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German Pages 224 [226] Year 2022
Mehr Chancen im Beruf mit dem Telekolleg zur Fachhochschulreife Individuelles Lernen mit optimal aufeinander abgestimmten Medien bei freier Zeiteinteilung Starke Partner Kultusministerien und öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten garantieren ein hochwertiges Bildungsangebot
Worte haben Bedeutung Grundkurs Deutsch
ISBN 978-3-534-45020-6
Worte haben Bedeutung · Grundkurs Deutsch
www.telekolleg-info.de
Telekolleg
Worte haben Bedeutung Grundkurs Deutsch
Stefan Bagehorn
Telekolleg wird veranstaltet von den Bildungs- und Kultusministerien von Bayern und Brandenburg sowie vom Bayerischen Rundfunk (BR). Nähere Informationen zu Telekolleg: www.telekolleg-info.de Dieser Band enthält das Arbeitsmaterial zu den vom Bayerischen Rundfunk produzierten Lehrsendungen.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. In Lizenz der BRmedia Service GmbH wbg Academic ist ein Imprint der wbg. © 2022 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Unveränderter Nachdruck der 2. Auflage 2018 Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Umschlaggestaltung: schreiberVIS, Seeheim Umschlagabbildung: Emir Yorda Photography.adobe stock Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-45020-6 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhaltlich: eBook (PDF): 978-3-534-45021-3
Vorwort Grundkurs Deutsch Worte haben Bedeutung ist das Begleitbuch zum neuen Grundkurs Deutsch des Bayerischen Rundfunks im Medienverbund. In den insgesamt 5 Kapiteln wollen wir versuchen, Ihnen das Fach Deutsch in seinen unterschiedlichen Ausprägungen (wieder) näherzubringen. Die Kapitel –5 befassen sich mit Themen aus dem Bereich der mündlichen Sprachkompetenz, die Kapitel 6– mit Aspekten der Lese- und Schreibkompetenz und die letzten vier Kapitel 2–5 fordern und fördern hoffentlich Ihre literarischen Kompetenzen. Man könnte auch sagen, es geht im Grundkurs Deutsch darum, sich künftig besser auszudrücken, mündlich wie schriftlich, und geschriebene Informationen und Medieninhalte besser zu verstehen. Und es geht auch darum, Ihnen ein wenig Lust zu machen – aufs Lesen … Selbst wenn es wie in Kapitel 4 so ein Klassiker wie Goethe ist. Der im Übrigen kein reiner Kopfmensch war, wie man vielleicht glauben möchte, denn wie sein Weimarer Zeitgenosse Karl August Böttiger berichtete, boxte Goethe „sich gewöhnlich bei Landparthien mit dem Kammerherr v. Einsiedel manchmal so ernstlich, das Blut darnach floß“, was sich die beiden aber offenbar gegenseitig nicht übel nahmen, denn „oft setzte sich Göthe mit Einsiedeln grade unter den Tisch, wo gedeckt war, auf den Boden und spielte Paschen mit ihm in Würfeln.“ In den einzelnen Kapiteln begegnen Ihnen immer wieder Übungsaufgaben, die Ihnen helfen sollen, das Gelernte zu vertiefen. Sie müssen dabei z. B. eine Online-Recherche durchführen, einen Zeitungsartikel auf seine sprachlichen Eigenheiten untersuchen oder auch einfach nur Liebesgedichte von Erich Fried lesen. Sie finden die Lösungen zu diesen Aufgaben am Ende des Buches und können somit Ihre Ergebnisse sofort mit den Musterlösungen vergleichen. Am Ende der einzelnen Kapitel habe ich Ihnen außerdem jeweils ein paar Tipps zur weiterführenden, ergänzenden oder manchmal einfach nur zusätzlich interessanten Lektüre eingefügt.
Viel Spaß bei der Arbeit im Grundkurs Deutsch wünscht Ihnen Stefan Bagehorn
Karl August Böttiger, Literarische Zustände und Zeitgenossen. Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar, herausgegeben von Klaus Gerlach und René Starke, 2. Aufl., Berlin: Aufbau-Verlag, 998, S. 39. Vorwort
Inhaltsverzeichnis:
2
.. .2. .3. .4. .5.
Zwischenmenschliche Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 5 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 5 Das Quadrat der Nachricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 6 Probleme bei der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 9 Nonverbale Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 4
2 2.. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6.
Recherchieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Einleitung mit schwäbischer Kreisstadt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Recherche online . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Bibliotheksrecherche online . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Wer sucht, der findet auch. Und dann? – Recherchetreffer beurteilen . . . . . . . . . . . . .S. Bibliotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Arbeitstipps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S.
6 6 7 9 2 24 25
3 3.. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6.
Mediennutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Einleitung mit einer Billion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Meinungs- und Medienvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Reality?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Grundkurs TV-Schnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Vom Ereignis zur Nachricht – Medien machen Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Das Web. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S.
28 28 29 3 32 34 36
4 4.. 4.2. 4.3. 4.4. 4.4.. 4.4.2. 4.5. 4.6. 4.7. 4.8.
Besser reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Kleine Geschichte der Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Redeformen – Rede, Vortrag, Referat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Vorbereitung der Rede: Stoff- und Materialsammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Ausarbeitung der Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Die Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Hauptteil und Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Tipps zum Formulieren der Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Die Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Gesprächsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Die Begleitmusik von Rede, Diskussion und Gespräch – die Prosodie . . . . . . . . . . . .S.
39 39 40 4 44 44 45 46 47 49 50
5 5.. 5.2. 5.3.
Formulieren und Mitreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Einleitung mit Goethe und Wolfsheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Wie fange ich an? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Wie mache ich weiter? – Argumentieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S.
53 53 55 59
6 6..
Texte beurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 65 Einleitung mit Jakob Maria Mierscheid, Bundestagsabgeordneter, SPD-Mitglied und Schneidermeister ade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 65
Inhaltsverzeichnis
6.2. 6.3. 6.4. 6.5.
Lese ich da eigentlich – Nachrichten oder Meinungen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Hilfestellung für den Leser – die Ressorts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Hauptsachen in Hauptsätze – wie Journalisten schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Meinung – wo sie hingehört und wo sie Spaß macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S.
67 7 72 75
7 7.. 7.2. 7.3. 7.4.
Lesen und verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Einleitung mit der Brücke von Khazad-Dûm und einem Balrog. . . . . . . . . . . . . . . . .S. Was beeinflusst das Lesen und Verstehen von Texten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Lesen ist nicht gleich Lesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Top-Down-Lesestrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S.
79 79 80 83 84
Lesen, Verstehen, Zusammenfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Einleitung mit drei unverständlichen Dingen: einer SMS aus Schottland, einer Fahrt zur Tankstelle und Arthur Schopenhauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 8.2. Den Schopenhauer-Text verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 8.3. Texte durchschauen – Allgemeine Strategien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 8.3.. Satzzeichen und Groß- und Kleinschreibung als Hilfsmittel zum Verstehen nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 8.3.2. Textinhalte vorhersagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 8.4. Texte zusammenfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S.
90
Texte analysieren und verarbeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Einleitung mit einem Blick in die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Die Struktur eines Textes erfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Textinhalte erkennen und zusammenfassen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Sprachliche Analyse eines Sachtextes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Stellung nehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S.
05 05 06 08 2
Erörtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Einleitung mit einem Thread und der Erörterung der Frage, warum Batman besser als Superman ist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 0.2. Verschiedene Erörterungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 0.3. Die Stoffsammlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 0.4. Die Stoffordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 0.5. Die Gliederung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 0.6. Die Ausarbeitung der Erörterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 0.6.. Die Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 0.6.2. Der Hauptteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 0.6.3. Der Schluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S.
6 6 8 20 22 23 26 26 27 28
Grammatik und Rechtschreibung: Software-Helfer und Wörterbücher .S. Einleitung mit einem Notebook und einem grammatischen Debakel . . . . . . . . . . . . .S. Die Tücken der Grammatikprüfung durch ein Textverarbeitungsprogramm . . . . . . . .S. Die Tücken der Rechtschreibprüfung durch ein Textverarbeitungsprogramm . . . . . . .S. Exkurs – der Apostroph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Hinweise zur Benutzung eines Wörterbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S.
3 3 3 33 35 38
8 8..
9 9.. 9.2. 9.3. 9.4. 9.5. 0 0..
.. .2. .3. .4. .5.
90 92 93 93 95 99
Inhaltsverzeichnis
3
2 2.. 2.2. 2.2.. 2.2.2. 2.2.3. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6.
Prosatexte untersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Einleitung mit Winnetous letzten Worten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Die Erzählperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Der Ich-Erzähler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Der auktoriale Erzähler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Der personale Erzähler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Der Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Die Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Die Handlung und die Figuren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Die Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S.
42 42 43 43 45 47 49 50 5 52
3 3.. 3.2. 3.2.. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.2.5. 3.2.6. 3.2.7.
Eine gute Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Einleitung mit Gelbsucht und Erbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Bernhard Schlinks Roman Der Vorleser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Zum Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Zur Rezeptionsgeschichte von Der Vorleser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Inhalt und Struktur der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Die Ich-Erzählperspektive im Roman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Ort und Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Die Personen des Romans. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Das Thema des Romans – der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S.
55 55 55 55 55 56 59 60 6
4 4.. 4.2. 4.3. 4.3. 4.3.. 4.3.2. 4.3.3. 4.3.4.
Literatur und Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Einleitung mit der größten Liebe aller Zeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Ein Gedicht über die Liebe von Erich Fried . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Frank Wedekind Lulu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Johann Wolfgang von Goethe Die Leiden des jungen Werther. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Zur Rezeptionsgeschichte des Werther. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Die Form des Brief-Romans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Der Inhalt des Romans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Die Liebe im Roman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S.
65 65 65 67 7 7 72 73 74
5 5.. 5.2. 5.3. 5.4. 5.4.. 5.4.2.
Literatur und die Welt draussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Einleitung zum Teil wieder mit Werther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Rainald Goetz Abfall für alle. Roman eines Jahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Rafik Schami Der Kummer des Beamten Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Michael Ende Momo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Der Inhalt von Momo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. Momo, die Zeit, der Konsum und die Fantasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S.
77 77 77 78 8 82 82
62
Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 88
Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 208
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 20 Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 26
4
Inhaltsverzeichnis
1. Zwischenmenschliche Kommunikation 1.1.
Einleitung
1
„Sprache ist immer Kommunikation“, schreibt Gerhard Maletzke in seinem oft zitierten Kommunikationswissenschaft im Überblick. Mit dieser Aussage lässt sich schon erahnen, dass Kommunikation offensichtlich der Oberbegriff für eine Form menschlichen Verhaltens ist, das sowohl mit (verbale Kommunikation) als auch ohne Sprache (nonverbale Kommunikation) funktioniert. Allerdings ist Kommunikation keine exklusiv menschliche Spezialfähigkeit. Auch Tiere kommunizieren miteinander, Menschen mit Maschinen oder sogar Maschinen lediglich unter sich. Da überrascht es nicht, dass Maletzke in seinem Fachbuch die stattliche Zahl von 60 Definitionen für den Begriff „Kommunikation“ erwähnt. In den Wissenschaften hat sich aber so etwas wie ein kleinster gemeinsamer Nenner gefunden und deshalb kann man unter Ausklammerung der naturwissenschaftlichen Bereiche „Kommunikation“ als „Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen“2 beschreiben. Im Rahmen dieses Kapitels konzentrieren wir uns bei den „Lebewesen“ exklusiv auf die Menschen. Diese Definition klingt erst einmal nicht so eindrucksvoll, aber jeder, der schon einmal im Urlaub versucht hat, in einem fremden Land in einer fremden Sprache nach einem Autoersatzteil, dessen Namen man kaum auf Deutsch aussprechen kann, zu fragen, wird bestätigen, dass das Vermitteln von Bedeutung nicht immer einfach ist. Denn damit die zwischenmenschliche Kommunikation gelingt, müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein:
2
n
Ein gemeinsamer Zeichenvorrat: Das können sprachliche Zeichen sein, das heißt, beide Kommunikationspartner sprechen die gleiche Sprache, oder können auch nicht-sprachliche Zeichen sein, z. B. Mimik und Gestik. Nicht umsonst heißt es ja „mit Händen und Füßen reden“.
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Ein gemeinsamer Bedeutungsvorrat: Die Kommunikationspartner kennen und teilen die Bedeutungen der Worte und Wortfolgen (und ebenso der Gesten oder Gesichtsausdrücke), die sie verwenden. Jeder von uns kennt dieses Phänomen aus dem Alltag: Wenn zwei Leute das Gleiche sagen, meinen sie noch lange nicht dasselbe.
Dafür kann es verschiedene Ursachen wie unterschiedliches Lebensalter oder unterschiedlichen Bildungshintergrund geben, das gegenseitige Missverstehen kann aber auch an spezifisch individuellen Unterschieden liegen. Ein Schalke- und ein Bayern-Fan werden wohl schwerlich eine unbeschwerte Kommunikation über das letzte Aufeinandertreffen der beiden Bundesliga-Klubs führen wollen bzw. können. Vorlieben und Voreingenommenheiten spielen also eine Rolle, aber auch persönliche Abneigungen oder Ängste. Wer unter Flugangst leidet, wird sich vermutlich etwas schwer tun, die Begeisterung eines Jetpiloten über das Durchbrechen der Schallmauer zu teilen.
Gerhard Maletzke, Kommunikationswissenschaft im Überblick. Grundlagen, Probleme, Perspektiven, Opladen; Wiesbaden: Westdt. Verlag, 998, S. 44. Ebenda, S. 37. Zwischenmenschliche Kommunikation
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Ein gemeinsames interaktives Kommunikationsinteresse: Der Publizistikwissenschaftler Roland Burkart beschreibt dies so: „Menschliche Kommunikation (…) kommt erst dann zustande, wenn (wenigstens zwei)
Menschen ihre kommunikativen Handlungen wechselseitig aufeinander richten.“3 Man könnte auch sagen, Kommunikation ist keine Einbahnstraße, sondern besteht aus abwechselndem Reden und Zuhören!
1.2. Das Quadrat der Nachricht Das grundlegendste Modell von Kommunikation, das Sender-Empfänger-Modell, stammt eigentlich aus den Naturwissenschaften und beschreibt Kommunikation als die Übertragung einer Nachricht von einem Sender zu einem Empfänger. Dieses Modell ist korrekt, aber es vereinfacht und deshalb wurde es vielfach erweitert und modifiziert. So zum Beispiel von dem Psychologie-Professor Friedemann Schulz von Thun in seinem dreibändigen Werk Miteinander reden, das er zwischen 98 und 998 publiziert hat. Schulz von Thun beschäftigte als Psychologe die Frage, warum in der zwischenmenschlichen Kommunikation so viel schiefgehen konnte. Eine berechtigte Frage, die sich die meisten von uns sicher auch schon das eine oder andere Mal gestellt haben, z. B. nach dem letzten Streit mit dem Lebenspartner, der sich an der mangelhaften Konsistenz des sonntäglichen Frühstückseis entzündet hatte und in einer Blitzscheidung am darauffolgenden Morgen endete. Schulz von Thun baute in seinen Überlegungen u. a. auf frühere Ansätze von Karl Bühler (OrganonModell) und Paul Watzlawick auf und präsentierte 98 schließlich die Theorie des NachrichtenQuadrats. Nach diesem Modell hat jede Nachricht vier Seiten oder Aspekte:4 • Sachinhalt • Selbstoffenbarung • Beziehung • Appell
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Roland Burkart, „Was ist Kommunikation? Was sind Medien?“, in: Grundlagentexte zur Journalistik, hrsg. von Irene Neverla, Elke Grittmann, Monika Pater, Konstanz: UVK-Verl.-Ges., 2002, S. 59. Für das Modell Schulz von Thuns und dessen Bestandteile finden Sie in der Literatur und im Netz unterschiedliche Bezeichnungen. Für einen Teil davon ist Schulz von Thun selbst verantwortlich, denn in Band 2 von Miteinander reden hat er die „Selbstoffenbarung“ in „Selbstkundgabe“, den „Beziehungsaspekt“ in „Beziehungshinweis“ und die „Nachricht“ in „Äußerung“ umbenannt. Die Begriffe „Seite“ und „Aspekt“ verwendet er schon in Band synonym. Im Original, also in der Buchedition von Miteinander reden 1, heißt das Modell „Quadrat der Nachricht“. In verkürzter Form wird es auch als „Nachrichten-Quadrat“ bezeichnet, auf Wikipedia und der Webpage des Autors (Friedemann Schulz von Thun, 2.0.2009: http://www.schulz-von-thun.de) als „Kommunikationsquadrat“. In den dort abgebildeten Schaubildern heißt der „Sachinhalt/Sachaspekt“ aber nun „Sachebene“. Im Zweifelsfall hält man sich an die ursprünglichen Angaben in der primären Quelle, d. h. Miteinander reden, Band . Zwischenmenschliche Kommunikation
„Worüber ich informiere“5: Der Sachinhalt einer Nachricht besteht aus ihrer sachlichen Information, man könnte auch sagen, der Präsentation der nüchternen Fakten: Die Sonne scheint, die Ampel ist grün, das Fenster ist auf.
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„Was ich von mir selbst kundgebe“6: Daneben erzählt man mit jeder Aussage auch etwas über sich selbst, was Schulz von Thun als den Selbstoffenbarungsaspekt der Nachricht bezeichnet. Wenn Sie z. B. auf den Beziehungsfragen-Klassiker „Was soll ich heute Abend anziehen, Schatz? Das rote oder das schwarze Kleid…?“ mit einem abwesenden „Entschuldige, ich habe gerade nicht zugehört. Worum ging’s?“ antworten, dann versteht Ihre Partnerin sehr wohl die „wahre“ Bedeutung Ihrer Aussage ungeachtet der gewählten Wortfolge: „Ist mir egal, was du anziehst!“ „Was ich von dir halte und wie wir zueinander stehen“7: Im Rahmen der Selbstoffenbarung teilt man dem Empfänger der Nachricht mit, wie man sich selber sieht. Der Beziehungsaspekt nun sagt dem Gegenüber, wie man ihn und das Verhältnis zueinander einschätzt. Mit dem Chef im Büro redet man anders als mit den eigenen Kindern, mit der Ehefrau anders als mit der Metzgerei-Fachverkäuferin und den Hofknicks braucht man heute nur noch, wenn man zufällig der Queen begegnen sollte. Der Beziehungsaspekt, was im Übrigen auch für die anderen drei Aspekte der Nachricht gilt, zeigt sich also nicht nur im verbalen (Wortwahl, Betonung, Lautstärke etc.), sondern auch im nonverbalen Kommunikationsverhalten. Eine Verbeugung demonstriert Verehrung, Unterwürfigkeit und Respekt; eine ausgestreckte Hand bietet Versöhnung an und eine drohend erhobene Faust braucht keine zusätzlichen Worte, um Aggression zu kommunizieren. „Wozu ich dich veranlassen möchte“8: Meistens will man etwas erreichen mit dem, was man sagt. Diese Absicht bezeichnet der Appellaspekt einer Nachricht. In einer Diskussion möchte man mit einem „Das sehe ich aber nicht ganz so …“ die anderen Teilnehmer von der eigenen Meinung überzeugen, beim Bäcker mit dem „Zwei Semmeln, bitte“ die entsprechende Ware kaufen und mit dem „Achtung, Rot!“ möchte man zum x-ten Mal an diesem Tag vermeiden, dass die dreijährige Tochter im Münchner Stadtverkehr etwas Dummes tut. Jede Nachricht, dies sollte man noch einmal explizit betonen, beinhaltet immer alle vier genannten Aspekte bzw. sendet immer nach allen vier Seiten, wobei sich die Intensität der Ausprägung von Nachricht zu Nachricht unterscheidet. Der Appell-Aspekt der Aufforderung „Iss das sofort auf“ ist dominanter als der der Frage „Möchtest du lieber Vollmilch- oder Bitterschokolade?“ Ein „Ich will ja nicht angeben, aber mich schlägt beim Tennis so leicht keiner“ besitzt einen ausgeprägteren Selbstoffenbarungsaspekt als ein „Haben Sie Lust auf ein Tennis-Match?“ und die Formulierung „Du dummer Trottel“ ist, vom Beziehungsaspekt her betrachtet, intensiver als die Variante „Im Grunde sind Sie mir eigentlich sympathisch.“ Und was sagt man eigentlich, wenn man gar nichts sagt? Im Modell des Nachrichten-Quadrats eine ganze Menge: „Jedes Schweigen ist ‚beredt‘ und stellt eine Nachricht mit mindestens drei Seiten dar.“9 5 6 7 8 9
Friedemann Schulz von Thun, Miteinander reden 1. Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation, 36. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2002, S. 26. Ebenda, S. 26. Ebenda, S. 27. Ebenda, S. 29. Ebenda, S. 34. Zwischenmenschliche Kommunikation
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Die vierte Seite, der Sachinhalt bzw. Sachinhaltsaspekt, ist bei nonverbalen Nachrichten leer. Schulz von Thun erklärt dies an zwei Beispielen, Weinen und Schweigen, näher.0 Nehmen wir also an, Ihr Lebenspartner bzw. Ihre Lebenspartnerin weint. Die Sachinhaltsseite dieser nonverbalen Nachricht ist tatsächlich leer, die drei anderen Seiten jedoch sagen viel: Die Selbstoffenbarung zeigt an, dass der Partner enttäuscht, unglücklich, traurig, verletzt ist. Auf der Beziehungsseite könnte das Weinen eine Anklage oder Bestrafung bedeuten, zum Beispiel: Du hast mir weh getan! Der Appell drückt wahrscheinlich einen Hilferuf aus: Bitte tröste mich!
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In Schulz von Thuns zweitem Beispiel geht es um das Schweigen als Antwort. Ein Mann betritt ein Zugabteil und grüßt den dort sitzenden Fahrgast. Der Angesprochene aber antwortet nicht, sondern liest weiter in seiner Zeitung. Was will er dem Neuankömmling mit diesem Schweigen sagen? Selbstoffenbarung: Ich möchte meine Ruhe haben. Beziehung: Sie interessieren mich nicht genug, um mit Ihnen ein Gespräch anzufangen. Appell: Lassen Sie es bleiben. Reden Sie nicht mit mir! Diese Lösungen sind alle plausibel und wahrscheinlich. Denkbar wäre aber auch, um damit noch einmal auf die Einleitung des Kapitels und den gemeinsamen Zeichenvorrat zurückzukommen, dass der Zeitungsleser im Zugabteil z. B. Franzose ist, die Zeitung Le monde liest, er kein Deutsch und damit Ihre Begrüßung nicht versteht. Das wäre zwar möglich, aber unwahrscheinlich, denn in so einem Falle würden nonverbale Nachrichtenelemente, wie z. B. ein entschuldigendes Lächeln und ein hilfloses Schulterzucken, die ergänzenden Informationshilfen liefern. Zu Recht fragen Sie sich an dieser Stelle aber immer noch, wie das Frühstücksei mit mangelhafter Konsistenz und die Blitzscheidung zusammenhängen. Das ist natürlich ein absichtlich plakatives Beispiel, und Paare lassen sich auch trotz des Schulz von Thunschen Nachrichtenmodells nicht aufgrund einer einzigen Äußerung von heute auf morgen scheiden. Bei näherer Betrachtung der vier Seiten der Nachricht „Also, Eierkochen kannst Du wirklich nicht“ kann man aber den Zusammenhang erkennen: Sachinhalt: Das Ei ist zu weich. Selbstoffenbarung: Ich bin genervt. Und das nicht zum ersten Mal. Beziehung: Ich halte eigentlich nicht mehr sehr viel von dir. Ich lasse es gerne auch auf einen Streit über diese Kleinigkeit ankommen, denn du bedeutest mir nicht mehr genug, um auf dich Rücksicht zu nehmen. Appell: Lass dich endlich von mir scheiden! Die Auslegung der Nachrichten-Aspekte in diesem Beispiel ist hart, aber durchaus denkbar. 0
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Ebenda, S. 34 ff. „Schweigen“ und „Weinen“ sind gut gewählte Beispiele, daher gebe ich Schulz von Thuns Erklärungen wieder. Zwischenmenschliche Kommunikation
Aufgabe 1: Erstellen Sie bitte Nachrichten-Quadrate zu den unten angeführten Nachrichten. Sie müssen dabei zur Beschreibung der vier Aspekte nicht einen einzigen kurzen Aussagesatz verwenden, Sie können die Inhalte auch ausführlicher beschreiben. Versuchen Sie auch, Lösungen mit unterschiedlichen Aspekten zu erstellen und zu erläutern, warum man die Nachricht a, b oder c mal so und mal anders interpretieren könnte.
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a) „Wollen wir nicht mal zusammen einen Kaffee trinken gehen?“ b) „Hätten wir da nicht rechts abbiegen müssen …?“ c) „Das ist ein interessanter Vorschlag, den Sie da machen, aber …“
1.3. Probleme bei der Kommunikation Friedemann Schulz von Thuns Modell vom Quadrat der Nachricht erklärt nicht nur, wie Kommunikation funktioniert, sondern auch, wo ihr größtes Problem liegt: in der Mehrdeutigkeit der Nachricht. Man könnte auch behaupten, das Problem liegt an der Komplexität der menschlichen Psyche, an unseren Vorlieben, unseren Neigungen und Interessen, an unseren Erfahrungen und unserer individuell unterschiedlichen Lebensgeschichte. Das ist sicher richtig, aber schwer zu ändern. Deshalb ist es einfacher, bei den Mehrdeutigkeiten anzusetzen und sich um möglichst präzises Formulieren zu bemühen. Es hilft prinzipiell immer, sich im Rahmen einer Kommunikation genau zu überlegen, was man und vor allem wie man es sagen will. Der erste Hinweis zum präzisen Formulieren klingt banal: Wörter haben Bedeutungen. Darüber sollte man sich klar sein. Man muss die Bedeutungen der Wörter kennen, die man verwendet, damit man auch richtig verstanden wird. Das Schwierige, aber auch das Schöne an Wörtern ist, dass sie oft nicht nur eine, sondern gleich mehrere Bedeutungen haben. Man kann eine Kirche einweihen, man kann aber auch ein neues Kleid einweihen oder man kann ebenso einen Freund in ein Geheimnis einweihen. Das sind nur drei Möglichkeiten. Zu eintreten stehen schon zehn Bedeutungen im Duden und nach deckt fast eine ganze Spalte im Standardwerk der deutschen Rechtschreibung ab. Die Bedeutungsvielfalt von Wörtern macht Sprache und damit auch Kommunikation lebendig. Schwierig wird es lediglich dann, wenn z. B. ein Gesprächsteilnehmer eine bestimmte Wortbedeutung nicht kennt. Sachverhalte lassen sich aber in jeder Sprache auf mehrere unterschiedliche Arten beschreiben. Unter Umständen kann das allerdings für Unklarheiten oder Mehrdeutigkeiten sorgen. Wie schon oben erwähnt kann man eine Kirche einweihen. Man könnte sie aber auch feierlich der Gemeinde übergeben. Das neue Kleid könnte man auch zum ersten Mal anziehen, tragen, überstreifen, benutzen und einem Freund könnte man, anstatt ihn darin einzuweihen, das Geheimnis auch verraten, Zwischenmenschliche Kommunikation
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unterbreiten, mitteilen, im Vertrauen berichten, anvertrauen oder beichten. Aber mit jeder Variante verändert sich gleichzeitig die Bedeutung ein wenig. Das liegt an den Konnotationen, Begleitgefühle oder Nebenbedeutungen, die Wörter zusätzlich zu ihrer eigentlichen lexikalischen Bedeutung besitzen. Wenn man z. B. jemandem ein Geheimnis verrät, dann schwingt in dieser Formulierung ein Begleitgefühl von etwas Verbotenem, von einem Vertrauensbruch mit. Würde man stattdessen das Geheimnis beichten, dann verbindet man damit eher das Gefühl der Befreiung von einer großen Last und erzeugt beim Zuhörer insgesamt unterschwellige religiöse und kirchliche Assoziationen.
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Verraten besitzt im Gegensatz zu beichten auch eine wesentlich handlungsfreudigere Konnotation. Verraten ist ein aktiver Prozess. Verraten ist agieren. Beichten klingt eher nach Druck oder Zwang, nach reagieren statt agieren. Außerdem generiert die Herkunft von beichten aus dem religiös-kirchlichen Bereich auch Begleitgefühle von Schuld, Sühne, Verzeihung. Jemand, der ein Geheimnis verrät, fühlt sich möglicherweise auch moralisch schuldig, bittet aber keinesfalls beim Zuhörer für diese Handlung um Verzeihung. Jemand, der einem anderen ein Geheimnis aber beichtet, setzt sich allein schon durch die Formulierung mehr ins moralische Unrecht als der Geheimnisverräter und erzeugt daneben auch die schon erwähnten Assoziationen von Unrecht und Vergebung. Sie sehen, Sprache lässt viele Variationen zu. Aber ist das nicht auch ein Vorteil von Sprache? Stellen Sie sich vor, man könnte ein Geheimnis nur mitteilen, es gäbe nur dieses eine Verb. Mitteilen – das ist so neutral. Da schwingen Konnotationen von Beamtenstuben, von emotionaler Gleichgültigkeit, von Bedeutungslosigkeit mit. Spiegelt das wirklich alles wieder, was die verbale Übermittlung eines Geheimnisses von Person A zu Person B bedeuten kann – den emotionalen Zustand des Sprechers, die Sichtweise der Gesellschaft, das Verhältnis von Sprecher und Zuhörer? Ich behaupte: nein, nicht einmal ansatzweise. Deshalb gibt es so viele verschiedene Möglichkeiten, einen Sachverhalt sprachlich auszudrücken. Die Konnotationen sind in diesem Zusammenhang sehr praktisch: Müsste man alle diese Begleitgefühle und Nebenbedeutungen tatsächlich schriftlich oder mündlich zu den betreffenden Wörtern und Formulierungen dazuschreiben oder -sagen, dann wäre Kommunikation ein äußerst langwieriger und ermüdender Vorgang. Was für einzelne Wörter oder Wortfolgen gilt, trifft auch für Sätze, Abschnitte und Texte zu: Wörter haben eine Bedeutung. Nicht nur für sich selbst, sondern auch miteinander. Deshalb ist es so wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, welche Wörter man miteinander kombiniert. Eine Grundsatzaussage der Pragmalinguistik, eines Teilbereichs der Sprachwissenschaft, der sich speziell mit Fragen des Sprachgebrauchs beschäftigt, lautet: Sprache ist Handeln. Das bedeutet, indem man sich für bestimmte Wörter und bestimmte Redewendungen und damit auch gegen andere entscheidet, wählt man schon ein bestimmtes Sprachziel. Im Modell des Nachrichten-Quadrats von Schulz von Thun entspricht dies in etwa dem des Appell-Aspektes. Deshalb noch einmal der dringende Hinweis: Mehrdeutigkeiten vermeiden. Kommunikationsziel definieren. Präzise formulieren. Bisher ging es in diesem Abschnitt primär um potenzielle Kommunikationsprobleme beim Senden einer Nachricht, aber auch auf der Empfänger- bzw. Zuhörerseite können Schwierigkeiten auftreten. Es ist grundsätzlich wichtig, sich bei Kommunikationshandlungen immer eines klarzumachen: Kommunikation ist Interpretation. Einer sagt und meint etwas, der andere meint auch etwas, nämlich gehört zu haben. Das muss aber nicht das Gleiche sein. Denken Sie zurück an die vier Seiten des Nachrichten-Quadrats. Da bieten sich zumindest auf drei der vier Seiten, abzüglich des Sachinhalts, reichlich Ansatzpunkte zu Missverständnissen. Eine einfache Methode zur Vermeidung von Fehl0
Zwischenmenschliche Kommunikation
interpretationen ist … Zuhören. Und das Zweite, das man unbedingt als Empfänger tun sollte, ist, Rückmeldungen über das Gehörte zu geben. Sie können ruhig auch mal nachfragen, ob diese oder jene Äußerung vom Sprecher wirklich so und nicht anders gemeint war.
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Aufgabe 2: Was würden Sie sagen, wodurch unterscheiden sich die folgenden Formulierungen? Beschreiben Sie die jeweiligen Konnotationen: a) Er gewann das Spiel. b) Er zockte seine Mitspieler ab. c) Es gereichte ihm zum Sieg.
1.4. Nonverbale Kommunikation In manchen Fällen muss man gar nicht nachfragen, wie man etwas zu verstehen hat, weil der Sprecher die wahre Bedeutung aus Versehen schon preisgegeben hat. Allerdings nicht mit zusätzlichen erklärenden Worten, sondern mit einem verschämten Blick zum Boden, einer krampfhaft zusammengeballten Faust oder einem kraftlosen Schulterzucken. Die nonverbalen Bestandteile einer Nachricht, Mimik und Gestik, sind für die meisten von uns schwieriger zu kontrollieren als die verbalen. Dieser Unterschied ist manchmal unangenehm, im Grunde ist er aber für erfolgreiche Kommunikation eher sinnvoll als hinderlich. Auf das Kreuz mit den Worten und ihren Bedeutungen habe ich in dem Kapitel schon ausgiebig hingewiesen, deshalb ist es eigentlich eine sehr nützliche Fähigkeit des Menschen, dass er zum Kommunizieren zwei Methoden gleichzeitig einsetzt: eine kompliziertere mit Worten und eine einfachere ohne Worte. Fairerweise muss man hinzuzufügen, dass die kompliziertere Methode, das Reden, viel mehr Ausdrucksmöglichkeiten bietet als die nonverbale Variante. Erklären Sie mal die Relativitätstheorie ohne Worte – das dürfte schwierig werden. Was hingegen weltweit ohne Probleme verstanden wird, ist Lächeln. Und das ist gar nicht so selbstverständlich. Zum Beispiel gibt es mehrere Tausend Sprachen auf der Welt und die meisten von uns scheitern oft bereits wenige Kilometer links von Saarbrücken an der Bestellung eines simplen Milchkaffees, weil man das mit dem „Café au lait“ seit der neunten Klasse schon wieder vergessen hat. Mit Lächeln dagegen kommt man auch in Papua-Neuguinea weiter. Das Gleiche gilt für Angst oder Überraschung. Der US-Psychologe Paul Ekman stellte bei Untersuchungen in den 970ern und 980ern fest, dass, wie Charles Darwin schon vermutet hatte, der Mensch über ein angeborenes mimisches Ausdrucksreservoir verfügt. Weltweit werden zumindest sieben Emotionen mit dem gleichen Gesichtsausdruck dargestellt und wiedererkannt: Freude, Überraschung, Wut, Ekel, Furcht, Trauer, Verachtung. Neben den sieben verschiedenen Gesichtsausdrücken, die universell verstanden werden, existieren gottlob zahlreiche weitere Möglichkeiten, ohne Wörter viel zu sagen. Diese sind aber von Kultur Zwischenmenschliche Kommunikation
zu Kultur unterschiedlich. In Indien z. B. bedeutet eine unserem westlichen Kopfschütteln ähnliche „Kopf-Hin-und-Herbewegung“ zur Seite „Nein“. Ein „Ja“ hingegen wird durch ein kurzes Zucken des Kopfes, verbunden mit dem Schnalzen der Zunge, ausgedrückt.
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Zumindest in der westlichen Welt schauen sich die Menschen als Startsignal für eine kommunikative Handlung für einen bestimmten Zeitraum in die Augen. Die ersten drei, vier Sekunden Blickkontakt gelten für eine Begrüßung als normal. Alles, was länger dauert, drückt ein tiefer gehendes Interesse am Gegenüber aus und nach einigen weiteren Sekunden, da sind die Reizschwellen individuell unterschiedlich, wird der Blickkontakt als unangenehm oder sogar bedrohlich empfunden. Taktisch unklug ist es aber, bei einer Begrüßung dem Gegenüber überhaupt nicht in die Augen zu schauen. Dadurch gilt man sofort als schüchtern und unsicher oder erweckt den Eindruck, man hätte etwas zu verbergen. Die absichtliche Vermeidung eines Blickkontaktes kann außerdem auch als Ausdruck von Verachtung und Arroganz interpretiert werden: Man kann sogar buchstäblich durch jemanden hindurchschauen, selbst wenn man ihm in die Augen schaut. Ein Blick sagt angeblich mehr als tausend Worte, aber für die genannten unterschiedlichen Interpretationen reicht die bloße Vermeidung des Blickkontakts allein nicht aus. Schüchternheit oder Unsicherheit zeigen sich ebenso wie Arroganz an weiteren mimischen und gestischen Signalen und erst deren Zusammenwirken ermöglicht eine korrekte Einschätzung. Woran erkennt man also Schüchternheit bzw. Unsicherheit noch? An der Art des Händedrucks. Genauer gesagt am laschen Händedruck. So geben sich nach meiner persönlichen Erfahrung vor allem Männer untereinander große Mühe, einen laschen Händedruck um jeden Preis zu vermeiden. Weitere nonverbale Signale für Schüchternheit bzw. Unsicherheit sind fehlende Körperspannung mit hängenden Schultern, das Senken und/oder seitliche Wegdrehen des Kopfes sowie die Vermeidung eines mehr als minimal nötigen Körperkontakts wie dem Händeschütteln. Und die weiteren Signale für Arroganz? Wer durch einen anderen hindurchschaut, tut dies meist mit vorgerecktem Kinn. Dazu ein erhobener Kopf, leicht in den Nacken geworfen, eventuell noch ein unechtes Lächeln mit absichtlich weit hoch gezogenen Mundwinkeln und die klassische herausfordernde Körperhaltung: Beine leicht gespreizt, Hände in die Hosentaschen, Brust raus. Nicht, dass jetzt ein falscher Eindruck entsteht: Die oben beschriebenen körpersprachlichen Signale sind keine Fehler, sondern im Grunde nützliche Kommunikationshelfer und -ergänzer. Viele Menschen sagen aus vielerlei Gründen nicht immer das, was sie eigentlich kommunizieren wollen. In solchen Fällen sind die nonverbalen Signale, die eine andere als die gesprochene Sprache sprechen, sehr nützlich. Im Berufsleben könnte man jedoch manchmal gut und gerne ohne diese verräterischen nonverbalen Signale leben. Eine bessere Kontrolle dieser kann man aber üben. Im Zweifelsfall, so mein Tipp, wählen Sie im beruflichen Umfeld die entspannte Neutralität. Lieber neutral wirken als unsicher, arrogant oder selbstgefällig. Im Stehen erreicht man eine neutrale Position, indem die Beine etwa hüftbreit gespreizt fest auf den Boden gestellt sind. Die Füße sollten parallel nach vorne gerichtet und nicht nach innen oder außen abgespreizt werden, der Kopf möglichst gerade 2
Zwischenmenschliche Kommunikation
sein. Heben Sie außerdem das Brustbein und die Schultern, aber vermeiden Sie eine angespannt wirkende „Brust-raus-Bauch-rein-Haltung“. Die Arme lassen Sie locker an den Seiten herabhängen. Wenn Sie einer anderen Person gegenüberstehen, sollten Sie im Übrigen die Frontalposition vermeiden, denn wir Menschen haben in dieser Position ein größeres Distanzbedürfnis als von der Seite. Das können Sie zuhause mit einem Bekannten ausprobieren. Stellen Sie sich beide mit dem Gesicht zueinander direkt gegenüber auf und strecken Sie den Arm aus. Diese 60-80cm-Distanz empfinden Menschen in der Regel als neutral. Machen Sie dann einen kleinen Schritt nach vorne: schon wird es unangenehm. Eine derartige körperliche Nähe unter einem halben Meter Abstand räumen wir in der Regel nur unserem Beziehungspartner ein.
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Anschließend probieren Sie das Gleiche von der Seite aus. Hier werden Sie und ihre Testperson vermutlich eine größere Nähe tolerieren als in der Frontalstellung. Am empfehlenswertesten ist es dabei, sich in einem 45-Grad-Winkel seitlich zum Gesprächspartner zu positionieren. Falls Sie Ihrem Gegenüber trotzdem zu nahe kommen, wird er z. B. von einem Bein auf das andere wechseln, mit dem Fuß klopfen oder abwehrend die Arme vor dem Körper verschränken. Dann treten Sie besser einen halben Schritt zurück. Besprechung, Sitzung, Konferenz oder Bewerbungsgespräch – vieles im Beruf spielt sich im Sitzen ab. Oft weiß man nicht so recht, wohin mit den Armen und verschränkt sie deshalb vor der Brust. Das ist körpersprachlich nicht geschickt, denn das Verschränken der Arme stellt eine Schutz- und Abwehrgeste dar. Verschränken ist aber nicht gleich Verschränken. Legt man die Arme im Gespräch erst nach geraumer Zeit übereinander, dann hat dies oft auch nur rein körperliche Ursachen, denn das Verschränken ist die am wenigsten anstrengende Armhaltung. Daneben gibt es auch noch das entspannte bis hin zum selbstgefälligen Zurücklehnen, das ebenfalls von einem Kreuzen der Arme vor dem Körper begleitet wird. Neutral wirkt die Armhaltung beim Sitzen dagegen, wenn Sie die Arme mit den Handflächen nach unten locker auf den Oberschenkeln ablegen. Die Füße stehen dabei in Hüftbreite nebeneinander fest auf dem Boden, die Spitzen sind nach vorne gerichtet. Falls Lehnen vorhanden sind, können Sie die Arme gerne auch dort positionieren, lassen Sie aber vorsichtshalber ein wenig Distanz zwischen den Fingern und der vorderen Kante, damit Sie diese nicht unwillkürlich zum Stressabbau umklammern. Ansonsten bemühen Sie sich um eine aufrechte Sitzposition, bei der Sie die gesamte Sitzfläche in Anspruch nehmen und sich mit dem Rücken an der Lehne abstützen. Bitte nicht in den Stuhl fallen lassen oder bloß auf der Kante des Stuhls sitzen. Ersteres wirkt demotiviert und wenig selbstbewusst, Zweiteres drückt Angst aus. Wer auf der Kante sitzt, ist innerlich sozusagen immer auf dem Sprung. Das Übereinanderschlagen der Beine stellt im Vergleich zur neutralen Grundstellung mit den parallelen Oberschenkeln auch eine Körperbarriere ähnlich den verschränkten Armen dar. Allerdings macht es einen Unterschied, welches Bein man überschlägt. Genauer gesagt kommt es darauf an, ob man dem Nebenmann die Innen- oder die Außenseite des Oberschenkels zuwendet. Innenseite heißt: „Sie sind mir im Grunde sympathisch“. Außenseite bedeutet: „Zumindest im Moment sind wir nicht gerade die besten Freunde“. Man kann die kalte Schulter also auch mit dem Bein zeigen. In der Regel begleitet die Schulter das Bein-Überschlagen, denn Menschen, die sich sympathisch sind, wenden sich einander zu, wodurch sich der Schulterbereich vom Gegenüber entfernt. Dieses Einander-Zuwenden funktioniert leichter mit der Person, in deren Richtung man das Bein überschlägt. Zwischenmenschliche Kommunikation
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Falls Sie übrigens im Verlauf eines Gesprächs feststellen, dass Sie und ihr Gegenüber die wechselseitigen Sitz- und Körperhaltungen zunehmend aneinander angleichen, dann ist das ein gutes Zeichen von gegenseitiger Sympathie: Wir imitieren, was oder wen wir gut finden.
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Zum Abschluss noch zwei Tipps: Wenn Ihnen jemand zu nahe tritt, können Sie die Fußspitze dezent nach vorne in Richtung des Betreffenden schieben und so Ihre neutrale Wohlfühldistanz zurückerhalten. Der zweite Ratschlag lautet: Nicken hilft. Wenn Sie jemandem zuhören und dabei immer wieder mal nicken, macht Sie das für Ihr redendes Gegenüber deutlich sympathischer. Sie können so in einer größeren Runde auch versuchen, die anderen Gesprächsteilnehmer emotional auf Ihre Seite zu ziehen. Wenn Sie allerdings zu allem und jedem nicken, ist das kontraproduktiv. Dann nimmt man Sie bald nicht mehr ernst. Also richtig und dezent dosieren. Und noch cleverer ist es, sich gleich selber bejahend zuzunicken, während man die eigenen Argumente vorträgt, denn Nicken überzeugt grundsätzlich. Egal, ob man spricht oder zuhört.
1.5. Zusammenfassung
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Im kommunikativen Idealfall stimmen die verbalen und nonverbalen Signale überein. Man spricht dann auch von Kongruenz, im gegenteiligen Fall, bei Nichtübereinstimmung, von Inkongruenz. Wenn man also jemanden, aus hoffentlich gerechtfertigten Gründen heraus, als „Idiot“ beschimpft, dann sollte man dabei nicht lächeln. Das wäre inkongruent. Für beabsichtigte Inkongruenz kann man unter bestimmten rhetorischen Umständen übrigens auch ein anderes Wort verwenden: Ironie. Ironie bedeutet, das Eine zu sagen und das Gegenteil zu meinen. Viele Menschen haben Probleme damit, dieses rhetorische Stilmittel, vor allem in geschriebener Form, zu erkennen. Das liegt z. B. daran, dass in einem gedruckten Text die nonverbalen Inkongruenzen fehlen, da kann man den „Idioten“ nicht durch ein kontrastierendes Lächeln entschärfen. Zum anderen liegt es aber auch im Wesen der Ironie selbst, sich möglichst gut zu tarnen, denn Ironie gilt als umso feiner, je schwerer sie zu erkennen ist. Wie zu Beginn des Kapitels erwähnt gibt es viele Definitionen für Kommunikation. Dass das Modell des Nachrichten-Quadrats von Friedemann Schulz von Thun so populär ist, hängt u. a. damit zusammen, dass sich in seinem Rahmen auch Dinge wie Ironie beschreiben lassen, denn Schulz von Thuns Modell integriert sowohl die verbalen als auch die nonverbalen Aspekte von Kommunikation. Außerdem erklärt es durch die Aufteilung der Nachricht in vier Aspekte auch für wissenschaftliche Laien, warum man so oft nicht richtig verstanden wird. Das Modell hilft auch, das Verhältnis von verbalen und nonverbalen Nachrichtenanteilen einzuschätzen. Die Nachricht ist ein Gesamtpaket. Sie müssen also nicht in Panik verfallen, wenn Sie im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs unbewusst das falsche Bein überschlagen oder die Arme erschöpft vor der Brust verschränken. Es kommt auch darauf an, wie Sie sich mit Ihren Worten und Ihren Wörtern präsentieren. Und denken Sie daran, Wörter haben Bedeutungen. Kommunikation, abschließend noch ein wenig Theorie, gilt dann als erfolgreich, wenn die Kommunikationspartner ein wechselseitiges Interesse verfolgen, das auf Verständigung abzielt. Das bedeutet nicht, dass z. B. am Ende eines Gesprächs alle Beteiligten gleicher Meinung sein müssen. Verständigung drückt den Willen und die Bereitschaft aus, sich mit dem Kommunikationspartner und dessen Meinungen, Ansichten, Gedanken und Gefühlen auf wechselseitiger Basis auseinanderzusetzen. 4
Zwischenmenschliche Kommunikation
Weniger wissenschaftstheoretisch kann man sagen, es kommt auf alle drei Dinge an: Reden, Zuhören UND Verstehen. Man könnte sich ja auch auf die Behauptung zurückziehen: Was interessieren mich die anderen, Hauptsache ich weiß, wie ich es gemeint habe. Das ist ein möglicher, aber kein sehr empfehlenswerter Standpunkt, denn eines der grundsätzlichen Probleme des Menschseins liegt darin, dass wir nicht allein auf der Welt sind. Es gibt so viele von uns Menschen – und pausenlos haben wir alle irgendwie miteinander zu tun. Der englische Dichter John Donne hat das schon 624 mit einem der bekanntesten Zitate aus dem englischen Sprachraum formuliert: „No man is an Island“ – „Niemand ist eine Insel“. Der Mensch ist darauf angewiesen, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Und zwar, im eigenen Interesse, möglichst richtig. 2
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Aufgabe 3: Lesen Sie die Kurzgeschichte „Ein Tisch ist ein Tisch“ des Schweizer Autors Peter Bichsel (geb. 935). In der Geschichte geht es um Wörter und ihre Bedeutungen und wie beide miteinander zusammenhängen.2
Lektüretipps: – Monika Matschnig, Körpersprache. Verräterische Gesten und wirkungsvolle Signale, München: Gräfe und Unzer Verlag, 2007, 92 S. Die zahlreichen großformatigen und farbigen Abbildungen der unterschiedlichen Gesten und Gesichtsausdrücke sind informativ und aufschlussreich. – Philip G. Zimbardo u. Richard J. Gehrig, Psychologie, bearbeitet und herausgegeben von Siegfried Hoppe-Graff und Irma Engel, 7. neu übers. und bearb. Aufl., Berlin u.a.: Springer, 999, 907 S. Das Buch von Zimbardo und Gehrig ist das Standardwerk der universitären PsychologieAusbildung. Wenn Sie also auf einem bestimmten psychologischen Teilgebiet ein wissenschaftlich fundiertes Beurteilungsraster suchen, dann können Sie als Erstes zu diesem Buch greifen. Besonders Kapitel „Persönlichkeit“ (40 Seiten) ist zum Weiterlesen geeignet. – Duden-Newsletter: Melden Sie sich unter http://www.duden.de/newsletter beim Newsletter der Duden-Sprachberatung an, die diesen E-Mail-Service seit Juni 2000 anbietet. Alle 4 Tage gibt es neue elektronische Post mit Beispielen und Erklärungen zur deutschen Grammatik, Rechtschreibung, Wortbildung etc. Zum Beispiel ist „Newsletter, der;“ ähnlich wie „googeln“ oder „downloaden“ inzwischen offiziell in der deutschen Sprache angekommen und steht im Duden (24. Aufl.). In der 2. Auflage von 996 dagegen fehlen alle drei Begriffe noch.
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John Donne, Devotions upon emergent occasions, London: Jones, 624, 7. Meditation. Die Kurzgeschichte können Sie sich im Internet herunterladen. Zwischenmenschliche Kommunikation
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2. Recherchieren 2.1. Einleitung mit schwäbischer Kreisstadt
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Die große Kreisstadt Sindelfingen liegt etwa 5 km südwestlich von Stuttgart und hat ca. 60.000 Einwohner. In den 980er Jahren erlangte die Stadt bundesweite Berühmtheit, weil sie sich nach und nach insgesamt fünf Zebrastreifen aus feinstem Carrara-Marmor in der Innenstadt genehmigte.
Zebrastreifen aus Marmor an der Ziegelstraße in Sindelfingen
Dieses Beispiel aus dem Autorenalltag soll zeigen, was bei einer Recherche im guten wie im schlechten Sinn alles passieren kann:
Ich habe die Informationen über Sindelfingen für ein anderes Buch benötigt und mich gefragt, wann war das eigentlich genau gewesen. Daraufhin begann ich zu recherchieren. Beim Googeln stieß ich gleich auf eine offiziell klingende Seite mit „Sindelfingen“ im Adressnamen. Dort stand, dass sich die Stadt die berühmt-berüchtigten Zebrastreifen in den 70er Jahren angeschafft hatte. Das kam mir merkwürdig vor, denn ich konnte mich noch gut an die mediale Aufregung damals erinnern und ich bin Jahrgang 964. Da waren die 970er einfach zu früh. Das konnte so nicht stimmen und es stimmte auch nicht. Die Information auf der Webseite war falsch und schlecht recherchiert, wahrscheinlich irgendwo abkopiert und auf der eigenen Seite eingefügt. Die tatsächlichen Fakten über die Anschaffung in den 80er Jahren herauszufinden, war nicht schwierig, dazu musste man einfach nur ein wenig weitergoogeln. Da ich aber den Sachverhalt wissenschaftlich ganz korrekt von der Quelle erfahren wollte, habe ich in der Pressestelle der Stadt Sindelfingen angerufen, die mir nach weiterer eigener Recherche die entsprechenden Daten über die Stadtratsbeschlüsse zum Thema „Anschaffung marmorner Zebrastreifen“ per E-Mail mitgeteilt hat. Der erste Beschluss war, glaube ich, von 983. „Glaube ich?“ – Jetzt kommt die Misserfolgsgeschichte dieser Recherche: Ich habe die Quellenangaben und -belege nicht mehr. Wissenschaftlich gesehen ist das eine Katastrophe. Korrektes Zitieren ist das A und O jeder wissenschaftlichen Arbeit. Natürlich könnte ich die verloren gegangenen Informationen wieder besorgen, aber dafür müsste ich erneut die gleiche Menge an Recherchezeit wie beim ersten Mal investieren. Das wäre vom Arbeitsaufwand her betrachtet ärgerlich und ineffizient. Denn beim Recherchieren geht es in großem Maße um Effizienz. Jeder von uns hat nur ein begrenztes Budget an Lebens- und damit auch Arbeitszeit. Der Tag hat nun einmal bloß 24 Stunden. Zweimal dieselbe Arbeit zu erledigen, ist auf jeden Fall lästig und zeitraubend. Das sollte man nach Möglichkeit vermeiden, sonst sind auch 24 Stunden rasch verbraucht. 6
Recherchieren
Ich habe Ihnen diese Geschichte aus dem Autorenalltag ausführlich erzählt, weil sie einige wichtige Kernpunkte des Recherchierens berührt: n
Recherche bedeutet Arbeit und kostet Zeit.
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Recherche bedeutet aber noch mehr Arbeit und kostet noch mehr Zeit, wenn man sie wiederholen muss.
Eine Quelle ist nie genug! Verlassen Sie sich beim Recherchieren nie auf nur eine einzige Quelle!
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Machen Sie Backups. Falls Sie über das Internet recherchieren und Texte am PC erstellen, dann sichern Sie Ihre Daten regelmäßig, da der PC auch mal abstürzen kann. Denken Sie beim Backup auch an Bookmark-/Favoriten-/Lesezeichendateien und an den Inhalt Ihres E-Mail-Postfachs sowie Ihren Kontakte-Ordner.
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Notieren Sie sich immer die Quellenangaben, auch wenn Sie der Ansicht sind, diese Information bräuchten Sie so bald nicht wieder.
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Aufgabe 1: Recherchieren Sie selbst ein wenig und finden Sie die Antworten zu den folgenden Fragen: . Wie heißt der berühmte amerikanische Schriftsteller Mark Twain wirklich? Nennen Sie bitte auch drei seiner bekanntesten Romane. 2. Die Politikerin Angela Merkel ist in der DDR geboren. Stimmt das? 3. Beschaffen Sie eine Kopie des Original-Artikels „Titanic sunk“ zum Untergang der Titanic
(oder dessen Inhalts im Wortlaut) aus der britischen Zeitung (The) Times.
2.2. Recherche online Am Beginn einer Recherche steht ein Ziel. Entweder sucht man aus eigenem Antrieb nach der Antwort für eine Frage, der Lösung für ein Problem oder die Suche nach Informationen ist Bestandteil z. B. einer schulischen Aufgabe. Die Vorgehensweise ist in beiden Fällen gleich, Unterschiede dürfte es aber in der Motivation geben. Umso wichtiger ist es, gerade auch bei den „unfreiwilligen“ Recherchen, effizient vorzugehen. Sonst dauert es eben noch länger… Der erste Rechercheschritt ist immer der gleiche und eine Frage: „Wonach suche ich eigentlich?“. Das klingt simpel, ist aber ein wichtiger Punkt. Als ich noch zur Schule ging, habe ich mich bei jeder Erörterung über den immer gleichen Hinweis geärgert: „Lesen Sie die Aufgabenstellung zunächst gut durch …“. Inzwischen teile ich den Standpunkt meines damaligen Lehrerkollegiums. Es erspart viel Zeit und Mühe, wenn man sich vor dem Recherchieren intensiv Gedanken über die tatsächliche Aufgabenstellung macht und nicht einfach loslegt. Recherchieren
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Ein Beispiel aus dem Fachgebiet Deutsch: Bei meiner Recherche zum Begriff „Goethe“ spuckt Google 6,8 Mio. Einträge aus. Bei „goethe faust“ sind es immerhin nur noch 54.000. Den „Faust“ gibt es aber in zwei Teilen, Faust I und Faust II, also ist die nächste Suchanfrage „goethe faust “. Das Resultat ist etwas enttäuschend: 539.000 Einträge. Immer noch so viele, also weiter mit „goethe faust studierzimmer“. Das bringt einen beachtlichen Erfolg, es bleiben nur noch 5.680 Webseiten übrig, nach der Ergänzung „goethe faust studierzimmer pudel“ reduziert sich das Suchergebnis auf 765. Wird aus dem „pudel“ anschließend noch des „pudels kern“ gemacht, dann kommt man auf 359 Seiten.
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Gleich der zweite Treffer mit „Projekt Gutenberg“2 im Adressnamen klingt vielversprechend und über den Link gelangt man direkt zur entsprechenden Szene, Studierzimmer [I], im Text des Faust. Der Tragödie erster Teil von Johann Wolfgang von Goethe. Für maximale Bequemlichkeit drückt man [STRG] + [F] und im Browser öffnet sich ein Suchfeld, in das man schließlich den letzten Suchbegriff „pudels kern“ eingibt und mit [Return] bestätigt. Der Browser markiert daraufhin die gesuchte Aussage und das Ergebnis ist endlich gefunden. Allerdings fehlen im Online-Text die Seitenzahlen und Zeilennummern, die für die wissenschaftlich korrekte Quellenangabe nötig sind. An diesem Punkt hilft dann nur noch eines – der Gang zur örtlichen Stadtbibliothek und der Blick in die Reclam-Ausgabe, Zeile 322–325:3 Mephistopheles tritt, indem der Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender Scholastikus, hinter dem Ofen hervor. Mephistopheles. Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten? Faust. Das also war des Pudels Kern! Ein fahrender Skolast? Der Kasus macht mich lachen.“
Im Goethe-Beispiel ist der Recherche-Vorgang absichtlich umgekehrt, im Normalfall wüsste man schon zu Beginn konkret, wonach man sucht. Außerdem ist die Suchstrategie in dem Beispiel noch verbesserungsfähig. Die meisten Internet-Suchmaschinen suchen in der Basismaske nach allen eingegebenen Begriffen, d. h., im Suchergebnis tauchen alle Seiten auf, in denen alle der angegebenen Begriffe vorkommen. Egal in welcher Reihenfolge. Dementsprechend gewaltig ist dann auch die Zahl der Fundstellen. Im obigen Faust-Beispiel sucht Google bei der Eingabe von „goethe faust studierzimmer“ nach Webseiten, in denen sowohl „goethe“, „faust“, die Zahl „“ als auch „studierzimmer“ vorkommen, und findet die stattliche Zahl von 5.680 Einträgen. Zum Vergleich: Mit der erweiterten Suche nach den Wörtern „goethe“, „studierzimmer“ und der genauen Wortgruppe „faust “ sind es nur noch 639! Wenn man dann auch noch nur nach deutschsprachigen Ergebnissen suchen lässt, bleiben lediglich 576 Fundstellen übrig. Die Maske der erweiterten Suche bietet nämlich einige sehr nützliche Zusatzeinstellungen an. Man kann z. B. auswählen,
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Die Zahlen (von Dezember 2008) können sich natürlich im Laufe der Zeit ändern. Das Projekt Gutenberg-DE hat es sich seit 994 zur Aufgabe gemacht, copyright-freie Texte klassischer Literatur in deutscher Sprache digital in Volltextform ins Netz zu stellen. Mitmachen und Texte einsenden oder Korrektur lesen kann übrigens jeder, der Lust und Zeit hat: http://gutenberg.spiegel.de/index.php Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Stuttgart: Philipp Reclam Jun., 97, S. 39 (322–25). Recherchieren
ob in den Suchergebnissen nur nach Wörtern in einer bestimmten Kombination (genaue Wortgruppe) gesucht werden soll oder auch ob bestimmte Wörter eben nicht vorkommen dürfen. Ich empfehle Ihnen, grundsätzlich beim Googeln immer die erweiterte Suche zu verwenden. Gerade die Einstellung „Ergebnisse finden mit der genauen Wortgruppe“ spart viel Lebenszeit.
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Ebenso hilfreich ist die zweite Möglichkeit, innerhalb der erweiterten Suche bestimmte Wörter auszuschließen. Nehmen wir an, Sie suchen nach einem neuen Handy, dem Nokia XYZ 3000. Wenn Sie den Begriff über die normale Suche eingeben, bekommen Sie auch alle Webseiten angezeigt, die Ersatz-Akkus, Ladekabel, Displayschoner etc. für dieses Mobiltelefon anbieten. Abhilfe schafft wieder die erweiterte Suche, in der Sie alle unerwünschten Wörter in die Suchmaske eintragen und aus den Ergebnissen ausschließen lassen. Im Fall des Nokia XYZ 3000 z. B. „Display“ oder „Ersatz-Akku“. Das funktioniert übrigens bei der Suchfunktion auf der eBay-Seite genauso.
2.3. Bibliotheksrecherche online Früher haben Schüler und Studenten über das Karteikarten-System Bücher in der Bibliothek gesucht und diese dann mit einem handschriftlich ausgefüllten Bestellzettel ausgeliehen. Heute kann man an allen Universitäts- und großen Stadtbibliotheken nicht nur an ComputerTerminals vor Ort, sondern auch online von zuhause aus in den Beständen recherchieren. Damit dies möglichst effizient funktioniert, sollte man ein paar Dinge beachten: Recherchieren
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Erst lesen, dann suchen. Schauen Sie sich zuerst die Suchmaske gründlich an und finden Sie heraus, wie und wonach Sie suchen können. Im OPAC 4 der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) in München lässt sich u. a. nach Titel, Autor, Schlagwort, ISBN-Nummer, Verlag, Ort, Körperschaft, Jahr, Signatur oder exaktem Titel suchen.
Zusätzlich können verschiedene Suchkriterien durch und-/oder-/und nicht-Bedingungen, auch Operatoren genannt, verknüpft werden.
Wem das noch nicht reicht, der kann die Suche noch weiter zeitlich (Erscheinungsjahr X bis Y) und nach Medienart eingrenzen oder auch noch nach ähnlichen Begriffen (im Vergleich zum eigentlichen Suchwort) suchen lassen.
Die meisten großen Online-Kataloge wie z. B. derjenige der Deutschen Nationalbibliothek verfahren nahezu identisch.
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Suchbegriffe kombinieren: Denken Sie an das „Goethe“-Beispiel zurück. Eine SuchergebnisTrefferzahl im vierstelligen Bereich oder höher ist frustrierend.
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Schlagwörter geschickt nutzen: Beim eigenen Überlegen kommt man oft nur auf einen Bruchteil der in einem OPAC erfassten Schlagworte. Deshalb können Sie sich zu Beginn einer Online-Recherche zuerst den Schlagwort-Index anschauen. Dieser Katalog ist im Prinzip eine Vor-Recherche, die die Bibliotheksmitarbeiter bereits für jeden Benutzer geleistet haben. Die Schlagwort-Suche empfiehlt sich auch als Anfangsschritt, wenn man von einem Thema nur wenig Ahnung hat.
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OPAC ist die Abkürzung für „Online public access catalogue“ und dient als Bezeichnung für die auf elektronischem Weg zugänglichen Kataloge von Bibliotheken. Recherchieren
2.4. Wer sucht, der f indet auch. Und dann? – Recherchetreffer beurteilen Im vorhergehenden Abschnitt ging es um die Online-Recherche in Bibliothekskatalogen, nun geht es mit deren Auswertung weiter.
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Als Beispiel wurde auf dem nachfolgend abgebildeten Screenshot nach dem Schlagwort „Kommunikation“ gesucht.
Das eigentlich Interessante an der Ergebnisliste sind jetzt nicht die 2.27 Treffer im großen Feld rechts, sondern die Schlagwortangaben in der schmalen Spalte „Treffer eingrenzen“ links. Da macht der OPAC dem Benutzer sozusagen Vorschläge, wie sich die Suche vom Allgemeinen zum Besonderen eingrenzen lässt. Wer z. B. keine dicken Monografien über Kommunikation lesen möchte, weil möglicherweise die Zeit bis zum Abgabetermin des Referats knapp geworden ist, der folgt besser dem Schlagwort-Link zu den Aufsatzsammlungen. Wer sich für den Zusammenhang von Kommunikation und Medien interessiert, kann dagegen die verschlagwortete Vorauswahl der Bayerischen Staatsbibliothek anklicken und dort weitersuchen. Will man nur neuere Publikationen zum Thema, sucht man sich unter „Jahr“ das gewünschte Erscheinungsdatum aus. Nützlich ist auch das Kriterium der „Sprache“. Im obigen Beispiel sind von den 2.27 Treffern nur gut die Hälfte auf Deutsch, 3.74 auf Englisch, 358 auf Italienisch und 33 auf Russisch. Außerdem hilfreich: die Rubrik „Autor“. Dort kann man erkennen, dass 37 Titel von „Ver… Birkenbihl“, die mit vollem Vornamen Vera Felicitas heißt, von der BSB unter dem Schlagwort „Kommunikation“ einsortiert worden sind. An zweiter Stelle steht Samy Molcho mit 3 Titeln und an fünfter Stelle Werner Faulstich. Natürlich hilft es, wenn man bereits einige der Autoren kennt, aber die Menge an Veröffentlichungen zu einem Thema/ Recherchieren
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Schlagwort stellt schon einen gewissen Anhaltspunkt dar. Wer viel veröffentlicht, hat möglicherweise auch viel Ahnung. Allerdings umfasst das noch nicht weiter eingegrenzte Schlagwort im Beispiel, „Kommunikation“, einen ziemlich großen Themenbereich. Vera Felicitas Birkenbihl z. B. arbeitet primär als Management- und Kommunikationstrainerin und publiziert erfolgreich eigene Lerntheorien. Samy Molcho dagegen ist der wohl bekannteste Experte für Körpersprache in Deutschland und Werner Faulstich, dessen Grundwissen Medien in der Literaturliste des Deutsch-Hauptkursbuches Lesen, Zappen, -Surfen. Der Mensch und seine Medien steht, kommt aus dem akademischen Bereich, er ist Professor für Medienwissenschaft.
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Nach dieser ersten richtungsweisenden Beurteilung der Suchergebnisse heißt es schließlich, sich durchzuklicken, vom Allgemeinen zum Besonderen zu kommen, immer kleinere Kreise um das angestrebte Thema zu ziehen. Wenn Sie einzelne Werke, deren Titel vielversprechend klingen, in der Vollanzeige betrachten, dann achten Sie auf die weiteren angeführten Schlagwörter. Im Rahmen eines medienwissenschaftlichen Referats würde man vermutlich den von mir willkürlich ausgewählten Titel „Mein Weg zu dir. Kontakt finden und Vertrauen gewinnen, Autor / Hrsg.: Satir, Virginia, Ort, Verlag, Jahr: München, Kösel, 2008, Umfang: 09 S., Schlagwort: Kommunikation, Zwischenmenschliche Beziehung, Sprache: ger.“5 wegen des Schlagworts „Zwischenmenschliche Beziehung“ nicht ausleihen. Das klingt sehr nach einem populären Sachbuch, einem Partnerschaftsratgeber. Was kann man noch aus den bibliografischen Angaben ableiten? Auf die Schlagwörter und die Publikationstätigkeit des Autors habe ich schon hingewiesen, dann bieten sich jetzt der Verlag und die Seitenzahl an. Dabei muss man gar keine besonderen Kenntnisse über das Verlagswesen in Deutschland besitzen, meist reicht schon eine einfache OPAC-Nachfrage zum sonstigen Titelangebot. Das oben erwähnte Buch Mein Weg zu dir von Virginia Satir z. B. wird vom Kösel Verlag herausgegeben. Die Suche nach „Kösel“ im BSB-OPAC ergibt u. a. Treffer wie Mediation - die erfolgreiche Konfliktlösung, Kinder fragen nach Leid und Gott oder auch Das große Jahresquiz für Kinder. Diese Titel nun sind ein weiteres Anzeichen dafür, dass es sich bei dem Buch von Satir um kein explizit akademisches Werk aus der universitären Lehre handelt. Für diese Vermutung spricht auch die Seitenzahl. Ein Umfang von 09 Seiten ist im wissenschaftlichen Bereich unüblich knapp, denn da erstreckt sich oft schon der bibliografische Teil inklusive Index über viele Seiten. Der Kösel Verlag möge mir verzeihen, falls diese Vermutungen das Verlagsprogramm nicht korrekt widerspiegeln. Jetzt noch ein Blick auf die Einschätzung der Suchergebnisse beim Googeln. Hier finden sich im Gegensatz zu den Online-Katalogen, die lediglich Bücher, aber nicht deren Inhalt auflisten, oft schon konkrete Texte zu dem gesuchten Thema. Leider sind Google und Co.6 aber eher mathematische als wissenschaftliche Helfer. Die Reihenfolge der Suchtreffer ermittelt ein komplizierter Algorithmus, der die Häufigkeit der Verlinkung einer Webseite mit Relevanz gleichsetzt. Quantität zählt mehr als inhaltliche Qualität. Aber, und insofern sind die Anbieter immer ehrlich gewesen, nennen sich Google, yahoo, msn etc. „Suchmaschinen“ und nicht „Findemaschinen“. Das Finden muss der User schon selbst besorgen. Laut einem SZ-Artikel7 folgen aber viele Suchende den Vorgaben von Google. Gut
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Volltextangaben des BSB-OPAC zum Titel: Virginia Satir, Mein Weg zu dir. Kontakt finden und Vertrauen gewinnen, München: Kösel Verlag, 2008. Obwohl man gegenwärtig kaum noch von „und Co.“ sprechen kann, denn der Internet-Konzern Google deckt z.B. in Deutschland allein 80-90 Prozent aller Suchanfragen ab. „Ich google, also bin ich“ von Alexander Stirn, in Süddeutsche Zeitung, 06./07.09.2008, S. 22. Recherchieren
die Hälfte der Nutzer klicken schon gleich auf einen der ersten drei Treffer. Das muss nicht falsch, aber auch nicht zwangsläufig die beste Lösung sein. Was ist dann die beste Lösung? Genau hinschauen und die Quellenangaben studieren. Ein bekanntes Modell für Massenkommunikation des amerikanischen Soziologen Harold D. Lasswell hinterfragt die mediale Nachrichtenvermittlung nach folgenden Kriterien: Wer sagt was in welchem Kanal zu wem mit welchem Effekt?8 Diese Fragen sind auch für die Beurteilung von Suchtreffern im Rahmen einer Recherche essenziell. Von wem stammt die Information, die ich gefunden habe – wer hat den Artikel, den Aufsatz, die Abhandlung verfasst? Ist es eine Privatperson, eine Institution, ein Verein? Ist es eine offizielle Seite z. B. einer öffentlichen Einrichtung: die Homepage der Stadt München, des Bundeskanzleramts, der Universität Gießen? Nennt die Webseite den Namen des Autors, der den betreffenden Artikel verfasst hat? Wenn ja, gibt es zusätzliche Informationen zum Verfasser: Ausbildung, Titel, Publikationsverzeichnis? Gibt es ein Impressum oder eine „Wir über uns“-Seite auf der entsprechenden Homepage? Wenn ja, anklicken und durchlesen. Mit welchen anderen Seiten ist die ausgewählte Trefferseite verlinkt? Nutzen Sie die vorhandenen Informationen einer Webseite, um sich einen Eindruck von der Verlässlichkeit der dort gefundenen Informationen zu verschaffen. Wie schon erwähnt, die Suchmaschine sucht, finden muss der User selbst.
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Und Wikipedia? Bei sehr vielen Suchanfragen trägt der Spitzentreffer Nummer das „de.wikipedia. org“ in der Adresszeile. Nach der Algorithmen-Logik von Google bedeutet dies, dass sehr viele Webseiten das Wissensportal verlinken und sehr viele User Wikipedia ansurfen. Über die Verlässlichkeit der dort gespeicherten Informationen sagt dies allerdings nichts. Jeder, der Lust und Zeit hat, kann Wissensartikel für Wikipedia verfassen. Da stellt sich natürlich die Frage, ob mit Lust und Zeit auch noch entsprechende Fachkenntnisse einhergehen? Das lässt sich aufgrund der gewaltigen Größe der Wissensdatenbank schwer beurteilen, aber das Wissenschaftsjournal Nature (Bd. 38, S. 900) stellte, wie stern.de berichtete, der Online-Enzyklopädie 2005 ein gutes Zeugnis aus: Wissenschaftliche Einträge in der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia sind fast so exakt und umfassend wie die entsprechenden Artikel in der renommierten Encyclopaedia Britannica, die als Standard unter den Nachschlagewerken gilt. Das ist das Fazit einer Untersuchung der Fachzeitschrift „Nature“, die knapp 50 Wissenschaftler Einträge aus beiden Enzyklopädien auf Fehler untersuchen ließ. Im Durchschnitt fanden die Experten dabei in der Encyclopaedia Britannica pro Artikel drei und bei Wikipedia pro Eintrag vier Ungenauigkeiten.9
Nature hat in dieser Ausgabe lediglich naturwissenschaftliche Artikel untersucht, daraus kann man nicht unbedingt auf die Qualität der Beiträge aus anderen Fachgebieten schließen. Man kann aber mutmaßen, dass das System des user-generated-contents (Internetnutzer surfen nicht nur, sondern erstellen ihre Webinhalte auch selbst) bei Wikipedia anscheinend gut funktioniert, denn auf Wikipedia kontrollieren sich die Nutzer gleichzeitig auch selbst. Jeder kann einen Artikel verfassen, aber jeder kann ihn auch verbessern.
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Harold D. Lasswell, “The structure and function of communication in society”, in: Bryson Lyman (Hg.): The communication of ideas, New York: Harper, 948, S. 38. „Nature-Studie. Wikipedia kaum schlechter als die Britannica“, stern.de, 5. 2.2005:
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2.5. Bibliotheken Bibliotheken haben einen Nachteil. Man muss hingehen. Das ist aber auch das Einzige, was man gegen sie einwenden kann, denn ansonsten haben sie nur Vorteile.
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Der größte Vorteil ist die Katalogisierung der Bücher. Ordentlich aneinandergereiht sind die Bücher bereits vorsortiert und nach Themenkreisen eingeordnet. Alles über Kommunikation – kein Problem, Abt. 2.2., erster Stock, KOM Aa- KOM 999 Z. Das epische Theater – Abt. 3.4., dritter Stock, LIT 3 Aa – LIT 3 Z. Ratgeber Körpersprache – Mdd A – Mdd Z. Das ist wie mit den Schlagworten bei der Online-Recherche. Fleißige Bibliotheksmitarbeiter haben bereits die halbe Arbeit für einen gemacht. Der zweite Vorteil sind die Handbibliotheksbestände. In größeren Einrichtungen, wie z. B. der Münchner Zentralbibliothek am Gasteig und der BSB, stehen die Standardwerke zu bestimmten Fachgebieten in zusammenhängenden Regalen. Dies bedeutet im Grunde, dass die Bibliothek dem Nutzer nicht nur die thematische Gruppierung, sondern auch noch zusätzlich die inhaltliche Verlässlichkeitsprüfung abgenommen hat. Was in einem Standardwerk steht, ist in der Regel richtig. Unter Umständen vielleicht veraltet und von der neueren Forschung relativiert, aber es ist auf keinen Fall absolut unrichtig. Außerdem hat man in einer Bibliothek immer die Möglichkeit, das Gelesene sofort anhand anderer zusätzlicher Quellen zu überprüfen. Man muss nur den nächsten Band aus dem Regal der Handbibliothek ziehen. Wenn drei Bücher in etwa dasselbe sagen, dann stimmt es in der Regel auch. Grundsätzlich gilt bei jeder Art von Recherche das Prinzip der aktuellsten Auflage. Suchen Sie immer nach der neuesten Version eines Werkes! Zumindest bei der Sekundärliteratur, also den Büchern über Bücher. Primärwerke wie Romane, Dramentexte oder Kurzgeschichtensammlungen bleiben seit der ersten Druckfassung meistens unverändert. Da hat der Autor im Vorfeld bereits lange mit seinem Lektor um die endgültige Version gerungen und muss bzw. will hinterher nicht auch noch alle paar Jahre seinen Text erneut umschreiben. Bei den Werken der Sekundärliteratur ist es aber wie im richtigen Leben – die Umstände ändern sich. Statistische Angaben z. B. veralten, neue Forschungsgebiete entstehen und müssen berücksichtigt werden oder neue Quellen bringen zusätzliche Erkenntnisse, die die bisherigen relativieren. Die bibliografischen Angaben zur Auflage finden sich in den OPAC-Katalogdaten oder, wenn man das Buch schon in der Hand hält, auf der Rückseite der ersten Seite. Man muss allerdings genau hinschauen, ob bei den Angaben zur Auflage Ergänzungen wie unveränderte, überarbeitete, aktualisierte oder sogar Neuauflage stehen. Bei unveränderten Auflagen wurde das Buch lediglich neu gedruckt, der Inhalt blieb aber unverändert. Falls aus dem angegebenen Erscheinungsjahr nicht klar wird, ob das Buch, das man gerade aus dem Regal gezogen oder online im Katalog gefunden hat, die neueste Auflage ist, hilft ein Blick in den OPAC der Deutschen Nationalbibliothek0 und den Katalog der Deutschen Nationalbibliographie, denn in Deutschland gibt es eine Verordnung über die Pflichtablieferung von Medien0 24
Link: http://www.d-nb.de/
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werken2. Ab einer Auflage von 25 Stück müssen Verlage ein Belegexemplar an die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) schicken. In den Online-Katalogen der DNB kann man erstens also nachschauen, welche Bücher es in Deutschland überhaupt gibt, und zweitens kann man anhand der Katalogangaben die jeweils letzte nicht weiter überarbeitete Auflage eines spezifischen Werkes herausfinden.
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2.6. Arbeitstipps Hat man unter Anwendung der oben geschilderten effizienten Suchtechniken dann endlich die richtigen Bücher zuhause auf dem Tisch liegen, geht es unvermeidlich ans Lesen, ans Auswerten der Quellen. Wichtig ist, beim Exzerpieren immer sofort als Erstes die Quellenangaben zu notieren! Exzerpieren ist der Fachausdruck für das gründliche Lesen eines Textes und das Zusammenfassen des Wichtigsten in eigenen Worten. Das ist an und für sich nicht immer leicht, deshalb sollte man zusätzliche Probleme vermeiden. Diese Probleme entstehen meist nach dem zweiten oder dritten gelesenen Buch, Artikel oder Aufsatz und zwei, drei Tagen. Spätestens dann weiß man nicht mehr, wer was gesagt hat. Gerade bei umfangreicheren Recherchen findet man die Quellenangaben nur unter größten Mühen wieder, wenn man sie nicht sofort beim Exzerpieren notiert hat. Doppelte Arbeit ist die unangenehmste Form von Arbeit. Deshalb schreiben Sie in Klammern vor oder hinter jeden aus der Sekundärliteratur gewonnenen Wissensinhalt, den Sie für wichtig halten und möglicherweise in Ihre eigene Arbeit einfließen lassen wollen, die bibliografischen Quellenangaben: Autor, Titel, Seitenzahl. Ganz wichtig ist die Seitenzahl! Selbst wenn Sie nach dem Lesen der entsprechenden Textstelle fest davon überzeugt sind, dass Sie sich auf jeden Fall noch daran erinnern würden, dass diese Aussage auf Seite 2 in Buch X von Autor Y stand, haben Sie das sicher schon wenige Tage und drei, vier Bücher zum selben Thema später komplett vergessen. Generell gehört zu jedem Referat, jeder Fach-, Seminar- oder Doktorarbeit, also zu jeder wissenschaftlichen Arbeit, eine Literaturliste. Da sind wir wieder beim Notieren der Quellen. Sie sehen, ich komme immer wieder darauf zurück. Die bibliografischen Angaben zu einem Werk bestehen aus der Nennung von Autor, Titel, eventuellen Untertiteln, Auflage, Verlag und Erscheinungsjahr. Bei Zeitschriften- und Aufsatztiteln gehören neben dem eigentlichen Titel auch der Titel der übergeordneten Publikation (z. B. der Name der entsprechenden Zeitschrift) sowie die Angaben zu Heftnummer, Bandnummer oder Jahrgang dazu. Die bibliografischen Angaben zum zweiten Band des Begleitbuchs des Hauptkurses Deutsch z. B. würden also so aussehen: Lieselotte Kinskofer, Stefan Bagehorn, Reden, Schreiben, Präsentieren. Mit Texten arbeiten, 4., aktual. Auflage, München: BRW-Service GmbH, 2008. Oft wird aber auch der Nachname zuerst genannt, weil Literaturverzeichnisse in der Regel alphabetisch aufgebaut sind. 2
Falls Sie diese Verordnung einsehen möchten : http://www.bgblportal.de/BGBL/bgblf/bgbl08s203.pdf Recherchieren
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In der Germanistik gibt es im Gegensatz z. B. zur Anglistik, die das MLA-Style-Sheet verwendet, kein absolut verbindliches Zitierschema. Die Hauptsache, besonders außerhalb eines universitären Umfelds, ist einheitliches Zitieren.
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Bezüglich bestimmter Arbeitstechniken ist Folgendes zu sagen: Verfahren Sie nach der Methode, die Ihnen individuell am meisten zusagt. Es gibt Leute, denen es hilft, sich Stichwörter auf Karteikarten zu notieren. Andere fertigen lieber Mind-Maps an. Wieder andere bekleben die Wände mit Post-its oder häufen eng beschriebene Din-A4-Seiten zu kleinen Türmen auf. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Wichtig ist jedoch, dass zumindest Sie sich selbst in Ihrer Methode zurechtfinden. Wenn das nicht klappt, dann sollten Sie vielleicht doch zu den Karteikarten oder den Post-its greifen.
Aufgabe 2: Testen Sie Ihre neu erworbenen Recherchefähigkeiten und erstellen Sie eine Bibliografie zu den Primärwerken von Lieselotte Kinskofer, der Hauptautorin der Lehrbücher zum Hauptkurs Deutsch.
Lektüretipps: Im Abschnitt über Bibliotheken fiel der Begriff der Standardwerke. Nachfolgend habe ich Ihnen eine kleine Auswahl von Standardwerken aus der deutschen Literaturwissenschaft zusammengestellt. – Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, 8., verb. und erw. Aufl., Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 200. Von Wilperts Sachwörterbuch, ein Klassiker an deutschen Universitäten, erklärt mit über 5000 Stichwörtern auf über 000 Seiten Fachbegriffe der Literaturwissenschaft vom „Abenteuerroman“ bis zur „Zeit“ als wesentlichem Strukturelement von Dichtung. – Weitere Begriffslexika: Volker Meid, Sachwörterbuch zur deutschen Literatur, durchges. und verb. Ausgabe, Stuttgart: Reclam, 200; Metzler-Literatur-Lexikon. Begriffe und Definitionen, hrsg. von Günther und Irmgard Schweikle, 2., überarb. Aufl., Stuttgart: Metzler, 990. – Herbert A. u. Elisabeth Frenzel, Daten deutscher Dichtung. Chronologischer Abriß der deutschen Literaturgeschichte, 2 Bände, München: dtv. Frenzels zweibändige Literaturgeschichte erschien ursprünglich 953, wurde 97 überarbeitet und befindet sich derzeit in der 35. Auflage. Die beiden kompakten Taschenbücher mit jeweils ca. 400 Seiten bieten einen guten Überblick über die Epochen der deutschen Literaturgeschichte seit dem Jahr 750. Das Werk ist inzwischen auch auf CD-ROM erschienen. – Alternativ: Emil Brenner, Wilhelm Bortenschlager, Deutsche Literaturgeschichte, 4 Bände, Wien: Leitner (2007). Die vier Bände reichen vom Mittelalter bis ins Jahr 2000 und befinden sich in unterschiedlichen „Auflage-Zuständen“. Band z. B. bringt es schon auf über 20 Auflagen.
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– Falls Sie sich noch weiter informieren möchten: Meyers Lexikon online bietet unter diesem Link eine sehr umfangreiche Literaturliste zur Literaturwissenschaft an: http://lexikon.meyers.de/wissen/deutsche+Literatur+(Sachartikel)#deutscheLiteratur (Sachartikel)-WeiterfuehrendeLiteratur
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Und nun noch einige, auch fachfremde, nützliche Webadressen für das Recherchieren: – Die Homepage der Bayerischen Staatsbibliothek: http://www.bsb-muenchen.de/ – ZDF Mediathek: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/content/9602?inPopup=true – falls Sie das „heute journal“ von gestern oder eine bestimmte Reportage noch einmal sehen möchten. – ARD Mediathek: http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/ – einzelne Beiträge oder komplette Sendungen aus dem Senderverbund zum noch- oder erstmaligen Anschauen übers Internet. – Der Deutsche Bundestag: http://www.bundestag.de/ – Statistisches Bundesamt Deutschland: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/ Wie viele Einwohner hat Deutschland eigentlich? Falls Sie Fragen in dieser Richtung haben, finden Sie die Antworten hier. – Das Online-Archiv der Süddeutschen Zeitung: http://www.sz-archiv.de/szaboreg.html Über das Internet kann man hier die kompletten Artikel der SZ für die jeweils vergangenen zwei Jahre einsehen und ausdrucken. Inzwischen leider ein kostenpflichtiger Service. – Das Online-Archiv der britischen Zeitung Times: http://archive.timesonline.co.uk/tol/archive/ Das Archiv enthält Artikel seit dem . Januar 785! Suchanfragen mit genauem Datum sind im Augenblick noch kostenfrei.
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3. Mediennutzung 3.1. Einleitung mit einer Billion
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Stellen Sie sich vor, es ist das Jahr 983 und Sie schalten abends den Fernseher ein. Was gibt es heute wohl auf RTL? Vermutlich wieder irgendeine Casting-Show mit einem noch sehr jungen Dieter Bohlen, Deutschland sucht den Superman, oder die Sendung Bauer sucht … Auf Sat. läuft sicher eine Komödie mit Tieren wie Maxi und Schnuffi – Guck’ mal wer da hechelt und auf Pro7 auch etwas Ähnliches. Das klingt nach dieser Aufzählung von Programm-Highlights jetzt vielleicht etwas seltsam, aber schön wär’s. Im Jahr 983 war schon nach dem dritten Mal (in West-Deutschland) bzw. dem zweiten Mal (in Ost-Deutschland) Zappen Schluss: ARD, ZDF und die Dritten bzw. DDR und DDR 2. Na gut, wenn im Fernsehen nichts kommt, dann eben im Internet surfen, bei YouTube ein paar Clips anschauen und die Freunde auf Myspace besuchen? Auch keine Alternative im Jahr 983, denn da gab es noch gar kein Internet. Die Geburtsstunde des Internets als Massenmedium schlägt erst 0 Jahre später am 30. April 993, als der britische Informatiker Tim Berners-Lee die von ihm entwickelten Grundlagentechnologien zur öffentlichen Nutzung frei gibt: HTML, die Sprache des Internets, den ersten Webserver und den ersten Browser. Simsen vielleicht? Ein paar schnelle SMS-Grüße an die Freunde draußen in der Welt schicken? Das gab es 983 auch noch nicht. Die erste SMS wurde erst 9 Jahre später, im Dezember 992, in Großbritannien verschickt. Noch ein letzter Versuch, bevor man das Monopoly-Spiel im Keller sucht: Sylvester Stallone in Rambo, die Directors-Cut-DVD mit extra langem Bonusmaterial. Darauf hätte man 983 noch ganze zwölf Jahre warten müssen. Die Industrie hat sich erst 995 auf diesen neuen Standard für die Wiedergabe digitaler Medien einigen können. Inzwischen sind wir im 2. Jahrhundert angelangt und haben die freie Medien-Auswahl. Mein Digital-Receiver z. B. hat bei der letzten automatischen Sendersuche 357 TV- sowie 225 RadioProgrammplätze belegt. Wenn ich wollte und die Sprachen verstünde, könnte ich mir jeden Tag die Nachrichten im marokkanischen oder russischen Fernsehen anschauen. Dass sich in Sachen Massenmedien seit den frühen 980er Jahren viel verändert hat, zeigen noch zwei weitere Beispiele mit beeindruckenden Zahlen: Die GSM Association, die weltweite Vereinigung der GSM-Mobilfunkanbieter, nannte in einer Pressemeldung vom September 2007 die atemberaubende Zahl von jährlich 2,5 Billionen versendeten SMS-Nachrichten. Nach SPIEGEL ONLINE 2 werden allein in China täglich mehr als eine Milliarde SMS verschickt. 2 28
„Global Mobile Communication is 20 years old“, GMS World, 06.09.2007: http://gsmworld.com/newsroom/ press-releases/2070.htm#nav-6 „China versinkt in SMS-Spam“, spiegel.de, 27.03.2009: http://www.spiegel.de/netzwelt/mobil/0,58,543368,00.html Mediennutzung
Zu der ersten Webseite von Tim Berners-Lee sind bis heute weitere dazugekommen. Der offizielle Google-Blog verkündete am 25. Juli 2008 um 0:2 Uhr morgens ein Jubiläum: Der SuchmaschinenGigant aus Kalifornien hatte die einbillionste Internetadresse entdeckt.3 Acht Jahre zuvor, im Jahr 2000, war man erst bei einem Tausendstel oder 0, Prozent der heutigen Menge an URLs angekommen – einer schlappen Milliarde.
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Sind wir heute, was das Angebot an Massenmedien und deren Inhalten betrifft, also wirklich besser dran als 983?
3.2. Meinungs- und Medienvielfalt Die Antwort auf diese Frage ist: ja und nein. Ein großes Angebot an Medien-Inhalten bedeutet zunächst eine Vielfalt an verfügbarer Information. Das ist definitiv besser als ein Mangel an Information. Stellen Sie sich vor, es gäbe in ganz Deutschland nur eine einzige Tageszeitung, einen einzigen Fernseh- und einen einzigen Hörfunksender. Das wäre wenig und auch nicht im Sinne des Artikels 5 des Grundgesetzes, der die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit garantiert: (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.4
An dieser Stelle ein kurzer geschichtlicher Exkurs über die Gründe, die zumindest für einen Teil der angeführten Informationsflut verantwortlich sind: Speziell aus den Erfahrungen der nationalsozialistischen Vergangenheit heraus war in Deutschland mehr als klar geworden, was für ein mächtiges politisches Instrument Massenmedien darstellen. Deshalb, kurz gesagt, gibt es den Artikel 5 in der Verfassung und steht dieser an so prominenter Stelle weit vorne im Grundgesetz. Bis 98 gab es zwar schon hunderte von Zeitungen und eine Vielzahl an Zeitschriften, aber nur zwei Fernsehprogrammanbieter in (West-)Deutschland, ARD und ZDF. Die ARD, gegründet 950, strahlt seit 954 Fernsehen aus und ist eigentlich kein „eigener“ Sender. Sie ist ein Zusammenschluss der neun Landesrundfunkanstalten und der Deutschen Welle. Die jeweiligen Landesanstalten begannen zwischen 964 und 969 zusätzlich eigene Dritte Programme einzurichten und am . April 963 ging der erste TV-Konkurrent der ARD auf Sendung, das ZDF. 98 kam es nach einem zähen Ringen zwischen den SPD- und CDU-regierten Ländern mit dem dritten Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts schließlich zur Verabschiedung der dualen Rundfunkordnung. Die Fernsehlandschaft, wie wir sie heute kennen, war geboren. Das Bundesverfassungsgericht erlaubte das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehanbietern, weil es die Gewährleistung von Meinungsvielfalt für unerlässlich hielt: 3 4
„We knew the web was big …“, googleblog, 25.07.2008: http://googleblog.blogspot.com/2008/07/ we-knew-web-was-big.html Verfassung des Freistaates Bayern. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Der Bayerische Landtag. Der Bayerische Senat. Funktionen und Aufgaben, bearbeitet von Konrad Stollreither, herausgegeben von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München, Stand .8.98, S. 06. Mediennutzung
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Es liegt vielmehr in der Verantwortung des Gesetzgebers, daß ein Gesamtangebot besteht, in dem die für die freiheitliche Demokratie konstitutive Meinungsvielfalt zur Darstellung gelangt. Es muß der Gefahr begegnet werden, daß auf Verbreitung angelegte Meinungen von der öffentlichen Meinungsbildung ausgeschlossen werden und Meinungsträger, die sich im Besitz von Sendefrequenzen und Finanzmitteln befinden, an der öffentlichen Meinungsbildung vorherrschend mitwirken (…) Dies ist sicher nicht mit letzter Gewißheit möglich; zumindest muß aber eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, daß sich in dem gesetzlich verordneten Rundfunksystem eine solche Vielfalt einstellt.5
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Die Meinungsvielfalt ist ein hohes schützenswertes Gut in der deutschen Verfassung. Und deshalb können wir nun so viele Programme empfangen. Stark verkürzt formuliert, könnte man das so sagen. Da uns niemand zwingt, sie anzuschauen, ist das meine Begründung für das „Ja“ zur massenmedialen Vielfalt, ohne andere Massenmedien wie Zeitungen, Zeitschriften oder Bücher erwähnt zu haben. Und das „Nein“? Kein Mensch kann eine Billion Internetadressen ansurfen, niemand kann 357 TVProgramme anschauen und nicht einmal hundert Leben würden ausreichen, um allein die 24, Mio. Werke aus der Deutschen Nationalbibliothek zu studieren. Es gibt im 2. Jahrhundert also definitiv zu viele Informationen auf der Welt. Davon sollte man sich aber prinzipiell nicht abschrecken lassen, das war früher auch nicht viel besser. In der antiken Bibliothek von Alexandria – wir befinden uns im dritten Jahrhundert vor Christus - lagerten angeblich zwischen einer halben und einer drei viertel Million Schriftrollen. Da hätte man sich mit dem Lesen auch sehr beeilen müssen, um wenigstens bis zur Geburt von Jesus fertig zu werden. Im Angesicht der heute verfügbaren Masse an medialen Informationen sind die Bestände der berühmtesten Bibliothek der Antike jedoch nicht mal der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein. Da das Informationsangebot der Medien aber mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft weiter stark zunehmen wird, bleibt dem Mediennutzer nur eine Chance: Er muss (noch besser) lernen, Informationen aus der vorhandenen Flut gezielt auszuwählen. Das Stichwort heißt Medienkompetenz. Der Pädagogik- und Informatik-Professor Peter Diepold bringt die Problematik des Mediennutzers von heute auf den Punkt: „Wir dürsten nach Informationen und ertrinken in Daten?“6
Aufgabe 1: Bitte führen Sie für zwei oder drei Tage ein Mediennutzungs-Tagebuch. Welche Sendungen haben Sie im Fernsehen angeschaut? Wie lange haben Sie Zeitung gelesen? Wie viele SMS haben Sie geschrieben und erhalten? Wie lange waren Sie im Internet unterwegs? Teilen Sie anschließend Ihre Ergebnisse in die drei Spalten Information, Unterhaltung und Bildung ein und addieren Sie die Zeiten. Stellen Sie sich abschließend die ehrliche Frage, ob Sie mit der Zusammensetzung Ihres Medienhaushalts zufrieden sind und ob Sie sich medienkompetent verhalten haben?
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Aus dem dritten Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 98, zitiert nach Herbert Meyn, Massenmedien in Deutschland, Konstanz: UVK Medien, 999, S. 68. Peter Diepold, „Medienpädagogische Aspekte des Internet“, in: Medienkompetenz im Informationszeitalter, hrsg. von der Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“, Deutscher Bundestag, ZV Zeitungs-Verlag Service GmbH, Bonn, 997, S. 9. Mediennutzung
Diese Aufgabe wird auch den Lesern des Hauptkurs-Buches Lesen, Zappen, Surfen – Der Mensch und seine Medien gestellt. Um Ihre Information über den Themenkreis Medien und Mediennutzung zu vertiefen, können Sie ebenfalls dieses Buch heranziehen. Speziell in den Kapiteln 0-2 geht es um Fragen der Medienwirkung und der Medienkompetenz, die ich oben in Abschnitt 3.2. nur ansatzweise skizziert habe.
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3.3. Reality? Die ureigenste Form von individueller Medienkompetenz besteht in Lesen oder Nicht-Lesen, in Einschalten oder Ausschalten, in Mediennutzung oder -Nicht-Nutzung. Die Fernbedienung z. B. ist eine mächtige Waffe, denn sie bestimmt die Einschaltquote und die Einschaltquote bestimmt über Sein oder Nichtsein einer Sendung. Einige Sendungen geben vor, im weiteren Sinne „Realität“ wiederzugeben, bilden aber in Wirklichkeit keine echte Realität ab. Fernsehen und Medien insgesamt sind immer „gemacht“. Falls Sie jemals bei Premiere fünf Euro für ein Tagesabo von Big Brother investiert haben sollten, wissen Sie, wie ereignislos „echte“ Realität ist, wenn Sie nicht medial aufbereitet wird. Wie wenig real Fernsehbilder sind, kann man schon an sehr einfachen Dingen erkennen. Als Beispiel dazu eine Überraschungssituation in einer Realitiy-Sendung: Ein Prominenter kocht zuhause für einige andere Prominente, die gleich zum Essen vorbeikommen, und es klingelt an der Tür. Der Prominente sagt etwas in der Art von „Jetzt bin ich aber gespannt, mal sehen, wer da kommt…?“ und geht zur Tür. Selbstverständlich ist diese vorgebliche Überraschung nicht echt, denn der Mann weiß genau, dass jetzt gleich ein Besucher kommen wird. Warum? Weil ein paar Minuten vor dem prominenten Essensgast das Kamerateam samt Tonmann und eventuell Redakteurin zur Tür hereingekommen sind, die Scheinwerfer eingeschaltet, das Erscheinen des Gastes angekündigt und zu drehen begonnen haben. Man muss sich nur einmal Gedanken darüber machen, wie das mit dem „Vor-der-Tür-klingeln“ und „Drinnen-die-Tür-aufmachen“ in der Drehpraxis funktioniert. Der prominente Essensgast B wird gefilmt, wie er die Treppe zur Tür des prominenten Gastgebers A hinaufgeht und dort die Klingel betätigt. Im anschließenden Schnitt sieht man die Wohnung von innen und den Gastgeber, der die Tür überrascht öffnet. Haben Sie sich nie gefragt, wie der Kameramann an zwei Plätzen gleichzeitig sein kann? Zwei Kameramänner können es nicht sein, sonst würde man den einen, der den Prominenten A beim Klingeln gefilmt hat, schließlich beim Türöffnen im Bild mit dem Prominenten B sehen müssen… Die Lösung ist simpel. Die gefilmten Ereignisse sind natürlich nicht wirklich direkt hintereinander passiert. Erst filmt der Kameramann den Prominenten B beim Klingeln, dann stellt er die Kamera ab, geht zur Tür hinein, nimmt eine günstige Position ein, schaltet die Kamera wieder ein und draußen vor der Tür betätigt der Prominente B auf Kommando erneut die Klingel. Das Klingeln und Türöffnen muss bei der Aufnahme zeitlich nicht einmal besonders nahe zusammenhängen. Man muss die zwei Szenen nur direkt aneinanderschneiden und schon entsteht die Illusion einer zusammenhängenden Realität. Mediennutzung
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3.4. Grundkurs TV-Schnitt Nach den Anmerkungen zum Bildschnitt wird Sie die folgende Aussage nicht mehr groß überraschen: Die mächtigste Waffe des Fernsehens ist die MAZ. Am Anfang, in den 50er Jahren, war Fernsehen immer live und erst mit der Einführung der Magnetaufzeichnung (MAZ) in den 60er Jahren war es technisch möglich, Sendungen vor dem eigentlichen Sendetag aufzuzeichnen und nachzubearbeiten. Aus der authentischen Live-Realität wurde eine geraffte, eine verschönerte, eine nachgemachte Medienrealität, die im Gegensatz zum echten Leben frei von Fehlern und Peinlichkeiten war.
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Damit das nicht zu theoretisch bleibt, ein Beispiel: TV-Sendungen beginnen pünktlich und enden pünktlich. Die tagesschau kommt immer um 20:00 Uhr, GZSZ um 9.40 Uhr und Olli Geissen um 6.00 Uhr. Zudem sind die Moderatoren auch immer rechtzeitig bis zum Beginn der folgenden Sendungen fertig. Gerade bei Formaten wie den Nachmittags-Shows mit zahlreichen und viel redenden Studiogästen ist das verwunderlich. Versuchen Sie einmal sich zuhause mit einigen Freunden genau 28 Minuten und dreißig Sekunden lang zu unterhalten. Das dürfte schwierig werden. Doch im Fernsehen gelingt das immer, denn die aufgezeichnete Sendung wurde entsprechend gekürzt. Die erwähnte Länge von 28:30 ist der vorgegebene Standard für Halbstunden-Sendungen in der ARD. Die „fehlenden“ eineinhalb Minuten stellen einen zeitlichen Puffer für Programmoder sonstige Trailer dar. Falls nun bei der Aufzeichnung eines Halbstünder-Formats ein Ergebnis von 35:27 herausgekommen ist, hat die zuständige Redaktion ein Problem: rund sieben Minuten Überlänge. Und diese sieben Minuten müssen im Rahmen der Nachbearbeitung herausgeschnitten werden. Bei einer Sendung mit Studiogästen und ausführlichen Gesprächsteilen ergeben sich fast immer Überlängen, obwohl die Sendung während der Aufzeichnung natürlich mitgestoppt wird. Damit sich eine TV-Sendung überhaupt kürzen lässt, braucht man alternative Bildangebote. In der Regel befinden sich in einem Studio mehrere Kameras, die alle gleichzeitig laufen, aber unterschiedliche Bilder aufzeichnen. Kamera filmt den Moderator, Kamera 2 den Studiogast, Kamera 3 das Publikum. Nach den Vorgaben des Regisseurs verändern die einzelnen Kameras zusätzlich immer wieder den Bildausschnitt oder wechseln die Position im Raum, um andere Perspektiven zeigen zu können. Während der Aufzeichnung fährt der Bildingenieur auf Anweisung des Regisseurs die besten ausgewählten Bildangebote der verschiedenen Kameras sowie eventuelles Zuspielmaterial wie Beiträge oder Grafiken zur Hauptaufzeichnung zusammen. Auf diesem Hauptaufzeichnungsband liegt dann eine (fast) fertige Version der Sendung vor. Meistens ist diese aber eben zu lang. Zu kurz jedenfalls nie. Das ginge auch schlecht, denn das Fernsehen will schließlich nicht nichts senden … Neben der Hauptaufzeichnung läuft zeitgleich ein zweites Aufnahmeband mit, auf dem alternative Bilder aus dem Angebot der Kameras aufgezeichnet werden, z. B. die kompletten Aufnahmen von Kamera 2, die während der Sendung exklusiv den Studiogast gefilmt hat. Oft enthält das manchmal auch als „Cleanfeed“ oder „Abgesteckte (Kamera)“ bezeichnete zweite Aufzeichnungsband jedoch einen Mix aus den Aufnahmen der verschiedenen Kameras, damit man in der Nachbearbeitung eine größere alternative Schnittauswahl besitzt. Dieses zweite Band ist für den anschließenden Schnitt der fertigen Sendung in der Nachbearbeitung nützlich, denn wenn man etwas aus dem Hauptaufzeichnungsband herauskürzt, muss es schließlich 32
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inhaltlich und bildlich so stimmig weitergehen, dass der Zuschauer später im fertigen Sendeband nichts davon mitbekommt. Ganz konkret könnte das so aussehen: Auf dem Hauptaufzeichnungsband ist der redende Studiogast im Bild, der Moderator stellt eine Zwischenfrage aus dem Off, d. h., er ist dabei nicht im Bild zu sehen. In der fertigen Sendung möchte man aber den Redebeitrag des Studiogastes kürzen und direkt im Anschnitt mit der Zwischenfrage des Moderators weitermachen. Nun ist der Moderator auf der Hauptaufzeichnung mit dieser Zwischenfrage aber nicht im Bild zu sehen. Das ist ungeschickt, denn die Frage wird aus inhaltlichen Gründen gebraucht, der Ton ist da, aber der Fragesteller nicht. Irgendetwas muss aber im fertigen Sendeband an dieser Stelle im Bild zu sehen sein, am besten der Moderator im On mit seiner Frage. Schön, wenn genau diese Einstellung dann auf der „Abgesteckten“ vorliegt und man das Bildmaterial für das Sendeband einfach austauschen kann.
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Und wenn nicht? Dann gibt es noch ein paar Tricks, z.B. den Schnitt ins Publikum. Das Beispiel oben mit der kompletten Frage im Off war absichtlich einfach gehalten, denn in der Praxis schneidet der Regisseur in solchen Momenten auf den Moderator um. Manchmal fehlt dann aber in der Hauptaufzeichnung das erste Wort der Frage im Bild. Ein einfach zu lösendes Problem, wenn es sich um eine Sendung vor Publikum handelt. Ein kurzer Zwischenschnitt vom gekürzten Ende des Redebeitrags des Studiogasts auf das Publikum und dann weiter zum Moderator mit seiner Frage. Der Trick: Das im On vom Moderator eigentlich fehlende erste Wort wird ins Ende des Publikumsschnittes geschoben und der Umschnitt auf den Moderator im Bild erfolgt erst nach dem einleitenden „Was“ mit den Worten „ich Sie noch fragen wollte…“ Das fällt keinem TV-Zuschauer auf. Und nach vielen Schnitten hat man es dann geschafft. Aus dem Bild- und Tonmaterial der Hauptaufzeichnung und einem oder mehreren zusätzlichen, abgesteckten Aufzeichnungsbändern sind schließlich die verlangten 28 Minuten und dreißig Sekunden Sendeband geworden. Sie können zuhause pünktlich ein- und umschalten und der Redakteur kann endlich wieder ruhig schlafen. Schnitt ist Fernsehalltag, nicht verwerflich und durchaus im Sinne des Zuschauers. Lieber spannende 28:30 ohne Versprecher und Wiederholungen als langweilige 28:30, in denen ein Studiogast nach langem Reden und zahlreichen „Ähs“ und Räusperern endlich zum Punkt kommt. Wichtig ist allerdings, dass man journalistisch objektiv und fair handelt: Kürzungen dürfen nicht sinnentstellend sein und Studiogäste durch manipulativen Schnitt nicht bloßgestellt werden. Was wahr war, muss auch wahr bleiben.
Aufgabe 2: Versuchen Sie sich zuhause vor dem Fernseher als Schnitt-Detektiv. Sie werden sicher keine Fehler finden, dafür ist so eine Nachbearbeitung schließlich da, aber überlegen Sie zumindest mit: Könnte hier gekürzt worden sein? Haben diese zwei Szenen beim Dreh auch wirklich hintereinander stattgefunden oder könnten dazwischen vielleicht sogar ein paar Stunden vergangen sein? Warum kommt an dieser Stelle der Sendung ein Zwischenschnitt auf das Publikum? Geht es nur darum, Abwechslung ins TV-Bild zu bringen oder könnte das auch einen anderen Grund haben? Stellen Sie sich Fragen in dieser Art, vielleicht zusammen mit einem Freund oder Ihrem Partner: Wer findet die meisten Verdächtigen? Mediennutzung
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3.5. Vom Ereignis zur Nachricht – Medien machen Nachrichten Nach den vorangegangenen Abschnitten könnte möglicherweise der Eindruck entstanden sein, nur das Fernsehen und da speziell die Unterhaltungssendungen würden die Welt nicht so darstellen, wie sie wirklich ist. Das ist aber bei allen Medien so. Jede Art von Journalismus wählt aus und bearbeitet Realität. Journalismus, schreiben die Medienwissenschaftlerinnen Elisabeth Klaus und Margret Lünenborg, bildet Fakten nicht eins zu eins ab, sondern „bietet vielmehr Interpretationen des gesellschaftlichen Geschehens.“ 7
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Ähnlich formuliert diesen Zusammenhang auch Knut Hickethier, Professor für Medienwissenschaft in Hamburg, am Beispiel der Nachrichten. Auch Nachrichten, sagt er, sind immer gestaltet, sie folgen einer Dramaturgie und sie besitzen ein Darstellungskonzept: „Nachrichten sind, auch wenn sie den Anspruch erheben, Realität ‚unverstellt‘ abzubilden, nie die Realität selbst.“ 8 Diese Aussagen beleuchten einen Umstand, der für uns so alltäglich ist, dass wir kaum mehr darüber nachdenken. Die Informationen, die wir in den Medien finden, stammen von Journalisten. Nicht die Wirklichkeit schreibt die Zeitung, sondern der Redakteur. Deshalb darf man von Journalisten zu Recht erwarten, dass sie ihren Beruf sorgfältig ausüben und ihr Handwerk verstehen. Journalisten arbeiten in verschiedenen Ressorts, mit unterschiedlichen Mitteln und mit unterschiedlichen Arbeitszielen. Grundsätzlich kann man journalistische Berichterstattung in zwei grundlegende Formen einteilen: n
informierend
n
meinungsäußernd
Zu den informierenden journalistischen Darstellungsformen gehören nach Walther von La Roches Standardwerk Einführung in den praktischen Journalismus 9 folgende: n
Nachricht – objektiv, sachlich, faktenorientiert
n
Bericht – der große Bruder der Nachricht, der neben den Fakten auch Vorgeschichte und Zusammenhänge des Ereignisses berücksichtigt.
n
n 7 8 9
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Reportage – der ganz große Bruder der Nachricht, der neben den Tatsachen auch die persönlichen Erlebnisse und Eindrücke des Reporters in den Text einfließen lässt. Feature – der Bruder der Reportage, der aus
Fakten, individuellen Erlebnissen, Zusammen- hängen und Hintergründen heraus einen Sach- verhalt veranschaulicht und verallgemeinert. n
Interview – ein Gespräch zwischen Journalist und Auskunftsperson in einer Abfolge von Frage- und Antwort-Rhythmus.
n
Korrespondentenbericht – der Korrespondent interpretiert aufgrund seiner Personen- und Sachkenntnis meist am Ort des Geschehens Ereignisse oder Interview-Aussagen.
Elisabeth Klaus, Margret Lünenborg, „Journalismus: Fakten, die unterhalten – Fiktionen, die Wirklichkeit schaffen“, in: Grundlagentexte zur Journalistik, hrsg. von Irene Neverla, Elke Grittmann, Monika Pater, Konstanz: UVK-Verl.-Ges., S. 04. Knut Hickethier, „Das Erzählen der Welt in den Fernsehnachrichten. Überlegungen zu einer Narrationstheorie der Nachricht“, in: Grundlagentexte zur Journalistik, hrsg. von Irene Neverla, Elke Grittmann, Monika Pater, Konstanz: UVK-Verl.-Ges., S. 659. Walther von La Roche, Einführung in den praktischen Journalismus, 5., völlig neu bearb. Aufl., München: List Verlag, 999, S. 62–56. Der Klassiker in der journalistischen Ausbildung war 2008 bei der 8. Auflage angekommen. Mediennutzung
Meinungsäußernde journalistische Darstellungsformen sind:0 n
Kommentar – ein Journalist nimmt publizistische Stellung zu einem Ereignis, er äußert seine Meinung dazu.
n
Glosse – eine ironische, pointierte Form des Kommentars, „die Schwäche des Gegenstandes“ genau erfassend. Nicht argumentie-
rend, sondern bloßstellend, nicht abwägend, sondern hart, ironisch, witzig, listenrein … Die Pointe muss überraschend, überzeugend, schlagend sein.“10 n
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Rezension – der Oberbegriff für Literatur- und Kunstkritik.
Ein eherner Grundsatz journalistischer Arbeit lautet: Trennung von Kommentar und Nachricht! Diese Unterscheidung ist nicht nur für Berufsausübende in diesem Metier wichtig, sondern auch für Zuschauer, Zuhörer oder Leser. Von den informierenden Formen darf man als Mediennutzer genau das erwarten: möglichst objektive Information. Bei der Meldung über den letzten Weltwirtschaftsgipfel in der tagesschau möchte man vom Sprecher nicht erfahren, wie er die dort erzielten Ergebnisse fand, sondern man möchte gerne unkommentiert die Ergebnisse selbst erfahren. Wenn dagegen die deutsche Kritikerlegende Joachim Kaiser im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung eine neue Biografie über Johann Sebastian Bach rezensiert, dann möchte ich genau das wissen: Wie er denn die Biografie so fand? Und warum? Und das Ganze möglichst bissig. Subjektiv eben. Es ist wichtig, dass man sich als Mediennutzer diese Unterschiede zwischen den einzelnen Artikeln in einer Zeitung, den Sendungen im Fernsehprogramm oder den Beiträgen im Hörfunk bewusst macht. Wo Information drauf steht, ist auch Information drin – oder sollte es zumindest sein. Und wenn Sie jemanden sagen oder schreiben hören „Meiner Meinung nach …“, dann geht es in diesem journalistischen Beitrag nicht (mehr nur) ausschließlich um die wertfreie Vermittlung von Fakten, sondern (auch) um die Meinung des Journalisten. Wie so häufig im Leben ist auch im Journalismus die Welt nicht nur schwarz und nicht nur weiß. Es gibt Mischformen, es gibt bessere und es gibt schlechtere Journalisten und es gibt Unterschiede in der politischen oder weltanschaulichen Ausrichtung bei den Produzenten von Medieninhalten, die sich auf die Gestaltung von Artikeln, Beiträgen oder Sendungen auswirkt. Zusätzlich darf man nicht den wirtschaftlichen Druck vergessen, unter dem viele Medienanbieter stehen. Medienunternehmen sind Wirtschaftsbetriebe, die sich über den Verkauf ihrer Produkte und zu einem weitaus größeren Teil über Werbung finanzieren. Dadurch hat die Wirtschaft einen nicht gerade kleinen Hebel, mit dem sie an Medienunternehmen und deren Inhalten ansetzen kann. Bei der Verflechtung von wirtschaftlichen Interessen und Sendeinhalten darf man bei privatfinanzierten Anbietern ruhig etwas sensibler sein, aber vor ein paar Jahren hat es auch die öffentlich-rechtliche ARD erwischt. Genauer gesagt wurde sie erwischt. 2005 flog durch Recherchen eines Journalisten auf, dass die Vorabendserie Marienhof jahrelang systematisch Schleichwerbung für Wirtschaftsprodukte, Dienstleistungen und Themen betrieben hat. Als Mediennutzer steht man sozusagen am unteren Ende der Informationskette. Am oberen Ende, an der Spitze, steht das tatsächliche Ereignis. Über dieses Ereignis berichten Korrespondenten, 0
Ebenda, S. 54. Bei der Süddeutschen Zeitung z. B. trägt die tägliche Glosse den Namen Streiflicht und steht auf der ersten Seite links. Mediennutzung
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Reporter oder sonstige Informanten. Nachrichtenagenturen greifen dieses Ereignis auf (oder auch nicht) und leiten Informationen darüber an Presse, Hörfunk, Fernsehen und Webanbieter weiter, bis die Information schließlich als Nachricht, als „Vermischtes“, als Reportage oder Kommentar beim Zuschauer, Leser, Hörer oder Websurfer ankommt. Und auf jeder dieser Stufen, um den Bogen zum Anfang des Kapitels zu schließen, wird die Information immer weniger real. In jeder dieser Stufen wird das tatsächliche Ereignis bearbeitet und aus der ersten Bearbeitung wird die zweite und dann die dritte usw.
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Das soll jetzt nicht zu Furcht einflößend klingen und eine endlose Kette von Manipulationen andeuten. Dem ist nicht so. Dafür gibt es Journalisten und journalistische Grundregeln, um eben genau das zu vermeiden. Aber man sollte sich als Mediennutzer diese Dinge zumindest gelegentlich bewusst machen und bei der Zusammensetzung des eigenen Informationshaushaltes auf eine gewisse (zeitlich noch zu bewältigende) Bandbreite achten. Ich sage es mal ganz direkt: Schauen Sie also nicht nur die tagesschau an, sondern lesen Sie auch eine der großen überregionalen Tageszeitungen, wie die Süddeutsche, FAZ, Welt etc., die im Gegensatz zu Regionalblättern, die meist die Meldungen der Nachrichtenagenturen einfach übernehmen, über eigene Korrespondentennetze verfügen und einen sehr hohen journalistischen Qualitätsanspruch besitzen. Für die schnelle Erstinformation bietet sich das Web z. B. mit den Nachrichtenportalen von Spiegel, Focus, ARD oder ZDF an. Und lesen Sie bitte nicht ausschließlich die Bild-Zeitung.
3.6. Das Web In den klassischen Medien wie Presse, Hörfunk und Fernsehen stehen, wie vorher beschrieben, zwischen dem Ereignis und der Nachricht über das Ereignis einige Bearbeitungs- und Auswahlstufen. Journalisten haben die Funktion des „Gatekeepers“ inne, des Torwächters, der darüber entscheidet, welches Ereignis zur Berichterstattungstür hineindarf und welches draußen bleiben muss. Im Internet muss das nicht mehr so sein. Jetzt hat jeder sein eigenes Massenmedium zuhause. Ein bisschen HTMLKenntnisse oder eine Software, die diese besitzt, eine eigene Homepage, ein Blog – und schon kann die ganze Welt teilhaben. An was auch immer. Irgendwie muss es schließlich zu dieser Billion an URLs gekommen sein. Im Grunde ist das eine tolle Sache. Jeder kann inzwischen Informationen in die Welt setzen. Nur prüfen muss man diese Informationen leider selber. In der klassischen Ereignis-Informationskette übernehmen Journalisten diese Aufgabe und überprüfen Meldungen über Ereignisse auf ihren Wahrheitsgehalt, ihre Ob- oder Subjektivität und ihre Relevanz. Diesen Job muss im Internet bei Bedarf nun der User übernehmen. Umso wichtiger ist es, sich mit der Funktions- und Arbeitsweise von Medien zu beschäftigen, damit man z. B. nicht Nachrichten mit Meinungen verwechselt. Das gilt übrigens auch für denjenigen, der Informationen ins Netz stellt. Wer selbst Informationen ins Netz stellt, der sollte auch ein wenig journalistische Sorgfalt walten lassen – Objektivität, Wahrheitsgehalt, Trennung von Fakten und Meinungen. Und im Rückgriff auf Kapitel 2 noch einmal der Hinweis: Prüfen Sie als User die Quelle. Schauen Sie sich an, wer welche Information im Web veröffentlicht.
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Ein zumindest potentiell großes Problem im Mitmach-Web 2.0 könnte speziell seit dem Boom sozialer Netzwerke wie StudiVZ, schülerVZ, facebook oder MySpace die Unbefangenheit der User im Umgang mit der Weitergabe privater Daten und Informationen darstellen. In den Profilen sozialer Netzwerke kann man, wenn man denn will, nahezu alles von sich erzählen: Lieblingsfarbe, Lieblingsessen, Lieblingsmusik usw. Eine Menge an Daten, die Begehrlichkeiten weckt. Das große deutsche soziale Netzwerk StudiVZ hat dies in einer auch in der Medienbranche selten gezeigten Offenheit und Dreistigkeit Ende 2007 demonstriert. Die Tochterfirma von Holtzbrinck hatte im Dezember ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) verändert, um die persönlichen Angaben der Mitglieder und Nutzungsprofile für personalisierte Werbung nutzen zu können. Teilnehmer konnten ihre Konten nicht weiternutzen, ohne den neuen Konditionen zuzustimmen. Nach heftigen Protesten der Nutzer musste Holtzbrinck die AGB wieder ändern.
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Als Nutzer sozialer Netzwerke kann man sich die Frage stellen, wieso diese sozialen Netzwerke kostenlos angeboten werden – eventuell spielen auch massive wirtschaftliche Interessen der Betreiber eine Rolle. Abgesehen davon: Das Web vergisst nie. Heute ins Netz gestellte persönliche Informationen können zu einer anderen Zeit zum Nachteil sein, z.B. informieren sich viele Personaler vor einem Vorstellungsgespräch im Netz über den Bewerber.
Aufgabe 3: Am Samstag, den 20.2.2008, vermeldete die Bild-Zeitung die Freilassung des ehemaligen Terroristen Christian Klar mit folgenden Sätzen: „Terrorist Klar frei! Er könnte morgen ihr Nachbar sein …“. Die Süddeutsche Zeitung berichtete über dasselbe Ereignis so: „Christian Klar ist frei - Ehemaliger Terrorist verlässt nach 26 Jahren das Gefängnis / Von der RAF nur noch Birgit Hogefeld in Haft“2. Vergleichen Sie die beiden Zeitungsschlagzeilen. Welche Unterschiede fallen Ihnen auf? Sind beide gleich objektiv? Achten Sie auf die verwendete Sprache.
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„Terrorist Klar frei!“, in: Bild-Zeitung, Ausgabe München, vom 20.2.2008, S. . „Christian Klar ist frei“ von Bernd Dörries, in: Süddeutsche Zeitung vom 20./2.2.2008, S. . Mediennutzung
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Lektüretipps: – Die erste Webseite der Welt von Tim Berners-Lee: http://www.w3.org/History/99203hypertext/hypertext/WWW/TheProject.html
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Das Original existiert nicht mehr, angeblich handelt es sich aber um eine originalgetreue Kopie. – Claudia Mast (Hg.), ABC des Journalismus. Ein Handbuch, 0., völlig neue Aufl., Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, 2004. Ein sehr umfangreiches Werk mit über 700 Seiten, das eine große Bandbreite an Themen abdeckt: Die Struktur des Mediensystems in Deutschland, journalistische Grundformen, Ressorts, Layout, PR, Marketing, Online-Journalismus u.v.m. – Claudia Gerhards, Stephan Borg, Bettina Lambert (Hg.), TV-Skandale, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, 2005. Die Autoren beginnen mit der aus heutiger Sicht amüsant anmutenden Aufregung um die Samstag-Abend-Show „Wünsch Dir was“ mit Dietmar Schönherr und Vivi Bach Ende der 960er Jahre, vergessen auch nicht Bernd Fritz mit seiner Wette, Buntstifte am Geschmack erkennen zu können, bei „Wetten, dass …?“ und enden in der jüngeren Vergangenheit mit den handfesten Fälschungsskandalen Michael Born und Tom Kummer. – Hermann Meyn, Massenmedien in Deutschland, Konstanz: UVK Medien Verlagsgesellschaft, 999. Eine gut verständliche Übersicht über die Funktionen und Entwicklung von Presse, Hörfunk und Fernsehen in (West-)Deutschland. – Nina Janich, Werbesprache. Ein Arbeitsbuch, Tübingen: Narr, 999. Die Sprachwissenschaftlerin befasst sich mit der linguistischen Untersuchung der innerhalb von Werbung verwendeten Sprache. Das Buch ist sehr interessant, allerdings auf einem universitär anspruchsvollen Niveau geschrieben. Die vielen Fachbegriffe dürften für fachfremde Leser schwer verständlich sein.
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4. Besser reden 4.1. Kleine Geschichte der Rhetorik
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Gregor Gysi gilt als einer der besten Redner im Deutschen Bundestag, trotzdem ist er nicht Bundeskanzler. Das liegt am Wahlrecht der Bundesrepublik, das der Partei mit den meisten Stimmen das Vorschlagsrecht für dieses Amt einräumt. Und dies war in der letzten Wahlperiode nicht die Partei von Gregor Gysi, die Linkspartei. Im antiken Griechenland, etwa 460 v. Chr., hätte es Gregor Gysi aber mit großer Sicherheit dank der Kraft seiner Worte zu einem bedeutenden Amt gebracht. Denn in der ersten bekannten Demokratie der Geschichte wurden die politischen Entscheidungen in der Athenischen Vollversammlung, der Ekklesia, getroffen – nachdem man über die Themen geredet hatte. Wer im antiken Athen einen Gesetzesantrag oder ein sonstiges politisches Anliegen einbringen wollte, der musste dies in der Ekklesia vor teilweise mehreren tausend Zuhörern in freier Rede tun. Auch vor Gericht war jeder Athener Bürger Anwalt in eigener Sache. Wer einen Prozess führen wollte, der musste seine Beweggründe vor einem Richtergremium selbst vortragen und der Beklagte musste sich ebenso mit eigenen Worten verteidigen. Da wundert es nicht, dass die Kunst der Rede, die Rhetorik, im antiken Griechenland zu einer der wichtigsten Wissensdisziplinen gehörte. Aufgrund der essenziellen Bedeutung, die das überzeugende Reden damals besaß, suchte mancher Athener Bürger vor dem Gang zum Richter doch lieber kostenpflichtigen Rat bei einem Logographen, einem professionellen Redenschreiber, der dem entsprechenden Anliegen die nötige rhetorische Durchschlagskraft verlieh. Eventuell könnte man auch behaupten, dass zeitgleich die Geburtsstunde des Auswendiglernens schlug, denn der betreffende Bürger musste die für ihn geschriebene Rede schließlich vor Gericht glaubwürdig als die eigenen geschliffenen Worte ausgeben können. Da wäre es wenig hilfreich gewesen, hätte er sie von einer Papyrus-Rolle abgelesen. In der Rechtsprechung und in der Politik ging es folglich damals wie heute im Wesentlichen darum, andere von der eigenen Sichtweise der Dinge zu überzeugen und schon den alten Griechen war klar, dass man mit der Wahrheit allein nicht gerade weit kommt. Deshalb lautete eine Grundregel der rhetorischen Beweisführung: „Das Wahrscheinliche ist wichtiger als die Wahrheit. Anders ausgedrückt, eine Wahrheit, die unglaubwürdig erscheint, verschweigt man besser, denn nur das Glaubwürdige über-zeugt, auch wenn es nicht wahr ist.“ An der Wahrheit dieser Aussage und der Effizienz dieser Strategie, vor allem in der Politik, hat sich übrigens bis heute nichts geändert. Ein Zuhörer wird den Inhalt einer Rede mit größerer Wahrscheinlichkeit glauben, wenn er seiner eigenen Lebenserfahrung, seinen eigenen Denk- und Argumentationsschemata und seinen eigenen Überzeugungen und Vorstellungen entspricht. Taktisch falsch wäre es, z. B. auf der Jahrestagung der deutschen Vegetarier eine Rede über die Vorzüge der Münchner Weißwurst im Vergleich zur Nürnberger Bratwurst zu halten.
Duden. Reden gut und richtig halten! Ratgeber für wirkungsvolles und modernes Reden, 3., neu bearb. und erg. Auflage, herausgegeben und bearbeitet von der Dudenredaktion in Zusammenarbeit mit Siegfried A. Huth, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag, 2004, S. 9. Dieses Kapitel folgt im Weiteren und im Wesentlichen den Ausführungen des Rede-Duden. Besser reden
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Zur Not könnte man sich vor den aufgebrachten Vegetariern eventuell noch dadurch retten, indem man darauf hinweißt, dass schließlich ein großer Teil der Bundesbürger die Vorzüge der Weißwurst sehr wohl zu schätzen wüsste. Auch diese Strategie stammt bereits aus der antiken Rhetorik – die Flucht in den (All)Gemeinplatz: Was alle machen, kann doch in Wirklichkeit nicht so schlimm sein.
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Die Erfindung des Allgemeinplatzes im 5. Jh. v. Chr. ist im Grunde für die in deutschen Schulklassen unerreicht populäre Aufsatzart Erörterung verantwortlich. Die Erkenntnis, dass sich durch den rhetorischen Verweis auf eine wie auch immer geartete Allgemeinverbindlichkeit sowohl das eine als auch das andere beweisen lasse, führte dazu, dass der antike Redner sich auch mit der Kunst der Pro- und Kontra-Argumentation beschäftigen musste. Dieser Kunstgriff besitzt im Gegensatz zum reinen Dafür und zum reinen Dagegen entscheidende Vorteile. Indem man die potenziellen Argumente des Gegenredners selbst benennt, raubt man ihnen viel von ihrer Überzeugungskraft. Als fiktiver Brat- und Weißwurst-Redner auf dem Vegetarier-Treffen hätte ich mich nach dieser Strategie so zu retten versucht: Natürlich werden täglich tausende von Rindern und Schweinen getötet, nur damit die fränkische Hausfrau ihren Kindern mittags eine Bratwurst braten kann. Dabei kann der Mensch sehr wohl leben, ohne dass Tiere für ihn sterben müssen. Das ist mir auch mehr als bewusst. Die grausame Turbo-Mast, die unwürdige Stallhaltung, der oftmals qualvolle Transport zum Schlachthof – darüber müssen wir gar nicht reden. Das will niemand. Das will auch niemand, der Fleisch isst. Das können Sie mir glauben. Allerdings lässt sich wohl auch von Ihnen nicht bestreiten, dass es in der Natur aller Lebewesen liegt, sich von anderen lebenden Dingen zu ernähren. Auch das Gras, das die Ziege frisst, kann nicht mehr weiter wachsen und stirbt so auf seine Art. Sicher kann man einwenden, und da stimme ich Ihnen auch voll zu, dass es da ja wohl einen Unterschied gibt zwischen Gras und einem Tier. Tiere fühlen und empfinden, das macht das Gras, nach allem was wir wissen, nicht. Aber werfen wir dem Löwen vor, dass er ein Gnu reißt, oder dem Seeadler, dass er sich einen Fisch angelt. Nein, denn wir betrachten diese Verhaltensweise als natürlich. Auch wenn Sie dies vermutlich anders sehen oder anders sehen wollen, es ist für den Menschen natürlich, andere Lebewesen zu töten. Was Sie daran kritisieren, und das zu Recht, ist die maschinelle Grausamkeit der heutigen Fleischproduktion. Das muss sich ändern. Das ist unwürdig. Unwürdig für Mensch und Tier…
Nach dieser mit Allgemeinplätzen gespickten Rede hätte ich versucht, die Vegetarier-Tagung unauffällig zu verlassen. Falls man mich vorher aufgehalten hätte, wäre ich im weiteren Verlauf meiner Rede noch zusätzlich ins Philosophische ausgewichen und hätte die individuelle Freiheit des Menschen, die schließlich auch das Grundgesetz festschreibt, als Argument für den Fleischkonsum bemüht. Das als Beispiel für eine rhetorische Pro- und Kontra-Übung.
4.2. Redeformen – Rede, Vortrag, Referat Im antiken Griechenland gab es nur zwei Arten von Reden: die Überzeugungsrede (in der Politik und vor Gericht) und die Lobrede (im öffentlichen Leben). Informationsreden, primär faktenvermittelnde Vorträge oder Referate, waren damals unbekannt. 40
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Heute begegnen einem (Überzeugungs-/Lob-)Reden häufig im privaten Bereich bei Geburtstagen, Hochzeiten oder auch Vereinsfeiern, im Beruf, bei Versammlungen oder Verabschiedungen sowie im öffentlichen Leben, z. B. auf Wahlkampfveranstaltungen oder bei kulturellen Veranstaltungen.
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Der Rede-Duden unterscheidet bei Rede, Vortrag und Referat nach Anlass, Art der Darstellung und Dauer. Die Rede hat einen privaten, beruflichen, öffentlichen Anlass oder dient der politischen Meinungsbildung. Der Vortrag hat ein Thema und verfolgt Informations- oder Bildungsabsichten. Das Referat gibt Fakten zur Darstellung eines Sachverhalts wieder. Die Rede ist zumeist sehr persönlich gehalten und beinhaltet emotionale und subjektive Wertungen. Der Vortrag dagegen ist eher sachlich und vermittelt Fakten, die aber häufig mit individuellen Einschätzungen und Beurteilungen vermischt sind. Das Referat ist die faktenorientierteste Redeform und sollte in der Regel sachliche Information und Meinung als solche kennzeichnen. Sowohl beim Vortrag als auch beim Referat kommen oft technische Hilfsmittel, z. B. Folien, Dias oder ComputerPräsentationen zum Einsatz. Zur Dauer der verschiedenen Redeformen schlägt der Duden für Reden maximal 30 Minuten und ,5 Stunden für Vorträge und Referate, inklusive einer Pause, vor. Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages räumt übrigens in der derzeitig gültigen Fassung vom 26. September 2006 unter § 35 den Abgeordneten eine maximale Redezeit von 5 Minuten ein, die auf Verlangen einer Fraktion im Einzelfall auf 45 Minuten verlängert werden kann. Ferner kann es auch vorkommen, dass man als Versammlungs- bzw. Diskussionsleiter oder als Moderator einer Gesprächsrunde eine kurze Rede halten muss. Dabei verzichtet der Redner im Normalfall auf subjektive Einschätzungen oder persönliche Inhalte, sondern stellt das entsprechende Thema und die Teilnehmer in sachlicher Form vor, gibt technische Verfahrenshinweise, regt im weiteren Verlauf eventuell zusätzliche Themen- oder Fragestellungen an und fasst am Ende die Resultate der Gesprächsrunde noch einmal kurz zusammen.
4.3. Vorbereitung der Rede: Stoff- und Materialsammlung „Beherrsche die Sache, dann folgen auch die Worte“2, zitiert der Rede-Duden den älteren Cato zu Beginn des Kapitels über die Ausarbeitung der Rede. Dieser rhetorische Merksatz ist zwar schon über 2000 Jahre alt, aber besser könnte man diesen zentralen Punkt kaum formulieren: Reden Sie nie über Dinge, von denen Sie keine Ahnung haben. Deshalb ist der erste Schritt bei der Ausarbeitung einer Rede, sich Ahnung zu verschaffen, indem man eine Stoffsammlung anlegt. Das kann mit einem simplen Brainstorming beginnen, bei dem man einfach erst einmal alles aufschreibt, was einem zum Thema einfällt. Das ist oft schon eine ganze Menge. Anschließend kann man sich ohne allzu großen Aufwand auch einfach beim Lebenspartner, bei Freunden oder Bekannten umhören, ob diese eine Anregung oder eine Idee haben sowie zusätzliche Informationen zum Thema besitzen. Vielleicht ist sogar ausgerechnet Ihr Nachbar ein Experte auf dem Gebiet XY und freut sich, Ihnen helfen zu können. Fragen schadet nie und wie man am Beispiel 2
Ebenda, S. 87. Besser reden
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der Web-Enzyklopädie Wikipedia sieht, haben weltweit sehr viele Menschen ein großes Interesse und Lust daran, ihr Wissen mit anderen zu teilen. Falls Sie z. B. beruflich eine Rede zum runden Geburtstag des Kollegen Max Mustermann halten müssen, dann erkundigen Sie sich bei anderen Kollegen und Vorgesetzten über seine Interessen und Vorlieben, vielleicht kennt jemand auch eine nette Anekdote. Wenn Sie aufgrund Ihrer persönlichen Einschätzung des Kollegen Mustermann den Eindruck haben, er hätte prinzipiell nichts gegen eine zusätzliche Recherche in seinem privaten Lebensbereich, dann können Sie auch seine Ehefrau, seine Kinder oder Freunde aus dem Sportverein vorab interviewen. Das kommt eben darauf an, wie gut Sie den Jubilar kennen. Nicht jeder Kollege schätzt ein Eindringen in seine Privatsphäre, auch wenn es gut gemeint ist.
4
Je nach Thema der Rede bieten sich Zeitungen und Zeitschriften zur weiteren Informationsbeschaffung an. Falls Sie eine Stadtbibliothek in der Nähe haben, haben Sie schon mal Glück gehabt. Die meisten Bibliotheken verfügen neben den Buchbeständen auch über eine oft riesige Auswahl an Zeitungen und Zeitschriften aus nahezu allen Themenbereichen. Die Bayerische Staatsbibliothek in München z. B. hat mit rund 40.000 laufenden Zeitschriften den zweitgrößten Bestand in ganz Europa, nur überboten von der British Library in London. Die Bandbreite der Titel ist enorm: Altertumswissenschaften, Biologie, Medizin, Geschichte, Musik, Orient, Osteuropa, Sozial-, Wirtschafts-, Rechts- und Erziehungswissenschaften, Bayerische Zeitungen und Amtsblätter. Allein im Präsenzbestand des Zeitschriftenlesesaals kann man 8.500 wissenschaftliche Zeitschriften und nationale wie internationale Tageszeitungen durchstöbern. Auch zur Informationsbeschaffung, z. B. bei Referaten, sind die Präsenzbestände von Bibliotheken eine vielversprechende und leicht zugängliche Recherchequelle. Die Zentralbibliothek der Münchner Stadtbibliothek bietet Schülern sogar konkrete Recherchehilfe vor Ort an. Wer über einen Zugang zum Internet verfügt, wozu 2008 fast zwei Drittel oder 42,7 Mio.3 aller Erwachsenen in Deutschland gehörten, kann das Web nach Anregungen und Informationen zum Rede-Thema durchforsten, z. B. auf der schon erwähnten Wissensplattform Wikipedia. Eine Rede besteht aber im Gegensatz zu einem Vortrag oder einem Referat nicht vorwiegend aus der Wiedergabe von Fakten, sondern zu einem großen Teil aus den persönlichen Einschätzungen und Wertungen des Redners. Deshalb braucht man auch eine Meinung zum Thema. Das ist eigentlich der viel interessantere Teil für die Zuhörer, würde ich behaupten. Wer redet, muss auch Stellung beziehen. Wenn Sie sich bei einem Thema schwer tun, den eigenen Standpunkt sofort und ohne Mühe auszuloten, dann hilft oft die Pro-und-Kontra-Methode. Überlegen Sie, was für und was gegen Ihr Thema spricht und schreiben Sie diese Ideen, Gedanken und Fakten auf. Der Appetit kommt beim Essen, heißt es landläufig, ähnlich ist es oft mit Entscheidungen. Diese ergeben sich mit etwas Glück fast von selbst, wenn man sich gedanklich erst einmal intensiv mit einem Thema befasst hat. Nachdem man die Stoffsammlung und den Meinungsfindungsprozess abgeschlossen hat, muss man das Gefundene ordnen und strukturieren. Der wichtigste Ordnungsfaktor ist die verfügbare Redezeit. 3 42
Zahlenangaben der ARD/ZDF-Onlinestudie 2008: http://www.ard-zdf-onlinestudie.de./ Besser reden
In einem halbstündigen Vortrag kann man weiter ausholen, hat man aber nur fünf Minuten zur Verfügung, dann muss man sich genau überlegen, welche Punkte man innerhalb der Rede ansprechen möchte.
4
Nehmen Sie ein Blatt Papier, ziehen Sie in der Mitte einen Längsstrich und schreiben Sie links die Pro- und rechts die Kontra-Argumente für Ihr Rede-Thema auf. Nehmen wir an, Sie müssten auf der Weihnachtsfeier Ihres Sportvereins das vergangene Jahr Revue passieren lassen. Die beiden Hälften Ihres Stoff-Ordnungsblattes könnten möglicherweise so aussehen:
PRO
KONTRA
n
Volleyballer, Kegler, Basketballer und Turner sind aufgestiegen.
n
Tischtennisteam und Fußballer sind abgestiegen.
n
412 neue Mitglieder sind eingetreten.
n
67 Vereinsaustritte
n
Der Vereinspräsident ist seit 25 Jahren ununterbrochen im Amt.
n
Ich kann den Vereinspräsidenten nicht leiden.
n
Die Basketballer haben einen neuen Jugendtrainer gefunden.
n
Das Amt des Kassenwarts konnte noch nicht neu besetzt werden.
n
Das neue Rasen-Kleinfeld wurde im Sommer eingeweiht.
n
Die Schwimmhalle musste wegen Baufälligkeit geschlossen werden.
n
Die Bewirtschaftung des Vereinsheims brachte einen satten Gewinn.
n
Das Essen dort schmeckt grausam.
n
Im Amtsblatt des Kreises wurde die Trainingsmethodik der Volleyballer als „beispielhaft“ bezeichnet.
n
Im selben Artikel wurden das Fußball- und das Tischtennistraining mit der Formulierung „Methoden aus der Steinzeit“ abgewatscht.
n
Nach meiner Rede beginnt der Show-Teil des Abends mit dem Auftritt der Jazz-TanzGruppe.
n
Leider kommt direkt danach das MännerBallett der Fußballer.
n
Usw.
n
Usw.
Jetzt müssten Sie sich überlegen, welche Punkte dieser Liste Sie erwähnen oder betonen und welche Sie weglassen oder herunterspielen möchten. Das hängt, wie schon erwähnt, von Ihrer Stellungnahme, Ihrer Meinung, Ihrer Redeabsicht ab. In der Regel würde man vom Redner auf einer Jahresabschlussfeier natürlich die lobende Version erwarten: So toll war das Sportjahr, schaut hin! In diesem Fall stellen Sie Ihre Abneigung gegen den Vereinsvorsitzenden wie schon die 25 Jahre zuvor hintan und gratulieren ihm irgendwo im hinteren Drittel der Rede zum Jubiläum. Nicht gleich zu Anfang, so viel Aufrichtigkeit können Sie sich schon leisten. Ansonsten betonen Sie die sportlichen Erfolge der Basketballer und Co., erwähnen stolz den Bericht des Amtsblattes, aber nur den Teil mit der beispielhaften Methodik, streifen kurz ironisch die Qualität der Spaghetti al dente im Vereinsheim, Besser reden
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ignorieren den Gedanken an das Männer-Ballett und fassen sich insgesamt kurz und knackig, damit der gemütliche Teil des Abends möglichst zügig beginnen kann.
Aufgabe 1:
4
Versuchen Sie sich an einer „-Minuten-Rede“ zum obigen Beispiel mit der Weihnachtsfeier im Sportverein. Wählen Sie aus der Pro- und Kontra-Liste diejenigen Aussagen aus, die Sie in der Rede betonen möchten und fügen Sie nach Bedarf eigene zusätzliche Punkte ein. Das hängt im Wesentlichen von Ihrer Redeabsicht ab. Falls Sie z. B. den Abend zu einer Abrechnung mit dem ungeliebten Vereinspräsidenten nutzen möchten, würden sich andere Aussagen anbieten als bei der vom Auditorium sicher eher erwarteten „Positiv-Bilanz-Rede“ über das vergangene Sportjahr. Schreiben Sie Ihre Rede auf und halten Sie diese auch. Zumindest Ihrem Spiegelbild. Manche Formulierungen klingen zwar auf dem Papier gut, beim Vortrag muss das aber nicht mehr so sein. Eine Minute entspricht in etwa 0-5 am PC getippten Zeilen Text.
4.4. Ausarbeitung der Rede 4.4.1. Die Einleitung Jede Rede setzt sich aus einer Einleitung, einem Hauptteil und dem Schluss zusammen. Die Einleitung besitzt zwei wichtige Funktionen: Sie stellt den Kontakt zwischen dem Redner und den Zuhörern her und sie zeigt auch bereits die Zielrichtung der Rede an – wie steht der Vortragende zum Thema oder zur Person, über das bzw. die er gleich sprechen wird. Wie wichtig die ersten Worte sind, haben die meisten von uns vermutlich noch aus Teenagertagen in leidvoller Erinnerung. Denn sie wollten einem partout nicht einfallen. Zumindest keine besonders originellen – wenn man endlich allen Mut zusammengerafft hatte, um die gut aussehende Eva aus der 9 b im Partykeller anzusprechen. Statt eines guten Spruches kam dann nur ein langweiliger Klassiker „Hallo, toll, dass du auch hier bist“, gefolgt von einer nicht enden wollenden Sprechpause aufgrund mangelnder Ideen. Und wo hätte Eva auch sonst sein sollen, sie war schließlich die Gastgeberin und es war der Partykeller ihrer Eltern. Bei einer Rede geht es also schon mit den ersten Worten darum, nicht nur die Aufmerksamkeit der Zuhörer, sondern auch ihr Wohlwollen zu gewinnen. Gleich bei Beginn der Rede müssen einem die Leute zuhören und sie müssen einen mögen. Am Anfang jeder Rede steht die Anrede, mit der man unter Umständen auch schon ein paar Sympathiepunkte verspielen kann. Meistens richtig oder wenigstens nicht verkehrt ist das neutrale „Meine Damen und Herren“. Etwas schmeichelnder ist die Variante „Meine (sehr) verehrten Damen und Herren“. Mit dem „Liebe Freunde“ kann man danebengreifen, wenn man die Anwesenden nicht wirklich gut kennt, dann wirkt diese Anrede anbiedernd. Falls die Rede tatsächlich vor guten Freunden gehalten wird, läge man aber mit dem neutralen und förmlichen „Meine Damen und Herren“ daneben. 44
Besser reden
Die Einleitung soll nicht nur die Zuhörer auf Ihre Seite bringen, sie soll sie auch neugierig und gespannt machen, das Interesse am Thema wecken. Wenn es sich nicht gerade um eine Trauerrede handelt, ist ein humorvoller Einstieg meist nicht verkehrt:
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• „Meine Damen und Herren, es freut mich, dass Sie trotzdem noch hier sind – obwohl meine Rede ja im Programmheft angekündigt war.“ • „Meine Damen und Herren, ein Mann, heißt es, soll drei Dinge im Leben tun: einen Baum pflanzen, ein Haus bauen und ein Kind zeugen. Es heißt nicht, er soll auch eine Rede halten. Aus gutem Grund. Das ist nämlich fürchterlich schwierig und deshalb bitte ich Sie in den nächsten Minuten um Nachsicht. Ich habe diese Rede aus dem genannten Grund heraus selbstverständlich zuhause meiner Frau vorgetragen. Sie versicherte mir aber, dass die ein wenig überstürzt wirkende Abreise zu ihrer Mutter schon seit langem geplant war.“ Selbstironie kommt in der Regel beim Zuhörer gut an, denn Redner, die über sich selbst lachen können, wirken auf die meisten Menschen gleich sympathisch. Alternativ kann man auch mit einer oder mehreren Fragen (und evtl. Gegenfragen) in eine Rede einsteigen, um bestimmte Seiten des Themas mit einer Art verbalem Spotlight herauszustellen. Man kann auch versuchen, mit zugespitzten Formulierungen zu provozieren: • „Wer zuletzt lacht, lacht am besten, heißt es im Volksmund. Glauben Sie wirklich, dass das stimmt? Hat der so häufig bemühte Volksmund, der vom vielen Reden eigentlich permanent trocken sein müsste, tatsächlich Ahnung? Oder ist es nicht eher so, dass …“ • „Unser Vereinsjahr war spitze, sagen die Volleyballer. Kein Wunder, die sind ja auch aufgestiegen. Das war kein gutes Jahr, sagen die Fußballer. Kein Wunder, die sind abgestiegen. Und wie beurteilen wohl die Basketballer dieses Jahr? Oder die Kanuabteilung? Wir haben doch eine, oder? Männer, steht mal auf und lasst was von euch hören! …“ Viele Redner leiten den Vortrag auch gerne mit einem Zitat ein. Das kann eines aus dem unermesslichen Wissensschatz des Volksmundes sein, wie im Beispiel oben, oder die klugen Worte eines berühmten Mannes oder einer berühmten Frau. Das ist nicht verkehrt, denn Zitate sind in der Regel deshalb zu Zitaten geworden, weil sie einen Sachverhalt derart prägnant auf den Punkt bringen, dass es sehr schwer oder unmöglich ist, dies mit eigenen Worten genauso zu tun. Noch kreativer und individueller ist natürlich eine Redeeröffnung mit eigenen klugen Worten. Die Einleitung sollte den Zuhörern einen Eindruck davon vermitteln, wie der Redner persönlich zu dem behandelten Thema steht, aber keinesfalls den eigenen Standpunkt schon klarmachen und damit das Ende bereits vorwegnehmen. 4.4.2. Hauptteil und Schluss Das Wichtigste für den Hauptteil einer Rede ist die sorgfältige Gliederung. Um zu wissen, wie man ans Ziel kommt, muss man logischerweise das Ziel kennen. Deshalb denken Sie vor der Gliederung noch einmal genau darüber nach, was Sie mit der Rede aussagen wollen, denn auf dieses Ziel müssen Sie den Aufbau ausrichten. Besser reden
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Der Schluss einer Rede ist derjenige Teil, der beim Zuhörer in bester Erinnerung bleibt. Denn den Anfang könnte das Auditorium zu diesem Zeitpunkt längst vergessen haben. Am Schluss zieht die Rede Bilanz, fasst zusammen und bringt die Aussagen des Hauptteils zu einem runden Ende.
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Noch einmal in der Übersicht: In der Einleitung gewinnen Sie das Wohlwollen der Zuhörer und stellen Ihr Thema vor, im Hauptteil erläutern Sie z. B. anhand von Thesen und Argumenten (eine These ist eine Behauptung, ein Argument der Beweis für die Behauptung), warum das Thema wichtig ist, führen dazu einige Beispiele an und bieten den Zuhörern im Schlussteil Ihre Meinung, Ihre Sichtweise, Ihre Lösungsvorschläge noch einmal komprimiert dar. Der Rede-Duden führt einige Gliederungsmuster für die Strukturierung einer Rede an und eines, das sich recht universell einsetzen lässt, möchte ich hier wiedergeben: . Der Redner versucht das Wohlwollen seiner Zuhörer zu gewinnen, 2. schildert eine bestimmte Situation, 3. formuliert Ziele, 4. setzt sich mit gegnerischen Argumenten auseinander, 5. führt eigene Argumente ins Feld, 6. nimmt eine Gewichtung zu eigenen Gunsten vor, 7. appelliert an die Gefühle des Publikums, 8. macht einen Kompromissvorschlag.4
4.5.
Tipps zum Formulieren der Rede
Inzwischen wissen Sie, worüber und in welcher Reihenfolge Sie über Ihr Thema reden wollen, aber Ihnen fehlen noch einige Ratschläge zum „Wie“: n
4 46
Formulieren Sie präzise und seien Sie sparsam mit Fremdwörtern: „Wir brauchen mehr Transparenz, um die relevanten Produktionsabläufe zu optimieren“ – davon würde ich abraten. Besser: „Zu wenige Mitarbeiter wissen wirklich Bescheid, wie die Dinge hier im Haus ablaufen. Das wäre aber nötig, damit die wichtigste Arbeit auch tatsächlich am besten erledigt wird.“
Duden. Reden gut und richtig halten, S. 99. Besser reden
n
Hauen Sie ruhig mal mit einer provokanten Formulierung auf den Putz, nichts ist langweiliger als permanente Korrektheit: Sagen Sie lieber „Mir platzt gleich der Kragen“ als „Ich bin mit der Gesamtsituation ein wenig unglücklich.“
n
Seien Sie nicht nur objektiv, bewerten Sie Sachverhalte, bringen Sie die eigene Meinung ein.
n
n
n
n
Reden Sie nicht, wie Sie schreiben: Der ehemalige Leiter der Hamburger Journalistenschule Wolf Schneider weist in seinem Buch Deutsch für Profis darauf hin, dass sich mehr als die Hälfte aller Erwachsenen beim Zuhören Sätze nur bis zum 14. Wort5 merken können. Vermeiden Sie also Bandwurmsätze. Bringen Sie nicht nur Fakten, sondern auch Beispiele. „Es gibt zu wenige Kinderkrippen in Deutschland.“ Diese Aussage stimmt zwar, dürstet aber nach einem illustrierenden Beispiel: „Meine Nachbarin, eine junge Rechtsanwältin, sechs Jahre Studium, Prädikatsexamen, gerade mal drei Jahre Mitglied in ihrer Kanzlei und auf dem besten Weg, bald als Partnerin aufgenommen zu werden, musste diesen wunderbaren Job nach der Geburt ihres ersten Kindes aufgeben, weil Sie keinen Krippenplatz bekommen hat. Glauben Sie, dass Sie ihren wunderbaren Job in drei Jahren zurückbekommen wird? Ich nicht.“ Übertreiben Sie es nicht: Nicht jedes Ereignis bedeutet gleich den „Untergang des Universums“ und auch die „Existenz und der Fortbestand der Menschheit“ ist durch den Abstieg der Fußballer in Ihrem Sportverein nicht wirklich gefährdet. Wortspiele und Gegensätze lockern auf: „Trotz Schuhgröße 38 lebt Inge gern auf großem Fuß.“
n
Bildhafte Sprache (Metaphern) in Maßen einsetzen: „Das entsetzte Schweigen der Zuhörer war nicht vergleichbar mit dem Schweigen im Wald, es erinnerte mehr an die Ruhe vor dem Sturm.“ Das ist metaphorisch etwas dick aufgetragen. Wenn Sie es allerdings schaffen, diesen Satz mit einem süffisanten Lächeln und in ironischer Absicht vorzutragen, dann wirkt er vermutlich ganz gut.
n
Aktiv statt Passiv: „Es wird davon abgeraten, in einer Rede das Passiv zu verwenden“ – ich rate Ihnen dazu, besser das Aktiv zu verwenden.
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Verben statt Substantive: Verben machen eine Rede lebendiger, eine Häufung von Substantiven erinnert eher an Amtssprache. „Ich möchte meiner tiefen Abneigung gegen den seit 25 Jahren amtierenden Vereinsvorsitzenden endlich Ausdruck verleihen“. Sagen Sie es doch lieber so: „Ich kann den Vereinsvorsitzenden nicht ausstehen.“
n
Körpersprache: Versuchen Sie, Haltung, Mimik und Gestik im Idealfall synchron zum Inhalt Ihrer Worte zu gestalten. Wenn Sie über etwas Großartiges berichten, dann dürfen Ihre Augen ruhig leuchten und Ihre Schultern gestrafft sein. Stellen Sie nach Möglichkeit in regelmäßigen Abständen Blickkontakt mit dem Publikum her und blicken Sie nicht nur verschämt auf Ihr Blatt.
4
5
4.6. Die Diskussion In einer Diskussion hält nicht nur eine Person eine Rede, sondern viele: hintereinander, abwechselnd und sozusagen in miniaturisierter Form. Vergleichbar zur „großen“ Rede sollte man sich auch beim Beitrag zu einer Diskussion ein klares Ziel setzen: Was will ich sagen? Wie ist meine Haltung, meine Meinung zum Thema? In welcher Form und mit welchen Worten drücke ich das, was ich sagen möchte, aus? Ganz wichtig ist bei einer Diskussion das Thema! Es ist vorgegeben und für alle gleich. Das kommt für manche Teilnehmer einer Diskussion auch nach wiederholten Versuchen immer wieder über5
Wolf Schneider, Deutsch für Profis. Wege zum guten Stil, München: Goldmann, 999, S. 86. Besser reden
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raschend. Der unnötigste Satzbeginn in einer Diskussion ist dieser: „Ich weiß, es passt jetzt vielleicht nicht zum Thema, aber …“. Wenn es nicht zum Thema passt, dann sollte man es einfach weglassen. Die Teilnehmer einer Diskussion kennen also das Thema der Gesprächsrunde im Voraus und können sich dementsprechend vorbereiten. Über verschiedene Wege der Informationsbeschaffung habe ich in diesem Kapitel weiter vorne berichtet. Im Idealfall lebt eine Diskussion vom Sachverstand und der Fairness ihrer Teilnehmer. Es geht nicht um das Gewinnen, sondern um die Klärung eines Sachverhaltes. Selbstverständlich darf und sollte man als Teilnehmer einer Diskussion versuchen, die restlichen Diskutanten von der eigenen Sichtweise, von den eigenen Argumenten zu überzeugen, aber es gibt kein Recht auf das Rechthaben. In einer Diskussion geht es nicht an erster Stelle um einzelne Argumente und Meinungen, sondern um deren Beitrag zur Entscheidungsfindung über das „große Ganze“ – das Thema der Diskussion. Aus vielen in die Diskussion eingebrachten Einzelheiten ergibt sich am Ende ein Gesamtbild.
4
Damit dieses Vorhaben möglichst reibungslos klappt, sollte man im eigenen Interesse vor Beginn der Diskussion einen Diskussionsleiter bestimmen. Bei öffentlichen oder beruflichen Veranstaltungen ist dies sowieso die Regel, im privaten Umfeld bricht eine Diskussion aber unter Umständen aus heiterem Himmel aus. Da ist es dann oft so, dass einer oder mehrere der Beteiligten ohne vorherige Aufforderung zumindest strukturgebende Aufgaben des Diskussionsleiters übernehmen: aufgebrachte Teilnehmer beschwichtigen, zur Mäßigung auffordern, inhaltliche Klarstellungsversuche unternehmen. Der (offizielle) Leiter einer Diskussion sorgt für die Linie im Gespräch, er hält den „Laden zusammen.“ Üblich ist es auch, dass der Diskussionsleiter zu Beginn eine kurze Einführung in das Thema gibt. Zu seinen eher praktischen Aufgaben gehört es, sich mit den Teilnehmern vor dem Beginn über die Verfahrensweisen innerhalb der Gesprächsrunde zu verständigen: die Reihenfolge der Wortmeldungen, eine zeitliche Beschränkung der Redezeiten – ja oder nein; wenn ja, welche Länge; wie soll bei Zwischenfragen verfahren werden etc. In seinen einleitenden Worten, wie auch während der Diskussion insgesamt, sollte sich der Diskussionsleiter um Neutralität bemühen. Falls keine feste Reihenfolge von Wortmeldungen vereinbart wurde, gehört es zu seinen Aufgaben, die Diskussion durch eigene Anregungen bis hin zum Stellen gezielter Fragen in Gang zu halten. Dadurch können auch eher zurückhaltende Teilnehmer in die Diskussion eingebunden werden. Nach Abschluss aller Wortbeiträge zieht der Diskussionsleiter ein Fazit und fasst die Inhalte noch einmal kurz zusammen. Und nicht vergessen: vor Beginn der Diskussion die Teilnehmer begrüßen sowie nach dem Ende der Diskussion den Rednern für ihre Teilnahme danken und sie verabschieden. Im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung ist es durchaus üblich und sinnvoll, dass mitprotokolliert wird. Diese Aufgabe sollte der Diskussionsleiter nicht unbedingt zusätzlich übernehmen, denn das korrekte Mitschreiben fordert eine ganze Menge an Konzentration, die dann für die Diskussionsleitung fehlen würde. Wenn der Diskussionsleiter dies aber gerne zusätzlich machen möchte, dann würde ich es ihm nicht verbieten. Ansonsten – Freiwillige vor.
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Besser reden
Wichtig fürs Protokoll sind zunächst die nüchternen Fakten: Ort, Datum, Namen der Teilnehmer, des Diskussionsleiters, des Protokollführers, Beginn und Ende der Diskussion. Im weiteren Verlauf des Protokolls geht es darum, den Inhalt der Wortmeldungen der Teilnehmer inhaltlich korrekt und in sachlicher Form wiederzugeben. Bitte keine subjektiven Wertungen einfließen lassen. Es geht auch nicht darum, den Wortlaut der Redebeiträge zu zitieren, sondern deren Inhalt, deren Kernaussagen kurz und unverfälscht darzustellen:
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Richtig: „Herr XY hielt die Aussage Z für nicht korrekt. Dies begründete er wie folgt …“ mmm Falsch: „Nach einem umständlichen Auftakt mit einem etwas bemühten Witz über zwei japanische Schlittenhunde beim Segeln ging Herr XY auf den nebensächlichen Punkt Z ein, dessen abseitige Begründung ich Ihnen hier im Protokoll ersparen möchte.“ Die Form des fertigen Protokolls muss keinem bestimmten Layout folgen, aber die genannten formalen Punkte über Teilnehmer etc. sollten zu Beginn des Papiers genannt werden und zur besseren Übersicht eignet sich eine fortlaufende Nummerierung der Themen, Inhalte und Wortbeiträge. Verfassen Sie das Protokoll bitte nicht handschriftlich, sondern tippen Sie es am Computer und drucken Sie es für die Teilnehmer aus.
4.7. Gesprächsgestaltung Wir werden wieder kleiner in diesem Abschnitt. Von der Diskussion mit mehreren geht es zur Diskussion mit nur einem Gegenüber, dem Gespräch. Der Rede-Duden hat für das durchschnittliche Gespräch im beruflichen Alltag (über berufliche Themen) ein 5-Phasen-Modell6 entwickelt. In Phase , der Vorbereitung auf das Gespräch, überlegt man sich das eigentliche Ziel des Gesprächs. Was will man selbst erreichen und was will das Gegenüber, der Gesprächspartner, erreichen? Man sollte im Rahmen dieser ersten Phase über den möglichen und wahrscheinlichen Verlauf des Gesprächs nachdenken und sich Argumente und Fragen vorab zurechtlegen. In Phase 2, der tatsächlichen Gesprächseröffnung, werden die Weichen für den Verlauf des Gesprächs gestellt. Fangen Sie ruhig mit dem Wetter an. Es muss nicht wirklich das „Wetter“ als Thema sein, sondern es geht darum, ein gutes Allgemeingefühl beim Gegenüber herzustellen, für eine gewisse Lockerheit und Unbefangenheit zu sorgen. Bieten Sie Kaffee oder Mineralwasser an. Das erfüllt den gleichen Zweck. Schlecht wäre zur Gesprächseröffnung ein langer Monolog, dann hätten Sie Ihrem Gegenüber auch eine E-Mail schicken können. Nicht schlecht ist es, vor dem Gespräch auch über das Gespräch zu reden, z. B. über zeitliche Vorgaben („bis um 2 Uhr sollten wir fertig sein“), aber auch über die Art und Weise der Unterhaltung („wir können offen über alles reden“). In Phase 3, der Problemanalyse, kommt man zum Thema. Wichtig ist dabei, möglichst zügig herauszufinden, ob Sie und Ihr Gegenüber auch wirklich über ein- und dasselbe Thema reden wollen. Sie müssen dabei nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen und brüsk die Vorgabe aufstellen „Es geht
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Duden. Reden gut und richtig halten, S. 87 ff. Besser reden
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mir einzig und allein um diesen Punkt“, sondern Sie können dies etwas eleganter durch Fragen an Ihr Gegenüber klären, wie z. B. „Sehen Sie das ähnlich?“, „Haben Sie auch schon darüber nachgedacht?“, „Ich mache mir in letzter Zeit Gedanken über …?“. Fragen an und für sich sind im Verlauf eines Gesprächs nie verkehrt, denn die Antworten auf diese Fragen klären Sachverhalte und beugen Missverständnissen vor. Zusätzlich gewinnt man durch Fragen Zeit, auf evtl. unbekannte Argumente zu reagieren und sich eigene zurechtzulegen.
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In Phase 4, der Problemdiskussion und Lösungsfindung, tauschen die Gesprächspartner ihre Meinungen und Argumente aus und entwickeln davon ausgehend im günstigsten Fall neue Ideen oder vielversprechende Alternativen. Beide Partner sollten die Bereitschaft mitbringen, die eigenen Argumente und Ansichten zu überdenken und im Bedarfsfall zu korrigieren. Seien Sie offen für die Ideen Ihres Gegenübers. Es könnte schließlich sein, dass seine Sichtweise des Problems neue unerwartete Lösungsansätze aufzeigt, auf die Sie selbst ohne diesen zusätzlichen kreativen Input von außen nie gekommen wären. In Phase 5, der Abschlussphase, verständigen sich die Gesprächsteilnehmer auf einen gemeinsamen Stand der Dinge: Ich sehe das Ergebnis so. Sehen Sie das auch so? Dann fahren wir so fort, wenn das auch in Ihrem Sinne ist. Man hält das Ergebnis der Unterredung fest, klärt das weitere Vorgehen, benennt Gemeinsamkeiten und Gegensätze und fasst möglicherweise noch einmal die im Gespräch gefallenen Argumente zusammen. Und vergessen Sie die höfliche Verabschiedung nicht. Das vorgestellte Modell ist ein Idealtypus und es wird für ein berufliches Problem nicht immer eine für beide Gesprächspartner befriedigende Kompromisslösung geben. Aber es ist auf jeden Fall empfehlenswert, sich wenigstens die Argumente des Gegenübers offen und unvoreingenommen anzuhören. Man muss sie nicht teilen oder akzeptieren, aber so viel Fairness sollte sein.
4.8. Die Begleitmusik von Rede, Diskussion und Gespräch – die Prosodie Prosodie kommt – in einem Kapitel über Rhetorik überrascht das nicht – aus dem Griechischen und war in der antiken Verslehre der Fachausdruck für die Analyse von Silben nach ihrer Länge und Tonhöhe. Heute bezeichnet „Prosodie“ in der Sprachwissenschaft „für die Gliederung der Rede bedeutsame sprachlich-artikulatorische Erscheinungen wie Akzent, Intonation, Pausen o. Ä.“7 Mit „Rede“ meint der Duden übrigens den normalen Sprechakt an und für sich und nicht „die Rede“. Zu den prosodischen Begleitsignalen des gesprochenen Wortes gehören, wie schon genannt, Akzent, Intonation (Betonung), Pausen. Ferner Aussprache, Tonfall, Stimmlage und Lautstärke. Der in diesem Kapitel schon häufiger genannte Volksmund hat eine eigentlich viel knackigere Definition von Prosodie: Der Ton macht die Musik! Und sicherlich jeder von uns hatte auch schon einmal den Eindruck, „von oben herab“ behandelt worden zu sein. Unter Umständen hat man sich
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Duden. Deutsches Universalwörterbuch, hrsg. und bearb. vom Wissenschaftlichen Rat und den Mitarbeitern der Dudenredaktion, 3., völlig neu bearb. und erw. Auflage, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag, 996, S. 89. Besser reden
aber auch schon selbst, in einem absoluten Einzelfall natürlich, „im Ton vergriffen“. Alles Bezeichnungen aus dem Bereich der Prosodie. Die Aussprache oder der Akzent: Die zusätzliche Beherrschung eines Dialekts neben dem Hochdeutschen ist etwas Schönes, denn Dialekte sind sprachlich oft sehr kreativ und erzeugen unter Dialektsprechern ein größeres Gefühl emotionaler Verbundenheit als die Hochsprache. Aber man muss trennen und umschalten können, denn ein Dialekt weckt unter Umständen beim Gegenüber bestimmte landsmannschaftliche Vorbehalte (die geizigen Schwaben, die grantigen Bayern usw.) und lässt den Sprecher sofort weniger kompetent wirken.
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Der Tonfall und die Stimmlage: Menschen empfinden in der Regel ruhige tiefere Stimmlagen als angenehm und hohe, schrille Stimmen als unangenehm. Eine tiefe Stimmlage wirkt ruhig und gelassen, eine angehobene oder erhobene Stimme aufgeregt und eindringlich. Darauf kann man bei sich selbst und auch beim Gesprächspartner achten. Falls Ihnen Ihr Berater in der örtlichen Sparkasse mit gepresster, um eine Oktave erhöhter Stimme ein „absolut, risikoloses Wertpapier aus den USA“ anpreist, dann lassen Sie den Ankauf lieber bleiben. Falls nun aber am 24.2. bei Ihnen zuhause der Weihnachtsbaum Feuer fängt, wäre es empfehlenswert nicht im tiefsten, entspanntesten BassBariton ein unaufgeregtes „Hallo Schatz, es brennt ein wenig“ in die Küche zu Ihrer Frau zu säuseln. Ein hysterisches, fistel-stimmiges „HILFEEEE, FEUER!!!“ ist in diesem Fall eher angebracht. Die Betonung: Die Betonung macht bestimmte Wörter und Aussagen wichtiger oder weniger wichtig. Die Betonung lenkt die Aufmerksamkeit des Zuhörers und strukturiert Aussagen. Gleichförmige bzw. fehlende Betonung sorgt zudem für langweilende Monotonie. Die Lautstärke: Ein beliebter Trick, andere zum Zuhören zu bringen oder beim Zuhören bei der Stange zu halten, ist es übrigens, ganz leise zu reden. Da müssen sich die Zuhörer nämlich sehr auf den Redner konzentrieren. Normalerweise ist es aber so, dass man als Redner die Stimme und die Lautstärke anhebt, wenn man etwas besonders Wichtiges sagen und die Aufmerksamkeit der Zuhörer entsprechend dahin lenken möchte. Das Leise-Sprechen wiederum macht Aussagen auch persönlicher, vertraulicher oder sogar geheimnisvoller. Die Sprechgeschwindigkeit und die Pausen: Pausen setzen wie Betonungen ebenfalls Bedeutungsmarkierungen. Eine lange Pause vor oder nach einem bestimmten Wort hebt dieses heraus. Abgesehen davon strukturieren Pausen Redeinhalte und erleichtern das Zuhören. In Sachen Sprechgeschwindigkeit ist es so, dass schnelles, hastiges Reden aufgeregt, unkonzentriert und möglicherweise geschwätzig wirkt. Zu langsames Sprechen wirkt dagegen unbeteiligt, desinteressiert oder im schlimmsten Fall als Zeichen mangelnder Intelligenz. Deshalb – die goldene Mitte wählen. Aber variieren Sie ruhig das Redetempo innerhalb einer längeren sprachlichen Aussage (natürlich muss das Tempo zum Inhalt passen), das sorgt für Abwechslung.
Besser reden
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Lektüretipps: – Thilo von Trotha, Reden professionell vorbereiten. So gewinnen Sie Ihre Zuhörer, 5. Aufl., Regensburg: Wallhalla Fachverlag, 2008 (272 S.).
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Der ehemalige Reden-Schreiber von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt und Gründer des Verbandes der Redenschreiber deutscher Sprache schreibt deutlich weniger förmlich als der Rede-Duden über die Kunst, eine gute Rede zu verfassen. Die Formulierungs- oder Redebeispiele sind aber meist aus dem politischen oder öffentlichen Leben gewählt und nicht direkt “volksnah“. – Die deutsche Internetbibliothek: http://www.internetbibliothek.de/dib/ Wäre es nicht toll, wenn Sie bei Ihrer Recherche für eine Rede jemanden fragen könnten, wie hoch die optimale Luftfeuchtigkeit in geschlossenen Räumen sein soll? Kein Problem, schicken Sie eine E-Mail an die Bibliothekare der Deutschen Internetbibliothek, einem Kooperationsverbund von rund 00 Bibliotheken für E-Mail-Auskunft und Bereitstellung von Link-Katalogen zu zahlreichen Themengebieten. – Das Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages: Auf der Startseite http://www.bundestag.de/aktuell/tv/index.html können Sie auswählen, ob Sie die aktuelle Sitzung live übers Internet verfolgen möchten. Sie können auch im Audiovisuellen Archiv per Video-on-Demand nach früheren Reden und Debatten aus dem Bundestag stöbern.
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Besser reden
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Formulieren und Mitreden
5.1. Einleitung mit Goethe und Wolfsheim
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Das Leben geht schnell vorbei. Das ist eine physikalische Tatsache, vor allem wenn man die Dauer eines Menschenlebens mit dem Alter des Weltalls vergleicht. Es ist aber auch eine meist bittere Erkenntnis des älter werdenden Menschen, wenn die Zeit immer schneller vorbeizurasen scheint, wenn ein Jahr nur noch wenige Monate dauert und wenn aus dem abstrakten Konzept von Vergänglichkeit ein konkretes wird, weil die ersten Freunde sterben. Der erste Formulierungsvorschlag für diesen Sachverhalt, für diese Reise des Menschen vom Leben zum Tod, gleich am Kapitelanfang, hieß: „Das Leben geht schnell vorbei.“ Das kann man besser formulieren, z.B. wie Goethe im Faust – Erster Teil. Ganz zu Anfang in der Zueignung, begegnet der Erzähler den Schatten seiner Vergangenheit: Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten, Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt. (…) Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage, Und manche liebe Schatten steigen auf; Gleich einer alten, halbverklungnen Sage Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf; Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage Des Lebens labyrinthisch irren Lauf Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.
Vergleichen Sie diese Version mit der Ein-Satz-Variante: „Das Leben geht schnell vorbei.“ Da fühle ich mich persönlich von Goethe besser darüber informiert, was das Vergehen des Lebens für den Betroffenen bedeutet. In der Zueignung stecken viele Emotionen. Erste Liebe, erste Freundschaft, Schmerz, Freude, Enttäuschung und Tod. Nicht schlecht für 67 Wörter. Der nächste Formulierungsvorschlag für den immer noch gleichen Sachverhalt stammt von der deutschen Band Wolfsheim: die Single „Kein Zurück“ 2 aus dem 2003er Album Casting Shadows. Es geht kein Weg zurück. Weißt du noch, wie es war, Kinderzeit, wunderbar Die Welt ist bunt und schön, bis du irgendwann begreifst,
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Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Zeile –2, 9–6. Kein Zurück von Wolfsheim, getextet von Peter Heppner und Markus Reinhardt, Album Casting Shadows. Formulieren und Mitreden
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das nicht jeder Abschied heißt, es gibt auch ein Wiederseh‘n. Immer vorwärts, Schritt um Schritt es geht kein Weg zurück,
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was jetzt ist, wird nie mehr ungescheh‘n. Die Zeit läuft uns davon, was getan ist, ist getan, was jetzt ist, wird nie mehr so gescheh‘n. Es geht kein Weg zurück (…)
Der ganze Song ist 3:50 Minuten lang, dieser Ausschnitt umfasst 73 Wörter, sechs mehr als beim Faust-Beispiel. Es ist erstaunlich, was man in 67 respektive 73 Worten über die Vergänglichkeit der irdischen Existenz sagen kann. Meine persönliche Lieblingszeile ist: „Die Welt ist bunt und schön, bis du irgendwann begreifst, das nicht jeder Abschied heißt, es gibt auch ein Wiederseh‘n.“ Diesen Satz kann man auch direkt mit der Variante vergleichen: n
Das Leben geht schnell vorbei.
n
Die Welt ist bunt und schön, bis du irgendwann begreifst, das nicht jeder Abschied heißt, es gibt auch ein Wiederseh‘n
Ich denke, eine überwiegende Mehrheit der Leser bzw. Zuhörer würde sagen, der Satz von Wolfsheim rechts oben habe sie mehr berührt, habe die Dinge mehr auf den Punkt gebracht. Das würde ich auch so sehen. Ein wichtiger Unterschied der beiden Formulierungen liegt in der Perspektive. „Das Leben geht schnell vorbei“ beschreibt einen Vorgang, aber kein Gefühl. Die Texter des Wolfsheim-Songs stellen nicht das physikalische Verstreichen der Zeit in den Vordergrund, sondern ihnen geht es um die Gefühle, die Emotionen, die das Verstreichen der Zeit in einem Menschen auslöst. Sie machen den Satz durch die direkte Ansprache mit „du“ persönlich und stellen mit der Wahl des Verbs „begreifen“ heraus, dass es um die Gefühle geht, die mit der Erkenntnis über das Älterwerden verknüpft sind. Der Anfang, „Die Welt ist bunt und schön“, ist absichtlich einfach in Kindersprache geschrieben und erzeugt einen wirkungsvollen Kontrast zu der reifen, erwachsenen Einsicht, dass irgendwann im Lauf des Lebens Abschiede endgültig werden. Die Formulierung mit dem Gegensatzpaar von „Abschied“ und „Wiedersehen“ ist treffend gewählt. In Kapitel ging es u. a. auch um die Nebenbedeutungen von Wörtern, die Konnotationen, die Begleitgefühle beim Leser oder Hörer erzeugen. Davon gibt es in diesen Zeilen eine Menge. Bei „Die Welt ist bunt und schön“ denkt jeder sofort an Kinder, Kindheit, unschuldiges Glücksempfinden und positiv-naive Zukunftsgläubigkeit. Die Metapher (bildhafte Umschreibung) vom Abschied, der nicht immer auch ein Wiedersehen bedeuten muss, beschreibt in prägnanter Form den Kreislauf des Lebens an und für sich, nur eben nicht in einer so langweiligen Formulierung wie „Kreislauf des Lebens an und für sich“. Bei Abschied und Wiedersehen tauchen sicher bei jedem Leser bzw. Hörer viele Bilder und Gedanken über individuelle Erlebnisse auf: Freunde, die man lange nicht mehr gesehen hat; das Lieblings-Kuscheltier aus Kindertagen, das verloren ging; die erste Freundin; der erste Freund; die erste ernsthafte Liebe, die in die Brüche ging… Solche Gedanken, Erinnerungen und Emotionen lassen sich je nach Formulierung leichter oder schwerer erwecken. Manchmal liest oder hört man etwas und fühlt sich bewegt oder sogar ergriffen. Das liegt daran, dass der betreffende Ausdruck oder die betreffende Formulierung gewisse Saiten in 54
Formulieren und Mitreden
der eigenen Seele zum Klingen gebracht hat, eine metaphorische Umschreibung dafür, dass eines oder mehrere der Begleitgefühle sich mit Ihren eigenen momentanen Emotionen überschneiden oder sogar decken. Jemand hat mit einer Aussage „ins Schwarze getroffen“. Und das ist, würde ich behaupten, ein guter Plan für dieses Kapitel über das Formulieren und Mitreden: Nach Möglichkeit versuchen, mit den eigenen Worten ins Schwarze zu treffen.
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5.2. Wie fange ich an? Sie fangen am besten mit etwas an, was Ihren Zuhörern vertraut ist. Am besten reden oder schreiben Sie insgesamt vorzugsweise über Dinge, die Ihre Leser oder Zuhörer kennen. Davon war bereits im Rhetorik-Kapitel 4 die Rede. Die Leute hören eher zu, wenn es um ein Thema geht, das sie kennen und das sie interessiert. Interessieren bedeutet dabei nicht automatisch Zustimmung. Auch Abneigung ist eine starke Form von Interesse. Über Reizthemen, also Themen, die erfahrungsgemäß große Zustimmung und große Ablehnung erzeugen, lässt sich wunderbar diskutieren, z.B. über Dieter Bohlen, Kuschel-Song-singende Schnuffel-Hasen aus der Klingeltonwerbung, Daily Soaps oder Liebesfilme à la James Camerons Titanic. Es lohnt sich immer, vor den ersten eigenen Worten darüber nachzudenken, wer die Zuhörer sind. Mit wem oder für wen rede ich denn da gleich? Was interessiert diese Leute möglicherweise, was nicht, wie sieht deren Bildungs- und Lebenshintergrund aus? Verstehen sie meine Lieblingsfremdworte oder sage ich es heute lieber auf Deutsch? Schauen diese Leute dieselben Sendungen im Fernsehen an, stehen sie auf dieselbe Musik wie ich? Finden sie Angela Merkel gut oder eher Gregor Gysi? Sind das Bayern-Fans oder Schalker? Interessieren sie sich überhaupt für Fußball oder sind das alle Golfer? Würden sie über einen schlüpfrigen Witz lachen oder mich aus dem Saal schmeißen? Kurz gesagt: Versuchen Sie, Ihre Zuhörer und Mitredner vor den ersten Worten einzuschätzen. Aufgrund dieses ersten Eindrucks (und natürlich Ihrer Redeabsicht) können Sie dann Ihre ersten Worte entsprechend formulieren. Ein paar Beispiele: • Familienfeier: Sie, Anfang zwanzig, unterhalten sich mit Ihrem Opa, Ende siebzig. Überlegen Sie, was einen Mann in diesem Alter interessiert, was ein bald 80-Jähriger schon alles erlebt hat. Ihr Opa kennt vermutlich das neue Album von Bushido nicht, aber er kann Ihnen erzählen, wie das damals mit dem Wunder von Bern, dem Sieg der deutschen Fuballnationalmannschaft bei der WM 954, wirklich war: „Du, Opa, hast du Fritz Walter eigentlich einmal live im Stadion gesehen? Du warst doch ein großer Fan vom . FC Kaiserslautern, hat die Mama mal erzählt?“ • Schulreferat: Wenn Sie bei Ihren Mitschülern, die sich für deutschen Rap interessieren, punkten wollen, dann spielen Sie zum Einstieg einen Sido- oder Bushido-Song auf Ihrem Handylautsprecher vor und verwenden Fachausdrücke wie „beef“ oder „aggro“. Wenn Sie eher bei Ihrem Lehrer punkten wollen und eventuell auf eine gute Note angewiesen sind, dann bleiben Sie lieber bei der deutschen Hochsprache und verwenden einen allgemein bekannten Wortschatz. Der Einstieg mit dem Bushido- oder Sido-Song wäre dagegen nicht verkehrt, wenn es z. B. in dem Referat tatsächlich um deutschen Rap ginge. Formulieren und Mitreden
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• Ein Gespräch in größerer Runde über ein politisches bzw. gesellschaftliches Thema: Ich behaupte jetzt einfach, Politik sei ein interessantes Gesprächsthema, weil es uns alle konkret betrifft. Irgendetwas weiß jeder über Politik und eine Meinung hat auch fast jeder über Politik. Meistens eine schlechte. Dies ist dann eine schlechte Ausgangslage für ein Gespräch über ein politisches Thema: „Die machen doch eh, was sie wollen.“ „Das nützt ja alles nichts.“ „Am Schluss zahlt eh wieder nur der Wähler die Zeche“ usw. Diskutieren Sie bitte nicht auf diese Art. Das ist langweilig für alle Beteiligten. Und fast immer faktisch unrichtig. Hören Sie lieber zu, worüber konkret gesprochen wird und greifen als Einstieg für Ihren eigenen Wortbeitrag ein Argument oder eine Behauptung Ihres Vorredners heraus. Dieser Aussage können Sie dann zustimmen oder sie ablehnen und darauf aufbauend anschließend Ihre eigene Sicht der Dinge darstellen.
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Als Anregung liste ich Ihnen einige mögliche Formulierungen für den Einstieg in einen Wortbeitrag auf: . Mit einer einleitenden Verständnisfrage. Das zeigt, dass Sie zugehört haben. Jeder Mensch mag es, wenn man ihm den Eindruck vermittelt, dass man ihm zugehört hat: • Wenn ich das gerade richtig verstanden habe, dann geht es doch darum … • Ich bin mir nicht sicher, ob das so gemeint war, aber du hast gerade gesagt, dass es sich (soundso) verhält … • Du hast gesagt, das ist (soundso). Ich habe das hoffentlich richtig verstanden. Mir geht es dabei aber so … 2. Mit einer rhetorischen Frage, also einer Frage, auf die man die Antwort schon kennt und die in diesem Zusammenhang dazu dient, die eigenen Behauptungen und Argumente einzuleiten: • Bei all den Sachen, die ich bisher gehört habe, hat mir eines gefehlt: Warum hat niemand über das (soundso) geredet … • Ich hoffe, ihr nehmt mir das nicht übel, aber ich habe eine ganz einfache Frage … • Ich bin ja kein Experte, aber ich denke, mit dem (soundso) verhält es sich (soundso) … 3. Mit einem Zitat: Dieser Einstieg mit den klugen Worten kluger Menschen ist bei einem ausgearbeiteten Wortbeitrag wie einem Referat oder einer Rede einfacher, da kann man vorher nachschlagen. Für den eher allgemeinen, spontanen Gebrauch in freier Rede kann man sich aus Lexika einen eigenen breit gefächerten Zitatenschatz zulegen oder man hält sich überwiegend an den sogenannten Volksmund. Dies hat den Vorteil, dass die Zuhörer in der Regel mit dem entsprechen den Zitat schon vertraut sind und wissen, was Sie damit sagen wollen. Das ist gleichzeitig auch der Nachteil dieser Zitier-Methode: Die Zitate sind bekannt und nicht mehr so taufrisch und originell. Ein paar Klassiker aus dem Volksmund: 56
Formulieren und Mitreden
• Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. • In der Kürze, liegt die Würze. • Wer zuletzt lacht, lacht am besten.
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• Der frühe Vogel fängt den Wurm. • Ehrlich währt am längsten. • Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss der Berg zum Propheten kommen3. • Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. • Eine ganze Reihe sehr bekannter Zitate im Deutschen stammt übrigens nicht nur von Goethe, sondern gerade auch aus dem schon zitierten Faust - Erster Teil: Pudels Kern; A und O; grober Klotz auf groben Keil; viel Licht viel Schatten; Gelassenheit bei der Aussprache großer Wörter; die Geister, die man rief; die zwei Seelen in einer Brust; es irrt der Mensch, solang er strebt; usw. Mit der Ausnahme „Raum ist in der kleinsten Hütte“, dieses Zitat stammt von Friedrich Schiller. 4. Mit weiteren Zitaten – nun keine aus dem Volksmund, sondern aus den Lehrbüchern des Hauptkurses. Dort beginnt jedes Kapitel mit einem Zitat, das in prägnanter Art und Weise auf den Inhalt des Kapitels verweist. Vielleicht können Sie das eine oder andere für Ihre eigenen Wort- oder Schriftbeiträge verwenden. Die nachfolgenden Zitate sind aus allen drei Lehrbüchern zusammengetragen und hinter dem eigentlichen Text steht in Klammern das dazugehörige Kapitelthema. • Der Worte sind genug gewechselt, Laßt mich auch endlich Taten sehn! Indes ihr Komplimente drechselt, Kann etwas Nützliches geschehn.4 (Rhetorik) • Wer gut reden will, muss erst gut nachdenken. (Referat) • Eine Diskussion ist unmöglich mit jemandem, der vorgibt, die Wahrheit nicht zu suchen, sondern schon zu besitzen. (Diskussion) • Man soll allen trauen und am meisten sich selber. (Vorstellungsgespräch) • Nachricht ist, was sich unterscheidet. (Nachricht, Reportage, Feature) • Schlagt ihn tot, den Hund. Es ist ein Rezensent. (Rezension und Kritik) • Seien Sie nie mit einer einzigen Meinung zufrieden! (Erörterung) • Solange man mit dem Fernseher keine Fliege totschlagen kann, wird er die Zeitung nicht ersetzen. (Printmedien) • Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. (Objektivität, Subjektivität und Wahrheitsgehalt) • Fernsehen ist ebenso wenig schädlich, wie Wein schädlich ist, krankhaft ist lediglich die Unfähigkeit, mit dem lustversprechenden Angebot umgehen zu können. (Medienwirkung) 3 4
Ein populäres, aber eventuell schwer verständliches Zitat, das im Kern besagt: Wenn ein Problem nicht auf eine bekannte Art und Weise gelöst werden kann, dann sollte man es mit einer neuen ungewöhnlichen Methode versuchen. Es wird Sie nicht mehr wundern: Das Zitat stammt aus dem Faust – Erster Teil. Formulieren und Mitreden
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• Literatur ist die Kunst, Außergewöhnliches an gewöhnlichen Menschen zu entdecken und darüber mit gewöhnlichen Worten Außergewöhnliches zu sagen. (Was ist eigentlich Literatur?) • In den meisten Bühnenstücken fußt der Dialog auf der falschen Annahme, dass die Menschen einander ausreden lassen. Wo gibt es das im Leben? (Zeitgenössisches Theater)
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• Die Schriftstellerei ist, je nachdem man sie treibt, eine Infamie, eine Ausschweifung, eine Tagelöhnerei, ein Handwerk, eine Kunst, eine Wissenschaft und eine Tugend. (Kreatives Schreiben) 5. Mit einem aktuellen Aufhänger, also einem nicht allzu weit zurückliegenden Ereignis aus Politik, Sport, gesellschaftlichem Leben oder den Medien, das sich in einen Zusammenhang mit Ihrem Redebeitrag bringen lässt. In den folgenden Beispielen schlage ich erst ein mögliches (Diskussions-) Thema vor und biete dann einen denkbaren Einstieg mit einem Aufhänger an: • Thema: Was gefällt, was gefällt nicht am Fernsehen? Einstieg: Habt ihr das auch gesehen letzte Woche auf Pro7, die 00 langweiligsten Popsongs? Ich finde, es sollte auch mal eine Sendung geben über die 00 langweiligsten Moderatoren oder die 00 langweiligsten Sendungen. Ich hätte da gleich einige Vorschläge … • Thema: Ist Leistungssport empfehlenswert? Einstieg: Ich kenne die genauen Zahlen nicht, aber mir kommt es so vor, als wäre jeder Bundesliga-Profi mindestens drei Mal pro Saison verletzt. Der (Soundso) hatte schon die dritte Kreuzband-OP, der (Soundso) liegt seit Monaten mit einem Knöchelbruch flach und der (Soundso) hat, wie ich gestern bei FocusOnline gelesen habe, einen Antrag auf Sportinvalidität gestellt … • Thema: Macht viel simsen dumm? Einstieg: Im Begleitbuch für den Vorkurs Deutsch, das ich gerade lese, stand, dass pro Jahr über 2,5 Billionen SMS verschickt werden. Ich selbst habe auch ein paar hundert dazu beigetragen. Und ich frage euch mal direkt: Wirke ich einfältig auf euch? Oder habt ihr schon was gemerkt von der Verdummisierung der Welt, denn bei 2,5 Billionen SMS muss sich doch eine Wirkung gezeigt haben … • Thema: Politikverdrossenheit. Einstieg: Gestern habe ich in der Tagesschau einen Bericht über ein neues staatliches Programm zur Förderung des Mittelstandes gesehen. Und da habe ich mich ziemlich geschämt. Denn ich will nächstes Jahr selber mein eigenes Geschäft aufmachen und vielleicht bekomme ich da einen günstigen Kredit oder sonstige Hilfe. Und ich habe mich geschämt, weil es reiner Zufall war, dass ich an dem Abend die Tagesschau gesehen habe. Wie viele andere wichtige Sachen habe ich schon verpasst? Da hätte ich mich lieber schon früher mal ein bisschen mehr informiert …
Aufgabe 1: Überlegen Sie sich bitte zu den folgenden Themen einen möglichen Einstieg in eine Diskussionsrunde. Formulieren Sie Ihre Lösung in zwei bis drei Sätzen aus. . Thema: Arbeitslosigkeit. 2. Thema: Generelles öffentliches Rauchverbot in Deutschland. 3. Thema: Die Einführung von Parklizenzgebühren in Ihrem Stadtviertel. 58
Formulieren und Mitreden
5.3. Wie mache ich weiter? – Argumentieren Im antiken Griechenland, Sie erinnern sich an Kapitel 4, musste der Athener Bürger seine Anliegen in der Vollversammlung und vor Gericht selbst vortragen. Überlegen Sie bitte schon beim Lesen der folgenden kurzen Dialogszene von Rede und Gegenrede vor Gericht, wer den Rechtsstreit wohl gewonnen hat.
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Kläger Pilokrates: Mein Nachbar Atreides, dieser Schurke, hat mir am Sonntag zwei Amphoren besten Weins aus Ithaka gestohlen. Er hat stechende Augen, er grüßt mich nie und ich konnte ihn noch nie leiden. Deshalb, ich bin mir sicher, kann nur er der Täter sein. Angeklagter Atreides: Ich bestreite dies aus folgenden Gründen: Wie dieses ärztliche Attest des ehrwürdigen Hippokrates beweist, habe ich eine sehr starke Weinallergie. Gut, ich könnte den Wein ja einfach gestohlen und weggeschüttet haben. Wie Sie, hohes Gericht, aber sehen können, sind meine beiden Arme von der Schulter bis zu den Fingerspitzen eingegipst. Damit könnte ich wohl schwerlich zwei zentnerschwere Amphoren weggetragen haben, selbst wenn ich am Sonntag zuhause gewesen wäre. Was ich nicht war. Denn ich habe mir die Arme beim Jubel über meinen unerwarteten Sieg gebrochen. Am Sonntag, in Olympia, bei den großen Spielen, im Fünfkampf vor 50.000 Zuschauern.
Da fällt die Entscheidung nicht schwer: Freispruch mit Pauken und Trompeten für den Angeklagten, Fünfkampf-Olympiasieger Atreides. Denn er hatte Argumente und Kläger Pilokrates nur eine Meinung. Das ist das A und O beim Diskutieren. Wenn man etwas sagt, muss man es auch beweisen können. Zumindest wenn man Wert darauf legt, die anderen von der Richtigkeit der eigenen Ansichten und Aussagen zu überzeugen. In einer Diskussion stehen vielleicht die eigenen Ansichten etwas mehr im Vordergrund, in einem Referat eher die Fakten und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen. In beiden Fällen gilt jedoch das Gleiche: Behauptungen müssen durch Argumente bewiesen werden. Bedauerlicherweise ist die eigene Meinung allein noch kein Argument – auch die muss man erst beweisen. Da stellt sich die Frage, wann aus einer Aussage ein stichhaltiges Argument wird? Im Allgemeinen wird ein Argument als glaubwürdig akzeptiert, wenn es auf folgenden Gesichtspunkten beruht:5 • nachprüfbaren Sachverhalten und Tatsachen • allgemeinen Erfahrungen • allgemeingültigen Prinzipien, Wertvorstellungen und Normen • gesetzlichen Vorschriften • Zahlenbelegen und Statistiken • Forschungsergebnissen • Aussagen anerkannter fachlicher Autoritäten 5
Zitiert nach Ilse-Marie Harley, Dorothee Kuß-Peters, Bruno Otte, Klaus Schleifhacken, Sprechen, Schreiben und Gestalten. Deutsch für höhere Berufsfachschulen, Neusäß: Kieser Verlag, 995, S. 28. Formulieren und Mitreden
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Diese Methoden entdecken Sie bereits, wenn Sie sich noch einmal die Empfehlungen für den Gesprächseinstieg in Abschnitt 5.2. anschauen, denn da habe ich mich in den Beispielen auch auf anerkannte fachliche Autoritäten, wie die tagesschau, FOCUS Online, das Buch zum DeutschHauptkurs oder die Zitate berühmter Menschen (Autoritäten), bezogen. Der Verweis auf die 2,5 Billionen SMS bedient das Feld des nachprüfbaren Faktenwissens und die Zitate des Volksmunds verweisen auf allgemein gültige Wertvorstellungen, die so verbreitet sind, dass niemand sie ernsthaft anzweifeln würde.
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Wenn man Argumente für die eigenen Thesen (Behauptungen) gefunden hat, muss man diese auch schlüssig formulieren. Dafür eignen sich grammatische Konstruktionen mit Adverbialsätzen. Stichwort: weil, denn, da, deshalb. Adverbialsätze sind Nebensätze, die wie ihr Name besagt, beim Verb stehen. „Ad“ ist eine lateinische Präposition und bedeutet „zu, bei, an“ und „Verbum“ ist der lateinische Ausdruck für „Zeit-“ oder „Tätigkeitswort“. Ein Adverbialsatz ist also ein Nebensatz, der beim Verb steht und es somit näher erläutert. Im Deutschen gibt es eine ganze Reihe verschiedener Adverbialsätze mit unterschiedlicher Aussageabsicht, die man an den einleitenden Konjunktionen erkennen kann. Der wichtigste Adverbialsatz für das Argumentieren ist der Kausalsatz. Etwas ist soundso, weil … Da sich Folgendes soundso verhält, ergibt sich daraus diese Folgerung … Die maßgeblichen einleitenden Konjunktionen des Kausalsatzes heißen also weil und da. Mit diesen beiden Wörtern können Sie auch gedanklich vor dem eigentlichen Vortragen den Aufbau Ihrer Argumentation prüfen. Eine denkbare Argumentation könnte also so aussehen: „Ich behaupte Folgendes (…). Das behaupte ich deswegen, weil das so und nicht anders ist. (z. B. Die Sonne geht im Osten auf, weil sich die Erde um die Sonne und um ihre eigene Achse in umgekehrter Richtung von Westen nach Osten dreht.) Oder Sie stellen die Reihenfolge innerhalb der Argumentation um: „Da dies soundso ist, behaupte ich Folgendes“. (z. B. Da sich die Erde nicht nur um die Sonne dreht, sondern auch um ihre eigene Achse von Westen nach Osten, geht die Sonne immer im Osten auf.) Außer mit weil und da kann man kausale Zusammenhänge auch mit deswegen, darum, deshalb, so, weswegen oder weshalb begründen. Der Grammatik-Duden demonstriert diese Variationen am Beispiel einer Baustelle:6 „Es wird eine Baustelle eingerichtet, weswegen/weshalb es eine Umleitung gibt.“ „Es wird eine Baustelle eingerichtet; deswegen gibt es eine Umleitung.“ (Hier könnte man statt deswegen auch daher, deshalb oder darum einsetzen.) Wie bereits erwähnt: Die Grundstruktur einer Argumentation besteht aus einer These (Behauptung) und einem Argument (Beweis). Ein Argument kann zusätzlich durch ein Beispiel und weiterführende Argumente illustriert und noch beweiskräftiger gemacht werden. Wenn Sie sich ans Rhetorik-Kapitel erinnern, dann fällt Ihnen sicher auch die Pro-und-Kontra-Methode wieder ein. Dabei argumentiert man, indem man Thesen mit Gegenthesen und Argumente mit Gegenargumenten vergleicht. 6
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Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, hrsg. von der Dudenredaktion, bearb. von Peter Eisenberg, 6., neu bearb. Aufl., Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag, 998, S. 790. Formulieren und Mitreden
Wechseln Sie gerade bei längeren Diskussionsbeiträgen, Vorträgen oder Referaten gelegentlich den Argumentationsaufbau. Das heißt, reihen Sie Ihre Thesen und Argumente nicht nur wie Perlen nacheinander an einer Schnur auf, sondern probieren Sie auch die alternierende Pro-und-KontraMethode. Dabei werden Sie die Hilfe einiger weiterer Konjunktionen und Adverbialsätze schätzen lernen, die auch für das Formulieren von Sachverhalten allgemein hilfreich sind:
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• Konditionalsatz: mit den Konjunktionen wenn; falls; sofern sowie den komplexeren Fügungen im Fall, dass; unter der Voraussetzung, dass; unter der Bedingung, dass; vorausgesetzt, dass; gesetzt den Fall, dass. Ein Konditionalsatz drückt eine Bedingung oder Voraussetzung für das im Hauptsatz Gesagte aus. • Konsekutivsatz: mit den Konjunktionen dass, so dass. Ein Konsekutivsatz drückt eine Folge aus, z. B.: „Bei der letzten Fitness-Übung ging ich zu tief in die Knie, so dass ich nicht mehr alleine hochkam.“ • Finalsatz: mit den Konjunktionen damit, dass, auf dass oder als Infinitivkonstruktion mit um...zu. Ein Finalsatz drückt einen Zweck, ein Motiv, ein zu erreichendes Ziel oder auch eine bestimmte Eignung aus, z. B.: „Ich mache das Fenster auf, damit/dass/auf dass der Rauch abziehen kann.“ • Konzessivsatz: mit den Konjunktionen obwohl, obschon, obgleich, wenn auch, wenngleich, wennschon, ungeachtet, gleichwohl, trotzdem. Ein Konzessivsatz drückt eine Einräumung aus, benennt Grund und Gegengrund und gewichtet dieses Verhältnis, wie z. B. in der Konstruktion „Obwohl ich mich beeilte, kam ich zu spät“. Konzessivsatzkonstruktionen eignen sich übrigens gut für die Gewichtung von Argumenten und Thesen im Verhältnis zu den Gegenargumenten und Gegenthesen. Doch zunächst ein Beispiel für eine Kausalsatz-Verknüpfung von These und Argument mittels „weil“ aus einer Rede des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert vor dem Bayerischen Landtag in München7. „Es ist im Übrigen auch schwer zu übersehen, dass die konkreten Erwartungen an Regierungen und Parlamente sich nicht selten wechselseitig ausschließen, weil das, was die einen für absolut dringlich halten, die anderen mit Sicherheit für unzumutbar erklären und umgekehrt.“
Die Behauptung Lammerts lautet in eigenen Worten zusammengefasst also: Die Regierung erwartet etwas vom Parlament. Das Parlament erwartet etwas von der Regierung. Meistens schließen sich diese Erwartungen gegenseitig aus. Die Begründung, das Argument, dafür heißt: „weil das, was die einen für absolut dringlich halten, die anderen mit Sicherheit für unzumutbar erklären und umgekehrt.“ Aus derselben Rede noch ein weiteres komplexeres Beispiel mit Konditional- und Konsekutivsatzkonstruktionen. Und noch zur Erläuterung: Die Reden in deutschen Parlamenten werden mitprotokolliert und dabei werden, wie unten, in Klammern Zwischenrufe und Reaktionen aus dem Plenum ebenfalls festgehalten: 7
Rede „Föderalismus und Parlamentarismus“ des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, gehalten am 03.04.2008 vor dem Bayerischen Landtag: http://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden/2008/005.html Formulieren und Mitreden
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„Ich mache überhaupt kein Hehl aus meiner festen, in mehr als einem Vierteljahrhundert parlamentarischer Erfahrung gewachsenen Überzeugung, dass deutsche Parlamente nicht zu wenig, sondern zu viel Gesetzgebung machen
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(Beifall bei der CSU) und dass wir immer wieder von diesem Virus befallen sind, Themen, die fraglos bedeutend sind, erst dann für erledigt zu halten, wenn wir sie in Gesetzesform gegossen haben. Im Übrigen – diese Erfahrung werden viele von Ihnen teilen – regeln Gesetze immer angenommene Durchschnittsfälle. Genau diese Durchschnittsfälle kommen leider im richtigen Leben nicht vor, sodass wir, kaum dass ein Gesetz die angenommenen Durchschnittsfälle geregelt hat, über unsere Sprechstunden oder über Petitionen mit den tatsächlichen Fallkonstellationen konfrontiert werden und regelmäßig mit der erstaunten, meist dann auch empörten Nachfrage, ob das denn ernsthaft so gemeint gewesen sei. Die ehrliche Auskunft lautet dann regelmäßig: natürlich nicht. Und schon beginnt der Novellierungsprozess für das gerade abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren, das vielleicht besser von vornherein unterblieben wäre.
Lammerts Behauptung ist also zunächst: „Die deutschen Parlamente regeln zu viele Angelegenheiten durch Gesetze“ und die Ursache dafür, das ist sein Argument, liegt darin, dass „wir (Politiker) Themen erst als erledigt betrachten, wenn sie per Gesetz geregelt worden sind.“ Anschließend stellt er den (Un)Sinn der deutschen „Gesetzgebungswut“ durch ein weiteres Argument noch mehr in Frage: „Gesetze regeln nur Durchschnittsfälle und diese Durchschnittsfälle kommen im richtigen Leben gar nicht vor“. Und zum Schluss des Redeabschnitts illustriert er seine Argumente mit dem nachfolgenden „sodass“-Konsekutivsatz-Beispiel über die Folgen dieser aus seiner Sicht sinnlosen Gesetzgeberei anhand von realitätsfernen Durchschnittsbeispielen.
Aufgabe 2: Wie sehen Sie das? Gibt es in Deutschland zu viele Gesetze? Werden zu viele Angelegenheiten des öffentlichen Lebens durch Vorgaben der Behörden reglementiert? Überlegen Sie sich einige mögliche Argumente für und gegen diese These und formulieren Sie diese mit einem ansprechenden Einstieg aus. Lesen Sie aber vorher auch den nachfolgenden Absatz mit den Ratschlägen zur Argumentation ohne Nebensatzkonstruktionen.
So viel an dieser Stelle zu Norbert Lammerts Rede, zur deutschen Gesetzgebung und zu den Adverbialsätzen. Sie müssen nicht zwangsläufig die Zusammenhänge zwischen Thesen, Argumenten, Beispielen und Ergänzungen in einer Haupt- und Adverbialsatzkonstruktion ausdrücken. Sie können stattdessen auch Hauptsätze miteinander kombinieren und dazu braucht es oft nicht einmal spezielle Signalwörter wie die genannten Konjunktionen. Ein Beispiel aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung 8, in dem es um das Verbot von Glühbirnen innerhalb der EU geht: „(…) Die alten Glühbirnen fallen ihrer verschwenderischen Funktionsweise zum Opfer. Ihr Glühen verwandelt 95 Prozent der Energie in Wärme und nur den kleinen Rest in Licht (…).“ 8 62
„Die EU knipst das Licht aus“ von Christopher Schrader, in: Süddeutsche Zeitung vom 3.2.2008/0.0.2009, S. 8. Formulieren und Mitreden
Die These des Autors lautet: Die alten Glühbirnen fallen ihrer verschwenderischen Funktionsweise zum Opfer. Das Argument für diese Behauptung ist: Ihr Glühen verwandelt 95 Prozent der Energie in Wärme und nur den kleinen Rest in Licht.
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Zwischen den beiden Aussagesätzen könnte man sich auch ein „denn“ dazu denken oder man hätte die beiden Sätze auch konkret mit „denn“ und einem Komma verbinden können. Ebenso hätte man statt „denn“ auch eine andere Konjunktion wie „weil“ oder „da“ verwenden können. In Zeitungsartikeln werden Sie diese Variante ohne verbindende Konjunktionen häufig finden, denn zum journalistischen Stil gehören nun mal kurze Sätze und die Vermeidung üppiger Haupt- und Nebensatzkonstruktionen. Das erhöht die Lesbarkeit und die Verständlichkeit der Texte. Wenn Sie selbst einen Text schreiben, dann können Sie die Überlegungsprobe machen: Wäre der Zusammenhang zwischen diesen beiden Sätzen, zwischen These und Argument, auch ohne ein weil, da, deshalb, wenn etc. klar erkennbar? Wenn ja, dann können Sie die Konjunktion weglassen. Wenn nein, wenn sich der Zusammenhang für den Leser oder Zuhörer nicht ohne eine Wortergänzung nachvollziehen lässt, dann müssen Sie die entsprechende Konjunktion einfügen. Am besten wechseln Sie einfach alle paar Sätze und Argumente ab. Mal mit, mal ohne Konjunktion.
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Lektüretipps: – Die Reden des Bundestagspräsidenten in Schriftform unter http://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden/index.html.
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Dort finden sich nicht nur die Abschriften der Reden des derzeit amtierenden, sondern auch diejenigen ehemaliger Bundestagspräsidenten. Ganz abgesehen von den Reden – schauen Sie sich doch generell mal auf der Homepage des Bundestages um. Was Sie dort lesen, betrifft die Allgemeinheit. Auf der Seite finden Sie nahezu alles, was Sie schon immer über den Bundestag und seine Abgeordneten wissen wollten: Funktion und Geschichte des Parlaments, Verzeichnis aller Abgeordneter, eine Wissensdatenbank zu politischen Themen und einen Bestellservice für On- und Offlineinformationsmaterial. – Lesen Sie Zeitung. Lernen Sie von den Profis, wie man knackig formuliert. Am besten Sie kaufen sich zumindest einmal in der Woche eine der vier großen überregionalen Tageszeitungen: Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Welt oder Frankfurter Rundschau. Die journalistische Qualität dieser ist sehr hoch und verlässlich auf einem Niveau, das nicht unbedingt jede lokale Zeitung mit gleicher Regelmäßigkeit bieten kann. – Lesen Sie Bücher. Autoren ebenso wie Journalisten schreiben von Berufs wegen. Wenn es die nicht können, wer dann? Schauen Sie sich etwas ab. Mögen Sie Krimis – dann probieren Sie es doch mit einem Buch von Henning Mankell. Lieber Fantasy? Dann lesen Sie Robert Jordan, Das Rad der Zeit, oder den großen Klassiker von J.R.R. Tolkien, Der Herr der Ringe. Oder lieber einen Roman aus einem fremden unbekannten Kulturkreis? Versuchen Sie es z. B. mit Khaled Hosseinis Drachenläufer, der Geschichte einer Kindheit in Afghanistan. Lieber etwas von einem deutschen Autor? Ich persönlich mag Birgit Vanderbekes Bücher. Oder einen einheimischen Bestseller – Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt … Sie können sich auch einfach von der Spiegel-Bestsellerliste inspirieren lassen, die sogar in vielen Buchhandlungen aushängt, oder sich die gerade aktuelle Liste auf spiegel.de unter kultur/charts ansehen. – Falls Sie ein passendes Zitat suchen: Der Rede-Duden, den Sie schon aus Kapitel 4 kennen, listet auf knapp 300 Seiten Zitate zu Oberbegriffen von Aberglauben bis Zyniker auf. „Ich bin durchaus nicht zynisch“, sagte etwa der irische Dramatiker Oscar Wilde, „ich habe nur meine Erfahrungen, was allerdings ungefähr auf dasselbe herauskommt.“ Apropos Oscar Wilde, einer der größten und amüsantesten Zyniker der Literaturgeschichte – wie wäre es mit seinem Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“, entstanden Ende des 9. Jahrhunderts. Ein Roman über Moral, Kunst und Zügellosigkeit mit ein bisschen Grusel und Magie, denn aus irgendeinem finsteren Grund altert nur noch das gemalte Porträt des Helden und nicht mehr er selbst … • Wolf Schneider, Deutsch für Profis. Wege zum guten Stil, München: Goldmann, 999 (knapp 270 S.). Ein Buch von einem der angesehensten Journalisten Deutschlands für Journalisten, würde ich behaupten. Oder für zumindest sehr sprachinteressierte Normalbürger. Wirklich lehrreich, oft witzig, meist ein wenig von oben herab und teilweise im Stil ein wenig antiquiert wirkend. Aber Schneider hat mit seinen Anmerkungen zum guten Stil trotzdem immer Recht.
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6 Texte beurteilen 6.1. Einleitung mit Jakob Maria Mierscheid, Bundestagsabgeordneter, SPD-Mitglied und Schneidermeister ade
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Jakob Maria Mierscheid, SPD, ist der deutsche Vorzeigepolitiker schlechthin. Wie man seiner offiziellen Abgeordneten-Seite auf dem Server des Deutschen Bundestages (s. u.) entnehmen kann, opfert sich dieser Mann wahrlich für uns Bürger auf. Die Liste seiner Veröffentlichungen zu politischen Grundsatz- sowie tagesaktuellen Themen ist lang und seine Verweildauer im Bundestag ist noch viel länger (seit 979 ) – man muss zugeben, der Mann ist nicht nur klug, belesen und produktiv, er sieht auch noch gut aus.
Leider existiert Jakob Maria Mierscheid nicht in Wirklichkeit. Er ist eine Erfindung angeblich dreier SPD-Politiker aus dem Jahr 979. Humor und Politik sind zumindest in Deutschland nicht die engsten Weggefährten, deshalb ist es erstaunlich, dass sogar die hochoffizielle Bundestags-Homepage den Spaß mitmacht. Herr Mierscheid beantwortet übrigens sogar die an ihn gerichteten E-Mails. Was macht dieses frei erfundene Aushängeschild der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nun in einem Kapitel über die Beurteilung von Texten? Ein gutes Beispiel hoffentlich: Denn selbst wenn Sie in Ihrem Leben noch nie etwas von Herrn Mierscheids phantomhafter, auf einem Politikerscherz beruhenden Existenz gehört haben, müssten Sie beim Lesen seiner Biografie und seiner umfangreichen Texte beurteilem
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Veröffentlichungen den Braten riechen: Mierscheids Daten und Texte sind Ironie und keine sachliche Information! Woran kann man die Ironie erkennen:
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• An Mierscheids Foto in Schwarz-Weiß mit aufgemalter Brille (beliebter Schülerscherz)2. Auch die Titelangabe „Schneidermeister ade“ statt „a. D.“ (außer Dienst) ist bereits sehr humorverdächtig. • Die biografischen Daten passen zu perfekt zur damaligen idealtypischen Vorstellung eines SPD-Mannes und Hinterbänklers aus der Mitte der Arbeiterschaft: Geboren am 01. März 1933 in Morbach/Hunsrück, katholisch, verwitwet, vier Kinder. Katholische Volksschule in Morbach, Schneiderlehre in Simmern, Meisterprüfung 1956, Arbeiter in Morbach. Mitglied der Gewerkschaft Landwirtschaft und Forsten. Mitglied Kleintierzüchterverein Morbach. Mitglied Freiwillige Feuerwehr Morbach (seit 1977 Ehren-Kommandant). Mitglied der Turnfreunde (Kassierer 1977–1982). Ehrenmitglied des Sängerbundes Freie Gewerkschaft Holz und Kunststoffe – Beisitzer im Senioren-Vorstand. Mitglied weiterer Vereine und Verbände. Silberne Ehrennadel des Männergesangsvereins (MGV) Morbach.
• Mierscheids sozialdemokratische Bilderbuch-Vita könnte man unter Umständen noch für wahr halten, aber die nachfolgende Liste seiner politischen Arbeiten ist einfach zu absurd, um noch glaubwürdig zu sein: – 1967/1968: vierteilige Folge im Zentralorgan der Brieftaubenzüchter: „Die Reiseroute der geringelten Haubentaube und ihre Flugeigenschaften“. Nachdruck mit Genehmigung in der Eidgenössischen „Flugtauben-Correspondenz“ 1969. – 14.07.1983: Artikel im „Vorwärts“: „Mierscheid-Gesetz“ für die SPD. Neue Forschungsergebnisse zur Wahlprognostik. – 12.01.1985: Artikel im „Vorwärts“: Der Ausweg: Mehr Markt statt Korruption. – 1993: Ökologische Kenndaten zum FCKW- Ersatzstoff R 134a. Beitrag zum 3. Hoechster Steinlaus-Symposium, XII (3), Frankfurt/M. – 1986: Die Mierscheid-Akte. Dokumentarische Spuren eines Phantoms. Hrsg. von Peter Raabe, Hannover 1986. – 1998: Jakob Mierscheid, Aus dem Leben eines Abgeordneten: Eine politische Holografie. Herausgegeben von Dietrich Sperling und Friedhelm Wollner. – Übliche Mitarbeit in den Pressediensten. – Schwerpunkt der Arbeit: Allgemeine Sozialfragen, Probleme der Berufsausbildung, Aufzucht und Pflege der geringelten Haubentaube in Mitteleuropa und anderswo, Untersuchung des Nord-Süd-Gefälles im Bundesgebiet. – Mitglied des Deutschen Bundestages seit Ende 1979.
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Die Daten zu Jakob Maria Mierscheids beeindruckender politischer Karriere entstammen seiner Bundestags-Webseite: http://www.bundestag.de/mdb/miersja0.html Mierscheids Foto ist eine etwas verfremdete Version der ebenfalls fiktiven Figur Karl Ranseier aus der ehemaligen Comedy-Sendung „RTL Samstag Nacht“. Texte beurteilem
Typisch für die Ironie ist die enge Anlehnung an ihr nicht ironisches Vorbild, deshalb sind die Angaben in ihrer Form, Formulierung und Anordnung einer seriös gemeinten Abgeordneten-Biografie nachempfunden.
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Wie bereits in Kapitel erklärt, bedeutet Ironie im Grunde, das eine zu sagen, aber genau das Gegenteil davon zu meinen. Man könnte auch sagen, Ironie ist geheuchelte Wahrheit. Die Aussage „Du bist ein toller Typ“ z. B. kann ein Kompliment sein. Es sei denn, sie ist ironisch und damit eher nicht schmeichelhaft gemeint. Bei direkter zwischenmenschlicher Kommunikation lässt sich Ironie meist an nonverbalen Signalen gut erkennen, eine verächtlich hochgezogene Augenbraue, ein nachgemachtes Grinsen oder eine absichtlich übertriebene Betonung geben den entscheidenden Anhaltspunkt. Beim Lesen fallen diese zusätzlichen Signale weg. Deshalb ist Ironie in schriftlicher Form manchmal etwas schwer zu verstehen. Oft hilft aber eine einfache Besinnung auf den sogenannten gesunden Menschenverstand, d. h. eine Abwägung zwischen vorgeblich „echter“ Form und „falschem“ Inhalt. Selbst wenn Jakob Maria Mierscheid offiziell auf der Webseite des Deutschen Bundestages auftaucht, es kann einfach nicht mit rechten unironischen Dingen zugehen, wenn sich der Abgeordnete und Schneidermeister ade in seiner politischen Arbeit schwerpunktmäßig auf die Untersuchung des Nord-Süd-Gefälles im Bundesgebiet konzentriert …
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Aufgabe 1: Seien Sie ironisch. Überlegen Sie sich einige weitere politische Themen- und Einsatzgebiete für Jakob M. Mierscheid. Versuchen Sie aber dem feinsinnig ironischen Vorbild seiner bisherigen Vita zu folgen. Ironie ist umso „lustiger“, je weniger plakativ sie ausgedrückt ist. Also machen Sie Jakob M. Mierscheid nicht zum „. Vorsitzenden der mitteldeutschen Kampftrinkervereinigung “, sondern überlegen Sie, was „absurd“ an der realen Politik ist und bilden Sie daraus neue Aufgaben für den Abgeordneten Mierscheid. Denken Sie z. B. an Dinge wie die komplizierte Sprache in amtlichen Bekanntmachungen, die Fremdwort-Wut deutscher Politiker oder die Beschäftigung von Ämtern und Behörden mit noch den winzigsten Details unserer Existenz, z.B. der Frage „Wie krumm darf die Gurke sein…?“ (EU-Verordnung).
6.2. Lese ich da eigentlich – Nachrichten oder Meinungen? Die Welt ist voller Texte. Sie begegnen uns überall. Die Werbung an der Straßenbahnhaltestelle, die E-Mail im virtuellen Postfach, der Kommentar auf Seite 4 in der Süddeutschen oder, wie oben gesehen, auch Jakob M. Mierscheids Lebenslauf auf der Internetseite des Deutschen Bundestags. Die genannten Texte bestehen alle aus Wörtern, aber damit hören die Gemeinsamkeiten bereits auf. Die Werbung will ihr Produkt verkaufen, die E-Mail den sozialen Kontakt aufrechterhalten, der Kommentar überzeugen und Mierscheids Abgeordnetenprofil unterhalten. Texte haben eine Absicht und passen ihre Form und ihre sprachlichen Mittel dieser Absicht an. Das werden wir uns im Folgenden genauer anschauen. Auf Gebrauchstexte wie Bedienungsanleitungen, SMS-Botschaften und E-Mails gehe ich hier nicht näher ein, sondern konzentriere mich auf journalistische Textsorten. Über fiktionale Texte, also „ausgedachte Geschichten“, wie z. B. Romane, erfahren Sie mehr in den Literaturkapiteln am Ende des Buchs.
Texte beurteilem
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Aus Kapitel 3 wissen Sie schon, dass sich journalistische Texte zunächst in zwei Groß-Kategorien einteilen lassen: informative und meinungsäußernde. Zu den informierenden journalistischen Darstellungsformen gehören:3
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n
Nachricht – objektiv, sachlich, faktenorientiert
n
Bericht – der große Bruder der Nachricht, der neben den Fakten auch Vorgeschichte und Zusammenhänge des Ereignisses berücksichtigt.
n
n
Reportage – der ganz große Bruder der Nachricht, der neben den Tatsachen auch die persönlichen Erlebnisse und Eindrücke des Reporters in den Text einfließen lässt. Feature – der Bruder der Reportage, der aus
Fakten, individuellen Erlebnissen, Zusammen- hängen und Hintergründen heraus einen Sach- verhalt veranschaulicht und verallgemeinert. n
Interview – ein Gespräch zwischen Journalist und Auskunftsperson in einer Abfolge von Frage- und Antwort-Rhythmus.
n
Korrespondentenbericht – der Korrespondent interpretiert aufgrund seiner Personen- und Sachkenntnis meist am Ort des Geschehens Ereignisse oder Interview-Aussagen.
Meinungsäußernde journalistische Darstellungsformen sind:4 n
Kommentar – ein Journalist nimmt publizistische Stellung zu einem Ereignis, er äußert seine Meinung dazu.
n
Glosse – eine ironische, pointierte Form des Kommentars, „die Schwäche des Gegenstandes“ genau erfassend. Nicht argumentie-
rend, sondern bloßstellend, nicht abwägend, sondern hart, ironisch, witzig, listenrein … Die Pointe muss überraschend, überzeugend, schlagend sein.“10 n
Rezension – der Oberbegriff für Literatur- und Kunstkritik
Wie Sie auch schon aus Kapitel 3 wissen, gibt es außerdem Mischformen und die Übergänge zwischen den Textsorten sind mitunter fließend. Mit diesem Grundgerüst kann man aber Zeitungs- und Zeitschriftenartikel gut einordnen. Sie müssen als Leser nicht jeden Artikel hundertprozentig der einen oder anderen Sorte zuordnen können, das ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist jedoch, dass Sie einen essenziellen Unterschied erkennen: Sind das Fakten oder sind das Meinungen, die ich hier in diesem Artikel lese? Seriöse Journalisten und seriöse Medien kennzeichnen diesen Unterschied in ihren Texten. Sie als Mediennutzer haben schließlich einen Anspruch darauf, mitgeteilt zu bekommen, ob es sich bei dem Inhalt eines Artikels um objektive Informationen oder um subjektive Einschätzungen dieser Informationen handelt.
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Die Einteilung folgt im Wesentlichen dem journalistischen Standardwerk von Walther von La Roche, Einführung in den praktischen Journalismus, und Claudia Mast (Hg.), ABC des Journalismus, 0., völlig neue Aufl., Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, 2004. Walther von La Roche, Einführung in den praktischen Journalismus, S. 54. Bei der Süddeutschen Zeitung z. B. trägt die tägliche Glosse den Namen Streiflicht und steht auf der ersten Seite links. Texte beurteilem
Vergleichen Sie einmal diese beiden Zeitungsmeldungen über die Auslosung des Achtelfinales der Champions League-Saison 2008/2009. Die Süddeutsche Zeitung vom 20./2.2.2008 berichtet auf Seite : „FC Bayern trifft auf Sporting Lissabon Nyon – Der deutsche Fußball-Meister Bayern München spielt im Achtelfinale der Champions League gegen Sporting Lissabon. In der Zwischenrunde des Uefa-Cups kommt es zu folgenden Begegnungen mit deutscher Beteiligung … (Sport)“5 Die Bild-Zeitung vom 20.2.2008 schreibt, ebenfalls auf Seite : „Bayern lacht! Das leichteste Los Europas Ja, ist denn schon Weihnachten? Fürs Champions-League-Achtelfinale bekamen die Bayern mit Sporting Lissabon das leichteste Los geschenkt … (Sport)“6
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Beide Zeitungen berichten auf der ersten Seite über dasselbe Ereignis, aber in sehr unterschiedlicher Form. Bei der SZ ist es eine Nachricht, bei Bild ist die angebliche Nachricht eigentlich ein Kommentar – ein großer journalistischer Unterschied. Bevor wir die beiden Artikel genauer anschauen, eine Anmerkung: Der SZ-Artikel beginnt nach der Überschrift mit einer Quellenangabe über den Ort der Auslosung, nämlich Nyon. Nyon gibt es einmal in Frankreich und einmal in der Schweiz. Bild macht keine näheren Quellenangaben. Warum erwähne ich das überhaupt? Die Information Nyon ist hier in dieser Meldung nicht so wichtig, aber stellen Sie sich vor, die Meldung hieße „Tragischer Tod – Vater, Mutter und vier Kinder stürzen in den Tod!“ und davor stünde die Ortsangabe: „Kirgisistan“. An der Berichterstattung vom tragischen Tod einer vierköpfigen einheimischen Familie in Kirgisistan wären Sie vermutlich weniger interessiert als an dem einer deutschen Familie in Deutschland. Das klingt in diesem Zusammenhang kaltherzig, entspricht aber den journalistischen Grundregeln des Nachrichtenwerts. Ein Ereignis wird erst dann zu einer Nachricht in der Zeitung (oder anderen Medien), wenn es z. B. in der Nähe passiert. Der gerne bemühte Sack Reis, der in China umfällt, interessiert in Deutschland niemanden. In China möglicherweise schon. Mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn er dem chinesischen Staatspräsidenten auf den Fuß fällt. Folglich ist Prominenz ein weiterer Nachrichtenfaktor, ebenso Aktualität, Kuriosität oder Emotionalität. Außerdem berichten Medien natürlich (und meist an erster Stelle) über Ereignisse, die wirklich wichtig für den Lauf der Welt sind: Sie melden also Nachrichten über Politik und Wirtschaft. In diesem Zusammenhang hört man auch häufig die Begriffe „soft news“ und „hard news“, also übersetzt „weiche“ und „harte Nachrichten“. Als hard news werden die Nachrichten bezeichnet, bei denen die faktische Bedeutung im Vordergrund steht, in der Regel also die schon genannten Wirtschaftsund Politik-Meldungen. Die soft news sind die Nachrichten, die nicht wirklich faktisch bedeutsam sind, von denen der Journalist aber annehmen kann, dass sie die Leser, Hörer oder Zuschauer interessieren, z. B. Meldungen über Sportereignisse und Prominente. Jetzt aber zurück zu den beiden Zeitungsartikeln. In der vorher zitierten SZ hieß es: „FC Bayern trifft auf Sporting Lissabon Der deutsche Fußball-Meister Bayern München spielt im Achtelfinale der Champions League gegen Sporting Lissabon.“ In der Bild stand: „Bayern lacht! Das leichteste Los 5 6
„ FC Bayern trifft auf Sporting Lissabon“, in: Süddeutsche Zeitung vom 20./2.2.2008, S. . „Bayern lacht!“, in: Bild-Zeitung, Ausgabe München, vom 20.2.2008, S. . Texte beurteilem
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Europas Ja, ist denn schon Weihnachten? Fürs Champions-League-Achtelfinale bekamen die Bayern mit Sporting Lissabon das leichteste Los geschenkt …“ Der Aufbau einer journalistischen Nachricht ist im Prinzip immer gleich: Das Wichtigste kommt zuerst und jeder folgende Absatz ist weniger wichtig als der vorangehende. Sie können zuhause mal Folgendes mit einer Schere und Ihrer Tageszeitung ausprobieren: Schneiden Sie einen Artikel der . Seite von hinten Absatz für Absatz ab, bis nur noch die Überschrift übrig bleibt. Alleine anhand der Überschrift müssten Sie dann noch erkennen können, worum es in dem Artikel geht, was der Kern der Nachricht ist. Jetzt machen wir das mal mit den beiden kurzen Artikeln zum Los des FC Bayern. Für die SZ besteht der Kern der Nachricht aus der objektiven Wiedergabe der Fakten: „FC Bayern trifft auf Sporting Lissabon“. Der Bild-Journalist hat eine andere Meinung darüber, was das Wichtigste an der Nachricht ist: „Bayern lacht! Das leichteste Los Europas“. Die SZ informiert objektiv und in neutraler Formulierung über das faktisch Wichtigste, nämlich gegen wen der FC Bayern im Achtelfinale spielt, die Bild-Zeitungsüberschrift zielt primär auf die Emotionen des Lesers ab. „Bayern lacht“ ist keine Tatsache, sondern eine Behauptung des Verfassers ebenso wie „Das leichteste Los Europas“. Das denkt sich vielleicht der Journalist so und vermutlich denken das auch viele fußballinteressierte Leser, denn Sporting Lissabon war tatsächlich einer der leichteren Gegner im Lostopf, aber es bleibt trotzdem eine Vermutung und eine Übertreibung. Es ist ein nicht ganz unbedeutender Unterschied, ob Sporting Lissabon wirklich der schwächste Club im Achtelfinale ist oder ob der Verfasser des Artikels meint, dass dem so sei.
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Nach der Überschrift geht es im Bild-Artikel mit einer Anspielung auf eine ehemalige WerbespotReihe Franz Beckenbauers weiter und dann kommt noch eine zusätzliche Anspielung auf Weihnachten „…das leichteste Los geschenkt.“. Dazu zwei Zitate aus einem Journalisten-Handbuch: „Nachrichten schreiben verlangt Direktheit, Kürze, Prägnanz, Einfachheit und Klarheit der Sprache. In einer Nachricht sollte all das fehlen, was nicht unbedingt notwendig ist. Füllwörter und stilistische Verzierungen haben hier ebenso nichts zu suchen wie übertriebene oder ausschweifende Formulierungen (…) Ein wesentliches Kriterium für die journalistische Berichterstattung ist die Forderung nach Objektivität. Dies bedeutet, dass die Journalisten eine möglichst unparteiische Darstellung von den Ereignissen geben sollten; eigene Wertungen sind unzulässig. Die Präsentation soll faktenorientiert sein. Subjektiver Journalismus sollte auf die Meinungsdarstellungsformen beschränkt bleiben.“7
Die Bild und andere Boulevard-Zeitungen verkaufen gerne Äpfel als Birnen, sie geben Meinung als Information aus. Das muss man als Leser wissen und berücksichtigen, denn die Meinung der Bild über ein Ereignis muss schließlich nicht notwendigerweise mit dem tatsächlichen faktischen Informationsgehalt des Ereignisses übereinstimmen. Wie Sie an dem Beispiel oben sehen können, hat die Süddeutsche Zeitung in ihrer Meldung keine persönliche Meinung über die Auslosung des Achtelfinales der Champions League. Jedenfalls nicht 7 70
Claudia Mast (Hg.), ABC des Journalismus, S. 245. Texte beurteilem
auf der Nachrichten-Seite . Dort steht in der SZ die objektive, wertfrei formulierte Meldung. Weiter hinten im längeren Bericht des Sport-Teils spricht dann auch die Süddeutsche von einer glücklichen Auslosung für die Bayern. Dort kann sie das auch. Denn der Bericht, der große Bruder der Nachricht, darf ein Ereignis auch in seinen Zusammenhängen einordnen.
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Warum ignoriert der Verfasser der Bild-Meldung die journalistischen Grundregeln über Objektivität und Subjektivität? Ein Grund ist, dass die übertriebene Formulierung „das leichteste Los Europas“ den Nachrichtenwert steigert und sozusagen aus der Nachrichtenmücke einen Elefanten macht. Ein anderer Grund ist, dass Emotionen stärker sind als Vernunft. Die wertenden Formulierungen im Artikel appellieren mehr an die Gefühle des Lesers als an seinen Verstand. Wer Bayern-Fan ist, freut sich sofort über das Glückslos und kann weiter vom so heiß ersehnten Gewinn der Champions League träumen, wer kein Bayern-Fan ist, dem platzt sofort der Kragen über diesen ewigen Bayern-Dusel und diese nicht endenwollende Ungerechtigkeit der jüngeren deutschen Fußballgeschichte, die immer die überheblichen Münchener bevorteilt. Fazit: Eine Zeitung bzw. die Medien insgesamt berichten häufig über wichtigere Dinge als Auslosungen von Fußball-Spielen. Deshalb und speziell in diesem Zusammenhang mein Tipp: Bilden Sie sich wirklich Ihre eigene Meinung – indem Sie beim Lesen darauf achten, was Sie lesen: Fakten oder Ansichten über Fakten.
6.3. Hilfestellung für den Leser – die Ressorts Ich lese zur Informationsbeschaffung gerne Zeitung – und zwar eine der vier großen deutschen überregionalen Tageszeitungen. Die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine, die Welt und die Frankfurter Rundschau verfügen über eigene Korrespondentennetze, das macht sie unabhängiger vom Angebot der Nachrichtenagenturen. Die journalistische Qualität der Mitarbeiter und der Beiträge ist verlässlich hoch und die Themenvielfalt enorm. Zeitungen sind wie eine Wundertüte. Es steht alles drin und sie wird noch dazu per Post nach Hause geliefert. Mit dem „alles“ spiele ich auf die Einteilung von Zeitungen in unterschiedliche Themenbereiche, genannt Ressorts, an. In einer Tageszeitung stehen nicht nur Meldungen über Politik, sondern auch über Wirtschaft, Kultur, Sport und Lokales – womit ich die fünf klassischen Ressorts benannt habe. Diese Unterteilung in verschiedene journalistische Sach- und Fachgebiete findet sich auch bei anderen Medien wie Hörfunk, Fernsehen oder im Online-Journalismus wieder. Dort heißen die Ressorts aber in der Regel Redaktionen. Spiegel Online z. B. bietet auf seiner Webseite elf Registerkarten mit unterschiedlichen redaktionellen Inhalten von Politik über Wissenschaft bis Auto an. Aber zurück zur Tageszeitung: Im Seitenkopf oben auf jeder Seite steht, in welchem Ressort ich mich gerade beim Lesen befinde. Man würde bei einem Bericht über das 26:0 von Bayern gegen Sporting Lissabon vielleicht auch ohne die Angabe „SPORT“ im Seitenkopf bemerken, dass man gerade die Sportseiten liest, aber die Zeitungen geben innerhalb der Ressorts noch weitaus wichtigere Zusatzinformationen an: Sie kennzeichnen Meinungen und Nachrichten noch zusätzlich durch weitere Überschriften oder spezielle grafische Elemente wie Kästchen.
Texte beurteilem
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Im Seitenkopf der Seite 4 der SZ steht z. B. „MEINUNG“. Da kann ich mich als Leser entspannen, denn hier muss ich die Unterscheidung Fakten bzw. Meinungen nicht selber treffen. Die Zeitung weist mich schon von sich aus darauf hin, dass sie hier vom objektiven zum subjektiven Standpunkt wechselt. Das ist ehrlich und leserfreundlich.
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„DIE SEITE DREI“ der Süddeutschen ist für Reportagen und Features reserviert, die Glosse auf Seite , das Streiflicht, ist nicht ernst gemeint, der Kommentar im Wirtschaftsteil ist auch so betitelt und die Meinungskolumne im Sportteil ist an ihrer Umrahmung zu erkennen. Das ist ein toller Service – auch gerade für journalistisch nicht so versierte Leser, die sich manchmal möglicherweise schwer tun, Sachinformationen von Meinungen zu trennen. Außerdem sind Zeitungen wie Babuschkas. Sie kennen sicher diese russisch-folkloristischen Puppen? Erst eine große und dann viele andere, immer ineinander gesteckt, immer kleiner werdend. Ähnlich ist es bei einer großen Tageszeitung. Auf Seite steht die kurze Nachricht, die auf den folgenden Seiten des Politik-Teils zu einem Bericht anwächst, auf Seite 4 kommentiert wird und anschließend bei entsprechender thematischer Eignung zusätzlich in anderen Ressorts aus unterschiedlichen Blickwinkeln noch eingehender beleuchtet wird. Wenn ich etwas nicht gleich verstehe, dann lese ich den Artikel eben zwei Mal. Und dann den Kommentar zum Thema. Und die Hintergrundreportage. Und dann noch den Bericht über die möglichen Folgen für den Außenhandel im Wirtschaftsteil sowie auf den Sport-Seiten etwas über die eventuellen Auswirkungen im Hinblick auf die FußballWM 2022.
Aufgabe 2: Kaufen Sie sich eine der großen vier überregionalen Tageszeitungen (SZ, FAZ, Welt, Rundschau) und verfolgen Sie eine (oder mehrere) Themenkarriere(n). Schauen Sie sich an, wie die Redakteure eine ursprüngliche Nachricht in unterschiedlichen Darstellungsformen und verschiedenen Ressorts aufbereiten. Üblicherweise finden Sie am Ende eines Artikels in Klammern einen Verweis wie (Seite 6) oder (Sport), der angibt, wo Sie die weiterführenden Berichte, Kommentare etc. zum Thema finden können.
6.4. Hauptsachen in Hauptsätze – wie Journalisten schreiben Hauptsachen in Hauptsätze, Nebensachen in Nebensätze – diese Mahnung findet sich in vielen journalistischen Handbüchern. Wolf Schneider führt in seinem Deutsch für Profis ein sehr nettes Beispiel an, das die Berechtigung dieser Forderung beweist: „Der Bundeskanzler, der morgen seinen Rücktritt erklären will, ging heute zum Friseur.“8 So sollte man die Meldung über den Rücktritt des Kanzlers nicht formulieren. Es müsste natürlich heißen: „Der Bundeskanzler tritt morgen zurück.“ Die Hauptsache ist der Rücktritt, nicht der Friseurbesuch. Und die Information über den Friseurbesuch braucht man, ehrlich gesagt, überhaupt nicht. Lange Sätze – kurze Sätze? Bei dieser Entscheidung kommt es auch auf die journalistische Darstellungsform an. In eine Kurznachricht passen keine langen Sätze, in einem mehrspaltigen Bericht, 8 72
Wolf Schneider, Deutsch für Profis, S. 89. Texte beurteilem
einer ausführlichen Reportage oder einer umfangreichen Rezension dürfen auch mal längere Sätze stehen. Grundsätzlich schreiben Journalisten aber eher kurze Sätze, denn kurze Sätze sind verständlicher. Allerdings wären ausschließlich knappe Subjekt-Prädikat-Objekt-Sätze auf Dauer monoton: „Kurze Sätze sind meistens verständlicher und lesen sich oft angenehmer als lange Sätze – jedenfalls als solche Sätze, die verschachtelt und überfrachtet sind. Das Optimum an eingängigem und attraktiven Deutsch läßt sich durch einen lebhaften Wechsel von mäßig kurzen und mäßig langen Sätzen erzielen.“9
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Verben oder Substantive? „Her mit den Verben“ heißt der entsprechende Kapiteltitel bei Wolf Schneider. Es ist tatsächlich so, dass Verben (Tätigkeits- bzw. Zeitwörter) im Vergleich zu Substantiven (Hauptwörter) deutlich lebendiger wirken. Schauen Sie sich die beiden folgenden Versionen an: „Tarzan sprang hoch in die Luft, griff mit der rechten Hand nach der Liane, hielt sich scheinbar ohne große Anstrengung fest und schwang sich, während er sein berühmtes ‚A-aa-Ah-Ah‘ herausschrie, über die tosenden Wasserfälle.“ „Nach einem hohen Sprung Tarzans in die Luft erfolgte mit der rechten Hand ein Griff zur Liane, wobei das Festhalten scheinbar ohne große Anstrengung möglich war. Es schloss sich ein Schwung an, der ihn über die tosenden Wasserfälle hinweg beförderte, während dessen Durchführung er seinen berühmten Schrei ‚A-aa-Ah-Ah‘ ertönen ließ.“
Sie sind jetzt vermutlich eingeschlafen, denn die Substantiv-Version grenzt von der Spannung her doch deutlich ans örtliche Telefonbuch. Also, her mit den Verben. Adjektive? Journalisten verwenden Adjektive eher sparsam. Wolf Schneider z. B. scheint ein regelrechter Adjektiv-Feind zu sein, aber man muss dem ehemaligen Leiter der Hamburger Journalistenschule ja nicht in allem zustimmen. Richtig ist auf jeden Fall, dass Adjektive speziell im Nachrichtenjournalismus problematisch sind, denn Adjektive ergänzen die Bedeutung des Substantivs, bei dem sie stehen. Sie modifizieren, werten, relativieren, kommentieren. Das geht zu Lasten der Objektivität. Also, bei den Nachrichten Hände weg vom Adjektiv, bei anderen journalistischen Darstellungsformen wie der Reportage kommt man ohne nähere Beschreibungen nicht aus und da darf es auch mal ein Adjektiv sein. Schneider meint dazu fast versöhnlich: „Adjektive sind nur erlaubt, wenn sie unterscheiden, aussondern (…): Das blaue Kleid, nicht das grüne! Eine Form der Unterscheidung ist die Wertung: Ein sehenswerter Film!“0 Zur Unterscheidung: In einem literarischen Text sieht das mit den Adjektiven schon wieder ganz anders aus. Da möchte man gerne wissen, ob unser Held Zorro sich von einer hohen oder einer niedrigen Brücke auf den Rücken des vorbeijagenden und keineswegs lediglich vorbeitrabenden Pferdes von Don Lope de Vega stürzt, um sich einen heftigen oder zumindest einen ausdauernden oder noch besser einen brutalen Kampf mit seinem diabolischen, grausamen bzw. schurkischen Nebenbuhler zu liefern, der seiner (gemeint ist Zorros Gattin) bildschönen und obendrein tugendhaften sowie sittsamen Ehefrau nicht nur auf unflätigste, sondern auch auf abscheulichste und widerwärtigste Weise nachgestellt hatte. 9 0
Ebenda, S. 83. Ebenda, S. 42–43. Texte beurteilem
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Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen? – Seien Sie vorsichtig mit Metaphern, rät Walther von La Roche in seiner Einführung in den praktischen Journalismus. Das liegt nahe, denn Metaphern umschreiben einen eigentlichen Sachverhalt mit einer bildhaften Formulierung und im Journalismus geht es schließlich primär um die wirklichkeitsgetreue Darstellung des eigentlichen Sachverhalts. Aber erneut: In einem Roman darf Zorro gern in einem Meer von Tränen ertrinken, nachdem er das Kind aus Versehen mit dem Bade ausgeschüttet hat, wodurch ihm das Herz in die Hose rutschte. Wie man außerdem sehen kann, eignen sich Metaphern gut, um sich lustig zu machen. Dasselbe gilt übrigens auch für Adjektive: Der arme kleine Zorro, der tut mir jetzt richtig Leid, weil er das sicher sehr putzige und sehr kleine Kind mit dem vermutlich lauwarmen Bade versehentlich ausgeschüttet hat – durch die Adjektive wird der Satz ironisch.
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Die Inflation der Liquidität? Geizen Sie mit Fremdwörtern heißt La Roches Tipp in diesem Zusammenhang. Die beiden Fragen, die er Journalisten beim Texten empfiehlt, können Sie sich beim eigenen Schreiben auch stellen: Muss ich das Fremdwort nehmen, weil es kein deutsches Wort dafür gibt? Wenn ich ein Fremdwort benutze, kennen es die Leser? La Roche führt dazu auf den Seiten 07–08 eine Liste von 5 Fremdwörtern an, die er in drei Kategorien einteilt:2 – nötig und bekannt (A) – nötig, aber erläuterungsbedürftig (B) – unnötig, weil durch deutschen Ausdruck ersetzbar (C)
Aufgabe 3: Teilen Sie bitte diese Liste mit den 5 Fremdwörtern in die drei Kategorien A, B oder C ein und geben Sie bei Fremdwörtern der Kategorie B und C den erläuternden deutschen Begriff an. . Inflation 2. Kontext 3. Liquidität 4. Interdependenz 5. bilateral 6. Amnestie 7. Bonus und Malus 8. Plädoyer 9. Infektion 0. exorbitant . Lethargie 2. ex officio 3. Lombardsatz 4. Friktion 5. Konjunktur 2 74
Walther von La Roche, Einführung in den praktischen Journalismus, S. 06 ff. Ebenda, S. 07/08. Texte beurteilem
6.5. Meinung – wo sie hingehört und wo sie Spass macht Normalerweise müssen Journalisten immer objektiv sein. Sie dürfen und müssen zwar zu allem eine Meinung haben, nur sagen dürfen sie diese so gut wie nie. Es sei denn, sie schreiben auch für das Feuilleton. In diesem Kultur-Ressort sind nämlich die Buchrezensionen, Theater-, Film- und Fernseh-Kritiken angesiedelt. Im Feuilleton der SZ wird viel und auf sehr unterhaltsame Art und Weise verrissen. Besonders, wie angedeutet, Theaterproduktionen. Die Filmkritiken dagegen sind fast nur Beschreibungen und weniger kritisch.
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Mir gefällt das Feuilleton insgesamt, weil mir als Leser in diesem Ressort kluge und gebildete Personen endlich auch die zweite Dimension ihrer Fähigkeiten zeigen: Neben der Objektivität jetzt auch die Subjektivität. Richtig bissig wird es oft bei den Theaterkritiken und selbstverständlich bei den TV-Kritiken. „Selbstverständlich“ deshalb, weil das Fernsehen immer und überall als Prügelknabe für Kritiker jeder Art dient. Man kann schon darauf warten, dass sich verlässlich bereits Wochen und Monate vor der ersten Folge eines neuen Reality-TV-Formats Politiker, Feuilletonisten, Gegenwartsphilosophen oder kirchliche Vertreter zu Wort melden und den moralischen Untergang des Abendlandes beschwören – jedes Jahr etwa drei Mal aufs Neue. Oft trifft es in der TV-Kritik aber auch die Richtigen. Und dann ist es schön, wenn Evelyn Roll für die SZ zuschaut und ihre objektiven mit ihren subjektiven Analysefähigkeiten paart. Die folgende Kritik der beiden Jahresrückblicks-Sendungen von RTL und ZDF erschien am 9. Dezember 2008 auf der Medien-Seite der SZ3. Viel Vergnügen beim Lesen. Häng, häng, häng! Jahrmarkt 2008: Das absurde TV-Rückblick-Duell von RTL und ZDF Warum machen die so was? Warum veranstalten ZDF und RTL zur gleichen Sendezeit diese sehr langen, sehr langweiligen und sehr ärgerlichen Aneinanderreihungen von volksverdummenden Zirkusnummern, die sie – keiner weiß wieso – auch noch Jahresrückblick nennen? Und warum geben sich zwei journalistisch profilierte und zu Recht beliebte Fernsehprofis für so etwas her? Kein Fernsehforscher kann für einen Laien verständlich und plausibel erklären, wie man Marktanteile und Zielgruppenquote vergleichend misst, wenn der gelangweilte Zuschauer ständig hin und her und wieder zurück schaltet zwischen RTL, ZDF und, aus Verzweiflung schließlich, auch noch rüber zum Tatort der ARD mit dem großartig gealterten Martin Wuttke. Rausgefunden haben sie jedenfalls, dass die Zuschauerzahlen in diesem seltsamen Jahresrückblick-Duell von ZDF (im Schnitt 5,1 Millionen) und RTL (5,74 Millionen) hier wie dort gut waren. Die Marktanteile auch. Beide Sender haben selbstbewusst die ohnehin quälende Sendezeit überzogen. Und Günther Jauch hat nach Zahlen knapp gewonnen vor Johannes B. Kerner. Herzlichen Glückwunsch. Die verantwortlichen Damen und Herren Oberzyniker können sich also gegenseitig auf die Schulter klopfen.
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„Häng, häng, häng!“ von Evelyn Roll, in: Süddeutsche Zeitung vom 09.2.08, S. 7. Texte beurteilem
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Zurück bleibt der ratlos gelangweilte und um den Geisteszustand seines Landes möglicherweise beunruhigte Zuschauer: Das soll das Jahr 2008 gewesen sein? Dieser Seichtquark? Eine Nummernrevue aus Menschen, Sensationen, Monstrositäten und Beliebigkeiten? Alles ist gleich laut und gleich wichtig? Nur der Sport ist noch etwas wichtiger? Und die Weltwirtschaftskrise? Die Wahl in Amerika? Politik kommt in diesen traurigen Formaten nur noch vor als tapfere Verlierer- und wahnsinnig lustige Versprechernummer (Beck und Ypsilanti), der größte Börsencrash seit 1929 als verkrampftes Satirchen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Kerner und Jauch haben das gut gemacht. Das muss man erst einmal können, vier Stunden live. Technisch war alles in Ordnung. Einige der Gäste waren auch respektabel, berühmt, interessant, unterhaltend oder wenigstens gut angezogen. Die ersten Sendeminuten auf beiden Sendern waren dramaturgisch geschickt und vielversprechend: Beim ZDF der Beinahe-Crash der Lufthansa-Maschine LH 044 auf dem Flughafen von Hamburg am 1. März; und der Flugkapitän, der im richtigen Moment „go around” gerufen hat. Bei RTL live am Reck der bewundernswürdige Fabian Hambüchen mit seiner Olympiaglanznummer; diesmal ohne Patzer, dafür mit Freundin, die im Publikum murmelte: „Häng, häng, häng!” Und: „Steh!”
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Spagat mit 96, Salto mit 82 Dann aber machte sich das System Jahrmarktsattraktion auf beiden Kanälen selbstständig: Hier der altersexhibitionistisch kurzbehoste sechundneunzigjährige Sportsmann, der seinen Spagat noch kann und die Beinhebe an der Wand noch länger als Günther Jauch. Dort Oma Gertrud vom Panoramabad Neustadt, die es noch mal wissen wollte, und mit zweiundachtzig Jahren den Salto rückwärts springt vom Dreimeterbrett. Dann die Krankenschwester, die eine Gabel verschluckt. Der Mann, dem zwei Arme angenäht wurden. Der umoperierte Herr, der schon wieder ein Kind bekommt. Kein Kalb mit drei Köpfen. Keine Dame ohne Unterleib. Dafür Sarah Connors Mama, die zwar über fünfzig, aber schon wieder schwanger ist, weil: „Das ist, was ich wirklich gut kann, Kinder ausbrüten”. Während im ZDF die fabelhaft gekleideten Herren Kahn, Lehmann und Schweinsteiger genötigt werden, gefühlte 20 Minuten lang dem schlechtesten Fußballverein Deutschlands zuschauen zu müssen beim schlecht Fußballspielen. Weil es so lustig ist. Ist das nötig? Ist das interessant? Ist das unterhaltsam? Warum stemmen sich zwei einflussreiche, mit journalistischem Verstand und Profil ausgestattete Ankerleute wie Kerner und Jauch nicht mit der Macht, die sie in ihren Sendern doch ohne Zweifel haben, gegen den Verfall, den Niedergang, die Beliebigkeit? Warum nötigen sie ihre Redaktionen nicht, sich Welt- und Ideenbild anderswo zusammen zu setzen als bei Bild und Bunte? Warum ermuntern sie sich selbst nicht zu ein bisschen journalistischer Einordnung und Verantwortung? Ja, doch, es ist gerecht, beide Jahresrückblicke in einen Sack zu stecken und draufzuhauen. Man trifft in jedem Fall den richtigen. Das ist es ja gerade. Offenbar merken die Programmverantwortlichen vom ZDF nicht einmal, wie gefährlich es ist, durch so eine Parallelübertragung das Dilemma des öffentlich-rechtlichen Fernsehens derartig auszustellen. Wenn es das Ziel war, in der gegenwärtigen Mediendebatte und während das Internet das Fernsehen als Leitmedium ablöst vorzuführen, dass gebührenfinanziertes Fernsehen es jederzeit schafft, noch unter das Niveau von Privatsendern zu gehen: Das ist gelungen. Eine Frage der Daseinsberechtigung. Wer beim Hin-und-Herswitchen an dem einen oder anderen RTL-Werbeblock hängen geblieben ist, fragt sich möglicherweise, wo eigentlich der Unterschied zwischen werbefinanziertem privaten und öffentlich-rechtlichem Fernsehen geblieben ist und warum er einen davon mit seinen Gebühren finanzieren soll. Dann schon lieber den Tatort im Ersten. EVELYN ROLL 76
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Es ist Ihnen sicher aufgefallen, dass die Verfasserin die meisten Regeln aus Abschnitt 6.4. missachtet. Das darf und soll sie, denn die journalistische Darstellungsform „Kritik“ muss nicht objektiv sein. Ganz im Gegenteil. In einer Kritik ist die Meinung des Kritikers wichtiger als die Fakten. Wie macht die Verfasserin das stilistisch? Eine kurze Liste:
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– Adjektive:
volksverdummende Zirkusnummern, gelangweilte Zuschauer, seltsames JahresrückblickDuell, die ohnehin quälende Sendezeit, gefühlte 20 Minuten lang, etc.
Die Autorin verwendet viele wertende Adjektive. – Rhetorische Fragen:
Warum machen die so was? Warum veranstalten ZDF und RTL zur gleichen Sendezeit diese sehr langen, sehr langweiligen und sehr ärgerlichen Aneinanderreihungen von volksverdummenden Zirkusnummern, die sie – keiner weiß wieso – auch noch Jahresrückblick nennen? Und warum geben sich zwei journalistisch profilierte und zu Recht beliebte Fernsehprofis für so etwas her? Das soll das Jahr 2008 gewesen sein? Dieser Seichtquark? Eine Nummernrevue aus Menschen, Sensationen, Monstrositäten und Beliebigkeiten? Alles ist gleich laut und gleich wichtig? Nur der Sport ist noch etwas wichtiger?
– Aufzählungen:
Ist das nötig? Ist das interessant? Ist das unterhaltsam?
Aufzählungen steigern die Wirkung einer Aussage. Dieses Stilmittel benutzt die Verfasserin sogar recht häufig, siehe oben die drei Warum-Fragen. Oder auch diese ironische Aufzählung: der altersexhibitionistisch kurzbehoste sechundneunzigjährige Sportsmann bzw. Einige der Gäste waren auch respektabel, berühmt, interessant, unterhaltend oder wenigstens gut angezogen.
– Volkstümliche bildhafte Sprache:
Ja, doch, es ist gerecht, beide Jahresrückblicke in einen Sack zu stecken und draufzuhauen. Man trifft in jedem Fall den richtigen.
– Geschickte Auswahl von Original-Tönen aus den beiden Sendungen: Die Verfasserin lässt die Dinge für sich selbst sprechen:
Bei RTL live am Reck der bewundernswürdige Fabian Hambüchen mit seiner Olympiaglanznummer; diesmal ohne Patzer, dafür mit Freundin, die im Publikum murmelte: „Häng, häng, häng!” Und: „Steh!” Kein Kalb mit drei Köpfen. Keine Dame ohne Unterleib. Dafür Sarah Connors Mama, die zwar über fünfzig, aber schon wieder schwanger ist, weil: „Das ist, was ich wirklich gut kann, Kinder ausbrüten” (das ist im Übrigen ein stilistisch besonders ausgefeiltes
Exemplar, denn das Zitat von Sarah Connors Mutter ist gleichzeitig End- und Höhepunkt einer Aufzählung von klassischen Jahrmarkts-Monströsitäten)
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Aufgabe 4: Die SZ, FAZ, Welt oder Rundschau haben Sie ja bereits gekauft, dann würde ich Sie bitten: Lesen Sie das Feuilleton bzw., je nach Namensgebung der Zeitung, den Kultur-Teil. Sie müssen nicht alles lesen, aber suchen Sie sich vielleicht zwei, drei Artikel aus unterschiedlichen Kulturbereichen heraus – z. B. einen Artikel über ein Theaterstück, eine Buchrezension und eine Filmkritik.
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Lektüretipps: – Die Webseite des Henri-Nannen-Preises: http://www.henri-nannen-preis.de/home.php Der Verlag Gruner & Jahr und der von ihm verlegte Stern stifteten 2005 diesen Journalistenpreis, in dem der berühmte Egon-Erwin-Kisch-Preis für die beste Print-Reportage aufging. Schauen Sie sich auf der Webseite die preisgekrönten besten deutschen Reportagen an. – Jakob Mierscheids Ratgeber „3 Hinweise für den politischen Aufstieg“: http://www.bundestag.de/mdb/mierscheid/2006_09_8_aufstieg.pdf Der erfahrene Bundestagsveteran gibt in diesem brillanten Flugblatt die entscheidenden Geheimnisse für den erfolgreichen Start in eine politische Bilderbuchkarriere preis. – Jakob Mierscheids Bundestags-Webseite: http://www.bundestag.de/mdb/miersja0.html Lesen Sie noch einmal alle Details dieser beeindruckenden Politkarriere nach und werfen Sie einen Blick auf seine weiteren zahlreichen politischen Publikationen wie z. B. die Musterrede und den Musterantrag für alles. – Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine, Welt, Frankfurter Rundschau Lesen Sie regelmäßig eine überregionale Zeitung – es lohnt sich.
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7.1. Einleitung mit der Brücke von Khazad-Dûm und einem Balrog
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Diese Einleitung ist auf den ersten Blick etwas verwirrend. Das ist natürlich beabsichtigt, denn Verwirrung steigert die Neugier. Ihre Neugier hoffentlich, denn Lesen hat viel mit Neugier zu tun. Man möchte beim Lesen herausfinden, was passiert. Man möchte herausfinden, worum es geht. Und man möchte hinterher mehr wissen als vorher. Wenn man hinterher weniger weiß als vorher, dann ging irgendetwas beim Lesen schief. Mit diesem Kapitel über das „Leseverstehen“ wollen wir dafür sorgen, dass Sie künftig Texte leichter verstehen. Bei dem Zitat hier scheint auch einiges danebengegangen zu sein, das ist aber mit vollster Absicht passiert. Die Szene stammt aus dem berühmten Fantasy-Roman Der Herr der Ringe von J. R. R. Tolkien. Viele von Ihnen werden vermutlich den Kino-Film von Peter Jackson mit Elijah Wood, Viggo Mortensen und Ian McKellen in den Hauptrollen kennen. Verdrängen Sie jetzt aber bitte die Erinnerung an den ersten Teil des Films und tun Sie so, als wüssten Sie nicht mehr, was auf der Brücke von Khazad-Dûm geschehen ist. Sie sollen im nachfolgenden Zitat nämlich genau das erraten: Was passiert da? Verdrängen Sie dabei auch Ihre Englisch-Kenntnisse und konzentrieren Sie sich auf die Wörter, die Sie am leichtesten erkennen. „Über die Brücke!“ cried Gandalf, recalling his strength. ‚Flieht! This is a Feind, gegen den ihr alle nichts beyond any of you. I must hold the narrow Weg. Flieht. Aragorn and Boromir did not heed the command, but still held their Seite an Seite hinter Gandalf ground. (…) 2
Ich vermute, Sie sind zu folgender Lösung gekommen: Drei Männer, Gandalf, Aragorn und Boromir, kämpfen offenbar an oder auf einer Brücke gegen einen Feind. Gandalf fordert seine Begleiter zur Flucht auf, aber sie hören nicht auf ihn. Die Wörter, die Sie am leichtesten erkannt haben, waren mit großer Sicherheit die deutschsprachigen und die Eigennamen. Ich habe mit dem Fettdruck noch etwas nachgeholfen. Das Ziel dieser Leseaufgabe bestand darin, Ihnen zu zeigen, wie viel man bereits von einem Text verstehen kann, wenn man sich beim ersten Durchlesen lediglich darauf konzentriert, Bekanntes zu verstehen. Viele Lesende machen den Fehler und versuchen beim ersten Lesen eines (schwierigen) Textes, z. B. in der Tageszeitung, zunächst die unbekannten Einzelheiten zu verstehen. Machen Sie es lieber andersrum – erst das Bekannte und danach das Unbekannte. Ich setze mal voraus, dass Sie in groben Zügen wissen, worum es im Herr der Ringe geht. Trotzdem an dieser Stelle noch ein paar Hintergrundinformationen über den Kampf auf der Brücke von Khazad-Dûm: Der Hobbit Frodo erbt von seinem Onkel Bilbo einen Ring. Der Magier Gandalf erkennt in diesem unscheinbaren Schmuckstück den Ring Saurons. Sauron, der Herrscher der Finsternis, hatte diesen 2
Damit Sie dieses Stilmittel der sich steigernden Aufzählung mit gleich lautendem Satzbeginn aus der TV-Kritik „Häng, häng, häng“ in Kapitel 6 nicht gleich wieder vergessen, habe ich es hier auch eingesetzt. Der deutsche Text stammt aus dieser Ausgabe: John Ronald Reuel Tolkien, Der Herr der Ringe. Teil 1: Die Gefährten, 2. Aufl. der Normalausgabe, Stuttgart: Klett-Cotta, 980, S. 398–399. Der englische Text ist zitiert nach: J. R. R. Tolkien, The Lord of the Rings, London: HarperCollins Publishers, 994, S. 32–322. Lesen und verstehen
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mächtigsten unter den magischen Ringen einst im Kampf verloren. Der „eine Ring, sie zu knechten“, so eine Inschrift auf der Innenseite, galt seither als verschollen. Frodo und Gandalf machen sich zusammen mit einer Gruppe tapferer Kämpfer aus den Reihen der Elben, Menschen und Zwerge auf den gefährlichen Weg zum Schicksalsberg, Orodruin. Nur dort kann der Ring des Bösen vernichtet werden – denn würde der dunkle Herrscher aus Mordor den Ring wieder in seinem Besitz bekommen, wäre er unbesiegbar, und die Welt von Mittelerde verloren.
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In dem Kapitel, aus dem das Zitat stammt, kämpft sich die Gruppe um den Ringträger Frodo gerade durch die vergessenen Minen von Moria, verfolgt von Heerscharen blutrünstiger Orks. An der Brücke von Khazad-Dûm werden die Fliehenden schließlich von einem Balrog gestellt, einem riesenhaften Feuerdämonen. Der Magier Gandalf versucht, seine Gefährten zu retten und liefert sich einen tödlichen Kampf mit dem Balrog. Aber tödlich für wen …? Da müssen Sie das Buch schon selber lesen. Ich halte dicht.
7.2. Was beeinflusst das Lesen und Verstehen von Texten? Die erste PISA3-Studie definierte Lesekompetenz als „die Fähigkeit, geschriebene Texte unterschiedlicher Art in ihren Aussagen, ihren Absichten und ihrer formalen Struktur zu verstehen und in einen größeren Zusammenhang einordnen zu können, sowie in der Lage zu sein, Texte für verschiedene Zwecke sachgerecht zu nutzen.“4 Solche Definitionen klingen auf den ersten Blick etwas Furcht einflößend, aber Sie können beruhigt sein: Das Meiste davon können Sie schon. Zumindest bis zu einem gewissen Grad. Den Fahrplan der 7er Straßenbahn können Sie sicher von der Bedienungsanleitung Ihres DigitalReceivers unterscheiden, das Zitat aus dem Roman Herr der Ringe würden Sie ebenfalls sicher nicht für einen Artikel aus dem Sport-Teil der Süddeutschen halten und die Werbung an der Bushaltestelle verwechseln Sie garantiert nicht mit den Nachrichten der tagesschau. Sie haben die von PISA beschriebene Fähigkeit, geschriebene Texte zu unterscheiden, bereits bis zu einem individuell unterschiedlichen Grad gelernt. In der Schule, im Beruf und im Privatleben. Dieser individuelle Grad der eigenen Lese- und Verständnisfähigkeit hängt im Wesentlichen von vier Faktoren ab:5 • Kenntnis des Sprachsystems, d. h. Wissen über Wortschatz, Grammatik und Satzbau • Vor- oder Weltwissen: Der individuell unterschiedliche Stand der Erfahrungen eines Menschen quer durch alle Lebens- und Wissensbereiche – die Kombination aus Allgemeinbildung und persönlicher Lebenserfahrung 3
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PISA (Programme for International Student Assessment) ist die internationale Schulleistungsstudie der OECD. Sie misst und bewertet die Fähigkeiten 5-jähriger Schüler in den Bereichen Mathematik, Leseverständnis und Naturwissenschaften. Die Untersuchungen werden im Dreijahresrhythmus durchgeführt. Bisher liegen drei Studien aus den Jahren 2000, 2003 und 2006 vor. Zitiert nach Helmut Amann, „Förderung berufsbezogener Lesekompetenz“, in: Pädagogische Beiträge. Unterricht und Schulleben in Rheinland-Pfalz, Heft 2008/0, S. 9. Dieses Kapitel folgt den Definitionen und Aussagen des Instituts für Interkulturelle Kommunikation, Zürich, in: Daniel Schiesser, Claudio Nodari, Förderung des Leseverstehens in der Berufsschule, Bern: h.e.p. Verlag, 2007 und des Modellversuchs Vocational Literacy des Instituts für Qualitätsentwicklung in Hessen. Lesen und verstehen
• Kontext: Der Begriff bezieht sich im Kern auf die Lesemotivation und meint in der Theorie von Schiesser und Nodari, dass Texte für Leser interessanter sind bzw. dass die Lesemotivation gesteigert wird, wenn es gelingt, Berührungspunkte zwischen dem Textinhalt und den persönlichen Interessen des Lesers herzustellen.
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• Kenntnisse über Textsorten: Es ist einfacher, Texte zu verstehen und richtig einzuordnen, wenn man über die Textsorte Bescheid weiß. „Geübte Lesende“ erkennen nach Schiesser und Nodari „auf den ersten Blick, welche Art von Aussage der Text machen will: über Aktuelles kurz informieren, Hintergründe aufzeigen, einen Kommentar abgeben, das Publikum beraten oder für eine Sache werben“6. Ich denke, Sie werden sich selbst und Ihr individuelles Leseverhalten in einigen oder allen Punkten wiederentdecken. Lesen macht mehr Spaß, wenn einen das Thema interessiert. Lesen macht mehr Spaß, wenn man schon etwas über das Thema weiß. Lesen macht mehr Spaß, wenn man nicht alle 30 Sekunden ins Wörterbuch schauen muss und Lesen geht schneller und erfolgreicher, wenn man weiß, was einen erwartet – sprich, die Textsorte und deren Besonderheiten kennt, z. B. Nachrichten von Kommentaren unterscheiden kann. In diesem Zusammenhang kann ich Ihnen nur wieder die (großen vier überregionalen) Tageszeitungen zum Lesen und Üben ans Herz legen. Mit der Zeitungslektüre verbessern Sie Ihre allgemeinen Sprachkenntnisse in Sachen Wortschatz, Grammatik und Satzbau und erweitern Ihr Weltwissen beträchtlich. Das liegt zunächst daran, dass die Tageszeitung mit ihrer Einteilung in Ressorts eine große Bandbreite gesellschaftlich relevanter und interessanter Themenbereiche abdeckt. Zusätzlich, denken Sie an Kapitel 6 zurück, bieten Zeitungen die Möglichkeit, ein bestimmtes Ereignis in unterschiedlichster Aufbereitung von der Eilmeldung über den Kommentar bis zur Reportage aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Achten Sie einfach auf die Angaben in den Klammern am Ende einer Meldung, die auf weitere Artikel zum Thema hinweisen. Der Trick mit dem Zeitunglesen besteht im Grunde darin, es einfach mal ein paar Tage hintereinander zu betreiben, denn durch das regelmäßige Nachrichtenstudium wächst das Vorwissen und mit dem zunehmenden Vorwissen steigt auch das Interesse an zusätzlicher Information zum Thema. Das wachsende Interesse steigert gleichzeitig die Motivation (den „Kontext“-Bezug nach Nodari und Schiesser), denn wenn man schon ein bisschen über ein Thema Bescheid weiß, dann möchte man meistens darüber auch noch mehr erfahren. Das ist eigentlich genauso wie mit der Lindenstraße oder Deutschland sucht den Superstar. Wenn man einmal diese Sendungen gesehen hat, dann will man auch wissen, wie es weitergeht. Bei mir zeigt sich diese Eigendynamik z. B. hervorragend bei TV-Casting-Shows. Habe ich nur aus Versehen rein- und nicht sofort weitergezappt, interessiere ich mich schon nach wenigen Minuten des Zusehens brennend dafür, wer es wohl bis ins Finale schaffen wird – und schalte fortan jede Woche pünktlichst ein. Dieser eigendynamische Prozess funktioniert in ähnlicher Form auch mit allen anderen Arten von Informationen. Zugegeben – der Wirtschaftsteil ist vielleicht nicht so spannend wie Popstars, DSDS 6
Daniel Schiesser, Claudio Nodari, Förderung des Leseverstehens in der Berufsschule, S. 56. Lesen und verstehen
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oder GNTM 7 aber wenn man ein paar Tage, Wochen oder sogar Monate dranbleibt, dann wird auch der Wirtschaftsteil von Tag zu Tag interessanter: Weil man z. B. das Auf und Ab einer bestimmten Firma verfolgt hat oder weil man allmählich bestimmte Namen von Aufsichtsratsvorsitzenden kennt und jeden ihrer Firmenwechsel inklusive der Höhe der Abfindung der vergangenen zwei Jahre auswendig aufsagen kann.
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Es ist wirklich bemerkenswert, wie spannend Dinge werden können, wenn man sich nicht nur einmal, sondern mehrmals hintereinander mit ihnen beschäftigt. Ich z. B. habe in den letzten Wochen mit großer Spannung im Wirtschaftsteil der SZ die Kredit-Verhandlungen eines Unternehmers aus meiner Geburtsstadt8 mit einer Reihe von Banken verfolgt. Nach dem dritten Bericht innerhalb von ein paar Tagen war mein Interesse entflammt, obwohl ich mich sonst nicht sonderlich für den Wirtschaftsteil interessiere. Sie sehen also, wie gut diese Kombination aus Vorwissen und dadurch steigender Motivation funktionieren kann. Probieren Sie es aus. Sie werden erstaunt sein, wofür Sie sich nach ein paar Tagen (Wochen, Monaten usw.) regelmäßiger Zeitungslektüre interessieren.
Aufgabe 1: Wofür interessieren Sie sich: Für eine bestimmte Sportart, einen bestimmten Schauspieler oder Regisseur? Haben Sie ein Hobby – Märklin-Eisenbahnen, Briefmarken, Mobiltelefone? Spielen Sie gerne am PC die Sims oder Spore? Oder lesen Sie gerne – Terry Pratchett, Daniel Kehlmann, Lion Feuchtwanger? Suchen Sie sich irgendein beliebiges Thema aus, das Sie persönlich interessiert, und steigern Sie Ihr Vorwissen und damit auch Ihre Motivation, indem Sie sich ein wenig intensiver mit dem Thema beschäftigen. Kommen Sie vom Hundertsten ins Tausendste. Beginnen Sie z. B. mit Ihrer TV-Zeitschrift. Schauen Sie ins Programm der folgenden Woche, ob es eine Sendung gibt, die zu Ihrem gewählten Thema passen könnte. Dann schauen Sie ins Radioprogramm, ob es dort etwas Weiterführendes gibt. Anschließend gehen Sie online und googeln. Je nach Ihrem Interessengebiet können Sie auch Nachrichtenportale wie tagesschau.de, focus.de, sueddeutsche.de o. ä. ansurfen. Oder gehen Sie zu Wikipedia. Dann schauen Sie nach Literatur zu Ihrem Thema im Online-Katalog auf der Homepage Ihrer Stadtbibliothek oder den Servern großer wissenschaftlicher Bibliotheken wie der Bayerischen Staatsbibliothek, der Deutschen Nationalbibliothek oder einer Universitätsbibliothek in Ihrer Nähe. Und wenn Sie das eine oder andere interessante Werk finden, dann leihen Sie es sich doch aus und lesen darin. Sie werden feststellen, dass die Informationssuche mit zunehmendem Vorwissen leichter geht und die Motivation zunimmt.
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Germany’s Next Top-Model – ich finde, auch Heidi Klums Sendung hätte eine Abkürzung verdient. Erinnern Sie sich an die Kriterien für den Nachrichtenwert aus Kapitel 6 – eine der Voraussetzungen dafür war Nähe. Wie Sie an meinem Interesse für einen Unternehmer aus meiner Geburtsstadt sehen können, funktionieren diese Kriterien. Denn die Eigenschaft „Nähe“ kann zum einen eine räumliche Nähe, aber genauso auch eine emotionale Nähe zum Thema bedeuten. Lesen und verstehen
7.3. Lesen ist nicht gleich Lesen Schiesser und Nodari unterscheiden zwischen drei Arten des Leseverstehens. Der Begriff „Leseverstehen“ meint dabei in der Terminologie der beiden Autoren das Gleiche wie der schon erwähnte Begriff „Lesekompetenz“, nämlich die Fähigkeit, Texte zu lesen und zu verstehen.
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Die drei Arten des Leseverstehens sind: • das gezielte Leseverstehen • das globale Leseverstehen • das detaillierte Leseverstehen Das klingt wiederum komplizierter als es ist, denn Sie alle kennen diese unterschiedlichen Arten des Herangehens an einen Text aus Ihrer eigenen Lesepraxis. Nur unter anderen Namen. Das gezielte Leseverstehen, zu dem man auch Absuchen oder Scannen sagen könnte, kommt dann zum Einsatz, wenn man schnell und bewusst nach einer bestimmten Information sucht – und bereits vor dem Lesen genau weiß, wonach man Ausschau hält. Auf diese Art sucht man z. B. nach den Abfahrtszeiten auf dem Busfahrplan. Oder nach speziellen Begriffen (Namen, Zahlen, Fachausdrücke usw.) in einem Inhaltsverzeichnis oder auf einer Webseite. Stellen Sie sich vor, Sie hätten in Ihrer Stadtbibliothek einen 500-Seiten-Wälzer über Goethes Leben aus dem Regal gezogen, weil Sie nach Informationen über seine Farbenlehre suchten. Da wäre es wenig Erfolg versprechend, mit der ersten Seite das Lesen anzufangen und zu hoffen, dass die gesuchte Information bald und nicht erst auf Seite 499 steht. In diesem Fall würden Sie natürlich blitzschnell das Inhaltsverzeichnis abscannen und dann gleich das richtige Kapitel über „Goethes Farbenlehre“9 auswählen. Das globale Leseverstehen setzen wir ein, wenn wir einen Text im Großen und Ganzen und nicht in jeder kleinen Einzelheit verstehen müssen. Obwohl diese Art des Lesens meist bei längeren Texten (Fachartikel, Zeitungsberichte, Kurzgeschichten, Romane) eingesetzt wird, ist der Umfang des Textes dabei nicht wirklich entscheidend. Man kann schließlich auch kurze Texte „überfliegen“. Ausschlaggebend für das globale Lesen ist die Informationsabsicht des Lesenden. Wer sich z. B. aus dem Web ein paar Seiten mit Tipps zum Eigenbau von Silvesterböllern ausdruckt, der wäre gut beraten, die Schritt-für-Schritt-Anleitungen sehr sorgfältig zu lesen und nicht nur kurz mal zu überfliegen. „Schritt-für-Schritt“ ist auch das Stichwort für die dritte Leseverstehensart: das detaillierte Leseverstehen. Dabei liest man nämlich Schritt für Schritt, Zeile für Zeile, Seite für Seite, ein Mal, zwei Mal, drei Mal, bis man wirklich jede Einzelheit verstanden hat. Das wäre also genau die Art und Weise, auf die man die Bauanleitung für die Silvesterböller aus dem Internet lesen würde. Oder die AGB (Allgemeine Geschäftsbedingungen) von Webangeboten. Ich z. B. habe neulich die AGB0 von Google gelesen. Ich habe es zumindest versucht. Erst global. Das war wenig erfolgreich. Dann gezielt, denn ich wollte eigentlich herausfinden, welche persönlichen Daten die Firma nun genau 9 0
Die gibt es wirklich, das ist kein Scherz. Goethe schrieb nicht ausschließlich nur literarische Werke, sondern auch naturwissenschaftliche, wie die genannte Farbenlehre. Falls Sie auch nachlesen möchten, welche Daten Google speichert: http://www.google.de/intl/de/privacy_faq.html#personalinfo Lesen und verstehen
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speichert. Nachdem ich die entsprechenden Abschnitte entdeckt hatte, habe ich sie detailliert zwei, drei Mal durchgelesen, bis ich sie verstanden hatte. „Juristen-Deutsch“ hat es einfach in sich und außerdem bekommt man beim Lesen von AGB oder sogenanntem Kleingedruckten allgemein den Eindruck, dass die entsprechenden Firmen und Anbieter nicht wirklich auf gute Verständlichkeit (sondern eher auf das Gegenteil) achten. Lassen Sie sich aber bitte von komplizierten Formulierungen nicht abschrecken, besonders nicht in AGB, denn deren Inhalte regeln Ihre Rechte und Pflichten gegenüber einem Anbieter. Wenn es im Rahmen einer Geschäftsbeziehung bestimmte Informationen wirklich im Detail zu verstehen gilt, dann diese. Im Bedarfsfall lesen Sie solche und ähnlich komplizierte Texte eben mehrmals und benutzen ein Wörterbuch, falls Sie einen Begriff nicht kennen. Ist doch besser, als am nächsten Ersten festzustellen, dass man mit der Anmeldung für den kostenlosen Klingelton-Download gleichzeitig ein Jahres-Abo bei monatlichen Grundgebühren von € 6,99 plus Datentransferkosten abgeschlossen hat. Stand in den AGB. Absatz 2...3.4., Unterabsatz a.a.c.d.e.f.
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Zusammenfassend kann man also sagen: Das richtige Lesen zum richtigen Zweck einsetzen. Sie würden ja auch nicht versuchen, einen Nagel mit einem nassen Lappen in die Wand zu schlagen. Wäre sicher lustig, aber effektiver könnte ein Hammer sein. Machen Sie sich außerdem frei, frei von einem Klischee oder von Lesedruck. Sie müssen nicht immer alles bei allen Texten bis in die kleinste Einzelheit verstehen. Oft reicht das gezielte oder das globale Leseverstehen völlig aus. Außer natürlich bei den Silvesterböllern zum Eigenbau.
7.4. Top-Down-Lesestrategie Gerade habe ich vom richtigen Lesen für den richtigen Zweck gesprochen. Diese Aussage lässt sich noch präzisieren. Lesen Sie mit der Top-Down-Strategie. Den Begriff „Top-Down“ kennen Sie vielleicht auch aus anderen Fachgebieten wie der Informatik oder der Psychologie. Er bezeichnet in der Regel eine Verarbeitung von oben nach unten, vom Allgemeinen zum Besonderen, vom Generellen zu den Details. In diesem Sinn wird der Begriff auch beim Lesen gebraucht – erst die allgemeinen Textinhalte und -zusammenhänge betrachten und sich dann erst im nachfolgenden Schritt mit den Details beschäftigen. Die Top-Down-Lesestrategie setzt aber bereits vor dem ersten konkreten Lesen an. Im Alltag liest man einen Text, weil man ihn aus bestimmten Gründen interessant findet, in der Schule, weil man muss. Das „müssen“ ist in der Regel schlecht für die Motivation, die Motivation aber gut für das Lesen und Verstehen. Weiter oben im Text wird dieser Zusammenhang als Kontext-Bezug bezeichnet. Sie als Leser eines Textes können selbst mithelfen, diesen Zusammenhang zwischen dem Text und Ihren persönlichen Interessen und Lebensumständen herzustellen. Denken Sie in schulischen oder ähnlichen Bringschuld-Situationen nicht von vornherein, dass Sie jetzt etwas lesen „müssen“. Geben Sie dem Text eine neutrale Chance. Verfolgen Sie lieber die Franz-Beckenbauer-Taktik: Schau’n mer mal. Versuchen Sie, Bezüge zwischen dem Thema des Textes und Ihrem Vor- bzw. Weltwissen herzustellen. Ein Text über Taiwan – waren Sie da vielleicht mal im Urlaub oder kennen Sie jemanden, der dort seinen Urlaub verbracht hat? Ein Text über den Anstieg der Arbeitslosenquote – hat jemand aus Ihrer Familie oder Ihrem Bekanntenkreis seine Arbeit verloren? Kennen Sie jemanden, der in der Agentur für Arbeit angestellt ist? Mit etwas Überlegung kommen Sie vermutlich auf eine ganze Menge Verbindungen zwischen Ihrem eigenen Leben und einer Vielzahl an potenziellen Themen.
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Irgendetwas fällt einem doch zu nahezu allem ein, oder? Durch diese gedankliche Beschäftigung mit dem Kontext-Bezug steigern Sie Ihre Motivation und aktivieren Ihr Vor- bzw. Weltwissen. Anschließend schauen Sie sich den zu lesenden Text an: Wie lang ist der Text, beinhaltet er Grafiken, Tabellen, Bilder etc., um welche Textsorte handelt es sich (ein Zeitungsartikel, ein Romanauszug, ein Werbeflyer)? Zeitungsartikel erkennen Sie z. B. hervorragend an der Einteilung in Spalten.
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Und auch wichtig vor dem ersten konkreten Lesen: Gibt es Quellenangaben zum Text, von denen man auf die Textsorte schließen könnte? In einer schulischen Arbeit steht wahrscheinlich in der Aufgabenstellung auch ein Quellenvermerk. Falls dort z. B. vermerkt ist „Süddeutsche Zeitung vom 20.2.2009, Politik, S. 6“, dann ist das eine wichtige Information bezüglich der Textsorte (Zeitungsartikel) und der Textabsicht (vermutlich ein objektiver Bericht und kein Kommentar). Diese Informationen haben Sie bereits gewonnen, noch bevor Sie mit dem eigentlichen Lesen des Textes angefangen haben. Größeres Vorwissen erleichtert die Texteinordnung. Wenn Sie z. B. regelmäßiger SZ-Leser sind, dann wissen Sie, dass auf S. 6 im Politik-Teil keine Kommentare, sondern ausschließlich Berichte stehen. Unter Umständen kennen Sie zusätzlich noch den Namen des Artikel-Autors und können sofort sagen: Der Autor XY schreibt nie Kommentare oder ausschließlich Kommentare bzw. ausschließlich Reportagen und nie Glossen usw. Nachdem Sie sich den ersten groben formalen Überblick verschafft und Hintergrundinformationen wie die Quellenangabe berücksichtigt haben, fangen Sie immer noch nicht mit dem konkreten Lesen an. Schauen Sie sich erst kurz eventuelle Überschriften, Zwischenüberschriften sowie die Beschriftungen von Abbildungen, Tabellen oder sonstigen Grafikelementen an. Auch durch diese Informationsschnipsel wird der Text schon wieder ein Stückchen weniger unbekannt. Sie können allein anhand dieser Informationen schon häufig gut erraten, worum es in dem Text geht. Und das alles wissen Sie jetzt schon, obwohl Sie den Text immer noch nicht gelesen haben. Nach diesen vorbereitenden Schritten geht es dann wirklich ans konkrete Lesen. Aber an welches? Ans globale, ans detaillierte oder ans gezielte? Alle drei zusammen? Das hängt von der Aufgabenstellung bzw. der Informationsabsicht ab. Denken Sie an die Beispiele zu den einzelnen Arten des Leseverstehens in Abschnitt 7.3. Wenn Sie z. B. auf der Webseite von yahoo ein E-Mail-Konto eröffnen wollen, dann suchen Sie gezielt beim ersten Aufruf der Seite nach Schlüsselwörtern wie „Mail“, „Mails“ oder „E-Mail“ (gezieltes Leseverstehen). Wenn in der Aufgabenstellung einer Textanalyse verlangt wird, dass Sie die Kernaussage des Zeitungsartikels zum Thema XY in eigenen Worten und drei Sätzen zusammenfassen sollen, dann überfliegen Sie den kompletten Text und versuchen, ihn im Groben und Ganzen zu verstehen (globales Leseverstehen). Und wenn Sie darüber nachdenken, sich selbst oder Ihrem Lebenspartner ein neues Mobiltelefon zu schenken und zwischen dem Nokia XYZ, dem Sony Ericsson UVW und dem Samsung RST hin und her schwanken, weil Ihnen die Ausstattung mit GPS und Navi-Software wichtig, die Akkuleistung auch nicht ganz egal sowie eine hohe Kameraauflösung mit X Megapixel Pflicht ist, dann hilft nur viel lesen und vergleichen (detailliertes Leseverstehen). Lesen und verstehen
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Aufgabe 2: Ich habe den Artikel „Die H-Frage und die Freiheit“ aus der Süddeutschen Zeitung, Ressort Mobiles Leben, vom Montag, 2. Januar 2009 nach den Empfehlungen von Schiesser und Nodari für Sie aufbereitet. Zuerst werde ich versuchen, Ihr Vorwissen zu aktivieren und Ihre Motivation zu wecken, indem ich einen Bezug vom Thema zu Ihrem eigenen Leben herstelle. Anschließend folgen einige Fragen, die unterschiedliche Lesestrategien erfordern: gezieltes, globales und detailliertes Leseverstehen. Führen Sie bitte die Leseaufträge aus und schreiben Sie Ihre Antworten auf (der SZ-Artikel ist nach den Aufgaben abgedruckt). Im Lösungsteil können Sie wie gewohnt Ihre Ergebnisse mit den Musterantworten vergleichen. Und nun viel Spaß beim Überlegen.
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.
Ich ziehe zum Skifahren immer meine gefütterte Skihose, Thermounterwäsche, eine Vliesjacke und eine dünne Gore-Tex-Jacke an. Außerdem eine Wollmütze, Handschuhe und eine Skibrille. Wann waren Sie denn das letzte Mal Skifahren und was hatten Sie an?
2.
Meine vierjährige Tochter macht in diesem Winter ihren ersten Skikurs. Für mich und meine Frau ist völlig klar, dass Helen, so heißt unsere Tochter, beim Skikurs einen Helm tragen wird. Was würden Sie Ihrer Tochter zum Skifahren anziehen?
3.
Lesen Sie den ersten Abschnitt des Artikels. Unterstreichen Sie die Namen der drei Organisationen, die sich gegen eine Helmpflicht für Skifahrer aussprechen.
4. Peter Veider von der Tiroler Bergrettung spricht sich im ersten Abschnitt gegen eine Helmpflicht für Skifahrer aus. Lesen Sie den ersten Abschnitt durch und kreuzen Sie an, welche Aussage richtig und welche falsch ist: a. Statt neuer Regeln müssen Prävention und Bewusstseinsbildung gestärkt werden. b. Prävention und Bewusstseinsbildung sind nicht so wichtig wie neue Vorschriften. 5.
Unterstreichen Sie im ersten Abschnitt die Wörter „Reglementierung“ und „Prävention“ und erklären Sie deren Bedeutung in eigenen Worten.
6.
Schauen Sie in einem Wörterbuch nach und vergleichen Sie Ihre Erklärungen von „Reglementierung“ und „Prävention“ mit denen des Wörterbuchs.
7.
Lesen Sie diese drei Aussagen und dann den zweiten Abschnitt. Kreuzen Sie an, ob die Aussagen richtig oder falsch sind. Richtig Falsch Das Tragen von Helmen beeinflusst das Verletzungsrisiko beim Skifahren nicht. Der Geschäftsführer des deutschen Skilehrerverbands glaubt, dass bessere Ausrüstung für die Sicherheit der Skifahrer wichtiger ist als ihr Verhalten. Peter Hennekes hält eine Begrenzung der Höchstzahl von Skifahrern an Weihnachten, Fasching oder langen Wochenenden für sinnvoll.
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Lesen und verstehen
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Lesen Sie den Abschnitt 3 und tragen Sie die richtigen Zahlenangaben zum Skigebiet Wilder Kaiser in die Tabelle ein:
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Fahrten der Lifte und Bahnen pro Tag Gesamtzahl der Pistenkilometer Beförderte Personen pro Stunde Anzahl der Lifte Anzahl der 2008/09 neu in Betrieb genommenen Bahnen
9.
Der folgende Lückentext fasst die Absätze 3, 4 und 5 des Artikels zusammen. Lesen Sie die Absätze 3–5 und ergänzen Sie den Lückentext sinngemäß: . Fast alle
Das größte zusammenhängende Skigebiet Österreichs ist , deshalb wird die Frage nach einem
Skigebiete werden
nicht gerne gehört. Der ständige Ausbau hat für die Skifahrer folgende Auswirkungen: . Dies führt zu mehr Verletzungen aufgrund von . Die Verantwortung für
trägt jeder Skifahrer aber
. Das Verletzungsrisiko für einen Skifahrer ist statistisch betrachtet es liegt bei 0,4 Prozent. Die Unfallzahlen sind in den vergangenen
, Jahren um
Prozent zurückgegangen. Ein Grund für den Rückgang der Unfallzahlen liegt in der Verbände. Der zweite Grund sind Maßnahmen in den Skigebieten . Weitere Reglementierungen sind
wie . Die zehn Verhaltensregeln Die Skifahrer müssen stattdessen
reichen völlig aus. .
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Achtung: Hier beginnt der leicht gekürzte Artikel-Text aus der SZ vom 2. Januar 2009: Die H-Frage und die Freiheit Der Ruf nach einer Helmpflicht auf der Skipiste wird von Experten nicht geteilt, stattdessen sollen andere Maßnahmen greifen
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1) Die Bergrettung, der Deutsche Skiverband (DSV) und der Deutsche Skilehrerverband sprechen sich einhellig gegen eine Helmpflicht aus – wohl aber für das Tragen eines Helms. Die Tiroler Bergrettung hat sogar zusammen mit einem Sportartikelhersteller einen eigenen Multifunktionshelm entwickelt, der zum Skifahren, Radfahren und Rodeln taugt – doch über das Aufsetzen des Helms solle jeder selbst entscheiden: „Beim Skifahren sucht der Mensch doch nach Freiheit”, sagt Peter Veider von der Tiroler Bergrettung. „Wir wollen nicht für alles Vorschriften.” Anstelle neuer Reglementierungen müsse weit mehr in der Prävention und Bewusstseinsbildung getan werden. 2) Auch für Peter Hennekes, den Hauptgeschäftsführer des Deutschen Skilehrerverbands, ist Sicherheit ein Verhaltens- und kein Ausrüstungsthema. „Helme reduzieren das Verletzungsrisiko, aber als Verband wollen wir erreichen, dass das Risiko erst gar nicht besteht oder es zumindest so weit wie möglich minimieren.” (…) Hier sieht er auch die Liftbetreiber in der Pflicht: „Die Frage, wie viele Skifahrer ein Gebiet verträgt, muss schon erlaubt sein.” Gerade in den kritischen Zeiten wie an Weihnachten, Fasching oder langen Wochenenden werde es manchmal eng auf den Pisten. „Man könnte sich zusammensetzen und Skigebieten einer bestimmten Größe eine festgelegte Höchstzahl an Skifahrern zuweisen – aber das ist natürlich schwierig, denn schließlich will ja jeder Geld verdienen.” 3) Dass die Frage nach einem sicherheitsbedingten Ende des Kapazitätsausbaus „gerade in diesen Zeiten” eine schwierige ist, bestätigt Karina Oberhofer von der Skiwelt Wilder Kaiser Brixental. Mit 279 Pistenkilometern ist das Gebiet das größte zusammenhängende Skigebiet Österreichs, 91 Lifte und acht Bahnen absolvieren an starken Tagen 600 000 Fahrten; pro Stunde können 137 100 Menschen befördert werden. Wie fast alle Gebiete wird auch hier ständig ausgebaut, klassischerweise werden beispielsweise alte Einer- oder Zweiersessellifte durch größere ersetzt. Allein in der Saison 2008/09 wurden hier vier neue Bahnen in Betrieb genommen. 4) Der ständige Ausbau hat den positiven Effekt, dass die Skifahrer nicht mehr so lange am Lift anstehen müssen. Und den negativen, dass sich mehr auf den Pisten bewegen. Das führt zum einen dazu, dass sich heute mehr Skifahrer aus Übermüdung verletzen als noch zu Zeiten, in denen man eine halbe Stunde in der Liftschlange stand. Zum anderen wird es ganz einfach enger. „Gefahrloses Skifahren liegt aber an jedem selbst”, sagt Oberhofer(…) 5) Laut Michael Berner, Sicherheitsexperte des DSV hat ein Skifahrer derzeit ein 0,14-prozentiges Risiko, auf der Piste einen Unfall zu erleiden. In den vergangenen 30 Jahren haben sich die Unfallzahlen gut halbiert. Als Gründe führt er die Präventionsarbeit der Verbände und die in den Skigebieten umgesetzten Maßnahmen an, zu denen bessere Pistenpräparationen, die Entschärfung oder das Markieren von Gefahrenstellen oder das Errichten von Fangzäunen gehört. Der Skisport brauche keine weiteren Reglementierungen, denn mit den zehn Verhaltensregeln des Internationalen Skiverbands sei alles geregelt. „Die Menschen müssen Eigenverantwortung übernehmen, ohne immer nach dem Staat zu rufen”, sagt er. (Birgit Lutz-Temsch) 88
„Die H-Frage und die Freiheit“ von Birgit Lutz-Temsch, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 35. Lesen und verstehen
Lektüretipps: – Mark Twain. Die schreckliche deutsche Sprache: Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain (835–90), literarischer Vater von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, verbrachte während einer Europa-Reise 878 einige Monate in Deutschland und machte dabei eine für NichtMuttersprachler typische Erfahrung: Deutsche Sprache – schwere Sprache. Herausgekommen ist eine kurze, sehr lustige Erzählung über die persönlichen Leseverstehensprobleme, die sogar große Literaten mit unserer schönen Sprache haben.
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– Die 0 Verhaltensregeln des internationalen Skiverbands FIS: http://www.fis-ski.com/de/fisintern/allgemeineregelnfis/0fisregeln.html
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8 Lesen, Verstehen, Zusammenfassen 8.1. Einleitung mit drei unverständlichen Dingen: einer SMS aus Schottland, einer Fahrt zur Tankstelle und Arthur Schopenhauer
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Vorneweg ein strategischer Ratschlag: Lesen Sie die nicht allzu langen Punkte und 2 komplett sowie anschließend von Punkt 3, einem Zitat aus Arthur Schopenhauers philosophischen Werken, vorerst nur den fettgedruckten Teil am Anfang und am Ende. Dann fahren Sie mit meinen Erklärungen fort und lesen, wenn ich Sie darum bitte, das Schopenhauer-Zitat beim zweiten Mal ganz durch. 1) My smmr hols wr CWOT. B4, we usd 2 go 2 NY 2C my bro, his GF & thr 3 :-@ kds FTF. ILNY, its gr8. Bt my Ps wr so {:-/ BC o 9/11 tht they dcdd 2 stay in SCO & spnd 2wks up N. 2) BIDUNOWA? COLA! FANTA. 3) Denn alle Verliebtheit, wie ätherisch sie sich auch geberden mag, wurzelt allein im Geschlechtstriebe, ja, ist durchaus nur ein näher bestimmter, specialisirter, wohl gar im strengsten Sinn individualisirter Geschlechtstrieb. Wenn man nun, dieses fest haltend, die wichtige Rolle betrachtet, welche die Geschlechtsliebe in allen ihren Abstufungen und Nuancen, nicht bloß in Schauspielen und Romanen, sondern auch in der wirklichen Welt spielt, wo sie, nächst der Liebe zum Leben, sich als die stärkste und thätigste aller Triebfedern erweist, die Hälfte der Kräfte und Gedanken des jüngern Theiles der Menschheit fortwährend in Anspruch nimmt, das letzte Ziel fast jedes menschlichen Bestrebens ist, auf die wichtigsten Angelegenheiten nachtheiligen Einfluß erlangt, die ernsthaftesten Beschäftigungen zu jeder Stunde unterbricht, bisweilen selbst die größten Köpfe auf eine Weile in Verwirrung setzt, sich nicht scheut, zwischen die Verhandlungen der Staatsmänner und die Forschungen der Gelehrten, störend, mit ihrem Plunder einzutreten, ihre Liebesbriefchen und Haarlöckchen sogar in ministerielle Portefeuilles und philosophische Manuscripte einzuschieben versteht, nicht minder täglich die verworrensten und schlimmsten Händel anzettelt, die werthvollsten Verhältnisse auflöst, die festesten Bande zerreißt, bisweilen Leben, oder Gesundheit, bisweilen Reichthum, Rang und Glück zu ihrem Opfer nimmt, ja, den sonst Redlichen gewissenlos, den bisher Treuen zum Verräther macht, demnach im Ganzen auftritt als ein feindsäliger Dämon, der Alles zu verkehren, zu verwirren und umzuwerfen bemüht ist; – da wird man veranlaßt auszurufen: Wozu der Lerm? Wozu das Drängen, Toben, die Angst und die Noth? Es handelt sich ja bloß darum, daß jeder Hans seine Grethe finde: (…)
Sie haben die drei Punkte gelesen und vielen von Ihnen wird es gehen wie mir: Den dritten, das Schopenhauer-Zitat, verstehe ich auf Anhieb am besten. Dabei ist der Text aus dem 9. Jahrhundert mit Abstand am längsten und noch dazu in einem altertümlichen Stil geschrieben. Ich habe mit dem Fettdruck wieder etwas nachgeholfen, aber als aufmerksamer Leser würden Sie das sowieso von sich aus machen, nämlich erst den Anfang und dann das Ende eines Absatzes (nach dessen Sinn) absuchen. Diese Methode funktioniert gerade bei langen und kompliziert wirkenden Texten großartig. Das kann
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Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung. Gesamtausgabe, München: dtv, 998, Bd. 2, Buch 4, Kapitel 44, S. 68/69. Arthur Schopenhauer (788–860) ist ein bekannter deutscher Philosoph. Lesen, Verstehen, Zusammenfassen
ich für den Schopenhauer-Text aus vollstem Herzen bejahen und bestätigen, denn diesen Ausschnitt zitiert auch Wolf Schneider, dessen Namen Sie mittlerweile schon mehrfach gehört haben, in Deutsch für Profis. So wie Sie es jetzt sind, war ich damals Erstleser des Textabschnittes. Und irgendwann kurz nach der fünften Zeile wurde es mir zu kompliziert und ich habe die folgenden gefühlten hundert Zeilen nur noch mit den Augen abgescannt und erst bei den letzten beiden wieder mit dem Lesen angefangen. Mit einem erfreulichen Ergebnis.
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An dieser Stelle sollten Sie jetzt bitte den Rest des Schopenhauer-Textes bzw. einmal den gesamten Ausschnitt am Stück lesen. Sie haben das Gleiche wie ich damals festgestellt: Alleine mit dem Anfang und dem Ende des Abschnittes hat man den Sinn begriffen. Die Beispiele dazwischen sind theoretisch verzichtbar, denn sie erläutern lediglich bereits Gesagtes, nämlich dass die Geschlechtsliebe eine wichtige Rolle besitzt. Ich erkläre diese Methode des Absuchens von Anfang und Ende gleich noch genauer, denn Sie warten sicher schon auf die Erklärung von „CWOT“ und „FANTA“. „CWOT“ heißt übersetzt „complete waste of time“, also „komplette Zeitvergeudung“. Damit ist klar, dass es sich bei den rätselhaften Buchstabenkombinationen um irgendeine Form von Englisch handeln muss. Auf den ersten Blick würde man auf eine SMS tippen. Fast – eine damals 3-jährige schottische Schülerin begann in dieser SMS-Sprache einen Schulaufsatz: „My smmr hols wr CWOT. B4, we usd 2 go 2 NY 2C my bro, his GF & thr 3 :-@ kds FTF. ILNY, its gr8. Bt my Ps wr so {:-/ BC o 9/11 tht they dcdd 2 stay in SCO & spnd 2wks up N.”2
Übersetzt heißt das: Meine Sommerferien waren eine komplette Zeitverschwendung. Früher flogen wir gewöhnlich nach New York, um meinen Bruder, dessen Freundin und deren drei schreiende Kinder zu sehen. Ich liebe New York, es ist großartig. Aber meine Eltern waren aufgrund des Terrorangriffs vom 11. September so besorgt, dass sie beschlossen in Schottland zu bleiben und dort zwei Wochen im Norden zu verbringen.
Diesen englischen SMS-Text haben mit großer Sicherheit weder Sie noch ich sowie vermutlich auch die wenigsten schottischen Englisch-Lehrer verstanden. Wie sieht es aber mit der einheimischen SMS „BIDUNOWA? COLA! FANTA“3 unter Punkt 2 aus? Ich jedenfalls musste auch hier passen. Bevor ich nachgeschaut habe, fand ich, dass BIDUNOWA gut ein Hersteller von Skibekleidung hätte sein können. BIDUNOWA ist jedoch in Wahrheit kein Konkurrent von Salewa, Jack Wolfskin oder Schöffel, sondern die SMS-Variante für „Bist du noch wach?“. „COLA“ ist die Abkürzung für das englische „come later“ und bedeutet „Komme später“. „FANTA“ wiederum ist eine Kurzform für „Ich fahre noch tanken“. 2
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In “Nicht-SMS-Englisch”: My summer holidays were a complete waste of time. Before, we used to go to New York to see my brother, his girlfriend and their three screaming kids face to face. I love New York, it‘s a great place. But my parents were so worried because of the terrorism attack on September 11 that they decided to stay in Scotland and spend two weeks up north. Die SMS selbst wird zitiert nach: „SMS-Texte – Alarmsignale für die Standardsprache? von Peter Schlobinski, 5.02.2009: http://www.mediensprache.net/de/essays/2/ Netter Zufall am Rande: Prof. Peter Schlobinski ist Studiogast in der Deutsch-Hauptkurs-Folge 4 zum Thema „Internet“. Über SMS-Abkürzungen können Sie sich auf verschiedenen Internetseiten informieren. Lesen, Verstehen, Zusammenfassen
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Sie sehen, die beiden SMS-Abkürzungstexte sind zwar kurz, aber nur für Eingeweihte verständlich – Geheimsprachen sozusagen. Entweder man kennt die entsprechenden Begriffe oder man kennt sie nicht. Das Verstehen dieser lässt sich nicht üben oder durch Strategien verbessern. Der Text aus Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung dagegen ist im Vergleich zu den beiden SMS-Texten zwar sehr lang, aber überraschenderweise auch ohne Spezialkenntnisse leicht verständlich. Man muss nur etwas geschickt an die Sache herangehen. Hier helfen Übung und Strategie. Dazu mehr in diesem Kapitel.
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8.2. Den Schopenhauer-Text verstehen Wieso war es eigentlich so einfach, den Schopenhauer-Text zu verstehen? Ich hoffe zumindest, Ihnen ging es halbwegs so wie mir. Der Trick bei diesem Textausschnitt liegt zunächst in der Struktur. Der Text erscheint hier in der Form eines Absatzes. Das stellt schon eine große Hilfe dar, denn Absätze gliedern Texte in Sinneinheiten. Ein Autor macht in der Regel einen Absatz, wenn ein Gedanke beendet ist und ein neuer beginnt. Das bedeutet in etwa, dass jeder Absatz einen abgeschlossenen Gedanken enthält. Am Anfang eines Absatzes präsentiert der Autor den neuen Gedanken und erklärt, illustriert oder untermauert diesen Gedanken anschließend mit Argumenten und Beispielen. Schließlich, am Ende des Absatzes, kommt die „Lösung“, die Schlussfolgerung, der Höhepunkt oder die Pointe. Arthur Schopenhauer beginnt seine Ausführungen über die Liebe mit einer Gleichsetzung: Verliebtheit wurzelt im Geschlechtstrieb. Heute würde man das vielleicht so formulieren: „In Wahrheit geht es immer nur um Sex!“ oder „Wo Liebe drauf steht, ist in Wahrheit auch nur Sex drin!“ Danach schließt sich ein Konditionalsatz an: „Wenn man nun, dieses fest haltend, die wichtige Rolle betrachtet, welche die Geschlechtsliebe in allen ihren Abstufungen und Nuancen, nicht bloß in Schauspielen und Romanen, sondern auch in der wirklichen Welt spielt, (…)“. Dieser Nebensatz stellt die zweite große Hilfe zum einfacheren Verstehen des langen Textabschnittes dar. Denn wo ein „wenn“ ist, muss irgendwann auch ein „dann“ kommen. Das heißt, der Nebensatz braucht noch seinen Hauptsatz. Wenn etwas soundso ist, dann folgt daraus genau das. Dies bedeutet für mich als Leser, dass ich nach den Worten „in der wirklichen Welt spielt“ folgerichtig nach dem „dann“, der Auflösung des „wenn“ suche. Schopenhauer lässt sich damit allerdings viel Zeit und erläutert erst mit vielen Beispielen die Rolle, die die Geschlechtsliebe seiner Meinung nach in unserem Leben spielt. Als intelligenter Leser überspringe ich jedoch diesen Teil beim ersten Lesen und suche gezielt am Ende des Absatzes nach der erwarteten Fortführung des einleitenden Konditionalsatzes. Wenn man, so hatte Schopenhauer seinen Gedanken begonnen, die Rolle der Geschlechtsliebe in der Dichtkunst und im wirklichen Leben betrachtet, „ – da wird man veranlaßt auszurufen: Wozu der Lerm? Wozu das Drängen, Toben, die Angst und die Noth? Es handelt sich ja bloß darum, daß jeder Hans seine Grethe finde:“ Ich hatte beim ersten Lesen wegen des Signalworts „wenn“ zwar nach einem „dann“ Ausschau gehalten, aber „da“ erfüllt die gleiche Funktion. Es erklärt die Bedingung für das „wenn“. Außerdem ist auch der Gedankenstrich vor dem „da“ aufschlussreich, denn dieses Satzzeichen kündet eine neue und wichtige Aussage an. Zusammen mit dem „da“ stellt der Gedankenstrich das ultimative Anzeichen 92
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für die lang ersehnte Begründung des einleitenden „wenn“ dar. Und diese Begründung fällt aus Sicht des deutschen Philosophen recht ernüchternd aus: Das ganze Getue um die Liebe ist nichts weiter als viel Lärm um nichts. Im Grunde geht es nur darum, dass man miteinander im Bett landet. Diese Aussage ist letztlich der eigentliche Kern des ganzen langen Absatzes.
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Ich hoffe, Sie fanden den Text nicht zu schwer. Ich hatte aber den Eindruck, hier an diesem Ausschnitt lässt sich sehr gut zeigen, wie weit man mit zwei einfachen Taktiken kommt: Absätze beachten und an Grammatik-Regeln denken.
8.3. Texte durchschauen – Allgemeine Strategien 8.3.1. Satzzeichen und Gross- und Kleinschreibung als Hilfsmittel zum Verstehen nutzen Aus Kapitel 7 kennen Sie schon einige Voraussetzungen, die das individuelle Lesen und Verstehen beeinflussen. Ein Punkt war die Kenntnis des Sprachsystems. An dem Schopenhauer-Text konnten Sie erkennen, dass es durchaus hilfreich ist, sich z. B. mit Konditionalsätzen auszukennen. Auf ein „wenn“, folgt ein „dann“. Aber ich möchte die Thematik noch etwas vertiefen: vom Satzbau zu den Satzzeichen. Ich glaube, Satzzeichen werden in ihrer Sinn gebenden Funktion manchmal unterschätzt. Dazu ein Beispiel: indem ich einfach die folgenden zeilen ohne punkt und komma schreibe und sie zusätzlich mit zahlreichen aber ansonsten nicht weiter gekennzeichneten nebensätzen ausgestalte deren bedeutung sie im grunde auch wenn ich das bedaure mit einer sicherheit die schon sehr an wahrscheinlichkeit grenzt nicht ohne die nützliche aber häufig unterschätzte hilfe von strukturierenden satzzeichen unter denen ich an dieser stelle das komma und den punkt herausheben möchte nur mit großer wenn nicht sogar sehr großer mühe verstehen werden
Schwierig, nicht wahr? So ganz ohne Groß- und Kleinschreibung und ohne Satzzeichen? Ich vermute, Sie stimmen mir zu, dass sich Sätze mit Satzzeichen und unter Beachtung der Groß- und Kleinschreibung leichter verstehen lassen. Großbuchstaben am Wortanfang signalisieren: Achtung, hier fängt ein neuer Satz an. Ein neuer Satz bedeutet möglicherweise, dass ein Gedanke abgeschlossen ist und ein neuer beginnt. Ein Gedanke kann natürlich auch über mehrere Sätze hinweg ausgeführt werden, aber ein Punkt bedeutet auf jeden Fall einen Einschnitt. Außerdem kennzeichnen Großbuchstaben Substantive und Subjekte sind meistens Substantive. Verben werden dagegen kleingeschrieben und Prädikate sind meistens Verben. Somit liefert schon allein die Groß- und Kleinschreibung in einem Text wichtige grammatische Hinweise. Natürlich sind nicht alle Substantive immer Subjekte und nicht alle Verben Prädikate, aber die Groß-/Kleinschreibung stellt zumindest einen Anhaltspunkt dar. Zurück zur Zeichensetzung: Ein Doppelpunkt kündigt eine Erklärung, eine Verdeutlichung oder auch eine (erklärende) Aufzählung an. Wenn Sie im Text einen Doppelpunkt sehen, dann ist das wie ein Ausrufezeichen: Achtung, jetzt kommt etwas, das der Autor besonders herausstellen möchte. Eine ähnliche Aufgabe übernimmt auch häufig der Gedankenstrich. Sie haben es im Text von Lesen, Verstehen, Zusammenfassen
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Arthur Schopenhauer gesehen. Dort hat der Gedankenstrich die vom Leser heiß ersehnte Auflösung der Konditionalsatz-Einleitung angekündigt. Ich wage zu behaupten, dass Schopenhauer nach den 54 Wörtern, die er zwischen dem „spielt“ und dem „da“ eingefügt hatte, befürchten musste, den Leser auf der Strecke verloren zu haben. Und deshalb wollte er mit einem Strichpunkt und dem Gedankenstrich ein deutliches Zeichen setzen: Hallo, hier geht’s weiter! Hier kommt das „da“ zum „wenn“!
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Ein Komma wiederum schließt Sinninhalte nicht endgültig ab oder hebt sie besonders heraus, sondern definiert ihr Verhältnis zueinander. Der Grammatik-Duden beschreibt die inhaltliche Ordnungsfunktion der Nebensätze so: Eine Einteilung unter inhaltlichem Gesichtspunkt hat sich an der Beziehung bzw. dem Verhältnis zu orientieren, das zwischen den Teilsätzen eines Satzgefüges besteht (z. B. Kausalität, Finalität usw.). Eine solche Beziehung wird zwar nicht durch den Nebensatz hergestellt; sie ist aber an ihm (vor allem am spezifischen Einleitewort) besonders gut zu erkennen. Damit hängt zusammen, dass die Nebensätze oft nach den Beziehungen geordnet und benannt werden, die zwischen beiden Teilsätzen herrschen.4
Die spezifischen Einleitewörter besitzen also eine wichtige Signalfunktion zum Verständnis der Satzbeziehung. Denken Sie zurück an Kapitel 5, da haben wir uns auch schon mit Adverbialsätzen beschäftigt. In den für das Argumentieren wichtigen Adverbialsätzen heißen die „spezifischen Einleitewörter“ – Sie erinnern sich – „Konjunktionen“. An eben diesen Konjunktionen kann man auf einfache Art erkennen, in welcher Beziehung Haupt- und Nebensatz – und damit natürlich auch der Inhalt des Gesagten oder Geschriebenen - zueinander stehen. Zu den Konjunktionen gehören z. B. Wörter wie: weil, wenn, während, nachdem, als, als ob, damit, dass, so dass, obwohl, obgleich, falls, sofern. Der Inhalt eines Satzes bzw. einer Aussage ändert sich beträchtlich, je nachdem welche Konjunktion man verwendet. Ein Beispiel: ) Die Erde geht unter. (Aussagesatz) 2) Die Erde geht unter, wenn die Menschheit sie endlich ganz zugrunde gerichtet hat. (Der Konditionalsatz drückt eine mögliche Bedingung für einen Untergang der Erde aus. Noch geht die Erde aber nicht unter.) 3) Die Erde geht unter, weil bzw. da die Menschheit sie zugrunde gerichtet hat. (Der Kausalsatz drückt einen tatsächlichen Grund aus. Die Erde geht wirklich und wahrhaftig aus diesem Grund unter.) 4) Die Erde geht unter, damit die Vogonen endlich Platz für eine intergalaktische Umgehungsstraße haben. (Der Finalsatz drückt eine Absicht, einen Zweck, ein Motiv aus. Die Erde geht auch hier tatsächlich unter, aber man weiß immerhin, wozu es gut war.)5 4 5
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Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, S. 757. Bedauerlicherweise sprengen die Vogonen die Erde wirklich in die Luft – gleich am Anfang von Douglas Adams‘ legendärer Romanserie Per Anhalter durch die Galaxis, deren erster Band 979 erschien. Falls Sie eine Ader für den sogenannten „britischen Humor“ besitzen, kann ich Ihnen diesen Klassiker nur empfehlen. Lesen, Verstehen, Zusammenfassen
Ich fasse noch einmal zusammen: An den Konjunktionen kann man also erkennen, wie Hauptund Nebensätze bzw. deren Inhalte zusammenhängen. Die Konjunktion fungiert dabei als Signalwort, denn sie gibt an, in welchem Verhältnis die gemachten Aussagen zueinander stehen. Ist dieses Ereignis nun die Folge jenes Geschehens oder ist es dessen Voraussetzung, dessen Ursache oder dessen Bedingung? Konjunktionen sind sozusagen Signalwörter, um den Sinn von Satzgefügen zu verstehen.
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8.3.2. Textinhalte vorhersagen Eine Gruppe US-amerikanischer Pädagoginnen stellt in dem Buch Lesen macht schlau6 Konzepte zum besseren Textverstehen vor. Eines davon besteht z. B. aus Raten. Oder besser: Erraten. Die kalifornischen Lehrerinnen legten ihren Schülern jeweils eine Aussage vor und die Schüler mussten Vermutungen anstellen, wie es anschließend weitergehen würde. Dabei sollten sie in dieser ersten Variante nicht den konkreten Fortgang des Textes erraten, sondern die Art der zu erwartenden Information. Womit würde man nach einer Frage als Nächstes rechnen? Mit einer Antwort natürlich. Nach einer Ankündigung würde man eine Erläuterung erwarten und nach einer Behauptung einen Beweis. Der Wert dieser Übung liegt darin, dass man durch diese Überlegungen den strukturellen Aufbau von Texten leichter nachvollziehen kann, dass man gewisse Gesetzmäßigkeiten des Schreibens und Argumentierens erkennt und verinnerlicht. Was, also welche Art von Information, würden Sie z. B. nach dem Satz „Die drei Hauptursachen für Karies sind (…)“ erwarten? Natürlich eine Erläuterung, worum es sich bei diesen drei Hauptursachen handelt. Und nach diesem Satz: „Nach all dem, was ich bisher gehört habe, bin ich der Meinung, dass (…)“? Hier würden Sie eine Erklärung erwarten, worin diese Meinung besteht. Wenn Sie irgendwo die Aussage „Die Steuern bleiben im kommenden Jahr stabil, aber (…)“ lesen, dann müssen Sie womit rechnen? Mit einer schlechten Nachricht, denn das „aber“ als einleitende Konjunktion eines Adversativsatzes signalisiert einen Gegensatz: Die Steuern bleiben zwar stabil, aber der Staat erhöht z. B. andere Abgaben oder streicht Steuervorteile. Sie haben es sicherlich gemerkt, die Konjunktionen eignen sich hervorragend als Rateassistenten. Nach einem „obwohl“ folgt eine Einräumung, nach einem „weil“ eine Begründung, nach einem „wie“ ein Vergleich und nach einem „falls“ eine Bedingung. Ich habe nun einen Beispieltext der Süddeutschen ausgesucht, an dem wir uns gemeinsam als Rateteam versuchen wollen. Der Text stammt aus dem Ressort Mobiles Leben und die Überschrift lautet: Der kleine Rad-Geber7. Das ist zunächst schon mal ein Wortspiel: Ratgeber – Rad-Geber. Und das ist sogar ein ausgesprochen guter Titel, denn dank des Wortspiels ist bereits nach den ersten vier Wörtern
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Ruth Schoenbach, Cynthia Greenleaf, Christine Cziko, Lori Hurwits, Lesen macht schlau. Neue Lesepraxis für weiterführende Schulen, hrsg. von Dorothee Gaile, Berlin: Cornelsen Scriptor, 2006, S. 09 ff. Den vollständigen Text mit den Literaturangaben finden Sie am Ende dieses Kapitels unter den Lektüretipps. Lesen, Verstehen, Zusammenfassen
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klar, worum es in diesem Artikel gleich gehen wird: um Tipps zum Fahrradkauf. Ein Ratgeber für Räder eben. Aber das nur am Rande, denn wir wollten eigentlich erraten, welche Art von Information nach dem Titel kommt. Ich würde nach dem sehr guten, absichtlich etwas verwirrenden Titel als Nächstes eine Erklärung erwarten, worum es in dem Artikel wirklich geht:
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Wer sich für die kommende Saison ein neues Fahrrad kaufen will, sollte sich jetzt Gedanken machen / Ein Überblick
Richtig vermutet. Der folgende Artikel will also Tipps zum Fahrradkauf geben. Was würden Sie nun als Nächstes erwarten? Der Artikel ist am 2. Januar in der SZ erschienen – ein Artikel über das Fahrradfahren im Winter ist nicht selbstverständlich. Wenn Sie Mitte Januar einem Freund erzählen, dass Sie sich übermorgen ein neues MTB kaufen wollen, dann kommentiert Ihr Freund diesen Umstand sicher in einer Form wie dieser: „Ist das nicht ein bisschen früh? Warum denkst du jetzt ans Radeln, wo wir gerade einen Meter Neuschnee haben?“ Wieder richtig vermutet, auch der SZ-Autor ist sich darüber bewusst, dass ein Artikel über das Radfahren im Winter beim Leser ein wenig Erstaunen auslösen könnte und deshalb beginnt er den ersten Absatz mit einer Erklärung über die Notwendigkeit des Artikels: Beim Blick aus dem Fenster denken derzeit wohl nur die wenigsten ans Radfahren. Doch ist jetzt genau die richtige Zeit, um sich in Ruhe schon mal die ersten Gedanken über die kommende Saison zu machen. Etwa darüber, ob man das alte Velo noch einmal flott machen will oder sich doch besser gleich ein neues zulegt. Aber welches? 8
Nach der Frage ist klar, was als Nächstes kommen wird: Die Vorstellung und Beschreibung verschiedener Fahrradmodelle. Ich denke, wir sind uns da einig. Und wir liegen völlig richtig: Sportlich und bequem widersprechen sich zwar, doch MTB Cycletech hat beides unter einen Hut gebracht. Das Rad trägt den klangvollen Namen Oxymoron – die Zusammenstellung zweier sich widersprechender Begriffe, wie es im Duden heißt. Anlässlich des 20. Jubiläums des Oxymoron bietet Cycletech das Rad in diesem Frühjahr in drei Retro-Farben (Beige, Verde, Blau) an. Der Stahlrahmen garantiert komfortable Fahreigenschaften und ist mit Anlötteilen für Gepäckträger, Schutzbleche und eine Lichtanlage versehen – also ideal auch für längere Ausfahrten. Das Oxymoron wiegt 10,9 Kilo und kostet 849 Euro.
Danach beginnt ein neuer Absatz im Text und wie erwähnt bedeutet ein neuer Absatz mit großer Wahrscheinlichkeit, dass ein neuer Gedanke (eine neue Aussage, ein neuer Inhalt) kommt. Bisher hat der Autor auch erst ein Modell vorgestellt, deshalb muss im nachfolgenden Absatz ein weiteres kommen. Ich habe mich nicht geirrt, denn der Artikel geht so weiter:
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Als kritischer Leser könnten Sie hier ein bisschen die Nase rümpfen, denn die Argumentation des Autors ist nicht wirklich überzeugend. Er stellt die Behauptung auf, dass jetzt im Winter die ideale Zeit sei, um sich über die kommende Rad-Saison Gedanken zu machen. Ich als Leser würde nun eigentlich gerne erzählt bekommen, warum das so ist oder anders gesagt ein Argument für seine These erhalten. Da kommt aber kein richtig überzeugendes. Fairerweise muss man aber berücksichtigen, dass Zeitungsjournalisten strenge Zeilen- und Spaltenvorgaben haben. Im Zweifelsfall muss sich der Autor eben bei den nicht so wesentlichen Textinhalten kurzfassen. Und die Einleitung ist in diesem Artikel nicht wirklich bedeutsam. Wichtiger sind natürlich die Tipps zu den Fahrradmodellen. Lesen, Verstehen, Zusammenfassen
Für Touren auch mal jenseits von Asphalt, hat der Schweinfurter Hersteller Winora das Yukon konzipiert. Sportlich in Ausstattung und in Rahmengeometrie ist dieses Crossrad ein echter Alleskönner. Der Carbon-Rahmen in Monocoque-Bauweise ist nicht nur leicht, sondern auch steif. Shimanos Schaltgruppe Deore XT verspricht präzise Gangwechsel, im Gelände sorgt eine NCX-D Gabel mit Blockierfunktion von Suntour für die richtige Dämpfung, sicheren Halt versprechen hydraulische Scheibenbremsen von Magura. Ebenso wie das Oxymoron bringt auch das Yukon von Haus aus Montagepunkte für Gepäckträger, Schutzbleche und Seitenständer mit. Das Yukon in Weiß kostet 1599 Euro.
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An dieser Stelle im Artikel würde ich jetzt ganz mutig „raten“, dass es nach diesem Schema weitergeht. Für diesen Tipp brauche ich gar keine besonderen journalistischen Fachkenntnisse, da reicht ein wenig Logik und der gesunde Menschenverstand. Da der Artikel laut eigener Ankündigung einen „Überblick“ über die neuen Fahrradmodelle geben will, müssen auch einige Modelle im Text vorgestellt werden. Zwei Fahrräder stellen noch keine ausreichende Überblicksmenge dar. Ich rate übrigens wirklich mit Ihnen als Leser mit, denn ich habe den Artikel vom Ende her abgedeckt und weiß also auch nicht mehr als Sie. Ich tippe im Übrigen auf insgesamt wenigstens fünf vorgestellte Modelle. Etwa ab dieser Menge hätte ich das Gefühl, tatsächlich einen Überblick erhalten zu haben. Vier wäre mir zu wenig, zehn dagegen wäre mir zu viel, denn so eine große Anzahl könnte ich mir nicht mehr merken. Ich bin mal gespannt, wie viele Modelle es dann wirklich sind. Jetzt machen Sie bitte das Gleiche wie ich und lesen die letzten beiden Abschnitte noch einmal. Welche Informationen würden Sie in einem Überblicksartikel über neue Fahrradmodelle noch erwarten. Bisher hat der Autor ein Mountainbike, kurz MTB, und ein geländetaugliches Tourenrad vorgestellt. Dann müssen im restlichen Artikel mit tausendprozentiger Sicherheit auch noch andere Fahrradgattungen abgehandelt werden. Schließlich fährt nicht jeder SZ-Leser ausschließlich ein Mountainbike oder ein Tourenrad. Ich tippe z. B. auch noch auf die Vorstellung eines RennradModells. Was tippen Sie? Ich glaube, Sie haben die Taktik des vorausschauenden Erratens wahrscheinlicher Informationsinhalte so weit verinnerlicht, dass wir nicht mehr Absatz für Absatz weitermachen müssen. Deshalb fasse ich den restlichen Inhalt des „Rad-Gebers“ für Sie zusammen. Es sind tatsächlich insgesamt fünf vorgestellte Modelle: das MTB Cycletech Oxymoron, das Winora Yukon, die Utopia Silbermöwe, das Santana Extratour und das Felt FX. Mit dem Rennrad liege ich dabei auch fast richtig, denn das letztgenannte FX ist ein Cross-Rennrad. Der Verfasser hat uns Leser auch insgesamt in Sachen Fahrradgattungen nicht enttäuscht und neben dem MTB, dem geländetauglichen Tourenrad und dem Cross-Rennrad auch noch ein sportliches Tourenrad sowie ein alltagstaugliches Reiserad mit 28 Zoll-Bereifung vorgestellt.
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Aufgabe 1: Raten Sie bitte bei den folgenden Beispielen so, wie wir das beim „Rad-Geber“ zusammen gemacht haben. Versuchen Sie herauszufinden, mit welcher Art von Information es nach dem jeweiligen Textausschnitt wahrscheinlich weitergehen wird. In den Klammern nach dem eigentlichen Beispieltext finden Sie zusätzliche Informationen, die Ihnen bei Ihren Voraussagen helfen. Alle Beispiele stammen aus Zeitungsartikeln.
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1) Die geteilte Freude am Fahren (Überschrift, Ressort Mobiles Leben) 2) Die Suche nach dem Haar in der Suppe.10
Warum der Audi A 6 Avant eines der weltweit besten Reiseautos ist Wer auf unseren Autobahnen unterwegs ist, kriegt den Eindruck nicht los, dass es den Deutschen nicht wirklich schlecht geht. (…)
(Überschrift, Unterzeile und der Anfang des ersten Absatzes, Ressort Mobiles Leben) 3) Klassenzimmer ohne Kreidestaub 11
Immer mehr Schulen nutzen elektronische Tafeln – pädagogische Wunder darf man davon nicht erwarten Von Tanjev Schultz und Birgit Taffertshofer Wer sich noch an das Gerede vom angeblich papierlosen Büro erinnert, begegnet allen technischen Verheißungen mit einer gewissen Skepsis. Jens Haase aber ist, wie er selbst sagt, ein technikaffiner Mensch. Er leitet die Grundschule an der Bäke in Berlin und wirbt für moderne Tafeln im Klassenzimmer. In diesem Schuljahr hat er „das Ende der Kreidezeit” ausgerufen: An seiner Schule haben die alten Kreidetafeln ausgedient. In jedem Raum stehen jetzt interaktive Whiteboards. (…)
(Überschrift, Unterzeile und der Anfang des ersten Absatzes, Ressort Schule und Hochschule) 4) Italienische Sparwut 12
Mit der Umwandlung mehrerer Dekrete zur Hochschulpolitik in Gesetze hat das italienische Parlament in der ersten Januarwoche eine Debatte vorläufig beendet, die das Land monatelang beschäftigt hatte. Noch im November gingen Schüler und Lehrer, Studenten und Professoren gemeinsam auf die Straße. Allein in Rom protestierten 200 000 Menschen. Soziologen machten in dieser Onda, dieser Welle von Demonstrationen, bereits die Anfänge einer neuen Protestbewegung aus. Was Bildungsministerin Mariastella Gelmini als wichtigste Reform seit Jahrzehnten propagiert, nennen Kritiker schlicht bildungsfeindlich. (…)
(Überschrift und kompletter erster Absatz, Ressort Schule und Hochschule) 9 0 2 98
„Die geteilte Freude am Fahren“ von Georg Wilke, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 36. „Die Suche nach dem Haar in der Suppe“ von jre, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 36. „Klassenzimmer ohne Kreidestaub“ von Tanjev Schultz und Birgit Taffertshofer, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 40. „Italienische Sparwut“ von Henning Klüver, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 40. Lesen, Verstehen, Zusammenfassen
8.4. Texte zusammenfassen In dem schon genannten Buch Lesen macht schlau fragten die Lehrerinnen ihre Schüler, was denn eine gute Zusammenfassung ausmachen würde. Die Antwort war, dass eine gute Zusammenfassung kürzer sei als der Originaltext, dass sie alle wichtigen Informationen, aber kaum Einzelheiten oder Beispiele enthielte. Damit haben die Schüler im Grunde tatsächlich schon das Wesentliche zum Thema gesagt. Ich vergleiche das Zusammenfassen gerne mit einer SMS:
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Stellen Sie sich einfach vor, Sie müssten den Text als SMS an einen Freund schicken. Wie würden Sie z. B. den folgenden Text in einer SMS zusammenfassen: „Ich komme am Sonntag, den 24., der laut Wetterbericht ein wunderschöner sonniger Tag sein wird, nach Mainz. Der ICE 52, den ich um 2.08 Uhr in München besteige, wird sicherlich nur so glänzen – die Wartungscrew dort muss irgendein besonders gutes Waschmittel benutzen – und ich werde nach Zwischenhalten in X-Dorf um 3.2 Uhr, Z-Heim um 4.08 Uhr sowie Y-Stadt um 5.29 Uhr gegen 6.32 Uhr in der dann hoffentlich auch wirklich sonnigen Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz ankommen, die auf einer Fläche von knapp 00 qkm rund 200.000 Einwohner zählt.“ Als SMS sähe der Abschnitt wohl so aus: „Komme Sonntag 6.32 Uhr am Mainzer Bahnhof an.“ Das ist der wichtigste Inhalt des obigen Textes. Der ganze Rest, die Angaben zum Wetter, zu den Zwischenhalten und zur Größe von Mainz, ist eher unwichtig. Für das Zusammenfassen von Sachtextinhalten wie z. B. einem Zeitungsartikel empfehlen sich grundsätzlich die folgenden Strategien: • Nutzen Sie die Vorarbeit des Verfassers und beachten Sie dessen Absatzeinteilungen. Er wird sich etwas dabei gedacht haben. • Berücksichtigen Sie die Überschrift und eventuelle Zwischenüberschriften im Text. Die Überschrift und die Unterzeile geben das generelle Thema des Textes an. Wenn Sie sich fragen, ob ein bestimmter Textinhalt wichtig oder unwichtig ist, dann überlegen Sie, wie nahe er am Thema dran ist. • Unterstreichen Sie die Ihrer Ansicht nach wichtigsten Textstellen in den einzelnen Absätzen. • Fassen Sie die Kernaussage(n) der einzelnen Absätze in eigenen Worten in ein bis zwei Sätzen zusammen.3 • Versuchen Sie, nachdem Sie alle Absätze in ihren Kernaussagen erfasst haben, daraus einen einzigen Satz zu erstellen, der die zentrale Aussage des gesamten Textes zusammenfasst. • Stellen Sie sich nach der Zusammenfassung der Absätze und des Gesamttextes diese Frage: Wenn ich den Text nicht selbst gelesen hätte, könnte ich dann aufgrund dieser Zusammenfassung verstehen, worum es in dem Text geht? 3
Die konkrete Anzahl von Sätzen hängt natürlich letztlich von der Menge an wichtigen Aussagen ab, die in dem entsprechenden Absatz gemacht werden. Lesen, Verstehen, Zusammenfassen
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• Falls Sie sich nicht ganz sicher sind, ob Sie sich diese Frage selbst objektiv beantworten können, bitten Sie doch einen Freund oder eine Freundin, zuerst Ihre Zusammenfassung und anschließend den Original-Text zu lesen. Wenn Ihr Testleser dann die obige Schlüsselfrage mit einem „Ja“ quittiert, dann haben Sie alles richtig gemacht.
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Wir werden nun das Gleiche wie im letzten Kapitel machen und gemeinsam zur Übung einen Zeitungsartikel zusammenfassen. Er stammt von der Wissens-Seite der SZ und berichtet über die Verpflanzung einer Luftröhre. Der zweite Atem Patientin erhält mit eigenen Zellen gezüchtete Luftröhre Die an der Operation in Barcelona beteiligten Ärzte sprechen von einem „Meilenstein”. Um zu einem solchen Urteil zu kommen, liegt ihr Eingriff aber wohl zu kurz zurück. Eine besondere Patientin ist die 30-jährige Claudia Lorena Castillo Sánchez jedoch auf jeden Fall. Der jungen Frau wurde erstmals eine neue Luftröhre und ein linker Hauptbronchus eingepflanzt, die mit Hilfe ihrer eigenen Zellen gezüchtet worden waren. Die Patientin litt an einer schweren Form der Tuberkulose, die große Teile ihrer Luftröhre zerstört hatte. Vier Monate nach dem Eingriff geht es der zweifachen Mutter gut. Sie muss anders als bei einer Fremdtransplantation keine Medikamente einnehmen, die ihr Abwehrsystem unterdrücken. Ärzte aus Spanien, England und Italien beschreiben die Operation im Fachmagazin Lancet (online). „Chirurgen erschließt sich ein neues Potential durch adulte Stammzellen und Gewebezucht”, sagt Martin Birchall von der Universität Bristol, der an der Operation beteiligt war. Allerdings besteht die Luftröhre nicht komplett aus Zellen der Patientin. Das sieben Zentimeter lange Grundgerüst stammt von einer 51-jährigen Organspenderin. Um eine Abstoßungsreaktion zu verhindern, wurden die Knorpelzellen der Spenderin chemisch ausgewaschen, so dass nur eine Art Skelett des elastischen Schlauchs übrig blieb. Dieses wurde mit zwei Zelltypen der Patientin besiedelt. Aus einem gesunden Teil ihrer Luftröhre stammten die Epithelzellen, die sich gemeinsam mit Knorpelstammzellen aus dem Knochenmark im Labor vermehrten. Als die Luftröhre fertig bewachsen war, sah sie aus wie eine etwas zu groß geratene rosa Röhrennudel. Bisher ging offenbar alles gut. Die Patientin wurde zehn Tage nach dem Eingriff entlassen, nach einem Monat waren Blutgefäße in das neue Organ eingewachsen. Vier Monate nach der Operation konnte sie bereits 500 Meter gehen und zwei Treppen nehmen, ohne außer Atem zu geraten. Vor allem war sie wieder in der Lage, sich um ihre Kinder zu kümmern. In ihrem Blut sind keine Antikörper gegen das Spenderorgan nachweisbar, weshalb ihr wohl dauerhaft Medikamente erspart bleiben, die das Immunsystem unterdrücken. Die japanischen Gewebeexperten Toshihiko Sako und Tatsuo Nakamura kommentieren im Lancet, dass der Erfolg von Barcelona „sehr hoch einzuschätzen” sei. Sie warten allerdings auf längere Erfahrungen mit der Methode. „Anfangs hatte ich Angst, weil ich die Erste war”, sagt die Patientin. „Aber nun genieße ich ein normales Leben mit meiner Familie.” Auch die Ärzte waren unsicher. „Ich war etwas ängstlich”, sagt Paolo Macchiarini, der Chirurg, der die Operation in Barcelona geleitet hat. „Wir haben so was vorher ja nur bei Schweinen ausprobiert.” 14 4 00
„Der zweite Atem“ von Werner Bartens, in: Süddeutsche Zeitung vom 20..2008, S. 6. Lesen, Verstehen, Zusammenfassen
Bei journalistischen Texten hat man es als Leser eigentlich einfach, denn hier übernimmt der Autor mit dem Formulieren der Überschrift und der Unterzeile gleich eine wichtige Verstehensaufgabe, die sonst der Leser zu bewältigen hätte: Der Journalist fasst in der Überschrift und bzw. oder der Unterzeile die Kernaussage des gesamten Artikels zusammen. In unserem Beispiel steht in der Unterzeile: „Patientin erhält mit eigenen Zellen gezüchtete Luftröhre“. Kurz und knackig formuliert gibt dieser Satz an, worum es in dem Artikel geht. Damit haben wir in unserer Übung eigentlich schon den letzten vor dem ersten Schritt gemacht – aber tun wir für den Moment einfach so, als hätten wir diesen Teil noch vor uns.
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Machen wir mit den einzelnen Absätzen weiter. Der erste Absatz des Textes sieht so aus: Die an der Operation in Barcelona beteiligten Ärzte sprechen von einem „Meilenstein”. Um zu einem solchen Urteil zu kommen, liegt ihr Eingriff aber wohl zu kurz zurück. Eine besondere Patientin ist die 30-jährige Claudia Lorena Castillo Sánchez jedoch auf jeden Fall. Der jungen Frau wurde erstmals eine neue Luftröhre und ein linker Hauptbronchus eingepflanzt, die mit Hilfe ihrer eigenen Zellen gezüchtet worden waren. Die Patientin litt an einer schweren Form der Tuberkulose, die große Teile ihrer Luftröhre zerstört hatte. Vier Monate nach dem Eingriff geht es der zweifachen Mutter gut. Sie muss anders als bei einer Fremdtransplantation keine Medikamente einnehmen, die ihr Abwehrsystem unterdrücken. Ärzte aus Spanien, England und Italien beschreiben die Operation im Fachmagazin Lancet (online).
Ich würde behaupten, die wichtigste Information in diesem Textausschnitt ist, dass es Ärzten gelungen ist, eine Luftröhre und einen Teil einer Lunge zu verpflanzen, die zuvor aus eigenen Körperzellen des Patienten gezüchtet worden waren. In einer SMS würde ich schreiben: OP geglückt. Aus eigenen Zellen gezüchtete Lungenorgane erfolgreich verpflanzt. Alle anderen Informationen sind weniger wichtig. Weiter mit dem zweiten Absatz: „Chirurgen erschließt sich ein neues Potential durch adulte Stammzellen und Gewebezucht”, sagt Martin Birchall von der Universität Bristol, der an der Operation beteiligt war. Allerdings besteht die Luftröhre nicht komplett aus Zellen der Patientin. Das sieben Zentimeter lange Grundgerüst stammt von einer 51-jährigen Organspenderin. Um eine Abstoßungsreaktion zu verhindern, wurden die Knorpelzellen der Spenderin chemisch ausgewaschen, so dass nur eine Art Skelett des elastischen Schlauchs übrig blieb. Dieses wurde mit zwei Zelltypen der Patientin besiedelt. Aus einem gesunden Teil ihrer Luftröhre stammten die Epithelzellen, die sich gemeinsam mit Knorpelstammzellen aus dem Knochenmark im Labor vermehrten. Als die Luftröhre fertig bewachsen war, sah sie aus wie eine etwas zu groß geratene rosa Röhrennudel.
Beim ersten Lesen, so ging es mir jedenfalls, bleibt man an den Details der Beschreibung der Luftröhre hängen und ist versucht, diese für wichtig zu halten. Sind sie aber nicht, denn – und damit habe ich mir meine Frage schon selbst beantwortet – es handelt sich nur um „Details“, um Einzelheiten. Für die Zusammenfassung brauchen wir aber nicht die Einzelheiten, sondern das Wesentliche. In diesem Absatz gibt es zwei wichtige Inhalte. Der erste steht gleich im ersten Satz: Adulte Stammzellen und Gewebezucht eröffnen neue Wege in der Chirurgie. Die zweite wichtige Information erkennt Lesen, Verstehen, Zusammenfassen
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man am einschränkenden „allerdings“, denn die verpflanzte Luftröhre wurde gar nicht komplett aus körpereigenen Zellen der Patientin gezüchtet. Die zentralen Aussagen dieses Absatzes sind also in einem Satz zusammengefasst: Obwohl die verpflanzte Luftröhre zum Teil aus Spendermaterial bestand, bieten adulte Stammzellen und Gewebezucht ganz neue Behandlungswege in der Chirurgie.
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Der dritte Absatz: Bisher ging offenbar alles gut. Die Patientin wurde zehn Tage nach dem Eingriff entlassen, nach einem Monat waren Blutgefäße in das neue Organ eingewachsen. Vier Monate nach der Operation konnte sie bereits 500 Meter gehen und zwei Treppen nehmen, ohne außer Atem zu geraten. Vor allem war sie wieder in der Lage, sich um ihre Kinder zu kümmern. In ihrem Blut sind keine Antikörper gegen das Spenderorgan nachweisbar, weshalb ihr wohl dauerhaft Medikamente erspart bleiben, die das Immunsystem unterdrücken.
Die wichtigste Information in diesem Abschnitt liegt darin, dass die Patientin den Eingriff gut überstanden hat und die verpflanzten Organe nicht abgestoßen werden. Gleich zum letzten Absatz: Die japanischen Gewebeexperten Toshihiko Sako und Tatsuo Nakamura kommentieren im Lancet, dass der Erfolg von Barcelona „sehr hoch einzuschätzen“ sei. Sie warten allerdings auf längere Erfahrungen mit der Methode. „Anfangs hatte ich Angst, weil ich die Erste war“, sagt die Patientin. „Aber nun genieße ich ein normales Leben mit meiner Familie.“ Auch die Ärzte waren unsicher. „Ich war etwas ängstlich“ sagt Paolo Macchiarini, der Chirurg, der die Operation in Barcelona geleitet hat. „Wir haben so was vorher ja nur bei Schweinen ausprobiert.“
Der inhaltliche Kern des Absatzes liegt eindeutig darauf, dass diese Operationsmethode noch zu neu und unerprobt ist, um ihre Wirkung bereits jetzt beurteilen zu können. Als Überschrift für diesen Absatz könnte man sich einen Satz in dieser Art vorstellen: Unsicherheit bei Ärzten und Patientin über die Erfolgschancen der neuen Stammzellen-Methode. Apropos Methode: Sie können generell versuchen, sich eigene Überschriften für die einzelnen Absätze auszudenken. Manchen fällt das vielleicht leichter, als reine Sätze zu formulieren. Auf beiden Wegen erreichen Sie aber dasselbe Ziel: Eine gedankliche Konzentration auf die wichtigsten Informationsinhalte. Zum Abschluss schreibe ich jetzt die denkbaren Zwischenüberschriften zu allen vier Absätzen hintereinander: Ärzten gelingt erfolgreiche Verpflanzung von Luftröhre aus eigenen Stammzellen. Die Verwendung von Stammzellen zur Gewebezucht bietet ganz neue Chancen für die Zukunft der Chirurgie, obwohl noch teilweise auf Spendermaterial zurückgegriffen werden musste. Der Patientin geht es nach der OP sehr gut. Ihr Körper nimmt die neuen Organe an. 02
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Unsicherheit bei Ärzten und Patientin über die Erfolgschancen der neuen Stammzellen-Methode. Und wenn wir ganz zum Schluss den wesentlichsten Inhalt des ganzen Artikels in einem Satz zusammenfassen müssten, dann würden wir wieder bei der Unterzeile landen: „Patientin erhält mit eigenen Zellen gezüchtete Luftröhre.“
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Lektüretipps: – Duden. Die Grammatik. Band 4 der Duden-Reihe (insgesamt 2 Bände). Im Augenblick zur Drucklegung dieses Buchs ist die aktuellste Auflage die siebte von 2006, aber Sie können auch frühere Auflagen verwenden, denn die deutsche Grammatik hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht wirklich verändert. Lesen Sie die Kapitel über die Satzbildung. In der 6. Auflage finden Sie die Kapitel über die zusammengesetzten Sätze wie z. B. die Adverbialsätze ab S. 755. In der 7. Auflage ab S. 027. – Brigitte Chevalier, Effektiv lesen, Frankfurt a. M.: Eichborn, 2007 (44 S.). Ursprünglich 992 auf Französisch erschienen finden sich in diesem angenehm schmalen Buch nützliche Tipps, um die Lesefähigkeit und das Leseverständnis zu erhöhen. Man sollte sich aber nicht durch abweichende Begrifflichkeiten verwirren lassen, denn was bei Chevalier selektives Lesen heißt, wird von Autoren wie z. B. Schiesser und Nodari als gezieltes Leseverstehen bezeichnet. – Falls Sie Zweifel an meiner Rate-Aufrichtigkeit haben – Der „Rad-Geber“ aus der SZ in voller Länge:5 Der kleine Rad-Geber Wer sich für die kommende Saison ein neues Fahrrad kaufen will, sollte sich jetzt Gedanken machen / Ein Überblick Beim Blick aus dem Fenster denken derzeit wohl nur die wenigsten ans Radfahren. Doch ist jetzt genau die richtige Zeit, um sich in Ruhe schon mal die ersten Gedanken über die kommende Saison zu machen. Etwa darüber, ob man das alte Velo noch einmal flott machen will oder sich doch besser gleich ein neues zulegt. Aber welches? Sportlich und bequem widersprechen sich zwar, doch MTB Cycletech hat beides unter einen Hut gebracht. Das Rad trägt den klangvollen Namen Oxymoron – die Zusammenstellung zweier sich widersprechender Begriffe, wie es im Duden heißt. Anlässlich des 20. Jubiläums des Oxymoron bietet Cycletech das Rad in diesem Frühjahr in drei Retro-Farben (Beige, Verde, Blau) an. Der Stahlrahmen garantiert komfortable Fahreigenschaften und ist mit Anlötteilen für Gepäckträger, Schutzbleche und eine Lichtanlage versehen – also ideal auch für längere Ausfahrten. Das Oxymo-ron wiegt 10,9 Kilo und kostet 849 Euro.
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„Der kleine Rad-Geber“ von Andreas Salch, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 37. Lesen, Verstehen, Zusammenfassen
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Für Touren auch mal jenseits von Asphalt, hat der Schweinfurter Hersteller Winora das Yukon konzipiert. Sportlich in Ausstattung und in Rahmengeometrie ist dieses Crossrad ein echter Alleskönner. Der Carbon-Rahmen in Monocoque-Bauweise ist nicht nur leicht, sondern auch steif. Shimanos Schaltgruppe Deore XT verspricht präzise Gangwechsel, im Gelände sorgt eine NCX-D Gabel mit Blockierfunktion von Suntour für die richtige Dämpfung, sicheren Halt versprechen hydraulische Scheibenbremsen von Magura. Ebenso wie das Oxymoron bringt auch das Yukon von Haus aus Montagepunkte für Gepäckträger, Schutzbleche und Seitenständer mit. Das Yukon in Weiß kostet 1599 Euro.
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Wer nicht nur einen Abstecher an den nächsten Baggersee machen möchte, sondern mit dem Gedanken spielt, mit seinem Velo ganze Wochenenden zu verreisen oder gar eine Urlaubsreise zu machen, braucht nicht nur Fitness, sondern auch mehr Gepäck und das passende Rad. Einen schon legendären Ruf unter Reise-Radlern besitzt die Silbermöwe – erstmals gebaut vor 26 Jahren, wurde dieses sportliche Tourenrad von Utopia im Laufe der Jahre immer wieder aktualisiert und auf den neuesten Stand gebracht. In diesem Monat präsentiert Utopia die Silbermöwe erstmals mit 26 Zoll großen Rädern; laut Hersteller wird das Rad damit sportlicher und kompakter. Mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 160 Kilo ist das Bike prädestiniert für lange Radreisen, die immer mehr Anhänger finden. Der Preis der Silbermöwe 26 liegt um die 1700 Euro. Zu den hochwertigen Reiserädern gehören auch die Delite-Modelle von Riese und Müller, die rund 2200 Euro kosten. Laufräder mit 28 Zoll, steifer Rahmen, bequeme Sitzposition und Anlötteile für Gepäckträger sowie gute Geometrie – ein Rad mit solchen Eigenschaften hat die Fahrradtechnik Haas GmbH in Rosenheim im Programm. Das Santana-Extratour bietet all diese Merkmale und ist nicht nur Reiserad, sondern auch alltagstauglich. Das Besondere: Es ist ein Solo-Rad, gebaut aus Tandem-Teilen. Dementsprechend sind die Abmessungen, die es in sich haben. OversizeRahmenrohre von 35 und 32 Millimeter sowie eine 160 Millimeter breite Hinterradnabe – üblich sind 135 Millimeter. Für Radler mit mehr als 100 Kilo Körpergewicht ist das Extratour somit das ideale Sportrad. Angeboten werden verschiedene Ausstattungen – etwa mit einer UltegraTretlager-Garnitur und der XTR-Schaltgruppe von Shimano. Laut einem Test der Zeitschrift aktiv Radfahren ist das Extra-tour sehr seitensteif, fährt sich sportlich und erlaubt durchaus rasante Abfahrten auch mit reichlich Gepäck. Die Gesamtbelastung des Extratour ist auf 200 Kilogramm ausgelegt und kostet 3271 Euro. Wer über Stock und Stein radeln und dabei nicht auf die Vorzüge eines Rennrades verzichten will, für den ist das Cross-Rennrad ideal. Durch den Mountainbike-Boom, der vor 20 Jahren begann, geriet das Cross-Rennrad in Vergessenheit, aber: Derzeit erleben Crosser eine Renaissance, immer mehr Radsportler finden Spaß an den agilen Flitzern. Felt bietet mit dem F1X einen solchen robusten Renner an. Der Rahmen ist aus Alurohr, ausgestattet ist das F1X mit einer 105er-Gruppe von Shimano. Gut: Das Schaltauge, an dem die Schaltung montiert ist und das bei einem Sturz brechen kann, ist austauschbar, was Kosten spart. Das F1X ist mattschwarz und kostet 1299 Euro.
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9 Texte analysieren und verarbeiten 9.1. Einleitung mit einem Blick in die Zukunft
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Falls Sie nach dem Deutsch-Grundkurs mit dem Hauptkurs weitermachen, könnte Ihnen am Ende in der Abschlussprüfung eine Frage in dieser Art begegnen: „Geben Sie Inhalt und Aufbau des Textes wieder.“ Und unter dieser Frage stünde dann ein entsprechender Sachtext, den Sie in eigenen Worten zusammenfassen sollten. In den Fachabiturprüfungen der vergangenen Jahre fanden sich z. B. Texte mit den folgenden Überschriften und Inhalten: • Wohin des Weges? Vom elektronischen Knoblauchröster bis zum Internetanschluss auf dem Mount Everest – alles ist verfügbar. Unser inneres Navigationssystem spielt verrückt. Ein Hilferuf. (…)
(Ein Kommentar aus dem Rheinischen Merkur über die Überforderung des Menschen im Angesicht einer Welt voller Kommunikationstechnik und multimedialer Informationsflut) • Reisen neu lernen 2 (Ein Kommentar aus der Süddeutschen Zeitung über die veränderten Vorstellungen und Konzepte des Verreisens) • Im Dickicht der Riesenstädte Es leben mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land. Zukunftsforscher warnen vor sozialen Problemen. Aber hat die Verstädterung nicht auch Vorteile? 3
(Ein Kommentar aus Die Welt über die zunehmende Verstädterung in den Entwicklungsländern) • Geraubte Zukunft 4 (Ein Kommentar aus der SZ über das Versagen der Politik beim Thema Kinderarmut) Die weiteren Prüfungstexte der vergangenen Jahre aus Bayern stammten aus der Wochenzeitung Die Zeit und der SZ (2006), wieder aus der Süddeutschen (2005), aus Die Zeit und Frankfurter Allgemeine (2004) und in den Jahren 2003 und 2002 erneut aus der SZ. Jetzt verstehen Sie vermutlich besser, warum ich mit einer gewissen Hartnäckigkeit darauf dränge, dass Sie sich am besten regelmäßig mit einer der großen vier überregionalen Tageszeitungen, d. h. Süddeutsche, FAZ, Frankfurter Rundschau und Welt, befassen. Noch zur Erklärung: Die Zeit erscheint nicht täglich, sondern einmal wöchentlich am Donnerstag und richtet sich in Themenwahl und Stil eher an eine akademisch gebildete Leserschaft. Aber versuchen Sie sich ruhig auch mal an dieser anspruchsvollen Lektüre. Da Die Zeit nur einmal 2 3 4
FOS • BOS 12 200. Fachabitur-Prüfungsaufgaben mit Lösungen. Deutsch. Bayern. 2002-2008, Freising: Stark Verlag, 2008, D 2008-6. Ebenda, D 2008-2. Ebenda, D 2007-7. Ebenda, D-2007-. Lesen, Verstehen, Zusammenfassen
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pro Woche erscheint, besitzt sie einen beachtlichen Umfang und eine große thematische Bandbreite, bei der eigentlich jeder Leser fündig werden kann. Lesen Sie sich lieber schon im Vorfeld einer eventuellen Abschlussprüfung in den Denk-, Schreibund Argumentationsstil einer überregionalen Tageszeitung ein, dann fällt Ihnen die Auseinandersetzung mit Zeitungsartikeln dieser Art wesentlich leichter. Bei den genannten Prüfungstexten handelt es sich zudem ausnahmslos um Kommentare. Sie erinnern sich bestimmt aus den vorhergehenden Kapiteln, was ich über die Vorteile von Tageszeitungen und deren Ressorts geschrieben habe. Wenn in der Süddeutschen ein Thema auf Seite 4 im Kommentar auftaucht, bedeutet dies in aller Regel, dass es bereits in einer früheren Ausgabe oder in anderen Ressorts der aktuellen Ausgabe in anderer journalistischer Form behandelt wurde. Das heißt, als regelmäßiger Leser sind Sie wahrscheinlich schon mit dem Thema vertraut. Vielleicht haben Sie damals am Erscheinungstag zwar den betreffenden Kommentar nicht gelesen, aber unter Umständen die ergänzende Reportage, die Nachricht auf Seite oder den Bericht auf Seite 6. So wächst die Chance, dass Sie ein höheres Vorwissen zum Thema besitzen als eine Vergleichsperson, die sich eben nicht aus vergleichbaren Quellen informiert hat.
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9.2. Die Struktur eines Textes erfassen Aus den vorhergehenden Kapiteln, speziell Kapitel 6–8, kennen Sie schon die wesentlichen Strategien, die das Lesen und Verstehen von Sachtexten erleichtern. Mit diesen Werkzeugen an der Hand sollte eine Textanalyse kein unüberwindliches Hindernis darstellen. Wenn Sie einen neuen unbekannten Sachtext vor sich liegen haben und ihn analysieren müssen, dann fangen Sie nicht einfach an, diesen von oben links nach unten rechts zu lesen. Vermeiden Sie zunächst das detaillierte Lesen und handeln Sie stattdessen gezielt. Schauen Sie sich im ersten Schritt die Überschrift, die Unterzeile und die Quellenangaben an. Im Rahmen von Prüfungsaufgaben wird der Text mit großer Wahrscheinlichkeit aus einer Zeitung entnommen sein. Damit wissen Sie aber immerhin, dass es sich um einen journalistischen Text handelt. Und journalistische Texte befolgen journalistische Grundregeln. Das heißt, Sie können bei einem Bericht davon ausgehen, dass der Autor objektiv über das betreffende Ereignis berichtet. Finden Sie dagegen subjektiv wertende oder appellierende Aussagen in einem Zeitungsartikel, dann handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen Kommentar. Hier darf und soll der Journalist nicht nur objektiv über Fakten berichten, er nimmt dazu auch persönlich Stellung. In einem Kommentar5 der Süddeutschen zum Konjunkturpaket der großen Koalition beginnt der Verfasser z. B. so: „Der Bund wird Berlin mit 308 Millionen Euro für bessere Bildung unterstützen. Das ist schön.“ Das ist sicherlich schön für die ewig klamme Bundeshauptstadt, aber bereits eine subjektiv wertende ironische Aussage. In einer Nachricht oder einem Bericht hätte der Autor diesen Satz nie geschrieben, da hätte er die Information objektiv und sachlich in dieser Art formuliert: „Mithilfe der Bundesmittel kann die Berliner Regierung die dringendsten bildungspolitischen Probleme angehen.“ Später heißt es dann im Text: „Wer nicht will, dass da ein Verliererheer heranwächst, muss das Jammern einstellen und mehr Grips in zeitgemäßen Unterricht stecken.“ Dieser Appell spiegelt nicht die Fakten der Berliner Bildungspolitik wieder, sondern die Meinung des Journalisten zu diesen Fakten. 5 06
„Unterricht mit Grips“ von lion, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 4. Texte analysieren und verarbeiten
Die Quellenangaben verraten Ihnen also schon wichtige Informationen über den Text. Prüfungstexte stammen meist aus seriösen Tages- oder Wochenzeitungen, aber theoretisch könnte ein Text ja auch aus einem anderen Medium stammen: einer Werbebroschüre, einem privaten Blog, dem Parteiprogramm der CDU o. ä. Die Quelle eines Textes verrät bis zu einem gewissen Grad bereits die Aussageabsicht des Textes, also schauen Sie immer nach, wer was zu wem mit welcher Absicht sagt.
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Bei journalistischen Texten mit Überschrift, Unterzeile und eventuellen weiteren Zwischenüberschriften im Lauftext ist man als Leser bzw. Textanalytiker von Haus aus in einer angenehmen Lage, denn die Überschriften fassen die Inhalte bereits in Kurzform zusammen. Eine sehr große Verständnishilfe stellt die Unterzeile dar, also die zweite, kleinere Überschrift vor Beginn des eigentlichen ArtikelLauftextes. Überschriften sollen in erster Linie Aufmerksamkeit erregen und den Leser neugierig machen. Oft ist es aber so, dass die Überschrift den Inhalt des Artikels noch nicht eindeutig erkennen lässt. Da kommt dann die Unterzeile ins Spiel und fasst in sachlicher Form den wesentlichen Inhalt des Textes zusammen. Die Überschrift des Kommentars „Kleiner Erfolg, großes Problem“6 z. B. lässt überhaupt nicht erkennen, worum es in dem Artikel gleich gehen wird. Das macht erst die Unterzeile deutlich: „Die Grünen wollen nun dem Konjunkturpaket zustimmen, das sie jüngst noch gegeißelt haben.“ Damit hat der Autor uns Lesern schon die Textanalyse-Frage nach dem grundsätzlichen Thema seiner Meinungsäußerung beantwortet. In eigenen Worten formuliert: „Der Autor XY befasst sich in seinem Kommentar mit dem plötzlichen positiven Meinungsumschwung der Grünen in Sachen Konjunkturpaket, das die Partei anfänglich noch heftig abgelehnt hatte.“ Schauen Sie neben der Quellenangabe zur Publikation auch auf das Veröffentlichungsdatum und überlegen Sie, was denn zu diesem Zeitpunkt gerade in der Welt passiert ist. Dadurch aktivieren Sie auf einfache Art Ihr Vorwissen. Sie begegnen in Ihrem Leben als Leser schließlich nicht nur tagesaktuellen Texten, deshalb empfiehlt sich grundsätzlich der Blick auf das Entstehungsjahr oder das Veröffentlichungsdatum eines Textes. Jeder Text ist nicht nur das Produkt seines Autors, sondern auch das Produkt seiner Zeit. In einem Text spiegeln sich bis zu einem gewissen Grad die gesellschaftlichen, politischen, künstlerischen oder, kurz gesagt, die allgemeinen Umstände seiner Entstehungszeit wider. Versuchen Sie also, sich bei der Lektüre eines nicht tagesaktuellen Textes schon vor dem Lesen auch Gedanken über dessen historischen Hintergrund zu machen. Ich versuche, das zur Abwechslung an einem fiktionalen Text zu erklären: Wenn Sie z. B. in einem Roman aus dem Jahr 869 eine Romanfigur in geselliger Runde voller Hass und Inbrunst auf die räudigen Franzmänner schimpfen hören, dann wurde dieses von zeitgenössischen Lesern vermutlich als positiv und begrüßenswert empfunden. Denn damals waren Deutschland und Frankreich politische Erzfeinde. Wenn Sie heute als Romanautor eine Figur wütend auf Frankreich und alles Französische schimpfen lassen, dann empfinden dies die Leser nicht mehr als sympathischen Ausdruck von Political Correctness. Denn inzwischen sind Deutsche und Franzosen „dicke Freunde“ geworden. Nach der Betrachtung der Überschrift(en) und der Quellenangaben verschaffen Sie sich einen kurzen Überblick über den restlichen äußeren Aufbau des Textes. Sie können in einer sehr groben Formel von der Anzahl der Absätze auf die Anzahl der vom Autor behandelten Punkte zum Hauptthema schließen, denn häufig beginnt mit einem neuen Absatz auch ein neuer Gedanke. Endgültig wissen Sie das aber natürlich erst, nachdem Sie den Text vollständig gelesen haben. 6
„Kleiner Erfolg, großes Problem“ von Nico Fried, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 4. Texte analysieren und verarbeiten
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9.3. Textinhalte erkennen und zusammenfassen Nach diesen vorbereitenden Analyseschritten lesen Sie den Text dann endlich ein erstes Mal durch. Halten Sie sich nicht mit detaillierten Verständnisfragen auf, sondern lesen Sie den Text bis zum Ende komplett durch. Bei Unklarheiten und Verständnisfragen können Sie eine Strategie anwenden, die das Autorenquartett von Lesen macht schlau vorschlägt:
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) „Ignoriert kleinere Unklarheiten und lest einfach weiter; 2) lest weiter, um festzustellen, ob euch der Sinn des Textes dann klarer wird; 3) lest unklare Textstellen noch einmal; 4) lest den Abschnitt direkt vor der unklaren Textstelle noch einmal; 5) stellt das, was ihr lest, in einen Zusammenhang mit Dingen, die ihr schon kennt oder vorher gelesen habt; 6) holt euch Hilfe von außen.“7 In der Terminologie von Schiesser und Nodari entspräche das nochmalige Lesen deren Konzept des gezielten und detaillierten Leseverstehens. Letztlich ist es aber nicht so bedeutsam, wie die entsprechende Strategie heißt, die Hauptsache ist, sie funktioniert. Ich lege es Ihnen wirklich ans Herz: Verzetteln Sie sich beim ersten Lesen eines Textes nicht in Kleinigkeiten. Sehr viele Verständnisprobleme lösen sich einfach dadurch auf, dass man über anfängliche Unklarheiten hinweg und erst mal bis zum Textende weiterliest. Von Fremdwörtern sollten Sie sich nicht abschrecken lassen, denn wozu gibt es schließlich Wörterbücher. Schauen Sie einfach nach. In Prüfungen sind Wörterbücher übrigens immer zugelassen. Nutzen Sie bei Verständnisproblemen außerdem die Hilfestellung von Grammatik und Wortbedeutung, die in Kapitel 8 beschrieben wird. Satzzeichen verdeutlichen den Sinn von Aussagen. Konjunktionen charakterisieren die Beziehung zwischen Haupt- und Nebensätzen. Nachdem Sie den Text gelesen und im Detail verstanden haben, würde im Rahmen der Prüfungsaufgabe „Analyse eines Sachtexts“ eine inhaltliche Zusammenfassung von Ihnen verlangt werden. Sie sollen in diesem Schritt zeigen, dass Sie den Inhalt des Textes verstanden haben. Die Versuchung beim Anfertigen einer Inhaltsangabe ist groß, einfach großzügig aus dem Original zu zitieren. Damit scheitern Sie aber leider in der Prüfung. Sie müssen den Inhalt auf etwa ein Drittel des Originals gekürzt in eigenen Worten wiedergeben. Diese Vorgabe hat mich zu meinen eigenen Schulzeiten immer etwas erschreckt, denn schließlich sind diese Texte in der Regel von Autoren und Journalisten verfasst, d. h. von Menschen, die ihren Lebensunterhalt davon bestreiten, dass sie gut schreiben können. Wie soll ich da mithalten, habe ich mich in diesem Zusammenhang regelmäßig gefragt. Aber darum geht es gar nicht. Es geht nicht darum, dass ich besser schreiben soll als der Autor des Originaltextes, sondern ich soll nur zeigen, dass ich den Inhalt des Textes mehrheitlich verstanden habe. Dazu muss man nicht schreiben können wie Günter Grass oder Evelyn Roll. 7 08
Ruth Schoenbach, Cynthia Greenleaf, Christine Cziko, Lori Hurwits, Lesen macht schlau, S. 3. Texte analysieren und verarbeiten
Wie kommen Sie nun zu Ihrer inhaltlichen Zusammenfassung in eigenen Worten? Indem Sie den Text nach seinen Sinnabschnitten gliedern und versuchen, diese, wie in Kapitel 8 beschrieben, als Gedankenstütze in einem Satz zusammenfassen. Nach einigem Überlegen haben Sie eine Reihe von überschriftartigen Sätzen zusammen, die die zentralen Aussagen der jeweiligen Sinnabschnitte kurz und prägnant formulieren. Aus diesem Rohmaterial erstellen Sie dann die verlangte Form der inhaltlichen Zusammenfassung. Im Augenblick können Ihnen im Rahmen von Abschlussprüfungen zwei Formen von Inhaltsangaben begegnen: die Inhaltsangabe in Thesenform und die strukturierte Textwiedergabe. Bei der Inhaltsangabe in Thesenform reiht man die Kernaussagen des Textes in Form kurzer Aussagesätze aneinander, ohne sie zu einem zusammenhängenden Textgefüge zu verbinden. Bei der strukturierten Textwiedergabe soll man, wie der Name schon andeutet, beim Verfassen der Inhaltsangabe auch zeigen, dass man den Aufbau der Argumentation nachvollziehen kann. Zur Darstellung der Textstruktur verwendet man dabei Wörter aus dem Wortfeld „Meinungsäußerung, Begründung“, wie z. B. „Der Autor informiert über, er begründet, er lehnt ab, er verneint, er bejaht, er folgert daraus etc.“
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Zum besseren Verständnis zeige ich Ihnen ein Beispiel aus einem Prüfungstext des Jahres 2006. Der zu untersuchende Zeitungskommentar hieß „Die Kultur der Kopisten. Führt der Betrug mit dem Internet zum Moralverfall?“ und er befasste sich, wie man gleich am Titel erkennen kann, mit den möglichen Auswirkungen der Internetbetrügerei auf die moralischen Werte des Menschen. Zunächst stelle ich Ihnen die drei ersten Absätze aus dem Kommentar von Andrian Kreye vor und anschließend zitiere ich die Lösungsvorschläge von Angelika Götzelmann: Donald McCabe, Professor (…) in New Jersey, untersucht seit zehn Jahren die Integrität an den akademischen Institutionen Amerikas. Nach seiner jüngsten Studie schlug er Alarm. 38 Prozent der 16000 befragten Studenten gaben an, Hausarbeiten ganz oder teilweise aus dem Internet kopiert zu haben. Fast viermal so viele wie vor drei Jahren. 44 Prozent aller Studenten fanden das digitale Schummeln auch noch in Ordnung. (…) Die New York Times titelte neulich: „Eine Nation von Kopisten“. Und der Politologe David Callahan wird im Januar ein Buch mit dem Titel „The Cheating Culture“ (Die Betrugskultur) veröffentlichen, in dem er nachzuweisen versucht, dass das Betrügen im kleinen wie im großen Rahmen während der letzten zwei Jahrzehnte epidemische Ausmaße angenommen hat. Die Schuldigen sind auch schon ausgemacht. Allen voran das Internet und die digitalen Technologien. Das so genannte File Sharing, der unbegrenzte Austausch von Musik- und Filmdateien über das Internet, gilt zwar rein rechtlich als Diebstahl, ist inzwischen allerdings so weit verbreitet, dass er von der Gesellschaft längst als Kavaliersdelikt, von seinen Befürwortern sogar als gutes Recht der Konsumenten betrachtet wird. Das, so die Kritiker, schafft ein Klima, in dem es für den Betrug per Mausklick auch dann kein Schuldbewusstsein mehr gibt, wenn es nicht nur um ein paar Popsongs geht, sondern um eine akademische Karriere. Nun war es schon immer einfach, neue Technologien für gesellschaftliche Missstände verantwortlich zu machen. Doch die digitale Welt verwischt nicht nur die moralischen Grenzen sie macht es auch immer schwieriger, sie zu erkennen.8
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„Die Kultur der Kopisten“ von Andrian Kreye, in: Süddeutsche Zeitung vom 03..2003, S. 3. Texte analysieren und verarbeiten
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So weit der Ausschnitt aus dem Originaltext, jetzt der Lösungsvorschlag aus dem FachabiturPrüfungsaufgaben-Buch des Stark-Verlages für die Textzusammenfassung in Thesenform. Die Zeilenangaben in Klammern beziehen sich auf den Text des Kommentars:
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(Zeile 1–8) Andrian Kreye bezieht sich auf aktuelle amerikanische Studien zur widerrechtlichen Nutzung von Internetdateien: – (Z. 1–4) Für viele amerikanische Studenten ist die Nutzung von Internetquellen, die sie als ihre eigenen geistigen Produkte ausgeben, alltäglich geworden. – (Z. 4–8) Wissenschaftler registrieren eine Zunahme des Betrugs in der gesamten Gesellschaft. (Zeile 9–17) Der Verfasser nennt Ursachen dieser weit verbreiteten Bereitschaft zum Betrug: – (Z. 9–12) Viele empfinden es nicht als Unrecht, Musik- und Filmdateien zu tauschen. – (Z. 12–17) Die moralischen Grenzen beim Diebstahl geistigen Eigentums verwischen und bleiben für viele User unsichtbar.9
Formal fällt bei dieser Art der Inhaltsangabe in Thesenform auf, dass zuerst der Kerninhalt der einzelnen Sinnabschnitte in Form einer Überschrift formuliert wird. Darunter werden in Unterpunkten die wichtigsten Aussagen und Belege aus dem jeweiligen Sinnabschnitt aufgeführt. Die zweite Variante der inhaltlichen Zusammenfassung ist die strukturierte Textwiedergabe und die sähe für die drei Abschnitte des Kommentars so aus: Zu Beginn seines Kommentars beruft sich Andrian Kreye auf amerikanische Studien, die belegten, dass 38 Prozent der amerikanischen Studenten nach eigenen Angaben bei der Anfertigung ihrer Arbeiten fremde Aufsätze und Arbeiten aus dem Internet kopieren und damit betrügen. Der Autor registriert zusätzlich eine wachsende Anzahl von Internetbetrügern und stützt sich dabei auf wissenschaftliche und journalistische Untersuchungen. Als Verursacher dieser Entwicklung sieht der Autor die digitalen Medien und ihre technischen Möglichkeiten. Kreye erläutert dies am Beispiel des File Sharing, dessen weite Verbreitung dazu geführt habe, dass viele den Betrug, den sie begingen, nur als Kavaliersdelikt empfänden bzw. sich der Strafbarkeit dieser Downloads nicht bewusst seien. Die neuen Technologien der digitalen Welt und das fehlende Unrechtsbewusstsein machten es schwierig, die bestehenden moralischen Grenzen zu erkennen, behauptet der Autor.0
Die fett gedruckten Wörter fungieren als Strukturwörter, die den Argumentationsaufbau des Ursprungstextes verdeutlichen sollen. Die Strukturwörter werden im Indikativ Präsens verwendet, die Verben aus der Textzusammenfassung müssen dagegen in die Konjunktiv-Form übertragen werden, da der Inhalt des Originaltextes in indirekter Rede wiedergegeben wird.
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FOS • BOS 12 200, D 2006-3. Die Zeilenangaben im Zitattext weichen vom Original ab. Ich habe sie dem Zeilenverlauf des Kommentars im Satz dieses Buches angepasst. Ebenda, D 2006-3. Texte analysieren und verarbeiten
Die strukturierte Textwiedergabe dürfte den meisten Lernenden (trotz der indirekten Rede) etwas leichter fallen, denn man kann hier in der vertrauten Schreibform eines durchgehenden Textes arbeiten. Die Inhaltsangabe in Thesenform überzeugt durch die klare übersichtliche Gliederung der Textinhalte, erfordert aber wegen der ungewohnten Form etwas Übung.
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9.4. Sprachliche Analyse eines Sachtextes Im Rahmen einer Textanalyse-Aufgabe begegnet Ihnen vermutlich auch eine Frage in dieser Art: „Beschreiben Sie die sprachlichen Besonderheiten des Textes und deren Wirkung“. Hier wird von Ihnen erwartet, dass Sie sich Gedanken darüber machen, warum der Verfasser seine Aussagen in genau der gewählten und nicht in anderer Form macht. Worte haben eine Bedeutung – Sie erinnern sich an Kapitel . Stellen Sie sich kurz vor, Sie müssten einen wildfremden Menschen auf der Straße davon überzeugen, dass er Ihnen sein Mobiltelefon für ein Gespräch ausborgt. Welche Worte und Sätze würden Sie dafür wählen? Ich schlage Ihnen ein paar Varianten vor und Sie überlegen sich schon beim Lesen, ob ich damit eine gute oder schlechte Wahl getroffen hätte: ) Gib mal dein Handy her, Alter, aber zackig, ja. 2) Entschuldigen Sie bitte, könnte ich mit Ihrem Handy telefonieren. 3) Entschuldigen Sie bitte, könnte ich mal kurz mit Ihrem Handy telefonieren. 4) Entschuldigen Sie bitte, könnte ich mal ganz kurz mit Ihrem Handy telefonieren, es ist wirklich wichtig. 5) Entschuldigen Sie bitte, es ist wirklich wahnsinnig wichtig. Könnte ich bitte, bitte, bitte ganz, ganz kurz mit Ihrem Handy telefonieren? Meine Freundin hat mich gestern verlassen, mein Labrador hat Durchfall und mein Golf II muss morgen zum TÜV. Wenn ich jetzt auch noch diesen Anruf vermassle, dann bleibt mir nur noch der Gang zur Fremdenlegion oder ins Wasser. Also, ich würde nach Nummer fünf bestimmt mein Handy verleihen, nach Nummer eins sicher nicht. Der Sachverhalt ist bei allen fünf Versionen gleich: Es ist der Versuch, sich ein Mobiltelefon auszuleihen, aber die sprachlichen Formulierungen sind sehr unterschiedlich und auch nur unterschiedlich gut zum Erreichen des Ziels geeignet. Ein Autor verfährt im Grunde genauso. Er verfolgt mit seinem Text eine Absicht, er möchte z. B. unterhalten, informieren, überzeugen, manipulieren oder sich amüsieren. Je nach Ziel wählt er die passenden sprachlichen Mittel. In Version 5 steht zum Beispiel „wirklich wahnsinnig wichtig“. Diese Kombination ist eine Alliteration, das ist aber im konkreten Fall eher zweitrangig. Von der Überzeugungsabsicht her viel wichtiger ist die Steigerung: Es ist nicht nur wichtig oder sehr wichtig, es ist wirklich wahnsinnig wichtig, dass ich dieses Handy ausleihen kann. Das prägende Stilmittel in diesem Satz ist nicht die
Alliteration (rhetorisches Stilmittel): Mehrere Wörter hintereinander beginnen mit dem gleichen Buchstaben. Texte analysieren und verarbeiten
Alliteration, sondern die Kombination des Adjektivs „wichtig“ mit zwei Adverbien, die das „wichtig“ in seiner Bedeutung steigern – zu „wirklich wahnsinnig wichtig“. Dieselbe Taktik habe ich im Folgesatz mit der dreimaligen Wiederholung von „bitte“ angewendet. Die Wiederholung steigert die Wichtigkeit und Eindringlichkeit der Aussage. Danach erhöhe ich die Eindringlichkeit meiner Bitte noch weiter, indem ich dem mittlerweile hoffentlich schon ausleihwillig gestimmten Handybesitzer anhand einiger Beispiele veranschauliche, warum es so essenziell ist, dass er mir sein Mobiltelefon ausleiht bzw. was das Nicht-Telefonieren-Können für fatale Folgen hätte. Mein Stilmittel hier ist also die Veranschaulichung durch Beispiele. Am Schluss mache ich einen Scherz über den Gang zur Fremdenlegion oder ins Wasser. Damit beweise ich Selbstironie und nehme mein Gegenüber positiv für mich ein. Humor macht in aller Regel sympathisch.
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Falls Sie beim Lesen eines Textes nicht ganz sicher sind, welche Stilmittel der Autor im Text anwendet, dann versuchen Sie es mit der „Anders-Probe“. Fragen Sie sich, wie der Verfasser diesen Sachverhalt auch anders hätte ausdrücken können. Warum hat er sich genau mit diesen Wörtern und in diesen Sätzen ausgedrückt? Das muss doch einen Grund haben! Dann fragen Sie sich, worin dieser Grund liegt und haben somit die Absicht des Stilmittels herausgefunden. Bei einer sprachlichen Analyse bringt es nichts, sprachliche Besonderheiten lediglich aufzuzählen. Das Interessante an diesen Besonderheiten ist doch die Erklärung, wozu sie dienen. Der tiefere Sinn der sprachlichen Analyse besteht darin, Sie als Leser dafür zu sensibilisieren, mit welchen unterschiedlichen Methoden Autoren arbeiten können, um eine Textabsicht zu verwirklichen. Sprache ist ein sehr mächtiges Werkzeug, um Menschen zu beeinflussen. Wer weiß, wie Sprache verwendet werden kann, wer sich Gedanken darüber macht, warum ein Text so geschrieben ist, wie er geschrieben ist, der wird weniger beeinflussbar. Jeder Leser ist aber auch zumindest gelegentlich Autor und Sie profitieren beim eigenen Verfassen von Texten natürlich ebenso von einer gesteigerten Lesekompetenz. Außerdem könnte es ja auch einmal zufällig passieren, dass Sie Ihr Handy vergessen haben und dringend jemanden anrufen müssen, der z. B. den Wasserhahn im Bad zügig abstellt. Dann wäre es sicher nicht schlecht, Sie könnten selbst mühelos so eine eindringliche Bitte wie die Version Nummer 5 von oben konstruieren.
9.5. Stellung nehmen „Zu etwas Stellung nehmen“ – das machen wir alle permanent. Jeder Mensch nimmt jeden Tag zu vielen Dingen Stellung. Das beginnt im Grunde schon kurz nach dem Aufstehen: Ziehe ich das rote T-Shirt von GAP an oder das blassgraue von H&M? Welchen Teil der Süddeutschen lese ich vor dem Duschen, welchen danach und welchen in der S-Bahn? Ist heute ein guter Tag, um meinem Kollegen endlich mal durch die Blume zu sagen, dass er müffelt? Und so ziehen sich diese Prozesse der Entscheidungsfindung durch den Tag bis hin zur abendlichen Diskussion über das TV-Programm: Tatort? Lieber Promis beim Kochen zugucken? Oder doch die neue Serie auf Pro7, irgendetwas mit hysterischen Hausfrauen, die gegen Killer-Aliens kämpfen? „Entscheidungsfindungsprozesse“ – das magische Wort habe ich bereits genannt. Denn darum geht es bei der Stellungnahme: Es gibt ein Ausgangsproblem, das auf verschiedene Arten gelöst werden kann, und für eine Lösungsmöglichkeit muss ich mich schließlich entscheiden. Nicht dadurch, dass ich würfle oder Schnick-Schnack-Schnuck mit meinem Nachbarn spiele, sondern ich entscheide mich für die Lösung, nachdem ich das Pro und Kontra, die Gründe dafür und dagegen abgewogen habe. 2
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Das rote GAP-T-Shirt z. B. ziehe ich nach langer Überlegung dem blassgrauen von H&M vor, weil meine Lieblingskollegin neulich meinte, ich sähe darin irgendwie echt lässig und männlich aus. Allerdings habe ich seit Weihnachten etwas zugenommen. Das spräche nun eher für das nicht ganz so eng anliegende T-Shirt von H&M. Das rote hat außerdem links unten einen Fleck, der beim Waschen nicht rausgeht, und ein paar kleine Löcher. Vielleicht liegt das daran, dass meine Katze Holly die letzten zwei Wochen auf dem T-Shirt geschlafen hat.
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Sie sehen also, nach reiflicher Abwägung der Gründe, die dafür (meine Kollegin fand, dass ich darin lässig und männlich aussehe) und dagegen (ein Fleck und Löcher) sprachen, habe ich mich konsequent und folgerichtig natürlich für das rote T-Shirt entschieden. Dieses Beispiel für eine Stellungnahme müssen Sie nicht ganz ernst nehmen, aber es zeigt trotzdem die grundsätzliche Verfahrensweise bei einer Stellungnahme auf: • Ausgangsfrage • Sammlung von Argumenten • Abwägen der Argumente: Was spricht dafür? Was spricht dagegen? • Entscheidung Die Entscheidung sollte sich aber aus der Abwägung der Argumente ergeben. Das heißt, sie muss nachvollziehbar begründet sein. Sie könnten sich an dieser Stelle fragen, wie denn nach dieser Logik im obigen Beispiel eine Entscheidung für das rote, löchrige T-Shirt fallen konnte, obwohl zwei Gründe dagegen sprachen und nur einer dafür? Es kommt bei einer Stellungnahme nicht auf die Menge der Gründe an, sondern auf ihre Wertigkeit. Genau gesagt kommt es darauf an, dass der Stellungnehmende in seiner Begründung klarmachen kann, warum er sich für diese oder für jene Position entschieden hat. Im Falle des roten T-Shirts habe ich meine Entscheidung für das rote T-Shirt mit dem Wohlgefallen meiner Kollegin begründet. In einer seriöseren Formulierung hätte ich geschrieben, dass ich mir natürlich darüber klar bin, dass das rote T-Shirt nicht mehr so toll aussieht, aber das wäre mir egal. Denn ich hätte das Gefühl, dass sich zwischen mir und meiner Kollegin eine emotionale Beziehung anbahnt. Dies wäre mir sehr viel wichtiger, als meine äußere Erscheinung und der potenzielle Spott meiner Umwelt. In einer Stellungnahme gibt es inhaltlich keine „richtige“ und keine „falsche“ Lösung – nur „gut“ begründete und „schlecht“ begründete Entscheidungen. Es sei denn natürlich, Sie streiten in Ihrer Argumentation erwiesene Fakten oder Tatsachen ab, dann kann man schon von falsch und richtig reden. Die Erde ist nun einmal rund. Selbst wenn man das Gegenteil noch so clever begründet, ist es trotzdem sachlich falsch und somit nicht überzeugend. Befassen Sie sich im Rahmen einer geforderten Stellungnahme erst mit der Aufgabenstellung und dann mit sich selbst: mit Ihren Gedanken, mit Ihren Einstellungen und mit Ihrem Vorwissen zum Thema. Und dabei stellen Sie sich immer wieder die eine entscheidende Frage: Warum? Warum sehe ich das so? Warum finde ich das gut? Warum finde ich das nicht gut? Was sind die Gründe dafür? Mit den Antworten zu den Warum-Fragen haben Sie Ihre Argumente. Und wenn Sie Ihre Argumente gegeneinander abwägen, dann finden Sie wahrscheinlich heraus, dass Ihnen manche Texte analysieren und verarbeiten
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wichtiger erscheinen und andere nicht so wichtig. Das hat auch wiederum Gründe. Und genau darüber schreiben Sie. Teilen Sie dem Leser in Ihrer Stellungnahme mit, warum Sie sich so und nicht anders entschieden haben.
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Aufgabe: Ich habe Ihnen einen Ausschnitt aus einem Prüfungstext der Realschul-Abschlussprüfung des vergangenen Jahres herausgesucht. Erstellen Sie bitte zu den drei zitierten Absätzen eine strukturierte Textwiedergabe. In der Prüfung wäre die Frage nach der strukturierten Textwiedergabe vermutlich so formuliert: „Geben Sie Inhalt und Aufbau des folgenden Textes wieder“. Bei dem Text handelt es sich um einen Ausschnitt aus einem Kommentar anlässlich des Erscheinens des siebten und angeblich letzten Harry Potter-Bandes:2 Harry Potter. Die Welt liest Das Phänomen »Harry Potter«: Globalisierung kann angenehm und sehr anspruchsvoll sein. Weltereignisse spielen sich gewöhnlich nicht in Buchläden ab. Sie kommen überraschend – und sind entsetzlich, wie der 11. September 2001, oder fantastisch, wie der Mauerfall. Menschen rufen dann ihre Freunde und Verwandten an und fordern sie auf, schnell das Fernsehgerät einzuschalten. Das Weltereignis des kommenden Wochenendes wird diesen Effekt nicht haben, weil es lange vorauszusehen war – und es wird in Buchläden beginnen, um später auf Sofas, in Strandkörben oder Liegestühlen seinen Lauf zu nehmen. Das Ereignis wird fantastisch sein, nicht entsetzlich: Die Rede ist vom Erscheinen des siebten und wohl letzten Harry Potter- Romans aus der Feder der britischen Autorin Joanne K. Rowling. Die Geschichte des ungeliebten Waisenjungen, der plötzlich entdeckt, dass er gar nicht in die öde Realität eines spießigen Londoner Vororts gehört, sondern in die schillernde Welt der Zauberer, Hexen, Kobolde und Hauselfen, hat ungezählte Leser begeistert. 325 Millionen Exemplare der ersten sechs Bände sind weltweit bisher verkauft worden (in Deutschland allein 25 Millionen); in mehr als 60 Sprachen wurden die Bücher übersetzt. (…)
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„Harry Potter. Die Welt liest“ von Susanne Gaschke, Die Zeit vom .07.2007, S. . Texte analysieren und verarbeiten
Lektüretipps: – Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, (Der Duden, Band 4), hrsg. von der Dudenredaktion, 6. neu bearb. Aufl., Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag, 998.
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Lesen Sie sich bitte im Grammatik-Duden die Kapitel zur Modus- und Tempusumwandlung (Indikativ-Konjunktiv) in der indirekten Rede durch. In der 6. Auflage sind dies die Seiten 78–786. – Joanne K. Rowling, Harry Potter. Band –7. Die Romane der britischen Autorin sind auch für Leser, die älter als zehn Jahre alt sind, durchaus empfehlenswert. Harry Potters Welt ist fantastisch und sehr fantasievoll gezeichnet. Allein für die Erfindung der „Heuler“ gebührt Mrs. Rowling der Schriftsteller-Oscar. Noch dazu sind die Romane äußerst spannend. Hätten Sie gedacht, dass Sirius Black …? Also, ich wirklich nicht! – Die Abschlussaufgaben mit Lösungen – Reihe des Stark Verlages Der Verlag aus Freising gibt seit vielen Jahren die Prüfungsaufgaben von Realschulen, Fachoberschulen und Beruflichen Oberschulen mit Musterlösungen heraus.
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10.1. Einleitung mit einem Thread und der Erörterung der Frage, warum Batman besser als Superman ist. Bei einer Erörterung geht es im Kern darum, ein Thema von verschiedenen Seiten zu beleuchten. In der Schule macht man daraus einen Aufsatz, im Internet einen Thread. Ich vermute, die Teilnehmer des Batman-Forums auf comicforum.de würden nicht direkt von sich behaupten, dass sie in dem Thread „Warum Batman besser als Superman ist“ eine Erörterung durchführen, aber tatsächlich kommen sie dem Grundmuster einer Erörterung ziemlich nahe: Behaupten und begründen. Schauen wir uns also einige der Gründe an, warum der dunkle Rächer von Gotham City besser ist als Kal-El aka Superman, der Strahlemann vom untergegangenen Planeten Krypton mit Wohnsitz in Metropolis:2 a) also ich lese kein superman, hab früher aber ab und zu reingeguckt! also der typ ist super stark, hat nen hitzeblick, kann fliegen, ne kälte-kraft hat der glaub ich auch?! und dann ist er noch unverwundbar. außer man attackiert ihn mit so nem gestein....... da fehlt nur noch das er schnell wie n flash ist! und da denk ich mir doch, wieso wird der trotzdem dauernd vermöbelt. deswegen mag ich den kerl nicht! war das ne begründung? b) Also der eindeutig wichtigste und logischste grund, warum bats besser als Sup is, Batman hat den absolut besten, coolsten, charismatischsten, brillantesten, grausamsten, Furcht einflößendsten, spektakulärsten, kultiviertesten, cleversten, gut aussehendsten, freakigsten, verrücktesten, bösesten, brillantesten, am besten gekleideten und einfach größten Superschurken aller Zeiten als Gegner! DEN MAD HATTER!!!!! So damit is wohl alles gesagt! 3 c) Warum ist Batman besser als Superman? Vielleicht weil dessen Charakter viel mehr Tiefe, Tiefgang und Dramatik besitzt? Vielleicht aber auch, weil er ein „normaler“ Mensch ist? Kann aber auch sein, weil dessen Charakter bzw. die Batman-Figur an sich in verschiedenster Weise interpretiert werden kann und schon wurde. Noch ein Grund könnte sein, da seine Gegner um ein vielfaches interessanter und einfallsreicher sind als vom Blaumann.
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Der Begriff „Thread“, englisch „Faden“, bezeichnet eine Reihe zusammengehöriger Diskussionsbeiträge, auch „posts“ oder „postings“ genannt, zu einem Thema in einem Internet-Forum. Ich habe innerhalb der Zitate die Namen der Verfasser entfernt und die Rechtschreibfehler bis auf die Großund Kleinschreibung weitgehend korrigiert. Die Beiträge a und b stammen aus: http://www.comicforum.de/showthread.php?t=44825&page=2 vom 26.0.2009. Erörtern
Auch ist für mich ein steinreicher Playboy, der nach einem einschlägigen Erlebnis, zu einem schizophrenen Typen mit einem Fledermaus-Tick geworden ist tausendmal lieber, interessanter, realistischer und nachvollziehbarer als ein außerirdischer Typ, der Kräfte wie eine Bulldozer hat, einen grauenhaften Modegeschmack hat und trotz seiner außerirdischen Herkunft trotzdem menschlich aussieht. Außerdem ist Batman ein düsterer Charakter... und jeder weiß, dass ich nur diese Typen aus der Comicwelt mag. d) Ich mag beide Helden gleichermaßen und unterm Strich sind beide Helden ziemlich gleich nur die Atmosphäre ist bei den beiden anders gestrickt. Allerdings ist eine dunkle und bedrückende Atmosphäre eben interessanter als eine Bunte und Fröhliche, daher kommt es auch das Batman bei vielen eben beliebter ist.
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e) Batman ist halt der Beste! Er ist der Realistischere der beiden, hat Jahre lang trainiert, um so gut zu werden wie er jetzt ist. Superman wurde mit seinen ganzen Superkräften schon geboren. Langweilig! f) (…) ich für meinen teil finde supi einfach nur langweilig, weil er eben keinen dunklen fleck in seiner seele hat und fast alles kann (…) aber stimmt schon, des öfteren isser mir auch n bischen zu sehr der strahlemann (ganz zu schweigen von den vielen patriotischen ausformungen) – wenn allerdings doug mahnke oder jon bogdanov ihn zeichnen verliert er erfrischend viel von diesem pfadfinder image. g) Nun muss man sich eigentlich zunächst auf eine einheitliche Definition von „besser“ festlegen, bevor man diese Frage mit Bestimmtheit beantworten kann, jedoch, wenn man mich fragt... Ist er allein schon deshalb besser, da er mit seiner Arbeit das im Verhältnis größere Risiko eingeht, und auch meist mehr Einsatz zeigt! Batman ist aus einem Fehler der Gesellschaft entstanden, und personifiziert somit die Seele eines jeden gequälten Menschen! Er kann nicht wie bestimmte andere Helden auf Flugfähigkeiten zurückgreifen, oder sich gar auf Unverwundbarkeit verlassen, er ist ein Mensch, getrieben von tiefem Schmerz und tut was er muss. Und das mit aller Konsequenz für sich! 4
Wenn die Frage „Warum ist Batman besser als Superman?“ das Thema eines Erörterungsaufsatzes gewesen wäre, dann hätten sich die Diskussionsteilnehmer des Batman-Forums schon auf einem sehr guten Weg befunden. Sie haben eine umfangreiche Stoffsammlung angelegt, die das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus betrachtet, und der Beitragsautor unter Punkt „g“ hat zudem eine sehr wichtige Frage angesprochen, die man sich am Anfang jeder Erörterung stellen sollte: Was ist denn eigentlich das genaue Thema? Schließlich hätte man die Themenstellung auch eher „kampfsportlich“ interpretieren können: „Batman gewinnt einen Zweikampf mit Superman, weil …“. Darum ging es aber augenscheinlich in dieser elektronischen Diskussionsrunde nicht. Insofern hätte man mit dem Einwurf, dass Superman klar besser ist, weil er Batmans Kopf mit seinem Hitzeblick aus 0 km Entfernung wie ein Spiegelei in der Mikrowelle zum Platzen bringen kann, zwar vermutlich Recht, aber das Thema verfehlt.5 4 5
Die Beiträge c-g aus: http://www.comicforum.de/showthread.php?t=44825 vom 26.0.2009. Dieser Frage gehen die beiden Threads „Superman vs. Batman“ sowie „Batman vs. Superman“ unter http:// www.comicforum.de/showthread.php?t=7427 und http://www.comicforum.de/showthread.php?t=7227 nach. Erörtern
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Interessanterweise haben die Diskutanten im Batman-Forum eigentlich eine literarische Erörterung begonnen, denn sie haben in ihren Begründungen die Charakterzeichnung der Hauptfigur Batman und der Nebenfiguren, der Batman-Gegner, analysiert und für gut befunden; sie haben den Ort der Handlung, das düstere Gotham City, im Vergleich zum sauberen, ordentlichen Metropolis, der Heimatstadt Supermans, als positiv herausgestellt; sie haben die grafische Gestaltung, die bei einem Roman dem Erzählstil entspräche, in ihre Begründungen miteinbezogen und sie haben die Hauptfigur sogar „interpretiert“, d. h. vom Besonderen auf das Allgemeine geschlossen. Beim Interpretieren einer Figur in einem Roman, Comic, Film etc. hilft eine einfache Überlegung: Hier haben wir eine Einzelperson, die soundso denkt und sich soundso verhält. Könnte man von diesem Einzelfall auch auf allgemeine, übergeordnete, abstrakte Zusammenhänge schließen und welche Zusammenhänge könnten das sein? Im Fall von Batman interpretiert Thread-Teilnehmer „g“ die Hauptfigur als Personifikation jeder gequälten Seele, indem er von Batmans individueller Lebensgeschichte auf einen allgemeinen abstrakten Zusammenhang schließt. Nur so viel an dieser Stelle kurz zum literarischen Interpretieren, denn damit befassen wir uns in späteren Kapiteln intensiver. Aus dem Batman-Thread, denke ich, kann man auf jeden Fall zwei Erkenntnisse mitnehmen: Ein Thema wird interessanter, wenn man es aus mehr als einem Blickwinkel betrachtet, und ein Thema wird noch interessanter, wenn man die Aussagen, die man dazu macht, auch begründet.
10.2. Verschiedene Erörterungsarten Eine Erörterung ist eine spezielle Aufsatzform in der Schule. Diese Definition beschreibt aber nur den unwichtigsten Aspekt. Das wirklich Wichtige an einer Erörterung ist, dass man mit ihr systematisch übt, Sachverhalte zu begründen. Die Schulzeit ist irgendwann vorbei, aber die Notwendigkeit, andere von der eigenen Sichtweise der Dinge überzeugen zu können, begleitet einen ein Leben lang. Im schulischen Bereich begegnen Ihnen in der Regel lineare bzw. steigernde6 und dialektische bzw. Pro-Kontra-Erörterungen7. Bei einer linearen Erörterung müssen Sie eine einzelne Themafrage beantworten, wie z. B.: • Stellen Sie dar, wie Sie den Energieverbrauch in Ihrem privaten Lebensbereich reduzieren können. • Rauchen ist schädlich. Nennen Sie Gründe. • Freizeit ist wichtig für den Einzelnen. Begründen Sie diese Behauptung. • Warum lassen sich viele Jugendliche tätowieren? • Weshalb, glauben Sie, sehen sich so viele Jugendliche Daily Soaps im Fernsehen an? • Batman ist besser als Superman. Begründen Sie diese Aussage. 6 7 8
Je nach Schulform und Lehrbuch wird für eine lineare bzw. steigernde Erörterung auch der Begriff „eingliedrig“ verwendet. Für diese Form finden Sie in der Fachliteratur auch den Begriff der zweigliedrigen Erörterung. Erörtern
Bei einer dialektischen Erörterung müssen mehrere Themafragen beantwortet werden. Dabei lassen sich drei Formen unterscheiden: ) Eine gegenüberstellende (Pro-Kontra-)Erörterung, die die Vor- und Nachteile eines Sachverhalts begründet, aber keine eigene Entscheidung verlangt, wie z. B.: • Welche Chancen und welche Probleme bietet der Medienkonsum?
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• Was spricht für, was spricht gegen ein bundesweit komplettes Rauchverbot? • Welche Vor- und Nachteile entstehen durch eine Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre? • Was spricht für und was spricht gegen einen Sieg von Batman im direkten Zweikampf mit Superman? 2) Eine gegenüberstellende Erörterung, die nach der Abwägung der Pro- und der KontraArgumente eine eigene Entscheidung verlangt: • Was halten Sie von einem generellen Tempolimit auf deutschen Autobahnen? • Wie beurteilen Sie die Flut von Casting-Sendungen im Fernsehen? • Viele Menschen treiben gerne Extremsport. Was halten Sie davon? • Manche Comic-Fans halten Batman für besser, manche dagegen Superman. Wie stehen Sie dazu? • Sollten Grundschulkinder bereits einen eigenen Fernseher in ihrem Zimmer besitzen dürfen? 3) Eine gegenüberstellende Erörterung, bei der mehrere unterschiedliche Themafragen mit oder ohne abschließender Entscheidung beantwortet werden müssen: • Viele Menschen betreiben gerne Extremsportarten. Worin liegen Ihrer Ansicht nach die Ursachen? Welche Probleme entstehen durch die Ausübung von Extremsport für die Umwelt? • Viele Verkehrsteilnehmer fühlen sich durch das rücksichtslose Verhalten anderer im Straßenverkehr beeinträchtigt. Zeigen Sie Beispiele dafür auf und nennen Sie Maßnahmen, die der Einzelne und der Gesetzgeber gegen rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr ergreifen können. • Sollten Abiturienten nach dem Schulabschluss sofort mit dem Studium beginnen oder lieber erst Lebenserfahrung durch eine ausgedehnte Weltreise sammeln? • Viele Jugendliche lesen Comics wie z. B. Batman oder Superman. Worin sehen Sie die Ursachen für dieses Interesse? Welche negativen Auswirkungen kann das Lesen von Comics für Jugendliche haben? Erörtern
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Lesen Sie sich die Themenstellung immer sorgfältig durch, um herauszufinden, welche Art der Erörterung von Ihnen verlangt wird. Muss ich nur Vor- und Nachteile aufzeigen oder muss ich auch Stellung nehmen? Achten Sie auch auf eventuelle Einschränkungen in der Frageformulierung. Die Fragestellung „Wie kann man Alkoholmissbrauch vorbeugen?“ enthält keine thematischen Einschränkungen, anders wäre es aber bei „Wie kann man Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen vorbeugen?“, „Wie kann man Alkoholmissbrauch bei sozialen Randgruppen vorbeugen?“ oder „Wie kann man Alkoholmissbrauch in der Schule vorbeugen?“. Andere thematische Einschränkungen können z. B. zeitlicher Art sein: „Welche Folgen des Klimawandels lassen sich bereits jetzt/zukünftig/im 2. Jahrhundert erkennen?“ Oder geografischer Art: „Welche Folgen des Klimawandels lassen sich bereits jetzt in Deutschland/Europa/Asien/der Welt feststellen?“ Auch Adjektive können wichtige Hinweise auf eine mögliche thematische Eingrenzung liefern. Wird nach den „Folgen“ allgemein (also positiven und negativen), nur den „negativen Folgen“ oder nur den „positiven Folgen“ eines Sachverhaltes gefragt? Ein Thema kann auf viele Arten eingeschränkt werden, deshalb ist es wirklich wichtig, dass Sie die Themenstellung der Erörterung sorgfältig durchlesen und verstehen. Wenn Sie die Wahl zwischen verschiedenen Themenstellungen und Erörterungsarten haben, dann wählen Sie zunächst diejenige Art, die Ihnen leichter fällt. Falls Sie sich schwertun, nach Abwägung von Vor- und Nachteilen eine abschließende Entscheidung dafür oder dagegen zu treffen, dann greifen Sie besser zu einer linearen Aufgabenstellung ohne geforderte Stellungnahme. Wenn Sie eher der entscheidungsfreudige Typ sind, dann verfahren Sie umgekehrt. Es empfiehlt sich auch, ein Thema zu wählen, zu dem man ein großes Vorwissen besitzt oder das aus dem eigenen Erfahrungsbereich stammt. Meist bedingt sich dies sowieso gegenseitig. Falls Sie allerdings zu einem bestimmten Thema eine sehr große emotionale Nähe besitzen, dann sollten Sie eventuell besser einen Bogen darum machen. Liebe macht blind, heißt ein Sprichwort, und im Zusammenhang mit der Erörterung kann man diesen Sachverhalt so umformulieren: Große emotionale Verbundenheit mit einem Thema schränkt häufig die Objektivität ein. Das Erörterungsthema „Superman gehört zu den erfolgreichsten Comic-Reihen der Welt. Nennen Sie Gründe dafür.“ wäre also z. B. für die Thread-Autoren im Batman-Forum keine empfehlenswerte Wahl. Denn nicht nur Zuneigung, sondern auch Abneigung sorgt auf dem objektiven Auge für eine starke Einschränkung der Sehkraft.
10.3. Die Stoffsammlung Falls Sie mehrere Erörterungsthemen zur Auswahl haben, entscheiden Sie sich bitte nicht sofort für das eine oder gegen das andere. Lesen Sie, wie schon erwähnt, zuerst sorgfältig die Themenstellungen durch und nehmen Sie sich dann etwas Zeit, bevor Sie ein Thema auswählen. Machen Sie erst mal ein Brainstorming zu wenigstens zwei oder drei der zur Wahl stehenden Aufgaben. Oft ist es nämlich so, dass man zu einem bestimmten Thema sofort zwei, drei sensationelle Ideen und Argumente hat, auf der Stelle mit dem Ausformulieren beginnt und nach Begründung Nummer drei und dem Verstreichen wertvoller 20 Minuten Prüfungszeit leider feststellen muss, dass man keine weiteren guten Einfälle mehr hat. 20
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Wenn Sie sich also nach dem ersten kurzen Brainstorming für ein Thema entschieden haben, fangen Sie auf keinen Fall schon mit dem ausformulierenden Schreiben an, sondern sammeln Sie erst einmal alle Ideen, die Ihnen bei gründlicher Überlegung zum Thema einfallen. In welcher Form Sie Ihre Einfälle anordnen, ist nicht wirklich relevant, Hauptsache ist, Sie finden sich in und mit Ihrer individuellen Methode zurecht. Manche schreiben alle Ideen einfach untereinander, andere arbeiten mit einer Mind Map effektiver und für wiederum andere sind möglicherweise Kästchenund Spalteneinteilungen am Erfolg versprechendsten. Bei einer Pro-Kontra-Erörterung würde sich aber eine Einteilung in zwei Spalten anbieten.
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Vermutlich und wahrscheinlich dünnt der eigene spontane Ideenfluss nach einer Weile aus, dann kann man sich mit den W-Fragen weiterhelfen: Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Warum? Wozu? Welche Folgen/Möglichkeiten/Auswirkungen/Bereiche/Aspekte etc. ? Die W-Fragen stellen Sie gedanklich an Ihr gewähltes Thema. Wenn das Thema z. B. hieße „Viele Menschen rauchen. Wie beurteilen Sie dieses Verhalten?“, dann könnten Sie sich folgende W-Fragen ausdenken, die Ihnen (hoffentlich) als Anregung zu neuen Ideen dienen würden: Wer raucht denn eigentlich? Männer, Frauen, Jugendliche, Kinder, Europäer, Asiaten, etc. Was raucht man? Zigaretten, Pfeife, Kräuterzigaretten, Haschisch, Wasserpfeife. Wann raucht man? Nach dem Essen, an der Bar, in Verbindung mit bestimmten Getränken wie Kaffee oder Alkohol. Wo raucht man? Zu Hause, im Café, in der Kneipe, im Büro, im Auto, in öffentlichen Gebäuden. Warum raucht man? Wegen der Werbung, weil man süchtig geworden ist, weil Freunde rauchen, wegen des Gruppenzwangs. Wozu führt Rauchen? Verfärbungen von Haut und Zähnen, unangenehmer Zigarettengeruch, hohe Kosten, Durchblutungsstörungen bis hin zur Ausbildung eines Raucherbeins, hohes Krebsrisiko, frühzeitiger Tod. Welche Folgen hat das Rauchen nicht nur für den einzelnen Raucher, sondern auch für die Gesellschaft? Und so weiter… Erörtern
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Auf der Basis dieser ersten Resultate können Sie dann weitere W-Fragen an einzelne Punkte formulieren. Eine Antwort auf „Wer raucht eigentlich?“ lautete „Jugendliche“. Folglich könnte man hier z. B. weitermachen mit „Warum rauchen Jugendliche?“ und käme zu einem Ergebnis wie „um cool zu wirken“. Daran anschließend könnte man fragen, warum denn Rauchen cool ist? Antwort: Daran ist die Werbung für Zigaretten schuld, die z. B. mit dem Camel- und dem Marlboro-Mann in den vergangenen Jahrzehnten ein cooles Image des Rauchens erzeugt hat. Die nächste W-Frage könnte dann lauten: „Welche Zigaretten-Werbung ist in Deutschland eigentlich noch erlaubt?“ Mit etwas Glück fällt Ihnen als inzwischen regelmäßiger SZ-Leser dann ein, dass in Deutschland TV-Werbung für Zigaretten schon seit den frühen 990er Jahren nicht mehr erlaubt ist und die EU 2003 eine Richtlinie für ein generelles Verbot der Tabakwerbung in Presse, Hörfunk und Internet erlassen hat, das die Bundesregierung nach einem zähen Abwehrkampf und einer verlorenen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erst im Dezember 2006 umgesetzt hat. Dieses Wissen können Sie dann in einem Gliederungspunkt über die Zusammenhänge von Werbung und Zigarettenkonsum einbringen und eventuell am Schluss auch noch für Ihre Stellungnahme verwerten. Dort könnten Sie fordern, dass sich die Bundesregierung nicht wieder, wie im Fall der EU-Richtlinie von 2003 geschehen, von der Industrie beeinflussen lässt, sondern endlich konsequent die Gesundheit ihrer Bürger vor den schädlichen Auswirkungen des Nikotinkonsums schützt und hoffentlich bald auch die immer noch erlaubte Kinowerbung für Zigaretten verbietet. Nach diesem Schema hangeln Sie sich an passenden W-Fragen entlang durch die Ideen für Ihre Stoffsammlung. Werfen Sie zwischendurch aber gelegentlich einen erneuten Blick auf die ursprüngliche Themenstellung der Erörterung, denn es kann passieren, dass man sich nach einigen W-Fragen zu W-Fragen von W-Fragen zu weit vom Thema entfernt hat.
10.4. Die Stoffordnung Nach dem Sammeln der Ideen geht es daran, diese zu ordnen. Dabei versucht man, Oberbegriffe zu erstellen, unter denen sich einzelne Ideen einordnen lassen. Bei dem obigen Beispiel der Erörterung zum Thema Rauchen würde man z. B. Punkte wie „Entstehung von Raucherbeinen“, „Blutdrucksenkung“, „Krebsrisiko“ und „Frühzeitiger Tod“ unter dem Oberbegriff „Gesundheitliche Folgen des Rauchens“ einordnen. Bei der Ordnung der Stoffsammlung können Sie auch noch einmal überprüfen, ob wirklich alle gefundenen Ideen zum Thema passen. Streichen Sie außerdem Dopplungen und lösen Sie inhaltliche Überschneidungen auf. In einem Deutsch-Trainingsbuch für die Realschule findet sich dazu z. B. diese Aufgabe: „Hier überschneiden sich einige Gedanken! Fasse sie zusammen und formuliere neu. ‚Wer schön sein will, muss leiden!‘ Gerade junge Mädchen laufen dem jeweiligen in den Medien vermittelten Schönheitsideal hinterher. Wie äußert sich das?“8 Die zur Wahl gestellten und sich teilweise überschneidenden Gedanken hießen: „fasten – hungern – essen fast nichts – kaufen Medikamente, Abführmittel – besuchen Fitnessstudios – lassen sich die 8
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Gabriele Achhammer, Katja Barinsky, Friederike Gebhardt, Training Realschule. Deutsch-Erörterung und Textgebundener Aufsatz. ./10. Klasse, Freising: Stark Verlag, 997, S. 5 Erörtern
Nase operieren – geben viel Geld aus für Hautpflege, Cremes, Kosmetikartikel – einseitige Ernährung ohne Kohlehydrate – lassen sich piercen – lassen sich den Busen vergrößern/verkleinern – erbrechen das Gegessene wieder, um schlank zu sein – lassen sich den Mund aufspritzen, damit er voller wird“.9 Zur Lösung0: Überschnitten haben sich „fasten, hungern, essen fast nichts, einseitige Ernährung ohne Kohlehydrate, erbrechen das Gegessene wieder, um schlank zu sein“ und diese Aussagen kann man unter dem Oberbegriff „ungesunde und reduzierte Ernährung“ zusammenfassen. Überschnitten haben sich auch „lassen sich die Nase operieren, lassen sich den Busen vergrößern/verkleinern, lassen sich den Mundaufspritzen, damit er voller wird“. Hier kann man den Oberbegriff „schmerzhafte und oft unnötige Schönheitsoperationen“ verwenden. Die übrigen Aussagen, „kaufen Medikamente, Abführmittel, besuchen Fitnessstudios, geben viel Geld aus für Hautpflege, Cremes, Kosmetikartikel, lassen sich piercen“ passen unter den gemeinsamen Oberbegriff „hohe Kosten“.
10
Bei der Suche nach möglichen Oberbegriffen für die Ideen der Stoffsammlung wird man unter Umständen schon bei der Themenstellung fündig. Falls sich dort Vorgaben, wie die Beschreibung von Vor- und Nachteilen, von positiven und negativen Auswirkungen eines Sachverhalts oder von Gründen, Folgen und Gegenmaßnahmen im Hinblick auf einen Zustand, finden, kann man diese Vorgaben gleich als grundlegendes Ordnungsmuster übernehmen: Hier die Vorteile, da die Nachteile, in dieser Rubrik die positiven, in dieser die negativen Auswirkungen und dort die Gründe, dann die Folgen und schließlich noch in dieser Spalte die Gegenmaßnahmen notieren. Nachdem Sie für Ihre Gliederung thematisch geeignete Oberbegriffe gefunden haben, gruppieren Sie dann darunter zusammengehörende Ideen anhand von Unterbegriffen. Bei vielen Themenstellungen eignen sich nach Achhammer/Barinsky/Gebhardt sogar dieselben Begriffsreihen. Wenn eine Erörterung z. B. nach den Vorteilen, Nachteilen, Folgen oder Ursachen von Problem XY fragt, könnte man die folgenden Unterbegriffe zur weiteren Unterteilung verwenden: • „für den Einzelnen, die Familie, die Gesellschaft, die Wirtschaft, den Staat • für die Pflanzen, die Tiere, die Landschaft, den Menschen • körperlich, geistig, seelisch • beruflich, sozial, wirtschaftlich, politisch, kulturell, religiös“
10.5. Die Gliederung Der nächste Schritt nach der Stoffsammlung und der Stoffordnung ist die Gliederung, die sozusagen das Inhaltsverzeichnis der Erörterung darstellt. Eine Erörterung besteht in ihrer grundlegenden Struktur immer aus drei Teilen: 9 0
Ebenda, S. 5 Alle Zitate zur Lösung aus: Ebenda, S. 72. Ebenda, S. 4. Erörtern
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A. Einleitung B. Hauptteil
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C. Schluss Die Einleitung innerhalb der Gliederung soll lediglich aus einem Satz bestehen, der den zentralen Gedanken der gewählten Hinführung zum Thema ausdrückt. Als Einleitungsmöglichkeiten bieten sich folgende an: • ein Bezug zu einem aktuellen Ereignis herstellen • ein Verweis auf ein persönliches Erlebnis oder eine persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit der Themenstellung • eine allgemeine Tatsache oder Feststellung als Aufhänger benützen • ein Rückblick in der Geschichte oder ein Vergleich von Vergangenheit und Gegenwart • eine Definition des Kernbegriffs aus der Themenstellung • ein Vergleich mit Ähnlichem oder eine Gegenüberstellung mit Gegensätzlichem • ein Zitat oder ein Sprichwort • ein Verweis auf Zahlen-, Daten- und statistisches Material zum Thema Nach der Einleitung steht zu Beginn des Hauptteils B der Leitsatz, der den Kern der Themafrage noch einmal aufgreift, entweder in der Form einer direkten Wiederholung oder in Form einer pauschalen Antwort auf die Themafrage. Wenn die Aufgabenstellung einer Erörterung z. B. hieße „Welche Bedeutung hat die Nutzung des Internets für Jugendliche“, dann könnte die Einleitung z. B. auf statistisches Zahlenmaterial verweisen: „Jugendliche verbringen jeden Tag zwei Stunden im Internet“2. Der Leitsatz könnte entweder „Welche Bedeutung hat die Nutzung des Internets für Jugendliche“ (Wiederholung) oder „Das Internet hat eine große Bedeutung für Jugendliche“ (Antwort) heißen. Anschließend wird der Hauptteil B so weit wie thematisch nötig untergliedert. Die Anordnung der Unterbegriffe erfolgt nach zunehmender Wichtigkeit. Das heißt, man beginnt mit den weniger starken Argumenten und endet mit den stärksten. Versuchen Sie, die Gliederung ausgewogen zu gestalten und zu jedem übergeordneten Punkt wenigstens zwei untergeordnete einzufügen. Beispiele gehören nicht in die Gliederung, sondern sollten erst im ausformulierten Aufsatz auftauchen. Der Schluss innerhalb der Gliederung wird genau wie die Einleitung auch in einem einzigen Satz formuliert. Der Schlussgedanke hängt natürlich in seiner Ausgestaltung von der tatsächlichen Themenstellung ab, es gibt aber einige generelle Möglichkeiten, wie man eine Erörterung abrunden kann:
2
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Genau 20 Minuten laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2008, 0.02.2009: http://www.media-perspektiven.de/2746.html#c707 Erörtern
• Zusammenfassen der Argumente • Zusammenfassen und Gewichten der Argumente • eine Schlussfolgerung ziehen
10
• eine persönliche Stellungnahme abgeben • einen weiterführenden Gedanken oder einen Appell formulieren • einen Vergleich mit einem ähnlichen oder gegensätzlichen Sachverhalt anführen Sie können auch mehrere der angebotenen Möglichkeiten kombinieren, aber denken Sie dabei immer an die Themenstellung, denn wenn Sie ein Entscheidungsthema gewählt haben, dann müssen Sie natürlich Stellung nehmen und da wäre z. B. eine reine Zusammenfassung der Argumente zu wenig. Für die formale Gestaltung der Gliederung gibt es zwei unterschiedliche Möglichkeiten. Beide sind gleichwertig, aber man sollte sich innerhalb einer Erörterung an das einmal gewählte Schema halten. Konventionelle Gliederung
Numerische Gliederung
A. Einleitung
A. Einleitung
B. Leitsatz
B. Leitsatz
I.
Oberbegriff 1. Unterbegriff a) Unterpunkt b) Unterpunkt 2. Unterbegriff a) Unterpunkt b) Unterpunkt
II.
Oberbegriff 1. Unterbegriff a) Unterpunkt b) Unterpunkt 2. Unterbegriff a) Unterpunkt b) Unterpunkt (…)
C. Schluss
1.
Oberbegriff 1.1. Unterbegriff 1.1.1 Unterpunkt 1.1.2 Unterpunkt 1.2. Unterbegriff 1.2.1 Unterpunkt 1.2.2 Unterpunkt
2. (…)
Oberbegriff 2.1. Unterbegriff 2.1.1 Unterpunkt 2.1.2 Unterpunkt 2.2. Unterbegriff 2.2.1 Unterpunkt 2.2.2 Unterpunkt
C. Schluss
Diese Vorlage ist nur ein Muster, die tatsächliche Erörterung kann selbstverständlich auch mehr oder weniger als die angegebenen Gliederungspunkte enthalten. Es ist aber durchaus ratsam, sich auf wenige wichtige Argumente zu konzentrieren, als sich in einer Fülle an eher nebensächlichen Unterpunkten zu verlieren. Erörtern
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Aufgabe 1:
10
„Handys sind bei jungen Menschen sehr beliebt. Worin sehen Sie die Ursachen dafür, welche Probleme können sich ergeben?“ – dies war die Themenstellung eine RealschulabschlussPrüfungsaufgabe vor einigen Jahren. Um welche Erörterungsart handelt es sich hier? Überlegen Sie sich zwei Oberbegriffe und dazu passende Unterbegriffe (ca. 3–5) und erstellen Sie daraus eine numerische Gliederung für den Hauptteil B.
10.6. Die Ausarbeitung der Erörterung 10.6.1. Die Einleitung Die Einleitung soll wie jeder gute Anfang neugierig machen, das Interesse des Lesers wecken und auf das Thema hinführen. Kurz gesagt nach der Lektüre der Einleitung sollte man wissen, worum es später im Hauptteil gehen wird und die Einleitung sollte Lust darauf gemacht haben, mehr von diesem Thema zu erfahren. Jede Einleitung besteht aus drei Teilen: . Einleitungsgedanke 2. Überleitung zur Themafrage 3. Themafrage Einige Möglichkeiten zur Gestaltung des einleitenden Gedankens kennen Sie bereits aus dem Abschnitt über die Gliederung. Wenn Sie einen Aufhänger gefunden haben, dann behalten Sie ihn bei. Mischen Sie keine unterschiedlichen Gedanken miteinander, einer reicht. Von diesem einleitenden Gedanken leiten Sie sprachlich geschickt zur Benennung des Themas Ihrer Erörterung über. Die Einleitung zu der gerade schon in der Aufgabe genannten Erörterung „Handys sind bei jungen Menschen sehr beliebt. Worin sehen Sie die Ursachen dafür, welche Probleme können sich ergeben?“ sah im Lösungsteil des Realschulabschluss-Prüfungsbuches z. B. so aus: Einer Übersicht über den Anteil der Handybesitzer nach Altersstufen (ACTA und Globus Infografik 2005) ist zu entnehmen, dass in den Altersgruppen zwischen 14 und 19 bzw. 20 und 29 Jahren das Mobiltelefon am meisten verbreitet ist. 88,1 bzw. 93,6 Prozent sind in diesen Gruppen als Handybesitzer ausgewiesen und auch bei den 10-13-Jährigen besitzt schon fast jedes zweite Kind ein Handy. Diese Zahlen sind Grund genug, sich die Frage zu stellen, warum Handys bei jungen Menschen so beliebt sind, aber auch, welche Probleme sich durch die Nutzung von Mobiltelefonen ergeben können.3
Der Verfasser hat hier statistisches Zahlenmaterial für seinen einleitenden Gedanken verwendet und mit der Formulierung „Diese Zahlen sind Grund genug …“ elegant zur Themafrage übergeleitet. Alternativ hätte er z. B. auch mit einem Verweis auf ein persönliches Erlebnis beginnen können: 3
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Realschule 200. Abschluss-Prüfungsaufgaben mit Lösungen. Deutsch. Bayern. 2004-2008, 27., ergänzte Aufl., Freising: Stark-Verlag, 2008, D 2006-20. Erörtern
Vor wenigen Tagen habe ich meine Schwester in der Pfalz besucht. Ich hatte mich auch sehr darauf gefreut, mit ihrem mittlerweile 15-jährigen Sohn einige richtige „Männergespräche“ zu führen. Leider hatte er keine Zeit dafür, sich mit mir zu unterhalten, denn er telefonierte ständig per Handy mit seinen Freunden. Und wenn er nicht mit seinen Freunden telefonierte, dann las er im Internet Testberichte über die neuesten Handymodelle. Mit so einem Beispiel aus dem engsten Familienkreis beginnt man, sich generell die Frage zu stellen, warum Handys bei jungen Menschen so beliebt sind und welche Probleme sich durch die HandyNutzung ergeben können.
10
10.6.2. Der Hauptteil Im Hauptteil der Erörterung begründen Sie die Behauptungen, die Sie in der Gliederung aufgestellt haben. Sie müssen hier überzeugend argumentieren. Ein Argument ist laut Duden ein „stichhaltiger, plausibler Beweis- oder Rechtfertigungsgrund“4. Es reicht also nicht, eine Meinung zum Thema zu haben, man muss sie auch plausibel und stichhaltig begründen können. Dazu eignet sich das folgende Grundschema. Eine Argumentation besteht in aller Regel aus: . Behauptung oder These 2. Begründung 3. Beispiel 4. evtl. Folgerung 5. Überleitung zum nächsten Argument Zuerst stellen Sie eine Behauptung auf. Diese Behauptungen entsprechen jeweils einem Punkt aus Ihrer Gliederung. Anschließend beweisen Sie, warum diese Behauptung zutrifft. Ein Argument, Sie erinnern sich an Kapitel 5, wird dann stichhaltig, wenn es auf einem oder mehreren dieser Kriterien beruht: • nachprüfbaren Sachverhalten und Tatsachen • allgemeinen Erfahrungen • allgemeingültigen Prinzipien, Wertvorstellungen und Normen • gesetzlichen Vorschriften • Zahlenbelegen und Statistiken • Forschungsergebnissen • Aussagen anerkannter fachlicher Autoritäten 4
Duden. Deutsches Universalwörterbuch, S. 40. Erörtern
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10
Ein Beispiel für den Aufbau einer Argumentation aus der Erörterung über die Handynutzung von Jugendlichen: In seiner Gliederung hatte der Verfasser zum Oberbegriff „Gründe für die Beliebtheit von Handys bei jungen Menschen“ als einen Unterbegriff die „Nutzung zusätzlicher technischer Funktionen“ angeführt. Die Ausformulierung im Hauptteil sah so aus: Längst haben die kleinen Telefone viele zusätzliche technische Funktionen erhalten, sodass das Telefonieren oft in den Hintergrund tritt. Moderne Handys verfügen über eine gute Kamerafunktion, mit der man sogar kurze Videos aufnehmen kann, man kann mit ihnen Verbindung zum Internet aufnehmen und manche Geräte verfügen über eine Navigationsfunktion, um nur einige technische „Spielereien“ zu nennen.15
1.2 Behauptung Begründung mit Beispielen
Damit die Thesen, Beweise und Beispiele nicht einfach zusammenhanglos aneinandergereiht werden, müssen sie folgerichtig miteinander verbunden werden. Aus Kapitel 5 kennen Sie bereits nützliche Konjunktionen für das Argumentieren wie weil, da, dass, damit, denn, falls. Daneben eignen sich auch viele Adverbien zur Überleitung zwischen Sinninhalten: außerdem, daneben, jedoch, aber, im Gegensatz dazu, obwohl, ferner, sowohl … als auch, weiterhin, einerseits … andererseits usw. Denken Sie über den Sinnzusammenhang Ihrer Aussagen nach und wählen Sie dann ein passendes Verbindungswort.
10.6.3. Der Schluss Der Schluss rundet die Erörterung ab. Bei einem Entscheidungsthema ist im Schlussabschnitt eine Stellungnahme zwingend erforderlich, bei anderen Erörterungsarten können Sie, wie bereits weiter oben erwähnt, aus einer gewissen Bandbreite an Möglichkeiten wählen. Der Schluss muss aber natürlich zum bisherigen Verlauf Ihrer Argumentation passen. Wenn Sie z. B. im Rahmen einer Pro-Kontra-Erörterung die weitaus stärkeren Argumente auf der Kontra-Seite verbucht haben, dann würden Sie sich selbst unglaubwürdig machen, wenn Sie im Schlussteil plötzlich zu der Einsicht kämen, dass Sie jetzt zur Pro-Seite tendierten. Wiederholen Sie im Schlussteil jedoch nicht einfach einzelne Argumente aus dem Hauptteil, Sie sollen schließlich zu einer abschließenden Gesamtbetrachtung kommen. Gestalten Sie Einleitung und Schlussteil in etwa gleich lang.
5 28
Realschule 200. Abschluss-Prüfungsaufgaben mit Lösungen. Deutsch. Bayern. 2004-2008, D 2006-20. Erörtern
Aufgabe 2: Ich möchte, dass Sie sich einen Schluss für die folgende Erörterung, wieder ein tatsächliches Prüfungsthema, ausdenken. Ich gebe Ihnen hier nachfolgend die Gliederung aus dem Prüfungsbuch an und Sie formulieren bitte eine denkbare Schlussvariante in vollständigen Sätzen aus. Das Thema der Erörterung lautete: „Manche Realschulen planen die Einführung einer einheitlichen Schulkleidung. Welche Argumente sprechen dafür? Welche Bedenken gibt es?“ Es handelte sich folglich um eine dialektische Erörterung. Der Gliederungsvorschlag sah so aus:
10
A. Schuluniformen haben vor allem in Großbritannien und den USA eine lange Tradition. B. Welche Argumente sprechen für die Einführung einer einheitlichen Schulkleidung, welche Bedenken gibt es? 1
Argumente für eine einheitliche Schulkleidung
1.1
Abbau sozialer Unterschiede
1.2
Vermeidung der Ausgrenzung von Außenseitern wegen ihrer Kleidung
1.3
Vermeidung von ‚Markenzwang‘ und hoher Ausgaben für Markenkleidung
1.4
Konzentration auf Schule und Unterricht
1.5
Steigerung des Zusammengehörigkeitsgefühls
1.6
Stärkung der Identifikation mit der eigenen Schule
2
Bedenken gegen eine einheitliche Schulkleidung
2.1
Verlagerung des ‚Markenzwangs ’auf andere Statussymbole
2.2
Einschränkung der Individualität
2.3
Verlust der persönlichen Freiheit
2.4 Verringerung der Möglichkeiten zur Selbsterfahrung 2.5
Gefahr der Gleichmacherei
2.6 Verursachung zusätzlicher Kosten“ 16 C. …? 6
6
mmmmmmmmmmmmm
Ebenda, D 2007-9. Erörtern
29
Lektüretipps:
10
– http://www.ard-zdf-onlinestudie.de In diesem Kapitel und innerhalb der Realschulabschluss-Prüfungsthemen der vergangenen Jahre war so viel von Medien die Rede, dass sich nun sicher ein vertiefender Blick zumindest auf die Internetnutzung der Deutschen anbietet. ARD und ZDF begleiten das Onlineverhalten der Bundesbürger mit zahlreichen Daten und Statistiken seit 997 und präsentieren die Auswertungen in jährlich aktualisierter Form. – http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/fileadmin/Fachtagung/ARD_ZDF_Onlinebrosch_re_ 040507.pdf Die Festschrift zum 0-jährigen Bestehen der ARD/ZDF-Onlinestudie. – http://www.media-perspektiven.de/mediaperspektiven.html Aktuelle Mediendaten über TV, Hörfunk und Internet findet man auf der Homepage von Media Perspektiven. Die online recherchierbare Fachzeitschrift erscheint seit 970 monatlich. Herausgeber ist Arbeitsgemeinschaft der ARD-Werbegesellschaften. Die Zeitschrift behandelt medienwissenschaftliche und medienpolitische Themen, beobachtet und analysiert die Lage und Entwicklung der Massenmedien in Deutschland und in anderen Ländern. – Gabriele Achhammer, Katja Barinsky, Friederike Gebhardt, Training Realschule. DeutschErörterung und Textgebundener Aufsatz. ./10. Klasse, Freising: Stark Verlag, 997. Das 250 Seiten dicke Buch ist einfach, klar und verständlich geschrieben. Die drei Autorinnen erklären mit einer Vielzahl an Übungsaufgaben die Techniken und Vorgehensweisen zum Verfassen von Erörterungen und textgebundenen Aufsätzen. Allein der Lösungsteil umfasst über 80 Seiten. – http://www.superman-forum.de/ und http://forum.superman-news.de/ Die Links zum Superman-Forum und zum Superman-News-Forum. Nicht, dass sich die Fans des Stählernen gegenüber den Batman-Anhängern benachteiligt fühlen …
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Erörtern
11
Grammatik und Rechtschreibung: Software-Helfer und Wörterbücher
11
11.1. Einleitung mit einem Notebook und einem grammatischen Debakel Wie vermutlich alle Menschen, die Texte auf einem Computer schreiben, habe ich die Rechtschreibprüfung meines Textverarbeitungsprogrammes aus dem Hause einer bekannten US-Firma aktiviert. Ich habe aus beruflichen Gründen sogar zusätzlich ein einheimisches Rechtschreibprüfungsprogramm als Add-in ergänzt. Ich schätze die Hilfestellung der Software, die meine aufgrund des eiligen Tippens manchmal verdrehten oder kleingeschriebenen Anfangsbuchstaben in Wörtern schön auffallend rot unterringelt. Allerdings hat diese Hilfe, wie wir in diesem Kapitel sehen werden, so ihre Grenzen. Die Grammatiküberprüfung verwende ich persönlich nicht, denn die Ergebnisse sind eher mager. Plakative Fehler, wie z. B. einen vergessenen Punkt am Satzende oder einen fehlenden Abstand zwischen einem Satzzeichen und dem nachfolgenden Wort, erkennt die Software, aber damit ist eigentlich schon Schluss. Kommafehler oder falsche grammatische Bezüge z. B. entdeckt die Grammatikprüfung nicht mehr. Das kann ich Ihnen mit meinem leicht veränderten ersten Satz aus dieser Einleitung beweisen. Ich habe darin nachträglich stolze zehn grammatische Fehler eingebaut und anschließend meine Software um eine Überprüfung gebeten. Hier kommt der veränderte Text, in dem die Fehler fett markiert sind: „Wie vermutlich allen Menschen, die Texten auf einem Computer schreibt, haben ich das Rechtschreibprüfung mein Textverarbeitungsprogrammes auf des Hause einem bekannten US-Firma aktivierst.“ Von zehn wirklich offensichtlichen Fehlern hat das Duden-Korrektor-Kompakt-Add-in lediglich drei entdeckt! Das ist eher bescheiden, bringt uns aber für dieses Kapitel und zukünftige Schreibarbeiten immerhin die Erkenntnis, dass man sich in Sachen Grammatik besser auf den eigenen Kopf oder den Duden, Band 4, Grammatik in gebundener Form verlässt.
11.2. Die Tücken der Grammatikprüfung durch ein Textverarbeitungsprogramm Manchmal kommt sogar ein ausgemachter Blödsinn bei der Software-Grammatikprüfung heraus. Im folgenden Beispiel aus dem Batman-Forum schlug das Add-in sogar vor, aus dem richtigen Singular den falschen Plural zu machen! Den Eintrag aus dem Batman-Forum kennen Sie in einer korrigierten Version schon aus Kapitel 0: Warum ist Batman besser als Superman? Vielleicht weil dessen Charakter viel mehr tiefe, Tiefgang und dramatik besitzt? Vielleicht aber auch, weil er ein „normaler“ Mensch ist? (…) Grammatik und Rechtschreibung: Software-Helfer und Wörterbücher
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Das fälschlich kleingeschriebene „tiefe“ oder das fehlende Komma vor „weil“ hat der Duden-Korrektor nicht bemängelt, aber wenigstens die „dramatik“ wollte er großgeschrieben haben. Unsinnig ist dagegen in diesem Fall der Vorschlag, das grammatisch korrekt im Singular stehende „besitzt“, welches sich auf „Charakter“, ebenfalls Singular, bezieht, zum falschen Plural „besitzen“ zu machen: „Vielleicht, weil dessen Charakter viel mehr Tiefe, Tiefgang und Dramatik besitzen?“
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Weiterhin scheint der Duden-Korrektor zusätzlich auch noch den für viele Schüler kniffligen Unterschied zwischen dem Pronomen bzw. Artikel „das“ und der Konjunktion „dass“ nicht zu kennen. Im vorhergehenden Absatz habe ich hier in diesem Kapitel geschrieben: „Unsinnig (…) ist der Vorschlag, das grammatisch korrekt …“. Der Duden-Korrektor unterringelt den korrekten sächlichen Artikel „das“ und bittet mich zu überprüfen, ob es nicht eher „dass“ heißen müsste. Ein Griff zum Bücherregal und ein Blick in den gedruckten Rechtschreib-Duden liefern dann die Erkenntnisse, die die Software offenbar nicht besitzt. Der Unterschied zwischen „das“und „dass“ ist folgender: Mit nur einem s schreibt man das rückbezügliche Fürwort (Relativpronomen) ‚das‘: – Er betrachtete das Bild, das an der Wand hing. ‚Das‘ bezieht sich auf ein Substantiv im vorangegangenen (Haupt)satz und lässt sich – falls man sich nicht sicher ist, ob es sich um das Relativpronomen ‚das‘ oder die Konjunktion ‚dass‘ handelt – durch ‚welches‘ ersetzen. Ebenfalls mit nur einem s schreibt man das Demonstrativpronomen ‚das‘: – Das habe ich nicht gewollt. Hier lässt sich das ‚das‘ meist durch ‚dieses‘ ersetzen. Schließlich wird auch der sächliche Artikel mit nur einem s geschrieben: – Sie hoffte, das Krankenhaus bald verlassen zu können. In allen anderen Fällen handelt es sich um die mit zwei s zu schreibende Konjunktion (Bindewort) ‚dass‘: – Ich weiß, dass es heute schon ziemlich spät ist. Die Konjunktion ‚dass‘ folgt meist auf Hauptsätze, die mit Verben wie ‚denken‘, meinen, sagen, glauben, hoffen‘ usw. eingeleitet sind.
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Duden. Die deutsche Rechtschreibung, 24., völlig neu bearb. und erw. Aufl., herausgegeben von der Dudenredaktion, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag, 2006, S. 30. Grammatik und Rechtschreibung: Software-Helfer und Wörterbücher
Aufgabe 1: Diese Aufgabe wird Sie nicht überraschen: Ergänzen Sie in dem folgenden Lückentext die fehlenden Artikel, Pronomen bzw. Konjunktionen „das“ oder „dass“.
11
Aufgabentext 1: über 00 Jahre alte Patrizierhaus nach dem Großbrand überhaupt noch steht, grenzt an ein Wunder.
Feuer,
im Erdgeschoss ausbrach, breitete sich so rasch aus,
viele der Mieter nach oben auf
Dach des Hauses fliehen mussten. Es ist dem umsichtigen
Verhalten des Hausmeisters zuzuschreiben, ehemalige Feuerwehrmann sorgte dafür, geordneten Flucht auf
dabei keiner der Mieter verletzt wurde. Der die Bewohner der oberen Stockwerke bei ihrer
Dach die Türen und Fenster ihrer Wohnungen fest verschlossen, so
sich die Ausbreitung des Brandes verzögerte. Er hoffe,
Haus müsse nicht abgerissen
werden, äußerte sich der beherzte Retter nach den Löscharbeiten gegenüber der Lokalpresse. Er hoffe vielmehr sogar,
der Besitzer die Chance ergreifen würde,
ehrwürdige
Bürgerhaus aus dem 7. Jahrhundert in seiner ursprünglichen Fachwerkpracht wiederherstellen zu lassen. Der Eigentümer, der
Haus erst vor wenigen Jahren erworben hatte, meinte auf Rück-
sei eine Anregung, über die er gerne nachdenken werde. Er meinte aber auch,
frage,
in Anbetracht des maroden Zustands, in dem sich
Haus schon seit vielen Jahren
befunden hätte, eine Komplett-Sanierung unter Umständen nicht mehr sinnvoll und möglich sein könnte.
11.3. Die Tücken der Rechtschreibprüfung durch ein Textverarbeitungsprogramm Neben dem schon angesprochenen Grammatik-Duden sollten Sie zusätzlich auch noch zu zwei anderen Druckwerken aus dem Hause Duden ein gesundes Vertrauensverhältnis aufbauen, dem Grammatik und Rechtschreibung: Software-Helfer und Wörterbücher
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gerade genannten Rechtschreib-Duden, Band , und dem Deutschen Universalwörterbuch. Mit der Enttarnung von Rechtschreibfehlern durch die Software der Schreibprogramme sieht es zwar besser aus als mit der nahezu wertlosen Grammatikprüfung, aber fehlerfrei arbeitet diese auch nicht.
11
Ich habe für Sie einige Belege aus dem Ihnen sicher schon ans Herz gewachsenen Batman-Forum zusammengetragen. Dabei habe ich jeweils die Fehler, die das Rechtschreibprüfprogramm übersehen hat, im Text fett markiert und diejenigen Fehler, die es gefunden hat, unterstrichen. Beispiel 1: Warum ist Batman besser als Superman? (…) Noch ein Grund könnte sein, da seine Gegner um ein vielfaches intressanter und einfallsreicher sind als vom Blaumann.2
Den Rechtschreibfehler bei „intressanter“ (interessanter) hat die Software entdeckt, aber das fett markierte „ein vielfaches“ blieb unbeanstandet. „Vielfaches“ muss hier großgeschrieben werden, denn Adjektive und Partizipien, die als Substantive gebraucht werden, werden in der Regel großgeschrieben.3 Und wenn ich es genau nehme, dann müsste statt dem „da“ eigentlich ein „dass“ stehen. Die Konjunktion „da“ leitet, wie z. B. „weil“, einen Kausalsatz ein. Drehen Sie den Satz zum Test um, dann fällt der Fehler besser auf: „Da seine Gegner interessanter und einfallsreicher sind, könnte es noch ein Grund sein.“ Das wollte der Verfasser nicht sagen, behaupte ich einmal, sondern das: „Noch ein Grund (für Batmans Beliebtheit bei den Fans) könnte sein, dass seine Gegner interessanter und einfallsreicher als diejenigen von Superman sind.“ Korrekt wäre also ein Relativsatz mit „dass“ gewesen. Beispiel 2: Naja Superman‘s Anzug hat zumindest etwas Patriotisches, da ist wenn man es genauer betrachtet ein Kostüm das einer Fledermaus Nachempfunden ist Peinlicher, oder ?? (…) Ich mag beide Helden gleichermassen und unterm Strich sind beide Helden ziemlich gleich nur die Atmosphäre ist bei den beiden anders gestrickt. Allerdings ist eine dunkle und bedrückende Atmosphäre eben interessanter als eine Bunte und Fröhliche, daher kommt es auch das Batman bei vielen eben beliebter ist.4
In diesem kurzen Beispiel stecken eine Menge Fehler. Zuerst liste ich diejenigen auf, die das Prüfprogramm nicht erkannt hat: „Naja“ schreibt sich korrekt „Na ja“ und müsste durch ein Komma vom nachfolgenden Text abgetrennt werden. Der Relativsatz „…, das einer Fledermaus nachempfunden ist, …“ müsste ebenfalls durch Kommas abgetrennt werden. Der Komparativ „peinlicher“, der hier als adverbiales Satzadjektiv verwendet wird, muss kleingeschrieben werden.5 In der korrekten Schriftsprache wird nur ein Fragezeichen „?“ gesetzt. Zwischen „gleich“ und „nur“ müsste ein Komma oder ein Punkt stehen, denn hier beginnt ein neuer Satz. Die Wörter „bunte und fröhliche“ müssen kleingeschrieben werden, denn die beiden Adjektive beziehen sich auf das vorangehende Substantiv „Atmosphäre“. Das „das“ 2 3 4 5
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http://www.comicforum.de/showthread.php?t=44825 vom 02.02.2009. Sie finden die Regeln zur Groß- und Kleinschreibung im Deutschen in einer angenehm gerafften Form in: Duden. Die deutsche Rechtschreibung, 24. Aufl., in den Abschnitten K 67–K 97 auf den Seiten 58–68. http://www.comicforum.de/showthread.php?t=44825 vom 02.02.2009. Näheres zum prädikativen und adverbialen Satzadjektiv in: Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, S. 256 ff. Grammatik und Rechtschreibung: Software-Helfer und Wörterbücher
vor Batman ist eigentlich ein „dass“, eine Konjunktion, und der ganze Nebensatz „…, dass Batman bei vielen eben beliebter ist.“ müsste durch ein Komma abgetrennt werden. Und nun die unterstrichenen Fehler, die das Prüfprogramm erkannt hat:
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Die Verwendung des Apostrophs beim Genitiv „Superman’s“ ist offiziell ein Fehler. Richtig wäre „Supermans“. Laut dem Duden-Newsletter wird aber inoffiziell Folgendes geduldet: Immer mehr ist uns der Apostroph in den letzten Jahren ans Herz gewachsen. So sehr, dass die Rechtschreibkommission diesen Trend zumindest teilweise sanktioniert hat und Schreibungen wie „Petra’s Frisierstube” und „Meier’s Würstchenbude” nun stillschweigend akzeptiert.6
Der eingeschobene Nebensatz mit „wenn“ müsste durch Kommas abgetrennt werden: „… da ist, wenn man es genauer betrachtet, …“. Die Partizip-Perfekt-Form „nachempfunden“ des Verbs „nachempfinden“ muss hier kleingeschrieben werden und „gleichermaßen“ hat trotz allen Rechtschreibreformen der vergangenen Jahre sein scharfes ß behalten. Nach vorangehenden langen Vokalen wie in „Maß“, „Fraß“ oder „Spaß“ wird „ß“ benutzt, nach vorangehenden kurzen Vokalen wie in „nass“, „krass“, „blass“ wird „ss“ verwendet. Diese Regel klingt einfach, wenn man aber darüber nachdenkt, welche dialektalen Unterschiede es im Deutschen gibt, dann wird die Angelegenheit schon etwas schwieriger. Im Schwäbischen z. B. werden alle Vokale lang ausgesprochen, im Ruhrpott dagegen verfahren die Mundart-Sprecher genau andersrum und sprechen die Vokale überwiegend kurz aus. Ich habe noch einmal nachgezählt und bin in den drei Sätzen des Beispieltextes 2 auf die stattliche Zahl von zehn Fehlern gekommen. Unter Umständen geht es Ihnen gerade wie mir: Ich habe nach all den Erklärungen, Markierungen und Unterstreichungen etwas den Überblick verloren. Deshalb schreibe ich Ihnen hier jetzt eine korrigierte Version des Batman-Textes auf: Na ja, Supermans Anzug hat zumindest etwas Patriotisches, da ist, wenn man es genauer betrachtet, ein Kostüm, das einer Fledermaus nachempfunden ist, peinlicher, oder? (…) Ich mag beide Helden gleichermaßen und unterm Strich sind beide Helden ziemlich gleich, nur die Atmosphäre ist bei den beiden anders gestrickt. Allerdings ist eine dunkle und bedrückende Atmosphäre eben interessanter als eine bunte und fröhliche, daher kommt es auch, dass Batman bei vielen eben beliebter ist.
11.4. Exkurs – der Apostroph Da wir in diesem Kapitel schon „Superman’s Anzug“, „Petra’s Frisierstube“, „Meier’s Würstchenbude“ und der Diskussion um den Deppen-Apostrophen begegnet sind, möchte ich noch einmal etwas ausführlicher auf die Regeln zur korrekten Verwendung des Apostrophs eingehen. Grundsätzlich ist es im Deutschen so, dass Familien-, Personen- oder Vornamen ohne Artikel im Singular in der Genitivform die Endung -s ohne Apostroph angehängt bekommen: Supermans Anzug, Petras Frisierstube, Meiers Würstchenbude, Schillers Glocke, Goethes Dramen, Batmans Batmobil usw. 6
Duden Newsletter vom 5.09.2000: http://www.duden.de/deutsche_sprache/sprachberatung/newsletter/archiv. php?id=8 vom 03.02.09. Umgangssprachlich wird dieser Apostroph auch gerne als „Deppen-Apostroph“ bezeichnet und im Internet ereifern sich seit Jahren viele selbst ernannte Sprachretter über fehlerhaft gesetzte Apostrophe. Googeln Sie einfach mal „Deppen-Apostroph“, um einen Eindruck zu bekommen. Grammatik und Rechtschreibung: Software-Helfer und Wörterbücher
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Die Apostrophierung von Eigennamen wird zwar, wie Sie dem Duden-Newsletter entnehmen konnten, geduldet, sie ist aber dennoch falsch. Die einzige Ausnahme stellen diejenigen Namen dar, die auf einen Zischlaut wie -s, -ß, -x, -tz und -ce enden. Hier ist der Apostroph korrekt:
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Fritz‘ Schultasche, Sokrates’ Schriften, Achilles’ Ferse, Marx’ Werke, Alice’ Erlebnisse im Wunderland. Die Apostrophierung der Genitiv-Form wird übrigens auch bei Namen aus Fremdsprachen angewandt, die – unabhängig von der Schreibweise – lautlich auf einen Zischlaut enden wie „(Tom) Cruise’ neuester Film“ oder „(James) Joyce’ berühmter Roman Ulysses“. Und wie sieht es mit Abkürzungen, wie z.B. den „PC’s“, aus? Diese Form ist falsch. Bei Abkürzungen wird das Plural- oder auch das Genitiv-s ohne Apostroph angeschlossen. Richtig wäre also die Schreibweise „die PCs“. Und wie ist’s mit ’ner ander‘n Art des Apostrophs – bei Auslassungen? Dazu der Duden-Newsletter vom 29. Juni 200: Was den Ausfall des „e” im Pronomen „es” angeht, wenn dieses Pronomen mit dem vorangehenden Wort verschmilzt, kann man Entwarnung geben und raten: „Nimm’s leicht!” Oder aber auch: „Nimms leicht!” Solche Verschmelzungen sind leicht zu lesen und zu verstehen. Daher kann man „sich’s” (bzw. „sichs”) ruhig leicht machen und entweder mit oder ohne Apostroph schreiben. Anders sieht es aus, wenn Buchstaben am Anfang eines Wortes ausgelassen werden und das Wort ohne Kennzeichnung der Auslassung schwer lesbar oder missverständlich würde: „‚s ist nicht leicht mit ’ner Sechs in Deutsch.” Allgemein übliche Verschmelzungen von Präposition und Artikel kommen immer ohne Apostroph aus: „ans”, „aufs”, „durchs”, „fürs”, „ins”, „am”, „beim”, „hinterm”, „überm”, „hintern”, „untern” usw. Umgangssprachliche und mundartliche Verschmelzungen, die zu unüblichen Konsonantenverbindungen führen, werden dagegen häufiger mit Apostroph geschrieben: „Sie sitzt auf ’m Trockenen.” „Nach’m Spiel ist vorm Spiel.” Auch auf das weggelassene Schluss-e in bestimmten Verbformen wird nicht durch Apostroph hingewiesen: „Das lass ich schön bleiben.” „Was hab ich damit zu tun?” „Trink, Brüderchen, trink!” „Fahr zur Hölle!” Bei schwer lesbaren oder missverständlichen Formen allerdings hilft der Apostroph schon: „Fordr’ zum Duell den Wicht.” Und überhaupt nicht üblich ist ein Apostroph, wenn im Wortinnern ein unbetontes „e” ausfällt und die entstehende Wortform allgemein gebräuchlich ist: „Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn.” „Ich höre schon die Englein singen.” Sind solche Auslassungen aber ungebräuchlich, ist der Apostroph wiederum gebräuchlich: „hohe Well ’n”, „Bau’r”, „g ’nug”.7
Auch zum Thema „Apostroph und Auslassung“ bin ich im Batman-Forum fündig geworden: naja, zum glück kann man sie auch beide sehr gerne mögen.. und n superman forum gibts hier ja leider nirgendwo, deshalb häng ich bei den kaputten gotham fans rum*gg* – warn witz, ich liebe euch alle 8
Ganz falsch ist die Variante „und n“ ohne Apostroph und ohne Zusammenschreibung. Ganz korrekt wäre natürlich „und ein Superman-Forum“, aber „und ’n Superman-Forum“ wäre auch okay. Richtig 7 8 36
Duden-Newsletter vom 29.06.200: http://www.duden.de/deutsche_sprache/sprachberatung/newsletter/archiv. php?suchwort=apostroph&id=25 vom 03.02.2009. http://www.comicforum.de/showthread.php?t=44825 vom 03.02.2009. Grammatik und Rechtschreibung: Software-Helfer und Wörterbücher
ist die Zusammenziehung von „gibt“ und „es“ zu „gibts“. Wiederum falsch ist die letzte Variante, in der aus „war“ und „ein“ „warn“ wurde. Korrekt wäre „War ’n Witz“. Allerdings würde ich die Formen „und’n“ sowie „war’n“ wegen ihrer starken Umgangssprachlichkeit nicht in einem „offiziellen“ Schreiben wie einem Schulaufsatz, einem Protokoll oder einem Geschäftsbrief verwenden.
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Noch eine letzte Ergänzung zum Apostroph: Ein Adjektiv, das von einem Personennamen abgeleitet wurde und auf -sch endet, kann zur Verdeutlichung die Endung mit einem Apostroph abtrennen. Der „faradaysche Käfig“ kann also auch als „Faraday’scher Käfig“ bezeichnet werden, ebenso kann die „einsteinsche Relativitätstheorie“ auch „Einstein’sche Relativitätstheorie“ genannt werden. Beide Varianten sind gleichwertig, allerdings muss die Schreibweise beachtet werden. Bei der Zusammenziehung wird das entstandene Adjektiv kleingeschrieben, bei der Apostrophierung muss der Personenname großgeschrieben werden.
Aufgabe 2: Ich habe wieder einen Lückentext für Sie erstellt, dieses Mal zum Thema „Apostroph“. Sie finden hier einige Beispielsätze und am Ende des jeweiligen Beispielsatzes steht in Klammern die Grundform des Wortes, das Sie in die Lücke einsetzen sollen. Dabei handelt es sich z. B. um Verben im Infinitiv, um Pronomen oder Eigennamen. Verändern Sie das Wort grammatisch so, dass es in die Lücke passt, und entscheiden Sie immer, ob ein Apostroph nötig, unnötig oder vielleicht zumindest möglich ist. Aufgabentext 2: Neues?“, fragte Carla, als ich sie beim Friseur traf. (geben, es)
.
„Was
2.
Wie viele
3.
Ich
jetzt gleich zu Dieter rüber. (fahren)
4.
Ich
lieber Energie und
5.
Ich
gleich. (kommen)
6.
Hast du ich
fahren täglich von München nach Dortmund? (ICE) zu Dieter rüber. (sparen, rennen)
schon überlegt, ob du lieber hier
willst? Ja, ich
,
Sofa liegen und schau mir
Hausaufgaben noch einmal an. (dir, es, mitfahren, glauben, bleiben, auf, dem, Vinzenz) 7.
Ich
jetzt bei Gregor an, der kennt sich beim
kategorischen
Imperativ noch am besten von uns aus. (rufen, Kant) 8.
Möchtest du wirklich noch , ich
Maß Bier? Nein, ich
, ich
einfach nicht mehr so gewöhnt. (eine,
glauben, haben, genug, sein, es) 9.
Ich
schnell noch Helens Bauklötze auf. (sammeln)
0.
Sie
aus Leibeskräften. (schreien – in der Präteritumsform) Grammatik und Rechtschreibung: Software-Helfer und Wörterbücher
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11.5. Hinweise zur Benutzung eines Wörterbuchs Die Anordnung der Stichwörter im Rechtschreibung-Duden ist alphabetisch. Dies gilt auch für alle anderen Wörterbücher wie z. B. diejenigen aus der Wahrig-Reihe. Der Duden beginnt mit „a“, es folgen alle Wörter mit „Aa …“ und dann kämen alle Wörter mit drei aufeinanderfolgenden „a“ („Aaa…“) am Anfang, die es aber im Deutschen nicht gibt. Also geht es weiter mit dem nächsten Buchstaben im Alphabet, dem „b“, und den Wörtern, die mit „Aab …“ begännen. Davon finden sich im Deutschen auch keine, deshalb würde der nächste Eintrag die Wörter mit „Aac …“ auflisten. Und dann kämen diejenigen mit den Anfangsbuchstaben „Aaca …“, dann „Aacb …“, daraufhin „Aacc …“ usw. dran. Diese alphabetische Systematik wird für jeden Buchstaben und jedes Wort eingehalten. Das heißt, alle Wörter, die mit „Bab …“ beginnen, stehen erst nach dem letzten Eintrag zu „Baa …“, alle Wörter mit „Terr …“ erst nach denjenigen mit „Terq …“.
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Und die Umlaute? Wo werden ä, ö, ü und äu eingeordnet? Die Umlaute werden genauso wie die Vokale a, o, u, au behandelt. Nach „Tatkraft“ folgt im Rechtschreib-Duden als Nächstes „tatkräftig“, dann „tätlich“, „Tätlichkeit“, „Tatmensch“, „Tatmotiv“, Tatort“, „Tatortanalytiker“, „Tatortanalytikerin“ und schließlich „Tätowieren“ 9. Die Schreibweisen ae, oe, ue (in Namen) werden entsprechend nach ad, od, ud eingeordnet. Falls Sie einmal ältere oder Wörterbücher zu speziellen Fachgebieten verwenden, kann es vorkommen, dass die Umlaute nicht wie oben beschrieben eingereiht sind. Dort werden die Umlaute so behandelt, als wären sie wie folgt ausgeschrieben und alphabetisch entsprechend eingeordnet: ä – ae, ö – oe, ü – ue, äu – aeu. Im aktuellen Duden steht z. B. „Bär“ auf S. 229 nach „Bar“, weil das „ä“ wie ein „a“ angesehen wird. In einem Wörterbuch, das die Umlaute auflöst, also das „ä“ wie ein „ae“ behandelt, würde man das Raubtier „Bär“ als gedachten „Baer“ nach den Einträgen „Bad Wörishofen“ und „Baedeker“ unmittelbar vor „Bafel“0 sechs Seiten zurück auf S. 223 finden. Das scharfe ß wird in heutigen Wörterbüchern wie „ss“ eingeordnet, in älteren Wörterbüchern kann es Ihnen passieren, dass die Wörter mit „ß“ bei den Wörtern mit einfachem „s“ eingeordnet sind. Falls Sie also in einem Wörterbuch ein bestimmtes Wort mit Umlaut oder scharfem ß nicht gleich finden, versuchen Sie es mit diesen alternativen Suchmethoden. Kleinbuchstaben werden in Wörterbüchern wie dem Duden vor Großbuchstaben eingeordnet und Einträge aus mehreren Wörtern werden wie einfache Einträge behandelt. So kommt „arm“ vor dem „Arm“ und nach der griechischen Sagengestalt „Laokoon“ folgen „La Ola“, die „La-Ola-Welle“ und anschließend die französische Stadt „Laon“2. Die allgemeinen Angaben zur Benutzung finden sich in aller Regel gleich am Anfang des betreffenden Wörterbuchs, im Zweifelsfall schauen Sie im Inhaltsverzeichnis nach. Es empfiehlt sich sehr, vor der ersten Verwendung eines Wörterbuchs einen intensiven Blick auf diese einführenden Seiten zu 9 0 2 38
Duden. Die deutsche Rechtschreibung, 24. Aufl., S. 997. Falls Sie das Wort wie ich auch nicht kannten: „Bafel“ ist jiddischen Ursprungs und bedeutet „Ausschussware“ oder „Geschwätz“. Ebenda, 24. Aufl., S. 223. Ebenda, 24. Aufl., S. 98. Ebenda, 24. Aufl., S. 628. Grammatik und Rechtschreibung: Software-Helfer und Wörterbücher
werfen, denn dort finden sich, wie z. B. im nachfolgenden Beispiel aus den Benutzerhinweisen des Rechtschreib-Duden, wichtige Informationen, die die Verwendung erheblich erleichtern: .
Ein untergesetzter Punkt kennzeichnet die kurze betonte Silbe, z. B. Refere.nt.
_
Ein untergesetzter Strich kennzeichnet die lange betonte Silbe, z. B. Fassade.
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| Der senkrechte Strich dient zur Angabe der möglichen Worttrennungen am Zeilenende, z. B. Mor|ta|del|la, mü|he|voll. ® Das Zeichen ® macht als Marken geschützte Wörter (Bezeichnungen, Namen) kenntlich. Sollte dieses Zeichen einmal fehlen, so ist das keine Gewähr dafür, dass das Wort als Handelsname frei verwendet werden darf. Der waagerechte Strich vertritt das unveränderte Stichwort bei den Beugungsangaben des Stichworts, z. B. Insel, die; -, -n (vgl. Abschnitt III 3 a). ... Drei Punkte stehen bei Auslassung von Teilen eines Wortes, z. B. Eindruck, der; -[e]s, ...drücke; oder: Anabolikum, das; -s, ...ka. [] Die eckigen Klammern schließen Aussprachebezeichnungen, Zusätze zu Erklärungen in runden Klammern und beliebige Auslassungen (Buchstaben und Silben, wie z. B. in abschnitt[s]weise, Wissbegier[de]) ein. () Die runden Klammern schließen Erklärungen und Hinweise zum heutigen Sprachgebrauch ein, z. B. orakeln (in dunklen Andeutungen sprechen). Sie enthalten außerdem stilistische Bewertungen, fachsprachliche Zuordnungen und Angaben zur räumlichen und zeitlichen Verbreitung des Stichwortes.
Die Winkelklammern schließen Angaben zur Herkunft des Stichwortes ein, z. B. Affäre .3
Außerdem begegnen Ihnen im Rechtschreib-Duden der 24. Auflage immer wieder rot gedruckte Wörter. Der Duden kennzeichnet mit dieser Farbe die Schreibweisen und Worttrennungen, die sich aus den neuen Rechtschreibregeln ergeben. So sind z. B. „Megafon“, „Fotosynthese“, „existenziell“ und „Grislibär“ rot markiert, weil sie 996 vor dem Beginn der Rechtschreibreform, die am . August 2006 endgültig in Kraft trat, noch „Megaphon“, „Photosynthese“, „existentiell“ und „Grizzlybär“ hießen. Führt der Duden zu einem Wort zwei unterschiedliche Schreibweisen an, eine schwarz, eine rot, wie z. B. bei „Erfolg versprechend, erfolgversprechend“4 dann sind beide erlaubt und der Schreibende kann selbst auswählen. Die gelbe Unterlegung kennzeichnet die Empfehlung der Duden-Redaktion. Die jeweiligen Angaben zu einem bestimmten Wort enthalten in kurzer Form auch wichtige grammatische Hinweise. Bei einem Substantiv sehen diese in etwa so aus: „Ba|sar, Ba|zar“ [...‘za:ą], der; -s, -e (orientalisches Händlerviertel; Verkauf von Waren für wohltätige Zwecke) In den eckigen Klammern [...‘za:ą] findet man die Angaben zur Aussprache, das „der; -s, -e“ gibt an, dass „Basar“ (die Duden-Empfehlung), den man aber auch „Bazar“ schreiben könnte, maskulinen 3 4
Ebenda, 24. Aufl., S. . Ebenda, 24. Aufl., S. 375. Grammatik und Rechtschreibung: Software-Helfer und Wörterbücher
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Genus besitzt und der Genitiv durch Anfügen von -s („Basars“) sowie der Plural durch Anfügen von -e („Basare“) gebildet wird. Durch diese Informationen kann man schon das gesamte Deklinationsschema eines Wortes erschließen. Die Winkelklammern zeigen an, dass „Basar“ aus dem Persischen stammt. Die runden Klammern erklären den heutigen Sprachgebrauch des Wortes.
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Zum Abschluss dieses Kapitels möchte ich Ihnen noch etwas ans Herz legen: Vertrauen Sie der Rechtschreib- und Grammatikprüfung eines Textverarbeitungsprogrammes nur bis zu einem gewissen eng definierten Grad. Wie Sie gesehen haben, kann eine Software bestimmte Dinge leisten, aber viele eben auch nicht. Kaufen Sie sich unbedingt zusätzlich den Grammatik- und den Rechtschreib-Duden bzw. vergleichbare Lexika aus anderen Verlagen und benutzen Sie die Nachschlagewerke auch. Je häufiger Sie das tun, umso schneller finden Sie auch das Gesuchte. Übung macht – wie in nahezu allen Dingen – auch bei der Lexikon-Benutzung den Meister.
Aufgabe 2: Schlagen Sie in einem Wörterbuch nach und finden Sie die alternativen Schreibweisen, die die Rechtschreibreform von 2006 für die folgenden Wörter erlaubt: Anmerkung: Bei dieser Aufgabe verliert die Duden-Korrektor-Software komplett den Durchblick, denn das Add-in unterringelt von den insgesamt 32 Wörtern (6 Wörter mit dazugehöriger alternativer Schreibweise), die laut gedrucktem Rechtschreib-Duden korrekt geschriebenen sind, 3 als angebliche Fehler – Sie sehen alle 32 im Lösungsteil! Schreibweise .
Abc-Schütze
2.
Abdrosselung
3.
Albtraum
4.
Baggypants
5.
blaufärben
6.
Black-out
7.
langersehnt
8.
Mayonnaise
9.
Maläse
Alternative Schreibweise
0. recht haben . stromsparend 2. strenggenommen 40
Grammatik und Rechtschreibung: Software-Helfer und Wörterbücher
3. tschüss
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4. Thunfisch 5. wahrmachen 6. Die zwanziger Jahre
Lektüretipps: – Der Duden. Die deutsche Rechtschreibung (Der Duden, Band ), herausgegeben von der Dudenredaktion, 24., völlig neu bearb. und erw. Aufl., Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag, 2006. Schauen Sie sich vor allem die Seiten 27–00 an, auf denen in knapper Form die wichtigsten Regeln zu Rechtschreibung und Zeichensetzung vorgestellt werden. – Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache (Der Duden, Band 4), hrsg. von der Dudenredaktion, 6., neu bearb. Aufl., Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag, 998. Ich persönlich ziehe diese der 7. Auflage vor, denn die 6. Auflage ist etwas verständlicher geschrieben. Dennoch ist der Grammatik-Duden grundsätzlich schwer zu verstehen, das liegt in der Natur der Sache. Grammatik besteht leider zum großen Teil aus Fachausdrücken. Der Vorteil des Werkes besteht darin, dass sich hier die Lösungen zu nahezu allen grammatischen Fachfragen finden lassen. Verkürzte und zusammenfassende Abhandlungen wie z. B. Basiswissen Schule. Deutsch, auch aus dem Dudenverlag, bieten nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Gesamtgebiet an, der aber immerhin leichter verständlich ist. – Mein Grundwissen. ./10. Klasse. Deutsch/Mathe/Englisch, Berlin: Cornelsen Scriptor, 2005, S. 78–98. In gut verständlicher Sprache werden einige Grundregeln der Grammatik und Zeichensetzung vorgestellt. Das Buch ist zum Nachschlagen spezieller Fragestellungen nicht wirklich geeignet, dafür ist der thematische Umfang zu gering, aber es bietet einen guten Einstieg in allgemeine Grundlagen. Ideal zum Wiederauffrischen ehemaliger Schulkenntnisse. – Grammatik-Seiten im Internet – eine kleine Übersicht über Grammatikangebote im Web finden Sie unter: http://www.lehrer-online.de/grammatik-im-netz.php – http://homepage.bnv-bamberg.de/deutsch-interaktiv/ Ein grammatisches Übungsangebot des engagierten Deutschlehrers Ulrich Koch vom FranzLudwig-Gymnasium in Bamberg. Hier kann man zahlreiche Online-Tests nicht nur zur Grammatik absolvieren. Ideal für den verregneten Sonntag Nachmittag, wenn der Fernseher kaputt gegangen ist … Grammatik und Rechtschreibung: Software-Helfer und Wörterbücher
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12 Prosatexte untersuchen
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12.1. Einleitung mit Winnetous letzten Worten Als der letzte Ton verklungen war, wollte Winnetou sprechen – es ging nicht mehr. Ich brachte mein Ohr ganz nahe an seinen Mund, und mit der letzten Anstrengung der schwindenden Kräfte flüsterte er: „Scharlih, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ. Leb wohl!“ Es ging ein Zucken und Zittern durch seinen Körper, ein Blutstrom quoll aus seinem Mund. Der Häuptling der Apachen drückte nochmals meine Hände und streckte seine Glieder. Dann lösten sich seine Finger langsam von den meinen – er war tot – .
Mit dem oben im Text fett gedruckten „Ich“ in seinen Werken hat sich Karl May eine Menge Ärger eingehandelt. Der wohl bekannteste deutsche Schriftsteller verlor irgendwann in den 880er/890er Jahren die Distanz zu seinen Ich-Erzählern Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand, den Winnetou auch ab und an mit seinem Vornamen „Scharlih“ ansprach. „Scharlih“ – „Charlie“ – „Karl“? Sie denken in die richtige Richtung, diese Assoziationskette dürfte auch Winnetous geistiger Vater im Sinn gehabt haben, als er den dritten Band der Trilogie um den „roten Gentleman“, so der ursprüngliche Untertitel, 893 veröffentlichte. Karl May (842-92) ließ seine Leser und Fans zunehmend glauben, er habe alle diese sagenhaften Abenteuer im Orient und im Wilden Westen selbst erlebt. Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand seien ein- und dieselbe Person – er, Karl May, der Autor selbst. Irgendwann flog der Schwindel natürlich auf, es kam zu Erpressungsversuchen und juristischen Auseinandersetzungen, die aber Mays Ansehen nicht dauerhaft beschädigt haben. Der Sachse mit den hochfliegenden Ideen und der langen Vorstrafenliste gehört heute mit einer Gesamtauflage von 80 Millionen2 zu den bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Autoren weltweit. Die interessanteste Erkenntnis für uns im Rahmen dieses Kapitels ist aber der Zusammenhang von Ich-Erzähler und Glaubwürdigkeit. Hätte Karl May seine Romane zwischen Bagdad und Stambul, an den Ufern des Silbersees und inmitten des Llano Estacado nicht in der Ich-Form erzählt, dann wäre das alles wahrscheinlich nicht passiert. Niemand wäre auf die Idee gekommen, der Autor und der Erzähler seien ein und dieselbe Person, wenn Old Shatterhands Abenteuer und Winnetous Tod so geschildert worden wären: Als der letzte Ton verklungen war, wollte Winnetou sprechen – es ging nicht mehr. Es sollte der letzte Tag im Leben des jungen Häuptlings der Mescalero-Apachen sein. Seine Todesahnung hatte ihn also nicht getrogen, doch das Vermächtnis des edelsten unter den Indianern sollte in den Herzen seiner Freunde auf ewig weiterleben. Doch zurück zu den schicksalshaften Augenblicken am Hancock-Berg. Der junge Westmann aus Deutschland, Old Shatterhand, brachte sein Ohr ganz nahe an den Mund des sterbenden Indianers (…)
2 42
Karl May,Winnetou. Dritter Band, ungekürzte Ausgabe, im Auftrag hergestellte Sonderausgabe S 9, Wien: Tosa Verlag (o.J.), S. 304. Nach Angaben der Karl-May-Stiftung: http://www.karl-may-stiftung.de/may.html vom 05.02.2009. Prosatexte untersuchen
12.2. Die Erzählperspektive 12.2.1. Der Ich-Erzähler Der große Vorteil der von Karl May gewählten Ich-Erzählperspektive liegt darin, dass diese Art des Erzählens sehr glaubwürdig wirkt. Der Autor lässt seine Hauptfigur Ereignisse und Begebenheiten so schildern, wie man es im wirklichen Leben gegenüber einem Zuhörer auch tun würde – in der IchForm:
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In der zweiten und dritten Klasse, als ich mit meiner Klasse zum Schwimmunterricht ging – in dieser Zeit erfuhr ich von meiner Mutter alles, was ich je über Fußpilz wissen würde –, unterteilte uns der Schwimmlehrer in Nichtschwimmer, Flachschwimmer, Halbschwimmer und Schwimmer. Ich konnte das überhaupt nicht witzig finden, denn ich war ein Flachschwimmer – und blieb es. Die anderen Flachschwimmer stiegen zu Halbschwimmern und Schwimmern auf, nur ich machte keine Fortschritte, und als mein Vater eines Abends am Eßtisch meine Mutter ansah und fragte: »Geht sein Schwimmen voran?«, mußte ich wahrheitsgemäß antworten: »Ich bin der letzte Flachschwimmer«.3
So hätte Klaus Uhltzscht, der Ich-Erzähler in Thomas Brussigs Roman Helden wie wir, diese Geschichte aus dem Schwimmunterricht auch erzählt, wenn Sie ihm im ICE-Abteil von Berlin nach Hamburg gegenübergesessen hätten. Wenn es Klaus Uhltzscht wirklich geben würde, was nicht der Fall ist, denn der Mann, der mit seinem Penis die Berliner Mauer zum Einsturz brachte, ist nur eine Erfindung des Autors Thomas Brussig. Autoren schreiben Romane, in denen bestimmte Personen bestimmte Dinge erzählen. Außer in einer Autobiografie ist aber der Autor niemals identisch mit dem Erzähler, selbst wenn dieser in der IchForm auftritt. Wie man aber z. B. bei Karl May sehen konnte, erzeugt die Verwendung eines IchErzählers große Realitätsnähe. Als Leser ist man versucht, einem „Ich“ eher zu glauben als einem „Er“. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Autor und wollten eine unglaubliche Geschichte erzählen, etwas Sensationelles, etwas Unerhörtes, z. B. über ein Wesen, das aus Leichenteilen zusammengezimmert und zum Leben erweckt wurde oder über einen Seemann, der 28 Jahre lang mutterseelenallein auf einer einsamen Insel überlebte. Oder über einen untoten Grafen aus dem fernen Transsylvanien, der Menschen das Blut aussaugt. Oder eben auch über einen jungen Mann mit einem unaussprechlichen Nachnamen, der mit seinem Penis die Berliner Mauer zum Einsturz brachte. Wenn ich Autor wäre, würde ich wegen des schon genannten Glaubwürdigkeitsvorteils auf jeden Fall einen Ich-Erzähler wählen. Dieser Ansicht waren z. B. auch Mary Shelley, Daniel Defoe und Bram Stoker, als sie drei der großen Klassiker der Weltliteratur niederschrieben. Frankenstein oder Der moderne Prometheus (88), Robinson Crusoe (79) und Dracula (897) werden über weite Strecken aus der Ich-Perspektive ihrer Hauptfiguren erzählt: Victor Frankenstein, Robinson Crusoe und Jonathan Harker berichten selbst über die wundersamen Ereignisse in ihrem Leben.
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Thomas Brussig, Helden wie wir, 9. Aufl., Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2000, S. 40. Prosatexte untersuchen
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Hier z. B. erzählt der Genfer Arzt Victor Frankenstein über die Geburtsstunde seines Monsters: Es war in einer tristen Novembernacht, als ich die Vollendung meiner mühseligen Arbeit vor mir sah. Mit einem Fiebereifer, der schon fast an Folterqualen grenzte, brachte ich die Lebensapparate in Position, um einen Funken des Seins in dieses leblose Ding zu meinen Füßen zu leiten. Es war bereits ein Uhr morgens. Trostlos prasselte der Regen gegen die Fensterscheiben, und meine Kerze war beinahe heruntergebrannt, als ich im Schimmer des gerade erlöschenden Lichts sah, wie sich das trübe gelbe Auge der Kreatur öffnete. Sie atmete schwer und ihre Glieder wurden von krampfartigen Zuckungen geschüttelt. Wie kann ich meine Gefühle angesichts dieser Katastrophe schildern, wie den elenden Teufel beschreiben, dessen Erzeugung mich so unendliche Mühe und Sorgfalt gekostet hatte? Seine Glieder waren ebenmäßig, und seine Züge hätten schön sein sollen. Schön! Großer Gott! Seine gelbliche Haut bedeckte kaum das Geflecht aus Muskeln und Arterien darunter. Sein Haar war glänzend schwarz und lang, seine Zähne weiß wie Perlen, aber diese Pracht bildete einen um so erschreckenderen Kontrast zu seinen wäßrigen Augen, die beinahe dieselbe Farbe wie die schmutziggrauen Höhlen hatten, in die sie eingesetzt waren, zu seiner welken Gesichtsfarbe und seinen schmalen schwarzen Lippen.4
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Im nächsten Romanauszug bekommt der Schiffbrüchige Robinson Crusoe nach über 25 Jahren Gesellschaft auf seiner einsamen Insel, er rettet einen jungen Eingeborenen vor Kannibalen und nennt ihn später nach dem Wochentag der Befreiung „Freitag“. Von dort aus beobachtete ich durch mein Fernglas, dass die Anzahl der Wilden sich auf nicht weniger als dreißig Mann belief. Sie hatten ein Feuer angezündet und brieten sich Fleisch. Was es für Fleisch war, konnte ich natürlich nicht erkennen. Sie tanzten gerade in kunstvollen Verrenkungen und mit barbarischen Gesten rund um das Feuer herum. Da bemerkte ich plötzlich durch mein Glas, wie man zwei Unglückliche aus den Booten, wo sie wohl gefesselt gelegen hatten, herbeischleppte, um sie zu töten. Den einen davon sah ich alsbald durch eine Keule getroffen niederstürzen. Zwei oder drei der Kannibalen fielen sogleich über ihn her. Unterdes stand das andere Opfer daneben und wartete, bis die Reihe an ihn komme. Mit einem Male zuckte in dem armen Teufel die Liebe zum Leben auf, und er rannte mit unglaublicher Schnelligkeit geraden Wegs nach der Gegend hin, in der meine Behausung lag.5
Graf Dracula beauftragt die Kanzlei Hawkins mit dem Ankauf eines Anwesens in London. Der junge Anwaltsgehilfe Jonathan Harker reist zur Burg des Adligen nach Transsylvanien, um den Verkauf abzuschließen. Doch rasch wird ihm klar, dass der Graf kein Mensch mehr, sondern eine Ausgeburt der Hölle, ein blutsaugender Vampir ist und er versucht vergebens, ihn am Morgen des 30. Juni in seinem Sarg zu töten: Schließlich hielt ich inne und betrachtete den Grafen. Auf dem aufgequollenen Gesicht lag ein höhnisches Grinsen, das mich schier um den Verstand bringen wollte. Das war also das Wesen, dem ich geholfen hatte, nach London umzuziehen, wo es seinen Blutdurst stillen und einen neuen, ständig größer werdenden Zirkel von Halbdämonen erschaffen würde, die an den Hilflosen schmarotzen würden. Allein schon dieser Gedanke trieb mich fast in den Wahnsinn. 4 5
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Mary Wollstonecraft Shelley, Frankenstein oder der moderne Prometheus: die Urfassung; mit Materialien zur Entstehung und Rezeption, Anmerkungen, Nachwort und Zeittafel, aus dem Engl. neu übers. und hrsg. von Alexander Pechmann, Düsseldorf: Artemis und Winkler, 2006, S. 53. Daniel Defoe, Robinson Crusoe, aus dem Englischen von Sybil Gräfin Schönfeldt, . Aufl., München: cbj-Verlag, 2005, S. 65. Prosatexte untersuchen
Mich überfiel ein schreckliches Verlangen, die Welt von diesem Monstrum zu befreien. Ich hatte keinerlei metallenes Werkzeug zur Hand, doch ich fand eine der Schaufeln, die die Arbeiter benutzt hatten, um die Kästen zu füllen. Ich hob sie empor und schlug sie mit der Spitze voran hinunter, mitten hinein in das verhaßte Gesicht. Doch kaum hatte ich das getan, drehte sich der Kopf, und die Augen waren jetzt genau auf mich gerichtet. Der Anblick wollte mich paralysieren, und die Schaufel entwand sich meiner Hand, glitt aus seinem Gesicht und hinterließ weiter nichts als eine tiefe Rinne in der Stirn. (…) Das letzte, was ich noch zu sehen bekam, war das blauunterlaufene Gesicht, blutbesudelt und mit einem Grinsen, dessen Boshaftigkeit allein bei den Dämonen der Hölle seine Entsprechung finden kann.6
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Die Ich-Erzählperspektive erzeugt eine große Authentizität des Erzählten, aber sie kann noch mehr. Sie macht Erlebnisse unmittelbarer. Eine Romanfigur, die in der Ich-Form über sich selbst erzählt, kann naturgemäß auch direkter und intensiver über ihre innersten Gefühle und Gedanken berichten, als wenn jemand anders von außen über sie erzählen würde. In Monika Marons Animal Triste (996) erinnert sich die Ich-Erzählerin, eine Paläontologin aus Berlin, an ihre unglücklich endende Beziehung zu dem verheirateten Insektenforscher Franz: Ich erinnere mich an meinen Geliebten genau. Ich weiß, wie er aussah, wenn er meine Wohnung betrat, zögerlich, mit bemessenen Schritten, wie ein Hochspringer, der Anlauf nimmt und den richtigen Absprungpunkt nicht verfehlen darf; ich kann seinem Geruch nachspüren, als hätte er eben erst dieses Zimmer verlassen; ich kann, wenn es dunkel ist und ich schon müde werde, fühlen, wie seine Arme sich um meinen Rücken schließen. Nur seinen Namen und warum er mich verlassen hat, habe ich vergessen. Eines Tages, es war im Herbst, das weiß ich genau, ist er gegangen und kam nicht mehr zurück. Es ist möglich, daß er damals gestorben ist. Manchmal glaube ich mich zu erinnern, daß vor dreißig oder fünfzig oder vierzig Jahren mein Telefon geklingelt hat und eine Stimme, wahrscheinlich die Stimme seiner Frau, zu mir gesagt hat, daß mein Geliebter tot ist. Vorher nannte sie ihren Namen, der auch sein Name war; seitdem habe ich ihn vergessen. Es kann aber auch sein, daß ich mir das alles einbilde. Ich sitze hier schon zu lange und erfinde Geschichten, die erklären könnten, warum er damals in einer Nacht im Herbst, es hat nicht geregnet, aus meiner Wohnung aufgebrochen ist, hastig, weil es schon ein bißchen zu spät war, um sein Ausbleiben zu Hause vernünftig zu erklären, und seither nicht wiedergekommen ist.7
Ein Ich-Erzähler kann sich auch unsicher sein, kann Schwierigkeiten haben, Traum und Wirklichkeit voneinander zu trennen, kann Erinnerungslücken haben, kann Dinge auch einfach nicht wissen. Ganz wie ein echter Mensch. 12.2.2. Der auktoriale Erzähler Der auktoriale Erzähler kann sich schlecht auf Erinnerungslücken herausreden und eigentlich will er das auch gar nicht, denn der große Vorteil dieser Erzählperspektive liegt darin, dass der auktoriale Erzähler alles wissen kann. Sie können sich diesen Erzähler als jemanden vorstellen, der vom hohen Gipfel eines Berges aus hinunter ins Tal blickt und wie durch ein gigantisches Vergrößerungsglas dort alles sieht. Er weiß, wo jeder wohnt, was jeder isst, was jeder denkt. Und er weiß, wo jeder der 6 7
Bram Stoker, Dracula, aus dem Englischen von Bernhard Willms, Bergisch-Gladbach: Bastei Lübbe, 200, S. 82 –83. Monika Maron, Animal triste, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 997, S. –2. Prosatexte untersuchen
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Talbewohner vorher gewohnt hat und wo er morgen, übermorgen und in zehn Jahren wohnen wird. Er weiß, was alle Talbewohner jemals gegessen und gedacht haben und was alle jemals essen und denken werden.
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Der auktoriale Erzähler tritt deshalb logischerweise nicht als eigene Figur in der Romanhandlung auf, denn das wäre recht unglaubwürdig. Das auktoriale Erzählen hat für den Autor den Vorteil, dass er alles wissen kann, was er nur will. Er kann in die Köpfe jeder seiner Figuren schauen, wann und wie er möchte, er kann in einer Sekunde von einem Ereignis in Uelzen berichten und in der nächsten detailliert den Sonnenaufgang über Victoria, der Hauptstadt der Seychellen, beschreiben. Dieses „Über-den-Dingen-stehen“ erlaubt einem Autor eine Geschichte aus vielerlei Blickwinkeln zu betrachten und durch unterschiedliche Handlungsstränge voranzutreiben. Ein Ich-Erzähler kann, so wie Sie und ich im wirklichen Leben, auch nur über Dinge berichten, die er selbst erlebt hat oder über die ihm andere berichtet haben. Das schränkt die Erzählmöglichkeiten im Vergleich zur auktorialen Perspektive ein. Um diesen Nachteil auszugleichen, schildern Ich-Erzähler ihre Geschichte gerne retrospektivisch. Der Rückblick auf vergangene Ereignisse ermöglicht deren zeitliche Raffung, eine gewisse Gewichtung und ein kleines Plus an Wissen. Im Rückblick auf sein Leben kann ein Ich-Erzähler z. B. Äußerungen machen wie „Hätte ich damals gewusst, dass Georg ein Verhältnis mit meiner Frau hat, dann wäre sicher vieles anders gekommen.“ Dieses Wissen hätte die Figur nicht, wenn sie im Hier und Jetzt in der Roman-Gegenwart erzählen würde. Allerdings erzeugt das allwissende auktoriale Erzählen keine so große emotionale Nähe zu den Figuren wie die Ich-Perspektive. Der auktoriale Erzähler sorgt immer für eine gewisse Distanz zu den Figuren. Denken Sie einfach an den Unterschied, wie es ist, etwas selbst erlebt zu haben oder lediglich von etwas zu hören, das jemand anders erlebt hat. Nachdem ich in diesem Kapitel schon aus drei Klassikern mit Ich-Erzählern zitiert habe, wäre nun vielleicht der richtige Zeitpunkt für einen weiteren Klassiker, diesmal mit auktorialem Erzähler. Zwischen 844 und 846 veröffentlichte der französische Schriftsteller Alexandre Dumas der Ältere die Geschichte eines unschuldig verurteilten Seemannes mit Namen Edmond Dantes, der in der Haft von einem versteckten, sagenhaften Schatzes erfährt, diesen nach seiner Flucht hebt und sich anschließend an denjenigen rächt, die ihn damals unschuldig ins Gefängnis brachten. Allerdings unter einem neuen Namen, nämlich als der „Graf von Monte Christo“: »Den wievielten des Monats haben wir?« fragte Dantes Jacopo, der sich, das Kastell If aus dem Gesicht verlierend, zu ihm gesetzt hatte. »Den 28. Februar«, antwortete dieser. »Von welchem Jahr?« fragte abermals Dantes. »Von welchem Jahr? Ihr fragt von welchem Jahr?« »Was wollt ihr«, sagte Dantes, »ich habe diese Nacht eine solche Angst ausgestanden, daß mein Gedächtnis noch völlig gestört ist, ich frage euch also, von welchem Jahr?« »Vom Jahr 1829«, sagte Jacopo.
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Es waren auf den Tag vierzehn Jahre, daß man Dantes verhaftet hatte. Mit neunzehn Jahren war er in das Kastell If gekommen, und er verließ es mit dreiunddreißig Jahren. Ein schmerzliches Lächeln zog über seine Lippen hin; er fragte sich, was aus Mercedes während dieser Zeit, wo sie ihn hatte für tot halten müssen, geworden wäre. Dann entzündete sich ein Blitz des Hasses in seinen Augen, indem er an die drei Menschen dachte, denen er eine so lange und grausame Gefangenschaft zu verdanken hatte, und er erneuerte gegen Danglars, Fernand und Villefort den Schwur unversöhnlicher Rache, den er in seinem Gefängnis ausgesprochen hatte; und sein Schwur war keine leere Drohung, denn zu dieser Stunde hätte der beste Schnellsegler des Mittelländischen Meeres sicherlich die kleine Tartane8 nicht mehr einholen können, die mit voller Kraft nach Livorno fuhr.9
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An dem anfänglichen Dialog des gerade von der Gefängnisinsel Kastell If geflüchteten Dantes mit dem Schmugglerkapitän Jacopo lässt sich die auktoriale Erzählperspektive noch nicht erkennen. Da könnte auch ein Ich-Erzähler berichten, wie er neulich ein Gespräch mit angehört habe und das sei so verlaufen: „ ,Den wievielten des Monats haben wir‘, fragte Dantes Jacopo usw.“. Dialoge in direkter Rede können bei jeder Art von Erzählperspektive vorkommen. Mit dem Absatz „Es waren auf den Tag vierzehn Jahre …“ wird dann aber die Perspektive klar. Man kann sich fragen: Wer erzählt denn das? Da spricht weder Dantes noch Jacopo noch eine andere Romanfigur. Hier meldet sich der Erzähler sozusagen aus dem Off und erklärt noch einmal einige Fakten und Zusammenhänge zu Dantes‘0 Gefangenschaft und wirft mit der Ankündigung „sein Schwur war keine leere Drohung“ schon einen dramatischen Blick in die Zukunft. Der auktoriale Erzähler kann hier vorgreifen, ein Ich-Erzähler könnte – außer im Rückblick – nicht behaupten, dass sein Schwur keine leere Drohung gewesen sei. Es sei denn, er hätte wie Michael J. Fox alias Marty McFly in „Zurück in die Zukunft“ eine Zeitmaschine. 12.2.3. Der personale Erzähler Die personale Erzählperspektive ist nicht so einfach von der auktorialen zu unterscheiden. In beiden Fällen wird nicht in der „Ich-„, sondern in der „Er-Form“ erzählt. Der personale Erzähler zieht sich aber im Gegensatz zum allwissenden auktorialen so weit hinter die Romanfiguren zurück, dass man ihn kaum bemerkt. Oben im Beispiel aus dem Graf von Monte Christo kommentiert eindeutig eine Stimme wie aus dem Off die gerade im Roman stattfindenden Ereignisse, ein personaler Erzähler würde dies nicht tun. Er würde die Handlung nicht kommentieren oder zukünftige Ereignisse vorwegnehmen. Der personale Erzähler tut kurz gesagt so, als wäre er gar nicht da, als würden die Romanfiguren sozusagen selbst erzählen, nur eben nicht in der Ich-Form. Im Kapitel „Der Fluß“ in Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt (2005) reist der deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt mit einigen Begleitern den Orinoko hinab und hat kurz vor der unten zitierten Textstelle gerade aus einer Grabhöhle drei mumifizierte Indianer-Leichen mitgenommen: 8 9 0
Eine „Tartane“ ist ein kleines ein- bis zweimastiges Segelboot. Alexandre Dumas, Der Graf von Monte Christo, nach einer alten Übersetzung aus dem Französischen von Meinhard Hasenbein, Frankfurt am Main und Leipzig: Insel Verlag, 998 (insel taschenbuch 266), S. 94–95. Erinnern Sie sich an Kapitel und den Apostroph – beim Genitiv von Dantes‘ ist er korrekt, da Dantes auf -s endet. Prosatexte untersuchen
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Der Fluß war hinter den Katarakten noch sehr schmal, immer wieder schleuderten Stromschnellen das Boot hin und her. Gischt durchtränkte die Luft, Felsen rasten gefährlich nahe vorbei. Die Moskitos waren gnadenlos: es schien keinen Himmel mehr zu geben, nur noch Insekten. Bald hatten die Männer aufgegeben, nach ihnen zu schlagen. Sie hatten sich daran gewöhnt, ständig zu bluten.
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In der nächsten Mission bekamen sie Ameisenpastete zu essen. Bonpland weigerte sich, davon zu nehmen, aber Humboldt kostete ein wenig. Dann entschuldigte er sich und verschwand eine Weile im Unterholz. Nicht uninteressant, sagte er, als er zurückkam. Immerhin eine Möglichkeit, künftige Nahrungsmittelprobleme zu lösen. Hier sei doch alles menschenleer, sagte Bonpland. Das einzige, wovon es genug gäbe, sei Essen. Der Häuptling des Dorfes fragte, was in den Stoffballen sei. Er habe einen furchtbaren Verdacht. Seekuhknochen, sagte Bonpland. So rieche es nicht, sagte der Häuptling. Na schön, rief Humboldt, er gebe es zu. Aber diese Toten seien so alt, daß man sie eigentlich nicht mehr Leichen nennen könne. Die ganze Welt bestehe schließlich aus toten Körpern! Jede Handvoll Erde sei einmal ein Mensch gewesen und vorher ein anderer Mensch, jede Unze Luft sei tausendfach von inzwischen Verstorbenen geatmet worden. Was hätten sie nur alle, wo sei das Problem. Er habe ja nur gefragt, sagte der Häuptling schüchtern.
Wenn Sie sich dazu im Vergleich den Ausschnitt aus dem Graf von Monte Christo ansehen, dann könnten Sie bei Kehlmann den Erzähler nicht so direkt benennen. Dumas lässt seinen auktorialen Erzähler aus dem Off die Jahre der Gefangenschaft aufaddieren, bei Kehlmann meldet sich niemand und erklärt irgendwelche Zusammenhänge oder Sachverhalte. Der personale Erzähler tut so, als wüsste er nicht mehr als die Figuren. Dumas‘ allwissender Erzähler hätte z. B. den Ausflug von Humboldt ins Gebüsch näher erklären können: „Und die für Mitteleuropäer ungewohnte Nahrung hatte einen nicht ganz unerwarteten Effekt – Humboldt erbrach sich“. In Kehlmanns Fassung wird die Abwesenheit Humboldts nicht erklärt, denn der Erzähler war sozusagen nicht mit Humboldt zusammen ins Unterholz gegangen, sondern bei Bonpland geblieben. Ein personaler Erzähler blickt durch die Augen seiner Figuren und schildert Vorgänge und Wahrnehmungen aus deren Sicht. Dadurch erreicht diese Erzählperspektive, die nicht durch Einwürfe oder Kommentare gebrochen wird, eine größere Unmittelbarkeit, eine geringere Distanz als ein auktorialer Erzähler. Allerdings um den Preis des beschränkteren Handlungswissens. Der personale Erzähler gibt meistens vor, er wüsste nur genauso viel wie seine Romanfiguren. Die Ich-Erzählperspektive wiederum bringt die größte emotionale Nähe zur Romanfigur, dafür weiß ein Ich-Erzähler am wenigsten über die Ereignisse außerhalb seines persönlichen Horizonts.
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Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt, 9. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2005, S. 22–23. Prosatexte untersuchen
Es kann im Übrigen durchaus vorkommen, dass ein Autor innerhalb eines Romans von der einen zur anderen Erzählperspektive und wieder zurückwechselt. Dies sind schließlich keine DIN-Normen, so viel dichterische Freiheit darf schon sein.
Aufgabe: Stellen Sie sich vor, Sie müssten einen Roman über den berüchtigten Londoner ProstituiertenMörder Jack the Ripper schreiben. Überlegen Sie sich, welche Wirkung die Wahl der auktorialen, der personalen und der Ich-Erzählperpektive vermutlich für die Leser mit sich bringen würde? Was glauben Sie, welche Perspektive Jack the Ripper womöglich sympathisch erscheinen lassen könnte? Mit welcher Perspektivenwahl könnten Sie sich als Autor am weitesten von der Figur distanzieren? Stellen Sie sich bei Ihren Überlegungen Fragen wie diese.
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12.3. Der Ort Ein Roman spielt irgendwo. An einem Ort, an mehreren Orten, in engen Räumen, in Hallen, in Herren- oder in Einfamilienhäusern usw. Sie dürfen als Leser davon ausgehen, dass die Wahl des Ortes durch den Autor nicht zufällig erfolgt. Als Autor stellt man sich beim Schreiben viele Fragen, unter anderem diese: Wo lasse ich meine Geschichte denn stattfinden? In manchen Fällen liegt die Antwort vergleichsweise nahe. Ein historischer Roman über einen Kreuzritter, der unter Gottfried von Bouillon am ersten Kreuzzug teilnahm, muss am Ende des . Jahrhunderts unter anderem in Konstantinopel und Jerusalem spielen. In Konstantinopel vereinigten sich die unterschiedlichen Kreuzfahrertruppen zwischen dem Winter 096 und dem Frühjahr 097. 099 nahm das inzwischen stark verlustgeschwächte Kreuzfahrerheer Jerusalem ein. Ein Schauerroman wie Mary Shelleys Frankenstein sucht sich vorzugsweise exotische und schauerliche Schauplätze aus, Genf, Ingolstadt, die schottischen Highlands, die Arktis. Genf? Ingolstadt? Sie haben richtig gelesen. Bayern, die Schweiz und vor allem Italien galten im Schauerroman des 8./9. Jahrhunderts als abgelegene, teilweise noch unerforschte und gruslige Gebiete. In modernen Horrorfilmen erfüllen mittlerweile die ländlichen Regionen der USA diese Funktion. Wo immer heute im Film ein junges Paar mit seinem Dodge vom Highway abbiegt, sich verfährt und schließlich auf ein Motel zusteuert, da weiß man als Zuschauer, was einen demnächst erwartet: degenerierte Hinterwäldler mit Kettensägen in Aktion. Zu Shelleys Zeiten begann der Leser bereits ahnungsvoll zu erschauern, wenn die Romanheldin eben in Mailand oder Würzburg aus dem Zug stieg und auf eine gotische Kirche zuging. Man sieht dies ja auch am Beispiel von Karl May: Ein Abenteuerroman erfordert einen für den zeitgenössischen Leser glaubhaft abenteuerlich konnotierten Ort. Ende des 9. Jahrhunderts erfüllten der Orient und Nord- bzw. Südamerika diese Kriterien. Auch Afrika, der damals aus europäischer Sicht noch weitgehend unentdeckte Kontinent, war um 900 als abenteuerlicher Schauplatz höchst populär. Prosatexte untersuchen
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Gerade wenn Sie einmal einen „älteren“ Roman aus einem früheren Jahrhundert lesen, würde ich Ihnen stark ans Herz legen, sich vorher aus einer Literaturgeschichte kurz einen Überblick über die damalige Epoche zu verschaffen. Dann verstehen Sie solche Zusammenhänge wie z. B. im Falle von Frankenstein besser. Es müssen nicht gleich ganze Kontinente oder deutsche Bundesstaaten sein, natürlich besitzen auch kleinere Räume und Orte eine schriftstellerische Funktion, die sich oft einfach an der Realität orientiert. Sie kennen das vermutlich alle: Sie sind auf einer Party bei Freunden, gute Musik, gute Drinks und nach dem dritten oder vierten Bier beginnen Sie mit Ihrem Gegenüber ein angeregtes Gespräch über den Sinn des Lebens. Würde ich als Autor eine Geschichte schreiben wollen, in der zwei Menschen in dieser speziellen leicht angetrunkenen, redseligen Gemütsverfassung über den Sinn des Lebens diskutieren, welchen Schauplatz würde ich da wohl wählen, damit mir meine Leser das auch abnehmen … ? Eben, eine Party bei Freunden und sicher nicht die Kasse bei Aldi oder die Ladentheke beim Bäcker. Und noch ein etwas anspruchsvolleres, aber plakatives Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie möchten einen Roman schreiben, in dem es Ihnen darum geht, aufzuzeigen, dass die Menschheit entgegen aller Vernunft ihren eigenen Planeten zugrunde richtet. Da gäbe es natürlich verschiedene Möglichkeiten und eine könnte darin bestehen, als Ort der Handlung ein Irrenhaus zu wählen, in dem sich die Irren vernünftiger verhalten als die Menschen draußen.
12.4. Die Zeit In der realen Welt geht die Sonne morgens im Osten auf und abends im Westen unter. Und am nächsten Tag wiederholt sich dieser Vorgang. Im realen Leben kann man keinen Sonnenaufgang überspringen oder schnell mal einige Sonnenaufgänge rückwärts reisen. Im wirklichen Leben passieren die Dinge nacheinander. In der Literatur muss das ganz und gar nicht so sein. Hundert Jahre vor, fünfzig zurück, von gestern nach morgen und dann nach übermorgen springen – alles kein Problem. Aber natürlich hat die Zeit genauso wie der Ort auch ihre Funktion im Roman. Auch sie unterstützt die Handlung. Stellen Sie sich diesmal vor, Sie wollten einen Roman darüber schreiben, wie die Monotonie des Berufslebens einen Menschen zugrunde richten kann. Ich würde meine Romanfigur z. B. lediglich drei Stunden lang in ihrem Büroalltag begleiten und ihre Tätigkeiten auf über 800 eng bedruckten Seiten minutiös schildern: 8.31 Uhr. Ich habe keine Lust, mit dem linken Stapel anzufangen. 8.31 Uhr und sechs Sekunden. Ich kann mich immer noch nicht aufraffen. Weitere sechs Sekunden vergehen, während ich mich immer noch nicht entscheiden kann, ob ich mich überhaupt aufraffen möchte. Ich gehe schließlich, ohne den Stapel angefasst zu haben, in die Küche. Der linke Fuß, dann der rechte Fuß, dann wieder der linke, der rechte, links, rechts, links. Nach drei Mal rechts und vier Mal links bin ich an der Kaffeemaschine angekommen. Ich hab es auch schon andersrum versucht und bin nach dem Aufstehen zuerst mit dem rechten Fuß losgelaufen. Das war eine schöne Abwechslung von Januar bis April. Seit Ostern mache ich es aber wieder wie früher. Zuerst links, dann rechts. Vielleicht wechsle ich im Herbst wieder. Mal sehen. Inzwischen ist es 8.31 Uhr und 22 Sekunden … 50
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Einer der bedeutendsten Romane der Literaturgeschichte, Ulysses (922), des irischen Schriftstellers James Joyce spielt an einem einzigen Tag im Sommer 904 und umfasst in der deutschen Ausgabe über .000 Seiten. Abgesehen davon schildert Joyce auf dieser enormen Seitenzahl kaum äußere Handlung, sondern meist nur die Gedanken seiner Hauptfigur Leopold Bloom. Ein großartiges Buch, aber irrsinnig schwer zu lesen. Die Zeit kann aber auch ausgelassen und übersprungen werden oder sie kann ganz einfach verstreichen, je nachdem, wie es der Autor braucht. Das klingt etwas profan, aber die antike Regelpoetik des Aristoteles (4. Jh. v. Chr.) schrieb für das Drama – Romane gab es damals noch nicht – den maximal erlaubten zeitlichen Rahmen eines Sonnentages vor. Das wäre irgendwie ein bisschen wenig, würde man heute sagen, aber die Idee dahinter hieß eigentlich „Glaubwürdigkeit“. Eine derart rigorose zeitliche Beschränkung erforderte vom Autor einen sehr schlüssigen Aufbau der Handlung. Falls Sie zu den Fans der US-TV-Serie „24“ gehören, die die Erlebnisse des CIA-Agenten Jack Bauer in Echtzeit erzählt, dann haben Sie einen gewissen Eindruck davon, was innerhalb eines Tages noch halbwegs glaubhaft passieren kann und was eben nicht.
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Schauen Sie beim Lesen auch ein wenig auf den Umgang des Autors mit der Zeit. Erzählt er chronologisch, überspringt die Romanfigur ein paar Jahre oder gar Jahrzehnte, werden Ereignisse gleichzeitig erzählt oder spielt die Zeit als Ordnungsfaktor gar keine Rolle mehr? Und dann überlegen Sie sich, was die Gründe für den jeweiligen Umgang mit der Zeit sein könnten.
12.5. Die Handlung und die Figuren Was passiert denn eigentlich in diesem Roman? Mit der Antwort auf diese Frage haben Sie die Handlung des Romans zusammengefasst. In der Regel schildert ein Roman eine Abfolge von äußeren Ereignissen, die in einem gewissen Zusammenhang zueinanderstehen. Das allein wäre langweilig, deshalb erzählt ein Roman meist auch etwas über die innere Entwicklung seiner Figuren. Manchmal liest man in diesem Zusammenhang die Begriffe „äußere“ und „innere“ Handlung. Die äußere Handlung beschreibt Ereignisse und Begebenheiten in der Welt des Romans, die innere Handlung umfasst die Auswirkungen, die diese Ereignisse auf den Charakter, das Wesen, das Denken der Romanfiguren haben. Romane können die unterschiedlichsten Handlungen besitzen, aber wenn sich die Handlungen in gewissen Grundmustern ähneln, kann man sie in Gruppen bzw. Untergattungen einteilen. Da gibt es z. B. den Kriminal-, den Fantasy-, den Entwicklungs- oder auch den historischen Roman. Von einem Kriminalroman erwartet man als Leser bestimmte Handlungsschemata: Am Anfang des Romans wird ein Verbrechen verübt, Kommissar XY übernimmt den Fall, befragt die Verdächtigen und am Schluss wird der Täter gefasst. Im Fantasy-Roman, der oft gleichzeitig ein Entwicklungsroman ist, entdeckt der jugendliche Held seine magische Begabung, besteht in Begleitung von Elfen und Zwergen eine Reihe von Abenteuern, bis er dann innerlich gereift im Endkampf das ultimative Böse besiegt. Im Entwicklungsroman passiert das Gleiche, nur ohne Magie, Elfen und das ultimative Böse. Hier steht die innere Entwicklung des Romanhelden und nicht die äußere Handlung wie z. B. im Fantasy-Roman im Vordergrund. Beim historischen Roman verhält es sich etwas anders, hier sind viele Handlungsvarianten möglich, der gemeinsame Nenner ist der Vergangenheitsbezug.
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Keine Handlung ohne Handelnde, jeder Roman braucht seine Figuren und vor allem seinen Helden oder seine Heldin, fachsprachlich auch „Protagonist“ genannt. Dieser Protagonist bewegt sich in seiner Romanwelt unter anderen Figuren und hat zu seinen „Mitmenschen“ ein bestimmtes Verhältnis, ganz wie unsereiner im wirklichen Leben auch. Der Held hat Freunde und Feinde, Vorgesetzte und Kollegen, Frau oder Freundin, evtl. Kinder und Haustiere. Und ganz wie im realen Leben auch hat der Umgang der Romanfiguren miteinander Auswirkungen auf ihr (fiktives) Leben und ihre innere Entwicklung. Im Falle von Winnetou, wenn Sie sich an seine letzten Worte erinnern, hatte der „Umgang“ des ursprünglich heidnischen Apatschen mit dem tief religiösen Old Shatterhand eine Christianisierung in buchstäblich letzter Sekunde zur Folge.
12.6. Die Sprache Ein Roman bzw. jedes fiktionale Werk (Drama, Gedicht, Kurzgeschichte etc.) ist immer ein Gesamtprodukt. Der Autor überlegt sich, was er erzählen will, mit welchen Figuren, zu welcher Zeit, in welchem Zeitraum und mit welchen Worten. Wenn Sie zurückblättern und sich die Romanauszüge von Shelley, Defoe, Stoker, Brussig, Dumas und Kehlmann noch einmal anschauen, dann fällt doch auf, dass jeder anders schreibt. Das liegt natürlich auch am jeweiligen Entstehungsjahr des Romans, denn Sprache lebt und verändert sich, aber ebenso an der Absicht des Autors. Kehlmann z. B. vermeidet die direkte Rede und verwendet stattdessen die indirekte. Warum macht er das wohl, denn indirekte Rede - habe, seie, gebe, tue – klingt eigentlich ziemlich „gestelzt“. Kennen Sie jemanden im wirklichen Leben, der die indirekte Rede benutzt: „Gestern habe ich Gabi getroffen, sie erzählte mir, sie habe sich beim Skifahren verletzt und müsse nun drei Wochen einen Gips tragen.“ Ich nicht. Also muss Kehlmann sich schon etwas beim Griff zur indirekten Rede gedacht haben. Ich denke, man kann die Absicht schon aus der Formulierung „direkte“ und „indirekte“ Rede ableiten. Die indirekte Rede erzeugt eine größere Distanz zum Geschehen, sie ist nicht so unmittelbar wie ein Dialog in direkter Rede. Der Text bei Kehlmann wirkt durch die indirekte Rede wie ein Protokoll: „Herr Müller wandte ein, er habe dazu eine andere Auffassung. Anschließend meldete sich Frau Maier zu Wort und teilte mit, sie sei zwar derselben Ansicht, aber dieser Gesichtspunkt müsse noch mehr beachtet werden …“ Dadurch wirkt Kehlmanns Geschichte von Humboldt und Gauß zwar für meinen persönlichen Geschmack etwas leblos, aber extrem authentisch. Beim Graf von Monte Christo wird die direkte Rede aus genau den gegenteiligen Gründen benutzt. Das Gespräch von Jacopo und Dantes soll eine größere Nähe zu den Figuren und eine gewisse Abwechslung im Text erzeugen. Ein auktorialer Erzähler steht immer ein bisschen vor dem Problem, seine Romanfiguren auch authentisch machen zu müssen. Diese Erzählperspektive erzeugt durch die Präsenz der allwissenden Off-Stimme schon ausreichend Distanz zu den Figuren, die der Autor eher eindämmen als zusätzlich ausdehnen muss. Bei dem Auszug aus Marons Animal triste kann man sehen, wie die Autorin versucht, die nicht immer logisch geordnete Struktur des Denkens sprachlich zu imitieren:
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Manchmal glaube ich mich zu erinnern, daß vor dreißig oder fünfzig oder vierzig Jahren mein Telefon geklingelt hat und eine Stimme, wahrscheinlich die Stimme seiner Frau, zu mir gesagt hat, daß mein Geliebter tot ist. Vorher nannte sie ihren Namen, der auch sein Name war; seitdem habe ich ihn vergessen. Es kann aber auch sein, daß ich mir das alles einbilde. Ich sitze hier schon zu lange und erfinde Geschichten, die erklären könnten, warum er damals in einer Nacht im Herbst, es hat nicht geregnet, aus meiner Wohnung aufgebrochen ist, hastig, weil es schon ein bißchen zu spät war, um sein Ausbleiben zu Hause vernünftig zu erklären, und seither nicht wiedergekommen ist.2
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Zum Beispiel die Stelle „dreißig oder fünfzig oder vierzig Jahren“. Man denkt im wirklichen Leben nicht immer mathematisch korrekt, sondern die Gedanken kommen so, wie sie kommen. Auch die lange Aneinanderreihung der Sätze mit Kommas spiegelt „echtes“ Denken wieder. Schließlich hat man keinen Duden und kein Rechtschreibprüfprogramm im Kopf, Gedanken halten sich nicht unbedingt an grammatische Regeln. Der Versuch, die Gedankenwelt einer Figur möglichst authentisch abzubilden, kann so weit gehen, wie bei Joyce und dessen Werk Ulysses. Joyce lässt seiner Romanfigur Leopold Blum die Gedanken so kommen, wie sie einem eben im wirklichen Leben durch den Kopf gehen – oft bleiben nur noch grob zusammenhängende und sprunghaft wechselnde Gedankenfetzen übrig. Ganz im Gegensatz dazu beschreibt dieser auktoriale Erzähler das, was er von der Welt sieht. Hermann Hesses Roman Narziß und Goldmund beginnt so: Vor dem von Doppelsäulchen getragenen Rundbogen des Klostereingangs von Mariabronn, dicht am Wege, stand ein Kastanienbaum, ein vereinzelter Sohn des Südens, von einem Rompilger vor Zeiten mitgebracht, eine Edelkastanie mit starkem Stamm; zärtlich hing ihre runde Krone über den Weg, atmete breitbrüstig im Winde, ließ im Frühling, wenn alles ringsum schön grün war und selbst die Klosternußbäume schon ihr rötliches Junglaub trugen, noch lange auf ihre Blätter warten, trieb dann um die Zeit der kürzesten Nächte aus den Blattbüscheln die matten, weißgrünen Strahlen ihrer fremdartigen Blüten empor, die so mahnend und beklemmend herbkräftig rochen, und ließ im Oktober, wenn Obst und Wein schon geerntet war, aus der gilbenden Krone im Herbstwind die stacheligen Früchte fallen, die nicht in jedem Jahr reif wurden, um welche die Klosterbuben sich balgten und die der aus dem Welschland stammende Subprior Gregor in seiner Stube im Kaminfeuer briet.3
Sie können es ruhig glauben, das ist wirklich nur ein einziger Satz, allerdings mit einer Menge Nebensätzen. Ein deutlicher Kontrast zum sprachlichen Stil von Joyce oder Maron. Aber das ist doch gerade auch das Schöne an der Literatur – ihre Bandbreite.
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Monika Maron, Animal triste, S. –2. Hermann Hesse, Narziß und Goldmund, 8. Aufl., 979 (suhrkamp taschenbuch 274), S. 7. Prosatexte untersuchen
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Lektüretipps:
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Ich würde Ihnen die Lektüre wenigstens eines der in diesem Kapitel genannten Romane ans Herz legen. Versuchen Sie es doch z. B. mit einem der großen Klassiker, Frankenstein, Dracula, Der Graf von Monte Christo oder Robinson Crusoe. Fast jeder kennt diese Stoffe aus Jugendbuchversionen oder Verfilmungen, die aber in den meisten Fällen nur noch wenig mit dem ursprünglichen Werk zu tun haben. Rücken Sie dieses schiefe Bild zurecht. Bei der Lektüre sollten Sie aber unbedingt darauf achten, ungekürzte originale Ausgaben zu verwenden. Gerade Defoes Crusoe leidet sehr unter seiner Verstümmelung als Kinderbuch, als das er nie gedacht war. Bei Frankenstein müssen Sie auch etwas aufpassen, dass Sie die übersetzte Urfassung von 88 und nicht die überarbeitete Version von 83 oder eine gekürzte Schulbuchversion erwischen. Noch einige vielleicht nicht ganz unerhebliche Hinweise bezüglich des Umfangs der Werke: Der Graf von Monte Christo ist mit knapp .200 Seiten der Spitzenreiter, Dracula saugt auf rund 500 Seiten Blut, Frankenstein verschwindet nach ca. 250 Seiten im ewigen Eis der Arktis und Robinson Crusoe wird nach rund 260 Seiten endlich gerettet. Monika Marons sehr empfehlenswertes Animal triste hat 235 Seiten und Thomas Brussigs Helden wie wir etwas über 300. Ich persönlich würde Ihnen zumindest unter den Klassikern zu Mary Shelleys Frankenstein raten, der nur wenig mit dem Zerrbild der legendären Horrorfilme mit Boris Karloff gemeinsam hat, sondern eigentlich ein Buch über Ethik, Moral und Menschlichkeit ist. Das Monster des Romans entwickelt sich ganz im Gegensatz zum Karloffschen Film-Frankenstein zu einem höchst gebildeten und raffinierten Widersacher seines Schöpfers und beschränkt sich nicht darauf mit vorgestreckten Armen auf Plateau-Schuhen durch den Wald zu schwanken.
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13 Eine gute Geschichte 13.1. Einleitung mit Gelbsucht und Erbrechen Als ich fünfzehn war, hatte ich Gelbsucht. Die Krankheit begann im Herbst und endete im Frühjahr. Je kälter und dunkler das alte Jahr wurde, desto schwächer wurde ich. Erst mit dem neuen Jahr ging es aufwärts. Der Januar war warm, und meine Mutter richtete mir das Bett auf dem Balkon. Ich sah den Himmel, die Sonne, die Wolken und hörte die Kinder im Hof spielen. Eines frühen Abends im Februar hörte ich eine Amsel singen.
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Mein erster Weg führte mich von der Blumenstraße, in der wir im zweiten Stock eines um die Jahrhundertwende gebauten, wuchtigen Hauses wohnten, in die Bahnhofstraße. Dort hatte ich mich an einem Montag im Oktober auf dem Weg von der Schule nach Hause übergeben. Schon seit Tagen war ich schwach gewesen, so schwach wie noch nie in meinem Leben. Jeder Schritt kostete mich Kraft. Wenn ich zu Hause oder in der Schule Treppen stieg, trugen mich meine Beine kaum. Ich mochte auch nicht essen. Selbst wenn ich mich hungrig an den Tisch setzte, stellte sich bald Widerwillen ein. Morgens wachte ich mit trockenem Mund und dem Gefühl auf, meine Organe lägen schwer und falsch in meinem Leib. Ich schämte mich, so schwach zu sein. Ich schämte mich besonders, als ich mich übergab. Auch das war mir noch nie in meinem Leben passiert. Mein Mund füllte sich, ich versuchte, es hinunterzuschlucken, preßte die Lippen aufeinander, die Hand vor den Mund, aber es brach aus dem Mund und durch die Finger. Dann stützte ich mich an die Hauswand, sah auf das Erbrochene zu meinen Füßen und würgte hellen Schleim.
13.2. Bernhard Schlinks Roman Der Vorleser 13.2.1. Zum Autor Mit diesen Zeilen beginnt der Roman Der Vorleser von Bernhard Schlink, in dem die Hauptfigur Michael Berg herausfindet, dass seine ehemalige Geliebte, die über 20 Jahre ältere Hanna Schmitz, als Aufseherin in einem Konzentrationslager an grausamen Verbrechen beteiligt war. Der Verfasser des weltweit erfolgreichen Romans, Bernhard Schlink, ist Jahrgang 944 und besitzt einen für Schriftsteller etwas ungewöhnlichen Beruf. Prof. Dr. Bernhard Schlink ist Jurist und seit 992 Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie 2 an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein erster Roman, Selbs Justiz, eine Kriminalgeschichte, erschien 987, sein vorerst letzter Roman, Das Wochenende, 2008. 13.2.2. Zur Rezeptionsgeschichte von Der Vorleser Der Vorleser wurde 995 vom Diogenes Verlag veröffentlicht. Schlink hatte eigentlich darauf gedrängt, seinen Roman zuerst in einer englischen Fassung in den USA zu veröffentlichen, denn die 2
Bernhard Schlink, Der Vorleser, Zürich: Diogenes Verlag, 997 (Diogenes Taschenbuch), S. 5–6. Falls Sie sich die Homepage des Lehrstuhls anschauen möchten: http://schlink.rewi.hu-berlin.de/ Eine gute Geschichte
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Thematik einer Liebesgeschichte zwischen einem Minderjährigen und einer 20 Jahre älteren Frau, verknüpft mit Auschwitz und dem Judenmord, erschien dem Juristen als potenziell heikel für den deutschen Sprachraum. Er hatte Angst, missverstanden zu werden. Diogenes Verleger Daniel Keel konnte Schlink, der schon auf eigene Kosten eine englische Übersetzung seines Romans hatte anfertigen lassen, doch noch überzeugen und Der Vorleser erschien auf Deutsch. Die Literaturkritik und die Leser störten sich überhaupt nicht an der Thematik, sondern nahmen den nur rund 200 Seiten starken Roman mit dem wuchtigen Inhalt begeistert an. Der Durchbruch zum Welterfolg gelang dem Vorleser im Februar 999 durch die in den USA sehr populäre TV-Sendung „Oprah’s Book Club“. Oprah Winfrey, Moderatorin der Sendung, besitzt im US-Fernsehen in etwa den Status von Thomas Gottschalk und Günter Jauch zusammen. Sie ist also sehr beliebt. In der Februar-Sendung stellte sie The Reader, so der englische Titel, als Buchtipp des Monats vor und Schlinks Roman kletterte als erster deutscher Roman überhaupt auf Platz der New York Times Bestseller-Liste. Im März 999 war Bernhard Schlink dann auch Gast in Oprah Winfreys Talkshow. Mittlerweile ist der Roman in 40 Sprachen übersetzt. Die Filmrechte hatte Diogenes bereits 998 an das Hollywood-Studio Miramax verkauft und Anfang 2009 kam Der Vorleser mit Kate Winslet, David Kross und Ralph Fiennes unter der Regie von Stephen Daldry schließlich auch ins Kino. 13.2.3. Inhalt und Struktur der Handlung Der Roman folgt in seiner dreigeteilten Struktur den Phasen der Beziehung des Ich-Erzählers Michael Berg zu der über 20 Jahre älteren Hanna Schmitz. Im ersten Teil beschreibt der Vorleser die Liebesbeziehung des damals 5-jährigen Protagonisten mit der Straßenbahnschaffnerin Hanna Schmitz. Hanna hilft Michael, der sich, wie sie aus dem Anfang des Kapitels wissen, wegen seiner Gelbsucht übergeben musste, sich zu säubern. Er kauft ihr als kleines Dankeschön einen Blumenstrauß und so beginnt ihre Beziehung im Februar 959. Die beiden pflegen ein nicht ganz alltägliches Liebesritual, denn Hanna besteht darauf, dass ihr der Gymnasiast Michael vor dem Sex immer etwas vorliest: Aber als ich am nächsten Tag kam und sie küssen wollte, entzog sie sich. »Zuerst mußt du mir vorlesen.« Sie meinte es ernst. Ich mußte ihr eine halbe Stunde lang »Emilia Galotti« vorlesen, ehe sie mich unter die Dusche und ins Bett nahm. Jetzt war auch ich über das Duschen froh. Die Lust, mit der ich gekommen war, war über dem Vorlesen vergangen. Ein Stück so vorzulesen, daß die verschiedenen Akteure einigermaßen erkennbar und lebendig werden, verlangt einige Konzentration. Unter der Dusche wuchs die Lust wieder. Vorlesen, duschen, lieben und noch ein bißchen beieinanderliegen – das wurde das Ritual unserer Treffen.3
Nach wenigen Monaten, im Sommer 959, verschwindet Hanna ohne Ankündigung aus der Stadt und der 5-jährige Michael bleibt verletzt zurück:
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Bernhard Schlink, Der Vorleser, S. 43. Eine gute Geschichte
Nachdem Hanna die Stadt verlassen hatte, dauerte es eine Weile, bis ich aufhörte, überall nach ihr Ausschau zu halten, bis ich mich daran gewöhnte, daß die Nachmittage ihre Gestalt verloren hatten, und bis ich Bücher ansah und aufschlug, ohne mich zu fragen, ob sie zum Vorlesen geeignet wären. Es dauerte eine Weile, bis mein Körper sich nicht mehr nach ihrem sehnte; manchmal merkte ich selbst, wie meine Arme und Beine im Schlaf nach ihr tasteten, und mehrmals gab mein Bruder bei Tisch zum besten, ich hätte im Schlaf »Hanna« gerufen. Ich erinnere mich auch an Schulstunden, in denen ich nur von ihr träumte, nur an sie dachte.4
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Mit diesen wehmütigen Sätzen beginnt der zweite Abschnitt des Romans. Aus dem Gymnasiasten ist inzwischen, sieben Jahre später, 966, ein Jura-Student geworden. Im Rahmen eines Seminars besucht Michael einen KZ-Prozess. Dort begegnet er seiner Teenagerliebe wieder – angeklagt vor Gericht: „Der Vorsitzende ließ sich von Hanna einsilbig bestätigen, daß sie bis Frühjahr 944 in Auschwitz und bis Winter 944/45 in einem kleinen Lager bei Krakau eingesetzt war (…)“.5 Das Verfahren gegen Hanna steht im Mittelpunkt des zweiten Romanteils. Sie hatte als KZ-Aufseherin in dem Außenlager bei Krakau Frauen für die Fabrikarbeit aussortiert: Jeden Monat wurden aus Auschwitz rund sechzig neue Frauen geschickt und waren ebenso viele nach Auschwitz zurückzuschicken, abzüglich derer, die in der Zwischenzeit gestorben waren. Allen war klar, daß die Frauen in Auschwitz umgebracht wurden; es wurden die zurückgeschickt, die bei der Arbeit in der Fabrik nicht mehr eingesetzt werden konnten.6
Hanna hatte im Gegensatz zu ihren vier Mitangeklagten auch eine spezielle Art der Selektion verfolgt. Sie hatte regelmäßig schwache, zarte junge Frauen ausgewählt und von der Arbeit in der Fabrik freigestellt. Im Gegenzug mussten ihr die Frauen jeden Abend etwas vorlesen, bis Sie nach Ablauf des Monats mit dem nächsten Transport zurück nach Auschwitz in den sicheren Tod geschickt wurden. Michael hofft im Gerichtssaal verzweifelt auf eine Erklärung: Frag sie, dachte ich. Frag sie, ob sie die schwachen und zarten Mädchen gewählt hat, weil sie die Arbeit auf dem Bau ohnehin nicht verkrafteten, weil sie ohnehin mit dem nächsten Transport nach Auschwitz kamen und weil sie ihnen den letzten Monat erträglich machen wollte. Sag’s, Hanna. Sag, daß du ihnen den letzten Monat erträglich machen wolltest. Daß das der Grund war, die Zarten und Schwachen zu wählen. Daß es keinen anderen Grund gab, keinen geben konnte. Aber der Anwalt fragte Hanna nicht, und sie sprach nicht von sich aus.7
Aber die Anklage gegen Hanna stützt sich noch auf einen zweiten schwerwiegenden Punkt. Nach der Auflösung des Lagers im Winter 944 brach die KZ-Mannschaft mit den gefangenen Frauen zu einem Todesmarsch durch Eis und Schnee nach Westen auf. In einem verlassenen Dorf sperrten die Aufseherinnen die Gefangenen in einer Kirche ein, die nach einem Bombenangriff in Flammen aufging. Hanna und die anderen Frauen schlossen die Türen der Kirche nicht auf. Die im Inneren gefangenen Frauen verbrannten qualvoll.
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Ebenda, S. 83. Ebenda, S. 92. Ebenda, S. 02–03. Ebenda, S. 3. Eine gute Geschichte
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Für den Jurastudenten bringen die langen Verhandlungstage gegen seine ehemalige Geliebte noch eine weitere Erkenntnis: „Hanna konnte nicht lesen und schreiben.“8 Sie war Analphabetin und deshalb ließ sie sich immer vorlesen.
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Der zweite Romanteil endet schließlich mit der Verurteilung Hannas zu lebenslanger Haft. Zwischen Teil und Teil 2 des Romans lässt der Erzähler eine Lücke von rund sieben Jahren. Der dritte und abschließende Teil des Romans schließt dagegen zeitlich direkt an das Prozessende an. Hier schildert Michael Berg über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren den weiteren Verlauf seines Lebens. Er schließt sein Studium ab, heiratet eine Juristin, Gertrud, bekommt mit ihr eine Tochter, Julia, und lässt sich scheiden, als diese fünf war: Ich habe nie aufhören können, das Zusammensein mit Gertrud mit dem Zusammensein mit Hanna zu vergleichen, und immer wieder hielten Gertrud und ich uns im Arm und hatte ich das Gefühl, daß es nicht stimmt, daß sie nicht stimmt, daß sie sich falsch anfaßt und anfühlt, daß sie falsch riecht und schmeckt. Ich dachte, es würde sich verlieren. Ich hoffte, es würde sich verlieren. Ich wollte von Hanna frei sein. Aber das Gefühl, daß es nicht stimmt, hat sich nie verloren.9
Michael hat weitere Beziehungen zu anderen Frauen, die ihn aber emotional nicht berühren. Beruflich schlägt er schließlich eine akademische Laufbahn ein und wird Rechtshistoriker. Im achten Jahr von Hannas Haft, also 974, beginnt er wieder damit, ihr vorzulesen. Er liest ausgewählte Bücher zuhause laut vor, lässt dabei einen Kassettenrekorder mitlaufen und schickt Hanna die Kassetten ins Gefängnis, zehn Jahre lang bis zu ihrer Begnadigung 984. Mit Hilfe der Kassetten lernt Hanna lesen und schreiben. Die Leiterin des Gefängnisses bittet Michael, der offenbar als Einziger überhaupt zumindest schriftlichen Kontakt zu Hanna hatte, ihr nach der Entlassung wenigstens anfangs beim Wiedereintritt in ein normales Leben zu helfen. Michael kümmert sich um Wohnung und Arbeit für Hanna, aber er besucht sie nur widerwillig ein einziges Mal unmittelbar vor ihrer Entlassung: Ich hatte Hanna eine kleine Nische zugebilligt, durchaus eine Nische, die mir wichtig war, die mir etwas gab und für die ich etwas tat, aber keinen Platz in meinem Leben. Aber warum hätte ich ihr einen Platz in meinem Leben zubilligen sollen? Ich empörte mich gegen das schlechte Gewissen, das ich bei dem Gedanken bekam, sie auf eine Nische reduziert zu haben. »Hast du vor dem Prozeß an das, was in dem Prozeß zur Sprache kam, eigentlich nie gedacht? Ich meine, hast du nie daran gedacht, wenn wir zusammen waren, wenn ich dir vorgelesen habe?« »Beschäftigt dich das sehr?« Aber sie wartete nicht auf eine Antwort. »Ich hatte immer das Gefühl, daß mich ohnehin keiner versteht, daß keiner weiß, wer ich bin und was mich hierzu und dazu gebracht hat. Und weißt du, wenn keiner dich versteht, dann kann auch keiner Rechenschaft von dir fordern. Auch das Gericht konnte nicht Rechenschaft von mir fordern. aber die Toten können es. Sie verstehen. Dafür müssen sie gar nicht dabei gewesen sein, aber wenn sie es waren, verstehen sie besonders gut. Hier im Gefängnis waren sie viel bei mir. Sie kamen jede Nacht, ob ich sie sehen wollte oder nicht. Vor dem Prozeß habe ich sie, wenn sie kommen wollten, noch verscheuchen können.« 8 9 58
Ebenda, S. 26. Ebenda, S. 64–65. Eine gute Geschichte
Sie wartete, ob ich etwas dazu sagen würde, aber mir fiel nichts ein. Daß ich nichts verscheuchen könne, hatte ich zunächst sagen wollen. Aber es stimmte nicht; man verscheucht jemanden auch, indem man ihn in eine Nische stellt.0
Zu dieser Entlassung kommt es dann allerdings nicht mehr, denn Hanna erhängt sich in ihrer Zelle. In einem Abschiedsbrief bittet sie Michael, ihre Ersparnisse der im Roman nur „Tochter“ genannten Frau zu geben, die zusammen mit ihrer Mutter damals als einzige das Feuer in der Kirche überlebt hatte:
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Ich erzählte von Hannas Tod und Auftrag. »Warum ich?« »Ich vermute, weil Sie die einzige Überlebende sind.« »Was soll ich damit?« »Was immer Sie für sinnvoll halten.« »Und Frau Schmitz damit die Absolution geben?« Zuerst wollte ich abwehren, aber Hanna verlangte in der Tat viel. Die Jahre der Haft sollten nicht nur auferlegte Sühne sein; Hanna wollte ihnen selbst einen Sinn geben, und sie wollte mit dieser ihrer Sinngebung anerkannt werden. Ich sagte das. Sie schüttelte den Kopf. Ich wußte nicht, ob sie damit meine Deutung ablehnen oder Hanna die Anerkennung verweigern wollte. »Können Sie ihr nicht die Anerkennung ohne die Absolution geben?« Sie lachte. »Sie mögen sie, nicht wahr? Wie ist eigentlich ihr Verhältnis zueinander gewesen?«
Michael und die „Tochter“ verständigen sich auf einen Kompromiss. Das Geld aus Hannas Nachlass wird an eine jüdische Organisation zur Bekämpfung von Analphabetismus gespendet. 13.2.4. Die Ich-Erzählperspektive im Roman Der Roman Der Vorleser wird aus der Perspektive des Ich-Erzählers Michael Berg erzählt. Anhand der Jahresangaben im Roman ergibt sich das folgende Erzählgerüst: In der Romangegenwart, dem Jahr 994, erzählt Michael Berg rückblickend über sein Leben und seine Liebesbeziehung zu Hanna. Schlink lässt seinen Ich-Erzähler innerhalb dieser Grundkonzeption immer wieder zwischen den Jahren und Jahrzehnten hin und her springen. Der erste Teil des Romans beginnt in der Zeitebene des Jahres 958/59. Erst im zweiten Kapitel bemerkt man als Leser, dass hier retrospektivisch erzählt wird. Schlink lässt den damals 5-jährigen Michael seine Beziehung zu Hanna im ganzen ersten Teil überwiegend aus der Sicht des Jahres 958/59 schildern, wodurch er eine große Authentizität und emotionale Nähe zum Helden erzeugt. Man fühlt buchstäblich mit Michaels Sinnen die Faszination, die die reife Frau auf den Minderjährigen ausübt: Ich konnte die Augen nicht von ihr lassen. Von ihrem Nacken und von ihren Schultern, von ihren Brüsten, die das Unterkleid mehr umhüllte, als verbarg, von ihrem Po, an dem das Unterkleid spannte, als sie den Fuß auf das Knie stützte und auf den Stuhl setzte, von ihrem Bein, zuerst nackt und blaß und dann im Strumpf seidig schimmernd.2 0 2
Ebenda, S. 87–88. Ebenda, S. 20. Ebenda, S. 5. Eine gute Geschichte
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Die Einwürfe des gealterten Michael Berg bringen einem die Figuren und die Romanrealität sogar noch näher, denn im Rückblick kann der Erzähler sein Verhalten oder seine Gefühle noch zusätzlich ausdeuten. Auf diese Art kann er sozusagen zwei Mal das Gleiche auf unterschiedliche Art erzählen – eine elegante und effiziente Erzählmethode. „Warum hatte ich die Augen nicht von ihr lassen können?“3, fragt sich der gealterte Michael Berg im Rückblick auf die gerade vom 5-jährigen Erzähler-Ich beschriebene Ankleide-Szene nur zwei Seiten später und kann die Wirkung, die die reife Hanna auf ihn als Minderjährigen ausgeübt hat, noch einmal zusätzlich aus einem anderen Blickwinkel erklären: „Jahre später kam ich darauf, daß ich nicht einfach um ihrer Gestalt, sondern um ihrer Haltungen und Bewegungen willen die Augen nicht von ihr hatte lassen können.“4 Die Methode des rückblickenden Ich-Erzählens gibt Schlink die Möglichkeit, schlaglichtartig immer wieder genau die Punkte zu beleuchten, die er ansprechen möchte, denn bei Bedarf meldet sich im aktuellen Handlungsgeschehen das gealterte Erzähler-Ich und reflektiert über sein eigenes Verhalten oder auch über übergeordnete ethisch-moralische Themen wie z. B. die Kollektivschuldfrage. 13.2.5. Ort und Zeit Der gesamte Roman spielt in der Region Rhein-Main-Neckar. Die Heimatstadt Michael Bergs wird zwar nie explizit genannt, die geografischen Angaben und die Straßennamen deuten aber auf die Stadt Heidelberg hin, wo Bernhard Schlink aufgewachsen ist. Damit hören die Gemeinsamkeiten von Ich-Erzähler und Autor aber noch nicht auf. Das Alter der Hauptfigur, die 959 fünfzehn Jahre alt ist, würde ebenso passen wie der Beruf. Schlink ist 944 geboren und auch Jurist mit akademischer Ausrichtung. Diese Übereinstimmungen sind sicher nicht zufällig, sondern Schlink kokettiert einerseits sicher mit diesem alt bekannten Autoren-Trick des angeblich autobiografischen Inhalts, andererseits wirkt der Trick aber natürlich auch bei seinem Roman. Die Authentizität des Erzählten wird durch diesen unterschwelligen Autobiografie-Verdacht untermauert. Die Schauplätze des Romans wie die Wohnung von Hanna und die von Michael skizzieren durch ihre Ausstattung das Lebensumfeld der Figuren. Hannas Wohnung ist klein und eng, Michael wohnt eher großbürgerlich mit separater Küche, mehreren Kinderzimmern und einem Arbeitszimmer für den Vater. Und natürlich braucht Schlink als Autor einen Ort, der zwei Sachverhalte dramaturgisch glaubhaft macht: Hanna kann ihr Analphabetentum und gleichzeitig ihre strafbare sexuelle Beziehung zu einem Minderjährigen geheim halten. Da bietet sich natürlich eine Wohnung als Rückzugsort an. Die geschlossenen Türen halten die Wirklichkeit draußen. Die Beziehung der beiden funktioniert auch nur drinnen, bei den Begegnungen in der Außenwelt, im Freibad, in der Straßenbahn und bei der gemeinsamen Radtour herrscht entweder Sprachlosigkeit oder es kommt zu Aggression. Der zentrale Schauplatz im zweiten Teil ist der Schwurgerichtssaal. Auch hier könnte man sagen, dass der geschlossene Raum die Wirklichkeit und die Wahrheit außen vor hält bzw. der Gerichtssaal der falsche Ort ist, um Wahrheiten zu finden. Hanna und die anderen Angeklagten leugnen zwar das Faktengerüst der Anklage nicht, aber vieles wie z. B. die Befehlshierarchie unter den Angeklagten bleibt unklar. Das Gericht verurteilt Hanna letztlich aufgrund einer Falschaussage zu einer härteren Strafe, denn Hanna 3 4
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Ebenda, S. 7. Ebenda, S. 7. Eine gute Geschichte
soll laut Aussagen ihrer Mitangeklagten einen Bericht über die damaligen Ereignisse beim Brand der Kirche geschrieben haben. Als Analphabetin war ihr das aber natürlich nicht möglich. Dennoch gibt sie vor Gericht zu, den Bericht verfasst zu haben. Der Ich-Erzähler kommentiert dieses Verhalten im Rückblick so: „Und nein, im Prozeß wog Hanna nicht zwischen der Bloßstellung als Analphabetin und der Bloßstellung als Verbrecherin ab. Sie kalkulierte und taktierte nicht. Sie akzeptierte, daß sie zur Rechenschaft gezogen wurde, wollte nur nicht überdies bloßgestellt werden.“5
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Der dritte Teil, der ja auch eine Zeitspanne von über zwanzig Jahren bewältigen muss, setzt nicht auf einen zentralen Raum, sondern der Ich-Erzähler sucht gezielt einzelne Orte auf, die im Zusammenhang mit ihm und Hanna stehen. Daneben findet das letzte Roman-Drittel zu einem großen Teil „im Kopf“ des Ich-Erzählers statt, der, ohne dass man gerade erkennen könnte, wo und in welcher Zeit er sich gerade befindet, über unterschiedliche Themen reflektiert. Zum besseren Überblick noch einmal das Zeitraster des Romans: Der erste Teil des Romans spielt im Zeitraum Herbst 958 bis Sommer 959 – Michael lernt Hanna kennen und sie verlässt dann die Stadt. Der zweite Teil umfasst die Monate der Gerichtsverhandlung gegen Hanna und die anderen KZ-Aufseherinnen vom Frühjahr bis zum Sommer 966. Darin eingeflochten sind die Schilderungen der Ereignisse im Außenlager von Auschwitz und auf dem Todesmarsch nach Westen in den Kriegsjahren 943-945. Der dritte Teil rafft die Jahre 966 bis 994 zusammen. 13.2.6. Die Personen des Romans Michael Berg, der Ich-Erzähler, stammt aus einer intakten großbürgerlichen Professorenfamilie mit vier Kindern. Die primäre Bezugsperson für Michael ist sein Vater: „Er war Professor für Philosophie, und Denken war sein Leben, Denken und Lesen und Schreiben und Lehren.“6 Michael wünscht sich aber, dass der Vater mehr Zeit für die Familie hätte. Die Mutter Michaels erfüllt im Haushalt Berg die traditionelle warmherzige Ernährerinnen- und Versorgerinnen-Rolle und wird im weiteren Verlauf des Romans nicht mehr erwähnt. Hanna ist so ziemlich das Gegenteil des klassischen Mutter-Typs. Sie ist Analphabetin, stammt also mit großer Wahrscheinlichkeit nicht aus gutbürgerlichem Haus und lebt zwar nicht ärmlich, aber bescheiden kleinbürgerlich und arbeitet als Straßenbahnschaffnerin. Daneben hat sie ein strafbares sexuelles Verhältnis zu einem Minderjährigen und war, wie der Leser ja später erfährt, Mitglied der SS. Als KZ-Aufseherin war sie außerdem direkt und indirekt an hundertfachen Morden beteiligt. Insgesamt hat Michael ein sehr distanziertes Verhältnis zu seinem sozialen Umfeld. Man könnte fast sagen, er hat gar kein soziales Umfeld. Egal, in welchem Lebensalter er sich gerade im Roman befindet, Michael fühlt sich seiner Generation nie zugehörig. Seine persönliche Geschichte mit Hanna macht ihn zum Außenstehenden. Als Teenager genießt er diese Außenseiter-Rolle, er fühlt sich seinen Mitschülern gegenüber überlegen. In seinem späteren Roman-Leben bedauert er diese Sonderstellung zwar an der einen oder anderen Stelle, aber er kann daran nichts mehr ändern. Hanna steht unverrückbar zwischen ihm und dem Rest der Welt. 5 6
Ebenda, S. 28. Ebenda, S. 3. Eine gute Geschichte
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13.2.7. Das Thema des Romans – der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit
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Der Ich-Erzähler Michael Berg reflektiert im dritten Teil des Romans über die 68er-Studentenbewegung: Ich interessierte mich für Geschichte und Soziologie und war als Referendar noch genug in der Universität, um alles mitzukriegen. Mitkriegen hieß nicht mitmachen – Hochschule und Hochschulreform waren mir letztlich ebenso gleichgültig wie Vietkong und Amerikaner. Was das dritte und eigentliche Thema der Studentenbewegung anging, die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, spürte ich eine solche Distanz zu den anderen Studenten, daß ich nicht mit ihnen agitieren und demonstrieren wollte.7
Diese Distanz spürt Michael wegen seiner Liebe zu Hanna. Es ist sehr viel schwieriger, einen Mörder zu verurteilen, wenn man ihn liebt. Die intellektuelle universitäre 68er-Generation begegnete der NS-Vergangenheit ihrer Elterngeneration mit berechtigter Vehemenz und dem Vorwurf der Kollektivschuld, eine Sichtweise, die Michael nicht teilen kann: Ich konnte auf niemanden mit dem Finger zeigen. Auf meine Eltern schon darum nicht, weil ich ihnen nichts vorwerfen konnte (…) Das aber, was andere aus meinem sozialen Umfeld getan hatten und womit sie schuldig geworden waren, war allemal weniger schlimm, als was Hanna getan hatte. Ich mußte eigentlich auf Hanna zeigen. Aber der Fingerzeig auf Hanna wies auf mich zurück. Ich hatte sie geliebt. Ich hatte sie nicht nur geliebt, ich hatte sie gewählt. Ich habe versucht, mir zu sagen, daß ich, als ich Hanna wählte, nichts von dem wußte, was sie getan hatte. Ich habe versucht, mich damit in den Zustand der Unschuld zu reden, in dem Kinder ihre Eltern lieben. Aber die Liebe zu den Eltern ist die einzige Liebe, für die man nicht verantwortlich ist. Und vielleicht ist man sogar für die Liebe zu den Eltern verantwortlich. Damals habe ich die anderen Studenten beneidet, die sich von ihren Eltern und damit von der ganzen Generation der Täter, Zu- und Wegseher, Tolerierer und Akzeptierer absetzten und dadurch wenn nicht ihre Scham, dann doch ihr Leiden an der Scham überwanden. Aber woher kam die auftrumpfende Selbstgerechtigkeit, die mir bei ihnen so oft begegnete? Wie kann man Schuld und Scham empfinden und zugleich selbstgerecht auftrumpfen? War die Absetzung von den Eltern nur Rhetorik, Geräusch. Lärm, die übertönen sollten, daß mit der Liebe zu den Eltern die Verstrickung in deren Schuld unwiderruflich eingetreten war? Das sind spätere Gedanken. Auch später waren sie kein Trost. Wie sollte es ein Trost sein, daß mein Leiden an meiner Liebe zu Hanna in gewisser Weise das Schicksal meiner Generation, das deutsche Schicksal, war, dem ich mich nur schlechter entziehen, das ich nur schlechter überspielen konnte als die anderen.8
In diesen späten Gedanken des Ich-Erzählers verdichtet sich das Kern-Thema des Romans, der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit im Bezugsrahmen der Generation der Täter und der ihrer Kinder. 7 8 62
Ebenda, S. 60. Ebenda, S. 62–63. Eine gute Geschichte
Das Interessante bei Schlink ist, dass er diesen Konflikt nicht auf einer Vater-Sohn-/Mutter-TochterEbene austrägt, sondern über die Liebesbeziehung eines Teenagers aus der Nachfolgegeneration zu einer Frau aus der Tätergeneration problematisiert. Die Schuldfrage ist im Roman keine – Hanna leugnet ihre Beteiligung an den Gräueltaten nicht und der Ich-Erzähler prangert auch schonungslos den Umgang mit der NS-Vergangenheit im Deutschland der Nachkriegszeit an. Schlink beschönigt nichts, aber dadurch, dass er die Frage nach dem Umgang mit der NS-Vergangenheit in eine Liebesgeschichte überführt, macht er sie drängender, nachvollziehbarer, schwerer zu beantworten.
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Schlink stellt oben in dem zitierten Textausschnitt die entscheidende moralische Frage zum Umgang der Generation der Nachgeborenen mit der Schuldfrage: Ist „mit der Liebe zu den Eltern die Verstrickung in deren Schuld unwiderruflich eingetreten (…)?“ Die Antwort im Roman ist: Ja. Der Titel dieses Kapitels hieß „Eine gute Geschichte“. Bernhard Schlinks Der Vorleser ist eine gute Geschichte, weil er ein wirklich schwieriges Thema, die NS-Schuldfrage, in eine Liebesgeschichte einbettet, ohne dass dies in irgendeiner Form bemüht oder unglaubwürdig wirkt. Der Vorleser ist eine gute Geschichte, weil sie gut konstruiert und erzählt ist. Der Ich-Erzähler, der mal live, mal aus der Retrospektive über die Ereignisse im Roman berichtet, erzeugt Glaubwürdigkeit und emotionale Nähe. Der Vorleser ist eine gute Geschichte, weil sie sich extrem gut und schnell lesen lässt und trotzdem ein komplexes Thema in einer Form behandelt, die unterhält, betroffen macht und, ohne den moralischen oder pädagogischen Zeigefinger zu heben, zum Nachdenken nicht nur anregt, sondern nachgerade herausfordert.
Aufgabe: Lesen Sie bitte den Roman Der Vorleser.
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Lektüretipps:
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– William Mastrosimone, Extremities: A Play in Two Acts, illustrated edition, New York: Samuel French, Inc., 998. Ein Theaterstück, das in ähnlicher Form wie Schlinks Roman dazu zwingt, vordergründig einfach scheinende moralische Fragen zu überdenken. In Extremities wird eine junge Frau in ihrem Haus von einem Mann überfallen, gefesselt und gedemütigt. Bis sie sich befreien kann und den Spieß umdreht. Das Stück zeigt in beklemmender Weise, wie leicht Opfer- und Täterrolle austauschbar sind und als Zuschauer stellt man erschüttert fest, wie sich das anfängliche Mitgefühl für das Opfer Marjorie allmählich in Abscheu verwandelt und man plötzlich Mitleid für den ursprünglichen Täter empfindet. – Elie Wiesel, Die Nacht zu begraben, Elischa, München : Langen Müller, 2005. Der Friedensnobelpreisträger von 986, Schriftsteller und Professor für Jüdische Studien, war in den KZs Auschwitz und Buchenwald inhaftiert und überlebte den Holocaust. In seinem Roman Die Nacht zu begraben, Elischa (958) schildert er autobiografisch die Erlebnisse seines Protagonisten während der KZ-Haft. Auch Wiesels Night, so der englische Titel, wurde übrigens von Oprah Winfrey in ihrem „Book Club“ empfohlen, in der Januar-Sendung 2006, und kletterte danach wie Schlinks Vorleser einige Jahre zuvor auf Platz der New York TimesBestsellerliste. – Anna Seghers, Das siebte Kreuz, Neuwied : Luchterhand, 962. Der Roman von Anna Seghers erschien 942 in Mexiko in englischer Sprache und erzählt die Geschichte der Flucht von sieben KZ-Häftlingen. Nur einer der Flüchtlinge, Georg Heisler, erreicht die rettende Grenze. Der Lagerkommandant lässt aus sieben Bäumen sieben Kreuze machen, an denen er die wieder eingefangenen Flüchtlinge festbinden lässt. Das siebte Kreuz bleibt jedoch leer und wird für die Lagerinsassen zum Symbol des Widerstandes und der Solidarität. Fred Zinnemann verfilmte Seghers Roman bereits 944 mit Spencer Tracy in der Hauptrolle. Ein wirklich sehenswerter Film. – Stefan Zweig, Schachnovelle, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 200 (Fischer Taschenbuch 522). An Bord eines Passagierdampfers besiegt ein Reisender, Dr. B., mühelos den amtierenden Schachweltmeister Mirko Czentovic. Es stellt sich heraus, dass dieser Dr. B. von den Nazis monatelang in Isolationshaft gehalten wurde. Er stiehlt dann irgendwann einem seiner Bewacher ein Buch, das sich als Schachbuch entpuppt. Um nicht wahnsinnig zu werden, beginnt er, die Partien aus dem Buch in seinem Kopf gegen sich selbst nachzuspielen. Dies gelingt ihm mithilfe einer Art selbst herbeigeführten Persönlichkeitsspaltung, in die er an Bord des Dampfers bei der Revanche-Partie gegen den Weltmeister zurückgleitet.
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14 Literatur und Liebe 14.1. Einleitung mit der grössten Liebe aller Zeiten In diesem Kapitel sehen wir uns an, wie die Literatur mit der Liebe umgeht. Dabei versteht sich „Literatur“ hier als Oberbegriff für alle drei Gattungen, Lyrik, Dramatik, Epik. Wir werden uns ein Gedicht, ein Drama und einen Roman näher anschauen, die sich mit der „Liebe“ als seelisch-geistigem, aber auch als sinnlich-körperlichem Gefühl beschäftigen.
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Die traditionelle Domäne der Liebe ist die Lyrik, aber die, ich behaupte mal, berühmteste Liebesgeschichte der Welt stammt aus einem Bühnenstück, Romeo und Julia, von William Shakespeare, erschienen 597. Schauplatz der Tragödie ist das mittelalterliche Verona in Italien. Die adligen Familien der Capulets und der Montagues sind verfeindet und dennoch verlieben sich Romeo (Montague) und Julia (Capulet) unsterblich ineinander. Julia soll aber auf Wunsch ihrer Eltern einen anderen Mann heiraten. Der Mönch Lorenzo braut ihr einen Trank, der sie in einen todesähnlichen Schlaf versetzt. Sie hofft, durch diesen vorgetäuschten Tod der Hochzeit zu entgehen. Lorenzo will Romeo natürlich über diesen Plan informieren, aber der junge Adlige erhält die Nachricht nie. Als er die augenscheinlich tote Liebe seines Lebens in der Gruft der Capulets sieht, begeht er Selbstmord. Julia erwacht aus ihrem Todesschlaf, küsst noch einmal die kalten Lippen ihres Geliebten und folgt ihm in den Tod. Die obige Zusammenfassung zeigt nur den groben Handlungsfaden auf, aber in Shakespeares Stück läuft so viel schief, dass es den Namen „Tragödie“ zu Recht trägt. Versuchen Sie sich ruhig einmal an diesem Stück in Versform, das den Leser auch nach über 500 Jahren immer noch zu einer großen Packung Papiertaschentücher greifen lässt. Wie Sie vielleicht in Kapitel 2 schon vermutet haben, finde ich Originaltexte sehr spannend. Mich macht es neugierig, den großen Stoffen und Themen bis zu ihren Ursprüngen zu folgen. Frankenstein, Robinson Crusoe, Romeo und Julia – jeder kennt diese Figuren, sie sind Teil der allgemeinen Kultur geworden. Aber am Anfang waren sie alle nur erfundene Personen in einem Buch oder einem Bühnenstück unter vielen. Ich finde das bemerkenswert. Es muss also irgendetwas dran sein an diesen Büchern und Bühnenstücken. Natürlich kann man in wissenschaftlichen Werken zur Rezeptionsgeschichte von Frankenstein, Romeo und Julia und Co. nachlesen, warum diese Romane oder Dramen erfolgreich waren. Ich möchte aber nach Möglichkeit und im Rahmen meiner Sprachkenntnisse auch immer gerne das ursprüngliche Werk im Original lesen, um selbst besser verstehen zu können, warum gerade diese Geschichte die Jahrhunderte überdauert hat. Versuchen Sie es einmal, vielleicht finden Sie es auch spannend.
14.2. Ein Gedicht über die Liebe von Erich Fried Erich Fried, der 92 in Wien geboren wurde, floh 938 vor den Nationalsozialisten nach London und lebte dort bis zu seinem Tod 988. Seit 963 gehörte er zu den Mitgliedern der Gruppe 47 und man darf ihn getrost als „politischen Dichter“ bezeichnen. Er engagierte sich bereits im Exil Literatur und Liebe
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bis 943 in kommunistischen Flüchtlingsverbänden und unterstützte später in den 60er Jahren die Außerparlamentarische Opposition und die Friedensbewegung. Neben seinen politischen Arbeiten verfasste Erich Fried aber auch ganz wunderbare Liebesgedichte. Sein „Was es ist“, mit dem wir uns gleich näher beschäftigen, dürfte wohl zu den bekanntesten Gedichten in Deutschland überhaupt gehören. Eines der schönsten ist es sicherlich. Was es ist Es ist Unsinn
sagt die Vernunft Es ist was es ist sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz sagt die Angst
Es ist aussichtslos sagt die Einsicht Es ist was es ist sagt die Liebe
Es ist lächerlich sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig sagt die Vorsicht Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung Es ist was es ist
sagt die Liebe9
In diesem Gedicht beschreibt Erich Fried, was Liebe ist. Und ich würde behaupten, dies gelingt ihm in 20 sehr kurzen Zeilen und gerade mal 7 Worten hervorragend. Falls Sie sich immer schon gefragt haben, wozu Gedichte gut sind, dann haben Sie hier eine Antwort: Gedichte können mit sehr wenigen Worten sehr viel aussagen. 9
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Erich Fried, Es ist was es ist. Liebesgedichte Angstgedichte Zorngedichte, Neuausgabe 996, Berlin: Verlag Klaus Wagenbach, 2000, S. 43. Literatur und Liebe
Das Gedicht ist strukturell wie ein Frage-und-Antwort-Spiel aufgebaut. Im ersten Teil der Strophen melden sich jeweils die Argumente gegen die Liebe, am Ende der drei Strophen entwaffnet die Liebe die unterschiedlichen Einwände auf die immer gleiche lakonische Art: „Es ist was es ist sagt die Liebe“. In der ersten Strophe, die im Gegensatz zu den folgenden nur vier Zeilen hat, meldet sich gleich der größte Widersacher der Liebe, die Vernunft. Da sich die Liebe unbeeindruckt zeigt, strömen in den Strophen zwei und drei in rascher Folge und zunehmender „Mannschaftsstärke“ (deshalb nun die 6 Zeilen) die weiteren Kritiker herbei. Der letzte Widerpart, die Erfahrung, führt dann das stärkste aller Argumente an: „Es ist unmöglich“. Die Liebe aber antwortet auch hier mit entwaffnender Zuversicht „Es ist was es ist“.
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Als Zweifler an der Liebe treten namentlich auf: die Vernunft, die Berechnung, die Angst, die Einsicht, der Stolz, die Vorsicht und die Erfahrung. Sie alle thematisieren negative Folgen, Auswirkungen und Begleitumstände der Liebe. Und die Zweifler haben Recht. All diese Einwände sind richtig und zutreffend. Das bestreitet die Liebe auch nicht, aber sie kontert die Kritik auf eine unglaublich eindrucksvolle Art: „Es ist was es ist“. Die Liebe argumentiert nicht, sie verteidigt sich nicht, sie „ist“ einfach. Sie ist einfach so, wie sie ist. Die Liebe lässt sich nicht erklären. Kann man das schöner ausdrücken? Ich bezweifle das fast. Man könnte natürlich auch einen umfangreichen Roman oder ein Bühnenstück zum selben Thema schreiben, das wäre sicher auch sehr interessant, aber es wäre einfach etwas anderes als diese 7 Wörter, die eine Aussagekraft und Emotionalität erreicht, die in dieser Prägnanz wohl nur in der Lyrik zu erlangen ist.
Aufgabe: Leihen Sie sich aus Ihrer Stadtbücherei Erich Frieds Sammelband Liebesgedichte aus und lesen Sie sich zumindest eine Handvoll weiterer Gedichte durch.
14.3. Frank Wedekind Lulu Frank Wedekind wurde 864 in Hannover geboren und wuchs in der Schweiz auf. 889 zog er nach München, wo er 98 starb. Der Dramatiker, der in seinen eigenen Stücken auch als Schauspieler auftrat, schrieb in der bayerischen Landeshauptstadt Beiträge für die berühmte satirische Wochenzeitschrift Simplicissimus und stand für das nicht minder berühmte erste politische Kabarett in Deutschland, die Elf Scharfrichter, auf der Bühne. Wedekind schrieb in seinen Stücken wie Frühlingserwachen oder Lulu gegen die konservativen Moralvorstellungen des Wilhelminischen Deutschlands an und fand sich wegen des nach damaligen Maßstäben sexuell freizügigen Inhalts seiner Werke mehrfach vor Gericht wieder. Sein Bühnenstück Die Büchse der Pandora, der zweite Teil der Lulu-Tragödie, wurde in der Buchausgabe von 904 unter dem Vorwurf der „Verbreitung unzüchtiger Schriften“ beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft hielt das Werk für pornografisch. Der Prozess ging durch drei Instanzen und Wedekind und sein mitangeklagter Verleger Bruno Cassirer wurden schließlich freigesprochen.
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Das Bühnenstück Lulu besteht eigentlich aus zwei Teilen. Der erste Dramenteil trägt den Titel Der Erdgeist, der zweite ist die schon erwähnte Büchse der Pandora. Wedekind hat das Stück über zwanzig Jahre hinweg zwischen 892 und 93 mehrfach überarbeitet, mal aus Rücksicht auf die immer wieder erfolgte Zensur, mal aus künstlerischen Erwägungen, mal aus Rücksicht auf den Publikumsgeschmack. Der Erstdruck des Erdgeist erschien 895, die Büchse der Pandora sieben Jahre später, 902. Die heute gebräuchliche Form des Werks Lulu als Doppeltragödie aus den beiden Dramenteilen konzipierte Wedekind 93. Das Stück von Wedekind birgt vor allem aus der zeitgenössischen Perspektive der Jahrhundertwende reichlich Konfliktpotenzial. Die Titelheldin Lulu liebt und betrügt ungezügelt und ihre Partner sterben wie die Fliegen, aber in der Regel keines natürlichen Todes. Der zweite Teil, Die Büchse der Pandora, spielt dann mehrheitlich im Prostituierten-Milieu, dazu kommen noch eine lesbische Gräfin und Jack the Ripper. Kein Wunder, dass Wedekind damit im konservativen deutschen Kaiserreich vor dem Ersten Weltkrieg aneckte. Sehen wir uns den zweiten Aufzug aus dem Erdgeist näher an, in dem Lulu ihren zweiten Ehemann verliert. Lulus erster Mann, der alte Medizinalrat Goll, erlag einem Herzschlag, als er seine junge Frau beim Techtelmechtel mit dem Kunstmaler Schwarz ertappte. Im zweiten Aufzug, der einen Zeitsprung vollzieht, ist Lulu bereits mit Schwarz verheiratet. Der zuvor noch bettelarme Kunstmaler, dem Lulu im ersten Aufzug für ein Porträt Modell stand, ist inzwischen erfolgreich: SCHWARZ (einen Brief durchfliegend). Meine Samaquecatänzerin verkauft – für 50000 Mark! LULU. Wer schreibt denn das? SCHWARZ. Sedelmeier in Paris. Das ist das dritte Bild seit unserer Verheiratung. Ich weiß mich vor meinem Glück kaum zu retten.
Glück in der Liebe und Glück im Beruf, könnte man sagen. Damals wie heute beschreiben diese zwei Aussagen die Eckpfeiler eines bürgerlichen Lebenskonzepts. Vordergründig ist der neureiche Porträtist glücklich über die Verwirklichung seines Bürgertraums, aber Wedekind lässt ihn einen entlarvenden Satz äußern: „Ich habe nichts mehr, seit ich dich habe – Ich bin mir vollständig abhanden gekommen.“2 Etwas stimmt also nicht mit dieser Idylle. Schwarz hat die gesellschaftlichen Idealvorstellungen von Ehe und Liebe wie einen Eimer Farbe über sein Leben mit Lulu gekippt und muss nun feststellen, dass der Eimer leer ist, dass er über die Klischees hinaus niemals ein individuelles Beziehungskonzept besessen hat. Lulu, Schwarz‘ Frau, wurde als Zwölfjährige von dem Chefredakteur Dr. Schön aufgenommen. Sie verkaufte damals „Blumen vor dem Alhambra-Café“3, was eine Umschreibung für „Kinderprostitution“ sein dürfte. Dieser Dr. Schön steht bis zu einem gewissen Grad außerhalb der gängigen Moralvorstellungen seiner Umwelt, ohne sich je ganz von ihnen lösen zu können. Sein immer noch aktuelles illegitimes Verhältnis zu Lulu gefährdet im zweiten Aufzug die von ihm erstrebte 2 3 68
Frank Wedekind, Lulu (Erdgeist, Die Büchse der Pandora), hrsg. von Erhard Weidl, Stuttgart: Reclam, 989 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8567), S. 33. Ebenda, S. 34–35. Ebenda, S. 44. Literatur und Liebe
Wahrung des bürgerlichen Scheins: „Was hilft mir dein Verheiratetsein, wenn man dich zu jeder Stunde des Tages bei mir ein und aus gehen sieht? – Warum zum Teufel ist Dr. Goll nicht auch wenigstens ein Jahr noch am Leben geblieben! Bei dem wärst du in Verwahrung. Dann hätte ich meine Frau längst unter Dach!“ Schön hat sich nämlich erst vor Kurzem mit der Tochter eines angesehenen Regierungsrates verlobt. Lulu ist Schön dankbar für das, was er für sie getan hat, aber auch er presst Lulu mit ihren arrangierten Heiraten in ein verlogenes bürgerliches Beziehungskonzept: „Sie haben mich zur Schule geschickt und mich Lebensart lernen lassen. Wer außer Ihnen auf der ganzen Welt hat je etwas für mich übrig gehabt? Ich habe getanzt und Modell gestanden und war froh, meinen Lebensunterhalt damit verdienen zu können. Aber auf Kommando l i e b e n, das kann ich nicht!“4
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Nun ist zwar Lulus derzeitiger Ehemann Nummer zwei, Walter Schwarz, ein Künstler, aber das ist er nur auf dem Papier: SCHÖN. Unsinn. Er ist doch Künstler. LULU. Er glaubt es wenigstens zu sein.5
Denn die Ansichten von Schwarz über Ehe und Liebe sind in höchstem Maße bürgerlich. Lulu wünscht sich, Schwarz würde endlich der Wahrheit über sie und sich selbst ins Gesicht sehen: SCHÖN. Du beurteilst die Frauen nach dir! – Er ist ein Kindergemüt. Er wäre deinen Seitensprüngen sonst längst auf die Spur gekommen. LULU. Ich wünsche nicht mehr! Er würde seine Kinderschuhe dann endlich ausziehen. Er pocht darauf, daß er den Heiratskontrakt in der Tasche hat. Die Mühe ist überstanden. Jetzt kann man sich geben und sich gehen lassen, wie zu Hause. Er ist kein Kindergemüt! Er ist banal. Er hat keine Erziehung. Er sieht nichts. Er sieht mich nicht und sich nicht. Er ist blind, blind, blind … SCHÖN (halb für sich) Wenn dem die Augen aufgehen!! LULU. Öffnen Sie ihm die Augen! Ich verkomme. Ich vernachlässige mich. Er kennt mich gar nicht. Was bin ich ihm. Er nennt mich Schätzchen und kleines Teufelchen. Er würde jeder Klavierlehrerin das gleiche sagen. Er erhebt keine Pretensionen. Alles ist ihm recht.6
Schwarz kennt weder sich selbst, noch kennt er Lulu: „Er kennt mich nicht, aber er liebt mich! Hätte er nur eine annähernd richtige Vorstellung von mir, er würde mir einen Stein an den Hals binden und mich im Meer versenken, wo es am tiefsten ist.“7 Wedekinds Stück, zwischendurch als Erinnerung, entstand Ende des 9. Jahrhunderts. Die Frauen hatten weder das Wahlrecht noch ein Gehirn - zumindest nach Ansicht des Philosophen Arthur Schopenhauer: „Der Mann erlangt die Reife seiner Vernunft und Geisteskräfte kaum vor dem acht und zwanzigsten Jahre; das Weib mit dem achtzehnten. Aber es ist auch eine Vernunft danach: eine 4 5 6 7
Ebenda, S. 43. Ebenda, S. 42. Ebenda, S. 4. Ebenda, S. 43. Literatur und Liebe
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gar knapp gemessene. Daher bleiben die Weiber ihr Leben lang Kinder, sehn immer nur das Nächste, kleben an der Gegenwart, nehmen den Schein der Dinge für die Sache und ziehen Kleinigkeiten den wichtigen Angelegenheiten vor.“8
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Und die Ehen innerhalb der höheren Kreise wurden vielfach nach wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Interessen arrangiert. Voreheliche sexuelle Erfahrungen der Frau waren tabuisiert. In dieses Umfeld setzt Wedekind im zweiten Aufzug seine Titelheldin mit der Vergangenheit als Kinderprostituierte und gegenwärtige Bürgersfrau, die ihrem zweiten Mann genau das Rollenklischee präsentiert, das er erwartet: LULU. Er glaubt alles! Er ist mißtrauisch, wie ein Dieb und läßt sich anlügen, daß man jeden Respekt verliert. Als wir uns kennen lernten, machte ich ihm weis, ich hätte noch nie geliebt … SCHÖN (fällt in einen Lehnsessel) LULU. Er hätte mich ja sonst für ein verworfenes Geschöpf gehalten! 9
Der angebliche Künstler Schwarz erfüllt sogar diese vielleicht bürgerlich-konservativste Vorstellung schlechthin. Er träumt von der Jungfräulichkeit seiner Ehefrau. In der Beziehung von Schwarz und Lulu sind alle Komponenten des konservativen Ehemodells vorhanden: Die Ehefrau soll „auf Kommando“ lieben, sie befördert den gesellschaftlichen und beruflichen Aufstieg ihres Partners, ihre Sexualität entfaltet sich erst in der Ehe und ihre individuelle Persönlichkeit spielt keine Rolle. Schwarz „sieht“ Lulu als Person nicht, er sieht nur die Liebes- und Ehekonzepte einer bürgerlichen Gesellschaft, die er auf Lulu projiziert. Schön und Lulu klären Schwarz schließlich über ihr Verhältnis und über Lulus Vorleben auf. Mit fatalen Folgen, denn der vorgebliche Künstler kann sich nicht aus seinen bürgerlichen Moralvorstellungen lösen und begeht Selbstmord, indem er sich mit einem Rasiermesser den Hals durchschneidet. Im Rahmen dieses Kapitels habe ich Wedekinds Bühnenstück integriert, weil es „Liebe“ außerhalb eines sonst eher gebräuchlichen seelisch-empfindsamen Kontexts behandelt. Wedekind räumt in Lulu mit vielen (bürgerlichen) Moral-Vorstellungen innerhalb des Themenkreises „Liebe und Sex“ auf. Man kann die Figur der Lulu verschieden interpretieren – die Literaturwissenschaft ist sich nicht ganz einig darüber: als Verkörperung des ungezügelten, natürlichen Sexualtriebs und der dämonischen weiblichen Sexualkraft oder als Verkörperung einer wahrhaft menschlichen Moral, die außerhalb gesellschaftlicher Moralvorstellungen steht, oder als Projektionsfläche für das Spektrum männlicher Weiblichkeitsvorstellungen. Die Lektüre des Stückes sorgt jedenfalls dafür, dass man über Themen wie Liebe, Sex und Moral wieder nachdenkt. Das ist doch ein schöner Effekt, denke ich. Machen Sie sich auch bei der Lektüre schwergewichtiger literarischer Werke frei vom Lese- und Verstehensdruck. Man muss als Leser nicht immer alles verstehen, man darf, kann und soll Bücher einfach so zum Vergnügen lesen. Und wenn man durch die Lektüre zum Nachdenken über die eine 8 9 70
Arthur Schopenhauer, Über die Weiber (85). Zitiert nach der Online-Version des Projekts Gutenberg: http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=252&kapitel=#gb_found vom 6.02.2009. Frank Wedekind, Lulu, S. 42. Literatur und Liebe
oder andere Begleiterscheinung unserer Existenz angeregt wird, dann ist das doch, wie schon erwähnt, ein ganz schöner Effekt.
Aufgabe: Leihen Sie sich auch Wedekinds Bühnenstück in der Bibliothek aus und lesen Sie es fertig. Als Online-Version (auch zum Ausdrucken) finden Sie den Erdgeist und Die Büchse der Pandora auf den Seiten des Projekts Gutenberg: http://gutenberg.spiegel.de/index.php
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14.3. Johann Wolfgang von Goethe Die Leiden des jungen Werther 14.3.1. Zur Rezeptionsgeschichte des Werther Johann Wolfgang von Goethe (749–832) war erst 25 Jahre alt, als er seinen Briefroman Die Leiden des jungen Werther 774 veröffentlichte, in dem ein junger Mann, Werther, Selbstmord aus Liebeskummer begeht. Klingt aus der Perspektive des 2. Jahrhunderts heraus erst einmal nicht so spektakulär, aber der Roman schlug ein „wie eine Bombe“. Der junge Jurist aus Frankfurt hatte offenbar den Nerv der Zeit getroffen. Der Roman wurde einerseits enthusiastisch gefeiert, andererseits in Grund und Boden verdammt. Die Anhänger des Romans, vielfach junge gebildete Leute wie Goethe selbst, erkannten ihre eigenen Gefühle in der Romanfigur wieder, „das Gefühl der Langeweile, das Gefühl zur Passivität verurteilt zu sein und im Mief einer verknöcherten und erstarrten Gesellschaft zu ersticken.“0 Außerdem tat Werther etwas, das für uns heute ganz normal ist: Er stellte die Liebe über alles andere. In der damals seit rund einem halben Jahrhundert stilprägenden Literatur der Aufklärung war der Protagonist dagegen noch angehalten sich durch Willen und Vernunft zu vervollkommnen und seine Triebe im Zaum zu halten. Die Werther-Anhänger begannen, ihre Verbundenheit auch äußerlich zu demonstrieren. Graf Christian Stolberg schreibt in einem Brief vom 7. Mai 775 an seine Schwester Katharina: „In Frankfurt haben wir uns alle Werthers-Uniformen machen lassen: einen blauen Rock mit gelber Weste und Hosen; runde graue Hüte haben wir dazu“. Manche Wertherianer gingen allerdings in ihrer Identifikation mit dem unglücklich Liebenden noch eine Schritt weiter und verübten demonstrativ in der WertherKluft tatsächlich Selbstmord oder trugen den Roman beim Suizid bei sich wie das Weimarer Hoffräulein Christiane von Laßberg, die sich mit dem Werther in der Tasche am 6. Januar 778 in der Ilm ertränkte. In einer Neuauflage 775 fügte Goethe vor dem zweiten Roman-Teil bereits einen mahnenden Vierzeiler ein: „Du beweinst, du liebst ihn, liebe Seele, / Rettest sein Gedächtnis von der Schmach; / Sieh, dir winkt sein Geist aus seiner Höhle; / Sei ein Mann und folge mir nicht nach.“2 Die Kritik am Werther kam aus den Reihen der Aufklärung und der Kirche. Die Literaturauffassung der Aufklärung konnte mit der Wertherschen Verabsolutierung der Gefühle nichts anfangen: „Für die Aufklärung war bei der Beurteilung eines literarischen Werkes die bereits von dem römischen 0 2
Thomas Siepmann, Johann Wolfgang von Goethe. Die Leiden des jungen Werther, Stuttgart: Ernst Klett Verlag, 2005 (Klett Lektürehilfen), S. 94 Ebenda, S. 93. Ebenda, S. 29. Literatur und Liebe
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Dichter Horaz geäußerte Forderung maßgebend, ein literarisches Werk müsse erfreuen und nützlich sein, also Unterhaltungswert aufweisen, zugleich aber eine Moral enthalten.“3 Literatur sollte also einen erzieherischen Wert besitzen. Goethes Werther aber idealisiert den Selbstmord aus Liebe und zeigt wenig Respekt vor der Institution der Ehe, denn auch Lottes Eheschließung mit Albert ändert nichts an seinen Gefühlen. „Am schwersten wog aber,“ wie Thomas Siepman in seiner Interpretation anführt, „der Vorwurf gegen Werthers individualistische Lebensweise. Ständig verstößt Werther gegen den bürgerlichen Pflichtenkanon der Aufklärer. Er begreift sich nicht als nützliches Mitglied der Gesellschaft. Seine Leidenschaftlichkeit steht im Widerspruch zum Grundsatz der vernunftgeleiteten Affektkontrolle der Aufklärung.“4 Die scharfe Kritik von Seiten der katholischen und der evangelischen Kirche richtete sich gegen die positive Darstellung des Selbstmordes im Roman, denn nach Auffassung der christlichen Lehre stellt die Selbsttötung eine Sünde dar. Auf Antrag der theologischen Fakultät der Universität Leipzig vom 28. Januar 775 wurde Goethes Roman zumindest innerhalb der Stadtgrenzen verboten. Damals wie heute galt aber auf dem Medienmarkt das universelle Gesetz, dass nichts die Auflage mehr steigert als ein Skandal, und so wurde der Werther allein zu Goethes Lebzeiten über 50 Mal nachgedruckt. Die erste französische Übersetzung erschien schon 775, nur knapp ein Jahr nach der deutschen Erstauflage. Die englische Ausgabe kam 779 heraus, die russische und die italienische Übersetzung folgten 78. 14.3.2. Die Form des Brief-Romans Sicher mit ein Grund für den Erfolg des Werthers dürfte die formale Gestaltung als Brief-Roman gewesen sein. Wenn Sie sich an die Kapitel 2 und 3 erinnern, wurden dort die Vorzüge der Erzählperspektive des Ich-Erzählers genannt: Glaubwürdigkeit und Realitätsnähe. Die gleichen Absichten verfolgte der junge Goethe bei der Erzählkonzeption des Werthers. Auch hier erzählt der Protagonist aus der Ich-Perspektive und zwar in Form von zahlreichen aneinander gereihten Briefen, die alle jeweils ein Datum tragen und fast wie ein Tagebuch wirken. Um die Realitätsnähe seines Romans noch weiter zu betonen, stellt Goethe dem Roman das Vorwort eines fiktiven Herausgebers voran: Was ich von der Geschichte des armen Werther nur habe auffinden können, habe ich mit Fleiß gesammelt und lege es euch hier vor, und weiß, dass ihr mir’s danken werdet. Ihr könnt seinem Geiste und seinem Charakter eure Bewunderung und Liebe, seinem Schicksale eure Tränen nicht versagen.5
Die gewählte Brief-Form bietet dem Ich-Erzähler die Möglichkeit, ganz offen und intensiv über sein innerstes Seelenleben zu berichten, etwas, das eine auktoriale Perspektive in dieser Intensität nicht leisten kann. Gegen Ende des Romans lässt Goethe nach Werthers Brief vom 6. Dezember mit dem Herausgeber allerdings im Wesentlichen einen auktorialen Erzähler über die letzten siebzehn Tage im Leben Werthers berichten. Diese Änderung ist zum einen dramaturgisch nötig, denn Werther kann 3 4 5
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Ebenda, S. 95. Ebenda, S. 97. Johann Wolfgang von Goethe, Die Leiden des jungen Werther, durchgesehene Ausgabe 200, Stuttgart: Reclam, 2007 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 67), S. 3. Literatur und Liebe
schlecht in der bisherigen Brief-Form über seinen eigenen Selbstmord erzählen. Zum anderen kann der Herausgeber Werthers Gefühle und Handlungen aus der Außenperspektive zumindest ein wenig relativieren.
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14.3.3. Der Inhalt des Romans Der erste Brief des Romans ist datiert mit „Am 4. Mai 77.“.6 Der Herausgeber übernimmt den Erzählfaden nach dem Brief vom 6. Dezember und rekonstruiert die letzten siebzehn Tage im Leben Werthers teils durch Aussagen von Personen aus Werthers Umfeld, teils durch weitere Briefe und Tagebuchaufzeichnungen. Um zwölf Uhr mittags am 23. Dezember 77 stirbt Werther schließlich an seinen Schussverletzungen: „Über dem rechten Auge hatte er sich durch den Kopf geschossen, das Gehirn war herausgetrieben.“7 Zu Beginn des Romans verlässt der junge Werther die Stadt, um auf dem Land eine Erbschaftsangelegenheit seiner Mutter zu regeln. Dort in der ländlichen Idylle lernt er auf einem Ball die älteste Tochter des Amtmanns, Lotte, kennen. Bei der gemeinsamen Betrachtung eines Gewitters, das den Ball unterbricht und schließlich in einen Sommerregen übergeht, stellen beide ihre Seelenverwandtschaft fest. Lotte ist jedoch bereits mit einem anderen, Albert, verlobt und als dieser von einer geschäftlichen Reise zurückkehrt, beginnt Werther allmählich zu begreifen, dass seine Liebe zu Lotte wohl aussichtslos ist. Er verlässt die ländliche Idylle um Wahlheim und nimmt in einer Residenz eine Stelle bei einem Gesandten an. Doch die adlige Gesellschaft mit ihrem Standesdünkel und ihren Intrigen sowie der Ärger mit seinem Vorgesetzten widern den jungen Freigeist bald an. Mitte März 772 verlässt Werther eine adlige Gesellschaft nicht rechtzeitig, wie es sich für einen Bürgerlichen bei diesem Anlass gehört hätte, und wird durch diesen Faux-pas gesellschaftlich diskreditiert. Tags darauf muss er von dem ihm bisher freundschaftlich verbundenen adligen Fräulein von B. auch noch erfahren, dass er nach Ansicht ihrer Tante keinen standesgemäßen Umgang für sie darstelle. Der frustrierte Werther verlässt die Residenz, besucht seinen Geburtsort und verbringt den Sommer auf dem Jagdschloss eines ihm wohl gesonnenen Fürsten. Schließlich folgt Werther dem Drängen seines Herzens und kehrt nach knapp zehn Monaten Abwesenheit in die ländliche Idylle und in Lottes Nähe zurück. Allerdings erzeugt die Gegend um Wahlheim nicht mehr dieselben erhebenden Gefühle wie damals. Werther erkennt, dass er innerlich von Lotte nicht loskommt, aber die verheiratete Frau nie die seine sein wird. Er fühlt sich zwischendurch von Lotte in seinen Hoffnungen bestärkt, aber die Dreierkonstellation zwischen Werther, Lotte und Albert wird für die Beteiligten immer kompromittierender. In dem Brief vom 20. Dezember deutet Werther bereits seine Selbstmordabsicht an, am Tag darauf kommt es zur letzten Begegnung mit Lotte. Werther sucht in Alberts Abwesenheit Lotte auf und liest ihr aus seiner Übersetzung der Gesänge Ossians vor. In den Gesängen aus der gälischen Mythologie erkennen sie ihr eigenes tragisches Gefühlsschicksal wieder und durchbrechen für einen Moment die Etikette:
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Ebenda, S. 5. Ebenda, S. 53 Literatur und Liebe
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Ihre Sinne verwirrten sich, sie drückte seine Hände, drückte sie wider ihre Brust, neigte sich mit einer wehmütigen Bewegung zu ihm, und ihre glühenden Wangen berührten sich. Die Welt verging ihnen. Er schlang seine Arme um sie her, presste sie an seine Brust und deckte ihre zitternden, stammelnden Lippen mit wütenden Küssen.8
14.3.4. Die Liebe im Roman In dem Brief vom 7. Mai erinnert sich Werther an eine frühere Beziehung: „(…) ich habe das Herz gefühlt, die große Seele, in deren Gegenwart ich mir schien mehr zu sein, als ich war, weil ich alles war, was ich sein konnte.“9 Der Umgang mit ihr war „ein ewiges Weben von der feinsten Empfindung“20 und, so erklärt er, „konnt ich nicht vor ihr das ganze wunderbare Gefühl entwickeln, mit dem mein Herz die Natur umfasst?“2 Hier präsentiert Werther sozusagen das ideale Liebeskonzept, eine Seelenverwandtschaft der Partner, die ihre innersten Gefühle voreinander offenbaren und miteinander teilen. Diese ideale Liebe stärkt das Selbstwertgefühl und erlaubt dem Liebenden die freie Entfaltung seines Seelenlebens. Für uns ist das heutzutage ein ziemlich normales Liebesverständnis, 775 war die Verabsolutierung des Gefühls „Liebe“ in der Literatur noch ein ziemlich unerhörtes Ansinnen. Im Brief vom 26. Mai vergleicht Werther sein Verständnis von Liebe mit dem vorherrschenden bürgerlichen Konzept: Guter Freund, soll ich dir ein Gleichnis geben? Es ist damit, wie mit der Liebe. Ein junges Herz hängt ganz an einem Mädchen, bringt alle Stunden seines Tages bei ihr zu, verschwendet alle seine Kräfte, all sein Vermögen, um ihr jeden Augenblick auszudrücken, dass er sich ganz ihr hingibt. Und da käme ein Philister, ein Mann, der in einem öffentlichen Amte steht, und sagte zu ihm: Feiner junger Herr! Lieben ist menschlich, nur müsst ihr menschlich lieben. Teilet eure Stunden ein, die einen zur Arbeit, und die Erholungsstunden widmet Eurem Mädchen. Berechnet Euer Vermögen, und was euch von Eurer Notdurft übrig bleibt, davon verwehr ich Euch nicht, ihr ein Geschenk, nur nicht zu oft, zu machen, etwa zu ihrem Geburts- und Namenstage etc. – Folgt der Mensch, so gibt’s einen brauchbaren jungen Menschen (…) nur mit seiner Liebe ist’s am Ende und wenn er ein Künstler ist, mit seiner Kunst.22
So möchte Werther nicht lieben: wohl dosiert, ordentlich, vernünftig. Stattdessen soll die Liebe maßlos sein, voller Gefühl und an erster Stelle stehen. Werther versteht seine Auffassung von Liebe als „natürlich“: Das heißt, die Liebe gibt sich ganz ihren Gefühlen hin, ohne Rücksicht auf irgendwelche Konventionen. An Lotte fasziniert Werther, wie Thomas Siepmann ausführt, sofort bei der ersten Begegnung, die im Brief vom 6. Juni beschrieben wird, ihre Natürlichkeit: „Er sieht Lotte inmitten einer großen Geschwisterschar, unter der sie gerade Brot verteilt – eine typisch idyllische Konstellation. Die Idylle beherbergt, so wissen wir aus der Tradition dieser Dichtungsgattung, Menschen, die sich ihre Natürlichkeit, ihre Unschuld, ihre Naivität bewahrt haben. All diese Attribute charakterisieren 8 9 20 2 22 74
Ebenda, S. 42. Ebenda, S. . Ebenda, S. . Ebenda, S. . Ebenda, S. 6. Literatur und Liebe
Lotte, so wie Werther sie in seinen Briefen schildert.“23 Wie im Brief vom 7. Mai als idealtypisch für die Liebenden dargestellt, spürt Werther bei Lotte gleich eine Seelenverwandtschaft: Wir traten ans Fenster. Es donnerte abseitwärts, und der herrliche Regen säuselte auf das Land, und der erquickendste Wohlgeruch stieg in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie stand, auf ihren Ellenbogen gestützt, ihr Blick durchdrang die Gegend, sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge tränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige, und sagte – Klopstock! – Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich ausgoss. Ich ertrug’s nicht, neigte mich auf ihre Hand und küsste sie unter den wonnevollsten Tränen. Und sah nach ihrem Auge wieder – Edler! hättest du deine Vergötterung in diesem Blicke gesehn (…)24
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Die beiden empfinden beim Anblick des Naturschauspiels das Gleiche und sie lassen den anderen jeweils an diesen Empfindungen teilhaben. Die „Vergötterung“ in Lottes Blick ist das äußere Zeichen für dieses gegenseitige innige empfindsame Verständnis. Aus heutiger Sicht fällt es natürlich schwer, nachzuvollziehen, wie man durch den Verweis auf Friedrich Gottlieb Klopstock, einen der wichtigsten Autoren der Empfindsamkeit, eine innige Seelenverwandtschaft demonstrieren kann, aber man muss sich nur vorstellen, wie man selbst eine solche Situation empfände, wenn Lotte statt „Klopstock“ eben etwas anderes gesagt hätte, etwas, das einen ähnlich berührt wie der empfindsame Dichter Werther und Lotte. Aber Lotte ist bereits an Albert vergeben und so können die beiden niemals ein Paar werden. Die Unmöglichkeit der Liebe von Werther und Lotte besitzt für den empfindsamen Protagonisten aber durchaus einen besonderen Reiz: „Es gibt einige verräterische Stellen in Werthers Briefen, an denen deutlich wird, dass er den Schmerz angesichts seiner vergeblichen Liebe zu Lotte durchaus genießt, dass er in der Vergeblichkeit seiner Liebe zu einem erhöhten Selbstgefühl gelangt. Es scheint ihm bei seiner Liebe gar nicht so sehr um die reale Person Lotte zu gehen, er ist vor allem in seine eigenen Gefühle, in die übersteigerten Affekte verliebt.“25 Diesen Eindruck Thomas Siepmanns würde ich durchaus unterschreiben, aber dieses selbstbezogene himmelhochjauchzende und dann wieder zu Tode betrübte Leiden an den überquellenden Gefühlen der Liebe macht den Werther auch nach über 200 Jahren noch lebendig, denn man kann sich selbst darin wiederkennen. Ich vermute stark, dass die Welt damals wie heute ein Ort ist, an dem sich junge Menschen unglücklich bis über beide Ohren hoffnungslos verlieben und daran leiden „wie ein Hund“. Ganz wie Werther.
Aufgabe 3: Leihen Sie sich auch den Werther aus Ihrer Stadtbibliothek aus und lesen Sie Goethes Briefroman komplett durch.
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Thomas Siepmann, Johann Wolfgang von Goethe. Die Leiden des jungen Werther, S. 43. Johann Wolfgang von Goethe, Die Leiden des jungen Werther, S. 30. Thomas Siepmann, Johann Wolfgang von Goethe. Die Leiden des jungen Werther, S. 45. Literatur und Liebe
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Lektüretipps:
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Zuerst einige literaturwissenschaftliche Nachschlagewerke: – Metzler-Literatur-Lexikon: Begriffe und Definitionen, hrsg. von Günther und Irmgard Schweikle, 2., überarb. Aufl., Stuttgart: Metzler, 990. – Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, 7., verb. und erw. Aufl., Stuttgart: Kröner, 989. – Herbert A. und Elisabeth Frenzel, Daten deutscher Dichtung. Chronologischer Abriß der deutschen Literaturgeschichte. Band 1 – Von den Anfängen bis zum Jungen Deutschland, 3. Aufl., München: dtv, 998. – Herbert A. und Elisabeth Frenzel, Daten deutscher Dichtung. Chronologischer Abriß der deutschen Literaturgeschichte. Band 2 – Vom Realismus bis zur Gegenwart, 32. Aufl., München: dtv, 999. Und noch einige Leseanregungen zum Thema Liebe: – Hermann Hesse, Wunder der Liebe. Liebesgedichte, Frankfurt am Main, Leipzig: Insel Verlag, 997. – Robert Gernhardt, Lichte Gedichte, 3. Aufl., Zürich: Haffmanns Verlag, 997. – William Shakespeare, Romeo und Julia, aus dem Engl. von Thomas Brasch, Frankfurt am Main: Insel Verlag, 999 (insel taschenbuch 383). Oder alternativ die tragischste Liebe aller Zeiten als Hörbuch auf 3 CDs (ca. 84 Min.): – Katharina Thalbach liest „Romeo und Julia“ von William Shakespeare: ungekürzte Lesung, William Shakespeare in der Übers. von Thomas Brasch, Bochum : Roof Music, 2005. Falls Sie nach dem Werther Appetit auf mehr „Goethe“ bekommen haben, schauen Sie doch einfach mal im Projekt Gutenberg nach und lesen sich in den einen oder anderen Text ein: http://gutenberg.spiegel.de/index.php?id=9&autorid=205&autor_vorname=+Johann+ Wolfgang+von&autor_nachname=Goethe&cHash=b3bbae2c6
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Literatur und Liebe
15 Literatur und die Welt draussen 15.1. Einleitung zum Teil wieder mit Werther Literatur kann über viele Dinge erzählen: über die Liebe, über den Hass, über den Tod. Oder über Hannibal, Hamlet und die Halsbandaffäre. Oft erzählt die Literatur aber nicht nur über ein einzelnes Thema, sondern in unterschiedlicher Intensität über mehrere gleichzeitig und häufig ist eines dieser Themen dabei „die Welt da draußen“. Die Beschäftigung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit kann dabei auf vielen unterschiedlichen Wegen erfolgen, einige davon möchte ich in diesem Kapitel vorstellen.
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Denken Sie z. B. zurück an Goethes Werther aus dem vorigen Kapitel. Goethe hat in der Geschichte über den Selbstmord des liebeskranken Werther auch einen guten Teil Gesellschaftskritik untergebracht. Das Deutschland des 8. Jahrhunderts war politisch in unzählige Kleinstaaten zersplittert und im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn wie England oder Frankreich wirtschaftlich rückständig. Der Adel hütete eifersüchtig seine tradierten Privilegien und versuchte, sich das wirtschaftlich aufstrebende Bürgertum politisch und gesellschaftlich vom Leib zu halten. Um auf diese Problematik aufmerksam zu machen, könnte man als junger Intellektueller Flugblätter kleben, auf die Straße gehen oder wahlweise auch einen Brief-Roman über einen sehr empfindsamen Liebenden konzipieren, der einige Zeit unter adligen Hohlköpfen verbringt: „Im Brief vom 5. März zeichnet Werther ein satirisches Bild vom Adel in der Residenz. Allein auf die Etikette, auf die Konvention bedacht, ansonsten völlig geistlos, im Wesentlichen daran interessiert, sich vom Bürger abzugrenzen und im höfischen Zeremoniell aufzusteigen, erweist sich der Hofadel als völlig unfähig zu vernünftiger Arbeit. So ist es nur konsequent, dass die wahren Verdienste und Qualitäten eines Menschen nicht erkannt werden.“2
15.2. Rainald Goetz Abfall für alle. Roman eines Jahres Eine Möglichkeit, gesellschaftliche Wirklichkeit literarisch zu behandeln, kann darin bestehen, sie detailliert und minutiös abzubilden. 998 schrieb der Schriftsteller Rainald Goetz auf rainaldgoetz. de ein Internet-Tagebuch über sein Leben in Berlin. Goetz, Jahrgang 954, sorgte 983 mit seinem legendären Auftritt beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt für Furore, als er sich während seiner Lesung vor laufender Kamera die Stirn mit einer Rasierklinge aufschnitt.3 Später wurde Goetz zum literarischen Wegbegleiter der Techno- und Rave-Generation der 990er Jahre. Sein vermutlich bekanntestes Buch dürfte der Roman Irre von 995 sein, der aus dem Leben des Arztes Raspe erzählt, der in einer psychiatrischen Klinik arbeitet. Abfall für alle ist die gedruckte Version des Internet-Tagebuchs des Jahres 998, das Rainald Goetz auf seiner Webseite geführt hatte. Der erste Eintrag ist datiert auf Mittwoch, den 04.02.998, der 2 3
Ein berühmter historischer Skandal 785/86 am französischen Hof, bei dem die Hochstaplerin Jeanne de la Motte-Valois ein sündhaft teures Diamanthalsband unterschlug, das Kardinal Rohan für Königin Marie-Antoinette erworben hatte. Thomas Siepmann, Johann Wolfgang von Goethe. Die Leiden des jungen Werther, S. 55. Vom ORF als Video bereit gestellt unter http://bachmannpreis.orf.at/25_jahre/983/start_983.htm vom 9.2.09. Literatur und die Welt drauflen
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letzte auf Sonntag, den 0.0.999. Am Dienstag, dem 0.09.998, z. B. ist Goetz mit seinem Kumpel, dem bekannten DJ Westbam beim Ruck Rave. Im Tagebuch-Eintrag dazu berichtet Goetz zum einen in strukturierter Form über seine persönlichen Erlebnisse an diesem Abend, andererseits notiert er auch die spontanen Gedanken, die ihm während des aktuellen Schreibens durch den Kopf gehen. Offensichtlich hat er neben dem Schreiben die tagesschau oder eine vergleichbare Nachrichtensendung verfolgt, in der Bundespräsident Roman Herzog zur Teilnahme an der damals bald bevorstehenden Bundestagswahl vom 27.09.998 aufrief. Außerdem wurde anscheinend auch ein Beitrag über Anhänger der islamischen Mystik, des Sufismus, gezeigt und der Teamchef des Formel Teams von Ferrari, Jean Todt, interviewt – denn Gedanken dazu baut Goetz neben seiner Schilderung des Abends in den Text ein.4 In Abfall für alle erzählt Goetz aus seinem privaten und beruflichen Alltag und kommentiert die intellektuellen, gesellschafts- und kulturpolitischen Strömungen und Ereignisse des Wahljahres 998, das nach 6 Jahren Helmut Kohl den Wechsel zu einer rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder brachte. Er notiert seine Einkaufsliste, lobt das „Literarische Quartett“, macht ein Browser-Update, trifft sich mit Verlegern, schreibt an seinem Theaterstück und zieht durch die Berliner Techno-Clubs. Das ist unmittelbar, das ist spannend und ein hochinteressanter Weg, Wirklichkeit und Literatur zu verbinden. Der Literaturdozent und Kritiker Lutz Hagestedt fasst dies in einem Essay über Abfall für alle zusammen: In seiner poetischen Melange zitiert Goetz aus den Medien, referiert er aus den Büchern, die er gerade liest, kommentiert er das Geschwätz der Welt, leistet er eine öffentliche Verknüpfungsarbeit. Das Konzept, das angestrebt ist, umschreibt er so: ‚Es ist eben die Gegenwart, deren Ganzes, das Ganze der Gegenwart. Was ich, verteilt auf einzelne Teile, sprechen lassen will, zum Sprechen bringen will.‘ Mal ein Buch machen, mal ein Stück schreiben, mal eine CD produzieren, mal eine Vorlesung halten – das ist das Ganze der Gegenwart aus seinen/ihren Teilen.5
15.3. Rafik Schami Der Kummer des Beamten Müller Rafik Schami, Jahrgang 946, ist gebürtiger Syrer und zog 97 nach Deutschland. Neben seinem 979 mit der Promotion beendetem Chemie-Studium jobbte er auf Baustellen, in Restaurants und Kaufhäusern. Schami, der bereits in Syrien mit dem Schreiben begonnen hatte, veröffentlichte ab 977 seine Texte in deutscher Sprache und hat seither eine beachtliche Reihe an Literaturpreisen gewonnen. Er bringt in seinen Werken dem europäischen Leser die arabische Kultur näher und thematisiert auch immer wieder das Dasein als Migrant in Deutschland. Die Kurzgeschichte Der Kummer des Beamten Müller stammt aus dem 996 erschienenen Erzählband Die Sehnsucht fährt schwarz. Geschichten aus der Fremde. Schami lässt in der Kurzgeschichte den Beamten Müller, der in der Ausländerbehörde einer nicht näher genannten Stadt die Aufenthaltsgenehmigungen kontrolliert, über seine ausländische Klientel herziehen. 4 5
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Sie finden diesen Eintrag in: Rainald Goetz, Abfall für alle, 3. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 200, S. 566–567. Essay „Richtig hart Formuliertes. Rainald Goetz über die Steinzeit der elektronischen Welt“ von Lutz Hagestedt, 20.02.2009: http://www.hagestedt.de/essay/a2Goetz2.html Literatur und die Welt drauflen
Rainald Goetz hat in Abfall für alle seine eigene und die gesellschaftliche Wirklichkeit direkt und spontan in einer Kombination von tagebuchartigen Notizen und innerem Monolog abgebildet. Rafik Schami hat einen anderen Zugang gewählt, um die soziale Realität von Migranten widerzuspiegeln. Zum einen ist dies die Form, eine Kurzgeschichte, und zum anderen der Erzählstil. Schami verwendet Ironie und Witz als Gestaltungsmittel. Eine Kurzgeschichte funktioniert literarisch in etwa wie ein Blitzlicht. Sie erhellt einen schmalen Ausschnitt eines Weges, dessen Anfang und dessen Ende man im verbleibenden Dunkeln nicht erkennen kann. Eine Kurzgeschichte springt meist direkt und ohne lange Einleitung in eine Handlung und verabschiedet sich nach kurzer Zeit ebenso rasch wieder, meist mit einem offenen Schluss, der den Leser zum weiteren eigenen Überlegen anregen soll.
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Rafik Schami springt mit Herrn Müller direkt an den Tresen. Der Ich-Erzähler meldet sich in einem ausführlichen Monolog über seine Erlebnisse im Amt mit den „Kanaken, Kameltreibern und Spaghettis“6. Erst am Ende der Geschichte wird klar, dass der Beamte Müller am Tresen einer Kneipe sitzt und seine Büroanekdoten eigentlich dem desinteressierten Barkeeper erzählt. Schami gestaltet die Ausführungen des geistig eher schlichten Ausländerbehörden-Mitarbeiters auf eine ironisch feinsinnige Art äußerst selbstentlarvend. Im dem folgenden Ausschnitt betritt der arabische Schriftsteller Al Achtal, dessen Akte Müller in der Behörde betreut, zufällig die Bar, in der Müller sitzt: „Ach, guten Abend, Herr Al Tachtal …“ Na ja, woher holt der bloß immer wieder die Frauen. Ein Scheißkerl. Muchamed Achmed Al Achtal, mein Lieber, da bricht einem die Zunge ab, ein Reibeisen im Hals wäre ein Zuckerlecken dagegen. Wozu das Ganze, ich zum Beispiel heiße ganz einfach Hans Herbert … Hans Herbert … ganz leicht … und nicht Achchmed Machchmed. Glauben Sie, ein einziger Kanake hat bis jetzt meinen Namen richtig ausgesprochen? So dumm sind die Brüder. Der Kameltreiber sagte mir im letzten Jahr, mein Name sei ihm zu lang. Er würde mich Hansi nennen. Auf arabisch soll das „mein Hans“ bedeuten. Um Gottes willen. Ich bin doch nicht schwul.7
Schon in diesen wenigen Sätzen wird eines der großen Probleme thematisiert, mit dem Migranten in Deutschland zu kämpfen haben: Ignoranz. Müller amüsiert sich über den angeblich unaussprechlichen Namen des arabischen Schriftstellers, den er sich selbst nicht einmal für wenige Sekunden richtig merken kann, um sich im selben Atemzug über die „Kanaken“ zu beschweren, die seinen doch so einfachen Namen „Hans Herbert“ nicht aussprechen können. Müllers Aussage „So dumm sind die Brüder“ wird gleich im Anschluss ad absurdum geführt bzw. auf ihn selber umgemünzt, da er auch nach einem Jahr immer noch nicht begriffen hat, dass ihn Muchamed Achmed Al Achtal mit der arabischen Version des „Hansi“ gewaltig auf den Arm genommen hat. Der wahre ungebildete Dumme ist Müller und bedauerlicherweise scheint ihn seine Unwissenheit noch nicht einmal zu stören. Als Muchamed Achmed Al Achtal ihm zum ersten Mal in der Behörde seinen arabischen Pass zeigt, bekommt Müller große Augen: 6 7
Rafik Schami, Der Kummer des Beamten Müller, in: Rafik Schami, Die Sehnsucht fährt Schwarz. Geschichten für Fremde, Stuttgart: Deutscher Taschenbuchverlag, 997, S. 58 ff. Ebenda, S. 58 ff. Literatur und die Welt drauflen
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Aber diesem Kameltreiber habe ich es gezeigt, der kommt her und steckt mir einen stinkenden, zerdrückten Paß entgegen, und ich mache ihn auf. Weißt du, was darin steht? „Geboren: 1342.“ Also stell dir vor, am Anfang dachte ich, das ist eine Fälschung oder der will mich auf den Arm nehmen. Aber nein! Denkste! Das ist mohammedanische Zeit. Ich sage mir, Hans Herbert, nur ruhig Blut, ein Sandfresser kann dich doch nicht aus der Ruhe bringen. Ich frage ihn: „Also, wieviel macht es christlich?“ Weißt du, was er sagt? Er glaubt, es sei 1940! Er glaubt es! … Nicht glauben soll er, sondern belegen soll er, habe ich ihm gesagt. Mein Lieber, das war ein Krach! Aber das war noch nicht mal so schlimm, denn bei Beruf trug er „Schriftsteller“ ein. Am Anfang dachte ich, das sei ein Scherz. „Nicht doch, Herr Achtmal“, sagte ich, „sie können doch kaum Deutsch und wollen Schriftsteller sein?“ Und was macht er? Er zückt ein Buch aus seiner stinkenden Tasche. „Hier mein Buch, schöne Errsäluung, 11 Mark 80, für sie 10,80.“ Also, ich muß doch bitten, wir sind hier nicht im Basar. Ich habe ihn weggeschickt. Erst muß er einen ordentlichen Beruf nachweisen, dann bekommt er die Aufenthaltserlaubnis, sonst nix …8
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Der Textausschnitt beginnt typisch deutsch – Müller regt sich über den Zustand des Passes auf. Sauberkeit, Ordentlichkeit, Respekt vor der Obrigkeit – in Deutschland mögen das ja die Kardinaltugenden schlechthin sein, aber andere Länder haben andere Sitten, wie es so schön im Volksmund heißt. Müller interpretiert das „andere“ vor den „Sitten“ aber persönlich als „schlechtere“. Insofern ist der Beamte auch typisch für eine weit verbreitete Geisteshaltung in der westlichen oder abendländischen Welt, sich anderen Kulturkreisen gegenüber, wie z. B. dem orientalischen, überlegen zu fühlen. Dabei, nur am Rande, verdanken wir der arabischen Welt z. B. unsere Zahlen. Apropos Zahlen – völlig überraschend für Herrn Müller gilt nicht überall auf der Welt der gregorianische Kalender, aber gemäß der abendländischen Kulturarroganz ist ihm auch hier seine Unwissenheit keineswegs peinlich. Müller will sich die „mohammedanische Zeit“ in die christliche Zeit umrechnen lassen ganz wie beim Geldumtausch auf der Bank. Seine Formulierungen verdeutlichen erneut seine dürftige Bildung, die seiner deutschen Beamtenarroganz aber keinen Abbruch tut. Die „mohammedanische Zeit“ beruht auf dem islamischen Kalender und die christliche Zeit auf dem gregorianischen Kalender. Der gebräuchlichste islamische Kalender, denn es gibt mehrere, beginnt seine Jahreszählung mit der Flucht des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina im nachchristlichen Jahr 622. Der bedeutsamere Unterschied ist aber, dass der islamische ein Mondkalender, der gregorianische aber ein Solarkalender ist. Da Mondmonate kürzer als Sonnenmonate sind, hat das islamische Jahr nur 354 Tage und der Jahresbeginn, der . Muharram, ist nicht wie im gregorianischen Kalender immer am gleichen Tag. Deshalb hat Muchamed Achmed Al Achtal auch verständlicherweise Schwierigkeiten, sein Geburtsjahr 342 spontan und ohne Taschenrechner in die christliche Zeit umzurechnen.9 Außerordentlich ignorant ist natürlich die Annahme des Beamten Müller, dass jemand, der kein Deutsch kann, doch unmöglich ein Schriftsteller sein könne. Doch kann er, möchte man Herrn Müller gerne erklären: In allen anderen Sprachen und davon gibt es mehrere Tausend auf der Welt. 8 9
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Ebenda, S. 58 ff. Falls Sie nachrechnen wollen, das orientalische Institut der Universität Zürich bietet einen Online-Konverter an: http://www.oriold.uzh.ch/static/hegira.html vom 2.02.09. Literatur und die Welt drauflen
Müller greift hier auch auf ein gesamtgesellschaftliches Klischee in Deutschland zurück, bei dem mangelhafte Sprachkompetenz mit mangelhafter Intelligenz gleichgesetzt wird. Generationen von lese- und rechtschreibschwachen Schülern können davon sicher ein Lied singen. Abgesehen davon kann Müller selber nicht besonders gut Deutsch, er erzählt seine Amtsanekdoten in Umgangssprache, durchsetzt mit fremdenfeindlichen Schimpfwörtern. Man kann bei der Lektüre der Kurzgeschichte sehr gut Vermutungen anstellen, welche Erfahrungen der hochgebildete Syrer Rafik Schami während seines Chemie-Studiums wohl z. B. auf dem Bau oder in den Amtszimmern deutscher Ausländerbehörden gemacht haben muss.
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Mit dem Ende der Geschichte um den Kummer des Beamten Müller bietet Rafik Schami einen Hinweis darauf an, wo die Gründe für dieses nicht funktionierende Miteinander der Kulturen liegen könnten: Mein Lieber, dir geht’s gut, aber mir geht’s, seit ich in diesem Amt bin nicht mehr gut. Nicht einmal meine Frau versteht mich mehr. Sie sagt, ich rede mit ihr in gebrochenem Deutsch, vor allem, wenn ich wütend bin, das habe ich nun davon! Herr Müller sprach an diesem Abend immer wieder den Barkeeper an, der hinter der Theke der kleinen Kneipe stand. Aber der Barkeeper hörte nicht zu, ab und zu sagte er „Naja“ oder „Was Sie nicht sagen!“ Er war sehr beschäftigt, sein Blick wanderte über die Gläser, er füllte immer wieder nach, stellte neue auf die Theke, kritzelte Striche auf die Bierdeckel. Auch wenn Herr Müller sein Glas geleert hatte, schenkte ihm der Barkeeper das nächste voll, kritzelte einen Strich auf den Bierdeckel und sagte geistesabwesend: „Zum Wohl!“ 0
Man könnte folgern, Wut ist keine geeignete emotionale Grundlage für gegenseitiges Verstehen. Dies gilt für Angehörige aller Kulturkreise gemeinsam. Eine ebenso ungeeignete Voraussetzung für gegenseitiges Verstehen ist ein fehlendes Grundinteresse gepaart mit der mangelnden Bereitschaft, dem Gegenüber zuzuhören und sich mit ihm unvoreingenommen auseinanderzusetzen.
Aufgabe 1: Lesen Sie Rafik Schamis Kurzgeschichte komplett.
15.4. Michael Ende Momo Michael Endes Roman Momo, erschienen 973, ist ein anderes Beispiel dafür, wie man gesellschaftliche Wirklichkeit in der Literatur behandeln kann: Man verfremdet sie ins Märchenhafte, um sie aus der ungewohnten Perspektive neu, anders, besser sichtbar zu machen. Diesen Effekt des Perspektivenwechsels kennen wir alle aus dem wirklichen Leben. Von der Aussichtsplattform eines Fernsehturms aus betrachtet, sieht die Welt deutlich anders aus, als wenn man unten am Eingang steht. Und von Bord der Internationalen Raumstation ISS aus ergibt sich noch einmal ein ganz anderes Bild. Man könnte z. B. auch eine rosarote Brille aufsetzen, beide Augen fest verschließen oder nur noch auf allen vieren krabbeln, der Effekt wäre gleich. Vertrautes verändert sich 0
Rafik Schami, Der Kummer des Beamten Müller, S. 58 ff. Literatur und die Welt drauflen
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und wird aus einem neuen Blickwinkel heraus vielleicht sogar klarer, aber auf jeden Fall mit anderen Augen als vorher betrachtet.
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Michael Ende (929–995) gehört zu den erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautoren weltweit. Seine Romane wie Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, Momo oder Die unendliche Geschichte wurden bei einer Gesamtauflage von mehr als 20 Millionen bisher in über 40 Sprachen übersetzt. Legendär ist auch die TV-Aufführung der Jim Knopf-Geschichten durch das Marionetten-Theater Augsburger Puppenkiste in den 960er Jahren. Der vollständige Titel von Momo lautet Momo oder Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte. In dem Roman geht es um Zeit und wie die Menschen mit ihrer Zeit und somit auch mit ihrem Leben umgehen. Michael Ende hat sich also ein ziemlich „schwieriges“ Thema für einen vorgeblichen „Jugend-Roman“ ausgesucht. Ich würde die Formulierung aber eigentlich gerne umdrehen: Michael Ende hat ein schwieriges Thema in eine „leichte“ Hülle verpackt, die den Leser nicht von vornherein verschreckt, verständlich ist und durch die Präsentation aus ungewohnter Perspektive eine klarere Sichtweise ermöglicht. 15.4.1. Der Inhalt von Momo In der Ruine eines Amphitheaters am Rande einer modernen Großstadt taucht eines Tages ein kleines Mädchen mit dem Namen Momo auf, das eine ganz besondere Gabe besitzt: Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen.
Eines Tages erscheinen die geheimnisvollen grauen Herren in der Stadt und verführen die Menschen zum Zeit-Sparen. Bald hat niemand mehr Zeit füreinander übrig, es zählen nur noch Gewinnmaximierung und Erfolg. Nur die fantasievolle Zuhörerin Momo ist immun gegen die grauen Herren und ihre Zeit-Spar-Kasse. Sie wird von zwei märchenhaften Figuren, Meister Hora und Kassiopeia, in ihrem Kampf gegen die Zeitdiebe unterstützt, kann diese schließlich vernichten und den Menschen die geraubte Zeit und damit ihr eigentliches Leben wieder zurückgeben. 15.4.2. Momo, die Zeit, der Konsum und die Fantasie Schon aus der Beschreibung Momos am Anfang des Romans lässt sich erahnen, warum sie immun gegen das Zeitsparkonzept der grauen Herren ist: Sie war klein und ziemlich mager, so daß man beim besten Willen nicht erkennen konnte, ob sie erst acht oder schon zwölf Jahre alt war. Sie hatte einen wilden, pechschwarzen Lockenkopf, der so aussah, als ob er noch nie mit einem Kamm oder einer Schere in Berührung gekommen wäre. Sie hatte sehr große, wunderschöne und ebenfalls pechschwarze Augen und Füße von der gleichen Farbe, denn sie lief fast immer barfuß. Nur im Winter trug sie manchmal 82
Michael Ende, Momo, 20. Aufl., Stuttgart: Thienemanns Verlag, (o. J.), S. 5. Literatur und die Welt drauflen
Schuhe, aber es waren zwei verschiedene, die nicht zusammenpaßten und ihr außerdem viel zu groß waren. Das kam daher, daß Momo eben nichts besaß, als was sie irgendwo fand oder geschenkt bekam. Ihr Rock war aus allerlei bunten Flicken zusammengenäht und reichte ihr bis auf die Fußknöchel. Darüber trug sie eine alte, viel zu weite Männerjacke, deren Ärmel an den Handgelenken umgekrempelt waren.2
Auf die Frage der Leute, wie alt sie sei, antwortet sie einmal „Hundert“3 und einmal „Hundertzwei“4. Der auktoriale Erzähler präsentiert Momo zum einen als eine Figur, die sich nichts aus Äußerlichkeiten und weltlichem Besitz macht, und zum anderen als jemanden, der offensichtlich außerhalb der Zeit steht. Momo besitzt kein lineares Zeitkonzept, das in der Relation von Gestern, Heute und Morgen denkt. Sie weiß nicht einmal, wie alt sie ist. Sie hat keinen Bezug zur messbaren Zeit. Die Fähigkeit, ausschließlich und zufrieden im Hier und Jetzt zu leben, schreibt man draußen in der wirklichen Welt den Kindern zu, deshalb ist Momo auch konsequenterweise als Kind konzipiert.
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Die Protagonistin, soviel wird schon aus ihrer ersten Beschreibung deutlich, ist somit immun gegen die zwei zentralen Säulen der modernen kapitalistischen Gesellschaft: Konsumdenken und Erfolgstreben. Denn wer für den Augenblick lebt, muss nicht ständig irgendwelchen zukünftigen Zielen hinterherjagen und sich auch keine Sorgen über die Vergangenheit oder deren Auswirkungen auf die Gegenwart und die Zukunft machen. Beneidenswert. Wie wenig ernsthaft verführbar Momo durch Besitz und Konsum ist, zeigt ihr Umgang mit Bibigirl, der vollkommenen Puppe. An einem besonders heißen Mittag findet Momo auf den Stufen des Amphitheaters eine Puppe, die fast so groß wie sie selbst ist und wie eine junge schicke Dame aussieht. „Guten Tag. Ich bin Bibigirl, die vollkommene Puppe“5, stellt sich das Spielzeug mit mechanischer Stimme vor, als Momo es berührt. Neben diesen einleitenden Worten beherrscht Bibigirl nur noch zwei weitere Sätze, die aber völlig ausreichen, die Funktionsweise von Marktwirtschaft und Konsumzwang zu erklären: „Ich gehöre dir. Alle beneiden dich um mich“6 und „Ich möchte noch mehr Sachen haben“.7 Momo kann mit dieser Puppe, die immer nur das Gleiche sagt, nicht spielen, denn „wenn die Puppe gar nichts gesagt hätte, dann hätte Momo an ihrer Stelle antworten können, und es hätte sich die schönste Unterhaltung ergeben.“8 Diese Puppe tötet jede Fantasie und Momo empfindet zum ersten Mal in ihrem Leben Langeweile. Einer der grauen Herren, der tonnenweise Zubehör und Kleider für Bibigirl aus dem Kofferraum seines Autos zerrt, erklärt Momo, wie man richtig mit Bibigirl spielt: »Du siehst«, fuhr der graue Herr fort, »es ist ganz einfach. Man muß nur immer mehr und mehr haben, dann langweilt man sich niemals. Aber vielleicht denkst du, daß die vollkommene Bibigirl eines Tages alles haben wird und daß es dann eben doch wieder langweilig werden könnte. Nein, meine Kleine, keine Sorge! Da haben wir nämlich einen passenden Gefährten für Bibigirl.«9 2 3 4 5 6 7 8 9
Ebenda, S. 9–0. Ebenda, S. . Ebenda, S. . Ebenda, S. 87. Ebenda, S. 88. Ebenda, S. 88. Ebenda, S. 89. Ebenda, S. 92. Literatur und die Welt drauflen
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Der graue Herr holt „Bubiboy“ aus dem Kofferraum und wenn der Kunde das komplette Bubiboy-Zubehör gekauft hat, „dann gibt es noch eine Freundin von Bibigirl, und sie hat eine ganz eigene Ausstattung, die nur ihr paßt. Und zu Bubiboy gibt es noch einen dazupassenden Freund, und der hat wieder Freunde und Freundinnen. Du siehst also, es braucht nie wieder Langeweile zu geben, denn die Sache ist endlos fortzusetzen, und es bleibt immer noch etwas, das du dir wünschen kannst.“20 Was der graue Herr hier erklärt, ist im Grunde nichts anderes als die allgemeine Funktionsweise einer Konsumgesellschaft. Auf marktwirtschaftliche Art wollen die grauen Herren auch mit der Zeit umgehen, die die Menschen in ihre Zeit-Spar-Kasse einzahlen sollen. Agent Nr. XYQ/384/b klärt den Friseur Herrn Fusi darüber auf, wie viel Zeit er in seinem bisherigen Leben schon verloren hat – durch Arbeit, Essen und Schlafen, aber auch durch angeblich sinnlose Freundlichkeit, Mitgefühl und Sozialkontakte insgesamt: Auf dem Spiegel stand nun folgende Rechnung: Schlaf 441 504 000 Sekunden Arbeit 441 504 000 “ Nahrung 110 376 000 “ Mutter 55 188 000 “ Wellensittich 13 797 000 “ Einkauf usw. 55 188 000 “ Freunde, Singen usw. 165 564 000 “ Geheimnis2 27 594 000 “ Fenster22 13 797 000 “ Zusammen: 1 324 512 000 Sekunden »Diese Summe«, sagte der graue Herr und tippte mit dem Stift mehrmals so hart gegen den Spiegel, daß es wie Revolverschüsse klang, »diese Summe ist also die Zeit, die sie bis jetzt bereits verloren haben. Was sagen Sie dazu, Herr Fusi?«23
Herr Fusi ist natürlich wie vom Donner gerührt und als ihm der Zeitagent anschließend vorrechnet, dass er heute bereits „ein Guthaben von sechsundzwanzigmillionenzweihundertundachtzigtausend Sekunden“24 besäße, wenn er schon vor zwanzig Jahren mit dem täglichen Zeitsparen einer einzigen Stunde angefangen hätte, ist der Friseur endgültig überzeugt und lässt sich von Agent Nr. XYQ/384/b erklären, wie man Zeit spart: Sie müssen zum Beispiel einfach schneller arbeiten und alles Überflüssige weglassen. Statt einer halben Stunde widmen Sie sich einem Kunden nur noch eine Viertelstunde. Sie vermeiden zeitraubende Unterhaltungen. Sie verkürzen die Stunde bei ihrer alten Mutter auf eine halbe. Am besten geben Sie sie überhaupt in ein gutes, billiges Altersheim, wo für sie gesorgt ist, dann haben Sie bereits eine ganze Stunde täglich gewonnen (…) und vor allem, vertun Sie ihre 20 2 22 23 24 84
Ebenda, S. 92. Herr Fusi bringt Fräulein Daria, die im Rollstuhl sitzt, jeden Tag eine Blume und „vergeudet“ nach Ansicht des Zeitagenten eine halbe Stunde durch diesen Besuch. Herr Fusi sitzt jeden Abend eine Viertelstunde lang am Fenster und denkt über den vergangenen Tag nach. Michael Ende, Momo, S. 64. Ebenda, S. 65. Literatur und die Welt drauflen
kostbare Zeit nicht mehr so oft mit Singen, Lesen oder gar mit Ihren sogenannten Freunden. Ich empfehle Ihnen übrigens ganz nebenbei, eine große, gutgehende Uhr in Ihren Laden zu hängen, damit Sie die Arbeit Ihres Lehrjungen genau kontrollieren können.25
„Bibigirl“ kurbelt den Konsum an, und damit konsumiert werden kann, braucht man erstmal geeignete Strukturen. Der graue Herr erklärt Herrn Fusi hier sozusagen die Blaupause der Marktwirtschaft: Die Verabsolutierung von Effizienz und Erfolgsstreben, indem man das soziale Miteinander, Nächstenliebe, Ethik und Moral hinten anstellt.
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Dies machen die grauen Herren auch Momo noch einmal explizit klar, als Sie sich nach wie vor wenig begeistert von Bubigirl zeigt: „»Das einzige«, fuhr der Mann fort, »worauf es im Leben ankommt ist, daß man es zu etwas bringt, daß man was wird, daß man was hat.“26 Aber, was passiert denn nun mit all der Zeit, die Herr Fusi und allmählich alle anderen Einwohner der Stadt so hektisch sparen? Momos Immunität gegen die Avancen der grauen Herren, an deren Existenz sich keiner der Zeitsparer nach dem Verklingen ihrer verführerischen Worte mehr erinnern kann, bewirkt, dass einer von Ihnen sich enttarnt: Und nun hörte Momo endlich seine wahre Stimme: »Wir müssen unerkannt bleiben«, vernahm sie wie von weitem, »niemand darf wissen, daß es uns gibt und was wir tun … Wir sorgen dafür, daß kein Mensch uns im Gedächtnis behalten kann … Nur solang wir unerkannt sind können wir unserem Geschäft nachgehen … ein mühseliges Geschäft, den Menschen ihre Lebenszeit stunden-, minuten- und sekundenweise abzuzapfen … denn alle Zeit, die sie einsparen, ist für sie verloren …27
Die Zeit, die die Menschen sparen, ist für sie verloren. Denn Sie sparen ja nicht wirklich Zeit, sondern sie sparen in Wahrheit an ihren Gefühlen, an ihrer Menschlichkeit: Niemand schien zu merken, daß er, indem er Zeit sparte, in Wirklichkeit etwas ganz anderes sparte. Keiner wollte wahr haben, daß sein Leben immer ärmer, immer gleichförmiger und immer kälter wurde. Deutlich zu fühlen jedoch bekamen es die Kinder, denn auch für sie hatte nun niemand mehr Zeit. Aber Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen. Und je mehr die Menschen daran sparten, desto weniger hatten sie.28
Aufgabe: Lesen Sie bitte Michael Endes Märchen-Roman Momo komplett.
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Ebenda, S. 67. Ebenda, S. 67. Ebenda, S. 94. Ebenda, S. 97. Literatur und die Welt drauflen
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Lektüretipps: – Nick Hornby, High Fidelity. Vollständige Taschenbuchausgabe, München: Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., 998.
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Der Plattenladenbesitzer Rob Fleming erzählt aus seinem Leben und dabei erfährt man nebenbei eine ganze Menge über gute und schlechte Platten, über englische TV-Serien und über Alison, Penny, Jackie Charlie und Sarah, denn Rob beschließt, seine Verflossenen noch einmal aufzusuchen. Nick Hornby hat übrigens auch den Roman About a boy geschrieben, der 2002 mit Hugh Grant in der Hauptrolle verfilmt wurde. – Jürgen Neckam, 500 Romane in einem Satz. Das schnellste Literaturlexikon der Welt, Köln: DuMont Buchverlag, 2007. Der Autor stellt tatsächlich die Handlung von 500 bekannten Romanen in jeweils einem Hauptsatz (plus Nebensätzen) vor und zitiert dazu immer auch die beste Stelle oder den besten Satz aus dem betreffenden Werk. Falls Sie sich z. B. schon immer gefragt haben, worum es denn bei Arthur Conan Doyles „Der Hund der Baskervilles“ gehen mag, können Sie es hier erfahren: „Die Mitglieder der Familie Baskerville sterben alle eines unnatürlichen Todes, darunter auch Sir Charles, der von einem höllisch anmutenden Hund zu Tode erschreckt wurde, ein Fall, den Meisterdetektiv Sherlock Holmes natürlich aufklären kann, wodurch er es Sir Henry ermöglicht, das Erbe der Baskervilles, auf das der Verbrecher Stapleton es abgesehen hatte, anzutreten.“29 Der beste Satz aus dem Roman lautet nach Neckams Ansicht: „Nun, Watson, was leiten Sie davon ab?“ 30. – Der schönste erste Satz, herausgegeben von der Initiative Deutsche Sprache und der Stiftung Lesen, Ismaning: Hueber Verlag, 2008. Die Herausgeber hatten in einem internationalen Wettbewerb nach dem schönsten ersten Satz deutschsprachiger Bücher gesucht. Das Buch enthält eine Auswahl der besten Einsendungen, darunter z. B. auch den Anfang von Monika Marons Animal triste, das Sie aus Kapitel 3 kennen: „Als ich jung war, habe ich wie die meisten jungen Menschen geglaubt, ich müsste jung sterben.“3
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Jürgen Neckam, 500 Romane in einem Satz. Das schnellste Literaturlexikon der Welt, Köln: DuMont Buchverlag, 2007, S. 64. Ebenda, S. 64. Der schönste erste Satz, herausgegeben von der Initiative Deutsche Sprache und der Stiftung Lesen, Ismaning: Hueber Verlag, 2008, S. 9. Literatur und die Welt drauflen
Lektüretipps: – Peter Andreas, Im letzten Garten. Besuch bei Toten Dichtern, Hildesheim: Gerstenberg Verlag, 2005. Der Autor hat 20 Gräber bekannter Schriftsteller aufgesucht und fotografiert. Etwa die Hälfte davon sind deutschsprachige Autoren wie Bettina von Arnim, Ingeborg Bachmann oder Friedrich Schiller. Auch Goethes Grab in der Fürstengruft auf dem Alten Friedhof in Weimar ist natürlich abgebildet, ebenso wie das von William Shakespeare, Oscar Wilde und Jean-Paul Sartre.
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– Elisabeth Frenzel, Stoffe der Weltliteratur, 9., überarb. und erw. Aufl., Stuttgart: Kröner Verlag, 998. Ein über 900 Seiten starkes Nachschlagewerk über die Behandlung bekannter Stoffe wie Faust, Helena, Don Juan oder auch Romeo und Julia in der Literatur. Falls Sie sich z. B. näher über die literarische Aufarbeitung der Halsbandaffäre um Marie-Antoinette informieren wollen, können Sie dies hier und erfahren dabei, dass sich auch Goethe in seiner Tragikomödie Der Groß-Coptha (171) mit dem Skandalstoff beschäftigt hat. – Elisabeth Frenzel, Motive der Weltliteratur, 4., überarb.und erg. Aufl., Stuttgart: Kröner Verlag, 992. Das Pendant zu Frenzels Stoffen verfolgt die Behandlung bestimmter Motive quer durch alle literarischen Epochen. Unter den Motiven finden sich z. B. die Amazone, die unbekannte Herkunft, der Märtyrer, der Vater-Sohn-Konflikt oder auch der künstliche Mensch. Karl Mays Winnetou ist übrigens auch vertreten – unter dem Motiv des edlen Wilden auf Seite 842. Frank Wedekinds Lulu taucht sogar zwei Mal auf: als „Die dämonische Verführerin“ (S. 787) und als „Die selbstlose Kurtisane“ (S. 449).
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Lösungsvorschläge Kapitel 1 Aufgabe 1: Grundsätzlich sind bei diesen Fragen mehrere Lösungen denkbar und wahrscheinlich, denn nicht alle Menschen meinen dasselbe, wenn sie das Gleiche sagen. Eine Einladung zum Kaffeetrinken kann z. B. auch ganz anders gemeint sein. a) „Wollen wir nicht mal zusammen einen Kaffee trinken gehen?“ Sachinhalt: Eine Einladung zum gemeinsamen Konsum eines koffeinhaltigen Getränks. Selbstoffenbarungsaspekt: (Einmal abgesehen von: Ich bin offenbar Deutscher, denn ich spreche Deutsch und ich mag Kaffee. Außerdem bin ich sprachlich nicht so kreativ, denn ich verwende einen Klischeesatz.) Ich bin momentan auf Partnersuche. Beziehungsaspekt: Ich finde dich attraktiv und ich möchte dich gerne näher kennenlernen. Appellaspekt: Bitte, lass mich dich besser kennenlernen. Oder gib mir zumindest für einen Tag die Illusion, dass aus uns ein Paar werden könnte … b) „Hätten wir da nicht rechts abbiegen müssen …?“ Sachinhalt: Du hättest rechts abbiegen sollen. Wir fahren in die falsche Richtung. Selbstoffenbarungsaspekt: Ich habe es eilig, bin genervt, will endlich ankommen. Beziehungsaspekt: Ich nehme Rücksicht auf dich, denn ich weiß, dass du beim Autofahren empfindlich bist. Deshalb frage ich nur vorsichtig nach, damit du nicht gleich durchdrehst, denn ich habe dich lieb. Appellaspekt: Bitte, dreh um und fahre in die richtige Richtung. c) „Das ist ein interessanter Vorschlag, den Sie da machen, aber …“ Sachinhalt: Ich habe deiner Aussage zugehört und lehne sie nicht sofort ab. Selbstoffenbarungsaspekt: Ich nehme innerlich an der Diskussion teil und bin bereit, andere Meinungen anzuhören. Ich bin jedoch anderer Ansicht als du. Ich habe Recht. 88
Lösungsvorschläge
Beziehungsaspekt: Ich sehe mich auf Augenhöhe mit dir. Deine Meinung hat nicht mehr Gewicht als meine. Ich denke, ich kann meine Meinung durchsetzen. Ich bin kampfbereit. Appellaspekt: Gib nach. Gib klein bei. Akzeptiere meine Meinung, meinen Vorschlag. Aufgabe 2: a) Er gewann das Spiel. Diese Formulierung ist sachlich und neutral. „Gewinnen“ deutet neben den Fakten keine positiven oder negativen Begleitgefühle an. b) Er zockte seine Mitspieler ab. Diese Formulierung bewertet die Art und Weise des Gewinnens in negativer Form. Wer seine Gegner „abzockt“, gewinnt auf unehrliche Art. Bei diesem Verb schwingen Begleitgefühle von Betrug, Illegalität, Kriminalität mit. c) Es gereichte ihm zum Sieg. Diese Formulierung klingt „uralt“. In Lexika versieht man solche Wörter gerne mit dem Vermerk „obsolet“ – das heißt, diese Wörter sind heute nicht mehr gebräuchlich. Bei „gereichen“ kommen Assoziationen von alt, vergangen, altmodisch, unmodern auf. Außerdem wirkt „gereichen“ nicht sehr aktiv oder dominierend, für mich schwingt da zusätzlich die Assoziation eines glücklichen oder knappen Siegs mit. Aufgabe 3: Peter Bichsel erzählt in seiner Kurzgeschichte auf wesentlich charmantere Art und Weise als meine damalige Linguistik-Dozentin an der Uni Freiburg über eine grundlegende Annahme der modernen Sprachwissenschaft: Der Zusammenhang zwischen Wörtern und ihrer Bedeutung ist beliebig. Diese Erkenntnis geht auf den Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure zurück. Im Grunde bedeutet dies, dass es keinen wirklichen Grund gibt, warum ein Hund „Hund“ heißt. Das Tier mit den vier Beinen, das auch gerne als bester Freund des Menschen bezeichnet wird, könnte durchaus auch „Tisch“ oder „Bett“ heißen. Sprachwissenschaftlich spräche nichts dagegen. Der Zusammenhang zwischen sprachlichem Zeichen und außersprachlicher Bedeutung wird lediglich über die Konvention, über die gemeinsame Vereinbarung der Sprecher hergestellt. Irgendwann haben sich die Sprecher einer Sprache also darauf geeinigt, dass das außersprachliche bellende Tier mit den vier Pfoten sprachlich „Hund“ heißen soll. Bichsel zeigt in seiner Kurzgeschichte diesen Zusammenhang von Sprache, Zeichen und Konvention auf. Die Wörter einer Sprache müssen für alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft prinzipiell die gleiche Bedeutung haben, damit sich die Sprecher gegenseitig verstehen können.
Lösungsvorschläge
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Kapitel 2 Aufgabe 1: . Mark Twain (835– 90) hieß in Wirklichkeit Samuel Langhorne Clemens und zu seinen bekanntesten Romanen gehören Die Abenteuer des Tom Sawyer, Prinz und Bettelknabe und Ein Yankee am Hofe des Königs Artus. 2. Angela Merkel ist zwar in der DDR aufgewachsen, geboren ist sie aber in Hamburg. 3. Ich denke, Sie haben meinen Hinweis auf das Online-Portal der Times in den Lektüretipps entdeckt und konnten sich dort die Kopie des Artikels besorgen. Die Titanic ging am 5. April 92 unter, d. h., der Bericht über den Untergang erschien mit großer Sicherheit am darauffolgenden Tag, dem 6. April 92, in der Times. Im Online-Archiv der britischen Times http://archive.timesonline.co.uk/tol/archive/ war es bei Drucklegung dieses Buches noch möglich, kostenlos nach Artikeln eines bestimmten Tages zu suchen und so kam man über die Suche nach dem Stichwort „Titanic“ und der Datumsangabe „6. April 92“ zu einer Auswahl an Artikeln und zum Bericht „Titanic Sunk“. Aufgabe 2: Zu meiner Vorgehensweise: Ich habe über den Online-Katalog „Deutsche Nationalbibliografie“ der Deutschen Nationalbibliothek, Frau Kinskofers Homepage (http://www.lotte-kinskofer.de) und den Blick auf S. 225, „Über die Autoren“, im Hauptkursbuch Lesen, Zappen, Surfen (4. Auflage) folgende Werke gefunden: Als Autorin: · · · · · · · · · · · · ·
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Lesen, Zappen, Surfen, 4., überab. und aktualisierte Aufl., München: TR-Verlags-Union, 2006. Reden, Schreiben, Präsentieren, 4., aktualisierte Aufl., München: BRW-Service GmbH, 2008. Lesen, Verstehen, Interpretieren, 3. Aufl., Nürnberg: MMD GmbH, 2007. Die wirkungsvolle Rede und Präsentation : [das Begleitbuch zur gleichnamigen 6-teiligen Fernsehserie von BR alpha], München: TR-Verlags-Union, 2000. Agentur der bösen Mädchen, Leipzig: Reclam, 999. Der Klavierling, Zürich: Bajazzo-Verlag, 999. Der Tag, an dem Marie ein Ungeheuer war, Zürich: Bajazzo-Verlag, 200. Die Sextanten, Leipzig: Reclam, 2002. Wie der Klavierling sich verliebte, Zürich: Bajazzo-Verlag, 2002. Heimvorteil. Oberpfalz-Krimi, Kassel: Prolibris Verlag, 2007. Gemeinsam bin ich stark, Zürich: Bajazzo-Verlag, 2008. Grabenkämpfe. Oberpfalz-Krimi, Kassel: Prolibris Verlag, 2008. SMS – Sarah mag Sam, München: dtv junior, 2009. Diesen Katalog können Sie auf der Internetseite der Deutschen Nationalbibliothek (http://www.d-nb.de/index.htm) unter der Rubrik „Kataloge und Sammlungen“ auswählen.
Lösungsvorschläge
Als Herausgeberin: · · · ·
Clemens Brentano. Sämtliche Werke und Briefe. Briefe – Band 3. 803–807: Erläuterungen (Bd. 38), Stuttgart: Kohlhammer, 2004. Clemens Brentano. Sämtliche Werke und Briefe. Briefe – Band 3. 803–807 (Bd. 3), Stuttgart: Kohlhammer, 99. Clemens Brentano. Sämtliche Werke und Briefe. Briefe – Band 2. „Clemens Brentano‘s Frühlingskranz“ und handschriftlich überlieferte Briefe Brentanos an Bettine: 800–803, (Bd. 30), Stuttgart: Kohlhammer, 990. Rahel Varnhagen von Ense, „Ich will noch leben, wenn man‘s liest“: journalistische Beiträge aus den Jahren 82–829, Frankfurt am Main u.a.: Lang, 200 (Forschungen zum Junghegelianismus, Bd. 5).
Kapitel 3 Aufgabe 1: Für diese Aufgabe kann ich Ihnen natürlich keine direkte Lösung vorgeben, aber ich kann Ihnen zumindest zu TV, Hörfunk und Internet einige statistische Eckdaten zur Einordnung Ihres persönlichen Medienverhaltens anbieten. Im Jahr 2008 hat jeder Bundesdeutsche täglich 76 Minuten lang Radio gehört, 89 Minuten lang ferngesehen sowie 58 Minuten lang im Internet gesurft.2 Ich kann Ihnen auch nicht für alle in der Aufgabe angeführten Medien Statistiken anbieten, aber zur Zusammensetzung des täglichen Fernsehkonsums nach Programmsparten habe ich die aktuellen Daten für das Jahr 2007 aus Media Perspektiven für Sie, die Statistik zu 2008 ist noch nicht veröffentlicht. Danach hat jeder TV-Zuschauer ab 3 Jahren täglich 62 Minuten Information, 26 Minuten Unterhaltung, 57 Minuten Fiction, 7 Minuten Sport, 3 Minuten Werbung und 6 Minuten Sonstiges angesehen.3 Ich bin gespannt, wie Ihr persönliches Ergebnis ausgefallen ist. Aufgabe 2: Auch für diese Aufgabe gibt es keine Musterlösung, aber ich hoffe, Sie haben durch diese Übung ein leicht verändertes Verhältnis zum Fernsehen gewonnen. Fernsehen ist ein gestaltetes Produkt und kein direktes Abbild von Realität. Die Auswahl der gezeigten Bilder und deren Abfolge beeinflussen die Wirkung und Aussage eines TV-Beitrags enorm. Stellen Sie sich beim Ansehen einer bestimmten Sendung doch einfach auch mal die Frage, warum kommt nach dieser Bildsequenz gerade die darauffolgende und nicht eine andere? 2 3
Angaben laut den Medien-Basisdaten der ARD: http://www.ard.de/intern/basisdaten/mediennutzung/ zeitbudget_20f_26_23252_3Br_20audiovisuelle_20medien/-/id=54984/sfyd65/index.html vom 23.02.2009. Camille Zubayr, Heinz Gerhard, „Tendenzen im Zuschauerverhalten“, in: Media Perspektiven 3/2008, S. 06–9. Lösungsvorschläge
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Aufgabe 3: Bei der Betrachtung der beiden Schlagzeilen fällt sofort die unterschiedliche Namensgebung auf. Die Bild-Zeitung nennt den vollen Namen nicht, sondern bezeichnet Christian Klar als „Terrorist Klar“. Das „Terrorist“ wird nach dem Vorbild einer Berufsbezeichnung wie „Lagerist Müller“ oder „Landmaschinenhersteller Maier“ verwendet. Damit impliziert die Bild-Zeitung, dass Christian Klar sozusagen immer noch als Terrorist „tätig“ ist. Das ist natürlich eine klare Wertung. Ebenso drängt der Folgesatz „Er könnte morgen ihr Nachbar sein“ dem Leser eine Meinung auf, denn diese bekannte Formulierung im Konjunktiv erzeugt beim Leser ein bedrohliches Gefühl. Christian Klar wird dadurch letztlich als gemeingefährlich bezeichnet. Der reine, faktische Informationsgehalt dieser zwei Sätze besteht lediglich darin, dass Christian Klar aus der Haft entlassen wurde, der Rest ist subjektive Wertung. Die Süddeutsche bemüht sich nicht unerwartet um eine objektive Berichterstattung. So wird der freigelassene Häftling wertfrei mit seinem vollen Namen genannt und im Unterschied zur BildZeitung als „Ehemaliger Terrorist“ bezeichnet. Außerdem nennt die SZ weitere Sachinformationen wie die Dauer der Haftzeit Klars und die noch andauernde Inhaftierung Birgit Hogefelds. Nach der Lektüre der SZ-Schlagzeilen hat man als Leser innerhalb weniger Sekunden eine ganze Menge an objektiven Informationen erhalten, was man leider von der Bild-Zeitungsvariante nicht behaupten kann.
Kapitel 4 Aufgabe: Ich habe für meinen Lösungsvorschlag die wahrscheinlichere Rede-Variante, die lobende, gewählt. Liebe Sportfreunde, lieber Vorstand die gute Nachricht gleich vorneweg: Ich werde mich kurzfassen. Der donnernde Applaus gerade beweist mir im Übrigen, dass ich damit die richtige Entscheidung getroffen habe, danke. Die richtige Entscheidung haben offensichtlich auch unsere Volleyballer getroffen, als sie Dieter als neuen Trainer gewonnen haben. Dieter, wo sitzt du? Stehst du bitte mal auf, danke. Und jetzt, liebe Vereinsmitglieder, seht euch diesen Mann genau an, denn Dieter – und da zitiere ich aus unserem Amtsblatt vom . Juni – „Dieter Mustermann zeigt in seiner Arbeit mit den Volleyballern des TSC eine beispielhafte Trainingsmethodik, die in dieser Spielklasse ihresgleichen sucht.“ Ich darf erneut um einen donnernden Applaus bitten. Danke. Außerdem – und das wurde in dem Artikel leider nicht erwähnt – hat Dieter auch einen wirklich eindrucksvollen Schnauzbart – findet zumindest Gertie, seine Frau. Geschmack ist bekanntlich verschieden – womit ich schon fast bei der Ankündigung des Männerballetts angekommen wäre – aber vor diesem alljährlichen kulturellen Höhepunkt muss ich schnell 92
Lösungsvorschläge
noch ein paar wichtige Erfolgsmeldungen über unseren TSC im vergangenen Jahr loswerden: 42 neue Mitglieder – der Aufstieg für die Volleyballer, die Kegler, die Basketballer und die Turner – und im Sommer konnten wir endlich das neue Rasenkleinfeld einweihen. Ich denke, damit lassen wir den Informationsteil für heute gut sein und heben bitte alle unser Glas auf unseren Vorstand, Herbert Mustermann, der heuer sagenhafte 25 Jahre im Amt ist. Prost, Herbert. So, und jetzt genug der Worte, lasst uns Taten sehen. Vorhang auf für unsere Jazz-Tanz-Gruppe!
Kapitel 5 Aufgabe 1: . Thema: Arbeitslosigkeit – bei diesem Thema bietet sich ein Zugang über Zahlenmaterial an. Gestern habe ich in der Zeitung die neuen Arbeitsmarktzahlen für das vergangene Jahr gesehen und muss zugeben, mir macht die Entwicklung ein wenig Angst. Die Arbeitslosenquote ist allein in den letzten drei Monaten um satte 6 Prozent in die Höhe geschnellt. 3,5 Millionen Arbeitslose in Deutschland und ich frage mich da natürlich, wo liegen die Ursachen … 2. Thema: Generelles öffentliches Rauchverbot in Deutschland – ich habe mich für einen Einstieg mit einem persönlichen Bezug entschieden. Mein Freund Roland arbeitet seit über 25 Jahren in der Gastronomie. Der Mann ist Sportler: er skatet, fährt Mountain-Bike, klettert und war auch mal Bayerischer Jugendmeister im Squash. Außerdem hat er Asthma und seit bald 0 Jahren eine eigene Bar, eine Frau und 3 Kinder. Das heißt, mein Freund Roland hat keine große Wahl. Er muss in seiner Kneipe arbeiten und das Geld für seine Familie verdienen. Und ich würde ihm wünschen, dass er dies bald ohne passiven Mitrauchzwang tun kann … 3. Thema: Die Einführung von Parklizenzgebühren in Ihrem Stadtviertel – bei diesem Thema versuche ich einen historischen Einstieg. Wissen Sie, wenn ich eine Zeitmaschine hätte, dann würde ich gerne ins Jahr 935 zurückreisen und in Hamburg einen Dampfer besteigen, der mich nach New York bringt. Dort würde ich mit dem Bus weiterfahren nach Oklahoma City und zwar so, dass ich rechtzeitig am 3. Mai 935 am Eingang des Patentamtes stehen würde. Und wenn dann Carl C. Magee mit seinem Patentantrag für das erste münzgesteuerte Parkmessgerät der Welt vorbeikäme, dann würde ich ihm meine Meinung sagen, denn damit nahm das ganze Übel seinen Lauf …
Lösungsvorschläge
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Aufgabe 2: Als mein Vater den Autoführerschein erwarb, durfte er damit PKWs, LKWs und Motorräder fahren. Als ich den Führerschein machte, gab es „den“ Führerschein schon nicht mehr, der Führerschein hatte sich fortgepflanzt und vermehrt. Es gab jetzt den Führerschein fürs Moped und Mockik, den eigenen Führerschein fürs Motorrad, die graue Pappe, die das Führen von PKWs und LKWs bis 7,5 t erlaubte, und darüber hinaus die LKW-Fahrerlaubnis ab 7,5 t aufwärts sowie den Bus-Führerschein. Heute im Jahr 2009 gibt es in Deutschland 6 verschiedene Führerscheinklassen, A, A , B, C, C , D, D , BE, CE, CE, DE, DE, M, S, T und L. Das halte ich, ehrlich gesagt, für etwas übertrieben. Eine Gesellschaft kann nicht ohne Regeln leben, denn ansonsten herrschte Anarchie, was auch kein erstrebenswerter Gesellschaftszustand wäre. Aber manche Staaten haben eine größere Leidenschaft für Regeln als andere. Dazu gehört mit Sicherheit die Bundesrepublik Deutschland. Auf der Internetseite von yahoo clever habe ich folgenden Eintrag gefunden: „Die Anzahl der Gesetze … haben in Deutschland ausuferndes Maß angenommen. So waren im Mai 2005 auf Bundesebene rund 2.00 Gesetze mit knapp 46.000 Einzelvorschriften und 3.40 Rechtsverordnungen mit fast 4.000 Einzelvorschriften in Kraft.“4 Natürlich kann sich der Verfasser dieses Beitrags diese imposanten Zahlen auch lediglich ausgedacht haben, aber das, denke ich, ist gar nicht so wichtig. Mitentscheidend ist doch auch das Empfinden des Bürgers, dass sein Leben zu sehr durch Gesetzte reguliert wird. Ich rede nicht von dem jugendlichen Revoluzzer oder dem intellektuellen Systemkritiker, sondern von einem durchschnittlichen Bürger wie mir selbst … Da die Argumentation schließlich nur angerissen werden sollte, genügen diese Ausführungen.
Kapitel 6 Aufgabe 1: Das sind natürlich große Schuhe, in die man hier schlüpfen soll, denn die Figur Mierscheids ist schon eine ironische Meisterleistung und da kann man eigentlich nichts verbessern. Nichtsdestotrotz haben Sie und ich es versucht und hatten hoffentlich auch ein wenig Spaß dabei. Ich z. B. könnte mir gut vorstellen, dass sich der Bundestagsabgeordnete Jakob Maria Mierscheid demnächst am Brennpunkt Bildungspolitik engagiert und in der Eingabe AZ Stlm/a-007-Z-4 an den Unterausschuss des nachgeordneten Nebenreferats „Allgemeine Fragen der föderalistischen Bildungspolitik im Bezugsrahmen der EU-Richtlinie‚ Nebengeordnete Zuordnungsfragen des Binnenpluralismus im Hinblick auf föderalistische Bildungsfragen innerhalb der Europäischen Union nach 2003‘“ die „Wiedereinführung des Prekariats im Rahmen der Gymnasiallehrerausbildung als gleichwertige Alternative zum Referendariat wie im Beschluss des Bundesbildungsministers vom .4.2009 vorgesehen“ fordert. Wahlweise könnte der politische Allrounder aus den Reihen der SPD sein Politsüppchen sicher auch auf dem zweiten großen politischen Krisenherd der Jetztzeit, der Umweltpolitik, kochen, indem er 4
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Dieses Zitat ist aus der Rede „Besser regulieren - den Finanzstandort stärken I“ von Dr. Harald Novak (stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken), gehalten am 8.0.2006: http://www.bankenverband.de/channel/3380/art/660/index.html Lösungsvorschläge
die ökologische Entsorgung verbrauchter Legebatterien nur noch ausschließlich auf speziell dafür ausgebauten gemeindlichen Wertstoffhöfen zulassen will. „Weiter so, Jakob!“, möchte man ihm zurufen. Endlich einer, der nicht nur redet, sondern anpackt. Danke. Aufgabe 2: Ich habe mir die SZ vom 23. Februar 2009 vorgenommen. Der Aufmacher auf Seite ist das Berliner EU-Spitzentreffen zur Vorbereitung des Weltfinanzgipfels in London: „Europäer wollen Finanzsystem überwachen“5. In dem Artikel werden die wesentlichen Fakten zu dem Treffen der europäischen Spitzenpolitiker mit den Präsidenten der Europäischen Zentralbank und der EU-Kommission genannt: (…) Das Treffen in Berlin diente der Vorbereitung des Weltfinanzgipfels im April in London. Neben Merkel nahmen die Staats- und Regierungschefs sowie Minister aus Großbritannien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Spanien, Tschechien und Luxemburg, der Präsident der Europäischen Zentralbank sowie die EU-Kommission teil. Sie einigten sich darauf, dass Europa eine lückenlose Aufsicht über die weltweiten Finanzmärkte anstrebt. Ziel sei es, alle Produkte und Akteure am Markt zu beaufsichtigen und zu regulieren, heißt es in der deutschen Abschlusserklärung. Dies gelte auch für Hedgefonds und für Rating-Agenturen, sagte Merkel. Rating-Agenturen bewerten Kreditrisiken und Wertpapiere. Ihnen wird vorgeworfen, die Gefahren hochbrisanter Finanztransaktionen nicht rechtzeitig erkannt zu haben. (…)6
Am Ende des Berichts steht in Klammern der Verweis auf die vertiefende Berichterstattung auf den Seiten 3, 4 und 5. Die Seite 3 ist die Reportageseite der Süddeutschen Zeitung – das heißt, hier kann man zusätzlich zu den reinen Fakten mit einer etwas persönlicher gefärbten Berichterstattung rechen. Die KurzReportage „Stimmübungen für den gemeinsamen Chor“7 berichtet dann auch in entsprechend subjektiv beschreibender Form über das Treffen in Berlin: Alles läuft nach Plan. Der Reihe nach fahren die Gäste vor, und zwar wie es sich gehört: Erst die Kleinen, dann die Großen. Den Anfang macht folglich Jean-Claude Juncker aus Luxemburg. „Zwei in einem“, sagt die Kanzlerin erfreut. Die anderen Regierungschefs bringen ihre Finanzminister mit; der Luxemburger aber erledigt diesen Job nebenbei. Am längsten warten müssen Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück auf Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy. Auch das hat seine Richtigkeit. Sarkozy ist unter den Gästen das einzige Staatsoberhaupt, erscheint also laut Protokoll zuletzt. Sarkozy legt freilich immer noch ein paar Minuten drauf. Zum großen Auftritt gehört eben die kleine Verspätung. (…)8
5 6 7 8
„Europäer wollen Finanzsystem überwachen“ von Thomas Öchsner, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. . Ebenda, S. . „Stimmübungen für den gemeinsamen Chor“ von Daniel Brösler, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. 3. Ebenda, S. 3. Lösungsvorschläge
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Auf der Seite 4, der Kommentarseite der SZ, nimmt Thomas Urban das Treffen in Berlin als Anlass, über die Auswirkungen der Weltfinanzkrise auf die neuen Märkte in Osteuropa nachzudenken: (…) Die große Krise dürfte durch die gerade erst demokratisch gewordenen Gesellschaften mit ihren jungen Marktwirtschaften eine Schneise der Zerstörung schlagen. Die Länder stürzen ohne Übergang vom Boom in die tiefe Rezession. In Ungarn und in Lettland, wo die Regierenden Milliardenhilfe vom Internationalen Währungsfonds beantragt haben, ist dies bereits offenbar. In den beiden Ländern wurde extrem über die Verhältnisse gelebt, mit der Finanzkrise sind die großen Kreditblasen geplatzt. In Lettland ist die Regierung wegen der Krise bereits gestürzt, in Ungarn wankt sie. Andere osteuropäische Staaten erleben ebenfalls, dass ihr Wirtschaftsmodell kollabiert. Sie haben ihren Boom vor allem mit ausländischem Geld finanziert, doch nun ziehen die Anleger ihr Geld ab und drücken damit die osteuropäischen Währungen nach unten. Doch ist angesichts dessen keine Häme in den alten EU-Ländern angebracht. Denn die Osteuropäer haben nur den westlichen Vorbildern nachgeeifert und voll und ganz auf die Marktwirtschaft gesetzt. (…) 9
Auf Seite 5 des Politikteils schließlich übernimmt die SZ eine dpa-Meldung, die die wichtigsten Ergebnisse des Treffens stichpunktartig zusammenfasst: Berlin – Die Staats- und Regierungschefs wichtiger EU-Länder haben am Sonntag in Berlin ihre Positionen für den Welt-Finanzgipfel der führenden Industrie- und Schwellenländer (G 20) am 2. April in London abgestimmt. Im Folgenden die wichtigsten Ergebnisse des Treffens: - Der im November auf dem ersten Welt-Finanzgipfel in Washington vereinbarte Aktionsplan soll „rasch und vollständig” umgesetzt werden. - Alle Finanzmärkte, -produkte und Marktteilnehmer müssen unabhängig davon, wo sie ihren Sitz haben, einer angemessenen Aufsicht oder Regulierung unterstellt werden. Dies gelte vor allem für private Anlagegesellschaften einschließlich Hedgefonds. Rating-Agenturen sollten registriert und beaufsichtigt werden. - Alle Länder müssen protektionistischen Tendenzen widerstehen und sich für eine weitere Öffnung des Welthandels einsetzen. Ein Durchbruch bei den WTO-Verhandlungen in den kommenden Monaten habe oberste Priorität, „um die Weltwirtschaft vor Protektionismus zu schützen”. Konjunkturpakete sollten so umgesetzt werden, dass Wettbewerbsverzerrungen auf ein absolutes Mindestmaß beschränkt werden. (…)0
Ich als Leser dieser vier Artikel fühlte mich hervorragend informiert und speziell bei der Reportage auf Seite 3 auch durch den Einblick in das Prozedere bei politischen Spitzenveranstaltungen ebenso gut unterhalten. Was will man als Leser mehr – Bildmaterial vielleicht? Erfreulicherweise hatte die SZ die Artikel auf den Seiten und 3 auch mit einem Foto versehen. Für bewegtes Bild und bewegten Ton habe ich dann am Abend übrigens noch die tagesschau bemüht.
9 0 96
„Absturz Ost“ von Thomas Urban, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. 4. „Die Hauptergebnisse des Berliner Gipfels“ von dpa, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. 5. Lösungsvorschläge
Aufgabe 3: Sie finden den Lösungsbuchstaben in der Spalte rechts, in Klammern steht der deutsche Ausdruck, durch den das Fremdwort ersetzt werden kann. . Inflation
A
2. Kontext
C
(Zusammenhang)
3. Liquidität
C
(Zahlungsfähigkeit)
4. Interdependenz
C
(gegenseitige Abhängigkeit)
5. bilateral
C
(zweiseitig)
6. Amnestie
A
7. Bonus und Malus
B
8. Plädoyer
A
9. Infektion
A
0. exorbitant
C
(unverhältnismäßig, maßlos)
. Lethargie
C
(Trägheit/Interesselosigkeit)
2. ex officio
C
(von Amts wegen)
3. Lombardsatz
B
(Zinssatz für Kredit gegen Verpfändung beweglicher Sachen)
4. Friktion
C
(Reibung)
5. Konjunktur
C
(Aufbesserung bzw. Rückstufung der Note um einen bestimmten Grad)
Aufgabe 4: Ich weiß nun natürlich nicht, welche Zeitung welchen Datums Sie sich ausgesucht haben, aber im Feuilleton der SZ vom 23. Februar 2009 wird z. B. angenehm bissig über die Echo-Verleihung vom Wochenende berichtet: „Statt Trashtalker Oliver Geissen in Begleitung eines Starlets führten Schandmaul Oliver Pocher und die von ihren Stylisten an diesem Abend schwer gestrafte Barbara Schönenberger durchs Programm.“2 Eine AFP- Meldung (Agence France Presse ist eine französische Nachrichtenagentur, das Gegenstück zur deutschen dpa) informiert über den möglichen Streik der US-Schauspieler; Filmkritikerin Susan Vahabzadeh porträtiert Peter Fonda anlässlich seines 70. Geburtstags; die Rubrik „Neu auf DVD“ stellt neue Horrorfilm-DVDs von Brian de Palma, Nick Broomfield und Stuart Gordon vor; und Stefan Koldehoff amüsiert sich über den Wuppertaler Streit um einen Horst-Tappert-Platz: 2
Lösungen zitiert nach Walther von La Roche, Einführung in den praktischen Journalismus, S. 07–08. „Deutschland, deine Superstars“ von Andrian Kreye, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. 9. Lösungsvorschläge
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Nun ist Wuppertal aufgefallen, dass der Platz vor dem schneeweißen Schauspielhaus an der Talachse noch keinen Namen hat. Mit Hilfe der Bild-Zeitung gab es schnell eine Idee. „Horst-Tappert-Platz“ schlug auch die Verwaltung der zuständigen Bezirksvertretung vor. Schließlich sei der „Derrick“-Darsteller wahrscheinlich der bekannteste Wuppertaler weltweit. Friedrich Engels und Else Lasker-Schüler ließ man dabei geflissentlich außer acht. Nach beiden sind allerdings bereits Straßen benannt. Gegen den Tappert-Vorschlag protestierten sofort Historiker und Kulturschaffende, zumal Tappert seine Heimatstadt schon früh verlasen hatte. Sie verweisen stattdessen auf tatsächlich bedeutende Bühnenschaffende der Stadt wie Arno Wüstenhöfer, Grischa Barfuß oder Pina Bausch. Die allerdings werden die vielen Passanten auf dem Platz wahrscheinlich gar nicht kennen. (…)3
Auf Seite des Feuilletons der SZ wird die Ausstellung „Shab Abbas – The Remaking of Iran“ im Londoner British Museum vorgestellt; die Rubrik „Nachrichten aus dem Netz“ berichtet über ein drohendes Monopolverfahren gegen die Suchmaschine Google in den USA; das neue Theaterstück von Biljana Srbljanovic am Schauspiel Essen wird vorgestellt; und Eugen Banauchs neuer Roman „Gratzen oder Die Angst vor dem eigenen Keller“ wird von Jean-Michel Berg gemäßigt zerpflückt: Doch es bleibt bei der Ambition; nicht der Erzähler wird auf einen Vortragsstil verpflichtet, sondern der Leser auf eine Leseweise. Bei gleichbleibend langatmigen Sätzen soll er mal bewegt hüpfen, dann wieder sehr ruhig und gemessen schleichen. Tatsächlich aber herrscht hier durchweg der behagliche Tonfall der gutbürgerlichen Erzählstube.4
Zum Abschluss wird auf der Medienseite WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz interviewt; und „Das politische Buch“ rezensiert schließlich noch zwei Neuerscheinungen über den deutschen Staatsanwalt Fritz Bauer und die politischen Hintergründe des Mauerbaus.
Kapitel 7 Aufgabe 1: Zu dieser Aufgabe kann ich Ihnen nun wirklich keine Lösung vorgeben, ich kann Ihnen höchstens kurz erzählen, was mich heute am 24. Februar 2009 am meisten interessiert hätte. Vor zwei Tagen wurden in Los Angeles die diesjährigen Oscars verliehen, da hätte ich bestimmt weiter nachgeforscht und mir z. B. auf er offiziellen Internetseite (http://www.oscar.com/) Bilder und Videos zu der Glamourveranstaltung angeschaut. Dann hätte ich sicher bei youtube nachgesehen, ob es dort weitere Videos über die Oscarverleihung geben würde. Da Kate Winslet 2009 den Oscar für ihre Hauptrolle in der Adaption von Bernhard Schlinks Der Vorleser gewonnen hat, hätte ich mich sicher auch auf Wikipedia oder im Kritischen Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur über Schlink und den Roman informiert. Dann hätte ich mir sicher auch noch den Trailer zum Film auf der Senator Internetseite oder auf der Internet Movie Data Base (http://www.imdb.com/) angeschaut und wäre 3 4
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„Ein unverfänglicher Name“ von Stefan Koldehoff, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. 0. „Wie man einer Fugen-Komposition Contra gibt“ von Jean-Michel Berg, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. 2. Lösungsvorschläge
schließlich zum Buchhändler meines Vertrauens gepilgert, um mir Schlinks Roman auch noch zu kaufen. Abschließend hätte ich mir mit großer Sicherheit auch noch die Verfilmung des Romans Der Vorleser im Kino angesehen – aber erst nach der Lektüre. Ich bin neugierig, zu welchem Thema Sie sich informiert haben. Aufgabe 2: . Ich ziehe zum Skifahren immer meine gefütterte Skihose, Thermounterwäsche, eine Vliesjacke und eine dünne Gore-Tex-Jacke an. Außerdem eine Wollmütze, Handschuhe und eine Skibrille. Wann waren Sie denn das letzte Mal Skifahren und was hatten Sie an? ·
Ihre persönliche Lösung sieht bei den Punkten und 2 natürlich anders aus, ich hätte so geantwortet: Ich war vor zwei Jahren das letzte Mal beim Skifahren. Ich glaube, das war in Achensee auf der Christlum. Seit der Meniskus OP im letzten Jahr muss ich etwas vorsichtig sein. Ich trage, welch ein Zufall, genau das Gleiche: gefütterte Skihose, Thermounterwäsche, eine Vliesjacke und eine dünne Gore-Tex-Jacke. Außerdem eine Wollmütze, Handschuhe und eine Skibrille.
2. Meine vierjährige Tochter macht in diesem Winter ihren ersten Skikurs. Für mich und meine Frau ist völlig klar, dass Helen, so heißt unsere Tochter, beim Skikurs einen Helm tragen wird. Was würden Sie Ihrer Tochter zum Skifahren anziehen? ·
Nicht unerwartet für Sie bestehe ich darauf, dass meine Tochter Helen beim Skifahren einen Helm trägt. Wenn die Kleinen dann mal auf der Welt sind, dann hat man sie innerhalb kürzester Zeit so lieb gewonnen, dass man keine unnötigen Risiken eingehen will. Also, Helm auf beim Rad- und Skifahren.
3. Lesen Sie den ersten Abschnitt des Artikels. Unterstreichen Sie die Namen der drei Organisationen, die sich gegen eine Helmpflicht für Skifahrer aussprechen. ·
Gegen eine Helmpflicht sind: die Tiroler Bergrettung, der Deutsche Skiverband (DSV) und der Deutsche Skilehrerverband.
4. Peter Veider von der Tiroler Bergrettung spricht sich im ersten Abschnitt gegen eine Helmpflicht für Skifahrer aus. Lesen Sie den ersten Abschnitt durch und kreuzen Sie an, welche Aussage richtig und welche falsch ist: a) Statt neuer Regeln müssen Prävention und Bewusstseinsbildung gestärkt werden Aussage a) ist richtig. b) Prävention und Bewusstseinsbildung sind nicht so wichtig wie neue Vorschriften. Aussage b) ist falsch.
Lösungsvorschläge
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5. Unterstreichen Sie im ersten Abschnitt die Wörter „Reglementierung“ und „Prävention“ und erklären Sie deren Bedeutung in eigenen Worten. ·
Im betreffenden Textabschnitt wird der Ausdruck „Reglementierung“ als Synonym für „Vorschriften“ verwendet, die das Verhalten der Skifahrer auf den Pisten regeln sollen. „Prävention“ meint im Textzusammenhang „vorbeugende Maßnahmen oder Strategien“, durch die Skifahrer lernen sollen, gar nicht erst in eine potenzielle Gefahrensituation zu geraten.
6. Schauen Sie in einem Wörterbuch nach und vergleichen Sie Ihre Erklärungen von „Reglementierung“ und „Prävention“ mit denen des Wörterbuchs. ·
Das Verb „reglementieren“ wird im Wörterbuch mit „durch genaue, strenge Vorschriften regeln“5 erklärt, das entsprechende Substantiv „Reglementierung“ als „reglementierende Handlung, Maßnahme“6 definiert.
·
„Prävention“ bedeutet „vorbeugende Maßnahmen, Vorbeugung, Verhütung“.7
7. Lesen Sie diese drei Aussagen und dann den zweiten Abschnitt. Kreuzen Sie an, ob die Aussagen richtig oder falsch sind. Richtig Falsch Das Tragen von Helmen beeinflusst das Verletzungsrisiko X beim Skifahren nicht. Der Geschäftsführer des deutschen Skilehrerverbands glaubt, dass bessere Ausrüstung für die Sicherheit der Skifahrer wichtiger ist als ihr Verhalten. Peter Hennekes hält eine Begrenzung der Höchstzahl von Skifahrern an Weihnachten, Fasching oder langen Wochenenden für sinnvoll.
X
X
8. Lesen Sie den dritten Abschnitt und tragen Sie die richtigen Zahlenangaben zum Skigebiet Wilder Kaiser in die Tabelle ein:
5 6 7 200
Fahrten der Lifte und Bahnen pro Tag
600.000
Gesamtzahl der Pistenkilometer
279 km
Beförderte Personen pro Stunde
37.00
Anzahl der Lifte
9
Anzahl der 2008/09 neu in Betrieb genommenen Bahnen
4
Duden. Deutsches Universalwörterbuch, S. 232. Ebenda, S. 232. Ebenda, S. 76. Lösungsvorschläge
9. Der folgende Lückentext fasst die Absätze 3, 4 und 5 des Artikels zusammen. Lesen Sie die Absätze 3–5 und ergänzen Sie den Lückentext sinngemäß: Das größte zusammenhängende Skigebiet Österreichs ist die Skiwelt Wilder Kaiser Brixental. Fast alle Skigebiete werden ständig ausgebaut, deshalb wird die Frage nach einem sicherheitsbedingten Ende des Kapazitätsausbaus nicht gerne gehört. Der ständige Ausbau hat für die Skifahrer folgende Auswirkungen: Sie bewegen sich mehr auf den Pisten, da sie nicht mehr so lange am Lift anstehen müssen. Dies führt zu mehr Verletzungen aufgrund von Übermüdung und räumlicher Enge auf den Abfahrten. Die Verantwortung für gefahrloses Skifahren trägt jeder Skifahrer aber selbst. Das Verletzungsrisiko für einen Skifahrer ist statistisch betrachtet sehr gering, es liegt bei 0,4 Prozent. Die Unfallzahlen sind in den vergangenen 30 Jahren um 50 Prozent zurückgegangen. Ein Grund für den Rückgang der Unfallzahlen liegt in der Präventionsarbeit der Verbände. Der zweite Grund sind Maßnahmen in den Skigebieten wie die bessere Pistenpräparation, die Entschärfung oder Markierung von Gefahrenstellen und das Errichten von Fangzäunen. Weitere Reglementierungen sind laut Michael Berner, Sicherheitsexperte des DSV, unnötig. Die zehn Verhaltensregeln des Internationalen Skiverbands reichen völlig aus. Die Skifahrer müssen stattdessen mehr Eigenverantwortung übernehmen.
Kapitel 8 Aufgabe: 1) Die geteilte Freude am Fahren 8 (Überschrift, Ressort Mobiles Leben) Lösung: In dem Artikel geht es um das Car-Sharing, d. h. eigentlich um das Car-Sharing der dritten Generation, bei dem große Anbieter nach dem „Call-a-Bike“-Vorbild der DB eine Art Kurzzeitautovermietung mit dezentraler Mietstation anbieten. 2) Die Suche nach dem Haar in der Suppe.
Warum der Audi A 6 Avant eines der weltweit besten Reiseautos ist Wer auf unseren Autobahnen unterwegs ist, kriegt den Eindruck nicht los, dass es den Deutschen nicht wirklich schlecht geht. (…)9
(Überschrift, Unterzeile und der Anfang des ersten Absatzes, Ressort Mobiles Leben) Lösung: Man würde nach den zitierten Sätzen eigentlich ein Beispiel zur Illustration der Aussage, dass es den Deutschen offensichtlich nicht so schlecht geht, erwarten. Der Autor erfüllt diese Erwartungshaltung des Lesers mit dem nachfolgenden Satz: Lauter Premium-Autos um einen herum und so viele A6 auf einmal hat man schon lange nicht mehr gesehen – meist als Kombi und flott bewegt.20 8 9 20
„Die geteilte Freude am Fahren“ von Georg Wilke, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 36. „Die Suche nach dem Haar in der Suppe“ von jre, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 36. Ebenda, S. 36. Lösungsvorschläge
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3) Klassenzimmer ohne Kreidestaub
Immer mehr Schulen nutzen elektronische Tafeln – pädagogische Wunder darf man davon nicht erwarten Von Tanjev Schultz und Birgit Taffertshofer Wer sich noch an das Gerede vom angeblich papierlosen Büro erinnert, begegnet allen technischen Verheißungen mit einer gewissen Skepsis. Jens Haase aber ist, wie er selbst sagt, ein technikaffiner Mensch. Er leitet die Grundschule an der Bäke in Berlin und wirbt für moderne Tafeln im Klassenzimmer. In diesem Schuljahr hat er „das Ende der Kreidezeit” ausgerufen: An seiner Schule haben die alten Kreidetafeln ausgedient. In jedem Raum stehen jetzt interaktive Whiteboards. (…) 2
(Überschrift, Unterzeile und der Anfang des ersten Absatzes, Ressort Schule und Hochschule) Lösung: Man würde mit großer Sicherheit zunächst eine Erklärung für den Begriff „Whiteboard“ erwarten und daran anschließend eine Beschreibung der Funktionen eines Whiteboards. Der Text geht auch genau so weiter: Das sind elektronische weiße Tafeln, die mit einem Computer verbunden sind. Die Lehrer können damit direkt ins Internet gehen, Tafelbilder mit einem elektronischen Stift zeichnen und auf Dateien speichern. Die Geräte reagieren auch auf Berührungen mit der Hand, Kinder können mit dem Finger an die Tafel schreiben. Und die Lehrer holen sich keine rissige Haut mehr von der Kreide.22
4) Italienische Sparwut
Mit der Umwandlung mehrerer Dekrete zur Hochschulpolitik in Gesetze hat das italienische Parlament in der ersten Januarwoche eine Debatte vorläufig beendet, die das Land monatelang beschäftigt hatte. Noch im November gingen Schüler und Lehrer, Studenten und Professoren gemeinsam auf die Straße. Allein in Rom protestierten 200 000 Menschen. Soziologen machten in dieser Onda, dieser Welle von Demonstrationen, bereits die Anfänge einer neuen Protestbewegung aus. Was Bildungsministerin Mariastella Gelmini als wichtigste Reform seit Jahrzehnten propagiert, nennen Kritiker schlicht bildungsfeindlich.23
(…)
(Überschrift und kompletter erster Absatz, Ressort Schule und Hochschule) Lösung: Der letzte Satz des ersten Absatzes fordert nachgerade eine Erklärung mit Beispielen. Die italienische Bildungsministerin hat offenbar eine Bildungsreform auf den Weg gebracht, die auf Kritik gestoßen ist. Jetzt möchte man als Leser natürlich wissen, wie diese Reform aussieht. Im Artikel geht es anschließend so weiter: 87 000 Stellen für Lehrer und 44 000 für das nicht unterrichtende Personal sollen in den kommenden drei Jahren an den Schulen eingespart werden. Das Geld für die Hochschulen soll bis 2014 um 1,5 Milliarden Euro zusammengestrichen werden. Die Regierung behauptet, ihr gehe es um die Reform eines Systems, das aus den Fugen geraten ist: Durch aufgeblähte Lehrkörper haben sich die Kosten für die Hochschulen seit den neunziger Jahren 2 22 23 202
„Klassenzimmer ohne Kreidestaub“ von Tanjev Schultz und Birgit Taffertshofer, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 40. Ebenda, S. 40. „Italienische Sparwut“ von Henning Klüver, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 40. Lösungsvorschläge
verdoppelt. In Celano, einer Nebenstelle der Uni Aquila, haben sich 17 Studenten für den Studiengang „agroindustrielle Ingenieurswissenschaften” eingeschrieben – sie werden von sieben Professoren betreut. In Italien gibt es 5500 Studiengänge, 37 davon mit nur einem Studenten pro Jahrgang, 33 ohne einen einzigen. Nepotismus ist weit verbreitet, Ordinarien hieven Verwandte und Freunde auf Lehrstühle. Mit neuen Regeln zur Stellenausschreibung will die Regierung das unterbinden.24
Kapitel 9 Aufgabe: Die strukturierte Textwiedergabe der ersten drei Absätze könnte so aussehen: Sinnabschnitt (Zeile –3) leitet den Artikel ein, indem er auf ein Weltereignis hinweist, das ungewöhnlicherweise in Buchläden stattfinden wird. Sinnabschnitt 2 (Z. 3–5) erläutert das in der Einleitung genannte „Weltereignis“ näher, es handelt sich um die Veröffentlichung des siebten und angeblich letzten Harry Potter Bandes. Sinnabschnitt 3 (Z. 6–0) fasst in knapper Form die inhaltlichen Grundzüge und die publizistischen Erfolgsdaten der Harry-Potter-Reihe zusammen. Dieser Abschnitt ergänzt wichtige Informationen für den Leser, der evtl. nicht mit dem Harry-Potter-Thema vertraut ist, und bestätigt aufgrund der beeindruckenden Publikationszahlen die zu Beginn des Artikels aufgestellte Behauptung vom „Weltereignis“.
Kapitel 10 Aufgabe 1: Zur Erörterungsart: Bei dieser Fragestellung handelt es sich um eine dialektische Erörterung. Sie fragt zum einen nach den Ursachen für die Beliebtheit von Mobiltelefonen bei jungen Menschen und zum anderen verlangt sie eine Beschäftigung mit den Problemen, die sich durch die Handynutzung ergeben können. Eine abschließende Entscheidung oder Stellungnahme wird nicht explizit verlangt. So sah die Gliederung in der Musterlösung aus:
24
Ebenda, S. 40. Lösungsvorschläge
203
B.
Warum sind Handys bei jungen Menschen so beliebt?
Welche Probleme können sich durch die Nutzung von Handys ergeben? 1
Gründe für die Beliebtheit von Handys bei jungen Menschen 1.1. Unkomplizierte Erreichbarkeit 1.2. Nutzung zusätzlicher technischer Funktionen 1.3. Verwendung als Unterhaltungsmittel 1.4. Mittel zur Pflege von Kontakten 1.5. Wichtiges Statussymbol
2
Probleme, die sich mit der Nutzung eines Handys ergeben können 2.1. Bedeutender Kostenfaktor 2.2. Störfaktor in der Öffentlichkeit und in der Schule 2.3. Kontrolle durch ständige Erreichbarkeit 2.4. Gesundheitliche Risiken 2.5. Abhängigkeit und suchtähnliches Verhalten 25
Aufgabe 2: Sie müssen nicht auf den gleichen Schlussgedanken wie der Verfasser der Musterlösung gekommen sein, denn Sie hatten ja lediglich die Gliederung als Vorlage, die noch nichts über eine eventuell durch den Autor vorgenommene inhaltliche Gewichtung einzelner Pro- oder Kontra-Argumente im ausformulierten Aufsatz aussagt. Die Musterlösung für den Schlussteil C sah im Lösungsbuch jedenfalls so aus: Auch wenn eine Einheitskleidung für die Schule Ausgrenzung und Hänseleien aufgrund von Kleidung vermeiden hilft und dazu dient, mehr Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln, stellt sie für mich einen erheblichen Eingriff in mein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit dar. Ich fühle mich bevormundet, wenn mir die Schule vorschreibt, was ich an jedem Morgen anzuziehen habe. Dabei geht es mir nicht darum, ein bestimmtes Markenlogo zu präsentieren, sondern mein „Outfit“ eigenverantwortlich auszuwählen.26
25 26 204
Realschule 200. Abschluss-Prüfungsaufgaben mit Lösungen. Deutsch. Bayern 2004-2008, D 2006-20. Ebenda, D 2007-2. Lösungsvorschläge
Kapitel 11 Aufgabe 1: Dass das über 00 Jahre alte Patrizierhaus nach dem Großbrand überhaupt noch steht, grenzt an ein Wunder. Das Feuer, das im Erdgeschoss ausbrach, breitete sich so rasch aus, dass viele der Mieter nach oben auf das Dach des Hauses fliehen mussten. Es ist dem umsichtigen Verhalten des Hausmeisters zuzuschreiben, dass dabei keiner der Mieter verletzt wurde. Der ehemalige Feuerwehrmann sorgte dafür, dass die Bewohner der oberen Stockwerke bei ihrer geordneten Flucht auf das Dach die Türen und Fenster ihrer Wohnungen fest verschlossen, so dass sich die Ausbreitung des Brandes verzögerte. Er hoffe, das Haus müsse nicht abgerissen werden, äußerte sich der beherzte Retter nach den Löscharbeiten der Feuerwehr gegenüber der Lokalpresse. Er hoffe vielmehr sogar, dass der Besitzer die Chance ergreifen würde, das ehrwürdige Bürgerhaus aus dem 7. Jahrhundert in seiner ursprünglichen Fachwerkpracht wiederherstellen zu lassen. Der Eigentümer, der das Haus erst vor wenigen Jahren erworben hatte, meinte auf Rückfrage, das sei eine Anregung, über die er gerne nachdenken werde. Er meinte aber auch, dass in Anbetracht des maroden Zustands, in dem sich das Haus schon seit vielen Jahren befunden hätte, eine Komplettsanierung unter Umständen nicht mehr sinnvoll und möglich sein könnte.
Aufgabe 2: . „Was gibts Neues?“, fragte Carla, als ich sie beim Friseur traf. 2. Wie viele ICEs fahren täglich von München nach Dortmund? 3. Ich fahr jetzt gleich zu Dieter rüber. 4. Ich spar lieber Energie und renn zu Dieter rüber. 5. Ich komm gleich. 6. Hast du dirs schon überlegt, ob du mitfahrn willst? Ja, ich glaub, ich bleib lieber hier auf ’m Sofa liegen und schau mir Vinzenz‘ Hausaufgaben noch einmal an. 7. Ich ruf jetzt bei Gregor an, der kennt sich beim kantschen kategorischen Imperativ noch am besten von uns aus. 8. Möchtest du wirklich noch ‘ne Maß Bier? Nein, ich glaub, ich hab g’nug, ich bins einfach nicht mehr so gewöhnt. 9. Ich sammle schnell noch Helens Bauklötze auf. 0. Sie schrien aus Leibeskräften. Ein allgemeiner Zusatz zu den Lösungen: Sie müssen das auslautende -e (wie in Beispiel 9) natürlich nicht weglassen, sie dürfen es gerne auch anhängen und „fahre“, spare“, komme“, „rufe“ schreiben, wozu ich Ihnen sogar raten würde. Das Weglassen des auslautenden -e ist kein Fehler, wirkt aber umgangssprachlich. Lösungsvorschläge
205
Als Zusatzinformation habe ich hier noch den Grund für Sie, warum in Beispiel 9 aus „sammeln“ „sammle“ wird. Bei Verben auf -eln wird in der Regel das e dieser Silbe weggelassen: ich sammle (statt: sammele), ich wechsle (statt: wechsele) das Geld, ich schummle (statt: schummele) nicht. Das Endungs-e ist in solchen Fällen allerdings obligatorisch. Formen wie ich sammel oder ich wechsel kommen zwar in der Alltagssprache vor, gelten aber als nicht standardsprachlich. Verben auf -ern wie blättern, schlenkern behalten das e dieser Silbe dagegen gewöhnlich bei: ich blättere, ich schlenkere.27
Und noch zum Schluss die ergänzende Information, wo im Beispiel 0 eigentlich das zweite -e geblieben ist, denn eigentlich müsste man nach dem Infinitiv „schreien“ „schrieen“ in der 3. Person Plural Indikativ des Präteritums erwarten. Das e der Endung -en in der 1. und 3. Person Plural Indikativ des Präsens Aktiv sowie des Konjunktivs I kann nach Vokal oder h wegfallen; dies geschieht vor allem in der Literatur aus vers- und satzrhythmischen Gründen und in der (gesprochenen) Umgangssprache. Nach -ie wird es nicht geschrieben, es fällt also in der 1. und 3. Person Plural Indikativ des Präteritums Aktiv sowie des Konjunktivs II und im Partizip II weg: wir (sie) schrien (statt: schrieen), wir (sie) fliehn / flohn / flöhn (statt: fliehen / flohen / flöhen); wir (sie) knien, schrien. In diesen Fällen wird kein Apostroph gesetzt.28
Aufgabe 3: Schreibweise
Alternative Schreibweise
. Abc-Schütze
Abeceschütze
2. Abdrosselung
Abdrosslung
3. Albtraum
Alptraum
4. Baggypants
Baggy Pants
5. blaufärben
blau färben
6. Black-out
Blackout
7. langersehnt
lang ersehnt
8. Mayonnaise
Majonäse
9. Maläse
Malaise
0. recht haben
Recht haben
. stromsparend
Strom sparend
2. strenggenommen
streng genommen
27 28 206
Duden Newsletter vom 9.0.2007: http://www.duden.de/deutsche_sprache/sprachberatung/newsletter/archiv. php?suchwort=schummele&id=83 Ebenda. Lösungsvorschläge
Schreibweise
Alternative Schreibweise
3. tschüss
tschüs
4. Thunfisch
Tunfisch
5. wahrmachen
wahr machen
6. Die zwanziger Jahre
Die Zwanzigerjahre
Lösungen Kapitel 12 Aufgabe: Bei der Bearbeitung dieser Aufgabe ist Ihnen vielleicht etwas klarer geworden, wozu man als Autor überhaupt verschiedene Erzählperspektiven braucht. Die Wahl der Perspektive macht schon einen gewaltigen Unterschied z. B. auch bei der emotionalen Anteilnahme des Lesers aus. Jack the Ripper, der als Ich-Erzähler über die Prostituiertenmorde 888 im Londoner Stadtteil Whitechapel erzählt, könnte dem Leser durchaus ans Herz wachsen. Auch Mörder haben Gefühle und ihren Hund lieb, formuliere ich mal plakativ. Wenn ich als Autor also die Absicht hätte, meinen Lesern zu zeigen, wie leicht der Mensch an und für sich emotional manipulierbar ist, dann würde ich mit Jack the Ripper als Ich-Erzähler einen Roman schreiben, in dem die Hauptfigur so nachvollziehbar und anrührend über seine Sorgen und Nöte berichtet, dass er den Lesern am Ende der 500 Seiten so richtig ans Herz gewachsen ist und die fünf Morde nicht weiter stören. Aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers wäre die Erzeugung einer solchen emotionalen Verbundenheit fast unmöglich, dafür könnte man in dieser Form einen sehr distanzierten kritischen Roman über den Frauenmörder schreiben. Die personale Perspektive würde ich wählen, wenn es mir darauf ankäme, ein möglichst abschreckendes Bild des im Übrigen nie gefassten Mörders zu zeichnen und die ganze Brutalität seiner Taten darzustellen. Die personale Perspektive lässt den Leser wie durch die Augen seiner Hauptfigur blicken, kann sich aber trotzdem leichter vom Protagonisten distanzieren als ein Ich-Erzähler.
Kapitel 13, 14 und 15 Aufgaben: Ich hoffe, dass Ihnen der Roman Der Vorleser, die Gedichte von Fried, die Werke von Wedekind, Goethe, Rafik Schami sowie Michael Endes Momo so gut gefallen haben wie mir. Und ich wünsche mir, dass Sie nicht den Eindruck hatten, kostbare Lebenszeit zu vergeuden, sondern gegenteilig empfunden haben. Lösungsvorschläge
207
Quellenverzeichnis
208
S. 6
Abbildung „Das Quadrat der Nachricht“ aus Friedemann Schulz von Thun, „Miteinander reden . Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation“ Copyright © 98 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
S. 6
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S. 46
Duden – Reden gut und richtig halten. 3., vollständig neu erarbeitete Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. © Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2004
S. 74, 97
Walter von La Roche: Einführung in den praktischen Journalismus © 999 List Verlag in der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
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Duden – Die Grammatik. 6., vollständig neu erarbeitete Auflage Herausgegeben von der Dudenredaktion. © Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 998
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Fachabitur-Prüfungen FOS/BOS 2 – Deutsch Bayern 2009, Freising, © Stark Verlag 2008
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Achhammer/Barinsky/Gebhardt: Training Realschule. Deutsch – Erörterung und Textgebundener Aufsatz, Freising, © Stark Verlag 997, überarbeitete Auflage 2006
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Abschluss-Prüfungen Realschule – Deutsch Bayern 2009, Freising, © Stark Verlag 2008
S. 32, 39
Duden – Die deutsche Rechtschreibung. 24., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. © Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2006
S. 35
Newsletter der Duden-Sprachberatung 5.09.2000
S. 36
Newsletter der Duden-Sprachberatung 29.06.200
S. 43
Thomas Brussig, Helden wie wir. © Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, 998
Quellenverzeichnis
S. 44
Daniel Defoe, Robinson Crusoe Die Rechte an der deutschen Übersetzung von Sybil Gräfin Schönfeldt liegen beim cbj Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
S. 44
Mary Shelley, Frankenstein oder Der moderne Prometheus © 2006 Patmos Verlag GmbH & Co KG / Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf.
S. 45
Bram Stoker, Dracula © 993 Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach Übersetzung aus dem Englischen von Bernhard Willms
S. 45, 53
Monika Maron, Animal Triste. © S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 996
S. 48
Daniel Kehlmann, „Die Vermessung der Welt“, Copyright © 2005 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
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Bernhard Schlink Der Vorleser © 995 Diogenes Verlag AG Zürich
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S. 82, 83, 84, 85
Michael Ende, Momo © 973 by Thienemann Verlag (Thienemann Verlag GmbH), Stuttgart – Wien.
S. 206
Newsletter der Duden-Sprachberatung 9.0.2007
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Literaturverzeichnis
Zeitungsartikel (chronologisch): • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
„Die Kultur der Kopisten“ von Andrian Kreye, in: Süddeutsche Zeitung vom 03..2003, S. 3. „Harry Potter. Die Welt liest“ von Susanne Gaschke, Die Zeit vom .07.2007, S. . „Ich google, also bin ich“ von Alexander Stirn, in: Süddeutsche Zeitung, 06./07.09.2008, S. 22. „Häng, häng, häng!“ von Evelyn Roll, in: Süddeutsche Zeitung vom 09.2. 2008, S. 7. „Bayern lacht!“, in: Bild-Zeitung, Ausgabe München, vom 20.2.2008, S. . „Terrorist Klar frei!“, in: Bild-Zeitung, Ausgabe München, vom 20.2.2008, S. . „ FC Bayern trifft auf Sporting Lissabon“, in: Süddeutsche Zeitung vom 20./2.2.2008, S. . „Christian Klar ist frei“ von Bernd Dörries, in: Süddeutsche Zeitung vom 20./2.2.2008, S. . „Die EU knipst das Licht aus“ von Christopher Schrader, in: Süddeutsche Zeitung vom 3.2.08/0.0.2009, S. 8. „Der zweite Atem“ von Werner Bartens, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2008, S. 6. „Die geteilte Freude am Fahren“ von Georg Wilke, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 36. „Die H-Frage und die Freiheit“ von Birgit Lutz-Temsch, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 35. „Die Suche nach dem Haar in der Suppe“ von jre, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 36. „Italienische Sparwut“ von Henning Klüver, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 40. „Klassenzimmer ohne Kreidestaub“ von Tanjev Schultz und Birgit Taffertshofer, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 40. „Kleiner Erfolg, großes Problem“ von Nico Fried, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 4. „Unterricht mit Grips“ von lion, in: Süddeutsche Zeitung vom 2.0.2009, S. 4. „Europäer wollen Finanzsystem überwachen“ von Thomas Öchsner, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. . „Stimmübungen für den gemeinsamen Chor“ von Daniel Brösler, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. 3. „Absturz Ost“ von Thomas Urban, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. 4. „Die Hauptergebnisse des Berliner Gipfels“ von dpa, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. 5. „Deutschland, deine Superstars“ von Andrian Kreye, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. 9. „Ein unverfänglicher Name“ von Stefan Koldehoff, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. 0. „Wie man einer Fugen-Komposition Contra gibt“ von Jean-Michel Berg, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2009, S. 2.
Literaturverzeichnis
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Register Absatz Abschlussprüfung Adjektiv Adverbialsatz Akzent Allgemeinplatz alphabetisch Analyse, sprachliche Anrede Apostroph ~ bei Abkürzungen ~ bei Auslassungen Appellaspekt ARD Argument Argumentation Aussprache Authentizität Autobiografie Autor (Journalismus) Autor (Roman) Bayerische Staatsbibliothek (BSB) Bedeutung von Wörtern Bedeutungsvielfalt von Wörtern Begründung Beispiel Bericht Betonung Beziehungsaspekt Bibliothek Bibliotheksrecherche ~ online Bildschnitt Brainstorming Briefroman Brussig, Thomas Bürgerliche Moral-Vorstellung Darstellungsform journalistische ~ Das/dass Defoe, Daniel Deutsche Nationalbibliothek (DNB) Diskussion Diskussionsleiter 26
Register
S. 92 f. S. 05 f. S. 73 S. 60 ff. S. 5 S. 40 S. 38 S. 2 S. 44 S. 35 ff. S. 36 S. 36 S. 6 f. S. 29 S. 46, S. 59 ff, 3, 9, 20, 25, 27 f. S. 60 f., 28 S. 5 S. 45, 59 f. S. 43, 60 S. 92, 0, 06 f., S. 43, 46, 49, 5 ff., 60 S. 20, 42 S. 9 S. 0 ff. S. 95, 09, 3, 8, 27 S. 24, 27 f. S. 34, 68 S. 5 S. 6 ff. S. 24 S. 9 ff. S. 9 ff. S. 3 S. 20 f. S. 72 f. S. 43, 52 S. 70 S. 34 ff., 68 ff. S. 32 S. 43, 52 S. 20, 24 f. S. 47 ff. S. 4, 48
Diskussionsteilnehmer Dramatik Dritte Programme Duale Rundfunkordnung Dumas, Alexandre Einschränkung Thematische ~ Ende, Michael Entscheidung Epik Ereignis-Informations-Kette Erörterung dialektische ~ Einleitung der ~ Gliederung der ~ Hauptteil der ~ numerische Gliederung der ~ lineare ~ steigernde ~ Pro-und-Kontra- ~ Erörterungsart Erzähler auktorialer ~ Ich- ~ personaler ~ Erzählperspektive Exzerpieren Feature Feuilleton Finalsatz Folgerung Formulieren Frage rhetorische ~ Verständnis~ Fremdwort Fried, Erich Gedankenwelt Gedicht Gesellschaftliche Wirklichkeit Gespräch Einstieg in ein ~ Gesprächsgestaltung Glaubwürdigkeit Glosse Goethe, Johann Wolfgang von Goetz, Rainald Google-Suche erweiterte ~
S. 48, 7 S. 65 S. 29 S. 29 f. S. 46, 52 S. 9 S. 8 f. S. 3, S. 9 S. 65 S. 36 S. 6 S. 8 S. 24, 26 S. 23 ff. S. 24, 27 f. S. 25 S. 8 S. 8 S. 8 f., 28 S. 8 ff. S. 45 ff. S. 43 ff., 59 ff., 72 S. 47 f. S. 43 ff., 52, 72 S. 25 S. 34, 68 S. 75 S. 6 S. 27 S. 46 f., 53 ff. S. 56 S. 56 S. 46, 74 S. 65 S. 53 S. 65 ff. S. 77 S. 3 f., 34, 49 f., 68 S. 55 ff. S. 49 f. S. 42 f., 63, 72 S. 35, 68 S. 8 f., 53, 83, 7 f., 77 S. 77 f. S. 8 S. 8 f.
Register
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Grammatikprüfung ~ durch Software Großschreibung Information mediale ~ Informationsfreiheit Informationsrede Inhaltsangabe ~ in Thesenform Interesse Interpretieren Interview Ironie Journalismus Journalist Joyce, James Katalogisierung Kausalsatz Kehlmann, Daniel Kleinschreibung Körpersprache Kommentar Kommunikation nonverbale ~ Probleme bei der ~ zwischenmenschliche ~ Konditionalsatz Konjunktion Konnotation Konsekutivsatz Kontext Kontext-Bezug Konzessivsatz Korrespondentenbericht Kritik Lautstärke Lesekompetenz Leseverstehen detailliertes ~ gezieltes ~ globales ~ Liebe Literatur Literaturverzeichnis Lobrede Lyrik Magnetaufzeichnung (MAZ) Maron, Monika Massenmedien May, Karl 28
Register
S. 3 f. S. 93 S. 30, 36 f. S. 29 S. 40 S. 09 ff. S. 2 f., 45, 55, 8 f., 84, 26 S. 7 f. S. 34, 68 S. 66 f. S. 34, 70 S. 34 ff., 68, 70, 72 S. 5, 53 S. 24 S. 60 S. 47, 52 S. 93 S. 47 S. 35, 67 f. S. 5 ff. S. ff. S. 9 ff. S. 5 ff. S. 6, 92 ff. S. 60 ff., 94 f., 08, 28 S. 0, 54 ff. S. 6 f. S. 8 S. 84 f. S. 6 S. 34, 68 S. 75 ff. S. 5 S. 80 S. 79 S. 83 ff., 08 S. 83, 85, 08 S. 83, 85 S. 65 ff. S. 65, 77 S. 25 S. 40 f. S. 65, 67 S. 32 S. 45, 52 f. S. 28 f. S. 42 f., 49
Medienkompetenz Mediennutzer Medienvielfalt Meinung Meinungsfreiheit Meinungsvielfalt Metapher Motivation Nachricht Nachrichtenagentur Nachrichtenaspekt Nachrichtenwert Nationalsozialistische Vergangenheit nonverbal Oberbegriff objektiv OPAC Quadrat der Nachricht Quellenangaben bibliographische ~ Pressefreiheit Prosodie Protagonist Protokoll Pro-und-Kontra-Methode Reality-Sendung Recherche Aufgabenstellung der ~ Auswertung der ~ ~ online Rechtschreibempfehlung Rechtschreibfehler Rechtschreibprüfung ~ durch Software Redakteur Redaktion Rede direkte ~ Einleitung der ~ Gliederung der ~ Hauptteil der ~ indirekte ~ Schluss der ~ Redeabsicht Redezeit Referat Reportage Ressort Rezension Rezeptionsgeschichte
S. 30 f. S. 30, 35 f., 68 S. 29 f. S. 29 f., 35 f., 4ff., 59, 67 ff., 75, 06, 27 S. 29 f. S. 30 S. 47, 54, 74 S. 8 f., 84 ff. S. 34 ff., S. 67 ff. S. 36, 7 S. 6 ff. S. 69 S. 62 f. S. , 4, 8, ff., 67 S. 22 f., 25 S. 34 ff., 46, 68, 70 ff., 75, 77, 06, 20 S. 20 S. 6 ff. S. 7, 23, 85, 06 f. S. 25 S. 29 S. 50 S. 52 S. 49 S. 42 f., S. 60 f. S. 3 S. 6 ff. S. 7 S. 2 f. S. 7 ff. S. 39 S. 34 S. 33 ff. S. 34 S. 7 S. 4 S. 47, 52 S. 44 f. S. 45 S. 45 f. S. 52 S. 46 S. 43 S. 42 f. S. 25, 40 ff., 55 f., 59 S. 34, S. 68 S. 7 S. 35, 68 S. 55 f., 65, 7 f., Register
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Rhetorik Roman Figuren des ~ Handlung des ~ Ort des ~ Sprache des ~ Zeit des ~ Rückblick Sachinhalt Satz Haupt ~ Länge des ~ Neben ~ Satzzeichen Schami, Rafik Schlagwort Schlink, Bernhard Schopenhauer, Arthur Sekundärliteratur Selbstoffenbarungsaspekt Sender-Empfänger-Modell Shakespeare, William Shelly, Mary Sprachkenntnis Sprache Sprachstil journalistischer ~ Sprechgeschwindigkeit Sprechpausen Standpunkt Stellungnahme Stichwort Stimmlage Stoffordnung Stoffsammlung Stoker, Bram subjektiv Substantiv Suchbegriff Themafrage Themenstellung These Text journalistischer ~ Textsorte Textverstehen Textwiedergabe, strukturierte Text-Zusammenfassung Tonfall Top-Down-Lesestrategie 220
Register
S. 39 f. S. 43, 47, 49 ff. S. 52 S. 46, 5 ff. S. 49 f. S. 52 f. S. 50 f. S. 46 f., 60 S. 6 ff. S. 72, 94 f., 08 S. 72 f. S. 72, 94 f., 08 S. 93 f., 08 S. 78 f. S. 20 S. 55 f. S. 90, 69 S. 24 S. 6 ff. S. 6 S. 65 S. 43, 49, 52 S. 80 f., 93 S. 52 f. S. 72 ff. S. 5 S. 5 S. 42 f. S. 2 ff., 20, 22, 25, 28 S. 38 S. 5 S. 22 f. S. 4 f., 20, 22 f. S. 43, 52 S. 35 f., 4, 49, 68, 7 f., 75, 06 S. 47, 73, 93 S. 20 S. 55 f., 9, 24, 26 S. 20 ff. S. 46, 60 f., 27 f., S. 06 f. S. 67 f., 78, 8, 85 S. 95 S. 09 ff. S. 99 ff. S. 5 S. 84
TV-Schnitt Überleitung Überschrift Übertreibung Überzeugungsrede Umlaut Unterbegriff Verb verbal Verständigung Vortrag Vorwissen Wedekind, Franz W-Fragen Wikipedia Wörterbuch Benutzerhinweise für ein ~ Wortspiele ZDF Zeitung Zitat Zwischenüberschrift
S. 32 f. S. 26 f. S. 67, 7, 82, 99, 0 f. 04, 06 f. S. 47 S. 40 f. S. 38 S. 23, 25 S. 47, 60, 73, 93 S. 5, 7, 0 f., 4 S. 4 S. 4 S. 80 ff., 85, 06 f., 3, 20 S. 67 f. S. 2 f. S. 23 S. 38 ff. S. 39 S. 47 S. 29 S. 36, 42, 7 f., 8 S. 45, 56 ff. S. 82, 99, 04, 06 f., 26
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