vorschlag nun im Rahmen des Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes umgesetzt. Die ehemalige Funktion von § 24 UrhG a. F. als Schutzbereichsbegrenzung übernimmt nun § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG. Teile der Schrankenfunktion von § 24 UrhG a. F. finden sich für die Kunstformen der Karikatur, der Parodie und dem Pastiche in § 51a UrhG wieder.

VII. Eintritt eines „Solange-Falls“ aufgrund der Streichung von § 24 UrhG a. F.? Im Rahmen der Diskussionen um die Metall auf Metall-Entscheidungen wurde die Möglichkeit eines „Solange-Falls“, d. h. des ausnahmsweisen Vorrangs deutscher Grundrechte vor den Unionsgrundrechten1095 und damit einer von der Rechtsprechung des EuGH abweichenden Auslegung der Schranken aufgezeigt.1096 Im

schließlich als immanente Begrenzung des Urheberrechts ansieht, ders., in: FS Wandtke, S. 99 (106–107). Ebenso früher Leistner, GRUR 2014, 1145 (1149). 1089 Ausführlich zur Rechtsnatur unter B. III. 1. c). 1090 Anders noch Wegmann, die § 24 UrhG als Schutzbereichsbestimmung versteht und daher nicht an der InfoSoc-RL messen will. Dies., Der Rechtsgedanke der freien Benutzung, S. 168. 1091 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 56–65 – Pelham u. a. 1092 BGHZ 225, 222 Rn. 36 – Metall auf Metall IV. 1093 RefE des BMJV für ein Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes [Stand 2. 09. 2020], 1, 40. Abrufbar unter: www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Urheberrecht.pdf;jsessionid=26E0B75 3BC7F8C996E3AF5B14FD118B6.2_cid297?__blob=publicationFile&v=7 [zuletzt abgerufen am 11. 11. 2021]. 1094 Hingegen ausdrücklich gegen die Streichung des § 24 a. F. UrhG: Haberstumpf, ZUM 2020, 809 (818). 1095 Ausführlich zu der Bedeutung und den Voraussetzungen eines „Solange-Falls“ unter C. III. 3. a). 1096 Apel, MMR 2019, 596 (602).

VII. Eintritt eines „Solange-Falls“ aufgrund der Streichung von § 24 UrhG a. F.?  221

konkreten Fall erklärte der EuGH § 24 UrhG a. F. zwar für unionsrechtswidrig. Er trug der von der Kunstfreiheit geschützten Position des sampelnden Künstlers jedoch zumindest durch eine restriktive Auslegung des Vervielfältigungsrechts Rechnung.1097 Zudem erklärte er, dass das Zitatrecht nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) Info­ Soc-RL grundsätzlich der Privilegierung des Samplings dienen könne.1098 Im Hinblick auf diesen Fall ist somit eine unzureichende, den Grundrechtsstandard von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG unterschreitende Gewährleistung der Kunstfreiheit im Unionsrecht nicht feststellbar. Außerdem ist hervorzuheben, dass für die Beurteilung, ob ein „Solange-Fall“ vorliegt, eine generelle Betrachtung des jeweiligen Grundrechts vorzunehmen ist.1099 Für die Annahme eines „Solange-Falls“ reicht damit eine Unterschreitung im konkreten Einzelfall ebenso wenig aus wie die Unterschreitung des Grundrechtsstandards aufgrund des Wegfalls einer einzelnen Norm und damit potenziell mehreren Fällen. Selbst wenn durch den Wegfall von § 24 Abs. 1 UrhG a. F. einzelne Schutzlücken zulasten nachschaffender Künstler und damit zulasten der Kunstfreiheit auftreten sollten, reicht die Streichung einer einzelnen Norm, die nur einen bestimmten Konfliktfall, nämlich die nicht-humoristische referenzielle Nutzung urheberrechtlich geschützten Materials regelt, nicht aus, um einen „Solange-Fall“ anzunehmen. Eine entsprechende Wertung wäre weder mit dem Wortlaut noch mit dem Zweck des Erfordernisses einer „generellen“ Unterschreitung des Grundrechtsschutzes vereinbar. Vielmehr kann eine generelle Unterschreitung des Grundrechtsstandards des jeweiligen Grundrechts nur bei einer Unterschreitung bei einer Mehrzahl von gesetzgeberischen Entscheidungen angenommen werden. Denn das Wort „generell“ meint, dass eine Unterschreitung nicht nur im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt, sondern regelmäßig unterschritten wird. Zudem würde der Vorrang des Unionsrechts grundlegend in Frage gestellt und damit die Harmonisierung schwerwiegend beeinträchtigt, wenn bereits eine einzelne Vorschrift zur Nichtanwendung der Unionsgrundrechte und ggf. damit des einfachen Unionsrechts führen könnte. Somit ist festzuhalten, dass sich aus dem Wegfall von § 24 UrhG a. F. aufgrund seiner Unionsrechtswidrigkeit kein „Solange-Fall“ ergibt. Ob ein „Solange-Fall“ aufgrund der Unterschiede des Gewährleistungsgehalts der Kunstfreiheit zwischen Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 13 S. 1 GRCh denkbar ist, wird an späterer Stelle untersucht.1100

1097

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 31–39 – Pelham u. a. Allerdings nutzte der BGH diese Möglichkeit für die Begründung der Zulässigkeit des Samplings im konkreten Einzelfall nicht, da das Berufungsgericht festgestellt hatte, dass die gesampelten Sequenzen wiedererkennbar seien und damit als Vervielfältigung zu bewerten waren: BGHZ 225, 222 Rn. 30–31 – Metall auf Metall IV. 1098 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72 – Pelham u. a. 1099 Dazu unter C. III. 3. a). 1100 D. II. 3. c)

222

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

VIII. Ergebnis zu Kapitel B: Reformbedürftigkeit des europäischen Urheberrechts Die Untersuchung der bestehenden Regelungen im Spannungsverhältnis von Urheberrecht und Kunstfreiheit hat gezeigt, dass die Schrankenregelungen im deutschen Urheberrecht sich überwiegend mit den europäischen Vorgaben decken (1.). Weiterhin ergibt sich aus der Untersuchung, dass durch die Streichung von § 24 UrhG a. F. allenfalls eine geringe Schutzlücke für künstlerisch-referenzielle Nutzungen entstanden ist, die nicht zu einem „Solange-Fall“ führt (2.). Schließlich legen die im Rahmen des voranstehenden Kapitels aufgefundenen Ergebnisse eine Reformbedürftigkeit der europäischen Schrankenregelungen nahe (3.).

1. Wesentliche Übereinstimmung von deutschen und europäischen Schrankenregelungen zugunsten künstlerischer Nutzungen Die Untersuchung des Interessenausgleichs von Kunstfreiheit und Urheberrecht im deutschen und europäischen Urheberrecht auf Schrankenebene hat gezeigt, dass aufgrund der Harmonisierung des Urheberrechts eine nahezu vollständige Angleichung der Schrankenregelungen zugunsten künstlerischer Nutzungen stattgefunden hat. Den letzten Schritt stellte dabei die jüngste Urheberrechtsreform dar, die die Streichung von § 24 UrhG a. F. und § 51a UrhG beinhaltete. Geringe Unterschiede, wie z. B. hinsichtlich des Änderungsverbots nach § 62 Abs. 1 S. 1 UrhG beruhen auf der bislang fehlenden Harmonisierung des Urheberpersönlichkeitsrechts. Das Verständnis der deutschen Rechtsprechung entsprach schon von Inkrafttreten der InfoSoc-RL und der Rechtsprechung des EuGH im Wesentlichen den später folgenden unionsrechtlichen Schrankenregelungen. In der deutschen Rechtsprechung zum Zitatrecht gem. § 51 UrhG ist durch die Harmonisierung bisher keine beachtliche Änderung erforderlich geworden. Allerdings musste der deutsche Gesetzgeber den kasuistisch formulierten § 51 UrhG zu einer Generalklausel erweitern. Auch in jüngster Vergangenheit deckten sich die Verständnisse des Zitatrechts. Denn beide Rechtsordnungen erkennen das Zitatrecht nicht nur als Mittel der Kritik und des Belegs, sondern auch als künstlerisches Gestaltungsmittel an. Neben dem Zitatrecht war auch die Parodie bereits vor Inkrafttreten der InfoSoc-RL im Rahmen der freien Benutzung nach § 24 UrhG a. F. als zulässige erlaubnisfreie Nutzung anerkannt. Der EuGH senkte jedoch die Anforderungen der Parodie, indem er das Vorliegen einer antithematischen Behandlung des genutzten Ausgangswerks für entbehrlich hielt. Damit hat das Unionsrecht zu einer eher kunstfreiheitsfreundlicheren Auslegung der Parodieschranke geführt. Aufgrund des Wegfalls der Erforderlichkeit einer antithematischen Auseinandersetzung mit dem Werk können auch Formen des User Generated Content, wie z. B. Memes und in bestimmten Fällen auch GIFs als „moderne Parodien“ unter die

VIII. Ergebnis zu Kapitel B 

223

Parodieausnahme fallen. Eine von den Schranken losgelöste oder ihnen nachgelagerte Grundrechtsabwägung halten sowohl die deutsche Rechtsprechung als auch der EuGH für unzulässig, sodass diese keine Alternative zu einer geschriebenen Schrankenregelung darstellen kann. Den bislang gravierendsten Unterschied stellte die freie Benutzung und die im deutschen Recht fehlende Entsprechung einer ausdrücklichen Schrankenregelung zugunsten von Parodie, Karikatur und Pastiche im Sinne von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL dar. Diese Unterschiede wurden mit der Streichung von § 24 UrhG a. F. und der Schaffung von § 51a UrhG durch das Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes überwunden.

2. Allenfalls geringe Schutzlücke für künstlerische Nutzungen durch Wegfall von § 24 UrhG a. F. Je nach Auslegung des Pastichebegriffs könnte durch den Wegfall der freien Benutzung eine Schutzlücke für vergleichsweise neue Formen künstlerischer Nutzungen wie z. B. Fan Art, Fan Fiction und Mashups entstanden sein. Zwar mangelte es bislang an Rechtsprechung, die eine Privilegierung dieser Kunstformen durch § 24 Abs. 1 UrhG a. F. belegen. Die freie Benutzung wäre jedoch aufgrund ihres abstrakten Wortlauts zumindest potenziell dazu geeignet gewesen, auch jüngere künstlerische Nutzungsformen zu erfassen. Dennoch darf nicht ausgeblendet werden, dass die freie Benutzung in ihrer bisherigen Ausprägung zu einer sachgerechten Lösung des Spannungsverhältnisses von Urheberrecht und Kunstfreiheit bei Nutzungen mit stark referenziellem und ohne parodistischen Charakter wie dem Remix, dem Sampling, Mashups und Fan Fiction wohl kaum geeignet wäre. Ein Großteil dieser Nutzungen wäre regelmäßig nach § 24 Abs. 1 UrhG a. F. unzulässig gewesen. Dieses Ergebnis scheint in vielen Fällen genauso wenig interessengerecht wie die uneingeschränkte erlaubnis- und kostenfreie Nutzungsmöglichkeit urheberrechtlich geschützter Werke im Rahmen dieser Kunstformen. Ein Mittelweg – den auch § 24 UrhG a. F. bisher nicht bieten konnte scheint für die Regelung dieser Konfliktfälle besser geeignet. Ebenso wäre eine weitere Ausweitung des Anwendungsbereichs der freien Benutzung durch die Rechtsprechung – die ihr überhaupt erst ihre Funktion als Schranke verliehen hat – im Hinblick auf die Gewaltenteilung und das Rechtsstaatsprinzip bedenklich gewesen. Denn die Entscheidung über die Auflösung eines rechtlichen Interessenkonflikts obliegt primär dem Gesetzgeber.

224

B. Schrankenregelungen des Urheberrechts 

3. Reformbedürftigkeit der europäischen Schrankenregelungen Gegenwärtig existieren weder im deutschen noch im Urheberrecht der Europäischen Union Schrankenregelungen, die die Nutzung von neuen künstlerischen Erscheinungsformen im Netz sowie die vergleichsweise jungen referenziellen Nutzungen im Bereich der Musik eindeutig regeln. Das Schicksal dieser künstlerischen Nutzungsformen hängt insbesondere von der Auslegung der Pasticheschranke ab, die im Jahr 2001 wohl eher zufällig Eingang in den Schrankenkatalog gefunden hat.1101 Der deutsche Gesetzgeber hat im Rahmen der Einführung von § 51a UrhG ausdrücklich geäußert, dass er Kunstformen wie Remixe, Sampling, Mashups, Memes, GIFs, Fan Art und Fan Fiction privilegieren will. Eine entsprechende Privilegierung ist jedoch nur möglich, wenn sie auch mit den unionsrechtlichen Vorgaben, insbesondere dem abschließenden Schrankenkatalog der InfoSoc-RL in Einklang steht. An einer eindeutigen Entscheidung des europäischen Gesetzgebers fehlt es jedoch. Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL könnte allerdings dafür sprechen, dass der europäische Gesetzgeber zumindest eine erlaubnisfreie Nutzung von User Generated Content wie Memes und GIFs erreichen will. Die Entscheidung des EuGH in der Sache Pelham u. a. deutet außerdem darauf hin, dass auch nach dem europäischen Recht das Sampling unter der Berücksichtigung der Kunstfreiheit entweder in Form eines Zitats im Sinne des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL oder durch eine restriktive Auslegung des Vervielfältigungsrechts zulässig sein kann. Dennoch legen die Feststellungen über die Unsicherheiten des Umgangs mit künstlerischen Nutzungen im europäischen Urheberrecht sowie die im Rahmen von referenziellen Nutzungen fehlende und nicht interessengerechte Differenziertheit der Schrankenregelungen (entweder kosten- und erlaubnisfreie Zulässigkeit der Nutzung bei Anwendbarkeit der Schranke oder Unzulässigkeit der Nutzung ohne Erlaubnis bei Unanwendbarkeit der Schranke), die sich aufgrund der Harmonisierung auch im deutschen Urheberrecht niederschlagen, eine Reformbedürftigkeit des 2001 verabschiedeten Schrankenkatalogs nahe. Bevor für die Lösung dieses Problems ein Reformvorschlag erarbeitet wird, soll das Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht aus grundrechtlicher Perspektiv untersucht werden. Denn aus den grundrechtlichen Vorgaben lassen sich Anhaltspunkte und Grenzen für eine Reform des Urheberechts zugunsten künstlerischer Nutzungen gewinnen. Die Bedeutung der Grundrechte für den Interessenausgleich von Urhebern und Nutzern unterstreicht die Rechtsprechung, welche für die Auslegung des Urheberrechts, insbesondere im Rahmen der Schranken die Grundrechtspositionen von Nutzern und Urhebern vermehrt berücksichtigt, um einen angemessenen Ausgleich zu erzielen.

1101

Fn. 161.

C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems für das Urheberrecht als Teil des Privatrechts Nachdem die Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht de lege lata auf einfachgesetzlicher Ebene untersucht wurde, gilt es nun einen Blick auf die verfassungsrechtlichen Hintergründe zu werfen. Sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene schützen die Grundrechte die Freiheit der Kunst und das Urheberrecht. Die Kunstfreiheit ist in Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verankert. Das Urheberrecht wird als Eigentumsrecht nach Art. 17 Abs. 2 GRCh und Art. 14 Abs. 1 GG geschützt. Darüber hinaus ist für das Urheberpersönlichkeitsrecht Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG heranzuziehen. Um die potenziellen Wirkungsmöglichkeiten der genannten Grundrechte auf das Urheberrecht zu verstehen, soll zunächst aufgezeigt werden, welche Bedeutung die deutschen (I.) und europäischen (II.) Grundrechte für das Privatrecht haben und wie die beiden Grundrechtsordnungen sich zueinander verhalten (III.). Schließlich soll festgestellt werden, inwieweit für die Schrankenregelungen zugunsten künstlerischer Nutzungen die deutschen und europäischen Grundreche Anwendung finden (IV.). Abschließend erfolgt ein Fazit zu diesem Kapitel (V.).

I. Bedeutung der Grundrechte des Grundgesetzes für das Urheberrecht als Teil des Privatrechts Die Grundrechte des Grundgesetzes sind Teil einer objektiven Werteordnung und können daher auch im Verhältnis zwischen Privaten Geltung beanspruchen (1.). Zudem sind neben der Exekutiven der Gesetzgeber (2.) und die Rechtsprechung (3.) an die nationalen Grundrechte gebunden. Dies gilt insbesondere auch für das Urheberrecht (4.).

1. Grundrechte als Ausdruck einer objektiven Werteordnung Von ihrem Ausgangspunkt als „Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat“1 hat sich die Grundrechtswirkung in der Rezeption durch Gerichte und Literatur stetig weiterentwickelt. Mittlerweile kann von einer „Mehrdimensionalität der Grund 1

BVerfGE 7, 198 (204) – Lüth.

226

C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

rechtsgewährleistungen“ gesprochen werden.2 Spätestens seit dem Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass die Grundrechte Ausdruck einer objektiven Werteordnung sind, die sich auch im Privatrecht entfaltet.3 Sie wirken nicht allein vertikal im Über- Unterordnungsverhältnis zwischen Bürger und Staat, sondern auch horizontal zwischen gleichberechtigten Bürgern.4 Zwar entfalten die Grundrechte ihre Wirkung zwischen Privaten nicht direkt, da im Grundsatz nur der Staat Grundrechtsverpflichteter ist,5 jedoch ist eine starke mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht anerkannt.6 Sie wird immer dann relevant, wenn Privatrechtssubjekte durch ihr Verhalten in die grundrechtlich geschützten Freiheitsphären eines anderen Privatrechtssubjekts eingreifen.7 In solchen Fallkonstellationen können Private in gleicher oder ähnlicher Weise an die Grundrechte gebunden sein wie öffentliche Institutionen, insbesondere wenn sie faktisch Garantenpflichten übernehmen, die traditionell dem Staat obliegen.8

2. Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte und grundrechtliche Ausgestaltungspflicht Als unmittelbarer Adressat des Art. 1 Abs. 3 GG hat der deutsche Gesetzgeber nicht nur bei der Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Bürger, sondern auch bei der Ausgestaltung der Privatrechtsordnung9 inklusive des Urheberrechts den Grundrechten als objektive Werteordnung Rechnung zu tragen.10 2 So zum Beispiel Cornils, der diese Mehrdimensionalität verteidigt, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 37–39; s. auch Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 61–63. 3 BVerfGE 7, 198 (205) – Lüth. 4 Jarass, ZEuP 2017, 310 (312); vgl. zu Art und dogmatischer Konstruktion der Wirkung auch: Dreier / Dreier, GG Vorb. vor Art. 1 I Rn. 98–100 m. w. N. 5 So eindeutig Art. 1 Abs. 3 GG. Eine Ausnahme davon stellen Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG dar, welchen deshalb eine unmittelbare Drittwirkung zugesprochen wird, vgl. Neuner, NJW 2020, 1851 (1852) m. w. N. Ebenso können vom Staat beherrschte privatrechtlich organisierte Unternehmen unmittelbar an die Grundrechte gebunden sein, BVerfGE 128, 226 (244) – Fraport. 6 Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 188; kritisch zur Rechtsfigur der mittelbaren Drittwirkung: Neuner, NJW 2020, 1851 (1853), der die „mittelbare Drittwirkung“ für abdingbar hält. 7 Fast immer erfolgt der Eingriff selbst im Rahmen der Ausübung eines Grundrechts, sodass von einer Grundrechtskollision gesprochen wird, Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 188. 8 BVerfGE 128, 226 (248–250) – Fraport; jünger dazu: BVerfG NJW 2015, 2485 Rn. 6 – Bierdosen-Flashmob; vgl. dazu auch: BVerfGE 148, 267 Rn. 41 – Stadionverbot; vgl. auch BVerfG GRUR-RS 2019, 9558 Rn. 15 m. w. N. 9 Dreier / Dreier, GG, Vorbem. vor Art. 1 I Rn. 97 m. w. N.; s. auch a. a. O., Art. 1 III Rn. 54 m. w. N. 10 Ausführlich zur Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte: Bickenbach, Einschätzungsprärogative, S. 232–444.

I. Bedeutung der Grundrechte des Grundgesetzes  

227

Dabei können die Grundrechte sowohl Unterlassungspflichten (kontrolliert durch das Übermaßverbot11) als auch Handlungspflichten des Gesetzgebers in Form von Schutz-12 und Leistungspflichten (kontrolliert durch das Untermaßverbot13) begründen, und begrenzen somit seine Einschätzungsprärogative. Allerdings sind die grundrechtlichen Grenzen zulässiger Gesetzgebung im Privatrecht weiter zu ziehen, da es dort den Konflikt zwischen mehreren gleichberechtigten Grundrechtsträgern zu lösen gilt. Folglich steht dem Gesetzgeber in diesen Fällen eine vergleichsweise weitreichende Einschätzungsprärogative zu.14 Noch viel grundlegender als die sich aus den Grundrechten ergebenden Verhaltenspflichten des Gesetzgebers ist jedoch die Erkenntnis, dass die Grundrechte aufgrund ihrer abstrakten Formulierung einer Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedürfen, um im Einzelfall überhaupt Wirkung zu entfalten. Dem Privatrecht kommt insofern eine „positiv grundrechtsrealisierende Bedeutung“15 zu.

3. Grundrechtskonforme Auslegung des Privatrechts Auch die Anwendung des Rechts muss im Einklang mit den Grundrechten stehen. Die ebenfalls nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebundene Judikative hat daher eine grundrechtskonforme Auslegung des Privatrechts vorzunehmen.16 Denn die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte führt zu einer mittelbaren Drittwirkung zwischen Privatrechtssubjekten. Dieser Wirkung tragen die Gerichte Rechnung, indem sie den Inhalt von zivilrechtlichen Generalklauseln sowie unbestimmten und auslegungsfähigen Rechtsbegriffen im Einklang mit den Grundrechten konkretisieren.17 Dabei müssen sie bei mehrdeutigen Begriffen diejenige Auslegung vorziehen, die der Wertentscheidung des Grundgesetzes entspricht.18 Ziel ist, die sich gegenüberstehenden Grundrechte „nach dem Grundsatz der prak-

11

Maunz / Düring / Papier / Shirvani, GG, Art. 14 Rn. 429. Grundlegend für die schützende Funktion der Grundrechte BVerfGE 39, 1 (40, 44, 65). Zum Begriff der Leistungspflicht: Unruh, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 20–21; zur Entwicklung s. Ruffert, Vorrang der Verfassung S. 141–143. 13 BVerfGE 88, 203 (254) m. w. N.; zur Entwicklung des Untermaßverbotes: Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 21–27. 14 Vgl. Herresthal, ZEuP 2014, 238 (258, 274, 275); vgl. auch GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 94 – Pelham u. a. mit Verweis auf EGMR, Urt. v. 10. 01. 2013  – 36769/08, ECLI:CE:ECHR:2013:0110JUD003676908 Rn. 40  – Ashby Donald et autres / France. 15 Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichen Gewand, S. 451; vgl. auch ders., a. a. O., S. 309–310. 16 Vgl. BVerfGE 7, 198 (205–206, 208–209) – Lüth. 17 BVerfGE 112, 332, (358) m. w. N.; BVerfGE 129, 78 (102) – Le-Corbusier-Möbel; BVerfGE 142, 74 Rn. 82 – Metall auf Metall. 18 BVerfGE 8, 210 (221); vgl. BVerfGE 88, 145 (166) m. w. N.; BVerfGE 129, 78 (102) – LeCorbusier-Möbel. 12

228

C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

tischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden“.19

4. Bedeutung der Grundrechte für die Ausgestaltung und Anwendung des Urheberrechts Die Grundrechte sind auch für die Gestaltung und Anwendung des Urheberrechts von besonderer Bedeutung. Dort kollidieren die grundrechtlich geschützten Interessen der Urheber und Rechtsinhaber mit den ebenso vom Grundgesetz geschützten Interessen der Werknutzer. Durch die Schaffung der Schrankenregelungen und die Festlegung eines Schutzbereichs hat der Gesetzgeber versucht dieser zwangsläufig auftretenden Grundrechtskollision Rechnung zu tragen.20 Auch für die in diesem Problemkreis angesiedelten Rechtsstreitigkeiten sind die Grundrechte als leitende Werte maßgeblich und in der Rechtsprechung zunehmend sichtbar geworden.21

II. Maßgeblichkeit der Grundrechtecharta für das deutsche Privatrecht Die nationalen Grundrechte sind nicht der einzige Maßstab für die Beurteilung von Grundrechtskollisionen im Rahmen der Rechtssetzung und Rechtsanwendung. Vielmehr sind in vielen Bereichen die Unionsgrundrechte zu beachten. Um die Bedeutung der Grundrechtecharta für das nationale Privatrecht zu verstehen, werden zunächst Systematik und Stellung der europäischen Grundrechte (1.) sowie ihre Anwendbarkeit im Privatrecht (2.) erläutert. Im Anschluss erfolgt eine knappe Darstellung der Wirkung der GRCh auf den deutschen und europäischen Gesetzgeber (3.), auf die deutsche und europäische Rechtsprechung (4.), auf Privatpersonen (5.) sowie auf das deutsche Urheberrecht (6.).

19

BVerfGE 152, 152 Rn. 76 – Recht auf Vergessen I m. w. N. Grundlegend dazu: BVerfGE 7, 198 (206) – Lüth. 20 Zu den sich aus den Grundrechten ergebenden Handlungspflichten des Gesetzgebers speziell im Bereich des geistigen Eigentums und insbes. des Urheberrechts: Di Fabio, Urheber­ recht und Kunstfreiheit, S. 49–56. 21 Stieper, ZUM 2020, 753 (759); s. nur jüngst: BGH GRUR 2020, 859 inbes. Rn. 27–32, 48, 52, 58, 61–67 – Reformistischer Aufbruch II; GRUR 2020, 853 insbes. Rn. 22–27, 46–55 – Afghanistan Papiere II; BGHZ 225, 222 insbes. Rn. 16, 24–29, 44–49, 54  – Metall auf Metall IV.

II. Maßgeblichkeit der Grundrechtecharta für das deutsche Privatrecht 

229

1. Systematik und Stellung der Unionsgrundrechte Bei der Durchführung von Unionsrecht sind neben den Grundrechten des Grundgesetzes auch die Grundrechte der Grundrechtecharta nach Art. 6 Abs. 1 EUV und die ungeschriebenen Unionsgrundrechte im Sinne des Art. 6 Abs. 3 EUV zu berücksichtigen.22 Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist die Grundrechtecharta nach Art. 6 Abs. 1 EUV verbindlich und als europäisches Primärrecht für das sekundärrechtliche europäische Privatrecht maßgeblich.23 Im deutschen Recht genießt die Grundrechtecharta bei der Durchführung von Unionsrecht Anwendungsvorrang vor den deutschen Grundrechten.24 Zwar beanspruchen in gleicher Weise auch die ungeschriebenen Grundrechte weiterhin Geltung, jedoch kommt ihnen seit der Konkretisierung der Grundrechte durch die Charta eher eine ergänzende Funktion zu.25

2. Privatrechtliche Wirkung der Unionsgrundrechte Im Gegensatz zu den Grundrechten des deutschen Grundgesetzes haben die Unionsgrundrechte von vornherein nicht allein auf die Abwehr von staatlichen Eingriffen abgezielt,26 sodass ihre grundsätzliche Geltung für das Privatrecht nicht in Frage gestellt wird.27 Auch das BVerfG und der EuGH erkennen die Wirkung der Unionsgrundrechte auf das Privatrecht an.28 Sie wird zudem bereits mit Blick auf Art. 27, Art. 30 und Art. 31 der GRCh selbst deutlich, die Rechte der Arbeitnehmer gegenüber Arbeitgebern – und damit in einem Privatrechtsverhältnis – statuieren.29 Das abweichende Vorverständnis der Grundrechtsfunktion ist u. a. darin 22

Zum Verhältnis von Unionsgrundrechten und den Grundrechten des GG: C. III. Vgl. Herresthal, ZEuP 2014, 238 (242–243, 259) m. w. N. 24 Dazu näher unter C. III. 25 Herresthal, ZEuP 2014, 238 (244–245). 26 Siehe zur Entwicklung der Unionsgrundrechte: Starke, EU-Grundrechte und Vertragsrecht, S. 58–62. 27 Vgl. dazu Alpa / Andenas, Grundlagen des Europäischen Privatrechts, S. 59; Herresthal, ZEuP 2014, 238 (274). 28 BVerfGE 152, 216 Rn. 96 – Recht auf Vergessen II m. w. N.; Zwar fehlt es bislang wohl an einer ausdrücklichen Feststellung des EuGH dazu, vgl. Herresthal, ZEuP 2014, 238 (241) m. w. N. Der Gerichtshof zieht die Grundrechte jedoch regelmäßig im Rahmen der Auslegung des Privatrechts heran, vgl. z. B.: EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 33–39 – Pelham u. a.; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 55– 59 – Spiegel Online sowie EuGH, Urt. v. 13. 05. 2014 – C-131/12, ECLI:EU:C:2014:317 insbes. Rn. 38, 53, 74, 80–83, 97–99 – Google Spain und Google, und stellt in anderem Zusammenhang fest, dass „die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen“ Anwendung finden, EuGH, Urt. v. 07. 05. 2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 Rn. 19 – Åkerberg Fransson. 29 Jarass, ZEuP 2017, 310 (315). 23

230

C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

begründet, dass die im deutschen Recht vorzufindende grundsätzliche Aufteilung von öffentlichem Recht und Privatrecht in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht gleichermaßen existiert30 und damit im Unionsrecht eine untergeordnete Rolle spielt.31 Dennoch unterscheidet sich auch die Wirkung der Unionsgrundrechte im Bereich von staatlichen und privaten Handlungen, da nur die Union sowie die Mitgliedstaaten mit ihren jeweiligen Organisationseinheiten unmittelbar grundrechtsverpflichtet sind, Art. 51 Abs. 1 GRCh.32

3. Bindung des deutschen und europäischen Gesetzgebers an die GRCh Neben dem europäischen Gesetzgeber ist auch der deutsche Privatrechtsgeber an die Unionsgrundrechte gebunden, wenn er sich im Anwendungsbereich des Unionsrechts bewegt. Verstößt sein Recht gegen die Grundrechte der Europäischen Union, so ist es von dem beschäftigten Gericht nicht anzuwenden.33 Die Bindung des Gesetzgebers an die europäischen Grundrechte kommt somit durch eine Verpflichtung zur grundrechtskonformen Ausgestaltung der Rechtsakte zum Ausdruck, die parallel zum deutschen Rechtsverständnis insbesondere auch die Umsetzung von Schutzpflichten beinhaltet.34 Zudem lässt sich aus der GRCh für den deutschen und europäischen Gesetzgeber eine positive Pflicht zur Realisierung der Grundrechte unter Privaten herleiten.35 Ebenso wie bei der Gestaltung der rein nationalen Rechtsordnung ist auch bei der Rechtssetzung und Umsetzung europäisch harmonisierten Rechts zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber im Bereich des Privatrechts eine größere Einschätzungsprärogative bei der Konkretisierung von Grundrechten zuzuschreiben ist.36 Bei einem qualifizierten Verstoß der Gesetzgeber gegen die Grundrechte der Charta ist eine Haftung nach Art. 340 Abs. 2 AEUV oder Art. 41 Abs. 3 GRCh möglich.37

30

Herresthal, ZEuP 2014, 238 (258) m. w. N. Für eine kurzen Überblick zur Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatecht in England, Frankreich und Deutschland s. Alpa /  Andenas, Grundlagen des Europäischen Privatrechts, S. 7–9. 31 Jarass, ZEuP 2017, 310 (313). 32 Herresthal, ZEuP 2014, 238 (254) m. w. N. Differenziert dazu: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 41–42 m. w. N. 33 So erklärte der EuGH bereits § 622 Abs. 2 S. 2 BGB aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 21 Abs. 1 GRCh für unanwendbar, EuGH, Urt. v. 19. 01. 2010 – C-555/07, ECLI:EU:C:2010:21 Rn. 51 – Kücükdeveci. 34 Herresthal, ZEuP 2014, 238 (274–275). 35 Jarass, ZEuP 2017, 310 (323) m. w. N. 36 Vgl. Herresthal, ZEuP 2014, 238 (258, 274, 275). 37 Jarass, ZEuP 2017, 310 (323) m. w. N.

II. Maßgeblichkeit der Grundrechtecharta für das deutsche Privatrecht 

231

4. Bindung von deutschen und europäischen Gerichten an die GRCh Die nationalen Gerichte sowie der EuGH und der EuG haben ihrer Bindung an die Unionsgrundrechte durch eine grundrechtskonforme Auslegung der Rechtsakte der Union nachzukommen. Darüber hinaus haben die deutschen Gerichte der Grundrechtbindung an die GRCh durch eine grundrechtskonforme Auslegung des umsetzenden nationalen Privatrechts Rechnung zu tragen.38 Dies umfasst beispielsweise die Beachtung etwaiger Schutzpflichten39 sowie die Pflicht zur Nichtanwendung oder Vorlage eines Rechtsstreits an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV.

5. Wirkung der GRCh auf Privatpersonen Wie auch im ausschließlich nationalen Recht spüren Privatpersonen die Wirkung der Unionsgrundrechte vor allem in den Fällen von Grundrechtskollisionen.40 Zwar ist der Begriff der (un-)mittelbaren Drittwirkung dem Unionsrecht fremd,41 dennoch spielen die Grundrechte in privatrechtlichen Streitigkeiten mindestens eine vergleichbare Rolle in der Rechtsprechung des EuGH. Eine unmittelbare Bindung Privater bewirkt, parallel zum Grundgesetz auch die GRCh nicht.42 Ebenso muss die Lösung privatrechtlicher Interessenkollisionen auch auf Unionsebene primär nach der gesetzgeberischen Entscheidung und nicht durch einen unmittelbaren Rückgriff auf die Unionsgrundrechte erfolgen.43 Oftmals wägt der Gerichtshof zur Lösung des Konflikts die Grundrechte der gegenüberstehenden Parteien im Rahmen der Auslegung einfachrechtlicher Tatbestände ab.44 Insbesondere im Urheberrecht erfreut sich diese Methodik bei der Auslegung der Ausnahmen und Beschränkungen an Beliebtheit.45 38

EuGH, Urt. v. 29. 01. 2008 – C-275/06, ECLI:EU:C:2008:54 Rn. 70 – Promusicae. Herresthal, ZEuP 2014, 238 (275) m. w. N. 40 Jarass, ZEuP 2017, 310 (324). 41 BVerfGE 152, 216 Rn. 97 – Recht auf Vergessen II. Zur unmittelbaren oder mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Unionsrechts s. Jarass, ZEuP 2017, 310 (330–333). 42 Art. 51 Abs. 1 GRCh; Fn. 32. 43 Jarass, ZEuP 2017, 310 (328). 44 Die Abwägung erfolgt im Rahmen des jeweiligen Rechtsaktes, eine freischwebende Abwägung ist hingegen unzulässig, Kapitel B., Fn. 973, 974. S. zum Beispiel, Urt. v. 16. 02. 2012 – C-360/10, ECLI:EU:C:2012:85 Rn. 42  – SABAM; ausführlich: Jarass, ZEuP 2017, 310 ­(­324–325). 45 S. z. B.: EuGH, Urt. v. 29. 01. 2008 – C-275/06, ECLI:EU:C:2008:54 Rn. 61–70 – Promusicae; EuGH, Urt. v. 24. 11. 2011 – C-70/10, ECLI:EU:C:2011:771 Rn. 41–54 – Scarlet Extended; EuGH, Urt. v. 18. 10. 2018 – C-149/17, ECLI:EU:C:2018:841 Rn. 43–55 – Bastei Lübbe; vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 31–39 – Pelham u. a.; vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 71–76 – Funke Medien NRW. Allerdings weisen regelmäßig bereits die vorlegenden Gerichte explizit auf die Bedeutung der Grundrechte hin. 39

232

C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

6. Wirkung der GRCh auf das deutsche Urheberrecht Weite Teile des Urheberrechtsgesetzes sind aufgrund ihrer Harmonisierung im Einklang mit den Unionsgrundrechten auszugestalten und auszulegen.46 Insbesondere für die nationale Umsetzung und Anwendung der durch die InfoSoc-RL harmonisierten Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts47 sind die Unionsgrundrechte von hoher Relevanz. Denn diese Vorschriften zielen gerade darauf ab, einen angemessenen Ausgleich der zwangsläufig kollidierenden Grundrechtspositionen von Nutzer und Urheber herzustellen. Folglich kann je nach den Umständen des Einzelfalls eine grundrechtskonforme einschränkende oder erweiternde Auslegung der Schrankenbestimmungen geboten sein.48 Die Relevanz der europäischen Grundrechte wird mit Blick auf das Verhältnis zu den Grundrechten des Grundgesetzes noch deutlicher. Denn die Grundrechte der Charta genießen bei der Durchführung von Unionsrecht nach Art. 51 Abs. 1 GRCh grundsätzlich Anwendungsvorrang.49 Durch die Maßgeblichkeit der GRCh für weite Teile des Privat- und damit auch des Urheberrechts steigt auch die Bedeutung der EMRK für dessen Ausgestaltung.50

III. Verhältnis von Unionsgrundrechten und den Grundrechten des Grundgesetzes Wie bereits festgestellt sind im Anwendungsbereich des Unionsrechts nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh die Unionsgrundrechte zu beachten. In welchen Fällen sie alleiniger Maßstab der grundrechtlichen Beurteilung sind, wann daneben auch die Wertungen des deutschen Grundgesetzes herangezogen werden müssen oder ausnahmsweise die deutschen Grundrechte vorrangig sind, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Während bei der Anwendung von vollharmonisiertem Privatrecht allein die Unionsgrundrechte maßgeblich sind (1.) können im Bereich des nur teilweise harmonisierten Rechts Unions- und nationale Grundrechte nebeneinander bestehen (2.). Schließlich können die Grundrechte des Grundgesetzes in absoluten Ausnahmefällen auch im vollharmonisierten Bereich Vorrang genießen (3.). Im Anschluss an die abstrakte Darlegung des Verhältnisses von den Grundrechten des Unionsrechts und den Grundrechten des Grundgesetzes ist zu ermitteln, welches 46

Vgl. zur Ausgestaltung und Auslegung des Privatrechts im Einklang mit den Unionsgrundrechten: Herresthal, ZEuP 238 (274–276). 47 Zum Harmonisierungsgrad der einzelnen Vorschriften und dessen Auswirkung auf die Anwendbarkeit der Grundrechte unter C. IV. 48 Vgl. dazu Stieper, ZUM 2020, 753 (754) m. w. N. 49 Näher dazu unter C. III. 50 Eine wachsende Bedeutung der EMRK für das Urheberrecht erwarten auch Obergfell /  Stieper, FS 50 Jahre, S. (223) 237. Vgl. Herresthal, ZEuP 2014, 238 (244) m. w. N. Vgl. dazu auch D. II. 1. b) aa).

III. Verhältnis von Unionsgrundrechten und Grundrechten des Grundgesetzes

233

Grundrechtsregime im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht maßgeblich ist (4.).

1. Unionsgrundrechte als alleiniger Maßstab für das vollharmonisierte Privatrecht Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte ist zunächst, dass der Anwendungsbereich des Unionsrechts nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh eröffnet ist. Nach der wegweisenden Recht auf Vergessen-Rechtsprechung des BVerfG51 genießen die Unionsgrundrechte nicht nur Anwendungsvorrang, sondern sind grundsätzlich alleiniger Maßstab für das nationale Recht, wenn der betroffene Regelungsbereich „vollständig unionsrechtlich vereinheitlicht“ ist.52 In diesen Fällen blieben die Grundrechte des Grundgesetzes zwar gültig, würden jedoch zurücktreten und lediglich eine Reservefunktion für besondere Ausnahmefälle erfüllen.53 Um herauszufinden, ob die jeweilige Rechtsfrage unionsrechtlich vollständig determiniert ist, sei auf die Anwendung der einschlägigen konkreten Rechtsnorm und nicht etwa auf die zugehörige Richtlinie oder Verordnung im Allgemeinen abzustellen.54 Zwar könne tendenziell davon ausgegangen werden, dass Richtlinien bereits aufgrund ihres Rechtscharakters nach Art. 288 Abs. 3 AEUV dem mitgliedstaatlichen Recht mehr Gestaltungsspielraum ließen als Verordnungen mit zwingender Wirkung im Sinne des Art. 288 Abs. 2 AEUV. Dennoch könne auch eine Richtlinie einzelne Aspekte einheitlich und abschließend regeln55 und eine Verordnung könne durch gestaltungsoffene Normen wie z. B. Öffnungsklauseln auf mitgliedstaatliche (Grund-)Rechtsvielfalt abzielen.56 Das BVerfG begründet seine Methodik wie folgt: Dort wo das sekundäre Unionsrecht abschließend einheitliche Regelungen anordne, müsse auch der Grundrechtsschutz innerhalb aller Mitgliedstaaten gleichlaufen. Eine Übertragung von Wertungen der grundgesetzlichen Grundrechte berge die Gefahr, die angestrebte Rechtsvereinheitlichung zu vereiteln.57 Zwar decke sich der Gehalt von deutschen 51

BVerfGE 152, 152 – Recht auf Vergessen I; BVerfGE 152, 216 – Recht auf Vergessen II. BVerfGE 152, 216 Rn. 33, 42–43, 46 – Recht auf Vergessen II. Dies war für die Gültigkeitsprüfung einzelner Normen, nicht aber für die konkretisierende Anwendung bereits zuvor in der Rechtsprechung anerkannt, a. a. O. Rn. 43 m. w. N. 53 BVerfGE 152, 216 Rn. 42, 47–48 – Recht auf Vergessen II. Zu den Ausnahmefällen unter C. III. 3. 54 BVerfGE 152, 216 Rn. 78 – Recht auf Vergessen II m. w. N. 55 BVerfGE 152, 216 Rn. 38 – Recht auf Vergessen II mit Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH. Siehe dazu beispielsweise: EuGH, Urt. v. 24. 01. 2012 – C-282/10, ECLI:EU:C:2012:33 Rn. 33–35 – Dominguez; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 58–64 – Pelham u. a. 56 BVerfGE 152, 216 Rn. 79 – Recht auf Vergessen II. 57 BVerfGE 152, 216 Rn. 44 – Recht auf Vergessen II. 52

234

C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

und europäischen Grundrechten in vielen Bereichen, da sie sich die EMRK als gemeinsames Fundament teilen. Dennoch könnten sich aber auch Abweichungen ergeben. Diese seien insbesondere durch die unterschiedliche Historie der Grundrechtsregime und das damit verbundene eigenständige Grundrechtsverständnis bedingt.58 Aufgrund der noch lückenhaften Rechtsprechung des EuGH zu den Unionsgrundrechten ist deshalb mit einem Anstieg der Vorlagen im Sinne des Art. 246 Abs. 3 AEUV zu rechnen, wenn die Gerichte den autonomen Gehalt der Charta ernst nehmen.59 Denn ein „acte clair“ oder „acte éclairé“, welcher eine Vorlage entbehrlich macht, kann von ihnen nicht ohne Weiteres angenommen werden.60 Die vorrangige Anwendbarkeit hat nicht nur Auswirkungen auf die Rechtsanwendung der deutschen Gerichte und Behörden.61 Sie bedeutet auch, dass der deutsche Gesetzgeber den Interessenausgleich bei der Umsetzung von unionsrechtlich vollharmonisierten Privatrechtsnormen grundsätzlich allein an den Wertungen der Unionsgrundrechte zu messen hat.62 Die Kompetenz zur Prüfung und Anwendung der Unionsgrundrechte durch deutsche Staatgewalt stützt der Erste Senat des BVerfG auf Art. 23 Abs. 1 GG: Mit der Anwendung der Charta würden die Staatsorgane ihre Integrationsverantwortung wahrnehmen.63

2. Nebeneinander von Unionsgrundrechten und deutschen Grundrechten Bei der Durchführung von Unionsrecht nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh ist jedoch nicht immer die GRCh primärer Maßstab. Handelt es sich um „nicht vollständig vereinheitlichtes“ Unionsrecht, haben deutsche Gerichte nach der Rechtsprechung des BVerfG die grundgesetzlichen Grundrechte als Prüfungsmaßstab heranzuziehen.64 Der Erste Senat begründet dies damit, dass der europäische Gesetzgeber nicht in allen Regelungsbereichen eine vollständige Rechtsvereinheitlichung intendiere. Vielmehr räume er den Mitgliedstaaten regelmäßig fachrechtliche Gestaltungsspielräume ein, welche auch Grundrechtsvielfalt ermöglichen sollen.65 Nach Auffassung des BVerfG werde der Grad der Harmonisierung daher vom Fachrecht bestimmt, welches grundrechtliche Maßgaben für die Gestaltungsspielräume der

58

BVerfGE 152, 216 Rn. 44–45 – Recht auf Vergessen II. Vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 70 – Recht auf Vergessen II. 60 Zu den Anforderungen: Callies / Ruffert / Wegener, EUV / A EUV, AEUV Art. 267 m. w. N. 61 Vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 46 – Recht auf Vergessen II. 62 Vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 55 – Recht auf Vergessen II m. w. N. 63 BVerfGE 152, 216 Rn. 55 – Recht auf Vergessen II m. w. N. 64 Vgl. BVerfGE 152, 152 Rn. 42 – Recht auf Vergessen I. 65 BVerfGE 152, 152 Rn. 50 – Recht auf Vergessen I. 59

III. Verhältnis von Unionsgrundrechten und Grundrechten des Grundgesetzes

235

Mitgliedstaaten enthalten könne.66 Läge eine gestaltungsoffene Regelung vor, könnten die Gerichte auch deutsches Recht, welches Unionsrecht umsetzt, an den Grundrechten des Grundgesetzes messen. Dies ergäbe sich schon aus der grundgesetzlichen Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 und Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG als „Korollar der politischen Entscheidungsverantwortung“.67 Die unionsgrundrechtlichen Maßstäbe würden dann nur grobmaschig darauf überprüft, dass die betreffende Maßnahme nicht „unvernünftig“ sei.68 Daraus folge jedoch nicht, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts entfalle. Das Unionsrecht bleibe weiterhin unmittelbar anwendbar, sodass den Gerichten auch eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 2 AEUV möglich sei69 und eine Auslegung der grundgesetzlichen Grundrechte im Lichte der Charta erfolge70.71 Allerdings greife die widerlegliche Vermutung72, dass das Schutzniveau der GRCh durch die Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes mitgewährleistet sei.73 Diese Vermutung begründet das BVerfG mit der gemeinsamen europäischen Rechtstradition und der EMRK als gemeinsames Fundament der deutschen und europäischen Grundrechtsordnung.74 Die Geltung dieser Vermutung sei nur in Frage zu stellen, wenn konkrete und hinreichende Anhaltspunkte gegen eine Mitgewährleistung der Unionsgrundrechte sprechen würden. Dann sei zu prüfen, ob der Wortlaut oder der Regelungszusammenhang des Fachrechts unionsgrundrechtliche Vorgaben treffen, welche den bestehenden grundrechtlichen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten beschränken. Ein pauschaler Hinweis auf die Geltung der GRCh oder einzelner Grundrechte in den Erwägungsgründen genüge nicht, um die Vermutung zu widerlegen.75 Vielmehr bedürfe es „genauerer Anhaltspunkte dafür, dass die unionsrechtlichen Regelungen ausnahmsweise spezifische grundrechtliche Maßgaben für die mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielräume enthalten sollen.“76 Insbesondere nennt das BVerfG eine abweichende Rechtsprechung des EuGH oder anderer Gerichte zur GRCh sowie „einen gefestigten Stand der Fachdiskussion“ als Anhaltspunkt. Ließe sich der in ihnen zum Ausdruck kommende Gehalt der Unionsgrundrechte nicht im Grundgesetz wiederfinden, so entfiele die Vermutung der Mitgewährleistung des Schutzgehalts der Unionsgrundrechte durch

66

BVerfGE 152, 152 Rn. 53 – Recht auf Vergessen I m. w. N. BVerfGE 152, 152 Rn. 42 – Recht auf Vergessen I. 68 BVerfGE 152, 152 Rn. 52 – Recht auf Vergessen I m. w. N. 69 BVerfGE 152, 152 Rn. 73 – Recht auf Vergessen I; BVerfGE 152, 216 Rn. 75 – Recht auf Vergessen II. 70 BVerfGE 152, 152 Rn. 46, 60 – Recht auf Vergessen I. 71 Dieses „nebeneinander“ der Grundrechtsordnungen ist in der Rechtsprechung des BVerfG neu. Für die bisherige dogmatische Konstruktion des BVerfG in Form der „Trennungsthese“: Wendel, JZ 2020, 157 (159). 72 BVerfGE 152, 152 Rn. 66 – Recht auf Vergessen I. 73 BVerfGE 152, 152 Rn. 49, 55, 59 – Recht auf Vergessen I. 74 BVerfGE 152, 152 Rn. 56–58 – Recht auf Vergessen I. 75 BVerfGE 152, 152 Rn. 68 – Recht auf Vergessen I. 76 BVerfGE 152, 152 Rn. 68 – Recht auf Vergessen I. 67

236

C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

die grundgesetzlichen Grundrechte und es sei durch eine „nähere Auseinandersetzung mit Judikativen des Gerichtshofs“ zu prüfen, ob eine Beurteilung anhand der deutschen Grundrechte das „europäische Grundrechtsschutzniveau wahrt.“77 Soweit die Prüfung ergebe, dass der Gehalt der deutschen Grundrechte nicht das Schutzniveau der Charta erreiche, seien „die entsprechenden Rechte der Charta insoweit in die Prüfung einzubeziehen.“ Bei offenen Fragen hinsichtlich der Auslegung der Unionsgrundrechte habe das betreffende Gericht seiner Vorlagepflicht aus Art. 267 Abs. 3 AEUV nachzukommen.78 Bestünden hingegen keine Anhaltspunkte, die für einen gegenüber den deutschen Grundrechten abweichenden Gehalt der Unionsgrundrechte sprechen würden, könne selbst die vorgelagerte Frage nach der Anwendbarkeit der Charta von den Gerichten offengelassen und die Grundrechte des Grundgesetzes angewendet werden.79 In der für diese Ausführungen maßgeblichen Entscheidung erläutert das BVerfG das Verhältnis von deutschen und europäischen Grundrechten – situativ bedingt – allein hinsichtlich ihrer Rechtsanwendung durch die Judikative. In logischer Konsequenz und mit Blick auf die Entscheidung Recht auf Vergessen II, in der das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auch Behörden und Gesetzgeber einbezieht, müssen die Überlegungen jedoch in gleicherweise auch für alle anderen Staatsorgane gelten. Auch der EuGH räumt mit Blick auf Art. 53 GRCh neben den Gerichten ausdrücklich auch Behörden die Möglichkeit ein, in nicht vollständig unionsrechtlich determinierten Regelungsbereichen nationale Grundrechtsschutzstandards anzuwenden. Dabei müsse jedoch das Schutzniveau der Charta, der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleistet werden.80

3. Ausnahmsweiser Vorrang deutscher Grundrechte In besonderen Ausnahmefällen können die deutschen Grundrechte selbst im Anwendungsbereich vollständig vereinheitlichten Unionsrechts vorrangig zur Anwendung kommen. Die während des Anwendungsvorrangs von Unionsgrundrechten „ruhend in Kraft“ liegenden81 Grundrechte des Grundgesetzes werden reaktiviert, wenn Tätigkeiten der Union den Kern des deutschen Verfassungsrechts verletzen. In der Rechtsprechung sind dazu bisher drei Fallgruppen anerkannt: Der Grundrechtsvorbehalt nach der Solange-Rechtsprechung (a), der Vorbehalt der Verfassungsidentität (b) und die Ultra-vires-Kontrolle (c). Alle drei Fallgrup 77

BVerfGE 152, 152 Rn. 70 – Recht auf Vergessen I. BVerfGE 152, 152 Rn. 73 – Recht auf Vergessen I. 79 BVerfGE 152, 152 Rn. 71 – Recht auf Vergessen I. 80 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 32 – Funke Medien NRW mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 26. 02. 2013 – C-399/11, ECLI:EU:C:2013:107 Rn. 60 – Melloni; EuGH, Urt. v. 07. 05. 2013 – C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105 Rn. 29– Åkerberg Fransson. 81 BVerfGE 152, 216 Rn. 47 – Recht auf Vergessen II. 78

III. Verhältnis von Unionsgrundrechten und Grundrechten des Grundgesetzes

237

pen sind aufgrund der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetztes restriktiv zu handhaben, sodass sie nur unter engen Voraussetzungen anzunehmen sind.82 a) Der „Solange-Fall“ als Ausnahme vom Anwendungsvorrang der Unionsgrundrechte Aus der Solange-Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich, dass die Unionsgrundrechte im Anwendungsbereich des Unionsrechts nur ausschließliche Geltung beanspruchen können, wenn sie den „vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen“ und „den Wesensgehalt der Grundrechte generell“83 gewähren. In Solange I stellte das Gericht fest, dass der Integrationsprozess der Gemeinschaft noch nicht so weit fortgeschritten sei, dass die Unionsgrundrechte einem dem deutschen Verfassungsrecht ebenbürtigen Schutz böten und prüfte deshalb sekundäres Unionsrecht am Maßstab grundgesetzlicher Grundrechte.84 Sieben Jahre später, stellte es in Solange II ein hinreichendes generelles Schutzniveau der Unionsgrundrechte fest, welches eine Prüfung des Unionsrechts anhand deutscher Grundrechte sowohl entbehrlich als auch unzulässig mache.85 Von vornherein stellte die Heranziehung der deutschen Grundrechte eine Ausnahme dar. Denn bereits damals erkannte das BVerfG das Rechtssystem der Union als eigenständig und autonom an, sodass die Gültigkeit von Rechtsakten letztendlich allein von höherrangigem Unionsrecht und dessen Auslegung durch den EuGH – und nicht von mitgliedstaatlichem Recht – abhängen könne.86 Trotz des in Solange  II festgestellten Bestands eines generell gleichwertigen grundrechtlichen Schutzniveaus auf europäischer Ebene ist es zwar unwahrscheinlich, jedoch nicht ausgeschlossen, dass die deutschen Grundrechte im Falle einer Unterschreitung ihres Schutzniveaus durch die Unionsgrundrechte zum Tragen kommen könnten.87 Eine Unterschreitung des deutschen Gewährleistungsgehalts der Grundrechte scheint vor allem im Einzelfall denkbar. Um den Solange-Vorbehalt zu reaktivieren, ist jedoch eine generelle Unterschreitung des Grundrechtsstandards des jeweiligen Grundrechts erforderlich.88 Dies hat das BVerfG jüngst in der Recht auf Vergessen II-Entscheidung bestätigt.89 82 Vgl. für die Ultra-vires-Kontrolle und den Vorbehalt der Verfassungsidentität: BVerfGE 123, 267 (354) – Vertrag von Lissabon; BVerfGE 126, 286 (303–305, 307). Für einen „Solange-Fall“: BVerfGE 102, 147 (164) –Bananenmarktordnung. 83 BVerfGE 73, 339 (387). 84 BVerfGE 37, 271 – Solange I. 85 BVerfGE 73, 339 (378–387). 86 BVerfGE 37, 271 (277–282) – Solange I. 87 Vgl. dazu BVerfGE 102, 147 (163)  – Bananenmarktordnung; Voßkuhle, NVwZ 2010, 1 (6) m. w. N. 88 BVerfGE 102, 147 (161) – Bananenmarktordnung. 89 BVerfGE 152, 216 Rn. 47 – Recht auf Vergessen II; so auch Wendel, JZ 2020, 157 (167) und Oechsler, NJW 2020, 3206 Rn. 22.

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C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

Die Anforderungen für die Feststellung eines Defizits im Sinne der Solange  I-Rechtsprechung sind dabei besonders hoch90 und eine entsprechende Prüfung wurde vom BVerfG nach Solange I nicht mehr in Betracht gezogen. Allerdings wurden in der Literatur im Rahmen des Rechtsstreits Metall auf Metall mit Blick auf die Kunstfreiheit entsprechende hypothetische Überlegungen geäußert.91 Unabhängig davon, dass diese Überlegung einen Grundrechtsvorbehalt aufgrund eines Einzelfalls voraussetzt, wurde sie auch deshalb nicht relevant, weil der EuGH der Kunstfreiheit des Samplers ausreichend Rechnung trug und sie nicht – wie befürchtet – pauschal hinter Eigentumsgrundrechte zurücktreten ließ.92 b) Die Verfassungsidentität als Ausnahme vom Anwendungsvorrang der Unionsgrundrechte Einen weiteren Vorbehalt für den uneingeschränkten Vorrang der Unionsgrundrechte im vollständig harmonisierten Privatrecht bildet die Verfassungsidentität. Bei ihr handelt es sich um ein von der Rechtsprechung des BVerfG geformtes Konzept,93 welches sowohl dem deutschen Gesetzgeber als auch den deutschen Gerichten im Rahmen der Umsetzung von Unionsrecht eine äußerste Grenze setzt.94 Die „durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten und nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG auch integrationsfeste[n] Verfassungsidentität des Grundgesetzes“95 bildet nach Auffassung des Gerichts den absolut „unantastbaren Kerngehalt […] des Grundgesetzes“96, welcher der Verfügung durch die deutsche Staatsgewalt entzogen ist. Die eng begrenzte Identitätskontrolle ermöglicht dem BVerfG ausnahmsweise auch Handlungen von Organen und Stellen der Europäischen Union zu prüfen und Unionsrecht ggf. für unanwendbar zu erklären. Inhalt der Kontrolle ist die Prüfung, ob die von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze des Art. 1 oder Art. 20 GG verletzt sind.97 Im Gegensatz zu dem Grundrechtsvorbehalt nach der SolangeRechtsprechung kann die Feststellung einer Verletzung der Verfassungsidentität bereits im konkreten Einzelfall zum ausnahmsweisen Vorrang des deutschen Ver-

90 BVerfGE 102, 147 (164) – Bananenmarktordnung. Nach Auffassung des BVerfG habe der EuGH Anspruch auf „Fehlertoleranz“, BVerfGE 126, 286 – Honeywell. 91 Apel, MMR 2019, 97 (99). 92 Vgl. dazu Apel, MMR 2019, 596 (602). 93 Diese „Integrationsschranke“ ist allerdings bereits in Art. 4 Abs. 2 EUV und Art. 23 GG angelegt, s.  Voßkuhle, NVwZ 2010, 1 (6). 94 Vgl. BVerfGE 123, 267 (344) – Vertrag von Lissabon; BVerfGE 151, 202 Rn. 118–119 – Europäische Bankenunion m. w. N.; BVerfGE 154, 17 Rn. 101  – PSPP Programm der EZB m. w. N. 95 BVerfGE 154, 17 Rn. 101 – PSPP Programm der EZB m. w. N. 96 BVerfGE 123, 267 (354) – Vertrag von Lissabon. 97 BVerfGE 123, 267 (354) – Vertrag von Lissabon.

III. Verhältnis von Unionsgrundrechten und Grundrechten des Grundgesetzes

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fassungsrechts98 und damit unter Umständen zur Nichtanwendung europäischen (Privat-)rechts führen.99 Aufgrund der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ist eine restriktive Handhabung der Identitätskontrolle geboten. Dazu gehören das Kontrollmonopol des BVerfG, die Beachtung einer etwaigen Vorlagepflicht an den EuGH und erhöhte Anforderungen an die Begründung der Geltendmachung.100 Eine „Expansion“ und eine damit verbundene höhere Relevanz für das materielle Privatrecht wäre mit dem Argument denkbar, dass letztendlich alle Grundrechte einen Menschenwürdekern im Sinne des Art. 1 GG aufwiesen und sie damit bei einer schwerwiegenden Beeinträchtigung Teil des Prüfungsmaßstabs der Verfassungsidentität würden. Eine solch ausufernde Interpretation wäre jedoch nicht mit dem eindeutigen Wortlaut des Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar, auf den das BVerfG die Prüfung der Verfassungsidentität stützt und der explizit nur Art. 1 und Art. 20 GG nennt. Ebenso würde sie der Europarechtsfreundlichkeit sowie der angestrebten Harmonisierung widersprechen und die Menschenwürdegarantie inhaltlich aushöhlen.101 Folglich ist die tatsächliche Bedeutung des Vorbehalts der Verfassungsidentität für die Anwendung des unionsrechtlich überformten Urheberrechts als äußerst gering zu bewerten. c) Der Ultra-vires Akt als Ausnahme des Anwendungsvorrangs von Unionsgrundrechten Den dritten Vorbehalt für den Anwendungsvorrang des Unionsrechts stellt die Ultra-vires-Kontrolle dar. Auch sie wurde vom BVerfG entwickelt und ermöglicht die Überprüfung von etwaigen Kompetenzüberschreitungen der Europäischen Union.102 Im Rahmen der Kontrolle stellt das BVerfG fest, ob die Rechtsakte der Union aus dem Integrationsprogramm „ausbrechen“103 und somit neben dem Subsidiaritätsprinzip und dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung auch deutsches Verfassungsrecht verletzt wird. Liegt ein Ultra-vires-Akt vor, führt dies zur Unanwendbarkeit des jeweiligen Prüfungsgegenstandes in Deutschland.104 98

Vgl. Maunz / Dürig / Callies, GG, Art. 24 Abs. 1 Rn. 208; Burchardt, ZaöRV 2016, 527 (534). Vgl. BVerfGE 140, 317 Rn. 43 – Identitätskontrolle I. 100 Vgl. BVerfGE 140, 317 Rn. 43, 46, 50  – Identitätskontrolle I m. w. N. Kritisch dazu ­Burchardt, welche diese Voraussetzungen eher als „inhaltsleere Rhetorik“ und nicht etwa als tatsächliche Europarechtsfreundlichkeit des BVerfG einordnet, ZaöRV 2016, 527 (533–541). 101 Burchardt, ZaöRV 2016, 527 (544). 102 Maunz / Dürig / Callies, GG, Art. 24 Abs. 1 Rn. 201–202. 103 Vgl. bereits BVerfGE 89, 155 (188). 104 Maunz / Dürig / Callies, GG, Art. 24 Abs. 1 Rn. 202 m. w. N. 99

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C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

„Die Annahme eines Ultra-vires-Akts setzt […] voraus, dass eine Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union offensichtlich außerhalb der ihr übertragenen Kompetenzen liegt“.105 Weitere Voraussetzung ist, dass die Maßnahme „zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zulasten mitgliedstaatlicher Kompetenzen [ge]führt.“106 Im Gegensatz zu dem Grundrechtsvorbehalt nach der Solange-Rechtsprechung und der Verfassungsidentität spielt die Ultra-vires-Kontrolle für die Beurteilung der anwendbaren Grundrechte im Mehrebenensystem eine untergeordnete Rolle. Denn sie intendiert nicht die Durchsetzung eines bestimmten Grundrechtsstandards, sondern die Überprüfbarkeit von Kompetenzüberschreitungen durch die Union. Allerdings können auch Freiheitsgrundrechte durch einen Ultra-vires-Akt der Europäischen Union verletzt sein, sodass eine entsprechende Verfassungs­ beschwerde eine Ultra-vires-Kontrolle auslösen kann.107

IV. Maßgebliche Grundrechtsregime im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht  Maßgeblich für die Feststellung des einschlägigen Grundrechtsregimes ist zunächst, ob der Anwendungsbereich des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh eröffnet ist. Führt eine Regelung unstreitig nicht Unionsrecht durch, so können von vornherein nur die nationalen Grundrechte herangezogen werden. Ist festgestellt, dass eine Bestimmung von Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh erfasst ist, ist für den grundrechtlichen Prüfungsmaßstab nach Auffassung des BVerfG der Grad der Vereinheitlichung des Unionsrechts entscheidend.108 Die InfoSoc-RL bezweckt die Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte und gewährt den Mitgliedstaaten bei einigen Regelungen Umsetzungsspielraum,109 sodass nicht von einer vollständigen Vereinheitlichung gesprochen werden kann. Ob und in welchem Maße ein Umsetzungsspielraum besteht, ist nach der Rechtsprechung des EuGH und des BVerfG jedoch nicht pauschal für den jeweiligen Rechtsakt, sondern für die konkrete Bestimmung festzustellen.110 Dafür ist nach Auffassung des EuGH insbesondere der Wortlaut maßgeblich.111 Für die Ausnahmen und Beschränkungen der InfoSoc-RL seien darüber hinaus vor allem auch die Funktions 105

BVerfGE 151, 202 Rn. 151 – Europäische Bankenunion m. w. N. BVerfGE 126, 286 (309) – Honeywell. 107 Vgl. dazu: BVerfGE 126, 286 (insbes. 299, 303–313) – Honeywell. In der vorliegenden Entscheidung war sogar Rechtsanwendung in Form der Rechtfortbildung durch den EuGH Prüfungsgegenstand. 108 Dazu bereits unter C. III. 1., 2. 109 EuGH, Urt. v. 05. 03. 2015 – C-463/12, ECLI:EU:C:2015:144 Rn. 57 – Copydan Båndkopi. 110 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 40 – Funke Medien NRW m. w. N.; BVerfGE 152, 216 Rn. 78 – Recht auf Vergessen II m. w. N. 111 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 40 – Funke Medien NRW m. w. N. 106

IV. Maßgebliche Grundrechtsregime im Spannungsverhältnis  

241

fähigkeit des Binnenmarktes von Bedeutung, wie sich aus dem 31. Erwägungsgrund ergäbe.112 Das BVerfG stellt mit Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH den Telos der jeweiligen Norm in den Vordergrund: Entscheidend sei „ob sie auf die Ermöglichung von Vielfalt und die Geltendmachung verschiedener Wertungen angelegt ist, oder ob sie nur dazu dienen soll, besonderen Sachgegebenheiten hinreichend flexibel Rechnung zu tragen, dabei aber von dem Ziel der gleichförmigen Rechtsanwendung getragen ist“.113 Im Folgenden wird daher für jede Schrankenregelung im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht gesondert ermittelt, welches Grundrechtsregime maßgeblich ist. Zunächst wird das Grundrechtsregime des § 51 UrhG untersucht (1.). Anschließend das Verhältnis von Unionsgrundrechten und grundgesetzlichen Grundrechten im Rahmen von § 51a UrhG (2.) sowie von § 5 Abs. 1 UrhDaG (3.) und § 5 Nr. 2 UrhDaG (4.).

1. Grundrechtsregime des § 51 UrhG in Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL Das Zitatrecht nach § 51 UrhG setzt Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL um, sodass es sich dabei um eine Regelung im Anwendungsbereich des Unionsrechts nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh handelt. Damit genießen die Unionsgrundrechte im Rahmen des deutschen Zitatrechts Anwendungsvorrang. In dem Vorabentscheidungsvorfahren Funke Medien NRW stellte der EuGH fest, dass sich der Wendung „sofern die Nutzung den anständigen Gepflogenheiten entspricht und in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist“ in Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL ein erheblicher Umsetzungsspielraum entnehmen lasse.114 Zudem nennt die Ausnahme nur beispielhaft Nutzungszwecke des 112

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 40 – Funke Medien NRW. BVerfGE 152, 216 Rn. 80 – Recht auf Vergessen II. 114 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 43 – Funke Medien NRW. Diesen „erheblichen Umsetzungsspielraum“ schränkte der EuGH jedoch unter Rückgriff auf seine Rechtsprechung und die Erwägungsgründe der InfoSoc-RL in vierfacher Hinsicht ein: Erstens müssen bei der Nutzung des Spielraums die Grenzen des Unionsrechts beachtet werden. Aus diesen ergibt sich für die Ausnahmen und Beschränkungen der InfoSoc-RL und damit auch für das Zitatrecht, dass es nur insoweit vorgesehen werden darf, als es sämtliche Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL einhält. Bei der Umsetzung müssen sie außerdem „die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts […] beachten, zu denen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört“. Zweitens darf die Nutzung des Umsetzungsspielraums nicht die Ziele der InfoSoc-RL, d. h. ausweislich Erwägungsgrund 1 und 9, ein hohes Schutzniveau des Urhebers und die reibungslose Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts gefährden. Dennoch muss die praktische Wirksamkeit der Schrankenregelungen gesichert sein, sodass ein angemessener Interessenausgleich im Sinne des 31. Erwägungsgrunds erreicht wird. Als dritte Beschränkung nennt der EuGH den Dreistufentest nach Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-RL. Viertens müsse durch die Regelungen ein angemessener Ausgleich zwischen den widerstreitenden Unionsgrundrechten gewährt werden, EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019  – C-469/17, ­ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 46–53 – Funke Medien NRW. 113

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C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

Zitats „zu Zwecken wie Kritik oder Rezensionen“, die nicht abschließend sind.115 Auch die Begründung des Vorschlags der InfoSoc-RL bestätige, dass das Zitatrecht aufgrund seiner „begrenzten wirtschaftlichen Bedeutung […] bewusst nicht detailliert behandelt würde[n] und nur Mindestbedingungen […] formuliert seien. Es sei Sache der Mitgliedstaaten, detaillierte Voraussetzungen […] unter Beachtung der Vorgaben dieser Bestimmung aufzustellen.“116 Daraus folgt, dass die Anwendung des § 51 UrhG vorrangig an den Unionsgrundrechten zu messen ist. Aufgrund des vom EuGH festgestellten Umsetzungsspielraums, können die deutschen Gerichte nach Auffassung des BVerfG jedoch die Grundrechte des Grundgesetzes zur Prüfung heranziehen. Eine Auslegung anhand der deutschen Grundrechte ist nur versagt, wenn die Vermutung, dass diese das Schutzniveau der Charta mitgewährleisten, widerlegt wird. Für eine Unterschreitung des europäischen Grundrechtsstandards durch die Anwendung grundgesetzlicher Grundrechte im Rahmen des Zitatrechts, d. h. insbesondere von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG, bestehen jedoch gegenwärtig keine Anhaltspunkte.

2. Grundrechtsregime des § 51a UrhG in Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL § 51a UrhG liegt als wortgetreue Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSocRL vollständig im Anwendungsbereich des Unionsrechts. Folglich sind auch bei der Auslegung und Anwendung von § 51a UrhG die Unionsgrundrechte vorrangig maßgeblich. Fraglich ist jedoch, ob Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL in gleicher Weise wie Art. 5 Abs. 3 lit. d)  InfoSoc-RL den Mitgliedstaaten Umsetzungsspielraum einräumt, sodass die deutschen Staatsgewalten bei der Auslegung und Umsetzung von § 51a UrhG die grundgesetzlichen Grundrechte als Prüfungsmaßstab heranziehen können. Dazu hat der EuGH bislang noch keine Aussage getroffen. Nach seiner Rechtsprechung sind für die Beurteilung, ob eine Ausnahme oder Beschränkung Umsetzungsspielraum eröffnet, jedoch insbesondere ihr Wortlaut und ihre Wirkung auf die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes maßgeblich.117 Im Folgenden wird dargestellt welche Argumente für (a) und welche Argumente gegen (b) die Annahme sprechen, dass es sich bei Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL um vollständig vereinheitlichtes Unionsrecht handelt. Anschließend erfolgt ein 115

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019  – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 43  – Funke Medien NRW. 116 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019  – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 44  – Funke Medien NRW. 117 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019  – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 40  – Funke Medien NRW.

IV. Maßgebliche Grundrechtsregime im Spannungsverhältnis  

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Fazit zum Harmonisierungsgrad und dem davon abhängigen maßgeblichen Grundrechtsregime bei Anwendung der Vorschrift (c). a) Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL als vollständig vereinheitlichte Vorschrift des Unionsrechts? Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL legt das Bestehen eines Umsetzungsspielraums nicht nahe. Er erlaubt schlicht Ausnahmen und Beschränkungen „für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches“. Wertausfüllungsbedürftige Wendungen wie das Element der Rechtfertigung oder der anständigen Gepflogenheiten in Art. 5 Abs. 3 lit. c) und lit. d) InfoSoc-RL enthält Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL gerade nicht. Zudem hat der EuGH festgestellt, dass der Begriff der Parodie einen autonomen Begriff des Unionsrechts darstellt.118 Es liegt nahe, dass dasselbe auch für die Begriffe der Karikatur und des Pastiches gilt. Zwar geht die Verwendung autonomer Rechtsbegriffe nicht zwangsweise mit einer vollständigen Harmonierung des Regelungsbereichs einher.119 Jedoch lässt der Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL faktisch keinen Raum für eine unterschiedliche Auslegung der Ausnahme durch die Mitgliedstaaten. Die Begründung des Richtlinienvorschlags120, welche der EuGH zur Beurteilung des Umsetzungsspielraums des Zitatrechts herangezogen hat, führt die Ausnahmeregelung zugunsten von Parodie, Karikatur und Pastiche nicht auf. Somit können daraus keine Rückschlüsse gezogen werden. Im Gesetzgebungsverfahren findet die Ausnahme zugunsten von Parodie, Karikatur und Pastiche das erste Mal im Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 28. 09. 2000 Erwähnung. Darin stellt der Rat fest, dass er durch die Ausnahmen der Art. 5 Abs. 3 lit. f) bis lit. n) InfoSoc-RL „eine Reihe zusätzlicher, eng definierter Ausnahmen berücksichtigt, um entsprechenden Anträgen von Mitgliedstaaten entgegenzukommen.“121 Die Beschreibung als „eng definierte Ausnahmen“ könnte gegen die Annahme eines Umsetzungsspielraums sprechen. Zudem handelt es sich bei Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL um eine Ausnahmeregelung die dem französischen Urheberrecht entspringt, sodass sich daraus ein bestimmter Regelungsgehalt ableiten

118

EuGH, Urt. v. 03. 09. 2014 – C-201/13, ECLI:EU:C:2014:2132 Rn. 15, 17 – Deckmyn und Vrijheidsfonds. 119 Vgl. EuGH, Urt. v. 21. 10. 2010  – C-467/08, ECLI:EU:C:2010:620 Rn. 37  – Padawan; Herresthal, in: Gsell / Herresthal, Vollharmonisierung im Privatrecht, 113 (132); v. UngernSternberg, FS Bornkamm, S. 1007 (1011). 120 Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 10. 12. 1997 (KOM[97] 628 endg.). 121 Gemeinsamer Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 28. 09. 2000, ABl. C 2000/344/01, 18.

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C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

ließe.122 Hingegen setzen Art. 5 Abs. 3 lit. c) und lit. d) InfoSoc-RL die Vorgaben des Art. 10 und 10bis RBÜ um,123 die als Konventionsrecht von vornherein auf Rechtsvielfalt abzielen.124 Auch die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes, welche nach Erwägungsgrund 32 maßgeblich für den Harmonisierungsgrad der Ausnahmen und Beschränkungen sein soll, könnte gegen einen Spielraum bei der Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL sprechen. Zwar diente die Ausnahme zugunsten von Parodien und Karikaturen in der Vergangenheit vor allem analogen Nutzungen (wie bspw. Zeichnungen oder Liedtexten), sodass die Privilegierung mangels Auslandsbezug in der Regel nur innerhalb des Mitgliedstaats relevant wurde. Mittlerweile können vor allem unter den Begriff der Parodie und unter dem  – bisher konturlosen  – Rechtsbegriff des Pastiche möglicherweise jedoch auch Memes, GIFs, Mashups oder andere digitale künstlerische Erscheinungsformen fallen.125 Da diese Nutzungen fast ausschließlich im Internet auftreten und naturgemäß auch darüber übermittelt werden, ist ihre Nutzung nicht auf einen Mitgliedstaat beschränkt. Vielmehr verbreiten sich diese Nutzungsformen über alle Ländergrenzen. Eine unterschiedliche Umsetzung der Pasticheschranke könnte somit erheblichen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes haben. Wäre zum Beispiel die Nutzung eines Memes oder eines Mashups in einem sozialen Netzwerk nach dem Recht eines Mitgliedstaats als Pastiche zulässig, in einem anderen aber nicht, könnte dies zu erheblicher Rechtsunsicherheit aufseiten von Nutzern und Rechtsinhabern führen.126 Nach alledem wäre Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL als vollständig vereinheitlichtes Unionsrecht zu betrachten, sodass eine Prüfung deutscher Grundrechte – bei ohnehin unstreitig vorliegendem Anwendungsvorrang der Unionsgrundrechte – den deutschen Staatsgewalten nicht gestattet wäre.

122 Allerdings kann das französische Recht für die Auslegung von Unionsrecht nicht allein maßgeblich sein. Es kann jedoch als Vorlage dienen, dazu Kapitel B., Fn. 242. 123 Zu Art. 10bis RBÜ als Vorlage für Art. 5 Abs. 3 lit. c) InfoSoc-RL s. Guibault / Westkamp /  Rieber-Mohn, Study on 2001/29/EC, S. 52. 124 Zu der Unterteilung von Beschränkungen mit mitgliedstaatlichem und konventionsrechtlichem Ursprung: Guibault / Westkamp / Rieber-Mohn, Study on 2001/29/EC, S. 43. 125 Dies erwägt jedenfalls der RefE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes [Stand 2. 09. 2020], 97. Abrufbar unter: www. bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Urheberrecht.pdf;jsessionid= 26E0B753BC7F8C996E3AF5B14FD118B6.2_cid297?__blob=publicationFile&v=7 [zuletzt abgerufen am 11. 11. 2021]. 126 Allerdings könnte selbst bei Bestehen eines Umsetzungsspielraums ein derartiger Gebrauch von diesem unzulässig sein. Denn der Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten ist in vierfacher Hinsicht begrenzt und darf insbesondere nicht die reibungslose Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts gefährden, Fn. 114.

IV. Maßgebliche Grundrechtsregime im Spannungsverhältnis  

245

b) Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL als nicht vollständig vereinheitlichte Vorschrift des Unionsrechts? Andererseits könnten die Ausführungen des EuGH zu Art. 5 Abs. 3 lit. c) und lit. d)  InfoSoc-RL auch auf Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL übertragen werden: Denn die Regelung des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL hat ebenfalls Eingang in die Richtlinie gefunden, ohne dass ihr konkreter Umfang thematisiert wurde. Vielmehr war sie Teil der Kompromisslösung, die dem Prinzip „Schranken aller Länder vereinigt euch!“127 gefolgt ist.128 Die fehlende Auseinandersetzung der Mitgliedstaaten nicht nur mit Art. 5 Abs. 3 lit. c) und Art. 5 Abs. 3 lit. d) ­InfoSoc-RL, sondern auch mit allen anderen Schrankenregelungen könnte indizieren, dass neben einer fakultativen Natur auch Umsetzungsspielraum für ihre spezifische Ausprägung bewusst gewollt war.129 Ebenfalls scheint die Maßgeblichkeit des engen Wortlauts von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zweifelhaft, da dieser vom europäischen Gesetzgeber weniger bewusst gewählt, als schlicht von der französischen Regelung des Art. L. 122–5 No. 4 CPI übernommen wirkt. Dies würde dafür sprechen, dass der europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten mangels weiterer Konkretisierungen einen großzügigeren Umsetzungsspielraum eingestehen wollte. In Konsequenz könnten der deutsche Gesetzgeber und die deutschen Gerichte die Umsetzung und Anwendung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL in Form des § 51a UrhG an den deutschen Grundrechten prüfen, soweit dabei das Schutzniveau der Unionsgrundrechte sichergestellt ist. Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes formuliert geschickt, dass im Rahmen von § 51a UrhG „Insbesondere […] die Meinungsfreiheit nach Artikel 11 Abs. 1 GRCh, die Pressefreiheit nach Artikel 11 Abs. 2 GRCh oder die Kunstfreiheit nach Artikel 13 GRCh zur Entfaltung zu bringen“ seien,130 ohne jedoch Aussagen zum Harmonisierungsgrad von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zu treffen. Dabei ist den Verfassern die Maßgeblichkeit des Harmonisierungsgrads für den grundrechtlichen Prüfungsmaßstab bekannt.131 Mit dieser Aussage schiffen sie 127

Schack, AfP 2003, 1 (4). Zur Entstehung der Schrankenregelungen s. Bayreuther, ZUM 2001, 828 (829) sowie unter B. I. 1. 129 So wird der Harmonisierungsgrad der Schranken auch in der Literatur verstanden: Kleine­ menke, Fair Use, S. 432–433; Guibault, JIPITEC 2010 (1) 55 (58); Bayreuther, ZUM 2001, 828 (829). 130 RefE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes [Stand 2. 09. 2020], 95. Abrufbar unter: www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Urheberrecht.pdf;jsessionid=26E0B753BC7F 8C996E3AF5B14FD118B6.2_cid297?__blob=publicationFile&v=7 [zuletzt abgerufen am 11. 11. 2021]. 131 RefE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes [Stand 2. 09. 2020], 58. Abrufbar unter: www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetz gebungsverfahren/Dokumente/RefE_Urheberrecht.pdf;jsessionid=26E0B753BC7F8C996E3 AF5B14FD118B6.2_cid297?__blob=publicationFile&v=7 [zuletzt abgerufen am 11. 11. 2021]. 128

246

C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

aufgrund des Anwendungsvorrangs der Unionsgrundrechte jedenfalls in sicheren Gewässern. Die Äußerung zeigt aber auch, dass in Zweifelsfällen über das Bestehen eins möglichen Umsetzungsspielraums vor allem die Exekutive und die Legislative die Unionsgrundrechte als Prüfungsmaßstab vorziehen werden. Dies ist nicht zu kritisieren, denn es steht im Einklang mit dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Es bedeutet jedoch, dass die genaue Unterscheidung von deutschen und europäischen Grundrechten als Prüfungsmaßstab – jedenfalls in nächster Zukunft – primär für die Gerichte eine Rolle spielen wird. Dies könnte sich mit zunehmender Rechtsprechung des EuGH und damit steigender Rechtssicherheit über den Harmonisierungsgrad einzelner Vorschriften ändern. c) Fazit zum Harmonisierungsgrad von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL und dem davon abhängigen Grundrechtsregime des § 51a UrhG Eine abschließende Aussage zu dem Grundrechtsregime im Anwendungs­bereich von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL ist aufgrund der angeführten Argumente, die sowohl für als auch gegen eine vollständige Harmonisierung sprechen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich. Insbesondere im Hinblick auf Wortlaut und Telos der Vorschrift scheint eine vollständige Harmonisierung allerdings wahrscheinlicher. Die Frage ob Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL Umsetzungsspielraum eröffnet, wird jedoch ohnehin nur in absoluten Ausnahmefällen Relevanz erlangen können. Denn aufgrund des übereinstimmenden Wortlauts von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL und § 51a UrhG, dessen Tatbestandsmerkmale nach hier vertretener Auffassung hauptsächlich aus autonomen Begriffen des Unionsrechts bestehen, wird die Auslegung und Anwendung von deutschem und europäischem Recht ohne­hin ganz überwiegend gleichlaufen. Dies gilt umso mehr, als dass der EuGH den Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten in vierfacher Hinsicht begrenzt hat.132 Eine von der Rechtsprechung des EuGH abweichende Auslegung der Begriffe von Karikatur, Parodie und Pastiche könnte demnach ohnehin nicht vom grundrechtlichen Umsetzungsspielraum gedeckt sein, ohne dabei die Autonomie der Rechtsbegriffe in Frage zu stellen. Vielmehr müssten sich die deutschen Gerichte dann mit der Solange I-Rechtsprechung behelfen. Diese stellt jedoch keine Anerkennung unionsrechtskonformer Grundrechtsvielfalt, sondern vielmehr eine vom Bundesverfassungsgericht formulierte grundgesetzliche Ausnahme vom Anwendungsvorrang des Unionsrechts dar.

132

Dazu Fn. 114.

IV. Maßgebliche Grundrechtsregime im Spannungsverhältnis  

247

3. Grundrechtsregime im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UrhDaG in Umsetzung von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSM-RL Art. 17 Abs. 7 lit. a) DSM-RL stellt fest, dass Nutzer sich für das Hochladen und Zugänglichmachen von nutzergenerierten Inhalten auf Diensten für das Teilen von Online-Inhalten auf die Ausnahmen oder Beschränkungen „Zitate, Kritik und Rezension“ stützen können. Die deutsche Umsetzung in Form des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UrhDaG verweist auf § 51 UrhG.133 Dabei ergibt sich ein eindeutiger und uneingeschränkter Verweis auf das bestehende Zitatrecht weder aus dem Wortlaut noch aus den Erwägungsgründen der Richtlinie.134 Jedenfalls unterscheidet sich die Regelungssystematik des Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSM-RL erheblich von der des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL, den § 51 UrhG umsetzt: Zwar sehen beide Regelungen Ausnahmen und Beschränkungen zugunsten derselben oder zumindest ähnlichen Nutzungshandlungen „für Zitate, zu Zwecken wie Kritik und Rezensionen“ (Art. 5 Abs. 3 lit. d) Infosoc-RL) und für „Zitate, Kritik und Rezensionen“ (Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSM-RL) vor. Jedoch verschärft Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSM-RL die fakultative Schrankenregelung, indem sie diese für das Teilen von Online-Inhalten verpflichtend einführt.135 Im Hinblick auf das „ob“ der Regelung steht den Mitgliedstaaten somit jedenfalls kein Umsetzungsspielraum zu. Auch das „wie“ der Ausnahme scheint enger. Die Wendung „sofern die Nutzung den anständigen Gepflogenheiten entspricht und in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist“, welche der EuGH zur Begründung des Umsetzungsspielraums von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL herangezogen hat, enthält Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSM-RL nicht. Ebenso fehlt es an der Formulierung „zu Zwecken wie“, die in Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL eine beispielhafte Aufzählung indiziert.136 Vielmehr scheinen die Ausnahmefälle nach dem Wortlaut des Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSM-RL abschließend. Dies spricht dafür, dass die verpflichtende Umsetzung vollständig einheitlich erfolgen soll und nicht etwa auf Grundrechtsvielfalt abzielt. Erwägungsgrund 70 stützt diese These. Dort heißt es: „Diese Ausnahmen und Beschränkungen sollen deshalb verpflichtend gelten, um sicherzustellen, dass Nutzer in der gesamten Union einheitlichen Schutz erhalten.“ 133

Dies ist dem Verständnis des BMJV geschuldet, wonach Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSMRL ein Verweis auf Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL darstellt, s. RefE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes [Stand 2. 09. 2020], 44, 144. Abrufbar unter: www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/ RefE_Urheberrecht.pdf;jsessionid=26E0B753BC7F8C996E3AF5B14FD118B6.2_cid297?__ blob=publicationFile&v=7 [zuletzt abgerufen am 11. 11. 2021]. 134 Die DSM-RL nimmt zwar an vielen Stellen Bezug auf die InfoSoc-RL, insbesondere verweist sie für die Presseverlage ausdrücklich auf die Geltung des Zitatrechts nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL, vgl. Erwgr. 57. Im Rahmen von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL fehlt jedoch ein ausdrücklicher Verweis. 135 Vgl. Erwgr. 70 der DSM-RL. 136 Stieper vermutet ein Redaktionsversehen, GRUR 2020, 699 (700).

248

C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

Ein weiteres Argument für eine vollständig harmonisierende Wirkung des Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSM-RL stellt die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes dar: Wie bereits angeführt,137 scheint gerade im Bereich der Online-Nutzung ein absoluter Gleichlauf der Schrankenregelungen in allen Mitgliedstaaten erforderlich, um die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes zu gewährleisten. Denn dort kommt es regelmäßig zu grenzüberschreitenden Nutzungen.138 Nimmt man aus den angeführten Gründen an, dass es sich bei Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSM-RL um vollständig determiniertes Unionsrecht handelt, ist mitgliedstaatliche Grundrechtsvielfalt ausgeschlossen. Einziger Prüfungsmaßstab von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSM-RL und seiner Umsetzung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 UrhDaG wären somit die Unionsgrundrechte. In Konsequenz wären bei der Auslegung des Zitatrechts im Anwendungsbereich der DSM-RL grundsätzlich ausschließlich die Unionsgrundrechte heranzuziehen, wohingegen außerhalb des Anwendungsbereichs der DSM-RL die nationalen Grundrechte als Prüfungsmaßstab herangezogen werden könnten. Dies scheint zunächst inkonsistent, im Hinblick auf den gesteigerten Bedarf der Harmonisierung bei digitalen und grenzüberschreitenden Nutzungen im Rahmen der Inanspruchnahme von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten und damit im speziellen Anwendungsbereich der DSM-RL139 jedoch gut begründbar. Ein abweichendes Ergebnis im Hinblick auf die Anwendbarkeit deutscher Grundrechte wäre nur zu erreichen, wenn man Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSMRL als vollständigen Verweis auf den materiellen Regelungsgehalt und damit auch das entsprechende Grundrechtsregime von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL verstünde.

4. Grundrechtsregime im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 Nr. 2 UrhDaG in Umsetzung von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b) DSM-RL Nach Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b) DSM-RL müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass sich Nutzer für das Teilen von Online-Inhalten beim Hochladen oder Zugänglichmachen von nutzergenerierten Online-Inhalten auf die Ausnahme der Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches berufen können. 137

C. IV. 2. a). Im Hinblick auf das Zitatrecht ist dieses Argument allerdings weniger stark, da es die wirtschaftlichen Interessen in der Regel nicht merklich berührt. Anderes gilt für die Ausnahme zugunsten von Parodien, Karikaturen und Pastiches. Dort können die ökonomischen Interessen der Rechtsinhaber stärker beeinträchtigt sein, sodass § 5 Abs. 2 UrhDaG für diese einen Vergütungsanspruch des Urhebers gegen den Diensteanbieter vorsieht. 139 Vgl. für den Anwendungsbereich der DSM-RL insbes.: Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Nr. 6 DSM-RL. 138

V. Fazit zu Kapitel C 

249

Die soeben angestellten Überlegungen zum Grundrechtsregime von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSM-RL lassen sich im Wesentlichen auf Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b) DSM-RL übertragen: Auch diese Vorschrift verschärft eine bestehende Ausnahmeregelung der InfoSoc-RL, nämlich Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL, indem sie die fakultative Ausnahme im Anwendungsbereich des Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 für verpflichtend erklärt.140 Für eine vollständige Determinierung nicht nur des „ob“ sondern auch des „wie“ spricht hier ebenfalls Erwägungsgrund 70 der DSM-RL. Zudem könnte ein Umsetzungsspielraum hinsichtlich des materiellen Gehalts der Ausnahme die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes beeinträchtigen. Insbesondere die möglicherweise im Einzelfall insbesondere von der Parodie- und Pasticheschranke gedeckten Nutzungshandlungen des Memes, Mashups, Sampling, Remix und der Fan Art könnten die Interessen der Rechtsinhaber beeinträchtigen. Gleichzeitig könnte eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat abweichende Regelung die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes stören, da die angeführten Nutzungen regelmäßig grenzüberschreitend stattfinden. Ebenso eröffnet der Wortlaut der Bestimmung den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum. Insbesondere, da es sich bei der Parodie – und mit großer Wahrscheinlichkeit auch bei der Karikatur und dem Pastiche – um autonome Begriffe des Unionsrechts handelt.141 Die Frage, ob es sich bei Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b) DSM-RL um einen indirekten Verweis auf Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL handelt, stellt sich allerdings weniger dringend als beim Zitatrecht. Denn auch die Ausnahme zugunsten von Karikaturen, Parodie und Pastiches in Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL stellt wahrscheinlich eine vollharmonisierende Vorschrift dar,142 sodass mit der Annahme eines Verweises keine abweichende Bewertung des Harmonisierungsgrads verbunden ist.

V. Fazit zu Kapitel C Die Organe und Einrichtungen der Europäischen Union, insbesondere der Gesetzgeber und die Rechtsprechung sind im Rahmen ihrer Tätigkeit unmittelbar an die Grundrechte der Charta gebunden.143 Für die deutsche Staatsgewalt besteht eine unmittelbare Bindung an die Grundrechte des Grundgesetzes und im Anwendungsbereich des Unionsrechts auch an die Grundrechte der Charta.144 140 Das BMJV versteht Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL „wohl“ als Vorbild für Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b) DSM-RL, RefE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes [Stand 2. 09. 2020], 144. Abrufbar unter: www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Urheberrecht.pdf;jsessionid=26E0B 753BC7F8C996E3AF5B14FD118B6.2_cid297?__blob=publicationFile&v=7 [zuletzt abgerufen am 11. 11. 2021]. 141 Ausführlich zu den Begriffen unter B. II. 1. b) bb). 142 C. IV. 2. a), c). 143 C. II. 3. und 4. 144 C. I. 2. und 3.; C. II. 3. und 4. 

250

C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

Sowohl nach dem deutschen als auch nach dem europäischen Verständnis finden die Grundrechte nicht nur im Rahmen des Verhältnis Bürger-Staat, sondern auch im Privatrecht Anwendung.145 Dabei rücken die Grundrechte seit dem LüthUrteil bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts auf nationaler Ebene zunehmend in den Vordergrund.146 Aber auch auf europäischer Ebene spielen die Grundrechte für die Auslegung des Privatrechts eine bedeutende Rolle.147 Zudem können die Grundrechte sowohl nach deutschem als auch nach europäischem Verständnis die Rechte und Pflichten von privaten Rechtssubjekten beeinflussen.148 Dementsprechend sind die Grundrechte der Charta und des Grundgesetzes auch für das Urheberrecht von Bedeutung.149 Im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht erlangen sie besondere Relevanz, da dort die Grundrechte von Nutzern und Urhebern typischerweise kollidieren. Aufgrund der Harmonisierung von Schrankenregelungen durch die InfoSoc- und DSM-RL genießen die Unionsgrundrechte im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht grundsätzlich Anwendungsvorrang. Dieser kann nur in absoluten Ausnahmefällen entfallen.150 Insbesondere eine Reaktivierung der Solange I-­Rechtsprechung könnte im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht zu einem ausnahmsweisen Vorbehalt der deutschen Grundrechte führen.151 Auch bei Anwendung harmonisierter Vorschriften und dem damit verbundenen Anwendungsvorrang der Unionsgrundrechte ist nach Auffassung von EuGH und BVerfG den Mitgliedstaaten die Prüfung anhand nationaler Grundrechte erlaubt, soweit es sich nicht um vollständig vereinheitlichtes Unionsrecht handelt und das Schutzniveau der Charta sowie der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit der Unionsrechts dabei gewahrt bleiben.152 Ob und wieweit die Grundrechte der Charta oder die Grundrechte des Grundgesetzes für die Auslegung der Urheberrechtschranken maßgeblich sind, hängt somit von der jeweils anzuwendenden Norm ab.153 Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Heranziehung deutscher Grundrechte bei der Auslegung der Schranke zugunsten von Parodie, Karikatur und Pastiche nach § 51a UrhG sowie für die bereichsspezifische Parodie- und Zitatschranken in § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UrhDaG aufgrund vollständig vereinheitlichten Unionsrechts nicht möglich.154

145

Dazu C. I. 1., 3. sowie C. II. 2. C. I. 1. 147 C. II. 2. 148 C. I. 1. und C. II. 5. 149 C. I. 4. und C. II. 6. 150 C. III. 3. 151 C. III. 3. a). 152 C. III. 2. 153 C. III. 154 C. IV. 2., C. IV. 3. und C. IV. 4. 146

V. Fazit zu Kapitel C 

251

Das allgemeine Zitatrecht nach Art. 5 Abs. 3 lit. d)  InfoSoc-RL eröffnet den Mitgliedstaaten hingegen unstreitig Umsetzungsspielraum, sodass dem deutschen Gesetzgeber und den deutschen Gerichten eine Prüfung des § 51 UrhG anhand der Grundrechte des Grundgesetzes möglich ist.155 Die tatsächlichen materiell-rechtlichen Konsequenzen dieses Befundes sind bisher unklar und trotz allgemein umfassender Auswertung der Recht auf Vergessen-Rechtsprechung in der Literatur bislang kaum thematisiert.156 Da der Umsetzungsspielraum „Grundrechtsvielfalt“ erlauben soll, muss den Mitgliedstaaten eine gegenüber den europäischen Grundrechten abweichende Gewichtung der Grundrechtspositionen möglich sein. Andererseits muss dabei trotzdem das Schutzniveau der Charta gewahrt bleiben. Solche Situationen sind im Verhältnis zwischen Bürger und Staat leicht zu konstruieren: Der Bürger erhält durch nationale Grundrechte einen über den europäischen Grundrechtsstandard hinausgehenden Schutz gegenüber dem Staat. Damit würden die Mitgliedstaaten von ihrem Umsetzungsspielraum Gebrauch machen und gleichzeitig das (Mindest-)Schutzniveau der GRCh wahren. Schwieriger stellt sich die Ausschöpfung des Umsetzungsspielraums jedoch dar, wenn die grundrechtlich geschützten Interessen zweier gleichrangiger Rechtssubjekte, d. h. von Bürger und Bürger aufeinandertreffen.157 Denn in einem Kollisionsfall geht der weiterreichende Schutz eines Privatrechtssubjekts in der Regel mit der Verkürzung des grundrechtlichen Schutz des anderen Privatrechtssubjekts einher: Eine stärkere Gewichtung der Kunstfreiheit von nachschaffenden Werknutzern kann zu einem Absenken des Schutzniveaus von Eigentums- und Persönlichkeitsrecht des Urhebers führen. Wieviel Abweichung von dem Gewährleistungsgehalt europäischer Grundrechte ist also erlaubt, wenn man gleichzeitig das Schutzniveau der Charta sowie die Einheit und Wirksamkeit des Unionsrechts als gewahrt erachten will?158 Jedenfalls ist die tatsächliche Grundrechtsvielfalt, die den Mitgliedstaaten bei der nicht vollständig determinierten Zitatschranke eingeräumt wird, geringfügig.159 Sie wird zudem durch die Pflicht zu einer richtlinienkonformen Auslegung,160 die unionsrechtliche Autonomie des Zitatbegriffs,161 dem Dreistufentest und den Zielen der Richtlinien zusätzlich begrenzt. Der tatsächliche 155

C. IV. 1. S. jedoch Wendel, JZ 2020, 157 (161, 165). Raue, thematisierte – allerdings bereits vor der „Recht auf Vergessen-Rechtsprechung“ – die Konsequenzen der „Verdrängung“ deutscher Grundrechte durch Unionsgrundrechte auf den gewerblichen Rechtsschutz und das Urheberrecht, GRUR Int. 2012, 402 und geht von einer Änderung der deutschen Rechtsprechung auch im Ergebnis aus, a. a. O. (403) m. w. N. 157 Allgemein zum Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem bei einer „Dreieckssituation“ Jarass, GRCh, Art. 53 Rn. 17–18. 158 Vgl. dazu Obergfell / Stieper, FS 50 Jahre, S. 223 (235) m. w. N. 159 Vgl. Wendel, JZ 2020, 157 (161) der die Aufrechterhaltung nationaler Schutzprivilegien in multipolaren Grundrechtsverhältnissen ebenfalls anzuzweifeln scheint. 160 Dazu: v. Ungern-Sternberg, FS Bornkamm, S. 1007 (1012). 161 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019  – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 62, 77  – Spiegel Online. 156

252

C. Die Bedeutung des grundrechtlichen Mehrebenensystems 

Umsetzungsspielraum, der den Mitgliedstaaten eine Wertung anhand nationaler Grundrechte erlaubt, ist daher für die angeführten Regelungen als gering zu bewerten. Die Konstruktion des BVerfG, welche die Prüfung nationaler Grundrechte im nicht vollständig vereinheitlichten Unionsrecht ermöglicht, scheint vielmehr ein Werkzeug zu sein, das den Gerichten die Arbeit im mittlerweile komplexen grundrechtlichen Mehrebenensystem erleichtern soll.162 Mit den Gründen und Auswirkungen des grundgesetzlichen Prüfungsmaßstabs bei gestaltungsoffenem Recht hat sich die Literatur nur vereinzelt auseinandergesetzt. Wendel vermutet, dass das BVerfG in erster Linie darauf abziele „rechtsdogmatische Eigenheiten und – soweit in multipolaren Grundrechtsverhältnisse[n] überhaupt darstellbar – Schutzprivilegien der nationalen Ebene weitgehend zu erhalten.“163 Insgesamt ist festzuhalten, dass für die Beurteilung der Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit ganz überwiegend die europäischen Grundrechte maßgeblich sind. Ob sich dies in der Rechtspraxis der Gerichte widerspiegeln wird ist aufgrund von Unsicherheiten hinsichtlich des Harmonisierungsgrads von § 51a UrhG und § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 UrhDaG sowie der Möglichkeit der Prüfung des gestaltungsoffenen Zitatrechts anhand deutscher Grundrechte fraglich. Es ist zu hoffen, dass die deutschen Gerichte ihre „Garantenfunktion“164 gegenüber dem unionsrechtlichen Urheberrecht wahrnehmen und damit dessen Durchführung und Weiterentwicklung sicherstellen.165

162

Vgl. dazu: Wendel, JZ 2020, 157 (165) beschreibt die Methodik als ein „ – wohl auch – auf Entlastung der Fachgerichte ausgerichtete Zugeständnis“ und befürchtet eine Marginalisierung der Unionsgrundrechte im Bereich des gestaltungsoffenen Unionsrechts. 163 Wendel, JZ 2020, 157 (161). 164 Für den Ursprung des von Leistner, in: FS Bornkamm, S. 859 (872) in diesem Zusammenhang genutzten Begriffs der „Garantenfunktion“, s. Grosche, Rechtsfortbildung im Unionsrecht, S. 335, der die mitgliedstaatlichen Gerichte als Garanten der Unionsrechtsordnung bezeichnet. 165 Vgl. dazu Leistner, FS Bornkamm, S. 859 (872) m. w. N.

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt von Kunstfreiheit und Urheberrecht im deutschen und europäischen Verfassungsrecht Nachdem im vorangestellten Abschnitt die Bedeutung und Anwendbarkeit der deutschen und europäischen Grundrechte für die spezifischen Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit herausgearbeitet wurde, soll im folgenden Abschnitt der materielle Gehalt der Grundrechte im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht ermittelt werden. Konkret zu untersuchen sind der grundrechtliche Schutz des Urhebers nach dem Grundgesetz und der Charta (I.) sowie der grundgesetzliche und unionsgrundrechtliche Schutz der Kunstfreiheit (II.). Daraus sollen insbesondere mögliche Vorgaben der Grundrechte für die Auslegung und Neugestaltung der einfachrechtlichen Regelungen gewonnen werden. Ebenso soll überprüft werden, ob die Gewährleis­ tungsgehalte der im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht einschlägigen Grundrechte auf deutscher und europäischer Ebene übereinstimmen oder ob ein „Solange-Fall“ denkbar ist.

I. Schutz des Urheberrechts nach Grundrechtecharta und Grundgesetz Im vorstehenden Teil wurde herausgearbeitet, dass vor allem die Unionsgrundrechte maßgeblich für die Bewertung der widerstreitenden Positionen im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht sind. Allerdings wurde ebenfalls festgestellt, dass insbesondere das gestaltungsoffene Unionsrecht im Rahmen des Zitatrechts und der Grundrechtsvorbehalt nach der Solange I-Rechtsprechung Möglichkeiten zur Heranziehung deutscher Grundrechte eröffnen. Deshalb soll im folgenden Teil der grundrechtliche Schutz des Urhebers zunächst aus unionsrechtlicher (1.) und dann aus deutscher Perspektive (2.) untersucht werden. Im Anschluss sollen die Ergebnisse verglichen werden, um festzustellen, ob das Schutzniveau der kollidierenden Grundrechtspositionen übereinstimmt oder ob ein ausnahmsweiser Vorrang der deutschen Grundrechte aufgrund eines „Solange-Falls“ denkbar ist (3.).

254

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

1. Schutz des Urheberrechts durch die Grundrechtecharta Im Unionsrecht stellt Art. 17 Abs. 2 GRCh den grundrechtlichen Schutz des Urheberrechts sicher (a). Über den grundrechtlichen Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts besteht bislang noch Unklarheit (b). Neben Art. 17 Abs. 2 GRCh hat der EuGH bisher keine anderen Grundrechte für den Grundrechtsschutz des Urheberrechts herangezogen (c). a) Schutz des Urheberrechts nach Art. 17 Abs. 2 GRCh Um den Inhalt des unionsgrundrechtlichen Schutzes des Urheberrechts zu erfassen, erfolgt zunächst ein kurzer Überblick zu Systematik und Historie von Art. 17 Abs. 2 GRCh (aa). Im Anschluss wird der grundrechtliche Schutz des Urhebers in der Rechtsprechung des EuGH untersucht (bb) und dessen Einschränkbarkeit ermittelt (cc). aa) Systematik und Historie des Schutzes des Urheberrechts gem. Art. 17 Abs. 2 GRCh Der europäische Grundrechtsschutz des Urhebers fußt in Art. 17 Abs. 2 GRCh, nach dem ausdrücklich das geistige Eigentum geschützt wird.1 Die gesonderte Aufführung des geistigen Eigentums nach der Normierung des Eigentumsgrundrechts in Art. 17 Abs. 1 GRCh erfolgte nach der Begründung der Charta aufgrund dessen zunehmender Bedeutung und dem abgeleiteten Gemeinschaftsrecht.2 Ein gegenüber dem Sacheigentum weitreichenderer Schutz sollte damit nicht begründet werden. Vielmehr ist der Gehalt des Art. 17 Abs. 1 GRCh, der in Bedeutung und Tragweite mit dem Recht der EMRK gleichlaufen soll, sinngemäß auf Art. 17 Abs. 2 GRCh zu übertragen.3 Schon vor Inkrafttreten der Charta ordnete der EuGH insbesondere die verwertungsrechtliche Seite des Urheberrechts als zivilrechtliche Eigentumsposition ein4 und unterstellte sie schließlich, zunächst unter

1

Jarass, GRCh, Art. 17 Rn. 10 m. w. N.; vgl. auch die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007/C 303/01, 23, nach denen das geistige Eigentum literarisches und künstlerisches Eigentum umfasst. 2 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007/C 303/01, 23.  3 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007/C 303/01, 23.; dazu auch: Geiger, in: Human Rights and Intellectual Property, S. 681 m. w. N.; vgl. EuGH, Urt. v. 09. 02. 2012 – C-277/10, ECLI:EU:C:2012:65 Rn. 68 – Luksan. 4 EuGH, Urt. v. 20. 01. 1981 – C-55/80, ECLI:EU:C:1981:10 Rn. 9, 11–13 – Musik-Vertrieb Membran GmbH; EuGH, Urt. v. 09. 04. 1987 – C-402/85, ECLI:EU:C:1987:197 Rn. 11 – Basset; EuGH, Urt. v. 20. 10. 1993 – C-92/92, ECLI:EU:C:1993:847 Rn. 21 – Phil Collins.

I. Schutz des Urheberrechts nach Grundrechtecharta und Grundgesetz  

255

Verweis auf Art. 1 des Zusatzprotokolls der EMRK5, auch dem eigentumsgrundrechtlichen Schutz.6 bb) Grundrechtlicher Schutz des Urheberrechts nach Art. 17 Abs. 2 GRCh in der Rechtsprechung des EuGH Bisher sind die Ausführungen des EuGH zu den Vorgaben an den grundrechtlichen Schutz des Urhebers rar geblieben.7 Für Auslegungsfragen zog er primär das Sekundärrecht heran8 und betonte die Verantwortlichkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte und Behörden.9 Denn die Mechanismen, die einen angemessenen Grundrechtsausgleich ermöglichen, seien zum einen in den Richtlinien selbst verankert10 und müssten zum anderen aus der Umsetzung und Anwendung der nationalen Gerichte und Behörden resultieren.11 Festgestellt werden kann jedoch, dass die Zuweisung der Verwertungsrechte an den Urheber für den Schutz des Urheberrechts zwingend erforderlich ist (1). Ein 5

Näher zur Bedeutung der EMRK für die Auslegung von Art. 17 GRCh und den Gehalt von Art. 1 des Zusatzprotokolls, s.: Oliver and Stothers, CML Rev. 2017, 517, (520–531); Stern /  Sachs / Vosgerau, GRCh, Art. 17 Rn. 4–5, 13 m. w. N.; Jarass, GRCh, Art. 17 Rn. 1 m. w. N. 6 Vgl. mit Verweis auf die EMRK: EuGH, Urt. v. 12. 09. 2006  – C-479/04, ECLI:EU: C:2006:549 Rn. 62, 65 – Laserdisken. Ohne Verweis auf die EMRK, aber mit Bezugnahme auf die Charta: EuGH, Urt. v. 29. 01. 2008 – C-275/06, ECLI:EU:C:2008:54 Rn. 62 – Promusicae; s. auch schon (ohne Verweis auf die EMRK): EuGH, Urt. v. 28. 04. 1998 – C-200/96, ECLI:EU:C:1998:172 Rn. 21  – Metronome Musik / Music Point Hokamp. Der eingeführte Art. 17 GRCh sollte später Art. 1 des Zusatzprotokolls der EMRK entsprechen, vgl. die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte ABl. 2007/C 303/01, 23. 7 Allerdings hat das Eigentumsgrundrecht nach Art. 17 GRCh insgesamt noch keinen gefestigten, eigenständigen Charakter entwickelt, GRCh, Heselhaus / Nowak / Heselhaus, EUGrundrechte-HdB, § 36 Rn. 87 m. w. N.; Heselhaus vermutet, dass die fehlende Konkretisierung der Rechtsprechung zu Art. 17 GRCh u. a. auf eine bewusste Zurückhaltung gegenüber dem Gesetzgeber zurückzuführen sei, a. a. O. Rn. 89. 8 EuGH, Urt. v. 24. 11. 2011 – C-70/10, ECLI:EU:C:2011:771 Rn. 40 – Scarlet Extended; EuGH, Urt. v. 16. 02. 2012 – C-360/10, ECLI:EU:C:2012:85 Rn. 38 – SABAM; EuGH, Urt. v. 29. 01. 2008 – C-275/06, ECLI:EU:C:2008:54 Rn. 46 – Promusicae. Oftmals griff der EuGH für die Auslegung auf den gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie die mit den Richtlinien verfolgten Ziele zurück, bevor eine Auslegung anhand der Grundrechte erfolgte, vgl. EuGH, Urt. v. 09. 07. 2020 – C-264/19, ECLI:EU:C:2020:542 Rn. 29–39 – Constantin Film Verleih; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 26–39 – Pelham u. a.; EuGH, Urt. v. 26. 04. 2012 – C-510/10, EU:C:2012:244 Rn. 42–57 – DR und TV2 Danmark. 9 EuGH, Urt. v. 29. 01. 2008  – C-275/06, ECLI:EU:C:2008:54 Rn. 68, 70  – Promusicae m. w. N.; EuGH, Urt. v. 24. 11. 2011 – C-70/10, ECLI:EU:C:2011:771 Rn. 45–46 – Scarlet Extended; EuGH, Urt. v. 16. 02. 2012 – C-360/10, ECLI:EU:C:2012:85 Rn. 43–44 – SABAM; EuGH, ECLI:EU:C:2014:192 Rn. 46 – UPC Telekabel Wien; EuGH, Urt. v. 15. 09. 2016 – C-484/14, ECLI:EU:C:2016:689 Rn. 83 – Mc Fadden. 10 EuGH, Urt. v. 29. 01. 2008 – C-275/06, ECLI:EU:C:2008:54 Rn. 66 – Promusicae; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 58 – Funke Medien NRW. 11 EuGH, Urt. v. 29. 01. 2008 – C-275/06, ECLI:EU:C:2008:54 Rn. 66 – Promusicae; vgl. dazu auch EuGH, ECLI:EU:C:2003:596 Rn. 82 – Lindqvist.

256

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

bedingungsloser Schutz des Urheberrechts existiert hingegen nicht. Vielmehr ist der grundrechtliche Schutz des Urheberrechts von der Erzielung eines angemessenen Ausgleichs mit den Grundrechten Dritter geprägt (2). (1) Erforderlichkeit der Zuweisung der Verwertungsrechte an den Urheber Hervorzuheben ist die Entscheidung Luksan,12 in welcher der Gerichtshof dem grundrechtlichen Schutz des Urheberrechts durch Art. 17 Abs. 2 GRCh einen konkreten Gehalt entnahm: Die gesetzliche Zuweisung der Verwertungsrechte an einen anderen als den Urheber selbst, komme einem Entzug des geistigen Eigentums gleich und sei daher nicht mit Art. 17 Abs. 2 GRCh vereinbar.13 Diese explizit zum Gewährleistungsgehalt des grundrechtlichen Schutzes des Urheberrechts ergangene Aussage ist eine Ausnahme geblieben. (2) Kein bedingungsloser Schutz des Urheberrechts – Maßgeblichkeit eines angemessenen Ausgleichs In den letzten Jahren sind bei der Lösung urheberrechtlicher Konflikte auch die Grundrechtspositionen der Nutzer zunehmend in den Vordergrund gerückt. Somit lässt sich der grundrechtliche Gehalt des Urheberrechts hauptsächlich aus einer Abwägung mit den konfligierenden Grundrechten Dritter entnehmen. Eine größere Fallgruppe bilden dabei die Rechtsstreitigkeiten, im Rahmen derer der EuGH unter Heranziehung der Grundrechte einen Interessenausgleich in der Dreieckskonstellation von Rechtsinhabern, Nutzern und Internetdienstleistern (wie Providern oder Plattformbetreibern) sucht. Innerhalb dieser Fallkonstellationen hat der EuGH wiederholt festgestellt, dass sich aus Art. 17 Abs. 2 GRCh kein schranken- und bedingungsloser Schutz ergebe.14 Vielmehr müsse der Schutz des geistigen Eigentums gegen den Schutz anderer Grundrechte abgewogen werden, um ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den kollidierenden Grundrechtspositionen zu erzielen.15 Das Konzept des angemessenen Ausgleichs16 und die 12 Ausführlich zu dem Urteil aus grundrechtlicher Perspektive: Oliver and Stothers, CML Rev. 2017, 517 (541–545). 13 EuGH, Urt. v. 09. 02. 2012 – C-277/10, ECLI:EU:C:2012:65 Rn. 70–71 – Luksan. 14 Zuerst ausdrücklich in: EuGH, Urt. v. 24. 11. 2011  – C-70/10, ECLI:EU:C:2011:771 Rn. 43  – Scarlet Extended. Sinngemäß vorher in: EuGH, Urt. v. 29. 01. 2008  – C-275/06, ECLI:EU:C:2008:54 Rn. 62–68  – Promusicae; Wiederholt in: EuGH, Urt. v. 16. 02. 2012  – C-360/10, ECLI:EU:C:2012:85 Rn. 41 – SABAM. 15 EuGH, Urt. v. 24. 11. 2011 – C-70/10, ECLI:EU:C:2011:771 Rn. 44–45 – Scarlet Extended; EuGH, Urt. v. 29. 01. 2008 – C-275/06, ECLI:EU:C:2008:54 Rn. 62–68 – Promusicae; EuGH, Urt. v. 16. 02. 2012 – C-360/10, ECLI:EU:C:2012:85 Rn. 41–44 – SABAM. 16 Das Konzept des angemessenen Ausgleichs lässt sich wohl auf die Rechtsprechung des EGMR zurückführen, die die Entwicklung von Art. 17 GRCh prägt, vgl. Oliver and Stothers,

I. Schutz des Urheberrechts nach Grundrechtecharta und Grundgesetz  

257

damit verbundene Relativität des urheberrechtlichen Grundrechtsschutz17 sind zentral für das europäische Verständnis und haben sich mittlerweile zur Leitlinie für die Rechtsprechung des EuGH entwickelt.18 Wie weit der Schutzbereich des grundrechtlichen Urheberrechtsschutzes reicht und somit von einem angemessenen Gleichgewicht gesprochen werden kann, lässt sich im Übrigen nur anhand einer Zusammenschau von Einzelfallentscheidungen skizzieren19: Zum Beispiel stellte der EuGH fest, dass die Anordnung eines flächendeckenden Filtersystems, dass der Provider zugunsten des Urhebers einzurichten habe, den angemessenen Ausgleich des Urheberrechts mit der unternehmerischen Freiheit des Providers sowie Datenschutz und Informationsfreiheit der Nutzer missachten würde.20 Diese grundrechtliche Wertung übertrug er auch auf eine generelle Filter­ pflicht für Plattformbetreiber.21 Dennoch müssen die Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums hinreichend wirksam sein. Dazu gehöre, dass unerlaubte Zugriffe auf die Schutzgegenstände verhindert oder zumindest erschwert werden und dass die Internetnutzer zuverlässig davon abgehalten werden, auf die unrechtmäßigerweise zugänglich gemachten Schutzgegenstände zuzugreifen.22 Zur Herstellung eines angemessenen Schutzes von Art. 17 Abs. 2 GRCh könne daher beispielsweise die Einrichtung eines Passwortes für einen Internetanschluss erforderlich sein.23 Eine Verletzung des angemessenen Gleichgewichts (und damit von Art. 17 Abs. 2 GRCh) läge jedoch nicht schon dann vor, wenn die Maßnahmen nicht geeignet sind, die Verletzung vollständig abzustellen.24 In anderen Fallkonstellationen stellte der EuGH fest, dass eine qualifizierte Beeinträchtigung des geistigen Eigentums vorläge, wenn der Schutz der Familie nach CML Rev. 2017, 517, (525–526). Vgl. dazu insbes. auch EGMR, Urt. v. 10. 01. 2013 – 36769/08, ECLI:CE:ECHR:2013:0110JUD003676908 Rn. 38, 40 – Ashby Donald et autres / France und die Anmerkung dazu von Hoeren, MMR 2013, 797. 17 Oliver and Stothers bezeichnen die Eigentumsfreiheit (nicht nur in der Rechtsprechung des EuGH, sondern auch in anderen Rechtsordnungen) treffend als „‚relative‘ par excellence“, Oliver and Stothers, CML Rev. 2017, 517 (519). 18 Vgl. beispielhaft: EuGH, Urt. v. 29. 01. 2008 – C-275/06, ECLI:EU:C:2008:54 Rn. 62–68 – Promusicae; EuGH, Urt. v. 24. 11. 2011 – C-70/10, ECLI:EU:C:2011:771 Rn. 44–46 – Scarlet Extended; EuGH, Urt. v. 16. 02. 2012 – C-360/10, ECLI:EU:C:2012:85 Rn. 42–44 – SABAM; EuGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – C-314/12, ECLI:EU:C:2014:192 Rn. 46, 63 – UPC Telekabel Wien; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 53, 57, 67, 70 – Funke Medien NRW. 19 Die kasuistische Methodik des EuGH betrifft nicht nur den grundrechtlichen Schutz des Urheberrechts, sondern Art. 17 GRCh als solchen, kritisch: Stern / Sachs / Vosgerau, GRCh, Art. 17 Rn. 29–31. 20 EuGH, Urt. v. 24. 11. 2011 – C-70/10, ECLI:EU:C:2011:771 Rn. 49–53 – Scarlet Extended. 21 EuGH, Urt. v. 16. 02. 2012 – C-360/10, ECLI:EU:C:2012:85 Rn. 41–51 – SABAM. 22 EuGH, Urt. v. 27. 03. 2014  – C-314/12, ECLI:EU:C:2014:192 Rn. 62  – UPC Telekabel Wien; EuGH, Urt. v. 15. 09. 2016 – C-484/14, ECLI:EU:C:2016:689 Rn. 95 – Mc Fadden. 23 EuGH, Urt. v. 09. 02. 2012 – C-277/10, ECLI:EU:C:2012:65 Rn. 99 – Luksan. 24 EuGH, Urt. v. 27. 03. 2014 – C-314/12, ECLI:EU:C:2014:192 Rn. 63 – UPC Telekabel Wien.

258

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

Art. 7 GRCh die Feststellung einer behaupteten Urheberrechtsverletzung und die Identifizierung des Täters unmöglich mache.25 Oder der Urheber beim Einstellen seines Werkes auf einer neuen Webseite nicht seine Rechte aus Art. 3 Abs. 1 Info­ Soc-RL geltend machen könnte.26 Auch in jüngeren Entscheidungen bekräftigte der EuGH das Konzept des angemessenen Gleichgewichts und erklärte darüber hinaus, dass die Ausnahmetatbestände des Urheberrechts ihrerseits Grundrechtspositionen der Nutzer konkretisieren würden.27 cc) Einschränkbarkeit von Art. 17 Abs. 2 GRCh Da der Schutz des geistigen Eigentums gem. Art. 17 Abs. 2 GRCh nach der Begründung der Charta dem des Sacheigentums nach Art. 17 Abs. 1 GRCh entsprechen soll,28 sind für die Einschränkbarkeit des eigentumsgrundrechtlichen Urheberrechtsschutzes die Schranken des Art. 17 Abs. 1 GRCh anzuwenden. Dort sind zwei Eingriffsformen vorgesehen: Der Entzug des Eigentums nach Art. 17 Abs. 1 S. 2 GRCh (1) und die Nutzungsbeschränkung des Eigentums nach Art. 17 Abs. 1 S. 3 GRCh (2). Zusätzlich zu den speziellen Vorgaben müssen die Beschränkungen des unionsrechtlichen Eigentumsschutzes auch die Voraussetzungen des Art. 52 Abs. 1 GRCh erfüllen (3). (1) Anforderungen der Charta an einen Eigentumsentzug nach Art. 17 Abs. 1 S. 2 GRCh Gem. Art. 17 Abs. 1 S. 2 GRCh ist ein Eigentumsentzug nur zulässig, wenn er durch Gesetz erfolgt, dem öffentlichen Interesse dient und eine rechtzeitige angemessene Entschädigung erbracht wird. Dieser Dreiklang entspricht den Enteignungsvoraussetzungen von Art. 1 Abs. 1 S. 2 EMRKZusProt und den Enteignungsvoraussetzungen der überwiegenden Anzahl der mitgliedstaatlichen Verfassungen.29 Da die Zuweisung der Verwertungsrechte an einen anderen als den Urheber nach der Auffassung des EuGH eine Enteignung darstellt, wäre sie folglich nur unter den Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 S. 2 GRCh zulässig. Die Schrankenregelungen in Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 InfoSoc-RL stellen hingegen keine Enteignungen dar, sodass sie nicht an Art. 17 Abs. 1 S. 2 GRCh zu messen sind.

25

EuGH, Urt. v. 18. 10. 2018 – C-149/17, ECLI:EU:C:2018:841 Rn. 51 – Bastei Lübbe. EuGH, Urt. v. 07. 08. 2018 – C-161/17, ECLI:EU:C:2018:634 Rn. 41 – Renckhoff. 27 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 70–71 Funke Medien NRW; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 54–55 – Spiegel Online. 28 Vgl. Fn. 3. 29 Heselhaus / Nowak / Heselhaus, EU-Grundrechte-HdB, § 36 Rn. 64 m. w. N. 26

I. Schutz des Urheberrechts nach Grundrechtecharta und Grundgesetz  

259

(2) Anforderungen der Charta an Nutzungsbeschränkungen des Eigentums nach Art. 17 Abs. 1 S. 3 GRCh Die Regelung einer Nutzungsbeschränkung setzt nach Art. 17 Abs. 1 S. 3 GRCh eine gesetzliche Grundlage voraus und muss für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich sein. Das Wohl der Allgemeinheit erfasst in Einklang mit der EMRK und dem Recht der Mitgliedstaaten nicht nur öffentliche, sondern auch individuell-­ primärrechtlich garantierte Interessen anderer, wie zum Beispiel kollidierende Grundrechtspositionen.30 Insbesondere die Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts stellen Nutzungsbeschränkungen des geistigen Eigentums dar, sodass sie die Vorgaben des Art. 17 Abs. 1 S. 3 GRCh erfüllen müssen. Sie müssen somit zum Wohl der Allgemeinheit und damit insbesondere zum Schutz einer mit dem Eigentum kollidierenden Grundrechtsposition wie der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh erforderlich sein. (3) Allgemeine Vorgaben des Art. 52 Abs. 1 GRCh an Grundrechtsbeschränkungen Neben den in Art. 17 Abs. 1 GRCh geregelten Schranken sind bei Eingriffen in die Eigentumsfreiheit auch die allgemeinen Vorgaben des Art. 52 Abs. 1 GRCh zu beachten, namentlich die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Grundlage, die Verhältnismäßigkeit und der Wesensgehalt.31 Somit fungiert Art. 52 Abs. 1 GRCh als Schranken-Schranke.32 Auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung findet sich in der EMRK und dem mitgliedstaatlichen Recht wieder.33 Allerdings enthält die EMRK keinen ausdrücklichen Hinweis auf den Schutz des Wesensgehalts der Eigentumsfreiheit oder der Grundrechte im Allgemeinen.34 Dies kann jedoch keine Auswirkung auf die Gewährleistung der Wesensgehaltgarantie nach Art. 52 Abs. 1 S. 1 haben, da die EMRK nur eine Mindestvorgabe an den Grundrechtsschutz darstellt.35 Den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Wesens 30

Heselhaus / Nowak / Heselhaus, EU-Grundrechte-HdB, § 36 Rn. 76 m. w. N. Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 04. 1998 – C-200/96, ECLI:EU:C:1998:172 Rn. 21 – Metronome Musik; Heselhaus / Nowak / Heselhaus, EU-Grundrechte-HdB, § 36 Rn. 72. Vgl. für nähere Ausführungen zu der Bedeutung der Verhältnismäßigkeit und des Wesensgehalts für die Eigentumsbeschränkungen, a. a. O.: Rn. 77–85. 32 So auch die Überschrift des betreffenden Abschnitts in: Calliess / Ruffert / Kingreen, EUV / A EUV, EU-GRCharta Art. 52, Rn. 64–72. 33 Heselhaus / Nowak / Heselhaus, EU-Grundrechte-HdB, § 36 Rn. 77 m. w. N. 34 Auf die Wesensgehaltsgarantie verweist der EGMR nur bei Grundrechten, denen es an einem ausdrücklichen Schrankenvorbehalt fehlt, Grabenwerter / Pabel, EMRK, § 18 Rn. 15 m. w. N. 35 Aus demselben Grund muss auch die in der EMRK vorgesehene dritte Eingriffsmöglichkeit nicht in das deutsche und europäische Verfassungsrecht übertragen werden, Heselhaus / Nowak / Heselhaus, EU-Grundrechte-HdB, § 36 Rn. 31–33. 31

260

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

gehaltsgarantie hat der EuGH auch schon in urheberrechtlichen Streitigkeiten herangezogen.36 b) Unklarheit über den grundrechtlichen Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts An Äußerungen des EuGH zu dem unionsgrundrechtlichen Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts fehlt es bislang.37 Dies ist darauf zurückzuführen, dass eine Harmonisierung des Urheberpersönlichkeitsrechtes noch nicht erfolgt ist. c) Bislang ausschließlich eigentumsgrundrechtlicher Schutz des Urheberrechts Den Schutz des Urheberrechts durch andere Grundrechte wie die Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh hat der Gerichtshof bisher nicht in Erwägung gezogen.38 Jedoch scheint eine kumulative Anwendung von Art. 17 Abs. 2 GRCh neben anderen Grundrechten grundsätzlich möglich.39 d) Unionsrechtlicher Grundrechtsschutz des Urheberrechts außerhalb der Charta Neben dem Grundrechtsschutz aus Art. 17 Abs. 2 GRCh sind gem. Art. 6 Abs. 3 EUV die Unionsgrundrechte zu beachten, die bereits vor Inkrafttreten der Charta als allgemeine Rechtsgrundsätze Geltung beanspruchten. Allerdings treten die Grundrechte in Form der allgemeinen Rechtsgrundsätze zurück, soweit ihr Gehalt von der Charta erfasst wird.40 Zudem können bei der Auslegung der Charta gem. Art. 52 Abs. 2 und Abs. 3 GRCh die EMRK und die mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen zu berücksichtigen sein, soweit die jeweiligen Grundrechte ihnen entsprechen oder sich aus ihnen ergeben.

36

Für die Wesensgehaltsgarantie s.: EuGH, Urt. v. 26. 04. 2012  – C-510/10, ECLI:EU:C: 2012:244 Rn. 57 – DR und TV2 Danmark. 37 Zu der Schutzmöglichkeit des Urheberpersönlichkeitsrechts bereits durch Art. 17 Abs. 2 GRCh: Ubertazzi, GRUR Int. 2018, 110 (115). Geiger schlägt vor, die „moral interests“ ausdrücklich in der Charta zu normieren, Implementing Intellectual Property, S. 39–33. 38 So allerdings der Vorschlag von Geiger, in: Human Rights and Intellectual Property, S. 687. 39 Heselhaus / Nowak / Heselhaus, EU-Grundrechte-HdB, § 36 Rn. 86. 40 Streinz / Streinz, EUV, Art. 6 Rn. 35 m. w. N.

I. Schutz des Urheberrechts nach Grundrechtecharta und Grundgesetz  

261

Aus den genannten Rechtsquellen lässt sich allerdings kein eigentumsgrundrechtlicher Schutzgehalt entnehmen, welcher von der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zum Schutz des Urhebers nach Art. 17 Abs. 2 GRCh abweicht,41 sodass eine Erörterung ihren Inhaltes an dieser Stelle unterbleibt. e) Fazit zum Grundrechtsschutz des Urheberrechts nach der Charta Der Grundrechtsschutz des Urheberrechts ergibt sich aus Art. 17 Abs. 2 GRCh. Andere Grundrechte zog der EuGH nicht heran und tätigte – insbesondere auch mangels Harmonisierung des Urheberpersönlichkeitsrechts – ausschließlich Aussagen zum eigentumsgrundrechtlichen Schutz des Urheberrechts. Dabei orientiert er sich stark an der Rechtsprechung des EGMR. Art. 17 Abs. 2 GRCh schützt das Urheberrecht nicht absolut, vielmehr ergeben sich die Grenzen der Befugnisse aus den kollidierenden Interessen Dritter. Ein angemessener Ausgleich mit ihnen ist für die Reichweite des grundrechtlichen Schutzes des Urheberrechts zentral. Allerdings stellte der EuGH auch fest, dass die Verwertungsrechte dem Urheber zugewiesen sein müssen, da eine Verwehrung dieser Rechte einem Eigentumsentzug gleichstünde. Weitere spezifische Leitlinien oder Grundsätze, die dem Grundrechtsschutz des Urheberrechts Konturen verleihen können, wie zum Beispiel konkrete Anforderungen an die Beeinträchtigung der Verwertungsrechte, sind der Rechtsprechung des EuGH bislang nicht zu entnehmen. Allerdings ist festzuhalten, dass die Schrankenregelungen als Nutzungsbeschränkungen des Eigentums an Art. 17 Abs. 1 S. 3 GRCh zu messen sind. Somit müssen sie dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Dieses umfasst auch den Schutz individueller Grundrechtspositionen wie der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh.

2. Schutz des Urheberrechts durch das Grundgesetz Für den grundgesetzlichen Schutz des Urhebers sind die Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG (a), das Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG (b)  und die Kunstfreiheit im Sinne von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG (c)  in Betracht zu ziehen. Nachdem die Bedeutung der einzelnen Grundrechte für den Schutz des Urheberrechts ermittelt wurde, erfolgt ein Fazit (d).

41

Vgl. dazu Heselhaus / Nowak / Heselhaus, EU-Grundrechte-HdB, § 36 Rn. 14–23.

262

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

a) Schutz des Urheberrechts nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG In der Entscheidung Kirchen- und Schulgebrauch von 1967 stellte das BVerfG erstmalig fest, dass das Urheberrecht als Nutzungsrecht Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG darstellt.42 Die dort erfolgten Aussagen sind immer noch maßgeblich für das Verständnis des grundrechtlichen Schutzes durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und haben sich zur ständigen Rechtsprechung entwickelt. Danach umfasst der grundrechtliche Schutz des Urheberrechts insbesondere die grundsätzliche Zuordnung des vermögenwerten Ergebnisses zum Urheber (aa). Für den Grundrechtsschutz des Urheberrechts ist weiterhin zu berücksichtigen, dass Art. 14 GG ein normgeprägtes Grundrecht darstellt, sodass der konkrete Gewährleistungs­ gehalt durch den Gesetzgeber bestimmt wird (bb). Zudem ist eine vergütungsfreie Nutzung von Werken aufgrund des eigentumsgrundrechtlichen Schutzes nur bei einem gesteigerten öffentlichen Interesse verfassungskonform (cc). Aus der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich weiterhin, dass der Schutz des Urheberrechts nach Art. 14 Abs. 1 GG auch gegenüber neuen Nutzungsformen zu beachten und ggf. durch eine entsprechende Auslegung bestehender Regelungen zu berücksichtigen ist (dd). Eine grundsätzlich enge Auslegung der Schranken ergibt sich aus dem eigentumsgrundrechtlichen Schutz des Urheberrechts nicht (ee). aa) Erforderlichkeit der grundsätzlichen Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses zum Urheber aufgrund von Art. 14 Abs. 1 GG Nach Auffassung des BVerfG sei konstituierendes Merkmal des Urheberrechts als Eigentum die grundsätzliche Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses der schöpferischen Leistung an den Urheber im Wege privatrechtlicher Normierung und seine Freiheit, in eigener Verantwortung darüber verfügen zu können.43 Allerdings folge aus der grundsätzlichen Zuordnung des wirtschaftlichen Wertes nicht, dass „jede nur denkbare Verwertungsmöglichkeit verfassungsrechtlich gesichert sei.“44 Vielmehr gewähre die Eigentumsgarantie lediglich einen Grundbestand an Normen, der gegeben sein muss, damit das Urheberrecht als „Privateigentum“ bezeichnet werden könne.45

42

BVerfGE 31, 229 (1. LS, 238–239) – Kirchen- und Schulgebrauch. BVerfGE 31, 229 (240–241) – Kirchen- und Schulgebrauch; vgl. auch BVerfGE 49, 382 (394) – Kirchenmusik; BVerfGE 79, 29 (40) – Vollzugsanstalten. 44 BVerfGE 31, 229 (241) – Kirchen- und Schulgebrauch. 45 BVerfGE 31, 229 (241) – Kirchen- und Schulgebrauch. 43

I. Schutz des Urheberrechts nach Grundrechtecharta und Grundgesetz  

263

bb) Bestimmung des konkreten grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Urheberrechts durch den Gesetzgeber Da es sich bei Art. 14 GG um ein normgeprägtes Grundrecht handelt, kommt der Legislativen bei der Bestimmung von dessen Inhalt und Reichweite eine zentrale Rolle zu. Wie beim Sacheigentum auch muss der an das Grundgesetz gebundene Gesetzgeber das Urheberrecht durch die Rechtsordnung ausgestalten, indem er dessen Inhalt und Schranken festlegt, Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG.46 Dabei hat er „eine der Natur und der sozialen Bedeutung des Rechts entsprechende Nutzung und angemessene Verwertung sicher[zu]stellen“47 und die untrennbare Verbindung der vermögensrechtlichen Seite zu der persönlich-geistigen Schöpfung (vgl. § 2 Abs. 2 UrhG) zu berücksichtigen48. Nach der Äußerung des BVerfG in der Entscheidung Kirchenund Schulgebrauch genieße allein der auf diesem Wege durch den Gesetzgeber bestimmte Inhalt des Urheberrechts, der mit den anderen Vorschriften der Verfassung in Einklang steht, verfassungsrechtlichen Schutz nach Art. 14 Abs. 1 GG.49 Daraus folge, dass eine einfachgesetzliche Neuregelung per se nicht in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG eingreife50 und der Ausschluss eines Verbotsrechts keine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG darstelle.51 Die vom Sacheigentum abweichende Bewertung, bei der eine vom Staat angeordnete unentgeltliche Nutzungsmöglichkeit des Eigentums durch Dritte als Entzug an den Maßstäben des Art. 14 Abs. 3 GG gemessen werden müsste, sei wegen der tatsächlichen Unterschiede gerechtfertigt.52 Solange sich der Gesetzgeber im Rahmen der Vorgaben des Art. 14 Abs. 1 GG bewegt, d. h. insbesondere das vermögenswerte Ergebnis des Werkes grundsätzlich dem Urheber zuordnet, ist er in der Art der Regulierung frei. Er kann bei der Ausgestaltung sowohl Generalklauseln als auch unbestimmte Rechtsbegriffe nutzen, soweit dies nicht zu einer Übertragung seiner gesetzgeberische Einschätzungsprärogative auf die Judikative oder Exekutive führt.53

46

BVerfGE 31, 229 (240) – Kirchen- und Schulgebrauch. BVerfGE 31, 229 (241) – Kirchen- und Schulgebrauch. 48 BVerfGE 31, 229 (239–240) – Kirchen- und Schulgebrauch. 49 BVerfGE 31, 229 (240) – Kirchen- und Schulgebrauch mit Verweis auf BVerfGE 24, 367 (396). Widersprüchlich dazu scheint allerdings die spätere Aussage des BVerfG in BVerfGE 49, 382 (392) – Kirchenmusik, dass nicht nur die im UrhG einzeln normierten Vermögensrechte, sondern das potenzielle Verfügungs- und Verwertungsrecht verfassungsrechtlich geschützt seien. Zugleich verdient diese Aussage Zuspruch, denn ansonsten könnte der Gesetzgeber die Reichweite seiner grundrechtlichen Schutzpflicht selbst definieren und eine verfassungsrechtlich aufgegebene Schutzpflicht des Gesetzgebers wäre zu verneinen, Rassow, Staatliche Schutzpflichten für geistiges Eigentum, S. 74 m. w. N. Näher zu diesem Problem: Rassow, a. a. O., S. 72–74; Di Fabio, Urheberrecht und Kunstfreiheit, S. 55–56. 50 BVerfGE 79, 29 (46) – Vollzugsanstalten. 51 Vgl. BVerfGE 49, 382 (393) – Kirchenmusik. 52 BVerfGE 79, 29 (41–42) – Vollzugsanstalten. 53 Vgl. Rassow, Staatliche Schutzpflichten für geistiges Eigentum, S. 122–123 m. w. N. 47

264

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

cc) Vergütungsfreie Nutzung der Urheberrechte nur bei gesteigertem öffentlichem Interesse Nach Auffassung des BVerfG überschreitet der Gesetzgeber allerdings seinen Gestaltungsspielraum und verletzt die Eigentumsgarantie, wenn er eine vergütungsfreie Schrankenregelung aufgrund eines einfachen öffentlichen Interesses einführt.54 Zwar tritt das Werk mit der Veröffentlichung in den gesellschaftlichen Raum, sodass es nicht mehr allein seinem Urheber zur Verfügung steht,55 sondern Teil des Zeitgeists und damit des Allgemeinguts wird.56 Jedoch könne der Sozialbindung des Urheberrechts bereits durch den Ausschluss des Verbotsrechts hinsichtlich bestimmter Nutzungshandlungen ausreichend Rechnung getragen werden, sodass eine Nutzung erlaubnis- aber nicht vergütungsfrei ist.57 Eine vergütungsfreie Nutzung stünde nur mit dem verfassungsrechtlichen Gewährleistungsgehalt des Eigentumsgrundrechts in Einklang, wenn ein gesteigertes öffentliches Interesse an der vergütungsfreien Nutzung bestehe.58 Dies nahm das BVerfG aufgrund des hohen Gemeinwohlbezugs zum Beispiel bei der Werknutzung innerhalb von Haftanstalten,59 nicht aber bei der Nutzung zu kirchlichen Zwecken60 an.61 Maßgeblich für die Verfassungsmäßigkeit einer vergütungsfreien Schrankenregelung ist zudem die Höhe des wirtschaftlichen Wertes, die dem Urheber dadurch vorenthalten wird.62 Bei der Festlegung der Vergütungssätze für eine gesetzlich erlaubte, aber vergütungspflichtige Werknutzung, hat der Gesetzgeber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem Gleichheitssatz und der Praktikabilität Rechnung zu tragen. Auch die Verhaltenssteuerung kann ein legitimes gesetzgeberisches Anliegen sein. Insgesamt belässt die Verfassung der Legislativen jedoch einen weiten Entscheidungsspielraum.63 54

BVerfGE 31, 229 (243–244)  – Kirchen- und Schulgebrauch. Insbesondere kann diese nicht mit einer Dankeschuld der Urheber gegenüber der Allgemeinheit begründet werden. Vielmehr bauen alle schöpferischen und geistigen Tätigkeiten auf dem bestehenden Kulturgut auf. Eine Sonderbehandlung des Eigentumsrechst der Urheber sei somit nicht geboten, a. a. O. (246). 55 BVerfGE 31, 229 (242) – Kirchen- und Schulgebrauch; BVerfGE 49, 382 (394) – Kirchenmusik; BVerfGE 79, 29 (42) – Vollzugsanstalten. 56 BVerfGE 58, 137 (148–149) – Pflichtexemplar; BVerfGE 79, 29 (42) – Vollzugsanstalten. 57 BVerfGE 31, 229 (244) – Kirchen- und Schulgebrauch; BVerfGE 49, 382, (401) – Kirchen­ musik. 58 BVerfGE 31, 229 (243)  – Kirchen- und Schulgebrauch. Bestätigt in BVerfGE 49, 382 (400) – Kirchenmusik; BVerfGE 79, 29 (41) – Vollzugsanstalten. Auch wenn die Anforderungen an eine gesetzlich zulässige vergütungspflichtige Nutzung damit geringer sind als an eine vergütungsfreie Nutzung, bedeutet dies nicht, „dass der Gesetzgeber das Verfügungsrecht aufgrund jedweden staatlichen oder politischen Interesses entziehen darf.“, BVerfGE 79, 29 (41) – Vollzugsanstalten. 59 BVerfGE 79, 29 (41) – Vollzugsanstalten. 60 BVerfGE 49, 382 (400) – Kirchenmusik. 61 Für weiter Beispiele s. Paulus, FS 50 Jahre, S. 55 (59) Fn. 30. 62 BVerfGE 79, 29 (37) – Vollzugsanstalten. 63 BVerfGE 79, 1 (27–28) – Leerkassette m. w. N.

I. Schutz des Urheberrechts nach Grundrechtecharta und Grundgesetz  

265

dd) Durchsetzung des Urheberrechts auch gegenüber digitalen Nutzungen Die Fachgerichte müssen bei der Auslegung und Anwendung des Rechts berücksichtigen, dass auch neue, mit dem technologischen Fortschritt im Zusammenhang stehende Nutzungsarten sich an Art. 14 Abs. 1 GG messen lassen müssen. Daher haben sie durch die Alterung des Gesetzes entstehende Schutzlücken durch eine entsprechende Auslegung zu schließen.64 Konkret führt dies dazu, dass der BGH die Vergütungspflicht veralteter Schrankenregelungen auch auf digitale Nutzungen erstrecken muss.65 ee) Keine grundsätzlich enge Auslegung der Schrankenregelung aufgrund von Art. 14 Abs. 1 GG Nach Ansicht des BVerfG determiniere Art. 14 Abs. 1 GG die Auslegung und Anwendung urheberrechtlicher Vorschriften nicht. Vielmehr sei die grundrechtliche Ausstrahlungswirkung zugunsten aller am Privatrechtsstreit beteiligten Parteien zu beachten und in Ausgleich zu bringen.66 Daher gebiete Art. 14 Abs. 1 GG auch keine grundsätzlich enge Auslegung der Schrankenregelungen.67 Die Relevanz widerstreitender Grundrechtspositionen für die Reichweite und Relativität des urheberrechtlichen Schutzes aus Art. 14 Abs. 1 GG wird auch in einer jüngeren Entscheidung des BVerfG deutlich: Wiegen die Beeinträchtigungen anderer Grundrechte wie die der Kunstfreiheit stärker, muss das Eigentumsgrundrecht zurücktreten.68 b) Schutz des Urheberrechts durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG In der Rechtsprechung des BVerfG fehlt es an eindeutigen Aussagen zu dem verfassungsrechtlichen Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. In der Entscheidung Kirchen- und Schulgebrauch ließ 64

Vgl. BVerfG GRUR 2010, 999 (1002) – Drucker und Plotter I m. w. N.; BVerfG GRUR 2011, 223 Rn. 22 m. w. N. 65 Vgl. BVerfG GRUR 2010, 999 (1002) – Drucker und Plotter I; BVerfG GRUR 2011, 223 Rn. 17–22 – Drucker und Plotter II. Daneben besteht für den Gesetzgeber eine parallel verlaufende Pflicht zur Beobachtung und Aktualisierung des Eigentumsschutzes: Di Fabio, Urheberrecht und Kunstfreiheit, S. 55. 66 BVerfG GRUR 2011, 223 Rn. 19 – Drucker und Plotter II m. w. N. 67 Vgl. BVerfG GRUR 2012, 389 Rn. 17 – Kunstausstellung im Online-Archiv. 68 Vgl. dazu BVerfGE 142, 74 Rn. 90, 108 – Metall auf Metall. Dort stand allerdings nicht das Urheberrecht im engeren Sinne, sondern das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers der Kunstfreiheit gegenüber. Allerdings hat das BVerfG die Aussagen des grundrechtlichen Schutzes des Urhebers aus Art. 14 Abs. 1 GG auf die Inhaber verwandter Schutzrechte übertragen, a. a. O. Rn. 87, sodass sich auch andersherum Rückschlüsse erlauben.

266

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

es offen, „welche Grundrechtsnormen für die geistig-persönlichen Beziehungen des Urhebers zu seinem Werk maßgeblich sind.“69 Trotzdem geht die herrschende Meinung in der Literatur davon aus, dass das Urheberpersönlichkeitsrecht zumindest teilweise70 durch das verfassungsrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt ist.71Auch in der Rechtsprechung des BGH lässt sich eine entsprechende Tendenz erkennen.72 Bei dem Urheberpersönlichkeitsrecht selbst handelt es sich um ein rein zivilrechtliches Konstrukt.73 Der verfassungsrechtliche Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts über das allgemeine Persönlichkeitsrecht erfasst die persönlichen Interessen des Urhebers hinsichtlich des Umgangs mit dem Werk, nicht aber das Werk als solches.74Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG kann daher zum Beispiel das Interesse des Urhebers vor einer Entstellung des Werkes schützen, wenn diese zugleich seine Persönlichkeit beeinträchtigen würde.75 Allerdings könne nach Auffassung des BGH auch die Vernichtung des Werkes das zivilrechtliche Urheberpersönlichkeitsrecht in besonderer Weise beeinträchtigen, weil dadurch die Fortwirkung des Ausdrucks der Persönlichkeit vereitelt oder erschwert und das geistige Band zwischen Werk und Autor getrennt werde.76 Würde man dies auf die grundrechtliche Ebene übertragen, könnte das Werk als solches faktisch weitestgehend durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Schutz genießen. Jedenfalls vervollständigt Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG den verfassungsrechtlichen Schutz des Urheberrechts. Denn Art. 14 Abs. 1 GG intendiert nicht den Schutz der ideellen Interessen des Urhebers, die auf seiner besonderen

69

BVerfGE 31, 229 (238) – Kirchen- und Schulgebrauch. So Robl, Einfluss des EGMR, S. 85 m. w. N.; s. dazu die differenzierte Verortung urheberpersönlichkeitsrechtlicher Befugnisse zum verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutz bei Metzger, Droit moral, S. 77–79. 71 Isensee / K irchhof / Paulus, HStR XI, § 247 Rn. 5, 11; Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 263; Wandtke, Urheberrecht, S. 89; Di Fabio, Urheberrecht und Kunstfreiheit, S. 31, 42, 48 m. w. N.; Metzger, Droit moral, S. 75; Fischer, Digitale Kunst und freie Benutzung, S. 213. 72 Vgl. BGHZ 13, 334 (339) – Leserbrief; vgl. BGH GRUR 2020, 853 Rn. 54 und 1. LS – Afghanistan Papiere II; BGH GRUR 2020, 859 Rn. 66 – Reformistischer Aufbruch II. Jedenfalls ist das Urheberpersönlichkeitsrecht als Teil des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts anerkannt: BGH GRUR 1971, 525 (526) – Petite Jaqueline. 73 Robl, Einfluss des EGMR, S. 85 m. w. N.; vgl. dazu auch Metzger, Droit moral, S. 74–75. Zum Verhältnis des (zivilrechtlichen) allgemeinen Persönlichkeitsrechts und dem Urheberpersönlichkeitsrecht s. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 48–50. 74 Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 270; Di Fabio, Urheberrecht und Kunstfreiheit, S. 48 m. w. N. 75 Di Fabio, Urheberrecht und Kunstfreiheit, S. 48 m. w. N.; s. dazu Metzger, Droit Moral, S. 78–79 m. w. N., der hervorhebt, dass § 14 UrhG nicht immer vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst ist. 76 BGHZ 221, 181 Rn. 33 – HHole (for Mannheim) m. w. N. 70

I. Schutz des Urheberrechts nach Grundrechtecharta und Grundgesetz  

267

Beziehung zum Werk beruhen.77 Das Urheberpersönlichkeitsrecht ist jedoch (wohl) unbestritten78 fester Bestandteil des Urheberrechts und es bestehen keine Anhaltspunkte die für einen  – gegenüber der vermögensrechtlichen Seite  – geringeren grundrechtlichen Schutz sprechen würden. c) Schutz des Urheberrechts nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Das BVerfG hat die Möglichkeit eines grundrechtlichen Schutzes der verwertungsrechtlichen Bestandteile des Urheberrechts durch die Kunstfreiheit in seiner berühmten Kirchen- und Schulgebrauch-Entscheidung grundsätzlich abgelehnt.79 Im konkreten Fall begründete es dies damit, dass die Regelung des § 46 UrhG nicht die künstlerische Tätigkeit und die Möglichkeit der Veröffentlichung berühre, sodass der Schutzbereich der Kunstfreiheit nicht eröffnet sein könne.80 Es ließ allerdings offen, ob Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eingreife, wenn die wirtschaftliche Auswertung eines Werkes derart beschränkt würde, dass die freie künstlerische Betätigung praktisch nicht mehr möglich wäre.81 Eine eigenständige Bedeutung der Kunstfreiheit bei der Bewertung verwertungsrechtlicher Regelungen scheint somit möglich, wenn diese auf den Werkbereich zurückwirken.82 Ebenso traf das BVerfG keine abschließende Aussage zu der Möglichkeit eines Schutzes durch die Kunstfreiheit im Anwendungsbereich von Regelungen, die nicht den verwertungsrechtlichen Interessen dienen. In den folgenden Entscheidungen des BVerfG ist die Frage nach dem Schutz des Urheberrechts durch die Kunstfreiheit nicht ernsthaft aufgegriffen worden. Vielmehr verweist das BVerfG schlicht auf seine früheren Ausführungen, nach denen Art. 5 Abs. 3 GG als Prüfungsnorm für verwertungsrechtliche Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes ausscheide.83 Grund für die fehlende Auseinandersetzung des Gerichts mit diesem Aspekt des grundrecht­lichen Schutzes ist wohl auch, dass das Gericht bisher fast ausschließlich mit Verfahren beschäftigt war, die die verwertungsrechtlichen Interessen der Urheber betrafen.

77

Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 193–194 m. w. N. Allerdings ist eine strikte Trennung des grundrechtlichen Schutzes nicht bei allen Vorschriften des Urheberrechts möglich. So können Regelungen sowohl dem persönlichkeitsrechtlichen Interesse als auch dem verwertungsrechtlichen Interesse des Urhebers dienen, vgl. dazu Metzger, Droit Moral, S. 75. 78 Vgl. beispielhaft: Schricker / Loewenheim / Peukert, UrhG, Vorbem. § 12 Rn. 6; vgl. ­Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, S. 4–5, 259–260; vgl. Wandtke, Urheberrecht, S. 89; Wandtke /  Bullinger / Bullinger, UrhR, Vor §§ 12 ff. Rn. 4. 79 BVerfGE 31, 229 (238) – Kirchen- und Schulgebrauch. So auch Fechner, der argumentiert, dass auch im Rahmen künstlerischer Arbeit nicht jede Verwertungshandlung zwangsläufig von der Kunstfreiheit gedeckt sei, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 196. 80 BVerfGE 31, 229 (239) Kirchen- und Schulgebrauch. 81 BVerfGE 32, 229 (240) – Kirchen- und Schulgebrauch. 82 Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 197, nimmt dies an. Dazu auch: Di ­Fabio, Urheberrecht und Kunstfreiheit, S. 44. 83 BVerfGE 49, 382 (392) – Kirchenmusik.

268

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

Dort liegt zumindest ein Vorrang von Art. 14 Abs. 1 GG gegenüber Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG aufgrund der Spezialität des Eigentumsschutzes nahe.84 Mit dem verfassungsrechtlichen Gehalt der Urheberpersönlichkeitsrechte, bei der eine Berufung auf die Kunstfreiheit plausibler erscheint, musste sich das BVerfG bisher nicht auseinandersetzen. Dort könnte der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG neben Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG greifen.85 d) Fazit zum Schutz des Urheberrechts nach dem Grundgesetz Die deutsche Rechtsprechung und Literatur verstehen das Urheberrecht primär als vermögensrechtliche Position, die grundrechtlich nach Art. 14 Abs. 1 GG Schutz genießt.86 Dieser Schutz wird durch das verfassungsrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ergänzt, welches die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen umfasst.87 Zudem wird es sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur für möglich gehalten, dass in Ausnahmefällen auch die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG dem Urheber Schutz gewähren kann. Im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG ist dies nach der hier vertretenen Auffassung allerdings nur möglich, wenn ein primär vermögensrechtlicher Eingriff die Interessen des Urhebers so stark beeinträchtigt, dass er auf den Werkbereich zurückwirkt.88 Die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG hat für das Urheberrecht keine eigenständige Bedeutung,89 sodass eine Erörterung unterblieb. Das Verständnis des Urheberrechts als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG führt dazu, dass es im Hinblick auf den Gestaltungsauftrag des Gesetzgebers besonders schutzbedürftig ist, da der Gesetzgeber den Inhalt des Eigentums einfachgesetzlich festlegt. Dabei hat er zu berücksichtigen, dass die Verwertungsbefugnis des Urhebers grundsätzlich bei diesem verbleiben muss und Eingriffe in das Verwertungsrecht höheren Anforderungen unterliegen, als Eingriffe in die Verfügungsbefugnis.

84

Einen Vorrang der Kunstfreiheit als spezielleres Grundrecht nahm auch der Bundesjustizminister in den Verfahren Kirchen- und Schulgebrauch sowie dem Verfahren Kirchenmusik an, BVerfGE 31, 229 (237) – Kirchen- und Schulgebrauch; BVerfGE 49, 382 (389). Dahm nimmt hingegen eine Idealkonkurrenz von Eigentumsgarantie und Kunstfreiheit an, Der Schutz des Urhebers durch die Kunstfreiheit, S. 175–179, 208. 85 Dahm nimmt an, dass der spezielle Persönlichkeitsschutz des Künstlers aus Art. 5 Abs. 3 GG dem Schutz aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vorgehe, Der Schutz des Urhebers durch die Kunstfreiheit, S. 175, 179, 208. 86 D. I. 2. a). 87 D. I. 2. b). 88 D. I. 2. c). 89 Vgl. dazu Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, S. 197.

I. Schutz des Urheberrechts nach Grundrechtecharta und Grundgesetz  

269

3. Vergleich des Schutzes des Urheberrechts durch die Grundrechtecharta und das Grundgesetz Der grundrechtliche Schutz des Urheberrechts nach der Charta und der grundrechtliche Schutz des Urheberrechts nach dem Grundgesetz weisen überwiegend Gemeinsamkeiten auf. Beide Rechtsordnungen verstehen das Urheberrecht primär als Eigentumsgrundrecht. Während sich die Zuordnung der verwertungsrechtlichen Interessen des Urhebers zu Art. 14 Abs. 1 GG der Rechtsprechung des BVerfG entnehmen lässt, ergibt sie sich auf europäischer Ebene bereits aus dem Wortlaut des Art. 17 Abs. 2 GRCh. Sowohl der EuGH als auch das BVerfG leiten aus dem eigentumsgrundrechtlichen Schutz ab, dass die Verwertungsrechte grundsätzlich dem Urheber zugewiesen sein müssen.90 Neben diesem Mindestbestand an Rechten ergibt sich der Gehalt des grundrechtlichen Schutzes im Wesentlichen aus einer Abwägung mit kollidierenden Grundrechten. Denn das Urheberrecht ist in seiner eigentumsgrundrechtlich geschützten Komponente unter den Voraussetzungen der Art. 17 Abs. 1 S. 2 und S. 3 und Art. 52 Abs. 1 GRCh sowie gem. Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 GG einschränkbar91. Somit stellten EuGH und BVerfG fest, dass der verfassungsrechtliche Schutz des Urhebers nicht absolut sein könne. Vielmehr muss nach Auffassung des EuGH ein „angemessenes Gleichgewicht“ und nach Auffassung des BVerfG eine praktische Konkordanz mit widerstreitenden Grundrechtspositionen hergestellt werden.92 Während das BVerfG durch die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einzelner Schrankenregelungen konkrete Leitlinien für die einfachgesetzliche Ausformung des Interessenausgleichs von Nutzern und Rechtsinhabern entwickelt hat,93 fehlt es in der Rechtsprechung des EuGH an vergleichbaren Maßstäben für die Gestaltung des Urheberrechts durch den Unionsgesetzgeber. Dies beruht wohl auch darauf, dass der EuGH sich mangels entsprechender Verfahren mit der grundsätzlichen Vereinbarkeit einzelner unionsrechtlicher Schrankenregelungen mit Art. 17 Abs. 2 GRCh bisher nicht beschäftigen musste. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Gültigkeit von Vorschriften des Schrankenkatalogs in Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 InfoSoc-RL hängt vermutlich auch mit dem Umset-

90

EuGH, Urt. v. 09. 02. 2012 – C-277/10, ECLI:EU:C:2012:65 Rn. 70–71 – Luksan; BVerfGE 31, 229 (240–241) – Kirchen- und Schulgebrauch; vgl. auch BVerfGE 49, 382 (394) – Kirchenmusik; BVerfGE 79, 29 (40) – Vollzugsanstalten. 91 Dabei handelt es sich bei den bestehenden urheberrechtlichen Schrankenregelungen des UrhG und den Vorschriften des UrhDaG um Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, für die Einordnung vgl. BVerfGE 49, 382 (393) – Kirchenmusik, s. auch: Fischer, Digitale Kunst und freie Benutzung, S. 213–214. 92 Für die Rechtsprechung des EuGH s. D. I. 1. a) bb); vgl. BVerfG GRUR 2011, 223 Rn. 16, 17, 19 – Drucker und Plotter II m. w. N. 93 Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist eine gesetzliche Schrankenregelung nur bei einem öffentlichen Interesse und eine vergütungsfreie Schrankenregelung nur bei einem gesteigerten öffentlichen Interesse zulässig, dazu D. I. 2. a) cc).

270

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

zungsspielraum zusammen, der den Mitgliedstaaten verbleibt: Denn zum einen ist die Einführung der Ausnahmen und Beschränkungen als solche fakultativ und zum anderen überlässt die InfoSoc-RL die Entscheidung über eine etwaige Vergütungspflicht bei ihrer Umsetzung den Mitgliedstaaten.94 Allerdings verlieh der EuGH der grundrechtlichen Dimension des Urheberrechts in einigen Vorabentscheidungsverfahren Konturen, in denen Art. 17 Abs. 2 GRCh mit den kollidierenden Interessen der Nutzer abgewogen werden musste. Die im Rahmen der Verfahren getroffenen Aussagen stehen im Einklang mit dem grundgesetzlichen Verständnis des urheberrechtlichen Schutzes. Insbesondere leiten sowohl EuGH als auch BVerfG aus der Eigentumsfreiheit keine grundsätzlich enge Auslegung der Schrankenregelungen ab.95 Festzuhalten ist jedoch, dass die deutsche Rechtsprechung im Vergleich zum EuGH bisher mehr Aspekte des Grundrechtsschutzes des Urhebers beleuchtet hat. Während zumindest wohl der BGH das Urheberpersönlichkeitsrecht unter grundrechtlichen Schutz gestellt hat und die Anwendbarkeit der Kunstfreiheit vom BVerfG grundsätzlich abgelehnt wurde, fehlen Aussagen des EuGH zu diesen Aspekten des Grundrechtsschutzes.96 Dennoch bestehen für einen „Solange-Fall“ aufgrund eines unzureichenden europäischen Grundrechtsschutz des Urheberrechts gegenwärtig keine Anhaltspunkte.97 Aufgrund des bisher übereinstimmenden grundsätzlichen Verständnisses scheint der Eintritt eines „Solange-Falls“ zugunsten des Urheberrechts auch in näherer Zukunft gering.

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz Nachdem bereits die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht untersucht wurden, die sich aus dem grundrechtlichen Schutz des Urheberrechts ergeben,98 sollen nun die Anforderungen beleuchtet werden, die aus dem kollidierenden Grundrecht der Kunstfreiheit folgen. Wie bereits zuvor werden auch hier zunächst die Vorgaben

94

Erwgr. 35 und 36 InfoSoc-RL. Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-469/17, ECLI:EU:C:2019:623 Rn. 70–71 Funke Medien NRW; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625 Rn. 54–55 – Spiegel Online; Eindeutiger allerdings: BVerfG GRUR 2012, 389 Rn. 17 – Kunstausstellung im Online-Archiv. 96 Allerdings ist das Urheberpersönlichkeitsrecht bisher auch nicht harmonisiert. Zudem verweist der EuGH im Rahmen der Rechtsanwendung auch häufiger auf das Sekundärrecht und die Erwägungsgründe. Dies ist auf seine Doppelfunktion als Verfassungs- und Fachgericht zurückzuführen. 97 Nach Di Fabio, besteht zwischen deutschem und europäischem Eigentumsschutz (des Urhebers) kein signifikanter Unterschied, Urheberrecht und Kunstfreiheit, S. 51. 98 D. I. 95

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

271

ermittelt, die sich aus dem unionsrechtlichen Schutz der Kunstfreiheit ergeben (1.). Im Anschluss wird der grundgesetzliche Schutzgehalt der Kunstfreiheit untersucht (2.). Schließlich findet ein Vergleich der beiden Gewährleistungsgehalte statt, um festzustellen, ob zugunsten der Kunstfreiheit ein „Solange-Fall“ im Urheberrecht möglich erscheint (3.).

1. Gewährleistung der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh Art. 13 S. 1 GRCh proklamiert die Freiheit der Kunst. Konkrete Anhaltspunkte für den Schutzbereich der Kunstfreiheit lassen sich der Charta hingegen nicht entnehmen. Auch in der Rechtsprechung des EuGH hat die Kunstfreiheit bisher keine bedeutende Rolle gespielt. Allein in dem Urteil Pelham u. a. hat er sich zur Kunstfreiheit und dessen Wirkung auf das Privatrecht geäußert.99 Da es die einzige Entscheidung ist, in der sich der EuGH zu dem Gehalt der Kunstfreiheit äußert und sie zugleich das Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und den Rechten des Tonträgerherstellers betrifft, wird das Urteil ausführlicher betrachtet (a). Denkbar ist, dass die Ausführungen des EuGH entsprechend auf das Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und dem Urheberrecht im engeren Sinne zu übertragen sind.100 Dennoch bleiben Fragen zum Gehalt des Art. 13 S. 1 GRCh offen. Daher ist für eine weitergehende Konturierung von Art. 13 S. 1 GRCh auf den Gehalt der EMRK und die Rechtsprechung des EGMR zurückzugreifen (b). Schließlich ist eine Zusammenschau des Urteils Pelham u. a. und dem Gehalt der Kunstfreiheit nach der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR erforderlich, um den Gehalt von Art. 13 S. 1 GRCh festzustellen (c). Abschließend ist ein Fazit zu Bedeutung und Inhalt der unionsrechtlichen Kunstfreiheit zu ziehen (d). a) Die Entscheidung Pelham u. a. In dem Urteil Pelham u. a. setzte sich der EuGH das erste und bisher einzige Mal ausdrücklich mit dem Gehalt der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh auseinander. Dem jahrzehntelangen Rechtsstreit liegt vereinfacht folgender Sachverhalt 99

In EuGH, Urt. v. 23. 10. 2003 – C-245/10, ECLI:EU:C:2003:580 – RTL Television, beriefen sich die Kläger zwar u. a. auch auf die Kunstfreiheit, der EuGH griff allerdings nur die Meinungsfreiheit im Sinne des Art. 10 Abs. 1 EMRK (zu diesem Zeitpunkt war die GRCh noch nicht in Kraft getreten) auf, a. a. O. Rn. 68. Zwar kann Art. 10 Abs. 1 EMRK auch die Freiheit der Kunst schützen, dazu traf der EuGH im angeführten Urteil jedoch keine Feststellungen. Generalanwalt Jacobs nannte die Kunstfreiheit zumindest explizit, zweifelte allerdings am Vorliegen eines Eingriffs und wertete ihn jedenfalls als gerechtfertigt, sodass nähere Ausführungen zum Schutzbereich unterblieben, GA Jacobs, Schlussanträge v. 22. 05. 2003 – C-245/01, ECLI:EU:C:2003:303 Rn. 38 – RTL Television. 100 Vgl. dazu GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 84–85 – Pelham u. a.

272

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

zugrunde: Moses Pelham sampelte zwei Sekunden eines Ausschnitts aus dem Song „Metall auf Metall“ der Band Kraftwerk. Die gesampelte Rhythmussequenz nutzte Pelham für die Schaffung eines neuen Songs („Nur mir“), indem er sie als sog. Loop in fortlaufender Wiederholung unterlegte. Die Mitglieder der Musikgruppe Kraftwerk beriefen sich darauf, dass ihr Leistungsschutzrecht als Tonträgerhersteller nach § 85 Abs. 1 S. 1 UrhG, Art. 2 lit. c) InfoSoc-RL durch die Nutzung Pelhams verletzt worden sei. Im Folgenden wird anhand des Urteils dargestellt, wie sich die Kunstfreiheit auf das Vervielfältigungsrecht (aa) und auf das Zitatrecht nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL (bb) auswirkt. Anschließend wird die Bedeutung des Urteils für die Kunstform des Sampling und die Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh bewertet (cc). Andere Aspekte des Urteils, insbesondere die Frage nach dem Vorliegen einer Kopie im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) Vermiet- und VerleihRichtlinie101 und die Vereinbarkeit von § 24 UrhG a. F. mit Unionsrecht bleiben mangels Bedeutung für den Gehalt von Art. 13 S. 1 GRCh außer Betracht. aa) Auswirkungen der Kunstfreiheit gem. Art. 13 S. 1 GRCh auf das Vervielfältigungsrecht Der EuGH stellte fest, dass grundsätzlich auch eine nur sehr kurze Vervielfältigung eines Audiofragments eine „teilweise“ Vervielfältigung des Tonträgers im Sinne von Art. 2 lit. c) der InfoSoc-RL darstelle und somit in das ausschließliche Recht des Tonträgerherstellers eingreife.102 Allerdings handle es sich nicht um eine „Vervielfältigung“ nach Art. 2 lit. c) InfoSoc-RL, wenn ein Nutzer in Ausübung der Kunstfreiheit einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt, „um es in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form103 in einem neuen Werk zu nutzen.“104 Würde man auch in solchen Fällen eine Vervielfältigung annehmen, würde dies nicht nur dem Sinn des Begriffs widersprechen, sondern auch das Erfordernis eines angemessenen Ausgleichs missachten.105 Denn das durch Art. 17 Abs. 2 GRCh geschützte Recht des geistigen Eigentums müsse gegen andere Grundrechte wie die durch Art. 13 GRCh garantierte Freiheit der Kunst abgewogen werden. Die Kunstfreiheit ermögliche es, „am öffentlichen Austausch von kulturellen, politischen und sozialen Informationen und Ideen aller Art teilzuhaben, weil sie zur Freiheit der Meinungsäußerung gehört, die durch Art. 11 der Charta und Art. 10 Abs. 1 der […] Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte

101

RL 2006/115/EG. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 29 – Pelham u. a. 103 Kritisch zur Anwendung des Merkmals der „Wiedererkennbarkeit“ durch den EuGH: Stumpf, GRUR Int. 2019, 1086 (1093–1095). Die vom EuGH verwendeten Kriterien weisen deutliche Parallelen zu den Voraussetzungen der freien Benutzung nach § 24 UrhG a. F. auf, Schulze, NJW 2019, 2913 (2918). 104 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 31 – Pelham u. a. 105 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 37 – Pelham u. a. 102

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

273

und Grundfreiheiten geschützt ist“.106 Die „Technik des ‚Elektronischen Kopierens von Audiofragmenten‘ (Sampling), bei der ein Nutzer – zumeist mit Hilfe elek­ tronischer Geräte – einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt und dieses zur Schaffung eines neuen Werks nutzt,“ sei eine künstlerische Ausdrucksform, „die unter die durch Art. 13 der Charta geschützte Freiheit der Kunst fällt.“107 Diese Nutzung eines im neuen Werk nicht zu erkennenden Samples würde dem Tonträgerhersteller nicht die Möglichkeit nehmen, einen zufriedenstellenden Ertrag aus seinen Investitionen zu erzielen.108 Damit privilegierte der EuGH die Nutzung eines Audiofragments unter Berufung auf die Kunstfreiheit. Allerdings unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass es in veränderter und nicht wiedererkennbarer Form für ein neues Werk genutzt wird.109 Denn durch diese Art der Nutzung werden die vermögensrechtlichen Interessen des Tonträgerherstellers, die durch Art. 17 Abs. 2 GRCh geschützt sind nicht oder jedenfalls nicht in erheblicher Weise beeinträchtigt.110 Ebenso wie das Eigentumsrecht kann also auch die Kunstfreiheit nicht absolut gewährleistet werden. Geht ihre Ausübung jedoch nur mit einer geringen Beeinträchtigung der konfligierenden Grundrechtsposition einher, überwiegt sie.111 bb) Auswirkungen der Kunstfreiheit auf das Zitatrecht nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL Neben der Frage, ob die Entnahme der Rhythmussequenz im Wege des Samplings eine Vervielfältigung nach Art. 2 lit. c) InfoSoc-RL darstellt, war der EuGH auch mit der Frage beschäftigt, ob das Sampling vom Zitatrecht des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL gedeckt sein könne. Dazu stellte er fest, dass ein beim Hören des neuen Werks wiedererkennbares Sample je nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung von Art. 13 GRCh ein Zitat darstellen kann, „sofern 106

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 34 – Pelham u. a. Der EuGH verweist nach diesen Ausführungen auf EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988 – 10737/84, ECLI:CE: ECHR:1988:0524JUD001073784 Rn. 27 – Müller and others / Switzerland und EGMR, Urt. v. 08. 07. 1999 – 23168/94, ECLI:CE:ECHR:1999:0708JUD002316894 Rn. 49 – Karatas / Turkey. 107 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 35 – Pelham u. a. Warum das Sampling vom Schutzbereich der Kunstfreiheit erfasst sei, begründete der EuGH nicht näher. 108 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 38 – Pelham u. a. 109 Samples können auch so genutzt werden, dass sie wiedererkennbar sind. Vgl. für die verschiedenen Samplingmethoden: Spieß, ZUM 1991, 524 (526–528). Obwohl auch diese Art des Samplings vom Schutzbereich der Kunstfreiheit erfasst sein müsste, würde es eine Vervielfältigung im Sinne von Art. 2 lit. c) InfoSoc-RL darstellen. Allerdings könnte bei dem Vorliegen einer Interaktion die Zitatschranke den Eingriff in das Vervielfältigungsrecht rechtfertigen, dazu unter D. II. 1. a) cc) (1). 110 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 38 – Pelham u. a. 111 Apel vermutet, dass der EuGH durch die einschränkende Auslegung des Vervielfältigungsrechts einen „Solange Fall“ vermeiden wollte, MMR 2019, 596 (602) m. w. N.

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

die Nutzung zum Ziel hat, mit dem Werk, dem das Audiofragment entnommen wurde, […] zu interagieren“ und soweit die weiteren Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 3 lit. d)  InfoSoc-RL vorlägen.112 Eine Interaktion setze aber zwingend die Wiedererkennbarkeit des Werkes voraus.113 cc) Bedeutung des Urteils für die Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh Im Folgenden wird die Bedeutung des Urteils für die Kunstform des Samplings (1) sowie für den Gehalt des Art. 13 S. 1 GRCh in seiner Gesamtheit (2) ermittelt. (1) Weitreichende zustimmungs- und vergütungsfreie Nutzung von Samples durch die Kunstfreiheit im Sinne des Art. 13 S. 1 GRCh? Das Urteil des EuGH in Metall auf Metall könnte für eine weitreichende Zulässigkeit des Samplings ohne Zustimmung der Rechtsinhaber sorgen. Denn die Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh, auf die sich die Nutzer des Samples stützen können, beeinflusst sowohl die Bewertung, ob ein Eingriff in die Verwertungshandlung überhaupt vorliegt als auch die Frage nach dem Eingreifen einer Schrankenregelung: Entweder das Sample ist beim Hören nicht in dem neuen Werk wiedererkennbar, sodass bereits keine Vervielfältigung vorliegt (und eine Verletzung des Tonträgerherstellerrechts ausscheidet) oder das Sample ist beim Hören wiedererkennbar, dann könnte eine (zumindest künstlerische) Interaktion bejaht werden und die Zitatschranke greifen, soweit auch die weiteren Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL erfüllt sind.114 Freilich hängt letzteres insbesondere von den Anforderungen an das Merkmal der Interaktion ab: Ist die Mindestvoraussetzung der Wiedererkennbarkeit zugleich auch hinreichende Voraussetzung für eine Interaktion?115 Oder sind die Anforderungen an eine Interaktion strenger zu verstehen?116 Zum anderen ist fraglich, inwiefern die zusätzlich erforderlichen Vor-

112

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72 – Pelham u. a. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 73 – Pelham u. a. 114 Ob dem EuGH mit dieser Auslegung „ein passgenaues Ineinandergreifen von Nutzung nicht wiedererkennbarer Kleinstfragmente (…) und Nutzung wiedererkennbarer Fragmente (…) vorschwebt“ bleibt unklar, Leistner, GRUR 2019, 1008 (1012). 115 Leistner, GRUR 2019, 1008 (1012), lehnt richtigerweise jedenfalls die Wiedererkennbarkeit als alleinige Voraussetzung des Eingreifens der Zitatschranke entschieden ab. Dass neben der „Interaktion“, die den Zitatzweck darstellt noch die weiteren Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL vorliegen müssen, sollte aber nicht in Frage stehen. 116 Generalanwalt Szpunar vertritt in seinen Schlussanträgen ein strengeres Verständnis. Nach seiner Auffassung müsse das Zitat dazu dienen, mit dem zitierten Werk in eine Art Dialog einzutreten. „Unabhängig davon, ob es sich um eine Auseinandersetzung, um eine „Hommage“ oder um etwas anderes handelt, ist eine Interaktion zwischen dem zitierenden und dem zitierten Werk erforderlich.“, EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 113

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

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aussetzungen des Zitatrechts einer weitreichenden Zulässigkeit des Samplings entgegenstehen könnten. Die nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL (§ 63 UrhG) nötige Quellenangabe sollte in der Regel möglich sein.117 Zudem könnte die künstlerische Interaktion in den Fällen des Samplings einen Unterfall der geistigen Auseinandersetzung darstellen, sodass diese nicht gesondert zu prüfen wäre.118 Mangels Konkretisierung des Begriffs der Interaktion sowie der Maßstäbe, die an die Veränderung und Wiedererkennbarkeit anzulegen sind besteht jedoch weiterhin Rechtsunsicherheit.119 Möglicherweise hat sich der EuGH aber bewusst näherer Ausführungen enthalten,120 damit die Mitgliedstaaten von dem Umsetzungsspielraum des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL Gebrauch machen können.121 Denn wie bereits festgestellt122 ist das Zitatrecht nicht vollständig harmonisiert, sodass die Mitgliedstaaten bei der Auslegung dieser Ausnahme nationale (Grundrechts-) Wertungen einfließen lassen können. Danach wäre die grundrechtliche Beurteilung des BVerfG in der Entscheidung Metall auf Metall zu berücksichtigen: Die „kunstspezifische Betrachtung“ könnte dafür sprechen, die Anforderungen an die Interaktion niedrig zu halten,123 sodass die Nutzung des Samples als zwingendes genrespezifisches Merkmal des Hip Hop124dafür genügen würde. Schließlich muss nach Auffassung des BVerfG die Nutzung von Samples bei einer kunstspezifischen Betrachtung im Ergebnis (und unabhängig von einer Nachspielbarkeit der genutzten Tonsequenzen) grundsätzlich möglich sein.125

Rn. 64 – Pelham u. a. Er lehnt das Vorliegen dieser Voraussetzungen für das Sampling im Allgemeinen und für den konkreten Fall ab. Es handle sich nicht um eine Interaktion, sondern um eine Aneignung. Insbesondere sei der Tonausschnitt zu kurz, um irgendeine Interaktion zu ermöglichen, a. a. O. Rn. 67. Zudem stünde auch die fehlende Unterscheidbarkeit des genutzten Ausschnitts einem Dialog und damit dem Zitatrecht entgegen, vgl. a. a. O. Rn. 65. 117 Wird für eine neue Schöpfung eine Vielzahl von Samples genutzt, könnte die Angabe im Lichte der Kunstfreiheit sogar entbehrlich sein Leistner, GRUR 2019, 1008 (1014). 118 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 71 – Pelham u. a.; so auch Apel, MMR 2019, 596 (603). 119 Vgl. dazu auch Hauck, GRUR-Prax 2019, 385. 120 Auch Apel, MMR 2019, 596 (602) fragt sich, ob der EuGH die Details der Anwendung der „Hörbarkeits-Schwelle“ im Rahmen des Vervielfältigungsrechts bewusst vage hält. Allerdings besteht im Rahmen von Art. 2 lit. c) InfoSoc-RL kein Umsetzungsspielraum, auch für das Tonträgerherstellerrecht nicht, s. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 85 – Pelham u. a. und BGHZ 225, 222 Rn. 24 – Metall auf Metall IV m. w. N.; sodass es den Mitgliedstaaten dort gar nicht erlaubt ist, nationalrechtliche Wertungen einfließen zu lassen. A. A. Apel, a. a. O. 121 Bei der Umsetzung des Vervielfältigungsrechts steht ihnen hingegen kein Spielraum zu. 122 B. II. 2. a). 123 Apel, MMR 2019, 597 (603) m. w. N. und Schulze, NJW 2019, 2913 (2918) scheinen demgegenüber einen eher strengeren Maßstab an die Beurteilung der geistigen Auseinandersetzung anzulegen. 124 BVerfGE 142, 74 Rn. 99 – Metall auf Metall. 125 BVerfGE 142, 74 Rn. 92, 108 – Metall auf Metall.

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

Somit ist festzuhalten, dass der EuGH dem BGH den nötigen Spielraum eröffnet hat, um die grundrechtlichen Vorgaben des BVerfG im Einklang mit dem Unionsrecht umzusetzen. Der BGH nahm jedoch im Ausgangsverfahren die Wiedererkennbarkeit des Samples an und lehnte mangels Erkennbarkeit des Samples als fremden Werkbestandteil das Eingreifen des Zitatrechts ab. Für die Richtigkeit dieser Auslegung spricht, dass das vom EuGH geforderte Kriterium der Interaktion zumindest auch voraussetzt, dass das Zitat als fremder Bestandteil gegenüber dem zitierenden Medium erkennbar ist. Denn nur dann hebt es sich von ihm ab und kann in den künstlerischen Dialog mit ihm treten. Zudem ist davon auszugehen, dass der BGH sich mit dieser Auslegung jedenfalls in dem von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSocRL gewährten Umsetzungsspielraum des Zitatrechts befindet. Abschließend ist festzustellen, dass sich aus dem Urteil Pelham u. a. nicht entnehmen lässt, dass die Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh eine grundsätzliche Zulässigkeit des Samplings gebietet.126 Vielmehr wird gerade die Nutzung von Samples mit geringem Umfang mangels Erkennbarkeit ihrer Fremdheit gegenüber dem zitierenden Werk regelmäßig unzulässig sein. Jedoch sorgt die Kunstfreiheit auch auf europäischer Ebene jedenfalls für eine Privilegierung künstlerischer Nutzungshandlung wie dem Sampling,127 indem sie eine modifizierte Auslegung des Vervielfältigungsrecht und der Ausnahme zugunsten von Zitaten bewirkt. Vermutlich beruht die unvollständige Schlagkraft von Art. 13 S. 1 GRCh auch auf der Rücksicht des EuGH vor den grundrechtlichen Wertungen der nationalen Verfassungen im Falle bestehenden Umsetzungsspielraums. (2) Bedeutung des Urteils Pelham u. a. für den Gehalt der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh In dem Rechtsstreit Pelham u. a. haben sowohl der EuGH (a) als auch der Generalanwalt Szpunar (b) Aussagen getätigt, die über den konkreten Sachverhalt und damit der Frage nach der Zulässigkeit des Samplings hinaus möglicherweise Hinweise auf den Gewährleistungsgehalt von Art. 13 S. 1 GRCh geben können.

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Apel nimmt sogar an, dass die Praxis des Samplings in vielen Fällen weiterhin als Rechtsverletzung zu werten sein wird, MMR 2019, 596 (603). Zuzustimmen ist Leistner, welcher – trotz der engen Anforderungen des EuGH an das Zitatrecht im Spiegel Online-Urteil – dem Pelham-Urteil „die behutsame Tendenz entnehmen“ will, „den insoweit nicht vom Zitatrecht abgedeckten Bereich eher eng zu halten.“, GRUR 2019, 1008, 1013. 127 Schulze vermutet, dass auch das Sampling von Bildmaterial und vergleichbaren digitalen Vorlagen von der Kunstfreiheit geschützt sei, NJW 2019, 2913 (2918). Allerdings ist dabei nicht nur zu beachten, wie Schulze selbst hervorhebt, dass das Sampling als solches lediglich eine Technik sei, die nicht zwangsläufig künstlerisch sein muss. Auch ist die direkte Übernahme von Werkteilen nicht für alle künstlerischen Ausdrucksformen stilprägend.

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

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(a) Bedeutung der Ausführungen des EuGH in Pelham u. a. für den Gewährleistungsgehalt von Art. 13 S. 1 GRCh Losgelöst von der konkreten Kunstform des Samplings, lassen sich dem Pelham u. a.-Urteil des EuGH nur einige wenige Eckpunkte zur Konturierung von Art. 13 S. 1 GRCh entnehmen: Der Gerichtshof stellt unter Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR fest, dass die Freiheit der Kunst „es ermöglicht, am öffentlichen Austausch von kulturellen, politischen und sozialen Informationen und Ideen aller Art teilzuhaben, weil sie zur Freiheit der Meinungsäußerung gehört, die durch Art. 11 GRCh und Art. 10 Abs. 1 EMRK geschützt ist.“128 Damit entnimmt der EuGH der Rechtsprechung des EGMR nicht nur den Schutzbereich der Kunstfreiheit, sondern auch das dogmatische Verständnis, die Freiheit der Kunst als Unterfall der Meinungsfreiheit zu betrachten. Eigene Ausführungen des EuGH zu dem Schutzbereich der Kunstfreiheit unterbleiben. Auch mitgliedstaatliche Wertungen werden nicht zur Begründung des Gewährleistungsgehalts angeführt. Der Linie des EGMR folgend stellt der EuGH – ohne den Kunstbegriff zu definieren oder dessen Merkmale zu beschreiben –129 schlicht fest, „dass die Technik des ‚Elektronischen Kopierens von Audiofragmenten‘ (Sampling), bei der ein Nutzer – meist mit Hilfe elektronischer Geräte – einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt und dieses zur Schaffung eines neuen Werkes nutzt, eine künstlerische Ausdrucksform ist, die unter die durch Art. 13 der Charta geschützte Freiheit der Kunst fällt.“130 Obwohl der EuGH sich zu den Schranken der Kunstfreiheit nicht explizit äußert, zeigt seine Argumentation, dass der Schutz der Kunstfreiheit nicht grenzenlos gewährleistet werden kann. Auch kollidierende Grundrechte müssen berücksichtigt werden. Um seine Auslegung, d. h. die Einschränkung des Vervielfältigungsrechts zu stützen, bringt er daher vor, „dass eine solche Entnahme ihm [dem Tonträgerhersteller] nicht die Möglichkeit nimmt, einen zufriedenstellenden Ertrag aus seinen Investitionen zu erzielen.“131 Somit argumentiert der EuGH zugunsten der Kunstfreiheit, indem er die geringe Beeinträchtigung der Eigentumsfreiheit Dritter anführt. Die Geringfügigkeit der Beeinträchtigung sichert der Gerichtshof zudem damit ab, dass er die Nutzung von Samples nicht per se für zulässig erklärt, sondern unter die Bedingung stellt, dass die Tonfragmente in den anderen Tonträger in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form eingefügt 128

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 34 – Pelham, mit Verweis auf EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988 – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001073784 Rn. 27 – Müller and others / Switzerland; EGMR, Urt. v. 08. 07. 1999 – 23168/94, ECLI:CE:EC HR:1999:0708JUD002316894 Rn.  49 – Karatas / Turkey. 129 Auch der EGMR nahm bisher keine Definition des Kunstbegriffs vor, dazu unter D. II. 1. b) bb) (1). 130 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 35 – Pelham u. a. Möglicherweise unterließ der EuGH eine selbständige Definition des Kunstbegriffs auch, um nicht in Konflikt mit der Rechtsprechung des EGMR zu kommen. Zur Bedeutung der EMRK für die GRCh s. unter D. II. 1. b) aa). 131 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 38 – Pelham u. a.

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

werden.132 Eine weiterreichende Nutzung, bei der das Werk erkennbar ist, sei nur möglich, wenn eine Interaktion vorläge und die weiteren Voraussetzungen des Zitatrechts erfüllt seien.133 (b) Bedeutung der Ausführungen des Generalanwalts Szpunar in Pelham u. a. für den Gewährleistungsgehalt von Art. 13 S. 1 GRCh Auch Generalanwalt Szpunar überträgt in seinen Schlussanträgen die Systematik der EMRK, die Kunstfreiheit nicht als eigenständiges Recht, sondern als Teil der Meinungsfreiheit zu betrachten. Allerdings gehen seine Ausführungen zum Schutzbereich der Meinungs- und damit auch der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh über die des EuGH hinaus: Geschützt sei „vor allem die Beschaffung und Verbreitung von Ideen und Informationen, und, was die Kunst anbelangt, folglich die Beschaffung und Verbreitung des Inhalts von Werken.“134 Zudem erklärt er unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR, dass nicht nur harmlose, positive oder indifferente „Informationen“ und „Ideen“ geschützt seien, sondern auch solche, welche verletzen, schockieren oder beunruhigen.135 Eine Zensur des Inhalts könne daher einen Verstoß gegen die Kunstfreiheit darstellen.136 Demgegenüber sei der Erwerb von Mitteln für den Schaffensprozess nach seiner Auffassung weniger stark geschützt: „Jeder Künstler muss sich mit den Bedingungen des Lebens in der Gesellschaft und des Marktes, auf dem er tätig ist, abfinden. Die Freiheit der Kunst befreit die Künstler nicht von den Zwängen des Alltags. Wäre es vorstellbar, dass ein Künstler sich auf seine schöpferische Freiheit berufen könnte, um seine Farben und Pinsel nicht bezahlen zu müssen?“137 Einen Zugang zu jedweden Materialien für eine neue Schöpfung garantiere die Kunstfreiheit nicht. Die Verweigerung einer Lizenzvergabe müsse ggf. hingenommen werden.138 Dafür könne es auch keine Rolle spielen, dass das Sampling nicht nur „Mittel der Kreation, sondern einen eigenständigen künstlerischen Ansatz darstellt.“139 Darüber hinaus seien für die Einschränkungen künstlerischen Schaffens

132

EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 39 – Pelham u. a. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72 – Pelham u. a. 134 GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 92 – Pelham u. a. m. w. N. 135 GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 92 – Pelham u. a. m. w. N. 136 GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 92 – Pelham u. a. m. w. N. 137 GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 92 – Pelham u. a. m. w. N. 138 GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 96 – Pelham u. a. 139 GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 93 – Pelham u. a. Diese Aussage des Generalanwalts steht im Widerspruch zu der Rechtsprechung 133

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

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insbesondere kollidierende Grundrechte Dritter und der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers maßgeblich.140 Insgesamt konkretisiert Generalanwalts Szpunar nicht nur den Gewährleistungsgehalt von Art.  13 S. 1 GRCh auf Grundlage der Rechtsprechung des EGMR zur Kunstfreiheit, sondern schränkt den Schutzbereich gegenüber den – sehr vagen Formulierungen des EuGH – auch erheblich ein. Mangels Übernahme seiner Ausführungen in das Urteil des EuGH kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass diese Einschränkungen zukünftig maßgeblich sein werden. b) Inhalt der Kunstfreiheit nach EMRK und Rechtsprechung des EGMR Aus den Ausführungen des EuGH im Urteil Pelham u. a. ergibt sich, dass für den Schutzgehalt der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh überwiegend die Vorgaben der EMRK und die Rechtsprechung des EGMR maßgeblich sein werden. Nachdem untersucht wird, ob dieses Vorgehen zulässig ist (aa), soll für eine nähere Konturierung von Art. 13 S. 1 GRCh der Gehalt der Freiheit der Kunst nach Art. 10 EMRK betrachtet werden (bb). aa) Zulässigkeit der Ableitung des Gehalts von Art. 13 S. 1 GRCh aus Art. 10 EMRK Die EMRK ist gem. Art. 6 Abs. 3 EUV gemeinsam mit den mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen als allgemeiner Grundsatz Teil des Unionsrechts. In der ständigen Rechtsprechung des EuGH dient sie als eine der wichtigsten Rechts­ erkenntnisquellen für die Unionsgrundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze.141 Für die in der Charta niedergelegten Grundrechte ergibt sich die Bedeutung der EMRK speziell aus der „Kompatibilitäts“- bzw. „Kongruenzsicherungsklausel“142 des Art. 52 Abs. 3 GRCh. Danach haben die Rechte der Grundrechtecharta, die denen der EMRK entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen des EGMR zur Kunstfreiheit. Denn der EGMR berücksichtigt die Besonderheiten der jeweiligen Kunstform, insbes. bei der Satire, sodass Aussagen gedeckt sein können, die bei einer nichtsatirischen Äußerung nicht zulässig wären, dazu unter D. II. 1. b) bb) (3) (a). 140 GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 94 – Pelham u. a. mit Verweis auf EGMR, Urt. v. 10. 01. 2013 – 36769/08, ECLI:CE:ECHR:2013:0 110JUD003676908 Rn. 40 – Ashby Donald et autres / France. Daher sei eine vom Wortlaut abweichende Auslegung durch die Gerichte nur möglich, wenn der Wesensgehalt der Grundrechte verletzt wäre. Bei den das Sampling betreffenden Vorschriften des unionsrechtlichen Urheberrechts sei dies nicht gegeben, a. a. O. Rn. 98. 141 Heselhaus / Nowak / Szczekalla, EU-Grundrechte-HdB, § 3 Rn. 22 m. w. N. Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 05. 1974, ECLI:EU:C:1974:51 Rn. 12–13 – Nold / Kommission; EuGH, Urt. v. 13. 12. 1979 – C-44/79, ECLI:EU:C:1979:290 Rn. 17–20 Hauer / Land Rheinland-Pfalz. 142 Heselhaus / Nowak / Szczekalla, EU-Grundrechte-HdB, § 3 Rn. 24.

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

in der Konvention verliehen wird. Da die Konvention die Freiheit der Kunst nicht ausdrücklich normiert, erlangt vor allem die Rechtsprechung des EGMR besondere Relevanz für die Auslegung von Art. 13 S. 1 GRCh. Auch diese ist nach Erwägungsgrund 5 der Präambel der Charta143 und nach den Erläuterungen zur Grundrechtecharta144 bei der Auslegung der Charta-Grundrechte zu berücksichtigen.145 In der Vergangenheit stand die Rechtsprechung des EuGH ganz überwiegend im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR. Abweichungen traten vor allem dann auf, wenn zum Zeitpunkt einer Entscheidung des EuGH keine entsprechende EGMR-Rechtsprechung existierte.146 Vor diesem Hintergrund sowie der tatsächlichen Heranziehung der EMRK und der EGMR-Rechtsprechung des EuGH in seinem Urteil Pelham u. a., scheint es zweckdienlich für eine Konkretisierung des Gehalts von Art. 13 S. 1 GRCh primär auf die künstlerische Äußerungsfreiheit nach Art. 10 EMRK zu blicken.147 Ein Vergleich der mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen im Sinne des Art. 52 Abs. 4 GRCh zur Ermittlung des Gehalts von Art. 13 S. 1 GRCh unterbleibt.148 Nach einer Auffassung in der Literatur verdrängt Art. 52 Abs. 3 GRCh die Regelung des Art. 52 Abs. 4 GRCh, wenn das Charta-Grundrecht einem Grundrecht der EMRK entspricht.149 Damit könnte die Heranziehung der mitgliedstaat 143

Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. 12. 2007, ABl. 2007/C 303/01, 2 (Erwägung Nr. 5). 144 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte vom 14. 12. 2007, ABl. 2007/C 303/02, 33. 145 Zur Bedeutung der Erläuterungen und der Präambel für die GRCh s. Dorf, JZ 2005, 126 (130). 146 Lock, Das Verhältnis, S. 275; Sauer, Jurisdiktionskonflikte, S. 284 m. w. N. Eine vollständige Kongruenz besteht nicht, vgl. z. B. die Differenzen der Rechtsprechung zur Eigentumsfreiheit: Stern / Sachs / Vosgerau, GRCh, Art. 17 Rn. 32–40. Allerdings besteht auch keine rechtliche Pflicht zu einer vollständigen Übereinstimmung des grundrechtlichen Schutzes von EMRK und Unionsrecht. Die EMRK stellt lediglich den Mindestschutz dar, vgl. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte vom 14. 12. 2007, ABl. 2007/C 303/02, 33. 147 Während in der Literatur vielfach die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für eine Umschreibung von Art. 13 S. 1 GRCh rekurriert wird, so zum Beispiel, allerdings „ohne dessen unreflektierte Übernahme“ Callies / Ruffert / Ruffert, EUV / A EUV, EU-GRCharta Art. 13 Rn. 3; s. auch Jarass, GRCh, Art. 13 Rn. 5; zieht auch Hoppe die EMRK für eine Ermittlung des Gehalts von Art. 13 S. 1 GRCh heran. Sie begründet dies (allerdings vor Inkrafttreten der GRCh und dessen Art. 53) vor allem mit den Verträgen i. V. m. dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue und der Prüfungskompetenz des EGMR für Unionsrecht, s. Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 27–35. Eine besondere Bedeutung des Art. 10 EMRK für die Auslegung von Art. 13 S. 1 GRCh annehmend auch: Stern / Sachs / Kempen, GRCh, Art. 13 Rn. 7. Vgl. für die besondere praktische Bedeutung der EMRK für die GRCh: Lock, Das Verhältnis, S. 288. Vgl. auch: Edenharter, Grundrechtsschutz, S. 813–815. 148 Für einen kurzen Überblick s. jedoch: Tettinger / Stern / Kempen, Kölner Gemeinschaftskommentar, Art. 13 Rn. 17–18. 149 So Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 88 m. w. N. und wohl auch: Stern /  Sachs / L adenburger, GRCh Art. 52 Rn. 90. Jedenfalls geht die wohl h. M. in der Literatur davon aus, dass Art. 52 Abs. 3 GRCh gegenüber Art. 52 Abs. 4 GRCh vorrangig oder jedenfalls praktisch bedeutsamer ist: Meyer / Hölscheidt / Schwerdtfeger, GRCh, Art. 52 Rn. 71 m. w. N.;

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

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lichen Verfassungsüberlieferungen bereits unzulässig sein. Zwar fehlt Art. 13 S. 1 GRCh in einer Auflistung des Präsidiums, das im Rahmen seiner Erläuterung zu Art. 52 die entsprechenden Grundrechte der EMRK den Charta-Grundrechten gegenüberstellt. Allerdings spricht insbesondere die Erläuterung zu Art. 13 S. 1 GRCh dafür, eine solche Entsprechung anzunehmen.150 In Konsequenz würde eine Heranziehung der mitgliedstaatlichen Grundrechte für eine Konkretisierung des Gehalts von Art. 13 S. 1 GRCh von vornherein ausscheiden.151 Jedenfalls sind aber die mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen in der tatsächlichen Rechtsanwendung des EuGH von geringerer Bedeutung,152 was insbesondere im Hinblick auf die vorliegend untersuchte Kunstfreiheit das Urteil Pelham u. a. unterstreicht. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass ein Vergleich der mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen zur Ermittlung des Gehalts der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh zu einem ähnlichen Ergebnis kommen würde, da alle Mitgliedstaaten auch Vertragsparteien der EMRK sind.153 bb) Gehalt der Kunstfreiheit nach Art. 10 EMRK Die Kunstfreiheit hat keinen ausdrücklichen Eingang in die EMRK gefunden. Allerdings genießt die künstlerische Ausdrucksform nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR als spezielle Ausprägung der Meinungsfreiheit Schutz nach Art. 10 EMRK.154 Zugunsten einer besseren Verständlichkeit wird für die Darstellung von Inhalt und Umfang der künstlerischen Äußerungsfreiheit in Anlehnung an die deutsche Grundrechtsdogmatik zwischen Schutzbereich (1), Schranken (2) und Aspekten der Interessenabwägung (3) unterschieden. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der EGMR selbst den Schutzbereich der Grundrechte nicht ausdrücklich prüft. Vielmehr gliedert sich seine Grundrechtsprüfung in das Vorliegen eines Eingriffs, das Bestehen einer tauglichen Rechtsgrundlage, ein mit dem Eingriff verfolgtes legitimes Ziel und der Notwendigkeit des Eingriffs in einer demokratischen GeCallies / Ruffert / Kingreen, EUV / A EUV, EU-GRCharta Art. 52 Rn. 40 m. w. N.; Jarass, GRCh, Art. 52 Rn. 66.; vgl. auch Dorf, JZ 2005, 126 (129, 130). 150 Eingehend dazu: Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 89–98. 151 Dies annehmend: Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 98. 152 Jarass, GRCh, Art. 52 Rn. 66, begründet die geringere Bedeutung von Art. 52 Abs. 4 GRCh mit der gegenüber Art. 52 Abs. 3 GRCh vorsichtigeren Formulierung; s. auch Meyer / Hölscheidt /  Schwerdtfeger, GRCh, Art. 52 Rn. 71; Stern / Sachs / L adenburger: „praktisch keine Bedeutung“, GRCh, Art. 52 Rn. 94. Von geringerer Bedeutung für die Auslegung sind ebenfalls andere internationale Abkommen, die im Gegensatz zur EMRK weder in Art. 6 EUV noch in Art. 52 GRCh ausdrücklich Eingang gefunden haben, sodass sie in dieser Arbeit keine weitere Berücksichtigung finden. Näher zu den Abkommen jedoch: Heselhaus / Nowak / Haratsch, EUGrundrechte-HdB, § 29 Rn. 4. 153 Meyer / Hölscheidt / Schwerdtfeger, GRCh, Art. 52 Rn. 71. 154 So zuerst in EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988 – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001 073784 – Müller and others / Switzerland.

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

sellschaft.155 Insbesondere aus dem letzten Prüfungsschritt, der eine Art engere Verhältnismäßigkeitsprüfung darstellt, erfolgen jene Äußerungen des EGMR, die der künstlerischen Meinungsfreiheit Konturen verleihen. Diese werden im Folgenden im Rahmen des Schutzbereichs (1) und der Interessenabwägung (3) erörtert. (1) Schutzbereich der künstlerischen Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK Bisher fehlt es an einer Definition des Kunstbegriffs durch den EGMR.156 Dennoch hat der Gerichtshof eine gefestigte Rechtsprechung zum sachlichen (a) und personellen (b) Schutzbereich der künstlerischen Meinungsfreiheit entwickelt. (a) Sachlicher Schutzbereich der künstlerischen Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK Hinsichtlich des sachlichen Schutzbereichs der künstlerischen Meinungsfreiheit lassen sich auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des EGMR folgende Feststellungen treffen: Der Gerichtshof geht grundsätzlich von einem weiten Schutzbereich aus (aa), der nicht das Vorliegen bestimmter Werkarten voraussetzt (bb). Des Weiteren erstreckt sich der Schutz nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf Stil, Form und Verbreitung des künstlerischen Ausdrucks (cc). Allerdings gebietet die künstlerische Meinungsfreiheit keine freie Wahl ihres Mediums oder Forums (dd). Schließlich ist festzustellen, dass viele der vom EGMR behandelten Fälle zur künstlerischen Meinungsfreiheit zugleich auch eine politische Aussage enthielten. Solche künstlerisch-politischen Ausdrucksformen genießen in der Rechtsprechung des EGMR besonderen Schutz (gg). (aa) Grundsätzlich weiter Schutzbereich der künstlerischen Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK Die Freiheit der künstlerischen Äußerung schützt den Empfang und die Mitteilung von Nachrichten und Ideen, die es ermöglichen, am öffentlichen Austausch von kulturellen, politischen und sozialen Informationen und Ideen aller Art teilzuhaben.157 Nicht nur allgemein akzeptierte, günstige oder unschädliche Äußerungen 155 Vgl. dazu: Guide to Article 10 of the Convention on Human Rights, S. 17–24, abrufbar unter: www.echr.coe.int/documents/guide_art_10_eng.pdf [Stand: 30. 04. 2021]. 156 Dazu auch Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 42. 157 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988  – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001073784  – Müller and others / Switzerland.

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

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sind geschützt, sondern auch solche, die den Staat oder einen Teil der Bevölkerung verletzen, schockieren oder beunruhigen. Dies fordern Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, ohne die es eine „demokratische Gesellschaft“ nicht geben kann.158 Allerding sind Äußerungen, die ausschließlich einer grundlosen Beleidigung dienen nicht von Art. 10 EMRK geschützt.159 (bb) Werkartunabhängiges Kunstverständnis des EGMR Bisher hat der EGMR den Schutz der künstlerischen Meinungsfreiheit nicht vom Vorliegen spezieller Werkarten abhängig gemacht. Vielmehr scheint der Gerichtshof – ohne den Begriff der Kunst definiert zu haben – parallel zum deutschen Verständnis160 von einem materiell offenen Kunstbegriff auszugehen. Der Gerichtshof hat beispielsweise Malerei,161 satirische Texte162 und satirische Darstellungen /  Karikaturen163; Parodien,164 Romane,165 Gedichte,166 Theaterstücke,167 Filme168 und

158

EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988  – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001073784  – Müller and others / Switzerland mit Verweis auf EGMR, Urt. v. 7. 12. 1976 – 5493/72, ECLI:CE: ECHR:1976:1207JUD000549372 Rn. 49 – Handyside / T he United Kingdom. 159 EGMR, Urt. v. 21. 02. 2012 – 32131/08, 41617/08, ECLI:CE:ECHR:2012:0221JUD003213108 Rn.  48 – Tusalp / Turkey. 160 Dazu unter D. II. 2. a) aa) (1). 161 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988 – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001073784 Rn. 27 – Müller and others / Switzerland. 162 EGMR, Urt. v. 22. 02. 2007  – 5266/03, ECLI:CE:ECHR:2007:0222JUD000526603 Rn. 16–20 – Nikowitz and Verlagsgruppe News GmbH / Austria; EGMR, Urt. v. 5. 07. 2016 – 1799/07, ECLI:CE:ECHR:2016:0705JUD000179907 Rn. 45 – Ziembinski / Poland. 163 Der Gerichtshof nimmt keine Abgrenzung von Satire und Karikatur vor, sondern verwendet für ein Kunstwerk oftmals beide Begriffe: EGMR, Urt. v. 25. 01. 2007 – 68354/01, ECLI: CE:ECHR:2007:0125JUD006835401 Rn. 33 – Vereinigung Bildender Künstler / Austria (Gemälde als Karikatur mit satirischen Elementen); EGMR, Urt. v. 02. 10. 2008  – 36109/03, ECLI:CE:ECHR:2008:1002JUD003610903 Rn.  39 – Leroy / France (satirische Zeichnung, Karikatur); EGMR, Urt. v. 02. 02. 2021 – 25200/11, ECLI:CE:ECHR:2021:0202JUD002520011 Rn. 54 – Dickinson / Turquie (satirische Collage / Karikatur). 164 Vgl. EGMR, Urt. v. 22. 11. 2016 – 8918/05, ECLI:CE:ECHR:2016:1122JUD000891805 Rn. 59 – Grebneva and Alisimchik / Russia. Der EGMR stellt a. a. O. zwar fest, dass eine Parodie (und Karikatur als Form der Satire) in Form eines Comics vorliegt, welche den Schutz von Art. 10 EMRK genießt. Allerdings erwähnt er in dem Urteil die künstlerische Ausdrucksfreiheit nicht ausdrücklich. 165 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007  – 36448/02, ECLI:CE:ECHR:2007:1022JUD002127902 Rn. 47  – Lindon, Otchakovsky-Laurens and July / France; EGMR, Urt. v. 16. 02. 2010  – 41056/04, ECLI:CE.ECHR:2010:0216JUD004105604 Rn. 24 – Akdas / Turquie. 166 EGMR, Urt. v. 08. 07. 1999 – 23168/94, ECLI:CE:ECHR:1999:0708JUD002316894 Rn. 49 – Karatas / Turkey. 167 EGMR, Urt. v. 03. 05. 2007  – 34797/03, ECLI:CE:ECHR:2007:0503JUD003479703 Rn. 42 – Ulusoy et autres / Turquie. 168 Vgl. EGMR, Urt. v. 20. 09. 1994 – 13470/87, ECLI:CE:ECHR:1994:0920JUD001347087 Rn. 44, 45, 56 – Otto-Preminger-Institut / Austria.

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

Performances169 als von Art. 10 EMRK geschützte künstlerische Ausdrucksformen anerkannt. Allerdings ist das Vorliegen einer dieser Werkarten nicht zwangsläufig mit der Feststellung verbunden, dass es sich um Kunst handelt. Dies zeigt die Entscheidung des EGMR in Palomo Sanchez and others / Spain. Dort scheint der Gerichtshof der Auffassung der spanischen Regierung170 zu folgen, dass es sich um eine Karikatur handelt, ohne sie als Kunst einzuordnen.171 Der EGMR stellte das künstlerische Selbstverständnis der betroffenen Kreativen bisher nicht in Frage.172 Dies bedeutet jedoch nicht, dass er die Frage nach der künstlerischen Eigenschaft der Meinungsäußerung nicht eigenständig prüft. Insbesondere in den letzten Jahren stellte der EGMR auch ohne entsprechende Aussage des Beschwerdeführers fest, dass eine künstlerische Äußerungsform vorliegt.173 (cc) Schutz von Inhalt, Stil und Form der künstlerischen Äußerung sowie deren Mittel zur Verbreitung Nicht nur der Inhalt der künstlerischen Ideen und Informationen, sondern auch der Stil174, die Form (d. h. zum Beispiel auch der Tonfall175) und die Mittel zur Verbreitung176 der Kunstwerke sind geschützt. Damit umfasst der Schutz parallel zum deutschen Recht nicht nur den Werk-, sondern auch den Wirkbereich177 wie zum 169 EGMR, Urt. v. 12. 06. 2012  – 26005/08, 26160/08, ECLI:CE:ECHR:2012:0612JUD 002600508 Rn. 30, 41 – Tatar and Faber / Hungary; EGMR, Urt. v. 17. 07. 2018 – 38004/12, ECLI:CE:ECHR:2018:0717JUD003800412 Rn. 206 – Mariya Alekhina and others / Russia. 170 EGMR, Urt. v. 12. 09. 2011 – 28955/06, 28957/06, 28959/06, 28964/06, ECLI:CE:ECHR: 2011:0912JUD002895506 Rn. 46 – Palomo Sanchez and others / Spain. 171 Auch eine sorgfältigere Prüfung, die er sonst bei satirischen Kunstformen vornahm, dazu D. II. 1. b) bb) (3) (a), unterlässt er. Kritisch dazu die gemeinsame abweichende Meinung der Richter Tulkens, David Thor, Björgvinsson, Jociene, Popovic und Vucinic, a. a. O. (Fn. 170) Rn. 11. Diese stellen fest, dass das Gericht die Meinungsfreiheit von Gewerkschaften auf ein niedrigeres Level stelle, als die der künstlerischen Meinungsfreiheit. 172 Dazu auch: Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 42–43. Hoppe interpretiert „die Akzeptanz des Vorbringens der Beschwerdeführer“ als „viel grundlegendere Reserviertheit hinsichtlich einer Meinungs- und Kunstbeeinflussung durch eine inhaltlich eingrenzende Judikatur.“, a. a. O. S. 43. 173 EGMR, Urt. v. 06. 04. 2021 – 10783/14, ECLI:CE:ECHR:20210406JUD001078314 Rn. 51 – Handzhiyski / Bulgaria; vgl. EGMR Urt. v. 05. 07. 2016 – 1799/07, ECLI:CE:ECHR:2016:0705J UD000179907 Rn. 29–33, 45 – Ziembinski / Poland. 174 Bspw. einen satirischen Stil: EGMR, Urt. v. 21. 02. 2012 – 32131/08, 41617/08, ECLI:CE: ECHR:2012:0221JUD003213108 Rn.  48 – Tusalp / Turkey. 175 EGMR, Urt. v. 08. 07. 1999  – 23168/94, ECLI:CE:ECHR:1999:0708JUD002316894 Rn. 49 – Karatas / Turkey; EGMR, Urt. v. 29. 03. 2005 – 40287/98, ECLI:CE:ECHR:2005:0329 JUD004028798 Rn.  43 – Alinak / Turkey. 176 Wie zum Beipiel die Aufführung eines Theaterstücks durch eine Theatergruppe: EGMR, Urt. v. 03. 05. 2007 – 34797/03, ECLI:CE:ECHR:2007:0503JUD003479703 Rn. 28–29 – Ulusoy et autres / Turquie. 177 Vgl. EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988 – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001073784 Rn. 33 – Müller and others / Switzerland; EGMR, Urt. v. 25. 01. 2007 – 68354/01, ECLI:CE:EC

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Beispiel die Ausstellung von Kunst178 oder die öffentliche Wiedergabe einer Performance über das Internet.179 (dd) Keine unbeschränkte Wahlfreiheit des Forums oder Mediums, aber keine immanente Begrenzung des Schutzbereichs von Art. 10 EMRK durch Eigentumsrechte Dritter Die künstlerische Meinungsfreiheit gewährt keine vollständig freie Wahl des Forums für ihre Ausübung. Insbesondere verlangt Art. 10 EMRK nicht, dass es den Betroffenen möglich sein muss, Privateigentum oder öffentliches Eigentum zu betreten. Zudem kann eine künstlerische Aufführung oder das Halten einer politischen Rede im öffentlichen Raum die Einhaltung bestimmter Verhaltensvorschriften erfordern.180 Dennoch scheidet die Inanspruchnahme des Eigentums von Dritten nicht von vornherein aus dem Schutzbereich von Art. 10 EMRK aus. Auch bei dem Eingriff in Eigentumsrechte Dritter ist zunächst der Schutzbereich der künstlerischen Meinungsfreiheit eröffnet und eine Abwägung mit kollidierenden Interessen erforderlich.181 (ee) Ausschluss des Schutzes von künstlerischen Äußerungen nach Art. 17 EMRK Art. 17 EMRK schließt jede künstlerische Äußerung, die sich gegen die Grundwerte der EMRK richtet, aus dem Schutzbereich des Art. 10 EMRK aus.182 Unerheblich ist, ob die Äußerung direkt erfolgt oder ob die Ausdrucksform einer HR:2007:0125JUD006835401 Rn. 26  – Vereinigung Bildender Künstler / Austria; EGMR, Urt. v. 17. 07. 2018 – 38004/12, ECLI:CE:ECHR:2018:0717JUD003800412 Rn. 203 – Mariya Alekhina and other / Russia; Vgl. auch Heselshaus / Nowak / Haratsch, EU-Grundrechte-HdB, § 29 Rn. 9–10 m. w. N.; Ebenso Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 48 und Frenz, Handbuch Europarecht, Kap. 8, § 2 Rn. 1754. 178 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988  – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001073784  – Müller and others / Switzerland. 179 EGMR, Urt. v. 17. 07. 2018  – 38004/12, ECLI:CE:ECHR:2018:0717JUD003800412 Rn. 251 – Mariya Alekhina and other / Russia. 180 EGMR, Urt. v. 17. 07. 2018  – 38004/12, ECLI:CE:ECHR:2018:0717JUD003800412 Rn. 213 – Mariya Alekhina and other / Russia. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 7. 06. 2011 – 2777/10, ECLI:CE:ECHR:2011:0607DEC000277710 Rn. 2  – Ehrmann and Sci / France. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 06. 04. 2021 – 10783/14, ECLI:CE:ECHR:2021:0406JUD001078314 Rn. 52 – Handzhiyski / Bulgaria m. w. N. 181 Vgl. EGMR, Urt. v. 13. 10. 1983 – 9870/82, ECLI:CE:ECHR:1983:1013DEC000987082, p. 212 – N. / Switzerland; vgl. EGMR, Urt. v. 21. 10. 2014 – 9540/07, ECLI:CE:ECHR:2014: 1021JUD000954007 Rn. 56 – Murat Vural / Turkey; vgl. EGMR, Urt. v. 17. 07. 2018 – 38004/12, ECLI:CE:ECHR:2018:0717JUD003800412 Rn. 202–206 – Mariya Alekhina and other / Russia. 182 EGMR, Urt. v. 20. 10. 2015  – 25239/13, ECLI:CE:ECHR:2015:1020DEC002523913 Rn. 40 – Dieudonné M’BALA M’BALA / France, a. a. O. Rn. 33 m. w. N.; vgl. auch EGMR,

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

Auslegung bedarf. Somit liegt zum Beispiel auch ein antisemitischer „Sketch“ außerhalb des Schutzbereichs von Art. 10 EMRK.183 (b) Persönlicher Schutzbereich der künstlerischen Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK Die künstlerische Meinungsfreiheit wird jedermann garantiert. Unerheblich ist die Art des mit der Äußerung verfolgten Ziels oder ob es sich um eine juristische oder natürliche Person handelt.184 Geschützt sind neben dem Künstler, der das Werk schafft, auch die Personen, die zur Wirkung der Kunstwerke beitragen, indem sie diese interpretieren, aufführen185, verbreiten oder ausstellen.186 Dies können beispielsweise Galeristen187 oder Verleger188 sein. (2) Schranken der künstlerischen Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK Gem. Art. 10 Abs. 2 EMRK ist die Ausübung der künstlerischen Äußerungsfreiheit „mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafandrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung.“ Auch künstlerische Äußerungsformen sind von dieser Beschränkung nicht ausge-

Urt. v. 23. 09. 1998 – 24662/94, ECLI:CE:ECHR:1998:0923JUD002466294 Rn. 47 – Lehideux an Isorni / France. 183 EGMR, Urt. v. 20. 10. 2015  – 25239/13, ECLI:CE:ECHR:2015:1020DEC002523913 Rn. 40 – Dieudonné M’BALA M’BALA / France. 184 EGMR, Urt. v. 03. 05. 2007  – 34797/03, ECLI:CE:ECHR:2007:0503JUD003479703 Rn. 28 – Ulusoy et autres / Turquie m. w. N. 185 EGMR, Urt. v. 03. 05. 2007  – 34797/03, ECLI:CE:ECHR:2007:0503JUD003479703 Rn. 42 – Ulusoy et autres / Turquie. 186 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988 – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001073784 Rn. 33 – Müller and others / Switzerland; EGMR, Urt. v. 03. 05. 2007  – 34797/03, ECLI:CE:ECHR: 2007:0503JUD003479703 Rn. 42 – Ulusoy et autres / Turquie. 187 Vgl. EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988 – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001073784 Rn. 27 – Müller and others / Switzerland. Die Beschwerdeführer der angeführten Entscheidung übten sehr unterschiedliche Berufe aus (vgl. Rn. 8 a. a. O.), trugen jedoch alle zur Ermöglichung der Ausstellung der Kunstwerke bei und waren damit von Art. 10 EMRK geschützt. 188 Vgl. EGMR, Urt. v. 16. 02. 2010 – 41056/04, ECLI:CE:ECHR:2010:0216JUD004105604 Rn.  22–24 – Akdas / Turquie.

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

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nommen. Der Umfang von Pflichten und Verantwortung der Künstler hängt von der jeweiligen Situation und den verwendeten Mitteln ab.189 (a) Gesetzlich vorgesehen im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EMRK Voraussetzung der Schranke des Art. 10 Abs. 2 EMRK ist, dass der Eingriff gesetzlich vorgesehen sein muss. Taugliche Rechtsgrundlage können sowohl formelle Gesetze als auch das Gewohnheitsrecht sein.190 Nach der Rechtsprechung des EGMR ist es weiterhin erforderlich, dass das Gesetz hinlänglich zugänglich und verständlich ist.191 Außerdem müsse es insbesondere hinreichend bestimmt sein, sodass die mit der Einschränkung verbundenen Konsequenzen ggf. mithilfe einer angemessenen Beratung des Betroffenen zu einem gewissen Grad vorhersehbar seien.192 Die Folgen müssten jedoch nicht mit absoluter Sicherheit vorherzusehen sein. Denn Normen seien naturgemäß zu einem gewissen Grad abstrakt formuliert, um unterschiedliche Sachverhalte zu erfassen und sich ändernden Umständen Rechnung zu tragen.193 (b) Legitimes Ziel im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EMRK Als legitime Ziele des Eingriffs nennt Art. 10 Abs. 2 EMRK abschließend194: die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, die Aufrechterhaltung der Ordnung oder die Verhütung von Straftaten, den 189

EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988  – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001073784 Rn. 34 – Müller and others / Switzerland m. w. N.; EGMR, Urt. v. 25. 01. 2007 – 68354/01, ECLI:CE:ECHR:2007:0125JUD006835401 Rn. 26  – Vereinigung Bildender Künstler / Austria; EGMR, Urt. v. 03. 05. 2007 – 34797/03, ECLI:CE:ECHR:2007:0503JUD003479703 Rn. 43 – Ulusoy et autres / Turquie m. w. N.; EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007 – 36448/02, ECLI:CE:ECHR: 2007:1022JUD002127902 Rn. 51 – Lindon, Otchakovsky-Laurens and July / France; EGMR, Urt. v. 02. 10. 2008 – 36109/03, ECLI:CE:ECHR:2008:1002JUD003610903 Rn. 44 – Leroy /  France. 190 EGMR, Urt. v. 26. 04. 1979  – 6538/74, ECLI:CE:ECHR:1979:0426JUD000653874 Rn. 47 – The Sunday Times / T he United Kingdom (No. 1). 191 EGMR, Urt. v. 26. 04. 1979  – 6538/74, ECLI:CE:ECHR:1979:0426JUD000653874 Rn. 49 – The Sunday Times / T he United Kingdom (No. 1). 192 EGMR, Urt. v. 26. 04. 1979  – 6538/74, ECLI:CE:ECHR:1979:0426JUD000653874 Rn. 49 – The Sunday Times / T he United Kingdom (No. 1). 193 EGMR, Urt. v. 26. 04. 1979  – 6538/74, ECLI:CE:ECHR:1979:0426JUD000653874 Rn. 49  – The Sunday Times / T he United Kingdom (No. 1); vgl. z. B. auch EGMR, Urt. v. 25. 11. 1996  – 17419/90, ECLI:CE:ECHR:1996:1125JUD001741990 Rn. 37  – Wingrove / T he United Kingdom. Näher zu den Anforderungen an die Rechtsgrundlage der Beschränkung, s. Guide to Article 10 of the European Convention of Human Rights, S. 19–21, abrufbar unter: www.echr.coe.int/documents/guide_art_10_eng.pdf [Stand: 30. 04. 2021]. 194 Guide to Article 10 of the European Convention of Human Rights, S. 21, abrufbar unter: www.echr.coe.int/documents/guide_art_10_eng.pdf [Stand: 30. 04. 2021].

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

Schutz der Gesundheit oder der Moral, den Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, die Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen sowie die Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung. Die in der Rechtsprechung des EGMR am häufigsten herangezogenen Ziele zur Einschränkung der künstlerischen Meinungsfreiheit waren bisher wohl der Schutz der Moral bzw. Sittlichkeit, der Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, insbesondere in Form des Persönlichkeitsrechts und des Eigentums sowie die öffentliche Sicherheit.195 (c) Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EMRK Der letzte Prüfungsschritt des EGMR stellt in der Regel den Kern der Prüfung dar. An dieser Stelle erläutert der Gerichtshof den Schutzbereich196 sowie Aspekte der Interessenabwägung197. Im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit des Eingriffs steht den Konventionsstaaten nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ein Einschätzungsspielraum zu.198 Gerät die künstlerische Meinungsfreiheit mit Vorstellungen von Sittlichkeit oder Religion in Konflikt, ist dieser vergleichsweise groß.199 Bei politischen Äußerungen oder solchen, die von öffentlichem Interesse sind, ist er hingegen stark eingeschränkt, da diese besonders schutzwürdig seien.200 Die abschließende Prüfung, ob die Einschränkung als notwendig in einer demokratischen Gesellschaft gesehen werden kann, nimmt allerdings der Gerichtshof vor, indem er u. a. prüft, ob die Beschränkung einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprach und ob sie in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel stand.201 195

Vgl. dazu das Urteil EGMR, Urt. v. 07. 06. 2011 – 2777/10, ECLI:CE:ECHR:2011:0607D EC000277710 Rn. 2 – Ehrmann and Sci / France, indem der EGMR feststellt, dass in der Mehrheit der Fälle, die die künstlerische Meinungsfreiheit betrafen, die Beschwerdeführer zum Schutz der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung verurteilt wurden und auf entsprechende Beispiele verweist. Vgl. auch Villiger, Hdb. EMRK, S. 432. 196 Dazu bereits unter D. II. 1. b) bb) (1). 197 Näher dazu sogleich unter D. II. 1. b) bb) (3). 198 EGMR, Urt. v. 25. 11. 1996 – 17419/90, ECLI:CE:ECHR:1996:1125JUD001741990 Rn. 53 m. w. N. – Wingrove / T he United Kingdom. 199 Kritisch dazu: Dörr / Grote / Marauhn / Grote / Wenzel, EMRK / GG, Kap. 18 Rn. 130. 200 EGMR, Urt. v. 25. 11. 1996 – 17419/90, ECLI:CE:ECHR:1996:1125JUD001741990 Rn. 58 m. w. N. – Wingrove / T he United Kingdom. Der EGMR stellte unter Anführung von eigenen Urteilen fest, dass die Mehrheit der Fälle, die die künstlerische Meinungsfreiheit betrafen, solche Fälle gewesen sein, bei denen die Beschwerdeführer zum Schutz der Sittlichkeit oder der öffentlichen Ordnung erfolgten, EGMR Urt. v. 07. 06. 2011 – 2777/10, ECLI:CE:ECHR:2011: 0607DEC000277710 Rn. 2 – Ehrmann and Sci / France. 201 EGMR, Urt. v. 25. 11. 1996 – 17419/90, ECLI:CE:ECHR:1996:1125JUD001741990 Rn. 53 m. w. N. – Wingrove / T he United Kingdom.

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

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(3) Interessenabwägung des EGMR Im Rahmen seiner Interessenabwägung gewährt der EGMR künstlerischen Äußerungen kein generell höheres Schutzniveau gegenüber anderen Meinungsäußerungen. Dennoch berücksichtigt er die Eigengesetzlichkeiten der Kunst bei seiner Prüfung (a). Vielfach kommt den künstlerischen Äußerungen ihre begrenzte Reichweite zugute  (b). Künstlerische Ausdrucksformen, die zugleich zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beitragen, genießen besonderen Schutz unter Art. 10 EMRK (c).202 (a) Kein generell höheres Schutzniveau aber „kunstspezifische Betrachtung“ Ein generell höheres Schutzniveau von künstlerischen gegenüber anderen Formen der Meinungsäußerungen hat der Gerichtshof nicht angenommen.203 Allerdings nimmt der EGMR Rücksicht auf die Eigenheiten künstlerischer Äuße­ rungen, sodass man von einer mit dem deutschen Recht vergleichbaren, wenn auch weniger weit entwickelten „kunstspezifischen Betrachtung“204 sprechen könnte. Bei Parodien, Karikaturen und Satire prüft er die Aussagen mit besonderer Sorgfalt205 und identifiziert dabei Stilmittel, die notwendig für die künstlerische Ausdrucksform sind: Es läge in der Natur der Satire zu übertreiben, die Realität zu verzerren, zu provozieren und anzugreifen.206 Zwar könnten Beleidigungen aus 202 Für Aspekte die für die Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 10 EMRK eine Rolle spielen, vgl. Villiger, Hdb. EMRK, § 24 Rn. 764. 203 In der Entscheidung Sprayer von Zürich lässt der EGMR ausdrücklich offen, ob die künstlerische Ausdrucksfreiheit ein höheres Schutzniveau gewährt als andere Ausdrucksformen, EGMR, Urt. v. 13. 10. 1983 – 9870/82, ECLI:CE:ECHR:1983:1013DEC000987082 – N. / Switzerland. In ihrer abweichenden Meinung zu EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007 – 36448/02, ECLI: CE:ECHR:2007:1022JUD002127902 – Lindon, Otchakovsky-Laurens and July / France, stellten allerdings die EGMR-Richter Rozakis, Bratza, Tulkens und Sikuta fest, dass eine künstlerische Arbeit einen höheren Schutzstandard rechtfertigen könne als eine nicht künstlerische Ausdrucksform wie bspw. Werbung. Diese verschiedenen Ausdrucksformen könnten nicht gleichbehandelt werden., a. a. O. Rn. 4. Vgl. für eine grundsätzliche Gleichbehandlung der Arten von Meinungsäußerungen auch: EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988 – 10737/84, ECLI:CE: ECHR:1988:0524JUD001073784 Rn. 27 – Müller and others / Switzerland und EGMR, Urt. v. 21. 10. 2014 – 9540/07, ECLI:CE:ECHR:2014:1021JUD000954007 Rn. 45 – Murat Vural /  Turkey. 204 Dazu auch Dörr / Grote / Marauhn / Grote / Wenzel, EMRK / GG, Kap. 18 Rn. 129, die von einem „Kunstbonus“ sprechen. 205 EGMR, Urt. v. 25. 01. 2007  – 68354/01, ECLI:CE:ECHR:2007:0125JUD006835401 Rn. 33  – Vereinigung Bildender Künstler / Austria; EGMR, Urt. v. 20. 10. 2009  – 41665/07, ECLI:CE:ECHR:2009:1020JUD004166507 Rn. 27  – Alves da Silva  /  Portugal; EGMR, Urt. v. 02. 10. 2008 – 36109/03, ECLI:CE:ECHR:2008:1002JUD003610903 Rn. 44 – Leroy /  France; EGMR, Urt. v. 14. 03. 2013  – 26118/10, ECLI:CE:ECHR:2013:0314JUD002611810 Rn.  60 – Eon / France. 206 EGMR, Urt. v. 25. 01. 2007 – 68354/01, ECLI:CE:ECHR:2007:0125JUD006835401 Rn. 33 – Vereinigung Bildender Künstler / Austria.

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK fallen, wenn sie auf eine grundlose Verunglimpfung hinauslaufen würden, z. B. wenn die Beleidigung ihr einziger Zweck sei.207 Unter Berücksichtigung des satirischen Zwecks und des Kontexts der Verwendung könnten aber der beleidigende Stil einer Collage208 oder vulgäre Ausdrücke209 als nicht grundlos beleidigend zu werten sein. Es müsse eine Beurteilung im Lichte der Sprache erfolgen, die der Kunstform inhärent ist.210 Folglich können eine sorgfältigere Prüfung, insbesondere von Satire und die Einbeziehung des entsprechenden (satirischen) Stils, den Schutzbereich einer künstlerischen Meinungsäußerung gegenüber einer sonstigen Meinungsäußerung erweitern und die Interessenabwägung beeinflussen.211 Doch auch außerhalb der Parodie, Karikatur und Satire kann die spezielle Betrachtung von künstlerischen Ausdrucksformen Bedeutung erlangen. Zum Beispiel kann nach der Rechtsprechung des EGMR der künstlerische Charakter im Zusammenhang mit der begrenzten Wirkung des Werkes dazu führen, dass ein Roman eher als Ausdruck einer tiefen Verzweiflung zu werten sei und nicht als Aufruf zu Gewalt.212 In Anknüpfung an diese Rechtsprechung griff der Gerichtshof im Rahmen eines Verfahrens gegen die Punkband Pussy Riot die Ausführungen des UN-Sonder­ berichterstatters für die Förderung und den Schutz des Rechts auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, Frank La Rue, auf.213 Dieser stellte fest, dass künstlerische Äußerungen „unter Berücksichtigung ihres künstlerischen Wertes und ihres Kontextes betrachtet werden sollten, da Kunst dazu verwendet werden kann, starke Gefühle zu wecken, ohne die Absicht zu haben, zu Gewalt, Diskriminierung oder Feindseligkeit anzustiften“.214

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EGMR, Urt. v. 21. 02. 2012  – 32131/08, 41617/08, ECLI:CE:ECHR:2012:0221JUD00 3213108 Rn.  48 – Tusalp / Turkey. 208 EGMR, Urt. v. 02. 02. 2021  – 25200/11, ECLI:CE:ECHR:2021:0202JUD002520011 Rn.  55 – Dickinson / Turquie. 209 EGMR, Urt. v. 21. 02. 2012  – 32131/08, 41617/08, ECLI:CE:ECHR:2012:0221JUD00 3213108 Rn.  48–49 – Tusalp / Turkey. 210 EGMR, Urt. v. 02. 10. 2008  – 36109/03, ECLI:CE:ECHR:2008:1002JUD003610903 Rn.  39 – Leroy / France. 211 Der EGMR nimmt keine gesonderte Prüfung des Schutzbereichs vor. In der Regel stellt er kurz fest, dass ein Eingriff vorliegt und greift die Aspekte des Schutzbereichs dann im Rahmen der Interessenabwägung auf. 212 EGMR, Urt. v. 29. 03. 2005  – 40287/98, ECLI:CE:ECHR:2005:0329JUD004028798 Rn.  43 – Alinak / Turkey. 213 EGMR, Urt. v. 17. 07. 2018  – 38004/12, ECLI:CE:ECHR:2018:0717JUD003800412 Rn. 222, 106 – Mariya Alekhina and others / Russia. 214 La Rue, Report of the Special Rapporteur on the promotion and protection of the right to freedom of opinion and expression, A/67/357 vom 7. 09. 2012 Rn. 46 mit Verweis auf EGMR, Urt. v. 25. 01. 2007 – 68354/01, ECLI:CE:ECHR:2007:0125JUD006835401 Rn. 33 – Vereinigung Bildender Künstler / Austria. Abrufbar unter: undocs.org/pdf?symbol=en/A/67/357, [zuletzt abgerufen am 12. 11. 2021].

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

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Eine sorgfältigere Prüfung scheint jedoch nicht bei jeder Form künstlerischen Ausdrucks erforderlich zu sein. So ließ der Gerichtshof im Rahmen der Prüfung einer Verletzung von Art. 10 EMRK ausdrücklich offen, ob es sich um Kunst handelte,215 oder enthielt sich der Feststellung, dass die künstlerische Meinungsfreiheit betroffen sei,216 obwohl sich der Schutzbereich wie bereits festgestellt217 zugunsten von künstlerischen Äußerungen erweitern und kunstspezifische Aspekte im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen sein können. (b) Auswirkungen von Reichweite und Inhalt der künstlerischen Äußerungen auf die Interessenabwägung Der EGMR argumentiert in einigen Fällen, dass die Beeinträchtigung von widerstreitenden Grundrechten oder Interessen wie der Sicherheit und Ordnung durch eine künstlerische Äußerung aufgrund ihrer geringeren Reichweite weniger schwer wiege.218 Damit kann der Ausübung der Kunstfreiheit im Einzelfall der kleinere Adressatenkreis von kunstinteressierten und kunstverständigen Personen zugutekommen.219 Andersherum sei der Schutz von künstlerischen Äußerungen einzuschränken, wenn sie bestimmte gesellschaftliche Gruppen diskriminieren oder ein Aufruf zur Gewalt darstellen. Dabei sei das Potenzial der Äußerung zu schädigenden Auswirkungen zu führen, zu berücksichtigen.220 Erreichen die Äuße­ rungen die Grenze des Art. 17 EMRK ist ihnen der Schutz des Art. 10 EMRK sogar vollständig zu versagen.221 215

Vgl. EGMR, Urt. v. 07. 06. 2011 – 2777/10, ECLI:CE:ECHR:2011:0607DEC000277710 Rn. 2 – Ehrmann and Sci / France; EGMR, Urt. v. 25. 11. 1996 – 17419/90, ECLI:CE:ECHR: 1996:1125JUD001741990 – Wingrove / T he United Kingdom. Allerdings spricht der EGMR in Wingrove / T he United Kingdom durchgehend von (video) „works“, a. a. O. Rn. 56, 61, 62, 63. 216 EGMR, Urt. v. 15. 05. 2018  – 37326/13, ECLI:CE:ECHR:2018:0515JUD003732613  – Unifaun Theatre Productions Limited and others / Malta. 217 D. II. 1. b) bb) (1) (a). 218 Vgl. EGMR, Urt. v. 08. 07. 1999 – 23168/94, ECLI:CE:ECHR:1999:0708JUD002316894 Rn. 49, 52 – Karatas / Turkey. EGMR, Urt. v. 29. 03. 2005 – 40287/98, ECLI:CE:ECHR:2005: 0329JUD004028798 Rn. 41, 45  – Alinak / Turkey; EGMR, Urt.  v.  22. 10. 2007  – 36448/02, ECLI:CE:ECHR:2007:1022JUD002127902 Rn. 48 – Lindon, Otchakovsky-Laurens and July /  France. Allerdings spielt die Reichweite der Meinungsäußerung nicht nur bei künstlerischen Meinungen eine Rolle. Auch bei anderen Formen der Äußerung ist der Kontext der Äußerung von großer Bedeutung, s. dazu die Beispiele des Gerichtshofs in: EGMR, Urt. v. 17. 07. 2019 – 38004/12, ECLI:CE:ECHR:2018:0717JUD003800412 Rn. 220 – Mariya Alekhina and others /  Russia. Der Gerichtshof bewertet seine Beurteilungen selbst als „highly context-specific“, a. a. O. Rn. 221; EGMR Urt. v. 15. 10. 2015 – 27510/08, ECLI:CE:ECHR:2015:1015JUD002 751008 Rn.  208 – Perincek / Switzerland. 219 Auch Kempen beobachtet, dass der EGMR den Verbreitungsgrad als Kriterium im Rahmen der Interessenabwägung heranzieht, Stern / Sachs / Kempen, GRCh, Art. 13 Rn. 21. 220 EGMR, Urt. v. 17. 07. 2018  – 38004/12, ECLI:CE:ECHR:2018:0717JUD003800412 Rn. 219–220 – Mariya Alekhina and other / Russia. 221 Näher dazu unter D. II. 1. b) bb) (1) (a) (ee).

292

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

(c) Besonderer Schutz für künstlerische Äußerungen mit Bezug zu Fragen von öffentlichem Interesse Verkörpert die künstlerische Ausdrucksform zugleich eine Aussage, die sich auf eine Debatte von allgemeinem öffentlichem Interesse bezieht, genießt sie nach der Rechtsprechung des EGMR besonders starken Schutz.222 Denn jene, welche ein Kunstwerk herstellen oder aufführen, würden zu einem Austausch von Ideen und Meinungen beitragen, der wesentlich für eine demokratische Gesellschaft sei.223 Deshalb sei der Einschätzungsspielraum der Konventionsstaaten bei der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Meinungsfreiheit in diesen Fällen beschränkt.224 Zudem müssten Politiker eine besonders hohe Toleranz gegenüber Kritik in Form der Satire aufweisen.225 Auch die Ausführungen des EGMR zum Schutzbereich226 zeigen, dass der gesellschaftlich-politische Bezug zentral für den Schutz der Meinungsfreiheit ist. Denn Pluralismus, Toleranz und Offenheit, ohne die es keine „demokratische Gesellschaft“ geben könne, würden erfordern, dass auch kontroverse Meinungen geschützt sind.227 c) Zusammenschau: Art. 13 S. 1 GRCh unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung von EuGH, EGMR und der Grundrechtecharta Nachdem die künstlerische Meinungsfreiheit im Sinne des Art. 10 EMRK untersucht wurde, sollen die daraus gewonnenen Erkenntnisse für eine Konturierung der unionsrechtlichen Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh fruchtbar gemacht werden. Festzustellen ist, dass sich der Schutzbereich von Art. 13 S. 1 GRCh zwar 222

So auch Dörr / Grote / Marauhn / Grote / Wenzel, EMRK / GG, Kap. 18 Rn. 128–129; Stern /  Sachs / Kempen, GRCh. Art. 13 Rn. 21. Die Unterscheidung zwischen privaten Äußerungen oder Äußerungen mit öffentlichem Bezug zieht sich durch die gesamte Rechtsprechung des EGMR, a. a. O. Rn. 128; Vgl. EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007 – 36448/02, ECLI:CE:ECHR:2007:1 022JUD002127902 Rn. 51 – Lindon, Otchakovsky-Laurens and July / France. 223 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988  – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001073784 Rn. 33 – Müller and others / Switzerland. 224 EGMR, Urt. v. 25. 11. 1996 – 17419/90, ECLI:CE:ECHR:1996:1125JUD001741990 Rn. 58 m. w. N. – Wingrove / T he United Kingdom; EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007 – 36448/02, ECLI:CE: ECHR:2007:1022JUD002127902 Rn. 48 – Lindon, Otchakovsky-Laurens and July / France. 225 EGMR, Urt. v. 25. 01. 2007  – 68354/01, ECLI:CE:ECHR:2007:0125JUD006835401 Rn. 34  – Vereinigung Bildender Künstler / Austria; EGMR, Urt. v. 20. 10. 2009  – 41665/07, ECLI:CE:ECHR:2009:1020JUD004166507 Rn. 28 – Alves da Silva / Portugal. Vgl. dazu für die Meinungsfreiheit im Allgemeinen: EGMR, Urt. v. 08. 07. 1986 – 9815/82, ECLI:CE:ECHR: 1986:0708JUD000981582 Rn.  42 – Lingens / Austria. 226 D. II. 1. b) bb) (1) (a). 227 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988  – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001073784 Rn. 33 – Müller and others / Switzerland.

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

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stark an Art. 10 EMRK orientiert (aa), er aber gegenüber der EMRK selbständig ist und weiter reicht (bb). Art. 13 S. 1 GRCh liegt dabei sowohl sachlich als auch personell ein weites Schutzbereichsverständnis zugrunde (cc). Auch im Rahmen der Schranken des Art. 13 S. 1 GRCh sind sowohl die Vorgaben der EMRK als auch die Wertungen der Charta zu berücksichtigen (dd). Von großer Bedeutung für die Reichweite der Kunstfreiheit werden zukünftig die mit ihrer Ausübung verbundenen Folgen, insbesondere in Form von Grundrechtskollisionen sein (ee). Zu beachten ist schließlich, dass Art. 13 S. 1 GRCh neben dem individuellen auch einen objektiven Gewährleistungsgehalt aufweist, der im Rahmen der Anwendung und Ausgestaltung des Urheberrechts zu beachten ist (ff). aa) Orientierung des Schutzbereichs von Art. 13 S. 1 GRCh an Art. 10 EMRK Mangels Definition oder Umschreibung des Kunstbegriffs ist der Ausgangspunkt für den Schutz der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh zunächst denkbar unklar. Allerdings deutet das bisher einzige Urteil des EuGH zu Art. 13 S. 1 GRCh darauf hin, dass der Schutzgehalt der unionsrechtlichen Kunstfreiheit sich im Wesentlichen aus der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 EMRK entwickeln wird. Auch die Erläuterungen zur Charta, die für die Beschränkungen der Kunstfreiheit explizit auf die EMRK verweisen,228 stützen einen engen Bezug zu Art. 10 EMRK. Nach ihnen leitet sich die Kunstfreiheit außerdem primär aus der Gedankenfreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung ab. Zwar beinhaltet die Charta selbst die Gedanken- und Meinungsfreiheit, aber auch die Erläuterungen zu Art. 10 und Art. 11 GRCh verweisen auf die EMRK und ordnen einen ihr entsprechenden Gehalt an.229 Damit ergeben sich nicht nur die Beschränkungen, sondern auch Reichweite und Umfang der Kunstfreiheit mittelbar aus der EMRK. Eine vollständige Ableitung aus Art. 10 EMRK würde bedeuten, dass die Kunstfreiheit auch in Art. 13 S. 1 GRCh als Unterfall der Meinungsäußerungsfreiheit geschützt wird und für die Ermittlung ihres Inhalts daher hauptsächlich auf die Meinungsfreiheit zurückgegriffen würde. bb) Selbständiger und über Art. 10 EMRK hinausgehender Schutzbereich des Art. 13 S. 1 GRCh Trotz der Ableitung aus Art. 10 EMRK muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich die Europäische Union  – im Gegensatz zur EMRK  – für eine eigenständige Formulierung der Kunstfreiheit entschieden hat. Dies spricht dafür, die Kunstfreiheit nicht allein als künstlerische Äußerungsfreiheit und damit als Teil 228 229

Erläuterungen zur Charta der Grundrechte vom 14. 12. 2007, ABl. 2007/C 303/02, 22. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte vom 14. 12. 2007, ABl. 2007/C 303/02, 21.

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

der Meinungsäußerungsfreiheit auszulegen. Vielmehr müssen ihre Eigenheiten – auch außerhalb des Schutzes eines Kommunikationsprozesses  – berücksichtigt werden.230 Insbesondere bedarf auch der bisher in der Rechtsprechung des EMRK wenig behandelte, aber wohl von ihm anerkannte Werkbereich der Kunstfreiheit Schutz.231 Der Werkbereich konfligiert naturgemäß seltener mit den Grundrechten Dritter. Die daraus resultierende fehlende Sichtbarkeit in der bisherigen Rechtsprechung darf jedoch nicht zu einem geringeren Schutz dieses Bestandteils der Kunstfreiheit führen. Für einen ausgeprägten Schutz des Werkbereichs spricht auch die Bezugnahme der Erläuterungen auf die Gedankenfreiheit. Sie weist einen engen persönlichkeitsrechtlichen Bezug auf und schützt vor staatlicher Einflussnahme bei der Willensbildung, die der Meinungsäußerung vorgelagert ist.232 Insoweit lässt sich eine Parallele zwischen dem Wirkbereich vorgelagerten Werkbereich ziehen.233 Die zusätzliche Heranziehung der Gedankenfreiheit in den Erläuterungen der Charta234 bedeutet aber auch, dass der Schutz der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh weitreichender ist als der Schutz des Art. 10 EMRK, da die Gedankenfreiheit für die Bestimmung der künstlerischen Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des EGMR bisher keine Rolle gespielt hat. Die Charta erkennt also an, dass der Gewährleistungsgehalt von Art. 13 S. 1 GRCh sich nicht in dem Inhalt der Meinungsfreiheit des Art. 10 EMRK erschöpft, sondern jedenfalls auch die Gewährleistungen der Gedankenfreiheit heranzuziehen sind. Zudem ergibt sich aus den Erläuterungen zu Art. 13 GRCh eine Ableitung, nicht aber eine Entsprechung der Grundrechte, sodass dem EuGH Spielraum für eine eigenständige Entwicklung der Kunstfreiheit zusteht.235 Zwar hat der EGMR durch eine spezifische Perspektive auf die künstlerische Äußerungsfreiheit, vor allem bei der Behandlung von satirischen Ausdrucksformen, den Grundstein für die Entwicklung eines eigenständigen Grundrechts gelegt. Und auch die Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit als solcher wird dem EuGH eine Hilfestellung sein, da sich der Schutz der Meinungs- und der Kunstfreiheit in vielen Bereichen tatsächlich überschneiden. Dennoch ist es Aufgabe des EuGH durch einen stärkeren Fokus auf die Eigenheiten der Kunst, die grundrechtliche Selbständigkeit der Kunstfreiheit herauszuarbeiten und ihr Rechnung zu tragen.236 230 Auch Frenz entnimmt der eigenständigen Formulierung eine Stärkung der Kunstfreiheit, Handbuch Europarecht., Kap. 8 § 6 Rn. 2352. 231 Dazu unter D. II. 1. b) bb) (1) (a) (cc). 232 Karpenstein / Mayer / Ungern-Sternberg, EMRK, Art. 9 Rn. 1. 233 Dazu Frenz, Handbuch Europarecht, Kap. 8 § 6 Rn. 2352, 1574–1583. 234 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte vom 14. 12. 2007, ABl. 2007/C 303/02, 22. 235 Vgl. den Wortlaut der Erläuterung zu Art. 13 GRCh mit dem Wortlaut der Erläuterungen zu Art. 10 und Art. 11 GRCh, Erläuterungen zur Charta der Grundrechte vom 14. 12. 2007, ABl. 2007/C 303/02, 21–22. 236 Für die Erforderlichkeit einer Konturierung der Kunstfreiheit: Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 83–85.

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

295

Dies bedeutet auch, dass der Schutz der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh weiter reichen kann als die künstlerische Meinungsfreiheit des Art. 10 EMRK.237 Leider ist dies in der Entscheidung des EuGH in der Sache Pelham u. a. bisher nicht deutlich geworden. Die fehlende Definition eines Kunstbegriffs sowie die schlichte Übernahme des Schutzbereichs der künstlerischen Meinungsfreiheit nach EGMR-Rechtsprechung sind Ergebnis des Bestrebens, die Konformität des Unionsrechts mit der EMRK nicht zu gefährden. Allerdings ist zu vergegenwärtigen, dass die EMRK nur einen Mindeststandard darstellt und keine absolute Entsprechung fordert. Daher wäre es wünschenswert, wenn der EuGH zukünftige Entscheidungen nutzt, um den Schutzbereich der Kunstfreiheit weiterzuentwickeln und deren Selbständigkeit zu fördern, zum Beispiel indem er einen eigenständigen Kunstbegriff entwickelt. In Pelham u. a. hat er diese Chance mit der schlichten Übernahme von Systematik der EMRK-Grundrechte und Rechtsprechung des EGMR verpasst. cc) Weiter Schutzbereich der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh Art.  13 S. 1 GRCh liegt ein weites Schutzbereichsverständnis zugrunde. Der Schutzbereich zeichnet sich durch die Erfassung von Werk- und Wirkbereich (1), einem werkartunabhängigen, inhaltlich offenen Kunstbegriff (2), einer möglichen Inanspruchnahme von Eigentumsrechten Dritter (3) und einem auch in persön­ licher Hinsicht weitreichendem Grundrechtsschutz (4) aus. (1) Schutz von Werk- und Wirkbereich nach Art. 13 S. 1 GRCh Ausgangspunkt für den sachlichen Schutzbereich der Kunstfreiheit ist die vom EGMR übernommene Aussage des EuGH, dass „die durch Art. 13 der Charta garantierte Freiheit der Kunst, […] es ermöglicht, am öffentlichen Austausch von kulturellen, politischen und sozialen Informationen und Ideen aller Art teilzuhaben“.238 Neben dem daraus resultierenden Schutz der Kommunikation von Kunst (Wirkbereich), fällt allerdings auch deren vorgelagerte Herstellung (Werkbereich) in den Anwendungsbereich von Art. 13 S. 1 GRCh.239

237

Ebenso: Frenz, Handbuch Europarecht, Kap. 8 § 6 Rn. 2352. EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 34 – Pelham u. a. mit Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR. 239 Vgl. die Rspr. des EGMR, D. II. 1. b) bb) (1) (a) (cc); Stern / Sachs / Kempen, GRCh, Art. 13 Rn.  11; Calliess / Ruffert / Ruffert, EUV / A EUV, EU-GRCharta Art. 13 Rn. 4; Jarass, GRCh, Art. 13 Rn. 5 m. w. N.; Frenz, Handbuch Europarecht, Kap. 8 § 6 Rn. 2324, 2328, 2330. 238

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

(2) Werkartunabhängiger und inhaltlich offener Kunstbegriff Unter Berücksichtigung der Gedanken- und Meinungsfreiheit ist der Schutzbereich von Art. 13 S. 1 GRCh auch inhaltlich weit zu verstehen. Nicht nur Kunst, die allgemeine Akzeptanz genießt, wird von Art. 13 S. 1 GRCh geschützt, sondern auch solche Kunst, die die Bevölkerung verletzt, schockiert oder beunruhigt ist grundsätzlich vom Schutzbereich erfasst.240 Allerdings sind im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR zur Missbrauchsklausel des Art. 17 EMRK nach Art. 54 GRCh solche Ausdrucksformen von dem weiten Schutzbereich der Kunstfreiheit auszunehmen, die sich gegen die Grundwerte der Charta richten.241 Abgesehen von dieser Schutzbereichsausnahmen gebieten die Prävention eines „Kunstrichtertums“242 aber auch das Wesen der Kunst, dass die Kunst nicht nur inhaltlich, sondern auch in ihrer Formgebung frei ist und keiner qualitativen Kontrolle unterliegt. Daher darf sich der zukünftig zu entwickelnde Kunstbegriff nicht auf den Schutz bestimmter Werkarten beschränken. Vielmehr ist ein formal und inhaltlich offener Kunstbegriff zugrunde zu legen.243 Auch die Rechtsprechung des EGMR stützt diese Auffassung: Der Gerichtshof hat nicht nur inhaltlich unliebsame künstlerische Aussagen, sondern auch die unterschiedlichsten Arten von Ausdrucksformen dem Schutzbereich der künstlerischen Meinungsfreiheit zugewiesen. Zudem spricht auch die Nähe zur Gedanken- und Meinungsfreiheit, welche sich durch eine staatliche Neutralitätspflicht auszeichnen, für eine grundsätzlich neutrale Behandlung verschiedener Kunstformen.244 Aufgrund der Eigengesetzlichkeit und der damit verbundenen Unmöglichkeit einer abschließenden Definition könnte es sich anbieten, den Kunstbegriff als sog.  Typusbegriff einzuordnen, so wie dies Hoppe vorschlägt.245 Als Anhaltspunkte, die für die Charakterisierung eines Gegenstands als Kunst sprechen, nennt Hoppe neben dem Selbstverständnis des Künstlers eine typische künstlerische Gattungsform, einen typisch künstlerischen Inhalt sowie die Prägung durch eine

240

Vgl. dazu die Rspr. des EGMR, D. II. 1. b) bb) (1) (a) (aa). Stern / Sachs / L adenburger, GRCh, Art. 54 Rn. 2; a. A. Hoppe, die entsprechende künstlerische Erscheinungsformen auf Ebene der Rechtfertigung erfassen möchte, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 154–155. Vgl. auch Jarass, GRCh, Art. 54 Rn. 4 m. w. N. 242 Stern / Sachs / Kempen, GRCh, Art. 13 Rn. 10. Vgl. dazu auch Frenz, Handbuch Europarecht, Kap. 8 § 6 Rn.  2333. 243 Vgl. die ganz h. M.: Frenz, Handbuch Europarecht, Kap. 8 § 6 Rn. 2326; Tettinger /  Stern / Kempen, Kölner Gemeinschaftskommentar, Art. 13 Rn. 10–11; Stern / Sachs / Kempen, GRCh, Art.  13 Rn.  10; Calliess / Ruffert / Ruffert, EUV / A EUV, EU-GRCharta Art. 13 Rn. 3. S. auch Britz, EuR 2004, 1 (6) die den Kunstbegriff des Art. 13 S. 1 GRCh offen fassen will, damit er nicht hinter dem nationalen Grundrechtsschutz zurückbleibt. Allerdings darf der offene Kunstbegriff der deutschen Rechtsprechung nicht einfach übertragen werden, Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 86–87. 244 Für die Ähnlichkeit auch im Rahmen der EMRK: Hoppe, Die Kunstfreiheit als EUGrundrecht, S. 45–47. 245 Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 98–114. 241

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

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subjektive gestalterische Komponente.246 Ebenso könnte die Mannigfaltigkeit der Interpretationsmöglichkeit herangezogen werden.247 Allerdings ist bei der Heranziehung eines entsprechenden Typusbegriffs Vorsicht geboten. Denn da die Kunst von ihrer Eigengesetzlichkeit und stetigen Weiterentwicklung geprägt ist, können vor allem neuartige künstlerische Erscheinungsformen Eigenschaften aufweisen, die sich gegenüber den bekannten Kunstformen als untypisch darstellen. Selbst bei der Heranziehung inhaltlich-abstrakter Merkmale besteht daher die Gefahr, dass ein Kunstwerk bei strikter Anwendung des Typusbegriffs im Einzelfall nicht als solches erfasst wird. Daher dürfte der Typusbegriff „Kunst“ jedenfalls nicht auf abschließende Kriterien248 beschränkt sein.249 Um Missverständnisse im Hinblick auf den (nicht-)abschließenden Charakter des Typusbegriffs zu vermeiden, scheint es vorzugswürdig, von einem an der Form des Typusbegriffs orientierten, offenem Kunstbegriff zu sprechen. (3) Keine immanente Begrenzung des Schutzbereichs durch Eigentumsrechte Dritter Insbesondere entgegenstehende Eigentumsrechte Dritter können das Schaffen des Künstlers beschränken. Allerdings kann der Rechtsprechung des EuGH nicht entnommen werden, dass die Inanspruchnahme von Eigentumsrechten Dritter zum Zwecke der künstlerischen Betätigung von vornherein aus dem Schutz­bereich des Art. 13 S. 1 GRCh auszuschließen wäre. Vielmehr lehnte der Gerichtshof einen schranken- und bedingungslosen Schutz der Eigentumsfreiheit nach Art. 17 Abs. 2 GRCh ab,250 sodass auch die Nutzung fremder Audiofragmente sich zunächst im Schutzbereich der Kunstfreiheit bewegt.251 Auch im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung des Gehalts von Art. 13 S. 1 GRCh ist zu berücksichtigen, dass ein pauschaler Ausschluss der Nutzung fremden Eigentums zum Zweck der Ausübung der Kunstfreiheit nicht überzeugen

246

Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 114–127. Dieses Kriterium entstammt der Rspr. des BVerfG, dazu unter D. II. 2. a) aa) (1). 248 Vgl. zu dieser Interpretationsmöglichkeit des Typusbegriffs: Wank, Juristische Methodenlehre, § 8 Rn. 87 mit Verweis auf BVerfGE 145, 171. 249 So auch für den Kunstbegriff des GG: Isensee / K irchhof / v. Arnauld, HStR VII, § 167 Rn. 26–27. 250 EuGH, Urt. v. 24. 11. 2011 – C-70/10, ECLI:EU:C:2011:771 Rn. 43 – Scarlet Extended; EuGH, Urt.  v.16. 02. 2012  – C-360/10, ECLI:EU:C:2012:85 Rn. 41  – SABAM; EuGH, Urt. v. 27. 03. 2014  – C-314/12, ECLI:EU:C:2014:192 Rn. 61  – Telekabel Wien; EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 33 – Pelham u. a. 251 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 35 – Pelham u. a.; restriktiver: GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 92 – Pelham u. a. 247

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

kann.252 Dieser würde die Gleichrangigkeit der widerstreitenden Grundrechtspositionen253 verkennen. Vielmehr ist bei der Kollision von Kunstfreiheit und Eigentum eine Interessenabwägung im konkreten Einzelfall erforderlich. Daher kann sich auch ein Eingriff in die Eigentumsposition eines Dritten, wie z. B. ein Eingriff in bestehende Urheberrechte im Schutzbereich der Kunstfreiheit bewegen. Wird im Rahmen einer sorgfältigen Abwägung dann festgestellt, dass die Interessen des betroffenen Rechtsinhabers überwiegen, muss die Kunstfreiheit jedoch gegenüber der nach Art. 17 GRCh geschützten Eigentumsposition zurücktreten. Bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der Reproduzierbarkeit geistigen Eigentums ein Eingriff in die z. B. betroffenen Urheberrechte unter Umständen weniger schwer wiegt als ein Eingriff in das Sacheigentum. Es sind sogar Fälle denkbar, in denen der Eingriff in das geistige Eigentum durch den Künstler von dem betroffenen Eigentümer kaum oder gar nicht spürbar ist. Diese Fälle können nicht pauschal mit Situationen gleichgestellt werden, in denen durch die Ausübung der Kunstfreiheit das Eigentum in Form eines körperlichen Gegenstands betroffen ist, der möglicherweise in seiner konkreten Gestaltung nur einmal existiert oder über den zumindest der betroffene Eigentümer nur ein einziges Mal verfügt. So zum Beispiel, wenn die Hauswand eines Eigentümers mit Graffiti besprüht wird. Insofern geht auch der Vergleich von Generalanwalt Szpunar254 in seinem Schlussantrag zu Pelham u. a. fehl, der die Entnahme einer Tonsequenz mit der unentgeltlichen Nutzung von Pinsel und Leinwand gleichzusetzen versucht. Die Entnahme einer Tonsequenz führt im Gegensatz zu einer Wegnahme oder unentgeltlichen Überlassung von Pinsel und Leinwand nicht zu einem Eigentumsentzug beim betroffenen Eigentümer. Darüber hinaus sind die beiden Fallkonstellationen schon deshalb nicht vergleichbar, weil es sich bei Pinsel und Leinwand um beliebig austauschbare Werkzeuge zur Schaffung eines Gemäldes handelt. Das Sample ist aber eher mit einem bestimmten Ausschnitt des Motivs eines Bildes vergleichbar, das der Maler spezifisch aus dem Werk eines Dritten auswählt, um es in sein Gesamtmotiv einzuarbeiten. Nicht durch Pinsel und Leinwand, sondern erst durch die Auswahl und Ausgestaltung eines konkreten Motivs erhält das Gemälde seinen individuellen Charakter. Bei der Stilrichtung des Hip Hop kommt noch dazu, dass die Nutzung fremder Werkteile stilprägend ist und daher nicht durch eigene Werkteile substituiert werden kann. Austauschbare Werkzeuge bei der Verarbeitung eines Samples – und damit das tatsächlich passende Pendant zu Pinsel und Leinwand im Beispiel von GA Szpunar – stellen hingegen die für das Sampling erforderliche technische Ausrüstung, wie z. B. Laptops und Software dar. Denn für die Kunstform spielt es regelmäßig keine oder jedenfalls nur eine untergeordnete Rolle, mit welcher konkreten Soft- oder Hardware das Sample produziert und in 252

Vgl. so aber wohl Frenz, Handbuch Europarecht, Kap. 8 § 6 Rn. 2356 zumindest für die Beeinträchtigung von Sacheigentum. 253 Vgl. dazu aus deutscher Perspektive D. II. 2. a) aa) (6). 254 GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 92 – Pelham u. a.

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

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das Werk des Nutzers integriert wird. Charakterisierend für den einzelnen Song ist jedoch, dass ein bestimmter Originalausschnitt eines fremden Werkes weiterverarbeitet wird. (4) Weiter personeller Schutzbereich255 Unter Wahrung des Mindeststandards der EMRK können sowohl natürliche als auch juristische Personen den Schutz der Kunstfreiheit genießen.256 Aus der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des EGMR ergibt sich weiterhin, dass neben dem Künstler, der das Werk schafft, auch die Personen, die zur Wirkung der Kunstwerke beitragen, indem sie diese interpretieren, aufführen257, verbreiten oder ausstellen258 von Art. 13 S. 1 GRCh geschützt werden. Dies können beispielsweise Galeristen259 oder Verleger260 sein. Der Schutzbereich erstreckt sich somit auch in personeller Hinsicht auf den Werk- und Wirkbereich. Als sog. „Jedermann-Grundrecht“ ist der Schutz der Kunstfreiheit nicht an die Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates geknüpft. Auch Drittstaatsangehörige können somit Grundrechtsträger von Art. 13 S. 1 GRCh sein.261 Dafür spricht insbesondere die Anerkennung der künstlerischen Meinungsfreiheit durch den EGMR, vgl. Art. 52 Abs. 3 GRCh.262 dd) Einschränkungsmöglichkeiten von Art. 13 S. 1 GRCh Für die Einschränkung der Kunstfreiheit ist Art. 52 Abs. 1 GRCh maßgeblich, dessen Vorgaben für alle Beschränkungen der Charta-Grundrechte gelten.263 Gem. Art. 52 Abs. 1 S. 1 GRCh muss der Eingriff gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt achten. Außerdem ist eine hinreichende Bestimmtheit der 255

Eingehend zum personellen Schutzbereich: Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 159–167. 256 Dazu unter D. II. 1. b) bb) (b); Stern / Sachs / Kempen, GRCh, Art. 13 Rn. 9. 257 Vgl. EGMR, Urt. v. 03. 05. 2007 – 34797/03, ECLI:CE:ECHR:2007:0503JUD003479703 Rn. 42 – Ulusoy et autres / Turquie. 258 Vgl. EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988 – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001073784 Rn. 33 – Müller and others / Switzerland; EGMR, Urt. v. 03. 05. 2007 – 34797/03, ECLI:CE: ECHR:2007:0503JUD003479703 Rn. 42 – Ulusoy et autres / Turquie. 259 Vgl. EGMR, Urt. v. 24. 05. 1988 – 10737/84, ECLI:CE:ECHR:1988:0524JUD001073784 Rn. 27 – Müller and others / Switzerland. Die Beschwerdeführer der angeführten Entscheidung übten sehr unterschiedliche Berufe aus (vgl. Rn. 8 a. a. O.), trugen jedoch alle zur Ermöglichung der Ausstellung der Kunstwerke bei und waren damit von Art. 10 EMRK geschützt. 260 Vgl. EGMR, Urt. v. 16. 02. 2010 – 41056/04, ECLI:CE:ECHR:2010:0216JUD004105604 Rn.  22–24 – Akdas / Turquie. 261 Jarass, GRCh, Art. 13 Rn. 6 m. w. N.; Stern / Sachs / Kempen, GRCh, Art. 13 Rn. 9 m. w. N. 262 Dazu: Frenz, Handbuch Europarecht, Kap. 2 § 2 Rn. 310–314. 263 Jarass, GRCh, Art. 13 Rn. 13 m. w. N.; Heselhaus / Nowak / Haratsch, EU-GrundrechteHdB, § 29 Rn. 18 m. w. N.

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

gesetzlichen Grundlage notwendig.264 Nach Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRCh müssen die Einschränkungen erforderlich sein und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Dabei muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt werden. Zusätzlich sind nach den Erläuterungen zu Art. 13 GRCh265 sowie nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die Einschränkungen des Art. 10 Abs. 2 EMRK inklusive der dazu ergangenen Rechtsprechung des EGMR auf die Beschränkungen der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh anzuwenden.266 Dies bedeutet insbesondere, dass das einschränkende Gesetz eines der in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten Zwecke verfolgen muss. Im Ergebnis führt dies jedoch zu keiner bedeutenden Begrenzung der Einschränkungsmöglichkeiten des Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRCh.267 Schließlich kann Grundlage eines Eingriffs auch die Würde des Menschen im Sinne des Art. 1 GRCh sein.268 Bei der Anwendung der EGMR-Rechtsprechung im Rahmen der Beschränkungen von Art. 13 S. 1 GRCh ist zu berücksichtigen, dass die EMRK nur einen Mindeststandard darstellt, sodass die Einschränkungen auch geringer ausfallen können.269 Weiterhin ist zu beachten, dass der EGMR den Konventionsstaaten im Rahmen der Beschränkungen einen großen Ermessensspielraum zugewiesen hat. Innerhalb der Europäischen Union gilt hingegen ein einheitlicher Grundrechtsstandard, sodass der EuGH über die Reichweite der Unionsgrundrechte letztverbindlich entscheidet.270 Insbesondere in den Fällen, in denen die Kunstfreiheit mit moralischen oder sittlichen Vorstellungen konfligiert, kann der Gerichtshof somit die Reichweite der Einschränkungsmöglichkeiten stärker begrenzen als der EGMR und damit die Kunstfreiheit aufwerten.271 Eine etwaige Übernahme der Rechtsprechung des EGMR dahingehend, dass besonders strenge Anforderungen an die Einschränkung einer politisch-künstlerischen Äußerung zu stellen sind, darf jedenfalls nicht zu einer Benachteiligung nicht-politischer Kunst führen. Denn durch 264

Jarass, GRCh, Art. 13 Rn. 13. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte vom 14. 12. 2007, ABl. 2007/C 303/02, 22. 266 Das Verhältnis von Art. 52 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 3 GRCh sowie dessen (kumulative oder alternative) Anwendbarkeit auf Art. 13 S. 1 GRCh ist strittig. Dazu: Jarass, GRCh, Art. 13 Rn.  13 m. w. N.; Stern / Sachs / Kempen, GRCh, Art. 13 Rn. 18; Heselhaus / Nowak / Haratsch, EU-Grundrechte-HdB, § 29 Rn. 16–18. Vgl. Britz, EuR 2004, 1 (7); Schmitz, JZ 2001, 833 (839, 842); Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 208–210. 267 Jarass, GRCh, Art. 13 Rn. 14. 268 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte vom 14. 12. 2007, ABl. 2007/C 303/02, 22. 269 A. A. Schmitz, JZ 2001, 833 (839). 270 Dazu auch Britz, EuR 2004, 1 (7). 271 Frenz ist sogar der Auffassung, dass die Kunstfreiheit nach der GRCh schrankenlos gewährleitet werden könnte, Handbuch Europarecht, Kap. 8 § 6 Rn. 2351. Bei einer „Aufwertung“ der Kunstfreiheit muss der EuGH allerdings beachten, dass diese nicht mit einer Abwertung widerstreitender Grundrechte einhergeht, die den Mindeststandard der EMRK unterschreitet. 265

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

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eine entsprechende Privilegierung politischer Kunst findet eine Art Inhalts- und Niveaukontrolle statt, die im Ergebnis eine Unterscheidung von schutzwürdigerer und schutzunwürdigerer Kunst zur Folge hätte und daher eindeutig abzulehnen ist. Vorzugswürdig scheint es daher Art. 13 S. 1 GRCh ein einheitlich hohes Schutzniveau zugrunde zu legen, das – bis auf die Grenze des Art. 54 GRCh – unabhängig vom Inhalt des künstlerischen Ausdrucks ist. Ob die Forderung von Britz, die Schranken der Kunstfreiheit besonders eng auszulegen, damit das Unionsrecht nicht hinter nationalen Schutzstandards zurückbleibt272 Niederschlag in der Rechtsprechung des EuGH finden wird, bleibt abzuwarten. ee) Maßgeblichkeit der Auswirkungen der Ausübung der Kunstfreiheit für ihren Schutzumfang Im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR wird auch der EuGH die tatsächlichen Auswirkungen der Kunstfreiheit auf die kollidierenden Grundrechte bei der Abwägung mit diesen berücksichtigen. Bereits in der Entscheidung Pelham u. a. betonte er, dass der Tonträgerhersteller eine Beeinträchtigung seiner Eigentumsposition durch die Kunstfreiheit hinnehmen müsse, wenn er weiterhin einen zufriedenstellenden Ertrag aus seinen Investitionen erzielen kann.273 Die Berücksichtigung der Auswirkungen der Grundrechtsausübung auf widerstreitende Grundrechte stellt allerdings keine Besonderheit dar, sondern ist ein anerkanntes Mittel für die Erzielung eines angemessenen Ausgleichs kollidierender Grundrechtspositionen. Für die bisher unionsrechtlich weitgehend konturlose Freiheit der Kunst könnten die Auswirkungen ihrer Ausübung aber besonders bedeutsam sein, da es an einem konkreten Gewährleistungsgehalt von Art. 13 S. 1 GRCh bisher fehlt. Der Gehalt der Kunstfreiheit könnte sich somit nicht aus sich heraus, sondern insbesondere auf Grundlage ihrer Auswirkungen auf die Grundrechtspositionen Dritter entwickeln. ff) Zielrichtung der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh Bei Art. 13 S. 1 GRCh handelt es sich um ein Freiheitsrecht, das schon nach seinem Wortlaut neben der individualrechtlichen274 auch eine objektive Dimension aufweist.275 Dies bedeutet, dass der europäische Gesetzgeber dem Gewährleistungsgehalt der Kunstfreiheit im Rahmen der Ausgestaltung von Rechtsakten

272

Britz, EuR 2004, 1 (7). EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 38 – Pelham u. a. 274 Vgl. dazu Hoppe, Die Kunstfreiheit als EU-Grundrecht, S. 74, die den subjektiven Charakter von Art. 13 S. 1 GRCh hervorhebt. 275 So auch: Britz, EuR 2004, 1 (12–13); vgl. auch Frenz, Handbuch Europarecht, Kap. 8 § 6 Rn. 2332. 273

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D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

Rechnung zu tragen hat. Dabei muss er insbesondere die Eigengesetzlichkeit der Kunstfreiheit schützen und ihre Einschränkung durch sachwidrige Faktoren verhindern. Dazu gehört neben der Freiheit von staatlicher Einflussnahme auch sicherzustellen, dass wirtschaftliche Aspekte die Ausübung der Freiheit grundsätzlich nicht einschränken.276 Zudem haben die Gerichte die Kunstfreiheit bei der Auslegung des Urheberrechts als Teil des Privatrechts zu achten.277 d) Fazit zum Gewährleistungsgehalt von Art. 13 S. 1 GRCh Bislang fehlt es an einer Konkretisierung des Gewährleistungsgehalts der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh durch die Rechtsprechung. In seiner bislang einzigen Entscheidung zur Kunstfreiheit, Pelham u. a., hat der EuGH zur Umschreibung des Schutzbereichs die Ausführungen des EGMR zur künstlerischen Äußerungsfreiheit übernommen. Auch der Systematik des EGMR, die Kunstfreiheit als Teil der Meinungsäußerungsfreiheit zu verstehen, folgte er.278 Aus der Entscheidung selbst lassen sich sowohl einfachrechtliche als auch grundrechtliche Konsequenzen ziehen. Unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit ist ein Eingriff in das Vervielfältigungsrecht abzulehnen, wenn es an einer Wiedererkennbarkeit der Vervielfältigung im neuen Werk fehlt.279 Zudem hat der EuGH vor dem Hintergrund von Art. 13 S. 1 GRCh die Berufung auf das Zitatrecht nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL grundsätzlich für möglich gehalten. Dafür sei allerdings eine Interaktion des zitierenden Mediums mit dem Zitat erforderlich.280 Welche konkreten Anforderungen an die Interaktion zu stellen sind, ließ der EuGH offen, sodass die Entscheidung weder als grundsätzliches Verbot noch als Freibrief für das Sampling ausgelegt werden kann.281 Das Urteil hat weiterhin gezeigt, dass der EuGH für die Konkretisierung von Art. 13 S. 1 GRCh zukünftig im Einklang mit Art. 52 Abs. 3 GRCh auf die Rechtsprechung des EGMR zur künstlerischen Äußerungsfreiheit nach Art. 10 EMRK zurückgreifen wird.282 Allerdings verdeutlicht die Grundrechtecharta selbst, dass es nicht bei der schlichten Übernahme des Gewährleistungsgehalts von Art. 10 EMRK bleiben kann, sondern der EuGH gehalten ist, ein eigenständiges Grundrecht der Kunstfreiheit zu entwickeln. Wird die Kunstfreiheit weiterhin lediglich als Teil der Meinungsfreiheit verstanden, birgt das die Gefahr, dass

276

Britz, EuR 2004, 1 (17). Näher zur Bedeutung der Grundrechte für die Ausgestaltung und Auslegung des Urheberrechts als Teil des Privatrechts s. unter C. II. 278 D. II. 1. a) cc) (2) (a). 279 D. II. 1. a) aa). 280 D. II. 1. a) bb). 281 D. II. 1. a) cc) (1). 282 D. II. 1. a) cc) (2) (a); vgl. auch D. II. 1. b). 277

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

303

kunstspezifische Eigenheiten bei der Auslegung von Art. 13 S. 1 GRCh missachtet werden. Vor dem Hintergrund der Lösung des Konflikts von Urheberrecht und Kunstfreiheit ist von besonderer Bedeutung, dass Art. 13 S. 1 GRCh ein weiter Schutzbereich zugrunde liegt. Dieser schließt die Nutzung fremden Eigentums nicht aus, orientiert sich an einem werkartunabhängigen, offenen Kunstbegriff und erfordert eine kunstspezifische Betrachtung. Aufgrund des objektiven Gewährleistungsgehalts von Art. 13 S. 1 GRCh sind diese Faktoren nicht nur von der Rechtsprechung, sondern auch vom Gesetzgeber bei der Gestaltung des Urheberrechts zu berücksichtigen.283

2. Gewährleistung der Kunstfreiheit durch das Grundgesetz nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Trotz der bindenden grundrechtlichen Vorgaben des Unionsrechts ist zur Ermittlung der Bedeutung der Kunstfreiheit für die Schranken des Urheberrechts auch auf die grundrechtlichen Vorgaben abzustellen, die sich aus dem Grund­ gesetz ergeben. Zum einen, da sie für den geringen Bereich des nicht harmonisierten Urheberrechts maßgeblich sind und zum anderen, da sie auch im Bereich der harmonisierten Schrankenregelungen ausnahmsweise, insbesondere in einem „Solange-Fall“, der Charta vorgehen können.284 Dabei ist zu beachten, dass die EMRK über Art. 20 Abs. 3 GG in das Grundgesetz und damit auch in die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG einstrahlt. Allerdings folgt daraus nur, dass die EMRK als Auslegungshilfe dient. Anwendungsvorrang genießt sie nicht,285 sodass Inhalt und Umfang der grundgesetzlichen Kunstfreiheit der ausdifferenzierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnommen werden können. Ein Rückgriff auf die EMRK ist somit für die Bestimmung des Gehalts von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG an dieser Stelle nicht erforderlich. Der Gewährleistungsgehalt der Kunstfreiheit soll anhand des Schutzbereichs (a) und der Schranken (b) ermittelt werden. Darüber hinaus wird eine Abgrenzung zur Meinungsfreiheit vorgenommen (c) und die Schutzrichtung von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG bestimmt (d). Abschließend erfolgt ein Fazit zum Gewährleistungsgehalt der grundgesetzlich geschützten Kunstfreiheit (e).

283

D. II. 1. c) (ff). Zu den Ausnahmefällen unter C. III. 3. 285 Zur Bedeutung der EMRK für das deutsche Recht: Edenharter, Grundrechtsschutz, S. 769–775. 284

304

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

a) Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Zu unterscheiden ist zwischen der sachlichen (aa) und personellen (bb) Dimension des Schutzbereichs. aa) Sachlicher Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Kennzeichnend für den sachlichen Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist der Kunstbegriff (1), das staatliche Neutralitätsgebot (2), der Schutz von Werk- und Wirkbereich (3) sowie eine kunstspezifische Betrachtung (4). Zur Veranschau­ lichung des sachlichen Schutzbereichs werden außerdem einige von dem Bundesverfassungsgericht bisher als Kunst eingestufte Werkarten angeführt (5). Für die Untersuchung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht ist darüber hinaus die Frage zu beantworten, ob auch die Inanspruchnahme von Eigentumspositionen Dritter vom Schutzbereich gedeckt ist (6). (1) Der Kunstbegriff des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Zentral für den sachlichen Schutzbereich und damit den Gewährleistungsgehalt von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist der Kunstbegriff.286 Zugleich stellt die Definition des Begriffs „Kunst“ ein scheinbar unauflösbares Dilemma dar. Es besteht ein innerer Widerspruch zwischen der Anerkennung der Eigengesetzlichkeit von Kunst, die sich gerade durch ihre Ungreifbarkeit auszeichnet und der dogmatischen Notwendigkeit einer rechtlichen Definition zur Begrenzung des Schutzbereichs.287 Dies macht eine eindeutige und abschließende sprachliche Erfassung von künstlerischen Ausdrucksformen unmöglich.288 Auch das Bundesverfassungsgericht betont wiederholt die Schwierigkeit einer abschließenden Definition.289 Daher näherte es sich der rechtlichen Beschreibung von Kunst bisher aus verschiedenen Perspektiven. In seiner ersten Entscheidung zur Kunstfreiheit, Mephisto, stellte das Bundesverfassungsgericht auf den materialen Kunstbegriff290 ab.291 Danach ist

286

Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 12. Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 36; Jarass / Pieroth / Jarass, GG, Art. 5 Rn. 118 m. w. N. 288 Bethge spricht von einer „nur unvollkommenen verfassungsrechtlichen Umsetzbarkeit“, Sachs / Bethge, GG, Art. 5 Rn. 182 m. w. N. Kunst rechtlich zu erfassen, laufe auf eine „Quadra­ tur des Kreises hinaus“, a. a. O.; vgl. auch BVerfGE 67, 213 (225) – Anachronistischer Zug m. w. N. 289 S. z. B.: BVerfGE 30, 173 (189)  – Mephisto; besonders eingehend unter der Verwendung drei verschiedener Definitionsansätze: BVerfGE 67, 213 (224–227)  – Anachronis­ tischer Zug; BVerfGE 119, 1 (20) – Roman „Esra“; BVerfG NJW 2019, 1277 Rn. 15 – Märchen­ bilder. 290 Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 37. 291 BVerfGE 30, 173 (188–189) – Mephisto; Meyer-Cording, JZ 1976, 737 (739–740). 287

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

305

Kunst im Sinne der Verfassung die „freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden“292. Etwas später, in der Entscheidung Anachronistischer Zug, führte das Bundesverfassungsgericht drei verschiedene Definitionsansätze auf. Neben dem materialen trat als zweite Annäherung der formale Kunstbegriff. Danach kann die Kunsteigenschaft eines Gegenstandes angenommen werden, wenn er sich einer anerkannten künstlerischen Werkgattung zuordnen lässt, also wenn „bei formaler, typologischer Betrachtung, die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps erfüllt sind“293. Liegt ein Gemälde, ein Lied oder eine Skulptur vor, kann somit ohne weitere inhaltliche Bewertung von einem Kunstwerk ausgegangen werden. Vorteilhaft an diesem Definitionsansatz ist, dass eine inhaltliche Einflussnahme vermieden wird.294 Negativ zu bewerten ist jedoch, dass der formale Kunstbegriff neue, bisher unbekannte Erscheinungsformen künstlerischen Ausdrucks ausschließt und damit der sich permanent evolvierenden Kunstszene nicht gerecht wird.295 Kunst der „Avantgarde“, die sich gerade dadurch auszeichnet, dass sie sich bisher unbekannter Gestaltungsmittel bedient und damit neue Kunstformen hervorbringt, wäre damit nicht vom Schutzbereich erfasst.296 Als dritten Ansatz zog das Bundesverfassungsgericht als charakterisierendes Merkmal der Kunst heran „daß es wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutung zu entnehmen, so daß sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt“297 (sog. offener oder kommunikationstheoretischer Kunstbegriff)298. Den noch vom Reichsgericht verwendeten und in der Literatur diskutierten ästhetischen Kunstbegriff zog das Bundesverfassungsgericht richtigerweise nie heran.299 Auch der Vorschlag, die Kunsteigenschaft im Einzelfall durch einen Sachverständigen feststellen zu lassen (sog. Drittanerkennung), wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht auf-

292

BVerfGE 30, 173 (189) – Mephisto. BVerfGE 67, 213 (226–227) – Anachronistischer Zug. 294 Dreier / Wittreck, GG Art. 5 III (Kunst) Rn. 38; einen formalen Ansatz befürwortend: Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 219 m. w. N. 295 So auch Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 38 m. w. N. 296 Henschel, NJW 1990, 1937 (1939). 297 BVerfGE 67, 213 (227) – Anachronistischer Zug. 298 v. Mangoldt / K lein / Starck / Chr. Starck / A . L. Paulus, GG, Art. 5 Rn. 423. 299 Dieser kann nicht überzeugen, da er von dem Kunstwerk eine bestimmte Ästhetik fordert, die provozierende und anstößige Ausdrucksformen von vornherein ausschließt, dazu Meyer-Cording, JZ 1976, 737 (740) m. w. N. Es ist jedoch gerade eine wesentliche Funktion von Kunst, Missstände zu thematisieren sowie Gedanken und Erfahrungen zu verarbeiten, die nicht bei der Mehrheit der Gesellschaft auf Gefallen stoßen müssen. Daher muss die Kunstfreiheit, um ihre Funktion als Minderheitenrecht zu erfüllen, unabhängig von der Gunst der Mehrheit bestehen. Nach Bethge könne die Mehrheitsmeinung der Gesellschaft nicht einmal als „Richtschnur“ für die Begriffsdefinition dienen, Sachs / Bethge, GG, Art. 5 Rn. 185; Ähnlich auch Schick, JZ 1970, 645 (645–646) m. w. N.; sowie Gostomzyk, NJW 2021, 1939 (1941). 293

306

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

gegriffen.300 Vielmehr nutzte das Bundesverfassungsgericht den formellen und den materiellen Kunstbegriff in der Folgezeit kumulativ.301 Bereits in der Entscheidung Josefine Mutzenbacher äußerte das Gericht jedoch Zweifel, ob die formellen Charakteristika zur Bestimmung der Kunsteigenschaft genügen würden.302 Schließlich hat sich der materiale Kunstbegriff in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durchgesetzt.303 Um die materielle Kunsteigenschaft anzunehmen, ist dabei eine Gesamtbetrachtung maßgeblich.304 Im Einklang mit der Abkehr von der Orientierung an formellen Kriterien steht auch die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass Satire Kunst darstellen kann, es sich aber nicht bei jeder Satire zwangsläufig um Kunst handelt.305 Trotz der Problematik einer abschließenden Definition ist in der Praxis selten streitig, ob die Kunsteigenschaft eines Objekts anzunehmen ist oder nicht.306 Streitig ist häufiger die Grenzziehung im Hinblick auf die Reichweite der Kunstfreiheit.307 (2) Staatliches Neutralitätsgebot im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Feststeht, dass die Konturierung des Schutzbereichs nicht zu einem „Kunstrichtertum“ führen darf.308 Staatliche Institutionen sind zwar gezwungen, eine 300

Befürwortend aber Schick, JZ 1970, 645 (646–647). BVerfGE 81, 278 (291)  – Bundesflagge; BVerfGE 81, 298 (305)  – Deutschlandlied; BVerfG GRUR 2001, 149 (151) – Germania 3. In BVerfGE 75, 369 (377) – Strauß-Karikatur verwendet das Gericht allein den materialen Kunstbegriff, weist aber auch auf die Form der Karikatur hin. 302 S. BVerfGE 83, 130 (138) – Josefine Mutzenbacher. 303 BVerfG NJW 2002, 3767 – Bonnbons mit der Feststellung, dass nicht jede Satire Kunst sei unter Verweis auf BVerfGE 86, 1 (9) – „geb. Mörder“ und BVerfG NJW 1998, 1386 (1387) – Münzen-Erna; s. ebenso: BVerfGE 119, 1 (20–21)  – Roman „Esra“; vgl. BVerfGE 142, 74 Rn. 68 – Metall auf Metall; BVerfG NJW 2018, 1744 Rn. 13 – Straßenfotografie; BVerfG NJW 2019, 1277 Rn. 15 – Märchenbilder; vgl. BVerfG NJW 2021, 1939 Rn. 16. 304 Vgl. BVerfGE 81, 278 (291) – Bundesflagge. 305 BVerfGE 86, 1 (9) – „geb. Mörder“; BVerfG NJW 1998, 1386 (1387) – Münzen-Erna; BVerfG NJW 2002, 3767 – Bonnbons; vgl. zuvor noch BVerfGE 75, 369 (377) – Strauß-Karikatur, dort bezeichnet das BVerfG Satire und Karikatur ohne weitere Anmerkung als Kunstgattungen. 306 Regelmäßig führen die verschiedenen Definitionsansätze zum selben Ergebnis, Dreier /  Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst), Rn. 41 m. w. N. Streitig ist die Kunsteigenschaft eher bei offensichtlich missbräuchlicher Berufung auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG bspw. Gastwirte, die das Rauchverbot umgehen wollen, indem sie ihr Lokal als „Improvisationstheater“ deklarieren, a. a. O. Fn. 175 m. w. N. 307 So bereits Henschel, NJW 1990, 1937 (1940). 308 Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 36 m. w. N.; vgl. BVerfGE 30, 173 (190–191) – Mephisto; vgl. BGH NJW 1975, 1882 (1883–1884); v. Mangoldt / K lein / Starck / Chr. Starck /  A. L.  Paulus, GG, Art. 5 Rn. 420 m. w. N.; s. zum historischen Hintergrund dieser vielfach betonten Feststellung: Meyer-Cording, JZ 1976, 737, (738–739) und BGH NJW 1975, 1882 (1884). Nach Schick, solle die Kunstfreiheitsgarantie dies gerade verhindern, JZ 1970, 645 (646) m. w. N. Deshalb fordert er, dass die Frage, ob Kunst vorliege ohne richterliche Überprüfung von einem Sachverständigen entschieden werden müsse, a. a. O. (647). 301

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

307

Abgrenzung von Nicht-Kunst und Kunst vorzunehmen, um Letztere zu schützen. Dabei müssen sie jedoch das staatliche Neutralitätsgebot wahren.309 Daher entzieht sich die Kunst einer richterlichen Stil-, Niveau- oder Inhaltskontrolle.310 Der verfassungsrechtliche Schutz eines Kunstwerks hängt nicht von der Höhe seiner künstlerischen Qualität ab.311 Auch eine Abstufung des Schutzes nach – wie auch immer gearteten – qualitativen Maßstäben ist unzulässig, da sie der staatlichen Neutralitätspflicht widersprechen würde. Die Portraitfotografie eines unbekannten Künstlers verdient unter Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG denselben Schutz wie das Gemälde eines namenhaften Kunstschaffenden. Ebenso ist der Schutz nicht allein auf ästhetische und der Allgemeinheit gefällige Ausdrucksformen begrenzt. Auch polemische, anstößige oder aufgrund anderer Umstände unliebsame Inhalte sind von der Kunstfreiheit geschützt. Unerheblich ist weiterhin, dass der künstlerische Ausdruck zugleich eine Meinung transportiert.312 Als bei künstlerischen Äußerungen gegenüber Art. 5 Abs. 1 GG vorrangiges Grundrecht bleibt die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG maßgeblich.313 Im Zweifel ist die Frage, ob der sachliche Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eröffnet ist großzügig zu beantworten.314 (3) Schutz von Werk- und Wirkbereich nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG schützt sowohl den Werk- als auch den Wirkbereich.315 Dies bedeutet, dass Kunstschaffende nicht nur den Schutz genießen, ihr Kunstwerk ohne staatlichen Einfluss herzustellen. Vielmehr gewährleistet die Kunstfreiheit auch das Werk der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und es zu verbreiten. Zum Wirkbereich gehören dabei neben der unmittelbaren Aufführung oder Präsentation eines Werkes auch die Tätigkeiten, die mittelbar oder unmittelbar zur Vermittlung beitragen wie bspw. Werbung für ein Werk316 oder das Verlegen eines Romans.317 Ebenso sind die Tätigkeiten von Galeristen, 309

Sachs / Bethge, GG, Art. 5 Rn. 190 m. w. N.; vgl. BGH NJW 1975, 1882 (1884). Vgl. BVerfGE 81, 278 (291) – Bundesflagge; BVerfGE 75, 369 (377) – Strauß-Karikatur; BVerfGE 83, 130 (139) – Josefine Mutzenbacher; BVerfG NJW 2019, 1277 Rn. 16 – Märchenbilder. 311 Vgl. BVerfG NJW 2001, 596 (597). 312 BVerfGE 81, 278 (291), dies sei bei der „engagierten Kunst“ gerade üblich, a. a. O. Im Gegensatz zur Rechtsprechung des EGMR ist eine künstlerische Äußerung nach Auffassung des BVerfG nicht geschützt, weil sie eine Meinung vermittelt, sondern obwohl sie dies tut. Zum Vergleich s. D. II. 1. b) bb). 313 Vgl. BVerfGE 30, 173 (191, 200) – Mephisto; BVerfGE 75, 369 (377) – Strauß-Karikatur; BVerfGE 81, 278 (291) – Bundesflagge. 314 So auch Gostomzyk, NJW 2021, 1939 (1941). 315 BVerfGE 30, 173 (191) – Mephisto; BVerfGE 81, 278 (292) – Bundesflagge; BVerfGE 142, 74 Rn. 68 – Metall auf Metall m. w. N. 316 BVerfGE 77, 240 (251) – Herrnburger Bericht. 317 BVerfGE 30, 173 (191) – Mephisto; BVerfG GRUR 2001, 149 (151) – Germania 3. 310

308

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

Schauspielern318 sowie Film- oder Musikproduzenten geschützt.319 Die wirtschaftliche Verwertung als solche kann allenfalls dann als Teil des Wirkbereichs geschützt sein, wenn ein Eingriff die Herstellung und Verbreitung des Kunstwerks praktisch unmöglich machen würde.320 Da die verschiedenen Zwecke von Kunst sich vielfach erst durch die Rezeption durch sein Publikum realisieren können, ist der Schutz des Wirkbereichs von besonderer Bedeutung. Natürlicherweise tritt der Wirkbereich zugleich eher in Konflikt mit Grundrechten Dritter,321 sodass hauptsächlich dieser in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts thematisiert wird.322 Das Bundesverfassungsgericht selbst reflektiert, dass die Freiheitgarantie des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG bisher vor allem Wirkung im Rahmen des Wirkbereichs entfaltet hat.323 Zwar stellte das Gericht in der Entscheidung Herrnburger Bericht fest, dass der Werkbereich grundsätzlich weniger einschränkungsfähig sei als der Wirkbereich. Daraus ergebe sich jedoch lediglich eine tatsächliche Vermutung, dass die Kunstfreiheit im Werkbereich eher Vorrang genieße als im Wirkbereich.324 Ein abgestuftes Schutzkonzept besteht hingegen auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht, sodass beide Bereiche an denselben Schranken zu messen sind.325 Denn Werk- und Wirkbereich sind eng miteinander verflochten und wirken wechselseitig aufeinander ein. Teilweise fallen sie sogar zusammen, z. B. bei Performances oder wie in dem vom Bundesverfassungsgericht behandelten Fall der Aufführung des Anachronistischen Zuges326. Folglich bezeichnet sie das Bundesverfassungsgericht als eine unlösbare Einheit.327 Je näher die Handlung jedoch dem Kern der Kunstfreiheit zuzuweisen ist, desto stärker sei sie bei der Interessenabwägung mit möglicherweise widerstreitenden Grundrechten oder 318

Vgl. BVerfGE 67, 213 (227) – Anachronistischer Zug. S. Dreier / Wittreck, Art. 5 III (Kunst) Rn. 47 m. w. N. 320 Ausdrücklich offengelassen in: BVerfGE 31, 229 (240) – Kirchen- und Schulgebrauch; vgl. dazu auch die Feststellung des BVerfG im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen die Kunstfreiheit, dass die Steuer nicht „erdrosselnd“ wirke, BVerfGE 36, 321 (333) – Schallplatten. Das BVerwG nahm demgegenüber – dogmatisch wenig überzeugend – den Schutz der Verwertung bereits dann an, wenn er mit der Herstellung zeitlich eng verknüpft ist, vgl. BVerwG NJW 1990, 2011. 321 Vgl. BVerfGE 77, 240 (253–254) – Herrnburger Bericht. 322 Gleiches gilt für die Rspr. des EGMR, vgl. D. II. 1. c) cc). 323 BVerfGE 119, 1 (22) – Roman „Esra“ m. w. N.; BVerfG NJW 2019, 1277 Rn. 16 – Märchenbilder. 324 BVerfGE 77, 240 (253–254) – Herrnburger Bericht. Kritisch dazu die Urteilsanmerkung von Würkner, der bemängelt, dass das BVerfG den Wirkbereich „zur Freiheit zweiter Klasse“ erklärt habe, a. a. O. (328). Vgl. dazu auch Müller, der von einer „Relativität“ des Schutzes im Wirkbereich spricht, JZ 1970, 87 (90). 325 BVerfGE 77, 240 (254)  – Herrnburger Bericht; Ein abgestuftes Schutzkonzept wurde zuvor von Starck vorgeschlagen, der auch nach der Entscheidung des BVerfG gegen eine Differenzierung daran festhielt, v. Mangoldt / K lein / Starck, GG 5. Aufl., Art. 5 Rn. 330–334 m. w. N. Nun restriktiver: v. Mangoldt / K lein / Chr. Starck / Paulus, GG, Art. 5 Rn. 454. Für die Gleichwertigkeit von Werk- und Wirkbereich trotz ihrer Unterschiede s. auch: Müller, Freiheit der Kunst, S. 103–104. 326 Vgl. BVerfGE 67, 213 – Anachronistischer Zug. 327 BVerfGE 77, 240 (254) – Herrnburger Bericht; BVerfGE 30, 173 (189) – Mephisto. 319

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

309

anderen Verfassungsgütern zu berücksichtigen.328 Daher würde bei einer Interessenabwägung bspw. ein Verbot der als Annex zur Kunstfreiheit geschützten Werbung329 für ein Kunstwerk weniger schwer wiegen als ein Verbot der Herstellung des Kunstwerkes. Durch die umfängliche Anerkennung des Wirkbereichs liegt dem Schutzbereich daher ein weites Verständnis zugrunde. Dieser darf nicht vor dem Hintergrund eingeschränkt werden, dass die Kunstfreiheit vorbehaltlos gewährleistet wird.330 Denn eine sachgerechte und differenzierte Berücksichtigung von gegenüberstehenden Interessen Dritter bleibt auf der Schrankenebene möglich. Für die genaue Konturierung von Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Ausübung der Kunstfreiheit stehen und daher in den sachlichen Schutzbereich der Kunstfreiheit fallen können, hat das Bundesverfassungsgericht bisher keine abstrakten Maßstäbe entwickelt. Es hat jedoch festgestellt, dass die Nutzung fremden Eigentums nicht von vornherein aus dem Schutzbereich der Kunstfreiheit fallen kann.331 Müller schlägt für die Abgrenzung von innerhalb des Schutzbereichs liegenden Tätigkeiten zu Verhalten außerhalb des Schutzbereichs das Vorliegen eines kunstspezifischen Zusammenhangs vor.332 Die Unterscheidung wie Müller sie vorgenommen hat,333 von sachspezifischen und nicht sachspezifischen Nutzungen fremden Eigentums scheint auf den ersten Blick charmant. Danach würde der bloß im äußerlichen Zusammenhang stehende Diebstahl von Material wie Pinsel und Leinwand bereits außerhalb des Schutzbereichs der Kunstfreiheit liegen. Während seine Abgrenzung in diesem Beispiel überzeugt, zeigt sie in weniger eindeutigen von ihm angeführten Fallkonstellationen auch Schwächen. Das Malen auf der Straßenkreuzung ist  – entgegen Müllers Auffassung  – nicht immer unsachspezifisch. Es kann dem Künstler z. B. darauf ankommen, gerade im Einfluss des gegenwärtigen Straßenverkehrs die Stimmung einzufangen und die Autos in ihrer Bewegung unmittelbar darzustellen.334 Das Kriterium eines kunstspezifischen Zusammenhangs kann daher nicht abstrakt,335 aber unter der Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls weiterhelfen und damit die Grenzziehung des Schutzbereichs ermöglichen. Bei künstlerisch-referenziellen Nutzungen scheint die Grenzziehung zwischen sachspezifischen und unsachspezifischen Eingriffen

328

BVerfGE 77, 240 (254) – Herrnburger Bericht. „Annexfunktion der Werbung für die Kunst“, BVerfGE 77, 240 (256–257) – Herrnburger Bericht. 330 Dazu Sachs / Bethge, GG, Art. 5 Rn. 188 m. w. N. 331 Dazu D. II. 2. a) aa) (6). 332 Müller, Freiheit der Kunst, S. 100; ders., JZ 1970, 87 (91, 92). 333 Müller, Freiheit der Kunst, S. 100. 334 Vgl. Hoffmann, NJW 1985, 237 (239) m. w. N. 335 Insbesondere ergibt sich aus Müllers Ansatz auch nicht ein grundsätzlicher Ausschluss in die Eigentumspositionen Dritter (anders wohl das Verständnis von Dreier / Wittreck Art. 5 III (Kunst) Rn. 49 und Zöbeley, NJW 1985, 254 (257) die in diesem Zusammenhang auf Müller verweisen). Dies zeigt auch ein Vergleich mit Müller, JZ 1970, 87 (89). 329

310

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

in Eigentumsrechte Dritter weniger problematisch. Denn dort wird gerade die Referenz, d. h. die Werknutzung nach den §§ 51, 51a UrhG künstlerischen Charakter aufweisen und somit sachspezifisch sein. Folglich ist ein kunstspezifischer Zusammenhang anzunehmen und der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG auf die Nutzung des urheberrechtlich geschützten Werks zu erstrecken. (4) Beispiele aus der Rechtsprechung von nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützten Kunstformen Das Bundesverfassungsgericht hat sich bisher vor allem mit dem verfassungsrechtlichen Schutz anerkannter Kunstformen auseinandergesetzt. Unter anderem sah es den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG für Romane,336 politisches Straßentheater,337 satirische Darstellungen wie eine Collage338 oder Liedtexte339 sowie für Karikaturen340 und das Sampling341 als eröffnet an. (5) „Werkgerechte Beurteilung“ und kunstspezifische Betrachtung im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Die Eigengesetzlichkeit der Kunst führt auch dazu, dass die rechtliche Beurteilung des Kunstwerkes aus einer besonderen Perspektive erfolgt und u. U. spezielle Methoden verlangt. Das Bundesverfassungsgericht fordert deshalb eine Beurteilung der Kunst an „werkgerechten“ Maßstäben.342 Dies bedeutet, dass die Kunstwerke unter Berücksichtigung der ihr wesenseigenen Merkmale betrachtet und bewertet werden müssen.343 Dabei ist eine Gesamtbetrachtung des Kunstwerkes vorzunehmen.344 Kritische Darstellungen, Verzerrungen und Übertreibungen in Form der Satire und Karikatur dürfen daher nicht schlicht wortgetreu beurteilt und in Folge als die Kunstfreiheit einschränkende Persönlichkeitsverletzung gewertet werden. Vielmehr ist die „Entkleidung des in ‚Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes‘“ erforderlich, um den tatsächlichen Aussagekern zu ermitteln.345 Einkleidung und Aussagekern werden dann getrennt voneinander untersucht, um festzustellen, ob 336

BVerfGE 30, 173 (189–190) – Mephisto; BVerfGE 119, 1 (20–21) – Roman „Esra“. BVerfGE 67, 213 (224) – Anachronistischer Zug. 338 BVerfGE 81, 278 (291–292) – Bundesflagge. 339 BVerfGE 81, 298 (305) – Deutschlandlied. 340 BVerfGE 75, 369 (377) – Strauß-Karikatur. 341 Vgl. BVerfGE 142, 74 Rn. 67–68 – Metall auf Metall. 342 BVerfGE 75, 369 (376) – Strauß-Karikatur m. w. N. 343 Vgl. BVerfGE 30, 173 (190) – Mephisto; BVerfGE 81, 278 (291) – Bundesflagge. 344 Vgl. BVerfGE 81, 278 (291)  – Bundesflagge; vgl. BVerfG GRUR 2001, 149 (152)  – Germania 3. 345 BVerfGE 75, 369 (377–378) – Strauß-Karikatur m. w. N. 337

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

311

sie eine Kundgabe der Missachtung der betroffenen Person enthalten. Dabei weichen die Maßstäbe für die Beurteilung des Gewandes von denen des Aussagekerns ab und sind weniger streng. Denn Verfremdungen, Verzerrungen und Übertreibungen sind gerade charakterisierende Merkmale des Gewandes.346 Aber nicht nur bei Karikaturen und Satire, sondern auch bei anderen künstle­ rischen Ausdrucksformen verlangte das Bundesverfassungsgericht einen aufmerksamen und besonderen Umgang. In Germania 3 hielt das Gericht eine „kunstspezifische Betrachtung“ für geboten. Diese führe dazu, dass das Zitatrecht nach § 51 UrhG nicht nur zum Zweck des Belegs, sondern auch als Mittel künstlerischer Gestaltung anerkannt werden müsse. Folglich reicht der Anwendungsbereich erlaubnisfreier Nutzungen urheberrechtlich geschützten Materials zu künstlerischen Zwecken weiter als zu nicht künstlerischen Zwecken.347 Für Handlungen in Romanen gilt zudem aufgrund der kunstspezifischen Betrachtung eine Fiktionalitätsvermutung, selbst wenn reale Personen als Inspiration identifiziert werden können.348 Um der künstlerischen Freiheit ausreichend Rechnung zu tragen, setzt die Annahme einer Persönlichkeitsrechtsverletzung durch die Schilderungen im Rahmen eines Romans somit zunächst voraus, dass der Autor nahe legt, dass er gerade nicht fiktive, sondern wahre Begebenheiten schildert.349 Je stärker der Künstler seine Erzählung („Abbild“) vom Vorbild („Urbild“) löst und schöpferisch tätig wird, desto schwerer wiegt die Annahme einer fiktiven Erzählung, und desto mehr wird er von einer kunstspezifischen Betrachtung begünstigt.350 Weiterhin wandte das Bundesverfassungsgericht die kunstspezifische Betrachtung auch bei der Nutzung von leistungsschutzrechtlich geschützten Samples in der Entscheidung Metall auf Metall an. Parallel zur Übernahme von Werkausschnitten Brechts in ein Theaterstück (Germania 3) sei die Verwendung fremder Werkausschnitte auch im Rahmen von Musik als künstlerisches Gestaltungsmittel anzuerkennen.351 Insbesondere muss beachtet werden, dass es für die künstle­rische Technik des Samplings stilprägend ist, kleinste Ausschnitte von Aufnahmen fremder Künstler direkt zu übernehmen, sodass das Nachspielen keinen der Kunstform des Samplings gerecht werdenden und somit gleichwertigen Ersatz bietet.352

346

BVerfGE 75, 369 (377–378)  – Strauß-Karikatur m. w. N.; BVerfGE 81, 278 (294)  – Bundesflagge m. w. N.; BVerfG NJW 2001, 596 (597). 347 BVerfG GRUR 2001, 149 (151) – Germania 3. 348 BVerfGE 119, 1 (28)  – Roman „Esra“; vgl. BVerfG GRUR-RR 2008, 206 (207)  – Theaterstück „Ehrensache“. 349 BVerfGE 119, 1 (33) – Roman „Esra“. 350 BVerfGE 119, 1 (29) – Roman „Esra“. Kritisch dazu die abweichende Meinung von Richterin Hohmann-Dennhardt und des Richters Gaier, a. a. O. Rn. 112–114. Sie halten es für widersprüchlich die Gewichtung der Kunstfreiheit von dem Grad der Abweichung der Vorbilder abhängig zu machen. Dazu auch: Obergfell, ZUM 2007, 910 (913). 351 BVerfGE 142, 74 Rn. 86 – Metall auf Metall mit Verweis auf BVerfG NJW 2001, 598 (599) – Germania 3. 352 BVerfGE 142, 74 Rn. 99 – Metall auf Metall.

312

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

(6) Keine immanente Begrenzung des Schutzbereichs der Kunstfreiheit durch Eigentumsrechte Dritter Die Frage, ob der Schutzbereich der Kunstfreiheit auch die Inanspruchnahme fremden Eigentums einschließt, beantwortete das Bundesverfassungsgericht nicht immer einheitlich. In dem Auslieferungsbeschluss des Sprayers von Zürich stellte der Vorprüfungsausschuss des Gerichts noch fest, dass die Nutzung fremden Eigentums zum Zwecke künstlerischer Betätigung von vornherein ausscheide, da sie nicht mehr vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gedeckt sei.353 Überzeugenderweise änderte das Bundesverfassungsgericht jedoch ausdrücklich seine Auffassung in der Entscheidung Metall auf Metall. Die Nutzung (geistigen) Eigentums Dritter aus dem sachlichen Schutzbereich der Kunstfreiheit auszuschließen, würde zu einem prinzipiellen Vorrang der Eigentumsfreiheit führen, der sich jedoch nicht aus der Verfassung ergebe. Jedes künstlerische Wirken bewege sich zunächst im Schutzbereich der Kunstfreiheit, gleich wie und wo es stattfinde.354 Zwar handelte es sich bei dem dem Urteil Metall auf Metall zugrunde liegenden Rechtsstreit um die Inanspruchnahme geistigen Eigentums. Die ausdrückliche Abkehr von seiner Position und die verwendeten Formulierungen des Gerichts können jedoch eindeutig dahingehend interpretiert werden, dass auch die Inanspruchnahme fremden Sacheigentums in den Schutzbereich der Kunstfreiheit fällt.355 Dies hat das Gericht jüngst in einem Fall bestätigt, in dem es um die Beeinträchtigung eines Grabsteins und somit von Sacheigentum ging.356

353 BVerfG NJW 1984, 1293 (1294) – Sprayer von Zürich. Die Entscheidung wurde in der Literatur zusammen mit weiteren Urteilen des BVerfG teils kritisch als Zeichen für eine Änderung der Grundrechtsdogmatik des Gerichts gewertet. Z. B. erwartete Kahl, dass das Gericht sich von der dreistufigen Grundrechtsprüfung (Schutzbereich-Eingriff-Rechtfertigung) entfernen und vornherein nur Schutz im Rahmen eines einen engen Gewährleistungsgehalts annehmen würde, Der Staat 2004, 167 (171, 174–176). Lerche hingegen bezeichnet die Entscheidung des BVerfG als einleuchtend, da sich die Inanspruchnahme fremden Eigentums von der tatbestandlichen Substanz der Kunstfreiheit abhebe, FS Raue, S. 217 (221). Insbesondere vor dem Hintergrund jüngerer referenzieller Kunstformen wie dem Remix oder dem Sampling kann seine Argumentation jedoch nicht überzeugen. Zustimmend zu Ergebnis und Begründung des BVerfG ebenfalls Hoffmann, NJW 1985, 237 (246). Überblicksartig zu den Reaktionen der Literatur s. außerdem: Würkner, Freiheit der Kunst, S. 156–157 m. w. N. 354 BVerfGE 142, 74 Rn. 90 – Metall auf Metall. Auf die Möglichkeit dieser Rechtsprechungsänderung deuteten bereits die Ausführungen in BVerfGE 119, 1 (23) – Roman „Esra“ hin. 355 Denn auch ein pauschaler Vorrang des Sacheigentums lässt sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen: Zwar wiegt der Eingriff in geistiges Eigentum aufgrund seiner häufig unendlichen Reproduzierbarkeit in der Regel weniger schwer als der Eingriff in Sacheigentum, dennoch handelt es sich bei geistigem Eigentum und Sacheigentum um gleichermaßen von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtspositionen. Eine Differenzierung nach der konkreten Eigentumsposition und den damit verbundenen Interessen ist allerdings auf Ebene der Rechtfertigung möglich. 356 BVerfG NJW 2021, 1939 Rn. 21.

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

313

Die Rechtsprechungsänderung des Bundesverfassungsgerichts ist ausdrücklich zu begrüßen. Schließlich handelt es sich bei Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG um zwei gleichwertige Grundrechte. Wie auch das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben hat, liefert das Grundgesetz keine Anhaltspunkte, dem Eigentumsrecht Dritter pauschal Vorrang vor einem anderen Grundrecht einzuräumen. Wenn man nicht bereits von der Gleichrangigkeit der Grundrechte ausgeht,357 so sprechen Systematik und Wortlaut sogar eher für eine Höherrangigkeit der Kunstfreiheit.358 Nicht nur steht Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vor Art. 14 GG und wird im Gegensatz zu der Eigentumsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet. Sondern auch die Fassung des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 14 Abs. 2 GG selbst verdeutlichen gerade die Einschränkbarkeit und damit die Relativität des Eigentums ebenso wie dessen Sozialbezug. Eine vorbehalt- und gegenüber der Kunstfreiheit grenzenlose Gewährung des Eigentumsrechts sieht das Grundgesetz nicht vor. Auch der Gesetzgeber ist bei der Konkretisierung der Grundrechte durch die Ausgestaltung des Privat- und Strafrechts bisher nicht von einem grundsätzlichen Vorrang der Eigentumsfreiheit gegenüber anderen Grundrechtspositionen ausgegangen. Ansonsten wären Regelungen wie bspw. § 903 BGB, § 14 UrhG, § 34 StGB oder auch die Vorschriften, die gerade den grundrechtlichen Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Eigentumsgarantie zu lösen versuchen, wie § 24 UrhG a. F. und § 51a UrhG undenkbar.359 Eine immanente Begrenzung des Schutzbereichs ist auch aus praktischen Gründen nicht erforderlich, denn der Konflikt von Kunstfreiheit und Eigentumsfreiheit lässt sich sachgerecht auf Ebene der Rechtfertigung lösen.360 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Künstler bei austauschbaren gleichwertigen Gestaltungs- und Kommunikationsmitteln keinen generellen grundrechtlichen Anspruch auf die Inanspruchnahme fremden Eigentums hat.361 bb) Personeller Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Der personelle Schutzbereich der Kunstfreiheit ist wie der sachliche Schutz­ bereich weit zu verstehen. Dies bedeutet, dass er sich auch auf Werk- und Wirkbereich erstreckt. Somit sind neben dem Künstler selbst auch die Personen, die Kunstwerke vermitteln, von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützt.362 Dazu können beispielsweise Verleger,363 Galeristen, Veranstalter eines Theaterstücks,364 Film- oder 357

So Hufen, Staatsrecht II, § 4 Rn. 6 m. w. N. Vgl. Michael / Morlok, Grundrechte, § 23 Rn. 624. 359 Dies ist zwar kein verfassungsrechtliches Argument, aber ein Indiz und veranschaulicht die praktische Problematik. 360 So auch Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst), Rn. 49 m. w. N. 361 Vgl. dazu Müller, JZ 1970, 87 (90); ders., Freiheit der Kunst, S. 66. 362 BVerfGE 30, 173 (189, 191) – Mephisto; BVerfGE 36, 321 (331); BVerfGE 81, 278 (292) – Bundesflagge. Instruktiv zu den (praktischen Gründen) für den weiten personellen Schutzbereich: Henschel, NJW 1990, 1937 (1939–1940). 363 BVerfGE 30, 173 (191) – Mephisto; a. A. Müller, Freiheit der Kunst, S. 101. 364 Vgl. BVerfGE 67, 213 (224) – Anachronistischer Zug. 358

314

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

Musikproduzenten365 gehören.366 Sowohl natürliche als auch juristische Personen im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG können Träger der Kunstfreiheit sein.367 b) Schranken der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Bei der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG handelt es sich um ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht. Weder die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG368, noch die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG können auf die Garantien des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG angewendet werden. Dafür sprechen neben dem eindeutigen Wortlaut und der Systematik auch die Historie.369 Als Grund für die Privilegierung der Kunstfreiheit auf Schrankenebene wird daneben auch der enge Bezug zur Persönlichkeit des Schöpfers und damit zur Menschenwürde angeführt.370 Die Anwendung der Schranken auf nicht kunst- sondern meinungsspezifische Teile eines Werkes ist ausgeschlossen, da das Werk als Einheit zu bewerten ist.371 Aus der vorbehaltlosen Gewährleistung folgt allerdings kein grenzenloser Schutz der Kunstfreiheit. Vielmehr unterliegt sie verfassungsimmanenten Schranken, d. h. sie muss gegenüber Grundrechten Dritter und anderen Verfassungsbestimmungen zurücktreten, wenn diese überwiegen.372 Eine Einschränkung allein aufgrund einfachen Rechts ist hingegen nicht möglich.373 Die Anforderungen an die Schranken der Kunstfreiheit beziehen sich gleichermaßen auf Werk- und Wirkbereich.374 Zwischenzeitlich forderte das BVerfG eine „unmittelbare und gegenwärtige Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik und ihrer Grundordnung“375, um die Kunstfreiheit zurücktreten zu lassen. Später stellte es jedoch klar, dass dies

365

Vgl. BVerfGE 142, 74 Rn. 59  – Metall auf Metall; Vgl. für Schallplattenhersteller: BVerfGE 36, 321 (331). 366 Vgl. auch Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 47 m. w. N. 367 Sachs / Bethge, GG, Art. 5 Rn. 191 m. w. N. 368 A. A. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 257; vgl. auch Oettinger, UFITA 71 (1974), 15 (39) der eine Schrankenkonstruktion empfiehlt, die im Ergebnis Art. 5 Abs. 2 GG entspricht. 369 Ausführlich zu der Ablehnung der verschiedenen Einschränkungsmöglichkeiten: BVerfGE 30, 173 (191–193) – Mephisto; bestätigt in: BVerfGE 67, 213 (228) – Anachronistischer Zug; so auch die ganz h. M. in der Literatur, statt vieler Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 53 m. w. N.; Müller, JZ 1970, 87 (89); a. A. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 257–258. 370 Vgl. Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 34 m. w. N. und BVerfGE 30, 173 (189) – Mephisto. Vgl. dazu auch: Häberle, AöR 1985, 577 (597). 371 BVerfGE 30, 173 (191) – Mephisto. 372 Vgl. BVerfGE 30, 173 (193) – Mephisto.; BVerfGE 81, 278 (292) m. w. N. 373 Vgl. BVerfGE 30, 173 (193)  – Mephisto; vgl. BVerfGE 77, 240 (256)  – Herrnburger Bericht. 374 Vgl. BVerfGE 77, 240 (254) – Herrnburger Bericht. Die Betroffenheit von Werk- oder Wirkbereich kann allerdings im Rahmen der Abwägung eine Rolle spielen, dazu bereits unter D. II. 2. a) aa) (3). 375 BVerfGE 33, 52 (71).

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

315

nicht bedeute, dass Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG in weniger extremen Situationen in jedem Fall Vorrang genieße. Vielmehr sei dann eine einzelfallbezogene Interessenabwägung zwischen den verschiedenen Verfassungsgütern vorzunehmen.376 Diese müssten dabei allerdings konkret benannt werden. Eine formelhafte Umschreibung wie zwecks „Schutz der Verfassung“ oder „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ sei hingegen nicht ausreichend.377 Ziel der Abwägung ist ein einzelfallbezogener verhältnismäßiger Ausgleich, bei der beide Verfassungsgüter weitmöglichst zur Geltung gebracht werden können378 (sog. praktische Konkordanz379). Der Interessenausgleich durch Abwägung ist allerdings nur möglich, soweit die konfligierenden verfassungsrechtlichen Positionen auch einer solchen zugänglich sind. Wird durch die Kunstfreiheitsausübung in den von Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kern der menschlichen Ehre, d. h. die Menschenwürde eingegriffen, scheidet eine Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht eines Dritten von vornherein aus.380 Der Ausschluss bestimmter Verfassungsgüter von der Abwägung stellt allerdings den Ausnahmefall dar. Grundsätzlich ist insbesondere hinsichtlich widerstreitender Grundrechte von einer Abwägungsfähigkeit auszugehen.381 Einige Stimmen in der Literatur vertreten die Auffassung, dass die Anwendung der verfassungsimmanenten Schranken des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG praktisch zu keinem anderen Ergebnis führe als eine Anwendung des einfachen Gesetzesvorbehalts nach Art. 5 Abs. 2 GG. Schließlich könne nahezu hinsichtlich jeder einfachgesetzlichen Vorschrift erklärt werden, dass sie dem Schutz dahinterstehender Verfassungsgüter diene.382

376

BVerfGE 81, 278 (293) – Bundesflagge. BVerfGE 81, 278 (293) – Bundesflagge; BVerfGE 77, 240 (2. LS und 255) – Herrnburger Bericht. 378 BVerfGE 81, 278 (292) – Bundesflagge; vgl. BVerfGE 77, 240 (253) – Herrnburger Bericht m. w. N. 379 BVerfGE 89, 214 (232) – Bürgschaftsverträge. 380 BVerfGE 75, 369 (380) – Strauß-Karikatur m. w. N. 381 Hervorzuheben ist, dass eine Abwägung der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG möglich ist. Die Frage nach dem prinzipiellen Vorrang von Art. 14 Abs. 1 GG wurde allerdings im Rahmen des Schutzbereichs der Kunstfreiheit diskutiert, dazu unter D. II. 2. a) aa) (6); dazu auch Henschel, NJW 1990, 1937 (1942) der die Aussagen des BVerfG in Sprayer von Zürich dogmatisch noch nicht sicher einzuordnen wusste. 382 So kritisch: Enderlein, Begriff der Freiheit, S. 204; vgl. dazu auch: Kriele, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 607–608; ähnlich auch Lerche, FS Raue, S. 215 (222), der die Auffassung vertritt, die Vorbehaltlosigkeit von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG könne nur durch eine spezifische Kunstfreundlichkeit des Grundgesetzes wirken. S. auch Zechlin, KrtiJ 1982, 248 (251) m. w. N. der sich entschlossen für eine Privilegierung der Kunstfreiheit gegenüber Art. 5 Abs. 1 GG ausspricht, a. a. O. (255–256, 261); dazu auch Zöbeley, NJW 1985, 254 (257) und Henschel, NJW 1990, 1937 (1941) die jedoch ein gegenüber der Anwendung der Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG abweichendes Ergebnis für möglich halten. 377

316

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

c) Verhältnis der Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zur Meinungsäußerungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG Bei der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG handelt es sich um ein gegenüber der nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit selbständiges Grundrecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellen künstlerische Aussagen, selbst wenn sie Meinungsäußerungen beinhalten, auch gegenüber diesen Äußerungen ein Aliud dar, sodass Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als Lex specialis vorrangig Anwendung findet.383 Allerdings ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob tatsächlich die Kunstfreiheit oder die Meinungsfreiheit betroffen ist.384 Die genaue Bestimmung des Streitgegenstands ist insbesondere für die Anwendung der unterschiedlichen Schranken der Kunstund Meinungsfreiheit von Bedeutung.385 d) Zielrichtung der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Wie der Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG es bereits nahe legt, stellt die Kunstfreiheit eine objektive Wertentscheidung der Verfassung dar.386 Zugleich ist Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG aber auch Staatszielbestimmung, Abwehr- und individuelles Freiheitsrecht der Kunstschaffenden und ihrer Mittler.387 Darüber hinaus ist es für die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten388 und damit auch für die Ausgestaltung und Auslegung des Privatrechts389 maßgeblich.390

383

BVerfGE 30, 173 (191, 200) – Mephisto. Vgl. dazu BVerfGE 81, 298 (305–306). 385 V. Mangoldt / K lein / Starck / Chr. Starck / A . L. Paulus, GG, Art. 5 Abs. 3 Rn. 412; vgl. auch Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 34. 386 BVerfGE 30, 173 (188) – Mephisto; BVerfGE 36, 321 (330). Nach Britz, EuR 2004, 1 (12) geht der objektive Gehalt der Kunstfreiheit dabei sogar über den generellen objektiven Gehalt aller Grundrechte hinaus. Ausführlich zum objektiven Gehalt der Kunstfreiheit: Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 177–204. 387 Vgl. BVerfGE 30, 173 (188) – Mephisto; BVerfGE 36, 321 (330–331); BVerfGE 67, 213 (224) – Anachronistischer Zug. 388 BVerfGE 119, 1 (21) – Roman „Esra“ m. w. N. 389 Neben dem in dieser Arbeit untersuchten Spannungsverhältnis zu Urheberrechten Dritter insbesondere bei Kollisionen mit den Persönlichkeitsrechten, Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III (Kunst) Rn. 33. 390 Näher zur Bedeutung der Grundrechte für die Ausgestaltung und Auslegung des Urheberrechts als Teil des Privatrechts s. unter C. I. 384

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

317

e) Fazit zum Schutz der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Sowohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch die umfangreiche rechtswissenschaftliche Literatur haben zu einer differenzierten Konkretisierung der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geführt. Zentral für Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist die Eigengesetzlichkeit der Kunst, die sich in der grundrecht­ lichen Bewertung widerspiegeln muss. Folglich liegt auch dem Grundgesetz ein offener Kunstbegriff zugrunde, der sich nicht an etablierten Kunstformen orientiert, sondern auf inhaltlich-abstrakte Kriterien abstellt und damit auch neuen künstlerischen Erscheinungen Schutz gewährt. Dieser Begriff hat sich nach verschiedenen Definitionsversuchen auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durchgesetzt.391 Zudem hat eine staatliche Qualitäts- Inhalts- oder Niveaukontrolle zu unterbleiben.392 Vielmehr muss bei der Beurteilung von künstlerischen Ausdrucksformen eine werkgerechte Beurteilung erfolgen, die dem Einsatz künstlerischer Stilmittel Rechnung trägt. Eine kunstspezifische Betrachtungsweise kann außerdem zur erweiternden Auslegung einfachen Rechts wie dem Zitatrecht nach § 51 UrhG führen.393 Die Inanspruchnahme des Eigentums Dritter scheidet nicht von vornherein aus dem Schutzbereich der Kunstfreiheit aus. Dies bestätigte auch das Bundesverfassungsgericht und kehrte damit von seiner Auffassung in der Sache Sprayer von Zürich ab.394 Der Schutzbereich der Kunstfreiheit ist nicht nur sachlich, sondern auch personell weit zu verstehen und erfasst Werk- und Wirkbereich. Folglich können z. B. auch Werbung für Kunst sowie Kunstmittler in den Genuss des Schutzes durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG kommen. Allerdings ist der Schutz der Kunstfreiheit stärker, je näher die streitgegenständliche Handlung dem Kern der Kunstfreiheit und damit dem Werkbereich zuzuordnen ist.395 Bei Werk- und Wirkbereich handelt es sich dennoch um eine untrennbare Einheit, die daher auch denselben Schrankenanforderungen unterliegt. Die Kunstfreiheit ist vorbehaltlos gewährleistet, sodass allein eine Einschränkung aufgrund entgegenstehenden Verfassungsrechts, insbesondere in Form von Grundrechten Dritter in Betracht kommt.396 Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG stellt keinen Unterfall der Meinungsfreiheit dar, sondern ist als Lex specialis gegenüber Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG vorrangig.397 Neben ihrer individualrechtlichen Schutzrichtung weist die Kunstfreiheit auch eine objektive Dimension auf und verpflichtet damit Legislative, Judikative und Exekutive zur

391

D. II. 2. a) aa) (1). D. II. 2. a) aa) (2). 393 D. II. 2. a) aa) (5). 394 D. II. 2. a) aa) (6). 395 D. II. 2. a) aa) (3). 396 D. II. 2. b). 397 D. II. 2. c). 392

318

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

Berücksichtigung ihres Gehalts bei Gestaltung, Auslegung und Anwendung des Urheberrechts.398 Für die Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht ist – parallel zu Art. 13 S. 1 GRCh – insbesondere der beschriebene weite sachliche Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zu berücksichtigen, der Kunst unabhängig von ihrer Zuordnung zu einer konkreten Werkart schützt, eine kunstspezifische Betrachtung ermöglicht und die Inanspruchnahme Eigentums Dritter umfasst. Ebenso ist hervorzuheben, dass auch im Rahmen des Urheberrechts Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG nur eingeschränkt werden kann, wenn hinter den einfachgesetzlichen Vorschriften kollidierende Werte der Verfassung stehen.

3. Vergleich des Gewährleistungsgehalts der Kunstfreiheit in Grundrechtecharta und Grundgesetz Im Folgenden sollen Gemeinsamkeiten (a) und Unterschiede (b) des ermittelten Gewährleistungsgehalts der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh und nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG dargestellt werden. Darauf basierend soll festgestellt werden, ob der Eintritt eines „Solange-Falls“ möglich scheint und welche weiteren Konsequenzen mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden verbunden sind (c). a) Gemeinsamkeiten des Gewährleistungsgehalts von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 13 S. 1 GRCh haben gemein, dass ihnen ein werkartunabhängiges Kunstverständnis zugrunde liegt (aa). Des Weiteren muss sowohl nach dem Grundgesetz als auch nach der Charta das Neutralitätsgebot geachtet werden (bb). Beide Grundrechtsordnungen erkennen außerdem Werk- und Wirkbereich als geschützt an (cc). Sowohl EuGH als auch BVerfG nehmen im Rahmen der Beurteilung des Gewährleistungsgehalts der Kunstfreiheit eine kunstspezifische Betrachtungsweise vor (dd). Der persön­ liche Schutzbereich der Kunstfreiheit ist nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 13 S. 1 GRCh weit zu verstehen (ee) und Eigentumsrechte Dritter können weder nach der Grundrechtecharta noch nach dem Grundgesetz zu einer immanenten Begrenzung des sachlichen Schutzbereichs der Kunstfreiheit führen (ff).

398

D. II. 2. d).

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

319

aa) Werkartunabhängige Anerkennung von Kunst nach GRCh und GG Sowohl die Grundrechtecharta als auch das Grundgesetz schützen Kunst unabhängig von dessen Zuordnung zu einer bestimmten Werkart. Dafür sprechen neben dem offenen Wortlaut beider Verfassungen auch die einschlägige Rechtsprechung. Für das Unionsrecht ergibt sich eine werkartunabhängige Anerkennung von Kunst vor allem mit Blick auf die Rechtsprechung des EGMR399 sowie aus dem bisher einzigen Urteil des EuGH zur Kunstfreiheit, Pelham u. a., in dem der Gerichtshof keine Anforderungen an die Werkart stellt.400 Das Bundesverfassungsgericht hat sich wohl vollständig vom formellen Kunstbegriff verabschiedet und machte in seinen jüngeren Entscheidungen die sachliche Schutzbereichseröffnung des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG von dem materiellen künstlerischen Gehalt des Beschwerdegegenstands abhängig.401 bb) Geltung des Neutralitätsgebots für Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Auch das staatliche Neutralitätsgebot gilt im Rahmen von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gleichermaßen. Unionsrechtlich ergibt es sich insbesondere aus der Nähe der Kunstfreiheit zur Gedanken- und Meinungsfreiheit, für die das Neutralitätsgebot eine zentrale Rolle spielt.402 Daher kann angenommen werden, dass der EuGH der Rechtsprechung des EGMR folgen wird, welcher bisher das Selbstverständnis des Künstlers akzeptiert und – bis zur Grenze des Art. 17 EMRK – keine eigenen Qualitätsmaßstäbe für die Kunsteigenschaft angelegt hat.403 Das Bundesverfassungsgericht lehnt eine staatliche Inhalts- oder Niveaukontrolle entschieden ab.404 cc) Schutz von Werk- und Wirkbereich durch Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Zwar hat der EuGH den Schutz von Werk- und Wirkbereich bisher nicht ausdrücklich anerkannt, auch hier kann aber unterstellt werden, dass er diesbezüglich der Rechtsprechung des EGMR405 folgen wird, um die Pflicht der Union zur Einhaltung des Schutzniveaus der EMRK einzuhalten. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG schützt

399

D. II. 1. b), bb) (1) (a) (bb). D. II. 1. a) cc) (2) (a). 401 D. II. 2. a) aa) (1). 402 D. II. 1. c) cc) (2). 403 D. II. 1. b) bb) (1) (a) (aa). 404 D. II. 2. a) aa) (2). 405 D. II. 1. b) bb) (1) (a) (cc). 400

320

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowohl den Werkals auch den Wirkbereich.406 dd) Kunstspezifische Betrachtung im Rahmen von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG In beiden Grundrechtssystemen ist eine Art kunstspezifische Betrachtung im Rahmen der Beurteilung von Umfang und Reichweite der Kunstfreiheit anerkannt. Dafür spricht auf europäischer Ebene, dass der EuGH das Sampling unter Berücksichtigung von Art. 13 S. 1 GRCh grundsätzlich als Zitat anerkennt.407 Auch die bisherige Rechtsprechung des EGMR stützt eine entsprechende Entwicklung auf unionsrechtlicher Ebene. Das Bundesverfassungsgericht nimmt für die Beurteilung von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG in gefestigter Rechtsprechung eine kunstspezifische Betrachtung vor.408 ee) Weiter persönlicher Schutzbereich von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Auch hinsichtlich des persönlichen Schutzbereichs der Kunstfreiheit sind gegenwärtig keine Abweichungen zwischen deutschem und europäischem Grundrechtsschutz festzustellen. Sowohl nach der Rechtsprechung des EGMR409 als auch nach der des BVerfG410 erfasst der Schutzbereich auch in persönlicher Hinsicht Werk- und Wirkbereich sowie natürliche und juristische Personen. Dies bedeutet insbesondere, dass neben den Künstlern auch die Mittler von Kunstwerken in den Schutzbereich fallen. Um dem Grundrechtsschutz der EMRK als Mindeststandard zu genügen, wird zukünftig auch der EuGH den persönlichen Schutzbereich von Art. 13 S. 1 GRCh weit auslegen. ff) Keine immanente Begrenzung des Schutzbereichs von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG durch Eigentumsrechte Dritter Weder der Schutzbereich des Art. 13 S. 1 GRCh noch der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG schließen die Inanspruchnahme des Eigentums Dritter aus.411 406

D. II. 2. a) aa) (3). Zudem ist der EuGH nicht den Ausführungen des GA Szpunar gefolgt, der ein kunst­ spezifisches Verständnis vermissen ließ, dazu unter D. II. 1. a) cc) (2) (b). 408 D. II. 2. a) aa) (5). 409 D. II. 1. b) bb) (1) (b). 410 D. II. 2. a) bb). 411 D. II. 1. c) cc) (3) und D. II. 2. a) aa) (6). 407

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

321

b) Unterschiede des Gewährleistungsgehalts von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Neben den vielen Gemeinsamkeiten bestehen zwischen dem grundrechtlichen Schutz nach Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG auch Unterschiede. In der europäischen Rechtsprechung fehlt eine Auseinandersetzung mit dem Kunstbegriff (aa). Außerdem könnten sich wesentliche Unterschiede im Hinblick auf das systematische Verständnis der Kunstfreiheit ergeben, sollte der EuGH diesbezüglich weiterhin strikt dem EGMR folgen (bb). Damit verbunden wäre eine von dem deutschen Verständnis abweichende Behandlung von politisch-künstlerischen Ausdrucksformen (cc). Ebenso ergeben sich Differenzen im Hinblick auf die immanente Begrenzung des Schutzbereichs nach Art. 54 GRCh (dd) und hinsichtlich der Schrankenanforderungen der Kunstfreiheit (ee). aa) Unterschiedliche Intensität der Auseinandersetzung mit dem Kunstbegriff Im Vergleich zum BVerfG beschäftigten sich weder der EuGH noch der EGMR mit der Problematik der Definition des Kunstbegriffs. Beide europäischen Gerichte begründen die Kunsteigenschaft nicht mit verschiedenen Theorien, wie das BVerfG dies getan hat, sondern stellen dessen Vorliegen schlicht fest.412 bb) Unterschiedliches systematisches Verständnis der Kunstfreiheit? Der EuGH versteht in seiner bisher einzigen Entscheidung zu Art. 13 S. 1 GRCh – im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR – die Kunstfreiheit als Unterfall der Meinungsfreiheit.413 Im Hinblick auf die selbständige Regelung des Art. 13 S. 1 GRCh scheint dies bedenklich. Sollte der EuGH dieser Rechtsprechung weiterhin folgen, liegt darin ein beachtlicher Unterschied zum deutschen Verständnis der Kunstfreiheit. Denn nach Auffassung des BVerfG stellt Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ein Aliud gegenüber Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG dar.414

412 Nahe liegt, dass der EuGH eine eigenständige Begriffsdefinition unterließ, um etwaige Konflikte mit dem EGMR zu vermeiden. 413 Dabei lässt er ausdrücklich offen, ob die Kunstfreiheit einen weiterreichenden Schutz bietet als die Meinungsäußerungsfreiheit, EGMR, Urt. v. 13. 10. 1983  – 9870/82, ECLI: CE:ECHR:1983:1013DEC000987082 – N. / Switzerland. 414 D. II. 2. c).

322

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

cc) Unterschiedliche Behandlung von politisch-künstlerischen Ausdrucksformen Im Gegensatz zum BVerfG gewährt der EGMR politisch-künstlerischen Ausdrucksformen besonderen Schutz. Sollte der EuGH auch hinsichtlich dieses Aspektes an die Rechtsprechung des EGMR anknüpfen, würde dies eine erhebliche Abweichung von der Rechtsprechung des BVerfG darstellen. Denn nach der Auffassung des BVerfG nimmt „engagierte Kunst“ zwar am Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG teil, eine Aufwertung gegenüber meinungsneutraler Kunst ist damit jedoch nicht verbunden. Sie ist auch nicht erforderlich, denn nach dem Grundgesetz genießt die Kunstfreiheit bereits als solche zumindest dasselbe Schutzniveau wie die Meinungsfreiheit.415 Im Hinblick auf die Schranken könnte man sogar die Auffassung vertreten, dass die Kunstfreiheit nach dem Grundgesetz bereits umfangreicher gewährt wird als die Meinungsfreiheit und somit – im Gegensatz zur Rechtsprechung des EGMR  – an Stelle des politischen Teils der künstlerische Teil einer Äußerung zu einem höheren grundgesetzlichen Schutzniveau führt.416 dd) Immanente Begrenzung des Schutzbereichs durch Art. 54 GRCh? Ein weiterer Unterschied kann sich aus Art. 54 GRCh ergeben. Betrachtet man Art. 54 GRCh als Schutzbereichsbegrenzung417, fallen künstlerische Äußerungen, die sich gegen die Grundwerte der Charta richten, insbesondere diskriminierende Äußerungen – parallel zur Regelung des Art. 17 EMRK – bereits aus dem Schutzbereich des Art. 13 S. 1 GRCh. Teilweise wird Art. 54 GRCh auch als eine grundrechtsübergreifende Schrankenregelung verstanden.418 Unabhängig von dessen dogmatischer Einordnung fehlt ein entsprechender ausdrücklicher Ausschluss für Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Insbesondere ist die Regelung nicht mit Art. 18 GG vergleichbar.419 Im Ergebnis wird die fehlende Entsprechung aber zu keinem beachtlichen Unterschied führen, da Art. 54 GRCh nur in Extremfällen Anwendung findet.420 Zudem muss auch im deutschen Recht eine Grundrechtsausübung die sich gegen die Grundwerte der Verfassung richtet – jedenfalls im Ergebnis – gegenüber den kollidierenden Grundrechten zurücktreten.

415

Zur Gleichrangigkeit der Grundrechte Fn. 357. Vgl. dazu Fn. 358. 417 Nach Stern / Sachs / L adenburger, GRCh, Art. 54 Rn. 3 m. w. N., hängt die Wirkung von Art. 54 GRCh wohl von dem jeweiligen Grundrecht ab, da der EGMR die Parallelvorschrift des Art. 17 EMRK je nach Grundrecht unterschiedlich verortet. 418 Meyer / Hölscheidt / Hoppe, GRCh, Art. 54 Rn. 42; Nach Art des Adressaten differenzierend: Pechstein / Nowak / Häde / Pache, GRC, Art. 54 Rn. 17–18. 419 Vgl. dazu Jarass, GRCh, Art. 54 Rn. 3 m. w. N. 420 Stern / Sachs / L adenburger, GRCh, Art. 54 Rn. 3 möchte der Norm sogar nur deklarato­ rische Bedeutung zuweisen. 416

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

323

ee) Unterschiedliche Schrankenanforderungen von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Neben dem unterschiedlichen systematischen Verständnis liegt der wohl prägnanteste Unterschied von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG in den unterschiedlichen Anforderungen an die Beschränkungen der Kunstfreiheit. Während Art. 13 S. 1 GRCh nach Art. 52 Abs. 1 GRCh dem einfachen Gesetzesvorbehalt unterliegt, wird Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG nur durch verfassungsimmanente Schranken beschränkt. c) Konsequenzen der Unterschiede von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG für das Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht Die Übersicht von Gemeinsamkeiten und Unterschieden des Gewährleistungsgehalts der Kunstfreiheit auf deutscher und europäischer Ebene zeigen, dass sich die größten Abweichungen aus dem unterschiedlichen dogmatischen Verständnis von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ergeben. Hingegen weisen die Berücksichtigung des aus Art. 54 GRCh resultierende Missbrauchsverbotes und die unterschiedliche Herangehensweise an die Festlegung des Schutzbereichs für den praktischen Grundrechtsschutz im Ergebnis wohl kaum Relevanz auf. Zu diskutieren ist jedoch, ob der Eintritt eines „Solange-Falls“ aufgrund der Verkennung einer kunstspezifischen Betrachtung (aa) oder aufgrund der von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG abweichenden Beschränkungsmöglichkeit von Art. 13 S. 1 GRCh möglich scheint (bb). Aufgrund der aufgeworfenen Frage in der Literatur421 ist zudem darauf hinzuweisen, dass die Streichung von § 24 UrhG a. F. nicht dazu geeignet war, einen „Solange-Fall“ auszulösen (cc). aa) Eintritt eines „Solange-Falls“ aufgrund der Verkennung einer kunstspezifischen Betrachtung? Sollte der EuGH auch zukünftig die Kunstfreiheit als Unterfall der Meinungsfreiheit anerkennen, so birgt dies die Gefahr, dass er die grundrechtliche Bewertung eines Konfliktfalls von Urheberrecht und Kunstfreiheit stärker anhand von meinungsspezifischen Charakteristika bewertet als anhand von kunstspezifischen Kriterien. Insbesondere könnte der EuGH der Rechtsprechung des EGMR folgen und politisch-künstlerischen Ausdrucksformen umfangreicheren Grundrechtsschutz gewähren als nicht-politischen Kunstwerken. Sollte eine solche meinungsspezifische Betrachtung kunstspezifische Aspekte unberücksichtigt lassen und

421

Einleitung, Fn. 10.

324

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

daher mit einer Abwertung von meinungsneutraler Kunst verbunden sein, wäre die Unterschreitung des grundgesetzlichen Schutzes der Kunstfreiheit und damit ein „Solange-Fall“ nicht auszuschließen.422 Denn der Rechtsprechung des BVerfG lässt sich entnehmen, dass meinungsneutrale Ausdrucksformen nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG genauso schutzwürdig sind wie kritische oder politische Kunst.423 Zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheint der Eintritt eines „Solange-Falls“ insgesamt jedoch sehr unwahrscheinlich. In seiner bisher einzigen Entscheidung zu Art. 13 S. 1 GRCh, Pelham u. a., deutet der EuGH an, dass er bereit ist, eine kunstspezifische Perspektive bei der Beurteilung von Konfliktfällen des Art. 13 S. 1 GRCh mit widerstreitenden Grundrechten einzunehmen. Denn entgegen der Auffassung des Generalanwalts Szpunar424 erkannte der Gerichtshof die Möglichkeit an, dass das Sampling unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit und Einhaltung bestimmter Voraussetzungen auch ein Zitat im Sinne des Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL darstellen könne.425 Wie kunstfreiheitsfreundlich und tatsächlich kunstspezifisch das Urteil des EuGH zu bewerten ist, hängt allerdings auch maßgeblich von der Voraussetzung der Interaktion ab, die er an das Zitatrecht stellt. Diese hat er bislang nicht konkretisiert. Im Vergleich zu den Ausführungen des Generalanwalts S ­ zpunar scheint der EuGH die Erfüllung des Merkmals der Interaktion durch Samples jedoch grundsätzlich für möglich zu halten. Folgt der EuGH allerdings zukünftig den strengen Maßstäben des Generalanwalts Szpunar wäre eine Interaktion in Fällen des Samplings regelmäßig abzulehnen, sodass die Nutzung wiedererkennbarer Samples unmöglich wäre.426 Ein solches Ergebnis wäre mit dem Gewährleistungsgehalt von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG unvereinbar, da dieser die zustimmungsfreie Nutzung von Samples gebietet, soweit dadurch nicht die Verwertungsinteressen der Urheber beeinträchtigt werden.427 Auch in anderen Fallkonstellationen wäre eine Unterschreitung des Schutzniveaus von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG durch die Bewertung künstlerischer Ausdrucks­ formen anhand des Maßstabs der Meinungsfreiheit denkbar, z. B. wenn künstlerische Memes, Collagen, Gemälde oder Fan Fiction ohne politische oder

422

Der Eintritt eines „Solange-Falls“ wäre hier möglich, wenn man die strukturelle Unterschreitung des Schutzniveaus eines einzelnen Grundrechts – hier der Kunstfreiheit – ausreichen lässt, zu den Anforderungen an die Annahme eines „Solange-Falls“ unter C. III. 3. a). 423 Vgl. BVerfGE 142, 74 – Metall auf Metall; BVerfG GRUR 2001, 149 (151) – Germania 3; BVerfGE 30, 173 (190–191) – Mephisto. 424 Vgl. GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018  – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 69 – Pelham u. a. 425 EuGH, Urt. v. 29. 07. 2019 – C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 Rn. 72 – Pelham u. a. 426 GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 63–70 – Pelham u. a. Denkbar wäre allenfalls die Nutzung eines Samples als „Pastiche“ nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL (§ 51a UrhG). Der EuGH hat sich zu dieser Möglichkeit bisher nicht geäußert. GA Szpunar lehnt die Anwendbarkeit der Vorschrift ebenfalls mangels Interaktion mit dem genutzten Werk ab, a. a. O. Rn. 70. 427 Vgl. BVerfGE 142, 74 LS 1 und 2, Rn. 96–108 – Metall auf Metall.

II. Schutz der Kunstfreiheit nach Grundrechtecharta und Grundgesetz 

325

gesellschaftskritische Aussage weniger Schutz genießen würden als meinungs­ geprägte Kunst. Ein konkreter Konflikt zeichnet sich bisher jedoch nicht ab. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die generelle Unterschreitung des Schutzniveaus der Kunstfreiheit im Unionsrecht  – und damit der Eintritt eines „Solange-Falls“ – aufgrund der unterschiedlichen systematischen Einordnung von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zwar möglich erscheint, aber gegenwärtig keineswegs feststeht. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung des EuGH zu Inhalt und Umfang der Kunstfreiheit tatsächlich entwickeln wird. bb) Eintritt eines „Solange-Falls“ aufgrund abweichender Beschränkungsmöglichkeit der Kunstfreiheit? Der zweite Unterschied zwischen Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, der potenziell geeignet sein könnte, einen „Solange-Fall“ im Hinblick auf die Kunstfreiheit auszulösen, liegt in der Einschränkungsmöglichkeit des Grundrechts. Während die Kunstfreiheit nach dem Grundgesetz allein den verfassungsimmanenten Schranken unterliegt, reicht für die Einschränkbarkeit der Kunstfreiheit nach Art. 52 Abs. 1 GRCh bereits ein einfaches Gesetz. Fraglich ist, ob sich aus diesen formellen Anforderungen auch tatsächlich eine materielle und strukturelle Unterschreitung des Gewährleistungsgehalts von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ergibt. Wie bereits dargestellt, bezweifeln Teile der Literatur bereits, dass die Einschränkungsmöglichkeit aufgrund eines einfachen Gesetzesvorbehalts zu anderen Ergebnissen führt als eine Beschränkung durch verfassungsimmanente Schranken: Letztlich ließe sich jede einfachrechtliche Regelung mit den Vorschriften der Verfassung begründen.428 Tatsächlich scheinen die formell unterschiedlichen Anforderungen an die Schranken der Kunstfreiheit nach der Charta und dem Grundgesetz – jedenfalls im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht – nicht mit einem verringerten Grundrechtsschutz verbunden zu sein. Schließlich können sich die Rechte des Urhebers, welche unter Umständen die Freiheit nachschaffender Künstler beschränken, sowohl auf einfaches Recht (insbesondere Art. 2 und Art. 3 InfoSoc-RL sowie §§ 11 ff. und §§ 15 ff. UrhG) als auch auf Verfassungsrecht (insbesondere Art. 17 Abs. 2 GRCh und Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) stützen. Der Eintritt eines „Solange-Falls“ aufgrund unterschiedlicher Anforderungen an die Qualität der Schranke kann im Rahmen des gegenwärtigen Urheberrechts folglich mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

428

Dazu D. II. 2. b), insbes. Fn. 382.

326

D. Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt 

cc) Eintritt eines „Solange-Falls“ aufgrund der Streichung von § 24 UrhG a. F.? Wie bereits ausgeführt429 kann die Streichung einer einzelnen Norm regelmäßig nicht zum Eintritt eines „Solange-Falls“ führen. Eine ausnahmsweise Vorrangigkeit deutscher Grundrechte im Anwendungsbereich des Unionsrechts wäre nur begründbar, wenn der Entfall der freien Benutzung jedenfalls zu einer strukturellen Unterschreitung des grundgesetzlichen Grundrechtsstandards des betroffenen Grundrechts, d. h. einer generellen Verkennung des Gewährleistungsgehalts von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG führen würde. Trotz ihrer besonderen Relevanz bei der Anwendung des deutschen Urheberrechts in der Vergangenheit kann der freien Benutzung nach § 24 UrhG a. F. eine derart weitreichende Bedeutung nicht zugeschrieben werden. Denn zum einen war sie auf urheberrechtliche Konflikte zwischen Rechtsinhabern und Werknutzern beschränkt und entfaltet für künstlerisches Schaffen ohne urheberrechtliche Relevanz keine Wirkung. Zum anderen sind nach ihrer Streichung künstlerische Werknutzungen zwar möglicherweise mit weitreichenderen Einschränkungen verbunden, jedoch grundsätzlich noch nach § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG oder §§ 51, 51a UrhG möglich. Ebenso hat sich der EuGH gewillt gezeigt, der Kunstfreiheit bei der Auslegung des Urheberrechts Rechnung zu tragen.430 Eine strukturelle Unterschreitung des Grundrechtsstandards von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und damit ein „Solange-Fall“ ergibt sich somit aus dem Wegfall von § 24 UrhG a. F. nicht.

III. Fazit zu Kapitel D Aufgrund der vergleichsweise jungen Grundrechtsgeschichte der Europäischen Union ist die Rechtsprechung des EuGH zum grundrechtlichen Schutz von Urheberrecht und Kunstfreiheit weit weniger ausgeprägt als die Rechtsprechung des BVerfG. Dennoch finden sich viele Überschneidungen. Sowohl die Grundrechtecharta als auch das Grundgesetz verstehen das Urheberrecht primär als Eigentumsrecht und schützen es daher nach Art. 17 Abs. 2 GRCh431 und Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG432. Mangels Harmonisierung des Urheberpersönlichkeitsrechts fehlt es an einem grundrechtlichen Schutz der persönlichkeitsrechtlichen Interessen des Urhebers nach der Charta.433 Allerdings werden diese nach dem Grundgesetz von Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst.434

429

Vgl. dazu C. III. 3. a). Vgl. dazu D. II. 1. a). 431 D. I. 1. a). 432 D. I. 2. a). 433 D. I. 1. b). 434 D. I. 2. b). 430

III. Fazit zu Kapitel D  

327

Für die Konturierung der Kunstfreiheit gem. Art. 13 S. 1 GRCh war ein Blick auf die künstlerische Äußerungsfreiheit nach Art. 10 EMRK erforderlich. Der Vergleich des grundrechtlichen Schutzes auf deutscher und europäischer Ebene zeigt überwiegend Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede auf. Gemein ist beiden Rechtsordnungen insbesondere die Anerkennung der Eigengesetzlichkeit von Kunst durch eine kunstspezifische Betrachtung, die staatliche Neutralität bei der Anerkennung und Bewertung von Kunst, die Erstreckung des Schutzbereichs auf die Nutzung Eigentums Dritter sowie die Abwägung der Interessen von Urheber und nachschaffendem Künstler als gleichrangig geschützte Positionen. Diese Aspekte unterstreichen zugleich den Reformbedarf für künstlerisch-referenzielle Nutzungen urheberrechtlich geschützter Werke im europäischen Urheberrecht, da die bestehenden Schrankenregelungen der InfoSoc-RL ihren Anforderungen nicht gerecht werden.435 Auch weitere Gemeinsamkeiten des Grundrechtsverständnisses, insbesondere das aus der Eigentumsfreiheit ergebende Erfordernis der grundsätzlichen Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses zum Urheber, sollen für eine erforderliche Neuregelung fruchtbar gemacht werden. Daneben kann festgehalten werden, dass im Hinblick auf die Unterschiede von grundrechtlichem Urheberrechtsschutz und Schutz der Kunstfreiheit der Eintritt eines „Solange-Falls“ zum gegenwärtigen Zeitpunkt fern liegt. Er könnte allerdings in Betracht kommen, wenn sich der EuGH der in der Grundrechtecharta angelegten eigenständigen Entwicklung der Kunstfreiheit versperrt und bei der Auslegung und Anwendung von Art. 13 S. 1 GRCh meinungs- anstatt kunstspezifische Maßstäbe zugrunde legt. Der Eintritt eines „Solange-Falls“ aufgrund der unterschiedlichen Einschränkungsmöglichkeiten der Kunstfreiheit nach Grundgesetz und Charta scheint dagegen unwahrscheinlich.

435

Näher dazu unter E. I. 2.

E. Reformbedürftigkeit der Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit aufgrund technischer und gesellschaftlicher Entwicklung Bereits die einfachrechtliche Betrachtung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht hat eine Reform der Schrankenregelungen im europäischen Urheberrecht nahegelegt.1 Die im Anschluss erfolgte grundrechtliche Betrachtung hat diesen Schluss bekräftigt. Im Folgenden soll der Grund der Reformbedürftigkeit noch einmal explizit dargelegt werden (I.) Im Anschluss wird herausgearbeitet, welche Vorgaben bei der Entwicklung einer neuen Schrankenregelung zu beachten sind (II.). Abschließend erfolgt ein konkreter Regelungsvorschlag für eine neue unionsrechtliche Schrankenregelung zugunsten künstlerischreferenzieller Nutzungen (III.).

I. Grund der Reformbedürftigkeit der Kunstfreiheit dienenden Schrankenregelungen Die Reformbedürftigkeit des europäischen Urheberrechts ergibt sich aus einer Regelungslücke im europäischen Urheberrecht (1.) und einem Widerspruch der bestehenden Schrankenregelungen zu verfassungsrechtlichen Vorgaben (2.).

1. Regelungslücke im europäischen Urheberrecht Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass hinsichtlich des Anwendungs­ bereichs der Schrankenregelungen zugunsten nachschaffender Künstler erhebliche Rechtsunsicherheit besteht.2 Aufgrund der vollständigen Angleichung der deutschen Schrankenregelungen an die europäischen Vorgaben bestehen zwar keine Unsicherheiten mehr im Hinblick auf eine unionsrechtskonforme Auslegung der freien Benutzung im Sinne des § 24 UrhG a. F. Die Rechtsunsicherheit resultiert allerdings unmittelbar aus dem Schrankenkatalog der InfoSoc-RL selbst. Insbesondere im Bezug auf jüngere künstlerische Erscheinungsformen, deren Herstellung durch die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte erleichtert oder erst ermöglicht wurde, fehlt es an einer eindeutigen Entscheidung des europäischen Gesetzgebers. 1 2

Vgl. dazu insbes. B. III. 3. b) bb); s. dazu auch B. VIII. 3. Dazu bereits unter B. VIII. 3.

I. Grund der Reformbedürftigkeit  

329

Das Zitatrecht nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL kann zwar unabhängig vom Vorliegen einer bestimmten Kunstform Anwendung finden und ist damit grundsätzlich geeignet, unterschiedliche kreative Nutzungen, wie z. B. das Sampling oder auch Memes zu privilegieren. Jedoch ist das Zitatrecht tatsächlich nur in Einzelfällen dieser Nutzungsformen einschlägig. Maßgeblich und problematisch sind insbesondere die Wiedererkennbarkeit und darauf aufbauend eine Inter­aktion mit dem Ausgangswerk sowie die Akzessorietät und damit verbunden der Umfang des Zitats. Je nach dem Maßstab, den man an das Vorliegen dieser Voraussetzungen anlegt – der bislang in der Rechtsprechung des EuGH allerdings noch ungeklärt ist3 – könnte man eine Privilegierung durch das Zitatrecht annehmen oder ablehnen. Allerdings werden auch bei der Heranziehung eines weniger strengen Maßstabes viele Nutzungsformen außerhalb des Zitatrechts liegen, insbesondere solche Formen, die ausschließlich aus Fremdmaterial bestehen. Natürlich könnte man bei einer kunstspezifischen Betrachtung auch für den Verzicht eigener Ausführungen des Nutzers plädieren und die Rekombination fremder Werkteile als Interaktion anerkennen. Ebenso könnte man sich bei einer werkgerechten Betrachtung auch für den Verzicht der Quellenangabe und das Änderungsverbots aussprechen. Die Annahme einer derartigen Auslegung ist aber mit großer Rechtsunsicherheit verbunden und hätte schlussendlich nichts mehr mit dem vom Gesetzgeber einst implementierten Zitatrecht zu tun, sodass sie vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips nach Art. 10 EUV und Art. 20 Abs. 2 GG bedenklich scheint. Auch die Ausnahmen und Beschränkungen nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSocRL liefern weder eine vollständige noch eine zufriedenstellende Lösung für das Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht. Zwar ist die Parodieschranke geeignet, Nutzungsformen mit komischem Charakter, wie z. B. Memes zu erfassen. Kreative Nutzungen ohne komischen Charakter, häufig insbesondere im musikalischen Bereich, aber auch im Bereich der Fan Fiction, scheiden jedoch von vornherein aus ihrem Anwendungsbereich aus. Gleiches gilt wohl für die Karikaturschranke, deren Anwendungsbereich der EuGH bislang nicht konkretisiert hat, die jedoch vermutlich Werknutzungen zum Zwecke von komisch-überspitzten Darstellungen erfasst. Letztlich bietet nur die Pasticheschranke die Chance, nicht ausdrücklich geregelte kreative Nutzungen unabhängig von dem Willen des ursprünglichen Urhebers zu ermöglichen. Dabei ist die Unbestimmtheit des Pastichebegriffs und damit die Offenheit im Hinblick auf seine Voraussetzungen für die Kunstfreiheit Fluch und Segen zugleich. Segen, weil mit einer entsprechenden Definition und Auslegung des Pastichebegriffs nahezu jede von den Gerichten gewollte künstlerische Nutzung von Fremdmaterial zulässig sein könnte und damit auch dem Willen des deutschen Gesetzgebers entsprochen werden kann. Fluch, weil sie ebenso gut als unzulässig zu bewerten sein könnte und das fehlende Verständnis des Begriffs 3 Zu der Auslegung dieser Voraussetzungen durch den BGH: BGHZ 225, 222 Rn. 55  – Metall auf Metall IV.

330

E. Reformbedürftigkeit der Schrankenregelungen 

im allgemeinen und insbesondere im juristischen Sprachgebrauch zu erheblicher Rechtsunsicherheit führt, sodass letztlich dem EuGH die Konkretisierung obliegt.4 Zugleich wirft die Nutzung eines Rechtsbegriffs, dessen genaue Bedeutung niemandem – wohl nicht einmal dem Gesetzgeber – wirklich klar erscheint,5 große Bedenken im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot und damit auch auf das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 2 S. 1 EUV und Art. 20 Abs. 3 GG auf. Die Entstehungsgeschichte von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL legt die Vermutung nahe, dass die Ausnahme zugunsten von Pastiches eher zufällig als bewusst gewollt in den Schrankenkatalog geraten ist.6 Denn die Begründung des Richt­linienvorschlags7 führt die Ausnahmeregelung zugunsten von Parodie, Karikatur und Pastiche nicht auf und im Gesetzgebungsverfahren fand die Vorschrift das erste Mal im Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 28. 09. 2000 Erwähnung. Darin stellt der Rat fest, dass er durch die Ausnahmen der Art. 5 Abs. 3 lit. f) bis lit. n) InfoSoc-RL „eine Reihe zusätzlicher, eng definierter Ausnahmen berücksichtigt, um entsprechenden Anträgen von Mitgliedstaaten entgegenzukommen.“8 Den Gerichten wird nun aufgebürdet, den primär vom Gesetzgeber zu lösenden Grundrechtskonflikt von Urheber und nachschaffendem Künstler durch eine entsprechende Auslegung des Pastichebegriffs zu lösen. Denn der einzige Anhaltspunkt, der sich unstreitig den Kulturwissenschaften entnehmen lässt, ist, dass ein Pastiche die Nutzung von Fremdmaterial voraussetzt. Auch wenn der Judikative die Fähigkeit unterstellt werden kann, durch die Auslegung des Pastichebegriffs zu einem interessengerechten Ausgleich der widerstreitenden Grundrechte zu gelangen, widerspricht diese Kompetenzverlagerung schlicht der Verfassung. Insbesondere handelt es sich bei der Ausnahme zugunsten von Pastiches nicht um eine Generalklausel, deren Konkretisierung und Anwendung im Einzelfall der Gesetzgeber bewusst auf die Gerichte delegiert hat. Vielmehr zeigen die kasuistisch formulierten Tatbestände des Schrankenkatalogs der InfoSoc-RL, dass die Ausnahmen und Beschränkun 4 Ausführlich zu den Vor- und Nachteilen der Nutzung des Pastichebegriffs als Kreativschranke: Döhl, ZGE 2020, 380 (391–438). 5 Bis zur Entscheidung des BVerfG in Metall auf Metall wurde die Heranziehung der Pasticheausnahme für kreative Nutzungen in der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht einmal erwogen, Döhl, ZGE 2020, 380 (387) m. w. N. Auch in der den Rechtsstreit begleitenden Diskussion hat die Pasticheschranke kaum eine Rolle gespielt, obwohl sich die Verfahren im Wesentlichen mit der Frage der Zulässigkeit des (Mikro-)Samplings befassen, das nach der Auffassung des Gesetzgebers nun das Paradebeispiel eines Pastiches sein soll, kritisch dazu Döhl, a. a. O. (387–389) m. w. N. Der BGH lehnte eine Anwendung der Pasticheschranke vor Einführung des § 51a UrhG jedenfalls mit der Begründung ab, dass es an einer Umsetzung in deutsches Recht fehle, ohne jedoch konkrete Ausführungen zum Anwendungsbereich zu treffen, BGHZ 225, 222 Rn. 65 – Metall auf Metall IV. 6 Kapitel B, Fn. 161 7 Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 10. 12. 1997, KOM(97) 628 endg. 8 Gemeinsamer Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 28. 09. 2000, ABl. 2000/C 344/01, 18.

I. Grund der Reformbedürftigkeit  

331

gen konkret bestimmte Nutzungsarten erfassen sollen.9Auch aus der Verwendung der Begriffe Karikatur, Parodie und Pastiche lässt sich ableiten, dass die Pastiche­ ausnahme eine spezifische Kunstform privilegieren und nicht als Auffangtatbestand für künstlerische Nutzungen unterschiedlicher Art dienen soll. Dass es sich bei der Pasticheausnahme nicht um eine Vorschrift mit derart weitem Anwendungsbereich handeln kann, wird außerdem durch die Ausführungen des Rates bestätigt, der diese als Teil „eine[r] Reihe […] eng definierter Ausnahmen“ beschreibt.10 Eine weite Ausdehnung des Ausnahmetatbestandes wäre vor dem Hintergrund des präzise gefassten Wortlauts somit im Hinblick auf die Gewaltenteilung sehr bedenklich.11 Die Flexibilität des Pastichebegriffs birgt außerdem die Gefahr, dass es bis zu einer Konkretisierung durch den EuGH zu einer abweichenden Auslegung der mitgliedstaatlichen Gerichte kommt,12 die nicht durch das Bestehen eines Umsetzungsspielraums gerechtfertigt sein könnte.13 Es ist darauf zu hoffen, dass die nationalen Gerichte ihre Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV ernst nehmen. Andernfalls ist der Pastichebegriff geeignet, die Harmonisierung des unionalen Urheberrechts schwerwiegend zu beeinträchtigen. Somit lässt sich festhalten, dass bereits im Unionsrecht de lege lata keine Vorschrift existiert, die geeignet und vom europäischen Gesetzgeber dazu bestimmt ist, neue künstlerische Erscheinungsformen rechtssicher zu privilegieren und damit zu einem angemessenen Interessenausgleich zwischen Urhebern und nachschaffenden Künstlern zu führen. Es fehlt an einer eindeutigen Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, die es in Form der Schaffung eines neuen Schrankentatbestandes zu treffen gilt.14

9 Vgl. dazu auch Döhl, ZGE 2020, 380 (416) mit Verweis auf Stieper, Schranken des Urheberrechts, S. 67. 10 Fn. 8. 11 Aus nationaler, grundgesetzlicher Perspektive könnte eine derart weite Auslegung zudem mit dem vom BVerfG entwickelten Gebot der kunstspezifischen Betrachtung in Konflikt geraten, Döhl, ZGE 2020, 380 (424, 439). 12 Zu diesem Risiko auch Döhl, ZGE 2020, 380 (390). 13 Es ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Begriff des Pastiche um einen autonomen und einheitlich auszulegenden Begriff des Unionsrechts handelt, der den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum eröffnet. So auch Döhl, ZGE 2020, 380 (419). 14 Für eine „balancierte wie eben auch belastbare Neuregelung“ ebenfalls plädierend: Döhl, ZGE 2020, 380 (438)., vgl. auch a. a. O. (395). Wohl für klarere Regelungen durch den europäischen Gesetzgeber eintretend auch: Stumpf, GRUR Int. 2019, 1086 (1095); ebenso Ohly, GRUR 2020, 843 (852); ders., GRUR 2017, 964 (969); Apel, MMR 2019, 596 (603). Neben den Stimmen der Literatur deutete auch GA Szpunar die Möglichkeit einer neuen Ausnahmeregelung bereits an: GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 98 – Pelham u. a.

332

E. Reformbedürftigkeit der Schrankenregelungen 

2. Grundrechtliche Erforderlichkeit einer neuen Schrankenregelung Natürlich ließe sich auch argumentieren, dass es mangels Regelung dem Willen des Gesetzgebers gerade entsprechen würde, Nutzungen wie das Sampling, Memes oder Fan Fiction nur in Abhängigkeit von der Zustimmung des Urhebers zu erlauben. Selbst wenn – was stark bezweifelt werden kann – dies tatsächlich zutrifft,15 wäre eine solche gesetzgeberische Entscheidung jedoch nur schwerlich mit den Grundrechten der Betroffenen vereinbar. Denn die Freiheit der Kunst gebietet es, dass eine künstlerische Auseinandersetzung mit urheberrechtlich geschützten Werken auch unabhängig von der Zustimmung des Urhebers möglich sein muss, soweit die Nutzung die grundsätzliche Zuordnung des wirtschaftlichen Wertes des Werkes zum Urheber nicht in Frage stellt. Das vermögensrechtliche Verfügungsrecht des Urhebers genießt grundsätzlich geringeren Schutz als das Verwertungsrecht und hat somit bei der Ausübung der im Kern betroffenen Kunstfreiheit zurückzutreten.16 Weiterhin ist nicht ersichtlich, warum die Zulässigkeit der Werknutzung zum Zweck der künstlerischen Auseinandersetzung von einer bestimmten Ausdrucksform abhängig sein sollte, wenn die Intensität der Beeinträchtigung der Rechte des Urhebers in etwa gleich oder sogar geringer ist. Nutzungen wie Fan Fiction, Memes, Samples oder GIFs beeinträchtigen die wirtschaftlichen und persönlichen Interessen des Urhebers regelmäßig nicht stärker als eine klassische Parodie. Somit besteht kein sachlicher Grund für eine Differenzierung. Vielmehr widerspricht sie dem Gehalt von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, deren Anwendung und Schutzintensität gerade nicht von dem Vorliegen einer bestimmten anerkannten Kunstform abhängt. Die Kunstfreiheit differenziert nicht zwischen schutzwürdigeren und schutzunwürdigeren Kunstformen. Somit erfordert es die Freiheit der Kunst, dass die künstlerische Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke unabhängig von dem Vorliegen einer bestimmten Ausdrucksform oder einem Genre grundsätzlich zulässig sein muss, solange dabei dem Urheber der wirtschaftliche Wert seines Werkes weiterhin grundsätzlich zugeordnet wird und seine ideellen Interessen nicht unzumutbar beeinträchtigt werden. Die bestehenden Regelungen widersprechen damit dem Gewährleistungsgehalt der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh. Folglich ist eine Änderung des europäischen 15 Dagegen sprechen zum Beispiel die Äußerungen des Europäischen Parlaments in: Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juli 2015 zur Umsetzung der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft(2014/2256(INI)), P8_TA(2015)0273, T 42, 43 und 47, abrufbar unter: https:// www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-8-2015-0273_DE.html [zuletzt abgerufen am 14. 11. 2021]; vgl. auch Europäische Kommission, Grünbuch Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft vom 16. 07. 2008, KOM(2008) 466 endg., 19–20. Nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers sollen Nutzungsformen wie das Sampling, GIFs, Memes und Fan Fiction eindeutig privilegiert werden: Begründung des RegE eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drs. 19/27426, 89–91. 16 Vgl. dazu die Rechtsprechung des BVerfG unter D. I. 2. a) und des EuGH unter D. I. 1. a).

II. Vorgaben für einen Regelungsvorschlag  

333

Urheberrechts zur Wahrung des Schutzgehalts von Art. 13 S. 1 GRCh geboten, die auch im deutschen Urheberrechtsgesetz umzusetzen wäre.17

II. Vorgaben für einen Regelungsvorschlag zugunsten künstlerischer Nutzungen Bei der Schaffung einer neuen Regelung zur Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht sind sowohl die Grundrechtecharta (1.) als auch unionsrechtliches Sekundärrecht (2.) zu beachten.

1. Vorgaben der Grundrechtecharta an einen Regelungsvorschlag Bei dem Versuch, das Spannungsverhältnis zwischen Kunstfreiheit und Urheberrecht durch eine neue Schranke im europäischen Urheberrecht zu lösen, sind zunächst die sich aus der Grundrechtecharta ergebenden Vorgaben zu beachten. Dazu gehören vor allem Erwägungen, die sich aus dem Schutz der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh (a), dem Schutz des Urheberrechts nach Art. 17 Abs. 2 GRCh (b und c) und den wohl auch unionsgrundrechtlich geschützten ideellen Interessen des Urhebers ergeben (d). Die Maßgeblichkeit der Grundrechte ergibt sich daraus, dass sich jede einfachrechtliche Regelung an der Verfassung und damit auch an den Grundrechten messen lassen muss.18 a) Grundsätzliche Zulässigkeit von künstlerischen Werknutzungen und grundsätzliche Gleichbehandlung künstlerischer Nutzungsformen Wie bereits dargelegt,19 ist bei einer neuen Vorschrift zur Regelung des Spannungsverhältnisses von Urheberrecht und Kunstfreiheit zunächst zu berücksichtigen, dass die künstlerische Werknutzung auch ohne Zustimmung des Urhebers grundsätzlich möglich sein muss. Denn der Schutzbereich der Kunstfreiheit ist

17

Eine Reform auf rein nationaler Ebene ist dem deutschen Gesetzgeber aufgrund des abschließenden Schrankenkatalogs der InfoSoc-RL hingegen verwehrt, dazu B. II. 1. a). 18 Ausführlich zur Bedeutung der Grundrechte für das Privatrecht unter C. Die Europä­ ische Kommission hat sich in jüngerer Vergangenheit für eine verstärkte Berücksichtigung der Grundrechte im Gesetzgebungsverfahren ausgesprochen: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschluss der Regionen – Strategie für eine verstärkte Anwendung der Grundrechtecharta in der EU, COM(2020) 711 final, 3, 18–19. 19 E. I. 2.

334

E. Reformbedürftigkeit der Schrankenregelungen 

weit zu verstehen und umfasst auch die Nutzung fremden Eigentums.20 Des Weiteren ist im Rahmen der Neuregelung eine Gleichbehandlung aller künstlerischen Ausdrucksformen angezeigt. Denn Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG streiten für alle künstlerischen Erscheinungsformen im gleichen Maße. Es gibt keine Kunstform, die mehr oder weniger Schutz genießt. Eine entsprechende Ansicht würde auf eine unzulässige Niveaukontrolle hinauslaufen. Der Schutzbereich ist aber nicht an Inhalt, Stil oder Ausdrucksform gebunden.21 Demnach genießt Kunst, die im Alltag entsteht, z. B. in Form künstlerischen User Generated Contents nach Art. 13 S. 1 GRCh denselben Schutz wie intellektuell anspruchsvollere, arbeitsintensivere oder professionelle Kunst.22 Für den Schutzbereich der Kunstfreiheit ist unerheblich, ob ein Sample möglicherweise innerhalb von wenigen Minuten oder Stunden verarbeitet oder ein Gemälde über Wochen angefertigt wird. Diese Einschätzung teilen auch EGMR, EuGH und BVerfG, die die Kunsteigenschaft anhand von materiellen und nicht formellen Kriterien feststellen.23 Bereits deshalb muss der Vorschlag für eine neue Ausnahme von den Urheberrechten künstlerische Nutzungen unabhängig von ihrer Ausdrucksform privilegieren. Zudem würde eine werkartunabhängige Schrankenregelung auch die Eigengesetzlichkeit und stetige Fortentwicklung der Kunst berücksichtigen. Denn der Kunst ist es immanent, sich weiterzuentwickeln und neue Ausdrucksformen zu finden, die sich nicht in den Wortlaut bekannter Erscheinungsformen zwängen können. Eine von vorgegebenen Kunstformen unabhängig anwendbare Vorschrift wäre schließlich auch aus praktischen Erwägungen vorteilhaft: Erfasst der Wortlaut der Schranke alle Kunstformen unabhängig von ihrer konkreten Erscheinung, würde eine Reform aufgrund etwaiger neuer künstlerischer Entwicklungen entbehrlich. Folglich muss der Vorschlag eine von der Ausdrucksform unabhängige Privilegierung zugunsten künstlerischer Werknutzungen enthalten. Allerdings soll die Regelung keine von dem Nutzungszweck vollständig losgelöste Generalklausel darstellen, wie § 24 a. F. UrhG es war, sondern sich auf die Erfassung künstle­ rischer Nutzungen beschränken. b) Berücksichtigung des Schutzes des Urheberrechts nach Art. 17 Abs. 2 GRCh Die grundsätzliche Zulässigkeit künstlerischer Werknutzungen kann im Rahmen der neuen Schrankenregelung allerdings nicht vollständig einschränkungsfrei gelten. Um einen angemessenen Ausgleich mit den Interessen des Urhebers und 20

Dazu unter D. II. 3. a) dd). Dazu unter D. II. 3. a) aa) und bb). 22 Insbesondere ist mit Abkehr vom formalen Kunstbegriff auch keine „von der Alltagskommunikation abgehobene Formensprache“ erforderlich, vgl. dazu Dreier / Wittreck, GG, Art. 5 III Rn. 41, 38. 23 Dazu unter D. II. 3. a) aa). 21

II. Vorgaben für einen Regelungsvorschlag  

335

damit insbesondere dessen Eigentumsfreiheit nach Art. 17 Abs. 2 GRCh herzustellen, ist für bestimmte referenziell-künstlerische Nutzungen eine Vergütungspflicht vorzusehen.24 Denn eine Regelung ohne wirtschaftliche Kompensation könnte in Abhängigkeit von den konkreten Umständen des Einzelfalls die verfassungsrechtliche Vorgabe der grundsätzlichen Zuordnung des wirtschaftlichen Wertes des Werkes zum Urheber verletzen. Die wirtschaftliche Kompensation für bestimmte Nutzungsformen stellt somit einen grundrechtlich unabdingbaren Teil des Regelungsvorschlages dar und entschärft das Spannungsverhältnis zwischen Urheber und nachschaffendem Künstler. Gerade die Undifferenziertheit bei der Umsetzung der bisherigen Regelungen hat den Konflikt zwischen Nutzern und Urhebern zugespitzt. Denn entweder war die künstlerische Nutzung in Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 lit. d), k) InfoSoc-RL nach § 51 UrhG, § 24 UrhG a. F. ohne wirtschaftliche Kompensation des Urhebers zulässig oder sie war unzulässig.25 Auch der neu eingeführte § 51a UrhG unterscheidet nicht zwischen vergütungsfreien und vergütungspflichtigen Nutzungen. Ein derartiges Schwarz oder Weiß benachteiligt eine der Parteien regelmäßig.26 Im Gegensatz zur Parodie, die naturgemäß nicht dazu geeignet ist, das Werk zu substituieren und damit die wirtschaftlichen Interessen des Urhebers des Ausgangswerks zu beeinträchtigen, ist bei anderen künstlerischen Nutzungen mit referenziellem Charakter eine wirtschaftliche Beeinträchtigung denkbar. Insbesondere künstlerische Nutzungen, die besonders stark von der Referenz geprägt sind, könnten die grundsätzliche Zuordnung des wirtschaftlichen Wertes des Werks zum Urheber in Frage stellen. Zum Beispiel könnten Remixe, Cover oder Nutzungen, die umfangreiche Samples des Ausgangswerks enthalten, geeignet sein, das Werk zu ersetzen und damit die wirtschaftliche Verwertung negativ beeinflussen, vor allem wenn diese Nutzungen in der primären Verwertungsphase des Werkes erfolgen. Lege ferenda muss also anhand der Fragen, ob und wie stark die künstlerischen Nutzungen die wirtschaftliche Verwertung des Werkes beeinträchtigen, eine Unterscheidung zwischen vergütungsfreien und vergütungspflichtigen Nutzungen getroffen werden. Somit gilt die grundsätzliche Gleichbehandlung der künstle­ rischen Nutzungen nur so weit, wie sie die Interessen des Urhebers auch ähnlich stark beeinträchtigen. Wegen der besonderen Bedeutung der wirtschaftlichen Kompensation für einen gerechten Interessenausgleich ist dieser Aspekt unmittelbar in die neue Schranken 24 So schon bereits Ohly, GRUR 2020, 843 (852). Die Idee einer Vergütungspflicht hat auch das BVerfG im Rahmen der freien Benutzung geäußert, BVerfGE 142, 74 Rn. 80 – Metall auf Metall. 25 Dabei wäre den Mitgliedstaaten auch in Umsetzung dieser fakultativen Schranken die Kopplung an eine Ausgleichszahlung möglich gewesen, vgl. Erwgr. 36 InfoSoc-RL. 26 Im Rahmen der Umsetzung von Art. 17 DSM-RL hat der deutsche Gesetzgeber gem. § 5 Abs. 2 S. 1 UrhDaG nun zumindest eine Vergütungspflicht der Diensteanbieter für urheberrechtliche Nutzungen nach § 51a UrhG vorgesehen.

336

E. Reformbedürftigkeit der Schrankenregelungen 

regelung aufzunehmen und damit bei einer Entscheidung der Mitgliedstaaten für die Umsetzung der fakultativen Vorschrift verpflichtend umzusetzen. c) Berücksichtigung der Anforderungen an die Beschränkungen von Art. 17 Abs. 2 GRCh Da es sich bei einer Ausnahme oder Beschränkung des Urheberrechts um eine Nutzungsbeschränkung des Eigentums nach Art. 17 Abs. 1 S. 3 GRCh handelt, muss diese auf einer gesetzlichen Grundlage erfolgen und für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich sein. Das Wohl der Allgemeinheit erfasst auch die individuell-­primärrechtlich garantierten Interessen anderer,27 hier also insbesondere das von der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh geschützte Interesse von Künstlern, sich mit bestehenden Werken auseinanderzusetzen. Darüber hinaus muss sich der Reformvorschlag auch an Art. 52 Abs. 1 GRCh messen lassen. Dies bedeutet, dass er als Beschränkung von Art. 17 Abs. 2 GRCh verhältnismäßig sein muss und der Wesensgehalt des Eigentumsrechts gewahrt bleibt.28 d) Berücksichtigung ideeller Interessen des Urhebers Neben den ökonomischen Interessen müssen bei der Gestaltung einer Neuregelung auch die ideellen Interessen des Urhebers Berücksichtigung finden, die durch das Urheberpersönlichkeitsrecht grundgesetzlich nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt werden. Der Urheber muss eine künstlerisch-referenzielle Nutzung seines Werkes auch untersagen können, wenn sie seine persönlichkeitsrechtlichen Interessen unzumutbar beeinträchtigt. Die Ausformung des Urheberpersönlichkeitsrecht ist jedoch bislang den Mitgliedstaaten überlassen.29 Für eine Verankerung des Urheberpersönlichkeitsrechts auf unionsrechtlicher Ebene bedürfte es zunächst einer entsprechenden ausdrücklichen gesetzgeberischen Entscheidung, deren etwaige Notwendigkeit jedoch nicht Thema der vorliegenden Arbeit sein soll. Daher wird das Urheberpersönlichkeitsrecht in dem hier zu präsentierenden unionsrechtlichen Regelungsvorschlag nicht durch eine gesonderte Regelung Ausdruck finden. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine Berücksichtigung des Urheberpersönlichkeitsrechts bei Umsetzung der Schranke im nationalen Recht der Mitgliedstaaten möglich ist. Im deutschen Urheberrecht wird die Wahrung der urheberpersönlich 27

Heselhaus / Nowak / Heselhaus, EU-Grundrechte-HdB, § 36 Rn. 76 m. w. N.; dazu bereits unter D. I. 1. a) cc) (2). 28 Zu den Anforderungen des Art. 52 Abs. 1 GRCh bereits unter D. I. 1. a) cc) (3). 29 Vgl. Erwgr. 19 InfoSoc-RL.

II. Vorgaben für einen Regelungsvorschlag  

337

keitsrechtlichen Interessen bei der Anwendung der im Folgenden vorgeschlagenen Schranke für künstlerisch-referenzielle Nutzungen insbesondere durch die gleichzeitige Anwendbarkeit von § 14 UrhG i. V. m. § 62 UrhG30 sowie der Quellenangabe nach § 63 UrhG sichergestellt. Um persönlichkeitsrechtlichen Interessen des Urhebers Rechnung zu tragen, sollte das deutsche Urheberrecht daher für künstlerisch-referenzielle Nutzungen die Verpflichtung zur Quellenangabe vorsehen, soweit diese sich nicht als unmöglich erweist. Eine entsprechende Regelung sollte in § 63 UrhG eingefügt werden. Zudem sollte neben § 51a UrhG auch die Schranke für künstlerisch-referenzielle Nutzungen in § 62 Abs. 4a UrhG aufgeführt werden, sodass Änderungen auch im Rahmen dieser Nutzungen zulässig wären, soweit es der Benutzungszweck, d. h. die jeweilige künstlerische Nutzung erfordert.

2. Sekundärrechtliche Erwägungen für eine Neuregelung Neben den grundrechtlichen Vorgaben muss eine neue Ausnahme sich auch bestmöglich in die bestehenden einfachrechtlichen Strukturen einfügen. Sie sollte daher sowohl in die InfoSoc-RL (a) als auch in die DSM-RL (b) implementiert werden. Darüber hinaus muss sie den Vorgaben des Dreistufentests nach Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL genügen (c). a) Implementierung der Vorschrift in die InfoSoc-RL Die neue Vorschrift ist in den Schrankenkatalog der InfoSoc-RL einzugliedern. Damit wird erreicht, dass die Ausnahme sich sachlich grundsätzlich auf alle urheberrechtlichen Sachverhalte erstrecken kann und nicht nur, wie z. B. die DSM-RL im Anwendungsbereich auf eine bestimmte Nutzungssituation beschränkt ist. Vorteilhaft an einer Aufnahme der neuen Vorschrift in die InfoSoc-RL ist weiterhin, dass die Art und Funktionsweise der dort geregelten Ausnahmen und Beschränkungen den Mitgliedstaaten bekannt sind und sie somit Rechtssicherheit bietet. Die Vorschrift zugunsten künstlerisch-referenzieller Nutzungen wäre folglich fakultativer Natur. Es stünde den Mitgliedstaaten frei, die Regelung in ihr nationales Urheberrecht zu übertragen. Entschieden sie sich jedoch für eine Implementierung des neuen Ausnahmetatbestandes, müsste dieser der unionsrechtlichen Vorschrift entsprechen. Mit dieser Regelungssystematik wird der Souveränität der Mitgliedstaaten Rechnung getragen und bei Einführung zugleich eine Harmonisierung erreicht.31

30

Vgl. Wandtke / Bullinger / Bullinger, UrhR, § 14 Rn. 2; Schricker / Loewenheim / Peukert, UrhG, § 14 Rn. 8. 31 Für die Wahl einer Richtlinie gegenüber einer Verordnung als schonenderes Instrument zur Harmonisierung des europäischen Urheberrechts auch: Paulus, FS 50 Jahre, S. 55 (74, 77).

338

E. Reformbedürftigkeit der Schrankenregelungen 

b) Implementierung der Vorschrift auch in Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 der DSM-RL Die Privilegierung für künstlerisch-referenzielle Nutzungen spielt vor allem auch im Rahmen der Nutzung von Online-Diensteanbietern eine Rolle. Daher sollte die Ausnahme auch in das Lex specialis zur InfoSoc-RL, nämlich Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL implementiert werden.32 Zwar könnte sich die Regelung bereits ohne gesonderte Implementierung in die DSM-RL auf den Online-Bereich erstrecken, da der Anwendungsbereich der InfoSoc-RL sachlich nicht beschränkt ist. Die Implementierung der Vorschrift in Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL würde jedoch dazu führen, dass die Umsetzung der Schranke für referenziell-künstlerische Werknutzungen im Anwendungsbereich der DSM-RL von den Mitgliedstaaten verpflichtend umzusetzen ist. Der zwingende Charakter ist im Rahmen der Nutzung von Online-Diensteanbietern notwendig. Denn gerade dort treten referenziell-künstlerische Werknutzungen vielfach auf und werden grenzüberschreitend genutzt. Eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat abweichende Regelung künstlerisch-referenzieller Nutzungen im Anwendungsbereich der DSM-RL würde die Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts stark beeinträchtigen. Zudem gelten im Rahmen der Inanspruchnahme von Online-Diensteanbietern Sondervorschriften. Die Anwendung dieser Sondervorschriften, die auch für das Zitatrecht und die Schranke zugunsten von Parodien, Karikaturen und Pastiches gelten, wäre auch auf eine neue Schranke zugunsten künstlerisch-referenzieller Werknutzungen interessengerecht.33 c) Konformität der Vorschrift mit dem Dreistufentest des Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL Schließlich muss die Ausnahme zugunsten von künstlerisch-referenziellen Nutzungen auch den Anforderungen des Dreistufentests genügen. Dafür darf die Neuregelung nur bestimmte Sonderfälle erfassen (Stufe 1), in denen die normale Verwertung des Werkes oder des sonstigen Schutzgegenstandes nicht beeinträchtigt wird (Stufe 2) und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden (Stufe 3). Der Dreistufentest ist allerdings primär bei der Ausgestaltung der Schrankenregelungen durch die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber zu beachten. Zudem ist er auch bei deren Anwendung durch die Gerichte im Einzelfall maßgeblich.34 Hingegen hat der Dreistufentest des Art. 5 Abs. 5 Info 32

Zum Verhältnis von InfoSoc-RL und DSM-RL vgl. B. II. 1. a) und B. II. 3. Bei einer Umsetzung in das deutsche Urheberrecht, z. B. durch eine Ergänzung von § 5 Abs. 1 UrhDaG könnte dann auch eine etwaige Vergütungspflicht auf die Diensteanbieter nach § 5 Abs. 2 S. 1 UrhDaG abgewälzt werden. Denn diese profitieren von den künstlerisch-­ referenziellen Nutzungen und stellen für die Rechtsinhaber greifbare Ansprechpartner dar, um ihre Vergütungsansprüche tatsächlich durchzusetzen. 34 BGH GRUR 2020, 859 Rn. 70 – Reformistischer Aufbruch II; BGH GRUR 2014, 549 Rn. 46 m. w. N. – Meilensteile der Psychologie; vgl. BGHZ 141, 13 (34) – Kopienversanddienst; 33

III. Vorschlag für eine neue unionsrechtliche Schrankenregelung 

339

Soc-RL keine Auswirkungen auf den materiellen Gehalt des Schrankenkatalogs der InfoSoc-RL und DSM-RL selbst. Er kommt erst bei der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten zur Anwendung.35 Dennoch sollte die Schranke bereits auf unionsrechtlicher Ebene den Voraussetzungen des Dreistufentests entsprechen. Denn es ergibt sich aus der Rechtsnatur des Schrankenkatalogs, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie sich für eine Implementierung der jeweiligen Regelung in das nationale Recht entscheiden, sie die Beschränkung vollständig und – bis auf geringfügige Eigenheiten im Rahmen eines etwaig bestehenden Umsetzungsspielraums – ohne Abweichungen übernehmen müssen.

III. Vorschlag für eine neue unionsrechtliche Schrankenregelung Der folgende Regelungsvorschlag für die Einführung einer neuen Schrankenregelung zugunsten künstlerisch-referenzieller Nutzungen in der InfoSoc-RL (1.) und der DSM-RL (3.) bewegt sich in den Grenzen, die die Grundrechte dem europäischen Gesetzgeber ziehen und ist geprägt von den Rückschlüssen der vorausgehenden Kapitel. Er ist verbunden mit einer Streichung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL (4.) und Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b) DSM-RL und wird im Anschluss an seine Vorstellung zugunsten einer besseren Verständlichkeit erläutert (2.). Im Mittelpunkt des Vorschlags steht der angemessene Ausgleich zwischen der Eigentums- und der Kunstfreiheit aus grundrechtlicher Perspektive. Für ein praxistaugliches Gesetz sind allerdings auch weitere Aspekte, z. B. ökonomischer, gesellschaftlicher und soziologischer Natur zu bewerten, die in dem Regelungsvorschlag überwiegend unberücksichtigt geblieben sind. Der Vorschlag bietet jedoch genug Flexibilität, um ihn aufgrund entsprechender Erkenntnisse zu modifizieren oder zu konkretisieren. Zugleich ist zu beachten, dass dem Gesetzgeber – unter Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben  – ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht,36 der Platz für politische Wertungen und damit verbundene unterschiedliche gesetzliche Lösungsmöglichkeiten eröffnet. Der Regelungsvorschlag EuGH, Urt. v. 17. 01. 2012 – C-302/10, ECLI:EU:C:2012:16 Rn. 56 – Infopaq International II; Begründung des RegE eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drs. 16/1828, 21. 35 EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014 – C-435/12, ECLI:EU:C:2014:254 Rn. 25 – ACI Adam u. a.; s. aber auch EuGH, Urt. v. 16. 07. 2009 – C-5/08, ECLI:EU:C:2009:465 Rn. 58 – Infopaq International, der Art. 5 Abs. 1 InfoSoc-RL im Lichte des Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL auslegt und EuGH, Urt. v. 11. 09. 2014 – C-117/13, ECLI:EU:C:2014:2196 Rn. 33–34, 47 – Eugen Ulmer. Zur Bedeutung des Dreistufentests für die Schrankenregelungen näher unter B. II. 4. 36 GA Szpunar, Schlussanträge v. 12. 12. 2018 – C-476/17, ECLI:EU:C:2018:1002 Rn. 94 – Pelham u. a. mit Verweis auf EGMR, Urt. v. 10. 01. 2013 – 36769/08, ECLI:CE:ECHR:2013:0110 JUD003676908 Rn. 40 – Ashby Donald et autres / France. Dies gilt besonders für die Ausgestaltung urheberrechtlicher Schrankenregelungen, vgl. BVerfGE 134, 204 Rn. 70 – Übersetzerhonorare, so auch: Paulus, FS 50 Jahre, S. 55 (77); vgl. auch Geiger, GRUR Int. 2008, 459 (464–465).

340

E. Reformbedürftigkeit der Schrankenregelungen 

für künstlerisch-referenzielle Nutzungen kann somit nur beispielhaft für eine von verschiedenen Alternativen stehen, das Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht verfassungskonform zu lösen.

1. Vorschlag für eine Schrankenregelung zugunsten künstlerisch-referenzieller Nutzungen mit eigenständigem Charakter in der InfoSoc-RL Art. 5 InfoSoc-RL … (3) Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die in den Artikeln 2 und 3 vorgesehenen Rechte vorsehen: … k) für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches; … p) für künstlerisch-referenzielle Nutzungen mit eigenständigem Charakter. Beeinträchtigt eine künstlerisch-referenzielle Nutzung nicht-kommerzieller Art die normale Verwertung des Werkes, ist dem betroffenen Rechtsinhaber ein gerechter Ausgleich zu leisten. Ist die künstlerisch-referenzielle Werknutzung kommerziell, ist dem Rechtsinhaber eine angemessene Vergütung zu zahlen.

2. Erläuterungen zu Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf Der neue Regelungsvorschlag soll künstlerisch-referenzielle Nutzungen mit eigenständigem Charakter unabhängig von deren Genre oder Erscheinungsform privilegieren. Grundsätzlich ist eine nicht-kommerzielle Nutzung vergütungsfrei möglich. Damit wird dem besonderen öffentlichen Interesse an einer freien Entfaltung der Kunstfreiheit Rechnung getragen. Um einen angemessenen Ausgleich der Kunstfreiheit mit den Rechten und Interessen des betroffenen Rechtsinhabers und damit insbesondere der Eigentumsfreiheit zu erzielen, ist jedoch ein gerechter Ausgleich zu leisten, wenn die Nutzung die normale Verwertung des Werkes beeinträchtigt. Bei kommerziellen künstlerisch-referenzielle Nutzungen ist immer eine angemessene Vergütung zu zahlen.

III. Vorschlag für eine neue unionsrechtliche Schrankenregelung 

341

a) Künstlerisch-referenzielle Werknutzung Eine Werknutzung ist künstlerisch-referenziell, wenn das Ausgangwerk in künstlerischer Weise verarbeitet, verändert oder mit anderem Material rekombiniert wird. Die Verarbeitung, Veränderung oder Rekombination des Ausgangswerkes mit anderem Material ist künstlerisch, wenn sie in den Anwendungsbereich der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh fällt. Unter den Begriff der künstlerisch-referenziellen Werknutzung können z. B. Memes, Sampling, Mashups, Remixe, Fan Fiction oder Collagen fallen, soweit sie künstlerischer Art sind.37 Das werkartunabhängige Tatbestandsmerkmal der künstlerisch-referenziellen Nutzung privilegiert die künstlerische Verwendung unabhängig von einer bestimmten Ausdrucksform. Damit trägt die Vorschrift der materiellen Betrachtung des Kunstbegriffs im deutschen und europäischen Recht Rechnung.38 Zugleich eröffnet das Tatbestandsmerkmal durch die Loslösung von bestimmten Werkarten hinreichend Flexibilität, um der Eigengesetzlichkeit der Kunst sowie dessen ständiger Weiterentwicklung gerecht zu werden und damit auch das Entstehen neuer Kunstformen zu fördern. Das Erfordernis einer künstlerisch-referenziellen Werknutzung erfüllt außerdem die erste Stufe des Dreistufentests nach Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL, die das Vorliegen eines bestimmten Sonderfalls voraussetzt. Denn bei der Nutzung handelt es sich um einen qualitativen Sonderfall zugunsten dem grundrechtlich nach Art. 13 S. 1 GRCh geschützten Interesse an der freien Ausübung der Kunstfreiheit. b) Werknutzung nicht-kommerzieller Art Die Unterscheidung zwischen kommerziellen und nicht-kommerziellen Nutzungen berücksichtigt, dass kommerzielle Nutzungen die wirtschaftliche Verwertung des Werkes regelmäßig stärker beeinträchtigen als Nutzungen ohne kommerziellen Charakter. Denn kommerzielle Werknutzungen zielen fast immer darauf ab, ihre Reichweite, d. h. ihren Adressatenkreis zu maximieren, um die Gewinne zu steigern. Daher erreichen sie häufiger das Publikum des Ausgangswerks und sind somit eher geeignet dieses zu substituieren. Eine künstlerisch-referenzielle Werknutzung ist nicht-kommerzieller Art, wenn sie nicht der Gewinnerzielung dient.39 Eine Nutzung in nicht-kommerzieller Art 37 Und soweit die genutzten Werke darin wiedererkennbar sind und damit überhaupt eine Vervielfältigung im Sinne von Art. 2 InfoSoc-RL vorliegt. Insbesondere beim Sampling und bei Mashups könnte im Einzelfall eine Wiedererkennbarkeit abzulehnen sein. 38 Im Gegensatz dazu widerspricht die gegenwärtig geltende Vorschrift des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL dem offenen, materiellen Kunstbegriff den EGMR, EuGH und BVerfG heranziehen, dazu unter D. II. 3. a) aa). 39 Vgl. BGH GRUR 2014, 549 Rn. 42 – Meilensteine der Psychologie zu § 52a UrhG m. w. N. F; vgl. auch Wandtke / Bullinger / L eenen, UrhR, Art. 5 InfoSoc-RL Rn. 35–36.

342

E. Reformbedürftigkeit der Schrankenregelungen 

setzt hingegen nicht voraus, dass sie rein privat erfolgt.40 Zum Beispiel können auch öffentlich genutzte Memes, Mashups oder Fan Fiction als nicht-kommerzielle Nutzungen einzuordnen sein. Dies wird insbesondere auch dem Umstand gerecht, dass sich die Abgrenzung zwischen privaten und öffentlichen Handlungen im Internet als schwierig erweist. Häufig werden künstlerisch-referenzielle Nutzungen über soziale Medien in einer „privaten“ Absicht geteilt, erreichen aber eine Vielzahl von bekannten oder unbekannten Personen, ohne einen kommerziellen Zweck zu verfolgen.41 c) Eigenständigkeit der Werknutzung Darüber hinaus muss die Nutzung einen gegenüber dem Ausgangswerk eigenständigen Charakter aufweisen. Damit wird eine qualitative Anforderung an das Ergebnis der Nutzungshandlung gestellt, um insbesondere unzulässige Plagiate von der Privilegierung auszuschließen. Zudem können mangels eigenständigen Charakters bloße Interpretationen des Ausgangswerkes, wie z. B. Cover in der Regel keine künstlerisch-referenziellen Nutzungen mit eigenständigem Charakter darstellen. Ein eigenständiger Charakter der Nutzung liegt vor, wenn die Nutzung in ihrer Gesamtheit deutliche Unterschiede zum Ausgangswerk aufweist. Dies wird bei Memes, Remixen, Sampling, Fan Art und Fan Fiction regelmäßig der Fall sein. Hingegen setzt ein eigenständiger Charakter im Sinne des Regelungsvorschlags nicht voraus, dass die Nutzung selbst die Schöpfungshöhe erreicht.42 Denn die Schranke soll Nutzungen im Schutzbereich der Kunstfreiheit erlauben. Dafür ist – parallel zur Parodieschranke43 – unerheblich, ob die Nutzung selbst Werkcharakter aufweist. Insbesondere stellt die Schöpfungshöhe kein taugliches Abgrenzungskriterium zwischen künstlerischen und nicht künstlerischen Nutzungen dar. Die künstlerische Eigenschaft der Nutzung wird bereits durch das Tat­bestandsmerkmal der künstlerisch-referenziellen Nutzung sichergestellt.

40

A. A. für die Auslegung des Begriffs innerhalb einer Creative-Common-Lizenz: LG Köln, MMR 2014, 478 (479). 41 Vgl. dazu Döhl, ZGE 2020, 380 (395–396). 42 Anders hingegen der Regelungsvorschlag für „transformative Werknutzungen“ von Kreutzer, Verbraucherschutz im Urheberrecht, S. 73 und der Regelungsvorschlag für „transformativ-kreative Nutzungen“ Pötzlberger, Kreatives Remixing, S. 398. Allerdings wurden beide Vorschläge noch vor der Streichung von § 24 UrhG a. F. konzipiert. 43 Vgl. B. II. 1. b) bb) (1) (a) (aa).

III. Vorschlag für eine neue unionsrechtliche Schrankenregelung 

343

d) Gerechter Ausgleich bei der Beeinträchtigung der normalen Verwertung des Werkes Regelmäßig werden künstlerisch-referenzielle Nutzungen nicht-kommerzieller Art die normale Verwertung des Werkes nicht beeinträchtigen. Liegt jedoch eine Beeinträchtigung der normalen Verwertung des Werkes vor, z. B. weil die künstlerisch-referenzielle, nicht-kommerzielle Nutzung in Konkurrenz mit dem Ausgangswerk tritt, muss der Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten.44 Durch ihn wird die grundsätzliche Zuordnung der Verwertungsrechte an den Urheber gewahrt, die sowohl nach der Rechtsprechung des EuGH als auch nach der Rechtsprechung des BVerfG erforderlich ist.45 Denn die nach der Kunstfreiheit gebotene grundsätzlich uneingeschränkte Nutzung urheberrechtlich geschützten Materials kann nur so weit reichen, wie dadurch nicht die grundrechtliche Position der Rechtsinhaber in Frage gestellt wird. Die Freiheit der Kunst nach Art. 13 S. 1 GRCh kollidiert allerdings mit der nach Art. 17 Abs. 2 GRCh geschützten Eigentumsposition des Urhebers des Ausgangswerks. Die Beeinträchtigung des Verfügungsrechts wird jedoch neben den von Art. 13 S. 1 GRCh geschützten Interessen des Nutzers auch durch das Interesse der Allgemeinheit an einer freien, wirtschaftlich unabhängigen Ausübung der Kunstfreiheit gerechtfertigt, sodass die Nutzung grundsätzlich erlaubnisfrei zulässig ist. Wird jedoch auch der verwertungsrechtliche Aspekt der Eigentumsfreiheit beeinträchtigt (aa), hat der Nutzer eine Ausgleichszahlung zu leisten, die die durch die Nutzung entstandenen wirtschaftlichen Einbußen des Rechtsinhabers ausgleicht (bb). Nur so kann ein im Einzelfall angemessener Ausgleich erreicht werden. Denn ein gesteigertes öffentliches Interesse an einer entschädigungslosen Nutzung besteht nicht .46 Dieser Teil des Regelungsvorschlags orientiert sich an der Rechtsprechung von EuGH und BVerfG, Art. 5 Abs. 2 lit. a), b), e) InfoSoc-RL sowie dem in Art. 5 Abs. 5 InfoSocRL verankerten Dreistufentest.

44 Vgl. dazu Stieper, GRUR 2020, 792 (797), der feststellte, dass man bei der Umsetzung der Pasticheschranke in § 51a UrhG von einer Vergütungspflicht absehen könne, wenn man ihren Anwendungsbereich von vornherein auf Nutzungen begrenzt, die die Primärverwertung des Werkes nicht beeinträchtigt und die berechtigten Interessen des Urhebers nicht verletzen. 45 Näher zu den sich aus der Eigentumsfreiheit ergebenden Anforderungen an den Schutz des Urheberrechts nach Art. 17 Abs. 2 GRCh unter D. I. 1. a), und nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG unter D. I. 2. a). 46 Vgl. dazu BVerfGE 31, 229 (243) – Kirchen- und Schulgebrauch; BVerfGE 49, 382 (400) – Kirchenmusik; BVerfGE 79, 29 (41) – Vollzugsanstalten; BVerfGE 142, 74 Rn. 73 – Metall auf Metall. Vgl. außerdem auch: Schwartmann / Hentsch, ZUM 2012, 759 (765), die die Einführung einer (grundsätzlich) entschädigungslosen Aufhebung für kommerzielle Nutzungen nach deutschem Recht für verfassungswidrig halten. S. auch Geiger, GRUR Int. 2008, 459 (465).

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E. Reformbedürftigkeit der Schrankenregelungen 

aa) Beeinträchtigung der normalen Verwertung des Ausgangswerkes Das Merkmal der „Beeinträchtigung der normalen Verwertung“ geht auf den Dreistufentest zurück.47 Seine Aufnahme trägt zugleich zur Konformität von Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf mit Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL bei. Was unter einer normalen Verwertung des Werks zu verstehen ist, ist vom konkreten Einzelfall abhängig.48 Zum Beispiel werden Fotos von politischen oder gesellschaftlichen Ereignissen in der Regel für Zeitungen, Zeitschriften oder Online-Berichterstattung verwendet. Filmausschnitte werden für Trailer genutzt, gesamte Filme werden im Kino, über Speichermedien oder über Streamingdienste angesehen. Musik wird vor allem in Clubs, Radios oder ebenfalls über Streamingdienste gehört. Werke der Literatur in gedruckter Form als Bücher oder mittels E-Books gelesen. Deshalb ist für die Einschätzung, ob die normale Verwertung beeinträchtigt ist, eine Bestimmung des betroffenen Marktes für erforderlich.49 Die künstlerisch-referenzielle Nutzung kann die normale wirtschaftliche Verwertung also insbesondere beeinträchtigen, weil sie das Ausgangswerk substituiert und damit zu einer Verringerung von rechtmäßigen Transaktionen führt.50 Ob eine Beeinträchtigung vorliegt, ist für jedes Verwertungsrecht gesondert zu betrachten.51 Die fehlende Betroffenheit eines Rechtes kann nicht die Beeinträchtigung eines anderen Rechtes ausgleichen.52 Allerdings liegt eine Beeinträchtigung nicht schon bei jedem durch die Ausnahme oder Beschränkung erzielten wirtschaftlichen Vorteil vor.53 Vielmehr muss die künstlerisch-referenzielle Nutzung in Wettbewerb mit dem Ausgangswerk treten und dadurch die Rechtsinhaber in fühlbarer Weise an Gewinnen berauben.54 Der Anwendungsbereich des gerechten Ausgleichs für nicht-kommerzielle Nutzungen wird somit auf solche Fälle begrenzt, in denen eine Beeinträchtigung der normalen Verwertung vorliegt.

47 Bei der Übernahme der Wertungen des Dreistufentests ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Beeinträchtigung der normalen Verwertung im Rahmen des Entwurfs von Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL eine Prüfung im konkreten Einzelfall meint. Bei der Anwendung des Dreistufentests ist die Beeinträchtigung der normalen Verwertung des Werkes durch die Vorschrift bereits auch auf Rechtssetzungsebene zu prüfen, dazu unter B. II. 4., insbes. Fn. 352. 48 Dazu bereits unter B. II. 4. b). 49 Reinbothe, FS Dittrich, S. 251 (258). 50 Vgl. EuGH, Urt. v. 26. 04. 2017 – C-527/15, ECLI:EU:C:2017:300 Rn. 70 – Stichting Brein. 51 Vgl. auch WT / DS/160/R Rn. 6.173. 52 Dies schlugen die USA im Rahmen des Verfahrens vor, vgl. WT / DS/160/R Rn. 6.172. 53 Vgl. WT / DS/160/R Rn.  6.182. 54 Vgl. WT / DS/160/R Rn.  6.182–6.183.

III. Vorschlag für eine neue unionsrechtliche Schrankenregelung 

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bb) Gerechter Ausgleich für die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Verwertung Bei dem Begriff des gerechten Ausgleichs handelt es sich um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, sodass er von den Mitgliedstaaten unionsweit einheitlich ausgelegt werden muss.55 Anknüpfend an die wirtschaftliche Beeinträchtigung muss sich die Höhe des gerechten Ausgleichs primär an den geschätzten oder feststellbaren Verwertungseinbußen bemessen, die durch die gesetzlich erlaubte Nutzung entstanden sind.56 Auch zukünftig eintretende Einbußen sind zu berücksichtigen. Daher wird die Höhe der durch die Nutzung erlittenen oder zukünftig eintretenden Verwertungseinbußen regelmäßig nicht exakt zu beziffern sein. Die genaue Bezifferung unterliegt der richterlichen Beweiswürdigung (vgl. § 287 Abs. 2 ZPO). Sie muss unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls erfolgen.57 Zur Feststellung des Umfangs der Ausgleichszahlung können bspw. fiktive Lizenzgebühren sowie Erfahrungswerte von Einnahmen ähnlicher Werke bei „ungestörter“ Verwertung herangezogen werden. Für die Feststellung der Kausalität und der Intensität der Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Verwertung können Kriterien wie ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang der Veröffentlichung, die Ähnlichkeit des Marktes, die Geeignetheit der Substituierung des Werkes durch die Nutzung sowie die Zielgruppe von Werk und künstlerisch-referenzieller Nutzung dienen. Ebenso könnte zu berücksichtigen sein, dass die Nutzung nicht-kommerziell erfolgt ist. Da es sich um den Ausgleich für eine gesetzlich zulässige und damit rechtmäßige Nutzung handelt, kann die Höhe des gerechten Ausgleichs nicht mit einem Sanktionsgedanken begründet werden.58 Bei einer geringfügigen Beeinträchtigung kann eine Ausgleichszahlung auch unterbleiben.59 Der gerechte Ausgleich ist grundsätzlich vom Nutzer zu leisten. Die Mitgliedstaaten können aber insbesondere auch aus praktischen Gründen einen anderen Schuldner für die Finanzierung des gerechten Ausgleichs bestimmen.60 Ebenso steht den Mitglied 55

Vgl. EuGH, Urt. v. 21. 10. 2010 – C-467/08, ECLI:EU:C:2010:620 Rn. 33, 37 – Padawan. Vgl. EuGH, Urt. v. 21. 10. 2010 – C-467/08, ECLI:EU:C:2010:620 Rn. 39–42 – Padawan; vgl. auch Erwgr. 35 S. 3 InfoSoc-RL. Insbesondere ist im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 lit. p) ­InfoSoc-RL-Entwurf für die Bezifferung des gerechten Ausgleichs kein normativer Schaden zu berücksichtigen, so wie ihn Pflüger, Gerechter Ausgleich, S. 79, für die Bezifferung des gerechten Ausgleichs heranziehen will. 57 Vgl. Erwgr. 35 InfoSoc-RL. 58 Vgl. Hofmann, GRUR 2018, 21 (26–27). 59 Vgl. EuGH, Urt. v. 05. 03. 2015 – C-463/12, ECLI:EU:C:2015:144 Rn. 58 – Copydan Båndkopi. Allerdings wird bei einer Vielzahl von Nutzungen, die als geringfügig einzustufen sind bereits keine Beeinträchtigung der normalen Verwertung des Werkes anzunehmen sein. 60 Vgl. EuGH, Urt. v. 21. 10. 2010 – C-467/08, ECLI:EU:C:2010:620 Rn. 45–46 – Padawan; EuGH, Urt. v. 16. 06. 2011 – C-462/09, ECLI:EU:C:2011:397 Rn. 23–29 – Stichting de Thuiskopie; EuGH, Urt. v. 27. 06. 2013 – C-457/11, ECLI:EU:C:2013:426 Rn. 74–78 – VG Wort u. a.; EuGH, Urt. v. 11. 07. 2013 – C-521/11, ECLI:EU:C:2013:515 Rn. 23–27 – Amazon.com International Sales Inc u. a.; EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014 – C-435/12, ECLI:EU:C:2014:254 Rn. 51–52 – 56

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E. Reformbedürftigkeit der Schrankenregelungen 

staaten bei der Gestaltung des Prozesses der Erhebung, z. B. über Verwertungsgesellschaften, ein weiter Ermessensspielraum zu.61 Allerdings müssen sie ihrer Ergebnispflicht nachkommen, d. h. die tatsächliche Durchsetzung des gerechten Ausgleichs gewährleisten.62 e) Angemessene Vergütung bei kommerzieller Nutzung nach Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf Eine angemessene Vergütung (bb) ist unabhängig von der Feststellung der Beeinträchtigung der normalen Verwertung des Ausgangswerks zu leisten, wenn der Nutzer kommerziell handelt (aa).63 aa) Kommerzielle Nutzung Eine kommerzielle Nutzung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf liegt vor, wenn die Nutzung der Gewinnerzielung dient.64 Durch diese Anordnung wird ein gerechter und rechtssicherer Ausgleich zwischen den kollidierenden Grundrechtspositionen des Werknutzers und Rechtsinhabers hergestellt. Bei kommerziellen Nutzungen ist regelmäßig davon auszugehen, dass sie die normale Verwertung des Werkes beeinträchtigen. Denn bereits die Lizenzvergabe für kommerzielle künstlerisch-referenzielle Nutzungen stellt eine normale Verwertung des Werkes dar. Zudem versuchen kommerzielle Nutzer aufgrund ihrer Gewinnerzielungsabsicht fast immer ihre Nutzung so weit wie möglich zu verbreiten, sodass die erhöhte Gefahr besteht, dass das Ausgangswerk substituiert wird. Allerdings werden durch die Regelung außerdem auch Fälle erfasst, in denen die Nutzung nicht in direkte Konkurrenz mit dem Ausgangswerk tritt, z. B. weil die primären Verwertungsphasen zeitlich stark auseinanderfallen, das Ausgangswerkes aber ACI Adam u. a.; EuGH, Urt. v. 05. 03. 2015  – C-463/12, ECLI:EU:C:2015:144 Rn. 22–23  – Copydan Båndkopi; EuGH, Urt. v. 12. 11. 2015 – C-572/13, ECLI:EU:C:2015:750 Rn. 69–70 – Hewlett-Packard Belgium; EuGH, Urt. v. 21. 04. 2016  – C-572/14, ECLI:EU:C:2016:286 Rn. 21  – Austro-Mechana; EuGH, Urt. v. 09. 06. 2016  – C-470/14, ECLI:EU:C:2016:418 Rn. 27, 32–33  – EGEDA u. a.; EuGH, Urt. v. 22. 09. 2016  – C-110/15, ECLI:EU:C:2016:717 Rn. 30–31 – Nokia Italia u. a. Bei einer Implementierung der Schranke zugunsten künstlerisch-referenzieller Nutzungen in § 5 Abs. 1 UrhDaG empfiehlt es sich zum Beispiel, dass der deutsche Gesetzgeber – parallel zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 UrhDaG – die Ausgleichszahlung auf den Diensteanbieter abwälzen. 61 EuGH, Urt. v. 11. 07. 2013 – C-521/11, ECLI:EU:C:2013:515 Rn. 20 – Amazon.com International Sales Inc u. a.; EuGH, Urt. v. 05. 03. 2015 – C-463/12, ECLI:EU:C:2015:144 Rn. 20 – Copydan Båndkopi m. w. N. 62 Dazu ausführlich: Pflüger, Gerechter Ausgleich, S. 86–88. 63 Sehr geringfügige kommerzielle Nutzungen des Ausgangswerkes, in denen dieses nicht wiedererkennbar ist, stellen bereits keine Vervielfältigung nach Art. 2 InfoSoc-RL dar, sodass ihre Nutzung unabhängig von der Anwendbarkeit einer Schranke zulässig ist. 64 Vgl. Fn. 39.

III. Vorschlag für eine neue unionsrechtliche Schrankenregelung 

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dennoch erheblich zum Erfolg der neuen Kreation beiträgt. Zum Beispiel, wenn erst Jahre oder Jahrzehnte nach der Veröffentlichung eines erfolgreichen Werkes ein Nutzer einen Remix produziert, der dann selbst zum Erfolg wird. Wäre eine kommerzielle Nutzung auch ohne Zahlung einer angemessenen Vergütung möglich, würde die wirtschaftliche Zuordnung der Verwertungsrechte zum Urheber grundsätzlich in Frage gestellt. Zudem besteht in den Fällen kommerzieller Werknutzung kein gesteigertes öffentliches Interesse an einer kostenfreien Nutzung. Insbesondere wird das künstlerische Schaffen durch eine Vergütung nicht unzumutbar beschränkt. Denn kommerziell handelnde und dementsprechend regelmäßig professionelle Künstler sind sowohl wirtschaftlich als auch tatsächlich in der Lage, eine angemessene Vergütung an die Rechtsinhaber des Ausgangswerks zu leisten. Sie besitzen die nötigen Fachkenntnisse, um einschätzen zu können, ob sich ihre Investition lohnt. Zugleich wird auch der Kunstfreiheit ausreichend Rechnung getragen: Denn es ist dem Nutzer unabhängig von dem Willen des Rechtsinhabers erlaubt, das Werk in künstlerischer Art für eine neue Kreation zu verwenden. bb) Angemessene Vergütung im Sinne des Art. 5 Abs.  3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf Die angemessene Vergütung nach Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf ist im Einklang mit dem Grundsatz der angemessenen Vergütung nach Art. 18 Abs. 1 DSM-RL auszulegen.65 Im Gegensatz zum gerechten Ausgleich setzt die angemessene Vergütung keinen Schaden in Form einer greifbaren Beeinträchtigung der normalen Verwertung voraus und kann außerdem höher ausfallen.66 Denn sie ist „das Surrogat für die entzogene Verfügungsbefugnis“67.68 Bei der Feststellung der Höhe der angemessenen Vergütung sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Maßgeblich sind insbesondere der tatsäch­liche und potenzielle wirtschaftliche Wert der Nutzung des Werkes.69 Zu dessen Feststellung können z. B. die betreffenden Marktpraktiken und die tatsächliche Verwertung des Werkes heranzuziehen sein.70 Ebenso sollte der etwaige Erfolg oder Misserfolg der kommerziellen künstlerisch-referenziellen Nutzung in die Bemessung der angemessenen Vergütung einfließen, um die von der Kunstfreiheit geschützte Position des

65

Vgl. auch Erwgr. 73 der DSM-RL. Reinbothe, GRUR-Prax 2015, 454 (456) m. w. N. Zur Abgrenzung der Begriffe „angemessene Vergütung“ und „gerechter Ausgleich“, a. a. O. (455–456); dazu außerdem auch Pflüger, Gerechter Ausgleich, S. 61–63. 67 Kirchhof, Der Gesetzgebungsauftrag, S. 38. 68 S. zur Surrogatsfunktion und ihrer Bedeutung für die Höher der angemessenen Vergütung: Pflüger, Gerechter Ausgleich, S. 143. 69 Vgl. Erwgr. 73 DSM-RL. 70 Vgl. Erwgr. 73 DSM-RL. 66

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E. Reformbedürftigkeit der Schrankenregelungen 

Nutzers zu berücksichtigen.71 Damit wird insbesondere vermieden, dass weniger erfolgreiche, kommerziell handelnde Künstler durch für sie nicht finanzierbare Vergütungen von der professionellen künstlerischen Betätigung abgeschreckt werden und sich u. U. nicht trauen, neue, bislang weniger erfolgreiche künstlerische Ausdrucksformen zu wählen oder weiterzuentwickeln. Ausnahmsweise kann die angemessene Vergütung unter Berücksichtigung der jeweiligen Branchenübung und Praktikabilität auch pauschal geleistet werden.72 Die konkrete Ausgestaltung der Modalitäten der Bestimmung und Erhebung des angemessenen Ausgleichs obliegt den Mitgliedstaaten.73 Schuldner der angemessenen Vergütung ist jedoch – parallel zum gerechten Ausgleich – grundsätzlich der Nutzer. Aus Praktikabilitätsgründen können die Mitgliedstaaten allerdings auch einen anderen als Schuldner bestimmen, soweit dies verhältnismäßig erscheint.74 Auch für die angemessene Vergütung besteht eine Ergebnispflicht der Mitgliedstaaten.75

3. Streichung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL im Zuge der Einführung von Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf Im Zuge der Einführung von Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL wäre Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL zu streichen, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Denn Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL ordnet weder eine Ausgleichszahlung noch eine Vergütung zwingend an.76 Bei Beibehaltung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL würden somit Nutzungen in Form der Parodie, der Karikatur und des Pastiches gegenüber anderen künstlerisch-referenziellen Nutzungen privilegiert. Eine solche Bevorteilung bestimmter Kunstformen gegenüber anderen stünde im Widerspruch zum staatlichen Neutralitätsgebot und dem offenen Kunstbegriff. Zwar kann bei Parodien und Karikaturen angenommen werden, dass sie die Verwertungsinte­ ressen des Urhebers regelmäßig nicht beeinträchtigen. Interessengerechter wäre aber eine Lösung über Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf, der das ob und wie einer Zahlungspflicht von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig macht. Zudem würde der Entfall von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL auch Abgrenzungsprobleme zu Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf vermeiden, die in der Praxis zu Rechtsunsicherheit führen könnten. Schließlich entstünde auch 71

Vgl. BVerfGE 142, 74 Rn. 80 – Metall auf Metall. Vgl. Erwgr. 73 DSM-RL. 73 Für die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten im deutschen Urheberrecht: Pflüger, Gerechter Ausgleich, S. 147–159. Für die Bestimmung der Höhe s. auch Pötzlberger, Kreatives Remixing, S. 461–462. Der Verfasser schlägt u. a. einen „Regelvergütungssatz in Höhe von zehn Prozent des mit der Nachschöpfung erwirtschafteten Umsatzes“ vor, wobei die Höhe des Prozentsatzes je nach den Umständen des Einzelfalls abweichen kann. 74 Vgl. Fn. 60. 75 Vgl. Fn. 62. 76 Bislang ist es den Mitgliedstaaten freigestellt, ob sie die in Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 InfoSoc-RL geregelten Beschränkungen an einen angemessenen Ausgleich koppeln, vgl. Erwgr. 36 InfoSoc-RL. 72

III. Vorschlag für eine neue unionsrechtliche Schrankenregelung 

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keine Regelungslücke, da die nach Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL privilegierten Nutzungsformen der Parodie, der Karikatur und des Pastiches ebenfalls in den Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf fallen würden. Eine Streichung des Zitatrechts nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL wäre im Rahmen der Einführung von Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf hingegen nicht geboten, da der Anwendungsbereich des Zitatrechts auch nicht künstlerische Nutzungen umfasst. Diesen fehlt es somit an dem künstlerisch-referenziellen Charakter, sodass sie nicht gem. Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf privilegiert werden könnten. Kunstzitate wären hingegen regelmäßig vom Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf umfasst. Daher wäre eine kunst­spezifische Betrachtung im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 lit. d)  InfoSoc-RL nicht mehr erforderlich und aufgrund der Spezialregelung des Art. 5 Abs. 3 lit. p) ­InfoSoc-RL-Entwurf auch nicht geboten.

4. Einführung der Schrankenregelung zugunsten künstlerisch-referenzieller Nutzungen mit eigenständigem Charakter in die DSM-RL Art. 17 DSM-RL … (7) Die Zusammenarbeit zwischen den Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten und den Rechtsinhabern darf nicht bewirken, dass von Nutzern hochgeladene Werke oder sonstige Schutzgegenstände, bei denen kein Verstoß gegen das Urheberrecht oder verwandte Schutzrechte vorliegt, nicht verfügbar sind, und zwar auch dann, wenn die Nutzung eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstandes im Rahmen einer Ausnahme oder Beschränkung erlaubt ist. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass sich alle Nutzer, die nutzergenerierte Inhalte auf Diensten für das Teilen von Online-Inhalten hochladen oder auf Diensten für das Teilen von Online-Inhalten zugänglich machen, in jedem Mitgliedstaat auf jede der folgenden Ausnahmen oder Beschränkungen stützen können: a) Zitate, Kritik und Rezensionen; b) Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches. c) künstlerisch-referenzielle Nutzungen mit eigenständigem Charakter. …

Der Regelungsvorschlag ist neben der InfoSoc-RL auch in Art. 17 Abs. 7 UAbs.  2 DSM-RL aufzunehmen. Damit wird sichergestellt, dass die Schranke zugunsten künstlerisch-referenzieller Nutzungen auch dort gilt, wo sie besonders dringend gebraucht wird. Denn künstlerisch-referenzielle Nutzungen treten vielfach bei der Inanspruchnahme von Online-Diensteanbietern im Sinne von Art. 2 Nr. 6 DSM-RL auf.

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E. Reformbedürftigkeit der Schrankenregelungen 

Zugleich erhält die Schranke durch ihre Aufnahme in Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 DSM-RL im Anwendungsbereich der DSM-RL zwingenden Charakter und wird mit den Sondervorschriften der Richtlinie verknüpft. Dies bedeutet insbesondere, dass die Online-Diensteanbieter mit den Rechtsinhabern nach Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 DSM-RL Lizenzvereinbarungen für künstlerisch-referenzielle Nutzungen abschließen müssen. Die Lizenzvereinbarung gilt nach Art. 17 Abs. 2 DSMRL dann auch für Handlungen der einzelnen Nutzer, sofern sie nicht gewerblich handeln oder mit ihrer Tätigkeit keine erheblichen Einnahmen erzielen. Nichtkommerziell handelnde Nutzer werden somit von der Leistung eines gerechten Ausgleichs nach Art. 5 Abs. 3 lit. p) S. 2 InfoSoc-RL-Entwurf bei der Nutzung von Online-Diensteanbietern befreit. Um Wertungswidersprüche zwischen Nutzungen im Anwendungsbereich der DSM-RL und außerhalb der DSM-RL zu vermeiden, scheint es allerdings vorzugswürdig, den letzten Halbsatz von Art. 17 Abs. 2 DSM-RL („oder mit ihrer Tätigkeit keine erheblichen Einnahmen erzielen“) zu streichen oder zumindest im Hinblick auf die Ausnahme des Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. c) DSM-RL-Entwurf für unanwendbar zu erklären. Denn während außerhalb des Anwendungsbereichs der DSMRL gem. Art. 5 Abs. 3 lit. p) S. 2 InfoSoc-RL-Entwurf eine Ausgleichszahlung von der Beeinträchtigung der normalen Verwertung des Werkes abhängt, würde sie ohne Modifizierung von Art. 17 Abs. 2 DSM-RL von den Einnahmen des Nutzers abhängen: Bei unveränderter Fortgeltung der Vorschrift wären kommerziell handelnde Nutzer von der Zahlung einer angemessenen Vergütung gem. Art. 5 Abs. 3 lit. p) S. 3 InfoSoc-RL Entwurf befreit, wenn ihre Tätigkeit keine erheblichen Einnahmen erzielt.77 Die in Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf maßgebliche Urheberperspektive scheint jedoch auch im Rahmen des Anwendungsbereichs der DSM-RL vorzugswürdig, da es für den Ausgleich des Eingriffs in die Eigentumsposition des Urhebers primär auf die Nachteile im Hinblick auf die Verwertung ankommt und nicht auf die Gewinnerzielung auf Nutzerseite.78 Schließlich wäre auch im Rahmen der DSM-RL die Schrankenregelung zugunsten von Parodie, Karikatur und Pastiche nach Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b) DSMRL zu streichen, um eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung unterschiedlicher künstlerisch-referenzieller Nutzungen sowie Rechtsunsicherheit zu vermeiden. Eine Streichung von Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSM-RL ist hingegen nicht geboten.79

77

In diesen Fällen würden die Nutzungen kommerziell handelnder Nutzer durch die Lizenzvereinbarung zwischen Plattformbetreiber und Rechtsinhaber abgegolten. Dennoch überzeugt es auch im Rahmen der Lizenzvereinbarung zwischen Diensteanbieter und Rechtsinhaber nicht, die Einnahmen der Nutzer als Abgrenzungskriterium für die Reichweite der Lizenzvereinbarung heranzuziehen. 78 Diese kann jedoch bei der Höhe der zu leistenden angemessenen Vergütung Berücksichtigung finden, dazu unter E. III. 2. e) bb). 79 Zu der Streichung der Schranke zugunsten von Parodie, Karikatur und Pastiche sowie der Beibehaltung der Zitatschranke bereits unter E. III. 3.

F. Résumé Die vorliegende Arbeit zeigt die Vielschichtigkeit des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht. Die damit verbundene Komplexität des Spannungsverhältnisses ergibt sich vor allem auch aus dem Mehrebenensystem und den aus seiner Anerkennung resultierenden Konsequenzen. Dennoch löst sich das Zusammenspiel von UrhG, Richtlinien, Grundgesetz, Grundrechtecharta und EMRK in verständlichen Erkenntnissen auf: 1. Nahezu vollständige Angleichung der deutschen und europäischen Urheberrechtsschranken zugunsten künstlerischer Nutzungen Die Harmonisierung des europäischen Urheberrechts hat zu einer vollständigen Angleichung der Schrankenregelungen des UrhG im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht geführt. Die letzten gesetzlichen Abweichungen wurden im Rahmen der jüngsten Urheberrechtsreform beseitigt. Der deutsche Gesetzgeber hat die freie Benutzung nach § 24 UrhG a. F. mangels Entsprechung im europäischen Urheberrecht gestrichen und mit § 51a UrhG eine neue Schrankenregelung zugunsten von Parodie, Karikatur und Pastiche eingeführt, die Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL nun vollständig umsetzt. Geringe Abweichungen bei der Anwendung der Schrankenregelungen lassen sich vor allem auf die fehlende Harmonisierung des Urheberpersönlichkeitsrechts zurückführen.1 2. Allenfalls geringe Schutzlücke für künstlerische Nutzungen durch die Streichung von § 24 UrhG a. F. Durch den Entfall der freien Benutzung nach § 24 UrhG a. F. entsteht allenfalls eine geringe Schutzlücke für künstlerische Werknutzungen. Die freie Benutzung war aufgrund ihres neutralen Wortlauts zwar potenziell dazu geeignet, alle Formen von künstlerischen Nutzungen zu erfassen, jedoch konnte sie – unabhängig von ihrer Unionsrechtswidrigkeit – nicht für eine erlaubnisfreie Nutzung von stark referenziellen künstlerischen Nutzungen wie z. B. des Remix oder der Fan Fiction führen. Denn bei diesen Nutzungsformen hätte ein innerer Abstand im Sinne des § 24 UrhG a. F. regelmäßig abgelehnt werden müssen. Zudem war die freie Benutzung in vielen Fällen nicht dazu geeignet, einen interessengerechten Ausgleich zu erzielen, da sie entweder zu einer zustimmungs- und kostenfreien Nutzung oder zur Unzulässigkeit der Nutzung führte. Die Auswirkungen von künstlerischen Werknutzungen auf die Verwertungsinteressen der Urheber konnten z. B. nicht durch eine 1

Näher dazu unter B. VIII. 1.

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F. Résumé

zustimmungsfreie, aber kostenpflichtige Nutzung berücksichtigt werden. Zudem lässt sich der Abschied der freien Benutzung auch vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung und des Rechtsstaatsprinzips verschmerzen, da ihre Schrankenfunktion nicht auf einer ausdrücklichen gesetzgeberischen Entscheidung beruht, sondern vielmehr auf die Rechtsanwendung deutscher Gerichte zurückzuführen ist.2 3. Geringe Wahrscheinlichkeit eines „Solange-Falls“ zugunsten von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Der Eintritt eines „Solange-Falls“ zugunsten von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder aufgrund des Entfalls von § 24 UrhG a. F. noch aus anderen Gründen zu befürchten. Diese Feststellung ergibt sich nicht nur aus der allenfalls geringen Schutzlücke, die die freie Benutzung für künstlerische Werknutzungen hinterlässt, sondern vor allem mit Blick auf den generellen Gewährleistungsgehalt der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 13 S. 1 GRCh. Denn ein ausnahmsweiser Vorrang deutscher Grundrechte im Anwendungsbereich des Unionsrechts in Form des „Solange-Falls“ ist nur dann geboten, wenn die Anwendung europäischer Grundrechte zu einer generellen Unterschreitung des grundgesetzlichen Grundrechtsstandards des jeweiligen Grundrechts führen würde. Folglich kann die Streichung einer einzelnen Vorschrift des Privatrechts allenfalls in absoluten Ausnahmefällen zu einer Reaktivierung der Solange I-Rechtsprechung führen, wenn ohne sie der grundgesetzliche Schutz der Kunstfreiheit generell unterschritten werden würde. Im Hinblick auf den begrenzten Anwendungsbereich des § 24 UrhG a. F. ist der Eintritt eines „Solange-Falls“ somit abzulehnen. Auch Art. 13 S. 1 GRCh sowie die bisherige Rechtsprechung des EuGH zur Kunstfreiheit legen eine durchgängige Unterschreitung des Grundrechtsstandards bislang nicht nahe. Vielmehr decken sich die Gewährleistungen von Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG unter Berücksichtigung der bisher ergangenen Rechtsprechung von BVerfG, EuGH sowie mit Blick auf die Rechtsprechung des EGMR überwiegend. Insbesondere gibt es auch im Unionsrecht keinen absoluten Vorrang der Eigentumsfreiheit dahingehend, dass die Nutzung fremden Eigentums von vornherein aus dem Schutzbereich der Kunstfreiheit ausgeschlossen wäre.3 4. Unzulässigkeit der Berücksichtigung der Kunstfreiheit außerhalb von normierten Schrankenregelungen Die Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG kann im Urheberrecht nur im Rahmen der einfachgesetzlich normierten Schranken wirken. Eine Berücksichtigung der Kunstfreiheit durch eine gesonderte Grundrechtsabwägung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, innerhalb der Rechtswidrigkeit oder über den allgemeinen oder den übergesetzlichen Notstand ist abzulehnen. Denn sie untergräbt die Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers und damit die

2 3

Näher dazu unter B. VIII. 2. Näher dazu unter D. II. 3. a).

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Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Auch im Hinblick auf die Gesetzesbindung der Judikative und somit das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG stößt eine freie Grundrechtsabwägung auf Bedenken. Daher haben auch BVerfG, EuGH und BGH eine gesonderte Grundrechtsabwägung bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Werknutzungen ausdrücklich abgelehnt. Dennoch nahm der BGH in den Entscheidungen Reformistischer Aufbruch II4 und Afghanistan Papiere II5 eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor, die er insbesondere auf das Zitatrecht nach § 50 UrhG übertragen könnte. Diese Entwicklung stößt nicht nur auf Bedenken im Hinblick auf Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG, sondern steht auch nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH. Sie kann allenfalls zu einer Begrenzung des Anwendungsbereichs der Schrankenregelung führen. Aus rein praktischer Per­ spektive ist ihr allerdings nur eine geringe Bedeutung zuzuschreiben.6 5. Besondere Bedeutung der Kunstfreiheit für die Schrankenregelungen des Urheberrechts Trotz unzulässiger unmittelbarer Anwendbarkeit der Grundrechte im Urheberrecht ist die Kunstfreiheit für die Schrankenregelungen im deutschen und europäischen Urheberrecht von besonderer Bedeutung. Judikative, Legislative und Exekutive sind bei der Gestaltung und Anwendung des Urheberrechts an sie gebunden.7 Insbesondere für die Ausgestaltung und Auslegung von Schrankenregelungen sind die Grundrechte von maßgeblicher Bedeutung, denn die Schrankenregelungen verfolgen den Zweck, Grundrechtskollisionen aufzulösen. Die Grundrechte von Werknutzer und Urheber stehen sich dabei gleichrangig gegenüber, sodass es keinen pauschalen Vorrang – auch nicht in Form einer engen Auslegung der Schrankenregelungen – geben kann. Die Position von Nutzern ist häufig von der Kunstfreiheit geschützt. Denn schon immer haben sich Künstler mit bestehenden urheberrechtlich geschützten Werken auseinandergesetzt. Bezugnahmen, Auseinandersetzungen und andere Verarbeitungen, die ein vorhergehendes Werk erkennen lassen, sind somit als ein prägender Aspekt künstlerischen Schaffens anzuerkennen. Gegenwärtig erhöht insbesondere die durch den technologischen Fortschritt begünstigte sog.  Remixkultur im Online-Bereich die Sichtbarkeit dieser Form von Kunst. 6. Überwiegende Maßgeblichkeit der Grundrechtecharta im Anwendungsbereich von Schrankenregelungen zugunsten künstlerischer Nutzungen Für die Auslegung und Anwendung bestehender Schrankenregelungen zugunsten künstlerischer Nutzungen sind überwiegend die Vorgaben der Grundrechtecharta maßgeblich. Aufgrund der weitgehenden Harmonisierung der urheberrechtlichen

4

BGH GRUR 2020, 859 – Reformistischer Aufbruch II. BGH GRUR 2020, 853 – Afghanistan Papiere II. 6 Zum Ganzen unter B. IV. 7 Näher dazu unter C. II. und III. 5

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Vorschriften im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht sind allein sie anwendbar. Der geringe Umsetzungsspielraum, der die Heranziehung deutscher Grundrechte im Rahmen des Zitatrechts nach § 51 UrhG ermöglicht, ist praktisch kaum von Relevanz. Im Rahmen von § 51a UrhG besteht wohl kein Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten, sodass eine Anwendung deutscher Grundrechte von vornherein ausscheidet. Ein ausnahmsweiser Vorbehalt des Grundgesetzes vor dem Vorrang des Unionsrechts (insbesondere in Form eines „Solange-Falls“) und damit eine Anwendung deutscher Grundrechte unabhängig von dem Bestehen eines Umsetzungsspielraums ist wie bereits festgestellt gegenwärtig nicht ernsthaft in Erwägung zu ziehen.8 7. Entwicklungsbedürftigkeit einer eigenständigen Kunstfreiheit im Sinne des Art. 13 S. 1 GRCh Das Grundrecht der Kunstfreiheit nach Art. 13 S. 1 GRCh hat im Unionsrecht bislang wenig Konkretisierung erfahren. Dessen Prägung hängt maßgeblich von der künftigen Rechtsprechung des EuGH ab, der dabei bisher eindeutig auf den EGMR rekurriert. Das Verständnis der Kunstfreiheit in der EMRK weicht allerdings von dem deutschen Verständnis und auch dem Verständnis der Charta selbst ab. Denn nach der Grundrechtecharta ist die Kunstfreiheit nicht als Teil der Meinungsfreiheit, sondern als eigenständiges Grundrecht geschützt. Es ist somit Aufgabe des EuGH, sich im Einklang mit der Charta von dem durch den EGMR geprägten Begriff der Kunstfreiheit zu lösen und ein – EMRK konformes – eigenständiges Grundrecht zu entwickeln, dessen Schutz nicht von meinungsspezifischen Wertungen abhängt. Sollte der EuGH hingegen auch zukünftig schlicht die Systematik des EGMR übernehmen und die Kunstfreiheit entgegen der ausdrücklichen Feststellungen der Charta nicht als eigenständiges Grundrecht anerkennen, könnte langfristig die Gefahr eines „Solange-Falls“ bestehen, da kunstspezifische Besonderheiten möglicherweise verkannt werden.9 8. Abhängigkeit der Entwicklung des Urheberrechts vom europäischen Ge­setzgeber Die weitgehende Harmonisierung des Urheberrechts hat neben den grundrechtlichen auch einfachrechtliche Konsequenzen. Dabei handelt es sich freilich um keine neue Erkenntnis. Allerdings scheint diese Feststellung noch nicht vollständig in dem Bewusstsein des deutschen Gesetzgebers angekommen zu sein. Die Harmonisierung durch die InfoSoc-RL führt dazu, dass das Urheberrechtsgesetz nur Ausnahmen und Beschränkungen vorsehen darf, die im Schrankenkatalog des Art. 5 InfoSoc-RL vorgesehen sind. Dies bedeutet auch, dass die Einführung von neuen Schrankenregelungen nach nationalen Wünschen unabhängig von einer Entscheidung des europäischen Gesetzgebers nicht möglich ist. Feststeht: Das Urheberrecht muss insbesondere hinsichtlich der Schrankenregelungen unions 8 9

Vgl. dazu C. III. 3. und C. IV. Näher dazu unter D. II. 1. und D. III.

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rechtlich gedacht werden und ist auf einen aktiven europäischen Gesetzgeber angewiesen. 9. Reformbedarf im Hinblick auf die Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht Im Hinblick auf die Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht besteht Reformbedarf. Bereits die Untersuchung der einfachgesetzlichen Schrankenregelungen zugunsten der Kunstfreiheit hat die Reformbedürftigkeit nahegelegt.10 Denn die bestehenden Schrankenregelungen des europäischen Urheberrechts decken eine Vielzahl von künstlerischen Werknutzungen nicht eindeutig ab. Es fehlt an einer gesetzgeberischen Entscheidung, die das Verhältnis von künstlerischen Werknutzungen umfassend und rechtssicher regelt. Die bisherigen Regelungen in Form von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSoc-RL und Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL sind nicht ausreichend, da sie Nutzungen nur in Abhängigkeit ihrer Gattung privilegieren, was dem Wesen der Kunstfreiheit widerspricht. Zudem stößt eine etwaige Anwendung des Pastichebegriffs des Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL auf beliebige künstlerische Nutzungsformen auf rechtsstaatliche Bedenken. Die grundrechtliche Untersuchung des Spannungsverhältnisses hat die These der Reformbedürftigkeit gestützt. Sie hat gezeigt, dass es der Kunstfreiheit sowohl nach Art. 13 S. 1 GRCh als auch nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG fremd ist, zwischen bestimmten Ausdrucksformen zu unterscheiden. Vielmehr genießt Kunst unabhängig von ihrer konkreten Erscheinungsform Schutz. Zudem fällt auch der Eingriff in Eigentumsrechte Dritter, insbesondere auch der Eingriff in die Urheberrechte Dritter in den Schutzbereich der Kunstfreiheit.11 Hingegen ist das Urheberrecht grundrechtlich vor allem als Vermögensrecht durch Art. 17 Abs. 2 GRCh und Art. 14 Abs. 1 GG geschützt.12 Somit ist eine Reform angezeigt, die bei der Privilegierung von künstlerischen Nutzungen eine kunstspezifische Betrachtung vornimmt und nicht formelle, sondern materielle Kriterien für die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Nutzung heranzieht und bei der neben dem Vorliegen der materiellen Kunsteigenschaft vor allem die Beeinträchtigung des Eigentumsrechts des Urhebers maßgeblich ist. 10. Lösung des Spannungsverhältnisses von Kunstfreiheit und Urheberrecht durch eine neue Schrankenregelung zugunsten künstlerisch-referenzieller Nutzungen Eine neue Schrankenregelung zugunsten künstlerisch-referenzieller Nutzungen ist sowohl aus einfachgesetzlicher als auch aus grundgesetzlicher Perspektive geboten und würde zu einer interessengerechten Lösung des Spannungsverhältnis 10

B. VIII. 3. Näher dazu unter D. II. 1. c) cc) und D. II. 2. a) aa). 12 Dazu unter D. I. 1. a) und D. I. 2. a). 11

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ses von Urheberrecht und Kunstfreiheit beitragen. Die in Form des Art. 5 Abs. 3 lit. p) InfoSoc-RL-Entwurf und Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. c) DSM-RL-Entwurf vorgeschlagene Regelung ermöglicht die erlaubnisfreie Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke, wenn es sich um künstlerisch-referenzielle Nutzungen mit eigenständigem Charakter handelt. Im Hinblick auf die Vergütungspflichtigkeit der Nutzungen differenziert sie zwischen kommerziellen und nicht-kommerziellen Nutzungen und berücksichtigt eine etwaige Beeinträchtigung der Verwertungsinteressen der betroffenen Urheber. Die Einführung der vorgeschlagenen Vorschriften ist verbunden mit einer Streichung von Art. 5 Abs. 3 lit. k) InfoSoc-RL und Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. b) DSM-RL, da ihre Weitergeltung zu Wertungswidersprüchen und Rechtsunsicherheit führen könnte. Ein Entfall von Art. 5 Abs. 3 lit. d) InfoSocRL und Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 lit. a) DSM-RL ist im Rahmen der Reform nicht geboten. Jedoch würde durch die Einführung der neuen Schrankenregelung eine kunstspezifische Betrachtungsweise im Rahmen des Zitatrechts obsolet.13

13

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Sachwortverzeichnis § 24 UrhG a. F. siehe freie Benutzung § 51 UrhG siehe Zitatrecht § 51a UrhG  40, 59, 96, 115, 143, 148, 151, 152, 153, 156, 159–189, 190, 191, ­192–196, 200, 209, 210, 216, 218, 219, 220, 222, 223, 224, 241, 242–246, 250, 252, 313, 324, 330, 335, 337, 343, 351, 354 §§ 5, 9 UrhDaG siehe UrheberrechtsDienste­anbieter-Gesetz Afghanistan Papiere II  198–199, 203, 205, 208, 209, 353 (Allgemeines) Persönlichkeitsrecht  57, 67, 70, 165, 205, 225, 251, 261, 266, 288, 311, 315, 316, 326, 336 Änderungsverbot  130–135,  148, 151, 153, 155, 156, 159, 169, 188–190, 211, 213, 222, 329 Angemessene Vergütung  346–348, 190, 340, 350 Angemessener Ausgleich  32, 45, 47, 56, 63, 66, 67, 94, 95, 162, 163, 165, 167, 169, 170, 178, 180, 203, 224, 232, 241, 257, 261, 334, 340, 343, 348 Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG  29, 32, 116, 118, 119, 121–122, 135, 143, 151, 152, 155, 157, 159, 192–196, 198–210, 220–221, 225, 242, 261, 267–268, 303–318, 318–326, 327, 332, 334, 352, 355 Art. 10 EMRK  279–292, 292–302, 327 Art. 13 S. 1 GRCh  32, 39, 71, 75, 77, 79, 143, 149, 151, 212, 221, 225, 259, 260, 261, 271–279, 279–281, 292–303, ­318–326, 327, 332–333, 334, 336, 341, 343, 352, 354, 355 Art. 14 GG  29, 32, 110, 114, 123, 135, 173, 197, 199, 225, 242, 261–265, 266, 268, 269, 313, 325, 326, 355 Art. 17 DSM-RL  37, 38, 40–41, 77–83, 86, 93, 94, 95, 189, 190, 195, 224,

2­ 47–248, 248–249, 335, 338, 339, ­349–350, 356 Art. 17 GRCh  29, 32, 173, 197, 225, ­254–261, 269–271, 272–273, 297, 298, 325, 326, 333, 334–335, 336, 343, 355 Bearbeitungsrecht  31, 130, 134–135 Bildzitat  126, 150–151 Deckmyn und Vrijheidsfonds  44–47, 57, 61, 64, 92, 94, 95, 107, 115, 160 Dreistufentest  35, 46, 60, 64, 72, 76, ­83–94, 136, 147, 164, 189, 201, 241, 251, ­338–339, 343, 344 Eigentumsfreiheit siehe Art. 14 GG und Art. 17 GRCh Eingriff  204, 229 – in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG   308, 309, 312 – in Art. 10 EMRK  281, 285, 286–288, 290, 292 – in Art. 13 S. 1 GRCh  271; 299–301 – in Art. 14 Abs. 1 GG  263–264, 268 – in Art. 17 Abs. 2 GRCh 258–260, 298, 350, 355 Exekutive  317, 353, 225, 246, 263 Fan Art / Fan Fiction  59, 135, 159, 162, ­167–168, 169–170, 180–184, 186, 188, 223, 224, 249, 342 Filmzitat  73, 140, 142, 152–153, 155 Freie Benutzung  30, 33, 40, 86, 96, 97–117, 156, 192–194, 210, 216–219, 219–221, 222, 223, 326, 328, 351–352 Gedankenfreiheit  293, 294 Geistiges Eigentum  32, 312, siehe auch unter „Art. 14 GG“ und „Art. 17 GRCh“ Gerechter Ausgleich  340, 343, 345–346, 347, 348

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Sachwortverzeichnis

GIF  55, 56, 59, 60, 62–64, 77, 109, 135, 138, 153, 159, 162, 165–166, 167, ­168–170, 174–175, 186, 187, 188, 190, 192–195, 222, 224, 244, 332 Großzitat  118, 119, 126, 127 Grundrechtsregime  233, 234 – im Spannungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht  240–249

Kunstspezifische Betrachtung  110, 116, 121–122, 132, 143, 152, 153, 157, 159, 171, 179, 275, 289–291, 303, 304, ­310–311, 317, 318, 320, 327, 349, 355, 356 Kunstzitat  118, 139, 140, 142–156, 349

Harmonisierungsgrad  245, 246, 249, 252, siehe Grundrechtsregime im Span­ nungsverhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht

Mashup  29, 55–57, 59, 60, 62, 63, 64, 77, 109–110, 117, 133, 135, 138, 147–148, 159, 162, 166–167, 168, 169, 170, 172, 175–177, 181, 186, 187, 188, 192–193, 223, 224, 244, 249, 341, 342 Mehrebenensystem  31, 240, 251, 252, 351 Meinungsfreiheit  39, 41, 46, 56, 66, 71, 77, 118, 166, 195, 245, 271, 277, 278, 281, 282–292, 293, 294, 295, 296, 299, 302, 303, 316, 317, 319, 321, 322, 323–324, 354 Melodienschutz  97, 109, 113–114, 128 Meme  29, 55, 56, 57, 59, 60, 62, 63, 64, 77, 82, 88, 109, 133, 135, 138, 150–152, 153, 159, 162–166, 167, 168, 169, 170, 174, 186–187, 188, 190, 192, 193, 194, 195, 222, 224, 244, 249, 324, 329, 332, 341, 342 Mittelbare Drittwirkung  204, 208, 226, 227, 231 Mutmaßlich erlaubte Nutzung  189, ­190–191

Immanente Begrenzung – der Kunstfreiheit durch Art. 54 GRCh ​322 – der Kunstfreiheit durch Eigentumsrechte Dritter  297–299, 312–313, 320, 321 – des Schutzbereichs von Art. 10 EMRK  285 – des Urheberrechts durch die freie Benutzung  110–112, 220 Judikative  227, 236, 263, 317, 330, 353 Karikatur  38–43, 53, 61, 64–71, 77, 79, 83, 93, 96, 107, 108, 112, 115, 117, 159, ­160–161, 168, 184–188, 189, 190, 194, 195, 210, 217, 218, 219, 220, 223, ­243–244, 246, 248–250, 283, 284, 289, 290, 310–311, 329, 330, 338, 340, ­348–351 Kleinzitat 118, 125–127 Kommerzielle Nutzung  341–342, 346–347 Kunstbegriff 277, 282–285, 293, 295, ­296–297, 303, 304–306, 317, 319, 321, 341, 348 Kunstfreiheit siehe Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 13 S. 1 GRCh Künstlerisch-referenzielle Nutzung  82, 135, 138, 193, 222, 309, 327, 328, 355, 356 – Definition  341 – Erläuterungen des Reformvorschlags ​ 340–350 – Regelungsvorschlag  340, 349 – Vorgaben für einen Reformvorschlag für künstlerisch-referenzielle Nutzungen ​ 333–339

Legislative 246, 263, 264, 317, 353

Neutralitätsgebot 304, 306–307, 318, 319, 348 Nicht-kommerzielle Nutzung  340, ­341–342, 343, 344, 345, 350, 356 Notstand  196, 206, 352 – rechtfertigender 205, 206–297 – übergesetzlicher  207–208 Objektive Werteordnung  226 Originalität  42, 44, 102, 104, 105, 106, 163 Parodie  31, 38–43, 44–53, 54, 55, 56, 60, 61, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 77, 78, 79, 83, 93, 95, 96, 107, 108, 109, 112, 114, 115, 117, 145, 155–156, 159–168, 169, 170, 174, 176, 184, 185, 188, 189, 190,

Sachwortverzeichnis 194, 195, 210, 216, 217, 218, 219, 220, 222, 223, 243, 244, 246, 248–249, 250, 283, 289, 290, 329, 330, 331, 332, 335, 338, 340, 342, 348, 349, 350, 351, Pastiche 38–43, 53–63, 77, 79, 83, 93, 96, 109, 113, 117, 147, 148, 151, 153, 159, 160–161, 162, 165, 168–184, 186, 188, 189, 190, 193, 194, 195, 196, 210, 216, 217, 218, 219, 220, 223, 224, 243, 244, 246, 248–249, 250, 324, 329, 330, 331, 338, 340, 343, 348, 349, 350, 351, 355 Pelham u. a.  30, 36, 63, 75, 128, 224, ­271–279, 280, 281, 295, 298, 301, 302, 319, 324 Quellenangabe 73, 76, 136–142, 150, 151, 153, 155, 156, 159, 169, 188–189, 190, 211, 213, 275, 329, 337 Recht auf Vergessen I; II  233, 236, 237, 251 Rechtswidrigkeit  142, 196, 204–206, 208, 352 Reformistischer Aufbruch II  198–199, 200, 203, 205, 209, 353 Remix  29, 30, 56, 57, 59, 62, 63, 82, 109, 135, 138, 140, 146–147, 162, 167–168, 169, 170–174, 177, 181, 186, 188, 192, 223, 224, 249, 312, 335, 341, 342, 347, 351, 353 Schutzbereich – des Urheberrechts  96, 110–112, 193, 216–218, 220, 228, 257 – von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG  29, 147, 151, 152, 153, 154, 209, 267, 268, 303, ­304–314, 317–318, 318, 319–322, 323, 333–334, 342, 352, 355 – von Art. 10 EMRK  281–286, 288, 290, 291, 292 – von Art. 13 S. 1 GRCh  147, 151, 271, 273, 277, 278, 279, 292–299, 302, 303, 318, 319–322, 323, 327, 333–334, 342, 352, 355

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– von Art. 14 GG siehe 263 – von Art. 17 Abs. 2 GRCh  255–256 Selbständigkeit – der Kunstfreiheit  293–295 – des Werkes 106–107, 115 – des zitierenden Mediums  124–125, 149, 151, 153 – im Rahmen der freien Benutzung  219 Solange-Fall  30, 33, 220–221, 237–238, 253, 270, 271, 303, 318, 323–326, 327, 352, 354 Ultra-vires Akt / Kontrolle   38, 236, 237, 239–240 Urheberpersönlichkeitsrecht  57, 76, 91, 135, 160, 165, 173, 213, 222, 254, 260, 261, 265–267, 326, 336, 351 Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG)  40, 78, 79, 81, 96, 189–191, 192, 241, 247–249, 250, 252, 269, 335, 338, 346 Verfassungsidentität  236, 237, 238–239, 240 Verhältnismäßigkeitsprüfung 196, ­198–204, 208–210, 259, 282, 352, 353 Vermittelnde Werke  212 Werkbegriff  31, 36, 41, 42, 43, 74, 98–108 Werkbereich  267, 268, 284–285, 294, 295, 299, 304, 307–310, 313–314, 317, 318, 319–320 Werkgerechte Beurteilung  310–311, 317 Wirkbereich 294, 295, 299, 304, 307–310, 313–314, 314, 317, 318, 319–320 Zitatrecht  71–77, 95, 96, 118–159, 160, 161,170, 172, 190, 192, 195, 200, 209, 210–216, 221, 222, 241–243, 247– 248, 249, 251, 252, 253, 272, 273–278, 311, 317, 324, 329, 338, 349, 353, 354, 356