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German Pages 376 Year 2021
Daniel Hercenberger Zombies in der Kirche
Film
Für meine Mutter Nada Hercenberger und für Henrik Peters, Lasse Röhrs und Dr. Annette Richter, die meine Filmleidenschaft bereichern.
Daniel Hercenberger (Dr. phil.), geb. 1989, ist stellvertretender Direktor des Filmmuseums Düsseldorf und Kurator der Sonderausstellung »KinoSaurier – zwischen Fantasie und Forschung« am Niedersächsischen Landesmuseum Hannover und am Naturhistorischen Museum Wien. An der Hochschule Hannover doziert er Theorie und Geschichte der Animation.
Daniel Hercenberger
Zombies in der Kirche Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung in The Walking Dead und Fear the Walking Dead
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Inhalt
Danksagung .............................................................................. 9 1. 1.1 1.2
Einleitung – Der Zombie als allegorischer Spross der Säkularisierung .............. 11 Fragestellung und Vorgehen .........................................................13 Stand der Forschung ................................................................ 21
2. 2.1 2.2 2.3 2.4
Kirchenkrise: Desakralisierung sakraler Räume ................................... 27 Die Abwesenheit des Heiligen ...................................................... 29 Untote in der Kirche ................................................................ 32 Kirchenkritik und Entkirchlichung ................................................... 36 Der Zombie als Allegorie ............................................................ 40
Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat ................................. 49 Der Glaube an Wiedergänger und die Angst vor der Wiederkehr der Toten ............ 52 Die Nekromantie.................................................................... 54 Das Purgatorium ................................................................... 58 Der Wiedergänger im Kontext der Sepulkralkultur ................................... 62 Die Taphephobie.................................................................... 66 Das Nachzehrer-Motiv .............................................................. 70 Das Motiv des Memento mori und Totentänze ........................................ 72 Der haitianische Vodou-Zombi und Voodoo-Zombie .................................. 74 3.8.1 Der Zombi als Teil des vodouistischen Glaubenssystems ...................... 77 3.8.2 Versuch der empirischen Nachweisbarkeit von Zombifikationen .............. 78 3.8.3 Der Zombie als sozialmythische Chiffre ...................................... 80 3.9 The Magic Island: Haitis Okkupation und Seabrooks Deportations-Initial .............. 82 3.10 Die Amerikanisierung des Zombies .................................................. 84 3.11 Der amerikanische Zombie.......................................................... 90
3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8
4. 4.1
»Wie aus der Umlaufbahn geworfen« – Das The Walking Dead-Universum als Parabel der Säkularisierung.................................................... 97 Krise, Apokalypse, 9/11 und das Utopie-Ende ......................................... 101
4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8
Zukunftsungewissheiten ........................................................... 104 Die Säkularisierung ................................................................ 106 Kontroversität der Säkularisierungstheorie ......................................... 108 Horror als Verarbeitungs-Maschinerie der Säkularisierung ........................... 110 Vorläufer des filmischen Horrors .................................................... 114 Der Einbruch des Monströsen in die Realität ......................................... 118 Der Zombie als Allegorie der Säkularisierung ....................................... 122
5. 5.1 5.2 5.3 5.4
Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen............127 Verdrängung des Todes ............................................................ 128 Die eschatologische Perspektive .................................................... 131 Säkulare Todesvorstellungen ...................................................... 133 Der Horror und die Angst vor dem Tod ............................................. 134 5.4.1 Repression des Todes....................................................... 137 5.4.2 Destabilisierung der Repression des Todes durch Horrorfilme und Zombies ... 142 5.4.3 Körperkrise: Der Körperhorror als Gegenthese zum Gesundheitsimperativ .... 144 5.4.4 Spirituelle Dimension des Horrors ........................................... 163
6. 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5
Theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies ...........................167 Entelektrisierung des Todes: Staurologie und Körperhorror ......................... 169 Die Wiedererweckung des Lazarus und die Konfrontation mit der Todesfurcht ........176 Fronleichnam als Leichenschau .....................................................179 Kannibalismus in der Kirche? Eine säkulare Interpretation der Eucharistie .......... 182 Leiblichkeit und Eucharistie ....................................................... 186
7. 7.1 7.2
Hinführung zur Filmanalyse ........................................................ 191 Quality Television .................................................................. 193 Konstruktion einer theologischen Filmanalyse ...................................... 199
8. 8.1 8.2 8.3
The Walking Dead ................................................................. 209 Kurze Zusammenfassung von The Walking Dead .....................................215 Kurze Zusammenfassung von Fear The Walking Dead.................................219 (Post-)Apokalyptisches Narrativ.................................................... 222
Theologische Filmanalyse von The Walking Dead .................................. 227 Untersuchung der The Walking Dead Intros ......................................... 227 9.1.1 Zur sepulkralen Neustrukturierung in The Walking Dead ...................... 230 9.1.2 Kerzenleuchter: Vorausschau auf religiösen Inhalt ........................... 236 9.2 Das Pflegeheim-Ereignis: Körper, Altern und Nächstenliebe ......................... 236 9.3 ›God forgive us‹: Zorn Gottes ...................................................... 240 9.4 Der Zorn Gottes und phantastische (Post-)Apokalyptik .............................. 243
9. 9.1
9.14
Die Auferstehung der Toten ........................................................ 246 Das Kapellen-Ereignis: Zorn Gottes und Gebet vor Christusfigur ..................... 248 Das Hirsch-Ereignis................................................................ 253 Das Scheunen-Ereignis: Eschatologie .............................................. 259 Glaubenskrise: Father Gabriel ..................................................... 263 9.9.1 Father Gabriels Entwicklung ................................................ 265 9.9.2 Wiederholter Verrat ......................................................... 267 9.9.3 Suizidversuch, Krisenüberwindung und Profilierung.......................... 269 9.9.4 Sinnsuche .................................................................. 272 9.9.5 Gabriels Schlussgebet und Johannes 9,2 .................................... 275 9.9.6 Theodizee .................................................................. 277 Detheologiesierung im Kirchenraum................................................ 284 Untersuchung des Filmplakats von Fear The Walking Dead Staffel 2.1 ................ 292 Untersuchung des Filmplakats von Fear The Walking Dead Staffel 2.2................ 295 Identitätskrise: Nick Clark ......................................................... 300 9.13.1 Das Insel-Ereignis .......................................................... 300 9.13.2 Der Außeneinsatz........................................................... 302 9.13.3 Das Eulen-Ereignis ......................................................... 302 9.13.4 Transformationsversuche................................................... 303 9.13.5 Identitätskrise und Säkularisierung ......................................... 308 9.13.6 Personalität und Identität .................................................... 311 Das Kommunions-Ereignis ......................................................... 316
10.
Ergebnisse der Filmanalyse ....................................................... 321
11.
Fazit .............................................................................. 325
12.
Literaturverzeichnis .............................................................. 333
9.5 9.6 9.7 9.8 9.9
9.10 9.11 9.12 9.13
13. Abbildungsverzeichnis ............................................................ 373
Danksagung
Die vorliegende Arbeit wurde im Juli 2020 an der Stiftung Universität Hildesheim am Institut für katholische Theologie als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde der Text leicht überarbeitet. Ich danke meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Christina Kalloch für ihre Aufgeschlossenheit gegenüber dieser interdisziplinären Arbeit sowie Herrn Prof. Dr. Martin Schreiner. Beiden gilt mein Dank für das Interesse dieses für die Theologie doch recht exotischen Themas. Ebenso danke ich Frau Prof. Dr. Britta Hoffarth, der Vorsitzenden der Prüfungskommission sowie Herrn Dr. Michael Schober und Frau Johanna Mittelgö ker vom transcript Verlag. Danken möchte ich auch Benigno Mühlhaupt und Jan Niklas Meier für die zahlreichen Gespräche, ihren kritischen Anregungen, den gemeinsamen Reflexionen sowie für die vielen wertvollen Impulse. Mein Dank für die kritische Durchsicht, für das Korrekturlesen und für viele fruchtbare Gespräche geht weiterhin meinen Freunden*innen, Kollegen*innen und Ratgeber*innen: Lasse Röhrs, Dr. Annette Richter, Dr. Claudia Andratschke, Andreas Meisig, Iris Löffler, Lennart Ryl, Jens-Uwe Holsten, Prof. Markus Fischmann, Benjamin Englich und Florian Fentzahn. Weiterhin danken möchte ich Corey Hewitt, den Mitarbeiter*innen von der Walker Stalker Convention und Seth Gilliam für das Interview, welches für diese Arbeit geführt wurde. Ein großer Dank geht auch an Yves Arievich von Moviepilot für seine ansteckende Begeisterung sowie für die anregenden Diskussionen und gemeinsamen Reflexionen. Eine persönliche Danksagung richtet sich an Frau Marianne Schippke-Noga, die meine Fächer-Leidenschaft immer unterstütze und förderte, womit sie den Grundstein für mein Werdegang legte. Ein besonderer Dank gilt meiner Mutter Nada Hercenberger, die mir mit Engelsgeduld, Empathie und guten Ratschlägen immer hilfsbereit zur Seite stand und mich stets bestärkt, motiviert und ermutigt hat.
1. Einleitung – Der Zombie als allegorischer Spross der Säkularisierung
Nick: I was running away from what I saw. Travis: What did you see? Nick: Uh, just a girl. Gloria. You know, she’s my friend and she was – Jesus Christ. Okay, you buy on the corner and you can shoot in the church. It’s junkie communion. And – Travis: The church? Nick: Yeah, Glo was – yeah so she was with me when I scored. Yeah, and she was with me when I nodded. She was there. She was beside me. But then, then I went down. Everyone was dead. ’Cause there was blood. Yeah, and it’s all over her mouth. You know? Then she came at me. Travis: What did she do? Nick: Sh--- she was eating them. She was eating them.1 Der 19-jährige Drogenabhängige Nick Clark (Frank Dillane) schildert hier, im Krankenhausbett liegend, seinem Stiefvater Travis Manawa (Cliff Curtis) die vorangegangenen Geschehnisse des suspense-behafteten Openings der Pilotepisode aus der AMC-Serie Fear the Walking Dead, Tochterserie des Serien-Erfolgskonzeptes The Walking Dead.2 Nick wird im Rahmen der Exposition der ersten Serienepisode in einer heruntergekommenen, als Moloch für Drogenabhängige avancierten, in schäbig-grellem
1
2
Siehe: Fear The Walking Dead: Staffel 1, Episode 1. An dieser Stelle wurde bewusst die englische Fassung zitiert, da die deutsche Übersetzung teilweise divergiert, wodurch Sinngehalte verloren gehen. Anm.: Im Folgenden werden die Serien The Walking Dead und Fear The Walking Dead als das The Walking Dead- Universum bezeichnet. Die Spin-Off Serie Fear The Walking Dead stellt zumindest in der ersten Staffel ein Prequel zu der Serie The Walking Dead dar. Die zum Walking Dead- Franchise zugehörigen Comicvorlagen, weitere Bücher und analoge sowie digitale Spiele bleiben aufgrund des hier bestehenden Fokus auf die angestrebte hermeneutische Filmanalyse ausgespart. Für eine genauere Beschreibung des The Walking Dead- Universums sowie Zusammenfassungen der Handlungen siehe Kap. 8.
12
Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Licht gehüllten Kirche etabliert. Dort erwacht er sichtlich im Delirium eines vorangegangenen Drogenrausches in Einsamkeit auf einer Empore. Aufgrund von ominösen Geräuschen aus dem unteren Kirchenschiff begibt er sich, einer Blutspur folgend, auf die Suche nach seiner Freundin Gloria (Lexi Johnson)3 . Dabei stößt er auf eine blutig zugerichtete Leiche im Treppenhaus und findet sie sogleich als Untote4 wieder, welche sich an einem toten Opfer zwischen den Gebetsstühlen ernährt.5 In dieser dystopischen, seit 2015 ausgestrahlten post-eschatologischen Horrormär6 der auf den von Robert Kirkman verfassten Comics basierenden Serie, kehren Menschen entweder nach ihrem normalen Tod als postmortale Existenzen zurück oder werden durch einen Biss in das Kollektiv wandelnder Toter – jener titelgebenden Walking Dead – assimiliert. 3
4
5
6
Anm.: Die an einer zu hoch konzentrierten Dosis an Heroin verstorbene Freundin ist der erste für den Zuschauer sichtbare Zombie im filmischen The Walking Dead-Kanon. Diese Begegnung markiert eine Zäsur für die bisher gewohnte Welt und ist zugleich der Handlungsimpuls für vielzählige Ereignisse. Darüber hinaus wird durch die Namensgebung der einstigen, hinter dem Zombie stehenden Person namens »Gloria« zugleich der christliche Lobgesang der Engel (Lukas 2,14) bei der Geburt Christi »Gloria in excelsis Deo« konterkariert, indem nun der erste Zombie in einer desakralisierten Kirche zum Vorschein kommt und damit die Botschaft gemäß der aktuellen Lutherübersetzung Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens ins Gegenteil verkehrt wird. Anm.: »Der nicht historische Terminus Untote umfasst genauer genommen verschiedene Erscheinungsformen der nach ihrem leiblichen Tod aktiven Verstorbenen« und nicht konkret den Zombie, auf dessen Herkunft in dieser Arbeit genauer eingegangen werden soll. »Die Vorstellung vom individuellen Weiterleben nach dem Tod gilt zunächst für alle Verstorbenen, in besonderer Weise jedoch für jene, von denen für die Lebenden eine Gefahr ausgeht.« In: Sörries, Reiner: Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur: Wörterbuch zur Sepulkralkultur; Volkskunde, Kulturgeschichte. Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel (Hg.). Braunschweig, 2002. S. 365. Anm.: Panisch rennt Nick aus der Kirche und wird, während er auf der Straße pausiert, von einem Auto angefahren. Entgegen der Erwartung des Zuschauers, dass die Handlung im Rahmen der Postapokalypse geschieht, verweist ein nach oben laufender Kameraschwenk auf die noch intakte Stadt Los Angeles. Der Kameraschwenk induziert mit einem intendierten Überraschungsmoment, dass das in der Kirche Erlebte noch in der präapokalyptischen, bzw. sich während der annähernden apokalyptischen Phase stattfand. Nick wird im Rahmen dieser Pilotfolge mit dem zunehmenden Verlust seines Verstandes durch die Evaluierung des Geschehenen zwischen illusionistischem Drogenrausch und tatsächlicher Realität konfrontiert. Eine ähnliche Situation folgt in der zweiten Episode der dritten Staffel. Hier wird Nicks Schwester Alicia (Alycia Debnam-Carey) von einer Gruppe Jugendlicher zu vermeintlichen Bibelstudien eingeladen, welche sich jedoch als Vorwand einer illustren Gesellschaft von Drogenkonsumenten entpuppt, der sich Alicia wohlwollend anschließt. Siehe: Fear The Walking Dead. Staffel 3. Episode 2. Anm.: Diese Definition des The Walking Dead-Universums skizziert zugleich, dass es sich um eine postapokalyptische Erzählung handelt. Siehe dazu Kap. 8.3.
1. Einleitung – Der Zombie als allegorischer Spross der Säkularisierung
Während des darauffolgenden Gesprächs im Krankenhaus wird der von Perplexität gezeichnete Nick von seinem Stiefvater aufgefordert, das vorangegangene Ereignis Revue passieren zu lassen. Da Nick diese obskure Situation weder durch die Erklärung einer durch Drogen induzierten Halluzination, noch durch empirisch fundierte Bezüge erklären kann, gerät er im Zuge der vorausgegangenen Konfrontation mit der untoten Freundin in Panik. Im Angesicht des erfolgten Prologs bleibt dem offensichtlich nicht gläubigen Drogenabhängigen in zunehmender Konstatierung nichts anderes übrig als ein leises Jesus Christ zu äußern. Diese Äußerung birgt eine doppelte Ironie vor dem Hintergrund, dass er zuvor die Pervertierung einer christlichen Kommunion in Form der Einnahme von Drogen in der spelunkenartigen Kirche zelebrierte (Junkie-Communion). Weiterhin wird ein kannibalistischer Charakter der Eucharistie durch die Nahrungsaufnahme eines toten Leibes (hier durch die untote Gloria) indirekt dargeboten. Der Beginn der Serie verweist damit auf einen pervertierten Bezug zum christlichen Glauben durch die multilaterale Disfunktionalisierung der Kirche, kulminiert im dortigen Auftauchen des für den Zuschauer wahrnehmbaren ersten Zombies im Kanon der Reihe The Walking Dead. Es kommt zum Durchbruch konventionalisierter Todesvorstellungen und spirituell-topografischer Demarkationslinien abseits der vom Christentum offerierten Jenseitsökonomie.7
1.1
Fragestellung und Vorgehen
Wie geschildert wird in den ersten Minuten der Serie Fear The Walking Dead eindrücklich ein visuell inszenierter Untergang (der institutionellen Dimension) der christlichen Religion präsentiert – und das vor der eigentlichen Apokalypse.8 Darüber hinaus versinnbildlicht diese Exposition durch den zwischen den Kirchbänken entstehenden Zombie – als Pervertierung des Auferstehungsglaubens –, dass auch religiöse Wahrheits- und Heilsfragen entstellt werden, womit eine tenden-
7 8
Anm.: Im Folgenden wird primär eine indoeuropäisch, bzw. aufgeklärt okzidentale Perspektive eingenommen. Anm.: Brittnacher beschreibt die genuine Neigung des Zombiemotivs zur Apokalypse mit direktem Bezug zu The Walking Dead: Es geht »[…] immer wieder um eine ultimative Entscheidungsschlacht, zu der die wenigen Überlebenden in einer immer unwirtlicher werdenden Welt von den sich immer weiter ausbreitenden Infizierten gezwungen werden.« In: Brittnacher, Hans Richard: Apokalypse/Weltuntergang. In: Brittnacher, Hans Richard; May, Markus (Hg.): Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart, 2013. S. 336-343. Hier S. 342.
13
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
zielle Linie der Desakralisierung religiöser Motive im The Walking Dead-Universum eingeführt wird.9 Die Zerstörung sakraler Räume durch Monster ist ein gängiges Motiv des Horrorgenres. »Monsters seem to be particulary fond of religious spaces and decor«,10 stellte Beal bereits mit Blick auf die Gothic Novels heraus (siehe Kap. 4.6). Der Beginn der Serie stellt sinnbildlich die Orientierungslosigkeit der Menschen in Gestalt von Nick dar und präsentiert eine brachiale Visualisierung der Entkirchlichung und deren Folgen in allegorischer Fassung der Modernisierung und Säkularisierung zum einen durch die konstruierten Narrative in Horror-Manier, zum anderen in Form des Zombies, der dem Zuschauer als Kulmination des Openings in jener Kirche dargeboten wird. Die Forschungsfrage dieser Arbeit lautet entsprechend, inwiefern der ZombieTopos als Allegorie der Säkularisierung gelesen werden könnte.11 Damit ist nicht gemeint, dass Wiedergänger-Motive direkt aus der realen Säkularisierung resultierten oder die damit zusammenhängende Modernisierung gar mit der zeitlichen Engführung des Untoten-Motivs in einem historischen Zusammenhang steht. Vielmehr soll im Rahmen dieser Arbeit eine strukturelle Affinität zwischen der Säkularisierung und dem Horrorfilm aufgezeigt werden. Die im The-Walking-DeadUniversum dargestellte Eroberung einer Kirche durch postmortale Existenzen (weitere Beispiele folgen in Kap. 2), die durch ihre inhärenten Charakteristiken eine Opposition zur christlicher Religionen darstellen und systematisch eine Desakralisierung christlicher Dogmen und Vorstellungen einläuten, bildet deshalb das Fundament dieser Arbeit, welche methodisch durch eine zu bemühenden theologisch zentrierten Filmanalyse angereichert wird. Der filmisch-symbolische Einlass der Zombies in die Kirche ist demnach eine mediale Verarbeitung, eine Reaktion des Horrorgenres und filmischer Verarbeitungsmechanismus der Modernisierung12 und Säkularisierung. Deshalb soll weiterhin ergründet werden, ob der Eintritt der Untoten zum einen symbolisch in ein christlichen Sakralraum und zum anderen als breit zelebriertes Phänomen in der Popkultur auf filmischer Basis sinnbildlich die prozessuale Verarbeitung der Säkularisierung und deren negativ behaftete Resultate für den Menschen und damit eine allegorische Expression der 9 10 11
12
Anm.: Das stark protestantisch geprägte Amerika greift zumindest nicht bewusst den Zombie als Allegorie der Säkularisierung per se in jedem Zombiefilm auf. Beal, Timothy: Religion and its Monsters. New York, 2002. S. 89. Anm.: Der von Strasser titulierte ›säkularisierte Zombie‹ soll von dieser Untersuchung abgegrenzt werden. Strasser versteht hierunter eine monströse Erscheinungsform, die ihrer dämonischen Eigenschaften beraubt wurde und deshalb ›säkularisiert‹ ist. Obgleich Strasser einräumt, dass der Zombie aufgrund seines Bezugs zum Tod ein Nachhall mythischer Transzendenz enthält. Vgl. Strasser, Peter: Von Göttern und Zombies. Die Sehnsucht nach Lebendigkeit. Paderborn, 2016. S. 47. Anm.: Zum Begriff der Modernisierung siehe ausführlich Kap. 4.
1. Einleitung – Der Zombie als allegorischer Spross der Säkularisierung
Konsequenz eines Sinn- und Strukturverlusts (hier in Gestalt von Nick) repräsentiert. Zusammenfassend ist die zugrunde liegende These dieser Arbeit, dass das Verschwinden der christlichen Religions- und Glaubenspraxis aus dem Alltag der Menschen in der afilmischen Wirklichkeit, also der Normrealität, durch die Modernisierung und Säkularisierung den Zugang für den Zombie im Quality Television eröffnen konnte und dieser im phantastischen Gewand die Folgen der Säkularisierung als Allegorie13 in sich vereint und filmisch-seriell verhandelt, woraus sich Rückschlüsse auf das heutige Verständnis existentieller Fragen (Sinn, Tod etc.) ergeben. Dem zugrunde liegt die Annahme, dass Filme und TV-Serien ein stark reflexives Potential besitzen (siehe dazu vertiefend Kap. 7).14 Frenschkowski stellte bereits Verknüpfungen zwischen den Prozessen der Moderne und phantastischer Stoffe her (siehe Kap. 4.5): »Die religiösen und religionskritischen Dynamiken der Moderne, die Pluralisierung und Differenzierung von Religion sind fundamentale Entstehungsbedingungen phantastischer Stoffe und Genres […]. Dabei treten oft weniger zentrale oder herrschende Inhalte und Symbolwelten des religiösen Traditums als vielmehr marginale oder delegitimierte Stoffe in die funktionale Mitte von phantastischen Narrativen und konstituieren nicht selten als störend-fremde Alterität gerade das Phantastische.«15 Der Zombie soll hier folglich erstens als ein von den audiovisuellen Medien hervorgebrachter Signifikant verstanden werden, welcher auf konnotativer Basis in Anlehnung an die Zeichentheorie theologisch gedeutet werden soll. Zweitens soll er als kultureller Code verstanden werden, der nach Hickenthier zur Bedeutungsproduktion beiträgt. Die Wirksamkeit des Zombies als Code ist abhängig vom Kontext, in dem er in Film und Fernsehen in Erscheinung tritt.16
13
14 15 16
Anm.: Unter Allegorie ist hier die Verbildlichung von etwas Abstraktem oder Unwirklichem gemeint. Siehe zur Differenzierung zwischen Symbol, Allegorie und Metapher: Skarics, Marianne: Popularkino als Ersatzkirche? Das Erfolgsprinzip aktueller Blockbuster. 2.Aufl. Wien; Berlin, 2010. S. 32-34. Zum Begriff der Allegorie zusammenfassend: Kurz, Gerhard: Metapher, Allegorie, Symbol. Göttingen, 1993. S. 31. Vgl. Jörissen, Benjamin; Marotzki, Winfried: Medienbildung. Eine Einführung. Bad Heilbrunn, 2009. S. 50-57. Frenschkowski, Marco: Phantastik und Religion. In: Brittnacher: 2013. S. 535-560. Hier S. 553. Vgl. Hickenthier, Knut: Film- und Fernsehanalyse. 3., überarb. Aufl. Stuttgart; Weimar, 2001. S. 117.
15
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
»Teilweise erklären mag das Phänomen die Tatsache, dass der Zombie, wie wir ihn heute kennen, eine enorme Projektionsfläche für kollektive Ängste bildet und wir in ihn als [offenes Kunstwerk] viel hineininterpretieren können.«17 Diesbezüglich soll im Rahmen der theologischen Filmanalyse ein präziser Blick auf Merkmale geworfen werden, welche die Aspekte Eschatologie, Theodizee und Identität einschließen. Im Vorfeld wird erarbeitet, ob diese Gesichtspunkte simultan aus zwei verschiedenen Standpunkten gelesen werden können: Sowohl als Eigenschaften des Horrorgenres als auch als Folgeerscheinung der Säkularisierung (siehe Kap. 4.5). Brosnan postuliert hierzu kritisch, »that horror has been ›picked up‹ by cultural critics as a reflection of the popular fears extant the time time of production.«18 Obgleich Brosnan wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Horrorfilm anprangert, ist für Cowan eine »cultural dynamic of exploitation«19 für das Publikum unumgänglich, da im Fall des cineastischen Horrors eine Ausformulierung der Angst des Publikums im Film verhandelt werden muss. Die aufgezählten, aus der Säkularisierung gespeisten Aspekte könnten Angst-evozierende Faktoren sein, die durch die Allegorie des Zombies filmisch hervorgebracht und narrativvisuell bedient werden. Dabei gilt es herauszufinden, ob sich die Erschütterungen dieser aus der Modernisierung hervorgebrachten Folgen in der Allegorie des Zombies wiederfinden und inwiefern daraus Rückschlüsse auf die Befindlichkeit der westlichen Welt geschlossen werden können. Folgende Gesichtspunkte sollen dabei in unterschiedlichen Sektionen in der folgenden Analyse behandelt werden: a) Die Kirchenkrise (Kap. 2): Diese wird symbolisch durch Zombies im Sakralraum skizziert. Damit zusammenhängend die Entkirchlichung, Entchristlichung und Hervorhebung der Strukturschwächen der christlichen Kirche (durch die Demontage ekklesiologischer Charakteristika) sowie eine zu eruierende Schmälerung staurologischer und soteriologischer Aspekte und die Dekonstruktion christlicher Hoffnung (siehe Kap. 6.1). 17 18 19
Osteried, Peter; Langhagen, Christian: The Walking Dead. Der inoffizielle Serienguide. Berlin, 2014. S. 45. Brosnan, John: The Horror People. New York, 1976. S. 1-2. Cowan, Douglas E.: Sacred Terror. Religion and Horror on the Silver Screen. Waco, Texas, 2008. S. 58.
1. Einleitung – Der Zombie als allegorischer Spross der Säkularisierung
Weiterhin gilt es im Vorfeld der Filmanalyse folgende Faktoren zu bearbeiten: b) Sinnkrise (Kap. 5): Die Desillusionierung im Hinblick auf die eigene Sterblichkeit als Antwort auf das Skandalon des Todes20 sowie die Erschütterung von Todes- und Jenseitsvorstellungen (damit verbunden die generelle Irritation thanatologischer Tatsachen, also die Realisierung, sterben zu müssen). c) Körperkrise (Kap. 5.4.3): Die Erschütterung der Körperwahrnehmung sowie die Verdrängung des Alterns. Im Rahmen der Filmanalyse werden folgende Konsequenzen der Säkularisierung bearbeitet: d) Glaubenskrise (Kap. 9.9): Eschatologische Erschütterung, Konfrontation mit der Theodizee und apokalyptische Ängste. e) Identitätskrise (Kap. 9.13): Die Dekonstruktion der Identität und Personalität. Die theologische Analyse besonders hinsichtlich der Punkte Glaubens- und Identitätskrise folgt über einzeln ausgesuchte Ereignisse, Motive und Begebenheiten im The Walking Dead-Universum. Dies geschieht im Hinblick auf die ästhetische Bildung, bei der es um die Wahrnehmung und Verarbeitung von Sinneseindrücken geht, sowie um die Loslösung von der denotativen Ebene, hin auf eine konnotative und den damit verbundenen hermeneutischen Charakter. Im Rahmen der Filmanalyse soll einerseits die subtile Dekonstruktion der biblischen Erlösungsbotschaft und der Auferstehungshoffnung aufgedeckt werden. Andererseits sollen die Detheologisierungen und Blasphemien aufgezeigt und richtiggestellt werden. Diese Untersuchung ist vor dem Verständnis des Mediums Films als Reflexionsfläche für kulturelle Ängste zu verstehen, die sich im Monströsen inkarnieren: »Because filmmakers are bricoleurs, crafting their stories from a variety of sources and responding to a range of artistic, economic, and cultural influences – includ-
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Anm.: Dieser Aspekt wurde inhaltlich und terminologisch der Analyse zur »Leistungsethik als Antwort auf das Skandalon des Todes« von Manuel Franzmann entnommen. Siehe: Franzmann, Manuel: Säkularisierter Glaube. Fallrekonstruktionen zur fortgeschrittenen Säkularisierung des Subjekts. Weinheim, 2017. S. 177.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
ing the religious – their craft reflects those sources as much as it contributes to them.«21 Morehead stellte diesbezüglich explizit zum Zombie heraus, »that the zombie is not a vague homage to an abstract transcendent category, but phenomenon that draws and plays upon the dense particularity of the Christian theological lexicon, such as death, resurrection, and the apocalypse.«22 Auf diese Feststellung aufbauend soll weiterhin die Frage behandelt werden, wie Zombies als Zeichen der Zeit durch die Ermangelung des christlichen Gedankenguts reflexiv in filmischen Bildwelten anhand des The Walking Dead-Universums als theologisch relevante Allegorie verhandelt werden. Weiterhin soll ergründet werden, inwiefern sie genannte existentielle Fragen sinnbildlich verkörpern oder diese durch ihr mediales Dasein anstoßen und gleichsam in Korrelation zur Realität theologische Reflexionsimpulse bieten können. Die genannten Aspekte a) bis e) bilden für Horrorerzählungen wie dem The Walking Dead-Universum Andockpunkte, die sowohl visuell als auch narrativ bearbeitet werden und die es theologisch zu analysieren gilt. Mit anderen Worten: Die Loslösung der christlichen Religion aus dem Leben der Menschen ermöglicht die Popularität des Horrors und mithin die Vorstellung von Zombies in der Kirche dem Publikum als Zerrspiegel der Realität vor Augen zu halten, welche kollektive philosophische und theologische, filmisch gefasste Folgeerscheinung der Wegfall einer haltgebenden Instanz analog zur Säkularisierung hat. Die Moderne könnte demnach eine treibende Kraft der Wegfindung des Zombies in die Kirche sein. In diesem Zusammenhang soll untersucht werden, wie das Horrorgenre als filmische Projektionsfläche des Verarbeitungsprozesses der Säkularisierung fungiert und wie genrespezifisch mit dem horror-inhärenten dramaturgischen Instrumentarium etwaige Folgen der Säkularisierung im The Walking Dead-Universum dargestellt werden. Dazu gilt zu eruieren, wie in dem Koordinatensystem des medialen Horrors die christliche Religion nicht nur verortet werden kann, sondern auch zu analysieren, wie sie eine bewusste Desakralisierung in einem fiktionalen Zerrbild unserer Realität vor dem Hintergrund der Sinnkrise der westlichen Welt im Kosmos des The Walking Dead-Universums erfährt (siehe Kap. 4.5). Die Folgen der Säkularisierung, so die These dieser Arbeit, werden filmisch im The Walking Dead-Universum einerseits durch eine Palette essenziell theologischer und existentieller Fragen durch das Narrativ und andererseits durch die monströse Allegorie des Zombies in der Diegese verarbeitet. 21 22
Cowan: 2008, S. 263. Morehead, John W.: Zombie Walks Zombie Jesus and the Eschatology of Postmodern Flesh. In: Paffenroth, Kim; Morehead, John W. (Hg.): The Undead and Theology. Eugene, 2012. S. 101-123. Hier. S. 115.
1. Einleitung – Der Zombie als allegorischer Spross der Säkularisierung
Um diese These zu überprüfen, wird ein theologischer Zugang mit kultur- und filmwissenschaftlichen Exkursen und sozialgeschichtlichen Kontexten (besonders bezüglich der Kulturgeschichte des Todes und der Sepulkralkultur) erfolgen (siehe Kap. 3). Ausgehend von der hier ausgeführten Desakralisierung eines Sakralraums im The Walking Dead-Universum (Nick begegnet seiner zum Zombie gewordene Freundin) als Initial für die bevorstehende Analyse, beginnt die Arbeit mit einer Auseinandersetzung über Kirchenkrise, Kirchenkritik und Entkirchlichung (siehe oben Punkt a) als filmisch im The Walking Dead-Universum verarbeitete Folge der Säkularisierung. Dies geschieht im Lichte der Hierophanie und des in Kirchenräumen verorteten Zombies, dessen interdisziplinär verankerte zeichenhafte Funktion beschrieben werden soll. Zunächst wird der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat dargestellt und in einzelne Fragmente gebündelt werden, welche die unterschiedlichen kulturgeschichtlich geprägten Charakteristika des Zombies darstellen. Dazu zählt die (abergläubische) Wiedergängervorstellung im europäischen Volks- und Aberglauben, einhergehend mit der Historie der europäischen Sepulkralkultur sowie der Vorstellung des Fegefeuers und Totentanzmotive. Im Anschluss wird die Genealogie des Zombies mit Blick auf den haitianischen Vodou-Zombi und den Voodoo-Zombie im Kontext des westafrikanischen, sowie haitianischen Vodou-Kults im Zuge des kolonialen transatlantischen Sklavenhandels beleuchtet. In diesem Zusammenhang wird auf die Amerikanisierung des Topos, allem voran durch dessen filmische Reformulierung durch den Regisseur George A. Romero, reflektierend eingegangen. Darauf folgend gilt es vor dem Hintergrund einer post-9/11-Ära und dem damit verbundenen Utopie-Ende im Zusammenhang mit der Modernisierung zu eruieren, ob die Säkularisierung als Kristallisationskeim des filmischen Zombies fungiert und das The Walking Dead-Universum als Parabel derselben gelesen werden könnte (siehe Kap. 4). Nach einer Darstellung der Säkularisierungstheorie und deren Kontroverse in der Forschung sollen die Eigenschaften des Horrorgenres beschrieben werden, wobei versucht wird, diese mit den Charakteristika der Modernisierung zu analogisieren und als (filmische) Verarbeitungs-Maschinerie bzw. reflexiven Katalysator der Modernisierung und Säkularisierung zu begreifen. Der Fokus liegt dabei auf dem Vergleich des abstrahierten Konzepts des in die Realität einbrechenden Monströsen, welches anhand des Zombies konkretisiert und mit den Auswirkungen der Säkularisierung in Verbindung werden soll (siehe Kap. 4.5). Aus dem destillierten Ergebnis wird bestrebt, die aus der Modernisierung/Säkularisierung hervorgebrachte Sinn- und Körperkrise des Menschen (siehe oben Punkte b-c) mit Hauptaugenmerk auf die bewusste Repression von Tod und Sterben zu kontextualisieren, unmittelbar aus der theologisch-eschatologischen Per-
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
spektive aufzuarbeiten und den Zombie-Topos als allegorischen Ertrag aus besagten Krisen darzulegen. In diesem Zusammenhang soll der Horrorfilm gegenüber der Repression des Todes gestellt und untersucht werden, inwiefern diese Horrorinszenierungen es vermögen, durch den Zombie-Topos die Repressionen des Todes zu destabilisieren und zeitgleich mit der Subkategorie des Körperhorrors als Gegenthese zum zuvor dargelegten und weit zelebrierten Gesundheitsimperativs den Menschen mit der Vergänglichkeit und dem Altern des Körpers zu konfrontieren (siehe oben Punkt c und Kap. 5). Nach einer Ausführung der spirituellen Dimension des Horrors sowie des Körperhorrors in der filmischen Ästhetik mit dem stetigen Bezug auf das UntotenMotiv, sollen theologische Evaluationen hinsichtlich der dem Zombie inhärenten Charakteristika erfolgen. Das Hauptaugenmerk soll dabei – besonders vor dem Hintergrund des zugrundeliegenden Körperhorrors – auf staurologische Aspekte, also dem Kreuzesgeschehen Jesu, gelegt werden. Danach werden auch die Wiedererweckung des Lazerus, das Fronleichnamsfest sowie eine säkulare Interpretation der Eucharistie hin zum Kannibalismus angesichts des Zombies thematisiert (siehe Kap. 4.5). Die Präliminarien zur Filmanalyse umfassen die Beschreibung des Quality Televisions (zu welchem das The Walking Dead-Universum gehört), die Konstruktion einer theologischen Filmanalyse sowie eine kurze Zusammenfassung der zu analysierenden Serieninhalte (siehe Kap. 7). Im Rahmen der Filmanalyse werden weitere religiös-relevante Motive durch ein heuristisches Raster extrahiert und theologisch reflektiert (beispielsweise durch Entdeckung theologischer Querverweise und Verbindungen, exegetische Verknüpfungen oder religiös angehauchte Verbindungslinien). Weiterhin sollen hier die Glaubenskrise sowie Identitätskrise (d-e) anhand der Serienhandlung und Figuren explizit dargestellt und mit der Modernisierungsund Säkularisierungstheorie kontextualisiert werden (siehe Kap. 9). Angereichert wird die Filmanalyse durch ein am 23. März 2019 für diese Arbeit geführtes Interview mit dem US-amerikanischen Schauspieler Seth Gilliam, welcher die zur Hauptensemble gehörende Figur des Father Gabriel Strokes in The Walking Dead verkörpert (siehe Kap. 9.9). Passagen aus dem Interview werden partiell, sowohl an geeigneten Stellen im Rahmen Filmanalyse, als auch in anderen Ausführungen paraphrasiert oder zitiert. Für einen kohärenten Lesefluss wird einfachheitshalber davon ausgegangen, dass der filmische Zombie existent sei, obgleich es sich selbstverständlich um dessen Präsenz in den Diegesen handelt.
1. Einleitung – Der Zombie als allegorischer Spross der Säkularisierung
1.2
Stand der Forschung
Eine theologische Reflexion der Serie The Walking Dead über 2012 hinaus oder der Tochterserie Fear The Walking Dead fehlt gänzlich.23 Vorliegende Dissertation möchte dieses Forschungsdesiderat schließen und den Zombie-Topos theologisch anhand des The Walking Dead-Universums untersuchen. Die wissenschaftliche, besonders die deutschsprachige Literatur zum Zombie als Subkategorie des Horrorgenres ist noch rar, gewinnt aber aufgrund wachsender Popularität des Topos um die Jahrtausendwende an Beachtung.24 Besonders durch The Walking Dead entstanden interdisziplinäre, allem voran in der Phantastikforschung breit gefächerte (sowohl in Monographien, als auch in spezifischen Sammelbänden) wissenschaftliche Analysen und Reflexionen. Vor allem fand das Zombie-Thema nach Kleinschnittger25 interdisziplinäre Beachtung besonders in der Filmwissenschaft außerhalb exkursartigen Erwähnungen im filmgeschichtlichen Gesamtkontext,26 der Monster-Forschung,27 der interdisziplinären Zombie-
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24 25 26 27
Anm.: Im März 2019 erschien eine englischsprachige Publikation über das The Walking DeadUniversum, mit Schwerpunkt auf das World Building. Siehe: Freeman, Matthew: The World of The Walking Dead. London, 2019. Vgl. Kleinschnittger, Vanessa: Zombie Society: Mediale Modulationen der Figur des Zombie in Vergangenheit und Gegenwart. Baden-Baden, 2015. S. 12-14. Ebd S. 12. Siehe dazu: Wood, Robin: Hollywood from Vietnam to Reagan. New York, 1986.; Wood, Robin: Hollywood from Vietnam to Reagan…and beyond. Exp. And rev. ed. New York, 2003. Siehe dazu: Meteling, Arno: Monster. Zur Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm. Bielefeld 2006.; Ders.: Wiedergänger. Die filmische Lebendigkeit der Toten. In: Macho, Thomas; Marek, Kristin (Hg.): Die neue Sichtbarkeit des Todes. München, 2007. S. 519-539.; Ders.: Der Zombie. In: Friedrich, Lars, et.al. (Hg.): Figuren der Gewalt. Zürich, Berlin, 2014. S. 167-172.; Bode, Philipp (Hg.): Kreaturen der Phantastik. Entwicklungslinien figuraler Motive vom Werwolf bis zum Zombie. Hannover, 2016.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Studies, oder im Rahmen der expliziten Bearbeitungen des Horror- und Splatterfilms.28 28
Siehe dazu: Blumenberg, Carolin et.al.: Suspensionen. Über das Untote. Paderborn, 2015.; Russel, Jamie: Book of the Dead. The Complete History of Zombie Cinema. Godalming; Surrey, 2008.; Dellwing, Michael; Harbusch, Martin (Hg.): Vergemeinschaftung in Zeiten der Zombie-Apokalypse. Gesellschaftskonstruktionen am fantastischen Anderen. Wiesbaden, 2015.; Kleinschnittger, Vanessa: Zombie Society: Mediale Modulationen der Figur des Zombie in Vergangenheit und Gegenwart. Baden-Baden 2015.; Fürst, Michael; Krautkrämer, Florian; Wiemer, Serjoscha (Hg.): Untot. Zombie, Film. Theorie, München 2010.; Harrasser, Karin; Timm, Elisabeth (Hg.): Zombies. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr.1, 2014.; Turini, Simona: Sie sind wieder da! Der Zombie als Motiv in Literatur und Film. Traunstein, 2017.; Klewer, Detlef: Zombie Chronicles – Die Legende der lebenden Toten. Hille, 2000.; Schwerdt, Wolfgang: Vampire, Wiedergänger und Untote. Auf der Spur der lebenden Toten. Berlin, 2011.; Seeßlen, Georg: Zombokinematografia. In: Die Untoten. Life Sciences und Pulp Fiction. Online Textarchiv zur Tagung Mai 2011.; Metz, Markus; Seeßlen, Georg: Wir Untote! Über Posthumane, Zombies, Botox-Monster und andere Über- und Unterlebensformen in Life Science & Pulp Fiction. Berlin, 2012.; Boluk, Stephanie; Lenz, Wylie: Generation Zombie. Essays on the Living Dead in modern Culture. Jefferson, Norh Carolina, 2001.; Bryce, Allan: Zombie. Liskeard, 2000.; McFarland, James: Philosophy of the Living Dead: At the Origin of the Zombie-Image. In: Cultural Critique 90, 2015. S. 22-63.; McFarland, James: Profane Apokalypse. George A. Romeros ›Dawn of the Dead‹. In: Köhne, Julia; Meteling, Arno; Kuschke, Ralph (Hg.): Splatter Movies. Essays zum modernen Horrorfilm. Berlin, 2005, S. 29-46.; Robnik, Drehli: Das große Taumeln und die kleine Politik: Überlegungen zu einer DissensÄsthetik des neueren Zombiekinos. In: Rzeszotnik, Jacek; Schmeink, Lars et.al. (Hg.): Zeitschrift für Fantastikforschung II, Januar 2012. S. 76-97.; Robnik, Drehli: Kontrollhorrorkino: Gegenwartsfilme zum prekären Regieren. Wien, 2015.; Robnik, Drehli: Miteinander wohnen, auseinander leben. Vitalismus und Politik in Marvin Krens und Benjamin Hesslers Zombiefilm »Rammbock«. In: Ernst, Gustav; Fleischanderl, Karin (Hg.): kolik.film 14, 2010. S. 116-119.; Luckhurst, Roger: Zombies: A Cultural History. London, 2015. McIntosh, Shawn; Keverette, Marc (Hg.): Zombie Culture. Autopsies of the Living Dead. Lanham, 2008.; Dendle, Peter: The Zombie Movie Encyclopedia. Jefferson, 2009.; Moreman, Christopher M.; Rushton, Corey James: Zombies Are Us. Essays on the Humanity of the Walking Dead. Jefferson, 2011; Moreman, Christopher; Cory James, Rushton (Hg.): Race, Oppression and the Zombie. Essays on Cross-Cultural Appropriations of the Carribbean Tradition. Jefferson, 2011.; McAlister, Elizabeth: Slaves, Cannibals, and Inflected Hyper-Whites: The Race and Religion of Zombies. In: Division Faculty Publications. Nr. 115, 2012.; Schuck, Peter: Viele untote Körper. Über Zombies der Literatur und des Kinos. Bielefeld, 2018.; Vervaeke, John et.al. (Hg.): Zombies in Western Culture: A Twenty-First Century Crisis. Cambridge, 2017.; Castillo, David R. et.al. (Hg.): Zombie Talk: Culture, History, Politics. New York, 2016.; Abbott, Stacey: Undead Apocalypse. Vampires and Zombies in the 21st Century, Edinburgh, 2016.; Murawska, Santana: The Rise and Fall and Rise of The Walking Dead. Od Nocy żywych trupów do 11 września. Polen, 2016.; Storck, Timo; Fojas, Camilla: Zombies, migrants, and queers. Race and Crisis Capitalism in Pop Culture Urbana, 2017. Cohen, Jeffrey Jerome: Undead (A Zombie Oriented Ontology) In: Journal of the Fantastic in Arts, 23,3, 2013. S. 397-412.; Thornton, Max: Take, eat, these are my brains: Queer zombie Jesus. In: McGlotten, Shaka; Jones, (Hg.): Zombies and sexuality: Essays on desire and the living dead. Jefferson, 2014. S. 19f.; Balaji, Murali (Hg.): Thinking dead: What the zombie
1. Einleitung – Der Zombie als allegorischer Spross der Säkularisierung
Im englischsprachigen Raum bietet neben klassisch-philosophischen Bearbeitungen des Zombies29 der 2012 erschienene Sammelband The Undead and Theology30 der Herausgeber Kim Paffenroth und John W. Morehead sowie einige ande-
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apocalypse means. Lanham, Maryland, 2013.; Sulikowski, Ulrike: Voodoo, Zombies, Zauberei: Über Horrorfilm und Fremddarstellung. In: Blümlinger, Christa (Hg.): Sprung im Spiegel: Filmisches Wahrnehmen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Wien, 1990. S. 227-258.; Stewart, Kevin: The zombie aesthetic and the post-apocalyptic franchise. In: Kinema 2007. Nr. 27. S. 27-42.; Sleasman, Brent: Zombie apocalypse, Hatian vodou & media ecology: A cautionary tale of our technological future. In: Glenister Roberts, Kathleen (Hg.): Communication theory and millennial popular culture: Essays and applications. New York, 2016.; Gurr, Barbara: Race, gender, and sexuality in post-apocalyptic TV and film. New York, 2015.; Olney, Ian: Zombie Cinema. New Brunswick, 2017.; Aiossa, Elizabeth: Subversive zombie: social protest and gender in undead cinema and television. Jefferson, 2018.; Wortmann, Volker: Die Figuration der Vielen in der Darstellung von Zombieapokalypsen. Zur utopischen Grundierung eines dystopischen Narrativs. In: Leser, Irene; Schwarz, Jessica (Hg.): Utopisch dystopisch. Visionen einer ›idealen‹ Gesellschaft. Wiesbaden, 2018. S. 197-208.; Limberg, Sebastian: Fremderscheinungen. Der Zombie in Film, Literatur und Ethnologie. Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn 2019.; Klingersberger, Mathias: They’re us – Horrorfilme und die Figur des Zombie als Spiegelbild der Gesellschaft. Diplomarbeit an der Universität Wien. Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät, 2013.; Gruber, Alexander: Lebende Tote. Diplomarbeit an der Universität Wien. PhilologischKulturwissenschaftliche Fakultät, 2013.; Fendler, Ute: Train to Busan: Das Zombie-Genre als filmisches Dispositiv zwischen Ost und West. In: Ritzer, Ivo; Schulze, Peter W. (Hg.): Mediale Dispositive. Wiesbaden, 2018. S. 273-285.; Ziegler, Daniel: Zombie-Szenarien und Krisen der Interpretation. In: Lim, Il-Tschung; Ziegler, Daniel (Hg.): Kino und Krise. Kultursoziologische Beiträge zur Krisenreflexion im Film. Wiesbaden, 2017.; Krautschick, Lars Robert; Rudner, Fabian: Zombies am laufenden Band…: Zur seriellen Wahrnehmung eines untoten Massenprodukts. In: Rzeszotnik, Jacek; Schmeink, Lars et.al. (Hg.): Zeitschrift für Fantastikforschung. Mai 2014, S. 56-80.; Waller, Gregory: The Living and the Undead: From Stoker’s Dracula to Romero’s Dawn of the Dead. Urbana; Chicago; Springfield, 1986.; Fritz, Jochen: Der Zombie im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Fritz, Jochen; Stewart, Neil (Hg.): Das schlechte Gewissen der Moderne. Kulturtheorie und Gewaltdarstellung in Literatur und Film nach 1968. Köln, 2006. S. 77-98.; Faulstich, Werner: Der Spielfilm als Traum. Interpretationsbeispiel: Geoge A. Romeros »Zombie«. In: Ders. (Hg.): Medienkulturen. München, 2000. S. 57-72.; Flint, David: Zombie Holocaust. How the Living Dead Devoured Pop Culture. London, 2009.; Bebber, Slater, Jay (Hg.): Eaten Alive! Italien Cannibal and Zombie Movies. London, 2002. S. 22.; Stiglegger, Marcus: Zombie. In: Brittnacher, Hans-Richard, May, Markus (Hg.): Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart, 2013. S. 510-513. Siehe beispielsweise neben zahlreichen Bearbeitungen in Zombie-Sammelbänden: Greene, Richard; Mohammad, K.Silem (Hg.): Die Untoten und die Philosophie. Schlauer werden mit Zombies, Werwölfen und Vampiren. Stuttgart 2010.; Philosophy Now. A magazine of ideas. The Zombie Invasion of Philosophy! Ausgabe 96: Mai/Juni 2013.; Hanrahan, Rebecca: The Problem With Zombies. In: Philosophy Now. A magazine of ideas. Animals and Philosphy. Ausgabe 67: Mai/Juni 2008. Siehe: Paffenroth, Kim; Morehead, John W: The Undead and Theology. Dies. (Hg.): Eugene, USA, 2012.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
re Artikel31 eine theologische Reflexion filmisch-postmortaler Existenzen, wobei die theologische Thematisierung des Zombies und The Walking Dead lediglich einen kleinen Teil zwischen Vampiren und anderen Untoten einnimmt. Paffenroth beschäftigt sich überdies explizit theologisch mit den Zombiefilmen George A. Romeros in seiner Arbeit Gospel of the Living Dead.32 Auch Matthew Tan verfasste eine theologische Reflexion der Zombiefigur und verglich diese mit Jesus Christus und anderen theologischen Modellen und Strukturen.33 Mehr populärwissenschaftlich verfasst, aber nicht unerwähnt bleiben soll die 2017 erschienene, mitunter theologisch reflektierende Arbeit von Greg Garett über The Wisdom of the Zombie Apocalypse.34 Auch die Forschungsliteratur zu dem The Walking Dead-Universum beschäftigt sich primär mit narrativen, filmwissenschaftlichen und philosophischen Aspekten.35 31
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Siehe: Toppe, Jana: Reversing the Gospel of Jesus: How the zombie theme satirizes the resurrection of the body and the Eucharist. In: Hansen, Reinga (Hg.): Roman Catholicism in fantastic film: Essays on belief, spectacle, ritual and imagery. Jefferson; London, 2011. S. 182-196.; Stetson, Brad: Nights of the Living Dead: Do horror films help us conquer our fears, or merely exploit them? In: Christianity Today 46. Nr.2, 2002. S. 85f.; Sigurdson, Ola: Slavoj Zizek, the death drive, and zombies: A theological account. In: Modern Theology 29. 2013. Nr. 3. S. 361380.; Moreman, Christopher M.: Dharma of the living dead: A meditation on the meaning of the Hollywood zombie. In: Studies in Religion 39. Nr. 2, 2010. S. 263-281.; Baker, Kelly J.: With a shamble and a moan: The zombie eschatology in American popular culture. In: Arc 2011. Nr. 39. S. 117-129.; Strasser, Peter: Von Göttern und Zombies. Die Sehnsucht nach Lebendigkeit. Paderborn, 2016. Siehe: Paffenroth, Kim: Gospel of the Living Dead: George Romero’s Visions of Hell on Earth. Waco, Texas 2006. Siehe: Tan, Matthew John Paul: Reedeeming Flesh: The way of the cross with zombie Jesus. Eugene, 2016. Garrett, Greg: Living with the Living Dead. The Wisdom of the Zombie Apokalypse. New York, 2017. Siehe beispielsweise: Körber, Joachim: Die Philosophie bei The Walking Dead. Weinheim, 2014.; Yuen, Wayne (Hg.): The Walking Dead and Philosophy. Zombie Apocalypse Now. Illinois, 2012.; Wadsworth, Nancy D.: Are We the Walking Dead? Zombie Apocalypse as Liberatory Art. In: New Political Science; 38. Nr.4.; 2016. S. 561-581.; Lowder, James (Hg.): Triumph of the Walking Dead. Robert Kirkman’s Zombie Epic on Page and Screen. Dallas, 2011.; Reuter, Ingo: The Walking Dead: Über(-)Leben in der schlechtesten aller möglichen Welten. Interpretation einer Fernsehserie. Würzburg, 2018.; Lisa, S.H: Robinsonmotive in der Popkultur des 21. Jahrhunderts. Ein Vergleich von »Robinson Crusoe« und »The Walking Dead«. München, 2016.; Raymen, Thomas: Living in the end times through popular culture: An ultra-realist analysis of The Walking Dead as popular criminology. Minneapolis, 2017. Beuret, Nicholas; Brown, Gareth: The Walking Dead: The Anthropocene as a Ruined Earth. In: Science as Culture Volume 26, Issue 3, 2017. S. 330-354.; Simpson, Philip L.; Mallard, Marcus (Hg.): The Walking Dead Live!: Essays on the Television Show. London, 2016.; Taubner, Svenja (Hg.): Von Game of Thrones bis The Walking Dead. Interpretation von Kultur in Serie. Berlin; Heidelberg, 2017.; Kirchner, Jasmin: The Walking Dead – Horror, Drama oder Western? Eine Analyse. Hamburg,
1. Einleitung – Der Zombie als allegorischer Spross der Säkularisierung
Darüber hinaus existieren im Internet freilich zahlreiche journalistische Beiträge zum Thema Zombiefilm und Religion. John Blake fasst beispielsweise in seinem CNN.com-Blog über religiöse Implikationen der popkulturellen Zombie-Hysterie gegenüberstellende theologische Reaktionen auf Basis der Zombie-Narrative zusammen: Zum einen kam der Schriftsteller David Murphys zu der Feststellung, dass eine ›höhere Macht‹ den Menschen daran hindert, einander anzufallen und aufzuessen, weshalb das Zombie-Genre einen religiösen Hintergrund hätte, während zum anderen die Literaturwissenschaftlerin Rebecca Borah behauptet, dass Zombies Kain-affine Kreaturen sind, da sie analog zu Kain verflucht wurden und jenseits der Menschheit existieren.36 Die von Borah heraufbeschworene Prämisse des Fluchs jenseits realitäts-affinier Voodoo-Konnotationen als Kristallisationskeim der Zombies im Film pauschal zu generalisieren ist fraglich, da das diegetische Initial der Zombies je nach realhistorischem Kontext, Filmhandlung, Genre, Couleur, Diskurs und Motivaufnahme sozialgeschichtlich divergiert. Bezüglich einer räumlichen Einordnung im The Walking Dead-Universums sind mit Kain allerdings Affinitäten zum Land Nod (Gen 4,16), welches nicht als geografische Bezeichnung zu verstehen ist, erkennbar,37 in welches Kain nach dem Brudermord und seiner Verbannung zog und ein Leben – in Analogie zu den Handlungen des The Walking Dead-Universums – der Unrast und des friedlosen Gehetztseins, dem Antlitz Gottes verborgen, bis zu seinem Zusammenbruch leben muss.38 Etymologisch wird ›Nod‹ aus dem hebräischen ›nad‹ für ›ruhelos‹ bzw. ›umherwandern‹ abgeleitet und bedeutet ›Land des unsteten Lebens‹ oder ›Land des
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37 38
2013.; Wieseler, Max: Die Evolution des Horrorgenres in Serien: Die moderne Horrorserie am Beispiel von »The Walking Dead«. Hamburg, 2013.; Deboy, Robin: The Walking Dead – Postmoderner Zombie-Horror in Serie. Bachelorarbeit an der Hochschule Mittweida (FH). University of Applied Sciences, Fakultät Medien, 2017.; Görgen, Arno; Inderst, Rudolf T.: Im Land der lebenden Toten – Zur Reflektion von medizinischen Todeskriterien in The Walking Dead. In: Ethik in der Medizin. Volume 27, Ausgabe 1 März 2015, S. 35-45.; Kiegeland, Julia; Schmitz, Christopher: Souveräne Beisser? Die Gerinnung des Ausnahmezustands bei The Walking Dead. In: Indes Band 3, Ausg. 4, S. 100-109. 2014.; Ruditis, Paul: The Walking Dead Chronicles. The Offcial Companion Book. New York, 2011. Siehe: Blake, John: The ›zombie theology‹ behind the walking dead. URL: http://religion .blogs.cnn.com/2010/12/20/the-zombie-theology-behind-the-walking-dead/. Aufgerufen am 24.05.2018. Vgl. Westermann, Claus: Kain und Abel, die biblische Erzählung. In: Illies, Joachim (Hg.): Brudermord. Zum Mythos von Kain und Abel. München, 1975. S. 13-28. Hier S. 26-27. Vgl. Huth, Werner: Kain – eine Hinführung zur schicksalsanalytischen Auffassung vom Bösen im Menschen. In: Illies, Joachim (Hg.): Brudermord. Zum Mythos von Kain und Abel. München, 1975. S. 37-56. Hier S. 53.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Elends‹39 . »In Gen 4,14 wird ›nod‹ als Partizip verwendet, als Kain sich darüber brüskiert, dass er nun ›vagabundierend‹ leben muss und mithin aus der Gesellschaft von Gott verstoßen wurde.«40 Ähnlich repräsentieren Zombies als ruhelose, aus dem gesellschaftlichen System ausgeschlossene Wesen zusätzlich das vom Menschen Tabuisierte: die Ängste vor dem Tod, dem Verfaulen, der Entweihung bzw. der Leichenschändung, womit sie konträr zum christlichen Bild der Vergebung stehen (siehe dazu vertiefend Kap. 5).41 Der bereits genannte John W. Morehead kristallisiert eine starke Affinität des Zombiefilms zum Christentum heraus und stellte die Frage, ob es entsprechend möglich sei, Zombies spirituell zu fassen oder gar, vor dem Hintergrund häufig vorkommender theologischer Affinitäten im Horror-Subgenre des Zombiefilms, eine Zombie-Theologie bzw. eine Theologie des Zombies eröffnen zu können: »This is not the first time that the zombie has crossed paths with the ideas of Christianity. Italian zombie cinema can be read as including a subversion of aspects of Roman Catholicism, including bodily resurrection. And the often-neglected zombie comedy Fido, also includes plenty of material for theological reflection in relation to critique of the Christian concept of resurrection and the afterlife.«42 Vor diesem Ansatz folgt nun der Einstieg in die Analyse mit der Desakralisierung sakraler Räume durch Untote im Horrorfilm im Kontext der Hierophanie.
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Vgl. Westermann, Claus: Kain und Abel, die biblische Erzählung. In: Illies, Joachim (Hg.): Brudermord. Zum Mythos von Kain und Abel. München, 1975. S. 13-28. Hier S. 26-27. Ebd. Vgl. Blake, John: The ›zombie theology‹ behind the walking dead. URL: http://religion.blo gs.cnn.com/2010/12/20/the-zombie-theology-behind-the-walking-dead/. Aufgerufen am 24. 05.2018. Morehead, John W.: Religion Dispatches: Toward a Zombie Theology. In: https://www.theo fantastique.com/2010/12/09/religion-dispatches-toward-a-zombie-theology/. Aufgerufen am 22.05.2018.
2. Kirchenkrise: Desakralisierung sakraler Räume
Die Kirche erfuhr mit der eingangs genannten Inszenierung in Fear The Walking Dead eine komplette Desakralisierung ihres eigenen Selbst, nicht nur hinsichtlich ihrer Zielgruppe, sondern auch insbesondere ihrer ekklesiologischen Komponenten und Wesensbegriffen.1 Eine Denunzierung gesellschaftlicher Institutionen im Allgemeinen und damit auch die der Kirchen und sakraler Räume im Allgemeinen gehören zum Repertoire des Films, besonders des Horrorfilms. Mit Verweis auf deutsche Fernsehfilme mit nicht religiösen Aktivitäten in Kirchen wie den Sado-Maso-Exzessen im umstrittenen RTL-Film »Die Heilige Hure«2 skizziert Bleicher, dass Kirchenräume auf die Funktion einer dekorativen Kulisse reduziert werden und die Regisseure in den einst sakralen Räumen gezielt Tabuverletzungen platzieren.3 Neuere Beispiele aus dem Bereich des phantastischen Films unterstreichen diese Beobachtung. So erscheint beispielsweise im Steampunk-Film »Mortal Engines: Krieg der Städte«4 die anglikanische St.-Pauls-Kathedrale in London als Raketensilo für eine Atomwaffe,
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Anm.: Eine vollständige Darstellung der Ekklesiologie kann hier nicht dargeboten werden, weshalb zentrale Essenzen der einzelnen Wesensbegriffe aus dem Handbuch der Dogmatik grob vorgestellt werden. Vgl. Schneider, Theodor (Hg.): Handbuch der Dogmatik 2. 2.Aufl. Düsseldorf, 2002. S. 90-100. Im Folgenden wird für das Handbuch der Dogmatik die Abkürzung HD verwendet. Miggelbrink kategorisiert die Kirche als Volk Gottes, Leib Christi, Tempel des heiligen Geistes, Heilszeichen Gottes für die Welt (Sakrament des Heils), Welt und Herrschaft Gottes, Zeichen Gottes im Modus der Schöpfung, Erlösung und Vollendung, die Kirche als Heilssakrament zwischen göttlicher Sendung und menschlicher Entsprechung. Diese Wesensbegriffe werden immer wieder im Horrorgenre zerschlagen, obgleich im The Walking Dead-Universum unter den letzten gläubigen Überlebenden versucht wird eine christliche Communio zu bemühen. Vgl.: Miggelbrink, Ralf: Einführung in die Lehre von der Kirche. Darmstadt, 2003. S. 28-71. Die Heilige Hure. R.: Dominique Othenin-Girard. Deutschland, 1998. Bleicher, Joan Kristin: Mediale Sendungen und Televisionen. Schuld, Sühne und Passion im Film und Fernsehen. In: Ebach, Jürgen; Gutmann, Hans-Martin et.al. (Hg.): Wie? Auch wir vergeben unsern Schuldigern? Mit Schuld leben. Gütersloh, 2004. S. 216-230. Hier S. 227. Mortal Engines: Krieg der Städte. R.: Christian Rivers. Neuseeland, USA, 2018.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
während in »Hellboy – Call of Darkness«5 dieselbe als Schauplatz für den finalen Kampf zwischen dem Halbdämonen Hellboy und seiner Rivalin fungiert. Solch Tabuverletzungen würden allerdings bedeuten, dass die Kirchen gerade wegen ihrer religiösen Funktion eingesetzt werden und nicht nur als Dekoration auftreten. Bezüglich der Verwendung von Kirchen als beliebte (meist am Anfang oder Ende des Grauens aufgesuchte) Lokalitäten im Horrorfilm, wie in »The Last Man on Earth«,6 »The Fog – Nebel des Grauens«,7 »Ein Zombie hing am Glockenseil«,8 »Prince of Darkness«,9 »The Church«,10 »Sleepy Hollow«,11 »Dark Was The Night«,12 »Silent Hill«13 und »The Nun«,14 um nur einige Beispiele zu nennen, aber vor allem in Zombiefilmen rekurriert Cowan auf ähnliche Kirchenszenen. Dazu nennt er die Filme »28 Days Later«,15 sowie »Resident Evil Apokalypse«16 und fordert die dringende Untersuchung der dahinter stehenden religions- oder kirchenkritischen Aussagen, die wohl von den Filmemachern17 intendiert wurden. In diesem Zusammenhang wird von Cowan anhand von Resident Evil: Apokalypse und 28 Days Later der von den Filmemachern bewusste Einsatz von Kirchen als semantischer Raum betont: »Both directors, though, chose to use churches in the crucial first refuge sequences, establishing in this way that the social framework of safety, of sanctuary, has been irrevocably disrupted. If we take seriously the claim that feature films are among the world’s most carefully plotted and minutely planned cultural products, then we must acknowledge that the choice for a church in both instances was deliberate, that it has meaning both within the context of the films and for the audiences outside the frame. And, if that’s the case, then we are forced to ask what the message is.«18 Diese Arbeit möchte deshalb die von Cowan und Beal genannten Feststellungen aufgreifen und anhand der hermeneutischen Filmanalyse mit theologischem Fo5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Hellboy – Call of Darkness. R.: Neil Marshall. USA, 2019. The Last Man on Earth. R.: Ubaldo Ragona; Sidney Salkow. USA, 1964. The Fog – Nebel des Grauens. R.: John Carpenter. USA, 1980. Ein Zombie hing am Glockenseil. R.: Lucio Fulci. Italien, 1980. Prince of Darkness. R: John Carpenter. USA, 1987. The Church. R.: Michele Soavi. Italien, 1989. Sleepy Hollow. R.: Tim Burton. USA, 1999. Dark Was The Night. R.: Jack Heller. USA, 2004. Silent Hill. R.: Christophe Gans. Kanada, Frankreich, 2006. The Nun. R.: Corin Hardy. USA, 2018. 28 Tage später. R.: Danny Boyle. England, 2002. Resident Evil Apokalypse. R.: Alexander Witt. USA, 2004. Anm.: Im Hinblick auf die Lesbarkeit wird jetzt und im Folgenden das generische Maskulinum verwendet und auf die Berücksichtigung des Geschlechter-Aspekts verzichtet. Cowan: 2008, S. 95.
2. Kirchenkrise: Desakralisierung sakraler Räume
kus (Siehe Kap. 7.2) herausstellen, welche für die Gesellschaft und christliche Religion relevante Botschaften und Erkenntnisse hinter solchen und ähnlichen Szenarien des fiktionalen The Walking Dead-Universums einerseits und durch die narrative Verwendung des Zombies als Zeichen in diesem andererseits identifiziert werden können. Als Einstieg in die Thematik der Kirchenkrise soll mit der Darstellung des Konzeptes der Hierophanie begonnen werden, welche später mit den Eigenschaften des Horrorfilms (siehe Kap. 4.7) kontextualisiert werden soll.
2.1
Die Abwesenheit des Heiligen
Ungeachtet der kritischen Resonanz des phänomenologischen Ansatzes Eliades,19 »das Heilige« als ahistorischen Kern aller Religionen zu definieren, welcher es vermag, dem gläubigen Menschen Halt und Orientierung zu bieten, hält Stürzer die von Eliade entwickelte Terminologie in Anlehnung an Gladigow aufgrund des ›theologischen Zugangsschemas‹ und der ›latenten monotheistischen Option‹ als geeignet für die Beschäftigung mit der Phantastik.20 In Anlehnung an den hier zu präsentierenden Forschungsansatz weist sie auf, dass »die von Eliade beschriebenen mythisch-religiösen Symbole in den untersuchten Romanen fortwirken, während gleichzeitig die Abwesenheit des ›Heiligen‹, das ›profane‹ Erleben der säkularisierten Menschen thematisiert wird: Das ›Unheilige‹ erscheint nicht nur als extramundanes Chaos von außen, von dem es sich abzugrenzen gilt, sondern als Teil des Kosmos beziehungsweise der als Bild der menschlichen Gesellschaft und Existenz angelegten erzählten Welt.«21 Der Begriff des aus dem uranfänglichen Chaos abgespaltenen Kosmos, welcher den Mikro- und Makrokosmos einschließt, beschreibt sowohl geografisch konkret als auch metaphysisch abstrakt stets ›unsere Welt‹, die aufgrund ihrer gestalteten Ordnung durch Götter oder mythischen Vorfahren heilig ist. Das Chaos beschreibt das zerstörerische Bestreben dieser gesetzten Ordnung.22 Der heilige Raum fungiert hierbei für den religiösen Menschen als Kristallisationspunkt der Verbindung zwischen dem Übernatürlichen, zum Heiligen sowie zur Unterwelt. Der Einbruch des Übernatürlichen in die Welt wird mit dem Begriff
19 20
21 22
Eliade, Mircea: Das Heilige und das Profane. Köln, 2008. Vgl. Stürzer, Anja: Die Desakralisierung der Welt. »Kryptoreligiöse« Räume in Der Herr der Ringe und Harry Potter. In: Schmeink, Lars; Müller, Hans-Harald (Hg.): Fremde Welten. Wege und Räume der Fantastik im 21. Jahrhundert. Berlin; Boston, 2012. S. 299-318. Hier S. 299-300. Ebd. S. 300. Vgl. Ebd. S. 302.
29
30
Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
›Hierophanie‹ belegt, welche sich meist in heiligen bzw. rituell geweihten Räumen, also Kirchen und Sakralbauten manifestieren.23 Deswegen soll hier, zwecks terminologischer Finessen des Kirchenbegriffs, zunächst eine definitorische Trennungslinie zwischen der Bedeutung der Kirche als institutionelles Gefüge (Liturgie, Kirchenrecht, Kirchenordnung, kirchliche Ämter) und dem Verständnis der Kirche als Gebäude bzw. Bauwerk gezogen werden, obgleich die Kirche eine komplexe, spannungsvolle Wirklichkeit im Sinne einer Dynamik aus der empirischen Realität und dem Geheimnis des Glaubens mit einer theologischen Tiefendimension verbindet.24 Mit Blick auf klassische soziologische Institutionstheorien, welche von Miggelbrink zusammengefasst werden, beschreibt der Terminus ›Institution‹ generalisiert eine ›anthropologische Notwendigkeit‹ und ›organisierte Gruppenunterstützung bei der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse‹ (Helmut Schelsky), eine ›Orientierungsgröße‹ für kaprizös-diffundierende Lebensformen (Arnold Gehlens) sowie eine ›entlastende Funktion für das Individuum‹ (Niklas Luhmann), wobei Luhmann religiöse Organisationen ›als Spezialfall sich selbst erzeugender, autopoietischer Subsysteme‹ versteht.25 Hünermann subsumiert die Sprechhandlungstheorie, also die Annahme, dass Sprechhandeln nur in komplexen Regelsystemen (und damit Institutionen) funktioniert, als pragmatisches Institutionsmodell auf die Kirche, um diese mit Fokus auf amtliche und sakramentale Sprechhandlungstypen als kommunikatives System zu beschreiben.26 Kehl trennt zwischen einer primären und sekundären Institutionalisierung. Erstere charakterisiert das Glaubensbekenntnis (Christus-Kerygma) als institutionsspezifischen Code, der zugleich institutionsbildend ist (pragmatischer Institutionsbegriff). Dazu zählen überdies der biblische Kanon, das Credo, verbindende Glaubenstradition und Lehrverkündung, Sakramente, liturgische Feiern, Rechtsordnung sowie die Gemeinde- und Ämterstruktur.27 Unter der sekundären Institutionalisierungen versteht er die Verwaltung und Organisation der Kirche.28 Demgegenüber steht die Kirche als Gebäude und Ort 23 24 25 26 27 28
Vgl. Ebd. S. 300. Vgl. HD BD.2: 2002, S. 90-91. Vgl. Miggelbrink: 2003, S. 11. Vgl. Hünermann, Peter: Theorie der Sprachhandlung und heutige Ekklesiologie. Ein philosophisch-theologisches Gespräch. Freiburg, 1987. S. 42. Vgl. Kehl, Medard: Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie. Würzburg, 1992. S. 392f. Anm.: Miggelbrink bemängelt Kehls Ausführungen: »Die Unterscheidung Kehls ist nicht unproblematisch. Aus ihr spricht einerseits das Unbehagen des Dogmatikers, der im kirchlichen Arbeitsrecht nicht ohne Weiteres die Entfaltung des urchristlichen Kerygmas zu erkennen vermag. Allerdings spiegelt die Unterscheidung Kehls eben auch eine praktisch-kirchliche Schizophrenie, der gemäß etwa behauptet werden könnte, die Kassenführung einer Diöze-
2. Kirchenkrise: Desakralisierung sakraler Räume
der Glaubensüberlieferung, womit nicht die verschiedenen Baustile gemeint sind, sondern der Sinn verschiedener Kirchenarchitekturen, welche als paradigmatisches Symbol für das »eigenartige Wesen der Kirche« fungieren.29 Simonis führt diesbezüglich zum einen den neutestamentlichen Befund, zum anderen den späteren christlichen Kirchenbau auf und akzentuiert das Bauwerk Kirche als sichtbares Symbol der Unikalität, des Besonderen der Kirche Christi. Während im Neuen Testament der Terminus ›Kirche‹ kein Bauwerk, sondern hauptsächlich gläubige Menschen umfasst, ist mit dem späteren Kirchenbau der Repräsentationscharakter der Kirche Christi in der Welt gemeint: »Sie repräsentiert, steht symbolisch da für die eine Kirche Christi, die in der jeweiligen Ortskirche ›subsistiert‹, in ihr wirklich zugegen ist.«30 Die Kirche ist ein sichtbares Bauwerk und repräsentiert irdisch die unsichtbare Kirche Christi. Sie ist Subjekt und Gegenstand des Glaubens. In Anbetracht dessen, dass die Gemeinschaft der Gläubigen das eigentliche Subjekt und die eigentliche Vermittlungsweise des Glaubens ist, ist die Kirche nicht nur Gegenstand des Handelns Gottes, sondern als dessen Folge und Sinn auch selbst Subjekt des Handelns (Ruf in die Gemeinschaft Gottes, Versammlung, Vermittlung, Communio), wodurch die Kirche eine bestimmte Aufgabe und ergo auch eine bestimmte Struktur und Organisationsform inne hat, die in Form der Sakramente als Zeichen und Werkzeug und der Liebe Gottes ineinanderfließen.31 Überdies ist die Kirche als Gegenstand des Glaubens (siehe Glaubensbekenntnis) begreifbar; denn wer seine Existenz selbst auf die Treue und Verlässlichkeit des Dreieinen Gottes gründet und das Glaubensbekenntnis mitspricht, verifiziert seinen Glauben, dass die Kirche zu den Heilsgaben des lebendigen Gottes (Kirche als Wirkung göttlichen Handels), der Wirkung des heiligen Geistes, der Gemeinschaft mit Jesus Christus, des Volkes Gottes und zur eschatologischen Hoffnung der Christen gehört.32 Die Kriterien für die neue Form der Gemeinschaft in Versöhnung und Einheit als einem der Kirche inhärenten Wesen sind dogmatisch auf zweifache Weise begründet: Zum einen mit der trinitarischen Gotteserfahrung (siehe LG 4; vgl. LG 17.26), weshalb die Gemeinschaftlichkeit des Glaubens theologisch bestimmbar ist, wenn sie zugleich als ›Volk Gottes‹, als ›Leib Christi‹ und als ›Tempel des heiligen Geistes‹ verstanden wird (AG 7). Zum anderen in den politisch-gesellschaftlichen Sozialitätserfahrungen und Sozialitätsbildungen der Menschheit, weil Strukturen und Institutionen der Kirche
29 30 31 32
se gehöre nicht zum eigentlich-inneren, wesentlichen primär-institutionellen Selbstvollzug der Kirche und unterliege deshalb auch nicht theologischer, sondern ausschließlich marktwirtschaftlicher Rationalität.« In: Miggelbrink, Ralf: 2003, S. 13. Vgl. Simonis, Walter: Die Kirche Christi. Ekklesiologie. Düsseldorf, 2005. S. 65. Ebd. S. 66. Vgl. HD Bd.2: 2002, S. 52. Vgl. Ebd. S. 53.
31
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Ergebnisse geschichtlicher Erfahrungen und Handeln sind.33 In diesem Kontext ist die Kirche in engem Zusammenhang mit der Christologie/Soteriologie, sowie der Pneumatologie, Eschatologie und dem ursprünglichen Schöpfungshandeln zu verstehen, weil sie einerseits als die neue erlösende Lebensgemeinschaft aus dem Geist Christi und der Antizipation der kommenden vollendeten Welt inmitten der alten dogmatisch zu beschreiben ist und andererseits im Lichte des Schöpfungshandeln Gottes die bereits endgültige Neuschöpfung und Einigung der in sich selbst zerfallenen Welt und Geschichte, das endgültige Heil der ganzen Menschheit und des Kosmos widerspiegelt.34 Angelehnt an diese Ausführungen, besonders bezüglich der Hierophanie, ist im The Walking Dead-Universum nicht nur die Abwesenheit des Heiligen, sowie die Dekontexualisierung aufgeführter Eigenschaften der Kirche zu konstatieren, sondern auch die Materialisierung des monströs Hässlichen als Zombie im Sakralraum festzustellen. Auf einer sekundären Stufe gilt es diese als Produkt der Gesellschaft entstandene Allegorie systematisch zu dechiffrieren; denn das Heilige erfuhr in skizzierter Sequenz nicht nur eine Verdrängung aus gewohnt sakralen Sphären, sondern auch einen weiteren denunzierenden Niederschlag durch die Usurpierung postmortaler Existenzen in einem einstmals heiligen Terrain. Das manifest gewordene Chaos erfuhr durch die Inszenierung des Indexpatienten (Gloria) in der für Drogenabhängige im Vorfeld diskreditierten Kirche eine Kanalisierung in den heiligen Kosmos. Die These dieser Arbeit begründet die Möglichkeit dieser Kanalisierung des Zombies erst durch die Säkularisierung, welche im vorliegenden Beispiel durch die schon profanisierte Kirche dargestellt wurde. Weitere Beispiele sollen diese theologische Interpretation im Folgenden unterstreichen.
2.2
Untote in der Kirche
Der Titel der dritten Episode aus Staffel fünf aus The Walking Dead lautet ›Vier Wände und ein Dach‹, welcher, wie schon der profan klingende Titel andeutet, die Säkularisierung bzw. die Profanisierung eines Sakralraums in Form der Demontierung des Interieurs eines Kircheninnenraums thematisiert, um aus deren Inhalt (Sitzbänke, Orgelpfeifen) die Kirche gegen Zombies zu einer Art Festung umzubauen.35
33 34 35
Vgl. Ebd. S. 92. Vgl. Ebd. S. 53-54. Anm.: Was wiederum durchaus zur christlichen Ikonographie u.a. in Analogie zu Luthers Kirchenlied »eine feste Burg ist unser Gott« gezählt werden kann.
2. Kirchenkrise: Desakralisierung sakraler Räume
Innerhalb der Episode äußert der zur Kirche gehörende Father Gabriel Strokes (Seth Gilliam) folgendes gegenüber Maggie Greene (Lauren Cohan), welche dabei ist, den Kirchenraum auseinanderzunehmen: Gabriel: Dies ist ein Haus Gottes Maggie: Nein, es sind nur vier Wände und ein Dach36 Maggie deutet den Kirchenraum um und degradiert in Folge dessen den theologischen Gehalt des Raumes in seinem ursprünglich vorgesehenen theologisch-systematischen Verwendungszweck durch seine Umfunktionierung in ein Habitat im profanen Zweck (vier Wände und ein Dach). Während die Kirche weiter umfunktioniert wird und Gabriel hilflos mit zusehen muss, fragt er Daryl (Norman Reedus) sorgenvoll: Gabriel: Wollen Sie das Kreuz etwa auch mitnehmen? Daryl: Wenn wir es brauchen…37 Gabriel sieht das Kreuz noch mit seinem symbolisch-theologischem Wert, welchen es in dieser Arbeit zu erörtern gilt (siehe Kap. 6.1). Als Geistlicher sieht er das Kreuzesgeschehen als Verbindung mit der Auferstehung zum zentralen Ort, an dem Gott und sein Heilshandeln in Jesus Christus offenbart wird (vgl. Mt 15,39),38 als ein Symbol des heilbringenden Todes Jesu (Gal 6,14; Kor 2,2) und zugleich als eschatologisches Zeichen.39 Daryl hingegen sieht das Kreuz als profanes Werkzeug, ein dekontextualisierter Querbalken, welcher nützlich für die Verbarrikadierung der Kirche sein könnte, womit er seine atheistische Meinung zum Ausdruck bringt und die Funktion des Kreuzes im profanen Sinne umgedeutet wird. Letztlich ist es Father Gabriel selbst, der ironischerweise viele Zombies in seine Kirche eindringen lässt, da er verfolgt wird und dort Schutz sucht.40 In Anbetracht dieser Stresssituation ist ihm im weiteren Sinne eine gewisse Mitschuld am hereinbrechendem Unheil interpretatorisch anzuhängen. Hierbei wird deutlich zelebriert, dass das eindringende Böse sich im Angesicht des Kreuzes gänzlich unbeeindruckt zeigt und der Sakralraum, in den eingebrochen wird, keinerlei schützende Funktion im realistischen und theologischen Sinne zu bieten vermag.41 In diesem Sinne wird die eingangs skizzierte Hierophanie exemplarisch verdeutlicht. 36 37 38 39 40 41
Siehe: The Walking Dead. Staffel 5, Episode 3. Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 3. Vgl. Joest, Wilfried; Lüpke, Johannes von: Dogmatik II: Der Weg Gottes mit dem Menschen. 5. Aufl. Göttingen, 2012. S. 171. RGG: 2001, S. 1747. Anm.: Sein irrationales Verhalten wird als Schwäche verstanden, da Gabriel affektgesteuert in der Kirche Schutz vor einer Schar Zombies suchen möchte. Anm.: Beispielsweise im Kontrast zum Vampir, für den sakrale Embleme tödliche Folgen haben.
33
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Nachdem eine Horde Zombies die Kirche eingenommen hat und sich die Überlebenden retten konnten, wird eine Aufnahme gezeigt, in welcher die einmarschierenden Zombies von hinten zu sehen sind, wobei aber eine in dunkelrot gefasste Inschrift über dem Torbogen des Altarraums im Zentrum des Fokus steht Joh 6,52: »He who eats my flesh and drinks my blood has eternal life«42 (siehe Abb. 1).
Abbildung 1: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 5, Episode 3
In Anbetracht der Situation, welche einen Siegeszug des sogenannten ›Chaos‹ (siehe Kap. 2.1) gegenüber der christlichen Kirche zelebriert und der kruden Symbolik ist es schwer, in dieser Inszenierung keinen zynisch fundierten Hintergedanken zu vermuten. Freilich wird in diesem Kontext auf den vermeintlich kannibalistischen Charakter des Verses angespielt, worauf später eingegangen wird (siehe Kap. 6.4). Auf die Frage an Seth Gilliam ob dieser mit den Setdesignern der Kirche über christliche Referenzen sprechen konnte, meinte dieser, dass dies nicht der Fall war, ihm jedoch die Ironie des am Torbogen verfassten Verses in Erinnerung blieb. Überdies schilderte Gilliam im geführten Interview bezüglich der Frage, inwiefern ihm die krude Symbolik des The Walking Dead-Setdesigns aufgefallen ist, dass ihm einzig an dieser Stelle die Ironie des Verses auffiel: »I thought okay, that’s pretty on the nose, but that’s pretty cool.«43 Zum Abschluss sei eine symbolträchtige Schlussszene aus der siebten Folge der sechsten Staffel von The Walking Dead genannt,44 in welcher ein instabiler Kirchturm, der einige Meter außerhalb der Mauer der vor Zombies sicher ummauerten
42 43 44
Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 8. Siehe: Interview mit Seth Gilliam am 23. März 2019 auf der Walker Stalker Germany Convention in Berlin. Siehe: The Walking Dead: Staffel 6, Episode 7.
2. Kirchenkrise: Desakralisierung sakraler Räume
Stadt Alexandria zusammenbricht und den Wall der Stadt einreißt, sodass zahlreiche Untote in das Refugium eindringen können (siehe Abb. 2). In dieser hoffnungslosen, existentialistischen Welt zerfällt die Kirche und macht durch diesen Zusammenbruch den nun dominanten Zombies den Weg frei. Der Gläubige oder gar eine Gemeinschaft haben hier mit ihren Moralvorstellungen oder ihren christlichen und moralischen Maßstäben keine Chance.45 Werden die beschriebenen Szenen herangezogen, ergeben sich zwei detheologisierende Intensitätsstufen: a) Die Zerlegung bzw. Profanisierung des Kirchenraums als Zeichen säkularer Entkirchlichung (Kirchenräume werden für andere Zwecke benutzt, theologische Elemente verlieren an Bedeutung). b) Das Eindringen von Zombies in die Kirche als zeichenhafter ›Sieg‹ der Säkularisierung bei zeitgleicher ›Detheologisierung‹ (Dekontextualisierung des Kreuzes siehe Kap. 6.1, kannibalistische Lesart der Eucharistie siehe Kap. 6.4).
Abbildung 2: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 6, Episode 7
Die Kirche (mit Blick auf die Verwendung als Gebäude und als Spiegelbild der Institution Kirche) wird hier als Ort der Sicherheit etabliert, dann jedoch vom hereindringenden ›unheiligen Chaos‹ (Hierophanie) erschüttert. Insofern soll untersucht werden, ob der Zombie (und die mit ihm hergebrachten Geschichten) in The Walking Dead als Allegorie gedeutet werden kann, welche bewusst christliches Gedankengut ins Gegenteil verkehrt, womit ihm ein blasphemischer Ausdruck unterstellt werden könnte.
45
Vgl. Körber, Joachim: Die Philosophie bei The Walking Dead. Weinheim, 2014. S. 73.
35
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Somit ist der Zombie als phantastische Kreatur nicht nur ein prädestiniertes Mittel für die Detheologisierung christlicher Elemente, sondern auch ein Impulsgeber, die Kirche als Leib Christi im wahrsten Sinne des Wortes zu demontieren und Kritik an der Kirche als Verwaltung der Sinngebung zu apostrophieren. Allein durch die Entweihung sakraler Räume ist er eine durch das Medium Film generierte Allegorie, die durch ihre spezifischen Charakteristika vermag, dogmatische Strukturen zu brechen und christliches Gedankengut zu erschüttern. Das The Walking Dead-Universum kann also als Chiffre der Kirchenkritik gefasst werden.46 Es ist eine Aufgabe der Theologie, solche medialen Darstellungen im Horror-Genre, die sich auf den reinen denotativen Horror beschränken, systematisch zu reflektieren, auf den jeweiligen theologisch-(historischen) Sinnzusammenhang hinzuweisen und damit die evozierten Bilder des Schreckens (insbesondere wenn direkt christliche Topoi aus ihrem Sinnzusammenhang extrapoliert und ins Horrorartige transferiert werden) wieder in ihren theologischen Zusammenhang zu bringen, also zu ›theologisieren‹ und die Profanisierung bzw. atheistisch- (blasphemische) Demontage von Kirche und Glauben im filmisch-seriellen Bereich systematisch zu entlarven. Werden die beschriebenen Kirchen-Szenerien aus theologischer Perspektive betrachtet, soll zunächst eine definitorische Parallele zur Säkularisierung gezogen werden.
2.3
Kirchenkritik und Entkirchlichung
Wiedenhofer beschreibt, dass in Verbindung mit der Säkularisierungs- und Individualisierungswelle neben der traditionellen Problematisierung der Kirche als (autoritärer, bedrohlicher) Institution (»Jesus ja – Kirche nein«) eine weitere tendenzielle Problematisierung der Kirche als religiöser Gemeinschaft (»individuelle Religiosität ja – Kirchengemeinde nein) entstand.47 In diesem Kontext macht Wiedenhofer auf zwei Gründe aufmerksam, die dazu beitrugen, dass sich diese Problematisierung traditioneller Kirchlichkeit speziell in Mitteleuropa, das lange Zeit durch eine relativ stabile Kirchlichkeit geprägt war, entwickelte: Einerseits durch den rasch fortschreitenden Säkularisierungsvorgang, der hier fokussiert werden soll (siehe Kap. 4.3), andererseits durch ein epochales innerkirchliches Problem in Form der Spannung zwischen der altkirchlichen Ortskirchlichkeit und einer seit
46 47
Anm.: Auch wenn Kirchenkritik nicht immer das primäre Anliegen der Filmemacher ist. Vgl. Wiedenhofer, Siegfried: Universalität und Partikularität als Herausforderung an die Ekklesiologie. Anstöße für die religionspädagogische Diskussion. In: Schreijäck, Thomas (Hg.): Christwerden im Kulturwandel. Analysen, Themen und Optionen für Religionspädagogik und Praktische Theologie. Ein Handbuch. S. 162-182. Hier S. 162.
2. Kirchenkrise: Desakralisierung sakraler Räume
dem Mittelalter immer zentralistischer organisierten Gesamtkirche, für das auf dem II. Vatikanischen Konzil keine wirksame Lösung gefunden werden konnte.48 Auch die fehlende Wirksamkeit und Verständlichkeit christlicher Beiträge in der sozialen Kommunikation trägt zur Entsakralisierung bei, womit ebenso ein Verlust ritueller Handlungen oder Initiationsriten des Christentums einhergeht.49 Dabei ist, besonders mit Blick auf die Inszenierung der geschilderten Ouvertüre aus Fear The Walking Dead (siehe Kap. 1), hermeneutisch zu parallelisieren, dass »die Kirchen im Vergleich zu anderen Lebensbereichen nicht nur an subjektiver Bedeutung in den persönlichen Relevanzhierachien, an politischer Unterstützung, an Vertrauen und an öffentlicher Kommunikationspotenz verloren haben; sie haben auch nicht mehr die Definitionshoheit des Religiösen im Land, der religiösen Inhalte und der religiösen Rollen inne. Die Kirchen verlieren an Kraft, auch an Sanktionskraft, sogar ihre eigenen Mitglieder zum Christwerden und Christsein im kirchenoffiziellen, normativen Sinn zu veranlassen.«50 Von einer Kirchenkrise ist hier insofern die Rede, als dass sich »soziale Zustände destabilisieren, als gefährdet und gefährdend erscheinen, insbesondere wenn das Vertraute eines erheblichen Teils der Beteiligten in den gedeihlichen Fortbestand des bisherigen schwindet. Letzteres ist derzeit in weiten Teilen der katholischen Kirche der Fall.«51 Neben der hier dargestellten Diffamierung der Kirche (als Gebäude und/oder Institution) werden im The Walking Dead-Universum überdies auch immer wieder christlich konnotierte Motive dem Horror gemäß z.B. im Rahmen der Mise en Scène entstellt. Als weitere Hinweis ist beispielsweise in der dritten Episode der siebten Staffel The Walking Dead eine händefaltende Engelsstatue zu sehen, welche mit einem Stacheldraht umwickelt wurde, an dem verweste Hände montiert sind (siehe Abb. 3). Konnotativ lässt diese für perverse Dekorationszwecke missbrauchte Entstellung eines betenden Engels und dessen symbolisch hoffnungsvoll assoziierten Gehalts blasphemische Züge erkennen. Profane Instanzen dominieren mittels der Säkularisierung und denunzieren christlich geprägte Vorstellungen. Die Säkularisierung hat den Glauben fest umschlungen, überspitzt for-
48 49 50
51
Vgl. Ebd. Vgl. Skarics, Marianne: Popularkino als Ersatzkirche? Das Erfolgsprinzip aktueller Blockbuster. 2.Aufl. Wien; Berlin, 2010. S. 85. Ebertz, Michael N.: Christwerden in welcher Gesellschaft? Relativierungsgeneratoren in der deutschen Gegenwartsgesellschaft. In: Schreijäck, Thomas (Hg.): Christwerden im Kulturwandel. Analysen, Themen und Optionen für Religionspädagogik und Praktische Theologie. Ein Handbuch. Freiburg i.Br., 2011. S. 20-46. Hier. S. 26. Kaufmann, Franz-Xaver: Kirchenkrise. Wie überlebt das Christentum? Freiburg i.Br. 2011. S. 129.
37
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
muliert im Sinne der hier beschriebenen Darstellung sogar gefangen gehalten.52 Zudem fällt auf, dass sämtliche angebrachten Hände einheitlich nach unten zeigen, sodass besagtes Bild einen prognostisch-negativen Eindruck vermittelt, welcher durch den gestikulativen Verweis nach unten einen progressiven Verfall, sowohl des allgemeinen Lebensstandards als auch des Glaubens visualisiert.
Abbildung 3: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 7, Episode 3
Es gilt zu untersuchen, ob diese und andere Szenen eine Verarbeitung der Säkularisierung seitens der Filmschaffenden ist, die dem Rezipienten dargestellt und im Horrorgenre zelebriert werden.53 In einem kirchenzentrierten Zusammenhang beschreibt Kehrer die Säkularisierung (siehe Kap. 4.3) dreigliedrig: »Erstens durch den Rückgang des normierenden Einflusses der Kirchen auf die Sektoren staatlichen Handelns, zweitens durch den Rückgang des kirchlichen Engagements der Kirchenmitglieder (gemessen an der Häufigkeit des Besuchs kirchlicher Veranstaltungen, wie Gottesdienst und Abendmahl, bis hin zum Verlassen
52 53
Anm.: Diegetisch handelt es sich bei dieser Statue um das Erkennungszeichen eines Eingangs zu einer sicheren Zone. Anm.: Wiedenhofer verweist auf zusammenfassende Beschreibungen der (kritischen) Situation heutiger Kirchen, die sich in fast jeder Ekklesiologie wiederfinden. Siehe dazu folgende von Wiedenhofer zusammengefasste Literatur: Wiedenhofer, Siegfried: Das katholische Kirchenverständnis. Ein Lehrbuch der Ekklesiologie. Graz; Wien; Köln. 1992. S. 18-49.; Kehl, Medard: Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie. Würzburg, 1992. S. 161-162.; Gabriel, Karl (Hg.): Religiöse Individualisierung oder Säkularisierung. Biographie und Gruppe als Bezugspunkt moderner Religiosität. Gütersloh, 1996.; Krüggeler, Michael: Individualisierung und Freiheit. Eine praktisch-theologische Studie zur Religion in der Schweiz. Freiburg; Schweiz, 1999.
2. Kirchenkrise: Desakralisierung sakraler Räume
der Kirchenmitgliedschaft überhaupt), sowie drittens durch den genannten Bedeutungsverlust religiöser Sinndeutungssysteme für den Einzelnen und die Kultur der Gesellschaft.«54 Des Weiteren wird in beschriebener Eingangsszene (siehe Kap. 1) deutlich, dass Nick den Eskapismus aus einem erdrückenden und widersprüchlichen System, »in dem sich insbesondere die Heranwachsenden mit widersprüchlichen Signalen einer Dominanzkultur auseinandersetzen müssen,«55 pointiert. Er besucht die Kirche, jedoch nicht mit der Intention, mit der die Kirche unter normalen Bedingungen aufgesucht zu werden pflegt, sondern um dort einem exzessiven Drogenkonsum nachzugehen. So dürfte es wenig verwundern, dass Nick als einer der Protagonisten der Serie Fear The Walking Dead angesichts dieses Nexus als gescheiterte Existenz im Drogenrausch charakterisiert wird (siehe das zu Beginn dargestellte Gespräch zwischen Nick und Travis Kap. 1), womit er sinnbildlich das junge Ensemble an Personen repräsentiert, die im Lichte einer idealisiertpolitischen américanité scheitern. Diese Drogeneinnahme, als zusätzliches Sinnbild der »Sinnstiftungen ohne Sinnsystem«,56 steht freilich diametral dem Sinn der Kirche gegenüber: »Die Chancen zu solchen [Sinnstiftungen ohne Sinnsystem] sind heute größer denn je und machen das vielfältige Angebot an diesseitsbezogenem Lebensgenuss nicht nur zum horizontalen Konkurrenten (um das Zeitbudget), sondern auch zum vertikalen Konkurrenten der Kirchen im Kampf um die Herzen und Seelen der Menschen.«57 Aus diesen Darstellungen ergeben sich sowohl kodierte Tendenzen von Religionsund Kirchenkritik, als auch polyvalente Signale hinsichtlich aktueller Säkularisierungund Profanisierungs-Mechanismen. Bevor auf Basis dessen eine theologische Lesart des Zombies im semiotischen Kontext erfolgt, sollen vorangegangene interdisziplinäre Interpretationen vorgestellt werden. In diesem Zusammenhang wird die Relevanz bezüglich der theologischen Beschäftigung mit dem Zombie dargelegt und eine passende Definition der Allegorie in Verbindung mit den Untoten entwickelt.
54
55 56 57
Kehrer, Günter: Die Kirchen im Kontext der Säkularisierung. In: Baadte, Günter; Rauscher, Anton (Hg.): Neue Religiosität und säkulare Kultur. (Kirche heute 2). Graz; Wien; Köln, 1988. S. 9-24. Hier S. 10. Vgl. Kappeier, Manfred von; et.al.: Jugendliche und Drogen. Ergebnisse einer Längsschnittuntersuchung in Ost-Berlin nach der Maueröffnung. Opladen, 1999. S. 145-146. Döbert, Rainer: Sinnstiftung ohne Sinnsystem? In: Fischer, Wolfram; Marhold, Wolfgang (Hg.): Religionssoziologie als Wissenssoziologie. Stuttgart; Berlin; Köln; Mainz. 1978. S. 52-72. Ebertz: 1999, S. 26.
39
40
Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
2.4
Der Zombie als Allegorie
Der Zombie »ist ein Monster und ein Monster ist ein Kulturprodukt«,58 so eine kulturhistorische Argumentation, die an späterer Stelle wieder aufgegriffen wird (siehe Kap. 4.7). Er ist also eine in der filmischen Reflexionsfläche des Horrors angesiedelte und agierende Resonanz der Kultur, zu der die christliche Religion gehört. Deshalb bietet besonders die theologische Reflexion und Analyse von Horrorerzählungen als filmische Reflexionsfläche die Möglichkeit, religiöse Empfindsamkeiten zu erschließen, die aus der Kultur ausgeschlossen wurden.59 Im Sinne der Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils stößt eine Theologie, die sich mit dem Film beschäftigt, auf eine hochkomplexe Zeitdiagnose, auf »Zeichen der Zeit«,60 zeitgenössische Sehnsüchte, Ängste und Sorgen (LG 1, auch GS 1).61 Dies ist vor dem Hintergrund zu verstehen, »dass Film, Fernsehen und Video nicht nur dadurch gekennzeichnet sind, dass sie mediale Wahrnehmungsräume erzeugen, sondern auch dadurch, dass sie als Zeichenprozesse zu verstehen sind.«62 »Der Zombie ist nicht nur eine Figur der Multitude, sondern selbst ein multiples Wesen – ein Topos, in den viel hineininterpretiert wird«,63 wie Rath herausstellte. Resultierend daraus erfolgte in der Forschung eine interdisziplinäre Formation ausgiebiger und facettenreicher ›Zombie Studies‹: »The scholary press McFarland publishes a series titled »Contributions to Zombie Studies«; scholars across the United States, United Kingdom, and elsewhere write, publish, and deliver research on the Zombie Apokalypse; and universities, including the University of California, Irvine, and the University of Baltimore, offer courses on zombies.«64 58 59 60
61
62 63 64
Vgl. Meier, Jan Niklas: All Flesh Must Be Eaten. Zombies gestern, Zombies heute. In: Ders.: Monster Essays. Hannover, 2017a. S. 59-72. Hier S. 70. Vgl. Cowan: 2008, S. 14. Anm.: Burkart beschreibt ein Zeichen folgendermaßen: »Ein Zeichen ist eine materielle Erscheinung, der eine Bedeutung zugeordnet (worden) ist.« In: Burkart, Roland: Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. 2.Aufl. Wien; Köln; Weimar. 1995, S. 38. Valentin, Joachim: Zwischen Fiktionalität und Kritik. Die Aktualität apokalyptischer Motive als Herausforderung theologischer Hermeneutik. Freiburg, 2005. S. 305. Vgl. LG1. In: Denzinger, Heinrich; Hünermann, Peter: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. 38. Aufl. – Freiburg i.Br.; Basel; Rom; Wien, 1999. S. 1173. Vgl. Ebd. S. 1269. Für Denzinger/Hünermann wird im Folgenden sie Sigle DH verwendet. Siehe ebenso: Rahner, Karl; Vorgrimler, Herbert: Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums. Freiburg i.Br.; Basel; Wien. 21. Auflage. 1989. LG 1 S. 123 und GS 1 S. 449. Hickethier: 2001, S. 117. Rath, Gudrun: Zomi/e/s. Zur Einleitung. In: Harrasser, Karin; Timm, Elisabeth (Hg.): Zombies. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr.1, 2014. S. 12. Garrett, Greg: Living with the Living Dead. The Wisdom of the Zombie Apokalypse. New York, 2017. S. 23.
2. Kirchenkrise: Desakralisierung sakraler Räume
So wurde in den bisherigen Veröffentlichungen verschiedener Diskurse der Zombie interdisziplinär vielfach als sozialdynamisches sowie polysemisches Produkt dechiffriert: a) George A. Romeros Zombie-Trilogie Meist findet die Interpretation des Zombies anhand von Georges A. Romeros Zombie-Trilogie65 statt. Anhand von Romeros »Night of the Living Dead« wurde ihm eine kriegsallegorische Funktion für »die innere Spaltung einer Gesellschaft während des traumatischen Vietnamkrieges«66 angehaftet. Ebenso fungiert er durch »Dawn of the Dead« als Allegorie der Kapitalismuskritik,67 kapitalistische Repressionsdynamiken in der Konsumgesellschaft68 und der entfesselten (Geld)-Gier.69 b) Wirtschaft, Politik und biologische Gefahren Neben einer allegorischen Funktion für die Wirtschaft70 und die Eurokrise71 kann der Zombie auch als Allegorie für Biopolitik, Bioterrorismus72 oder der Furcht vor Aids73 stehen.
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Anm.: Night of the Living Dead (USA 1968), Dawn of the Dead (USA 1977) und Day of the Dead (USA 1985). R.: George A. Romero. Vgl. Lange, Carsten: Bioterror und Virusangst. Zur Bebilderung neuester Bedrohungspotentiale im Videospiel Resident Evil 5 (2009). In: Bebber, Jörg van (Hg.): Dawn of an Evil Millennium. Darmstadt, 2011. S. 577-582. Hier S. 577. Explizit beschäftigt sich Drogla mit dem Zombie als Zeichen des Vietnamkrieges. In: Drogla, Paul: Des Krieges neue Kinder: Überlegungen zur Ikonographie des Zombiearchetypes im Kontext des Vietnamkrieges. In: Rzeszotnik, Jacek; Schmeink, Lars et.al. (Hg.): Zeitschrift für Fantastikforschung Oktober 2015. S. 23-49. Seeßlen, Georg: Die etwas andere Auferstehung. In: neues deutschland. Sozialistische Tageszeitung vom 30.03.2013. Online-Ausgabe. Ebenso: Ehrmann, Jeanette: Working Dead. Walking Debt. Der Zombie als Metapher der Kapitalismuskritik. In: Harrasser, Karin/Timm, Elisabeth (Hg.): Zombies. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr.1, 2014. S. 21-34. Meier, Jan Niklas: Zombie. Einführung. Essen, 2017b. S. 41-47. Ebenso ders.: All Flesh must be eaten. Zombies gestern, Zombies heute. In: Ders. (Hg.): Monster – Essays. Hannover, 2017a. S. 59-72. Fürst, Michael/Krautkrämer, Florian, Wiemer, Serjoscha (Hg.): Untot – Zombie Film Theorie. München, 2011. S. 9. Cederström, Carl; Fleming, Peter: Dead Man Working. Die schöne neue Welt der toten Arbeiter. Berlin 2013. Ehrmann, Jeanette: Working Dead. Walking Debt. Der Zombie als Metapher der Kapitalismuskritik. In: Zeitschrift für Kulturwissenschaft 15, 2014. S. 21-34. Lange: 2011, S. 577. Nohr, Rolf F.: Virale Zombifizierung. »Who’s to say we’re not all zombies? In: Fürst, Michael; Krautkrämer, Florian; Wiemer, Serjoscha (Hg.): Untot – Zombie Film Theorie. München, 2011. S. 259-274.
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c) Haiti und Kolonialismus Ebenso steht er für die haitianische Sklavenarbeit als Reminiszenz alter Kolonialfantasien74 und funktioniert als Verkörperung der Ängste der (post-)kolonialen haitianischen Gesellschaft und deren Kanalisierung (siehe Kap. 3.8.3).75 d) Theologie Theologisch dechiffriert wurde der Zombie von Tan bereits als »parody of the ›excess of life‹ that is found in Christ«76 sowie als postmoderne Version des Todestriebs »whereby finite flesh is made to bear the full force of the infinite, and subsequently turns from a thing of adulation to a thing of fear or reduced to a mere plaything.«77 Morehead kristallisierte den Zombie als »postmodern concerns about death or the resurrection of Jesus«78 anhand von Zombie Walks heraus. Paffenroth stellte charakteristische und piktorale Affinitäten zu den Höllenwesen in Dante Alighieris Göttlicher Komödie79 her und sieht in den Zombies Verkörperungen der sieben Todsünden.80 e) Verschiedenes Der Zombie diente auch als Allegorie für Exzess, Ausgrenzung81 und Obdachlosigkeit.82 Grilli stellt ihn genrespezifisch als Ideal einer homosexuellen Identität oder einer humorvoll gemeinten homophoben Beschimpfung heraus.83 Weiterhin
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Lange: 2011, S. 577. Vgl. Kleinschnittger: 2015, S. 53. Tan, Matthew John Paul: The Way of the Cross with Zombie Jesus. Eugene, 2016. S. 49 Ebd. S. 45. Morehead: 2012, S. 119. Alighieri, Dante: Die göttliche Komödie (La Divina Commedia). Entst. ca. 1307-1321; Erstdruck Foligno 1472. Übers. v. Karl Witte. Berlin, 1916. Vgl. Paffenroth, Kim: Gospel of the Living Dead. George Romero’s Visions of Hell on Earth. Waco, Texas, 2006. S. 22-23. Zechner, Anke: Willenloses ewiges Leben. Der Zombie als Figur des Exzess und der Ausgrenzung. In: Fürst, Michael; Krautkrämer Florian; Wiemer, Serjoscha (Hg.): Untot – Zombie Film Theorie. München, 2011. S. 195-210. Littlewood, Roland; Douyon, Chavannes: Clinical findings in three cases of zombification. In: The Lancet 350 (1997). S. 1094-1096. Grilli, Alessandro: Ein Ungeheuer zum Quadrat. Queer-Betrachtungen über den Film Gay Zombie von Michael Simon. In: Fürst, Michael; Krautkrämer, Florian; Wiemer, Serjoscha (Hg.): Untot – Zombie Film Theorie. München, 2011. S. 121-134. Hier S. 121.
2. Kirchenkrise: Desakralisierung sakraler Räume
ist er eine Metapher für die permanenten Smartphone-Nutzung84 sowie »für den ewigen Kreislauf des Lebens und dessen wiederkehrende Strukturen – über den Tod hinaus.«85 Nicht zuletzt ist er auch eine phantastische Reminiszenz im Rückgriff auf Volks- und Aberglaube alter Wiedergängermythen und -konfrontationen. Von Bedeutung ist hier, im Sinne Russels, dass der Zombie auch als eine apokalyptische Metapher gelesen werden kann: »Growing out of a wide range of cultural anxieties – from American imperialism to domestic racial tensions, Depression-era fears about unemployment, Cold War paranoia about brainwashing, post-1960s political disenfranchisement and AIDSera body horror – the zombie has become, as we will see, a potent symbol of the apocalypse. It’s a monster whose appearance always threatens to challenge mankind’s faith in the order of the universe. […] Trampling over our cherished certainties, the zombie is, above all else, a symbol of our ordered universe turned upside down as death becomes life and life becomes death.«86 Im Hinblick auf eine theologische Reflexion weist Meier mit Armando de Ossorios Muertos sin ojos-Reihe sowie auf den 2007 erschienenen Zombie-Found-FootageHorrorfilm REC87 und dem 2009 erschienen Folgefilm REC 288 darauf hin, dass die spanischen Genrevertreter zudem häufig eine anti-katholische Prägung aufweisen, »die aus dem Widerstand gegen das Franco-Regime erwachsen ist. Hier hatte die katholische Kirche eine zentrale Rolle als Stützpfeiler der Macht des Diktators inne, indem sie unter anderem, im Gegenzug für weitreichenden gesellschaftspolitischen Einfluss, die Herrschaft des Regimes legitimierte.«89 Wenn der Zombie im Bereich des Horrors aus theologischer Perspektive allegorisch betrachtet werden soll, wird schnell ersichtlich, dass er eine facettenreiche Lunte entzündet, die es theologisch zu reflektieren gilt. »Es geht um den Kampf
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Anm.: Der Langenscheidt-Verlag hat 2015 das Kofferwort »Smombie« zum Jugendwort des Jahres gekürt. Es ist aus den Wörtern Smartphone und Zombie zusammengesetzt und beschreibt jemanden, der von seiner Umwelt nichts mehr mitbekommt, weil er nur noch auf sein Smartphone starrt. Stiglegger, Marcus: The Dead will walk the Earth….Zur ewigen Wiederkehr der Zombies. URL: https://www.getidan.de/kritik/!lm/marcus-stiglegger/18662/the-dead-will-walktheearth. Aufgerufen am 10.02.2019. Russel, Jamie: Book of the Dead. The Complete History of Zombie Cinema. Surrey, 2008. S. 8. REC. R.: Jaume Balagueró; Paco Plaza. Spanien, 2007. Ein Jahr nach der Veröffentlichung des spanischen Originals wurde die Geschichte für das US-amerikanische Kino unter dem Titel »Quarantäne« adaptiert. Siehe: Quarantäne. R.: John Erick Dowdle. USA, 2008. REC2: R.: Jaume Balagueró; Paco Plaza. Spanien, 2009. Meier, Jan Niklas: Zombie. Einführung. Essen, 2017. S. 42-43.
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oder den Verlust der eigenen Seele, der leiblichen Gesundheit, dem weltlichem Gut sowie der Angst vor totaler Unterwerfung unter fremden Willen.«90 Die Protagonisten der zombispezifischen Narration müssen den tabuisierten Tod als irreversibles Geschehen akzeptieren. Weiterhin sind diese zu einem pessimistischen Leben im Martyrium in einer vermeintlich nihilistischen Welt ohne Hoffnung und ausweglosen Situationen determiniert:91 »The characters that inhabit the bleak world of AMCs The Walking Dead are confronted with a variety of ethical and theological questions concerning the nature of life and death, the meaning of hope, the intersection of faith and doubt, and one’s rights and responsibilities in relation to the other (living or dead otherwise). Subject to an incessant barrage of evidence against divine immanence and benevolence, those who struggle to live under the tyranny of the dead are stricken with a sense of spiritual abandonment so profound as to threaten their very humanity.«92 Ergo ist ersichtlich, dass dieser Topos mit suggestivem Potential durchzogen ist,93 welches auch eine erhebliche Relevanz für die Theologie hat. Russell verweist darauf, dass von Kritikern wiederholt ein Zusammenhang zwischen dem Katholizismus und der Obsession italienischer Filmemacher mit dem Körper und dem Leiblichen hergestellt wird.94 Doch der Zombie muss in seinen diversen filmischen Inkarnation nicht per se religiöse Fragestellungen eröffnen. So finden sich nach Cowan beispielsweise in den Filmen »Night of The Living Dead«,95 »Re-Animator«,96 »Beyond Re-Animator«97 oder den »Resident-Evil-Filmen«98 keinerlei religiöse Af-
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Hahn, Ronald; Janse, Volker: Lexikon des Horrorfilms. Bergisch Gladbach, 1989. S. 496. Vgl. Hercenberger, Daniel: Vermaledeite Inkarnationen. Der Topos Zombie von der karibischen Unikalität im prä-kinematischen Zeitalter bis zum medialen Phänomen der globalen Popkultur. In: Bode, Philipp (Hg.): Kreaturen der Phantastik. Entwicklungslinien figuraler Motive vom Werwolf bis zum Zombie. Hannover, 2016. S. 214-258. Hier S. 242. Paffenroth, Kim; Morehead, John W.: Introduction. In: Dies.: 2012, S. 12. Vgl. Backe, Hans-Joachim; Aarseth, Espen: Ludic Zombies. An Examination of Zombieism in Games. Kopenhagen, 2014. S. 4. Online-Essay. URL: https://www.digra.org/digital-library/publ ications/ludic-zombies-an-examination-of-zombieism-in-games/. Aufgerufen am 27.05.2018. Vgl. Russel: 2008. S. 130f. The Night of the Living Dead. R.: George A. Romero, USA 1968. Re-Animator. R.: Stuart Gordon. USA, 1985. Beyond Re-Animator. R.: Brian Yuzna. USA, Spanien 2003. Siehe: Resident Evil. R.: Paul W. S. Anderson. Deutschland, Großbritannien, Frankreich, 2002.; Resident Evil: Apocalypse. R.: Alexander Witt, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, USA 2004.; Resident Evil: Extinction. R.: Russell Mulcahy, Deutschland, Frankreich, USA 2007.; Resident Evil: Afterlife. R.: Paul W. S. Anderson. Deutschland, Frankreich, USA 2010.; Resident Evil: Retribution, R.: Paul W. S. Anderson. Deutschland, Großbritannien, Frankreich 2012.; Resident Evil: The Final Chapter. R.: Paul W. S. Anderson. USA 2016.
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finitäten wieder.99 In anderen Zombiefilmen wiederum, wie »White Zombie«100 oder »Nächte des Grauens«,101 sind die Ängste vor dem Tod selbst, der Möglichkeit, nicht tot zu bleiben oder auf qualvolle Weise zu sterben direkt mit religiösen Verständnissen verquickt.102 Im Rekurs auf Walter Benjamins Ästhetik der Allegorie, besonders im Hinblick auf Horror- und Zombiefilme, werden die Allegorien in Denkbildern anvisiert, die immer wieder auch Todesbilder und Horror-Imaginationen (hier repräsentiert durch den Zombie) darstellen und von ihm treffend als »gory allegory«103 kategorisiert werden. Shaviro hat den Zombie anhand von Georges A. Romero’s Filmtrilogie und ebenso mit Verweis auf Walter Benjamin als inhärente Allegorie mit dem Merkmal einer aktiven subversiven Transformation gedeutet: »[…] in the sense that allegory always implies the loss or death of its object. An allegory is not a representation, but an overt materialization of the unbridgeable distance that representation seeks to cover over and efface. […]. The ›living dead‹ emerge out of the deathly distance of allegory; their fictive presence allows Romero to anatomize and criticize American society, not by portraying it naturalistically, but by evacuating and eviscerating it. Allegory is then not just a mode of depiction, but an active means of subversive transformation.«104 Vor diesem von Shaviro genannten Postulat rekurrieren die Zombies allein durch ihre bloße Existenz auf etwas anderes als das Gezeigte. »Gleich einem Buchstaben deutet er stets auf etwas anderes hin als sich selbst«,105 formulierte der Kulturhistoriker Meier. Der Filmwissenschaftler Stiglegger konkretisiert, dass der Zombie eine Metapher für den Zustand unserer westlichen Gesellschaft ist.106 Der katholische Filmtheoretiker Tilmans plädiert in diesem Sinne für die theologische Wiederentdeckung narrativ-fiktionaler und symbolischer Elemente, zu denen der Zombie als Benjamins ›gory allegory‹ zählt.107 Freilich entbehrt dieses
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Anm.: Wobei durch seine bloße (filmische) Präsenz theologische Fragen indirekt angestoßen werden können. White Zombie. R.:Victor Halperin. USA, 1932. Nächte des Grauens. R.: John Gilling. Großbritannien, 1966. Vgl. Cowan: 2008. S. 45. Benjamin, Walter: Ursprung des deutschen Trauerspiels, Frankfurt a.M. 1972, S. 183. Shaviro, Steven: The Cinematic Body. Minneapolis, 1993. S. 86. Meier: Zombie 2017, S. 21. Vgl. Müller, Andreas: Zombies einmal anders: Interview mit Dr. Marcus Stiglegger. URL: http s://www.polygamia.de/zombies-interview-dr-marcus-stiglegger. Aufgerufen am 01.07.2019. Vgl. Tilmans, Frits: Bild und Interpretation – Die theologische Deutung audiovisueller Texte. In: Kuhn, M.; Hahn J.G.; Hoekstra, H. (Hg.): Hinter den Augen ein eigenes Bild. Film und Spiritualität. Einsiedeln, 1991. S. 61-89.
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fiktionale Szenario jegliche empirische oder logische Vorstellungen. Dennoch birgt das Monströse für die Theologie enormes Potential, allein schon deshalb, weil in der Forschung eine innige Beziehung zwischen der christlichen Religion und dem Monströsen im Hinblick auf die jüdisch-christliche Tradition als einflussreichsten Faktor in der westlichen Welt herausgestellt wurde.108 Auf der anderen Seite ist dieses Thema jedoch pikant, da christlich-konservative Gruppierungen die Tendenzen aufweisen, ihre religiöse Tradition reinhalten zu wollen, indem sie eine Linie zwischen ihrem Verständnis des Göttlichen und dem durch Monster symbolisierten Dunklen ziehen, worauf Paffenroth in der Einleitung von The Undead and Theology hinweist.109 Frenschkowski schildert dazu, dass die Forschung der Religion und dem Phantastischen lange aufgrund dreier Unterstellungen (Exzessivität, Trivialität und Eskapismus) als verpönt galt. Diese Klischees wurden jedoch mittlerweile (wenn auch nur partiell) durch die Literaturwissenschaft entlarvt.110 Das populäre The Walking Dead-Universum soll hier deshalb erstens als eine fiktionale, für die Theologie jedoch ausgesprochen ertragreiche Fundstelle und im Sinne des Quality Televisions avantgardistisches111 Gedankenspiel mit einer Parabelfunktion, zweitens als schillernd virtuoses Varieté eines nihilistischen Kosmos mit einem umfangreichen Fundus theologischer Anknüpfungspunkte und drittens als theologische Meditation einer säkularen westlichen Gesellschaft in der Kategorie des filmischen Horrors mit essentiellen Bezügen zur aktuellen Wirklichkeit verstanden werden. Kleiner artikuliert, dass Zombiefilme radikal filmische Gesellschaftsanalysen zulassen und damit theologisch relevante Themen ansprechen, unter anderem im Spannungsfeld von Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Grenzen und Grenzüberschreitungen, Freiheit und Determination, Normalität und Abnormalität, das Menschliche und das Monströse, Gesellschaft und Gemeinschaft, Realität und Utopie.112 Herrmann plädiert dafür, das populäre Kino in den theologischen Diskurs aufzunehmen, weil es »auch die Religion einer Gesellschaft widerspiegelt und produziert«.113 Auch Hausmanninger betont in seinem Artikel über Filmanalyse und Religion, dass es die Funktion des Filmes ist mittels
108 109 110 111 112
113
Vgl. Paffenroth: 2012, S. 9. Ebenso: Beal, 2002. Vgl. Paffenroth. 2012, S. 9. Vgl. Frenschkowski: 2013, S. 554. Anm.: Im Sinne einer Abkehr von plumpen Gore- und Splatter-Orgien, hin auf eine auf den Menschen gerichtete Handlung. Vgl. Kleiner, Marcus S.: Apocalypse (Not) Now? Performative Bildungsprozesse in Populären Medienkulturen – am Beispiel der US-amerikanischen Fernseh-Serie ›The Walking Dead‹. In: Kleiner, Marcus S.; Wilke, Thomas (Hg.): Performativität und Medialität Populärer Kulturen. Theorien, Ästhetiken, Praktiken. Wiesbaden, 2013. S. 225-253. Hier S. 235. Herrmann, Jörg: Sinnmaschine Kino. Sinndeutung und Religion im populären Film. Gütersloh. 2001.
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erzählerischen Strukturen als Spiegel kultureller, gesellschaftlicher oder zeitspezifischer Konstellationen zu fungieren und sich die Theologie in werkbezogenen Analysen auch der Verarbeitung existentieller Themen, der Darstellung der Kirche und des religiösen Personals etc. widmen kann und soll.114 Bezogen auf den cultural turn in den Sozial- und Kulturwissenschaften, dessen Ursprünge in den späten 1970ern und Anfang der 1980er Jahre liegen, ist gemäß Herrmanns Ausführungen der konzeptionelle Kern die Entdeckung der handlungskonstitutiven Bedeutung kultureller Sinnmuster oder symbolischer Ordnungen. Die zentrale Stellung des Kulturbegriffs sowie das Interesse an der Analyse konkreter Praxis findet sich auch in der praktischen Theologie.115 Gräb versteht die praktische Theologie dezidiert als »Hermeneutik der gelebten Religion« und ihrer »kultureller Ausdrucksgestalt«,116 sowie als »kulturhermeneutisch verfahrende Religionstheologie«.117 In Kapitel 4.7 wird der Zombie als von der Kultur hervorgebrachtes fiktionales Monster im Sinne Cohens beleuchtet, weshalb in dieser Arbeit Gräbs semiotischer Kulturbegriff in Anlehnung an Geertz, Cassirer, Weber und Langer herangezogen wird: »Kultur ist die von Menschen geschaffene, sinnbestimmt gestaltete und in ihren Sinnbestimmungen bzw. Symbolen erschlossene und bezeichnete Welt.«118 Weiter definiert Gräb Religion in diesem Zusammenhang »als die Kultur der Symbolisierung letztinstanzlicher Sinnhorizonte alltagsweltlicher Lebensorientierung.«119 Im Rekurs auf Cassirers Charakterisierung des Menschen als animal symbolicum120 referiert Herrmann weiter, dass der Mensch durch die Symbolisierung ein Geflecht von Bedeutungsstrukturen schafft, das seine Welt in einer von ihm selbst gestalteten Weise repräsentiert.121 Wenn der Zombie nun als eine von der westlichen Kultur hervorgebrachte Bedeutungsstruktur theologisch dechiffriert wird, verbergen sich dahinter pessimistisch-ideologische 114
Vgl. Hausmanninger, Thomas: Filmanalyse und Religion. Einige grundsätzliche Überlegungen zur Erarbeitung religiöser Bezüge im Spielfilm. In: Bohrmann, Thomas et.al. (Hg.): Handbuch Theologie und populärer Film Bd.3. Paderborn, 2012. S. 13-30. Hier S. 13. 115 Vgl. Herrmann, Jörg: Animal Symbolicum, Religion, Kultur, Sinnmaschine. Vorläufige Thesen zum Erkenntniswert theologischer Kulturhermeneutik. In: Tà katoptrizómena. Mertin, Andreas; Herrmann, Jörg; Schwebel, Horst (Hg.): Heft 86. Jahrgang 15. 2013. URL: https://ww w.theomag.de/86/jh28.htm. Aufgerufen am 10.02.2019. 116 Gräb, Wilhelm: Lebensgeschichten, Lebensentwürfe, Sinndeutungen. Eine praktische Theologie gelebter Religion. Gütersloh 1998. S. 44. 117 Gräb, Wilhelm: Sinn fürs Unendliche. Religion in der Mediengesellschaft. Gütersloh, 2002. S. 53. 118 Ebd. S. 57. 119 Gräb, Wilhem: Religion in der Alltagskultur. In: Heller, Barbara (Hg.): Kulturtheologie heute? Hofgeismarer Protokolle 311. Hofgeismar, 1997. S. 97-108. Hier S. 100. 120 Cassirer, Ernst: Versuch über den Menschen. Einführung in die Philosophie der Kultur. Hamburg, 1996. S. 51. 121 Vgl. Herrmann, Jörg: Animal Symbolicum 2013. URL: https://www.theomag.de/86/jh28.htm.
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Weltentwürfe. Begründbar ist damit das Eindringen des Zombies in den kirchlichen Sakralraum als gesellschaftliche Codierung einer säkularen Position gegenüber der Kirche. Eine Kulturtheologie, die auch die impliziten Phänomene der Religion hermeneutisch zu erschließen versucht, ist also notwendig, um die Gegenwart zu verstehen, da in der cineastischen Sphäre Kinobilder Ausdruck von Gegenwartserfahrung sind, die Realitäten und Probleme, Träume, Alpträume und nicht zuletzt die gelebte Religion der Gesellschaft spiegeln.122 Im Zuge der Konstitution der Gesellschaft wird der Zombie in Form der ›gory allegory‹123 zweckorientiert instrumentalisiert oder – im englischen Sprachgebrauch radikaler ausgedrückt – als schadenbringendes Instrument weaponised, um das althergebrachte Kirchenbild im Rahmen der Serien im Zuge des säkularen Zeitgeistes zu desakralisieren. Dabei ist essentiell, dass »der Horrorfilm auf symbolischer Ebene eine intensive und affizierende Auseinandersetzung mit Körper, Tod und Vergänglichkeit bietet«124 und den Zuschauer veranlasst, sich im Sinne der rezeptiven Reflexivität die im Horrorgenre angesprochenen existentialistischen Fragen wie Leben versus Tod und Gut versus Böse mit sich selbst auseinanderzusetzen.125 Der Zombie ist ein epigonales Objekt, dessen Ursprünge in (West)Afrika liegen, dann durch den spanischen Kolonialismus in das heutige Haiti (und anderen Karibikinseln) gebracht und dort im Voodoo-Kult verankert wurde, worauf im Folgenden dezidiert im Rahmen eines kulturgeschichtlichen Exkurses eingegangen wird.
122 Vgl. Ebd. 123 Vgl. Benjamin: 1972, S. 183. 124 Vgl. Stiglegger: Die Bedeutung des Horrorfilms für Jugendliche. Siehe: Mediamanual. Nr. 15. Texte 2011. S. 9. In: https://www.mediamanual.at/mediamanual/mm2/themen/vermittlung/m mt11_15_horrorfilm_print.pdf. Aufgerufen am 07.05.2018. 125 Vgl. Vossen, Ursula (Hg.): Filmgenres. Horrorfilm. Stuttgart, 2004. S. 9.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat Vermutlich ist der Glaube an Wiedergänger so alt wie die Menschheit selbst. Traumerlebnisse, unerklärliche medizinische Phänomene, Scheintod und die Furcht vor der Rache eines Toten, der nicht mehr am eigentlichen Leben Anteil hat, mögen nur einige der ursachengebenden Faktoren sein und haben zu der ambivalenten Einstellung des Menschen zu seinen Toten beigetragen.1
Aus Lörzers oben genannter Aufzählung möglicher Ursachen für die Entstehung des Wiedergängers werden pluralistische Tendenzen und Erklärungsansätze ersichtlich. Auf Basis derer soll der Untote hier als Produkt im Kontext der Kulturgeschichte des Todes verortet werden. Erst dann kann der Topos vor der Säkularisierung im Sinne einer Veräußerung der aktuellen Todeswahrnehmung verstanden werden. Deshalb wird der Zombie-Topos als ein Konglomerat aus arbiträr kulturpluralistischen Strömungen verstanden, denen die Ambivalenz zwischen Leben und Tod, belebt und unbelebt sowie Geist und Physis gemein ist. Dabei werden die Störung der Totenruhe sowie der Friedhof als auratisches Territorium, die Veräußerung menschlicher Urängste und des Unheimlichen im psychoanalytischen Kontext thematisiert. Da Urängste kulturgeschichtliche Universalien sind, hier die Totenfurcht und »Angst vor der Wiederkehr der Toten als eine menschheitsgeschichtliche Universalie«,2 manifestieren sich diese in verschiedensten Kulturen, weshalb das Motiv des Wiedergängers kulturübergreifend gefunden werden kann.
1
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Lörzer, Pauline: Vom Kauen und Schmatzen der Toten in Gräbern. In: Wienker-Piepho, Sabine; Lörzer, Pauline (Hg.): Märchenspiegel. Zeitschrift für internationale Märchenforschung und Märchenpflege. 4/2017. S. 35-43. Hier S. 35. Vgl. Stiglegger, Marcus: The Dead will walk the Earth…Zur ewigen Wiederkehr der Zombies. URL: https://www.getidan.de/kritik/!lm/marcus-stiglegger/18662/the-dead-will-walktheearth.
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Zum einen versammeln sich die verschiedenen Strömungen unter einem europäisch zentrierten, zum anderen unter einem haitianisch bzw. westafrikanischen Dach. Dabei ist die allgemeine Position in der Literatur, dass Zombies als eine der wenigen cineastischen Horrorkreaturen bzw. kanonisierten Filmmonster gelten, »die keiner literarischen Tradition entnommen sind, sondern aus dem sogenannten ›Volksglauben‹ direkt den Sprung in das Medium Film geschafft haben.«3 Das folgende Kapitel soll keine vertiefenden Provenienzen thematisieren, weshalb sich an gegebenen Stellen in den Fußnoten Vermerkte zu geeigneter Forschungsliteratur finden. Vielmehr soll schlaglichtartig auf den Zombie als hybriden Todes-Topos verwiesen werden, der die europäisch-mittelalterliche und voraufklärerisch christlich-abendländische Wiedergängervorstellung im Volks- und Aberglauben, einhergehend mit der Kulturgeschichte des Todes und ihrer Verarbeitung in Literatur und Kunst (Totentänze) vereint. Auch die europäische Einordnung und Veränderung des Friedhofs als lokale Konstante und die hiesige Sepulkralkultur mit den davon unabhängigen afrikanischen Vodun bzw. dem haitianischen Vodou und der damit verbundenen Totenkult-Exotik Westafrikas und Haitis hatten erheblichen Einfluss bis zur filmischen Finalisierung.4 Durch die Filmmaschinerie Amerikas und George A. Romero wurde der Zombie-Topos 1964 modifiziert und in Folge von Robert Kirkman’s The Walking Dead und dessen Serien-Umsetzung in der Popkultur fundamentiert. Demnach lassen sich für eine taxonomische Verortung drei Hauptströmungen charakterisieren: a) Europäische Verankerungen: 1. Der Glaube an Wiedergänger und die Angst vor der Wiederkehr der Toten (manifestiert die Urangst, keinen Frieden im Tod zu finden). 2. Die Nekromantie 3. Das Purgatorium: Infernale Jenseitstopographie des Christentums 4. Der Wiedergänger im Kontext der Sepulkralkultur 5. Die Taphephobie (Angst lebendig begraben zu werden) 3
4
Schrackmann, Petra: The Talking Dead: Revisionen des Zombies in den britischen TV-Serien The Fades (2011) und In The Flesh (2013). In: Dellwing, Michael; Harbusch, Martin (Hg.): Vergemeinschaftung in Zeiten der Zombie-Apokalypse. Gesellschaftskonstruktionen am fantastischen Anderen. Wiesbaden, 2015. S. 215-238. Hier S. 218. Anm.: Eine gewisse linguistische Sensibilität bezüglich der Etymologie und Verwendung des multilateralen Terminus der in Afrika und Haiti praktizierten Religion ist erforderlich: Entsprechend sollte zwischen dem haitianischen Vodou, dem afrikanischen Vodun und dem im US-amerikanischen Raum von New Orleans verankerten Hoodoo differenziert werden. Voodoo wiederum umfasst eine negativ gemeinte und Vorurteils behaftete Denunzierung nicht zur Religion gehörender Dritter der in Afrika und Haiti praktizierten religiösen Traditionen. Vgl.: Kleinschnittger: 2015, S. 23-24.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
6. Das Nachzehrer-Motiv 7. Das Memento mori-Motiv, Vanitas und Totentänze 8. Die Vis Vegans-Vorstellung5 b) Haitianische bzw. westafrikanische Verankerungen: 9. Der Zombi als Teil des vodouistischen Glaubenssystems 10. Schwerpunkt Westafrika 11. Schwerpunkt Haiti 12. Der Zombie als sozialmythische Chiffre 6 c) Modifikation der amerikanischen Filmindustrie: 13. Der Zombie wird durch George A. Romero reformuliert und in der Popkultur unter anderem von Robert Kirkman verankert (manifestiert auf vielfache Weise gesellschaftliche Ängste. Siehe Kap. 2.4). Erst durch die dritte Strömung, der relativ jungen Implementierung in das Horrorgenre und die damit verbundenen Modifikationen durch George A. Romero und die amerikanische Unterhaltungsindustrie, wurden die einzelnen Punkte dieses interkulturellen und multilateralen Geflechts für ein globales Massenpublikum im Zuge der Entwicklung des romeroschen Zombies homogenisiert und zu einem singulären, aber universell schlüssigen, popkulturellen Monster stilisiert. Dieses nimmt in der Popkultur eine hegemoniale Stellung ein und kann als polysemisches Zeichen von verschiedenen Disziplinen vielfach weiter interpretiert werden (siehe Kap. 2.4). So erfolgt durch die Zusammenführung eingangs genannter, nun
5
6
Anm.: Der Begriff vis vegans wurde vom Arzt Christian Friedrich Garmann in seiner medizinischen Abhandlung De miraculis mortuorum von 1670 benutzt. Die Vorstellung, es bleibe Lebenskraft im Leichnam (vis vegetans, vestigium vitae) zurück, findet sich aber unter anderem bereits bei Plinius. Vgl. Ariès, Philippe: Geschichte des Todes. 3. Aufl. München, 1987. S. 453. Urte Krass verbindet diesen Terminus mit der Geschichte des Leichnams der Caterina Vigri von Bologna. »Darüber hinaus wird im Specchio die innere Aktivität sogar noch durch äußere Bewegung – d.h Motorik – erweitert: Der tote Körper bewegt sich wie ein lebender.« Siehe: Krass, Urte: Vom Schönsten Heiligenkörper der Welt zur Herrin der Schlangen. Verlebendigung und Sichtbarmachung des Leichnams der Caterina Vigri von Bologna. In: Macho, Thomas (Hg.): Die neue Sichtbarkeit des Todes. Paderborn, 2011. S. 263-293. Hier S. 273. Hieraus wird ersichtlich, dass die Mehrschichtigkeit des mittelalterlichen Unsterblichkeitsglaubens und die Verbindung von Toten- und Heiligenkult mit medizinischer Realität verknüpft wird. Vgl. Brednich, Rolf W. (Hg.): Enzyklopädie des Märchens. Bd. 8. Berlin; New York, 1990. S. 816. Im Folgenden wird hierfür die Sigle EM verwendet. Zur Vis Vegans-Vorstellung findet hier keine weitere Vertiefung statt. Anm.: Die hier zu erläuternde Systematik wurde Kleinschnittger entnommen. Siehe: Kleinschnittger: 2015, S. 35.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
empirisch herzuleitender Punkte die Destillierung eines Endprodukts, das seine Raffinierung schließlich durch die amerikanische Filmindustrie erfährt.
3.1
Der Glaube an Wiedergänger und die Angst vor der Wiederkehr der Toten Auf der Galerie entstand ein leises Rascheln, aber niemand bemerkte es. Gleich darauf kreischte die Kirchentür. Der Geistliche erhob seine tränenüberströmten Augen aus dem Taschentuch und stand entgeistert da. Ein Augenpaar nach dem anderen folgte dem des Priesters, und plötzlich erhob sich die ganze Gemeinde wie ein Mann und starrte nach der Tür. Von dort kamen jetzt durch den Mittelgang die drei toten Jungen anmarschiert: Tom an der Spitze, Joe hinter ihm, und Huck, eine Ruine aus Lumpen, geduckt in der Nachhut. Sie hatten sich in der unbenutzten Galerie verborgen und ihre eigene Leichenrede mitangehört!7
Nicht nur die Rückkehr als substanzlose, metaphysische Entität, sondern auch die Vorstellung einer körperlichen Rückkehr, ist uralt und in fast allen Kulturen verankert.8 »Im Mittelalter waren Vorstellungen von wiederkehrenden Toten von der kirchlichen Lehre akzeptiert; in Legenden erwecken Heilige Tote, Verdammte erheben sich von der Bahre.«9 So ist der Wiedergänger eine postmortale Existenz des vorchristlichen Volksglaubens, der im Gegensatz zum Totengeist eine physische Hülle besitzt, 7 8
9
Twain, Mark: Tom Sawyer. Leipzig 1876. Neuausgabe als Tom Sawyers Abenteuer. Würzburg 2010. Anm.: Auch außerhalb des Christentums kann der Glaube an die Auferstehung der Toten und die Vorstellung, dass es nach dem Tod eine erneuerte und eventuell bessere Existenz geben könnte, bereits in den frühesten Mythen gefunden werden: »So bei den Ägyptern, Babyloniern, Zarathustra, den Germanen und Griechen und natürlich auch im Judentum, von dem es das Christentum und der Islam übernommen haben. Verwandt mit dem Glauben an die Auferstehung ist der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele und die Vorstellung einer Wiedergeburt […]. Im Alten Testament gibt es mehrfach eine buchstäbliche Auferstehung oder oft auch die Hinwegnahme – Entrückung – durch Gott ohne den Tod, z.B. bei Henoch: [»Und weil er mit Gott wandelte, nahm ihn Gott hinweg, und er ward nicht mehr gesehen.«] (1. Mose 5,24) oder die Himmelfahrt von Elia. Die antiken Mysterienreligionen kennen zahlreiche Rituale, um die Unsterblichkeit oder Auferstehung zu erreichen. Im Christentum ist die Auferstehung Jesu ein zentraler Glaubensbestandteil […]: [»Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.«] (Matthäus 28,2). Auch im Islam gibt es vergleichbare Vorstellungen: Mohammed wird der Legende nach entrückt, er wird von der heiligen Stute Buraq, die mit einem Menschenhaupt versehen ist, bereits zu Lebzeiten ins Paradies geleitet.« In: Schneidewind, Friedhelm: Das Lexikon von Himmel und Hölle. Berlin, 2000. S. 49. EM Bd.8: 1990, S. 816.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
motorische Fähigkeiten aufweist und aufgrund eines atypischen Todes ruhelos umherwandert.10 Wird in der Geschichte ein weiterer Blick zurück geworfen, sind »Wiedergänger auch in anderen Kulturkreisen und Epochen wiederzufinden, was sich etwa im Grabbrauchtum aus dem Neolithikum bis zum europäischen Mittelalter erkennen lässt.«11 Auch die Charakteristika von zehrenden und menschenfeindlichen Kreaturen im Vergleich zum späteren Zombie lassen sich in verschiedenen Kulturen wiederfinden.12 Beispielsweise die aus dem sumerischbabylonischen Volkglauben blutsaugende kinder- und männermordende Sturmbzw. Nachtdämonin Lilith (hebrä. ›die Nächtliche‹), die bereits mit kannibalistischen Zügen ausgestattet war. Ebenso ihr männliches Pendant Lilu, welcher Tod, Krankheit und Pest verursacht und die Frauen im Schlaf angreift.13 Auch der sowohl männlich als auch weiblich auftretende mesopotamische Ghoul der vorislamischen Zeit, an dessen Charakteristika und Namen sich später George A. Romero für seine filmische Variante des Zombies orientieren wird, ist ein menschenfeindlicher Dämon des arabischen Raums, welcher seine Gestalt verändern kann und Wanderer durch die Wüste von ihrem Weg weglockt, um sie dann zu überfallen und aufzufressen.14 Wiedergänger fungieren gemeinhin als Expressionen der uralten Sehnsucht des Menschen nach Unsterblichkeit sowie als Ausdrücke der Angst vor dem, was Menschen nach dem Tode erwartet, oder der Furcht vor der Rache von wiederkehrenden Verstorbenen,15 womit ein fundamentaler Bestandteil des späteren Zombies vorliegt. Der Kontakt mit dem Wiedergänger muss allerdings nicht zwangsläufig mit Angst und Furcht konnotiert werden. So deutet die Nekromantie darauf hin, dass sowohl in der Antike als auch im Alten Testament der Anruf eines Wiedergängers auf Wissensvermittlung und Erkenntnisgewinn seitens der Lebenden verweist. Bereits das griechische Altertum kannte die Beschwörung der Toten. Es wurde angenommen, dass die Toten über Weisheit und Wissen verfügen, derer sich die Lebenden durch einen rituellen Kommunikationsakt für eigene Zwecke bedienen können. 10 11 12
13
14 15
Vgl. Petzoldt, Leander: Kleines Lexikon der Dämonen und Elementargeister. München, 1990. S. 186. Schrackmann: 2015, S. 219. Anm.: Die älteste literarische Quelle, welche das Sujet der Wiedergänger thematisiert, ist das Gilgamesch Epos von ca. 670 v. Chr (Tafel 6). Siehe: Das Gilgamesch-Epos. Übers. von Albert Schott. Stuttgart, 1988. Vgl. Bellinger, Gerhard J.: Knaurs Lexikon der Mythologie. 3100 Stichwörter zu den Mythen aller Völker von den Anfängen bis zur Gegenwart. München, 1989. S. 276. Vgl. ebenso: Schneidewind: Das Lexikon von Himmel und Hölle, S. 266. Vgl. Ebd. S. 159. Vgl. Schneidewind: 2000, S. 449.
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3.2
Die Nekromantie
Ein Signal für das bewusst herbeigeführte Zusammenwirken eines Lebenden mit Verstorbenen weist schon die Etymologie des Wortes Nekromantie (gr. nekros für Leiche und mantis für Weissager) auf. Beispiele für nekromantische Praktiken wären Periander, der am Acheron in Thesprotien seine verstorbene Gattin beschwor (Herodot 5,92), oder das Totenorakel Avernersee bei Cumae, wo auf Gebet und Opfer der Priester die gewünschte Seele erschien.16 Literarisch erwähnt wird der Vollzug der Totenbefragung durch Beschwörung bereits in Homers Ilias und der Odyssee. In Ersterer wird während der Bestattung des Patróklos dessen Totenbahre mit dem Blut geschlachteter Tiere begossen, sodass dieser daraufhin dem schlafenden Achilles erscheinen konnte, um ihm mitzuteilen, wie sich die Griechen bei zukünftigen Kämpfen verhalten sollen. Im elften Gesang der Odysee17 muss Odysseus auf Kirkes Anweisungen hin eine Grube graben. Diese füllt er mit Milch, Honig, Wein, Wasser und Gerste. Im Gebet um den Geist des Teiresias sagt er ihm zu, einen schwarzen Widder zu opfern. Sobald das Blut des Tieres geflossen ist, erscheinen die Geister und bedrängen Odysseus.18 Im Alten Testament ist die Totenbeschwörung des verstorbenen Propheten Samuel seitens der Hexe von Endor (1. Sam. 28,19) im Auftrag König Sauls, der so den Ausgang einer am Folgetag stattfindenden Schlacht gegen die Philister herausfinden wollte; unzweifelhaft ein von Wiedergängern (hier die Beschwörung des Geistes eines Toten) handelnder Text,19 welcher zugleich durch die chronologische Eingrenzung und geographische Lage die darin dargestellte Nekromantie als altertümliche kanaanitische Praxis charakterisiert:20 »Der Beschwörungsvorgang an sich wird nicht beschrieben, doch erwähnt der biblische Text, dass nur die Totenbeschwörerin Samuel sehen kann und dass sie ihn Saul als Greis schildert. Dann führen Saul und Samuel ein langes Gespräch, an dessen Ende Saul prophezeit wird, dass er am darauffolgenden Tag besiegt und sterben werde.«21
16
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Vgl. Bächtold-Stäubli, Hanns; Hoffmann-Krayer, Eduard (Hg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 6. Berlin, 1927-42. Hier Ausg. 1987. S. 997. Im Folgenden wird hierfür die Sigle HdA verwendet. Homer: Odysee. Stuttgart, 1979. Vgl. Meier, Jan Niklas: Von Geistern und Zombies, von Magiern und verrückten Wissenschaftlern: Eine kleine Kulturgeschichte der Nekromantie. In: phantastisch! Nr.73 (2019). S. 42-47. Vgl. EM Bd.14: 2014. S. 753. Vgl. Tuczay, Christa Agnes: Geister, Dämonen – Phantasmen. Eine Kulturgeschichte. Wiesbaden, 2015. S. 199. Ebd.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
Obwohl die Beschwörung der Toten unter Todesstrafe verboten war, finden sich im Alten Testament zahlreiche Verweise auf diese Praxis.22 Ebenfalls werden christliche Heilige mit der Totenbeschwörung konnotiert. Beispielsweise der Hl. Macarius, auf dessen Befehl hin ein Ermordeter erscheinen musste, um die Unschuld eines fälschlich des Mordes Verdächtigen zu beweisen (Vitae patrum 2,37). Auch der Abt Johannes Trithemius brachte nach Anfrage des trauernden Kaisers Maximilian seine verstorbene Gemahlin wieder zurück ins Diesseits.23 Augustinus bezeichnete in seiner De cura pro mortuis gerenda24 (Die Sorge für die Toten) von 424/425 Totenerscheinungen als Halluzinationen, da die Geister der Toten nicht eigenständig in die Welt zurückkehren könnten. Allerdings könnte Gott solche Halluzinationen verursachen, um den Menschen eine Botschaft zu vermitteln.25 Gregor der Große war der Auffassung, dass nicht nur die Lebenden einen Einfluss auf die Läuterung der Toten besäßen, sondern auch die Toten den Lebenden in einer bestimmten Absicht erscheinen können. So tauchen in seinen Dialogi von 595/595 z.B. im vierten Buch Geister von Toten auf, die auf der Erde umherschweifen, um für ihre Sünden zu büßen.26 In der Summa theologica des Thomas von Aquin heißt es, dass die Seelen der Toten normalerweise nicht in die Welt der Lebenden zurückkehrten, aber den Lebenden durch Gottes Willen mit einer belehrenden Absicht erscheinen könnten.27 Totenerscheinungen seien durch Gott verursachte Wunder, die den natürlichen Kräften trotzten.28 »Doch sind wichtige Motive wie der Eintritt des Gestorbenen in das Haus der Hinterbliebenen, das Nichterkennen des Wiedergängers oder die Allmacht des Auferstandenen vom Neuen Testament bereitgestellte Bildmotive, die abgewandelt
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25 26
27 28
Anm.: So etwa in 2 Mose 22, Mose 20,27, Mose 18, 9ff. Vgl. HdA Bd 6: 1987, S. 998. Augustinus, Aurelius: De cura pro mortuis gerenda, ed. Zycha, I. Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Bd. 41. Wien, 1900. Anm.: Eine Beurteilung zu dem von Augustinus verfassten Gutachten bietet Suda. Siehe: Suda, Max Josef: Beurteilung des leblosen Körpers in Augustinus’ Gutachten »De cura pro mortuis gerenda«. In: Stefenelli, Norbert (Hg.): Körper ohne Leben. Begegnung und Umgang mit den Toten. Wien, 1998. S. 414-421. EM Bd.14: 2014, S. 754. Anm.: »Seit dem 12. Jh. erscheint das Thema des Wiedergängers häufiger u.a. im Dialogus miraculorum des Caesarius von Heisterbach, im Bonum universale de apibus des Thomas Cantipratanus und in der Legenda aurea des Jacobus de Voragine. Im späten Mittelalter weit verbreitet war die Schrift De apparationibus animarum post exitus (auch u.d.T De animabus exutis a corporibus [1454]) des Jakob von Paradies, der die Vorstellung von umgehenden Toten als Polter-, Nies- und Kratzgeister auf arme Seelen zurückführte und zu beweisen suchte.« In: EM Bd.14: 2014, S. 754. Vgl. EM Bd.14: 2014, S. 754. Vgl. Ebd.
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werden oder anderen Erzählungen im Zuge der Zeit anverwandelt werden konnten, so dass sie einen nicht unerheblichen, aber oft verleugneten Grundstock des Repertoires neuzeitlichen Gruselns bilden.«29 Die Erscheinungsformen von Wiedergängern innerhalb von Volksüberlieferung und Legenden sind entsprechend unterschiedlich. »Zuweilen begegnet ein Toter als ›Geist‹ ohne Körper, hin und wieder als Kopfloser, als Mensch ohne Füße oder ohne Augen. Sein Erscheinen ist mit hellem Licht oder Feuer verbunden.«30 Als charakteristischer Vorläufer der Zombies können demnach zunächst Totengeister gelten, die sich in der irdischen Welt vor den Lebenden teils körperlich manifestierten und aufgrund ihres Auftauchens und der damit einhergehenden Unerklärbarkeit Angst evozierten und sich entsprechend in Totensagen manifestierten.31 So schrieb Wilhelm von Newburgh (1136-1198) in seiner Geschichte Historia rerum anglicarum von vier Totenerscheinungen, die keine Fürbitte beanspruchen, sondern in Anlehnung an den Nachzehrer (siehe Kap. 3.6) dem Menschen (physischen) Schaden bringen wollten.32 Auch sind, so der Volksglaube, ungetaufte verstorbene Kinder in der Gestalt eines Irrlichts wiedergekehrt.33 Aber auch verstorbene Wöchnerinnen schienen affin für die (körperliche) Rückkehr ins Diesseits, sowie Menschen, die einen Schatz versteckt, minimale Frömmigkeit aufwiesen oder sich nicht mit anderen vor ihrem Tod ausgesöhnt oder Versprechen nicht erfüllt hatten. In Anbetracht der Wiederkehr als Bußzeit sollte die dunklere oder hellere Erscheinung der Untoten zu erkennen geben, ob die Erlösung ferner oder näher steht.34 Tuczay hält im Zusammenhang mit der archaischen Vorstellung multipler Seelen und dem Alter-Ego-Konzept das Auftauchen der Wiedergänger in zwei Jenseitsvorstellungen (des Mittelalters) fest: erstens die heidnische Auffassung vom Grab als Wohnsitz des Toten, zweitens die der anderen Welt bzw. der christlichen Hölle, auf die gleich eingegangen wird. Sollten sich Wiedergänger im Kontext christlicher Lebensführung vermehrt wiederfinden, mussten apotropäische Maßnahmen ergriffen werden.35 Dies geschah meist in Form sogenannter Sonderbestattungen durch Pfählen, Umlegen, Fesseln oder Festnageln der Leichname. Weitere Abwehrmaßnahmen, in Analogie zu solchen, denen auch Verbrecher anheim gefallen sind, waren Verstümmlun-
29 30 31 32 33 34 35
Ziener, Birgit: Friedhof. In: Brittnacher, Hans Richard; May, Markus (Hg.): Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart, 2013. S. 370-376. Hier S. 373-374. EM Bd.14: 2014, S. 756. Vgl. Petzoldt: 1990, S. 7. Vgl. Tuczay: 2015, S. 142-143. Vgl. EM Bd.14: 2014, S. 756. Vgl. HdA Bd.9: 1987, S. 571-574. Vgl. Ziener: 2013, S. 373.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
gen der Leiche, Enthauptungen oder Verbrennungen (besonders bei Wöchnerinnen und toten, nicht getauften Kindern). Ein weiteres Mittel, den (gefährlichen) Toten im Grab zu halten, war das Bedecken mit Gestrüpp oder Dornen, was sich beim Lebendigbegraben von Verbrechern bis ins Mittelalter hinaus erhalten hatte.36 Christliche Maßnahmen gegen Wiedergänger waren indessen Beten, Messelesen und das Gelöbnis einer Wallfahrt.37 Auch die Pestzüge verstärkten die Idee der Gefährlichkeit der Toten, sodass Todesängste verstärkt wurden und ein breiter Diskurs über Möglichkeiten bzw. Unmöglichkeiten postmortalen Weiterlebens einschließlich Sterbekunstliteratur entstand.38 Vom christlichen Kontext losgelöst wären zum Beispiel die römischen Lemuren, bösartige Geister, die in späteren Überlieferungen als Wiedergänger interpretiert wurden, die ›Draugr‹ aus dem skandinavischen Volksglauben des Mittelalters,39 kopflose Reiter wie ›Dullahan‹ aus der irischen Sagenwelt, der ›Gonger‹ aus der Folklore der nordfriesischen Inseln Sylt und Amrum40 oder der ›Jianshi‹ der chinesischen Folklore.41 Der Aberglaube an Wiedergänger in der westlichen populären Kultur ist mit einer eigenständigen, zumeist unkörperlichen Existenzform der Totenseele tief verwurzelt und findet sich immer wieder in modernisierten Formen der Tradierung:42 »[…] denn wie der archaische Totenkult aus der Angst vor den Toten entstanden ist, spiegeln die Sagen die Ambivalenz der Einstellung des Menschen zu seinen Toten als verehrungswürdige Ahnen und bösartige Dämonen und Wiedergänger wider.«43 Begründet war die Angst vor dem Tod im Hochmittelalter, als die Erwartung der Auferstehung durch die Angst vor dem Jüngsten Gericht verdrängt wurde, wodurch die Vorbereitung auf den Tod im Sinne der ›ars moriendi‹ (Texte, die zur christlichen Erbauung dienen und damit das Sterben vorbereiten sollen) an Bedeutung 36 37 38 39
40 41 42 43
Vgl. HdA Bd.1: 1987, S. 988. Vgl. HdA Bd.9: 1987, S. 574-576. Vgl. EM Bd.8: 1990, S. 816. Anm.: Zu dem Motiv der Draugr vertiefend: Sayers, William: The Alien and the Alienated as Unique Dead in the Sagas of the Islanders. In: Cohen, Jeffrey Jerome: Monster Theory. Reading Culture. Minneapolis, 1996. S. 242-263; Teichert, Matthias: From Saga to Skyrim. The Literary and Multimedia Reception of the Norse-Icelandic Draugr Myth. In: Brodman, Barbara; Doan, James E. (Hg.): The Supernatural Revamped. From Timeworn Legends to Twenty-FirstCentury. New Jersey, 2016. S. 237-248. Müllenhoff, Karl: (Hg.): Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Norderstedt, 2013. Nachdruck der Ausgabe von 1845. S. 183-184. Vgl. Hercenberger: 2016, S. 224. Vgl. Kaczmarek, Ludger: Geisterfilm/Gespensterfilm II: Geisterfilm. URL: http://filmlexikon.u ni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=671. Aufgerufen am 19.03.17. Petzoldt: 1990, S. 7.
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gewann. Gefürchtet wurde der unvorbereitete Tod und damit die Sicherung des Seelenheils, wenn vor dem Tod keine Buße und Reue stattfand.44 Vor dem Hintergrund der Begriffe Sünde, Buße und Seelenheil, welche sich mit dem zunehmenden Einfluss der Kirche um das Jahr 1000 zu einer semantischen Einheit verbanden, bildete sich also die Vorstellung, dass einstige Verfehlungen der Toten, ungesühnt zu Lebzeiten, nicht vergessen werden, sondern im Jenseits, solange bis Vergebung erwirkt ist, abzubüßen sind. Daraus bildete sich konsequenter Weise eine neue Jenseitstopographie in Form des Fegefeuers als Zwischenbereich der Buße und Reinigung im Laufe des 12. Jahrhunderts.45 Dies wiederum hatte zur Folge, dass sich die Vorstellung von Wiedergängern eng mit dem Glauben an das Purgatorium verband.
3.3
Das Purgatorium Die Opposition Ruhe/Unruhe beruht auf der theologischen Unsicherheit in Bezug auf das jenseitige Schicksal der Abgeschiedenen vom Zeitpunkt des Todes bis zum Jüngsten Gericht und auf dem althergebrachten christlichen Glauben an die sehr unterschiedlichen Zustände der Seelen, von denen sich besonders die sich im Fegefeuer aufhaltenden (Arme Seelen) auf mannigfache Weise […] manifestieren können: Sie gehen am Ort ihrer Tragödie oder ihres Begräbnisses um. Als Skelette erscheinen sie dem Nacht- oder Turmwächter.46
Nach der Fegefeuer-Lehre ist die Läuterung verstorbener Seelen in einem Zwischenzustand – einer Todesgrenze – möglich, in welchem die im Menschen noch vorhandenen Sündenreste durch Buße, Pein und Reinigung getilgt werden.47 Zwar leiden die Sünder Höllenqualen, die allerdings nur flüchtig andauern, bis Vergebung erwirkt ist.48 44
45
46 47 48
Vgl. Fahl, Andreas: »Tod, ich will dir ein Gift sein«. Sterben und Jenseitsvorstellungen. In: Schwark, Thomas (Hg.): Weinet nicht, wir sehen uns wieder. Trauerkultur in Hannover von 1600 bis heute. Schriften des historischen Museums Hannover 24, 2005. S. 4-11. Hier S. 6. Vgl. Bräunlein, Peter J.: Untote. Ethnologische Annäherungsversuche an ein Paradoxon. In: Dracklé, Dorle (Hg.): Bilder vom Tod. Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Hamburg, 2001. S. 97-116. Hier S. 108; Lecouteux, Claude: Geschichte der Gespenster und Wiedergänger im Mittelalter. Wien, 1987. EM Bd.5: 1990, S. 352. Vgl. HD Bd.2: 2002, S. 465. Vgl. Bräunlein: 2001, S. 108. Siehe vertiefend zum Fegefeuer: LeGoff, Jacques.: Die Geburt des Fegefeuers. Vom Wandel des Weltbildes im Mittelalter. München, 1990.; Jezler, Peter.: Jenseitsmodelle und Jenseitsvorsorge. In: Ders. (Hg.): Himmel, Hölle, Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter. Zürich, 1994. S. 13-26.; Angenendt, Arnold.: Theologie und Liturgie der mittelalterlichen Toten-Memoria. In: Schmid, Karl; Wollasch, Joachim (Hg.): Memoria. Der
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
Durch dieses Konstrukt der postmortalen Läuterung entwickelte sich im Mittelalter eine neue stark wirtschaftliche Jenseitsökonomie. Diese stimulierte ein ausgeprägteres Gedenken an die Toten durch das Totengedenken.49 Zum einen konnten Hinterbliebene den Seelen im Fegefeuer durch finanzielle Investitionen (Ablasshandel), also gegen Geld und Immobilien, den Weg ins Paradies ebnen und damit die qualvolle Zeit im Purgatorium verkürzen. Die ärmere Bevölkerung konnte indes auf Devotationsablässe zurückgreifen, sodass beispielsweise 1337 ein Ablass von 40 Tagen erworben werden konnte, wenn auf dem Kirchhof der Kreuzkirche für die Seelen der dort Bestatteten gebetet wurde.50 Ratzinger fügt hinzu: »Die christliche Wesensdeutung des Fegefeuers besagt nämlich, dass der Zwischenzustand des Verstorbenen der von innen her notwendige Prozess der Umwandlung des Menschen ist, in dem er christusfähig, gott-fähig und so fähig zur Einheit der ganzen Communio sanctorum wird.«51 Weiterhin konnte den Seelen durch Erinnerung, Gebete, Fürbitten oder dem Lesenlassen von Totenmessen geholfen werden.52 »Diese Gebete sowie die Solidarität mit den Verstorbenen bringen die verlorene Seele im Purgatorium näher zu Gott auf dem Weg zu ihrer Vollendung.«53 So berichten Legenden in der Volkskunde auch von lebenden Toten, die eingreifen, um den Lebenden (die meist in den für Tote angestammten Ort des Friedhofs gelangen) zu helfen, da sich diese vorher durch Fürbitten für die Verstorbenen eingesetzt haben (DH 1820).54 Im Konzil von Trient (1545-1563) wurde die Existenz des Fegefeuers im Decretum de purgatorio erneut offiziell bestätigt und damit ein weiteres Mal ausdrücklich die Hilfe betont, die man den leidenden Seelen durch Gebet und Widmung von Messen bieten könne. Es war auch möglich, dass die armen Seelen die Lebenden um
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50 51 52
53 54
geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter. S. 97-199. München, 1984. Hier S. 113-163.; Moser, Dietz, Rüdiger.: Verkündigung durch Volksgesang. Studien zur Liedpropaganda und- katechese der Gegenreformation. Berlin, 1981. S. 279. Vgl. Oexle, Otto Gerhard: Die Gegenwart der Toten. In: Ders. et.al. (Hg.): Die Wirklichkeit und das Wissen: Mittelalterforschung, historische Kulturwissenschaft, Geschichte und Theorie der historischen Erkenntnis. Göttingen, 2011. S. 99-155. Ebenso Ders.: Memoria und Memorialbild. In: Schmid, Karl.; Wollasch, Joachim. (Hg.): Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter. München, 1984. S. 384-440. Vgl. Fahl: 2005, S. 7 Ratzinger, Josef: Auferstehung und ewiges Leben. Beiträge zur Eschatologie und zur Theologie der Hoffnung. Freiburg i.Br., 2012. S. 231. Vgl. Bräunlein: 2001, S. 108; Schmitt, Jean-Claude: Bilder als Erinnerung und Vorstellung. Die Erscheinungen der Toten im Mittelalter. In: Algazi, Gadi et.al. (Hg.): Historische Anthropologie Band 1, Heft 3, 1993. S. 347-358.; Jezler: 1994, S. 26. Ratzinger: 2012, S. 222. Vgl. Sörries, Reiner: Ruhe sanft. Kulturgeschichte des Friedhofs. Kevelaer, 2.Aufl. 2011. S. 74.
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Erlösungshilfe baten. Am Allerseelentag, dem 02. November, erhalten die armen Seelen Auszeit aus dem Fegefeuer.55 In der Regel sollten kirchliche Riten dem Toten aber zur finalen Ruhe verhelfen. Im Falle des Scheiterns wurden die wandelnden Toten mit einer Art Bußzeit vom Himmel bestraft, die der Tote noch auf der Erde verbringen musste. Es wurde angenommen, dass der Wiedergänger zeitweise aus dem Fegefeuer entlassen werden konnte und dann auf der Erde erschien.56 Ebenso lag der Gedanke des Fegefeuers folkloristischen Manifestationen zugrunde, in denen die Hand des (Un-)Toten feurig ist, sodass er Zeichen in Holz brennen kann. Auch seitens Trauernder sollte am offenen Grab nicht zu viel geweint werden, da jede zu viel vergossene Träne zum Verbrennen der Seele im Fegefeuer beitragen könnte.57 Die negativ behaftete geographische Einordnung der Hölle oder des Purgatoriums58 und die Weiterexistenz in diesen jenseitigen Gefilden wurden indes schon seit dem 17. Jahrhundert, mit dem Beginn der Aufklärung ab ca. 1750 zu theologisch unverbindlichen Bildern und Symbolwelten transformiert. Diese sollen nun vornehmlich eine Gottesferne repräsentieren, als ein infernalisches Etablissement in dem physische und seelische Qualen einem Sünder als Folge einer moralischen Verfehlung dargeboten werden.59 Entsprechend wurden in der jüngeren katholischen Theologie die verdinglichenden und verräumlichenden Vorstellungen der Tradition korrigiert und durch personale Kategorien ersetzt, sodass das Purgatorium ein Geschehen im Menschen selbst ist.60 Die Angst des Menschen vor dem Fegefeuer wurde also verweltlicht und – nicht zuletzt durch
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57 58
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Vgl. EM Bd.13: 1990, S. 794. Anm.: In diesem Zusammenhang soll das aus dem keltischen Samhain entwickelte Halloweenfest erwähnt werden. Die Kelten glaubten an das Leben nach dem Tod im Land Tir na tSamhraidh (Land des Sommers), an welchem sich am Samhainsfest die Pforte zwischen der Welt der Lebenden und der Anderswelt öffnete (ähnlich wie heute das profane Halloweenfest suggeriert). In dieser Nacht war es den Toten und anderen Kreaturen wie Feen oder Geistwesen möglich wieder zurück in das Land der Lebenden zu gelangen. Die spätere Christianisierung ist der Versuch, in einem keltisch geprägten Christentum diese beunruhigende Nähe der Toten in einen religiös gesicherten Zusammenhang zu stellen. Allerheiligen verwandelt somit den Kontakt mit den Verstorbenen zu einem christlichen Ahnen- und Heiligenkult. Vgl.: Fechtner, Kristian: Im Rhythmus des Kirchenjahres. Vom Sinn der Feste und Zeiten. München, 2007. S. 136. Vgl. Ebd. S. 1027f. Anm.: Das Fegefeuer wurde im 6. Jh. unter Papst Gregor als Übergangsbereich zur Wandlung und Reinigung leichterer Sünden hinzugefügt. In: Tesche, Thorsten: Der Tod und was dann? Jenseitsvorstellungen heute. Paderborn, 2017. S. 40. Zum Fegefeuer vergleichend: Schneidewind: 2000, S. 137-138. Vgl. Minois, George: Die Hölle. Zur Geschichte einer Fiktion. München, 1994. HD BD. 2: 2002, S. 465.
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die Säkularisierung – obsolet.61 Dennoch sind bis heute der Himmel, das Paradies, aber auch die Hölle als Ort und Zustand ewiger Qual sowie das Fegefeuer zur Läuterung und Reinigung im Katechismus der katholischen Kirche62 enthalten.63 Zusammenfassend ist nach Bräunlein die Wiederkehr der Toten im christlichen Abendland eine Ausnahmeerscheinung: Christlich-abendländische Tote kehren »höchst unfreiwillig und selten wieder, aber dennoch kehren einige wieder.«64 Meist geschieht dies in literarischen Manifestationen oder der Folklore, welche wiederum durch das stetige Wechselspiel von Säkularisierung und Mystifizierung des Friedhofes inspiriert wurden. Ergo spielt auch die sozialgeschichtliche Umstrukturierung der Sepulkralkultur, vor allem von Friedhöfen, eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Wiedergängergeschichten, insbesondere, weil diese bis spät in das 19. Jahrhundert (in der Regel) auf friedhöfliche Schauplätze beschränkt waren. Friedhöfe sind in besonderer Weise liminal repräsentative Systeme im Sinne Foucaults konstituierten Definition der Heterotopie.65 Somit fungieren Friedhöfe als ein Gegenraum (contre-espace), ein institutioneller Ort mit eigenen Regeln und einem spezifischen System von Öffnungen und Schließungen.66 Ziener signalisiert überdies, dass der Friedhof die ambivalenten Momente des Phantastischen darstellt: Auf der einen Seite das angsteinflößende und lebensbedrohliche Moment, das von den Toten ausgeht und die damit verknüpfte Angst vor der eigenen Ruhelosigkeit im Tod, welche beispielsweise schon in der christlichen Legende von Ahasver bzw. dem ewigen Juden dargestellt und vielfach literarisch adaptiert wurde. Auf der anderen Seite steht die Idee von Totenkulten und Totenbeschwörungen auf Friedhöfen, also eine positiv behaftete Verlebendigung der Toten, die allerdings eine unnatürliche Bezugnahme auf das Leben nimmt.67 Beispielsweise lieferten Erzählungen, die im Arme-Seelen-Glauben gründen u.a. das noch heute in der Horrorliteratur und Horrorfilmen bekannte Motiv von sich aus den Gräbern streckende Händen. Zugrunde lag dabei der Wunsch der Toten, die Messfeier zu erbitten oder Weihwasser zu erlangen.68
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Vgl. Skarics: 2010, S. 80. Katechismus der Katholischen Kirche. Kompendium. München, 2005. Nr. 209-216. S. 83-85. Vgl. Tesche: 2017, S. 42. Bräunlein: 2001, S. 108. Vgl. Foucault, Michel: Die Heterotopien/Der utopische Körper. Frankfurt a.M. 2005. S. 7-22. Vgl. Lennartz, Norbert: Der Friedhof als Ort des Liminalen. Die Friedhofsepisode in James Joyces Ulysses im Kontext modernistischer Raumentwürfe. In: Achilles, Jochen; Borgards, Roland; Burrichter, Brigitte (Hg.): Liminale Anthropologien. Zwischenzeiten, Schwellenphänomene, Zwischenräume in Literatur und Philosophie. Würzburg, 2012. S. 257-270. Hier S. 257. Vgl. Ziener: 2013, S. 373. Vgl. EM Bd.6: 1990, S. 56-57.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Diese von friedhöflichen Räumen ambivalent ausgehende Dynamik zwischen anamnetischen Aspekten einerseits, wie beispielsweise durch rituelles Gedächtnis, Kontemplation, Meditatio mortis, Memoria bzw. Totengedenken als soziales Handeln und intrinsischer Unheimlichkeit des impliziten Fluidums andererseits – bis hin zum alarmierenden Schrecken – ist die Verbindung zum Tod als Indikator dieses Dissenses, trotz topografischer Homogenität, inhärent.
3.4
Der Wiedergänger im Kontext der Sepulkralkultur Während für gewöhnlich die Seele eines Verstorbenen bei passender Gelegenheit zurückkehrt und manchmal von den Lebenden gesehen wird – und zwar in der Gestalt des Körpers, dem sie früher innewohnte – geschieht es auch, daß der ursprüngliche Körper ohne Seele wandelt. Und von denen, die ihm dabei begegneten und hernach lebten und davon berichten konnten, wird bezeugt, daß ein solchermaßen auferstandener Leichnam weder natürliche Zuneigung noch eine Erinnerung daran besitzt, sondern nur noch Haß hegt. Auch ist bekannt, daß einige Seelen, die zu Lebzeiten freundlich waren, durch den Tod böse wurden.69
Der Glaube an Wiedergänger, welche im Grab eine zweite Existenz führen und Lebenden als ruhelose Tote begegnen, speiste sich aus der Befürchtung, dass bei dem eigenen Begräbnis die Bestattungsriten nicht ordnungsgemäß vollzogen worden seien.70 Die Gründe für die Wiederkehr der Toten sind dabei kulturübergreifend ähnlich, wobei als Konstante stets der »schlimme Tod«,71 zusammenhängend mit Sonderbestattungen in Erscheinung tritt: Plötzliche und unerwartete Eingriffe wie Unfall, Mord, Tod im Kindsbett oder Selbstmord unterbrechen den natürlichen Ablauf des Lebens und erschweren notwendige Übergangsriten oder lassen diese erst gar nicht zu, weshalb die Seele im Grab keine Ruhe mehr findet, so Sell und Bräunlein, die voraussetzen, dass ein Begräbnis stattgefunden hat.72 Ebenso spuken in Sagen Ermordete oder andere Tote, die in ungeweihter Erde begraben worden sind, bis ihre Gebeine auf einen geweihten Friedhof gebracht wurden.73 Auch durften laut Volksglauben Gräber nicht zu früh gegraben werden, sondern erst am Bestattungstag, sonst würde der Tote umgehen.74
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Bierce, Ambrose: Der Tod von Halpin Frayser. In: Das Spukhaus. Gespenstergeschichten. Phantastische Bibliothek Band 6. Frankfurt a.M. Vierte Aufl. 1982. Original: New York, 1946. Vgl. EM Bd14: 2014, S. 753. Sell, Hans-Joachim: Der schlimme Tod bei den Völkern Indonesiens. Den Haag, 1955. Vgl. Sell: 1955, S. 121.; Vgl. Bräunlein: 2001, S. 108. Vgl. HdA Bd 1: 1987, S. 978. Vgl. Ebd. S. 982.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
Die Kirche hatte seit dem 8. Jahrhundert das Monopol über die Bestattung auf dem ›Gottesacker‹75 der Pfarrkirche sowie über einen Begräbnisplatz innerhalb des Gebäudes. Je näher der verstorbene Gläubige an den Kirchenreliquien und dem Altar bestattet wurde, umso mehr sollte sich der Beistand für die Toten maximieren, weshalb der Bestattungsplatz trotz mehrfacher, aber nur halbherziger Verbote zum Statussymbol avancierte und sich in der Topographie der Grabstellen die soziale Hierarchie der Gemeinde widerspiegelte.76 »Oftmals wurde dabei eine dem Hl. Michael, dem Seelenwäger, geweihte Friedhofskapelle (Beromünster, Fulda, Neustadt [Main], Ochsenfurt etc.) gebaut.«77 Kein Recht auf eine kirchliche Bestattung hatten die Außenseiter der Gesellschaft, welche auf sogenannten ›Eselsbegräbnissen‹ (etymologisch inspiriert durch Jeremia 22,19) außerhalb des Friedhofs beerdigt wurden.78 Deshalb wurden in christlicher Tradition Verstoßene, Exkommunizierte, Personen, die nicht an der Eucharistie teilnehmen, Tyrannen, Wucherer, Juden, Heiden, Selbstmörder, Hingerichtete, Ungetaufte (auch Kinder), im Duell Getötete, Exkommunizierte, im Unglauben Gestorbene,79 Schauspieler und Schausteller, Kriminelle, Soldaten usw. als »Strafe für die Toten«80 nicht auf Friedhöfen in unmittelbar geweihter parochialer Verankerung beigesetzt. Diese Gruppen wurden bewusst, wie schon bei Leprosen, außerhalb kirchlicher Begräbnisplätze, Stadtmauern und der Communio Sanctorum begraben und in nicht geweihten Massengräbern auf peripher-suburbanen Armenfriedhöfen – extra muros – ehrlos bestat-
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Anm.: Bis in das 19. Jahrhundert waren die Begriffe Kirchhof, Gottesacker oder Sepultura für einen Begräbnisplatz bezeichnend. Die Bezeichnung »Friedhof« für einen öffentlichen gemeinschaftlichen Begräbnisplatz ist abgeleitet von »Freithof«, einem mit einer Mauer oder Hecke eingegrenzten Ort. Der Begriff hat sich erst im 19. Jahrhundert durchgesetzt. Vgl. Happe, Barbara: Ordnung und Hygiene: Friedhöfe in der Aufklärung und die Kommunialisierung des Friedhofwesens. In: Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal – Zentralinstitut und Museum für Sepulkralkultur Kassel (Hg.): Raum für Tote – Die Geschichte der Friedhöfe von den Gräberstraßen der Römerzeit bis zur anonymen Bestattung. Braunschweig, 2003. S. 83-110. Hier S. 85. Vgl. Vogt, Merret: Friedhöfe und Kirchhöfe in Hannover. In: Weinet nicht, wir sehen uns wieder. Trauerkultur in Hannover von 1600 bis heute. Schwark, Thomas (Hg.): Schriften des historischen Museums Hannover. Nr.24, 2005. S. 65-77. Hier S. 65. EM Bd.5: 1990, S. 347. Vgl. Ziener: 2013, S. 371.;EM Bd.2: 1990, S. 32. Anm.: In einer 1859 verfassten Primärquelle von Andreae heißt es: »Die Leichname solcher Personen (Ungläubige. Anm. des Autors), die längere Zeit nicht zum Abendmahle gegangen waren, wurden wie das liebe Vieh in der Nähe des Kirchhofes durch den Kuhhirten beigescharrt.« In: Andreae, Friedrich W.: Chronik der Residenzstadt Hannover von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Hildesheim 1859. Zander, Sylvia: Von »Schinderkuhlen« und »Elendenecken«. Das uneheliche Begräbnis vom 16. bis 19. Jh. In: Fischer, Norbert; Herzog, Markwart (Hg.): Nekropolis. Der Friedhof als Ort der Toten und der Lebenden. Stuttgart, 2005. S. 109-124.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
tet. Damit wurde auch an die Sittlichkeit der Lebenden im Sinne der kirchlichen Dogmen appelliert.81 Der reguläre Bestattungsort für Verbrecher war meist die Hinrichtungsstätte oder auch der Schindanger, einem Teil des Ackers, auf dem das verendete oder notgeschlachtete Vieh vergraben wurde.82 Die Geschichten von Wiedergängern entstanden also christlich-sepulkral geprägt im Kontext postmortaler Exklusion. Weiterhin konnte der Wiedergänger auch ein Verstorbener sein, »der wegen einer Schuld oder aus anderen Gründen als dämonischer Toter, meist in der Gestalt, in der er lebte, als ›lebender Leichnam‹ oder ›Untoter‹ umgehen muß«.83 Er kommt wieder, weil er nach Rache lechzt, sich extrem Böses hat zuschulden kommen lassen oder auch mit dem Teufel im Bunde stand. »Wie der Wiedergänger den Menschen gegenüber eingestellt ist, ist also oftmals dadurch bedingt, weswegen er nach dem Tod keine Ruhe findet.«84 Obsolet wurden sowohl die unehrenhaften Begräbnisse bereits zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert als auch die räumliche Verbindung zwischen Seelenheil und Altarnähe durch Reformation, Aufklärung und Säkularisierung.85 Auch hygienische Gründe (durch die Forderung der Medizin aufgrund der mephitischen Luft, Friedhöfe aus der Stadt zu entfernen) und zusätzliche, im Zuge des Bevölkerungswachstums aufkommende, damit zusammenhängende räumliche Probleme trugen zur Restrukturierung des Friedhofs bei. Damit wurden traditionelle Bestattungsorte wie Kirche und Kirchhof durch profane Begräbnisplätze außerhalb der Stadt ergänzt (Koimeterion, Nekropolis, Gottesacker, Totenberg, Rosengarten, Lichlegi usw.). Neben dieser Urbanisierung und Bürokratisierung (als Domestizierungsversuch des Todes) fand im späten 18. Jahrhundert wieder eine massive Verlegung bzw. Einverleibung von Friedhöfen zurück in die Städte statt.86 Die vormals unter kirchlicher Obhut überwachte Totenruhe, so Ziener, deren Ausführungen im Folgenden dargebracht werden, wurde insbesondere durch 81 82 83 84 85
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Vgl. Ziener: 2013, S. 371.;Vogt: 2005. S. 66.; EM Bd.2: 1990, S. 32. Vgl. HdA Bd.1: 1987, S. 993. Petzoldt: 1990, S. 185. Lörzer: 2017, S. 35. Anm.: Die hier aufgeführte Linie der Bestattung Verstorbener folgt bewusst der in der Literatur vorhandenen idealisierten Zeichnung historischer Entwicklungen. Fahl bemerkt zurecht, dass sich das Wissen von Trauer- und Bestattungsritualen zumeist nur auf das Wissen durch Grabmalkunst, literarischen und bildlichen Quellen der Oberschicht stützt und wenig Material über den Tod einfacher Menschen überliefert ist. »Es muss davon ausgegangen werden, dass es in einem langen Zeitraum Menschen aufgrund häufiger Todesfälle emotional und finanziell unmöglich war, jeden Sterbefall mit großem Aufwand zu begehen.« Siehe: Fahl: 2005, S. 5-6. Vgl. Fischer, Norbert: Zwischen Naturästhetik und Technokratie. Zur Sozialgeschichte von Friedhöfen und Krematorien in der Moderne. In: Dracklé, Dorle (Hg.): Bilder vom Tod. Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Hamburg, 2001. S. 68-96. Hier S. 68.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
neue Friedhofsarchitekturen, behördliche Bestimmungen, Restrukturierung zum öffentlichen Ort usw. hinfällig. Ebenso wurde durch die Reformation im Zusammenhang mit der Abschaffung des Purgatoriums die friedhöfliche Totenruhe bzw. der Friedhof im Sinne der christlichen Verantwortung der Lebenden für die Toten und damit die Verbindung zwischen Kirche und Begräbnisplatz aufgehoben. Martin Luther erklärte in seiner 1527 verfassten Schrift Ob man vor dem Sterben fliehen möge87 nach der Darstellung des Umgangs mit Tod und Sterben im Rahmen einer praktischen Erwägung zur Anlage für Begräbnisplätze zu einem Ort der Ruhe, Stille und Kontemplation.88 Durch seine theologischen Begründungen war auch die Exklusion von Friedhöfen in die Peripherie der Städte legitimiert.89 Die literarische Phantastik im frühen 19. Jahrhundert (siehe Kap. 4.5) sowie die Kunst des Symbolismus und Jugendstils im späten 19. Jahrhundert reagierten darauf wiederum mit der Re-Mystifizierung eines spukhaft-anmutenden, von Wiedergängern heimgesuchten Friedhofs.90 Begründet war dies teilweise auf Basis einer Scheintod-Hysterie ab dem 17. Jahrhundert trotz der Verstädterung des Friedhofs, da sich Erlebnisse und Berichte von singenden, klopfenden oder sich bewegenden Toten häuften.91
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D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe Bd.23, Weimar 1883. S. 232-386. Vgl. Ziener: 2013, S. 371.; Sörries: 2011, S. 103. Anm.: Sparre verweist zum kulturwissenschaftlichen, sozialwissenschaftlichen und theologischen Diskurs des spätmodernen Wandels der Bestattungskultur auf folgende Literatur: Benkel, Thorsten: Die Verwaltung des Todes. Annäherungen an eine Soziologie des Friedhofs. Berlin, 2012; Benkel, Thorsten; Meitzler, Matthias: Sinnbilder und Abschiedsgesten. Soziale Elemente der Bestattungskultur. Hamburg, 2013.; Fischer, Norbert; Herzog, Markwart (Hg.): Nekropolis. Der Friedhof als Ort der Toten und der Lebenden. Stuttgart, 2005; Happe, Barbara: Der Tod gehört mir. Die Vielfalt der heutigen Bestattungskultur und ihre Ursprünge. Berlin, 2012.; Klie, Thomas (Hg.): Performanzen des Todes. Neue Bestattungskultur und kirchliche Wahrnehmung. Stuttgart, 2008.; Roland, Oliver: Friedhof ade? Die Bestattungskultur des 21. Jahrhunderts. Mannheim, 2006.; Sörries, Reiner: Alternative Bestattungen. Formen und Folgen. Ein Wegweiser. Frankfurt a.M., 2008.; Uden, Ronald: Wohin mit den Toten? Totenwürde zwischen Entsorgung und Ewigkeit. Gütersloh, 2006.; Sparre, Sieglinde: Bestatten in Kirchen. Eine praktisch-theologische Interpretation gegenwärtiger Kirchenkolumbarien und Urnenkirchen. Stuttgart, 2018. S. 252. Anm.: Die schauerromantische Zelebrierung dieses auratischen Ortes wurde auch später in filmische Dimensionen transferiert. Anm.: In ihren Ausführungen bezieht sich Ziener an dieser Stelle auf Norbert Fischer. Siehe: Fischer, Norbert: Vom Gottesacker zum Krematorium. Eine Sozialgeschichte der Friedhöfe in Deutschland seit dem 18. Jh. Köln; Weimer; Wien, 1996.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
3.5
Die Taphephobie
Die Taphephobie, die Angst vor einem Scheintodzustand (vita minima, vita reducta)92 und der damit verbundenen Vorstellung, lebendig in einem Grabe zu verenden, wurde zunächst in dem umfangreichen Werk über Zeichen für den Tod von Winslow und Bruhier (übersetzt und ergänzt von Winslow) reflektiert.93 Sie resultiere daraus, »dass die bekannten Zeichen des Todes keineswegs sichere Indikatoren des ›wahren‹ oder ›absoluten‹ Todes seien, der von einem nur scheinbaren, dem ›mort apparente‹, unterschieden werden müsste. Für jeden Menschen bestehe daher die Gefahr, aufgrund einer verfehlten Lektüre der Zeichen des Todes lebendig begraben zu werden.«94 Die Angst des gemeinen Volkes begann also mit einem großen Unbehagen vor der Fehlinterpretation des eigenen Todes im Falle eines zum Beispiel durch Krankheiten95 provozierten Scheintodzustandes und der Folge lebendig begraben zu werden sowie dem damit heraufbeschworenen Tod durch Ersticken in einem engen und dunklen Raum unter der Erde. Darüber hinaus fürchteten Mediziner und Angehörige durch das Lebendigbegraben einer vermeintlich toten Person Mord aus Unwissenheit zu praktizieren. Um diesem Unheil zu entgehen, konnte am Totenbett auf die Verwesung des Verstorbenen als Anzeichen des sicheren Todes gewartet werden. Auch wurden Herzstiche mit einem dafür vorgesehenen Stilett in den Leichnam vollzogen, um die Gefahr des Lebendigbegrabenwerdens auszuschließen.96 Es wurde auch darauf geachtet, dass das Totenbrett oder das Leichenwaschtuch verfaulte, um sicherzugehen, dass der Leichnam verwest und die Seele ihre Ruhe
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Anm.: Vita minima oder vita recuta beschreibt den Zustand eines Menschen, bei dem eine Spontanatmung und eine Herz-Kreislauf-Tätigkeit nicht mehr grob fassbar ist, sodass er nach den äußeren Anzeichen einem Verstorbenen ähnelt. Vgl.: Gunther, Geserick; Stefenelli, Norbert: Furcht vor dem Scheintod. In: Stefenelli, Norbert (Hg.): Körper ohne Leben. S. 124-132. Hier S. 125. Bruhier D’Ablaincourt, Jacques Jean : Dissertation Sur L’Incertitude Des Signes de La Mort, Et L’Abus Des Enterremens, Embaumemens Precipites. Aufl. 2. 2 Bde. Paris, 1749. Reiber, Cornelius: Die Lebenswissenschaften im Leichenhaus. In: Geimer, Peter (Hg.): UnTot. Existenzen zwischen Leben und Lebenslosigkeit. Berlin, 2014. S. 13-34. Hier S. 14. Anm.: Beispielsweise wurde der Scheintodzustand durch Vergiftungen, Erschöpfungszustände, Cholera, nach starken Blutungen, Gehirnerschütterungen, bei geretteten Ertrunkenen, Herzstörungen, Schädigung des Atemzentrums, elektrischen Unfällen und bei kataleptischen Anfällen hervorgerufen. Die Unkontrollierbarkeit des Todeszustandes wurde im 14. Jahrhundert durch die Pest hervorgerufen. Vgl. Borrmann, Norbert: Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. 4. Aufl. Kreuzlingen; München. 2000. S. 97-99. Vgl. Sörries: 2002, S. 142.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
gefunden hat.97 Dementgegen stand der als gesundheitsschädlich befundene Verwesungsgeruch, gegen welchen, so Bruhier, mit diversen olfaktorischen Gegenmaßnahmen gearbeitet werden konnte (Bruhier empfiehlt die Verbrennung von Harz oder Wacholder am Totenbett), um den Tod der Person bis zu optischen Verwesungsanzeichen als gesichert zu wissen.98 Hier ist bereits erkennbar, warum die Vorstellung eines verwesten Leichnams überhaupt verbildlicht werden konnte. Das wiederum verweist auf die Vorstellungen und Kenntnisse beim Rezipieren bildender Kunst – inklusive des Films (siehe Kap. 5.4.3.2). Bruhiers Protektionsmaßnahmen gegen die schadbringenden Gerüche erwiesen sich allerdings als unsicher und für die Hinterbliebenen zu gesundheitsgefährdend, da in der Medizin die von der Chemie propagierte Phlogistontheorie noch Gültigkeit besaß. Es wurde angenommen, dass bei Umsetzungsvorgängen von toten Körpern durch Verbrennung oder Verwesung die Luft mit dem Brennstoff Phlogiston angereichert und damit zur Stickluft werden würde, welche die Lebensprozesse der Organismen hemme. Die Ausdünstung von Toten wurde daher als Auslöser von Epidemien und als ausgesprochen schädlich für die Gesundheit gedeutet, weshalb wie oben angeführt, die Medizin eine Exklusion der Friedhöfe aus der Stadt forderte. Die den Gräbern entweichende Luft wurde dementsprechend für besonders phlogistoniert beziehungsweise für mephitische Luft gehalten.99 Erst die Entdeckung des Sauerstoffs machte die Phlogistontheorie obsolet, wodurch viel später die Vorstellung einer Koexistenz von Mensch und Zombie in der filmischen Phantastik darauf aufgebaut verwendet werden konnte. Durch die Vorstellung einer Koexistenz kann also die Wirkung und die Verständlichkeit der im Film verwendeten Bilder gewährleistet werden. Im Jahr 1787 entwickelte der französische Arzt François Thiery für die Lösung des Paradoxons zwischen dem Ausharren am Totenbett bis zur Verwesung und der Ansteckungsprophylaxe die Einrichtung eines Hauses, in welchem durch den freiwilligen Auftrag der Hinterbliebenen die Toten von Personal bewacht werden konnten. Ebenso sollten auch krankheitserregende Dünste durch die Installation eines Luftzugs diffundieren, bis die Verwesung einsetzt. Ein Arzt konnte dann nach
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HdA Bd.8: 1987, S. 1030. Anm.: Bruhier profanisierte durch seine Untersuchungen mithin anhand des hl. Hieronymus religiöse Wunder. Die Wiedererweckung von Toten wird zur Reanimation von Scheintoten – eine Erklärung, die auch für die Auferstehung Jesu selbst in Anspruch genommen wird. Siehe: EM Bd.13: 1990, S. 1328. Anm.: Diese und folgende Ausführungen sind Cornelius Reibers Darstellung der Entstehung des Leichenhauses entnommen und teilweise zwecks Kürzung und Umstrukturierung paraphrasiert. Siehe: Reiber: 2014, S. 15-16. Siehe weiterhin: Steckner, Cornelius: Über die Luftangst. Chemische Anmerkungen zum Tod. In: Boehlke, Hans-Kurt (Hg.): Wie die Alten den Tod gebildet. Wandlungen der Sepulkralkultur 1750-1850. Mainz, 1979. S. 154-157.
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einem beliebigen Zeitraum den Tod feststellen, sodass die Bestattung ohne Sorgen der Hinterbliebenen ihren Lauf nehmen konnte.100 Es handelte sich demnach um eine hygienische Lagerung toter Körper in dem Bestreben und ohne Rücksicht auf zeitliche Grenzen, Scheintote so adäquat wie möglich mit medizinischem Rückhalt entdecken zu können. Auf dieser in die öffentliche Ordnung transferierten Idee und ihrer praktischen Manifestation in Form eines tatsächlichen Leichenhauses, theoretisch fundiert durch Johan Peter Frank im Jahr 1788, sollte das erste von Christoph Wilhelm Hufeland 1791 in Weimar errichtete Leichenhaus basieren. Es fußte auf seinem im Vorjahr verfassten, viel beachteten Aufsatz über den Scheintod im Sinne seiner eigens formulierten Lebenskraft-Theorie. Trotz einer anmutenden Affinität zum schon bestehenden französischen Morgue (unhygienischen Lagerungsstätten toter Körper) sollte das mit Blumensträußen zwecks Geruchseindämmung versehene Leichenhaus die Furcht der Taphephobie in der Gesellschaft reduzieren. Allerdings war es nicht möglich, überall solche Einrichtungen zu bauen, weshalb es besonders in ländlichen Gebieten unter der Bevölkerung zu von Laien erdachten, innovativen Alternativideen für eine etwaige Befreiung lebendig Begrabener kam. Daraus folgte die Entwicklung von Konstruktionen und Mechanismen, die es ermöglichen sollten, dass sich wiedererwachte Menschen vom Grabe aus akustisch bemerkbar machen können. Beispielsweise durch am Sarg angebrachte, an die Oberfläche reichende oder im Grabe platzierte Glöckchen, damit verbundene Sicherheitsröhren, einer Verbindung vom Sarg mit der Sturmglocke der Friedhofskapelle oder durch am Sarg angebrachte Sprachrohre oder Belüftungseinrichtungen. Weiterhin sollte es ermöglicht werden, durch luftdurchlässige Särge atmen zu können. Darüber hinaus entstanden solche Vorrichtungen, die einen visuellen Zugang zu dem Leichnam ermöglichen sollten. Dass trotz der Fortentwicklung der Medizin weiterhin der Glaube an Wiedergänger bestand, zeigt beispielsweise der 1892 in Exeter, Rhode Island aufgezeichnete Mercy Brown-Vorfall: Nach dem Verlust seiner gesamten Familie einschließlich der Tochter Mercy Brown (verstorben 1891) und seinem erkrankten Sohn Edwin durch die noch wenig erforschte Tuberkulose postulierten Freunde des einzig überlebenden Vaters George Brown vor dem gängigen folkloristischen Aberglauben, dass Untote verantwortlich für das kontinuierliche Massensterben der Familie wären und dass es sich bei einem der toten Familienmitglieder der Browns um einen Untoten handeln müsste, der für die Weitergabe der Krankheit an den Sohn verantwortlich sei. Überzeugt von dieser Idee und in der Hoffnung, eine Heilung für Edwin zu finden, genehmigte George Brown eine Exhumierung seiner Familie, um den verantwortlichen ›untoten‹ Leichnam zu finden, der sich entsprechend nicht in ei100 Vgl. Reiber: 2014, S. 16-17.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
nem Verwesungszustand befinden müsste. Die Exhumierung erfolgte am 17. März 1892 unter der Aufsicht eines Arztes, sowie eines Journalisten und einiger Dorfbewohner. Zur großen Überraschung aller Anwesenden erwies sich die Leiche der verstorbenen Tochter Mercy Brown als vom Verfallsprozess, mit noch vorhandenem Blut im Herzen, verschont, sodass sie als Untote und Verantwortliche für die Krankheit Edwin Browns deklariert wurde. Tatsächlich war Mercy Browns Leichnam luftdicht und gut abgeschottet begraben, sodass der körperliche Verfallsprozess verzögert wurde. Gemäß des Aberglaubens wurden das Herz und die Lunge von Mercy Brown entfernt und verbrannt. Die Asche wurde in ein liquides Tonikum verarbeitet und dem leidenden Edwin Brown zum Trinken verabreicht, welcher jedoch seiner Krankheit zwei Monate später erlag.101 Notizen dieses Vorfalls wurden posthum in den Aufzeichnungen des DraculaAutoren Bram Stoker gefunden, weshalb seitens einiger Positionen in der Forschung davon auszugehen ist, dass dieser tragische Zwischenfall als eine von vielen Inspirationen zum weltberühmten Vampirroman von 1897 beigetragen hat.102 Ziener weist darauf hin, dass Stoker in seinem Roman die lokale Gebundenheit des Untoten an Friedhöfen auflöste und ihn (hier Dracula) durch seine Reise auf dem Schiff Demeter wandeln ließ. »Durch diese ›Exterritorialisierung der Friedhöfe‹103 seit der Industrialisierung wurde der Friedhof als weltumfassend allgegenwärtig gezeigt: »Die Welt ist tatsächlich spätestens aus einer postfordistischen Perspektive heraus kulturindustriell und metaphorisch zu einem großen Friedhof geworden […]«,104 wie in The Walking Dead, wo die Zombies keinen festen Bereich als Bedienung der Transformation benötigen (siehe Kap. 9.1.1). Während die Angst vor einem Scheintodzustand in der Schauerliteratur prächtig florierte, war das Konzept des Leichenhauses aufgrund des Ausbleibens erwachter Personen allerdings nicht von Erfolg gekrönt, sodass die Leichenhäuser um 1911 zu hygienisch praktischen Bewahrungsorten von Leichnamen seitens medizinischer Einrichtungen umgewandelt wurden. Nach Ziener wurde die Idee der Wiedergeburt und der christlichen Nächstenliebe unter aufklärerischen Vorzeichen in eine weltgewandte vorkapitalistische Haltung gewandelt, indem die Angst vor dem Tod und seinen Wiedergängern durch Architekturen, Leichenhallen, Erinnerungsorte und neue Ri-
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Vgl. Tucker, Abigal: The Great New England Vampire Panic. Smithsonian Magazine: 3. vom 29 Juni 2013. Online verfügbar unter: https://www.smithsonianmag.com/history/the-great-newengland-vampire-panic-36482878/?c=y&page=3. Aufgerufen am 02.10.2018. 102 Vgl. Robinson, Charles T.: Vampire Mercy Brown. When Rhode Island Was »The Vampire Capital of America«. New England History. 24. Februar 2018. Online verfügbar unter: https://new england.com/today/living/new-england-history/vampire-mercy-brown-rhode-island/. Aufgerufen am 02.10.2018. 103 Ziener: 2013, S. 372. 104 Vgl. Ebd.
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ten kultiviert wurde.105 Zugleich vermochte der Scheintod eine Tendenz zu Säkularisierung und Rationalisierung auszudrücken, da er als Alternative zum irreversiblen Tod faszinierte.106 Mithin wurden auch allmählich Alternativen zu Ganzkörperbestattungen – wie das Urnengrab durch die Feuerbestattung entwickelt – sodass die Furcht vor einer körperlichen Wiederkehr der Toten sukzessive getilgt wurde.107
3.6
Das Nachzehrer-Motiv
Die tödliche Begegnung eines Lebenden mit einem Wiedergänger ist in der europäischen Neuzeit die Ausnahme, welche auf das Vampir- und Nachzehrermotiv zurückgeht.108 Dieses in Niedersachsen, Ostpommern/Westpreußen, Schlesien und im Hannoverschen Wendland verbreitete Motiv des Nachzehrers entstand als Folge von ansteckenden Krankheiten, Epidemien109 oder Fehlinterpretationen von Geräuschen, die während des Verwesungsprozesses entstanden.110 Diese Vorstellung vom gefährlichen Toten im Grab wurde in der Reformationszeit als Teufelsblendwerk angesehen und konkret von Luther anhand einer Geschichte über eine Frau, die sich im Grab selbst auffresse, für einen Betrug des Teufels gehalten.111 Der Nachzehrer ist ein Toter, der im Grab weiterlebt und auf Entfernung vom Grabe aus den lebenden Angehörigen sympathetisch die Lebenskraft entzieht, wodurch diese sterben, aber nicht als lebende Tote fortleben. Durch Kauen oder Saugen an Kleidung, Brust, Händen, Laken oder sonstigen Dingen kann er in Fernwirkung Familienangehörigen oder Menschen seines Lebensumkreises das – ihm
105 Vgl. Ebd. S. 371-372. 106 Vgl. EM Bd.13: 1990, S. 1325. 107 Anm.: Siehe vertiefend zur Entwicklung industrieller Krematorien: Sparre, Sieglinde: Bestatten in Kirchen. Eine praktisch-theologische Interpretation gegenwärtiger Kirchenkolumbarien und Urnenkirchen. Stuttgart, 2018. S. 25-70. Siehe vertiefend zum Nachzehrer: Haferland, Harald: Säkularisierung als Literarisierung von Glaubenselementen der Volkskultur. Wiedergänger und Vampire in der Krone Heinrichs von dem Türlin und im Märe von der Rittertreue bzw. im Märchen vom dankbaren Toten. In: Köbele, Susanne; Quast, Bruno (Hg.): Literarische Säkularisierung im Mittelalter. Berlin, 2014. S. 105-138. 108 Vgl. EM Bd.14: 2001, S. 109. 109 Vgl. Petzoldt: 1990, S. 135. 110 Kreuter, Peter Mario: Der Vampirglaube in Mitteleuropa. Genese. Bedeutung. Funktion. Berlin, 2011. S. 22. 111 Vgl. EM Bd.6: 1990, S. 56.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
selbst Leben spendende – Blut aussaugen und sie auf diese Weise (ins Grab) nachziehen.112 Um Nachzehrer zu verhindern, wurde dem Toten ein Pfahl ins Herz gestoßen, der Kopf abgetrennt, der Leichnam gefesselt oder auch mit einem Dornengesträuch abgedeckt (siehe Kap. 3.4). Wenn einer Leiche nach dem Pfählen der Mund mit Erde gefüllt wurde, deutete dies auch auf die Angst vor dem Nachzehrer.113 Der letzte Fall in Deutschland, das Saugen durch das Enthaupten mit einem Spaten zu vermeiden, ereignete sich 1913.114 In Analogie zum filmischen Zombie wurden auch hier spezifische Maßnahmen entwickelt, um den Kontakt zum gefahrbringenden Mund des Untoten zu vermeiden. Ein Motiv, welches sich später bei Romero und Kirkman wiederfinden wird. Diese Vorstellungen signalisieren eine allgemein menschliche Angst vor dem Ende des irdischen Lebens und tragen vor dem Hintergrund des durch die Modernisierung hervorgerufenen Wandels der Todeswahrnehmung zu etwas Beunruhigendem bei: »Entsprechend richtet sich in der Moderne die Darstellung von Tod und Jenseits in Inhalt und Bedeutung nicht mehr nach einem religiösen Referenzrahmen.«115 Insgesamt umfasst der Wiedergängerglaube »einen wichtigen Ausschnitt aus dem Bereich des Volksglaubens […]. Exemplifikationen dieses Volksglaubens, die dem populären Weltbild, dem prälogischen Denken und assoziativen Kausalitätsprinzip entsprechen, finden wir in Form von Glaubensfabulaten, märchenartigen Sagen, Liedern, Memoraten und anderen Formen alltäglichen Erzählens.«116 Als eine im Friedhofsraum beschriebene Bildsprache (an Friedhofsmauern, Beinhäusern oder Kirchenwänden) wird die Begegnung der Lebenden mit dem Tod in
112
113 114 115
116
Vgl. Grober-Glück, Gerda: Der Verstorbene als Nachzehrer. In: Zender, Matthias (Hg.): Atlas der deutschen Volkskunde. Neue Folge. In Zusammenarbeit mit H.L. Cox, Gerda Grober-Glück und Günther Wiegelmann. Bd. II. Marburg, 1966-1982. S. 427-456. HdA Bd.9: 1987, S. 575. Vgl. EM Bd.8: 1990, S. 817. EM Bd.14: 2014, S. 758. »Ab dem 18. Jahrhundert werden Wiedergängergeschichten rationalisiert, wodurch religiöse Bedeutungen an Wertigkeit verlieren. In Anleitungen der katholischen Kirche für den Religionsunterricht finden sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts Erzählungen über Wiedergänger mit unterschiedlichen Funktionen: einerseits mit der Bitte um Hilfe für die armen Seelen und andererseits zur Vermittlung einer Botschaft. Die Lebenden wurden dazu angehalten, den Toten Beistand zu leisten, vor allen dadurch, dass sie Messen lesen ließen.« In: Ebd. S. 755. »In der abendländischen Kulturgeschichte werden diese Wiedergänger in literarischen Überlieferungen der Neuzeit faßbar«. Siehe: Bräunlein: 2001, S. 109. Burkhart, Dagmar: Kulturraum Balkan: Studien zur Volkskunde und Literatur Südosteuropas. Hamburg, 1989. S. 66.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Totentanzdarstellungen ersichtlich. In diesem alle Gesellschaftsschichten durchdringenden Pas de Deux anmutenden Tanz sind alle Stände vor dem Tod gleich.117
3.7
Das Motiv des Memento mori und Totentänze
In allegorischer Analogie zum Zombie wurde der Tod in der Todessymbolik, etwa in den Totentänzen (les danses macabres) vor dem 16. Jahrhundert, als Sensenmann bzw. Gevatter Tod, Todesgenius, Reiter oder Skelett visualisiert und personifiziert.118 Also als der Tod selber, aber ohne Bezüge zu jemals Lebendigen. Wobei der Sensenmann, anders als der Zombie, von einem intellektuell klar geordneten Bestreben geführt wird, der Zombie jedoch nur einem animalisch-anmutenden Basistrieb anheim fällt. Während der Sensenmann gekonnt ein Ende herbeiführt, führt der Zombie nicht nur ein Ende der prämortalen Existenz herbei. Er verwehrt im Anschluss sogar noch die Möglichkeit zu enden und bindet stattdessen zwangsläufig an ein untotes Drangsal auf unbestimmte Zeit. Besonders furchterregend sind die damit einhergehenden Faktoren wie Kannibalismus und akuter Verfall, welche dabei als Spiegelbild der allgemeinen Lifestyle-Obsession (siehe Kap. 5.4.1.2), inklusive der Berücksichtigung des Wegfalls der Möglichkeit auf Auferstehung im theologischen Sinne zu verstehen sind. Der Zombie ist also eine phantastische Kreatur, die nahezu als Allegorie in der filmischen Kunst identische Konformitäten mit dem (barocken) Memento mori-Zeitgeist und dessen Darstellung in Kunst und Literatur aufweist. Das Motiv des Totentanzes tauchte bereits im Rekurs auf archaische Gedächtnisriten in ägyptischen, etruskischen, heidnischen und frühchristlichen Funden auf. Im Spätmittelalter reformulierte der Klerus das heidnische Brauchtum und personifizierte den Tod, um den Lebenden ihre Sünden zu vergegenwärtigen und sie daran zu erinnern, dass alle Menschen sterben und vor Gott Rechenschaft ablegen müssen.119 Totentanzdichtungen fanden wohl ab dem 15. Jahrhundert in Frankreich und Deutschland piktorale Gestalt – mit langen Tanzketten oder wilden Sprüngen und diversen Musikinstrumenten – in monumentalen Gemälden auf Friedhofsmauern, wie zum Beispiel auf dem frühest datierbaren Totentanz auf dem Pariser Friedhof Saints Innocents von 1424/1425.120 117
Vgl. Sörries, Reiner: Ruhe sanft. Kulturgeschichte des Friedhofs. Kevelaer, 2.Aufl. 2011. S. 74-75. 118 Vgl. Schweikardt, Christoph; Groß, Dominik: Die »Realität des Todes« – eine thematische Einführung. In: Dies. (Hg.): Die Realität des Todes. Zum gegenwärtigen Wandel von Totenbildern und Erinnerungskulturen. Frankfurt a.M. S. 11. 119 Vgl. Wunderlich, Uli: Totentanz. In: Brittnacher, Hans Richard (Hg.): Phantastik. S. 488-493. Hier S. 488. 120 Vgl. Knöll, Stefanie: Die Vermarktung des Todes: Der Basler Totentanz im 19. Jahrhundert. In: Schweikardt, Christoph; Groß, Dominik (Hg.): Die Realität des Todes. Zum gegenwärti-
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
Die Auftritte der Zombies können entsprechend ansatzweise mit den Totentänzen formal in Verbindung gebracht werden, wobei die Bewegungen der Zombies in keiner Weise der Fröhlichkeit und überbordenden Beweglichkeit eines Totentanzes ähneln. Allerdings könnte aus dem formal widersprüchlichen Auftreten eine Bezugnahme angedeutet werden. Die Ewigkeitssehnsüchte des Barock resultierten unter anderem aus dem Einfluss des dreißigjährigen Krieges 1618-1648 sowie der Pest, welche jedoch erst später aus den Quellen nachgewiesen wird. Diese Indikatoren dienten primär für die Weltentsagung der Menschen im Elend ohne Gott. In den daraus produzierten Totentanz-Darstellungen sind Skelette aus ihren Gräbern gestiegen, um Lebende zum Tanz und damit zum Tod zu verführen. Später entwickelten sich auch Streitgespräche zwischen Leben und Tod, die in Form von Bußpredigten der Bettelmönche Gehör fanden.121 »Die Begegnung zwischen Mensch und Tod ist hier nicht gewaltsam. Der Anblick des Todes ist als Mahnung gedacht und bedeutet gleichermaßen die Hinwendung zu einem profanen Todesbild. Der Totentanz war Ausdruck der Integration des Todes in den Alltag.«122 In ihrer Standardform wurden Totentanzdarstellungen mit dem Sündenfall eingeläutet und mit dem Weltgericht abgeschlossen, sodass ersichtlich werden sollte, welchen Ursprung der Tod hat und wie am Ende der Zeit der ursprüngliche paradiesische Zustand wiederhergestellt wird. In diesem Sinne charakterisieren Friedhöfe, so Sörries, auf den sich hier bezogen wird, einen besonderen Raum, »der einerseits das Zusammenleben von Lebenden und Toten regelt und andererseits als ein interimistischer Ort zwischen der irdischen und der jenseitigen Welt vermittelt.«123 Letztlich sollte anhand der religiösen Bußliteratur die Gleichheit aller Menschen und die Unausweichlichkeit des Todes verdeutlicht werden.124 Aus diesen Hintergründen resultierten unter anderem die großen Memento moriDichtungen.125 Bis ins 16. Jahrhundert wurde zusehends in den TotentanzDarstellungen der Schwerpunkt auf den Leichnam und dessen Verwesung gelegt, sodass die anfangs erstrebte Mahnung an die Vergänglichkeit und Eitelkeit des diesseitigen Lebens in eine Lektion über das Grauen und die Schrecken des Todes und der Verwesung umschlug.126 gen Wandel von Totenbildern und Erinnerungskulturen. Frankfurt a.M., 2010. S. 155-172. Hier S. 155. 121 Vgl. Beltz, Walter (Hg.): Lexikon der letzten Dinge. Augsburg, 1993. S. 456. 122 Pennington, Margot: Memento mori. Eine Kulturgeschichte des Todes. Stuttgart, 2001. S. 57. 123 Sörries: 2011, S. 75. 124 Vgl. Schneidewind: 2010, S. 422. 125 Vgl. Ebd. 126 Vgl. Pennington: 2001, S. 58.
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In der abendländischen Tradition hat das Memento mori als Bildmotiv in der bildenden, vor allem christlichen Kunst auf die Sterblichkeit des Menschen hingewiesen. Die Totentanzdarstellungen zeigten seit dem 14. Jahrhundert die Macht des Todes über das Menschenleben in einer Reihe allegorischer Gruppen.127 Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden im Zuge der Säkularisation verschiedene Personifizierungen des Todes (z.B. Skelette) oft zum Anlass wohligen Gruselns verwendet. Mit dem Fortschritt der Säkularisierung im 19. Jahrhundert verloren Totentänze im Zuge der Marginalisierung theologischer Botschaften zwar ihren christlichen, jedoch nicht ihren moralischen Charakter.128 Hinzu kommt nach Wunderlich, dass der personifizierte Tod die ungeschminkte Coleur des Menschen entblößt, wodurch Bilder und Texte von Totentänzen in den Bereich des Komischen verlagert wurden.129 Am Ende seines Aufsatzes über den Totentanz schließt Wunderlich mit der Aussage, dass die Totentanz-Forschung den Fantasy- und Horrorbereich »nach wie vor eher ignoriert.«130 Die Inbezugnahme der Phantastik ist allerdings mit Blick auf den ZombieTopos und dessen allegorischen Gehalt besonders als Verquerung zur christlichen Memento mori-Botschaft unabdingbar, da der ›zombiefizierte Tod‹ allein schon ikonografisch Affinitäten zu kunstgeschichtlichen Totentänzen aufweist, in seiner Aussage jedoch in einer säkularen Gesellschaft über die Memento mori-Darstellungen hinausgeht.131 Nachdem hier westliche Traditionen erörtert wurden, wird im Folgenden die westafrikanische bzw. haitianische Strömung dargestellt.
3.8
Der haitianische Vodou-Zombi und Voodoo-Zombie Bezüglich der Metaphorik hat die Figur des Zombies von der Voodoo-Exotik zur Ikone des modernen Horrors eine Kehrtwende vollzogen.132
Schrackmann formulierte treffend, dass Zombies cineastische Horrorkreaturen bzw. kanonisierte Filmmonster sind, die keiner literarischen Tradition entnommen wurden, sondern aus dem haitianischen Volksglauben direkt den Sprung in
127 128 129 130 131
132
Vgl. Schweikardt: 2010, S. 11. Vgl. Wunderlich: 2013, S. 489. Vgl. Ebd. Ebd. S. 492. Vgl. Backe, Hans-Joachim; Aarseth, Espen: 2014, S. 6. Anm.: Die Autoren verwenden hier den Begriff »post-modern Memento mori« unter einer modernen, wirtschaftlichen Lesart des Zombies. Fürst, Michael; Krautkrämer, Florian, Wiemer, Serjoscha (Hg.): Untot – Zombie Film Theorie. München, 2011. S. 9.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
das Medium Film geschafft haben.133 Anhaltspunkte dafür finden sich zunächst etwas allgemeiner in lexikalischen Beiträgen: Das Metzler Lexikon Religion fasste 1990 unter Zombies Untote, Wiedergänger oder lebende Leichname, von denen angenommen wird, dass sie zu schwarzmagischen Zwecken der karibischen, besonders haitianischen Voodoo-Religionen zum Leben erweckt oder beherrscht werden können.134 Das Lexikon der Dämonen und Elementargeister fügt hinzu, dass sich die archaische Vorstellung der wiederkehrenden Toten in der verbreiteten Zombievorstellung auf Haiti und anderen südamerikanischen Ländern mit wiederbelebten Leichnamen, wie dem Golem aus der jüdischen Mythologie, mischen.135 Die etymologische Abstammung des Terminus ›Zombie‹ ist eine Entlehnung aus den Wörtern zombi(e) oder zumbi aus den Bantusprachen Afrikas, was übersetzt ›versklavter Geist‹ bedeutet und in den afrikanischen Vodou-Religionen verwendet wurde.136 Weiterhin bedeutet das Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung »der dem Menschen zugewandte Himmelsgott und Vermittlergeist (Loa), Damballah Wedo, der als Schlange spricht, oder die als Zombie astral definierte von Zauberern gefangene Totenseele«.137 Kleinschnittger unterscheidet zwischen Zombi und Zombie: Erstere bezeichnen die dem haitianischen Vodou angehörenden Entitäten, während Letztere die westliche und mediale Interpretation derselben sowie alle Bezugnahmen auf die Figur in nicht-haitianischen und nichtvodouistischen Kontexten begreifen.138 Kleinschnittger formuliert allerdings nicht, dass sich die gesamte Unterscheidung der Schreibweisen von Zombie, Zombi und Vodun ausnahmslos aus der mündlichen Weitergabe der Begriffe über die Regionen und Jahrhunderte hinweg erklärt. Die jeweiligen (muttersprachlich zu unterscheidenden) Zeitzeugen (=Autoren) haben die Wörter nach bestem Wissen verschriftlicht. Das kann zu nichts anderem führen als zu Unterscheidungen in der Schreibweise. Der Unterschied in der Beschreibung liegt im Glauben beziehungsweise Zweifel daran. Der aus dem afrikanischen Kimbundu stammende Begriff für Totengeist ›nzúmbe‹ wurde zusammen mit den westafrikanischen Riten des Vodun durch den transatlantischen Sklavenhandel in die Karibik transportiert, wo sich das
133 134 135 136 137 138
Vgl. Schrackmann: 2001, S. 218. Vgl. Auffarth, Christoph; Bernard, Jutta; Mohr, Hubert (Hg.): Metzler Lexikon Religion. Bd. 3. Paganismus – Zombie. Stuttgart; Weimar. 2000. S. 725. Vgl. Petzoldt: 1990, S. 195-196. Vgl. Auffarth et.al.: 2000, S. 725. Vanvlodorp, Corinna: Zombies in der (Pop)kultur. Sind wir nicht alle ein bisschen Zombie?. In: LARPzeit Nr. 37 (2012), S. 9-12. Hier S. 10. Anm.: Eine präzise Zusammenstellung zur Herkunft des Begriffes »Zombi/e« bietet Kleinschnittger. Siehe: Kleinschnittger: 2015, S. 38-39.
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afrikanische Brauchtum durch das Bestreben der Kolonialherren teilweise mit dem Christentum fusionierte und der haitianische Vodou entstand.139 Die ehemalige französische Kolonie Saint-Domingue bzw. Haiti auf der Insel Hispaniola, die seit der Auflösung der Sklaverei eine im karibisch-iberoamerikanischen Raum unabhängige ›schwarze‹ Republik wurde, gilt dabei gemeinhin als Ursprungsort des ›Zombis‹.140 Die in Haiti praktizierten Vodou-Rituale mit dem ›versklavten Geist‹ beruhen auf dem westafrikanischen Zwei-Seelenkonzept des Vodun141 : Nach diesem konstituiert sich der Mensch zum einen aus einer ›Vitalseele‹, wortgetreu ›großer guter Engel‹ (kreol. Gros-bon-ange), dem innersten Kern eines Menschen und der geistigen Komponente des Individuums, analog zur Seele in der christlichen Lehre.142 Zum anderen besteht der Mensch aus einer Schattenseele, einer den Menschen belebenden Lebensenergie (die den Körper während des Schlafs verlässt und nach dem Tod in der Welt umherstreift) sowie seinem moralischen Gewissen, wörtlich ein ›kleiner guter Engel‹ (kreol: Ti-Bon-ange, aus dem französischen Petit bon ange), also dessen, was im Körper bleibt, um weiterhin motorische Leistungen vollziehen zu können. Nach Deren und Métraux wird der Gros-bon-ange als individueller Anteil der Seele verstanden, welche die Persönlichkeit, das Denken und den Intellekt umfasst, während die Ti-bon-ange als motorisches Prinzip zu verstehen ist.143 Während einer Vodou-Zeremonie kann dieser unsterbliche Teil des Menschen die Physis verlassen und einem Lwa, einer Art Engel, Heiligen oder Geistwesen, seinen Körper für kurze Zeit offerieren, wobei sich die Sensomotorik, das Verhalten und die Linguistik des gefügig gemachten Körpers gemäß eines Lwas metamorphisiert.144 Der Fokus der schwarzmagischen Praxis besteht nun darin, den vom Körper losgelösten Gros-bon-ange-Part einzufangen (z.B. nach dem Tod durch ein Ritual) 139
Anm.: Nach dem Oxford English Dictionary taucht das Wort »zombie« im englischen Sprachgebrauch zum ersten Mal 1819 in Robert Southey’s History of Brazil (London: Longman, 18101819) auf. In diesem Buch behauptet Southey, dass der Terminus »Zombie« kongruent mit dem Teufel sei, wobei eine Elaboration hinsichtlich dieser These nicht vorhanden ist. Der Begriff wurde erst mit Lafcadio Hearns 1889 verfassten Artikel »The Country of the ComersBack« im amerikanischen Harpers Magazine in das Bewusstsein der englischsprachigen Welt gespeist. Vgl. Russel: 2008, S. 9. 140 Vgl. Vanvlodorp: 2012, S. 10. 141 Anm.: Die Annahme von einem Doppel-Leben im Menschen findet sich bereits bei den Fravaschi in Persien über das Ka in Ägypten, die Psyche im antiken Griechenland und den genius im alten Rom bis in die heutige Zeit. Vgl. Schneidewind, Friedhelm: Mythologie und phantastische Literatur. Essen. 2008. S. 126. 142 Vgl. Kleinschnittger: 2015, S. 31-34. 143 Vgl. Deren, Maya: Divine Horsemen: The Living Gods of Haiti. London, 1953.; Métraux, Alfred: Voodoo in Haiti. 3. Aufl. Vastorf, 1998. 144 Vgl. Kleinschnittger: 2015, S. 28-30.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
und den Körper und/oder die Seele des Menschen dienstbar zu machen und mithin zu zombifizieren. Vollzogen wird diese Praxis von einem Schwarzmagier bzw. Zauberer, dem sog. Bokor oder auch durch einen Houngan. Kleinschnittger fasst nun drei mögliche Herangehensweisen zusammen, welche die Existenz des haitianischen Vodou-Zombie zu erklären bzw. zu definieren versuchen, die hier aufgrund ihrer präzisen Differenz im Kontrast zu anderen grob besprochenen Ausführungen in gekürzter Form herangezogen werden sollen:
3.8.1
Der Zombi als Teil des vodouistischen Glaubenssystems
Der Zombi ist Teil des vodouistischen Glaubenssystems, seine Existenz ist damit für gläubige Vodouisten unbestritten. Entsprechend resultiert daraus die Angst der Gläubigen, dass der Gros-bonange durch die Zombifikation keine Ruhe finden kann. Der Bokor kann den Grosbon-ange entweder durch lebende Opfer stehlen oder durch die Verwendung eines giftigen magischen Pulvers hervorrufen. Der von der Gros-bon-ange verlassene Körper wird nun dienstbar, indem der Bokor dem Körper einen Gifttrank verabreicht, damit eine vermeintliche Totenstarre erfolgt und er den stuporischen Körper innerhalb von 24 Stunden vergraben kann.145 Im Laufe der Nacht soll auf das Grab eine spezielle Flüssigkeit gegossen werden, sodass sich der ›Leichnam‹ erhebt und fortan als willen- und seelenloses Werkzeug dem Magier gehorchen und für ihn auf der Plantage arbeiten muss.146 Oder der Trank wird dem Noch-nicht-Toten gegeben, damit dessen Herztätigkeit wieder normalisiert wird. Das Großhirn ist dann aber in wesentlichen Teilen (durch das zuvor verabreichte Gift) abgestorben. Der dargestellte Prozess ist also nur ›Volksglaube‹. Eine Person wird pharmakologisch induziert durch Gifttränke, Gebräu, Tinkturen, Sud oder Pulver in einen vermeintlichen Scheintod versetzt. Durch die Bewusstlosigkeit sind keine Herztöne mehr zu hören, sodass die Person aus hygienischen Gründen bestattet werden muss. Dabei fällt das Opfer in einen katatonischen Zustand, was die Verifizierung des Todes und aufgrund der heißen (karibischen) Temperaturen die sofortige Beerdigung zur Folge hat. Doch die für tot erklärte Person ist noch am Leben.147 Nachts wird der vermeintliche Leichnam wieder aus dem Grab geholt und von der Starre befreit. Da das Opfer in einen
145
Anm.: Allerdings wird in Haiti nicht vergraben, sondern eingemauert, da der felsige Untergrund kein Graben zulässt. Innerhalb von 24 Stunden ist wegen der schnellen Verwesung die Bestattung, aufgrund von Hitze und Luftfeuchtigkeit, Pflicht. 146 Vgl. Auffarth et.al.: 2000, S. 726. 147 Vgl. Hercenberger: 2016, S. 221.
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willen- und wehrlosen Zustand gefallen ist, in dem es sich nicht artikulieren kann, ist es dem Willen des Magiers unterworfen.148 Zugleich entsteht durch den Prozess der magisch evozierten Separierung von Körper und Geist ein Dualismus zweier getrennter, aber komplementärer ZombieEntitäten, derer sich der Bokor bemächtigen kann. Zum einen der Gros-bon-ange als körperloser Geist eines Verstorbenen, von Kleinschnittger als Zombie Astral betitelt, zum anderen ein Zombi Cadavre, der fleischliche Zombi, eine animierte Leiche, seelenloser Kadaver und leeres Gefäß, die ihres Willens und ihrer Individualität, Moral und Persönlichkeit beraubt wurde. Während der eingefangene Zombi Astral in variable Gestalten (Tiere, Steine) gebannt werden kann, wird der Zombi Cadavre für die Verrichtung verschiedenster Arbeiten, nicht aber für böswillige Zwecke, eingesetzt.149 Der Zombie ist, so Kleinschnittger, durch die Abwesenheit von Wille, Bewusstsein und Sinn abstrahierte Menschlichkeit, die sich in den tiefliegenden Ängsten wie dem Körperhorror widerspiegelt. Damit nimmt der Vodou den Fokus späterer Zombiefilme auf den visuellen Körperhorror vorweg.150 In verschiedenen Ländern Afrikas existierte bzw. existiert der Glaube an lebende Tote in Analogie zu dem Voodoo-Kult Haitis:151 Wenn man in Benin durch einen Zauberer starb, so glaubte man, konnte dieser die Toten wieder aus dem Grab holen und zu einer Knechtschaft in ein weit entferntes Land verdammen.152 In der ehemaligen südafrikanischen Provinz Transvaal glaubte man daran, dass Menschen so getötet werden können, dass nur der Schatten des Menschen im Grabe landet. Die reale Person ist dann dazu verdammt, physische Arbeit oder böse Machenschaften zu verrichten.153 Die Zinza aus Tansania glauben, dass der einheimische Zombie ›kintunge‹ eine tote Person sei, die mit der Medizin einer Hexe wiederbelebt wurde, ihre Seele verloren habe und nur geringere Arbeit durchführen könne. Da dies nur in der Nacht stattfindet, können die ›kintunge‹ kaum gesehen werden.154
3.8.2
Versuch der empirischen Nachweisbarkeit von Zombifikationen
Weiterhin ist das Konzept, dass eine reale Person zu einem Zombi wird, ein reales Phänomen, welches jedoch nicht auf numinoser, sondern auf biochemischer Basis gründet und damit empirisch nachweisbar ist. 148 149 150 151 152 153 154
Vgl. Vanvlodorp: 2012, S. 10. Vgl. Kleinschnittger: 2015, S. 36-37. Vgl. Ebd. S. 53f. Anm.: Es ist genau dieser Glaube, der sich unwesentlich unterscheidet, teilweise deshalb, weil in Haiti und Afrika unterschiedliche Gegenstände greifbar sind. Vgl. Ackermann, Hans-W.; Gauthier, Jeanine: The Ways and Nature of the Zombi. In: The Journal of American Folklore, Vol.104, Nr. 414 (1991), S. 478. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. S. 479.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
Die verstorbenen Haitianer Felicia Felix-Mentor155 , Natagette Joseph156 und Clairvius Narcisse157 sind die bislang dokumentierten Fälle, die als tot erklärt wurden, aber Jahre später wieder auftauchten und in der Literatur (wenn auch kritisch) als tatsächlich existierende Zombis bezeichnet werden. Ob es sich jedoch um psychopathologische Phänomene handelt, bleibt fraglich.158 Bereits Seabrook (weniger dezidiert, 1929) und Hurston (1990) führten aufgrund solcher Erscheinungen die Bokor-Praxis mit dem spezifisch hergestellten Pulver nicht auf magische, sondern auf biochemische Prozesse zurück.159 Nach Horston soll das Pulver das Gehirn stark beschädigen, sodass Sprachvermögen und geistige Klarheit verloren bzw. beeinträchtigt werden und das Opfer folglich in einen todesähnlichen Zustand versetzt wird.160 Métraux und Leyburn sind mit diesen Theorien vertraut, kategorisieren aber die vermeintlichen Zombis als geistig beeinträchtigte oder kranke Menschen.161 Durch die in den 1980er-Jahren auf Haiti durchgeführten Untersuchungen des kanadischen Ethnologen Wade Davis anhand des Falls des mutmaßliches Zombis Clairvius Narcisse ist bekannt, dass die Ursachen der etwaigen Zombi-Erscheinungen psychedelischer Natur sind und es sich bei den giftigen Substanzen des Bokor um Halluzinogene aus dem Kugelfischgift Tetrodoxin und der Engelstrompete bzw. der Datura stramomium-Pflanze, auch Zombie-Gurke genannt, handelt.162 »Das Opfer leidet, so die Vermutung der Psychologen, als Folge seiner traumatischen Erfahrungen unter einer Psychose, die es in Verbindung mit der Droge zum 155
Vgl. Neale Hurston, Zora: Tell my Horse. Voodoo and Life in Haiti and Jamaica. New York: 1990. S. 181. 156 Davis, Wade : The Serpent and the Rainbow. New York: Touchstone 1985. S. 27. 157 Davis, Wade: Passage of Darkness. The Ethnobiology of Haitian Zombie. Chapel Hill (N.C.), 1988. S. 83.; Ackermann/Gauthier: The Ways and Nature of the Zombi, S. 485-486. 158 Anm.: Weitere Affinitäten zum Untoten weisen die Beerdigungsriten des Volks der Tojara auf der Insel Sulawesi in Indonesien auf. Dort besteht der Glaube, dass das immanente Leben nur ein Übergang zum wichtigeren transzendenten Leben (Puya) ist, weshalb angenommen wird, dass nach dem Tod einer Person die Seele in der Umgebung verweilt. Eine verstorbene Person wird also einbalsamiert, im Hause bewahrt und so behandelt wie eine schlafende Person, da das Beerdigungsritual auch über mehrere Jahre dauern kann. Die Ausübung der Beerdigung hängt vom gesellschaftlichen Status der verstorbenen Person ab. In einem jährlichen Ritual namens »Ma’nene« werden die Toten wieder aus ihren Gräbern geholt, gewaschen und neu eingekleidet. Dann werden die hergerichteten Leichen zu dem Ort gebracht, an dem sie verstorben sind. 159 Siehe: Hurston: 1990.; Seabrook, William: The Magic Island. New York, 1929. Neuauflage Mineola (New York), 2016. 160 Vgl. Horston: 1990, S. 196. 161 Siehe: Métraux: 1996, S. 324; Leyburn, James Graham: The Haitian People. 2nd print. New Haven, 1945. S. 163f. 162 Vgl. Kleinschnittger: 2015, S. 43.
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willenlosen Sklaven seines Peinigers macht. Hinzu kommt, dass ihm durch seinen nachweislichen Tod alle sozialen Bindungen und gesellschaftlichen Aufgaben genommen sind, so dass er ausgestoßen und folglich seinem Schöpfer ausgeliefert ist.«163 Weiterhin schildert Davis den nicht zu vernachlässigenden psychosozialen Effekt, da das Opfer mit den Geschichten der Zombiwerdung vertraut ist und Zombis als Teil der Realität sieht.164 Mithin wird hier eine klare Analogie zur Taphephobie der westlichen Welt ersichtlich, weil die Menschen in Haiti ebenfalls das Lebendig-Begraben-Sein unter dem Einfluss des Bokors fürchten. Anders als im Volks- und Aberglauben Europas haben die Haitianer allerdings keine Angst vor der Begegnung mit einem Wiedergänger, sondern vielmehr davor, selbst zu einem zu werden und damit den Verlust ihrer Individualität zu erfahren. Ein Topos, der sich später im filmischen Kontext über Romero bis zu Kirkmans The Walking Dead fortsetzen wird. In seinem 1988 erschienenen Buch The Serpent and the Rainbow165 dokumentierte Davis seine Forschungsergebnisse: Es wurde noch im selben Jahr als gleichnamiger Horrorfilm von Wes Craven mit fiktionalen Anreicherungen umgesetzt.166 Andere Forscher halten die Aufarbeitung von Davis für unzureichend, ungenau und unempirisch. Ihm fehle eine fundierte Basis für seine Hauptaussagen und er überschreite bei seinen Untersuchungen ethische Grenzen (wie beispielsweise der Beiwohnung der Exhumierung einer Kinderleiche).167 Sie sehen die wenig dokumentierten Fälle von haitianischen Zombis mehr als fehlidentifizierte Geisteskranke oder Obdachlose, die aufgrund der Präsenz des Zombie-Mythos im karibischen Raum als verlorene Seelen abgewertet wurden.168 Der Zombie-Status kann demnach auch als eine sozialmythische Chiffre und weniger als reales Geschehen aufgefasst werden.169
3.8.3
Der Zombie als sozialmythische Chiffre
Damit ist der Zombi Teil der haitianischen Folklore und ein figuratives Symbol, welches durch Verzerrung bzw. Bearbeitung fiktionalisiert wird.170 Der Zombi ist
163 Vanvlodorp: 2010, S. 10. 164 Vgl. Davis, Wade: Passage of Darkness. The Ethnobiology of Haitian Zombie. Chapel Hill (N.C.), 1988. 165 Davis, Wade: The Serpent and the Rainbow. New York, 1985. 166 Siehe: The Serpent and the Rainbow. R.: Wes Craven. USA. 1988. 167 Vgl. Kleinschnittger: 2015, S. 44. 168 Vgl. Kleinschnittger: 2015, S. 44; Vanvlodorp: 2012, S. 11. 169 Vgl. Auffarth et.al.: 2000, S. 727. 170 Vgl. Kleinschnittger: 2015, S. 35.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
eine Mystifikation der Sklaverei, der politischen Repression171 und eine Metapher des ewigen Daseins als Sklave, der dazu gezwungen wurde in alle Ewigkeit auf der Plantage des Kolonialherren zu arbeiten. Im Jahr 1791 verlor die Kolonialmacht Frankreich durch die Sklavenrevolte, trotz der Entsendung von Zivilkommissionen, die Kontrolle über die haitianische Kolonie.172 Nach der Abschaffung der Sklaverei durch den Kommissar Léger-Félicité Sonthonax (29.08.1793) und durch den Nationalkonvent (04.02.1794) stieg der ehemalige Sklave Francois Dominique Toussaint Louverture 1801 zum Gouverneur Hispaniolas auf. Es gelang ihm die Bedrohung durch spanische und englische Invasoren zurückzudrängen. Nach seiner Gefangennahme durch einen von Napoleon Bonapartes entsendeten Expeditionskorps wurde 1804 Haitis Unabhängigkeit durch Jean-Jacques Dessalines ausgerufen. Zu diesem Zeitpunkt war Haiti aufgrund der vorangegangen Unruhen ökonomisch destabilisiert und vom Rest der internationalen Gesellschaft isoliert. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts signalisierte Amerika ein großes Interesse, die Karibik als ihren Hinterhof mit gleichzeitig erstrebter Sicherung des Panamakanals zu betrachten. Mit der zunehmenden Destabilisierung Haitis, in welcher insgesamt sieben verschiedene Regime zwischen 1908 und 1915 scheiterten, folgte schließlich 1915 die Besetzung Haitis, welche durch den Druck amerikanischer Konzerne mit der Intention, die Lage in der Karibik zu sichern, erreicht wurde.173 Darüber hinaus hatte Haiti durch den Präsidenten General Guillaume Sam 21 Millionen Dollar Schulden bei amerikanischen Banken, was 1915 den Ausschlag zur Besetzung der Insel durch US-Truppen gab.174 »Offiziell verfolgten die Amerikaner das Ziel, die Ordnung auf Haiti wiederherzustellen und die Insel mit einem Schulsystem, hygienischen und medizinischen Einrichtungen und sonstiger Infrastruktur zu versorgen; tatsächlich wollten sie jedoch verhindern, dass feindliche Nationen wie etwa Deutschland die instabile Republik in den erwarteten Krieg gegen die USA hineinzog. Statt Hilfe brachten die Amerikaner weiteres Leid auf die Insel: Sie führten Rassentrennung, Zwangsarbeit in Ketten, Todesstrafe sowie den Begriff ›Nigger‹ auf Haiti ein.«175 Die Bevölkerung Haitis sah die Besetzung folglich als Beleidigung ihrer Souveränität und individuellen Freiheit, weshalb es zwischen 1918 und 1919 immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den amerikanischen Besatzern kam,
171 172 173 174 175
Vgl. Auffarth et.al.: 2000, S. 727. Vgl. Rinke, Stefan: Geschichte Lateinamerikas – Von den frühesten Kulturen bis zur Gegenwart. München, 2010. S. 56. Vgl. Russel: 2010, S. 16-17. Vgl. Vuckovic, Jovanka: Zombies. Die illustrierte Geschichte der Untoten. München, 2012. S. 21. Ebd.
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während Amerika fortwährend Haitis Kultur durch die ihre assimilierte. In diesem Zuge gelangte der Zombi nach Amerika, was im Folgenden genauer beschrieben werden soll.
3.9
The Magic Island: Haitis Okkupation und Seabrooks Deportations-Initial By the early 1930s the situation had radically altered, as the success of The Magical Island turned the zombie into a recognizable horror monster.176
In diesem unruhigen Gefüge erschien 1929 William Seabrooks erfolgreiches, nach Sensationalismus eiferndes und diffamierendes Buch über Haiti The Magic Island177 , in welchem der Autor das Interesse der amerikanischen Bevölkerung stillen konnte, die mehr über exotische Voodoo-Rituale erfahren wollte. So brachte er im Rahmen seiner ethnologischen Untersuchungen den Corpse Cadavre den amerikanischen Lesern näher und transferierte so den Zombie als negativ-mythische Figur der besetzten Insel mit ihrer sinistren Exotik in das amerikanische Gedächtnis: »Seabrooks ›The Magic Island‹ ist somit zum einen ein interessantes Zeitzeugnis der Beziehung zwischen den USA und Haiti, der bestehenden Vorurteile gegenüber Haiti, als auch des voreingenommenen und verzerrten Bildes, das in den USA von Vodou (im Sinne von Voodoo) Anfang des 20. Jahrhunderts existiert. Zum anderen kommt dem Text außerordentliche Bedeutung zu, da er maßgeblich für die Verbindung von Konzept und Begriff des Zombi/e und dessen Bekanntmachung im Westen verantwortlich ist – wobei dem amerikanischen Publikum eine westliche Interpretation der ursprünglichen folkloristischen Entität vorgestellt wird und damit im eigentlichen Sinne nicht der Zombi, sondern der Zombie.«178 Vuckovic ergänzt, dass das Zombie-Motiv suggerierte, »dass die Haitianer ein Volk von wilden Kannibalen seien, indem es den Voodoo-Glauben als vage Erklärung für die Existenz des Zombies anbot und als bösen, möglicherweise satanischen Kult mit grausigen Ritualen beschrieb.«179 Die Kannibalismus-Vorwürfe als OtheringStrategie sind eng mit der Karibik, besonders mit Hispaniola verbunden, sodass sich diese evozierten Bilder von Kannibalismus und Barbarei zwecks einer anti-
176 177 178 179
Russel: 2010, S. 17. Seabrook, William B.: The Magic Island. New York, 1929. Kleinschnittger: 2015, S. 49. Vuckovic: 2012, S. 21.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
haitianischen Propaganda mit obskuren Berichten vermeintlicher Voodoo-Rituale verbanden:180 »[…] during the U.S occupation of Haiti from 1915-1934, images of Haitian Vodou as a terrain of demonic possession, absurd superstition, and zombis profilated in the United States.«181 Aufgrund der genannten haitianischen Sachlage waren die dort genannten vermeintlich ›heidnischen Praktiken‹ wie der Kannibalismus, Kinderopfer, VoodooRiten und letztlich die Zombie-Mythologie seitens der Amerikaner für die Schädigung der Reputation Haitis eine willkommene Gelegenheit.182 »Das Auftauchen der Figur (des Zombies. Anm. des Autors) lässt sich nicht ohne diese historischen Kontexte und die damit verbundenen rassistischen Stereotypisierungen verstehen, die das Land als einen Hort des Aberglaubens und der schwarzen Magie identifizierten und die synkretische religiöse Praxis des Vodou diskriminierten, mit der auch der zombi in Verbindung steht.«183 Damit trug erst die amerikanische Besetzung von Haiti 1915-1934 im Wesentlichen zu der Loslösung der karibischen Unikalität des Zombie bei. Ebenso war das Pendant zum christlichen Glauben erschreckend, da hier der Fokus eindeutig auf die Lebendigkeit des toten Körpers gelegt wurde, statt auf das transzendente ewige Leben. Die Amerikaner übersahen im Zombi-Mythos allerdings die signifikanten hermeneutischen Gesichtspunkte der Vodou-Praxis, wie die Kritik der Sklaverei, des Kapitalismus oder auch der militärischen Intervention. Der Zombi-Mythos hat die militärische Besetzung Haitis insofern verstärkt, als mit dem Bekanntwerden dieser verruchten Praktiken eine Form von Barbarei suggeriert wurde, die es aus der Sicht der Amerikaner zu tilgen galt.184 Weiterhin trugen die diffamierenden Kurzgeschichten über haitianische Zombie-Praktiken wie Jumbee von Henry S. Whitehead (1930) sowie Salt is not for slaves von Garnett Weston (1931) dazu bei, dass der Zombie in der amerikanischen Kultur weiter popularisiert wurde, bis er 1932 durch Kenneth Webb, der von den genannten Kurzgeschichten inspiriert wurde, seinen Weg in das Theater mit dem Stück namens Zombie fand. Dieses auf einer haitianischen Plantage spielende Theaterstück wiederum diente Victor Halperin als Inspiration für den ersten 180 Vgl. Meier: 2017, S. 53. 181 Dubois, Laurent: Vodou and History. Comparative Studies in Society and History 43 (I), 2001. S. 92-100. Hier S. 92. 182 Vgl. Vanvlodorp: 2012, S. 10. 183 Rath, Gudrun: Zomi/e/s. Zur Einleitung. In: Harrasser, Karin/Timm, Elisabeth (Hg.): Zombies. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr.1, 2014. S. 12. 184 Vgl. McAlister, Elizabeth : Slaves, Cannibals, and Inflected Hyper-Whites: The Race and Religion of Zombies. In: Division Faculty Publications. Nr. 115, 2012. S. 472.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Zombiefilm namens »White Zombie« (1932)185 mit Bela Lugosi, der große Ähnlichkeiten mit dem Bühnenstück aufweist (ein Besitzer einer Zuckermühle verwandelt seine Arbeiter in Zombies) und erstmals Seabrooks geschilderte Kreatur filmisch visualisierte.186
3.10
Die Amerikanisierung des Zombies
Without George Romero, there is no The Walking Dead.187 Zunächst hat das Horrorfilmgenre seine Wurzeln in den englischen Schauerromanen des 18. und 19. Jahrhunderts.188 Deshalb prägten, neben zahlreichen Fauststoffen189 , Verfilmungen bekannter literarischer Vorlagen wie Shellys Frankenstein190 oder Stokers Dracula191 den frühen Horrorfilm.192 Dabei fällt auf, dass viele dieser Filme auf die Mystifizierung der Welt zurückgreifen, indem sie religiöse Überzeugungen und Riten einsetzen, um die Rückkehr von Toten zu erklären.193 Dazu zählen Golems194 oder auch die Mumie195 (ägyptische Rituale, Flüche, Wiedergeburten und Wiederbelebungen).
185 White Zombie. R.: Victor Halperin USA 1932. 186 Anm.: »White Zombie« ist nicht der erste Zombiefilm. Vielmehr ist es eine deutsche Produktion, ein Propagandafilm im Kontext des Ersten Weltkriegs mit Namen »Der Gefangene von Dahomey« (1918). Vgl. Meier, Jan Niklas: Zombie: 2017, S. 33.; Meier, Jan Niklas: Voodoo, Propaganda und ein französischer Feind. »Der Gefangene von Dahomey«. In: phantastisch! Ausgabe 2. 2018. S. 61-63. 187 Juan, Eric San: Dissecting The Walking Dead. USA, 2015. S. 30. 188 Vgl. Penner, Jonathan et.al. (Hg.): Horror Cinema. Köln, 2008. S. 9. 189 Anm.: Zwischen 1896 und 1912 wurden bereits 40 Teufelsfilme gedreht. Seit 1912 wurden darüber hinaus insgesamt 364 Horrorfilme, von denen 304 den Teufel im Sinne des Fausstoffs thematisieren, gezählt. Siehe weiter dazu: Malli, Dorothe: Faust und Prometheus. Zur Ikonographie des Phantastischen Films. Dissertation an der Ruhr-Universität Bochum. S. 109. Verfügbar unter: http://www-brs.ub.ruhr-uni-bochum.de/netahtml/HSS/Diss/MalliDorothe/d iss.pdf. 2002. Aufgerufen am 26.04.2018. 190 Anm.: Siehe: »Frankenstein«, R.: James Searle Dawley, USA 1910, »Frankenstein«, R.: James Whale, USA 1931. »Andy Warhol’s Frankenstein«. R.: Paul Morrissey, Italien, Frankreich 1973. 191 Anm.: Beispielsweise »Dracula«. R.:Tod Browning, USA 1931. 192 Anm.: Siehe vertiefend zu Exorzismus- und Teufelsfilmen: Faulstich, Werner: Antichrist, Besessenheit und Satansspuk: Zur Typologie und Funktion des neueren Teufelsfilms. In: Kreuzer, Helmut (Hg.): Faust und Satan, multimedial. Zeitschrift für Literaturwissenschaften und Linguistik Nr.66, 1987. S. 102-117. 193 Vgl. Ebd. S. 106. 194 Anm.: Beispielsweise »Der Golem, wie er in die Welt kam«. R.: Paul Wegener, USA 1920. 195 Anm.: Beispielsweise »Die Mumie«, R.: Karl Freund, USA 1932.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
»Natürlich implizieren solche Erzählungen stets eine vermeintliche ›Überlegenheit‹ des Christentums, denn die Rituale, um die es in diesen Filmen geht, stammen ausnahmslos aus älteren, ›finsteren‹ Religionen, und die Implikation einer solchen Darstellung ist, dass ausschließlich die Auferstehung Christi eine gute (göttliche) Auferstehung der Toten sein kann.«196 Genau diese Überlegenheit des Christentums wird auch in Zombiefilmen widerrufen. Dies ist das Besondere, das Neue, welches es im Rahmen der Analyse des The Walking Dead-Universums zu untersuchen gilt.197 Wie oben erläutert, griff Nordamerikas Filmmaschinerie das tradierte Konzept des karibischen ›Zombis‹ auf und machte aus diesem den ›Zombie‹. Strasser nennt diese amerikanische Erscheinungsform den »Unterhaltungszombie«.198 Der Aspekt des haitianischen VoodooKults im karibischen Ambiente wurde indes nochmals im Filmklassiker »I walked with a Zombie«199 von 1943 aufgegriffen. Suggerierte der Zombie im Kontrast zu Frankensteins Monster, Dracula oder der Mumie aufgrund seiner eindimensionalen Darstellung ohne Persönlichkeit eine gewisse Attraktivitätslosigkeit, fungierte er zunächst von 1940-1960 als Figur in billig gedrehten, aber florierenden Horror-B-Movies (meist Invasionsfilme), die den Zombie in allerlei Facetten, wie beispielsweise als radioaktive Mutanten oder Besucher eines anderen Planeten im Kontext von Kriegs- und Invasionsängsten der Amerikaner, visualisierten.200 Zugute kommt dem Zombie-Motiv dabei die fehlende literarische Tradition: Er kann, aus der Voodoo-Tradition herausgelöst, nun flexibel und variabel als Figur in verschiedenen Zusammenhängen und Umgebungen eingesetzt werden.201 Da die Friedhofskulisse mit dem Topos des Wiedergängers verbunden wird (Siehe Kap. 3.4), wurde auch der Zombie in dieser, dem europäischen Volks- und Aberglauben entstammenden und durch die Gothic Novel mystifizierten Lokalität, eingebettet. »Damit endet auch das Zeitalter des [indigenen] Zombie: Der westliche Zombie, der zwar schon in früheren Filmen perspektivisch neben dem exotischen, eingeborenen Zombie vorgestellt wurde, rückt ins Zentrum des Interesses, während der einer fremden Kultur und Gesellschaft angehörende [native] Zombie langsam verschwindet.«202 Filmisch moduliert wurde der Zombie,
196 Penner: 2008, S. 106. 197 Anm.: Glaubens- und Kirchenkritik findet sich auch in Nunsploitation- und Exorzismusfilmen wider. Siehe vertiefend zur Nunsploitation: Stiglegger, Marcus: Inquisition. URL: https://ww w.ikonenmagazin.de/artikel/hexen_nonnen.htm. Aufgerufen am 02.10.2018.; Cowan: 2008. S. 239-248. 198 Strasser: 2016, S. 45. 199 I Walked with a Zombie. R.: Jacques Tourneur. USA 1943. 200 Anm.: Siehe dazu ausführlich Kleinschnittger: 2015, S. 71-76. 201 Vgl. Kleinschnittger: 2015, S. 71. 202 Ebd. S. 72.
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wenn auch ohne solch eine Intention zu verfolgen,203 durch George A. Romeros originären »Night of the Living Dead«204 (1968) und seinen Nachfolgefilmen. Wesentlich für den Erfolg dieses Films ist die Revolution des Horrorkinos, da nicht mehr alleine die narrative Wirksamkeit des Unheimlichen als wiederkehrendes Verdrängtes bedient wurde.205 Vielmehr ging es im Horrorfilm nun um die Visualisierung von verstümmelten, aber lebenden Kadavern auf der Jagd nach Menschen. In diesem Kontext setzte Romero durch die Verfremdung des Menschen und der Zombie-Metamorphose den haitianischen ›Zombi‹ mit dem aus dem Horrorgenre bekannten Kannibalen gleich und legitimierte damit geschickt die Inszenierung des leinwandlichen Kannibalesquen.206 Dabei bestand weiterhin eine piktorale Affinität zum Anthropophagen, die jedoch qualitativ durch den Zombie-Modus und die Entmenschlichung, trotz kongruenter Körperlichkeit, bis zu einem gewissen Grad des Verfalls verfremdet wurde. Die Wahrnehmung dieses Topos wurde hernach radikal verändert. Mit der Neuformulierung des Zombies durch Romero wurde das klassisch-narrative Muster des Zombiefilms entwickelt; zugleich entstanden für den Zombie neue Definitionsansätze als formelhafte Blaupause für zukünftige Zombiefilme. Dazu heißt es im Lexikon des Horrorfilms: »Der filmische Zombie ist ein tatsächlich Toter, der sich mit dem Totsein nicht recht abfinden kann, aber dennoch vor sich her verwest, während er ein Faible für Menschenfleisch oder auch Gehirn entwickelt.«207 Drogla differenziert genauer vor dem Hintergrund des Kannibalismus: »Der Zombie ist nun kein magisch-vernebelter Arbeitssklave mehr, sondern ein von den Toten auferstandenes, menschenähnliches Ungeheuer mit instinktivem Hunger nach rohem Menschenfleisch – quasi ein untoter Kannibale. Weiterhin ist der Ursprung für die Wiederauferstehung keine Magie mehr, […] sondern eine Form von Krankheit unterschiedlichster Ursachen.«208
203 Anm.: Romero äußerte dazu 2013 in einem Interview mit Verweis auf die Ergebnisse des Ethnologen Davis: »To me back then, zombies were those voodoo guys who were given some sort of blowfish cocktail and became slaves. And they weren’t dead so I thought I was doing a brand new thing by raising the dead.« In: The Big Issue: George Romero Interview.« 5. November, 2013. Die Zombies in »Night of the Living Dead« werden nie als Solche, sondern in Anlehnung an die arabische Mythologie als Ghule (siehe Kap. 3.1) bezeichnet. 204 Anm.: In »Night of the Living Dead« (1968) weisen die Zombies noch minimale Anzeichen von Intelligenz auf. Dieser Aspekt wird in späteren Zombiefilmen Romeros widerrufen. 205 Vgl. Schuck, Peter: Re-Editing Zombies. George A. Romeros Diary of the Dead. In: Harrasser, Karin; Timm, Elisabeth (Hg.): Zombies. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr.1, 2014. S. 73-83. Hier S. 73. 206 Vgl. Ebd.; Drogla: 2013, S. 81. 207 Hahn, Ronald; Janse, Volker: 1989, S. 345. 208 Drogla, Paul: Vom Fressen und Gefressenwerden. Filmische Rezeption und Re-Inszenierung des wilden Kannibalen. Marburg 2013. S. 80.
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Auch die Ethnologin McAllister versucht nach ihren Ausführungen zum haitianischen Zombi die filmische Version zu fassen: »The film zombie is a former human with a body, but no soul, spirit, consciousness, interiority, or identity. This above all has become the common understanding of zombies in contemporary culture.«209 Juan nähert sich in seinem Definitionsversuch dem The Walking Dead-Zombie: »Shambling corpses with ragged clothing still clinging to their grey, rotting bodies. An unsteady, drunken walk. Long, pitiful moans and an aching hunger for human flesh.«210 Inspiriert für diesen neuen Zombie-Topos wurde Romero durch den 1964 erschienenen Film »The Last Man on Earth« mit Horrorfilmlegende Vincent Price, in Anlehnung an Richard Mathesons Roman »I am Legend« (Ich bin Legende) von 1954.211 In diesem Film streunten Hybridfiguren aus Vampiren und Zombies durch eine verlassene Stadt und jagten Price hinterher.212 Auf Basis der im Film inszenierten Endzeitstimmung und der dem Sujet inhärenten pessimistischen UntotenAtmosphäre baute Romero sein wegweisendes Opus Magnum auf.213 Weitere Impulse für Romero waren die expliziten Gore- und Slashfilme des Hershell Gordon Lewis wie »Blood Feast«,214 »Two Thousand Maniacs«215 und »Color Me Blood Red«216 sowie »The Flesh Eaters«217 von Jack Curtis, welche entgegen des klassischen Hollywoodkinos den großen Bedarf des Publikums an Gore und Ekel signalisierten. Noch bis zur Mitte der 1960er Jahre galt es als Tabu, die Zersetzung des menschlichen Körpers explizit zu visualisieren, weshalb die zuvor dargestellten Zombies starre Blicke, dunkle Augen und zerfetzte Kleidung aufwiesen. Erst mit dem von John Gilling produzierten Film »Plague of the Zombies«218 (1966) tauchten Untote in einem verwesten Zustand auf der Leinwand auf.219 Spätestens seit dem Ende der 1960er Jahre konnotierte der Filmrezipient unter Zombies blutrünstige, sadistische und erotische Eskapaden, in denen Zombiefilme
209 McAlister: 2012, S. 473. 210 Juan: 2012, S. 22. 211 Matheson, Richard: Ich bin Legende. Aus dem Amerikanischen von Ralf Schmitz. München, 2007. 212 Anm.: Die erste Verfilmung von Mathesons Buch war »Der Omega-Mann« von Boris Sagal aus dem Jahre 1971. Siehe: »Der Omega-Mann«. R.: Boris Sagal. USA, 1971. 213 Vgl. Kleinschnittger: 2015, S. 78-79. Anm.: Heffernan postuliert, dass Romero sich mehr vom Film »The Last Man on Earth« als an dem Roman »I am Legend« orientierte. Siehe: Heffernan, Kevin: Inner-City Exhibition and the Genre Film: Distributing »Night of the living Dead« (1968). In: Cinema Journal, 41 (3), 2002. S. 59-77. Hier S. 67. 214 Blood Feast. R.: Hershell Gordon Lewis. USA, 1963. 215 Two Thousand Maniacs. R.: Hershell Gordon Lewis. USA, 1964. 216 Color Me Blood Red. R.: Hershell Gordon Lewis. USA, 1965. 217 Flesh Eaters. R.: Jack Curtis. USA, 1964. 218 Plague of the Zombies. R.: John Gilling. USA, 1966. 219 Vgl. Kleinschnittger: 2015, S. 77.
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ein Sammelbecken bluttriefender Schockeffekte und kannibalistischer Grausamkeiten waren,220 sodass das Untoten-Motiv als Subkategorie des Horrorfilms ab den 1970er Jahren zu einem ökonomisch lukrativen Subgenre wurde.221 Relevant sind auch vier Filme des spanischen Regisseurs Amando de Ossorio, der in den 1970er Jahren den Zombie bereits in christlichen Sphären einsetzte. So zum Beispiel in »Die Nacht der reitenden Leichen« von 1971, in welchem Mönche als Zombies auftauchen und Jagd auf die Protagonisten machen.222 Auch Jorge Graus Pionierwerk des Italo-Zombie-Kinos »Das Leichenhaus der lebenden Toten«223 von 1974 und Lucio Fulcis immens brutalen Filme (in Anlehnung an den Kannibalenzyklus der Siebziger Jahre224 ) charakterisierten das Zombie-Genre wegweisend in den 1970 und Anfang der 1980er Jahre.225 Auf humorvoll-schauriger Ebene im Gewand einer burlesken Hommage an die zeitgenössischen Horrorfilme trug das 1983 von John Landis produzierte Musikvideo zu dem gleichnamigen Song »Thriller«226 von Michael Jackson mit seinen tanzenden Zombies zur Salonfähigkeit und Popularisierung des Zombies im Mainstream bei. Bildeten Zombiefilme in den 1980er und 1990er Jahren mit über 60 zombie- oder zombieähnlichen Produktionen wie Andrea Bianchis »Die Rückkehr der Zombies«227 oder Sam Raimies »Evil Dead« (Tanz der Teufel)228 nur ein randständiges Dasein in Midnight Movies,229 avancierten Zombies genrepluralistisch in
220 Vgl. Hahn et.al.: 1989, S. 496. 221 Vgl. Höltgen, Stefan: Zombiefilm. URL: http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexik on&tag=det&id =2591. Aufgerufen am 19.03.17. 222 Anm.: Insgesamt umfasst De Ossorios in Spanien und Portugal produzierte Zombiereihe: »Die Nacht der reitenden Leichen« (1971), »Die Rückkehr der reitenden Leichen« (1973), »Das Geisterschiff der schwimmenden Leichen« (1974) und »Das Blutgericht der reitenden Leichen« (1975). 223 Das Leichenhaus der lebenden Toten. R.: Jorge Grau. Italien, Spanien. 1974. 224 Siehe: Mondo Cannibale. R.: Umberto Lenzi. Italien 1972.; Mondo Cannibale 2. R.: Ruggero Deodato, Italien 1977.; Nackt unter Kannibalen. R.: Joe D’Amato. Italien 1977. 225 Anm.: Anfang der 1980er Jahre produzierte Fulci drei Klassiker des Zombiefilms: »Ein Zombie hing am Glockenseil« (1980), »Die Geisterstadt der Zombies« (1981) und »Das Haus an der Friedhofsmauer« (1981). Vertiefend zum italienischen Zombiefilm: Maier, Christian: Festschmaus für Fans. Der italienische Zombiefilm. In: Fürst, Michael; Krautkrämer, Florian; Wiemer, Serjoscha (Hg.): Untot – Zombie Film Theorie. München. S. 85-96. 226 Thriller. R.: John Landis. USA 1983. 227 Die Rückkehr der Zombies. R.: Andrea Bianchi. Italien, 1980. 228 Tanz der Teufel. R.: Sam Raimi. USA 1981. Anm.: Streng genommen handelt es sich hier nicht um Zombies, sondern um von Dämonen Besessene. 229 Anm.: Erwähnung finden soll hier Peter Jacksons »Braindead« von 1992 und das erfolglose Remake von Romeros »Night of The Living Dead« von Tom Savini aus dem Jahr 1990. Siehe: »Braindead«. R.: Peter Jackson. Neuseeland, 1992.; »Night of the Living Dead«. R.: Tom Savini. USA, 1990.
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jüngster Zeit zum hoch zelebrierten globalen Phänomen der Popkultur.230 Die filmische Adaption der Videospielreihe »Resident Evil«,231 oder Filme wie »28 Days Later«232 und »28 Weeks Later«,233 in welchen zombieähnliche Infizierte plötzlich schnell laufen können, Komödien wie »Zombieland«,234 »Shaun of the Dead«,235 oder Blockbuster wie der neuere »I am Legend«236 oder »World War Z«237 trugen zur erfolgreichen Wiederbelebung des Zombiegenres bei, sodass sich der ZombieTopos in einem inflationären multimedialen, besonders kinematisch-genreübergreifenden Diskurs befindet.238 Der Zombi wurde ergo durch die Kinematisierung amerikanisiert, in der westlichen Welt internalisiert und einem breiten Publikum präsentiert. Das Medium Film fungierte somit als Katalysator, um den ›Zombie‹ gesellschaftsfähig zu machen und von einem partikulären Volksglauben im Zuge einer interkontinentalen Diffusion des Mediums in das Bewusstsein der Menschen zu transferieren.239 Die singuläre haitianische Perzeption des Zombis wurde somit durch die Deportation nach Amerika im Zuge der Besetzung Haitis von der karibischen Unikalität losgelöst. Der Zombie, »dessen Herkunft allerdings nicht religiös motiviert ist«,240 reihte sich so in die archaischen Wiedergängermythen als phantastische Kreatur
230 Anm.: Siehe zu den verschiedenen Iterationen des Zombies in anderen Filmgenres und Serien: Huber, Till; Stiemer, Haimo: Die neuen Untoten. In: POP. Kultur und Kritik, Jg. 12 (2018), S. 146-157. URL: https://doi.org/http://doi.org/10.25969/mediarep/3006. Aufgerufen am 15.09.2019.; Hercenberger: 2016, S. 227-232. 231 Resident Evil. R.: Paul W.S. Anderson. USA. 2002. Angelehnt an: Capcom: (1996-heute). Resident Evil [Playstation 3, Xbox 360, PC], Osaka, Japan. 232 28 Days Later. R.: Danny Boyle. Großbritannien 2002. 233 28 Weeks Later. R.: Juan Carlos Fresnadillo. Großbritannien, Spanien 2007. 234 Zombieland. R.: Ruben Fleischer. USA 2009. 235 Shaun of the Dead. R.: Edgar Wright. Großbritannien 2004. 236 I am Legend. R.: Fracis Lawrence. USA 2008. 237 World War Z. R.: Marc Forster. USA 2013. 238 Anm.: Beispielsweise tauchten lebende Tote, wenngleich auch ihrer zombiespezifischen Funktionen beraubt, 2003 in »Fluch der Karibik« von Gore Verbinski auf und popularisierte den Topos wieder im karibischen Ambiente für ein Massenpublikum. Siehe: Fluch der Karibik. R.: Gore Verbinski. USA 2003. Auch »Planet Terror« R.: Robert Rodriguez. USA 2007 sowie der südkoreanische Film »Train to Busan«: R.: Yeon Sang-ho. Südkorea, 2016, oder in »Maze Runner – Die Auserwählten in der Brandwüste« R.: Wes Ball. USA, 2015 und »Friedhof der Kuscheltiere« R.: Kevin Kölsch; Dennis Widmyer. USA, 2019, trugen zu der Wiederbelebung des Untoten und zombieähnlicher Kreaturen im Mainstreamkino bei. In diesem Zusammenhang darf auch der Einfluss der Video- und Computerspiel-Industrie nicht unerwähnt bleiben. 239 Anm.: Der haitianische Vodou ist erst seit 2003 von der Regierung Haitis als offizielle Religion anerkannt. Siehe: Kleinschnittger, Vanessa: Zombie Society. S. 26. 240 Vgl. Fürst, Michael; Krautkrämer, Florian; Wiemer, Serjoscha. Einleitung. In: Dies. (Hg.): Untot – Zombie Film Theorie. München, 2011. S. 9.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
ein und avancierte im Zuge der filmischen Erfolge zu einem polarisierenden Phänomen der globalen Popkultur. Allen voran gelang es einem Comic, dessen serieller Adaption und den daraus resultierenden Ablegern, den Zombie in der Popkultur gesellschaftsfähig zu machen: The Walking Dead (siehe Kap. 8): »This renewal of zombie love at the dawn of the new millennium helped lay the goundwork for The Walking Dead’s rise to popularity.«241 Das folgende Kapitel skizziert die von Romero begründete amerikanische Version des Zombies, auf die The Walking Dead aufbaut.
3.11
Der amerikanische Zombie
Aus nebligen Wänden griffen Hände ins Nichts; abwehrend, winkend, flehend und drohend; aus Fluten tauchten sie auf wie in Kampf und Verzweiflung, und zwei Hände, eng ineinander verflochten, die waren gemalt wie ein wogendes Meer. Doch das Seltsame war ein Bild: eine Hand bleich und wächsern, wie die eines Toten, mit unheimlich langen und dürren Fingern, hielt ein Etwas umkrampft, was man nicht sah.242 Die im The Walking Dead-Universum handelnden Figuren müssen ihren Glauben und ihre Werte anpassen, umformulieren oder komplett tilgen, um in einer nihilistischen Welt voller Untoter zu überleben. Somit werden in diesen dualistischen Horror-Narrationen christliche Topoi herausgefiltert und einem Horrorfilm gemäß dämonisiert. In diesem Sinne wurde der Topos der Wiedergänger im Zuge der Aufklärung entmystifiziert, aus dem haitianischen Voodoo extrahiert, in Horrorfilmen als phantastisches Wesen und kulturelle Konstruktion performativ verwendet und damit als visuelle Antipode zum christlichen Gedankengut transformiert. Damit greift das Horrorkino auf Vorstellungen und Motive aus Mythen oder, in säkularisierter Form, auf Schauerromane zurück (Siehe dazu Kap. 4.6). Zombies sind in brachialer Weise missgestaltete, krächzende und lamentierend anmutende Untote, die das letzte Refugium der Menschen zu okkupieren suchen und dieselben fahrlässig im Zeichen einer radikal anthropophagen Destruktivität zu Konsumgütern denunzieren. Bei diesem filmischen Zombie-Topos, jener »mobilisierten Leiche«,243 handelt es sich um eine nicht domestizierbare, »willens- und selbstbe241 Juan: 2015, S. 36. 242 Schreker, Franz: Die Gezeichneten. 2. Akt (2. Bild). Siehe: Textbuch. Die Gezeichneten. In: Programmheft der Oper Frankfurt 1979. S. 32. 243 Kleinschnittger: 2015, S. 74.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
wusstseinslose Kreatur«244 aus dem monströsen Pantheon der Phantastik, deren biologische Substanz von einer sukzessiven Zersetzung durch den Verwesungsprozess gezeichnet ist. Der Zombie ist im Zuge einer Metamorphose aus dem Menschen entstanden, wobei der Mensch im Zuge des Todes und der Verwandlung zum Untoten rabiat dehumanisiert wird. Innerhalb dieser polaren Logik handelt sich um einen einst lebendigen Menschen, welcher z.B. durch den Kontakt mit einem Virus oder durch den Biss eines Zombies zu einem solchem geworden ist und damit seines Propriums beraubt wurde. Der Zombie ist eine auf Physiokinetik reduzierte Entität, gleich einem bloßen somnambulen Tragsystem in Bewegung, die eine sukzessive Ermangelung phänotypischer Grundlagen aufweist, womit es zu erheblichen Beeinträchtigungen der Sensomotorik des einstmals dagewesenen Menschen kommt. Er ist besonders affin für Bewegungen aller lebenden Menschen und Tiere, für Lautstärke und leuchtende Lichtquellen, von denen er in der Regel (so im The Walking Dead- Universum) angezogen wird. Der einzige Weg der Multiplikation besteht darin, in Kontakt mit Menschen zu treten und diese z.B. durch einen Biss, evoziert durch einen unaufhörlichen Fresstrieb, in Seinesgleichen zu verwandeln, weshalb viele Zombies noch die Kleidung der Menschen tragen, die auf ihr früheres Dasein (ggf. auch auf den Beruf) rekurriert. »Der Untote ist deshalb keine autarke Kreatur, da er aufgrund seines Charakters nicht allein funktioniert, sondern nur – conditio sine qua non – in Symbiose mit dem Menschen (bzw. Parasitismus).«245 Als monströses Derivat sind sie als dem Menschen parasitäre Objekte dazu determiniert, diese aufgrund des unauslöschlichen Drangs nach Fleisch zu jagen und (ihrerseits unwissend) das Einverleibungstabu im Sinne kannibalistischer Affinitäten zu brechen. Umso erschreckender ist, dass diese Kreaturen einst selbst menschliche Individuen waren, die einer Krankheit oder einem anderen Zombie zum Opfer fielen und damit den Verlust ihrer Individualität und ihres Körper-Ichs erfahren haben (siehe Kap. 9.13.6). »Dabei ist der einzelne Zombie häufig nur kleinste Einheit eines größeren kollektiven Organismus, der sich jenseits gebräuchlicher Definitionen von ›Intelligenz‹ bewegt, von ethischem Bewusstsein ganz zu schweigen«.246 Zombies weisen nur niedere motorische Leistungen auf und sind jeglicher personaler Identität (Faktoren der Identitätskonstuktion) beraubt (siehe Kap. 9.13.6). Sie weisen weder kognitive noch sexuelle, oder irgendwelche numinosen oder paranormalen Fähigkeiten auf.247 Zombies sind mit ihrer grässlichen Physiognomie, einem entstellten Habitus und einer entsetzlich 244 Kleiner, Marcus S.: 2013. S. 237. 245 Hercenberger: 2016, S. 217. 246 Greene, Richard; Mohannad, Silem K.: Schlauer werden mit Zombies, Werwölfen und Vampiren. Stuttgart, 2010. S. 15. 247 Anm.: Zu Beginn der Serie The Walking Dead weist der Zombie minimale kognitive Fähigkeiten auf. So versucht eine zombifizierte Ehefrau (Keisha Tillis) den Türknauf eines Hauses zu öffnen, in welchem sich ihr Ehemann Morgan Jones (Lennie James) befindet. In der zweiten
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defekten Prosodie blökend dazu determiniert, seelenlos und hungrig, gleich einem organischen Perpetuum mobile umherzuwandern. Der Zombie muss Lebende finden, sich deren Organe einverleiben und die Reste der Menschheit in ihren eliminatorischen Schwarm assimilieren.248 Evident ist, dass daraus eine Kumulation der Zombies folgt, da die Dezimierung der menschlichen Population zugleich eine Maximierung der Untoten bewirkt. Je mehr Menschen sterben, umso mehr Zombies entstehen. Sie sind eine metastasierende Masse und »entindividualisierte Gefangene ihres eigenen Zustands, in ihren Reaktionen rein auf den Instinkt beschränkt und eine Art wandelnder Virus, dem es nur noch um seine Vermehrung geht«.249 Zombies und Menschen leben im The Walking Dead-Universum in abnormer Koexistenz zusammen, wobei der Mensch nicht abhängig vom Zombie ist, aber der Zombie vom Menschen. Ein Zustand, der aufgrund des Bedarfs des Zombies an Essbarem jedoch nicht auf Gegenseitigkeit beruht und deswegen keine Interdependenz zwischen Mensch und Zombie bildet. So wird der Zombie aufgrund des Verlusts seiner kognitiven Fähigkeiten auf ein spezielles Spektrum des dem Menschen anhaftenden Fundaments reduziert (essentielles Grundbedürfnis nach Nahrung). Die einzige Affinität scheint innerhalb dieser Narration, dass beide Spezies aufgrund des Wegfalls der Zivilisation erbarmungslose Barbaren sind. Kleiner fügt hinzu, dass somit Interaktion und Kommunikation seitens der Menschen mit den Zombies nicht möglich ist und der Zusammenstoß beider Parteien Grenzsituationen sowie Kampf, Leiden, Schuld und Tod hervorruft.250 Das Handeln des Zombies wird zwar von Menschen/Überlebenden als stark negativ behaftet interpretiert, was ihn allerdings nicht per se böse macht. Da sein gesamtes Sein und Handeln einzig aus reflexgesteuerter Physiologie besteht, kann dieser aufgrund mangelnder intellektueller Grundlagen keine bösen Absichten haben, womit er auch nicht schuldfähig ist. Das, was er reflexartig tut, wird vom Rezipienten als ›böse‹ interpretiert, weshalb der Zombie mit dem Attribut ›böse‹ versehen wird.251 Dennoch Episode der ersten Staffel können Zombies noch klettern oder sogar große Steine benutzen, um ein Fenster einzuschlagen. Siehe: The Walking Dead. Staffel 1. Episode 1 und 2. 248 Anm.: Wobei die Assimilation des Menschen im Zuge der Nahrungssuche ein vom Zombie nicht primär beabsichtigter Nebeneffekt ist. Siehe: Hercenberger: 2016, S. 216. 249 Koebner, Sascha: »I can feel myself rot«. Der Zombie im Film. In: Koebner, Thomas: Gespenster. München, 2014. S. 226-239. Hier S. 226-227. 250 Vgl. Kleiner: 2013, S. 237 251 Anm: Der lebende Tote fasst das Böse nicht im sakralen Sinn, da sich das mutmaßlich vorhandene Böse nicht aus Willenskraft, sondern aus puren instinktivem Antrieb speist. Neumann ist diesbezüglich der Auffassung, dass der Zombie in seiner finalen Entwicklungsstufe ab den 1960er Jahren die Wucht seiner Wirkung vor allem aus einer Reduktion auf eine physische, automatenhafte Existenz bezieht. Obwohl aufgrund fehlenden Bewusstseins außerhalb der Moral stehend, begegnet er uns als das absolut Böse, denn er tötet ohne Maß und ohne Unterschied auf die älteste aller Arten: »durch Zerfleischen und Verschlingen.« Sie-
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
vermag er als phantastischer Topos im Horrorgenre alle Facetten körperlicher Gewalt zu umfassen: Die lozierende Gewalt, welche den Körper aus dem Weg schaffen will, die raptive Gewalt, welche sich des Körpers bemächtigen will sowie die autotelische Gewalt, mit der die physische Integrität des Körpers zerstört wird (siehe Kap. 5.4.3).252 Der Zombie ist aber gemäß Krautkrämer »keine reine Bedrohung von außen, sondern wirft die Überlebenden in der Konfrontation mit dem Bösen auf sich selbst zurück, weshalb auch in den Zombiefilmen immer wieder die zwischenmenschlichen Konflikte im Vordergrund stehen.«253 Realistisch betrachtet suggeriert der Zombie aufgrund seiner faktischen und physiologischen Abnormität doch eine gewisse Lächerlichkeit, da eine verwesende Biomasse nicht in der Lage ist, die strukturelle Integrität des Körpers aufrecht zu erhalten, um sich entsprechend über lange Zeit auf die typische Art und Weise fortzubewegen. Von der intakten Atmung, der Aufnahme von Sauerstoff, sowie der Ernährung zur Energiegewinnung abgesehen.254 Soll heißen, dass die verrottende Hülle keine Nehmerqualitäten (hier: Widerstand gegen etwaige physiologische Abnutzung) mehr besitzt und so der Belastung des Gehens auf zwei verrottenden Beinen nicht mehr standhalten kann. Darüber hinaus verliert die zombiefizierte Person alle kognitiven Fähigkeiten, womit das Gehirn als komplexer Denkapparat außer Kraft gesetzt wird und nicht mehr effektiv kommunizieren kann. Normalerweise zu erwartende motorische Fertigkeiten können also nicht mehr gewährleistet werden. Um die Handlungsfähigkeit des Zombies zu gewährleisten, müsste das Gehirn noch hochgradig funktionsfähig sein. Somit erscheint er in zahlreichen filmischen Inkarnationen als klägliche Figur, die relativ stupide Maßnahmen zur Nahrungssuche ergreift.255 Brinkmann versteht den Zombie als karikaturhafte Figur und sieht durch die konkreten visuellen Ausformungen des vom Zombie praktizierten Fressvorgangs eine Ummünzung der rezeptiven Illusion (Willing Suspension of Disbelief , siehe Kap. 7), da der Rezipient sich in die Sicherheit einer Special-Effects-Analyse zu flüchten vermag.256 Drogla merkt zurecht an, dass diese Theorie aus heutiger
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he: Neumann, Frank: Leichen im Keller, Untote auf der Straße. Das Echo sozialer Traumata im Zombiefilm. In: Fürst, Michael; Krautkrämer, Florian; Wiemer, Serjoscha (Hg.): Untot – Zombie Film Theorie. München, 2011. S. 65-84. Hier S. 65. Vgl. Reemtsma, Jan Philipp: Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne. Hamburg, 2009. S. 104ff. Anm.: Krautkrämer, Florian: A Matter of Life and Death. Leben und Tod im Zombiefilm. In: Ders. et.al. (Hg.): Untot – Zombie Film Theorie. München, 2011. S. 31. Vgl. Hercenberger: 2016, S. 232. Ebd. Vgl. Brinckmann, Christine N.: Unsägliche Genüsse. In: Montage/AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, 2/2001 (Jg.10). S. 77-94. Hier S. 86.
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Perspektive zwar zutreffe, bezweifelt aber, dass sich die zeitgenössischen Kinobesucher tatsächlich in Sicherheit wähnten.257 In den Zombie-Narrationen dominiert der Schrecken in einer Welt der Deprivation und Isolation zu leben, in der die eigentlich vertraute Umgebung lebensgefährlich wird und die ehemals humanoide Bevölkerung nun entstellte Schreckensgestalten sind. Es ist die Furcht vor dem Zerfall der urbanisierten Gesellschaft mit ihren Wertmaßstäben, Normen und Gesetzen, dem Untergang der Zivilisation und dem wohlgeordneten menschlichen Zusammenwirken, hin zu einer tristen Tonalität des schalen Alltags in einem dystopisch-postapokalyptischen Szenario mit suizidaler Stimmung und verwüsteten, menschenleeren Territorien, die in Analogie zum literarischen Byronismus Einsamkeit und Melancholie induzieren. Daraus entsteht für die handelnden Figuren wiederum Trauer, seelischer Schmerz, Traumata und Befangenheit. Die Folgen dieser seelischen Zermürbung sind Resignation, Enttäuschung und eine unerfüllbare Hoffnung auf ein humanes Weiterleben in einer funktionierenden Gesellschaft, woraus sich ein schier unendlicher Strudel an anthropologischen Grausamkeiten entwickelt, der ein Leben in Missmut und Verdrossenheit mit sich bringt.258 »Die Angst wird weiterhin dadurch forciert, dass die perverse Transformation zu einem seelenlosen, materiellen Objekt unter schmerzhafter Läsion jederzeit passieren könnte und das menschliche Opfer selbst zu einem dieser sadistischen Wesen, das nach Organen von Lebenden lechzt, mutieren könnte. Damit einhergehend besteht die Furcht vor dem Verlust des Seelenvermögens, des Verstandes und der Empfindsamkeit.«259 Eine Zombieapokalypse und die generelle Konfrontation mit einem Untoten evoziert in der Diegese Weltschmerz und vereint ein breit gefächertes Sammelsurium an für den Horrorfilm typischen (Ur-)ängsten. Es geht um den Kampf oder den Verlust der eigenen Seele, der leiblichen Gesundheit und des weltlichen Guts. Zudem existiert die Angst vor totaler Unterwerfung unter fremden Willen.260 Zum einen müssen die Protagonisten der Zombie-spezifischen Narration den tabuisierten Tod als irreversibles Geschehen akzeptieren, was zu einem pessimistischen Leben in einer vermeintlich nihilistischen Welt ohne Hoffnung und ausweglose Situationen in einem stetigen Martyrium determiniert. Nachdem das Zombie-Motiv als Konglomerat aus arbiträr kulturpluralistischen Strömungen dargestellt wurde, wird im nächsten Schritt das hier präsentierte nar-
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Vgl. Drogla: 2013, S. 79. Vgl. Hercenberger: 2016, S. 244-245. Ebd. Vgl. Hahn; Roland; Jense, Volker: 1989, S. 496.
3. Der Zombie als kulturpluralistisches Konglomerat
rative Muster in Analogie zur Säkularisierung betrachtet und untersucht, ob Zombies als Allegorie der Säkularisierung gelesen werden können.
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4. »Wie aus der Umlaufbahn geworfen« – Das The Walking Dead-Universum als Parabel der Säkularisierung Nick: Das fühlt sich krass an. Madison: Ja, wie aus der Umlaufbahn geworfen. Wir wissen nicht, wo es hingeht. Nick: Das ist es ja. Ich habe nie gewusst, wo es hingeht. Dieses Gefühl habe ich schon seit Urzeiten und jetzt sind plötzlich alle auf einem Level mit mir. Echt seltsam.1
In diesem analytisch realitäts-reevaluierenden Auszug aus der letzten Episode der ersten Staffel Fear The Walking Dead wird trotz einer vormals herrschenden Verschiedenheit der Figuren Madison und Nick Clark eine durch äußere Umstände evozierte familiäre Konvergenz ersichtlich; denn nur durch eine apokalyptische Katastrophe wurden Mutter und Sohn notgedrungen zu einer Zweckgemeinschaft mit einem kongruenten Wahrnehmungshorizont der Wirklichkeit geformt. Die Schulpsychologin Madison Clark (Kim Dickens) muss ihre Welt, welche anders als die ihres drogensüchtigen neunzehn- jährigen Sohnes Nick mit dem allgemeingültigen Konsens der bis dato existierenden Wirklichkeit konform lief, im Zuge einer gezwungenermaßen rapiden Neustrukturierung der Wirklichkeit zurechtkommen. Ursache ist die durch eine aus unerfindlichen Gründen herbeigeführte serienimmanente Zombie-Apokalypse, welche die Welt ad litteram aus der Umlaufbahn geworfen hat.2 Durch diese Wendung wird ein plötzliches Herausbrechen 1
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Anm.: Die Originalfassung fixiert Nicks Verfasstheit, während die deutsche Übersetzung Nicks Aussage generalisiert. Englisch: Nick Clark: I feel strange. Madison Clark: Yeah, we are spinning of the planet. We dont know where we are going. Nick Clark: Thats the thing. I never knew where I was going. It’s like, I’ve been living this for a long time. And now, everyone is catching up with me. In: Fear The Walking Dead, Staffel 1. Episode 6. Anm.: Normalerweise wird davon ausgegangen, dass die Welt von Drogenkonsumenten durch die Einnahme von Rauschmitteln und den damit verbundenen psychedelischen Wirkungen zerbricht. Im Zuge der Zombie-Apokalypse jedoch gleicht sich die heile Welt der Mainstream-Gesellschaft nun wider Erwarten der defekten Welt der Drogenkonsumenten
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
aus der gewohnten Norm mit einer sinnstiftenden Ordnung und einer teleologisch strukturellen Matrix im Sinne einer standardisierten Stabilität des habituellen Ablaufs des Alltags mit einer konsistenten Lebensdisposition charakterisiert. In Worten der scholastischen Metaphysik würde dies einem Ordo Universi, also einer von Gott gesetzten Ordnung entsprechen. Dadurch folgt ein prozessual gewohnheitsspezifischer Konzilianzbruch, eine defragmentarische Ontologisierung, eine Destabilisierung des Realitätsbegriffs und ein radikaler disäquilibrierender Moment,3 der zur reduzierten Trittsicherheit des Individuums im neu konstruierten, nun diskontinuierlichen Gefüge in einer subvertierten Realität mit erratischen Lebenskonstitutionen führt. Die im The Walking Dead-Universum dargestellte Apokalypse akzentuiert die Erschütterung der alten Zeit in eine neue und thematisiert die Fragilität der gewohnt pittoresken Realität des Alltags, womit für Nick und Madison resultativ Kontingenzerfahrungen ersichtlich werden und eine Restrukturierung der Lebensmaxime stattfindet.4 Es kommt zu eben jener Ungewissheit, welche die menschliche Existenz in der heutigen Zeit der Entwurzelung und unsicheren Identität kennzeichnet.5 Ersichtlich wird hier eine analoge Tendenz zur Bewusstseinskrise der westlichen Welt, die durch den sprunghaften Anstieg subjektiv wahrgenommener, negativ konnotierter Entropie mit Blick auf sozial abträgliche Kontingenz, diversifizierbare Nebenfolge-Konflikte markiert. Aus der Umlaufbahn geworfen werden impliziert demnach einen Strukturverlust durch die Umwandlung der alten Welt in eine neue, womit unweigerlich analog zur Wirklichkeit eine Affinität des Prozesses der Modernisierung mit ihren spezifischen Charakteristika vorhanden ist.6 Waren es vor
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an und findet so auf unverhohlen zynische Weise ihren gemeinsamen Nenner im Negativen, also eine Weltenannäherung unter Verzicht auf die zuvor angestrebte und erkämpfte Genesung der augenscheinlich unterlegenen Instanz. Anm.: Mit disäquilibrierend ist hier gemeint, dass vormals etwas im Gleichgewicht war und dann ins Ungleichgewicht geraten ist. Dieser Begriff wurde Schells Verwendung im Bereich des Game Designs entnommen. Siehe: Schell, Jesse: Die Kunst des Game Designs. Bessere Games konzipieren und entwickeln. 2. Aufl. Frechen, 2016. S. 81. Anm.: Der deutsche Titel der Pilotepisode »Gute alte Zeit« unterstreicht den Wechsel von einer alten gewohnten Welt in eine Neue. Zugleich ist dieser Titel identisch mit dem der Pilotfolge der Mutterserie The Walking Dead. Vgl. Skarics: 2010, S. 60 und S. 68. Anm.: Diese Charakteristika sind erstens die Rationalisierung. Zweitens der mit der Rationalisierung verzahnte Prozess der funktionalen Differenzierung, die den Einflussbereich von Religion in Gesellschaften durch die Ausbildung von unabhängigen Teilsystemen reduziert. Drittens die Industrialisierung, welche die Bindung des Individuums an Arbeitsprozesse entfernt und dieses zugleich aufgrund seiner steigender Arbeitsteilung von Religion entfremdet. Viertens die Demokratisierung, die als hierarchisch organisierte Vermittlungs- und Autoriätsstrukturen der Kirche in Frage stellt. Fünftens die Bürokratisierung, die zu einer Versachli-
4. Das The Walking Dead-Universum als Parabel der Säkularisierung
der Aufklärung noch christlich geprägte Weltbilder, die das Leben der Menschen strukturierten, so wurde durch die Rationalisierung mit ihrer positivistischen und technozentrischen Weltsicht die religiöse Perspektive bzw. der christliche Glaube zurückgedrängt, wodurch jener disäquilibrierende Moment evoziert wurde und durch den Wegfall einer sinnstiftenden Ordnung Kontingenzfragen in Analogie zum aufgeführten Dialog folgten.7 Nach Eliade ist eine Kompatibilität zwischen biblischen Erzählungen und modernem Menschen zwar durch den Ausschluss des christlichen Glaubens aus der Lebenswelt nicht mehr gegeben, vor allem, da der moderne Mensch das Sakrale ununterbrochen immer neu entwertet hat.8 Die Modernisierung steht also als Kontrahent – widersprüchlich im Sinne »einer Spannung zwischen dem Autonomiestreben einerseits und religiös-traditionell begründeter Heteronomie andererseits«9 – der Religion ambivalent gegenüber.10 Modernisierungssoziologischen Zeitdiagnosen zufolge zeichnen sich nach Baumann westliche Gegenwartsgesellschaften durch eine massive Zunahme an Unsicherheiten und Ungewissheiten, Risiken und Gefahren, Kontingenzen und Ambivalenzen aus, wonach sich ergibt, dass der rapide gesellschaftliche, politische, ökonomische und kulturelle Wandel der letzten Jahre traditionelle Lebensentwürfe ins Wanken und neuartige biographische Risiken mit sich gebracht hat.11 Die Spätmoderne ist demnach, so Giddens, durch die Bedrohung des »ontologischen Sicherheitsbedürfnisses« gekennzeichnet.12 Strukturelle Bedingungen der Spätmoderne führten also dazu, dass sich
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chung von Handeln und im Aufbau sozialer Organisationen als Alternativen zur Kirche führt. Zuletzt sind die Urbanisierung und die Wohlstandssteigerung sowie die Individualisierung und Pluralisierung wichtige Faktoren der Modernisierung. Vgl. Pickel, Gert: Religionssoziologie. Eine Einführung in zentrale Themenbereiche. Wiesbaden, 2011. S. 139-141. Vgl. Pollack, Detlef: Die Vielfalt der Säkularisierungstheorien und ihr unverzichtbarer Kern. In: Winkel, Heidemarie; Sammet, Kornelia (Hg.): Religion soziologisch denken. Reflexionen auf aktuelle Entwicklungslinien in Theorie und Empirie. Wiesbaden, 2017. S. 21-43. Hier S. 34. Vgl. Eliade, Mircea: Ewige Bilder und Sinnbilder. Vom unveränderlichen menschlichen Seelenraum. Olten, 1953. S. 20. Krause, Boris: Religion und die Vielfalt der Moderne. Erkundungen im Zeichen neuer Sichtbarkeit von Kontingenz. Paderborn, 2012. S. 36. Anm.: Wobei auch die heutige westeuropäische Gesellschaft in ihren Werten und Normen nach wie vor stark christlich geprägt ist. Vgl. Baumann, Zygmunt: Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit. Hamburg, 1992.; Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a.M., 1990.; Gugutzer, Robert: Die Sakralisierung des Profanen. Der Körperkult als individualisierte Sozialform des Religiösen. In: Gugutzer, Robert; Böttcher, Moritz (Hg.): Körper, Sport und Religion. Zur Soziologie religiöser Verkörperungen. Wiesbaden, 2012. 285-310. Hier S. 285. Vgl. Giddens, Anthony: Modernity and Self-Identity. Self and Society in the Late Modern Age. Cambridge, 1991. S. 36.
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immer mehr Menschen mit existentiellen Problemen und Ängsten auseinanderzusetzen haben. Hausmanninger eröffnet eine postmetaphysische These, welche beeinhaltet, dass besonders die Metaphysik als Orientierungs- und Erklärungskonzept, welches »die letzten Gründe der Wirklichkeit und den Sinn von Welt, Menschen und Leben verbindlich erfassen will«,13 in der späten Moderne des 20. und 21. Jahrhunderts obsolet wurde und damit auch das Subjekt als Instanz der letzten Wahrheit nach Descartes und Kant als letzter verlässlicher Horizont eine Denunzierung erfuhr:14 »Vielmehr entdeckt man, wie bedingt das Subjekt selbst ist – durch Geschichte, die es nicht in der Hand hat (Historismus), durch ökonomische und politische Verhältnisse, die es bestimmen (Karl Marx), durch unbewusste Strukturen und Strebungen, die seine Vernunft manipulieren (Sigmund Freud) und desgleichen mehr.«15 Skarics beschreibt die Folgen der Modernisierung: Verdinglichung, Sinn- und Strukturverlust, ein Schwund des Urvertrauens und des Zugehörigkeitsgefühls sowie Anzeichen, dass sich immer mehr Menschen von der Vielfalt der Welt überfordert fühlen und unter Desorientierung und Ängsten leiden.16 Es ist Usus, dass, wann immer einem Volk sein geschichtlich-religiöser Mythos – die gewohnte Norm mit einer sinnstiftenden Ordnung – zerstört wird, »die Menschen das Gefühl zu einem sinnvollen Ganzen zu gehören verlieren und es zur Desorientierung kommt, wodurch geistige Krisen folgen.«17 Der Rationalismus trug demnach dazu bei, dass die Welt entmythologisiert und der Mensch des fundamentgebenden Mythos beraubt wurde,18 womit nach Eco eine »allmähliche Auflösung eines zur Institution gewordenen Symbolreportoires […], das für das mittelalterliche Christentum charakteristisch war«,19 gemeint ist und es hinsichtlich der Abkehr vom Glauben immer schwieriger wird, im Lichte der Kontingenzproblematik Antworten auf die fundamentalen Fragen des Lebens zu finden. Knoblauch erläutert zum Wesen der Moderne: »Wenn von der Postmoderne beziehungsweise der Moderne gesprochen wird, beziehen wir uns auf bestimmte Weisen des Handelns, die daraus resultierenden institutionellen Strukturen der 13
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Hausmanninger, Thomas: Postmetaphysische Körper sind der Horror: Die Kritik des Horrorfilms an der Verabsolutierung der Immanenz. In: Bohrmann, Thomas et.al. (Hg.): Handbuch Theologie und populärer Film. Bd 1. Paderborn, 2007. S. 285-300. Hier S. 286. Vgl. Ebd. Ebd. Vgl. Skarics: 2010, S. 60, S. 64, S. 68. Vgl. Ebd. S. 72. Vgl. Ebd. S. 76. Eco, Umberto: Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur. Frankfurt a.M., 1986. S. 187.
4. Das The Walking Dead-Universum als Parabel der Säkularisierung
Gesellschaft und auf ihre Kultur, ihre Sinngebilde, ihr Wissen.«20 Durch den Wegfall »ergeben sich gewaltige Rätsel und Fragestellungen, die unbeantwortet bleiben und den modernen Menschen [in Analogie zu Nick und Madison Clark. Anm. des Autors] vor trostlose Enttäuschungen stellen.«21 Aus Krisenerfahrungen entstehen apokalyptische Erzählungen von Zerstörung und Untergang. Brittnacher nennt dazu explizit den Verfall des Glaubens und den ausbleibenden religiösen Trost.22 Ein weiterer Faktor ist das Utopie-Ende u.a. herbeigeführt durch apokalyptische Ängste und 9/11, worauf im Folgenden eingegangen wird.
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Krise, Apokalypse, 9/11 und das Utopie-Ende Verstoßen sei auf ewig, verlassen sei auf ewig, Zertrümmert sei’n auf ewig alle Bande der Natur, Verstoßen, verlassen, zertrümmert, Alle Bande der Natur. Alle Bande, alle Bande der Natur.23
Eine weitere Reformulierung einer alten Welt in eine neue folgte mit dem 11. September 2001, durch welchen der Optimismus der 1990er Jahre durch düstere Vorstellungen im Zeichen eines »Clash of Civilizations« (Samuel P. Huntington) und »war on terror« (George W. Bush) ersetzt wurde.24 Nach Brittnacher stehen in der Postmoderne damit nicht mehr »die Defizite eines ästhetischen Schreckens angesichts einer grauenvollen Wirklichkeit zur Diskussion, sondern eine unheimliche Entropie der Simulation, die eine nur vermeintliche Realität kontaminiert.«25 Konsequenz dessen war erstens eine erhöhte Medien- und Wahrnehmungsreflexivität, die Einzug in kulturelle Produktionen hielt, sodass diese einen erhöhten medienreflexiven Charakter aufwiesen.26 Zweitens verhalfen das neue Millennium, die Realität des globalen Terrorismus, des Kriegs und der Naturkatastrophen dem 20
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Knoblauch, Hubert: Der populäre Tod? Obduktion, Postmoderne und die Verdrängung des Todes. In: Groß, Dominik; Tag, Brigitte; Schweikardt, Christoph (Hg.): Who Wants to Live Forever?: Postmoderne Formen des Weiterwirkens Nach Dem Tod. Frankfurt a.M., 2011. S. 27-54. Hier S. 29. Johannes Paul II., Christi fideles laici, Rom 1986, Nr. 34. In: Zulehner, Paul M.; Denz, Hermann: Wie Europa lebt und glaubt, Europäische Wertestudie. Düsseldorf 1993. S. 16. Vgl. Brittnacher: Apokalypse/Weltuntergang. 2013, S. 336. Mozart, Wolfgang Amadeus: Die Zauberflöte: Der Hölle Rache. KV 620. 1791. Vgl. Bebber, Jörg van: Dawn of an Evil Millennium. Horror/Kultur im neuen Jahrtausend. In: Ders. (Hg.): Dawn of an Evil Millennium. Horror/Kultur im neuen Jahrtausend. Darmstadt, 2011. S. 17. Brittnacher: Apokalypse/Weltuntergang. 2013, S. 342-343. Vgl. Bebber van: 2011, S. 17.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Zombie-Topos zu einer neuen Intensität.27 Krisen gehören zur »Mediennahrung unseres Alltagslebens«28 und »zum festen Repertoire der Medienproduktionen«.29 Sie sind »nicht Ausnahmezustand, sondern Normalform unserer modernen Existenz«30 und damit eine Konstante, was der Logik des Begriffs, jedoch nicht der der Medien widerspricht.31 Kleiner schreibt diesbezüglich, dass es gerade Medien sind, »die bestimmte Ängste schüren und versuchen Kollektiv-Ängste zu generieren und zu synchronisieren.«32 Nach Bolz besteht gerade die »große Kulturleistung des Fernsehens«33 darin, »Angstbereitschaft, Kontingenzbewusstsein im philosophischen Sinne und Irritabilität der Gesellschaft« einzuüben.34 Deshalb wurden nicht nur nach 9/11 in einer Zeit der Unsicherheit und bipolaren Welt, sondern auch durch das versachzwänglichte Leben im Zeitalter der Globalisierung, der Klimakatastrophe, einer knappen Weltwirtschaftskrise sowie durch die Bedrohung durch Superseuchen und Terrorismus apokalyptische Ängste entwickelt.35 »Krisen sind also medial ständig präsent. Die narrative Form der Rede von der Krise ist die apokalyptische Erzählung, die die Elemente der Krise und des Endes sinnstiftend miteinander verbindet. Sie ist eine traditionelle Art der Krisenbewältigung, die der Erfahrung von Unsicherheit und Bedrohung einen höheren teleologischen Sinn verleiht.«36 Im Denken der Postmoderne »überhaupt scheint die klassische Gestalt der Sozialutopie gänzlich aufgehoben zu sein und eine neue, vielleicht mit dem Begriff
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Vgl. Bishop, K. W. »Introduction – The Zombie Film and Its Cycles.« In: Bishop, K. W. et.al.: American Zombie Gothic: The Rise and Fall (and Rise) of the Walking Dead in Popular Culture. Jefferson, 2010, S. 9-35. Hier S. 11-12. Auch Hans-Joachim Backe und Espen Aarseth stellen heraus, dass seit dem 11. September 2001 reflexiv mehr Zombiefilme produziert wurden, wobei die Quellen hier empirisch fraglich daherkommen: »Of the 641 zombie movies listed on Wikipedia, 413 were released between 2002 and 2012, with the Internet Movie Database showing similar numbers (465 out of 620). According to these figures, between 64 (Wikipedia) and 75 (IMDB) percent of all zombie movies have been released in the first ten years after 9/11 2001.« In: Ludic Zombies. An Examination of Zombieism in Games. S. 1, sowie S. 13. Online-Essay: https://www.digra.org/digital-library/publications/ludic-zombies-a n-examination-of-zombieism-in-games/. Aufgerufen am 27.05.2018. Baudrillard, Jean: Die Illusion des Endes oder Der Streik der Ereignisse, Berlin 1994. S. 108. Kleiner: 2013, S. 227. Bolz, Norbert: Die Konformisten des Andersseins. Ende der Kritik. München, 1999. S. 105. Vgl. Kleiner: 2013, S. 227. Ebd. Bolz: 1999, S. 172. Ebd. Vgl. Bebber van: 2011, S. 17. Kleiner 2013, S. 228.
4. Das The Walking Dead-Universum als Parabel der Säkularisierung
»anarchisch« zu bezeichnende Gestalt ist an ihre Stelle getreten«,37 die im The Walking Dead-Universum im Sinne der genannten Medienreflexivität zugespitzt dargestellt wird.38 Das The Walking Dead-Universum thematisiert diesen Prozess im Gewand eines postapokalyptischen Szenarios kritisch mit desaströser Vorausschau und thematisiert dabei reflexiv die apokalyptisch-pessimistische Umdeutung der Weltgeschichte, die in der Ermangelung religiöser Erfahrungen fußt, und spielt dies mit einem rigorosen Pessimismus in der cineastischen Sphäre des Horrors in einer »denkbar radikalsten Negation einer heilen Welt«39 aus (siehe Kap. 8).40 Auch Drezner stellte die Popularität des Zombiefilms heraus und formuliert, dass über ein Drittel aller Zombiefilme nach 09/11 veröffentlicht wurden.41 Kelley beschreibt die Zombies als eine Art Kompensations- und Verarbeitungsmechanismus der in der Welt vorhandenen Krisen (vergleiche dazu die Zusammenstellung der Krisen in Kap. 1.1): »At a time when the average person doesn’t know what to fear most […] zombies are the monster du jour, encompassing all those things.«42 Auf diesen Aspekt wird in Kapitel 4.8 genauer eingegangen. »Apocalyptic storytelling is appealing when people have apocalyptic thoughts,« sagte The Walking Dead-Schöpfer Robert Kirkman in einem Interview mit dem Rolling Stone Magazine im Jahr 2013 und fuhr ironisch fort: »With the global economic problems and everything else, a lot of people feel we’re heading into dark times. As bad as it is for society, I’m benefiting greatly«.43 Max Brooks, Autor von Zombie-Bestsellern, formuliert ebenso ironisch die sozialpolitische Reflexion in Zombie-Narrativen: »I think [zombies] reflect our very real anxieties of these crazy times. A zombie story gives people a fictional lens to see the real problems of the world. You can 37 38
39 40 41 42 43
Vgl. Bauman, Zygmund: Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen. Hamburg, 1997. S. 47. Anm.: Mittlerweile wurden die Charakteristika der Postmoderne durch die neuen Faktoren des gesellschaftlichen Wandels wie Individualisierung, Pluralisierung und globalisierte Marktwirtschaft, die der westlichen Gesellschaft suggerieren, dass ihr die ganze Welt offen stehe, überholt. Vgl. Bauman: 1997, S. 47. »Die daraus resultierte Post-Postmoderne ist folglich durch unklare ideologische Grundorientierungen und verschiedensten nebeneinanderstehenden ideologischen Konzepten gekennzeichnet, weshalb sich weiterhin Gefühle von Unvorhersehbarkeit, Unsicherheit und Unübersichtlichkeit verstärken.« In: Denz, Hermann; Friesl, Christian; et.al. (Hg.): Die Konfliktgesellschaft. Werdewandel in Österreich 1990-2000. Wien 2001. S. 171.f. Vossen: 2004. Vgl. Bebber van: 2011, S. 23. Vgl. Drezner, Daniel W.: Metaphor of the Living Dead: Or, the Effect of the Zombie Apocalypse on Public Policy Discourse. In: Social Research 81.4, 2014. S. 825-849. Hier S. 825. Kelley, Raina: The Social Significance of Zombies. In: Newsweek. 29. Oktober 2010. URL: htt ps://www.newsweek.com/social-significance-zombies-221328. Aufgerufen am 14.07.2018. Rolling Stone: »The Rise of The Walking Dead«, 31. Oktober, 2013.
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deal with societal breakdown, famine, disease, chaos in the streets, but as long as the catalyst for all of them is zombies, you can still sleep.«44 Auch Garrett beschreibt, dass Zombienarrative prädestiniert für die Zeit nach 09/11 sind: »Critics and scholars have noted that the zombie film is a percet fit for a post-9/11 world, and zombie studies, reacting to the popularity of these stories, has become a booming field within the academy.«45 Im nächsten Kapitel wird ein konkreter Blick auf Zukunftsungewissheiten geworfen und mit dem eingangs genannten Auszug aus Fear The Walking Dead kontextualisiert. Im Anschluss folgt eine Darstellung der Säkularisierung sowie damit verbundene Kontroversen in der Forschung.
4.2
Zukunftsungewissheiten
Bezogen auf das zitierte Gespräch zwischen Nick und Madison (siehe Kap. 4) ist es demnach wenig verwunderlich, dass Madison sogleich beteuert, dass sie auch nicht weiß, wie es weitergeht, womit sie einen Nerv der modernen Gesellschaft trifft. Madison wurde durch die Destruktion der intakten Gesellschaft ihrer ursprünglichen Funktion als Psychologin – und somit als Repräsentantin eines areligiös-rationalisierten Subsystems, das dem Menschen versucht Stabilität und Hilfe im Leben zu bieten, ihrer pädagogischen Hoheit entmachtet. Unterstrichen wird Madison damit als säkulares Sinnbild in Anlehnung an CG. Jungs Feststellung des Glaubens an die Wissenschaft, weshalb heute Menschen den Psychiatern die Fragen stellen, »die früher in den Bereich der Theologie gehört hätten«.46 Anders als Nick, der ein fundamentloses Leben im Drogenrausch führte, benötigt sie eine drastische Neu-Normierung ihrer Wirklichkeit. Dadurch muss sie als von gesellschaftlichen Gepflogenheiten geprägte Mutter mit der Hilfe ihres Sohnes eine Kompatibilität mit der neuen chaotischen Welt etablieren und ihre nun ausgehebelte Ideologie ad acta legen, um in einer Welt zu bestehen, in der keine gesellschaftliche Maxime mehr befolgt werden muss. Indes stand Nick, ein vermeintlicher Versager, schon lange im Bund mit einer unorganisierten Welt. Im post-apokalyptischen Setting kann er seinen präapokalyptischen Lebensstil, der vorher von der philisterhaft-amerikanischen Gesellschaft als gestört klassifizierte wurde, für diese nun nutzbringend einsetzten. Nick fühlt sich indes angesichts 44 45 46
Brooks, Max: A Conversation with Max Brooks. Siehe: http://maxbrookszombieworld.com/. Aufgerufen am 28.11.2018. Garrett, Greg: Living with the Living Dead. The Wisdom of the Zombie Apokalypse. New York, 2017. S. 23. Jung, Carl Gustav: Gesammelte Werke. Band 18/1: Das symbolische Leben. Olten, 1981. S. 267; Jung, Carl Gustav: Traum und Traumdeutung. 8 Aufl. München, 1997. S. 69.
4. Das The Walking Dead-Universum als Parabel der Säkularisierung
des Paradigmenwechsel seiner Mutter irritiert, durcheinander und verunsichert. Sein vormaliges, sinnloses Dasein scheint sich in der postapokalyptischen Welt nun gezwungenermaßen auf andere Überlebende zu übertragen, womit seine Mitmenschen in die für ihn bekannte und subjektiv als sinnlos wahrgenommene Welt der Orientierungssuche hinübertreten. Er setzt seine Mutter darüber in Kenntnis, dass seine Welt schon immer von Instabilität und Unsicherheit geprägt war und Madison aufgrund der postapokalyptischen Sachlage nun auf seiner Wahrnehmungsebene der Wirklichkeit angelangt sei.47 Nick pointiert dabei das Gefühl von Instabilität und Wankelmütigkeit, wodurch mit Blick auf Baudrillards kulturpessimistisch-konstatiertes »UtopieEnde«48 symptomatisch während des Gesprächs der beiden – in Analogie zur Wirklichkeit – »Zukunftsungewissheiten«49 deutlich werden, welche ihrerseits theologisch abträgliches Verhalten induzieren,50 das sich dann, seinerseits in etwaigen Schändungen manifest werdend, unmittelbar der Desakralisierung sakraler Elemente (die Kirche) schuldig macht. Weiterführend resultiert im Übergeordneten die Desakralisierung der Welt oder in Anlehnung an Weber die »Entzauberung religiöser Deutungen der Welt und weltlicher Ereignisse«, die durch rational-kausale und empirische Erklärungsmuster klassifiziert werden.51 Damit ist die Säkularisierung gemeint, die untrennbar mit der Modernisierung verbunden ist. Nach Beck bedeutet dies, dass die Modernisierung unaufhaltsam voranschreitet und ergo ein noch fortlaufender Prozess ist.52
47 48 49 50 51 52
Anm.: Madison äußert in der zweiten Episode der dritten Staffel explizit, dass sie nicht an Gott glaubt. Siehe: Fear The Walking Dead. Staffel 3, Episode 2. Baudrillard, Jean: Die Revolution und das Ende der Utopie. In: Taz 4.4.1989. Krause: 2012, S. 182. Anm.: Wenn zum Beispiel die Kirche zur ›Drogenhöhle‹ umfunktioniert wird. Siehe Kap. 1. Vgl. Pickel: 2011, S. 143. Vgl. Beck, Ulrich: Die Rückkehr der Götter und die Krise der europäischen Moderne. Vortrag in Eichstätt anlässlich der Verleihung der Ehrenpromotion am 15. November 2010. In: Kropač, Ulrich; Meier, Uto; König, Klaus (Hg.): Jugend, Religion, Religiosität. Resultate, Probleme und Perspektiven der aktuellen Religiositätsforschung. Regensburg, 2012. S. S. 225-236. Hier S. 226.
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4.3
Die Säkularisierung
Säkularisierung bedeutet ursprünglich einen Prozess der Trennung von Staat und Kirche und beschreibt den Vorgang des Herauswachsens von Wissenschaft, Kunst oder Politik aus dem Herrschaftsbereich der Kirchen und der christlichen Religion.53 Die Säkularisierung54 vereint gleichsam Prozesse der ›Entkirchlichung‹, der ›gesellschaftlichen Differenzierung,‹ der ›Erosion religiöser Überzeugungen und Praktiken‹ und der ›Privatisierung der Religion‹55 und bezeichnet einen Vorgang sozio-kulturellen Wandels, dessen Beginn von manchen Autoren schon im Spätmittelalter, von anderen in der Renaissance, im 18. Jahrhundert und von einigen im 19. oder 20. Jahrhundert angesiedelt wird und der zu einer Autonomie gegenüber religiöser Sinngebung und somit zu einem Verlorengehen eines einst höchs-
53
54
55
Anm.: Siehe vertiefend zum Begriff der Säkularisierung: »Der Begriff Säkularisierung meinte im kanonischen Recht zunächst den beim Austritt aus dem Kloster vollzogenen Übergang eines Mönches von seiner Zugehörigkeit zu einem Mönchsorden zum Status eines Weltpriesters. In der Reformationszeit und im 19. Jahrhundert (Reichsdeputationshauptschluss von 1803) wird mit diesem Begriff aber auch die Enteignung kirchlichen Eigentums und seine Überführung in weltliches Eigentum bezeichnet […].« In: Denz et.al.: 2001, S. 20. »Inzwischen hat sich der Säkularisierungsbegriff von seinem kanonischen und kirchenrechtlichen Bedeutungsgehalt gelöst und dadurch nicht an Klarheit gewonnen […]. Er wird nunmehr auf kulturgeschichtliche Veränderungsprozesse teilweise weltgeschichtlichen Ausmaßes angewandt.« In: Pollack: 2017, S. 27. »Ein allgemeingültiger, formal betrachteter Konsens stellt die Überzeugung dar, dass Säkularisierung als Kategorie zur genealogischen Beschreibung der Entwicklung einer Gesellschaft im Verhältnis zu ihrem jüdisch-christlichen Ursprung dient«. In: Krause: 2012, S. 41. Anm.: In dieser Arbeit wird die amerikanische Serie The Walking Dead als Kulturprodukt des aufgeklärtes okzidentalen Raums verstanden, weshalb hier eine Trennung zwischen dem Eurozentrismus und dem Amerikanismus der Säkularisierung vollzogen werden sollte. Siehe dazu die Argumentation folgender Autoren: »In den Vereinigten Staaten hat sich die Säkularisierungsthese nie voll entfalten können, und heute sieht sich die Mehrheit der amerikanischen Religionssoziologen im Recht, wenn sie sagt, bei der Säkularisierungstheorie handele es sich um ein typisch europäisches Produkt. Vgl. Turner, Brian: Secularization. Volume III. American Exeptionalism. Los Angeles, 2010. »Eine Theorie, die für die USA offenbar nicht taugt, wird aber Schwierigkeiten haben, Gültigkeit für moderne Gesellschaften insgesamt beanspruchen zu können. Dass die Säkularisierungstheorie eine europäische Schieflage besitzt, wird heute kaum jemand ernsthaft bestreiten können. Zugleich markiert dies die Kritik des Eurozentrismus der Säkularisierungstheorie.« In: Gabriel, Karl: Der Abschied von der Säkularisierungsthese – und was kommt danach? In: Bachmann, Matthias-Lutz (Hg.): Postsäkularismus. Zur Diskussion eines umstrittenen Begriffs. Frankfurt a.M., 2015. S. 211-236. Hier: S. 219. Vgl. Seiwert, Hubert: Religion in der Geschichte der Moderne. In: Freiberger, Oliver et.al. (Hg.): Zeitschrift für Religionswissenschaft. Band 3, Heft 1. 1995. S. 91-102. Hier S. 93.
4. Das The Walking Dead-Universum als Parabel der Säkularisierung
ten sinngebenden Wertes führt.56 »Begriffsgeschichtlich ist dieser Terminus den Begriffen ›Verweltlichung‹ oder ›Verdiesseitigung‹ verbunden.«57 Gemeinhin wird die Säkularisationstheorie in zwei Kategorien unterteilt: Erstens in die empirisch-historische Deskription, welche besagt, »dass sich die soziale Signifikanz von Religion in modernen Gesellschaften im Vergleich zu früheren Zeitepochen abschwächt«,58 sowie zweitens durch den explanatorischen Kern, welcher den religiösen Bedeutungsrückgang auf Prozesse der Modernisierung zurückführt. In der Summe hält die Säkularisierungstheorie daran fest, dass zwischen Modernisierung und Säkularisierung eine hohe Wahrscheinlichkeitskorrelation besteht.59 »Ihren Nährboden fand die die Säkularisierungstheorie im europäischen Antikatholizismus des 19. Jahrhunderts und zeigt sich in den weltanschaulichen Frontstellungen, wie sie sich nur in Europa entwickelten, tief verstrickt.«60 Dabei wird sie als Prozess im Zuge der Modernisierung im europäischen Kontext verstanden, welcher zugleich ein universaler Prozess ist, der zu ähnlichen Ausprägungen überall auf der Welt führt.61 Pickel definiert die Säkularisierung folglich als »ein Prozess des Verlustes der sozialen Bedeutung von Religion in sich modernisierten Gesellschaften, die weit verbreitet als sozialer Bedeutungsverlust der Religion gelesen werden kann.«62 Besonders trug dies im Industriezeitalter zur Entkirchlichung und Entchristlichung bei, womit die christliche Religion ihre Stellung als verbindliche Lebensform eingebüßt hat.63 Dies hatte zur Folge, dass religiöse Symbole, Doktrinen und Institutionen im Modernisierungsprozess an Relevanz für die Gesellschaft verloren haben. Auch Berger versteht die Säkularisierung als einen Prozess, »durch den Teile der Gesellschaft und Ausschnitte der Kultur aus der Herrschaft religiöser Institutionen und Symbole entlassen wurden.«64 Damit ist aber nicht gemeint, dass die Religion komplett aus dem Lebensalltag der Menschen in der Moderne verschwindet, sondern ein schwindender Einfluss von Religion auf gesellschaftliche Prozesse stattfindet.65 Zumindest hat Religion nicht mehr die Bedeutung, die ihr für frühere
56 57 58 59 60 61 62 63 64 65
Vgl. Skarics: 2010, S. 82. Lübbe, Hermann: Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs. Freiburg, 1996. Pollack: 2017, S. 24. Vgl. Ebd. Gabriel: 2015, S. 218. Vgl. Beck: 2012, S. 226. Pickel: 2011. S. 138-139. Vgl. Skarics: 2010, S. 79. Berger: 1973, S. 103. Vgl. Pickel: 2011, S. 142.
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Zeiten zugeschrieben wurde.66 Dazu sei angemerkt, dass die Säkularisationstheorie als »beobachterrelative Kategorie« verstanden wird.67
4.4
Kontroversität der Säkularisierungstheorie
Die Säkularisierungstheorie ist gemeinhin umstritten und wird auf verschiedenen Ebenen kritisiert. Deshalb hängt es von der jeweiligen religionssoziologischen Perspektive ab, ob eine Affirmation gegenüber der Säkularisierungsthese stattfindet, oder ob Alternativmodelle wie die »Resakralisierung«68 entwickelt werden.69 Der explanatorische Kern stellt zugleich den zentralen Einwand gegenüber der Säkularisierungstheorie dar, weil die Faktoren, die hauptsächlich zur Säkularisierung beitragen, innerhalb der Religionssoziologie umstritten sind. Hiernach haben die Prozesse der Modernisierung letztlich einen negativen Einfluss auf die gesellschaftliche Bedeutung und Ausübung der Religion in der Gesellschaft, wodurch ihre Akzeptanz vermindert wird.70 Auf der einen Seite sind dafür sozialstrukturelle und ökonomische Faktoren verantwortlich: Urbanisierung, Industrialisierung und Auflösung geschlossener sozial-moralischer Milieus. Auf der anderen Seite stehen politisch-organisatorische Anhaltspunkte, wie Liberalisierung von Kirche und Staat, die konträr zu Positionen stehen, welche kulturelle Prozesse wie den Bildungsanstieg, die Rationalisierung und kulturelle Pluralisierung bergen.71 Diese Erklärungsfaktoren werden zum einen auf der Makroebene (Urbanisierung, Technisierung, Pluralisierung, Demokratisierung) und zum anderen auf der
66 67 68
69
70 71
Vgl. Krech: 2011, S. 118. Vgl. Breuer, Marc: Religiöser Wandel als Säkularisierungsfolge. Differenzierungs- und Individualisierungsdiskurse im Katholizismus. Wiesbaden, 2012. S. 29-30. Siehe zur Resakralisierung vertiefend: Hildebrandt, Mathias; Brocker, Manfred; Behr, Hartmut (Hg.): Säkularisierung und Resakralisierung in westlichen Gesellschaften. Wiesbaden, 2001. Anm.: Im aktuellen religionssoziologischen Diskurs wurden außerhalb des Grundmodells der Säkularisierungsthese, die von einem universellen Spannungsverhältnis zwischen Modernisierung und Religion ausgeht, zwei Gegenmodelle entwickelt. Erstens die Individualisierungsthese des Religiösen, »welche in Anlehnung an die Gedanken Luckmanns (1967, 1991) zur ›unsichtbaren Religion‹, von einem Rückzug der Religion ins Private ausgeht (Privatisierung) und eine Differenz zwischen der Entwicklung von Kirchlichkeit (sinkend) und subjektiver Religiosität (konstant) sieht. […] Zweitens etablierte sich im nordamerikanischen Raum das Marktmodell der Religiosität, welches die ›religiöse Vitalität‹ (Teilhabe an Religion und Kirche) in Abhängigkeit von den Angeboten der Religionen bzw. ihrer Institutionen fasst […]. Die Anhänger der Marktthese gehen davon aus, dass ein möglichst breites Angebot (Pluralität) sich günstig auf die religiöse Vitalität auswirkt.« In: Pickel: 2011, S. 136. Vgl. Pollack: 2017, S. 22. Vgl. Pollack: 2011, S. 28.
4. Das The Walking Dead-Universum als Parabel der Säkularisierung
Mikroebene (individuelle Einstellungen, Praktiken und Erfahrungen) systematisch angesiedelt, wobei die Frage nach einer kausalen Verbindung nicht hinreichend beantwortet ist.72 So wird die Annahme angezweifelt, dass mit der Säkularisierung empirisch ein gesellschaftlicher Prozess identifiziert wurde, der zielgerichtet und notwendig auf ein Ende der Religion hinauslaufe. Auch die Auffassung der Säkularisierungstheorie als Teleologie ist mittlerweile obsolet.73 Der zentrale religionssoziologische Streitpunkt bezüglich der Säkularisierungstheorie liegt auf der genannten Prämisse der Korrelation zwischen Modernisierung und Säkularisierung sowie auf den resultativen Interpretationen, den Ursachenzuschreibungen, der zeitlichen Segmentierung, den kausalen Mechanismen sowie deren jeweilig spezifische religionssoziologische Perspektive der Faktoren, die letztlich zur Säkularisierung führten. Innerhalb der internen, aber perspektivisch heterogenen religionssoziologischen Suche nach den Indikatoren der Säkularisierung werden zwei Tendenzen erkennbar, die zusammengenommen Affinitäten hinsichtlich der Modalität, besonders im Hinblick auf die (historische) Relevanz der gesellschaftlichen Veränderungen aufweisen: Je größer die Bedeutung von Ideen und Vorstellungswelten, umso mehr tendieren die verschiedenen Autoren dazu, die Veränderungen historisch zumindest bis ins 17. oder 18. Jahrhundert zurückzuverlegen. Sind die Veränderungen allerdings ökonomischer oder sozialstruktureller Natur, neigen die Autoren dazu, die Schlüsselperioden später anzusetzen.74 Auch wenn verschiedene Auffassungen, Positionen und Gegenthesen existieren, der Faktor, dass die Säkularisierung der Moderne zuwiderläuft, ist im religionssoziologischen Diskurs allgemeingültiger Konsens.75 Damit ist die Modernisierung, zuzüglich ihrer Charakteristika wie die Rationalisierung, der bedeutendste Einflussfaktor religiösen Wandels in Gegenwartsgesellschaften, die Religion als abhängige Variable negativ beeinflusst und wegen der sich die Gesellschaft im Zuge der Modernisierung wie aus der Umlaufbahn geworfen fühlt.76 Nun gilt es im Folgenden die Säkularisierung mit dem Horrorgenre zu korrelieren. Dazu wird die Phantastik erklärt, die literarischen Ursprünge dargestellt und vertiefend auf das eindringende Monströse in die Normrealität eingegangen.77 72 73 74 75 76 77
Vgl. Pollack: 2017, S. 234. Vgl. Gabriel: 2015, S. 218. Vgl. Pollack: 2017, S. 34. Vgl. Pickel: 2011, S. 137. Vgl. Pollack: 2017, S. 26. Anm.: Auf die Gegenthese einer Rückkehr der Religion bzw. Wiederkehr der Götter wird hier nicht eingegangen, weil die Säkularisierung mit dem Horrorgenre kontextualisiert werden soll. Die durch die Säkularisierung entstandene Sehnsuchts-Leerstelle wird im Lichte der Wiederkehr der Religion durch einen gewissen Optimismus im Kino durch Filme, welche die Religion oder Mythen thematisieren, aufgegriffen.
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4.5
Horror als Verarbeitungs-Maschinerie der Säkularisierung
Unter Berücksichtigung der Lesart der kulturellen Konstruktion bietet der Horror ein angststimulierendes Instrumentarium, um die Resonanzen des Strukturverlustes durch die Modernisierung in seinen genrespezifisch-narrativen Mustern und Wirkungsräumen, hier im Rahmen eines postapokalyptischen Zerrbildes der Realität, zu verarbeiten. Wenn der Horror als (negativer) Zerrspiegel der Gesellschaft verstanden wird, dann hält er eindringlich durch die Zombie-Allegorie vor Augen, dass zumindest christliche Todes- und Jenseitsvorstellungen zunehmend überflüssig werden. »Die Entitäten des Horrors verweisen dabei als Signifikanten auf die Kontingenz der Realität, auf die Ungültigkeit insbesondere jenes Weltbildes, das sich mit der Aufklärung etabliert hat und das heute noch fortdauert: das für die Lebenspraxis bequeme und beschauliche Weltbild, das im Kern recht mechanizistisch hinauskommt.«78 Durch den Verlust der christlichen Religion als sinngebende Instanz im Zuge der Modernisierung und Säkularisierung wurde des Weiteren ein Weg für HorrorNarrationen und Abbildungen in der Kunst geebnet, da »das Horrorgenre jenes genuin religiöse Gefühlsmoment für seine Rezipienten bereithält, während die Aufklärung nicht nur religiöse und mythische Weltbilder im Allgemeinen desavouierte, sondern auch dazu beitrug, dass Wunderglaube und Höllengesänge selbst innerhalb der Kirchen an Bedeutung verloren. Damit büßte die Religion aber auch einen beträchtlichen Teil ihrer Faszinationskraft ein.«79 Zeit und Raum, Garanten für einen gesicherten teleologisch orientierten Weltzusammenhang, in dem sich das Subjekt Mensch gefahrlos bewegen kann, wurde also seit spätestens dem 19. Jahrhundert durch eine manifeste Krise in der Welt- und Subjekterfahrung ins Wanken gebracht.80 Nach Berg macht die Phantastik nun die Weltbewusstseinskrise zu ihrem Ausgangspunkt; sie verwehrt erkenntniskritische, räumliche und zeitliche Krisenphänomene. Dabei entsteht Phantastik in der Summe verschiedener Forschungs- und Definitionsverfahren im Zusammentreffen der Ebenen von Vertrautheit und dem Kontraempirischen, also als unmöglich
78 79 80
Vgl. Bebber van: 2011, S. 22. Ebd. S. 23. Vgl. Mauritz, Alexandra: Der phantastische Film – a Time and Space Odyssey. In: Janus, Ulrich; Janus, Ludwig (Hrsg): Abenteuer in anderen Welten. Gießen, 2007. S. 129-148. Hier S. 135.
4. Das The Walking Dead-Universum als Parabel der Säkularisierung
Erscheinendes.81 Im Bereich des Horrors ist es nun der Zombie, der als Ergebnis genannter Säkularisierung als kontraempirisches Monster die Welt ins Wanken bringt. Die Thematisierung von jener »Brüchigkeit der behaglichen Realität«,82 als »Modell negativer Welterfahrung«83 und als »Zerrbild der Realität«84 ist ein wesentliches Merkmal des Horrorgenres. Die Essenz des Horrors formt sich dabei im Rahmen der Diegese durch Definitionsansätze der Phantastik. Dies geschieht meist im Rahmen der Low-Fantasy.85 Der Horror modifiziert das Phantastische nun mit eigenen spezifischen Attributen, weshalb im Folgenden ein kurzer Blick auf die Phantastik geworfen wird, um im Anschluss den Horror als filmische Reflexionsfläche der Säkularisierung zu betrachten. Todorov definiert die Phantastik durch das Unschlüssigkeitskriterium: »Phantastisch sind solche Werke, die ein irritierendes Ereignis inszenieren, ohne dafür eine endgültige Erklärung anzubieten – weder eine natürliche noch eine übernatürliche.«86 Jacquelin verallgemeinert in Bezug auf Todorov, dass Texte thematisiert werden, in denen bestimmte Elemente als Rätsel im Widerspruch zum realistisch geschilderten Kontext erscheinen und die Kohärenz dieses Rahmens sprengen.87 Durst unterscheidet in seiner Theorie der Phantastik als Modifikation der Todorovs zwischen zwei Gruppen von Definitionen des Genres Phantastik:88 einer maximalistischen und einer minimalistischen. Meier fasst Dursts Ansätze trefflich zusammen:89 Zu der maximalistischen Definition zählen alle Theoretiker, deren Vorstellung von Phantastik alle »erzählenden Texte [umfasst], in deren fikti-
81 82 83 84 85 86 87
88 89
Vgl. Berg, Stephan: Schlimme Zeiten, Böse Räume – Zeit – und Raumstrukturen in der phantastischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Stuttgart, 1991. Bebber van: 2011, S. 23. Stiglegger: 2011, S. 6. Bebber van: 2011, S. 21. Anm.: »High« und »Low« dienen als Begriffe für das qualitative und quantitative Maß an Wunderbarem und Irrationalem in der entworfenen Welt. In: Mauritz: 2007, S. 138. Todorov, Tzvetan: The Fantastic. A Structutal approach to a Literary Genre. Ithaca, New York: Cornell 1975. S. 29. Vgl. Jacquelin, Evelyne: Fantastisches und Wunderbares. Goethes Behandlung des ›Geisterhaften‹ in den Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Schmeink, Lars; Müller, Hans Harald (Hg.): Fremde Welten – Wege und Räume der Fantastik im 21.Jahrhundert. Berlin, 2012. S. 363-380. Hier S. 364. Vgl. Durst, Uwe: Theorie der phantastischen Literatur. Tübingen, 2001. Anm.: Zu Dursts Ansatz zusammenfassend: Meier, Jan Niklas: Verwandlungen. Der Werwolf in der neueren deutschen Phantastik. Essen, 2015. S. 41.; Kreuzer, Stefanie: Literarische Phantastik in der Postmoderne. Klaus Hoffers Methoden der Verwirrung. Heidelberg, 2007. S. 30-37.
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ver Welt die Naturgesetze verletzt werden«.90 Im Gegensatz zu minimalistischen Ansätzen besteht die Differenz »darin, daß ein Zweifel an der binnenfiktionalen Tatsächlichkeit des Übernatürlichen keine definitorische Rolle spielt.«91 Innerhalb dieser maximalistischen Definition sind grob zwei Unterschiede erkennbar, die sich nach »ahistorischer Einordnung« und »historischer Einordnung« kategorisieren lassen. Laut ersterer Auffassung gelten all jene Texte als phantastisch, die nach heutigem Wissensstand übernatürliche Elemente enthalten.92 Fricke zählt bestimmte Geschichten der Bibel genauso zur Phantastik wie Horrorgeschichten und Science-Fiction.93 Entsprechend ist unter der »historischen Einordnung« eine Zugehörigkeit all jener Texte zu verstehen, in deren zeitgenössische Wirklichkeit das Übernatürliche einbricht.94 Unter der Kategorie der historischen Einordnung kann beispielsweise der Glaube an Totengeister und Wiederkehrer subsumiert werden, während der popkulturell-westliche Zombie gemäß Durst ein ahistorisches Wesen ist. Bezüglich des Bereichs der Rezeption phantastischer Geschichten entwickelte Eco in seinem Aufsatz über Science-Fiction einen Definitionsansatz der Phantastik für die Literatur, in welchem er versuchte, eine strukturelle Unterscheidung zu erörtern. Sein Ergebnis lautete, dass jede Literatur kontrafaktische Konditionalsätze impliziere, also etwas, das nicht in der Realität existiert.95 Diese können vom Leser dechiffriert und im Rahmen der Rezeption des fiktionalen Textes als gegeben angesehen werden. Das ist sowohl bei historischen als auch ahistorischen Narrationen möglich. Weiterhin formulierte Eco ausgehend von der Beschreibung, dass sich die phantastische Literatur von der realistischen darin unterscheide, »dass die mögliche Welt, die sie entwirft, strukturell andersartig ist als die wirkliche. […] Diese Allotopie, konstruiert eine alternative Welt zur realen, indem sie annimmt, dass unsere Welt tatsächlich anders ist, als sie ist, sodass auch Filme dazugehören, die das Unheimliche oder Übernatürliche als existent setzen.«96 Einen präziseren Definitionsansatz, der sowohl die inhaltliche als auch die rezeptive Dimension erfasst, bietet Weinreich: »Phantastik ist ein literarisches Genre, dessen zentraler Inhalt die Annahme des faktischen Vorhandenseins und Wirkens metaphysischer Kräfte oder Wesen ist, also Fiktion auftritt und auch als Fikti-
90 91 92 93 94 95 96
Vgl. Durst: 2001, S. 29. Ebd. Vgl. Ebd. Vgl. Fricke, Harald: Norm und Abweichung: Eine Philosophie der Literatur. München, 1981. S. 52. Vgl. Durst: 2011, S. 31. Vgl. Eco, Umberto: Über Spiegel und andere Phänomene. München; Wien, 1990. S. 215. Vgl. Mauritz: 2007, S. 134.
4. Das The Walking Dead-Universum als Parabel der Säkularisierung
on verstanden werden soll und muss.«97 Pinkas differenziert anhand von GenreBeispielen die Welten-Konzepte: »Der Begriff ›phantastischer Film‹ dient dabei als ein weitgefasster Oberbegriff für verschiedene Filmgenres, die ausgehend von der Konzeption einer Normrealität ein Paralleluniversum eröffnen, welches entweder in die als realistisch gesetzte Welt einbricht (Horrorfilm) oder aber eine […] Gegenwelt […] derselben darstellt (Fantasy- und Science-Fiction-Film).«98 Nach Timm und Kohlschmidt werden im Bereich der Phantastik Figuren, Schauplätze und Abläufe gezeigt, die es in unserer Norm-Wirklichkeit zwar bislang nicht gegeben hat, die aber im Rahmen unserer Weltgesetze durchaus denkbar sind. Dabei handelt es sich um Entwürfe, in denen gleiche Naturgesetze gelten, Zauberei also unmöglich ist, aber in denen Wesen leben können, die in unserer Welt evolutionstechnisch nicht vorkommen.99 Gemäß Todorov stimulieren phantastische Fiktionen eine Unsicherheit über die Grenze zwischen Phantastik und Realität; »genau an diesem Punkt entsteht das Unheimliche, das die Basis der Horrorfiktion bildet.«100 Baumann bemerkt, dass der englische Begriff ›Horror‹101 , welcher im Deutschen kongruent mit ›Schrecken‹ ist, die Affekte Angst, Furcht und Unbehagen ausdrückt und zugleich eine Beschreibung für die Reaktion und Empfindung des Rezipienten darstellt, welche durch fiktionale Darstellungen ausgelöst werden, in welchen er mit diesem ganzen Gefühlsspektrum reagiert.102 Als Filmgenre hat der Horror seine Wurzeln in den englischen Schauerromanen des 18. und 19. Jahrhunderts, weshalb im Folgenden ein holzschnittartiger Blick auf die englischen Gothic Novels103 erfolgen soll. 97 98
Weinreich, Frank: Fantasy – Einführung. Essen, 2007. S. 37. Pinkas, Claudia: Der phantastische Film. Instabile Narrationen und die Narration der Instabilität. Berlin, New York:, 2010. S. 9f. 99 Vgl. Timm, Bernd; Kohlschmidt, Thomas: Alternativwelt. Die Ordnung der Welten. URL: htt p://fantastik-online.de/metawelten/ko/ff_ko0036.pdf. 2013. Aufgerufen am 02.04.17. 100 Stiglegger: 2011, S. 2. 101 Anm.: Brittnacher merkt an, dass dem lateinischem horror am ehesten dem deutschen Wort Schauer entspricht, der die physiologische Seite des Schreckens akzentuiert. Das englische Wort horror und der deutsche Begriff Schauer (oder Schauder) bezeichnet eine deutlich negative Empfindung, die sich von der unspezifischen, konturlosen Angsterfahrung unterscheidet. Siehe: Brittnacher, Hans Richard: Affekte. In: Brittnacher, Hans Richard; May, Markus (Hg.): Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart, 2013. S. 514-521. Hier. S. 517. 102 Vgl. Baumann: 1989, S. 30. 103 Anm.: Kennzeichnend für diese literarische Gattung ist ein festes Motivrepertoire, durch welches Schauer erzeugt wird: »Versatzstücke sind wilde und phantastische Landschaften, historisches oder pseudohistorisches Kolorit, malerische Architektur, Ruinen, Klöster, Verliese, Gewölbe usw., unerklärliches Verbrechen, tyrannische Männer- und ätherischen Frauenfiguren, Begegnungen mit unheimlichen oder übernatürlichen Gestalten, oft Sendboten einer
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Die Essenzen werden im Anschluss mit dem in die Normrealität einbrechenden Monströsen in Verbindung gebracht.
4.6
Vorläufer des filmischen Horrors […] Das Zerbersten ihres Sarges, und das Kreischen der eisernen Angeln ihres Gefängnisses, und ihr qualvolles Vorwärtskämpfen durch den kupfernen Bogengang des Gewölbes. Oh, wohin soll ich fliehen?104
Meteling konstruiert in seiner Studie über die Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm heuristisch drei Konzepte, die sich hinsichtlich ihrer ästhetischen und narrativen Wirkung unterscheiden.105 Erstens den Gothic Horror, welcher sich auf die Monstrosität singulärer Körper bezieht und eine spezifische Ästhetik des Raumes aufweist, die als Projektion innerer unbewusster Mechanismen dargestellt wird, sodass Instanzen des Unbewussten und Verborgenen mit einbezogen werden.106 Als Beispiel soll die von Edgar Allan Poe im Jahr 1839 verfasste Kurzgeschichte Der Fall des Hauses Usher aufgeführt werden, aus welcher der oben zitierte Textauszug entnommen wurde. Bemerkenswert ist diese Gothic Novel, da sie kongruente Elemente zum Zombie-Topos aufweist: Eine von ihrem Bruder lebendig begrabene Frau kehrt, nachdem sie sich selbst befreien konnte, in ein blutiges Leichentuch gehüllt wieder zurück und nimmt tödliche Rache an ihrem Delinquenten.107
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verborgenen Macht, Nacht-, Verfolgungs- und Beschwörungsszenen, Visionen und Träume«. In: Schweikle: 1990, S. 183. Die Gothic Novel soll hier von der unscharfen Bezeichnung der Geistergeschichten für die Darstellung von unheimlich-dämonischen Begebenheiten getrennt werden. Hier wäre »das Erlebnis des Unheimlichen eine seelische Grunderfahrung, die sich in einer Vielzahl von Motiven (außer Gespenstern auch Teufel, Vampire, Doppelgänger u.a.) ausprägt. Animistischmagische Welterfahrung, Totenkult, Spiritismus, Aberglaube und psychologisches Interesse bilden die äußere Voraussetzung ihrer Entstehung.« In: Schweikle: 1990, S. 181. Poe, Edgar Allan: Der Untergang des Hauses Usher, 1839. In: Ders.: Der Untergang des Hauses Usher. Zürich, 1976. Anm.: Siehe zur Vorgeschichte des Horrorfilms und der Fortführung der theatralen Tradition des Horrors im Kino: Skal, David J.: The Monster Show. A Cultural History of Horror. New York, 2001. Eine weitere Einführung zur Horrorliteratur bietet Brittnacher. Siehe: Brittnacher, Hans Richard: Horrorliteratur. Eine Einführung. In: Kindler Kompakt. Horrorliteratur. Ausgewählt von Hans Richard Brittnacher. Berlin, 2017. S. 9-28. Vgl. Meteling, Arno: Monster. Zur Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm. Bielefeld, 2006. S. 15. Vgl. Hercenberger: 2016, S. 12.
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Zweitens ist da der Körperhorror mit der strengen Fokussierung der filmischen Ästhetik auf den verwundeten, deformierten und geöffneten Körper, der zunehmend Opfer von menschlichen Monstern wie Serienmördern oder Kannibalen im Slasher- bzw. Splatterfilm ist (siehe Kap. 5.4.3).108 Drittens der New Gothic Horror. Meteling beschreibt diesen als die Rückkehr des Gothic Horrors in Anführungszeichen und als Zitat des klassischen Horrorfilms der 1930er und 1940er Jahre seit den 1990er Jahren.109 Bei der Suche nach einem im 18. Jahrhundert gängigen Begriff für Literatur mit phantastischem Inhalt geht Jacquelin von einem Rekurs auf Elemente aus, die gegen das zeitgenössische Gesetz der Mimesis verstoßen. Dafür nennt sie als Ausgangspunkt das Wunderbare.110 »Das Phantastische geht mit volkstümlichen Formen einher, wobei die Rezeption Shakespeares und Ossians, aber auch der britischen Gothic Novel das Augenmerk auf das als Kehrseite der Vernunft bisher verpönte Dunkle und Obskure lenkt.«111 Der Gothic Horror, in Form der Gothic Novel, begann von der Mitte des 18. Jahrhunderts im feudalistischen Gewand mit Horace Warpoles Text The Castle of Otranto von 1764, welcher sich im Zuge der europäischen Vor- und Frühromantik mit der Bezeichnung ›gothic‹ bewusst von den Strömungen des literarischen Klassizismus des 18. Jahrhunderts absetzte und den englischen Schauerroman als neu entstandene Gattung bezeichnet.112 Warpoles The Castle of Otranto rückte das erschreckende Universum räumlich, zeitlich und sozial noch in eine beruhigende Ferne, während der moderne Horror in greifbare Nähe des Lebensraums- und der Wirklichkeit des Rezipienten dringt.113 Verantwortlich für diesen Wechsel waren u.a. E.T.A Hoffmann und E.A. Poe, welche die schaurigen Handlungen von der Vergangenheit in die Gegenwart transferierten, das Abstrakte der feudalen Szenerien sprengten und die Handlungen in der bürgerlichen Alltagswelt spielen ließen, wo das Grauen nicht mehr als paranormale, nicht fassbare Macht in die Welt eindringt, sondern sich innerweltlich und menschlich manifestiert.114 In diesem neuen Koordinatensystem bildet das Geisterhafte, das auch als Phänomen in zahlreichen populärwissenschaftlichen Abhandlungen diskutiert wird, ein zentrales Motiv.115 »Der Glaube an Dämonen und Elementargeister ist bereits in der Antike, aber auch noch im 16. 108 Vgl. Meteling: 2006, S. 15. 109 Vgl. Ebd. 110 Vgl. Jacquelin: 2012, S. 364. Anm.: Damit ist alles gemeint, was das Immanente, vom Menschen kognitiv Erfassbare übersteigt und folglich Bewunderung hervorruft. 111 Ebd. S. 366. 112 Vgl. Schweikle et.al.: 1990, S. 183. 113 Vgl. Baumann: 1989, S. 71. 114 Vgl. Ebd. S. 166. 115 Vgl. Wilpert, Gero von: Die Deutsche Gespenstergeschichte: Motiv – Form- Entwicklung. Stuttgart, 1994. S. 98.
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und 17. Jahrhundert mindestens ebenso durch die zeitgenössische, gelehrte Literatur verbreitet worden wie durch die Volkserzählung d.h. von Erlebnisberichten von Betroffenen.«116 Nach Tuczay fehlen in der Bibel Totengeister fast völlig, da die »christliche Glaubensgemeinschaft der ersten Jahrhunderte den Gespensterglauben als heidnisches Relikt ablehnte und einige Passagen der Evangelien eine große Zurückhaltung gegenüber jeglichem Totenkulten äußerten.«117 Weiterhin erläutert Tuczay vor dem Hintergrund des Neuen Testaments, dass Gott freilich der Gott der Lebenden und nicht der Toten ist (Mt 22, 32).118 Auch zahlreiche Volkssagen berichten von übernatürlichen Erlebnissen, von numinosen Begegnungen, Spukphänomenen und Erscheinungen, die heute gemäß Dursts ahistorischer Kategorie als parapsychologische Phänomene eingeordnet werden würden. Im Sinne des heutigen Verständnisses der Phantastik wurden im 18. Jahrhundert vorwiegend antike Mythen und tradierte Gattungen wie Fabeln, Märchen oder Gothic Novels (1764 bis zu den 1820er Jahren) rezipiert.119 Das Wort ›fantastisch‹ galt im 18. Jahrhundert weder als explizite literarische Kategorie, noch stellte es einen Fachbegriff des poetologischen Diskurses dar.120 Vielmehr wurde die Phantasie als solche und damit einhergehend die Wirkung der Einbildungskraft konnotiert.121 Durch die Rationalisierung der Aufklärung existierte, besonders in der Romantik, eine Sehnsucht nach dem Mystischen. Ein Grund hierfür war zum einen die Dominanz der Vernunft, zum anderen lag es an den herkömmlichen literarischen Hierarchien. Denn das Wunderbare zu dieser Zeit speiste »eine Flut von Märchen und etwas später Schauerromane, die meistens dem Bereich angenehmer Unterhaltungen bzw. des ›abgeschmackten Trivialen‹ zugeordnet wurden.«122 Ein zentrales Grundproblem im 18. Jahrhundert war der im kollektiven Unterbewusstsein manifestierte Konflikt zwischen Logos und Mythos, welcher den empirischen Zugang zu Quellen eines metaphysischen Opus erschwerte. Deswegen entwickelte sich die Tendenz, dass der desillusionierte Mensch mit dem Vorfindbaren nicht mehr zufrieden war. So pflanzte sich in den kollektiven Geist der Aufklärung und der damit einhergehenden Säkularisierung rapide eine immanente Weltanschauung ein. Im Zuge dessen wurden zahlreiche Versuche unternommen,
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Petzholdt: 1990, S. 6. Vgl. Tuczay: 2015, S. 140. Vgl. Ebd. Vgl. Jacquelin: 2012, S. 364. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. S. 363. Vgl. Ebd.
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die vom Aufklärungsparadigma geprägten Menschen durch ›wunderbare‹ Narrationen von einer zusehends empirisch erfassbaren Welt abzulenken. Durch die Dominanz der Aufklärung im 18. Jahrhundert folgte bald eine neue Definition des Bösen, welches nun als ein Mangel an Vernunft betrachtet wurde. Dieser Mangel konnte alsbald behoben werden, da das Böse keine unveränderliche Größe mehr war. Somit verschwand die reale Vorstellung des (sakral) Bösen in Form des Teufels oder anderen schaurigen Wesen. Diese wurden nun für Unterhaltungszwecke instrumentalisiert.123 Im Lichte dessen wird das Phantastische im engeren, todorovschen Sinne als eigentliche Abwandlung und neue Ausformung des literarisch Wunderbaren betrachtet. Damit gilt das Phantastische als Kehrseite der Vernunft, da das Dunkle, Unbeherrschbare, Triebhafte, Schicksalhafte verhandelt wird.124 Im Kontrast zum Zombie ist das Gespenst in den Schauergeschichten nach Körber ein literarischer Hinweis auf die Vorstellung, dass die menschliche Existenz nicht mit dem Tod endet, sondern körperlos fortbesteht und das Bewusstsein und die Seele den Verfall des Körpers übersteht (siehe Kap. 3.1).125 Brittnacher beschreibt den Begriff des Schreckens als gebunden an die Wirkungsgeschichte des Dramas, welche mittlerweile auch als eine unverzichtbare Kategorie der ästhetischen Moderne dient, »um die Wirkung subversiver, entgrenzender und transgressiver Affekte zu charakterisieren, wie sie bevorzugt vom Horrorfilm gepflegt werden.«126 Schneidewind merkt weiterhin an, dass Vampir- und Dämonengeschichten im Christentum, besonders in der katholischen Konfession, eine erhebliche Rolle spielen und diese nicht selten verfremdet oder der Geschichte ›angepasst‹ werden.127 Inhärent ist diesen Geschichten, dass etwas Irreales in den Alltag einbricht. Im Folgenden wird diese Konstruktion am Beispiel des Einbruchs des Monströsen in die Realität beleuchtet.
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Vgl. Franke-Penski, Udo: Kettensägen, Lust und Toleranz. Zur Konsumierbarkeit von Horrorfilmen. In: Moldenhauer, Benjamin; Spehr, Christoph; Windszus, Jörg (Hg.): On Rules and Monsters. Essays zu Horror, Film und Gesellschaft. Hamburg, 2008. S. 21. 124 Ebd. 125 Vgl. Körber: 2014, S. 62. 126 Brittnacher: Affekte 2013, S. 518. 127 Vgl. Schneidewind, Friedhelm: Reale Religionen und Religionskritik in der Phantastik In: Ders. (Hg.): Spiegel, Muschelklang und Elbenstern. Artikel von 2006 bis 2008. Saarbrücken, 2009. S. 81.
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4.7
Der Einbruch des Monströsen in die Realität Der Einbruch des Monströsen und Schrecklichen in der trivialen Schauerliteratur des gotischen Horrors im 18. und 19. Jahrhundert sowie die Weiterführung insbesondere im Horrorfilm des 20. Jahrhunderts verweist somit nicht nur auf die Schattenseite der Vernunft, sondern stellt darüber hinaus auch eine Rebellion gegen die hohe bürgerliche Ästhetik dar.128
Instrumentalisierten die Dramatik des Barock und der französische Klassizismus nach Brittnacher den Schrecken auf der Bühne zugunsten einer »Dramendidaxe als wirksames Mittel«,129 so wurde diese Moralisierung der Dramaturgie von den Gothic Novels des angelsächsischen Kulturraums »als trivial geächteter Sparten der Unterhaltungsindustrie verdrängt.«130 Dort konnte der ausgewiesene Schrecken etwa in Burkes Ästhetik des Erhabenen als Therapeuticum fortleben, wobei Lessings Laokoon (siehe Kap. 5.4.3.4) dafür gesorgt hatte, den Schrecken medienabhängig zu bewerten: So kann der Literatur wegen ihres stärker die mediale Distanz betonenden Charakters an Schrecklichem zugestanden sein, was der suggestiven Eindrucksmacht der bildenden Kunst versagt bleiben muss.131 Brittnacher betont weiter, dass das poetische Anliegen der schauerphantastischen Tradition die Erzeugung von repulsiven und expektatorischen Affekten, ein konstitutives Anliegen ist und die Phantastik damit als eine affektivintensive Kunstform bezeichnet werden kann.132 Es werden also gemäß der Phantastik auch hier Menschen vorgeführt, »die in der Alltagswelt plötzlich mit dem Übernatürlichen konfrontiert werden.«133 Das Besondere am Horror ist, dass sich das Phantastisch-Fiktionale als unheimliche Bedrohung veräußert und die Urängste des Menschen stimuliert.134 Durch den fundamentalen Bruch mit der Realitätsvorstellung findet hier ein »ontologischer Riss«135 und eine »disruption of natural order«136 statt. Kleinschnittger fasst zu128
Schumacher, Florian: Monströse Gestalten als das fantastische Andere: Von den Rändern der Welt ins Zentrum der Gesellschaft. In: Dellwing, Michael; Harbusch, Martin: Vergemeinschaftung in Zeiten der Zombie-Apokalypse. Gesellschaftskonstruktionen am fantastischen Anderen. Wiesbaden, 2015. S. 23-36. Hier S. 33. 129 Brittnacher: 2013, S. 518. 130 Ebd. 131 Vgl. Ebd. 132 Vgl. Ebd. S. 514 133 Solms, Wilhelm: Einfach Phantastisch – Von Wundererzählungen zur Phantastischen Literatur. In: Le Blanc, Thomas; Solms, Willhelm (Hg.): Phantastische Welten. Märchen, Mythen, Fantasy. Regensburg, 1994. S. 16. 134 Vgl. Stiglegger: 2011, S. 2. 135 Fowkes, Katherine: The Fantasy Film. Malden, 2010. S. 2. 136 Sobchack, Vivian: Screening Space: The American Science Fiction Film. New York, 1987. S. 30.
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sammen, dass der Horror vom Normalen, Gewöhnlichen ausgeht, welches durch eine subtile Verschiebung plötzlich zum Anormalen wird und zieht bezüglich zum Zombiefilm Seeßlen heran:137 Der (moderne) Horror des Zombiefilms agiert anhand einer »unbarmherzigen Verstärkung des alltäglichen Horrors, das heißt, er überführt das allzu Vertraute, das Alltägliche und das herkömmliche, unterschwellige (unter Verschluss gehaltene) Unbehagen ins Verstörende, Grausame, offen Bedrohliche: ins Unheimliche.«138 Die Normrealität wird im Horrorfilm dabei speziell durch das eindringende Monströse gestört. Mit den Worten Woods: »normality is threatend by the monstrous«.139 Van Bebber ergänzt, dass in der Horrorerzählung etwas absolut Unerhörtes geschildert wird, das auch nicht mehr unumkehrbar ist.140 »In Anlehnung an Robin Woods Formel müsste gesagt werden: ›normality is destroyed by the monstrous‹ (›monstrous‹ anstatt ›monster‹, da das Monströse wohl oft, aber nicht zwingend ein monströses Wesen sein muss, sondern es könnte auch z.B. ein ›unheimlicher Zufall, ein Fluch o.ä. sein‹).«141 Eine grundlegende Eigenschaft der Phantastik »ist diese Widerspiegelung einer unsicher gewordenen Welt durch Irritationen, Wunder, Monster etc. in der plötzlich der Wahrnehmung unterworfenen und als zersplittert verstandenen Welt des Subjekts – Ichabbau – reagiert die phantastische Literatur in Form von Grenzgängern wie Untote […].«142 Dazu äußert Kleinschnitter direkt auf den Zombiefilm bezogen: »Der unheimliche Horror des Zombiefilms basiert also darauf, dass vertraute Orte, Personen oder Handlungsrahmen durch den Einfall des Zombies Veränderungen erfahren, durch welche sie zur Bedrohung werden.«143 Gemäß der Zombie-Konfrontation ist das Merkmal des Horrorgenres folglich, »dass die Fiktion und das Unmögliche in einer Welt möglich und real wird, die der unseren weitgehend gleicht, und wo Menschen, die uns ebenfalls gleichen, auf diese Anzeichen der Brüchigkeit ihrer Welt mit Grauen reagieren«.144 Das Übernatürliche oszilliert dabei als Defekt innerhalb der rationalen Welt aus dem Nebulösen, dringt damit jenseits empirischer Kate-
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Vgl. Kleinschnittger: 2010, S. 97. Seeßlen, Georg: George A. Romero und seine Filme. Bellheim, 2010. S. 21f. Wood, Robin: The American Nightmare. Horror in the 70s. New York, 1986. Vgl. Bebber van: 2011, S. 21. Ebd. Cepl-Kaufmann, Gertrude; Grande, Jasmin: Der tote Körper: Literarische Metamorphosen des Leibes und der Seele. In: Groß, Dominik; Grande, Jasmin: Objekt Leiche. Technisierung, Ökonomisierung und Inszenierung toter Körper. Frankfurt a.M., New York, 2010. S. 193-242. Hier S. 237. 143 Kleinschnittger: 2010, S. 97. 144 Baumann: 1989, S. 108.
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gorisierung und Erklärbarkeiten in die Normwirklichkeit ein und plagt die dort ansässigen Personen. Meteling äußert, dass die Merkmale des Horrorfilms dabei vorsichtig so benannt werden können, »dass sie von der Bedrohung des menschlichen Geistes und Körpers erzählen und dies mit einer Rhetorik der Gewalt, des Schreckens, der Angst und des Ekels ausmalen, sodass diese Bedrohung sich jenseits der Leinwand in Richtung des Zuschauerraums erstreckt.«145 Überdies treten phantastische Phänomene im Horrorfilm entweder als übersinnlicher Horror oder durch die Verletzung elementarer Annahmen über die Materie (Sterblichkeit biologischer Körper siehe Kap. 5) auf, so wie es im Zombiefilm der Fall ist.146 »Horrorfilme sind dissonanz-induzierend – sie sind beunruhigend oder unangenehm (und damit dem Genre zugehörig), sofern sie Ideen, Verhaltensweisen oder Überzeugungen präsentieren, die nicht zusammenstimmen, die unsere Erwartungen und Auffassungen bezüglich der ›Welt‹, aber auch bezüglich des für das filmische Erzählen Akzeptablen durchkreuzen oder überschreiten. Im Zentrum der Prozesse des Horror-Erlebens stehen dabei jene Figuren oder Ereignisse eines Films, die – gemessen an den Normen und Werten der erzählten Welt – als ›unrein‹, als eine Verletzung kultureller bzw. kognitiver Kategorien erlebt werden können. Sie bilden das formale Objekt der Emotion. Klassische Beispiele wären in sich widersprüchliche (lebend-tote) Kreaturen wie Frankensteins Monstrum oder Zombies…«147 Hinsichtlich der Grundformel des Einbruchs einer monströsen Entität in die Normrealität – »normality is threatend by the monstrous«,148 soll im Folgenden eine Steigerungscharakteristik dargestellt werden, indem drei verschiedene Anspruchslevel mit verschiedenen Intensitätsstufen an das Horror generierende Medium dargestellt werden. Beginnend bei der realitätsnahen Monsterfigur, welche um die nächste Stufe zu erreichen in ihrer furchteinflößenden Charakteristik dahingehend abstrahiert oder intensiviert wird, als ihr essentiell bösartige Eigenschaften oder kurz ›das Böse‹ angedichtet bzw. unterstellt werden, welches dann eine erneute Steigerung erfährt, indem es aus dem Rahmen realitätskohärenter Spektren entfernt wird. Zunächst gilt also die Anwesenheit eines empirisch nicht fassbaren und angsteinflößenden Monsters, welches in den Alltag eindringt und dort Angst und Schrecken verbreitet. Nach Smuts kommen Monster aber nicht
145 Meteling: 2006, S. 27. 146 Vgl. Keitz, Ursula von: Phantastik. URL: http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexik on&tag=det& id=5603 . Aufgerufen am 19.03.17. 147 Vonderau, Patrick: Affektmanagement im Horrorfilm. URL: http://filmlexikon.uni-kiel.de/in dex.php?action=lexikon&tag=det&id=1831. Aufgerufen am 13.03.17. 148 Wood: 1986.
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in jedem Horrorfilm vor. Vielmehr hat der Horrorfilm die generelle Funktion Angst zu erzeugen.149 Ebenso fasst Seeßlen das in die Normrealität Eindringende nicht konkret als Monster auf, sondern definiert dieses als ›das Böse‹, welches in die reale Welt einbrechen muss, um den menschlichen Körper anzugreifen.150 Das Auftauchen von Monstern stellt damit nur eine Option innerhalb der Materialisierungen des obskuren Bösen dar. Damit wird zugleich ausgedrückt, dass der Horror schematisch zwischen den Polen des Sichtbaren und Unsichtbaren angesiedelt ist.151 Mit den Erklärungsansätzen der Phantastik sind diese Störungen im Gefüge der vertrauten Wirklichkeit, einhergehend mit dem Bruch des empirisch Erwartbaren,152 konform, da diese Störungen sowohl auf emotional-reaktionärer Basis die Figuren im Rahmen der Diegese, als auch den Rezipienten durch das Evozieren von Grauen, welches konstitutiv für die Entstehung des Horrors ist, tangieren.153 Dieser Einbruch des Monströsen in die Normwirklichkeit ist hier als Zerrbild des Einbruchs der Rationalisierung und der damit zusammenhängenden Säkularisierung zu verstehen, die nun im Metier des Horrors gemäß des »medienreflexiven Charakters kultureller Produktionen«154 filmisch aufgearbeitet wird. Der ZombieTopos als konkret gefasste Ausformulierung einer monströsen Entität soll in folgendem Kapitel als allegorische Veräußerung des Prozesses der Säkularisierung gefasst werden.155
149 Vgl. Smuts, Aaron: Cognitive and Philosophical Approaches to Horror. In: Benshoff, Harry, M: A Companion to the Horror Film. Oxford, 2014. S. 3-20. Hier S. 3. 150 Vgl. Seeßlen, Georg: Horror. In: Brittnacher, Hans Richard; May, Markus (Hg.): Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart, 2013. S. 522-528. Hier S. 526. 151 Vgl. Ebd. 152 Vgl. Baumann: 1989, S. 104. 153 Vgl. Ebd. S. 101. 154 Bebber van: 2011, S. 17. 155 Anm.: Mit ›Der Zombie als Allegorie der Säkularisierung‹ ist nicht gemeint, dass George A. Romero oder andere den Zombie bewusst auf Basis der Säkularisierung formulierten. Vielmehr wird im Folgenden die Säkularisierung als geistige Strömung verstanden, welche die westliche Welt, besonders hinsichtlich ihrer Wahrnehmung des Todes beeinflusste und dies filmisch im Horrorgenre durch den Zombie medienreflexiv verarbeitet wird, worauf im nachfolgenden Kapitel dezidiert eingegangen wird.
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4.8
Der Zombie als Allegorie der Säkularisierung Wir verstehen immer ein irgendwie geartetes Anderes als monströs, ein Wesen, das Tabus bricht, das nicht den Werten und Normen einer Gesellschaft entspricht. […] Eine binäre Logik der Einordnung nach dem Entweder-Oder-Prinzip funktioniert hier nicht mehr. Ein Mensch ist nach unserer Vorstellung entweder lebendig oder tot, er kann nicht beides sein.156
Das durch die Polarität zwischen dem empirisch gesicherten ›Natürlichen und dem kontraempirischen Übernatürlichen‹157 evozierte Grauen beschreibt als schwerwiegende, angstmachende Eruption in der Wahrnehmung des bewussten Subjekts den durch die jeweilig obskur-metaphysische Ursache und ihren entsetzlichen Begleiterscheinungen ausgelösten Zerfallsprozess der empirisch-pragmatischen Erfahrungswelt (Normwirklichkeit) und betont dadurch zugleich die äußerste Beziehungslosigkeit des Individuums.158 Die Konversation zwischen Nick und Madison Clark (Siehe Kap. 4) verhandelt eben diesen Aspekt des Zerfalls der vorherigen Normwirklichkeit und die darauf folgenden Kontingenzerfahrungen. Eine durch diesen Kollaps der Normwirklichkeit hervorgerufene Vakanz ist für die verschiedenen Facetten und Erscheinungsformen des Horrors konstitutiv. Baumann meint, dass die Kunst im Falle der Phantastik, insbesondere des Horrors, die reale Welt nur in dem Maße widerspiegelt, »der nötig ist, um der nichtrealen Gegenwelt glaubwürdig einen Rahmen zu bieten und ihr Eintritt zu verschaffen.«159 Im Grunde ist der eigentümliche Reiz des Horrorgenres demnach »ein Abbild unserer eigenen Realität in ein furchtbares Zerrbild dieser Realität hinübergleiten zu lassen (durch das Einbrechen des Monströsen in eine häufig betont alltägliche Realität).«160 Für die Figuren ist eine solche Destabilisierung des Realitätsbegriffs eigentlich nicht mehr ins Positive lenkbar: »Gehörte das Monströse zuvor nicht zur Realität, ist sie nun Teil einer neuen subvertierten Realität, in der alle bisher gültigen Kategorien einer radikalen Neubewertung unterworfen sind und in der die totale Kontingenz des Seins aufscheint.«161 Ingebretsen tituliert das Monströse als ›lingua monstra of media‹, welches als Metapher für gesellschaftliche Probleme dient, und aufgrund des demonstrativen Grauens aus dem Bereich des Menschlichen exkludiert wird und sich ergo als filmisches Monster zeigt.162 156 157 158 159 160 161 162
Vgl. Meier: 2017a, S. 70. Baumann: 1989, S. 184. Vgl. Ebd. S. 239. Bauman: 1989, S. 94. Bebber van: 2011, S. 21. Vgl. Ebd. Vgl. Inglebretsen, Edward J.: At Stake: Monsters and the Rhetoric of Fear in Public Culture. Chicago, 2001. S. 2.
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Das Monster ist das Andere, das mindestens zwei eigentlich getrennte Dinge verbindet.163 Es ist ein Unding, eine Ausnahme von Kategorien, Regeln und Gesetzen, eine Abweichung von jeglicher Ordnung.164 Es fällt aus dem Rahmen des ›Natürlichen‹ heraus und verrät immer wieder seinen Ursprung in Zeichensystemen divinatorischer Prägung.165 Cohen versteht das Monster als kulturgeborenes Phänomen.166 Mit dieser Prämisse formulierte er die These, dass ein von der Kultur hervorgebrachtes Monster die Kultur erklären kann, die es hervorgebracht hat, und das Monster damit als Reflexionsfigur kultureller Alterität funktioniert.167 Meier fasst in seinem Einführungswerk über Zombies treffend zusammen: »Diese Aussage impliziert zwei Dinge: Erstens: Monster (also auch Zombies) sind Kulturprodukte. Zweitens: Anhand dieser Monster lassen sich Erkenntnisse über kulturelle Verhältnisse, über Werte und Normen der jeweiligen Gesellschaft gewinnen. Cohen schreibt hierzu, dass dem Monströsen grundsätzlich jegliche Form von kultureller Alterität eingeschrieben sein könne, zumeist erhalte diese aber politische, religiöse, sexuelle oder ethnische Ausformungen. Ein Monster wird gewissermaßen von der Gesellschaft geschaffen. Denn wenn das Monster das Andere darstellt, in ihm sich also Dinge manifestieren, die nicht sein können oder dürfen, dann muss sich das Verständnis von Monstrosität mit den es umgebenden Werten und Normen, hier konkret dem Christlichen, abwandeln.«168 Auch Halberstam argumentiert, dass Monster ›meaning machines‹ sind, deren Existenz auf Einsichten der Ängste einer Kultur, die es produziert hat, geben.169 In der Terminologie Roland Barthes’ wäre der Zombie damit ein motiviertes Zeichen, welches mit Claude Lévi-Strauss fordert, dass seine Wirklichkeit »in einem bestimmten Maße durch den Menschen geprägt ist.«170 Das Monster nun, als Resultat besagter auch gegenwärtig im Prozess befindlicher Säkularisierung, trägt stets eine signifikante Prägung als Handschrift der
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Vgl. Borgards, Roland; Holm, Christiane; Oestlerle, Günter: Vorwort: In: Dies. (Hg.): Monster. Zur ästhetischen Verfassung eines Grenzbewohners. Würzburg, 2009. S. 9-14. Hier S. 9. Vgl. Toggweiler, Michael: Kleine Phänomenologie der Monster. In: BORIS. Bern Open Repository and Information System. (http://boris.unibe.ch/38147/) vom 09.03.2016. (= Arbeitsblätter des Instituts für Sozialanthropologie 42) S. 25-27. Vgl. Frenschkowski, Marco: 2013, S. 557. Vgl. Cohen, Jeffrey, Jerome: Monster Culture (Seven Thesis): In: Ders. (Hg.): Monster Theory. Reading Culture. Minneapolis, 1996. S. 3-25. Vgl. Ebd. S. 3-25. Meier: 2017b. S. 22-23. Vgl. Halberstam, Judith: Skin Shows: Gothic Horror and the Technology of Monsters. Durham, 1995. S. 21. Lévi-Strauss, Claude: Das wilde Denken. Frankfurt a.M., 1968. S. 33.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Kultur, die es erschaffen hat. Analog zum Einbruch der Modernisierung in die Normwirklichkeit der Menschen dringt das Monströse gleich des von Eliade konstituierten Chaos (siehe Kap. 2.1) erneut in selbige ein und erschüttert die Welt der Filmfiguren, genau wie die reale Welt durch die Modernisierung erschüttert wurde, und ruft die Destabilisierung des Realitätsbegriffs hervor. In einer durch das Christentum rundum abgesicherten Welt lebend wurden die Menschen von Modernisierung und Rationalisierung und als Konsequenz auf die folgende Säkularisierung ihrer bis dahin sinngebenden Instanz beraubt. Ungeachtet dessen ist das Monster statt dem Horrorgenre untergeordnet zu sein nun als einem spezifischen Element übergeordnet zu verstehen, was in seiner raffinierten endgültigen Erscheinung dann als etwaige horrorindizierende Schreckensfigur verstanden wird. Der einstige fundamentale Bruch durch die Rationalisierung und die daraus resultierende Säkularisierung im einst sicher geglaubten Alltag mit theologischen Erklärungen allen Seins legte mit dem daraus resultierenden Schwanken existentieller Fragen und sicher geglaubten Grundvorstellungen langfristig den Grundstein für die Schaffung einer analogen Monsterfigur als Produkt einer säkularen Kultur – den Zombie. Als Zerrbild der Realität (mit ihrer prozessual fortschreitenden Modernisierung im Sinne einer Säkularisierung), die sich ohne sinngebende Instanz präsentiert, soll nun das Horrorgenre die Erfahrung der Störung des als gegeben gesehenen christlichen Selbstverständnisses durch die Modernisierung erneut reflexiv-medial greifbar machen, indem nun nicht die Modernisierung, sondern direkt das Monströse, in die Normwirklichkeit der Menschen eindringt. So wird das bestehende sinngebende Gefüge aktiv gestört, woraus für die dramatis personae der HorrorHandlungen analog zu den Menschen in der säkularen Welt Kontingenzerfahrungen und Krisen resultieren. Dieser Prozess, nun gespiegelt vom Überbegriff des Horrorgenres, hält eingangs formulierten Erfahrungshergang jetzt reflexiv medial vor Augen. Der Zombie als konkret manifestierte Form des Monströsen steht zur realen Säkularisierung in filmischer Referenz. Der Zombie als phantastisch präzise Ausformulierungen eines Monster fügt sich als erweiterte Emblematisierung eines toten Körpers, welcher gleich der Säkularisierung und des Horrors einen Konzilianzbruch hervorruft: Auch ein Leichnam vermag Routinegewissheiten der Alltagswelt zu sprengen und kognitive Dissonanzen hervorzurufen: »Berger und Luckmann sehen in ihm […] sogar die oberste Grenzsituation menschlichen Lebens, die besonders geeignet ist, die Wirklichkeit der Alltagswelt zu verunsichern und deshalb eines besonderen Legitimationsaufwandes bedarf, um ihn in die Alltagswelt zu integrieren.«171
171
Kahl, Antje: Der tote Körper als Transzendenzvermittler: Spiritualisierungstendenzen im gegenwärtigen Bestattungswesen. In: Groß, Dominik et.al. (Hg.): Die Leiche als Memento mori.
4. Das The Walking Dead-Universum als Parabel der Säkularisierung
Der Zombie geht sogar noch einen Schritt weiter als die durch den normalen Leichnam hervorgerufene Unsicherheit (siehe Kap. 5.4.3.2) und vereint als phantastische Modifikation eines schon problembehafteten Leichnams die Punkte ae: Kirchenkrise, Sinnkrise, Körperkrise, Glaubenskrise, Identitätskrise (siehe Kap. 1.1) in sich. Entsprechend addieren sich zu den von Cohen genannten Aspekten der Werte und Normen auch die Erschütterung fundamental existentieller und theologischer Fragen, welche vom Zombie als allegorische Folgeerscheinung im Zerrspiegel der Realität als modernes Gebilde präsentiert werden. Diese dem Zombie zugeschriebenen Charakteristika ermöglichen Rückschlüsse auf die ihn erschaffen habende Gesellschaft. Sein Dasein erlaubt gegen religiöse Vorstellungen keine Transzendierung des Todes. Der Zombie kann also als ein allegorisches Produkt der Säkularisierung verstanden werden. Das Phantastische entsteht dabei »im engeren Sinn dann, wenn Realitätssysteme sich verändern und divergierende Systeme koexistieren, bzw. wenn delegitimierte (›alte‹) Systeme zu Trägern des Subversiven, Exotischen, Bedrohlichen, Entgrenzenden etc. werden.«172 Der wiederkehrende Tote ist Repräsentant des postapokalyptischen, deligitimen Systems und »eine Konstante der unheimlichen Phantastik, die sich in zahlreichen Konzepten und Subgenres verdichtete.«173 Nach Schrackmann trifft die Observation, dass Monsterfiguren sich auf vielfältige Weise als »Allegorien für gesellschaftliche Phänomene, Konflikte und Ängste ihrer Zeit und Kultur einsetzten lassen, in besonderer Weise auf die wandelnden (Un)Toten zu: Ihr tabubrechendes, kannibalistisches Essverhalten, das oftmals grausig-vergammelte Aussehen, vor allem aber ihre mehrfach grenzübergreifende Existenz zwischen Leben und Tod, zwischen Mensch und triebhaft weitertaumelndem ›Massenwesen‹ macht sie zum personifizierten Anderen schlechthin.«174 Auch Fürst verweist auf den Zombie als Zeichen: »In ihrer Gefährlichkeit und Monstrosität verweisen sie nicht nur auf den allgemeinen Schrecken vor dem Tod, vor Kannibalismus und Verwesung, sondern darüber hinaus auf spezifische Ängste und aktuelle gesellschaftliche Probleme.«175
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174 175
Interdisziplinäre Perspektiven auf das Verhältnis von Tod und totem Körper. Frankfurt a.M., 2010. S. 203-238. Hier S. 221. Vgl. Frenschkowsi: 2013, S. 556. Stiglegger, Marcus: »The Dead will walk the Earth…Zur ewigen Wiederkehr der Zombies«. URL: https://www.getidan.de/kritik/!lm/marcus-stiglegger/18662/the-dead-will-walktheearth. Aufgerufen am 14.12.2019. Schrackmann: 2011, S. 216. Fürst et.al.: 2011, S. 10.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Dieser Gesichtspunkt ist besonders im Hinblick auf die Thematik des Todes als gesellschaftlichem Problem im engeren Sinne untersuchenswert, denn der Tod ist ein kongruentes Element des Horrors und der Religion(en), der zur menschlicher Existenz gehört: »Sterben und Tod sind medizinische und kulturelle Tatsachen gleichzeitig. Es gehört zur symbolischen Arbeit jeder Gesellschaft (und vielleicht auch jeden Individuums), Zugestoßenes zu interpretieren und es in Begreifbares und Erzählbares umzusetzen.«176 Krautkrämer bemerkt hinsichtlich der thematischen Affinität zum Tod, dass es wie in Wiedergänger- und Geisterfilmen auch beim Zombiefilm nicht allein um das Überleben der menschlichen Protagonisten geht, sondern um den Tod und das Sterben, beziehungsweise den Umgang unserer Kultur damit.177 »Was den Zombiefilm jedoch von den anderen unterscheidet, ist die permanente Konfrontation der Lebenden mit den Toten.«178 Vor diesem Hintergrund sollen im folgenden Kapitel das Verhältnis der Moderne und ihr Verhältnis zum Tod, die neuzeitlichen Entwicklungen im Umgang mit Tod und Sterben, sowie die damit verbundene Verarbeitung im Horrorgenre skizziert werden, damit die Ergebnisse danach konkret auf den Zombie-Topos als Veräußerung säkularer Todesvorstellungen bezogen werden können.
176 177
178
Wulff, Hans-Jürgen: Zwischen Unermesslichkeit und Sinnentwürfen: Alter, Sterben und Tod im Film. In: Medien und Altern, Heft 5. 2014. S. 24-40. Hier S. 4. Vgl. Krautkrämer, Florian: A Matter of Life and Death. Leben und Tod im Zombiefilm. In: Fürst, Michael; Krautkrämer, Florian; Wiemer, Serjoscha (Hg.): Untot. Zombie Film Theorie. München, 2011. S. 23. Ebd.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
Did you ever sit and ponder? Sit and wonder? Sit and think? Why we’re here and what this life is all about? It’s a problem that has driven many brainy men to drink It’s the weirdest thing they’ve tried to figure out About a thousand different theories, all the scientists can show But never yet have proved a reason why With all we thought, and all we’re taught, but all we seem to know: Is we’re born, we live a while, and then we die.1 Nassehi und Weber postulierten, dass es eine der wesentlichen Aufgaben symbolischer Sinnwelten ist, dem Tod Sinn zu verleihen und ihn zu legitimieren.2 Im Film werden Spekulationen dargelegt, die die Frage stellen, was nach dem Tod passiert. Insofern werden im Alltag ungreifbare Phänomene in unterschiedlichen Graden von Komplexität und gedanklicher Tiefe für den Zuschauer sinnlich erfahrbar gemacht.3 Es ist demnach die Aufgabe des Films, sich auch der Mortalität zu widmen und den in der Gesellschaft tabuisierten Tod zu thematisieren. Meteling fügt weiterhin hinzu, dass »der Film im Allgemeinen und der Zombiefilm im Besonderen als bissiger Kommentar auf die Narrative, Kulturen und Praktiken verstanden werden« können, die dieser Aufgabe Folge leisten.4 Boon bezieht den Zombie-Topos auf das
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DeRosa, Stephen: Life Is a Funny Proposition After All. 2011. Vgl. Nassehi, Arnim; Weber, Georg: Tod, Modernität und Gesellschaft. Entwurf einer Theorie der Todesverdrängung. Opladen, 1989. S. 64. Vgl. Franke-Penski: 2008, S. 26. Vgl. Meteling, Arno: Das Ornament der Masse. Zur Chronotopie der Medialität im Zombiefilm. In: Fürst, Michael; Krautkrämer, Florian; Wiemer, Serjoscha (Hg.): Untot – Zombie Film Theorie. München, 2011. S. 211-224. Hier S. 211.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
abstraktere Monströse-Andere (siehe Kap. 4.8) und betont ebenso das Projektionspotential der Zombie-Figur hinsichtlich der eigenen Auseinandersetzung mit dem Tod und der Sterblichkeit: »The proliferation of the zombie mythology into mainstream culture during te past three decades has established the zombie as the predominant symbol of the monstrous other. […] The increased appeal of the zombie in the later twentieth century is linked to the mythology’s ability to stir anxieties about our own mortality within the larger context of cultural attitudes about the nature of the self!«5 Im folgenden Kapitel wird anhand kulturgeschichtlicher Darstellungen zunächst die Verdrängung des Todes dargestellt. Diese wird dann der eschatologischen Perspektive gegenübergestellt und mit dem Horrorgenre und dem Zombie korreliert.
5.1
Verdrängung des Todes
Wie der Theologe Gräb formulierte »wollen wir wissen, warum wir auf der Welt sind und was das Ganze überhaupt soll«,6 woraus sich die Religion als kultureller Tatbestand ergibt, dem die Menschen fakultativ folgen können: »Mit der Zugehörigkeit der Religion zum Menschsein ist gemeint, dass es Lebenserfahrungen und Existenzfragen gibt, die unabdingbar nach religiöser Deutung verlangen […]. Die Frage, ob, wo und wie diese religiöse Deutung tatsächlich vollzogen wird, führt jedoch nicht auf anthropologische Gegebenheiten, sondern auf kulturelle Leistungen und Vollzüge, auf symbolisches Ausdrucksverhalten, rituelle Praktiken – in der Kirche, in der organisierten Religion aber nun gerade auch in der weiter der ›säkularen‹, der individualisierten, politischen, ästhetischen und cineastischen Kultur, die zugleich unsere Lebenswelt ausmacht.«7 Vor diesem von Gräb weiter beschriebenen Hintergrund könnte der Zombie ohne religiöse Deutung, der die radikale Prämisse der Endlichkeit des Lebens kontra christlicher Auferstehung bricht, als Kulturprodukt bzw. symbolischer Ausdruck eines Spiegels der säkularen Todeswahrnehmung dienen; denn »der Tod ist immer nur denkbar im Rahmen kultureller und gesellschaftlicher Konventionen, es 5
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7
Boon, Kevin: The Zombie as Other: Mortality and the Monstrous in the Post-Nuclear Age. In: Christie, Deborah; Juliet Lauro, Sarah (Hg.): Better Off Dead: The Evolution of the Zombie as Post-Human. New York, 2011. S. 50-65. Hier S. S. 50. Gräb, Wilhelm: Theologie als Religionskulturhermeneutik. In: Mertin, Andreas; Herrmann, Jörg; Schwebel, Horst (Hg.): Tà katoptrizómena. Magazin für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik. Heft 114. Jahrgang 20. 2018. URL: https://www.theomag.de/114/wg03.htm. Aufgerufen am 16.02.19. Ebd.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
besteht ein direkter Zusammenhang zwischen den Todesbildern und der jeweiligen gesellschaftlichen Sinnkonstruktion,«8 so ergänzt Pennington. Auch Hauser beschreibt, dass der Mensch beim Sinnieren über den Sinn des Lebens über die unbestimmte Endlichkeitserfahrung in Weltanschauungen nachdenkend seine radikale Endlichkeit entdeckt, »sodass spätestens im Angesicht der Frage nach dem Jenseits des Todes jedes menschliche Leben (in jedem Moment) durch ein Streben nach realer Aufhebung dieser radikalen Endlichkeit gekennzeichnet ist.«9 Wer dann im Jenseits die Vollendung seiner selbst bezeugt, stellt sich auf den Standpunkt der Religion.10 Wie in Kapitel dargestellt erwähnte Knoblauch, dass bei der Thematisierung der Moderne stets ein Bezug auf bestimmte Weisen des Handelns und die daraus resultierenden institutionellen Strukturen der Gesellschaft, also auf ihre Kultur, ihre Sinngebilde und ihr Wissens hergestellt wird.11 Der Tod stellt nun freilich, so Knoblauch weiter, für alle menschlichen Gesellschaften ein Problem dar, das sich durch den handelnden Umgang mit dem Tod und die damit verbundenen Formen des Wissens ihn beschreiben lässt.12 Er ist auch, so bemerkt der Filmwissenschaftler Wulff, nicht nur eine medizinische, sondern auch eine kulturelle Tatsache und letztlich auch eine symbolische Konstruktion.13 Galt in der westlichen Gesellschaft, auf die sich hier primär bezogen wird, der Tod bis ins 19. Jahrhundert als »allgegenwärtig«14 und »traditionell«,15 wurde der Tod mit der Modernisierung in den Bereich der (wissenschaftlichen) Medizin »ausgebürgert«16 und mithin institutionalisiert, was sich wiederum auf den gesellschaftlichen Umgang mit bestimmten Aspekten des Todes auswirkte.17 Durch die zunehmende Nutzung von Technologien, die zur Begleitung des Sterbens sowie zur Untersuchung der Toten eingesetzt werden, kann weiterhin von einer »Techni-
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10 11 12 13 14
15 16 17
Pennington: 2001, S. 126. Hauser, Linus: Die Herausforderung der Religionspädagogik durch Neomythen. Sciencefiction und neue Formen der Religiosität. In: Schreijäck, Thomas (Hg.): Christwerden im Kulturwandel. Analysen, Themen und Optionen für Religionspädagogik und Praktische Theologie. Ein Handbuch. Freiburg i.Br., 2011. S. 457-476. Hier S. 461-462. Vgl. Ebd. S. 462. Vgl. Knoblauch: 2011, S. 29. Vgl. Ebd. Vgl. Wulff: 2014, S. 1. Feldmann, Klaus: Tod und Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Thanatologie im Überblick. 2.Aufl. Wiesbaden, 2010. S. 97; Walter, Tony.: Facing death without tradition. In: Howarth, Glennys; Jupp, Peter: (Hg.): Contemporary Issues in the Sociology of Death, Dying and Disposal. Basingstoke, 1995. S. 193-204. Hier S. 198. Walter, Tony: The Revival of Death. London, New York, 1994. S. 47. Ariès, Philippe: Geschichte des Todes. München, 2009. S. 739. Vgl. Knoblauch: 2011, S. 30.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
sierung des Todes«18 gesprochen werden, die zusammen mit der »Medikalisierung des Todes« nach manchen Autoren das »Ende des natürlichen Todes«19 ermöglicht haben.20 Mit der Modernisierung setzte folglich zum einen die »triumphale Medikalisierung des Todes«21 und damit ein »moderner Tod«22 ein, »bei dem nun die Medizin anstelle der Religion Orientierung bot und der Arzt den Priester als Autoritätsfigur ersetzte […]. Dies geht einher mit einer verstärkten Tendenz zur Säkularisierung der Todesdeutungen«.23 Zum anderen trug die Spezialisierung der medizinischen Institutionen zur Privatisierung des Todes bei und führte zu dem, was als Verdrängung des Todes in der Moderne sowohl aus der Öffentlichkeit (z.B. durch die Verlagerung des Todes in Kliniken oder Pflegeheime), als auch aus dem Bewusstsein des Einzelnen bezeichnet wird.24 »Eventually Western Culture shifted from a time in which death was an intimate part of daily experience, to the present period, where most people die in sanitized places removed from the presence and experience even loved ones.«25 Durch diese Aneignung des Todes durch Krankenhäuser und anderen Institutionen wurde der Tod schließlich tabuisiert. Er kann lediglich, so Knoblauch, in einer beschönigenden oder fiktiven Weise – also auch symbolisch durch den Zombie – im Alltag auftreten.26 Letztlich vollzog sich durch die Modernisierung in der westlichen Welt ein radikaler Wechsel der Wahrnehmung des Todes. Die Sinn- und Seinsfragen, die durch den Prozess der Modernisierung stimuliert werden, sind also konkret eine Konsequenz der Privatisierung, Medikalisierung, Technisierung und damit Tabuisierung des Todes in der westlichen Modernen, da auch hier die orientierungsgebende christliche Religion und zugehörige Jenseitsvorstellung ihre sinnstiftende Hoheit als Sterbebegleitung gegenüber medizinischen Institutionen eingebüßt haben.27 Durch die Modernisierung bleibt also das anthropologische 18 19 20 21 22 23
24 25 26 27
Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Ariès: 2000, S. 747. Walter: 1994. S. 47; 1995, S. 193. Streek, Nina: Sterben, wie man gelebt hat. Die Optimierung des Lebensendes. In: Jakoby, Nina; Thönnes, Michaela (Hg.): Zur Soziologie des Sterbens. Aktuelle theoretische und empirische Beiträge. Wiesbaden, 2016. S. 29-46. Hier S. 34. Vgl. Knoblauch: 2011, S. 31. Morehead: 2012, S. 108. Vgl. Knoblauch: 2011, S. 31-32. Anm.: Entgegen der oben aufgeführten Todeswahrnehmungen spricht Knoblauch weiterhin von einer neuen, positiven Wahrnehmung des Todes, evoziert durch die Hospizbewegung Ende der 1960er Jahre und ausgedrückt in Memoralisierung der Toten, Ausweitungen des
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
Fundament der radikalen Endlichkeit weiterhin bestehen, während das menschliche Streben nach der Aufhebung der Endlichkeit aufgrund des christlichen Angebots wegfällt und sich somit genannte Sinnkrisen ergeben.28 Darüber hinaus folgten auch innerhalb der christlichen Religion Restrukturierungen und Veränderungen bezüglich post-thanatologischer Konzeptionen.
5.2
Die eschatologische Perspektive War der Tod noch lange Zeit für die Mehrheit der Menschen im europäischen Kulturraum mit der Vorstellung eines christlichen Jenseits verbunden, so entfernen sich die Todesvorstellungen in der Moderne von der christlichen Vorlage. Selbst innerhalb der christlichen Religion zeigen sich Veränderungen. Zum einen schwindet die Verbindung mit der Hölle und zum anderen erscheint der Tod insgesamt nur noch als untergeordnetes Thema der christlich-kirchlichen Religiosität.29
Gemäß dem neuen Katechismus der Katholischen Kirche, dem Kompendium 2005,30 beginnt das ewige Leben gleich nach dem Tod, nachdem die Seele mit Christus als Richter in die Seligkeit des Himmels oder in die ewige Verdammnis der Hölle als ewige Trennung von Gott eintritt.31 Erst im zweiten Schritt, am Ende der Welt, dessen Zeitpunkt unbekannt ist, wird in dem ›letzten Gericht‹ durch den wiedergekehrten Jesus endgültig zu urteilen sein.32 Nach dem klassisch-theologischen Vorstellungsmodell trennt sich im Tod die unsterbliche Seele (anima separata) vom sterblichen Leib und kommt unmittelbar nach dem Tod vor das nur ihr geltende Gericht, durchläuft optional eine Zeit der Läuterung, um Sündenstrafen abzubüßen (siehe Kap. 3.3) und geht dann in die ewige Seligkeit oder in die Verdammnis ein.33 Am letzten Tag der Weltgeschichte werden auch die Leiber auferweckt und wieder mit ihren Seelen vereinigt; danach wird über alle Menschen mit Leib und Seele (siehe Kap. 6.4, Kap. 6.5 und Kap. 9.5) und im Angesicht aller anderen das allgemeine (›Jüngste‹) Gericht gehalten, nach welchem es nur noch ewige Seligkeit und ewige Verdammnis gibt.34
28 29 30 31 32 33 34
Gedenkkultes sowie durch eine verstärkte Präsenz des Todes in der Öffentlichkeit. Siehe: Knoblauch: 2011, S. 32-33. Vgl. Hauser: 2011, S. 462. Luckmann, Thomas: Die unsichtbare Religion. Frankfurt a.M., 1980. S. 114. Katechismus der Katholischen Kirche. Kompendium. München, 2005. Nr.1020. S. 83f. Vgl. Tesche: 2017, S. 44. Vgl. Ebd. S. 46. Vgl. HD Bd.2: 2002, S. 458. Ebd.
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Neue Diskussionen fassen das Modell der ›Auferstehung im Tod‹, wonach der ganze Mensch stirbt, keine Trennung stattfindet und als Ganzes im Augenblick des Todes ohne einen Zwischenzeit- oder einem Zwischenzustand von Gott auferweckt wird. Lohfink, Vorgrimler und Greshake setzten sich differenziert mit diesem neuen Modell auseinander: Lohfink entwickelte eine extreme Variante, in welcher ein zeitlicher Abstand zwischen der Gegenwart einerseits und der Vollendung der Menschheitsgeschichte am Jüngsten Tag andererseits nicht mehr gedacht werden muss, da der Mensch nach dem Tod die Zeit hinter sich lässt und an einen ›Punkt‹ gelangt, an dem die ganze übrige Geschichte ›gleichzeitig‹ mit ihm an ihr Ende kommt, selbst wenn diese in der irdischen Dimension dafür länger benötigt, um dahin zu gelangen.35 Vorgrimler reagiert darauf kritisch, weil damit die noch ausstehende Geschichte unter anderem in Form jedweder Bemühungen der Menschen einer Optimierung der irdischen Verhältnisse entwertet werden würde, »da ja jede real-irdische Not im Tod des einzelnen Menschen schon aufgehoben wäre.«36 Greshake definiert die Auferstehung im Tod als prozesshaftes Geschehen: So sind die Auferstehung im Tod und die Auferstehung am jüngsten Tag in einem dynamisch progressiven Prozess miteinander verknüpft.37 Ratzinger lehnt die Auferstehung im Tod mit der Begründung ab, dass dies zu einem neuen Leib und Seele abwertenden Dualismus führe und die Materie dann aus dem Schöpfungsziel herausgenommen und ergo denunziert werde.38 Stattdessen offerierte er im Kontrast zum griechischen Leib-Seele-Dualismus ein biblisches Gegenüber von Schöpfer und Geschöpf,39 sodass der Mensch nicht in sich, aber inhärent per definitionem als Dialogpartner Gottes in analogem Sprachgebrauch zur Seele unsterblich ist.40 Wird diese Beziehung gestrichen, so Ratzinger, würde statt des Menschen nur ein höher entwickeltes Tier zurückbleiben.41 Analog zu dieser Konzeption könnte der Zombie als Mensch ohne Leben zum ›niederen Tier‹ werden, welches immer nur zerstört, bis es wiederum verwest zugrunde geht. Der Zombie ist als Konsequenz des Wegbrechens des Gotteskonzeptes mit Blick auf die Wechselwirkung der menschlichen Intellektualität mit dem negativ konnotierten Imperativ sterben zu müssen zu verstehen. Als Konsequenz eines diversifizierbaren Nebenfolgekonflikts erfährt der Mensch in seiner Kontingenz keine Ewigkeit 35 36 37 38 39 40 41
Vgl. Greshake, Giesbert; Lohfink, Gerhard: Naherwartung – Auferstehung – Unsterblichkeit. Untersuchungen zur christlichen Eschatologie. Freiburg, 1986. S. 72. Vorgrimler, Herbert: Hoffnung auf Vollendung. Aufriß der Eschatologie. Freiburg, 1984. S. 125f. Vgl. Greshake, Giesbert; Lohfink, Gerhard: 1986, S. 152. Vgl. Ratzinger, Josef: Eschatologie – Tod und ewiges Leben. Regensburg, 1977. S. 159. Vgl. HD Bd.2: 2002, S. 459. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
mehr, sondern es ist ihm nicht einmal mehr gegeben zu enden. Die Säkularisierung trägt nun zu einer Transformation dieser christlichen Auferstehungs-Systematik in eine Nichtigkeit bzw. Nichtgültigkeit bei, obgleich partiell weiterhin eine Auferstehung antizipiert wird, die sich allerdings als illusorisches Ergebnis der Realitätsverdrängung bzw. eines damit verbundenen Wunschdenkens entpuppt. Das Wunschdenken beschreibt dabei ein Streben, dass den Zweck verfolgt, Wünsche in einer illusorischen Vorstellung verwirklicht zu sehen und nicht primär die akut vorhandene Realität zu verdrängen, wobei dies ein Seiteneffekt des Wunschdenkens sein könnte. Eklatant tritt diese Realitätsverdrängung als Folge der durch den Verlust der Auferstehungshoffnung resultierenden Furcht vor dem Tod auf. Zusammenfassend ist die säkularisierte Todesvorstellung nach Franzmann »also etwas, an das man glaubt, obwohl die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod dem Wunschdenken zunächst nähersteht und der säkularisierte Tod in seiner Endgültigkeit als besonders negativ erscheint. Der säkularisierte Glauben wird offensichtlich als eine Konsequenz der Anerkennung des ›Realitätsprinzips‹ angesehen […] Bemerkenswert ist, dass die säkulare Todesvorstellung hier mit einer besonderen Art von ›Horror Vacui‹ verbunden zu sein scheint: dem ›Horror‹ vor dem Tod als Nichts (aus Subjektperspektive).«42
5.3
Säkulare Todesvorstellungen Once, amid the troubled and tumultuous enjoyment of my life, there was one dreary thought that haunted me, – the terrible necessity imposed on mortals to grow old or die. I could not bear the idea of losing one’s youthful grace.43
Die säkularisierte Endlichkeitsdeutung wiederum begreift den biologischen Tod nicht nur als Ende der Leiblichkeit, sondern radikal auch als Ende jeglicher Subjektivität, also das Ende der Seele und damit als absolutes Ende der individuellen Subjektexistenz, womit die Negation eines religiösen Jenseitsreichs verbunden ist.44 Der biologische Tod erscheint zugleich auch als Ende des Seelenlebens bzw. der Subjektivität, wobei nach Franzmann die damit einhergehende Desillusionierung für den Menschen negativ wahrgenommen wird, da es sich um einen bedauerlichen, zu ertragenden Verlust handelt, der normalerweise nicht herbeiwünscht wird.45 Der Tod kann folglich nicht als neutraler Sachverhalt betrachtet werden,
42 43 44 45
Franzmann: 2017, S. 172-173. Hawthrone, Nathaniel: Fragments from the Journal of a Solitary Man. In: Tales and Sketches. New York, 1982. S. 487-500. Hier S. 490. Die Originalfassung wurde 1837 verfasst. Vgl. Franzmann: 2017, S. 80. Vgl. Ebd. S. 172.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
zu dem kein wertendes Verhältnis besteht.46 Die Religion versucht dem wiederum entgegenzuwirken. Es ist aber auch eine grundlegende Konstante des Horrorgenres, den Tod zu thematisieren, die eine lange motivgeschichtliche Tradition hinter sich hat.47
5.4
Der Horror und die Angst vor dem Tod The brute fact is that death is a constant in human life, and fear surrounds death in one way or another. Religion is a primary means by which we face that fact and negotiate that fear.48
Eine Szene aus Fear The Walking Dead eröffnet subtil das Thema Tod und Sterben durch die Auslöschung von Kerzenlicht: Nachdem Griselda Salazar (Patricia Reyes Spíndola) in einem verbarrikadierten Frisörsalon aufgrund vorangegangener eskalierender Ausschreitungen auf der Straße vor einem kleinen Hausaltar ein Gebet gesprochen hat, werden von ihr danach behutsam die Kerzen ausgepustet, bis das Bild komplett schwarz wird und der Abspann der Episode beginnt (siehe Abb. 4). Wulff bemerkt, dass solche Inszenierungen nicht die Darstellung des Todes selbst, sondern Substituierungen und Indikatoren für den Tod sind.49 Zugleich wird durch die Dunkelheit suggeriert, dass Frau Salazars Beten nicht das gewünschte Ziel erfüllte. Eine Zeit der Angst und Ungewissheit steht bevor.50 Durch den Wegfall der Religion als haltgebende Instanz entwickeln bzw. verstärken sich diese Ängste, die durch den resultierenden Verlust des Glaubens an die Auferstehung ohnehin schon gesteigert werden, woran im Horrorgenre angeknüpft wird: »Our culture’s loss of trust in redemption has turned a premodern faith into a nagging modern fear.«51 Zu der von Kendrick verfassten Aussage fügt Morehead den Horror als Reflexionsfläche hinzu, in der mediale Monstren den Tod auf eine wie auch immer geartete Form zu überwinden und zugleich Angst zu provozieren vermögen. Signifikant ist es an dieser Stelle Cohen einzubeziehen, der das Monster als kulturgeborenes Phänomen versteht (Siehe Kap. 4.7).52 Anlehnend an den modernen Horror vollzog sich nach Kendrick ein Wechsel der Todeswahrnehmung in Form besagter Bändi-
46 47 48 49 50 51 52
Vgl. Ebd. Vgl. Morehead: 2012, S. 107. Cowan: 2008, S. 126. Vgl. Wulff: 2014, S. 4. Fear the Walking Dead. Staffel 1. Episode 2. Kendrick, Walter: The Thrill of Fear. 250 Years of Scary Entertainment. New York, 1991. S. 32. Vgl. Cohen: 1996, S. 3-25.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
Abbildung 4: Filmstills aus Fear The Walking Dead: Staffel 1, Episode 2
gung des Todes bereits mit den ›Graveyard School Poets‹.53 Dabei handelt es sich um Geistliche, die als literarische Wegbereiter des Gothic Horrors im Zuge der Bewegung gegen den Rationalismus schaurige Friedhofsgeschichten verfassten und diese mit christlicher Spiritualität kombinierten. Dies geschah, indem sie Todesdarstellungen von z.B. verwesten Leichnamen und dezidiert spukhaften Friedhofsstimmungen schilderten, im Anschluss jedoch kontrastierend das christliche Versprechen des Lebens nach dem Tod akzentuierten und so die Lebenden auf groteske Weise an die Realität des biologischen Todes mit guten Ausgang erinnerten ließen: »The effects of death are horrific, but immortality redeems them.«54 Weiterhin bemerkt Kendrick die Parallele zwischen dem Wechsel der literarischen Todeswahrnehmung von tot zu untot durch die Aufklärung und betont zugleich deren Aktualität. Er hält das Auftauchen der Untoten in der Literatur für eine Manifestation »of the twistet memory of lost faith [which] haunts us still.«55 Mit dem damit verbundenen Paradigmenwechsel folgt der Glaubensverlust einer Kultur der Auferstehung.56 Die Kopplung von Modernisierung und Säkularisierung provozierte dann eine Diffusion der Erlösungshoffnung, sodass die grauenerregenden Geschichten ohne Erlösungshoffnung als phantastisch-literarisches Unterhaltungsmedium in Form der Gothic Novels weiter florierten. Dementsprechend wich mit der Zeit der Volks-
53
54 55 56
Anm.: Gräberpoesie, auch Kirchhofspoesie: Dichtung, in der die Motive des Grabes, des Todes, der Vergänglichkeit usw. in Verbindung mit melancholischen Reflexion und düsterer Naturstimmung gestaltet sind. Siehe: Schweikle: 1990, S. 184. Kendrick: 1991, S. 31. Ebd. Vgl. Ebd. S. 32.
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und Aberglaube dem europäisierten Rationalismus, sodass diverse Schauermäre, als Vorläufer des Horrors, nun der Unterhaltung dienten. Spukgeschichten, deren Wurzeln zum Teil in der Folklore verankert waren, wurden entmystifiziert und somit in den Kanon der Phantastik verwiesen und teils als Altweibererzählungen abgetan. Geistergeschichten und Berichte von Spukerscheinungen wurden wider die Vernunft eingestuft, deren Allgemeinheitsanspruch solche Wundererzählungen nicht mehr zuließ.57 Der Volksaberglaube wurde entsprechend in der Literatur in Form von erfundenen Spukgeschichten bedient. Das ›Geisterhafte‹ bildete den Fokus dieser Narrationen in der Romantik. Auch die Monster wurden obsolet: »Mit dem Aufkommen der Aufklärung nimmt die Forschung gemeinhin einen erneuten Wandel des Motivs an, das klassische Monster, das die menschliche Kultur über so viele Jahrhunderte begleitet hat, scheint um 1800 herum allmählich zu verschwinden. Die Naturwissenschaft entmythologisiert das Monster, Fabelwesen und Wundervölker werden als Aberglaube abgetan. Monstrosität als körperliche Abweichung wird, insbesondere durch die Etablierung der Teratologie als Forschungsfeld, wissenschaftlich erklärbar und nun vornehmlich unter medizinischen Gesichtspunkten betrachtet.«58 So repräsentiert beispielsweise Poes Der Fall des Hauses Usher (siehe Kap. 4.6) den Übergang vom folkloristischen – universal kognitiv verständlichen – Gedankengut in eine Narration mit phantastischen Tendenzen, in welcher der vermeintlich Untote mit typisch erkennbaren Attributen auftritt, um den Leser im Sinne des heutigen Verständnisses der Phantastik zu amüsieren. Dabei konnten die Leser etwaige Spezifika aus dem kollektiven Archiv von Spukgeschichten auf neue fiktionale Figuren projizieren. Bernhard bemerkt in diesem Zusammenhang, dass durch die Aufklärung Geistergeschichten bzw. generell das imaginativ Andere zum kontrollierbaren Konsumgut geworden sind.59 Damit wurde später der Weg in das Kino für Zombies geebnet. An dieser Stelle knüpft das Horrorgenre als Subkategorie der Phantastik und Projektionsfläche der durch die Modernisierung hervorgerufenen Ängste einer westlichen Gesellschaft ohne Bezug zur christlichen Religion an und thematisiert »the modern fear of deadness«.60 Dabei ist es eine grundlegende Eigenschaft des Horrorgenres, dass die Endgültigkeit des Todes durch verschiedene Phänomene – wie durch den Zombie – relativiert wird.61
57 58 59 60 61
Vgl. Tuczay: 2015, S. 211. Meier, Niklas Jan: Wider die Kultur. Zum Wesen des Monströsen. In: Ders. (Hg.): Monster Essays. Hannover, 2017a. S. 13-36. Hier S. 25. Vgl. Bernhard: 2015, S. 270. Kendrick: 1991, S. 15. Vgl. Aster, Christian von: Horror-Lexikon: Von Addams Family bis Zombieworld. Die Motive des Schreckens in Film und Literatur. Köln, 2001. S. 315.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
Cowan spezifiziert die Angst vor dem Tod und postuliert, dass die Furcht vor ihm darauf beruht, zum einen auf schlechte Art und Weise zu sterben und zum anderen darauf, nicht tot zu bleiben. Einhergeht damit, dass die Seele nicht in das von der Religion versprochene Nachleben wandert. Es sind vielmehr die elementaren Aspekte des Sterbens und Stimuli des Memento mori-Gedankens, die im Horrorfilm verhandelt werden:62 »[…] but part of cinema horror’s agenda is to remind us, not only of the reality of death, but of the various fears that surrounds it.«63 Kendriks Untersuchung, auf die sich auch Cowan bezieht, unterstreicht, dass der Unterhaltungs-Horror eine Expression der durch die Moderne herbeigeführten Angst vor dem Tod ist. Dazu fasst Morehead die vier zentralen Aussagen Kendriks zusammen, die hier die zugrunde liegende These der Arbeit und konkret die Zombie-Topologie ergänzen und ausführen sollen: Die Repression des Todes (Kap. 5.4.1) und deren Destabilisierung durch den Horrorfilm (Kap. 5.4.2), die Thematisierung des monströsen Körpers und Körperhorrors (Kap. 5.4.3) sowie der spirituelle Horror (Kap. 5.4.4).64 Die genannten Kategorien werden im Folgenden ausgeführt und ergänzt.65
5.4.1
Repression des Todes
[…] Whatever happens to the soul, it cannot save the body, which will turn to clay and can be seen already moving in that direction before death. Nothing can console this modern fear – which is why, on the whole, we prefer not to discuss the subject.66 Wie bereits geschildert, ist die westliche Kultur in einen Prozess der Ablehnung des Todes involviert, womit folglich auch das Altern betroffen ist und bisweilen
62
63 64 65
66
Anm.: Insgesamt nennt Cowan vier grundlegende Archetypen, die sich im Horrorfilm wiederfinden: »entrapment and the inability to move on (ghost stories); condemnation and the requirement to remain (vampire narratives); bondage and the eternally lost love (mummy movies); and reanimation and the need to feed (zombie tales). Cowan: 2008, S. 126. Cowan: 2008, S. 126. Anm.: Siehe dazu den englischen Originaltext: Morehead: 2012, S. 111-112. Anm.: Eine ähnliche Korrelation zwischen dem rationalisierten Todesbild der Moderne, dem Bedeutungswandel des Friedhofs sowie der Bildlichkeit des toten Körpers im postklassischen Horrorfilm bietet Catherine Shelton. Siehe: Shelton, Catherine: Unheimliche Inskriptionen. Eine Studie zu Körperbildern im postklassischen Horrorfilm. Bielefeld, 2008. URL: http://dx. doi.org/10.25969/mediarep/601. Aufgerufen am 11.05.2019. Kendrick: 1991, S. 16.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
eine willentliche Exklusion aus der Todesnähe – und damit aus dem omnipräsenten Memento mori-Modus – im hohen Alter, der »Lebensphase des Siechtums«67 ›erstrebt wird. Alterungswissen, so Meitzler, beinhaltet auch ein Vergänglichkeitswissen.68 Dies veräußert sich in der westlichen Gesellschaft auf zweierlei Weise: Zum einen auf die Art, wie mit Tod und Sterben (durch zwanghafte Exklusion und Verdrängung aus dem Alltag in Form der Thanatopraxie) umgegangen wird, zum anderen durch die Verschleierung des Todes mithilfe des Gesundheitsimperativs.
5.4.1.1
Verschleierung des Todes durch Thanatopraxie
Im Bestattungswesen werden verschiedene Methoden bedient, um die Sichtbarkeit des Todes z.B. durch Einbalsamierung von Leichen oder geschlossene Särge herunterzuspielen bzw. zu minimalisieren.69 So kaschiert der Bestattungshandel, »dass jener Körper, der explizit als ›tot‹ ausgestellt wird, im physiologischen Sinne ›tot‹ ist«70 und stellt diesen toten Körper vielmehr als Schlafenden dar, um eine Assoziation zum Weiterleben nach dem Sterben hervorzurufen, sodass der Tod nicht wie das Ende, sondern wie ein zeitweiliger Stillstand wirkt.71 Die Wahrnehmung der durch die Bestatter kosmetisch evozierten Illusion einer vermeintlich körperlichvisuellen Verlängerung der Lebendigkeit sowie Ästhetisierung und damit einer Anheftung lebendiger Attribute an den Leichnam divergiert allerdings zwischen dem deutschen und dem angloamerikanischen Kulturraum. Letzterer nimmt an, dass der tote Körper nach dem Eintritt des Todes eine gewisse Entstellung induziert, die es schnellstmöglich für das Wohlbefinden der Angehörigen zu maskieren gilt.72 Weiterhin präsentieren sich Säkularisierungstendenzen durch die Aufhebung traditioneller Bräuche im Kontext des Bestattungsunternehmens. So findet nach Kahl beispielsweise eine Trauerfeier nur noch selten vor einem offenen Sarg statt. Stattdessen wird eine möglichst rapide Einäscherung des Verstorbenen vorgenommen und die Überreste werden den Angehörigen in einer Urne überreicht.73
67 68 69 70
71 72 73
Thieme, Frank: Alter(n) in der alternden Gesellschaft. Eine soziologische Einführung in die Wissenschaft vom Alter(n). Wiesbaden, 2008. S. 160. Vgl. Meitzler, Matthias: Soziologie der Vergänglichkeit. Zeit, Altern, Tod und Erinnern im gesellschaftlichen Kontext. Hamburg, 2011. Vgl. Morehead: 2012, S. 108. Benkel, Thorsten: Strukturen der Sterbenswelt. Über Körperwissen und Todesnähe. In: Keller, Reiner; Meuser, Michael: Altern(n) und vergänglicher Körper. Wiesbaden, 2017. S. 277-301. Hier S. 294. Vgl. Ebd. S. 295. Vgl. Kahl: 2010, S. 225. Vgl. Ebd. S. 219.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
5.4.1.2
Verschleierung des Todes durch den Gesundheitsimperativ
Also hat es dir gefallen Hier in dieser schönen Welt; So daß das Vondannenwallen Dir nicht sonderlich gefällt. Laß dich das doch nicht verdrießen. Wenn du wirklich willst und meinst, Wirst du wieder aufersprießen; Nur nicht ganz genau wie einst. Aber, Alter, das bedenke, Daß es hier doch manches gibt, Zum Exempel Gicht und Ränke, Was im ganzen unbeliebt.74 Die westliche Gesellschaft ignoriert bzw. konterkariert den Tod im Rekurs an »den mythischen Wunsch nach ewiger Jugend«75 durch den Leitgedanken ›forever young‹ bzw. dem neoliberalen »Gesundheitsimperativ«,76 also den Prozess des Alterns durch Körpererleben, Körperethos, Schönheits- und Gesundheitshandeln,77 (z.B. durch Kosmetik, Fitness, Wellness und Anti-Aging) sowie durch die Optimierung von Ernährungsweisen oder gar durch medizinische Eingriffe zu kaschieren und »das Selbst im Wellnesskult selbst zu sakralisieren«.78 Hausmanninger verquickt dies im Rekurs auf die 1980er Jahre mit der postmetaphysischen und postreligiösen Zeitstimmung und ergänzt in diesem Zusammenhang den Boom von neuen Ernährungsideologien in Verbindung mit esoterischen Anweisungen zum Umgang mit Nahrung und spiritualitätsnahen Praktiken, die körperorientiert zur Erzeugung von Wohlbefinden eingesetzt werden.79 Im Fitness- und Gesundheitskult ist der sportliche Körper Symbol einer diesseitsorientierten Religiösität und sichtbarer Maßstab eines radikalen »Healthismus«.80 Dieser steht konträr zu dem mit dem Alter verbundenen Verfall des Kör74 75 76
77
78 79 80
Busch, Wilhelm: Also hat es dir gefallen. In: Kritik des Herzens 17. Heidelberg, 1874. Cepl-Kaufmann; Grande: 2010, S. 212. Mazumdar, Pravu: Der Gesundheitsimperativ. Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie, 42. 2004. S. 11-24. sowie Schroter, Klaus R.: Fitness und Wellness als gesellschaftliche Imperative. Zeitschrift für Frauenforschung & Geschlechterforschung, 24 (4), 2006. S. 69-89. Vgl. Reißmann, Wolfgang; Hoffmann, Dagmar: »Eigentlich sollte jeder so sterben, wie Gott in erschaffen hat…«. Fallstudien zum Verhältnis von Vergänglichkeit, Körpererleben und Schönheitshandeln im Lebensverlauf. In: Keller, Reiner; Meuser, Michael (Hg.): Altern(n) und vergänglicher Körper. Wiesbaden, 2017. S. 131-158. Hier S. 131. Gugutzer: 2012, S. 300. Vgl. Hausmanninger: 2007, S. 293. Vgl. Thiel, Ansgar; Seiberth; Klaus; Mayer, Jochen (Hg.): Sportsoziologe. Ein Lehrbuch in 13 Lektionen. Aachen, 2013. S. 93. Siehe vertiefend zur Beziehung Sport und Kirche: Grupe, Om-
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
pers und weiteren Altersindikatoren wie Schwäche, Langsamkeit, Verwundbarkeit usw., die zu Stigmasymbolen des gealterten Körpers werden.81 Der alternde Körper ist, so Meitzler weiter, ein Krisenindikator.82 »Entsprechend seien nicht nur typische Merkmale und verräterische Makel des Alter(n)s zu verbergen, sondern der physische Verfall möglichst zu unterlaufen oder wenigstens zu verlangsamen. Hingearbeitet werde auf Konservierung und Verjüngung; es gehe um ›Körperrenovierung‹ […] und darum, den nicht selten mit Krankheit, Kontrollverlust, Leiden, Vergänglichkeit und Tod assoziierten Abbauprozess aufzuhalten.«83 Herrschte bis ins 19. Jahrhundert ein hohes Mortalitätsrisiko unter Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen,84 wurde der Tod normativ durch die Medikalisierung im Zuge der Moderne in das Greisenalter transferiert.85 »Der Keim dieser Umwälzung des Todes auf die späten Lebensjahre liegt in der Verlängerung der Lebensspanne von Menschen in den westlichen Industriestaaten zum Ende des 19. Jahrhunderts, sodass die Unsicherheit und Unberechenbarkeit des menschlichen Daseins einer kalkulierbaren Dauer- und Regelhaftigkeit der Lebensgeschichte wich.«86 In Zeiten der Moderne und der Medikalisierung hat sich mithin nicht nur das Leben, sondern auch das Sterben verlängert. Allerdings werden mit dem Altern negative Konnotationen suggeriert.87 Die Maskierung des körperlichen Verfalls im Prozess des kalendarischen Alterns ist nun eine »rückwärtsgewandte Bewältigung«,88 welche doch eine gezielte Unsichtbarmachung des alt(ernd)en Körpers durch Körpermodifikationen mit dem Ziel optischer Erhaltung akzentuiert, auch wenn es
81 82 83 84 85 86
87
88
mo; Huber, Wolfgang (Hg.): Zwischen Kirchturm und Arena. Evangelische Kirche und Sport. Stuttgart, 2000. Vgl. Goffman, Erving: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. Frankfurt a.M., 1967. S. 59. Vgl. Meitzler: 2017, S. 53. Reißmann et.al.: 2017, S. 131. Anm.: Durch Krieg als Todesfolge für Männer sowie Schwangerschaft und Geburt für Frauen. Diese Beschreibung umfasst primär den okzidentalen Kulturraum. Vgl. Ebd.S. 57. Stoff, Heiko: Jung und Alt auf Leben und Tod. Verjüngerung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Geimer, Peter (Hg.): UnTot. Existenzen zwischen Leben und Leblosigkeit. Berlin, 2014. S. 35-51. Hier S. 36. Vgl. Meitzler, Matthias: Der alte Körper als Problemgenerator. Zur Normativität von Altersbildern. In: Keller, Reiner; Meuser, Michael (Hg.): Altern(n) und vergänglicher Körper. Wiesbaden, 2017. S. 45-66. Hier S. 57. Meitzler: 2017, S. 59.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
sich nur um eine nach außen gerichtete artifizielle Substitution von körperlicher Fragilität in Vitalität handelt.89 Gugutzer ergänzt überspitzt, dass es im Zuge des gesellschaftlichen Individualisierungsprozesses seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer Abwertung der Religion und einer Aufwertung des Körpers gekommen ist. Auch Fuchs stellt heraus, dass »der sprunghafte Aufstieg der kosmetisch-chirurgischen Industrie, der hypochondrische Körperkult der Life-Style- und Health-Magazine, die Selbstmodellierung durch Training, Diäten oder Anti-Aging-Hormone, Ausdruck einer Kultur ist,90 die sich Schönheit, Jugend und Fitness zu ihren unumstrittenen Leitwerten erwählt hat.«91 Darüber hinaus gibt es Body-Piercings, Scarifications oder Tattooings, die ebenso den Körperkult zelebrieren.92 Andererseits vertritt die Körpersoziologie die Position, dass die moderne Gesellschaft durch Entkörperlichung (und Entindividualisierung) in sozialen Zusammenhängen gekennzeichnet ist, insofern als »dass Identität und sozialer Rang des Einzelnen ebenso wie das funktionierende soziale System unabhängig gegenüber körperlichen Eigenschaften und dem körperlichen Erscheinungsbild werden.«93 Bette formuliert angesichts beider ambivalent erscheinender Phänomene eine »paradoxe Gleichzeitigkeit von Entkörperlichung und Körperaufwertung«94 : Beide paradox anmutenden Phänomene 89 90
91
92
93 94
Vgl. Ebd. Anm.: Wobei hier differenziert werden muss, mit welcher Intention (ästhetische Optimierung oder gesünderes Leben) die jeweilige Tätigkeit praktiziert wird. Die ästhetische Optimierung entspricht dem Körperkult. Fuchs, Thomas: Zwischen Leib und Körper. In: Hähnel, Martin; Knaup, Marcus (Hg.): Leib und Leben. Perspektiven für eine neue Kultur der Körperlichkeit. Darmstadt, 2013. 82-93. Hier S. 90. Anm.: Körpermodifikation durch Körperbemalung, Tattoos, Piercings und Scarifications (als visuelle Antworten auf einen etwaigen Schmucktriebs) sollen hier dezidiert vom sportlichen Körperkult abgegrenzt werden. Besonders im Lichte der Scarifications handelt es sich um eine der idealisierten Körperschönheit oppositionelle Richtung der Ästhetisierung des Körpers durch Verwundung und Verstümmlung. Besonders anzumerken ist die in den USA gegründete, mit Gemeindestatus versehenen Church of Body Modificaton, welche Rituale zelebrieren, die geeignet scheinen, den Körper und Geist bis an die Grenzen auszutesten. Abendroth führt die Praktiken aus: So etwa durch Suspension, Pulling, Play-Piercings, Stapling, Pocketing, aber auch Fasten, Schnüren, Korsetttragen und- schnüren, über glühende Kohlen gehen, operative Eingriffe wie das tongue splitting etc.; wobei den Gemeindemitgliedern wichtig ist, dass bei der Glaubensausübung der Körper signifikant durch Tätowieren, Piercen, Narbenschneiden, rekonstruktive – möglicherweise auch destruktive – sowie kosmetische Chirurgie und andere Möglichkeiten umgestaltet wird. Vgl. Abendroth, Alana: Body Modification. Körpermodifikationen im Wandel der Zeit. Diedorf, 2009. S. 118-128. Heinemann, Klaus: Einführung in die Soziologie des Sports. 4.Aufl. Schorndorf, 1998. S. 88-89.; Thiel: 2013, S. 76. Bette, Karl-Heinrich: Körperspuren. Zur Semantik und Paradoxie moderner Körperlichkeit. 2.Aufl. Bielefeld. 2005.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
verlaufen also simultan, wodurch sich die Rolle der modernen Gesellschaft zum Körper kennzeichnet.95 »Zum einen sind ›Körperverdrängung‹ und ›Körperdistanzierung‹ vorhanden, zum anderen hat der Körper gerade außerhalb von Arbeitszusammenhängen eine immense Aufwertung erfahren und tritt im öffentlichen Diskurs (wieder) als bedeutender Kommunikationsgegenstand in Erscheinung.«96 Gugutzer kommt zu dem Schluss, dass die Individualisierung der Religion die Kehrseite der Individualisierung des Körpers sei und umgekehrt.97 Sie trägt dazu bei, »dass das Individuum selbst zum zentralen Gegenstand religiöser Sinnbildung geworden ist.«98 Knoblauch spricht in diesem Zusammenhang, anknüpfend an Luckmann, von der »Sakralisierung des Ich«.99 Paradox scheint dieser im Alltag und in der Kultur zu unterdrückende Umgang mit dem Tod, Alter und Verfall vor dem Hintergrund der Prämisse, dass diese Menschen zur gleichen Zeit Horrorfilme konsumieren, die einen unaufhörlich und eindringlich an Tod und Verwesung erinnern.100 Gleich alter Vanitas-Motive wird der Mensch mit dem Tod auf schauriggrotesker Weise ohne das christliche Jenseits- und Heilsversprechen konfrontiert.
5.4.2
Destabilisierung der Repression des Todes durch Horrorfilme und Zombies
Der Horror gönnt uns diese Verdrängung nicht. Er zerrt das sorgsam gehütete gesellschaftliche Tabu vom Tod und Sterben ans Licht und konfrontiert uns immer wieder damit.101 Dieser Sachverhalt führt kausal zu einer Destabilisierung der erstrebten Repression des Todes im Alltag, da die rezipierten Horrorfilme eine ›Wiederkehr des Unterdrückten‹ mit ihren konventionellen, bisweilen bizarr-obskuren, genrespezifischen Todesdarstellungen (z.B. durch Gore-Darbietungen) präsentieren.102 So 95 96 97 98 99
Vgl. Weiß, Otmar: Einführung in die Sportsoziologie. Wien, 1999. S. 85. Thiel: 2013, S. 77. Vgl. Gugutzer: 2012, S. 287. Ebd. S. 288. Knoblauch, Hubert: Die Verflüchtigung der Religion ins Religiöse. Thomas Luckmanns Unsichtbare Religion. Frankfurt a.M., 1991. 100 Anm.: Dazu Kendricks ironischer Wortlaut: »It looks paradoxical at best – psychotic at worst – that one might go from an hour […] in an aerobic class, where the body is urged to the acme of aliveness, directly to a screening of Night of the Living Dead, which pits animated corpses against the living and lets the corpses win.« In: Kendrik: 1991, S. 17. 101 Baumann: 1989, S. 260-261. 102 Anm.: Vorausgesetzt, dass potentielle Rezipienten sich entscheiden, Horrorfilme überhaupt zu konsumieren. Vgl. Ebd.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
bringen sie das von der Gesellschaft Verdrängte zurück in das Bewusstsein der Menschen und erinnern unweigerlich und permanent an die Realität des Todes.103 Es finden also bisweilen negative Phantasien über eine Aufhebung der Endlichkeit seitens der säkularen Gesellschaft statt,104 welche sich entsprechend gemäß Cohen in monströsen Zeichen veräußern. Der Zombie ist im Sinne Toggweilers nun ein »no-thing«105 und eine künstlerische Repräsentation der Endgültigkeit der Seele und des absoluten Endes der individuellen Subjektexistenz. Zugleich ist er eine Figuration des ›Dazwischen‹; untot zwischen dem radikalen und zugleich irrationalen Streben versucht er – gleich der Kaschierung mithilfe des Anti-Agings – der Endlichkeit des Lebens zu entkommen, gepaart mit der bitter-profanen Bewusstwerdung, das Ziel der Transzendenz nach dem Tod im Sinne der christlichen Auferstehung (entgegen diesem Wunschdenken) nicht erreichen zu können. Stiglegger verweist auf den Zombie als jenes Ergebnis des Wunsches einer Kontinuität nach dem Tod: »So bedrohlich diese Wesen auch seien mögen, so tragisch gebärden sie sich zugleich. Die Untoten haben den Tod transzendiert und vertreten jenseits des menschlichen Lebens dessen Kontinuität.«106 Der Zombie repräsentiert dabei ein zwanghaftes Klammern einer säkularen westlichen Welt an ein Leben nach dem Tod ohne Heilsversprechen, als auferstandenes körperliches Produkt der Leere und Fäulnis. Er ist ergo eine Inkarnation des Horror vacui und ein im Verwesungsprozess umherwandelndes Objekt107 – welches von einer Gesellschaft erschaffen wurde, die thanatologischen Tatsachen (Tod und Verwesung des Körpers) sichtbar macht und den säkularisierten Tod in seiner Finalität als besonders negativ betrachtet, zugleich jedoch bar christlichem Jenseitsversprechen, z.B. durch eine körperliche Selbst-Sakralisierung ewiges Leben erhalten will. Der Zombie hält dem Zuschauer durch den relativierenden Katalysator des Phantastischen im Horrorfilm jenes paradox-thanatologische und in sich
103 Anm.: Der Tod kann auf vielfältige Weise sichtbar gemacht werden: Erstens im Anblick des Leichnams nach dem Ableben des Verstorbenen, zweitens in der Todessymbolik, drittens in der Realität des Krieges, viertens in der Literatur, fünftens in der Geschichte, sechstens in den Medien, siebtens in der Fotografie. Vgl. Schweikardt et.al.: 2010, S. 9-15. 104 Vgl. Hauser: 2011, S. 463-464. 105 Vgl. Toggweiler: 2016, S. 25-27. 106 Stiglegger, Marcus: »The Dead will walk the Earth… Zur ewigen Wiederkehr der Zombies. In: https://www.getidan.de/kritik/!lm/marcus-stiglegger/18662/the-dead-will-walk-theearth. Aufgerufen am 13.08.2018. 107 Anm.: »Mit dem Begriff ›Objekt‹ wird der Körper bereits als Abstraktion gekennzeichnet. ›Leiche‹ meint zunächst ein medizinisch fixierbares Moment, das in einem weiteren Kontext an den Gedanken der Vergänglichkeit gebunden ist. Die darauf folgenden Formen der nützlichen Einbindung des toten Körpers konterkarieren das Moment der Vergänglichkeit ebenso wie sie den Körper vom Subjekt trennen und erneut als Gegenstand kennzeichnen.« In: CeplKaufmann; Grande: 2010, S. 193.
143
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
widerstrebende Wunschkonstrukt – zwischen der Tabuisierung des Todes und einer körperlichen Selbstsakralisierung – die Realität des Todes in erschreckend kühner und doch treffsicherer, allegorischer Weise vor Augen. Die Zombie-Figuration ist damit nur auf den zweiten Blick eine antichristliche bzw. blasphemische Allegorie, die sich erst durch den Verlust des Glaubens einer säkularen Gesellschaft kristallisiert hat, indem sie aus dem alten, nun profanen Wiedergängerglauben, vor allem dem haitianischen Voodoo-Kult, keimte. Die Nahrungssuche des Zombies kann mit dieser Hypothese entsprechend als Assimilierungsvorgang säkularer Vorstellungen gelesen werden, die den Menschen positiv behafteter Jenseitsvorstellungen (z.B. durch die christliche Religion versprochen) berauben sollen. The Walking Dead überspitzt mit einer gewissen Polemik nun diesen Vorgang, indem der Zombie an christlich-spirituellen Orten (z.B. Kirchen) platziert wird oder Gläubige mit ihm konfrontiert werden, die stets keine andere Möglichkeit haben, als sich mit jenem existentialistischen Gedankengut, einhergehend mit der Tilgung des Wunsches einer Aufhebung der Endlichkeit, zufrieden geben zu müssen und sich trotz zahlreicher Gegenbewegungen, Lichtblicke und Hoffnungen der existentialistisch-postapokalyptischen Welt zu beugen (siehe Kap. 9.9).
5.4.3
Körperkrise: Der Körperhorror als Gegenthese zum Gesundheitsimperativ
Interessant ist, dass sich der Zombie grundlegend von anderen mythischen Untoten unterscheidet. Im Gegensatz zum abstrakten Skelett, dem körperlosen Geist und dem (sehr menschlichen) erotischen Reiz der Vampire ist hier der zentrale Moment des Ekels. Der Zombiekörper stößt uns körperlich ab.108 Durch den in The Walking Dead dargestellten und thematisierten Zombie wird deutlich, dass Horrorfilme als harter Gegensatz zum ›Gesundheitsimperativ‹ des menschlichen Körpers und der Gesundheit, im Kontrast zu dem apollinischen Männerkörper der bürgerlichen Ästhetik des 18. Jahrhunderts, den monströsen Körper thematisieren (siehe Kap. 4.7) und dem Zuschauer damit nicht nur Erinnerungen gleich dem Memento mori, sowie eine als Nebeneffekt der Unterhaltung aus der Narration heraus provozierte Reflexion hinsichtlich des Todes hervorrufen, sondern auch eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Konzepten des ›Ichs‹ darbieten:109 »Zombie films are especially suited to this process as they not only deal in general with death, but also put walking corpses at the center of their
108 Pfister, Eugen: Zerstückelte Körper. Eine Kulturgeschichte des Grauseligen. In: Schiffer, Christian et.al. (Hg.): WASD. Bookazine für Gameskultur. Ausg. 10. Game Over. Videospiele und der Tod. München, 2016. S. 64-69. Hier S. 67. 109 Vgl. Körber: 2014, S. 62.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
narratives.«110 Umso erschreckender sind Zombiefilme, da sie den Menschen mit dem Modell konfrontieren, dass das ›Ich‹ mit dem Tod des Körpers endgültig stirbt und man gleich einem Monster als verwesende Masse umherwandert.111 Diese Darstellung des Körperhaft-Hässlichen erinnert ebenfalls an die Generierung von Monstren in der Schauerliteratur des 18. Jahrhunderts. Gemäß Schumachers Ausführungen war die bürgerliche Ästhetik des 18. Jahrhunderts zunächst von idealisierten antik-apollinischen Männerkörpern aus Marmor geprägt, womit die Darstellung von natürlichen menschlichen Körpern ausgeschlossen war.112 »In der Schauerliteratur der Epoche findet sich nun das Gegenteil dieses bürgerlichen kunstwissenschaftlichen Diskurses: Hier drängen die Monstren als animalische Missgestalten und dämonische Nachtkreaturen, dem heutigen Zombie gleich, aus dem dunklen Untergrund an die Oberfläche.«113 Damit bricht die Hässlichkeit des Körperlichen in die Imaginationsräume der Rezipienten herein, und an die Stelle eines edlen Idealkörpers aus Marmor ist im Subdiskurs des Horrors eine physiologische Einstellung getreten.114 Damit symbolisiert das Hereinbrechen des Monströsen die Rebellion gegen diese Verdrängung des Lebens aus der Ästhetik:115 »Die reine Ästhetik weist damit einen distanzierten, abgetrennten und trennenden Charakter auf: Während die genuin bürgerliche Ästhetik eine Verdrängung natürlicher Gefühle und realer Körper zur Voraussetzung hat, wendet sich die Gegenästhetik des Horrorgenres explizit gegen diese Zensur und Verdrängung.«116 In diesem Zusammenhang soll nun vertiefend-kulturgeschichtlich auf die Aspekte Körper und Ekel im Zusammenhang mit dem Sensationismus eingegangen werden.
110 111 112
113 114 115 116
Morehead: 2012, S. 108. Vgl. Körber: 2014, S. 62. Vgl. Schumacher, Florian: Monströse Gestalten als das fantastische Andere: Von den Rändern der Welt ins Zentrum der Gesellschaft. In: Dellwing, Michael; Harbusch, Martin: Vergemeinschaftung in Zeiten der Zombie-Apokalypse. Gesellschaftskonstruktionen am fantastischen Anderen. Wiesbaden, 2015. S. 23-36. Hier S. 31-32. Ebd. S. 32. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. Ebd. S. 33
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
5.4.3.1
Körperwelten und Ekel
Der Därmer Wust reist durch die Haut/ So von den Maden gantz durch bissen; Ich schau die Därmer (ach mir graut!) In Eiter/Blut vnd Wasser fliessen! Das Fleisch/das nicht die Zeit verletzt Wird vnter Schlangen=blauen Schimmel Von vnersätlichen gewimmel Vielfalter Würmer abgefretzt. (V.241-248)117 Wenn sich Andreas Gryphius in dem oben zitierten Text von 1657 im Sinne des heilsgeschichtlichen Memento mori in friedhöflichen Gefilden (siehe Kap. 3.7) »Gedancken über den Kirchoff und Ruhestädte der Verstorbenen«118 macht, ähnelt diese dezidiert-abscheuliche Schilderung einer Leiche aus der oben zitierten Strophe 31 dem heutigen Konsum eines Horrorfilms und illustriert zugleich »das fehlende Tabu einer Ästhetik des Ekelhaften«.119 Die lebenden Toten tauchen auch bei Gryphius während seines Spaziergangs in Strophe 15 auf: »Hilff Gott! Die Särge springen auff!/Ich schau die Cörper sich bewegen« (K 113). Doch nicht nur die Literatur erlaubte ein Spiel mit Lust an der Angst. Wie die christlichen Oster- und Passionsspiele, die, wie Baumann postulierte, das Schreckliche der Kirche im Rahmen von Feiertagen zeigte, fungierten im 17. Jahrhundert auch Hinrichtungen, Irrenhäuser und anatomische Theater, die sogenannten Theatrum anatomicum, als beliebte öffentliche Sensationen, die ein kontrolliertes Spiel mit Lust an der Angst erlaubten.120 Dieses anatomische Erleben mit willentlichen Ekelexzessen für Unterhaltungszwecke kann durchaus als Vorläufer des Schreckens innerhalb des heutigen Horror- oder Gorefilms und aufgrund der Zurschaustellung menschlicher Körper auch im weitesten Sinne als Vorläufer zum Zombiefilm verstanden werden. Dies entsteht auch, weil die Suche nach Amüsement und Nervenkitzel (Mysterium fascinosum et tremendum) der Zerstreuung und Kompensation (Katharsis) dient, aber auch als Tabubruch gegen eine traditionelle Ästhetik des Schönen, Wahren und Guten fungiert. So auch in den karthatischen, antichristlichen Horrorfilmen der 1970er Jahre.121 Nach Wulff gehören auch
117
Gryphius, Andreas: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke, (Szyrocki, Marian/Powell Hugh Hg.), Bd. 3. Tübingen, 1964. S. 1-19. Hier S. 11. 118 Ebd. 119 Vgl. Košenina, Alexander: Anatomie, Vivisektion und Plastination in Gedichten der Frühen Neuzeit (Gryphius, Wiedemann, Brockes). In: Zeitschrift für Germanistik Neue Folge, Vol. 19, No. 1. 2009. S. 63-76. Hier S. 66. 120 Vgl. Ebd. S. 1. 121 Vgl. Juhnke, Karl: Ästhetik des Schreckens. URL: http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?acti on=lex ikon&tag=det& id=2399. Aufgerufen am 19.03.17.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
Wachsmuseen dazu, welche nicht nur historische Szenen nachstellten, sondern auch Blicke in den geöffneten Körper zuließen, genauso wie anatomische Museen, die körperliche Besonderheiten und Absonderlichkeiten für eine allgemeine Öffentlichkeit ausstellten (und oft in die Nähe der Freak-Show gerieten).122 Kunstgeschichtlich steht der (zombiespezifische) Gore-Film als Subkategorie des Horrors in einer langen, medienübergreifenden Tradition: »Die Beschreibung oder Darstellung geöffneter und verwundeter Körper reicht von der antiken Literatur (Homers ›Odyssee‹, Ovids ›Metamorphosen‹, die Tragödien Senecas) über die Grafiken des Mittelalters und der Neuzeit (Holzschnitte der Inquisition und Conquista), die Malerei des 17. Jahrhunderts (Rembrandts ›Anatomien‹), das Theater des späten 19. Jahrhunderts (Théâtre du Grand Guignol), die Aktions- und Performance-Kunst ab den 1960er Jahren (Hermann Nitsch, Otto Mühl) bis hin zu den medizinischen Leichen-Präsentationen in Gunter von Hagens Körperwelten.«123 Bezüglich der Körperwelten schildert Wulff, dass sowohl von Hagens Ausstellung, als auch die Konjunktur der Gerichtsmediziner im Fernsehen seit den 1990er Jahren beide in der Tradition menschlicher Körper-Exposition und Sensationalisierung (ungeachtet aller medizinethischen und -politischen Diskussionen, die die vonHagens-Ausstellung ausgelöst hat) stehen.124 »Es sei auch daran erinnert, dass von Hagens die Ganzkörper-Exponate in der Ausstellung ästhetisch arrangierte, als Skulpturen zwischen der Realität der toten Körper und der Tradition der Bildenden Künste, so ästhetische Distanz zwischen Betrachter und Objekt bringend.«125 Ungeachtet der Ausstellung von Hagens waren besonders im (literarischen) Barock (1600-1720) die anatomischen Theater Inspiration für die literarische Verankerung der Topik des Memento mori sowie der Bewusstwerdung der Vanitas im 18. Jahrhundert. Hier vermochte die Theologie den Ekel des durch die Sezierung der Leiche hervorgerufenen Horrors im Geflecht der Dogmatik zu verorten und 122
Vgl. Wulff, Hans-Jürgen: Phantastische Thanatologie. Von lebenden Toten, der Verfluchung der Lebenden und später Rache: Die Mumien der Filmgeschichte. In: tà katoptrizómena. Heft. 105. Jahrgang 19. 2017. URL: https://www.theomag.de/105/hjw15.htm. Aufgerufen am: 16.02.2019. 123 Höltgen, Stefan: Gore-Film. URL: http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&ta g =det&id =2380. Aufgerufen am 18.03.17. 124 Vgl. Wulff, Hans-Jürgen: Phantastische Thanatologie. Von lebenden Toten, der Verfluchung der Lebenden und später Rache: Die Mumien der Filmgeschichte. In: In: tà katoptrizómena. Heft. 105. Jahrgang 19. 2017. URL: https://www.theomag.de/105/hjw15.htm. Aufgerufen am: 16.02.2019. 125 Ebd.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
den Schauer zu kompensieren, wobei dies mehr den Anschein einer sakral-anmutenden Bagatellisierung hatte. Vor allem durch das Wunder des menschlichen Körpers »zeigt Gott sich selbst deutlicher als in jedem anderen Schöpfungswerk. Die Sektion wird damit enttabuisiert, gerade an diesem Ort starker christlicher Vorbehalte zeigt sich die göttliche Vollkommenheit als überwältigende Offenbarung«.126 Durch diese physiotheologische Ansicht können Grauen und Ekel nicht nur eliminiert, sondern in etwas Göttlich-Schönes transformiert werden.127 Darüber sagt Meteling, dass die Leiche als emblematisches Requisit im barocken Trauerspiel bedient wurde und in der Lesart Walter Benjamins in Analogie zum Zombie das Ergebnis einer Depersonalisierung und Entindividualisierung war (siehe dazu vertiefend Kap. 9.13).128 Meteling fügt weiter hinzu, dass im Gegensatz zur allegorischen Mortifizierung im barocken Trauerspiel oder dem anatomischen Theatern bei der Zombiefizierung allerdings noch die Re-Mobilisierung der Leiche hinzukommt.129 Der Zombie ist, wie der Automat, der Homunkulus oder der Golem (in der Literaturgeschichte) der rein dienstbare Körper.130 Aufgrund dieses christlich nicht konformen Kuriosums ist der Zombie als postmortale Allegorie aus theologischer Perspektive für analytische Zwecke interessant (siehe Kap. 6). Anatomische Theater können also aufgrund ihrer Zurschaustellung von Leichnamen sowie der Sezierung derselben und den damit erregenden Effekt des mysterium tremendum et fascinosum als medialer Vorläufer und kognitive Andockstelle des Horrorfilms gesehen werden. Auch wurde diese Erfahrung des Schrecklichen durch die Physiotheologie nicht nur sakralisiert, sondern im Sinne der Kirche instrumentalisiert. Des Weiteren wurden derlei Schauspiele stark abstrahiert: So wurde zu Projektionen von Teufel und Dämonen gegriffen, welche auch dem Zweck von Belehrung, Manipulation und Abschreckung im Sinne der Kirche dienen sollten.131 126 127
Košenina: 2009, S. 70. Anm.: »Schon Papst Benedikt XIV. witterte Anfang des 18. Jahrhunderts in der Sektion die Möglichkeit eines Gottesbeweises und plädierte deshalb für eine Anerkennung durch die Kirche.« In: Wenzel, Ulrike: Wißbegierde contra Menschlichkeit. Goethes ambivalentes Verhältnis zur Anatomie in seiner Dichtung und Biographie. In: Goethe-Jahrbuch 115. Weimar, 1998. S. 115-170. Hier S. 157. 128 Vgl. Benjamin: 1993. S. 194-195. 129 Vgl. Ebd. 130 Vgl. Ebd. 131 Anm.: Es ist bemerkenswert, dass bereits im Vorfeld von Fotografie und Film immer wieder christlich-konnotierte Wesen und Dämonen, nicht nur im Bereich der bildenden Kunst, sondern auch über die ersten Projektionsapparate, dargestellt wurden, um Schrecken bei den Zuschauern zu erzeugen. So wurde im 17. Jahrhundert mit der Camera Obscura der Teufel meist von Gauklern projiziert. Auch Geistliche wollten Dämonen erscheinen lassen so wie der universalgelehrte Jesuitenpater Athanasius Kircher, der sowohl zur christlichen Belehrung als auch zur Abschreckung mit den Glasbildern der Laterna Magica experimentierte. Im
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
Zu Beginn des Films wurden im Rekurs auf die anatomischen Theater auch Obduktionen und Operationen gefilmt. Wulff betont, dass sich der Blick auf den toten Körper in den westlichen Kulturen erst in den 1990ern neu konfigurierte und Expositionen des toten Körpers zu den elementarsten Strategien des Öffentlichmachens medizinischer Tatsachen zählten.132 Eine Ambivalenz ergibt sich mit Blick auf die Wiedergänger, als phantastisch-expandierend lebende, anthropophage Leiche dahingehend, als dass sie in besonderer Weise als Verbildlichung einer unsicher gewordenen Zeit gelesen werden können. Denn schon allein »die menschliche Leiche stellt eine unheimliche Verdoppelung dar; sie ist identisch mit dem verstorbenen Menschen und doch nicht identisch. Der tote Körper repräsentiert Gleichheit und Unterschiedlichkeit zur selben Zeit; er ist verschieden und trotzdem derselbe.«133 Unweigerlich kommt es bei diesen Betrachtungen zu einer Kollision zwischen Soziologie, Medizin und Theologie. Der Zombie vermag dieses Leichenparadoxon sogar noch zu steigern, sodass es zu einem doppelten Leichenparadoxon kommt, welches das folgende Kapitel skizzieren soll.
5.4.3.2
Das doppelte Leichenparadoxon
The zombie directly manifests the visual horrors of death: unlike most ghosts and vampires, zombies are in an active state of decay.134 Nach Macho fungiert die Leiche als Konkretisierung und Präsenz des Todes und damit als materielle Basis des Verhältnisses einer Gesellschaft zum Tod.135 Der Widerspruch dieser Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zwischen Identität und Nichtidentität, Vertrautheit und Fremdheit der Leiche sowie die Anwesenheit des Abwesenden wird dabei unter dem Begriff des Leichenparadoxons136 zusammenge-
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Jahre 1797 entwickelte der Physiker Ètienne-Gaspard Robertson in Paris aus der Laterna Magica das Fantascope und zeigte mit diesem Projektionsapparat hauptsächlich Teufel, Dämonen und grässliche Fratzen. Vgl. Prokop, Dieter: Der Kampf um die Medien: Das Geschichtsbuch der neuen kritischen Medienforschung. Berlin, 2001. S. 115, S. 182. Vgl. Wulff: 2017. Schäuble, Michaela: Wiedergänger, Grenzgänger, Doppelgänger. Rites de Passage in Bram Stokers Dracula. Münster; Hamburg; London, 2006. S. 73. Bishop, Kyle. W.: Introduction – The Zombie Film and Its Cycles. In: Ders. (Hg.): American Zombie Gothic: The Rise and Fall (and Rise) of the Walking Dead in Popular Culture. Jefferson, 2010. S. 9-35. Hier. S. 21. Vgl. Macho, Thomas: Todesmetaphern. In: Assmann, Jan; Macho, Thomas (Hg.): Der Tod als Thema der Kulturtheorie: Todesbilder und Totenriten im alten Ägypten. Mit einem Beitrag von Thomas Macho: Tod und Trauer im kulturwissenschaftlichen Vergleich. Frankfurt a.M., 2000. S. 409. Ebd.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
fasst, der den unbestimmten Status der Leiche zwischen Ding und Subjekt zu Ausdruck bringt.137 Der Tote irritiert insofern, als dass er (meistens) über alles verfügt, was für eine Interaktion mit anderen notwendig ist, diese jedoch versagt bleibt. Er ist ein Mensch, dem aufgrund seines Toten-Status jegliche Sozialität geraubt wurde.138 Macho fasst das Leichenparadoxon zusammen und kommt zum Schluss, dass es unauflösbar sei: »Der Tote bringt ein Rätsel zur Anschauung, etwa in Gestalt der Frage, was ist eigentlich ein toter Mensch? Ein ehemals lebendiger Mensch. Aber was ist ein ehemals lebendiger Mensch? Ein Ding, dessen Aura vergangenen Lebens entlehnt wird oder ein Mensch, dessen Aura einer seltsamen Verdinglichung entspringt?«139 Der tote Körper repräsentiert unter soziologischen Gesichtspunkten nach Benkel Unsicherheiten, die sich hinsichtlich des Todes als Körperzustand ergeben: Entweder wird die Stellung des Körpers durch den medizinischen Fokus zentralisiert, oder, »wie etwa im postreformatorischen Christentum, für eine gewisse (lange) Frist ›ausgeschaltet‹, weil mit dem Lebensende ein neuer existenzieller Abschnitt beginnt, bei dem die Seele im Vordergrund steht, derweil die leibliche Auferstehung eine ferne Zukunftsvision ist (die bekanntlich im Einklang mit der Körperferne der traditionellen Bestattungskultur steht).«140 Das Verständnis des toten Körpers von der hier auszuführenden Definition von Cepl-Kaufmann und Grande weist Ähnlichkeiten zum Zombie auf: So wird auch der Zombie »zum lesbaren Gegenüber und zum identifikatorischen Anderen. Zugleich markiert der tote Körper eine Grenze, indem er das Ende der Materialität und des letzten lesbaren Zeichens, also der Sprachlichkeit darstellt: Für den Betrachter ist der Mensch noch sichtbar, gleichzeitig befindet sich dieser außerhalb jeglichen Ausdrucks und jeglicher Kommunikation.«141 Der tote Körper, so Cepl-Kaufmann und Grande weiter, soll nun zum einen als Phänomen angesehen werden und wirken. »Zum anderen bedarf er einer Deixis, 137 138 139
Vgl. Kahl: 2010, S. 208-209. Vgl. Ebd. S. 208. Macho, Thomas: Vortrag im Rahmen der Tagung »Tabuthema Tod: Präsent in Medien, verdrängt im Alltag« des Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. am 15.12.2006 in Berlin.; Vgl. Ders.: Wir erfahren Tote, keinen Tod. In: Beck, Rainer (Hg.): Der Tod: Ein Lesebuch der letzten Dinge. München 1995. S. 293-298. Hier S. 296. 140 Benkel: 2017, S. 291. 141 Cepl-Kaufmann; Grande: 2010, S. 194.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
um augenfällig und erlebbar zu werden. Zwischen beiden Instanzen oszilliert der Mythos, welcher das Dies- und Jenseits mit dem Belegen von Symbolen erleb- und nachvollziehbar macht.«142 Im Lichte dessen bedarf es »eines Systems von Sprache und Bild, das auf dem Hintergrund dechiffrierbaren Verstehens, deren Wirkung in gesellschaftlichen Systemen konsumierbar und konsensfähig ist, einen hohen Wirkungsgrad erzielt. Hier schlägt die Stunde von Literatur und Kunst.«143 Gleichsam wirkt hier die Funktion des Horrors in den Künsten: »Eine solche Hyperrealität voller Schrecken findet ihren Niederschlag natürlich auch in den Künsten, in der Thematisierung von Tod und Gewalt, in einer Kultivierung der Schreckens, emblematisiert im Genre ›Horror‹.«144 Freilich zählen dazu die in Kapitel 3.7 genannten Totentanz- und Vanitas-Darstellungen und Emblematisierungen (Totenköpfe), unter der ›ars moriendi‹, also der Bearbeitung makabrer Stoffe, die den bevorstehenden Verfall des Körpers bzw. die realistische Darstellung der körperlichen Verwesung und Abscheu vor der Endlichkeit (Sterben, Tod, Leichen, Fäulnis und Verfall) in der Literatur und Ikonografie thematisierten.145 Pfister resümiert, dass die Attraktion des Ekels keine Erfindung des Zombiegenres ist und nimmt Bezug auf Huizingas Buch Herbst des Mittelalters146 , in welchem die Popularität makabrer Darstellungen des Todes und der Verwesung mit einem aufkommenden Materialismus im späten Mittelalter begründet wird. Als Beispiel nennt Pfister Denkbilder der Antike, welche verwesende Körper und Skelette zeigten.147 Im Zusammenhang mit dem Untoten-Topos sind in der bildenden Kunst überdies die Darstellungen Théodore Géricaults (1791-1824) von Dekapitierten (Köpfe von Hingerichteten, 1818) oder einzelnen, abgeschlagener Gliedmaßen (Studie mit abgeschlagenen Armen und Beinen, 1818/1819) zu nennen. Diese Sujets (resultierend aus der französischen Romantik weiterlebender guillotinierter Köpfe, die wiederum von der Revolution geprägt ist) sollten allerdings alles andere zeigen als den Tod. Germer interpretiert, dass es Géricault vielmehr darum ging, den Ausdruck des Untoten darzustellen, der die Lebenden mit seinen Blicken verfolgt. In diesem
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Ebd. S. 198. Ebd. Bebber van: 2011, S. 19. Vgl. Pennington: 2001, S. 58. Siehe zu Vanitas Symbolen vertiefend: Henkel, Arthur; Schöne, Albrecht (Hg.): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Versch. Auflagen. Stuttgart, 1967. S. 994-1002 und S. 1581-84.; Malle, Loïc: »This is the end«. In : Nitti, Patrizia (Hg.) : C’est la vie! Vanités de Pompéi à Damien Hirst. Musée Maillot. Paris, 2010. S. 148-163.; Hülsen-Esch, Andrea; Westermann-Angershausen, Hiltrud (Hg.): Zum Sterben schön. Alter, Totentanz und Sterbekunst von 1500 bis heute. Ausst. Kat. 2 Bde. Museum Schnütgen. Köln, 2002. 146 Huinzinga, Johan: Herbst des Mittelalters: Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. München, 1924. 147 Vgl. Pfister: 2016. S. 67.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Zusammenhang beschreibt Germer, dass das Unheimliche hierbei nicht durch die abgeschlagenen Köpfe entsteht, sondern durch die geöffneten Augen und Münder derselben, durch welche sie ihre evoziert-vermeintliche Lebendigkeit suggerieren, den Rezipienten anzustarren und anzusprechen.148 Freilich handelt es sich bei Géricault um keine Untoten, sondern lediglich um die Vorstellung bzw. Projektion der schuldhaft Lebenden, durch welche sich das ›schlechte Gewissen‹ materialisiert.149 Das von Germer beschriebene Unheimliche wirkt eher anklagend, hilfesuchend und mitleidserregend. Also auch Kriterien, die in späteren Zombie-Inszenierungen thematisiert werden. Ferner ist am Terminus der Studie ablesbar, dass es der Versuch einer realistischen Darstellung vom Tod war, der eine bestimmte Wirkung hervorrufen sollte. Das Leichenparadoxon wird gemäß Germers Ausführungen um eine Stufe dahingehend gesteigert, als dass die toten Körper(teile) plötzlich Zeichen von Leben signalisieren. Obwohl die Köpfe offensichtlich vom dazugehörigen Rumpf getrennt sind, scheinen sie nicht tot, sondern lebendig – sie wirken untot.150 Natürlich muss dabei bedacht werden, dass die Leiber eindeutig tot sind. Aber was hierbei lebendig ist, ist die Anklage. Besonders in der Konfrontation mit dem Zombie wird gleich der Rezeption des toten Körpers ein produktionsästhetischer Moment zwischen identifikatorischer Nähe und Entfremdung möglich.151 »Der tote Körper zeigt sich als Phänomen nach dem Tod und gleichzeitig bar des Todes als Merkmal der Alterität – in seiner lebendigen Fortdauer signalisiert er die Entfremdung des modernen Menschen und negiert die Stabilisierung der Wahrnehmung durch umwandelbare Fakten.«152 Marek äußert dazu vertiefend: »Das Bild des Leichnams stellt eine inkommensurable Sichtbarkeit des Todes her, zeigt unversöhnlich den Einschnitt und die brutalen, zerstörerischen Folgen, die das Ende des Lebens für jeden Organismus bedeu-
148 Vgl. Germer, Stefan: Die Lust an der Angst – Géricault und die Konjunkturen des Unheimlichen zu Anfang des 19. Jahrhunderts. In: Herding, Klaus; Gehrig, Gerlinde (Hg.): Orte des Unheimlichen. Die Faszination verborgenen Grauens in Literatur und bildender Kunst. Göttingen, 2006. S. 159-191. Hier S. 160-161. 149 Anm.: In diesem Zusammenhang stehen beispielsweise auch die Gorgonendarstellungen von Caravaggio. Siehe vertiefend: Mergenthaler, Volker: Gorgo. In: Moog-Grünewald, Maria (Hg.): Mythenrezeption. Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 5). Stuttgart; Weimar, 2008. S. 297-302.; Zu Caravaggio z.B. Schnabel, Norbert: Wenn Blicke töten können – Caravaggios »Haupt der Medusa«. URL: http://syndrome-de-stendhal.blogspot.com/2016/08/wenn-blicketoten-konnen-caravaggios.html. Aufgerufen am 09.06.2019. 150 Vgl. Germer: 2006, S. 160-161. 151 Vgl. Cepl-Kaufmann; Grande: 2010, S. 238. 152 Vgl. Ebd. S. 239.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
tet.«153 Bringmann verweist darauf, dass zwischen der Darstellung von Leichen in der bildenden Kunst als Staffage bzw. Randmotiv und der Verwendung der Leiche als Hauptmotiv differenziert werden sollte. Für Ersteres nennt er als Beispiele Darstellungen von Gefallenen, Ermordeten, Hingerichteten oder großformatige profane Historienbilder wie Pestdarstellungen und Schlachten von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert sowie biblische Themen (wie der erschlagene Abel, die Sintflut und der bethlehemitische Kindermord).154 Für Leichendarstellungen als Hauptmotiv sind solche Werke gemeint, die eine verstorbene Einzelperson wiedergeben. Kunstgeschichtliche Gattungen, in denen das Totenbild eine relevante Rolle spielt, wären nach Bringmann demgemäß Stundenbücher, Grabmäler und Epitaphien.155 Leichendarstellungen in Bild-Medien, insbesondere Hagiographien (primär für pädagogische Zwecke wie die Darstellungen der Enthauptung der hl. Katharina, die Häutung des hl. Bartholomäus oder Antonello da Messinas von Pfeilen durchstochener heilige Sebastian um 1476), kirchengeschichtliche oder biblische Bezüge wie die Darstellung des toten Christus156 oder in Form der Pietà sind gebräuchlich.157 Auch die bizarren Wiedergaben biblischer Geschichten oder Impressionen aus Dantes göttlicher Komödie von Gustave Doré sollen in Bezug auf das Zombie-Sujet nicht unerwähnt bleiben. Analog zu den Motiven des Horrorfilms zählen dazu auch die Darstellung der sieben Todsünden und der Höllenstrafen.158 Auch der Tod stellt ein beliebtes zu bearbeitendes Motiv dar:
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Marek, Kristin: Der Leichnam als Bild – Der Leichnam im Bild. »Der Leichnam Christi im Grabe« von Hans Holbein D.J. und seine modernen Derivate. In: Macho, Thomas; Marek, Kristin (Hg.): Die neue Sichtbarkeit des Todes. München 2007. S. 295-336. Hier S. 297. Vgl. Bringmann, Michael: Aus der Geschichte der bildlichen Darstellung des Leichnams. In: Stefenelli, Norbert (Hg.): Körper ohne Leben. Begegnung und Umgang mit den Toten. Wien, 1998. S. 773-786. Hier S. 773. Vgl. Ebd. S. 774. Anm.: Generell das Golgota-Ereignis, Christi am Kreuz, Beweinung, Klage und Grablegung bis hin zum Leichnam Christi am Grabe wie von Hans Holbein 1521/22 oder von Andrea Mantegnas Toter Christus (um 1480). Siehe dazu vertiefend Kapitel 6.1. Vgl. Marek: 2007, S. 300. Anm.: Einen umfassenden Einblick der Geschichte des Leichnams in der bildenden Kunst kann hier nicht erfolgen. Für eine Vertiefung bezüglich des Leichnams in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts siehe: Kuchling, Heimo: Der Leichnam in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts. In: Stefenelli, Norbert (Hg.): Körper ohne Leben. Begegnung und Umgang mit den Toten. Wien, 1998. S. 787-795.; Assmann, Jan: Der Tod als Thema der Kulturtheorie. Frankfurt a.M., 2000.; Ginzburg, Carlo: Repräsentation. Das Wort, die Vorstellung, der Gegenstand. In: Ders. (Hg.): Holzaugen. Über Nähe und Distanz. Berlin, 1999. S. 100-119.; Belting, Hans: Aus dem Schatten des Todes. Bild und Körper in den Anfängen. In: Barloewen, Constantin von (Hg.): Der Tod in den Weltkulturen und Weltreligionen. München, 1996. S. 92-136.; Schulz, Martin: Spur des Lebens und Anblick des Todes. Die Photographie als Medium des abwesenden Körpers. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 64. Bd., H. 3 (2001). S. 381-396. Vgl. Pfister: 2016, S. 66.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung 1) Zum Beispiel allegorisch, wie die Darstellungen des apokalyptischen Reiters, oder auch als genannte Totentanz- und Vanitas Motive, oder als SensenmannIllustrationen wie in Albert Pinkham Ryders The Race Track (Death on a Pale Horse) von 1900.159 2) Ebenso in Form des Sterbeprozesses als solchem, aber auch durch Krieg, Hinrichtung, Selbstmord oder Mord verursacht wie z.B. Goyas Erschießung der Aufständischen (Madrid, Prado) oder die Grafikfolge Los desastres de la guerra?. Im Besonderen auch die Darstellung Dekapitierter wie in den zahlreichen Visualisierungen der Judith mit dem enthaupteten Holofernes, David mit dem enthaupteten Goliath oder Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers. 3) Als Wiedergabe historischer oder mythologischer Ereignisse (für Letzteres siehe z.B. Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins Achill und Penthesilea von ca. 1823). 4) Als Darstellung anatomischer Studien, medizinischer Aufzeichnungen oder klinischen Obduktionen wie in Rembrandts Anatomische Vorlesung des Dr. Nicolaes Tulp von 1632, The Anatomy Lesson of Professor Frederik Ruysch von 1670, oder Hogarths Kupferstich The Reward of Cruelty von 1751. 5) Als Transi-Darstellungen (auch Gisanten) von (verwesenden) Leichnamen seit dem Spätmittelalter. Diese sollten zur Reflexion der eigenen Endlichkeit führen.160 6) Auch die Darstellung der Trauer und Beweinung eines Verstorbenen signalisiert Todesnähe. 7) Friedhöfe fungieren als dezidiertes Motiv der Landschaftsmalerei und als Metapher für die Endlichkeit (zum Beispiel Bilder von Caspar David Friedrich, oder der Nikolai-Friedhof von Justus Elias Kasten um 1820).161
Exemplarisch sollen für die Darstellung der in den Fokus gerückten Leiche sowie das damit verbundene mysterium fascinosum et tremendum im Sinne des Leichenparadoxons kurz Beispiele dargeboten werden. Diese sollen im Anschluss mit dem Leichenparadoxon im Bereich des Körperhorrors korreliert werden. Der Tod des Marat (1793) des Klassizisten Jacques-Louis David, Nicolas Poussins Echo und Narziß (um 1627/28) und Ophelia (1851/52) von John Everett Millais. Ersteres 159
Vgl. Kirschbaum, Engelbert (Hg.): Lexikon der christlichen Ikonographie. Bd. 4. Rom u.a. 1972. S. 321-332. 160 Vgl. Sörries: 2002, S. 348. 161 Anm.: Zur Darstellung des Toten in der Kunst vertiefend: Belting, Hans: Medium – Bild – Körper. Einführung in das Thema. S. 11-55. Ebenso Ders.: Bild und Tod. Verkörperung in den früheren Kulturen. S. 143-188. In: Ders.: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. München, 2001.; Lutz, Helga: Doppelt tot. Die Toten und ihre Bilder. In: Ausst.-Kat.: Six feet under. Autopsie unseres Umgangs mit Toten. Kunstmuseum Bern. 02.11.2006 – 21.01.2007. S. 28-41.
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Bild stellt ein historisches Ereignis im propagandistischen Gewand dar und zeigt den toten Jakobiner-Marat liegend in einer Sarg-ähnlichen Badewanne samt einem Grabstein anmutenden Holzklotz in Anlehnung an Pietàdarstellungen. Echo und Narziß zeigt die gleichnamige mythische Legende aus Ovids Metamorphosen mit dem an seiner Selbstliebe verstorbenen Narziß-Jüngling, an dessen Kopf sich die nach ihm benannten Blumen befinden. Millais Bild zeigt eine Szene aus Shakespeares Hamlet (4. Aufzug, 7. Szene), in welcher sich der Leichnam Ophelias von Schilf und floristischen Elementen umsäumt, in ihren Gewändern flottierend in einem Fluss bzw. Bach befindet (siehe Abb. 5). Auch diese ausgewählten Beispiele zeigen individuell die Ambivalenz der Gleichzeitigkeit von Tod und Nichttod auf: Durch die idealistische Monumentalisierung des Revolutionärs Jean Paul Marat als Märtyrer im Rahmen der Französischen Revolution wurde dieser durch Jacques-Louis David heroisiert. Millais Ophelia visualisiert eindrücklich die verstörende Polarität zwischen lebendiger Schönheit (frima facie) und tatsächlichem Tod. Zunächst ist eine schöne Frau zu konstatieren, die sich beim genaueren Hinsehen jedoch als Verstorbene entpuppt. Auch Poussins verstorbener Narziß(-Leichnam) signalisiert eine Vereinbarkeit von Tod und Lebendigkeit. So haftet dem Bild eine lebendige Fußnote an, die durch das Gedeihen der Narzissen an seinem Kopfende formuliert wird, welche trotz der Anwesenheit des Toten anstatt seiner weiterleben. Die Bilder sind noch im Einklang mit dem Erwartungswert des Rezipienten gegeben, dass sie bereits wüssten, welcher Körper nun tot oder noch lebendig sei. Mithin zeigen diese Beispiele, dass die Darstellung des Todes nicht immer erschreckend, hässlich oder furchtbar visualisiert werden muss.162 In der christlichen Ikonografie verweist beispielsweise das schlafende Christuskind eher harmlos als abschreckend auf den Tod. Die Eigenschaft des Horrorgenres ist es aber, die Hässlichkeit des (toten) Körpers zu akzentuieren, womit der Ekeleffekt hervorgerufen werden soll. Der Horrorfilm geht also mit seinem Zombie-Sujet einen Intensitätsschritt weiter und macht den so ambivalenten Leichnam im Subgenre des Körperhorrors in der Lesart Cowens als Gegenreaktion zur Zelebrierung körperlicher Selbstoptimierungsaktivitäten der Moderne (siehe Kap. 5.4.3) hässlich und auch wieder lebendig, jedoch – um die Realität des Todes sichtbar zu machen – auf gefräßige, ekelerregende und angsteinflößende Art und Weise. Deshalb repräsentiert die binäre Logik des Zombies als Allegorie der Wahrnehmung von Sterblichkeit als Effekt der Modernisierung im Kontrast zu den oben ausgeführten Beispielen aus der bildenden Kunst ein doppeltes Leichenparadoxon: Eine Leiche mobilisiert sich, womit der Eindruck
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Anm.: Quast verweist darauf, dass die Symbole von Vergänglichkeit und Sterblichkeit auch zu inflationären, bisweilen verniedlichten Mode- und Glamouraccessoires avancierten und kaum ein Bekleidungshersteller ohne Totenköpfe in seinen Kollektionen auskommt. In: Quast, Tobias: Der Tod steht uns gut. Vanitas heute. Berlin, 2013. S. 7.
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von Lebendigkeit entsteht. Dieser Topos irritiert und ist nicht zuordenbar. Die Zombies intensivieren also das eingangs genannte Leichenparadoxon in der Fiktion durch die tatsächliche Mobilisierung der Leiche im Bewegtbild. Damit erfolgt diegetisch eine Abweichung vom standardisierten Erwartungswert des Verhaltens einer Leiche, wobei problematisch ist, dass der Zombie als leere Hülse aufgrund seiner Bewegung eine unglaubliche Projektionsfläche für die Interpretation eines nicht mehr vorhandenen Geistes bzw. Lebendigkeit bietet. Da der Zombie mit seiner Umgebung affiziert, eröffnen sich ihm mehrere Optionen, die einer klassischen Leiche nicht mehr offenstehen, wodurch ihm Eigenschaften wie Bewegung, Navigation und Einsortierung primitiver Grundtriebe möglich sind. Dies maximiert die bei lebenden Individuen auftretende Irritation beim ansichtig werden eines lebenden Toten.
Abbildung 5: (v. o. l. n .u. r.) Der Tod des Marat (1793), Echo und Narziß (1627/28), Ophelia (1851/52)
Das Leichenparadoxon wird demnach verschlimmert und unbegreiflicher gemacht. In Form der fiktionalen Konzeption eines Zombies wird der Transferprozess zwischen Leben und Tod und anwesend und abwesend noch radikaler. Seinen Kulminationspunkt erreicht das doppelte Leichenparadoxon, wenn (nicht verweste) Leichname von Angehörigen in diversen Zombie-Narrationen plötzlich zu laufen beginnen, den Anschein erwecken (noch) lebendig zu sein (siehe Kap. 3.11) und den sukzessiven Verlust der Körperlichkeit erfahren: Damit versinnbildlicht der Zombie
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
»mehr noch als andere untote Körper die Zersetzung des menschlichen Körpers. Er steht zugleich für unsere Angst vor dem Tod, aber auch für eine ganz atavistische Furcht vor dem Verlust über unsere Körperkontrolle. Die zersetzten Körper stoßen uns ab und doch können wir unseren Blick nicht von ihnen abwenden. Seinen Reiz bezieht das Zombiebild aus eben dieser Ambivalenz.«163 In diesem Zusammenhang soll der Körperhorror in der filmischen Ästhetik, auch im Rekurs auf die Darstellung des Hässlichen in der Kunst, sowie auf psychoanalytische Zugänge zum Ekel behandelt werden. Schrackmann nennt zum Abschluss dieser Ausführungen trefflich den allegorischen Gehalt dieser ambivalenten Figur, insbesondere hinsichtlich ihrer Allegorie der Sterblichkeit: »Die kultur- und epochenübergreifend zu beobachtende Beschäftigung mit dem Tod und ihre Ungewissheit, was danach kommen könnte, ist dem Zombie-Motiv inhärent, da er als Personifizierung des Todes zur memento mori Figur [sic!] wird und uns nicht zuletzt durch seinen zunehmenden körperlichen Zerfall unsere eigene Sterblichkeit vor Augen führt. In einer Gesellschaft wie der unseren, in welcher der Tod weitgehend aus dem Alltag verbannt wurde, bedeutet dies zwangsläufig, dass Zombieerzählungen durch die Konfrontation der RezipientInnen mit dem Verdrängten einiges an kritischen Potential bieten. Einerseits stellt der Zombie so nicht einfach eine externe tödliche Gefahr dar, sondern bezieht sein verstörendes Potential ausdrücklich aus dem, Grauen des Eigenen‹, indem er uns durch sein menschliches Aussehen daran erinnert, dass er einer von uns war und wir durch seinen Biss ebenso zum ›Weiterleben‹ als Untote verdammt würden.«164
5.4.3.3
Der Körperhorror in der filmischen Ästhetik
Der Horrorfilm thematisiert also den Körper (vornehmlich im Subgenre des Körperhorrors) und verarbeitet mit der Ikonographie des Monströsen moderne Todesvorstellungen: »[…] horror films function as one of several discourses of the body that use the fantastic – the iconography of the monstrous, to allow us to articulate our anxieties and to re-project the self.«165 Beim Körperhorror handelt es sich um die strenge Fokussierung der filmischen Ästhetik auf den verwundeten, deformierten und geöffneten Körper, wodurch Ekel und Abscheu hervorgerufen werden.166 Baumann hebt hervor, dass das Ekelerregende in Zerfall, Verwesung und Fäulnis zum Formlosen mit unklarem Lebensstatus tendiert, »weswegen es sich in seiner Vermischung mit dem Entsetzlichen
163 Pfister: 2016, S. 67-68. 164 Schrackmann: 2011, S. 220. 165 Badkey, Linda: Film, Horror and the Body Fantastic. Contributions to the Study of Popular Culture. Greenwood, 1995. S. 43. 166 Vgl. Meteling: 2006, S. 15.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
bestens dazu eignet, das objektlose Grauen des Horrors heraufzubeschwören und gleichzeitig faszinierte Hinwendung zu gewährleisten.«167 Nun zeichnet sich die Kulturgeschichte durch eine Vielzahl von ästhetisch verwandelten toten Körpern aus, die jeweils unterschiedliche Motivationen bewirken, denn »Transformation und Abstraktionen, die wir als Muster der Verwandlung erkennen, basieren immer auch auf einem ästhetiktheoretischen Programm, das diese Anschauung des Hässlichen möglich machte.«168 Beispielsweise suggerieren die hässlichen und geschundenen Körpern des Hiernoymus Bosch oder Lucas Cranach immer Gegenwelten, die allerdings stets die heile, christliche Welt mitmeinten.169 Anders ist es in der Moderne: »Von Baudelaires ›Fleur du mal‹ aus begegnet die Moderne als entfremdete Welt, in der keine heilende oder gar rettende, erlösende Gegenwelt mehr zu wirken vermag. [Sic!].«170 Weiter im Diskurs des Körperhorrors zu bearbeiten sind im Folgenden Lessings Laokoon und Kristevas aus der Psychoanalyse stammenden Abjekttheorie.
5.4.3.4
Die Darstellung des Hässlichen: Lessings Laokoon
Zum Thema der ästhetischen Diskussion über die Zulässigkeit negativer ästhetischer Erfahrungen wird der Ekel in den philosophischen Grundsatzdebatten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in denen das Terrain des Ästhetischen und der von ihm evozierten Affekte neu vermessen wird. Dabei erfährt der Ekel unisono die Ausweisung aus dem Bereich des Schönen.171 Brittnacher zitiert in diesem Kontext Lessing, welcher äußerte, dass sich die Affekte des Ekel unweigerlich beim Anblick toter Objekte einstellen, die den Anschein eines unnatürlichen, gesteigerten Lebens, den sogenannten »Fäulnisglanz« annehmen.172 Lessing beschäftigte sich weiterhin in seiner Schrift Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und der Poesie im Jahr 1766 mit der Kritik der Darstellung des Hässlichen und Grauenvollen, im Kontrast zum klassischen Schönheitsideal.173 Anlass für diese Diskussion der Gattungsästhetik war ein marmornes Figuren-Arrangement, die sogenannte ›Laokoon-Gruppe‹, welche um 1506 in Rom gefunden wurde, aber bereits in Plinius Naturalis Historia im 1. Jahrhundert nach Christus Erwähnung fand.174 Diese besteht aus dem im Zentrum stehenden
167 168 169 170 171 172 173 174
Baumann: 1989, S. 245. Cepl-Kaufmann; Grande: 2010, S. 231. Vgl. Ebd. Ebd. Brittnacher: Affekte, 2013, S. 519. Vgl. Ebd. Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie. In: Ders.: Werke. Göpfert, Herberg G. (Hg.). München, 1974. Vgl. Meteling: 2011, S. 219.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
trojanischen Priester des Poseidon, Laokoon, sowie rechts und links neben ihm stehend seine Söhnen Antipas und Thymbraios, welche gemäß Vergils Version von zwei Schlangen stranguliert werden, (die von der Göttin Athene geschickt wurden, um zu verhindern, dass Laokoon die Trojaner vor dem Danaergeschenk in Form des Holzpferdes warnen kann). Es handelt sich um eine Plastik, die diese Szene darstellt. Während der eine Sohn versucht, die Schlange von seinem Bein abzustreifen, ist der andere schon fest in ihrem Griff und sie setzt in dem festgehaltenen Moment gerade zum Biss in Laokoons Hüfte an. Bemerkenswert hierbei ist die durch Haltung und schmerzvollen Gesichtsausdruck der Skulpturen, vornehmlich der von Laokoon, implizierte Dramatik des Geschehens, erstarrt inmitten eines noch nicht entschiedenen Kampfes.175 Lessing konstruiert in dieser zentralen Schrift der Ästhetik des 18. Jahrhunderts eine heute durch das Medium Film nicht mehr aktuelle Dichotomie aus Raum (bildende Kunst) und Zeit (Dichtung). Der Raum ist die stillgestellte Zeit ohne die Möglichkeit, dieser zu entkommen.176 Die Sprache stellt zeitliche Abläufe dar, bildet Handlungen ab und ist nicht simultan. »In der Dichtung, so führt Lessing weiter aus, ist die heftige Äußerung des Schmerzes eine in sonstige Beschreibungen eingebettete Passage – im Bild dagegen, das nur einen (typischen) Augenblick aus einer Handlungsfolge herausschneidet, ist diese menschliche Reaktion auf Schmerz und Entsetzen für immer eingefroren; sie erweckt daher kein Mitleid und wird den Ansprüchen der Kunst, das Schöne zu zeigen, nicht gerecht.«177 Von der Tradition des Klassizismus, hinter dem Lessing und der von ihm kritisierte Winckelmann stehen, resultiert, dass dieser im Bild eingefangene, einzige Augenblick nicht hässlich sein darf, da die klassizistische Ästhetik die Öffnung des Körpers verbietet und auf dem geschlossenen und integren Homo Clausus beharrt.178 Diese von Lessing konstruierte Prämisse anhand des Laokoon wird filmwissenschaftlich weitergedacht und im Folgenden ausgeführt: Für Baumann findet der Film unter den Aspekten, »die im Laokoon herausgearbeitet werden, eher eine Entsprechung in Dichtung (oder Theater) als im Bild, das von Lessing notwendig als statisches Gemälde oder als Plastik verstanden wird.«179
175
176 177 178 179
Anm.: Siehe vertiefend zur Funktionalisierung nicht-schöner Körper anhand von Lessings Laokoon und Herder: Hoffmann, Torsten: Körperpoetiken. Zur Funktion des Körpers in der Dichtungstheorie des 18. Jahrhunderts. Paderborn, 2015. S. 102-104f. Vgl. Meteling: 2006, S. 24. Baumann: 1989, S. 115. Vgl. Meteling: 2011, S. 24. Baumann: 1989, S. 115.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Meteling konstatiert weiter, dass Lessings Dichotomie von Raum und Zeit angesichts des Films ihre materiell beglaubigte Berechtigung verliert, da sich nicht nur Bilder bewegen und Handlungen gezeigt werden, sondern diese gezeigten Handlungen auch simultan geschehen können.180 Von dieser filmwissenschaftlicher Akkommodation ausgehend, fungiert der menschliche Körper als Ankerpunkt des Films, welcher sich wie in der Malerei oder Plastik zwar räumlich zeigt oder abgebildet wird, sich aber zugleich, wie in der Literatur, auf einer narrativen Zeitachse befindet.181 Das Medium Film stellt folglich einen Synkretismus aus beiden der von Lessing genannten Dimensionen dar. Das Bild verbleibt im Realen und bildet in der Dimension des Horrors die Hässlichkeit ab. Dem Zombiefilm geht es vornehmlich um die Inszenierung dieser erschreckenden Hässlichkeit, weshalb er auch nach Meteling das mediale Fundament der antiklassizistischen neuen Gattung Film spiegelt:182 »Denn der Zombiefilm ist genau das: 16 bis 24 Bilder Hässlichkeit, Schrecken und Ekel pro Sekunde aneinandermontiert.«183
5.4.3.5
Der Zombie als das Abjekte schlechthin
Der vollen Intention nach ist es Tod und nicht Leben, was sich uns im Phänomen des Ekelhaften ankündigt.184 Die Psychoanalytikerin Kristeva definierte den Ekel vor dem Hintergrund des Abjekten. Nach Brittnacher beförderte sie ihn so zu einer Kategorie der modernen ästhetischen Theorie, die sich »in der phantastischen Schockästhetik mit ihrem hohen Ekelkoeffizienten zu bewähren vermag.«185 Wird der in den 1980er Jahren von Kristeva entwickelte Terminus Abjekt (in Pouvoirs de l’horreur. Essai sur l’abjection)186 etymologisch betrachtet, ist dieser psychoanalytische Neologismus dem lateinischen abiectus für ›verworfen‹, oder ›nachlässig hingeworfen‹, entlehnt. Beim Abjekt handelt es sich folglich um etwas ›Hingeworfenes‹. Im Zusammenhang mit dem Horror oder dem Zombie wird in der Forschung häufig der Begriff des Abjekten herangezogen, allerdings ohne diesen weiterhin genauer zu definieren. Statt hier auch eine Vakanz zu lassen, soll im Folgenden auf Meiers psychoanalytische Auffassung der Abjekttheorie zurückgegriffen werden: Kristeva entwickelte die Abjekttheorie (vor der Konzeption der Angst,
180 Anm.: Meteling unterstreicht diese Aussage mit den filmisch zur Verfügung stehenden Techniken der Parallelmontage, der Mise-en-scéne, dem Split-Screen-Verfahren, den Medien-inMedien-Rahmungen oder den frühen Spiegel- und Stopptricks. Siehe: Meteling: 2011, S. 220. 181 Vgl. Meteling: 2011, S. 220. 182 Vgl. Ebd. S. 221. 183 Ebd. 184 Baumann: 1989, S. 242. 185 Brittnacher: Affekte, 2013, S. 520. 186 Kristeva, Julia: Powers of Horror. An Essay on Abjection. New York, 1982.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
Phobie und Psychosen bei Freud) unter der Hypothese, dass die Geburt eines Kindes ein Seperationsprozess vom mütterlichen Leib in das soziale Gefüge der umgebenden Welt mit seiner symbolischen Ordnung darstellt. War das Kind zunächst in der Obhut des mütterlichen Leibes, so muss es nach der Geburt ein Selbst entwickeln, um als Individuum im sozialen Gefüge der Welt mit all ihren Konventionen überleben zu können. Das Neugeborene verliert also die Geborgenheit des Mutterleibes. Während die Erinnerung an den Mutterleib verblasst, werden allerdings gesonderte Partikel, als Reminiszenzen an den Mutterleib am Rande des Bewusstsein bestehen bleiben. Diese abgespaltenen Elemente sind die ›Abwürfe‹, also die von Kristeva definierten ›Abjekte‹. Zum einen wird dadurch ein Gefühl des Verlusts hervorgebracht, da das Behütetsein im Mutterleib überflüssig wurde. Zum anderen stellt die Anziehung zum Abjekten eine Bedrohung dar, weil ein Rückgriff auf jene abgespaltenen Elemente die Selbstwerdung beeinträchtigen kann. Demnach ist das Abjekt ein polarer Indikator, der sowohl anziehend, als auch bedrohlich für das Subjekt sein kann. »Da die Auseinandersetzung mit dem Abjekten wesentlich für die Identitätsbildung ex negativo ist, entwickelt der Mensch eine ambivalente Neugier auf das Innere des Anderen.«187 Stimuliert werden die Abjekte beim Anblick von Objekten in der Alltagswelt in Form von Substanzen wie Organen, Blut oder Auflösungserscheinungen des Körpers. Diese Objekte rufen durch ihre visuelle Beschaffenheit Reminiszenzen an die Gebärmutter hervor, wodurch Gefühle des Ekels und der Aversion erzeugt werden: »Diese sind dabei nicht als (indexikalisches) Zeichen für den Tod zu werten, sondern sind Teil desselben (in kleinen Schritten). Das Ich bzw. die personale Identität etabliert sich in der Distanz dazu in Ablehnung dieses Abjekten (=Abjektion), grenzt sich von ihm ab. Der Blick auf das Abjekte ist schließlich der Blick des Zerfalls und die Präsenz des Todes im Leben, ist die Manifestation existentieller Ängste und bedroht die körperliche und damit personale Identität sowie System und Ordnung.«188 Das Abjekt steht also zwischen dem Subjekt und dem Objekt und konfrontiert das ›Ich‹ mit seinen Ängsten und Grenzen.189 »Es führt ihm vor Augen, dass das Leben schon vom Tode infiziert sei.«190 Der Ekel ist nach Kristeva also eine Abscheu vor dem Abjekten, dem verstoßenen und nach außen projezierten Teil des menschli-
187 Stiglegger: 2011, S. 6. 188 Kleinschnittger: 2015, S. 107. 189 Vgl. Meier, Jan Niklas: Abjekt und Hermaphroditismus. »Alien« und Psychoanalyse. In: phantastisch! Ausg. 69. Ausg. 1. 19. Jahrgang 2018. S. 48-50. Hier S. 49. 190 Amann, Caroline: Abjekt. URL: http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag= det&id=4515. Aufgerufen am 22.01.2018.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
chen Selbst.191 Damit hat Kristeva den Ekel schließlich mit ihrer Deutung des Abjekten, so Brittnacher »als dem, was aus der symbolischen Deutung gefallen ist, zu einer paradigmatischen Kategorie der modernen ästhetischen Theorie befördert, die sich zumal in der phantastischen Schockästhetik mit ihrem hohen Ekelkoeffizienten zu bewähren vermag.«192 Mit Blick auf den Film führt Amann weiter aus: »In einer aus Psychoanalyse und Gender-Studien angeregten Filmtheorie wird die psychoökonomische Funktion des Abjekten oft in Verbindung gebracht zur Darstellung von Gewalt, Folter, Verstümmelung, Vergewaltigung und dergleichen, in der Annahme, dass sich in der kunstvermittelten Konfrontation von Zuschauern und als abjekt gesetzten Gegenständen eine Auseinandersetzung mit Verdrängtem und Verworfenem, Bedrohlichem und unzulässig Ersehntem einstelle.«193 Der Film nimmt sich dieser pychoanalytischen Theorie an, wenn er den Körper durch die Visualisierung ekelhafter Dinge z.B. durch Kannibalismus oder Verwesung vorführt.194 Die Sphäre des Phantastischen ist also prädestiniert durch imaginative Ausformulierungen und Allegorien des Todes, so wie es das The Walking Dead-Universum praktiziert, kreativ zu jonglieren und ekelevozierte sowie angstprovozierende imaginäre Monstren als Reflex jener pessimistischen, aus der Kontingenz entwickelten Phantasien über die Aufhebung der Endlichkeit ohne Jenseitsversprechen zu erschaffen und das Leichenparadoxon zu steigern, wie Morehead es treffend formuliert: »AMC’s The Walking Dead, are especially well suited to this prozess as risen, shuffling corpses present a graphic reminder of the reality of death.«195 Dies ist das primäre Charakteristikum des Zombies und eine Konstante im The Walking Dead-Universum. Der Zombie, als phantastische Modifikation des Abjekts Leiche schlechthin zeigt als cineastisches Produkt, »dass Abjekte nicht den Status eines Objekts einnehmen, sondern das Ich mit seinen Grenzen und seinen Ängsten konfrontieren und ihm vor Augen führen, dass das Leben immer schon vom Tode infiziert war.«196 Kleinschnittger ergänzt, dass der Zombie gänzlich abjekt ist: »Er ist die wandelnde Verkörperung des Todes, ist sichtbarer Zerfall, ist die uns entgegenschreitende, verdrängte Seite des Lebens: Das sich in der Auflösung befindliche Körperliche des Menschen.«197
191 192 193 194 195 196 197
Vgl. Stiglegger, 2011, S. 6. Brittnacher: 2013, S. 520. Vgl. Amann: 2018. Vgl. Meier: 2017b, S. 56. Morehead: 2012, S. 111. Amann: 2018. Kleinschnittger: 2015, S. 108.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
In der Summe konnten Kendricks Ausführungen bezüglich des Unterhaltungshorrors als Expression gesellschaftlicher Ängste vor dem Tod beispielhaft anhand des Zombies bestätigt werden. Dieser vermag als modernes Memento mori-Motiv durch den Film nicht nur die Repression des Todes zu destabilisieren und als eine abjekte Figuration an das Altern und den Tod zu erinnern. Durch seine inhärente Charakteristik als Allegorie der Säkularisierung werden zusätzlich christliche Jenseitsvorstellungen vom Leben nach dem Tod negativiert. Im weiteren Fortgang wird im Lichte dessen die spirituelle Dimension des Horrors behandelt. Im Anschluss sollen die Eigenschaften des Zombies in Verbindung mit genannter Dekontexualisierung christlicher Vorstellungen theologisch reflektiert werden.
5.4.4
Spirituelle Dimension des Horrors
Trotz einer Wandlung vom Aberglauben (Wiedergänger) ins säkulare Phantastische (der amerikanische Romero-Zombie) ist auch eine spirituelle Dimension im Horror vorhanden, da hier durch den starken Einfluss christlicher Kulturgeschichte nun die Popkultur im Rahmen der Phantastik den Prozess einer Wiederverzauberung der Welt stimuliert und im Zuge dessen im Gewand des Horrors die Idee einer Auferstehung der Toten vorführt, wobei christliche Dogmen nicht beachtet, bewusst oder unbewusst konterkariert, oder kreativ rekonzeptualisiert werden. Diese Oszillation zwischen Schrecken geben (Horror) und Schrecken nehmen (Religion) wird somit besonders anhand des Zombies ersichtlich. Umso bemerkenswerter ist an dieser Stelle, dass sich als Symbol für den Zombie in der Popkultur, besonders im Zombie-Merchandise das Biogefährdungs-Symbol als profanes Logo, nicht nur für gefahrbringende biologische Substanzen, sondern auch für die Auferstehung der Toten etabliert hat und damit (wenn auch vielleicht unbewusst) die religiös-theologische Dimension des Kreuzes (siehe Kap. 6.1) oder des Ichthys in einer säkularen Welt – pathetisch formuliert – überschattet. Der Zombie funktioniert gemäß der geschilderten Ausführungen als Allegorie für die Unbegreiflichkeit des Todes, obgleich er »im Sinne Heideggers eine uneigentliche Existenz führt, die kein ›Sein zum Tode‹ darstellt, da er ja schon tot ist. Dies führt ihn in ein unwahres Dasein, da dies erst durch den Tod zu einem begrenzten und fassbaren Ganzen wird.«198 Dazu schreibt Meteling explizit: »Mit der Figur des Zombies verweist der Film überdies nicht nur jenseits aller metaphysischen Diskursivierung auf die profane Seite des Todes, sondern offenbart auch die unterschiedlichen semantischen Auflassungen, die mit dem Versuch einhergehen, den Tod zu verstehen. Lebende Tote im Film werden dabei als Masken
198 Körber: 2014, S. 105.
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von Rassismus-, Konsum- oder Ideologiekritik, als Abjekt der Gesellschaft oder eben auch als Gesicht und Stimme des Todes sichtbar gemacht.«199 In diesem Sinne wird zugleich der Auferstehungsgedanke konterkariert und jegliche positiven Gedanken über das Leben nach dem Tod werden getilgt. Aber genau dieses pessimistische Sujet ist die Essenz des Zombie- und Horrorfilms: »Zombies stellen einen direkten Affront gegen das christliche Weltbild dar, denn sie alle erleben eine Art der Wiedergeburt – in gleichermaßen entseelten wie entstellten Gestalten, denen jegliche Erinnerung an ihr früheres Leben fehlt.«200 Der ZombieTopos bedient somit ebenso, wenn auch weitaus grausamer, die Vorstellung, dass nach dem Tod tatsächlich eine fortführende Existenz gewährleistet werden kann. Wenn tote Menschen sich also aus dem Grab, entgegen christlichem Auferstehungsglauben, erheben, deutet dies auf die Wahrnehmung der Todesvorstellungen der Menschen hin, die den Zombie als Zeichen ihrer säkular verstandenen Todesvorstellungen erschaffen. Denn ein Zombie ist »in seiner Nicht-Zuordenbarkeit die Manifestation eines kulturell Anderen. Wenn der zombifizierte Körper einen Normverstoß darstellt, dann repräsentiert er das, was nicht sein kann, was nicht sein darf.«201 Nach Cepl-Kaufmann und Grande ist die Verwischung der Grenzen zwischen Leben und Tod keine Anleihe an der Passionsgeschichte, sondern als Zeichen für die Unsicherheit gegenüber der Positionierung des Subjekts im Raum der Moderne zu verorten, womit die hier zugrundeliegende Hypothese unterstrichen wird.202 Hernach steht der wiederbelebte, ursprüngliche tote Körper für die substantielle Erschütterung gegenüber der eigenen Wirklichkeit und das Zurückgeworfensein auf die Unsicherheit der eigenen Wahrnehmung.203 Entsprechend resultieren aus dieser Erschütterung reflexiv auch apokalyptische Geschichten (siehe Kap. 4.1), welche solch Vorstellungen verhandeln: »The dominant pessimism in zombie apocalyptic concerning humanity fits well within the ›neo-apocalyptic variant‹ of postmodernity where human beings are beyond saving. The best one can hope for is a ›resurrection‹ from the dead, but one without any devine saving agent, and where no New Jerusalem on a New Heaven and Earth is available […].«204 Am schlimmsten erscheint der Gedanke, durch den Verbleib des Leibes der Finalität des Todes zu entgehen. Dem Menschen wird seine Unikalität oder, im katholisch199 200 201 202 203 204
Meteling: 2011, S. 211. Koebner: 2014, S228. Meier: 2017b, S. 22. Vgl. Cepl-Kaufmann; Grande: 2010, 239. Vgl. Ebd. Morehead: 2012, S. 107.
5. Die Sinnkrise: Der Zombie als Zeichen säkularisierter Todesdeutungen
theologischem Sinne, seine Heiligkeit genommen. Die pessimistische Antwort auf das Leben nach dem Tod muss nicht wünschenswert sein, aber die Frage ist damit im Sujet des Horrors beantwortet. Folglich existiert eine minimale Übereinstimmung mit Religion, die auch versucht, diese Frage zu bedienen, wobei der ZombieTopos entscheidend negativer daherkommt.205 Berner formuliert, dass diese Verschiebung der modernen Todeswahrnehmung für die christliche Theologie gegenüber dem biblischen Zeugnis nicht gleichgültig sein darf, wobei er zwischen den Begriffen Tod und Sterben auf biblisch-theologischer Basis differenziert: »Während dort der Tod auch noch im Lichte der Auferstehung Christi wesentlich als letzter Feind (1. Kor15,26; Off 20,14) gedeutet wird, der bereits mitten im Leben seine von Gott trennende Kraft zur Entfaltung bringt, gilt für das Sterben, dass es aufgrund der Teilhabe am gekreuzigten und auferstanden Christus auch eine positive Interpretation erhalten kann. Denn es kann jedenfalls Paulus zufolge auch Gewinn (Phil 1,21) sein, wie grundsätzlich weder Leben noch Sterben von Gott zu trennen vermögen sind (Röm 14,8).«206 Mit der inneren Christozentrik des Todes wird nach Johanna Rahner das Todesverständnis neu dimensioniert: »Der Tod als letzter Feind des Menschen ist durch den Tod Jesu Christi besiegt; die Beziehungslosigkeit des Todes selbst ist durch die in Christus sichtbar gewordene Gottesnähe überwunden.«207 Subsumierend hat dieses Kapitel folglich aufgezeigt, dass der Zombie-Topos die Repression des Todes in der modernen okzidentalen Gesellschaft zu destabilisieren vermag. Um dies besonders explizit abzubilden, fungiert der Körperhorror als geeignete filmische Projektionsfläche zur Konfrontation mit der Realität und Unabwendbarkeit des Todes. Durch den Zombie wird das (sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Realität vorhandene) Leichenparadoxon zu einem doppelten Leichenparadoxon sublimiert. Damit geriert der Zombie zu einer zeitgenössischen Memento mori-Figuration. Mit Blick auf brutal anmutende und von Leid geprägte Kreuzigungsdarstellungen scheint die Überwindung des Todes jedoch fern, woraus einseitige, gar säkulare Betrachtungen der Kreuzigungsdarstellung Jesu resultieren. Im Folgenden soll deshalb eine theologische Darstellung der Eschatologie, fokussiert auf staurologische Aspekte, mit Blick auf den (cineastischen) Körperhorror dargelegt werden. Denn erst im Golgatageschehen, am Kreuz »habe sich der Schöpfer aller Dinge zur Unkenntlichkeit entstellt, aber definitiv aller Welt gezeigt und die Todesmacht gebrochen, indem er sich konfrontativ in sie hineinbegab und
205 Vgl. Hercenberger: 2016, S. 239. 206 Berner, Knut: Behausungen des Bösen. Epi-Genese; Thanatologie; Ästhetik; Anthropologie. Berlin, 2013. S. 62-63. 207 Rahner: 2010, S. 173.
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ihre destruktive Gewalt auf sich zog, damit sie bei ihm Platz finden sollte.«208 Am Kreuz erklärt Gott den Tod zu seiner Angelegenheit und nimmt ihn auf sich.209 Im Anschluss werden die Themen der Auferstehung und des damit verbundenen Leib-Seele-Dualismus beleuchtet. Diese Ausführungen sind zum einen als Folie für die anstehende Filmanalyse angedacht, auf deren Inhalte später im Kontext von The Walking Dead zurückgegriffen werden soll. Zum anderen dienen sie hier einer direkten theologischen Reaktion, Verarbeitung und Bearbeitung der oben geschilderten Punkte hinsichtlich der modernen Wahrnehmung der Themen Sterben und Tod.
208 Berner: 2013, S. 81. 209 Ebd. S. 84.
6. Theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies Seit Menschengedenken begleitet uns Horror in Kunst und Unterhaltung – seit den Höhlenmalereien von Löwen und Tigern und Bären. Sind nicht auch die letzten Tage Christi eine einzige Schauergeschichte, mit Gemetzel, Ungerechtigkeit, Brutalität und schließlich einem Leben nach dem Tod?1
Die hier gestellte Frage aus Horror Cinema ist berechtigt, repräsentiert diese doch vorzüglich die Divergenz zwischen Horrorfilmen und Theologie: Angst versus Hoffnung,2 Tod versus Auferstehung. Nicht von ungefähr werden Erinnerungen an Nietzsches Werk »Antichrist«3 hervorgerufen, in welchem er das Kreuz als Erkennungszeichen betrachtet, welches das Schöne des Lebens zu tilgen vermag. Berner skandalisiert vorsätzlich pathetisch, dass dann »alle menschlichen Vorstellungen vom Guten, Wahren und Schönen, von der Bedeutung der Tugenden, der in uns schlummernden Selbstheilungskräfte, der Relevanz der humanen Gesinnungen und der Lebensdienlichkeit von Gottesbildern«4 am Kreuz als Illusion in den Blick kommen. Dieses postulierte Skandalon kann analog auf die Beschreibung der Welt des The Walking Dead-Universum angewendet werden. Es gibt selten Gutes, kaum Hoffnung; Brutalität und Gewalt beherrschen den Alltag (siehe Kap. 8.3). Es
1 2
3 4
Penner et.al.: 2008, S. 9. Anm.: Das komplexe Thema Theologie, Weltende und Angst würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, weshalb auf die Arbeit: »Körtner, Ulrich H.J.: Weltangst und Weltende. Eine theologische Interpretation der Apokalyptik. Göttingen, 1988.« verwiesen werden soll. Besonders das Kapitel »Theologie der Angst« (S. 341-364) ist für eine Vertiefung empfehlenswert. Nietzsche, Friedrich: Der Antichrist. Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe Bd. 6. München, 1980. S. 253. Berner: 2013, S. 82.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
scheint, so Baumann, dass die christliche Religion »von der Verehrung einer brutalen Folterszene geprägt«5 ist, was beispielsweise mit Blick auf die eindringliche Darstellung des geschundenen Körpers Christi von Matthias Grünewalds Kreuzigung im Isenheimer Altar von 1512/16 wenig verwunderlich sein dürfte. Deshalb untermauert er in seiner Abhandlung über das Horrorgenre seine Aussage über die kunstgeschichtliche Darstellung der Kreuzigung Jesu und schildert, dass Werke der abendländischen Kunst Jesu Tod »bis zur exaktesten Physiognomie des Schmerzes ausgemalt«6 haben. Baumann spielt mit seiner Aussage auf die »an einem altertümlichen Hinrichtungsinstrument angenagelte, gefolterte und geschlachtete, blutüberströmte Leiche«7 an, wobei er heilsgeschichtliche Aspekte, die Versöhnung Gottes mit der Welt und Auferstehungsvorstellungen ausspart, biblische Horrorszenarien auf der Ebene der Denotation erfasst und theologisch-konnotativ nicht weiter reflektiert. Die Geißelung am Kreuz sei eine »Expression von Gottes Sadomasochismus«,8 so Dawkins und ergo ein geeignetes Motiv bzw. ein guter Andockpunkt für atheistische Sympathien. Denn »das Kreuz, eine sehr gewalttätige Form der Folterung, als Bild der Liebe Gottes verstehen zu müssen, stellt die Theologie immer vor neues Herausforderungen.«9 Ferner betont Baumann die Darstellung der Inquisition bzw. Morde an Ungläubigen, Ketzern und Häretikern und postuliert, dass die Bibel ein hohes Maß an Opferungen thematisiere (Abraham und Isaak, Jephta opfert seine Tochter, Josuas Menschenopfer sowie Samuel, der seinen Gefangenen Agag in Gilgal ermordet).10 Es ist eine Aufgabe der Theologie, solchen Aussagen, die sich auf den rein denotativen Horror beschränken, systematisch zu reflektieren, auf den jeweiligen theologisch- (historischen) Sinnzusammenhang hinzuweisen und damit die evozierten Bilder des Schreckens – insbesondere, wenn direkt christliche Topoi aus ihrem Sinnzusammenhang extrapoliert und ins horrorartige transferiert werden – wieder in ihren theologischen Zusammenhang zu bringen, also zu theologisieren. Angesichts einer fehlenden theologischen Reflexion Baumanns hinsichtlich der Kreuzigung Christi soll diese hier stattfinden, um dem denotativen Horroraspekt der Kreuzigungsszene entgegenzuwirken und um auf das theologische Verständnis hinzuweisen. Dies soll im Vorfeld der theologischen Reflexion der Serie The Walking Dead geschehen, da diese ebenso christliche Elemente ohne ihren Sinnzusammenhang darstellt.
5 6 7 8 9 10
Baumann: 1989, S. 37. Ebd. Ebd. Dawkins, Richard: Der Gotteswahn. Berlin. 2.Aufl. 2007. S. 45. Kirsner: 2013, S. 81-99. Vgl. Ebd. S. 42.
6. Theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies
6.1
Entelektrisierung des Todes: Staurologie und Körperhorror Durch das Kreuz ist der Teufel besiegt, und die Welt ist durch Christi Blut erlöst.11
Im Zentrum des christlichen Bekenntnisses steht, dass Jesus gekreuzigt wurde. »Dabei wurde er nicht von Gott verlassen, sondern von den Toten auferweckt. Dies ist das einstimmige Zeugnis des Neuen Testaments.«12 Zunächst berichteten antike Autoren (z.B. Tacitus in seiner Historiae 4,11) von Kreuzigungen bei den Persern, Puniern und Griechen.13 Seit der zweiten Hälfte des 3. Jh. v. Chr. praktizierten auch die Römer den Prozess der Kreuzigung. Diese nutzten sie zur abschreckenden Bestrafung von Sklaven. Sie galt zudem, neben Verbrennungen und Volksfesthinrichtung, als eine entehrende und besonders aufgrund der dauernden Todesqual grausame Strafe, die meist als Konsequenz von Aufruhr und Hochverrat vollzogen wurde.14 Erst im Rahmen der konstantinischen Wende wurde sie durch Konstantin den Großen abgeschafft.15 Jesus ist anlässlich des Passahfestes des Jahres 27. n. Chr. oder 30. n. Chr. nach Jerusalem hinaufgezogen. Er hat sich dort seiner Begrüßung als Friedensmessias nicht gewehrt und anschließend zeichenhaft die (messianische) Reinigung des Tempels vollzogen.16 Diese Aktion ist »der unmittelbare Anlass zum Einschreiten der Behörde gegen Jesus gewesen.«17 »Für die Römer war Jesu Hinrichtung eine politisch naheliegende Abschreckungsmaßnahme. Es wurde ein gefährlich erscheinender Messiasprätendent aus Galiläa beseitigt, wie viele potentielle oder wirkliche Anführer vor und nach ihm (vgl. Apg 5,35-37), um dadurch die eigene Herrschaft in Palästina zu sichern. […] Für Jesu Anhänger war der Kreuzestod Jesu ein Schreckensereignis sondergleichen, für Jesu Gegner dagegen der von der Tora vorgeschriebene verdiente Fluchtod eines pseudomessianischen ›Verführers‹ und Gotteslästerers.«18
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16 17 18
Wichmannsburger Antependium. Hannover. Museum August Kestner (aus Medingen). Kraus, Wolfgang: Der Tod Jesu und seine Deutung. In: Bormann, Lukas (Hg.): Neues Testament. Zentrale Themen. Göttingen, 2014. S. 129-152. Hier S. 145. Vgl. Balz, Horst et.al. (Hg.): Theologische Realenzyklopädie Band XIX – Kirchenrechtsquellen – Kreuz. Berlin, 1990. S. 714. Im Folgenden wird die Abkürzung TRE verwendet. Vgl. TRE Bd.XIX: 1990, S. 714. Vgl. Betz, Hans Dieter et.al.: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft die Abkürzung Bd. 4 (I-K). Tübingen, 2001. S. 1745. Im Folgenden wird für Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft die Abkürzung RGG verwendet. Vgl. Stuhlmacher, Peter: Biblische Theologie des Neuen Testaments. Bd. 1: Grundlegung von Jesus zu Paulus. 3 Aufl. Göttingen, 2005. S. 149. Ebd. Vgl. Ebd. S. 154-155.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Die Kreuzigung war eine brutale Todesstrafe, wie Baumann völlig korrekt schildert. Der Delinquent wurde nackt an das zumeist niedrige Kreuz gebunden oder genagelt.19 »Diese Aufhängung hatte eine ausgedehnte Leidenszeit bis zum qualvollen Tod zur Folge, welcher in der Regel durch Ersticken eintrat.«20 Zum Teil wurde durch einen Sitzpflock, welcher dem Körper stärkeren Halt bot, der Todeskampf sogar verlängert. Die Verkürzung des Todes durch Zerschlagen der Beinknochen ist bei Joh 19,31-33 erwähnt.21 Üblicherweise verblieb der verwesende Leichnam am Kreuz und wurde dort den Tieren überlassen. Wie blutig die Strafe war, hing im Einzelfall davon ab, ob ihr eine Geißelung vorausging oder das Opfer an das Kreuz genagelt wurde und welche Verletzungen es jeweils dabei erlitt.22 »Diese Hinrichtung ist nicht nur ein menschlicher Gewaltakt gegen Jesus. Sie ist ein Gewaltakt, den Gott um des Menschen willen an sich selber vollzieht. Er zeigt sich darin als der liebende Gott, aber verborgen unter dem Gegenteil. Der Christus stirbt nämlich nicht nur, er stirbt als Verfluchter. Draußen vor der Stadt im areligiösen Bezirk und am Holz, an dem nach jüdischer Lehre die von Gott Verfluchten ihr Ende finden (Dtn 21,23; Gal 3,13).«23 Im Lichte des Auferweckungskerygmas bekommt die Rede vom ›Gekreuzigten‹, im Kontrast zu Baumanns denotativer Darstellung, eine bleibende christologische Bedeutung (Mk 16,6 und Mt 28,5).24 »Lukas betont die heilsgeschichtliche Notwendigkeit des Kreuztodes (Lk 24,7-20) und die Rechtfertigung des Gekreuzigten durch die Auferweckung (Apg 4,10; 2,36). Das Johannes-Evangelium verwendet den Terminus ›kreuzigen‹ ausschließlich auf den konkreten Vorgang der Todesart Jesu (Joh 19). […] Sachlich rückt der Kreuzestod Jesu über den Begriff des Erhöhens in einen dezidiert christologischen Verweis-Zusammenhang. […]Die Erhöhung am Kreuz stellt sicher, dass die Rückkehr des Gesandten vom Vater die Verherrlichung des (fleischgewordenen) Menschensohnes ist, sodass sich im Kreuz die bereits irdisch-ansichtige Herrlichkeit vollendet. […]. Insofern kann von einer johanneischen Kreuzestheologie gesprochen werden.«25
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Vgl. RGG: 2001, S. 1745. Ebd. Vgl. Müller Gerd (Hg.): Theologische Realenzyklopädie. Berlin, 1989. S. 714. Vgl. RGG: 2001, S. 1745. Berner: 2013, S. 85. Vgl. Kaspar, Walter et.al. (Hg.): Lexikon für Theologie und Kirche. Freiburg, 1997. S. 442. Im Folgenden wird die Abkürzung LThK verwendet. Ebd. S. 442-443.
6. Theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies
In Verbindung mit der Auferstehung wird das Kreuzesgeschehen zum zentralen Punkt, an dem Gott und sein Heilshandeln in Jesus Christus offenbar wird (vgl. Mt 15,39).26 Mit Blick auf Jesus Christus bedeutet das Kreuz die letzte Treue Jesu zu seiner Sendung, sowie die unbedingte Hingabe des Sohnes an den Willen des Vaters (Mk 14,36) für die Menschen. So gesehen bildet das Kreuz als Tiefpunkt seines Lebens zugleich die Zusammenfassung und den Höhepunkt seiner geschichtlichen Existenz:27 »Schon bei Paulus bewirkt das Kreuz deshalb einen Lebenseinsatz des einen für die Rettung der vielen, die Freiheit von der Sünde, welche sakramental in der Taufe übereignet wird und in die Nachfolge des Gekreuzigten führt (Röm 6,1-11).«28 Die paulinische Argumentation in 1 Kor wird als Kreuzestheologie bezeichnet. In 1 Kor 1,23 verwendet Paulus den Begriff, wie der Kreuzestod eines angeblichen Heilsbringers in der Antike verstanden wurde: als Torheit und Ärgernis.29 Das Kreuz Christi als Ort des Heils stellt eine Kritik menschlicher Weisheit dar.30 Das Kreuz in der Verkündigung fungiert hier als Macht, die alle Verstehensmöglichkeiten des Menschen zerstört, die den Menschen entweder zum Geretteten oder zum Verlorenen macht (1,18-25).31 Im Galatarbrief wiederum stellt Paulus die Unvereinbarkeit von Gesetz und Gnade Gottes heraus, indem er kreuzestheologische Aussagen einsetzt. Nach der zentralen Aussage Gal 3,13f. ist das Kreuz nicht der Ort des Fluches (vgl. Dtn 21,23), sondern die Quelle des Lebens.32 Ebenso kann die Versöhnungsvorstellung als Konstruktionsmodell hinsichtlich Jesu Tod am Kreuz beleuchtet werden: »Es handelt sich bei Paulus dabei um ein von Gott selbst in Kraft gesetztes Geschehen, durch das sich Gott in Christus mit der Welt der Menschen versöhnt hat (Kor 5,19a). […] Durch Gottes eigenes Versöhnungshandeln ist im Christusgeschehen etwas Neues und Ganzes entstanden, das Paulus ›neue Schöpfung‹ (2 Kor 5,17) nennt. Er lässt diese ›neue Schöpfung‹ in der Verkündigung des Wortes selbst Realität werden.«33
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Vgl. LThK, S. 443. Vgl. Drehsen et.al.:1988, S. 687. Ebd. Anm.: Hintergrund der paulinischen Argumentation sind die Spaltungen bzw. Rivalitäten in Korinth, die Paulus auf eine Überbewertung der Weisheit und zugleich eine fehlende Erkenntnis Christi als Gekreuzigten zurückführt. Vgl. Kraus: 2014, S. 145. Vgl. Ebd. Vgl. Bendemann, Reinhard von: Die Fülle der Gnade – Neutestamentliche Christologie. In: Schröter, Jens (Hg.): Jesus Christus. Tübingen, 2014. S. 71-118, Hier S. 89. Vgl. Ebd. S. 93. Ebd.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Als besondere Akzentsetzung erweisen sich die paulinische Kreuzestheologie und das Verständnis des Todes Jesu im Horizont der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes. Dies bedeutet, dass der Tod Jesu in der paulinischen Rechtfertigungslehre verzeichnet wird.34 Das Lukasevangelium versteht Jesu Leben und Sterben im Sinn der Proexistenz und in der Passionsgeschichte selbst wird Jesu Tod als der Tod eines Gerechten dargestellt.35 Im Johannesevangelium stellt das Kreuz Jesu bereits die Erhöhung dar. Einen weiteren Konstruktionsrahmen stellt die ›Stellvertretung‹36 dar. »Wie ein großer, weiter Trichter alles, was auch immer man oben hineinschüttet, zwinge, das Loch am unteren Ende zu passieren, so sei alle Sünde der Welt auf Jesus konzentriert geworden, der allein schon deswegen den Tod habe erleiden müssen. Denn nur durch den Tod wird man diese Konzentration von Schuld und Fluch los. Da Jesus aber gerecht war, konnte diese Schuld insgesamt aufgehoben werden. Gott ist der Hauptakteur, und doch geht es um eine Art Stellvertretung, da Jesus anstelle aller übrigen die Todesstrafe erleidet.«37 Darüber hinaus ist die Botschaft von der Auferweckung Jesu der Grund der christlichen Hoffnung für die Auferweckung aller Gläubigen zum ewigen Heil und zu einer unendlichen Zukunft in Gott. Die Verbildlichungen, auf die Baumann rekurriert, sind ebenso theologische Aussagen (sogenannte ›einsame Kreuze‹), wie auch vordergründig historische Beschreibungen.38 Das Kreuz ist ein Symbol des heilbringenden Todes Jesu (Gal 6,14; Kor 2,2) und zugleich eschatologisches Zeichen.39 Berner hebt hervor, dass es daher ein Missverständnis ist, »wenn gesagt wird, ein sadistischer Gott habe ein Opfer benötigt, um versöhnt zu werden. Einerseits kann Gott sich nicht gut selber Opfer darbringen, andererseits ist er das Subjekt des Golgathageschehens. Er versöhnt die Welt mit sich selber, nicht umgekehrt.«40 Besonders ist der anthropologische Pessimismus menschlicher Gewalt, welche sich im Kreuzesgeschehen veräußert,
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Vgl. Kraus: 2014, S. 149. Vgl. Ebd. Anm.: »Stellvertretung setzt ein Dreieck von bezogenen Personen voraus. Einer kann für den anderen vor einem Dritten etwas tun, sei es durch das Wort oder durch evidente (und konkludente, aus sich heraus eindeutig verständliche) Tat. Religiös betrachtet: Ein Mensch kann für den anderen von Gott etwas bewirken. Diese Stellvertretung kann er gelegentlich vollziehen oder aber gewissermaßen von Beruf, besonders wenn er dauernd in Gottes Nähe ist.« Siehe: Berger, Klaus: Wozu ist Jesus am Kreuz gestorben?. Stuttgart, 1998. S. 24. Berger, Klaus: Wozu ist Jesus am Kreuz gestorben?. Stuttgart, 1998. S. 33. Vgl. Kaspar, Walter (Hg.): Lexikon für Theologie und Kirche, S. 462. RGG: 2001, S. 1747. Berner: 2013, S. 85.
6. Theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies
»mit einer optimistisch-theologischen Sicht zu verbinden: Der Skopus der Kreuzestheologie besteht nämlich darin, dass der Mensch sich selber als der leidenschaftliche Gewaltverliebte, der er ist, erkennen darf und damit leben kann, aber von Gott nicht mehr so angesehen wird. Der den Tod und damit alle Gewalt auf sich gezogen hat, rechnet sie sich bleibend zu und absorbiert als Gekreuzigter die Hässlichkeit des unansehnlichen, vorfindlichen Menschen. Die Geschöpfe sehen jetzt wieder gut aus.«41 Die von Baumann angesprochenen Kreuzigungsbilder beschreiben den Bildtypus eines gotischen Kruzifixus mit Dornenkrone, leidendem Gesichtsausdruck, verzerrter Körperhaltung und Verwundungen.42 »Diese Bildwelt suchte mit einem Realismus der Darstellung, der zunehmend in Übertreibung überging, den Betrachter emotional zu beeindrucken«.43 Während in der Theologie des Ostens die Möglichkeit der Anbetung der Bilder konzediert wurde, verwarf man diesen Gedanken im Westen und verstand Christus-Bilder mit Hilfe der Konzepte von Stellvertretung und Repräsentation.44 »Der Grund hierfür war die Verlagerung der Theologie als Lehre von Gott in eine Christologie als einer Lehre von dem, dessen Leben und Sterben das wahre Bild Gottes in unvergleichlicher Weise repräsentierten.«45 Wird dies mit dem Prozess der Vermenschlichung Jesu, in dem er von der Herrlichkeit des himmlischen Richterstuhls hinunter in die elende Gegenwart der Kreuzigung geholt wird, verknüpft, dann zeigt sich darin eine Radikalisierung der Inkarnationstheologie – wie beispielsweise im Isenheimer Altar von Matthias Grünewald, der etwas gänzlich anderes darstellt als die Schrecken des Todes. Er signalisiert vielmehr, dass die dargestellte Grausamkeit und Hässlichkeit des Todes von Jesus besiegt wurde.46 In diesem repräsentativen Kunstwerk geht es deshalb vielmehr um den Durchbruch durch die Todeswelt in der Auferstehung: Das Haupt des Christus ist entmaterialisiert in einer riesigen Sonnenaureole.47 Sein Leib ist zwar geschunden, dennoch versöhnlich, tröstlich und Transzendenz versprechend in den Armen seines Lieblingsjüngers.48 Cullmann betont, wer das Grauen des Todes nicht erfasst hat, kann
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Ebd. S. 95. Vgl. RGG: 2001, S. 1750. Müller: 1989, S. 1750. Vgl. Belting, Hans: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1990.; Vögele, Wolfgang: Bewegter und unbewegter Christus. Bemerkungen über exemplarische Christusdarstellungen in Malerei und Film. In: Tà katoptrizómena. Ausg. 114. Jahrgang 20. 2018. URL: https://www.theomag.de/114/wv045.htm. Aufgerufen am: 14.11.2018. Vögele: 2018. Vgl. Ebd. Vgl. Scheja, Georg: Der Isenheimer Altar. Köln, 1969. S. 35. Vgl. Marek: 2007, S. 301.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
nicht mit Paulus in den Sieghymnus einstimmen: »Verschlungen ist der Tod – zum Sieg! Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?« (1 Koh 15,54).49 »Die Kreuzigung und die übrigen Stationen der Passionsgeschichte gewinnen konsequent ein größeres Eigengewicht. Sie sind nicht mehr das vernachlässigbare, negative Durchgangsstadium zur theologia gloriae der Auferstehung und des Reiches Gottes, sondern es gilt: Die duldende Annahme, das Durchhalten, das betende Meditieren des Leidens werden geradezu zum entscheidenden Signum des leidenden Jesus und damit auch der Glaubenden.«50 Dieses Resultat wird sich später in der Filmanalyse im Kontext der Narration von The Walking Dead wiederfinden (Siehe Kap. 9.9). In einer Anschlussüberlegung nach einer Re-Lektüre zu Kofmans Melancholie der Kunst51 formuliert Mertin, dessen Ausführungen im Folgenden dargestellt werden, dass jedes Christusbild Teil der Geschichte der Beschwörung von lebenden/lebendigen Toten ist.52 Das Christusbild löse das Problem, wie jemand, der gestorben ist oder gekreuzigt wurde, dennoch im Bewusstsein der Menschen als lebendig präsent gehalten werden kann (vergleichend dazu die Ähnlichkeit mit Davids Tod des Marat in Kap. 5.4.3.2).53 Mertin argumentiert weiter in diesem Zusammenhang, dass die Christen in der sich entwickelnden Tradition des Christusbildes und vor dem Hintergrund der christologischen Debatten das Problem lösen wollten, wie ein Toter präsent sein kann, ohne als Untoter zu erscheinen.54 »Insbesondere bei den ›Noli me tangere‹-Bildern der christlichen Kunstgeschichte wird das Problem deutlich. So erscheint etwa bei Fra Bartolomeo der auferstehende Christus am linken Bildrand noch ganz der jenseitigen Welt angehörig, aber wenig später in der Begegnung mit Maria Magdalena ist er höchst körperlich und lebendig, nur damit er auf keinen Fall als ›Untoter‹ erscheint. Es hat dennoch nicht an Versuchen gefehlt, die christliche Lehre von der Auferstehung Christi in dieses Schema einzuordnen. Das Christentum hat vom Anfang an – nicht zuletzt mit der
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53 54
Vgl. Cullmann, Oscar: Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten? Die Antwort des neuen Testaments. In: Brüntrup, Godehard et.al. (Hg.): Auferstehung des Leibes – Unsterblichkeit der Seele. Stuttgart, 2010. S. 13-24. Hier S. 18. Vögele: Wolfgang: Bewegter und unbewegter Christus. Bemerkungen über exemplarische Christusdarstellungen in Malerei und Film. In: Tà katoptrizómena. Ausg. 114. Jahrgang 20. 2018. URL: https://www.theomag.de/114/wv045.htm. Aufgerufen am: 14.11.2018. Kofman, Sarah: Melancholie der Kunst. 3., überarb. Aufl. Engelmann, Peter (Hg.). Wien, 2008. Vgl. Mertin, Andreas: Wiedergänger, Double, lebende Tote. Eine Re-Lektüre. In: Mertin, Andreas; Herrmann, Jörg; Schwebel, Horst (Hg.): Tà katoptrizómena. Magazin für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik. Heft 105. Jahrgang 20. 2018. Aufgerufen am 07.02.2019. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd.
6. Theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies
Geschichte vom ungläubigen Thomas (der Gegengeschichte zum Noli me tangere) – an der greifbaren Leiblichkeit des Auferstandenen Interesse gezeigt. Und es hat ihn so dargestellt, dass er nicht mit einem Untoten verwechselt werden kann. Aber es hat ihn so dargestellt, dass in der Darstellung des lebendigen Christus die Frage nach dem Verhältnis von Tod und Leben präsent bleibt.«55 Darüber hinaus nimmt die bildliche Darstellung in der Kunst sämtlicher Folterungen an »Märtyrern oder Märtyrerinnen, überwiegend nackten […] einen breiten Raum ein« (siehe Kap. 5.4.3.2).56 Besonders die Darstellungen des Heiligen Stephanus oder des von Pfeilen durchbohrten und an einem Baumstamm gebundenen Sebastian weisen par excellence einen geschundenen Körper auf. Doch haben die Heiligen als Stellvertreter Christi in der Heilsgeschichte den toten Körper offensichtlich überwunden, da der Tatbestand des Leidens ihnen, in Analogie zu Christus, ewiges Heil eingebracht hat.57 Schlussfolgernd bezieht Baumann sich auf Holls Aufsatz über das Heilige58 und subsumiert die dort geschilderte Konstitution des Heiligen in Form der Kontrastharmonie, die aufgrund des teils brutalen Todes und der (paradoxen) wunderbaren Wirkung der Heiligen als eine Dichotomie aus Grauen (Mysterium tremendum) und Wonne (Mysterium fascinosum) verstanden wird. Nackte und tote Körper führen,59 besonders als Zeichensprache christlicher Emblematik (im Spektrum christlicher Leidensthematik), so Cepl-Kaufmann und Grande, zu der Überwindung von Zeit und Raum. Freilich steht dies in Analogie zu Christus, der als Überwinder des Todes zugleich in seiner Todesstunde festgehalten wird, um von der Überwindung des Todes und zugleich von der Ewigkeit zu künden.60 »Das Kreuz ist mehr als notwendig, weil es Gottes Handeln angesichts des Endes menschlicher Möglichkeiten darstellt. Das Ende der Möglichkeiten ist das gewaltfreie Leben und dieses ist in christlicher Sicht einzig im Modus eschatologisch orientierter Hoffnung zu antizipieren, also nicht intramundan realisierbar.«61
55 56 57 58 59 60 61
Ebd. Müller: 1989, S. 1750. Vgl. Cepl-Kaufmann; Grande: 2010, S. 203. Holl, Adolf: Das Heilige. In: Frankfurter Rundschau vom 17.09.1988. Anm.: Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass unter den ersten Zombies in Romeros Night of the Living Dead auch nackte Untote das Haus der Überlebenden umzingelten. Vgl. Cepl-Kaufmann; Grande: 2010, S. 202. Berner: 2013, S. 94.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
In einem weitgefassten Spannungsbogen ist die Auferweckung des Lazarus Ursache für den Todesbeschluss gegen Jesus (11,47ff), der zur Kreuzigung Jesu führt.62 »In der Kreuzigung aber wird er zum Vater erhöht (3,14;8,28;12,32-34) und damit erfährt er die Endgültigkeit seiner Verherrlichung. Dies wird in Joh 11,4 angedeutet.«63 Eindrucksvoll wird die Auferweckung eines seit vier Tagen toten und verwesten Körpers und dessen Heilung in der Lazarus-Geschichte (Joh 11-12) ersichtlich. Hier wird dialektisch über den Tod gesprochen und die Ursehnsucht des Menschen nach bleibendem Leben intensiv thematisiert.64
6.2
Die Wiedererweckung des Lazarus und die Konfrontation mit der Todesfurcht
Die Auferweckung von den Toten ist das letzte der sieben ›Zeichen‹ Jesu, wie die sieben exemplarisch ausgewählten Wundererzählungen des Johannesevangeliums genannt werden (siehe Joh 20,30).65 »Die Perikope findet sich gegen Ende des ersten Hauptteils des Evangeliums (Joh 2,1-12,50: Die Offenbarung Jesu vor der Welt). Zugleich leitet sie bereits in die Passion über, indem sie unmittelbar in den Tötungsbeschluss des Hohen Rates mündet (11,47-57).«66 Die in Bethanien lebenden Schwestern des kranken Lazarus, Martha und Maria, rufen mit der Intention der Heilung ihres Bruders hilfesuchend nach dem gemeinsamen Freund Jesus,67 welcher erst zwei Tage (V.11) nach dem Zutragen der Bitte und dem Wissen um den eingetroffenen Tod des Lazerus nach Bethanien aufbricht.68 »Da Jesus dem Lazarus die Hilfe verweigert, wird Lazarus sterben, und gerade angesichts des toten Lazarus wird Jesus seine Herrlichkeit zeigen, an der auch Lazarus teilhaben soll.«69 »Sein Tod wird in V.14 herausgestellt und dem Leser ist bewusst, dass dieser eintraf, weil Jesus nicht rechtzeitig zu ihm ging, um ihn von der Krankheit zu heilen.«70
62 63 64 65 66 67 68 69 70
Vgl. Dietzfelbinger, Christian: Das Evangelium nach Johannes. Teilband 1: Johannes 1-12. Zürich. 2001. S. 341. Ebd. Vgl. Gnilka, Joachim: Johannesevangelium. 2., unveränd. Aufl. Würzburg, 1985. S. 90f. Ebd. S. 90f. Strube, Sonja: Lazerus. In: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), 2013. Aufgerufen am 12.07.2018. Anm.: Das setzt voraus, dass sie Jesus als Wundertäter kennen. Siehe: Dietzfelbinger: 2011, S. 340. Anm.: Es wurde davon ausgegangen, dass der Mensch erst nach drei Tagen endgültig verstirbt. Dietzfelbinger: 2001, S. 341. Ebd. S. 343.
6. Theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies
Aus der erhofften Heilung wird – nach allen Verzögerungen und drei Dialogen mit den Jüngern, Marta, (welche Jesus als Messias erkennt) und Maria als retardierenden Elementen – schließlich eine Totenerweckung.71 »Thematisch geht es um die Auferstehung. Formal steht im Zentrum der Perikope nicht das Wunder, sondern das theologische Gespräch zwischen Jesus und Marta über die Auferstehung der Toten. Es gipfelt in der Zusage Jesu »Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt; und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben«. Martha antwortet mit einem Bekenntnis ihres Glaubens: »Ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll« (vgl. Joh 11,27 mit Joh 20,31).«72 Martha äußert weiter Bedenken und weist Jesus auf die olfaktorischen Folgeerscheinungen des Leichnams hin, womit sie auf den endgültigen Tod des Lazarus Bezug nimmt und damit nicht ihre Glaubenshaltung schmälert, sondern auf die Größe des Wunders verweist.73 Jesus allerdings weist sie zurecht, vertraut in Gottes Versicherung auf die Fähigkeit, Wunder zu tun, und erweckt den toten Lazarus zum Leben, der sogleich lebendig, in ein Leichentuch gehüllt, sein Grab verlässt.74 Die Schlussszene artikuliert die damals verbreitete Hoffnung, dass Gott die Toten aus ihren Gräbern rufen wird (Joh 11,24; Ez 37,1-14), exemplarisch an Lazarus ab. Ebenso setzt Joh 11,39-44 ins Bild, was der johanneische Jesus (in Joh 5,19-30) theologisch darlegt.75 Die religiöse Botschaft lautet dann: Mit Jesus haben sich die endzeitlichen Hoffnungen erfüllt, hat die Totenerweckung der Endzeit, hat die Auferstehung schon begonnen (vgl. ähnlich Mt 27,52f).76 Die Frage nach der Todesfurcht bzw. die Ambivalenz zwischen dem Gebot des Sterbenmüssens und dem Verbot, das Sterben zu fürchten, wird mit dieser Geschichte durch die Hoffnung auf Gott und wie dieser sich in Jesus Christus offenbart hat, beantwortet.77 Zugleich wird die Todesfurcht mit der Zeit überwunden: »Die Rückversetzung in einen unverletzten, unberührten Zustand ist gleichbedeutend mit der Aufhebung der Kategorie Zeit, denn es ist die Zeit, verstanden als Krankheit des Lebens, die diese Wunden an ihm vollbracht hat. Lazarus ist die in
71 72 73 74 75 76 77
Vgl. Strube: 2013. Ebd. Vgl. Gnilka, Joachim: Johannesevangelium. 2., unveränd. Aufl. Würzburg: Echter-Verlag, 1985. S. 93. Vgl. Cepl-Kaufmann; Grande: 2010, S. 202. Vgl. Wengst, Klaus: Das Johannesevangelium, ThKNT Bd.1-2, Stuttgart; Berlin; Köln, 2001. S. 27. Strube: 2013. Vgl. Gnilka: 1985, S. 93-94.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
die Gegenwart zurückgeholte Leiche, die immerwährend von der Zeitlosigkeit des Heils Zeugnis ablegt durch den Mythos, durch die Schrift.«78 Das ist möglich, weil Christus als der Spender des eigentlichen Lebens gesehen werden soll und sich nur in ihm die Sehnsucht nach ewigem Leben erfüllen kann, weshalb es dem Johannesevangelium gelingt, mithilfe des in der Lazarusgeschichte dargebotenen präsent-eschatologischen Konzeptes den Glauben an eine Auferstehung der Toten (der als solcher noch nicht christlich ist) christologisch zu interpretieren.79 Obwohl die Lazarus-Perikope eine Erweckungsgeschichte ist, kann sie nur als Symbol für die eigentliche christliche Auferstehungsbotschaft genommen werden.80 In der Totenerweckung soll die zum Leben befreiende Macht Gottes als Symbol anschaulich werden, da das Leben des Christus mehr ist als das Leben, in das Lazarus zurückkehren wird:81 »Zwar lassen Jesus und später die Apostel Tote auferstehen, aber ein solches Wunder ist nicht mit der Rückkehr eines Verstorbenen gleichzusetzen. Mehrere Textabschnitte der Evangelien können als ausdrückliche Zurückweisung des Geisterglaubens gedeutet werden.«82 Strube verweist darauf, dass den heutigen Lesern die Lazarus-Geschichte häufig Probleme bereitet, denn sie kollidiert noch stärker als andere biblische Wundererzählungen mit ihren Lebenserfahrungen und naturwissenschaftlich geprägten Weltbildern.83 Die detaillierten Schilderungen verleiten leicht dazu, die Perikope für einen Bericht zu halten – oder vielmehr: für einen Text mit dem Anspruch eines exakten historischen Berichts,84 weshalb vielmehr aus säkularer Perspektive auf den wandelnden Toten ein Augenmerk gelegt wird als auf die hier geschilderte Botschaft der Überwindung des Todes durch Jesus Christus.85 In diesem Zusammenhang soll als nächstes das Fronleichnamsfest vor dem Hintergrund der Analogie zur Leichenschau theologisch reflektiert werden.
78 79 80 81 82 83 84 85
Cepl-Kaufmann; Grande: 2010, .S. 202-203. Vgl. Gnilka: 1985, S. 90. Vgl. Ebd S. 93. Vgl. Ebd. Tuczay: 2015, S. 140-141. Vgl. Strube: 2013. Ebd. Anm.: Pervertiert wird die Lazarus-Geschichte in dem ca. 15-minütigen Kurzfilm »Fist of Jesus«. In diesem erweckt Jesus Lazarus wieder zum leben, welcher sich jedoch als Zombie entpuppt und die umstehenden Personen attackiert. Im Verlauf des Films bekämpft Jesus zusammen mit Judas in einer Splatter-Orgie mit Fischen bewaffnet u.a. römische Besatzer, die zu Zombies geworden sind. Siehe: Fist of Jesus. R.: Adrián Cardona; David Muñoz. Spanien, 2012.
6. Theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies
6.3
Fronleichnam als Leichenschau Geheimnisvoll in Brot und Wein gibt er sich hin mit Fleisch und Blut und stärkt durch seiner Gottheit Kraft den ganzen Menschen, Leib und Geist. Als Mensch will er uns Bruder sein, im Mahle wird er unser Brot, im Tode unser Opferlamm, im Himmel unser Siegespreis.86
Festzuhalten ist, dass das Alte wie Neue Testament dem Körper einen zentralen Stellenwert zuordnete, indem sein Liebespostulat auf der Lehre von der Verwandlung des Leichnams, seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt basiert und nur in dieser Verwandlung die Kraft der Heilslehre verbreiten konnte.87 Dadurch besteht eine zugrundeliegend fundamentale Opposition gegenüber Horrorgeschichten (vor allem solcher mit Fokus auf den Körperhorror), trotz der gemeinsamen Thematisierung der Verwandlung eines toten Körpers. Während der Horror das Abjekte in Folge einer säkularen Todeswahrnehmung stimuliert, symbolisiert die christliche Leichenschau im Rahmen des Fronleichnamfestes die Heilsgeschichte Jesu. Christus selbst deutete im Abendmahl die Verwandlung des toten Leibes und wird sich den Emmaus-Jüngern mit dieser Wandlung in Erinnerung bringen, in der Eucharistie ist sie Kern jedes Gottesdienstes.88 Hier ist dasjenige, was wie Brot aussieht, der Leib Christi, weil sich im Aussprechen der Wandlungsworte die Substanz Brot in die Substanz des Leibes Christi verwandelt hat, während die Akzidenzien diejenigen des Brotes bleiben (siehe Kap. 6.4).89 Diese Transsubstantiationslehre (= Wesensverwandlung, Substanzverwandlung. Siehe dazu vertiefend Kap. 6.5) vertritt die römische Kirche offiziell seit dem IV. Laterankonzil 1215; das bedeutet zugleich, dass die Elemente auch außerhalb des Vollzugs der Eucharistie (extra usum) Ort der Realpräsenz Christi bleiben und als solche Gegenstände ehrfurchtsvoll im Tabernakel aufbewahrt und zum Beispiel in der Fronleichnamspro-
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87 88 89
Auszug aus: Aquin, Thomas von: Verbum supernum prodiens e Patris. Brevierhymnus aus dem 7. oder 8. Jahrhundert der Metten des römischen und monastischen Ritus im Advent, mindestens seit dem 10. Jahrhundert so verwendet. Deutsche Übersetzung aus: Stundenbuch 1978-1980. Vgl. Cepl-Kaufmann; Grande: 2010, S. 197. Vgl. Ebd. Vgl. Slenczka, Notger: In ipsa fide Christus adest – »Im Glauben selbst ist Christus da« (Luther) als Grundlage einer evangelischen Lehre vom Abendmahl und von der Realpräsenz Christi. In: Löhr Hermut (Hg.): Abendmahl. Tübingen, 2012. S. 137-189. Hier S. 176.
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zession zur Anbetung ausgesetzt und verehrt werden.90 Deshalb wird das christliche Fronleichnamsfest unter Jugendlichen gelegentlich als ›Happy Cadaver‹ verballhornt,91 womit ferner, obgleich jeglicher realitätskohärenter (etymologischer) Gehalte beraubt, dilettantisch auf eine katholische Form der Leichenschau hingewiesen wird.92 Fronleichnam ist ein Fest der eucharistischen Verehrung, weshalb im ursprünglichen Sinn kein toter Körper verehrt wird, sondern die Hostie als der ›Leib des Herren‹ in eucharistischer Verstehensweise. Mit Blick auf den Zombie als Allegorie der Säkularisierung ist diese Sinnentstellung allerdings nicht ganz von der Hand zu weisen, da der mittelhochdeutsche Begriff für Hostie bzw. dem Herrenleib fronlîcham bzw. vrône lîcham, also ›des Herren Leib‹, in einer säkularen Gesellschaft weniger bekannt sein dürfte als ein ›fröhlichen Kadaver‹, den die Katholiken einmal im Jahr rituell, sakral und spirituell zelebrieren und damit leichte Assoziationen zum ›corpse cadavre‹ (Siehe Kap. 3.8) entstehen.93 »Mit Fronleichnam wird der tote Körper nur vorübergehend in die Welt getragen, um wieder zurückzukehren in ein anderes, dem öffentlichen Raum entzogenes Leichenhaus, der Tabernakel, einem Archiv physischer Existenz. Es ist der Ort, den nur Eingeweihte betreten dürften, ein Pendant zu der in der Abstraktion der Oblate gezeigten Leiche.«94 Das ins Ritual überführte Denkbild ›Fronleichnam‹ erweist sich also, »seiner Überhöhung entkleidet, als spezifischer Umgang mit einer Leiche und zeigt eine besondere Möglichkeit ihrer Instrumentalisierung«,95 so Cepl-Kaufmann und Grande. Der Ursprung des Fronleichnamfestes geht auf die Hl. Juliane von Lüttich zurück (vermutlich 1192 bis 1258), einer eucharistiefrommen in Mont-Cornillon lebenden Augustinerinklosterfrau,96 welche im Jahre 1209 eine Privatoffenbarung empfing, die sie als Hinweis Christi deutete. In dieser sah sie einen Lücken aufweisenden 90 91 92
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Vgl. Ebd. Vgl. Fuchs, Guido: Fronleichnam. Ein Fest in Bewegung. Regensburg, 2006. S. 13. Anm.: Happy Cadavar ist lediglich die reine (falsche: frohen als fröhlich) Übersetzung, der Zeit entsprechend Anglisierung des Wortes. Verballhornt eingesetzt lediglich von der akademischen Jugend der 1960er Jahre. Anm.: Generell scheint das Fest Fronleichnam in einer säkularen Gesellschaft auf allen kirchlichen Ebenen eines folkloristischen Spektakels anzumuten und die eigentliche Bedeutung, die Anbetung des Allerheiligsten, an Gehalt einzubüßen. Weiterhin wissen nicht alle Prozessionsteilnehmer um die Bedeutung dieses Hochfests. Siehe: Büning, Markus: Feiern wir den eucharistischen Herrn! – Hl. Juliana von Lüttich. URL: http://markus-buening.de/wp-content /uploads/2018/03/Hl-Juliana-von-L %C3 %BCttich.pdf. Aufgerufen am 15.08.2018. Cepl-Kaufmann; Grande: 2010, S. 196-197. Ebd. S. 196. Anm.: Im Jahr 1222 wurde Juliane von Lüttich Priorin, 1230 Oberin des Konvents Mont Cornillon, wo sie jedoch mehrfach aufgrund einer zunehmenden Strenge 1248 das Amt der Oberin
6. Theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies
Vollmond, der nach den Überlieferungen schwarze Flecken, dunkle Risse oder einen dunklen Balken aufwies, welche dem Mond seine szintillierende Eigenschaft raubte. Der Mond stand dabei für das Kirchenjahr, welchem es – so die Interpretation des Risses im Mond – eines eigenen Festes zu Ehren des heiligsten Altarsakramentes im Zyklus des kirchlichen Festkalenders fehlte. Zwanzig Jahre lang hütete die Hl. Juliane betend diese Vision/Offenbarung Christi nach gescheiterten Gesprächen mit Freunden und großem Widerstand seitens ihres Konvents, bis sie es dem Archidiakon Jakob von Lüttich, dem späteren Papst Urban IV., anvertraute. Robert von Thorote, der Bischof von Lüttich, galt als ihr größter Befürworter und führte im Jahr 1246 das Fronleichnamsfest auf der Ebene der Ortskirche ein. Am 11. August 1264 wurde das Fest durch Papst Urban IV. in der Bulle Transiturus de hoc mundo (DH 846f.) für die Universalkirche eingeführt. Im Fronleichnamsfest wird Jesu toter, verwandelter Körper symbolisch durch die Monstranz in Analogie einer fortgesetzten Elevation inszeniert und in der Eucharistie wird der für den Menschen in den Tod gegebenen Leib Christi (Lk 22,19) empfangen.97 »Denn das Wesen des Opfers Christi am Kreuz ist die Selbstgabe des Lebens und im Zentrum der Liturgie steht die Anamnese von Jesu Tod und Auferstehung.«98 Deshalb sei hier die Beschreibung der Konsekration des Brotes und des Weines aus dem Handbuch der Dogmatik dargelegt: »Das Essen und Trinken bleibt nicht bloßes Essen und Trinken, sondern wird zum Mahl des Herrn, Brot und Wein bleiben nicht bloße Nahrungsmittel, sondern werden zu Realsymbolen seiner Gegenwart und seiner Hingabe, zu Leib und Blut Christi, damit die Versammelten zu einem Leib werden, an seiner Hingabe teilhaben.«99 Wird diese Definition vor dem Hintergrund der Zombie-Thematik herangezogen, kann hier schnell eine dem Zombie affine Kongruenz ersichtlich werden. Entsprechend formuliert Tan in Analoge zur christlichen Liturgie drei essentielle Aspekte des Zombies anhand der Aussage, dass der Drang des romeroschen Zombies, Fleisch zu konsumieren, die definitorische Eigenschaft seines ewigen Lebens sei.
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niederlegte und fortan ein kursorisches Leben führen musste. 1869 wurde Juliana von Lüttich heiliggesprochen. Vgl. Hoping, Helmut: Christus praesens. Die Gabe der Eucharistie und ihrer Zeitlichkeit. In: Bruckmann, Florian (Hg.): Phänomenologie der Gabe. Neue Zugänge zum Mysterium der Eucharistie. Freiburg, 2015. S. 197-218. Hier S. 215. Ebd. S. 215.; Siehe ebenso: Schneidewind, Friedhelm: Das Lexikon rund ums Blut. Der rote Lebenssaft in Mystik und Mythologie, Magie und Medizin, Religion und Volksglaube, Legende und Literatur. Berlin, 1999. S. 109. HD Bd.2: 2002, S. 297.
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Erstens verleibt sich der Zombie das biologische Leben einer zuvor lebenden Person ein, hat dies aber zweitens nicht nötig, da er auch ohne Nahrungsaufnahme weiterhin ›unsterblich‹ existieren wird. Drittens findet nur insofern eine Verwandlung statt, als dass die Lebenden in Tote transformiert werden.100 Damit schließt Tan: »Seeing the zombie in a liturgical light shows the liturgy of the zombie rampage to be a diametrical opposite of the structure of the Eucharistic liturgy. The key in locating this juxtaposition is the act of breaking and consumption of flesh.«101 Der kannibalistische Charakter der Eucharistie scheint also ein Konsens zwischen dem Zombie-Topos und der Theologie darzustellen. Dieser kann nur optional herausgelesen werden. Das nächste Kapitel widmet sich entsprechend der Frage, ob der Zombie folglich ein Ausdruck einer säkularen Wahrnehmung eucharistischer Riten sein könnte.
6.4
Kannibalismus in der Kirche? Eine säkulare Interpretation der Eucharistie O einzigartige und bewundernswerte Freigebigkeit, da der Schenker zum Geschenk wurde und die Gabe völlig gleich mit dem Geber ist. (DH 847).102
Die Eucharistiefeier ist auf die Wandlung der Gaben von Brot und Wein in Leib und Blut Christi angelegt und hat in der Elevation, dem Erheben der konsekrierten Gaben, ihren Höhepunkt.103 Wird die Gabe nun als völlig identisch mit dem Geber, also Jesus verstanden, dann gibt er dem Menschen sein eigenes Fleisch als Selbstgabe des Lebens zur Speise. Nach dieser Lesart essen die Besucher eines Gottesdienstes buchstäblich das Fleisch und trinken das Blut Jesu, welches in Solches verwandelt wurde.104 So weist Meier vor dem Hintergrund Kor 11,23-26 in seiner Einführung über den Kannibalismus, wohl wissend über die Brisanz dieser Lesart, auf den anthropophagen Charakter der Eucharistie hin: »Letzten Endes ist das christliche Abendmahl nichts anderes als ein ritueller kannibalistischer Akt […]. Das Abendmahl (das katholische deutlicher als das evangelische) ist eine kannibalische Praktik.«105
100 Vgl. Tan: 2016, S. 58. 101 Ebd. 102 Papst Urban IV. (1261-1264) in seiner Konstitution »Transiturus de hoc mundo«, 1. August 1264 zur Erinnerung des Fronleichnamfestes (DH 847). 103 Die Messfeier – Dokumentensammlung. Auswahl für die Praxis [Arbeitshilfen 77]. In: Sekretariat der Deutschen Bischhofskonferenz (Hg.). Bonn, 2003. S. 54. 104 Anm.: Zum kannibalistisch anmutenden Charakter im Zusammenhang mit dem im Horror verorteten Ekeldiskurs siehe: Baumann: 1989, S. 244. 105 Meier, Jan Niklas: Wir und die Anderen. Kannibalismus und Transgression. Essen, 2018. S. 20.
6. Theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies
Zwar wird dem Zombie aufgrund seiner permanenten Nahrungssuche die Praktik des Kannibalismus angehängt, wobei er keine menschlichen Eigenschaften aufweist und ergo nicht bewusst Kannibalismus praktiziert. Abhängig vom äußeren Erscheinungsbild des Zombies und dessen im Film präsentierter Entwicklung vom Mensch zum Untoten kann diesem allerdings Kannibalismus nachgesagt werden.106 Es hängt davon ab, ob er entweder als tumbes verwesendes Monster inszeniert wird oder als (kürzlich) zum Zombie gewordener Mensch, dessen Physis sich noch nicht im Zustand der Verwesung befindet und der zuvor als empathischer Mensch charakterisiert wurde, aber sich trotzdem – seiner kognitiven Fähigkeiten beraubt – an anderen Menschen ernähren will.107 Drogla betont, dass ihm kein Kannibalismus vorgeworfen werden kann, wenn er als eigenständige, lediglich menschenähnliche Art erkannt bzw. inszeniert wird.108 »[…] durch ihre äußere Gestalt Teil der Menschheit – vor allem, wenn Schauspieler sie verkörpern –, durch ihre Vorgeschichte jedoch jenseits von ihr zu veranschlagen, da sie bereits gestorben und nicht mehr verpflichtet sind, sich wie Menschen zu benehmen. So kann man darüber streiten, ob Untote sich überhaupt als Kannibalen qualifizieren, auch wenn sie entsprechende Ängste auslösen. (Dass sie ihre eigentlichen Artgenossen verschonen, macht die Dinge noch komplizierter. (…).«109 Weiterhin äußert Meier, dass eine Verbindung des Zombies zum Kannibalismus gar nicht abwegig erscheint, da der kulturfreie, barbarisch-tabubrechende Menschenfresser außerhalb des Wertesystems stehend all das repräsentiert, was für den Menschen nicht konstituierend ist und somit eine Manifestation des Anderen darstellt.110 Aus dieser Perspektive schließend, scheint eine scholastisch anmutende Lesart der Transsubstantiationslehre gegeben. Wird diese rein oberflächlich betrachtet, ohne das Verständnis Thomas von Aquins heranzuziehen, der die eucharistische Wandlung nicht auf physikalisch-chemische Weise versteht, legt diese Auslegung
106 Anm.: Zur eucharistischen Liturgie und der Abgrenzung zum Zombie siehe vertiefend: Tan: 2016, S. 57-71. 107 Anm.: Meier führt diesen Aspekt anhand Romeros Night of The Living Dead (1968) am Beispiel des Mädchens Karen Cooper (Kyra Schon) auf, die nach der Transformation zum Zombie den Arm ihres Vaters zu essen beginnt. Vgl. Meier: 2017b, S. 51. Juan wählt The Walking Dead als Beispiel. Hier muss Andrea (Laurie Holden) in der ersten Staffel Episode 4 und Episode 5 ihre zur Zombie gewordene Schwester Amy (Emma Bell) nach ihrem natürlichen Tod nochmals töten. Diese frühen Szenen signalisieren eindringlich, dass Zombies einst geliebte Menschen waren, die auch Träume und Ziele hatten. Vgl: Juan: 2015, S. 52. 108 Vgl. Drogla: 2013, S. 79. 109 Brinckmann: 2001, S. 84. 110 Vgl. Meier: 2017b, S. 53.
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der verba testamenti (»Dies ist mein Leib/das Neue Testament in meinem Blut«) in Zusammenhang mit der Realpräsenz einen kannibalistischen Charakter nahe, der das naturwissenschaftliche Verständnis der in der Eucharistie verwendeter Substanz akzentuiert, derer sich in der Kommunion bedient wird. So wird die zentrale ›Substanz‹ des Abendmahls aus dem naturwissenschaftlichen Blickwinkel als physikalisch-chemische Größe (Fleisch) verstanden. Es liegt demnach zunächst ein Problem linguistisch-kognitiver Natur vor. Vor diesem Hintergrund soll die Problematik der Transsubstantiation dargelegt werden, um die kannibalistische Analogie systematisch-reflektiert zu widerrufen: Sprach die Scholastik im Zuge des Streits zwischen leibabwertend-spiritualisierenden und magisch-materialisierenden Deutungen im Anschluss an die aristotelische Metaphysik von einer Substanzverwandlung – eben jene Transsubstantiation – die Verwandlung des Brotes und Weines in Fleisch und Blut Christi – sucht die gegenwärtige Theologie nach neuen Denkkategorien, weil sich Sprachund Denkvoraussetzungen geändert haben.111 So wird beispielsweise der Begriff der Substanz (und damit das Substanzdenken) nicht mehr metaphysisch als Wesensaussage, sondern physisch (Beziehungsdenken bzw. relationale Ontologie) verstanden,112 weshalb schnell eine kannibalistische Lesart im weiten Sinn in die Eucharistiefeier hineingelesen werden kann. Mit Blick auf den dominierenden naturwissenschaftlichen Substanzbegriffs fanden besonders in den 1950er Jahren verschiedene Neuinterpretationen der Lehre von der somatischen Realpräsenz Christi auf der Grundlage phänomenologischer Positionen statt:113 Zur Vermeidung von Missverständnissen, die der Begriff der Transsubstantiation vielfach hervorruft, haben Schoonenberg114 und Schillebeeckx115 vorgeschlagen, von Transsignifikation (Umbezeichnung, Umwidmung) bzw. Transfinalisation (Umwandlung des Zwecks) zu sprechen.116 Papst Paul VI. hat mit der Enzyklika Mysterium fidei von 1965 (DH 4413) für das kirchliche Lehramt deutlich gemacht, dass diese neuen Begriffe nicht grundsätzlich abgelehnt wer-
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Vgl. HD Bd.2: 2002, S. 298. Vgl. Wohlmuth, Josef: Eucharistie als liturgische Feier der Gegenwart Jesu Christi. Realpräsenz und Transsubstantiation im Verständnis katholischer Theologie. In: Söding, Thomas et.al. (Hg.): Eucharistie. Positionen Katholischer Theologie. Regensburg, 2002. S. 87-119. Hier S. 104. Vgl. Hoping: 2015, S. 208. Vgl. Schoonenberg, Piet: De tegenwoordigheid van Christus. In: Verbum 26, 1959. S. 148-157; Ders.: Tegenwoordigheid. In: Verbum 31, 1964. S. 395-415; Ders.: Inwieweit ist die Lehre von der Transsubstantiation historisch bestimmt?. In: Concilium, 1967. S. 305-311. Vgl. Schillebeeckx, Edward: Die eucharistische Gegenwart. Zur Diskussion über die Realpräsenz. Düsseldorf, 1967. S. 71f. Vgl. Hoping: 2015, S. 208.
6. Theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies
den, dass sie aber den Begriff der Transsubstantiation nicht redundant machen, sondern im Gegenteil um diesen ergänzt und vertieft werden müssten.117 Wetter betont diesbezüglich, dass die Substanz sich bei der eucharistischen Wandlung gerade nicht ändert und es durch die neuzeitliche Reeinterpretation des Terminus dazu führen kann, dass Menschen die gemeinte Aussage missverstehen.118 Es geht also, so Hoping zusammenfassend, um eine Sublimierung (weit jenseits jeglicher physikalisch-chemischer Eingriffe), der vorhandenen, bedeutungsgeladenen Nahrungsmittel Brot und Wein, die in der Eucharistiefeier durch das eucharistische Gebet geheiligt werden (significatio) und damit eine neue Sinn- bzw. Zweckbestimmung (finis) erhalten, womit Brot und Wein in einer neuen Wirklichkeit zu verstehen sein sollen.119 Mit den Worten des französischen Phänomenologen Marion ist es Jesus Christus selbst, der – um den Mahlelementen eine andere Bedeutung zu geben – mit seiner Liebe bezahlt hat und nach den Zeugnissen der Schrift die physikalisch-chemische Realität selbst als ›Meister der Bedeutungen‹ deutet, weshalb sich alles an der Frage entscheidet, wer da spricht.120 Die scholastische Beschreibung meinte bereits mit der Transsubstantiation einen Bedeutungswandel (Transsignifikation) und keine Transformation vorhandener Materie. Diese ist aufgrund des genannten neuzeitlichen Verstehenshorizonts der eucharistischen Wandlung vom Wandel des Beziehungsgefüges her zu interpretieren, weil die Dogmatik in eine relationale Ontologie hinübergeführt wird. Somit geht es bei der Vergegenwärtigung Christi, die durch die Wandlung geschieht, nicht um ein naturales, bloßes Vorhandensein, nicht um räumliche Anwesenheit eines menschlichen Leibes, sondern vielmehr um die im Symbol ausgedrückte personale Zuwendung.121 Die Realpräsenz wird dabei der ›Aktualpräsenz‹ – der Gegenwart Christi bzw. seines Kreuzestodes im Vollzug der glaubenden Gemeinde bzw. der Kirche eingeordnet: Im Sinne Schillebeeckx’ vermittelt Christus in der
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Vgl. Oster, Stefan: Person und Transsubstantiation. Mensch-Sein, Kirche-Sein und Eucharistie – eine ontologische Zusammenschau. Freiburg, 2010. S. 14. 118 Vgl. Wetter, Friedrich: Die eucharistische Gegenwart des Herrn. In: Volk, Hermann; Wetter, Friedrich (Hg.): Geheimnis des Glaubens. Gegenwart des Herrn und eucharistische Frömmigkeit. Mainz, 1968. S. 9-35. Hier: S. 18. 119 Anm.: »Nach Vollzug der Wesensverwandlung nehmen die Gestalten von Brot und Wein zweifellos eine neue Bedeutung und einen neuen Zweck an; denn die sind nicht mehr gewöhnliches Brot und gewöhnlicher Trank, sondern Zeichen für eine heilige Sache und Zeichen für eine geistige Speise; sie nehmen aber deshalb eine neue Bedeutung und einen neuen Zweck an, weil sie eine neue ›Wirklichkeit‹ erhalten, die wir zu Recht ontologisch nennen.« In : Paul VI. : Enzyklika »Mysterium fidei« (DH 4413). 3. September 1965. 120 Vgl. Marion, Jean-Luc : Étant donné. Essai dune phénoménologie de ladonation. Paris, 1997.; Ders. : Réaliser la présence réelle. In : La Maison-Dieu 225. 2001. S. 19-28. 121 Vgl. Fuchs: 2006. S. 75.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Kirche durch die Medien Brot und Wein als Anteil gebendes Handeln, dem Glaubenden bzw. der Kirche seine Gegenwart, in dem Sinne, dass sich die Funktion bzw. der Sinn von Brot und Wein wandelt (vom Nahrungsmittel zum Medium der Selbstgabe Christi).122 Zusammenfassend ist die Transsubstantiation freilich kein kannibalistischer Akt, der durch eine profan-säkularisierte Lesart provoziert werden kann, sondern »ein Sinnwandel (Transsignifikation und Transfinalisation), der sich mit Brot und Wein vollzieht. Dieser Sinnwandel ist – recht verstanden – ein Substanzwandel.«123 Weiter soll eine theologische Darlegung bezüglich der Differenz zwischen Eucharistie und Inkarnation des Logos im Fleisch dargelegt werden.
6.5
Leiblichkeit und Eucharistie
In einem profanen und provokativen Sinn wird die Auferstehung Jesu nicht selten mit dem Zombie in Verbindung gebracht.124 Bruckmann stellt den theologischen Unterschied zwischen Leib und Körper und dessen Bedeutung für die EucharistieTheologie hinsichtlich der scheinbaren Differenz zwischen Eucharistie und Inkarnation des Logos im Fleisch heraus: Der Körper beschreibt die materielle Seite,125 während der Leib einen beseelten Körper umfasst,126 sodass zwischen Leib und Seele unterschieden wird, ohne dass diese beiden getrennt werden können, während der Terminus ›Körper‹ im Deutschen dem Begriff des ›Geistes‹ entgegengesetzt wird. Mit dieser sprachlichen Differenzierung wird die diametrale Gegenüberstellung zwischen der antignostischen und antidualistischen johanneischen
122 Vgl. Schillebeeckx: 1967. 123 Ebd. S. 177. 124 Anm.: Aufsehen erregte eine 2015 in Ohio ausgestellte weihnachtliche Krippenszene, in welcher das bekannte Figurentableau zu Zombies transformiert wurde. Besonders die Inszenierung des Baby-Jesus als grünlich kolorierten Zombie mit gelben Augen und spitzen Zähnen empörte lokale religiöse Gruppierungen, welche einen Brief u.a. mit dem Vermerk »Jesus has supreme power over death and evil; he is not a zombie« an der Figur hinterließen. Siehe: Rogers, Katie: Zombie-Themed Nativity Scene Causes a Stir in Ohio. Washington Post. 07. Dezember 2015. URL: https://www.nytimes.com/2015/12/08/us/zombie-nativity-scene-cin cinnati. html. Aufgerufen am 24.11.2018. Explizit hat sich Tan mit der Eucharistie in seinem Buch Redeeming Flesh: the way of the cross with zombie Jesus theologisch mit Bezug zur ZombieThematik auseinandergesetzt. Siehe: Tan: 2016, S. 47-95. 125 Anm.: Darauf verweist bereits die etymologische Abstammung. Das deutsche Wort Körper ist aus dem lateinischen corpus abgeleitet. Dieser bezeichnet primär den materiellen Gegenstand etwa der Anatomie und Physiologie. Vgl. Fuchs: 2013, S. 82. 126 Anm.: Der Begriff Leib entstammt dem mitteldeutschen »lip«, für Leib und Leben.
6. Theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies
Rede (johanneischer Fleisch-Realismus) und der bei Paulus und den Synoptikern überlieferten Abendmahlworte (synoptisch-paulinische Ganzhingabe) deutlich:127 Die johanneische Rede beschreibt, dass der göttliche Logos Fleisch wurde (Joh 1,14) und das himmlische Brot ebenso als Fleisch bezeichnet und zum Essen gereicht wird (Joh 6,51), womit ein deutlicher Hinweis auf die Fleischwerdung des göttlichen Logos, der Brot als lebensspendendes Fleisch zu essen gibt, gegeben wird.128 »Bei Paulus und den Synoptikern findet sich in den Abendmahlworten der Hinweis, dass Jesus nicht sein Fleisch oder gar etwas von seinem Fleisch zu essen gibt, sondern seinen Leib und damit sich selbst.«129 Auf dieser Grundlage zitiert Bruckmann Merleau-Ponty, der den Körper als gewisse Schnittmenge zwischen Fleisch und Leib fasst. Je nach Diskurskontext bezeichnet der Körper eher die physiologisch-materielle Grundlage oder in Hinblick auf das Körperschema die leibliche Unversehrtheit einer Person, die mittels ihres Leibes die eigene Welt begreift.130 Dies ist zusammenhängend mit dem christlichen Gedanken der Inkarnation des göttlichen Logos insofern relevant, als dass der Leib nach Bruckmann »das entscheidende Ausdrucksmedium des Menschen ist, sodass die Bedeutungshaftigkeit menschlichen Seins nicht auf seiner Sprachfähigkeit beruht, sondern auf seiner materiebasierten Leibhaftigkeit.«131 Bruckmann subsumiert entsprechend Merleau-Pontys Deutungsebene auf den Prolog des Johannes-Evangelisten, der entgegen dualistischer Vorstellungen die reale Körperwerdung des Logos betont: »Dieser wird wirklich Körper und umkleidet sich nicht mit einem ihm äußerlichen Fleisch, weil dieser Gedanke der Äußerlichkeit des Fleisches auf einer einseitigen Interpretation des Subjekt-Objekt-Gegensatzes und der Geistigkeit der Seele bei Descartes innerhalb der Moderne aufruht.«132 Deshalb hat es den Anschein, als ob beim Abendmahl das Fleisch Jesu gegessen würde. Um dieser »folgeschweren Verletzung« zu entgehen, verweist Bruckmann auf die Einsetzungsworte, »dass Jesus seinen Jüngern nicht sein Fleisch, nicht seine σάρζ (sarx) reicht, sondern seinen σώμα (soma), seinen Leib […] (Mk 14,22, Mt 26,26; Lk 22,19; vgl.
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Vgl. Bruckmann, Florian: Gabe des Leibes. In: Ders. (Hg.): Phänomenologie der Gabe. Neue Zugänge zum Mysterium der Eucharistie. Freiburg, 2015. S. 141-142. 128 Vgl. Ebd. 129 Ebd. S. 142. 130 Vgl. Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Übersetzt und eingeführt durch eine Vorrede v. R Boehm (Phänomenologische-psychologische Forschungen 7). Berlin, 1966. 131 Bruckmann: 2015, S. 144. 132 Ebd. S. 47-74.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Kor 11,24). Weil Jesus Brot in die Hand nimmt, wird unmittelbar deutlich, dass er den Jüngern keinesfalls sein Fleisch zu essen gibt: Er gibt ihnen nicht seine Hand zum Essen, sondern das Brot in der Hand.«133 Noch in der neuscholastischen Theologie war ein physikalisches Leibverständnis Usus. »Dann wäre die Auferweckung des Leibes die Rekonstruktion des Körpers, der beim Tod zu zerfallen begann.«134 Im Kontrast zu diesem Denkmodell wird heute von einem personalen Leib-Verständnis ausgegangen. Nach diesem gehört zum Menschen als geschichtliches Wesen die (leibhaftige) Kommunikation mit anderen. Die Auferweckung bedeutet in diesem Sinne, dass der ganze Mensch mit seiner ganzen Lebensgeschichte und all seinen Beziehungen zu den anderen eine Zukunft hat.135 Ein zentraler lokaler Anhaltspunkt für diesen Rahmen ist das leere Grab Christi: »Wird dies [das leere Grab. Anm. des Autors] als Offenbarung Gottes und die anschließende Auferstehung Jesu vom Tod als Versöhnung des Menschen mit der Ursünde in der christlichen Heilslehre kanonisiert, überspielt die Lehre von einem neuen ›dreifaltigen‹ Gott der Gnade und des Erbarmens den materialen Gräuel einer leiblichen Wiederkunft eines Toten als Untoten.«136 Ziener stellt anhand der emblematisch festgehaltenen Ereignisse in den neutestamentlichen Schriften fest, dass das Motiv der Auferstehung von den Toten und das leere Grab (im Kontrast zu den Erblinien und Stammbäumen des Alten Testaments) zentral für die Apostel und die Ecclesia sind: »[…] beginnend mit dem Schock der Frauen beim Anblick des geöffneten und leeren Grabes (Mk 15,42), in der Begegnung Jesu mit zwei seiner Jünger auf dem Weg nach Emmaus (Lk 24,13-29), durch seinen Eintritt in das Haus der sich versteckenden Apostel, die er zum Glauben an die Auferstehung bekehrt, indem er sich anfassen lässt und damit die Überwindung des Todes und des alten jüdischen Gottes bezeugt (Lk 24,36-49), in der Begegnung mit Maria Magdalena und dem geöffneten Grab, die ihn jedoch nicht berühren darf (Noli me tangere, Joh 20,11-18), und in der Wiederholung am 40. Tag nach Ostern (Apg. 1,1-11), die im Kirchenjahr an Christi Himmelfahrt gefeiert wird.«137 Damit wird die Idee von rast- und ruhelosen Toten, die im Sinne des Volksglaubens nach Rache oder anderen Lebenden lechzen, oder die Vorstellung eines Zombies durch das Neue Testament umgekehrt, weil die Wiederauferstehung Christi 133 134 135 136 137
Ebd. S. 144. Nocke, Franz-Josef: Eschatologie. Düsseldorf, 1999. S. 121. Vgl. Ebd. S. 122. Ziener: 2013, S. 373. Ebd.
6. Theologische Reflexion der Eigenschaften des Zombies
im Osterereignis eine Traditionslinie vervollkommnet, die von der Urszene im alttestamentarischen Paradies bis zum Jüngsten Gericht verläuft und im Sinne der Versöhnung zu ihrem Abschluss kommt.138 Das Kapitel konnte also zeigen, dass eine staurologisch zentrierte Betrachtung einen alternativen Weg zu der negativen Wahrnehmung des Todes (siehe Kap. 5) bietet. Darüber hinaus wurden etwaige Affinitäten christlicher Riten zum ZombieTopos durch eine theologische Reflexion widerlegt. Somit steht der Zombie als profane Allegorie der Säkularisierung dem christlichen Auferstehungsgedanken diametral gegenüber. Nach diesen theologischen Reflexionen soll eine Hinführung zur theologischen Filmanalyse des The Walking Dead-Universums erfolgen.
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Vgl. Ziener: 2013, S. 373.
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7. Hinführung zur Filmanalyse
Zunächst ist eine unvoreingenommene Einstellung gegenüber des Films sowie die Immersion bei der Rezeption von phantastischen Erzählungen sinnvoll. Hilfreich dabei ist die willentliche Auseinandersetzung mit der Ungläubigkeit (engl. Willing suspension of disbelief ).1 Dabei sind Beziehungen zur realen Welt nicht Bestand der Handlung, weshalb im Rahmen des Konsums von Filmen keine kritische Reflexion bezüglich christlicher Kompensationsparadigmen in der Realität erforderlich wäre. Weiterhin geht der Rezipient beim Konsum phantastischer Geschichten auf einen unausgesprochenen ›allotopischen‹ Vertrag ein. Die Allotopie akzeptiert eine alternative Welt mit irrealen Figuren als reales Faktum (siehe Kap. 4.5).2 Die Konsumenten dulden demgemäß für die Zeit der Rezeption phantastische Elemente, weshalb die Umwandlung christlicher Topoi in Horror-Manier als Fiktion mit Unterhaltungsanspruch verstanden werden kann. Die Rezeption eines Films ist immer reflexiv, und der Zuschauer weiß um die Fiktion. »Die Reflexivität erlaubt dem Menschen, medial inszenierte Themen zu seinen eigenen individuellen Einstellungen und moralischen Haltungen in Beziehung setzten zu können«,3 beschreibt Bohrmann im ersten Band des Handbuchs für Theologie und populären Film, ohne diesen Aspekt konkret auf die Subsumtion des Gezeigten mit der religiösen Gedankenwelt der Zuschauer in Beziehung zu setzen. Allgemein beschreibt er, dass der Rezipient stets in der Lage sei, »sich gleichsam reflexiv zu verhalten, gesehene Inhalte bzw. erfahrene Gefühle zu problematisieren und sich von Themen und Medienerlebnissen – wenn nötig – zu di-
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Anm.: »Die 1817 von Samuel Taylor Coleridge (1772-1834) formulierte Theorie der willentlichen Auseinandersetzung der Ungläubigkeit bezieht sich auf die Bereitschaft eines Lesers oder Zuschauers, die Vorgaben eines Romans oder Theaterstücks vorübergehend zu akzeptieren, und zwar auch dann, wenn diese fantastisch oder sogar unmöglich sind. Der Rezipient schließt im Fall der willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit eine unausgesprochene Vereinbarung mit einem Werk der Fiktion. Er ist bereit, sich auf eine Illusion einzulassen, um im Gegenzug gut unterhalten zu werden.« In: Schmidt, David Nikolas: Zwischen Simulation und Narration. Theorie des Fantasy-Rollenspiels. Frankfurt a.M., 2011. S. 85-86. Vgl. Mauritz: 2007, S. 134. Bohrmann: 2007, S. 38.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
stanzieren.«4 Doch Kirche und Horrorfilmgenre kämpfen mit den jeweils ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln um die Gunst des Rezipienten. Dieser argumentative Schlagabtausch muss notwendiger Weise von den jeweiligen Instanzen ausgeführt gezielt im Subjekt stattfinden und dort für die jeweilige Instanz entschieden werden. Wobei bei der Abnahme von Filmen aufgrund der unterhaltungsspezifischen Vorzüge und der Immersion das Horrorfilmgenre zumindest temporär einen Vorschub durch die effektvollen visuell-ästhetischen Mittel des Films aufzeigt. Der Spielfilm im Allgemeinen stimuliert in Form seiner Filmsprache und spricht durch die ihm zur Verfügung stehenden technischen und ästhetischen Mittel die menschlichen Emotionen an. Je glaubwürdiger die Charaktere und die Handlung des Films sind, umso mehr bietet sich Identifikationsspielraum für den Rezipienten, wodurch dieser dieses Medium bisweilen favorisieren könnte. Dadurch gerät die Kirche zumindest zeitweilig ins Hintertreffen, da der Rezipient während des laufenden Films nur über bestenfalls eingeschränkte realitätsbezogene Integrität zu Analysezwecken verfügt. Es handelt sich hier also um eine (latente, nicht immer offensichtliche) pessimistische Korrelation zwischen Horrorfilm und christlichem Glauben. Doch wird dieses vom Christentum beschworene Äquivalent auf einer Metaebene, vornehmlich filmisch und seriell, wiederum durch das Horrorgenre konterkariert. Besonders ersichtlich wird diese rege Analogie in den 1970er Jahren, in denen sich neue Hexen- und Teufelsfilme als Subgenre im Kontext christlicher Kulturen bildeten. Das Böse wurde hier dämonisch gefasst und der Satan trat bewusst als Antipode Gottes auf.5 Gemäß Faulstich sind Hexen in diesen Filmen »vom Teufel Besessene, die ebenso exorziert werden müssen wie die irdischen Außenstellen der Hölle.«6 Insgesamt kristallisierten sich vier substanzielle Subgenres des Horrorfilms heraus, die konkreten Bezug zur christlichen Kirche nehmen: erstens Filme, die den Satanskult thematisieren, zweitens Besessenheits-, Dämonen- und Exorzismusfilme, drittens der Antichrist im Film, viertens Geisterhäuser, die im Mittelpunkt der Filme stehen. Auch Filme über Voodoo, Sekten und Satanisten reihen sich in dieses antichristliche Konglomerat ein.7 Diese Palette an Horrorfilmen mit religiösen Emblemen sollte gemäß der Dramaturgie den Zuschauer psychisch von seinen sündigen Gedanken reinigen und diesen damit von dunklen Fantasien erlösen.8 Die kathartische Funktion des Horrors ist dabei keine Erfindung der Popkultur. Schon Antonin Artauds ›Theater der Grausamkeit‹ (frz. théâtre de la cruauté) bestand nicht nur in der Aufführung »eines möglichst blutrüns-
4 5 6 7 8
Ebd. S. 39. Vgl. Faulstich, Werner: Filmgeschichte. Paderborn, 2005. S. 203. Ebd. Vgl. Ebd. S. 203-204. Vgl. Ebd. S. 204.
7. Hinführung zur Filmanalyse
tigen Spektakels, sondern im Zwang zu einer intellektuell-metaphysischen Konfrontation des Betrachters mit seinen eigenen Obsessionen.«9 Entsprechend fungierten diese Filme als kollektive Entlastungsmechanismen latenter Schuldgefühle, weit jenseits kirchlicher oder spiritueller Hilfe. Diese nicht mehr wegzudenkenden Horror-Subgenres resultieren aus der Erfahrung mit der gesellschaftlichen Veränderung durch die Antibabypille, dem Aufstand der Jugend gegen die Generation der Älteren sowie den Kriegen und dem Wettrüsten der Weltmächte.10 Das Horrorgenre machte sich hier religiöse Topoi zu eigen und selektierte lediglich das Piktoral-Schreckliche aus der christlichen bzw. biblischen Dimension. Die antichristliche Topik wird im Horrorfilm vornehmlich entweder in Form von repräsentativen Kreaturen bzw. dem imaginär Anderen oder durch das Böse signalisiert, das sich auch durch den Menschen selbst äußert (siehe Kap. 4.5). Beide Formen werden auch in The Walking Dead auftauchen .Im Bereich der Theologie müssten die einzelnen Filmwerke gemäß des Gehalts aktiver oder passiver Kritik an religiösen Themen kritisch reflektiert werden. Besonders, weil die Theologie als Wahrnehmungswissenschaft verstanden wird, die in einem (dynamischen) Glauben an Gott und in ständiger Korrespondenz zwischen Wirklichkeit und Wahrheit steht.11 Bevor auf Basis dessen eine theologische Filmanalyse hergeleitet wird, sollen die spezifischen Charakteristika des Qualitätsfernsehens (Quality Television) vorgestellt und mit in die spätere Konstruktion der theologischen Filmanalyse beachtet werden.
7.1
Quality Television
The Walking Dead ist nach Seeßlen »[…] eine der Serien, die das Urteil zu bestätigen scheinen, dass die neue Kunst des (Kabel-)Fernsehens an Erzählkunst und ästhetischem Reichtum das Kino mittlerweile übertreffen.«12 2010 äußerte auch Bishop, dass in Fernsehserien bzw. im seriellen Erzählen ein großes Potential für Zombies liege.13 Eine theologische Reflexion des The Walking Dead-Universums erfordert deshalb unbedingt eine Erklärung des Qualitätsfernsehens (Quality Television/TV) im Vorfeld der theologischen Analyse diese Mediums.14 Um die narrative Konstrukti9 10 11 12 13 14
Wulff, Hans-Jürgen: Theater der Grausamkeit. URL: http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php? action= lexikon&tag=det&id=6301. Aufgerufen am 09.03.17. Vgl. Faulstich: 2005, S. 203. Vgl. Ebd. S. 6. Seeßlen, Georg: Zombies übernehmen die Welt. In: Die Zeit, Nr. 39 vom 28. September 2011. Vgl. Bishop: 2010, S. 206. Anm.: Siehe vertiefend zu TV-Serien und Qualitätsfernsehen: Hecken, Thomas; Opp, Annnemarie: TV-Serien. In: Kleiner, Marcus; Hecken, Thomas (Hg.): Handbuch Popkultur. Stuttgart, 2017. S. 164-168.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
on von The Walking Dead als Quality Television ,15 also hochwertige Fernsehserie zu verstehen, sollen im Vorfeld die Wandlung und Signifikanz des zeitgemäßen seriellen Erzählens spezifiziert werden. Das Wort Quality Television tauchte als Gütesiegel erst in der Fernsehkritik, dann in der Medienwissenschaft in der Mitte der 1980er auf16 und zeichnet sich dezidiert in Abgrenzung zum Mainstream der TV-Unterhaltung17 bewusst konträr zum traditionellen, als trivial konnotierten Fernsehen mit seinen Boulevardformaten wie Reality-TV, Castingshows, Seifenopern und Sitcoms aus.18 Wurde entsprechend in der Vergangenheit das Privat-Fernsehen als »Schmuddelkind der Massen«19 mit simpler, trivialer Unterhaltung und statusniedrigen, einfach gestrickten Alternativen gegenüber dem kulturell weitaus respektierten Film assoziiert,20 hat die Zahl aufwendig produzierter, narrativ komplexer und innovativer Serien seit den 1980er Jahren dazu geführt, dass Fernsehunterhaltung heute nicht immer nur als »intellektuelle No-go-Areas«21 angesehen werden.22 Sprach Adorno (1954) also noch »von trivialen Inhalten, schablonenhaften Figuren und stereotypen Darstellungsformen«,23 welche zur Verdummung des Zuschauers betrugen, überführte Eco, den zuvor in der Medienwissenschaft postulierten Gegensatz von Wiederholung und »Innovation in eine postmoderne Ästhetik, die das Serielle nicht mehr als Defizität im Vergleich zum originären Werk versteht, sondern als Potential von Differenzen und Verschiebungen erkennt.«24 Es ist also
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Anm.: Robert Blanchet verortet The Walking Dead in seiner Zusammenstellung des Quality Televisions namentlich zu den führenden Formaten. In: Blanchet, Robert; Köhler, Kristina; Smid, Tereza et.al. (Hg.): Serielle Formen. Von den frühen Film-Serials zu aktuellen QualityTV- und Online-Serien. Margburg, 2011. S. 39. Vgl. Blanchet: 2011, S. 43. Vgl. Harnischmacher, Michael; Lux, Benjamin: Thompson revisited. Ein empirisch fundiertes Modell zur Qualität von »Quality-TV« aus Nutzersicht. In: Global Media Journal. German Edition. Vol 5, No.1 2015. S. 3. Vgl. Blanchet: 2011, S. 38. Dellwing et.al.: 2015, S. 8. Anm.: Hier werden die 1980er und 1990er pauschalisiert. Den Ausführungen des Autors ist entsprechend nicht immer beizupflichten, da außerdem öffentlichrechtliches Fernsehen und das neu entstehende Privatfernsehen nicht genügend differenziert werden. Vgl. Ebd. S. 7-8. Kumpf, Sarah: »Ich bin aber nicht so ein Freak« – Distinktion durch Serienaneignung. In: Eichner, Susanne.; Mikos Lothar; Winter, Rainer (Hg.): Transnationale Serienkultur. Theorie, Ästhetik, Narration und Rezeption neuer Fernsehserien. Wiesbaden, 2013. S. 347-366. Vgl. Harnischmacher: 2015, S. 2. Adorno, Theodor, W.: How to Look at Television. In: The Quarterly of Film, Radio and Television Bd. 3. 1954. S. 23-25. Eco, Umberto: »Die Innovation im Seriellen«. In: Ders.: Über Spiegel und andere Phänomene. München, Wien. 1988.
7. Hinführung zur Filmanalyse
prinzipiell mit Blick auf Adorno und Horkheimer nicht einfach, so fasst es Arenhövel zusammen, Fernsehserien zum Gegenstand der Interpretation zu erheben, da beide den Einspruch formulierten, dass jegliche Kunst, welche sich mit Unterhaltung fusioniert in ihrer innovativen Kraft gelähmt und von allen kritischen und utopischen Gehalten entleert sei, womit die Kunst durch die Kulturindustrie auf den Markt mit den Zwängen der Verwertung denunziert und für die Massen zur Kunstmasse werde.25 Deshalb schließt Arenhövel, dass der Warencharakter einer Serie mit seinen wirtschaftlichen Bedingungen, Zielgruppenanalysen, inhaltlichen Reglementierungen und Vermarktungsstrategien von Fernseh- und damit auch Quality Television-Produktionen im Sinne einer Seriensoziologie nicht ignoriert werden sollte.26 Entgegen der Kulturkritik stellt Arenhövel Silbermanns soziologische und sozialpsychologische Analyse des Films vor: Silbermann diagnostizierte die Gefahr, »die Analyse auf dem Hintergrund aprioristischer und kulturkritischer Gedankengänge zu entwickeln, um somit zu jenen aus der Analyse allein nicht zu entnehmenden (berechtigten oder unberechtigten) Anklagen vordringen zu können, die die Filmproduzenten als Ausbeuter des absolut niedrigsten gemeinsamen Intelligenznenners des Menschen hinstellen.«27 Das zeitgenössische Quality Television steht dem entgegen: Besonders in den letzten zehn Jahren etablierten sich ästhetische, reiche, narrative, komplexe und transgressive serielle Formate zum Leitmedium eines ›kultivierten‹ Publikums, da das Fernsehen im digitalen Zeitalter ein Breitenwachstum erfahren hat und deshalb sein altes Modell nicht mehr haltbar war, wodurch sich eine Kehrtwende vollzog.28 Unterschieden werden sollte im Rahmen des Qualitätsfernsehens zwischen solchen Produktionen, die vom üblichen Broadcast-Network entwickelt werden und somit an Normen der amerikanischen Rundfunkaufsichtsbehörde gebunden sind, von solchen Produktionen, die von Pay-TV-Sendern produziert werden und nicht an kanonisierte Anstandsregeln gebunden sind und damit zum Beispiel auch Nackt-
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Vgl. Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt a.M. 1993. Vgl. Arenhövel, Mark: Zwischen Ideologie und (Gesellschafts-)Kritik. Über die politische Lesbarkeit von Qualitätsserien. In: Besand, Anja (Hg.): Von Game of Thrones bis House of Cards. Politische Perspektiven in Fernsehserien. Wiesbaden, 2018. S. 7-26. Hier S. 7-11. Vgl. Silbermann, Alphons: Zur soziologischen und sozialpsychologischen Analyse des Films. In: Silbermann, Alphons; Schaaf, Michael; Adam, Gerhard (Hg.): Filmanalyse. Grundlagen – Methoden – Didaktik. München, 1980. S. 11-32. Hier S. 17. Vgl. Ebd. S. 7.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
heit oder Schimpfwörter integrieren können.29 »Weiterhin führte die technische Entwicklung der Fernseh-Bildqualität an jene des Kinos heran.«30 Verschrieb sich das Kino in der Vergangenheit Nischenproduktionen, ist es heute das Fernsehen, welches im Zeitalter des digitalen Vertriebs keine andere Wahl mehr hat, als die nicht mehr existierende Masse durch eine Sammlung von Nischen zu ersetzen und damit ein akademisches Abrenzungspublikum zu akquirieren, während das zeitgenössische Kino große Blockbuster produziert.31 Folglich wurden Qualitätsserien als Distinktionsmöglichkeit im kulturellen Diskurs thematisiert, da sich Rezipienten selbst im Diskurs als Quality-Viewer positionieren können.32 Die Distinktionsmöglichkeit kann allerdings nicht alle Qualitätsdimensionen erfassen, weshalb der Definitionsversuch von Thompson einen Grundstein der Merkmale für das Quality Television einerseits, andererseits für eine bis heute geführte Debatte (zum Teil angesichts der Aktualität dieser Kriterien) gelegt hat.33 Thompson stellte 1996 charakteristische Merkmale bzw. Qualitätskriterien des Quality Televisions heraus, zu denen auch die genannte Distinktion zählt.34 Da diese Arbeit den ersten Versuch darstellt, das Quality Television durch die angehende Filmanalyse des The Walking Dead-Universums theologisch zu reflektieren, sollen im Folgenden kurz Thompsons zwölf Punkte dargestellt werden. Die Aufstellung soll dazu beitragen, dass die kommenden komplexen narrativen Foki des The Walking Dead-Universum sogleich im Bereich des Quality Television verortet werden können. Qualitätsserien genießen in der Kritik große Erfolge, also Auszeichnung für den ästhetischen Wert bestimmter Qualitätsserien (1) und werden von Künstlern produziert, die als Showrunner analog zum Regisseur eines Films in der Öffentlichkeit als solcher wahrgenommen werden und einen maximierten künstlerischen Freiraum bei der Gestaltung der Serie zur Verfügung haben (2). Der soziale Status des Zuschauers wird primär als jung und gebildet charakterisiert. Die meisten Zuschauer sind Akademiker und kulturell bewanderte Mediennutzer, die in einer gehobenen, urbanen Schicht verortet sind (3).35 Die Einschaltquoten
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31 32 33 34
35
Vgl. Blanchet: 2011, S. 38. Zimmer, Thomas: Zur Entstehung des Quality-TV. Wie Fernsehserien das Kino einholten. Siehe: moviepilot.de. URL: https://www.moviepilot.de/news/wie-fernsehserien-das-kino-einh olten-114731. Aufgerufen am 09.10.2018. Vgl. Dellwing et.al.: 2015, S. 9. Vgl. Harnischmacher: 2015, S. 4. Vgl. Thompson, Robert J.: Television’s Second Golden Age: From Hill Street Bluesto. New York, 1996.; Vgl. Harnischmacher: 2015, S. 4. Anm.: Zu diesem Entschluss kommt Robert Blanchet nach einer detaillierten Subsumtion aktueller Serien von Thompsons zwölf Merkmale des Quality Televisions. Siehe: Blanchet: 2011, S. 68. Vgl. Blanchet: 2011, S. 52.
7. Hinführung zur Filmanalyse
sowie der Erfolg der Serie hängen indes nicht zwingend zusammen, da Qualitätsserien Zeit benötigen, um sich zu etablieren und narrativ zu entfalten, bis es sich in den Quoten äußert (4). Weiterhin von großer Signifikanz ist ein großes, vielschichtiges Figurenensemble und eine Multiperspektivität auf die in der Serie behandelten Themen und Probleme (5), sowie eine literarische Komplexität und Autorenzentriertheit (6). Blanchett zählt weiterhin zur Komplexität eine großen Menge an Informationen und Details, die vermittelt werden, Geschwindigkeit, unerwartete Wendungen und Rätsel, kontroverse Inhalte sowie eine vielschichtige Sprache.36 Übergreifende Handlungsbögen tragen zu einer kausalen Fortsetzung der Serie (Serialität) bei (7) und konventionelle Genres werden zum Beispiel durch Synkretismen, wie der Kombination von Komödie und Tragödie, zu etwas Neuem geformt (8). Überdies sind Qualitätsserien selbstreflexiv; sie spielen also auf Referenzen der Hoch- und Popkultur an und können nach Blanchett bislang genretypische Erzählweisen brechen (9).37 Darüber hinaus sollen sie (kontroverse) Themen wie AIDS, Abtreibung, Homosexualität, Rassismus und Religion aufgreifen und explizit auch Tabuthemen thematisieren (10). Dazu soll eine Realitätsnähe vorhanden sein, die ein nüchternes, möglichst ungeschminktes Bild des sozialen Alltags versucht zu zeichnen (11).38 Ästhetische Formmerkmale des Qualitätsfernsehen sind also langfristige Entwicklungen komplexer, episodenübergreifender Narrative (sog. ›story arcs‹), eine elaborierte Charakterentwicklung und hohe Produktionsqualität, die qua definitionem auch vom (relevanten) Publikum als Qualitätsfernsehen angesehen werden muss und zum Austausch über die dargestellten Inhalte anregt.39 Dabei wird (bisweilen) die idealistisch-narrative schwarz-weiß-Form (klassische Forces of Antagonism)40 älterer serieller Gebilde dekonstruiert und im Sinne eines gritty realism41 wiedergegeben, in denen realistische Welten mit komplexen Charakteren, Interaktionen, Wirkungsweisen und tabuisierenden Paradigmen, die
36 37 38 39 40
41
Vgl. Harnischmacher: 2015, S. 5. Vgl. Blanchet: 2011, S. 61. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. Anm.: Bei Narrationen geht es in der Regel um Gegenkräfte (»Forces of Antagonism«), die den Konflikt der Handlung ins Unermessliche steigern können. Immer muss es also auch die negative Seite der Geschichte geben: die Widerstände, das Dunkle und die Hindernisse. Der dramaturgische Konflikt ist ein spannungsvoller Zustand, der durch Grenzüberschreitung zwischen Protagonist und antagonalen Kräften entsteht. Je größer die Differenz bei der Grenzüberschreitung, desto stärker der Konflikt und desto dramatischer die Geschichte. Vgl.: Otto, Dietrich; Schmidt-Bleeker, Ralf: Narrative Brand Planning. Berlin, 2013. S. 126. Anm.: Unter ›gritty realism‹ ist eine Form von ›Dunkelheit‹ gemeint, die als ›grittiness‹ thematisiert wird; ›grit‹ ist der Schmutz einer Maschine, öliger Dreck. Unter diesem Terminus werden narrative Idealismusformen verlassen. Vgl. Dellwing et.al.: 2015, S. 10.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
auch negative Affekte evozieren können, präsentiert werden. Innerhalb dieser Innovationen werden (narrative) Regeln, Handlungsstrukturen und Normen gebrochen. Beispielsweise werden Handlungen konstruiert, in denen sich der Rezipient mit dem Antagonisten identifizieren oder mit Antihelden sympathisieren kann. Dabei weisen die Serien nach Dellwing et.al. Affinitäten zum Definitionsansatz der Phantastik nach Todorov auf (siehe Kap. 4.5). »Ein Hauptmerkmal von ›Qualitätsformaten‹ ist dabei ihr transgressiver Antrieb: Sie nehmen die Alltagsnormalitäten unserer Wirklichkeit auf, um sich gegen sie aufzulehnen oder sie zumindest zu irritieren. Es handelt sich um Formate, die mit sozialen und ästhetischen Regeln spielen oder diese Regeln brechen.« 42 Innerhalb dieser Formate kehrt im Lichte der Phantastik (wie nach der Aufklärung in der Literatur) das imaginäre Andere zurück und kann dem Zuschauer im Fernsehen plastisch, körperlich und regelgebunden gegenübertreten.43 Das Walking DeadUniversum kann unter dieser Feststellung subsumiert werden und legitimiert über dieses logisch-narrative Konstrukt die Entwicklung, Konzeption und Eventualität der Konfrontation mit lebenden Toten im Sinne George A. Romeros. Arenhövel verweist darauf, dass das Qualitätsfernsehen wie literarische Vorlagen als Text mit geordneten Verweiszusammenhängen verstanden werden soll, »wobei es zunächst darum geht, die in der Inszenierung und Handlung vorgegebenen Sinnzusammenhänge aufzudecken, um anschließend nach verborgenen, über das Gegebene hinausweisende Spuren neuerschlossenen Sinns zu suchen.«44 Innerhalb dieser neuen seriellen Erzählweisen im Bereich des Horror-und Mysterygenres werden auch die Kirche, christliche Topoi, Vorstellungen und Mythen im Quality Television immer wieder neu verhandelt (siehe Kap. 2). Entweder durch die philosophisch-theologische Fragestellungen, oder auch durch spirituell-esoterische Motive. Dazu gehören Battlestar Galactica45 oder American Gods46 , die sich mit der Gottesfrage beschäftigen und den Kampf der Götter oder Positionen des Mono- und Polytheismus aufzeigen. Besonders sind zurzeit Wiedergängergeschichten (außerhalb des Zombie) Bestandteil zahlreicher serieller Narrationen, in welchen der Umgang mit wiedergekehrten Verstorbenen dramatisch und minu-
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44 45 46
Vgl. Dellwing et.al.: 2015, S. 9-10. Vgl. Bernhardt, Floris: Fernsehen als Triebkraft und Symptom des neuen Zweifels an der Wirklichkeit. In: Dellwing, Michael; Harbusch, Martin (Hg.): Vergemeinschaftung in Zeiten der Zombie-Apokalypse. Gesellschaftskonstruktionen am fantastischen Anderen. Wiesbaden, 2015. S. 265-278. Hier: S. 272. Arenhövel: 2018, S. 7. Battlestar Galactica. Produktion: Ronald D. Moore. USA, Kanada, 2004-2009. American Gods. Produktion: Bryan Fuller. USA, seit 2017.
7. Hinführung zur Filmanalyse
tiös aufgezeigt wird, wie in The Returned47 , Resurrection48 , The 440049 , Glitch50 und The OA51 , welche jenseits des Horrorgenres die dramatische Involvierung der Wiederkehrer zurück in die jeweiligen Familie oder die Gesellschaft mit teils mystischen Elementen behandeln. In Pushing Daisies52 werden Tote zum Lösen von Mordfällen kurzzeitig erweckt und in den Mystery-Serien Ghost Whisperer53 oder Medium54 kehren geisterhaft Verstorbene, die den Wunsch haben, durch ein Medium ihre letzten Wünsche zu erfüllen oder Konflikte im Diesseits zu klären, wieder zurück in die irdische Welt. Ausgehend vom Qualitätsfernsehen soll im Folgenden eine theologische Filmanalyse konstruiert werden.
7.2
Konstruktion einer theologischen Filmanalyse
Der Film ist in der Lage, außerfilmische und damit auch religiöse und theologische Zeichensysteme zu repräsentieren, also sich ihrer zu bedienen, sie zu transformieren oder in ein neues Bedeutungsgefüge zu stellen.55 Der »Film ist die Erfahrung von Transzendenz in Immanenz«,56 formuliert Bleicher und fährt fort: »Im Bereich der Theologie häufig abstrakt bleibende Glaubensinhalte werden in Ereignissen und Erfahrungen konkretisiert.«57 Hermann liefert hierfür fünf Grundlagen, von denen drei zusammenfassend mit Blick auf die bevorstehende Analyse vorgestellt werden sollen:
47
48 49 50 51 52 53 54 55 56 57
Anm.: »Die französische Serie The Returned war von Anfang an das Arthaus-Gegenstück zu The Walking Dead als eine poetische Auseinandersetzung mit der Frage, welchen Sinn ein zweites Leben hat. Daher war die erste Staffel auch keine Schlachtplatte, sondern ein komplexes, seltsames, aber spannendes Gedankenspiel mit manch irritierender, ja erschreckender Wendung.« In: Löffler, Jo: Geek! Science-Fiktion, Fantasy, Horror. Ausgabe 29. März/April 2017. Panini Verlag GmbH (Hg.). Dazu die Serien: The Returned. Produktion: Diverse. Frankreich, seit 2012. Ebenso der US-Amerikanische Ableger: The Returned. Produktion: Diverse. USA, 2015. Resurrection. Produktion: Diverse. USA, 2014-2015. The 4400. Produktion: Brent-Karl Clackson; Kathy-Gilroy-Sereda; Francis Ford Coppola. USA, 2004-2007. Glitch. Produktion: Tony Ayres. Australien, seit 2015. The OA. Produktion: Jill Footlick; Ashely Zalta. USA, seit 2016. Pushing Daisies. Produktion: Bryan Fuller; Bruce Cohen. USA, 2007-2008. Ghost Whisperer – Stimmen aus dem Jenseits. Produktion: John Gray; Jennifer Love Hewitt. USA, 2005-2010. Medium – Nichts bleibt verborgen. Produktion: Diverse. USA, 2004-2011. Vgl. Borstnar, Nils; Pabst, Nils; Wulff, Jans Jürgen (Hg.): Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft. Konstanz, 2002. S. 12. Bleicher: 2004, S. 219. Ebd.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung 1. Inszenierungen des Dialogs von Film und Religion können dazu beitragen, Brücken zwischen Filmkultur und Religionskultur zu bauen und so zur wechselseitigen Erschließung von Filmkultur und Religionskultur kontribuieren. 2. Die Theologie kann durch die Filmanalyse etwas über die gelebte Religion der Gesellschaft erfahren. Denn Kinobilder sind immer Ausdruck von Gegenwartserfahrungen. Sie zeigen seismographisch, wie die Erfahrungen von letzter Bedeutung, wie also die gelebte Religion der Gesellschaft sich entwickelt. Im Dialog mit dem Film ist die Theologie im Gespräch mit der Gegenwart. 3. Die theologische Filmanalyse kann die Filmwissenschaft bereichern, weil sie ein für die Erschließung von religionshaltigen bzw. religionsorientierten Filmen relevantes Wissen einbringen kann.58
Wie in Kapitel 1 erwähnt, soll eine Aufgabe dieser Arbeit sein, filmisch-serielle Detheologisierungen systematisch und theologisch-konnotativ zu reflektieren, heuristisch auf den jeweiligen biblischen oder dogmatischen Sinnzusammenhang hinzuweisen und damit die evozierten Bilder, Semantiken, Substitutionen und Indikatoren des Schreckens, insbesondere wenn direkt christliche Topoi aus ihrem Sinnzusammenhang extrapoliert und ins Horrorartige transferiert werden, wieder in ihren theologischen Zusammenhang zu bringen, also zu ›theologisieren‹ und die bisweilen blasphemische Dekonstruktion von Kirche und Glauben im Bereich des Qualitätsfernsehens systematisch aufzudecken. Dem liegt zugrunde, dass das The Walking Dead-Universum in der Regel einem religionsinversiven sowie einem religionskritischen Gebrauch religiösen Materials auf spektakuläre Art und Weise frönt. Ersteres beschreibt nach Hausmanninger »eine Nutzung religiösen Materials in einem nicht mehr religiösen Sinn«.59 Der ursprüngliche Sinngehalt des Materials wird also in einem völlig anderen Sinngehalt umgewendet. Der religionskritische Gebrauch beschreibt den vorsätzlich kritisch bzw. verwerfenden Bezug auf religiöses Material. Für eine systematisch theologisch-fokussierte Filmanalyse existieren zwar einige Methodenkataloge wie die von Hausmanninger60 oder Zwick61 , die aber den hier zugrundeliegenden Wunsch der theologischen Dekodierung und Theologisierung der im Horrorfilm bzw. The Walking Dead-Universum manipulierten Motive nicht konkret abdecken. Deshalb wird in dieser Arbeit auf einen filmanalyti-
58 59 60 61
Vgl. Hermann: 2013. Hausmanninger: 2012, S. 27. Ebd. Zwick, Reinhold: Pfade zum Absoluten? Skizze einer kleinen Typologie des religiösen Films. In: Intercom, 15. Juli 1992. S. 3-13.; Zwick, Reinhold: Zwischen mythischen Erzählmustern und christlichen Analogien. Einige Ansätze zur religiösen Interpretation von Spielfilmen. In: filmdienst 44. H.1, 1991. S. 12-15.
7. Hinführung zur Filmanalyse
schen Methodenpluralismus mit Schwerpunkt auf einer hermeneutischen Analyse zurückgegriffen. Die Ergebnisse werden parallel unter dem Dach der Theologie deponiert, in Sequenzen gebündelt und dann simultan durch die theologische Perspektive hermeneutisch mit einer Bottom-up-Analyse ausgehend vom sicht- und erschließbaren Material, aus der sich eine Theoriebildung ableitet,62 interpretiert. Die Filmanalyse ist ein methodenpluralistisches von verschiedenen Filmwissenschaftlern entwickeltes Unterfangen, »das sich inzwischen von einem weitgehend konsensfähigen Set von Instrumenten entwickelt hat«,63 welches allerdings unterschiedlich gegliedert ist. Angesichts dieses Straußes an Optionen versucht Hausmanninger klare Kristallisationslinien für eine adäquate theologisch fokussierte Analyse zu formen. Dafür destilliert er filmanalytisch relevante Kardinalspunkte, auf deren Basis Religionsbezüge des Films erarbeitet werden können: Erstens die Ästhetik, also den Aufbau der einzelnen Einstellungen, der Einsatz von Licht, Farbe, [Kamera-]Bewegung, der Montage und Tonebene. Zweitens die Narration und Dramaturgie. Dazu zählen erzählerische Strukturen, deren Aufbau und Organisation sowie die Entwicklung von Spannung, Bedeutung und emotionalen Verläufen, ein Plot, eine Story, eine Akte-Struktur sowie Figurencharakterisierungen und dynamische Figurenkonstellationen. Drittens der Diskurs, also die theoretische Sinnproduktion des Films, welche sich in zwei verschiedene Diskursebenen unterteilen lassen: Zum einen in narrationsimmanente Diskurse, welche die Bedeutung, Aussagen und Werte, die von einzelnen Figuren vorgebracht oder verkörpert werden umfassen, zum anderen in einen werkimmanenten oder werkspezifischen Diskurs. Im Verlauf der hier dargestellten Filmanalyse und der Beschäftigung mit den Religionsbezügen im The Walking Dead-Universum wird sich implizit und heterogen, in Abhängigkeit der darzubietenden Szene, dieser drei Aspekte bedient.64 »Die Religionsbezüge des Films können darüber hinaus nicht nur explizit, sondern auch implizit sein«,65 ergänzt Hausmanninger und subsumiert unter dem Expliziten, wenn beispielsweise im Film Religion direkt thematisiert wird, so auch die heilige Schrift und religiöse Ideen, oder wenn Vertreter der Religion im Film auftreten.66 Damit können die aus der methodenpluralistischen Operation und Observation erfolgten Ergebnisse dezidiert theologisch subsumiert werden. Diese Subsumtion wird je nach zu reflektierendem Material in der theologisch-systematischen oder in der biblisch-exegetischen Analyse verortet. Dies ist von Nöten, da es generell, so Hausmanninger weiter, vielen theologischen Interpretationen und Lesarten des
62 63 64 65 66
Vgl. Borstnar et.al.: 2002, S. 15. Hausmanninger: 2012, S. 25. Vgl. Ebd. Ebd. S. 26. Vgl. Ebd.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Medium Films auf mannigfaltiger Art und Weise am Methodenbewusstsein mangele, besonders mit Fokus auf Film- und Medienwissenschaften.67 Weiterhin sollen mit den aus der Filmanalyse gewonnenen Ergebnissen Rückschlüsse auf die Befindlichkeit der westlichen Welt hinsichtlich etwaiger Folgen des Prozesses der Modernisierung und der damit verbundenen Säkularisierung gezogen werden.68 Eine Inhaltsanalyse, so Merten, ist »eine Methode zur Erhebung sozialer Wirklichkeit, bei der von Merkmalen eines manifesten Textes auf Merkmale eines nichtmanifesten Kontextes geschlossen wird.«69 In diesem Kontext bezieht sich Kleiner auf Denzins Aussage, dass sich Spielfilme aufgrund der »fließenden Grenze zwischen Fakten und Fiktion«70 als audiovisuelle Dokumente lesen lassen, die gesellschaftliche Erfahrung in verdichteter Form zur Darstellung bringen, also auf TV-Serien.71 Im Rahmen der Filmanalyse werden folgende Konsequenzen der Säkularisierung bearbeitet: Erstens die Glaubenskrise, also eschatologische Erschütterung und apokalyptische Ängste sowie zweitens die Identitätskrise, unter welcher hier die Dekonstruktion der Identität und Personalität verstanden wird. Primär soll die Szenenanalyse auf narrativer Ebene erfolgen. Die narrative Ebene analysiert die in der Serie erzählte Geschichte, die agierenden Charaktere und das der Serie zugrunde liegende Thema. Im Mittelpunkt der visuellen Ebene steht die Frage, mit welchen Bildern die Geschichte umgesetzt wird. Unterschiedliche Kategorien des filmischen Bildes werden dabei hinzugezogen.72 Das Filmbild sei aber »keineswegs durch eine möglichst vollständige Beschreibung von allem, was im Bild zu sehen ist, zu beschreiben. Es ist eher als eine intersemiotische Übertragung eines Teils eines filmischen Diskurses zu erfassen.«73 Demgemäß wird explorativ analysiert. Es werden also aus der genauen Beschreibung von Einzeltexten oder Gruppen von Einzeltexten Kriterien oder Charakteristika gewonnen, die theoriefähig sind und hier ergo theologisch interpre-
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71 72 73
Vgl. Ebd. S. 13-14. Anm.: Gemäß Bleichers Ausführungen (Punkt 2). Merten, Klaus: Inhaltsanalyse. Einführung in Theorie, Methode und Praxis. Opladen, 1983. S. 57. Denzin, Norman K.: Reading Film – Filme und Videos als sozialwissenschaftliches Erfahrungsmaterial. In: Flick, Uwe; Kardorff, Ernst von; Steineke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek, 2005. S. 416-428. Hier S. 420. Vgl. Kleiner: 2013, S. 229. Vgl. Bohrmann et.al.: 2007, S. 26. Möller, Karl-Dietmar: Schichten des Filmbildes und Ebenen des Films. In: Dutz, Klaus D. (Hg.): Die Einstellung als Größe einer Filmsemiotik. Zur Ikontheorie des Filmbildes. Münster, 1984. S. 45-90. Hier S. 50f.
7. Hinführung zur Filmanalyse
tiert werden können.74 Kanzog formuliert eine Abfolge von vier Arbeitsschritten, in welchen zwischen Analyse und Interpretation differenziert und auf dem Weg von der Beschreibung zur Interpretation unterschieden wird, an der sich die folgende Filmanalyse orientiert:75 1. Befund: Die Notierung eines filmischen Sachverhaltes, wie er sich ohne zusätzliches Wissens aus der Filmbetrachtung formulieren lässt. 2. Erläuterung: zusätzliche Informationen zum weiteren Verständnis werden eingebracht. 3. Kommentar: Der Sachverhalt wird mit weiteren beobachteten Sachverhalten auf der Ebene des Films verknüpft. 4. Interpretation: Der Sachverhalt wird im Gesamtzusammenhang des Films, der Intention des Regisseurs und dessen Werkkontext gesehen sowie mit weiteren Erkenntnissen aus anderen Kontexten des Films verbunden.76
Die einzelnen Sequenzen werden zunächst deskriptiv (Punkte 1-3) in theologisch relevante Ereignisse gefasst, welche erst im dramaturgischen, episodenübergreifenden Gesamtkontext (je nach Komplexität des episodenübergreifendem Erzählbogens) einer Handlungseinheit eine theologische Interpretation und Reflexion ermöglichen. Darüber hinaus sollen Elemente einzelner Filmbilder oder transkribierte Dialoge extrapoliert und auf ihre (theologische) Aussage hin analysiert und/oder dezente oder offensichtliche biblische Intertexte entdeckt und dargelegt werden. Folglich werden im The Walking Dead-Universum vorkommende, facettenreiche Implikationen wie religiöse- bzw. theologisch affine Elemente bzw. explizit religiöse Semantik (Personen, Artefakte, Attribute, Zeichen, Begebenheiten, Inszenierungen, Dialoge, und Themen) im Zuge einer Szenenbeschreibung extrahiert (Punkte 1-3). Anschließend kann, einer theologischen Lesart entsprechend, die dem Horror eigene, blasphemische Entstellung religiöser Motive entlarvt, encodiert und mithin im Zuge des Rückgriffs auf die Dogmatik hin theologisiert werden (Punkt 4). Dafür soll wie erwähnt das hermeneutische Interpretationsverfahren angewendet werden, welches von der Mehrdeutigkeit televisueller Werke ausgeht und versucht, diese Mehrdeutigkeiten erkennbar zu machen. Die Geschichte oder Gesamtkontext sollen dabei nicht (unbedingt) verständlich vermittelt werden. Vielmehr sollen hinter dem Schein des allgemein Verständlichen die Strukturen der Gestaltung hervorgehoben und die zusätzlich
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Vgl. Wulff Hans-Jürgen: Filmanalyse. In: Ayaß, Ruth; Bergmann, Jörg R. (Hg.): Qualitative Methoden der Medienforschung. S. 232. Vgl. Kanzog, Klaus: Einführung in die Filmphilologie. München, 1991. S. 152f. Ebd.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
noch vorhandenen Bedeutungsebenen und Sinnpotentiale aufgedeckt werden.77 Es geht dabei um »die Fähigkeit zur Einführung und Abstraktion, der ausreichenden Begründung und der Veranschaulichung am Beispiel.«78 Die hermeneutische Textanalyse wird deshalb auch als ›hermeneutischer Zirkel‹ beschrieben, in der der Interpretierende von einem Vorverständnis (hier der Theologie) »des Textes ausgeht und durch immer wieder erneute Befragungen des Textes und seiner Struktur, des Vermittelns von Detailverständnis und Gesamtverständnis, von Textanalyse und Kontextwissen zu einem genaueren, tieferen Verständnis seiner Texte gelangt.«79 Wulff betont, dass die Filmanalyse eine hermeneutische Disziplin sei, die im Rückgriff auf Jakobsons klassische Auffassung der Hermeneutik von »Verstehen als Übersetzen«80 verstanden werden sollte. Eine »hermeneutisch orientierte Filmund Fernsehanalyse geht von der Mehrdeutigkeit filmischer und televisueller Werke aus und versucht, diese Mehrdeutigkeit erkennbar zu machen.«81 Sie ist also für das hier zu erstrebende Ziel prädestiniert, da sie erlaubt individuelle Äußerungen in den Bezugsrahmen gesellschaftlicher Sozialisationsbedingungen vor den Hintergrund der Säkularisierung zu stellen und damit Rückschlüsse auf die Krisen bzw. Punkte a-e (siehe Kap. 1.1) zu ziehen vermag.82 Demnach kann Jakobsons linguistisches Verständnis vom Erkennen einer sprachlichen Äußerung, die durch die Erkenntnis mit anderen Äußerungen wiedergegeben werden kann, nach Wulff auch auf filmische Äußerungen bezogen werden: »Zwischensprachliche Übersetzung gründet auf dieser kognitiv und sprachlich fundamentalen Fähigkeit zur innersprachlichen Paraphrase und ist eingebettet in die umfassendere Fähigkeit zur intersemiotischen Übersetzung, zur Wiedergabe von Zeichen eines Systems in solche eines andersartigen Systems«.83 Auf Basis der Überlegungen Jakobsons, Intelligibilität als Übersetzbarkeit aufzufassen, gelingt es, eine im Subjektiven sich verlierende Verstehenslehre auf ein handfestes, objektives, fast experimentell-empirisches Format zurückzustellen.84
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Vgl. Hickethier: 2001, S. 32. Koebner, Thomas: Autorenfilme. Elf Werkanalysen. Münster, 1990. S. 7. Hickethier: 2011, S. 33. Jakobson, Roman: Grundsätzliche Übersetzbarkeit. Linguistische Aspekte der Übersetzung. In: Ders. (Hg.): Semiotik. Frankfurt a.M., 1959. 1992. S. 481-491. Hier S. 481. Hickethier: 2011, S. 32. Vgl. Scarics: 2010, S. 16. Jakobson: S. 481. Vgl. Hohlstein, Elmar: Roman Jakobsons phänomenlogischer Strukturalismus. Frankfurt a.M., 1975. S. 54.
7. Hinführung zur Filmanalyse
Voraussetzung als Gegenstand des Verstehens dafür ist, das Signifikat eines Zeichens als res intelligibilis aufzufassen. Wulff überträgt Jakobsons Überlegungen auf den Film als res intelligibilis, deren Übersetzbarkeit die Grundlage dafür ist, dass sie im kommunikativen Verkehr zirkulieren kann.85 Analysen sind folglich, so Wulff weiter, Übersetzungen, die ergründen, wo sich das Intelligible an einem Film befindet und worin die Bedingungen der Verstehbarkeit liegen. Der sinnlichen Präsenz des Films steht ein intellektuell-begriffliches Konzept gegenüber.86 In diesem Zusammenhang sind diejenigen Strukturen im Film intelligibel, »die sich von der baren Präsenz des Erlebens ablösen lassen und die zum Objekt einer Erkenntnis und zum Anlass einer Einsicht in die Prozesse der Bedeutungskonstitution im Film werden können.«87 Somit lässt sich das Konzept der Semiose nach Peirce auf die Modellierung von Textrezeption anwenden, da Verstehensprozesse auch als Zeichenprozesse aufgefasst werden. Die Filmanalyse kann sich demgemäß auch auf Beschreibungen der Operationen richten, die am Text vollzogen werden. Der Status des filmischen Werkes wird dadurch verändert und zu einer Struktur, die Rezeptionsprozesse fundiert, mit Material versorgt und gleichzeitig präfiguriert.88 Weiterhin existiert die (zu erstrebende) Encodierung theologischer Topoi. Diese kann so verstanden werden, dass jede Produktion einer kommunikativen Äußerung im Vorgriff auf Verstehensprozesse geschieht, also dass alle dabei eingesetzten Mittel nicht nur gewählt werden, um dem Gegenstand angemessen Ausdruck zu verleihen, sondern auch dazu dienen, die Verstehenstätigkeit zu leiten und die Intelligibilität des Ausgesagten abzusichern.89 Wenn also theologische Elemente im The Walking Dead-Universum vorsätzlich behandelt werden, ist davon auszugehen, dass diese als Aussage in das filmische Narrative eingebettet wurden. In der Analyse werden damit die besonderen Strategien herausgearbeitet, mit denen der Film auf allen Ebenen, auf denen das Material organisiert ist, arbeitet und die das Publikum steuert und kontrolliert. Angefangen bei visuellen Mikround Tongestaltung über Figurenanalyse und die Darstellung des Environments bis zum Argumentativen, Narrativen und Thematischen.90 Lüdeker formuliert, dass Kunst und speziell massenmediale Produkte wie Serien und Spielfilme Objekte der Kommunikation zwischen Sendern und Empfängern beziehungsweise Produzenten und Rezipienten sind.91 Ziel ist es, die ›hermeneutische Differenz‹ zwischen
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Vgl. Wulff: 2006. S. 223. Vgl. Ebd. Ebd. Vgl. Ebd. S. 224. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. S. 223. Vgl. Lüdeker, Gerhard Jens: Grundlagen für eine ethische Filmanalyse: Figurenmoral und Rezeption am Beispiel von TROPA DE ELITE und DEXTER. In: Rabbit Eye – Zeitschrift für Filmfor-
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
dem ›Eigensinn‹ des Textes92 , dem vom produzierten Subjekt gemeinten und dem vom rezipierenden Subjekt aufgefassten Sinn zu reduzieren, auch wenn diese Differenz letztlich nie völlig aufgehoben werden kann.93 Theologische Anknüpfungspunkte und Assoziationsstrukturen werden durch Symbole, Metaphern und Exempla artikuliert, die durch Kulturgeschichte oder allgemeines Weltwissen dechiffriert werden können (beispielsweise das Kreuz als Zeichen des Christentums)94 , sodass der Bedeutungszugang eines Symbols über die soziokulturelle Konvention erfolgt. Die hier auszuführende theologische Interpretation und Richtigstellung der diffamierten Topoi soll den Verstehensakt des gewöhnlichen Rezipienten anreichern. Dabei werden die in der Serie vorkommenden religiösen bzw. theologischen Motive, Themen usw., die nichts mit der hier konstruierten Säkularisierungsthese zu tun haben, ausgespart, oder, wenn eine gewisse Relevanz besteht, in Anmerkungen ausgeführt. »Filminterne Elemente generieren also filminterne Hinweise (Cues) darauf, welche Wahrnehmungsraster (Viewing Skills) durch den Rezipienten sinnvollerweise an den Film herangetragen werden können.«95 Es ist folglich davon auszugehen, dass trotz der Abbildungen und Thematisierungen religiöser Elemente, die vom Rezipienten auch als solche verstanden werden, nicht sofort deren theologischer Gehalt oder besonders dogmatische Dekonstruktionen entdeckt und gelesen werden können, weshalb diese Arbeit in dieser Hinsicht Abhilfe schaffen soll (siehe vergleichend Kap. 7). Dabei soll es keineswegs um eine naive Wiederverzauberung oder Verteidigung des christlichen Glaubens gegenüber der hier im negativen Kontext eingesetzten religiösen Implikationen gehen, sondern um die durch die erstrebte theologische Reflexion herausgestellten Wahrnehmungsformen des Menschen in einer säkularen Welt bezüglich existentieller Fragen wie Glaube, Leben und Tod, also außerfilmische Kontexte und Diskurse.96 Die Filmanalyse soll dieses zuvor herausgehobene Ergebnis nicht nur kristallisieren, sondern auch gemäß der zu beschreibenden religiösen Signifikanten und deren etwaiger Negativierung anreichern. Die angestrebte Herangehensweise, religiöse Elemente aus den The Walking Dead-Serien zu extrapolieren und anschließend theologisch zu reflektieren, kann also nur induktiv auf hermeneutischer Basis mit Hilfe eines strukturalistischen Zugriffs unter Berücksichtigung der Genrespezifi-
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schung, Nr. 001, 2010. S. 41-59. Hier S. 46. URL: . Aufgerufen am 07.08.2018. Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt a.M., 1962. S. 159. Vgl. Schutte, Jürgen: Einführung in die Literaturinterpretation. Sammlung Metzler Nr. 217, 4. Aufl. Stuttgart, 1997. S. 22f. Vgl. Wulff: 2006, S. 227. Borstnar et.al.: 2002, S. 15. Vgl. Lüdeker: 2010, S. 45.
7. Hinführung zur Filmanalyse
kation des Horror- und Apokalyptikgenres gelingen.97 Der Zombie ist in der Analyse als übergeordnete Entität und Allegorie der Säkularisierung zu verstehen (Siehe Kap. 4.8), die sich diegetisch kontinuierlich im seriellen Kanon bewegt, partiell (episodenabhängig) in die Handlung eingreift und durch ihren Einsatz zur Detheologisierung beiträgt. Im The Walking Dead-Universum ist der Zombie also eine Figur, welche a) die Apokalypse hervorgerufen hat, b) als omnipotente Memento mori-Figur an den Tod erinnert, c) als Motiv instrumentalisiert eingesetzt wird, um im postapokalyptischen Narrativ weitere (verbliebene) religiöse Elemente zu dekonstruieren und d) das Abjekte hervorruft (siehe Kap. 5.4.3.5).
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Anm.: Siehe vertiefend zur Filmanalyse und Theologie (auch in Verbindung zum Horrorfilm): Zwick, Reinhold: Filme machen sehend: Zum Kino als theologischem Erkenntnisort. In: Herder-Korrespondenz Spezial 2012. Nr.1. S. 60-64.; Zwick, Reinhold: Eine Frage des Blicks: Zur Kontinuität einer christlich inspirierten Filmästhetik. In: Internationale katholische Zeitschrift Communio 35. 2006. Nr.5. S. 480-491.; Wirth, Mathias: Der torquierte Mensch: Die Zerstörung des Subjekts im exzessiven Leibhass des postmodernen Horrors. In: Internationale katholische Zeitschrift Communio 40. 2011. Nr.1. S. 78-88.; Schulte, Christian; Spratte, Ulrike: Funktion und Bedeutung von religiösen Elementen im Film. In: Religionspädagogik an berufsbildenden Schulen 33. Nr. 4, 2002. S. 122-123.; Locatelli, Massimo: Der Schatten Gottes: Über den Zusammenhang von Film und Theologie. In: Warneke, Lothar; Locatelli, Massimo (Hg.): Transzendenz im populären Film. (= Beiträge zur Film- und Femsehwissenschaft 59.). Berlin, 2001. S. 17-35.; Karrer, Leo: Warum sich Theologie für den Film interessiert: VersuchsThesen zu einem Brückenschlag. In: Pastoraltheologische Informationen 17. Nr. 1/2. 1997. S. 321-328.
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8. The Walking Dead »Der Zombie-Mythos hat mich schon immer interessiert, seit ich Romeros ›Nacht der lebenden Toten‹ gesehen habe. Für unsere Zombie-Show ist dieser Film so etwas wie das Buch Genesis.« – Robert Kirkman1
Die vom amerikanischen Sender AMC in Auftrag gegebene Serie The Walking Dead basiert auf den gleichnamigen, von Oktober 2003 bis Juli 2019 publizierten und in einem ästhetisch schwarz-weiß2 gefassten Comics vom 1978 in Kentucky geborenen Autor Robert Kirkman und den Zeichnern Charlie Adlard (seit Ausgabe Nummer 7) und Tony Moore (Ausgabe 1-6).3 Kirkman und Moore arbeiteten im Jahr 2000 bereits an einem im Eigenverlag Funk-O-Tron publizierten religionssatirischem Comic namens Battle Pope4 , in welchem sich ein frevlerisch trinkender Papst gegen eine Invasion von Dämonen behaupten muss. Kirkman wollte mit diesem Werk absichtlich provozieren, um Aufmerksamkeit in der Comicwelt zu erlangen. Angesichts des überbordenden Humors trotz Obszönitäten, Tabubrüchen und Gewalt, kann dem Comic, so Vogt von Comicgate in einer 2018 verfassten Rezension, keine ernsthafte Kritik nachgesagt werden.5 Kirkman selbst äußerte, dass hinter der Blasphemie des Comics rein wirtschaftliche Interessen standen. Erst durch diesen tabubrechenden, antichristlichen Comic ergab sich so der Kontakt zum Comicschöpfer und Gründer von Image Comic Erik Larsen, durch dessen Beziehungen es Kirkman ermöglicht wurde, weitere Comics zu veröffentlichen. Am 3. Oktober 2003 erschien die erste 1 2 3
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In: Osteried, et.al.: 2014, S. 39. Anm.: »Dieser Schwarz-Weiß-Ästhetik wird in der Fernsehserie durch entsättigte Farben entsprochen.« In: Kleiner: 2013, S. 236. Anm.: Es liegen 193 Ausgaben der Comicserie vor. The Walking Dead erschien seit Januar 2016 in deutscher Übersetzung beim Ludwigsburger Verlag Cross Cult. Insgesamt umfasst die Comicserie eine Laufzeit von Oktober 2003 bis Juli 2019. Kirkman, Robert; Moore, Tony: Battle Pope. 16 Ausgaben 2000. 14 Ausgaben. Funk-O-Tron; Image Comics. 2005. Vgl. Vogt, Benjamin: Battle Pope. URL: http://comicgate.de/rezensionen/battle-pope/.Ver öffentlicht am 27. Januar 2018. Aufgerufen am 22.07.2018.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Ausgabe des Comics The Walking Dead zu einem aufgrund der vorausgegangenen erfolgreichen Filme wie »Shaun of the Dead« ausgesprochen günstigen Zeitpunkt (siehe Kap. 3.10). Die Passion der Comic-Konsumenten verhalf schließlich endgültig zu dem Aufstieg der Zombies in der Popkultur. Der Comic6 war dabei einer der (literarischen) Wegbereiter für erfolgreiche Filme wie »Resident Evil« oder »28 Days Later«, die den Zombie im Kino wiederentdeckten und gesellschaftsfähig für das Blockbusterkino machten:7 »Zombies wurden zu den neuen Helden der Popkultur, und das, obwohl sie kurioserweise praktisch gesichtslos sind. Der Zombie erhob sich aus der Gosse des Brutalo-Splatters, er wurde zur dominanten Horror-Spezies. Und mehr noch: Er kam im Mainstream an!«8 Kirkman bediente sich bei der Grundidee an Romeros »Night of the Living Dead« und versuchte diese in einem fortdauernden Narrativ weiterzudenken:9 Seeßlen fasst in einem Artikel aus Der Zeit vom 28. September 2011 die Charakteristika der Comicserie trefflich zusammen und lobt zugleich die epische, für das Comicuniversum wegweisende Narration: »Seit 2003 erscheint eine Comicserie, geschrieben von Robert Kirkman, gezeichnet (in realistischem Schwarz-Weiß) zunächst von Tony Moore, danach von Charlie Adlard, die in ihrem schon homerisch epischen Atem alle Möglichkeiten des Zombie-Apokalypse-Motivs auslotet: Zivilisationsparabel, Soap Opera, schwarzer Humor, moralische Fabel, Horror (nicht zu wenig), Gesellschaftskritik, Thriller, Roadmovie, Erziehungsroman…Wenn jemand wissen will, wie und warum Comics eine Kunstform sind, in The Walking Dead ist es zu erfahren.«10 Im Jahr 2005 wurde der Regisseur und Filmproduzent Frank Darabont auf den Comic aufmerksam und nahm hinsichtlich des Interesses einer Serienadaption Kontakt mit Kirkman auf. Schließlich entwickelten sie zusammen eine auf dem Comic basierende Pilotfolge. Nach einer Ablehnung des Network-Senders NBC gelang mit Hilfe der Produzentin Gale Anne 2009 eine Zusammenarbeit mit AMC-Network, sodass schließlich sechs Episoden für die erste Staffel unter Darabonds Obhut als Showrunner und Kirkman als Co-Autor, Produzent und Schirmherr bestellt wur-
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Anm.: 2011 wurde eine animierte Version des ersten Comicbuchs veröffentlicht. Anm.: An dieser Stelle soll der Comic Jesus Hates Zombies von Stephen Lindsay aus dem Jahr 2007 erwähnt werden, in welchem die Erde von Zombies überrannt wird. Da Gott um seine Schöpfung fürchtet, schickt er Jesus Christus auf die Erde, um den Menschen zu helfen. Siehe: Lindsay, Stephen: Jesus Hates Zombies. USA, 2007. Vgl.: Osteried, et.al.: 2014, S. 43. Osteried, et.al.: 2014, S. 30. Vgl. Rolling Stone: »The Rise of The Walking Dead«, 31.Oktober 2013. Seeßlen, Georg.: Zombies übernehmen die Welt. In: Die Zeit, Nr. 39 vom 28. September 2011.
8. The Walking Dead
den.11 Trotz anfänglicher Skepsis seitens der Produzenten hinsichtlich der offensichtlich visualisierten Brutalität verzeichnete die Serie in den USA am 31. Oktober 2010 zahlreiche Quotenrekorde.12 Im selben Jahr gewann der Comic den renommierten Eisner Award. Die erste Folge der Serie brachte AMC mit 5,3 Millionen Zuschauern die besten Einschaltquoten, die eine Serie jemals auf diesem Sender vorwies.13 Meistgesehen war die erste Staffel in der Altersgruppe zwischen 19 und 49 Jahren.14 Das Debüt der zweiten Hälfte der dritten Staffel sahen in den USA mehr als 12 Millionen Zuschauer.15 Der Beginn der vierten Staffel wurde im Oktober 2013 von mehr als 16,1 Millionen Zuschauern gesehen.16 Kleinschnittger stellt heraus, dass The Walking Dead zu einer der populärsten TV-Shows gehört, die aktuell in den USA ausgestrahlt werden und dass die Serie auch in Deutschland Topquoten erzielt, so bei RTL2 und FOX.17 Die Staffelpremiere der siebten Staffel mit 17,05 Millionen Zuschauern wies die zweithöchste Quote in der Seriengeschichte auf. Im Verlauf der siebten Staffel brachen die Quoten jedoch ein. Das Finale der siebten Staffel brachte die Staffel mit 11,3 Millionen Live-Zuschauern quotentechnisch zu einem schwachen Abschluss.18 Dieser Abwärtstrend schwacher Zuschauerzahlen und Quoten setzte sich in Staffel 8 fort, war allerdings wegen einer im Vergleich zu anderen Formaten noch immer ausgesprochen hohen Zuschauerzahl kein Grund zum Abbruch.19 Im Januar 2018 wurde verkündet, dass The Walking Dead um eine neunte Staffel verlängert und mit der neuen Showrunnerin Angela Kang besetzt werden soll. Die Produzentin war seit 2011 als Autorin von The Walking Dead involviert und gehört seit 2013 zum
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Anm.: Aufgrund von Differenzen zwischen Darabond und AMC legte Letzterer im Juli 2011 sein Amt als Showrunner nieder. Sein Nachfolger wurde Glenn Mazzara (Staffel zwei und drei). Nachfolgend Scott M. Gimple für die Staffeln vier bis acht. Die neunte und zehnte Staffel wurde von Angela Kang als Showrunnerin übernommen. Anm.: Die Pilotfolge wurde von 5,3 Millionen Zuschauern verfolgt und stellte damit die höchste Einschaltquote für den Sender überhaupt dar. Vgl. Osteried et.al.: 2014, S. 38. Vgl. O’Connell, Michael: TV Ratings: The Walking Dead Gives Finale Best With 15.7 Million Viewers. In: Hollywood Reporter. URL: https://www.hollywoodreporter.com/live-feed/tv-ratin gs-walking-dead-surges-648190. Aufgerufen am 09.10.2018. Osteried et.al.: 2014, S. 19. Ebd. S. 38. Vgl. Kleinschnittger, Vanessa: 2015, S. 136. Vgl. Lorenz, Sebastian: The Walking Dead: Staffelpremiere 8.01 mit schwachen Quoten. 25.10.2017. URL: https://www.robots-and-dragons.de/news/115150-the-walking-dead-staffelp remiere-801-schwachen-quoten. Aufgerufen am 25.10.2017. Vgl. O’Connell, Michael: TV Ratings: ›The Walking Dead‹ Hits 5-Year Premiere Low. 24.10.2017. URL: https://www.hollywoodreporter.com/live-feed/tv-ratings-walking-dead-hits -5-year-premiere-low-1051102. Aufgerufen am 26.10.2017.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Stamm der ausführenden Produzenten. Scott M. Gimple wurde derweil zum Chief Content Officer befördert und verwaltet nun das gesamte Walking Dead-Franchise bei AMC.20 Derweil verzeichnete das achte Staffelfinale mit 7,9 Millionen Zuschauern die schwächste Quote eines Staffelendes seit Staffel 1.21 Gimple versprach nach dem achten Staffelfinale, das den Abschluss der bisherigen Handlungen bilden sollte, mit dem Beginn der neunten Staffel eine völlig neue Serie, in welcher Kang neue Geschichten erzählen werde.22 Derweil ließ Rick Grimes (der Protagonist der Serie) Darsteller Andrew Lincoln auf der Comic Con in San Diego 2018 verlauten, dass er innerhalb der neunten Staffel die Serie verlassen wird. Im November 2018 wurde bekannt, dass Lincoln seine Rolle als Rick Grimes in drei geplanten AMCSpielfilmen wieder aufnehmen wird.23 Im Februar 2019 wurde eine zehnte Staffel in Auftrag gegeben. Könitzer schreibt zum Zuschauerstand: »Mit durchschnittlich 5,2 Millionen Zuschauern ist das Interesse an The Walking Dead im Vergleich zur vorherigen Staffel noch einmal weiter gesunken. Trotzdem ist die Zombieserie immer noch das erfolgreichste Format auf dem amerikanischen Sender und kommt beispielsweise auf knapp doppelt so gute Zuschauerzahlen wie das Spin-off Fear the Walking Dead.«24 Es wurde nun Distanz vom klassischen Narrativ des Kampfes genommen, damit der Fokus auf den Prozess der Re-Zivilisation gelegt werden konnte.25 Allerdings schalteten lediglich 6,1 Millionen Zuschauer die erste Folge der neunten Staffel am
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Vgl. Könitzer, Hannes: The Walking Dead erhält 9. Staffel und einen neuen Showrunner. 14.01.2018. URL: https://www.robots-and-dragons.de/news/115943-the-walking-dead-erhalt-9 -staffel-einen-showrunner. Aufgerufen am 15.01.2018. Vgl. Otterson, Joe: ›Walking Dead‹ Season 8 Finale Ratings Lowest Since Season 1. 17.04.2018. URL: https://variety.com/2018/tv/news/walking-dead-season-8-finale-ratings-120 2754602/. Aufgerufen am 02.05.2018. Vgl. Dalton, Ross: The Walking Dead showrunner says finale is a ›conclusion of the first 8 seasons‹. 11. April 2018. URL: https://ew.com/tv/2018/04/11/the-walking-dead-season-8-finale-sh owrunner-scott-gimple/. Aufgerufen am 06.11.2018. Vgl. Goldberg, Lesley: ›Walking Dead‹ Expansion Plans Revealed: Andrew Lincoln to Lead 3 AMC Movies. URL: https://www.hollywoodreporter.com/live-feed/walking-dead-expansion-p lans-revealed-andrew-lincoln-movies-new-series-come-1157921. Aufgerufen am 07.11.2018. Könitzer, Hannes: The Walking Dead: AMC bestellt 10. Staffel. URL: https://www.robots-and-d ragons.de/news/119363-the-walking-dead-amc-bestellt-10-staffel. Aufgerufen am 09.02.2019. Vgl. Shaw-Williams, Hannah: The Walking Dead Season 9 Will Have More Building Than Fighting. 30.06.2018. URL: https://screenrant.com/walking-dead-season-9-more-building-les s-fighting/. Aufgerufen am 08.07.2018.
8. The Walking Dead
07. Oktober 2018 ein.26 Dennoch hat AMC Pläne, das The Walking Dead-Universum für die nächsten zehn Jahre fortzusetzen.27 Die Serie orientiert sich zwar an der Comicvorlage, geht jedoch auch eigene narrative Wege und weicht chronologisch, figural, räumlich und dramaturgisch bisweilen von der Vorlage ab. »Wer im Comic stirbt, muss das in der Fernsehserie nicht zwangsläufig auch – und umgekehrt.«28 Das Horrorgenre wird hier also im Sinne des Quality Televisions reorganisiert und mit anderen narrativen Komponenten wie der moralischen Fabel, dem Thriller, Western-Anleihen oder dem Roadmovie zu einem unterhaltungsspezifischen Konglomerat kombiniert. Darüber hinaus vereint The Walking Dead narrative Fragmente aus schon bestehenden Zombiefilmszenarien und modifiziert diese anhand komplexer dramaturgischer Cluster und Figurenkonstellationen. Das gesamte The Walking Dead-Universum umfasst als multimediales Phänomen mittlerweile (Stand Juni 2019) die seit 2010 produzierte Hauptserie The Walking Dead mit 131 Episoden in 9 Staffeln, die Spin-Off-Serie Fear The Walking Dead mit 57 Episoden in 5 Staffeln seit 2015, sechs zusätzliche, parallel zu den Serien laufende Mini-Webserien,29 welche einzelne Elemente, Personen oder Schauplätze der Serien aufgreifen und lancieren, sowie eine seit 2011 im Anschluss an die Episoden ausgestrahlte Nachbesprechung der einzelnen Episoden unter der Moderation Chris Hardwicks namens Talking Dead30 , mit 167 Folgen in acht Staffeln. Dazu gibt es zusätzlich sieben Romane, welche die Hintergründe zweier Figuren aus dem The Walking Dead-Universum erweitern.31 Im Februar 2019
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Vgl. Bübl, Nele: Quoten: Tiefstand für The Walking Dead, Hochgefühle bei Doctor Who. 09.10.2018. URL: https://www.robots-and-dragons.de/news/118448-quoten-tiefstand-fur-thewalking-dead-hochgefuhle-bei-doctor-who. Aufgerufen am 09.10.2018. Vgl. Vlessing, Etan: AMC Networks CEO Says He’s Been Prudent Amid Industry Consolidation. 12.09.2018. URL: https://www.hollywoodreporter.com/news/amc-networks-ceo-says-hes-bee n-prudent-industry-consolidation-1142564. Dazu ließ AMC am 08. April 2019 verlauten, dass eine weitere Tochterserie produziert werden soll. Aufgerufen am 12.09.2018. Siehe: Ausiello, Michael: New Walking Dead Series Centered on ›Two Young Female Protagonists‹ Snags 10Episode Order at AMC. In: https://tvline.com/2019/04/08/walking-dead-third-series-spinoff-f emale-characters-amc/. Aufgerufen am 10.04.2019. Osteried et.al.: 2014, S. 38. Anm.: Die einzelnen Episoden der Webserien mit einer Laufzeit von ca. 25 Minuten sind wiederum in einzelne, 2-5 minütige Fragmente unterteilt und werden monatlich ausgestrahlt. Von den sechs bisher erschienenen Folgen gehören 4 Episoden zu der Mutterserie The Walking Dead: 1. Torn Apart. R.: Greg Nicotero. USA, 2011.; 2. Cold Stage. R.: Greg Nicotero, USA, 2012.; The Oath. R.: Greg Nicotero. USA, 2013.; Red Machete. R.: Avi Youabian. USA, 20172018. Zwei weitere Episoden wurden für die Serie Fear The Walking Dead produziert: Flight 462. R.: Michael McDonough. USA, 2015-2016.; Passage. R.: Andrew Bernstein. USA, 2017. Talking Dead. USA. Seit 2011. Anm.: Es handelt sich hierbei um eine sieben Bände umfassende Spin-Off-Serie von Robert Kirkman und Jay Bonansinga, veröffentlicht zwischen 2012 und 2017.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
wurde bekannt, dass eine weitere Spin-Off-Serie im The Walking Dead-Universum produziert werden soll.32 Darüber hinaus existieren Computer- und Videospiele, wie die von Telltale Games vier Staffeln umfassende parallel zur Serienhandlung laufende, aber narrativ unabhängige und damit asynchrone Computerspielreihe The Walking Dead,33 sowie The Walking Dead: Survival Instinct 34 , The Walking Dead: Dead Reckoning,35 das Facebook-Spiel The Walking Dead Social Game36 , das Virtual-Reality-Spiel The Walking Dead: Onslaught VR37 und sechs Smartphone-Applikationen.38 2018 erschien überdies der kooperative First-Person-Shooter Overkill’s The Walking Dead.39 Bezüglich theologisch affiner Elemente stellt Ryan Parker die Signifikanz theologisch- oder religionsgeladener Konversationen im The Walking DeadUniversum heraus, welche anhand von (diegetischen Gesprächs-)Themen, wie z.B. solche über die menschliche Identität und Spiritualität, erzeugt werden.40 Dazu betont er, dass sich Robert Kirkman durchaus über die theologischen Implikationen und Anregungen seines Universums bewusst ist, womit Cowans Aussage (siehe Kap. 1.1) hinsichtlich der minutiösen Planung und Komposition eines Films verifiziert und auf das The Walking Dead-Universum subsumiert werden kann.41 Erst im Zuge der gleichnamigen Serienadaption42 des von Kirkman erdachten Horror-Comics Outcast 43 mit dem Schwerpunkt auf Exorzismus wurde er aufgrund der offensichtlichen Beeinflussung und Affinitäten von verschiedenen Journalisten 32
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Vgl. Hayes, Dade; Patten, Dominic: New ›Walking Dead‹ Spinoff In The Works, AMC Executives Confirm. URL: https://deadline.com/2019/02/new-walking-dead-spinoff-in-the-worksamc-executives-confirm-1202566913/. Aufgerufen am 02.03.2019. Anm.: Telltale Games, San Rafael, USA: The Walking Dead. Season 1. Sechs Episoden. 2012; Season 2, 5 Episoden. 2013; Season 3. 5 Episoden. 2016.; Vier Episoden 2018. [Playstation 3, Xbox 360, PC]. Activision: The Walking Dead: Survival Instinct [Playstation 3, Wii U, Xbox 360, PC]. Santa Monica. USA. 2013. AMC: The Walking Dead: Reckoning. [Smartphone-Applikation]. New York. USA. 2012. AMC: The Walking Dead Social Game [Online-Spiel]. New York. USA. 2012. Survios: The Walking Dead: Onslaught VR. Los Angeles. USA. 2019. Anm.: Folgende Smartphone-Applikationen wurden bisher veröffentlicht: 1. Skybound Entertainment: The Walking Dead: Assault. USA, 2012. 2. AMC: The Walking Dead: Left Behind. USA, 2012. 3. AMC: The Walking Dead: Dead Yourself. USA, 2012. 4. AMC: The Walking: Dead Atlanta Run. USA, 2012. 5. AMC: The Walking Dead: No Man’s Land. USA, 2015. 6. Skybound Entertainment: The Walking Dead: Road to Survival. USA, 2015. Starbreeze Studios: Overkill’s The Walking Dead [PC]. Stockholm, 2018. Vgl. Parker, Ryan J.: Negotiating (Non) Existence. Justifications of Violence in Robert Kirkman’s The Walking Dead. In: Paffenroth, Kim; Morehead, John W. (Hg.): The Undead and Theology. Eugene, 2012. S. 165-194. Hier S. 187. Vgl. Ebd. Outcast. Produktion.: Diverse. USA. 2016-2017. 20. Episoden in zwei Staffeln. Kirkman, Robert; Azaceta, Paul: Outcast. 41 Ausgaben. Stand 29.06.2019. USA. Seit 2014.
8. The Walking Dead
auf seinen persönlichen Bezug zur Religion angesprochen. So äußerte Kirkman, dass er trotz früher religiöser Sozialisation mit einer beschönigten Sichtweise des Glaubens keiner bestimmten Religion angehöre und seine Mutter während einer extrem religiösen Lebensphase »mehrere Monate oder Jahre«44 einer Pfingstgemeinde angehörte und mit ihm regelmäßig den Gottesdienst besuchte »um die Hölle zu vermeiden.«45 Auf die Frage, wie er auf die Idee einer Serie über Besessenheit kam, antwortete Kirkman offen ablehnend, dass er einst Zeuge eines Exorzismus war, welchen er als völlig gewöhnlich empfand, da ihm beigebracht wurde, dass kranke Menschen von Dämonen besessen seien, die sie erst krank werden lassen. Der Journalist Pilz von Der Welt äußerte dazu, dass »Outcast« eine Serie über die Renaissance der Religion sei: »Wie sich der Mensch wieder danach zu sehnen scheint zu glauben, sei es an ein Seelenheil, ein einleuchtendes Weltbild oder auch ein besseres Leben durch gesunde Nahrung, Achtsamkeit und Landluft, so dreht sich die Fernsehserie als Leitmedium des 21. Jahrhunderts um die großen religiösen Fragen und ihr Personal.«46
8.1
Kurze Zusammenfassung von The Walking Dead
Im Mittelpunkt der Handlung von The Walking Dead steht die Via Dolorosa des charismatischen, zwecks seines Amtes mit Dignität ausgestatteten, Deputy Sheriff Rick Grimes (Andrew Lincoln), welcher in der ersten Staffel in einem fiktiven Vorort von Atlanta (King Country) aus einem durch einen Schusswechsel hervorgerufenem Koma erwacht, sich plötzlich inmitten einer durch einen Virus verursachten Pandemie47 und einer erfolgten postapokalyptischen Welt voller wandelnder Toten48 wiederfindet und sein Leben, seine Werte und Prinzipien entsprechend
44 45 46 47
48
O’Dell, Johnny: How Robert Kirkman’s Childhood Church Inspired Outcast. In: Rolling Stone. 31. Mai 2016. Ebd. Pilz, Michael: Der religiöse Horror kehrt zurück. In: Die Welt. 30.06.2016. Anm.: Die Ursache für die durch den Virus evozierte Epidemie wird nie beantwortet. Gemäß Ecos Definition der Phantastik interessiert in diesen Geschichten auch nicht »wie eine solche Welt möglich geworden ist, sondern was in jener Welt geschieht.« Eco,: 1990, S. 216. Anm.: Der Begriff ›Zombie‹ wird im The Walking Dead-Universum nie verwendet, um eine Selbstreferenzialität zum Zombiegenre zu vermeiden. Begründet wird dies damit, dass die Filme Romeros im The Walking Dead- Universum nicht existieren. Die Untoten werden hier im englischen Original vornehmlich Walker, aber auch Roamer, Lurker, Biter, Floater, manchmal auch Eaters genannt, während in der deutschen Übersetzung die Bezeichnungen Beißer oder auch Streuner benutzt werden. Die Namen der Zombie-Darsteller werden hier aufgrund ihres primären Statisten-, Massen- und Hintergrundcharakters ausgespart. »In The Walking Dead
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
als erwählter Anführer einer Gruppe Überlebender akkommodieren und im episodenhaften Fortschritt des Narrativs zunehmend entgegen seines moralischen Kodex agieren muss.49 Dabei strauchelt er und verfällt bisweilen aufgrund tragischer Einbußen seiner Gruppenmitglieder und ethischer Hürden in tiefe Depressionen, hat jedoch stets rangierend eine Führungsposition aller der um ihn herum etablierten Charaktere inne und weiß mit dieser (bisweilen mit Unterstützung und Rat Dritter) zu taktieren. Zusammen mit seiner wiedergefundenen Frau Lori (Sarah Wayne Callis), seinem Sohn Carl (Chandler Riggs) und anderen Überlebenden macht er sich auf die Suche nach einer sicheren Enklave. Zur Figur des Rick Grimes äußerte Kleiner: »Die Faszination seiner Figur macht aus, dass sie exemplarisch für das Publikum ist und eine echte Veränderung im Verlauf der Serie durchmacht. Er ist anfangs ein Gesetzeshüter, der sich an die Regeln der amerikanischen Gesellschaft hält, aber im Verlauf der Geschichte wird er zunehmend härter und kompromissloser. Die Welt um ihn herum verändert ihn, lässt ihn von einer schwarz-weißen Sichtweise in ein allumfassendes Grau hinübergleiten.«50 Konzise verläuft die Handlung der Serie nach folgender Struktur: Nachdem Rick und seine Gruppe nach einigen Intermezzi in Atlanta und einem nahe gelegenen provisorisch errichteten Camp im Zentrum für Seuchenkontrolle erfahren haben, dass es keine Heilung gegen die Zombies gibt und jegliche Form von Staatlichkeit nicht mehr existiert (Ende Staffel 1), stoßen sie auf die vermeintlich sichere und abgeschiedene Farm von Hershel Greene (Scott Wilson). Nachdem diese von Untoten überrannt wird (Ende Staffel 2), finden die Überlebenden nach langer Suche ein Gefängnis, welches sich aufgrund der um das Areal befindlichen Zäune als lebenswertes Domizil erweisen könnte. Dort wird Ricks Adoptivtochter Judith51 geboren (seine Frau verkehrte in seiner komatösen Abwesenheit mit seinem besten Freund), wobei seine Frau verstirbt. Allerdings befindet sich in der Nähe ein kleines abgesichertes Dorf, welches von einem tyrannischen Warlord (David Morrissey) geleitet wird, der das Gefängnis mit agitatorischen Mitteln annektieren möchte und dadurch einen Kampf entfacht (Ende Staffel 3). Nach einer längeren Phase der Ruhe bricht eine Epidemie im Gefängnis aus, die zahlreiche Opfer fordert. Durch einen weiteren Angriff des Warlords wird das Gefängnis zerstört und die Gruppe rund um Rick muss erneut ein sicheres Refugium finden. Dieses stellt sich nach
49 50 51
werden die Zombies als Virus-Zombies inszeniert, also als Kranke und Krankheitsüberträger, deren Krankheit scheinbar unheilbar und deren Krankheitsübertragung unmittelbar tödlich ist.« In: Kleiner: 2013, S. 237. Anm.: Die Apokalypse ist ein diegetischer Divergenzpunkt im Sinne, dass hier die Weltgeschichte einen anderen Verlauf nimmt. Kleiner: 2013, S. 31. Anm.: Das Figurenensemble für Judith wechselte im Verlauf der verschiedenen Staffeln.
8. The Walking Dead
längerer Suche in Form des Ortes ›Terminus‹ heraus, welcher sich letztlich als Todesfalle von Kannibalen entpuppt (Ende Staffel 4). Die Gruppe muss erneut in der Wildnis überleben, bis sie in der Nähe von Washington endlich an einem absolut sicheren Ort der verbliebenen Bourgeoisie namens ›Alexandria‹ geführt werden. Es handelt sich hierbei um eine Vorstadtsiedlung, die vor der Apokalypse ummauert wurde. Da die Bewohner Alexandrias niemals mit der veränderten, brutalen Welt nach der Apokalypse in Kontakt gekommen sind, kollidieren die Ideologien beider Parteien. Jedoch kann Rick die Bewohner von der Gefahr überzeugen (Ende Staffel 5). In der Nähe wird ein Steinbruch mit zahlreichen Untoten entdeckt, die zwecks der Sicherheit Alexandrias fortgelockt werden sollen. Allerdings misslingt dieses Vorhaben und Alexandria wird sowohl von vagabundierenden Menschen als auch von Zombies überfallen, kann jedoch von den Überlebenden unter Strapazen und mit großen Einbußen gerettet werden. Da sich dieser Ort als sichere Zone erweist, lohnt es sich für Rick und seine Gruppe, um jeden Preis für diese sichere Heimat gegen Zombies und andere Gruppierungen zu kämpfen (Ende Staffel 6). Wobei sie sich eigenverschuldet im Schatten mächtiger rivalisierenden Kontrahenten unter der Führung eines totalitären Despoten namens Negan (Jeffrey Dean Morgan), der verschiedene Gemeinden mit drakonischen Mitteln drangsaliert, zunehmend in Entbehrung und Kompromissbereitschaft üben und letztlich nach schmerzhaften Verlusten mit mehreren verbündeten Enklaven gegen Negans Schreckensherrschaft paramilitärisch in den Krieg ziehen müssen (Ende Staffel 7). Im Verlauf des Rick-Negan-Kriegs kommt Ricks Sohn Carl (unabhängig vom wütenden Krieg) durch den Biss eines Zombies ums Leben. Aus seinen Abschiedsbriefen an Rick und Negan geht der Wunsch eines Friedensbeschlusses hervor, an welchen Rick gedenkt sich zu halten, weshalb er seinen Erzfeind in einem finalen Mann-gegen-Mann-Kampf außer Gefecht setzt, in Gefangenschaft nimmt (was vielen seiner Anhänger missfällt) und den Krieg gewinnt und beendet (Ende Staffel 8). Eineinhalb Jahre nach dem Krieg wird – seit dem Konfluieren der territorial zersplitterten Gemeinden in einer von der Natur zurückeroberten Welt – sowohl eine Kultivierung als auch Perpetuierung eines gesellschaftlichen Zusammenseins betrieben. Trotz des Bestrebens sozialer Akklimatisierungen, der Akkommodation der Lebensmaxime an die neue Welt und der Solidarisierung mit dem ehemals feindlichen Lager Negans (dem eine Art Generalamnestie zugesprochen wurde) kommt es jedoch immer wieder zu größeren und kleineren konfrontativen Intermezzi und Scharmützeln, wobei soziale Minenfelder polyvalent touchiert werden. Parallel zur Haupthandlung erfolgen Rekurse auf den Zivilisationsprozess und ein Versuch der Pazifizierung, auf die Restitution einer Gesellschaft sowie auf die Stabilisierung sozialer Zustände, die Etablierung von Infrastrukturen, merkantile Maßnahmen und Urbanisierungen, die Konstruktion eines Gemeinwesens und die Erarbeitung sublimer (Ordnungs-)strukturen. Subsumierend wird also eine politi-
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
sche Matrix erstrebt, um die Machtverhältnisse zwischen den Kommunen gerecht zu balancieren. Um den Angriff einer großen Zombiehorde über eine Brücke zu den Kolonien zu verhindern, sprengt Rick diese in die Luft und stirbt dabei vermeintlich, wird allerdings – nur für die Augen des Zuschauers – von einem herbeigerufenen Helikopter weggeflogen (Staffel 9, Folge 5). Das Ende von Rick markiert zugleich den Anfang einer neuen Ära im The Walking Dead-Universum, indem sechs Jahre nach seinem scheinbaren Tod die Handlung des Protagonisten durch die nun herangewachsene (Adoptiv-)Tochter Judith Grimes (Cailey Fleming) fortgesetzt wird. Die Kommunen sehen sich indes nicht nur mit einem harten Winter, sondern auch mit einer neuen Bedrohung durch die sogenannten ›Whisperer‹ und deren in einer Zombiemaske auftretenden Repräsentantin Alpha (Samantha Morton) konfrontiert (Ende der neunten Staffel). Zusammenfassend zeigt die Geschichte in ihrem groben Verlauf eine dramaturgische Parabel auf, die sich exponentiell zu steigern anschickt. In ihrem paragonalen Fortschritt und der Balance zwischen Nihilismus, Verzagtheit und Hoffnung spitzt sich die Lage anhand von Missständen, Unglücken und Verlusten sowie exzessiven Gewaltorgien (durchbrochen von zeitweiligen Lichtblicken) immer weiter zu. Ricks Entourage ist zwecks dramaturgischer Brisanz von Diversität geprägt und in variabler Figurenökonomie skizziert, sodass im Verlauf der Serie immer wieder Mitglieder versterben oder dazustoßen. Der Alltag der Gruppe bleibt über lange Zeit von Ortswechseln geprägt. In einer erratischen Existenz gleichen das mühevolle Entkommen aus Gefahrensituationen, ihre militanten Maßnahmen und grobschlächtigen Methoden einer Tour-de-Force mit dem Ziel permanenter Ruhe und Einkehr.52 Begleitet von einer elegischen Gewaltspirale ist die Gruppe stets auf der Suche nach einem Refugium, einem ›Locus amoenus‹. Aufgrund dieser sich wiederholenden narrativen Struktur präsentieren sich fortwährend abgewandelte Variationen gleich einer Wiederholung vorher etablierter Muster gemäß des Motivrepertoires des klassischen Zombiefilms nach Romeros Diktum (siehe Kap. 3.10): Überlebende sind immer wieder in verschiedenen Iterationen auf der Suche nach einem zu befestigenden Wohnsitz, einer provisorischen Karawanserei oder einem habitablen Zufluchtsort. Dort werden sie mit antagonistischen Kräften (Zombies oder anderen Menschen) konfrontiert und müssen ihr Territorium verteidigen, wodurch die Charaktere immer wieder mit ethischen Problemen konfrontiert werden: »Robert Kirkman führt seine Figuren immer wieder in moralische und ethische Grauzonen, in denen sie sittliche oder ethische Entscheidungen treffen müssen.
52
Anm.: Diese Beschreibung umfasst den narrativen Überbau der Serie und vernachlässigt bewusst einzelne Figuren, Subplots und Storylines, die sich besonders ab der dritten Staffel etablierten. Diese werden bei entsprechender Relevanz im Rahmen der theologischen Filmanalyse an gegebener Stelle genauer erläutert.
8. The Walking Dead
Damit bringt er uns dazu, selbst über unser Verhalten anderen gegenüber nachzudenken, womit interessanterweise eine Forderung von Immanuel Kant erfüllt wird: [»Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.«]53 War Rick anfangs noch als ästhetische Figur der Noblesse »eine Personifizierung von Ordnungsliebe, Gerechtigkeitssinn, Wertebewusstsein, Handlungs- und Entscheidungskompentenz sowie Verantwortungsgefühl und in seiner Rolle als Polizist Stellvertreter für die Werte der alten Welt in die Lebenswelt der neuen«,54 entwickelt sich Ricks Charakter, der fortwährend gegen seinen moralischen Kodex agieren muss, vom makellosen und einwandfreien Leuchtfeuer der Ethik und gesetzlicher Ordnung durch seine ungewollte Erhebung zum Anführer hin zu einer pragmatischen gewaltvoll-zügellosen, verbiesterten, wilden und furchteinflößenden Figur, deren uneingeschränkte Prämisse die Sicherheit seiner Mitglieder um jeden Preis darstellt, wodurch er nie an Souveränität einbüßt, sondern seine devotionale Reputation zu steigern weiß.
8.2
Kurze Zusammenfassung von Fear The Walking Dead
Die Handlung der Serie beginnt einige Wochen vor dem Kataklysmus und fokussiert die disfunktionale Patchwork-Familie um Madison Clark (Kim Dickens) und Travis Manawa (Cliff Curtis), die sich im Zuge der Apokalypse zusammentun muss, um eine sichere Zufluchtsstätte zu finden. In der Patchwork-Familienkonstellation fungiert bis zu Beginn der dritten Staffel Travis als solider Diplomat, Mediator, sozialer Dreh- und Angelpunkt und vermittlerische Konstante zwischen den Charakteren. Er manövriert die Figuren als Ruhepol durch soziale und umstandsspezifische Turbulenzen hindurch und hält so das heterogene Charaktergefüge als Patriarch der Familie zusammen. So hat er ähnlich wie Rick eine Führungsposition gegenüber der um ihm herum etablierten Charaktere inne. Während der sich anbahnenden Katastrophe durch Schilderungen einzelner Wiederauferstehungsvorfälle in den Nachrichten, die jedoch noch nicht in das öffentliche Bewusstsein gedrungen sind, wird die Familie durch den drogensüchtigen Sohn Nick Clark (Frank Dillane) und den störrisch-rebellischen Chris Manawa (Lorenzo James Henrie) sukzessive an das Untoten-Phänomen durch verschiedene Menetekel herangeführt. Madison und Travis werden bei der Suche nach Nick durch den von ihm in Selbstverteidigung getöteten Drogendealer und vermeintlichen Freund (Keith Powers) zum ersten Mal mit einem Untoten konfrontiert. Travis will sogleich seinen Sohn Chris aus einer gefährlichen Demonstration in der Stadt retten. Diese eskaliert
53 54
Körber: 2014, S. 88. Kleiner: 2013, S. 237
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
aufgrund der zunehmenden Anzahl der Zombies und beide erhalten notgedrungen Obdach im Frisörsalon der Familie Salazar. Zusammen mit den Salazars, die nun zum Hauptensemble gehören, begeben sich Travis und Chris zurück zu dem im suburbanen Terrain liegenden Haus von Madison. Die Lage wird durch das in die Wohnsiedlung eindringende Militär entschärft, wobei diese hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt wird, sodass sich die überlebenden Zivilisten in Sicherheit wissen können. Diese Sicherheit entpuppt sich allerdings als Farce des Militärs, welches nach einem mehrtägigen Aufenthalt in der errichteten Sicherheitszone vorhat, die zivile Bevölkerung zu töten. Indes wird Nick in ein Krankenhaus verschleppt und lernt dort den wohlhabenden Victor Strand (Colman Domingo) kennen. Zusammen mit ihm, den Salazars und seiner Familie gelingt die Flucht aus dem von Zombies überrannten Militärcamp und dem Krankenhaus an eine an der Küste gelegenen luxuriösen Villa Strands, während Los Angeles endgültig durch Luftangriffe zerstört wird (Ende Staffel 1). Zusammen mit den Salazars und Strand, der seinen Geliebten in Mexiko in einem sicheren Anwesen erreichen will, verlässt die Gruppe auf Strands Yacht die Küste und gerät auf der vermeintlich sicheren See in verschiedene missliche Situationen mit Zombies und anderen Überlebenden. Auf dem Gut in Mexiko angekommen verstirbt Strands Partner. Indes entpuppt sich nicht nur die Haushälterin (Marlene Forte), sondern auch Chris Manawa als Gefahr für die Gruppe. Die Haushälterin wird von Madison getötet, Nick verlässt daraufhin mit Entsetzen seine Familie und Travis und Chris ziehen allein in die mexikanische Steppe, wobei Chris im Zuge eines Zusammenschlusses mit einer Jugendbande durch diese getötet wird. Fortan laufen parallel multiple Handlungsbögen entlang einzelner Hauptfiguren episodenhaft nebeneinander. Gemeinsam ist den Handlungslinien die Suche nach einer neuen Bleibe, die zuerst gefunden, erschlossen oder erkämpft werden muss (La Colonia bei Nick Clark und das Rosarito Beach Hotel bei Madison, Strand und Travis), sowie damit verbundene Krisen, Kompromisse, Zusammenschlüsse und Konfrontationen. (Ende Staffel 2). Schließlich findet sich am Ende die Gruppe als Gefangene des Militärs an der Landesgrenze zwischen den USA und Mexiko zusammen (1. Folge, 3. Staffel). Es stellt sich allerdings heraus, dass es sich bei den vermeintlichen Soldaten um Überlebende einer sicheren Ranch in San Diego handelt, zu der die Familie gebracht wird, nachdem eine Zombiegruppe die Grenzstation überläuft. Nach der Evakuierung wird der Helikopter, in welchem sich Travis befindet, beschossen, wobei Travis ums Leben kommt. In der von Preppern55
55
Anm.: Als Prepper werden Personen bezeichnet, die sich auf verschiedene Weise auf mögliche Krisen und Katastrophen unterschiedlichsten Ausmaßes vorbereiten, um diese autark überstehen zu können (z.B. durch Anhäufung von Lebensmittel, Bewaffnung, körperliches Überlebenstraining, Fortifizierung des Eigenheims, Fluchtmöglichkeiten, sonstige Sicherheitsmaßnahmen usw.).
8. The Walking Dead
vor der Apokalypse angelegten Ranch häufen sich derweil inner- und intrasoziale Konflikte sowohl mit dem Ranchbetreiber (Dayton Callie), seinen Söhnen (Sam Underwood und Daniel Sharman) und anderen dort lebenden Bewohnern, als auch mit der lokalen indigenen Bevölkerungsgruppe, welche das Gelände beansprucht und verantwortlich für den Beschuss des Hubschraubers ist. Dabei avancieren nun die kompromisslos agierende Madison und ihre Tochter Alisha zu Führungsgrößen innerhalb der neuen Gemeinschaft. Durch Fehden, Intrigen und Opfer wird der Einlass der indigenen Gruppe mit großer Skepsis gestattet. Allerdings wird die Ranch durch das Anlocken einer Armada an Zombies alsbald überrannt. Ein weiterer Handlungsstrang fokussiert indes Strand, der in Konflikte bezüglich eines in Mexiko gelegenen Staudamms gerät und durch einige Zufälle seinen Weg zurück zu Madison findet, die auf der Suche nach Wasser für die Ranch ist. Nach dem Untergang der Ranch begeben sich die Überlebenden zu dem Damm, wo es zum finalen Kampf mit anderen gegnerischen Gruppen kommt (Ende Staffel 3). Nach den Ereignissen der dritten Staffel wurde durch Madison ein Stadion als sichere Zone umfunktioniert. Jedoch werden die im Stadion lebenden Personen durch andere Überlebende namens ›Vultures‹ bedroht. Bei der vierten Staffel handelt es sich um eine durch einen ShowrunnerWechsel (Andrew Chambliss, Ian Goldberg und Scott M. Gimple) in jeder Hinsicht neue Iteration der Serie mit einer neuen Tonalität, musikalischen Untermalung, Duktus, Design und Figuren. So avanciert der aus der Walking Dead-Serie bekannte Morgan Jones (Lennie James) nach einem anfänglichen Crossover der Walking Dead-Serien diegetisch durch eine Metanoia zur Hauptfigur von Fear The Walking Dead, während die bisherig übriggebliebenen Protagonisten Nick und Madison Clark in der ersten Staffelhälfte versterben. Weiterhin wird die Staffel mit heterogenen Fokalisationsinstanzen achronologisch durch Gegenwarts- und Vergangenheitshandlungen (in Form von Rückblenden) erzählt. Die neuen Figuren schließen sich als Gruppe zusammen, um anderen Überlebenden vor Zombies oder sonstigen Gefahren zu beschützen (Ende Staffel 4 und Anfang Staffel 5).
221
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
8.3
(Post-)Apokalyptisches Narrativ Wie war’s mit der Jagd im tiefen Wald? … Bruder, die Nacht war so lang und so kalt! Wie war’s mit der Beute? Besiegt oder tot? … Bruder, noch springt sie im Morgenrot! Wo bleibt deine Stärke, dein Stolz, deine Lust? … Bruder, sie schmilzt mir von Flanke und Brust. Was hetzt dich so? Was ist deine Not? Bruder, ich sterbe, mich hetzt der Tod.56
Im The Walking Dead-Universum werden, gemäß »der Machart apokalyptischer Filme und nicht selten in Rückgriff auf Intentionen christlicher Texte und Traditionen jenseits kirchlicher Diskurszusammenhänge (aber nicht ohne Verbindung zu ihnen) experimentell, die letzten Dinge‹ neu verhandelt.«57 Obwohl es sich bei The Walking Dead um eine postapokalyptische Handlung im Horrorbereich als Pastiche Romeros Oeuvres dreht, gehört sie nach dem Definitionsansatz von Oswalt durch das Zeigen apokalyptischer Themen und deren Metaphorik auch in den Kanon apokalyptischer Filme.58 Diesbezüglich differenziert Garrett zwischen apokalyptischen Geschichten in der Literatur und Popkultur versus der traditionellen apokalyptischen Literatur und akzentuiert zugleich die säkulare Tendenz moderner apokalyptischer Geschichten: »Although they are related and share some surface characteristics, they have different purposes and different outcomes. Daniel in the Hebrew Bible, the First and Second Books of Enoch, the Fourth Book of Ezra, and the Christian Testament’s Book of Revelation diverge from our pop culture apocalyptic narratives in significant ways. In the secular stories, the human race faces the end of the world and either averts it or lives into it. The apocalyptic genre has historically had more of a cosmic and spiritual dimension. […] The secular visions of the eschaton – the world to come, often arrived at through cataclysm or bloddy struggle – that pervade our movies, TV, comics, games, and entire culture draw their settings and tensions from the long standing tradition. In fact, our modern stories have in common their derivation from Christian apocalyptic thought«.59
56 57 58
59
Kipling, Rudyard: Das Dschungelbuch. 4. Aufl. München, 1978. S. 57. Valentin: 2005, S. 397. Vgl. Oswalt, Conrad Jr.: Hollywood and Harmageddon: Apocalyptic Themes in Recent Cinematic Presentation. In: Martin, Joel; Oswalt, Conrad.Jr. (Hg.): Screening the Sacred. Religion, Myth and Ideology in Popular American Film. Colorado; Oxford, 1995. S. 55-63. Garrett: 2017, S. 187-188.
8. The Walking Dead
Apokalyptische Geschichten und eschatologische Vorstellungen erzählen vom bevorstehenden Untergang, vom Ausbruch einer oder mehrerer Katastrophen als Naturereignis und/oder als ein direkter Eingriff Gottes, welcher zur Vernichtung der meisten Lebenden führt, zivilisatorische Standards aufhebt und die Etablierung einer neuen Ordnung skizziert.60 Durch divergierende pluralistische Lösungsansätze und politisch-ökonomische Restrukturierung der Gesellschaft kommt es innerhalb der verschiedenen Gruppen Überlebender zu der von Brittnacher erwähnten ultimativen Entscheidungsschlacht meist in der Mitte (Midseason Finale) oder am Ende einer Staffel. In diesen (post-)apokalyptischen Narrativen wird in konsequenter Weise die Bestialität des Menschen im Kampf mit dem Gegner freigesetzt, atavistische Züge signalisiert und Phantasien mit einem Charisma des Barbaren, dessen Lebenssinn im Kämpfen und Töten besteht, ausgelebt.61 Das The Walking Dead-Universum zelebriert in diesem Zusammenhang menschliche Abgründe und changiert diese geschickt mal mehr mal weniger mit kontrapunktischen Figurenkonstellationen- und Kräften offensiv und inversibel innerhalb philosophischer, ethischer und theologischer Sphären zwecks einer ungeschorenen Ars Vivendi: »The Zombie Apocalypse can unfold in different ways. In one version, fate, God, hubris, or simply bad luck ushers in a cosmos-shaking event, which may be for good or ill, ad the world changes.«62 Deswegen liegt die eigentliche dramaturgische Essenz, die den Rezipienten jenseits von facettenreichen Masken, Splatter- und Gore-Effekten fesseln soll, zwischen den innersozialen Konflikten der Menschengruppen, die gemäß Plautus bzw. Hobbes – Homo homini lupus – im Zuge der radikalen Neustrukturierung der (postapokalyptischen) Wirklichkeit zum Homo Ferus avancieren, um zu überleben und die Selfpreservation, also den rigorosen Selbsterhaltungstrieb des Menschen – in bewusster Abgrenzung zu ikonographischer und narrativer Thematisierung des Suizids – als narrativer Kristall in den Mittelpunkt der Zombie-Plots gelegt wird. Das Scheitern dieses Unterfangens und des unaufhörlichen Strebens nach einem guten Leben in einer von Trostlosigkeit und Pessimismus gezeichneten Welt bildet eine Kulmination des pessimistischen Themas des Apokalyptik-Genres.63 Die Handlungen sind also tendenziell ambivalent ethisch konstruiert. Diesbezüglich einigten sich Kirkman und der Produzent Darabond im Jahre 2006, in welchem sie beschlossen, dass die serielle Adaption des Comics die Entwicklung der einzelnen Figuren fokussieren soll und nicht primär die Untoten.64 Die Handlung der
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Vgl. Brittnacher: 2013, S. 336 und S. 342. Vgl. Ebd. S. 342. Garrett: 2017, S. 187-190. Vgl. Koebner: 2014, S. 227. Vgl. Ebd. S. 29.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Serie läuft gemäß Darwins begründeter Theorie vom Survival of the fittest als antichristliches Motto des kreatürlichen Lebenskampfes ab.65 Die herumstromernden Zombies, als eigentliche Bedrohung und als Agent Provocateur für die Narration sowie als permanente Angstmacher, fungieren dabei lediglich immer mehr als Impulsgeber für die Peripetien des Plots und werden sukzessive randomisierend als Staffage in das Narrativ choreographiert. Im Vordergrund steht eine humanzentristische Perspektive und die säkulare apokalyptische Geschichte, die zwischen Hoffnung und Verzweiflung wechselt: »Secular stories of apocalypse are generally devoid of the component of worldly redemption, and therefore tend to be characterized by a sense of hopelessness and despair.«66 In The Walking Dead ist es nicht nur die eigene permanente Todesangst, sondern auch die Verlustangst bezüglich nahestehender Personen oder die Angst, familiäre und soziale Bindungen an die Zombies zu verlieren.67 Die Handlung lässt die Überlebenden dislozierend in Situationen der Aporie in permanenter Exponiertheit agieren, da eine Restitution der Gesellschaft nicht mehr gegeben ist und ergo eine Abwärtsspirale im Leben der Figuren entsteht. Damit werden auch jenseitstopografische Konventionen überdacht (durch die paradoxe Wiederauferstehung des Menschen) und es finden bei einigen Charakteren hinsichtlich ihres Glaubens irritierende Momente statt. Dieser muss neu definiert oder ad acta gelegt werden. Hroß fokussiert die Eigenschaften des Horrorgenres in diesem Zusammenhang in seiner Untersuchung über eine Theologie des Horrorfilms: »Der moderne Horrorfilm zeigt eine bösartige, menschenfeindliche Welt ohne Gott. Für Menschen ist nur eines sicher: Eine Welt ohne einen gütigen und allmächtigen Gott – das ist Horror.«68 Die komplexen Hauptfiguren sind aus einem heterogenen Figurentableau zusammengestellt, konstant einer damoklesschwert-ähnlichen Gefahr ausgeliefert und gleich einer Robinsonade als vagabundierende Überlebende auf kursorischen, nomadenhaften Reisen durch ein dystopisch-verwüstetes Amerika, in denen sie in existentielle Konflikte geraten. Hier wird ihre physische und psychische Verfassung auf die Probe gestellt und sich martialisch und permanent mit Verlusten gegen die Zombies behauptet. Denn dass alle Mitglieder einer Gruppe eine Handlung überleben oder gar ein Elysium erreichen, ist nicht die Norm und die Katharsis bleibt verwehrt. In dieser postapokalyptischen Welt ist es Usus zu töten und sich täglich mit moralischen Konflikten auseinanderzusetzen. Die Angst der Überlebenden wird 65 66 67 68
Vgl. Vossen, Ursula: Einleitung. In: Filmgenres (Koeber, Thomas Hg.): Horrorfilm. Stuttgart, 2004. S. 9. Wojcik, Daniel: The End of the World as We Know It: Faith, Fatalism, and Apocalypse in America. New York, 2007. S. 4. Vgl. Hercenberger: 2016, S. 243. Hroß, Gerhard: Die Rückkehr der alten Götter – Eine Theologie des Horrorfilms. In: Bohrmann, Thomas; Werner, Veith. (Hg.): Handbuch Theologie und populärer Film Bd. 1. Paderborn, 2007. S. 65-78. Hier S. 65.
8. The Walking Dead
weiterhin dadurch forciert, dass die perverse Transformation zu einem seelenlosen, materiellen Objekt (dem Zombie)69 unter schmerzhafter Läsion jederzeit passieren kann und man selbst zu einem dieser sadistischen Wesen, das nach Organen von Lebenden lechzt, mutieren könnte.70 Eine weitere, in den Mittelpunkt der Handlung rückende Gefahr (konkret ab Staffel 3) sind andere Überlebende, die um die verbleibenden materiellen Ressourcen und auch um Macht und Anerkennung konkurrieren.71 »Im Vordergrund stehen soziale, moralische und kulturelle Differenzen sowie Konflikte mit konkurrierenden Gruppen.«72 Nachdem die Handlung des The Walking Dead-Universums dargestellt wurde, folgt nun die Filmanalyse. In dieser werden weitere Folgen der Säkularisierung besprochen.
69 70 71
72
Vgl. Grenne et.al.: 2010, S. 37. Vgl. Hercenberger: 2016, S. 244. Vgl. Besand, Anja: Was wir von Zombies lernen können. Politische Grundfragen in The Walking Dead. In: Dies. (Hg.): Besand, Anja (Hg.): Von Game of Thrones bis House of Cards. Politische Perspektiven in Fernsehserien. Wiesbaden, 2018. S. 27-50. Hier S. 27 Ebd. S. 28.
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9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
The Walking Dead weist eine ausgesprochen hohe Konzentration an theologisch zu diskutierenden Themen auf. Statt jedes der behandelten existenzphilosophischen Themen aufzugreifen, werden in der folgenden Filmanalyse Elemente aufgegriffen, die explizit die Kirche, den Glauben, Katholizismus oder die Religion vor der Säkularisierung thematisieren und entsprechend als hier dargestelltes Spiegelbild der Säkularisierung entstellen, damit der angestrebte analytische Theologisierungsvorgang der desakralisierten Einheiten erfolgen kann. Existenzphilosophische Gedankengänge werden der theologischen Diskussion bei Bedarf angereichert.
9.1
Untersuchung der The Walking Dead Intros
Die Serie The Walking Dead bietet theologisch affine Elemente, welche schon in den Intros der jeweiligen Staffeln subtil skizziert werden.1 Generell fungieren die, im fermentiert anmutend kolorierten Grünstich, instabilen inszeniert monochromen und entsättigten Bilder des Intros als semantisch gefasste Topographisierung des staffelinternen Narrativs, während fragmentarisch ikonografische Impressionen der visuellen Ästhetik der Serie vermittelt werden. Speziell gefasst sind diese Bilder in einem unruhig-vibrierenden Duktus, der sporadisch Schärfentiefe selektiert.2 Damit sind sie als Rückblick oder Vorausschau (staffelinterner) charakteristischer
1
2
Anm.: Das The Walking Dead-Intro umfasst ca. 35 Sekunden, wovon in den letzten fünf Sekunden das The Walking Dead-Logo eingeblendet wird. Die Tochterserie Fear The Walking Dead verfügt über kein ästhetisiertes Intro, sondern die Einblendung einer Titelanimation (vor schwarzem Hintergrund bis Staffel 3, vor animierten Hintergrund, welcher comicartig auf die Serieninhalte verweist, ab Staffel 4). Anm.: Am 04.10.2018 wurde ein neues, nun animiertes Intro in einer an dem Comic orientierten Ästhetik verkündet und erstmals online vor dem Start der neunten Staffel (07.10.2018) präsentiert. Dieses ersetzt die oben geschilderte Inszenierung nach acht Jahren. Das Realfilmmaterial mit den genannten ikonographischen Ankerpunkten wurde in eine zeichentrickartige Plansequenz, die stark an Scherenschnitt und Schattentheater erinnert, neu ästhetisiert.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Wegstationen oder als Prognosen für die bevorstehenden oder überwältigten Hürden (in Dependenz von der jeweiligen Episode) der Protagonisten zu deuten. Es werden dabei weiterhin sequentielle Repräsentationen der dem Zombiehorror inhärenten ikonischen Momente bzw. Topoi3 sowie weitere abstrahierte Bildmotive symbolisch in Analogie zur Zombiehandlung wiedergegeben.4 Weiterhin finden sich figurenbezogene Artefakte wider.5 Apostrophiert wird dabei eine gespenstisch anmutende Tristesse im postapokalyptischen Ödland eines verfallenen, im ruinösen Zustand befindlichen und ausgestorbenen Amerikas, meist im suburbanen Terrain, gespickt von zahlreichen visuellen Andeutungen des vorkommenden Zombies6 und angereichert mit Elementen des Abjekten. Diese Prävisualisierung des zu erwartenden diegetischen Raumes schildert zugleich die serienimmanente Ästhetik der Ödnis und des Verfalls, welcher es, auch durch die entsättigten Farbtöne, jeglicher Vitalität mangelt. In diesem Zusammenhang schildert Borrmann, dass Ruinen, Verfall und Ödland von Tod und Untergang künden und die Umwelt eine erweiterte Physiognomie des Menschen darstellt.7 Da dieser nun selbst als Untoter der Fäulnis verfallen ist, spiegelt sich diese im handlungsbezogenen Territorium wider. Die Ausführungen von Borrmann können weiterhin trefflich auf die postapokalyptische Horror-Ästhetik des The Walking Dead-Universums subsumiert werden: »Das Verlassene, das Leere, kennzeichnet die Stätten, die im Verfall begriffen sind oder uns als öde erscheinen. Doch Verlassenheit meint nicht nur, dass diese Stät3
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5
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Anm.: Beispielsweise notdürftig verbarrikadierte Türen, hinter denen Zombies Öffnungsversuche unternehmen. Dabei sind ihre verwesten, greifenden Hände im Türspalt akzentuiert. Weiter abstrahiert sind in ruckartiger Bewegung erscheinende Schatten hinter einem Türspalt zu sehen. Anm.: Beispielsweise werden im Intro der ersten und zweiten Staffel Raben gezeigt, die sich in Analogie zum Zombie an einem totem Tierkadaver nähren. Generell wird der Rabe im Intro symbolisch für Sterben, Tod und Aas eingesetzt. Der Rabe fungiert symbolisch als Totenvogel bzw. Todesbote. Vgl. Sörries: 2002, S. 344. Anm.: Beispielsweise steht im Intro der dritten Staffel ein Sheriffstern für Rick Grimes, Bogenpfeile für Daryl und eine Taschenuhr für Glenn. Zusätzlich werden neben den charakteristischen Attributen der Figuren die Namen der dazugehörigen Schauspieler eingeblendet. Im Intro der fünften Staffel steht eine Pistole für Rick Grimes und eine Weste mit Engelsflügeln für Daryl. Anm.: Der Zombie wird beispielsweise durch die Nahaufnahme eines entstellten, weit aufgerissenen Auges mit blutunterlaufener, krankhaft entarteter Linse skizziert, welches lediglich eine in schwarz gefasste, diffundierende Pupille mit schwarz gefasster Peripherie aufweist. Indirekter wird die Anwesenheit der Zombies durch eine an ihn adressierte Phrase an einer Mauer mit der Botschaft ›Go Away With you‹ angedeutet, welche allerdings auch für überlebende Vagabunden verfasst sein könnte. Vgl. Borrmann, Norbert: Orte des Schreckens. Warum das Grauen überall ist. München, 2004. S. 23-24.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
ten von Menschen verlassen wären, sondern auch: verlassen von Liebe, von Glauben, von Hoffnung, von Jugend, von Freiheit, von Vielfalt, von guten Geistern. An deren Stelle findet sich hier ein ›Reichtum‹ an Abhängigkeit, Gleichgültigkeit und schlechten Träumen, denn ein solches Vakuum zieht beinahe magisch andere Kräfte an. Überall dort, wo sich das vitale Leben zurückgezogen hat, breitet sich der Spuk, eine nur schemenhafte Daseinsform aus. ›Wo keine Götter walten‹, so Novalis, ›da walten Gespenster‹.«8 Modifiziert werden müsste Novalis nun angesichts der hier zugrunde liegenden These, dass dort, wo Gott nicht waltet, nun Untote bzw. Zombies walten (siehe Kap. 9.3). Innerhalb der schnellen und dissonanten Wiedergabe genannter Impressionen mit einer unbändig wirkenden Kameraführung wird stets ein dubioser, teils aus der subjektiven Perspektive umher streunender Zombies oder Überlebender, zentrierter Fokus auf marodes Interieur und Exterieur gelegt, welche als Reminiszenzen einer vormals intakten Welt fungieren und bisweilen Schauplätze der Handlung beleuchten, worunter sich freilich auch Todesmetaphoriken und Insignien der Vanitas verbergen.9 Die stark pumpende, treibende Intro-Musik zu The Walking Dead besticht dabei zunächst durch eine staccatohafte, insistierende Wiederholungsschleife der Streicher. Diese immer wieder auf- und ablaufenden Schleifen eines nur angedeuteten ›Melodie‹-Patterns wurden von Komponist Bear McCreary über die dominante Moll-Harmonie gelegt. Durch die Distanz zwischen höchsten und tiefsten Tönen jeweils wird eine tradierte Horror-Musik-Motivik bedient. Durch ein markantes, tonstufenloses Abwärts-Glissando in eine Moll-Kadenz und zurück in die Hauptonart (›schneller Fall‹) wird dieser Intro-Musik die nötige Schicksalshaftigkeit verliehen. Die Schnelligkeit des treibenden Haupt-Motives vermittelt die Dringlichkeit, das Drängen des Handlungsbedarfs inmitten der pulsierenden Gefahr. Die Serienmusiken selbst schwanken zwischen sehr harmonischen, lyrischen Momenten mit legato gespielten Streichern, und – je nach Bedrohungslage der zugrundeliegenden Episodenentwicklung – pumpenden Action-Rhythmen, zwischen die immer wieder schräg gespielte, Tritonus-artige intonierte, tiefe Streicher geschaltet sind. Die archetypischen Dissonanzen im Falle überhand nehmender Gefahr sind ebenfalls entwickelt und gelegentlich mit Nuancen von Bluegrass unterlegt. In die Serie wurden sowohl Source-Musiken eingebettet als auch im Hintergrund stimmige Songs verwendet, die separat vom eigentlichen Soundtrack veröffentlicht wurden.10
8 9 10
Ebd. S. 24. Anm.: So zum Beispiel eine Rabenschar, welche fliegend eine kahle Baumkrone verlässt. Anm.: An dieser Stelle sei Frau Dr. Annette Richter für die Hilfestellung zur Musikanalyse gedankt.
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9.1.1
Zur sepulkralen Neustrukturierung in The Walking Dead
Im Intro der dritten Staffel werden in Analogie zur Serienhandlung offensichtlich sepulkrale Elemente und damit die in der Narration implementierte Todesthematik durch die Zurschaustellung eines circa zwei Sekunden präsentierten Friedhofs emblematisiert, welcher zugleich zynisch darauf aufmerksam macht, dass durch die Zombie-Apokalypse ein radikaler Wandel der Bestattungs- & Todeskultur und eine Unterbrechung bzw. Umwandlung der durch den Friedhof suggerierten Totenruhe stattfand.11 Es handelt sich um einen präapokalyptischen Friedhof, in welchem ein im Vordergrund stehender, halb verfallener Grabstein akzentuiert wird, während durch eine erhöhte Schnelligkeit des Bildmaterials umliegende Gräser unruhig hin- und her- wanken, womit die durch das Intro indizierte Nervosität durch Hektik und Enthebung raumzeitlich-kausaler Parameter (die Welt wurde aus der Umlaufbahn geworfen. Siehe Kap. 4) visuell unterstützt wird, wobei der Grabstein in seiner Beschaffenheit eine teilweise zentrale friedliche Konstante bildet, da er weder verfällt oder mitschwingt, womit auf etwas Finites hingedeutet wird. Erst im Intro der fünften Staffel wird die Transformation der Memorialstätten im Zuge der Apokalypse zu postapokalyptischen Friedhöfen skizziert, also jenen friedhöflichen Orten, an denen Personen nach der Apokalypse relativ schnell und provisorisch bestattet werden (siehe Abb. 6). Abbildung 6: Filmstills aus dem Intro der fünften Staffel The Walking Dead
Zu sehen ist ein aus Ästen errichtetes Erinnerungskreuz, bar jeglicher ästhetischer Anforderungen, an welchem ein zusammengebundenes Schuhpaar herunterhängend auf die in der Serie thematisierten Verluste von Gruppenmitgliedern sinnbildlich verweist. Dabei werden der Horror und die Missstände des gezeigten 11
Anm.: »Die Störung der Totenruhe ist auch heute noch ein geltendes Beispiel für die massiv verpönte Verletzung alter Handlungstabus, die den Umkreis von Sterben, Trauer und Tod betreffen.« In: Ebertz, Michael N.: Sterben, Tod und Trauer – Tabuisierung oder Modernisierung? – Sterben Tod und Trauer in unserer Gesellschaft. In: Jugend und Gesellschaft 3, 1997. S. 7-10. Hier S. 7.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
Zeitabschnitts durch eine augenscheinlich als Kinderschuhe anmutende Grabbeigabe versinnbildlicht. Untersuchenswert ist dieser Aspekt, da sich in den Friedhöfen die gesellschaftsspezifischen Bilder vom Tod als gleichsam realisierter Ausdruck finden und diese in besonderem Maße als eine gesellschaftliche ›Topographie des Todes‹ dienen können (siehe Kap. 3.4).12 Dabei hervorzuheben ist die Differenzierung zwischen der sepulkralen Einordnung der untoten Toten und der tatsächlich Toten (also getötete Zombies oder Überlebende). Diese sich im Zuge der diegetischen Apokalypse veränderte Friedhofskulisse signalisiert zugleich die im The Walking Dead-Universum thematisierte Restrukturierung einer Kultur des Todes, aus der sich Variationen ergeben, durch welche ersichtlich werden, dass sich die Welt in einem omnipräsenten Memento moriModus befindet: a) Die wandelnden Toten als lebender, sich expandierender Friedhofs-Organismus, also die Omnipräsenz eines organischen Friedhofs (Tote sind überall zu sehen: auf der Straße, in Häusern, in Automobilwracks): So wird die Landschaft global und flächendeckend zu einem großen Friedhof. b) Anonyme Feuerbestattung, Massengräber und Leichenverbrennung werden praktiziert: Es kommt zur Massen-Kremation von getöteten Zombies auf offenen Holzstößen (möglicherweise in Anlehnung an die Kritik hygienischer Zustände auf Friedhöfen siehe Kap. 3.5) und anonymen MassengrabBestattungen: Eine neue Bestattungskultur entsteht. c) Es gibt auch Begräbnisse verstorbener Angehöriger, Freunde und Gruppenmitglieder gemäß einer präapokalyptischen Bestattungskultur mit Grabbeilegung, Grabsteinen, Kreuzen, Friedhofssystematiken etc.: Wenn es die Umstände erlauben, bleibt es bei einer präapokalyptischen Friedhofskultur. d) Rituelle Sterbehilfe durch einen Stich oder Schuss in das (Stamm)hirn wird zur Vermeidung der Wiederauferstehung (Ähnlichkeiten mit dem Herzstich Scheintoter vorhanden. Siehe Kap. 3.5) praktiziert: Eine neue Form der Sterbehilfe entsteht. e) Liegengelassene Tote, Skelette, Kadaver oder Leichen (kürzlich) Verstorbener (im Zuge des Kataklysmus oder weil eine Bestattung aufgrund der Gefahr durch Zombies nicht möglich ist) säumen die postapokalyptische Landschaft: Eine neue Natürlichkeit der Allgegenwart des Todes entsteht. f) Präapokalyptische Friedhöfe werden gezeigt, deren Grabsteine immer wieder als Memento mori-Kulisse dienen: Somit gewinnt die neue Friedhofskultur an Drastik.
12
Vgl.: Fischer: 2001, S. 68.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung g) Es werden Gedenktafeln und andere Memorialstätte für Verstorbene errichtet: Memoria ist noch immer ein wichtiger Bestandteil des Alltags der Überlebenden. h) Es kommt zu einer Instrumentalisierung der Toten zur Abwehrzwecken von Ungemach (sowohl von anderen Zombies als auch von feindlichen Verbänden) und/oder zu Unterhaltungszwecken (z.B. Arenenkämpfe): Die Leichenmassen werden zweckorientiert instrumentalisiert. i) Umfunktionierung der Zombies zu kriegerischen Zwecken, indem Horden gesammelt oder kleinere Zombie-Verbände akquiriert wurden, um sie dann gegen konkurrierende Gruppen als ›Fußsoldaten‹ einzusetzen: Auch hier werden die Leichen zweckorientiert instrumentalisiert. j) Protektionsmaßnahmen erfolgen durch großflächige Eindeckung des Körpers bzw. Maskierung mit Innereien, wodurch der Mensch zwecks Selbstschutz zum äußeren Erscheinungsbild des Zombies übergeht: Damit geht der Mensch aber auch in einen Memento mori-Modus über (siehe Kap. 9.13). k) Transformation der Großstädte in eine urbane Friedhofskulisse: So wirken die verlassenen Hochhäuser Atlantas und Washington D.C.s wie gigantische Grabstein-Monolithen, die aus den Überresten der Metropolen ragen. l) Die Punkte b-j suggerieren zugleich die von Macho genannte Pietätsproblematik auf Basis des paradoxen Status eines toten Körpers. Demzufolge wird angestrebt, Verstorbenen möglichst eine pietätvolle Totenfürsorge zuteil kommen zu lassen, während die Bestattung anonymisierter Zombies entweder gar nicht oder in Massengräbern stattfindet.13
Es wäre nun anzunehmen, dass das (auf einem Friedhof befindliche) Grabmal in einer postapokalyptischen Welt an Bedeutung und Gültigkeit verliert, da die wandelnden Zombies als diffundierendes Kollektiv einen omnipräsenten, sich bewegenden Friedhof darstellen, der im Zuge des obligatorischen Hungers expandiert, bis letztlich alle menschlichen Leichname als identitäts- und seelenlose Meronyme dieses orgiastischen sepulkral-Konglomerats angehören. Wie in Kapitel 3.5 geschildert, beruht diese Exterritorialisierung des Wiedergängermotivs vom Friedhof hin auf eine globale Ebene mutmaßlich und im weitesten Sinne auf Bram Stokers Dracula. Getötete identitätslose Zombies werden indes in der Regel zu großen Leichenhaufen zusammengetragen und anschließend meist aus ästhetischen oder hygienischen Gründen verbrannt.14 13
14
Anm.: Die jeweilige Inszenierung hängt dann davon ab, inwiefern dem präsentierten Zombie vorher Identität und Sympathie angehaftet wurde. Ansonsten gelten Zombies als anonymes abschlachtbares Material. Anm.: Nicht selten mutet in diesem Zusammenhang die Mise en Scène des The Walking DeadUniversums Reminiszenzen an Konzentrationslager-Ikonographien an.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
In diesem Zusammenhang kann die Reaktion der katholischen Kirche, welche die Feuerbestattung als unchristlichen und pietätlosen Akt menschlicher Willkür verstand, im frühen Deutschland des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Säkularisierung auf die Einführung der Feuerbestattung parallelisiert werden, denn im Lichte des Rationalismus musste die Kirche auch im Bereich des Bestattungswesens ihre institutionelle Aufsicht über städtische Friedhöfe immer mehr an Kommunen abtreten.15 Weiterhin konnotierte die katholische Kirche die Feuerbestattung als eine mechanistisch-materialistische Vorstellung vom menschlichen Körper, weshalb 1886 die katholische Kirche ein Verbot der Feuerbestattung erließ, welches erst 1962 vom Zweiten Vatikanischen Konzil aufgehoben wurde.16 An dieser Stelle kann die Aussage der Kirche, dass der Körper im Zuge der Verbrennungskultur zu einem mechanistisch-materialistischem Objekt reduziert wird, auf die Massen-Kremation der Zombies im The Walking Dead-Universum subsumiert werden.17 Neben den omnipräsenten umherirrenden Zombies wird die sepulkrale Ästhetik der Serie weiterhin durch eine von Leichen- und Leichenteilen gesäumte postapokalyptische Landschaft angereichert, die nicht nur zwecks einer brachialen Memento mori-Reminiszenz, sondern auch durch die Darstellung des Abjekten zu schockieren vermag. Diese, zu den wandelnden Toten verstörende Kulisse, konstituiert sich aus hingerichteten Zombies, getöteten suizidalen Menschen18 oder organisch-skelettierten Überbleibseln der Opfer des erfolgten Kataklysmus. Erst wenn nahestehende Mitmenschen aus Ricks Gruppe – die auch vorher als denkende und fühlende Subjekte etabliert wurden – auf wie auch immer geartete Weise versterben und der Leichnam noch als solcher vorhanden ist, wird eine archaisch wirkende präapokalyptische Friedhofskultur reanimiert. Diese impliziert dann die sepulkralen Verstehensmuster einer noch intakten Gesellschaft. Allerdings kann diese jedoch aufgrund der postapokalyptischen Sachlage wenig bis gar nicht in ihrem vollen Bedeutungszusammenhang oder religiösen Kontext bedient werden (es sei denn, die Überlebenden befinden sich in sicheren Schutzzonen). Die Überlebenden sind also innerhalb aller bisherigen Staffeln permanenten Beerdigungsriten und Bestattungen ausgesetzt. Meise überführt Turners Passageritual19 in die Sepulkralkultur. Durch diesen Zusammenschluss wird der veränderte Status eines Toten durch das Grabmal sozial eingebettet und markiert. Erwirkt wird durch 15 16 17 18
19
Vgl. Fischer: 2001, S. 75-76. Vgl. Ebd. S. 75. Anm.: Die Anonymisierung des Zombies entsteht sichtbar im Verlauf der Staffeln im Zuge des fortschreitenden Verwesungsprozesses. Anm.: Hier kann unterschieden werden zwischen getöteten Menschen, die durch andere Personen, durch Zombies oder den Suizid den Tod gefunden haben. Insbesondere in der ersten Folge der Staffel von The Walking Dead lassen sich alle Facetten nachzeichnen. Turner, Victor.: Das Ritual. Struktur und Antistruktur. Frankfurt a.M., 2005.
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diesen begleitenden rite de passage die Immunisierung des Statuswechsels gegen Uneindeutigkeiten, Störungen oder Zwischenlagen, die als Brüche im Alltag erlebt werden und in materieller Form als tote Körper auftreten.20 In Analogie zu Davies geht es also auch Ricks Gruppe nicht darum, den toten Körper zu entsorgen, sondern um die Pflege der (kollektiven) Identität und der sozialen Kontinuität jenes Kollektivs.21 Die Menschen grenzen sich damit bewusst von den (Un-)Toten ab. Der von Turner postulierte Passageritus im Sinne der oben genannten Subsumtion auf die Sepulkralkultur wird nun in der Walking Dead- Handlung durch das fiktionale Konzept der Zombie-Apokalypse konterkariert, sodass ein Bruch der Immunisierung des Statuswechsels erfolgt. Dieser Statuswechsel einer verstorbenen Person wird nun nicht nur für Dritte durchbrochen, weil der Übergang vom Lebenden zum Toten in der Regel nicht mehr andächtig begleitet werden kann. Es findet sogar ein doppelter Statuswechsel statt: Im körperlichen Transferprozess zwischen Leben zum Tod (durch einen Biss oder einen normalen Tod), der den Körper zu einem Leichnam macht,22 zu einem Untoten (nach einer Inkubationszeit zwischen einigen Minuten und acht Stunden) zum Toten (nachdem der Zombie getötet wurde). Als Abhilfe wird in der Serie ein Stich in das Stammhirn der infizierten Person praktiziert, um der postmortalen Rückkehr zu entgehen. In der Serie soll der Stich (oder der Kopfschuss) eine durch die Zombieapokalypse akkommodierte und mithin ritualisierte Sterbehilfe darstellen, wobei der Akt des Stichs zweierlei Zwecke erfüllen soll, welche lediglich für die noch lebenden Personen Befriedigung hervorruft: Zum einen wird durch die Prävention der Wandlung des Verstorbenen zum Zombie das eigene Wohl im Sinne der vermeintlichen Selbsterhaltung gesichert. Zum anderen wird dieser akkommodierte Passageritus im The Walking Dead-Universum durchgeführt, um ein normales, präapokalyptisches Sterben ohne Wiederauferstehung als Zombie zu gewährleisten. Der Mensch muss also aktiv mit dem Verstorbenen zugunsten eines normalen Passageritus interagieren, da sich dieser ansonsten in seinem Verlauf gefährdet sieht. Aufgrund der konzilianten Notwendigkeit besagter Anstrengungen entspringt dieser ihrerseits ein zweiter Passageritus, der zur Absicherung des Zustandekommens des ersten Passageritus dient. Nichtsdestoweniger kommt es (zumindest zu Beginn der Serie, bevor die Zombies als normal agierende Instanz zum Alltagsleben gehörten) durch die Konfrontation mit toten Körpern zum Bruch des Alltags. Angesichts dieses ›paradoxen Zu-
20
21 22
Vgl. Meise, Nils: Das Wir vergisst nicht. Trägermedien kollektive Erinnerung an Verstorbene. In: Jakoby, Nina; Thönnes, Michaela (Hg.): Zur Soziologie des Sterbens. Aktuelle theoretische und empirische Beiträge. Wiesbaden, 2017. S. 157-172. Hier S. 165-166. Vgl. Davies, Douglas: Death, Ritual and Belief. The Rhetoric of Funerary Rites. 2.Aufl. London, 2002. S. 6. Vgl. Blanchot: 2007, S. 30.
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stands‹ kann eben keine Eindeutigkeit zwischen Leben und Tod mehr hergestellt werden, wie es das Grabmal als Kultursymbol mitzuteilen scheint.23 Der Körper wird hier in den Zustand der Liminalität zwischen mehreren Ebenen versetzt und muss verschiedene ambivalente Existenzformen durchlaufen. Dezidiert aufgegriffen wird die Erinnerung an eine präapokalyptische Sepulkralkultur in der dreizehnten Episode der vierten Staffel.24 Hier nähern sich Beth (Emily Kinney) und Daryl25 einem Bestattungshaus, umgeben von einem großen Friedhof. Das Gespräch zwischen beiden wird abrupt unterbrochen, da Beth einen Grabstein entdeckt, dessen Vorderseite noch für den Zuschauer im Verborgenen liegt, und vor diesem nachdenklich stehen bleibt, während melancholische Klaviermusik einsetzt. Daryl pflückt indes Blumen und legt diese auf den Grabstein, während Beths Augen nun auf den Epitaph gleiten, der in einer Großaufnahme für den Zuschauer sichtbar wird. Es handelt sich um eine im frühen 19. Jahrhundert verstorbene Person, deren Name sich nicht im Spektrum der Kadrierung befindet, damit der Fokus des Zuschauers auf die Inschrift ›Beloved Father‹ gerichtet wird. Da es ihr nicht möglich war, für ihren Vater und andere Verstorbenen und Angehörigen ein Grabmal zu errichten, wird dieser schon vorhandene Grabstein als Projektionsfläche stellvertretend für alle anderen Opfer des Kataklysmus und die Verstorbenen ihrer Familie umfunktioniert. Zugleich rekurriert die visuelle Anführung des Friedhofs im Intro auf den Ursprung des Wiedergängers im Volks- und Aberglauben sowie auf raumgebundene Zitate älterer Zombie-Narrationen. Beispielsweise wurde in der elften Episode der neunten Staffel ein nebulöser Friedhof mit gotischen Elementen samt Blitzen und Donnergrollen visualisiert, auf dem Untote und solche Menschen, die als Zombies maskiert sind, herumstreunen. Die diesem Szenenbild zugrundeliegende Ästhetik entspringt sowohl dem Gothic Horror (siehe Kap. 3.4), als auch dem Pulphorror- und Zombiefilm-Inszenierungen der 1980er Jahre (z.B. Thriller) und kann als Hommage an diese verstanden werden. Grabmäler im The Walking Dead-Universum sind also Hinweise auf das Festhalten alter Bräuche, Kultur und Riten, wobei primär die Würdigung und Erinnerung
23 24 25
Vgl. Macho, Thomas: Tod. In: Wulf, Christoph (Hg.): Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie. Weinheim, 1997. S. 939-954. Hier S. 946. Siehe: The Walking Dead. Staffel 4. Episode 13. Anm.: Bei Daryl handelt es sich um einen Leather-clad-biker aus niederem sozialen Milieu, welcher sich von Anfang an nicht vor Gewalttaten jeglicher Art scheut, sich im Verlauf der Handlung jedoch zu einer emphatischen Figur entwickelt. Diese Janusköpfigkeit findet ihren Ausdruck in Form von Daryls Kleidung, einer Lederweste auf deren Rückseite sich Engelsflügel befinden. Dazu äußerte sich Schauspieler Norman Reedus: »You see the front and he [Daryl] looks like a dirty biker dude, then you see the back and there’s heart there.« In: Ross, Dalton: Norman Reedus’ Day on the ›Walking Dead‹ Set: An EW Photo Album. Entertainment Weekly. 06.Februar 2015. URL: https://ew.com/gallery/norman-reedus-walking-dead-photos/ #2. Aufgerufen am 12.03.2019.
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der verstorbenen Person im Fokus steht. Der reguläre Besuch eines öffentlichen Friedhofs ist derweil nicht möglich. Es sei denn, dass sich der prä- oder postapokalyptische Friedhof innerhalb eines geschlossenen Refugiums befindet.
9.1.2
Kerzenleuchter: Vorausschau auf religiösen Inhalt
Im Intro der fünften bis achten Staffel veräußern sich theologisch affine Elemente in Form eines bewusst im Zwielicht inszenierten Kerzenleuchters in Nahaufnahme, welcher jeglicher prägnanter ästhetischer Elemente zu entbehren scheint. Damit wird die ursprüngliche Schönheit des Leuchters im Sinne des Horror grotesk entstellt. Es handelt sich um einen Standleuchter mit halb heruntergebrannten Kerzen, deren Wachs zapfenförmig, wie Wurzeln, tief vom Sockel der Kerzen herabhängen. Des Weiteren lassen Blutspuren an den Kerzen Unheilvolles erahnen. Wobei das Gesamtbild einen unerwartet desakralisierten Eindruck vermittelt. Der Leuchter fungiert als symbolisches Medium für die Kirche und symbolisiert zugleich die Diskrepanz zwischen der in dieser Handlung thematisierten Priesterfigur (siehe Kap. 9.9), welche durch die Kameraführung erst auf Distanz an Schärfe gewinnt und dort die blutbefleckte, jedoch noch am besten erhaltene Kerze akzentuiert (siehe Abb. 7).
Abbildung 7: Filmstill aus dem Intro der fünften Staffel The Walking Dead
9.2
Das Pflegeheim-Ereignis: Körper, Altern und Nächstenliebe
Während einige Mitglieder der Gruppe, insbesondere Glenn (Steven Yeun), versuchen auf den von Zombies okkupierten Straßen Atlantas Ricks verloren gegangene Tasche voll Waffen in einem riskanten Unternehmen sicherzustellen, werden sie
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
von einer hispanoamerikanischen Gang angegriffen, welche sich ebenfalls besagte Tasche aneignen möchte. Im Zuge eines Gefechts konnten beide Parteien je eine Geisel nehmen, wobei Glenn die der gegnerischen Gruppe geworden ist. Der Aufenthaltsort von Glenn wird nach dem Verhör der Geisel Miguel (Anthony Guajardo) Rick offenbart. In der Hoffnung, einen Gefangenenaustausch zu bewerkstelligen, reist Rick mit seinen Gefährten zu dem von Miguel angegebenen Ort und versucht mit Guillermo (Neil Brown Jr.), dem Propugnator der feindlichen Bande und seinem Kumpanen Felipe (Noel Gugliemi) zu verhandeln. Als dieser zusätzlich noch die wertvolle Tasche von Rick fordert, drohen die Verhandlungen mit einem gewaltsamen Ausgang zu scheitern. In dieser Klimax erscheint eine kleine ältere Frau in einem weißen Nachthemd (Gina Morelli), einem Deus-ex-machina entsprechend, welche die zuvor in negativer Erscheinung etablierte lateinamerikanische Figurengruppe in einem anderen Licht erscheinen lässt: Es handelt sich um Überlebende, welche verantwortlich für ein Pflegeheim sind und die Unversehrtheit ihrer von der Außenwelt völlig abgeschirmten Pflegebedürftigen sicherstellen wollen. Bei der älteren Dame, welche Hilfe für einen asthmatischen Bewohner sucht, handelt es sich um Abuela, wortwörtlich also um die Großmutter von Miguel und Felipe, zwei Mitarbeiten der Einrichtung. Anhand ihrer Reaktion auf das Geschehen wird ersichtlich, dass die zu Pflegenden über keine Kenntnisse hinsichtlich der Apokalypse oder den Sachstand außerhalb ihres gesicherten Heims verfügen, weshalb Abuela den in der Uniform eines Sheriffs gekleideten Rick bittet, ihren Enkel nicht festzunehmen, da dieser trotz seiner in der Vergangenheit liegenden Fehler dringend in der Einrichtung gebraucht werde. Der sichtlich irritierte Rick gibt im Rahmen dieser plötzlichen Restrukturierung der Situation vor, dass er Felipe benötige, um eine vermisste Person wiederzufinden. Die Waffen werden von beiden Parteien daraufhin gesenkt. Abuela führt im Anschluss Rick zu Glenn. Im Inneren kann Rick Blicke auf einzelne Zimmer erhaschen, in denen sich Menschen liebevoll um die Bewohner kümmern oder diese unbedarft ihrem Alltag nachgehen. Im Atrium befindet sich sowohl der unverletzte und entspannte Glenn sowie der asthmatische Herr, welcher sofort von Felipe mit einem Spray versorgt wird. Im Anschluss kommt es zwischen Rick, T-Dog (IronE Singleton), Daryl und dem Anführer Guillermo, der einstmals dortiger Hausmeister war, zu einem Gespräch, in welchem erklärt wird, dass die Belegschaft die alten Menschen im Stich ließ und nun Angehörige zusammen mit Guillermo und Felipe, der einzigen Pflegekraft, die Einrichtung vor Plünderern schützen. Beide Seiten kommen zu dem Entschluss, dass die Situation bedauerlicherweise falsch eingeschätzt wurde. T-Dog nimmt darauf direkt Bezug: T-Dog: Ich glaube die Welt hat sich verändert. Guillermo: Nein. Die ist immer noch so wie sie war. Die Schwachen verlieren. Des-
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halb tun wird hier was möglich ist. […] Die Leute haben was zu tun und das ist auch was wert. […] Nach dieser Konversation schenkt Rick Guillermo großzügig viele seiner Waffen, die in der Tasche waren. Er scheint aus dieser Situation neue Hoffnung und Optimismus geschöpft zu haben. Auf dem Rückweg kommt es zwischen dem kritischen Daryl und Rick zu einem Revue passierenden Gespräch: Daryl: Du hast die Hälfte unserer Waffen und Munition verschenkt! Rick: Nicht annähernd die Hälfte. Daryl: Und wofür? Für ein Haufen Alte, die sowieso bald draufgehen. Was glaubst du, wie lange die noch haben? Rick: Wie lange hat irgendwer denn noch? Subsumiert werden kann dieses Ereignis unter Kendricks in Kapitel 5 dargebrachtem Argument, den Horror als Expression einer durch die Moderne herbeigeführten Angst vor dem Tod zu lesen, indem die westliche Kultur eine Exklusion desselben durch kosmetische oder chirurgische Körpereingriffe kaschiert und das Altern zusammen mit dem Vergänglichkeitswissen aus dem Lebensalltag versucht zu verbannen. Letzterer Punkt ist hier bedeutend, weil The Walking Dead an dieser Stelle verdeutlicht, dass eine durch die Apokalypse herbeigeführte Aufhebung des normalen Verständnisses eines Alterungsprozesses stattfindet. War das (hohe) Alter mit all seinen negativ daherkommenden physischen und psychischen Komponenten des Siechtums und seiner unverblümten Nähe zum Tod in Analogie zur aktuellen westlichen Wirklichkeit (siehe Kap. 5.4.1) verpönt, so wandelt sich im Zuge der Postapokalypse die Wahrnehmung des Alterns, veräußert im alltäglichen Überlebenskampf, der Selfpreservation, zum erstrebenswerte Ziel schlechthin. Das Verständnis des Körpers »als materielle Realität des Alterns« und als »handfestes Indiz für das Voranschreiten der Zeit«26 wird in diesem postapokalyptischen Gedankenspiel durch das Auftauchen des Zombies zerborsten.27 Ebenso scheint die (naive) Unbedarftheit der Senioren ein beneidenswerter, Sympathie erregender Indikator zu sein, der es gestattet, die hoffnungslose Realität zu verdrängen. Signalisiert wird dieses ›Voranschreiten der Zeit‹ durch ein weiteres Bild im The Walking Dead-Intro (erst Staffel 3-4), welches eine Taschenuhr zeigt, deren Zeiger in einer entfesselten Rotation – in Analogie zum menschlichen Leben in The Walking Dead – schneller als normal durch einen Zeitraffer voranschreitet (siehe Abb. 8).28 Mit dieser Verbildli26 27 28
Vgl. Meitzler: 2017,S. 46. Anm.: Erst am Ende der zweiten Staffel wird bekannt, dass die Umwandlung in einen Zombie auch erst nach dem gewöhnlichen Tod eintritt. Anm.: Überdies hat die im Intro aufgeführte Taschenuhr narrativen Bezug, da Sie als Attribut der Figur Glenn fungiert.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
chung wird die Durchbrechung der Temporalität durch Chaos in der Serie signalisiert.29 Allerdings schreitet die Zeit nicht schneller voran, ist jedoch ein knapperes Gut und zwar nicht wegen einer Beschleunigung des alltäglichen Ablaufes, sondern wegen einer sinkenden durchschnittlichen Lebenserwartung des Einzelnen und dem dadurch quantitativ knapperen Vorhandensein von Zeit. Ein biblischer Bezugsrahmen angesichts der Thematik Alter und Sterben könnte zu Kohelet gezogen werden, der den Wert des menschlichen Lebens in den Grenzen der Zeit sieht (Koh 1,4). Auch Jesus Sirach sieht die Zeitlichkeit des menschlichen Daseins in Gottes Willen begründet (Sir 17,1f.). Dieses, erst im Intro der dritten Staffel präsentierte, Bild kann rückwirkend auf Ricks oben zitierte Aussage »Wie lange hat irgendwer denn noch?« insofern trefflich in Beziehung gesetzt werden, sodass durch diese Aussage die Diskrepanz zwischen dem alten und neuen Lebensgefüge verdeutlicht wird. Abbildung 8: Filmstill aus dem Intro der dritten Staffel The Walking Dead
Siechtum und Tod, vorher ins hohe Alter verbannt, wurden durch den ZombieTopos im Sinne einer Vorherrschaft usurpiert, womit sich eine Wandlung der Alterswahrnehmung vollzieht. Der Tod ist damit nicht mehr im hohen Alter lokalisiert, sondern ein allgegenwärtiges Memento mori-Manifest der diegetischen Gegenwart. Das Alter als ›Krisengenerator‹ wird hier obsolet; der neue Krisengenerator ist der Zombie und zeitweise feindlich gesinnte menschliche Kontrahenten, die in dieser Sequenz einer Vorausschau auf spätere Staffeln gleich einen ersten Auftritt genießen. Hier werden, entgegen der bewusst negativ skizzierten Einführung einer kulturell bedingt vorurteilsbeladenen Darstellung lateinamerikanischer Verbände, Menschen vorgeführt, die in christlicher Nächstenliebe handeln. Hervorgehoben wird diese Beobachtung durch eine auffallend hohe Frequenz an Kreuzket29
Siehe: The Walking Dead: Staffel 1. Episode 4.
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ten, welche von den heimischen Bewohnern getragen werden. Zum einen hängt ein großes Kreuz in der Aula des Pflegeheims, zum anderen tragen Guillermo, Abuela und der asthmatische Mann Kreuzketten um ihren Hals. Diese Kreuzketten suggerieren in diesem Zusammenhang eine große Affinität zum Christentum.30 Die letzten alternden Körper einer intakten Zivilisation, hier dargestellt durch die im Heim befindlichen Senioren, scheinen hermetisch von den wandelnden toten Körpern in Sicherheit zu sein und stehen diametral und sinnbildlich den verwesenden Körpern außerhalb des Refugiums gegenüber. Die dargestellte Szene formulierte u.a. die dramatisch eingeführte und zunächst dem Zuschauer geheim gehaltene Information, dass der Übergang zum Zombie losgelöst von Infektion oder gewaltsamem (bzw. auch und besonders mit Blick auf das Alter friedlichen und natürlichen) Tod unausweichlich ist. Die daraus resultierende Konsequenz nimmt selbst den Alten die Hoffnung, einem Zombiedasein durch das scheinbar greifbar nahe, natürliche Ende entfliehen zu können. Die Allgegenwärtigkeit zu enden, lässt somit für die Verdrängung des Todes im Zuge der Säkularisierung nur noch sehr wenig Raum für ein Refugium im christlichen Sinne.
9.3
›God forgive us‹: Zorn Gottes
Gleich zu Beginn der ersten Folge der ersten Staffel sind religiös-affine Zeichen zu lokalisieren.31 Auf dem Weg nach Atlanta macht Rick einen Zwischenstopp an einem etwas abgelegenen Haus nahe der Landstraße, um die dortigen Bewohner um etwas Benzin zu fragen. Nachdem sich diese weder durch Anklopfen an der Eingangstür, noch nach mehrmaligem Rufen melden, versucht Rick Hinweise auf deren Verbleib zu finden und schaut durch ein Fenster in das Schlafzimmer, in welchem er Leichen eines mutmaßlichen Ehepaares und eine mit Blut an die Wand geschriebene Aufschrift, die da lautet ›God forgive us‹, findet. Die Leiche des Mannes befindet sich fast liegend mit einem zerborstenen Schädel und einer Schrotflinte in der Hand auf einem Sofa, während die Leiche der Frau zu seinen Füßen erschossen in einer getrockneten Blutlache auf dem Boden liegt.
30
31
Anm.: In einer gelöschten und damit nicht zum Kanon gehörenden Szene der ersten Folge der zweiten Staffel kehrt Ricks Gruppe in das Pflegeheim zurück, um dort Obdach zu finden. Es stellt sich heraus, dass dieses verlassen wurde und alle Bewohner gezielt getötet wurden. Auf der Suche nach Überlebenden stößt Daryl auf die Kapelle der Einrichtung, in der eine blutig zugerichtete Leiche eines Mannes vor dem Altar liegt. Auf der Tür zur Kapelle ist die Aufschrift »Prayer changes things« (Gebete ändern Dinge) zu lesen. Darauf bemerkt Daryl mit Blick auf die Leiche, dass das Beten ihm wohl nicht geholfen habe. Er bleibt einen Moment nachdenklich stehen und kehrt zur Gruppe zurück. Siehe: The Walking Dead: Staffel 1. Episode 1.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
Dieses Szenario verweist auf einen gemeinsamen Suizid, indem der Mann zuerst seine Frau tötete, dann mit Blut den Text an die Wand schrieb und sich schließlich selbst durch einen Schuss in den Kopf tötete. Der religiöse Bezugsrahmen der an der Wand verfassten Aufschrift lässt eine christliche Affinität der verstorbenen Bewohner vermuten. Weiterhin charakterisiert dieses Szenario die formelhaft-sepulkrale Mise en Scène im The Walking Dead-Universum mit antichristlicher Tendenz. Der Vermerk an der Wand könnte nun auf zweifache Weise interpretiert werden. Einerseits als Bitte um Vergebung angesichts des Suizids des Ehepaares, evoziert durch die Hoffnungslosigkeit in der postapokalyptischen Welt, sowie andererseits als repräsentative Bitte um Vergebung für die ganze Menschheit angesichts vollzogener Sünden in der Vergangenheit. Das über die Welt hereingebrochene Leid könnte somit (in Form der Wiedergänger) als Bestrafung der Sünder im Sinne Mt 21,41 und ergo als Zorn Gottes aufgefasst werden.32 Es könnte also eine Parallele zu der menschlichen Sünde gezogen werden, um die für Vergebung gebetet wird: »Das Wesen der Sünde besteht in einer Verkehrung der gottgewollten, guten Schöpfungsordnung und damit in einem Bruch der Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch und zwischen den Menschen und der nichtmenschlichen Schöpfung. Dieser Gemeinschafts- und Bundesbruch hat leidvolle Folgen für die gesamte Schöpfung.«33 Entsprechend könnte das Auftauchen der Zombies als eine neue leidvolle Folge für das wiederholte Sündigen der Menschen gelesen werden, weshalb um Vergebung gebeten wird. Der Glaube an die Erlösung von der Sünde durch Gottes Handeln in Jesus Christus bleibt allerdings ausgespart und wird durch die drastische Darstellung des toten Ehepaares gar nicht mitgedacht, um den Schock des Dargestellten in Bezug zum kruden Setting der Serie zu maximieren. Doch besonders unter Beachtung des typologischen Vergleichs von Paulus Röm 5,12-21 mit der Tat Adams (die Sündenfallerzählung Gen 3 und 4) bezieht sich die Aussageabsicht von Röm 5,12 auf die Erlösung der Sündenmacht, nicht durch die Menschen selbst aufgrund »der gnädigen Initiative Gottes, die in Jesus Christus eschatologisch-endgültig, weil unverlierbar, ihr Ziel erreichte.«34
32
33 34
Anm.: Auf diese Lesart der geschehenen Apokalypse wird immer wieder beiläufig im The Walking Dead-Universum eingegangen. So sagt Jeremiah Otto (Dayton Callie) zu Madison Clark in der dritten Episode der dritten Staffel Fear The Walking Dead, dass die Meisten davon ausgingen, die Ursache für das Chaos der postapokalyptischen Welt seien die Offenbarung und Gottes Vergeltung. HD Bd.1: 2009; S. 166-167. Ebd. S. 168.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Zugleich läutet die Aufschrift ›God forgive us‹ die im The Walking DeadUniversum zentralen Themen über Leid und Tod ein. Das Handbuch der Dogmatik bietet diesbezüglich einen dezidierten Überblick, an welcher sich die folgenden Ausführungen dieser Thematik orientieren. Hiernach setzt die Bestimmung des Menschen zur irdischen Vergänglichkeit in der jahwistischen Erzählung bereits bei der Erschaffung des Menschen an, wobei der Tod nicht als Strafe gilt, sondern das Ende seiner mühevollen Arbeit markiert (siehe Gen 3,19). Weiter behandeln die Psalmen (siehe Ps 90,5f.) eine Gegenüberstellung von zeitlich begrenzter menschlicher Lebenserwartung und der ewigen Lebensfülle Gottes, weshalb der vergängliche Mensch allein im Blick auf Gott Hoffnung schöpft (Ps 39,6-8). Auch die jüdische Weisheitsliteratur reflektiert das Faktum der menschlichen Unsterblichkeit. So bedenkt Kohelet (wie oben bereits geschildert) den Wert des menschlichen Lebens in den Grenzen der Zeit (Koh 1,4). Die neutestamentlichen Schriften verkünden die Botschaft Gottes, der Jesus von den Toten erweckt hat, als den Grund ihrer Hoffnung auf die Überwindung der irdischen Lebensgrenze in der Teilhabe am Schicksal Jesu.35 Der Glaube an die Auferstehung setzt die jüdische Verbindung des Todes mit der Sünde voraus, dass also der Tod erst durch die Sünde des Menschen in die Welt gekommen sei. Davon ausgehend kann in der vermittelten Szenerie einer Repetition gleich eine Parallele zu genannter Voraussetzung gezogen werden. Demnach kommt der Tod in Form der Zombies (erneut) auf die Welt, weil Menschen gesündigt haben. Im christlichen Verständnis kann er nur besiegt werden, indem die Sünde gesühnt wird (Röm 6,23). Dies wurde durch die Heilsgeschichte bzw. durch das Christus-Geschehen, dem Sieg über den Tod durch den Tod, im Osterereignis erfüllt (siehe Kap. 6.1). Insofern ist Auferstehung eine positive Aussage, die meint, dass der ganze Mensch, der wirklich gestorben ist, durch einen neuen Schöpfungsakt Gottes ins Leben gerufen wird. Dass der Zorn Gottes eine wichtige Thematik in The Walking Dead darstellt, wird im Folgenden dargelegt.
35
Vgl. Ebd. S. 168-169.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
9.4
Der Zorn Gottes und phantastische (Post-)Apokalyptik Nur eine Hoffnung soll mir bleiben, nur eine unerschüttert stehn: – so lang der Erde Keim auch treiben, so muß sie doch zugrunde gehn. Tag des Gerichtes! Jüngster Tag! Wann brichst du an in meine Nacht? Wann dröhnt er, der Vernichtungs-Schlag, mit dem die Welt zusammenkracht? Wann alle Toten auferstehn, dann werde ich in Nichts vergehn! Ihr Welten, endet euren Lauf! Ew’ge Vernichtung, nimm mich auf!36
Gegen Ende der ersten Staffel konnte Ricks Gruppe Unterschlupf im Untergrund des CDC (Center for Disease Control) finden. Zusammen mit dem dort lebenden Wissenschaftler Dr. Jenner (Noah Emmerich) spekulieren die Überlebenden über die Ursache für die Entstehung der Untoten. Zunächst zieht Jenner rational-biologische Erklärungsversuche heran, bis Jaqui (Jeryl Prescott Sales), eine weitere Überlebende, den Zorn Gottes als Anlass für die Apokalypse sieht. Jenner stimmt dem, entgegen seines Rationalismus, nachdenklich zu.37 Die Erwähnung des Zornes Gottes wird nach zwei weiteren Episoden im Setdesign der Serie wieder aufgegriffen: Zu Beginn der zweiten Staffel verschwindet Sophia Peletier (Madison Lintz), die Tochter einer verbündeten Überlebenden und späteren Hauptfigur namens Carol Peletier (Melissa McBride).38 Bei der Suche nach Sophia im Wald erklingen plötzlich Kirchenglocken aus der Ferne, welche von den Suchenden als ein von Sophia erzeugtes akustisches Signal gedeutet werden und Hoffnung auf ein Wiederfinden des vermissten Kindes hervorrufen. Die Gruppe folgt dem Läuten und entdeckt eine scheinbar verlassene Kirche in einem Vorort von Atlanta. Während sich die Gruppe – durch einen Friedhof rennend – der Kirche nähert, ist explizit auf einer ca. vier Sekunden lang gefilmten Tafel vor der Kirche die Aufschrift ›Southern Baptist Church of Holy Light, Established 1836‹ zu lesen (siehe Abb. 9). Darunter befindet sich der Vermerk »Revelation 16:17« (Offenbarung, 16, 17), die da lautet (jedoch nicht in der Serie transkribiert und abgebildet ist): »Und der siebte Engel goss seine Schale über die Luft. Da kam eine laute Stimme aus dem Tempel, die vom
36 37 38
Wagner, Richard: Der fliegende Holländer. Romantische Oper in drei Aufzügen. Berliner Ausgabe. 3.Aufl. 2015, S. 7. Siehe: The Walking Dead: Staffel 1, Episode 6. Siehe: The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1.
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Thron her rief: Es ist geschehen« (Offb 16,17). Diese wohl bewusst von den Setdesignern platzierten Zeilen, die hier in ironischer Absicht eingesetzt wurden, treffen vorzüglich den Geist der Serie und skizzieren codiert die Thematik des Zornes Gottes bzw. des göttlichen Strafgerichts im Rahmen der biblischen Johannes-Apokalypse. Weiterhin spielen die Zeilen auf eine Repetition der hemmungslosen, sündhaft beladenen Exzesse des Menschen an, weshalb die oben geschilderte suizidale Szene umso mehr als Abbitte zu der von Menschen erfolgten Verfehlung gelesen werden kann. Es handelt sich bei diesem vor der Kirche befindlichen Schild inhaltlich um den Ausguss der siebten und letzten Schale des Zornes Gottes. Diese Aktion führt, analog zu der Serienhandlung, zu einer beispiellosen Zerschlagung von Gemeinschaften sowie dem Zerfall von imperialen Zentren. Gott erinnert sich an das große Babylon (Rom) im Zorn und unmittelbare Endgerichte fallen aus dem Himmel und haben Gotteslästerungen bei den Menschen zur Folge.39 Das Verderben aller, »die die Erde verderben« (Offb 11,18), gehört dabei zur Erfüllung der Reich-GottesBotschaft, wobei in den vorangegangenen Phasen des Endes dem Zorn Gottes eine leitmotivische Funktion zukommt.40 Der Zorn wird hierbei in die Termini orgé und thymós unterschieden.41
Abbildung 9: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1
»Ersterer beschreibt ›den objektiven Tatbestand des Zürnens‹ bzw. das ›souveräne Gerichtshandeln Gottes‹, während Letzterer den Wutzorn, also die subjektive
39 40 41
Vgl. Offenbarung, Das Buch. In: Bibelkommentare. URL: https://www.bibelkommentare.de/i ndex.php?pa ge=di ct&article_id=3073. Aufgerufen am 18.05.19. Vgl. Miggelbrink, Ralf: Der zornige Gott. Darmstadt, 2002. S. 101-102. Vgl. Ebd.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
Erregung des Zürnenden fasst und in Verbindung mit dem Zornwein (Vgl. Offb 14,8.10;16,19;18,3;19,15) gebracht wird.«42 Hemmungslos wird der als expandierende Unzucht (sexuelle Ekstasen, Götzenverehrung) gemeinte Wein im allegorisch gefassten Rom in Form der Hure Babylon herumgereicht, sodass bei den Völkern Übelkeit hervorgerufen wird.43 Es ist diese ungezügelte Hemmungslosigkeit, welche in christlicher Anschauung als Strafe erscheint. Insofern ist die Wut Gottes als Projektion menschlicher Wut zu verstehen, »die sich gegen den Menschen selbst richtet, indem sie ihn in eine selbstzerstörerische Hemmungslosigkeit treibt. Sie ist ›Zorn Gottes‹, insofern Gott diese Wut als Strafe gegen die Verderber der Erde verhängt.«44 »Der Terminus thymós ist wiederum im Zusammenhang mit den genannten Zornschalen, welche mit dem leidenschaftlichen Wutzorn Gottes gefüllt sind (Offb 15,7;16,1), zu verstehen«,45 wobei dieser nach Miggelbrink nicht den emotional-innergöttlichen Ursprung der Plagen meint, sondern ihr eigentliches Wesen.46 »Der Ausguss der sieben Schalen steht dabei im Kanon dreier Siebener-Zyklen: die sieben Siegel (Apk 6,1-8,1), die sieben Posaunen (Apk 8,2-11,19) sowie zuletzt die sieben Schalen (Apk 16,1-21), die jene apokalyptisch-kosmische Drangsal schildern.«47 Der serienimmanente Hinweis auf Offb 16 verweist somit durch die Nennung des Ortes der Vernichtungsschlacht bzw. des endzeitlichen Entscheidungskampfs (Harmagedon, einem Berg von Megiddo), der das Schicksal Jerusalems besiegeln sollte, auf das apokalyptische Szenario. Da dies ein Auszug aus der Vollstreckung des Gerichts ist (Schalenvision), welches in der Serienhandlung allem Anschein nach bereits geschehen ist, hat Gott seinen Zorn über die Welt ausgeschüttet und nur sehr wenige Menschen konnten diesem entkommen. Folglich wäre aus dieser hermeneutischen Perspektive Gott der Auslöser der (Zombie-)Apokalypse, womit Jaquis vorangegangene Argumentation unterstrichen wird (siehe S.250). »Die Absicht von Offb 16 ist es zu zeigen, dass die gottlose Menschheit allgemein keine Bußgesinnung zeigt.«48 Die Essenz von Offb 16,17 wird innerhalb von The Walking Dead in einem neuen Text- und Sinnzusammenhang umgesetzt, da hier ebenfalls das (amerikanische) Gesellschafts- und Staatssystem zusammengebrochen ist und die Menschen sich über Gott beschweren oder ihn zumindest nicht verstehen.49 Entsprechend fungiert dieses Schild als
42 43 44 45 46 47 48 49
Ebd. Vgl. Ebd. Ebd. S. 102. Ebd. Vgl. Ebd. Tilly, Michael: Apokalyptik. Tübingen, 2012. S. 107. Giesen, Heinz: Johannes-Apokalypse. Stuttgart, 1986. S. 124. Vgl. Roloff, Jürgen: Die Offenbarung des Johannes. Zürich, 1984. S. 165. Anm.: Unter der Macht der kosmischen Katastrophen zerfällt Rom (Babylon genannt), welches das Zentrum der
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dezentes Signal für die in dieser zweiten Staffel dargestellten Glaubensbezüge verschiedener Figuren, die mit dem Eintritt in die Kapelle beginnt. Gilt das Weltende in der Offenbarung des Johannes noch als bevorstehend (Apk 10,6), tritt in Apk 13,1-10 der Antichrist auf, wodurch das vergeltende Endgericht erwartet wird (Apk 14,6-20). Auch wenn der Antichrist im Sinne der Offenbarung des Johannes nicht in dieser Form aufgetaucht ist, trat in The Walking Dead die Apokalypse tatsächlich ein. Worauf in der Serie, zumindest Prima facie nicht eingegangen wird, ist der positive Ausgang der biblischen Apokalypse: »Am Ende der in den Visionsreihen dargestellten endzeitlichen Ereignisfolge stehen die Parusie Christi (Apk 19,11-21), die Entmachtung aller gottfeindlichen Mächte, ein tausendjähriges Friedensreich und zunächst die Auferstehung der gestorbenen Märtyrer (Apk 20,1-6), dann die ihr folgende Auferstehung aller anderen Toten und das allgemeine Vergeltungsgericht, welches alle Sünder gemäß ihren Taten in einen zweiten Tod, ins endgültige Verderben stößt und von welchem allein die endzeitliche Heilsgemeinde verschont bleibt (Apk 20,11-15). Beschrieben wird sodann die radikale Ablösung des negativ qualifizierenden gegenwärtigen Äons durch einen neuen Himmel und eine neue Erde (Apk 21,1-8).«50 Mit dem Ausruf »Es ist geschehen« bedeutet dies ergo, wenn der Zorn Gottes vollendet wird, dass sich der radikale Heilswille Gottes allen Unheilsmächten widersetzen wird.51 Gott hat also seine Herrschaft durchgesetzt und seine Macht endgültig bewiesen.52
9.5
Die Auferstehung der Toten
Einige Figuren des The Walking Dead-Universums sind durchaus mit der biblischen Botschaft vertraut und angesichts des Ausbleibens einer endzeitlichen Heilsgemeinde und der pervertierten Auferstehung der Toten irritiert: Rick: Sie sind doch ein Mann Gottes. Haben Sie Vertrauen! Hershel: Ich kann nicht behaupten, dass ich Gottes Plan verstehe. Als Christus uns die Auferstehung der Toten versprochen hat, da dachte ich, er hätte damit was anderes gemeint.53
50 51 52 53
Feindschaft Gottes war. Rom wurde zum Zentrum der von Satan gesteuerten Feindschaft gegen Gott und seine Heilsgemeinde. Tilly, Michael: 2012, S. 107. Vgl. Ritt, Hubert: Die Offenbarung des Johannes. 2.Aufl. Würzburg, 1988. S. 84. Vgl. Roloff: 1984, S. 165. Siehe: The Walking Dead: Staffel 2, Episode 13.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
Rick steht während dieses Gesprächs mit dem älteren Farmer Hershel Greene auf einer heruntergekommenen Schnellstraße in der Nähe von Atlanta zwischen verlassenen Automobilwracks, der letzten Reminiszenz an die bereits untergegangene Zivilisation. Es ist kein Wunder, wenn Hershel versucht Gottes Plan angesichts dieser wandelnden Toten neu zu interpretieren, da diese nicht konform mit der christlichen Eschatologie (siehe Kap. 5.2) sind, bzw. die christliche Vorstellung der Auferstehung der Toten konterkarieren. Bezogen auf Hershels Aussage ist mit Jesus die Vorstellung eines kommenden göttlichen Reiches etabliert, die von den Jüngern für die Konstitution einer Gemeinde umgesetzt wird: »Aus der tradierten Erwartung eines messianischen Reiches auf irdischem Boden und mit glanzvollem Zentrum in Jerusalem entfaltet sich ein zweiter Aspekt, wonach himmlisches Reich in seiner umfassenden Jenseitigkeit sich in einer Weise gestaltet, dass die Bürger allesamt, verstorben oder lebend Teilhaber und Nutznießer sein werden. Die Verstorbenen gelangen durch eine allgemeine Auferstehung in den verdienten Genuss der Teilhabe.«54 Braun führt weiterhin aus, dass Paulus und die Apokalypse des Johannes eine Kooperation mit dem wiederkommenden Christus lehren; die Sterblichkeit wird genommen und für alle bereits Verstorbenen die Auferstehung garantiert, womit Jenseits und Diesseits verbunden werden.55 Diesem Akt folgt nun ein weiterer in Form des umfassenden von Gott und seinem Sohn veranstalteten Gerichts, an dem die Getreuen seiner Herde mitwirken (Koh 6,2).56 »Johannes bedient sich dieser Jenseitserwartungen für das Diesseits und erwartet ein Reich von eintausend Jahren (Apk 20,4). […]. Am Ende dieser eintausend Jahre folgt ein Durchbruch der Jenseitswelt ins Diesseits, womit alle Verstorbenen auferstehen und vor das göttliche Gericht treten müssen. Es wird ein neues Jerusalem aus dem Jenseits ins Diesseits herabsinken und ein tausendjähriges Reich entsteht.«57 Darüber hinaus finden sich an die apokalyptische Szenerie anknüpfende Texte wie Joh 5,28f. oder auch 5,25: »Die Stunde kommt, in der alle, die in den Gräbern sind, 54 55
56 57
Braun, Hans-Jürgen: Das Leben nach dem Tod. Jenseitsvorstellungen der Menschheit. Düsseldorf; Zürich, 1996. S. 248. Anm.: Erst auf den zweiten Blick mit Fokus auf die Staffeln 7-9 etabliert sich eine schleichende Subsumtion der Walking Dead-Handlung auf die Folie der biblischen Apokalypse. Der tyrannische Antagonist Negan kann zeitweilig als Antichrist gedeutet werden, der das Weltende über die bestehenden Überlebenden hereinbrechen lässt, während Rick explizit nach dem Sieg über Negan zum Heilbringer erkoren wird, der es vermochte gottfeindliche Mächte zu entmachten und ein Friedensreich aufzubauen. Vgl. Braun: 1996, S. 248. Ebd.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
seine Stimme hören und herauskommen werden: Die das Gute getan haben, werden zum Leben auferstehen, die das Böse getan haben, zum Gericht.«58 Die Ambivalenz zwischen der Auferstehung der Toten im christlichen Kontext und der Darstellung der Zombies in The Walking Dead wird in einem weiteren Beispiels ausgeführt und mit dem Zorn Gottes kontextualisiert.
9.6
Das Kapellen-Ereignis: Zorn Gottes und Gebet vor Christusfigur Abbildung 10: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1
Bei der Suche nach Carols vermisster Tochter wird durch eine subjektive Kamera gezeigt, wie Rick die Kirchentür öffnet, sodass der Zuschauer nun mit seinen Augen das Innere der kleinen Kirche inspizieren kann.59 So ist auf den ersten Blick anzunehmen, dass auf den Kirchenbänken drei Betende sitzen, die ihren Blick auf die große Christusfigur im Altarraum gerichtet haben (siehe Abb. 10).60 Die Abendsonne strahlt dabei nur durch ein farbenreiches Fenster neben dem Altarraum, sodass die Kirche in einem schummrig-bunten Licht illuminiert ist, dadurch ein beruhigend-sakrales Kolorit erhält und für einige Sekunden den Schrecken in der monochromen Außenwelt vergessen lässt. Schnell offenbart sich jedoch durch ein einsetzendes Krächzen, dass es sich bei den vermeintlich Betenden um Zombies
58 59
60
HD Bd.2: 2002, S. 433. Anm.: Indes bleibt Andrea (Laurie Holden) bewusst vor der Kirche sitzen, da sie entgegen ihres Willen kurz zuvor einem Suizid entgangen ist, dessen Bestreben durch den Tod ihrer Schwester und der hoffnungslosen Situation, die Dr. Jenner postulierte, hervorgerufen wurde. Anm.: Eine Christusfigur im Zentrum des Altarraums ist für baptistische Kirchen unüblich.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
handelt, womit die anfangs spirituelle Stimmung dem Horror gemäß ins Gegenteil verkehrt wird und nun grausige Fratzen in Nahaufnahmen präsentiert werden. Zum ersten Mal befinden sich in The Walking Dead Zombies in der Kirche (siehe dazu ausführlich Kap. 1). So wurden symbolhaft die Beter zu Untoten, womit der antichristliche Grundton eingeleitet wird. Diese dargebotene Szenerie des kirchlichen Spuks ist bereits im deutschen Volksglauben verankert. Demnach sollen Kapellen oder Kirchen des nachts, besonders im Advent, von Toten (primär Substanzlosen) besucht werden, wo dann ein Gottesdienst der Geister stattfindet. »Die Toten feiern dann ihre eigene Christmette, ein Totenamt, ziehen in Prozession durch die Kirche, Ritter steigen aus ihren Grüften und machen einen feierlichen Umzug; desgleichen die Straßburger Dombaumeister in der Johannisnacht. Die toten Nonnen kommen in den heiligen Nächten zur Messe.«61 In vorliegender Szene wurden die geisterhaften körperlosen Wiedergänger durch Zombies ersetzt, gegen die sich nun zur Wehr gesetzt werden muss. So wird der sakrale Moment endgültig durch die äußerst harte Brutalität gebrochen, mit welcher die Gruppe die drei zum Angriff bereiten Zombies eliminiert. Nachdem Rick versucht einen auf dem Boden liegenden Untoten durch mehrere Hiebe außer Gefecht zu setzten und ihm dieses auch gelingt, fällt sein Blick als erstes auf die in den Fokus gesetzte Christusfigur, die das Geschehene zum einen durch die nun wieder wahrgenommene Präsenz der Gruppe in ein sündhaftes Licht stellt und zum anderen als unauffälliger Beobachter des grausigen Geschehens fungiert (siehe Abb. 11). Besonders vor dem bereits erwähnten staurologischen Hintergrund (siehe Kap. 6.1) erhält diese Inszenierung eine blasphemische Note. Diese Einstellung kehrt die oben dargestellte (siehe Kap. 6.1) Lesart um, dass das Kreuz der keineswegs geistigerbauliche, sondern in »Zeit und Raum materiell eingepflockte Einspruch dagegen ist, den Menschen nur als Gewalttäter zu sehen oder sie der Gewalt zu opfern und diese dadurch triumphieren zu lassen.«62 Rick dreht sich danach in Richtung Kamera, sodass der Zuschauer seinen Gesichtsausdruck zu sehen bekommt: Er atmet schwer, ist schweißgebadet und anders als in bisherigen Episoden erhält das Töten der Zombies durch diesen sakralen Schauplatz einen bitteren Beigeschmack. Als erstes geht Daryl, der eine wichtige figurale Konstante innerhalb des Hauptcasts der Serie einnimmt, auf die Christusfigur zu und äußerst sofort zynisch seine Meinung: »Jo, JC, nimmst du Bitten entgegen?«, womit er ausdrücklich nicht nur seine negative Einstellung zu Glauben und Kirche äußert, sondern sarkastisch die Abwesenheit Christi in dieser postapokalyptischen Welt postuliert, da er zwar in Form
61 62
HdA Bd.4: 1987, S. 1407. Berner: 2013, S. 96.
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Abbildung 11: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1
des hier dargestellten Kreuzes den Figuren präsent ist, jedoch angesichts des apokalyptischen Szenarios fern wirkt. Im Gegensatz zu Daryl nimmt Carol, die zuvor ihre Tochter aus den Augen verloren hat, in der Vergangenheit von ihrem Mann Ed (Adam Minarovic) missbraucht wurde und als Einzige eine Kreuzkette trägt, Kontakt zur Christusfigur auf und betet. Ricks Frau Lori nimmt hinter ihr Platz. Währenddessen steht Rick neben seinem Sohn Carl teilnahmslos mit verschränkten Armen, den Blick auf den Boden gerichtet, an der Eingangstür. Ricks Aufmerksamkeit scheint durch dezent-mimische Signale immer größer zu werden. Während Carol betet werden dem Zuschauer somit durch die Choreographie, dem Arrangement der einzelnen Figuren im Kirchenraum, dem individuellen Habitus der Charaktere sowie durch deren mimische Reaktionen, deren Bezug zum Glauben dargestellt.63 Folglich wird explizit die Mise-en-scène, also die Bildkomposition bzw. die Bildgestaltung im sichtbaren Bildausschnitt, die Farbkomposition, die Lichtgestaltung, die Anordnung der Figuren und Dinge im Bild, der Umgang mit Raum und Tiefe, die Ausstattung, die Kostüme, die Maske sowie die Schauspielerführung genutzt, um zum einen den Glauben der Figuren sichtbar und für
63
Anm.: Zuvor äußert Carol bei der im Wald stattfindenden Suche ihrer Tochter gegenüber Andrea, dass sie hofft und betet, dass Sophia nicht so enden würde wie Andreas kürzlich vom Zombie gebissene Schwester. Schnell bemerkt sie ihre Taktlosigkeit und entschuldigt sich daraufhin bei Andrea. Diese antwortet darauf sichtlich ironisch, dass alle für Carol beten und hoffen würden, falls dies etwas nützen würde. Sofort interveniert Daryl und sagt, dass beten und hoffen gar nichts nutzen würde und Zeitverschwendung sei. Er ist der Überzeugung, dass sie Sophia auch so unversehrt wiederfinden werden. Siehe: The Walkig Dead: Staffel 2, Episode. 2. Ein ähnliches Gespräch findet in Staffel 2, Episode 4 statt. Erneut versucht Andrea Carol Trost zu spenden. Diese weist sie allerdings darauf hin, dass Andrea besser für sie beten solle.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
den Zuschauer erfahrbar zu machen, zum anderen, um den Kontrast zwischen der vermeintlich eskapistischen Religion visuell darzustellen. Das Gebet von Carol soll hier dargestellt werden, um die dramaturgische Umkehrung des von Carol ersehnten Wunsches zu akzentuieren, der zugleich in der zweiten Staffel eine absolute Gottesferne aufzeigt (siehe Kap. 9.8). Denn Carols Wunsch bleibt dem Horrorgenre gemäß nicht nur verwehrt, sondern wird brutal und schrecklich ausgehen und ins Gegenteil verkehrt, nachdem sie Folgendes vor der Christusfigur laut erbittet (siehe Abb. 12): Carol: Jesus, vergibt mir. Ich verdiene deine Gnade nicht. Ich habe für eine sichere Reise nach Atlanta gebetet und die gabst du uns. Und dafür, dass Ed bestraft wird, weil er Hand an mich gelegt hat und seine Tochter auf eine kranke Weise anschaute, die in seiner Seele wuchs. Ich bete, du würdest dem ein Ende machen, mir die Chance geben, sie richtig zu erziehen, ihr zu helfen nicht meine Fehler zu machen. Sie ist so voller Furcht und doch wirklich nur ein Kind. Sie hatte noch gar keine Chance. Für Eds Tod zu beten war eine Sünde. Bitte, lass das nicht meine Strafe dafür sein. Mach, dass sie in Sicherheit ist. In Sicherheit ist und lebt. Bitte Jesus. Straf mich, wie auch immer du auch willst, aber lass ihretwegen deine Gnade walten.
Abbildung 12: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1
Generell fungiert das Beten als sprachgebundene religiöse Kommunikation und ist deshalb für den Gebrauch im Film lukrativ, um einen Einblick in das Innere der Figur zu erhalten: »Es dient dem Gläubigen dazu, seine Gefühle und Konflikte darzustellen, seine Wünsche zu äußern, seine Interessen vor Gott zu vertreten […] Im Bereich der Fernsehserien stellen Gebete ausweglose Situationen dar. Das Gebet unterstützt Serienfiguren auch in Entscheidungssituationen«.64 Carol wird durch dieses Gebet als gläubige Frau charakterisiert, der die sündigen Gedanken hinsichtlich ihres tyrannischen Mannes durchaus bewusst sind und sie vor einer
64
Bleicher: 2004, S. 228.
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etwaigen Konsequenz fürchten lässt, die Gott auf ihre verschollene Tochter reflektieren könnte, weshalb Sie darum bittet, dass Gott sie selbst statt ihrer Tochter strafen möge. Letztlich läuft dieser Handlungsstrang innerhalb von fünf weiteren Episoden dem Ende entgegen, da Carol ihre Tochter als Zombie wiederfindet und dadurch in ihrem Glauben erschüttert wird (siehe Kap. 9.8). Aus ihr wird innerhalb der Serie zeitweilig eine erbarmungslose Kämpferin, die sich selbst nicht davor scheut, andere Menschen, einschließlich Kinder, für das Überleben ihrer Gruppe umzubringen. Jedoch wird sie an diesem Persönlichkeitswechsel und durch den täglich Vollzug von Gewalt (für kurze Zeit) psychisch zugrunde gehen, womit sich das Merkmal einer komplexen Charakterentwicklung des Quality Television äußert. Nachdem Carol ihr Gebet beendet und die Gruppe die Kirche verlässt, kehrt Rick allein zurück und wendet sich verzweifelt an die Christusfigur (siehe Abb. 13): Rick: Ich weiß gerade nicht, wie du mich ansiehst. Vielleicht traurig? Höhnisch? Mitleidig? Liebevoll? Vielleicht auch nur gleichgültig. (nimmt seinen Hut ab) Rick: Du weißt ja, dass ich keinen starken Glauben hab‹ und wenn, dann setzte ich ihn immer für etwas anderes ein. Für meine Familie vor allem. Meine Freunde. Meinen Job. (wischt sich Tränen aus den Augen). Die Sache ist die. Wir (macht eine Pause) ich könnte etwas brauchen, das uns hilft, weiter zu machen. Sowas wie eine Bestätigung. Einen Hinweis, dass ich das Richtige tue. Es ist wirklich schwer, das rauszukriegen. Vielleicht weißt du es ja. (Rick setzt seinen Hut auf, dreht sich um und geht zurück zur Tür. Plötzlich dreht er sich wieder zurück zur Christusfigur). Rick: Und noch eins: Ich brauche nicht alle Antworten. Nur einen kleinen Anstoß. Ein Zeichen. Irgendein Zeichen.
Abbildung 13: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1
Rick erhält als Protagonist der Serie einen in Privatsphäre gehüllten Soloauftritt, in welchem er seine Sorgen laut, frei und emotionsgeladen aussprechen kann. Erstens äußert sich dadurch sein bestehender, jedoch schwacher Gottesglaube, der immer schon da war und sich in Form seiner Bitten für seine Familie und Freun-
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
de äußert. Zweitens wird hierbei deutlich, dass auch Rick über eine Schwachstelle verfügt und nach transzendenter Hilfe sucht. Ferner wird sein Respekt gegenüber Christus dargestellt, indem er demütig seinen Hut abnimmt. Er bittet um ein Signal, welches sein Handeln in eine wirksame und bestätigende Richtung lenken soll und gibt dadurch seiner Unsicherheit Ausdruck. Zusammenfassend bietet das Kapellen-Ereignis einen Einblick in die Glaubenswelt der Charaktere und deren Umgang mit dem Glauben angesichts der wandelnden Toten und liefert dramaturgische Grundlagen für die Charakterentwicklungen innerhalb der zweiten Staffel. Zugleich werden hier mehrere Peripetien gebildet: Die Beter werden zu Zombies und das Kreuz mit seinem symbolischen Gehalt wird durch die serieninhärente Thematik der Wiederauferstehung konterkariert. Die hier geäußerten Wünsche an Gott werden anschließend in derselben Episode im ›Hirsch-Ereignis‹ beantwortet, besonders hinsichtlich Ricks Bitte um ein Zeichen.
9.7
Das Hirsch-Ereignis
Dieses Zeichen äußert sich tatsächlich am Ende dieser Episode in einer klerikal anmutenden Szene der Stille, Idylle und Schönheit: Rick, sein bester Freund Shane (Jon Bernthal) und Carl gehen durch einen Wald und stoßen dabei auf einen majestätisch anmutenden Hirsch.65 Sofort äußert sich Ricks Faszination, der seinen Freund davon abhält, das Gewehr auf den Hirsch zu richten, da der kleine Carl ebenso beeindruckt von dieser seltenen Eleganz zu sein scheint, vom Hirsch magisch angezogen wird und sich diesem hypnotisch nähert. Währenddessen fokussiert die Kamera in einer langsamen Heranfahrt innerhalb einer Nahaufnahme Ricks Gesichtsausdruck, welcher darauf hindeutet, dass sein Wunsch nach einer transzendenten Bestätigung für sein bisheriges, entbehrungsreiches Vorgehen erfüllt wird. Unterstützt wird dieser auratische Moment von sphärischen Klängen, bis Carl und der Hirsch in einem Schuss-Gegenschuss-Verfahren in gesetzten Nahaufnahmen ineinander zu verschmelzen scheinen, was nach all dem Graus der letzten Episoden Carl lächeln lässt (siehe Abb. 14). Reinheit und Unschuld fallen hier metaphorisch in einem kontemplativen Moment zusammen und werden umso schockierender auf brachiale Art und Weise gemeinsam blutig vernichtet, indem ein Schuss aus dem Nichts erschallt und sowohl Carl als auch der Hirsch niedergeschossen zu Boden fallen. Gemäß dem Vers »Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir« (Ps 42,2) wird der Hirsch zum Symbol für das Sakrament der Taufe, weshalb dieser häufig in Baptisterien abgebildet wurde, aber auch auf Sarkophagen
65
Siehe: The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Abbildung 14: Filmstills aus The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1
und Grabkapellen, um die Hoffnung auf ein Leben bei Gott nach dem Tod auszudrücken.66 Er kann demnach auch für die nach Heil suchende oder die gerettete Seele stehen.67 Nach dem Physiologus jagt der Hirsch die Schlange, die Verkörperung des Bösen, aus ihrem Versteck und wird zum Christussymbol.68 In christlichen Legenden ist der Hirsch mit dem Göttlichen verbunden und Heilige begegnen ihm in Verbindung zu Christus, so etwa der heilige Hubertus oder der heilige Eustachius (Jägerpatron für eine waidgerechte Jagd), dessen Hagiographie narrative und piktorale Affinitäten zur besagten Szene in The Walking Dead aufweist. Deshalb kann hier durch das Hirsch-Ereignis als ›negatives Bekehrungserlebnis‹ eine Parallele herausgelesen werden. »Eines Tages erschien dem Jäger- und Feldmeister Placidus bei der Jagd auf einer Felskuppe ein Hirsch, der zwischen seinem Geweih den Gekreuzigten Christus in großem Strahlenglanz trug. Er stürzte vom Pferd und hörte die Worte: [»Warum
66 67
68
Vgl. Beltz: 1993, S. 207. Anm.: Dazu Schneidewind weiter: »Deshalb erzählen Heiligenlegenden wie auch Märchen und Sagen manchmal von Begegnungen mit Hirschen mit einem Kruzifix im Geweih, so bei den Heiligen Eustachius oder Hubertus von Lüttich. Besonders beliebt sind weiße Hirsche als Omen oder Zeichen der Unschuld. Auch in der Mythologie der Indianer gelten Hirsche als Symbol der Sanftmütigkeit und der Dankbarkeit, im Shintoismus gelten sie als göttliche Boten.« In: Schneidewind: 2008, S. 91-92. Vgl. Schäfer, Joachim: Eustachius. In: Ökumenisches Heiligenlexikon. URL: https://www.heili genlexikon.de/Biogra phienE/Eustachius.html. Aufgerufen am 14.10.2018.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
verfolgst du mich? Ich bin Christus, der den Himmel und die Erde erschaffen hat, ich ließ das Licht aufgehen und teilte die Finsternis.«].«69 Später tauchte Christus ein zweites Mal auf, woraufhin sich Placidus taufen ließ und den Namen Eustachius erhielt. Die Geschichte skizziert im Weiteren das Leiden von Eustachius und seiner Familie nach dem Urbild von Hiob, weil die Prüfung, die Christus ihm bei der zweiten Erscheinung vorausgesagt hatte, eintrat (siehe Kap. 9.9.6.2). In Analogie zu The Walking Dead und Rick Grimes »tötete eine Seuche alle Knechte und Mägde, alles Vieh und alle Rosse, Räuber überfielen Eustachius’ Haus. Mit Frau und Kindern konnte Eustachius nur das nackte Leben retten.«70 Fromme Jäger in ganz Europa nahmen aus dieser und ähnlichen Geschichten ihre Überzeugung, dass Gott »durch alle seine Geschöpfe zu wirken vermag«.71 Auf der anderen Seite tritt der Hirsch in verschiedenen Sagen Hessens, Sachsens und der Bretagne als Todesbote auf.72 Insofern könnte der Hirsch auch auf bevorstehende Ereignisse verweisen. Unter diesem Aspekt wird die christliche Hoffnung in Form der Allegorie des Hirsches nach der anfänglich suggerierten Schönheit in geschilderter Szene jedoch gnadenlos vernichtet. Er fungierte somit auch als Todesbote. Ricks Hoffnung wird damit zerstört. Durch die Umkehrung des idyllischen Moments in etwas Grauenvolles erhält Rick nun wahrlich das gewünschte Signal, wenn auch nicht so wie vorher im Gebet erwünscht. Obwohl Ricks Glauben (hier in Analogie zu Eustachius) vorerst nicht weiter thematisiert wird, stellt diese Sequenz nicht nur repräsentativ den Schlagabtausch zwischen einer religiös-anmutenden Erfahrung (sakraler Moment), die dem Horror entsprechend im Schrecken endet, dar, sondern auch Ricks Abfall vom Glauben (er erfährt in Analogie zu Eustachius großes Leid und verliert im Verlauf der staffelübergreifenden Handlung seine Familie). Die Tragweite der Bedeutung dieses Zeichens suggeriert ihm zunächst, dass eine wie auch immer geartete Hoffnung in dieser Welt nicht mehr vorhanden ist (was sich später revidieren wird). Im Endeffekt befindet er sich nun mit Carol auf einer biographischen Ebene, da beide zu diesem Zeitpunkt ihre Kinder verloren haben und es für sie keine Gnade Gottes gibt. Diese Sequenz eignet sich ferner vorzüglich, um die Serie unter das Horrorgenre und den Existentialismus zu subsumieren, da im Zentrum der Prozesse des Horror-Erlebens jene Figuren oder Ereignisse eines Films stehen, die – gemessen an den Normen und Werten der erzählten Welt – als ›unrein‹, also
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Ebd. Ebd. Golowin, Sergius: Das Geheimnis der Tiermenschen. Von Vampiren, Nixen, Werwölfen und ähnlichen Geschöpfen. Basel, 1993. S. 169. Vgl. HdA Bd.4: 1987, S. 102.
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als eine Verletzung kultureller bzw. kognitiver Kategorien erlebt werden können.73 Es stellt sich heraus, dass der Jäger Otis (Pruitt Taylor Vince) versehentlich Carl beim Erlegen des Hirsches anschoss. Da der Hirsch die Kugel abfing, ist Carl am Leben und wird, zusammen mit dem Rest von Ricks Gruppe, von Otis zu einer Farm gebracht. Der Hirsch wird hier also doch wieder positiv für das Leben gedeutet. Dort wird er von dem ehemaligen Tierarzt Hershel Greene behandelt und gerettet. Mit dem vorübergehenden Einzug in die isolierte Farm erhält die Gruppe darüber hinaus eine sichere Residenz mit würdigen Lebensumständen. Damit hat sich der Wunsch der vagabundierenden Gruppe nach einer permanenten Unterbringung zumindest vorerst erfüllt.74 Zunächst scheint es fraglich, ob Carl seiner Wunde erliegen wird, weshalb Lori und Rick darüber zu diskutieren beginnen, ob es angesichts der hoffnungslosen Sachlage besser wäre, Carl sterben zu lassen. Carl erwacht jedoch zwischendurch benommen und erzählt seinen Eltern komatös von der Schönheit des Hirsches und seiner Faszination des geschilderten Ereignisses. Überraschend bekommt er unmittelbar nach seiner Revue einen Schüttelanfall. Diese Szene wiederholt die Peripetie des Hirsch-Ereignisses mit direkt reflektierendem Bezug, indem sich Hoffnung (Carl erzählt von dem Hirsch) in Schrecken (Carl bekommt plötzlich einen starken Zitteranfall) wandelt, ohne dabei repetitiv zu wirken. Am Abend sitzen Rick und Lori neben Carls Bett. Rick erzählt dabei seiner Frau dezidiert von dem magisch-anmutenden Hirsch-Ereignis und betont, dass Carl beim kurzen Erwachen nur von der Schönheit dieses Moments sprach und nicht von all den grausamen Geschehnissen der vergangenen Tage, weshalb es sich lohne, nach einem sicheren Ort für die Familie und die Gruppenmitglieder ›außerhalb des Todes‹ zu suchen. Rick hat demnach schließlich doch eine Art Bekehrungserlebnis erfahren, woraus er Hoffnung und Kraft für das Weiterleben in der postapokalyptischen Welt schöpfen kann.75 Zugleich zeigt die Hilfsbereitschaft des Christen Hershel,76 dass »heroische Taten auch in einer unheroischen Welt da sind und Menschlichkeit und Güte auch in einer vermeintlich trostlosen Welt des Schreckens existieren«,77 indem Menschen weiterhin selbstlos und hilfsbereit handeln. Erst in der vierten Episode der zweiten Staffel wird Ricks Glaube wieder thematisiert.78 Rick steht zusammen mit Hershel auf einem Hang, bis der Farmer ihn auf die idyllische Landschaft hinweist und innehält: 73 74 75 76
77 78
Vgl. Vonderau, Patrick: Affektmanagement im Horrorfilm. URL: http://filmlexikon.uni-kiel.d e/index.php?action=lexikon&tag=det&id=1831. Aufgerufen am 19.03.17. Siehe: The Walking Dead: Staffel 2, Episode 3. Siehe: The Walking Dead: Staffel 2, Episode 3. Anm.: In einem Gespräch mit Rick erwähnt Hershel, dass er trotz aller Verluste, Gott für die Verschonung von ihm und seinen Töchtern dankbar ist. Siehe: Staffel 2, Episode 2. Weiterhin studiert Hershel in seiner Freizeit die Bibel. Siehe: Staffel 2, Episode 7. Vgl. Körber: 2014, S. 98. Siehe: The Walking Dead: Staffel 2, Episode 4.
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Hershel: Sieht das nicht toll aus? Es ist gut, ab und zu innezuhalten und sich zu erinnern. Rick: Woran? Hershel: An alles, was einem in den Sinn kommt. Für mich ist das oft Gott. Denken Sie nie an ihn? Rick: Das letzte Mal, dass ich Gott um einen Gefallen bat, wurde mein Sohn fast erschossen. Ich versuche dem Allmächtigen nicht mehr in den Weg zu kommen. Am besten ist, wir halten uns voneinander fern. Hershel: Lori hat mir ihre Geschichte erzählt wie auf Sie geschossen wurde, das Koma. Und doch haben Sie das irgendwie überstanden und spürten nicht die Hand Gottes in Ihrer? Rick: In dem Moment? Nein, habe ich nicht. Hershel: In all dem Chaos fanden Sie Ihre Frau und Ihren Sohn. Dann wurde er angeschossen und überlebte. Das sagt Ihnen gar nichts? Rick: Doch. Gott hat einen komischen Sinn für Humor. Hershel versucht hier Rick auf eine äußerst wundersame Kausalkette hinzuweisen, die sich trotz Brutalität und Schrecken immer wieder zu Gunsten Ricks umkehrte. Angesichts der positiven Ausgänge der vergangenen Ereignisse verweist Hershel auf Gott, der Ricks Schicksal in seinen Augen zu lenken scheint. Ohne von Ricks Gebet in der Kapelle zu wissen, bewegt Hershel ihn zu einer kurzen Reflexion über die Ereignisse und bringt diese in Zusammenhang mit seinem Glauben. Damit offenbart sich dem Zuschauer kurz Hershels Gedankenwelt. So offeriert dieser Dialog einen Einblick, auf welche Weise Rick, trotz Hershels Subsumtion der Ereignisse auf Gott, seinen Glauben umformuliert hat.79 Hervorzuheben ist nicht nur, dass Hershel auf die geschilderte Hirsch-Szene Bezug nimmt, sondern auch, dass er den Glauben trotzdem nicht vollständig aufgegeben hat. Vielmehr versteht Rick Gott nicht mehr, weshalb er ihm lieber aus dem Weg gehen möchte und auch keine Zeichen mehr wünscht. Der Passus »Das letzte Mal, dass ich Gott um einen Gefallen bat, wurde mein Sohn fast erschossen. Ich versuche dem Allmächtigen nicht mehr in den Weg zu kommen. Am besten ist, wir halten uns voneinander fern« bestätigt die hier aufgeführte theologische Interpretation der vorangegangenen Ereignisse, da hier für Rick ein Mysterium fascinosum (der Hirsch) zu einem Mysterium tremendum (dem vermeintlichen Tod seines Sohnes) wurde. Die Antwort »Gott hat einen komischen Sinn für Humor« zeigt Ricks ironische Haltung gegenüber den ambivalenten Geschehnissen. Gottes Sinn für Humor resultiert aus der von Hershel akzentuierten, pola-
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Anm.: Im Rahmen einer Diskussion mit Rick sagt dessen Frau, dass er Gott betend oder weinend eben so gut mitteilen könne, dieser sei gemein. Siehe: The Walking Dead:Staffel 2, Episode 2.
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risierten Wechselbeziehung der Begebenheiten.80 Diese theologische Lesart führt vor Augen, dass die aufgeführten dualistischen Wechselbeziehungen mit der spezifischen Charakteristik der Durchbrechung, Instrumentalisierung bzw. Umkehrung christlicher Dogmen und Topoi im Sinne des ›gritty realism‹ dramaturgisch bewusst wiederholt als Peripetien eingesetzt werden. Damit wird der christliche Glaube pervertiert, um die Handlung entgegen den Erwartungen des Zuschauers spannend, unerwartet und letztlich auch unterhaltsam zu machen. Folglich soll hier für dieses Phänomen der Terminus antichristliche Peripetien gebildet werden. Bemerkenswert ist, dass diese antichristlichen Peripetien zuvor in einer Episode zwei Mal erfolgten: In der Kapelle (Betende werden zu Zombies) und im Hirsch-Ereignis. Zugleich wird durch Hershels Aufzählung und das vorangegangene Hirsch-Ereignis das Potpourri aus Dichotomien, welche als Motoren die Handlung vorantreiben, deutlich: die Ästhetik des Schönen versus der Ästhetik des Schrecklichen, das Mysterium fascinosum versus des Mysterium tremendum. Nicht zuletzt wird das Sakrale immer wieder ins Schreckliche verkehrt. Sollte Gott dieses widersprüchliche Geschehen lenken, ist dies für Rick offensichtlich der zynische bzw. humorvolle Aspekt. Die Serie spielt in diesem Sinne nicht nur auf die Theodizee an, sondern postuliert (indirekt), dass es einen Gott gibt, der auch durchaus in das Weltgeschehen eingreifen kann, jedoch immer wieder im Sinne des Horrors konterkariert und vertrieben wird, um dem Schrecklichen Platz zu machen, damit kein Heilszustand der Welt mehr zu erwarten ist. Wenn die Theodizee-Problematik auftaucht, dann würden angesichts der geschilderten Geschichte nach Vondung selbst Depotentierungsstrategien nicht mehr greifen (siehe Kap. 9.9.6). Ausgenommen wäre die Behauptung der Nichtexistenz Gottes als Konsequenz auf die Nichtbeantwortung der Theodizeefrage. Da mit der Vernunft Gott nicht komplett gedacht werden kann, muss eine persönliche Auseinandersetzung mit ihm stattfinden, was in der Serie teilweise passiert, aber stets im Negativen endet. Entsprechend ist die Handlung mit dem heutigen Wortgebrauch ›apokalyptisch‹ kompatibel, da es gemeinhin Unheil bezeichnet, dem kein neuer Heilszustand mehr folgt.81 Im Grunde scheint die Situation dieser fiktiven Handlung ähnlich der Apokalyptik des Judentums (ca. 200 v. Chr. bis 100 n. Chr.) zu sein, da zu dieser Zeit unter der Okkupation von Griechen und Römern alle Chancen zur Wiederherstellung des eigenen Staates zu schwin-
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Anm.: In der zweiten Episode der dritten Staffel Fear The Walking Dead erzählt Hauptfigur Madison, dass sie nicht an Gott glaubt und in Analogie zu Rick alles für einen »kosmischen Scherz« halte. Siehe: Fear The Walking Dead: Staffel 3, Episode 2. Vgl. Vondung, Klaus: Inversion der Geschichte. Zur Struktur des apokalyptischen Geschichtsdenkens. In: Kamper, Dietmar.; Wulf, Christoph (Hg.): Das Heilige. Seine Spur in der Moderne. Frankfurt a.M., 1987. S. 600-623.
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den schienen und daraus eine ähnliche Hoffnungslosigkeit erwuchs.82 Im Lichte dessen änderte sich die Hoffnungsausrichtung der Juden, indem geglaubt wurde, dass auch die negativ verlaufende Geschichte von Gott gelenkt wird, der sie in den Untergang treiben lässt, um danach eine neue, bessere Welt zu bilden.83 Damit waren die Menschen in dieser schrecklichen Zeit nicht mehr hilflos ausgeliefert, sondern sahen diese pessimistisch geprägte Phase als von Gott gewollt und gelenkt, der zugleich versucht einen neuen Äon herbeizuführen.84 Diese Hoffnung bezog sich nicht auf die aktuelle Situation, sondern auf den neuen Äon. Folglich resultiere dieses Modell der Apokalyptik aus einem innerweltlichen Pessimismus heraus (apokalyptischer Pessimismus).85 Diese Welt muss vergehen, damit eine neue Welt, bessere Welt beginnen kann (apokalyptischer Dualismus).86 Wichtig ist auch, dass die Toten mit in dieses Gedankenkonstrukt eingeschlossen werden und an die Auferstehung geglaubt wurde. »Kernelemente waren unter anderem, dass Gott auch durch die totale Katastrophe hindurch eine Zukunft eröffnen kann und dadurch die Hoffnung auf Auferstehung und Universalismus resultieren.«87 Anhand der obigen Ausführungen wird ersichtlich, dass die universaleschatologische Erwartungshaltung in The Walking Dead aber nicht vermittelt wird. Insofern ist der apokalyptische Determinismus in dem The Walking Dead-Universum bereits geschehen. Der apokalyptische Dualismus, also der Endkampf mit dem Sieg des Guten über das Böse, wird bisweilen in The Walking Dead anhand der geschilderten Szenen in dieser Welt verweigert, weshalb auch die Figuren im Verlauf der Handlung defätistische Züge aufweisen und die Hoffnung auf eine bessere Welt verlieren. Das brutale Hirsch-Ereignis hat die pessimistische Grundstimmung unterstrichen, wobei z.B. durch Hershel immer wieder Hoffnungsschimmer zum Vorschein kommen und in diesem Zusammenhang Gott direkt thematisiert wird. Dass die Hoffnung der Figuren nur kurze Zeit andauert, zeigt das folgende ScheunenEreignis.
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Das Scheunen-Ereignis: Eschatologie
Hershel ging, trotz Ricks fundierter Information, dass es kein Heilmittel gebe, davon aus, dass es sich bei der Zombiefizierung seiner Mitmenschen um eine Krankheit handele, weshalb er diese in seine Scheune sperrte, ihnen zu essen gab und
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Vgl. Nocke: 1999, S. 30. Vgl. HD Bd.2: 2002, S. 382. Vgl. Nocke: 1999, S. 30-31. Vgl. Ebd. S. 383. Vgl. Ebd. Ebd.
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auf eine Genesung hoffte (der doppelte Rite de passage ist ihm nicht bewusst. Siehe Kap. 9.1.1). Erst durch die Konfrontation mit Rick und seiner Gruppe, denen der Realzustand der Untoten bewusst ist, wird die Scheune im Sinne einer dramaturgischen Kulmination geöffnet. Als die Zombies, unter anderem Hershels verstorbene Frau Annette Greene (Amber Chaney) und die zombifizierte Tochter Sophia überraschend heraustreten und darauf von der Gruppe erschossen werden, offenbart sich nicht nur für Hershel das Grauen; die Hoffnung und der Glaube aller Charaktere wird nun erschüttert.88 War für Rick das Hirsch-Ereignis eine Zäsur, so ist das Wiedersehen der toten Tochter für Carol und Hershel ein Einschnitt. Zuvor schenkte Daryl Carol eine Chereokee-Rose und erzählte die dazugehörige indianische Legende, dass diese das Symbol für die Hoffnung sei.89 Nach dem Tod ihrer Tochter zerstört Carol trauernd und zornig einen ganzen Strauch der Chereokee-Rosen als Sinnbild des Verlusts ihrer Hoffnung.90 Während Carl gesund wird, tangiert das Wiederfinden und Töten von Carols Tochter ebenso Ricks Ideologie und unterstreicht die Essenz der Hoffnungslosigkeit. In einem Interview äußerte sich Andrew Lincoln dazu, dass Rick den Tod von Sophia als einen Moment sieht, der ihn für immer verändern wird: »Ich glaube, Sophias Tod hat auch in Rick etwas getötet. Die Hoffnung, die er in dieses Kind investierte, wurde zerschmettert, und das hat ihn verändert.«91 Die Tötung der Zombies aus Hershels Scheune sowie die Entdeckung und Tötung der kleinen Sophia ist für alle Charaktere eine absolute Zäsur hinsichtlich ihres Glaubens und ihres Weltverstehens. Die gesamte achte Episode der zweiten Staffel thematisiert minutiös die Verarbeitung des Geschehenen und die wachsende Hoffnungslosigkeit. Hershels Erschütterung wird in einer kurzen Sequenz dargestellt, in welcher er alle seiner verstorbenen Frau zugehörigen Gegenstände, unter anderem einen Rosenkranz, verschließt, um danach einen versteckten und scheinbar lange unbenutzten Flachmann zum Vorschein zu bringen. Diese Sequenz kann so verstanden werden, dass Hershel seinen Glauben verliert. Er schließt auch mit dem Tod seiner Frau ab und greift, um den Schmerz zu unterdrücken, statt zum Glauben zum Alkohol. Konsterniert zieht er sich danach in eine verlassene Bar zurück, um sich zu betrinken. Rick und sein Begleiter Glenn eilen ihm nach, da Hershels Töchter seiner Unterstützung bedürfen. Der folgende transkribierte Dialog setzt ein, als Rick die Bar betritt.92 Rick: Ihre Mädchen brauchen Sie mehr den je. Hershel: Ich wollte Ihnen nicht glauben, verstehen Sie? Sie haben gesagt, es gäbe 88 89 90 91 92
Siehe: The Walking Dead: Staffel 2, Episode 7. Siehe: The Walking Dead: Staffel 2, Episode 4. Siehe: The Walking Dead: Staffel 2, Episode 8. Körber: 2014, S. 87. Siehe: The Walking Dead: Staffel 2, Episode 8.
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kein Heilmittel. Dass diese Menschen tot wären und nicht krank. Ja, ich wollte es einfach nicht glauben. Aber als Shane Annette in die Brust schoss und sie trotzdem weiter lief, da wusste ich, was für ein Arschloch ich war. Dass Annette schon seit langer Zeit tot ist und ich eine verfaulte Leiche gefüttert habe, da wusste ich, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Und als das kleine Mädchen aus der Scheune kam. Ihr Blick. Es war klar, dass Sie es auch wussten. Richtig? Es gibt keine Hoffnung. Das wissen Sie genauso wie ich. Oder nicht? Rick und Glenn schweigen. Hershel: Es gibt keine Hoffnung. Für keinen von uns.93 Hershel glaubt an die christliche Endzeithoffnung, durch die das Christentum durch Jesus Christus insgesamt zur weltüberwindenden und weltverändernden Hoffnung geworden ist. Diese Hoffnung ist für jeden Christen, wie auch für ihn, der unveräußerliche Grund des Glaubens. Doch gerade dieser wurde für Hershel durch das Scheunen-Ereignis konterkariert. Auch Carl äußert sich dazu ähnlich, als Carol ihm tröstend sagt, dass Sophia an einem besseren Ort wäre. Er negiert und antwortet hämisch, der Himmel sei auch nur eine Lüge und Carol gleichsam verrückt, wenn sie an einen besseren Ort nach dem Tod glaube.94 Ohne die Hoffnung, die eng mit dem Glauben verbunden ist, wäre eine rein innerweltliche Hoffnung nicht denkbar. Zugleich wird das transzendente Ziel eschatologischer Hoffnung im individual- und universaleschatologischen Sinn sowie der Glaube an die »neue Schöpfung«, den »neuen Himmel und die neue Erde« (Jes 65,17: erste Erwähnung 2 Petr 3,13; Offb 21,1) negiert. Auf christliche Inhalte bezogen heißt dies: Die Welt wird nicht von Gott vollendet, weshalb dem Menschen eine Vollendung als Leib-Seele-Einheit nach der Auferstehung der toten Leiber verwehrt wird und nur die körperliche Substanz auf der Erde weiter existiert. Ebenso werden innerweltliche, theo- und christozentrische Ziele eschatologischer Hoffnung durch die in der Serie dargestellten Geschehnisse außer Kraft gesetzt. Da Zombies auf der Erde umherwandeln, wird auch die Zuversicht der christlichen Endzeithoffnung aufgelöst werden, da das Böse in Ewigkeit triumphiert hat (das Gegenteil von Offb 20,10). Es handelt es sich hier um eine Umkehrung der eschatologischen Vorstellung, dass nach der Entmachtung Satans und der damit einhergehenden Reinigung der Erde das unverlierbare Glück der Gerechten beginnt. Nicht tangiert wird hierbei der Gedanke, dass Zombies ein Werkzeug Gottes zur Reinigung der Erde sein könnten, um danach das ewige Reich Gottes zu gründen. Vielmehr könnte die The Walking Dead-Geschichte eine Veräußerung der Folgen der Erbsünde sein, da Sterblichkeit und Leid und die Wunden der Seele, also das Gegenteil der vier Kardinaltugenden, Bestandteil dieser pessimistischen Welt sind. Ebenso
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Siehe: The Walking Dead: Staffel 2, Episode 8. Siehe: The Walking Dead: Staffel 2, Episode 11.
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wurde spätestens durch das Scheunen-Ereignis die christliche Auferstehungshoffnung in der Serienhandlung ad absurdum geführt.95 Nach der christlichen Deutung zur Auferstehung durch die Deutsche Bischofskonferenz und den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland im Jahre 1990 überwindet Gott den Tod durch die unzerstörbare Kraft des Lebens durch Jesu Tod und Auferstehung (siehe Kap. 5.2 und Kap. 6.1).96 Damit ist der Tod ein christlicher Ausdruck des Willens Gottes, ein Durchgang zum ewigen Leben in die himmlische Herrlichkeit, in die Jesus durch Tod, Auferstehung und Himmelfahrt vorangegangen ist. Somit ist die stärkste Hoffnung, wie in der Analyse zur Kreuzestheologie geschildert, für die Christen die Auferstehung.97 Am Ende der Zeit, zum jüngsten Gericht, wird es eine allgemeine Auferstehung geben. Hier werden die Verstorbenen bzw. deren Seelen den Gesetzen der Vergeltung unterworfen und folglich in Gute und Böse, Gerechte und Verdammte aufgeteilt. Dieser Tag, an dem sich das Schicksal der Menschen entscheidet, ehe ein neues Zeitalter mit paradiesischen Zuständen folgt, taucht schon in den prophetischen Schriften des Alten Testaments auf. So gibt es bereits bei Daniel die Auferstehung der Toten (Da 12,2).98 Die Auferstehungshoffnung speist sich daraus, dass Gott die Gerechtigkeit über den Tod hinaus in Aussicht stellt. So hofft der Mensch nach dem Tod auf Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Im Sinne der heutigen Auffassung der Eschatologie ist das Gericht als Selbstgericht zu verstehen, in welchem der Mensch in Begegnung mit Gott sich selbst erfährt (siehe Kap. 9.5). Die von Horrorgeschichten hervorgerufene Angst in Hoffnung zu verwandeln ist eine Aufgabe des Glaubens, während es sich der Horror zur Aufgabe macht dem Menschen Angst einzuflößen und das Gegenteil der Hoffnung darzustellen, was repräsentativ durch das Scheunen-Ereignis dargestellt wurde. Explizit wird der christliche Glaube in der Serie anhand einer Priesterfigur in der fünften Staffel dargestellt, welche im Folgenden anhand der Glaubenskrise als weitere Folge der Modernisierung und Säkularisierung beleuchtet werden soll. Diese Ausführungen werden an gegebenen Stellen mit dem am 23. März 2019 geführten Interview mit Seth Gilliam, dem Schauspieler des Father Gabriel Strokes, angereichert.
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Anm.: Indem in The Walking Dead der christliche Auferstehungsgedanke nicht aufgegriffen wird, erfährt er gleichzeitig eine Herabsetzung. Anm.: Vergleiche dazu die oben aufgeführte theologische Darstellung der Kreuzigung Jesu (siehe Kap. 6.1). Vgl. Das Leben behält das letzte Wort – eine christliche Deutung. Gemeinsame Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland 1990. Vgl. Ebd. S. 244.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
9.9
Glaubenskrise: Father Gabriel Signor Abbate! io sono, io sono, io sono ammalato, Santo Padre! vieni e date mi la benedizione, la benedizione. Hol‹ sie der Teufel, wenn sie nicht kommen, hol‹ sie der Teufel, wenn sie nicht kommen! Hol‹ sie der Teufel.99
In diesem 1863 von Ludwig van Beethoven verfassten Kanon findet sich der Ausruf eines Kranken, welcher einen Geistlichen um Segen ersucht und wohl aufgrund der subjektiven Dringlichkeit in eins mit infernalischer Drohung bei Ausbleiben erfragter Dienstleistung fluchend aufwartet. Als eine inhaltlich nahe Anlehnung zu nennen wäre hier der Werdegang des im The Walking Dead-Narrativs etablierten afroamerikanischen Priesters Father Gabriel Stokes100 , welcher seine um Hilfe bittende Gemeinde während der Apokalypse im Stich ließ und als sündige Person dargestellt wird, deren primär staffelübergreifendes Ziel in der seelischen Überwindung der Sünde und dem ihm widerfahrenen Leid ruht.101 Die Metamorphose des Priesters hin zu einem sündhaft belasteten oder dualistisch-geprägten Charakter mit antichristlichen Zügen fungiert als Potential für Konflikt in der Dramaturgie des Narrativs. Auffällig ist, dass der Priester in Film und Serie als solcher durch seine sakrale Autorität und Kraft seines Amtes gesetzte Reinheitsassoziation einen Archetypen darstellt, dann aber prädestiniert scheint, durch sein tatsächliches, sündhaftes Handeln und Auftreten diese Erwartungshaltung des Rezipienten erschüttert und damit dramaturgische Brisanz stimuliert. So tendiert er mit seinem an den Tag gelegten contra-stereotypen Habitus dazu, Sympathien für das Böse oder illegale Aktionen darzubieten und sein Handeln in unerwartete Bahnen zu lenken. Darüber hinaus fungiert er als Träger mystischen Wissens und von Geheimnissen, die er den anderen Figuren unter anderem als Mentor übermittelt.102 99
Ludwig van Beethoven. Signor Abate. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1863 (Gesamtausgabe Serie 23 Nr. 256/13). 100 Anm.: Im Folgenden wird die Figur hier gemäß ihrer gängigen Namensnennung in der Serie als Father Gabriel oder Gabriel bezeichnet. 101 Anm.: Father Gabriels erste Comicerscheinung ist im Band Nummer 61. Er verstirbt im Comic 158. Seine erste Erscheinung in der TV-Serie war in Staffel 5, Episode 2 im Jahre 2014. Des Weiteren könnte schon sein Name eine Anspielung auf den Erzengel Gabriel (»Der Starke Gottes«) sein. 102 Anm.: Vertiefend über den Priester im Film. Siehe: DeBona, Guerric: Mass appeal: The priest movie as cultural icon. In: New Theology Review 17. Nr. 3, 2004. S. 30-40. Ebenso: Bohrmann, Thomas: Priesterfiguren im Unterhaltungskino. In: Ders., et.al. (Hg.): Handbuch Theologie und populärer Film Bd. 1. Paderborn, 2007. S. 173-188.; Seeßlen, Georg: Einer unter Gleichen? Zum Bild des Pfarrers im Film. In: EPD Film 30. 2013. No. 12. S. 22-26.; Hamdorf, Wolfgang:
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Gabriels Werdegang in der Serie verläuft aufgrund einer stetigen Prüfung seines Glaubens gleich einer theologischen Amplitude, die in Longitudinalwellen gedacht werden kann, welche seine Glaubensintensität ausdrücken. Von einer ursprünglich überaus fragilen charakterlichen Integrität entwickelt sich der äußerst gläubige Father Gabriel im Laufe der Geschichte zu einer reifen und standfesten Persönlichkeit, geprägt von Erfahrung, bis er letztlich die Funktion einer Beraterund auch Kämpferfigur übernimmt. Nachdem er sich Ricks Gruppe angeschlossen hat, muss Gabriel im Zuge seiner charakterlichen Entwicklung anfangs durch diverse Hürden und Prüfungen und somit Kompromisse und Abstriche mit seinem Glauben machen. Da er bis zu dem Zusammentreffen mit Ricks Gruppe keinerlei Erfahrung mit der neuen postapokalyptischen Welt gemacht hat, muss er stets seinen Glauben neu verhandeln und entgegen seinem Willen seine Werte relativieren. Er repräsentiert sich somit als Figuration eines Geistlichen, die sich dem Horrorgenre bzw. der narrativen Strategie des Quality-TV geschuldet nicht immer christlich-konform verhält. Gleich eines Robinson Crusoe lebt er in ständiger Rechenschaft und all das über ihm hereinbrechende Leid erfolgt nach seiner Sichtweise aufgrund einer begangenen Sünde.103 Zugleich ist er aufgrund von Realitätsverleugnung für lange Zeit eine quichoteske Figur. Anfangs wird er als Feigling und ängstlicher Einfaltspinsel charakterisiert, der stets den Halt in seinem Glauben zum Ausdruck bringt, welcher aber aufgrund der nahezu diabolischen Stärke und kämpferischen Ausstrahlung von Ricks Gruppe, die sich aus dem kreatürlichen Lebenskampf des erörterten survival of the fittest gespeist hat, lächerlich erscheint und damit anfangs seinen für die Gemeinschaft obsoleten Glauben kläglich dastehen lässt. Je mehr er sich jedoch im Verlauf der Serie von den Grundsätzen seines Glaubens (besonders von dem Du-sollst-nichttöten-Gebot) emanzipiert oder diesen an die neuen Situation akkommodiert, wird er nicht nur umso mehr von der Gruppe als Mitstreiter und würdiges Mitglied akzeptiert, auch seine Überlebenschancen werden z.B. durch zunehmende Sympathie für die Verwendung einer Waffe gesichert. Im Kontext der hier dargebotenen Lesart ist das The Walking Dead-Universum als Sinnbild der Säkularisierung zu verstehen. Dabei wird bedacht, dass durch die Säkularisierung auch Glaubenskrisen Im Namen Gottes: Eine Filmreihe zur Darstellung evangelischer Priester. In: Film-Dienst 66. 2013. No. 25. S. 8f.; Graff, Michael: Helden, Heilige, Halunken: Priester im Film – ein Überblick. In: Film-Dienst 48. 1995. Nr. 11. S. 4-10.; Gerz, Raimund: Knockin‹ on Heaven’s Door: Geistliche im Film. In: EPD Film 21. 2004. No. 11. S. 26-29.; Baumann: 1989, S. 152. 103 Anm.: Ein Charakteristikum der Robinsonade als zeittypische Erbauungsliteratur ist die Selbstmissionierung im Sinne der Isolation als Weg zu Gott. Robinson lernt den von Gott eingelenkten ungünstigen Lebensumstand vorteilhaft zu nutzen und legt dabei immer wieder Rechenschaft ab. Er erklärt sich die Ursache für seine missliche Lage aufgrund einer Sünde, weil er dem Vater nicht gehorchte, als dieser ihm verweigerte die Heimat bzw. das Haus zu verlassen. Hiernach ist eine narrative Analogie zu Father Gabriel vorhanden.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
resultieren. Mit den folgenden Ausführungen wird nun analytisch dargestellt, dass diese Konsequenzen geschickt in die Figurenentwicklung Gabriels eingespeist und verarbeitet wurden. Deshalb soll zunächst mit dem ersten Schwerpunkt der Glaubenskrise sein narrativer Werdegang, einhergehend beleuchtet mit der Entwicklung seiner Glaubensintensität, dann theologisch mit Blick auf die Theodizee-Problematik reflektiert und im Anschluss konkret auf die filmische Verarbeitung der Säkularisierung bezogen werden. Einzelne relevante Szenen werden genauer innerhalb ihres dramaturgischen, staffelübergreifenden Verlaufs näher beschrieben.
9.9.1
Father Gabriels Entwicklung
Negan: Ich will dich mal was fragen. Warum bist du Priester geworden? Gabriel: Ich liebe Gott und ich liebe die Menschen. Ich wollte sie zusammenbringen, um ihnen zu helfen schwere Zeiten durchzustehen, um ihnen durch ihre Schwächen zu helfen.104 Der erste Kontakt mit Father Gabriel mitten im Wald beschreibt eine Attacke von Zombies, wobei auffällt, dass Gabriel bei dem Angriff eine erhöhte Position auf einem Felsen inne hat, während die Zombies nach seinen Beinen greifen (siehe Abb. 15).105 Der symbolische Wert dieser Inszenierung lässt sich so interpretieren, dass das Gute eine erhöhte Position bekleidet, dessen das Böse bzw. der Horror habhaft zu werden und in die Tiefe zu ziehen sucht oder das profane Monster (Modernisierung) nach der Religion greift (Säkularisierung). Rick und seine Entourage retten den unbewaffneten und verstörten Priester, welcher sich trotz des postapokalyptischen Szenarios anschickt, weiter an seinem Glauben festzuhalten. Nachdem er seine Fassung wiedererlangt hat, verlässt er sich auf Gottes Schutz, welcher ihm Gewaltanwendung untersagt, der jedoch, wie Daryl daraufhin hämisch bemerkt, in dieser Situation seinen Dienst versagt hat. Anschließend führt er die Gruppe zu seiner im Wald befindlichen und isolierten Episkopalkirche106 , um ihr Obdach zu bieten. Dort demonstriert er ein mysteriöses Verhalten gegenüber der Gruppe, wodurch offensichtlich wird, dass er etwas verschweigt, was ein starkes Misstrauen hervorruft. Nachdem Rick dann auf der Außenfassade der Kirche die Aufschrift »You’ll burn for this« (hierfür wirst du brennen) entdeckt, fragt er Gabriel eindringlich nach seiner Vergangenheit.107 Der Priester erzählt daraufhin, dass er die Tü104 Siehe: The Walking Dead: Staffel 8, Episode 5. 105 Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 2. 106 Anm.: Auf einer Tafel vor der Kirche wird ersichtlich, dass es sich um eine Episkopalkirche handelt. Gabriel gehört also nicht zur römisch-katholischen Konfession. Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 3. 107 Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 3.
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ren seiner Kirche während des Ausbruchs der Apokalypse absichtlich aus Angst verschlossen hatte, sodass seine Hilfe suchende Gemeinde draußen bleiben und sterben musste. Die an der Kirche gefasste Malediktion ist in Folge dieser radikalen Entscheidung entstanden. Das geschilderte Ereignis ist in The Walking Dead nicht zu sehen, sondern nur über Gabriels verbale Ausführungen ersichtlich. Abbildung 15: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 5, Episode 2
Traumatisiert, ängstlich und voller Reue äußert er weiter, dass er die Schreie der Sterbenden hören musste und davon ausgeht, dass Gott Ricks Gruppe zu ihm gesendet hat, um ihn zu töten, da er verdammt und eine schlechte Person sei.108 Seth Gilliam betonte im geführten Interview, dass dieses Ereignis ein Höhepunkt von Gabriels Glaubenskrise war. Dabei schilderte Gilliam Gabriels Zerrissenheit in jenem Augenblick: »I think in that moment, he was probably praying for the strengh of god to let them in […] and in that point figured that it was every man for himself.«109 Ferner hat Gabriel auch Bedenken, Zombies zu töten, da ihn diese zu sehr an das vormals menschliche Dasein erinnern und er gemäß seines Glaubens nicht töten soll.110 Besonders ersichtlich wird dies in einer Szene, in welcher er im Wald wiederholt von einem Zombie attackiert wird und sich zu wehren versucht.111 Als er den Zombie überwältigt und zum finalen Gnadenstoß ausholt, fällt ihm eine Kreuzkette am Hals des (einstmals weiblichen) Zombies auf (welche in einer eindringlichen Großaufnahme gezeigt wird, siehe Abb. 16), weshalb Gabriel es nicht wagt, diese zu töten, da diese ihn an sein Gebot ›Du sollst nicht töten‹, sowie an die Auferstehung und damit an sein Christsein erinnert (Siehe Kap. 9.10). 108 Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 3. 109 Siehe: Interview mit Seth Gilliam am 23. März 2019 auf der Walker Stalker Germany Convention in Berlin. 110 Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 2. 111 Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 7.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
Zugleich symbolisiert diese Szene die vermeintliche Schwäche des Christentums, da der Priester, im Kontrast zu Ricks ›Survival Gruppe‹, nicht in der Lage ist, einen Untoten zu töten (bzw. ihn durch einen Gnadenstoß zu erlösen) und ergo sein nicht mehr zeitgemäßer Glaube ihn daran hindert, sich der neuen Welt anzupassen. Zugleich stellt diese Szene eine bewusst symbolische Konterkarierung des Auferstehungsglaubens sowie staurologischer Aspekte dar (siehe dazu ausführlich Kap. 6.1). Die christologische Bedeutung sowie die heilsgeschichtliche Notwenigkeit und die Rechtfertigung des Gekreuzigten durch die Auferweckung Jesu, welche sich symbolisch in der Kreuzkette spiegelt, wird durch die piktorale Kombination mit dem entstellten Untoten unterminiert. Abbildung 16: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 5, Episode 7
Nachdem seine Kirche von Zombies eingenommen wird (siehe Kap. 2.2), schließt er sich Ricks Gruppe an und wird dadurch erstmals mit der rigorosen Realität außerhalb seines sicheren Refugiums konfrontiert. Dabei zeigt er sich zunehmend entsetzt über das brutale Vorgehen der Gruppe gegenüber anderen Menschen, womit er die neue postapokalyptische Realität zu verleugnen scheint.
9.9.2
Wiederholter Verrat
In der abgeriegelten Stadt Alexandria angekommen wird der Gruppe Asyl gewährt und eine provisorische Kirche für Father Gabriel errichtet. Er betritt diese, um sich für den Gottesdienst vorzubereiten, wobei ihm ein Geschenkkorb voll Erdbeeren und eine kleine Dankeskarte mit der Aufschrift: »Father Gabriel, wir sind so gesegnet Sie hier zu haben […]« auffällt. Unwohl, reumütig und wie erstarrt blickt er auf die Karte, dreht sich zur noch eben aufgeschlagenen Bibel, welche auf einem provisorisch errichteten Ambo liegt, und zerreißt bußfertig mit zunehmender Schnelligkeit und hemmungsloser Radikalität die einzelnen Seiten, dann jäh den ganzen
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Buchblock. Im Anschluss schaut er zitternd und schuldbewusst wiederholt auf die Dankeskarte und blickt im Anschluss völlig konsterniert gen Himmel.112 Die Dankeskarte fungiert hier nicht nur, um als Indikator von Gabriels Schuldbewusstsein hinsichtlich des Verrats an seiner alten Gemeinde zu stimulieren. Die Karte regt ihn in dargestellter Szene auch an, dass er diesen Fehler mit seiner neuen Gemeinde in Alexandria nicht wiederholen möchte. Deshalb sieht er sich gezwungen Ricks Gruppe aufgrund ihres scheinbaren Bedrohungspotentials zu verraten und sich erneut illoyal (unter dem Vorwand des Schutzes Alexandrias) zu verhalten. Weiterhin induziert diese Szene, dass Gabriel das Vertrauen der neuen Gemeinde gewinnen konnte (herausgehoben durch den Geschenkkorb), welche jedoch nicht in Kenntnis über sein sündhaftes Verhalten in der Vergangenheit ist. Daraus ergibt sich eine Polarität zwischen dem erarbeiteten Vertrauen zu Ricks Gruppe einerseits und der Zuversicht der Bewohner Alexandrias andererseits. Dieser innere Konflikt kulminiert im Zerreißen der Bibel, womit zugleich Gabriels Glaubenserschütterung bzw. Glaubenskrise unterstrichen wird. Dieser innere Konflikt mündet mit dem Blick in den Himmel, welcher den Wunsch des Beistands Gottes in dieser Situation der Zerrissenheit suggeriert. Gabriel möchte nicht noch einmal seine Gemeinde verraten, begeht aber wiederholt eine Sünde, indem er nun Rick verrät. Deshalb warnt er die ebenso in Realitätsverleugnung lebende Anführerin Alexandrias Deanna Monroe (Tovah Feldshuh) vor der Brutalität bzw. dem sündhaften Vorgehen der hereingelassenen Gruppe und fürchtet um die Sicherheit der friedlichen Gemeinschaft. In Unwissenheit der Gesprächspartner belauscht Maggie das Gespräch auf der Kellertreppe stehend. Bemerkenswert hierbei ist, dass Gabriel Rick mit dem tricksterhaften Auftreten des Teufels und die Gruppe als Veräußerung des Bösen vergleicht: Gabriel: Satan. Er verkleidet sich sehr oft als der Engel des Lichts. Ich fürchte dieses falsche Licht ist hier. Innerhalb dieser Mauer. Ihre Gemeinschaft. Sie sagen, sie sei kein Paradies, aber das ist sie. Ich bin dankbar dafür, hier zu sein, wirklich. Aber es war falsch, die Anderen rein zu lassen. Deanna: Wieso das? Gabriel: Rick und seine Gruppe, das sind keine guten Menschen. Sie haben so einiges getan. Sie haben Unaussprechliches getan. Deanna: Um so lange da draußen überleben zu können, müssen sie einiges getan haben. Rick sagte das auch. Aber sie überlebten und das macht sie so wertvoll. Gabriel: Sie irren sich. Man kann ihnen allen nicht trauen. Sie sind äußerst gefährlich. Sie glauben vielleicht, sie haben getan, was sie tun mussten, dass sie Angst hatten und deswegen (Gabriel pausiert). Der Tag wird kommen, da werden die ihr Leben über Ihres und das aller anderen stellen und werden alles zerstören,
112
Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 14.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
was Sie hier haben. Alles, was Sie mit so viel Mühe aufgebaut haben. Deanna: Warum kommen Sie gerade jetzt damit zu mir? Gabriel: Satan. Er verkleidet sich sehr oft als der Engel des Lichts. Seine Diener sind die falschen Apostel der Rechtschaffenheit. Die haben das nicht verdient. Die verdienen das Paradies nicht. Deanna: Ich danke Ihnen Gabriel. Ich muss über vieles nachdenken. Gabriel: Ich wünsche nur, ich wäre eher gekommen, und hoffe, es ist nicht zu spät.113 Gabriel unterstellt, mangels besseren Wissens, einen dezidiert negativen Eindruck von Rick und seiner Gruppe, welcher aus seiner Abgeschiedenheit und dem unglücklich verlaufenden Erstkontakt mit besagter Gruppe entspringt. Diese Konversation wird durch ein parallel laufendes Gespräch zwischen Rick und Carol in der Montage unterbrochen, welche beschließen, einen tyrannischen Familienvater zu töten, womit sich Gabriels Prognose zu bewahrheiten scheint. Jedoch offenbart sich später, dass Gabriel falsch lag und Alexandrias Gemeinschaft nur durch Rick und seine Gruppe überleben kann.114
9.9.3
Suizidversuch, Krisenüberwindung und Profilierung
Er begriff nicht, warum er dem Tode, den seine jammervolle Seele suchte, in jenen Augenblicken, da er ihm freiwillig von allen Seiten rettend erschien, entflohen sei.115 Nach diesem Akt des wiederholten Verrats und in zunehmender Maximierung seiner Glaubenskrise verlässt Gabriel Alexandria unter dem Vorwand, spazieren gehen zu wollen. Seines Collarhemds entkleidet und mit der Intention der Aufmerksamkeitsfindung pfeifend, nähert er sich einer verlassenen Straße und entdeckt einen von ihm abgewandten Zombie, welcher sich an einem Leichnam nährt. Gabriel platziert sich in sicherer Distanz vor dem Untoten, streckt seine Arme kreuzartig aus und verkündet laut, dass er bereit sei, womit offenkundig ein Suizidversuch dargelegt wird. Der Zombie wird auf ihn aufmerksam, dreht sich um und offenbart ein degeneriertes Gesicht. Er nähert sich dem Priester schlurfend und wird, nachdem dessen durch Furcht erregte Reaktion gezeigt wurde, aus der subjektiven Sicht Gabriels präsentiert, bis das entstellte Gesicht des Zombies, in die Kamera schauend, die ganze Bildfläche einnimmt. Der Suizidversuch wird durch Gabriels Grauen beim Anblick des Zombies unterbrochen, sodass er sich automatisch, 113 114 115
Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 14. Siehe: The Walking Dead: Staffel 6, Episode 1. Kleist, Heinrich von: Das Erdbeben in Chili. In: Sembdner, Helmut: Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke und Briefe. Erster Band. Stuttgart, 1993. S. 144-159. Hier S. 147.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
aber widerwillig zur Wehr setzt und erstmalig in Notwehr gezwungen ist, seine emotionale Hemmung beim Töten von Zombies zu überwinden (siehe Kap. 9.10). Anschließend nimmt er sich dann – noch von Ekel erregt – der reinkarnierten Leiche auf dem Boden, welche zuvor als Mahlzeit seines ersten Opfers hatte enden sollen, an und führt sie ihrem finalen Ende durch das Zerschlagen des Kopfes zu. Anstelle der Tötungsabsicht kann ihm hier als Motivationsgrundlage das Erlösungsbestreben nachgesagt werden.116 Deutlich zu sehen ist jedoch die, aufgrund der physischen Kongruenz des Prozesses der Herbeiführung besagter Erlösung mit dem Prozess des Tötens, einhergehende Abneigung gegenüber einem so gearteten Habitus. Daraufhin verfällt er zunächst für einen kurzen Moment in Schockstarre und bricht weinend auf dem Asphalt zusammen.117 Am Abend ersucht Sasha Williams (Sonequa Martin-Green) emotionalen Beistand in Gabriels Kirche und äußert den Wunsch, sterben zu wollen. Entgegen ihrer Annahme, spirituellen Beistand zu erfahren, nimmt Gabriel, einer Depression nah, einen feindlichen Gestus an. Er provoziert sie vorsätzlich, in paritätischer Konterkarierung erwartend, indem er ihr Schuldzuweisungen vorausgegangener Eskapaden und Verluste anprangert und sagt, dass sie auf Basis der postulierten Sünden den Tod verdient hätte, womit sich Gabriel reflexiv auf Sasha projiziert. Diese überwältigt Gabriel sogleich in zunehmender Rage und zieht ganz im Sinne des Priesters eine Waffe und setzt in sichtlicher Verzweiflung zum Schuss an. Als Deus Ex Machina erscheint Maggie und nimmt der weinenden Sasha die Waffe ab, worauf Gabriel den Wunsch äußert, dass sie ihn hätte erschießen sollen, womit ein indirekter zweiter Suizidversuch fehlgeschlagen ist. Zitternd liegt er auf dem Boden und rekapituliert seine Schuld am Tod seiner früheren Gemeindemitglieder. Die Last bleibt ganz bei ihm. Maggie greift in einer Nahaufnahme behutsam seine Hand und bestätigt nüchtern Gabriels Vergehen. In einer späteren Einstellung ist diese emotional zerrüttete Figurenkonstellation betend, Hände haltend und Köpfe neigend, im durch den Kerzenschein erleuchteten Kirchenraum in Kontemplation zu sehen. Es wurde einander vergeben und Trost gespendet. Diese abschließende Szene kann dahin gehend interpretiert werden, dass Gabriel bewusst wird, dass er nicht der Einzige ist, der sündhaft beladene Handlungen im Angesicht der Apokalypse vollzogen hat und von seinen Mitmenschen emotionalen Beistand zum Bestehen von weiteren Hürden erhält. Die Krise ist damit überwunden. Ungeachtet seiner Taten erfreut sich Gabriel jedoch einer Wiederaufnahme, da die Unbill des Alltags in all ihrer Schwere aufgrund ihres quantitativen
116
117
Anm.: Diese Szene kann in Analogie zu der Konfrontation mit dem Kreuzketten tragenden Zombie gelesen werden (The Walking Dead: Staffel 5, Episode 7). Gabriel hat sich durch den nun erfolgten Gnadenstoß der postapokalyptischen Welt angepasst. Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 16.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
und qualitativen Auftretens in ihrer Kontinuität so entwertet wurde, dass sie qualitativ nicht mehr ins Gewicht fällt und sie ergo auch nicht mehr geahndet wird. Durch die Erkenntnis, dass das Töten nun zum Alltag und universalen Bestand der postapokalyptischen Welt gehört und auch andere unter Krisen leiden, überwindet er seine Schwächen. Gabriel registriert, dass seine Vorwürfe gegenüber der Gruppe nicht mit dieser, sondern mit ihm persönlich (im Zuge der genannten Glaubenskrise) zu tun hatten. Er entschuldigt sich bei Ricks Sohn Carl, offeriert seine Hilfe und kündigt an, dass er bereit sei, den Umgang mit Waffen zu erlernen.118 Damit gewinnt er allerdings nicht Ricks Vertrauen zurück. Signalisiert wird dies, indem Rick Gabriels gerade angebrachten Gottesdienstankündigungen wegreißt,119 oder vorher schon, indem er Gabriels Hilfe an der Teilnahme einer präventiven Maßnahme gegen Zombies ablehnt.120 Erst im Verlauf eines Großangriffs durch Untote kann sich Gabriel in Ricks Augen behaupten: Zunächst befindet er sich mit Ricks Baby Judith und anderen Gläubigen in der Kirche und beobachtet, wie der Rest der Gemeinschaft die Stadt kämpferisch verteidigt. Er greift zu einer Machete und möchte die Kirche verlassen. Auf die Frage eines Mannes, was Gabriel vorhabe, antwortet dieser entschlossen: »Wir haben gebetet. Gemeinsam. Darum, dass Gott unsere Stadt rettet. Unser Gebet wurde erhört. Gott wird Alexandria retten. Denn Gott gab uns den Mut, es selbst zu retten.«121 Durch den Entschluss, sich der Verteidigung Alexandrias anzuschließen kann er nicht nur Ricks Vertrauen zurückgewinnen; er erweist sich sogar als enge Vertrauensperson, Supervisor und Beraterfigur. Durch die Expansion des Zaunes rund um Alexandria wurde eine neue Kirche in die Stadt einbezogen, die fortwährend als Versammlungsort genutzt wird und in welcher Gabriel bis zu ihrer Zerstörung durch den Rick-Negan-Krieg seinen festen Sitz als Priester mit vornehmlich poimenischen Diensten und als Kriegsberater innehat. Im weiteren Handlungsverlauf kommt es zu besagter kriegerischen Auseinandersetzung mit der gegnerischen Partei, den ›Saviors‹, unter der tyrannischen Leitung des neuen Antagonisten Negan. In der Summe profiliert sich Gabriel im Handlungsverlauf der siebten Staffel, welche die Tyrannei Negans gegenüber Ricks Gruppe skizziert, immer wieder als Vertrauens- und Beraterfigur diverser Personen, denen er in hoffnungslosen Situationen Mut zuzusprechen vermag.122 Zu Rick entwickelt er eine innige freundschaftliche Bindung und setzt sich stark für ihn und seine Interessen ein. Dabei betont er stets, dass er ihm aus seiner Glaubenskrise geholfen
118 119 120 121 122
Siehe: The Walking Dead: Staffel 6, Episode 2. Siehe: The Walking Dead: Staffel 6, Episode 7. Siehe: The Walking Dead: Staffel 6, Episode 1. Siehe: The Walking Dead: Staffel 6, Episode 9. Siehe: The Walking Dead: Staffel 7, Episode 4, 7, 8, 9, 10, 12, 15.
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habe. Rick betont indes, dass Gabriel ein vorbildliches Beispiel sei, wie aus Feindschaft Freundschaft werden kann.123
9.9.4
Sinnsuche
Im Verlauf des Rick-Negan-Krieges ist Father Gabriel zu Beginn der vierten Episode der achten Staffel namens ›Beichte‹ betend in der Kirche zu sehen: Gabriel: Ich sterbe vielleicht. Ich werde ganz sicher sterben. Ich bitte nicht um mein Leben. Du gabst mir die Erlösung und das lässt mich nicht länger den Tod fürchten. Was ich fürchte, ist ein sinnloser Tod. Alles, worum ich bitte, nachdem du mir so viel gegeben hast, ist eine Bestimmung.124 Dieses am Anfang präsentierte Gebet125 läutet den Inhalt der bevorstehenden Handlung ein, in welcher Gabriel tatsächlich seine Bestimmung, wenn auch wider Erwarten auf skurrile Art, finden wird (siehe Abb. 17):
Abbildung 17: Gabriel betet. Filmstills aus The Walking Dead: Staffel 8, Episode 5
Bei einem Großangriff auf Negans Garnison wird er ungewollt im Chaos von seiner Gruppe getrennt und findet vor zahlreichen Untoten Zuflucht in einem auf dem feindlichen Territorium befindlichen Container, in welchem sich zu seiner Überraschung auch der psychopathische Antagonist Negan verschanzte. Mit diesem ist er nun auf engstem Raum in Dunkelheit, umgeben von Untoten, zusammengepfercht. Zu seiner Verwunderung lässt Negan ihn in dieser Pattsituation am Leben und annektiert lediglich seine Waffen. Im Gespräch mit Negan sinniert Gabriel über den Grund, warum er in diese missliche Lage gebracht wurde. Nach kurzem Nachdenken äußert er lächelnd, dass er von Gott in diese Situation manövriert wurde, um dem Gewaltherrscher die Beichte abzunehmen und ihm im
123 Siehe: The Walking Dead: Staffel 7, Episode 10. 124 Siehe: The Walking Dead: Staffel 8, Episode 5. 125 Anm.: Der Inhalt dieses Gebets lässt sich auf die Ausführungen in Kap. 5 beziehen, da Gabriel hier die Gewissheit seines Todes äußert.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
Angesicht seiner grauenvollen Taten (Morde, Sklavenhaltung, Polygamie) Absolution zu spenden. Später findet auch eine räumliche Trennung innerhalb des Containers statt, sodass geschickt eine visuelle Beichtstuhl-Situation arrangiert ist. Zuerst beichtet Gabriel und blickt auf vorangegangene Ereignisse zurück: Gabriel: Ich hab schon vorher getötet. War nicht meine größte Sünde. Nein, ich habe meine Kirche vor meiner Glaubensgemeinde verschlossen, als all das hier anfing. Ich habe sie sterben gehört, weil ich feige war. Hab ich versagt? Ich hab vor Gott versagt, und jeden Tag versuche ich dieses Versagen abzumildern, da zu sein und mich nützlich zu machen. Jetzt biete ich dir die Gewissheit der Vergebung an, der Buße und der Absolution. Ich werde mit dir gehen. Ich werde dir zeigen, dass Zusammenarbeit als Gleichgestellte der einzig wahre Weg zu wahrer Gnade und einer Zukunft ist. Ich werde dir folgen, wenn du beichtest.126 Negan wirkt erstmals emotional berührt und beichtet ihm schließlich, dass er seine erste Frau betrog und schwach war, als er es nicht wagte, sie als Untote umzubringen. Nach der Flucht aus dem Container leidet Gabriel an einer schweren Infektion, weshalb er im gegnerischen Lager behandelt werden und dort als Geisel leben muss. Während seiner Genesungsphase misslingt ihm ein zunächst von Glück und positiven Zufällen gezeichneter Fluchtversuch, bei dem auch sein behandelnder Arzt (R. Keith Harris), zu welchem er eine Freundschaft entwickelte, gemäß einer antichristliche Peripetie ums Leben kommt und die von ihm als Gottes Hilfe positiv gedeutete Kausalkette in Entsetzen endet.127 Gabriel beteuert dabei, dass er sich nicht geändert habe.128 Im Verlauf der finalen Konfrontation zwischen Rick und Negan droht letzterer Gabriel als Geisel zu erschießen, was jedoch aufgrund eines Tricks durch die Manipulation der gegnerischen Waffen des vermeintlichen Kollaborateurs Eugene Porter (Josh McDermitt) misslingt und zugleich Rick zum Sieg verhilft. Gabriel kann die Krankheit zwar überwinden, erblindet jedoch permanent auf dem rechten Auge. In den letzten Momenten der finalen Episode (Staffel 8, Episode 15) befindet sich Gabriel in der durch den Krieg zerstörten Kirche und wird in einer ähnlichen Einstellung kadriert wie zu Beginn der hier zitierten fünften Episode der achten Staffel. Zwar mag die Kirche zerstört worden sein, Gabriels Glaube hat sich durch die Rückkehr zu seinen Mitmenschen und durch die Überwindung der schweren Krankheit gefestigt; seine Augen haben sich trotz Blindheit (für die neue Welt) geöffnet:
126 127 128
Siehe: The Walking Dead: Staffel 8, Episode 5. Siehe: The Walking Dead: Staffel 8, Episode 11. Siehe: The Walking Dead: Staffel 8, Episode 15.
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Abbildung 18: Filmstills aus The Walking Dead: Staffel 8, Episode 15
Gabriel (weinend): Danke. Danke. Ich verstehe. Jetzt verstehe ich. Du gabst mir so viel, nachdem ich schon so viel von dir bekommen hatte. Ich kann sehen.129 Gabriel blickt während dieser bewusst klerikalen Inszenierung auf ein Kirchenfenster, aus dem gleißendes, warmes Sonnenlicht in die verbrannte Kirche strahlt (siehe Abb. 18), wodurch nicht nur sein Glauben wieder gestärkt wird, sondern auch eine sakrale und entspannte Stimmung im Kontrast zu den kriegerischen Geschehnissen des vorangegangenen Narrativs akzentuiert wird. Zugleich lässt der Blick auf das sakral-konnotierte Kirchenfenster die Anwesenheit Gottes vermuten und unterstützt symbolisch den Frieden, Hoffnung und Zuversicht auf eine bessere Zukunft. Bewusst wird hier die Frage offen gelassen, ob der positive Ausgang des Krieges für alle Beteiligten (durch die Gefangennahme Negans) einer transzendenten Entität zu verdanken ist. Im narrativen Kontext ist Gabriels Gebet zusammen mit Ricks im Off vorgelesenen Textes verbalisierten Wunsch gemäß des Abschiedsbriefes seines toten Sohnes Carl nach einer Re-Etablierung von Ordnungsstrukturen und Frieden im Spiegel einer präapokalyptischen Welt zu hören.130 Im Interview ging Seth Gilliam auf die Frage, ob Gabriel durch die Akzeptanz der Realität im übertragenen Sinne sehend gemacht wurde, von der Anwesenheit Gottes aus: »I think it was a matter of god. I think god had handled that definitely and making him see a bit more of his inner self, to see what his purpose truely is. I think he’s been trying to find purpose since we’ve met him. […] To keep his parishioners out, locking them out. Therefore he is searching for purpose in each time and run up against something that he thought was his reason for beeing, god had another plan.«131
129 Siehe: The Walking Dead: Staffel 8, Episode 15. 130 Anm.: Im Sinne zweier kontextgebenden interaktiv korrelierender Utopien. Siehe: The Walking Dead. Staffel 8, Episode 16. 131 Siehe: Interview mit Seth Gilliam am 23. März 2019 auf der Walker Stalker Germany Convention in Berlin.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
Weiterhin beschrieb Seth Gilliam, dass biblische Parallelen in den jeweiligen Episoden-Drehbüchern oder der übergeordneten Dramaturgie seitens der Showrunner oder der jeweiligen Regisseure nicht mit ihm besprochen wurden und ihm auch nicht aufgefallen sind. Dabei verwies er auf die Arbeit der Showrunner Scott Gimble und Angela Kang, welche für etwaige biblische Zusammenhänge verantwortlich seien. Weiterhin gab es in Vorbereitung für seine Rolle keine Gespräche mit Personen in Glaubenskrisen oder echten Priestern und Geistlichen, da er nach dem Casting für The Walking Dead die Rolle des Father Gabriel sehr schnell bekam. Bemerkenswert ist auch, dass Seth Gilliam bisher keinerlei Resonanz seitens Gläubiger oder religiösen Institutionen bezüglich seiner ambivalenten Figur in The Walking Dead erhalten hat. Während Seth Gilliam einen Episkopal-Priester darstellt, ist seine eigene Glaubensrichtung methodistisch orientiert. Bezüglich seiner persönlichen Einstellung zum Glauben hielt Seth Gilliam sich zurückhaltend: »I have my beliefs. I dont go to church as often as I could.«132 Das folgende Kapitel rekapituliert Gabriels Gebet vor dem Hintergrund von Johannes 9,2.
9.9.5
Gabriels Schlussgebet und Johannes 9,2
Zwar ist Gabriel nicht ohne Sehvermögen geboren, erblindet allerdings im Verlauf der Handlung partiell durch seine Infektion. Im Rekurs auf den von ihm verbalisierten Passus »Ich kann sehen« werden zwei wesentliche Aspekte seiner Charakterentwicklung deutlich: a) Gabriel akzeptiert die neue Realität und findet in dieser Sinn und Aufgabe. Die Sinnfindung in einer säkularen Welt ist demnach im übertragenen Sinne gelungen. b) Gabriel lebt nach Gottes Willen und schöpft Hoffnung durch das Gebet, wodurch er das Leid akzeptiert.
Die Aussage »Ich kann sehen« bezieht sich entsprechend nicht auf die Zustandsanalyse seines Visus, sondern auf eine innere Wandlung. Im inszenatorischen Zusammenhang, mit dem durch das Kirchenfenster gleißende Licht, ist diesbezüglich eine Parallele zu Joh 9,2 erkennbar. Es ist unumstritten, dass Gabriel durch sein Vergehen hinsichtlich der unterlassenen Hilfeleistung an seiner Gemeinde gesündigt hat. Es stellt sich nun die Frage, ob all sein ihm danach widerfahrenes Leid, einschließlich der mysteriösen Blindheit, Folge seiner Sünden sind. Mit Joh 9,2 kann nun versucht werden diese Frage zu beantworten. Nach dieser Perikope sieht Jesus einen Mann, der von Geburt an blind war (Joh 9,1). Seine 132
Ebd.
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Jünger fragen daraufhin ohne despektierlichen Hintergedanken, sondern im alttestamentlichen Selbstverständnis, ob die Ursache seiner Blindheit in der Sünde des Blinden selbst oder in denen seiner Eltern liegen würde (Joh 9,2). Jesus antwortet darauf, dass keine der genannten Parteien gesündigt hätte, sondern dass Gottes Werke an ihm offenbart werden (Joh 9,3). Die Jünger gehen von dem alttestamentlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang aus, während Jesus ›Gottes Werke‹ akzentuiert, die auf zweifache Art, in Analogie zu Father Gabriels verhandeltem Themenkomplex, dechiffriert werden können: Zum einen als das Werk der Schöpfung, »da der Blinde den guten Schöpferwillen Gottes bezeugt. Er soll leben – so wie jeder Kranke, jeder Schwache, jeder Sünder auch. […] Zum anderen ist das Werk der Erlösung gemeint, weil Jesus aufzeigt, dass der Blinde nicht nur nach Gottes Willen lebt, sondern dass sein Leiden ein Ende hat.«133 Wie in skizzierter Kirchenszene macht er den Blinden (Gabriel) sehend – »als Zeichen dafür, dass Gott ihn weder vergessen noch verworfen hat, sondern ihn eintauchen wird in den Lichtglanz seiner Herrlichkeit, dass ihm die Augen übergehen« (Gabriel sagt, dass er wieder sehen kann).134 »Der Evangelist Johannes erkennt darin ein Zeichen der Hoffnung auf Vollendung.«135 Zwar wird in Joh 9 nicht ergründet, woher das Leid rührt, allerdings wird durch Jesu Anteilnahme demonstriert, dass mit dem Glauben an ihn ein Jenseits irdischer Not erhofft werden kann: »Wer diese Hoffnung hat, stumpft nicht ab gegenüber dem Leid, sondern befreit sich vom Zwang, es irgendwie rechtfertigen zu müssen – und sei es als Strafe Gottes.«136 Diese Essenz trifft den Nerv des narrativen Überbaus der Figur Gabriels. Auch er kann sich von dem Zwang der Rechtfertigung des Leids befreien. Gott hat ihn wieder sehend gemacht. An dieser Stelle endet auch Father Gabriels Leidensweg in der Serie. Innerhalb des fortschreitenden narrativen Strahls wird Gabriels Glaube, im Pendant zu den Menschen in einer von Krisen dominierten säkularen Gemeinschaft (siehe Kap. 1), auch immer wieder auf die Probe gestellt. Repräsentativ skizziert Gabriel weiter anschaulich den Klageschrei des Gläubigen (schon in der ersten Begegnung mit der Figur), welcher aus zweierlei Gründen resultiert: Zum einen veräußert er sich aus physischer Not, wie z.B. durch unerträgliche Schmerzen und der Bedrohung der physischen Existenz (wiederholender Angriff durch Zombies, Geiselnahme, Krankheit), zum anderen aus psychischen Gründen und zwar in kon133
134 135 136
Söding, Thomas: Ist Gott etwa ungerecht? (Röm 3,5). Die Theodizeefrage im Neuen Testament. In: Böhnke, Michael; Neuhaus, Gerd et.al. (Hg.): Leid Erfahren – Sinn Suchen. Das Problem der Theodizee. S. 50-68. Hier S. 57. Anm.: Dazu sei angemerkt, dass Father Gabriels Werdegang hier nur bis Staffel 8/9 skizziert wird. Der Tod des Charakters wäre jederzeit möglich. Je nach der Inszenierung des etwaigen Charaktertodes könnten oben genannte Ausführungen ihre Gültigkeit bzw. Plausibilität verlieren. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. Ebd.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
kreter Gestalt des Zweifelns an Gott angesichts des Leids. Wenn The Walking Dead eine säkulare Gesellschaft reflektiert, wird durch die dramaturgische Einflechtung des Father Gabriel spiegelbildlich ersichtlich, wie der Glaube von Christen im Angesicht von Krisen, Katastrophen oder allgemein dem Leid geprüft wird. Gabriels Werdegang versinnbildlicht dabei die Theodizee-Problematik.
9.9.6
Theodizee
Die Thematisierung des menschlichen Leids ist ein Generalaspekt im The Walking Dead- Universum. Nicht nur durch die obligate Metamorphose zum Untoten, sondern auch durch die damit verbundenen seelischen und körperlichen Schmerzen der Überlebenden (siehe Kap. 3.11 und Kap. 8.3). Entsprechend dürfte es wenig erstaunen, dass The Walking Dead generell und im Speziellen durch den narrativen Werdegang des gläubigen Father Gabriel (sowie anderer hier nicht weiter zu vertiefenden Figuren) die Theodizee-Problematik sowie die Rechtfertigung des theistischen Bekenntnisses behandelt. Die Theodizee, als Begriff der Neuzeit, beschreibt die Rechtfertigung des Glaubens und nicht die Rechtfertigung Gottes selbst an einen guten, allmächtigen und allwissenden Gott vor der Vernunft angesichts offenkundig sinnlosen Leidens.137 Nach Leibniz lassen sich dabei drei Kategorien des Übels unterscheiden, die direkt auf das Walking Dead-Universum bezogen werden können: a) Das metaphysische Übel (malum metaphysicum), wie die menschliche Unvollkommenheit, Sterblichkeit und Endlichkeit. Dieses wird im The Walking DeadUniversum durch die Darstellung der Zombies als Zeichen der Konsequenz des Fehlverhaltens der Menschheit thematisiert. b) Das natürliche Übel (malum phyiscum), wie das vom Menschen verursachte Leid. Dieses wird im The Walking Dead-Universum durch die Feindlichkeit zwischen verschiedenen Gruppen Überlebender bis hin zu großen Kriegs- und Kampfsituationen aufgeführt. c) Das moralische Übel (malum morale), wie dem aus Naturgesetzen freigesetzten Übel.138 d) Fraglich bleibt hier, ob die Zombie-Apokalypse mit der Begründung eines viralen Ursprungs ein aus der Natur freigesetztes Übel darstellt.
In Anbetracht des The Walking Dead-Universums werden also mindestens zwei Formen des Übels verhandelt. Eine Grauzone bleibt das moralische Übel. Auf theologischer Basis lassen sich generell zwei Auffassungen zur Theodizee wiederfinden: 137 138
Vgl. Stosch, Klaus von: Theodizee. Paderborn, 2013. S. 7. Vgl. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. 2 Bände. Frankfurt a.M., 1996.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Zum einen wird die Haltung eingenommen, dass die Theodizee-Frage nicht beantwortbar sei, zum anderen, so Rahner, sei die Rede von der Unbegreiflichkeit Gottes die einzig angemessene Reaktion der theoretischen Vernunft auf die TheodizeeProblematik zu reagieren. Rahner versucht damit zu beschreiben, dass sich die Unbegreiflichkeit Gottes erst im Leiden darbietet.139 Die Frage der Theodizee ergibt sich automatisch durch die ureigenen Charakteristika des Horrorfilms, welche in verschiedenen Facetten, Formen und Ausmaßen, als narrative Knotenpunkte oder beiläufige Randerscheinungen auf filmischer Ebene austariert werden. Die Thematisierung des Übels, des Monströsen und des in die gewohnte Realität hereinbrechenden Chaos (siehe Kap. 4.7) ist ein grundlegendes Element des Horrors, welches durch die Erscheinung des Zombies und deren Folgen im The Walking Dead-Universum manifest wird. Dramaturgisch wurde dies anhand von Father Gabriel deutlich, da der Widerspruch zwischen der Gegenwart Gottes und dem sinnlosen Leiden im Fokus stand.
9.9.6.1
Theodizee und Säkularisierung
Mit der Säkularisierung hängt die Theodizee nun insofern zusammen, als dass diese sich seit der Aufklärung als ein geeigneter Andockpunkt für atheistische Positionen erwies. Deshalb soll es das Ziel der (theologischen) Theodizee sein, »den Glauben an Gott gegenüber den Einwänden von atheistischer Seite mit guten Gründen aufrechtzuerhalten […]. Das Theodizeeproblem soll also nicht gelöst, sondern begründet offengehalten werden.«140 Im Lichte dessen soll es hier nicht um die Beantwortung der Fragen gehen, wieso Gott die Schöpfungsordnung nicht anders und mit weniger Leid verursachenden Naturgesetzen eingerichtet hat oder wieso Gott die Freiheitsverfehlung des Menschen zulässt,141 vielmehr soll dargestellt werden, dass die Theodizee als Indiz der Säkularisierung im The Walking DeadUniversums anhand von Father Gabriel thematisiert wird. Dabei geht es »nicht um die Verteidigung Gottes, sondern um die des glaubenden und suchenden Menschen, der sich die Hoffnung auf Gott nicht ausreden lassen will.«142 Insofern bietet das The Walking Dead-Universum nicht nur negativ schattierte – aber dennoch mit pessimistischem Kolorit akzentuierte – narrativ konstruierte Muster, den Gläubigen angesichts einer geschehenen Katastrophe als nach Gott suchende Figur darzustellen. Die Lösung dieses Weges kann bisweilen negativ (durch die vielen Verluste, Tode und Kämpfe) oder auch mit Hoffnung (gleißendes Licht in der Kirche, miteinander beten) ausstaffiert werden. Entsprechend beantwortet Father Gabriels dramaturgisch geschickt konstruierter und theologisch affiner Handlungsstrang
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Vgl. Rahner, Karl: Warum läßt Gott uns leiden? 2.Aufl. Freiburg, 2010. S. 462f. Stosch, Klaus von: Theodizee. Paderborn, 2013. S. 11. Vgl. Ebd. S. 10. Ebd. S. 12.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
die christliche Perspektive der Frage Gottes angesichts des Leids spiegelbildlich in der Welt des Horrors und der Postapokalypse. Auch Gabriel muss, wie geschildert, immer wieder seinen Glauben gegenüber Dritten behaupten, rechtfertigen und bestätigen, womit er als Reflexionsfläche derer gelesen werden kann, die vor den gleichen Herausforderungen angesichts atheistischer Diskussionen stehen und versuchen ihren Glauben aufrecht zu erhalten. Übertragen auf die säkulare Gesellschaft besteht deshalb die »Frage nach der Rationalität des theistischen Bekenntnisses angesichts der massiven Einwände, die aus den Erfahrungen von Übel und Leid resultieren.«143 Vor diesem Hintergrund soll eine Anmerkung Striets herangezogen werden, welche den Aspekt der Säkularisierungchiffre vor der vermeintlichen Abwesenheit Gottes in modernen Gesellschaften schildert: »Über die Gottlosigkeit moderner Gesellschaften ist schnell geklagt. Diese Klage gehört zur wohlfeilen Kirchenrhetorik. Zumeist verdeckt sich diese Rhetorik unter der Säkularisierungchiffre. Moderne Gesellschaften sind säkularisiert, also gottlos. Und gottlose Gesellschaften leiden unter einem Relativismus der Werte […]. So wird nicht nur die Krise der Gesellschaft, sondern auch die der Kirche als Glaubenskrise beschrieben. Vom grassierenden Säkularismus in der Kirche wird gesprochen, über deren Verweltlichung.«144 Weiter schildert Striet, dass die von Augustinus oder Anselm von Canterbury geschichtlich immens wirksamen Gesamtkonstrukten zur Frage nach dem Leid durch die Moderne obsolet wurden. Während Augustinus lang anhaltende Antwortversuche konstruierte, indem er die Verdüsterung der Schöpfung durch Krankheit, Tod und Gewalt auf die Ursprungssünde zurückführte, fand Anselm von Canterbury die Antwort auf die Frage nach dem »Cur deus homo?« aus dem Umstand, dass Gott seinen Sohn am Kreuz das nötige Opfer bringen ließ, um sich mit der Menschheit versöhnen zu können, was als Ausdruck seiner Barmherzigkeit und ebenfalls als befriedigende Lösung in Bezug auf die Frage nach dem Leid galt.145 Inzwischen ist durch die Moderne die Plausibilität dieser Ausführungen weitgehend eingebüßt und die biblische Erzählung von Adams Sünde scheint heute »zutiefst fragwürdig«.146 Positiv abzugewinnen ist dem, dass die Frage der Theodizee erst durch die Kritik in der modernen Gesellschaft wieder stimuliert, angesprochen und thematisiert wird, wodurch in der säkularen Gegenwartskultur
143
Kreiner, Armin: Gott im Leid. Zur Stichhaltigkeit der Theodizee-Argumente. Freiburg, Basel, Wien. 1997. Eine gekürzte Fassung findet sich in: Ders.: Das Theodizee-Problem und Formen seiner argumentativen Bewältigung. In: Ethik und Sozialwissenschaften 12, 2001. S. 147-157. 144 Striet: 2014, S. 55. 145 Vgl. Ebd. S. 9. 146 Vgl. Ebd.
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die Gottesfrage erst in der Sphäre der Theodizee wieder präsent und diskutierbar wird.147 Zugrunde liegt diesem Sachstand eine Transformation des Selbstverständnisses des Menschen sowie geschichtliche Kontexte und ein rabiater Umwälzungsprozess, bedingt durch neue kollektiv erlebte Welterfahrungen zwischen dem 18. zum 19. Jahrhundert (siehe Kap. 4). So wurde mit Blick auf Blaise Pascals Formulierung des Menschen als »Nichts vor dem Unendlichen«148 in Erwähnung gezogen, dass derselbe nur eine Marginalie im kosmischen Geschehen sein könnte, der dann doch lieber an Gott glauben solle, als selbst in seiner denkerischen Individualität zu diffundieren. Dadurch avancierte ›Gott‹ mithin zu einem Sehnsuchtswort.149 Darüber hinaus brach spätestens mit dem Erdbeben von Lissabon (1. November) 1755 eine Debatte bzw. Neuakzentuierung der Theodizee in Form eines neuen Autonomiebewusstseins des Menschen im Sinne einer freiheitsorientierten Einsicht aus, welche reflexiv unter anderem durch Kleists Das Erdbeben von Chili150 , oder Voltaires auf Leibniz bezugnehmend satirisches Werk Candide151 ihren zeitgenössisch philosophisch-reflektierenden Niederschlag in literarischer Form fand. Striet zieht daraus die Essenz, dass es die Befragung Gottes im Paradigma autonomer moralischer Selbstbestimmung des Menschen ist, die im 19. Jahrhundert zu einer entscheidenden Schärfung des Theodizee-Problems führt.152 Das Theodizee-Problem, in der durch zahlreiche große Katastrophen geprägten Moderne, wurde also hinterfragt. Zur kritischen Reflexion gehörte auch beispielsweise das Erbsünden-Konstrukt des Augustinus, welches Naturkatastrophen auf die selbstverschuldete Vertreibung aus dem Paradies zurückführte. Zwar können Menschen nach wie vor für das Elend anderer verantwortlich sein (das moralische Übel am Beispiel von The Walking Dead anhand des Kampfes der verschiedenen menschlichen Parteien untereinander), jedoch sind weder das physische Elend noch Naturkatastrophen (wie das Auftauchen der Zombies) auf den Menschen zurückzuführen.153 Durch das Auftauchen der Zombies findet diese Verarbeitung auf groteske Art und Weise statt; Gabriel wird durch diese Untot-Instanzen mit einem Maximum an Leid, Gewalt und Grausamkeiten konfrontiert, besteht aber trotz harter Glaubensprüfungen alle ihm widerfahrenen Prüfungen (Stand bis Staffel 9).
147 Vgl. Ebd. S. 16. 148 Pacal, Blaise: Über die Religion und über einige andere Gegenstände. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort versehen von E. Wasmuth. Heidelberg, 1978. S. 43. 149 Vgl. Striet: 2014, S. 19-20. 150 Kleist, Heinrich von: Das Erdbeben in Chili. In: Sembdner, Helmut: Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke und Briefe. Erster Band. Stuttgart, 1993. 151 Voltaire, François-Marie Arouet: Candide – oder der Optimismus. Fischer, Heinz-Joachim (Hg.). Wiesbaden, 2006. 152 Vgl. Ebd. S. 23. 153 Vgl. Ebd. S. 27-28.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
9.9.6.2
Gabriel, Hiob und die Theodizee-Problematik
Anhand Gabriels dargestellten dramaturgischen Verlaufs lassen sich deshalb unweigerlich Parallelen zur Hiobgeschichte wiederfinden, welche ebenfalls durch Glaubensprüfungen eines Gläubigen bzw. exemplarisch Leidenden, eben jenem Hiob (in anderer Schreibweise auch Ijob), durch Leid gekennzeichnet sind.154 Auch Hiob wird vor dem Hintergrund der im Himmel spielenden Rahmenhandlung zwischen Gott und Satan von schwerem Leid getroffen, da Letzterer gegenüber Gott behauptet, dass Hiobs Frömmigkeit auf egoistischen Motiven beruhe (Hiob 1,6-12;2,1-6) und diese These überprüft werden soll.155 Gott gestattet ihm daraufhin, Hiob schaden zu dürfen, um des Teufels These zu überprüfen. So verliert Hiob seinen Besitz, seine Dienerschaft und seine Kinder (Hiob 1,13-19). Während er von drei Freunden besucht wird, die ihm Trost spenden wollen, beklagt Hiob nicht nur die Sinnlosigkeit seines Leids, sondern klagt Gott direkt an, woraufhin die Freunde ihm Lösungs- und Erklärungsansätze bieten, die er jedoch von sich weist, weil die Freunde Gott nicht respektieren.156 Schließlich ist es der Freund Elihu, der Hiob eine fundierte Stellungnahme offeriert (Hiob 32-37). Anschließend antwortet (in zwei großen Reden Hiob 38,1-40,2;40,6-41,26) Gott (JHWH), worauf Hiob den Streit für beendet erklärt (Hiob 40,3-5) und nun das erhält, was er verlangte: Gott zu schauen (Hiob 42,5).157 Im Epilog werden die Freunde von Gott getadelt (Hiob 42,7-9). Im Anschluss werden sie durch ein Opfer von Hiob gesühnt und Hiobs Wohlstand wird wieder hergestellt (Hiob 42,10-17): »Er erhält seinen Besitz im doppelten Maße zurück, bekommt erneut sieben Söhne und Töchter und stirbt hochbetagt und lebenssatt.«158 Wie Father Gabriel ringt auch Hiob mit Gott und sieht sich von ihm verlassen, niedergedrückt (Hiob 19,6.21-22), den Frevlern ausgeliefert (Hiob 16,11)159 und als ›Zielscheibe‹ Gottes (Hiob 16,12). Die Pfeile des Allmächtigen haben ihn getroffen (Hiob 6,4). Hiob schwankt analog zu Gabriel zwischen Vertrauen (Hiob 19,25) und abgrundtiefer Verzweiflung (Hiob 3,3-26; 30,26-31), weshalb er Gott auffordert seine Klage anzuhören (Hiob 23,2-6), dieser bleibt jedoch fern seiner Not (Hiob 24,1; 30,20; 31,35). Mit Blick auf die Klage ohne eine Bitte um ein Ende der Not oder
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156 157 158 159
Anm.: Obgleich Hiob eindeutig ein schuldloses Leiden erfährt. Gabriels Leid könnte indes als Strafe für seine Sünden interpretiert werden. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Ludger: Ein Weg durch das Leid. Die Theodizeefrage im Alten Testament. In: Böhnke, Michael; Neuhaus, Gerd et.al. (Hg.): Leid Erfahren – Sinn Suchen. Das Problem der Theodizee. Freiburg, 2007. S. 7-49. Hier S. 10. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. S. 11. Vgl. Ebd. Anm.: Im Vergleich beispielsweise in Form von Ricks Gruppe und später Negan und den ›Saviors‹.
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einem Vertrauensbekenntnis kann hier direkt die Parallele zum Suizidversuch Gabriels auf der verlassenen Straße gezogen werden. Auch für Hiob kommt der Tod (hypothetisch) allein als Erlöser von allem Leid in den Blick. Auch seine Anklage ist Ausdruck einer tiefen Erfahrung von Sinnlosigkeit.160 Janßen zieht angesichts der Fragen Hiobs zwei theologische Antwort-Schemata bzw.- Modelle heran: die rationalistische Theodizee auf theistisch-apologetischer Basis und die Theodizee des mitleidenden Gottes. Erstere Herangehensweise beschreibt die argumentative, theoretisch orientierte Auseinandersetzung mit der argumentativ begründeten atheistischen Kritik, um auf diese Weise die Rationalität des Glaubens aufzuweisen.161 Das klassische Argument wäre hier, dass »Gott aus bestimmten Gründen Übel oder Leid nicht verhindern kann und bestimmte Motive […] hat, die die Zulassung oder Verursachung von Übel oder Leid rechtfertigen.«162 Diese Gründe liegen laut Kreiner in der Werthaftigkeit der menschlichen Willensfreiheit,163 dass also Menschen ihre Freiheit missbrauchen, indem sie sich aneinander Leid zufügen: »Falls nun die Inkaufnahme dieses Risikos unvermeidlich ist, um dadurch einen immens hohen Wert zu verwirklichen, ließe sich dieses Risiko auch in moralischer Hinsicht rechtfertigen, d.h. es widerspräche nicht der sittlichen Vollkommenheit Gottes.«164 Die Menschen in The Walking Dead müssen keine Kriege führen und sich bekämpfen oder töten. Sie entscheiden sich aber bewusst dafür (malum phyiscum): »Gott also will das Leid nicht, muss es aber wegen des hohen Werts der Willensfreiheit zulassen«.165 Zugleich sagt Janßen, dass die Frage der logischen Kohärenz nicht den neuzeitlich erreichten Stand und die Schärfe des Theodizeeproblems trifft.166 Demnach findet sich eine kontrastierende Position in Form des Atheismus, der im apathischen Theismus gründet, wieder, welche die heutige Rede vom Leiden Gottes, besonders vor den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, anprangert:167 »Angesichts der Lebensgeschichte der Welt ist jener Theismus, der Gott über allen Übeln und Zerrissenheit der Welt ungerührt thronen lässt, geradezu abschreckend. In dieser Kritik am Apathie- und Unveränderlichkeits-Axiom der traditionellen Gotteslehre kommen viele Theologen (seit den 80er-Jahren und quer durch 160 Anm.: Diese Ausführungen sind Schwienhorst-Schönberger entnommen und wurden auf The Walking Dead bezogen. Siehe: Schwienhorst-Schönberger: 2007, S. 25. 161 Anm.: Janßen bezieht sich bei seinen Ausführungen dezidiert auf Kreiner. Siehe: Kreiner: 1997. 162 Kreiner: 1997, S. 21. 163 Anm.: Dazu vertiefend: Greshake, Gisbert: Die Freiheit und das Böse, Gott und der Teufel. Ein Plakat. In: Claret, Bernd J. (Hg.): Theodizee. Das Böse in der Welt. Darmstadt, 2007. S. 15-36. 164 Kreiner: 2001, S. 151. 165 Janßen: 2013, S. 51. 166 Vgl. Ebd. S. 52. 167 Vgl. Ebd. S. 53.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
die Konfessionen) überein: Der aus der griechischen Philosophie vom Christentum übernommene leidensunfähige, beziehungslose, unveränderliche, allmächtige Gott, der in irgendeiner Weise – direkt oder indirekt, verhängend oder zulassend – an der Verursachung des Leidens der Welt beteiligt ist, ist spätestens in den Katastrophen des 20. Jahrhunderts unglaubwürdig geworden.«168 Hier knüpft nun das zweite Modell, die Theodizee des (solidarisch) Mitleidenden, als auch des im Leid gegenwärtigen Gottes an, welches besonders mit einer dezidiert staurozentrischen Betrachtung eine glaubwürdige Alternative der oben ausgeführten Kritik bietet, weil Gott am Leiden und am Bösen seiner Schöpfung mitleidet und sich deshalb direkt in das Leiden begibt, um es von innen heraus zu verwandeln und zu überwinden (siehe Kap. 6.1).169 Zwei zentrale Aspekte stehen dabei im Vordergrund: a) Gott ist ein mitleidender Gott, der selbst impassibel ist und somit durch seine mächtige Liebe das Leid im Kreuzesgeschehen auf sich zukommen lassen und es überwinden kann. Mit den Worten Walter Kaspers:
»Wenn Gott leidet, dann leidet er auf göttliche Weise, d.h. er wird nicht passiv vom Bösen betroffen, er lässt sich in der Freiheit seiner Liebe betreffen; sein Leiden ist nicht wie bei uns Ausdruck eines Mangels an Sein, sondern Ausdruck seiner Fülle, ja seiner Überfülle an Liebe. Deshalb kann er im Leiden das Leiden überwinden und im Tod die Macht des Todes sprengen.«170 Schließlich, so Janßen, bedeutet diese Überwindung (nicht die Annahme des Leidens) des Todes zugleich auch die Überwindung des todbringenden Leidens, wobei Gott das Leid nicht aufnimmt oder es mit-erleidet, weil dies eine Bestätigung der Macht des Leidens wäre. Es ist die erlösend-befreiende Macht Gottes, die das Leid überwindet. b) Der Grund für alles Leid und Übel wird wie bei Kreiner in der Freiheit des Menschen gesehen. Mit den Worten Walter Kaspers: »Das Übel bzw. das Böse ist also der Preis der Freiheit.«171
168 Vgl. Ebd. S. 53-54. 169 Vgl. Ebd. S. 54. 170 Kasper, Walter: Das Böse als theologisches Problem. In: Oeing-Hanhoff, Ludger; Kasper, Walter: Negativität und Böses. Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft. Textbd. 9. Freiburg, 1981. S. 176-196. Hier S. 192. 171 Ebd. S. 189.
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Nach Moltmann offenbart sich im Kreuzesgeschehen Gottes Liebe als unbedingte Treue zum Bund, weil Gott sich aus großer Liebe zur Gemeinschaft mit den Menschen bestimmt hat und dieser seiner Bestimmung treu bleibt. Er hat sich von den Menschen abhängig gemacht, ohne dabei die machtvolle Souveränität seiner Liebe aufzugeben (Siehe Kap. 6.1).172 Durch Gabriels finales Gebet in der verbrannten Kirche wird die Gottesferne (Klage) zur Gottesnähe (Bitte und Dank). Die Erfahrung des Übels seitens Gabriel ist ein theologisch geprägter Handlungsbogen.173 Seth Gilliam akzentuierte im geführten Interview, dass Father Gabriel jede seiner Glaubenskrisen und besonders seine beiden Suizidversuche überwunden hat und nicht nur Menschen repräsentiert, die ihren Glauben verloren haben: »I think Gabriel can represent anyone. I think Gabriel represents any at all because he’s a person. He is a human beings fellable. He’s got his foibles. Then I think many people can relate to and he’s got his faith, which I think many people can relate to, regardless of the denomination they follow, wheter it would be Catholic or Methodist christians.«174
9.10
Detheologiesierung im Kirchenraum
Im Szenenbild des Kirchenraums von Gabriels episkopaler St.-Sarah-Kirche befinden sich zahlreiche Anspielungen auf biblische Ereignisse, die im Folgenden theologisch analysiert werden sollen. Im Gegensatz zu den anderen fällt Carol eine von Gabriel handschriftlich verfasste Abschrift des Alten Testaments auf, in der in Großschrift im Buch Exodus deutlich zu lesen ist: ›Thou shalt not kill‹. Interessant hierbei ist, dass sich, mit Ausblick auf Carols spätere charakterliche Entwicklung, diese Sequenz eines gewichtigen prophetischen Gegenwerts bedient, welcher zugleich auch Gabriels Grundeinstellung unterstreicht, was innerhalb der Handlung
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174
Vgl. Moltmann, Jürgen: Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie. München, 1972. Anm.: Eine ähnliche Szene findet sich mit deutlich positiverem Ausgang in der vierten Episode der dritten Staffel Fear The Walking Dead wider: Der vagabundierend und verzweifelte Daniel Salazar (Rubén Blades) sieht sich gegenüber eines unüblich hünenhaften Untoten als im Unwetter stattfindenden Kampf unterlegen, weshalb er sich vor diesem ergebend hinkniet und seine Hände gen Himmel ausstreckt und auf spanisch das Ave Maria zu beten beginnt. Unterstrichen wird die Dramatik durch unaufhörliches Blitz- und Donnern im Hintergrund, bis der Zombie plötzlich, wie durch Gottes Hand, von einem Blitz getroffen zu Boden geht. Allem Anschein nach wurde sein Gebet erhört und ein Zeichen Gottes im The Walking DeadUniversum sichtbar gemacht. Siehe: Interview mit Seth Gilliam am 23. März 2019 auf der Walker Stalker Germany Convention in Berlin.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
jedoch sukzessive revidiert wird. Im Kirchenschiff fallen an einer Tafel angebrachte Bibelverse auf, welche anfangs für circa sechs Sekunden zu sehen sind, während Rick auf den Altarraum zuschreitet.175 Im Verlauf der Kirchen-Episoden176 sind diese immer wieder zu sehen. Gemein ist den Versen ein Bezug zum Thema der Auferstehung der Toten, wobei diese im Kontext von The Walking Dead ihres theologischen Gehalts dekontextualisiert wurden. Dabei sind nur die einzelnen Verse zu sehen, nicht aber die dahinter stehenden Inhalte bzw. ausgeschriebenen Textpassagen, welche für die folgende Analyse aus der Einheitsübersetzung herangezogen wurden (siehe Abb. 19). Abbildung 19: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 5, Episode 3
Römer 6,4: »Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben« (Röm 6,4). Im Kontext von The Walking Dead könnte es sich bei den neuen Menschen nun entweder um die Zombies (als blasphemisch gedeutete Auferstehung siehe Kap. 6) oder den, durch die Konfrontation und Auseinandersetzung mit den Zombies geläuterten, überlebenden Menschen handeln. Römer 6,4 schildert die Taufe auf Christus als Hineingetauchtwerden177 in Christi Tod, was sich im christlichen Leben als Wandel auswirkt178 , sodass die Gnade durch die Taufe das Leben des gerechtfertigten Sünders dem Herrschaftsbereich der Sünde entreißt und ihn in einen Lebensraum der mit der Auferstehung Christi angebrochenen neuen Schöpfung hineinstellt.179 Zwar sind die Toten in The Walking Dead 175 176 177 178 179
Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 2. Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 2-8. Anm.: Im Sinne der Teilhabe der Getauften. Anm.: Im Sinne der Befreiung von der Herrschaft der Sünde. Vgl. Wilckens, Ulrich: Der Brief an die Römer. 2. Teilband Röm 6-11. Zürich, Einsiedeln, Köln Neukirchen-Vluyn, 1980. S. 12.
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auch von ihren Sünden erlöst, gleichwohl sie als wandelnde Leichname ein vermaledeites Dasein führen. Eine narrativ relevante Gravitas erhält Römer 6,4 durch die Kontextualisierung mit Father Gabriel, welcher sowohl als Repräsentant des Glaubens als auch als Sünder charakterisiert wird. So steht Gabriel noch unter der Herrschaft der Sünde (siehe Kap. 9.9.1). Weiterhin verweist die Tafel auf Ezechiel 37,7, welcher auch im Sinne der Phantastik (nach Dursts historischer Einordnung siehe Kap. 4.5) gelesen werden kann, sodass dieser zunächst das Flair eines Gruselfilms suggeriert. Der Vollständigkeit halber soll hier Ez 37, 7-9 aufgezeigt werden: »Da sprach ich als Prophet, wie mir befohlen war; und noch während ich redete, hörte ich auf einmal ein Geräusch: Die Gebeine rückten zusammen, Bein an Bein. Und als ich hinsah, waren plötzlich Sehnen auf ihnen und Fleisch umgab sie und Haut überzog sie. Aber es war noch kein Geist in ihnen« (Ez 37,7-9). Der in Babel lebende Prophet Ezechiel erhält eine Vision, in welcher Gott ihn fragt, ob die in einem Tal liegenden, ausgetrockneten Knochen wieder lebendig werden können. Ezechiel antwortet, dass nur Gott die Antwort auf diese Frage kenne. Darauf prophezeit Gott ihm, dass die Knochen wieder lebendig werden, was auch, wie geschildert, geschieht. In seinem biblischen Kontext sollte dieser Passus metaphorisch die aus Jerusalem vertriebenen Israeliten ermutigen, dass Gott bei ihnen ist, was ihnen Hoffnung im Exil geben sollte. Im übertragenen Sinne soll Israel, so wie die Überreste der Skelette, wieder zusammengesetzt und zu neuem Leben erweckt werden, indem er die Vertriebenen in ihre Heimat zurückbringt. »Da der Text sich nicht auf den physischen Tod des einzelnen Menschen, sondern auf das darniederliegende Volk Israel bezieht, kann er nicht als frühes Zeugnis für den Glauben an die individuelle Auferstehung gewertet werden, […] wobei die spätere christliche Eschatologie den Text in Korrelation mit der Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag brachte.«180 Poser beschreibt dazu, dass in Ez 37,1-14 die geschilderte, potentielle Todesrealität in potentielle Lebensfülle verwandelt wird.181 Dafür nennt sie folgende Begründung: Die Umsetzung des Zugesagten wird viel mehr durch den Propheten Ezechiel als durch Gott verwirklicht. Gott vermittelt die Worte. Das Wiederbelebungsgeschehen wird aber im Sinne Gottes seitens Ezechiel als exemplarischer Mensch und paradigmatischer Überlebender ermöglicht.182 »Dadurch, dass er mit seinen Worten die Geistkraft herbeiholt, vermittelt er den Ermordeten etwas, das er selbst zuvor am eigenen Leibe erfahren hat, das Erfülltwerden mit Gott – und dies ermöglicht es den Angeredeten, selbst aktiv zu 180 HD Bd.2: 2002, S. 424. 181 Vgl. Poser, Ruth: Das Ezechielbuch als Trauma-Literatur. Marburg, 2011. S. 541. 182 Vgl. Ebd.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
werden: ›Und sie stellen sich auf ihre Füße‹.«183 Es geht also nicht, auch wenn es mit der Perspektive des phantastischen Lesers den Anschein hat, um Wiedergänger oder Zombies. Vielmehr thematisiert dieser Passus die Begegnung mit dem geisterfüllten prophetischen Wort, das neue Lebensmöglichkeiten hervorzubringen vermag.184 Demnach handelt es sich auch bei der Visualisierung des dekontextualisierten Verses Ezechiel 37,7 um eine Detheologisierung, welche in den Narrationen von The Walking Dead einen völlig anderen, phantastischen Sinngehalt erhält. Ezechiel 37 soll in der Gesamtheit die Lebensfülle und Hoffnung thematisieren, dabei wird hier nur der missverstandene Auszug von Wiedergängern und Tod aufgezeigt.185 Unter Ezechiel 37,7 befindet sich auf der Tafel Matthäus 27,52: »Die Gräber öffneten sich und die Leiber vieler Heiligen, die entschlafen waren, wurden auferweckt.« (Mt 27,52). Auch hier wird also die Wiederauferstehung thematisiert. Danach folgt auf der Tafel der Vers Offenbarung 6,9: »Als das Lamm das fünfte Siegel öffnete, sah ich unter dem Altar die Seelen aller, die hingeschlachtet worden waren wegen des Wortes Gottes und wegen des Zeugnisses, das sie abgelegt hatten« (Offb 6,9). Im Kontext von The Walking Dead wird wiederholt ein ausdrücklicher Zynismus deutlich, da hier diejenigen, die an Gott und sein Zeugnis glaubten, ›geschlachtet worden waren.‹ Positiv betrachtet, gehört das Geschlachtetwerden als Opferlamm
183 Ebd. 184 Vgl. Ebd. 185 Anm.: An dieser Stelle sei angemerkt, dass in The Walking Dead Staffel 7, Episode 2 eine neue Figur namens Ezekiel (Khary Payton) eingeführt wird, die sich zum festen Bestand der Charakterriege entwickelt. Inwiefern der Charakter mit dem Schriftpropheten des Alten Testaments konform gestaltet ist, soll hier nicht analysiert werden. Darüber hinaus wird in The Walking Dead: Staffel 6, Episode 10 eine Figur namens Jesus (Tom Payne) eingeführt, die bis zu ihrem Tod in The Walking Dead: Staffel 9, Episode 9 zu einer zentralen Figur wird. Jesus Äußeres gleicht tatsächlich filmischen Jesusdarstellungen, wobei sein Charakter vom biblischen Jesus des Neuen Testaments divergiert. Auch Ezekiels Aura mutet biblisch an. Während es sich bei Ezekiel um einen realen Namen der Figur handelt, verwendet Jesus seinen Namen als eine Art Nom de guerre, da er in Wirklichkeit Paul Rovia heißt. Limberg verweist darauf, dass der Prophet Ezechiel im Alten Testament eine Verschiebung weg von Tempelsatzungen und Reinheitsvorschriften, hin zu einer gelebten Mitmenschlichkeit bedeutet, was die Figur des Ezechiel in The Walking Dead auch repräsentiert, da als grundlegende Regeln Ezechiels soziale und wirtschaftliche Satzungen sowie das Streben nach Gerechtigkeit gelten. Vgl.: Limberg, Sebastian: Fremderscheinungen. Der Zombie in Film, Literatur und Ethnologie. Inaugural-Dissertation der Philosophischen Fakultät der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität zu Bonn. Bonn, 2019. S. 227.
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metaphorisch zur Erfüllung göttlicher Prophezeiung im Rahmen Gottes Weltenplans und ist damit positiv als erfolgreicher Abschluss des irdischen Lebens zu begreifen. Im Gegensatz dazu steht das seelenlose Überleben der Zombies und das Leiden der noch existierenden Menschheit in der Serie. In Analogie zur Serienhandlung könnte dies zum einen auf die Tötung einiger Kontrahenten in der Kirche verweisen und auf der anderen Seite die von der Gruppe wahrgenommene Schwäche von Gabriel unterstreichen, da dieser zu seiner Verteidigung keine Waffe bedient, sondern im Sinne der Märtyrer seinen Glauben. »Im biblischen Kontext geht es in der Offb 6,9 um das fünfte Siegel, welches die Seelen der Märtyrer entlässt, die sich unter dem Brandofenaltar im himmlischen Tempel befinden. Die Märtyrer erhalten von Jesus die Sicherheit, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sie Gerechtigkeit erlangen. Der Fingerzeig auf den Brandaltar des himmlischen Tempels (in Analogie zum irdischen Tempel) signalisiert aufgrund der Referenz des Blutes der Opfertiere ihre Nähe zu Gott und nicht, dass sie (belanglos) geschlachtet oder getötet wurden.«186 »Dort, wo das Blut als Träger des Lebens ausgegossen wird (Lev 4), dort klagen die Seelen der verfolgten treuen Christen wie ein Opfer, das Gott dargebracht wird.«187 In diesem Lichte muss auch auf Father Gabriels Nähe zu Gott hingewiesen werden. Roloff merkt an, dass die Märtyrer aufgrund des Verbs ›geschlachtet‹ tot und demnach nur noch ihre Seelen vorhanden sind. Folglich befinden sie sich schon bei Gott und nicht in einem Zwischenzustand. Sie erreichten, im Kontrast zu der Erzählwelt von The Walking Dead, die von Gott zugesagte neue Leiblichkeit bei der Auferstehung.188 War zuvor von Plagen die Rede, welche alle Menschen in irgendeiner Weise treffen werden, so konzentriert sich Off 6,9-11 auf das Schicksal der Christen: »Sie alle müssen sich darauf einstellen, den Zeugentod zu sterben. Wegen der Bedeutsamkeit dieser Aussage ist es nicht verwunderlich, dass sie vom Himmel her damit vertraut werden.«189 Allerdings geht es in diesem Kontext um Leben und Tod angesichts der Verfolgung infolge des Kaiserkults und nicht um die Dominanz von Zombies.190 Zugleich weist das fünfte Siegel zwei weitere Facetten auf, die in Analogie zum Serieninhalt gesetzt werden können:
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Giesen: 1986, S. 65. Ritt, Hubert: Die Offenbarung des Johannes. 2.Aufl. Würzburg, 1988. S. 45. Vgl. Roloff: 1984, S. 83. Giesen: 1986, S. 89. Vgl. Ebd.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
»In dieser fünften Siegelvision rekurriert Johannes auf die zunehmende Verfolgungsgeschichte der jungen Kirche, welche zum Durchhalten in den Leidensdrangsalen motivieren.«191 Zum einen bedeutet der Verlust des Lebens die unausweichliche Folge des Zeugnisses für Jesus (Father Gabriels Auffassung), zum anderen müssen viele in der Gemeinde damit rechnen, dass auch sie, wie schon zahlreiche Menschen vor ihnen, das Leben verlieren werden (Auffassung von Ricks Gruppe).192 Weiterhin ist die Textstelle Lukas 24,5 vorhanden: »Die Frauen erschraken und blickten zu Boden. Die Männer aber sagten zu ihnen: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?« (Lk 24,5). Hier hat der »Lebende mit den Toten und ihrer Welt nichts gemeinsam. Es wird ganz deutlich, dass die Verkündigung der Osterbotschaft bei der Tatsache des leeren Grabes nicht stehenbleiben will, sondern auf das Glaubensbekenntnis ›er ist auferweckt‹ hinzielt.«193 Hier ist wieder auffällig, dass dieser kontextlose und enttheologisierte Passus die Handlung von The Walking Dead wiedergibt, in welcher die Gruppe immer wieder Überlebende zwischen den Toten findet. Weiterhin wurde hier scheinbar absichtlich Lukas 24,6 weggelassen, welcher direkt die Auferstehungshoffnung erkennen lässt, die in The Walking Dead, wie beschrieben, nicht mehr im christlichem Sinne vorhanden ist. Denn im theologischen Kontext würde es weiter lauten: »Die Männer aber sagten zu ihnen: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden« (Lk 24, 5-6). Hier ist der Engel zitiert (Anglophanie), welcher den Frauen am Grabe Jesu verkündet, dass dieser auferstanden ist. Während Glenn die Kirche inspiziert, stößt er auf die eingerahmte Tafel mit dem Vers Galater 6,9: »Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun; denn wenn wir darin nachlassen, werden wir ernten, sobald die Zeit dafür gekommen ist«.194 Dieser Passus (Tu Gutes! Gal 6,7-10) des Gesetzes Christi (Gal 6,1-10) wurde durch die Umrahmung hervorgehoben und markiert eindeutig einen seltenen Hoffnungsgedanken im Kontrast zu den vorherigen dekontextualisierten Versen. Da für Paulus das Leben ›säen‹ bedeutet, fordert er dazu auf, unermüdlich das Gute zu tun und so im Geist zu säen. »Die zeitliche Beschränkung ›solange wir noch Zeit haben‹ lässt die Erwartung des baldigen Endes anklingen«195 In Analogie zu der Serienhandlung soll dies die gläubigen Charaktere nicht unter Druck setzten, sondern eine Ermunterung sein, die verbleibende Zeit noch gut zu
191 192 193 194 195
Ebd. Vgl. Roloff: 1984, S. 82. Kremer, Jacob: Lukasevangelium. Würzburg, 1988. Anm.: In der Serien-Fassung ist nur die englische Schrift zu lesen: »And let us not grow weary of doing good. For in due season we will reap if we do not give up. – Galatians 6:9. Radl, Walter: Galatarbrief. Stuttgart, 1985. S. 89.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
nutzen,196 obwohl dies in der Handlung von The Walking Dead meist das Gegenteil ist. Ein weiterer narrativer Vorausblick wird durch selbstgemalte Bilder in der Sakristei geliefert. Es handelt sich hierbei um von Kindern gezeichnete Bilder des kleinen Baby-Moses, der auf dem Nil in einem Binsenkörbchen schwimmt. Seine Mutter Jochebed versuchte ihn auf diese Weise vor der Anordnung des Pharao, alle männlichen Babys zu töten, zu bewahren. Auf diesem Bild befindet sich die Aufschrift ,40 Years of Wandering‹ (40-jährige Wanderung im Rekurs auf die Wanderung der Israeliten durch die Wüste). In Analogie zu diesem Bild steht Ricks kleine Tochter Judith in einem ähnlichen Binsekörbchen, die an späterer Stelle in einer ähnlichen Inszenierung gezeigt wird.197 Ob Judith eine Erlöser- oder Retterfunktion gleich Moses in der Seriengeschichte einnehmen wird, bleibt noch abzuwarten, wobei sich Judith ab der neunten Staffel in der Nachfolge ihres vermeintlich verstorbenen Vaters Rick Grimes zur Hauptfigur entwickelt. Darüber hinaus werden Bilder des brennenden Dornbusches aus Ex 3,1-15 gezeigt. Am Schema der Prophetenberufung orientiert, erscheint vor Mose Gott in der Gestalt eines brennenden Dornbusches und instruiert ihn, sein Volk aus der ägyptischen Knechtschaft in ein neues Land herauszuführen, wobei Gott ihm auf Anfrage des Moses hin seinen Namen offenbart (Ex 3,14), was wiederum im Kontext der Geschichtsmächtigkeit Gottes als Befreiergott im Exodus und als Gott des Bundes steht. In Bezug auf das Alte Testament könnte dieser theologisch aufgeladene Setdesign-Rekurs in Relation zum dargestellten postapokalyptischen Narrativ mit Ex 3,7 interpretiert werden, weil hier Gott eine Verbindung zu der leidvollen Situation des Volks Israel in Ägypten herstellt: »Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen, und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid« (Ex 3,7). Die Verbindung dieses Ereignisses im Neuen Testament zu der in der Serie thematisierten Auferstehung der Toten wird jedoch erst mit Blick auf Mk 12,18-27 in Form des Streitgesprächs Jesu mit den Sadduzäern ersichtlich. Diese hinterfragen die Auferstehung der Toten vor der Ernsthaftigkeit der Gesetze Mose in Verbindung mit etwaigen jenseitigen Problemen abseits verständlicher Kontexte polygamischer Natur. Dabei gehen die Sadduzäer davon aus, dass die Auferstehung eine Fortsetzung des bisherigen Lebens ist. Jesus wiederum diskutiert diese Prämisse (Mk 12,25f.) und zieht dabei Ex 3,6 heran. Im Kontrast zu den Sadduzäern spricht Jesus hier davon, dass Gott nicht nur ein Gott der Lebenden, ein ›Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs‹ (Mk 12,26) ist, sondern auch ein Gott der Toten, womit er Ex 3,6 in einem neuen Licht erscheinen lässt und kontrastierend den Sadduzäern gegenübersteht.198 Daraus folgt für Jesus, dass der Glaube 196 Vgl. Giesen: 1986, S. 89. 197 Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 8. 198 Vgl. HD Bd.2: 2009, S. 429.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
an die endzeitliche Auferstehung der Toten eine Konsequenz aus dem Glauben an die Treue und Macht Gottes ist.199 Zugleich wird in diesem Zusammenhang die himmlische Welt als Heimat im Jenseits und Stätte der Heilsgüter charakterisiert, derer es bedarf, um als Mensch vor Gott bestehen zu können.200 Der Mensch darf hoffen nach seinem Tode in diese Bereiche eindringen zu können, wobei sich seine Existenzform gegenüber der irdischen verändert: »Zum Beispiel ist das, was andernorts ja durchaus gedacht werden kann, nicht mehr möglich: Heiraten und Geheiratetwerden. Die göttliche Welt ist das Reich der Himmel, somit das Jenseits und auch der bereits im NT hervorgehobene Aufenthaltsort der Toten.«201 Nach dieser theologischen Reflexion haben die Setdesigner wohl organisiert und wissend Zitate aus der Bibel für die Mise-en-scène verwendet, die ohne ihren theologischen Sinngehalt eine narrative Analogie zu lebenden Toten im Sinne des Zombies aufweisen (religionsinversiver Gebrauch). Damit wurde der theologische Gehalt nicht nur für die Serie (und deren Unterhaltungswert) dekontextualisiert, sondern auch detheologisiert. Darüber hinaus geschieht in der Kirche ein weiter zu kontextualisierendes Ereignis: Nach einer blutig-brutalen Exekution von drei rivalisierenden Personen im Kirchenraum seitens Rick und seiner Gruppe wurde der heilige Boden der Kirche entweiht. Während Gabriel hilflos und resigniert zusehen muss, wie sein Kirchenraum zerstört wird (Siehe Kap. 2.2), bleibt ihm nichts anderes übrig, als verzweifelt und schweißgebadet das festgetrocknete Blut der Getöteten von den Holzdielen wegzuwischen (siehe Abb. 20). Im Hintergrund wird ein Hämmern immer lauter und eindringlicher, was akustisch Gabriels innere Panik unterstützt. Zunächst versucht er das Blut mit seinen Fingern wegzukratzen, merkt dann aber, dass es partout nicht funktioniert und er sinnbildlich das grauenhafte Geschehen nicht mehr rückgängig machen kann. Dann befeuchtet er, in zunehmender Realitätsverleugnung, seine Hände und wischt immer schneller und intensiver den Holzboden, bis sein verzweifeltes Gesicht, in Abwechslung mit seinen Händen in dynamisch montierten Detailaufnahmen zu sehen ist, bis das Intro der Serie beginnt. Metaphorisch zeigt diese Szene, wie sehr Gabriel versucht an seinem Glauben und damit an der Vergangenheit festzuhalten, während die Welt um ihn herum wortwörtlich zerbricht bzw. neu organisiert werden muss, und wie schwer es ihm fällt, sein bisheriges Dasein als Christ der postapokalyptischen Welt gemäß einzurichten.202 Eine weitere profane Tendenz lässt sich anhand eines kurzen Gesprächs zwischen Rick und Father Gabriel wiederfinden:
199 200 201 202
Vgl. Ebd. S. 429-430. Vgl. Braun: 1996, S. 243-245. Ebd. S. 247. Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 3.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Abbildung 20: Filmstills aus The Walking Dead: Staffel 5, Episode 3
Rick: Ich bin überrascht, dass Sie uns Ihren Abendmahlwein trinken lassen. Gabriel: Es kommt doch niemand mehr zum Abendmahl. Der Wein ist nur Wein, bis zu seiner Segnung. Ironischerweise wird dies während eines gemeinsamen Essens am Abend gesagt, das jedoch nichts mit einer christlichen Feier zu tun hat, was wiederum die Profanisierung symbolisiert (Vgl. Kap. 6.5).203 Als nächstes werden die Filmplakate (im Grunde handelt es sich hier um Serienplakate) der ersten Hälfte der zweiten Staffel Fear The Walking Dead als thematische Einführung auf die Todesmetaphorik und die zu thematisierende Identitätskrise analysiert.
9.11
Untersuchung des Filmplakats von Fear The Walking Dead Staffel 2.1
Bei dem ersten Werbeplakat (für die erste Hälfte der zweiten Staffel, siehe Abb. 21) handelt es sich um ein in gelb-orange Tönen gehaltenes Vexierbild, auf dem zunächst eine in der Bildmitte zentrierte Yacht in einer pittoresken Meeresidylle im stillen Gewässer vor einer übermäßig großen untergehenden Sonne treibt. Die schimmernde Reflexion der Sonne auf der Wasseroberfläche zieht sich dabei bis zum Betrachter.
203 Siehe: The Walking Dead: Staffel 5, Episode 2.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
Abbildung 21: Werbeplakat Fear The Walking Dead Staffel 2, Teil 1 (2016), und Charles Allan Gilberts »All is Vanity« von 1892
Durch das warme Farbklima der nautisch-paradiesischen Naturästhetik und durch die Einsamkeit der Weite des Meeres werden Reminiszenzen an die romantische Malerei hervorgerufen. Das maritime Terrain stimmt auf den Handlungsort der bevorstehenden Fortsetzung ein. Beim genauen Hinsehen handelt es sich bei diesem friedvollen Panorama allerdings um eine illusorische Gaukelei, da simultan das Heraufziehen von Ungemach durch drei dunkle Quellwolkenfetzen vor der Sonne suggeriert wird. Diese haben sich von dem am rechten Bildrand befindlichen, düsteren Wolkenbollwerk separiert und bilden wohl im Zuge eines heraufziehenden Gewitters – unmittelbar vor der gigantischen, einem Atompilz gleichenden Sonnenkugel – Nase und Augen eines Totenkopfes. Dessen Schädelformation ergibt sich nun durch die Kombination mit der im Hintergrund liegenden Sonne und der Yacht als Keyvisual (welche den Mund bzw. die Zähne des Schädels ersetzt). Diese Formation bricht den spontan arkadischen Eindruck, der durch die paradiesische Idylle suggeriert wird. So lässt die Szenerie Unheilvolles erahnen und offenbart ein Vanitas-Motiv.204 Das kleine Schiff ist dieser Szenerie untergeordnet. So wird die anfänglich dargestellte Fassade einer harmonischen Urlaubs- und Entspannungssituation in Komfort und Luxus (Yacht) auf den zweiten Blick zur
204 Anm.: Der Zombie wurde hier in abstrahierter Form durch den Totenschädel als VanitasSymbol ersetzt.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Horror-Trope des Überlebens, der Flucht und Schutzsuche vor dem übermächtigen Tod, dessen Blick auf das Schiff gerichtet ist. Zugleich verdeckt der Totenkopf die Schönheit der Sonne, womit signalisiert wird, dass zu Beginn der Serienhandlung die Realität des Todes in Analogie zur säkularen Wirklichkeit immer wieder verleugnet wird, sodass auch parallel die Betrachter dieses Plakats als modernes Vanitasbild an die eigene Sterblichkeit erinnert werden. Ähnlich wie in Charles Allan Gilberts Vexierbild ›All is Vanity‹ (1892, siehe Abb. 21) handelt es sich bei diesem Plakat analog um eine Memento mori-behaftete Schein-Sein-Situation, welche durch inhaltliche Anspielungen auf die bevorstehende Handlung angereichert wird.205 Das Motiv verweist zum einen auf den diegetischen Ortswechsel der Handlung von Los Angeles in unbekanntes und exotisches Gefilde, dessen konkretes Ziel (Mexiko) sich im Verlauf der zweiten Staffel entpuppen wird. Visuell dargeboten wird zum anderen der für Zombiehandlungen konstitutive Topos des Reisens, sowie das stetige Eremiten- und Nomadendasein. Die positiv konnotierte Sonne steht also gleichwertig als Totenkopf und Atompilz, der auf einen gewaltigen Niederschlag thermonuklearer Waffen verweist. Auf die Serienhandlung bezogen könnte dies auf die bewusste Zerstörung von Los Angeles seitens des Militärs verweisen, sodass die in der Serie handelnde Familie gezwungen wurde, sich auf die Yacht zu begeben und einen neuen Hafen zu suchen, wobei durch den omnipräsenten Tod (manifestiert durch die Zombies) kein Hafen mehr sicher ist. Akzentuiert wird die suggerierte Aussichtslosigkeit besonders in Bezug auf die Überschrift, durch die in der Korona (deren expandierende Strahlen die obere Bildhälfte füllen) befindlichen schwarzen Typografie, die da lautet ›No Safe Harbour‹ (kein sicherer Hafen), welcher hier symbolisch Sicherheit und Festland markiert, dessen Schutzfunktion im Zuge der Zombieapokalypse jedoch unzureichend erscheint und ein durch die Situation oktroyiertes, im Meeres-Vakuum desolates und isoliertes Leben auf kleinster Fläche im Stillstand eine Notlösung zwecks des eigenen Überlebens erscheint.
205 Anm.: Gilbert zentriert die Schönheit der Frau bei zeitgleicher Gemahnung an die Sterblichkeit.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
9.12
Untersuchung des Filmplakats von Fear The Walking Dead Staffel 2.2
I'm not crazy, I'm not crazy, I'm just scared of what I'll do It’s so crazy It’s so crazy Being a skeleton to you What can I say? So you aren’t afraid? What can I say? So you aren’t afraid? Don’t be afraid206 Das zweite Plakat (für die zweite Hälfte der zweiten Staffel, siehe Abb. 22) zeigt in einer alten, verrotteten Gebrauchs- und Altersspuren aufweisenden graphisch verfremdeten Fotografie das Profil von Nick Clark, dessen Gesicht im Rahmen der Diegese zwecks Selbstschutz vor Zombies mit Blut, bzw. ein von einem Toten oder Zombie entnommenen liquiden Substrat, eingedeckt wurde, womit er zum äußeren Erscheinungsbild des Untoten übergeht (siehe Kap. 9.1.1). In ihrer Symbolik der Vanitas intensiviert wird diese an die neuen Umstände akkommodierte Maskerade durch den schemenhaften Formverlauf des aufgetragenen Blutes, welcher die Struktur eines menschlichen, zähnezeigenden Totenschädels schablonenartig auf Nicks Gesicht projiziert. Diese Darstellung birgt zwei Bedeutungen: Erstens wird der im vorherigen Plakat etablierte Vanitas- und Memento mori-Modus wiederholt eingenommen, zweitens werden auch hier subtil und abstrahiert Anspielungen auf die bevorstehende Handlung in Bezug auf den narrativen Verlauf der Figur Nick Clarks angedeutet. Hinsichtlich des Memento mori als Bildmotiv ist bemerkenswert, dass hier auf die ursprüngliche abendländische Zeichenhaftigkeit dieser Bildtradition zurückgegriffen wird, indem die Werbeplakate das Motiv des personifizierten Todes nicht zum Anlass wohligen Gruselns bedienen (zumindest nur marginal), sondern diesen profan einsetzen, um den Betrachter dezent auch an seine eigene Sterblichkeit (Nicks totenschädelartige Maske) sowie an die Macht des Todes (Totenkopf vor der Sonne) zu erinnern. Durch diese Doppeldeutigkeit der Maskierung wird der tabuisierte Tod wieder zum Vorschein gebracht und die Dichotomie von Leben und Tod, die freilich
206 Johnnie Guilbert – Afraid. Produzenten: Cameron Walker, Jordan Witzigreuter, Johnnie Guilbert. Album: I Could Sleep Here, I Could Die Here. 2018.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Abbildung 22: Werbeplakat Fear The Walking Dead Staffel 2, Teil 1 (2016)
auch zur Serienhandlung gehört, signalisiert.207 Dies bestätigt die in Kapitel 3.7 formulierte Aussage, dass der Zombie als Tod in personam gleich des (barocken) Memento mori-Zeitgeistes vermag, das Nachdenken über den Tod und die Frage der Vorbereitung darauf zu stimulieren.
207 Anm.: Weiterhin wird die in Mexiko spielende Handlung mit ihrem Bezug zum Día de los Muertos bzw. den Umgang mit den lebenden Toten seitens mexikanischer Bewohner durch die Maskierung signalisiert. Dieses Thema wird explizit im dritten Werbeplakat für die zweite Hälfte der zweiten Staffel aufgegriffen, indem zahlreiche verwesende Hände einen bunten Calavera ergreifen.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
Todesmaskeraden gehören auch zum modernen, in der Mode beliebten ›Schädel- Massentrend‹208 , einer beliebten modischen Verwendung des VanitasSymbols, dessen Wurzeln in der Punk- und Gothic-Subkultur (teils auch in der Emo-Subkultur) liegen, bei der die Beschäftigung der meist Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Tod und Vergänglichkeit durch solche Accessoires und Gesichtsbemalungen zum Ausdruck gebracht wird. Dadurch werden u.a. die Auswirkungen einer säkular pluralistischen Welt expressiv visualisiert.209 So lässt sich eine Renaissance des Memento mori als pessimistischer Lebensstil durch Weltschmerz auf Basis von Enttäuschung und Unsicherheiten bezüglich bestehender Ordnungen, der Skepsis gegenüber Wert- und Sinnfragen sowie der allgemeinen Resignation, Trauer und Melancholie (siehe Kap. 3.12) kristallisieren. Dieser Rückgriff jugendlicher Subkulturen auf die Vanitas-Symbolik soll durch die Verbindung zum Tod als bewusste Abgrenzung zur Mainstreamgesellschaft im Zuge einer Individualitätsbildung provozieren.210 Repräsentativ dafür soll als zum Werbeplakat äquivalentes Beispiel das am 15.06.2018 veröffentlichte und mit ca. 620.000 Zuschauern211 auf der Videoplattform Youtube produzierte Musikvideo von Johnnie Guilbert zu dem Song ›Afraid‹ herangezogen werden, in welchem der beliebte, zur Emo-Jugendsubkultur gehörende US-amerikanische Sänger und ›YouTuber‹ in verschiedenen TodesMaskierungen, unter anderem auch durch eine auf das Gesicht geschminkte Skelettierung auftritt (siehe Abb. 23) und seine in der Vergangenheit liegenden Schicksalsschläge sowie einen Suizidversuch musikalisch- und videografisch verarbeitet.212
208 209 210 211 212
Quast: 2013, S. 47. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. S. 48. Anm.: Stand September 2019. Anm.: Eine ähnliche Maskerade weist Guilbert in seinem Musikvideo zum Song »Victim« (veröffentlicht 2018) auf. Als weiteres Beispiel ist der als ›Zombieboy‹ benannte PerformenceKünstler, Model und Schauspieler Rick Genest zu nennen, dessen Körper von einer skelettund zombieartigen Ganzkörpertätowierung gekennzeichnet war. Genest starb im Alter von 32 Jahren am 01. August 2018. Weiterhin weisen vornehmlich Bands der Black-MetalSubkultur wie z.B. die niederländische Band Carach Angren ähnliche Maskierungen durch das sogenannte Corpsepaint als charakteristisches Stilelement und Insigne zur Visualisierung und Verdeutlichung der thematischen Schwerpunkte der Szene, zu dem auch die Beschäftigung mit dem Bösen gehört, auf. Affinitäten zur gesichtsmaskenbezogenen Skelettierung sind beispielsweise auch bei der Hip-Hop-Band Genetikk vorhanden. Darüber hinaus verweist ein geschminktes, skelettiertes Gesicht im Horrorfilm meist auf die Anwesenheit des Dämonischen, wie beispielsweise in »The Prodigy« und dessen dazu passend inszeniertem Filmplakat. Siehe: The Prodigy. R.: Nicholas McCarthy. USA, 2019. Ein anderes Beispiel hierfür findet sich bei der Figur Tate Langdon (Evan Peters) in der Anthologieserie »American Horror Story – Murder House« (Staffel 1). Produktion: Diverse. USA, seit 2011.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Abbildung 23: Filmstill aus dem Musikvideo »Afraid« von Johnnie Guilbert zu dem gleichnamigen Song
Diese auf die Haut aufgetragene Farbe signalisiert ontologische Irritationen. Repräsentativ apostrophiert Guilbert damit die Expression identifikatorischer Erschütterungen im Angesicht einer durch die Sinnkrise gekennzeichneten Gegenwart (siehe Kap. 9.13).213 Somit wird im weitesten Sinne rituell ein Ausdruck traumatischer Erlebnisse oder die Verarbeitung von Verlust bearbeitet. Natürlich signalisiert die Maske auch die im Songtext thematisierten Inhalte. Anders als bei Nick, welcher unter anderem einen übergeordneten Zweck mit der Entstellung seines Äußeren verfolgt, entbehrt im echten Leben ein solches Verhalten seiner so gearteten Notwendigkeit. Diese nihilistische Charakteristik entspringt vielmehr einem kosmetischen Ewigkeitssurrogat. Ebenso können durch solche maskenhafte Selbstinszenierungen persönliche Gefühlszustände (z.B. angesichts von Kontingenzbewältigungen) mit einhergehender Zustandstelegraphierung an Dritte in Form von Unterhaltungsmedien sichtbar gemacht werden. Als Epiphänomen der Hervorkehrung des Todes und dem Entledigen des Propriums wird diese zweckorientierte Entstellung des natürlichen Erscheinungsbildes visuell manifestiert.214 Die Totenkopf-anmutende Schminkmaske ist also eine bewusste nach außen getragene Reaktion geistig-psychischer Verarbeitungsmechanismen, die Erkennt-
213
Anm.: Seine Maske ist also neben dem Unterhaltungswerts des Musikvideos nicht karnevalesk, wie ähnliche Maskierungen am Día de los Muertos oder dem Halloweenfest. 214 Anm.: Dadurch könnte die theoretische Behandlung des eigenen Ablebens zwecks subjektiv unterhaltender emotionaler Extremzustände instrumentalisiert werden. Freilich entspringt diese Maskerade individueller Beweggründe, weshalb die Todesmaskierung hier nicht pauschal auf vermutete Ursachen vor dem hier zugrundeliegenden Fokus zurückzuführen sein soll.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
nis der eigenen Unbeständigkeit oder den Tod (nahestehender) Dritter zu verarbeiten sowie ggf. zusammenhängend eine daraus folgende Faszination für Tod und Sterben anzuzeigen.215 Neben solcher Verarbeitung und Konfrontation mit dem Tod am realen Beispiel von Guilbert oder fiktional anhand von Nick Clark steht der säkularisierte Bedeutungsgehalt des Schädels rekontextualisiert auch als Sinnbild für Rebellion und Nonkonformismus,216 welche bisweilen ebenso auf die Sinnkrise der Gegenwart zurückgeführt werden.217 Gerade »im Alltag junger Menschen zeigt sich der Zusammenbruch von Ideologien und Religionen im schnellen Wechsel der Lebensordnungen«218 und es wird kritisch ohne Netz und doppelten Boden über den Lebenssinn sinniert. Dieser Zerfall eines sich in der Jugend entwickelnden sinngebenden Fundaments ist pikant, da sich hier noch die eigene Identität ausbildet, jene Fähigkeit eines Individuums, »sich selbst und anderen verständlich zu machen, was es ist und sein möchte und warum es dies will und in einer bestimmten Art handelt.«219 Diese Identitätskrise wird im übergeordneten narrativen Verlauf in der zweiten Staffel von Fear The Walking Dead durch Nick Clarks Figurenentwicklung thematisiert, im beschriebenen Filmplakat angekündigt und soll hier ebenfalls als filmische Verarbeitung einer säkularen Welt gelesen werden. Der auf dem Plakat scharfkantige, wie von Hand geschriebene Text, dessen schräge Grapheme so wirken, als ob sie mit viel Kraft in den Untergrund hinein gekratzt wurden, nimmt auf diese Lesart direkt Bezug. Die an den Betrachter adressierte imperative Aussage ›Fear what you become‹ (Fürchte dich vor dem, was aus dir werden wird) umfasst eine subjektiv- intrinsische Wandlung zum Negativen, vor der sich die angesprochene Person fürchten sollte. Guilberts Aussage ›I am just scared of what I’ll do‹ wiederum beschreibt nicht die Furcht, die aus einem Transformationsprozess resultiert, sondern die Angst vor eigenen unanständigen Handlungen und Aktivitäten, die vermutlich als Folge einer intrinsischen Wandlung zum Negativen herrühren. Beide Aussagen behandeln Risiken im Sinne eines möglichen Eintretens einer Zukunft, was Menschen zu verhindern suchen. Im Kontrast zu Memento mori- und Vanitas-Darstellungen ver215
216 217 218 219
Anm.: Trattner untersucht ausführlich die Bedeutungen des Totenkopfes als historisches Alltagsobjekt und dessen Aufladung mit neuen Sinnkonstruktion im jugendlichen Kontext. Siehe: Trattner, Agnes: Der Totenkopf als symbolisches Mittel zur Inszenierung von Jugendlichkeit. In: Böder, Tim et.al.: Stilbildungen und Zugehörigkeit. Materialität und Medialität in Jugendszenen. Wiesbaden, 2019. S. 115-131. Vgl. Quast: 2013, 2012. S. 49. Anm.: Wobei auch individuelle Beweggründe oder lediglich Trends, Medien etc. zur Beliebtheit der Todesmotivik in der Mode beitragen. Skarics, Marianne: 2010, S. 72. Mette, Norbert: Art. Identität. In: Lexikon der Religionspädagogik, Band 1. Neukirchen-Vluyn, 2001. S. 847-854. Hier S. 848.
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deutlicht die auf dem Poster befindliche Typographie nicht die Erinnerung an die eigene Sterblichkeit und die Angst davor, sondern betont vielmehr sich vor der Wandlung des Ichs zu fürchten. Die Kolorierung der Gesichtshaut mit Blut greift das Zombie-Motiv also nicht direkt visuell auf, sondern skizziert indirekt die Folgen für den Menschen, der seinen Halt angesichts der permanenten Konfrontation mit dem Tod verloren hat. Dieses Motiv wird im dramaturgischen Verlauf von Nick Clark im Rahmen einer Identitätskrise aufgegriffen, worauf folgendes Kapitel eingeht.
9.13
Identitätskrise: Nick Clark
Der Titel der Serie Fear The Walking Dead begründet das Sujet des Transformationsprozesses, wobei Nick als Enfant terrible nicht direkt zum Zombie im Zuge eines Bisses übergeht, sondern anfängt, sich mit den lebenden Toten zu identifizieren und im Zuge dessen seine Identität in Erschütterung gerät. Nick, der schon im Vorfeld der Apokalypse als ausgesprochen labiler Charakter etabliert wurde, wird somit im Verlauf der Handlung nicht nur permanent mit dem tabuisierten Tod konfrontiert, sondern erfährt eine bewusst intrinsisch identifikatorische Metamorphose zum Untoten. Das Auftragen von Blut auf seinen Körper dient dabei einer bewussten Vermummung vor den Untoten, um für diese unsichtbar zu werden. Verdrängtes erfährt so unwillkürlich eine visuelle Wiederkehr und zeigt sich als Maske auf der Oberfläche der Gesichtshaut.220 Diese Transformation geschieht nicht im physischen Sinn, sondern als Effekt einer Reformulierung von Identität (bzw. des Propriums), Personalität und Persönlichkeit des Individuums. Damit werden anthropologische Fragen, die auch für die Theologien relevant sind, eröffnet und im Folgenden anhand von Ereignissen aus Fear The Walking Dead ausgeführt.
9.13.1
Das Insel-Ereignis
Während sich Nick zusammen mit seiner Familie und dem wohlhabenden Victor Strand auf dessen Yacht Richtung Mexiko bewegt, wird ein kurzer Halt an einer In-
220 Anm.: Eine Steigerung der Maskerade findet sich in The Walking Dead wider: Die ominöse Gruppierung namens ›The Whisperers‹ häutet bzw. skalpiert die Untoten, um sich in deren verweste Hautschicht zwecks erstrebter ›Unsichtbarkeit‹ einzukleiden, womit sie vollends in die optische Erscheinung der Untoten übergehen und nur durch Flüstern kommunizieren. Ein erstes Bild der Anführerin namens Alpha (Samantha Morton), der neuen Antagonistin für die neunte Staffel, wurde am 20.12.2018 veröffentlicht.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
sel gemacht, um dort Koffer nach Brauchbarem in der Nähe eines Flugzeugwracks zu inspizieren.221 Provoziert durch einen Angriff mehrerer Zombies während der Plünderung einzelner Gepäckstücke realisiert Nick erstmals, dass die Eindeckung mit dem Blut der Toten als Tarnmechanismus gegen dieselben funktioniert. Der Prozess der Maskerade findet noch im Offscreen, also jenseits der Sichtbarkeit des Zuschauers statt. Während andere Gruppenmitglieder weglaufen oder sie mit anderen protektiven Maßnahmen aufzuhalten versuchen, befindet sich Nick mit blutverschmiertem Körper getarnt inmitten der angreifenden identitätslosen Masse, wo er von den Untoten begeistert scheint und Tête-à-Tête an einen stöhnenden Zombie gerät (siehe Abb. 24). In einem irreal wirkenden Moment versucht er dessen Laute zu imitieren. War er zunächst noch Mitläufer, evolviert er hier zu einem Kämpfer für seine lebenden Gefährten und wendet sich gegen die Gruppe der Untoten, wodurch er ganz offensichtlich zu einer bisher nicht dagewesenen Souveränität findet. Mit dieser kann er bei der anschließenden Flucht seiner Gruppe erneut seine Standhaftigkeit behauptet. Dies kann gleich der animalischen Etablierung einer Hierarchie nach dem Prinzip des Auslotens des Stärkeren interpretiert werden. Abbildung 24: Filmstill aus Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 3
In diesem bewusst inszenierten Moment des Stillstandes steht Nicks Erfahrung der Begegnung mit dem Zombie losgelöst und unabhängig von dem um sie herum stattfindenden Szenario im Fokus. Dabei wird Nicks Wahrnehmung der Situation filmisch geschickt verarbeitet. Die Rufe seiner in der Nähe stehenden Schwester verhallen vollständig. Auch die Kakophonie der Untoten gerät in den Hintergrund. Dabei versucht er das Röcheln des ausdruckslosen Zombies zu imitieren. Die Kameraeinstellung wechselt dabei von einer Halbnahen in eine Nah221
Anm.: Nicks Charakter wurde bereits in Kapitel 4.2 vorgestellt.
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aufnahme, wodurch die Dynamik des heterogenen Zusammenspiels betont wird. Auch das Sounddesign unterstützt diesen surrealen Moment mit sphärisch anmutenden und schrägen Klängen. Durch die eindringlichen Rufe seiner Schwester wird er zurück in die Realität geholt, verlässt apathisch diese Szenerie und flieht mit den anderen zurück zu Strands Yacht.222
9.13.2
Der Außeneinsatz
Nick wiederholt kurz darauf die Maskierung seines Körpers für eine Art Außenmission, um unsichtbar für die Zombies zu bleiben (siehe Abb. 25). Abbildung 25 (links): Filmstill aus Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 4 Abbildung 26 (rechts): Filmstill aus Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 4
Diesmal ist der Prozess der Maskerade dem Zuschauer jedoch nicht vorenthalten und als Exposition der folgenden Episode in Szene gesetzt. Auch hier versucht er zwischenzeitlich seinen Habitus in verlassener Umgebung dem eines umher streuenden Zombies pseudohaft imitierend durch Erschlaffen seines Körpers anzupassen (siehe Abb. 26).223 Er entwickelt eine Begeisterung für die Toten.
9.13.3
Das Eulen-Ereignis
Anlass für Nicks Verunsicherungen war die Begegnung mit einer in einem Baum gefassten Holzeule, welche als Totenvogel224 symbolisch für den mexikanischen Totenkult und als Attribut der Santa Muerte steht. Zuvor wurde Nick von Ofelia Salazar (Mercedes Mason) des Nachts eingeladen mit ihr zusammen für die verstorbene Mutter zu beten. Während Ofelia neben Nick kniend an einer draußen angebrachten Memorialstätte ihre Mutter betend um Hilfe ersucht, fokussiert die Kamera in einer dezenten Heranfahrt Nicks nach oben auf die im Baum eingelassene Holzeule gerichteten und von den umliegenden Kerzen erleuchteten Blick 222 Siehe: Fear The Walking Dead: Staffel 2. Episode 3. 223 Siehe: Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 4. 224 Vgl. Sörries: 2001, S. 75.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
bis in eine Nahaufnahme. Dabei verschallen Ofelias Worte und ein unheilvoll anmutendes Dröhnen setzt ein, wodurch die nun folgende subjektive Wahrnehmung Nicks in dieser transzendent wirkenden Konfrontation dargeboten wird. Ein kurzer Schuss-Gegenschuss zwischen Nicks ernstem Blick nach oben und der Holzeule in immer näheren Aufnahmen (siehe Abb. 27) bietet den Impuls für eine in rascher Abfolge präsentierte Montage, unterlegt mit den Tönen schneller Herzschläge und sphärischem Scheppern, welche die erste Begegnung Nicks mit einem Zombie – seiner verstorbenen Freundin Gloria – in der schäbigen Kirche aus der Pilotfolge skizziert (siehe Kap. 1). In dieser Montage erfolgt ein unruhig-rapider Wechsel zwischen Nick in Nahaufnahme (sowohl an der Memorialstätte, als auch in der Kirche liegend) und dem hölzernen Gesicht der Eule. Nach dieser verstörenden Bilderflut wird wieder die Realität gezeigt, indem die verqueren Sounds verstummen, Ofelias Gebet wieder zu hören ist und Nicks Blick aus der subjektiven Sicht vom Baum heruntergleitet.225
Abbildung 27: Filmstills aus Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 6
9.13.4
Transformationsversuche
Nicks Mutter Madison wird auf die morbide Untoten-Faszination ihres Sohnes aufmerksam, da er sich fortwährend blutgetränkt präsentiert. Sie versucht ein Gespräch, nachdem sich Nick am Außenpool der sicheren mexikanischen Villa von Strands Partner vom aufgetragenen Blut abgeduscht hat (siehe Abb. 28).226
225 Siehe: Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 6. 226 Siehe: Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 7.
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Abbildung 28: Filmstills aus Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 7
Während des Gesprächs reinigt sich Nick, womit eine paradox wirkende Rückversetzung in den menschlich-zivilisierten Ursprungszustand seines Ichs dargelegt wird. Diese Handlung wirkt allerdings aufgrund des simultanen Gesprächs zwischen ihm und seiner Mutter, die ihn auf die obsessiv-verstörende Beschäftigung mit den Untoten hinweist, nur als hygienisch bedingte und zweckdienliche Farce. Die ausgeführte Reinigung steht also kontrastierend zu den verbalen Äußerungen Nicks. Sein barer Oberkörper signalisiert dabei eindeutig menschliche Körperlichkeit, wobei die Transformation zurück zum Menschen an dieser Stelle die eigentliche Verkleidung darstellt, weil er sich nun mehr mit den Untoten als mit seiner Familie identifiziert. Das Gespräch zwischen Nick und Madison soll hier nun in gekürzter Form aufgeführt und später unter dem Aspekt der Identitätskrise im Zuge der Säkularisierung subsumiert werden: Madison: Du hast dich verändert seit wir L.A verlassen haben. Nick: Ich war doch immer schon anders. Madison: Du weißt, was ich meine. Ich verstehe nicht, wieso du dich jetzt auf einmal so für diese Toten interessiert. Nick: Die sind nicht tot. Madison: Dann eben infiziert. Nick: Die sind auch nicht infiziert. Madison: Die Bezeichnung ist unwichtig. Nick: Für dich vielleicht. Madison: Wie möchtest du, dass ich sie nenne? Nick: Beim Namen.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
Madison: Was ist nur los mit dir? Als du neulich von der Insel kamst, warst du ganz besudelt mit – keine Ahnung was das war. Nick: Du merkst es nicht. Madison: Und als du an der Grenze an Land warst, da hast du dich stundenlang allein rumgetrieben. […] Nick: Mom, ich weiß, dass mir nichts passiert. Madison: Das kannst du nicht wissen. Nick: Es ist aber so. Als ich am Strand war, stand ich Auge in Auge mit einem von denen und hatte nicht das kleinste bisschen Angst und empfand keinen Hass. Ich habe nur gewusst, dass das nicht mein Ende ist. Dass ich da nicht sterben würde, habe ich gespürt. Ich bewege mich unter ihnen, Mom. Ich bin unsichtbar. Ich werde nicht sterben. Zunächst sieht sich Nick nach der Feststellung seiner Mutter, dass er sich verändert habe, auch reflexiv als Außenseiter (Nick: Ich war doch immer schon anders). Darüber hinaus wird deutlich, dass er davon ausgeht, dass beide über keinen gemeinsamen kommunikativen Bezugsrahmen verfügen (Nick: Du merkst es nicht). Seine Mutter identifiziert allerdings seine Verhaltensveränderungen, verweist auf die geschilderten Ereignisse (Insel und Außenmission) und kann Nicks Standpunkt nicht nachvollziehen (siehe ausführlich zu dem Zusammenspiel Nick und Madison Clark Kapitel 4.2). Weiterhin wird erkennbar, dass er versucht einen Sinn im Dasein der Untoten zu finden und diese kategorisch in ein bestehendes Muster einzuordnen. Aus Nicks Antwort-Schema lassen sich wesentliche Aspekte herauslesen, die für die Darstellung der Identitätskrise relevant sind. Nick erstrebt eine Personalisierung der Untoten durch die Namensnennung der ehemals lebenden Personen, womit er versucht ihnen Identität anzuheften. Er hat aber seine eigene verloren und meint außerdem den Tod bezwingen zu können. Im Zuge dessen betont er seine durch die Maskerade gewährleistete Unversehrtheit, hervorgerufen durch geruchsbezogene Immunisierung, welche allerdings nur gewährleistet werden kann, wenn er sich selbst als Toter maskiert und unter den Untoten bewegt.227 Um diese Aussage zu unterstreichen, erzählt er seiner Mutter von seinem Fanal in Form der Tête-à-Tête-Begegnung mit dem Zombie auf der Insel.228 Diese Entfremdung sei-
227 Anm.: Nick schließt allerdings den Kannibalismus im Zuge seiner Imitation aus. Hier besteht kein Bedarf der Mimesis, obgleich Nick sich kurz vorher an einem zuvor von Zombies bearbeiteten Hundekadavar näherte, weil er kurz vor dem Verhungern stand. Siehe: Fear The Walking Dead. Staffel 2, Episode 8. 228 Anm.: Zuvor machte er sich auf die Suche nach dem untoten Sohn der Haushälterin Celia, die ähnlich wie Hershel in The Walking Dead, davon ausging, dass es sich bei den Untoten um Menschen in einem Zwischenstadium handelt. Nick schließt sich bei der Suche nach einer haltgebenden Instanz sukzessive diesem Konzept an.
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ner selbst erfährt eine Klimax im Midseason Finale, in welchem sich Nick endgültig von seiner Familie aufgrund ausufernder Destruktivität und Brutalität ihrerseits konsterniert abwendet und sich im Sinne eines Vabanquespiels entscheidet, unter den Untoten zu leben. Dies kann als klassische Loslösung von den Eltern zur Identitätsarbeit gelesen werden. Nick hat durch den getroffenen Entschluss seiner menschlichen Identität entsagt, womit er (bzw. sein Ich) sinnbildlich gestorben ist. So muss er fortan willentlich ein in Blut gehülltes, vagabundierendes Leben führen. Dieses führt allerdings durch einen unheilvollen Zwischenfall mit anderen Überlebenden dazu, dass er sich, um dem zu entkommen, allein in der Wüste Mexikos wiederfindet und dort um sein Überleben angesichts der Dürre und Hitze kämpfen muss. In diese Extremsituation geraten, erkennt er durch eine weitere visionsartig surreal inszenierte Szene, die wohl durch Halluzinationen angesichts einer steigernden Dehydration hervorgerufen wurde, dass die Zombies keine Personalität aufweisen. So wird er sich selbst bewusst, dass er sich als Lebender selbst zum Toten degradierte und mit dieser fehlgeleiteten Konzeption falsch lag und deshalb unbegründet seiner Familie entsagte. Maskiert und mit einem verletzten Bein folgt er unsichtbar humpelnd einer Zombie-Traube, womit er durch die Verletzung unwillentlich gezwungen ist, in den Zombie-Habitus überzugehen.229 Es folgt eine Szene gleich der ersten Zombie-Konfrontation auf der Insel, in welcher filmisch Nicks verzerrte Wahrnehmung der Zombiehorde in einem traumartigen Zustand durch die Subjektivierung des Geschehens durch filmische Mittel dargeboten wird. Die Kameraposition wechselt in die subjektive Sicht Nicks, womit auch eine auditive Repräsentanz der delirischen Perzeption zunächst durch dumpf schallende und sphärische Töne erfolgt. Die Geschwindigkeit des Geschehens wird reduziert; das Bild wirkt verschwommen, gar verzerrt und das Krächzen der Zombies gerät echoartig in den Hintergrund, bis menschliche Stimmen zu hören sind, die von den Untoten ausgehen. Dabei werden in Detailaufnahmen abwechselnd einzelne Münder der Zombies gezeigt, die ihn flüsternd auffordern, der wandelnden Gruppe zu folgen und mit ihnen »nach Hause zu gehen« (siehe Abb. 29). Auch seine verstorbene und zum Zombie gewordene Freundin Gloria (siehe Kap. 1) befindet sich in dieser Halluzination unter ihnen.230 War er vorher noch von den wandelnden Toten fasziniert, so erfährt er in dieser Szene, dass sie nicht mehr über menschliche Qualitäten verfügen, womit die mit Begeisterung behaftete Identifikation nun in Angst und Entsetzen mündet und er die Zombies so wahrnimmt, wie sie sind, und kurzzeitig (bis er seine Familie wiederfindet) unter ihnen allein, isoliert und iden-
229 Siehe: Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 8. 230 Anm.: Im Verlauf der Episode wurden Rückblenden gezeigt, welche die Beziehung zu seiner Freundin Gloria thematisieren.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
titätslos wandeln muss.231 Nicks offensichtlicher Schrecken in dieser Begegnung rührt daher, dass er – entgegen seiner Erwartung – als Symptom seines Identitätsverfalls eine derartige Nähe zu den Untoten hergestellt hat, dass zu seinem Schrecken sogar schon eine Kommunikationskompatibilität etabliert wurde, welche einen zuvor nicht möglich geglaubten Informationsaustausch gewährleistet. Angestoßen durch diese Erfahrung folgt der Wunsch eines Zurückkehrens als 180Grad Kurswende von dem ursprünglich eingeschlagenen Weg des Abstiegs zurück in einen durch und mit Menschen geregelten Alltag, also mit allen dafür nötigen Voraussetzungen des sozialen Zusammenseins. Abbildung 29: Filmstills aus Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 8
Nachdem Gespräch mit ihrem Sohn sucht Madison bei Victor Strand Hilfe angesichts Nicks Verfassung. Strand ist wenig über sein Verhalten und antwortet:
231
Anm.: Eine ähnliche Begebenheit findet auch in The Walking Dead statt: Die allein inmitten einer Zombiegruppe wandelnde Michonne (Danai Gurira) kann sich im Gegensatz zu Nick nicht durch Maskerade, sondern durch Haltung zweier entschärfter Untote frei unter denselben bewegen. Dabei sieht sie einen Zombie, der ihrem äußeren Erscheinungsbild stark ähnelt. Sie scheint sich selbst daraufhin mit Entsetzen in diesem wiederzuspiegeln. Diese Szene offeriert die Frage, ob sie ihre menschliche Identität durch die freiwilligen Entscheidung unter Zombies umherzustreifen, einbüßte. Beantwortet wird dieses Dilemma durch die unmittelbar nach der kurzen, aber offensichtlichen Selbstreflexion stattfindende Handlung ihrerseits, indem sie sich entschließt, alle in ihrem unmittelbaren Umkreis befindlichen Zombies zu töten, womit sie sich selbst schwerfällig ihrer aufoktroyierten Identitätslosigkeit entsagt. Andererseits kann dieses Ereignis dahingehend gelesen werden, dass Michonne die Untoten lediglich aus Furcht töten, sich damit aber gleichsam deren einziger, plumper Handlung des Tötens angleicht. Siehe: The Walking Dead: Staffel 4, Episode 9.
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»Kein Wunder. Er ist hochgradig empfindsam und suchtkrank, konfrontiert mit dem Tod und der ständigen Unsicherheit. Klar, dass er sich was sucht, woran er sich festhalten kann.«232 Dieser Passus umschreibt trefflich die aus der Säkularisierung hervorgerufene Sinn- und Identitätskrise, die hier im Gewand von Nicks elaborierten Story-Arc verarbeitet wird. Wie in Kapitel 4 beschrieben, fühlt sich der Mensch heute offensichtlich wie nie zuvor mit einem Gefühl der Sinnlosigkeit des Daseins konfrontiert, welches aus der Zerstörung des alten Weltbildes durch Technik und Naturwissenschaft auch eine verstärkte Isolation zur Folge hat.233
9.13.5
Identitätskrise und Säkularisierung
Wie der umher trabend delierende Nick isoliert inmitten von identitätslosen Gestalten nun nicht durch die Säkularisierung aber in Analogie zu dieser durch die Zombies einen disäquilibrierenden Moment erfuhr (siehe Kap. 4.7) und die Wirklichkeit erschüttert wurde, so greift in Analogie zu dieser Inszenierung in der Normrealität ein inhaltsloser Formalismus um sich, durch den die Menschen in ihrem Alltag ein Sinnvakuum erfahren. Infolge der Zersplitterung der Wirklichkeit, der Brüchigkeit der Identität und der Unverbindlichkeit und Orientierungslosigkeit der Lebenswelten scheint die soziale Wirklichkeit – wie im The Walking Dead-Universum projiziert – ein moralloser Raum zu sein.234 Als Folge dieses morallosen Raums ergeben sich Lebensentwürfe, die anhand von Nick sichtbar, greifbar und begreifbar gemacht wurden. Zwart betitelt solche Personen als ›biographische Vagabunden‹: »Sie sind in ihrem Leben entwurzelt und haben keine Verbindung mehr mit dem Grund ihrer Existenz.«235 Sowohl Nick als auch die Zombies funktionieren als Sichtbarmachungen dieses inhaltslosen Formalismus sowie des über die Welt hereinbrechenden Chaos. Die Zombies gemahnen dabei an dieses Sinnvakuum. Nick fungiert in diesem Zusammenhang im Zuge seiner bestrebten Normüberschreitung als eine liminale Figur zwischen den Spannungspolen Leben und Tod, Sinn- und Sinnlosigkeit, Identität und Identitätslosigkeit, Identität und Alterität und wortwörtlich neben den Zombies als Konkretisierung und Verbildlichung Zwarts besagter ›biographischer Vagabunden‹. In Anlehnung an Berger/Luckmann ist »die gesunde Einstellung des Einzelnen zu sich selbst als dem Eigner einer definitiven, stabilen und gesellschaftlich anerkannten Identität der Drohung ›surrealistischer‹ Metamorphosen in Träumen
232 233 234 235
Siehe: Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 7. Vgl. Skarics: 2010: S. 73. Vgl. Pennington: 2001, S. 169. Zwart, Cees: Die Kraft der inneren Stimme. Ostfildern, 1996. S. 134.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
und Phantasien ausgesetzt«,236 was sich in besagten traumartigen Szenen widerspiegelt. Der Ausdruck ›Identität‹237 wird dabei als ein historisch wie auch gegenwärtig verbreitetes gesellschaftliches Bemühen verstanden, sich seiner selbst im Sinne einer Orientierung, die auf Sich-Erkennen und Anerkannt-Werden zielt, zu vergewissern.238 »Die Identität ist aufgrund der nicht zu beantwortenden Frage nach dem eigenem Ich kein Zustand, sondern ein Prozess, dessen lebenslaufbezogene Dynamik durch den Reifungs- und Alterungsprozess des Körpers oder auch durch soziale Probleme und Krisen gestaltet wird«:239 »Diese Transformation von körperlicher und psychischer Konsistenz im Verlauf eines Lebens wird ergänzt durch die Zunahme gesellschaftlicher Kontingenz- und Differenzerfahrungen im Prozess der Modernisierung. Insbesondere die Umbrüche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts […] haben dazu beigetragen, dass sich die gesellschaftlichen und kulturellen Verortungen und Einbindungen von Menschen verändert und bislang verbreitete Zugehörigkeiten […] vervielfältigt, teilweise aufgelöst und durch neue z.B. transnationale Beziehungsformen und netzbasierte Selbstverhältnisse ergänzt und erweitert haben […].«240 Der Versuch einer Definition von Identität findet also in einer Dynamik aus den Polen Prozess und Krise auf der einen Seite sowie zwischen der Kohärenz und Kontinuität auf der anderen Seite statt.241 Während in den meisten Ansätzen und theoretischen Überlegungen des 20. Jahrhunderts das Vorhandensein eines Kohärenzgefühls als normatives Element gesetzt und als regulative Idee für das Verstehen der Gestaltung von Subjektbildungsprozessen postuliert wurde, nimmt die neuere soziologische Identitätsforschung an, dass der Mensch durch verschiedene Lebenserfahrungen sowie durch die Konfrontation mit verschiedenen Rollenanforderungen und Lebenswelten, die allesamt verschiedene Selbsterfahrungen bedeuten, sein Selbstbild allem voran durch Inszenierung und Präsentation der eigenen Person aktiv produziert.242
236 Berger, Peter: Luckmann, Thomas.: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt, 1969. S. 107. 237 Anm.: Faktoren für eine Identitätskonstruierung sind Körper, Name, Geschlecht, Alter, Gruppenzugehörigkeit und Lebensgeschichte. Vgl. Pannenberg, Wolfhart: Anthropologie in theologischer Perspektive. Göttingen, 1983. S. 218. 238 Vgl. Liebsch, Katharina: Identität. In: Gugutzer, Robert et.al. (Hg.): Handbuch Körpersoziologie. Band 1: Grundbegriffe und theoretische Perspektiven. Wiesbaden, 2017. S. 38-43. Hier S. 39. 239 Vgl. Ebd. 240 Ebd. 241 Vgl. Ebd. 242 Vgl. Ebd. S. 40.
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Im Lichte einer pluralistischen Welt voller ausufernder Optionen und Möglichkeiten entsteht, so eine Argumentation Hitzlers, ein »Identitätsbasteln«.243 Nicks Identitätskrise zeigt sich einerseits visuell durch sein verändertes, in Todesmanie kosmetisch entstelltes Auftreten, was seiner Mutter im genannten Gespräch auffällt (Madison: Was ist nur los mit dir? Als du neulich von der Insel kamst, warst du ganz besudelt mit, keine Ahnung was das war), sowie andererseits durch die Veränderung körperlicher Ausdrucksformen, wenn er sich unter den Untoten bewegt. Nick repräsentiert die nach Sinnsuche strebende Jugend, die ihren Halt durch die Sinnund Seinskrise der Gegenwart verloren hat und sich in einem Prozess der Kontingenzbewältigung befindet. Seine Emanzipationsbestrebungen skizzieren zugleich die in der Moderne nicht mehr vorhandene stabile Identität nach Eagleton, der beschriebt, dass das Subjekt keine bestimmten Eigenschaften hat und »daß es selbst heute frei ist, das heißt: diffus, dezentriert, provisorisch, und daß es nur unserer metaphysischen Ordnungssucht zuzuschreiben ist, daß diese Sichtweise gestört wird.«244 Nicks ›Menschsein‹ transformiert sich schleichend einerseits zu einer diffusdezentrierten Entität, gleich einer seelischen Entfremdung seiner Persönlichkeit hin zum Untoten (obgleich einer physischen Wandlung entbehrt), welche sich willentlich anderer Mitmenschen entsagt und sich bewusst für ein solitäres und desolates Dasein in Isolation zwischen Untoten entscheidet (worauf bereits seine präapokalyptische Existenz als Drogenkonsument rekurrierte). Andererseits kann diese Transformation präziser als leichen- und zombieartig gefasst werden, da er sich – wie Victor Strand akzentuiert – ständig mit dem Tod konfrontiert sieht und in Verarbeitung dessen zum einen durch die Maskerade und zum anderen durch die Imitation des dem Zombie inhärenten Habitus übergeht und sich der wandelnden Untoten-Masse, gleich der Tendenz zum ›leeren Leben‹245 , in der Realität anschließt und freiwillig keiner relationalen Bindungen bedarf. »Unter Hunderttausenden waren noch nie so viele einsam«,246 sagt Wurm, der sich auf die aktuelle Situation in der Wirklichkeit bezieht, und fährt fort: »In einer Welt, in der nahezu alles für machbar erklärt wird, leiden nicht nur große Teile der Jugend unter Orientierungslosigkeit und Sinnverlust. Die Beziehungen zu anderen sind für immer mehr Menschen zu einem Problem geworden, das sie aus eigener Kraft nicht bewältigen.«247 243 Vgl. Hitzler, Ronald; Honer, Anne: Bastelexistenz. Über subjektive Konsequenzen der Individualisierung. In: Beck, Ulrich; Beck-Gernsheim, Elisabeth (Hg.): Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften. Frankfurt a.M., 1994. S. 307-315. 244 Eagleton, Terry: Die Illusionen der Postmoderne. Stuttgart, 1997. S. 57. 245 Skarics: 2010, S. 73. 246 Wurm, Wolfgang: Evolutionäre Kulturwissenschaft. Die Bewältigung gefährlicher Wahrheiten oder über den Zusammenhang von Psyche, Kultur und Erkenntnis. Stuttgart, 1991. S. 11. 247 Ebd.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
9.13.6
Personalität und Identität
Misslich ist dies, weil der Mensch ein Beziehungswesen, also relational strukturiert ist und Nick sich repräsentativ seiner Mitmenschen so lange verwehrt, bis er erst durch die besagte ›Untoten-Vision‹ die Erkenntnis gewinnt, dass er erst wieder Mensch durch die Beziehung zu anderen Menschen und nicht durch die selbst erzwungene Zugehörigkeit zu den Toten sein kann. Dieser relationale Personenbegriff ist askriptiv. Zugleich wird thematisiert (in Analogie zu Hershel in The Walking Dead), ob die Untoten noch als Personen gelten können, da Nick sie im Kontrast zu seiner Mutter deskriptiv beim Namen nennen und sie somit personalisieren möchte. Der Personenbegriff kann also binär sowohl mit den Konstituenten deskriptiv als auch askriptiv angewendet werden. Der deskriptiv-prädikative Personenbegriff wie z.B. nach Boethius (individua substantia rationa(bi)lis naturae248 ) umfasst Prädikatisierungen, die sich aus der Phänomenalität der Erfahrung von Personalität in Differenz zu anderen Entitäten ergeben, wodurch mithin danach gefragt wird, inwiefern sich eine Person von einer Nichtperson unterscheidet, und anhand dessen Charakteristika wie Vernunftbegabtheit, Sprachlichkeit und Sprachfähigkeit (eben deskriptiv) herausgearbeitet werden können. Diese deskriptive Herangehensweise ist allerdings defizitär, da sie Personen ausschließt, die im Alltag zwar als solche erkannt werden, jedoch nicht über eine der genannten Eigenschaften verfügen (z.B. aufgrund pathologischer Aberrationen), weshalb sie nicht in das boethianisch definierte Muster passen.249 Beim Zombie liegt zwar eine individuelle Substanz im Verfallsprozess vor, die jedoch nicht zur Vernunft fähig ist. Die zur Erfahrung der Phänomenalität des Personseins zugehörige unmittelbare Erfahrung von Selbstentschlossenheit und Ichheit als wesentliche Eigenschaft drückt sich im Begriff der Subjektivität aus, den John Locke in seiner modifizierend deskriptiven Personendefinition berücksichtigt und damit den boethianischen Terminus der Substanz ersetzt (intelligent being that has reason and reflection, and can consider itself as itself, the same thinkung thing in different times and places250 ). Ferner wird die Geschichtlichkeit (bis zum gedachten Tod der Person) als wesentlicher Aspekt von Personalität ergänzt, wodurch eine raumzeitliche Einordnung der Identität der Person so lange gewährleistet ist, bis eine eschatische Vollendungsinstanz eingreift.251
248 Vgl. Boethius, Anicius Manlius Serverinus: Contra Eutychen et Nestorium. In: Ders. (Hg.): Die theologischen Traktate, Hg. v.M. Elsässer. Hamburg, 1988. S. 74f. 249 Vgl. Mühling, Markus: Systematische Theologie: Ethik. Göttingen, 2012. S. 236-238. 250 Locke, John: An Essay Concerning Human Understanding. Oart 1. Of Identity and Diversity, II, 27. The Works of John Locke in Nine Volumes. London, 1824. §9. 251 Vgl. Mühling: 2012, S. 240-241.
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Der askriptive Personenbegriff, wie das Paradigma von Alexander von Hales (Eine Person ist eine durch eine die Würde betreffende Proprietät unterschiedene Hypostase252 ), in dessen Tradition Kant und Parfit stehen, beinhaltet Zuschreibungen von bestimmten Prädikaten im Rahmen des kommunikativen Miteinanderseins von Personen, sodass die Erfahrung der Phänomenalität der Personalität durch kooperative und interaktionelle Zusammenhänge erfahren werden.253 Der Personenbegriff geht historisch auf den griechischen Begriff Hypostasis zurück, der im 4. Jahrhundert durch die trinitarischen Auseinandersetzungen durch die Theologie der Kappadozier geschärft wurde254 Wenn das Beziehungsgeflecht des Menschen zu anderen aus besagten Gründen (Komplexität der Moderne) ›dematerialisiert‹ wird, findet er sich ganz allein wie Nick Clark, Rick Grimes am Anfang von The Walking Dead, oder Vincent Price als The Last Man on Earth in völliger Isolation und Menschenleere wieder. Dies ist insofern problematisch, weil sich das Subjekt nach dem askriptiven Personbegriff erst in Kontakt mit Anderen konstituiert, wie es Ratzinger formulierte: »Das Allereigenste – was uns letztlich wirklich allein gehört: das eigene Ich ist zugleich das am allerwenigsten Eigene, denn gerade unser Ich haben wir nicht von uns und nicht für uns.«255 In den geschilderten Szenen wird jedoch nicht nur dargestellt, wie sich eine Person ihren Mitmenschen entsagt, sondern zusätzlich noch ein verstärktes Verlangen, sich dem Tod – sinnbildlich für die Zurschaustellung des gescheiterten Bewältigungsprozesses von Sinn- und Kontingenzfragen einer Welt ohne Rückgrat und Halt – zu nähern und erfolglos zu versuchen, in diesem aufzugehen. Durch Nicks spätere Rückkehr zu seiner Familie wird überdies ersichtlich, dass der Mensch die Auflösung aller Werte und Ordnungen nur relativ kurze Zeit übersteht, so Kritz angesichts der zunehmenden Komplexität und des Chaos des pluralisierten postmodernen gefächerten Lebens.256 Eine Identitätsbildung ohne Mitmenschen, also ohne jegliche kollektive, soziale, kooperative und gruppenbezogene Identität und Kommunikation, ist problematisch. Nick entsagt bewusst seiner Familie, doch »wenn Menschen nicht mehr sinnvoll miteinander vernetzt sind, wird auch das, was den Menschen umgibt, keinen sinnhaften Bezug mehr herstellen können. Vereinzelung, Fragmentierung, Orientierungslosigkeit sind die Folge«,257 252 Hales, Alexander von: Glossa in quattuor libros Sententiarum Petri Lombardi. Buch I. 23,9c. Quaracchi, 1960. S. 226. 253 Vgl. Mühling: 2012, S. 241-243. 254 Vgl. Ebd. S. 245. 255 Ratzinger, Josef: Gott und die Welt. Glauben und Leben in unserer Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Stuttgart, München, 2000. S. 95. 256 Vgl. Kriz, Jürgen: Chaos, Angst und Ordnung. Wie wir unsere Lebenswelt gestalten. Göttingen, 1997. S. 12. 257 Pennington: 2001, S. 168.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
so Pennington. Dies ist prekär, weil die Kriterien für eine gelingende Identitätsbildung soziale Interaktion, Kommunikation, sowie die Ausarbeitung eines handlungsleitenden Bezugsrahmens, kurz: Lebenssinn sind, der sich aus der Interaktion mit anderen ergibt.258 Die Ich-Identität wiederum, welche durch das Zusammenspiel von personaler und sozialer Identität gebildet wird,259 umschreibt das »angesammelte Vertrauen darauf, dass der Einheitlichkeit und Kontinuität, die man in den Augen anderer hat, einer Fähigkeit entspricht, eine innere Einheitlichkeit und Kontinuität […] aufrechtzuerhalten.«260 Sie umfasst eine fragmentarische Zusammenballung verschiedener Elemente, die nach Keupp, welchem der Idealismus seiner Aussage bewusst ist, durch Idee und Hoffnung mit dem Ziel eines souverän geführten Leben zusammengehalten werden. Diese Faktoren funktionieren als »Motor für eine nicht-resignative Verarbeitung der persönlichen Erfahrung einer Identitätsverunmöglichung in einer von Entfremdung gezeichneten Welt.«261 Doch gerade diese Identitätsverunmöglichung wird nicht nur in mustergültiger Ausprägung durch den Zombie-Topos, sondern auch reflexiv anhand genannter Szenen durch Nick thematisiert, welche die besagte von Entfremdung gezeichnete Welt fast schon karikaturhaft skizzieren. Als Paradigma aller relationalen Personenbegriffe kann die systematisch einheitliche Ontologie des Richard von St. Victor gesehen werden, der eine Person als unmittelbares (selbsterschlossenes) Voneinander- und Füreinander-Seins (incommunicabilis ex-sistentia262 ) definierte und somit zugleich einen genuin theologischen Personenbegriff vorlegte, da er univok auf göttliche und geschaffene Personen angewandt werden kann, sodass Gott keine Ausnahme des ontologischen Denkens darstellt.263
258 Vgl. Hohensee, Elisabeth: »Ich habe krass viele Frage wegen dem Sinn des Lebens.« Zur Kommunikation von Sinnfragen unter jugendlichen Kirchenmitgliedern. In: Schröder, Bernd; Hermelink, Jan; Leonhard, Silke (Hg.): Jugendliche und Religion. Analysen zur V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD. Stuttgart, 2017. S. 95. 259 Vgl. Kohler-Spiegel, Helga: Christ- und Christwerden im Kulturwandel. Geschlechterbewusste Perspektiven wahrnehmen. In: Schreijäck, Thomas (Hg.):Christwerden im Kulturwandel. Analysen, Themen und Optionen für Religionspädagogik und Praktische Theologie. Ein Handbuch. Freiburg i.Br., 2011. S. 330-354. Hier S. 337. 260 Erikson, Erik: Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze. Frankfurt a.M., 1977. S. 107. 261 Keupp, Heiner: Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbek, 1999. S. 69. 262 St.Victor, Richard von: De Trinitate Buch 4,18. Paris, 1958. S. 268. Dazu vertiefend: Mühling, Markus: Gott ist Liebe. Studien zum Verständnis der Liebe als Modell des trinitarischen Redens von Gott. Marburg, 2005. S. 162-167. 263 Vgl. Mühling: 2012, S. 243-245.
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Insofern impliziert im Bereich der theologischen Anthropologie264 die Selbsterschließung Gottes, die Erschließung des menschlichen Ursprungs, des Seins und Ziels, seine Bestimmung. Der Mensch kann sich selbst als Person in Entsprechung zum Sein Gottes verstehen. Dazu muss er sich mit seinem Sein aus göttlicher, in geschaffener und zur vollendeten geschaffenen Liebe, als selbsterschlossenes (als reflexive Relation zu sich selbst) Voneinander-und Füreinander-Sein im Prozedieren und Werden erkennen und begreifen. In diesem Sinne ist er als Imago Dei (Vgl. Gen 1,26-28) – ein Beziehungsorganismus von Personen.265 Als solches ist die geschaffene Person in einem mehrfach strukturierten Bedeutungsgefüge anzusiedeln: Erstens durch die Bezogenenheit der geschaffenen Personen untereinander, zweitens durch die präpersonale Umwelt (die Integration im natürlichen Geschehenzusammenhang) und drittens durch die Selbstbeziehung der Person, die sich wiederum in weitere Aspekte (Wille, Vernunft, Affektivität bzw. insbesondere Gefühle) unterscheiden lässt.266 Die Bestimmung der empfangenen Gottesebenbildlichkeit sagt zugleich aus, dass der Mensch als Stellvertreter und Repräsentant Gottes (Lk 6,36) – repraesentatio Dei – im Sinne einer dynamischen, in der Zeit auszuübenden Entschiedenheit in der Welt fungiert, über eine Verantwortung aus der Bezogenheit heraus gegenüber der Welt speziell in Form der Nächstenliebe (Lev 19,18) verfügt und zur capax Dei (Gottesbeziehung) fähig ist.267 Konkretisiert wird die Stellvertreterfunktion also durch die Korrelation von Gottes- und Nächstenliebe, woraus sich im Rückschluss eine Aufforderung zur gelebten Solidarität und Akklimatisierung feindschaftlichen Umgangs (Feindesliebe) ergibt und in Jesus Christus verwirklicht wird.268
264 Anm.: Anthropologie bewegt sich zunächst im Spektrum zwischen den extremen Polen der Ethologie und Ethnologie, der evolutionären Anthropologie und biologischer Anthropologie einerseits sowie der Kultur- und Sozialanthropologie andererseits. Siehe dazu umfassend: Fischer, Joachim: Anthropologie. In: Gugutzer, Robert et.al. (Hg.): Handbuch Körpersoziologie. Band 1: Grundbegriffe und theoretische Perspektiven. Wiesbaden, 2017. S. 157-176. Hier S. 157. Die theologische Anthropologie fokussiert den untrennbaren Zusammenhang von Theologie und Anthropologie in der Dogmatik vor der Christologie, der Trinitätstheologie, Soteriologie, Schöpfungslehre sowie Gnadenlehre und Ekklesiologie. Zur Verortung der Theologischen Anthropologie in der Dogmatik siehe: Dirscherl, Erwin: Grundriss Theologischer Anthropologie. Die Entschiedenheit des Menschen angesichts des Anderen. Regensburg, 2006. S. 17-18. Vertiefend zur theologischen Anthropologie siehe: Moltmann, Jürgen: Mensch. Stuttgart, 2009.; Pröpper, Thomas: Theologische Anthropologie. Erster und zweiter Teilband. Freiburg, 2011.; Pannenberg, Wolfhart: Anthropologie in theologischer Perspektive. Göttingen, 1983. 265 Vgl. Mühling: 2012, S. 250-252. 266 Vgl. Ebd. 267 Vgl. Dirscherl: 2006, S. 114-116. 268 Vgl. Ebd.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
Wird der Mensch aus dieser theologisch anthropologischen Perspektive betrachtet, so wird die Gottesebenbildlichkeit im The Walking Dead-Universum auf zweierlei Weise dekonstruiert. Erstens in Form des Zombies (was dem Monströsen inhärent ist), womit er als profane Blasphemie interpretiert werden kann und zweitens durch das destruktive Verhalten der Menschen untereinander.269 Dieses auf Aggression beruhende Benehmen ist letztlich der Indikator, weshalb sich Nick für ein nomadenhaftes Leben in Isolation weit jenseits antagonistischer Lebensentwürfe entscheidet.270 Nick möchte die genannte Identitätsverunmöglichung (evoziert durch den Tod) nicht wahrhaben, weshalb er bestrebt ist die Untoten zu personalisieren, indem er ihnen Namen (als Identitätsfaktor) ihres früheren Daseins anhaften möchte (Madison: Wie möchtest du, dass ich sie nenne? Nick: Beim Namen). Im Namen allerdings teilt sich die Sprache, die das geistige Wesen des Menschen ausmacht, selbst mit.271 Dass er den Untoten Namen geben möchte, bezeugt umso mehr, entgegen des von ihm anvisierten Bestrebens sich den Toten habituell zu nähern, sein Dasein als Mensch und Person. Auch wenn er sich seiner Personalität durch die habituelle Akkommodation zum Untotsein entledigen möchte, ist dies nicht möglich, da er die Kriterien von Identität, Personalität und Subjektivität erfüllt, während die Toten allein schon aus raumzeitlichen Strukturen fallen. Zugleich behauptet Nick gegenüber seiner Mutter dem Tod entkommen zu sein, indem er sich selbst Immortalität durch den herbeigeführten Effekt der BlutMaskerade zuschreibt (Nick: […] Dass ich da nicht sterben würde, habe ich gespürt. Ich bewege mich unter ihnen, Mom. Ich bin unsichtbar. Ich werde nicht sterben).272 Zusammenfassend spiegelt sich demnach die Sinnkrise der Gegenwart in Form der narrativ konstruierten Identitätskrise Nicks wider. Angesichts des (Post-)modernen Gebildes wird es immer schwieriger eine eigene (abstrakte) Ich-Identität auszubilden, und Menschen (repräsentiert durch Nick) bestimmen angesichts einer fehlenden
269 Anm.: Ein glorreicher Höhepunkt der Feindesliebe wird am Ende der achten Staffel in The Walking Dead präsentiert. Hier verschont Rick nach dem postmortalen Appell seines Sohnes den großen Rivalen Negan. 270 Anm.: Die Entscheidung einer bewussten Isolation aufgrund von Gewaltexzesses unter anderen Überlebenden finden sich im The Walking Dead-Universum immer wieder: So bei Morgan Jones, Carol Peletier und Daryl Dixon. 271 Vgl. Dirscherl: 2006, S. 57. 272 Anm.: Frank Dillane, Darsteller der Figur Nick Clark, äußerte dazu auf folgende Frage: »Nick is almost playful with the undead, as if the fear isn’t really there – is that in part due to the fact he now has a partial delusion that he’s untouchable by the dead?« folgende Antwort: »Yes, yes, yes. Well, I think he is, I think Nick is untouchable, I don’t think he will die. I don’t think it’s a delusion, it’s reality.« Siehe: Bowles, Duncan: Fear The Walking Dead season 2: Frank Dillane interview. Siehe URL: https://www.denofgeek.com/uk/tv/fear-the-walking-dea d/45922/fear-the-walking-dead-season-2-frank-dillane-interview. Aufgerufen am 30.12.2018.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
allgemeingültigen ästhetischen Norm durch »Heterogenisierung und Entstrukturierung der Lebenswelten«273 selbst über die Werte, nach denen sie leben wollen. Dies wird deutlich, wenn sich Nick von den gesetzten Strukturen seiner Familie trennt. Problematisch hierbei ist, dass sich eben daraus eine Sehnsucht nach einer Simplifizierung komplexer Zusammenhänge und Begriffe ergibt. Ersichtlich wird dies, wenn sich Nick der Zombie-Herde anschließt.274 Pennington fasst die Konstitution des Subjektes in der Postmoderne passend zusammen, wobei die figurale Entwicklung Nicks sowie das erratische Lebensgefüge aller Figuren im The Walking Dead-Universum parallel gut während Penningtons Beschreibung mitgedacht werden können: »Das Subjekt der Postmoderne ist zum Jäger geworden, es zieht von Ort zu Ort und zwischen unverbundenen Plätzen hin und her. Es misstraut den klassischen Begriffen von Wahrheit, Vernunft, Identität und Objektivität. Es hat einen Abstand zwischen sich und die Welt geschoben, es ist sozusagen auf Distanz gegangen zu sich selbst und zum Leben. Identität, die vormals etwas Gewachsenes war und geradlinig entlang einer Entwicklungslinie von Lernen, Wissen und Können in eine eigene Biographie hinein mündete, ist zur permanenten Anstrengung geworden, die nicht nachlassen darf. Jede Identität ist in diesem Sinne nur eine vorübergehende, eine vorbehaltliche Identität, die für den entsprechenden GegegenwartsAusschnitt passend und sinnvoll zugeschnitten wird.«275 Dem Bewusstsein bedarf es jedoch an symbolischen Sinnwelten (Religion), die es dem Menschen ermöglichen, zur Wirklichkeit der Alltagswelt zurückzukehren, dem Einzelnen einen sinnvollen Platz zuzuweisen, Orientierungen stiften, Sinn zu generieren und die Wirklichkeit und Richtigkeit der eigenen Identität zu bestätigen.276 Auch Berger/Luckmann schließen auf den Zusammenhang einer symbolischen Sinnwelt, damit die Identität ihre finale Legitimation erhält.277
9.14
Das Kommunions-Ereignis
Entscheidend für Nicks Wahrnehmung der Untoten waren die manipulativen Gespräche mit der Haushälterin Celia Flores (Marlene Forté), die ähnlich wie Hershel in The Walking Dead vor dem Hintergrund des mexikanischen Totenkults davon ausging, dass es sich bei den Untoten um Personen in einem Zwischenstadium hande-
273 274 275 276 277
Kaufmann: 1994, S. 110. Vgl. Pennington: 2001, S. 166. Ebd. S. 167. Vgl. Ebd. S. 168. Vgl. Berger; Luckmann: 1969, S. 107.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
le, weshalb sie diese einpferchte und damit für alle anderen Überlebenden in der Umgebung eine Bedrohung hervorrief. Die naheliegende mexikanische Kirchengemeinde erkennt die von Celia ausgehende Gefahr und möchte präventiv gegen sie mit gewaltsamen Maßnahmen vorgehen. Celia kann dem wütenden Mopp allerdings durch die Vergiftung von Hostien zuvorkommen.278 Im Nichtwissen über den toxischen Zustand der Hostien seitens des Zuschauers sowie der Gläubigen in der Diegese beginnt die sechste Episode der zweiten Staffel Fear The Walking Dead zunächst mit einem Ministrantenchor, der den Titel der gleichnamigen Episode ›Sicut Cervus‹ (»Wie ein Hirsch«) in lateinischer Sprache (ohne Untertitel) singt. Auffällig ist hier die im The Walking Dead-Universum repetitive Hervorbringung des Hirsches als christlich konnotierte Allegorie (siehe Kap. 9.7). So wurde bereits festgestellt, dass nach Psalm 42,2 der Hirsch als Symbol des Taufsakraments fungiert und deshalb bildlich auf Särgen oder Kapellen angebracht wurde um so die Hoffnung auf ein Leben bei Gott nach dem Tod zum Ausdruck zu bringen (Sicut cervus desiderat ad fontes aquarum ita desiderat anima mae ad te Deus). Damit verweist der Titel dieser Episode in zynisch verhüllender Maskerade auf den bevorstehenden Inhalt, welcher die christliche Hirsch-Konnotation ganz im Sinne der antichristlichen Peripetien in blasphemischer Zuspitzung zu entstellen weiß. Die durch den beruhigenden Gesang des Knabenchors evozierte pittoreske Idylle in Frieden, Ruhe und Andacht wird sich als Schein entpuppen. Nach dem beruhigenden Gesang des Chorals tritt der Priester (José Sefami) an den Ambo und beginnt seine Predigt in spanischer Sprache (mit deutschen Untertiteln). Während der Predigt wird in einer Parallelmontage die bevorstehende Eucharistiefeier gezeigt. In gesichtszentrierten Nahaufnahmen erhält die Gemeinde die (vergiftete) Kommunion, während im Hintergrund dezent sakrale Chormusik zu hören ist. Priester: Brüder und Schwestern! Die Zeiten, die wir gerade durchmachen, stellen uns auf eine harte Probe. Sie lassen uns an unserem Glauben zweifeln. Und sie stellen unser Gottvertrauen infrage. Wo ist unser Herr? Gibt er acht auf uns? Sieht er, was passiert? Auch ich habe mir diese Frage gestellt: »Was ist das für ein Gott, der uns so auf die Probe stellt?« Doch dann bin ich in mich gegangen. Und ich habe erkannt, dass die Antwort in der Frage selbst liegt. Der Gott, an den ich glaube, der Gott, wie ich ihn kenne, würde so etwas nicht zulassen. Das ist nicht Gott! Diese Sache, das Böse, das uns widerfahren ist, will das wir uns von ihm abwenden. Wir sollen unseren Glauben verlieren. Es nährt sich von eurem Zweifel. Lasst es nicht gewähren. Schürt diesen Zweifel nicht noch. Entgleitet nicht in die Verdammnis. Wir wehren uns gegen das Böse, indem wir den Kampf aufnehmen. Wir bekämpfen es, indem wir überleben.
278 Siehe: Fear The Walking Dead. Staffel 2, Episode 6.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Mit der hier aufgeführten Lesart kann diese einer Kampfansage ähnliche Predigt, durchaus auch analog zu dem von van Bebber postulierten versachzwänglichten Leben im Zeitalter der Globalisierung, der Klimakatastrophe, der Bedrohung durch Superseuchen und Terrorismus gelesen werden, die dazu beitragen, dass apokalyptische Ängste entwickelt werden (siehe Kap. 4.1).279 Der Priester bezieht sich in seiner Rede auf schwere Zeiten, in welcher die gläubige Gemeinde auf eine Probe und das Gottvertrauen in Frage gestellt wird. Wie geschildert (siehe Kap. 9.9.6) hängen solche negativ schattierten Welterfahrungen durch (Welt-)Krisen zusammen, die dazu beitragen, dass der Gottesglaube erschüttert wird. Zugleich bestätigt die Parallelisierung dieser Predigt, die schließlich vom Drehbuchautor Brian Buckner verfasst wurde, die hier dargebotene These, dass das in die Normrealität eindringende ›Böse‹, konkret manifest im ›Monster‹ bzw. ›Zombie‹ insofern in Analogie zur Modernisierung/Säkularisierung steht. So wurde bereits herausgestellt, dass das Monströse analog zum Einbruch der Modernisierung in die Normwirklichkeit der Menschen eindringt und die Welt der hier gläubigen Filmfiguren erschüttert, so wie die reale Welt durch die Modernisierung erschüttert wurde und eine Destabilisierung des Realitätsbegriffs hervorruft (siehe Kap. 4.8). Die noch nachklingende, hoffnungsvolle Rede des Priesters wird kurz darauf durch den Tod aller Gemeindemitglieder (einschließlich Frauen, Kindern und des Priesters) vor der Kirche durch die Vergiftung der eingenommenen Hostien zerschlagen.280 Vorher versucht Strands Partner Thomas Abigail (Dougray Scott) vor der Kirche die Gemeindemitglieder aufzuhalten und spricht eindringlich mit dem Priester darüber, von dem Eindringen in sein Anwesen abzulassen. Doch plötzlich fangen umstehende Personen an Blut zu weinen und umzukippen, so auch der Priester, der in Abigails Armen durch Vergiftung verstirbt, bevor das Intro der Serie beginnt. Durch das Gespräch zwischen Abigail und dem Priester wird deutlich, dass die Gemeinde, anders als zunächst durch die Predigt suggeriert, den angestrebten Kampf nicht gegen die Untoten, sondern gegen Abigails Haushälterin Celia richten möchte, die zuletzt vom Priester für das Übel in Form der sterbenden Personen verantwortlich gemacht wird. Mit dieser Inszenierung veräußert sich überdies die erste antichristliche Peripetie in Zusammenhang mit den Gläubigen, weil die noch eben hoffnungsvolle Gemeinde tot zu Boden sackt und somit nun doch in den Worten des Priesters in die Verdammnis entgleitet, weil Gott nicht auf die Menschen aufpasst. Der vom Priester gepredigte Gott lässt das grausame Geschehen allem An-
279 Bebber van: 2011, S. 17. 280 Anm.: Die Aktivität der Bekämpfung gegen das Böse wird in der Predigt als passive Aktion (Überleben) beworben, obgleich die Gemeinde nach dem Gottesdienst auf dem Kirchhof nach provisorischen Waffen greift und sich damit nicht im Sinne eines wünschenswerten christlichen Verhaltens benimmt.
9. Theologische Filmanalyse von The Walking Dead
schein nach doch zu. Die zweite antichristliche Peripetie in dieser Episode ist die Eliminierung der nun zombifizierten Gemeinde durch die Hauptfiguren. Durch den Ornat des Pfarrers und die Chorhemden der Mindestraten (die nun allesamt Zombies sind) sowie durch die Verkehrung der Predigt erhält diese Szene einen bitter-blasphemischen Beigeschmack. Denotativ werden hier Zombies in liturgischer Kleidung visualisiert. Konnotativ wird das Versagen der Kirche bzw. des Christentums in brachialer Horror-Manier signalisiert. Auch der Sinn der Eucharistie (siehe Kap. 6.4) wird hier entstellt, da erst durch die Kommunion die Gläubigen sterben und zu Untoten transformiert werden. Es handelt sich bei dem in der Predigt postulierten Bösen also nicht um Zombies, sondern um Celia. Ursache für die aufgebrachte Gemeinde war Celias unorthodoxes Verhalten angesichts ihres festen Glaubens, dass Zombies Personen in einem Zwischenzustand und nicht wirklich tot seien, weshalb sie einen Großteil der Zombies in Abigails Anwesen ›gefangen‹ hält. Celias Motiv für den Mord an der Gemeinde kann nun auf zweierlei Arten interpretiert werden. Erstens möchte sie auf Basis ihres Glaubens verhindern, dass weitere Zombies getötet werden, weshalb die Vergiftung der Hostien eine präventive Maßnahme war, da sie aus ihrer Perspektive die Menschen nicht tötet, sondern in den nächsten Daseinszustand schickt (auch wenn dies jeglicher Logik entbehrt). Zweitens verhindert sie durch die Vergiftung der Mitglieder einen Großangriff auf das Anwesen. Mit diesem Glauben wird Nick in derselben Episode von ihr indoktriniert, weshalb es überhaupt zu seinen Eskapaden, seiner Identitätserschütterung und Untoten-Faszination kommt. Durch die ruchlose Radikalität des geschilderten Szenarios kann das Kommunions-Ereignis zum Abschluss dieser Analyse als Kulmination einer blasphemischen Lesart des The Walking Dead-Universums gelten, wobei solche Inhalte wie geschildert (siehe Kap. 2.3) zum Repertoire des Horrorfilms als Spiegel einer profanisierten, durch Krisen gekennzeichneten Welt gehören.
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10. Ergebnisse der Filmanalyse
Die hier erfolgte Filterung und Analyse sequentiell gebündelter Ereignisse von theologischer Relevanz ergab, dass explizite oder implizite Verweise im The Walking Dead-Universum mit theologischen Inhalten hinreichend vorhanden sind. Als Grand Opera spricht das The Walking Dead-Universum in seinem episch angelegten dramaturgischen Bogen theologisch relevante Themen an. In kodierter Form können diese durch den Zombie und seine narrative Einbettung als Verarbeitung der Folgen der Modernisierung und Säkularisierung dechiffriert werden. Dadurch wurde die hier zugrundeliegende These bestätigt, sodass der filmische Zombie als Allegorie der Säkularisierung gelesen werden kann. Der Zombie ist hier nicht nur ein Instrument, welches es vermag, dogmatische Strukturen zu brechen.1 Er ist auch ein allegorischer Impulsgeber, um die Kirche sinnbildlich für die Säkularisierung zu demontieren. Dies bedeutet, dass damit seitens des Horrors christliche Topoi im Film ihrer theologischen Aussagen beraubt werden. Er dekontextualisiert durch seinen narrativen, ästhetischen bzw. blasphemischen Einsatz auf zynische Weise theologische Konzepte und stimuliert je nach seinem Einsatz Glaubens- und Kirchenkritik. Viele religiöse Verweise wurden nicht ›transfigurativ‹, also ohne explizit biblische Konnotationen umgesetzt,2 oder als unwesentliches décor abgetan, sondern in verschiedenen Handlungseinheiten auf verschiedenen Ebenen offenkundig eingeflochten. Damit wurden sowohl narrativ als auch kinematografisch die inszenierten religiösen Verweise im The Walking Dead-Universum bewusst und durchdacht platziert. Von den Drehbuchautoren in der Narration und von den Set- und Produktiondesignern in der zugrundeliegenden Optik und Ästhetik sowie durch die Mise en Scène des Films. So gelingt es den The Walking Dead-Serien, einen rezeptionsästhetischen Mehrwert im Sinne des Quality Televisions durch die minutiöse, detaillierte Planung des Set-Designs sowie durch die Entdeckung theologisch relevanter Motive und semantischer Räume zu erzeugen. Es erfolgte eine semiotische Dekodierung dieser
1 2
Anm.: Diese Lesart muss von den Filmemachern nicht intendiert sein und ist streng genommen auch nur dezidiert aus theologischer Perspektive dechiffrierbar. Vgl. Valentin: 2005, S. 309.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Verbindungen, welche entweder zwecks gut durchdachter Szenografie mit allegorischem oder symbolischem Charakter eingesetzt oder für eine bewusst generierte antichristlichen Peripetie zwecks dramaturgischer Brisanz und Spannungssteigerung instrumentalisiert wurden. Weiterhin wurde ersichtlich, dass negativ schattierte Effekte, Deutungen und Konterkarierungen in der Serie habhaft werden, wenn sie sich tatsächlich auf die Kirche oder konkrete Gestalten der Kirche beziehen. Entsprechend handelt es sich hier vornehmlich um eine Kirchenkritik und nicht um eine zynische Abrechnung mit dem Christentum. Das Motiv von Zombies in der Kirche repräsentiert diese Kritik trefflich. Letztlich ist die Dekodierung eines zynischen Affronts gegen das Christentum durch gläubige Christen wahrscheinlicher. Dies könnte durch ein allgemeines theologischen Unvermögens im Sinne der Säkularisierung resultieren, sodass beispielsweise die Eucharistie wörtlich verstanden wird (siehe Kap. 6.4). Den antichristlichen Peripetien liegt also eine diametrale Kritik an der Kirche in Horror-Façon zugrunde, die jedoch durch zeitige Lichtblicke der Figuren (z.B. durch Gabriel) gelegentlich positiv durchbrochen wird. Die Detheologisierungen und die antichristlichen Peripetien weisen diegetisch einen provozierenden Charakter auf, welcher die Figuren entmutigen soll und Fassungslosigkeit angesichts eines rigorosen Pessimismus in einer nihilistischen Welt hervorruft. Die religiösen Verweise wurden als Reflex einer säkularen Gesellschaft verstanden, welche es auf filmischer Basis vermögen, säkulare Vorgänge und Inhalte anhand des Narrativs und/oder der visuellen Konzept im Duktus des Horrors zu kodieren. Das Horrorgenre stellt damit eine geeignete Projektionsfläche durch den Katalysator des hereinbrechenden Monströsen dar, damit theologisch relevante Fragen, Motive, Konzepte, Dogmen, Bibelstellen, kirchengeschichtliche Anklänge und Figuren der Kirche vor dem Hintergrund filmischer Erzeugnisse thematisiert werden können. In Bezug auf das Quality Television ist die Thematisierung der individuellen Bezüge zur Religion der einzelnen Filmfiguren eine brillante dramaturgische Quelle. Insbesondere, wenn die Religiosität der Charaktere im Sinne des gritty realism umformuliert wird, wie es beispielsweise bei Gabriel der Fall war. Die theologisch orientierte Filmanalyse mit Fokus auf die Ästhetik der Serien, der Narrationen und Dramaturgie sowie den Diskursen ergab, dass das The Walking Dead-Universum Dogmen ihres theologischen Gehalts beraubt, Bibelverse aus ihrem theologischen Sinnzusammenhang dekontextualisiert und christliche Embleme in einem völlig anderen (bisweilen fiktionalen) horrorspezifischen Kontext dargestellt werden. Signalisiert wird dies durch die gesetzte Grundstimmung der Geschichte, den Figuren und der Mise-en-scéne sowie durch die filmische Semiotik, die Syntax (Montage, Ton), die Flexion (Kameraperspektive, Kamerabewegung) und die hier formulierten antichristlichen Peripetien. Somit werden christliche Elemente bewusst für die Zombie-Handlung ins Defätistische des Horror-Kosmos übertragen. Innerhalb der einzelnen hier analysierten Szenen verstecken sich auch zynische Bemerkungen über christlichen Glauben, wie im Hirsch- und Scheunenereignis, in de-
10. Ergebnisse der Filmanalyse
nen eschatologische Vorstellungen torpediert und christliche Elemente verfremdet oder karikiert wurden. Damit bestätigt sich der aufgezeigte Schlagabtausch zwischen dem denotativen Horror im filmischen Bereich und der sinngebenden Theologie, wobei der Zombie letztlich nicht nur in Anlehnung an Walter Benjamins gory allegory fungiert, sondern auch als repräsentative Allegorie der vorsätzlichen Dekontexualisierung theologischer Konstruktionen eingeordnet werden kann. Durch die Filmanalyse konnte damit die eingangs beschriebene These dieser Arbeit bestätigt werden, dass das zunehmende Verschwinden der christlichen Glaubenspraxis aus dem Alltag der Menschen durch die Modernisierung und Säkularisierung in Form des Zombies als Zeichen der Zeit verarbeitet wird. Ebenso wurde ersichtlich, dass der Zombie die Charakteristika der Säkularisierungsfolgen (siehe Kap. 1.1) in sich vereinend visuell und narrativ repräsentiert. Der Zombie kann also auch theologisch als ein kulturgeborenes Phänomen und als eine Allegorie für den Zustand der westlich säkularen Gesellschaft verstanden werden.
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11. Fazit
Der semantisch inszenierte und provokante Auftritt von Untoten in den Kirchen des The Walking Dead-Universums war Anlass dieser Arbeit, den Zombie als theologisch relevante Allegorie zu dechiffrieren. Dabei wurde anhand der postapokalyptischen Welt der symbolische Einlass als filmische Verarbeitung der Kirchenkrise im Gewand der Phantastik mit ihrem reflexiven Potential gedeutet, denn das Monster als Kulturprodukt spiegelt wie das Medium Film die Kultur wider, die es erschaffen hat. Das Medium Film selbst hat dabei die Funktion, mittels seiner erzählerischen Möglichkeiten und Mechanismen gemäß Hausmanninger als Spiegel kultureller, gesellschaftlicher und zeitspezifischer Konstellationen zu fungieren. Ausgehend von der Forschungsfrage, inwiefern der Zombie-Topos als Allegorie der Säkularisierung gelesen werden kann, wurde in einer kulturgeschichtlichen Ausführung herausgestellt, dass es sich beim Zombie um ein arbiträr kulturpluralistisches Konglomerat handelt, dem die Ambivalenz zwischen Leben und Tod inhärent ist. Im Anschluss wurde die Säkularisierung beschrieben und mit den Motiven des Horrors, speziell des Monströsen (in Form des Zombies), analogisiert. Dabei stellte sich heraus, dass der Horror in Analogie zur Säkularisierung ein kongruentes Muster aufweist. Etwas dringt von außen in den Alltag der Menschen und stört oder verunsichert das Lebensgefüge, sodass Kontingenzfragen hervorgerufen werden (siehe Kap. 4.8). Cowan betonte hinsichtlich des Auftauchens von Zombies in der Kirche die dringende Untersuchung der hinter solch makabren Inszenierungen stehenden religions- oder kirchenkritischen Aussagen (siehe Kap. 1.1), die von den Filmemachern intendiert wurden. Solche Motive mögen aus einer provokativen oder rebellischen Absicht seitens der Filmemacher herrühren;1 und gängige Horror-Stereotypisierungen werden zwecks Schauerästhetik, Angsterzeugung, Unterhaltung und damit verbundenen wirtschaftlichen Gewinn bedient. Die Heimsuchung sakraler Räume und kirchlichen Personals durch Monster oder andere schaurige Kreaturen und Wesen gehört außerhalb des Volksglaubens spätestens seit den Gothic Novels zum festen Repertoire von Schauergeschichten und hat
1
Anm.: Religions- und Kirchenkritik muss aber keineswegs zwangsläufig seitens der Filmschaffenden intendiert sein.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
sich heute als beliebter Bestandteil von Horrorerzählungen in Spielfilm- und (Qualitäts-)Serie fortgesetzt (siehe Kap. 4.6). Der Film kann überdies auch als Katalysator gesehen werden, um die eigene Meinung des Drehbuchautors, Regisseurs oder Showrunners über die Kirche und den Glauben durch das Medium als kodiertes Sprachrohr darzulegen und damit Kirchenkritik zu üben. Über solche Inszenierungen (siehe Kap. 9) werden weiterhin auch Impulse dargeboten, die zum Nachdenken anregen könnten. Existentielle Themen werden angesprochen und filmisch durch die Figuren in der Diegese verarbeitet. Die hier erfolgte Analyse möchte eine Antwort auf Cowan sein (siehe Kap. 1.1), dass der Zombie-Topos instrumentalisiert wird, um die Folgen der Säkularisierung kodiert und subtil in den Narrativen des Horrorfilms oder des The Walking Dead-Universums als spiegelbildliche Resonanz der Bewusstseinskrise der westlichen Welt durch die Modernisierung zu verarbeiten. Als monströse Inkarnation des hereinbrechenden extramundanen Chaos (Modernisierung) bricht der Zombie in den heiligen Raum (Hierophanie) oder den gewöhnlichen Alltag des Menschen ein, ruft einen disäquilibrierenden Moment hervor und bringt die Normrealität ins Wanken (Modernisierung). Auf Basis seiner inhärenten Charakteristik provoziert er dann – gleich dem Wegfall des Glaubens durch die Säkularisierung – ontologisch relevante Themen sowie existentielle Krisen. Durch den Einlass des Zombies in (christliche) Sakralräume wird diese Lesart passend visualisiert. Hinsichtlich der Stimulation dieser Krisen durch den Zombie als ›lingua monstra of media‹2 , also als Allegorie für gesellschaftliche Probleme, sollte zwischen der Repräsentation seiner inhärenten Charakteristik per se (z.B. Verfaulen und vermeintlicher Kannibalismus) und seinem dramaturgischen Einsatz im Film unterschieden werden. Um die Korrelation zwischen den Folgen bzw. Krisen der Modernisierung und Säkularisierung und dem ZombieNarrativ zu überprüfen, wurde methodologisch die Filmanalyse des The Walking Dead-Universums herangezogen. Dafür wurde im Vorfeld ein Korpus konstruiert, der die wesentlichen Folgen der Modernisierung und Säkularisierung einschloss und dessen einzelne Gesichtspunkte (Kirchenkrise, Sinnkrise, Körperkrise, Glaubenskrise und Identitätskrise) zum einen im Verlauf dieser Arbeit und zum anderen durch die Filmanalyse des The Walking Dead-Universums dargestellt, überprüft und systematisch vor dem Hintergrund des Zombie-Topos exemplifiziert wurden. Im Rahmen der vorangegangenen theologisch-kulturgeschichtlichen Analyse stellte sich heraus, dass christliche Elemente oder Sakralräume ohne ihren theologischen Zusammenhang für das Horrorgenre extrahiert werden, womit automatisch der theologische Charakter nicht erfasst wird. Im The Walking Dead-Universum hat sich dieses System fortgesetzt. Damit beantwortet sich auch die Frage, wie es dazu kommt, dass die Kirche in diesen filmisch-seriellen Narrationen kritisiert und 2
Vgl. Inglebretsen, Edward J.: At Stake: Monsters and the Rhetoric of Fear in Public Culture. Chicago, 2001. S. 2.
11. Fazit
theologisch desavouiert wird: Die weltliche Profanisierung, angeregt durch Modernisierung und Säkularisierung, veräußert sich zynisch in der Allegorie des Zombies. Er ist nicht nur eine Darstellung für das Bewusstsein des Todes und eine modifizierte Version des Memento mori, sondern auch ein Instrument zur Sichtbarmachung für die Profanisierung und Pervertierung von (christozentrischen) Todesvorstellungen. Der Einsatz des Zombies im Film vermag also theologische Strukturen, Dogmen und Vorstellungen zu brechen. So etwa das Konzept der Auferstehung (Siehe Kap. 5.2), der Eucharistie (siehe Kap. 6.4), der biblischen Apokalyptik (Siehe Kap. 9.4) und der theologischen Anthropologie (siehe Kap. 9.13.6). Signifikant ist dieses Ergebnis, da sowohl der Horror als auch die Theologie Todes- und Jenseitsvorstellungen thematisieren und für sich spezifisch beantworten. Dies wurde besonders anhand des jeweiligen Blicks auf die Kreuzigungsdarstellung oder der Physikotheologie der Frühaufklärung (theologische Interpretation von Anatomie und Vivisektion) deutlich (siehe Kap. 5.4.3.3). Die Frage nach der Sinnkrise (Kap. 5) erwies sich als grundlegend, weil der Unterhaltungs-Horror nach Kendrick und Cowan als Expression der durch die Moderne herbeigeführten Angst vor dem Tod fungiert. Im Bereich des Horrorfilms oder der postapokalyptischen Serie vermag der Zombie die Repression des Todes im Sinne der ›Wiederkehr des Unterdrückten‹ in der westlichen Gesellschaft zu destabilisieren und den Menschen als modifizierter Topos alter Memento mori-Motive an seine verdrängte Sterblichkeit zu erinnern (siehe Kap. 5.4.2). Es finden also pessimistische Vorstellungen über eine Aufhebung der Endlichkeit seitens der säkularen Gesellschaft statt, welche sich entsprechend gemäß Cohen in monströse Zeichen veräußern. Der Zombie hält dem Zuschauer durch den relativierenden Katalysator des Phantastischen im Horrorfilm jenes paradoxe und in sich widerstrebende Wunschkonstrukt – zwischen der Tabuisierung des Todes und einer körperlichen Selbstsakralisierung – die Realität des Todes in erschreckend kühner und doch treffsicherer, allegorischer Weise vor Augen (siehe Kap. 5.4.2). Heute ist der Tod in seiner allegorischen Darstellung also kein Skelett oder Sensenmann mehr. Sollten im Barock die Dichtungen des Memento mori den Gläubigen daran erinnern, im Diesseits in Übereinstimmung mit dem Glauben zu leben, damit im Jenseits eine Chance auf Auferstehung bestand, zeigt der Zombie dem Menschen heute, dass der tabuisierte Tod etwas Beunruhigendes ist. Diese Folge ist in der westlichen Gesellschaft erst durch das Schwinden religiöser Deutungsmuster als Folge von Säkularisierung und Profanisierung, möglich. Damit fungiert der Zombie-Topos als Kontrapunkt der Botschaft von der Auferweckung Jesu und der damit verbundenen christlichen Hoffnung auf die Auferweckung aller Gläubigen zum ewigen Heil und zu einer unendlichen Zukunft in Gott. Er signalisiert damit als Allegorie der Säkularisierung, wie der Tod heute von Teilen der Gesellschaft durch den Glaubensverlust verstanden wird: Als etwas Hässliches, Ungewisses, Morbides, Beängstigendes und Grausames ohne Heilsverspre-
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
chen, weshalb er verdrängt oder kaschiert wird. Folglich ist er auch ein profanes Zeichen und Kulturprodukt hinsichtlich der Wahrnehmung von Sterblichkeit. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund relevant, dass die Fernsehkultur als »Psychogramm gesellschaftlicher Befindlichkeiten«3 verstanden wird und der Zombie als Topos demnach für zeitgenössische Sehnsüchte, Ängste und Sorgen stehen könnte (GS 1, auch LG 1) oder die Befindlichkeit einer Gesellschaft reflektiert.4 Die Analyse des The Walking Dead-Universums hat einzelne Facetten der Säkularisierung mit dem Narrativ des The Walking Dead-Universums analogisiert. Es konnte unterstrichen werden, dass die Theologie durch die Filmanalyse etwas über die zeitgenössische Wahrnehmung des Todes einer säkularen Gesellschaft erfahren kann. Diese Einstellung der Gesellschaft, die solcher Endzeitnarrationen bedarf, spiegelt, wie eingangs erwähnt, die gesellschaftliche Stimmung eines endzeitlich angehauchten Bewusstseins wider, das aus der Post 9/11-Ära, sowie aus der Furcht vor Atomund Weltkriegen in der Welt resultiert. Überdies repräsentiert der Zombie auch die Körperkrise (Kap. 5.4.3), weil er als abjekte Figur den Menschen den Verlust der angestrebten Körperideale sowie die Verdrängung des Alterns, des körperlichen Verfalls und des Sterbens vor Augen hält. Im Zuge der Filmanalyse zeigte sich, dass durch den Einsatz von Zombies im Film, gleich der Säkularisierung, auch die Aspekte der Glaubenskrise (Kap. 9.9), besonders die Theodizee und die Identitätskrise (Kap. 9.13) thematisiert werden, indem der Zombie Glaube und Identität genauso zu erschüttern weiß und ohne jeglichen Ansatz einer Lösung dessen theologische Antworten auf diese Fragen dekonstruiert. Insofern wird durch den filmischen Einsatz des Zombies zugleich eine systematische Demontage christlicher Vorstellungen vollzogen. Der Zombie vereint deshalb semiotisch die aus der Modernisierung resultierenden Krisen in sich und fungiert im Horrorfilm bzw. konkret im The Walking Dead-Universum gelegentlich bewusst inszeniert als ein für die Medien geeignetes Dekonstruktionselement christlichen Glaubens jenseits von blutrauschenden Eskapaden und EkelSensationalismus. Auch wenn dies nicht das primäre Anliegen George A. Romeros, Robert Kirkmans, der Showrunner, Filmemacher oder der erzählten Geschichte ist und die allegorische Verarbeitung der Folgen der Säkularisierung freilich nicht im Zentrum der Handlung steht, so werden dennoch immer wieder – allein durch Father Gabriels Anwesenheit ab Staffel 5 – die Themen Glaube, Gott und Kirche aufgegriffen und je nach Staffel, Episode oder einem episodenübergreifenden narrativen Überbau verschieden gewichtet oder dramaturgisch behandelt. Demnach ist der Zombie – so die hier dargebotene Lesart – ein im Zuge der Modernisierung und Säkularisierung sowie der damit zusammenhängenden Kirchenverdros3 4
Körber, Joachim: 2014, S. 128. Vgl. LG1. In: DH: 1999. S. 1173. Vgl. auch GS 1. Ebd. S. 1269. Ebenso: Rahner; Vorgrimler: 1989. LG 1, S. 123 und GS 1, S. 449.
11. Fazit
senheit generiertes Objekt. Die Filmemacher können diese Allegorie entsprechend instrumentalisieren, um die Kirche gemäß des Horrors im audiovisuellen Bereich (wie in den zahlreichen Beispielen am Anfang dieser Arbeit ausgeführt) systematisch mit einem gewissen Zynismus zu diffamieren. Ob diese filmische Auseinandersetzung und Instrumentalisierung des Zombie-Topos als Allegorie der Säkularisierung mit existentiellen Fragen und etwaigen Krisen aus der Modernisierung bewusst von den Schöpfern dieser Horror-Formate intendiert ist, bleibt fraglich. Wobei gelegentlich zynische Bemerkungen, wie beispielsweise die Aufschrift auf dem kirchlichen Torbogen »He who eats my flesh and drinks my blood has eternal life« während Zombies die Kirche erstürmen (siehe Kap. 2.2), offensichtlich sind und auch von Seth Gilliam, der am Filmset anwesend war, bestätigt wurden. Vielmehr handelt es sich um narrative und ästhetische Stimuli sowie religionsinversive Momente, welche mit der hier dargelegten Lesart erst theologische Reflexionsimpulse offerieren. Insofern bleibt der Zombie zwar eine Allegorie, die aber nicht per se bewusst gegen das Christentum agiert, sondern vielmehr als Instrument der Kirchenkritik fungieren könnte. Diese Form der Kritik an der Kirche oder deren Vertreter wird besonders ersichtlich, wenn der Zombie filmisch in Kirchen platziert wird. Kinobilder sind »Ausdruck von Gegenwartserfahrungen«5 und Zombies in einer Kirche sprechen für die Säkularisierung. Aus der hier dargelegten theologischen Lesart wurde eingangs mit dem Bild der Untoten in der Kirche ein Affront gegen dieselbe ersichtlich, obgleich auch diese Kirchenkritik seitens der Filmemacher weder geplant, noch nachweisbar ist. Freilich sind religiöse Motive für die Kritik freigegeben und christliche Dogmen sind nicht sakrosankt. Durch seinen reflexiven Charakter soll der Film sich mit christlichen Vorstellungen und existentiellen Fragen des Lebens auseinandersetzen und auch Religionskritik thematisieren. Hinzu kommt die Deutungsoffenheit eines Kunstwerks. Ihre Legitimation erhält die hier dechiffrierte Religionskritik sowohl anhand der Codierung mit dem Zombie-Topos, als auch im Narrativ des The Walking Dead-Universums, beispielsweise durch die Kunsttheorie Ecos, welcher formulierte, dass die Offenheit eines Kunstwerks für verschiedene Deutungen notwendig sei: »Wo die Situation des Betrachters als für die (Be-)Deutung des Kunstwerks konstitutiv verstanden wird, muss auf gewohnte Überrumpelungstaktiken verzichtet und der Betrachter als ein in seiner jeweiligen Perspektive vom Autor nicht antizipierbarer Partner ernst genommen werden.«6 Insofern wurden hier durch ein theologisches Wahrnehmungsraster Auswahlkriterien für bestimmte, im Werk verwendete (biblische oder religiöse) Codes bzw. 5 6
Hermann: 2013. Eco, Umbert: Das offene Kunstwerk. Frankfurt a.M., 1993.
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Cues aufgegriffen.7 Dann vermag der Zombie auf filminterner Ebene als Allegorie der Säkularisierung die Repression des Todes zu destabilisieren, die Vergänglichkeit und den Alterungsprozess des Körpers im Sinne der filmisch-genrespezifischen Subkategorie des Körperhorrors krude und auf vorsätzlich erschreckende Weise hervorzubringen, sowie Identitätserschütterungen und Glaubenskrisen in der Diegese hervorzurufen, zu bearbeiten und allegorisch im filmischen Kontext (hier durch den Horror) zu behandeln. Damit wurde in dieser Analyse ein weiteres narrativ-fiktionales symbolisches Element für den theologischen Diskurs nachgewiesen und eine Antwort auf die eingangs genannte Aussage Cowans hinsichtlich des Horrors im Kirchenraum entwickelt: »If we take seriously the claim that feature films are among the world’s most carefully plotted and minutely planned cultural products, then we must acknowledge that the choice for a church in both instances was deliberate, that it has meaning both within the context of the films and for the audiences outside the frame. And, if that’s the case, then we are forced to ask what the message is.«8 Das The Walking Dead-Universum bietet eine Kaskade an weiteren theologischen Anknüpfungspunkten und Reflexionsmöglichkeiten, die hier aufgrund des Fokus auf die Folgen der Säkularisierung ausgespart werden mussten. Eine umfangreiche Untersuchung der Darstellung des Leib-Seele-Problems aus theologischer Perspektive, eine komplexe Vertiefung der theologischen Anthropologie anhand des Zombies und des The Walking Dead-Universums sowie die Bereiche Sünde und Vergebung sind nur einige der noch zu untersuchenden Themenfelder. Da die Verarbeitung der Themenkomplexe Tod, Sterben und Jenseitsvorstellungen eine hegemoniale Stellung einnimmt und im Sinne eines gesellschaftlichen Spiegelbildes aus theologischer Perspektive bedenkenswürdig scheint, wäre auch eine interdisziplinäre rezeptionsästhetische Untersuchung in Kombination mit theologischen und filmwissenschaftlichen Perspektiven und Ansätzen wünschenswert. Im Bereich der Theologie müsste das The Walking Dead-Universum gemäß des Gehalts aktiver oder passiver Kritik an religiösen Themen komplett kritisch reflektiert werden, weil die Theologie, so Kirsner zur Filmanalyse, auch eine Wahrnehmungswissenschaft ist, die in einem (dynamischen) Glauben an Gott und in ständiger Korrespondenz zwischen Wirklichkeit und Wahrheit verstanden wird.9 Darüber hinaus bleibt es fraglich, ob der christliche Zuschauer automatisch das Spektrum an abstrakten theologischen Dogmen oder Bibelstellen (bzw. exegetischen Wissens) für eine etwaige Kompensation des Gesehenen aktivieren kann, 7 8 9
Vgl. Ebd. Cowan: 2008, S. 95. Vgl. Kirsner, Inge: 2014, S. 6.
11. Fazit
bzw. ob diese überhaupt vorhanden sind. Auch dies könnte in einer rezeptionsästhetisch orientierten Untersuchung erfolgen. Dabei könnte weiter untersucht werden, ob der Zuschauer es vermag, von sich aus das denotativ Gesehene in einen theologischen Sinnzusammenhang zu stellen. Nichtchristliche Zuschauer würden diese meist kurzen Anspielungen in der Serie wohl kaum tangieren oder sie würden sie nur im Zuge der Unterhaltung zur Kenntnis nehmen. Diese Vermutungen gilt es weiter nachzuprüfen. Natürlich steht bei dem Konsum eines Horrorfilms wie bei den öffentlichen Sektionen in der frühen Neuzeit ein kontrolliertes Spiel mit Lust an der Angst im Vordergrund. Ferner ist es fraglich, ob der Zuschauer die semiotische Dimension des Films (und damit auch die etwaige Kritik an Religion) intuitiv (mit ihrem religiösen bzw. theologisch implementierten Gehalt) entschlüsseln kann.10 Die Theorie über die Kompensation des Horrorfilms seitens christlicher Zuschauer, auch seitens aller Rezipienten ist nicht erforscht und wäre ein geeigneter Ankerpunkt für weitere theologische Arbeiten. Hierfür vorzuziehen wäre ebenfalls zwecks analytischer Methoden eine Kombination mit dem filmwissenschaftlichen Diskurs (siehe Kap. 1.2). Weiterhin ist am Zombie bemerkenswert, dass er aus dem Voodoo-Kult Haitis, also einer anderen synkretistischen Religion stammt, die nicht beabsichtigt, das Christentum zu torpedieren, sondern vielmehr als sozialmythische Chiffre mit dem Zombie unter anderem soziokulturelle Problematiken des damaligen Haiti bis in die Gegenwart hinein anspricht. Erst nachdem der Zombie von der amerikanischen Filmindustrie losgelöst und von George A. Romero als klassisches Filmmonster modifiziert wurde, konnte der nun phantastische Topos alter Wiedergängermythen die christliche Vorstellung vom Leben nach dem Tode unter dem Deckmantel der Phantastik konterkarieren und damit theologische Bestandteile durch seine Platzierung in den HorrorNarrationen dekonstruieren. So handelt es sich um eine katalytische Extraktion eines religiösen Topos seitens der amerikanischen Filmindustrie, die erst in ihrer phantastischen Form und Modifizierung eine Denunzierung christlichen Glaubens hervorruft. Diesbezüglich wäre beispielsweise eine religionswissenschaftliche Vertiefung wünschenswert. Darüber hinaus sollte sich die Theologie im Allgemeinen der Reflexion des Quality Televisions mit dem spezifischen gritty realism widmen und 10
Anm.: Die Rezeption eines Films ist reflexiv und der Zuschauer weiß um die Fiktion. »Die Reflexivität erlaubt dem Menschen, medial inszenierte Themen zu seinen eigenen individuellen Einstellungen und moralischen Haltungen in Beziehung setzten zu können«, beschreibt Bohrmann im ersten Band des Handbuchs für Theologie und populären Film, ohne diesen Aspekt konkret auf die Subsumtion des Gezeigten mit der religiösen Gedankenwelt der Zuschauer in Beziehung zu setzen. Allgemein beschreibt Bohrmann, dass der Rezipient stets in der Lage ist, »sich gleichsam reflexiv zu verhalten, gesehene Inhalte bzw. erfahrene Gefühle zu problematisieren und sich von Themen und Medienerlebnissen – wenn nötig – zu distanzieren.« In: Bohrmann et.al.: 2007. S. 38-39.
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dessen facettenreiche, auch theologisch relevante Themen und Motive systematisch reflektieren. Besonders interessant wäre es im Hinblick auf das Qualitiy Television, die vielen ambivalenten Priesterfiguren in diesen (phantastischen) TV-Formaten zu untersuchen und auch diese allegorisch zu entschlüsseln. Ferner wäre auch eine Untersuchung des Zombies in Verbindung mit der Säkularisierung im Sinne von Kap. 4.8 in einem religionspädagogischen Kontext wünschenswert, da die Kirche nicht mehr ausschließlich der Ort ist, an dem religiöse Sinnangebote dargelegt werden, sondern zunehmend das Kino, das Fernsehen oder das Internet. Jugendliche und damit junge Schüler sind Rezipienten und Fans von Zombies, und nicht wenige Zombie-Narrationen richten sich an dieses Klientel. Nach Kirsner und Wermke stellt sich aus dem Bildungsauftrag der Schule die Aufgabe, den Jugendlichen Orientierungs- und Handlungswissen bereitzustellen, das sie in die Lage versetzt, in religiösen Fragen wahrnehmungs- und urteilssicherer zu werden. Damit ist Religion im Kino auch Thema des Religionsunterrichts. Der Zombie, als hier dargestellte Allegorie, könnte demnach auch im Schulunterricht als Aufhänger für das Thema der Säkularisierung und anderer Themen eingesetzt und allem voran theologisch reflektiert werden.11 Ein erster wünschenswerter Schritt in diese Richtung wäre es, sowohl die verschiedenen Inkarnationen des Monströsen als auch den Horrorfilm- oder die Horrorserie generell als seriöses Genre für theologische Reflexionen zu verstehen. Das Horrorgenre, oder auch das The Walking Dead-Universum im Speziellen, bietet die Möglichkeit, vor dem Hintergrund der Bedeutung kultureller Sinnmuster und Kulturerzeugnisse innerhalb der eigenen Fachdisziplin die facettenreichen theologischen und philosophischen Implikationen analytisch zu evaluieren. Die hier offerierte Darstellung der phantastischen Figuration des Zombies als Allegorie der Säkularisierung sollte damit ein Impuls für zukünftige Auseinandersetzungen und Arbeiten in diesem oder ähnlichem Gefilde sein; denn die Folgen der Modernisierung und Säkularisierung lassen sich im Horrorfilm auf mannigfaltig monströse und phantastische Weise in kinematografische Sphären projizieren.
11
Anm.: The Walking Dead wurde bereits pädagogisch mit dem Fokus Freiheit und Menschlichkeit für den katholischen Religionsunterricht untersucht. Siehe dazu: Wronka, Andreas: Sehschule. In: Michalke-Leicht, Wolfgang; Sajak, Clauß Peter (Hg.): RelliS. Zeitschrift für den katholischen Religionsunterricht S I/S II. Heft 1/2014: Freiheit. Paderborn, 2014. Eine Implementierung der Telltale-Videospielreihe in den norwegischen Ethikunterricht offeriert Tobias Straaby in Paida, einer Zeitschrift für Computerspielforschung. Siehe: Straaby, Tobias: The Walking Dead in der Schule – Moralphilosophie nach der Apokalypse. In: Paida. Zeitschrift für Computerspielforschung. 21.12.2015. URL: https://www.paidia.de/the-walking-dead-in-de r-schule-moralphilo sophie-nach-der-apokalypse/. Aufgerufen am 04.06.2019.
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12.4
Filmographie
28 Days Later. R.: Danny Boyle. England 2002. 28 Weeks Later. R.: Juan Carlos Fresnadillo. Großbritannien, Spanien 2007. American Gods. Produktion: Bryan Fuller. USA, seit 2017. American Horror Story – Horror House. (Staffel 1). Produktion: Diverse. USA, seit 2011. Andy Warhol’s Frankenstein. R.: Paul Morrissey, Italien, Frankreich, 1973. Battlestar Galactica. Produktion: Ronald D. Moore. USA, Kanada, 2004-2009. Beyond Re-Animator. R.: Brian Yuzna. USA, Spanien 2003. Blood Feast. R.: Hershell Gordon Lewis. USA, 1963. Braindead. R.: Peter Jackson. Neuseeland, 1992. Cold Stage. R.: Greg Nicotero, USA, 2012. Color Me Blood Red. R.: Hershell Gordon Lewis. USA, 1965. Dark Was The Night. R.: Jack Heller. USA, 2004. Das Geisterschiff der schwimmenden Leichen. R.: Amando de Ossorio. Spanien, 1974. Das Blutgericht der reitenden Leichen. R.: Amando de Ossorio. Spanien, 1975. Das Leichenhaus der lebenden Toten. R.: Jorge Grau. Italien, Spanien. 1974. Dawn of the Dead. R.: George A. Romero USA, 1977. Day of the Dead. R.: George A. Romero USA, 1985. Der Golem, wie er in die Welt kam. R.: Paul Wegener. USA, 1920. Der Omega-Mann. R.: Boris Sagal. USA, 1971. Die Mumie. R.: Karl Freund. USA, 1932. Die Nacht der reitenden Leichen. R.: Amando de Ossorio. Spanien, 1971. Die Rückkehr der reitenden Leichen. R.: Amando de Ossorio. Spanien, 1973. Die Rückkehr der Zombies. R.: Andrea Bianchi. Italien, 1980. Die Heilige Hure. R.: Dominique Othenin-Girard. Deutschland, 1998. Dracula. R.: Tod Browning. USA, 1931. Ein Zombie hing am Glockenseil. R.: Lucio Fulci. Italien, 1980. Fear The Walking Dead. Produktion: Dave Erickson; Robert Kirkman, seit 2015. Fist of Jesus. R.: Adrián Cardona; David Muñoz. Spanien, 2012. Flesh Eaters. R.: Jack Curtis. USA, 1964. Flight 462. R.: Michael McDonough. USA, 2015-2016. Fluch der Karibik. R.: Gore Verbinski. USA, 2003. Frankenstein. R.: James Searle Dawley, USA, 1910. Frankenstein. R.: James Whale, USA, 1931. Friedhof der Kuscheltiere. R.: Kevin Kölsch; Dennis Widmyer. USA, 2019. Ghost Whisperer – Stimmen aus dem Jenseits. Produktion: John Gray; Jennifer Love Hewitt. USA, 2005-2010. Glitch. Produktion: Tony Ayres. Australien, seit 2015.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Hellboy – Call of Darkness. R.: Neil Marshall. USA, 2019. I am Legend. R.: Fracis Lawrence. USA, 2008. I Walked with a Zombie. R.: Jacques Tourneur. USA, 1943. Maze Runner – Die Auserwählten in der Brandwüste. R.: Wes Ball. USA, 2015. Medium – Nichts bleibt verborgen. Produktion: Diverse. USA, 2004-2011. Mondo Cannibale. R.: Umberto Lenzi. Italien, 1972. Mondo Cannibale 2. R.: Ruggero Deodato, Italien, 1977. Mortal Engines: Krieg der Städte. R.: Christian Rivers. Neuseeland, USA, 2018. Nackt unter Kannibalen. R.: Joe D’Amato. Italien, 1977. Nächte des Grauens. R.: John Gilling. Großbritannien, 1966. Night of the Living Dead. R.: George A. Romero. USA, 1968. Night of the Living Dead. R.: Tom Savini. USA, 1990. Outcast. Produktion: Diverse. USA, seit 2016. Passage. R.: Andrew Bernstein. USA, 2017. Planet Terror. R.: Robert Rodriguez. USA, 2007. Prince of Darkness. R.: John Carpenter. USA, 1987. Plague of the Zombies. R.: John Gilling. USA, 1966. Pushing Daisies. Produktion: Bryan Fuller; Bruce Cohen. USA, 2007-2008. Quarantäne. R.: John Erick Dowdle. USA, 2008. REC. R.: Jaume Balagueró; Paco Plaza. Spanien, 2007. REC2: R.: Jaume Balagueró; Paco Plaza. Spanien, 2009. Re-Animator. R.: Stuart Gordon. USA, 1985. Red Machete. R.: Avi Youabian. USA, 2017-2018. Resident Evil. R.: Paul W. S. Anderson. Deutschland, Großbritannien, Frankreich, 2002. Resident Evil Apokalypse. R.: Alexander Witt. USA, 2004. Resident Evil: Extinction. R.: Russell Mulcahy, Deutschland, Frankreich, USA, 2007. Resident Evil: Afterlife. R.: Paul W. S. Anderson. Deutschland, Frankreich, USA, 2010. Resident Evil: Retribution, R.: Paul W. S. Anderson. Deutschland, Großbritannien, Frankreich, 2012. Resident Evil: The Final Chapter. R.: Paul W. S. Anderson. USA, 2016. Shaun of the Dead. R.: Edgar Wright. Großbritannien, 2004. Silent Hill. R.: Christophe Gans. Kanada, Frankreich, 2006. Sleepy Hollow. R.: Tim Burton. USA, 1999. Talking Dead. Produktion: Diverse. USA, seit 2011. Tanz der Teufel. R.: Sam Raimi. USA, 1981. The 4400. Produktion: Brent-Karl Clackson; Kathy-Gilroy-Sereda; Francis Ford Coppola. USA, 2004-2007. The Church. R.: Michele Soavi. Italien, 1989.
12. Literaturverzeichnis
The Fog – Nebel des Grauens. R.: John Carpenter. USA, 1980. The Last Man on Earth. R.: Ubaldo Ragona; Sidney Salkow. USA, 1964. The Nun. R.: Corin Hardy. USA, 2018. The OA. Produktion: Jill Footlick; Ashely Zalta. USA, seit 2016. The Oath. R.: Greg Nicotero. USA, 2013. The Prodigy. R.: Nicholas McCarthy. USA, 2019. The Returned. Produktion: Diverse. USA, 2015. The Serpent and the Rainbow. R.: Wes Craven. USA, 1988. The Walking Dead: Produktion: Diverse. USA, seit 2010. Thriller. R.: John Landis. USA, 1983. Torn Apart. R.: Greg Nicotero. USA, 2011. Train to Busan: R.: Yeon Sang-ho. Südkorea, 2016. Two Thousand Maniacs. R.: Hershell Gordon Lewis. USA, 1964. White Zombie. R.:Victor Halperin. USA, 1932. World War Z. R.: Marc Forster. USA, 2013. Zombieland. R.: Ruben Fleischer. USA, 2009.
12.5
Diskographie
Aquin, Thomas von: Verbum supernum prodiens e Patris. Brevierhymnus aus dem 7. oder 8. Jahrhundert der Metten des römischen und monastischen Ritus im Advent, mindestens seit dem 10. Jahrhundert so verwendet. Deutsche Übersetzung aus: Stundenbuch 1978-1980. Beethoven, Ludwig van: Signor Abate. 1863 DeRosa, Stephen: Life Is a Funny Proposition After All. 2011. Guilbert, Johnnie: Afraid. Produzenten: Cameron Walker, Jordan Witzigreuter und Johnnie Guilbert. Album: I Could Sleep Here, I Could Die Here. 2018. Mozart, Wolfgang Amadeus: Die Zauberflöte: Der Hölle Rache. KV 620. 1791. Schreker, Franz: Die Gezeichneten. 2. Akt (2. Bild). Siehe: Textbuch Die Gezeichneten. In: Programmheft der Oper Frankfurt 1979. S. 32. Wagner, Richard: Der fliegende Holländer. Romantische Oper in drei Aufzügen. Berliner Ausgabe. 3.Aufl. 2015.
12.6
Ludographie
Activision: The Walking Dead: Survival Instinct [Playstation 3, Wii U, Xbox 360, PC]. Santa Monica. USA. 2013. AMC: The Walking Dead: Left Behind. USA, 2012. AMC: The Walking Dead: Dead Yourself. USA, 2012. AMC: The Walking: Dead Atlanta Run. USA, 2012. AMC: The Walking Dead: Reckoning. New York, USA. 2012. AMC: The Walking Dead Social Game [Online-Spiel]. New York. USA. 2012.
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
AMC: The Walking Dead: No Man’s Land. USA, 2015. Capcom: Resident Evil [Playstation 3, Xbox 360, PC], Osaka, seit 1996. Skybound Entertainment: The Walking Dead: Assault. USA, 2012. Skybound Entertainment: The Walking Dead: Road to Survival. USA, 2015. Starbreeze Studios: Overkill’s The Walking Dead [PC] Stockholm, 2018. Survios: The Walking Dead: Onslaught VR. Los Angeles. USA. 2019. Telltale Games, San Rafael, USA: The Walking Dead. Season 1. Sechs Episoden. 2012; Season 2, 5 Episoden. 2013; Season 3. 5 Episoden. 2016.; Vier Episoden 2018. [Playstation 3, Xbox 360, PC].
13. Abbildungsverzeichnis
Seite 34: Abbildung 1: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 5, Episode 3 Seite 35 Abbildung 2: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 6, Episode 7 Seite 38: Abbildung 3: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 7, Episode 3 Seite 135: Abbildung 4: Filmstills aus Fear The Walking Dead: Staffel 1, Episode 2 Seite 156: Abbildung 5: (v. o. l. n .u. r.) Der Tod des Marat (Jacques-Louis David, 1793; Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/aa/Death_of_M arat_by_David.jpg), Echo und Narziß (Nicolas Poussin, 1627/28; Quelle: https://en. wikipedia.org/wiki/Echo_and_Narcissus_(Poussin), Ophelia (John Everett Millais, 1851/52; Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Ophelia_(Millais) Seite 230: Abbildung 6: Filmstills aus dem Intro der fünften Staffel The Walking Dead Seite 236: Abbildung 7: Filmstill aus dem Intro der fünften Staffel The Walking Dead Seite 239: Abbildung 8: Filmstill aus dem Intro der dritten Staffel The Walking Dead Seite 244: Abbildung 9: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1 Seite 248: Abbildung 10: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1 Seite 250: Abbildung 11: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1 Seite 251: Abbildung 12: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1 Seite 252: Abbildung 13: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1
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Zombies in der Kirche. Das Zombie-Motiv als Allegorie der Säkularisierung
Seite 254: Abbildung 14: Filmstills aus The Walking Dead: Staffel 2, Episode 1 Seite 266: Abbildung 15: Filmstill aus The Walking Dead Staffel 5, Episode 2 (Quelle: O’Dell, Johnny: The Evolution of Father Gabriel. URL: https://www.skybound.com/t he-walking-dead/show/the-evolution-of-father-gabriel. Aufgerufen am 11.03.2019) Seite 267: Abbildung 16: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 5, Episode 7 Seite 272: Abbildung 17: Gabriel betet. Filmstills aus The Walking Dead: Staffel 8, Episode 5 Seite 274: Abbildung 18: Filmstills aus The Walking Dead: Staffel 8, Episode 15 Seite 285: Abbildung 19: Filmstill aus The Walking Dead: Staffel 5, Episode 3 Seite 292: Abbildung 20: Filmstills aus The Walking Dead: Staffel 5, Episode 3 Seite 293: Abbildung 21: Werbeplakat Fear The Walking Dead Staffel 2 (Quelle: htt ps://www.amc.com/shows/fear-the-walking-dead/talk/2016/03/fear-the-walkingdead-season-2-premiere-poster-revealed), Teil 1 und Charles Allan Gilberts »All is Vanity« von 1892 (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Allan_Gilbert#/m edia/Datei:Allisvanity.jpg) Seite 296: Abbildung 22: Werbeplakat Fear The Walking Dead Staffel 2, Teil 1 (Quelle: https://undeadwalking.com/2017/04/18/fear-walking-dead-season-3-art/) Seite 298: Abbildung 23: Filmstill aus dem Musikvideo »Afraid« von Johnnie Guilbert zu dem gleichnamigen Song Seite 301: Abbildung 24: Filmstill aus Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 3 Seite 302: Abbildung 25: Filmstill aus Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 4 Seite 302: Abbildung 26: Filmstill aus Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 4 Seite 303: Abbildung 27: Filmstills aus Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 6 Seite 304: Abbildung 28: Filmstills aus Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 7 Seite 307: Abbildung 29: Filmstills aus Fear The Walking Dead: Staffel 2, Episode 8
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