Zeitwertbilanzierung in Jahresabschlüssen nach dem ADHGB von 1861 und nach den IAS/IFRS: Eine empirische Analyse aus Kapitalgebersicht [1 ed.] 9783896449412, 9783896732446

Ab 2005 besteht für kapitalmarktorientierte Unternehmen im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum die Verpflichtung, ihre

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German Pages 332 Year 2005

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Zeitwertbilanzierung in Jahresabschlüssen nach dem ADHGB von 1861 und nach den IAS/IFRS: Eine empirische Analyse aus Kapitalgebersicht [1 ed.]
 9783896449412, 9783896732446

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Schriftenreihe Betriebswirtschaftliche Steuerlehre Rechnungswesen und Finanzen

Daniel Spindler

Zeitwertbilanzierung nach dem ADHGB von 1861 und nach den IAS/IFRS – eine empirische Analyse aus Kapitalgebersicht

Verlag Wissenschaft & Praxis

Zeitwertbilanzierung nach dem ADHGB von 1861 und nach den IAS/IFRS – eine empirische Analyse aus Kapitalgebersicht

Schriftenreihe Betriebswirtschaftliche Steuerlehre Rechnungswesen und Finanzen Band 10

Herausgeber: Prof. Dr. Matthias Lehmann Universität Trier Prof. Dr. Otto Altenburger Universität Wien

Daniel Spindler

Zeitwertbilanzierung nach dem ADHGB von 1861 und nach den IAS/IFRS – eine empirische Analyse aus Kapitalgebersicht

Verlag Wissenschaft & Praxis

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 3-89673-244-7 © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2005 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094

Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany

Geleitwort Angesichts der 2005 für börsennotierte Unternehmen im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum wirksam werdenden Verpflichtung, die Konzernabschlüsse nach den International Accounting Standards/International Financial Reporting Standards (IAS/IFRS) aufzustellen, beschäftigen sich mit diesen Rechnungslegungsvorschriften viele Diskussionen und Untersuchungen. Selten wird jedoch darauf hingewiesen, daß eines der wesentlichen Charakteristika dieser Rechnungslegungsvorschriften, nämlich die vermehrte Verwendung des Zeitwerts bei der Bilanzierung der Vermögensgegenstände (und Schulden), im deutschen Sprachraum nichts Neues ist: Die Zeitwertbewertung wurde für das Gebiet des Deutschen Bundes 1861 mit dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch vorgeschrieben. Für Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien wurde sie allerdings schon 1884 wieder abgeschafft und durch die bekannte Bewertung auf der Grundlage der Anschaffungs- oder Herstellungskosten ersetzt, die sich in der Folge allgemein durchgesetzt hat. Die vorliegende Arbeit untersucht die Auswirkungen der Zeitwertbilanzierung einerseits in der angeführten historischen Epoche und andererseits in den letzten Jahren. Herr Spindler analysiert für den Zeitraum 1860 bis 1886 die Daten von über tausend Aktiengesellschaften sowie sämtliche zwischen 1999 und 2003 nach den IAS/IFRS aufgestellten Konzernabschlüsse von im DAX 30 oder im MDAX gelisteten Unternehmen. Das umfassende Zahlenmaterial wird u. a. durch eine Darstellung der historischen Entwicklung der themenrelevanten Rechnungslegungsvorschriften ergänzt. Jede(r) interessierte Leser(in) wird dadurch in die Lage versetzt, die aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Zeitwertbilanzierung aus einer Perspektive zu beurteilen, die vom 17. bis ins 21. Jahrhundert reicht. Da die Auswertung historischer Erfahrungen – nicht nur – in diesem Zusammenhang im allgemeinen vernachlässigt wird, verdient die Schrift große Aufmerksamkeit in der aktuellen Diskussion zur Eignung der IAS/IFRS für den Einzelabschluß (Jahresabschluß). Dies gilt auch dann, wenn man die Auffassung vertritt, die Probleme der Gründerzeit – für die der Verfasser zum Teil spektakuläre Ergebnisse erarbeitet – könnten sich nicht wiederholen. Wer immer sich mit den Bewertungsvorschriften der IAS/IFRS beschäftigt, wird die vorliegende Arbeit mit Gewinn lesen. Wien, im November 2004

Otto A. Altenburger

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde mir durch eine Doktorandenstelle in der Abteilung Finance and Business Administration bei Siemens Procurement and Logistics Services (SPLS) in München ermöglicht. Sie wurde im vorigen Monat von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Zum Gelingen und zur Durchführung dieser Arbeit haben viele Menschen beigetragen, die mir während der Jahre der Bearbeitung des Themas stets mit Rat und Tat zur Seite standen. An erster Stelle und im Besonderen danke ich Herrn Prof. Dr. Otto A. Altenburger für die Betreuung dieses interessanten und abwechslungsreichen Themas, für den großen Freiraum bei dessen Bearbeitung sowie für die vielfältigen und wertvollen Anregungen. Auch Herr Prof. Dr. Rainer Gömmel hat als Zweitgutachter immer Zeit für mich gehabt und durch hilfreiche Hinweise weitergeholfen. Meinen Kolleg(inn)en Dr. Ulrike Tettenborn, Till Kruse, Hans-Peter Maschmeyer und Karl Reimann danke ich für die stete Diskussionsbereitschaft und Unterstützung, besonders für die intensive und kritische Durchsicht des Manuskripts. Mein Dank geht ferner auch an alle weiteren Kollegen für das angenehme und produktive Arbeitsklima. Ein ganz besonders herzlicher Dank gilt meiner Freundin Gaby, die mich während dieser Jahre tatkräftig unterstützte und mir dabei immer liebevoll zur Seite stand, sowie meinen Eltern, die mit allen Kräften und viel Geduld zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Ihnen widme ich das Ergebnis meiner Bemühungen. München, im November 2004

Daniel Spindler

Inhaltsübersicht

9

Inhaltsübersicht Einleitung ......................................................................................................31

1 1.1

Einführung in die Thematik.......................................................................31

1.2

Problemstellung.........................................................................................39

1.3

Stand der Literatur.....................................................................................43

1.4

Präzisierung der Problemstellung..............................................................47

1.5

Gang der Untersuchung.............................................................................48

2

Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert ........................................51 2.1

Vorbemerkungen .......................................................................................51

2.2

Der Zeitwert und andere Wertmaßstäbe in der Rechnungslegung ............53

2.3

Vorschriften zur Zeitwertbewertung im Handelsgesetzbuch und in den International Accounting Standards/International Financial Reporting Standards ...................................................................................................57

2.4

Diskussion des Zeitwerts im Hinblick auf ausgewählte Bilanzierungszwecke.................................................................................72

2.5

Bilanztheoretische Einordnung des Zeitwerts ...........................................78

2.6

Kritische Analyse des Wertmaßstabs Zeitwert..........................................82

3

Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert im deutschen Handels- und Aktienrecht............................................................................95 3.1

Vorgeschichte zur Geltungsperiode der verpflichtenden Zeitwertbewertung.....................................................................................95

3.2

Geltungsperiode der verpflichtenden Zeitwertbewertung .......................106

3.3

Fortentwicklung der Vorschriften zur Zeitwertbewertung ......................148

10

4

Inhaltsübersicht

Empirische Untersuchung des Einflusses der Zeitwertbewertung nach den Vorschriften des ADHGB auf deutsche Aktiengesellschaften...................................................................................153 4.1

Vorbemerkungen .....................................................................................153

4.2

Datengrundlage........................................................................................154

4.3

Ergebnisse der empirischen Untersuchung..............................................156

4.4

Zusammenfassung ...................................................................................196

5

Empirische Untersuchung des Einflusses der Zeitwertbewertung nach den Vorschriften der IAS/IFRS auf Konzernabschlüsse der im DAX 30 und der im MDAX gelisteten Unternehmen ........................201 5.1

Vorbemerkungen .....................................................................................201

5.2

Datengrundlage........................................................................................205

5.3

Ergebnisse der empirischen Untersuchung..............................................209

5.4

Zusammenfassung ...................................................................................248

6

Zusammenfassung und Schlussbemerkungen .........................................251 6.1

Zusammenfassung ...................................................................................251

6.2

Schlussbemerkungen ...............................................................................259

Quellenverzeichnis..............................................................................................263 Rechtsquellen .....................................................................................................263 Quellen für die empirischen Untersuchungen....................................................275 Literaturverzeichnis ...........................................................................................283

Inhaltsverzeichnis

11

Inhaltsverzeichnis Inhaltsübersicht ........................................................................................................9 Inhaltsverzeichnis ...................................................................................................11 Abbildungsverzeichnis ...........................................................................................17 Tabellenverzeichnis................................................................................................19 Abkürzungsverzeichnis ..........................................................................................21 Einleitung ......................................................................................................31

1 1.1

Einführung in die Thematik.......................................................................31

1.2

Problemstellung.........................................................................................39

1.3

Stand der Literatur.....................................................................................43

1.4

Präzisierung der Problemstellung..............................................................47

1.5

Gang der Untersuchung.............................................................................48

2

Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert ........................................51 2.1

Vorbemerkungen .......................................................................................51

2.2

Der Zeitwert und andere Wertmaßstäbe in der Rechnungslegung ............53

2.2.1

Zeitwert.................................................................................................53

2.2.2

Anschaffungs- und Herstellungskosten ................................................54

2.2.3

Ertragswert............................................................................................55

2.3

Vorschriften zur Zeitwertbewertung im Handelsgesetzbuch und in den International Accounting Standards/International Financial Reporting Standards ...................................................................................................57

2.3.1

Vorschriften zur Zeitwertbewertung im HGB ......................................57

2.3.2

Vorschriften zur Zeitwertbewertung in den IAS/IFRS.........................59

2.4

Diskussion des Zeitwerts im Hinblick auf ausgewählte Bilanzierungszwecke.................................................................................72

12

Inhaltsverzeichnis

2.4.1

Informationsvermittlungszweck ...........................................................72

2.4.2

Kapitalerhaltungszweck........................................................................74

2.4.3

Ausschüttungsbemessungs- und Steuerbemessungszweck ..................76

2.5

Bilanztheoretische Einordnung des Zeitwerts ...........................................78

2.6

Kritische Analyse des Wertmaßstabs Zeitwert..........................................82

2.6.1

Argumente für und wider die Zeitwertbewertung ................................82

2.6.2

Diskussion der Vorschriften zur Zeitwertbewertung nach dem HGB und nach den IAS/IFRS ........................................................................87

3

Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert im deutschen Handels- und Aktienrecht............................................................................95 3.1

Vorgeschichte zur Geltungsperiode der verpflichtenden Zeitwertbewertung.....................................................................................95

3.1.1

Entstehung der ersten Bewertungsvorschriften in Frankreich ..............95

3.1.2

Entwicklung der Bewertungsvorschriften in Deutschland ...................97

3.1.2.1

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 .......97

3.1.2.2

Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen von 1838 ..................99

3.1.2.3

Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für das Königreich Württemberg von 1839 ....................................................................99

3.1.2.4

Gesetz über die Aktiengesellschaften von 1843 ............................100

3.1.2.5

Zirkularverfügung wegen der bei Bestätigung der Statuten von Aktiengesellschaften festzuhaltenden allgemeinen Grundsätze von 1856 ........................................................................................102

3.1.2.6

Erster und zweiter Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten von 1856 und von 1857 ................................102

3.2 3.2.1

Geltungsperiode der verpflichtenden Zeitwertbewertung .......................106 Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861.......................106

3.2.1.1

Entstehungsgeschichte ...................................................................106

Inhaltsverzeichnis

3.2.1.2

13

Einführung der verpflichtenden Zeitwertbewertung (Art. 31 ADHGB) ..........................................................................108

3.2.2

Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften von 1870...........................................................110

3.2.2.1

Entstehungsgeschichte ...................................................................110

3.2.2.2

Präzisierung der Zeitwertbewertung (Art. 239a ADHGB) ............112

3.2.3

Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften von 1884...........................................................114

3.2.3.1

Entstehungsgeschichte ...................................................................114

3.2.3.2

Abschaffung der ausschließlichen Zeitwertbewertung für Aktiengesellschaften......................................................................122

3.2.4

Handelsgesetzbuch von 1897 .............................................................125

3.2.4.1

Entstehungsgeschichte ...................................................................125

3.2.4.2

Bestätigung der Zeitwertbewertung für Nichtaktiengesellschaften (§ 40 HGB) ..........................................125

3.2.5

Interpretation der Vorschriften zur Zeitwertbewertung in Kommentierung, Literaturbeiträgen und Rechtsprechung..................127

3.2.5.1

Vorbemerkungen ...........................................................................127

3.2.5.2

Phase der statischen Interpretation.................................................130

3.2.5.2.1 Erste statische Prägungen..........................................................130 3.2.5.2.2 Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichts von 1873...........131 3.2.5.2.3 Statische Interpretation .............................................................132 3.2.5.3

Phase der antistatischen Interpretation...........................................136

3.2.5.3.1 Bewertungsproblematik bei Eisenbahnunternehmen................136 3.2.5.3.2 Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichts von 1879...........141 3.2.5.3.3 Subjektive Wertermittlung........................................................142 3.2.5.3.4 Zunahme der Bedeutung des Anschaffungswertprinzips..........144

14

Inhaltsverzeichnis

3.2.5.4 3.2.6 3.3 4

Phase der dynamischen Interpretation ...........................................146

Eigene Würdigung ..............................................................................146 Fortentwicklung der Vorschriften zur Zeitwertbewertung ......................148

Empirische Untersuchung des Einflusses der Zeitwertbewertung nach den Vorschriften des ADHGB auf deutsche Aktiengesellschaften...................................................................................153 4.1

Vorbemerkungen .....................................................................................153

4.2

Datengrundlage........................................................................................154

4.3

Ergebnisse der empirischen Untersuchung..............................................156

4.3.1

Branchenübergreifende Darstellung der Entwicklung deutscher Aktiengesellschaften...........................................................................156

4.3.1.1

Gründungstätigkeit.........................................................................156

4.3.1.2

Dividenden.....................................................................................161

4.3.1.3

Aktienkursindex.............................................................................164

4.3.1.4

Liquidationen und Konkurse .........................................................166

4.3.1.5

Fazit ...............................................................................................168

4.3.2

Branchenspezifische Darstellung der Entwicklung deutscher Aktiengesellschaften unter besonderer Berücksichtigung der Zeitwertbewertung..............................................................................169

4.3.2.1

Vorbemerkungen ...........................................................................169

4.3.2.2

Bergbau- und Hüttengesellschaften ...............................................171

4.3.2.3

Industriegesellschaften...................................................................174

4.3.2.4

Baugesellschaften ..........................................................................178

4.3.2.5

Verkehrs- und Transportgesellschaften .........................................183

4.3.2.6

Bankgesellschaften ........................................................................186

4.3.2.7

Versicherungsgesellschaften..........................................................191

4.3.2.8

Fazit ...............................................................................................193

Inhaltsverzeichnis

4.3.3

15

Dividendenhöhe und Anteil der Unternehmensbeendigungen durch Liquidation und Konkurs....................................................................194

4.4 5

Zusammenfassung ...................................................................................196 Empirische Untersuchung des Einflusses der Zeitwertbewertung nach den Vorschriften der IAS/IFRS auf Konzernabschlüsse der im DAX 30 und der im MDAX gelisteten Unternehmen ........................201

5.1

Vorbemerkungen .....................................................................................201

5.2

Datengrundlage........................................................................................205

5.3

Ergebnisse der empirischen Untersuchung..............................................209

5.3.1

Vorbemerkungen ................................................................................209

5.3.2

Auswirkungen der Zeitwertbewertung auf die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung............................................................211

5.3.2.1

Auswirkungen der Zeitwertbewertung bei der erstmaligen Anwendung des IAS 39 .................................................................211

5.3.2.2

Auswirkungen der Erfassung von Zeitwertänderungen in der Gewinn- und Verlustrechnung.......................................................216

5.3.2.3

Auswirkungen der Erfassung von Zeitwertänderungen im Eigenkapital ...................................................................................218

5.3.2.3.1 Zusammensetzung des Other Comprehensive Income .............218 5.3.2.3.2 Wertänderungen im Other Comprehensive Income..................220 5.3.2.4

Auswirkungen der Zeitwertbewertung auf die Vermögensposition ........................................................................225

5.3.2.5 5.3.3

Fazit ...............................................................................................227

Anhangsangaben zur Zeitwertbewertung ...........................................228

5.3.3.1

Anhangsangaben zu Zeitwerten sämtlicher Finanzinstrumente.....228

5.3.3.1.1 Vorbemerkungen.......................................................................228 5.3.3.1.2 Zusatzangaben nach IAS 32 und IAS 39 bei Nichtbanken .......229

16

Inhaltsverzeichnis

5.3.3.1.3 Zusatzangaben nach IAS 30 bei Banken...................................231 5.3.3.2

Anhangsangaben zu Zeitwerten für Investment Property..............235

5.3.3.3

Anhangsangaben zu Zeitwerten für Anteile an nicht konsolidierten verbundenen Unternehmen, Gemeinschaftsunternehmen und assoziierten Unternehmen .........238

5.3.3.4 5.3.4

Fazit ...............................................................................................240

Auswirkungen der Zeitwertbewertung auf die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung bei der Umstellung der Rechnungslegung vom HGB auf die IAS/IFRS .................................242

5.4 6

Zusammenfassung ...................................................................................248 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen .........................................251

6.1

Zusammenfassung ...................................................................................251

6.2

Schlussbemerkungen ...............................................................................259

Quellenverzeichnis..............................................................................................263 Rechtsquellen .....................................................................................................263 Quellen für die empirischen Untersuchungen....................................................275 Literaturverzeichnis ...........................................................................................283

Abbildungsverzeichnis

17

Abbildungsverzeichnis Abb. 2.1: Stufenkonzept zur Ermittlung des Zeitwerts in Abhängigkeit der verfügbaren Marktinformationen........................................................ 71 Abb. 2.2: Kapitalerhaltungskonzeptionen des Zeitwerts im Rahmen der Substanz- und Nominalkapitalerhaltung............................................. 75 Abb. 2.3: Bilanztheoretische Einordnung des Zeitwerts .................................... 78 Abb. 4.1: Neugründungen von Aktiengesellschaften in Deutschland von 1874 bis 1886.................................................................................... 159 Abb. 4.2: Neugründungen von Aktiengesellschaften in Österreich von 1866 bis 1886.................................................................................... 160 Abb. 4.3: Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Aktiengesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886 ............................ 162 Abb. 4.4: Index der Aktienkurse in Deutschland von 1860 bis 1886 ............... 165 Abb. 4.5: Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Bergbau- und Hüttengesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886 ................. 172 Abb. 4.6: Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Industriegesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886 ............................ 175 Abb. 4.7: Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Baugesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886 ............................ 179 Abb. 4.8: Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Transportund Verkehrsgesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886....... 184 Abb. 4.9: Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Bankgesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886 ............................ 188 Abb. 4.10: Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Versicherungsgesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886 ................... 192 Abb. 5.1: Erfassung von Wertänderungen aus der Zeitwertbewertung nach den IFRS ........................................................................................... 204

18

Abbildungsverzeichnis

Abb. 5.2: Bilanzierungspraxis der im DAX 30 und im MDAX gelisteten Unternehmen von 1999 bis 2003 (Indexzusammenstellung vom 31. Dezember 2003).......................................................................... 207 Abb. 5.3: Schlusskurse der Indizes von DAX 30 und MDAX sowie Höhe des Zinsniveaus vom 31. Dezember 1998 bis 31. Dezember 2003 .. 208 Abb. 5.4: Einsatzgebiete und Häufigkeit der Anwendung der Zeitwertbewertung.......................................................................................... 210 Abb. 5.5: Ausweispraxis der nicht realisierten, erfolgswirksam erfassten Wertänderungen (in % der Anwender) ............................................. 216 Abb. 5.6: Verhältnis der kumulierten positiven und negativen Bestandteile des OCI von 1999 bis 2003 (in Mio. €) ............................................ 219 Abb. 5.7: Zusammensetzung der nicht realisierten kumulierten Verluste aus Wertänderungen von 1999 bis 2003 (in Mio. €)............................... 220 Abb. 5.8: Verhältnis von Net Income und erfolgsneutral erfassten Wertänderungen von 1999 bis 2003 (in Mio. €)............................... 221 Abb. 5.9: Entwicklung von Net Income und erfolgsneutral erfassten Wertänderungen von 1999 bis 2003 (in Mio. €)............................... 222 Abb. 5.10: Entwicklung von Net Income ohne und mit Erfassung unrealisierter Wertänderungen aus dem OCI von 1999 bis 2003 (in Mio. €) ................................................................. 225 Abb. 5.11: Entwicklung der Bewertungsreserven und des bilanzierten Eigenkapitals von 1999 bis 2003 (in Mrd. €) ................................... 241

Tabellenverzeichnis

19

Tabellenverzeichnis Tab. 4.1:

Anzahl der Gründungen von Aktiengesellschaften und dafür eingesetztes Grundkapital in Preußen/Bayern und Österreich bis 1873............................................................................................. 157

Tab. 4.2:

Anzahl der Liquidationen und Konkurse von Aktiengesellschaften in Preußen/Bayern und Österreich zwischen 1870 und 1883 ........... 167

Tab. 4.3:

Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Bergbau- und Hüttengesellschaften in Preußen/ Bayern............................................................................................... 171

Tab. 4.4:

Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Industriegesellschaften in Preußen/Bayern .................. 174

Tab. 4.5:

Anzahl der Gründungen und Grundkapital von Industriegesellschaften in Preußen/Bayern .............................................................. 177

Tab. 4.6:

Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Baugesellschaften in Preußen/Bayern .......................... 178

Tab. 4.7:

Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Baugesellschaften in Österreich ................................... 182

Tab. 4.8:

Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Verkehrs- und Transportgesellschaften in Preußen/ Bayern............................................................................................... 183

Tab. 4.9:

Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Bankgesellschaften in Preußen/Bayern ........................ 187

Tab. 4.10: Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Bankgesellschaften in Österreich ................................. 191 Tab. 4.11: Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Versicherungsgesellschaften in Preußen/Bayern ......... 191 Tab. 5.1:

Bilanzierungspraxis der im DAX 30 und im MDAX erfassten Unternehmen (Indexzusammenstellung vom 31. Dezember 2003).. 205

Tab. 5.2:

DAX 30- und MDAX-Unternehmen mit Konzernrechnungslegung nach den IFRS, Jahr der IFRS-Einführung und Bilanzstichtag ........ 206

20

Tabellenverzeichnis

Tab. 5.3:

Auswirkung der erstmaligen Anwendung des IAS 39 auf die Konzernrücklagen von 1998 bis 2002 (in Mio. €) ............................ 214

Tab. 5.4:

Erfolgswirksame Vereinnahmung nicht realisierter Zeitwertänderungen in der Konzern-GuV von 2000 bis 2003 (in Mio. €) ............ 217

Tab. 5.5:

Neubewertungsrücklage und Eigenkapital in den Konzernabschlüssen von 1999 bis 2003......................................................... 226

Tab. 5.6:

Differenz zwischen Zeit- und Buchwerten sämtlicher Finanzinstrumente in den Konzernabschlüssen der Nichtbanken von 1999 bis 2003.................................................................................... 230

Tab. 5.7:

Anteil der Finanzinstrumente sowie der zum Zeitwert bilanzierten Finanzinstrumente an der Konzernbilanzsumme der Banken von 1999 bis 2003.................................................................................... 232

Tab. 5.8:

Differenz zwischen Zeit- und Buchwerten sämtlicher Finanzinstrumente in den Konzernabschlüssen der Banken von 1999 bis 2003.................................................................................... 233

Tab. 5.9:

Differenz zwischen Zeit- und Buchwerten von Investment Property in den Konzernabschlüssen von 1999 bis 2003 ................. 235

Tab. 5.10: Differenz zwischen Zeit- und Buchwerten von at-Equity bewerteten Unternehmen in den Konzernabschlüssen von 1999 bis 2003.................................................................................... 239 Tab. 5.11: Stille Reserven und Eigenkapital in den Konzernabschlüssen von 1999 bis 2003.................................................................................... 240 Tab. 5.12: Unterschiedsbeträge durch die Zeitwertbewertung in der Überleitung des Konzerneigenkapitals vom HGB auf die IFRS (in Mio. €)................................................................................ 244 Tab. 5.13: Unterschiedsbeträge durch die Zeitwertbewertung in der Überleitung des AV, UV und FK in den Konzernabschlüssen vom HGB auf die IFRS (in Mio. €) .................................................. 246 Tab. 5.14: Unterschiedsbeträge durch die Zeitwertbewertung in der Überleitung des Net Income in den Konzernabschlüssen vom HGB auf die IFRS (in Mio. €) .................................................. 247

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

A a.A.

anderer Auffassung

a.F.

alte Fassung

a.M.

am Main

Abb.

Abbildung

ABlEG

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft

ABR

Accounting and Business Research (Zeitschrift)

Abs.

Absatz

Abschn.

Abschnitt

Abt.

Abteilung

Acc

Accountancy (Zeitschrift)

AccHor

Accounting Horizons (Zeitschrift)

AccInt

Accountancy International (Zeitschrift)

ACLI

American Council of Life Insurers

ADHGB

Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch

AfS

Available for Sale

AG

Aktiengesellschaft(en)

AICPA

American Institute of Certified Public Accountants

AIMR

Association for Investment Management and Research

AktG

Aktiengesetz

ALR

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten

Anm.

Anmerkung

Anm. d. Verf. Anmerkung des Verfassers ARC

Accounting Regulatory Committee

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

AV

Anlagevermögen

21

22

Abkürzungsverzeichnis

B BauGB

Baugesetzbuch

BB

Betriebs-Berater (Zeitschrift)

Bd.

Band

BdB

Bundesverband deutscher Banken

BFuP

Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (Zeitschrift)

BGBl

Bundesgesetzblatt

BilReG

Bilanzrechtsreformgesetz

BiRiLiG

Bilanzrichtlinien-Gesetz

BMF

Bundesministerium der Finanzen

BMJ

Bundesministerium der Justiz

BS

Bilanzsumme

BuW

Betrieb und Wirtschaft (Zeitschrift)

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

C ca.

circa

CD-Rom

Compact Disc-Read only memory

ch.

Chapter

CICA

Canadian Institute of Chartered Accountants

D d.h.

das heißt

DAX

Deutscher Aktienindex

DB

Der Betrieb (Zeitschrift)

DBW

Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift)

Die AG

Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift)

Diss.

Dissertation

DRS

Deutscher Rechnungslegungsstandard

Abkürzungsverzeichnis

Drs.

Drucksache

DRSC

Deutsches Rechnungslegungs Standards Committee e.V.

DSR

Deutscher Standardisierungsrat

DStR

Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)

DStZ

Deutsche Steuer-Zeitung (Zeitschrift)

DSWR

Datenverarbeitung, Steuer, Wirtschaft, Recht (Zeitschrift)

DTT

Deloitte Touche Tohmatsu (Wirtschaftsprüfungsgesellschaft)

E e.V.

eingetragener Verein

EAR

European Accounting Review (Zeitschrift)

ED

Exposure Draft

Ed.

Edition

EFRAG

European Financial Reporting Advisory Group

EG

Europäische Gemeinschaft(en)

EinfG

Einführungsgesetz

EK

Eigenkapital

EStG

Einkommensteuergesetz

et al.

et alii

etc.

et cetera

EU

Europäische Union

EZB

Europäische Zentralbank

F F.

Framework

FASB

Financial Accounting Standards Board

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FB

Finanz Betrieb (Zeitschrift)

ff.

fortfolgend(e)

FK

Fremdkapital

23

24

Abkürzungsverzeichnis

FN

Fachnachrichten des IDW (Zeitschrift)

Fn.

Fußnote

FRBNY

Federal Reserve Bank of New York

FS

Festschrift

G ggf.

gegebenenfalls

GJ

Geschäftsjahr

GK

Grundkapital

gl.A.

gleicher Auffassung

GoB

Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung

GuV

Gewinn- und Verlustrechnung

H h.M.

herrschende(r) Meinung

HfT

Held for Trading

HGB

Handelsgesetzbuch

HGB-E

HGB-Entwurf

Hrsg.

Herausgeber

HtM

Held to Maturity

HWB

Handwörterbuch der Betriebswirtschaft

I i.d.F.(v.)

in der Fassung (von)

i.d.R.

in der Regel

i.H.v.

in Höhe von

i.S.(v.)

im Sinne (von)

i.S.d.

im Sinne des/der

i.V.m.

in Verbindung mit

IAS

International Accounting Standard(s)

IASB

International Accounting Standards Board

Abkürzungsverzeichnis

IASC

International Accounting Standards Committee

IDW

Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V.

IFRIC

International Financial Reporting Interpretations Committee

IFRS

International Financial Reporting Standard(s)

IGQ&A

Implementation Guidance, Questions and Answers

inkl.

inklusive

IntJAcc

The International Journal of Accounting (Zeitschrift)

IOSCO

International Organization of Securities Commissions

25

J Jg.

Jahrgang

JoA

Journal of Accountancy (Zeitschrift)

JoABR

Journal of Applied Business Research (Zeitschrift)

JoAE

Journal of Accounting and Economics (Zeitschrift)

JoAR

Journal of Accounting Research (Zeitschrift)

JoBF

Journal of Banking and Finance (Zeitschrift)

JW

Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

JWGBA

Joint Working Group of Banking Associations on Financial Instruments

JWGSS

Joint Working Group of Standard Setters on Financial Instruments

K KapAEG

Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz

KGaA

Kommanditgesellschaft auf Aktien

KoR

Zeitschrift für kapitalmarktorientierte Rechnungslegung

KPMG

Klynveld Peat Marwick Goerdeler (Wirtschaftsprüfungsgesellschaft)

M m.w.N.

mit weiterem Nachweis/weiteren Nachweisen

MDAX

Mid Cap DAX

26

Abkürzungsverzeichnis

Mio.

Million(en)

Mrd.

Milliarde(n)

N N.V.

Naamloze Veennootschap

NAIC

National Association of Insurance Commissioners

NEMAX

Neuer Markt Index

NF

Neue Folge

No.

Number

Nr.

Nummer

O o.g.

oben genannte(n)

o.J.

ohne Jahresangabe

o.Jg.

ohne Jahrgangsangabe

o.O.

ohne Ortsangabe

o.V.

ohne Verfasserangabe

OCI

Other Comprehensive Income

OVG

Oberverwaltungsgericht

P Para.

Paragraph

PwC

PricewaterhouseCoopers (Wirtschaftsprüfungsgesellschaft)

Q Q.

Question

R RechVersV

Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen

ref.

reformatted

RefE

Referentenentwurf

Abkürzungsverzeichnis

resp.

respektive

rev.

revised

RG

Reichsgericht

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RGC

Reichsgericht in Civilsachen

RGS

Reichsgericht in Strafsachen

RGZ

Reichsgericht in Zivilsachen

RIW

Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift)

ROHG

Reichsoberhandelsgericht

RWZ

Österreichische Zeitschrift für Recht und Rechnungswesen

S S.

Seite

SchwTreuh

Der Schweizer Treuhänder (Zeitschrift)

SEC

Securities and Exchange Commission

SFAS

Statement of Financial Accounting Standards

SIC

Standing Interpretations Committee

sog.

so genannte(n)

Sp.

Spalte

StuB

Steuern und Bilanzen (Zeitschrift)

StuW

Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift)

SWI

Steuer & Wirtschaft International (Zeitschrift)

T Tab.

Tabelle

Tz.

Textziffer

U u.a.

unter anderem

u.U.

unter Umständen

ÜLR

Überleitungsrechnung

27

28

Abkürzungsverzeichnis

Univ.

Universität

URL

Unified Resource Locator

US(A)

United States (of America)

US-GAAP

United States Generally Accepted Accounting Principles

UV

Umlaufvermögen

V v.

vom, von

v.a.

vor allem

Verf.

Verfasser

VersBiRiLi

Versicherungsbilanzrichtlinie

VersW

Versicherungswirtschaft (Zeitschrift)

vgl.

vergleiche

Vol.

Volume

vs.

versus

W WiSt

Wirtschaftswissenschaftliches Studium (Zeitschrift)

WISU

Das Wirtschaftsstudium (Zeitschrift)

WPg

Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift)

WpHG

Gesetz über den Wertpapierhandel

WPK-Mitt.

Wirtschaftprüferkammer-Mitteilungen (Zeitschrift)

Z z.B.

zum Beispiel

z.T.

zum Teil

ZBB

Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft

ZfB

Zeitschrift für Betriebswirtschaft

zfbf

Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung

ZfgK

Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen

ZfhF

Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung

Abkürzungsverzeichnis

ZGR

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

ZGS

Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft

ZHR

Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht

ZHRK

Zeitschrift für das Gesamte Handelsrecht und Konkursrecht

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis

zit.

zitiert

zugl.

zugleich

29

1 Einleitung

31

1

Einleitung

1.1

Einführung in die Thematik

Die gegenwärtig weiter fortschreitende Verflechtung der Wirtschaftsräume und die damit einhergehende Globalisierung auf den Güter-, Finanz- und Dienstleistungsmärkten1 sowie die ständige Ausbreitung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien zeigen mit großer Deutlichkeit den Harmonisierungsbedarf in der internationalen Rechnungslegung auf.2 Auch die Strategie der Kommission der Europäischen Union (EU) zur zukünftigen Rechnungslegung in Europa,3 wonach bis Ende 2005 die Schaffung eines funktionsfähigen, effizienten und wettbewerbsfähigen europäischen Kapitalmarkts angestrebt wird, zielt auf eine Internationalisierung der Rechnungslegungsgrundsätze ab.4 Die zunehmende Konkurrenz der global agierenden Unternehmen um knappes Kapital auf den internationalen Kapitalmärkten zwingt zu einer Ausrichtung der Informationspolitik auf die Interessen sämtlicher Kapitalgeber, d.h. sowohl der Eigen- als auch der Fremdkapitalgeber,5 wobei der Jahresabschluss das zentrale Kommunikationsinstrument bildet.6 Letztlich zeigen aber auch mehrere Bilanzierungsskandale von internationaler Tragweite, wie die Fälle von Enron oder Worldcom, weiteren Handlungsbedarf hinsichtlich einer zuverlässigen und transparenten Finanzberichterstattung auf. Ein großer Teil der Skandale war vornehmlich auf Mängel, aber auch auf Lücken in den bestehenden nationalen wie internationalen Rechnungslegungssystemen zurückzuführen.7 Während auf dem kontinentaleuropäischen Gebiet die traditionelle Rechnungslegung hauptsächlich aus den Informationsanforderungen von Fremdkapitalgebern entstand, entwickelte sich im angelsächsischen Gebiet das Prinzip der investor-

1 2

3 4

5 6

7

Vgl. AUER, K. V. (1999), S. 373–374; KÜTING, K. (2000a), S. 39; SPANHEIMER, J. (2002), S. 45–55. Vgl. BUSSE VON COLBE, W. (1995a), S. 374–375; MANDLER, U. (1996), S. 720–729; BEHR, G./LINDNER, H. (1997), S. 858–862; Lutz in MEINUNGSSPIEGEL (1998), S. 77; SCHILDBACH, T. (1998a), S. 1–3. Vgl. KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (2000a), S. 2–12. Vgl. z.B. BUSSE VON COLBE, W. (2001), S. 199; EKKENGA, J. (2001), S. 2362; NIEHUES, M. (2001), S. 1209; CAIRNS, D. (2003), S. 63–64. Vgl. BRUNS, H.-G. (1998), S. 383–384; ORDELHEIDE, D. (1998a), S. 16. Vgl. BUSSE VON COLBE, W. (1995b), S. 717–718. Siehe dazu auch Befragungen von Investmentanalysten im Vereinigten Königreich und in Deutschland von Pike/Meerjanssen/Chadwick und in den Niederlanden von Vergoossen; vgl. PIKE, R./MEERJANSSEN, J./CHADWICK, L. (1993), S. 494–497; VERGOOSSEN, R. G. A. (1993), S. 219–243. Zur Bedeutung von Kapitalflussrechnungen vgl. YAP, C. (1997), S. 666–668. Vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK (2002), S. 55–57; LARGAY, J. A. (2002), S. 153–155; LÜDENBACH, N./ HOFFMANN, W.-D. (2002a), S. 1169–1175; TOPPING, M. (2002); ZIMMERMANN, J. (2002), S. 573–582; SCHILDBACH, T. (2003), S. 247–248; KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (2004a), S. 1.

32

1 Einleitung

bzw. kapitalmarktorientierten Rechnungslegung.8 Das deutsche Handelsrecht beruht auf dem kontinentaleuropäischen Rechtssystem, für das umfangreiche gesetzliche Bestimmungen mit hohem Abstraktionsgrad charakteristisch sind (Code Law).9 Im Gegensatz zu den abstrakten handelsrechtlichen Normen ist für die angelsächsische Rechtsfindungstechnik eine Vielzahl detaillierter Einzelfallregelungen in Form einzelner Rechnungslegungsnormen typisch (Case Law).10 Als die zentralen Zwecke des deutschen handelsrechtlichen Jahresabschlusses werden die Rechenschaft11 und die Kapitalerhaltung angesehen. In Übereinstimmung mit diesen beiden Zwecken sind auch die handelsrechtlichen Grundsätze zur Erfolgsermittlung definiert, und zwar die Definitionsgrundsätze für den Jahreserfolg und die Kapitalerhaltung. Der Rechenschaftszweck wird durch den Definitionsgrundsatz für den Jahreserfolg beschrieben und erfährt seine inhaltliche Ausprägung zum einen durch den Grundsatz der Abgrenzung von Aufwendungen und Erträgen der Sache und der Zeit nach und zum anderen durch das Realisationsprinzip.12 Zunächst wird der Jahreserfolg ohne Berücksichtigung der Kapitalerhaltung ermittelt, indem die Erträge nach dem Realisationsprinzip ausgewiesen werden, sobald sie durch Umsatzakt am Markt realisiert sind.13 Die Abgrenzung der Sache nach ergänzt das Realisationsprinzip, weil es den Erträgen die zurechenbaren Aufwendungen gegenüberstellt. Im Gegensatz dazu relativieren die beiden Kapitalerhaltungsgrundsätze, nämlich das Vorsichts- sowie das Imparitätsprinzip,14 den periodengerechten Jahreserfolg und nehmen künftige Aufwandskomponenten vorab in den Jahresabschluss auf.15 Die Gläubiger sollen damit vor einem übermäßigen Abfluss von Haftungsvermögen an die Gesellschafter bewahrt werden.16 Dazu trägt auch das Anschaffungswertprinzip bei, nach dem die Aktiva höchstens zu historischen Werten in Form von Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten angesetzt werden dürfen. Das Vorsichts- und das Imparitätsprinzip bewirken zusätzliche Abwertungen (Niederstwertprinzip). Auf der Passivseite gilt für 8 9 10

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15

16

Vgl. statt vieler MARTEN, K.-U./SCHLERETH, D./CRAMPTON, A./KÖHLER, A. G. (2002), S. 2007–2008. Vgl. RISSE, A. (1997), S. 23; BUCHHOLZ, R. (2004), S. 211. Vgl. SCHRUFF, W. (1993), S. 422. Durch das Case Law haben einzelne Gerichtsentscheidungen eine über den Einzelfall hinausgehende allgemein gültige und rechtsverbindliche Wirkung. Der Rechenschaftszweck fordert vom bilanzierenden Kaufmann im Sinne eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes eine periodengerechte Gewinnermittlung, was aber durch den Grundsatz der bilanziellen Verlustvorsorge relativiert wird; vgl. LEFFSON, U. (1964), S. 63–107. Vgl. kritisch SPRIßLER, W. (2000), S. 85–102. Vgl. LEFFSON, U. (1987), S. 247–298; BAETGE, J./KIRSCH, H.-J./THIELE, S. (2002), S. 108–110. § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB. Zum Begriff „Imparitätsprinzip“ vgl. LION, M. (1923), S. 67, 138 und 174. Zur Begründung des Imparitätsprinzips im Handelsrecht vgl. KOCH, H. (1957), S. 1–6, 31–35 und 60–63; LEFFSON, U. (1987), S. 339–426. Als Ausfluss des Grundsatzes der Vorsicht (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) sind hinreichend erkennbare, drohende Verluste bereits aufwandswirksam in der GuV anzusetzen, während nicht realisierte positive Erfolgsbeiträge nicht ausgewiesen werden dürfen (Imparitätsprinzip). Vgl. STROBL, E. (1996), S. 394–396; KÜBLER, F. (2000), S. 556–557; KAHLE, H. (2002a), S. 696.

1 Einleitung

33

die Schulden hingegen das Höchstwertprinzip. In dieser herkömmlichen Bewertungsmethodik vermuten Kritiker aber eine Verzerrung der Abbildung der tatsächlichen Verhältnisse eines Unternehmens.17 Die zentrale Funktion kapitalmarktorientierter Abschlüsse liegt indes in der Vermittlung von entscheidungsrelevanten Informationen (Decision Usefulness)18 an den Kreis der Abschlussadressaten.19 Damit soll das grundlegende Ziel des Abschlusses erfüllt werden, d.h. eine den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Bereitstellung von Informationen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie über die Mittelzu- und -abflüsse eines Unternehmens (sog. Grundsatz des True and Fair View bzw. der Fair Presentation).20 Der Informationsnutzen der Jahresabschlussdaten besteht demgemäß in der Auskunft über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens. Im Framework (F)21 zu den International Financial Reporting Standards (IFRS)22 als Nachfolgestandards der bisher 41 verabschiedeten International Accounting Standards (IAS)23 wird die Bereitstellung entscheidungsnützlicher Informationen für die Bilanzleser (F. 9–11) durch die vier wesentlichen qualitativen Anforderungen der Verständlichkeit (Understandability, F. 25), Relevanz (Relevance, F. 26–30), Verlässlichkeit (Reliability, F. 31–38) und Vergleichbarkeit (Comparability, F. 39–42) erfüllt.24 Die für die IFRS geltenden Basisannahmen der Periodenabgrenzung (Accrual Basis, F. 22)25 und der Unternehmensfortführung (Going Concern, F. 23) finden sich dagegen auch im Handelsrecht (§ 252 Abs. 1 Nr. 5 HGB bzw. § 252 Abs. 1 17 18 19

20

21

22

23 24

25

Vgl. z.B. KLEY, K.-L. (2001), S. 2257. Vgl. z.B. BAETGE, J./ROß, H.-P. (2000), S. 32–33. Vgl. dazu auch STREIM, H. (2000), S. 111–131; WÖHE, G./DÖRING, U. (2002), S. 971; BEHRINGER, S. (2003), S. 535–536; STREIM, H./BIEKER, M./ESSER, M. (2003), S. 457–479. Der True and Fair View ist die Generalnorm im englischen und die Fair Presentation jene im amerikanischen Bilanzrecht; vgl. NIEHUS, R. J. (1979), S. 222; BAETGE, J./ROß, H.-P. (2000), S. 35–37. Die analoge Generalnorm im Handelsrecht (§§ 264 Abs. 2, 297 Abs. 2, 322 Abs. 1 HGB), die sich aus der Umsetzung der 4. EGRichtlinie in nationales Recht ergeben hat, wurde jedoch mit nationalen Eigenheiten versehen, sodass die Interpretation nicht mit dem Verständnis eines True and Fair View nach angelsächsischem Muster oder nach den IFRS gleichzusetzen ist. Vgl. dazu auch LUDEWIG, R. (1987), S. 12–15; BEINE, F. (1995), S. 467–475; CLARK, P. (1997), S. 69; MOXTER, A. (1997), S. 97–116; ALTENBURGER, O. A. (1999), S. 540. Das 1989 vom IASC verabschiedete Framework for the Preparation and Presentation of Financial Statements (Framework) stellt die konzeptionelle Grundlage für die IFRS-Rechnungslegung dar; vgl. WAGENHOFER, A. (2001), S. 80–81; WOLLMERT, P./ACHLEITNER, A.-K. (2002), Tz. 8. Der Begriff „IFRS“ schließt sämtliche Standards des IASB bzw. IASC, die Interpretationen des IFRIC bzw. des SIC sowie auch das IASB Framework ein. Zur Rechnungslegung nach den IFRS vgl. grundlegend ACHLEITNER, A.-K./BEHR, G. (2000); WAGENHOFER, A. (2001); BAETGE, J./KIRSCH, H.-J./THIELE, S. (2002); CAIRNS, D. (2003); EPSTEIN, B. J./MIRZA, A. A. (2003). Bisherige unter der Bezeichnung „IAS“ verabschiedete Standards werden nachfolgend weiterhin als IAS zitiert. Vgl. LORCHHEIM, U. (1997), S. 124–133; PELLENS, B. (2001), S. 438–439; KAHLE, H. (2002b), S. 97; LÖHR, D. (2003), S. 644. Zur Periodenabgrenzung wird gemäß IAS 1.26 (rev. 1997) auch das Prinzip der sachlichen Abgrenzung von Auszahlungen (Matching Principle) gezählt.

34

1 Einleitung

Nr. 2 HGB). Dies gilt auch für die anderen grundlegenden Prinzipien, wie das Einzelbewertungs- oder das Stichtagsprinzip.26 Unterschiede bestehen jedoch im Hinblick auf die handelsrechtlichen Realisations-, Imparitäts- und Vorsichtsprinzipien, die zugunsten einer Ausrichtung an den Informationsbedürfnissen der Adressaten aufgeweicht werden. Zwar stellten anfangs auch nach den IFRS die historischen Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten die grundlegende Wertbasis dar, allerdings wird nach Auffassung des International Accounting Standards Board (IASB)27 der Zweck der Informationsvermittlung für Investitions- oder Desinvestitionsentscheidungen nur durch eine markt-28 bzw. zeitwertorientierte Bilanzierung erreicht. Daher wird zunehmend das Konzept der Zeitwertbilanzierung i.S. einer zeitnahen Bilanzierung unter Berücksichtigung aktueller Marktinformationen als Voraussetzung für eine bessere Qualität der Aussagekraft sowie Transparenz der Abschlüsse präferiert.29 Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass Zeitwerte die Einschätzung des Barwerts von künftigen Zahlungsmittelzuflüssen, d.h. der wirtschaftlichen Eigenschaft der Bilanzposten, durch die Marktteilnehmer reflektieren.30 Daher eignet sich dieser Wertmaßstab besser als historische Werte für die Prognose31 des Volumens, der zeitlichen Verteilung und der Eintrittswahrscheinlichkeiten der künftigen Cashflows.32 Darüber hinaus werden die in den Vermögenswerten und Schulden eventuell enthaltenen stillen Reserven und stillen Lasten33 aufgedeckt, was zu einer verbesserten inner- und zwischenbetrieblichen Vergleichbarkeit und dadurch u.U. zu anderen Entscheidungen der Investoren beiträgt. Den Rechnungs26 27

28 29 30 31

32

33

Vgl. SCHIMMER, A. (2003), S. 566; GRÄFER, H./SORGENFREI, C. (2004), S. 36–40. Das IASB gibt als privater Standardsetter mit internationaler Besetzung Regeln für die Rechnungslegung in Form der IFRS vor und liefert zudem Interpretationen sowie das Rahmenkonzept zu diesen Sachverhaltsregelungen; vgl. WAGENHOFER, A. (2002), S. 230–234. Das IASB ist mit Wirkung zum 1. April 2001 an die Stelle des 1973 von den Professional Accountancy Bodies aus neun Ländern in London gegründeten IASC getreten; vgl. KÜTING, K./BRAKENSIEK, S. (1999), S. 678–679; BAETGE, J./THIELE, S./PLOCK, M. (2000), S. 1033–1038; BAETGE, J./KIRSCH, H.-J./THIELE, S. (2002), S. 45; ZEFF, S. A. (2002), S. 43–54; GRÄFER, H./SORGENFREI, C. (2004), S. 47–50; GRÜNBERGER, D./GRÜNBERGER, H. (2004b), S. 2. Zum Begriff „marktwertorientierte Rechnungslegung“ vgl. statt vieler KÜPPER, H.-U. (1998), S. 517–537. Vgl. SHIM, E./LARKIN, J. M. (1998), S. 40. Vgl. BRADBURY, M. (1999), S. 15; JONES, J. P./STANWICK, S. D. (1999), S. 104. Zum Einfluss unternehmerischer Prognosen auf den Jahresabschluss nach den IFRS vgl. KIRSCH, H. (2003a), S. 241–247. Vgl. IASC (1997), S. 84–85, para. 2.7 bis 2.12; PAPE, J./BREKER, N. (1999), S. 1; SCHILDBACH, T. (1999a), S. 177–185; KAHLE, H. (2003), S. 265. Bedingung hierfür ist, dass dem Zeitwert eine Transaktion unter Interessengegensätzen zugrunde liegt, die dadurch einem objektivierten willkürfreien Geldwert des künftig zu erzielenden Nutzens eines Vermögenswerts, bzw. Nutzenabflusses einer Schuld, entspricht; vgl. ZÜLCH, H./LIENAU, A. (2004), S. 566. Bei stillen Reserven (stillen Rücklagen) und stillen Lasten handelt es sich traditionell um nicht aus der Bilanz ersichtliche Teile des Eigenkapitals; vgl. SEICHT, G. (1986), S. 281–286; KÜTING, K. (1999), S. 761–764; WÖHE, G./DÖRING, U. (2002), S. 854. Zu stillen Reserven in der Rechnungslegung vgl. ausführlich THIELE, K. (1999), insbesondere S. 7–12 und 30–43; WULF, I. (2001), S. 1097–1099. Zu stillen Lasten vgl. grundlegend TSCHAKERT, N. (2004), insbesondere S. 5–12.

1 Einleitung

35

legungsstandards nach den IFRS kommt bei der Etablierung des Zeitwerts als Bewertungsmaßstab im externen Rechnungswesen eine Vorreiterrolle zu, weil nach den IFRS – im Vergleich zu den in den USA angewendeten Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP)34 – bereits bedeutende Teile v.a. der bilanziellen Aktiva aber auch der Passiva zu einem die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten überschreitenden Zeitwert angesetzt werden dürfen und teilweise sogar müssen. Mit Einführung des Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetzes (KapAEG) im April 1998 verfolgte der Gesetzgeber durch die Aufnahme des § 292a in das HGB eine Deregulierung der Konzernrechnungslegung und forcierte damit entscheidend die Nutzung von internationalen Regelungsgefügen.35 Diese Öffnungsklausel ist aber lediglich eine Interimslösung, weil die Aufstellung eines befreienden Konzernabschlusses unter Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze bis zum 31. Dezember 2004 befristet ist.36 Im weiteren Verlauf der internationalen Harmonisierung der Rechnungslegung nahm die Bedeutung der IFRS gegenüber den USGAAP stetig zu.37 Im Mai 2000 hat die internationale Organisation der Börsenaufsichtsbehörden IOSCO (International Organization of Securities Commission) die IFRS sogar weltweit als Bilanzregelwerk bei Cross-Border-Listings anerkannt.38 Da das IASB als private Organisation keine regelkonforme Anwendung seiner Standards erzwingen kann, ist es auf nationale und supranationale Gesetzgeber angewiesen. Daher kristallisieren sich die IFRS spätestens seit der Zustimmung des Ministerrats der EU am 7. Juni 2002 zum Entwurf einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anwendung der internationalen Rechnungslegungsstandards (am 19. Juli 2002 als IAS-Verordnung Nr. 1606/2002 veröffentlicht)39 als das zukünftige Bilanzregelwerk heraus.40 Mit In-Kraft-Treten 34

35

36

37 38 39

40

Nach den US-GAAP ist die Bewertung zum Zeitwert auf bestimmte Bereiche der finanziellen Unternehmenssphäre beschränkt. § 292a HGB ist für Mutterunternehmen anwendbar, die einen organisierten Markt i.S.d. § 2 Abs. 5 WpHG durch von ihnen oder einem ihrer Tochterunternehmen ausgegebene Wertpapiere nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WpHG in Anspruch nehmen; vgl. PELLENS, B./BONSE, A./GASSEN, J. (1998), S. 785–786; HÜTTEN, C./LORSON, P. (2000a), S. 609–619; KRAWITZ, N./ALBRECHT, C./BÜTTGEN, D. (2000), S. 541; PELLENS, B./FÜLBIER, R. U. (2000a), S. 573; ZWIRNER, C. (2002), S. 93–94. Nach DRS 1 „Befreiender Konzernabschluss nach § 292a HGB“ zählen zu den erlaubten Rechnungslegungsstandards lediglich die IFRS und die US-GAAP. Vgl. dazu auch DEUTSCHER BUNDESTAG (1998), S. 12; KRAWITZ, N. (2001), S. 629. Art. 5 KapAEG. Vgl. dazu auch FÖRSCHLE, G./GLAUM, M./MANDLER, U. (1998), S. 2281–2288; KRAWITZ, N./ ALBRECHT, C./BÜTTGEN, D. (2000), S. 541; BURGER, A./ULBRICH, P. (2003), S. 2397. Vgl. VÖGELE-EBERING, T. (2003), S. 24. Vgl. IOSCO (2000). Vgl. dazu auch FUCHS, M./STIBI, B. (2000), S. 2; BALLWIESER, W. (2002a), S. 297. Vgl. dazu auch SEIFERT, M. (2000), S. 717–720; ERNST, C. (2001a), S. 823–825; PELLENS, B./GASSEN, J. (2001), S. 137–142; BRÜCKS, M. (2002), S. 165–166; WINDMÖLLER, R. (2002), S. 33; BUCHHEIM, R./GRÖNER, S. (2003), S. 953–955. Vgl. KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (2002), S. 1–2. Vgl. dazu auch HULLE, K. VAN (2002), S. 178; THEILE, C. (2003a), S. 957.

36

1 Einleitung

dieser Verordnung besteht für Gesellschaften, deren Sitz in einem Mitgliedstaat der EU liegt und deren Wertpapiere in einem beliebigen Mitgliedstaat der EU zum Handel an einem geregelten Markt41 nach Art. 1 Abs. 13 der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie zugelassen sind (sog. kapitalmarktorientierte Unternehmen), die Verpflichtung, ihren konsolidierten Abschluss für Geschäftsjahre, die ab dem 1. Januar 2005 beginnen, auf der Grundlage der IFRS aufzustellen und zu publizieren.42 Zur Vermeidung von Härtefällen müssen Unternehmen, deren Wertpapiere zum öffentlichen Handel in einem Nichtmitgliedstaat zugelassen sind (z.B. Unternehmen, die im Zusammenhang mit einem Listing an US-amerikanischen Börsen gegenwärtig nach den US-GAAP bilanzieren müssen) oder von denen nur Fremdkapitaltitel im geregelten Kapitalmarkt gehandelt werden, einer Übergangsregelung nach Art. 9 folgend, spätestens für Geschäftsjahre die nach dem 31. Dezember 2006 beginnen, ihren Jahresabschluss nach den IFRS ermitteln und veröffentlichen.43 Diese Übergangsfrist dient v.a. den in den USA gelisteten und daher nach den US-GAAP bilanzierenden Unternehmen, weil bis 2007 die Anerkennung der IFRS durch die US-amerikanische Börsenaufsichtsbehörde SEC (Securities and Exchange Commission), erhofft wird. Die EU-Verordnung räumt den Mitgliedstaaten außerdem ein Wahlrecht ein, diese Vorschrift auf den Einzelabschluss auszudehnen bzw. die IFRS auch für nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen zu gestatten.44 Da aber erstens durch eine Beschränkung auf kapitalmarktorientierte Unternehmen eine Trennung der Bilanzierungsregeln droht und zweitens im Zusammenhang mit den Baseler Eigenkapitalrichtlinien (Basel II)45 ebenfalls eine Erhöhung der Transparenz angestrebt wird, wird für diese Unternehmen auch eine obligatorische Anwendung diskutiert.46 Mit dieser Verordnung wird die Regelung des § 292a HGB ab dem Geschäftsjahr 2005 zeitlich fortgesetzt, weil § 292a HGB letztmalig für das Geschäftsjahr 2004 Anwendung finden darf.47 Zur Stärkung der Unternehmensintegrität und des Anlegerschutzes hat das Bundeskabinett am 21. April 2004 den Referentenentwurf zum Bilanzrechtsreformgesetz (RefE-BilReG) verabschiedet, das ergänzende nationale Bestimmungen zu den auf europäischer Ebene beschlossenen IFRS enthält.48 Damit besteht 41 42

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Dazu zählen in Deutschland der Amtliche Handel und der Geregelte Markt, jedoch nicht der Freiverkehr. Vgl. HELMSCHROTT, H. (2000), S. 941–948; KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (2000a), S. 11; SCHARPF, P. (2000), S. 629–634; IDW (2001), S. 664–668; DÜCKER, R. (2002), S. 71–72. Vgl. HULLE, K. VAN (2002), S. 180; BUCHHEIM, R./GRÖNER, S. (2003), S. 953. Vgl. SCHILDBACH, T. (2002), S. 263; JANKE, G./MIETKE, R. (2003), S. 749. Nach Basel II ist für Banken durch Ausweitung der Offenlegungsvorschriften eine komplementäre Disziplinierung durch den Markt in Ergänzung zu den regulatorischen Anforderungen erklärtes Ziel; vgl. dazu ausführlich MARTEN, K.-U./SCHLERETH, D./CRAMPTON, A./KÖHLER, A. G. (2002), S. 2007; HANENBERG, L./HILLEN, K.-H. (2003), S. 574; LÖHR, D. (2003), S. 643; RUHNKE, K./NERLICH, C. (2004), S. 389. Vgl. z.B. KIRSCH, H.-J. (2003), S. 276. Vgl. BURGER, A./ULBRICH, P. (2003), S. 2397. Siehe hierzu S. 35. Vgl. BMJ (2004a); STEINER, E./GROSS, B. (2004), S. 551. Am 29. Oktober 2004 wurde das BilReG vom Bundestag verabschiedet; vgl. BMJ (2004b).

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nunmehr auch ein Wahlrecht für die IFRS-Anwendung im Konzernabschluss von nicht kapitalmarktorientierten Unternehmen sowie für einen zusätzlichen, rein zu Informationszwecken dienenden Einzelabschluss.49 Damit die IFRS in den Mitgliedstaaten Rechtsqualität erhalten, müssen sie von der Europäischen Kommission nach Abschluss eines genau geregelten Komitologieverfahrens (Endorsement Mechanism) freigegeben werden.50 Mit der EUVerordnung vom 29. September 2003 (Verordnung Nr. 1725/2003) wurden in Einklang mit der Empfehlung des Accounting Regulatory Committee (ARC)51 vom 17. Juli 2003 bis auf zwei Ausnahmen52 alle Bilanzierungsnormen, die am 14. September 2002 vorlagen, verabschiedet.53 Ein besonderes Merkmal der IFRS liegt in der verstärkten Tendenz zur Ausweitung einer Bewertung von Vermögenswerten (Assets) und Schulden (Liabilities)54 zum Zeitwert.55 Während der Zeitwert anfangs nur im Bereich der Finanzinstrumente56 maßgeblich war,57 erstreckt sich mittlerweile seine Zulässigkeit z.B. auch auf die Folgebewertung im Rahmen einer alternativen Bewertung des Sachanlagevermögens, der immateriellen Vermögenswerte sowie des Investment Property.58 Insgesamt lässt sich daraus die Absicht ableiten, dass vom IASB langfristig eine Konzeption angestrebt wird, der zufolge sämtliche Posten zum Zeitwert anzusetzen sind (sog. Full Fair Value Model).59 Die Zeitwertbilanzierung führt allerdings 49 50

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Vgl. HÜTTEMANN, R. (2004), S. 203–207. Vgl. HOMMEL, M./HERMANN, O. (2003), S. 2501; BUCHHEIM, R./GRÖNER, S./KÜHNE, M. (2004), S. 1783. Zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Unternehmensabschlüssen ist ein Enforcement-Verfahren nötig. Zur Diskussion über die Ausgestaltung des Enforcement-Prozesses vgl. CAIRNS, D. (1998), S. 64–65; ARBEITSKREIS „EXTERNE UNTERNEHMENSRECHNUNG“ DER SCHMALENBACH-GESELLSCHAFT FÜR BETRIEBSWIRTSCHAFT (2002), S. 2173–2176; KÜTING, K./WOHLGEMUTH, F. (2002), S. 265–276; BMF (2003); EZB (2004a), S. 81. Das ARC besteht aus Vertretern der EU-Mitgliedstaaten und wird fachlich von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) beraten. Die EFRAG ist ein privates Forum von Bilanzierungsfachleuten (Standardsetter, Rechnungsleger, Wirtschaftsprüfer, Finanzanalysten etc.). Nicht verabschiedet wurden IAS 32 und IAS 39; vgl. BARCKOW, A./GLAUM, M. (2004), S. 186. IAS 39 wurde am 19. November 2004 verabschiedet; vgl. KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (2004b), S. 1. Vgl. KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (2003), S. 1, Vorbemerkung (5). Nachfolgend werden stets die deutschen Begriffe „Vermögenswerte“ und „Schulden“ verwendet. Zur Begriffsabgrenzung der Vermögenswerte (Schulden) im IFRS Framework vgl. F. 53–59 (F. 60–64). Der Zeitwert stellt den Oberbegriff für marktorientierte Wertmaßstäbe dar; vgl. COENENBERG, A. G. (2003), S. 107. IAS 32.5 (rev. 1998) und IAS 39.8 (rev. 2000) definieren als Finanzinstrument einen „Vertrag, der gleichzeitig bei einem Unternehmen zu einem finanziellen Vermögenswert und bei dem anderen zu einer finanziellen Verbindlichkeit oder einem Eigenkapitalinstrument führt.“ Vgl. dazu ausführlich PRAHL, R./NAUMANN, T. K. (2000), S. 127–128; SCHARPF, P. (2001), S. 18–73; NIEMEYER, K. (2003), S. 39–44. Entscheidend für diese Überlegungen war u.a. das verstärkte Aufkommen von derivativen Finanzinstrumenten, die typischerweise keine oder nur geringe Anschaffungswerte haben. Der Zeitwert stellt nämlich hierbei den einzig angemessenen Wertmaßstab für die Abbildung der ökonomischen Realität dar; vgl. EZB (2004a), S. 77. Vgl. ALTENBURGER, O. A. (1999), S. 543–544; KÜMPEL, T. (2003), S. 221–224; KÜTING, K./DAWO, S. (2003), S. 228–241; GRÜNBERGER, D./GRÜNBERGER, H. (2004b), S. 10. Vgl. statt vieler BAETGE, J./ZÜLCH, H. (2001), S. 545–546.

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zu einer Durchbrechung des Anschaffungswertprinzips, das bisher das deutsche Recht dominierte. Folglich ist damit auch eine Abkehr vom traditionellen Realisationsprinzip verbunden. Der Zeitwert als das zukünftige Bewertungsmodell wird jedoch nicht uneingeschränkt befürwortet, sondern ist von einer Reihe kontrovers diskutierter Problemfelder umgeben. Da die Regelungen zur Zeitwertbilanzierung europarechtlich im Widerspruch zur 4. EG-Richtlinie (Bilanzrichtlinie) und 7. EG-Richtlinie (Konzernabschlussrichtlinie) stehen,60 hat die EU bereits am 27. September 2001 eine Richtlinie, die sog. Fair Value-Richtlinie, für eine Modernisierung der Bilanz- und Konzernabschlussrichtlinie vorgelegt.61 Die Fair Value-Richtlinie enthält Umsetzungsmöglichkeiten, wonach die Mitgliedstaaten für bestimmte Finanzinstrumente eine Bewertung zum Zeitwert anstatt zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten vorschreiben bzw. zulassen können.62 Damit sollte der Weg für eine Bewertung zum Zeitwert auch für das Handelsrecht geebnet werden. Diese Richtlinie wurde am 27. Oktober 2001 verabschiedet und war bis zum 1. Januar 2004 in deutsches Recht zu transformieren.63 Im Rahmen des RefE-BilReG wurden deshalb Anpassungen des nationalen Bilanzrechts, v.a. hinsichtlich auf die im Anhang zum Jahresabschluss und im Lagebericht erforderlichen Angaben, an die zwingenden Vorschriften der Fair Value-Richtlinie vorgenommen, sodass vorerst zumindest Teilbereiche der Fair Value-Richtlinie umgesetzt wurden.64 In einem zweiten Gesetzesvorhaben, dem sog. Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, sollen schließlich die noch fehlenden Bereiche, die über die Regelungen zu Anhang und Lagebericht hinausgehen, enthalten sein.65 Damit wird zukünftig die Zeitwertbewertung über eine Änderung der §§ 246 ff. HGB für alle Unternehmen von großer Bedeutung sein. Ebenfalls an praktischer Bedeutung gewonnen hat die Zeitwertbilanzierung in letzter Vergangenheit v.a. aufgrund der starken Rückgänge der Aktienkurse an den internationalen Märkten, insbesondere in den Jahren 2001 und 2002, in deren Folge nicht nur Finanzkonzerne in bilanzielle Schwierigkeiten gerieten.66 Ob durch eine Ausweitung der Bewertung zum Zeitwert auf verschiedene Bilanzie60

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Vgl. dazu ausführlich HULLE, K. VAN (1998), S. 150. Vgl. dazu auch IDW (1998), S. 183–188; ZITZELSBERGER, S. (1998), S. 799–808; RUHNKE, K./SCHMIDT, M./SEIDEL, T. (2000), S. 879–880. Vgl. dazu auch HELMSCHROTT, H. (2000), S. 941–946; IDW (2000), S. 611–615; WIESNER, P. M. (2001), S. 3*; HARING, N./SCHWEIGHOFER, B. (2002), S. 266–272. Vgl. HOMMEL, M./BERNDT, T. (2002), S. 90; BÖCKING, H.-J./SITTMANN-HAURY, C. (2003), S. 195; WENDLANDT, K./KNORR, L. (2004), S. 48. Das BMJ vertritt die Auffassung, dass dies mit § 292a HGB, über den IAS 39 anwendbar ist, bereits umgesetzt ist. Nach Ablauf der Gültigkeit von § 292a HGB soll der geplante § 315a HGB-E diese Befreiungsvorschrift adäquat ersetzen; vgl. WENDLANDT, K./KNORR, L. (2004), S. 48. Vgl. dazu auch DRSC (2001a), S. 1–13; HOMMEL, M./BERNDT, T. (2002), S. 90–92; IDW (2002), S. 204–209. Vgl. BMJ (2004a); O.V. (2004a), S. 416; STEINER, E./GROSS, B. (2004), S. 552–553. Vgl. SCHULZE-OSTERLOH, J. (2003), S. 94–95; HÜTTEMANN, R. (2004), S. 203. Vgl. gl.A. LÜDENBACH, N./HOFFMANN, W.-D. (2004), S. 85.

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39

rungssachverhalte eine Steigerung des Informationsnutzens für die Adressaten resultiert, erscheint angesichts der vielen kritischen Stimmen zumindest fraglich. Für die Zeitwertbewertung sind nämlich im besonderen Maße die zwei Anforderungen der Relevanz und Verlässlichkeit von zentraler Bedeutung.67 Das Erfordernis der Verständlichkeit und Vergleichbarkeit kann hingegen unter die Relevanz subsumiert werden, weil Informationen nur dann relevant sind, wenn sie auch verständlich bzw. vergleichbar sind. Entscheidungsrelevant ist eine Information gemäß F. 26, wenn sie die Einschätzung des Investors beeinflusst, d.h. bestätigt oder korrigiert. Deshalb muss diese Information auch frei von Zufallsfehlern sowie systematischen Verzerrungen sein. Das zweite Kriterium, die Verlässlichkeit, wird laut F. 31 durch Objektivität und Willkürfreiheit erlangt, sodass auf die Darstellung des Vermögens und der Schulden vertraut werden kann, d.h. dass diese intersubjektiv nachprüfbar ist. Eine Ausdehnung des Umfangs an zukunftsorientierten Informationen aus Relevanzgründen bedingt aber auf der anderen Seite einen Verlust an Zuverlässigkeit. Dass eine Information für den Empfänger umso weniger wertvoll ist, je geringer sein Vertrauen darauf ist, steht außer Zweifel.68 Diese „neuartige“ Bewertungsmethodik zum Zeitwert stellt jedoch lediglich eine Rückkehr zu einer historischen Rechnungslegung dar, die in Deutschland bereits mehrfach gesetzliche Verankerung fand: Das Zeitwertprinzip war nämlich in Deutschland bereits 1861 mit dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB), der Aktienrechtsnovelle von 1870 sowie dem Handelsgesetzbuch (HGB) von 1897 dreimal bilanzrechtlich kodifiziert.

1.2

Problemstellung

Die inhaltliche Ausprägung erfährt das Vorsichtsprinzip nach dem HGB durch das Realisationsprinzip und das Imparitätsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB), wonach sich ein Kaufmann nicht reicher rechnen soll als er tatsächlich ist.69 Daraus resultiert aber eine ungleichmäßige Erfolgsverteilung, die allerdings vom Gesetzgeber bewusst akzeptiert wird. Mit der damit erreichten Verlustantizipation wird dem Postulat der vorsichtigen Bilanzierung am besten Genüge geleistet und damit das Verlustrisiko der Gläubiger bzw. der Aktionäre gesenkt.70 Würden nicht realisierte Buchgewinne ausgeschüttet, so monieren die Befürworter des Vorsichtsprinzips, könnten sich durch die Verteilung übermäßiger Dividenden an die Anteilseigner oder zudem im Zuge der steuerlichen Gewinnermittlung wegen der Maßgeblich67 68 69

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Vgl. z.B. HERRMANN, D./SAUDAGARAN, S. M./THOMAS, W. B. (2002), S. 12–27. Vgl. z.B. AKERLOF, G. A. (1970), S. 500. Vgl. dazu auch WALZ, R. W. (1993), S. 98–99. Vgl. WAGENHOFER, A. (1996a), S. 1051; JANKE, G./MIETKE, R. (2003), S. 751; BUCHHOLZ, R. (2004), S. 24 –26. Vgl. COENENBERG, A. G. (2003), S. 44–45.

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keit der Handels- für die Steuerbilanz71 durch überhöhte Steuerzahlungen Liquiditätsprobleme einstellen.72 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung in Bezug auf den Haftungsumfang: Im Gegensatz zu unbeschränkt haftenden Gesellschaftern von Einzelunternehmen bzw. von Personengesellschaften, bei denen ein uneingeschränktes Entnahmerecht vorliegt, haben beschränkt haftende Gesellschafter von Personengesellschaften bzw. von Kapitalgesellschaften nur einen Anspruch auf den residualen, d.h. den ausschüttbaren Gewinn. In Anbetracht des Gläubigerschutzgedankens sowie dem Schutz der Unternehmenssubstanz wird deshalb bei letzteren eine Ausschüttung unrealisierter Gewinne als nicht zulässig angesehen. Allerdings führt das Imparitätsprinzip zu niedrigeren Gewinnausweisen, was eventuell neue Kapitalgeber abhalten könnte, Mittel für das Unternehmen bereitzustellen. Dadurch können u.U. notwendige Kapitalerhöhungen nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen durchgeführt werden. Außerdem führt der Nichtausweis unrealisierter Gewinne zu einer Zurückhaltung von für die Gruppe der aktuellen wie potentiellen Eigen- und Fremdkapitalgeber notwendigen Informationen. Obwohl der Jahresabschluss nach § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) nach dem Rechenschaftszweck bei Kapitalgesellschaften ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermitteln soll,73 bedingt die imparitätische Behandlung von noch nicht realisierten Gewinnen und Verlusten die Bildung von stillen Zwangsrücklagen bzw. stillen Zwangsreserven. Stille (Zwangs-) Reserven entstehen, wenn der aktuelle Wert i.S.d. Zeitwerts eines Vermögensgegenstands74 über seinen Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten bzw. der aktuelle Wert einer Schuld unter seinem ursprünglichen Ansatzwert liegt.75 Zum einen führt die Abweichung der Buchwerte von ihren Zeitwerten zunächst zu einer Gewinnminderung, zum anderen resultieren aber in späteren Perioden bei Auflösung der stillen Reserven Gewinnerhöhungen, die wiederum als Indikator für den Zustand eines Unternehmens eine irreführende Abbildung der tatsächlichen Situation wiedergeben können. Häufig wird besonders in Verlustphasen eine überhöhte Dividendenverteilung vorgenommen, um den Investoren das Bild von einem produktiven, wirtschaftlichen, rentablen oder liquiden Unternehmen vermitteln zu können. Denn von diesen Eigenschaften hängen das Ansehen, das Image sowie die Möglichkeiten der weiteren Kapitalbeschaffung ab. Auch Banken orientieren sich 71

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Der handelsrechtliche Jahresabschluss ist zugleich „maßgeblich“ für die Steuerbilanz, d.h. er bildet gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG die Basis für die Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns. Vgl. kritisch KAHLE, H. (1997), S. 323. Vgl. LEFFSON, U. (1987), S. 105; GRÄFER, H./SORGENFREI, C. (2004), S. 31–34. Im HGB werden Vermögenswerte als Vermögensgegenstände bezeichnet; vgl. z.B. § 246 Abs. 1 Satz 1 HGB. Zu stillen Reserven in der Rechnungslegung vgl. ausführlich KÜTING, K. (1999), S. 761–764; THIELE, K. (1999), insbesondere S. 7–12 und 30–43; WULF, I. (2001), S. 1097–1099.

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41

bei der Aufstellung ihrer Ratings an diesen Größen, wovon die Bonität eines Unternehmens und damit zusammenhängend dessen Kosten für die Kapitalaufnahme, beispielsweise in Form der Zinskonditionen, abhängt.76 Des Weiteren liegt die Ursache für eine derartige Bilanzpolitik77 in den für Manager üblichen Belohnungssystemen. Indem die Entlohnung zu einem Großteil aus Tantiemen oder Aktienoptionen (Stock Options) besteht, liegt für die Manager ein Anreiz in der Beeinflussung ihrer Basisgrößen wie Gewinn, Eigenkapitalquote78 oder Umsatz, um somit ihr eigenes Einkommen zu maximieren.79 In Anbetracht dieser Umstände ist es nicht verwunderlich, dass Manipulationen (im Finanzergebnis) in Abschlüssen nicht nur bei US-amerikanischen Unternehmen nach den US-GAAP, sondern ähnliche Fälle auch unter Beachtung der GoB auftraten, wie die Fälle von Comroad, Holzmann, Flowtex, Metallgesellschaft80 oder Balsam-Procedo exemplarisch beweisen.81 Dass gerade durch die o.g. Beweggründe zur Manipulation der Abschlüsse die Gefahr der Illiquidität bei zahlreichen Unternehmen latent vorhanden sein dürfte, ist nach h.M. unbestritten.82 Zudem folgt aus der imparitätischen Behandlung des Zeitwertansatzes eine unvollständige, asymmetrische Information über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens. Aus diesen Gründen folgt zumindest z.T. die Untauglichkeit der GoB für die Vermittlung entscheidungserheblicher sowie verlässlicher Informationen für den Kreis der unternehmensexternen Interessenten. Der Vorteil der Bilanzierung nach den IFRS wird dagegen gerade darin gesehen, dass die finanzielle Lage, die Ertragskraft und die Substanz des Unternehmens möglichst objektiv dargestellt werden.83 Beispielsweise kann durch eine bewusste Offenlegung der stillen Reserven ein verbessertes Banken-Rating erreicht werden, und überdies können zukünftige Entwicklungschancen durch die Möglichkeit der Aktivierung von Investitionen in die Entwicklung neuer Produkte deutlich besser abgebildet werden.84 Wie bereits oben angedeutet, ist der Zeitwert das nach den IFRS stetig an Bedeutung gewinnende Bewertungsmerkmal. In Verbindung mit der Konzeption der Zeitwertbilanzierung werden gegenwärtig jedoch vielfältige Konfliktbereiche und 76 77 78

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Vgl. NÖLTE, U./RICHARD, M. (2003), S. 700. Zum Begriff „Bilanzpolitik“ vgl. BAETGE, J./BALLWIESER, W. (1978), S. 512. Quotient aus Eigenkapital und Gesamtkapital (Bilanzsumme). Zu dieser Kennzahl vgl. grundlegend KRUMNOW, J. (1996), S. 401; COENENBERG, A. G. (2003), S. 955; JEBENS, T. (2003), S. 2350. Vgl. CHISMAN, N. (1998), S. 73; SCHNECK, O. (2002), S. 1. Bei Worldcom oder Enron erfolgte die Entlohnung der Manager zu annähernd 70% über Aktienoptionen. Zu dieser Entlohnungsform vgl. DJANANI C./HARTMANN, T. (2000), S. 359–362. Zum Fall der Metallgesellschaft vgl. ausführlich KROPP, M. (1995), S. 14–32. Vgl. HOFFMANN, W.-D./LÜDENBACH, N. (2002), S. 541; LEIBFRIED, P./AMANN, T. (2002), S. 191; ZIMMERMANN, J. (2003), S. 360. Vgl. z.B. HOFFMANN, W.-D./LÜDENBACH, N. (2002), S. 542–543; KÜMPEL, T. (2003), S. 223. Vgl. VÖGELE-EBERING, T. (2003), S. 24–25. Vgl. JEBENS, T. (2003), S. 2350.

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Schwierigkeiten bei der praktischen Durchführung angeführt. Die Frage nach der generellen Eignung des Zeitwerts als Wertmaßstab im externen Rechnungswesen ist somit aus vielfältigen Gründen sehr streitig. Angesichts der Abkehr von der traditionellen Bewertungssystematik zu historischen Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten stellt die Bewertung zum Zeitwert in der Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) sowie im Anhang einen fundamentalen Systemwechsel dar, weswegen es nicht verwundert, wenn diesbezüglich sogar von einer „Coming Revolution in Accounting“85 oder einem Paradigmenwechsel86 gesprochen wird. Da diese als „revolutionär“ bezeichnete Bilanzierungsmethodik jedoch bereits in der Vergangenheit praktische Anwendung fand, ist von Interesse, in welchem Maße die von den Gegnern der Zeitwertbewertung vorgebrachten Argumente bei der praktischen Ausübung dieser Bewertungsmethodik auftraten und welchen Beitrag sie zu den wirtschaftlichen Entwicklungen während ihrer Gültigkeit leisteten. Im Jahr 1861 begann mit Einführung des ADHGB in den deutschen Staaten (und in Österreich) eine Bewertungsmethodik, die mehrheitlich unter dem Prinzip einer vollständigen Zeitwertbilanzierung interpretiert wurde. Diese Bewertungssystematik wurde schließlich für die deutschen Staaten im Rahmen der Aktienrechtsnovelle von 1870 speziell für Aktiengesellschaften präzisiert. Zur selben Zeit stellte sich im neu gegründeten Deutschen Reich, aber auch in Österreich, ein beispielloser Aufschwung des Unternehmertums ein, der unter der Bezeichnung „Gründerzeit“ in die Geschichte einging. Diese Zeit charakterisierte sich im Wesentlichen durch das Entstehen zahlreicher neuer Aktiengesellschaften. Nach dieser allerdings nur wenige Jahre andauernden Phase des raschen wirtschaftlichen Aufstiegs folgte eine langwierige Periode des wirtschaftlichen Niedergangs. Im Verlauf dieser Depressionsphase traten bei Aktiengesellschaften zahlreiche Liquidationen und Konkurse auf, womit nicht nur ein genereller Vertrauensverlust vonseiten der Anteilseigner in diese Rechtsform verbunden war, sondern auch vonseiten der Gläubiger hohe Kreditausfälle zu verzeichnen waren. Der deutsche Gesetzgeber reagierte im Jahr 1884 mit einer umfassenden Reform des bestehenden Aktienrechts. Im Zuge dieser Reform wurde die generelle Zeitwertbilanzierung zumindest für Aktiengesellschaften wieder beseitigt und durch das traditionelle Anschaffungswertprinzip ersetzt. Für Nichtaktiengesellschaften wurde hingegen die Zeitwertbewertung noch für längere Zeit beibehalten und war sogar in der revidierten Version des Handelsrechts von 1897 abermals enthalten.

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SIEGEL, S. (1997), S. 81. Vgl. BAETGE, J./ZÜLCH, H./MATENA, S. (2002), S. 365.

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1.3

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Stand der Literatur

In der zeitgenössischen Literatur, Politik sowie Justiz wurde zwar im Zusammenhang mit den negativen Folgen der Gründerzeit ausführlich auf die Problematik der Bewertungsfrage eingegangen, jedoch wurde dabei das Thema entweder rein bilanztheoretisch angegangen oder nur auf konkrete, besonders schwerwiegende Einzelfälle Bezug genommen. Zu den von der Zeitwertbilanzierung in der praktischen Anwendung ausgehenden Auswirkungen auf die Kapitalgeber deutscher Aktiengesellschaften und zu dem vom Zeitwertansatz geleisteten Beitrag zur ökonomischen Entwicklung in der damaligen Zeit wurde dagegen keine Stellung genommen. Bisherige empirische Studien zur jüngeren internationalen Rechnungslegung im Zusammenhang mit einer Zeitwertbewertung sind sowohl qualitativer (verhaltenswissenschaftliche Studien) als auch quantitativer Art (kapitalmarktorientierte Studien). In den folgenden Ausführungen werden in Kürze die angewandten Analysemodelle und Untersuchungsergebnisse dieser überwiegend internationalen Studien dargestellt. Die vier wesentlichen qualitativen Studien zur Akzeptanz von Zeitwerten kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen: Einer älteren Studie der KPMG zufolge sprachen sich 1992 noch mehr als zwei Drittel für eine Beibehaltung der Bewertung auf Basis historischer Kosten aus,87 während aus einer 1996 veröffentlichten dänischen Studie eine hohe Akzeptanz der Zeitwertbilanzierung hervorgeht, indem 88% der befragten Finanzanalysten eine Bilanzierung zum Zeitwert befürworteten.88 In einer dritten Studie, dem Report der Fair Value Focus Groups89 aus dem Jahr 1998, waren die Gruppen der Befürworter und Gegner einer Zeitwertbilanzierung von Finanzinstrumenten etwa gleich stark.90 In einer weiteren im Jahr 2000 durchgeführten Befragung von deutschen Führungskräften wurde der Einsatz des Zeitwerts zur Bewertung derivativer Finanzinstrumente von der Mehrzahl der Befragungsteilnehmer bejaht, während eine Ausdehnung des Zeitwerts auf sämtliche Finanzinstrumente überwiegend auf Ablehnung stieß.91

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Vgl. KPMG (1992) zitiert nach Thinggaard; vgl. THINGGAARD, F. (1996), S. 60–61. Vgl. kritisch MEASELLE, R. L. (1994), S. 408–409. Vgl. THINGGAARD, F. (1996), S. 68. Dabei handelt es sich um eine vom FASB, CICA und AIMR bei der Beratungsgesellschaft Sirota Consulting in Auftrag gegebene Befragung von US-amerikanischen sowie kanadischen Analysten und Portfolio-Managern. Es herrschte „no clear consensus“ über die Frage der Anwendung von Zeitwerten für sämtliche Finanzinstrumente. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich dieses Ergebnis auf die Minderheit der Befragten bezog, die überhaupt Kenntnis von einer Zeitwertbilanzierung hatte; vgl. SIROTA CONSULTING (1998), S. 5 und 14. Vgl. GLAUM, M./FÖRSCHLE, G. (2000), S. 1531–1534.

44

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Hauptgegenstand der bisherigen quantitativen Studien waren dagegen Regressionsanalysen, mit deren Hilfe Erklärungszusammenhänge zwischen geschätzten bzw. offengelegten Zeitwertangaben oder unrealisierten Erfolgen aus Zeitwertänderungen als unabhängige Variable und dem Aktienkurs bzw. der Aktienrendite (Stock Returns) oder dem Aktienkurs-Buchwert-Verhältnis als abhängige Variable untersucht wurden. Die ersten US-amerikanischen Studien wurden noch vor Einführung entsprechender US-GAAP-Vorschriften zur Offenlegung oder Bilanzierung von Zeitwerten durchgeführt, wobei nur unter restriktiven Bedingungen ein o.g. Zusammenhang konstatiert werden konnte.92 Zahlreiche Studien wurden schließlich nach Einführung des Statement of Financial Accounting Standards (SFAS) No. 10793 durchgeführt, um die Erklärungsrelevanz der in diesem Standard geforderten Zeitwertangaben zu analysieren. Die Ergebnisse der vielfältigen Studien waren ebenfalls sehr heterogen und reichten von überhaupt keinem beobachtbaren Erklärungszusammenhang94, über schwache Auswirkungen95 bis hin zu signifikanten Effekten96.

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Barth konnte über den Zeitraum von 1971 bis 1990 für die Offenlegung unrealisierter Gewinne und Verluste aus der Zeitwertbilanzierung von Wertpapieren bei Banken keinen Zusammenhang zum Aktienkurs erkennen, jedoch beobachtete sie bei Angaben von Zeitwerten für zur langfristigen Anlage geeignete Wertpapiere (Investment Securities) eine signifikante Erklärungskraft für die Aktienkurse, die zudem bei historischen Kosten nicht vorlag; vgl. BARTH, M. E. (1994), S. 1–2 und 23–24. Ahmed/Takeda bemerkten allerdings zwischen 1986 und 1991 bei 152 Banken dann einen signifikanten Effekt offengelegter nicht realisierter Gewinne und Verluste von Wertpapieren auf die Aktienrendite, wenn auch die Zinssensitivität anderer (bilanzierter) Vermögensgegenstände mitberücksichtigt wurde; vgl. AHMED, A. S./TAKEDA, C. (1995), S. 207–210 und 225. SFAS No. 107 „Disclosures about Fair Value of Financial Instruments“ (veröffentlicht im Dezember 1991) schreibt die Offenlegung der Zeitwerte von nahezu allen Finanzinstrumenten unterhalb der Bilanz oder im Anhang vor. Vgl. dazu auch WIEDMANN, H. (1995), S. 787–789. Nelson beobachtete bei einer Analyse der Jahre 1992 und 1993 von 146 US-Banken für die Zeitwertangaben von Darlehen (Loans), langfristigen Verbindlichkeiten (Long-term Debts) und außerbilanziellen Angaben keine Erklärungsrelevanz des Zeitwerts für den Marktwert des Eigenkapitals; vgl. NELSON, K. K. (1996), S. 172–179. Eccher/Ramesh/Thiagarajan konnten bei etwa 300 zwischen 1992 und 1993 untersuchten US-Banken in Bezug auf Zeitwertangaben nur bei langfristig gehaltenen Wertpapieren eine schwach signifikante Korrelation zwischen den Differenzen von Zeitwerten und Buchwerten zum Aktienkurs-Buchwert-Verhältnis feststellen; vgl. ECCHER, E. H./RAMESH, K./THIAGARAJAN, S. R. (1996), S. 114–115. Die 136 US-amerikanische Banken umfassende Studie von Barth/Beaver/Landsman für 1992 ergab eine signifikante Auswirkung der Zeitwertangaben bei Wertpapieren sowie zusätzlich bei Darlehen und langfristigen Verbindlichkeiten; vgl. BARTH, M. E./BEAVER, W. H./LANDSMAN, W. R. (1996), S. 535–536. Wampler/Posey beobachteten bei 65 Banken für die Geschäftsjahre 1992 bis 1995 dagegen nur unter sehr restriktiven Bedingungen und dann auch nur bei Depositen einen signifikanten Effekt auf den Aktienkurs; vgl. WAMPLER, B. M./POSEY, C. L. (1998), S. 264. Carroll/Linsmeier/Petroni konstatierten bei geschlossenen Investmentfonds ebenfalls für Wertpapiere einen signifikanten Zusammenhang zwischen Zeitwertangaben und Aktienkurs, der zudem für realisierte Gewinne und Verluste aus zur Veräußerung gehaltenen Finanzinstrumenten vorlag; vgl. CARROLL, T. J./ LINSMEIER, T. J./PETRONI, K. R. (2002), S. 16–17. Simko, der erstmals Industrie- und Handelsunternehmen analysierte, zeigte für die Jahre 1992 bis 1995 bei 300 Unternehmen einen schwachen Zusammenhang zwischen Anhangsangaben zu unrealisierten Erfolgen und dem Marktwert des Eigenkapitals auf; vgl. SIMKO, P. J. (1999), S. 270–271.

1 Einleitung

45

In weiteren Studien zu SFAS No. 11597 wurde sowohl ein signifikanter Erklärungsgehalt der Bewertung zu Zeitwerten für den Marktwert des Eigenkapitals98 als auch der Differenz zwischen Zeitwerten und historischen Kosten von bilanzierten Wertpapieren für die Differenz zwischen Börsenwert und Buchwert des Eigenkapitals99 festgestellt. Eine Studie zu SFAS No. 119100 belegte zudem eine signifikante Erklärungskraft der Anhangsangaben von Zeitwerten derivativer Finanzinstrumente für die Aktienkurse.101 Zwei weitere quantitative Untersuchungen, die eine Analyse der Kapitalmarktreaktion (Ereignisstudie) bzgl. SFAS No. 115 vornahmen, kamen zu dem Ergebnis, dass Meldungen des Financial Accounting Standards Board (FASB) im Rahmen des Standardisierungsprozesses über die Ausgestaltung der Zeitwertbewertung in diesem Standard eine signifikante Reaktion beim Aktienkurs hervorriefen.102 Mehrere auf die Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage gerichtete internationale Studien belegten überdies, dass die Anwendung einer Zeitwertbilanzierung sowohl zu einer erhöhten Volatilität der Jahresergebnisse als auch des Eigenkapitals führ-

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SFAS No. 115 „Accounting for Certain Investments in Debt and Equity Securities“ (veröffentlicht im Mai 1993) schreibt für bestimmte Teilbereiche von Finanzinstrumenten (v.a. Wertpapiere) einen Ansatz zum Zeitwert vor; in Abhängigkeit von der Kategorie sind unrealisierte Erfolge einer Zeitwertänderung GuV-neutral oder GuV-wirksam auszuweisen. Vgl. dazu auch PARKS, J. T. (1993), S. 49–56; KRONER, M. (1994), S. 2247 –2249; RAZAEE, Z./LEE, J. T. (1995), S. 211–212; WIEDMANN, H. (1995), S. 790–796. Petroni/Wahlen fanden bei Sach- und Haftpflichtversicherern für 1985 bis 1992 ebenfalls einen hohen Erklärungszusammenhang zwischen GuV-neutralen Zeitwertbilanzierungen von Eigenkapitalinstrumenten (Equity Securities) sowie der Zeitwertangaben im Anhang von finanziellen Verbindlichkeiten mit fester Laufzeit (Fixed Maturity Debt Securities) und Aktienkurs; für historische Kosten war kein derartiger Zusammenhang erkennbar; vgl. PETRONI, K. R./WAHLEN, J. M. (1995), S. 735. Park/Park/Ro beobachteten sowohl für die Höhe der Differenzgrößen als auch für deren Veränderung einen signifikanten Zusammenhang mit dem Aktienkurs; vgl. PARK, M. S./PARK, T./RO, B. T. (1999), S. 347–370. SFAS No. 119 „Disclosure about Derivative Financial Instruments and Fair Value of Financial Instruments“ (veröffentlicht im Oktober 1994) regelt die Offenlegung von Zeitwerten für derivative Finanzinstrumente. Vgl. dazu auch ACKERMANN, U. (2001), S. 61. Venkatachalam untersuchte für 1993 und 1994 im US-Bankenbereich (Sample von 99 Banken) Auswirkungen der Offenlegung von Zeitwerten bei Derivaten auf den Aktienkurs, wobei ein signifikanter Zusammenhang festgestellt wurde; vgl. VENKATACHALAM, M. (1996), S. 354. Beatty/Chamberlain/Magliolo analysierten 260 US-Banken und 96 US-Versicherungsgesellschaften, wobei die Ankündigung des FASB, wonach Zeitwerte nur für Aktivposten zu verwenden seien, zu negativen Kursreaktionen führten, während Mitteilungen, dass Überlegungen bestünden, auch Passivposten einzubeziehen, zu positiven Kursreaktionen führten; für Versicherungsgesellschaften war kein derartiger Zusammenhang nachweisbar. Darüber hinaus ergab die Studie, dass Banken mit größerem Wertpapierumsatz einer stärker negativen Reaktion unterlagen; vgl. BEATTY, A./CHAMBERLAIN, S./MAGLIOLO, J. (1996), S. 76. Cornett/Rezaee/Tehranian untersuchten ebenfalls Mitteilungen im Zusammenhang mit SFAS No. 115 auf die Kurse von 23 US-Banken, wobei insgesamt zwölf signifikante Reaktionen festgestellt wurden: alle sieben signifikant negativen Reaktionen waren auf die Ankündigung einer Zeitwerteinführung zurückzuführen, während alle fünf signifikant positiven Reaktionen auf einen angedeuteten Verzicht der Einführung beruhten; vgl. CORNETT, M. M./REZAEE, Z./ TEHRANIAN, H. (1996), S. 151–152. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch Lys, der negative Reaktionen in Bezug auf die Einführung einer Rechnungslegung zum Zeitwert beobachtete; vgl. LYS, T. (1996), S. 174.

46

1 Einleitung

te.103 In einer im Jahr 2001 veröffentlichten Studie wurde die Auswirkung der Zeitwertbilanzierung im Zuge der Umstellung deutscher Konzernabschlüsse für drei Konzerne auf die US-GAAP untersucht, wobei diesbezüglich großer Anpassungsbedarf in den Jahresabschlüssen zu beobachten war.104 Trotz der insgesamt sehr unterschiedlichen Ergebnisse der bislang durchgeführten empirischen Studien zu den Wirkungen der Zeitwertbilanzierungsregeln kann dem Zeitwert als Resultat zweifelsfrei ein hoher Informationsnutzen beigemessen sowie eine zunehmende Bereitschaft zur Akzeptanz einer Zeitwertbewertung festgestellt werden. Die erwähnten Analysemodelle besitzen jedoch eine nur sehr begrenzte Aussagekraft, weil ausschließlich die vom Zeitwert ausgehenden Effekte auf den Kapitalmarkt, d.h. ausschließlich aus der Sicht der Eigenkapitalgeber im Mittelpunkt der Studien standen. Überdies bildeten meist US-amerikanische bzw. kanadische Unternehmen, folglich nach US-GAAP bilanzierende Unternehmen, sowie hauptsächlich Unternehmen des Finanzsektors die Datengrundlage. Da diese Studien nicht speziell auf die IFRS ausgerichtet waren, ist eine Übertragung der Effekte auf den Anwendungsbereich der IFRS nur sehr beschränkt, d.h. nur unter Zugrundelegung bestimmter Annahmen über das Verhältnis vom untersuchten zum IFRS-Regelwerk, möglich. Primäres Untersuchungsobjekt bei bisherigen Studien zum IFRS-Regelwerk war insbesondere die Frage nach der allgemeinen Bilanzierungspraxis und nicht der spezifischen Wirkungen einer Zeitwertbilanzierung.105 Vorrangig erfolgten diese Analysen zudem zu Unternehmen des Neuen Markts (NEMAX), weil die auf diesem Börsensegment gelisteten Unternehmen zuerst zur Aufstellung von Abschlüssen nach internationalen Rechnungslegungssystemen verpflichtet waren.106 In jüngster Zeit gewinnen die internationalen Abschlüsse v.a. nach dem Regelwerk der IFRS jedoch insbesondere in den Börsensegmenten des DAX 30 sowie des MDAX – und damit bei den größten und wichtigsten deutschen Unternehmen107 – 103

104 105

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107

Vgl. für die USA BERGER, A. N./KUESTER KING, K./O’BRIEN, J. M. (1991), S. 753–783; BARTH, M. E./ LANDSMAN, W. R./WAHLEN, J. M. (1995), S. 577–605; BARTH, M. E./LANDSMAN, W. R./WAHLEN, J. M. (1995/96), S. 18–23; für Dänemark BERNARD, V. L./MERTON, R. C./PALEPU, K. G. (1995), S. 1–32; für Japan YONETANI, T./KATSUO, Y. (1998), S. 33–43. Vgl. ACKERMANN, U. (2001), S. 137–142. Insbesondere wurde die Einhaltung von Ausweispflichten untersucht oder eine Analyse des Publizitätsniveaus vorgenommen; vgl. NEUß, A. (1998), S. 218–232 und 249–269; D'ARCY, A./LEUZ, C. (2000), S. 385–391; BALLWIESER, W. (2001), S. 844–852; GLAUM, M./STREET, D. (2002), S. 122–138; KÜTING, K./ZWIRNER, C. (2003), S. 193–200; BONSE, A. (2004), S. 269–361. Jüttner-Nauroth untersuchte zudem die praktische Relevanz (Einsatz von Derivaten und Ausgestaltung der Angaben hierzu) des Zeitwerts von Aktienoptionsrechten; vgl. JÜTTNER-NAUROTH, B. (2002), S. 143–166. Vgl. DEUTSCHE BÖRSE GROUP (2003), Nr. 4.1.9. Vgl. dazu auch HÜTTEN, C./LORSON, P. (2000b), S. 525–526; DÜRR, U./ZWIRNER, C. (2002), S. 316–317. Der DAX misst die Performance der 30 hinsichtlich Orderbuchumsatz und Marktkapitalisierung größten deutschen Unternehmen des Prime Standard. Der MDAX enthält die Werte der 50 Unternehmen des Prime Standard

1 Einleitung

47

zunehmend an praktischer Relevanz, weshalb im zweiten Teil die Unternehmen dieser beiden Börsensegmente im Mittelpunkt stehen. Einer Untersuchung zu den Auswirkungen einer Zeitwertbewertung auf den Kreis der Kapitalgeber bei nach den IFRS bilanzierenden Aktiengesellschaften in Deutschland wurde bislang wenig Beachtung gewidmet. Die vorhandenen Studien erstreckten sich ausschließlich auf einzelne Teilbereiche dieses insgesamt sehr komplexen Gebiets und erfolgten zudem nicht über einen mehrperiodischen Zeitraum.108 Daher kann resümiert werden, dass die bislang durchgeführten empirischen Forschungsergebnisse wenig Aufschluss für eine Beurteilungsgrundlage einer Zeitwertbilanzierung nach den IFRS-Grundsätzen geben.

1.4

Präzisierung der Problemstellung

Mit der vorliegenden Arbeit wird das Ziel verfolgt, sowohl die historische als auch die aktuelle, international hoch kontroverse Diskussion zur Thematik der Zeitwertbilanzierung aufzugreifen und die Berechtigung historischer sowie aktueller Vorbehalte bzgl. einer praxisgerechten Umsetzung aus der Kapitalgebersicht zu analysieren und kritisch zu würdigen. Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet die Frage, ob und ggf. in welchem Ausmaß sich die gegen eine Zeitwertbilanzierung geäußerten Bedenken in der Praxis bemerkbar machten. Zur Erfüllung dieses Ziels sollen anhand empirischer Befunde die Folgen der Zeitwertbewertung für die Bilanzierungspraxis zum einen während der Geltungsdauer des Zeitwerts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zum anderen für die gegenwärtig nach den IFRS publizierten Konzernabschlüsse deutscher Großunternehmen aufgezeigt werden. Insgesamt soll mit dieser Untersuchung ein Beitrag zu der vielfach diskutierten Bewertung zum Zeitwert, insbesondere in Bezug auf die Auswirkung auf den Kreis der Kapitalgeber, geleistet werden. Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt grundsätzlich auf dem Gebiet der Kapitalgesellschaften, insbesondere der Aktiengesellschaften, weil bei dieser Rechtsform im besonderen Maße die Gefahr eines Interessenkonflikts zwischen verschiedenen Wirtschaftssubjekten (z.B. Vorstand und Eigenkapitalgeber bzw. Vor-

108

aus klassischen Sektoren, die den im Aktienindex DAX enthaltenen Unternehmen hinsichtlich Orderbuchumsatz und Marktkapitalisierung nachfolgen (sog. Midcaps). Leibfried/Amann untersuchten für 2001 die Zusammensetzung der erfolgsneutralen Änderungen im Eigenkapital, wobei auch auf den Effekt der GuV-neutral erfassten Bewertungsänderungen eingegangen wurde; vgl. LEIBFRIED, P./AMANN, T. (2002), S. 191–197; Neuß analysierte für 1996 den quantitativen Einsatz derivativer Finanzinstrumente in IFRS-Konzernabschlüssen; vgl. NEUß, A. (1998), S. 232–244 und 269–286.

48

1 Einleitung

stand und Fremdkapitalgeber) vorliegen kann.109 Die Informationsfunktion und die Relevanz bzw. die Zuverlässigkeit des Jahresabschlusses ist demzufolge bei beschränkt haftenden Gesellschaften von größerer Bedeutung als bei unbeschränkt haftenden Gesellschaften. Die vorliegende Arbeit umfasst sowohl qualitative als auch quantitative Elemente, indem aus der Sicht der Kapitalgeber und dabei v.a. hinsichtlich der Erfüllung derer Informationsbedürfnisse als das primäre Ziel der Abschlüsse nach den IFRS einerseits die konkrete Ausübungspraxis der IFRS-Bewertungsregelungen (z.B. Art und Umfang der Ausübung von Wahlrechten oder Offenlegung von Ermittlungsmethoden) sowie andererseits die aus dieser Anwendung resultierenden Effekte im Konzernabschluss thematisiert werden. Ausgeblendet werden hingegen die spezifischen Auswirkungen der Zeitwertbewertung auf den Aktienkurs, weil hierzu bereits vielfältige Studien existieren und die Erfahrungen zudem zeigen, dass am Kapitalmarkt Veränderungen der Börsenkurse oftmals eher auf Spekulation als auf ökonomischen Realitäten basieren,110 wie beispielsweise die Entwicklung am Neuen Markt zweifelsfrei belegt.111 Darauf deuten auch die bisher ermittelten, sehr heterogenen Untersuchungsergebnisse hin. Darüber hinaus erscheint eine isolierte Betrachtung der Zeitwertvorschriften als Einflussfaktor auf den Aktienkurs schwer durchführbar, weil im gegenwärtigen Rechnungslegungssystem nach den IFRS der Zeitwert auf sehr unterschiedliche Art und Weise zum Ausdruck kommt.

1.5

Gang der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit besteht aus zwei Teilen, wobei sich der erste Teil auf die historische Epoche der Zeitwertbilanzierung konzentriert und der zweite Teil die aktuelle Diskussion im Rahmen der Internationalisierung der Rechnungslegung aufgreift. Ausgehend von den im Zusammenhang mit der Zeitwertbilanzierung in Deutschland (d.h. im (Nord-)Deutschen Bund bzw. anschließend im Deutschen Reich112) gemachten Erfahrungen werden auf die damit einhergehenden Problem109

110 111

112

Sog. Principal-Agent-Theorie. Vgl. dazu ausführlich HARTMANN-WENDELS, T. (1989), S. 714–734; KARMANN, A. (1992), S. 557–562; MÜLLER, C. (1995), S. 61–76; GEDENK, K. (1998), S. 22–37; PFAFF, D./ZWEIFEL, P. (1998), S. 184–190; MENSCH, G. (1999), S. 686–688. Vgl. z.B. MATTHES, H. (2001), S. 29–37. 2003 erfolgte aufgrund der negativen Entwicklung schließlich die Umstrukturierung in den TecDAX; vgl. OSSADNIK, W./BARKLAGE, D. (2003), S. 1286. Zur Entwicklung des Neuen Markts vgl. KÜTING, K. (2000b), S. 597–605 und 674–683; BEHR, G./LEIBFRIED, P. (2001), S. 1127–1132; EULER, R. (2002), S. 879; GLAUM, M./STREET, D. (2002), S. 125. Der Deutsche Bund war ein auf dem Wiener Kongress 1815 durch die „Bundesakte“ gegründeter Staatenbund der deutschen souveränen Fürsten sowie der freien Städte und bestand bis zum preußisch-österreichischen Krieg 1866. Die Gründung des Norddeutschen Bundes erfolgte 1866/67 als Zusammenschluss aller nördlich der Main-

1 Einleitung

49

kreise sowie drohenden Gefahren im Verlauf des derzeitigen Internationalisierungsprozesses hingewiesen. In Kapitel 2 werden zunächst die wesentlichen Wertbegriffe und Bewertungsregeln sowie die konzeptionelle Grundlage der Zeitwertbilanzierung dargestellt. Im Gegensatz zu dem vom Gläubigerschutzgedanken dominierten Handelsrecht betont das internationale Rechnungslegungssystem der IFRS die Bereitstellung entscheidungsnützlicher Informationen, sodass die qualitativen Abschlussanforderungen der Relevanz, Verlässlichkeit, Vergleichbarkeit und Verständlichkeit eine zentrale Position einnehmen. Vor diesem Hintergrund werden die derzeitigen Bewertungsvorschriften im HGB- und im IFRS-Regelwerk betrachtet und anschließend die zentralen Funktionen der Informationsvermittlung sowie der Ausschüttungs- und Zahlungsbemessung des Abschlusses problematisiert. Im Anschluss an diese Erörterungen folgt eine kurze bilanztheoretische Einordnung der Bewertungskonzeptionen zum Zeitwert. Abschließend werden die im Zusammenhang mit einer Zeitwertbewertung wesentlichen Problemfelder skizziert und die derzeitigen Bewertungsvorschriften der Rechnungslegungssysteme nach dem HGB und nach den IFRS kritisch diskutiert. Mit der ausführlichen Darstellung des historisch-bilanztheoretischen Entwicklungsprozesses zur Zeitwertbewertung in Kapitel 3 wird der Zweck verfolgt, einen fundierten theoretischen Hintergrund für das Verständnis einerseits der in Kapitel 4 untersuchten historischen Bilanzierungsgepflogenheiten und andererseits auch für den gegenwärtigen Stand der internationalen Bilanzierungspraxis in Kapitel 5 zu schaffen. Die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung leistet somit einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung der beschriebenen Problemstellung. Ausgehend von den erstmals in Frankreich formulierten Bewertungsregeln, wird die weitere Entwicklung der Bewertungsbestimmungen in Deutschland bis zum In-Kraft-Treten des Handelsgesetzbuchs im Jahr 1900 dargestellt. Abschließend wird eine kurze Darstellung über die Fortentwicklung der Bewertungsvorschriften in Deutschland sowie ergänzend hierzu in Österreich nach dessen Ausscheiden aus dem Deutschen Bund im Jahr 1866 gegeben. Basierend auf den vorhergehenden Darstellungen wird in Kapitel 4 eine empirische Analyse der Auswirkungen der Zeitwertbewertung auf die Kapitalgeber von Aktiengesellschaften insbesondere auf dem Gebiet Deutschlands sowie teilweise auch in Österreich für den Zeitraum der Gültigkeit der Zeitwertbewertung durchgeführt. Unter Darstellung von Gründungs- und Auflösungsstatistiken sowie von linie gelegenen deutschen Staaten und Hohenzollerns. Die Großherzogtümer Hessen und Baden, die Königreiche Bayern und Württemberg sowie das Kaiserreich Österreich blieben außerhalb des Bundes. Der Norddeutsche Bund ist somit der Vorläufer des 1871 gegründeten Deutschen Reichs, das bis 1945 bestand. Das Deutsche Reich war ein aus verschiedenen deutschen Staaten (einschließlich der süddeutschen Staaten) ohne Österreich bestehender Bundesstaat.

50

1 Einleitung

Verläufen der durchschnittlichen Dividendenverteilung und des Aktienkursindex werden die Folgen der gesetzgeberischen Eingriffe hinsichtlich der Entwicklung der Aktiengesellschaften erörtert. Gegenstand dieses historisch-empirischen Teils der Arbeit ist somit die systematische Untersuchung des Einflusses der Zeitwertbilanzierung v.a. auf die negativen Folgen der Gründerjahre. Anhand konkreter Beispiele aus der Praxis soll der Grad der Ursächlichkeit einer Zeitwertbewertung für diese negativen Folgen festgestellt werden, wobei in diesem Zusammenhang auch auf branchenspezifische Besonderheiten eingegangen wird. Kapitel 5 widmet sich der Auswertung der empirischen Befunde der aktuellen Bilanzierungspraxis ebenfalls aus der Sicht der Kapitalgeber und deren Informationsansprüchen, die auch unter dem Gesichtspunkt der vom IASB angestrebten Ausdehnung der Zeitwertbilanzierung analysiert werden. Den Schwerpunkt des zweiten Teils der Arbeit bildet eine empirische Untersuchung der Auswirkungen der Zeitwertbilanzierung anhand einer Untersuchung von Konzernabschlüssen deutscher Großunternehmen. Als Untersuchungsobjekt werden die nach den IFRS bilanzierenden DAX 30- und MDAX-Unternehmen herangezogen. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet eine Analyse der Geschäftsberichte von 1999 bis 2003 der zum 31. Dezember 2003 in diesen beiden Indizes vertretenen und nach den IFRS bilanzierenden Gesellschaften hinsichtlich der Anwendung der Zeitwertbewertung. Der Untersuchungszeitraum beginnt mit dem Jahr 1999, weil ab diesem Zeitpunkt der Zeitwert anstatt historischer Anschaffungswerte verstärkt zum Einsatz kam. Dazu wird einerseits die intertemporale Entwicklung im Hinblick auf die Darstellung der Auswirkungen der Zeitwertbewertung auf die Bilanz und GuV sowie der Darstellung der Anhangsangaben zu Zeitwerten und andererseits ein Vergleich zwischen IFRS- und HGB-Abschlüssen (durch eine Analyse von Überleitungsrechnungen bei erstmaliger Anwendung der IFRS) durchgeführt. Darüber hinaus werden die Konsequenzen der Zeitwertbilanzierung auf branchenspezifische Besonderheiten hin erörtert. Kapitel 6 fasst zunächst die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammen und gibt überdies auch einen kurzen Ausblick auf die mögliche Fortentwicklung der Zeitwertkonzeption.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

2

Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

2.1

Vorbemerkungen

51

Gegenstand dieser Arbeit ist insbesondere die Untersuchung der praktischen Auswirkungen einer Bewertung zum Zeitwert, weshalb zuvor eine ausführliche Charakterisierung der in diesem Zusammenhang verwendeten Wertbegriffe, Bewertungsregeln sowie die Darstellung der Einbindung des Zeitwerts in den historischen Kontext und in theoretische Grundkonzeptionen notwendig sind. Für Unternehmungen, die in der Form von Aktiengesellschaften geführt wurden, war bis in das 19. Jahrhundert die Totalbilanz vorherrschend,113 während eine Zwischenrechnung nicht gestattet war. Die Totalbilanz wurde als einzige Abrechnung zum Ende der Lebensdauer des Unternehmens aufgestellt. Dabei wurde der Kapitaleinsatz zu Beginn der Geschäftstätigkeit mit dem Barbestand an Geldmitteln am Ende verglichen.114 Aus diesem Grund war die Dauer des Unternehmens in der Satzung auf eine bestimmte Zeit, zumeist zwischen zehn und fünfzig Jahre, begrenzt.115 Dies änderte sich jedoch grundlegend, als die Jahresbilanz von der Gesetzgebung Anfang des 19. Jahrhunderts als Zwischenrechnung anerkannt wurde.116 Dieser Prozess war durch das Entstehen vieler Handelsgesellschaften in der Rechtsform der Aktiengesellschaft unentbehrlich geworden. Der auf Basis der Jahresbilanz ermittelte Gewinn, der nach Maßgabe der Totalbilanz nur vorläufigen Charakter hatte, wurde als endgültig anerkannt und zur Gewinnverteilung zugelassen.117 Die mithilfe des Realisationsprinzips ermittelten periodischen Gewinnaufstellungen, die als Grundlage für die Dividendenzahlungen an die Aktionäre dienten, waren demzufolge als definitiv anzusehen. Dadurch verloren sie ihren ehemals provisorischen Charakter, wonach erst bei Durchführung der Liquidation am Ende der Lebensdauer der tatsächliche Gewinn festgestellt werden konnte und auch erst dann feststand, ob tatsächlich ein den Aktionären zustehender Gewinn erzielt worden war. Folglich musste auch erst die Liquidation abgewartet werden, um festzu113

114 115 116 117

Vgl. KOVERO, I. (1912), S. 15–17; BARTH, K. (1953), S. 51. Die Bilanztheorie von Rieger erklärt die Totalrechnung zum fundamentalen Grundsatz der Bilanztheorie; jegliche Form der Jahresrechnung sei dagegen willkürlich; vgl. RIEGER, W. (1964), S. 203–208. Vgl. BARTH, K. (1953), S. 51. Vgl. GRÜNHUT, C. S. (1874), S. 388–389; BARTH, K. (1953), S. 51; RIEGER, W. (1964), S. 205. Vgl. BARTH, K. (1953), S. 53 m.w.N.; RIEGER, W. (1964), S. 208. Vgl. SCHNEIDER, D. (2001), S. 913.

52

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

stellen, ob die Vermögenswerte nicht nur einen eventuellen, sondern auch einen wirklichen Wert besaßen und welche Höhe dieser ggf. hatte.118 Denn erst am Ende der Lebensdauer konnte der Kassenbestand ermittelt und dieser mit dem Anfangsbestand verglichen werden. Daraus konnte schließlich unter Beachtung der zwischenzeitlich vorgenommenen Einlagen und Entnahmen der Erfolg des Unternehmens abgelesen werden.119 Die Anerkennung der Zwischenbilanz und die hiermit verbundenen definitiven Gewinnausschüttungen hatten für die Unternehmen tief greifende Folgen: Durch zu hohe Dividendenverteilung bestand die Gefahr, die wirtschaftliche Substanz bzw. die Stabilität des Unternehmens anzugreifen und dadurch letztlich auch dessen Existenz zu bedrohen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich deshalb in Gesetzgebung und Schrifttum die Überzeugung, dass nur der Reingewinn verteilt werden dürfe, um nicht den Fortbestand des Unternehmens zu bedrohen. Konsequenterweise folgte hieraus, dass der Gewinn nicht künstlich errechnet, sondern tatsächlich erwirtschaftet sein musste.120 Als formelles Kriterium für die Bewertungsfrage wird in der traditionellen Bilanzliteratur oftmals die Bilanzwahrheit als Postulat der GoB angeführt.121 Die Schwierigkeit in der Bewertung liegt dabei in der Tatsache begründet, dass es sich in vielen Fällen um das subjektive Urteil bzw. um die Spekulation eines Bewertenden handelt.122 Die Wahrheit des Wertansatzes lässt sich aber vielmehr erst bei der tatsächlichen Geldwerdung und damit erst beim Verkauf des Vermögenswerts feststellen. Somit kann die Bewertungsfrage nur dann die Forderung nach Bilanzwahrheit für sich beanspruchen, wenn sich beim Verkauf des Gegenstands exakt der Wert erzielen lässt, mit dem dieser zum Stichtag in die Bilanz eingesetzt wurde. Der „wahre“ Wert setzt demnach die Kenntnis des gesamten künftigen wirtschaftlichen Ablaufs des Unternehmens voraus.123 Damit müssten aber beispielsweise auch alle zukünftig zu erzielenden Warenpreise oder die Nutzungsdauern sämtlicher Anlagen bekannt sein. Als Folge des in der Realität auftretenden unternehmerischen Risikos sowie der Ungewissheit ist daher die Forderung nach Bilanzwahrheit mit der Bewertungsfrage grundsätzlich nicht zu vereinbaren.

118 119 120 121 122 123

Vgl. BARTH, K. (1953), S. 53. Vgl. BARTH, K. (1950), S. 20. Vgl. KOVERO, I. (1912), S. 54–57. Vgl. NEUKAMP, E. V. (1899), S. 450–451. Vgl. OSBAHR, W. (1923), S. 17–18. Vgl. BARTH, K. (1950), S. 31; RIEGER, W. (1964), S. 216–217.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

2.2

Der Zeitwert und andere Wertmaßstäbe in der Rechnungslegung

2.2.1

Zeitwert

53

Der Zeitwert ist derjenige Wert, den ein Vermögenswert oder eine Schuld zum gegenwärtigen bzw. zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung hat. Die Bestimmung des Zeitwerts erfolgt mithilfe von zugrunde liegenden Transaktionen, wobei tatsächliche und fiktive Transaktionen zu trennen sind. Während die Zugangsbewertung auf einer tatsächlichen Transaktion basiert, sind für die Folgebewertung fiktive Transaktionen maßgeblich. In der frühen Literatur war die Bestimmung des Zeitwerts sowohl im Handels- als auch im Steuerrecht Ausgangspunkt einer umfangreichen Kontroverse, in deren Folge zahlreiche Begriffe im Zusammenhang mit dem Zeitwert genannt wurden. Neben den bereits erwähnten Bezeichnungen wurden im historischen Schrifttum auch häufig die Begriffe „Veräußerungswert“, „Liquidationswert“, „Verkaufswert“, „Verkehrswert“, „Realisationswert“, „Tauschwert“, „objektiver“ oder „gemeiner“ Wert bzw. „objektiver Tauschwert“ etc. verwendet. Die Wertbestimmung erfolgte jedoch generell zu den Verhältnissen des Tags, an dem (oder für den) die Wertermittlung stattfand und damit ohne Rücksicht auf den tatsächlich später bei Verkauf oder Abgang zu realisierenden Geldbetrag. Im neueren deutschsprachigen Schrifttum wird der Zeitwert in Anlehnung an den in § 253 Abs. 2 und 3 HGB angeführten „beizulegenden Wert“124 oftmals als „beizulegender Zeitwert“ bezeichnet.125 Ebenso wie durch die ebenfalls häufig ohne Zusatz verwendeten Begriffe „Zeitwert“126 oder „Tageswert“127 wird damit auf den aktuellen Bezug dieses Wertmaßstabs i.S. einer Orientierung an der Gegenwart abgestellt. Im Gegensatz dazu zielt der ebenfalls verbreitete Begriff „Marktwert“128 primär auf eine Börsen- bzw. Marktpreisorientierung ab, der je nach 124

125

126

127 128

Mit dem Begriff „beizulegender Wert“ soll eine Festlegung bzgl. der Wertbestimmung vermieden werden, weil diese vom Zweck der Bestimmung abhängt und unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls erfolgt; vgl. ADLER, H./DÜRING, W./SCHMALTZ, K. (1995), § 253 HGB Tz. 455. Vgl. ERNST, C. (2001b), S. 246. Zur Verwendung des Begriffs „beizulegender Zeitwert“ vgl. z.B. BAETGE, J./ ZÜLCH, H. (2001), S. 543; KÜMPEL, T. (2003), S. 221; RUHNKE, K./SCHMIDT, M. (2003), S. 1037–1051; BARCKOW, A./GLAUM, M. (2004), S. 185–203. Vgl. z.B. GEIB, G. (1997a), S. 1143; SCHILDBACH, T. (1998b), S. 580; SIEGEL, T. (1998), S. 593; KÖLSCHBACH, J. (2000), S. 432; DRSC (2001b), S. 52; Pape, Künnemann, Menn, Perlet und Scheffler in PODIUMSDISKUSSION (2001), S. 209–225; HARING, N./SCHWEIGHOFER, B. (2002), S. 266–272; DEGENHARDT, M. (2003), S. 49–50; EZB (2004a), S. 77; IDW (2004a), S. 80. Vgl. z.B. SCHILDBACH, T. (1999b), S. 422 und 424; GÖBEL, S. (2000), S. 172 und 183–185. Vgl. BARCKOW, A./ROSE, S. (1997), S. 789–801; HERZIG, N./MAURITZ, P. (1997), S. 1; ORDELHEIDE, D. (1998b), S. 604; PADBERG, T./BEIKE, R. (1999), S. 239; HULLE, K. VAN (2000), S. 542; ACKERMANN, U. (2001), S. 7–9.

54

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

Begriffsverständnis aber auch finanzmathematische Approximationswerte oder sonstige Vergleichswerte umfassen kann.129 Im angloamerikanischen Sprachraum setzte sich im Laufe der Zeit der Wertbegriff des „Fair Value” durch, was derzeit sowohl im Rechnungslegungssystem nach den IFRS130 als auch nach den USGAAP131 zum Ausdruck kommt. Beim vollständigen Zeitwertansatz wird basierend auf fiktiven Transaktionen sowohl das Steigen als auch das Sinken des Werts berücksichtigt. Bei Preisrückgängen am Markt unter den Anschaffungswert verhindert der Zeitwertansatz in der Bilanz eine Verteilung nicht realisierter Gewinne, weil die Erzielung eines Erlöses in Höhe des Anschaffungswerts üblicherweise nicht mehr garantiert werden kann. Preissteigerungen erfahren nach dem vollständigen Zeitwertprinzip ebenso eine Beachtung bei der Bilanzierung wie Preisrückgänge. Dies geschieht auch bei Preisanstiegen unabhängig von einer tatsächlichen Realisierung, weshalb dadurch ein Vermögensausweis erfolgt, der noch nicht vom Unternehmen realisiert wurde. Dies hat zur Folge, dass noch nicht realisierte Buchgewinne ausgewiesen werden, auf deren Basis schließlich die Höhe der Ausschüttung und der Steuerschuld ermittelt werden könnte, was sodann zu einem erhöhten Liquiditätsabfluss führen würde. Diese Tatsache führte aus Gläubigersicht, insbesondere im Aktienrecht, zu einer Abneigung gegenüber dem vollständigen Zeitwertprinzip. 2.2.2

Anschaffungs- und Herstellungskosten

Der Wertbegriff der Anschaffungs- und Herstellungskosten132 wird auch als „Erwerbskosten“, „Erwerbspreis“, „Einkaufspreis“, „historische (Anschaffungs-) Kosten“ oder „(Selbst-)Kostenpreis“ etc. benannt. Die Anschaffungskosten sind für alle gekauften Vermögenswerte maßgeblich, während für alle produzierten bzw. weiterverarbeiteten Güter die Herstellungskosten ausschlaggebend sind. Diese beiden Bewertungsmaßstäbe sind im Gegensatz zum Zeitwert grundsätzlich vergangenheitsbezogen. Die Anschaffungskosten stellen den Wert der Aufwendungen dar, die für einen Vermögenswert geleistet werden müssen, um ihn zu erwerben und in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen. Der Anschaffungspreis kann, je nach gesetzli129

130

131

132

Vgl. WIEDMANN, H. (1995), S. 783; WENK, M. O. (1997), S. 6; STEINER, M./WALLMEIER, M. (1998), S. 305 –335. Seit der Veröffentlichung des IAS 32 im Juni 1995 kommt grundsätzlich der Fair Value zur Anwendung. Vgl. dazu auch ACKERMANN, U. (2001), S. 8. Erstmals wurde der Fair Value im Standard SFAS No. 107 eingeführt. Vgl. dazu auch NELSON, K. K. (1996), S. 162–163; ACKERMANN, U. (2001), S. 7. Im Folgenden werden die Begriffe „Anschaffungs- und Herstellungskosten“ und „Anschaffungswert“ synonym verwendet.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

55

cher Ausprägung, zudem um Anschaffungspreisminderungen korrigiert sowie um Anschaffungsnebenkosten, wie beispielsweise die Kosten der Errichtung oder Aufwendungen für den Transport, oder um nachträgliche Anschaffungskosten erhöht werden. Zu den Herstellungskosten können ggf. neben Pflichtbestandteilen, wie etwa die Einzelkosten, als Bewertungsuntergrenze hingegen auch Wahlbestandteile als Bewertungsobergrenze, wie etwa angemessene Teile der Gemeinkosten (z.B. Verwaltungs- und Vertriebskosten), hinzugerechnet werden. Bei Verbindlichkeiten kann der Wert, der bei Übernahme einer Verbindlichkeit zufließt bzw. der später zu leistende Rückzahlungsbetrag angesetzt werden. Die Anschaffungs- und Herstellungskosten als Obergrenze der Bewertung sind geeignet, um den Ausweis noch nicht realisierter Gewinne zu verhindern, die aus einer Überbewertung der Vermögenswerte resultieren könnten. Damit wird dem Zweck des am Vorsichtsprinzip orientierten Unternehmers am ehesten Genüge geleistet. Das Unternehmen wird im Idealfall für den Fall einer eventuell später eintretenden Verschlechterung der Situation vorab vor einem schädlichen Substanzverzehr bewahrt. Für den Fall des Sinkens der Werte unter die ursprünglichen Kosten kommt es allerdings zu einer Überbewertung der betroffenen Aktivposten. Die Konsequenz einer strikten Anwendung der kostenbasierten Bewertung ist ein zu hoher Gewinnausweis, der ebenso wie bei einer Überbewertung die Gefahr des Substanzverzehrs durch Abfluss von existenznotwendigem Kapital birgt. Zumindest bei sich abnutzenden Anlagegegenständen wird daher eine gleichmäßige Verteilung der für die Beschaffung aufgewandten Kosten auf die Nutzungsdauer befürwortet. Der verbrauchte Teil der Anlagen wird demzufolge unabhängig vom tatsächlichen Wert entweder linear, degressiv oder digital abgeschrieben. Der nicht verbrauchte Teil wird zum jeweiligen Bilanzstichtag als Restwert in die Bilanz eingestellt. 2.2.3

Ertragswert

Der Ertragswert bzw. Present Value ergibt sich üblicherweise aus der Berechnung des Barwerts der im Rahmen des normalen Geschäftsverlaufs künftig erwarteten Cashflows oder (Residual-)Gewinne, wobei die Diskontierung unter Anwendung eines Kalkulationszinsfußes erfolgt.133 Der Ertragswert ist somit abhängig von der Höhe der erwarteten Überschüsse und dem dafür erwarteten zeitlichen Horizont sowie ggf. von der Erwartung eines anfallenden Liquidationserlöses. Dieser Wertansatz findet v.a. bei der Unternehmensbewertung bzw. beim Shareholder Value-

133

Vgl. BAETGE, J./KRAUSE, C. (1994), S. 433–440; SIEPE, G. (1998), S. 325–326.

56

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

Ansatz Anwendung,134 da hierbei zumeist auf den (Gesamt-)Wert eines Unternehmens abgezielt wird.135 Eine Unternehmensbewertung wird häufig anlässlich eines Unternehmenskaufs bzw. -verkaufs durchgeführt. Die Problematik des Ertragswerts liegt in der Unsicherheit über die zukünftigen Gewinnerwartungen.136 Diesem unternehmerischen Risiko wird zumeist dadurch Rechnung getragen, dass die möglichen Erträge mit Eintrittswahrscheinlichkeiten belegt werden und/oder das Risiko mit einem adäquaten Zuschlag auf den Basiszinsfuß berücksichtigt wird.137 Weniger tauglich ist der Ertragswert hingegen für die Bewertung einzelner Vermögenswerte. Der Großteil der Vermögenswerte besitzt nämlich keinen selbständigen Ertragswert, weil ein Ertrag oftmals nur i.V.m. anderen komplementären Aktivposten möglich ist. Eine Aufteilung des Ertrags auf die einzelnen damit verbundenen Aktiva ist hierbei nur in Ausnahmefällen durchführbar.138 Für den Zweck der herkömmlichen Bilanzaufstellung ist der Ertragswert somit nur in wenigen Fällen brauchbar, da für die Bewertung der Bilanzposten der Wert der einzelnen Vermögenswerte und nicht der Wert des gesamten Unternehmens maßgeblich ist. Außerdem würde bei einer konsequenten Bilanzierung zum Ertragswert ebenfalls ein Liquiditätsproblem drohen, indem hier Gewinne bereits im Investitionszeitpunkt ausgewiesen würden, die i.d.R. erst in späteren Perioden zu Einnahmeüberschüssen führen.139

134

135 136 137

138 139

Vgl. ORDELHEIDE, D. (1998b), S. 604. Zum Begriff „Shareholder Value“ vgl. grundlegend RAPPAPORT, A. (1999). Vgl. kritisch z.B. ALBACH, H. (1994), S. 273–276; BÜHNER, R./TUSCHKE, A. (1997), S. 499–516; LORSON, P. (1999), S. 1329–1339. Zur empirischen Relevanz in Deutschland vgl. z.B. PELLENS, B./ ROCKHOLTZ, C./STIENEMANN, M. (1997), S. 1933–1934; PELLENS, B./TOMASZEWSKI, C./WEBER, N. (2000), S. 1825. Vgl. MOSER, U./DOLECZIK, G. (2003), S. 1664–1670. Vgl. BEHRINGER, S. (1999), S. 731–736; SCHWETZLER, B. (2000), S. 469–485. I.d.R. wird der Basiszinsfuß aus einer risikolosen Geldanlage abgeleitet. Vgl. dazu ausführlich BAETGE, J./ KRAUSE, C. (1994), S. 433. Vgl. PASSOW, R. (1921), S. 100–101. Vgl. KAHLE, H. (2002b), S. 98.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

2.3

Vorschriften zur Zeitwertbewertung im Handelsgesetzbuch und in den International Accounting Standards/International Financial Reporting Standards

2.3.1

Vorschriften zur Zeitwertbewertung im HGB

57

In der deutschen Bewertungspraxis setzte sich, ausgehend von einer vorsichtigen, am Gläubigerschutzgedanken ausgerichteten Bewertung, das Niederstwertprinzip als Mischung aus Zeit- und Anschaffungswertbewertung für Vermögensgegenstände und das am Zeitwert ausgerichtete Höchstwertprinzip für Verbindlichkeiten als Bestandteil der Schulden durch.140 Bei Wertzuwächsen über die Anschaffungs- oder Herstellungskosten hinaus stellen die für die Anschaffung getätigten Aufwendungen die Obergrenze dar, während bei einem Sinken des Werts unter die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten der niedrigere Wert maßgeblich ist (sog. niedriger beizulegender Wert nach § 253 Abs. 2 Satz 3 HGB). Nach den Regelungen des § 253 Abs. 3 Satz 1 HGB gilt bei Vermögensgegenständen des Umlaufvermögens das strenge Niederstwertprinzip, wonach der Ansatz eines sich aus dem Börsen- oder Marktpreis ergebenden niedrigeren Werts als die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten unabhängig von der vermuteten Zeitdauer zwingend vorgeschrieben ist.141 Bei Gegenständen des Anlagevermögens gilt dagegen nach § 253 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 279 Abs. 1 Satz 2 HGB das gemilderte Niederstwertprinzip, wonach nur bei voraussichtlich dauerhafter Wertminderung ein Ansatz zum Zeitwert geboten ist.142 Liegt nach einer Abschreibung in einer Vorperiode wieder ein Anstieg des Zeitwerts vor, ist zwar nach § 280 Abs. 1 HGB eine Zuschreibung erforderlich, die aber nicht über die Anschaffungs- oder Herstellungskosten als Obergrenze hinaus erfolgen darf.143 Mit dieser Systematik soll ein (vermutetes) kurzfristiges Fallen des Marktpreises unter den Buchwert ausgeblendet werden, um v.a. bei stark volatilen Werten eine 140

141

142

143

Vgl. dazu auch KOCH, H. (1957), S. 1–6, 31–35 und 60–63; SELCHERT, F. W. (1986), S. 283–289; BAETGE, J./ ZÜLCH, H. (2001), S. 545. Maßgeblich ist der Börsen- oder Marktpreis bzw. der niedrigere beizulegende oder niedrigere steuerlich zulässige Wert (§ 253 Abs. 3 Satz 1 HGB). Eine Differenzierung von dauerhafter und lediglich vorübergehender Wertminderung ist eine Komponente der deutschen Bilanzierungsmethodik, die aus § 154 AktG i.d.F.v. 1965 über die 4. EG-Richtlinie in das HGB (§ 253 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 279 Abs. 1 Satz 2 HGB) importiert wurde. Vgl. dazu auch LÜDENBACH, N./ HOFFMANN, W.-D. (2004), S. 85. Gemäß § 280 Abs. 2 HGB kann auf eine Zuschreibung verzichtet werden, wenn eine Beibehaltung des niedrigeren Wertansatzes im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung möglich ist und der niedrigere Wertansatz in der Handelsbilanz hierzu die Grundlage bildet. Zur Wertaufholung nach dem HGB vgl. FISCHER, T. M./ WENZEL, J. (2001), S. 598–602.

58

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

nur zwischenzeitliche bilanzielle Abbildung zu vermeiden.144 Da aber bzgl. der Vornahme einer Abschreibung bei nur vorübergehender Wertminderung ein Wahlrecht besteht, ergeben sich hiermit große bilanzpolitische Spielräume. Auf der Passivseite gilt einer Modifizierung des Niederstwertprinzips entsprechend das Höchstwertprinzip, demzufolge gemäß § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB alle am Bilanzstichtag dem Grunde, der Höhe und der Fälligkeit nach feststehenden Verbindlichkeiten als Teil der Schulden eines Unternehmens mit dem Rückzahlungsbetrag anzusetzen sind. Für die Bewertung der Verbindlichkeiten sind somit de lege lata höhere Zeitwerte maßgeblich. Anwendung finden Zeitwerte im Handelsrecht ferner •

als mögliche Bewertungsalternative der Anschaffungskosten bei Tauschgeschäften,145



als Höchstgrenze der (fiktiven) Anschaffungskosten bei unentgeltlichem Erwerb von materiellen Vermögensgegenständen,



als Bewertungsobergrenze bei Sacheinlagen,146



als Barwert für bestimmte Schulden (z.B. Rentenverpflichtungen, für die eine Gegenleistung nicht mehr zu erwarten ist und Rückstellungen, die einen Zinsanteil enthalten, § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB),



bei der Erstkonsolidierung (§ 301 Abs. 2 HGB) sowie



bei bestimmten Varianten der Währungsumrechnung (§ 313 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 HGB).

Nach den Regelungen des HGB ist der beizulegende Wert in Abhängigkeit von der Art des Vermögensgegenstands beschaffungsmarkt- oder absatzmarktorientiert.147 Bei Sachanlagen wird der beizulegende Wert beispielsweise grundsätzlich in Höhe der Wiederbeschaffungswerte148 angesetzt; nur bei konkreter Veräußerungsabsicht sind dagegen Einzelveräußerungswerte149 anzusetzen. Bei Vermögensgegenständen, wie z.B. Patenten und ähnlichen Rechten oder Beteiligungen, bei denen eine Wiederbeschaffung im Regelfall nicht möglich ist, wird hingegen vielfach auf den Ertragswert zurückgegriffen.

144 145 146 147 148 149

Vgl. FEY, G./MUJKANOVIC, R. (2003), S. 212. Vgl. SCHULZE-OSTERLOH, J. (2000), § 42 Tz. 278. Vgl. SCHULZE-OSTERLOH, J. (2000), § 42 Tz. 281. Vgl. WOHLGEMUTH, M. (1993), Sp. 493–494; IDW (2004a), S. 81. Zum Begriff „Wiederbeschaffungswert“ vgl. SCHLAPPIG, M. (1974), S. 23. Im HGB wird der Einzelveräußerungswert nicht explizit erwähnt, wird aber als Interpretation des beizulegenden Werts z.B. für nicht betriebsnotwendige Anlagegüter verwendet. Vgl. dazu auch BUCHHOLZ, R. (2003), S. 127.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

59

Aufgrund obiger Anwendungsvoraussetzungen bzgl. des beizulegenden Werts leidet das HGB zwar am Objektivierungsproblem des Zeitwerts,150 das allerdings nur bei Abwertungen auf den niedrigeren beizulegenden Wert hervortritt. 2.3.2

Vorschriften zur Zeitwertbewertung in den IAS/IFRS

Das Bewertungsschema der IFRS basiert auf keinem einheitlichen Bewertungsbegriff. In den IFRS wird jedoch als zentraler Wertbegriff der Fair Value i.S.d. Zeitwerts verwendet. Er wird je nach Anwendungsgebiet sowohl für Aktiv- als auch für Passivposten angewandt. Nach dem Wortlaut der einzelnen IFRS-Standards ist der Terminus „Fair Value“ folgendermaßen definiert: „Fair value is the amount for which an asset could be exchanged, or a liability settled, between knowledgeable, willing parties in an arm’s length transaction.”151

Der Fair Value zielt demnach auf das Vorhandensein einer marktüblichen Transaktion zwischen voneinander unabhängigen, sachverständigen und vertragswilligen Marktpartnern sowie auf einen aktuellen Bewertungszeitpunkt152 ab.153 Damit ist der Preis als Tauschergebnis zu ermitteln, der bei vollständiger Information der Marktteilnehmer zustande kommt, ohne dass eine Partei übervorteilt wird. Persönliche Präferenzen der Marktteilnehmer dürfen demnach keinen Einfluss auf den Preis nehmen. Mit diesen Voraussetzungen soll gewährleistet werden, dass das Tauschergebnis Abbild des gesamten Markts ist und den Konsens aller Marktteilnehmer widerspiegelt.

150 151

152

153

Vgl. dazu auch BUSSE VON COLBE, W. (2000), S. 653–654. IAS 16.6 (rev. 1998), IAS 17.3 (rev. 1997), IAS 18.7 (rev. 1993), IAS 19.7 (rev. 2000), IAS 20.3 (ref. 1994), IAS 21.7 (rev. 1993), IAS 22.8 (rev. 1998), IAS 32.5 (rev. 1998), IAS 33.9, IAS 38.8 (rev. 2004), IAS 39.8 (rev. 2000), IAS 40.4 und IAS 41.8. Soweit nichts anderes angegeben werden die genannten Standards hier und im Folgenden stets in obiger Fassung zitiert. Dieses Tatbestandsmerkmal wird indirekt aus der Definition „for which an asset could [Hervorhebung des Verf.] be exchanged“ abgeleitet; vgl. KÜMMEL, J. (2002), S. 47. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich die Europäische Kommission im Zuge der Harmonisierung der Rechnungslegung in der Fair Value-Richtlinie sehr an diese Definition angelehnt hat, indem es den Fair Value in den Erläuterungen des Richtlinienvorschlags wie folgt definiert: „Der ‚fair value’ wird gemeinhin als der Betrag verstanden, zu dem zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern (‚at arm’s length’) ein Vermögenswert getauscht bzw. eine Verbindlichkeit beglichen werden kann.“ KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (2000b), S. 11.

60

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

Trotz der herausragenden Bedeutung des Fair Value hat dieser Wertbegriff bislang noch keine Berücksichtigung im Rahmenkonzept gefunden.154 Der Fair Value ist stattdessen ein Oberbegriff für eine Bandbreite unterschiedlich gewonnener Wertmaßstäbe. Insgesamt bildet der Fair Value im IFRS-Regelwerk somit keinen übergreifenden, einheitlichen Wertmaßstab, sondern wird in Abhängigkeit vom jeweiligen Anwendungsfall und von der Datenverfügbarkeit durch andere, konkretere Bewertungsmaßstäbe definiert.155 Die dafür zugrunde gelegten Bewertungsmaßstäbe für Vermögenswerte und Schulden sind in F. 100 geregelt, wobei allerdings kein direkter Einzelfallbezug hergestellt wird. Im Einzelnen wird nach F. 100 (a) bis (d) zwischen folgenden vier grundlegenden Bewertungsmaßstäben unterschieden: •

Historische Anschaffungs- oder Herstellungskosten (Historical Cost) Betrag, der zum Erwerb bzw. zur Herstellung eines Vermögenswerts aufzuwenden ist.



Wiederbeschaffungs- bzw. Abwicklungswert (Current Cost) Betrag, der am Bilanzstichtag aufzuwenden ist, um einen gleichen oder ähnlichen Vermögenswert zu erwerben bzw. der Betrag, der am Bilanzstichtag zur Begleichung einer Schuld aufzuwenden ist.



Veräußerungs- bzw. Erfüllungswert (Realisable bzw. Settlement Value) Betrag, der bei Veräußerung des Vermögenswerts am Bilanzstichtag realisiert werden kann bzw. der Betrag, der bei Fälligkeit zur Begleichung der Schuld aufzuwenden ist.



Gegenwarts- bzw. Barwert (Present Value) Betrag der erwarteten diskontierten Einzahlungsüberschüsse aus der Nutzung bzw. dem Verkauf von Vermögenswerten bzw. der Betrag der erwarteten diskontierten Auszahlungsüberschüsse aus der Tilgung von Schulden.

154

155

Eine Definition findet sich zumindest in den Glossary of Terms, die den gleichen Inhalt wie die Definitionen in den einzelnen Standards enthält. Vgl. dazu auch WOLLMERT, P./DOLECZIK, G./WAGNER, T./KELLER; A. (2002). Vgl. KPMG (1999), S. 35.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

61

Diese allgemeinen Wertbegriffe als Grundlage zur Bestimmung des Fair Value finden in diversen Standards einzelfallbezogen Ergänzung. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die folgenden beiden Wertmaßstäbe: •

Marktwert (Market Value) Betrag, der auf einem aktiven Markt156 für den Verkauf von Vermögenswerten erzielbar wäre oder für die Abgabe von Schulden aufgewendet werden müsste.157



Erzielbarer Betrag (Recoverable Amount) Höherer Betrag aus dem unternehmensindividuellen Nutzungswert (Value in Use) und dem Nettoveräußerungserlös (Fair Value Less Costs to Sell).158

Grundsätzlich sind von den im Rahmenkonzept genannten Wertmaßstäben für die Zugangsbewertung des Fair Value die historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten und für die Folgebewertung der Wiederbeschaffungswert, der Veräußerungswert sowie der Gegenwartswert geeignet. Für die Folgebewertung wird in den einzelnen Standards der Anschaffungswert i.S.d. historischen Kosten gegenwärtig ebenso wie der Zeitwert in verschiedenen Variationen verwendet, wobei je nach Anwendungsbereich sogar Mischwerte zur Bilanzierung herangezogen werden. Folglich existiert im bisherigen System der IFRS – wie im deutschen Bilanzierungsrahmen in abgeschwächter Form – ein Nebeneinander unterschiedlicher Bewertungsmuster (sog. Mixed Accounting Model).159 Durch die Erläuterung in IAS 32 zur Begriffsabgrenzung zwischen Zeitwert und Marktwert, der als „the amount obtainable […] in an active market“160 definiert wird, wird deutlich, dass das IASB unter dem Begriff „Marktwert“ ein enges Anwendungsverständnis voraussetzt. Die Bedingung der Verfügbarkeit eines aktiven Markts grenzt hierbei den Marktwert vom Zeitwert ab. Bereits gegen Ende der achtziger Jahre stellte das damalige International Accounting Standards Committee (IASC)161 den Grundsatz einer Bilanzierung zum Anschaffungswert als Voraussetzung für eine sachgerechte Abbildung finanzieller Vermögenswerte in Frage, als die Arbeiten an einem Standard für die Bilanzierung von Finanzinstrumenten begannen.162 Die ersten beiden Exposure Drafts 156

157 158 159 160 161 162

Eine Definition für einen aktiven Markt enthält IAS 38.8, wonach die auf dem Markt gehandelten Güter homogen sein müssen, sich jederzeit vertragswillige Käufer bzw. Verkäufer finden müssen und die Marktpreise der Öffentlichkeit zugänglich sind. Vgl. dazu ausführlich RUHNKE, K./SCHMIDT, M. (2003), S. 1039–1040. Vgl. IAS 32.5, IAS 38.8, IAS 40.29 und IAS 41.8. Vgl. IAS 36.6. IAS 36.5 a.F. enthielt hierzu noch den Begriff „Nettoveräußerungspreis“ (Net Selling Price). Vgl. z.B. BAETGE, J./ZÜLCH, H./MATENA, S. (2002), S. 368; LÖHR, D. (2003), S. 647. IAS 32.5. Das IASC ist der Vorgänger des IASB. Siehe hierzu Fn. 27. Vgl. PAUL, S./BRÜTTING, C./WEBER, N. (2003), S. 581.

62

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

(ED) aus den Jahren 1991 (ED 40) und 1994 (ED 48) gaben Anlass zu heftigen Protesten vonseiten der Unternehmenspraxis und wurden mehrheitlich als unausgereift erachtet.163 Daher wurde dieses Projekt in zwei Phasen getrennt, um die Schwierigkeiten bei den Fragen zu Bilanzierung und Bewertung separat zu diskutieren. Die erste Phase, die den Ausweis und die Offenlegung zum Inhalt hatte, wurde im Frühjahr 1995 als IAS 32 verabschiedet, sodass dieser Standard zum 1. Januar 1996 in Kraft treten konnte.164 In der sich anschließenden zweiten Phase des Projekts waren sodann Fragen des Ansatzes, der Ausbuchung, der Bewertung und der Bilanzierung von Sicherungsgeschäften zu erörtern. Im März 1997 wurde vom IASC in Zusammenarbeit mit dem Canadian Institute of Chartered Accountants (CICA) in Form des Discussion Paper „Accounting for Financial Assets and Financial Liabilities“165 ein neuer Entwurf vorgelegt, der für Finanzinstrumente eine grundsätzliche Bewertung zum Zeitwert bei vollständig erfolgswirksamer Erfassung – unabhängig vom Zweck ihrer Haltung – vorsah.166 Während dies zwar für Wertpapiere und derivative Finanzinstrumente sowohl in der Literatur als auch in der Praxis grundsätzlich positiv aufgenommen wurde,167 bestanden hinsichtlich der Bewertung von Forderungen und Schulden große Bedenken,168 die u.a. auch von der Joint Working Group of Banking Association (JWGBA) geteilt wurden.169 Um aber dennoch die vom IASC und IOSCO vereinbarte Verabschiedung eines „Core Set of International Accounting Standards“ rechtzeitig zu vollenden,170 entschloss sich das IASC im Dezember 1998, den IAS 39 zu Ansatz und Bewertung von Finanzinstrumenten als „Interim Standard“ zu verabschieden, der schließlich am 1. Januar 2001 in Kraft trat.171 Inhaltlich und terminologisch lehnte er sich eng an die entsprechenden US-GAAP-Regelungen SFAS No. 115, SFAS No. 133 und SFAS No. 140 an.172 Im Jahr 2000 sah der überarbeitete Standardentwurf173 der im Dezember 1998174 gebildeten Joint Working Group of Standard Setters (JWGSS) abermals eine umfassende Zeitwertbilanzierung aller Finanz163 164 165 166 167 168 169 170 171

172

173 174

Vgl. PACTER, P. (1998a), S. 61–62; STEVENSON, K. (1999), S. 1; GLAUM, M./FÖRSCHLE, G. (2000), S. 1529. Vgl. WAGENHOFER, A. (1996b), S. 39–42. Vgl. IASC (1997). Zur anschließenden Diskussion vgl. HAGUE, I. (1998), S. 10; MACVE, R. (1999), S. 78. Vgl. HALLAUER, P./MILBURN, A./HAGUE, I. (1997), S. 259–264; PAPE, J./BREKER, N. (1999), S. 1–12. Vgl. LINSMEIER, T. J. et al. (1998), S. 90–97. Vgl. IDW (1997), S. 431; DEUTSCHE BUNDESBANK (2002), S. 52–53. Vgl. JWGBA (1999), S. 2–21. Vgl. dazu auch BRADLEY, C. (2001), S. 102. Vgl. HAVERMANN, H. (1997), S. 534; CLARK, P. (1999), S. 70; KÜNNEMANN, M. (2001), S. 185–186. Vgl. PACTER, P. (1998b), S. 6–9; PACTER, P. (1999a), S. 76–77; BREKER, N./GEBHARDT, G./PAPE, J. (2000), S. 730; HORTON, J./MACVE, R. (2000), S. 26; PELLENS, B. (2001), S. 462. Zur Umsetzung des „Core Set of International Accounting Standards” vgl. auch BARCKOW, A. (1999), S. 1173–1179. Vgl. GLAUM, M./FÖRSCHLE, G. (2000), S. 1529; KROPP, M./KLOTZBACH, D. (2002), S. 1010. Zu diesen USGAAP-Regelungen vgl. ausführlich BÖCKING, H.-J./BENECKE, B. (2000), S. 193–239. Zu SFAS No. 115 vgl. WILSON, A. C. (1994), S. 24–27 und 40. Zu SFAS No. 133 vgl. LABUDE, M./WIENKEN, R. (2000), S. 11–22. Vgl. JWGSS (2000). Folglich noch vor der Veröffentlichung des IAS 39. Vgl. dazu auch STAUBER, J. (2001), S. 687.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

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instrumente bei vollständiger Erfassung der Wertänderungen in der GuV vor,175 der wiederum auf massive Vorbehalte v.a. vonseiten der Banken und Versicherungsunternehmen traf.176 Als Hauptargument gegen den neuerlichen Vorschlag zur vollständigen Zeitwertbewertung wurde der unzureichende Entwicklungsstand von Kreditrisikomodellen und von Bewertungsmethoden für nicht marktfähige Instrumente vorgebracht.177 Anfangs fand der Zeitwert nur bei finanziellen Vermögenswerten und finanziellen Schulden Eingang in die internationalen Rechnungslegungsvorschriften,178 während ihm bei den sonstigen Bilanzposten lediglich die Funktion eines Zugangsoder Korrekturwerts zukam. Erst seit einigen Jahren gewinnt der Zeitwert aber auch bei nicht-finanziellen Posten als primärer Wertmaßstab an Bedeutung. Nachfolgend werden die derzeit zentralen Bilanzierungssachverhalte der Bewertung zum Zeitwert, die Methodik der Wertermittlung sowie die damit verbundene Ergebniswirkung innerhalb der IFRS dargelegt: •

IAS 16 „Property, Plant and Equipment“179 Der Ansatz des Zeitwerts wird beim Tausch von unähnlichen Sachanlagen (IAS 16.21) sowie im Rahmen der Folgebewertung als alternativ zulässige Methode zur Neubewertung von Sachanlagen vorgenommen (IAS 16.29). Bei Grundstücken und Gebäuden wird der Zeitwert i.d.R. durch den Marktwert bestimmt (normalerweise unter Zuhilfenahme von hauptamtlichen Gutachtern, IAS 16.30). Für technische Anlagen sowie für Betriebs- und Geschäftsausstattung wird die Bewertungshöhe durch Schätzungen ermittelt; bei speziellen beweglichen Sachanlagen werden ersatzweise die fortgeführten Wiederbeschaffungswerte herangezogen (IAS 16.31). Ergibt sich aus der Anwendung der Neubewertungsmethode eine Wertsteigerung, wird die Zubuchung der Wertsteigerung erfolgsneutral in der Neubewertungsrücklage (Revaluation Surplus) im Eigenkapital erfasst. Sofern die

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176

177 178 179

Vgl. HAGUE, I. (1999), S. 20–21; PIRCHEGGER, B. (2001), S. 312–318. Vgl. kommentierend PAPE, J./BREKER, N. (1999), S. 1–12; BREKER, N./GEBHARDT, G./PAPE, J. (2000), S. 729–744; PAPE, J. (2001), S. 1458–1467. Dies wird insbesondere in einigen der insgesamt rund 170 zum Vorschlag der JWGSS eingereichten Comments deutlich; vgl. IASB (2003a), S. 6. Zur Kritik seitens der Banken vgl. z.B. ASSOCIATION OF GERMAN BANKS (2001), S. 1; COMMERZBANK (2001), S. 1; DEUTSCHE BANK (2001), S. 1; DRESDNERBANK (2001); EZB (2001), S. 1–4; BANKGESELLSCHAFT BERLIN (2001), S. 1–2. Zur Kritik seitens der Versicherungsunternehmen vgl. z.B. ACLI (2001), S. 4–5; NAIC (2001), S. 3–4; THE MARINE & FIRE INSURANCE ASSOCIATION OF JAPAN (2001), S. 1–3. Zur allgemeinen Diskussion vgl. auch SWANNEY, D. (1999), S. 12–13; CHISNALL, P. (2000), S. 153; JACKSON, P./LODGE, D. (2000), S. 105–125; DAL SANTO, D. (2001), S. 931–938; EBLING, P. (2001), S. 90; BRENNER, H.-D./WEBER, C. (2003), S. 594. Vgl. BDB (2002), S. 117–121; EZB (2004a), S. 80. Vgl. IAS 39 bzw. SFAS No. 115. Der Standard gilt gemäß IAS 16.67 für sämtliche Jahresabschlüsse deren Rechnungsperiode am oder nach dem 1. Juli 1999 beginnen. Vgl. grundlegend BALLWIESER, W. (2002b).

64

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

Wertsteigerung eine zuvor als Aufwand erfolgswirksam verrechnete Wertminderung ausgleicht, ist der Differenzbetrag zwischen dem letzten Buchwert und den (fortgeführten) Anschaffungswerten, die sich ohne Berücksichtigung der Neubewertung ergeben, erfolgswirksam zu erfassen. Eine ggf. darüber hinausgehende Wertsteigerung ist dagegen erfolgsneutral zu verbuchen (IAS 16.37). Führt die Neubewertungsmethode zu einer Wertminderung, wird der Wertminderungsbetrag erfolgswirksam als Aufwand verbucht. Enthält allerdings die Neubewertungsrücklage aufgrund einer früheren Wertsteigerung bereits einen zu diesem Vermögenswert gehörenden Betrag, ist die Wertminderung direkt mit diesem Betrag erfolgsneutral zu verrechnen, solange die Wertminderungen den für diesen Vermögenswert eingestellten Betrag nicht übersteigen. Eine ggf. diesen Betrag übersteigende Wertminderung ist ebenfalls erfolgswirksam als Aufwand zu verbuchen (IAS 16.38). •

IAS 38 „Intangible Assets“180 Ein Ansatz des Zeitwerts erfolgt für die Folgebewertung optional zum Kostenmodell (Cost Model) im Rahmen des Neubewertungsmodells (Revaluation Model), allerdings nur unter der Prämisse, dass der Zeitwert auf einem aktiven Markt181 ermittelbar ist (IAS 38.75). Der Neubewertungsbetrag wird aus dem Zeitwert auf einem aktiven Markt, somit i.d.R. der veröffentlichte Börsenpreis des immateriellen Vermögenswerts, abgeleitet (IAS 38.39). Die Erfolgswirksamkeit von Wertänderungen ist für immaterielle Vermögenswerte analog zur Vorgehensweise bei Sachanlagen gemäß IAS 16 geregelt (IAS 38.85–86).

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Dieser Standard gilt gemäß IAS 38.130 für sämtliche Jahresabschlüsse deren Rechnungsperiode am oder nach dem 31. März 2004 beginnen. Vgl. grundlegend BAETGE, J./KEITZ, I. V. (2002); KÜTING, K./DAWO, S. (2002a), S. 1157–1163; KÜTING, K./DAWO, S. (2002b), S. 1205–1213; JÄGER, R./HIMMEL, H. (2003), S. 417–440. Am 31. März 2004 hat das IASB im Rahmen des Projekts „Business Combinations“ einen überarbeiteten Standard veröffentlicht; vgl. BRÜCKS, M./WIEDERHOLD, P. (2004), S. 177. Der neue IAS 38 enthält in Bezug auf die Zeitwertbewertung keine wesentlichen Änderungen. Das IASB räumt allerdings in IAS 38.78 ein, dass die Voraussetzung des Vorliegens eines aktiven Markts nur in wenigen Ausnahmefällen zu erfüllen ist. Dem Wahlrecht zum Revaluation Model wird daher eher eine geringe praktische Relevanz beigemessen. Vgl. dazu ausführlich BERGER, A./SCHRAMM, M./RING, M. (2003), § 253 Anm. 683; EPSTEIN, B. J./MIRZA, A. A. (2003), S. 321.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert



65

IAS 39 „Financial Instruments: Recognition and Measurement“182 i.V.m. IAS 32 „Financial Instruments: Disclosure and Presentation”183 Im Rahmen der Folgebewertung besteht ein Gebot der Bilanzierung zum Zeitwert bei als Held for Trading (HfT)184 sowie bei als Available for Sale (AfS)185 klassifizierten finanziellen Vermögenswerten bzw. finanziellen Verbindlichkeiten (einschließlich derivativer Finanzinstrumente186), sofern der Zeitwert zuverlässig ermittelbar ist (IAS 39.69).187 Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, erfolgt die Bewertung zu (fortgeführten) Anschaffungswerten. Ferner kommt der Zeitwert im Rahmen des Hedge Accounting188 für die Bewertung von Sicherungsgeschäften sowie von abgesicherten bilanzierten Grundgeschäften zur Anwendung (IAS 39.153 und IAS 39.158). Wenn aktive Märkte vorliegen, wird die Bestimmung des Zeitwerts über Preisnotierungen vorgenommen, sonst werden Vergleichsverfahren189 oder Bewertungstechniken auf Basis von Barwertverfahren oder Optionspreismodellen herangezogen (IAS 39.96–97). Wertänderungen von HfT-Finanzinstrumenten sind grundsätzlich erfolgswirksam zu erfassen (IAS 39.103), während bei AfS-Finanzinstrumenten ein

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Der Standard ist gemäß IAS 39.171 für Abschlussjahre anzuwenden, die am oder nach dem 1. Januar 2001 beginnen. Vgl. grundlegend ERNST & YOUNG (o.J.); PRAHL, R./NAUMANN, T. K. (2000); PWC (2000); SCHARPF, P. (2000), S. 125–137, 208–217, 284–292 und 372–381; PWC (2001); SCHARPF, P. (2001); BELLAVITE-HÖVERMANN, Y./BARCKOW, A. (2002); ERNST & YOUNG (2002); PAPE, J./BOGAJEWSKAJA, J./ BORCHMANN, T. (2002), S. 219–234; SCHMIDBAUER, R. (2003), S. 287–294. Vgl. grundlegend MENN, B.-J. (1997), S. 1281–1318. Als Abgrenzungskriterium dient die kurzfristige Gewinnerzielung. Die Kategorie der HfT Assets umfasst die zu Handelszwecken eingesetzten originären finanziellen Vermögenswerte (v.a. Schuldverschreibungen, Aktien sowie andere festverzinsliche und nicht festverzinsliche Wertpapiere), Edelmetalle, Devisen sowie derivativen Finanzinstrumente mit positivem Zeitwert (IAS 39.10). Die HfT Liabilities ist die Kategorie der zu Handelszwecken eingesetzten finanziellen Verbindlichkeiten, wozu auch derivative Finanzinstrumente mit negativem Zeitwert und Lieferverpflichtungen aus Wertpapierleerverkäufen zählen (IAS 39.18). Available-for-sale-Vermögenswerte sind weder zu Handelszwecken noch bis zur Endfälligkeit gehaltene originäre finanzielle Vermögenswerte und finanzielle Verbindlichkeiten (IAS 39.10). Derivative Finanzinstrumente sind i.d.R. schwebende Geschäfte, die nach IAS 39 grundsätzlich als HfT qualifiziert werden, sofern sie nicht (effektiv) als Sicherungsgeschäft eingesetzt werden (IAS 39.10). Nach dem HGB dürfen derivative Finanzinstrumente hingegen überhaupt nicht erfasst werden; vgl. STEINER, M./TEBROKE, H.-J./WALLMEIER, M. (1995), S. 833–844; GLAUM, M. (1997), S. 1626–1627; GLAUM, M./FÖRSCHLE, G. (2000), S. 1526; BÖTTCHER, H./SEEGER, N. (2003), S. 3–7; BARCKOW, A. (2004a), S. 65–116. Zu Definition und Einsatzgebieten von Optionen, Forwards, Futures, Zins- und Währungsswaps sowie sonstigen Derivaten vgl. HOFMANN, R./HOFMANN, I. (1998), S. 412–426; HULL, J. C. (2000). Zuverlässig bestimmbar ist der Fair Value, wenn die Spannweite möglicher Abschätzungen nicht signifikant ist und die Eintrittswahrscheinlichkeiten für die möglichen Wertansätze schätzbar sind; vgl. IAS 39.95. Hedge Accounting dient zur Zusammenfassung sich in der Wertänderung ausgleichender Positionen, um Schwankungen im Ergebnis zu vermeiden; vgl. HOMMEL, M./HERMANN, O. (2003), S. 2501–2503. Außer im Fall der Absicherung von Fremdwährungsrisiken sind ausschließlich Derivate als Sicherungsinstrument zugelassen. Vgl. dazu ausführlich SCHARPF, P. (2001), S. 182–251; MUJKANOVIC, R. (2002), S. 162–165; JAMIN, W./KRANKOWSKY, M. (2003), S. 502–515; KLEINMANNS, H. (2003), S. 101–107. D.h. Rückgriff auf aktuelle Zeitwerte vergleichbarer Instrumente oder auf solche der Vergangenheit.

66

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

einmaliges Wahlrecht besteht,190 alle Wertänderungen entweder erfolgswirksam zu erfassen oder bis zum Zeitpunkt der Realisierung erfolgsneutral in eine Neubewertungsrücklage einzustellen (IAS 39.103). Gewinne oder Verluste aus der Bewertung von Fair Value Hedges191 sind sowohl für das Sicherungsinstrument als auch für das abgesicherte Grundgeschäft grundsätzlich erfolgswirksam zu erfassen (IAS 39.153). Bei Cash Flow Hedges192 sowie bei Hedges of a Net Investment in a Foreign Entity193 erfolgt der Ausweis der Wertänderungen des effektiven Teils aus dem Sicherungsgeschäft erfolgsneutral in der Neubewertungsrücklage und des ineffektiven Teils erfolgswirksam in der GuV (IAS 39.158 und IAS 39.164). •

IAS 40 „Investment Property“194 Der Zeitwert kann optional als präferierte Alternative im Rahmen der Folgebewertung bei sämtlichen als Finanzinvestition gehaltenen Immobilien195 angesetzt werden, sofern der Zeitwert zuverlässig ermittelbar ist (Fair Value Model, IAS 40.27). Bei nicht zuverlässiger Ermittelbarkeit wird die Bewertung zu fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten vorgenommen (Cost Model, IAS 40.50). Die Ableitung des Zeitwerts wird aus aktuellen Marktwerten auf aktiven funktionierenden Märkten durchgeführt (IAS 40.29). Andernfalls ist der Marktwert durch Heranziehung vergleichbarer Vermögenswerte, vergangener Preise auf weniger aktiven Märkten oder durch Anwendung von Bewertungsmodellen anzupassen (IAS 40.39–40).

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Das Wahrecht muss konsistent und zeitlich stetig für die gesamte Klasse der AfS-Finanzinstrumente ausgeübt werden; vgl. IAS 39.104. Fair Value Hedges dienen zur Absicherung gegen das Risiko von Veränderungen des Fair Value von bilanzierten Vermögenswerten oder Schulden. Cash Flow Hedges dienen zur Absicherung gegen das Risiko aus einem variablen zukünftigen Zahlungsstrom aus bilanzierten Vermögenswerten oder Schulden sowie zur Absicherung von beabsichtigten künftigen Transaktionen. Hedges of a Net Investment in a Foreign Entity werden zur Absicherung des Währungsrisikos aus einer Nettoinvestition in eine Auslandsbeteiligung eingesetzt. Der Standard gilt gemäß IAS 40.74 für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1. Januar 2001 beginnen. Vgl. grundlegend BAETGE, J./ZÜLCH, H./MATENA, S. (2002), S. 417–422; BALLWIESER, W. (2002c); BÖCKEM, H./ SCHURBOHM, A. (2002), S. 38–51; BÖCKEM, H./SCHURBOHM-EBNETH, A. (2003), S. 335–343; OLBRICH, M. (2003), S. 346–357; STREIM, H./BIEKER, M./ESSER, M. (2003), S. 457; DOHRN, M. (2004), S. 167–189. Eine vorzeitige Anwendung von IAS 40 wurde vom IASB ausdrücklich empfohlen; vgl. BÖCKEM, H./SCHURBOHM, A. (2002), S. 38. Dazu zählen Grund und Boden oder Gebäude, die zur Erzielung von Miet- oder Pachterträgen und/oder Wertsteigerungen langfristig gehalten werden und nicht in der Produktion oder für Verwaltungszwecke eingesetzt werden (auch Anlageimmobilien bzw. Renditeliegenschaften genannt); vgl. BAETGE, J./ZÜLCH, H./MATENA, S. (2002), S. 417; BÖCKEM, H./SCHURBOHM-EBNETH, A. (2003), S. 335–336.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

67

Im Rahmen des Fair Value Model wird die Wertänderung erfolgswirksam berücksichtigt (IAS 40.28). Bei der Wahl des Cost Model ist der Zeitwert im Anhang (Notes) anzugeben und zu erläutern (IAS 40.69). Darüber hinaus findet der Zeitwert als Wertmaßstab innerhalb des IFRSRegelwerks bei folgenden Standards Anwendung:196 •

IAS 17 „Leases“197 Der Zeitwert wird für die Bewertung von Finanzierungsleasingverhältnissen in den Abschlüssen der Leasingnehmer (IAS 17.12), zur Bestimmung der Umsatzerlöse aus Finanzierungsleasingverhältnissen für Leasinggeber, Händler oder Hersteller (IAS 17.36) sowie für die Erfolgsermittlung aus Sale-andlease-back-Transaktionen verwendet (IAS 17.49–57).



IAS 18 „Revenue“198 Der Zeitwert wird bei der Bemessung der Erträge, die i.S.d. zugeflossenen oder zukünftig wahrscheinlich zufließenden Gegenleistung auszuweisen sind, eingesetzt (IAS 18.9–12).



IAS 19 „Employee Benefits“199 Der Zeitwert wird zur Bemessung des Planvermögens bei Pensionsrückstellungen verwendet (IAS 19.102–107). Dem Zeitwert kommt bei der Bewertung der Schulden aus leistungsorientierten Plänen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Defined Benefit Plans, IAS 19.54) und aus anderen langfristig fälligen Leistungen (Other Long-term Employee Benefits, IAS 19.128) indirekte Bedeutung zu, indem er als Bewertungsgrundlage für das zur Deckung der Schulden gehaltene Planvermögen benutzt wird.200



IAS 20 „Accounting for Government Grants and Disclosure of Government Assistance“201 Der Zeitwert wird für die Bewertung von nicht monetären Zuwendungen der öffentlichen Hand (IAS 20.7), die in der Periode erfolgswirksam zu verbuchen sind, in der die entsprechenden Aufwendungen anfallen (IAS 20.12), herangezogen (IAS 20.23).

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197 198 199 200 201

Diesen Standards ist in Bezug auf die nachfolgenden Erörterungen nur geringfügige Bedeutung beizumessen und werden daher bewusst nur kurz erläutert. Vgl. grundlegend KIRSCH, H.-J. (2002). Vgl. grundlegend ORDELHEIDE, D./BÖCKEM, H. (2002). Vgl. grundlegend WOLLMERT, P./HOFMANN, J./SCHWITTERS, J. (1997), S. 627–666. Das Planvermögen ist bei der Bewertung der Schulden aus Leistungen an Arbeitnehmer abzuziehen. Vgl. grundlegend PFITZER, N./WIRTH, M. (2002).

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2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert



IAS 21 „The Effects of Changes in Foreign Exchange Rates“202 Der Zeitwert erlangt bei der Bilanzierung von Fremdwährungsgeschäften indirekte Bedeutung, weil die in einer Fremdwährung zum Zeitwert bewerteten nicht-finanziellen Posten zu dem Kurs umgerechnet werden, der zum Zeitpunkt der Ermittlung des Zeitwerts gültig war (IAS 21.11). Die Anwendung des Zeitwerts erfolgt zudem im Rahmen eines Niederstwerttests als ein zum Stichtagswechselkurs umgerechneter Zeitwert bei der Umrechnung des Einzelabschlusses eines Tochterunternehmens, das eine integrierte ausländische Teileinheit verkörpert (IAS 21.30).



IAS 36 „Impairment of Assets“203 Die Bestimmung der Höhe eines Wertminderungsaufwands (oder einer Wertaufholung früherer Wertminderungen) erfolgt bei Vermögenswerten durch einen Vergleich des Buchwerts (Carrying Amount) mit dem Zeitwert (IAS 36.59). Ferner dient der Zeitwert zur Berechnung einer außerplanmäßigen Goodwill-Abschreibung durch Vergleich des Buchwerts mit dem Wert des Goodwills (IAS 36.104). Der Zeitwert wird als erzielbarer Betrag (Recoverable Amount) erfasst, der als Höchstwert aus Nettoveräußerungserlös (Fair Value Less Costs to Sell) und unternehmensinternem Nutzungswert (Value in Use) ermittelt wird (IAS 36.18).204 Der Wertminderungsaufwand (Impairment Loss) wird erfolgswirksam erfasst, sofern nicht zuvor gemäß einem anderen Standard205 eine Aufwertung erfolgte (IAS 36.60).



IAS 37 „Provisions, Contingent Liabilities and Contingent Assets“206 Die Forderung nach einer Bilanzierung zum Zeitwert wird für Rückstellungen als bestmöglicher Schätzer zur Erfüllung der Verpflichtung am Bilanzstichtag abgeleitet (IAS 37.45–47).207

202

203

204 205 206 207

Vgl. grundlegend MUJKANOVIC, R./HEHN, B. (1996), S. 605–616; OECHSLE, E./MÜLLER, K./WILDBURGER, D. (1997), S. 707–758. Vgl. grundlegend BAETGE, J./KROLAK, T./THIELE, S. (2002); KÜTING, K./DAWO, S./WIRTH, J. (2003), S. 177 –190. Am 31. März 2004 hat das IASB im Rahmen des Projekts „Business Combinations“ einen überarbeiteten Standard veröffentlicht; vgl. BRÜCKS, M./WIEDERHOLD, P. (2004), S. 177. Soweit nichts anderes angegeben wird IAS 36 hier und im Folgenden stets i.d.F.v. 2004 (rev. 2004) zitiert. Vgl. dazu auch CEARNS, K. (1999), S. 94–95. Beispielsweise nach der alternativ zulässigen Methode gemäß IAS 16. Vgl. grundlegend ERNSTING, I./KEITZ, I. V. (1998), S. 2477–2484. Vgl. dazu ausführlich ZEIMES, M. (2003), S. 2077–2080.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

69



IAS 41 „Agriculture“208 Der Zeitwert bildet die Grundlage für die Bewertung biologischer Vermögenswerte und selbst geernteter, landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Die Werthöhe wird auf aktiven Märkten bestimmt und um geschätzte Verkaufskosten vermindert (IAS 41.12). Die Wertänderungen sind zwingend erfolgswirksam zu erfassen (IAS 41.26). Ist kein aktiver Markt vorhanden, erfolgt die Vorgehensweise analog zu IAS 40.209



IFRS 3 „Business Combinations“210 Im Rahmen der Erstkonsolidierung nach der Erwerbsmethode (PurchaseMethode) erfolgt der Ansatz des Zeitwerts zur Aufdeckung von stillen Reserven und Lasten bzgl. der bei einem Unternehmenszusammenschluss erworbenen Vermögenswerte und Schulden (IFRS 3.24)211 und dient damit zur Ermittlung eines eventuellen Geschäfts- oder Firmenwerts (als Goodwill oder Badwill). In Abhängigkeit von der Kategorie der Vermögenswerte und Schulden bestehen differenzierte Hilfsmaßstäbe zur Bestimmung des Zeitwerts (IFRS 3.B16).

Des Weiteren verfolgt das IASB eine Zeitwertbilanzierung für Vermögenswerte und Schulden aus Versicherungsverträgen nach IFRS 4 „Insurance Contracts“212 sowie im Rahmen von IFRS 5 „Non-current Assets Held for Sale and Discontinued Operations“ für zum Verkauf vorgesehene langlebige Vermögenswerte und betriebliche Teilbereiche, die mit Veräußerungsabsicht erworben wurden.213 Zu208 209 210

211

212

213

Vgl. CAIRNS, D. (2003), S. 1089–1100. Vgl. dazu auch PACTER, P. (1999b), S. 72. IFRS 3 löst den alten Standard IAS 22 „Business Combinations“ ab. Vgl. zu IAS 22 grundlegend BAETGE, J./ SIEFKE, K./SIEFKE, M. (2002). Für Unternehmenszusammenschlüsse ab dem 31. März 2004 gilt gemäß IFRS 3.78 der neue Standard IFRS 3; vgl. KÜTING, K./WIRTH, J. (2004), S. 168; ZÜLCH, H. (2004a), S. 563. Vgl. zur Diskussion z.B. auch BRÜCKS, M./WIEDERHOLD, P. (2003), S. 21–29; FLADT, G./FEIGE, P. (2003), S. 249–262; WÜSTEMANN, J./DUHR, A. (2003), S. 247–253; THEILE, C./PAWELZIK, K. U. (2004), S. 94–100. Der Anschaffungswert bei einem Unternehmenszusammenschluss ergibt sich aus dem Zeitwert der als Gegenleistung übertragenen Vermögenswerte, übernommenen Schulden und ausgegebenen Eigenkapitalinstrumente. Werden z.B. als Gegenleistung Anteile ausgegeben, bemisst sich der Zeitwert am Börsen- oder Marktpreis; vgl. KÜTING, K./WIRTH, J. (2004), S. 169. Das IASB hat aufgrund des hohen Komplexitätsgrads einer Zeitwertbewertung von versicherungstechnischen Verpflichtungen das Projekt „Insurance Contracts“ in zwei Phasen aufgeteilt, wobei Phase 1 im Jahr 2005 in Kraft tritt und weitgehend die Beibehaltung der bisherigen nationalen Bilanzierungsregeln ermöglicht; vgl. IASB (2002), S. 2–3; ZÜLCH, H./WILLMS, J. (2004a), S. 602. Vgl. zur Diskussion KÖLSCHBACH, J. (2000), S. 432–436; ALTENBURGER, O. A. (2002), S. 2–9; DTT (2002), S. 1–17; DEGENHARDT, M. (2003); DULLAWAY, D./BICE, A. (2002), S. 18–21; PERLET, H. (2003), S. 441–456; ROCKEL, W./SAUER, R. (2003), S. 1108–1119; ROCKEL, W./SAUER, R. (2004), S. 215–219 und 303–307. Für die Bewertung zum Zugangszeitpunkt ist gemäß IFRS 5.16 der Nettoveräußerungspreis (Fair Value Less Costs to Sell) anzusetzen; vgl. IASB (2003b), S. 3–4. IFRS 5 tritt für Geschäftsjahre in Kraft, die am oder nach dem 1. Januar 2005 beginnen.

70

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

dem hat das IASB Ende Dezember 2003 Neufassungen für IAS 32 (rev. 2003) und IAS 39 (rev. 2003) verabschiedet, die für Geschäftsjahre ab dem 1. Januar 2005 gelten. Die bedeutendste Änderung wurde bei IAS 39 vorgenommen, indem die bisherige Bewertungskategorie der zu Handelszwecken gehaltenen Finanzinstrumente um eine generelle Option zur erfolgswirksamen Zeitwertbewertung erweitert wurde.214 Demnach können sämtliche finanziellen Vermögenswerte und Schulden zum Zeitwert bilanziert werden und deren Wertänderungen direkt erfolgswirksam erfasst werden.215 Begleitend zur verpflichtenden Einführung der IFRS in Europa hat das IASB im Zuge des „Improvement Project“ insgesamt 13 Standards – darunter auch IAS 16, IAS 17, IAS 21, IAS 27, IAS 28 und IAS 40 – umfassend überarbeitet und am 18. Dezember 2003 veröffentlicht.216 Diese Standards sind für Geschäftsjahre, die am 1. Januar 2005 oder später beginnen, verbindlich anzuwenden; sie enthalten jedoch in Bezug auf die Zeitwertbewertung keine wesentlich veränderten Anwendungsvorschriften. Während der Ansatz des Zeitwerts bislang nur für geschlossene, zusammengehörige Gruppen des Anlagevermögens erlaubt war,217 ermöglicht IFRS 1 „First-Time Adoption of International Financial Reporting Standards“ nunmehr bei der Umstellung auf IFRS erstmals auch selektiv einzelne Gegenstände des Anlagevermögens in der Eröffnungsbilanz zum Zeitwert anzusetzen.218 Das nachstehend abgebildete Stufenkonzept zeigt das in den Standards des IASB durchgehend verfolgte Modell zur Ermittlung des Zeitwerts,219 das eine hierarchische Vorgehensweise in Abhängigkeit vom Grad der Verlässlichkeit der verfügbaren Informationsquellen vorsieht:220

214

215

216 217 218 219

220

Vgl. grundlegend BARCKOW, A./GLAUM, M. (2004), S. 185–203; DRSC (2004); KUHN, S./SCHARPF, P. (2004a), S. 261–264; LÖW, E./SCHILDBACH, S. (2004), S. 875–882. Auf Druck der EZB wurde diese Zeitwertoption in dem am 21. April 2004 vom IASB überarbeiteten Entwurf (ED The Fair Value Option) jedoch wieder stark beschränkt; vgl. EZB (2004a), S. 77–91. Vgl. dazu auch DEUTSCHE BUNDESBANK (2003), S. 34–35; BARCKOW, A. (2004b), S. 793–798; BARCKOW, A./GLAUM, M. (2004), S. 186 und 196–197; IDW (2004b), S. 882; ZÜLCH, H./WILLMS, J. (2004b), S. 467. Vgl. BIEKER, M./HACKENBERGER, J. (2004), S. 1626–1627. Die Bezeichnung der neuen Kategorie lautet: „Financial Assets/Liabilities at Fair Value Through Profit or Loss“; vgl. BARCKOW, A./GLAUM, M. (2004), S. 198; GRÜNBERGER, D./GRÜNBERGER, H. (2004a), S. 120–121; ZÜLCH, H./WILLMS, J. (2004b), S. 466. Vgl. IASB (2003b), S. 6; ZÜLCH, H. (2004a), S. 153–167. Beispielsweise im Rahmen von IAS 16, IAS 38 und IAS 40. Vgl. JEBENS, T. (2003), S. 2346. Vgl. dazu auch ZEIMES, M. (2002), S. 1005–1007. Eine in den einzelnen Standards vom dreistufigen Konzept abweichende Konkretisierung des Zeitwerts ist in der geringeren Komplexität des jeweiligen Standards begründet; vgl. IAS 16.30–31 und IAS 38.74. Für die Neubewertung gemäß IAS 16 ist gewöhnlich vom Marktwert auszugehen; weitere Differenzierungsgrade sind nicht vorgesehen. Da die Bewertung von immateriellen Vermögenswerten nach IAS 38 ohnehin nur in den Fällen erlaubt ist, in denen der Zeitwert auf einem aktiven Markt ermittelbar ist, wird auf eine weitere Konkretisierung verzichtet. Vgl. z.B. IAS 39.199–101 und IAS 40.39–40. Vgl. dazu auch BAETGE, J./ZÜLCH, H. (2001), S. 547.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

71

Aufgabe: Ermittlung des Zeitwerts

1. Stufe

2. Stufe

Ist ein Markwert zur Bestimmung des Zeitwerts verfügbar? nein Ist ein Marktwert eines vergleichbaren Objekts zur Bestimmung des Zeitwerts verfügbar?

ja

Zeitwert in Höhe des Marktwerts

ja

Zeitwert in Höhe des Marktwerts des vergleichbaren Objekts

ja

Zeitwert als plausibler Schätzwert aus dem Bewertungsverfahren

nein 3. Stufe

Ist ein anerkanntes Bewertungsverfahren anwendbar? nein Ausnahme: Ansatz der Anschaffungswerte

Abb. 2.1:

Stufenkonzept zur Ermittlung des Zeitwerts in Abhängigkeit der verfügbaren Marktinformationen

Unter dem Zeitwert ist also im Idealfall der Marktwert zu verstehen, d.h. falls der Wert eines Vermögenswerts auf einem Markt i.S. eines Tauschwerts bestimmt werden kann (Mark-to-Market).221 Wird der Tausch auf dem Markt definitionsgemäß durchgeführt, ergibt sich kein wertmäßiger Unterschied aufseiten des Veräußerers und Erwerbers, weswegen – unter Vernachlässigung von Nebenkosten – die Werte auf dem Beschaffungs- und Absatzmarkt identisch sind.222 Vor dem Hintergrund von in der Realität häufig fehlenden Marktwerten ist es wenig verwunderlich, dass das IFRS-Regelwerk bislang zum Ansatz nach dem Zeitwert statt zum Marktwert tendiert. Als Hilfsmittel bei der Bestimmung des Zeitwerts müssen 221 222

Vgl. WILLIS, D. W. (1998), S. 855. Vgl. dazu auch BARTH, M. E./LANDSMAN, W. R. (1995), S. 98–99; BUCHHOLZ, R. (2003), S. 137–138. Da in der Praxis jedoch häufig Transaktionskosten (z.B. in Form von Anschaffungsnebenkosten) anfallen, kommt es zu Abweichungen zwischen Beschaffungs- (Entry Value) und Absatzwert (Exit Value); vgl. SHIM, E./LARKIN, J. M. (1998), S. 38. Der beizulegende Wert nach dem HGB im Bereich des Anlagevermögens entspricht der Ausprägung des Entry Value, während der Zeitwert im Rahmen der IFRS vorrangig vom Absatzmarkt als Exit Value abgeleitet wird (vorbehaltlich der oben dargestellten Spezialvorschriften wie v.a. Present Value, Current Cost oder Value in Use). Vgl. dazu auch JWGSS (2000), Tz. 77–83; KÜTING, K./DAWO, S. (2003), S. 229.

72

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

daher häufig theoretische Modelle, wie etwa Barwertverfahren223 (Discounted Cash Flow-Methode,224 Ertragswertverfahren etc.) oder Optionspreismodelle (Optionsbepreisung nach Black-Scholes,225 Binomialmodell etc.), herangezogen werden.226

2.4

Diskussion des Zeitwerts im Hinblick auf ausgewählte Bilanzierungszwecke

2.4.1

Informationsvermittlungszweck

Die Informationsfunktion des Konzernabschlusses soll die Adressaten bei der Einschätzung von möglichen Konsequenzen ihrer Entscheidung unterstützen. Für den HGB-Konzernabschluss, der im Rahmen des § 308 Abs.1 HGB auf die Informationsfunktion ausgerichtet werden kann,227 werden als Adressaten i.V.m. der allgemeinen Publizitätspflicht von Konzernabschlüssen gemäß § 325 HGB alle aktuellen und potentiellen Konzernbeteiligten genannt. Dazu zählen die Eigenund Fremdkapitalgeber einschließlich deren Berater, die Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter, die Kunden und Lieferanten, die Aufsichtsräte des Mutterunternehmens und sämtlicher Tochterunternehmen sowie die allgemein interessierte Öffentlichkeit.228 Allerdings wird der Einzelabschluss nach dem Handelsrecht aus der Gläubigerperspektive dominiert, weshalb unter Beachtung des § 297 Abs. 2 HGB229 und des § 298 Abs. 1 HGB230 davon ausgegangen werden kann, dass den Interessen der Fremdkapitalgeber ebenso wie im Einzel- auch im Konzernabschluss die entscheidende Rolle zukommt.231 Oberstes Ziel der Rechnungslegung nach den IFRS ist die Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen (Decision Usefulness) an den breiten Kreis der aktuellen und potentiellen Investoren, die für deren Beurteilung ihres eingegan223

224 225

226

227 228 229

230

231

Zur Problematik der Fair Value-Ermittlung mithilfe von Barwertkalkülen vgl. grundlegend KÜMMEL, J. (2002), S. 209–260. Vgl. kritisch KIRSCH, H.-J./KRAUSE, C. (1996), S. 793–812; BENDER, J./LORSON, P. (1997), S. 1–9. Vgl. dazu ausführlich BLACK, F./SCHOLES, M. (1973), S. 637–654. Vgl. dazu auch HAHNENSTEIN, L./WILKENS, S./RÖDER, K. (2001), S. 355–361. Vgl. kritisch KÖLSCHBACH, J. (2000), S. 436; LÜDENBACH, N./HOFFMANN, W.-D. (2002a), S. 1173; THEILE, C. (2003a), S. 963; EZB (2004a), S. 84. Vgl. MANDLER, U. (2003), S. 680. Vgl. SCHILDBACH, T. (1987), S. 4–6. Gemäß § 297 Abs. 2 HGB sind bei der Abbildung der tatsächlichen Verhältnisse der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage die GoB zu berücksichtigen. Die GoB sind jedoch vom Einzelabschluss abgeleitet, der stark vom Vorsichtsprinzip geprägt ist. Gemäß § 298 Abs. 1 HGB sind in der Konzernrechnungslegung ebenfalls die Ansatz-, Bewertungs- und Ausweisvorschriften des Einzelabschlusses anzuwenden, soweit sie für große Kapitalgesellschaften gelten. Vgl. WOLLMERT, P./ACHLEITNER, A.-K. (2002), Tz. 3; BONSE, A. (2004), S. 20–21.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

73

genen oder geplanten Engagements in der Unternehmung notwendig sind. Zu den Informationsadressaten werden gemäß F. 9 derzeitige sowie mögliche Eigenkapitalgeber (einschließlich der Finanzintermediäre, wie z.B. Finanzanalysten), Fremdkapitalgeber Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten, der Staat sowie die allgemein interessierte Öffentlichkeit gezählt. Die Fokussierung des IASB liegt nach F. 10 bei den Eigenkapitalgebern, weil von dieser Gruppe das Risikokapital bereitgestellt wird und ihre Informationsbedürfnisse denen der meisten anderen Adressaten entsprechen.232 Nach h.M. in Theorie und Praxis ist eine nach den IFRS-Grundsätzen aufgestellte Bilanz oder GuV aussagekräftiger als ihr jeweiliges Pendant nach deutschem Handelsrecht.233 Einerseits kann der höhere Informationsgehalt darin begründet sein, dass die Bilanzpositionen einer nach den IFRS erstellten Bilanz informativer sind als die einer nach den HGB-Normen, andererseits kann ein IFRS-Abschluss deshalb informativer sein, weil der in der GuV ausgewiesene Jahresüberschuss/ -fehlbetrag aussagekräftiger ist.234 Unter der Annahme, dass die Anteilseigner vorrangig ein finanzielles Interesse verfolgen, besteht ihr Informationsbedürfnis im Volumen, der zeitlichen Verteilung und der Eintrittswahrscheinlichkeiten zukünftig zu erzielender Cashflows sowie in der zukünftigen Kursentwicklung ihrer Anteile. Die Fremdkapitalgeber bzw. Gläubiger haben v.a. ein Interesse an der Fähigkeit des Unternehmens zukünftig die vertraglich vereinbarten Zins- und Tilgungszahlungen fristgerecht zu leisten sowie an der Wahrscheinlichkeit für eine Insolvenz und dem dabei eintretenden Kreditverlust.235 Somit trägt die Informationsfunktion auch wesentlich zum Gläubigerschutz bei.236 Dass ein nach den IFRS aufgestellter Jahresabschluss tatsächlich die Informationsbedürfnisse ausreichend erfüllt, kann indes nicht uneingeschränkt bejaht werden. Aus der Sicht der Fremdkapitalgeber vermittelt eine nach Zeitwerten (gemäß IFRS) aufgestellte Bilanz grundsätzlich besser das Schuldendeckungspotential als dies Anschaffungswerte (gemäß HGB) könnten. Aus der Sicht der Eigenkapitalgeber liefern Zeitwerte nur dann ein besseres Bild von der Unternehmung, wenn diese die zukünftig aus der Nutzung des Vermögenswerts resultierenden Cashflows wiedergeben. Andernfalls zeigen die Zeitwerte nur den am Bilanzstichtag 232

233

234 235 236

Vgl. unter bilanztheoretischen Gesichtspunkten zur primär interessenmonistisch ausgerichteten Zielsetzung kritisch BALLWIESER, W. (1982), S. 774–775. Vgl. z.B. SCHRUFF, W. (1993), S. 421; FÖRSCHLE, G./GLAUM, M./MANDLER, U. (1995), S. 400–401; BAETGE, J. (1997), S. 113 m.w.N.; BEHRINGER, S. (2003), S. 539; VÖGELE-EBERING, T. (2003), S. 24. Vgl. einschränkend ALTENBURGER, O. A. (1999), S. 543–545. Vgl. a.A. KÜTING, K./ZWIRNER, C. (2003), S. 200; STREIM, H./ ESSER, M. (2003a), S. 840. Vgl. STREIM, H./ESSER, M. (2003a), S. 836. Vgl. STEIN, H.-G. (1993), S. 978. Vgl. BIPPUS, B. E. (1998), S. 641.

74

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

realisierbaren Zahlungsstrom und sind damit zwar den Anschaffungswerten aufgrund ihrer Aktualität über-, den Ertragswerten aber wegen ihrer fehlenden Zukunftsbezogenheit unterlegen.237 Darüber hinaus bestehen im derzeitigen IFRS-Regelwerk mehrere bilanzielle Ansatzrestriktionen, wie z.B. hinsichtlich der Aktivierung (selbst erstellter) immaterieller Vermögenswerte oder der Forschungskosten bzw. der Passivierung unsicherer Innenverpflichtungen,238 was sich ebenfalls nachteilig auf die Darstellung des Periodenerfolgs auswirkt.239 Auch die derzeit vom IASB verfolgte Bewertungskonzeption des Mixed Accounting Model sowie die unterschiedliche Erfolgswirksamkeit von Wertänderungen verhindern eine informativere Darstellung für die Belange der Kapitalgeber. Verschärft wird die Problematik der sachgerechten Informationsvermittlung zudem durch die zahlreich vorhandenen Ermessensspielräume.240 Somit kann resümiert werden, dass Zeitwerte zwar prinzipiell die Aufgabe der Informationsvermittlung zutreffender als Anschaffungswerte erfüllen, der Abschluss nach den derzeitigen Vorschriften des IASB aber zahlreiche Mängel aufweist, die eine noch bessere Informationsversorgung verhindern. 2.4.2

Kapitalerhaltungszweck

Nach traditionellem Verständnis beinhaltet der Gläubigerschutz nicht nur die sachgerechte Information des (Fremd-)Kapitalgebers, sondern auch die Sicherung des Kapitalwerts der getätigten Investition. Diesem Ziel dient der Kapitalerhaltungszweck, der nach deutscher Rechtsordnung in den §§ 57 und 62 AktG verankert ist.241 Eine mit dem Handelsrecht vergleichbare Kapitalerhaltungsfunktion ist einem unter Anwendung der IFRS aufgestellten Abschluss zumindest nach der Zweckdiskussion im Framework des IASB fremd.242 Im Rahmen der Kapitalerhaltungskonzeptionen ist die Beurteilung der Qualität einer Einkunftsquelle im Hinblick auf ihre zukünftige Erfolgswirksamkeit von Interesse. Im Schrifttum sind im Wesentlichen die drei Kapitalerhaltungsformen der Geldkapitalerhaltung, der Sach- bzw. Substanzerhaltung243 und der Erfolgska237 238

239

240 241 242 243

Vgl. dazu auch LÖHR, D. (2003), S. 646–647. Im deutschen Handelsrecht werden die unsicheren Innenverpflichtungen als „Aufwandsrückstellungen“ bezeichnet. Vgl. STREIM, H./ESSER, M. (2003a), S. 837–838. Beispielsweise sind Investitionen in nicht aktivierbare immaterielle Vermögenswerte aufwandswirksam in der GuV zu verbuchen. V.a. im Fall nicht vorhandener Marktwerte. Vgl. dazu auch SCHILDBACH, T. (2002), S. 264. Vgl. SCHÖN, W. (2001), S. 75. Zur Zielsetzung des IASB vgl. grundlegend PELLENS, B. (2001), S. 437. Zur Sach- bzw. Substanzerhaltungskonzeption vgl. grundlegend HAX, K. (1957); STERZENBACH, H. W. (1971); SCHLAPPIG, M. (1974); SCHILDBACH, T. (1979), S. 138–242.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

75

pitalerhaltung verbreitet.244 Die traditionelle, vom Anschaffungswert- und imparitätischen Realisationsprinzip dominierte Gewinnermittlung ist an den Grundsatz der Geldkapitalerhaltung gebunden.245 Im Gegensatz zur realen Geldkapitalerhaltung, bei der auf ein kaufkraftmäßig gleich bleibendes Einlagekapital abgezielt wird, steht bei der Erfolgsermittlung nach den derzeitigen Vorschriften des HGB die nominale Geldkapitalerhaltung (Nominalkapitalerhaltung) im Vordergrund, d.h. die Erhaltung des Eigenkapitals in Einheiten der effektiven Währung.246 Die Zeitwertbilanzierung kann sowohl im Rahmen der Nominalkapitalerhaltung als auch der Substanzerhaltung eingebunden sein.247 Die unterschiedlichen Kapitalerhaltungskonzeptionen und deren Auswirkungen auf die Erfolgswirksamkeit macht folgende Abbildung deutlich:

Zeitwerte im Rahmen der

Nominalkapitalerhaltung

Substanzerhaltung

Wertsteigerung wird sofort zu Gewinn

Wertsteigerung wird verzögert zu Gewinn

Wertsteigerung wird nur im Anhang gezeigt

Keine Berücksichtigung der Wertsteigerung in der Erfolgsrechnung

(z.B. IAS 39.103, IAS 40.28)

(z.B. IAS 39.104)

(z.B. IAS 40.69, §§ 54 bis 56 RechVersV)

(z.B. IAS 16.39, IAS 38.78)

Abb. 2.2:

Kapitalerhaltungskonzeptionen des Zeitwerts im Rahmen der Substanz- und Nominalkapitalerhaltung

[In Anlehnung an: SCHILDBACH, T. (1998b), S. 581]

Bei der Nominalkapitalerhaltung wird auf eine aktuelle Bewertung des Vermögens abgezielt, deren Zweck die Aufdeckung bewertungsbedingter stiller Reserven ist. Die Erfolgswirksamkeit der Zeitwertbilanzierung kann hierbei drei gänzlich von244

245

246 247

Die Erfolgskapitalerhaltung bedingt eine Bewertung des Unternehmens als Ganzes. Die Vermögensbewertung erfolgt daher auf Basis des Gesamtwertprinzips. Da die Vermögensgegenstände nur schwer objektivierbar sind, wird hierzu nachfolgend nicht näher eingegangen; vgl. dazu SCHNEIDER, D. (1971), S. 616–617. Dies gilt sowohl für die dynamische Bilanzauffassung als auch für die beiden statischen Interpretationen (Zerschlagungs- und Fortführungsstatik). Siehe hierzu Abschnitt 3.2.5. Vgl. COENENBERG, A. G. (2003), S. 1147–1149. Vgl. SCHILDBACH, T. (1998b), S. 580–581.

76

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

einander verschiedene Ausprägungsformen annehmen.248 Die Substanzerhaltung zielt zwar ebenso auf eine Ausweisung des Vermögens zu Zeitwerten, jedoch werden die entsprechenden Wertsteigerungen grundsätzlich nicht auf Dauer in den Erfolg einbezogen.249 Die Berücksichtigung der Auswirkungen einer Bilanzierung zum Zeitwert in der Erfolgsrechnung reicht demzufolge von einem völligen Ausschluss bis zur sofortigen Vereinnahmung von Wertsteigerungen. Gemäß den derzeitigen Vorschriften des HGB werden nur Wertverluste angesetzt, die dann generell erfolgswirksam vereinnahmt werden. Nach den IFRS erfolgt der Ausweis von Wertänderungen im Rahmen der Nominalkapitalerhaltung jedoch erfolgswirksam in der GuV, erfolgsneutral in der Neubewertungsrücklage als Bestandteil des Eigenkapitals sowie lediglich in Form von Anhangsangaben.250 Auch eine völlige Nichtberücksichtigung der Wertänderungen in der Erfolgsrechnung, wie bei der Substanzerhaltung gefordert, ist im IFRS-Regelwerk vorgesehen. 2.4.3

Ausschüttungsbemessungs- und Steuerbemessungszweck

Die Kapitalerhaltungsregeln sind eng mit der Ausschüttungsbemessungsfunktion verbunden.251 V.a. bei haftungsbeschränkten Unternehmen soll durch eine restriktive Ausschüttungsbemessung eine unautorisierte bzw. verdeckte Kapitalherabsetzung zu Lasten Dritter (insbesondere der Gläubiger) in Form von z.B. fremd- oder liquidationsfinanzierter Ausschüttung vermieden werden.252 Unter der Annahme von bestehenden Informationsasymmetrien zwischen Unternehmensleitung und Kapitalgebern wird daher eine vorsichtige Gewinnermittlung unter der Prämisse von eindeutigen Bewertungsregeln als i.S.d. Kapitalgeber postuliert.253 Im Rechnungslegungssystem nach deutschem Handelsrecht ergibt sich die Ausschüttungsbemessungsfunktion aus den Zielen der Kapitalerhaltung und der Unternehmenssicherung.254 Dieser Zweck wird beispielsweise durch Ausschüttungssperren255 248

249

250

251 252 253 254

255

Beispielsweise müssen HfT-Finanzinstrumente (IAS 39.103) und können Investment Properties (IAS 40.28) unmittelbar erfolgswirksam erfasst werden. Eine zunächst erfolgsneutrale Erfassung kann hingegen z.B. bei AfS-Finanzinstrumenten erfolgen (IAS 39.104). Eine ausschließliche Angabe der Zeitwerte im Anhang, wie z.B. bei Wahl des Cost Model für Investment Property (IAS 40.69) oder bei Kapitalanlagen von Versicherungsgesellschaften (§§ 54 bis 56 RechVersV), hat zu keiner Zeit eine Auswirkung auf den Erfolg. Dieser Vorgehensweise entspricht die alternativ zulässige Methode der Neubewertung von Sachanlagevermögen nach IAS 16.39 und IAS 38.78. Der erfolgsneutrale Ausweis ist von vorübergehender Natur, d.h. nur bis zum Zeitpunkt der Realisation. Zur Neubewertungsrücklage i.V.m. dem Grundsatz der Kapitalerhaltung vgl. KNAUS, M. (2001), S. 84–86. Vgl. KÜHNBERGER, M./SCHMIDT, T. (1999), S. 1263–1291. Vgl. STREIM, H./ESSER, M. (2003b), S. 737. Vgl. kritisch WAGNER, F. W. (1982), S. 765–769. Vgl. SCHILDBACH, T. (2002), S. 271–273; LÖHR, D. (2003), S. 647. Zur Verwendung des Jahresüberschusses vgl. § 58 AktG. Vgl. dazu z.B. PFAFF, D. (1989), S. 1013–1026; BAYER, W. (2003), S. 167–201. Beispielsweise beim Ankauf eigener Aktien (§ 71 Abs. 2 AktG), bei Buchgewinnen aus Bilanzierungshilfen (§ 269 HGB) oder aufgrund steuerlicher Abgrenzungsmaßnahmen (§ 274 Abs. 2 HGB).

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

77

oder dem Prinzip des festen Nennkapitals bei Kapitalgesellschaften verfolgt. Nach dem Regelwerk der IFRS ist die Ausschüttungsbemessungsfunktion jedoch systemfremd. Im Vordergrund steht hierbei die Informationsfunktion, wobei die Ausschüttungsbemessung durch gesellschaftsrechtliche Regelungen sichergestellt werden muss.256 Der handelsrechtliche Jahresabschluss erfüllt auf Basis einer vorsichtigen Gewinnermittlung über das Maßgeblichkeitsprinzip257 auch eine Zahlungsbemessungsfunktion für die Besteuerung. Die umgekehrte Maßgeblichkeit macht zudem die Anwendung zulässiger Ansatz- und Bewertungswahlrechte in der steuerlichen Gewinnermittlung von einem analogen Vorgehen in der Handelsbilanz abhängig.258 Infolge dieser methodischen Verknüpfung der Handels- mit der Steuerbilanz haben alle weiteren Diskussionen über die künftigen Anforderungen an die Erstellung von Einzelabschlüssen auch steuerrechtliche Implikationen. Die Rechnungslegungsnormen der IFRS sind für diese Funktion derzeit hingegen nicht vorgesehen, allerdings ist es aus heutiger Sicht fraglich, ob es in Zukunft überhaupt bei einem Nebeneinander von handelsrechtlichem Einzel- und einem nach internationalen Normen aufgestellten Konzernabschluss bleiben wird.259 Nach allgemeiner Auffassung bieten das Vorsichtsprinzip und seine Ausprägungen des Realisations- und Imparitätsprinzips im Handelsrecht bislang Schutz vor übermäßiger Besteuerung und tragen dadurch finanzwirtschaftlich zur Verstetigung des Steueraufkommens bei.260 Jedoch sehen Kritiker gerade im Vorsichtsprinzip und der damit verknüpften Verschleierung der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage einen Wettbewerbsnachteil deutscher Unternehmen.261 Aus derzeitiger Sicht ist sowohl eine Beibehaltung als auch eine Aufgabe des Maßgeblichkeitsgrundsatzes denkbar.262 Bei einem Weiterbestehen könnte die Zukunft in einer strengen oder abgeschwächten Maßgeblichkeit des IFRS-Abschlusses bestehen, während eine vollständige Trennung von handels- und steuerrechtlicher Rechnungslegung sowohl für den Gesetzgeber als auch für die Unternehmen weitreichende und aus gegenwärtiger Sicht unkalkulierbare Konsequenzen hätte.263 256 257

258

259

260 261 262 263

Vgl. MUJKANOVIC, R. (2002), S. 19. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG. Vgl. kritisch HERZIG, N./DAUTZENBERG, N. (1998), S. 23–26; OESTREICHER, A./ SPENGEL, C. (1999), S. 593–600; WEBER-GRELLET, H. (1999), S. 2659–2666; HERZIG, N. (2000), S. 104–119; HEURUNG, R. (2000), S. 422–423. § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG. Vgl. kritisch FREIDANK, C.-C./POTTGIEßER, G. (2003), S. 890; LÖHR, D. (2003), S. 650; STRUNK, G. (2003), S. 400. Zur grundsätzlichen Diskussion über die Beibehaltung des Maßgeblichkeitsprinzips vgl. z.B. WAGNER, F. W. (1998), S. 2073–2077; FÜLBIER, R. U./GASSEN, J. (1999), S. 1511–1513; BUCHHOLZ, R./WEIS, R. (2002), S. 512–517 und 559–564; KAHLE, H. (2002c), S. 178–188; WEBER-GRELLET, H. (2002), S. 700–706. Vgl. ZEITLER, F.-C. (2003), S. 1531. Vgl. kritisch MOXTER, A. (2000), S. 2146. Vgl. STECK, D. (2002), S. 492–493. Vgl. dazu ausführlich BMF (2002), S. 63–70. Vgl. gl.A. MUFF, M./SCHNEIDER, U. (2002), S. 5–6; WENDLANDT, K./KNORR, L. (2004), S. 46.

78

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

2.5

Bilanztheoretische Einordnung des Zeitwerts

Im Zusammenhang mit der Anwendung des Zeitwerts in der Bilanzierungspraxis wurde begleitend auch dessen bilanztheoretische Einordnung intensiv diskutiert. Grundsätzlich werden die drei klassischen deutschen betriebswirtschaftlichen Bilanztheorien Statik, Dynamik und Organik unterschieden,264 die im Wesentlichen auf dem Grundsatz der Einzelbewertung von Vermögenswerten und Schulden basieren.265 Die Konzeption des ökonomischen Gewinns zielt hingegen auf eine Gesamtbewertung des Unternehmens ab. Die Zusammenhänge sind in nachstehender Abbildung veranschaulicht:

Zeitwert in der Bilanztheorie

Einzelbewertung der Vermögensgegenstände und Schulden eines Unternehmens

Statik

Zerschlagungsstatik Abb. 2.3:

Dynamik

Organik

Gesamtbewertung des Unternehmens

Ökonomischer Gewinn

Fortführungsstatik

Bilanztheoretische Einordnung des Zeitwerts

Der Schwerpunkt der statischen Bilanztheorie liegt in der Ermittlung des Reinvermögens266 (Eigenkapital), während die Erfolgsermittlung in den Hintergrund rückt. Die Statik nimmt hierbei mit den beiden Grundkonzeptionen der Zerschlagungs- und Fortführungsstatik zwei grundsätzlich kontroverse Ausprägungen an:267 Der Zerschlagungsstatik liegt die Fiktion des Konkurses zugrunde, wodurch 264 265 266

267

Vgl. BAETGE, J./ZÜLCH, H. (2001), S. 547–548; BAETGE, J./KIRSCH, H.-J./THIELE, S. (2002), S. 12–25. Vgl. SEICHT, G. (1982), S. 164–171. Das Reinvermögen ist als Differenz zwischen dem Gesamtvermögen und den Schulden definiert; vgl. EISELE, W. (1993), Sp. 1557. Die Zerschlagungsstatik geht auf die Entscheidung des ROHG v. 3. Dezember 1873 zurück; vgl. ROHG (1873), S. 15–23. Siehe hierzu Abschnitt 3.2.5.2.2. Die Fortführungsstatik wurde Ende des 19. Jahrhunderts vom Berliner Rechtsanwalt Simon geprägt; SIMON, H. V. (1899). Siehe hierzu Abschnitt 3.2.5.3.3. Vgl. dazu auch TER VEHN, A. (1929a), S. 24–32; MOXTER, A. (1984), S. 6.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

79

die Messung des Schuldendeckungspotentials auf Basis von Zerschlagungswerten zum Zweck des Gläubigerschutzes verbunden ist.268 Als grundlegende Ansatzregel für die Einzelbewertung dient die Verkehrsfähigkeit, d.h. die Einzelveräußerbarkeit, sodass die Bewertung der Vermögenswerte über Liquidationswerte269 i.S.v. Einzelveräußerungswerten und der Schulden in Höhe der rechtsverbindlichen künftigen Auszahlungsverpflichtungen abgeleitet wird. Die Problematik der Zerschlagungsstatik liegt in der schwierigen Objektivierung der Einzelveräußerungswerte, weil bei Annahme einer Zerschlagung deren Umstände, wie z.B. die Dauer und Intensität, Rückwirkung auf die Höhe der Vermögensgegenstände und Schulden hat. Die Fortführungsstatik basiert hingegen auf der Prämisse der Fortführung der Unternehmenstätigkeit (Going Concern). Der Zweck der Bilanz liegt demnach in der periodischen Bereitstellung von Vermögensübersichten, die durch die Bestimmung des individuellen Vermögens und der Schulden des Kaufmanns zum Stichtag erreicht wird. Das Reinvermögen wird als potentieller Kauf- oder Verkaufspreis des gesamten Unternehmens interpretiert, der unter der Prämisse der Generierung zukünftiger Einnahmeüberschüsse ermittelt wird.270 Deshalb bedeutet die fortführungsstatische Bilanzierung in ihrer Reinform die Ermittlung des Effektivvermögens271 i.S.d. Ertragswerts (Shareholder Value). Die praktische Bewertung erfolgt beim Anlagevermögen allerdings anhand der Anschaffungswerte, die bei Vorliegen niedrigerer Marktpreise auf diese abgeschrieben werden.272 Beim Umlaufvermögen erfolgt der Ansatz anhand des individuell zu ermittelnden Veräußerungswerts273 und bei Schulden zum Nennwert274. Zentrale Jahresabschlussaufgabe der dynamischen Bilanztheorie275 ist die Darstellung eines aussagefähigen, betriebswirtschaftlichen Erfolgs zum Zwecke der Betriebssteuerung.276 Die Bewertungsmethodik stellt insbesondere auf eine tendenziell vorsichtige Bewertung ab, d.h. sie baut v.a. auf das Vorsichtsprinzip mit seinen Ausprägungen des Realisations- und Imparitätsprinzips. Deshalb sind die Aktiva vor der Veräußerung höchstens zu ihren Anschaffungs- bzw. Herstellungs-

268 269 270 271 272 273

274

275

276

Vgl. COENENBERG, A. G. (2003), S. 1150–1151. Zur Interpretation des Liquidationswerts als Zukunftswert vgl. z.B. MUJKANOVIC, R. (1994), S. 97. Vgl. COENENBERG, A. G. (2003), S. 1151–1152. Zum Begriff „Effektivvermögen“ vgl. MOXTER, A. (1976), S. 226–228. Vgl. dazu ausführlich SIMON, H. V. (1899), S. 363–394. Dabei handelt es sich meist um den Marktpreis, der aus Objektivierungsgründen die Höchstgrenze darstellt; vgl. SIMON, H. V. (1899), S. 359–361. Unter Berücksichtigung von ggf. Agio bzw. Disagio. Zur Bewertung der Schulden vgl. ausführlich SIMON, H. V. (1899), S. 427–444. Begründer der dynamischen Bilanztheorie war zu Beginn des 20. Jahrhunderts Schmalenbach; vgl. grundlegend SCHMALENBACH, E. (1926). Siehe hierzu Abschnitt 3.2.5.4.

80

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

kosten zu bewerten277 und bei zeitlich begrenzter Nutzung planmäßige Abschreibungen zu berücksichtigen.278 Das Umlaufvermögen ist nach dem strengen Niederstwertprinzip zu bewerten, wobei ein zum Bilanzstichtag eventuell darunter liegender Zeitwert entsprechend anzusetzen ist.279 Grundsätzlicher Zweck dieser imparitätischen Bewertungsmaßgaben ist die Vermeidung aperiodischer Einflüsse auf das Periodenergebnis.280 Der Grundgedanke der dynamischen Bilanz mit einer vorsichtigen Bewertung zum niedrigeren beizulegenden Wert kann daher auch als „Imparitätisches Zeitwertprinzip“ bezeichnet werden.281 Die dritte klassische Grundform, die organische Bilanztheorie,282 beruht im Gegensatz zu Statik und Dynamik primär auf dem Postulat der Substanzerhaltung unter der Annahme der Unternehmensfortführung. Hierbei determinieren die Tagesbeschaffungs-283 bzw. die Wiederbeschaffungswerte284 die Bewertung und leisten somit einen entscheidenden Beitrag zur Ermittlung des „echten“, d.h. einen um „Scheingewinne“ bereinigten, Periodenerfolgs.285 Ziel dieser Konzeption ist zwar die Ermittlung des Unternehmensgesamtwerts, was aber mit dem Grundsatz der Einzelbewertung nicht vereinbar ist. Deshalb wird auf den marktmäßig objektivierten Ertragswert abgezielt,286 der über den Wiederherstellungskostenwert i.S.d. „Reproduktionswerts“ am Bilanzstichtag als Schätzwert ermittelt wird.287 Die hilfsweise Konstruktion des Ertragswerts über Einzelwerte, v.a. Tagesbeschaffungs- bzw. Wiederbeschaffungswerte, stellt eine im Schrifttum weit verbreitete Möglichkeit dar, den Nachbau des bilanzierenden Unternehmens zu fingieren.288 Dem aus kapitaltheoretischen Gesichtspunkten abgeleiteten Konzept des ökonomischen Gewinns zufolge wird das Reinvermögen nicht durch Gegenüberstellung von Vermögen und Schulden ermittelt, sondern durch den Barwert sämtlicher 277

278 279 280 281 282

283 284

285

286 287 288

Vgl. SCHMALENBACH, E. (1926), S. 177. Vgl. kritisch LION, M. (1928), S. 1–32; SEICHT, G. (1970a), S. 589 –612. Vgl. SCHMALENBACH, E. (1926), S. 138–161. Vgl. SCHMALENBACH, E. (1926), S. 177–178; MÜNSTERMANN, H. (1966a), S. 515–516. Vgl. dazu auch TER VEHN, A. (1929a), S. 27–28. Vgl. BAETGE, J./ZÜLCH, H. (2001), S. 545–546. Ausgangspunkt ist die Konzeption der organischen Tageswertbilanz von Schmidt; vgl. grundlegend SCHMIDT, F. (1951). Vgl. dazu auch WÖHE, G./DÖRING, U. (2002), S. 1077–1078. Vgl. SCHMIDT, F. (1951), S. 71–73. Zum Wiederbeschaffungswert als Wertmaßstab, der von Kovero als der gegenwärtige objektive Anschaffungswert benannt wird; vgl. KOVERO, I. (1912), S. 113–125; ENGELS, W. (1962), S. 190–193. Zur theoretischen Entwicklung der Verwendung von Wiederbeschaffungswerten vgl. EDWARDS, E. O./BELL, P. W. (1961), S. 77–80 und 90–93. Dabei handelt es sich um zu neutralisierende inflationsbedingte Scheingewinne. Vgl. dazu ausführlich SCHNEIDER, D. (1993), S. 31–60. Vgl. dazu auch TER VEHN, A. (1924), S. 369–373; WAGNER, F. W. (1993), S. 3; SEICHT, G. (1997), S. 883–888; WÖHE, G./DÖRING, U. (2002), S. 1078. Vgl. COENENBERG, A. G. (2003), S. 1164. Vgl. MOXTER, A. (1993), Sp. 504. Vgl. z.B. MOXTER, A. (1993), Sp. 504; COENENBERG, A. G. (2003), S. 1164.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

81

zukünftiger Zahlungsvorgänge determiniert.289 Die damit verfolgte Herleitung eines Unternehmensgesamtwerts auf Basis von Barwerten (Shareholder Value) korrespondiert zwar mit der Zielsetzung für den Ertragswert in der Fortführungsstatik, allerdings wird der Unternehmenswert hierbei im Gegensatz zur Orientierung am z.B. Veräußerungs- oder Tagesbeschaffungswert als Zukunftserfolgswert definiert. Dieser Zukunftserfolgswert wird als „Erfolgskapital“290 bezeichnet, wobei der ökonomische Gewinn unter der Voraussetzung der Erfolgskapitalerhaltung als der maximal mögliche Entnahmebetrag angesehen wird.291 Diese Theorie ist indes in der Praxis schwer umsetzbar, weil sich die künftigen Einnahmen und Ausgaben aus diskontierten noch nicht realisierten Gewinnen und Verlusten zusammensetzen, die darüber hinaus aufgrund von wohl regelmäßig vorzunehmenden Schätzungen erhebliche Ermessensspielräume eröffnen.292 Da der ökonomische Gewinn auf Basis dieser Cashflows gebildet wird,293 ist er somit nur bedingt als ausschüttungsfähiger Betrag geeignet.294 Sowohl die traditionellen deutschen Rechnungslegungsnormen nach dem HGB als auch die angelsächsischen Bewertungsnormen basieren auf dem Prinzip des Going Concern (Fortführungsstatik). Zeitwerte kommen im Handelsrecht nur vereinzelt vor, während nach den IFRS Zeitwerte sowohl in der Form von Einzelveräußerungswerten (Statik) als auch von Wiederbeschaffungswerten (Organik) häufiger zur praktischen Anwendung kommen.295 Im aktuellen HGB-Regelwerk sind in Bezug auf die Bewertungsvorschriften insbesondere dynamische Komponenten enthalten, die sich im – aus dem Realisationsprinzip abgeleiteten – Anschaffungswertprinzip äußern. Das zudem im HGB verankerte Niederstwertprinzip führt zwar auch zum Ansatz von Einzelveräußerungswerten, die aber nur dann bilanzielle Bedeutung erlangen, wenn sie unter den entsprechenden Anschaffungswerten liegen. Eine am Gesamtunternehmenswert ausgerichtete Konzeption wurde bislang v.a. wegen mangelnder Objektivität weder in Deutschland noch im angelsächsischen Rechtsraum weiter verfolgt. Von den genannten Theorien weisen die 289

290 291 292 293

294 295

Grundlegend für diesen Gewinnbegriff sind die Ausführungen von Fisher und Hicks, deren Überlegungen von Lindahl fortgeführt wurden; vgl. HICKS, J. R. (1957); FISHER, I. (1906), insbesondere S. 51–65; LINDAHL, E. (1967), S. 399–407. Im deutschen Schrifttum wurde der ökonomische Gewinn zuerst von Schneider und Hax diskutiert; vgl. SCHNEIDER, D. (1963), S. 457–474; HAX, H. (1964), S. 642–651. Zur weiteren historischen Diskussion vgl. z.B. MÜNSTERMANN, H. (1966b), S. 579–586; SCHNEIDER, D. (1968), S. 1–29; SEICHT, G. (1970b), S. 528–546; ORDELHEIDE, D. (1988), S. 277–283. Zum Begriff „Erfolgskapital“ vgl. MÜNSTERMANN, H. (1963), S. 73–74. Vgl. SCHNEIDER, D. (1963), S. 466; HELLWIG, K. (1999), S. 454. Vgl. COENENBERG, A. G. (2003), S. 1184–1185. Der ökonomische Gewinn errechnet sich entweder durch Gegenüberstellung des Erfolgskapitals zu Beginn und Ende einer Periode (bereinigt um Einlagen und Entnahmen) oder als Verzinsung des Erfolgskapitals zu Beginn einer Periode. Vgl. kritisch SCHNEIDER, D. (1968), S. 21–23. Siehe hierzu Abschnitt 2.3. Vgl. dazu auch BAETGE, J./ZÜLCH, H. (2001), S. 549–552.

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2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

Fortführungsstatik in Bezug auf das Umlaufvermögen und die Tageswertbilanz der organischen Bilanztheorie die meisten Parallelen zu einer durchgehenden markt- bzw. zeitnahen Bewertung zum Zeitwert auf, wie sie derzeit z.B. bei Teilen der Finanzinstrumente in den IFRS umgesetzt ist. Die aufgezeigte Einordnung der Zeitwertbilanzierung in die bilanztheoretischen Konzeptionen hat nicht nur die Entwicklung der deutschen Rechnungslegung in der Vergangenheit maßgeblich beeinflusst, sondern bildet auch die fundamentale Basis für weitere Überlegungen zur künftigen Entwicklung der Zeitwertansatzes in der internationalen Rechnungslegung.

2.6

Kritische Analyse des Wertmaßstabs Zeitwert

2.6.1

Argumente für und wider die Zeitwertbewertung

Im Folgenden werden die wesentlichen Problemkreise einer Anwendung der Zeitwertbewertung erläutert, die von jeweils intensiven Diskussionen begleitet werden. Zu den im Zusammenhang mit einem vollständigen Zeitwertansatz diskutierten Problembereichen zählen in der Hauptsache folgende: (1) Die Zeitwertbewertung ist mit der Erfassung unrealisierter Gewinne in der GuV verbunden, womit nach Ansicht der Kritiker gegen das traditionelle Anschaffungswert- bzw. Realisationsprinzip verstoßen wird. Die Befürworter halten dem entgegen, dass diese Gewinne in den meisten Fällen jedoch „realisierbar“ seien und durch die Zuordnung der Bewertungsergebnisse zu den Perioden in denen sie entstehen eine periodengerechtere Erfassung verbunden sei. Der Ausweis unrealisierter Gewinne könnte, so wird ebenfalls vonseiten der Zeitwertgegner befürchtet, höhere Dividendenforderungen der Aktionäre oder höhere Steuerforderungen des Fiskus bedingen, womit die Bedrohung durch einen die Existenz bzw. die Stabilität der Unternehmen gefährdenden Substanzverzehrs einhergeht.296 (2) Ein anderes von den Kritikern häufig vorgebrachtes Argument gegen die Zeitwertbewertung liegt in der Befürchtung, dass durch einen ausschließlichen Ansatz von Zeitwerten erhebliche Volatilitäten der Ergebnis- und Eigenkapitalausweise resultieren, weil sich Veränderungen der Konjunkturlage bzw. der Aktienmärkte schneller auf den Jahresabschluss niederschlagen.297 Zudem könnten sich wertbeeinflussende Umweltveränderungen (z.B. Ände296 297

Vgl. STREIM, H./ESSER, M. (2003c), S. 784; EZB (2004a), S. 88–89. Vgl. MORRIS, C. S./SELLON, G. H. (1991), S. 17; AICPA (1994), Ch. 6 Abschn. Recommendation 7; SIROTA CONSULTING (1998), S. 14; HITCHINS, J./SLATER, G. (2001), S. 6–8; KAHLE, H. (2002b), S. 100; EZB (2004a), S. 85–87; FEHR, B. (2004a), S. 17; KIESO, D. E./WEYGANDT, J. J./WARFIELD, T. D. (2004), S. 858.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

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rung des Zinsniveaus, des Wechselkurses oder des Ausfallrisikos) zumindest im Falle offener Risikopositionen steigernd auf die Volatilität von Ergebnis und Eigenkapital auswirken. Auch der Wegfall der Möglichkeit zur Auflösung stiller Reserven in Krisenzeiten sowie Investitionen bzw. hohe Entwicklungskosten, die erst über mehrere Jahre ausgeglichen werden können, können ebenfalls aus der Unternehmens- wie auch aus der Kapitalgebersicht zu unerwünschten negativen Ausschlägen beitragen.298 Diese werden dann vom Kapitalmarkt als negative Quartalsergebnisse oder zu niedrige Gewinnausschüttung wahrgenommen, sodass diese Unternehmen von den Aktionären, Rating-Agenturen oder Finanzanalysten über den Aktienkurs abgestraft werden.299 Daher besteht die Gefahr, dass die Manager zu unerlaubten Methoden greifen könnten, um dennoch eine Ergebnisglättung durchführen zu können. Um die unerwünschte Ergebnisvolatilität in ihren Bilanzen zu begrenzen, könnten sich beispielsweise Banken auch zu Verhaltensänderungen veranlasst sehen (z.B. Verkürzung der Zins- und Kapitalbindungsdauer, wodurch sich die Konditionen für langfristige Finanzierungen verschlechtern würden).300 Zudem würde in Zukunft der Anreiz zur Fristentransformation vermehrt in die Abhängigkeit von kurzfristigen Kapitalmarktbedingungen geraten.301 Aus diesen Gründen könnte aus der Sicht der Kreditwirtschaft die Stabilität der Finanzmärkte beeinträchtigt werden.302 Trotz des berechtigten Vorwurfs der Bewirkung einer erhöhten Volatilität und anderer beschriebener Konsequenzen im Zuge einer ausschließlichen Bilanzierung nach dem Zeitwert kann dem entgegen gehalten werden, dass es sich dabei um die konsequente Abbildung der ökonomischen Realität handelt. Die individuelle Risikoposition eines Unternehmens und die Einflussnahme von relevanten Umweltveränderungen würden somit korrekt wiedergegeben, was aus der Sicht der Kapitalgeber zweifellos zu befürworten ist. (3) Ein weiteres wesentliches Problemfeld der Zeitwertbilanzierung liegt in der Ausrichtung der Wertermittlung auf das Vorliegen von aktiven funktionierenden Märkten. Nur wenn die zu bewertenden Posten auf einem dem Ideal nahe kommenden vollkommenen Markt mit symmetrischer Informationsverteilung und permanentem Handel verfügbar sind, können folglich verläss298

299

300 301 302

Zur Bilanzpolitik als Zweck für die Gewinnglättung vgl. FISCHER, A./HALLER, A. (1993), S. 35–59; SPRIßLER, W. (2000), S. 87–88. In einer Studie von Gerke/Oerke zeigten insbesondere Verkaufsempfehlungen signifikante (negative) Kursreaktionen; vgl. GERKE, W./OERKE, M. (1998), S. 193–198. In einer weiteren Studie ermittelten Gerke/Oerke/ Sentner für den Zeitraum von 1987 bis 1994 aus 600 untersuchten Dividendenankündigungen einen bedeutsamen Informationsgehalt für die Marktteilnehmer; vgl. GERKE, W./OERKE, M./SENTNER, A. (1997), S. 819. Vgl. dazu ausführlich DEUTSCHE BUNDESBANK (2002), S. 53; EZB (2004a), S. 87–89. Vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK (2002), S. 53. Vgl. EZB (2004a), S. 77.

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liche, aktuelle Marktwerte (relativ einfach) ermittelt werden.303 Da in vielen Fällen Vermögenswerte bzw. Schulden jedoch nicht auf derlei aktiven Märkten gehandelt werden bzw. die verfügbaren Preisinformationen aufgrund ineffizienter oder illiquider Märkte nicht den Ansprüchen vollkommener Märkte entsprechen, ist der Zeitwert nicht eindeutig und daher meist nur schwer ermittelbar.304 Dies ist mit beträchtlichem Arbeitsaufwand und somit auch mit Mehrkosten verbunden. Bei Nichtvorhandensein eines funktionsfähigen Markts ergeben sich wegen fehlender Vergleichsmaßstäbe Probleme bei der Bestimmung der Ansatzhöhe zum Zeitwert, wodurch sich nicht unerhebliche Spielräume für die Wertfindungsmethoden sowie darauf aufbauend für die Wertermittlung ergeben, die jedoch aus bilanzanalytischer Sicht kaum erwünscht sein können.305 Bei fehlenden Marktwerten müssen bei Möglichkeit andere Informationen zur approximativen Bestimmung eines den Zeitwert erklärenden Marktwerts herangezogen werden (Mark-to-Model), wie etwa als „second-best“-Lösung marktnotierte Preise vergleichbarer Objekte oder als dritte Stufe hilfsweise über plausible Schätzungen mittels anerkannter investitions- und finanzierungstheoretischer Bewertungsmodelle ermittelte hypothetische Marktwerte. Dies ist allerdings mit dem Nachteil der Ausweitung der subjektiven und zufallsbestimmten Komponente in der Rechnungslegung und dadurch auch mit dem Vorwurf der leichteren Manipulierbarkeit von Abschlüssen durch ermessens- und bilanzpolitischen Spielraum verbunden. Je weiter sich nämlich die Wertfindung von aktiven Märkten entfernt, desto mehr erhalten die Werte den Charakter von geschätzten Werten, womit ein Absinken der Zuverlässigkeit verbunden ist. Eine individuelle Modellierung führt nämlich zu einem erheblichen Bilanzierungsspielraum, weil zum einen eine Vielzahl von anwendbaren Bewertungsmodellen existiert und zum anderen die zur Wertermittlung notwendigen Parameter individuell festgelegt werden, die zudem häufig eine hohe Bandbreite der zu treffenden Annahmen sowie eine hohe Parametersensitivität aufweisen.306 Nach Lüdenbach/ Hoffmann wurden im Fall Enron bewusst Kontrakte über solche Vermögenswerte abgeschlossen, die zwar zum Zeitwert zu bewerten waren, aber wegen fehlender Marktwerte zu schätzen waren.307 Durch Variation der Prämissen für die Schätzparameter war es daher möglich, das Ergebnis (fast) 303

304

305 306 307

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass selbst ein Marktwert nicht in jedem Fall den Wert eines Vermögenswerts für das Unternehmen widerspiegelt, weil unternehmensspezifische Gegebenheiten unbeachtet bleiben. Dies trifft z.B. auf das traditionelle Kreditgeschäft zu, für das in Deutschland lange Laufzeiten typisch sind; vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK (2003), S. 35. Zudem fehlt bei nicht finanziellen Vermögenswerten in der Mehrzahl der Fälle ein marktgängiger Wert. Vgl. dazu auch WAHLEN, J. M. et al. (2000), S. 502–503. Vgl. z.B. KING, A. M. (1999), S. 53–55; FOSTER, J. M./UPTON, W. S. (2001), S. 6. Vgl. HOFFMANN, W.-D./LÜDENBACH, N. (2002), S. 875. Vgl. LÜDENBACH, N./HOFFMANN, W.-D. (2002a), S. 1173–1175.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

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nach Belieben zu steuern. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass ein zunehmender Zeithorizont zu immer höherer Prognoseunsicherheit führt. (4) Wird bei der Bewertung ggf. auf Schätzgutachten von Sachverständigen zurückgegriffen, verlagert sich der bei fehlenden Marktwerten vorhandene Bewertungsspielraum lediglich auf die Auswahl eines geeigneten Sachverständigen. Selbst bei Zuhilfenahme unabhängiger, externer Gutachter sind deren Ergebnisse ebenso von der Unsicherheit der verwendeten Informationen über künftige Entwicklungen beeinflusst. (5) Die oftmals schwierige Verifizierbarkeit der Werte bei Fehlen eines aktiven Markts verlangt zudem vom Abschlussprüfer, v.a. bei Heranziehung komplexer Bewertungsmodelle sowie bei Vornahme von Schätzungen, eine umfangreiche Überprüfung von den der Bewertung zugrunde gelegten Analysen bzgl. der aktuellen Informationen bzw. der Prognosen über zukünftige Ereignisse.308 Dieses Problem stellt die Abschlussprüfung häufig vor eine nur schwerlich zu bewältigende Herausforderung.309 (6) Zeitwerte können im Vergleich zu historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten sehr schnell an Aktualität verlieren, weil sie sich auf die Verhältnisse am Bilanzstichtag beziehen. In Abhängigkeit von der Preisentwicklung können die auf Zeitwerten basierenden Informationen schon bald überholt sein und daher nur noch geringe Aussagekraft haben. Dieser Umstand tritt besonders bei börsennotierten Vermögenswerten deutlich hervor, deren Werte sich in sehr kurzen Zeitabständen stark verändern können. Dem Vorwurf der fehlenden Aktualität kann zumindest teilweise dadurch entgegengewirkt werden, dass der Zeitraum zwischen Offenlegung und Jahresabschluss sehr kurz gehalten wird. Quartalsweise oder sogar monatliche Zwischenberichterstattung gewinnt dabei erheblich an Bedeutung,310 die aber eine zusätzliche Kostenbelastung für die Unternehmen bedeutet.311 Das Aktualitätsproblem ist jedoch grundsätzlich kein Argument für den Ansatz von historischen Kosten, weil diese durch ihren Vergangenheitsbezug ebenfalls schnell veraltet sein können. (7) Zeitwerte sind darüber hinaus v.a. auch dann sehr schwer zu bestimmen, wenn deren Realisierung selbst zu einer merklichen Veränderung der Preissituation auf dem Markt führt. Derartige Verhältnisse treten beispielsweise

308 309

310 311

Vgl. IDW (2004a), S. 81. Vgl. dazu auch NIEHUS, R. J. (1998), S. 496–497; ECKES, B./GEHRER, J. (2003), S. 585–592; RUHNKE, K./ SCHMIDT, M. (2003), S. 1037–1051; ZÜLCH, H./LIENAU, A. (2004), S. 573–575. Vgl. SCHILDBACH, T. (1998b), S. 587. Vgl. O.V. (2004b), S. 18.

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dann ein, wenn wesentliche Anteile eines Unternehmens oder wesentliche Anlagebestände auf dem Markt realisiert werden.312 (8) Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Ausweises der nicht realisierten Gewinne in der Bilanz und GuV ist für die künftige Entwicklung zu klären, ob und ggf. unter welchen Bedingungen diese Erfolgsbeiträge an die Anteilseigner in Form von Dividenden ausgeschüttet werden dürfen.313 Darüber hinaus ist die im Hinblick auf die Mitgliedstaatenwahlrechte314 diskutierte Zukunft der Maßgeblichkeit des handelsrechtlichen Einzelabschlusses für die Steuerbilanz von großer Tragweite. Sollte die Gültigkeit der IFRSRechnungslegung neben dem Konzernabschluss auch auf den handelsrechtlichen Abschluss ausgeweitet werden, droht durch das Maßgeblichkeitsprinzip die Gefahr, dass das Bundesministerium für Finanzen (BMF) nicht realisierte Gewinne aus einer Zeitwertbilanzierung als konform mit den GoB interpretiert.315 Ungeachtet einer eventuell gegebenen Regelung im Hinblick auf eine Ausschüttungssperre könnten diese Gewinne dann der Besteuerung unterworfen werden, ohne dass die damit verbundenen Kosten durch eine steuerliche Absetzbarkeit unrealisierter Verluste ausgeglichen werden dürfen. Dieser Umstand kann im ungünstigen Fall in späteren Perioden ebenfalls zu einem Liquiditätsengpass führen. Daher wird von einigen Seiten bereits für eine Aufhebung des Maßgeblichkeitsprinzips sowie für eine Abkehr von der Mehrfunktionalität des Einzelabschlusses hin zu einzelzweckgebundenen parallelen Rechenwerken plädiert.316 (9) Ein anderes Szenario, das gegen eine umfassende Zeitwertbewertung angeführt wird, ist die Auswirkung einer Veränderung der Bonität des bilanzierenden Unternehmens. Die Verschlechterung der Kreditqualität einer finanziellen Schuld, wie z.B. ein Kredit oder eine Anleihe, würde bei genereller Anwendung der Zeitwertbewertung im Fall der Verschlechterung des eigenen Kredit-Rating zu einer Verbilligung der Verbindlichkeit und damit zu einem Bewertungsgewinn bzw. zu einer Erhöhung des bilanziellen Eigenkapitals führen.317 Im umgekehrten Fall wäre eine Verbesserung des eigenen Ausfallrisikos mit einem Aufwand in der GuV und mit einer Verminderung des Eigenkapitals verbunden. 312

313 314

315 316 317

Kley führt als Beispiel die Lufthansa an, bei der die Veräußerung eines wesentlichen Teils der Flotte eines Flugzeugmusters schwer einzuschätzende Folgen für dessen Marktpreis hätte; vgl. KLEY, K.-L. (2001), S. 2259. Vgl. HERZIG, N./MAURITZ, P. (1998), S. 339–348. Zur Diskussion um die Möglichkeiten der Umsetzung vgl. z.B. ERNST, C. (2001a), S. 823–825; KIRSCH, H.-J. (2003), S. 275–278; SCHNEIDER, D. (2003), S. 299–304. Vgl. HOMMEL, M./BERNDT, T. (2002), S. 91. Vgl. BASCHE, K./SELLHORN, T. (2003), S. 268. Vgl. dazu ausführlich BARCKOW, A./GLAUM, M. (2004), S. 202; EZB (2004a), S. 85. Vgl. auch DEUTSCHE BUNDESBANK (2003), S. 35.

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Von den Befürwortern einer vollständigen Zeitwertbilanzierung wird diesen Argumenten insbesondere entgegengebracht, dass neben einer für die Erfüllung des Informationsbedürfnisses relevanteren zeitnahen Bewertung auch eine konsistente Erfassung aller Bilanzpositionen (einschließlich der Derivate), der fast vollständige Wegfall komplexer und komplizierter Bestimmungen für die Abbildung von Sicherungsbeziehungen318 und wegen einfacher und klarer Regeln zudem ein verringerter Spielraum für bilanzpolitische Manöver resultiert. 2.6.2

Diskussion der Vorschriften zur Zeitwertbewertung nach dem HGB und nach den IAS/IFRS

Im Folgenden wird die Ausgestaltung der derzeitigen Bewertungsvorschriften nach dem HGB und nach den IFRS genauer erörtert und kritisch gewürdigt. Das Imparitätsprinzip in Form der einseitigen Verlustantizipation nach deutschem Handelsrecht verlangt für Vermögensgegenstände den Ansatz von im Vergleich zu Buchwerten ausschließlich niedrigeren und für Schulden ausschließlich höheren Zeitwerten. Folge ist eine aus Adressatensicht unerwünschte asymmetrische Informationsvermittlung, die keinen ausreichenden Einblick in die tatsächliche Vermögens-, Finanz- und Ertragslage verschafft. Eine grundsätzlich zeitnahe Bewertung unter Berücksichtigung aktueller Marktinformationen wird somit als relevanter für die Erfüllung dieses Zwecks angesehen. Allerdings zeigt sich bei den IFRS eine Vielfalt von Maßstäben zur Konkretisierung des Zeitwerts, wodurch eine Operationalisierung nicht ohne weiteres möglich ist. Somit sind ebenso wie schon bei der Bestimmung des beizulegenden Werts im Handelsrecht hilfsweise andere Preisinformationen heranzuziehen. Insgesamt ist die Bewertung zum Zeitwert nach den IFRS nicht einheitlich umgesetzt worden, weil der Zeitwert je nach Anwendungsfall und Datenverfügbarkeit durch unterschiedliche Werte konkretisiert wird. Durch die Zulässigkeit der Ermittlung des Zeitwerts mithilfe von Barwertverfahren ist sogar eine deutliche Abkehr vom Prinzip der Bilanzobjektivierung hin zu einer zahlungsstromorientierten Bewertungssystematik mit Zukunftsbezug erkennbar. Das derzeit vom IASB praktizierte Mixed Accounting Model erlaubt zudem nur für einen begrenzten Teil der Bilanzposten eine Bilanzierung zum Zeitwert, während der verbleibende Teil weiterhin zu historischen Kosten anzusetzen ist. Dies führt zu einer Vermischung von vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsorientierten Bewertungsgrundsätzen,319 die zu einer uneinheitlichen Abbildung in der Bilanz führen, indem z.B. einerseits auf der Aktivseite zwar finanzielle Vermö318 319

Mit Ausnahme der Sicherung nicht-finanzieller Grundgeschäfte. Vgl. SCHILDBACH, T. (1998a), S. 4–12.

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genswerte oder Investment Property zu Zeitwerten, zugehörige Schulden andererseits aber mit den fortgeführten Anschaffungswerten bilanziert werden. Auch innerhalb der Finanzinstrumente bestehen Kategorien, die zwingend zum Zeitwert zu bewerten sind, wobei nur im Falle von verlässlicher Bestimmbarkeit, d.h. bei Vorhandensein aktiver Märkte, auf Zeitwerte zurückgegriffen wird. Darüber hinaus vergrößern explizite Wahlrechte zur Anwendung einer Zeitwertbilanzierung die Gestaltungspotentiale in der Bewertung, was beispielsweise bei der Neubewertung von Sachanlagen, immateriellen Vermögenswerten und Investment Property deutlich wird.320 Eine Divergenz besteht hierbei auch in der zeitlichen Vornahme der Neubewertung, die bei Immobilien nach IAS 40 zu jedem Bilanzstichtag vorzunehmen ist, während dies bei Immobilien nach IAS 16 nur in gewisser Regelmäßigkeit zu erfolgen hat.321 Selbst wenn das vom IASB langfristig angestrebte Ziel einer durchgehenden Bilanzierung zum Zeitwert bei Finanzinstrumenten umgesetzt wird, bleiben dennoch Inkonsistenzen zwischen finanziellen und materiellen322 bzw. immateriellen Vermögenswerten sowie Schulden bestehen.323 Des Weiteren fehlt es im IFRS-Regelwerk auch an einem umfassenden Mengengerüst, weil beispielsweise der originäre Geschäfts- bzw. Firmenwert oder andere selbst erstellte immaterielle Vermögenswerte, wie z.B. der Markenname, nur unvollständig erfasst werden und auch Belastungen im Zuge der Off Balance SheetFinanzierung unberücksichtigt bleiben können.324 Ebenso ist die Auswirkung der verschiedenen Bilanzpositionen auf die Gewinngröße im IFRS-Regelwerk nicht konsistent geregelt.325 Neben der Methode der erfolgsneutralen Erfassung, womit ein zeitnaher Ausweis von Erfolgsbeiträgen der neu bewerteten Vermögenswerte und Schulden verhindert wird, werden in anderen Standards Wertänderungen erfolgswirksam erfasst oder aber zur Gänze aus dem Gewinn ausgeschlossen. Trotz der Heranziehung des gleichen Wertmaßstabs ergeben sich somit unterschiedliche Auswirkungen auf die Gewinngröße. Die Methode der direkten Verrechnung im Eigenkapital nach IAS 39 besitzt nur vorübergehenden Charakter und führt im weiteren Zeitablauf bei Ausscheiden durch Verkauf, Abrechnung oder Glattstellung offener Positionen durch ein Gegengeschäft zur zwingenden Realisierung entsprechender Gewinne oder Verluste in 320

321 322

323 324 325

Vgl. ALTENBURGER, O. A. (1999), S. 543; KIRSCH, H. (2003b), S. 1111–1112; SELCHERT, F. W./ERHARDT, M. (2003), S 85–86. Diese Wahlrechte eröffnen letztlich ein weiteres bilanzpolitisches Gestaltungspotential, das durch den bestehenden Zuordnungsspielraum zu den Kategorien Sachanlagen oder Investment Property gegeben ist; vgl. MEYER, C./MEISENBACHER, M. (2004), S. 571. Vgl. IAS 40.31 und IAS 16.32. Nach den Regelungen der IFRS dürfen selbst börsennotierte Rohstoffe nicht zum Marktpreis angesetzt werden; vgl. kritisch SIEGEL, T. (1998), S. 598. Vgl. DEALY, N./FIKKERS, R. (1997), S. 68. Vgl. BARRETT, M. J. et al. (1991), S. 84–87; SCHILDBACH, T. (1998b), S. 587; KÜMPEL, T. (2003), S. 223. Vgl. kritisch SCHILDBACH, T. (1999a), S. 182; SCHILDBACH, T. (1999c), S. 1819–1820; GEBHARDT, G. (2000), S. 88–90; KÜMPEL, T. (2003), S. 223; KÜTING, K./DAWO, S. (2003), S. 236–237.

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der GuV (sog. Recycling).326 Wertänderungen werden somit nur temporär im Eigenkapital gespeichert und im Realisationszeitpunkt in die GuV transformiert. Für den Fall einer Wertminderung (Impairment)327 erfolgt dagegen die ergebniswirksame Abwertung entsprechend früher. Bei Sachanlagen und immateriellen Vermögenswerten muss hingegen gemäß IAS 16 und IAS 38 bei der Realisierung von über die Neubewertungsrücklage berücksichtigten Aufwertungsbeträgen im Realisationszeitpunkt eine direkte Verrechnung mit dem Eigenkapital vorgenommen werden. Sie dürfen nicht, wie z.B. bei HfT-Finanzinstrumenten oder bei Investment Property, direkt über die GuV oder wie die zunächst erfolgsneutral behandelten Gewinne bzw. Verluste von AfS-Finanzinstrumenten, Cash Flow Hedges und Hedges of a Net Investment in a Foreign Entity zumindest bei Realisation in der GuV erfasst werden.328 Diese unterschiedliche Erfassung von Wertänderungen im Realisationszeitpunkt stellt folglich einen weiteren Verstoß gegen das Kongruenzprinzip dar. Diskrepanzen bestehen aber nicht nur zwischen den verschiedenen Standards, sondern beispielsweise auch innerhalb der Sachanlagen oder der immateriellen Vermögenswerte gemäß IAS 16 bzw. IAS 38, weil sich die Abschreibungsbasis für die folgenden Perioden bei Anwendung der Neubewertungsmethode nach dem erhöhten Buchwert bemisst. Die sich aus der Neubewertung ergebenden höheren Abschreibungsbeträge müssen nämlich, trotz der lediglich erfolgsneutral verbuchten Zuschreibung, zur Gänze zwingend erfolgswirksam erfasst werden.329 Da überdies einer nur im Anhang vorgenommenen Darstellung von Zeitwerten, wie z.B. beim Cost Model für Investment Property nach den IFRS vorgesehen, generell weniger Aussagefähigkeit zugemessen wird,330 ist auch diese uneinheitliche Vorgehensweise bei der Darstellung von Zeitwerten nicht im Interesse der Eigen- bzw. Fremdkapitalgeber. Dadurch entstehen nämlich weitere Inkonsistenzen im Abschluss, die für den Bilanzleser bei der Analyse und Interpretation des Abschlusses zusätzlichen Aufwand erforderlich machen. Ein weiteres Defizit der IFRS-Rechnungslegung liegt in der Möglichkeit zur konsequenten Ausnützung der vage gestalteten Bewertungsnormen, mit dem Zweck, 326 327 328

329

330

Vgl. HALLER, A./SCHOßGANGL, M. (2003), S. 317–319. Vgl. IAS 36 bzw. für finanzielle Vermögenswerte IAS 39.109. Vgl. IAS 16.37, IAS 38.85–86 und IAS 40.28. Die Realisation kann entweder durch Umgliederung der Neubewertungsrücklage in die Gewinnrücklage oder durch Weiterführung der Neubewertungsrücklage als eigenständiger Posten im Eigenkapital abgebildet werden. Zu IAS 16 vgl. auch BAETGE, J./BEERMANN, T. (1999), S. 341–348. Zu IAS 38 vgl. auch BAETGE, J./KEITZ, I. V. (2002), Tz. 103. Vgl. dazu auch LEIBFRIED, P./AMANN, T. (2002), S. 194–195; HOFFMANN, W.-D./LÜDENBACH, N. (2003), S. 567–568; KÜTING, K./DAWO, S. (2003), S. 236. Zum einen werden Angaben im Anhang seltener und weniger intensiv aufgenommen und zum anderen bieten Anhangsangaben größeren Spielraum zur Verschleierung; vgl. FORSTER, K.-H. (1994), S. 794; VIETZE, A. (1999), S. 153–156; PELLENS, B./FÜLBIER, R. U. (2000b), S. 64 m.w.N.

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2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

gezielt Bilanzpolitik zu betreiben.331 Da die Rechnungslegung nach den IFRS nicht mit einer Ausschüttungsbemessungs- oder Steuerbemessungsfunktion verknüpft ist, hat ein hoher Gewinnausweis durch die Unternehmensleitung keinen direkten Liquiditätsabfluss zur Folge.332 Die implizit vorhandenen Wahlrechte in der Bewertung könnten beispielsweise durch gewagte Rechnungslegung insbesondere in Unternehmenskrisen zur Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse verwendet werden. So wurde in wissenschaftlichen Beiträgen und Studien darauf hingewiesen, dass z.B. Unternehmen des Neuen Markts in Deutschland bewusst oder unbewusst gegen Bilanzierungs- und Offenlegungsregeln verstießen.333 Im Frühjahr 2000 kollabierte schließlich die weltweite „High-tech Bubble“ und mit ihr der Neue Markt. Durch die dezidierten Normen des IAS 39 in Bezug auf das Hedge Accounting sowie die in diesem Zusammenhang nicht zulässige praxisgerechte Abbildung der Absicherung von Nettopositionen kann es zu einer deutlichen Abweichung zwischen internem Risikomanagement und externer Rechnungslegung kommen. Nach den Bestimmungen des HGB sind Sicherungsbeziehungen mit einer Ausnahme334 nicht explizit geregelt, weshalb im Folgenden nur auf die gebräuchlichste Form alternativer Hedge Accounting-Formen,335 die Bildung sog. Bewertungseinheiten, eingegangen wird.336 Das Schrifttum formuliert eine Reihe von Voraussetzungen,337 die zwar Parallelen zu IAS 39 aufweisen, aber insgesamt weit weniger restriktiv sind. Daher können viele nach dem HGB zulässige Bewertungseinheiten nicht analog im Rahmen des Hedge Accounting nach den IFRS abgebildet werden.338 Nach dem HGB werden die positiven und negativen Wertänderungen einer Bewertungseinheit nur in einer Nebenrechung erfasst, wobei die zur Sicherung 331 332 333 334

335

336

337

338

Vgl. MEYER, C./MEISENBACHER, M. (2004), S. 567–572. Vgl. MEYER, C./MEISENBACHER, M. (2004), S. 567. Vgl. BALLWIESER, W. (2001), S. 850–852. § 340h HGB enthält Bestimmungen zu Devisentermingeschäften von Kreditinstituten. Vgl. dazu auch NEUß, A. (1998), S. 140–142. Vgl. GÖTTGENS, M. (1995), S. 146–165; STEINER, M./TEBROKE, H.-J./WALLMEIER, M. (1995), S. 534–544; ANSTETT, C. W./HUSMANN, R. (1998), S. 1523. Zur Problematik der Bildung von Bewertungseinheiten im Hinblick auf die GoB-Konformität (insbesondere Einzelbewertungsgrundsatz vs. True and Fair View) vgl. WIEDMANN, H. (1995), S. 806–808; CHRISTIANSEN, A. (2003), S. 265. Insbesondere Nutzungs- bzw. Funktionszusammenhang von Hedge und Hedged Item, Dokumentation der Sicherungsbeziehung sowie eine über den Bilanzstichtag hinausgehende Durchhalteabsicht; vgl. dazu WIEDMANN, H. (1994), S. 473–481; ARBEITSKREIS „EXTERNE UNTERNEHMENSRECHNUNG“ DER SCHMALENBACH-GESELLSCHAFT (1997), S. 638–639; SCHARPF, P./LUZ, G. (2000), S. 278–295. Unterschiede bestehen z.B. bei der Abbildung von Sicherungszusammenhängen bei Held to Maturity (HtM) Investments, die nach IAS 39 bis zur Endfälligkeit gehalten werden müssen und damit definitionsgemäß keinem Zinsänderungsrisiko unterliegen können, und in der Absicherung nicht-finanzieller Vermögensgegenstände oder Schulden, die nach dem HGB auch auf einzelne Komponenten angewendet werden können, während IAS 39 eine Absicherung nur dann erlaubt, wenn sich das gegen eine Wertänderung abgesicherte Risiko auf die gesamte abgesicherte Bilanzposition bezieht; vgl. ACKERMANN, U. (2001), S. 147–148.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

91

eingesetzten Derivate als schwebende Geschäfte bilanzunwirksam bleiben. Zeitwertänderungen von Grund- oder Sicherungsgeschäften im Verlauf der Absicherung haben keinen Einfluss auf den Bilanzausweis. Nach den Hedge AccountingRegeln gemäß IAS 39 sind einzelgeschäftsbezogene Wertänderungen hingegen im Abschluss auszuweisen, wobei die Sicherungsgeschäfte zum Zeitwert anzusetzen sind und unrealisierte Gewinne oder Verluste in der GuV (Fair Value Hedges) bzw. im Eigenkapital (Cash Flow Hedges und Hedges of a Net Investment in a Foreign Entity) auszuweisen sind. Folge der abweichenden Anwendungsvoraussetzungen ist ein Anstieg der Volatilität von IFRS-Abschlüssen, weil bei gemäß IAS 39 nicht zulässigen Sicherungsbeziehungen zwar auf der einen Seite die derivativen Hedging Instruments mit dem Zeitwert angesetzt werden, andererseits aber keine korrespondierende Buchwertkorrektur bei den Grundgeschäften erfolgt.339 Dies kann u.U. zu einer nicht sachgerechten Abbildung der tatsächlichen Verhältnisse führen. In Bezug auf die Regelungen des Hedge Accounting können gegenüber den Bestimmungen des HGB somit aus zwei Gründen verstärkte Volatilitätseffekte entstehen: Wenn erstens bestimmte Sicherungsbeziehungen nicht unter die Anwendungsvoraussetzungen des IAS 39 fallen und zweitens Cash Flow Hedges eingesetzt werden. Mit dem Bewertungsmaßstab des Zeitwerts entfernen sich die IFRS stärker von realen Geldflüssen als die Rechnungslegung nach dem HGB. Dadurch ergeben sich aber auch mehr Möglichkeiten für Fehler sowie Potential für bilanzpolitische Gestaltungsmöglichkeiten.340 Eine durchgehende Bewertung zum Zeitwert (Full Fair Value Model), womit eine symmetrische Bewertung der Vermögenswerte und Schulden gewährleistet wäre,341 musste bislang jedoch vorrangig aus Objektivierungsgründen einer partiellen Bewertung der Bilanzposten zum Zeitwert weichen.342 Dennoch stellen die Objektivierungskriterien die konzeptionelle Grundlage für eine Bewertung zum Zeitwert dar. Diese Kriterien wurden aber im Vergleich zum HGB entscheidend ausgeweitet, indem ein objektiver Wert auch aus Markttransaktionen abgeleitet werden kann, an denen vergleichbare Wirtschaftsgüter beteiligt sind (Markt- oder Börsenpreis). Im Gegensatz zum HGB steht nach den IFRS die vollständige Erfassung der wirtschaftlichen Unternehmensressourcen im Mittelpunkt, auch wenn sie nicht käuflich erworben wurden und somit kein Anschaffungswert vorhanden ist.343 Das Nebeneinander unterschiedlicher 339 340 341

342

343

Vgl. KROPP, M./KLOTZBACH, D. (2003), S. 1180–1181; FEHR, B. (2004b), S. 17. Vgl. LÖHR, D. (2003), S. 645. Folglich würde auch die strittige Frage nach dem Recycling entfallen; vgl. PACTER, P. (1999c), S. 75. Zur praktischen Relevanz dieser Gesamtlösung vgl. PAPE, J. (2001), S. 1467. Sowohl das IASB als auch das FASB streben langfristig zumindest bei Finanzinstrumenten eine Full Fair Value-Bilanzierung an; vgl. zum IASB: BARCKOW, A./GLAUM, M. (2004), S. 186 sowie zum FASB: Project Updates „Financial Instruments“ unter http://fasb.org; siehe hierzu auch SFAS 133.216. Nach den IFRS ist z.B. die Aktivierung selbst erstellter immaterieller Vermögenswerte zulässig.

92

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

Wertbegriffe offenbart aber die systemimmanente Schwäche des IFRSRegelwerks. Da bislang keine interdisziplinäre Wertbestimmung festgelegt ist, wird die Informationsfunktion des Jahresabschlusses beeinträchtigt. Zudem wird im Hinblick auf die Einführung neuer Standards eine eindeutige Deduktionsbasis vermisst. Durch eine schrittweise Annäherung an die umfassende Zeitwertkonzeption findet zwar allmählich eine Angleichung des bilanziellen Eigenkapitals an den Marktwert des Unternehmens statt,344 aber auch eine umfassende Zeitwertbilanzierung würde diesem Ziel nicht vollends entsprechen, weil weitere den Marktwert eines Unternehmens determinierende Posten aufgrund bestehender Ansatzrestriktionen keine Berücksichtigung in der Bilanz finden.345 Neben den unbestimmten Rechtsbegriffen behindern ferner zahlreiche bestehende Regelungslücken die internationale Vergleichbarkeit.346 Außerdem ist durch die nur schrittweise vollzogene Ausweitung der Zeitwertbewertung die intertemporale Vergleichbarkeit347 der Abschlüsse eingeschränkt. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass bei der Zeitwertbilanzierung v.a. hinsichtlich der beiden kodifizierten Grundsätze der Relevanz und Verlässlichkeit ein Zielkonflikt vorliegt.348 Auf der einen Seite wird die Bewertung zum Zeitwert als ein wertvoller Beitrag für die Erhöhung der Entscheidungsrelevanz von im Konzernabschluss angeführten Informationen angesehen, indem sie durch ihren Aktualitätsbezug besser als vergangenheitsorientierte Daten auf die relevanten Zielgrößen der Investoren abstellt. Auf der anderen Seite ist ihre praktische Ermittlung jedoch oftmals mit exzessiven Bewertungsspielräumen und daher auch mit großer Unsicherheit oder im Extremfall sogar mit willkürlichen Ansatzmöglichkeiten verbunden. Im Vergleich zum streng imparitätisch ausgelegten HGB, ist gemäß den IFRS eine merkliche Hinwendung zu Zeitwerten typisierend. Aufgrund des nur unvollständig umgesetzten Zeitwertansatzes ist aber auch hier keine einheitlich symmetrische Informationsvermittlung zu konstatieren, was ebenfalls – allerdings in abgeschwächter Form – die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage verzerrt. Der primäre Zweck der IFRS, der in der Informationsfunktion, d.h. in der Vermittlung entscheidungsrelevanter Daten, liegt, auf deren Basis eine zutreffende Prognose des Volumens, der zeitlichen Verteilung und der Eintrittswahrscheinlichkeiten zukünftig zu erzielender Cashflows sowie eine inner- und zwischenbetriebliche Vergleichbarkeit der Wertmaßstäbe ermöglicht werden soll, wird nur bedingt erfüllt. Das Fehlen einer konzeptionellen Basis 344 345 346 347

348

Vgl. BALLHAUS, W./FUTTERLIEB, C. (2003), S. 567–568. Siehe hierzu S. 88. Vgl. KEITZ, I. V. (2003), S. 1801–1806; FREISLEBEN, N./LEIBFRIED, P. (2004), S. 101. Die Einheitlichkeit der Jahres- bzw. Konzernabschlüsse ist die Voraussetzung für eine intertemporale Vergleichbarkeit; vgl. ALTENBURGER, O. A. (1999), S. 545. Vgl. gl.A. STREIM, H./BIEKER, M./LEIPPE, B. (2001), S. 197–203.

2 Charakterisierung des Wertmaßstabs Zeitwert

93

erhält zwar die Flexibilität in Bezug auf die Bewertung,349 erscheint wegen der Zunahme der Anwendungsgebiete des Zeitwerts jedoch immer problematischer. Dies liegt allerdings nicht in der Untätigkeit des IASB begründet, weil das damalige Board des IASC schon 1998 das „Discounting“-Projekt startete, das als Grundlage für den Ansatz von Barwerten bei Vermögenswerten und Schulden dienen sollte. 2001 kam es jedoch zur Einstellung dieses Projekts, als das wesentlich umfangreichere „Accounting Measurement“-Projekt initiiert wurde. Im Verlauf dieses Projekts soll die Bewertungsfrage grundlegend reformiert werden, in deren Folge eine erhebliche Reduktion der Vielfalt an Wertmaßstäben angestrebt wird.350 Nennenswerte Fortschritte hinsichtlich einer Lösung der umstrittenen Bewertungsfrage haben sich aus diesem zweiten Projekt bislang aber noch nicht abgezeichnet.

349 350

Vgl. MUJKANOVIC, R. (2002), S. 108. Vgl. IASB (2001), S. 2; STREIM, H./BIEKER, M./ESSER, M. (2003), S. 462. Vgl. dazu auch HITCHINS, J./ SLATER, G. (2001), S. 3; DTT (2002), S. 10 und 16.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

3

Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert im deutschen Handels- und Aktienrecht

3.1

Vorgeschichte zur Geltungsperiode der verpflichtenden Zeitwertbewertung

3.1.1

Entstehung der ersten Bewertungsvorschriften in Frankreich

95

Die in Frankreich gegen Mitte des 17. Jahrhunderts zurückgehende Konjunktur führte zu zahlreichen Konkursen, die jedoch zu einem erheblichen Teil betrügerisch motiviert waren.351 Dieser Umstand offenbarte in der Folgezeit Missstände bei der Abwicklung der Konkursverfahren sowie im Kreditwesen, wofür als Ursache eine unzureichende und unordentliche Buchführung gesehen wurde.352 So entstand die Notwendigkeit einer umfangreichen Kodifikation eines Handelsrechts, die schließlich mit der Ordonnance de Commerce von Ludwig XIV. vom 23. März 1673 zum ersten Mal umgesetzt wurde.353 Beträchtlichen Anteil daran hatte der Textilkaufmann Savary, der in eine Kommission zur Gesetzesreform berufen wurde.354 Diese Kommission hatte zur Aufgabe, Buchführungsregeln für Kaufleute aufzustellen, die später Aufschluss geben sollten, ob ein Fall von betrügerischem Bankrott vorlag. Schon kurz zuvor hatte Savary zwei Denkschriften mit Vorschlägen gegen die vorherrschenden Missstände eingereicht, wovon eine dieser Denkschriften einen Verordnungsentwurf enthielt, der als entscheidende Grundlage für die Kommission und damit auch für die spätere Ordonnance de Commerce diente. Deshalb wird dieses Gesetz häufig auch als „Code de Savary“ bezeichnet.355 In der Denkschrift finden sich Vorschriften über die Aufstellung des beweglichen und unbeweglichen Vermögens. Demnach waren die Kaufleute verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten erstmals ein „inventaire“ aufzustellen und in der Folgezeit alle zwei Jahre eine Überprüfung der Inventuraufnahme vorzunehmen.356 351 352 353

354 355

356

Vgl. SCHNEIDER, D. (1974), S. 159. Vgl. OBERBRINKMANN, F. (1990), S. 7. Die Verpflichtung zur Aufstellung von Büchern war allerdings schon um 1400 in norditalienischen Stadtstaaten gesetzliche Vorschrift; vgl. GROßFELD, B./DIEKMANN, H. (1988), S. 420. Vgl. BARTH, K. (1953), S. 65. Vgl. z.B. PASSOW, R. (1921), S. 77; PENNDORF, B. (1966), S. 236; GROßFELD, B./DIEKMANN, H. (1988), S. 421 m.w.N. Vgl. PASSOW, R. (1921), S. 77; SEICHT, G. (1970b), S. 28.

96

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

Offenbar war dabei nur eine mengenmäßige Inventur angedacht, weil spezielle Bewertungsvorschriften nicht im Gesetzestext enthalten waren.357 Savary führte allerdings in seinem 1674 erschienen Handelslehrbuch „Le parfait négociant“, das als führender Kommentar zur Ordonnance de Commerce zählt,358 den ursprünglichen „Kostenpreis“ (Prix Coustant) i.S.d. Anschaffungswerts als zentralen Grundsatz der Bewertung an.359 Selbst bei einem Steigen des Marktpreises i.S.d. Zeitwerts sei das Inventar weiterhin mit den Anschaffungswerten anzusetzen, während im umgekehrten Fall ein Sinken des Zeitwerts um mehr als 5% oder Wertminderungen durch Lagerung und Modewechsel beim Ansatz berücksichtigt werden musste.360 Damit wurde das Imparitäts- bzw. das Niederstwertprinzip erstmals formuliert, das bis heute den zentralen Bewertungsgrundsatz im deutschen Handelsrecht verkörpert.361 Savary richtete sich dabei nach der damals herrschenden kaufmännischen Praxis, indem er erwähnt, dass es üblich sei, den Warenwert nicht zu überschätzen und sich dadurch auf dem Papier reich zu rechnen.362 Ein erst in der folgenden Periode zu erzielender Gewinn sei demnach Sache der Bilanz des nächsten Jahres.363 Die Ausführungen von Savary zur Bewertung waren maßgeblich für das Schrifttum des 18. Jahrhunderts und gingen weit über die Bedeutung eines reinen Handelsrechtskommentars hinaus.364 Im Verlauf der Neuordnung des französischen Zivilrechts entstand im Jahr 1807 unter Napoléon I. der Code de Commerce, der mit Wirkung zum 1. Januar 1808 die Ordonnance de Commerce ablöste.365 In enger Anlehnung an die Ordonnance de Commerce von 1673 wurden abermals nur Bilanzvorschriften für den Konkursfall, jedoch keine konkreten Bewertungsvorschriften aufgenommen.366 Die beiden französischen Handelsgesetze Ordonnance de Commerce und Code de Commerce übten trotz ihrer knapp gehaltenen Fassung den größten Einfluss auf die aufkommenden Bestrebungen zu einer handelsrechtlichen Kodifikation in Deutschland aus.367 Die einzelnen Schritte zu einem einheitlichen deutschen Handelsrecht werden in den folgenden Abschnitten genauer erörtert. 357 358 359 360

361 362

363 364 365 366 367

Vgl. TER VEHN, A. (1929b), S. 247. Vgl. TER VEHN, A. (1929b), S. 243; BARTH, K. (1953), S. 123; GROßFELD, B./DIEKMANN, H. (1988), S. 421. Vgl. SAVARY, J. (1675), S. 325. Vgl. SAVARY, J. (1675), S. 325. Vgl. dazu auch SCHNEIDER, D. (1974), S. 159; GROßFELD, B./DIEKMANN, H. (1988), S. 421; OBERBRINKMANN, F. (1990), S. 9. Vgl. PASSOW, R. (1921), S. 77; SCHNEIDER, D. (1974), S. 159. „[…] car se seroit vouloir se rendre riche en idée“; SAVARY, J. (1675), S. 325. Vgl. dazu auch BARTH, K. (1953), S. 125–126; PENNDORF, B. (1966), S. 240. Vgl. SAVARY, J. (1675), S. 325. Vgl. OBERBRINKMANN, F. (1990), S. 10. Vgl. GOLDSCHMIDT, L. (1875), S. 209–210; BEHREND, J. F. (1886), S. 29. Vgl. SCHMIDT-BUSEMANN, W. (1977), S. 36. Vgl. COSACK, K. (1895), S. 15.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

3.1.2

Entwicklung der Bewertungsvorschriften in Deutschland

3.1.2.1

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794

97

Im deutschen Rechtsraum folgte erstmals der preußische Staat unter der Regierung Friedrichs des Großen dem französischen Vorbild:368 Aus einem Entwurf aus dem Jahr 1785 entstand neun Jahre später unter dem Titel „Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten“ (ALR) das erste grundlegende Gesetzbuch. Unter der Regierung von Friedrich Wilhelm I. trat am 1. Juni 1794 das ALR in Kraft, das im Teil 2 unter Titel 8 mit den §§ 475 bis 2464369 eine geschlossene Kodifikation eines Handelrechts enthielt.370 Neben umfangreichen Bestimmungen über die Buchführungspflicht im allgemeinen Teil371 waren jedoch erst im Abschnitt über den Konkurs372 auch Vorschriften zu Inventur und Bilanz vorhanden (§ 1468). Im Konkursfall wurde demnach ein Kaufmann als fahrlässiger Bankrotteur bestraft, wenn er in Konkurs ging und sein Vermögen vorher nicht alljährlich ordnungsgemäß bilanziert hatte.373 Als erstes Gesetz beinhaltete das ALR aber auch explizit formulierte Bewertungsvorschriften, die allerdings nicht allgemein gültig, sondern nur dann aufzustellen waren, falls diesbezüglich nichts im Gesellschaftsvertrag festgelegt war. Die dazugehörige Bewertungsregel aus dem Abschnitt über die Handelsgesellschaften lautet im Original: „§. 644. Sind in dem Contrakte keine besondere Abreden getroffen: so werden, bey Aufnahme des Inventarii, die zum Handlungsvermögen gehörende Vorräthe an Materialien und Waaren nur zu dem Preise, wofür sie angeschaft sind, und wenn der gangbare Werth zur Zeit der Inventur niedriger ist, nur zu diesem niedrigeren Preise angesetzt.“

In Anlehnung an die Ordonnance de Commerce wurde damit erstmals zumindest für Vermögenswerte des Umlaufvermögens das Anschaffungswert- bzw. Niederstwertprinzip nicht nur formuliert, sondern sogar gesetzlich kodifiziert.374 Die Bewertung richtete sich ferner nach dem Realisations- und Imparitätsprinzip, sodass

368

369 370 371 372 373 374

Zuvor galten überwiegend die jeweiligen deutschen Stadt- und Landrechte bzw. Landesordnungen sowie teilweise auch das französisches Recht; vgl. COSACK, K. (1895), S. 16; REHME, P. (1914), S. 196–202; PENNDORF, B. (1966), S. 236. Vgl. dazu auch BEHREND, J. F. (1886), S. 27; REHME, P. (1914), S. 228–230. Zur Entstehungsgeschichte vgl. HATTENHAUER, H./BERNERT, G. (1996), S. 1–25. Der Titel des allgemeinen Teils lautet „Von Handlungsbüchern“. Enthalten im 2. Teil, 20. Titel („Von den Verbrechen und deren Strafen“). Vgl. TER VEHN, A. (1929b), S. 336–337; BARTH, K. (1953), S. 66. Vgl. KERLING, H. (1970), S. 115; GROßFELD, B./DIEKMANN, H. (1988), S. 422.

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3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

weder Über- noch Unterbewertungen zulässig waren.375 Da diese Vorschriften jedoch nicht allgemein und zwingend von allen Kaufleuten anzuwenden waren,376 konnten sie auch nur als Anhaltspunkte für eine richtige Bewertung gelten.377 Ihre Aufgabe lag vorrangig in der Verhinderung von Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern.378 In einigen anderen deutschen Ländern, wie z.B. Rheinpreußen, Rheinpfalz und Rheinhessen, galt dagegen mit dem Code de Commerce von 1807 französisches Handelsrecht.379 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestanden im deutschen Raum einzelne, rechtlich autonome Territorialstaaten, die seit 1815 im Deutschen Bund zusammengeschlossen waren, aber eigene Landesgesetzgebungen geschaffen hatten.380 Insbesondere durch die aufkommende Industrialisierung sowie durch die zunehmende Verflechtung der einzelnen Staaten bestand handelsrechtlicher Handlungsbedarf.381 Vor diesem Hintergrund war das zunehmende Bestreben nach einem einheitlichen Rechtszustand für handelsrechtliche Normen mit Gültigkeit für alle deutschen Staaten verständlich.382 Die ersten Anzeichen hierfür kamen im Zusammenhang mit der Gründung des Deutschen Zollvereins383 im Jahr 1833 auf.384 Die 1836 tagende erste Generalkonferenz des Zollvereins kam jedoch zu dem Entschluss, dass eine Vereinheitlichung der Gesetzgebung vorerst nicht durchführbar sei.385 Auch im Verlauf der zweiten Generalkonferenz im Jahr 1838 wurde die Vereinheitlichung aufgrund der Rechtsverschiedenheit für nicht umsetzbar erachtet.386 Deshalb blieb es den einzelnen Staaten überlassen, zumindest für ihr Gebiet einen einheitlichen Rechtszustand herbeizuführen, was z.B. Preußen bereits mit dem ALR begonnen hatte und 1838 mit einem Gesetz für Eisenbahngesellschaften fortführte.

375 376

377 378 379 380 381 382 383

384 385 386

Vgl. SCHNEIDER, D. (2001), S. 913–914. Der Geltungsbereich erstreckte sich nur auf Gesellschaften, nicht aber auf Einzelkaufleute; vgl. TER VEHN, A. (1929b), S. 161 und 337. Vgl. SEICHT, G. (1970b), S. 30; GROßFELD, B./DIEKMANN, H. (1988), S. 422. Vgl. SCHNEIDER, D. (1974), S. 159. Vgl. MOLLE (1875), S. 3; REHME, P. (1914), S. 234. Vgl. ENDEMANN, W. (1865), S. 38; WEINHAGEN, N. (1866), S. XXXVI; MOLLE (1875), S. 2. Vgl. SCHMIDT-BUSEMANN, W. (1977), S. 48. Vgl. ENDEMANN, W. (1865), S. 38; PENNDORF, B. (1966), S. 236. Der Deutsche Zollverein war ein handelspolitischer Zusammenschluss der deutschen Bundesstaaten, mit dem Zweck eine deutsche Wirtschaftseinheit herbeizuführen; vgl. GOLDSCHMIDT, L. (1875), S. 62–63; REHME, P. (1914), S. 237. Vgl. BAUMS, T. (1982), S. 15–16. Vgl. GOLDSCHMIDT, L. (1875), S. 64–65; MAKOWER, H. (1893), S. XV; OBERBRINKMANN, F. (1990), S. 28. Vgl. REHME, P. (1914), S. 237.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

3.1.2.2

99

Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen von 1838

Unter dem Einfluss des wirtschaftspolitischen Liberalismus sowie im Zuge der zunehmenden Industrialisierung entstanden um die Jahrhundertwende in Deutschland immer öfter auch Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft.387 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten v.a. die zahlreichen Vorhaben zum Aufbau von Eisenbahnlinien zur Errichtung immer größerer Aktiengesellschaften. Doch keines der innerhalb der deutschen Staaten geltenden Gesetze enthielt Bestimmungen für diese kontinuierlich an Bedeutung gewinnende Rechtsform. So war es schließlich Preußen, das mit dem „Gesetz über die EisenbahnUnternehmungen“ vom 3. November 1838 zuerst ein besonderes Gesetz erließ, das einzelne Bestimmungen über Aktien, deren Zeichnung und die Voraussetzung der landesherrlichen Bestätigung der Statuten aufwies.388 Konkrete Regelungen über Bilanzierung oder Bewertung waren jedoch nicht enthalten, allerdings wurde im Schrifttum im Allgemeinen die Ansicht vertreten, dass mit diesem Gesetz die Aufstellung einer „Betriebsbilanz“ i.S. einer Ertragsbilanz389 beabsichtigt gewesen sei.390 Diese Auffassungen belegen auch die Bestimmungen der anschließend vom preußischen Staat genehmigten Statuten.391 3.1.2.3

Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für das Königreich Württemberg von 1839

Die ersten Bestrebungen zu einer umfassenden Vereinheitlichung des deutschen Handelsrechts gingen schließlich vom Königreich Württemberg aus,392 das bereits im September 1836 bei einer Sitzung des Deutschen Zollvereins in München eine

387

388 389

390 391

392

Die 1779 in Hamburg errichtete Assekuranz-Compagnie zählt zu den ältesten deutschen Unternehmen auf Aktien. Zwischen 1821 und 1823 wurden mit der Rheinisch-Westphälischen Compagnie, dem DeutschAmerikanischen-Bergwerksverein und der Vaterländischen Feuerversicherungs-Gesellschaft drei weitere für die nachfolgende Zeit sehr bedeutende Aktiengesellschaften ins Leben gerufen; vgl. WEINHAGEN, N. (1866), S. XXXVII–XXXVIII. Vgl. MOLLE (1875), S. 2. In der Ertragsbilanz wird der (zu verteilende) Reinertrag als Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben berechnet, wobei diese Berechnung unabhängig von der im Handelsgesetzbuch geregelten Vermögensbilanz erfolgt; vgl. O.V. (1879), S. 270. Vgl. STROMBECK, J. V. (1878), S. 67, Fn. 62 m.w.N. Beispielsweise bestimmt das Statut der Berlin-Stettiner Eisenbahn-Gesellschaft v. 12. Oktober 1840 in § 21 oder der Breslau-Schweidnitz-Freiburger Eisenbahn-Gesellschaft v. 10. Februar 1843 in § 20, dass der Gewinn, auf den die Mitglieder der Gesellschaft Anspruch haben, in den jährlichen Überschüssen der Einnahmen besteht; vgl. BERLIN-STETTINER EISENBAHN-GESELLSCHAFT (1840), S. 309 und BRESLAU-SCHWEIDNITZFREIBURGER EISENBAHN-GESELLSCHAFT (1843), S. 59. Zur weiteren Ausgestaltung von Statuten vgl. auch SCHÜLER, W. (1879), S. 65. Vgl. REHME, P. (1914), S. 237; BARTH, K. (1953), S. 67.

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3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

Neuregelung des gesamten Handelsrechts für alle deutschen Staaten anregte.393 Drei Jahre später legte der mit dieser Aufgabe betraute Stuttgarter Obertribunalsrat Hofacker der Öffentlichkeit den „Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Königreich Württemberg“ vor, der sich insgesamt sehr an das französische Recht anlehnte.394 Obwohl bzgl. der Bilanzierung in Art. 36 festgelegt war, dass jeder Handelsmann zumindest ein Vermögensverzeichnis aufzusetzen hatte, verzichteten die Verfasser bewusst auf spezielle Bewertungsvorschriften. In den 1840 erschienenen Motiven wird gegen eine konkrete Bewertungsvorschrift zum Anschaffungswert als Begründung angeführt: „Dieß [Bewertung der Waren zum Anschaffungswert; Anm. d. Verf.] versteht sich aber wohl von selbst, und scheint jedenfalls nicht in das Gesetzbuch zu gehören.“395

Dem Württemberger Entwurf blieb der praktische Erfolg letzten Endes versagt, weil er niemals geltendes Gesetz wurde. Gescheitert ist diese Initiative letztlich an Preußen, das es nicht schaffte, den Mitgliedstaaten einen eigenen Entwurf vorzulegen, der dann als Grundlage für kommissarische Beratungen hätte dienen können.396 Dennoch ist der Württemberger Entwurf insofern von großer Bedeutung, als er maßgeblichen Einfluss auf die weitere handelsrechtliche Entwicklung in Deutschland ausübte.397 3.1.2.4

Gesetz über die Aktiengesellschaften von 1843

So blieb Preußen lange Zeit der einzige deutsche Staat, in dem mit dem 2. Teil des ALR und dem Gesetz für Eisenbahngesellschaften eine einheitliche handelsrechtliche Kodifikation bestand. Dieser Kodex fand am 9. November 1843 durch das „Gesetz über die Aktiengesellschaften“ eine bedeutende Ergänzung. Anlass war die neben Eisenbahngesellschaften ebenso steigende Anzahl an Gründungen von Fabrik- und Handelsunternehmungen, Banken, Versicherungsunternehmen sowie Bergbaubetrieben. Immer häufiger basierten auch diese neuen Gesellschaften auf dem Rechtsinstitut der Aktiengesellschaft. Die Gesamtzahl an 393 394

395 396 397

Vgl. GOLDSCHMIDT, L. (1875), S. 64; SEICHT, G. (1970b), S. 31. Vgl. COSACK, K. (1895), S. 17. Überdies legte der nassauische Staat einen Entwurf vor, der aber zum Großteil dem Wortlaut des Württemberger Entwurfs entsprach. Vgl. dazu auch GOLDSCHMIDT, L. (1875), S. 67; REHME, P. (1914), S. 238. KÖNIGREICH WÜRTTEMBERG (1840), S. 184. Vgl. SCHUBERT, W. (1986a), S. (4). Vgl. REHME, P. (1914), S. 238 m.w.N.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

101

Aktiengesellschaften erhöhte sich in Preußen bis zum Gesetzerlass 1843 auf mittlerweile schon 27.398 In § 1 dieses Gesetzes war die staatliche Genehmigung als Voraussetzung für die Errichtung einer Aktiengesellschaft normiert. Um die Konzession zu erhalten, waren Statuten vorzulegen, die anschließend von der Regierung genehmigt werden mussten. In diese Statuten waren die Grundsätze, nach denen die Bilanz aufzustellen war, aufzunehmen. Sie sollten möglichst auch konkrete Bilanzierungsund Bewertungsregelungen enthalten.399 In § 24 war bzgl. der Bilanzaufstellung darauf hingewiesen, dass eine „Bilanz des Gesellschaftsvermögens“ aufzustellen sei. Jedoch wurden keine präzisen Grundsätze zur Aufstellung der Bilanz geschaffen,400 sodass in der Folgezeit Bilanzen sowohl nach der Form der Vermögensbilanz401 als auch der Ertragsbilanz402 aufgestellt wurden. Wie der Inhalt der von den zuständigen Regierungen genehmigten Statuten i.d.R. verdeutlichte, war hinsichtlich der Bewertungsfrage in enger Anlehnung an die Grundzüge des ALR das Anschaffungs- bzw. Niederstwertprinzip maßgeblich.403 Beispielsweise enthielt das Statut der Prinz Wilhelm Eisenbahngesellschaft vom 2. Mai 1845 in § 22 den Passus, wonach „die Bahn und deren Inventar zum kostenden Preise in Anrechnung gebracht […] werden.“404 In § 45 des Statuts der Dortmunder Privat-Aktienbank vom 2. März 1857 war bestimmt, dass Wertpapiere „niemals mit einem höheren als dem Erwerbungskurse, und wenn der Börsenkurs am Tage der Bilanz-Aufnahme niedriger, als der Erwerbungskurs ist, nur zu dem Börsenkurse in der Bilanz angesetzt werden.“405

398 399 400

401

402

403 404 405

Vgl. WEINHAGEN, N. (1866), S. LVIII. Vgl. SCHÜLER, W. (1879), S. 66; PENNDORF, B. (1966), S. 242. Zudem gibt es auch keinen Hinweis, dass sich der zu verteilende Gewinn aus der Bilanz ergeben müsse; vgl. SCHÜLER, W. (1879), S. 66. Vgl. STROMBECK, J. V. (1878), S. 167, Fn. 62. Im Statut der Gesellschaft für Bergbau und Zinkfabrikation zu Stolberg v. 21. Februar 1846 ist z.B. gemäß Art. 15 als Gewinn der Überschuss der Aktiva über die Passiva festlegt; vgl. GESELLSCHAFT FÜR BERGBAU UND ZINKFABRIKATION ZU STOLBERG (1846), S. 44. Vgl. z.B. Statut der Aachen-Mastrichter Eisenbahn-Gesellschaft v. 21. Februar 1846, das gemäß Art. 16 die Bilanz als eine Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben interpretiert; vgl. AACHEN-MASTRICHTER EISENBAHN-GESELLSCHAFT (1846), S. 34. Ähnlich auch Para. 37 des Statuts der Cölnischen BaumwollSpinnerei und Weberei v. 6. Juli 1853; vgl. CÖLNISCHE BAUMWOLL-SPINNEREI UND WEBEREI (1853), S. 506. Vgl. gl.A. TER VEHN, A. (1929b), S. 344. PRINZ WILHELM EISENBAHNGESELLSCHAFT (1845), S. 265. DORTMUNDER PRIVAT-AKTIENBANK (1857), S. 209. Für weitere Beispiele vgl. SCHMALENBACH, E. (1916/17), S. 33–37.

102

3.1.2.5

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

Zirkularverfügung wegen der bei Bestätigung der Statuten von Aktiengesellschaften festzuhaltenden allgemeinen Grundsätze von 1856

Die stetig steigende Anzahl der zur Genehmigung vorgelegten Statuten erforderte eine Präzisierung der Bestimmungen. Mit der preußischen „Cirkular-Verfügung vom 29. März 1856 - wegen der bei Bestätigung der Statuten von AktienGesellschaften festzuhaltenden allgemeinen Grundsätze“ wurden allgemeine Regeln bekannt gegeben, die bei einer Gründung als Bedingung zur Erteilung der Konzession beachtet werden mussten. Demnach war zwar in Wiederholung der Vorschrift des Aktiengesetzes von 1843 die Erstellung einer Bilanz vorgeschrieben, die nunmehr aber auch veröffentlicht werden musste. Die ergänzende Vorschrift Nr. 44 beinhaltete eine Klarstellung der Regelung hinsichtlich der Gewinnermittlung: Nicht mehr der jährliche Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben, sondern der jährliche Überschuss der Aktiva über die Passiva bildete den Reingewinn.406 Konkrete Bewertungsregeln waren aber auch hierin wiederum nicht enthalten. Größere Relevanz kam zumindest der Bestimmung Nr. 45 zu, wonach 10% des Reingewinns vor Verteilung der Dividende dem „Reservefonds“ (Rücklagenkonto) zugeführt werden mussten. Damit wurde zumindest eine – wenngleich auch geringe – Auffangmöglichkeit als Gegengewicht zur übermäßigen Gewinnverteilung festgelegt. 3.1.2.6

Erster und zweiter Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten von 1856 und von 1857

Ebensowenig Gesetz wie der Württemberger Entwurf von 1839 wurde auch der während der in der Paulskirche tagenden Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt a.M. in den Jahren 1848/49 durch eine Kommission des Reichsjustizministeriums erarbeitete „Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland“.407 Dieser Entwurf orientierte sich abermals am französischen Recht und wies somit wiederum keine konkreten Bewertungsvorschriften auf.408 Schon ein Jahr später begann eine in Preußen einberufene Ministerialkommission auf Grundlage der Frankfurter Vorarbeiten erneut einen Entwurf für ein Handelsrecht auszuarbeiten.409 Nach langwierigen Verhandlungen, die zwischenzeitlich sogar 406

407 408 409

Der Wortlaut von Nr. 44 ist wie folgt: „Bei Feststellung der Bilanz bildet nicht der Ueberschuß der jährlichen Einnahmen über die jährlichen Ausgaben, sondern der Ueberschuß der Aktiva über die Passiva überhaupt den Reingewinn.“ Hervorhebungen im Original gesperrt. Vgl. ENDEMANN, W. (1865), S. 39–40; SCHNEIDER, D. (2001), S. 914–915. Vgl. BARTH, K. (1953), S. 67. Vgl. GOLDSCHMIDT, L. (1875), S. 94–95; SCHUBERT, W. (1986b), S. (5).

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

103

völlig zum Stillstand gekommen waren,410 dauerte es noch sechs Jahre, bis im Oktober 1856 der erste „Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten“ veröffentlicht wurde. Dieses Gesetz sollte vorerst nur für Preußen gelten und das reformbedürftige ALR ablösen. Im Unterschied zum Württemberger Entwurf und zum Entwurf der Nationalversammlung waren in diesem Vorschlag erstmals wieder Bewertungsvorschriften enthalten, die fast wörtlich aus dem ALR übernommen wurden, aber nunmehr nicht nur für Handelsgesellschaften, sondern für alle Kaufleute gelten sollten.411 Der Wortlaut der Bewertungsvorschrift in Art. 33 ist wie folgt: „Bei Aufnahme des Inventars und der Bilanz werden die Waaren nur zu dem Preise, für welchen sie angeschafft sind, und wenn der laufende Preis zur Zeit der Inventars niedriger ist, nur zu diesem niedrigeren Preise angesetzt.“

Mit dieser Formulierung wäre das Niederstwertprinzip erstmals zwingend vorgeschrieben gewesen.412 Um sicher zu stellen, dass der Entwurf nicht vom preußischen und v.a. nicht vom rheinischen Handelsstand abgelehnt wurde, zog man kaufmännische Sachverständige und praktische Juristen zur Begutachtung heran. In deren Beratungen vertrat dann aber ein kaufmännisches Mitglied in Bezug auf Art. 33 die Meinung, „daß das Gesetz keine allgemeine Instruktion über die Aufstellung einer Bilanz geben dürfe; es sei nur die Verpflichtung auszusprechen, daß bei Aufstellung der Bilanz die Aktiva, Waaren und übrigen Vermögensstücke nach ihrem wahren Werthe angesetzt werden müssen.“413

Daraufhin wurde der Art. 33 wieder gestrichen und dessen Inhalt auf die Beratungen über die Handelsgesellschaften verschoben.414 Dies erfolgte mit dem Hinweis auf die dort eventuell vorhandene Notwendigkeit zur Sicherung dritter Personen gegenüber einer Bevorzugung anderer Personen.415 Als dann die Beratungen zu diesem Punkt kamen, war man der Ansicht, dass in der Bewertungsfrage Unterschiede zwischen der offenen Handelsgesellschaft und der stillen Handelsgesellschaft auf Aktien (Bezeichnung des Entwurfs für die Kommanditgesellschaften 410

411 412 413 414 415

Vgl. SCHUBERT, W. (1986b), S. (6). Zu den unterschiedlichen Ansichten der Verhandlungsteilnehmer vgl. auch ENDEMANN, W. (1858), S. 10–11. Vgl. TER VEHN, A. (1929b), S. 432; PENNDORF, B. (1966), S. 242. Vgl. SCHNEIDER, D. (1974), S. 160; SCHNEIDER, D. (2001), S. 915. KAUFMÄNNISCHE SACHVERSTÄNDIGE UND PRAKTISCHE JURISTEN (1856), S. 11. Vgl. SCHNEIDER, D. (2001), S. 916. Vgl. KAUFMÄNNISCHE SACHVERSTÄNDIGE UND PRAKTISCHE JURISTEN (1856), S. 11.

104

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

auf Aktien) zu machen seien.416 Mit Verweis auf die fehlende persönliche Haftung bei stillen Gesellschaften sah man dort einen erhöhten Bedarf an institutionellem Gläubigerschutz.417 Bei den anschließenden Beratungen zur stillen Handelsgesellschaft auf Aktien wurde wiederum die Bewertungsthematik angesprochen. Ein kaufmännisches Mitglied sprach sich hierbei für einen Ansatz zum „wirklichen Werthpreise“ aus, dem sich auch alle anderen Sachverständigen anschlossen; hinsichtlich der Regelungen zur Gewinnverteilung war man jedoch einstimmig der Meinung, dass nur der bereits realisierte Gewinn verteilt werden dürfe.418 Dies sei aber nur auf den Bereich der stillen Handelsgesellschaften zu beschränken, weil hierbei der verteilte Gewinn aufgrund fehlender persönlicher Haftung den Gläubigern entzogen würde und deshalb bei diesen Gesellschaften der Gewinn auch in Übereinstimmung mit Art. 33 zu ermitteln sei.419 Damit kam die Sachverständigenkonferenz zu dem bemerkenswerten Ergebnis, einerseits auf Bewertungsregeln für Einzelkaufleute und Personengesellschaften verzichten zu wollen, andererseits aber für Kommanditgesellschaften auf Aktien einen Ansatz zum Zeitwert zu fordern. Für die Gewinnermittlung sollte der Zeitwert aus Gläubigerschutzgründen allerdings nicht beachtet werden. Faktisch wären damit entweder zwei separate Bilanzen aufzustellen gewesen420 oder der unrealisierte Gewinn hätte über eine Zuschreibung des Rücklagenkontos berücksichtigt werden müssen.421 Als Ergebnis der Beratungen wurde 1857 ein zweiter Entwurf für ein Handelsgesetzbuch unter dem Titel „Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten“ vorgelegt. Der für die Bewertung maßgebliche Art. 31 enthielt als Konsequenz aus den Ergebnissen der Sachverständigenkommission nunmehr keine Forderung mehr nach einem Ansatz zum Anschaffungswert. Jedoch wurde aber auch keine andere entsprechende Regelung in das Gesetz aufgenommen, sondern laut Art. 31 Abs. 1 vielmehr nur noch ein entsprechender Abzug bei vorliegender

416

417 418

419 420

421

Da Aktiengesellschaften noch der staatlichen Genehmigung bedurften, sollte das Handelsgesetz nur die stillen Gesellschaften auf Aktien regeln. Vgl. KAUFMÄNNISCHE SACHVERSTÄNDIGE UND PRAKTISCHE JURISTEN (1856), S. 44. Zur Ermittlung des verteilbaren Jahresgewinns wird die Bilanz zunächst „unter Zugrundelegung des wirklichen Werthpreises der Waaren“ aufgestellt, wobei „diejenigen Gewinnbeträge vorher in Abzug gebracht werden, welche sich in der Bilanz dadurch herausgestellt haben, daß der Tagespreis von vorhandenen noch nicht realisirten Waaren zur Zeit der Inventur höher war, als deren Einkaufspreis.“ KAUFMÄNNISCHE SACHVERSTÄNDIGE UND PRAKTISCHE JURISTEN (1856), S. 44. Vgl. PASSOW, R. (1921), S. 81. Einmal mit „wirklichen Werthpreisen“ und einmal zu Anschaffungswerten als Basis für die Gewinnermittlung und schlussendlich auch der Bemessung der Dividendenausschüttung; vgl. PASSOW, R. (1921), S. 81–82. Vgl. SCHNEIDER, D. (2001), S. 916–917.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

105

Wertminderung vorgeschrieben,422 wobei offen blieb, von welchem Wert dieser Abzug zu machen sei. Die Motive bemerken dazu lediglich, dass die getroffenen Bestimmungen den Zweck haben, „daß das aufgenommene Inventar der wahren Vermögenslage möglichst getreu entspricht.“423 Ein Anhaltspunkt zur Frage, welcher Wert damit gemeint sein könnte, ergibt sich aus den Ausführungen im zweiten Buch über die offenen Handelsgesellschaften. Dort war in Art. 109 Abs. 3 für die Gewinnermittlung bestimmt, dass bei Waren der die Höhe der Anschaffungswerte übersteigende Anteil der Zeitwerte nicht anzusetzen sei.424 Daraus könnte zwar für den Art. 31 eine beabsichtigte Bewertung zum Zeitwert abgeleitet werden, allerdings ist anzunehmen, dass es sich hierbei eher um eine Kompromisslösung handelte.425 Die Lösung der Bewertungsfrage scheint bewusst umgangen worden zu sein, weil auch die Bestimmungen über die Gewinnverteilung bei Kommanditgesellschaften auf Aktien nicht mehr im Gesetzestext des zweiten Entwurfs erschienen.426 Ebenso wurden für Aktiengesellschaften keine speziellen Bewertungsregeln aufgestellt, weil es aus der Sicht der Kommission ausreichend erschien, dass deren Gründung staatlich kontrolliert wurde.427 Dadurch wurden die in den Statuten der zu errichtenden Aktiengesellschaften aufgeführten Bewertungsrichtlinien nämlich ohnehin jedes Mal der staatlichen Überprüfung unterzogen. Insgesamt wird aus der Entwicklung der preußischen Entwürfe deutlich, dass die Bewertungsvorschriften primär auf die Wahrung der Interessen der Gläubiger abzielten. Obgleich der erste Entwurf noch das Anschaffungs- und Niederstwertprinzip propagiert hatte, führten im weiteren Verlauf der Diskussionen aufkommende Zweifel zu einem Verzicht der Aufstellung einer allgemeinen Bewertungsregel. Darüber hinaus wurde auch das Imparitätsprinzip des ALR nicht weiter verfolgt. Vielmehr orientierte man sich an der „wahren Vermögenslage“ oder an „wirklichen Werthpreisen“, um dem Gedanken des Gläubigerschutzes gerecht zu werden. Die Ablehnung des Anschaffungswertprinzips im Zuge der Diskussionen über Art. 31 und die bei der Gewinnermittlung aufgestellte Anforderung, Differenzbeträge zwischen Anschaffungswert und Zeitwert gemäß Art. 109 422

423 424

425 426 427

Art. 31 Abs. 1 lautet folgendermaßen: „Bei Aufnahme des Inventars und der Bilanz ist von den Waaren, deren Werth auf dem Lager vermindert wird, […] ein verhältnismäßiger Abzug zu machen.“ PREUßISCHE REGIERUNG (1857), S. 22. Der Text des Art. 109 Abs. 3 im Entwurf lautet: „Gewinn oder Verlust kommt nur in Ansatz, insoweit derselbe bereits eingetreten ist. In Beziehung auf vorhandene Waaren kommen vom Gewinn die Beträge in Abzug, um welche der im Inventar angesetzte Tagespreis den Einkaufspreis übersteigt.“ Somit wurden die Vorschläge der Sachverständigen zur Gewinnermittlung bei Kommanditgesellschaften auf Aktien auch auf offene Handelsgesellschaften übertragen. Vgl. gl.A. SCHNEIDER, D. (2001), S. 917. Vgl. gl.A. SCHNEIDER, D. (1974), S. 160. Vgl. PREUßISCHE REGIERUNG (1857), S. 83.

106

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

Abs. 3 unberücksichtigt zu lassen, deuten auf eine Tendenz zur Zeitwertbewertung hin. Folglich war sich die Mehrzahl der Experten trotz der Bedenken hinsichtlich der Gewinnverteilung einig, dass ein Bilanzansatz zu Zeitwerten eher dem Gläubigerschutz dienlich sei und somit eine darauf basierende „wahre Vermögenslage“ dem Informationsbedarf der Gläubiger am besten gerecht werde. Im Ergebnis bedeutete dies einen doppelten Bewertungsmaßstab, weil auf der einen Seite für die Bilanzaufstellung der Zeitwert maßgeblich war, auf der anderen Seite für die Gewinnermittlung aber eine Realisierung des Gewinns Voraussetzung war.

3.2

Geltungsperiode der verpflichtenden Zeitwertbewertung

3.2.1

Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861

3.2.1.1

Entstehungsgeschichte

Der abgeänderte preußische Entwurf von 1857 sowie zwei weitere österreichische Gesetzentwürfe bildeten den Ausgangspunkt für die auf Antrag Bayerns von der deutschen Bundesversammlung einberufene Kommission428 zur Schaffung eines ADHGB, deren Verhandlungen in Nürnberg abgehalten wurden.429 Von Österreich stammten ein als „Revidirter“ sowie ein zweiter als „Ministerieller“ bezeichneter „Entwurf eines österreichischen Handelsrechtes“.430 Durch einstimmigen Beschluss wurde zu Beginn der Nürnberger Konferenz der insgesamt umfangreichere preußische Entwurf zur Grundlage erklärt; allerdings einigte man sich, auch den Entwurf Österreichs bei den Verhandlungen ständig zu beachten.431 Die von 1857 bis 1861 dauernden, unter den Mitgliedern der Nürnberger Konferenz teils sehr heftig geführten Auseinandersetzungen, zeigten gänzlich unterschiedliche Auffassungen in Bezug auf die offenen Bilanzierungs- und Bewertungsfragen. Schließlich wurde der Entwurf eines ADHGB am 11. März 1861 nach 588 Sitzungen gegen den Widerstand einer Minderheit432 zum Abschluss gebracht und am 16. März 1861 der Bundesversammlung überreicht.433 Nach der Abstimmung im Bundestag empfahl dieser daraufhin den deutschen Staaten die freiwillige Annah428 429 430 431 432 433

Kommission zur Berathung des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches. Vgl. GOLDSCHMIDT, L. (1875), S. 87–88. Vgl. PASSOW, R. (1921), S. 82–86; BARTH, K. (1953), S. 68. Vgl. KOCH, C. F. (1863), S. 5; ENDEMANN, W. (1865), S. 40. Hannover und Hamburg erhoben Einspruch gegen die Einführung; vgl. THÖL, H. (1861), S. 60. Vgl. REHME, P. (1914), S. 246.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

107

me des Gesetzes.434 Diesem Aufruf folgte entgegen den damaligen Erwartungen die Mehrzahl der Bundesstaaten, weil der Wunsch nach einem einheitlichen deutschen Handelsrecht doch erheblich größer als erwartet war.435 Zwischen 1861 und 1867 wurde das ADHGB durch die einzelnen Staaten, unter Zustimmung der jeweiligen Einzellandtage, als Landesgesetz übernommen. Selbst die meisten an der Kommission nicht teilnehmenden Regierungen entschieden sich für eine Einführung. Damit war die Grundlage eines einheitlichen Handelsgesetzbuchs für Deutschland geschaffen. Die Übernahme des Gesetzes geschah größtenteils ohne Vornahme von wesentlichen Abänderungen.436 Ein geringer Teil der Staaten führte das Gesetz dagegen in einigen wenigen Punkten modifiziert ein:437 Der Entscheidung der einzelnen Landesregierungen war es nämlich nach Art. 206 bzw. 249 ADHGB überlassen, die staatliche Konzessionspflicht bei der Errichtung von Aktiengesellschaften bzw. von Kommanditgesellschaften auf Aktien beizubehalten.438 Während die Mehrzahl der Länder in ihren Einführungsgesetzen zum ADHGB, darunter auch Preußen (EinfG v. 24. Juni 1861), Bayern (EinfG v. 1. Juli 1862) und Österreich439 (EinfG v. 17. Dezember 1862), davon Gebrauch machte, hoben einige andere Regierungen, beispielsweise von Baden, von Württemberg und auch von den Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck, die Genehmigungspflicht auf.440 Durch das „Gesetz, betreffend die Einführung […] des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches als Bundesgesetze“ vom 5. Juni 1869441 wurde das ADHGB schließlich mit Gültigkeit ab 1. Januar 1870 zum Bundesgesetz für den mittlerweile dem Deutschen Bund nachfolgenden Norddeutschen Bund erhoben.442 Das Gesetz wurde damit im gesamten Gebiet des Norddeutschen Bundes gemeines Recht, wodurch frühere von den Einzelstaaten getroffene landesrechtliche Abänderungen für ungültig erklärt wurden.443

434 435 436 437 438 439

440 441 442 443

Mit Beschluss des Bundestags v. 31. Mai 1861. Vgl. dazu auch COSACK, K. (1895), S. 17. Vgl. COSACK, K. (1895), S. 17. Vgl. GOLDSCHMIDT, L. (1875), S. 128. Vgl. COSACK, K. (1895), S. 18–19. Vgl. OBENAUS, W. (1976), S. 34. In Österreich wurde das Gesetz unter dem Titel „Allgemeines Handelsgesetzbuch für das Kaiserthum Österreich“ (ohne das Seerecht) eingeführt; vgl. GOLDSCHMIDT, L. (1875), S. 129. Vgl. LADENBURG (1878), S. 189; LÖWENFELD, H. (1879), S. 4. Vgl. dazu auch GAREIS, C./FUCHSBERGER, O. (1891), S. VIII; COSACK, K. (1895), S. 19. Vgl. RENAUD, A. (1875), S. 47. Vgl. ENDEMANN, W. (1865), S. 39; GOLDSCHMIDT, L. (1875), S. 295; REHME, P. (1914), S. 250.

108

3.2.1.2

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

Einführung der verpflichtenden Zeitwertbewertung (Art. 31 ADHGB)

Der erste, sog. revidierte Entwurf Österreichs formulierte mit § 58 Abs. 3 als Bewertungsvorschrift den Ansatz aller Waren und Handelsforderungen zum „wirklichen Werthe“. Ergänzt wurde diese Vorschrift durch Abs. 4, demzufolge jeder Handelsmann zur Anfertigung eines vollständigen Verzeichnisses verpflichtet war, aus dem „dessen ganzer Aktiv- und Passivstand in Hauptrubriken nach dem wahrscheinlichen Werthe ersichtlich ist.“ Im darauf folgenden zweiten, sog. ministeriellen Entwurf wurde der Inhalt des Abs. 3 als § 54 Abs. 4 unverändert übernommen, während der ursprüngliche Abs. 4 gestrichen wurde. In der ersten Lesung stellte ein Mitglied sodann den Antrag auf völlige Streichung des Art. 31 im zugrunde gelegten preußischen Entwurf. Als Begründung führte er an, dass man sich dadurch zu sehr in die Instruktionserteilung verliere.444 Der Antrag wurde mit 11 zu 3 Stimmen ablehnend beschieden, weil die Mehrheit der Kommission gesetzliche Bewertungsvorschriften für unverzichtbar hielt.445 In diesem Zusammenhang wurde zudem darauf hingewiesen, dass nur die durch Verderb verursachten Wertminderungen, nicht aber konjunkturelle Einflüsse und Werterhöhungen bei der Wertermittlung Beachtung finden sollten.446 Im weiteren Verlauf der Beratungen zur ersten Lesung wurden zwei Abänderungsanträge bzgl. der Formulierung des Art. 31 gestellt: Der erste Antrag formulierte den Wertansatz wahlweise wie folgt: „sind alle Aktiva gewissenhaft nach ihrem wahren Werthe abzuschätzen“, oder „sind Waaren, Schiffe, Gebäude und Geräthschaften gewissenhaft zu ihrem wahren Werthe aufzunehmen.“447 Der zweite Abänderungsantrag des österreichischen Abgeordneten Schindler lautete: „sind sämmtliche Vermögensstücke und Forderungen nach demjenigen Werthe anzusetzen, den sie zur Zeit der jeweiligen Aufnahme haben.“448 In der hierauf folgenden Abstimmung wurde mit 11 gegen 3 Stimmen zu Gunsten der beiden Anträge gestimmt, sodass diese beiden Fassungen mit geringen Abänderungen dem Redaktionsausschuss zur endgültigen Beschlussfassung vorgelegt wurden. Der Redaktionsausschuss erster Lesung verfasste daraufhin im „Entwurf des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches“ die Bewertungsregel des Art. 32 (vormals Art. 31 des preußischen Entwurfs) weitestgehend in Anlehnung an den 444 445

446

447 448

Vgl. KOMMISSION ZUR BERATHUNG EINES ALLGEMEINEN DEUTSCHEN HANDELSGESETZBUCHES (1858), S. 47. Die Ablehnung erfolgte mit dem Hinweis, dass „derselbe einen sehr schätzbaren Wegweiser enthalte“; KOMMISSION ZUR BERATHUNG EINES ALLGEMEINEN DEUTSCHEN HANDELSGESETZBUCHES (1858), S. 47. Dies hätte sonst nach Ansicht der Kommissionsteilnehmer Anlass zu Missverständnissen gegeben; vgl. KOMMISSION ZUR BERATHUNG EINES ALLGEMEINEN DEUTSCHEN HANDELSGESETZBUCHES (1858), S. 47. KOMMISSION ZUR BERATHUNG EINES ALLGEMEINEN DEUTSCHEN HANDELSGESETZBUCHES (1858), S. 47. KOMMISSION ZUR BERATHUNG EINES ALLGEMEINEN DEUTSCHEN HANDELSGESETZBUCHES (1858), S. 47–48.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

109

österreichischen Antrag folgendermaßen: „sind sämmtliche Vermögensstücke und Forderungen nach dem Werthe anzusetzen, welchen sie zur Zeit der Aufnahme haben.“ Die zweite Lesung begann wie schon die erste mit einem Antrag auf Streichung der Bewertungsregel in Art. 32. Der dieses Mal von einem Hamburger Abgeordneten angeregte Vorschlag wurde mit 11 gegen 6 Stimmen ebenso abgelehnt, doch die Anzahl der Gegner war beträchtlich angestiegen.449 In den Entwurf der zweiten Lesung kam die Vorschrift schließlich lediglich mit einer stilistischen Änderung, die auch später unverändert als endgültige Fassung verabschiedet wurde. So heißt die Bewertungsregel des Art. 30 (vormals Art. 31 des preußischen Entwurfs bzw. Art. 32 nach der ersten Lesung) im „Entwurf eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches (nach den Beschlüssen der zweiten Lesung)“ nunmehr: „Bei der Aufnahme des Inventars und der Bilanz sind sämmtliche Vermögensstücke und Forderungen nach dem Werthe anzusetzen, welcher ihnen zur Zeit der Aufnahme beizulegen ist.“

Nach Beendigung der zweiten Lesung veröffentlichte die Kommission einen ersten Entwurf, der in zahlreichen Gutachten der Kritik unterworfen wurde.450 Darüber hinaus reichten allein die deutschen Regierungen 505 Änderungsanträge, sog. „Erinnerungen“, ein.451 Damit schien ein Zustandekommen des Gesetzes auf absehbare Zeit bedroht, wenn nicht sogar gänzlich unmöglich. In diesen Änderungsvorschlägen zu einer dritten Lesung waren erneut Streichungsanträge zu Art. 30 enthalten: So forderten inzwischen mit Hannover, Hamburg und Kurhessen schon drei Landesregierungen die völlige Beseitigung der Bewertungsvorschrift, weil sie nach deren Ansicht unausführbar und zu detailliert sei.452 Auf Drängen Preußens, Österreichs und Bayerns, die auf einen baldigen Abschluss der Verhandlungen pochten, wählte man für die dritte Lesung ein abgekürztes Verfahren,453 indem man die dritte Lesung und das Schlussverfahren vereinte.454 Da die drei Staaten v.a. auf eine unveränderte Veröffentlichung der ersten 449

450

451 452

453

454

Die Begründung zum Streichungsantrag für Art. 31 lautete, dass „derselbe mehr in die Handlungswissenschaften, in die Lehre von der Buchführung als in ein Gesetzbuch gehöre“; KOMMISSION ZUR BERATHUNG EINES ALLGEMEINEN DEUTSCHEN HANDELSGESETZBUCHES (1858), S. 934. Am meisten Beachtung fanden die Gutachten von Anschütz, Endemann, Goldschmidt, Puchelt und Schliemann; vgl. COSACK, K. (1895), S. 18. Vgl. COSACK, K. (1895), S. 18. Vgl. KOMMISSION ZUR BERATHUNG EINES ALLGEMEINEN DEUTSCHEN HANDELSGESETZBUCHES (1858), S. 11 (Zusammenstellung der Erinnerungen). Vgl. KOMMISSION ZUR BERATHUNG EINES ALLGEMEINEN DEUTSCHEN HANDELSGESETZBUCHES (1858), S. 4497; GOLDSCHMIDT, L. (1875), S. 104. Vgl. THÖL, H. (1861), S. 59; SCHMALENBACH, E. (1916/17), S. 6.

110

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

vier Bücher drängten,455 wurden auch die zu Art. 30 gestellten Anträge gestrichen, womit die Konferenzteilnehmer auf eine neuerliche Debatte zur Bewertungsfrage verzichteten.456 Dadurch gelangte die Bewertungsvorschrift des Art. 30 schließlich als Art. 31 unverändert in den endgültigen Entwurf zu einem ADHGB. Die allgemeine Bewertungsregel des Art. 30 im Entwurf zum ADHGB wurde den Einführungsgesetzen entsprechend auch in den meisten deutschen Staaten unverändert als Art. 31 Gesetz. Die Bilanzaufstellung regelte Art. 29, wonach ein Abschluss anzufertigen war, der das Verhältnis des Vermögens zu den Schulden darstellen sollte.457 Für die Aktiengesellschaften wurden im Wesentlichen die Bilanzbestimmungen des Aktiengesetzes aus dem Jahr 1843458 und der Zirkularverfügung von 1856459 übernommen. Des Weiteren sah man in den Verhandlungen zum ADHGB keine Notwendigkeit spezielle Bewertungsregeln für Aktiengesellschaften aufzustellen, weil sie infolge des einzelstaatlichen Übernahmevorgangs weiterhin der Spezialgesetzgebung der Länder unterlagen. Dies bedeutete, dass Bewertungsvorschriften auch künftig in die Statuten aufzunehmen waren und damit nach wie vor der staatlichen Überwachung unterlagen.460 3.2.2

Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften von 1870

3.2.2.1

Entstehungsgeschichte

Die wirtschaftliche Entwicklung auf dem Gebiet des (Nord-)Deutschen Bundes, insbesondere die von England ausgehende industrielle Revolution, veranlasste den Gesetzgeber zum Handeln.461 Des Weiteren verdeutlichten der gestiegene Kapitalbedarf in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie die Reformbestrebungen der europäischen Nachbarn die Notwendigkeit von Veränderungen. Während England schon im Jahr 1862 im Zuge des Companies Act die Staatsgenehmigung für die Errichtung von Aktiengesellschaften vollständig beseitigt hatte,462 vollzog Frankreich mit dem neuen Aktiengesetz vom 24. Juli 1867 den gleichen Schritt.463 455 456 457

458 459 460 461 462 463

Nur das fünfte Buch zum Seerecht war von dieser Forderung ausgenommen. Vgl. TER VEHN, A. (1929b), S. 437. Damit war erstmals die Aufstellung einer Vermögensbilanz als Grundlage für die Berechnung des verteilungsfähigen Gewinns obligatorisch; vgl. SCHÜLER, W. (1879), S. 66. Siehe hierzu Abschnitt 3.1.2.4. Siehe hierzu Abschnitt 3.1.2.5. Vgl. TER VEHN, A. (1929b), S. 437. Vgl. GROßFELD, B./DIEKMANN, H. (1988), S. 423. Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1878), S. 23; LEHMANN, K. (1898), S. 71. Vgl. LEHMANN, K. (1898), S. 85.

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Am 5. März 1870 wurde die vom Abgeordneten Renard eingereichte Interpellation, betreffend ein Gesetz über die Bildung von Aktiengesellschaften, im Reichstag des Norddeutschen Bundes diskutiert. Ausgangspunkt der Überlegungen waren die zeitraubenden Formalien im Vorfeld einer Konzessionserteilung, die nach Ansicht einiger Abgeordneter eine Reform unumgänglich machten. Deren Auffassung war, dass der Konzessionszwang die Entwicklung der deutschen Wirtschaft und die freie Entfaltung der Kapitalassoziation behindere, ohne dafür eine Gewähr für Solidität oder Erfolg der Unternehmen zu bieten.464 Die Rolle des Staats wurde nur noch in der Aufstellung allgemeiner Grundprinzipien und in der Oberaufsicht in Form einer generellen Kontrolle gesehen. Ein im Vorfeld dieser Diskussionen von Preußen in den Bundesrat eingereichter Entwurf – aufgestellt unter der Maßgabe einer Abschaffung des Konzessionswesens – wurde im Ausschuss für Justizwesen von den Landesregierungen diskutiert.465 Der von diesem Ausschuss teilweise überarbeitete Entwurf gelangte nebst Motiven am 11. Mai 1870 in den Reichstag,466 von dem er sogleich an eine freie Kommission überwiesen wurde. Nur wenige Tage später übergab diese Kommission den Entwurf ohne größere Änderungsvorschläge an den Reichstag zurück. Außerordentlich bemerkenswert ist die Geschwindigkeit mit der dieser Gesetzentwurf anschließend im Reichstag beraten wurde:467 Denn schon am 20. Mai fand sowohl die erste als auch die zweite Beratung statt und bereits in der Sitzung am 24. Mai folgte die abschließende dritte Beratung. In der nur einen Tag später abgehaltenen Sitzung kam es schließlich gegen eine nur kleine Minorität zum endgültigen Beschluss des Gesetzes. Am 11. Juni 1870 war das „Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaft auf Aktien und die Aktiengesellschaften“ zur Gänze ausgefertigt und wurde bereits am 25. Juni verkündet, sodass es mit Wirkung zum 9. Juli 1870 in Kraft treten konnte.468 Die Gesetze des Norddeutschen Bundes, dazu zählte auch das ADHGB nebst den nunmehr infolge der Aktiennovellierung abgeänderten Bestimmungen für die Aktiengesellschaften, wurden sodann gemäß Art. 80 der „Verfassung des Deutschen Bundes“ vom 15. November 1870 zu Gesetzen des Deutschen Bundes erklärt.469 Schließlich wurden diese Gesetze gemäß § 2 im „Gesetz, betreffend die

464 465 466 467 468

469

Vgl. REICHSTAG DES NORDDEUTSCHEN BUNDES (1870a), S. 197. Vgl. REICHSTAG DES NORDDEUTSCHEN BUNDES (1870a), S. 197. Vgl. KEYßNER, H. (1873), S. 41. Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1878), S. 44. Dieses Gesetz wurde vielfach als Zwischen- oder Notgesetz betrachtet; vgl. z.B. GOLDSCHMIDT, L. (1884), S. 12; VÖLDERNDORFF, O. V. (1885), S. 2. Vgl. GOLDSCHMIDT, L. (1875), S. 136–137.

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Verfassung des Deutschen Reichs“ vom 16. April 1871 zum deutschen Reichsgesetz erhoben.470 Im deutschen Handelsrecht bestand bis zur Aktiennovelle von 1870 gemäß den Bestimmungen des Art. 174 ADHGB für Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie des Art. 208 ADHGB für Aktiengesellschaften das Konzessionssystem. Mit der Novellierung des Aktiengesetzes von 1870 wurde das staatliche Überwachungssystem nunmehr auch in Deutschland beseitigt, wovon nur Eisenbahnunternehmen und Zettelbanken ausgenommen wurden.471 Als Kompensation für den Wegfall der Prüfung durch die staatliche Aufsichtsbehörde musste nach Ansicht des Gesetzgebers ein umfangreiches Normativsystem für Aktiengesellschaften geschaffen werden.472 Durch die bei Aktiengesellschaften bestehende Besonderheit, dass sie sich nicht auf Grundlage von Personen, sondern auf Grundlage von Kapital stützen, sah es der Gesetzgeber für diese Rechtsform als eminent an, Regeln zur Erhaltung des Kapitals aufzustellen. Dies konnte aus der Sicht des Gesetzgebers aber nur durch entsprechende Vorschriften über die Aufstellung der Bilanz erreicht werden. Deshalb wurde für die Aktiengesellschaften Art. 217 ADHGB i.d.F.v. 1870 in Anlehnung an die bereits bestehende Regelung für Kommanditgesellschaften auf Aktien, wonach die ursprüngliche Einlage des Kommanditisten nicht verteilt werden durfte, dahingehend erweitert, dass nur das als Dividende ausgeschüttet werden durfte, was nach der Bilanzziehung als reiner Überschuss über die volle Einlage der Aktionäre verblieb.473 3.2.2.2

Präzisierung der Zeitwertbewertung (Art. 239a ADHGB)

Im Rahmen des Normativsystems legte der Gesetzgeber ausdrücklich Wert auf eine Klarstellung von erfahrungsgemäß besonders wichtigen Rechnungslegungsgrundsätzen.474 Insbesondere handelte es sich dabei auch um den Versuch, im Interesse der Gläubiger, die Bemessung der Dividendenhöhe zu regulieren. Aus diesem Grund wurden zur Präzisierung der allgemeinen Grundsätze nach Art. 31 470

471 472

473 474

Vgl. GOLDSCHMIDT, L. (1875), S. 137. Der Geltungsbereich der Vorschriften des ADHGB erlangte mit InKraft-Treten dieser Gesetze auch in den süddeutschen Staaten Baden, Südhessen und Württemberg zum 1. Januar 1871 Gültigkeit. In Bayern trat das Gesetz sodann mit Wirkung zum 13. Mai 1871 in Kraft. Damit verblieb als einzige Ausnahme im gesamten deutschen Reichsgebiet Elsass und Lothringen, auf dessen Gebiet das ADHGB nicht eingeführt wurde; vgl. MOLLE (1875), S. 4. Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1876), S. 38. Trotzdem räumte der Gesetzgeber durch den Fortfall der Staatsgenehmigung die Möglichkeit eines unmittelbaren Eintritts einer „Periode des Aktienschwindels“ ein; REICHSTAG DES NORDDEUTSCHEN BUNDES (1870b), S. 650. Vgl. dazu auch PERROT, F. (1873), S. VII–X; GOLDSCHMIDT, L. (1884), S. 13. Dabei war die Dotierung des Rücklagenkontos zu befolgen (wenn im Statut vorgesehen). Nach den Motiven handelte es sich dabei um Grundsätze, die bei Aufstellung der Bilanz zu beachten waren; vgl. REICHSTAG DES NORDDEUTSCHEN BUNDES (1870b), S. 657. Folglich durften sie im Statut nicht abgeändert werden; vgl. PUCHELT, E. S. (1874), S. 441.

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ADHGB mit Erlass des Art. 239a ADHGB zwei spezielle Bewertungsregeln für die aktienrechtliche Rechnungslegung hinzugefügt. In Nr. 1 war nunmehr die folgende Bestimmung festgesetzt: „kurshabende Papiere dürfen höchstens zu dem Kurswerthe, welchen dieselben zur Zeit der Bilanzaufstellung haben, angesetzt werden“.

Damit war zwar erstmals überhaupt eine einseitige und verbindliche Höchstbewertungsvorschrift festgeschrieben, aber weiterhin keine vollständige und konkrete Bewertungsregel im Gesetzestext verankert. Mit dieser Vorschrift wurden zwar einerseits die Möglichkeiten zur Bildung stiller Reserven begünstigt, andererseits wurde trotz der Beibehaltung der Möglichkeit zur Bewertung zum Zeitwert auf eine Übernahme der Verpflichtung zur Bildung einer obligatorischen Rücklage, wie des „Reservefonds“ (Rücklagenkonto) nach Nr. 45 der Zirkularverfügung von 1856, verzichtet.475 Nicht börsennotierte Wertpapiere unterlagen dagegen – in Analogie zum Wortlaut des Art. 239a ADHGB – nicht dieser Norm. Damit war für Wertpapiere, die nicht an einer Börse gehandelt wurden bzw. deren Notierung wegen Konkurses oder Liquidation aufgehoben war, eine offensichtliche Regelungslücke vorhanden.476 Die Motive führen zu diesen unsachgemäß sehr allgemein gehaltenen Bewertungsgrundsätzen nur knapp die Absicht des Gesetzgebers an, „im Interesse der Gläubiger Festsetzungen zu treffen, und dadurch der Tendenz, die Bilanz so einzurichten, daß hohe Dividenden vertheilt werden können, einigermaßen entgegenzuwirken.“477 Als ausreichenden Ausgleich dafür sah die Regierung die mit dieser Novelle erfolgte Einführung einer persönlichen Verantwortlichkeit der Gesellschaftsorgane an.478 Nach Art. 249 ADHGB i.d.F.v. 1870 sollten die Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats mit einer Gefängnisstrafe von maximal drei Monaten belegt werden, wenn von ihnen falsche Angaben gemacht wurden oder sie wissentlich den Stand der Gesellschaft unwahr darstellten oder verschleierten. Damit stand künftig nur vorsätzliches Vergehen unter Strafe, während der Tatbestand der Fahrlässigkeit nicht geahndet werden sollte.

475 476 477 478

Siehe hierzu Abschnitt 3.1.2.5. Vgl. STROMBECK, J. V. (1882), S. 474–475. REICHSTAG DES NORDDEUTSCHEN BUNDES (1870b), S. 657. Vgl. PENNDORF, B. (1966), S. 242–243.

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3.2.3

Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften von 1884

3.2.3.1

Entstehungsgeschichte

Im Gegensatz zur Zeit vor 1870, als eine Gewinnerzielung noch aus dem dauerhaften Betrieb eines neuen Geschäfts im Vordergrund stand, versuchten die an der Gründung beteiligten Personen ab etwa 1871 verstärkt Gewinne aus dem Gründungsvorgang selbst zu erzielen.479 Zudem waren mittlerweile die Gründer von Aktiengesellschaften im Gegensatz zu Gründern von Einzelunternehmen, die die Verantwortung und das Risiko für ihr zukünftiges Geschäft selbst trugen, immer öfter nur für den Vorgang der Errichtung, nicht aber für die tatsächliche Geschäftsführung zuständig.480 Die Vorgehensweise zur Erzielung eines Gründergewinns verlief immer nach dem gleichen Muster: Entweder wurde dem ehemaligen Besitzer von den Gründern ein bestehendes Unternehmen abgekauft481 und dann mit einem Zuschlag auf den Kaufpreis an die neue Aktiengesellschaft abgegeben oder der Vorbesitzer legte seine Unternehmung direkt zu überhöhten Preisen in die neue Gesellschaft ein, wobei sich dieser dann den Gewinn mit den Gründern teilte.482 Anschließend versuchte man ausreichend Aktionäre zur Subskription des statuierten Grundkapitals zu finden, um dann einen Gründergewinn in Höhe der Differenz zwischen tatsächlichem Ankaufspreis und Einlagenhöhe zu erzielen.483 Die Errichtung einer Aktiengesellschaft war zwar gemäß den Art. 209a bis 211 ADHGB i.d.F.v. 1870 an formelle Bedingungen geknüpft, die aber relativ leicht erfüllt werden konnten. So waren hauptsächlich ein Gesellschaftsvertrag (Statut) sowie eine konstituierende Generalversammlung vorgeschrieben, wobei in der Generalversammlung der Gesellschaftsvertrag des Unternehmens genehmigt werden musste.484 Um speziell die Interessen der Gründer durchsetzen zu können, wurde diese Generalversammlung sodann in vielen Fällen mit den Gründern selbst oder aber mit von ihnen eingesetzten „Strohmännern“ bzw. Gehilfen besetzt.485 Im Verlauf der ersten Generalversammlung wurden schließlich aus dem Kreis dieser Personen der Vorstand und der Aufsichtsrat gewählt, sodass diese Posten ebenfalls 479 480 481

482

483 484 485

Vgl. ENGEL, E. (1876), S. 9. Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1876), S. 34–35; REICHSTAG (1884a), S. 241. Zu diesem Zweck wurde des Öfteren auch ein Konsortium – z.B. unter Beteiligung von Banken – gebildet; vgl. MARCINOWSKI, F. (1876), S. 10. Vgl. GAREIS, C. (1874), S. 7–9; MARCINOWSKI, F. (1876), S. 11; PERROT, F. (1876), S. 132–133; DELBRÜCK, A. (1883), S. 4. Vgl. GAREIS, C. (1874), S. 9. Vgl. HECHT, C. (1884), S. 16–17. Vgl. GAREIS, C. (1874), S. 9; ENGEL, E. (1876), S. 82–83; OECHELHAEUSER, W. (1876), S. 119; PERROT, F. (1876), S. 115, 124 und 152–164; GEIGER, B. (1877), S. 36.

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leicht von den Gründern selbst oder alternativ von deren Gehilfen besetzt werden konnten.486 Nach Art. 209b ADHGB war für Einlagen, die nicht in barem Geld bestanden, der Wert der Einlage oder des Vermögenswerts im Gesellschaftsvertrag festzusetzen. Die Vorschriften zur Zeitwertbilanzierung nach Art. 31 ADHGB und Art. 239a ADHGB erstreckten sich jedoch nicht auf die Bewertung von Sacheinlagen. Da für Sacheinlagen auch kein anderer Wertmaßstab im Gesetz verankert war, konnten daher im Gesellschaftsvertrag Werte leicht in beliebiger Höhe angesetzt werden, die dann durch die Generalversammlung lediglich noch bestätigt werden mussten. Durch das Fehlen von verbindlichen Bewertungsvorschriften konnten die Kapitalgeber somit aus dem Inhalt des Gesellschaftsvertrags keine Kenntnis über die tatsächlich bezahlten Preise erlangen. Die gesetzlich vorgeschriebene Genehmigung des Gesellschaftsvertrags durch die Generalversammlung war sogar für den Fall, dass die Gründer zu Beginn sämtliche Aktien selbst übernahmen (Form der Simultangründung487) nicht notwendig.488 Für diesen in der Praxis sehr häufig auftretenden Fall war ein von den Gründern beliebig gewählter Bewertungsansatz für Sacheinlagen im Gesellschaftsvertrag noch leichter umsetzbar, weil dann eine Bestätigung durch die Generalversammlung nicht mehr eingeholt werden musste.489 Ein weiteres Motiv für eine Neuerrichtung im Verlauf der Gründerzeit lag zunehmend in der Vereinnahmung einer Agiotage als Ergebnis aus der Emission neuer Aktien über pari.490 Die Zukunftsperspektive der Unternehmen bzw. deren Möglichkeit zur Erfüllung der finanziellen Verbindlichkeiten waren dabei für die Gründerpersonen nicht im Mittelpunkt des Interesses. Auf diese Weise wurde die vom Konzessionszwang befreite Bildung von Aktiengesellschaften und ihre anschließende Einführung an den Börsen zu einem neuen, der Spekulation unterliegenden Geschäftszweig.491 Auch ältere, bislang solide Traditionsunternehmen wurden in dieser Zeit häufig zur Erzielung von Agiogewinnen an die Börse gebracht oder mit zusätzlichem Geschäftskapital versehen, um neue Aktien mit Aufschlägen an der Börse platzieren zu können. Um den Ausgabekurs in die gewünschte Höhe zu treiben und damit den Agiogewinn zu maximieren, bedienten sich die Gründer auch vielfach des Instruments 486 487

488 489 490

491

Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1878), S. 52–53. Bei der Sukzessivgründung wird, im Unterschied zur Simultangründung, das Grundkapital nach und nach, teils von den Gründern und teils von Dritten, gezeichnet; vgl. DELBRÜCK, A. (1883), S. 9. Vgl. HECHT, C. (1884), S. 16. Vgl. DELBRÜCK, A. (1883), S. 9. Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1876), S. 34; PERROT, F. (1876), S. 115; STROMBECK, J. V. (1878), S. 21; WIRTH, M. (1890), S. 29. Vgl. PERROT, F. (1876), S. 114–115; DELBRÜCK, A. (1883), S. 16.

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der Scheinabschlüsse. Durch vorgespielte Nachfrage an der Börse wurde der Kurs immer höher getrieben, bis schließlich fremde Aktionäre einstiegen, die von den vermeintlichen Kursanstiegen angelockt wurden und hiervon ebenfalls profitieren wollten.492 Als weiteres Hilfsmittel für diese künstliche Kurstreiberei benutzten die Gründer falsche Wertangaben, die sowohl in den Prospekten als auch in den veröffentlichten Bilanzen eingesetzt wurden. Oftmals errechneten die Gründer aus den Bilanzen künstliche, fiktive Gewinne, die dann als Dividende ausgeschüttet wurden. Daher erwirtschaften viele Unternehmen in den ersten Geschäftsjahren zwar bilanzmäßig einen Gewinn, der aber nur als Lockmittel für neue Aktionäre diente und nicht tatsächlich – zumindest nicht der Großteil – zur Verteilung gelangte. Die Dividenden wurden in vielen Fällen nämlich an die Gründer selbst abgeführt, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch im Besitz sämtlicher oder immerhin der Mehrheit der Anteile waren. Neben der vielfach bewussten (d.h. betrügerisch motivierten) oder unbewussten, unsoliden Gründungstätigkeit war also auch eine missbräuchliche Bilanzaufstellung typisch für die Gründerzeit.493 Die darauf zurückzuführende beliebige Berechnung von Dividenden und daraus abgeleitet die Tantiemenbemessung wurden zu einem Hauptmerkmal der Gründerzeit.494 Die sehr allgemein gehaltenen Grundsätze in der Bewertungsvorschrift nach Art. 31 ADHGB und auch der nur unzureichende Art. 239a ADHGB konnten leicht zur Erstellung beliebiger Bilanzen missbraucht werden. Die Ermittlung eines verteilungsfähigen Gewinns erfolgte zum einen durch zu hohe Bewertung der Vermögenswerte und zum anderen durch Verschweigen von Minderwerten, die z.B. durch unterlassene Instandhaltung entstanden.495 Die Verstöße, die im Zuge der unsachgemäßen Vorgänge bei der Gründung und bei der Ermittlung beliebiger Dividenden auftraten, waren aber v.a. deshalb möglich, weil das Gesetz gegen derartige Manipulationen keine wirkungsvollen Schutzmechanismen bot. Die Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten der Organe waren zu schwach ausgelegt. Auch der strafrechtlichen Verantwortung des Vorstands und der Aufsichtsräte kam bis dahin im Gesetz zu wenig Bedeutung zu. Dem Vorstand drohten nach Art. 249 ADHGB i.d.F.v. 1870 zwar strafrechtliche Konsequenzen, die allerdings nur bei wissentlich begangenen Fehlhandlungen Bedeutung erlangten. Das Strafmaß war darüber hinaus im Verhältnis zu den Schädigungen vergleichsweise gering. Des Weiteren war der Vorstand zwar zivilrechtlich für den entstandenen Schaden verantwortlich, doch in vielen Fällen, wie v.a. der absichtlichen Verteilung zu hoher Dividenden, konnte kein konkreter 492 493 494 495

Vgl. GLAGAU, O. (1876), S. 58; HECHT, C. (1884), S. 19. Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1876), S. 43; GEIGER, B. (1877), S. 1. Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1878), S. 79. Vgl. STROMBECK, J. V. (1878), S. 24.

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Schaden nachgewiesen werden. Die Dividenden wurden nämlich planmäßig an die Aktionäre ausbezahlt, was aus damaliger Sicht der Anteilseigner nur eine irrelevante Schädigung des Unternehmens zur Folge hatte.496 Häufig waren zudem die beiden Kontrollorgane Aufsichtsrat und Generalversammlung bei ihrer Arbeit entweder überfordert oder von den Gründern mit Gleichgesinnten bzw. Statisten besetzt.497 Die Gründer stießen bei ihren Vorhaben zudem auf eine besonders ausgeprägte „Gewinnsucht“498 und Leichtgläubigkeit des Publikums.499 Deutlich wurde dies v.a. durch die ungehemmte Zeichnung der während der Gründerzeit emittierten Aktien, ohne dass die Anleger die Rentabilitätsaussichten der Unternehmen vorab eingehend prüften.500 Gefördert wurde dies jedoch auch in starkem Maße zum einen durch die Presse, die sich nicht allzu kritisch verhielt,501 und zum anderen durch die Banken, die versuchten sämtliche Gründungen – ungeachtet der Solidität des neuen Unternehmens – an die Börse und damit unter das Publikum zu bringen. In den zahlreich vorhandenen bzw. während der Gründerjahre vielfach neu aufkommenden Börsenzeitungen ließen die Gründer darüber hinaus häufig Prospekte, die eine Aufforderung zur Subskription enthielten, oder Inserate abdrucken.502 Darin wurden i.d.R. sehr hohe Dividenden versprochen sowie besonders optimistische Geschäftsprognosen abgegeben.503 Dennoch war im Allgemeinen die Tatsache bekannt, dass die bei Gründung eingesetzten Werte, beispielsweise die Grundstückspreise der Baugesellschaften, um ein Vielfaches die noch wenige Wochen zuvor an die ursprünglichen Besitzer bezahlten Preise überstiegen.504 Als Reaktion auf die Epoche des Gründerschwindels und auf die immensen Kursverluste an den Börsenplätzen Deutschlands und Österreichs kam es vielerorts zu sog. Gründerprozessen. Dabei versuchte die Justiz nicht nur die Gründer und die ersten Zeichner, sondern auch die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder für 496 497

498 499

500 501 502 503

504

Unter der Prämisse, dass keine Gläubiger betroffen waren. Vgl. DELBRÜCK, A. (1883), S. 25. Beispielhaft sei ein Fall erwähnt, demzufolge ein ehemaliger Gründer zugleich 50 Aufsichtsratsmandate besetzte und diese Tätigkeit schließlich berufsmäßig betrieb; vgl. DEUTSCHER REICHSTAG (1873), S. 220. Viele Aufsichtsratsposten wurden dabei nach Bekanntheitsgrad oder Ansehen einer Person und nicht nach ihren Fachkenntnissen vergeben, die dann mit großen Tantiemeversprechungen angelockt wurden. Die eigentlichen Aufgaben der Überwachung traten oft in den Hintergrund oder aber die Personen hatten nicht die nötige Sachkenntnis bzw. hatten keine Kenntnis von ihren konkreten gesetzlichen Pflichten. DEUTSCHER REICHSTAG (1873), S. 230. Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1878), S. 35; WIRTH, M. (1890), S. 509. Gareis charakterisierte dies wie folgt: „Gedankenlosigkeit, blindes Annehmen von Zusicherungen jeder Art, selbst des Unmöglichen“; GAREIS, C. (1874), S. 52. Vgl. GEIGER, B. (1877), S. 6. Vgl. PERROT, F. (1873), S. 110. Vgl. GAREIS, C. (1874), S. 10. Vgl. MARCINOWSKI, F. (1876), S. 10–11. Rentabilitätsrechnungen mit mehrjährigen Gewinnen über 10% waren keine Seltenheit; vgl. GÖMMEL, R. (1992), S. 153. Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1876), S. 94.

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Gesetzesverletzungen nach Art. 249 ADHGB i.d.F.v. 1870 strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.505 Zudem gab es zahlreiche Bestrebungen die an unsoliden Gründungen beteiligten Personen zivilrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.506 Im Verlauf der Prozesswelle tauchten viele Detailfragen auf, die größtenteils auch wissenschaftlich behandelt wurden.507 Die Mehrzahl der Streitpunkte wurde jedoch durch Urteile der obersten Gerichtshöfe entschieden und damit beseitigt. Zweifellos verschafften sich viele Personen durch unsolide Gründungen von Aktiengesellschaften Vorteile, dennoch war diesen in der Zeit kurz nach Ausbruch der Krise in den meisten Fällen kein konkreter Betrug nachzuweisen. Als das Berliner Obertribunal Mitte 1874 das Urteil fällte, wonach beim Verkauf eines Geschäfts, Unternehmens etc. kein höherer Preis angegeben werden durfte als der in Wirklichkeit an den Vorbesitzer bezahlte,508 änderte sich die Situation für die Gründer grundlegend.509 Wurde bei einer Gründung gegen diesen Grundsatz verstoßen, so handelte es sich demnach um eine unrichtige Angabe und war fortan als Betrug zu ahnden. Das Schöffengericht in Freiburg z.B. verurteilte daraufhin 1875 das Gründerkonsortium der Pirnaer Bank zu mehreren Jahren Gefängnisstrafe. Das Gericht sah den Tatbestand des Betrugs als erwiesen an, weil bei der Überlassung eines Geschäfts an die Aktiengesellschaft ein Preis von nahezu 100 000 Taler gezahlt wurde, obwohl der damalige Zeitwert der übernommenen Aktiva nur um 4 000 Taler höher als der Wert der Passiva war.510 Als der rheinische Senat des früheren Obertribunals 1878 den Bankrottprozess der Rheinischen Effektenbank bearbeitete, stellte sich heraus, dass die von Vorstand und Aufsichtsräten in den Generalversammlungen abgegebenen Berichte in beträchtlichem Maße die Wahrheit verschleierten bzw. unterdrückten.511 Während zwar sämtliche Vorstände verurteilt wurden, konnte den Aufsichtsräten keine vorsätzliche Verletzung ihrer Aufsichtspflicht nachgewiesen werden. Somit wurde in diesem und in zahlreichen weiteren Prozessen offensichtlich, dass das bestehende Handels- bzw. Aktienrecht auch bei Fahrlässigkeit strengere strafrechtliche Bestimmungen enthalten müsse.512 In den folgenden Jahren fanden noch zahlreiche weitere Gründerprozesse statt, die in der Mehrzahl der Fälle Betrug oder betrügerischen Bankrott i.V.m. der Gründung einer Aktiengesellschaft als Tat505 506 507 508 509 510 511 512

Vgl. GEIGER, B. (1877), S. 4. Vgl. GEIGER, B. (1877), S. 4; GOLDSCHMIDT, L. (1884), S. 23. Vgl. GEIGER, B. (1877), S. 4. Vgl. KÖNIGLICHES OBERTRIBUNAL (1874), S. 88–91. Vgl. O.V. (1874a), S. 473. Vgl. dazu auch PERROT, F. (1876), S. 140–143. Vgl. O.V. (1875a), S. 725. Vgl. KÖNIGLICHES OBERTRIBUNAL (1877), S. 371–390. Vgl. REICHSTAG (1884b), S. 211.

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bestand hatten. Es handelte sich vornehmlich um zu hoch taxierte Sacheinlagen, Scheinzeichnungen und Verschleierungen bzgl. der tatsächlich geleisteten Einzahlungen auf das Grundkapital. Bei vielen mit der Gründung unsolider Gesellschaften in Verbindung gebrachten Handlungen war allerdings kein konkreter zivil- oder strafrechtlicher Verstoß gegen die Bestimmungen des ADHGB nachzuweisen, und so mussten viele Prozesse zum Unmut der Öffentlichkeit mit Freispruch enden.513 Damit war das Vertrauen der Anleger in die Rechtsform der Aktiengesellschaft über lange Zeit nachhaltig erschüttert514 oder wie es der Abgeordnete Büsing ausdrückte „das ehrenvolle Wort ‚Gründer’ zu einem Schimpfwort geworden“515. Die ersten Initiativen zu einer fundamentalen Reform des Aktienrechts begannen schon kurze Zeit nach dem Erlass der Aktiennovelle von 1870. Der Reichstagsabgeordnete Lasker machte erstmals am 17. April 1872 im Reichstag auf die betrügerischen Vorgänge bei der Gründung von Aktiengesellschaften aufmerksam, was aber bei den anderen Abgeordneten auf wenig Anklang stieß.516 Dies lag insbesondere auch daran, dass vielfach Abgeordnete selbst an Gründungsaktivitäten aktiv beteiligt waren.517 Am 27. März 1873 richtete wiederum Lasker – inzwischen unterstützt von Mitgliedern verschiedener Parteien – eine Interpellation an den Reichskanzler. Die darin enthaltenen Fragen bezogen sich darauf, ob die Reichsregierung Erkenntnis von den Missbräuchen bei Gründung und Verwaltung von Aktiengesellschaften erlangt habe und ob sie beabsichtige, darauf durch eine Reform des Aktienrechts zu reagieren. In Beantwortung der Interpellation befürwortete der Präsident des Reichskanzleramts Delbrück ein legislatorisches Eingreifen, wobei zuvor in den Bundesstaaten Erhebungen in Bezug auf die mit der Aktiengesetzgebung gemachten Erfahrungen durchzuführen seien.518 Durch die zunehmende Anzahl an Missbrauchsfällen im Gründungswesen kam also bereits wenige Jahre nach In-Kraft-Treten des Gesetzes die Forderung nach einer grundlegenden Aktienrechtsreform auf. Die viel beachtete Eisenacher Versammlung zur Besprechung der sozialen Frage vom 6. und 7. Oktober 1872 führte zur Bildung eines Vereins für Sozialpolitik. Die Erörterung des Aktiengesellschaftswesens war bei den Verhandlungen am 12. und 13. Oktober 1873 ein we513 514 515 516 517

518

Vgl. REICHSTAG (1884b), S. 213. Vgl. REICHSTAG (1884a), S. 237. REICHSTAG (1884b), S. 209. Vgl. GLAGAU, O. (1876), S. 240. Eine Auflistung der zahlreichen an Gründungen beteiligten preußischen Abgeordneten ist bei Glagau abgedruckt; vgl. GLAGAU, O. (1877), S. 497–519. Vgl. DEUTSCHER REICHSTAG (1873), S. 224.

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sentlicher Gegenstand.519 Die Resolutionen des Kongresses des Vereins für Sozialpolitik, die auf den drei Gutachten von Wiener, Goldschmidt und Behrend basierten,520 bestanden in der Forderung nach einer Einengung des Gebiets der Aktiengesellschaften sowie in der Revision der bestehenden aktienrechtlichen Gesetzgebung. Die erste Forderung sollte durch den Ersatz bestimmter bestehender privater Aktiengesellschaften durch öffentliche Unternehmungen, wie z.B. des Staats, erfüllt werden, während die zweite Resolution in erster Linie Grundsätze enthielt, die zur Erhöhung der Öffentlichkeit und Verantwortlichkeit der Geschäftsführung sowie der Organe beitragen sollten.521 Insbesondere die zweite Resolution deckte sich im Wesentlichen auch mit den Beschlüssen des 11. Deutschen Juristentags vom 29. und 30. August 1873522 und mit den Bestimmungen im Gutachten der Ältesten der Berliner Kaufmannschaft,523 die ebenfalls eine größere Transparenz sowie eine Prospekthaftung forderten.524 Der Missbrauch bei der Vergabe staatlicher Konzessionen für Eisenbahngesellschaften war der Auslöser für die Errichtung der Preußischen Spezialkommission zur Untersuchung des Eisenbahnkonzessionswesens im Jahr 1873.525 Auf diese Umstände machte erstmals Lasker am 7. Februar 1873 in seinen von der Öffentlichkeit national wie international526 viel beachteten sog. „Enthüllungen“ aufmerksam.527 Die Ausführungen von Lasker betrafen vornehmlich die Missbräuche, die im Zuge des Gründungsvorgangs bei Eisenbahnunternehmen auftraten.528 Noch vor Abschluss der Erfahrungsberichte dieser Spezialkommission begannen die Vorarbeiten zu einem Bürgerlichen Gesetzbuch, die auch eine allgemeine Revision des Handelsgesetzbuchs einschließen sollten. Daher beschloss der Bundesrat am 22. Juni 1874 eine Verbindung der Reform des Aktienrechts mit der Reform des gesamten Handelsgesetzbuchs.529 Mehrere Bundesregierungen waren der Ansicht, eine Gesetzesbestimmung einzuführen, die bei Übernahme von Anlagen oder sonstigen Vermögenswerten durch die neu zu errichtende Gesellschaft sowie

519 520 521 522 523 524

525

526

527 528 529

Vgl. GAREIS, C. (1874), S. 38; VEREIN FÜR SOCIALPOLITIK (1874), S. 199. Vgl. WIENER, H. W./GOLDSCHMIDT, L./BEHREND, J. F. (1873). Vgl. kritisch GEIGER, B. (1877), S. 8–10. Vgl. VEREIN FÜR SOCIALPOLITIK (1874), S. 148–149. Vgl. GAREIS, C. (1874), S. 45. Vgl. MARCINOWSKI, F. (1876), S. 11–12. Die Gründer sollten z.B. zur Mitteilung der wichtigsten Angaben im Prospekt verpflichtet werden und für durch den Prospekt verursachte Täuschung solidarisch haftbar sein; vgl. GEIGER, B. (1877), S. 8. Zur Vorgeschichte und zum Hintergrund vgl. SPEZIALKOMMISSION ZUR UNTERSUCHUNG DES EISENBAHNKONZESSIONSWESENS (1874), S. 1–2. Auch in Österreich fanden die „Enthüllungen“ von Lasker große Beachtung; vgl. O.V. (1873a), S. 129. Vgl. dazu auch PERROT, F. (1873), S. 106. Vgl. PREUßISCHES HAUS DER ABGEORDNETEN (1873), S. 934–951. Vgl. dazu auch O.V. (1873b), S. 123. Vgl. BUNDESRATH DES DEUTSCHEN REICHS (1874), S. 230.

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bei Sacheinlagen die Angabe der Kaufpreise und soweit möglich auch der reellen Werte vorschreibe.530 Einen neuerlichen Anlauf unternahm das preußische Abgeordnetenhaus infolge der 1876 stattfindenden Beratungen über den Bericht der Spezialkommission zur Untersuchung des Eisenbahnkonzessionswesens.531 Auf Basis des von den Abgeordneten Köller und Lasker angestoßenen Antrags zu dem Bericht der Spezialkommission entschied das Haus der Abgeordneten in der Sitzung vom 29. März 1876 die Staatsregierung aufzufordern, baldmöglichst eine Überarbeitung des Aktiengesetzes vorzunehmen.532 Demgemäß stellte die preußische Regierung am 17. November 1876 einen Antrag an den Bundesrat zum Erlass eines Gesetzes gegen die Missstände im Aktienwesen. Beigefügt war eine Denkschrift, die die Verstöße bei Gründung und Verwaltung von Aktiengesellschaften darlegte und Vorschläge zur künftigen Vermeidung dieser Erscheinungen machte.533 Der Bundesrat beschloss daraufhin am 13. März 1877, den Reichskanzler zu ersuchen, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten, der unabhängig von der Revision des Handelsgesetzbuchs sei.534 Trotz dieser ständigen Bemühungen der preußischen Regierung dauerte es noch mehrere Jahre, bis die seit langem erwartete Revision des Aktienrechts vollendet wurde.535 Als Begründung für die Verzögerung wurde von der Reichsregierung angeführt, dass mit einer Wiederholung der Ereignisse der Gründerzeit in Anbetracht der gemachten Erfahrungen nicht zu rechnen sei.536 Um ferner eine Überstürzung bei der Gesetzesausarbeitung, wie in den Beratungen zu der Novelle von 1870 geschehen, zu verhindern, wurden vor dieser Reform umfangreiche Vorarbeiten sowie internationale Vergleiche der bestehenden Aktiengesetzgebungen durchgeführt.537 Diese Vorarbeiten ergaben für die Gründerperiode von 1870 bis 1873 ein „düsteres Bild von einem schwindelhaften Emporschießen der Aktienunternehmungen und ihrem unaufhaltsamen Zusammensturz.“538 530 531 532 533

534

535 536

537 538

Vgl. O.V. (1875b), S. 573. Vgl. VÖLDERNDORFF, O. V. (1885), S. 22. Vgl. PREUßISCHES HAUS DER ABGEORDNETEN (1876), S. 915. U.a. wurde ein fehlender Bewertungsmaßstab für Sacheinlagen bemängelt; vgl. BUNDESRATH DES DEUTSCHEN REICHS (1876), S. 9–10. Zum Inhalt der Denkschrift vgl. kritisch GEIGER, B. (1877), S. 16–46; LADENBURG (1878), S. 191–226. Vgl. BUNDESRATH DES DEUTSCHEN REICHS (1877), S. 69. Vgl. dazu auch KAYSER, P. (1884), S. 1. Auch in Wirtschaftskreisen, der Presse und in der Literatur wurde eine Überarbeitung der bestehenden Aktiengesetzgebung als dringend notwendig erachtet und die Bestrebungen dazu positiv aufgenommen; vgl. OECHELHAEUSER, W. (1877), S. 763. Vgl. GOLDSCHMIDT, L. (1884), S. 5. Zudem wollte man eine Beruhigung der allgemeinen wirtschaftlichen Situation abwarten, infolgedessen das Vertrauen in die Rechtsform der Aktiengesellschaft zurückkehren sollte; vgl. REICHSTAG (1884a), S. 236. Vgl. REICHSTAG (1884a), S. 237. REICHSTAG (1884a), S. 240.

122

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Im März 1882 wurde schließlich ein vom Reichsjustizamt erstellter Entwurf einer Kommission von Sachverständigen zur Begutachtung übergeben, der nach umfangreicher Überarbeitung am 7. September 1883 in den Bundesrat eingebracht wurde.539 Nach mehrfachen Abänderungen als Folge der Beratungen des Bundesrats wurde am 7. März 1884 dem Reichstag mit dem „Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften“ ein zweiter Entwurf vorgelegt. Nach einer abermaligen Begutachtung durch eine vom Reichstag in Auftrag gegebene Kommission wurde der von der Kommission überarbeitete Entwurf schließlich in der dritten Beratung im Reichstag am 23. Juni 1884 angenommen und am 18. Juli 1884 als Gesetz verkündet.540 3.2.3.2

Abschaffung der ausschließlichen Zeitwertbewertung für Aktiengesellschaften

Das „Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften“ vollendete den in Bezug auf die Bewertungsfrage der Novelle von 1870 zugrunde liegenden Gedankengang. Die Bewertungsregel für Aktiengesellschaften wurde durch Art. 185a ADHGB für Kommanditgesellschaften auf Aktien geändert, der über Art. 239b ADHGB auch uneingeschränkt bei Aktiengesellschaften Anwendung fand.541 Die neue Bewertungsvorschrift entsprach damit schon größtenteils der heutigen Fassung des § 253 HGB. Nach der neuen Vorschrift durften alle Vermögenswerte höchstens zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten bilanziert werden. Der Zeitwert fand nur noch dann Eingang in die Bilanz, wenn er unterhalb der Anschaffungs- oder Herstellungskosten lag. Somit wurde das Prinzip der einseitigen Höchstgrenze bzw. das Niederstwertprinzip aufgegriffen. Als Spezialfall hierzu war der Anschaffungswert jedoch bei Anlagen, die dauernd dem Geschäftsbetrieb dienten und daher nicht zur Weiterveräußerung bestimmt waren, sogar ohne Rücksicht auf einen niedrigeren Wert anzusetzen, sofern ein der Abnutzung gleichkommender Betrag abgezogen wurde.542 Damit beabsichtigte der Gesetzgeber eine Ausschüt539 540 541

542

Vgl. KAYSER, P. (1884), S. 1; VÖLDERNDORFF, O. V. (1885), S. 23. Vgl. KAYSER, P. (1884), S. 2; VÖLDERNDORFF, O. V. (1885), S. 25. Der Wortlaut der neuen Bewertungsvorschrift gemäß Art. 185a Nr. 1 ADHGB ist wie folgt: „Werthpapiere und Waaren, welche einen Börsen- oder Marktpreis haben, dürfen höchstens zu dem Börsen- oder Marktpreise zur Zeit der Bilanzaufstellung, sofern dieser jedoch den Anschaffungs- oder Herstellungspreis übersteigt, höchstens zu letzterem angesetzt werden“. Gemäß Art. 185a Nr. 2 ADHGB sind alle anderen Vermögensgegenstände „höchstens zu dem Anschaffungs- oder Herstellungspreise anzusetzen“. Die zugehörige Vorschrift gemäß Art. 185a Nr. 3 ADHGB lautet: „Anlagen und sonstige Gegenstände, welche nicht zu Weiterveräußerung, vielmehr dauernd zum Geschäftsbetriebe der Gesellschaft bestimmt sind, dürfen ohne Rücksicht auf einen geringeren Werth zu dem Anschaffungs- oder Herstellungspreise angesetzt werden, sofern ein der Abnutzung gleichkommender Betrag in Abzug gebracht […] wird“.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

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tung des nominellen, aber tatsächlich noch nicht vorhandenen Reingewinns zu verhindern, wodurch das Grundkapital der Unternehmen vor dem Zugriff durch die Aktionäre geschützt werden sollte.543 Diese Vorschrift bedeutete demzufolge im Aktienrecht das Ende der ausschließlichen Zeitwertbilanzierung in Deutschland, indem sie auf den Anschaffungswert, wie schon von Savary und im ALR postuliert, zurückkehrte. Die Vorschrift des Art. 185a ADHGB mit dem Wortlaut in Nr. 2 „höchstens zu dem Anschaffungsoder Herstellungspreise“ förderte nunmehr wieder die willkürliche Bildung stiller Reserven durch die Vornahme gezielter Unterbewertungen. Im Falle des Vorliegens höherer Zeitwerte, wie z.B. von Börsenkursen für Wertpapierbestände, war die Minderbewertung sogar gesetzlich vorgeschrieben. Die neue Bestimmung des Art. 185a ADHGB war jedoch nicht allgemein gültig, sondern auf den Kreis der Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien beschränkt, weil der Gesetzgeber das Grundkapital als Haftungskapital gegenüber den Gläubigern bei einer Verteilung unrealisierter Gewinne für gefährdet erachtete.544 So verkünden etwa die Motive: „Als leitenden Grundsatz stellt der Entwurf im Anschluß an Artikel 31 des Handelsgesetzbuchs die Bestimmung auf, daß alle Vermögensstücke zum gemeinen Werthe zur Zeit der Bilanzaufstellung, jedoch nicht höher als zu dem Anschaffungs- oder Herstellungspreise anzusetzen sind“545.

Damit wurde der Begriff „gemeiner Wert“ zum grundsätzlichen Bewertungsmaßstab erklärt, der nur im Bereich des Aktienrechts durch die Bilanzierung zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten eine Ausnahme gestattete.546 Der gemeine Wert erlangte durch obige Formulierung in der Begründung zur Aktienrechtsnovelle ab diesem Zeitpunkt auch außerhalb des Aktienrechts große Gewichtung.547 Die Maßgeblichkeit der Anschaffungs- oder Herstellungskosten wurde nunmehr außerdem auf den Art. 209b ADHGB i.d.F.v. 1884 für die Schätzung von (Sach-) Einlagen und Übernahmen ausgedehnt, damit, wie die Motive anführen, der „wirkliche Erwerbspreis die nicht zu überschreitende Grenze darstellt.“548 Damit wurde diese folgenschwere gesetzliche Regelungslücke schlussendlich beseitigt.

543 544 545 546 547 548

Vgl. REICHSTAG (1884a), S. 303. Vgl. REICHSTAG (1884a), S. 303. REICHSTAG (1884a), S. 303. Hervorhebungen im Original gesperrt. Vgl. VÖLDERNDORFF, O. V. (1885), S. 688. Insbesondere im Steuerrecht; vgl. LION, M. (1923), S. 79–84. Siehe hierzu Anschnitt 3.3. REICHSTAG (1884a), S. 303.

124

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Trotz der vereinzelten Ansichten, wonach die Aktiengesellschaft gegenüber dem Privatgewerbe die nachteilige Rechtsform sei,549 war die mehrheitliche Auffassung, die Rechtsform der Aktiengesellschaft weder beseitigen noch allzu sehr einengen zu wollen.550 Jedoch wurden im Vorfeld der Aktienrechtsnovelle weitere Reformschritte, wie z.B. die Ausweitung der Öffentlichkeit der Geschäftsführung sowie eine größere Verantwortlichkeit der Vorstände und Aufsichtsräte durch schärfere strafrechtliche Vorschriften, gefordert. Darüber hinaus sollte das bestehende Normativsystem um vorbeugende Garantien in Form von Grundsätzen ergänzt werden, um die Gefahr von unsoliden Gründungen zu minimieren. Der Gesetzgeber versuchte dieses Ziel zu erreichen, indem er vorsichtigere und konkretere Bestimmungen verabschiedete. Deutlich wurde diese Absicht bei der bereits oben erwähnten Einführung der Vorschriften zur Höchstbewertung zu Anschaffungswerten i.V.m. dem vom Vorsichtsprinzip dominierten Niederstwertprinzip (Art. 239b i.V.m. Art. 185a ADHGB) sowie die Angabe der Anschaffungswerte bei Einlagen, die nicht in barem Geld bestanden (Art. 209b und g ADHGB i.d.F.v. 1884). Zusätzlich sollte das Ziel der Vorbeugung von Missbrauch durch andere neue Gesetzesvorschriften erfüllt werden, von denen die wichtigsten Neuerungen nachfolgend aufgeführt sind: •

Erhöhung des Nominalbetrags einer Aktie auf 1 000 Mark sowie Abschaffung der Inhaberaktie (Art. 207a ADHGB i.d.F.v. 1884). Zweck dieser Regelung sollte die Abhaltung der Kleinanleger von einer Beteiligung bzw. die Förderung der Informationsbeschaffung potentieller Kapitalgeber sein.551



Einzahlung von mindestens 25% des Grundkapitals als Voraussetzung zur Konstituierung (Art. 210 Abs. 3 ADHGB i.d.F.v. 1884).



Erweiterung der Individualrechte von Aktionären. Das Stimmrecht konnte selbst beim Besitz von nur einer Aktie nicht mehr entzogen werden. Einer Minorität mit einem Aktienbesitz von mindestens 10% des Grundkapitals stand das Recht zu, die Vorgänge bei Gründung, Geschäftsführung und Liquidation von gerichtlich bestellten Revisoren prüfen zu lassen (Art. 222a Abs. 1 ADHGB). Bei einem Aktienbesitz von mindestens 20% des Grundkapitals konnten eventuelle Ansprüche der Gesellschaft aus der Gründung und Geschäftsführung gegen die Emissionshäuser, Vorstandsmitglieder und Aufsichtsräte geltend gemacht werden (Art. 223 Abs. 1 ADHGB i.d.F.v. 1884).

549

550 551

So bezeichnet Oechelhaeuser die Form der Aktiengesellschaft als wirtschaftlich inferior gegenüber dem Privatgewerbe; vgl. OECHELHAEUSER, W. (1878), S. 4–5. Ähnlich auch die Ausführungen des Abgeordneten Bamberger im deutschen Reichstag am 24. März 1884: „[…] die Erbsünde der Sache liegt in der ganzen Natur der Aktiengesellschaften“ bzw. weiter unten „die Aktiengesellschaft [ist] nur als ein nothwendiges Uebel anzusehen“; REICHSTAG (1884b), S. 214. Vgl. WAGON, E. (1903), S. 4. Vgl. KOMMISSION (1884), S. 1009–1011.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert



125

Verschärfung der Haftung beim Gründungsvorgang. Demgemäß sollten die Gründer solidarisch für die von ihnen abgegebenen Angaben zur Gründung haften. Zudem wurde die Verantwortlichkeit der Vorstände und Aufsichtsräte ausgeweitet, wenn im Zeitpunkt der Gründung die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns verletzt wurde (Art. 226 ADHGB i.d.F.v. 1884). Damit trat die Schadensersatzpflicht nicht nur bei betrügerischem, sondern auch bei versehentlichem Handeln ein.552

3.2.4

Handelsgesetzbuch von 1897

3.2.4.1

Entstehungsgeschichte

Im Jahr 1897 wurde im Zusammenhang mit der Reform des allgemeinen bürgerlichen Rechts auch eine Neuredaktion des Handelsgesetzbuchs durchgeführt.553 Diese Revision der bestehenden Vorschriften des ADHGB wurde noch vor Fertigstellung des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Jahr 1896 in Angriff genommen. Der erste Entwurf des Reichsjustizamts von 1895 wurde zur Begutachtung an eine Kommission, bestehend aus Juristen, Kaufleuten und Industriellen, übergeben.554 Die unter Beachtung der Kommissionsvorschläge überarbeitete Fassung wurde 1896 als „Entwurf eines Handelsgesetzbuchs und Entwurf eines Einführungsgesetzes“ veröffentlicht. Als Motive führt die Denkschrift an, dass zum einen die Vorschriften des Handelsrechts mit dem Inhalt des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Einklang zu bringen und zum anderen die in den vergangenen dreißig Jahren auf dem Gebiet des Handelsrechts gemachten Erfahrungen einzuarbeiten seien.555 Dieser zwischenzeitlich in einigen Punkten überarbeitete Entwurf wurde sodann vom Reichstag einstimmig angenommen und am 10. Mai 1897 unter dem Titel „Handelsgesetzbuch“ von Kaiser Wilhelm II. verordnet. Mit Wirkung zum 1. Januar 1900 trat das neue Handelsrecht in Kraft.556 3.2.4.2

Bestätigung der Zeitwertbewertung für Nichtaktiengesellschaften (§ 40 HGB)

Die Bewertungsnorm des ehemaligen Art. 31 ADHGB wurde hinsichtlich des Ansatzes zum beizulegenden Wert nicht verändert. Jedoch unterlagen nach § 40 Abs. 2 HGB i.d.F.v. 1897 nun auch explizit die Schulden dieser Bewertungsvor552 553 554 555 556

Vgl. DELBRÜCK, A. (1883), S. 15. Vgl. COSACK, K. (1895), S. 11. Vgl. REHME, P. (1914), S. 254; COSACK, K. (1923), S. 10. Vgl. REICHSTAG (1897), S. 1. Vgl. PENNDORF, B. (1966), S. 237.

126

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

schrift.557 Eine weitere Neuerung war die Regelung des § 39 Abs. 2 HGB i.d.F.v. 1897, wonach für den Bewertungszeitpunkt nicht mehr der Tag der Inventur- bzw. der Bilanzaufnahme maßgeblich war, sondern der Bilanzstichtag, d.h. der Tag „für welchen die Aufstellung stattfindet.“558 Von einer Ausdehnung der aktienrechtlichen Sondervorschriften des Art. 239b i.V.m. Art. 185a ADHGB auf andere Handelsgesellschaften und Einzelkaufleute sah der Gesetzgeber allerdings weiterhin ab. In der Denkschrift wurde dies damit begründet, dass für solche Unternehmen die Verfügung über das Geschäftskapital im Allgemeinen nicht beschränkt sei und ferner kein Dividendenrecht wie bei Aktiengesellschaften bestehe.559 Das Wesen der Aktiengesellschaft bedinge daher eine Verhinderung der Ausschüttung nicht realisierter Gewinne. Darüber hinaus verneinte die Denkschrift in Bezug auf § 39 HGB i.d.F.v. 1897 ohnehin die grundsätzliche Verpflichtung zum Ansatz des Zeitwerts. Vielmehr solle unter Verweis auf die gängige Praxis das vernünftige Ermessen bei der Bewertung ausschlaggebend sein.560 Für Aktiengesellschaften wurde der Wortlaut des Art. 185a ADHGB nur hinsichtlich des Bewertungszeitpunkts abgeändert, sodass der übrige Text als neuer § 261 HGB i.d.F.v. 1897 unverändert übernommen wurde. Die durch eine gezielte Unterbewertung des Anlagevermögens mögliche Bildung stiller Reserven war nach der Denkschrift nicht nur zulässig, sondern ausdrücklich erwünscht, denn sie „dient nur zur Stärkung der wirthschaftlichen Grundlagen des Geschäftsbetriebes“561. Diese Politik wurde als besonders vorsichtig und stark am Gläubigerschutz orientiert betrachtet; allerdings war damit auch der Beginn einer Zeit der willkürlichen Unterbewertung und Gewinnverschleierung verbunden.562 Dieser Mangel zeigte sich während der schon nach kurzer Zeit eintretenden Krise von 1900/01: Zuerst wurden die stillen Reserven der Unternehmen aufgelöst und in den Fällen, in denen sich längere Zeit keine Besserung einstellte, folgten schließlich gezielte Bilanzfälschungen, um letztlich nicht dem Vorwurf der Verlustverschleierung ausgesetzt zu sein.563 Das neue Gesetz wies mit der Generalklausel des § 38 Abs. 1 HGB i.d.F.v. 1897 eine weitere bedeutende Neugestaltung auf, wonach der Kaufmann seine Bücher 557

558 559 560 561 562 563

Vgl. REICHSTAG (1897), S. 49. Behrend weist diesbezüglich darauf hin, dass neben Vermögenswerten auch der Wert von Schulden u.U. geschätzt werden müsse, was z.B. für nicht monetäre Schulden oder für Schulden in ausländischer Währung relevant sei; vgl. BEHREND, J. F. (1896), S. 880, Fn. 2. Vgl. dazu auch PENNDORF, B. (1966), S. 243. Vgl. REICHSTAG (1897), S. 49–50. Vgl. REICHSTAG (1897), S. 50. REICHSTAG (1897), S. 50. Vgl. dazu auch LEHMANN, K./RING, V. (1902), S. 122–123. Vgl. KOVERO, I. (1912), S. 197; SEICHT, G. (1982), S. 153. Vgl. SCHMALENBACH, E. (1962), S. 31.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

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und die Lage seines Vermögens „nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung“ darzustellen habe.564 Damit fand der unbestimmte und vielfach umstrittene Rechtsbegriff der GoB erstmals Eingang in das Bilanzrecht und ist bis heute fester Bestandteil des Bilanzrechts.565 Mit dieser Formulierung und der ausdrücklichen Ablehnung einer Ausdehnung des Anschaffungswerts als Bewertungsobergrenze auch auf Nichtaktiengesellschaften wurde die Zulässigkeit von Zeitwerten durch den Gesetzgeber nicht gänzlich beseitigt. Die Anschaffungswerte wurden somit auch nicht generell als einseitige Höchstgrenze fixiert.566 3.2.5

Interpretation der Vorschriften zur Zeitwertbewertung in Kommentierung, Literaturbeiträgen und Rechtsprechung

3.2.5.1

Vorbemerkungen

Bemerkenswert an der Entstehungsgeschichte des Art. 31 ADHGB ist insbesondere die Abweichung von der zuvor objektiven Auffassung vom „Wert den sie haben“ hin zu einer mit dem „beizulegenden Wert“ eher subjektiven Auffassung.567 Der Art. 31 ADHGB und v.a. der darin enthaltene Ausdruck des beizulegenden Werts gaben schon kurze Zeit nach In-Kraft-Treten Anlass zu zahlreichen intensiven Diskussionen, für die sehr unterschiedliche Auffassungen charakteristisch waren. Dies belegt auch die Dokumentation in den zahlreichen Kommentaren und Literaturbeiträgen sowie in der Rechtsprechung zu dieser Norm. Im besonderen Maße herrschte Unklarheit, ob mit dem beizulegenden Wert der Anschaffungswert568 oder der Zeitwert gemeint sei und wie dieser Wert im Einzelfall zu konkretisieren sei.569 Das Ergebnis der Aktiennovelle von 1870 war die Ergänzung der allgemeinen Bewertungsregel gemäß Art. 31 ADHGB um die spezielle Bewertungsnorm des Art. 239a ADHGB für Aktiengesellschaften. Obwohl der Gesetzgeber zu dieser Zeit die Notwendigkeit einer speziellen Bewertungsvorschrift für Aktiengesellschaften erkannte, waren diesbezüglich die Regelungen nur sehr oberflächlich ausgestaltet. Die neue Bewertungsnorm wurde ebenso wie zuvor der Art. 31 ADHGB von Beginn an vielfach heftig kritisiert und sogar als ein „Fehlstück 564 565 566

567 568

569

Vgl. kritisch SCHMALENBACH, E. (1906/07), S. 294–295. Vgl. statt vieler LEFFSON, U. (1987), S. 17–21. Im Schrifttum wurde teilweise aber auch eine analoge Anwendung der aktienrechtlichen Vorschriften für Nichtaktiengesellschaften befürwortet; vgl. z.B. SCHLEGELBERGER, F./HILDEBRANDT, W. (1960), S. 264–273. Vgl. HINTNER, O. (1930), S. 243. Vgl. a.A. SCHMALENBACH, E. (1916/17), S. 6. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Aufzeichnungen zu den Beratungen an keiner Stelle einen konkreten Hinweis darauf geben, dass unter dem „beizulegenden Wert“ (historische) Anschaffungswerte zu verstehen seien. Vgl. SCHNEIDER, D. (1974), S. 160.

128

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

gesetzgeberischer Arbeit“570 bezeichnet. Viele Gesetzeskommentatoren sahen darin ohnehin nur eine überflüssige Wiederholung des allgemeinen Grundsatzes in Art. 31 ADHGB.571 So durften unrealisierte Gewinne entgegen dem Realisationsprinzip weiterhin ausgewiesen werden und drohende Verluste mussten auch nicht i.S.d. Imparitätsprinzips vorweggenommen werden. Demzufolge war der Determiniertheitsgrad der Bewertungsregelungen insgesamt sehr gering und ermöglichte dadurch großzügige Bewertungsspielräume. Mit der zweiten Aktiennovelle von 1884 wurden die Grundlagen für die noch heute bestehende handels- bzw. aktienrechtliche Bewertung gelegt: Das Anlagevermögen durfte demnach gemäß Art. 239b i.V.m. Art. 185a ADHGB höchstens zu den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten angesetzt werden, wohingegen für das Umlaufvermögen das Niederstwertprinzip verpflichtend vorgeschrieben war. Eine Konkretisierung in Bezug auf die Berechnung der Herstellungskosten war in der Aktienrechtsnovelle von 1884 jedoch nicht enthalten. Dagegen wurde zumindest wieder eine verbindliche Vorschrift zur Bildung einer gesetzlichen Rücklage eingeführt, wonach dieser der zwanzigste Teil des Reingewinns zuzuführen war, solange bis sie die Höhe von 10% des Grundkapitals erreicht hat.572 Die Begründung zum Entwurf dieser Aktienrechtsnovelle belegt allerdings, dass für den „leitenden Grundsatz“573 einer Bewertung höchstens zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten keine allgemeine handelsrechtliche Notwendigkeit gesehen wurde, weil eine Wertobergrenze nur auf dem Gebiet der Aktiengesellschaft ihre Berechtigung habe. Insbesondere der Zweck der Darstellung der „wahren Vermögenslage“ mithilfe „wahrer Werte“, d.h. im Idealfall von Marktpreisen abgeleiteter Werte, beeinflusste auch maßgeblich die Beratungen zum Handelsgesetzbuch von 1897, weshalb wohl ähnlich zum ursprünglichen preußischen Entwurf von 1856 die Intention des Gesetzgebers zu einer durchgehenden Bewertung zu Zeitwerten i.S.d. (Netto-) Einzelveräußerungswerts am wahrscheinlichsten ist.574 Im Vordergrund stand folglich die Reinvermögensermittlung, die mittels einer Vermögensbilanz, d.h. durch Gegenüberstellung sämtlicher Vermögenswerte und Schulden bewertet zu Zeitwerten, erfolgen sollte. Damit sollte weiterhin der bestehende Handelsbrauch der Kaufleute zur Erstellung fachgerechter Bilanzen beitragen.575 570

571 572 573 574 575

SCHMALENBACH, E. (1926), S. 367. An Anderer Stelle spricht Schmalenbach von einer „ziemlich oberflächliche[n] Leistung“, die er auf das fehlende Mitwirken von Handelswissenschaftlern zurückführt; vgl. SCHMALENBACH, E. (1916/17), S. 7. Vgl. RENAUD, A. (1875), S. 560; KEYßNER, H. (1878), S. 240. Vgl. Art. 239b i.V.m. Art. 185b ADHGB. Siehe hierzu S. 123. Vgl. gl.A. PASSOW, R. (1921), S. 109–122; SCHNEIDER, D. (2001), S. 919. Vgl. LEHMANN, K./RING, V. (1902), S. 122; STAUB, H. (1906), S. 214–215.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

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Das Fehlen klarer Bewertungsvorschriften bot demgemäß einen großen Spielraum für Interpretationen in Kommentierung, Literaturbeiträgen und Rechtsprechung. Der hierbei am meisten verbreitete Standpunkt war, den beizulegenden Wert in Art. 31 ADHGB i.S.d. Zeitwerts als die maßgebliche Bewertungsgröße anzusehen.576 Allerdings kam es dabei zu sehr unterschiedlichen Ansichten: Ein Teil der Zeitwertbefürworter forderte den uneingeschränkten Ansatz zum Zeitwert, d.h. sowohl bei Werterhöhung als auch bei Wertverminderung, während andere den Zeitwert v.a. in den Fällen als maßgeblich erachteten, in denen die betreffenden Vermögenswerte zur Weiterveräußerung bestimmt waren oder aber nur bei Vorhandensein entsprechender Börsen- oder Marktpreise. Wieder andere vertraten sogar die Meinung, den Zeitwert nur dann anzusetzen, wenn dieser unter dem Anschaffungswert liegt, weil dies am ehesten dem kaufmännischen Vorsichtsprinzip entspreche. Teilweise wurde der beizulegende Wert aber auch unter der Prämisse einer sachgerechten Bilanzierung verstanden, was eine Auffassung in Abhängigkeit vom bilanzierenden Unternehmen, dem Bilanzierungsgegenstand sowie dem Bilanzierungszweck bedingte. In Bezug auf die vertretenen Auffassungen können grundsätzlich drei Phasen mit sehr gegensätzlichen und sich teilweise zeitlich überlappenden Strömungen unterschieden werden:577 •

Phase 1 Statische578 bzw. objektive Wertermittlung579



Phase 2 Antistatische bzw. subjektive Wertermittlung



Phase 3 Dynamische Wertermittlung580

Von den Vertretern der statischen Wertermittlung wurde der beizulegende Wert i.S.d. allgemeinen Veräußerungs-, Tausch-, oder Verkaufswerts bzw. später i.S.d. gemeinen Werts propagiert, während mit der Phase der antistatischen Wertermittlung eine allmähliche Abkehr vom Zeitwertprinzip verbunden war. Charakteristisch für diese Phase war zunächst die Feststellung von Bewertungsproblematiken in der Praxis und damit einhergehend die Ausbreitung einer subjektiven Auffas576 577 578

579

580

Vgl. KOCH, H. (1957), S. 3. Vgl. OSBAHR, W. (1923), S. 12–38; SCHMALENBACH, E. (1926), S. 363–365; RIEGER, W. (1964), S. 221–238. In der Literatur auch als juristische Bilanzauffassung bezeichnet; vgl. OECHELHAEUSER, W. (1878), S. XIII; KOVERO, I. (1912), S. 36, 71 und 93; TER VEHN, A. (1929b), S. 442–443. Der Begriff der „statischen“ Bilanzauffassung wird allerdings erst viel später von Schmalenbach erstmals erwähnt; vgl. SCHMALENBACH, E. (1916/17), S. 11. Die Entstehung der dynamischen Bilanzauffassung ist auf Schmalenbach zurückzuführen; vgl. SCHMALENBACH, E. (1916/17), S. 13. Vgl. grundlegend auch SCHMALENBACH, E. (1926).

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3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

sung bzgl. der Wertermittlung. Letztlich trugen die antistatischen Vertreter zu einem Anstieg der Bedeutung des Anschaffungswertprinzips bei, das schließlich die umfassende Zeitwertbewertung ablöste. Im weiteren Zeitablauf führte die antistatische Haltung zum Entstehen der dynamischen Bilanzauffassung, für die das Anschaffungswertprinzip den zentralen Bewertungsgrundsatz bildete. Im Folgenden werden zu den drei Phasen die jeweiligen Interpretationen in der Kommentierung, in den Literaturbeiträgen sowie in der Rechtsprechung näher dargelegt. 3.2.5.2

Phase der statischen Interpretation

3.2.5.2.1

Erste statische Prägungen

In den ersten Literaturbeiträgen kurz nach In-Kraft-Treten des ADHGB von 1861 wurden statische Interpretationen zum Bewertungsmaßstab nur sehr begrenzt vorgenommen. Zum einen forderte Koch schließlich neben dem Ansatz von Wertminderungen grundsätzlich auch die Berücksichtigung von Wertsteigerungen581 und zum anderen bezeichnete Endemann den beizulegenden Wert des Art. 31 ADHGB als den „wahrscheinlichen Wert“582. Die ersten bedeutenden Vertreter der statischen Bilanzauffassung waren Anschütz/ v. Völderndorff, die für den Wertansatz generell den „allgemeinen Verkehrswerthe“ als relevant erachteten,583 ohne dabei die Umstände eines Notverkaufs oder potentielle Liebhaberpreise zu berücksichtigen.584 Die Waren seien dagegen strikt nach dem Anschaffungswert anzusetzen,585 wobei der „vorsichtige Kaufmann“ bei steigenden Preisen von der Gesetzesvorgabe bewusst abweichen solle.586 Er mache von dieser Regel umso seltener Gebrauch, so ihre Begründung, „als die wirkliche Werthserhöhung seinerzeit durch den Verkaufserlös immer als reeller Gewinn erscheinen muß“587 und somit nur ein realisierter Gewinn ausgewiesen werden dürfe, niemals aber ein „fingirter Gewinn“588. 581 582 583

584 585 586 587

588

Vgl. KOCH, C. F. (1863), S. 146, Fn. 50. ENDEMANN, W. (1865), S. 109. Vgl. ANSCHÜTZ, A./VÖLDERNDORFF, O. V. (1868), S. 241. Auch Hahn interpretiert Art. 31 ADHGB i.S.d. Verkehrswerts; vgl. HAHN, O. (1870), S. 272. Vgl. ANSCHÜTZ, A./VÖLDERNDORFF, O. V. (1868), S. 241, Fn. 12. Vgl. ANSCHÜTZ, A./VÖLDERNDORFF, O. V. (1868), S. 241. ANSCHÜTZ, A./VÖLDERNDORFF, O. V. (1868), S. 242. ANSCHÜTZ, A./VÖLDERNDORFF, O. V. (1868), S. 242. Anschütz/v. Völderndorff weisen an gleicher Stelle allerdings darauf hin, dass ein höherer Wertansatz durch den Wortlaut der Protokolle zur Nürnberger Konferenz ausdrücklich erlaubt sei. Mit ihrer Forderung nach dem Einkaufspreis schränken sie ihren allgemein geforderten Ansatz des allgemeinen Verkehrswerts aber wieder erheblich ein. ANSCHÜTZ, A./VÖLDERNDORFF, O. V. (1868), S. 242.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

3.2.5.2.2

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Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichts von 1873

Die Bewertungsbestimmungen des Art. 31 ADHGB und des Art. 239a ADHGB bestanden längere Zeit unverändert fort, ohne dass eine klare Rechtssituation herrschte. Bestätigung fand die Auffassung der statischen bzw. objektiven Wertermittlung durch die berühmt gewordene Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichts (ROHG) vom 3. Dezember 1873. Aufgabe des Gerichts war eine seit langem erwartete Klarstellung in Bezug auf die Bewertungsfrage. In der Stellungnahme des ROHG zum Art. 31 ADHGB wird diesbezüglich folgende Instruktion abgegeben: „Alle einzelnen Activ- und Passiv-Posten […] sind hiernach zu dem gegenwärtigen Werthe […] in die Bilanz einzustellen“589.

Zur Klarstellung wurde ferner erwähnt, dass der Maßstab für den gegenwärtigen Wert der allgemeine Verkehrswert und somit bei Vorhandensein eines Marktoder Börsenpreises dieser als Ansatz in Frage komme.590 Für die anderen Vermögenswerte sei dagegen der gegenwärtige objektive Wert maßgeblich.591 Damit soll die Bilanz dem Zweck der objektiven Wahrheit, d.h. der wirklichen Vermögenslage, entsprechen. Weiter unten heißt es in der Begründung: „Der Bilanz liegt hiernach in der That die Idee einer fingirten augenblicklichen allgemeinen Realisirung sämmtlicher Activa und Passiva zum Grunde, wobei jedoch davon ausgegangen werden muß, daß in Wirklichkeit nicht die Liquidation, sondern vielmehr der Fortbestand des Geschäftes beabsichtigt wird und daß daher bei der Ermittelung und Feststellung der einzelnen Werthe derjenige Einfluß unberücksichtigt zu lassen ist, welchen eine Liquidation auf dieselben ausüben würde.“592

Demnach seien zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung alle Vermögenswerte zu ihrem Einzelveräußerungswert resp. Zeitwert in die Bilanz einzustellen, ohne dabei der Tatsache Rechnung zu tragen, dass bei einer Gesamtveräußerung des Unternehmens unter Liquidationsdruck möglicherweise für den einzelnen Vermögenswert ein geringerer Erlös zu erzielen wäre.593 589 590 591

592 593

ROHG (1873), S. 17. Vgl. ROHG (1873), S. 18. Kovero interpretiert den unbestimmten Begriff des „objektiven Werts“ i.S. eines Veräußerungswerts; vgl. KOVERO, I. (1912), S. 93. ROHG (1873), S. 19. Hervorhebungen im Original gesperrt. Damit war die Bilanztheorie der Zerschlagungsstatik entstanden, wonach eine tatsächlich nicht stattfindende Liquidation unterstellt wird; vgl. MOXTER, A. (1984), S. 6.

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3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

Bemerkenswert an diesem Urteil ist jedoch das Fehlen eines ausdrücklichen Verbots eines Ansatzes zum Anschaffungswert, vielmehr wird sogar in einem Satz auf die übliche Praxis verwiesen, indem das ROHG für Vermögensbestandteile, für die kein Börsen- oder Marktpreis vorliegt, anführt, dass „deren gegenwärtiger objectiver Werth auf sonstige Weise zu ermitteln ist.“594 Auffallend ist auch die Stelle an der das ROHG auf den eigentlichen Fall Bezug nimmt: Bei der Frage nach der Bewertungspraxis von „Golddepositen“ erachtete es gerade nicht den am Bilanzstichtag gültigen Tageskurs i.S.d. aktuellen Zeitwerts als ausschlaggebend, sondern erst den bei Fälligkeit gültigen, d.h. den in der Zukunft liegenden Tageskurs.595 Damit wich das ROHG vom Zeitwert als den Wert am Bilanzstichtag ab und nahm dagegen Bezug auf einen in der Zukunft liegenden Wert. Neuartig an der Instruktion war auch der Hinweis, dass die Bewertung nicht nur für Vermögensbestandteile auf der Aktiv- sondern auch auf der Passivseite, und damit für die Verbindlichkeiten, maßgeblich sei.596 Dieses Urteil diente fortan als grundlegende Argumentationsbasis für die Vertreter der statischen Auffassung. Die Ausführungen des Gerichts zielten auf einen Reinvermögensvergleich zur Ergebnisermittlung, der sich aus dem Vergleich zweier, aufeinander folgender Schlussbilanzen ergab.597 Die Bewertungskonzeption beruhte auf dem objektiven Verkehrswert, wodurch jegliche Subjektivität bei der Bewertung ausgeschlossen werden sollte.598 Die Urteilsbegründung brachte zur Verdeutlichung vor, dass die Wertermittlung auf der Idee einer fiktiven Liquidation beruhe. Einflüsse durch Liquidationsdruck seien bei der Wertermittlung jedoch unberücksichtigt zu lassen. Dieses Urteil zielte somit durch den geforderten Ansatz von Verkehrswerten primär auf die Feststellung des Vermögensstands ab. 3.2.5.2.3

Statische Interpretation

Als Reaktion auf das Urteil des ROHG von 1873 und den darin enthaltenen Ausführungen zum allgemeinen Verkehrswert, welcher eine objektive Darstellung der Vermögenslage bezwecken sollte, wurde eine Vielzahl von Schriften veröffentlicht. Bzgl. der unvollständigen Vorschrift des Art. 31 ADHGB und unter Bezugnahme auf das Urteil des ROHG bezeichnete Puchelt den beizulegenden Wert mit dem „laufenden d.h. Verkehrswerthe“599 und Behrend sah den „allgemeinen 594

595 596 597 598 599

ROHG (1873), S. 18. Unter dem Ausdruck „sonstige Weise“ ist wohl die herrschende Kaufmannspraxis zu verstehen. Vgl. gl.A. BARTH, K. (1953), S. 141. Vgl. ROHG (1873), S. 19–20. Vgl. ROHG (1873), S. 18. Sog. System der einfachen Buchführung, wonach die Bilanz aus dem Inventar abgeleitet wird. Vgl. ROHG (1873), S. 18. PUCHELT, E. S. (1874), S. 64.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

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Verkehrswerth“600 als maßgeblich an. Zwei weitere bedeutsame Gerichtsurteile bestätigten diese Interpretationen des beizulegenden Werts, die im Folgenden näher erläutert werden. Ein Urteil des Berliner Reichsgerichts vom 4. Mai 1881 forderte als Maßgabe für die Verteilung von Dividenden eine Bilanzaufstellung, die strikt nach den Grundsätzen des Art. 31 ADHGB und somit unter Anwendung der Zeitwertbilanzierung vorgenommen werde. Eine Baubank hatte in ihrer Bilanz aus dem Jahr 1875 für die Bewertung unbebauter Grundstücke eventuell zu erzielende Verkaufswerte angenommen, wobei der Anschaffungswert als Grundlage diente. Auf dieser Basis ergab sich für das betrachtete Geschäftsjahr eine rechnerische Dividende i.H.v. 5%, wobei im Geschäftsbericht der Gesellschaft jedoch erhebliche Bedenken im Bezug auf die Werte der angesetzten Grundstücke erhoben wurden.601 Daraufhin entschied die Generalversammlung die Dividendenausschüttung – trotz eines ausgewiesenen Bilanzgewinns – nicht vorzunehmen. Die Klage eines Aktionärs, der dennoch auf die Einlösung seiner Dividendenscheine bestand, wurde vom Reichsgericht abgewiesen. Als Begründung wurde die fehlerhafte Bilanzaufstellung der Aktiengesellschaft genannt, weil sich bei korrekter Anwendung des Art. 31 ADHGB kein verteilungsfähiger Gewinn ergeben hätte und somit auch keine Dividende ausgeschüttet werden dürfe.602 Damit hat dieses Urteil die Auffassung der Befürworter der statischen Bilanzauffassung bestätigt. Ein weiteres bedeutendes Urteil, das ebenfalls den Kurs der statischen Wertermittlung bestätigte, fällte das Reichsgericht am 25. Juni 1887: Ein Gläubiger der 1878 in Konkurs gegangenen Berliner Aktiengesellschaft für Papierfabrikation verklagte deren Vorstand wegen unerlaubter Dividendenausschüttung, die aufgrund zu hoher Wertansätze in der Bilanz ermittelt worden seien. Während das zuständige Kammergericht in erster Instanz die Klage abwies, verurteilte das Berufungsgericht den Angeklagten. Jedoch hob das Reichsgericht dieses Urteil wieder auf und verwies die Klage zurück an das Berufungsgericht. Die Aktiengesellschaft hatte eine andere Papierfabrik übernommen, die sie in der Bilanz zum einen den Anschaffungswert übersteigenden Wert ansetzte.603 Der Kläger brachte dagegen vor, dass der in der Bilanz ausgewiesene Wert zu hoch angesetzt gewesen sei und daher nicht dem wahren Wert entsprochen habe. Darauf erwiderte der Beklagte, dass der bezahlte Preis auch dem wahren Wert entspreche, indem er die Übereinstimmung der beiden Werte durch Kapitalisierung der erwarteten Erträge begrün600 601

602 603

BEHREND, J. F. (1886), S. 292. Da die Umsätze im Immobiliengeschäft schon seit längerer Zeit rückläufig waren, ließ die damit verbundene Marktsituation eine Erzielung dieser Verkaufspreise nicht mehr als gegeben erscheinen; vgl. RGC (1881), S. 103. Vgl. RGC (1881), S. 103–104. Vgl. RGC (1887), S. 111–112.

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3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

dete.604 Das Kammergericht entschied, dass der Ertragswert die Werte der einzelnen Vermögenswerte der erworbenen Fabrik überstieg und folglich deren Wert zu hoch angesetzt war. Dagegen erlaubte die Berufungsinstanz zwar prinzipiell die Methode der Ertragskapitalisierung zur Wertbestimmung, forderte aber grundsätzlich den Anschaffungswert als relevanten Wertmaßstab.605 Dies verneinte jedoch das Reichsgericht, indem es ausdrücklich anführte, dass „der Erwerbspreis keine Grenze für die Wertansetzung“ darstelle und weiter unten erklärte: „Entscheidend für den Ansatz war nur ,der Wert, welcher dem Vermögensstücke zur Zeit der Aufnahme beizulegen war’.“606 Die objektive Wertauffassung des ROHG fand anschließend in weiteren Urteilen der Rechtsprechung zu Art. 31 ADHGB sogar noch nach In-Kraft-Treten des Handelsgesetzbuchs im Jahr 1900 Zustimmung.607 Parallel hierzu entwickelte sich in der Rechtsprechung allmählich die Auffassung, wonach unter dem objektiven Wert der gemeine Wert zu verstehen sei.608 Erwähnung fand dieser Ausdruck schon im § 112 des ALR609 und wurde allgemein als objektive Wertkategorie unter Außerachtlassung von jeglichen subjektiven Einflüssen verstanden.610 Ein wichtiger Vertreter der statischen Auffassung war der juristisch geprägte Bilanzschriftsteller Rehm. In der ersten Auflage seines Werks „Die Bilanzen der Aktiengesellschaften“ von 1903 unterscheidet Rehm zwischen Veräußerungs- und Betriebsgegenständen. Die Gruppe der Veräußerungsgegenstände sei zum Verkehrswert und die der Betriebsgegenstände zum Gebrauchswert anzusetzen.611 Allerdings hielt Rehm eine Unterbewertung der Aktiva (bzw. eine Überbewertung 604 605

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Vgl. RGC (1887), S. 112. Das Gericht begründete die Zulässigkeit des Ertragswerts mit der Begründung, dass dies eher dem wirklichen Wert entspräche und daher auch bei der Bilanzaufstellung Berücksichtigung finden müsse; vgl. RGC (1887), S. 118–119. RGC (1887), S. 119. Der objektive Wert beziehe sich nach Ansicht der Gerichte allerdings ausschließlich auf Vermögenswerte nicht aber auf Schulden. Zum objektiven Wert in der Bezeichnung als „wahrer Wert“ vgl. z.B. RGS (1885), S. 355; RGC (1897), S. 36. In der Bezeichnung als „wirklicher Wert“ vgl. z.B. RGZ (1918), S. 410. In der Bezeichnung als „Zeitwert“ vgl. z.B. PREUßISCHES OVG (1898a), S. 150; RGS (1906), S. 223. Zudem findet sich in den Urteilen auch die Bezeichnung des „objektiven Tauschwerts“; vgl. z.B. SÄCHSISCHES OVG (1901), S. 347; PREUßISCHES OVG (1899), S. 87. Vgl. PREUßISCHES OVG (1896), S. 63. Das Gericht definiert den gemeinen Wert als „den objektiven, d. h. denjenigen Werth, den eine Sache nach ihrer objektiven Beschaffenheit für jeden Besitzer hat, im Gegensatz zu dem subjektiven Interesse“; PREUßISCHES OVG (1896), S. 69–70. Hervorhebung im Original gesperrt. In einem weiteren Urteil bezeichnet das Gericht den gemeinen Wert als „mit dem objektiven Verkaufswerthe völlig gleichbedeutend“; PREUßISCHES OVG (1899), S. 86–87. Vgl. zur Verwendung des gemeinen Werts auch PREUßISCHES OVG (1898b), S. 364. Der Wortlaut ist wie folgt: „Der Nutzen, welchen die Sache einem jeden Besitzer gewähren kann, ist ihr gemeiner Werth.“ Vgl. OBERBRINKMANN, F. (1990), S. 100. Vgl. REHM, H. (1903), S. 693–705. Jedoch bleibt auch bei Rehm die Frage unbeantwortet, wie die tatsächliche Bemessung der Werthöhe des Gebrauchswerts erfolgt.

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der Passiva) ebensowenig für gesetzeskonform wie deren Überbewertung (bzw. Unterbewertung). Das Gesetz verlange nach § 40 HGB i.d.F.v. 1897 vielmehr die Abbildung der Bilanzwerte zu ihren „wirklichen Werten“. Die Unter- bzw. Überbewertung führe dagegen zu einer weniger deutlichen Darstellung der wirtschaftlichen Situation eines Unternehmens und verstoße damit gegen die GoB.612 In der zweiten Auflage seines Werks von 1914 weicht Rehm allerdings von dieser Auffassung ab, indem er nunmehr auch eine Bewertung zu Anschaffungswerten als mit den GoB konform erachtet.613 Damit akzeptierte er aus Vorsichtsgründen die Legung stiller Reserven als Beitrag zur Stärkung des Unternehmens. Dies bedeutete aber zugleich eine Abkehr vom rein objektiven Verkehrswert nach statischer Auffassung als den allein gültigen Wertmaßstab. In der von Kovero 1912 veröffentlichten Schrift „Die Bewertung der Vermögensgegenstände in den Jahresbilanzen der privaten Unternehmungen“, die als eines der gründlichsten bilanzgeschichtlichen Werke angesehen wird,614 wurde der beizulegende Wert ebenfalls als der „wirkliche Wert“ interpretiert.615 Unter diesem Wertbegriff verstand Kovero den „gegenwärtigen Wert“, der eine richtige Beurteilung der jeweiligen Lage der Unternehmung ermögliche.616 Abgeleitet aus dem Bilanzzweck, der u.a. im Vermögensvergleich verschiedener Unternehmen liege, propagierte er eine Bewertung zu „objektiven Tauschwerten“617. Dieser objektive Tauschwert sei nach Ansicht von Kovero zunächst in Abhängigkeit davon zu bestimmen, auf welcher Stufe sich der Vermögenswert im Produktionsprozess befinde. Diesbezüglich problematisierte Kovero erstmals die Maßgeblichkeit von Beschaffungsmarkt (Anschaffungswert) und Absatzmarkt (Veräußerungswert) für die Bestimmung des objektiven Tauschwerts.618 Schließlich folgerte Kovero wegen der sicheren Bestimmbarkeit – ebenso wie schon Rehm – den Anschaffungswert als den relevanten Wertmaßstab.619 Eine der bekanntesten Schriften zur statischen Bilanztheorie stammt von Passow. Seine Abhandlung „Die Bilanzen der privaten und öffentlichen Unternehmungen“ führte in der Literatur wiederholt zur Reflexion. Mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte der Bewertungsnorm von Art. 31 ADHGB bzw. § 40 HGB i.d.F.v. 1897 ist für Passow der „’wahre’, der objektive, der Verkaufswert gemeint“620. In 612 613 614 615 616 617 618 619 620

Vgl. REHM, H. (1903), S. 53–54. Vgl. REHM, H. (1914), S. 360–361. Vgl. z.B. SCHNEIDER, D. (2001), S. 954. Vgl. KOVERO, I. (1912), S. 54. Vgl. KOVERO, I. (1912), S. 60. KOVERO, I. (1912), S. 113. Vgl. KOVERO, I. (1912), S. 114–115. Vgl. KOVERO, I. (1912), S. 116. PASSOW, R. (1921), S. 107. Diesen Standpunkt änderte nach Ansicht von Passow auch die Aufnahme der GoB in das Gesetz nicht; vgl. PASSOW, R. (1921), S. 111.

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Übereinstimmung mit dieser Anschauung seien weder Unter- noch Überbewertungen im Einklang mit der Gesetzesvorschrift. Seine Kommentierung der bestehenden Bewertungskonzeption ist somit stark statisch ausgerichtet.621 Zusammenfassend lässt sich demnach festhalten, dass innerhalb der statischen Wertauffassung zwar vielfältige Wertbegriffe angeführt wurden, die aber letztlich den beizulegenden Wert im Gesetzestext in Form eines nicht an Höchstgrenzen gebundenen Zeitwerts interpretierten. Der einheitliche Zweck der Anwendung wahrer, wirklicher, objektiver Zeit-, Tausch- bzw. Veräußerungswerte etc. lag in einer objektiven Darstellung der tatsächlichen Vermögenslage des Unternehmens, die möglichst frei von subjektivem Ermessen des Bilanzierenden sein sollte und ferner die Vergleichbarkeit sowie den Gläubigerschutz garantieren sollte.622 Die vorrangige Bilanzaufgabe des statischen Anschauungskreises wurde in der Vermögensermittlung gesehen, wohingegen der Gewinnermittlung eine lediglich nachrangige Bedeutung zukam. 3.2.5.3

Phase der antistatischen Interpretation

3.2.5.3.1

Bewertungsproblematik bei Eisenbahnunternehmen

Die Phase der antistatischen Bilanzauffassung hatte bereits wenige Jahre nach InKraft-Treten der Aktiennovelle von 1870 ihren Ursprung, als infolge der Bewertungsproblematik in den Bilanzen von Eisenbahngesellschaften und anderen Großanlagen vehemente Kritik an der statischen Auffassung aufkam. Die anfängliche Skepsis gegenüber dem Zeitwert bezog sich v.a. auf Ermittlungsschwierigkeiten bei Gleis- und Fabrikanlagen oder bei Vermögenswerten von Immobilienbzw. Bergwerksgesellschaften. Die Annahme der Veräußerung zur Bestimmung des Zeitwerts war in vielen Fällen nämlich nicht praktikabel, weil dies rechtliche Gründe gar nicht zuließen: Die Eisenbahnen waren z.B. meist an Konzessionen gebunden, die von den Betreibern ohne Zustimmung des Staats nicht veräußern werden durften, vielmehr waren sie zur Aufrechterhaltung des Betriebs von Eisenbahnlinien vertraglich verpflichtet. In den sich an den Bericht der Spezialkommission zur Untersuchung des Eisenbahnkonzessionswesens623 anschließenden Beratungen im preußischen Abgeordnetenhaus wurde auch die Bewertungsfrage bei Eisenbahnunternehmen eingehend 621

622 623

Da für die Praxis die Erfolgsberechnung im Vordergrund stehe, sah Passow in der bestehenden Bewertungsregel eine Unvereinbarkeit mit der Praxis; vgl. PASSOW, R. (1921), S. 297. Schließlich befürwortete Passow sogar eine gänzliche Streichung der Bewertungsnorm, an deren Stelle eine „Aufstellung des Inventars und der Bilanz […] nach den Grundsätzen ordentlicher Geschäftsführung“ treten solle; PASSOW, R. (1921), S. 298. Vgl. gl.A. LAUTENSCHLAGER, C. (1865), S. 29. Siehe hierzu Abschnitt 3.2.3.1.

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diskutiert. Die Gewinnermittlung dieser Unternehmungen erfolgte zu dieser Zeit überwiegend durch die Ertragsbilanz, d.h. in Form einer Einnahmenüberschussrechnung.624 Dies stand jedoch nicht mit den konkreten Vorschriften der Art. 29 bis 31 ADHGB bzw. Art. 217 ADHGB i.d.F.v. 1870 im Einklang, wonach bei der Aufstellung des Inventars und der Bilanz eine Bewertung des Aktivvermögens zum Zeitwert obligatorisch war.625 Im Zuge der Vernehmung von Sachverständigen durch die Kommission stellte sich heraus, dass die Grundstücke und Gebäude in den Bilanzen von Eisenbahnaktiengesellschaften in der Realität häufig nicht mit dem Zeitwert angesetzt würden. Diese Vorgehensweise wurde u.a. mit den negativen Konsequenzen begründet, die daraus resultieren würden: Da für Eisenbahnunternehmen ein hoher Bestand an Anlagevermögen in Form von Gleisanlagen und Bahnhofsgebäuden charakteristisch sei, vertrat beispielsweise Eisenbahnpräsident Guenther die Ansicht, dass von Eisenbahngesellschaften andere Bewertungsregeln als etwa von Banken angewandt werden müssten. Er begründete dies damit, dass irrelevante Wertänderungen von Immobilien bei Eisenbahnunternehmen nicht wie z.B. Wertänderungen von Wertpapieren bei Banken Einfluss auf die Ergebnissituation nehmen dürften.626 Diesbezüglich ergänzte Eisenbahndirektor Koch, dass generell bei Gesellschaften mit großem Aktivvermögen, wie etwa Immobilien, nicht die gesetzlichen Bestimmungen maßgeblich sein könnten. Denn bei Grundstücken und Gebäuden sei es besonders schwierig, einen verlässlichen Zeitwert zu bestimmen, weshalb die Höhe der Dividendenausschüttung der Willkür der Unternehmen unterliege.627 Reichstagsmitglied Bamberger fügte in einer späteren Sitzung hinzu, dass seiner Ansicht nach eine vernünftige Bilanz für Eisenbahn-, Bergwerks- und Immobiliengesellschaften nicht aufstellbar sei, weil deren Vermögenswerte nicht mit „bekannten Zahlen, Preisen und barem Gelde“628 bewertet werden könnten. 624

625

626 627 628

D.h. es wurden sog. Jahresbebetriebsrechnungen aufgestellt, die anstelle der Bilanzen zur Gewinnverteilung herangezogen wurden; siehe hierzu Abschnitt 3.1.2.4. Vgl. dazu auch KEYßNER, H. (1875), S. 135. Damit wurden auch nach der Einführung des Norddeutschen Bundesgesetzes 1869, das die Partikularrechte aufhob, die hiermit abgelösten Bestimmungen des Gesetzes v. 30. Mai 1853 beibehalten. § 1 dieses Gesetzes legt für Eisenbahnen eine Abgabe fest, die sich nach dem Reinertrag bemisst. § 2 bestimmt den Reinertrag als denjenigen Betrag, der nach Abzug der Verwaltungs-, Unterhaltungs- und Betriebskosten zur Verteilung gelangt. Vgl. dazu auch KEYßNER, H. (1875), S. 135, Fn. 64; SCHÜLER, W. (1879), S. 66. So bestimmte z.B. das Statut der Berliner Nord-Eisenbahngesellschaft v. 18. Juni 1870 in § 21 oder der Pommerschen Central-Eisenbahngesellschaft v. 5. Juli 1870 in § 22, dass die Dividenden aus dem Ertrag in Form von Einnahmen festgestellt werden; vgl. BERLINER NORD-EISENBAHNGESELLSCHAFT (1870), S. 11; POMMERSCHE CENTRAL-EISENBAHNGESELLSCHAFT (1870), S. 496. Zudem war seit der Zirkularverfügung v. 29. März 1856 die Aufstellung einer Ertragsbilanz zur Gewinnermittlung ausdrücklich untersagt; siehe hierzu Fn. 406. Art. 217 ADHGB i.d.F.v. 1870 besagt, dass nur das an die Aktionäre verteilt werden darf, was sich nach der jährlichen Bilanz als Überschuss über die volle Einlage ergibt; siehe hierzu Abschnitt 3.2.2.1. Vgl. dazu auch SCHÜLER, W. (1879), S. 66. Vgl. PREUßISCHES HAUS DER ABGEORDNETEN (1874), S. 1786. Vgl. PREUßISCHES HAUS DER ABGEORDNETEN (1874), S. 1786. PREUßISCHES HAUS DER ABGEORDNETEN (1874), S. 1811.

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3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

Als erster bedeutender Vertreter der antistatischen Bewegung ist Keyßner anzusehen, der in seiner 1875 erschienenen Schrift „Aktienzinsen, Dividende, Bauzinsen, Bilanz“ das Handelsgesetzbuch mit seinen Vorschriften zur Zeitwertbewertung in der Interpretation als Veräußerungswert als nicht zweckmäßig für die Bewertung von Anlagevermögen, wie beispielsweise von Bahnkörpern bei Eisenbahnunternehmen, erachtete.629 Zur Ermittlung der Ansatzhöhe würde ein errechneter Wert dienen, dessen spätere Erzielung nicht gewährleistet werden könne.630 Als Voraussetzung für eine Zeitwertbilanzierung nannte er die Durchführbarkeit einer Inventur, bei der die Wertermittlung nach dem bei einem Verkauf zu erzielenden Preis in Geldeinheiten möglich sei, was aber gerade bei den bedeutsamsten Vermögenswerten der Eisenbahnunternehmen unmöglich sei.631 Eine Bewertung zu einem von ihm als „Tagesinventurwerth“ bezeichneten Zeitwert sei neben Eisenbahnen aber auch bei Fabrikanlagen, Immobilien- und Bergwerksgesellschaften nicht zweckmäßig, sondern nur eine „Befriedigung des Zahlenbedürfnisses“632. Den gleichen Weg beschritt 1878 der Jurist v. Strombeck, der für Eisenbahngesellschaften und sonstige Aktiengesellschaften mit großem Anlagevermögen eine anderweitige Regelung durch die Reichsgesetzgebung forderte.633 Ebenso wie schon Keyßner drei Jahre zuvor, erachtete auch v. Strombeck die Bewertung zum Zeitwert nach Art. 31 ADHGB als zwingend vom Gesetz vorgeschrieben, die aber trotzdem in der Praxis – allerdings unter Einverständnis der Regierung – nicht durchgehend angewendet werde.634 Er begründete seine Ablehnung zur Bilanzierung nach dem Zeitwert mit der Unzuverlässigkeit und Willkürlichkeit bei dessen Ermittlung und der daraus resultierenden beliebigen Bemessung der Dividendenausschüttung. Ferner seien seiner Ansicht nach Eisenbahnen keine Handelsgegenstände und hätten daher auch keinen erkennbaren Veräußerungswert.635 Daher plädierte v. Strombeck für eine Aufteilung des Vermögens eines Unternehmens in stabiles und variables Grundvermögen.636 Das stabile Grundvermögen sei dabei zum „Selbstkostenwert“ i.S.d. Anschaffungswerts statt zum „Veräußerungswert“ i.S.d. Zeitwerts anzusetzen, weil dessen Zweck nicht wie beim variablen Grundvermögen in der Veräußerung liege.637 Der Direktor der Deutschen Eisenbahnbaugesellschaft Hauptmann Schüler – ein weiterer Gegner der Zeitwertbewertung – argumentierte in seinem im Novem629 630 631 632 633 634 635 636 637

Vgl. KEYßNER, H. (1875), S. 133. Vgl. KEYßNER, H. (1875), S. 133. Vgl. KEYßNER, H. (1875), S. 138–139. KEYßNER, H. (1875), S. 139. Vgl. STROMBECK, J. V. (1878a), S. 106. Vgl. STROMBECK, J. V. (1878a), S. 68–70. Vgl. STROMBECK, J. V. (1878a), S. 73–74. Vgl. STROMBECK, J. V. (1878a), S. 51. Vgl. STROMBECK, J. V. (1878b), S. 2–3.

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ber 1878 gehaltenen Vortrag wie folgt: Wenn nach dem ADHGB die Ansetzung des Zeitwerts obligatorisch sei, würden die Eisenbahngesellschaften als die eigentlich solidesten Aktiengesellschaften zu den unsichersten Anlagen werden; das Geschäftsergebnis eines Jahres sei demnach von der Geschäftslage eines einzigen Tags abhängig, nämlich dem Tag des Bilanzstichtags.638 Gestützt auf den Inhalt der Protokolle zu den Beratungen des ADHGB, in denen eine einheitliche Anwendung jener Bestimmungen für alle Arten von Gesellschaften nach Ansicht von Schüler nicht beabsichtigt gewesen sei, sah er für den Fall der Nichtansetzung des Zeitwerts bei Bahnvermögen keinen Verstoß gegen geltendes Recht.639 Da bei Bahnkörpern oder bei Grundstücken kein marktgängiger Preis ermittelbar sei, habe daher eine Bewertung in Höhe der Selbstkosten resp. Anschaffungswerte zu erfolgen. Deshalb vertrat Schüler die Ansicht, dass Eisenbahngesellschaften nicht gegen die Normen verstoßen, wenn sie ihre Aktivposten nicht jährlich neu bewerteten, sondern als feststehende Werte betrachteten.640 Weiter führte er an, dass der Zeitwert nur bei den Aktivposten anzuwenden sei, die zur Wiederveräußerung bestimmt seien und nur insofern dafür eine zuverlässige Schätzung möglich sei.641 Ein Jahr später befasste sich mit dem Braunschweiger Oberbaurat Scheffler abermals ein Vertreter der Praxis mit der Bewertungsproblematik von Eisenbahnunternehmen. Anlässlich eines Prozesses gegen einen Eisenbahngründer verfasste er den Artikel „Ueber Bilanzen“, in dem auch er bei bestimmten Vermögenswerten einen Ansatz zum Anschaffungswert postulierte. In Anlehnung an Schüler bezeichnete er die Vorschriften des ADHGB als „Allgemeinheit des Gesetzes“ und erachtete somit keine speziellen Bewertungsgrundsätze als zwingend vorgegeben.642 Er unterschied für den Zweck der Wertbestimmung grundsätzlich zwei Kategorien, indem er die Aktiva danach klassifizierte, ob an deren Wertbestimmung entweder dauernd nur der Eigentümer oder aber dauernd bzw. vorübergehend auch andere Interesse haben. Der ersten Klasse ordnete Scheffler die Gebrauchsgegenstände, also das Anlagevermögen zu, während die zweite Klasse die zur Veräußerung bestimmten Gegenstände und somit das Umlaufvermögen643 umfasste. Für die Bewertung der ersten Kategorie sei nach Scheffler schließlich der „Kostenpreis“ ausschlaggebend, den er in den wesentlichen Fällen als mit dem 638

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Die Argumentation von Schüler stützt sich auf das Fehlen von mit annähernder Zuverlässigkeit ermittelbarer, marktgängiger Werte; vgl. SCHÜLER, W. (1879), S. 66. Vgl. dazu auch die Rezensionen STRECKERT (1878), S. 1165–1167; O.V. (1879), S. 268–271 und 280–285. Vgl. SCHÜLER, W. (1879), S. 66–67. Für die Bewertung von langfristigen Beteiligungen an anderen Eisenbahnen sei ferner der Erwerbspreis maßgeblich, weil nicht die Vereinnahmung von Dividende, sondern der langfristige Nutzen im Vordergrund stehe; vgl. SCHÜLER, W. (1879), S. 67. Vgl. SCHÜLER, W. (1879), S. 66. Vgl. SCHÜLER, W. (1879), S. 67. Vgl. SCHEFFLER, H. (1879), S. 20. Schüler bezeichnet die Posten des Umlaufvermögens als Veräußerungsgegenstände.

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Anschaffungswert identisch bezeichnete. Selbst die Errichtung einer Fabrik und die dazu notwendige Verwendung von Arbeitskräften sei, seinen Angaben zufolge, ebenso jeweils ein Kaufvorgang. Für diese Kategorie sei nur die Abschreibung vom „Kostenwert“ zulässig, um dem Verlust durch Abnutzung gerecht zu werden. Die zweite Klasse, die Gruppe der Veräußerungsgegenstände, sei dagegen zu ihrem „Verkaufspreis“ i.S.d. Zeitwerts anzusetzen.644 Der Hauptbestandteil dieser Kategorie bestehe nämlich aus Objekten, die vom Gesamtbesitz abgetrennt und veräußert werden könnten und auch sollten. Da die Gegenstände der ersten Klasse nicht die Interessen Dritter berühren, so die Begründung von Scheffler, trete die absolute Richtigkeit hinsichtlich der Wertschätzung in den Hintergrund.645 Entgegen den Auffassungen der beiden Eisenbahnpraktiker Schüler und Scheffler erachtete der Jurist Löwenfeld die Bilanzierungsweise der Eisenbahngesellschaften für gesetzeswidrig und kritisierte die dennoch regelmäßig erfolgte staatliche Genehmigung von deren Bilanzen.646 Dadurch sei die gleiche Vorgehensweise, die – wie er befindet – mittlerweile auch vermehrt bei Industrieunternehmungen auftrete, logische Konsequenz.647 Allerdings beurteilte auch er einen Ansatz zum Zeitwert als nicht praktikabel und verlangte als Wertobergrenze den „Selbstkostenpreis“ und damit den Anschaffungswert.648 Als Begründung gab er die Willkürlichkeit bei der Schätzung von solchen Vermögensobjekten an, bei denen kein tatsächlicher Veräußerungswert vorhanden sei.649 Die Überlegungen von Löwenfeld waren zum Großteil von dem Gedanken geprägt, dass die Gewinnermittlung den Kernpunkt der Bilanzaufgabe bilde.650 Auch Gareis/Fuchsberger gingen in ihrem Kommentar zum ADHGB auf die Problematik der Inventarisierung bei Eisenbahngesellschaften ein und befanden anstatt wirklicher Werte ausdrücklich eine „Bilanzierung der stabilen Konten durch Schätzung der Eisenbahnanlagen zum Werthe des dafür verwendeten Grundkapitales [für] zulässig.“651 Für alle anderen Vermögenswerte sei hingegen der „allgemeine Verkehrswerth“, dessen Wertermittlung frei von willkürlichem subjektiven Ermessen und reiner Spekulation sein solle.652

644 645 646 647 648 649 650

651 652

Vgl. SCHEFFLER, H. (1879), S. 23–24. Vgl. SCHEFFLER, H. (1879), S. 24. Vgl. LÖWENFELD, H. (1879), S. 414–415. Vgl. LÖWENFELD, H. (1879), S. 415. Vgl. LÖWENFELD, H. (1879), S. 432. Vgl. LÖWENFELD, H. (1879), S. 432–433. Löwenfeld begründet dies wie folgt: „Die wirtschaftliche Aufgabe der Actiengesellschaft besteht in der Erzielung von Erträgnissen […]; die Höhe und Stetigkeit der Erträgnisse bildet den Prüfstein für den wirthschaftlichen Werth des Unternehmens.“ LÖWENFELD, H. (1879), S. 409. GAREIS, C./FUCHSBERGER, O. (1891), S. 133. Vgl. GAREIS, C./FUCHSBERGER, O. (1891), S. 133.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

141

Die ersten oben erwähnten Ausführungen der antistatischen Vertreter basierten noch auf der Annahme, dass der beizulegende Wert in Art. 31 ADHGB einen zwingenden Ansatz zum Zeitwert in der Variante des allgemeinen Veräußerungswerts vorschreibe. Die beiden praktischen Vertreter der Eisenbahngesellschaften Schüler und Scheffler versuchten hingegen, die damals vorherrschende Bilanzierungspraxis, nämlich die Bewertung des Anlagevermögens zum Anschaffungswert, zu rechtfertigen und damit die Vorgehensweise in der Praxis trotz der konkreten Bewertungsnormen als gesetzeskonform darzustellen. Zudem zeigten sich die ersten Tendenzen, wonach die Gewinnermittlung als vorrangige Bilanzaufgabe gegenüber der reinen Vermögensermittlung betrachtet wurde. 3.2.5.3.2

Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichts von 1879

Die im vorigen Abschnitt dargestellte Ansicht der antistatischen Vertreter, nach deren Interpretation der Art. 31 ADHGB nicht generell zu einer Bilanzierung zum Zeitwert verpflichte, fand einige Jahre später durch eine Entscheidung des ROHG vom 9. September 1879 Bestätigung. Ein Aktionär der Magdeburg-Halberstädter Eisenbahngesellschaft verklagte das Unternehmen mit der Begründung, dass die zur Deckung des verloren gegangenen Grundkapitals benötigten Mittel unrechtmäßig als Dividende verteilt wurden. Der Kläger begründete seine Anschuldigung damit, dass der Ansatz einer langfristigen Beteiligung an einer anderen Aktiengesellschaft zum Anschaffungswert statt zum später niedrigeren Kurswert gesetzeswidrig gewesen sei.653 In erster Instanz wurde die Klage abgewiesen und dies anschließend auch vom ROHG bestätigt.654 In der Urteilsbegründung wurde unter Bezugnahme auf die h.M.,655 wonach der Wertansatz zum Anschaffungswert im Widerspruch zu den zwingenden Vorschriften des Art. 31 ADHGB sei,656 gleichwohl der Ansatz von Anlagen zu Anschaffungs- bzw. Herstellungswerten als zulässig erkannt.657 Es könne nicht angenommen werden, so die Begründung des Gerichts, dass „dem Preuß. Gesetzgeber und den Preuß. Aufsichtsbehörden ein solcher Widerspruch constant entgangen oder von ihnen bewußt ignoriert sein sollte.“658 Unter Verweis auf die Ansicht von 653 654 655

656

657

658

Vgl. ROHG (1879), S. 307–309. Vgl. ROHG (1879), S. 309–310. Angeführt wurden die Aussagen der Sachverständigen vor der Spezialkommission zur Untersuchung des Eisenbahnkonzessionswesens sowie die Schriften von Keyßner, Löwenfeld und v. Strombeck; vgl. ROHG (1879), S. 317. Art. 31 ADHGB verlange nach Ansicht des Gerichts eine Bewertung „nach dem Werthe, der ihnen zur Zeit der Bilanzaufstellung beizumessen ist“; ROHG (1879), S. 322. Nach Ansicht des ROHG ist mit Art. 31 ADHGB „nicht ausgesprochen, daß nicht auf den Betrag des für die Herstellung Verwendeten bewerthet werden dürfe“; ROHG (1879), S. 322. ROHG (1879), S. 318.

142

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

v. Strombeck hat das ROHG bestätigt, dass der Bewertung von Eisenbahnen weder ein Verkehrs- noch ein mit Bestimmtheit erkennbarer Veräußerungswert zugrunde gelegt werden könne.659 Mit diesem Urteil wurde die gängige Bilanzierungspraxis vieler Aktiengesellschaften rückwirkend als mit den gesetzlichen Bestimmungen übereinstimmend anerkannt. Damit war ein erster bedeutsamer Schritt zu einem Richtungswechsel in der Bewertungsfrage getätigt und den jahrelangen Forderungen einer Vielzahl von Juristen und Praktikern nach Abschaffung des obligatorischen Zeitwertansatzes entsprochen worden. 3.2.5.3.3

Subjektive Wertermittlung

Als Reaktion auf das Ende des ausschließlichen Zeitwertansatzes für Aktiengesellschaften durch die Aktiennovellierung aus dem Jahr 1884 lehnte Simon den Zeitwert – von ihm in Anlehnung an das Urteil des ROHG von 1873 als „objektiver“ Wert bezeichnet660 – für alle Geschäftsformen kategorisch ab.661 In seinen Schriften, für die er im Allgemeinen breite Anerkennung erhielt,662 verneinte er darüber hinaus, unter Hinweis auf die Zeit vor dem ADHGB sowie auf die internationale Bewertungspraxis, ein historisches Erfordernis der Zeitwertbilanzierung. Zu den GoB des Handelsgesetzbuchs von 1897 sei nach Simon auch die Bewertungsmethodik zu zählen, die sich unabhängig vom Gesetz im Laufe der Jahrhunderte entwickelte.663 Gerade bei den Punkten, bei denen die Materie, wie in der Bewertungsfrage, gesetzlich nicht vollständig geregelt sei, entscheide somit, allerdings innerhalb der kodifizierten Normen, die kaufmännische Handlungspraxis. Simon leitete hieraus die Maßgeblichkeit eines „individuellen Werts“ ab,664 der abhängig von der Zweckbestimmung des zu bewertenden Gegenstands und ferner mit Rücksicht auf die Person des Geschäftsinhabers anzusetzen sei.665 Er unterschied bei Vermögenswerten – in Anlehnung an Scheffler – nach ihrer Zweckbestimmung zwischen Gebrauchs- und Verkehrswert. Dementsprechend differenzierte Simon auch zwischen Betriebs- und Veräußerungsgegenständen.666 Die „Natur der Bilanz“ erlaube es nach Simon auch außerhalb der Aktiengesellschaften nicht, 659 660

661 662 663 664 665 666

Vgl. ROHG (1879), S. 322. Dem „objektiven“ Wert entspricht nach Simon der Zeitwert in Form des gemeinen Werts bzw. allgemein der Verkaufswert; vgl. SIMON, H. V. (1899), S. 291–293. Vgl. SIMON, H. V. (1899), S. 291. Vgl. z.B. FISCHER, R. (1905), S. 14; PASSOW, R. (1921), S. 102; WALB, E. (1933), S. 6. Vgl. SIMON, H. V. (1899), S. 314. SIMON, H. V. (1899), S. 304. Siehe hierzu Abschnitt 3.2.6. Vgl. SIMON, H. V. (1899), S. 326–327.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

143

eine Bewertung der Betriebsgegenstände zum Veräußerungswert vorzunehmen.667 Stattdessen propagierte er für diese Vermögensposten eine Werthöhe, die durch subjektive Erwägungen aus dem Blickwinkel der Person des Unternehmers unter Berücksichtigung speziell seiner Verhältnisse festzulegen sei. Simon gilt mit seiner Auffassung von der unterschiedlichen Zweckbestimmung als Wegbereiter für die Vereinigung der gesetzlichen Vorschrift mit der kaufmännischen Praxis. Simons „individueller“ Wertbegriff fand in der Folgezeit jedoch wenig Anklang, vielmehr setzte sich Staub mit seinem Ausdruck des „Geschäftswerts“ durch. Nicht die zu willkürlicher Bewertung Anlass gebenden individuellen Verhältnisse des Unternehmers, sondern die objektiven Belange aus der Sicht des Geschäfts seien für die Bewertung relevant.668 In Bezug auf die gesetzlichen Bestimmungen zum Zeitwert für das Aktivvermögen nach § 40 Abs. 2 HGB i.d.F.v. 1897 führte Staub aus, dass es sich dabei sowohl um Höchst- als auch um Mindestvorschriften handle, die unter dem Vorsichtsgedanken zu sehen seien. Während die Einhaltung des Höchstwerts zwingender Natur sei, sei die Minderbewertung lediglich dispositiver Natur.669 Mit der Interpretation des Geschäftswerts nimmt Staub zwischen den grundsätzlich sehr konträren Richtungen der objektiven und der subjektiven Auffassung eine neue Position ein, die als unternehmensbezogene Sichtweise bzw. als Standpunkt des Unternehmens bezeichnet werden kann. Mit Hinweis auf Simon und Staub urteilte das Reichsgericht am 16. März 1899, indem es anführte, dass gemäß Art. 31 ADHGB „sämtliche Vermögensstücke und Forderungen nach dem Werte angesetzt werden, der ihnen zur Zeit der Aufnahme beizulegen ist. […] Nach herrschender Meinung hat das Gesetz den objektiven Wert im Auge, den die Vermögensstücke für das Geschäft haben.“670

Dementsprechend folgte das Reichsgericht mit dieser Begründung vorwiegend der Auffassung des Geschäftswerts von Staub und nicht der unternehmerindividuellen Ansicht Simons.

667 668 669 670

Vgl. SIMON, H. V. (1899), S. 303–306 und 335. Vgl. STAUB, H. (1906), S. 895–896. Vgl. gl.A. LION, M. (1928), S. 54. RGC (1899), S. 127. Hervorhebung im Original gesperrt. Ähnlich auch eine Entscheidung des RG v. 3. November 1899; vgl. RG (1899), S. 158–160.

144

3.2.5.3.4

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

Zunahme der Bedeutung des Anschaffungswertprinzips

Begleitet wurde die Diskussion über den zutreffenden Wertansatz in der Bilanz von der zunehmenden Ausbreitung der Auffassung, wonach der Trend in der allgemeinen Abkehr von der Zeitwertbewertung liege. Obwohl die Geltungsdauer des Zeitwerts zwar im Aktienrecht 1884 ihr Ende fand, für Einzelkaufleute und sonstige Gesellschaften aber auch noch nach der Neuredaktion des HGB im Jahr 1897 beibehalten wurde, veröffentlichten in den folgenden Jahren eine große Anzahl von Bilanztheoretikern ihre Lehren, die sich ebenfalls mit der Frage der Wertbestimmung beschäftigten. Dabei wurde das Verlangen nach einer Abkehr vom Zeitwertansatz im weiteren Verlauf der Diskussion immer deutlicher formuliert. Die Anschauungen derjenigen Schriftsteller, die wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Wertbestimmung und damit letztlich auf das Ende der Zeitwertbewertung hatten, werden im Folgenden aufgezeigt. Im Zusammenhang mit der Kommentierung des Preußischen EStG vom 24. Juni 1891671 sah Regierungsrat v. Wilmowski den primären Zweck der Bilanz in der Ermittlung des Gewinns bzw. Verlusts und nicht in der Feststellung des absoluten Vermögens auf Basis von Veräußerungswerten resp. Zeitwerten.672 Basierend auf der Vorstellung, dass eine Bewertung auf Basis von Zeitwerten in Bezug auf den ermittelten Erfolg falsche Ergebnisse liefere, leitete er die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten als Obergrenze für die Bewertung des Anlagevermögens ab.673 Diese Vorgehensweise sei auch für zum Verkauf vorgesehene Gegenstände erforderlich, wobei hierfür ein eventuell unter dem Anschaffungswert liegender „Verkaufswert“ zum Ansatz kommen müsse.674 Mit Fischer war ein bedeutender Jurist ebenfalls gegen eine Bilanzierung des Anlagevermögens zum Zeitwert. Neuartig an der Lehre von Fischer war jedoch die völlige Ablehnung des Zeitwerts und dem damit verbundenen Ausweis unrealisierter Gewinne. Seiner Ansicht nach solle der Anschaffungswert auch generell beim Umlaufvermögen gelten und dabei sowohl unabhängig von der Person des Unternehmers als auch unabhängig von der Gesellschaftsform sein.675 Die Auffassung von Fischer, wonach der „Selbstkostenpreis“ i.S.d. Anschaffungswerts den zentralen Bewertungsmaßstab darstelle, begründete er mit der historisch bewährten Erfahrung der vorsichtigen Kaufmannspraxis.676 Daneben sei nach Fischer zum Zeitpunkt der Bilanzierung eines Gegenstands ohnehin nicht der an diesem 671 672 673 674 675 676

Vgl. dazu grundlegend KOLISCH, O. (1891). Vgl. WILMOWSKI, B. V. (1896), S. 71. Vgl. WILMOWSKI, B. V. (1896), S. 71–72. Vgl. WILMOWSKI, B. V. (1896), S. 73. Vgl. FISCHER, R. (1905), S. 130. Vgl. FISCHER, R. (1905), S. 132.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

145

Stichtag aktuelle Zeitwert maßgebend, sondern der zu erzielende Preis zum Zeitpunkt seiner konkreten Veräußerung. Da dieser aber in der Zukunft liege, sei er zumeist nicht mit Gewissheit feststellbar.677 Ein weiteres beachtenswertes bilanztheoretisches Werk stellt die 1923 erschienene Schrift „Die Bilanz vom Standpunkt der Unternehmung“678 von Osbahr dar. Osbahr unterscheidet darin drei Anschauungskreise, denen er seinen eigenen Standpunkt als vierten Anschauungskreis gegenüberstellt.679 Für den ersten, den rein handelsgesetzlichen Anschauungskreis, sei das Inventar die Grundlage der Bilanz, sodass als Bewertungsmaßstab der „objektive Veräußerungswert“ i.S.d. Zeitwerts nach der statischen Auffassung in Frage komme.680 Als zweiten Anschauungskreis nannte Osbahr den vorwiegend rechtswissenschaftlich auslegenden Anschauungskreis und als dritten führte er den vorwiegend wirtschaftlich auslegenden, aber buchführungstheoretisch eingeengten Anschauungskreis an.681 Diesen beiden Anschauungen ordnete Osbahr zwar prinzipiell die gleiche Bewertungskonzeption wie schon dem handelsgesetzlichen Anschauungskreis zu, wobei der Zeitwert im dritten Anschauungskreis nur für Veräußerungsgegenstände und nur bei einem Absinken unter den Anschaffungswert herangezogen werde.682 Seine eigene Sichtweise – als erwerbswirtschaftspolitischer Anschauungskreis bezeichnet – erklärte den „Selbstkostenwert“ i.S.d. Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten zum zentralen Wertbegriff.683 Ein ggf. niedrigerer Zeitwert finde nur bei den sog. „Umsatzgütern“684 und bei den „Sicherungs- bzw. Ergänzungsgütern“685, nicht aber bei den „Anlagegütern“686 Berücksichtigung.687 Damit entsprechen die ersten beiden Anschauungskreise von Osbahr der statischen Wertauffassung, während der dritte sowie sein eigener Anschauungskreis eine deutliche Abkehr von dieser Wertermittlungssystematik darstellen.

677

678

679 680 681 682 683 684 685 686 687

Vgl. FISCHER, R. (1905), S. 131. Aus dieser Überlegung leitete Fischer schließlich die Überlegenheit der Anschaffungswerte gegenüber den Zeitwerten ab. Der Standpunkt der Unternehmung wird dem rein handelgesetzlichen Interesse des Gläubigerschutzes und zugleich dem Unternehmensinteresse aus erwerbswirtschaftspolitischer Sicht gerecht; vgl. OSBAHR, W. (1923), S. 114. Die zweite Sichtweise wird weiter oben erklärt: „Aber wirklich erwerben will der Unternehmer, nicht Gewinne nur berechnen“; OSBAHR, W. (1923), S. 98. Vgl. dazu auch WALB, E. (1933), S. 59. Vgl. OSBAHR, W. (1923), S. 1. Vgl. OSBAHR, W. (1923), S. 43. Vgl. OSBAHR, W. (1923), S. 51–86. Vgl. OSBAHR, W. (1923), S. 55 und 81. Vgl. OSBAHR, W. (1923), S. 138, 141 und 159. Vgl. OSBAHR, W. (1923), S. 146–147. Vgl. OSBAHR, W. (1923), S. 168–169. Vgl. OSBAHR, W. (1923), S. 159–160. Vgl. OSBAHR, W. (1923), S. 182–183. Jedoch weicht Osbahr weiter unten von dieser festen Bewertungsvorstellung ab und fordert letztlich sogar, wie schon Passow (siehe hierzu Fn. 621), völlige Bewertungsfreiheit; vgl. OSBAHR, W. (1923), S. 184–186.

146

3.2.5.4

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

Phase der dynamischen Interpretation

Vor dem Hintergrund praktischer Bewertungsprobleme, v.a. bei Eisenbahngesellschaften und anderen Großanlagen, sowie unter dem zunehmenden Einfluss der Befürworter der doppelten Buchführung entwickelte sich die dynamische Auffassung.688 Kennzeichnend für diese Auffassung war die völlige Ablehnung der statischen Auffassung und v.a. ihrer Forderung nach einer Bewertung zum objektiven Wert. Die umfassende Zeitwertbewertung verlor zunehmend an Akzeptanz und wurde schließlich durch die historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten, also das Anschaffungswertprinzip, ersetzt. Schmalenbach gilt als der Begründer und Hauptvertreter dieser Richtung.689 Er sah die primäre Aufgabe der Rechnungslegung in der Ermittlung eines vergleichbaren, vorsichtig ermittelten Periodenerfolgs anstatt in einer zeitpunktbezogenen, d.h. einer vornehmlich an Zeitwerte gekoppelten Reinvermögensermittlung.690 In enger Verbindung mit dem Anschaffungswertprinzip befürwortete Schmalenbach das am Gläubigerschutz ausgerichtete Vorsichtsprinzip mit seinen beiden Ausprägungen des Realisations- und Imparitätsprinzips.691 Damit knüpften die Dynamiker wieder an die Gedanken von Savary und das ALR an, in denen auch die Selbstinformation und Dokumentation der Kaufleute zur Konkursvermeidung und damit die Abzielung auf den Schutz der Gläubiger ein zentraler Zweck der Bilanzierung war. In den Beratungen zum ADHGB von 1861 kristallisierte sich allerdings zunächst eine am Zeitwert orientierte Darstellung der „wahren“ Vermögenslage als die bedeutendste Bilanzaufgabe heraus, die unvereinbar mit der den Anschaffungswert propagierenden dynamischen Bilanzauffassung war. Erst die spätere Akzeptanz des Anschaffungswerts auch in der Steuerbilanz brachte schließlich für die dynamische Bilanztheorie den entscheidenden Durchbruch.692 3.2.6

Eigene Würdigung

Dass der Gesetzgeber mit Art. 31 ADHGB ursprünglich eine generelle Pflichtvorschrift zum Zeitwertansatz beabsichtigte, ist durch den vollzogenen Wechsel von einer objektiven zu einer subjektiven Ausdrucksweise im Verlauf der Beratungen der Nürnberger Kommission zumindest zweifelhaft. Fragwürdig ist v.a. die Annahme, wonach die Kommission den Zeitwert für sämtliche Vermögenswerte 688 689 690

691 692

Vgl. dazu auch OBERBRINKMANN, F. (1990), S. 107–111. Vgl. grundlegend SCHMALENBACH, E. (1926). Die Bilanz fungiert dabei lediglich als ein Abgrenzungskonto; vgl. SCHMALENBACH, E. (1926), S. 343–344. Vgl. dazu auch GUTENBERG, E. (1965), S. 18–19; BAETGE, J./ZÜLCH, H. (2001), S. 548. Vgl. OBERBRINKMANN, F. (1990), S. 174–175. Vgl. OBERBRINKMANN, F. (1990), S. 186. Siehe hierzu Abschnitt 3.3.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

147

beabsichtigte. Aus den Aufzeichnungen der Protokolle wird erkenntlich, dass insbesondere die Abfassung des Wortlauts von Art. 31 ADHGB große Diskussionen auslöste. In den Beratungen zu dieser Vorschrift wurde speziell über die Veränderung des Werts im Warenbestand diskutiert, während andere Vermögensposten dagegen überhaupt nicht erwähnt wurden. Zwar erstreckte sich die spätere Fassung des Art. 31 ADHGB explizit auf sämtliche Vermögenswerte, wobei die Protokolle aber keinen Hinweis geben, demzufolge unter dem beizulegenden Wert auch generell der Zeitwert zu verstehen sei. Festzuhalten bleibt, dass bereits im Verlauf der ersten Lesung die Gewinnermittlung von der Prämisse der Realisation – wie noch im ursprünglichen preußischen Entwurf gemäß Art. 109 Abs. 3 vorgesehen693 – entkoppelt wurde.694 Dennoch brachten die folgenden umfangreichen Beratungen der Nürnberger Kommission keine Konkretisierung in Bezug auf die offene Bewertungsfrage, weshalb letztlich weder das schon vor den Tagungen der Kommission diskutierte Anschaffungsbzw. Niederstwertprinzip noch das Realisations- oder Imparitätsprinzip gesetzlich eingeführt wurden. Die Folge der Abkehr vom Realisationsprinzip war für die Gewinnermittlung, dass der Bewertungsmaßstab zum beizulegenden Wert nach Art. 31 ADHGB sowohl für die Aufstellung der Vermögens- als auch der Ergebnisrechnung maßgeblich war. Wäre es de facto die Absicht des Gesetzgebers gewesen, den Zeitwert grundsätzlich als die allein gültige Bewertungsvorschrift festzulegen, hätte die Bestimmung für Kommanditgesellschaften auf Aktien, wonach deren Bewertungsvorschriften weiterhin ausschließlich in den Statuten zu regeln waren, einen offensichtlichen Missstand im Gesetz bedeutet. Darüber hinaus wurde in den Beratungen der Kommission auch nicht mehr über die noch offenen Fragen zur Ausschüttungsregelung bei unrealisierten Gewinnen diskutiert, die infolge von Wertansätzen bei Vermögenswerten über deren jeweiligen Anschaffungswerten entstanden wären. Eine Bewertung zum Anschaffungswert wäre außerdem im Einklang mit der zu dieser Zeit vorherrschenden Kaufmannspraxis gewesen. Demnach wurden die Vermögenswerte v.a. aus Vorsichtsgründen üblicherweise mit ihren Anschaffungswerten angesetzt.695 Daher kann es kaum die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, gerade diesen Handelsbrauch beseitigen zu wollen. Dies ist ein weiterer Punkt, der gegen eine beabsichtigte Zeitwertbilanzierung spricht.

693 694

695

Siehe hierzu Abschnitt 3.1.2.6. Bereits in der Abstimmung der XXV. Sitzung der 1. Lesung wird Art. 109 Abs. 3 ohne Gegenstimme gestrichen; vgl. KOMMISSION ZUR BERATHUNG EINES ALLGEMEINEN DEUTSCHEN HANDELSGESETZBUCHES (1858), S. 205. Vgl. KEYßNER, H. (1873), S. 240.

148

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

Andererseits ist es bemerkenswert, dass die Gesetzesverfasser ungeachtet des eindeutigen Anschaffungswertprinzips im ersten preußischen Entwurf im Verlauf der Nürnberger Verhandlungen zu Gunsten einer Bewertung zu „wahren“ bzw. „wirklichen“ Werten davon abrückten. In den Motiven zu diesem Entwurf wird betreffend der Verpflichtung zur Aufstellung eines Inventars das Interesse der Gläubiger erwähnt. Dies sollte im Falle einer Zahlungseinstellung für die Gläubiger bzw. Gerichte einen tatsächlichen Überblick über die Vermögenslage des Schuldners ermöglichen. Es ist daher nahe liegend, dass der Gläubigerschutz auch bei der Bewertungsfrage eine Rolle für die Einsetzung des Zeitwerts spielte. Die erwähnten Punkte aus der Entstehungsgeschichte des ADHGB lassen letztlich keine eindeutige Aussage zu. Mithin kann berechtigterweise angenommen werden, dass der Gesetzgeber wohl deshalb mit Absicht in Art. 31 ADHGB mit dem Ausdruck des beizulegenden Werts die etwas unschärfere Formulierung wählte, weil er es gerade vermeiden wollte, den bestehenden Handelsbrauch zu verändern. Stattdessen sollte mit dieser Kompromissformel hauptsächlich eine willkürliche Bewertung vermieden und der Zeitwert vielmehr i.S. einer Höchstbewertungsvorschrift verstanden werden. Die mehrheitliche Interpretation von Art. 31 ADHGB als ausschließlicher Zeitwertansatz leitete zweifelsfrei einen markanten, bilanzrechtlichen Wendepunkt ein, der eine Abkehr von der bis dahin im deutschen Handelsrecht dominierenden Bewertungssystematik gemäß den Vorschriften der Ordonnance de Commerce und des ALR verkörperte.

3.3

Fortentwicklung der Vorschriften zur Zeitwertbewertung

In Übereinstimmung mit der Maßgeblichkeit der bestehenden Handelspraxis, wie sie z.B. von Simon propagiert wurde, bestimmte bereits Art. 19 Abs. 4 der Anweisung des Finanzministers vom 5. August 1891 zur Ausführung des Preußischen EStG vom 24. Juni 1891:696 „Für die Bewerthung der Vermögensstücke und Forderungen bei der Inventur […] ist hiernach die Vorschrift im Artikel 31 des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs, der kaufmännische Gebrauch und innerhalb der durch denselben gezogenen Grenzen das Ermessen des Steuerpflichtigen selbst bestimmend.“

Die in der Folgezeit uneinheitliche Richtung der Jurisdiktion wurde besonders deutlich, als die preußische Steuerrechtsprechung trotz der Ausführungsanweisung 696

Zur Ausführungsanweisung vgl. ausführlich FUISTING, B. (1892), S. 281–463.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

149

in weiteren Urteilen bei Nichtaktiengesellschaften am Zeitwert festhielt. Die Anschauungen der Zeitwertgegner fanden erst viele Jahre später auch steuerrechtlich vollständige Anerkennung: Mit der Einführung von § 6 EStG i.d.F.v. 1934 wurde die ausschließliche Gültigkeit des Bewertungsprinzips zum Zeitwert schließlich für sämtliche Vermögensgegenstände abgelöst.697 Im Anschluss an die zwischenzeitlich vorgenommene Aktienrechtsnovellierung von 1931698 folgte sechs Jahre später ein neues Aktiengesetz, worin mit § 133 AktG i.d.F.v. 1937 wieder die Anschaffungs- und Herstellungskosten des § 185a i.V.m. Art. 239b ADHGB als Wertmaßstab aufgegriffen wurden.699 Als Folge dieser Bewertungsnorm stellte sich – ebenso wie schon um die Jahrhundertwende700 – eine umfangreiche Bildung stiller Reserven ein, in deren Folge die Dividendenbemessung stark rückläufig war.701 Mit dem Urteil des Reichsgerichts vom 26. Oktober 1937 wurde dann endgültig auch außerhalb der Aktienrechts das mittlerweile zum Gewohnheitsrecht gewordene Prinzip anerkannt, wonach alle Vermögenswerte in der Bilanz höchstens zu Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten angesetzt werden durften.702 Das sehr stark am Gläubigerschutz ausgerichtete Aktiengesetz von 1937 und die damit verbundene willkürliche Bemessung von stillen Reserven im Bereich der Aktiengesellschaften veranlasste den Gesetzgeber allerdings erst nach weiteren 28 Jahren zu einem erneuten legislatorischen Eingreifen:703 Mit der Aktienrechtsreform von 1965 wurde auf die Kritik in Bezug auf die Möglichkeit der annähernd beliebigen Reservenbemessung reagiert, wobei die Anschaffungs- und Herstellungskosten gemäß §§ 153 bis 156 AktG i.d.F.v. 1965 weiterhin als Obergrenze beibehalten wurden.704 Darüber hinaus umfasste das neue Gesetz aber auch sehr restriktive Bestimmungen über diejenigen Vermögensgegenstände, bei denen stille Reserven gebildet werden durften und über die entsprechenden Umstände, die zu einem niedrigeren Zeitwertansatz berechtigten.705 Im Verlauf der Entstehung der 4. EG-Richtlinie Ende der 70er Jahre geriet die Zeitwertbilanzierung von neuem in die Diskussion.706 Hohe Inflationsraten waren der Anlass für die Überlegungen, Wiederbeschaffungswerte in der Bilanz anzuset697 698

699 700 701 702 703 704 705 706

Vgl. dazu auch BARTH, K. (1953), S. 200. Die Aktienrechtsnovelle von 1931 führte wegen zahlreicher Konkursfälle die regelmäßige Pflichtprüfung von Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien ein. Zu den Hintergründen vgl. KERLING, H. (1970), S. 147; LEFFSON, U. (1985), S. 4; REICHELT, P. (1998), S. 66–67. Vgl. TEICHMANN, R./KOEHLER, W. (1950), S. 309. Siehe hierzu S. 126. Vgl. FORSTER, K.-H. (1964), S. 422–425. Vgl. RG (1937), S. 747–748. Vgl. BARTKE, G. (1966), S. 301. Vgl. KROPFF, B. (1965), S. 237–249; ALBACH, H. (1966), S. 377–378. Vgl. BARTKE, G. (1966), S. 308–317. Vgl. kritisch HULLE, K. VAN (2000), S. 539–540; SELL, K. (2000), S. 511–513.

150

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

zen, um der Forderung nach substanzerhaltender Bilanzierung gerecht zu werden. Allerdings verzichtete Deutschland bei der Erstellung des BilanzrichtlinienGesetzes (BiRiLiG)707 auf die Inanspruchnahme des Wahlrechts in Art. 33 Abs. 1 der 4. EG-Richtlinie, wonach der Ansatz von Wiederbeschaffungswerten in der Bilanz zulässig gewesen wäre.708 Mit dem BiRiLiG vom 19. Dezember 1985 waren zwar neuerlich umfangreiche Änderungen im Handelsrecht verbunden, jedoch manifestierte der § 253 HGB i.d.F. des BiRiLiG die Beibehaltung der Orientierung am Anschaffungswert unter Anwendung des Niederstwertprinzips als Höchstgrenze für die Bewertung von Vermögensgegenständen. Im Zuge der Umsetzung der Versicherungsbilanzrichtlinie (VersBiRiLi)709 der EU gewann die Zeitwertbilanzierung abermals an Bedeutung, indem Versicherungsunternehmen gemäß Art. 46 Abs. 3 und 4 VersBiRiLi seit dem Geschäftsjahr 1997 zur Offenlegung von Zeitwerten zu ihren Kapitalanlagen im Anhang verpflichtet sind, wenn die Kapitalanlagen zum Anschaffungswert ausgewiesen werden.710 Die Bestimmungen des ADHGB aus dem Jahr 1861, die maßgeblich auf einer Gemeinschaftsarbeit der drei bedeutendsten Mitglieder des Deutschen Bundes Preußen, Bayern und Österreich beruhten, bestanden hingegen in Österreich für Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien noch 76 Jahre unverändert fort. Zwischenzeitlich wurde es lediglich durch diverse Sondergesetze ergänzt.711 Dass es so langer Zeit bis zu einer umfangreichen Reform bedurfte, lag jedoch nicht an der Untätigkeit des Gesetzgebers und bedeutete überdies auch keine Periode des Stillstands in der aktienrechtlichen Entwicklung Österreichs.712 Vielmehr wurden vom österreichischen Bundesministerium für Justiz schon sehr früh insgesamt vier ausgereifte Aktienrechtsentwürfe vorgelegt. Während die ersten drei Entwürfe aus den Jahren 1869713, 1874 und 1882 sogar die parlamentarischen

707

708

709 710

711 712 713

Die Gültigkeit der Vorschriften des HGB i.d.F. des BiRiLiG erstreckte sich auch auf den Bereich der Aktiengesellschaften sowie der Kommanditgesellschaften auf Aktien und löste die bis dahin gültigen aktienrechtlichen Vorschriften ab. Vgl. BIENER, H./BERNEKE, W. (1986), S. 832. Andere Länder, wie z.B. das Vereinigte Königreich, stimmten hingegen für eine Übernahme der Zeitwertbilanzierung von Kapitalanlagen; vgl. SERVE, U. (1995), S. 118–126; KÖLSCHBACH, J. (2000), S. 432–436. Die Übernahme in deutsches Recht erfolgte mit §§ 54 bis 56 RechVersV. Die Vorschrift des Art. 46 Abs. 3 Satz 1 VersBiRiLi lautet: „Werden die Kapitalanlagen zum Anschaffungswert ausgewiesen, so ist im Anhang der Zeitwert anzugeben.“ Zu den Auswirkungen vgl. FARNY, D. (2001), S. 378 –386 und 452–456. Vgl. dazu auch GEIB, G. (1997b), S. 48–58; SCHILDBACH, T. (1998b), S. 580. Vgl. REHME, P. (1914), S. 258–259; KASTNER, W. (1965), S. 3. Vgl. GOLDSCHMIDT, L. (1884), S. 5. Absicht war v.a. die Beseitigung des Konzessionswesens. Das Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichsrats begann zwar noch die Beratungen, die aber durch den kurz darauf folgenden Schluss der Session und der damit verbundenen Auflösung des Hauses vorzeitig ihr Ende fanden.

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

151

Verhandlungen erreichten, verblieb nur der vierte Entwurf von 1900 auf ministerieller Ebene. Für den unter dem Eindruck der Gründerzeit entstandenen zweiten Gesetzentwurf von 1874 leitete die österreichische Regierung Reformbedarf v.a. aus den Missverhältnissen und Lücken des bestehenden Gesetzes ab.714 Die spezielle Bewertungsvorschrift nach Art. 185a des Entwurfs bestimmte bei Vorliegen eines Börsen- oder Marktpreises unverändert den Zeitwert als Obergrenze der Bilanzierung. In der vorangegangenen Spezialdebatte wurde jedoch ein Antrag gestellt, eine Höchstbewertungsvorschrift zum Anschaffungswert einzuführen, der aber nicht angenommen wurde.715 Vehemente Kritik an diesem Reformpaket veranlassten den österreichischen Gesetzgeber die Reformbestrebungen vorerst einzustellen. Der dritte Anlauf, ausgehend von einer Interpellation unter Führung des Abgeordneten Lienbacher, erfolgte im November 1881. Die daraufhin im Jahr 1882 eingebrachte Regierungsvorlage bedeutete erstmals zumindest eine teilweise Abwendung von der Zeitwertbilanzierung. Im Entwurf wurde der entsprechende Art. 185a dahingehend abgeändert, dass in Ergänzung zum Art. 31 ADHGB als Höchstbewertungsgrenze für die zur Weiterveräußerung bestimmten Gegenstände der „Selbstkostenpreis“ maßgebend sei. Das anstelle einer umfassenden Gesetzesreform aufgestellte Aktienregulativ716 vom 20. September 1899 stellte eine reine Verwaltungsvorschrift verschiedener Ministerien dar, deren Zweck eine Erleichterung der Errichtung und Umbildung von Aktiengesellschaften war. Das Regulativ forderte eine Darstellung der Bilanzierungsgrundsätze im Statut und als Korrelat bestimmte § 49 Abs. 4, dass „sämmtliche Aktiven und Passiven nach dem Werthe anzusetzen [sind], welcher ihnen zur Zeit der Aufnahme der Bilanz thatsächlich beizulegen ist.“717

Letztlich blieb somit neben dem staatlichen Genehmigungssystem auch die Zeitwertbilanzierung noch längere Zeit erhalten. Erst die vollständige Übernahme des deutschen Aktiengesetzes von 1937 im Jahr 1938 bedeutete auch für Österreich 714 715 716

717

Vgl. AUSSCHUSS ÜBER DEN GESETZENTWURF (1874), S. 1183. Vgl. ÖSTERREICHISCHER REICHSRATH (1883), S. 3. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts leitete der damalige Finanzminister Kaizl einen erneuten Reformversuch ein. Von der Regierung wurde eine gesetzgeberische Behandlung allerdings als undurchführbar angesehen, sodass sie den offenen Gestaltungsraum durch eine entsprechende Verwaltungspraxis (Aktienregulativ) ergänzte; vgl. NOTHNAGEL, W. (1900), S. 113. Diese Formulierung verdeutlicht die Ansicht der Regierung, wonach spezielle Bewertungsvorschriften nur ungenügend ausreichen, um den Zweck der Bilanzwahrheit zu erreichen. Das Aktienregulativ wurde im Allgemeinen nur als Notbehelf betrachtet zugleich aber auch als notwendiger Zwischenschritt begrüßt; vgl. GRÜNHUT, C. S. (1904), S. 226.

152

3 Entwicklung der Rechnungslegung zum Zeitwert

das Ende der ausschließlichen Zeitwertbilanzierung.718 Mit dem österreichischen Aktiengesetz von 1965 erfolgte schließlich die Austrifizierung dieses Gesetzes, d.h. die Vornahme von noch notwendigen Anpassungen des bestehenden Aktiengesetzes an die österreichische Rechtsordnung.719

718

719

§ 133 des deutschen AktG i.d.F.v. 1937 schreibt als Obergrenze für die Wertansätze in der Jahresbilanz sowohl für das Anlage- als auch das Umlaufvermögen die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten vor. Vgl. KASTNER, W. (1965), S. 4.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

4

Empirische Untersuchung des Einflusses der Zeitwertbewertung nach den Vorschriften des ADHGB auf deutsche Aktiengesellschaften

4.1

Vorbemerkungen

153

Die Anzahl und damit auch die Bedeutung der Aktiengesellschaften nahm in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwar kontinuierlich, aber insgesamt verhältnismäßig langsam zu. In der zweiten Hälfte wurden jedoch im Zuge der gesetzgeberischen Initiativen von 1861, 1870 sowie 1884 v.a. auch in Bezug auf die Bewertungssystematik bedeutende Veränderungen im Handels- bzw. Aktienrecht vorgenommen. Daher wird in den folgenden Abschnitten mithilfe quantitativer Auswertungen untersucht, ob und in welchem Maße die Änderung der kodifizierten Bewertungsmaßstäbe auf die Praxis der Aktiengesellschaften Einfluss hatte und welche Folgen dies ggf. für den Kreis der Kapitalgeber hatte. Ergänzt werden diese Darstellungen im Rahmen der branchenspezifischen Betrachtung durch beispielhafte Einzelfälle. Von besonderem Interesse ist daher für den (Nord-)Deutschen Bund bzw. später für das Deutsche Reich720 die Periode von 1861 bis 1884 und im Vergleich hierzu für Österreich die Periode nach dem Austritt aus dem Deutschen Bund ab 1866. Der Betrachtungszeitraum der folgenden Untersuchungen reicht von 1860 bis 1886 und erstreckt sich somit über alle i.V.m. der Zeitwertbewertung relevanten Gesetzesänderungen sowie zusätzlich über die nach der Aktienrechtsreform von 1884 folgenden zwei Jahre. Damit ist die gesamte Geltungsdauer der Zeitwertbilanzierung für Aktiengesellschaften in Deutschland abgedeckt. Österreich ist als Vergleichsmaßstab deshalb von besonderem Interesse, weil es im Gegensatz zu Deutschland nach 1870 den Konzessionszwang sowie nach 1884 die Zeitwertbilanzierung gemäß Art. 31 ADHGB für Aktiengesellschaften beibehielt. Die quantitativen Analysen umfassen im ersten Teil einerseits den Umfang an Neugründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs in Deutschland und vergleichend dazu in Österreich sowie andererseits die Entwicklung der durchschnittlichen Dividendenhöhe und des Aktienkursindex in Deutschland. Im anschließenden zweiten Teil werden unter Aufgliederung der im ersten Teil dargestellten Ergebnisse die Entwicklungen auf Branchenebene hinsichtlich der Zeitwertbewertung genauer erörtert und um exemplarische Fälle erweitert. Abge720

Nachfolgend werden statt der Bezeichnungen „Deutscher Bund“ und „Deutsches Reich“ vereinfachend die Begriffe „Deutschland“ bzw. „deutsche Staaten“ verwendet.

154

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

schlossen wird dieses Kapitel durch eine Darstellung der Liquidations- und Konkurshäufigkeit in Abhängigkeit von der Dividendenhöhe. Bei der Berechnung der durchschnittlichen Dividenden wurde durchgehend die Methode der arithmetischen Durchschnittsrechnung angewandt. Bei dieser Vorgehensweise wird der Mittelwert der ausgeschütteten Dividenden als der auf den Aktionär entfallende prozentuale Gewinnanteil in Bezug auf den Nominalwert einer Aktie berechnet, ohne dabei – wie bei der quantifizierten Durchschnittsrechnung721 – die Höhe des jeweiligen Grundkapitals der Unternehmen zu berücksichtigen.722 Da es bei den folgenden Untersuchungen allerdings auf den Relativwert der Zahlen untereinander ankommt,723 ist diese Methode zweckmäßiger als die quantifizierte Durchschnittsrechnung.

4.2

Datengrundlage

Obwohl für die deutschen Staaten bereits 1861 mit der Fertigstellung des Entwurfs zu einem ADHGB der zentrale Pfeiler für ein einheitliches Handelsrecht geschaffen worden war, wurden erst erheblich später amtliche Statistiken für das Gebiet der Aktiengesellschaften erstellt. Das Fehlen einer zentralen statistischen Behörde sowie das schwierige und sich häufig verändernde politische Umfeld in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Ursachen für das nur unzureichend vorhandene amtliche statistische Material.724 Deshalb bezogen sich die ersten amtlichen Erhebungen in Deutschland nicht auf das gesamte Staatsgebiet, sondern wurden von einzelnen Staaten erstellt und umfassten deswegen auch nur deren Verwaltungsgebiet.725 Die erste amtliche Statistik für einen einzelnen deutschen Bundesstaat entstand im Jahr 1876 für das Gebiet Preußens und wurde vom Königlichen Statistischen Bureau (Preußisches Statistisches Landesamt) veröffentlicht.726 Diese Aufstellung enthält v.a. Angaben über Dividenden und umfasst den Zeitraum von 1869 bis 1875. Allerdings war dies für einen längeren Zeitraum die einzige Erhebung, weil eine zweite amtliche statistische Untersuchung für Preußen erst wieder im Vorfeld 721

722 723

724

725 726

Bei der quantifizierten Durchschnittsrechnung werden die Grundkapitalien und die wertmäßigen Dividendensummen addiert und beide Summen zueinander ins Verhältnis gesetzt. Vgl. dazu auch WAGON, E. (1903), S. 11–12. Der Einfluss der Zeitwertbilanzierung auf die Dividendenhöhe ist unabhängig vom Grundkapital eines Unternehmens. Zahlreiche Gesellschaften verzichteten überdies auf eine Veröffentlichung ihrer Unternehmensdaten. Deren Geschäftsberichte oder Bilanzen sind daher für Auswertungen nicht verfügbar. Eine Pflicht zur Offenlegung wurde erst später eingeführt. Vgl. dazu auch MOLL, E. (1908), S. 4–5. Vgl. MOLL, E. (1923), S. 143. Vgl. dazu auch MOLL, E. (1908), S. 10.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

155

der Aktienrechtsnovelle von 1884 als Anlage zur Begründung derselben vorgenommen wurde. Diese bietet umfangreiche und verlässliche Übersichten über Gründungen bis Ende 1873 und über Auflösungen bis Ende 1883. Überdies wurde im relevanten Betrachtungszeitraum auch für Bayern im Jahr 1882 eine amtliche Statistik betreffend die Aktiengesellschaften angefertigt. Das Kœniglich Bayerische Statistische Bureau veröffentlichte in ihrer Zeitschrift eine umfangreiche und in Bezug auf die Gründungen von Aktiengesellschaften in Bayern vollständige Übersicht. Hierauf folgte 1884 in einer zweiten Veröffentlichung eine Ergänzung, die einen Nachweis in Bezug auf die Auflösung von Aktiengesellschaften und die Ursachen hierfür enthielt. Die erste das gesamte deutsche Staatsgebiet umfassende Statistik ist eine erst im Jahr 1900 veröffentlichte private Erhebung in der Berliner Zeitschrift „Der Deutsche Oekonomist“,727 die Angaben zum Gründungsumfang von deutschen Aktiengesellschaften für den Zeitraum von 1873 bis 1900 enthält. In Österreich wurden Statistiken bzgl. der Entwicklung von Aktiengesellschaften für die Jahre ab 1871 in den Statistischen Jahrbüchern bzw. beginnend für 1883 in den Österreichischen Statistischen Handbüchern veröffentlicht.728 Zusätzlich wurde 1874 im Zusammenhang mit einem Bericht des sog. Volkswirthschaftlichen Ausschusses Mitte 1874 eine weitere und viel beachtete – allerdings nur einmalig verfasste – amtliche Statistik veröffentlicht. Diese Darstellungen umfassen daher lediglich den Zeitraum von Anfang 1867 bis einschließlich April 1873. Die oben angeführten Abhandlungen enthalten v.a. in Bezug auf die mengenmäßige Entwicklung der Aktiengesellschaften umfangreiches Material. Dagegen sind in den amtlichen Statistiken Bayerns und Österreichs sowie größtenteils auch Preußens in Bezug auf die Höhe der Dividenden und der Kursnotierungen der Aktien729 keine umfangreichen und aussagekräftigen Angaben enthalten, sodass hierfür als Quelle private Erhebungen hinzugezogen wurden. Für die deutschen Aktiengesellschaften bilden v.a. die umfangreichen Rentabilitäts- und Kursangaben aus Saling’s Börsen-Jahrbüchern und den Jahrbüchern der Berliner Börse die Grundlage,730 die durch Angaben aus den Kurszetteln der „Berliner BörsenZeitung“ sowie der in Frankfurt erschienenen Zeitschrift „Der Aktionär“ ergänzt wurden. Bei den erstgenannten drei Quellen stehen die Notierungen an der Berliner Börse im Mittelpunkt, während in den Statistiken der Zeitschrift „Der Aktionär“ auch zahlreiche süddeutsche Aktiengesellschaften aufgeführt sind. Die ersten sehr umfangreichen Angaben für bayerische Aktiengesellschaften wurden erstmals im 1883 erschienenen „Handbuch der Bayerischen Actiengesellschaften“ bzw. ab 727 728

729 730

Enthalten in der Ausgabe v. 13. Januar 1900. Einbezogen wurden sämtliche elf Ausgaben der Statistischen Jahrbücher für die Jahre 1871 bis 1881 sowie sechs Ausgaben des Österreichischen Statistischen Handbuchs für die Jahre von 1882 bis 1887. Im Folgenden sind sämtliche Kursangaben in Prozent des Nennwerts angegeben. Für die Untersuchungen wurden die Ausgaben von Saling’s Börsen-Jahrbüchern von 1881/82 bis 1887/88 und die Ausgaben der Jahrbücher der Berliner Börse von 1879 bis 1882/83 herangezogen.

156

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

1885 im „Handbuch der Bayerischen und Württembergischen Actiengesellschaften“ veröffentlicht.731 Sie reichen jedoch nur bis zum Jahr 1880 zurück und ergänzen daher die folgenden Auswertungen erst ab diesem Zeitpunkt. Durch Heranziehung auch dieser privaten Quellen ist insgesamt eine repräsentative Auswahl für alle Aktiengesellschaften in Deutschland gegeben. Für Österreich sind hauptsächlich in der Zeitschrift „Der Aktionär“ sowie in einer Ausgabe der in Wien erschienenen Zeitschrift „Der Tresor“732 Angaben zu Dividenden von österreichischen Aktiengesellschaften enthalten. Auch in der Veröffentlichung des Volkswirthschaftlichen Ausschusses sind für einige Branchen Daten aufgeführt, die an entsprechender Stelle Erwähnung finden. Die historisch-statistischen Untersuchungen erstrecken sich im Hinblick auf die Dividendenhöhe somit wegen fehlender Informationen über einige Aktienwerte nicht auf alle zu dieser Zeit bestehenden Aktiengesellschaften. Dennoch sind in den nachfolgenden Darstellungen in Summe 1 093 deutsche Aktiengesellschaften in die Untersuchung einbezogen und decken somit über den gesamten Betrachtungszeitraum den weit überwiegenden Anteil am Gesamtbestand ab.733 Es sind zudem nur solche Aktiengesellschaften berücksichtigt, von denen über den gesamten Betrachtungszeitraum (bzw. für die Dauer ihres Bestehens innerhalb dieses Zeitraums) verlässliche Angaben verfügbar sind. In den folgenden Untersuchungen sind neben den reinen Aktiengesellschaften stets auch die Kommanditgesellschaften auf Aktien einbezogen, denen jedoch eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung zukommt.734

4.3

Ergebnisse der empirischen Untersuchung

4.3.1

Branchenübergreifende Darstellung der Entwicklung deutscher Aktiengesellschaften

4.3.1.1

Gründungstätigkeit

Für die Darstellung der Entwicklung von Aktiengesellschaften sind die Anzahl der Gründungen innerhalb eines Jahres sowie die Höhe des dabei eingesetzten Grund731

732 733

734

Für die Auswertungen wurden die Handbücher der Bayerischen Actiengesellschaften von 1883 und 1884 sowie die Handbücher der Bayerischen und Württembergischen Actiengesellschaften von 1885 bis 1887 verwendet. Enthalten in der Ausgabe v. 24. März 1875. In Preußen bestanden beispielsweise Ende 1874 nach Angaben Engels insgesamt 1 132 Aktiengesellschaften; vgl. ENGEL, E. (1876), S. 19. Bis einschließlich 1875 wurden z.B. in Preußen nur 47 Kommanditgesellschaften auf Aktien errichtet. Vereinfachend sind nachfolgend bei der Bezeichnung „(Aktien-)Gesellschaft(en)“ auch die Kommanditgesellschaft(en) auf Aktien gemeint.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

157

kapitals von besonderem Interesse. Da jedoch für Preußen nur bis zum Ende des Jahres 1873 amtliche Daten verfügbar sind, beschränkt sich die folgende Tabelle auf diesen Zeitraum. Zum Vergleich sind die Daten auch für österreichische Aktiengesellschaften angeführt.

Preußen/ Bayern

Gründungen GK (in Mio. Mark) ø GK (in Mio. Mark)

Österreich

Gründungen GK (in Mio. Gulden) ø GK (in Mio. Gulden)

Tab. 4.1:

vor 1871 371 2 621,7

1871

1872

1873

216 864,2

510 1 265,4

182 471,4

1871– 1873 908 2 601,0

7,067

4,001

2,481

2,590

2,865

364

109

215

117

441

1 618,2 4,446

242,7 2,226

1 049,9 4,883

550,4 4,705

1 843,0 4,179

Anzahl der Gründungen von Aktiengesellschaften und dafür eingesetztes Grundkapital in Preußen/Bayern und Österreich bis 1873

In den beiden deutschen Staaten Preußen und Bayern wurden in der Zeit zwischen der ersten Gründung einer Aktiengesellschaft im Jahr 1790 und dem Jahr des InKraft-Tretens der Aktienrechtsnovelle 1870 insgesamt 371 Aktiengesellschaften gegründet. Den privat erhobenen Daten von Weinhagen und Wirth zufolge wurden dabei zwischen 1860 und 1870 jährlich in Preußen durchschnittlich 14,3735 und nach der amtlichen Statistik des Kœniglich Bayerischen Statistischen Bureaus in Bayern 6,5 Neuemissionen durchgeführt.736 Demgegenüber wurden allein im Jahr 1872 mit einer Gesamtzahl von 510 wesentlich mehr Aktiengesellschaften als im gesamten vorherigen Zeitraum errichtet, was durchschnittlich annähernd 1,4 Gründungen pro Tag bedeutete. Während der dreijährigen Hauptphase des Gründerbooms zwischen 1871 und 1873 betrugen die Neuemissionen die beträchtliche Summe von 908. Zwischen 1871 und 1874 wurde beispielsweise in Preußen die gleiche Anzahl an Hochöfen, Eisenhütten und Maschinenfabriken wie in den gesamten vorangegangenen siebzig Jahren errichtet.737 Dabei betrug das zum Zeitpunkt der Gründung eingesetzte Grundkapital bei den in den Jahren 1871 bis 1873 errichteten 908 Aktiengesellschaften mit 2 601,0 Mio. 735 736

737

Vgl. WEINHAGEN, N. (1866), S. LVIII; WIRTH, M. (1890), S. 470. In den Jahren vor 1870 belastete in Deutschland v.a. die Angst vor einem Krieg gegen Frankreich die allgemeine wirtschaftliche Stimmung. Nach der im Januar 1871 erfolgten Kapitulation von Paris und der damit endgültigen Niederlage Frankreichs im Deutsch-Französischen Krieg erhielt das Deutsche Reich schließlich eine beträchtliche Kriegsentschädigung i.H.v. 5,57 Mrd. Francs (einschließlich Zinsen und Kontributionen), die zu dieser Zeit einem Gegenwert von 4,45 Mrd. Mark entsprach; vgl. GÖMMEL, R. (1992), S. 153. Vgl. WIRTH, M. (1890), S. 567.

158

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

Mark nur geringfügig weniger als bei allen in der Zeit vor 1871 entstandenen 371 Aktiengesellschaften mit 2 621,7 Mio. Mark. Hinzu kamen die zahlreichen und teils sehr immensen Grundkapitalerhöhungen bei schon bestehenden Aktiengesellschaften, die oftmals bis zum 30fachen des bisherigen Grundkapitals betrugen. Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich vorgenommenen Kapitalerhöhungen summierte sich dabei etwa in Preußen das gesamte Grundkapital bis Ende 1873 auf die beträchtliche Summe von 5 359,4 Mio. Mark.738 Der Umfang der Emissionen überstieg damit bei weitem die angesammelten Ersparnisse.739 Selbst die von Frankreich ab 1871 geleisteten Reparationszahlungen reichten nicht aus, um das dafür benötigte Grundkapital zur Verfügung zu stellen. Das hatte u.a. zur Folge, dass häufig nur die gesetzlich vorgeschriebenen 40% des statuierten Grundkapitals einbezahlt wurden. Neben diesem hohen Eigenkapitalbedarf wurde von den Unternehmen aber auch auf dem Fremdkapitalmarkt eine weitere große Geldsumme in Form von Prioritäten, Anleihen und Pfandbriefen in Anspruch genommen.740 Die Folge der gesteigerten Gründungstätigkeit bei nicht proportional steigendem Grundkapitaleinsatz war, dass das durchschnittliche Grundkapital bei Neuerrichtungen während der Gründerzeit mit 2,865 Mio. Mark wesentlich geringer als bei bereits zuvor entstandenen Unternehmen mit 7,067 Mio. Mark war. Dies ist im Wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen: Zum einen wurden nach 1870 weniger Unternehmungen im Eisenbahngewerbe errichtet, für die ein besonders hoher Kapitaleinsatz charakteristisch war. Zum anderen wurden immer häufiger schon bestehende und im weiteren Verlauf der Boomphase immer kleinere Unternehmen in Aktiengesellschaften umgewandelt.741 Durch die schnell fortschreitende Gründungstätigkeit weiteten sich nämlich die Umwandlungen aufgrund fehlender Alternativen zunehmend auf immer kleinere Betriebe aus, für deren Betrieb die Rechtsform der Aktiengesellschaft aber nur noch selten geeignet war.742 In Österreich wurden vor 1871 insgesamt 364 Neugründungen mit einem gesamten Grundkapital von 1 618,2 Mio. Gulden vorgenommen. Im Zeitraum von 1871 bis 1873 wurden dagegen 441 neue Aktiengesellschaften mit einem Grundkapital von 1 843,0 Mio. Gulden statuiert. Die Periode des Aufschwungs hatte mit 215 getätigten Gründungen gleichermaßen wie in den beiden deutschen Staaten im Jahr 1872 ihre Spitze. Aus obiger Übersicht geht somit zweifelsfrei hervor, wie sehr der Kapitalmarkt insbesondere gegen Ende der Gründerphase überhitzt war. Darüber hinaus wurde es immer offensichtlicher, dass v.a. ab 1872 entsprechende Vermögenswerte in 738 739 740 741 742

Vgl. REICHSTAG (1884a), S. 238. Vgl. REICHSTAG (1884a), S. 241; WIRTH, M. (1890), S. 472. Vgl. WIRTH, M. (1890), S. 469–470. Vgl. ENGEL, E. (1876), S. 80. Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1878), S. 15–19.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

159

Höhe des statuierten Grundkapitals reell gar nicht mehr vorhanden sein konnten.743 Trotz der schwierigen Verhältnisse an den deutschen und österreichischen Börsenplätzen Mitte des Jahres 1873 dauerten die Gründungsvorgänge in Deutschland noch einige Zeit an. Bis in den Herbst desselben Jahres kam es speziell in Berlin noch mehrfach zu Gründungsaktivitäten, die teils sogar zu einer Notierung an der Berliner Börse führten.744 Für die weitere Entwicklung von 1874 bis 1886 bzgl. der Neubildung von Aktiengesellschaften gibt die nachfolgende Abbildung für das gesamte Gebiet Deutschlands einen Überblick. Zur Verdeutlichung der Ausmaße gegenüber der zuvor stattfindenden Boomphase sind zusätzlich für 1871 bis 1873 die Gründungsvorgänge in den beiden deutschen Staaten Preußen und Bayern aufgeführt.

600

510

500 400 216

192 55

42

44

42

45

1878

1879

100

1877

90

1876

182

200

1875

300

97 111 94

153 70

113

Abb. 4.1:

1886

1885

1884

1883

1882

1881

1880

1874

1873

1872

1871

0

Neugründungen von Aktiengesellschaften in Deutschland von 1874 bis 1886

[Quelle: O.V. (1900), S. 12]

Auf die Mitte des Jahres 1873 ausgebrochene Krise an den Börsenplätzen745 folgte die Zeit des lang anhaltenden wirtschaftlichen Niedergangs – von Rosenberg auch als Epoche der „Großen Depression“746 bezeichnet. Im Verlauf dieser Depressionsphase nahm die Anzahl der Neuemissionen gravierend ab. Umfangreichere Neuerrichtungen setzten in Deutschland erst wieder nach 1879 ein. Lediglich das 743 744 745

746

Vgl. gl.A. O.V. (1876), S. 4; REICHSTAG (1884a), S. 238. Vgl. GLAGAU, O. (1876), S. 21. Am 5. Mai 1873 führten unerwartet negative Meldungen einer ungarischen und einer österreichischen Bank an der Wiener Börse zum Ausbruch der Krise; vgl. SCHÄFFLE, A. E. F. (1874), S. 41–42. ROSENBERG, H. (1967), S. 22.

160

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

Jahr 1882 war zwischenzeitlich durch die französische Bontoux-Krise überschattet.747 Eine wesentlich gesteigerte Gründungstätigkeit war schließlich erst wieder im Vorfeld der Aktienrechtsnovelle von 1884 zu beobachten, als 1883 immerhin schon wieder 192 neue Aktiengesellschaften gebildet wurden. Die Anzahl an Gründungen, die schließlich auch noch im Reformjahr selbst mit 153 Neubildungen ebenfalls hoch war, erreichte aber bei weitem nicht mehr das Niveau der Hochphase der Gründerzeit. Nach der Novelle von 1884 trat aufgrund präzisierter bzw. verschärfter Regelungen im Aktienrecht abermals ein deutlicher Rückgang bei der Anzahl an Neuemissionen auf.748 In Österreich wurde die Vorschrift zur Bilanzierung zum Zeitwert nach Art. 31 des Entwurfs zum ADHGB ebenso wie von Preußen und Bayern im Jahr 1861 unverändert übernommen, allerdings kam es nach mehreren gescheiterten Reformversuchen erst im Jahr 1938 zum Ende des vollständigen Zeitwertansatzes.749 Wie sich die Anzahl der Neuerrichtungen von Aktiengesellschaften in Österreich nach dem Austritt aus dem Deutschen Bund im Jahr 1866 bis ebenfalls 1886 entwickelte, ist in folgender Abbildung dargelegt.

250

215

200 150

115

100

117

109

7

5

7

2

3

15 12 7

4

3

2

8

1880

1883

1884

1885

1886

20

1879

27

1878

16

1877

5

1876

50

1875

78

Abb. 4.2:

747

748 749

1882

1881

1874

1873

1872

1871

1870

1869

1868

1867

1866

0

Neugründungen von Aktiengesellschaften in Österreich von 1866 bis 1886

Infolge spekulativer Geschäfte erlitt die französische Bank Bontoux Konkurs; vgl. O.V. (1900), S. 12; WAGON, E. (1903), S. 4. Vgl. gl.A. WAGON, E. (1903), S. 6. Siehe hierzu Abschnitt 3.3.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

161

In den ersten drei Jahren ab 1866 erlebte Österreich zunächst eine nur allmählich ansteigende Gründungstätigkeit im Bereich der Aktiengesellschaften. Der Gründungsboom setzte mit 115 Gründungen im Jahr 1869 und damit ca. zwei Jahre früher als in den beiden oben dargestellten deutschen Staaten ein.750 Inmitten der Hochphase der deutschen Gründerzeit nahm auch die österreichische Gründungsaktivität gleichermaßen wie in Preußen und Bayern außergewöhnliche Dimensionen an.751 Bis zum Ende des Gründerbooms 1873 stieg der Bestand an Aktiengesellschaften auf 681 und hatte sich damit gegenüber 1869 mit einer Gesamtzahl von 295 innerhalb von nur vier Jahren mehr als verdoppelt. In der anschließenden Depressionsphase nahmen die Neuemissionen jedoch ebenfalls dramatisch ab. Bis 1886 verblieb die Gründungstätigkeit auf sehr niedrigem Niveau und aufgrund der Tatsache, dass die Anzahl der Auflösungen die der Neugründungen überstieg, nahm die Gesamtanzahl von 1873 bis zu ihrem Tiefpunkt 1885 beständig auf nur noch 414 ab. Insbesondere das nach der Gründerzeit eingeführte komplizierte Klassen- und Zuschlagssystem der Steuergesetzgebung hatte hemmende Wirkung auf die Entwicklung der Aktiengesellschaften, wodurch die Rechtsform der Aktiengesellschaft – im Vergleich zu anderen Unternehmensformen – erheblich benachteiligt wurde.752 4.3.1.2

Dividenden

Ein zentraler Kritikpunkt in Bezug auf eine umfassende Zeitwertbilanzierung betrifft die damit verbundene Verteilung noch nicht realisierter Gewinne in Form von Dividende an die Eigenkapitalgeber.753 Zudem führt nach Ansicht der Kritiker eine umfassende Bilanzierung nach dem Zeitwert zu volatileren Periodenerfolgen. Aus diesem Grund ist die Entwicklung der durchschnittlichen Höhe der Dividen750

751

752 753

In Österreich konnten in den Jahren 1867 bis 1869 im Gegensatz zum westlichen Teil Europas hervorragende Ernteerträge erzielt werden. Dies hatte auch positiven Einfluss auf die Einnahmen im Eisenbahngewerbe, weil umfangreiche Getreidetransporte innerhalb Europas durchzuführen waren. Die in den Jahren vor 1870 zahlreich erfolgten Eisenbahngründungen führten schließlich auch zu einer starken Gründungstätigkeit in anderen Branchen, insbesondere der Eisen- und Montanindustrie; vgl. dazu auch WIRTH, M. (1890), S. 461; GÖMMEL, R. (1992), S. 154. Die an Deutschland zu leistenden Kriegsreparationen Frankreichs gaben auch für Österreich einen außerordentlichen Impuls, weil Teile der Kriegsreparationen auch zu Investitions- und Spekulationszwecken in Österreich eingesetzt wurden; vgl. NEUWIRTH, J. (1874), S. 13. Vgl. WESTPHAL-CONN, P. (1884), S. 73–78. Aufgrund der zu dieser Zeit noch nicht bestehenden Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz ist ein überhöhter Liquiditätsabfluss infolge einer durch die Zeitwertbewertung hervorgerufenen übermäßigen Steuerzahlung nicht Gegenstand der nachfolgenden Erörterung. Die Steuerbemessung orientierte sich z.B. nach dem preußischen Steuergesetz v. 1. Mai 1851 an den Einnahmeüberschüssen, ohne dafür konkrete Bewertungsregeln zu enthalten; vgl. SCHNEIDER, D. (2001), S. 880–882. Erst mit dem Preußischen EStG v. 24. Juni 1891 wird der Maßgeblichkeitsgrundsatz erstmals steuerrechtlich verankert. Vgl. dazu ausführlich GNEIST, R. V. (1878); BARTH, K. (1953), S. 61–62.

162

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

denausschüttung von Aktiengesellschaften ein geeigneter Indikator, um den in Deutschland von der Zeitwertbewertung ausgehenden Effekt auf die Substanz bzw. Stabilität und die Ergebnissituation dieser Rechtsform zu untersuchen.754 Von besonderem Interesse ist dabei die Dividendenhöhe von Aktiengesellschaften, die im Verlauf der Gründerzeit errichtet wurden, weil bei den in diesem Zeitabschnitt errichteten Gesellschaften noch keine oder nur geringe Rücklagen vorhanden waren und darüber hinaus die fehlenden Vorschriften zur Bewertung oftmals im Zusammenhang mit der Gründung bewusst missbraucht wurden, um die gewünschte Dividendenhöhe zu berechnen und dadurch neue Kapitalgeber anzulocken.755 Diese Gründungsphase ist daher in unten stehender Abbildung im Vergleich zu den vor und zu den nach diesem Zeitraum entstandenen Aktiengesellschaften dargelegt. Zudem ist die Anzahl der je Jahr in die Erhebung einbezogenen Gesellschaften für die jeweilige Gründungsphase angegeben. vor 1871 279 280 284 286 278 289 284 287 291 304 326 319 312 292 286 269 259 255 253 247 245 242 232 226 224 221 220 1871– 50 280 419 404 344 305 285 276 271 267 263 250 248 241 233 226 1873 1874– 2 5 10 19 25 41 76 96 137 155 171 190 1886 Total 279 280 284 286 278 289 284 287 291 304 326 369 592 711 690 615 569 550 548 543 553 581 578 611 620 625 636

14,0%

12,4 13,3 11,5

12,0% 10,0% 7,0 7,3 7,1 6,8

8,0% 6,0% 4,8 4,9

Abb. 4.3:

755

9,8 8,6 8,3 9,8 9,0

8,0 8,2

5,1 5,4 5,0 3,3 3,5 4,4 3,0 2,7

2,4 2,3 2,6

3,2

5,5 4,8

5,1 5,4 5,4 5,3 5,1

4,5 4,8 4,9 4,0 3,7

5,0 4,9

1860 1861 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886

2,0%

754

5,4 5,7 vor 1871 1871-1873 1874-1886 Total

4,0%

0,0%

7,5

8,6 8,0

10,7 10,5 10,1 10,3 9,2 9,0 8,9 8,5

Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Aktiengesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886

Auch vor dem Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund 1866 sind österreichische Aktiengesellschaften nachfolgend außer Betracht gelassen. Siehe hierzu Abschnitt 3.2.3.1.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

163

Die Dividendenentwicklung der vor 1871 errichteten Aktiengesellschaften verlief zwischen 1860 und 1870 mit Ausnahme eines vergleichsweise größeren Anstiegs 1864756 und den darauf folgenden drei Jahren757 mit leicht rückläufiger Dividende insgesamt sehr moderat ansteigend. Während der ersten beiden Jahre der Hauptphase der Gründerzeit 1871 und 1872 kam es jedoch zu einem sprunghaften Anstieg der durchschnittlichen Dividendenhöhe, die mit 12,4% bzw. 13,3% jeweils deutlich mehr als in allen anderen vorangegangenen Jahren betrug. Die durchschnittliche Dividende dieser Unternehmen sank nach 1872 wieder kontinuierlich ab, wobei sich der Tiefpunkt 1877 mit immerhin noch 8,0% wieder exakt auf dem Stand von 1869 einstellte. Ab diesem Zeitpunkt stiegen die Ausschüttungen schließlich wieder allmählich an, ehe sie nach der Reform des Aktienrechts von 1884 abermals leicht rückläufig waren. Die im Verlauf der Gründerzeit, folglich zwischen 1871 und 1873, errichteten Aktiengesellschaften schütteten über den gesamten Vergleichszeitraum signifikant weniger an Dividende aus als die zuvor, aber auch als die danach gegründeten Unternehmen. Besonders auffällig ist dabei jedoch der Rückgang, der bei diesen Unternehmen nach 1872 einsetzte: Während 1871 und 1872 mit 9,8% und 9,0% ebenso wie bei alten Aktiengesellschaften vergleichsweise sehr hohe Dividenden verteilt wurden, verringerte sich die durchschnittliche Dividende bis zum Jahr 1877 auf nur noch 2,3%. In diesem Zeitraum waren die Anteilseigner mit einer nur sehr geringen Rentabilität ihres eingesetzten Kapitals konfrontiert, die im Zusammenhang mit den erlittenen Kursverlusten häufig zu immensen Einbußen aufseiten der Eigenkapitalgeber führten. Nach 1877 zeichnete sich am Aktienmarkt – nachdem allerdings viele Unternehmen bereits notgedrungen aufgelöst worden waren – zumindest eine leichte Erholung ab. Dennoch lagen die maximal verteilten 5,0% für das Jahr 1885 um ein Beträchtliches unterhalb der Werte, die während der Gründerzeit zu beobachten waren. Auch bei den Gesellschaften aus der Gründerzeit war, ebenso wie bei den älteren Unternehmen, nach der Aktienrechtsnovelle von 1884 eine Seitwärtsbewegung feststellbar. Die Dividendenverteilung der aus der Zeit nach 1873 stammenden Unternehmen bewegte sich meist unter dem Gesamtdurchschnitt, war aber merklich höher als bei den aus der Gründerzeit stammenden Gesellschaften. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums fand jedoch eine allmähliche Annäherung dieser beiden Unternehmensgruppen statt, sodass auch diese Unternehmen bei weitem nicht an das Niveau der alten Gesellschaften heranreichen konnten.

756

757

Die durchschnittliche Dividendenhöhe bei Versicherungsgesellschaften war für 1864 (17,9%) im Vergleich zum Vorjahr (12,9%) wesentlich höher, was auf einem Jahr mit besonders wenigen Schadensfällen beruht; siehe hierzu Abschnitt 4.3.2.7. Dieser Zeitabschnitt war u.a. vom Deutschen Krieg (1866) beeinflusst.

164

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

Folgende Zahlen veranschaulichen die außerordentlichen Zustände der deutschen Aktiengesellschaften während der Gründerzeit und der anschließenden Periode der Depression: •

Im Jahr 1871 verteilten insgesamt 64 aller 369 (17,3%) in die Untersuchung einbezogenen Aktiengesellschaften mindestens 15% Dividende und ein Jahr später belief sich deren Anzahl auf 102 von insgesamt 592 (17,2%). Von diesen 102 Unternehmen fand bei 75 Unternehmen, also der überwiegenden Mehrheit, die Gründung vor 1871 statt. Von allen betrachteten Gesellschaften nahmen lediglich 39 (10,6%) für 1871 bzw. 60 (10,1%) für 1872 überhaupt keine Ausschüttung vor.



Nach der Börsenkrise 1873 änderte sich das Bild jedoch grundlegend, was sich in den nur noch sehr geringen durchschnittlichen Ausschüttungen widerspiegelt: Allein 1873 verteilten 203 der 711 (28,6%) in diesem Jahr betrachteten Aktiengesellschaften überhaupt keine Dividende und im Tiefpunktjahr 1877 belief sich deren Anzahl sogar auf 212 von insgesamt noch verbliebenen 550 (38,5%) Gesellschaften. Im selben Jahr betrug die Ausschüttung dagegen bei nur noch 32 (5,8%) Unternehmen mindestens 15%, wovon jedoch lediglich sechs nicht auf die Versicherungsbranche entfielen und überhaupt nur eine einzige Gesellschaft aus der Gründerphase stammte.

4.3.1.3

Aktienkursindex

Die Entwicklung der Aktienkurse ist in Bezug auf die Zeitwertbilanzierung deshalb von besonders großer Bedeutung, weil sie als Maßstab zum einen für die Einnahmensituation der Eigenkapitalgeber und zum anderen für die Bewertung des Wertpapierbestands dient. Somit nehmen die Entwicklungen an den Aktienmärkten gewichtigen Einfluss v.a. auf die Bilanzen bzw. Ergebnisrechnungen der Finanzinstitute, die typischerweise große Wertpapierbestände halten. Zur graphischen Veranschaulichung der allgemeinen Entwicklung der Börsenkurse zwischen 1860 und 1886 dient der Verlauf des deutschen Aktienkursindex in nachfolgender Abbildung. Dabei sind wiederum die Entwicklungen nach Einführung des ADHGB im Jahr 1861, nach In-Kraft-Treten der ersten Aktiennovelle von 1870 sowie der zweiten Aktiennovelle von 1884 von besonderer Bedeutung. Die Indexwerte sind aus monatlichen Angaben errechnet und stellen dementsprechend den Durchschnitt eines Jahres dar.758 Der Aktienindex für das erste Jahr (1860) entspricht 100,0.

758

Vgl. dazu auch DEUTSCHE BUNDESBANK (1976), S. 295.

149,8 151,2

155,2

161,4

165

160,2

160,2

152,8

118,7

98,8

93,8

102,1

125,4

158,3

205,7

208,5

155,0

132,2

130,6

123,5

115,9

113,5

128,4

125,6

122,5

118,2

103,8

100,0

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

220 200 180 160 140 120 100

1860 1861 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886

80

Abb. 4.4:

Index der Aktienkurse in Deutschland von 1860 bis 1886

[Quelle: DONNER, O. (1934), S. 97–98]

Wie aus obigem Chart hervorgeht, entwickelte sich der Index nach Abschluss der Beratungen zum ADHGB von 1860 bis 1870 – mit zwischenzeitlich leichten Kurseinbußen in den vom Krieg beeinflussten Jahren 1866 und 1867 – insgesamt gemäßigt ansteigend. Gleichzeitig mit der Aktiennovellierung von 1870 und dem Beginn der Gründerzeit setzte auch ein rasanter Börsenaufschwung ein. In der Hauptphase der Gründerzeit von 1871 bis etwa Mitte 1873 konnten besonders starke Kursanstiege verzeichnet werden. Für das Jahr 1871 betrug der Anstieg bereits mehr als 17% und für 1872 sogar fast 35% im Vergleich zum Vorjahr. Obwohl Mitte 1873 die Börsenkurse drastisch einbrachen,759 war trotzdem für das Gesamtjahr aufgrund der bereits im ersten Halbjahr erzielten Kursgewinne eine nur leicht rückgängige Tendenz zu konstatieren.760 Der Abwärtstrend verstärkte sich jedoch in den folgenden Jahren merklich, wobei die Stärke des Abwärtszyklus gravierende Ausmaße annahm.761 So verringerte sich die Marktkapitalisierung bereits im Jahr 1874 um 1,5 Mrd. Mark gegenüber dem Vorjahr.762 Den absoluten Tiefpunkt erreichte der Aktienmarkt schließlich erst im Jahr 1877, als der Index 759 760

761 762

Vgl. dazu ausführlich ENGEL, E. (1876), S. 63–67. Die Kursrückgänge zum Ende des Jahres 1873 summierten sich allerdings auf 46% im Vergleich zum Ende des Vorjahres und in Österreich minderten sich die Kurswerte zwischen 31. März und 28. Oktober 1873 um durchschnittlich 43%; vgl. GÖMMEL, R. (1992), S. 155–156. Bereits am 18. Juni 1873 erreichten die Kursverluste an der Berliner Börse einen Betrag von 400 Mio. Mark; vgl. WIRTH, M. (1890), S. 539. Vgl. dazu auch TILLY, R. H. (1990), S. 81. Vgl. O.V. (2002b).

166

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

sogar unter das Ausgangsniveau von 1860 fiel. Zwischen 1873 und 1877 mussten die Aktionäre somit beträchtliche Verluste hinnehmen, die zu einem großen Teil auch in einem Totalverlust ihrer Einlage bestanden, weil viele Aktien durch unfreiwillige Unternehmensbeendigungen wertlos geworden waren. Erst ab 1878, nachdem die wirtschaftliche Talsohle durchschritten war, konnten auch die Börsen wieder deutlich an Schwung gewinnen. Bis 1881 wurden jährlich wieder größere Kursgewinne verbucht, wobei der Aktienkursindex aber dennoch bei weitem nicht mehr das Niveau von 1872 oder der ersten Hälfte von 1873 erreichte. Nach 1881 stellte sich beim Index über einen Zeitraum von mehreren Jahren eine Stagnation ein. Sowohl im Jahr vor als auch in den beiden Jahren nach der Aktienrechtsreform von 1884 zeigte sich sogar wieder ein leichter Kursrückgang, der sich erst wieder im Verlauf des Jahres 1886 umkehrte. 4.3.1.4

Liquidationen und Konkurse

Um den Vorwurf der Gefahr des Verzehrs von existenznotwendiger Substanz durch Ausschüttung von noch nicht realisierten Gewinnen infolge einer umfassenden Zeitwertbewertung zu untersuchen, werden nachfolgend die bei Aktiengesellschaften aufgetretenen Liquidations- und Konkursfälle wiederum unterteilt nach Gründungszeiträumen aufgezeigt. Dazu sind die nachstehenden Liquidations- bzw. Konkursfälle nach dem Gründungszeitraum in die Zeit vor 1871, in die drei Jahre während der Hauptphase der Gründerzeit und in die Zeit zwischen 1874 und 1883 aufgeteilt. Berücksichtigt sind nachfolgend alle Liquidationen und Konkurse, die im Zeitraum zwischen 1870 und 1883 auftraten. Gesellschaften, die zuerst in Liquidation und anschließend in Konkurs traten, sind nur einmalig als Konkursfall berücksichtigt. Zur Veranschaulichung der Ausmaße sind in nachstehender Tabelle für die deutschen Staaten Preußen und Bayern sowie zum Vergleich für Österreich zum einen die absolute Anzahl an Liquidations- und Konkursfällen und zum anderen deren prozentualer Anteil an den innerhalb des jeweiligen Gründungszeitraums durchgeführten Neuerrichtungen aufgeführt:

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

Preußen/ Bayern

Liquidationen

vor 1871 53

1871– 1873 268

1874– 1883 22

in % v. Gründungen

14,3

29,5

15,1

24,1

Konkurse

30

67

9

106

in % v. Gründungen

8,1

7,4

6,1

7,4

Liquidationen/Konkurse Österreich

Tab. 4.2:

167

Total 343

83

335

31

449

in % v. Gründungen

22,4

36,9

21,2

31,5

Liquidationen

102

261

10

373

in % v. Gründungen

28,0

59,2

12,2

42,1

Konkurse

29

53

0

82

in % v. Gründungen

8,0

12,0

0,0

9,2

Liquidationen/Konkurse

131

314

10

455

in % v. Gründungen

36,0

71,2

12,2

51,3

Anzahl der Liquidationen und Konkurse von Aktiengesellschaften in Preußen/ Bayern und Österreich zwischen 1870 und 1883

Von den 371 vor dem Jahr 1871 in Preußen und Bayern gegründeten Aktiengesellschaften mussten zwischen 1870 und 1883 insgesamt 53 (14,3% der Gründungen) in Liquidation bzw. weitere 30 (8,1%) in Konkurs treten, was einer gesamten Auflösungsquote von 22,4% entspricht. Bei den in den folgenden drei Jahren ins Leben getretenen 908 Gesellschaften mussten hingegen 268 (29,5%) innerhalb der nächsten zehn Jahre wieder liquidiert werden bzw. weitere 67 (7,4%) den Konkurs eröffnen. Damit stieg die Quote der zwangsweisen Unternehmensbeendigungen der in diesen drei Jahren gegründeten Unternehmen auf mehr als ein Drittel. Bei den aus der Zeit nach 1873 stammenden Gesellschaften normalisierten sich die Verhältnisse, indem sich mit einer Gesamtauflösungsquote von 21,2% etwa wieder die Bedingungen einstellten, die bei Gesellschaften aus der Periode vor der Gründerzeit zu beobachten waren. Allein die 139 bis zum Jahr 1884 in Preußen abgewickelten Liquidationen ergaben bereits einen Verlust des Grundkapitals i.H.v. knapp 242 Mio. Mark, wobei die Eigenkapitalgeber in 69 Fällen nichts und in weiteren 70 Fällen weniger als pari erhielten. Die Fremdkapitalgeber gingen dabei in einem Fall völlig leer aus und erlangten in vier weiteren Fällen nur eine teilweise Erstattung ihrer Forderungen.763 Von den 84 Konkursen in Preußen bekamen ebenfalls zum Stand 1884 die Eigenkapitalgeber in 57 Fällen keine Entschädigung für ihre Ansprüche. In 43 Fällen erlangten zudem die nicht bevorrechtigten Fremdkapitalgeber und in zwei

763

Vgl. REICHSTAG (1884a), S. 239–240.

168

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

Konkursen selbst die bevorrechtigten Fremdkapitalgeber keine volle Befriedigung ihrer Forderungen.764 In Österreich zeigten sich die negativen Folgen der Gründerzeit noch merklicher als in den deutschen Gebieten: So stieg die Quote der in Liquidation gegangenen Aktiengesellschaften von 28,0% mit Gründungsjahr vor 1871 auf außergewöhnlich hohe 59,2% für die von 1871 bis 1873 errichteten Aktiengesellschaften. Ebenso stieg die Konkursrate in diesem Zeitraum auf 12,0% gegenüber 8,0% zuvor sichtlich an. Auch in Österreich nahm die Auflösungsquote der jüngeren, d.h. der nach 1873 errichteten Unternehmen, auf nur noch 12,2% gravierend ab und war mit nur zehn Liquidations- und keinem Konkursfall sogar wesentlich niedriger als vor der Krise. 4.3.1.5

Fazit

Wie die Entwicklung der Gründungen, der durchschnittlichen Dividenden und des Aktienkursindex sichtbar macht, brachte die Übernahme des Entwurfs zum ADHGB mit seiner Zeitwertvorschrift in Art. 31 weder für die deutschen Staaten noch für Österreich eine wesentliche Reaktion. Erst mit dem Beginn der Gründerzeit, die zeitgleich zur Novellierung des deutschen Aktienrechts erfolgte, setzte ein außerordentlicher Aufschwung ein, der aber nicht in direktem Zusammenhang mit der Zeitwertbewertung nach Art. 239a ADHGB stehen kann, weil mit dieser Aktienrechtsnovellierung lediglich eine Präzisierung der Bewertungsvorschrift bzgl. der börsennotierten Wertpapiere erfolgte. Die Dividendenausschüttung stieg schließlich Anfang der 70er Jahre ruckartig an und ging nach dem Börsenkrach Mitte 1873 ebenso wieder stark zurück. Da sich der Dividendenverlauf annähernd gleichlaufend zu den Aktienkursen verhielt, kann allerdings davon ausgegangen werden, dass die Zeitwertbewertung – zumindest für börsennotierte Wertpapiere – auch zu den hohen Dividenden der Gründerjahre beitrug. Damit hätte sich die Volatilität der Märkte auf die Abschlüsse der Aktiengesellschaften übertragen, was einen zentralen Kritikpunkt damaliger wie heutiger Zeitwertgegner darstellt. In den folgenden Jahren hätte sich damit auch eine andere Vermutung der Zeitwertkritiker bestätigt, demnach eine durch den Zeitwertansatz herbeigeführte zu hohe Dividendenverteilung auch zu einem existenzbedrohenden Substanzverzehr und somit zu einer Schädigung der Kapitalgeber führen könne. Da dies natürlich umso mehr zutrifft, je weniger Rücklagen in einer Unternehmung vorhanden sind, wären auch im besonderen Maße die jüngeren Aktiengesellschaften von den unfreiwilligen Unternehmensbeendigungen durch Liquidation oder Konkurs betroffen, was durch obige Beobachtungen ebenfalls bestätigt worden wäre. 764

Vgl. REICHSTAG (1884a), S. 240.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

169

Die Aktiennovelle des Jahres 1884 hatte schließlich ebensowenig wie die Einführung des ADHGB im Jahr 1861 eine unmittelbar erkennbare Auswirkung auf die Entwicklung der Aktiengesellschaften. So verhielten sich die Gründungstätigkeit, die Dividendenentwicklung und der Aktienkursindex ähnlich wie in den vorausgegangenen Jahren. In den folgenden Abschnitten werden die einzelnen Branchen dahingehend untersucht, ob und in welchem Maße sich die o.g. Vorgänge für die verschiedenen Gewerbekategorien zeigten. Zur besseren Verdeutlichung werden hierzu auch beispielhafte Einzelfälle für die Einflussnahme der Zeitwertvorschriften genannt. 4.3.2

Branchenspezifische Darstellung der Entwicklung deutscher Aktiengesellschaften unter besonderer Berücksichtigung der Zeitwertbewertung

4.3.2.1

Vorbemerkungen

Um die Auswirkungen der Zeitwertbewertung nach Art. 31 i.V.m. Art. 239a bzw. i.V.m. Art. 185a und Art. 239b ADHGB auf die verschiedenen Branchen in der Praxis zu untersuchen, werden nachfolgend die quantitativen Entwicklungen in Form von Gründung und Auflösung durch Liquidation oder Konkurs sowie die durchschnittliche Dividendenentwicklung nach Gewerbekategorien aufgegliedert. Dazu sind die Unternehmen in die folgenden Branchen unterteilt: •

Bergbau- und Hüttengesellschaften



Industriegesellschaften



Baugesellschaften



Verkehrs- und Transportgesellschaften



Bankgesellschaften765



Versicherungsgesellschaften



Sonstige

Die Kategorie der Bergwerks- und Hüttengesellschaften beinhaltet insbesondere die im 19. Jahrhundert sehr bedeutenden Kohlen- und Eisenbergwerke sowie industrielle Anlagen, in denen metallische (Eisen, Kupfer, Blei, Zink etc.) oder nichtmetallische Werkstoffe (Schwefel, Glas, Ziegel etc.) insbesondere aus Erzen, 765

Im Folgenden werden die Begriffe „Bankgesellschaft“ und „Bank“ synonym verwendet, worunter generell die Rechtsformen der Aktiengesellschaft und der Kommanditgesellschaft auf Aktien zu verstehen sind.

170

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

Mineralen und Konzentraten gewonnen und teilweise weiterverarbeitet werden. Überdies sind hierin Salinen enthalten, denen allerdings nur eine sehr geringe Bedeutung zukommt. Die Kategorie der Industriegesellschaften deckt hierbei vielfältige Wirtschaftszweige ab, wovon v.a. die Maschinenbauunternehmen, Spinnereien, Fabriken für Chemie, Textil-, Papier- und Tuchverarbeitung sowie die Industrien für Metallverarbeitung, Holz- bzw. Heizstoffe und Nahrungs- und Genussmittel eine wesentliche Rolle einnehmen. In der Kategorie der Verkehrs- und Transportgesellschaften nehmen die Eisenbahngesellschaften den mit Abstand größten Anteil ein. Ferner fallen hierunter die Unternehmen der Dampfschifffahrt, Reedereien, Speditionen sowie Straßen- und Pferdeeisenbahnen. Die fünfte Kategorie bilden die Bankgesellschaften. Bei dieser Branche lag die Besonderheit im Entstehen zahlreicher neuer Bankformen während der Gründerzeit, deren Ursprung größtenteils von Berlin oder Wien ausging. So bildete sich eine Vielzahl sog. Gründerbanken, die sich auf das Geschäft der Errichtung neuer Unternehmen spezialisierte.766 Daneben wurde auch das Maklergeschäft immer häufiger von speziell dafür errichteten Maklerbanken übernommen und schließlich wurden sogar herkömmliche Baugesellschaften oftmals in die Bankform überführt, mit dem Zweck, die stark wachsende Bautätigkeit zu finanzieren.767 Vervollständigt werden die oben näher umschriebenen Gewerbeklassen im Folgenden durch die Bau- und Versicherungsgesellschaften. Unter den sonstigen Bereich fallen hauptsächlich die Gesellschaften der Landwirtschaft, Fischerei, Beherbergung, Polygraphie und des Kunstgewerbes. Die Bedeutung dieser Kategorie ist aufgrund ihrer nur sehr geringen Anzahl im Vergleich zu allen anderen Branchen vernachlässigbar und wird daher nachfolgend nicht näher betrachtet. Da eine Untersuchung der negativen Folgen der Zeitwertbilanzierung im besonderen Maße bei den aus der Gründerzeit stammenden Unternehmen von Interesse ist, erfolgt in nachfolgenden Aufstellungen ebenfalls eine Differenzierung in Bezug auf den Zeitpunkt der Gründung. Keine Berücksichtigung finden hingegen die nach 1873 errichteten Aktiengesellschaften, weil – wie die vorangegangenen Auswertungen belegen – hierbei keine auffälligen Verhältnisse zu beobachten waren. Zudem beschränkten sich die außerordentlichen Schwankungen auf den Zeitabschnitt von etwa 1870 bis 1877. In den ersten Jahren nach 1873 war jedoch nur eine sehr geringe Gründungsaktivität erkennbar.

766 767

Vgl. dazu auch GÖMMEL, R. (1988), S. 9. Vgl. GAREIS, C. (1874), S. 11.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

4.3.2.2

171

Bergbau- und Hüttengesellschaften

Die erste zu betrachtende Branche umfasst die Bergwerks- und Hüttengesellschaften. In nachfolgender Übersicht ist für die beiden deutschen Staaten Preußen und Bayern die Anzahl einerseits der Gründungen und deren Anteil an allen Gründungen und andererseits die Anzahl der bis 1883 aufgetretenen Liquidations- und Konkursfälle und deren Anteil an den Gründungen dieser Branche für die beiden angegebenen Gründungsphasen dargelegt:

vor 1871

1871–1873

Total

59

110

169

in % v. Gründungen gesamt

15,9

12,1

13,2

Liquidationen/Konkurse

19

43

62

32,2

39,1

36,7

Gründungen

in % v. Gründungen

Tab. 4.3:

Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Bergbau- und Hüttengesellschaften in Preußen/Bayern

Der Bereich der Bergbau- und Hüttengesellschaften zählte vor 1871 neben der Industrie zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen in Deutschland. Allerdings trat die Bedeutung dieses sehr traditionsreichen Wirtschaftszweigs bei den Neugründungen etwas zurück. Eine überdurchschnittlich hohe Auflösungsquote kam dieser Kategorie über den gesamten Betrachtungszeitraum zu, die mit 39,1% für die zwischen 1871 und 1873 entstandenen Gesellschaften eine weit überdurchschnittliche Quote erreichte. Wie sich die durchschnittliche Dividendenhöhe deutscher Aktiengesellschaften innerhalb dieser Gewerbeklasse im Zeitablauf darstellte, kann nachfolgender Abbildung entnommen werden:

172

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

1860 1861 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886

vor 1871 109 108 105 100 92 96 92 87 85 80 80 70 66 53 49 43 40 37 37 36 36 36 36 36 36 35 35 1871– 1 30 63 61 54 51 46 46 46 45 45 42 40 40 39 38 1873

30,0% vor 1871 1871-1873

25,0%

23,3 20,8 17,5

20,0%

12,9

15,0% 8,7

10,0% 3,4 5,0% 2,1 2,6 2,5 0,0%

Abb. 4.5:

4,4

6,2

5,3 5,2 5,9

6,8

5,4 8,0

9,2 7,0

3,0 2,7 2,7 3,5

5,8 4,9 5,8 5,8 5,3 4,9 4,6

2,9 1,8 1,5 1,3 1,1 1,5 2,2 1,9 2,8 3,2 2,3 1,9 1,8

Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Bergbau- und Hüttengesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886

Im besonderen Maße auffällig sind der ungewöhnlich massive Anstieg von 1870 bis 1873 sowie der danach in einem ähnlichen Ausmaß verlaufende Niedergang der durchschnittlichen Ausschüttungshöhen. Zudem befand sich die Dividendenhöhe der jüngeren Unternehmen die gesamte Zeit unter dem Niveau der Älteren. Der Abschwung zwischen 1873 und 1878 verlief bei Letzteren von 23,3% auf 2,7% allerdings ebenso drastisch wie bei jungen Bergwerks- und Hüttengesellschaften, die von 9,2% auf 1,1% abrutschten. Im Tiefpunktjahr 1878 nahmen von den 83 einbezogenen Unternehmen 52 (62,7%) keine Ausschüttung mehr vor und mit der Maximilianshütte (gegründet 1855) verteilte lediglich ein Unternehmen dieser Kategorie eine mehr als 10%ige Dividende. Ab 1880 setzte zumindest bei den älteren Unternehmen eine allmähliche Steigerung ein, die sich schließlich bei ungefähr 5% einpendelte, sodass sich deren Situation vergleichsweise günstig präsentierte. Der ungewöhnliche Aufschwung der Dividenden alter Gesellschaften ist vornehmlich auf den enormen Anstieg der Verkaufspreise für die geförderten Rohstoffe in den Jahren 1871 bis 1874 zurückzuführen.768 Der außerordentliche Konjunkturanstieg in der Gründerzeit brachte nämlich eine ebenfalls stark gewachsene Nach768

Vgl. O.V. (1872), S. 446. Beispielsweise gab die Arenberg’sche Bergbau- und Hütten-AG die Steigerung der Verkaufspreise für 1872 mit 28% an; vgl. O.V. (1873c), S. 458. Zur Entwicklung der Steinkohlenpreise vgl. BORGHT, R. VAN DER (1883), S. 39.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

173

frage nach Rohstoffen mit sich, sodass, durch diesen Aufwärtstrend ausgelöst, zahlreiche neue oder aus bestehenden Betrieben umgewandelte Aktiengesellschaften hervorgingen.769 Für diese erweiterten bzw. neu entstandenen Gesellschaften waren jedoch oftmals übermäßig hohe Wertansätze bei Sacheinlagen bzw. zu hohe Ankaufspreise charakteristisch.770 Zwei typische Fälle erwähnte der Abgeordnete Sonnemann in der Sitzung des Reichstags vom 4. April 1873:771 Eine thüringische Schieferbaugesellschaft wurde mit einem Grundkapital von 300 000 Taler772 gegründet, obwohl das eingebrachte Objekt offenkundig nur einen Wert von etwa 4 000 Taler hatte. Im zweiten Beispiel wurde die Saline und Soolbad Salzungen zuvor sogar dem Staat für einen Preis von 830 000 Taler abgekauft und nur kurze Zeit später für 1,5 Mio. Taler an die Börse gebracht, woraufhin die Regierung weder einschritt noch eine Mitteilung an die Öffentlichkeit für notwendig erachtete. Diese überhöhten Ankaufspreise führten mit Eintritt des abrupten Rückgangs der Verkaufspreise im Jahr 1874 zu einer erdrückenden Kapitalbelastung, indem für die zahlreichen Aktionäre Dividendenzahlungen zu leisten waren, die jedoch nicht mehr aus den laufenden Betriebseinnahmen finanziert werden konnten. Infolge dieser Belastung gingen die Dividendenausschüttungen erheblich zurück und im weiteren Zeitablauf mussten viele Gesellschaften in Liquidation bzw. Konkurs treten oder aber aus der Sicht der Stammaktionäre ebenso ungünstig neue Prioritätsaktien bzw. -obligationen ausgeben. Zusätzlich ist anzunehmen, dass die Bewertung der geförderten Rohstoffe in Höhe der am Bilanzstichtag aktuellen Verkaufspreise zu hohen Buchgewinnen führte, die schließlich an die Direktion und an den Aufsichtsrat als Tantieme bzw. an die Aktionäre als Dividende ausbezahlt wurden. Als Folge aus diesem Liquiditätsabfluss sowie durch die anschließende Bewertung der geförderten Rohstoffen zu gesunkenen Verkaufspreisen stellte sich bei vielen Bergwerks- und Hüttengesellschaften der Zustand der bilanziellen Überschuldung bzw. der Illiquidität ein. Konkrete Hinweise sind hierzu aber im Schrifttum nicht enthalten, weswegen davon auszugehen ist, dass die hohen Dividenden nicht vornehmlich aus unrealisierten Buchgewinnen bestanden, sondern vielmehr auf tatsächlichen Einnahmen beruhten.

769 770 771 772

Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1876), S. 45. Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1876), S. 45; BORGHT, R. VAN DER (1883), S. 39. Vgl. DEUTSCHER REICHSTAG (1873), S. 229. Der Taler war in Norddeutschland bis 1873 die deutsche Reichswährung. Durch das Reichsmünzgesetz v. 4. Dezember 1871 wurde der Taler durch die Mark als Währungsnominal für das gesamte Deutsche Reich ersetzt. Das Umtauschverhältnis war eins zu drei, d.h. drei Mark entsprachen einem alten Taler.

174

4.3.2.3

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

Industriegesellschaften

Die zweite zu untersuchende Branche enthält die Aktiengesellschaften des Industriebereichs. Die unten stehende Tabelle illustriert die in dieser Kategorie in Bezug auf die Gründungsaktivitäten und die unfreiwilligen Unternehmensbeendigungen herrschenden Verhältnisse:

vor 1871

1871–1873

Total

Gründungen

145

451

596

in % v. Gründungen gesamt

39,1

49,7

46,6

Liquidationen/Konkurse

31

156

187

21,4

34,6

31,4

in % v. Gründungen

Tab. 4.4:

Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Industriegesellschaften in Preußen/Bayern

Die ohnehin große Bedeutung der Industriegesellschaften nahm während der Gründerzeit im Vergleich zu vorher sogar noch deutlich zu, indem mit 49,7% annähernd die Hälfte aller in diesem Zeitraum neu hervorgebrachten Aktiengesellschaften dem Industriesektor angehörte. Allein in den drei Jahren von 1871 bis 1873 wurde mehr als das Dreifache an Gründungen vorgenommen wie im gesamten Zeitraum vorher. Vor 1871 war deren Bedeutung zwar noch etwas geringer, aber im Vergleich zu allen anderen Branchen mit 39,1% dennoch ebenso mit Abstand am größten. Gleichermaßen wie der Gründungsanteil nahm bei den Industriegesellschaften aber auch deren Quote an Liquidations- und Konkursfällen von 21,4% auf 34,6% besonders deutlich zu. Wie sich in dieser Branche die durchschnittliche Dividendenausschüttung der aus der Gründerzeit stammenden Unternehmen im Vergleich zu denjenigen, die bereits zuvor errichtet wurden, im gesamten deutschen Gebiet im Zeitraum von 1860 bis 1886 entwickelte, zeigt folgende Abbildung für die je Gründungsperiode angegebene Anzahl an einbezogenen Aktiengesellschaften:

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

175

vor 60 60 61 63 63 63 59 56 55 58 62 60 59 54 54 50 50 49 49 49 49 48 48 48 48 48 48 1871 1871– 29 111 165 159 137 123 115 106 103 102 100 94 94 92 89 89 1873

12,0% vor 1871 1871-1873

10,0%

8,7

8,0% 6,0%

4,3 4,2 4,0 3,8 4,1 4,1

4,0%

8,4 5,9 8,0

8,8 6,7

9,6

7,8 6,5

6,1

5,8 5,8

4,7

7,0 6,7

6,8 6,8

4,74,4 5,1

4,4

2,0%

5,7 5,9 5,6 5,3

3,7 4,0 2,6 2,3

1,9 1,6

2,2

2,8

1860 1861 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886

0,0%

4,9 4,6

5,5

9,2

Abb. 4.6:

Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Industriegesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886

Ähnlich wie bei den gesamten Aktiengesellschaften zeigt sich auch für den Industriesektor bis 1870 – mit leichten Schwankungen zwischen den Kriegsjahren 1866 und 1870 – ein insgesamt mäßiger Anstieg der durchschnittlichen Dividendenhöhe. In den Jahren 1871 und 1872 zeigt sich bei den alten und neuen Gesellschaften ein sehr ähnliches Bild, indem bei beiden fast die gleichen Ausschüttungshöhen auftraten. Von den 15 Gesellschaften, die 1872 mindestens 15% Dividende ausschütteten, wurden acht vor 1871 und sieben zwischen 1871 und 1873 errichtet. Anschließend fielen aber die neuen Unternehmen weit hinter die alten zurück. Während die neuen Industrieunternehmen 1877 nur noch 1,6% Dividende verteilten, bewegten sich die älteren Unternehmen lediglich 1878 etwas deutlicher unter dem Niveau, das vor der Gründerzeit herrschte. 1877 lag die Gewinnausschüttung von 90 aller 164 (54,9%) in die Betrachtung einbezogenen Industriegesellschaften bei 0%, wobei die Gründung von nur 17 dieser Unternehmen vor 1871 erfolgt war. So wie in der vorangegangenen Kategorie blieben auch in dieser Branche die jüngeren durchwegs hinter den älteren Unternehmen zurück. Die Dividendenentwicklung und die Anzahl der Liquidations- und Konkursfälle veranschaulichen, dass die während der Aufschwungsphase entstandenen Industrieaktiengesellschaften in zahlreichen Fällen ebenfalls unter den im Zusammenhang mit der Gründung zu hoch taxierten Sacheinlagen bzw. zu hohen Ankaufs-

176

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

preisen für Vermögenswerte zu leiden hatten.773 Erst nachdem viele dieser unrentablen oder aber auch ungeeigneten Unternehmen aufgelöst worden waren, stiegen die Ausschüttungen wieder an und erreichten sogar fast die Höhe, die von den aus der Zeit vor 1871 stammenden Unternehmen erzielt wurden. Deutlich wird die Vorgehensweise am Beispiel der Actien-Gesellschaft Aachener Tuch-Fabrik: Im Prospekt zur Emission wurde von den Vorbesitzern für die nächsten fünf Jahre eine Dividende von 10% jährlich garantiert.774 Der Ausgabekurs für die 50%igen Interimsscheine lag bei 105, was somit einem tatsächlichen Ausgabekurs von 110 entsprach. Der Wert des Geschäfts, das hierbei in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden sollte, wurde abzüglich einer Hypothek mit 430 000 Taler angegeben, wobei dieser Wertansatz laut Prospekt noch weit unter dem wirklichen Taxwert liege. Das einzige Geschäftsjahr 1873 schloss dagegen mit einem erheblichen Verlust ab und die garantierte Dividende kam niemals zur Auszahlung. 1874 wurde die Tuchfabrik schließlich für einen Kaufpreis von gerade noch 40 000 Taler wieder von der Familie des früheren Besitzers zurück erworben.775 Die Aktien, deren Kurs Ende 1872 noch bei 107 stand, waren innerhalb nur weniger Jahre wertlos. Ein weiterer, öffentliches Aufsehen erregender Fall fand in der Sitzung des Deutschen Reichstags vom 4. April 1873 Erwähnung, als wiederum der Abgeordnete Sonnemann folgendes Beispiel vorbrachte:776 Eine von ihm namentlich nicht genannte Aktiengesellschaft aus dem Bereich der Drahtindustrie, die durch Umwandlung eines bereits bestehenden Geschäfts entstanden war, wurde vom Gründerkonsortium mit einem Wert von 1,5 Mio. Taler angesetzt, obwohl das gleiche Objekt einer anderen Gesellschaft nur wenige Monate vorher für 650 000 Taler angeboten worden war. Auch im Fall der 1872 gegründeten Aktiengesellschaft für Wasserleitung u. Heizung für Berlin wurde ähnlich verfahren: Dem Vorbesitzer wurde ein Betrieb im Wert von 50 000 Taler für 150 000 Taler abgekauft und anschließend sogar für 330 000 Taler in die Aktiengesellschaft eingebracht.777 Bereits im zweiten Jahr ihres Bestehens entstand eine Unterbilanz, die zum Großteil aus Abschreibungen

773 774 775 776 777

Vgl. gl.A. OECHELHAEUSER, W. (1876), S. 45. Vgl. AACHENER TUCH-FABRIK (1873), S. 10. Vgl. GLAGAU, O. (1877), S. 314–315. Vgl. DEUTSCHER REICHSTAG (1873), S. 229. Vgl. PERROT, F. (1876), S. 133–134. Perrot führt ein weiteres Beispiel auf: Im Prospekt der Tuchfabrik Langensalza wurde ein Kaufpreis für ein Fabrikgebäude mit 350 000 Taler angegeben, was Perrot wie folgt kommentiert: „eine Summe, welche [..] nicht sehr viel unter dem Werthe aller Fabrikgebäude in dem Städtchen Langensalza ist“; PERROT, F. (1876), S. 129–130.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

177

des Immobilienkontos auf den Zeitwert resultierte778 und 1882 erfolgte letztlich die Liquidation, ohne dass jemals eine Dividende ausbezahlt worden war. Die systematische Überschätzung der Vermögenswerte bei der Gründung hatte neben der Erzielung eines Gründergewinns darüber hinaus den Zweck, einen entsprechenden Agiogewinn bei der Aktienemission abzuschöpfen. Dies wurde zumeist i.V.m. gezielten Anzeigen in Form von Prospekten zur Emission versucht.779 Die Neptun Continental-Wasserwerks-Actien-Gesellschaft kündigte beispielsweise in einem Prospekt in der Berliner Börsen-Zeitung vom Januar 1872 an, dass der Betrieb „auf’s reichlichste mit den besten Maschinen, Werkzeugen und Arbeitsvorrichtungen“ versehen sei.780 Im gleichen Jahr verteilte sie einmalig eine Dividende i.H.v. 13,5%, ehe sie bereits ab dem folgenden Jahr keine Gewinne mehr erzielte und ihre Aktien schließlich nach wenigen Jahren nahezu wertlos waren.781 Folgende Übersicht verdeutlicht die im Verlauf der Gründerzeit im Vergleich zur vorherigen Periode angestiegene durchschnittliche Grundkapitalausstattung von Industriegesellschaften:

vor 1871

1871

1872

1873

1871–1873

Anzahl Gründungen

145

113

247

91

451

Grundkapital (in Mark)

138 871

162 301

328 181

95 719

586 201

957,7

1 436,3

1 328,7

1 051,9

1 299,8

ø Grundkapital (in Mark) Tab. 4.5:

Anzahl der Gründungen und Grundkapital von Industriegesellschaften in Preußen/Bayern

Wie aus obiger Tabelle hervorgeht, stieg die durchschnittliche Grundkapitalhöhe 1871 entgegen dem allgemeinen Trend782 erheblich an, was im Wesentlichen mit den zu hohen Wertangaben hinsichtlich der eingebrachten bzw. angekauften Vermögenswerte zusammenhängt. Daraus resultierte für die Unternehmen in vielen Fällen eine derartig hohe Kapitalbelastung, dass eine rentable Unternehmensführung unmöglich war und daher ein Großteil schon nach kurzer Zeit wieder aufgelöst werden musste. 778 779 780 781 782

Vgl. PERROT, F. (1876), S. 133–134. Vgl. PERROT, F. (1876), S. 115–116. Vgl. NEPTUN CONTINENTAL-WASSERWERKS-ACTIEN-GESELLSCHAFT (1872), S. 17. Der Kurswert der Aktie sank von 114 (Ende 1872) auf 2 (Ende 1874). Siehe hierzu Abschnitt 4.3.1.1.

178

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

Im weiteren Verlauf der Gründerzeit nahm das durchschnittliche Grundkapital zwar wieder leicht ab, was aber insbesondere durch die zunehmende Umwandlung immer kleinerer Betriebe bedingt war. Diese eigneten sich jedoch wegen ihrer zu geringen Größe in immer weniger Fällen für die Rechtsform der Aktiengesellschaft. 4.3.2.4

Baugesellschaften

Die dritte Kategorie deckt den Bereich der Baugesellschaften ab, für die große Bestände an Grundstücken und Gebäuden charakteristisch sind. Nachstehende Tabelle bildet für den relevanten Zeitabschnitt die Entwicklung der Gründungen und der Liquidationen bzw. Konkurse ab:

vor 1871

1871–1873

Total

Gründungen

17

89

106

in % v. Gründungen gesamt

4,6

9,8

8,3

Liquidationen/Konkurse

5

35

40

29,4

39,3

37,7

in % v. Gründungen

Tab. 4.6:

Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Baugesellschaften in Preußen/Bayern

Der Gründungsanteil hat sich in der Baugewerbebranche in den beiden gegenübergestellten Perioden mehr als verdoppelt. Diese Kategorie nahm mit einer Anzahl von 89 zwischen 1871 und 1873 neu entstandenen Unternehmen eine wesentliche Rolle in der Gründerzeit ein. Allerdings verzeichneten die Baugesellschaften hinter den Banken auch die zweithöchste Auflösungsquote durch Liquidation oder Konkurs, indem von den 89 neuen Gesellschaften 35 (39,3%) innerhalb weniger Jahre ihren Betrieb unfreiwillig wieder einstellen mussten. Einen Überblick über die Entwicklung der durchschnittlichen Ausschüttungen an die Aktionäre, die von dieser Gewerbeklasse im Untersuchungszeitraum geleistet wurden, gibt folgende Abbildung:

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

vor 1871 1871– 1873

1

2

7

7

6

6

5

4

3

3

3

3

2

2

2

2

2

2

2

2

33 49 46 41 37 34 33 31 30 30 29 29 28 26 26

1860 1861 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886

1

179

30,0% 25,0%

29,8 vor 1871 1871-1873

20,0% 15,0% 10,0% 5,0% 0,0%

Abb. 4.7:

4,9 2,5 0,0 0,0

7,0

8,5

3,6 3,5 3,3 3,6 7,8 3,1 2,8 2,3 2,0 2,0 2,0 2,5 2,4 2,2

5,3

1,5 2,0 1,4 0,91,0 1,0 1,4 1,8 1,7 2,1 2,5 2,7 2,92,7

Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Baugesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886

Typisch für diesen Bereich ist gleichermaßen für alte wie für junge Bauaktiengesellschaften ein auffallend starker Rückgang im Jahr 1873. Im Vergleich zu allen anderen Branchen schütteten die während der Gründerzeit errichteten Gesellschaften ausschließlich im Baugewerbe über den gesamten Zeitraum von 1871783 bis 1873 und damit über die gesamte Boomphase mehr Dividende aus als bereits zuvor bestehende. Die extreme Schieflage in der Baubranche zeigte sich besonders im weiteren Zeitablauf, als für sämtliche Bauunternehmen ein enormer und lange Zeit anhaltender Einbruch kam.784 Dieser Niedergang traf die zwischen 1871 und 1873 gegründeten Gesellschaften sogar noch etwas stärker, indem diese bis einschließlich 1886 in keinem Jahr die 3%-Marke überschreiten konnten. 30 aller im Jahr 1876 betrachteten 40 Baugesellschaften nahmen für dieses Jahr überhaupt keine Gewinnausschüttung mehr vor, die mit Ausnahme der schon 1870 gegründeten Berliner Centralstraßen-Actiengesellschaft im Verlauf der Gründerphase errichtet wurden. Auch die nicht zwischen 1871 und 1873 gegründeten Gesellschaften konnten sich bis zum Ende des Betrachtungszeitraums nicht erholen und verteilten im Vergleich zu allen anderen Branchen wesentlich weniger Dividende. 783

784

Die von den beiden Unternehmen für 1871 angegebene sehr hohe durchschnittliche Dividende i.H.v. 29,8% ist auf die 40%ige Dividende des Landerwerb- und Bauvereins auf Actien zurückzuführen. Von den mit 400 Mio. Mark bezifferten Kursverlusten am 18. Juni 1873 (siehe hierzu Fn. 760) entfielen mehr als 123 Mio. Mark auf die Baugesellschaften; vgl. WIRTH, M. (1890), S. 539.

180

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

Die Baugesellschaften, die einen Hauptanteil am sog. „Gründerschwindel“ hatten, verwendeten für die Bewertung ihres Immobilienbesitzes und zumeist auch ihres restlichen Mobiliars häufig willkürliche Wertansätze, je nachdem ob ein Gewinn ausgeschüttet oder eine Dividendenverteilung vermieden werden sollte. In einem Prospekt wurde beispielsweise nach Aussage des Abgeordneten Sonnemann in der Sitzung des Reichstags vom 4. April 1873 der Wert eines Grundstücks i.H.v. 14 Taler pro Quadratrute785 angegeben, woraufhin der ursprüngliche Verkäufer allerdings öffentlich erklärte, dass er zuvor für nur 3,5 Taler pro Quadratrute an die Gesellschaft verkauft hatte.786 Darüber hinaus führte aber auch das stetige Ansteigen der Immobilien- und Grundstückspreise infolge der sich ausweitenden Spekulation und zunehmenden Konkurrenz auch tatsächlich zu immer höheren Werten und infolgedessen zu steigenden Zeitwerten am Bilanzstichtag. Das Steigen der Marktpreise führte somit auch zu immer höheren Wertansätzen im Aktivvermögen, die sich schließlich bei der Bilanzaufstellung in einem buchmäßigen Gewinn niederschlugen. Wurde dieser Gewinn anschließend an die Aktionäre in Form von Dividende sowie an die Unternehmensorgane als Tantieme verteilt – ohne dabei vorab eine ausreichende Dotierung der Rücklage vorzunehmen –, führte dies zu einem Liquiditätsabfluss und im weiteren Verlauf der sich zuspitzenden Krise bei einem nachhaltigen Sinken der Marktpreise sehr schnell zu deutlichen Unterbilanzen. Die häufige Folge waren Liquiditätsengpässe und das Auftreten des Zustands der bilanziellen Überschuldung. Beispielhaft seien folgende zwei Fälle aufgeführt: Das Bauunternehmen Landerwerb und Bauverein auf Actien verteilte 1871 nach nur sechsmonatigem Bestehen eine Dividende von 40%.787 Während das Folgejahr immerhin noch 8,5% ergab, wurden bis einschließlich 1881 überhaupt keine Dividenden mehr verteilt und 1885 folgte schließlich die endgültige zwangsweise Unternehmensbeendigung. Die 1872 errichtete Berliner Nordend-Actien-Gesellschaft verteilte für das erste Geschäftsjahr 22% an Dividende, worauf zwei Jahre ohne Dividende und danach der Konkurs folgten. Die Aktien, die im Oktober 1872 noch einen Kurs von 113 erreicht hatten, waren nach nur zwei Jahren vollkommen wertlos. Die konsequente Bewertung des Aktivvermögens zum Zeitwert hatte zur Folge, dass die Anlagewerte schon kurz nach Ausbruch der Krise unter Anwendung von Art. 31 ADHGB auf die Höhe ihres mittlerweile stark gefallenen Zeitwerts abgeschrieben werden mussten. Dadurch kam es bei vielen Unternehmen zu Unter785

786 787

Die Rute ist eine alte deutsche Längeneinheit von regional unterschiedlicher Größe. Sie entsprach z.B. in Preußen 3,77 Metern und in Bayern 2,92 Metern. Vgl. DEUTSCHER REICHSTAG (1873), S. 229. Vgl. GLAGAU, O. (1876), S. 119.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

181

bilanzen bzw. buchmäßigen Verlusten, infolgedessen auch keine Dividenden mehr an die Aktionäre verteilt wurden. Die Bilanz der 1872 gegründeten Baugesellschaft Lichterfelder Bauverein schloss nach 9% Dividende 1873 im Jahr 1874 nur deshalb mit einem immensen Verlust von 328 000 Taler, weil in großem Umfang Abschreibungen der Ländereien vom Buchwert auf den gegenwärtigen Zeitwert vorgenommen werden mussten.788 Die 1871 entstandene Land- und Baugesellschaft Lichterfelde schüttete 1872 sogar 25% Dividende aus, während sie im folgenden Jahr immerhin noch 5% ausbezahlte. Im Gegensatz zu den beim Lichterfelder Bauverein vorgenommenen Abschreibungen auf den niedrigeren Zeitwert wurden bei der gleichermaßen in Lichterfelde ansässigen Land- und Baugesellschaft im selben Jahr die Wertansätze je Quadratrute für vergleichbare Grundstücke in der Bilanz sogar noch höher angesetzt.789 Beide Unternehmen waren schließlich durch die übermäßige Dividendenausschüttung und der damit verbundenen Aufzehrung ihrer liquiden Mittel für die folgende Krise nicht ausreichend gerüstet. Beide Gesellschaften konnten bis einschließlich 1883 keine Gewinne mehr erwirtschaften. Bei der von der Vereins-Bank, Quistorp & Co.790 im Jahr 1870 durchgeführten Gründung des Bauunternehmens Westend-Gesellschaft, H. Quistorp & Co. erfolgte die Ausgabe der neuen Aktien mit einem Aufschlag von 50% auf Pari, was folglich einen Emissionskurs von 150 bedeutete. 1871 und 1872 wurden dann 16% bzw. 17% Gewinnausschüttung vorgenommen und obwohl im Jahresbericht vom Januar 1873 den Aktionären noch hohe Gewinne versprochen wurden, folgte nur neun Monate später der Konkurs.791 In diesem Jahresbericht war für das Vorjahr ein Anstieg der durchschnittlichen Verkaufspreise für die im Besitz befindlichen Grundstücke um 60% gemeldet worden und daraufhin angekündigt worden, dass „eine weitere successive Steigerung [..] mit Bestimmtheit vorauszusetzen“ sei.792 Das folgende und zugleich letzte Geschäftsjahr verlief allerdings für die Kapitalgeber mit 0% Dividende und anschließendem Konkurs verheerend. Eine weitere von der Vereins-Bank, Quistorp & Co. errichtete Baugesellschaft war die unter dem Namen Deutscher Central-Bau-Verein eingetragene Aktiengesellschaft, die nach Abschluss des ersten Geschäftsjahres im Juli 1873 einschließlich einer Superdividende von 10% eine Gewinnausschüttung i.H.v. insgesamt 15% bzw. 788 789 790

791

792

Vgl. GLAGAU, O. (1876), S. 121. Vgl. GLAGAU, O. (1876), S. 123. Die Vereins-Bank, Quistorp & Co. war unter der Rechtsform einer KGaA eingetragen, wobei Quistorp die Stellung des Komplementärs einnahm. Der Name „Quistorp“ stand zu seiner Zeit stellvertretend für die negativen Erscheinungen während der Gründerzeit; vgl. z.B. WIRTH, M. (1890), S. 567–569. Vgl. WESTEND-GESELLSCHAFT, H. QUISTORP & CO. (1873), S. 11–13. Vgl. dazu auch GLAGAU, O. (1876), S. 125–127. Der Kurs der Aktie stieg daraufhin auf 200, ehe er zum Ende desselben Jahres auf nur noch 10 abrutschte. WESTEND-GESELLSCHAFT, H. QUISTORP & CO. (1873), S. 11.

182

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

144 000 Taler vornahm.793 Von den 228 000 Taler an ausgewiesenem Gewinn bekamen ferner Aufsichtsrat und Vorstandsmitglieder 44 000 Taler, während die Dotierung des Rücklagenkontos nur 16 800 Taler betrug. Nur drei Monate später folgte aufgrund einer Unterbilanz i.H.v. 1 Mio. Taler der Konkurs. Bei der gerichtlichen Taxe stellte sich heraus, dass die Grundstücke, die mit Buchwerten von fast 2 Mio. Taler bilanziert waren, nach dem Börsenkrach nur noch ca. ein Fünftel ihres zuvor angegebenen Werts besaßen. Ferner stellte sich heraus, dass innerhalb des Quistorp’schen Unternehmensverbunds gezielt Grundstücke von Unternehmen zu Unternehmen zu immer noch höheren Preisen weitergegeben wurden.794 Auch in Österreich waren ähnliche Vorgänge wie in Deutschland zu beobachten. Die folgende Tabelle gibt Aufschluss über die Situation der österreichischen Baugesellschaften zwischen 1869 und 1873:

1869

1870

1871

1872

1873

6

1

6

27

26

in % v. Gründungen gesamt

5,2

1,3

5,5

12,6

22,2

Liquidationen/Konkurse

1

0

2

21

19

in % v. Gründungen

16,7

0,0

33,3

77,8

73,1

ø Dividende in %

8,8

9,2

17,3

17,8

5,9

2

3

4

13

16

Gründungen

Anzahl

Tab. 4.7:

Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Baugesellschaften in Österreich

In Österreich lag der Anteil der Baugesellschaften an den Gesamtgründungen im Jahr des Ausbruchs der Krise 1873 bei 22,2% und war demzufolge im Vergleich zu den deutschen Staaten mit 9,9% sogar noch um einiges höher. Beträchtlich höher als in den deutschen Staaten war überdies die Auflösungsquote, die für im Jahr 1872 errichtete Gesellschaften 77,8% betrug und sich auch noch 1873 mit 73,1% außerordentlich ungünstig darstellte. Dies bedeutet, dass weniger als jedes vierte der in diesen beiden Jahren gegründeten Bauunternehmen über das Jahr 1883 hinaus fortbestand. Das Beispiel der auf Handel mit Baugrund spezialisierten Hypotheken-, Kreditund Baubank mit Sitz in Berlin belegt, mit welcher Intensität die Spekulation die Preise für Baugrund in die Höhe getrieben hatte: Die Direktion und Gründer erwarben ein Grundstück in Berlin zum Preis von 227 331 Taler. Bei der kurze 793 794

Vgl. DEUTSCHER CENTRAL-BAU-VEREIN (1873), S. 15–17. Vgl. GLAGAU, O. (1876), S. 129–131.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

183

Zeit nach Ausbruch der Krise erfolgten Zwangsversteigerung wurde das Objekt allerdings für einen Preis von nur noch 30 000 Taler vom ehemaligen Vorbesitzer zurück erstanden.795 Die rege Bautätigkeit erreichte in manchen Städten derartige Dimensionen, dass die in Aussicht gestellten Neubauten den tatsächlichen Bedarf um ein Vielfaches überschritten.796 In Wien ging die Spekulation mit Grundstücken sogar so weit, dass nach Ansicht von Neuwirth „bei noch so grossem Aufgebot aller für die Bauthätigkeit zur Verfügung stehenden und überhaupt aufzubringenden Arbeitskräfte ein Zeitraum von 3 bis 4 Jahrhunderten zur Verbauung aller der Grundcomplexe kaum ausreichen möchte“797. 4.3.2.5

Verkehrs- und Transportgesellschaften

Die nächste zu untersuchende Kategorie umfasst die Verkehrs- und Transportgesellschaften, also insbesondere die Eisenbahngesellschaften. Die Gründungsaktivitäten und die unfreiwilligen Unternehmensbeendigungen sind für diese Gruppe in nachfolgender Tabelle aufgezeigt:

vor 1871

1871–1873

Total

49

27

76

in % v. Gründungen gesamt

13,2

3,0

5,9

Liquidationen/Konkurse

11

8

19

22,4

29,6

25,0

Gründungen

in % v. Gründungen

Tab. 4.8:

Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Verkehrs- und Transportgesellschaften in Preußen/Bayern

Der Anteil der Neugründungen von Gesellschaften des Verkehrs- und Transportsektors verminderte sich ab 1871 gegenüber dem Vergleichszeitraum vor 1871 sehr deutlich. Dies lag zum einen an der Beibehaltung der Konzessionspflicht für das Eisenbahngewerbe mit sämtlichen Formalitäten und Bedingungen auch nach der Aktienrechtsnovelle von 1870, und zum anderen daran, dass das für Eisenbahnen notwendige und typischerweise großen Umfang bedürfende Grundkapital 795 796

797

Vgl. O.V. (1875c), S. 630. Nach Aussage von Glagau wären die Neubauten beispielsweise in Berlin für eine Bevölkerungszahl von neun Mio. Menschen ausreichend gewesen wären; vgl. GLAGAU, O. (1876), S. 107. Dabei hatte Berlin zu dieser Zeit knapp eine Mio. Einwohner. NEUWIRTH, J. (1874), S. 29. Einer Statistik von Neuwirth zufolge wurden in Wien 1869/70 insgesamt 51 Häuser, im Jahr 1872 dagegen schon 149 neue Häuser errichtet; vgl. NEUWIRTH, J. (1874), S. 30.

184

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

im Verlauf des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs zunehmend in andere Branchen (v.a. Industrie) floss, die höhere und schnellere Gewinne versprachen. Die Bautätigkeit im Eisenbahngewerbe beschränkte sich deshalb weiterhin größtenteils auf den Staat und auf die bereits existierenden großen Privatgesellschaften. Vergleichsweise gering war der Anstieg der Auflösungsquote bei den Verkehrsund Transportgesellschaften, die insbesondere auch während der Gründerzeit mit 29,6% zehn Prozentpunkte unter dem Durchschnitt lag. Wie ein Blick auf die durchschnittliche Dividendenentwicklung in unten stehender Abbildung darlegt, waren die Schwankungen der traditionellen Verkehrs- und Transportgesellschaften zwischen 1860 und 1886 mit 8,8% (1871) als höchsten und mit 5,7% (1877) als niedrigsten Wert verhältnismäßig gering. Im Gegensatz dazu mussten die neueren Gesellschaften nach 1873 schwere Einbußen hinnehmen und die 24 (24) für 1876 (1877) in die Untersuchung einbezogenen Aktiengesellschaften hatten mit lediglich 1,4% (1,5%) im Durchschnitt eine schwere Krise zu bewältigen. vor 1871 44 45 46 46 45 46 47 50 51 57 62 63 63 61 61 58 56 56 55 50 49 47 37 32 30 28 28 1871– 1 5 18 22 25 24 24 26 26 26 25 23 23 20 20 16 1873

1860 1861 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886

10,0% 8,8 8,2 9,0% 8,0 8,0 7,6 7,6 7,5 7,5 7,6 7,4 7,4 7,4 7,2 7,1 8,0% 7,0 7,0 6,7 6,3 6,3 6,5 7,0% 6,0 6,1 5,8 5,7 5,9 5,9 5,2 6,0% 5,0% 4,0% 4,9 4,3 4,2 4,1 3,0% 3,7 vor 1871 3,1 3,3 2,0% 2,9 2,8 1871-1873 2,5 2,2 1,0% 2,0 2,2 2,3 1,5 1,4 0,0%

Abb. 4.8:

Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Transport- und Verkehrsgesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886

Die im Verlauf der Aufschwungsphase und somit ab 1871 errichteten Verkehrsund Transportunternehmen schnitten im Vergleich zu den traditionellen Unternehmen durchwegs erheblich schlechter ab. Auch in der folgenden Phase der nur

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

185

sehr langsam verlaufenden Erholung verblieben die neueren Gesellschaften immer auf einem vergleichsweise sehr niedrigen Niveau. Die Vertreter der Eisenbahngesellschaften, deren Unternehmen in Form von Gleiskörpern oder Bahngebäuden typischerweise hohe Bestände an Anlagevermögen hatten, für deren Wertansatz nur in seltenen Fällen ein verlässlicher Vergleichsmaßstab vorhanden war, sprachen sich zuerst gegen eine obligatorische Anwendung des Art. 31 ADHGB aus.798 Im Bericht der Spezialkommission zur Untersuchung des Eisenbahnkonzessionswesens wurde diese Ansicht mehrheitlich bekräftigt und zahlreiche Einzelfälle beschrieben,799 bei denen trotz der Beibehaltung der Konzessionspflicht ein Missbrauch durch die Bewertungsregeln des ADHGB v.a. bei Sachgründungen und Beteiligungserwerben, d.h. bei der Übernahme von bestehenden Bahnen bzw. Bahnen im Bau oder anderen Unternehmen auftrat.800 So wurden z.B. die vom Gründerkonsortium erworbenen Flächen für die Streckenführung oftmals zum Zweck der Erzielung eines Gründergewinns erheblich zu hoch taxiert und anschließend überteuert in die neue Gesellschaft eingebracht.801 Ein weiteres Motiv für diese Vorgehensweise lag darin, das zur Erlangung der Konzession erforderliche Grundkapital aufzubringen. Da die Gründer oder auch die Generalunternehmer802 als Gegenleistung Aktien statt Bargeld erhielten, konnte so das notwendige gezeichnete Kapital leichter nachgewiesen werden.803 Im besonderen Maße begünstigte hierbei die üblicherweise von den Eisenbahngesellschaften angewandte Form der Ertragsbilanz bei der Bewertung des Anlagevermögens als „Stammgut“ den Missbrauch. Da die Dividendenbemessung bei Eisenbahnen gewöhnlich nicht auf Basis von Bilanzen, sondern auf Basis des für ein Jahr errechneten Erfolgs stattfand, wurden die Bilanzen nur noch zur formellen Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben aufgestellt.804 Im Zuge einer derartigen Bilanzaufstellung wurden die Werte der Aktivseite häufig nach Belieben angesetzt: Beispielsweise stellte die Berlin-Anhaltische Eisenbahn-Gesellschaft in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1870 dem Aktivposten „Baukosten“805 auf der Passivseite bereits getilgte Schulden gegenüber, um so auf der Aktivseite beliebige 798 799 800

801 802

803 804

805

Siehe hierzu Abschnitt 3.2.5.3.1. Vgl. SPEZIALKOMMISSION ZUR UNTERSUCHUNG DES EISENBAHNKONZESSIONSWESENS (1874), S. 4–155. Ausgaben, die für das Stammgut (Anlagevermögen) getätigt wurden, wurden bei Eisenbahngesellschaften z.B. häufig nicht gewinnmindernd angesetzt. Vgl. dazu auch SCHNEIDER, D. (2001), S. 922–928. Vgl. dazu auch PERROT, F. (1873), S. 112–113. Auch die Kostenvoranschläge der Generalunternehmen basierten vielfach auf zu hohen Wertansätzen; vgl. PERROT, F. (1873), S. 113. Vgl. PREUßISCHES HAUS DER ABGEORDNETEN (1874), S. 1617. Keyßner bezeichnete die so erstellten Bilanzen als „werthlose Rechnungskünsteleien [und] nicht der Beachtung werth“; KEYßNER, H. (1875), S. 135. Baukosten wurden v.a. zur Errichtung von Gleisanlagen aufgewandt.

186

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

Werte darstellen zu können.806 Während die Wertansätze der Aktivseite ursprünglich zumeist noch von den aufgewandten Kosten abgeleitet wurden, gestalteten die Eisenbahnmanager im Verlauf der sich ausweitenden Krise die Vermögenswerte zunehmend nach dem Bedarf der Passivseite.807 In der Untersuchung der Spezialkommission wurde diesbezüglich sogar folgende bemerkenswerte Aussage gemacht: „Die Bauzinsen stehen übrigens auf gleicher Linie mit den Kursverlusten der [ausgegebenen; Anm. d. Verf.] Obligationen und Aktien. Beide erhöhen den Werth des Aktivums“808. Dies unterstreicht deutlich den Missstand, der durch das Fehlen konkreter Ansatz- und Bewertungsvorschriften verursacht wurde. 4.3.2.6

Bankgesellschaften

Als nächste Kategorie wird die Bankenbranche näher erläutert, für die in der Gründerzeit, wie bereits erwähnt, das Entstehen neuer Bankformen charakteristisch war. Die erste Gattung der neu hervorgebrachten Bankgesellschaften, die sog. Gründerbanken, hatte als eigentliches Ziel die Konzentration von Kapital, das zur Gründung neuer Gesellschaften notwendig war. Im Laufe der Zeit entfremdete sich jedoch das Geschäft der Gründerbanken zunehmend, indem immer mehr die Erzielung von möglichst hohen Agiogewinnen (durch Ausgabe neuer Aktien über pari) in den Vordergrund rückte.809 Da somit das primäre Ziel in der Abschöpfung von schnellen Gewinnen aus dem Gründungsvorgang selbst lag, wurden viele Neuerrichtungen unabhängig von den späteren Erfolgsaussichten der Unternehmen vorgenommen. Die zweite neuartige Bankenform, die sog. Maklerbank, hatte ihren Ursprung in Berlin und erreichte von dort schon bald weitere Börsenplätze in Deutschland und Österreich. Der herkömmliche Zweck dieser Bankenart lag in der ausschließlichen Vermittlung von Bank- und Börsengeschäften gegen Courtage. Daneben bedienten sich die bestehenden großen Banken schon bald der von ihnen selbst gegründeten Maklerbanken, um sich vor den Risiken der Nichterfüllung von Verbindlichkeiten aus Börsengeschäften abzusichern.810 Entgegen ihrer anfänglichen Bestimmung, die in der Geschäftsvermittlung lag, stiegen diese Banken jedoch immer häufiger selbst in das Spekulations- und Arbitragegeschäft 806

807 808

809 810

Neben den Posten „Prioritäts-Actien-Capital“ bzw. „Prioritäts-Obligationen“ befinden sich hierzu nämlich ergänzend die Posten „Amortisirte Prioritäts-Actien“ bzw. „Amortisirte Prioritäts-Obligationen“; vgl. BERLINANHALTISCHE EISENBAHN-GESELLSCHAFT (1871), S. 13. Ähnlich verfuhren auch zwei weitere Eisenbahngesellschaften; vgl. BERLIN-POTSDAM-MAGDEBURGER EISENBAHN-GESELLSCHAFT (1871), S. 14–15; RHEINISCHE EISENBAHN-GESELLSCHAFT (1871), S. 79–80. Vgl. KEYßNER, H. (1875), S. 137. PREUßISCHES HAUS DER ABGEORDNETEN (1874), S. 1787. Mit dieser Vorgehensweise wurden folglich sogar Kosten der Kapitalbeschaffung aktiviert. Vgl. dazu auch STROMBECK, J. V. (1878), S. 56–58. Vgl. BORGHT, R. VAN DER (1883), S. 177–178. Vgl. WIRTH, M. (1890), S. 472–473.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

187

ein.811 Darüber hinaus investierten die Maklerbanken in Beteiligungen an anderen oftmals sehr riskanten Unternehmungen. Entscheidenden Beitrag zum Gründerboom leistete aber auch die dritte Bankenform, die Kategorie der sog. Baubanken. Die Periode der Gründerzeit brachte ein rasches Wachstum der Großstädte mit sich, wodurch es bald zu einer Wohnungsnot kam. Die Baubanken sahen deshalb ihre Chance in der Spekulation mit Bauplätzen, Gebäuden und Wohnungen. Die ungewöhnliche Anzahl neu entstandener Baubanken sowie die Vielzahl an herkömmlichen Baugesellschaften führten schon früh zu einer großen Konkurrenz untereinander, in deren Folge die Immobilienpreise extrem anstiegen.812 Damit trugen die Baubanken entscheidend zu einer Verschlechterung der Wohnungssituation bei, indem sie die Preise für Wohnungen und Mieten künstlich in die Höhe trieben.813 Die folgende Übersicht vermittelt für den Bankensektor die Verhältnisse, die im relevanten Zeitraum herrschten:

vor 1871

1871–1873

Total

Gründungen

35

168

203

in % v. Gründungen gesamt

9,4

18,5

15,9

Liquidationen/Konkurse

10

83

93

28,6

49,4

45,8

in % v. Gründungen

Tab. 4.9:

Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Bankgesellschaften in Preußen/Bayern

Hinter den Industriegesellschaften nahmen die Bankgesellschaften im Hinblick auf die Gründungsaktivitäten den zweiten Rang ein. Im Vergleich zur Periode vor 1871 verdoppelte sich deren Anteil zwischen 1871 und 1873 nahezu, wozu im besonderen Maße das Auftreten neuer Banken auf den Gebieten, die die neuen Bankformen abdeckten, beitrugen. Ebenfalls sehr bedeutsam stieg die Häufigkeit der Liquidationen und Konkurse in der Bankenbranche: Von den zwischen 1871 und 1873 entstandenen Banken mussten mit 49,4% fast die Hälfte innerhalb weniger Jahre wieder aufgelöst werden. Damit waren die Banken führend in der unfreiwillig vorgenommenen Beendigung von Unternehmungen. Die durchschnittliche Dividendenentwicklung für den Bankensektor ist in nachstehender Abbildung aufgeführt: 811 812 813

Vgl. SCHÄFFLE, A. E. F. (1874), S. 29. Vgl. SCHÄFFLE, A. E. F. (1874), S. 16. Vgl. WIRTH, M. (1890), S. 482.

188

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

vor 1871 32 33 33 36 38 43 44 48 53 61 67 70 69 69 68 65 61 61 60 60 60 60 60 60 60 60 59 1871– 17 97 111 102 73 57 53 52 52 51 51 51 51 50 49 47 1873

12,0%

11,0 10,6

9,4

10,0% 8,0% 6,0%

6,6 6,7 6,5 4,1

4,7

5,5 5,5

6,1 6,0

7,0

7,4 10,2 7,1 7,2 6,2 5,9

4,0% vor 1871 1871-1873

0,0%

3,5 3,8

4,0

5,1 4,7 5,0

5,5

7,4 6,3

6,1 6,0 6,0 6,1

5,9 6,2 6,0 5,8 5,7

5,4 5,3

1860 1861 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886

2,0%

6,1 5,6 5,4

7,0

Abb. 4.9:

Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Bankgesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886

Auffällig ist die für 1871 mit im Durchschnitt 11,0% höhere Ausschüttung neuer Bankgesellschaften im Vergleich zu den bereits existierenden Banken, die mit nur 9,4% eine deutlich niedrigere Ausschüttung vornahmen. Dabei lag die Ausschüttungshöhe 1871 bei 11 der 17 (64,7%) berücksichtigten neuen Banken bei mindestens 10%, während nur 29 der 70 (41,4%) älteren Banken ebenfalls mindestens 10% ausschütteten. Die insgesamt höchsten Dividenden verteilten für 1871 die in diesem Jahr gegründete Berliner Maklerbank814 mit 25,7% und für 1872 die ebenfalls erst in diesem Jahr errichtete und auf die Baubranche spezialisierte Centralbank für Bauten mit 48,2% aus. Ebenso wie schon bei den Gesellschaften des Industriesektors gingen die Dividenden der nicht während der Gründerzeit entstandenen Banken nach 1873 zwar wieder etwas unter das vor der Gründerzeit herrschende Niveau zurück, aber der bereits im Jahr 1873 erfolgte Absturz der Dividenden von Banken aus der Gründerzeit von 11,0% auf 3,5% war demgegenüber besonders signifikant. Von den 180 im Jahr 1873 betrachteten Banken zahlten 61 (33,9%) überhaupt keine Dividende, wobei von diesen 61 Banken mit 53 (86,9%) der weit überwiegende Teil zwischen 1871 und 1873 entstanden war. 814

Auch die folgende Zahl verdeutlicht den zu dieser Zeit herrschenden Neuemissionsboom: Die Berliner Maklerbank war bei ihrer Emission 326fach überzeichnet; vgl. O.V. (2002b).

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

189

Einen entscheidenden Beitrag am bereits erwähnten Agiotagegeschäft815 spielten die Banken: Beispielsweise konnte die zu Beginn des Jahres 1870 mit Sitz in Charlottenburg gegründete Vereins-Bank, Quistorp & Co. durch Agioeinnahmen aus Neuemissionen 1871 eine Dividende von 15% und für 1872 sogar von 19% an die Anteilseigner ausbezahlen.816 Mehr als die Hälfte der 21 von der VereinsBank, Quistorp & Co. an die Börse gebrachten Unternehmen war jedoch unsolide und befand sich schon nach kurzer Zeit im Konkurs oder zumindest in Liquidation.817 Ein ähnliches Schicksal ereilte auch schon bald die Vereins-Bank, Quistorp & Co. selbst, indem sie im Oktober 1873 zuerst die Zahlungseinstellung verkünden musste und dann schließlich im folgenden Jahr Konkurs anmeldete. Die im Jahr zuvor noch zu einem Kurs von 196 notierten Aktien waren daraufhin wertlos. Das Effektenkonto des im Verlaufe der Gründerzeit zur reinen Spekulations- und Gründerbank mutierten Geldinstituts war mit einem Buch- resp. Zeitwert von knapp über 1,8 Mio. Taler angesetzt und bestand zum Großteil aus von ihm finanzierten Beteiligungen. Diese Unternehmensbeteiligungen waren jedoch nach Ausbruch der allgemeinen Krise Mitte 1873 nicht mehr zu den am Bilanzstichtag angesetzten Kursen realisierbar, weshalb schon nach sehr kurzer Zeit der Zustand der bilanziellen Überschuldung eintrat und aufgrund von Zahlungsunfähigkeit der Konkurs beantragt werden musste. So mussten nicht nur die Aktionäre, die unter dem immensen Kursverfall litten, sondern auch die Gläubiger erhebliche Verluste hinnehmen.818 Besonders die Banken mit typischerweise hohen Wertpapierbeständen konnten vor 1870 die vagen Vorschriften des Art. 31 ADHGB benutzen, um ihre Bestände völlig nach Belieben zu bewerten. Diese Vorgehensweise wurde allerdings mit Einführung des Art. 239a ADHGB beschränkt, indem klar gestellt wurde, dass börsennotierte Papiere nur noch höchstens zum Kurswert angesetzt werden durften. Die Aktienhausse der Jahre 1871 bis 1873 offenbarte aber trotz dieser Beschränkung die Schwierigkeiten der Zeitwertbilanzierung für den Finanzsektor: Wie der Aktienkursindex für diesen Zeitabschnitt verdeutlicht, stiegen die Kurse der börsennotierten Unternehmen im Allgemeinen überdurchschnittlich an. Die Wertpapierbestände wurden durch die Bewertung zum Zeitwert von Jahr zu Jahr zu bedeutend höheren Werten angesetzt und die dadurch erzielten Buchgewinne wurden in vielen Fällen sogleich größtenteils an die Aktionäre ausgeschüttet oder als Tantieme an Vorstand und Aufsichtsrat ausbezahlt. Besonderen Anteil hatten die neu entstandenen Makler-, Gründungs- und Baubanken, die sich entgegen 815 816

817 818

Siehe hierzu Abschnitt 3.2.3.1. Vgl. VEREINS-BANK, QUISTORP & CO. (1873), S. 15–16. Vgl. dazu auch GLAGAU, O. (1876), S. 37; O.V. (2002b). Vgl. WIRTH, M. (1890), S. 567–569. Vgl. O.V. (1874b), S. 373.

190

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

ihrer eigentlichen Bestimmung sehr stark am Spekulationsgeschäft beteiligten. Diesen Umstand erklären auch die überdurchschnittlich hohen Dividenden neuer Banken in den Jahren des Aufschwungs und deren besonders hohe Insolvenzquote während der folgenden Krise.819 Die traditionellen Bankhäuser, die sich weniger am riskanten Spekulationsgeschäft beteiligten oder gerade für diesen Zweck neue Tochterinstitute gegründet hatten, konnten sich dagegen im Verlauf der Krise behaupten.820 Die Abhängigkeit von Kursentwicklungen und der Mangel an ausreichenden Rücklagen wird anhand des folgenden Beispiels besonders deutlich: Die 1872 in Berlin errichtete Wechselstuben-Actien-Gesellschaft wies in ihrer Bilanz für 1872 einen Gewinn i.H.v. 76 753 Taler aus, der zum überwiegenden Teil aus Einnahmen aus dem Effektenkonto stammte (101 131 Taler von den Gesamteinnahmen i.H.v. 113 873 Taler).821 Während hiervon nur 5% gemäß dem Statut für eine Zuführung zur Rücklage verwendet wurden, erhielten die Direktion 10% sowie der Aufsichtsrat 4% des Gewinns als Tantiemen. Den Aktionären wurde darüber hinaus eine Superdividende von 13,75% gewährt, wodurch sie in Summe eine Dividende von 18,75% vereinnahmen konnten. Dieser übermäßige Kapitalverzehr führte schon kurz nach Eintritt der Börsenkrisen zu einem finanziellen Engpass, sodass schließlich 1876 die Liquidation beantragt werden musste. Besonders nachhaltig wirkte sich ein derartiges Vorgehen in Bezug auf die Gewinnverwendung bei den Maklerbanken aus, deren Geschäftstätigkeit fast ausschließlich in der Spekulation mit Effekten lag. Beispielhaft sei hierzu folgender Fall erwähnt: In der Bilanz der Commissions- und Maklerbank (gegründet 1872 in Berlin) hatte das Effektenkonto einen Anteil von mehr als 82% an der Bilanzsumme.822 Nachdem die Bank vom Gewinn i.H.v. 156 890 Taler, der größtenteils aus buchmäßigen Kursgewinnen infolge des Ansatzes zum Zeitwert bestand, für das erste und einzige Geschäftsjahr eine Dividende von 10% (was einer Summe von 91 666 Taler entsprach) und Tantiemen i.H.v. 22 211 Taler ausgeschüttet hatte, folgte nur ein Jahr später bereits der Konkurs. Wie die in nebenstehender Tabelle dargestellte Entwicklung österreichischer Banken illustriert, gab es in Österreich bereits 1869 einen ersten Bankenboom. Der während der Gründerzeit auftretende zweite Boom war in seinen Ausmaßen – v.a. auch in Bezug auf die Liquidations- und Konkursquote der in diesen Jahren ent819

820

821 822

Nach einer Schätzung von van der Borght befanden sich bereits 1874 mehr als 30 der 114 in den Jahren 1871 und 1872 neu entstandenen Banken Preußens in Liquidation oder Konkurs; vgl. BORGHT, R. VAN DER (1883), S. 179. Diese Umstände waren zudem der Auslöser für eine massive Konzentration auf dem Bankensektor; vgl. TILLY, R. H. (1990), S. 90. Vgl. WECHSELSTUBEN-ACTIEN-GESELLSCHAFT (1873), S. 18. Vgl. COMMISSIONS- UND MAKLERBANK (1873), S. 11.

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

191

standenen Banken – jedoch noch folgenschwerer als der erste. Nach 1873 kam es sogar zu einer völligen Einstellung der Gründungstätigkeit in dieser Branche.

1866 1867 1868 1869 1870 1871 1872 1873 1874 1875 Gründungen

0

3

8

24

7

20

66

18

0

0

in % v. Gründungen gesamt

0,0

18,8

29,6

20,9

9,0

18,3

30,7

15,4

0,0

0,0

Liquidationen/Konkurse

0

0

4

19

2

16

61

12

0

0

in % v. Gründungen



0,0

50,0

79,2

28,6

80,0

92,4

66,7





ø Dividende in %

8,2

10,4 16,0 13,4 11,7 15,5 16,4

2,2

2,7

4,9

101

97

74

Anzahl

9

9

11

15

27

35

64

Tab. 4.10: Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Bankgesellschaften in Österreich

Die durchschnittlich gezahlten Dividenden österreichischer Banken übertrafen bis 1872 jährlich die von deutschen Gesellschaften sehr deutlich. Besonders 1868 mit 16,0% und 1871 (1872) mit 15,5% (16,4%) waren die Ausschüttungen außerordentlich hoch. Der 1873 eintretende Rückgang der Dividendenhöhe verlief in seinem Ausmaß ebenso wesentlich drastischer als bei deutschen Banken. Erwähnenswert ist zudem die Liquidations- bzw. Konkursanfälligkeit, die sich für im Verlauf des Jahres 1871 entstandene Bankgesellschaften auf 80,0% und für 1872 sogar auf 92,4% in Bezug auf den Gründungsumfang belief. 4.3.2.7

Versicherungsgesellschaften

Die letzte zu betrachtende Branche enthält die Versicherungsgesellschaften. Deren Gründungs- und Auflösungshäufigkeit ist nachfolgend veranschaulicht:

vor 1871

1871–1873

Total

51

9

60

in % v. Gründungen gesamt

13,7

1,0

4,7

Liquidationen/Konkurse

2

1

3

3,9

11,1

5,0

Gründungen

in % v. Gründungen

Tab. 4.11: Anzahl der Gründungen und Auflösungen durch Liquidation bzw. Konkurs bei Versicherungsgesellschaften in Preußen/Bayern

192

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

Im Gegensatz zu den Banken sank die Bedeutung der Versicherungsbranche nach 1870, auf die während der Gründerzeit nur noch neun Neugründungen entfielen. Zudem zeigte sich bei den Versicherungsunternehmen eine bemerkenswert krisenfeste Situation, die sich mit nur einem Auflösungsfall bei Gesellschaften aus der Gründerzeit als besonders gut gegen die negativen Erscheinungen der Jahre 1871 bis 1873 gerüstet präsentierte. Eine Übersicht über die Dividendenentwicklung von Versicherungsgesellschaften ist folgender Abbildung zu entnehmen: vor 1871 34 34 39 41 40 41 42 45 45 45 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 46 46 46 46 1871– 3 9 9 9 9 9 9 9 9 8 7 7 7 7 7 1873

27,4 27,3 25,5 23,2 21,8 21,8 21,6 25,0% 21,6 19,7 22,6 20,3 20,0 19,1 19,4 19,3 17,9 16,4 20,0% 15,2 16,5 15,3 13,8 14,7 14,8 16,0 19,9 13,9 12,9 15,0% 12,2 18,4 30,0%

10,0%

0,0%

9,8 5,0 5,9

7,1

7,6 7,1 8,3 7,3

4,8 5,5

7,1 7,5

1860 1861 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886

5,0%

12,9

vor 1871 1871-1873

Abb. 4.10: Durchschnittliche Dividendenhöhe und Anzahl der Versicherungsgesellschaften in Deutschland von 1860 bis 1886

Diese Branche zeigte sich auch in Bezug auf die durchschnittliche Ausschüttungshöhe völlig unbeeinflusst von den negativen Auswirkungen der Gründerzeit. Über den gesamten Betrachtungszeitraum ist bei vor 1871 errichteten Versicherungsunternehmen sogar eine merklich steigende Tendenz auf weit überdurchschnittlichem Niveau erkennbar. Die Dividenden der Versicherungsgesellschaften mit Entstehungszeitpunkt zwischen 1871 und 1873 entwickelten sich parallel zu denen der Älteren, allerdings auf wesentlich niedrigerem Niveau. Insbesondere ab 1884 fand aber eine deutliche Annäherung an die älteren Versicherungsunternehmen statt. Insgesamt ist jedoch kein Einfluss durch die Zeitwertbilanzierung ableitbar, vielmehr hatten in dieser Gewerbeklasse die zufälligen Schadensereignisse Ein-

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193

fluss auf die Ausschüttungshöhen.823 So waren die mit insgesamt wenigen Schadensereignissen verlaufenen Jahre 1864, 1871 und der Zeitraum ab 1883 für die Versicherungsbranche gegenüber den jeweiligen Vorperioden besonders günstig. Die Entwicklung der jüngeren Versicherungsunternehmen zeigt für diese Branche die Schwierigkeit, innerhalb kurzer Zeit große Erfolge aufweisen zu können, auf.824 Dies war ein bedeutsamer Grund, weswegen dieser Sektor von den negativen Erscheinungen der Gründerjahre verschont blieb. Ein weiterer Grund lag in der Beibehaltung gewerberechtlicher Beschränkungen auch nach der Gesetzesnovellierung von 1870.825 4.3.2.8

Fazit

Wie die o.g. Ausführungen belegen, zeigten sich die Problemkreise der Zeitwertbewertung vornehmlich bei den Bank- und Baugesellschaften. Während die Industrie-, Bergwerks- und Eisenbahngesellschaften insbesondere unter zu hohen Ankaufspreisen bzw. zu hoch taxierten Sacheinlagen litten, die v.a. durch fehlende bzw. unzureichende Bewertungsregeln im ADHGB auftreten konnten, verursachte bei den Bank- und Baugesellschaften eine übermäßige Dividenden- und Tantiemenbemessung die Verteilung unrealisierter Gewinne, die in vielen Fällen einen nachhaltigen Substanzverzehr bewirkten. Zudem trat v.a. bei Baugesellschaften und z.T. auch bei Eisenbahngesellschaften die Problematik des Fehlens marktgängiger (Vergleichs-)Preise hervor, womit ein bewusster Missbrauch der Bewertungsvorschrift ermöglicht wurde. Dieser Umstand wurde nämlich zur willkürlichen Berechnung eines Gewinns benutzt, um damit die durchgeführten Dividenden- und Tantiemenzahlungen zu rechtfertigen. Auch nach Eintritt der Börsenkrisen und dem damit einhergehenden Sinken der Marktpreise wurden schließlich oftmals weiterhin die ursprünglichen Wertansätze beibehalten, um die tatsächliche Situation der Unternehmung zu verschleiern und einen eventuell drohenden Konkurs hinauszuzögern. Diese Vorgehensweise trug somit zu einer wesentlichen Schädigung sowohl der Eigen- als auch der Fremdkapitalgeber bei.

823 824

825

Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1876), S. 27. Selbst im Boomjahr 1872 konnten die neu errichteten Gesellschaften nur eine 5,0%ige Durchschnittsdividende erreichen. Vgl. OECHELHAEUSER, W. (1876), S. 38.

194

4.3.3

4 Empirische Ergebnisse zur Zeitwertbewertung nach dem ADHGB von 1861

Dividendenhöhe und Anteil der Unternehmensbeendigungen durch Liquidation und Konkurs

Um einen zentralen Kritikpunkt der Zeitwertbilanzierung genauer zu analysieren, nämlich den Verzehr der Unternehmenssubstanz durch übermäßige Gewinnausschüttung, dient unten stehende Tabelle. Die Übersicht zeigt den Zusammenhang zwischen der Dividendenhöhe während der drei Jahre der Gründerzeit und dem anschließenden Fortbestand eines Unternehmens. Für den Zeitraum von 1871 bis 1873 ist für die in jeweils vier Intervalle unterteilte Höhe der durchschnittlichen Dividende die Wahrscheinlichkeit in Prozent angegeben, mit der eine Unternehmung zumindest bis zum Stichtag Ende des Jahres 1883 weiter existierte. Es wird hierbei wie in den vorangegangenen Untersuchungen wiederum eine Unterscheidung in Bezug auf den Gründungszeitraum „vor 1871“ und „1871–1873“ vorgenommen. Durch die stets bedeutend über dem Durchschnitt liegende Dividendenausschüttung in der Versicherungsbranche826 sowie wegen deren ohnehin durchwegs solider Situation würde eine Verzerrung der nachfolgenden Darstellung resultieren, weshalb diese Branche nachfolgend keine Berücksichtigung findet.

Dividende in %

Anzahl

Jahr

Gründung