Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens im Dialog - Connecting Science and Knowledge: Schauplätze der Forschung - Scenes of Research 9783737001717, 9783847101710, 9783847001713


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Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens im Dialog - Connecting Science and Knowledge: Schauplätze der Forschung - Scenes of Research
 9783737001717, 9783847101710, 9783847001713

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Kaspar von Greyerz / Silvia Flubacher / Philipp Senn (Hg.)

Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens im Dialog – Connecting Science and Knowledge Schauplätze der Forschung – Scenes of Research

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0171-0 ISBN 978-3-8470-0171-3 (E-Book) Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft, Basel. Ó 2013, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Maria Sibylla Merian: Das kleine Buch der Tropenwunder. Kolorierte Stiche. Leipzig 1935, S. 17. Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kaspar von Greyerz, Silvia Flubacher, Philipp Senn Einführung. Schauplätze wissensgeschichtlicher Forschung . . . . . . . .

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Experten, Laien und die Neue Wissenschaft – Experts, lay people and the new science Emma C. Spary Kennerschaft versus chemische Expertise. Was es im Paris des 18. Jahrhunderts über Nahrungsmittel zu wissen gab . . . . . . . . . . .

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Andrew Wear Popular Medicine and the New Science in England. Cross Roads or Merging Lanes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anne-Charlott Trepp Die „Lust“ am Gewöhnlichen. Emotionen als Scharnier laienhafter und wissenschaftlicher Wissenskulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Marion Baumann Heimweh – eine Frage des Luftdrucks? Zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Heimweh bei Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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“Epistemische Genres”: Populäre und gelehrte Wissensformate – “Epistemic genres”: Popular and learned forms of knowledge Gianna Pomata The Recipe and the Case. Epistemic Genres and the Dynamics of Cognitive Practices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

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Inhalt

Flemming Schock Enzyklopädie, Kalender, Wochenblatt. Wissenspopularisierung und Medienwandel im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Simona Boscani Leoni Queries and Questionnaires. Collecting Local and Popular Knowledge in 17th and 18th Century Europe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

Bäderkunde – Balneology Frank Fürbeth Adaptationen gelehrten Wissens für laikale Zwecke in der Bäderheilkunde der frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Ute Lotz-Heumann Finding a Cure. Representations of Holy Wells and Healing Waters in Early Modern Germany . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Philipp Senn Forscher vor Ort. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733), Bündner Gönner und die Balneologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

Tierkunde – Animal Worlds Brian W. Ogilvie Beasts, Birds, and Insects. Folkbiology and Early Modern Classification of Insects . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Fabian Krämer Why There Was No Centaur in Eighteenth-Century London. The Vulgar As a Cognitive Category in Enlightenment Europe . . . . . . . . . . . . . 317 Silvia Flubacher Alpen-Tiere. Lokale Wissenswelten in der schweizerischen Naturgeschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Personenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383

Vorwort

Der vorliegende Band vereinigt Beiträge, die an einem internationalen Werkstatt-Gespräch zum Thema „At the Crossroads of Popular Knowledge and Science“ präsentiert wurden, das die Herausgeber vom 27. bis 29. Oktober 2011 in der Tagungsstätte Leuenberg (Kanton Basel-Landschaft) durchführten. Die Beiträge liegen hier in überarbeiteten Fassungen vor, in denen Anregungen aus der Tagungsdiskussion mit aufgenommen worden sind, und werfen Schlaglichter auf die aktuelle Forschung im Bereich der Wissenschafts- und Wissensgeschichte. Im Anschluss an den Workshop haben sich außerdem dankenswerter Weise Marion Baumann und Ute Lotz-Heumann bereit erklärt, zusätzliche Beiträge beizusteuern, die den Band in thematischer Hinsicht abrunden. Das Werkstatt-Gespräch fand im Rahmen des durch den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) 2010–2013 finanzierten Forschungsprojekts „Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens im Dialog“ statt. Für die Unterstützung des Workshops danken wir an dieser Stelle dem SNF, der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft (Basel), der Max Geldner-Stiftung sowie der Basel Graduate School of History. Für die Mitarbeit in der Vorbereitung der Drucklegung danken wir Martina Roder und nicht zuletzt auch dem Verlag V& R unipress, insbesondere Frau Ruth Vachek. Für die finanzielle Unterstützung des Drucks sind wir der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft zu Dank verpflichtet. Basel, im Mai 2013

Die Herausgeber

Kaspar von Greyerz, Silvia Flubacher, Philipp Senn

Einführung. Schauplätze wissensgeschichtlicher Forschung „Jch wil hiemit […] alle in allen Ständen gelehrte Männer, alle von Edlem Geblüth entsprossene special-Liebhaber der Jagden, ja auch alle, auch gemeinste Leuth, so mit der Natur viel umgehen, und durch sie ihre Nahrung suchen, als da sind Fischer, Hirten, Sennen, Einwohner der Alpen, Baursleuth, Kräuter- und Wurtzengraberen, [auffordern,] daß alle zu ihrem, und des Vatterlands Lob allerhand Gattungen natürlicher Begebenheiten, oder Observationen von allen Orten her zusamen suchen […].“ Johann Jakob Scheuchzer 16991

Die frühneuzeitliche Naturgeschichtsschreibung richtete sich nicht nur an gelehrte Zeitgenossen, sondern insbesondere auch an ein populares Publikum.2 Umgekehrt traten populare Wissensträger wie Bauern, Jäger oder Fischer zunehmend als Informanten der gelehrten Naturforscher in Erscheinung. Während die ältere Wissenschaftsgeschichte sich allenfalls für die Popularisierung gelehrten Wissens „von oben nach unten“ interessierte, nahm die jüngere, zur Wissensgeschichte erweiterte Forschung vermehrt den Austausch zwischen gelehrten und popularen Wissenskulturen in den Blick. Das gegenwärtige Interesse an den Ursprüngen, Organisationsformen und Auswirkungen von Wissensgesellschaften und Wissenskulturen ist im Wesentlichen ein Resultat der Öffnung der Wissenschaftsgeschichte hin zu Fragestellungen der Sozial- und Kulturgeschichte.3 Dieser Wandel vollzog sich in den 1980er und 1990er Jahren.4 Er wird heute – etwas verkürzt – auf die Ablösung 1 Johann Jakob Scheuchzer : Einladungs-Brief, zu Erforschung natürlicher Wunderen, so sich im Schweitzer-Land befinden. [Zürich 1699], S. 2. 2 Die Begriffe „gelehrt“ und „popular“ sollen jedoch nicht absolut verwendet werden, sondern verschiedene Personengruppen einbeziehen: Virtuosi, Experten, Handwerker, Frauen, Bauern etc. Unter „gelehrt“ werden mehrheitlich universitär ausgebildete Personen verstanden. Zwischen „gelehrt“ und „popular“ existiert ein weites Spektrum an Mittlerpersonen, wie beispielsweise universitäre, aber fachfremde Personen oder handwerklich ausgebildete Fachexperten. Der begriffliche Facettenreichtum wird auch aus den folgenden Beiträgen deutlich. 3 Zur Bedeutung der Wissensgesellschaft für die neuere Wissensgeschichte vgl. Marian Füssel: Auf dem Weg zur Wissensgesellschaft. In: Zeitschrift für Historische Forschung 34 (2007), S. 272 – 289. 4 Wegweisend war die sozialgeschichtlich orientierte Studie von Shapin und Schaffer : Steven Shapin, Simon Schaffer : Leviathan and the Air-Pump: Hobbes, Boyle, and the Experimental

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Einführung

eines internalistischen, in manchen Fällen disziplinenspezifischen Zugangs zur Wissenschaftsgeschichte, durch einen sog. externalistischen Zugang zurückgeführt.5 In der Tat konnte noch in den späten 1960er Jahren der namhafte französische Wissenschaftstheoretiker Georges Canguilhem den Externalismus als armselige, marxistische Verwässerung der Wissenschaftsgeschichte bezeichnen,6 und Imre Lakatos charakterisierte aus vergleichbaren Beweggründen den im 17. Jahrhundert über England hinaus einflussreichen Naturphilosophen Francis Bacon (1561 – 1626) als wissenschaftlichen Scharlatan.7 Die beiden Beispiele liessen sich leicht vermehren.

Wissen: „Gesunkenes Kulturgut“? Trotz der Überwindung des akademischen Monopols einer auf disziplinenspezifische Fortschrittsgeschichten verpflichteten, in vielen Fällen positivistischen Herangehensweise, hält sich bis heute mancherorts die Meinung, das wissenschaftliche Neue breche sich ganz von selbst, aufgrund der ihm innewohnenden Überzeugungskraft, seine Bahn und bedürfe daher keiner speziellen Vebreitungsrhetorik geschweige denn institutioneller Förderung. Es genügt, auf die Geschichte des Kopernikanismus vom 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert hinzuweisen, um diese Meinung aus historischer Sicht als Fehlurteil zu entlarven. Das Stichwort Kopernikanismus macht deutlich, dass das wissenschaftlich Neue im angesprochenen Zeitraum zum Beispiel der religiösen bzw. religionspolitischen Legitimation bedurfte. Francis Bacon griff dieses Thema in seinem Advancement of Learning (1605) auf und Bernard de Fontenelle sah sich in seinen Unterhaltungen über die Pluralität der Welten genötigt, mögliche BlasphemieVorwürfe wegen seiner Erwähnung von Menschen nicht-adamitischer Abstammung auf dem Mond mit dem Hinweis auf die Lizenz schriftstellerischer Imagination beiseite zu wischen. Life. Princeton 1985. Zur Kulturgeschichte des Wissens vgl. Margaret C. Jacob: The Cultural Meaning of the Scientific Revolution. Philadelphia 1988; Andrew Pickering: Science as Practice and Culture. Chicago 1992; Peter Dear : Cultural History of Science. An Overview with Reflections. In: Science, Technology, & Human Values 20 (1995), S. 150 – 170. 5 Vgl. Jan Golinski: Making Natural Knowledge. Constructivism and the History of Science. Chicago 2005. 6 Georges Canguilhem: Der Gegenstand der Wissenschaftsgeschichte. In: ders.: Wissenschaftsgeschichte und Epistemologie. Gesammelte Aufsätze, hg. von Wolf Lepenies. Frankfurt a. M. 1979, S. 22 – 37, hier S. 27 f. 7 Er bezeichnet Bacon als einen „confused and inconsistent thinker“ und kanzelt Bacon von der hohen Warte des Wissenschaftstheoretikers als jemand ab, der überhaupt nur von „provincial and illiterate scholars“ rezipiert worden sei. Zit. nach Brian Vickers: Francis Bacon and the Progress of Knowledge. In: Journal of the History of Ideas 53 (1992), S. 511.

Einführung. Schauplätze wissensgeschichtlicher Forschung

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Wo es um mehr als um imaginierte Menschen auf dem Mond ging, liess sich das Legitimationsproblem allerdings nicht so leicht beseitigen. Es gab also einen engen Zusammenhang zwischen religiösem Wissen und Wissenschaft; Zeitgenossen war dies sehr wohl bewusst, nicht nur Bacon und Fontenelle, sondern insbesondere auch Isaak Newton und seinen Mitstreitern: Wie liess sich das herkömmliche Bild eines allgewaltigen Gottes, eines göttlichen Pantocrator, an den Newton mit Überzeugung glaubte, in die neue Zeit der Gravitationslehre hinüberretten? Der Boden für die Rezeption der Gravitationslehre durch die Virtuosi und Gebildeten, so die Einsicht der Newtonianer, bedurfte der rhetorischen Bestellung, Beackerung und Bearbeitung. Wissenschaft braucht ein gesellschaftlich-kulturelles Fundament. Die Einsicht in die Notwendigkeit, den Erfolg der Neuen Wissenschaft in einem Konsens innerhalb der Bildungsschichten zu verankern, nahm seit der Mitte des 17. Jahrhunderts mit der Gründung der ersten grösseren, naturphilosophisch ausgerichteten Sozietäten zu. Das Aufkommen gelehrter Zeitschriften (Philosophical Transactions der Royal Society, Journal des SÅavans, Miscellanea der deutschen Leopoldina, Acta Eruditorum) zeugt davon. Auf einen soziokulturellen Konsens wirkten ebenso, freilich auf einer anderen Ebene, Popularisierungsversuche wie die Entretiens sur la pluralit¦ des mondes eines Bernard de Fontenelle hin. Buffons ab 1749 bis zu seinem Tod im Jahre 1788 in 36 Bänden erschienene Histoire naturelle wurde dann über viele Jahre hinweg zu einer Art Bestseller innerhalb der europäischen Bildungsschichten.8 Wie die Übersetzungen der Entretiens Fontenelles in verschiedene europäische Sprachen zeigen, waren solche Initiativen nur erfolgreich, wenn sie sich nicht der lateinischen Gelehrtensprache bedienten. Vorläufer in diesem Bereich waren Paracelsus’ muttersprachliche Vorlesungen in den späten 1520er Jahren an der Universität Basel, die damals von manchen als skandalös empfunden wurden. Aber wir sollten die Innovationskraft Hohenheims nicht überschätzen, denn dessen Rückgriff auf die Muttersprache stand in der Tradition einer „Menge deutschsprachiger Handschriften und Drucke medizinisch-naturkundlichen Inhaltes aus vorparacelsischer und paracelsischer Zeit.“9 In einem lateinischen Gedicht ¢ eine Apologie des Paracelsus ¢ schrieb der Engländer Thomas Moffet 1585, Paracelsus habe sich in der Tat mehr auf Deutsch als in Latein artikuliert; aber habe sich nicht auch Hippokrates in griechischer 8 Buffon war nicht nur ,Popularisierer‘, sondern auch ein Vertreter des transformisme und damit ein Wegbereiter des Evolutionsgedankens. Vgl. Jacques Roger : Buffon et le transformisme. In: ders.: Pour une histoire des sciences — part entiÀre. Paris 1995, S. 272 – 286; Denis Buican, C¦dric Grimoult: L’¦volution. Histoire et controverses. Paris 2011, Kap. 3 (S. 33 – 69). 9 Joachim Telle: Die Schreibart des Paracelsus im Urteil deutscher Fachschriftsteller des 16. und 17. Jahrhunderts [1981], wieder abgedruckt in: Udo Benzenhöfer (Hg.): Paracelsus. Darmstadt 1993, S. 271 – 304, hier S. 276.

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Einführung

Sprache geäussert? Warum sollte der Gebrauch der Muttersprache in dem einen Fall verwerflich, im anderen aber lobenswert sein?10 Wir sollten uns in diesem Zusammenhang auch an Galileo Galileis bewussten Gebrauch der italienischen Sprache erinnern, den er mit dem Ziel verband, seinen neuen Einsichten eine breitere Rezeption zu verschaffen. Am frühesten und deutlichsten geschah dies in dem wunderbar polemischen Werk Il Saggiatore von 1623, in dem der Florentiner Gelehrte den Atomismus als Alternative zu der nach wie vor dominierenden aristotelischen Physik unter eine Leserschaft von Wissenschaftsenthusiasten, Virtuosi, zu bringen versuchte.11 Dennoch: Galilei, Fontenelle, Buffon und manch andere setzten sich für einen Vermittlungsprozess ein, der im weitesten Sinne dem Selbstverständnis der damaligen Gelehrten entsprach. Denn sie alle (mit Ausnahme von Paracelsus)12 verstanden diesen Vermittlungsprozess als unilateral und folglich populares Wissen als eine Art bricolage aus gelehrten Versatzstücken. Ausgehend von durchaus vergleichbaren Prämissen wurde bis in die 1980er Jahre hinein nicht nur in der Wissenschaftsgeschichte, sondern auch überwiegend in der allgemeinen Historiographie das Verhältnis von Wissenschaft und Wissen als hierarchisch in dem Sinne betrachtet, dass man generell von einer „von oben nach unten“ verlaufenden Einbahnstrasse ausging. Es herrschte weitestgehender Konsens darüber, dass Wissen mit einem wie auch immer gearteten wissenschaftlichen Bezug aus popularisierten Beständen von Wissenschaft bestand. Eine Umkehrung dieses Verhältnisses ist erst seit der sozial- und kulturgeschichtlichen Öffnung der Wissenschaftsgeschichte denkbar geworden. Für die europäischen Wissens- und Wissenschaftstraditionen lässt sich zweifelsohne behaupten, dass wir es bei dem traditionellen Verständnis des Verhältnisses von Wissen und Wissenschaft mit einem Erbe der Aufklärung zu tun haben. Hinter diesem spezifischen Verständnis einer wissensgeschichtlichen Einbahnstrasse verbirgt sich seit dem frühen 20. Jahrhundert die Theorie vom „gesunkenen Kulturgut“, wie sie 1921 vom Germanisten und Volkskundler Hans Naumann geprägt worden ist. Bereits 1903 hatte der Basler Volkskundler Eduard 10 Allen G. Debus: Man and Nature in the Renaissance. Cambridge 1978, S. 7. 11 Galileo Galilei: Il saggiatore, hg. von Libero Sosio (Bibiliotheca di classici italiani 22). Mailand 1965. Zum Inhalt vgl. u. a. Pietro Redondi: Galilei der Ketzer, übers. von U. Hausmann. München 1989, S. 20 – 26. 12 Zu verweisen ist hier auf die immer noch gültige Feststellung von Alexandre Koyr¦: Paracelse (1493 – 1541) [1933], wieder abgedruckt in: ders.: Mystiques, spirituels, alchemistes du XVIe siÀcle. Paris 1971, S. 75 – 129, hier S. 80: „Le plus clair de son savoir provenait – il le dit luimÞme – de ces vieilles femmes, demi-sorciÀres, qu’il rencontrait sur son chemin; des pratiques populaires; des recettes traditionelles; des moyens employ¦s par les barbiers de village; des m¦thodes de laboratoires dont se servaient les mineurs, les fondeurs d’or et d’argent. Il ¦tait r¦ellement un chyrurgus, un homme de la pratique, du m¦tier ; non de l’¦tude.“

Einführung. Schauplätze wissensgeschichtlicher Forschung

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Hoffmann-Krayer erklärt: „Die Volksseele produziert nicht, sie reproduziert.“13 „Volksgut“, so achtzehn Jahre später Hans Naumann, „wird in der Oberschicht gemacht.“14 Zwar konzedierte Naumann in biologistischer Metaphorik, dass auch die oberschichtliche Individualkultur ihre Verwurzelung letztlich im „Mutterboden“ der „primitiven Gemeinschaft“ habe und das durch sie veredelte Wissen gleichsam in die Volkskultur hinein rezykliere, aber es entspricht, wie Hermann Bausinger betonte, doch „einigermassen der Akzentverteilung in Naumanns Studien, wenn im allgemeinen nicht das mehr oder weniger systematische Ganze seiner Kulturtheorie im Bewusstsein ist, sondern vor allem die These vom gesunkenen Kulturgut.“15 Die in der Kulturgeschichte seit den 1980er Jahren angebrachte Kritik einer Dichotomisierung von popularer und elitärer Kultur wirkte schliesslich auch auf die Wissenschaftsgeschichte ein.16 Im Blick auf die Frühe Neuzeit ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, unter popularen Wissensbeständen und -traditionen wissenschaftsrelevante von nicht-wissenschaftsrelevanten zu unterscheiden, sobald wir im Sinne der neueren und neuesten Forschung aufhören, aus der Perspektive des soeben erwähnten Top-down-Modells zu argumentieren. Zum Beispiel können sich auch indigene, zum Überleben notwendige Wissensbestände als wissenschaftsrelevant erweisen, sobald sie ganz oder partiell in Wissenschaftsdiskurse Eingang finden, wie z. B. das Wissen über gefährliche Pflanzen und Tiere oder populares Medizinalwissen. Im letzteren Fall ist insbesondere an die aus Italien stammende secreti-Tradition als entsprechendes Amalgam zu denken, die namentlich durch Paracelsisten auch nördlich der Alpen Verbreitung fand.17 Zweifelsohne waren die muttersprachlichen Vermittlungsversuche eines Paracelsus oder eines Galilei für ihre Zeit höchst unorthodox und allein schon 13 Zit. nach Hermann Bausinger : Folklore und gesunkenes Kulturgut. In: Deutsches Jahrbuch für Volkskunde 12 (1966), S. 15 – 25, hier S. 17. Vgl. auch Wolfgang Kaschuba: Einführung in die Europäische Ethnologie. München 1999, 61 – 65. 14 Zit. nach Bausinger, Folklore, 1966, S. 17 f. 15 Ebd., S. 18. 16 Zur kulturgeschichtlichen Kritik der Unterscheidung von Hoch- und Popularkultur vgl. u. a. Stuart Hall: Notes on Deconstructing the „Popular“. In: Raphael Samuel (Hg.): People’s History and Socialist Theory. London et al. 1981, S. 227 – 240. Zur Berücksichtigung dieser Kritik in der Wissenschaftsgeschichte vgl. u. a. Stephen Pumfrey, Paolo Rossi, Maurice Slawinski (Hg.): Science, Culture and Popular Belief in Renaissance Europe. Manchester, New York 1991; Roger Cooter, Stephen Pumfrey : Separate Spheres and Public Places. Reflections on the History of Science Popularization and Science in Popular Culture. In: History of Science 32 (1994), S. 237 – 267; James A. Secord: Knowledge in Transit. In: Isis 95 (2004), S. 654 – 672; Jonathan R. Topham: Historicizing „Popular Science“. Introduction. In: Isis 100 (2009), S. 310 – 318. 17 William Eamon: Science and the Secrets of Nature. Books of Secrets in Medieval and Early Modern Culture. Princeton 1994; Mariacarla Gadebusch Bondio: Fragmente einer weiblichen Wissenschaftsgeschichte. Isabelle Cortese und ihre Secreti, ein Rezeptbuch des 16. Jahrhunderts. In: Querelles 1 (1996), 123 – 141.

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Einführung

deshalb für manche Zeitgenossen kritikwürdig. Für Fontenelle (1657 – 1757) und Buffon (1707 – 1788) als Gelehrte des späten 17. und 18. Jahrhunderts lässt sich dies nicht mehr behaupten. Dennoch hatten die Disseminationsstrategien der zuletzt genannten zwei Naturphilosophen etwas gemeinsam: Sie beruhten auf der impliziten Annahme, dass Wissen über die Natur von oben nach unten zu vermitteln ist. Nur Paracelsus spielte in dieser Hinsicht eine besondere Rolle.

Von oben nach unten und von unten nach oben: Die Physikotheologie Anders dagegen die Physikotheologen: Sie agierten gleichsam aus beiden und in beide Richtungen. Einerseits transferierten sie Argumente und Sichtweisen aus der biblischen Schöpfungsgeschichte in die zeitgenössische Naturphilosophie, andererseits versuchten sie mit naturphilosophisch-mechanistischen Argumenten den religiös inspirierten Blick auf die Natur zu schärfen und gegebenenfalls auch zu verändern.18 Die physikotheologische Debatte hat ihren Ursprung in England. Auslöser war die im Anschluss an Descartes und an die wachsende Orientierung führender englischer Naturwissenschaftler am vorsokratischen Atomismus notwendig gewordene Überprüfung des Verhältnisses von neuem wissenschaftlichmechanistischen Weltbild und biblischer Überlieferung. In diesem Zusammenhang legte Samuel Parker 1665 eine ausführliche Untersuchung vor, die im Haupttitel den Begriff Physikotheologie verwendete: Tentamina physico-theologica de Deo19 Die Debatte intensivierte sich, als in den 1680er Jahren Fragen nach der Erschaffung und Schöpfung des Universums in ihr Zentrum traten. Von England aus verbreitete sie sich seit der Wende zum 18. Jahrhundert auf dem europäischen Kontinent – und zwar vor allem in protestantischen Kreisen der Niederlande, Deutschlands und der Schweiz, wenngleich sie kein exklusiv protestantisches Phänomen darstellte. In Frankreich wurde die Bewegung vor allem von Jansenisten und Hugenotten rezipiert.20 18 Zur Physikotheologie vgl. Peter Harrison: Physico-Theology and the Mixed Sciences. In: Peter R. Anstey, John A. Schuster (Hg.): The Science of Nature in the Seventeenth Century. Bd. 19. Berlin, Heidelberg 2005, S. 165 – 183; Brian W. Ogilvie: Natural History, Ethics, and Physico-Theology. In: Gianna Pomata, Nancy G. Siraisi (Hg.): Historia. Empiricism and Erudition in Early Modern Europe. Cambridge 2005, S. 75 – 105; Anne-Charlott Trepp: Von der Glückseligkeit alles zu Wissen. Die Erforschung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 2009. 19 Samuel Parker : Tentamina physica-theologica de Deo, sive, Theologica scholastica ad normam novae & reformatae philosophiae concinnata & duobus libris comprehensa […]. London 1665. 20 Vgl. Rienk H. Vermij: The Beginnings of Physico-Theology. England, Holland, Germany. In:

Einführung. Schauplätze wissensgeschichtlicher Forschung

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Abb 1: Joseph Nutting (nach einer Vorlage von Johann Melchior Füssli): Portrait von Johann Jakob Scheuchzer. Frontispiz aus J. J. Scheuchzer : Ouqesivoitgr Helveticus sive Itinera alpina tria. London: Henry Clements, 1708.

Die Erforschung der Physikotheologie im Zeitraum zwischen den 1680er Jahren und der Mitte des 18. Jahrhunderts21 hat in den letzten Jahren namentlich Heyno Kattenstedt (Hg.): Grenz-Überschreitung. Wandlungen der Geisteshaltung […]. Festschrift zum 70. Geburtstag von Manfred Büttner. Bochum 1993, S. 173 – 184, hier S. 173; Helga Dirlinger : Das Buch der Natur. Der Einfluß der Physikotheologie auf das neuzeitliche Naturverständnis. In: Michael Weinzierl (Hg.): Individualisierung, Rationalisierung, Säkularisierung. Neue Wege der Religionsgeschichte. Wien 1997, S. 156 – 185, hier S. 158. Zur physikotheologischen Debatte katholischer Prägung vgl. Fernando Vidal: Extraordinary Bodies and the Physicotheological Imagination. In: Lorraine Daston, Gianna Pomata (Hg.): The Faces of Nature in Enlightenment Europe. Berlin 2003, S. 61 – 97. 21 Damit ist der Zeitraum ihrer grössten Wirksamkeit angesprochen. Sie wirkte freilich noch weit ins 19. Jahrhundert hinein nach. Zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. u. a. auch Monika Gisler : Göttliche Natur. Formationen im Erdbebendiskurs der Schweiz des 18. Jahrhunderts. Zürich 2007; Wolfgang Wiegrebe: Albrecht von Haller als apologetischer

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Einführung

durch historische und kunsthistorische Arbeiten zum Zürcher Arzt und Naturwissenschaftler Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) eine Aufwertung erfahren. Die Kunsthistoriker Irmgard Müsch und Robert Felfe haben sich mit Scheuchzers grossartigem und monumentalen Beitrag zur physikotheologischen Debatte des 18. Jahrhunderts, nämlich seiner Kupferbibel oder Physica Sacra, beschäftigt.22 Es handelt sich dabei um eine durchwegs mit grossen Kupferstichen illustrierte, naturwissenschaftliche Interpretation der Bibel, die zwischen 1731 und 1734 in vier Foliobänden erschien. In den Fossilien erblickte Scheuchzer, der sich u. a. auf dem Gebiet der Geologie und Paläontologie engagierte, Zeugen der Sintflut. Die Sintflut-Theorie Scheuchzers, namentlich auch im Kontext seiner Rezeption entsprechender englischer Debatten, hat Michael Kempe zum Gegenstand seiner Dissertation gemacht.23 Für die Niederlande hat Rienk H. Vermij 1991 in einer Monographie eingehend auf das Werk des bedeutenden niederländischen Physikotheologen Bernard Nieuwentijt (1654 – 1718) Bezug genommen.24 Ob die Physikotheologie nicht, wie oben behauptet, einem aus England kommenden Wissenstransfer des späten 17. Jahrhunderts entstammt, sondern zeitlich viel weiter zurückreichende kontinentaleuropäische Wurzeln hat, wie dies neuerdings vor allem Paul Michel postuliert, bleibt zu diskutieren.25

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Physikotheologe. Physikotheologie: Erkenntnis aus der Natur? (Untersuchungen zum christlichen Glauben in einer säkularen Welt 5). Frankfurt a. M. 2009. Irmgard Müsch: Geheiligte Naturwissenschaft. Die Kupfer-Bibel des Johann Jakob Scheuchzer. Göttingen 2000; Robert Felfe: Naturgeschichte als kunstvolle Synthese. Physikotheologie und Bildpraxis bei Johann Jakob Scheuchzer. Berlin 2003. Vgl. auch Claudia Rütsche: Eine Enzyklopädie von Objekten. Johann Jakob Scheuchzers Inventarisation der Zürcher Kunstkammer und die Physica Sacra. In: Paul Michel, Madeleine Herren (Hg.): Allgemeinwissen und Gesellschaft. Akten des internationalen Kongresses über Wissenstransfer und enzyklopädische Ordnungssysteme vom 18. bis 21. September 2003 in Prangins. Aachen 2007, 379 – 412. Michael Kempe: Wissenschaft, Theologie, Aufklärung. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) und die Sintfluttheorie. Epfendorf 2003. Vgl. auch ders.: Die Sintfluttheorie von Johann Jakob Scheuchzer. Zur Entstehung des modernen Weltbildes und Naturverständnisses. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 44 (1996), S. 485 – 501. Rienk H. Vermij: Secularisering en naturwetenschap in de zeventiende en achttiende eeuw. Bernd Nieuwentijt. Amsterdam 1991. Paul Michel: Physikotheologie. Ursprünge, Leistung und Niedergang einer Denkform (Neujahrsblatt der Gelehrten Gesellschaft auf das Jahr 2008). Zürich 2008; Trepp, Glückseligkeit, 2009, bes. 306 – 376. Vgl. ausserdem Ilse Jahn: Der Beitrag deutscher Physikotheologen zum Erkenntniszuwachs in der Biologie des 18. Jahrhunderts. In: Änne Bäumer, Manfred Büttner (Hg.): Science and Religion = Wissenschaft und Religion. Bochum 1989, S. 26 – 36.

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Mechanisches Wissen und Wissenschaft: Joseph Furttenbach als Beispiel Während sich in der Herangehensweise der Physikotheologen Top-down- und Bottom-up-Wissenstransfers gleichsam die Waage hielten, entstammte die Vermittlung von Wissen an die Wissenschaft durch mechanics, Handwerker und Labor-Techniker ganz und gar ihrer praktischen, in vielen Fällen alltäglichen Erfahrung. Wenn der in diesem Band prominent vertretene Zürcher Arzt und Naturphilosoph Johann Jakob Scheuchzer der Inbegriff eines wissenschaftlich gebildeten Physikotheologen war, so lässt sich der Ulmer Stadtbaumeister, Kunstkammerbesitzer und Feuerwerker Joseph Furttenbach (1591 – 1667) als ein Mann der Praxis bezeichnen, der geradezu unermüdlich bemüht war, sein handwerkliches, architektonisches und pyrotechnisches Erfahrungswissen sowohl in Form von Traktaten zu verbreiten als auch dieses in die wissenschaftliche Literatur seiner Zeit einzubringen. Dabei ist Furttenbach bereits in seiner ersten Publikation, in der er seine zwölfjährigen Italien-Erfahrungen dokumentiert, bemüht, sich gegenüber der Tradition der artes mechanicae abzugrenzen. Als aus dem oberschwäbischen Leutkirch stammender selfmademan, der in Italien das Können des Ingenieurs und Architekten sowie des Feuerwerkers erwarb, ist er in seinem 1627 erschienenen Newen Itinerarium Italiae sichtlich bemüht, eine „differenzmarkierende Grenze gegenüber der ,mechanischen‘ Wanderschaft“ zu setzen „und – seine Mobilität […] in die Nähe der peregrinatio academica rückend – sich als Bildungsreisenden animi causa“ zu stilisieren.26 In seinem Itinerarium dominiert die Architektur, gefolgt von Beispielen der Ingenieurkunst. Furttenbach ist in diesem Werk ganz offenkundig bemüht, sein in Italien erworbenes praktisches Wissen zur Theorie zu veredeln und diese in die gelehrten Wissensbestände seiner Zeit zu integrieren.27 Um nochmals an die oben verwendete Metapher von der Einbahnstrasse zu erinnern: Auch wenn es ihm in erster Linie um eine Verdelung mechanischen Wissens geht, so ist Furttenbach nicht einfach ein Vertreter der Inversion, das heisst, einer in umgekehrter Richtung von unten nach oben verlaufenden Einbahnstrasse. Dass er am Ende ein ausgesprochen differenziertes Bild der entsprechenden Vermittlungsprozesse vertritt, zeigen verschiedene seiner Publi26 Roberto Zaugg: „bey den Jtalienern recht sinnreiche Gedancken […] gespürt“. Joseph Furttenbach als kultureller Vermittler. In: Joseph Furttenbach: Lebenslauff 1652 – 1664, hg. von Kaspar von Greyerz, Kim Siebenhüner, Roberto Zaugg (Selbstzeugnisse der Neuzeit 22). Köln et al. 2013 [im Druck]. 27 Zu diesen Zusammenhängen vgl. auch Jim Bennett: The Mechanical Arts. In: Katharine Park, Lorraine Daston (Hg.): The Cambridge History of Science, vol. 3: Early Modern Science. Cambridge 2006, S. 673 – 695; Pamela H. Smith: The Body of the Artisan. Art and Experience in the Scientific Revolution. Chicago 2004.

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kationen. Es ist hier nun allerdings nicht der Ort, auf die überaus zahlreichen Traktate und Veröffentlichungen einzugehen, die Furttenbach – von der Architectura civilis (1628)28 über die Büchsenmeisterey-Schul (1643)29 bis zum Mannhaften Kunstspiegel (1663)30 – stets einem grösseren Korrespondentenkreis zugänglich machte. Es genügt, wenn wir uns eines dieser Werke genauer anschauen, das den von Furttenbach beabsichtigten und von den 1620er Jahren bis kurz vor seinem Tod im Jahre 1667 unermüdlich betriebenen Bottom-upWissenstransfer vom praktischen Know-how hin zum theoretisch begründeten Wissensbestand besonders gut veranschaulicht. Gemeint ist die „Mechanische ReißLaden/ Das ist/ Ein gar geschmeidige/ bey sich verborgen tragende Laden/ […] dannoch alle fünffzehen Recreationen, (als da seynd die Arithmetica Geometria Planimetria Geographia Astronomia Navigatio Prospectiva

MECHANICA

Grottenwerck Wasserlaitungen Fewerwerck Büchsenmeisterey Achitectura Militaris Architectura Civilis Architectura Navalis

Warinnen gleichwol gantzer Innhalt der/ von GOtt dem Menschen begnadeten Ingenierkunst bestehet) mit gegenwertigen kleinen Instrumentlin könden exercirt werden/ […] In diese kleine Form und Laden zusamen getragen/ beneben mit 5. Kupfferblatten orniert, Durch Iosephum Furttenbach“. Augsburg: Johann Schultes, 1644.

Das Frontispiz zeigt eine Zusammenstellung verschiedener Wissensgebiete in der Form einer Pyramide von allegorischen Figuren. Das Buch – so Furttenbach in seinem kurzen, an den „günstigen Leser“ gerichteten Vorwort – will ein Modell, eine Vorlage für „lustbegierige Delectores“ zur Herstellung zweckmässiger mechanischer Instrumente in den aufgelisteten Wissensbereichen sein. Die vom Autor angesprochenen „Delectores“ sind zweifelsohne keine Handwerker, 28 Vgl. Joseph Furttenbach: Architectura civilis (1628); Architectura recreationis (1640); Architectura privata (1641); mit einer Vorbemerkung von Hans Foramitti. Hildesheim, New York 1971. 29 Joseph Furttenbach: Büchsenmeistery-Schul. Darinnen die new angehende Büchsenmeister und Fewrwercker, nicht weniger die Zeugwartten, in den Fundamenten und rechten Grund der Büchsenmeisterey […] gelehrt werden. Augsburg 1643. 30 Joseph Furttenbach: Mannhaffter Kunst-Spiegel oder Continuatio, und fortsetzung allerhand Mathematisch- und Mechanisch-hochnutzlich- So wol auch sehr erfrölichen delectationen, und respective im Werck selbsten experimentirten freyen Künsten […]. Augsburg 1663.

Abb 2: Raphael Custos (nach einer Vorlage von Joseph Furttenbach): Die Mechanik – in der Gestalt von Joseph Furttenbach – auf dem Gipfel der Ingenieurskunst. Doppelseitiges Frontispiz aus J. Furttenbach: Mechanische ReissLaden. Augsburg: Johann Schultes, 1644.

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sondern Virtuosi, Wissenschaftsenthusiasten, denen praktisches Werkzeug für die Transposition von Wissen (linke Kolumne) in dessen praktische Anwendung (rechte Kolumne) in die Hand gegeben werden soll. Wir haben also einen implizit vollzogenen Transfer von praktisch Erfahrenem in theoretisches Wissen vor uns sowie einen durch das Buch explizit ermöglichten Transfer vom theoretischen Wissen zur praktischen Anwendung. Sinnfälliger könnte das in zahlreichen Werken Furttenbachs angelegte dialektische Hin und Her zwischen Praxis und Theorie bzw. Theorie und Praxis und die sich dahinter verbergende Sicht vom gesellschaftlichen Nutzen von Wissen und Wissenschaft nicht veranschaulicht werden.

Beobachtungserfahrungen und Wissenschaft In der europäischen Medizin und Astronomie, aber auch unter Juristen und Philologen, etablierte sich seit dem Spätmittelalter das Genre der Observationes, Fallstudien, in denen sich persönliche Erfahrung mit akademischem Wissen verband. Aus der Basler Perspektive denkt man unmittelbar an die Observationes des Arztes und Medizinprofessors Felix Platter (1536 – 1614), der neben seinen Krankheitsgeschichten u. a. auch eine bemerkenswerte Studie zur Basler Pestepidemie von 1610/11 hinterlassen hat.31 Platters Werk erschien 1614 kurz vor seinem Tod in drei Büchern.32 Es handelt sich um eine Sammlung von nahezu 700 individuellen Krankengeschichten.33 Der interessanteste Aspekt der Observationes von Felix Platter – und das gilt generell für die zeitgenössischen medizinischen Observationes – ist die Art und Weise, wie in diesen Werken individuelles, aus persönlicher Erfahrung gewonnenes Wissen mit medizinischem Traditionswissen verbunden wird. Dieses Traditionswissen ging ja bekanntlich nicht nur auf Galen von Pergamon (131 – 201), sondern auch auf den griechischen Arzt Hippokrates zurück, der um 460 v. Chr. geboren wurde. Bei Platter ist es vor allem Hippokrates, der verschiedentlich angesprochen wird. Das kommt nicht von ungefähr, denn Hippokrates vertrat eine gewissermassen ganzheitliche Auffassung von Krankheit, in der körperliche und seelische Faktoren zusammenwirkten. Ähnlich auch Felix Platter : In seinen Observationes erweist er sich an mehr als einer Stelle als Verfechter des Einbezugs psychischer Krankheiten in die medizinische Be31 Felix Platter : Beschreibung der Stadt Basel 1610 und Pestbericht 1610/11, hg. und kommentiert von Valentin Lötscher (Basler Chroniken 11). Basel, Stuttgart 1987. 32 Felix Platter : Observationum in Hominis affectibus prelisque, corpori et animo functionum laesione, dolore, aliave molestia et vitio incommodantibus, libri tres. […]. Basel 1614. 33 Vgl. dazu Katharina Huber : Felix Platters „Observationes“. Studien zum frühneuzeitlichen Gesundheitswesen in Basel (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 177). Basel 2003.

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handlung – eine bemerkenwerte Haltung, wenn man bedenkt, wie sehr die frühneuzeitliche Gesellschaft dazu neigte, psychisch kranke Menschen zu marginalisieren oder in Ketten zu legen, oder aber sich an ihnen wie in einem Zoo zu amüsieren, wie dies in der Frühen Neuzeit beim Londoner Bedlam Hospital der Fall war, das gesunde Menschen jederzeit besuchen durften, um ihre Sensationsgier zu befriedigen. Es lag über lange Zeit nahe, Platters Opus als genialen Wurf zu betrachten. Insbesondere dank der neueren Studien von Gianna Pomata wissen wir heute, dass Platters Observationes sich in eine längere Gattungsgeschichte einordnen.34 Zu der seit dem 16. Jahrhundert in Süd-, West- und Mitteleuropa verbreiteten Gattung gehörte die wachsende Orientierung an persönlich verbürgter Beobachtung, also eine implizite Relativierung der im Buchwissen der Zeit abgelagerten Autorität der antiken und arabischen Vorläufer, und damit vor allem auch die Kombination von lokalem Wissen mit tradierter medizinischer Wissenschaft. Gianna Pomata hat u. a. beobachten können, dass medizinische Werke, die sich Observationes nannten, von den 1560er Jahren an den Begriff observatio (Beobachtung) in einem klar die persönliche Beobachtung benennenden Sinn zu verwenden begannen.35 Sie zeigt am Beispiel der Observationes anatomicae des Gabriele Fallopio von 1561, dass der Autor das Verb observare auf konsistente Art und Weise immer dann benutzte, wenn er seine eigenen anatomischen Erfahrungen beschrieb. Dies sei auffallend, denn bis dahin sei in solchen Texten eine ganze Reihe unterschiedlicher und unspezifischer Verben bei der Beschreibung von Beobachtung verwendet worden. Pomata zieht den Schluss: „The insistent use of observare – often in the first person of the past tense, observavi – suggests a new self-consciousness on the part of the anatomical observer.“36 Im Anschluss an Gianna Pomata beschreibt Lorraine Daston die Besonderheiten des sich weiter entwickelnden Genres zu Beginn des 17. Jahrhunderts wie folgt: „Characteristic […] of the observationes was, first, an emphasis on singular events, witnessed firsthand (autopsia) by a named author (in contrast to the accumulation of data over centuries described by Cicero and Pliny as typical of observationes); second, a deliberate effort to separate observation from conjecture (in contrast to the medieval Scholastic connection of observation with the conjectural sciences, such as astrology); and third, the creation of virtual communities of observers dispersed over time and space, who communicated and pooled their observations in letters and publications (in 34 Gianna Pomata: Observation Rising. Birth of an Epistemic Genre, 1500 – 1650. In: Lorraine Daston, Elisabeth Lunbeck (Hg.): Histories of Scientific Observation. Chicago, London 2011, S. 45 – 80. Siehe auch den Beitrag von Gianna Pomata in diesem Band. 35 Ebd., S. 53. 36 Ebd.

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contrast of passing them down from father to son or teacher to student as rare and precious treasures).“37

Multiple Autorschaft: Von Conrad Gessner zu Johann Jacob Scheuchzer Copyright und individuelle oder zumindest deklarierte Autorschaft sind moderne Konzepte. Sie setzten sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts allmählich durch. Im 16. Jahrhundert beruhten etwa Kosmographien noch vollumfänglich auf multipler Autorschaft. In diesen Werken, auch wenn sie unter dem Namen eines einzelnen Autors erschienen, wurden zahlreiche Briefe, die an den Kompilator gerichtet worden waren, verbatim übernommen. Dasselbe gilt auch für einzelne Chroniken und Chorographien. Noch in Zedlers umfangreichem Universallexikon, 1732 – 1754 publiziert, erschienen die einzelnen, zum Teil sehr elaborierten Artikel ohne Namensnennung der jeweiligen Urheber. Dies trifft im übertragenen Sinne ebenso auf die ersten der neuen Wissenschaftsbewegung seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zuzuordnenden Naturgeschichten zu. Auch wenn der „Autor“ vergleichsweise stärkeren Einfluss auf ihre inhaltliche und sprachliche Gestaltung nimmt, so bleiben einzelne Abschnitte doch nach wie vor Kompilationen, wenngleich vielleicht nur noch in Bezug auf das in sie einfliessende Wissen.38 Der Zusammenzug von eigenen und fremden Texten beschreibt zum Beispiel den Entstehungszusammenhang von Conrad Gessners (1516 – 1565) Geschichte der Tiere (historia animalium), in fünf Bänden zwischen 1551 und 1558 in erster Auflage erschienen. Und das Bild passt auch noch für Johann Jakob Scheuchzers Natur-Histori des Schweitzerlands von 1716 – 1718.39 Beide Autoren nahmen zahlreiche Informationen, die sie von ihren Korrespondenten erhalten hatten, mit in ihre Werke auf, in vielen Fällen ohne die Herkunft dieser Versatzstücke genauer auszuweisen. In der Frühen Neuzeit war dieses Vorgehen üblich; heute 37 Lorraine Daston: The Empire of Observation, 1600 – 1800. In: dies., Elizabeth Lunbeck (Hg.): Histories of Scientific Observation. Chicago, London 2011, S. 81 – 113, hier S. 81. 38 Zur kompilatorischen Praxis der frühneuzeitlichen Naturgeschichtsschreibung vgl. Martin Gierl: Kompilation und die Produktion von Wissen im 18. Jahrhundert. In: Helmut Zedelmaier (Hg.): Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit. Tübingen 2001, S. 63 – 95; Frank Büttner, Markus Friedrich, Helmut Zedelmaier (Hg.): Sammeln, Ordnen, Veranschaulichen. Zur Wissenskompilatorik in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2003. 39 Johann Jakob Scheuchzer : Natur-Histori des Schweitzerlands. 3 Bde. Zürich 1716 – 1718. Vgl. auch ders: Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweitzerlands. 3 Bde. Zürich 1706 – 1708 (vergleichsweise noch wenig systematisch geordnet) sowie ders.: Ouqesivoitgr [Uresiphoites] Helveticus sive Itinera per Helvetiae alpinas regiones facta annis 1702 – 1707, 1709 – 1711. 4 Bde. Leiden 21723.

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ginge wahrscheinlich ein entsetzter Aufschrei durch die Reihen der Plagiatswächter. Gessner und Scheuchzer und manch andere Autoren der Frühen Neuzeit, die ähnlich vorgingen, inkorporierten auf diese Weise lokales Korrespondentenwissen in Werke, die sie als eigentliche Autoren selbstverständlich als wissenschaftlich verstanden. Die Werke erhoben gerade durch ihren Sammlungscharakter den Anspruch der Wissenschaftlichkeit, zumal das in ihnen präsentierte Wissen einer systematischen Ordnungslogik unterworfen wurde – analog zur Entwicklung der barocken Kunstkammern hin zu wissenschaftlichen Sammlungen.40 Allerdings machten sich die beiden Autoren durch ihre Praxis keineswegs zu passiven Informationsempfängern. Conrad Gessner, zum Beispiel, verwendete eine differenzierte Sprache, um zu verdeutlichen, ob er die von einem bestimmten Korrespondenten erhaltene Information für nachvollziehbar hielt oder ob er Zweifel empfand. In den fünften Band seiner Geschichte der Tiere, der 1558 erschien, nahm er ein Bild eines Seeteufels nur deshalb auf, weil, wie er erklärte, der Korrespondent seine Augenzeugenschaft versichert habe. An anderer Stelle äusserte er Bedenken hinsichtlich des Bildes eines furchterregenden, alles zerschmetternden Wals, das ihm der skandinavische Humanist Olaus Magnus geschickt hatte. Auch die Werke Johann Jakob Scheuchzers fussen zu grossen Teilen auf dem Wissen, das Korrespondenten ihm übermittelten. Überhaupt ist Scheuchzers Korrespondenznetzwerk für sein naturgeschichtliches Schaffen von zentraler Bedeutung, dem ein umfassendes Programm zur Erfassung der schweizerischen Natur zugrunde lag. Scheuchzers Korrespondenz, deren bündnerische Briefe (Lettres des Grisons) von Simona Boscani Leoni ediert werden, bildet im mehrfachen Sinne eine ebenfalls hervorragende Quellengrundlage. Sie ermöglicht nicht nur Einblicke in die verschiedenen gelehrten Diskurse zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, sondern umspannt auch ein sozial ausdifferenziertes Korrespondentennetz. Neben Kontakten zu den europäischen Akademien pflegte Scheuchzer nationale Kontakte zu Geistlichen, Medizinern und öffentlichen Funktionären, die einerseits als Lieferanten lokaler Informationen, andererseits als Multiplikatoren für die Verbreitung von Wissen und die Popularisierung der Naturgeschichte äusserst bedeutsam sind.41 Scheuchzers Quellenkorpus umfasst

40 Dies zeigt sich nicht zuletzt an der räumlichen Nähe von Bibliothek und Kunstkammer. Vgl. auch Flemming Schock: Die Text-Kunstkammer. Populäre Wissenssammlungen des Barock am Beispiel der „Relationes Curiosae“ von E.W. Happel. Köln 2011, S. 199 – 204; Jörg-Ulrich Fechner: Die Einheit von Bibliothek und Kunstkammer im 17. und 18. Jahrhundert dargestellt anhand zeitgenössischer Berichte. In: Paul Raabe (Hg.): Öffentliche Bibliotheken im 17. und 18. Jahrhundert. Bremen, Wolfenbüttel 1977, S. 11 – 31. 41 Vgl. Simona Boscani Leoni: Johann Jakob Scheuchzer und sein Netz. Akteure und Formen

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somit publizierte Naturgeschichte, unpublizierte Berichte und Vorträge sowie Korrespondenz. Damit eignet sich Scheuchzers Netzwerk optimal für die übergreifende Untersuchung zu Repräsentation, Sammlung und Verbreitung des Naturwissens und wird auch in diesem Band verschiedentlich aufgegriffen.

Schauplätze der Forschung Wie bereits erwähnt, ist der vorliegende Band aus dem von den Herausgebern organisierten Workshop At the Crossroads of Popular Knowledge and Science hervorgegangen, der vom 27. bis 29. Oktober 2011 in Hölstein (Basel Landschaft) stattfand. Die hier versammelten Beiträge reflektieren das Verhältnis von Wissen und Wissenschaft jenseits der eingangs beschriebenen Einbahnstrasse. Der erste Teil stellt Aspekte frühneuzeitlicher Wissensvermittlung in den Vordergrund. Einerseits sind damit die Beziehungen von Laien, Experten und Mittlern angesprochen, andererseits die verschiedenen Wissensformate zur Verbreitung und Festigung unterschiedlichster Wissensbestände. Der zweite Teil verdeutlicht die im ersten Teil zur Diskussion gestellten Zusammenhänge an Beispielen balneologischer und tierkundlicher Wissensinhalte. Bäder- und Tierkunde sind zwei bisher wenig untersuchte Themenkomplexe der frühneuzeitlichen Naturgeschichtsschreibung, die sich aufgrund ihrer Durchdringung mit überliefertem Gelehrtenwissen und des Einbezugs popularer Erfahrungshorizonte hervorragend für diesen Zweck eignen. In ihrer auf das Konkrete fokussierten Ausrichtung vermittelte die Naturgeschichte – und damit auch die frühneuzeitliche Bäder- und Tierkunde – zwischen verschiedenen Erfahrungsund Wissenswelten. Der Band will damit neuere Ansätze der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte mit Beispielen aus der frühneuzeitlichen Naturgeschichtsschreibung verbinden und einzelne auf die schweizerische Naturgeschichte fokussierte Beiträge im Kontext einer internationalen Forschungslandschaft reflektieren.

Experten, Laien und die Neue Wissenschaft In diesem Abschnitt werden die gängige Dichotomie von Experten und Laien problematisiert und Perspektiven für eine differenziertere historiographische Bearbeitung des Themas eröffnet. Mit der Ausbreitung der Idee einer New Science baconischen Zuschnitts und mit dem Wachstum des Buchmarktes dehnte der Kommunikation. In: Klaus-Dieter Herbst, Stefan Kratochwil (Hg.): Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. u. a. 2009, S. 47 – 67, hier S. 48 f.

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sich der Zugang zu Wissen auf weitere Teile der Gesellschaft aus. Umgekehrt griffen Wissenschaftsenthusiasten und Träger von Praxiswissen zunehmend in die Wissensproduktion ein. Fragen nach Deutungshoheit und Expertenstatus, aber auch nach dem Wandel epistemischer Grundkonzepte und nach der wechselseitigen Durchdringung popularer und gelehrter Wissenskulturen werden dabei auf verschiedenen Ebenen in den Blick genommen. Emma Spary untersucht in ihrem Beitrag den Stellenwert des Geschmackssinns im Prozess der Wissensproduktion über Nahrungsmittel, wofür ihr als Forschungskontext das Paris des 18. Jahrhunderts dient. In Bezug auf Nahrungsmittel kann kaum zwischen Fach- und Allgemeinwissen unterschieden werden, da ja, wie die Autorin festhält, alle Esser zwangsläufig auch Experten seien. Dennoch versuchten gerade auf diesem Gebiet bestimmte Gruppen – seien es Connaisseurs, Apotheker oder Lebensmittelhändler – eine Vormachtstellung zu erringen und den Publikumsgeschmack zu beeinflussen oder zu disziplinieren, indem sie die „Sinnestechnik“ des Geschmacks als „naturwissenschaftliche“ Schlüsselkompetenz reklamierten. Anhand anschaulicher Beispiele – vom Engagement des Drogisten Pierre Pomet gegen gepanschte Lebensmittel Ende des 17. Jahrhunderts bis zu Bestrebungen der Naturwissenschaften während der Kontinentalsperre 1806 – 1811, einen Ersatz für die Kolonialware Kaffee zu finden – zeigt Emma Spary die Bedeutung geschmacklichen Wissens im öffentlichen Diskurs des 18. Jahrhunderts auf. Im beobachteten Zeitraum entwickelten zwar wissenschaftliche „Geschmacksexperten“ eine herausragende Stellung als Berater des Staats im Bereich der Konsumgüterregulierung, letztlich scheiterte aber das Vorhaben, den Geschmack als Instrument zur Kontrolle des Marktes zu verwenden. Ausgehend von auf ein populares Publikum zugeschnittenen, Pillen und Tränke bewerbenden englischen Einblattdrucken des späten 17. Jahrhunderts leuchtet Andrew Wear das Verhältnis der im Aufschwung befindlichen, von „Empirikern“ betriebenen Iatrochemie zur vorherrschenden, naturphilosophisch unterlegten Säftemedizin aus. Wie der Autor hervorhebt, habe die konzeptuelle Natur des in den Flugblättern aufscheinenden ,empirischen‘ medizinischen Wissens bislang noch nicht die ihr zustehende Beachtung gefunden. So lassen diese einerseits iatrochemische Vorstellungen erkennen, andererseits verweisen sie auf den Empirismus einer New Science im Sinne Bacons. Obwohl die in den Einblattdrucken verwendete Sprache eine dezidiert medizinische und sowohl von der „alten“ (galenischen) wie von der „neuen“ Medizin (nach van Helmont und Willis) geprägt ist, wurde darin meist auf einen naturphilosophischen oder -wissenschaftlichen „Theorieballast“ verzichtet. Dies erleichterte, wie Wear darlegt, die Akzeptanz chemischer Heilmittel bei einer breiten Öffentlichkeit und förderte so die Ablösung der althergebrachten galenischen Medizin durch die chemische Medizin. Jene entwickelte sich in der Folge zur

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Alternativmedizin, während sich die chemische Medizin als neuer Mainstream etablierte. Dessen ungeachtet blieb die chemiebasierte Elitemedizin stets offen für wissenschaftliche oder naturphilosophische Untermauerung und setzte damit jene Tradition fort, die im späten 17. Jahrhundert von den „Empirikern“ infrage gestellt worden war. Anne-Charlott Trepp untersucht die Wirkung von Emotionen, insbesondere der „Lust am Gewöhnlichen“, auf die gelehrte und populare Wissensproduktion. Im Kontext physikotheologischer Studien, aber auch in der Sammlungspraxis des 18. Jahrhunderts erfreuten sich auch gewöhnlichere Objekte wie Insekten zunehmender Beliebtheit, rerpäsentierten sie doch die göttliche Vorsehung und die auch im Kleinen wohleingerichtete Ordnung der Natur. Maria Sibylla Merian oder Jan Swammerdam zum Beispiel betonten in ihren Werken jeweils Gefühle religöser Erhabenheit und Vergnügens bei der Betrachtung der Kleinstwesen und ihrer Metamorphose. Die Werke der Maria Sibylla Merian, die im familiären Kreis handwerklich unterrichtet wurde und als Frau nur unter erschwerten Bedingungen Zugang zur gelehrten Community erhielt, wurden schliesslich sowohl von künstlerischer als auch von wissenschaftlicher Seite rezipiert. AnneCharlott Trepp begreift – die neueren Forschungen zur Emotionsgeschichte aufnehmend – Emotionen nicht als Gegensatz zur Wissenschaft, sondern als Elemente jeden Denkens und Handelns. Emotionen waren demzufolge nicht nur Äusserungen einer (religiösen) Empfindung, sondern elementarer Teil wissenschaftlichen Forschens. Die explizite und wiederholte Formulierung der Gefühle entsprach einem Konsens der Naturforscher und diente gar der wissenschaftlichen Legitimierung. Damit müsse auch die physikotheologische Forschung der Frühen Neuzeit jenseits der Dichotomisierung von religiösen Gefühlen und wissenschaftlicher Rationalität begriffen werden. Marion Baumann befasst sich in ihrem Beitrag mit der Verwissenschaftlichung des Heimwehdiskurses in der Frühen Neuzeit. Während die ,Schweizerkrankheit‘ der alpenländischen Söldner in fremden Diensten zuerst in popularen Kontexten thematisiert wurde, beschäftigten sich seit dem späten 17. Jahrhundert vermehrt Ärzte mit dem Phänomen und machten die möglichen Ursachen der nostalgia zum Gegenstand fachlicher Spekulation. Der galenischen Tradition, welche eine Form der Melancholie infolge Störung des Säfteund Spiritushaushalts annahm, trat Johann Jacob Scheuchzer mit einer iatromechanischen Deutung entgegen, wonach der im Vergleich zu den heimatlichen Bergen ungewohnt hohe Luftdruck beispielsweise im französischen oder niederländischen Flachland bei Schweizern Symptome wie Schlaf- und Appetitlosigkeit auslösen könne. Für Flachländer sollte dagegen die leichte Bergluft besonders gesund sein. Der Eklektiker Scheuchzer favorisierte hier, wie Marion Baumann hervorhebt, eine an der cartesianisch inspirierten Pathophysiologie angelehnte Erklärung, obwohl er in anderen Bereichen an der galenischen Hu-

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moralpathologie festhielt. Das Heimweh ist bei Scheuchzer somit keine psychische Krankheit, sondern die natürliche Reaktion des homo alpinus auf äussere physikalische Bedingungen. Scheuchzer trug durch die Zirkulation seiner populärwissenschaftlichen Schriften erheblich zur Aufwertung des Alpenbildes bei und propagierte die Berge als „Trost- und Heilhauß der Krancken“.

„Epistemische Genres“: Populare und gelehrte Wissensformate Die Verflechtungen popularen und gelehrten Wissens zeigen sich in der personalen Vernetzung von Laien und Experten, sie werden aber auch innerhalb der literarischen Produktion selbst wirksam. Die Verbreitung des Wissens war wesentlich an dessen Format gebunden. Die literarischen Konventionen strukturierten einerseits das überlieferte Wissen, während andererseits Neuformatierungen neues Wissen hervorbrachten und verschiedene Rezipientenkreise adressierten. Überschneidungen von popularem Wissen und gelehrter Wissenschaft ergeben sich auch aus der innovativen Vermischung von Gattungstraditionen. Gianna Pomata untersucht in ihrem Beitrag Genres aus der wissenschaftlichen Literatur : das Rezept und die Fallgeschichte. Dabei verwendet sie anstelle literarischer Gattungsdefinitionen den Begriff des epistemischen Genres, das das Format an die Wissensinhalte bindet und damit die Interaktion von Wissenspraktiken und Denkstilen reflektiert. Gattungstraditionen, so die Autorin, entstehen durch soziale Traditionenbildung und eignen sich damit besonders gut als Forschungsobjekte einer kulturgeschichtlichen und transnationalen Wissensgeschichte. Zuweilen werden sie jedoch auch untergraben und durch die Hybridisierung verschiedener Traditionen umformt. Diesen Vorgang untersucht Gianna Pomata am Beispiel des Rezepts und den daraus hervorgegangenen Observationes. Die sich an der Schnittstelle von popularem Wissen und gelehrter Medizin bewegenden Rezepte, die im Gegensatz zu den antidotaria individuell auf den Patienten abgestimmt waren und vielmehr Praxiswissen als das Wissen antiker Autoritäten und medizinischer Theorie abbildeten, etablierten sich über die Verknüpfung mit der gelehrten Kommentartradition als ein neues Genre. Die epistemischen Genres reflektieren damit auch einen Wandel kognitiver Praktiken, indem das Praxiswissen zum gelehrten Standard erhoben wurde. Das individuelle und praxisbezogene Wissen formierte sich zur gelehrten Empirie im Format der Observationes. Auch Flemming Schock befasst sich mit Wissensformaten, wobei er insbesondere „populare“ Quellengattungen des Barock und damit die Wissenschaftspopularisierung vor der Entstehung der modernen Massenmedien in den Blick nimmt. Schock illustriert Stationen frühneuzeitlicher „Wissenspopulari-

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sierung“ an drei Beispielen: Erstens untersucht er die Kompilationsliteratur und „Buntschriftstellerei“ des Erasmus Francisci (1627 – 1694), zweitens den Schreibkalender des Gottfried Kirch (1639 – 1710) sowie drittens die Relationes curiosae des Eberhard Werner Happel (1647 – 1690), einer der ersten deutschsprachigen Zeitschriften. Schock beschreibt, wie zuvor Gianna Pomata, eine Hybridisierung verschiedener Gattungstraditionen, die einerseits über Medienwandel, andererseits über Wissenspraktiken wie der Kompilation erfolgte. Francisci publizierte einerseits auf Deutsch, aber auch die unterhaltsamen Wissensinhalte vermochten ein breiteres Publikum anzusprechen. Sowohl in der thematischen Breite als auch in Adaptionen konversationsliterarischer Elemente ergaben sich strukturelle Parallelen zur handlicheren Kalenderliteratur, die überdies das neue Genre der Zeitschriftenliteratur rezipierte und dem deutschen Publikum nahebrachte. Ungefähr zur gleichen Zeit entstanden wiederum erste deutschsprachige Journale. Dialogische Präsentationsformen und periodische Erscheinungsformen schrieben sich in die Medien des Buches, des Kalenders und des Periodikums ein, wodurch komplexe Wissensinhalte zum unterhaltsamen Zeitvertrieb und kommerziellen Konsumgut umfunktioniert wurden. Simona Boscani Leoni untersucht Netzwerke frühneuzeitlicher Naturforscher, welche nicht nur Kontakte mit weiteren Naturforschern unterhielten, sondern über diverse Instanzen Informationen verschiedener Bevölkerungsschichten aus unterschiedlichen Regionen zugesandt erhielten. Fragebögen und Korrespondenzen spielten in diesem Vermittlungsprozess eine entscheidende Rolle. Pfarrer, Diplomaten, Händler oder Geistliche dienten als Multiplikatorien der Kommunikation; sie verteilten die Fragebögen und sammelten die eingehenden Informationen der ortsansässigen Bevölkerung. So zeigt Boscani Leoni, wie der schweizerische Naturhistoriker Johann Jakob Scheuchzer über einen nach englischem Vorbild verfassten Fragebogen empirische Daten unterschiedlichster Art sammelte, strukturierte und über seine internationalen Beziehungen (beispielsweise zur Royal Society) verbreitete. Die Antworten auf seinen Fragebogen wurden von lokalen Vermittlern zusammengetragen und an Scheuchzer weitergereicht. Die Autorin rückt damit die besondere Bedeutung der lokalen Informanten ins Zentrum der frühneuzeitlichen Wissensproduktion und beschreibt damit den Wissens- und Wissenschaftstransfer als einen vielschichtigen und keineswegs einseitig verlaufenden Prozess.

Bäderkunde Das Bade- und Kurwesen, ein bis weit in die Neuzeit essentieller Teilbereich des medizinischen Angebots für fast alle Teile der Gesellschaft, ist von der neueren Wissenschafts- und Wissensgeschichte immer noch weitgehend unbearbeitet.

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Dies ist umso erstaunlicher, als die Balneologie (Bäderheilkunde) eine Schnittstelle von Naturwissenschaft und Ökonomie, von Musse und Medizin darstellt. Hier versucht der Band, verschiedene Forschungsperspektiven vorzustellen und zu weiterer Vertiefung anzuregen. In seinem Aufsatz zum balneologischen Wissen der Frühen Neuzeit zeichnet Frank Fürbeth zunächst die Entwicklung vom antiken Laien- und Fachdiskurs über die medizintheoretische Systematisierung im arabischen Kontext bis zu Gentile da Foligno (1280/90 – 1348) nach. Dieser führte erstmals den systematisch-medizinischen Diskurs der arabisch-mittelalterlichen Medizin und den unsystematisch-empirischen Diskurs des traditionellen Heilquellengebrauchs zusammen und begründete so nicht nur die Bäderheilkunde als Subdisziplin der universitären Medizin, sondern etablierte gleichzeitig ein für alle nachfolgenden Balneologen verbindliches Paradigma. Die bäderkundlichen Texte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit enthalten somit immer Anteile medizinischtheoretischen und therapeutisch-anwendungsorientierten Wissens, wobei, wie Fürbeth anhand dreier Textreihen des 16. Jahrhunderts demonstriert, je nach Adressatenkreis der theoretische Teil verkürzt wurde, da für den erfolgreichen Gebrauch einer Heilquelle weder der behandelnde Arzt noch der sich selbst therapierende Patient diesen benötigten. Umgekehrt erlaubte es das Textparadigma, den balneologisch-heilkundlichen Kern um naturkundliche, kulturelle und heilsgeschichtliche Wissensbestände zu erweitern. Da nicht simplifizierend von einer lateinisch-gelehrten und einer volkssprachlich-laikalen Diskursebene gesprochen werden kann, müssen die medizinisch-professionellen, gelehrthumanistischen und ungelehrt-laikalen Anteile je nach Gebrauchsintention des Autors und anvisiertem Publikum für jedes balneologische Werk einzeln identifiziert werden. Ute Lotz-Heumann untersucht Heilquellen über die Zusammenhänge von Medizinalwissen und religiösen Deutungskonzepten und nimmt zu diesem Zweck nicht nur gelehrte Bäderliteratur, Flugblätter, Werbeschriften oder Bilder in den Blick, sondern auch die an den Quellorten vorzufindende materielle Kultur. Lotz-Heumann unterscheidet drei verschiedene Typen von Bädern und Quellen, welche religiöses und medizinisches Wissen als Voraussetzung der jeweiligen Repräsentationskultur haben: erstens sakrale Quellen im katholischen Kontext, welche visuell, rituell und räumlich in eine religiöse Repräsentationskultur eingebettet waren; zweitens Heilquellen, welche im Kontext des medikalen Wissens repräsentiert wurden; und schliesslich Wunderquellen im lutherischen Kontext, welche als vorübergehende Phänomene wahrgenommen wurden und dementsprechend kaum eine dauerhafte, materielle Repräsentationskultur aufwiesen. Im Beitrag von Ute Lotz-Heumann werden dadurch Überschneidungen von Religion und Wissenschaft, von popularen und elitären Repräsentationskulturen, die jenseits dieser Typisierung zuweilen auch ausge-

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handelt werden mussten, deutlich. Dabei wird die Bäderkunde nicht nur hinsichtlich medizinischer Wirksamkeit betrachtet, sondern die religiöse Deutung und kulturelle Bedeutung als balneologisches Wissen in die Untersuchung einbezogen. Anhand der Korrespondenz des Zürcher Arztes und Naturforschers Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) mit dem adeligen Bündner Badbesitzer Carl Gubert von Salis-Maienfeld (1660 – 1740) und seiner Schwester, der Heilkundigen und Autorin Hortensia Gugelberg von Moos-von Salis (1659 – 1715), geht Philipp Senn der Frage nach, welche Stellung sogenannte Laien innerhalb eines frühneuzeitlichen Beziehungs- und Korrespondenznetzwerks einnehmen und über welches Gewicht sie darin allenfalls verfügen konnten. Während Hortensia von Salis als Mäzenin Scheuchzers diesen für ein populares, insbesondere weibliches Lesepublikum sensibilisierte, nahm Carl Gubert von Salis aus durchaus wissenschaftlichem, aber auch ökonomischem Interesse Einfluss auf Scheuchzers balneologische Schriftproduktion. Am Beispiel des im Besitz der Familie von Salis befindlichen Heilbads Fläsch beschreibt Senn den Prozess, wie gelehrt-medizinisches und empirisch-praxisorientiertes balneologisches Wissen unterschiedlicher Provenienz um 1700 in eklektischer Manier verknüpft und, unter Mitwirkung von Medizinern und Laien, im Rahmen naturgeschichtlicher Literatur popularisiert wurde. Wurde Scheuchzer innerhalb seines Netzwerks bisher meist als zentrale, steuernde Figur betrachtet und seine lokalen Korrespondenten lediglich als Informationslieferanten, wird hier deren aktive Rolle in der Produktion von Wissen stärker beleuchtet.

Tierwelten Auch an Beispielen der Tiergeschichte werden Interaktionen gelehrten und popularen Wissens sichtbar. Brian Ogilvie illustriert anhand der Kategorie der Insekten die verschiedenen Konzepte gelehrter Tiertaxonomie und popularer Tierklassifikation. Die Insektenforscher des 17. und 18. Jahrhunderts nahmen sich die Systematisierung weitgehend popularen Wissens über Insekten zur Aufgabe, während Insekten zuvor kaum nähere Beachtung gefunden hatten. Die frühneuzeitlichen Insektentaxonomien stellt Ogilvie dem aus der Anthropologie stammenden Konzept der folk taxonomy gegenüber, worunter ein auf alltäglichem Wissen beruhendes Klassifikationssystem verstanden wird. Der Begriff des Insekts fand erst im 16. Jahrhundert – nach der Neuentdeckung und der Relektüre antiker Texte sowie nach neuen Einsichten in mikroskopische Tierwelten – in gelehrten Kreisen breitere Anwendung. Über Amateurforscher und interessierte Wissenschaftsenthusiasten wirkte die gelehrte Insektenforschung schliesslich auch

Einführung. Schauplätze wissensgeschichtlicher Forschung

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auf die volkssprachige Literatur ein, während die gelehrten Studien noch bis ins späte 18. Jahrhundert einen weit gefassten Insektenbegriff der folk biology, der Spinnen, Schnecken oder Frösche miteinschloss, verwendeten. Am Beispiel des technischen Begriffs des Insekts zeigt Brian Ogilvie somit, wie Gelehrte populares Wissen rezipierten, anschliessend popularisierten und dabei stets von popularen Vorstellungen darüber, was ein Insekt sei, geprägt blieben. Die zwei weiteren Beiträge von Fabian Krämer und Silvia Flubacher untersuchen weniger die Durchdringung gelehrter und popularer Wissensbestände als die Markierungen von Gelehrtheit und Popularität. Das „Populare“ verstehen sie als eine kognitive Kategorie, die als Zuschreibung und Abgrenzung zur „Wissenschaftlichkeit“ in den Quellen ihre eigene Dynamik erhält. So wurde im 18. Jahrhundert das Wissen um den Centaur, wie Fabian Krämer erörtert, zur volkstümlichen Fabel degradiert. Der Autor möchte in seinem Beitrag das Verschwinden der Fabeltiere aus der gelehrten Naturforschung nicht allein als einen wissenschaftlichen Fortschritt erklären. Stattdessen zeigt er auf, dass es bei der Frage nach der Existenz der Fabeltiere immer auch um Beziehungen und Grenzziehungen zwischen den Vorstellungen von Gelehrtheit und dem Popularen ging. Neben der zunehmenden Bedeutung der eigenen Beobachtung, durch welche die naturgeschichtliche Auseinandersetzung mit Fabeltieren problematisch wurde, diagnostiziert Krämer den Niedergang des epistemischen Status fabelhafter Wissenskreaturen vor allem in einer veränderten Lektürepraxis. So referierte Albrecht von Haller in einer Vorlesung kritisch über den Centauren, nachdem kurz zuvor ein Pamphlet die Ankunft eines Centaurs in London satirisch angekündigt hatte. Während das Pamphlet als Satire gelesen werden musste, nutzte Haller das Schauspiel, um seine kritische Wissenschaftlichkeit zur Schau zu stellen. Das Fabeltier war somit nicht gänzlich aus der Wissenschaft gebannt, sondern diente als Beispiel volkstümlichen Glaubens zur Profilierung gelehrten Wissens. Der Wertewandel ging mit einer gleichzeitigen Umwertung der Neugier einher ; die unreflektierte Neugier wurde somit dem vulgus zugeschrieben. Silvia Flubacher wiederum untersucht die Aufwertung popularen Wissens innerhalb gelehrter Wissenschaft sowie die Bedeutung lokalen Naturwissens für eine international vernetzte und zunehmend auf Empirie setzende Naturgeschichtsschreibung. Die Naturforscher des 17. und 18. Jahrhunderts bemühten sich intensiv um die Sammlung lokalen und popularen Wissens und wiesen diesem in einer zunehmend antischolastischen Rhetorik den Rang empirischen Wissens zu. So zeigt die Autorin, wie sich der gelehrte Johann Jakob Scheuchzer über seinen exklusiven Zugang zu lokalem, empirischem Wissen innerhalb der Gelehrtenrepublik zu positionieren vermochte. Scheuchzer setzte dabei insbesondere auf Chorographien, die bereits im 16. Jahrhundert die lokale Umgebung vor Ort beschrieben. Während die lokal-patriotisch geprägten Chorographien

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Einführung

jedoch die Topographie der Alpenlandschaft hervorhoben und dabei beispielsweise den Gemsjäger mythisch überhöhten, bewirkte die internationale Vernetzung der Naturgeschichtsschreibung gewissermassen eine Einebnung lokalen Wissens: So suchten die gelehrten Naturforscher die Alpentiere innerhalb einer international gültigen Tiertaxonomie einzuordnen. Dabei geht auch Flubacher weniger von einem dichotomischen Verhältnis von (popularem) Wissen und (gelehrter) Wissenschaft aus, sondern untersucht, wie Fabian Krämer, Grenzziehungen und Zuschreibungen von Gelehrtheit und Popularität innerhalb frühneuzeitlicher Chorographie und Naturgeschichte.

Experten, Laien und die Neue Wissenschaft – Experts, lay people and the new science

Emma C. Spary

Kennerschaft versus chemische Expertise. Was es im Paris des 18. Jahrhunderts über Nahrungsmittel zu wissen gab

(Übersetzt von Pia-Mara Essich unter Mitarbeit von Silvia Flubacher und Philipp Senn)

Einführung Im Jahre 1694 veröffentlichte der Pariser Zunft- und Handelsmann Pierre Pomet ein illustriertes Kompendium des medizinischen Wissens mit dem Titel Histoire g¦n¦rale des drogues.1 Wie ich bereits an anderer Stelle dargelegt habe, erfüllte dieses Buch verschiedene Funktionen und sprach einen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Leserkreis an. Es diente als Verzeichnis von Pomets Waren ebenso wie als wissenschaftliche Darstellung seiner Sammlung, die mit ihren naturhistorischen, medizinischen und chemischen Schätzen faszinierte.2 Diese Geschichte der Heilmittel führt dem Leser aber auch die ausserordentliche Bedeutung vor Augen, welche die Sinne für die Parisiens bei der Herausbildung von Wissen über Lebensmittel hatten. Dieser Beitrag soll darlegen, wie wissenschaftliche und medizinische Experten seit Pomets Zeiten versuchten, über den Geschmackssinn die Beziehung zwischen Lebensmittelproduzenten und Konsumenten zu definieren und darüber hinaus zwischen Elite- und Normalkonsumenten zu unterscheiden. In diesem Sinne stand Wissen über Geschmack. Über die Eigenschaften von Lebensmitteln und Getränken im Allgemeinen läßt sich an einem wichtigen Knotenpunkt zwischen verschiedenen Gruppen der frühneuzeitlichen Öffentlichkeit lokalisieren. Es kann uns helfen, die wechselnden Machtverhältnisse dieser maßgeblichen Gruppen im Laufe der Zeit nachzuvollziehen. 1 Pierre Pomet: Histoire generale des Drogues, traitant des Plantes, des Animaux, & des Min¦raux. Paris 1694. 2 Emma C. Spary : Pierre Pomet’s Parisian Cabinet. Revisiting the Visible and the Invisible in Early Modern Collections. In: Marco Beretta (Hg.): From Collections to Museums. Canton MA 2005, S. 59 – 80.

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Abb 1: A. leClerc le Ieune: Petrus Pomet Aromatarius Parisiensis. Frontispiz aus Pierre Pomet: Histoire generale des drogues, Traitant des Plantes, des Animaux, & des Min¦raux. Paris: JeanBaptiste Loyson, 1694. Wellcome Library, London. Der zünftische Lebensmittelhändler Pierre Pomet veröffentlichte den ersten systematischen Leitfaden zu den kommerziellen Verwendungen und mannigfachen Fälschungen von Naturprodukten für eine dreigeteilte Pariser Leserschaft: Händlerkollegen, Gelehrte und gehobene Konsumenten.

Die Arbeiten von Lissa Roberts und Ursula Klein haben die Aufmerksamkeit der Wissenschaftshistoriker auf die von den frühneuzeitlichen Chemikern angewandte „sensuous technology“ (Roberts) gelenkt.3 Unter Verwendung der

3 Lissa Roberts: The Death of the Sensuous Chemist. The ,New‘ Chemistry and the Transformation of Sensuous Technology. In: Studies in History and Philosophy of Science 26 (1995), S. 503 – 530; Ursula Klein: The Chemical Workshop Tradition and the Experimental Practice. Discontinuities Within Continuities. In: Science in Context 9/3: Sonderheft: Wolfgang LefÀvre (Hg.): Fundamental Concepts of Early Modern Chemistry. Berlin 1996, S. 251 – 287; Ursula

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Sinne erlangtes Wissen unterstrich deren Anspruch, sich als Experten mit der Beschaffenheit von Materialien auszukennen. Beide Historikerinnen merken an, dass die Sinne für Drogisten und Apotheker eine besonders wichtige Quelle des Wissens waren. Blick, Tastsinn, Geruchssinn und insbesondere Geschmackssinn wurden genutzt, um die Produkte chemisch zu analysieren und um Aussagen über die chemischen Eigenschaften bestimmter Materialien zu treffen. Gewerbe und Handel setzten die Sinne nicht nur für die Produktion von Wissen ein, sondern auch, um die Qualität ihrer Waren zu überwachen. Da Kaufleute nicht nur Wissen hervorbrachten, sondern auch als Verkäufer persönlich mit ihren Kunden Geschäfte machten, waren sinnliche Kenntnisse für sie besonders wichtig. Was die Herstellung von Lebensmitteln und Medikamenten anging, so waren ihre Fertigkeiten auch eine Form der Autorität in der medizinischen Welt der Frühen Neuzeit, in der verschiedene Gruppen von praktizierenden Heilern um die Kunden wetteiferten; damit übten sie auch eine gewisse Kontrolle über den medizinischen Markt aus.4 Besonders im medizinischen Bereich war sinnliches Wissen in die Beziehungen zwischen Kaufleuten (Apotheker eingeschlossen) und deren Kunden eingebettet und beeinflußte den Ruf der ausgetauschten Waren. Allerdings war das aus Sinneserfahrungen erlangte Wissen nicht nur Kaufleuten oder Gelehrten vorbehalten. Es war auch, wie ich noch ausführen werde, eine unentbehrliche epistemologische Fertigkeit der Konsumenten, die sich auf einem vergleichsweise unregulierten Markt bewegten, insbesondere wenn es um Produkte ging, die eingenommen oder sonst am Körper angewandt werden sollten. Wir können demnach die Konsumenten als sinnliche Connaisseurs verstehen und in diesem Sinne als eigenständige Wissensexperten für verarbeitete Waren, insbesondere für Nahrungsmittel, Getränke und Medikamente. Pomet richtete sich sowohl an Kunden als auch an Produzenten. In diesem Beitrag werde ich auf essbare Produkte fokussieren und der Frage nachgehen, wie Kennerschaft für Nahrungsmittel und Getränke erworben und genutzt wurde, inwiefern sie die Position der Konsumenten stärkte und wo die Grenzen der Kennerschaft lagen. Der Nahrungsmittelmarkt im Europa der Frühen Neuzeit wurde von Beamten auf lokaler und nationaler Ebene überwacht. Sie stellten durch entsprechende Klein, Emma C. Spary (Hg.): Materials and Expertise in Early Modern Europe. Between Market and Laboratory. Chicago, London 2009. 4 Für die regulierte und unregulierte Welt der medizinischen Praxis im 18. Jahrhundert siehe Matthew Ramsey : Professional and Popular Medicine in France, 1770 – 1830. The Social World of Medical Practice. Cambridge 1988; Caroline Hannaway : Medicine, Public Welfare and the State in Eighteenth Century France. The Soci¦t¦ Royale de M¦decine of Paris (1776 – 1793). Nicht publ. Diss., Johns Hopkins University, Baltimore MD 1976; Laurence Brockliss, Colin Jones: The Medical World of Early Modern France. Oxford 1997; Mark S. R. Jenner, Patrick Wallis: The Medical Marketplace. In: dies. (Hg.): Medicine and the Market in England and Its Colonies, c. 1450–c. 1850. Houndsmill, Basingstoke, New York 2007, S. 1 – 23.

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Gesetzgebung und juristische Vorgehensweisen sicher, daß die auf öffentlichen Märkten erhältlichen Waren verfügbar, qualitätvoll und gesund waren. Diese wurden von Sozialhistorikern gut untersucht, zunächst im Fall der Grundnahrungsmittel wie Brot, Milch, Fleisch und Wein.5 In diesem Beitrag möchte ich einige Nahrungsmittelkategorien ansprechen, die im Laufe des 18. Jahrhunderts von immer breiteren Kreisen konsumiert, jedoch nur teilweise von der existierenden Gesetzgebung berücksichtigt wurden. Denn im Falle dieser neuen Nahrungsmittel, deren Produktion oder deren Konsum noch nicht durch jahrhundertealte Traditionen und Gesetze eingeschränkt waren, kreuzten sich die Kenntnisse der Konsumenten mit den Versuchen der wissenschaftlichen Praktiker zur Selbstorganisation auf mannigfache Weise. Im Gegensatz zur Sozialgeschichte der Lebensmittelversorgung liegt der Schwerpunkt in diesem Beitrag weniger auf den Grundnahrungsmitteln, als vielmehr auf einer spezifischen Gruppe von Nahrungsmitteln, die entweder vor dem Verkauf einen gewissen Grad an Verarbeitung erfahren haben oder die die Grenze zwischen Lebensmitteln und Medikamenten verwischten, beispielsweise Gewürze. Solche Lebensmittel waren zunächst neu, exotisch und ungewohnt für die Konsumenten, vor allem aber war ihr Status, da sie sich den bestehenden Lebensmittelgesetzen entzogen, oft über Jahrzehnte weder als immaterielles, noch als Handelsgut verbindlich definiert. Gegen Ende des Jahrhunderts kam die Obrigkeit davon ab, die Lebensmittelversorgung als moralischen Vertrag zwischen Herrschenden und Beherrschten zu betrachten, und eine vertrautere Dreiecksbeziehung, in der Wissenschaftler als Experten in die öffentlichen Debatten zwischen Regierungen, Konsumenten und Nahrungsmittelproduzenten eingriffen, begann sich zu entwickeln.6 Zu diesem Zeitpunkt gewannen sowohl die Versuche der Chemiker, 5 Siehe z. B. Reynald Abad: Le grand march¦. L’approvisionnement alimentaire de Paris sous l’Ancien R¦gime. Paris 2002; Steven Laurence Kaplan: Provisioning Paris. Merchants and Millers in the Grain and Flour Trade During the Eighteenth Century. Ithaca 1984; ders.: The Bakers of Paris and the Bread Question, 1700 – 1775. Durham, London 1996; Roger Dion: Histoire de la vigne et du vin en France des origines au XIXe siÀcle. Paris 1959; Sydney Watts: Meat Matters. Butchers, Politics, and Market Culture in Eighteenth-century Paris. Rochester NY 2006. 6 Für das „moral economy“-Modell der Nahrungsmittelverteilung vgl. die Originaldiskussion von Edward P. Thompson: The Moral Economy of the English Crowd in the Eighteenth Century. In: Past and Present 50 (1971), S. 71 – 136., auf das französische Beispiel bezogen Louise A. Tilly : The Food Riot as a Form of Political Conflict in France. In: Journal of Interdisciplinary History 2 (1971), S. 23 – 57; dies.: Food Entitlement, Famine and Conflict. In: Journal of Interdisciplinary History 14 (1983), S. 333 – 349; Kaplan, Provisioning Paris, 1984. Die Debatte über dieses Modell wird von John Bohstedt: The Politics of Provisions. Food Riots, Moral Economy, and Market Transition in England, c. 1550 – 1850. Aldershot 2010 dargelegt. Für die Beziehungen zwischen verschiedenen Gruppen, die Einfluß auf die Nahrungsmittelregelungen im öffentlichen Bereich hatten, siehe insbesondere (obwohl für das

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die Nahrungsmittelexpertise zu monopolisieren, als auch die fest verwurzelte Tradition der Pariser Connaisseurs zunehmend an Bedeutung – und an Brisanz. Dieser Aufsatz geht daher der Frage nach, wie eine Form der Expertise über Lebensmittel und Getränke, veranschaulicht an der Definition eines Gourmets im Dictionnaire de l’Acad¦mie FranÅoise von 1694 als „jemand der weiß [sÅait], wie man Wein erkennt [conno„tre] und probiert“, schleichend an Bedeutung verlor – zugunsten des Vertrauens in Individuen und Institutionen, die für sich in Anspruch nahmen, die Öffentlichkeit als neutrale Schiedsrichter auf der Basis ihrer Vormachtstellung über bestimmte Formen wissenschaftlicher Expertise zu repräsentieren.7 Es wird schon aus meinen Ausführungen bis zu diesem Punkt deutlich, daß die Kategorie der „chemischen Experten“, die ich in diesem Essay anführe, notwendigerweise breit gefächert ist. Der Titel soll nicht als beschränkt auf die bekannten Exponenten der chemischen Revolution verstanden werden, obwohl einige dieser Personen in der Tat an der Debatte über öffentliche versus institutionelle Expertise beteiligt waren. Ich befasse mich vielmehr mit einer größeren Zahl von Chemikern, die meist auch kommerzielle Interessen hatten und sich während des 18. Jahrhunderts verschiedentlich in die öffentliche Debatte über Lebensmittel einmischten. Chemie so zu fassen bedeutet, sich der dominanten Rolle bewußt zu werden, die Kaufleute durch den Gebrauch chemischen Wissens spielten – indem sie zur Bildung einer größeren, wenn auch einförmigeren Gruppe von Akteuren auf dem Gebiet der Chemie beitrugen, die über die bedeutenden Chemiker der Acad¦mie Royale des Sciences wie AntoineLaurent de Lavoisier hinausgingen – und die, auch wenn sie sich selbst nicht immer als wissenschaftliche Chemiker bezeichneten, nichtsdestoweniger mit chemischen Verfahren beschäftigt waren und Lebensmittel, Medikamente und andere für eine funktionierende Gesellschaft unverzichtbare Substanzen für den täglichen Gebrauch zur Verfügung stellten.8

19. Jahrhundert) Alessandro Stanziani: Histoire de la qualit¦ alimentaire. XIXe – XXe siÀcle. Paris 2005. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden in der städtischen Öffentlichkeit solche unterschiedlichen Gruppen von autoritativen, den Handel, Konsum, die Regierung und Wissenschaft repräsentierenden Kommentatoren, wobei diese offensichtlich völlig verschieden von den im 19. Jahrhundert existierenden Gruppen waren. 7 Art. Gourmet. In: Le Dictionnaire de l’Acad¦mie franÅoise, dedi¦ au Roy. Bd. 1. Paris 1694, S. 528. Für eine detaillierte Diskussion von Feinschmeckertum, Geschmack und Lebensmittel siehe Emma C. Spary : Eating the Enlightenment. Food and the Sciences in Paris. Chicago 2012, passim. 8 Vgl. Ursula Klein, Emma C. Spary : Introduction: Why Materials? In: dies., Materials and Expertise, 2009, S. 1 – 23.

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Dilemmata der frühneuzeitlichen Konsumenten Pierre Pomets Buch zeigt an einer Vielzahl von Beispielen das Dilemma auf, mit dem sich der Pariser Konsument konfrontiert sah. Bei der Beschreibung der Gewürzmischung, die als ¦pices fines (edle Gewürze) bekannt war, hielt Pomet fest, daß diese – fachgerecht hergestellt – aus schwarzem Pfeffer, Nelken, Muskat, getrocknetem Ingwer, grünem Anis und Koriander bestünde. Allerdings gelangte dieses Produkt, wie viele andere in seinem Buch erwähnte, meist in verarbeiteter Form als gemahlenes Gewürz zum Verbraucher, nicht als ursprüngliche Pflanzenteile. So war es der Gefahr ausgesetzt, während der Produktion von skrupellosen Händlern verfälscht zu werden. Pomets vordringliches Anliegen als Zunfthändler in Paris war es, seinen Lesern das Rüstzeug des Kenners an die Hand zu geben, das notwendig war, um zwischen den echten ¦pices fines (wie von ihm beschrieben) und verschiedenen Fälschungen zu unterscheiden, mit denen sie unter Umständen auf dem Markt in Berührung kamen. Pfeffer, so bemerkte Pomet, werde häufig durch den Staub ersetzt, der sich auf dem Transport zwischen Pfefferkörnern bildet, während Nelken üblicherweise durch Jamaika-Pfeffer (Piment) substituiert würde. Anstelle des Muskats verwendeten die Fälscher weiße Kostwurz (eine Ingwerart aus Südostasien) oder „eine bestimmte weiße Rinde, deren Identität ich nicht kenne, außer daß sie von den [westindischen] Inseln kommt und daß sie dem matten Zimt so gleicht, daß es unmöglich ist, zwischen ihnen zu unterscheiden; aber sie ist völlig verschieden im Geschmack, denn diese unbekannte Rinde hat den Geschmack von Sassafras, Gewürzlilie & Nelke zusammengemischt, & die sie verkaufen, nennen sie Zimtholz, Nelkenzimt oder Nelkenholz & sagen, es sei die Rinde des Gewürznelkenbaums; das ist falsch, ich für meinen Teil glaube vielmehr, daß es die Rinde einer Art des Sassafras ist.“9

Die Histoire g¦n¦rale des drogues ist voll von solchen Fällen, in denen Pomet seinen Lesern dazu riet, ihre Sinne zu nutzen um die Lebensmittel- und Medizinfälschungen zu erkennen und zu bekämpfen – hauptsächlich durch einen Prozeß geschmacklicher Klassifikation und die Erlangung von auf Erfahrung beruhender, weitreichender Expertise. Die Konsumenten auf die Fälschungs9 Pomet, Histoire g¦n¦rale des drogues, 1694, S. 194 f. „Matter Zimt” stand möglicherweise für Indonesischen Zimt oder Cinnamomum burmanii. Französische Konsumenten verstanden unter „cannelle” ein Gewürz, das aus der Rinde sowohl der Zimtkastanie (Cinnamomum cassia) als auch des Echten Zimtbaums (C. verum) bestehen konnte. Bis heute ist die Definition für Zimt im Handel immer noch uneinheitlich: In den USA kann die Rinde aller drei Bäume als Zimt verkauft werden, während im britischen Handel nur die Rinde des Echten Zimtbaumes als solcher bezeichnet werden darf. Die Fälschungsdebatten nahmen demnach unterschiedliche Ausgänge an unterschiedlichen Schauplätzen. Siehe Alan Davidson: Art. Cinnamon. In: The Oxford Companion to Food. Oxford 1999, S. 186 f.; Art. Cinnamomum burmannii. In: Wikipedia, , [24 Apr. 2012].

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praxis aufmerksam zu machen, ihnen die Unterscheidungsfähigkeit des Gaumens zu lehren, diente Pomets eigenen Interessen als Meister der Kaufmannszunft genauso wie den Interessen der Konsumenten. Zunfthändler konnten sich als Lieferanten der echten Arzneien präsentieren, und sie konnten das noch überzeugender vor einem Publikum, das bereits gelernt hatte, zwischen echten und gefälschten Formen einer bestimmten Arznei zu unterscheiden. Die Definitionen „echter“ und „falscher“ Medikamente, und damit die gesamte Definition dessen, was als „Fälschung“ im Sinne medizinischer Stümperei galt, waren stets kulturspezifisch, wie Hans-Jürgen Teuteberg gezeigt hat.10 Für sich in Anspruch zu nehmen, zwischen falschen und echten Formen eines Lebensmittels unterscheiden zu können, bedeutete gleichzeitig, eine Grenze zwischen legaler und illegaler Handelspraxis und so auch zwischen rechtmäßigen und unrechtmäßigen Kaufleuten zu ziehen. Das Bestimmen von Fälschungen entsprach somit im Grunde dem Bestreben, die soziale Gruppe der Kaufleute zu definieren und von der Norm Abweichende auszugrenzen. Dieses Abgrenzungsverhalten bediente sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend wissenschaftlicher und medizinischer Expertise, von botanischem Wissen darüber, welche Arten die Grundlage welches Nahrungsmittels waren, bis zu chemischem Wissen darüber, wie bestimme Waren aussehen, schmecken und riechen sollten. Während die französische Krone das System der monopolisierten Zünfte damit rechtfertigte, daß nur dieses System die Aufrechterhaltung von Qualitätsstandards für Konsumenten garantieren könne, dienten die Bemühungen der Zunfthändler zu definieren, was als Fälschung galt, und die Geschäfte derjenigen zu unterbinden, welche gegen diese Definition verstießen, hauptsächlich der Wahrung ihrer eigenen Handelsinteressen und nicht dem Vorteil der Konsumenten. Die Rede von Fälschungen ging nicht zwangsläufig mit dem Schutz der Konsumenten einher, und es ist mir keine Intervention eines Nahrungsmittelexperten bekannt, die spezifische Behauptungen über die Wirkung dieser verarbeiteten Nahrungsmittel auf die Gesundheit gemacht hätte. Das Ziel war stets, die Vertrauenswürdigkeit der Händler hervorzuheben, die sie herstellten und verkauften.11 Für die Käufer solcher Waren war die Aneignung von Kennerwissen und 10 Hans Jürgen Teuteberg: Food Adulteration and the Beginnings of Uniform Food Legislation in Late Nineteenth-century Germany. In: John Burnett, Derek J. Oddy (Hg.): The Origins and Development of Food Policies in Europe. Leicester 1994, S. 146 – 160. 11 In Emma C. Spary : Feeding the Nation. Science, Expertise and Enterprise in France, 1760 – 1815. Cambridge [erscheint 2014], Kap. 4 stelle ich z. B. dar, wie die neu gegründete Soci¦t¦ Royale de M¦decine in den 1770er und 1780er Jahren es explizit vermied, als Schiedsrichterin zwischen den Behauptungen rivalisierender Händler über die Wirkung bestimmter Substanzen, Rezepte oder Herstellungsmethoden auf die Gesundheit aufzutreten, eine Rolle, welche die Fähigkeit der Gesellschaft, als neutral und spezialisiert aufzutreten, beeinträchtigt hätte.

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wissenschaftlichen Kenntnissen, um zwischen echten und gefälschten Produkten unterscheiden zu können, eine Fähigkeit von unschätzbarem Wert. In einer Welt, in der Rechtsvorschriften rar und schwierig durchzusetzen waren, war das Vertrauen in Händler und Lebensmittelhersteller immer infrage gestellt. Zwei Probleme plagten den Esser : Erstens war es unmöglich, die Herstellung der Lebensmittel zu überprüfen, wenn sie in den privaten Arbeitsräumen des Unternehmers oder an weit entfernten Orten stattfand.

Abb 2: Robert B¦nard: Das Labor des Limonadiers. Abbildung aus Jacques-FranÅois Demachy : L’Art du distillateur liquoriste; contenant le bruleur d’eaux-de-vie, le fabriquant de liqueurs, le d¦bitant, ou le cafetier-limonnadier (Acad¦mie Royale des Sciences, Descriptions des Arts et M¦tiers XV). [Paris] 1775, Tafel 5. Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Cambridge University Library, Classmark: XXVII.49.15. Die Werkstatt oder das Labor des frühneuzeitlichen Händlers war üblicherweise ein privater Raum, getrennt von den Räumen, in denen Kunden die Waren einsehen und in manchen Fällen auch konsumieren konnten. Diese Illustration zeigt das Labor eines Pariser Zunftbrenners in den 1770er Jahren.

Zweitens brachte der breitgefächerte medizinische Markt frühneuzeitlicher Städte widersprüchliche Interpretationen von gesunder Ernährung hervor. Beide Probleme verstärkten sich mit der aufkommenden Industrialisierung und dem Auslagern immer größerer Bereiche der Lebensmittelherstellung vom Haushalt in kommerzielle Bereiche. Das erste Problem, das der Intransparenz

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der Lebensmittelherstellung, wurde bekanntlich vom französischen Soziologen Claude Fischler als charakteristisches Dilemma moderner Esser identifiziert.12 Das zweite Problem hat Konsequenzen für den Käufer, der gezwungen ist, sich zwischen verschiedenen Händlern oder verschiedenen Versionen desselben Produkts zu entscheiden. Im folgenden Abschnitt meines Beitrags möchte ich diese Konsequenzen bezogen auf die Pariser Kaufmannszunft näher betrachten.

Krämer, Apotheker und die Erfindung der Fälschung Fast das ganze 18. Jahrhundert hindurch, bis zur Abschaffung der Zünfte im Jahr 1776, waren die Krämer der Stadt mit den Apothekern in einer Zunft zusammengeschlossen.13 Zahlenmäßig und finanziell waren die Apotheker schwächer als ihre Zunftgenossen, aber das Bündnis ließ sie in die oberen Ränge der städtischen Zunfthierarchie aufsteigen. Zudem setzten sich die Apotheker gegen die Macht der Krämer des öfteren auf epistemologischer Ebene zur Wehr. Im ausgehenden 17. Jahrhundert, als die Iatrochemie in Paris in Mode kam, sicherten sich die Apotheker das rechtliche Privileg, diejenigen Heilmittel exklusiv herzustellen, welche eine gewisse chemische Expertise voraussetzten, und ver12 Claude Fischler : L’Homnivore. Le go˜t, la cuisine et le corps. Paris 1993. 13 Die Geschichte ihrer sich ändernden rechtlichen, kommerziellen und epistemologischen Beziehung wurde für die wissenschaftlichen „Gewinner“ des Disputs, die Apotheker und Pharmazeuten, noch wesentlich ausführlicher erzählt: Siehe Maurice Bouvet: Histoire de la pharmacie en France des origines — nos jours. Paris 1937; B¦n¦dicte Dehillerin, Jean-Pierre Goubert: A la conquÞte du monopole pharmaceutique. Le CollÀge de Pharmacie de Paris (1777 – 1796). In: Jean-Pierre Goubert (Hg.): La M¦dicalisation de la soci¦t¦ franÅaise, 1770 – 1830 (Sonderheft von Historical Reflections/R¦flexions historiques 9, 1/2). Waterloo (Ontario) 1982, S. 233 – 248. Manche der entsprechenden Gesetzestexte sind abgedruckt in Ren¦ de Lespinasse: Histoire g¦n¦rale de Paris. Les M¦tiers et corporations de la ville de Paris. I: XIVe—XVIIIe siÀcle. Ordonnances g¦n¦rales, m¦tiers de l’alimentation. Paris 1886. Bis vor kurzem hat der historische Konsens, wie z. B. Hilton L. Root: The Fountain of Privilege. Political Foundations of Markets in Old Regime France and England. Berkeley 1994, die Zünfte als ein veraltetes Beispiel für die kommerzielle Verknöcherung des Ancien R¦gime in Paris betrachtet. Erst in den letzten Jahren wurden sie erneut zum Forschungsinteresse; siehe z. B. Stephan R. Epstein, Maarten Prak: Introduction: Guilds, Innovation, and the European Economy, 1400 – 1800. In: dies. (Hg.): Guilds, Innovation, and the European Economy, 1400 – 1800. Cambridge 2008, S. 1 – 24; Watts, Meat Matters, 2006; Philippe Minard: Les corporations en France au XVIIIe siÀcle. M¦tiers et institutions. In: Steven L. Kaplan, Philippe Minard (Hg.): La France, malade du corporatisme? XVIIIe—XXe siÀcles. Paris 2004, S. 39 – 51; Steven L. Kaplan: La fin des corporations, übers. von B¦atrice Vierne. Paris 2001; ders.: Les corporations parisiennes au XVIIIe siÀcle. In: Revue d’Histoire Moderne et Contemporaine 49 (2002), S. 5 – 55; Carolyn Sargentson: Merchants and Luxury Markets. The Marchands Merciers of Eighteenth-Century Paris. London 1996; Gail Bossenga: Protecting Merchants. Guilds and Commercial Capitalism in Eighteenth-Century France. In: French Historical Studies 15 (1988), S. 693 – 703.

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teidigten dieses Recht gegen die gesamte Pariser Kaufmannschaft, inklusive der Krämer. Die Pariser Apotheker hatten streng genommen nicht das Handelsmonopol auf eine bestimmte Warengruppe, z. B. medizinische Bedarfsgüter in Abgrenzung zu Nahrungsmitteln, wie es der moderne Leser vielleicht vermuten würde.14 Vielmehr betraf es bestimmte Fertigkeiten und Verarbeitungsmethoden, die alle zum Bereich der Chemie gehörten. Apotheker konnten destillieren, aufgießen, filtern, extrahieren, analysieren, reduzieren, mischen, digerieren und fermentieren. Die meisten diese Privilegien betreffenden Gesetzeserlasse des 18. Jahrhunders billigten den Apothekern das exklusive Recht zu, chemische Apparate in ihren Verkaufsläden auszustellen. Andere Zunftmitglieder durften solche Apparate zwar besitzen und für ihre Arbeit benutzen, durften sie aber nicht in ihren Geschäften öffentlich vorzeigen.15 Der Anspruch der Apotheker, sich von den Krämern abzugrenzen, war also eine Sache der Praktiken, nicht der Produkte. Aus diesem Grund gab es im 18. Jahrhundert zahllose Gerichtsverfahren darüber, wer das Recht hatte, bestimmte Lebensmittel herzustellen und zu verkaufen.16 Der rechtliche und epistemologische Konflikt spitzte sich bei mehreren Gelegenheiten im Lauf des Jahrhunderts zu. In den 1750er Jahren machte sich eine Gruppe junger Apothekermeister auf, die Zugangsqualifikationen für ihre Zunft zu reformieren, und stellten den Erwerb wissenschaftlichen (botanischen und chemischen) Wissens in den Mittelpunkt. Teilweise bezogen sich die Begründungen dafür auf die Unordnung der Krämer- und Drogerieläden. Balthazar Julliot, einer dieser Reformer, machte später die wachsende Zahl wissenschaftlicher Gesellschaften, die in der Hauptstadt existierten, für die Zunahme der Drogisten in der Stadt verantwortlich: Deren Mitglieder, die sich selbst als medizinische Experten betrachteten, besorgten sich Heilmittel in Drogerien, anstatt sich diese ordentlich von einem Arzt verschreiben und in einer Apotheke von einem Apothekermeister im Einklang mit dem bestehenden Recht herstellen zu lassen. Dies, so Julliot, habe zu einem Anwachsen des „Durcheinanders von Arzneimitteln und Waren“ in den Läden und so buchstäblich zur Verwischung der Grenze zwischen Lebensmitteln und Giften geführt. „Man sieht häufig in ein und demselben Laden Obst zum Verzehr, Grünspan, Käse und Butter, Bleiglätte und andere bleihaltige Kalke, Weinbrände, Honig, Auripigment und 14 Englische Apotheker waren, vergleichbar, ebensowenig klar von den Krämern abgegrenzt, da sie sowohl Nahrungsmittel als auch Medikamente verkauften. Siehe Juanita G. L. Burnby : A Study of the English Apothecary from 1660 to 1760 (Medical History, Supplement no. 3). London 1983, Kap. 2. 15 Siehe Spary, Eating the Enlightenment, 2012, Kap. 4. 16 Neben Lespinasse, M¦tiers et corporations, 1886 siehe auch Bouvet, Histoire de la pharmacie, 1937, S. 280 – 285 und Patrice Boussel, Henri Bonnemain, Frank J. Bov¦: Histoire de la pharmacie et de l’Industrie pharmaceutique. Paris 1982, S. 186 – 193.

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andere Sorten von Arsen, gekochtes Fleisch, Erbsen, Linsen und andere Grundnahrungsmittel, so kommt es, daß Lebensmittel inmitten der heikelsten Gifte gefunden werden können. Dieselbe Hand, und oftmals dieselbe Waage dient ohne Unterschied der Bereitstellung verschiedenster gefährlicher zum Malen oder Bleichen benutzter Mineralien für die einen und von Speiseöl, einer Tasse Weinbrand, Butter, Gewürzen und Käse für die anderen…“17

Das in den Krämerläden herrschende Gewirr von Lebensmitteln, Medikamenten und Giften wurde aus seiner Sicht durch das Übertreten der Grenze zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und unwissenschaftlicher Ignoranz, zwischen dem Wissen des Apothekers und der Handfertigkeit der Krämer und durch wirtschaftliche Interessen erzeugt. Auf diese Weise suchten die Apotheker epistemologische Überlegenheit zu erringen und sprachen den konkurrierenden Händlern oder den Kunden deren ausreichende Expertise ab, den Lebensmittelmarkt kontrollieren zu können. Bevor wir jedoch zu bereitwillig der Sicht der Apotheker zustimmen, erinnern wir uns daran, daß sie keine so selbstlose Gruppe waren. Die Krämer ihrerseits erkannten in solchen Attacken ohne zu zögern die Absicht der Apotheker, ihr Geschäftsfeld zu schützen und präsentierten sich selbst als die echten Verteidiger der Konsumentenrechte gegen die räuberische Gier der Apotheker. Während eines Gerichtsprozesses Mitte der 1770er Jahre gegen die Apotheker stellten die Krämer die eigene Herstellung und den Verkauf von Arzneien als Antwort auf die Wucherei der Apotheker dar. Aus Sicht der Krämer gebot ihre „Konkurrenz der Habsucht der Apotheker den notwendigen Einhalt [.] Diese Quelle des Wohlstands zu verstopfen, würde die Bürger den Konsequenzen eines gefährlichen Monopols aussetzen, die hohen Kosten der Medikamente der Apotheker würden den Armen die Hilfe dieser Art von Medizin vorenthalten, sie wäre dann eine Medizin nur für die Reichen“18. Die Apotheker waren nicht in der Lage, Behauptungen zu unterdrücken, wonach die als Arzneien verkauften Nahrungsmittel der Krämer eine günstige und daher demokratischere Form der Gesundheitsversorgung darstellten. Die Auseinandersetzung über Demokratie oder Expertentum in der Herstellung von Nahrungs- und Heilmitteln endete erst mit der rechtlichen Festlegung genau umschriebener Zuständigkeitsbereiche für Apotheker und Krämer im Februar 1776, als das Zunftwesen landesweit abgeschafft wurde.19 17 BibliothÀque Interuniversitaire de Pharmacie Paris, bo„te AR, dossier 24: Balthazar Julliot: Memoire sur les dangers des Poisons et des drogueries. Zu Julliot siehe Bouvet, Histoire de la pharmacie, 1937, S. 277. 18 BibliothÀque Interuniversitaire de Sant¦ (Pharmacie), Paris, registre 38, f. 60v–61r.: Sitzung vom 27. Januar 1774. Vgl. dazu Brockliss, Jones, Medical World, 1997. 19 Wie Bouvet, Histoire de la pharmacie, 1937, S. 131 – 134 zeigt, wurde die Vereinigung der Apotheker mit dem Erlaß von 1776, der das Zünfte-System im Allgemeinen schloß, nicht

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Die hochpolitische Natur dieser Debatte über die Vertrauenswürdigkeit verschiedener Gruppen von Kaufleuten, die an der Lebens- und Arzneimittelherstellung beteiligt waren, bedeutete, daß es für den Käufer außer den eigenen Sinnen kaum eine sichere Entscheidungsgrundlage dafür gab, ob es sich um ungefährliche und zuverlässige Arznei- und Nahrungsmittel handelte oder nicht. Als die Zünfte mit immer mehr Mißtrauen als Beispiele für überholte monarchische Günstlingswirtschaft betrachtet wurden, füllte Kennerwissen die ,Vertrauenslücke‘, die sie hinterließen. Dies war auch eine politische Haltung, da sie mit der expliziten Ablehnung der von der Krone genehmigten Ansprüche einherging, daß nur Zunftmitglieder die Qualität französischer Produkte gewährleisten konnten.20 Händler und Kaufleute hatten die Regulierung des Marktes bis dahin als zentral für die Rolle Frankreichs als führende Kulturnation dargestellt: Geschmacksstandards, die in Paris gesetzt wurden, galten nicht nur für das übrige Frankreich, sondern für ganz Europa. Privilegierte Gruppen von Händlern und Produzenten – nicht nur die Zünfte, sondern auch die Vereinigungen der Steuerpächter und die internationalen Seehandelsgesellschaften – machten geltend, daß hohe Qualitätsstandards nur mit königlichem Schutz sicherzustellen seien, und rechtfertigten ihre eigene Existenz mit der Verteidigung der Standards, die Konsumenten mit Geschmack bereits allerorten im Königreich festgesetzt hatten. Beispielsweise verfaßte die Compagnie des Indes, die über ein königliches Privileg auf das Importmonopol von Kaffee aus Mokka zum Hafen von Marseille hatte, 1731 eine Denkschrift, die erklärte, warum der erste französische Kolonialkaffee, der in der königlichen Kolonie Bourbon (heute La R¦union) angebaut wurde, noch nicht auf dem französischen Markt angeboten wurde. „Die Compagnie des Indes befürchtet, daß Händler [Bourbon-] mit Mokka [-Kaffeebohnen] vermischen könnten, und ist deshalb, um nicht wider den Publikumsgeschmack zu handeln, bisher dem Kurs gefolgt, im Königreich keinen solchen zu verwirklich abgeschafft. Die Schließung hatte jedoch einen Effekt auf die Krämer von Paris und war ein wichtiger Schritt in dem Versuch der Apotheker höheren erkenntnistheoretischen Status zu beanspruchen und sich selbst zu Pharmazeuten, klar abgegrenzt gegenüber gewöhnlichen Ladenbesitzern, umzuformen, wie D¦hillerin, Goubert, A la recherche du monopole pharmaceutique, 1982 darstellen. 20 Für Qualität als historische Fragestellung siehe Alessandro Stanziani (Hg.): La qualit¦ des produits en France (XVIIIe—XXe siÀcles). Paris 2003; Martin Bruegel, Alessandro Stanziani (Hg.): La s¦curit¦ alimentaire, entre sant¦ et march¦ (Sonderheft der Revue d’histoire moderne et contemporaine 51). Paris 2004; Stanziani, Histoire de la qualit¦ alimentaire, 2005; ders.: Negotiating Innovation in a Market Economy. Foodstuffs and Beverages Adulteration in Nineteenth-Century France. In: Enterprise and Society 8 (2007). S. 375 – 412; Karen Montagne: The Quest for Quality. Food and the Notion of ,Trust‘ in the Gers Area in France. In: European Studies 22 (2007), S.159 – 177; Michael P. Fitzsimmons: From Artisan to Worker. Guilds, the French State, and the Organization of Labor, 1776 – 1821. Cambridge 2010, Kap. 1.

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kaufen, sondern diesen vollumfänglich zu exportieren. Bevor sie den Kaffee auch den französischen Verbrauchern anbieten kann, muß abgewartet werden, bis auch der feinste Geschmackssinn den Kaffee dieser Insel nicht mehr von jenem aus Mokka unterscheiden kann. Bourbon-Kaffee steht kurz davor, diesen Grad der Perfektion zu erreichen.“21

Folglich enthielt die Compagnie den Bourbon-Kaffee französischen Konsumenten noch vor und wartete aus Gründen der Kennerschaft und der ProdukteOptimierung den Zeitpunkt ab, zu dem die halbwilde Beschaffenheit der Kolonialware durch Kultivierung behoben sein würde. Sie verteidigte ihre Handelsstrategie, indem sie sich selbst als Hüterin der hohen Geschmacksansprüche der französischen Kaffeetrinker präsentierte, eine aus heutiger Sicht unverständliche Konsumentenbeziehung. Bourbon-Kaffee wurde stattdessen in die Niederlande verkauft. In der französischen Hauptstadt wiederum leisteten die Händler aktiven Widerstand gegen das neue Produkt der Compagnie. Einer von ihnen schrieb an den königlichen Conseil de Commerce, daß der Bourbon-Kaffee die Bezeichnung „Kaffee“ nicht verdiene, da er diesem nur grob ähneln würde und, angesichts der durchgeführten Versuche, zu nichts zu gebrauchen sei.“22 Dies war eine doch sehr negative Interpretation bestimmter chemischer und botanischer Untersuchungen, die der Pariser Naturforscher Antoine de Jussieu mit Bourbon-Kaffee durchgeführt hatte; aber sie zeigt, in welchem Ausmaß die Wissenschaften bereits instrumentalisiert wurden, um auf Kennerschaft abgestützte Argumente zu untergraben.23 Von der Aufhebung und Neuorganisation der Zünfte in den 1770er Jahren, über die endgültige Abschaffung der Zünfte im Allgemeinen und der meisten Verordnungen im Nahrungs- und Arzneimittelmarkt während der französischen Revolution, bis zur Wiedereinführung strikterer, den Verkauf von Lebensmitteln und Medikamenten kontrollierender Rechtsvorschriften unter Napoleon wurde die Kennerschaft der Konsumenten in der Öffentlichkeit häufig in 21 Service Historique de la Marine, Brest, ms. 50, f. 268: „Memoire de la Compagnie des Indes au sujet des Plantations de Caf¦ aux Isles FranÅoises de l’Amerique“; Charles CarriÀre: N¦gociants marseillais au XVIIIe siÀcle. Contribution — l’¦tude des ¦conomies maritimes. Bd. 1. [Marseille 1973], S. 366 – 367. Für die Veränderungen des Handels in der Periode von 1670 – 1730 siehe auch Louis Meignen: Esquisse sur le commerce franÅais du caf¦ dans le Levant au XVIIIe siÀcle. In: Jean-Pierre Filippini et al. (Hg.): Dossiers sur le commerce franÅais en M¦diterrann¦e orientale au XVIIIe siÀcle (Travaux et recherches de l’Universit¦ de droit, d’¦conomie et de sciences sociales de Paris. Sciences historiques 10). Paris 1976, S. 103 – 150. 22 Archives de la Chambre de Commerce de Marseille, ms H 112: „Coppie du Memoire present¦e a Monseigneur Le Controlleur General”, dat. 20. Okt. 1723, f. 1v. 23 Für eine ausführlichere Diskussion dieser Kaffeeexperimente vgl. Spary, Eating the Enlightenment, 2012, S. 83 – 84.

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Zweifel gezogen, gerade weil das System der Handelszünfte und Monopole während eines Jahrhunderts eine Möglichkeit der Obrigkeit darstellte, Produkte zu genehmigen und Qualitätsstandards zu gewährleisten. Eine wesentliche Veränderung, die sich auf den Stellenwert des Kennerwissens auf dem Nahrungsmittelmarkt auswirkte, war der steigende Konsum bestimmter exotischer Früchte. In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts waren Produkte wie Kaffee den Wohlhabenden – oder Gutsituierten, denn es hatte nicht immer mit Verdienst zu tun! – vorbehalten gewesen. Die gesellschaftliche Verteilung des Kaffeekonsums in Paris änderte sich innerhalb eines Jahrzehnts zwischen 1725 und 1735 stark, als – zunächst illegal, später legal – wachsende Mengen preiswerten Kaffees von den Antillen nach Frankreich importiert wurden.24 Zu dieser Zeit entwickelte sich Kaffee in Paris zu einem Alltagsgetränk, nicht nur innerhalb der städtischen Elite, wie er es schon seit Mitte der 1680er Jahre gewesen war, sondern zunehmend auch für die arme Stadtbevölkerung. Dieser Wandel problematisierte auch den Akt des Konsums und insbesondere das Ansehen des Connaisseurs. Vornehme Kommentatoren des späten 18. Jahrhunderts machten viel Aufhebens darum, daß die Armen, die das Konsumverhalten der gesellschaftlichen Elite nachahmten, von Qualität in Tat und Wahrheit keine Ahnung hätten. „Für einen Philosophe wird es immer ein einzigartiges Schauspiel sein: Auf der einen Seite eine Dame der feinen Gesellschaft, komfortabel in ihrem Lehnstuhl sitzend, die ein wohlschmeckendes Frühstück zu sich nimmt, dem Mokka von einem lackierten Teetischchen in einer […] vergoldeten Porzellantasse mit feinem Weißzucker & guter Sahne seinen Duft spendet; & auf der anderen Seite eine auf einem Weidenkorb sitzende Gemüseverkäuferin, die ein schlechtes Brötchen in einen scheußlichen, alles andere als neuen Tontopf voll abscheulichem Sud tunkt, von dem ihr jemand erzählt hat, es sei Caf¦ au lait; besonders wenn der Philosophe darüber nachdenkt, daß dieses Frühstück eigentlich für beide Damen überflüssig ist.“25

Ferner wurde Kaffee seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Güteklassen verkauft. Kaffee aus den amerikanischen Kolonien und Bourbon-Kaffee belegten die unteren Ränge dieses Klassensystems, während aus dem Osmanischen Reich importierter Kaffee nach wie vor als luxuriösester, wohlschmeckendster und folglich teuerster Kaffee galt.26 Das hieß, daß Qualitätsbeurteilungen und all24 Ebd., Kap. 2. 25 Jacques-FranÅois Demachy : L’Art du distillateur liquoriste; contenant le bruleur d’eaux-devie, le fabriquant de liqueurs, le d¦bitant, ou le cafetier-limonnadier (Descriptions des Arts et M¦tiers XV). [Paris] 1775, S. 115; siehe auch Pierre-Jean-Baptiste Legrand d’Aussy : Histoire de la vie priv¦e des FranÅais, depuis l’origine de la Nation jusqu’— nos jours. Bd. 3. Paris 1783, S. 105, 125 f.; Louis-S¦bastien Mercier: Tableau de Paris. Bd. 2. London [Paris] 1781, S. 205 f. 26 Spary, Eating the Enlightenment, 2012, S. 88 – 91. Für die Hierarchisierung siehe Philippe Minard: R¦putation, normes et qualit¦ dans l’industrie textile franÅaise au XVIIIe siÀcle. In:

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Abb 3: Anonym: „Le Caf¦ du Bel Air ou les Gourmets du pont au Change en jouissance“. Lavierte Tuschezeichnung, um 1790. Johann Jacobs Museum, Zürich, Sign. E87/229. Diese Karikatur aus der frühen Revolutionszeit drückt das vornehme Entsetzen eines Schaulustigen beim Anblick armer Konsumenten aus, die auf der Straße tranken, was ihnen Kaffee zu sein schien. Man beachte, daß der Hund sein Bein über der Kaffeetasse auf dem Boden hebt und damit angedeutet wird, daß die armen Kaffeetrinker nicht zwischen Kaffee und Hundeurin unterscheiden können.

gemeingültige Geschmacksnormen auf den Preis abgestimmt wurden. Von diesem Zeitpunkt an wurde das Urteilsvermögen des Kaffee-Connaisseurs an seinem Wohlstand, nicht mehr an einer intuitiven Unterscheidungsfähigkeit festgemacht.27 Die Jahrzehnte um die Jahrhundertmitte waren durch eine ausgiebige Debatte darüber geprägt, wie man am besten den Geschmacksinn erhalten und kultivieren konnte. In dieser Debatte ging es um zwei gegensätzliche Modelle der Empfindsamkeit: Eines faßte die feine geschmackliche UnterscheidungsfähigAlessandro Stanziani (Hg.): La qualit¦ des produits en France (XVIIIe—XXe siÀcles). Paris, S. 69 – 89, hier S. 81 – 83. 27 Wie Pierre Bourdieu in seinem einflußreichen Werk Distinction: A Social Critique of the Judgement of Taste. London 1994 zeigt, war die Gleichrichtung von Ökonomien und Geschmack das charakterisierende Element der Bürgerschaft im 19. Jahrhundert. Siehe auch Jean-Louis Flandrin, Roger Chartier (Hg.): Passions of the Renaissance (A History of Private Life. Bd. 3). Cambridge, London 1989, S. 267 – 307.

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keit als Privileg jener Leute auf, die einen empfindlichen Körper und kultivierte Zungen und weitreichende Erfahrung in der Welt der feinen Speisen hatten – es wird sich herausstellen, daß dieses Modell eher zu unserer heutigen Definition des Feinschmeckers passt. Solche Autoren empfahlen den Konsumenten, extreme Geschmacksrichtungen zu meiden, da sie die Empfindsamkeit zerstören würden. Ab den 1750er Jahren trat ein anderes Modell der Empfindsamkeit in den Vordergrund, als zahlreiche frankophone Ärzte und Philosophen das „Natürliche“ als etwas vollständig Unkultiviertes auffassten. So behaupteten z. B. Jean-Jacques Rousseau und Samuel-Andr¦ Tissot, daß der Erhalt des Geschmacksinns nur durch Enthaltsamkeit und nicht durch Kultivierung, sondern durch das Meiden genußvoller Geschmackserlebnisse gewährleistet werden könne. In Emile zum Beispiel beschrieb Rousseau mit Sophie eine Frau, die ihre Kaffeegewohnheiten aufgeben muß, um weiterhin Geschmack am Getränk finden zu können.28 Es ist interessant, daß genau in diesen mittleren Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts der Begriff „Konsument“ in der französischen Sprache gebräuchlich wurde.29 Als Kennerschaft nicht länger eine überlebensnotwendige Fähigkeit in einem sich schnell ändernden Markt darstellte, die dort zum Tragen kam, wo die ohnehin limitierte Regulierung versagte, und als der Geschmack begann, sich am Reichtum und an der hochgradig politisierten Debatte über das Natürliche versus das Künstliche zu orientieren, was geschah da mit der chemischen Expertise? Um dies herauszufinden, müssen wir zu den Apothekern zurückkehren.

28 Jean-Jacques Rousseau: Julie ou la Nouvelle H¦lose (1758), zit. nach Jean-Claude Bonnet: Le systÀme de la cuisine et du repas chez Rousseau. In: Serge A. Th¦riault (Hg.): Jean-Jacques Rousseau et la m¦decine naturelle. Montr¦al 1979, S. 117 – 150, S. 136 – 137. Zum Vergnügen bei Mahlzeiten vgl. besonders Roman Sandgruber : Genußmittel. Ihre reale und symbolische Bedeutung im neuzeitlichen Europa. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1 (1994), S. 73 – 88. 29 Art. Consommateur, trice. In: Le Grand Robert de la langue franÅaise. Bd. 2. Paris 21985, S. 847. Die Pariser Leserschaft wurde mit dem Begriff durch die Arbeiten von Autoren wie dem Physiokraten Victor Riquetti, marquis de Mirabeau, vertraut gemacht, der es in Werken wie seiner Th¦orie de l’impút (1760) benutzte, allerdings interessanterweise nicht in seinem L’Ami des hommes (1756). Siehe Michael Kwass: Consumption and the World of Ideas. Consumer Revolution and the Moral Economy of the Marquis de Mirabeau. In: EighteenthCentury Studies 37 (2003), S. 187 – 213.

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Der Status des Apothekers Die Apotheker hatten im späteren 18. Jahrhundert einen zweifelhaften Ruf. In den Schriften des radikal-demokratischen Journalisten Louis-S¦bastian Mercier und anderer Autoren, die die neuen Modelle des Natürlichen und der LuxusKritik nach Jean-Jacques Rousseau aufnahmen, dienten Apotheker als Beispiel für die Fehler der modernen Medizin. Wider alle Vernunft würden sie die ihnen von der Vorsehung an die Hand gegebenen, einfachen pflanzlichen Mittel verschmähen und es stattdessen vorziehen, künstliche Arzneien herzustellen, die im besten Fall wirkungslos und im schlimmsten Fall gefährlich, wenn nicht gar tödlich seien.30 Diese Assoziation der Apotheker mit Künstlichkeit und Gift wurde, zumindest teilweise, wie der bereits erwähnte Angriff der Krämer zeigt, durch die interne Rivalität der Pariser Zünfte fortgeführt. Die Apotheker zogen auch negative öffentliche Aufmerksamkeit auf sich, da sie insgeheim bei unbeliebten Formen der Rechtsetzung mitzuwirken schienen. Wenn der Lieutenant de police der Stadt Fälschungen im großen Stil aufdecken wollte, wandte er sich an Apotheker und akademische Chemiker, um ihre sinnlichen und analytischen Fähigkeiten in l¦gitimations, Prüfungen von konfiszierten Lebensmitteln, einzusetzen.31 Solche Prozesse wurden häufig zum Schutz des einträglichen Zollwesens abgehalten, das in Frankreich in privaten, beispielsweise und wohl kaum zufälligerweise in Antoine-Laurent de Lavoisiers Händen, lag.32 Die Anstrengungen der Steuerpächter, die Zahlung der Zölle einzufordern, waren bei den Stadtbewohnern, die nun höhere Preise für den Weinbrand der Schnapsbrenner bezahlen mussten, höchst unbeliebt. Um die Besteuerung zu umgehen, nutzten die Händler verschiedene Hilfsmittel, z. B. mischten sie dem Branntwein Terpentin bei, um ihn als Lack bezeichnen zu können, oder verdampften ihn, um das Volumen zu reduzieren und dadurch Steuern zu sparen. Chemiker der Akademie der Wissenschaften wurden beauftragt, Verfahren zu entwickeln, mit denen die Zollbeamten an den Kon30 Louis-S¦bastien Mercier: L’An deux mille quatre cent quarante. RÞve s’il en fut jamais, hg. von Raymond Trousson. Bordeaux 1971, S. 300 f.; Jean-Jacques Rousseau: Oeuvres complÀtes, hg. von Bernard Gagnebin und Marcel Raymond. Bd. 2. Paris 1969, S. 252. 31 Obwohl eine stichhaltige Studie solcher Fälle fehlt, können viele individuelle Apotheker gefunden werden, die in l¦gitimations involviert waren, so wie Antoine Baum¦, über dessen Aktivitäten in der Zeitung Avantcoureur (1766, Nr. 40 und 1767, Nr. 13) berichtet wurde. Für eine Übersicht siehe Raymond Abad: La fraude dans le commerce et l’approvisionnement alimentaires de Paris au XVIIIe siÀcle. In: G¦rard B¦aur, Hubert Bonin, Claire Lemercier (Hg.): Fraude, contrefaÅon et contrebande, de l’Antiquit¦ — nos jours. GenÀve 2006, S. 539 – 561. 32 Zu den französischen Financiers und Steuerpächtern vgl. Yves Durand: Les fermiers g¦n¦raux au XVIIIe siÀcle. Paris 1971; zu Lavoisiers Arbeit als Steuerpächter vgl. insbesondere die Biographie von Jean-Pierre Poirier : Lavoisier. Chemist, Biologist, Economist, übers. von Rebecca Balinski. Philadelphia 1996.

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trollpunkten Betrügereien einfach erkennen konnten.33 Um den Schmuggel zu unterbinden, wurde 1786 eine Mauer um Paris gebaut, die in der Praxis jedoch nur beschränkte Wirkung zeigte. Ian Burney und andere haben für verschiedene Länder untersucht, wie die Chemiker und andere Spezialisten neue wissenschaftliche Meßtechniken und Analyseverfahren entwickelten, um das Steuersystem aufrecht zu erhalten.34 Jedoch war neben dem Aufkommen chemischer Analyseverfahren das Urteilsvermögen des Connaisseurs für die Bewertung von Lebensmitteln und Getränken – selbst in Chemikerkreisen – weiterhin von Bedeutung. Im folgenden Abschnitt untersuche ich an einem Fallbeispiel die Art und Weise, wie Kennerschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Frankreich sozial festgemacht wurde. Dieser Prozeß betraf dieselbe Expertengruppe von Chemikern, die daran arbeitete, neue, chemiebasierte Standards der Nahrungsmittelanalyse zu entwickeln. Er kann als spezifische Antwort auf die stärkere Verbreitung des Konsums importierter Lebensmittel auch in unteren sozialen Schichten betrachtet werden, der bereits am Beispiel des Kaffees diskutiert wurde und die gesellschaftliche Elite zu glauben veranlaßte, daß die soziale und geschmackliche Ordnung bedroht sei.

Napoleonische Zentralisation und der Niedergang der Kennerschaft Die Schlüsselepoche, die im Folgenden betrachtet werden soll, ist jene des Napoleonischen Kaisserreichs. Im Jahre 1806 verhängte Napoleon die Kontinentalsperre, mit der er den Import von britischen Waren nach Frankreich und zu seinem Bündnispartner Russland zu unterbinden suchte. Da nahezu alle französischen Überseekolonien in jüngsten Schlachten an die Engländer verloren 33 Êtienne Mignot de Montigny : M¦moire sur la construction des Ar¦omÀtres de comparaison, applicables au commerce des Liqueurs spiritueuses, & — la perception des Droits impos¦s sur ces Liqueurs. In: Histoire et M¦moires de l’Acad¦mie Royale des Sciences. Ann¦e M. DCCLXVIII [1768]. Avec les M¦moires de Math¦matique & de Physique, pour la mÞme Ann¦e, tir¦s des Registres de cette Academie. Paris 1770, S. 435 – 459, hier S. 439. Über die Beteiligung von Wissensexperten in einer vergleichbaren Situation, nämlich bei der Regulierung der britischen Getränkehändler, siehe William J. Ashworth: „Between the Trader and the Public“. British Alcohol Standards and the Proof of Good Governance. In: Technology and Culture 42 (2001), S. 27 – 50. 34 Zur Frage der chemischen und juristischen Expertise siehe vor allem Ian Burney : Bodies of Evidence. Medicine and the Politics of the English Inquest, 1830 – 1926. Baltimore 2000; ders.: Languages of the Lab. Toxicological Testing and Medico-legal Proof. In: Studies in History and Philosophy of Science 33 (2002), S. 289 – 314; Jos¦ Ramon Bertomeu Sanchez, Agust‡ Nieto Gal‚n (Hg.): Chemistry, Medicine, and Crime. Mateu J. B. Orfila (1787 – 1853) and His Times. Canton MA 2006.

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Abb 4: Anonym: „Le cache-pot. Un rat se d¦guise en vieille femme pour surprendre un d¦bit clandestin“. Handkolorierte Radierung, 18. Jh. BibliothÀque Nationale de France, collection de Vinck. Während des Bestehens der Zollmauer, die 1786 rund um Paris gebaut wurde, entwickelten die Händler ausgeklügelte Methoden, um zu versteuernde Waren wie z. B. Branntwein in die Stadt zu schmuggeln, ohne Abgaben zu bezahlen. Diese zeitgenössische Karikatur zeigt, wie Ratten in einem Keller Branntwein, der mit einen Schlauch durch die Mauer geleitet wird, in einer Kanne auffangen. Die Mauer war auch Inspiration für den berühmten Spruch „Le m˜r m˜rant Paris rend Paris murmurant“.

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gegangen waren, war Frankreich während fast acht Jahren von der Versorgung mit Kolonialwaren wie Zucker, Kaffee und Gewürzen – die nun allgemein als ein Grundbedürfnis betrachtet wurden – abgeschnitten. Die Pariser Chemiker Lavoisier, Fourcroy und Darcet schrieben 1786, „die Handelsware Zucker [sei] heute zu einer wesentlichen Notwendigkeit geworden; sie interessiert alle Nationen nahezu gleich; weil sie ein Objekt des allgemeinen Konsums ist.“35 Die Lebensmittelaufstände in den Pariser Straßen während der Revolutionsjahre bezogen sich nicht nur auf die Knappheit an Grundnahrungsmitteln wie Fleisch oder Brot, sondern auch – was für die Beamten und wissenschaftlichen Berater noch weit beängstigender war – auf den Mangel an Lebensmitteln wie Zucker und Kaffee, die nur eine oder zwei Generationen zuvor für die große Mehrheit als Luxusgüter gegolten hatten. Die Zeitgenossen waren daher äußert aufmerksam gegenüber der politischen Dimension des stetig wachsenden Konsums. Während die republikanischen Wortführer versuchten, die Konsumenten zur Sparsamkeit zu erziehen und ihre Bedürfnisse einzuschränken, schlug die kaiserliche Regierung einen anderen, von den Apothekern und Agronomen seit den 1780er Jahren empfohlenen Kurs ein: den Ersatz. Napoleon behalf sich mit wissenschaftlichen und medizinischen Expertenkommissionen, die eingesetzt wurden, um die Qualität von Ersatzprodukten zu bewerten. Dadurch sollte die durch den Mangel an Kolonialwaren entstandene Versorgungslücke gefüllt und die öffentliche Ordnung möglichst aufrecht erhalten werden. Die Kommissionen stellten Proben von Ersatzprodukten aus allen Teilen des Reichs zusammen, untersuchten sie mit chemischen und sinnlichen Methoden und verkündeten schließlich die vielversprechendsten Produkte. In manchen Fällen wurden die erfolgreichen Erfinder reich entlöhnt – ein persönliches Versprechen des Kaisers, das eine große Zahl von Unternehmern und Gelehrten aus dem ganzen Reich ermutigte, an den breit ausgeschriebenen Wettbewerben teilzunehmen und ihre Berichte einzureichen. Die Beschäftigung mit diesen Kommissionen gibt einen faszinierenden Einblick in zeitgenössische Sichtweisen der Verwaltung die Regulierung des Geschmacks, der Ökonomie und des Konsums be35 Archives de l’Acad¦mie des Sciences, Paris, „ProcÀs-verbaux“ CIV, Sitzung vom 27. Mai 1786: Kommentar von Lavoisier, Fourcroy und Darcet über den Prospekt von JacquesFranÅois Dutrúne de La Couture: Pr¦cis sur la Canne et sur les Moyens d’en extraire le Sel essentiel. Paris 1790. Der Zuckerverbrauch in Europa befand sich während zwei Jahrhunderten in einem Aufstieg; zum Ende des 18. Jahrhunderts war er in nahezu allen Gerichten und Medikamenten zu finden. Vgl. Fischler, L’Homnivore, 1993, Kap. 10; Sidney W. Mintz: Sweetness and Power. The Place of Sugar in Modern History. New York 1985, bes. Kap. 3; Alain Huetz de Lemps: Colonial Beverages and the Consumption of Sugar. In: Jean-Louis Flandrin, Massimo Montanari (Hg.): Food. A Culinary History from Antiquity to the Present. New York 1999, S. 383 – 393; siehe auch Daniel Roche: Cuisine et alimentation populaire — Paris. In: Jean-Claude Bonnet, Beatrice Fink (Hg.): Aliments et cuisine (Sonderausgabe von Dix-huitiÀme SiÀcle 15). Paris 1983, S. 7 – 18.

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treffend. Daneben eröffnet sich auch eine einzigartige Perspektive auf die Erforschung von Ersatzprodukten während der Napoleonischen Zeit. Eine große Zahl der Wettbewerbsteilnehmer kam von außerhalb Frankreichs, aus Gebieten, die jüngst dem Reich einverleibt oder angegliedert worden waren. Die Kommissionen bilden damit auch ein Forschungsfeld, anhand dessen die Wirkung des Handels auf den öffentlichen Geschmack und die Definition eines spezifisch „französischen Geschmacks“ untersucht werden können.36 In solchen Kommissionen waren Apotheker in der Überzahl. Ihre Position, zweifellos basierend auf ihrer langjährigen Funktion als Lebensmittelprüfer, war zwiespältig. Apotheker mußten sich in ihrer Eigenschaft als Kaufleute schon lange gegen Anschuldigungen verteidigen, daß sie gewohnheitsmäßig die exotischen Waren, die sie verkauften, verfälschten. War es dienlicher, die Ersatzprodukte als solche kenntlich zu machen oder die Fälschung im Interesse der öffentlichen Ordnung zu verheimlichen? Im Allgemeinen mißfiel den Konsumenten, wenn ein Nahrungsmittel im Auftrag des Staates durch ein anderes ersetzt wurde, egal wie viele Experten die medizinische Gleichwertigkeit der Original- und der Ersatzprodukte bestätigten. Dies war schon vor und auch während der französischen Revolution der Fall gewesen, als der für die Brotherstellung benötigte Weizen ganz oder teilweise durch Kartoffeln ersetzt wurde.37 Solche Schritte wurden als Beweis für das Versagen der Regierung interpretiert. Die Fürsprecher der Revolution debattierten, ob der öffentliche Geschmack „von oben“ beeinflusst werden könnte oder sollte, um eine neue Republik von rechtschaffenen Konsumenten zu schaffen. Einige forderten umfassende Interventionen in die öffentlichen Eßgewohnheiten oder Umerziehungsprogramme. Der republikanische Delegierte Jean-Baptiste Louvet de Couvray bemerkte, daß „der gefürchtetste Feind eines nach Freiheit strebenden Volks nachgiebige und verweichlichte Angewohnheiten“ seien, und er ermahnte seine Landsleute, ihre Ernährung umzustellen und auf luxuriöse Lebensmittel zu verzichten: „Wollt ihr die Ressourcen eurer Feinde schwächen? Dann arbeitet daran, die Summe eurer Bedürfnisse zu verringern.“38 Solche durch kriegsbedingte Lebensmittelknappheit getriebene Überlegungen rückten mit steigendem Wohlstand des Ersten Kaiserreiches allmählich in den Hintergrund. Das von Napoleon persönlich geförderte Bemühen der kaiserlichen Verwaltung 36 Für eine detaillierte Diskussion siehe Spary, Feeding the Nation, [erscheint 2014], Kap. 8. Zu Geschichte und Konzept des Ersatzes vgl. für den deutschen Kontext Claudia Braasch, Petra Koch: Merkantilismus, Kaffee-Verbot und Kaffee-Ersatz. In: Volker Rodekamp, Martin Beutelspacher (Hg.): Kaffee. Kultur eines Getränks. Minden 1987, S. 47 – 65. 37 Spary, Feeding the Nation, 2014, Kap. 2 und 5. 38 FranÅois-Victor-Alphonse Aulard (Hg.): La soci¦t¦ des Jacobins. Recueil de documents pour l’histoire du Club des Jacobins de Paris. Bd. 3. Paris 1892, S. 349 – 352: Sitzung vom 30. Januar 1792.

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zeugt jedoch davon, daß auch zu jener Zeit weiterhin großes Gewicht auf die Lenkung des Konsumverhaltens gelegt wurde. Im Falle der Kommission für einheimischen Kaffee, die von Charles-Louis Cadet de Gassicourt, dem persönlichen Apotheker des Kaisers, geleitet wurde, ging man davon aus, daß ein gutes Kaffeesubstitut identisch mit den medizinischen Eigenschaften des echten Kaffees sein sollte. Dies bedeutete, daß es einen gewissen Anteil des Öls enthalten sollte, daß dem Kaffee sein einzigartiges Aroma verleiht. „Jegliche Forschung der Chemiker und Naturforscher“, so Cadet, „sollte so ausgerichtet sein, daß sie unter den flüchtigen Pflanzenölen eine demjenigen des Kaffees ähnliche Substanz finden, von anderen Pflanzen extrahiert und den als Ersatz der arabischen Bohne diendenden gewöhnlichen Samen oder Wurzeln beigefügt werden können. Solange dieses Analyseergebnis fehlt, wird es, denke ich, nicht möglich sein, uns selbst zu schmeicheln, wir hätten einheimischen Kaffee.“39 Cadet und sein Team führten ihre geschmacklichen und chemischen Analysen auf dieser Basis durch. Ein Substitut nach dem anderen, das von Händlern, Produzenten, Erfindern, Botanikern und Chemikern aus dem ganzen Reich, inklusive der Niederlande, der deutschen und italienischen Länder und Genf eingeschickt wurde, wurde abgelehnt. Die häufigsten Ersatzprodukte waren geröstete Getreidekörner und Hülsenfrüchte, andere Vorschläge beinhalteten Okra, Samen der Iris oder Lupine, Erdmandel, Marone, Mais, Eicheln und die Wurzeln des Chicor¦e, der Rübe oder Rote Beete. All jene, so stimmten die Kommissionäre zum Ende der Versuche überein, glichen einander und teilten einen „gemeinsamen Charakter“, „einen Geschmack der allgemein als teigähnlich bekannt ist, den selbst der am wenigsten geröstete exotische Kaffee niemals besitzt“.40 Die Kommissionäre sagten aus, daß solche Produkte höchstens diejenigen täuschen könnten, die nie zuvor Kaffee getrunken hätten. Insbesondere würden sie vom französischen Volk, dessen Geschmackssinn sich bereits an den echten Kaffee aus den Kolonien gewöhnt hatte, niemals akzeptiert. Doch widersprachen dieser Behauptung zunehmend reale Entwicklungen. 1811 existierte innerhalb der französischen Grenzen eine große Fabrik für Zichorien-Kaffee, die jährliche Gewinne von bis zu 500.000 Francs erwirtschaftete. Die Pariser Krämer und Caf¦besitzer verkauften deren Produkt.41

39 Charles-Louis Cadet de Gassicourt: M¦moire sur le caf¦. In: Annales de Chimie, s¦rie 1, 58 (1806), S. 266 – 290; ders.: Sur les caf¦s indigÀnes. In: Bulletin de Pharmacie 3 (1811) S. 501 – 508, hier S. 507 f. Für Cadet de Gassicourt vgl. EusÀbe Salverte: Notice sur la vie et les ouvrages de Charles-Louis Cadet Gassicourt, Pharmacien. Paris 1822. 40 Archives Nationales, Paris, F12 2378, Bericht der Commission des caff¦s indigÀnes für das Innenministerium, Juni 1811. 41 Ebd.; siehe auch Archives Nationales, Paris, F12 2378, Bericht des Innenministeriums an den

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Angesichts des Krieges, eines tiefgreifenden Wandels sozialer Strukturen und vor allem der Herausbildung eines Reiches, das zum erstenmal die französischen Konsumenten mit Händlern aus anderen europäischen Ländern auf einem Markt zusammenbrachte, schwand letztlich auch die Vorstellung eines das restliche Europa überragenden, französischen Konsumenten. Die einheimische Kaffeekommission versuchte, die Weigerung französischer Konsumenten, ihre geschmacklichen Anforderungen zugunsten minderwertiger Produkte wie Zichorien-Kaffee aufzugeben, zu erklären, indem sie die französische Gesellschaft als eine zweigeteilte darstellte: eine kleinere Gruppe von Connaisseurs, die ihr Wissen zur Beurteilung der Produkte auch einzusetzen wußten; daneben die große Masse der Konsumenten, die kaum solche Kenntnisse besaß und deshalb auch mit minderwertigen Ersatzprodukten abgespeist werden konnte, wenn der Staat dazu gezwungen war, die Illusion aufzubauen, daß er seinen Bürgern ein ausreichend hohes Angebot zur Befriedigung der verschiedenen Bedürfnisse bereitstellen konnte. Viele derjenigen, welche zwischen 1770 und 1815 die Regierung über neue Nahrungsmittel berieten, suchten sich einen Ausweg in der Empfehlung, daß Herrscher und Beamte die alternativen Produkte heimlich einführen sollten.42

Schlußfolgerung Im Zeitraum zwischen den 1690er Jahren, als der Konsum erstmals eine alltägliche Pariser Lebenserfahrung wurde, und den 1810er Jahren, als der Krieg die wachsende Abhängigkeit der Verbraucher vom immer größer werdenden Angebot verschiedener Nahrungsmittel, deren Bereitstellung durch den Staat selbst bedroht war, verdeutlichte, können wir einige wichtige Veränderungen in der Beziehung zwischen Wissensexperten, Konsumenten und Regierung erkennen. Das Aufstreben der Kategorie der „Konsumenten“ in der Mitte des 18. Jahrhunderts deutet auf eine allgemeine Anerkennung der politischen Macht des Konsums hin, wie bereits Zeitgenossen bemerkten. Aus Sicht des radikalen Autors Abb¦ Guillaume-Thomas-FranÅois Raynal bewies der Kaffeehandel, daß Kaiser, Paris, 23. Februar 1810; Antoine-Augustin Parmentier : Second Extrait d’un m¦moire manuscrit de M. Payss¦, sur le caf¦. In: Annales de Chimie, s¦rie 1, 59 (1806), S. 293 – 313. 42 Vgl. für das Beispiel Rübenzucker Anselme Payen: Art. Betterave. In: Dictionnaire technologique, ou Nouveau Dictionnaire universel des arts et m¦tiers, et d’¦conomie industrielle et commerciale. Bd. 3. Paris 1822 – 1835, S. 31 – 51, hier S. 32 f.; für das Beispiel Gelatine Archives Nationales, Paris, F15111, dossier „Bouillon d’os – Pains divers – Soupes ¦conomiques”: Brief von Bourdois an den Innenminister Joseph-Henri-Joachim Lain¦, Paris, 26. Mai 1817; für das Beispiel Ersatzkaffee Archives Nationales, Paris, F12 2378, DenisPlacide Bouriat: „Rapport fait a son excellence Le Ministre de L’int¦rieur, au nom De sa Commission Charg¦e de L’examen Des Cafes indigÀnes“, 1811.

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die Begierden der Konsumenten dazu fähig seien, die staatlichen Strategien zu untergraben: „Die Vorliebe der Europäer für ausländische Luxuswaren war so groß, daß weder die höchsten Steuern, noch die strengsten Verbote und Strafen sie aufhalten konnten. Nachdem vergeblich gegen ein Begehren gekämpft worden war, das sich jeder Behinderung entgegengestellt hatte, waren die Regierungen schließlich gezwungen, dem Andrang nachzugeben“.43 Konsum schien ein gesellschaftliches Phänomen zu sein, das die Regierung nicht kontrollieren konnte. Debatten und Meinungsverschiedenheiten über den Geschmack äußerten sich schließlich in tiefgründigen Bedenken über die Auswirkungen des veränderten Konsumverhaltens auf die sozialen Hierarchien und die Legitimität der Regierungen. Dies war für die französischen Gelehrten und Beamten, die zwischen 1786 und 1815 große politische Unruhen erlebten, besonders schwerwiegend; für sie war die Erfüllung öffentlicher Erwartungen hinsichtlich des Angebots bestimmter Lebensmittel und anderer Verbrauchsgüter ein Schlüsselelement in einem breit angelegten Programm zur Sicherstellung sozialer Stabilität und zur Prävention öffentlicher Unruhen. Solche Bedenken waren bereits vor der Revolution, als die Krone die öffentliche Ordnung durch eine „moralische Ökonomie“ aufrechterhielt, die die Rolle des Herrschers als Ernährer/Vater seines Volks in Übereinstimmung mit den traditionellen Konventionen regulierte, deren Verletzung zu öffentlicher Unordnung führte, ein zentraler Aspekt der staatlichen Politik gewesen. Während der Revolution begann eine Reihe von Regierungen mit der Idee zu experimentieren, das Modell einer moralischen Ökonomie der Konsumentenbeziehungen zu demontieren, um eine Einrichtung zu schaffen, in der die Regierungen die öffentliche Meinung (teilweise heimlich) durch ein Angebot von Substitutionsnahrungsmitteln beeinflussen konnten. Dieser Trick konnte jedoch nur erfolgreich sein, wenn die Transparenz, die früher zwischen Regenten und Volk herrschte, beseitigt wurde. Die inneren Mechanismen der Nahrungsmittelversorgung und die Natur der Nahrungsmittel durften einer breiteren Öffentlichkeit urteilsloser Konsumenten nicht offengelegt werden; was jetzt zählte, war die Versorgung mit einem reichlichen Angebot von etwas, das scheinbar das begehrte Lebensmittel war. Diese Verschiebung verlangte von den Regierungen auch, mit Wissenschaftlern und medizinischen Experten, die die (botanische und chemische) Natur Eigenschaft der Lebensmittel im Allgemeinen und für spezifische Nahrungsmittel im Besonderen erforschten, zusammenzuarbeiten. Seit dem Ende des alten Regimes hatten diese Experten ein Repertoire an experimentell bestätigten Aussagen über die wahre Natur der Lebensmittel und Getränke und die Ursachen ihrer Wirkungen auf den Körper zusammengestellt. Ihr Anspruch auf 43 Guillaume-Thomas-FranÅois Raynal: Histoire philosophique et politique des ¦tablissemens & du commerce des Europ¦ens dans les deux Indes. Bd. 2. Amsterdam 21774, S. 354.

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Expertise wurde während des 18. Jahrhunderts noch vorsichtig, danach aber mit steigendem Selbstvertrauen geäußert. Sie konnten dennoch, wie das Beispiel des Zichorien-Kaffees zeigte, durch den öffentlichen Erfolg von Substitutherstellern in Verlegenheit gebracht werden, deren Produkte unter anderen politischen Umständen, und sicherlich in Pomets Tagen, als eklatante Fälschung bezeichnet worden wären und weder im Geschmack, noch in seinen medizinischen Wirkungen Ähnlichkeit mit dem Original hatten, das sie nachahmen sollten. Um den Ersatz dennoch unters Volk zu bringen, waren die Gelehrten der höfischen Elite gezwungen, die Konsumenten in Kategorien unterschiedlicher Urteilskraft zu unterteilen: Kategorien, die nicht zufällig auch mit der Verteilung des Wohlstands übereinstimmten, der für den Erwerb dieser Simulakren von exotischen, luxuriösen oder seltenen und teuren Waren genutzt wurde. Wie Cissie Fairchilds in einem klassischen Artikel zeigte, war es die Produktion dieser billigeren Ersatzgüter für elitäre Modeprodukte, der den wahren Wohlstand der industriellen Revolution begründete44. Die Neuausrichtung des scheinbar „angeborenen“ Geschmackssinns der Konsumenten an ihrer Kaufkraft, so daß die gesellschaftliche Stellung vielmehr ein Produkt des Reichtums war als Macht ein Produkt der sozialen Stellung, muß als Kernentwicklung des 18. Jahrhunderts betrachtet werden, die ihren Schatten auf die von Bourdieu beschriebenen Verbindungen von Geschmack und Wohlstand im Bürgertum des 19. Jahrhunderts vorauswarf.45 Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der aufsteigende Handel im 18. Jahrhundert alle drei Gruppen gleichermaßen stark veränderte: Die Regierungen fanden neue Wege, um die Bedürfnisse der Konsumenten zu befriedigen und um das Volk mit allen Mitteln zu befrieden. Die Konsumenten wurden zunehmend eher nach ihrem Wohlstand unterschieden als nach ihrer gesellschaftlichen Stellung, verloren in diesem Prozeß aber ihre Ernährungsexpertise, während auch die Kennerschaft kaum mehr politische Kraft besaß. (Bourdieu zeigte, daß Kennerschaft als Triebkraft sozialer Differenzierung bis ins 19. Jahrhundert weiterlebte). Als direktes Resultat dieser Entwicklung wurden Wissensexperten – Chemiker, Botaniker, Physiologen – für die Regierungen zunehmend unverzichtbar : An sie wandten sich die Regierungen, um geeigneten Ersatz für die mangelnden Lebensmittel zu finden, offizielle Definitionen für Phänomene der Nahrung, des Genusses und der Heilung menschlicher Körper anzubieten und um Strategien vorzuschlagen, durch die Gewohnheiten und 44 Cissie Fairchilds: The Production and Marketing of Populuxe Goods in Eighteenth-century Paris. In: John Brewer, Roy Porter (Hg.): Consumption and the World of Goods. London, New York 1992, S. 228 – 248. 45 Bourdieu, Distinction, 1994; siehe auch Maxine Berg, Elizabeth Eger: The Rise and Fall of the Luxury Debates. In: dies. (Hg.): Luxury in the Eighteenth Century. Debates, Desires and Delectable Goods. Basingstoke 2003, S. 7 – 27.

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Praktiken des Konsums geformt, entwickelt oder ausgelöscht werden konnten. Es waren ihre Wissensansprüche, welche die Basis für eine öffentliche Nahrungsmittelchemie formten, die einen gleichartigen Platz in den Institutionen und Verwaltungen Frankreichs im frühen 19. Jahrhundert finden würden.

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Popular Medicine and the New Science in England. Cross Roads or Merging Lanes?

Introduction This chapter1 focuses on a specific type of popular medicine at the time of the new science in late seventeenth century England – the broadsheets of medical empirics. Empirical medicine was concerned with selling pills and potions mainly of a chemical nature. It was made accessible to many through ephemeral broadsheets or bills posted on walls. Recent research has shown that it could be immensely profitable.2 However, the conceptual nature of the medical knowledge contained in empirics’ bills has not, on the whole, been studied in any detail. One aim of the chapter is to look at the relationships and analogies between the new science and the medical advertisements and to assess the extent to which the latter mirrored and helped to popularise the aims of the former. Another aim is to come some of the way towards understanding how a major shift in medicine occurred whereby a chemical medicine focused on diseases, over time, replaced establishment Galenic medicine that had emphasized the need to treat the individual. This change has defined modern medicine; and I shall be arguing that the broadsheets of the pill and potion sellers were involved at the beginning of the process. Finally, my discussion of the medical broadsheets should help us to understand why patients when buying medicines to-day are generally not given any scientific explanation as to how they work. The 1 I would like to thank Geoffrey Cantor, Malcolm Nicolson, Emma Spary, Erin Sullivan and Wendy Churchill for their very helpful comments on this chapter and the editors for their hospitality in Basel and for organising the very stimulating and enjoyable conference that gave rise to this book. 2 See David Haycock, Patrick Wallis: Quackery and Commerce in Seventeenth Century London. The Proprietary Medicine Business of Anthony Daffy (Medical History. Supplement 25). London 2005, pp. 12 – 27: Daffy’s elixir was big business, as well as 132 agents across England, the empiric Anthony Daffy had thirty-eight agents in Western Europe and the British colonies. Between 1678 and 1683 Daffy sent out each year over £ 1,000 worth of the elixir, which was then a very large sum, and this does not include the sale of the elixir inside London where Daffy was based.

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chapter begins with a lengthy sketch of the relationship between medicine and natural philosophy in general, and then it discusses what relationship, if any, there was between the new natural philosophies and the medical knowledge to be found in the broadsheets.

The Relationship Between Natural Philosophy and Medicine Any discussion of the new science and medicine needs to look at the relationship between natural philosophy and medicine, a relationship that began in classical times and, though it was challenged and modified, it continues to the present.3 The changes that were brought in by the ‘new science’ or the new natural philosophy should in principle, therefore, have had an effect upon medicine. It could be argued, nevertheless, that this relationship between natural philosophy and medicine was less marked in the case of remedies as there were many remedy books both printed and in manuscript in the early modern period that merely gave the ingredients of a remedy and were silent as to why in terms of theory they might work. However, from the authority of the Galenic De Simplicium Medicamentorum Facultatibus (Concerning the Powers of Simple Medicines) and from Galen’s other works on medicines learned Galenic medical writers had asserted that remedies had theoretical underpinnings that were ultimately derived from natural philosophy together with some specifically medical knowledge. And, in this chapter I shall be arguing that the broadsheet writers of the medical advertisements created a new genre of writing about remedies, appearing to be aware of natural philosophy and of medical knowledge yet deliberately giving little real information to their prospective clients. From the classical period medicine had generally been seen as subservient to philosophy and dependent on philosophy, especially natural philosophy, for its fundamental principles. Aristotle, who as it turned out was both descriptive and prescriptive concerning the relationship between medicine and natural philosophy, had argued in Metaphysics that the branches of knowledge that did not aim at utility had the highest status; for when leisure came to the world those who had leisure could investigate the world without being limited by any practical end or purpose. He wrote about the first philosophers: “[…] since they philosophized in order to escape from ignorance, evidently they were pursuing science in order to know, and not for any utilitarian end. And this is confirmed by the facts; for it was when almost all the necessities of life and the things that make for comfort and recreation were present that such knowledge began to be sought. Evidently then we do not seek it for the sake of any other advantage; but as the man is 3 That is if we equate science with natural philosophy.

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free, we say, who exists for himself and not for another, so we pursue this as the only free science, for it alone exists for itself.“4

The types of knowledge that the philosopher seeks, according to Aristotle are the “the first principles and causes.”5 Although he wrote that medicine as an art had its own specific knowledge and its master practitioners, there is no doubt that for Aristotle’s readers such craft knowledge (techne) was limited by its end or purpose, that of health, and so was inferior to and subsumed under the universal and unlimited knowledge of philosophy. Moreover, according to Aristotle, inferior sciences and arts did not contribute to the knowledge of philosophy.6 Rather, though experience in medicine is useful and necessary, the master physician needs to go to philosophy to acquire knowledge of universals or first principles.7 Galen also made it clear that medicine should be informed by philosophy, by higher order knowledge as it were. And, as is well known, one of his treatises is entitled That the Best Physician is also a Philosopher. He believed that the doctor should be concerned with causes as well as with experience, and his treatise on the Usefulness of the Parts of the Body is a paean to the final cause echoing Aristotle’s fervent belief that “nature does nothing in vain.”8 4 Aristotle: Metaphysics, 982b20 – 28. In: id.: The Complete Works of Aristotle, ed. by Jonathan Barnes (Bollingen Series 71. Pt. 2). Vol. 2. Princeton 1984, pp. 1552 – 1728, at pp. 1554 f.; and more generally, ibid., 981a12 – 982b23. 5 Ibid., 982b9, p. 1554. 6 See ibid, 981a23, where he argues that the master craftsmen in each art know more in a truer sense than manual workers, for the latter do not know the reason why – the final cause and ultimate end of philosophical enquiry for Aristotle – whilst the former do know. However, Aristotle makes it clear at 981b30 – 982a2 that whilst “the artist [is] wiser than the men of experience, the master-worker than the mechanic“, yet “the theoretical kinds of knowledge [… are …] more of the nature of wisdom than the productive“. And at 982a30 – 982b5 Aristotle emphasises that the knowledge of universals attained by philosophers is superior to and not dependent upon the knowledge of subordinate sciences and that, indeed, it encompasses them. “And understanding and knowledge pursued for their own sake are found most in the knowledge of that which is most knowable; for he who chooses to know for the sake of knowing will choose most readily that which is most truly knowledge […] for the first principles and causes are most knowable; for by reason of these, and from these all other things are known, but these are not known by means of the things subordinate to them. And the science which knows to what end each thing must be done is the most authoritative of the sciences, and more authoritative than any ancillary science.“ Ibid., pp. 1153 f. 7 Aristotle, Nicomachean Ethics, 1180b13 – 28. Aristotle, Complete Works of Aristotle 2, 1984, pp. 1729 – 1867, at pp. 1865 f.; and more generally, Aristotle, Nicomachean Ethics, 1139b14 – 1142b30, where Aristotle stresses the need for experience and for knowledge of particulars for practical wisdom but still concludes “that practical wisdom is not knowledge”. Ibid., pp. 1799 – 1803. 8 Galen: Quod Optimus Medicus sit quoque Philosophus. In: id.: Claudii Galeni Opera Omnia, ed. by Karl Gottlob Kühn. Vol. 1. Leipzig 1821, pp. 53 – 63, at p. 61. On Galen’s De Usu Partium see id.: Galen on the Usefulness of the Parts of the Body, transl. from the Greek with an

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There were dissenting views. The author of the Hippocratic treatise On Ancient Medicine (or Tradition in Medicine) writing around the end of the fifth century B. C. argued that the postulates of the philosophers should not enter into medicine, and that medicine should have its own knowledge independent of philosophy : “There are some doctors and sophists who maintain that no one can understand the science of medicine unless he knows what man is; that anyone who proposes to treat men for their illnesses must learn of such things. Their discourse tends to philosophy, as may be seen in the writings of Empedocles and all the others who have ever written about Nature. […] it is my opinion that all which has been written by doctors or sophists on nature has more to do with painting than medicine. I do not believe that any clear knowledge of Nature can be obtained from any source other than a study of medicine and then only through a thorough mastery of this science.”9

Later in antiquity the empirical school stressed the value of experience and denied that of causes. As Vivian Nutton points out, for the empiricists, who were active and influential in the Hellenistic period, a collective memory, the careful setting out of case histories in a Hippocratic manner and the personal experience of the doctor were enough to cure a patient. Moreover, the disputes about causes were an indication of their unreliability. This approach was applied especially to the knowledge and use of drugs.10 The establishment medicine of the middle ages and of the sixteenth century, the medicine taught in most European universities, was that of Galen. In terms of epistemology, Aristotelian teleology, the question why, or the final cause, the purpose for something remained the ultimate object of enquiry for the Galenic physician–philosopher. Furthermore, natural philosophy was still seen in principle as the source for the theoretical foundations of medicine. In terms of content, the medicine taught in the universities echoed, or rather copied, Galen in fusing Platonic and Aristotelian natural philosophy onto medicine, whilst also being aware of Hippocratic teachings. For instance, Aristotle’s four qualities in combination were believed by Galenic physicians to make up not only the four Aristotelian elements out of which the physical sub-lunary world was composed but also the four Hippocratic–Galenic humours that constituted the body and its psychological dispositions. In sixteenth-century England popularized medicine, introduction and commentary by Margaret Tallmadge May. 2 vols. Ithaca NY 1968. See May’s comments in her introduction on Aristotle and Galen concerning the final cause and “nature does nothing in vain”, vol. 1, p. 10. The passages where Aristotle asserts that nature is purposeful are too numerous to cite, but see, for instance: Physics, 198b10 – 199b33; On the Heavens, 271a33; Parts of Animals, 639b12 – 641a17; Generation of Animals, 744b17. 9 Hippocrates: Tradition in Medicine. In: id.: Hippocratic Writings, ed. by Geoffrey E. R. Lloyd. Harmondsworth 1978, p. 83. 10 Vivian Nutton: Ancient Medicine. London 2004, pp. 147 – 149.

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as with university based medicine, was also largely Galenic with some Paracelsian texts, and astrological medical treatises and almanacs. However, in the later seventeenth century both natural philosophy and medicine change. The Aristotelian–Galenic consensus is challenged and unpacked. Francis Bacon, the guru figure for the English natural philosophers, partly reshaped the relationship between natural philosophy and medicine but did not break it apart. And, together with other players in the maelstrom of opinion making that constitutes what we simplify as the ‘new science’, he provided some of the key ideological standpoints that were frequently, though briefly, alluded to in the medical advertisements to be discussed below. Bacon, famously, emphasized observation, experience, classification, experimentation and ultimately the creation of a new natural philosophy based on the logical ordering of empirical facts and experiments rather than on conjectures. It was a philosophy that, though it set up superior intellects as the creators of experiments and general theories, also valued and, indeed, relied on the contributions and observational–factual knowledge of people in general as Bacon’s New Atlantis makes clear. This potentially more demotic approach is also evident in Bacon’s emphasis that the new philosophy should be useful, making fructiferous experiments that produced practical applications as well as devising luciferous experiments, throwing light upon nature. As Pamela Smith has stressed the crafts had been for some time part of the world of books and increasingly of science.11 And, Bacon declared that the crafts and sciences should mutually enlighten each other and so progress, in contrast with the stasis of the past and of the present-day. For Bacon the material conditions of life, which Aristotle had thought to have been perfected, were capable of a good deal of improvement through the new philosophy.12 The philosopher was no longer to be apart and above from the material world. The Aristotelian distinction between philosophy and a ‘techne’ such as medicine was diluted, though not abolished. Now, practical utility, so limiting for the philosopher in Aristotelian eyes, was integral to the new natural philosophy, and the findings of arts like medicine would be fed into the new theories of nature and so improve them, something that, as we saw earlier, Aristotle had denied. However, the ancient dependence of medicine for its fundamental principles 11 Pamela H. Smith: The Body of the Artisan. Art and Experience in the Scientific Revolution. Chicago 2004. Smith stresses how an “artisanal epistemology” was being created by artists, craftsmen and map makers before the new science, pp. 59 – 99; and throughout her book she argues that craftsmen emphasized nature and naturalistic depiction, and that this approach was to be part of the new science. 12 Francis Bacon: The New Organon, ed. by Fulton H. Anderson. Indianapolis 1975, Aphorisms 85, 99, pp. 81 – 84, 95 f.

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upon the theories of natural philosophy was preserved by Bacon. He believed that medicine was subservient to natural philosophy ; for, although there should be a two way interaction between natural philosophy and subjects like medicine and the mechanical arts, it was natural philosophy, as Bacon put it in Aphorism 80 of Book One of the Novum Organum, that was “the great mother of the sciences”13. (Bacon, as in the quotation below, describes medicine equally as a practical science or art.) He continued: “Meanwhile, let no man look for much progress in the sciences – especially the practical part of them – unless natural philosophy be carried on and applied to particular sciences, and particular sciences be carried back again to natural philosophy. For want of this, astronomy, optics, music, a number of mechanical arts, medicine itself […] altogether lack profoundness, and merely glide along the surface and variety of things. Because after these particular sciences [here Bacon is also referring to medicine; A. W.] have been distributed and established, they are no more nourished by natural philosophy – it is nothing strange if the sciences grow not, seeing they are parted from their roots.”14

Here, at the heart of the programmatic ideology for the English new science, it is clear that medicine should depend on natural philosophy, its ‘root’, and that without its link to natural philosophy it stagnates. Progress and change were essential parts of the ideology and this meant that as the old natural philosophy was to be rejected and a new one created, so the foundations of medicine had likewise to change and align themselves to new philosophies. A variety of natural philosophies came to constitute the new science or to contribute to it. Criticism of the old, a belief in the need for progress and radical change were shared aspects of Paracelsian, Helmontian, Cartesian, mechanical, corpuscular and Newtonian philosophies of nature, but their understanding and description of nature often differed. The idea of progress and novelty in medicine, at least in the popular medicine of the medical advertisements, is largely based on chemical medical knowledge. So, for this chapter it is worth mentioning that the followers of the Paracelsian and Helmontian philosophies, that laid the foundations for the chemical side of the new science, stressed that the particular chemical principles that underpinned each of their philosophies explained both nature and the body, In England a Helmontian radical like Noah Biggs believed that a new philosophy meant a new medicine. For, when in 1651 he petitioned Parliament for a reformation of medicine, he declared that: “Natural Philosophy is the Basis or Main Fundamental of Medicine; for where Philosophy ends there medicine is to be enterprized […].” Biggs went on to write: “For he who is ignorant of the 13 Ibid., p. 77. 14 Ibid., pp. 77 f.

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mystical Arcanas [secrets] of Physics [natural philosophy15] of necessity it will follow that the more occult secrets of medicine should be hid from his eyes.”16 Again, the stress is on the dependence of medicine on natural philosophy, but one should also note the emphasis on secrets, and on how Biggs went on to argue for charitable, affordable, medicine. The latter was part of the religiously inspired social critique of Galenic medicine as expensive and uncharitable that found a receptive audience amongst puritan reformers at the time of the English Civil War.17 From the discussion so far what might we expect to find of the new science in the popular medicine of the medical broadsheet advertisements? Progress, novelty, the denial of conjectures and the reliance on solid facts and experiments, the rejection of Galenic medicine and a belief in, or at least, allusions to, a new philosophy would be reasonable assumptions given the rhetoric of many of the participants in the new science. But what philosophy? The Helmontian approach was based upon enlightenment by God. The physician was not taught by books but was born a physician and shown the way to nature’s secrets by God, who guides and enlightens his work in the laboratory.18 The space of the chemical laboratory was common to both a member of the Royal Society and a Helmontian, both attacked the wordy knowledge of the past, but the Helmontian put a greater stress on direct divine inspiration, which allowed the chemical adept to have unique insight not given to others into the ‘arcana’ or secrets of nature and of the body.19

The Medical Broadsheet Advertisements Turning, after this necessary introductory excursus, to the London medical broadsheets. These are one or two page advertisements that would be stuck on walls for the public to read, sometimes they could be a three or four page booklet – like advertisements handed out to likely customers. Given increasing literacy 15 The study of “physis” or nature, in Greek. 16 Noah Biggs: Mataeotechnia Medicinae Praxeos. The Vanity of the Craft of Medicine. London 1651, title page, p. 16. C For a fuller discussion of Biggs and of Helmontianism in general upon English medicine see Andrew Wear : Knowledge and Practice in English Medicine, 1550 – 1680. Cambridge 2000, pp. 353 – 433. Very little is known about Biggs apart from what can be gathered from his book. 17 See Charles Webster’s classic account in his The Great Instauration. Science, Medicine and Reform, 1626 – 1660. London 1975, pp. 246 – 323. 18 On Van Helmont see the classic account by Walter Pagel: Joan Baptista Van Helmont. Cambridge 1982 (paperback 2002). 19 Of course, this is a crude distinction and someone like Robert Boyle could be a member of the Royal Society and influenced by Helmontianism.

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and the practice of reading aloud for those who could not read, the broadsheets or bills in Peter Jones’s view potentially reached out to the majority of London’s adult population.20 The surviving broadsheets number over two hundred and are to be found in two collections in the British Library whilst some are in the Wellcome Library. They have been studied by historians, most notably by Roy Porter, from a social history point of view and there has been less analysis of their conceptual content and links to the new science. Historiographically, the authors of the broadsheets have often been seen in negative terms, and even Porter, who tried to view the whole spectrum of early modern health providers from a neutral rather than a judgemental stance, could at times call them “nostrum mongers” and echo some of the attitudes of their competitors, the ‘regular’ physicians.21 In this chapter I shall take the medical and natural philosophical aspects of the advertisements at face value, though it is not possible to ignore their purpose which was to sell medicines nor to ignore the fact that the pejorative term ‘quack’ was often applied to the empirics. But, given the extent and duration of the advertisements one has good grounds for assuming that they were seen as effective in selling medicines. The advertisements share one thing in common: the emphasis is always on the manufactured product that is to be sold, the pill or the potion. Sometimes the chemical aspect is more prominent and worked out than was usually the case. For instance, the one sheet advertisement for Lockyer’s Pill (see illustration below) which was “extracted from the rays of the sun” contained Helmontiantype allusions and an emphasis on experience. The reader/customer is presented with Helmontian topoi – Light, God, personal enlightenment, chemistry, experience and experiment together with the Baconian overlap of experiment and philosophy joined together. In the first lines of the main text Lockyer is the “Operator”. His medicine is guaranteed by God. It has “an all healing Virtue” and the reader can be “certain” that this is so because “it hath pleas’d God to bless his Philosophical Endeavours with the Acquisition and true Perfection thereof”. Lockyer also gets credit having “Administred and Experimented the same [the medicine] with Success upon All or Most part of the Known Diseases”. In the sub-title of the broadsheet Lockyer’s 20 On the reading and the reading aloud of medical texts see Peter Murray Jones: Medical Literacies and Medical Culture in Early Modern England. In: Irma Taavitsainen, Paivi Pahta (eds.): Medical Writing in Early Modern England. Cambridge 2011, pp. 30 – 35. 21 Roy Porter : Health for Sale. Quackery in England 1660 – 1850. Manchester 1989, p. 103. In his opening chapter Porter carefully indicates the many points of equivalence between the empirics and the regulars as well as pointing out how the empirics could see themselves as part of the new science. However, in his later chapters Porter sees the empirics’ language and ideas as commercial advertising and so shares the approach of the empirics’ elite competitors. An older and much more simplistic descriptive account is Charles J. S. Thompson, The Quacks of Old London. London et al. 1928.

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Abb 1: Lionel Lockyer : Lockyer’s Pill. 17th c. Broadsheet advertsing L. Lockyer’s patent medicine. Wellcome Library, London, , Slide number 2420.

forty years experience and practice is emphasised. Lockyer, who died in 1672, is also called “Authorized Physician and Chymist” so joining medicine and chemistry together, which was very usual in the advertisements, the image of him focusing the rays of the sun on his medicine confirms his identity as an experimenter and operator, whilst highlighting light and the sun.22 This stress in the Lockyer broadsheet on personal experience and experimentation was part of the general sceptical approach of the creators and 22 “Lockyer’s Pill Call’d by the Name of Pilula Radiis Solis Extracta”. Medical Adverisement, Wellcome Library, Wellcome Images, Slide Number 2420.

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followers of the new science, who no longer depended on old received knowledge. It was shared by the different groups that helped to form the new science. But the underlining of Lockyer’s knowledge as directly God-given would not have fitted the Baconian/Royal Society ideological approach that avoided metaphysical and essentially secret knowledge.23 The emphasis on personal, divinely guided, knowledge was, of course, also a selling point. The remedy was a personal secret known only to Lockyer and his successors and so could only be bought from them: the boxes of pills were wrapped up in “Papers, wherein are the Names of Thomas Fyge and John Watts, his Nominees for this Secret”. It is worth noting that the broadsheet has hardly anything in detail on the causes of disease, though there are hints of disease processes. But, the terminology it uses is found in both the old Galenic medicine and the new elite medicine of Thomas Willis. The pill cures: “Inflammations and obstructions of the Liver, Corruption, Putrefaction of the Blood […] Hard Swellings, Pain and Inflammations of the Spleen”, as well as particular conditions such as “The Falling-Sickness”, “Vertigo”, “Jaundies” etc. The processes and names of disease were part of medicine’s own language, largely unaffected by old or new philosophies, and remind one of Aristotle’s view that a techne like medicine had its own practical wisdom as well as the theoretical knowledge derived from philosophy.24 The language that describes the pill’s action is also medicine’s: “[it] restores the Radical Moisture, cleanses and strengthens the Spermatick Vessels […] An Antidote against all Contagious Airs and Infectious Diseases and perfectly resists all Foulness and Infection in the act of Generation.” Whether one used a traditional Galenic herb or a new chemical drug both their actions could be described as cleansing, strengthening, getting rid of foulness;25 and, although the reference to the radical moisture might have been too specialized, most of the language describing the pill’s actions was accessible to a non medical readership. Whilst the broadsheet promises innovation and links Lockyer to new approaches, it also uses at times a language that, because it was essentially medical and not so dependent on any underlying philosophy, was common to competing groups in the medicine of the time. Of course, the terminology could be explained by an old or a new philosophy : but as we shall see what is interesting from the point of view of this chapter is that such a philosophy often is not used to explain the purely medical in any worked out way. 23 Again, as mentioned in footnote 19 this is a crude distinction. Newton was interested in alchemical and Biblical knowledge and Boyle in Helmontian knowledge. 24 See above footnotes 4 and 5 and text. 25 For a discussion of continuities in the underlying concepts and practices in therapeutics see Andrew Wear : Medical Practice in Late Seventeenth and Early Eighteenth Century England. Continuity and Union. In: Roger K. French, Andrew Wear (eds.): The Medical Revolution of the Seventeenth Century. Cambridge 1989, pp. 294 – 320.

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Turning now to the four page folded broadsheet of George Jones (fl. 1680) “Whom God hath blessed with greate Succes in healing”. He advertised “His Friendly Pills”26 like others such as Helmontians who wanted to claim that their pills were friendly and gentle in contrast to the sometimes violent purging and bleeding of Galenic medicine. Gentleness and friendliness were also stressed by chemical practitioners as a counter to accusations by Galenists that chemical drugs acted in a violent or even poisonous manner.27 The claim that the pills are “the true Tincture of the Sun and have dominion from the same Light”, again sounds Helmontian, but the images of light and the sun in the Lockyer and Jones broadsheets may well have been divorced in the public’s mind from Helmontianism and have come to be associated more generally with purity and power. In other words, popularization may begin a process of disassociation from an original source, or from the author’s intention, and take on a life of its own. There was also something of a common culture amongst the medical broadsheets, different writers often repeated the same or similar phrases, especially in relation to venereal disease.28 The advertisements were, moreover, sensitive to wider cultural beliefs. For instance, references to religion and to God were not always Helmontian in origin. Jones’s pills successfully cured all diseases that were recognized as being curable “unless God should utterly deny you a Blessing” (italics in original). Here we have a traditional Christian view originating from the early Church Fathers and widely current amongst English clergymen in the sixteenth and seventeenth centuries on the need to pray to God for a blessing on the ‘means’, that is the medicine, so that it should be divinely approved, sanctified and work.29 The medical advertisements could be very eclectic, though they were generally expressive of a chemical approach. It is significant that there are hardly any detailed polemics against older medical theories and natural philosophical knowledge, which contrasts with the writings of the protagonists for a new medicine and for a new science. It probably did not make commercial sense to have done so; customers might have been uninterested or offended at attacks on past medical approaches. Indeed, one advertisement after stressing the chemical

26 “George Jones of London”. Medical advertisement, Wellcome Library, EPH+14.9; record number 23674873, p. 1. 27 For Helmontian attitudes to Galenic cruelties and the need for gentle remedies see Wear, Knowledge and Practice, 2000, pp. 372 – 398. 28 The promise of secrecy and the reassurance to the patient that venereal disease was often not caught through sexual intercourse were frequently offered, see below. 29 See Darrel W. Amundsen: Medicine and Faith in Early Christianity. In: Bulletin of the History of Medicine 56 (1982), pp. 326 – 350; Andrew Wear: Puritan Perceptions of Illness in Seventeenth Century England. In: Roy Porter (ed.): Patients and Practitioners. Lay Perceptions of Medicine in Pre-Industrial Society. Cambridge 1985, pp. 55 – 99.

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natures of the medicines being sold stated that “The Patient if he pleaseth, may have his Physick Galenically of me”30. What was understated but nearly always present was the language of medicine. In Jones’s broadsheet it is used to explain how most diseases are “bred of the scurvy”: “The scurvy is bred of bad blood, which instead of supplying Nature with good Nourishment sendeth her corrupt, mixed with a sharp, tough, slimy tincture which passeth through the ends or branches of the Arteries, into all the Muscles and so it settles in the habit of the whole Body […].”31

This is a story of what is happening in the inner geography of the body, and while it is slightly unusual to have such an extended explanation in a medical broadsheet, such narratives were common to both the old and the new medicine. As with the Lockyer broadsheet this language is neutral as to any underlying philosophy, though one should bear in mind that this was a time when medical authority was being strongly contested and the mere selling of nostrums generally indicated an anti-Galenic stance whilst the remedy itself could signal a particular natural philosophy. That this medical language is neutral and lacking explanatory depth in a natural philosophical sense is confirmed by looking at Jones’s description of his “friendly pill” and at how Robert Boyle explained the properties of the empirics’ friendly pills. Like other broadsheet writers, Jones made the point that his pills worked differentially : attacking disease but leaving the healthy body alone. “The pills will not work where there is no matter for them to work on, for they will not work upon Nature, and weaken the body like other Physick, but will be to them as if they taken nothing, only chear the Spirit.” The pills had elective powers being attracted only to the ill matter in the body. In both the old Galenic medicine and the new medicine of Willis, Locke and Sydenham disease was often seen as arising from ill matter: ‘morbific’ or ‘peccant’ matter that needed to be expelled, dissolved or overcome.32 Jones does not explain to his reader how his pill worked differentially. He was not concerned with applying fundamental explanations to his medicines, unlike Robert Boyle.

30 “Nothing Without God”. British Library, Collection of Medical Advertisements, c.112.f.9, p. 2. The “Dutch Doctor” of the advertisement highlighted his chemical medicines “prepared by my Artists in London”. 31 George Jones, Advertisement, p. 2. 32 For a recent general discussion of putrifying matter in the body in medicine see Shigehisa Kuriyama: The Forgotten Fear of Excrement. In: Journal of Medieval and Early Modern Studies 38 (2008), pp. 403 – 442.

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Boyle, Friendly Pills and the Corpuscular Philosophy Boyle, the respected member of the Royal Society, who created a chemical version of the mechanical philosophy, was interested in the work of the chemical empirics and in a very Baconian manner went to their workshops to learn from them. In Of the Reconcileableness of Specific Medicines to the Corpuscular Philosophy To which is Annexed a Discourse about the Advantages of the Use of Simple Medicines (1685) Boyle wrote that he accepted the empirical point of view that specific medicines cured particular diseases. His aim was to show to others that specific remedies worked; and, moreover, that how they worked could be explained by the corpuscular philosophy.33 What Boyle intended to do was, in a sense, to translate, albeit expansively, the chemists’ products and claims into the new philosophy, to underpin them with the new philosophy. Boyle was careful not to denigrate Galenic physicians and Galen himself, but echoing the language of the medical advertisements and of the medical chemists he made it clear that he believed that chemical remedies – specifics – could “work more benignly as well as more effectually” than traditional remedies that worked through manifest qualities (such as hot, dry, cold and wet).34 His corpuscular philosophy35 provided a lively story of how the empirics’ pills might work within the body, a story that took an artisanal product and integrated it with an elite, cutting edge philosophy. For instance, Boyle wrote how morbific matter could be attacked: “And these peccant Humours are oftentimes so viscid and obstinate, that ordinary remedies will do little or no good upon them. And yet a Specifick may, by the smallness and congruous Figure of some of its Corpuscles, get through the Pores into the Recesses of this stubborn matter ; and by their Solidity, Figure and Agitation, promoted by the

33 Robert Boyle: Of the Reconcileableness of Specific Medicines to the Corpuscular Philosophy to which is Annexed A Discourse about the Advantages of the Use Of Simple Medicines. London 1685. In The Preface Boyle wrote that his treatise “tends to show, that, in case there be Specifick Medicines (as’tis probable there are some) their experienced vertues are reconcileable to the principles of the Corpuscular, or (as many call it) the new Philosophy”, here, Preface, A2v. For Boyle, “There are two grand Questions […] about the Specifick vertues ascrib’d to Medicines, The first is, whether there be really any such, and the second whether, if there be, the Mechanical Hypothesis can be accommodated to them”, ibid., p. 6. 34 Ibid., Preface, A4v. 35 The corpuscular philosophy as set out by Boyle, described chemical substances and their reactions in terms of the mechanical philosophy, that is that chemical substances were composed of particles having particular sizes, shapes and motions. For Boyle the corpuscular and rationalist philosopher see Marie Boas Hall: Robert Boyle on Natural Philosophy. Bloomington 1966, for contrasting views see Michael Hunter : Boyle between God and Science. New Haven 2009; Lawrence M. Principe: The Aspiring Adept. Robert Boyle and His Alchemical Quest. Princeton 2000.

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heat of the patients Body, may dissolve and ruine the texture of the Morbifick matter […].”36 (Italics in original)

Boyle uses the language of medicine, “Pores”, “Morbifick matter”, “heat of the patients Body” to create the stage upon which the corpuscles of his philosophy work. We could also say that his vivid description of the activity of a remedy’s corpuscles was concerned with convincing the reader; it could almost have been an advert for the empirics as well as for the corpuscular, mechanical philosophy, the new science.37 And such an interpretation might not be far wrong, for Boyle had clearly taken on board some concepts of the chemical empirics and the language of their broadsheets. The friendliness of the chemists’ pills served as the basis of his further explanation as to how the peccant or morbific matter is broken up: “Thus the blood, or some Liquor of the Body, being (to use the Chymists Phrase) impregnated with the friendly and operative Particles of the Remedy, becomes an appropriated Menstruum [a solvent; A. W.] in reference to the Pecant matter. […] There is no sufficient reason to suppose, that the Menstruum works by any manifest quality, as Heat, Moisture, etc. or even by Acidity it self: But rather by virtue of the fitness, which the shape, bulk, solidity, and other Mechanical affections of its particles, concur to give it to disjoin the parts of a body of such a determinate texture [that is the peccant or morbific matter].”38

Boyle also appeared to accept that the corpuscles of a specific could act differentially. He wrote that “a Specifick Medicine may abound in Corpuscles of such a Nature, that without dangerously or incommodiously heating the blood , they may disable those Corpuscles, they meet with in the Blood, that make that Liquor viscous, or roapy, or dispirited […].”39

In other words, such a medicine was a safe medicine, attacking elements hostile to the body whilst leaving the blood, the carrier of life, alone. Boyle also argued, using the analogy with breast milk and the way its particles are assimilated by the different parts of the body, that “the friendly corpuscles of a Specific Medicine” could make a healthy part in the body even healthier as well as restoring it 36 Boyle, Specifick Medicines, 1685, p. 36. 37 Ibid. Although it is not within the scope of this chapter, it is worth pointing out that Boyle gave added verisimilitude to his descriptions of the activity of his corpuscles by referring to well known substances that seem to emit particles such as camphor evident to smell or the multitude of “Magnetical Corpuscles, that for many years constantly effluviate from a small vigorous Load stone”. Cantharides also obviously worked to irritate the bladder and discharge urine whilst not disturbing other parts of the body. Boyle, Specifick Medicines, 1685, pp. 46, 80 f. The treatise has many more examples. 38 Ibid., pp. 36 f. 39 Ibid., pp. 88 f.

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“to a sound condition when it is distempered,” which was to be carried out by “those friendly Particles”.40 Boyle has taken a rather vague concept used by the empiric chemists and whilst still keeping to some of its original sense integrated it with a high level natural philosophy, the corpuscular philosophy, which in turn was subsumed into an even higher level natural philosophy, that of the mechanical philosophy.41 In some ways we could say that here we have a process going from the popular to the elite,42 whilst at the same time the actions of the empirics’ medicines are being translated into and explained by a new natural philosophy. The traditional position of natural philosophy being placed above medicine has been reasserted.43 Yet in the medical advertisements we can see some aspects of the new science.

Vestiges of the New Science and of a New Medicine? The Jones broadsheet in order to “give you [the reader] further satisfaction” provided the names and addresses of those who had been cured by him. He listed sixty cases, the following are typical: “24. Mr. Henry Clare, of a Consumption, when he was so much wasted, that his flesh was all withered away, that he had not any thing left to cover his bones, but the skin; the people at the Golden-Pattin against the Kings Bench in Southwalk will give you an account of this great cure.” “27. Mr. Abel Barton at the Brew House at the upper end of St. Johns street, of the Gout, being near threescore years of Age.” “55. Eliz. Towson of Newington Butts, in Black-mansstreet in Lamb-ally in Southwark, of a Cancer in her Breast almost as big as a mans head.” “56. The wife of Mr. Robert Harrison of Coundon a mile off Coventry of a Consumption Fever, Jaundies, yellow and black.“44 40 Ibid., pp. 77 f. 41 As Boyle put it, “a living Human Body is not a meer Aggregate of Flesh, Bones, etc. But an exquisitely contriv’d, and very sensible Engine; Whose Parts are easily set a work by proper, though very Minute, Agents […].” Boyle, Specifick Medicines, 1685, p. 94. 42 One could, however, argue that there is an underlying origin for the idea of friendly pills in Helmontian chemistry, whether that is elite or popular is perhaps a moot point. 43 Michael Hunter points out that Boyle could at times assert the superiority of natural philosophy over medicine. He cites Boyle in Experiments and observationes physicae declaring that “Natural philosophy being a science of the greater extent than physic, and supplying it with many of its principles and theories it is very possible that naturalists, though not professed physicians, may propose some such comprehensive notions and methods, as may awaken and enlarge them that are so […]”. Hunter also writes that elsewhere Boyle was more cautious about trading on the physicians’ toes. Michael Hunter : Boyle against the Galenists. A Suppressed Critique of Seventeenth Century Medical Practice and its Significance. In: Medical History 49 (1997), pp. 322 – 361, at pp. 341 – 343. 44 George Jones, Advertisement, pp. 2 f.

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Other broadsheet advertisements also listed cures and the patients’ names and addresses. To us and probably to many at the time these are merely advertising testimonials whose authenticity might be doubtful. But they echo the values of the new science. The protagonists of the new science and, indeed, also sixteenth century anatomists pushed for witnesses to experiments and to demonstrations. Personal sensory experience was deemed to be a criterion of truth and this can be found early on also in travellers’ accounts of the New World.45 At the level of rhetoric there is an analogy between the emphasis on experience in the medical adverts and in the new science. One advert invites the reader “to make Experience, which is beyond all Arguments”.46 Another advertises a cure for venereal diseases “as can be made Evident by abundance of Witnesses, were it proper to direct one person to another for Information, however he will leave the Proof to such as please to make Tryall”. The idea of trials of remedies was becoming widespread, though here it is the individual making a trial of a remedy.47 The advert for Thomas Suffold’s pills ends with a poem extolling experiential knowledge: “Some Envious Men being griev’d may say, What need Bills [broadsheets] thus still given away? Answer New People come to London every day. Believing Solomon’s Advice is right I will do what I do with all my might And unless an English Proverb lies, Practice brings Experience and makes wise, Experimental Knowledge I protest In lawful Arts and Science is the best.“48

I would like to argue that the continual repetition in very widely disseminated print that experience was important and witnesses were necessary, though it suited the commercial needs of the remedy sellers, also had the effect of popu45 See Steven Shapin, Simon Schaffer : Leviathan and the Air Pump: Hobbes, Boyle and the Experimental Life. Princeton 1985; on anatomy and personal observation see Andrew Wear: William Harvey and ‘The way of the Anatomists’. In: History of Science 21 (1983), pp. 223 – 49; on travel writing see Mary B. Campbell: The Witness and the Other World. Exotic European Travel Writing 1400 – 1600. Ithaca NY 1988; more generally, Barbara J. Shapiro: A Culture of Fact. England 1550 – 1720. Ithaca NY 2000. Medical casebooks compiled by earlier Galenic physicians also listed the names of patients, their conditions and treatments, but there was less emphasis on independent witnesses attesting to a cure. 46 “At the Blue Ball in Princes-street Near stock Market, You May Have A Certain, Safe and Private Cure […]”. British Library, Collection of Medical Advertisements, c.112.f.9. 47 Medical Advertisement, the beginning is destroyed, the empiric’s address is “at his House, the Black and White Ball, in Salisbury Court, Fleet Street”. British Library Collection of Medical Advertisements, c.112.f.9. 48 “The Sick May Have Advice for Nothing”. British Library Collection of Advertisements, 551.a.32.h244.11.

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larising approaches and values that happened to be similar to those held by the Royal Society natural philosophers. The public’s constant exposure to this type of language educated it and increased its awareness of these values. Usually historians including myself have argued that the empirics put into their advertisements what they thought their prospective customers were already aware of and would like to see in print. Although this is true, there is the other side to it: in today’s advertising language it could be that the empirics were creating awareness of a product, its associations and its values. One could also argue that this was a reciprocal process with the philosophers increasingly interested in integrating natural knowledge from empirical and philosophical sources.49 Apart from asserting the same belief in the empiricist epistemology that was present in the English version of the new science, the empirics also helped to put chemistry centre stage in the minds of the population at large. This also echoed Boyle’s attempt to give a high profile to chemistry within the ambit of the new science. Before him Paracelsus and Van Helmont had argued for chemistry to be the basis of medicine. Now, the empirics made chemistry acceptable to their public not only by arguing that it was cheaper to buy pills than to have expensive visits from physicians and by praising the efficacy of their remedies, but some of them showed also how old herbal remedies could be transformed into new chemical ones and the transition made from the familiar to the less familiar. For instance, an advert for the spirit of wormwood declared that “there is not any Herb that grows that is a greater friend to the Stomach than Wormwood, it is of a predominant Quality, for the Cure of the following Distempers […].”50 From this well known piece of herbal knowledge and after the recitation of a long list of conditions curable by wormwood, the reader is told why the spirit of wormwood is best: “Now this Spirit of Wormwood which is here Commended for Publick use is nothing else but the true Central and Physical part of that incomparable Vegetable abstracted from its gross Body, and diligently prepar’d, according to the best Rules of Art. This Spirit is Subject to no corruption or Decay, being close stopped, it will keep and Retain its Virtue from Age to Age.”

This prefigures the modern practice of pharmaceutical companies that take a herbal remedy and chemically extract and then produce its active ingredients in a purer and long lasting form. But, certainly, the transition from herb to chemical remedy was made effortlessly in the text, and the message that the art or techne of chemistry could produce remedies that improved upon those of nature was highlighted whilst making it easier for the public to accept chemical 49 My thanks to Emma Spary for this point. 50 “The Excellency and Nature of the True Spirit of Wormwood”. British Library, Collection of Medical Advertisements, c112.f.9.

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remedies. Another advertisement, that for Bateman’s Spirits of Scurvy Grass indicates, or perhaps asserts, that the public have already made the transition to chemical remedies: “There is no doubt but that Providence design’d that Excellent Medicinal Herb, by us call’d Scurvy Grass, for a Specific, or peculiar and adequate Remedy against a cruel and almost universal Disease, the Scurvy, and several other Distempers. […] But both reason and Experience have taught, That the common way of infusing the crude Herb and letting it lye to rot in Liquors, or taking the gros pounded Juice with all its Impurities, as in the vulgar Scurvy-grass- ale and Beer, is (by reason of the Earthy and Phlegmatic parts thereby received into the Body) both nauseous and prejudicial instead of being helpful to Nature. To prevent which inconveniences these Noble Spirits were invented, where all the gross dreggy parts being separated and cast off, nothing remains but the pure essential Virtues of this gallant Vegetable; thereby becoming of far greater Efficacy to assist Nature, and meet with, subdue and expel the lurking Morbifick matter which occasions those Diseases. This is now so notorious, that few people but such as are stupidly ignorant, or unreasonably willful, do any longer make use of the common Scurvy-Ale, but apply themselves to these more generous Spirits, which have given such eminent and singular proofs of their success.”51

Apart from showing very clearly how the chemical preparation of a herb was made to appear better, purer and more powerful that the ordinary herb, this advertisement brings to mind the attacks on herbal medicines in present day England and indicates that their origins go back to when chemical remedies were starting to take over from the traditional herbal ones. However, this was a time of transition from herbal to chemical medicines, and some of the medical broadsheet writers clearly felt the need to educate their readers in the new pharmacological products. One advertisement listed different elixirs of herbs from a chemist’s catalogue such as “Elixir of Saffron”, an “Elixir of Balme and Mint”, “An Elixir of Marjoram”, and “Elixir of Horse-Radish” and educated the reader in the difference between the spirit of a plant and its elixir.52 The public could also see images of distilling apparatus, for instance, in an advertisement for cosmetics – cosmetics and medicine having been closely associated in manuscript remedy books and now in the products of the chemical empirics.53 All this made people aware of chemistry and of chemical medicines and sensitized them to their possibilities. 51 “The Virtues and Happy Effects of Bateman’s Famous Spirits of Scurvy”. British Library, Collection of Medical Advertisements, c.112.f.9. 52 “A Catalogue of Chymical Medicines Sold by R. Rotheram”. British Library, Collection of Medical Advertisements, c.112.f.9. An elixir is a “seminal balsamic Liquor […] after putrefaction in a proper Dissolvent, and this separated purity I call Elixir”. Ibid. 53 “The Famous Water of Talk and Pearl, Being the Clearest of all Waters”. This advertisement has running along its margins images of distilling apparatus. British Library, Collection of Medical Advertisements, c.112.f.9.

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Secrecy Arcana, secrets were at the heart of the medical broadsheets, the pill or potion was a secret known only to its producer, unlike traditional medical recipe books the ingredients of the empirics’ medicines are not divulged. This contrasts with the ideology of open shared knowledge, of co-operative searching into the secrets of nature that was held by many of the makers of the new science and members of the early Royal Society. Bacon had pushed for such openness in New Atlantis and Boyle argued for freedom of information with regard to drugs.54 The empirics in their broadsheets offered social secrecy to sufferers from the French Disease or the pox. The empiric promised not to embarrass the patient and to carry out the cure in secret, as the taking of a pill could be done without anyone knowing. As many broadsheets put it the wife would remain in ignorance and likewise the husband.55 On the other hand, the use of mercury, the standard orthodox treatment, meant that its consequences, consisting of a huge amount of sweating and salivating, could hardly be hidden. But more generally, what is also secret is the composition of the pill. The language of openness in the advertisement – the pill being made public for the public good – hides the fact that the ingredients and the production of the pill remain secret. One advertisement declared that at the “Angel and Crown in Basing-Lane […] Lives a Physician […]. Who has a Pill prepared with wholsom Ingredients and is of such great Virtue that it ought not to be concealed, when so many Dangerous and Stopping Medicines are daily used for the French Disease […]”56. The impression of openness is given – the pill should not be concealed, it should be made available to the public, plus it has wholesome ingredients – but the exact nature of the ingredients is concealed. The reader has to trust in the assertion and reassurance of the writer that they are wholesome. Certainly, many alchemical and chemical

54 On Boyle’s early desire for medical recipes to be freely communicated as an act of Christian charity for humanity see Barbara Beigun Kaplan: “Divulging of Useful Truths in Physick”. The Medical Agenda of Robert Boyle. Baltimore 1993, pp. 24 f. For a very fine, informative and scholarly account of Boyle’s wish for open information about the ingredients of empirics remedies, of his attack on the closed shop of the physicians and of his wish to protect the commercial interests of empirics whilst publishing their recipes see Michael Hunter : The Reluctant Philanthropist. Robert Boyle and the ‘Communication of Secrets and Receits in Physick’. In: Ole Peter Grell, Andrew Cunningham (eds.): Religio Medici. Medicine and Religion in Seventeenth-Century England. Aldershot 1996, pp. 247 – 272. 55 The empiric at “his House the Black and White Ball, in Salisbury-Court in Fleet-Street”, after listing the torments of the mercurial treatment by salivation reassured the reader that his own cure was “Safe, Easy, and Pleasant” and could be made “without any Confinement from Business, or knowledge of their nearest Relations, even their very Bedfellows”. 56 “At the Angel and Crown […]”. British Library Collection of Medical Advertisements, 551.a.32.h244.9.

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writers took pleasure in secrets, and customers could be attracted by the cachet of a secret remedy. Also, perhaps there is a wider social aspect. The late seventeenth century saw the beginning of the move from face-to-face transactions where one personally inspected a product and talked to its producer to a commercial society ; so that in the case of empirics’ pills wholesale outlets were created for their distribution and sale and the personal contact with the producer was often lost. In addition, the move from herbal to chemical medicines means that whereas before most people could pick their own herbs or buy them from the herb women in markets and judge for themselves their identity and quality, now chemical medicines required specialized expertise and equipment that only a few households possessed. The old language of secrecy and of secrets fits, for a while at least, with the new social and economic developments where households are stopping making their own bread, beer and medicines and commercial producers are keen to keep hold of the details of their processes and their products.57 In a way, secrecy together with the vivid language that surrounds and characterizes the pills, potions and elixirs fixed the spotlight on them as products and made them take on a life and identity of their own even when their creators were long gone.58 Secrecy was not part of the new science for many of the English natural philosophers, but ironically it helped to bring chemistry and its medical products into the public domain and in so doing at the very least it fitted into the programme of someone like Boyle who wished to highlight chemistry.

Conclusion A fundamental change happened in medicine around this time. Galenic medicine was based on treating the individual and not the disease, at least this was the theory, and it was the establishment medicine taught in the universities. On the other hand, treating the disease and not the individual patient was unorthodox, empirical, medicine. From the later part of the seventeenth century this began to change, and today physicians treat the disease and not the individual. This is now orthodox, establishment, medicine, taught in the universities with science providing its fundamental principles and theories, though medicine’s own 57 On consumerism and commercialism in the long eighteenth century see Geoffrey Holmes: Augustan England: Profession, State and Society 1680 – 1730. London 1982; Neil McKendrick, John Brewer, John H. Plumb: The Birth of a Consumer Society. The Commercialization of Eighteenth-Century England. London 1982; John Brewer, Roy Porter (eds.): Consumption and the World of Goods. London 1992. 58 Daffy’s elixir was being sold into the nineteenth century, Lockyer’s pill and George Jones’s pill were sold after their deaths by their heirs.

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language is also very present. Treating the individual, taking into account their lifestyle and particular physical and emotional circumstances has become alternative medicine and often is as viciously attacked by the supporters of scientific medicine as when Galenists used to fulminate against what they called quack or empirical medicine. In the past I have wondered how this change-over took place.59 In this chapter perhaps I have given a small part of the answer. The magic bullets of chemical empirics were sold to the public with the aid of the broadsheets and accustomed it to chemical medicines. Whilst the new science was putting chemistry within the scope of the mechanical philosophy and physicians like Willis were shaping a new theoretically based chemical medicine the chemical empirics were creating an acceptance and a demand for specific remedies that targeted specific diseases, or all diseases. The existence of the empirics’ pills and broadsheets probably made it easier for elite medicine to get the public at large to accept the move from Galenic individual-based medicine to disease-orientated medicine.60 Or, perhaps we should say that both the medicine of elite practitioners and of empirics had much in common and they reinforced each other in creating an acceptance of the change-over. There were affinities between the new science and the medical broadsheets. The new interest in craft knowledge amongst the virtuosi of the Royal Society helped to build bridges between the new natural philosophies and the chemical empirics, as we saw in the case of Robert Boyle. There were also more explicit echoes of the new science in the medical broadsheets such as the appeal to experience and to witnesses, and one could speculate that the emphasis on curing diseases, with lip service only being paid to the constitution of the patient, meant that the advertisements mirror the new science’s move from subjective to objective knowledge.61 However, there was no sense that in the 59 I have alluded to the change in Andrew Wear: Art. Medicine. In: Wilbur Applebaum (ed.): Encyclopedia of the Scientific Revolution. From Copernicus to Newton. New York 2000, p. 423 and Andrew Wear: Historical Keywords: Quack. In: The Lancet 366 (2005), p. 1157. 60 This is necessarily speculative. It is almost impossible to say whether the people who read the broadsheets were already adherents of the empirics’ chemical remedies or whether the advertisements were proselytizing to potential customers who were uncommitted or hostile. From the language of the advertisements it looks as if a bit of both was hoped for by the empirics. However, it is difficult to see in detail in what ways “a merging of horizons”, to use Gadamer’s phrase, was taking place with new knowledge and interpretations emerging. 61 Strictly speaking in Aristotelian natural philosophy and in Galenic medicine there was no subjective – objective distinction. The four fundamental qualities that made up the world, the body and its constitution were perceived by touch and were viewed as providing real knowledge. The objective – subjective distinction emerges with the new science when the world is seen as being made up from particles of particular sizes, shapes and motions that in principle are quantifiable and observable rather than from the four qualities. The former are seen by Locke as “primary qualities” and objective whilst the latter are reduced in status to “secondary qualities” and viewed as subjective. For the significance of this for the practice of

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broadsheets medicine was being underpinned by a new natural philosophy, as we saw Robert Boyle felt the need to do that. The very general but vague union of medicine with chemistry could be taken as an assertion that medicine was implicitly underpinned by chemistry even though in reality no details were spelled out. Customers might have got reassurance that the medicine they were buying was backed up by a substantial body of knowledge, just as today we are reassured when taking a pill that there is solid bio-chemical knowledge validating it even if we have no idea what that knowledge is. There are various reasons why in the medical advertisements there are no real explanations or translations of the working of remedies in terms of the new science and one of its philosophies. There was little space in the advertisements for extended explanations. Also, it could be argued that potential customers wanted to read about remedies and not lengthy accounts of theories; moreover, it was recognized that the new natural philosophy as applied to medicine might bore or not interest people. George Cheyne in The English Malady (1733) wrote that his readers could ignore the philosophical part of his treatise if they were only interested in what related to their relief and cure, in other words, the practical part.62 Moreover, the new natural philosophy or science may simply have been too difficult for most people. If we want to know how medicine underwent a sea change then the empirics’ broadsheets provide, as I have argued, a small part of the answer. But, if we want to know how it is that we, the general public, accept pills like aspirin63 or blood pressure pills without feeling the need to know how they work at a fundamental bio-chemical level, then I think we will find a large part of the answer in the broadsheets of the chemical empirics that focused on their pills without being too troubled to put them into the framework of a new philosophy. Artisanal knowledge helped the new science, but it also created a type of public expectation whereby knowledge concerning medicines would be largely devoid of detailed natural philosophical or scientific underpinning. Elite medicine continued to have the underpinning that Aristotle had argued for, but at the level of

medicine see Andrew Wear : Knowledge and Practice, 2000, pp. 109 – 110, 126 – 129, 330 – 311, 452. 62 George Cheyne: The English Malady or a Treatise of Nervous Diseases of All Kinds. London 1733, p. 4: “Those who are desirous to read the ensuing Treatise only for their relief and Cure, may pass over those Parts (which may be learned by the Index) that are merely Philosophical, and design’d only to gratify their Curiosity, they having no necessary Connection with what is Directory or Practical.” On the same page Cheyne made it clear that he subscribed to the mechanical philosophy as applied to the body : “The Human Body is a Machine of an infinite number and variety of Channels and Pipes […].” 63 For a long time, of course, how aspirin worked was unknown also to elite establishment medicine.

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public knowledge of remedies it was lacking. The pill was all, as the druggists of the nineteenth century and the pharmaceutical companies of the twentieth and twenty-first centuries recognized.

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Die „Lust“ am Gewöhnlichen. Emotionen als Scharnier laienhafter und wissenschaftlicher Wissenskulturen

Im Mittelpunkt meines Beitrags stehen bislang von der Forschung tendenziell vernachlässigte Dimensionen der Wissensgenerierung. Es geht mir um die Thematisierung von konkreten Erfahrungen und Emotionen, die wesentlich zur Formierung von Wissenshaltungen und zur Konzentration auf bestimmte Objekte im Kontext der Frühen Neuzeit beigetragen haben. Diese mit der Generierung von Wissen verbundenen Emotionen führten, so meine These, seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert verstärkt zur wechselseitigen Durchdringung laienhafter und wissenschaftlicher Wissenskulturen.1 Die in den Texten der Naturforscher und Naturforscherinnen auffallend häufig geäußerten Empfindungen der „Lust“, die sich vermehrt auf das unscheinbare und gewöhnliche Naturobjekt aus der Umgebung richteten, bildeten für knapp ein Jahrhundert die gemeinsame Interessensbasis zwischen Wissenschaftslaien und Naturphilosophen. Über die emotional hoch aufgeladene Wahrnehmung natürlicher Phänomene entwickelten Wissenschaftslaien und Naturphilosophen ähnliche Heuristiken und Praktiken des Beobachtens und des Sammelns, während umgekehrt die auf das gewöhnliche Einzelobjekt gerichteten Praktiken entsprechende, das heißt erwünschte und auch zu erwartende Emotionen der „Lust“ hervorriefen. Die „Lust“ am Gewöhnlichen wurde Teil der wissenschaftlichen Praxis und musste als solche immer wieder verlautet werden. Die Bekundung erhebender Emotionen fungierte als gemeinschaftsstiftender, gleichsam habitueller Code der scientific community, den Naturphilosophen ebenso wie Wissenschaftslaien des 17. und 18. Jahrhunderts gleichermaßen zu beherrschen hatten.2 Zu letzteren zählten Naturforscher und Naturforscherinnen, die sich 1 Zur Konkretisierung des Begriffs „Wissenskulturen“ siehe Johannes Fried, Thomas Kailer (Hg.): Wissenskulturen: Beiträge zu einem forschungsstrategischen Konzept. Berlin 2003; Johannes Fried, Michael Stolleis (Hg.): Wissenskulturen: Über die Erzeugung und Weitergabe von Wissen. Frankfurt a. M. 2009. 2 Vgl. Steven Shapin, Simon Schaffer : Leviathan and the Air-Pump: Hobbes, Boyle, and the Experimental Life. Princeton 1985; Steven Shapin: A Social History of Truth: Civility and Science in Seventeenth-Century England. Chicago 1994; ders.: „A scholar and a Gentleman“:

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selbst nicht als Naturphilosophen oder „Naturkündiger“ bezeichneten, die aber über ihre Beschäftigung mit bestimmten Naturobjekten zu einer besonderen Expertise gelangten und als Experten nachgefragt wurden.3

ExpertInnen und ihr Objekt Eine Wissenschaftslaiin mit allgemein anerkannter Expertise auf dem Gebiet der Entomologie war Maria Sibylla Merian. Unter dem Titel Der Raupen wunderbare Verwandelung erschien 1679 der erste und 1683 der zweite Teil von Maria Sibylla Merians Raupenbuch;4 ein dritter Teil wurde posthum 1717 in Amsterdam veröffentlicht. 1705 erschien im Eigenverlag ihr heute bekanntestes Werk, die Metamorphosis insectorum Surinamensium im Großfolio-Format mit Texten in Latein und Niederländisch. Bekanntheit erlangte sie aber bereits durch ihre Raupenbücher, die auf Beobachtungen der einheimischen Insektenwelt rund um Nürnberg beruhten und in denen sie das für ihr Werk zeitlebens typische Metamorphosenbild entwickelte. Die Metamorphose zeigt die einzelnen Entwicklungsstadien des Insekts: Raupe oder Larve, Puppe mit oder ohne Kokon, Imago in Form eines Schmetterlings oder auch einer Motte.5 Die Entwicklungsstadien sind auf der Wirtspflanze, von deren Blättern sich die Raupe ernährt oder auf der das Insekt seine Eier ablegt, zu sehen. Jeder der insgesamt 50 Bildtafeln ist eine eingehende Beschreibung der Metamorphose beigegeben. Während sie jede The Problematic Identity of the Scientific Practitioner in Early Modern England. In: History of Science 29 (1991), S. 279 – 327, Zur Bedeutung des Amateur Gentlemen für die epistemische Autorität der Forschungen im Rahmen der Royal Society. Zur Kritik an der Gentlemen-These siehe insbes. Barbara J. Shapiro: A Culture of Fact: England, 1550 – 1720. Ithaca NY 2000, S. 8 – 19. 3 Zur gegenwärtigen Forschung zu „Expertenkulturen“, aber auch zu unterschiedlichen Ansätzen des Expertenbegriffs vgl. Björn Reich, Frank Rexroth, Matthias Roick (Hg.): Wissen, maßgeschneidert: Experten und Expertenkulturen im Europa der Vormoderne. München 2012. 4 Maria Sibylla Merian: Der Raupen wunderbare Verwandelung/ und sonderbare Blumen=nahrung/ worinnen/ durch eine ganz=neue Erfindung/ Der Raupen/ Würmer/ Sommer=vögelein/ Motten/ Fliegen/ und anderer dergleichen Thierlein/ Ursprung/ Speisen/ und Veränderungen/ samt ihrer Zeit/ Ort/ und Eigenschaften/ Den Naturkündigern/ Kunstmahlern/ und Gartenliebhaber zu Dienst/ fleissig untersucht/ kürtzlich beschrieben/ nach dem Leben abgemahlt/ ins Kupfer gestochen/ und selbst verlegt. 2 Teile, Frankfurt a. M. 1679 und 1683. 5 Vgl. zum Folgenden Anne-Charlott Trepp: Von der Glückseligkeit alles zu wissen. Die Erforschung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit (1550 – 1750). Frankfurt a. M. et al. 2009, S. 224 ff. Ob Merian hingegen den Entstehungskreislauf der Insekten, beginnend mit dem Ei erkannt hat, ist aufgrund ihrer Darstellungen nicht eindeutig zu klären. Siehe Katharina Schmidt-Loske, Historical Sketch Maria Sibylla Merian – Metamorphosis of Insects. In: Deutsche Entomologische Zeitschrift 57/1 (2010), S. 5 – 10, hier S. 8.

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Pflanze mit ihrem deutschen und lateinischen Namen anführt, bleiben die Insekten zumeist ohne Bezeichnung, da nur wenige zu ihrer Zeit mit Namen bezeichnet waren. Bevor Merian mit dem Raupenbuch an die Öffentlichkeit ging, sammelte, suchte und beobachtete sie Insekten und alles, was auf dem Boden kroch. An den verschiedensten Orten ihrer Umgebung suchte Merian nach Raupen: in ihrem eigenen Garten im Bereich der Kaiserburg, in den Gärten der Stadt, vor den Toren Nürnbergs; auch im Stadtgraben zu Altdorff.6 Zu Hause züchtete sie die Tiere in Schachteln, fütterte sie mit ihren Wirtspflanzen und beobachtete genau die einzelnen Entwicklungsstadien, ihr Aussehen und ihr Verhalten. Dabei nahm sie ein Vergrößerungsglas zu Hilfe und schrieb das, was sie sah und mitunter auch, was sie dabei fühlte, nieder. Manche Entwicklungen von der Puppe bis zur Imago dauerten Tage, andere Monate und Jahre, die sie mit nicht nachlassender Begeisterung und Geduld abwartete, um das endgültige Ergebnis der Verwandlungen zu sehen. Die Daten der einzelnen Phasen notierte sie zuweilen bis auf den Tag genau. Nicht alle Untersuchungen gelangen auf Anhieb und mussten mehrfach wiederholt werden.7 Zunächst hielt sie die Stadien der Entwicklung in ,Verwandlungsreihen‘ auf Pergament fest. Aus diesen Vorstudien entwarf Merian ein Bild, auf dem sie die Insekten dann auf den Pflanzen, von denen sie (als Larven) lebten, darstellte und um sie herum gruppierte. Sie bemühte sich um eine möglichst genaue Wiedergabe der Insekten „nach dem Leben“, wie sie in ihrem Vorwort zum Raupenbuch schrieb.8 In zeittypischer Weise stand dabei jedoch die künstlerisch anspruchsvolle Abbildung der Schönheit der Tiere im Vordergrund und nicht die mimetisch exakte Wiedergabe im Sinne moderner Objektivitätsansprüche.9 Wie die Mehrzahl der im deutschsprachigen Raum des 17. und 18. Jahrhunderts wissenschaftlich tätigen Frauen kam Merian aus dem Handwerk.10 Sie 6 Erich Mulzer : Maria Sibylla Merian und das Haus Bergstraße 10. In: Nürnberger Altstadtberichte 24 (1999), S. 27 – 56, hier S. 39; Trepp, Glückseligkeit, 2009, S. 225. 7 Ebd., S. 225 – 226. 8 Merian, Der Raupen wunderbare Verwandelung, 1679, Vorwort Teil 1. 9 Nach Daston und Galison dominierte im 18. Jahrhundert das Prinzip der Naturwahrheit, gewissermaßen die zeitgebundene Form von „Objektivität“, die auch ästhetischen und künstlerischen Ansprüchen genügen musste: Lorraine Daston, Peter Galison: Objektivität. Frankfurt a. M. 2007 (engl. 2007), S. 103 ff. Zur zeittypischen Verbindung von Kunst und Wissenschaft bei Merian vgl. darüber hinaus Janice Neri: The Insect and the Image. Visualizing Nature in Early Modern Europe, 1500 – 1700. Minneapolis 2011, S. 139 ff., speziell auch S. 154 ff. Allerdings unterschätzt Neri, wie Natalie Zemon Davis auch, die Bedeutung ihrer heimischen Raupenforschungen und Bücher – nicht zuletzt auch für Ihre Anerkennung als Insektenexpertin. Natalie Zemon: Drei Frauenleben. Glikl, Marie de l’Incarnation, Maria Sibylla Merian. Berlin 1996, insbes. S. 167 – 245. 10 Londa Schiebinger: Schöne Geister. Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft. Stuttgart 1993, S. 105 ff.; vgl. Monika Mommertz: Das Wissen „auslocken“. Eine Skizze zur

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wurde 1647 in Frankfurt in die Familie des bekannten Kupferstechers und Verlegers Matthäus Merian hineingeboren. In der Werkstatt ihres Vaters lernte sie zeichnen, Farben mischen und das Ätzen von Kupferplatten. Bei ihrem späteren Stiefvater Jacob Marrel absolvierte sie darüber hinaus vermutlich eine informelle Lehre.11 Im Unterschied zu den männlichen Wissenschaftslaien hatte Merian nicht studiert und als Frau keinen direkten Zugang zum Kommunikationsnetz der res publica litteraria – gleichwohl aber hatte sie über ihre familiären Beziehungen Kontakte zu den städtischen Eliten in Frankfurt und Nürnberg. Wie die Mehrzahl der männlichen Naturenthusiasten verstand auch sie sich nicht als „Naturkünderin“ oder gar als Gelehrte.12 Und dennoch verfügte sie nach Jahren der andauernden Beschäftigung mit den Insekten über ein Expertinnenwissen. Den Zeitgenossen galt sie bis weit in das 18. Jahrhundert hinein als Spezialistin auf dem Gebiet der Entomologie. Carl von Linn¦ nennt sie in seiner Systema Naturae von 1758 (10. Auflage) in einer Reihe mit den bedeutendsten Entomologen: „Entomologi praestantiores figuris, proprietatibus attributes inclaruere. Metamorphosii: Goedart, Meriana, Albinus, Frisch, Wilkes, Roesel.“13 Auch der von Linn¦ neben dem bedeutendsten deutschsprachigen Entomologen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Johann Leonhard Frisch genannte August Johann Roesel von Rosenhof kannte Merians Werke und setzte sich mit ihren Beobachtungen sehr genau auseinander.14 Dass ein Expertenstatus jedoch immer wieder unter Beweis gestellt und neu ausgehandelt werden musste und von unterschiedlichen Interessen und Bedeutungszuweisungen abhängig war,15 zeigt sich auch an Merians Beispiel. So äußerte sich der italienische Naturforscher Antonio Vallisneri in einem Brief an den Schweizer Universalgelehrten Johann Jakob Scheuchzer von 1716 empört darüber, dass dieser Merian in seiner Bibliotheca scriptorum historiae naturalis omnium terrae regionum inservientium

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Geschichte der epistemologischen Produktivität von Grenzüberschreitung, Transfer und Grenzziehung zwischen Universität und Gesellschaft. In: Yuka Nakamura, Christine Böckelmann, Daniel Tröhler (Hg.): Theorie versus Praxis?, Perspektiven auf ein Missverständnis. Zürich 2006, S. 19 – 51, hier S. 43. Vgl. Trepp, Glückseligkeit, 2009, S. 213 – 220. Merian, Der Raupen wunderbare Verwandelung, 1679, Vorwort Teil 1 Carl von Linn¦: Systema naturæ per regna tria naturæ, secundum classes, ordines, genera, species, cum characteribus, differentiis, synonymis, locis. Holmiae 1758, S. 341; siehe dazu Katharina Schmidt-Loske: Die Tierwelt der Maria Sibylla Merian (1647 – 1717). Arten, Beschreibungen und Illustrationen, Marburg, Lahn 2007, S. 39. August Johann Rösel von Rosenhof: Insectenbelustigung, 4 Bde., Nürnberg 1746 – 1761; siehe dazu Schmidt-Loske, Tierwelt, 2007, S. 37. Zur Produktion allgemein anerkannten Wissens und zur Frage der Definitionsmacht siehe Brigitte Jordan: Authoritative Knowledge and Its Construction. In: Robbie E. Davis-Floyd, Carolyn F. Sargent (Hg.): Childbirth and Authoritative Knowledge. Cross Cultural Perspectives. Berkeley CA 1997, S. 55 – 79.

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unerwähnt gelassen hatte (obwohl er Merian und ihre Werke kannte)16 : „In Americae scriptoribus non vidi notatam D. Sibillam Merianam, adeo de eiusdem insectis, at plantis benemeritam.“17 Merian hatte sich zunächst mit ihren heimischen und später vor allem mit ihren tropischen Insektenstudien in der europäischen Gelehrtenwelt einen Namen gemacht. Zu fragen ist daher, wie aus der Wissenschaftslaiin eine Expertin wurde? Die langjährige künstlerische Ausbildung schulte ihren Blick auf die Details, handwerkliches Können und die genaue Beobachtung beförderten sich gegenseitig. Außer den praktisch-handwerklichen Fähigkeiten waren es jedoch ganz bestimmte Erfahrungsdimensionen, die sie exklusiv mit der Beobachtung und Untersuchung von Insekten und speziell mit der Metamorphose verband. Immer wieder aufs Neue konnte sich Merian an den kleinen Tieren und ihrer Verwandlung erfreuen, da sie „[noch täglich] ein sattsames Vergnügen“ darin empfinde,18 sie zu betrachten. Mit nicht nachlassender Begeisterung schildert sie ihre Beobachtungen, ihre, wie sie schreibt, „Augenlust“.19 Mit der Untersuchung der Insekten und ihrer Verwandlung verband sie ein erhebendes, ein erbauliches Gefühl. Gerade in den kleinsten, generell als minderwertig angesehenen, scheinbar aus Schlamm und Kot entstandenen Lebewesen offenbarte sich ihr Gottes Weisheit und Fürsorge, seine „wunderbare Auffsicht“20. Ein ähnlich erhebendes Gefühl empfand etwa zur gleichen Zeit auch der niederländische Naturforscher Jan Swammerdam beim Anblick der Insekten, dem mit seinen Arbeiten allerdings ein wissenschaftlicher Anspruch zugewiesen wurde. Swammerdams Beitrag zur Entomologie bestand vor allem in den anatomisch genauen Untersuchungen verschiedenster Insekten, in der Verfeinerung mikroskopischer Sektionstechnik und in neuartigen Konservierungsmethoden.21 Seine religiöse Motivation brachte Swammerdam bereits in seiner Historia generalis insectorum von 1669 zum Ausdruck,22 weit ausführlicher jedoch in 16 Brief von Antonio Vallisneri an Johann Jakob Scheuchzer vom 24. Oktober 1703, Zentralbibliothek Zürich (im Folgenden zitiert als ZBZ), Ms H 312, cc. 35 – 38. Für den Hinweis auf diesen Briefwechsel danke ich vielmals Dr. Simona Boscani Leoni (Universität Heidelberg). 17 Brief von Antonio Vallisneri an Johann Jakob Scheuchzer vom 12. Dezember 1716, ZBZ Ms H 312, cc. 219 – 21. Die Liste derjenigen, die Scheuchzer nach Ansicht Vallisneris hätte aufnehmen müssen, ist lang; so fehlt etwa auch der seinerzeit namenhafte Marcello Malpighi; vgl. ebd. 18 Merian, Der Raupen wunderbare Verwandelung, 1683, Vorwort Teil 2. 19 Ebd., Schlussvers. 20 Merian, Der Raupen wunderbare Verwandelung, 1679, Vorwort Teil 1. 21 Trepp, Glückseligkeit, 2009, S. 229. 22 Jan Swammerdam: Historia Insectorum Generalis, ofte Algemeene Verhandeling van de Bloedeloose Dierkens. Utrecht 1669, S. 211 f: „Sapientissimo & Optimo Numini, cujus invisibilia jam inde ab Orbe condito ex Creaturis patuerunt, ut aeterna ipsius Majestas & Omnipotentia nemini non quam clarissime innotesceret, sit Laus, Honor & Gloria.“

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seiner 1737 posthum veröffentlichten Biblia naturae.23 Vor dem Hintergrund der in den Niederlanden besonders wirkungsmächtigen kausal-mechanischen Ideen Ren¦ Descartes versuchte Swammerdam durch seine Arbeiten zu erweisen, dass Gott die Natur mit einheitlichen Gesetzen ausgestattet habe. Da dem Menschen die letzten Ursachen und Zusammenhänge der Naturphänomene jedoch verborgen blieben, sah er seine eigentliche Aufgabe darin, die mit bloßem Auge kaum wahrnehmbaren feinen, geordneten Strukturen der kleinsten Lebewesen so präzise und detailliert wie möglich zu untersuchen, zu beschreiben und auch zeichnerisch abzubilden.24 Maria Sibylla Merian kannte Swammerdams Werk, wählte aber eine andere Form der Darstellung, was mit ihrer künstlerischen Ausbildung und ihren genuinen pietistischen Glaubensvorstellungen zusammenhing, hier aber nicht von Belang ist.25 Festzuhalten ist hingegen die Bedeutung der religiösen Erfahrungsdimensionen, die die Künstlerin und Wissenschaftslaiin Merian mit dem Wissenschaftler Swammerdam eint und sie zu einer Expertin auf dem Gebiet der Entomologie werden lässt. Dabei griffen die informelle handwerkliche Ausbildung, der (nicht nur für eine Frau typische) lokale Erfahrungsraum und ihre religiös gebundene Wissenshaltung produktiv ineinander. Kommen wir zum gemeinsamen Forschungsgegenstand von Merian und Swammerdam, zur Bedeutung des Gewöhnlichen und Unscheinbaren. Die Konzentration auf das Gewöhnliche als Forschungsobjekt und die damit verbundenen Emotionen waren in der Frühen Neuzeit keineswegs selbstverständlich. Galt doch auch das wissenschaftliche Interesse der erneuerten Naturphilosophie lange dem Seltenen und Außergewöhnlichen.26 Auch in nicht gelehrten Milieus waren es eher ungewöhnliche Wetterphänomene, besondere Himmelserscheinungen oder auch Missgeburten, die die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Als göttliche Zeichen besaßen außergewöhnliche Naturerscheinungen eine besondere Signifikanz und wurden – wenn auch in unterschiedlicher Weise – bis weit in das 18. Jahrhundert in popularen wie auch in gelehrten Kreisen auf das unmittelbare Eingreifen Gottes zurückgeführt. Im Horizont heilsgeschichtlicher 23 Jan Swammerdam: Bybel der Natuure od Historie der Insecten, tot zeekere zoorten gebracht: door voorbeelden, ontleedkundige onderzoekingen van veelerhande kleine gediertens, als ook door kunstige kopere plaaten opgeheldert. Verrykt met ontelbaare waarnemingen van nooit ontdekte zeldzaamheden in de natuur. Leiden 1737 – 1738. Lateinische Übersetzung des niederländischen Skripts durch Hermann Boerhaave. 24 Andere Naturforscher mussten die zeichnerische Umsetzung ihrer Beobachtungen an Dritte übergeben; zu dieser Problematik siehe Daston, Galison, Objektivität, 2007, S. 88 ff. 25 Trepp, Glückseligkeit, 2009, S. 237 ff. 26 Lorraine Daston, Katharine Park: Wunder und die Ordnung der Natur 1150 – 1750. Berlin 2002 [1998]; dies.: Eine kleine Geschichte der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. München 2002; Trepp, Glückseligkeit, 2009, S. 403 ff.

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Erwartungen ließen Gottes Zeichen allerdings selten Gutes erwarten; die Emotionen, die sie evozierten, bewegten sich daher, worauf zuletzt Kaspar von Greyerz hingewiesen hat, im Spektrum von Staunen, Ehrfurcht und auch Angst. Insbesondere Kometen kündigten von Krieg, Hunger und Seuchen als Strafgericht Gottes.27 Schichtenübergreifend verband sich mit den Kometen eine heilsgeschichtliche Bedeutung. Gleichwohl oder vermutlich gerade deshalb, spielten sie in der Entwicklung der modernen Kosmologie eine zentrale Rolle.28 Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde die Naturwahrnehmung aus ihrem heilsgeschichtlichen bzw. endzeitlichen Horizont gelöst; an dessen Stelle trat die Vorstellung einer dauerhaften Stabilität und Ordnung der Natur und Schöpfung. Diese veränderte Natur- und Gotteserfahrung bildete den theologisch-religiösen Hintergrund für die Physikotheologie. Hinter der physikotheologischen Bewegung standen Theologen, Ärzte und Juristen, die bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus Gottes Gegenwart in der Schöpfung plausibel zu machen suchten. Die Mehrzahl waren Wissenschaftslaien, in der Regel protestantischer Provenienz. Auch ihr bevorzugter Untersuchungsgegenstand war das gewöhnliche und alltägliche Einzelobjekt.29 An den geordneten Strukturen und Funktionszusammenhängen von Insekten, Conchylien, Fischen oder auch Steinen offenbarte sich ihnen Gottes Weisheit, Allmacht und Güte – festgehalten in Hunderten von Seiten füllenden Büchern, die unter Titeln wie Insecto-, Litheo-, Testaceo-, Akrido-, oder Rana-Theologien ein naturbegeistertes Lesepublikum ansprachen.30 Das zeitgemäße Pendant zum Buch bildete das authentische Material, idealiter in einem Raum vereint. 27 Kaspar von Greyerz: Religion und Natur in der Frühen Neuzeit. Aspekte einer vielschichtigen Beziehung. In: Sophie Ruppel, Aline Steinbrecher (Hg.): „Die Natur ist überall bey uns“. Mensch und Natur in der Frühen Neuzeit. Zürich 2009, S. 41 – 58; Benigna von Krusenstjern: Prodigienglaube und Dreißigjähriger Krieg. In: Hartmut Lehmann, AnneCharlott Trepp (Hg.): Im Zeichen der Krise: Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts. Göttingen 1999, S. 53 – 78. 28 Sarah J. Schechner : Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology. Princton 1999; Greyerz, Religion und Naturwissenschaften, 2009, S. 42. 29 Das Interesse an dem Gewöhnlichen und Lokalen lässt sich nicht hinreichend als Äquivalent zur Begeisterung für Exotica deuten. Vgl. anders: Alix Cooper : Inventing the Indigenous. Local Knowledge and Natural History in Early Modern Europe. Cambridge 2007, hier S. 13. 30 Zur Physikotheologie siehe zuletzt Matthias Wehry : Das Buch der Natur als Bibliothek der Naturwissenschaft. Methodik und Typologie der speziellen Physikotheologie des 18. Jahrhunderts. In: Silke Förschler, Nina Hahne (Hg.): Methoden der Aufklärung. Ordnungen der Wissensvermittlung und Erkenntnisgenerierung im langen 18. Jahrhundert. München 2013, S. 179 – 191; Holger Steinmann: Absehen – Wissen – Glauben. Physikotheologie und Rhetorik 1665 – 1747. Berlin 2008; Paul Michel: Physikotheologie: Ursprünge, Leistung und Niedergang einer Denkform. Zürich 2008; Trepp, Glückseligkeit, 2009, S. 403 ff.; dies.: Zwischen Inspiration und Isolation. Naturerkundung als Frömmigkeitspraxis in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Religionsgeschichte der Neuzeit. Profile und Perspektiven. Monika Neugebauer-Wölk (Hg.) Zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1; Robert Felfe: Naturgeschichte

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Obwohl bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts immer noch das Außergewöhnliche, die Kuriosität, Eingang in die Kunst- und Naturalienkabinette fand, hielt seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert vermehrt das Gewöhnliche und Alltägliche seinen Einzug in die Sammlungen: insbesondere Tiere, Pflanzen und Mineralien aus der Umgebung.31 Mit der Präsentation gewöhnlicher Naturobjekte entsprachen die Sammler und Aussteller dem aufklärerischen Kriterium nach Nützlichkeit. Diese lag, folgt man dem in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts maßgeblichen Handbuch zum Sammelwesen, der Museographia von 1727, in seinem erbaulichen Nutzen.32 Äußere und innere Empfindungen wirkten in der Naturaliensammlung wie an keinem anderen Ort bei der Betrachtung der Naturobjekte zusammen und steigerten die religiöse Empfindung aufs Äußerste – eine, wie der Autor, der Kaufmann Caspar Friderich Neickel mit Verve ausführt, „fast mit himmlischer Lust verknüpffte Betrachtung der Natur“: „Der Geruch empfindet seine Lust bey so mancher balsamischen und aromatischen Materie: Der Geschmack muß zu erkennen geben, ob dieses oder jenes süß oder bitter, angenehm oder widrig sey : Das Gehör vernimmt das Sausen und Brausen der Meer=Schnecken […]. Das Fühlen berichtet, ob ein Ding gelind oder rauh, Eis=kalt oder warm, leicht oder schwer, zu fassen sey : In Summa, alle äusserlichen Sinnen haben bey der Natur=Betrachtung ihre Lust und Nutzen. Am allermeisten aber empfindet der innerliche Mensch, das Gemüth und die Seele, bey dieser Betrachtung die gröste Freude, das höchste Vergnügen, und die unaussprechliche Lust. Diß ist das Centrum, wohin die Empfindung aller äusserlichen Sinne gehen.“33

Von „Lust“ und „Vergnügen“ – Emotionen und Wissenschaft Immer wieder berichten die Naturbeobachter – gleichgültig ob Laien, Experten oder Naturphilosophen – vom „Vergnügen“ und von der „Lust“, die sie beim Anblick der Naturphänomene verspüren. Dabei sind es gerade die kleinen und alltäglichen, die banalen Naturobjekte, die die Zeitgenossen zu emphatischen Gefühlsäußerungen zu veranlassen scheinen.34 So wie Maria Sibylla Merian von

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als kunstvolle Synthese. Physikotheologie und Bildpraxis bei Johann Jacob Scheuchzer. Berlin 2003. Zur Sammlungspraxis mit unterschiedlichen Akzenten vgl. u. a. Daston, Park, Wunder und die Ordnung der Natur, 2002, S. 312 ff.; Robert Felfe, Angelika Lozar (Hg.): Frühneuzeitliche Sammlungspraxis und Literatur. Berlin 2006; Stefan Laube: Von der Reliquie zum Ding. Heiliger Ort – Wunderkammer – Museum. Berlin 2011; Claudia Valter : Studien zu bürgerlichen Kunst- und Naturaliensammlungen des 17. und 18. Jahrhunderts. Diss. Phil. Univ. Aachen 1995. Vgl. Trepp, Glückseligkeit, 2009, S. 405 ff. Caspar Friedrich Neickel: Museographia Oder Anleitung Zum echten Begriff und nützlicher Anlegung der Museorum oder Raritäten-Kammern. Leipzig, Breslau 1727, S. 447 f. Vgl. mit ähnlichen Beispielen Lorraine Daston: Attention and the Values of Nature in the

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ihrem „[noch täglich …] sattsame[n] Vergnügen“35, von ihrer „Augenlust“36, schreibt, die sie empfinde, wenn sie die Raupen und ihre Verwandlungen beobachtet und Neickel von der „gröste[n] Freude, d[em] höchste[n] Vergnügen, und d[er] unaussprechliche[n] Lust“37, die er verspüre, wenn er die Exponate in der Naturalienkammer auf sich wirken lasse, berichten andere Naturbeobachter von ganz ähnlich emphatischen Empfindungen. Der englische Naturforscher Robert Hooke, Fellow der Royal Society, berichtet in seiner Micrographia von 1667 von seinem großen Vergnügen, welches er angesichts der zahllosen kristallinen Strukturen einer Schneeflocke verspüre: „I have often with great pleasure, observ’d such an infinite variety of curiously figur’d Snow, […]“38 ; die gleichen Gefühle ruft bei ihm der Anblick einer besonders langbeinigen Spinne, des Weberknechts („Shepherd Spider“), hervor : „This creature, seems (which I have several times with pleasure observ’d) to throw ist body upon the prey […].“39 Auch der französische Naturgelehrte Ren¦-Antoine Ferchault de R¦aumur schreibt im zweiten Band seiner M¦moires pour servir — l’histoire des insectes von 1736 von seinem plaisir, mit dem er etwa die Fortbewegung der processionnaires40 oder die Raupen Eichenprozessionsspinners beim Fressen mit der Lupe beobachtete: „On voit avec plaisir, manger celles qui se contentent de courber les feuilles, sur-tout si on les consid¦re — la loupe.”41 Ähnliche Äußerungen des Vergnügens finden sich bei dem Schweizer Naturforscher Charles Bonnet. In seiner Trait¦ d’Insectologie von 1745 schreibt er von seinen Beobachtungen beispielsweise eines Süßwasserwurms, dessen Selbstregeneration er beobachten konnte: „J’eus le plaisir de voir en quelque faÅon, se former sous mes yeux la tÞte & la queue: je vis les visceres se prolonger dans l’un & l’autre Ver, & ces nouveaux organes s’acquitter de leurs fonctions, de la mÞme maniere que les anciens.“42

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Enlightenment. In: dies., Vidal Fernando (Hg.): The Moral Authority of Nature. Chicago 2004, S. 100 – 126. Merian, Der Raupen wunderbare Verwandelung, 1683, Vorwort Teil 2. Ebd., Schlussvers. Neickel, Museographia, 1727, S. 447 f. Robert Hooke: Micrographia: or some physiological descriptions of minute bodies made by magnifying glasses. London 1665. S. 91. Ebd., S. 199. Ren¦-Antoine Ferchault de R¦aumur: M¦moires pour servir — l’histoire des insectes. Tome Second. Suite de l’Histoire des Chenilles et des Papillons et l’Histoire des Insectes ennemis des Chenilles. Paris 1736, S. 27. „Je me suis amus¦ avec plaisir — la voir pendant plusieurs jours.“ Ebd. Ebd., S. 230. M. Charles Bonnet: Trait¦ d’Insectologie; ou Observations Sur Quelques Especes De Vers D’Eau Douce, Qui coup¦s par morceaux, deviennent autant d’Animaux complets, Seconde Partie. Paris 1745, S. 4 f.; ähnlich emotionsgeladen beschreibt er die Auffälligkeiten von

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Die von den Naturbeobachtern geäußerten Empfindungen waren nicht einfache Freudensbekundungen und entsprangen auch nicht der bloßen Lust am bestaunenswerten Objekt. Wenn die Zeitgenossen von ihrer „Lust“ bei der Betrachtung eines Insekts oder einer Spinne berichteten, dann gaben sie einer Empfindung Ausdruck, die – folgt man der Definition von „Lust“ in Zedlers Universal Lexicon von 1738 – aus der Erfüllung der „Begierden der Seelen“ entsteht: „Woher die Lust entstehe? oder was der Grund sey, warum der Mensch eine angenehme Empfindung oder Lust habe? Alle Lust setzet ein gewisses Gut voraus, welches Mittel zu dem Endzweck der Begierden in der Seelen ist, daß wenn selbige gestillet werden, so entstehet daraus die Lust, folglich kan man sagen: Die Lust entstehet, wenn die Begierden der Seelen gestillet werden. […] mithin muß sie über solche Sachen entstehen, die an sich wahrhafftig die Glückseligkeit der Menschen befördern.“43

Die Begierden der „Seelen-Lust“ wurden seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert vermehrt durch die Betrachtung und Erforschung der Natur gestillt44 bzw. die zum Ausdruck gebrachten Gefühle entzündeten sich beim Anblick der theologisch überhöhten Natur. Die geläufigen zeittypischen natur- oder physikotheologischen Deutungsmuster vermitteln die Verschränkung individualisierter, erfahrungsbetonter Religiosität mit der Beobachtung und Erfassung der Natur. Ohne an dieser Selle näher auf die naturtheologischen Vorstellungen, die allerdings deutlich komplexer waren als es das Schlagwort „Physikotheologie“ nahe legt, einzugehen, soll hier die Frage aufgeworfen werden, warum die Naturbetrachter eigentlich über die „Lust“ schrieben, die sie empfanden? Warum reichte es nicht, Naturobjekte zu beobachten und zu beschreiben, warum mussten die Zeitgenossen des 17. und 18. Jahrhunderts auch ihre Empfindungen dabei äußern? Die steten Äußerungen von Empfindungen entwickelten sich offensichtlich zu einem wesentlichen Aspekt wissenschaftlich anerkannten Arbeitens, indem sie ähnlich wie persönliche und standesgemäße Ehrbekundungen die glaubwürdige Produktion und Deutung von Wissen in der scientific community zu verbürgen schienen. Anders gesagt: Die Verbalisierung von Emotionen gehörte zur Übereinkunft eines konsensual hergestellten und gedeuteten Wissens. Emotionen und Wissenschaft standen einander damit nicht diametral gegenüber, sondern in einem anerkannt engen Wechselverhältnis. Um das VerSüßwasserwürmern unter dem Mikroskop: „qu’on observe avec plaisir au microscope“. Ebd., S. 7. 43 Art. Lust. In: Heinrich Zedler (Hg.): Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künste […]. Bd. 18. Halle, Leipzig 1738, Sp. 1243 – 1245, hier Sp. 1243 – 1244 u. Sp. 1245. Digitalisiert abrufbar unter : http://www.zedler-lexikon.de. 44 Vgl. bes. Barthold Heinrich Brockes: Irdisches Vergnügen in Gott. Naturlyrik und Lehrdichtung. Ausgewählt und hg. von Hans-Georg Kemper. 2 Bde. Stuttgart 1991.

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hältnis von Emotionen und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit in seiner Bedeutung besser gewichten zu können, soll abschließend ein Blick auf die theoretischen Parameter zum Verhältnis von Emotionen einerseits und Wissenschaft und Religion andererseits und ihrer historiographischen Einordnung geworfen werden. Denn angesichts der Bedeutung von Emotionen liegt es nahe, Wissenschaft und Religion über ihre emotionale Verschränkung neu zusammenzudenken. Emotionen ziehen seit einiger Zeit vermehrt das sozial- und kulturwissenschaftliche Interesse auf sich.45 Die Aufwertung von Gefühlen als eigener Forschungsgegenstand beruht auf der grundlegenden Infragestellung der in der westlichen Welt traditionell als nicht hintergehbar angesehenen Polarität von Denken und Fühlen, von Rationalität und Emotionalität. Forschungen von Neurowissenschaftlern, Kognitions- und Emotionspsychologen legen seit Längerem nahe, dass Emotionen nicht als naturhafter Widerpart zur Vernunft, sondern als ein geradezu konstitutiver Bestandteil der Kognition selbst zu verstehen, emotionale und kognitive Prozesse also eng miteinander verknüpft seien.46 Wenn in den Geschichtswissenschaften nach den Emotionen, ihren Expressionen und ihren Bedeutungen gefragt wird, dann geht es generell nicht um die Beschreibung von Emotionen als universelle Konstanten, sondern um die Analyse von Emotionen in ihrer geschichtlichen Bedingtheit und Wandelbarkeit im Zusammenhang mit spezifischen individuellen und kollektiven Erfahrungen und Wahrnehmungen.47 45 Zum sogenannten ,affective turn‘ siehe Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek bei Hamburg 2006; Zu den jüngeren methodisch-programmatischen Studien zählen u. a. Ute Frevert, Anne Schmidt: Geschichte, Emotionen und die Macht der Bilder. In: Geschichte und Gesellschaft 37/1 (2011), S. 5 – 25; Ute Frevert: Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen?. In: Geschichte und Gesellschaft 35/2 (2009), S. 183 – 208; Florian Weber : Von der klassischen Affektenlehre zur Neurowissenschaft und zurück. Wege der Emotionsforschung in den Geistes-und Sozialwissenschaften. In: Neue Politische Literatur 53 (2008), S. 21 – 42; Alexandra Przyrembel: Sehnsucht nach Gefühlen. Zur Konjunktur der Emotionen in der Geschichtswissenschaft. In: L’Homme 16 (2005), S. 116 – 124; Barbara H. Rosenwein: Worrying about Emotions in History. In: American Historical Review 107 (2002), S. 821 – 845; Anne-Charlott Trepp: Gefühl oder kulturelle Konstruktion? Überlegungen zur Geschichte der Emotionen. In: Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung 7 (2002), S. 86 – 103; vgl. auch den kommentierenden Forschungsüberblick von Bettina Hitzer : Emotionsgeschichte – ein Anfang mit Folgen. In: HSoz-u-Kult 23. 11. 2011, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum. 46 Luc Ciompi: Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik. Göttingen 2005, bes. S. 83 ff.; ebenso Antonio R. Damasio: Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. München 1995. 47 Vgl. u. a. Hartmut Böhme: Gefühl. In: Christoph Wulff (Hg.): Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie Weinheim, Basel 1997, S. 525 – 548; Frank Bösch, Manuel Borutta (Hg.): Die Massen bewegen. Medien und Emotionen in der Moderne. Frankfurt a. M. 2006; Barbara H. Rosenwein: Emotional Communities in the Early Middle Ages. Ithaca NY 2006;

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Im Unterschied zu älteren Ansätzen einer Emotionsgeschichtsschreibung, die von einer klaren Unterscheidung zwischen innen erlebten, als den „eigentlichen Gefühlen“ ausging, trennt die jüngere Forschung nicht mehr strikt zwischen dem Erleben, dem Ausdruck und der kulturellen Formierung von Gefühlen“48. Im Gegenteil, andere wie besonders der amerikanische Kulturanthropologe und einflussreiche Emotionshistoriker William Reddy, gehen von einer engen Korrelation zwischen den Gefühlen und dem Ausdruck von Gefühlen aus. Nach Reddy macht der Gefühlsausdruck, die Verbalisierung von Empfindungen, erst das ungeformte „feeling“ zum eigentlichen, zum empfundenen Gefühl. Auf diese Weise verändern und formen Gefühlsäußerungen die innere Wahrnehmung von Gefühlen; durch den sprachlich performativen Akt können Gefühle daher intensiviert, bestätigt, aber auch korrigiert und unterminiert werden.49 Wenn der Ausdruck von Gefühlen zugleich deren Deutung und Lenkung zur Folge hat, dann strukturiert die Äußerung von Gefühlen aber auch das (emotionale) Erleben (und Handeln) in irgendeiner Weise vor. Diese enge Verkoppelung von Denken und Fühlen (von Innen und Außen) sowie von Ausdruck und Erleben legt aber nicht nur einen Fokus auf die Performativität der sprachlichen Äußerung sondern auch des Handelns nahe. Denn aus praxeologischer Sicht besitzen nicht allein Sprechakte, sondern auch Handlungen eine eigene Performativität.50 Durch bestimmte Praktiken können demnach bestimmte Emotionen eingeübt und reproduziert werden.51

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Martina Kessel: Langeweile. Zum Umgang mit Zeit und Gefühlen in Deutschland von späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Göttingen 2001; Anne-Charlott Trepp: Emotion und bürgerliche Sinnstiftung oder die Metaphysik des Gefühls. Liebe am Beginn des bürgerlichen Zeitalters. In: Manfred Hettling, Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.): Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000, S. 23 – 55. Monique Scheer : Empfundener Glaube. Die kulturelle Praxis religiöser Emotionen im deutschen Methodismus des 19. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für Volkskunde 105/2 (2009), S. 185 – 214, hier S. 189; vgl. dazu auch Trepp, Gefühl, 2002, S. 87. William M. Reddy : The Navigation of Feeling. A Framework for the History of Emotions. Cambridge 2001, S. 96 ff.; vgl. dazu Jan Plamper : Wie schreibt man die Geschichte der Gefühle? William Reddy, Barbara Rosenwein und Peter Stearns im Gespräch mit Jan Plamper. In: Werkstatt Geschichte 54 (2010), S. 39 – 69, hier S. 39 ff. Vgl. die praxeologischen Beiträge und methodischen Überlegungen von Andreas Reckwitz: Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne. Weilerswist 2006; Sven Reichardt: Praxeologische Geschichtswissenschaft. Eine Diskussionsanregung. In: Sozial Geschichte 22 (2007), S. 43 – 65; Marian Füssel: Die Rückkehr des Subjekts in der Kulturgeschichte. Beobachtungen aus praxeologischer Perspektive. In: Stefan Deines et al. (Hg.): Historisierte Subjekte – subjektivierte Historie. Zur Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit von Geschichte. Berlin 2003, S. 141 – 159. Pascal Eitler, Monique Scheer : Emotionengeschichte als Körpergeschichte. Eine heuristische Perspektive auf religiöse Konversionen im 19. und 20 Jahrhundert. In: Geschichte und Gesellschaft 35 (2009), S. 282 – 313, bes. S. 283 ff., 292 ff.; vgl. Monique Scheer : Are Emotions a Kind of Practice (and Is That What Makes Them Have a History)? A Bourdieuan Approach to Defining Emotion. In: History and Theory 51/2 (Mai 2012), S. 193 – 220.

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Die enge Kopplung emotionaler und kognitiver Prozesse – sei es über sprachliche oder über andere Handlungsebenen – stellt unser traditionelles, exklusives Wissenschaftsverständnis radikal in Frage. Wissenschaften können nicht mehr ohne weiteres als „Systeme rationalen Wissens“ im Gegensatz zu anderem sozial anerkanntem Wissen bzw. zu anderen kulturellen, erkenntnisgeleiteten Systemen und Diskursen, speziell zu Religions- und Glaubenssystemen gesehen werden.52 Mit solchen Kategorisierungen wird der Gegensatz von Wissenschaft als rationalem Wissen und Religion, demgegenüber verstanden als system of belief – basierend auf nicht rationalem, wenn nicht gar irrationalem Wissens – mehr oder minder explizit fortgeschrieben.53 Nach diesem binären Ansatz wäre religiöses Wissen geradezu ein Widerspruch in sich, ein zumindest für die Vormoderne kaum vertretbarer Ansatz. Die Wiederentdeckung des Wissenschaftstheoretikers Ludwik Fleck und seiner Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, der Initiierung und Festigung einer Wissenschaft von bestimmten Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen54 und auch die Ansätze der neueren Wissenschaftsgeschichte legen andere Wissenschaftskonzepte nahe. Lorraine Daston hat vor einiger Zeit das Konzept der „moral economies“ von Wissenschaft bzw. wissenschaftlichen Wissens55 – in Anlehnung an, aber auch in Abgrenzung zu dem ursprünglich von E.P. Thompson stammenden Begriff – vorgeschlagen, um das historisch spezifische Netz von Emotionen und Werten zu umreißen, das nicht nur inspirationsgebend, sondern auch regulativ und normierend die Produktion von Wissen bestimmt.56 Den kulturwissenschaftlichen Ansatz aufgreifend hat der Wissenschaftshistoriker Paul White die affektiv-emotionalen Implikationen im Wissenschaftsprozess in seiner Untersuchung der Objektivitätsproduktion bei Charles Darwin als „sentiment of objectivity“ noch gezielter ins Zentrum gestellt. Objektivität (der Wunsch, die Suche, das Bestreben, die Furcht um) wird von Darwin immer wieder in emotionalen Begrifflichkeiten beschrieben, so dass White zugespitzt von der „emotional economy“57 wissenschaftlichen Wissens spricht. 52 Vgl. Philipp Sarasin: Was ist Wissensgeschichte. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 36/1 (2011) S. 159 – 172, hier S. 163 ff. Trotz des Hinweises auf den pragmatischen Charakter der vorgeschlagenen Kategorisierungen und ihrer primären Gültigkeit seit dem 19. Jahrhundert, bleiben sie gerade aus heuristischen Gründen problematisch. 53 Ebd., S. 165. 54 Vgl. Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Frankfurt a. M. 1980. 55 Lorraine Daston: Wunder, Beweise und Tatsachen. Zur Geschichte der Rationalität. Frankfurt a. M. 2001, S. 156 ff. 56 Daston, Wunder, 2001, S. 158, spricht von einem „Netz affektgesättigter Werte“. 57 Paul White: Darwin’s Emotions. The Scientific Self and the Sentiment of Objectivity. In: Isis 100/4 (2009), S. 811 – 826, hier S. 826.

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Ebenso wie Emotionen bei der Produktion von Wissen nicht auf die motivgebende Ebene reduziert werden können, im Sinne eines persönlichen Ansporns wissenschaftlich zu arbeiten oder als bloße Inspirationsquelle bei der Gegenstands- oder Methodenfindung, können Emotionen nicht als einfache Begleitund Folgeerscheinungen von Religion und Glauben angesehen werden.58 Wenn wir Religion als eminent kulturell geprägtes Phänomen begreifen – ohne Religion im Kern auf die kulturelle Vermittlung reduzieren zu wollen –59 dann sind Emotionen ebenso Teil religiöser Erfahrung wie religiöser Handlungen. Auch wenn es um die Aneignung religiöser Gehalte geht, spielt das Abrufen, Bestätigen und Generieren von Emotionen eine zentrale Rolle – über Sprach- wie über Handlungsakte. Übertragen auf die „Lust“ am Gewöhnlichen bedeutet das: Erst indem die erwünschten Gefühle immer wieder artikuliert bzw. mittels Sprechund Handlungsakte eingeübt und reproduziert wurden, konnten sie auch wie erwartet abgerufen und Teil einer von Wissenschaftslaien und Naturphilosophen gleichermaßen zu beherrschenden Wissenschaftspraxis werden.

58 Monique Scheer : Empfundener Glaube. Die kulturelle Praxis religiöser Emotionen im deutschen Methodismus des 19. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für Volkskunde 105 (2009), S. 185 – 213, hier S. 186 f. 59 Vgl. Kaspar von Greyerz: Religion und Kultur. Europa 1500 – 1800. Göttingen 2000, S. 10 ff.

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Heimweh – eine Frage des Luftdrucks? Zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Heimweh bei Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) „Ich meines Orts wil […] meine Gedanken dahin richten, wie es komme, daß die Schweizerische, sonsten so freye, starke und dapfere Nation, sich überwinden und unterjochen lasse von einer solchen Krankheit welche dem ersten ansehen nach solte eher unter ihre Herrschaft bringen die Italiener, Franzosen und andere Völker […].“ Johann Jakob Scheuchzer 17051

Seit Ende des 17. Jahrhunderts galt Heimweh als eine Krankheit, die insbesondere die Schweizer Söldner in fremden Diensten befiel. So war 1718 in den Blättern eines Breslauer Ärztekollektivs zu lesen, Heimwehkranke litten so stark an dem Verlust des gewohnten Umfeldes, „daß mancher mit jenem Schweizer beständig seuffzet: Was wird mis Muetterli sagen, was mis Muetterli jetzt denken!“2 Eine übermächtige Sehnsucht nach der Heimat, aber auch Schlaf- und Appetitlosigkeit, Verdauungsstörungen und hohes Fieber zählten zu den zahlreichen Symptomen, die dem Heimweh zugeschrieben wurden und es nach Meinung der zeitgenössischen Mediziner zu einer gefährlichen, mitunter sogar tödlichen Krankheit machten. Doch warum sollten unter allen europäischen Völkern gerade die Schweizer besonders am Heimweh zu leiden haben? Und wie liess sich dieses Phänomen wissenschaftlich erklären und behandeln? Diese Fragen liegen der Abhandlung Von dem Heimwehe des Zürcher Arztes und Naturforschers Johann Jakob Scheuchzer zugrunde, die er 1705 in seiner populärwissenschaftlichen Wochenschrift Seltsamer Natur-Geschichten des Schweitzerlands wochentliche Erzehlung publizierte.3 Die zentrale Folie zu Scheuchzers Text stellte die 1688 in Basel erschienene Dissertatio medica de Nostalgia oder Heimwehe des Mülhauser Arztes Johannes Hofer (1669 – 1752) 1 Johann Jakob Scheuchzer : Von dem Heimwehe. In: ders.: Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich 1706, S. 57 – 62, hier S. 57 f. 2 Artic. XI. Von der Nostalgia, oder dem so genandten Heimwehe. In: Sammlung von Naturund Medicin-Geschichten. Als der dritte Versuch ans Licht gestellet von einigen Breßlauischen Medicis. Breslau 1718, S. 832 – 837, hier S. 835 f. 3 Scheuchzer, Von dem Heimwehe, 1706.

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dar.4 Dieser hatte sich als erster Wissenschaftler mit dem Phänomen Heimweh auseinandergesetzt und dabei die Bezeichnung Nostalgia eingeführt. Während Hofer die Ursachen der Nostalgie in der Psyche verortete, entwickelte Scheuchzer jedoch ein davon grundsätzlich verschiedenes Erklärungsmodell, das für die Leiden der Betroffenen an erster Stelle Veränderungen des Luftdrucks verantwortlich machte. Nicht eine psychische Labilität und Neigung zur Melancholie, sondern vielmehr der Höhenunterschied mache den Schweizer Soldaten in fernen Ländern zu schaffen. Diese kontroversen Anfänge der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Heimweh sollen im folgenden Beitrag nachgezeichnet und in Bezug auf die ihnen zugrunde liegenden wissenschaftlichen und weltanschaulichen Konzepte diskutiert werden. Im Zentrum steht dabei Johann Jakob Scheuchzers Abhandlung Von dem Heimwehe. Sein Ansatz und seine Modifikationen an Hofers Konzeption sind, so meine These, als Ausdruck eines bereits stark cartesianisch inspirierten Denkens zu verstehen. Gleichzeitig prägten die spezifischen sozialen, politischen und kulturellen Kontexte die Konzeptualisierung des Heimwehs massgeblich mit. Veränderungen im Soldwesen, aber auch vorwissenschaftliche Praktiken und Auffassungen über das Heimweh dürften auf den wissenschaftlichen Diskurs einen nicht zu unterschätzenden Einfluss gehabt haben. Der Analyse der ersten wissenschaftlichen HeimwehTheorien ist daher eine kurze Spurensuche nach popularen Formen des Umgangs mit Heimweh vorangestellt. Ihr folgt die Darstellung und Diskussion der Erklärungsmodelle von Hofer und Scheuchzer. Anschliessend soll näher auf die Prämissen von Scheuchzers Neuinterpretation eingegangen werden. Die meines Erachtens wichtigsten Grundlagen dafür finden sich in seinen Annahmen über die physikalischen Eigenschaften der Luft, in medizinischen Konzepten über Gesundheit und Krankheit, sowie in anthropologischen Vorstellungen über die Bewohner der Alpen und der Schweiz im allgemeinen. Anhand dieser drei Aspekte soll aufgezeigt werden, welche Wissensbestände und Denktraditionen die zentralen Bezugsrahmen bildeten für Scheuchzers These über den Luftdruck als Ursache für das Heimweh. Als einer der ersten wissenschaftlichen Erklärungsversuche findet Scheuchzers Ansatz in den meisten (medizin)historischen und volkskundlichen Abhandlungen zum Thema Heimweh bzw. Nostalgie Erwähnung. Im Folgenden seien drei Texte kurz angeführt, die sich etwas eingehender mit Scheuchzer beschäftigen und eine wesentliche Grundlage für meine eigene Argumentation bilden.5 Klaus Brunnert spannt in seiner Dissertation über die Nostalgie in der 4 Johann Hofer: Dissertatio medica de Nostalgia oder Heimwehe. Basel 1688. 5 An dieser Stelle sei ausserdem auf das gemeinsame Referenzwerk der genannten HeimwehHistoriografen verwiesen: Fritz Ernsts kursorische Überblicksdarstellung von 1949 ist zwar

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Geschichte der Medizin einen weiten Bogen vom 16. bis ins 20. Jahrhundert.6 Die vergleichende medizinhistorische Perspektive erweist sich im Hinblick auf die Frage nach den medizinischen Konzepten Scheuchzers als aufschlussreich. Sie leistet jedoch keine Verortung der Heimwehtheorie in Scheuchzers Werk, Wissenshorizont und Wissenschaftspraxis. Auch populare Präventionspraktiken und Erklärungen für das Heimweh werden bei Brunnert nur beiläufig angesprochen. Für diese beiden Aspekte finden sich jedoch Anhaltspunkte in den Abhandlungen von Michael Kempe und Christian Schmid-Cadalbert.7 SchmidCadalbert verfolgt in seinem Aufsatz eine stärker volkskundlich-kulturgeschichtliche Perspektive, die Heimweh auch als Topos in Musik und Literatur in den Blick nimmt. Eine Verortung der Heimwehtheorie in Scheuchzers Gesamtwerk sowie in die theoretischen Strömungen in der frühneuzeitlichen Wissenschaft findet sich schliesslich in Michael Kempes ideen- und wissenschaftsgeschichtlicher Dissertation. Kempe zufolge ist Scheuchzers Erklärungsmodell in einem direkten Zusammenhang mit seiner Anthropologie des Alpenmenschen und der Erforschung und positiven (Um-)Deutung der Bergwelt zu sehen. Die Thesen dieser drei Untersuchungen über Scheuchzers Heimwehtheorie werden in den folgenden Abschnitten diskutiert und mit Quellen zu Scheuchzers physikalischen Annahmen über die Luft und den menschlichen Organismus ergänzt, die in diesem Zusammenhang bisher nicht berücksichtigt wurden, meines Erachtens für die Kontextualisierung seiner Theorie jedoch sehr aufschlussreich sind.8

Spuren popularer Auffassungen über das Heimweh Während „Nostalgie“ eine begriffliche Neuschöpfung Johannes Hofers darstellt, handelt es sich beim „Heimweh“ ursprünglich um ein schweizerdeutsches Dialektwort. Einer der frühesten Belege dafür findet sich bei dem Burgdorfer bereits etwas in die Jahre gekommen, kann aufgrund der integrierten Quellensammlung mit knapp zwanzig Texten aus dem 18. Jahrhundert jedoch immer noch als Einstieg in die Thematik dienen. Fritz Ernst: Vom Heimweh. Zürich 1949. 6 Klaus Brunnert: Nostalgie in der Geschichte der Medizin (Düsseldorfer Arbeiten zur Geschichte der Medizin 58). Düsseldorf 1984. 7 Michael Kempe: Wissenschaft, Theologie, Aufklärung. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) und die Sintfluttheorie (Frühneuzeit-Forschungen 10). Epfendorf 2003. Christian Schmid-Cadalbert: Heimweh oder Heimmacht. Zur Geschichte einer einst tödlichen Krankheit. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 89 (1993), S. 69 – 85. 8 Als Quellenbasis dienen, neben den beiden Abhandlungen von Hofer und Scheuchzer, verschiedene Kapitel aus Scheuchzers Physica, oder Natur-Wissenschaft (1701) und weitere Texte aus dem Korpus seiner populärwissenschaftlichen Schriften, insbesondere aus der NaturGeschichte des Schweitzerlandes.

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Theologen Samuel Huber (1547 – 1624) in einer auf das Jahr 1592 datierten Schrift.9 Darin kritisiert Huber andere Theologen scharf dafür, dass sie bei einer unbequemen Konfrontation mit Bürgern, die Zahlungen und Rechenschaft über die Lehre und politische Einstellung der Geistlichen forderten, „angefangen nach dem Kuchefenster zu sehen/ von der Disputation auffgestanden/ das Heimwehe bekommen/ vnd fuergewendt/ ihr muessen zu ewern Kirchen/ Vnnd sind also mit verdrehetem Sack daruon gezogen.“10 In Hubers Polemik gegen jene Geistlichen ist Heimweh unmissverständlich mit Feigheit konnotiert und steht in Zusammenhang mit dem spontanen Wunsch, aus einem problematischen Kontext heraus in vertraute Räume zurückzukehren. Im Unterschied dazu wird das Heimweh im ältesten Quellenbeleg aus dem Schweizerischem Idiotikon als eine Krankheit mit oft tödlichem Ausgang beschrieben. So ist in der 1651 erschienenen Sammlung Kurtzweilige Schimpf- und Glimpf-Reden über den Stand der Prediger zu lesen: „[Andere] die auch ussert dem Vatterland sind, als da sind Soldaten und Handwercksgesellen … kömm etwann das Heimwee so starck an, dass sie daran sterbind, da sonsten mann noch von keinem Predicanten ghört, dass im dz Heimwee sölcher Gstallt ankommen, dass er dran gstorben seige.“11

Das Pamphlet stellt die Soldaten und Handwerker den predigenden Missionaren gegenüber, die es sich fern der Heimat – so ist der Subtext der Schimpfrede vermutlich zu lesen – leidlich gut gehen liessen und nicht wie die weniger begünstigten Söldner und Arbeiter am Heimweh nach ihrem Vaterland litten. In diesen scherzhaften Sprüchen wird eine Verbindung von Heimweh und Söldnern hergestellt, wie sie auch später auch in den medizinischen Konzeptionen von Bedeutung sein wird. Eine weitere Quelle aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erwähnt das Heimweh als mögliche Ursache für eine schwere Erkrankung. Im liber familiarum des Krummenacher Pfarrers Alexander Bösch (1618 – 1693) ist einer Notiz zu entnehmen: „Glych im Anfang, als ich gen Zürich kamm, veillycht wegen Heimwehes und weil ich der Spyss nicht gewohnnet hatte, ohne Milch sein müesst, bin ich in ein schwere Krankheit gefallen.“ Der Verfasser nennt hier zwei potenzielle Auslöser für seine Krankheit: einerseits das 9 Schmid-Cadalbert weist auf die u. a. von Klaus Brunnert und Ina-Maria Greverus irrtümlich als ersten Beleg für den Begriff „heimwe“ aufgeführte Botschaft des Luzerner Schultheissen Ludwig Pfyffer von Altishofen hin, der dem Rat 1569 mitgeteilt haben soll, der „Sunnenberg“ sei „gstorben von heimwe“. Auch das Schweizerische Idiotikon vermerkt, dass die korrekte Lesart Pfyffers „gestorben von heinen“ lautet. Peter Ott: Art. Hei(m)we¯. In: Schweizerisches Idiotikon. Bd. 15, Sp. 42 f., hier Sp. 43, , [27 Jan. 2012]. 10 Zit. nach Brunnert, Nostalgie in der Geschichte der Medizin, 1984, S. 29 f. 11 Zit. nach Ott, Hei(m)we¯, Sp. 43.

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Heimweh, andererseits ungewohnte Speisen und den unfreiwilligen Verzicht auf Milch. In Bezug auf den vorwissenschaftlichen bzw. popularen Umgang mit dem Heimweh sind ausserdem Quellen erhalten, die von abergläubischen12 Praktiken berichten.13 So galt das zu Ehren der heiligen Agatha gebackene und geweihte Agathenbrot in vielen Regionen der Schweiz als wirksames Heilmittel gegen das Heimweh, wenn es in die Kleidung des Abreisenden eingenäht wurde oder unter Aussprechung der drei heiligen Namen in die Tasche gegeben und am fremden Ort zu sich genommen wurde. Ein weiteres Beispiel findet sich in einer Basler Mundartdichtung aus dem Jahr 1762, die von der Auffassung zeugt, dass das Tragen von am fremden Ort angefertigten Schuhen den Träger vom Heimweh befreie: „Hattet ir nummen e bar Schu am Ort machen lo, s Heimwe wäri gly vergangen“.14 Diese hier lediglich exemplarisch herausgegriffenen Zeugnisse zeigen, dass in der popularen Tradition bereits vor der ersten Thematisierung des Heimwehs durch einen anerkannten Arzt schon diverse Annahmen über die Ursachen, Symptome und Heilmittel existierten. Dieses populare Wissen konnten die frühneuzeitlichen Heimweh-Theoretiker entweder ablehnen bzw. ignorieren – das Agathenbrot und die am fremden Ort gefertigten Schuhe finden in keiner Abhandlung Erwähnung –, oder einzelne Motive in die eigene Theorie integrieren. So figurierten in vielen wissenschaftlichen Abhandlungen fremde Nahrungsmittel und ein Mangel an Milchspeisen unter den Ursachen für die Nostalgie. Hinter weiteren Erklärungsansätzen der Gelehrten, wie z. B. dem später in diesem Beitrag noch ausführlicher vorzustellenden Kuhreihen, sind ebenfalls populare Motive zu vermuten. Das schwer fassbare Phänomen Heimweh – handelte es sich um ein Leiden des Geistes, der Seele, oder lag die Krankheit primär im Leib begründet? – öffnete jedenfalls den Raum für vielfältige Spekulationen und hybride Verbindungen von popularem und wissenschaftlichem Wissen.15 12 „Abergläubisch“ meint hier alltagskulturelle Glaubensinhalte und Praktiken mit transzendenten Bezügen, die ausserhalb der zeitgenössischen theologischen Lehrmeinungen standen. 13 Ich beschränke mich hier auf die im Schweizerischen Idiotikon angeführten Quellen, die hauptsächlich volkskundlichen Schriften und Materialsammlungen entnommen sind. 14 Zit. nach Ott, Hei(m)we¯, Sp. 43. 15 Wenn ich im Folgenden von popularem bzw. wissenschaftlichem Wissen spreche, beziehen sich diese Bezeichnungen nicht auf die Plausibilität oder den „Wahrheitsgehalt“ des Wissens, sondern auf die Personen und Institutionen, die als Akteure an der Hervorbringung des jeweiligen Wissensdiskurses beteiligt sind. „Wissenschaftliches Wissen“ meint demnach Wissen, das von einem oder mehreren Wissenschaftlern, an Universitäten, in Gelehrtenzirkeln, Fachzeitschriften und populärwissenschaftlichen Magazinen etc., nach den zeitgenössischen Kriterien für Wissenschaftlichkeit entwickelt und vertreten wurde.

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Heimweh in der Wissenschaft. Zur Erfindung einer tödlichen Krankheit Wie oben ausgeführt, hatte der Begriff Heimweh eine alltagskulturelle Vorgeschichte und war mit verschiedenen Praktiken und Vorstellungen verknüpft. Dass das Heimweh gegen Ende des 17. Jahrhunderts zunehmend auch die Aufmerksamkeit der Wissenschaft auf sich zog, dürfte seine Gründe nicht nur in der allgemeinen Tendenz zur Verwissenschaftlichung und enzyklopädischen Erfassung aller Phänomene im Zuge der Aufklärung haben, sondern auch in der sozialen Aktualität der Problematik. Um 1678 standen rund 25 000 Schweizer Söldner im Dienst der französischen Krone.16 Deren Dienst hatte sich bis 1670 in der Regel auf einen einzigen Feldzug beschränkt, der jeweils einige Wochen bis Monate dauerte. Seit der Einführung stehender Heere im Zuge der Reformen Ludwigs XIV. von 1671 mussten sich die Söldner jedoch für drei bis vier Jahre ununterbrochenen Dienst verpflichten. Dies bedeutete nun eine wesentlich längere Abwesenheit von Haus und Familie. Ausserdem verlor der Solddienst zunehmend an wirtschaftlicher Attraktivität und Ansehen. Gleichzeitig wurden in den neuen, ständigen Regimentern nun Drill und Truppendisziplin verschärft. Die schlechten Bedingungen in den Truppen, die wesentlich längere Dienstdauer und die geringere finanzielle Einträglichkeit trugen zu einer seit 1670 steigenden Anzahl Deserteure bei. Diese Veränderungen im Soldwesen und das damit einhergehende Leid der Söldner dürften einen ganz zentralen Kontext für die Aktualität des Heimwehs gebildet haben – und damit auch für die Aufmerksamkeit, die ihm seit Ende des 17. Jahrhunderts von Seiten der Medizin zuteil wurde.

Erste Konzeptualisierungsansätze bei Johannes Hofer Johannes Hofer versuchte in seiner 1688 bei Johann Jakob Harder (1656 – 1711) in Basel verfassten Dissertation erstmals, das Heimweh aus einer medizinischen Perspektive zu beschreiben und in die Systematik der Krankheiten einzuordnen.17 In Frankreich gebe es, so Hofer zu Beginn seiner Abhandlung, für dieses

16 Vgl. Philippe Henry : Art. Fremde Dienste. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), , [20 Feb. 2012]. Die folgenden Ausführungen über die Schweizer Söldner stützen sich, wo nicht anders gekennzeichnet, auf Henry. 17 Sowohl Johann Jakob Scheuchzer als auch Klaus Brunnert datieren Hofers Dissertation irrtümlich auf 1678. Auch in Bezug auf die Autorschaft gab es in der Rezeption einige Verwirrung; so wurde Hofers Dissertation oft Johann Jakob Harder zugeschrieben, dessen Name auf dem Titelblatt gross und an erster Stelle steht, z. B. auch in Zedlers Universalle-

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insbesondere bei Schweizer Söldnern beobachtete Phänomen die umgangssprachliche Bezeichnung „maladie du pays“.18 In einem ersten Schritt der Verwissenschaftlichung schuf Hofer in der Folge aus den griechischen Begriffen nostos und algos, die er mit der Rückkehr ins Vaterland („Reditum in patriam“) und Schmerz („dolorem“) bzw. Traurigkeit („tristitiam“) übersetzte, den Fachausdruck „Nostalgia“. Die Nostalgie war Hofer zufolge eine Krankheit, die sich primär im Gehirn abspielte. Er machte eine Störung der Einbildungskraft („imaginatio laesa“) dafür verantwortlich, dass die Betroffenen einzig an das Vaterland dachten und allen anderen Reizen des Umfelds gegenüber gleichgültig wurden.19 Die Störung erklärte er damit, dass die Lebensgeister (spiritus animales) die immer gleichen Fasern des Gehirns in Schwingung versetzten, nämlich jene Fasern, in denen die Erinnerung an die Heimat gespeichert war. Der Heimwehkranke dachte in der Folge an nichts anderes mehr, wobei die übermässige und einseitige Beanspruchung der Lebensgeister im Gehirn sie an der Erfüllung ihrer Aufgaben im Körper hinderte: „[D]a die Seele nur mit einer Idee beschäftigt ist, die Lebensgeister daher nur immer in einer und derselben Bewegung sind, so sind sie bei allen andern Eindrücken träge. Aus eben der Ursache, weil die Lebensgeister zu sehr im Gehirne beschäftigt sind, fließen sie nicht in gehöriger Menge und Stärke in die Nerven, um die natürlichen Verrichtungen zu fördern. Daher mangelt die Eßlust […] werden die natürlichen und Muskelbewegungen matt, der Umlauf des Blutes wird langsam; es wird dick, zu Stockungen geneigt, und erzeugt, durch die langsame Bewegung des Herzens und schwache Ausdehnung der Gefäße, Beängstigung; auch erweckt es schleichende Fieber und Verstopfungen der Glandeln. Endlich, nach erschöpften Lebensgeistern und der Schwächung aller Verrichtungen, beschleunigt diese Sehnsucht den Tod.“20

In Hofers Beschreibung des Gehirns sind bereits Einflüsse aus Thomas Willis’ Werken über den Gehirnaufbau zu erkennen, gleichzeitig liegen seinem Erklärungsansatz mit den spiritus animales Vorstellungen aus der Humoralpathologie nach Galen zugrunde.21 Dieser Einfluss zeigt sich auch in Hofers Mutmassungen über die Ursachen für das Heimweh, unter denen er eine natürliche Neigung zur Melancholie und die veränderte Luft aufführte, die sich negativ auf das Blut und

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xikon. Vgl. den Art. Heim-Sucht; Heim-Weh. In: Zedlers Universal-Lexicon. Bd. 12. Halle, Leipzig 1735, Sp. 1190 – 1192, hier Sp. 1190. Vgl. Hofer, Dissertatio medica de Nostalgia, 1688, § 2. „Et quidem proximam existimo esse spirituum animalium continuam fere vibrationem per eas meditulii cerebri fibras, in quibus vestigia idearum Patriae impressa adhuc haerent.“ Ebd., § 7. Zit. aus der 1779 von D. Lorenz Crell angefertigten deutschen Zusammenfassung von Hofers Dissertation nach Ernst, Vom Heimweh, 1949, S. 69 f. Vgl. Hofer, Dissertatio medica de Nostalgia, 1688, § 7. Vgl. Brunnert, Nostalgie in der Geschichte der Medizin, 1984, S. 110 f.

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die Geister auswirkten.22 Wie genau sich die Luft seiner Meinung nach auf den Körper auswirkte, beschrieb er in seiner Abhandlung nicht näher. Im Kontext seiner Ausführungen ist jedoch davon auszugehen, dass er sich auch hier auf Ideen der antiken Pneumalehre bezog, nach welcher die Luft über die Lungen in das Herz gelangte, wo sie in Lebensgeist (pneuma zootikon bzw. spiritus vitalis) umgewandelt wurde, der seinerseits im Hirn als Grundstoff für die Bildung von Seelenpneuma (pneuma psychikon bzw. spiritus animalis) diente.23 Schlechte Luft bedeutete demnach eine Beeinträchtigung der Erneuerung der Lebens- und Seelengeister. Ausserdem wurde Luft auch in Robert Burtons berühmtem Werk The Anatomy of Melancholy (1621) als eine der Ursachen für die Melancholie angeführt, was die kausale Verbindung von schlechter Luft und Melancholie im medizinischen Diskurs der frühen Neuzeit stärkte und vermutlich direkt oder indirekt auch in Hofers Denken einfloss.24 Weiter konnten nach Hofer langwierige, schlecht abheilende Krankheiten, die fremden Sitten und Nahrungsmittel, alltägliche Unannehmlichkeiten und eine ungerechte Behandlung zu einer Erkrankung an der Nostalgie führen. Als Gegenmittel empfahl er die unmittelbare Heimreise der Erkrankten. Sollte dies nicht möglich sein, verschrieb er je nach Symptomen Aderlasse, Abführ- und Brechmittel, diverse Tinkturen und Emulsionen. Seine Medikation hielt sich dabei an das humoralpathologische Prinzip der Verabreichung von Mitteln, die einen den Symptomen entgegengesetzten Charakter aufwiesen (contraria contrariis).25 Gleichzeitig betonte er die psychologische Wirkung der Hoffnung. So müsse man dem Patienten Hoffnung auf die Rückkehr ins Vaterland machen und ihm Gesellschaft leisten, um dadurch die Erinnerung zu schwächen. Sein Wissen über die Krankheit und die Heilkraft der Rückkehr bezog Hofer aus unterschiedlichen Quellen. Darunter finden sich Berichte von Hauptleuten von Schweizer Söldnern in Frankreich, von einem Kaufmann aus Paris oder schlicht Erzählungen vom „Hörensagen“. Der Kaufmann aus Paris hatte ihm von einem Gehilfen berichtet, dem das Heimweh nach seinem Dorf in der Schweiz so 22 „Aeris prim¾m varietas haud parum ad dispositionem sanguinis & spirituum pervertendam contribuit“, Hofer, Dissertatio medica de Nostalgia, 1688, § 7. 23 Vgl. Wolfgang U. Eckart: Geschichte der Medizin. Heidelberg 2005, S. 28 – 33. 24 Vgl. Robert Burtons Kapitel 1.2.2.5 mit der Überschrift Bad Air, a cause of Melancholy: „Air is a cause of great moment, in producing this, or any other disease, being that it is still taken into our bodies by respiration, and our more inner parts. If it be impure and foggy, it dejects the spirits, and causeth diseases by infection of the heart, as Paulus hath it, lib. 1. c. 49. Avicenna, lib. 1. Gal. de san. tuenda. Mercurialis, Montaltus, & c. Fernelius saith, A thick air thickeneth the blood and humours. […] Such as is the air, such be our spirits; and as our spirits, such are our humours.“ Democritus Junior [Robert Burton]: The Anatomy of Melancholy. Berlin 1855 (11621). Project Gutenberg Edition, , [17. Feb. 2012]. 25 Eckart, Geschichte der Medizin, 2005, S. 31 f.

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stark zusetzte, dass er um seine Entlassung bat. Auf die sofortige Gewährung durch den Kaufmann sei der Gehilfe plötzlich völlig verändert und so froh gewesen, dass er dennoch bei ihm in Paris geblieben sei, ohne jemals einen Rückfall zu erleiden.26 Zwei weitere Fälle betrafen einen jungen Berner, der in Basel studierte und sich nach seiner Heimatstadt sehnte, und eine Frau aus der Region Basel, die von der Leiter gefallen war und im Spital immer nur die Worte „ich wil heim/ ich wil heim“ ausgesprochen habe. In beiden Fällen wurden die Kranken durch die Heimreise und ohne weitere Behandlung gesund.27 Nach Hofer waren insbesondere junge Männer aus behüteten Verhältnissen, die in ihrer Jugend wenig Kontakt mit Fremden gehabt hatten, anfällig für die Nostalgie. Ihnen attestierte er, dass sie sich an die neue Umgebung nicht gewöhnen und „die Muttermilch nicht vergessen konnten“: „Hoc enim educationis more sit, ut liberi benÀ ali—s nati, probÀque habiti, sed nullo hominum consortio assueti, c¾m ad exteras nationes emittuntur, peregrinis moribus, ac viendi rationius adsuescere, maternique lactis oblivisci nesciant, timidi praeterea existant, atque unicÀ dulci patriae memori– delectentur, donec tandem peregrinae aurae taedio capti, vel diversis incommodis afflicti, noctu diuque reditum in patriam meditentur, & c¾m ab eo prohibentur, sensim ac sensim in eum affectum incidant.“28

Allerdings grenzte sich Hofer von der zeitgenössischen Vorstellung ab, dass es sich bei der Nostalgie um eine ausschliesslich Schweizer und insbesondere die Berner befallende Krankheit handelte. Die Nostalgie sei bei Angehörigen anderer Nationen ebenfalls zu beobachten und damit ein allgemeines Phänomen. Und sollten die Schweizer besonders davon betroffen sein, „so weiß ich nicht, ob ich es dem Mangel der zum Frühstück gewöhnlichen Suppen, oder der schönen Milch, oder der Sehnsucht nach der vaterländischen Freiheit zuschreiben soll.“29 Hofers Dissertation ist in mehreren Hinsichten exemplarisch für die frühneuzeitliche Wissenschaft. Während er seiner Argumentation ein vitalistisches Verständnis des Menschen und Konzepte aus der antiken psychosomatischen Medizin zugrunde legte, integrierte er neues Wissen über den Blutkreislauf, der 1628 erstmals richtig durch William Harvey beschrieben worden war, und über den Aufbau des Gehirns.30 So sprach er zwar von Gehirnfasern und der „vibratio fibrillatorum“, also Begriffen, die Thomas Willis 1664 geprägt hatte. Den „Nervensaft“, der laut der zeitgenössischen Theorie der Iatromechaniker für die nervöse Reizübermittlung verantwortlich war, erwähnte er jedoch nicht, son26 27 28 29

Hofer, Dissertatio medica de Nostalgia, 1688, § 12. Ebd., § 4f. Hofer, Dissertatio medica de Nostalgia, 1688, § 5. Zit. aus der 1779 von D. Lorenz Crell angefertigten deutschen Zusammenfassung von Hofers Dissertation nach Ernst, Vom Heimweh, 1949, S. 67 f. 30 Brunnert, Nostalgie in der Geschichte der Medizin, 1984, S. 110 – 112.

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dern blieb bei den spiriti.31 Wie sich auch bei Scheuchzer zeigen wird, ist dieser Eklektizismus nicht ungewöhnlich für jene Phase, in der zahlreiche neue Theorien entwickelt wurden und verschiedene Denksysteme parallel Gültigkeit beanspruchten. Ausserdem stützte sich Hofer für seine Konzeption nicht auf eigene Beobachtungen, sondern auf die oben skizzierte Kompilation von Erzählungen aus zweiter Hand. Dabei sind keine Versuche einer Differenzierung oder Kategorisierung der in seiner Dissertation beschriebenen, z. T. beachtlich divergierenden Krankheitsbilder des Heimwehs zu erkennen. Es ist anzunehmen, dass er bei der Abfassung seiner Dissertation nie selbst einen Patienten untersucht hatte. Auch überprüfte er seine Schlüsse und Empfehlungen für die Behandlung nicht systematisch an Patienten, sondern orientierte sich an traditionellen Medizintheorien. Von einem empirischen Vorgehen im heutigen Sinn kann daher nicht gesprochen werden, auch wenn sich Hofer auf „Erfahrungen“ beruft. Hofers Schrift wurde 1710 von Theodor Zwinger III. (1658 – 1724) in einer überarbeiteten und erweiterten Fassung ein zweites Mal publiziert.32 Darin integrierte Zwinger nun auch Diskussionen und Repliken zur ersten Abhandlung von 1688. So fügte er unter Punkt 10 eine kurze Darstellung von Scheuchzers Luftdrucktheorie ein, allerdings ohne eine persönliche Stellungnahme hinsichtlich deren Plausibilität abzugeben. Weiter ergänzte Zwinger die Ursachen des Heimwehs mit einem ganzen Abschnitt über den „Kühe-Reyen“, inklusive einer Notation der Melodie. Bei dem Kuhreihen handelte es sich um eine Volksweise, mit der angeblich die Schweizer Bergbauern nach dem Vieh pfiffen oder sangen. Zwinger zufolge löste ihr Klang bei den Schweizer Soldaten nun eine derart starke Erinnerung an die Heimat aus, dass sie sofort am Heimweh erkrankten und mit heftigem Fieber daniederlagen. Aus diesem Grund hätten die französischen Offiziere das Singen und Pfeiffen des Kuhreihens unter Strafe verboten. In der Folge von Zwingers Publikation fand diese Behauptung auch Eingang in Zedlers Universallexikon und wurde von späteren Autoren wie Rousseau weiter zugespitzt, der berichtete, die Intonation des Kuhreihens hätte sogar unter Todesstrafe gestanden. Allerdings dürfte es sich hier um einen Mythos handeln, jedenfalls sind die besagten Verbote und Strafen durch keine Quellen belegt.33 Auch konnte sich die These über die fieberauslösende Wirkung des Kuhreihens in späteren medizinischen Befunden über das Heimweh nicht 31 Ebd., S. 112 f. 32 Theodor Zwinger : Dissertatio medica tertia de Pothopatridalgia. Vom Heimwehe. In: ders.: Fasciculus Dissertationum Medicarum Selectiorum. Basel 1710, S. 87 – 111. 33 Zur Rezeptionsgeschichte des Kuhreihens in Wissenschaft und Künsten vgl. Brunnert, Nostalgie in der Geschichte der Medizin, 1984, S. 145 – 154 und Paul Helmer : De nostalgia. Vom Mythos des Kuhreihens. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 79 (1983), S. 134 – 150.

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durchsetzen. Gegen Ende des Jahrhunderts erlangte der Kuhreihen jedoch als romantisches Sehnsuchtsmotiv bei Brentano, Schiller, Goethe und Rousseau wieder eine gewisse Berühmtheit.34

Heimweh als physikalisch-physiologisches Phänomen bei Johann Jakob Scheuchzer Im Unterschied zu Hofer sah Scheuchzer den Auslöser für die Heimwehkrankheit ausschliesslich in einem physikalischen Mechanismus. Er war überzeugt, dass der Druckunterschied zwischen den Alpen und den tiefer gelegenen Gebieten in Frankreich und den Niederlanden das Leiden der Schweizer Soldaten verursachte. Die Schweizer bewohnten die höchsten Berge Europas, wie Scheuchzer auf der Basis seiner eigenen Messungen festhielt.35 Daher waren sie im Ausland einem ungleich höheren Druckunterschied ausgesetzt als Reisende aus anderen Gebieten. Um zu verstehen, wie Scheuchzer auf den Gedanken kam, den Luftdruck für das Heimweh verantwortlich zu machen, ist ein Blick auf seine wissenschaftliche Praxis aufschlussreich. Zum Zeitpunkt der Publikation seiner Abhandlung Von dem Heimwehe im Jahr 1705 hatte Scheuchzer bereits seit gut zehn Jahren verschiedene Forschungsreisen in die Alpen unternommen. Neben seiner vielseitigen Sammeltätigkeit hatte er sich dabei auch intensiv mit den Techniken der Höhenmessung auseinandergesetzt. In den Reiseberichten und Artikeln in seiner Wochenschrift finden sich ausführliche Beschreibungen der Gerätschaften und Messmethoden, ebenso wie Tabellen mit seinen Messresultaten. Durch den Datenvergleich und den Austausch mit Wissenschaftlern in ganz Europa arbeitete Scheuchzer an der Optimierung seiner Methoden. Während er zunächst nach den Grundsätzen der Trigonometrie vorging und versuchte, mit Zirkel und Lineal die Höhe der Bergspitzen zu berechnen, bemerkte er bald die unvermeidbaren Verzerrungen, die sich durch die Bedingungen in den Bergen ergaben.36 Darauf wandte er sich dem 1643 von dem Florentiner Mathematiker Evangelista Torricelli entwickelten Barometer zu, Scheuchzer zufolge „eine der 34 Helmer, De nostalgia, 1983, S. 138 f. 35 Vgl. Johann Jakob Scheuchzer : Von Abmessung der Berg-Höhen. In: ders.: Johann Jacob Scheuchzers Natur-Geschichte des Schweitzerlandes, samt seinen Reisen über die Schweitzerische Gebürge. Aufs neue herausgegeben, und mit einigen Anmerkungen versehen von Joh. Georg Sulzern. Bd. 1. Zürich 1746, S. 17 – 47. 36 „[E]rstlich die Erfahrung und hernach die Vernunft [haben] gezeigt, daß die Geometrischen Instrument theils beschwerlich, theils betrüglich, und die darmit vorgenommene Meß-Arten an diesem Ort unzulänglich seyen. Hier habe ich wegen Enge der Thälern, dort wegen allzu grosser Haldung ihrer Flächen nicht können zurecht kommen […].“ Ebd., S. 20 f.

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herzlichsten Erfindungen, mit welchen die heutige Physica Experimentalis pranget“37. Mit seinem „Götzen“, wie er das Barometer auch nannte, führte er fortan alle Höhenmessungen durch.38 Dabei arbeitete er unter Einbezug der Ergebnisse des Physikers Edme Mariotte daran, die Reaktionen des Quecksilbers auf Druckunterschiede im Verhältnis zur Höhe mit immer grösserer Exaktheit zu berechnen. Dass sich Scheuchzer dabei auf Augenhöhe mit den zeitgenössischen Naturwissenschaften bewegte, zeigt unter anderem das Interesse der Royal Society in London, die seine Forschungsreisen unterstützte und seine Messresultate ab 1706 in den Philosophical Transactions und in der Reihe Itinera alpina publizierte.39 Gleichzeitig engagierte sich Scheuchzer auch in der Wissenspopularisierung und brachte naturwissenschaftliches Wissen in seiner auf Deutsch herausgegebenen Wochenschrift einem breiteren Publikum näher.40 Dahinter sind neben dem aufklärerischen Ideal der Wissensvermittlung auch Bemühungen zur Legitimation der modernen Naturwissenschaften gegenüber religiösen Weltbildern zu vermuten. Als Befürworter des kopernikanischen Weltsystems und des Cartesianismus stand Scheuchzer mehrfach in Konflikt mit der kirchlichen Zensurbehörde Zürichs und hatte in der streng reformierten Stadt einen schwierigen Stand. Die Naturphilosophie stand unter dem Verdacht, den Wahrheitsanspruch der orthodoxen Lehre zu untergraben. Die folgende Passage aus einem Artikel in der Erzehlung seltsamer Natur-Geschichten kann daher als Ausdruck des Strebens nach Legitimität, vielleicht sogar als Legitimationsstrategie gelesen werden. Sie zeigt, wie Scheuchzer in seiner populärwissenschaftlichen Schrift den konkreten und allgemeinen Nutzen der Naturforschung hervorhob: „Nach diesen Ausführungen nun kan ein jeder, der nur ein wenig in der heutigen Experimental-Physic erfahren, leicht ersehen, auf was Gründen die Barometrische Messung der Berg-Höhen beruhe, ja auch, wie auf dieses Fundament hinfort können in 37 Ebd., S. 26 f. 38 Ebd., S. 27 f. 39 Vgl. z. B. Tables of the Barometical Altitudes at Zurich in Switzerland in the Year 1708. Observed by Dr. Joh. Ja. Scheuchzer, F. R. S. and at Upminster in England, Observed at the Same Time by Mr. W. Derham, F. R. S. as Also the Rain at Pisa in Italy in 1707. and 1708. Observed There by Dr. Michael Angelo Tilli, F. R. S. […]. In: Philosophical Transactions 26 (1708 – 1709), S. 334 – 366. 40 Eduard Fueter weist darauf hin, dass die volkssprachlichen Abhandlungen Scheuchzers zum Teil auch auf Anordnung der Stadt entstanden, die ihn finanziell unterstützte und daran interessiert war, dass seine Arbeit nicht ausschliesslich den Gelehrten und Gebildeten zugänglich war. Dies war der Fall bei dem Werk Helvetia stoicheiographia, orographia et oreographia, oder Beschreibung der Elementen, Grenzen und Bergen des Schweitzerlandes (1716), die Scheuchzer ursprünglich auf Latein verfassen wollte. Vgl. Eduard Fueter : Geschichte der exakten Naturwissenschaften in der Schweizerischen Aufklärung (Veröffentlichungen der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 12). Aarau 1941, S. 118 – 119.

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Ansehung der Höhe alle Länder, Städte, Dörffer, Berge, See [sic!], Thäler, gegen einander gehalten werden; welche Wissenschaft nicht nur in blosser Curiositaet bestehet, sondern ihren trefflichen Nutzen haben kan in Untersuchung der Beschaffenheit eines jeden Lands, der Sitten, Gesundheit und Kranckheiten der Einwohnern, u. als zu einem Beyspiel dienen kan unsere Schweitzer-Kranckheit, das Heimwehe genannt, deren Ursach ich vornehmlich von der subtilen Höhe unserer Schweitzerischen Berg-Luft und derselben Aenderung in eine dichte, starck-truckende Holländische, oder andere niedere Luft herleite […].“41

In diesem Fall schlug er dabei ausserdem den Bogen zu seiner Heimweh-Theorie. Der Luftdruck und die geografische Lage der Nation sollte als Ursache für die „Schweitzer-Kranckheit“ angesehen werden – und nicht etwa eine moralische Schwäche des schweizerischen „Volkscharakters“, wie das Heimweh von verschiedenen Seiten auch interpretiert wurde.42 Im gleichen Jahr wie die eben zitierte Abhandlung über die Abmessung der Berg-Höhen erschien auch der Text Von dem Heimwehe. Darin wies Scheuchzer explizit auf seine Absicht hin, mit seiner Heimweh-Theorie die Ehre der Nation zu retten.43 Die Mechanismen, die seiner Meinung nach bei den Schweizern zur Heimweh-Krankheit führten, erklärte er wie folgt: „Wir Schweizer […] athmen deßwegen in uns eine reine/ dünne/ subtile Luft/ welche wir auch selbs in uns essen/ und trinken/ durch unsere Land-Speisen/ und Getränke/ welche eben denselben Luft enthalten; gewehnen unsere Leiber also/ sonderlich/ wann wir Bergichte hohe Orte inhaben/ daß sie nicht starck getrukt werden/ und bey gleich starker gegentrukung der innern/ in unsern Aederlein sich aufhaltenden Luft/ der Kreißlauff des Geblüts/ und Einfluß der Geisteren ohne hinderung/ zu der Menschen Gesundheit ihren ordentlichen fortgang haben.“44

In tiefer gelegenen Gebieten hingegen wirke der höhere Luftdruck so stark auf die Körpergefässe ein, dass dadurch das Blut in seinem Rücklauf zum Herzen und die Geister auf dem Weg zum Gehirn gehemmt würden. Dadurch entstehe bei den Betroffenen ein grosses Unbehagen. Zu den konkreten physiologischen Vorgängen machte Scheuchzer jedoch keine genaueren Angaben, sondern kam direkt auf die Symptome zu sprechen. Von einer zunehmenden „Bangigkeit des Herzens“ bedrückt, äussere der Heimwehkranke ein starkes Verlangen nach dem Vaterland. Traurig und immer kraftloser finde er weder Schlaf noch Appetit, werde schliesslich von einem heftigen, hitzigen oder kalten Fieber erfasst „und stirbet mehrmalen dahin“45. Wie schon Hofer bezeichnete auch Scheuchzer die sofortige Heimreise als wirksamstes Mittel gegen das Heimweh. Dabei verwies er 41 42 43 44 45

Scheuchzer, Von Abmessung der Berg-Höhen, 1746, S. 38 – 39. Brunnert, Nostalgie in der Geschichte der Medizin, 1984, S. 113 f. Scheuchzer, Von dem Heimwehe, 1705, S. 58 f. Ebd., S. 58 f. Ebd.

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ebenfalls auf Berichte über Soldaten, die angeblich bereits im Sterben lagen und schon durch den Bescheid ihrer Entlassung gesund wurden. Im Unterschied zu Hofer erklärte Scheuchzer ihre wundersamen Genesungen jedoch damit, dass durch die hoffnungsvolle Aussicht auf die Rückreise die „sinnlichen Geister“ aufgemuntert würden und die Zirkulation anregten, indem sie „durch ihren kräftigen Einfluß in alle äussere Glieder den mangel der inneren gegentrukenden Luft ersetzen“46. Als weitere Massnahmen empfahl er die Verlegung auf einen nahen Berg oder Turm, wo der Patient einem geringeren Luftdruck ausgesetzt sei. Ebenso könne der Druck durch den Aufenthalt in gut eingeheizten Stuben etwas vermindert werden. Ausserdem legte er die Behandlung mit Arzneien nahe, die eine „stark konzentrierte“ Luft enthielten. An erster Stelle sei dies in Wasser gelöster Salpeter, der jedoch nötigenfalls auch durch Schiesspulver, jungen Most, frisches Bier oder neuen Wein ersetzt werden könne. In Bezug auf das Schiesspulver rekurrierte er auf die Annahmen zeitgenössischer Physiker, die den Wirkungsmechanismus des Schiesspulvers mit der explosionsartigen Ausdehnung von in ihm enthaltener, hoch konzentrierter Luft erklärten.47 Mit diesen offensichtlich mechanistischen Überlegungen schlug Scheuchzer nun einen ganz anderen Weg ein als Hofer mit dem humoralpathologischen Prinzip contraria contrariis. Eine weitere Modifikation vollzog Scheuchzer hinsichtlich Hofers Feststellung, es seien insbesondere Jünglinge aus behüteten Verhältnissen vom Heimweh betroffen. Im Unterschied zu Hofer sah Scheuchzer den Grund für die Häufigkeit bei jüngeren Männern nicht in ihrem zarten Gemüt oder der „Mutter-Sucht“. Vielmehr führte er das Alter als Beweis für seine Luftdrucktheorie an: „Zur Bekräftigung dessen, was bisher von den Ursachen des Heimwehes, und dessen Heil-Mitteln geschrieben worden, dienet, daß dieser Kranckheit sonderbar junge Leute unterworffen, deren Hautzäsern noch so zart, und biegsam, daß sie die äussere Luft leicht empfinden, und derselben weichen; so auch die, welche auf den Bergen auferzogen, der dünnen subtilen Berg-Luft, und Milch-Speisen gewohnet, weniger aber die, welche bey ziemlichem Alter, deren Haut erhartet, deren welche in Städten oder niedrigen Orten auferzogen, auch an allerhand fremde Speisen und Getränke gewehnet worden.“48

Der prototypische Heimweh-Patient war damit der junge Alpenbewohner, dessen Körper auf einen niedrigen Luftdruck und Milchprodukte eingestellt war. Während der Mangel an Bergluft und Milchspeisen den jungen Männern Schwierigkeiten bereitete, stellte der umgekehrte Weg laut Scheuchzer kein gesundheitliches Problem dar – im Gegenteil. Anderen Nationen aus tiefer gele46 Ebd., S. 59 f. 47 Ebd., S. 59 – 60. 48 Ebd.

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genen Gebieten könne die saubere und gesunde Bergluft nur gut bekommen. Die in ihren Adern enthaltene, schwere Luft werde sich bei einer Reise in die Berge nämlich „außdehnen/ alle Röhrlein des Leibs erweiteren/ wordurch der Kreißlauff des Geblüts beförderet/ alle Säfter und Geister in ein richtige Bewegung gebracht/ oder in derselben unterhalten werden. In betrachtung dessen kan ich kecklich sagen/ daß unsere Eidgnössische Lande […] auch seyn können Asylum languentium, ein trost- und Heilhauß der Kranknen/ denen unsere Luft hinnemmen kan vilerhand von langwährenden verstopfungen entstandene Krankheiten […].“49

Mit Behauptungen wie dieser, die durch seine populärwissenschaftlichen Artikel und Reisebeschreibungen eine beachtliche Reichweite hatten, dürfte Scheuchzer das Bild der sauberen und gesunden Alpenluft wesentlich geprägt haben. Auf seine Bedeutung für die Popularisierung der Alpen, den englischen Alpentourismus und den deutschen Philhelvetismus wird in der Scheuchzer-Historiografie mehrfach hingewiesen.50 Mit seiner Luftdrucktheorie behauptete Scheuchzer, ein allgemein gültiges Gesetz über die Auswirkung von Druckunterschieden auf den menschlichen Organismus entdeckt zu haben. Er fasste diesen Zusammenhang sogar noch weiter und schloss auch Tiere in den Kreis der potentiell von der Heimwehkrankheit betroffenen Wesen mit ein. Die in den nördlichen Eismeeren lebenden Walfische, von denen er annahm, dass sie als einzige Fische über Lungen verfügten, atmeten eine in kaltem Wasser besonders hoch konzentrierte Luft ein, „welche in die Leiber der Wallfischen gebracht/ und durch dero Bewegung/ und wärme/ verdünneret die Aderen des ganzen Leibs merklich kan ausdehnen/ und erweiteren/ gleich deren vorher eingeschlossenen Luft des Salpeters/ und Schießpulvers“.51 Dieser Mechanismus erkläre auch die ungeheure Grösse der Walfische. Scheuchzer zufolge litten nun auch die Walfische an Druckunterschieden, sollten sie sich einmal in die Nordsee verirren. Denn die dünne Luft in dem wärmeren Gewässer reiche nicht aus, um ihre Körperfunktionen aufrecht zu erhalten. „Wann hiemit eine Zeitung komt/ das auf die Schottischen/ Norwegischen/ Dänischen/ Niderländischen Küsten ausgeworffen worden ein grosser Wallfisch/ und insgemein darüber geurtheilet wird/ das dessen ursach gewesen ein starker Sturm/ so sage ich auß bisherigen Grundsätzen/ er seye vilmehr gestorben/ oder crepirt an dem Heimwehe.“52

49 Ebd. 50 Vgl. z. B. Kempe, Wissenschaft, Theologie, Aufklärung, 2003, S. 188 – 218; Schmid-Cadalbert, Heimweh oder Heimmacht, 1993, S. 81 – 84. 51 Scheuchzer, Von dem Heimwehe, 1705, S. 61 f. 52 Ebd., S. 62 f.

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Scheuchzers Ausdehnung der Heimweh-Theorie auf Tiere ist auf der Grundlage seiner physikalisch-physiologischen Definition des Heimwehs zwar konsequent, es ist jedoch fragwürdig, ob sein Erklärungsmodell damit in den Augen der Zeitgenossen an Plausibilität gewinnen konnte. Die Rezeptionsgeschichte spricht eher dagegen, Scheuchzers Ansatz wurde ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von vielen Seiten widerlegt.53 Interessant sind in diesem Zusammenhang Scheuchzers Reaktionen auf die Theorien seiner Zeitgenossen in einem Kapitel der 1716 erschienenen Helvetiae stoicheiographia, orographia, et oreographia.54 Hier präzisierte er seinen Heimweh-Begriff und differenzierte verschiedene Arten von Heimweh. So gebe es wohl eine allen Menschen gemeinsame Sehnsucht nach der Heimat, die bereits bei einer Reise in eine andere Stadt eintreten könne. Von diesem universellen Gefühl grenzte er seine Definition jedoch ab. Ebenso wenig beziehe er sich auf „jenes politische Heimwehe/ von welchem diejenigen überfallen oder angegriffen werden/ welche an frömden Ohrten nicht leben können in der Freyheit oder Komlichkeit/ wie sie zu Hauß gewohnt waren. Also kan oft geschehen/ daß ein freyer Eydgenoß/ wann er in frömden Diensten leben muss unter scharffen Gesetzen/ unter genauer Kriegs-Disciplin, oder sonst streng gehalten wird/ ein sehnliches verlangen bekommet nacher Hauß: danahen komt es/ das die Kaufleuthe/ welche nach ihrer komlichkeit reisen und leben können/ als zum Exempel die Glarnerischen Tischhändler (so weit und breit in die Welt hinaus sich wagen) dem Heimwehe nicht so unterworffen sind/ als die Soldaten/ welche lieber wollen zu Hauß in Armuth und Freyheit leben/ als im Feld unter scharffer Kriegszucht/ sonderlich/ wann sie von ihren Officieren übel und unfreundlich gehalten werden.“55

Bei der Darstellung dieser „politischen“ Ursache für das Heimweh bezog sich Scheuchzer auf ein Argument, das der Pfarrer Johann Heinrich Tschudi aus dem glarnerischen Schwanden in einem Brief an ihn vorgebracht hatte.56 Tschudis Erklärung für das Heimweh, die auf die prekären Bedingungen in den Regimentern verwies, wurde von Scheuchzer zwar nicht als unplausibel abgetan. Er verdeutlichte jedoch, dass er das spezielle Heimweh der Schweizer als ein mit 53 So hielt zum Beispiel der Aargauer Arzt und Gelehrte Johann Georg Zimmermann (1728 – 1795) ein halbes Jahrhundert nach Scheuchzer fest: „Aber es war ein seltsamer Gedanke den Scheuchzer gehabt, daß die groessere Schwere der Luft die Ursache von dem Heimwehe der Schweizer sei. Ich werde von dem Heimwehe in dem Capitel von dem Leidenschaften reden. Herr Scheuchzer ist von andern zur Gnuege widerlegt.“ Johann Georg Zimmermann: Von der Erfahrung in der Arzneykunst. Bd. 2. S. l. 1786 (11764), S. 456 f. 54 Johann Jakob Scheuchzer : Helvetiae stoicheiographia, orographia, et oreographia. Oder Beschreibung der Elementen, Grenzen und Bergen des Schweitzerlands. Der Natur-Histori des Schweitzerlands Erster Theil. Zürich 1716. 55 Ebd., S. 12 f. 56 Ein diesbezüglich eindeutiges Zitat aus einem Brief Tschudis an Scheuchzer findet sich in den von Johann Georg Sulzer in der Ausgabe von 1746 angefügten Fussnoten: Scheuchzer, Von dem Heimwehe, 1746, S. 87 f.

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dem Luftdruck zusammenhängendes Phänomen verstanden haben wollte. Eine spöttische Replik adressierte er ausserdem an Georg Detharding, einen deutschen Arzt, der genau das Gegenteil von Scheuchzer behauptet und damit eine kleine Debatte ausgelöst hatte.57 In seiner ebenfalls 1705 erschienenen Disputatio physico-medica de salubritate aeris Rostochiensis befand Detharding, die Schweizer seien durch die in den Bergen eingeschlossene, grobe und ungesunde Luft verdummt. Mit dem Heimweh verhalte es sich so, dass die Schweizer so sehr an ihre schlechte Luft gewöhnt seien, dass sie die reinere und gesündere Luft, wie sie zum Beispiel in Rostock zu finden sei, schlichtweg nicht ertrugen. Dem entgegnete Scheuchzer, Detharding könne die Schweiz höchstens durch ein Fernglas betrachtet haben. Denkbar sei jedoch, dass umgekehrt die Schweizer Bergluft den Reisenden aus tiefer gelegenen Gebieten Schwierigkeiten bereite, so z. B. wenn ein Rostocker oder Holländer „aus seiner dichten unreinen Seeluft sich wurde begeben in die Schweitzerischen Gebirge/ und da unsere ohne Zweifel reineste Luft von ganz Europa in sich schlucken.“58

Wissenschaft und Weltanschauung. Bezugsrahmen für die Luftdrucktheorie Scheuchzers Idee, das Heimweh mit unterschiedlichen Luftdruckverhältnissen zu begründen, steht zum einen in Zusammenhang mit seiner intensiven Beschäftigung mit dem Barometer. Daneben finden sich jedoch weitere Aspekte in seinem Denken, grundlegende Annahmen über den Menschen und über die organische und anorganische Natur, auf denen sein Erklärungsmodell aufbaut. In den folgenden Abschnitten soll Scheuchzers Ansatz deshalb im Verhältnis zu drei Bezugsrahmen diskutiert werden, die zentrale Parameter setzten für seine Interpretation des Heimwehs.

Von der Luft in der Physica von 1701 Bei der Herleitung seiner Luftdrucktheorie ging Scheuchzer von Prämissen über die Beschaffenheit der Luft aus, die sich in vielen Punkten an Ren¦ Descartes 57 Brunnert, Nostalgie in der Geschichte der Medizin, 1984, S. 120 f. 58 Scheuchzer, Helvetiae stoicheiographia, orographia, et oreographia, 1716, S. 11 f. Dethardings Behauptungen über die schlechte Bergluft konnte sich, vermutlich auch ohne Scheuchzers Zutun, nicht durchsetzen. So wurde 1735 in Zedlers Universallexikon an erster Stelle Scheuchzers Luftdrucktheorie vorgestellt und später in einem längeren Abschnitt wörtlich zitiert, ebenso der Kuhreihen, während Detharding wohl erwähnt, sein Ansatz jedoch nicht weiter thematisiert wurde.

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anlehnen. Diese Prämissen möchte ich anhand seiner Ausführungen in der Physica, oder Natur-Wissenschaft (1701)59, die er wenige Jahre vor der Abhandlung über das Heimweh publizierte, näher betrachten. Die populärwissenschaftliche Physica war das erste deutschsprachige Werk, in dem die Naturphilosophie von Newton und Leibniz einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wurde.60 Dabei verfolgte Scheuchzer ein dezidiert eklektizistisches Programm. Bereits in der Vorrede zum Buch stellte Scheuchzer Descartes auf die gleiche Stufe wie Aristoteles und bekannte sich, in Anlehnung an seinen Lehrer Johann Christoph Sturm, zur Eklektik: „Am sichersten gehen die so genante Eclectici, welche keinen Alten als Neuen Scribenten verachten/ dies und jene mit unumfangenem Gemüht lesen/ ihre Lehr oder Grundsätze nach der Vernunft- und Wahrheits-Waag abwägen/ und gantz unparteyisch bald disem/ bald jenem beypflichten/ auch selbs Hand anlegen/ nach- und außdenken […].“61

Dass Scheuchzer sein Werk mit einem Plädoyer für die Eklektik und damit gegen jegliche Dogmatik anführte, hatte seine Gründe nicht zuletzt in den zeitgenössischen Konflikten zwischen der Orthodoxie und den Vertretern der New Science. Zum besseren Verständnis des Kontextes von Scheuchzers Werk möchte ich kurz ausholen und das Verhältnis zwischen den religiösen Obrigkeiten und den Wissenschaftlern in Zürich grob umreissen. Scheuchzer war von der reformierten Zürcher Orthodoxie verboten worden, die kopernikanische Position zu vertreten, sodass er in der Physica sowohl das ptolemäische, das tychonische als auch das kopernikanische System vorstellte, ohne seine persönliche Meinung über ihre Plausibilität kundzutun.62 Die europäischen Wissenschaftler bewegten sich in der frühen Neuzeit, und insbesondere seit Anfang des 17. Jahrhunderts, in einem Spannungsfeld zwischen einer an der aristotelisch-scholastischen Methode festhaltenden Theologie und einer aufklärerisch gesinnten Naturphilosophie. Letztere kritisierte die traditionellen Methoden und trat stattdessen mit Bacon für eine induktive Forschung und seit Pierre Gassendi und Ren¦ 59 Laut Kempe war Scheuchzer dabei wahrscheinlich auch der Erste, der den Begriff Naturwissenschaft in einer deutschen Publikation verwendete. Kempe, Wissenschaft, Theologie, Aufklärung, 2003, S. 25 – 26. 60 Dabei kommt Scheuchzers aufklärerische Motivation sehr deutlich zum Ausdruck, wenn er zum Beispiel in der Vorrede schreibt, die Absicht seines Werks bestehe darin, „die Sachen selbs also vorzustellen/ daß sie von Gelehrten/ und ungelehrten/ ja auch von dem Wissensbegirigen/ bis dato von diser Wissenschaft so vil als außgeschlossenem Frauen-Zimmer mit lust gefasset werden.“ Johann Jakob Scheuchzer : Physica, oder Natur-Wissenschaft. Bd. 1. Zürich 1701, Vorrede [unpag.]. 61 Ebd. 62 Vgl. Hans Fischer : Johann Jakob Scheuchzer (2. August 1672 – 23. Juni 1733). Naturforscher und Arzt (Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 175). Zürich 1973, S. 25 – 26.

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Descartes zunehmend auch für ein mechanistisches Weltbild ein.63 Wie in ganz Europa ging die Emanzipation von den alten Lehrmeinungen auch in der Schweiz nicht als ein plötzlicher, revolutionärer Umschwung vonstatten, sondern in einem langwierigen Prozess und nicht ohne Umwege und Rückschritte.64 Wichtige Orte für die Rezeption des Cartesianismus waren dabei Aufklärungsgesellschaften wie das Collegium der Wohlgesinnten in Zürich, wo in einem kleinen und relativ geschützten Rahmen Vorträge und Diskussionen stattfinden konnten. Hier war seit seiner Rückkehr aus Utrecht im Jahr 1694 auch Scheuchzer aktiv, hielt Referate und betätigte sich als Aktuar in der Protokollführung.65 Gleichzeitig übte die Orthodoxie in Zürich bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein einen starken Einfluss auf die Wissenschaft aus und zeigte sich im Kampf gegen den Cartesianismus und das kopernikanische Weltsystem unerbittlicher und ausdauernder als in anderen Schweizer Städten (z. B. Basel oder Genf).66 In dieser Zeit des Übergangs waren sowohl die Forschung als auch der Unterricht geprägt von der Gleichzeitigkeit verschiedener, sich teilweise widersprechenden Denksysteme. So führte Johannes von Muralt (1645 – 1733), Zürcher Stadtarzt und Professor für Mathematik und Physik am Collegium Carolinum, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zwar im Sinne der New Science Experimente und Expeditionen durch, folgte in seiner Lehre jedoch weiterhin aristotelisch-scholastischen Grundsätzen.67 Seit 1695 amtete Scheuchzer unter ihm als zweiter Stadtarzt und wurde 1710 Professor am Carolinum. Auch in seiner Wissenschaftspraxis kommen die Uneindeutigkeiten jener Übergangsphase zum Ausdruck. In der Physica von 1701 verfuhr Scheuchzer nach der scholastischen Methode des Nebeneinanderstellens verschiedener Wissensbestände, ohne dazu jeweils eine klare Stellung zu beziehen. In vielen Punkten vertrat er ein mechanistisches Weltbild, räumte gleichzeitig auch Aristoteles eine gewisse Autorität ein und bezog in seine Argumentation immer wieder auch Gott als Schöpfer der Natur und ihrer Gesetze mit ein. So hielt er in 63 Vgl. Margaret J. Osler : Reconfiguring the world. Nature, God, and human understanding from the Middle Ages to early modern Europe. Baltimore 2010, S. 77 – 93. 64 Zur problematischen Tendenz in der traditionellen Wissenschaftsgeschichte, den Wissenschaften eine teleologische Entwicklung einzuschreiben und die „wissenschaftliche Revolution“ in der frühen Neuzeit als einen linearen Prozess in Richtung des modernen wissenschaftlichen Denkens zu betrachten, vgl. Margaret J. Osler : The Canonical Imperative. Rethinking the Scientific Revolution. In: dies. (Hg.): Rethinking the Scientific Revolution. Cambridge 2000, S. 3 – 22. 65 Vgl. Kempe: Wissenschaft, Theologie, Aufklärung, 2003, S. 159 – 165. 66 Zur Rezeptionsgeschichte des Cartesianismus und der kopernikanischen Lehre in der Schweiz vgl. Fueter, Geschichte der exakten Naturwissenschaften, 1941, S. 14 – 45. 67 Ebd., S. 56 f. Zu den biographischen Angaben Johannes von Muralts vgl. Urs Boschung: Art. Muralt, Johannes von. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), , [20. Feb. 2012].

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Bezug auf die Luft fest, sie müsse „eins von den edelsten Geschöpften [sic] Gottes seyn, weilen deren Nohtwendigkeit auß ihrer Allgegenwertigkeit in diser untern Welt genugsam zuersehen.“68 Überhaupt stellte sein physikotheologisches Programm, das in der Physica von 1701 bereits anklingt und in den naturwissenschaftlichen Auslegungen der Bibel in der Jobi physica sacra (1721) und der Physica sacra (1731 – 1735) seine Höhepunkte fand, ein Versuch dar, die Offenbarung in der Schrift mit der Offenbarung in der Natur in Einklang zu bringen.69 Der Gedanke, durch die Erkenntnis über die Natur gleichsam ihren Schöpfer zu erkennen, war vermutlich ein nicht unbedeutender Motivationsfaktor für seine Arbeit. Und nicht zuletzt verlieh die theologische Anbindung dem Wirken der Naturphilosophen gegenüber der Kirche auch eine gewisse Legitimität. In die Physica von 1701 integrierte Scheuchzer neben Aristoteles und den Grundsätzen der Bibel nun auch die Ideen Descartes und neue, auf empirischer Basis gewonnene Erkenntnisse von innovativen Forschern wie Robert Boyle, William Harvey oder Thomas Willis. Die Einleitung zum zweiten Teil des Werks begann er mit einer vergleichenden Darstellung der Elementenlehre der Aristoteliker, Helmontianer, Epikureer, Chymisten (Chemiker) und Cartesianer. Für die Gliederung seines Werks blieb Scheuchzer jedoch bei der antiken Vierteilung der Elemente in Feuer, Luft, Wasser und Erde. Ihnen widmete er je ein Kapitel. Das 3. Kapitel Von der Luft beginnt mit einer skizzenhaften Zusammenstellung verschiedener Annahmen über das Wesen der Luft. Die Darstellung reicht dabei von der Gleichsetzung der Luft mit einer Gottheit bei Diogenes über die Vorstellung von Luft als einem Mischessenz von aus der Erde aufsteigenden Dämpfen und Dünsten bis zur Idee der „Atmosphera“, einer „auß allerhand subtilen Cörperlein/ und Dünsten bestehenden massen“.70 In Scheuchzers eigener Konzeption war Luft kein reines Element, sondern aus „Cörperlein“ zusammengesetzt, die sich je nach Umweltbedingungen unterschiedlich verhielten: „Das ist zwahren gewiß/ und durch die tägliche Erfahrung genugsam zubezeugen/ daß die Luft nach Beschaffenheit der in ihro logirenden Cörperlein auch sich in ihren Beschaffenheiten und Wirckungen enderet/ gesund oder ungesund/ schwerer oder 68 Johann Jakob Scheuchzer : Physica, oder Natur-Wissenschaft. Bd. 2. Zürich 1701, S. 19 f. 69 Zur Physikotheologie, die bei Scheuchzer auch auf der visuellen Ebene einen starken Ausdruck fand, vgl. neben Kempe (Anm. 8) auch Paul Michel: Physikotheologie. Ursprünge, Leistung und Niedergang einer Denkform (Neujahrsblatt der Gelehrten Gesellschaft in Zürich). Zürich 2008, insbes. S. 111 – 120. Irmgard Müsch: Geheiligte Naturwissenschaft. Die Kupfer-Bibel der Johann Jakob Scheuchzer (Rekonstruktion der Künste 4). Göttingen 2000. Robert Felfe: Naturgeschichte als kunstvolle Synthese. Physikotheologie und Bildpraxis bei Johann Jakob Scheuchzer. Berlin 2003. 70 Scheuchzer, Physica 2, 1701, S. 19 f.

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leichter/ gesaltzen oder salpetericht/ oder schweffelicht wird/ je nach deme die Oerther selbs bergicht/ oder sumpficht/ an der Sonn gelegen/ oder nit/ metall- frucht- oder graßreich.“71

Dieses Konzept erlaubte es ihm, die variierenden Luftverhältnisse zu erklären, die er auf seinen Expeditionen mit Hilfe von Barometer, Hygrometer und Thermometer auch selbst zu messen pflegte. Für eine konkretere Vorstellung von der Natur der Luft waren laut Scheuchzer nicht die antiken Konzepte von Aristoteles, sondern die Erkenntnisse der neueren Forschung beizuziehen, um aus deren Studium und Vergleich „eine vernünftige Grundlehr außdenken/ auß welcher alle vorkommende Begebenheiten können erklärt werden.“72 Auf der Grundlage seiner eigenen Beobachtungen verwarf er die aristotelische Charakterisierung der Luft als warm und feucht, und definierte als ihre zentrale Eigenschaft stattdessen die „Flüssigkeit“, worunter er eine beständige Bewegung der „Cörperlein“ verstand. Einige Grundsätze über die Eigenschaften der Luft waren bereits davor entdeckt worden. Hier führte Scheuchzer Experimente mit Schweinsblasen auf, sowie die Experimente mit der Luftpumpe nach Anleitung des berühmten Boyle, durch welche die Existenz eines Luftdrucks („Schwerigkeit“) nachgewiesen werden konnte. Gleichzeitig belegten diese Versuche laut Scheuchzer auch die Elastizität oder „Zusamentruckung und Außdehnkraft“ der Luft. Dass sich die Luft durch Wärme ausdehne, die Temperatur also ein wesentlicher Faktor für die Ausdehnung ist, sei anhand von mit Luft gefüllten und an einem Ofen angebrachten Schweinsblasen gezeigt worden.73 Als vierten und letzten Aspekt ging Scheuchzer auf die Beobachtung ein, dass Luft die Zersetzung von Nahrungsmitteln in Gärungs-, Rost- und Fäulnisprozessen beschleunigte. Dies erklärte er damit, dass kleinste Teilchen der Luft in die betreffenden Körper eindrangen und dort, vermittels ihrer Bewegung, zunächst die leichteren Bestandteile, dann die gröberen voneinander trennten und auseinander trieben. Aus diesen Beobachtungen und Erkenntnissen „lasset sich zu formierung eines vernunftmässigen Grundsatzes schliessen/ daß die Theile der Luft sehr subtil seyen/ weilen sie nit einmahl unter das Gesicht kommen/ und sich in so kleine Löchlein eindringen. […] Die Zusammentruck- und Ausdähnkraft und andere Beschaffenheiten veranlassen uns hiemit/ daß wir mit den Cartesianis die Theil der Luft uns vorbilden/ als wann sie gestaltet wie Federn oder Flum/ welche grosse Löchlein oder Zwischenräum haben/ und von unterfliessenden Himmel-Kügelein in beständiger bewegung unterhalten werden; daher sie dann sich leicht lassen von einer äussern Kraft zusamentrucken/ aber auch von benanten Orthen widerum außdähnen.“74 71 72 73 74

Ebd., S. 19 f. Ebd., S. 23 f. Ebd., S. 24 f. Ebd., S. 26 f.

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In Scheuchzers Ausführungen über die Elemente zeigt sich sehr deutlich sein eklektisches Verfahren der selektiven Aneignung von Theorieelementen. Während die Gliederung der Kapitel der antiken Vier-Elemente-Lehre folgte – und nicht etwa dem Elementbegriff Boyles – nahm Scheuchzer doch Boyles Experimente als Basis für seine Bestimmung der Eigenschaften der Luft und kombinierte sie mit Descartes Konzeption des Raums und der Luft als ein Konglomerat aus unregelmässig geformten Teilchen.75 Aufgrund ihrer Kleinteiligkeit und ständigen Bewegung ist die Luft nach Scheuchzer überall, in allen Organismen, Pflanzen, im Wasser und in Metallen zu finden. Damit wird nun auch nachvollziehbar, wie er in seiner Heimweh-Theorie zu der Behauptung kam, dass die Schweizer und insbesondere die Alpenbewohner die „leichte“ Luft nicht nur über die Atmung, sondern auch über ihre Speisen und Getränke in sich aufnahmen und die Gefässe ihres Körpers so an einen niedrigen Druck gewöhnten. „Daß auch in dem Wasser Luft seye/ bezeuget jeneste Elasticitet, und andere mit der Antlia [Luftpumpe, Anm. MB] gemachte Erfahrnussen/ nebst der Ein- und Ausathmung der Fischen. Wann wir uns zu der Erden wenden/finden wir nit nur Luft in denen villöcherichten/ schwammichten Cörpern/ sondern auch dichtesten Metallen/ wie auß deren Klang zuschliessen. In den Pflantzen haben die scharffsichtige Gelehrte Malpighius und Grevv entdecket sehr vil Luftröhlein/ oder Gänge/ durch welche diß Element in alle Theil der Gewächse geführt wird.“76

Das Kapitel über die Luft in Scheuchzers Physica gibt Aufschluss in Bezug auf die Prämissen über die physikalischen Eigenschaften der Luft, die Scheuchzer seiner Theorie über das Heimweh zugrunde legte. Damit werden seine aus heutiger Sicht zum Teil sonderbar erscheinenden Erklärungen, Argumentationen und Empfehlungen verständlicher. So erklärt seine Annahme, die „Luftteilchen“ seien in allen Materialien und in allen menschlichen und tierischen Körpern vorhanden, wie er auf die Idee der heimwehkranken Walfische kam. Im Zusammenspiel mit seiner mechanistischen Sicht auf die Physiologie von Mensch und Tier, bildete sie den Hintergrund für die Behauptung, das kalte Wasser enthalte in seinen „Löchlein“, also einer Art Zwischenräumen zwischen den Wasserteilchen, eine stark zusammengepresste Luft, die die Walfische über ihre „Lungen“ einatmeten und in den Adern ihrer Leiber durch Bewegung und Wärme zur Ausdehnung brachten. Dabei kommt in seiner Argumentation auch der in der Physica beschriebene Zusammenhang zwischen Temperatur, Volu75 Vgl. Scheuchzer, Physica 2, 1701, S. 7 – 9. 76 Ebd., S. 19 – 20. An dieser Stelle ist anzumerken, dass obgleich der Sauerstoff und damit die Grundlage für genauere Erkenntnisse über die chemischen Vorgänge erst in den 1770er Jahren entdeckt wurden, Scheuchzer und seinen Vorgängern die substanzielle Bedeutung der Luft bei der Atmung und bei Verbrennungsvorgängen sehr wohl bewusst war.

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men und Luftdruck zum Ausdruck. Im Denken Scheuchzers konnten die grossen Tiere deshalb „nirgends […] leben/ nirgends ihrere Säfter/ und Geistern Kreißbewegung ungehinderet außüben/ als in den eißkalten Polarischen Wasseren/ inwelche sie der allweise Schöpfer gesetzet hat.“77 In wärmeren Gewässern hingegen war seiner Ansicht nach lediglich eine dünne Luft enthalten, „welche nicht genugsam ist/ die grosse Machine ihrer Leiberen in erforderlicher Ausdehn- und bewegung zu erhalten.“78 In diese mechanistische Logik reihen sich schliesslich auch Scheuchzers Empfehlungen gegen das Heimweh ein: Die Heimreise und die Verlagerung der Patienten auf Hügel und Türme, sowie der Aufenthalt in warmen Gemächern, möglichst mit einem brennenden Feuer, dienten dazu, den äusseren Druck aufzuheben bzw. zu verringern. Die Arzneien hingegen sollten von Innen her den Luftdruck in den Gefässen erhöhen. Daher verschrieb Scheuchzer Mittel, die seiner Meinung nach eine zusammengepresste Luft enthielten, wie Salpeter oder Schiesspulver, und gärende Getränke, in denen angeblich die Luft den Gärungsprozess antrieb und damit den inhärenten Druck erhöhte.79 Neben den hier dargelegten physikalischen Grundsätzen, die Scheuchzer seiner Heimweh-Theorie zugrunde legte, stellt sich jedoch auch die Frage, wie er über den menschlichen Körper dachte und was für Krankheitskonzepte hinter seinen Ausführungen über die physiologischen Prozesse bei den Heimwehkranken standen.

Medizinische Konzepte bei Scheuchzer Während Hofer bei seiner Diagnose und Medikationsempfehlung in vielen Punkten theorietreu der galenischen Säfte- und Pneumalehre folgte, schrieb sich Scheuchzer mit seiner Luftdrucktheorie in den wesentlich jüngeren Diskurs der Iatromechaniker ein. Ende 16. und dann vor allem im 17. Jahrhundert entwickelt, war die Iatromechanik eine medizinische Theorie, die Krankheiten ausschliesslich als durch mechanische Einwirkungen entstandene Veränderungen der inneren physikalischen Struktur des Körpers und seiner äusseren Form 77 Scheuchzer, Von dem Heimwehe, 1705, S. 61 f. 78 Ebd., S. 62 f. 79 In Bezug auf den Salpeter ist darüber hinaus denkbar, dass Scheuchzer die Experimente John Mayows (1640/43 – 1679) bekannt waren, der in seiner Schrift „De respiratio“ (1668/74) auf der Basis von Tierversuchen vermutete, dass der tierische Organismus insbesondere salpetrige Anteile der Luft verbrauchte. Vgl. Eckart, Geschichte der Medizin, 2005, S. 131. Salpeter war zu Scheuchzers Zeit aber auch ein bei Ärzten allgemein beliebtes Mittel: Brunnert, Nostalgie in der Geschichte der Medizin, 1984, S. 282 f.

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erklärte.80 Ihre Vordenker, darunter Daniel Sennert, Sebastiano Basso, Pierre Gassendi und – unter Vorbehalten – Ren¦ Descartes, bezogen sich dabei auf den antiken Atomismus und verbanden die neuen Erkenntnisse der Naturphilosophie, insbesondere der Physik und Mathematik, mit der Annahme eines aus kleinsten Korpuskeln bestehenden Universums. Auf diesen Grundlagen konnten nach Auffassung der Neoatomisten alle Phänomene der belebten und unbelebten Welt berechnet und erklärt werden. Vor diesem Hintergrund entwickelte Descartes seine Maschinentheorie des Lebendigen, der das iatromechanische Theoriegebäude zentrale Anregungen entnahm.81 Auf Descartes Lebensmechanik basierte die mechanistisch orientierte Pathophysiologie, die Krankheit als eine Störung in der Körpermechanik fasste. Dabei mass sie insbesondere dem Verhältnis zwischen den Blutteilchen und den Poren und Kanälen des Gefässsytems eine zentrale Bedeutung bei.82 Zu den wichtigsten Vertretern dieser cartesianisch inspirierten Pathophysiologie zählten Hermann Boerhaave in den Niederlanden und Friedrich Hoffmann in Halle, mit denen Scheuchzer in Korrespondenz stand.83 In Scheuchzers Ausführungen über die „äussersten Blut- und Spann-Aederlein“ der Schweizer Jünglinge, die durch den hohen äusseren Luftdruck zusammengedrückt würden und dadurch den gesamten Kreislauf beeinträchtigten, sind die hier skizzierten Ansätzen der iatromechanischen Medizin unschwer wiederzuerkennen. Es wäre jedoch falsch, Scheuchzer als reinen Iatromechaniker zu bezeichnen. So finden sich in seinen Schriften auch Anleihen aus der nachparacelsischen Iatrochemie und der Humoralpathologie.84 Urs-Peter Beerli schliesst aus seiner medizinhistorischen Untersuchung der Physica Sacra, dass sich Scheuchzers mechanistisches Verständnis primär auf den Bereich der Physiologie bezog, wohingegen er Krankheiten und ihre Entstehung mehrheit-

80 Ich stütze mich bei den folgenden Ausführungen über die Iatromechanik auf Eckart, Geschichte der Medizin, 2005, S. 142 – 147. 81 Eckart, Geschichte der Medizin, 2005, S. 143 – 144. 82 Ebd., S. 144 f. und 147 f. 83 Für eine Übersicht über Scheuchzers Publikationen, Handschriften und Korrespondenzen mit unzähligen Zeitgenossen siehe Rudolf Steiger : Verzeichnis des wissenschaftlichen Nachlasses von Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) (Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft Zürich 78). Zürich 1933. Michael Kempe ist ausserdem Scheuchzers intensivem Briefkontakt mit insgesamt 208 Ärzte nachgegangen – leider jedoch ohne dabei ausführlicher auf die medizinischen Inhalte einzugehen: Michael Kempe: Postalische Kommunikationen. Medizin in der Korrespondenz von Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733). In: Gesnerus 61 (2004), S. 177 – 197. 84 Z. B. enthält Scheuchzers „Pharmacia Contracta“ Rezepte aus der paracelsischen Medizin, die mit alchemistischen Zeichen und Symbolen versehen sind. Vgl. Jakob Büchi: Die wiederaufgefundene „Pharmacia Contracta“ des Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733). In: Gesnerus 39 (1982), S. 145 – 169.

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lich gemäss der Säftelehre erklärte und sich wiederholt auf Hippokrates bezog.85 Und in Bezug auf seine Heimwehtheorie verweisen sowohl Michael Kempe als auch Christian Schmid-Cadalbert auf die mittelalterlich-frühneuzeitliche Humoralpathologie und Robert Burtons Anatomy of Melancholy (1621) als mögliche Folien für den Ansatz, schlechte Luft als Krankheitsursache anzuführen.86 Diese medizinischen Hintergrundideen sind weiter oben mit Bezug auf Johannes Hofers erste Heimwehkonzeption bereits angesprochen worden. Im Falle Hofers ist ein Zusammenhang insofern naheliegend, als sein medizinisches Denken sehr stark an die Säftelehre angelehnt war und er explizit von etwas Melancholischem als Voraussetzung für das Heimweh sprach.87 Was nun Scheuchzers Theorie über die Heimweh-Krankheit betrifft, so kann meiner Meinung nach festgehalten werden, dass er sich mit seinem Luftdruckmodell gerade von jenen traditionellen Ansätzen absetzte und eine neue Deutung der Eigenschaften und Funktionen der Luft vornahm, die auf ganz anderen Prämissen basierte. Von der traditionellen Idee übernahm er höchstens den Grundgedanken der schlechten Luft als Krankheitsauslöserin, den er dann jedoch in ein neues Denksystem integrierte. Insofern erscheint Scheuchzers Erklärung für die Ursachen der „Schweitzer-Kranckheit“ eher als ein Bruch mit humoralpathologischen Ansätzen. In Bezug auf die konkreten physiologischen Vorgänge konzentrierte sich Scheuchzer bei seiner Krankheitsbeschreibung auf die Verengung der Gefässe und die damit verursachte Hemmung des Kreislaufes. Die genauen Zusammenhänge zwischen dem „Lauff des Geblüts und der Geister“ und den Krankheitssymptomen führte er nicht weiter aus, so dass über humoralpathologische Anklänge nur spekuliert werden kann.88 Die beschränkte Aussagekraft der Quelle lässt folglich keine eindeutige Verortung der medizinischen Konzepte in der Abhandlung Von dem Heimwehe zu. Wenn die Iatromechanik auch offensichtlich eine prominente Grundlage für Scheuchzers Erklärungsmodell bildete, so zeigen andere Texte aus seinen Werken, dass er auch in seinem medizinischen Denken eklektisch verfuhr. Insofern ist zu vermuten, dass er auch bei seiner Konzeption des Heimwehs auf Ansätze aus verschiedenen Denksystemen zurückgriff. 85 Vgl. Urs-Peter Beerli: Medizinisches in Scheuchzers Physica sacra oder Kupferbibel (Zürcher medizingeschichtliche Abhandlungen 143). Zürich 1980, S. 84 f. 86 Kempe, Wissenschaft, Theologie, Aufklärung, 2003, S. 295 f. Schmid-Cadalbert: Heimweh oder Heimmacht, 1993, S. 78 – 88. 87 Brunnert, Nostalgie in der Geschichte der Medizin, 1984, S. 111 f. 88 Unter Miteinbezug seiner Ausführungen in der dreissig Jahre später erschienenen Physica Sacra ist nicht auszuschliessen, dass Scheuchzer eine zunehmende Viskosität des Blutes im Sinne der Säftelehre als Auslöser der Gemütsbewegungen der Heimwehkranken verstand. Vgl. Beerli, Medizinisches in Scheuchzers Physica sacra oder Kupferbibel, 1980, S. 24 – 33.

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Anthropologie und Apologie der Alpenbewohner Einen dritten wichtigen Kontext für Scheuchzers Abhandlung über das Heimweh bildeten schliesslich seine Bestrebungen zur Rehabilitierung der Reputation der Alpen und der Alpenbewohner.89 Im 17. Jahrhundert war das Bild der Alpen tendenziell negativ konnotiert. Sie wurden mit Gefahren und Beschwerlichkeiten für die Reisenden verbunden und galten als Lebensraum von Drachen, Lindwürmern und allerlei weiteren Ungeheuern.90 Dazu kam die straftheologische Deutung der Berge im Zusammenhang mit der Sintflut. So interpretierte z. B. der englische Theologe Thomas Burnet in seiner kontrovers diskutierten Sacred Theory of the Earth (1681) die Berge als chaotische Überreste der Sintflut und Mahnmale für die Strafe Gottes. Wie Kempe in seiner eingehenden Analyse aufzeigt, zeichnete Scheuchzer in expliziter Abgrenzung von Burnet ein äusserst positives Bild der Alpen, indem er ihre Nützlichkeit innerhalb der Schöpfung erörterte und als Beweis für die Perfektion und Güte ihres Schöpfers darstellte. Sogar den Luftdruck und das Heimweh integrierte er in seine physikotheologische Argumentation für die göttliche Providenz: „Ich kan mir aber nicht einbilden/ und wil es auch nicht die Erfahrung/ daß die zu des Menschen Nuz geordnete Gebirge solten von dem Schöpfer so hoch aufgeführet worden sein/ daß die darauf steigende Menschen oder Thiere solten von erweiterung der inneren Luft eine Ruptur oder Zerspringung ihrer Aderen austehen/ und damit in Lebensgefahr lauffen. Und mag auch diß ein Beweißthum der allgütigen Weißheit GOTTES sein/ das unter allen Europäischen Nationen die einige Schweitzerische von abänderung ihrer Luft ungelegenheit bekomme/ und zwahren eine solche/ welche theils durch ordentliches komliches Leben/ theils durch Artzneyen/ theils durch gemächliche Angewehnung wol zu überwinden ist/ und nicht alle Landsleute betrifft.“91

Neben den Bergen hatten zu Scheuchzers Zeiten auch die Schweizer einen zweifelhaften Ruf. So ist in seiner Abhandlung von 1707 zu lesen: „Unsrer Schweitzerischen Nation gehet es noch schlimmer [als den Deutschen], und würden viele kein groß Bedencken tragen, uns den Thieren zuzrechnen.“92 In den Nachbarländern galten Stumpfheit, Triebhaftigkeit und Gleichgültigkeit als 89 Scheuchzers Bedeutung für den Alpendiskurs kann hier nur angedeutet werden. Für eine eingehende Darstellung vgl. die Dissertation von Kempe sowie die Aufsätze im Sammelband: Simona Boscani Leoni (Hg.): Wissenschaft – Berge – Ideologien. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung. Basel 2010. 90 Trotz seiner Bemühungen zur Naturfurchtbekämpfung ist auch Scheuchzers Naturgeschichte nicht frei von Bildern und Berichten über den „Draco Helveticus“. Vgl. Kempe, Wissenschaft, Theologie, Aufklärung, 2003, S. 273 f. 91 Scheuchzer, Helvetiae stoicheiographia, orographia, et oreographia, 1716, S. 13 f. 92 Johann Jakob Scheuchzer : Von der Schweitzer Leibs- und Gemüths-Beschaffenheit/ LebensArt/ Sitten/ c. In: ders., Natur-Geschichte des Schweitzerlandes 1, 1746, S. 465 – 482, hier S. 470 f.

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typische Merkmale des schweizerischen Nationalcharakters.93 Solchen Zuschreibungen widersprach Scheuchzer vehement und verteidigte die Lebensweise der Alpenbewohner als ursprüngliche Form in der Art der „ersten Menschen“: „Wenn uns Schweitzern ein Zuname, hergenommen von der Lebensart, sol zugeleget werden, so gebühret uns mit bestem Recht der Titul […] der Milch-Esser, an statt jenes verächtlichen der Kühmelcker, welchen der Haß benachbarter Deutschen uns zusetzet; denn wir uns, sonderlich in bergichten Landen, meistens der Milch, und daher gemachter Speisen, behelffen, und also annoch die einfältige Lebensart der ersten Menschen zeigen können, von denen Ovidus Fastor. Lib. 4. v. 36. sagt: Lacte mero veteres usi memorantur, & Herbis Sponte sua si quas Terra ferebat, ait.“94

Scheuchzer plante ausserdem eine umfangreichere Anthropologie der Alpenbewohner und leistete auf seinen Forschungsreisen zahlreiche Vorarbeiten.95 Damit wurde er zu einem Förderer der Aufmerksamkeit auf das eigene Land. Während andere Forscher seiner Zeit Entdeckungsreisen in ferne Kontinente unternahmen, arbeitete Scheuchzer an der Entdeckung des Lokalen und fand in den Alpenbewohnern die „edlen Wilden“ Europas, die anschliessend mit Albrecht von Haller, Johann Jakob Bodmer und Jean-Jacques Rousseau zu Projektionsfiguren für aufklärerische Ideale werden sollten.96 Den zeitgenössischen anthropologischen Theorien folgend, erklärte Scheuchzer die Unterschiede zwischen den Völkern mit den geoklimatischen Bedingungen der Lebensräume. Im Fall der Schweizer sah er in der „leichten“ bzw. dünnen Luft und dem Verzehr von Milchspeisen die Gründe für eine gute Gesundheit und einen besonders kräftigen und robusten Körperbau. Gleichzeitig schrieb er ihnen auch eine ausgeprägte Freiheitsliebe und demokratische Einstellung zu. So erklärte er die Demokratie der Landgemeindekantone zur „natürlichen“ Staatsform der Alpen und der Schweiz – und schrieb die Lebensform der Schweizer damit gleichzeitig in den internationalen antiabsolutistischen und antihöfischen Diskurs ein.97 Die Einfachheit, Armut und Freiheit der Alpenbewohner standen dem Luxus und der Unterdrückung der absolutistischen Herrscher in den Nachbarländern gegenüber. Dass nun ausgerechnet „die Schweitzerische, sonsten so freye, starcke 93 Kempe, Wissenschaft, Theologie, Aufklärung, 2003, S. 291 f. 94 Scheuchzer, Von der Schweitzer Leibs- und Gemüths-Beschaffenheit, 1746, S. 472 f. 95 Es blieb jedoch bei diesen Vorarbeiten; vgl. das Kapitel Der homo alpinus in Kempe, Wissenschaft, Theologie, Aufklärung, 2003, S. 275 – 311. 96 Ebd., S. 291 f. 97 Vgl. dazu Kempes Ausführungen über Naturrecht, Politik und Widerstand und Die Alpen als idealer Naturraum der Demokratie (Kempe, Wissenschaft, Theologie, Aufklärung, 2003, S. 301 – 311) sowie Thomas Maissen: Die Bedeutung der Alpen für die Schweizergeschichte von Albrecht von Bonstetten (ca. 1442/43 – 1504/05) bis Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733). In: Boscani Leoni, Wissenschaft – Berge – Ideologien, 2010, S.161 – 178, hier S. 177.

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und tapfere Nation, sich von einer solchen Kranckheit [Heimweh] überwinden und unterjochen lasse, welche dem ersten Ansehen nach die Italiener, Franzosen und andere Völcker unter ihre Herrschaft bringen solte“98, stellte eine Ungereimtheit dar, die Scheuchzer mit den Auswirkungen der geoklimatischen Verhältnisse auf die Physiologie begründete. Damit rückte Scheuchzer den Charakter und die Moral der Schweizer ganz aus dem Fokus seiner HeimwehTheorie, womit er einen allfälligen Verdacht auf eine bei den Schweizer Jünglingen allgemein verbreitete „Mutter-Sucht“ oder sogar Feigheit ausschliessen und seine positive Darstellung der „Milch-Esser“ aufrecht erhalten konnte. Und nicht zuletzt brachte er mit dem Argument der gesunden, leichten Luft die Idee der Berge als Ort der Kur und Heilung in den Alpendiskurs ein.

Résumé Der Ende des 17. Jahrhunderts einsetzende Prozess der Verwissenschaftlichung des Heimwehs ist sowohl mit der europäischen Medizin- als auch mit der Militärgeschichte eng verwoben. Die weit verbreitete Auffassung, die Schweizer seien besonders anfällig für die Heimwehkrankheit, ist in einem direkten Zusammenhang mit dem Soldwesen und den harschen Bedingungen für die Söldner infolge der militärischen Reformen der französischen Krone zu verstehen. Johann Jakob Scheuchzers Abhandlung Von dem Heimwehe und Johannes Hofers Dissertation standen am Anfang der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und gaben wesentliche Impulse zur Popularisierung der Begriffe „Heimweh“ bzw. „Nostalgie“, unter denen sie eine ganze Palette an Symptomen und Krankheitsbildern vereinten. Damit konnte das Heimweh als eine weit verbreitete und gefährliche Krankheit konzipiert werden. Scheuchzers Luftdrucktheorie, mit der er in Abgrenzung zu Hofers psychologischem ein physikalisches Erklärungsmodell für das Heimweh entwickelte, ist dabei auch, aber nicht nur als patriotischer Akt der Verteidigung des Vaterlands zu verstehen. In Scheuchzers Ansatz äussert sich eine von Hofer grundlegend verschiedene, mechanistische Auffassung des menschlichen (und tierischen) Organismus. Durch den Einbezug weiterer Quellen konnte aufgezeigt werden, in welchem Bezug seine Heimweh-Theorie zu den Forschungsreisen und der intensiven Beschäftigung mit den Methoden der Höhenmessung stand. Neben diesem wissenschaftspraktischen Kontext stellte sich jedoch auch die Frage nach den wissenschaftlichen und weltanschaulichen Bezugsrahmen, also den Wissensbeständen und Denktraditionen, auf die Scheuchzer in seinen Ausführungen zurückgriff. Hier erwies sich ein Blick auf seine Prämissen über die Eigen98 Scheuchzer, Von dem Heimwehe, 1706, S. 57 f.

Heimweh – eine Frage des Luftdrucks?

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schaften der Luft, wie er sie in der Physica von 1701 formulierte, als aufschlussreich. Sie bildeten die Grundlagen seiner iatromechanisch geprägten Interpretation der Heimweh-Krankheit. In Bezug auf die medizinischen Konzepte muss allerdings festgehalten werden, dass in Anbetracht der Uneindeutigkeit des Quellentextes und des ausgeprägten Eklektizismus in Scheuchzers Werk offen bleibt, wie er die konkreten physiologischen Mechanismen deutete, die hinter der leidvollen Sehnsucht nach der Heimat standen. Schliesslich bildeten der zeitgenössische Alpendiskurs und die dazugehörigen anthropologischen Konzepte über die Alpenbewohner einen zentralen Rahmen für seine Heimweh-Theorie. Scheuchzers Umdeutung von Hofers erstem Erklärungsansatz kann damit als Ausdruck seiner Forschungspraxis und cartesianisch inspirierten Sicht auf die Natur, sowie als Integrationsleistung in sein physikotheologisches Programm der Rehabilitierung der Bergwelt gelesen werden. In Scheuchzers Abhandlung Von dem Heimwehe spiegeln sich die Bilder der Alpenbewohner und der Berge, die er in seinen Werken massgeblich prägte und die den Ausgangspunkt für die Alpenbegeisterung der Romantiker im 18. und 19. Jahrhundert bilden sollten. Sein physikalisch-physiologischer Erklärungsansatz wurde von anderen Medizinern zwar zunehmend abgelehnt und in zahlreichen, auch empirisch gestützten Abhandlungen widerlegt. Seine Publikation wurde – nicht zuletzt durch den Eintrag in Zedlers Universallexikon – dennoch zu einem bedeutenden Referenztext und trug dazu bei, dass Heimweh und Nostalgie zu Begriffen wurden, die in den folgenden Jahrhunderten die Gelehrten aus der Medizin und Philosophie ebenso wie aus den Künsten beschäftigten und inspirierten.

“Epistemische Genres”: Populäre und gelehrte Wissensformate – “Epistemic genres”: Popular and learned forms of knowledge

Gianna Pomata

The Recipe and the Case. Epistemic Genres and the Dynamics of Cognitive Practices

Epistemic Genres: Tools for the Cultural History of Knowledge Possibly as old as literacy itself, genres are essential tools of literary practices, of reading and writing alike.1 Etic categories, employed by literary critics and historians, genres are also, even more fundamentally, emic categories, used by readers and writers themselves.2 And this double nature, at the same time etic and emic, is probably key to their vitality. But what is a genre? The best definition I know comes from a little gem of a book, with the unlikely title Graphs, Maps, Trees, by literary historian Franco Moretti: “morphological arrangements that last in time, but always only for some time, Janus-like creatures, with one face turned to history and the other to form”, genres are the protagonists of that layer of cultural history “where flow and form meet”.3 A meeting point of history and morphology, change and stability, variation and repetition, genres have to do with the way we deal with our cultural heritage – in other words, the way we interact with tradition. In fact, the core definition of “genre” has shifted recently from a type of text to a form of action. From Bakhtin to Bazerman, genre theory has reached a consensus around a social interactive view of genres as “operationalized social action”, used by people to represent the world and to act on it.4 How do we learn to recognize a genre? Usually, we think, by means of what the 1 Genres are part of the conceptual framework of text analysis at least since Aristotle. See his description of the specific traits of tragedy, comedy, epic poetry, and history in Poetics (iv. 13–ix. 8; xxiv. 1–xxvi. 16). 2 Thomas N. Headland, Kenneth L. Pike, Marvin Harris (eds.): Emics and Etics. The Insider/ Outsider Debate. New York 1990. 3 Franco Moretti: Graphs, Maps, Trees. Abstract Models for Literary History. London, New York 2007, p. 14 (emphasis in the text). 4 Mikhail Bakhtin: The Problem of Speech Genres. In: id.: Speech Genres, and Other Late Essays, ed. by Caryl Emerson and Michael Holquist. Austin 1986, pp. 60 – 102; Charles Bazerman: Systems of Genres and the Enactment of Social Intentions. In: Aviva Freedman, Peter Medway (eds.): Genre and the New Rhetoric. London 1994, pp. 79 – 101; Carolyn R. Miller : Genre as social action. In: Quarterly Journal of Speech 70 (1984), pp. 151 – 167.

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great evolutionary biologist Ernst Mayr called “typological thinking”: that is, we choose an exemplar, or “representative individual”, and through it define the genre as a whole: Conan Doyle’s Sherlock Holmes, say, and detective fiction; Euclid’s Elements and the mathematical treatise. Moretti suggests, however, that genre is better visualized as a tree: a dynamic “diversity spectrum” whose internal multiplicity no individual text will ever be able to represent.5 Moretti’s tree metaphor invites us to think of genres as intrinsically temporal structures. It has the additional advantage, to my mind, of providing a non-essentialist definition of genre, which I will adopt for the purposes of this essay. Despite deconstructionist attack on genres as a modern conceptual tool to be discarded in this post-modern age,6 genre studies are flourishing today well beyond the borders of literature. One hears of “speech genres”, “text genres”, “discursive genres”; and lately the concept of genre has been extended very fruitfully to media research in general.7 So next to classic studies of the novel, the short story, the fable, the folktale, we now have works on media genres (editorials, news, telemarketing, the talk show, cartoons, opinion articles);8 genres from daily life (the song, the joke, the culinary recipe); digital genres (e-mails, blogs, homepages, and that fascinating newcomer, the wiki, that is, collaborative web-based writing, developed with the goal of encouraging democratic use of the Web).9 5 Moretti, Graphs, 2007, p. 76. Moretti borrows these concepts from Ernst Mayr ; he adopts in particular Mayr’s distinction between “typological thinking” and “population thinking”, for which see Ernst Mayr : Darwin and the Evolutionary Theory in Biology. In: Betty J. Meggers (ed.): Evolution and Anthropology. A Centennial Appraisal. Washington DC 1959, pp. 1 – 10; Carl Chung: On the Origin of the Typological/Population Distinction in Ernst Mayr’s Changing Views of Species, 1942 – 1959. In: Studies in History and Philosophy of Science. Part C: Studies in History and Philosophy of Biological and Biomedical Sciences 34 (2003), pp. 277 – 296. 6 The target of post-modernist critique is “the essentialist notion of genre”. Starting point of this critique was Jacques Derrida: The Law of Genre. In: Critical Inquiry 7 (1980), pp. 55 – 81. 7 Basic reference works on genre include: Tzvetan Todorov : Genres in Discourse. Cambridge 1990; Alastair Fowler : The Formation of Genres from the Renaissance and After. In: New Literary History 34 (2003), pp. 185 – 200; Jean-Marie Schaeffer : Qu’est ce qu’un genre litt¦raire? Paris 1989; Vijay K. Bhatia: Worlds of Written Discourse. A Genre-Based View. London 2004. On the extension of the notion of genre to media research, see Guenther Kress: Literacy in the New Media Age. London 2003. 8 Antonia D. Araffljo: Mapping Genre Research in Brazil. An Exploratory Study. In: Charles Bazerman et al. (eds.): Traditions of Writing Research. London 2010, pp. 44 – 57, at pp. 47, 50. 9 See Andrew Dillon, Barbara A. Gushrowski: Genres and the Web. Is the Personal Home Page the First Uniquely Digital Genre? In: Journal of the American Society for Information Science 51 (2000), pp. 202 – 205; Carolyn R. Miller, Dawn Shepherd: Blogging as Social Action. A Genre Analysis of the Weblog. In: Laura J. Gurak et al. (eds.): Into the Blogosphere. Rhetoric, Community and the Culture of Weblogs, , [3 Jun 2013]. On the wiki, see Anja Ebersbach, Markus Glaser, Richard Heigl: Wiki. Web Collaboration. Berlin 2006, pp. 9 – 32.

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Given this situation, it is surprising that we don’t have a standard name to indicate that class of genres which develop in tandem with scientific practices, broadly meant. Take, for example, the treatise, the lecture, the commentary, the encyclopedia, the textbook; but also, less obviously, the aphorism, the dialogue, the essay, the medical recipe, the case history. These are all kinds of texts that are directly related with the making and the transmission of knowledge. But we don’t have a general name for these texts – a name to denote those genres that are deliberately cognitive in purpose. And yet, to some extent, the history of such genres already exists: we have, for instance, studies on the history of the experimental article, the textbook, the commentary, the encyclopedia, the atlas, the medical recipe, the essay, the letter as a form of scientific communication and exchange, etc.10 I propose to call this kind of genres epistemic, in order to distinguish them in the infinite ocean of texts. Of course it has long been recognized that scientific works, in so far as they are

10 On the experimental article: Charles Bazerman: Shaping Written Knowledge. The Genre and Activity of the Experimental Article in Science. Madison WI 1988. On the textbook: Emidio Campi et al. (eds.): Scholarly Knowledge. Textbooks in Early Modern Europe. Geneva 2008. On the commentary : Marie-Oudile Guilet-Caz¦ (ed.): Le commentaire entre tradition et innovation. Paris 2000; Gianfranco Fioravanti, Claudio Leonardi, Stefano Perfetti (eds.): Il commento filosofico nell’Occidente latino. Turnhout 2002; Rebecca Flemming: Art. Commentary. In: Robert J. Hankinson (ed.): The Cambridge Companion to Galen. Cambridge 2008, pp. 323 – 354. On the encyclopedia: Andrew Brown: A Brief History of Encyclopedias. From Pliny to Wikipedia. London 2011; Georg Lehner : China in European Encyclopedias, 1700 – 1850. Leiden 2011, pp. 39 – 49 (history of encyclopedias in cross-cultural perspective). On the atlas: Lorraine Daston, Peter Galison: Objectivity. New York 2007. On the medical recipe: Dietlinde Goltz: Studien zur altorientalischen und griechischen Heilkunde. Therapie – Arzneibereitung – Rezeptstruktur (Sudhoffs Archiv. Beiheft 16). Wiesbaden 1974, pp. 14 – 24, 96 – 196, 247 – 50, 303 – 322; Laurence M. V. Totelin: Hippocratic Recipes. Oral and Written Transmission of Pharmacological Knowledge in Fifth- and Fourth-Century Greece. Leiden 2009; Elaine Leong: Making Medicines in the Early Modern Household. In: Bulletin of the History of Medicine 82 (2008), pp. 145 – 168. On the essay : Scott Black: Boyle’s Essay. Genre and the Making of Early Modern Knowledge. In: Pamela H. Smith, Benjamin Schmidt (eds.): Making Knowledge in Early Modern Europe. Chicago 2007, pp. 178 – 195. On the letter : David R. Langslow: The Epistula in Ancient Scientific and Technical Literature, with Special Reference to Medicine. In: Ruth Morello, Andrew D. Morrison (eds.): Ancient Letters. Classical and Late Antique Epistolography. Oxford 2007, pp. 211 – 234; Candice Delisle: Accessing Nature, Circulating Knowledge. Conrad Gessner’s Correspondence Networks and his Medical and Naturalist Practices. In: History of Universities 23 (2008), pp. 35 – 58; Adam Mosley : Tycho Brahe’s Epistolae astronomicae. In: Toon Van Houdt et al. (eds.): Self-Presentation and Social Identification. The Rhetoric and Pragmatics of Letter Writing in Early Modern Times. Leuven 2002, pp. 449 – 468; Francisco Bethencourt, Florike Egmond (eds.): Correspondence and Cultural Exchange in Europe, 1400 – 1700 (Cultural Exchange in Early Modern Europe. Vol. 3). Cambridge 2007; Ian Maclean: The Medical Republic of Letters Before the Thirty Years War. In: Intellectual History Review 18 (2008), pp. 15 – 30; and Nancy G. Siraisi: Communities of Learned Experience. Epistolary Medicine in the Renaissance. Baltimore 2013.

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texts, come in genres. But we have called them literary genres,11 and we have thought of them as something that has to do with the literary container of the text, but that is not directly relevant to (or might even be at odds with) its scientific content. It seems to me, however, that by calling this kind of genres “literary” we miss their distinctive and specific quality. We miss the fact that they are the vehicle of a cognitive project, and that they are shaped by it. That’s why we should call them epistemic, not literary. I suggest that historians of knowledge should recognize that genres are just as important to science as they are to literature, though they have not featured as prominently in the history of science as they have in literary history.12 Historians of science should distinguish these genres in the mare magnum of texts as that specific kind of genres whose function is fundamentally cognitive, not just aesthetic or expressive – that specific kind of genres geared to grasping and communicating a content that is primarily cognitive in character. Among the benefits that a focus on epistemic genres may bring to the cultural (and cross-cultural) history of knowledge, is a new perspective from which to examine the issue of inertia versus innovation – a key issue in the history of scientific traditions. Like literary genres, epistemic genres are appropriated and constantly transformed by its users. A playwright may choose to compose a tragedy or a comedy, just as a scholar may elect to write a monograph or an essay – or they may try to create a new form, for instance by hybridization of old genres.13 But though constantly subjected to the erosion of myriad individual acts of revision, adaptation, and transformation, genres tend to be fairly stable structures, and indeed in some cases exhibit remarkable durability over time. This also applies to epistemic genres. There are of course epistemic genres that have proved to have a limited shelf life. The Scholastic quaestiones disputatae and questiones quodlibetales,14 for instance, did not survive long beyond me11 “Literary forms” is the term used for instance by William Eamon: How to Read a Book of Secrets. In: Elaine Leong, Alisha Rankin (eds.): Secrets and Knowledge in Medicine and Science, 1500 – 1800. Farnham 2011, p. 42; in the same book, Leong and Rankin speak of “textual genres” (Introduction, p. 16). Useful reflections on the study of the cognitive aspects of medical genres (though she does not call them “epistemic”) in Totelin, Hippocratic Recipes, 2009, pp. 47 – 49; see also the considerations of Marilyn Nicoud: Les r¦gimes de sant¦ au moyen –ge. Naissance et diffusion d’une ¦criture m¦dicale (XIIIe – XVe siÀcle). Vol. 1. Rome 2007, pp. 27 f. 12 There are exceptions. German scholarship has paid significant attention to the role of genre in ancient and medieval sciences: see for instance Wolfgang Kullmann, Jochen Althoff, Markus Asper (eds.): Gattungen wissenschaftlicher Literatur in der Antike. Tübingen 1998; Gundolf Keil et al. (eds.): Fachprosa-Studien. Beiträge zur mittelalterlichen Wissenschaftsund Geistesgeschichte. Berlin 1982. 13 See David Fishelov : Birth of a Genre. In: European Journal of English Studies 3 (1999), pp. 51 – 65 on the role of translation, parody and adaptation in the evolution of genres. 14 For a description of this genre see Bernardo C. Baz—n et al.: Les questions disput¦es et les

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dieval university classrooms. But there are also epistemic genres of astonishing longevity, such as the aphorism, the commentary, the recipe, to name just a few, whose vigorous life stretched from Antiquity to the early modern period, and beyond. Genre theorists have especially stressed the normalizing function of genres, that is, the way they contribute to “the stabilization and (re)production of social institutions and communities”15. Their normalizing power and their role in reproducing the material practices of institutions give genres a formidable conservative force and stability. And then the question rises: how can the normalcy of established genres be challenged or “cracked”? Cultural history is profoundly path-dependent: a direction, once taken, can seldom be reversed.16 But people sometimes take “perfectly reasonable deviations from the beaten track”, to say it with physicist Richard Feynman.17 For instance, they may connect two separate tracks, leading to the creation of a new, hybrid genre. A case in point is what I will describe in this paper – the development of a new medical genre, the case narrative, out of the hybridization of older genres, the recipe and the commentary, a process that involved also the intersection of popular and scholarly forms of knowledge. I have studied the rise of a new epistemic genre, the observationes (collections of medical case narratives), which originated in Europe in the second half of the sixteenth century, grew rapidly over the course of the seventeenth, and became a primary form of medical writing by the eighteenth century.18 The observationes were definitely a learned form, written in Latin by physicians and literati surgeons, and partly related, as we shall see, to a very highbrow medical/philosophical genre, the commentary. Their story, however, is fundamentally linked with that of another genre, the recipe, which, in contrast, had deep roots in artisanal culture.

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questions quodlib¦tiques dans les facult¦s de Th¦ologie, de Droit et de M¦decine. Turnhout 1985. Charles Bazerman, Paul Prior : Genre, Disciplinarity, Interdisciplinarity. In: Richard Beach et al. (eds.): Multidisciplinary Perspectives on Literacy Research. Cresskill NJ 22005, pp. 133 – 178, at p. 138. See also Anthony Par¦: Texts and Power, Toward a Critical Theory of Language. In: Linda Davies, Peter Leonard (eds.): Social Work in a Corporate Era. Practices of Power and Resistance. Hants UK 2005, pp. 76 – 90. Moretti, Graphs, 2007, p. 81. Richard P. Feynman: Perfectly Reasonable Deviations from the Beaten Track. The Letters of Richard P. Feynman, ed. and intr. by Michelle Feynman. New York 2005. Delightful book, highly recommended to all self-respecting readers. See Gianna Pomata: Sharing Cases. The Observationes in Early Modern Medicine. In: Early Science and Medicine 15 (2010), pp. 193 – 236; ead.: Observation Rising. Birth of an Epistemic Genre, ca. 1500 – 1650. In: Lorraine Daston, Elizabeth Lunbeck (eds.): Histories of Scientific Observation. Chicago 2011, pp. 45 – 80.

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The Recipe: A Basic Epistemic Genre If one were to do for epistemic genres what Andr¦ Jolles did for literary genres, that is, identifying the most basic kinds among them, the recipe would surely be on the list.19 Medical, alchemical, technical, etc., the recipe is a primary epistemic genre. It is also a genre of extraordinary longevity, spanning millennia of history, from remote antiquity to the modern period, while also exhibiting an astonishing stability of structure. Recipes are among the most ancient forms of texts used to record knowledge, as has been shown by the pioneering study of Dietlinde Goltz, who compared the structure of the recipe in ancient Greek, Babylonian and Egyptian medical cultures.20 The Chinese texts of the fang genre (fang = formula, prescription, recipe) also go back to antiquity and include some of the earliest classics of Chinese medicine.21 In China, the genre existed and developed over millennia of history. The same is true for India: many recipes are included in the early classics of Ayurvedic medicine, the compendia of Caraka and Susruta (1st century CE), and some formulas from medieval texts are still used in present-day Ayurvedic pharmaceutical industry.22 Beyond all doubt, the recipe – often in the aggregated form of the recipe collection – is a genre that can be found in many cultures all over the world, so that it is an ideal candidate for the comparative and cross-cultural study of knowledge-making and knowledgetransmitting practices.23 Recent studies on the transfer of medical knowledge 19 Andr¦ Jolles: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz. Halle (Saale) 1930. There is, unfortunately, no English translation of this classic text. On the significance of the recipe in the transition from oral to written culture see Jack Goody : The Domestication of the Savage Mind. Cambridge 1977, pp. 129 – 145 and Totelin, Hippocratic Recipes, 2009, pp. 39 – 46. See also Joachim Telle: Das Rezept als literarische Form. Zum multifunktionalen Gebrauch des Rezepts in der deutschen Literatur. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 26 (2003), pp. 251 – 274, which examines the recipe’s multi-functionality in the German literature of medieval and early modern times. 20 See Dietlinde Goltz: Studien zur altorientalischen und griechischen Heilkunde. Therapie – Arzneibereitung – Rezeptstruktur. Wiesbaden 1974, pp. 14 – 24, 96 – 196, 247 – 250, 303 – 322. One of the earliest medical texts in the Western tradition, the Egyptian Ebers Papyrus (circa 1550 B. C.) contains a collection of recipes for treating various eye, skin and internal ailments. See Reinhold Scholl: Der Papyrus Ebers. Die grösste Buchrolle zur Heilkunde Altägyptens. Leipzig 2002. 21 Asaf Goldschmidt: The Evolution of Chinese Medicine. Song Dynasty, 960 – 1200. London 2009, pp. 105 f.; see also Paul U. Unschuld: Medicine in China. A History of Pharmaceutics. Berkeley 1986; Franz Hübotter: Chinesisch-tibetanische Pharmakologie und Rezeptur. Ulm 1957. ¯ yurveda. Selections from Sanskrit Medical Writings. 22 Dominik Wujastyk (ed.): The Roots of A New Delhi 1998, Introduction, p. XXVII, pp. 255 f. For examples of recipes, see pp. 157 – 159. 23 For interesting recent work on this topic, in particular on the recipe form as a medium for global trade, see Carla Nappi: Bolatu’s Pharmacy. Theriac in Early Modern China. In: Early Science and Medicine 14 (2009), pp. 737 – 764; see also Chen Ming: The Transmission of Foreign Medicine via the Silk Roads in Medieval China. A Case Study of Haiyao Bencao. In:

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from East to West, and vice versa, have emphasized that the recipe form was a major mode of cultural exchange, functioning as a space for translation, the site of “conversation among elements from multiple medical systems”24. That of course does not mean that the recipe should be seen as some kind of context-neutral vehicle for the transmission of pharmacological knowledge. In spite of the apparent simplicity of its basic structure – list of ingredients plus instructions for preparing and administering their compound – the recipe does reflect the cultural context in which it developed. A striking example comes from China: ingredients in pre-modern Chinese medical recipes were categorized according to bureaucratic rank, thus reflecting the hierarchy of the imperial court. Each ingredient was titled accordingly : the drug designated as Monarch (jun) was the one considered as the most effective in treating the principal symptom of the disease. The drug named Minister (chen) was supposed to aid the Monarch against the principal symptoms, but was also directed at the secondary symptoms. The Assistant (zuo) drug was meant to reinforce the action of Monarch and Minister medicines, while at the same time eliminating their toxic side effects. Finally, the Envoy (shi) was intended to facilitate and harmonize the action of the three primary ingredients.25 Understanding a Chinese recipe thus required some familiarity with the Chinese political system and the ladder of rank in the imperial court. As a cultural form, the recipe is rich in explicit (as in the Chinese case) or implicit assumptions derived from its context of origin. At the same time, its modular structure – namely, the fact that the recipe is typically organized in standardized parts or modules – allows for the intermingling of exotic and familiar elements, thus generating innovation.26 In medieval Mediterranean cultures, we find the recipe collection as a well established genre in several contexts – in Byzantine medicine, where it went under the name of iatrosophia; in the Latin West, where it was called experimenta; and in the Islamic countries, where it was labelled muyarrabat. The Byzantine iatrosophia (compendia containing recipes and various therapeutic advice) developed in medieval hospitals, where they served as handbooks for daily medical practice. Their earliest examples reach back to the tenth century CE; they became abundant from the fifteenth century onwards, surviving in

Asian Medicine 3 (2007), pp. 241 – 264; Leigh Chipman: Islamic Pharmacy in the Mamluk and Mongol Realms. Theory and Practice. In: ibid., pp. 265 – 278; Paul D. Buell: How Did Persian and Other Western Medical Knowledge Move East, and Chinese West? A Look at the Role of Rashid-al-Din and Others. In: ibid., p. 279 – 295. 24 Nappi, Bolatu’s Pharmacy, 2007, pp. 756, 761. 25 Goldschmidt, The Evolution of Chinese Medicine, 2009, pp. 105 f. 26 On modularity and innovation, see the fundamental work by Lothar Ledderose: Ten Thousand Things. Module and Mass Production in Chinese Art. Princeton 2000.

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some cases till the present day or very recent times.27 The evolution of the Western European experimenta and the Islamic muyarrabat from the high middle ages to the early modern period would be very interesting to trace in parallel: their similarity was already noted by George Sarton a long time ago, but it still awaits a comparative historical study.28 Remarkably, both experimenta29 and muyarrabat30 contained tested recipes – that is, recipes that were claimed to have been proved and found effective. Empirically tested knowledge: that is precisely what the word experimenta meant in medieval Latin and what muyarrabat meant in Arabic.31 Both genres contained and transmitted remedies 27 Alain Touwaide: Byzantine Hospital Manuals (iatrosophia) as a Source for the Study of Therapeutics. In: Barbara S. Bowers (ed.): The Medieval Hospital and Medical Practice. Aldershot 2007, pp. 147 – 174; Evangelia A. Varella: La th¦rapeutique byzantine dans le monde grec d’¦poque ottomane. In: Medicina nei Secoli. Arte e Scienza 11 (1999), pp. 577 – 584. After the end of the Byzantine Empire (1453), the tradition of the iatrosophia continued in Christian monasteries but also among the Greek-speaking population of the Ottoman Empire (Varella, pp. 579 – 583). In a survey of about 700 Greek medical manuscripts produced during the Ottoman era, 45 % of them turn out to belong to the iatrosophia category (Varella, p. 578). This tradition continued until recent times and even to the present day : see for instance Patricia A. Clark: Landscape, Memories, and Medicine. Traditional Healing in Amari, Crete. In: Journal of Modern Greek Studies 20 (2002), pp. 339 – 365 (on a iatrosophion from Crete written in 1930); see also Andreas Lardos: The Botanical Materia Medica of the Iatrosophikon. A Collection of Prescriptions from a Monastery in Cyprus. In: Journal of Ethnopharmacology 104 (2006), pp. 387 – 406. 28 George Sarton: Introduction to the History of Science. Vol. 2. Pt. 1. Washington 1931, p. 94. 29 On the experimenta, an important (and understudied) genre, see Jole Agrimi, Chiara Crisciani: Per una ricerca su experimentum – experimenta. Riflessione epistemologica e tradizione medica (secoli XIII – XV). In: Pietro Janni, Innocenzo Mazzini (ed.): Presenza del lessico greco e latino nelle lingue contemporanee. Macerata 1990, pp. 9 – 49. Lynn Thorndike: History of Magic and Experimental Science. Vol. 2. New York 1923, pp. 751 – 808; Katharine Park: Observation in the Margins, 500 – 1500. In: Lorraine Daston, Elizabeth Lunbeck (eds.): Histories of Scientific Observation. Chicago 2011, pp. 16 – 17, 36 – 37; Chiara Crisciani: Experientia e opus in medicina e alchimia. Forme e problemi di esperienza nel tardo medioevo. In: Quaestio 4 (2004), pp. 149 – 173. See also the contributions to the volume Thomas B¦natoul, Isabelle Draelants (eds.): Expertus sum. L’exp¦rience par les sens dans la philosophie naturelle m¦di¦vale. Florence 2011, especially Antonella Sannino: Guillaume d’Auvergne e i libri experimentorum. In: ibid., pp. 67 – 88; Jose Mart†nez G‚squez: Dicunt experimentatores / Dicunt qui experimento locuti sunt. L’exp¦rience dans les indications du Calendrier de Cordoue (10e siÀcle). In: ibid., pp. 239 – 256; John Tolan: Ratio et experientia dans la promotion de la science arabe dans le monde latin au 12e siÀcle. In: ibid., pp. 257 – 268. 30 On the muyarrabat see Cristina Ýlvarez Mill‚n: Introduction. In: Abu l-Ala Zuhr : Kitab alMuyarrabat (Libro de las Experiencias Medicas). Arabic text, Spanish translation and study by Cristina Ýlvarez Mill‚n. Madrid 1994, pp. 28 – 38 and Sami K. Hamarneh: Pharmacy and Pharmacology. In: id.: Health Sciences in Early Islam. Collected Papers, ed. by Munawar A. Anees. Vol. 1. Blanco TX 1983, p. 56. 31 On the medieval meaning of experimentum/experimenta see Agrimi, Crisciani, Per una ricerca su experimentum – experimenta, 1990, especially pp. 39 – 47; Michael McVaugh: Two Montpellier Recipe Collections. In: Manuscripta 20 (1976), pp. 175 – 180, at p. 178. On the

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that had been adopted and used by a healer in specific circumstances (sometimes with the indication of the individual patient for whom the recipe had been prescribed). In this respect, the emergence of experimenta and muyarrabat represents a fundamental turning point in the evolution of the recipe as an epistemic genre – the bifurcation of pharmacological knowledge into two distinct and separate forms, the recipe proper and the formula. What distinguishes recipe proper from formula? In a nutshell: the formula contains the established, standard way of preparing a medication, as prescribed by an authoritative text. The recipe proper, in contrast, is a prescription for an actual patient: it contains the record of a practitioner’s case centered on the description of the medication that he prescribed. Recipe and formula should not be confused, though we find them often mixed together in pharmacological literature. They have very distinctive features: the formula tends to be theoretical and universal, whereas the recipe tends to be individualized and practical. In other words, the formula belongs to the realm of rules, the recipe to the register of facts.32 The special significance of both experimenta and muyarrabat is that they introduced a way of selecting pharmacological information that signaled, already from the title, that the work contained something experimented – that is, recipes, not formulas. Significantly, in medieval Europe as in medieval Islam, recipes and formulas were collected in distinct and largely separate genres. In the Latin West, experimenta were differentiated from antidotaria (pharmacopoeias, formularies or dispensatories), the genre that contained the standardized for-

meaning of mujarrabat, see Cristina Ýlvarez Mill‚n: The Case History in Medieval Islamic Medical Literature. Tajarib and Mujarrabat as Source. In: Medical History 54 (2010), pp. 195 – 214. Ýlvarez Mill‚n notes that the expression “mujarrab” (“it is tested”) was also used at the end of magical formulas. This has led to confusion between the medical genre of mujarrabat and magical texts. Today the designation of mujarrabat is used as a label for the category of texts devoted to compiled medical experiences. See for instance the description of this kind of manuscripts held at the National Library of Medicine in Bethesda, Washington: http://www.nlm.nih.gov/hmd/arabic/ther11.html. Besides the mujarrabat, Ýlvarez Mill‚n describes in her article another genre of Arabic medical literature, the tajarib (= consultations), which also contained remedies or treatments presumably applied in real cases. 32 My usage of the terms recipe and formula differs from that adopted by other authors, for instance by Efraim Lev, Leigh Chipman: Medical Prescriptions in the Cambridge Genizah Collections. Practical Medicine and Pharmacology in Medieval Egypt (Cambridge Genizah Studies Series 4). Leiden 2012. Lev and Chipman distinguish between “recipe/formula” (what I call formula) and “prescription” (what I call recipe). They define the “recipe/formula” as generalized and theoretical suggestions for the treatment of a disease, to be found in medical books or pharmacopoeias; they use “prescription”, on the other hand, for the individualized form of recipe, containing specific instructions for the treatment of a particular patient (pp. 16, 155).

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mulas.33 Similarly, the Islamic muyarrabat were separated from the aqrabadhin, a pharmacological genre devoted to the systematic catalogation of formulas for compound medications.34 To further mark the distinction, it is interesting to note that antidotaria and aqrabadhin were organized by type of drug (electuaries, pills, collirions, etc.) while experimenta and muyarrabat were listed in contrast by body part, as in the textbooks of practical medicine – thus reflecting their intimate link with daily medical practice.35 One more thing should be noted of the distinction between recipe and formula – the different relationship each entertains with the authority of traditional or canonical knowledge. As lists of normative ways to prepare compound medications, formularies (whether antidotaria or aqrabadhin) were typically attributed to an important author. This was the case originally in the high middle ages. In later times, when they started to be promulgated by civic and state authorities, they would draw their authority directly from the law. Thus the formulary staked its claim to validity on the authority of a canonical author, or, even more cogently, the power of the legal system. The recipe collection, in contrast, derived its validity from practical experience. It did not claim to descend from a fundamental canon or classic source of knowledge. What it offered was the record of expertise accumulated over years of medical practice by one or several practitioners. Recipe collections were testaments to the clinical know-

33 On the development of antidotaria, see Alfonso Corradi: Le prime farmacopee italiane ed in particolare dei ricettari fiorentini. Milan 1887. 34 On the aqrabadhin, see Martin Levey : Early Arabic Pharmacology : An Introduction Based on Ancient and Medieval Sources. Leiden 1973, pp. 72 – 79; also Ýlvarez Mill‚n, Introduction to the Kitab al-Muyarrabat, 1994, p. 39. The Arabic term aqrabadhin derives from the Greek graphidion, a list or registry : see Sabur ibn Sahl: Dispensatorium Parvum (al-Aqra¯ba¯dhı¯n alsaghı¯r), analysed, ed. and annotated by Oliver Kahl. Leiden 2003, p. 3, n. 8. Aqrabadhin was translated into Latin as antidotarium: see for instance Mesue junior: Antidotarium sive Grabaddin medicaminum compositorum, transl. into Latin and publ. in Venice in 1471 (Corradi, Le prime farmacopee, 1887, p. 25; Levey, Early Arabic Pharmacology, 1973, pp. 72 f.). Several examples of aqrabadhin are available in English translation: see Martin Levey : The Medical Formulary or Aqrabadhin of al-Kindi. Madison 1966; Martin Levey, Noury al-Khaledy (transl.): The Medical Formulary of Al-Samarqandi. Philadelphia 1967; Sabur ibn Sahl, Dispensatorium parvum, 2003; Oliver Kahl: The Dispensatory of Ibn-atTilmid. Leiden 2007. 35 On the different organization of the two genres, see Ýlvarez Mill‚n, Introduction to the Kitab al-Muyarrabat, 1994, p. 39. An exception is Ibn Sina’s Canon, where we find both types of arrangement. Book 5 of the Canon, which is devoted to pharmacology, is organized in two sections, the first with compound drugs arranged by type, as in the aqrabadhin, and the second with the same drugs listed by the targeted body part, in head to toe order (Leigh Chipman: The World of Pharmacy and Pharmacists in Mamluk Cairo. Leiden 2010, p. 17; see also Lev, Chipman, Medical Prescriptions, 2012, pp. 11, 147). On Ibn Sina’s pharmacology, see Helena M. Paavilainen: Medieval Pharmacotherapy – Continuity and Change. Case Studies from Ibn Sina and some of his late medieval Commentators. Leiden 2010.

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ledge of experienced practitioners; they did not possess the social authority of a canon. The formulary, in contrast, can be seen as belonging to that class of genres whose archetype is the commentary – that is, those genres that are devoted to the exegesis, transmission and adaptation of a canonical text. The commentary is another fundamental epistemic genre – one that we find in the long duration of all those cultures in which some works (religious, philosophical, medical, astronomical, etc.) acquired canonical status.36 Studies of the origins of the commentary in European antiquity, for instance, have shown that it developed within a constellation of genres – lexica, paraphrases, scholia, etc. – whose purpose was to elucidate a high-status text.37 The recipe stands out in direct and marked contrast to the commentary, because it derives its validity not from a canonical text but from personal experience. Recipe and commentary are rooted respectively in two different modes of cognition: knowledge based on practice, in the case of the recipe, and knowledge based on textual interpretation, in the case of the commentary. The recipe is functional to the transmission of knowledge derived from personal practice; the commentary’s epistemic goal is to ensure the hermeneutics of a canonical text so that it can be used in varying circumstances. It is a fundamental difference, that has played a very important role in the dynamics of cognitive practices. The contrast between the recipe and the commentary is also one of social status. The commentary – together with the lecture, the treatise, etc. – belongs typically with those epistemic genres that are the product of elite forms of knowledge. The recipe – like the almanac, the farmer’s calendar, etc. – is often located, in contrast, at the crossroads of learned and popular cognitive practices. In European history, the location of the recipe at the interface of learned and popular culture, of oral and written traditions, goes back to the earliest examples of the genre in the ancient Greek medical texts. The majority of the recipes contained in the Hippocratic Corpus are to be found in the so-called gynecological treatises. A classicist, Aline Rousselle, has argued that the high number of recipes in these texts reflected a culture of home remedies, which the Hippocratic authors collected from women informers – female oral knowledge written down 36 On the commentary as a genre, see Marie-Oudile Guilet-Caz¦ (ed.): Le commentaire entre tradition et innovation. Paris 2000; Gianfranco Fioravanti, Claudio Leonardi, Stefano Perfetti (eds.): Il commento filosofico nell’Occidente latino. Turnhout 2002; Rebecca Flemming: Commentary. In: Robert J. Hankinson (ed.): The Cambridge Companion to Galen. Cambridge 2008, pp. 323 – 354. 37 Ineke Sluiter: The Dialectics of Genre. Some Aspects of Secondary Literature and Genre in Antiquity. In: Mary Depew, Dirk Obbink (eds.): Matrices of Genre. Cambridge MA 2000, pp. 183 – 203.

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by male doctors.38 This association of the recipe with popular culture – with women, empirics, artisans – persists all the way to the early modern period. Remarkably, early modern recipe collections are, with few exceptions, the only medical genre for which we find women authors.39 Alisha Rankin has uncovered vast archival evidence documenting the role of noblewomen as healers in some 16th-century German courts, and especially their active involvement and proficiency in experimental practices aimed at developing, collecting and testing recipes for medications.40 Renaissance collections of recipes, or “books of secrets”, as the genre was then called, often claimed to have learned such “secrets” even from illiterate women and peasants, alongside artisans and men of learning.41 Though “secrets” were avidly collected by scholars and literati, the most common compilers of Italian books of secrets were charlatans, jesters, and the so-called poligrafi, adventurers of the pen usually of middling social status.42 In pre-modern European cultures, most importantly, the recipe was a fundamental vehicle for the recording and transmission of artisanal and practical 38 See Aline Rousselle: Observation f¦minine et id¦ologie masculine. Le corps de la femme d’aprÀs les m¦decins grecs. In: Annales ESC 35 (1980), pp. 1089 – 1115. Other scholars have questioned this interpretation, pointing out that a good number of the Hippocratic recipes (about 45 %) require exotic ingredients, of unlikely use in most households; and that, moreover, no recipes are explicitly attributed to a woman (or man, for that matter : they are all anonymous). Laurence Totelin, who has reexamined the issue recently, argues that the use of feminine participles in the recipes clearly establishes that women (either as patients or as doctors’ attendants) were involved in the preparation of remedies. Other ancient medical authorities, such as Galen, explicitly attributed the authorship of specific recipes to women, some of these being remedies of general application, thus showing that women’s pharmacological expertise went beyond the range of female diseases. See Totelin, Hippocratic Recipes, 2009, p. 114 (anonymity), p. 126 (feminine participles). 39 This does not mean, of course, that the early modern recipe collections can be represented as a predominantly female genre, a claim that would be exaggerated and misleading: see Elaine Leong: Collecting Knowledge for the Family. Recipes, Gender and Practical Knowledge in the Early Modern English Household. In: Centaurus 55 (2013), pp. 81 – 103. On women’s authors of recipe collections see Elizabeth Tebeaux: Women and Technical Writing, 1475 – 1700. Technology, Literacy, and the Development of a Genre. In: Lynette Hunter, Sarah Hutton (eds.): Women, Science and Medicine 1500 – 1700. Mothers and Sisters of the Royal Society. Stroud 1997, pp. 29 – 62; Elizabeth Spiller : Introductory Note. In: ead. (ed.): SeventeenthCentury English Recipe Books. Cooking, Physic and Chirurgery in the Works of Elizabeth Talbot Grey and Aletheia Talbot Howard (The Early Modern Gentlewoman. A Facsimile Library of Essential Works. Series III. Vol. 3). Aldershot 2008, pp. IX – L. 40 Alisha Rankin: Panaceia’s Daughters. Noblewomen as Healers in Early Modern Germany. Chicago 2013. 41 Elaine Leong, Alisha Rankin: Introduction: Secrets and Knowledge. In: eaed. (eds.): Secrets and Knowledge in Medicine and Science, 1500 – 1800. Aldershot 2011, p. 17. Cf. in the same volume Eamon, How to Read a Book of Secrets, 2011, p. 26. 42 Sandra Cavallo: Secrets to Healthy Living. The Revival of the Preventive Paradigm in Late Renaissance Italy. In: Leong, Rankin, Secrets and Knowledge, 2011, pp. 191 – 212, at p. 200; David Gentilcore: Medical Charlatanism in Early Modern Italy. Oxford 2006, pp. 360 – 362.

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knowledge.43 As classic studies by William Eamon, Pamela Long, Paolo Galloni and Pamela Smith have shown, medieval and early modern collections of recipes articulated the experiential knowledge of craftspeople and practitioners.44 Pamela Smith, in particular, has strongly argued in favour of recognizing the value of the recipe as an epistemic genre. She stresses that recipes transmitted something more than a set of instructions and ingredients. Together with practical directions for actual operations, they conveyed also the theoretical underpinnings of a craft, the principles by which it was guided. In the apparent random jumble of recipe collections, she argues, a vernacular ‘philosophy’ of nature can be discerned – an “artisanal epistemology” based on the conviction that knowledge can be gained by a bodily encounter with natural things.45 “Books of secrets” – she writes – “recorded ingredients and operations, but they also attempted to convey the secret of embodied cognition.”46 Though much work has been done lately on the Renaissance books of “secrets”,47 the wider history of the recipe as an epistemic genre in European history 43 In fields as diverse as metallurgy, painting, cooking, cosmetics, domestic knowledge, magic, but also in higher-status specialized knowledge such as medicine, pharmacy, and alchemy, the recipe was used whenever practical know-how needed to be transmitted beyond the small circle of guild apprenticeship. See William Eamon: Science and the Secrets of Nature. Books of Secrets in Medieval and Early Modern Culture. Princeton 31996, pp. 113, 126, 133. 44 Eamon, Science and the Secrets of Nature, 1996; Pamela O. Long: Openness, Secrecy, Authorship. Technical Arts and the Culture of Knowledge from Antiquity to the Renaissance. Baltimore 2001 and ead.: Power, Patronage and the Authorship of Ars. From Mechanical Know-How to Mechanical Knowledge in the Last Scribal Age. Isis 88 (1997), pp. 1 – 41; Paolo Galloni: Il sacro artefice. mitologie degli artigiani medievali. Bari, Rome 1998; Pamela H. Smith: The Body of the Artisan. Art and Experience in the Scientific Revolution. Chicago 2006. 45 Pamela H. Smith: What Is a Secret? Secrets and Craft Knowledge in Early Modern Europe. In: Leong, Rankin, Secrets and Knowledge, 2011, pp. 47 – 66. She also stresses that recipes could encourage an attentive meditation on materials (“overhearing”, in Paracelsus’s words, or thinking with matter : p. 64, n. 55, p. 65). Recipes taught that matter is something to work with, and something through which to explore the characteristics and resistances of a material in different situations (p. 64). See also Eamon, How to Read a Book of Secrets, 2011, p. 33: “Beyond empiricism, beyond mere observation, the artisanal epistemology was premised upon knowing by manipulation and engagement with matter.” 46 Smith, What Is a Secret, 2011, p. 66: “Matter was like a living being that one had to come to know through intimate and bodily acquaintance.” 47 Starting with William Eamon’s pioneering book Science and the Secrets of Nature (11994); but see now also Jo Wheeler : Renaissance Secrets. Recipes and Formulas. London 2009; Allison Kavey : Books of Secrets. Natural Philosophy in England, 1550 – 1660. Champaign 2007; Lissa Roberts, Simon Schaffer, Peter Dear (eds.): The Mindful Hand. Inquiry and Invention from the Late Renaissance to Early Industrialization. Amsterdam 2007; Natasha Glaysyer, Sara Pennell (eds.): Didactic Literature in England 1500 – 1800. Expertise Constructed. Aldershot 2003; Pamela H. Smith, Amy Meyers, Harold Cook (eds.): Ways of Making and Knowing. The Material Culture of Empirical Knowledge. Madison [forthcoming]. Work is underway to inventory manuscript collections of recipes and books of

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still remains largely to be written.48 A fundamental issue that needs to be addressed is the relation of the recipe with other genres, especially scholarly ones. The incorporation of recipes for practical know-how in texts devoted to highstatus theoretical knowledge, and the concomitant exchange between craft cultures and learned traditions, had some ancient and medieval precedents for medicine and alchemy. But it was in the early modern period that this exchange became a powerful and widespread trend, involving even the queen of sciences – natural philosophy. One clear sign of this trend is the adoption of the recipe in natural philosophical texts. As is well known, when the Fellows of the Royal Society of London reported their experimental findings, they often employed a recipe-like format.49 This incorporation of the recipe inside the framework of learned discourse, as a key component of new forms of scientific writing, can be observed in the rise of a distinctly early modern epistemic genre – the medical case collection.

Hybridization of Recipe and Commentary: The Case Collection as a New Genre The trajectories of the recipe and of the medical case intersect because of a fundamental feature of the recipe as an epistemic genre: its ability to capture and record particular circumstances. In fact, the connection between the recipe and the case is not immediately evident to us because we think of recipes as standardized and universalized formulas. But in pre-modern Europe medical care was strongly individualized. The principle was treating the patient, not the disease. The same condition in different people might require different treatment, based on the sick’s constitution, bodily habits, age, gender, life style, locality, etc. In using a formula, a practitioner was expected to draw on a great deal of background knowledge that would allow him to adapt the standard list of ingredients secrets (see for instance Gabriella Pomaro: I ricettari del fondo palatino della Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze. Inventario. Florence 1991) and to create databases, like the Italian Books of Secrets Database, which includes 1390 recipes for the care of the body from printed sources from the 16th and early 17th century. See The Italian Books of Secrets Database, and , [30 May 2013]. 48 Books of recipes have generally been studied from separate angles based on their subject matter – the history of food cultures, the history of medicine, the history of technology, the history of arts and crafts, and so forth. A focus on the recipe as epistemic genre would help us unify these fragmented perspectives. 49 Peter Dear : Totius in Verba. Rhetoric and Authority in the Early Royal Society. In: Isis 76 (1985), pp. 144 – 161, at pp. 145 – 161.

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to the peculiar condition of the patient in his care. He needed to understand thoroughly the properties of the simples to be mixed, the principles of their combination and processing, and above all the suitability of each particular ingredient, and of the compound as a whole, for use on a particular sick person. A formula only offered the bare guidelines for the fuller recipe that the practitioner was going to devise after considering all the aspects of the case. The need to tailor the treatment, including the recipe/prescription, to the individual case, was recognized already in ancient Hippocratic medicine, and seems to have remained a cornerstone of Galenism over the centuries. The author of the second book of the Hippocratic Epidemics, for instance, carefully listed all the different circumstances to be taken into account before prescribing a remedy : “We know the characteristics of drugs, from which are produced such effects. For they are not all similarly good; but different [characteristics] are good in different conditions. In different places, [plants] are gathered either earlier or later. And manipulations [also differ], such as drying, chopping or boiling […] and how much for each patient, for which diseases, at what point of the disease, the age, appearance, diet, which season of the year, of which kind it is and in which way it is developing, and so on and so forth.”50

In ancient medical literature, however, the individualized recipe does not seem to have developed much as a genre. The Hippocratic physicians preferred diet to drugs; in their writings recipes are not frequent, and most importantly they are rarely found in conjunction with actual cases.51 The case narratives in the Hippocratic books of Epidemics usually do not contain a description of the treatment adopted. We find recipes sporadically only in books V and VII of Epidemics, which date from a later period than the rest of the Hippocratic corpus (the second half of the 4th century BCE).52 Writings on pharmacology by other ancient authors, such as Galen’s De compositione medicamentorum or Scribonius Largus’s Compositiones, contain formulas, not recipes – and were probably the model of the medieval formularies and pharmacopoeias that we find in both the Muslim and the Christian world.53 50 Epidemics 2.3.2 cited in Totelin, Hippocratic Recipes, 2009, p. 244. For a similar view in Galen, see Philip J. van der Eijk: Galen’s Use of the Concept of ‘Qualified Experience’ in His Dietetic and Pharmacological Works. In: Armelle Debru (ed.): Galen on Pharmacology. Philosophy, History, and Medicine. Leiden 1997, pp. 35 – 58, esp. at pp. 42 f. 51 Jerry Stannard: Hippocratic Pharmacology. In: Bulletin of the History of Medicine 35 (1961), pp. 497 – 518 (pp. 500 – 503 on drugs being rarely mentioned in Epidemics). 52 Occasional recipes can also be found in the Appendix to the dietetic treatise Regimen in acute diseases, in Aphorisms, and in On Sight: see Totelin, Hippocratic Recipes, 2009, p. 16. 53 Lev, Chipman, Medical Prescriptions, 2012, p. 17. The structure derived from Galen’s De compositione medicamentorum typically included the title of the drug, its indications for therapy, ingredients and quantities, manner of preparation, recommended dosage or ap-

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In Galenic medical practice, however, in late antiquity as in the middle ages and beyond, the actual treatment continued to be based on the principle of individualized care. This is clearly indicated by the fact that whenever we can compare an actual prescription for a specific patient with the same medication as described in a classic author’s formulary or an official antidotary, we often find that the two differ significantly. This has been noted, for instance, of the prescriptions in the medical papyri from Greco-Roman Egypt (third century BCE–seventh century CE).54 A reason for this discrepancy, of course, may have been the local unavailability of certain ingredients. But the main reason was actually the very nature of the encounter of healer and patient, which was based on the expectation of individualized medical care, and thus required the adaptation of the generic formula to the patient’s specific case. In the treasure-trove of documents of the Cairo Genizah (the archives of the Jewish community of Old Cairo), scholars have identified many recipes from the 11th to the 13th century, which can be considered with relative certainty to be the record of actual prescriptions for real patients (sometimes, though rarely, the name of the patient is even indicated in the text).55 Here also very few prescriptions are similar and none are identical to the formulas we find in contemporary medical books, formularies and pharmacopeias.56 Why? Because, as noted by the scholars who studied these documents, “the Genizah prescriptions evince a norm of individualised treatment, apparently even for ordinary people”.57 According to the Arabo–Galenic medical system in use in this community, “the actual healing process required a long meeting with the physician so that he might become acquainted not only with the current symptoms but also with the patient’s unique temperament and qualities, and thus lead to a decision regarding the correct treatment. […] The prescription was uniquely suited to the patient and

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plication. On Galen’s pharmacological works see Debru, Galen on Pharmacology, 1997. On De compositione medicamentorum, see in the same volume: Jean-Marie Jacques: La m¦thode de Galien pharmacologue dans les trait¦s sur les m¦dicaments compos¦s, pp. 103 – 132. Isabella Andorlini: Prescription and Practice in Greek Medical Papyri from Egypt. In: Zwischen Magie und Wissenschaft. Ärzte und Heilkunst in den Papyri aus Ägypten, ed. by Harald Froschauer and Cornelia Römer. Vienna 2007, p. 26. Her study examined 260 medical papyri. Lev, Chipman, Medical Prescriptions, 2012. For recipes that include the name of the patient (a rare occurrence, probably because in most cases the sick person was present when the physician wrote the prescription), see pp. 34 – 37, 40 – 42, 68 – 71, 145. As early as 1971, these documents had already been identified as an important object of study for medical historians by Shlomo D. Goitein in his path-breaking work A Mediterranean Society. Berkeley 1967 – 1993, vol. I, p. 210; vol. II, p. 253. For similar documents, see Henri A. Awad: Medical Prescriptions. In: Jere L. Bacharach (ed.): Fustat Finds. Beads, Coins, Medical Instruments, Textiles and Other Artifacts from the Awad Collection. Cairo, New York 2002, pp. 190 – 197. Lev, Chipman, Medical Prescriptions, 2012, pp. 143 – 145, 155 f. Ibid., p. 156.

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his or her symptoms, the stage of the disease, his normal conditions of health, the weather, the season […].”58 Consequently, the actual prescription was often at variance with the standardized formula in medical books. Medieval experimenta and muyarrabat represent a novelty with respect to ancient medical literature in that they break away from the model of the formulary to record actual recipes, employed by a specific physician on a specific patient. The muyarrabat, possibly the older genre of the two, seem to have developed within the context of medical teaching. This is suggested by the earliest examples of this kind of work, for instance, an Arabic text from the 11th–12th century that contains a dialogue between a medical apprentice and his teacher. The text describes the actual patients who come to consult the physician, the questions the pupil asks about their diagnosis and treatment, and the answers he receives from the master, including the recipes of the remedies to be employed in each case.59 These were texts assembled for the private use of the practitioner and his students; they were often, in fact, jotted down as rough notes by the students themselves, and later polished for circulation after the teacher’s death. We do not know enough about the development of the experimenta in the Latin West nor about their ties with the muyarrabat, though we presume that the two genres were related, given the profound influence of Arabic medicine in late medieval Europe.60 As with the muyarrabat, referral to direct experience was a 58 Ibid., pp. 144. The authors notice the high number of syrups and electuaries mentioned in the records, and suggest that this is possibly due to to the fact that, unlike other medications that were based on generic formulas, sirups and electuaries had to be prescribed for each patient according to his or her unique constitution and qualities (p. 143). Some of these recipes are in fact personalized mini-regimens, including dietetic instructions as an integral part of the treatment (pp. 62, 136, 154; for examples in recipes: pp. 86, 88, 90, 120). 59 Luisa Mar†a Arvide Cambra: Nota sobre la pr‚ctica y la enseÇanza de la medicina en la EspaÇa musulmana de los siglos XI – XII. El Ms ‚rabe 887 de El Escorial. In: Dynamis 3 (1983), pp. 313 – 339. See also ead.: Historias cl†nicas y consideraciones m¦dico-filosûficas segffln el ms. ‚rabe 887 de la Biblioteca de El Escorial. Resumen de Tesis Doctoral. Granada 1983. For other examples of muyarrabat, see Cristina Ýlvarez Mill‚n: Graeco-Roman Case Histories and Their Influence on Medieval Islamic Clinical Accounts. In: Social History of Medicine 12 (1999), pp. 19 – 43; ead.: Practice Versus Theory. Tenth-Century Case Histories from the Islamic Middle East. In: Social History of Medicine 13 (2000), pp. 293 – 306. A similar source for a later period is the Hebrew-Spanish Aljamiado manuscript containing a collection of prescriptions by the physician Meir Alguades (c. 1350–c. 1410), described by Luis Garcia Ballester : La bfflsqueda de la salud. Sanadores y enfermos en la EspaÇa medieval. Barcelona 2001, pp. 473 – 484. 60 On Arab influence in the rise of the experimenta literature in Europe, see Eamon, Science and the Secrets of Nature, 1996, pp. 40 ff. One of the reasons for European interest in Arab pharmacology was the remarkable expansion of knowledge of Materia medica by Arab authors, on which see A. Dietrich (ed.): Die Ergänzung Ibn Gulgul’s zur Materia Medica des Dioskorides. Göttingen 1993; Zohar Amar, Efraim Lev, Yaron Serri: Ibn Rushd on Galen and the New Drugs Spread by the Arabs. In: Journal Asiatique 297 (2009), pp. 83 – 101.

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prominent feature of the experimenta. The medieval forerunner of the Renaissance “books of secrets”, the experimenta, recorded remedies that had proved successful but whose efficacy could not be explained by medical theory or natural philosophy. As such, the experimenta lay outside the sphere of Aristotelian science. And yet they were recognized by some medieval authors, as for instance by Arnald of Villanova, as a form of valid, though limited, knowledge, which was worth pursuing, recording, and communicating.61 The format for storing and transmitting this empirical knowledge was the recipe, usually prefaced by the name of the disease to which it should be applied, but sometimes also by a brief narrative of the case in which it had given good results.62 In thus joining the recipe with an account of its testing, the experimenta were an incubator for a fundamental shift in cognitive practices. It is in the experimenta that we see the emergence of the notion that empirical knowledge should be validated through first-hand experience. Traditionally, collections of recipes mixed promiscuously personally tested recipes and formulas taken from textual authorities.63 The distinction between generic, indirect experience, handed down through oral or written traditions, and first-hand, direct experience was by no means clearly and universally recognized. The medieval experimenta were one of the places where such distinction developed, and where first-hand experience was elaborated and articulated as an epistemic category.64 Though the recipe and the case were joined in the experimenta, the focus was primarily on the recipe, and the case narrative was only a secondary element, which served the purpose of indicating the specific circumstances in which the recipe had been tried and found effective. How did the case narrative develop out of the experimenta to become a new and autonomous genre? In medicine, as also in other disciplines, like the law and moral casuistry, the emergence of the case as an epistemic genre took place in Europe in the middle years of the 16th century, at the same time as the boom in the publication of “books of secrets”.65 In 61 On Arnald’s interest in experimenta, see Michael R. McVaugh: The Nature and Limits of Medical Certitude at Early Fourteenth-Century Montpellier. In: id., Nancy G. Siraisi (eds.): Renaissance Medical Learning. Evolution of a Tradition (Osiris. 2nd Series. Vol. 6). Philadelphia 1990, pp. 62 – 84, esp. pp. 79 – 84; Jole Agrimi, Chiara Crisciani: Edocere medicos. Medicina scolastica nei secoli XII – XV. Milan 1988, p. 47. 62 The fourteenth-century experimenta of Arnald of Villanova present both formats: the simple recipe and the recipe cum case narrative. See the texts in appendix to Michael R. McVaugh: The Experimenta of Arnald of Villanova. In: Journal of Medieval and Renaissance Studies 1 (1971), pp. 107 – 118. See also id., Two Montpellier Recipe Collections, 1976 and Agostino Paravicini Bagliani: Medici e ricette mediche alla corte papale del Duecento. In: Medicina e scienze della natura alla corte dei papi nel Duecento. Spoleto 1991, pp. 1 – 51. 63 Smith, What Is a Secret, 2011, pp. 56 – 58. 64 Park, Observation in the Margins, 2011, pp. 16 f., 36 f. 65 For a detailed reconstruction of the development of case narratives in medicine and the law, see Pomata, Observation Rising, 2011, pp. 49 – 54. On the boom in the publication of books of

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contrast with the “secret”/recipe, however, which had been vital throughout the middle ages,66 the medical case as embodied in the early modern case collections was a genuine new genre. The attention to individual cases was not unprecedented in medicine, but the creation of an epistemic form for their description was an intellectual novelty of the Renaissance. Case narratives could be found scattered inside various kinds of texts already in antiquity.67 Most significantly, they formed an important component of the Hippocratic seven books of Epidemics (410 – 350 BCE), which altogether contain over 300 of them.68 From late antiquity throughout the middle ages, cases could be found, as anecdotes or examples, in a variety of medical texts, such as textbooks of practical medicine, biographies and autobiographies of physicians, treatises on specific diseases.69 But these narrative accounts of the treatment of single patients were to be found in the folds of the text, so to speak: they did not emerge as a genre on their own. No form of medical writing was primarily dedicated to them. Their marginal status is indicated by the fact that we find them sometimes as marginalia in medieval medical manuscripts.70

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secrets, see Eamon, Science and the Secrets of Nature, 1996, pp. 139 – 147, 361 – 165. The first printed example of recipe collection is Opera nova intitolata Dificio di ricette, published several times in Italy from the 1520s. The best-known example of the genre is I secreti del reverendo donno Alessio Piemontese (Venice 1555), of which many editions and translations were published between 1550 and 1600. On this text and his real author, Gerolamo Ruscelli, see Eamon, Science and the Secrets of Nature, 1996, pp. 137 – 157 and Leong, Rankin, Introduction: Secrets and Knowledge, 2011, p. 5. See Gerhard Eis: Mittelalterliche Fachliteratur. Leipzig 1967. This is true of European and Chinese medical literature alike. In China, the earliest example of case narratives, to my knowledge, are the 25 cases (or as they are called “examination records”: zhen ji) included in the biography of a doctor of the Han dynasty, Chunyu Yi (2nd c. BCE), on which see Elisabeth Hsu: Pulse Diagnosis in Early Chinese Medicine. The Telling Touch. Cambridge 2010 (with translation of the cases at pp. 73 – 89). In both Europe and China, however, the medical case narrative emerged as a genre only much later, in the early modern period. See my forthcoming essay : The medical case across cultures. Comparing the European Observatio and the Chinese Yi’an, presented at the Early Sciences Working Group Colloquium, Harvard University, 15 Apr 2013. See Jacques Jouanna: Notice. In: Hippocrates: Êpid¦mies Vet VII, ed. and transl. by Jacques Jouanna (Opera / Hippocrate. Vol. 4. Pt. 3). Paris 2000, pp. VII – CXLIV. The books of the Epidemics have at least three different authors, and probably more. The earlier books are more rigorously prognostic, with few indications of treatment and a strict concentration on the description of symptoms. In the later books, the course of the illness is less often followed in detail and indications of treatment are more frequent (ibid., p. LXVIII). See Agrimi, Crisciani, Edocere medicos, 1988, pp. 216 f.; Chiara Crisciani: Histories, Stories, Exempla and Anecdotes. Michele Savonarola from Latin to Vernacular. In: Gianna Pomata, Nancy G. Siraisi (eds.): Historia. Empiricism and Erudition in Early Modern Europe. Cambridge MA 2005, pp. 297 – 324. A 15th-century Italian owner of Bernard of Gordon’s Lily of Medicine annotated his copy with his own clinical commentary, noting treatments or observations he had made of female patients (Wellcome Library, MS 130, an. 1330). For another example, see British Library, MS

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In the collections of curationes and observationes that start to appear in the second half of the sixteenth century, in contrast, accounts of cases are no longer on the margins. They are presented, for the first time, as the book’s main content, prominently displayed as free-standing on their own – a key sign of what Marilyn Nicoud has called “la marche d’autonomisation” of a genre.71 In these collections, the cases are loosely organized by numerical order, often in groups of hundreds, as the Centuriae Curationum that the great Jewish physician Amatus Lusitanus published in seven instalments between 1551 and 1566 – the first printed example of the genre.72 From marginalia or private work records, meant at most for scribal transmission from mentor to pupil, case narratives became printed texts addressed to a wider public.73 Before Amatus, doctors did not publish their own curationes, though we have manuscript evidence that at Ferrara, Padua and Paris, in the middle decades of the sixteenth century, a new habit of keeping records of cases was developing in medical training and in medical

Royal 12.G. IV s. xiii ex: this is a copy of Gilbertus Anglicus’s Compendium of Medicine that the owner of the manuscript, John de Greenborough (d. after 1383), inscribed with copious notes of his own cures and those he had read in other physicians. Guillaume de Naste (fl. 1477 – 1470), doctor of medicine and counselor to the Duke of Burgundy, owned a copy of Matteo Falcucci’s Sermones medicinales, which he annotated with cases he had seen among his own clientele in Lille (Lille, BibliothÀque Municipale, MS 334, s. xv, “Nicholus. De passionibus mulierum”). Cf. Monica Green: Making Women’s Medicine Masculine. The Rise of Male Authority in Pre-Modern Gynecology. Oxford 2008, pp. 259 f. On the use of marginalia for the goal of “mise en pratique” of medieval medical texts, see Marilyn Nicoud: Les marginalia dans les manuscrits latins des DiÀtes d’Isaac IsraÚli conserv¦s — Paris. In: Danielle Jacquart, Charles Burnett (eds.): Scientia in Margine. Êtudes sur les marginalia dans les manuscrits scientifiques du Moyen ffge — la Renaissance. Geneva 2005, pp. 191 – 216, especially pp. 208 f. Similarly, the earliest medieval astronomical observations are to be found in the margins of astronomical tables and almanacs: see Park, Observation in the Margins, 2011, p. 31. 71 Nicoud was referring to another medical genre, the health regimen, which developed in the 12th and 13th centuries. See Marilyn Nicoud: Les r¦gimes de sant¦ au moyen –ge. Naissance et diffusion d’une ¦criture m¦dicale (XIIIe – XVe siÀcle). Vol. 1. Rome 2007, p. 145. 72 Amatus Lusitanus: Curationum medicinalium centuria prima. Florence 1551. Amatus says that he finished writing the first centuria in Florence in 1549. The seventh centuria came out in Venice in 1566 (see Index aureliensis. Catalogus librorum sedecimo saeculo impressorum. A-Ai (Index Aureliensis. Pt. 1, t. 1, vol. 1). Baden-Baden 1962, s. v.). Most of the editions of the Centuriae are listed in Maximiano Lemos: Amato Lusitano. A sua vida e a sua obra. Porto 1907, pp. 200 – 203. On Amatus (1511 – 1568), a naturalist and physician, one of the most prominent Jewish scholars of the late Renaissance, see Harry Friedenwald: The Jews and Medicine. Vol. 1. Baltimore 1944, pp. 332 – 380; George H. Tucker : Homo Viator. Itineraries of Exile, Displacement and Writing in Renaissance Europe. Geneva 2003, pp. 195 – 238. 73 Like the astronomical observationes, the medical observationes developed originally within the narrow circle formed by a teacher’s familia of pupils. By the mid-sixteenth century, a trend was underway for the publication of these records, indicating a strong interest in them beyond the purposes of medical apprenticeship. See Pomata, Observation Rising, 2011, pp. 50 f.

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practice.74 Doctors probably viewed case narratives as practical knowledge of minor significance, to be transmitted orally to students – useful enough in itself, but unworthy of the dignity (and effort) of publication. Amatus instead published his cases, and in so doing he created an immensely successful new genre. Not only were his Curationes reprinted and quoted for centuries but, more importantly, they had a paradigmatic influence on the new genre as it developed in the last decades of the sixteenth century.75 Like the medieval experimenta, the late Renaissance observationes contained recipes and cases, but with an important novelty – the case narrative had now become the main object of attention.76 A focus on the case narrative was introduced by Amatus’s Centuriae. In organizing his case collection, Amatus departed creatively from the medieval genres in which the case narrative had found only limited space. In medieval medicine, in fact, the report of cases had featured already not only in the experimenta, as we know, but also in the consilia (advice sent out to patients who had requested it by letter).77 In other words, there were already not one but two medical genres that dealt with cases. What was the need for a new genre apparently serving the same purpose? What explains the emergence of the observationes in addition to experimenta and consilia? The answer is that the new genre responded to cognitive goals that could not be met by the old genres. In the experimenta, as we know, the focus was on the recipe, not on the case; likewise in the consilia the goal was not to describe the individual case per se.78 Though starting from a case, the consilium dealt typically with a disease, not with a sick person, and the description of the symptoms was usually minimal, dwarfed by the heavy apparatus of references to the authorities.79 74 See Pomata, Sharing Cases, 2010, pp. 210 f. 75 The Centuriae were republished, in their entirety or in part in 1570, 1580, 1620, and 1628: see Lemos, Amato Lusitano, 1907, pp. 200 – 203. On their exemplarity for the observationes genre, see Pomata, Sharing Cases, 2010, p. 215, n. 53. 76 On the shift from recipe to case narrative, see Gianna Pomata: Observatio ovvero Historia. Note su empirismo e storia in et— moderna. In: Quaderni storici 91 (1996), pp. 173 – 198, at pp. 184 – 192. 77 On the consilia see Jole Agrimi, Chiara Crisciani: Les ‘consilia’ m¦dicaux (Typologie des sources du Moyen Age Occidental 69). Turnhout 1994. 78 In their thorough study of the medieval consilia, Agrimi and Crisciani have shown that the consilium dealt typically with a disease, not with a sick person: see ibid.; see also Chiara Crisciani: L’individuale nella medicina tra Medioevo e Umanesimo. I Consilia. In: Roberto Cardini, Mariangela Regoliosi (eds.): Umanesimo e medicina. Il problema dell’individuale. Rome 1996, pp. 1 – 20. 79 The doctrinal apparatus became even heavier in the fourteenth- and fifteenth-century collections: see ibid., p. 20, n. 33. Moreover, the consilium was advice sent by letter in reply to a written description of the case that typically the doctor had not seen himself. So the consilia lacked what was an essential feature of the observationes – a case narrative based on firsthand observation.

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Amatus brought the case to the fore by separating each curatio (the case narrative, often inclusive of recipe) from the scholion (the learned commentary) appended to it. The separation was clearly marked even typographically, with the curatio set in roman type and the scholion in italics, for the reader’s ease in immediately distinguishing them. In a daring move, he combined his description of the case with the scholarly commentary (the scholion), which had been absent in the experimenta, being reserved traditionally to high-status classical texts.80 In this way, he presented his own cases as significant enough to deserve learned notice.81 The conjunction and at the same time separation of case history and commentary would become the hallmark of the observationes as a new genre.82 In contrast to the traditional consilium, it was doctrine that was now confined to the subsidiary role of footnote, while the observed case had become the primary object of attention. The cognitive hierarchy of doctrine over practice was subtly altered in favor of the latter. Amatus’s innovation exemplifies how a change of genre can herald a change in the structure of attention. Out of the malleable material of old genres, Amatus created a form that was new and yet deeply indebted to the traditional format, the recipe-cum-case structure of the experimenta. This is indicated by the fact that he retained the recipe (or recipes) in each curatio, in spite of the new emphasis on the case narrative. He did so although it meant departing from the model of the case histories in the Hippocratic Epidemics I and III, which he explicitly indicated as the model after which he had crafted the new genre. The Hippocratic case histories typically did not include the indication of remedies and recipes, the Hippocratic author limiting himself to recording the course of disease irrespective of therapeutic intervention. This has puzzled those historians of medicine who have seen the late Renaissance emergence of the case history as a consequence of the revival of Hippocratism.83 Why did Renaissance authors of 80 On the history of the commentary see above, n. 36. 81 As Brian Nance has perceptively noticed, the authors of observationes “took their own practice seriously enough to make written accounts of their cases, rather than a classical text, the subject of their own learned commentary”. Brian Nance: Wondrous Experience as Text. Valleriola and the Observationes Medicinales. In: Elizabeth Lane Furdell (ed.): Textual Healing. Essays on Medieval and Early Modern Medicine. Leiden 2005, pp. 101 – 118, at p. 115. 82 The observationes that appeared in the 1570s and 1580s – FranÅois Valleriola’s Observationes medicinales (1573), Rembert Dodoens’s Medicinalium observationum exempla rara (1581) and van Foreest’s Observationes et curationes medicinales (1584) – all followed Amatus’s textual structure, not only in organizing their material as a case collection, but also in adopting the separation of case history from commentary. See Pomata, Sharing Cases, 2010, p. 215, n. 53. 83 On the Hippocratic model of the case narrative in the Renaissance, and its contrast with the Galenic model, see Nancy G. Siraisi: The Clock and the Mirror. Girolamo Cardano and Renaissance Medicine. Princeton 1997, p. 207; Gianna Pomata: Praxis Historialis. The Uses

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observationes like Amatus claim that they were following in Hippocrates’s footsteps while at the same time departing from his model of the case history in such a crucial detail? The history of epistemic genres is often a history of syncretism, of mixing and matching disparate elements drawn from different traditions. Amatus invented a new genre, but he retained all that remained useful in the old form. The precedent of the experimenta, with its emphasis on the tested recipe and the validation of knowledge by first-hand experience, was a fundamental resource for Amatus, one that he could not dispense with, while pursuing his goal of bringing the directly observed case to the fore, even at the cost of departing from the Hippocratic model. Embedded in the case narrative, moreover, the recipe acquired a value and a meaning that it did not have in the experimenta. Once included in the case narrative, and thus linked to a specific case, the recipe was bound to assume, from the point of view of an early modern physician, a significance that was completely different from that of the recipes collected in the charlatans’ “books of secrets”. “Secrets” were presented as universally applicable remedies irrespective of the patient’s individual constitution. In contrast, early modern Galenic medicine was based on the assumption that only the learned physician could find the appropriate “regimen”, or rule of life, for each patient, as well as the specific recipe for the remedy best fitting his or her condition.84 The format of the case collection stressed the singularity of each person’s disorder, which required the kind of complex diagnosis and individually tailored prescription that doctors alone could deliver. For the authors of observationes, a standardized, “one size fits all” treatment was the sure mark of the charlatan. They opposed rigid adherence to any one pharmaceutical formula, and they designed their casebooks to show how a competent doctor could steer his therapeutic course to fit each new situation. Their recipes – so went the underlying message – were different from the charlatans’ “secrets”.85 of Historia in Early Modern Medicine. In: ead., Nancy G. Siraisi (eds.): Historia. Empiricism and Erudition in Early Modern Europe. Cambridge MA 2005, pp. 105 – 146, at p. 129. See also Geoffrey E. R. Lloyd: Galen’s Unhippocratic Case Histories. In: Christopher Gill (ed.): Galen and the World of Knowledge. Cambridge 2009, pp. 115 – 131. 84 Medical genres such as the regimina (see above, n. 71) and the consilia (see above, n. 77) were shaped and motivated by the social expectation that medical care be offered as an answer to (and prevention of) an individual sickness. In the sixteenth century, a challenge to this view came from the new Paracelsian emphasis on disease as an entity, which implied, to some extent, a shift to remedies designed to treat the impersonal disease rather than the individual sick person. But this new approach does not seem to have supplanted the older, preventive and individualized approach: see Sandra Cavallo: Secrets of Healthy Living. The Revival of the Preventative Paradigm in Late Renaissance Italy. In: Leong, Rankin, Secrets and Knowledge, 2011, pp. 198 f. 85 On doctors’ perception of standardized treatment as the mark of the charlatan, see Gianna Pomata: Contracting a Cure. Patients, Healers and the Law in Early Modern Bologna. Bal-

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So the development of the new genre, the observationes, was made possible by the adaptation and transformation of old genres. What is especially remarkable is the hybridization of two genres that used to be poles apart, the recipe and the commentary. Combined with the learned commentary in the new format of the observatio, the recipe lost much of its earlier association with low-status empirical knowledge. And yet it retained the strong belief in the epistemic value of experience that came from its roots in artisanal practices, and it grafted this belief onto the new learned form. The crossbreed of recipe and commentary out of which Amatus crafted the new genre of the medical case points to a new style of thinking that swept over Europe in the early modern period and that we may call “learned empiricism” – an unprecedented combination of book-learning and strong reliance on first-hand experience.86 All this suggests that cultural change may receive a powerful boost from the merging of different traditions, including, as in this case, popular and learned traditions. It suggests, moreover, that a focus on epistemic genres may contribute significantly to our understanding of the dynamics of change in the history of cognitive practices.

timore 1998, pp. 86 – 88; see also David Gentilcore: Medical Charlatanism in Early Modern Italy. Oxford 2006. For an interesting parallel with early modern Chinese medical culture, see Judith T. Zeitlin: The Literary Fashioning of Medical Authority. A Study of Sun Yikui’s Case Histories. In: Charlotte Furth, Judith T. Zeitlin, Ping-chen Hsiung (eds.): Thinking with Cases. Specialist Knowledge in Chinese Cultural History. Honolulu 2007, pp. 169 – 202. Zeitlin shows that practitioners of learned medicine during the Ming period shunned acupuncture (a relatively standard procedure), preferring herbal cures that could be individually tailored (p. 197, p. 201, n. 63). 86 See Gianna Pomata, Nancy G. Siraisi: Introduction. In: eaed., Historia, 2005, pp. 17 – 30.

Flemming Schock

Enzyklopädie, Kalender, Wochenblatt. Wissenspopularisierung und Medienwandel im 17. Jahrhundert

Die Medienlandschaft des 17. Jahrhunderts ist reich an Übergängen von akademischen und populären Wissenstraditionen, die bislang jedoch kaum erforscht wurden.1 Im Fokus standen und stehen die klassischen Institutionen der Wissensproduktion und -diffusion, die Universitäten, die Schulen, die Akademien. Jedoch gewann spätestens seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch ein wachsender volkssprachlich-publizistischer Wissensmarkt an Gewicht, produzierte Bestseller und machte ein breiteres Publikum zumindest zu einer ,sekundären‘ Leserschaft der gelehrten Welt. Fündig wird man bei der Suche nach Analogien schon vor den Gegenständen bei den konkreten Praktiken der Gelehrsamkeit.2 So beschreibt die Praxis der Kompilation3 nicht nur die ausgeprägten Wiederholungsmomente innerhalb des ,allgemeinen‘ Wissens im Zeitalter universaler und polyhistorischer Gelehrsamkeit.4 Vielmehr war das Sammeln, Umschreiben und Umdisponieren von Texten das fundamentale Produktionsprinzip sowohl gelehrter als auch ,halb-gelehrter‘ Wissensverwaltung. Ausgehend von diesem Befund macht der vorliegende Beitrag einige Anmerkungen zum Beginn der Wissenspopularisierung5 im deutschsprachigen 1 Der vom Symposium eingeforderte Dialog von Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens erweist sich als dringend nötig. Ich danke Prof. von Greyerz, Philipp Senn und Silvia Flubacher herzlich für die Einladung zur Tagung. 2 Nach Helmut Zedelmaier, Martin Mulsow (Hg.): Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 64). Tübingen 2001. 3 Für eine konzise Definition siehe Martin Gierl: Kompilation und die Produktion von Wissen im 18. Jahrhundert. In: ebd., S. 63 – 94. 4 Grundsätzliche Definitionen etwa bei Herbert Jaumann: Was ist ein Polyhistor? Gehversuche auf einem verlassenen Terrain. In: Studia Leibnitiana 22 (1990), S. 76 – 89; Helmut Zedelmaier : Von den Wundermännern des Gedächtnisses. Begriffsgeschichtliche Anmerkungen zu ,Polyhistor‘ und ,Polyhistorie‘. In: Christel Meier (Hg.): Die Enzyklopädie im Wandel vom Hochmittelalter bis zur Frühen Neuzeit. München 2002, S. 421 – 450. 5 Im Folgenden ist sowohl Wissens- als auch Wissenschaftspopularisierung gemeint. In der Forschung wurde und wird Popularisierung fast ausschließlich mit Wissenschaftspopularisierung gleichgesetzt. Ich folge hier Carsten Kretschmann: Einleitung. Wissenspopularisie-

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Raum und illustriert diese entlang einiger exemplarischer Quellengattungen; sie stehen auch für die Wechselwirkungen des Medien- und Wissenswandels im 17. Jahrhundert, denn im Folgenden geht es auch, jedoch nicht ausschließlich, um enzyklopädisches Wissen in der klassischen Form des Buches. Denn die erst allmähliche, dann sprunghafte Kommerzialisierung des Wissens beruhte wesentlich auf seiner Neutaktung durch periodische Publikationsformen6 – vor allem durch die seit der zweiten Jahrhunderthälfte entstehenden Zeitschriften, deren gelehrte Archetypen zu Vorbildern ,populärwissenschaftlicher‘ Periodika und Wochenblätter wurden. Diese neuen Organisationsformen zeitigten Konsequenzen für die Wissenskultur insofern, als sie die Art und Weise veränderten, in der ,gewusst und konsumiert‘ wurde. Fragt man nach der Popularität gelehrten Wissens, ist zudem an die älteren und ebenfalls periodisch (in jährlichem Rhythmus) publizierten Schreibkalender zu erinnern7 – dem vielleicht erfolgreichsten weltlichen Lesestoff der Frühen Neuzeit, der im 17. Jahrhundert zunehmend zum Vehikel der Wissensvermittlung auch jenseits der Städte wurde. Es ist fraglos richtig, dass die Massenmedien im modernen Sinn – also als Träger einer tatsächlich breitenwirksamen Wissensvermittlung8 – nicht der Frühen Neuzeit zuzurechnen sind. Und doch nahm bereits die Dynamik barocker Medienkultur gelehrten Diskursen ihre Exklusivität. Schlaglichtartig präzisiert werden soll diese These im Folgenden entlang dreier Stationen der oben genannten Medientypen: erstens an den dickleibigen Wissenssummen der barocken Kompilationsliteratur und ,Buntschriftstellerei‘, zweitens am Medium der Schreibkalender und drittens am Beispiel der Wissenspopularisierung in einer der ersten deutschsprachigen ,Zeitschriften‘. Neben allgemeinen und strukturellen Aspekten sind die drei Abschnitte über den gemeinsamen Themenschwerpunkt verbunden – beleuchtet wird jeweils vor allem die Popularisierung astronomischen Wissens. Ein vierter Punkt resümiert die Befunde.

rung – ein altes, neues Forschungsfeld. In: ders. (Hg.): Wissenspopularisierung. Konzepte der Wissensverbreitung im Wandel. Berlin 2003, S. 7 – 21, hier S. 8. 6 Über das ,Umschalten‘ auf das Prinzip der Periodizität siehe grundsätzlich Herbert Jaumann: Critica. Untersuchungen zur Geschichte der Literaturkritik zwischen Quintilian und Thomasius (Brill’s studies in intellectual history 62). Leiden 1995, bes. S. 266 ff. 7 Zumindest in der deutschen Presse- und Mediengeschichte fristet der Schreibkalender ungeachtet seiner immer wieder konstatierten Bedeutung als frühneuzeitliches ,Massenmedium‘ ein eher stiefkindliches Dasein. In den Gattungsgeschichten findet er bislang kaum Platz; eine jüngere Ausnahme: Andreas Würgler : Medien in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte 85). München 2009. 8 Vgl. Kretschmann, Einleitung, 2003, S. 8.

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Barocke Unterhaltungsenzyklopädien Die Interaktionsfelder populären und gelehrten Wissens im 17. Jahrhundert lassen sich relativ anschaulich an jenen Figuren beschreiben, die selbst ,zwischen den Stühlen‘ standen, also die Produktion von Wissen vor allem aus existentieller Notwendigkeit betrieben und in dieser (unfreiwilligen) Rolle zu den frühesten Berufsschriftstellern überhaupt wurden.9 Besonders die Literaturgeschichte hat diese Autoren nicht-fiktionaler Prosa lange stiefmütterlich behandelt, da sie nicht zum ,Höhenkamm‘ der Barockliteratur zählen;10 erst jüngst ist hier im Zeichen der Annäherung von Literatur- und Wissensgeschichte unter dem kulturellen Paradigma eine Wahrnehmungsverschiebung zu beobachten. Exemplarisch für diesen Autorentypus ist Erasmus Francisci11 (1627 – 1694), einer der erfolgreichsten und meistgelesenen Kompilatoren seiner Zeit. Seitdem sich Francisci Ende der 1660er Jahre in der prosperierenden Druckmetropole Nürnberg als „Hausautor“12 bei der Verlegerdynastie Endter13 niedergelassen hatte, erreichte er innerhalb weniger Jahre eine außerordentliche Popularität, wurde zum Best- und Longseller – Francisci produzierte Bücher, die „wohl abgingen“14, wie noch Zedlers Universal-Lexicon notiert. Entsprechend euphorisiert klangen schon die Nekrologe kurz nach dem Tod des Schriftstellers: „Seuffts/ du gelehrte Welt/ leg Trauer-Kleider an; Dann dir wird ein August des Musen-reichs entnommen. Die nette Feder fällt aus der gelehrten Hand/ die sich sehr breit durch hohen Ruhm geschwungen“15, heißt es 1697 in einer Leichenpredigt. Ein weiterer Nachruf deutet in ähnlich salbungsvollem Ton Franciscis internationales ,Standing‘ in der gelehrten Welt an: „Der Franzmann lehnt aus seinen Schriften16/ den Britten sind sie ruhm-bekannt/ […] Sein Namens9 Zur sozialgeschichtlichen Diskussion des Phänomens ,Berufsschriftsteller‘ bzw. ,Berufsautor‘ siehe jüngst etwa Uta Egenhoff: Berufsschriftstellertum und Journalismus in der Frühen Neuzeit. Eberhard Werner Happels ,Relationes Curiosae‘ im Medienverbund des 17. Jahrhunderts (Presse und Geschichte – Neue Beiträge 33). Bremen 2008. 10 Dirk Niefanger : Barock. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart 22006, S. 247. 11 Jüngere Arbeiten zu Francisci stehen aus. Maßgeblich ist daher weiterhin Gerhard Dünnhaupts Artikel aus den 1970er Jahren, der Franciscis Wirkungsgeschichte für die deutsche Literatur anmahnt; Gerhard Dünnhaupt: Das Oeuvre Erasmus Franciscis (1627 – 1694) und sein Einfluss auf die deutsche Literatur. In: Daphnis 6 (1977), S. 359 – 364. 12 Ebd., S. 361. 13 Zu Endter siehe Joseph Benzig: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Wiesbaden 21982, S. 342 f. 14 Art. Francisci, (Erasmus). In: Johann Heinrich Zedler (Hg.): Grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschaften und Künste […]. Bd. 9. Leipzig 1735, Sp. 1622 – 1623, hier Sp. 1622. 15 Johann Conrad Feuerlein: Die unzertrennliche Verlöbnus mit Jesu des seligen Herrn Erasmi Francisci und einer jeden glaubigen Seele […] Zu des hochgelehrten […] Mannes letztschuldigen Ehren-Gedächtnus […]. Nürnberg 1697, [unpag.]. 16 Angespielt wird auf französische Übersetzungen Franciscis.

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Ruhm lauf mit der Sonnen. Er wird so lange Gelehrte werden schreib’n ein FixStern von der ersten Grösse bleib’n.“17 Was machte diesen „Fix-Stern“ so außergewöhnlich? Zunächst war Francisci ein typischer Polyhistor, ein universaler Sammler und Vielschreiber, der in seinen 68 Lebensjahren rund ebenso viele Bücher produzierte, darunter viele mehrtausendseitige Folianten. Das Besondere an dieser barocken Lebensleistung war weniger die immense enzyklopädische Breite des Schaffens – darunter viele historisch-politische18 und geistliche Schriften19 –, sondern, dass Francisci ausschließlich auf Deutsch publizierte, und das in einem vergleichsweise schnörkellosen Stil. Überdies besaß er ein außerordentliches Geschick darin, ein ganzes Meer an Quellen auszuwerten und leicht fasslich zu verdichten. In der Rolle eines frühen ,Wissensmanagers‘ nahm er dem Leser Lektüre und vor allem das Problem ab, in der – verspürten – Flut des Gedruckten20 noch den Überblick zu behalten und diese auf das ,Denk‘- und ,Merkwürdigste‘ hin zu filtern. Diese Reduktionsleistung konnte einerseits in einer Verschlankung des Wissens im Taschenformat münden: Zu Franciscis erfolgreichstem Werk gehört die bis ins 18. Jahrhundert hinein fortgesetzte und von folgenden Kompilatoren zahllose Male ausgeschriebene Lustigen Schau-Bühne von allerhand Curiositäten21, die ab 1663 im handlichen Oktavformat erschien. Francisci entfaltet hier ein enzyklopädisches Panorama, das weite Bereiche des ,allgemeinen‘ Wissens der Zeit zusammen bringt, darunter so heterogene Dinge wie historische Exempel22, 17 Feuerlein, Die unzertrennliche Verlöbnus, 1697, [unpag.]. 18 Ein frühes Beispiel für politische Publizistik im Zeichen der ,Türkenkriege‘: Erasmus Francisci: Die heran dringende Türcken-Gefahr : Das ist; Wohlgemeinte/ doch unvorgreiffliche Erinnerung/ in was hochbesorgtem und gefährlichem Zustande/ unser liebes Vatterland Teutscher Nation […] stecke: auch wie diesem blutdürstigem Erb- und ErtzFeinde […] zu begegnen wäre. S. l. 1663. 19 Zu einer jüngeren allgemeinen Einschätzung siehe auch Volker Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Späthumanismus zur Frühaufklärung 1570 – 1740 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 5). München 2009, S. 756 ff. 20 Zu diesem Topos jüngst kritisch Dirk Werle: Die Bücherflut der Frühen Neuzeit – realweltliches Problem oder stereotypisches Vorstellungsmuster? In: Miroslawa Czarnecka et al. (Hg.): Frühneuzeitliche Stereotype. Zur Produktivität und Restriktivität sozialer Vorstellungsmuster (Jahrbuch für Internationale Germanistik A 99). Bern 2010, S. 469 – 486. 21 Erasmus Francisci: Die lustige Schau-Bühne allerhand Curiositäten: darauf viel nachdenckliche Sachen/ sonderbare Erfindungen/ merckwürdige Geschichte/ Sinn= und Lehr=reiche Discursen/ auch zuweilen anmuthige Schertz=Reden und Erzehlungen/ fürgestellet werden. Bey Freundlicher Sprachhaltung aufgerichtet und erbauet […]. Nürnberg 1663 ff. Als neueren Überblicksbeitrag siehe Urte Helduser : Art. Erasmus Francisci: Die lustige Schau-Bühne von allerhand Curiositäten. Nürnberg 1663. In: Nikola Roßbach et al. (Hg.): Welt und Wissen auf der Bühne. Theatrum-Literatur der Frühen Neuzeit. Repertorium. Wolfenbüttel 2011, , [3. Jun. 2013] – mit umfassender Bibliographie. 22 „Wie man vor Alters her die Römischen Könige/ vor der Wahl/ zu Ritter geschlagen“. Francisci, Lustige Schau-Bühne, 1663, S. 740 ff.

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Exotika23, Sitten und Gebräuche24, Berichte über Herrschaftsformen außereuropäischer Länder25, Gespenster26, Hexen27, ägyptische Mumien28, die tödliche Kraft des Lachens29, die Einbildungskraft von Schwangeren30, künstliche Brunnen31, die Wirkung des Donnerschlags32, astronomische Sternkugeln33, Berichte über die Bibliotheken in Paris und Venedig34 und so fort. Die disparate Themenvielfalt ist exemplarisch für einen ganzen Sektor zeitgenössischer Wissensproduktion, der barocken ,Buntschriftstellerei‘: Im Anschluss an bereits antike Traditionen (Claudius Aelianus: Varia historia) war es ihr Ziel, „Wissenswertes aus allen Gebieten in bunter [also kurzer und abwechslungsreicher] Form darzubieten“35. Eine nur äußere Ordnung des Wissens wurde häufig allein ex post über ein alphabetisches Register der Kompilationen hergestellt, so auch in Franciscis Schau-Bühne. Zusammen mit den zahllosen Quellenreferenzen verweist der Lektüreschlüssel des Registers auf die dezidierte Nachschlagefunktion des Textes. Franciscis Kompilation genoss vor allem hohe Popularität, weil sie den Anspruch auf eine ,bunte‘ Wissensunterhaltung idealtypisch umsetzte. Sie garantierte eine „höflische Zeit-Kürtzung“36, wie der Autor es wendet, und das im Sinne sowohl von Unterhaltung durch als auch über Wissen. Denn eine strukturelle Besonderheit der Schau-Bühne war ihre Abfassung in Form von Gesprächen, ein Modus, mit dem Francisci die bereits ältere Tradition der Konversationsliteratur aktualisierte37: Jedes Thema der Kompilation wird von einer Gruppe fiktiver Diskutanten in „Lust-Unterhaltungen“38 abgehandelt, die 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

„Papagoyen begreiffen/ und plaudern seltsame Sachen“. Ebd., S. 9 ff. „Hochzeitliche Gebräuche der Niederländer“. Ebd., S. 815 ff. „Grossen Moguls Pracht/ und Reichthum“. Ebd., S. 148 ff. Ebd., S. 907 ff. Ebd., S. 554 ff. Ebd., S. 894 ff. Ebd., „Lachen/ darüber ein König gestorben“, S. 49. Ebd., S. 648. Ebd., S. 133 ff. Ebd., S. 204 ff. Ebd., S. 304 ff. Ebd., S. 310. Hadwig Helms: Vorwort. In: Claudius Aelianus: Bunte Geschichten. Leipzig 1990, S. 13. Zur frühneuzeitlichen Tradition dieser bislang kaum erschlossenen Literatur siehe jetzt auch: Flemming Schock (Hg.): Polyhistorismus und Buntschriftstellerei. Populäre Wissensformen und Wissenskultur in der Frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 169). Berlin 2012. 36 Francisci, Lustige Schau-Bühne, 1663, Vorrede [unpag.]. 37 Zum Thema gibt es weiterhin nur wenige Arbeiten. Für den Komplex Konversationsliteratur siehe jüngst etwa Florian Gelzer : Konversation und Geselligkeit im ,galanten Diskurs‘ (1680 – 1730). In: Rüdiger Schnell (Hg.): Konversationskultur in der Vormoderne. Geschlechter im geselligen Gespräch. Köln 2008, S. 473 – 525. 38 Erasmus Francisci: Der Wunder-reiche Uberzug unserer Nider-Welt/ Oder Erd-umgebende Lufft-Kreys/ Nach seinem natürlichen Wesen/ manchfaltigen Eigenschafften/ Nutzen/ und

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assoziativ wie zwanglos von Gegenstand zu Gegenstand springen. Diese Form und Struktur des Wissens legten eine bestimmte mediale Funktion zumindest nahe – die eines frühen ,Coffee Table Books‘, das in kollektiver Lektüre gesellige Wissensrunden mit kompakt formatierten Stoffen versorgte; nicht von ungefähr spricht Francisci auch in einem späteren Werk von der Einrichtung nach Art einer „Tisch-Conversation“39. Zur Sprache kam dabei – das legt bereits der obige Themenausschnitt nahe – nicht nur szientifisches Wissen im engeren Sinn. Entscheidend war in jedem Fall der Attraktionsgrad, die besondere ,Curiosität‘ des Themas. So zeigen sich Schnittflächen zwischen populären und gelehrten Wissensinteressen vor allem in jenen Stoffen, die sensationell, prominent, strittig und damit paradigmatisch unterhaltsam waren. Auf der Grenzlinie zwischen Medizin und Magie steht dafür exemplarisch etwa die bis ins 18. Jahrhundert kontrovers geführte Diskussion über das sogenannte ,sympathische Pulver‘ oder die ,Waffensalbe‘40, die sich bis auf den Alchemisten Paracelsus (1493 – 1541) zurückführen lässt.41 Die behauptete Wirkung war die, dass die Salbe Verletzungen heilen könne, wenn nicht die Wunde selbst, sondern die ursächliche Waffe mit dem Mittel bestrichen würde. Francisci widmet dieser „Waffen-Cur“42 in der Lustigen Schau-Bühne gleich mehrere Dutzend Seiten, in denen er nach der Auflistung diverser ,Exempel‘ seine Diskutanten umfassend das Für und Wider dieses „verdächtige[n] Mittel[s]“43 abwiegen lässt. Neben allgemeinen, eher für den mobilen Konsum gedachten Sammlungen wie der Schau-Bühne produzierte Francisci seit den 1660er Jahren auch wuchtige ,Spezialenzyklopädien‘ im Folioformat. Die Popularisierung einzelner Wissensbereiche wie Ethnographie, Geographie und Astronomie resultierte mit Blick auf die genannte Reduktionsleistung hier weniger in griffigen Konversa-

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Würckungen […] Nebst einer vorhergehenden Lustigen Spatzier- und Tisch-Unterredung […]. Nürnberg 1680. Ebd., Vorrede [unpag., f. „)( )( ij“ v]. Noch Zedlers Universal-Lexicon räumt der ,Waffensalbe‘ einen zehnspaltigen Artikel ein. Bereits diese Länge belegt die Signifikanz des Themas noch im 18. Jahrhundert. Sehr plastisch macht der Artikelautor die konträren Deutungs- und Erklärungsangebote der „Naturforscher“ zum Gegenstand: „Ueber solche ungemeine Würckung sind die Naturforscher verschiedene Meynungen; indem sie einige den Kräfften der Natur, die aber auf eine verborgene und nicht jedermann bekannte Weise würcken, andere einem Aberglauben oder verbotenen Künsten, und letztlich andere einem Selbstbetruge, indem man sich einbilde, daß die Heilung von der Salbe komme, die doch blos von den ordentlichen Kräfften des natürlichen Leibes herrühret, zuschreiben“; Art. Waffensalbe, Unguentum Armamentarium. In: Zedler, Universal-Lexicon 52, Sp. 547 – 557, hier Sp. 548. Dazu: Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Magische Medizin bei Paracelsus und den Paracelsisten. Die Waffensalbe. In: Peter Dilg, Hartmut Rudolph (Hg.): Resultate und Desiderate der Paracelsus-Forschung (Sudhoffs Archiv. Beiheft 31). Stuttgart 1993, S. 43 – 57. Francisci, Lustige Schau-Bühne, 1663, Register [unpag.]. Ebd., S. 632.

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tionsanleitungen, sondern im besten Sinne barocken, überbordenden Wissenswälzern. Sie bedienten einerseits die massiv gestiegene Neugier der Leserschaft auf konkret ,welthaltige‘, besonders exotische Literatur, und andererseits die verbreitete Lust an der neuen Leitwissenschaft Astronomie. 1668 veröffentliche Francisci den Ost- und West-Indischen wie auch Sinesischen Lust- und Stats-Garten44, eine monumentale Zweitausendseiten-Summe, in der sich ein geradezu endloses Gespräch über die außereuropäische Welt entfaltet, denn auch hier ist die Wissensvermittlung – so schon im Titel – auf annehmliche Unterredungs-Art eingerichtet. Dem eigentlichen Text stellt der stets sorgfältig arbeitende Kompilator ein Verzeichnis der ausgeschöpften Quellen voran – ein mehrsprachiger wie repräsentativer Querschnitt durch die maßgeblichen Naturgeschichten, Reiseberichte, Geo- und Kosmographien von der Antike bis Gegenwart. Hier zeigt der Stats-Garten eindrücklich, wie schwer es für die zeitgenössischen Kompilatoren bereits geworden war, die Wissensströme überhaupt noch kanalisieren zu können – wenn die Synopse sich nicht damit begnügte, die Dinge nur zu streifen. Trotz eines Umfangs von rund zweitausend Folioseiten uferte das Vorhaben dann auch aus, was Francisci dazu brachte, nur zwei Jahre nach dem Stats-Garten den fast ebenso weitläufigen Neu-polirten Geschicht-Kunst- und Sitten-Spiegel ausländischer Völcker45 nachzuschieben. Beide Werke verfügen über umfassende konzeptuelle Vorreden; und auch wenn hier noch keine expliziten Popularisierungsabsichten formuliert werden, kann ihr ,impact factor‘ für den zeitgenössischen Wissenshorizont kaum überschätzt werden. Denn nach der Lustigen Schau-Bühne wurden auch die beiden ethnographisch-geographischen Sammlungen Franciscis von vielen folgenden Kompilatoren als textuelle Steinbrüche genutzt. Anders gewendet: An Francisci führte im deutschsprachigen Bereich – ähnlich wie an Athanasius Kircher46 (1602 – 1680) im lateinischen Sektor – kein Weg vorbei. Das dürfte auch für die Astronomie oder die „Stern-Kunst“47 gegolten haben, auf die sich Francisci in

44 Erasmus Francisci: Ost- und West-Indischer wie auch Sinesischer Lust- und Stats-Garten: Mit einem Vorgespräch Von mancherley lustigen Discursen; In Drey Haupt-Theile unterschieden. Der Erste Theil Begreifft in sich die edelsten Blumen/ Kräuter/ […] in Ost-Indien/ Sina und Amerika: Der Ander Theil das Temperament der Lufft und Landschafften daselbst […] Der Dritte Theil Das Stats-Wesen/ […]. Nürnberg 1668. 45 Erasmus Francisci: Neu-polirter Geschicht- Kunst- und Sitten-Spiegel ausländischer Völcker : fürnemlich der Sineser/ Japaner/ Indostaner/ Javaner/ Malabaren/ Peguaner/ Siammer […] und theils anderer Nationen mehr […]. Nürnberg 1670. 46 Die Kircher-Forschung ist seit über zehn Jahren weitverzweigt. Als exemplarischen Überblick siehe jüngst: Joscelyn Godwin: Athanasius Kircher’s Theatre of the World. London 2009. 47 Erasmus Francisci: Das eröffnete Lust-Haus Der Ober- und Nieder-Welt: Bey Mehrmaliger Unterredung/ Vor dißmal so wol/ Von der Natur/ Welt/ Himmel/ und dem Gestir/ insgemein/ Als auch insonderheit von dem Mond/ der Sonnen/ und allen übrigen wandelbaren Sternen

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einer eigenen Zusammenschau einließ: Im Jahr 1676 brachte er ebenfalls in Nürnberg eines der überhaupt ersten Handbücher zur Astronomie heraus, Das eröffnete Lust-Haus der Ober- und Niederwelt, von der Natur, Welt, Himmel und dem Gestirn insgemein. Mit seinem breiten, auf die Erfassung von Welt und Kosmos gerichteten Panorama ist das Werk noch deutlich kosmographischen Traditionen verpflichtet; und auch sich selbst bleibt Francisci treu: Die Kompilation ist erneut mehr als 1500 Seiten stark (wenngleich dieses Mal im handlicheren Quartformat) und verlässt sich wiederum auf die erprobte Form des Gesprächs. Francisci lässt vier Diskutanten mit den Namen Adlerhaupt, Goldstern, Forell und Winterschild das Wissen diskursiv durchschreiten. Geredet wird über Gott und die Welt – und das in einem ganz konkreten Sinn: Für Francisci erzeugen Glauben und der instrumentgestützte Blick in den Himmel in zeitüblicher Weise noch keinen Widerspruch. Vielmehr fungiert die „SternKunst“ als eine Art Hilfswissenschaft zur besseren Erkenntnis Gottes, dem unbestreitbaren „Großmeister des Gestirns“48. Diese theozentrische Einfassung des Wissens bestimmt zugleich seinen reduzierten Komplexitätsgrad; insofern findet sich hier ein implizites Popularisierungskonzept. So heißt es in der Vorrede an den „christlichen Leser“, dass das Werk „nicht eben solche subtile Sachen/ die allein ein Stern-Weiser ; sondern mehrentheils solche/ die auch wohl einer/ der in der Stern-Kunst ungegründet/ fassen kan/ zu schauen gibt. Denn hierinn wird hauptsächlich nur von der Natur/ Eigenschafften/ und Würckungen/ so wol deß Himmels/ als seiner hellfunckelnden Liechter/ gehandelt/ und zwar also/ daß dadurch mancher schöner Gedanck von der Fürtrefflichkeit unsers Schöpffers/ kann erregt werden.“49

Gleichwohl ist sich der Kompilator bewusst, dass der Anspruch auf Vereinfachung angesichts der „schwere[n] Sachen“ nicht selten leiden dürfte und bittet diesbezüglich um ein pragmatisches Leseverhalten: „Ich bin zwar nicht in Abrede/ daß etliche Blätter dieses Buchs […] etwas schwere Sachen begreiffen: aber dem/ welcher hievon kein Liebhaber/ stehet frey/ selbige/ wie ein tunckles Ecklein/ unbetrachtet/ vorbey zu gehen/ und andre Zimmer dieses oberweltlichen Lust=Hauses zu besuchen.“50

Das Lust-Haus huldigt jedoch nicht nur Gott, sondern an prominenter Stelle auch anderen (zeitgenössischen) Autoritäten: Gewidmet ist das Werk dem Danziger Astronom Johannes Hevelius (1611 – 1687), der vor allem mit seiner Selenogra[…] Allen Natur- Kunst- und Tugend-liebenden Augen zu beliebiger Ergetzung/ angewiesen […]. Nürnberg 1676, Widmung [unpag., f. 1v]. 48 Ebd., Vorrede [unpag., f. 2r]. 49 Ebd., Vorrede [unpag., f. ):( ):( ij]. 50 Ebd.

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phia: Sive, Lunae Descriptio51 (1647) für Furore sorgte, dem überhaupt ersten Mondatlas, dessen spektakulären Kupferstiche das ,Wissenschaftsbild‘ der Astronomie bis weit ins 18. Jahrhundert prägten und zahllose Male kopiert wurden – und wie sich mit dem Lust-Haus zeigt, wurden sie relativ früh potentiell auch breiteren Kreisen bekannt. Francisci preist Hevelius überschwänglich, der „in dieser edlen Wissenschaft zu unserer Zeit eine rechte Sonne sey“52. Die Gespräche selbst zeigen die kompilationstypische Mixtur aus alten und neuen Quellen, sie wägen Beweise und Standpunkte gegeneinander ab, führen Widerlegungen – kurz, die vier fiktiven Diskutanten moderieren das Wissen und lassen den aktuellen Stand der Astronomie Revue passieren. Verhandelt wird in den explizit als „Discursen“ bezeichneten Dialogen so ziemlich alles – die „Natur aller Dinge“53, aber auch die Planeten im Einzelnen, wer die Ferngläser verbessert habe54, welche ,Observationen‘ durch die verbesserte Technik möglich seien – die „Neu=entdeckte[n] Planeten“55 etwa –, der „Kometen=Bedeutung“56, die Mondberge57 (und natürlich die Frage der „Mond=Einwohner“58) und so fort. Hevelius‘ Leistungen in der Erforschung des Mondes erweist das Lust-Haus schon quantitativ Referenz, indem es allein über einhundert Seiten der Physiognomie und Geologie des Mondes widmet. Dass Francisci zudem einmal mehr um das unterhaltsame Potential des Gegenstandes bemüht ist, verrät sich in der Behandlung abseitiger Fragen und reizvoller Spekulationen, etwa die, wie lange man per Pferd zu den einzelnen Planeten unterwegs wäre.59 Überdies bricht der Nürnberger Kompilator auch im Lust-Haus die monothematische Konzentration letztlich auf. So bieten die Gespräche vielfältigen Anlass für diverse Abschweifungen in andere Bereiche, darunter einmal mehr in die ,Ethnographie‘, wenn über die vermeintlich langlebigeren „Nord=Völcker“60 oder die „Speisen: der Lappländer“61 debattiert wird. Das Bezeichnende in der Spannweite der diskutierten Meinungen und Quellen ist ihr undogmatisches Nebeneinander. Sehr plakativ zeigt sich das schon in der gleichberechtigten Illustration des heliozentrischen und geozentrischen Systems (Abb. 1 und Abb. 2). Ohne einseitig Partei zu ergreifen, bringt

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Jan Hevelius: Selenographia: Sive, Lunae Descriptio […]. Danzig 1647. Francisci, Das eröffnete Lust-Haus, 1676, Widmung [unpag.]. Ebd., S. 1. Ebd., S. 386. Ebd., S. 357 ff. Ebd., S. 1530 ff. Ebd., S. 423. Ebd., S. 455. Ebd., S. 378. Ebd., S. 255. Ebd.

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Francisci hier etwa die „Sitz-Ordnung der Stern-Kugeln nach Copernici Meynung“62.

Abb. 1: Darstellung des ptolemäischen (geozentrischen) Systems von Cornelius Nicolaus Schurtz. Abbildung aus Erasmus Francisci: Das eröffnete Lust-Haus Der Ober- und Nieder-Welt […]. Nürnberg 1676, nach S. 358.

Mit Blick auf die Popularisierungsleistung des Wissens ist zudem beachtlich, dass Francisci seine ,astronomische Blütenlese‘ nicht nur aus Monographien zum Thema gewinnt, sondern mit den Periodika auch auf die neuen Medien der gelehrten Kommunikation zurückgreift. Die ältesten und ersten wissenschaft62 Ebd., S. 360.

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Abb. 2: Darstellung des kopernikanischen (heliozentrischen) Systems von Cornelius Nicolaus Schurtz. Abbildung aus Erasmus Francisci: Das eröffnete Lust-Haus Der Ober- und Nieder-Welt […]. Nürnberg 1676, nach S. 360.

lichen Zeitschriften, das französische Journal des Scavans und die Philosophical Transactions (beide gegründet 1665),63 bewirkten innerhalb kürzester Zeit eine dramatisch veränderte Austauschdynamik innerhalb der res publica literaria 63 Dazu etwa die Studien: Jean-Pierre Vittu: Le journal des scavants et la R¦publique des lettres, 1665 – 1714. Paris 1998; Dwight Atkinson: Scientific Discourse in Sociohistorical Context. The Philosophical Transactions of the Royal Society of London, 1665 – 1975. Mahwah NJ 1999.

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und wurden zu Trägermedien der wissenschaftlichen Revolution;64 ihnen räumt auch Francisci im Lust-Haus einen hohen Stellenwert ein, vielfach ist die Rede davon, dass eine der zahllosen Observationen den „Ephemeridibus Eruditorum“65 einverleibt worden sei – etwa die Venusbeobachtung von Giovanni Domenico Cassini (1625 – 1712), des „Professors der Sternkunst zu Bologna“66. Mit Blick auf das Publikationsjahr (1676) von Franciscis Handbuch zeigt sich so, dass die neuen Wissensmedien der Gelehrtenrepublik trotz einer gewissen ,Latenzzeit‘ relativ zeitnah durch Übersetzung in andere Rezeptionskontexte einsickerten. Francisci bereitete sie in Auszügen für ein breiteres Publikum auf, das vermutlich gar keinen Zugriff auf die Primärquellen hatte und am ehesten noch des Lateinischen, weniger aber des Französischen und Englischen mächtig war. Denn anders als das erste deutsche Gelehrtenjournal, die später erschienenen Leipziger Acta Eruditorum67 (ab 1682), forcierten das Journal des Scavans und die Philosophical Transactions bereits den Einsatz der Landessprachen als Wissenschaftssprache. Die Frage der Verfügbarkeit des Wissens führt zurück zum Ort seiner Produktion und zugleich zum zweiten Medium der Wissenspopularisierung: Es war kein Zufall, dass das Lust-Haus der Ober- und Nieder-Welt in Nürnberg erschien. Die fränkische Reichsstadt war bereits seit dem 16. Jahrhundert ein Zentrum der Mathematik und auch ihres Teilfachs, der Astronomie.68 Die Vermessung von Welt und Kosmos hatte hier Tradition, manifestierte sich verschiedentlich und eindrücklich – schon 1492 hatte Martin Beheim (1459 – 1507) hier den ältesten erhaltenen Erdglobus entworfen. Stellt man zudem Nürnbergs Rang als Druckzentrum und Buchhandelsplatz in Rechnung, dürfte sich Erasmus Francisci berechtigte Hoffnungen gemacht haben, hier das richtige Umfeld für einen wachsenden Wissensmarkt zu finden. Die bedeutende Verbindung von Astronomie- und Mediengeschichte am Beispiel Nürnbergs zeigt sich zudem in der herausragenden Stellung der Stadt in der Kalenderproduktion.69 Dominiert

64 Zu dieser Entwicklung siehe etwa den Überblick: Martin Gierl: Korrespondenzen, Disputationen, Zeitschriften. Wissensorganisation und die Entwicklung der gelehrten Medienrepublik zwischen 1670 und 1730. In: Richard van Dülmen, Sina Rauschenbach (Hg.): Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Köln 2004, S. 417 – 438. 65 Francisci, Das eröffnete Lust-Haus, 1676, S. 582. 66 Ebd. 67 Weiterhin grundlegend: Augustinus Hubertus Laeven: The „Acta Eruditorum“ under the Editorship of Otto Mencke (1644 – 1707). The History of an International Learned Journal between 1682 and 1707. Amsterdam 1990. 68 Als Überblick siehe etwa: Andreas Kraus: Der Beitrag Frankens zur Entwicklung der Wissenschaften (1500 – 1800). In: Max Spindler (Hg.): Franken, Schwaben, Oberpfalz bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts (Handbuch der bayerischen Geschichte 3). München 1971, S. 603 – 643, hier bes. S. 603 – 608. 69 Dazu maßgeblich: Klaus Matthäus: Zur Geschichte des Nürnberger Kalenderwesens. Die

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wurde das Nürnberger Kalendergeschäft seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wiederum von Endter, dem Arbeitgeber Franciscis. Als Kalenderautor betätigte sich dieser allerdings nicht; pikanterweise ließ sich Francisci im LustHaus vielmehr zu einem wenig schmeichelhaften Urteil über die „ungelehrte[n]“ Kalendermacher hinreißen: „Ich muß bekennen/ daß hierinnen auch bisweilen hoch erfahrne und Grund-Gelehrte Sternkündiger der Sachen zu viel thun; indem sie Vermutungen/ für Gewißheiten/ dem Leser darstellen. Denn was manche ungelehrte Calender-Schmierer/ welche deß Titels eines erfahrnen Sternforschers gantz unwürdig sind/ aufs Papier hin klecken/ davon mag ich nicht einmal sagen.“70

(Gesprächs-)Kalender und Wissenspublizistik Im harschen Verdikt des Kompilators gegenüber den „ungelehrte[n] CalenderSchmierer[n]“ deutet sich bereits der gewaltige Erfolg des Mediums an71: Gerade seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts versuchte eine zunehmend breitere und mehr oder minder professionalisierte Autorenschaft die steigende Nachfrage nach dem prototypischen ,Volks- und Alltagsmedium‘72 Kalender zu befriedigen. Seine Popularität und Breitenwirkung resultierte bereits aus dem Vertriebsweg, der zugleich einen frappierenden Unterschied zu den relativ ,stationären‘ Enzyklopädien markiert: Gemeinsam mit anderen Gattungen des Kleinschrifttums und der Flugpublizistik73 – Einblattdrucke und Flugschriften etwa – wurden Kalender weniger vom „höchst angesehenen Stand des Buchhändlers“74 vertrieben, sondern über fliegende Händler, Krämer oder Kolporteure. Da sich deren Aktionsradius nicht auf den städtischen Raum beschränkte, trug der Kalenderabsatz entscheidend dazu bei, Wissen zu mobilisieren und allmählich auch in die ländliche Peripherie zu verlagern – wenn auch nur in

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Entwicklung der in Nürnberg gedruckten Jahreskalender in Buchform. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 9 (1969), Sp. 965 – 1396. Francisci, Das eröffnete Lust-Haus, 1676, S. 1325. Für spezifische Aspekte im Schweizer Raum siehe die Studie von Teresa Tschui: Wie solche Figur zeiget. Der schweizerische Volkskalender als Bildmedium vom 17. bis zum 19. Jahrhundert (Presse und Geschichte – Neue Beiträge 40). Bremen 2009. Nach Faulstich: Die bürgerliche Mediengesellschaft, 1700 – 1830 (Die Geschichte der Medien. Bd. 4). Göttingen 2002, S. 150. Zu einer umfassenden mediengeschichtlichen Definition siehe jüngst: Daniel Bellingradt: Flugpublizistik und Öffentlichkeit um 1700. Dynamiken, Akteure und Strukturen im urbanen Raumen des Alten Reiches (Beiträge zur Kommunikationsgeschichte 26). Stuttgart 2011, bes. S. 11 – 20. Paul Raabe: Der Buchhändler im achtzehnten Jahrhundert in Deutschland. In: Giles Barber, Bernhard Fabian (Hg.): Buch und Buchhandel in Europa im achtzehnten Jahrhundert. Hamburg 1981, S. 271 – 291, hier S. 274.

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wesentlich kleineren Ausschnitten, da es sich bei den Kalendern um dünne Heftchen handelte und nicht um dickleibige Kompendien wie die von Francisci. Die periodisch publizierten Jahreskalender in Buchform, entweder im Quartoder Oktavformat, boten zunächst ein kaum modifiziertes, zweiteiliges Erscheinungsbild75 : Ein erstes Heft enthielt den Hauptinhalt, das Kalendarium für das laufende Jahr, und zudem Raum für eigene Notizen; das zweite, in der Regel angebundene Heft lieferte als sogenannte ,Practica‘ oder ,Prognosticon astrologicon‘ Voraussagen – nicht nur zum Wetter der Jahreszeiten, sondern auch zu Frieden und Krieg. Für Popularisierungsprozesse ist folgender Befund wichtig: Bereits seit dem späten 16. Jahrhundert lagerten sich an die Primärinhalte diverse Einlassungen etwa aus den Feldern Medizin, Theologie, Ökonomie und vor allem Geschichte an,76 die den Kalender zu einem vielseitigen Medium der Wissensvermittlung und -sammlung machten. Dabei ähnelte nicht nur die Breite der Inhalte den Mechanismen der Kompilationsliteratur, sondern auch die Tonalität: Zahllose Kalender der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts folgten wie Francisci in seiner Lustigen Schau-Bühne dem offenbar unstillbaren Hunger auf wie auch immer geartete Curiositäten77, Denk- und Merkwürdigkeiten78. Neben dieser inhaltlichen gab es auch eine strukturelle Parallele zu den größeren Wissenssammlungen: Denn auch die Kalender adaptierten mit dem Einsatz des Gesprächs das Muster der geselligen Konversations- und Dialogliteratur – das vd1779 listet einige Dutzend Titel auf –, und das sogar relativ früh80 : Bereits 1657 wurde vom Pfarrer Christoph Richter (1618 – 1680) der erste Gesprächs-Kalender81 veröffentlicht. Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen sind jedoch nicht

75 Die folgende Charakterisierung nach Helga Meise: Das archivierte Ich. Schreibkalender und höfische Repräsentation in Hessen-Darmstadt, 1624 – 1700. Darmstadt 2002. 76 Dazu Alfred Messerli: Art. Kalender ; publizistisches Medium. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 6. Stuttgart 2007, Sp. 279 – 282. 77 Etwa Friedrich Weißkohl: Alter und Neuer Von seltenen und unterschiedenen Sachen Ausgefertigter Curiositäten-Calender […]. Nürnberg 1673. 78 Etwa Michael Crügner : Neuer und Alter Außerlesener/ Denckwürdiger Historien Calender: Worinnen Nebens der Sonnen/ Monds/ und anderer Planeten und Aspecten Lauff und Zustand […]. Regensburg 1697. 79 Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts, , [3. Jun. 2013]. 80 Für den Nürnberger Kontext ist weiterhin das frühe und einflussreiche Beispiel der „Gesprechsspiele“ Georg Philipp Harsdörffers (1607 – 1658) erwähnenswert: Georg Philipp Harsdörffer : Frauenzimmer Gesprechsspiele: so bey Ehr- und Tugendliebenden Gesellschaften/ mit nutzlicher Ergetzlichkeit/ beliebet und geübet werden mögen […]. 8 Bde. Nürnberg 1644 – 1649. 81 Christoph Richter : Alter und Neuer Gesprächs-Kalender/ In welchem zu Belustigung des Lesers Zween Sternseher/ Ein Bürger/ Ein Bauer/ Ein Soldat/ Ein Artzt/ Ein Gespräch miteinander halten von dem Zustande des MDCLVIII. Christen-Jahres […]. Leipzig 1657.

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die Kalendergespräche von Richter,82 sondern die des jüngeren Gottfried Kirch (1639 – 1710). Als einer der erfolgreichsten Kalendermacher des 17. Jahrhunderts setzte er unter anderem auch einige Kalenderreihen Richters fort.83 Kirch ist für Fragen der Popularisierung von besonderem Interesse, da er gerade nicht zur Masse der von Francisci kritisierten „ungelehrte[n] Calender-Schmierer“ zählte; im Gegenteil: er gehörte zu den führenden Astronomen seiner Zeit, baute eigene Teleskope,84 stellte zahllose Beobachtungen an und korrespondierte mit anderen Größen des Faches, etwa mit Hevelius.85 Seine Kalenderproduktion zeigt dann auch eindrücklich seine Rolle als Mittlerfigur zwischen Gelehrsamkeit und Popularität: Seit den späten 1660er Jahren publizierte Kirch mit hoher Schreibintensität verschiedene Kalenderreihen, in denen – medientypisch – von Beginn an auch ganz ,nützliche‘ Wissensbereiche bedient wurden, darunter im Altenburger Haußhaltungs- und Kunst-Calender86. Neben Altenburg und anderen Verlagsorten veröffentlichte Kirch ab 1672 auch bei Endter in Nürnberg. Hier übernahm er zunächst den vom gelehrten Bauer Nicolaus Schmidt Küntzel (1606 – 1671) begonnenen Almanach […] Das ist: Alter und Neuer Schreibkalender87, der noch nicht im Dialogmodus gehalten war und in den Informationsspalten erneut vor allem alltagspraktische Handreichungen bereit hielt, so etwa Mittel gegen das Zahnweh.88 Relativ bald folgte Kirch allerdings auch der Endter’schen Prämisse, „Unterhaltendes in großem Stile“89 zu veröffentlichen – und damit gerade auch auf die erwähnten ,Merkwürdigkeiten‘ und „Curiositäten“ zu setzen. So gibt er in einem seiner ersten Gesprächskalender, 82 Eingehend dazu Klaus-Dieter Herbst: Die Schreibkalender im Kontext der Frühaufklärung (Acta Calendariographica – Forschungsberichte 2). Jena 2010, S. 196 – 209. 83 Klaus-Dieter Herbst: Die Kalender von Gottfried Kirch. In: Wolfgang R. Dick, Jürgen Hamel (Hg.): Beiträge zur Astronomiegeschichte. Bd. 7 (Acta Historica Astronomiae 23). Frankfurt a. M. 2004, S. 115 – 159, hier S. 117. 84 Dazu Klaus-Dieter Herbst: Die astronomischen Instrumente von Gottfried Kirch. In: Jürgen Hamel (Hg.): Der Meister und die Fernrohre. Das Wechselspiel zwischen Astronomie und Optik in der Geschichte. Festschrift zum 85. Geburtstag von Rolf Riekher. Frankfurt a. M. 2007, S. 203 – 228. 85 Umfassend: Gottfried Kirch: Die Korrespondenz des Astronomen und Kalendermachers Gottfried Kirch (1639 – 1710), hg. von Klaus-Dieter Herbst. 3 Bde. Jena 2006. 86 Kirch Gottfried: Der rechte Altenburgische Nach der Alten und Neuen Zeit Vernemlich und wolgestellte Haußhaltungs- und Kunst-Calender/ Auff das Jahr Christi M.DC.LXVIII […]. Altenburg 1667. 87 Gottfried Kirch: Almanach/ […] das ist: Alter und Neuer Schreib-Calender/ Darinnen auff jeden Monat/ […] der Planeten Stand in Graden und Minuten […] zu befinden/ mit den Aspecten aller Planeten […]. Nürnberg 1672. Zur Fortführung der Reihe durch Kirch siehe auch Klaus-Dieter Herbst: Verzeichnis der Schreibkalender des 17. Jahrhunderts (Acta Calendariographica – Forschungsberichte 1). Jena 2008, S. 144. 88 Nicolaus Schmidt Küntzel: Almanach/ […] Das ist: Alter und Neuer Schreib-Calender […] Auff das Schalt-Jahr […] MDCLXXVI. […]. Nürnberg 1676, [unpag., f. 4r]. 89 Reinhard Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels. München 21999, S. 95.

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dem Warhafftigen Himmels-Bothen Oder Astronomischen Wahr-Sager (1677 – 1709), im ersten Teil des Kalendariums unter der Rubrik „Rare Künste“ amüsant-spielerische Anregungen wie „Ein Liecht mit einem Pistol-Schusse auszuleschen oder auszuputzen“ sei.90 Neben diesem Unterhaltungswissen trat allerdings gerade bei Kirch von Anfang an das Bemühen, aktuelles astronomisches Wissen zu vermitteln und den Leser zu eigener aktiver Teilhabe an der empirischen Beobachtungspraxis zu bewegen. Dafür setzt er nicht im Kalendarium des Warhafftigen Himmels-Boten, sondern im prognostischen Teil oder Calendarische[n] Anhang91 auf das Kalendergespräch. Dessen grundsätzliche Tonalität deutet Kirch bereits im Vorbericht an den Leser an, wenn es heißt, dass „[e]tlichen Capiteln […] ein Gespräch nach gesetzet [ist]/ in welchem […] vernünftige Muhtmassungen gefallen/ was auf eine oder die andere Himmels=Begebenheit auf dem Erdboden erfolgen möchte“ – der Kalender als Medium der Vernunft und der Frühaufklärung.92 Die fiktiven Diskutanten des dreiseitigen Gesprächs tragen teils sprechende Namen – Kirch bringt einen Geistlichen („Theophilus“), einen Bürger („Adam“), einen Schäfer („Simplex“) und „zwey Sternkündige“93 zusammen, die als „Ptolomaeus und „Copernicus“94 vorgestellt werden, Repräsentanten also der ,alten‘ und ,neuen‘ Astronomie. Das Frontispiz des Kalendariums (Abb. 3) zeigt die Gesprächsrunde und greift mit der Gartenszene zudem den beliebtesten Ort barocker Text-Metaphern auf.95 Der Auftakt der Unterredung lanciert zunächst – wie schon in Franciscis astronomischer Kompilation – den Einklang von Glauben und Beobachtungswissen. So kündigt Ptolemaeus an, dass man dank des Teleskops „freylich jetzt bald etwas neues und Ungemeines zu sehen bekommen/ daraus wir Gottes treue vätterliche Regierung gnugsam zu verspühren haben“96. Direkt auf diese Eröffnung hin gibt die Bemerkung des Städters, dass es den „Astronomischen Rechnungen bisweilen um ein merckliches fehle“97, allerdings Anlass für den Einstieg in den Vermittlungsprozess. Dem Stadtbürger und Schäfer kommt dabei als den ,unbedarften‘ Gesprächsteilnehmern eine offensichtlich didaktische Rolle zu: Das avisierte 90 Gottfried Kirch: Warhafftiger Himmels-Bothe Oder Astronomischer Wahr-Sager/ Welcher anzeiget Die sichtbaren und undsichtbaren Wunder- und merckwürdige Himmels-Begebenheiten […] In dem Jahre […] MDCLXXVII […]. Nürnberg 1677, [unpag., f. 3r]. 91 Gottfried Kirch: Calendarischer Anhang/ Darinnen der warhaftige Himmels-Bothe oder Astronomische Wahrsager Die sichtbaren und unsichtbaren Wunder- und Merckwürdigen Himmels-Begebenheiten […] Im Jahr Christi MDCLXXVII. […]. Nürnberg 1677. 92 Siehe dazu umfassend die Arbeiten von Klaus-Dieter Herbst. 93 Kirch, Calendarischer Anhang, 1677, f. 2r. 94 Ebd. 95 Vgl. bereits Franciscis Ost- und West-Indischer wie auch Sinesischer Lust- und Stats-Garten. 96 Kirch, Calendarischer Anhang, 1677, f. 2r. 97 Ebd.

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Abb. 3: Frontispiz von Gottfried Kirchs Warhafftigem Himmels-Bothen (1677). Abbildung aus Gottfried Kirch: Warhafftiger Himmels-Bothe Oder Astronomischer Wahr-Sager/ Welcher anzeiget Die sichtbaren und undsichtbaren Wunder- und merckwürdige Himmels-Begebenheiten […] In dem Jahre […] MDCLXXVII […]. Nürnberg: Christoph Endter, 1677. Altenburg, Stadtarchiv, Sign. Kal1:1677(25K), , [3. Jul. 2013].

Kalenderpublikum konnte sich mit ihren Fragen und Beiträgen relativ einfach identifizieren und wurde von Kirch insofern an seinem Kenntnisstand geradewegs ,abgeholt‘:

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„Simp. [Simplex] Ich dachte die Sonne/ der Mond und die Sterne stünden alle am Himmel. Ptol. [Ptolemaeus] Ja freylich stehen sie alle am Himmel/ aber du must wissen/ daß der Himmel sey ein grosser Raum/ darinnen ein jeder Planet seinen gewissen Gang in seiner sonderlichen Weite von der erden führet.“98

Was Klaus-Dieter Herbst als genuine Aufklärungsleistung der Schreibkalender beschrieben hat, findet sich exemplarisch auch bei Kirch: Die Verbreitung astronomischen Wissens markiert den Ausgangspunkt für eine allmähliche Kritik überkommener astrologischer Sichten auf das Firmament und damit verbundener Deutung: „Cop. [Copernicus] Ja der Sterne Lauff ist gewiß genug/ auch endlich noch wol zu erlernen/ aber die Bedeutung oder Wirckung des Gestirs [sic!] ist ziemlich ungewiß/ und so leicht nicht zu erlernen.“99 Gleichwohl behauptet die theozentrische Sicht der Dinge mit dem direkt folgenden, selbstsicheren Einwand des Theophilus noch ihren Anspruch: „Mein Freund/ die Bedeutung will ich euch besser sagen/ als irgend ein Sternseher.“100 Neben dem insgesamt unentschiedenen wie unproblematischen Miteinander von astronomischen und astrologischen Inhalten vermittelt Kirch ein Gefühl für den hohen Stellenwert der optischen Instrumente (hier : des Teleskops) der ,neuen‘, das heißt empirischen Naturphilosophie – gerade auch, weil diese mit den neuen, im wörtlichen Sinne tieferen Einsichten überhaupt erst neue Fragen aufwerfen und einen Erkenntnisfortschritt ermöglichen. So bemerkt die Figur des „Copernicus“ an einem Punkt: „Am gantzen Himmel ist kein Stern darüber ich mich mehr verwundere/ als über den Saturn. Ad. Wieso? Coper. Betrachtet man sonst einen Stern/ es sey was vor einer es wolle/ durch einen guten Tubum opticum, so siehet er aus/ als eine runde Kugel […]/ aber Saturnus ist der wundersamste unter allen/ der hat um seine Kugel auch einen lichten Ring.“101

Aber auch hier gilt: Obwohl das Kalendergespräch des Folgejahres zeigt, dass selbst die Figur des Theophilus über ein „gutes Perspectiv“102 verfügt, ist der Status des Teleskops als eines der neuen „Wahrheitsinstrumente“103 des 17. Jahrhunderts noch keineswegs unangefochten. Diese ,epistemologische Skepsis‘

98 99 100 101 102

Ebd., f. 2v. Ebd. Ebd. Kirch, Calendarischer Anhang, 1677, f. 2v. Gottfried Kirch: Calenderarischer Anhang […] Im Jahr Christi MDCLXXIX. […]. Nürnberg 1679, f. 10r. 103 Hartmut Böhme: Die Metaphysik der Erscheinungen. Teleskop bei Goethe, Leeuwenhoeck und Hooke. In: Helmar Schramm, Jan Lazardzig, Ludger Schwarte (Hg.): Kunstkammer, Laboratorium, Bühne. Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert. Berlin 2003, S. 359 – 396, hier S. 378.

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greift der Städter prägnant im Kontext der Frage auf, ob die Bewegung der Planeten Einfluss auf das irdische Wetter habe: „Adam. O ihr Herren Stern=Kucker! wie ich höre/ so zweiffelt ihr selbst an eurer Kunst. Coper. [Copernicus] Ich zweiffele nicht gantz und gar/ glaube aber doch/ daß das Wetter sich nicht allemal nach dem Lauff des Gestirns so genau richte.“104

Seine fiktive Gesprächsrunde versammelt Gottfried Kirch mit Unterbrechungen noch über zwanzig Jahre später im Calendarischen Anhang seines HimmelsBothen und dehnt die Astronomie auf ihre Verbindung mit anderen Wissensfeldern aus, etwa mit „Gesund= und Krankheiten“105. Die lange Kontinuität zeigt die Tragfähigkeit des dialogischen Formats für Zwecke der Wissensvermittlung und Kirch pflegte sie in weiteren Kalendarien, auch wenn diese nicht im Einzelnen qua Titel explizit als Gesprächskalender ausgewiesen waren.106 So begann er bereits ein Jahr vor dem Ersterscheinen des Himmels-Bothen 1676 in Leipzig den Astronomischen Wunder-Kalender107, ebenfalls mit einem über zwanzigjährigen Erscheinungszeitraum. Die Grenzen zwischen Wissen und Unterhaltung sind einmal mehr schwebend, wenn Kirch im Informationsteil des Kalenders zunächst eine Kompilation bzw. einen „Beysatz etlicher Wunder=Geschichte“108 bringt, darunter die für den „Curiositäten“- und Naturwunder-Bestand des 17. Jahrhunderts so obligatorischen Berichte vom „Hörnichten Menschen“109 oder „Von etlichen Wunder=Brunnen“110. Das Gesprächskapitel folgt auch hier erst im zweiten Abschnitt der Kalenderpraktik – dem Anderen Theil111 – und zeigt sich als ausdrücklicher Dialog zwischen nur zwei Ge104 Kirch, Calendarischer Anhang, 1679, f. 10r. 105 Gottfried Kirch: Calendarischer Anhang […] Im Jahr Christi MDCCII. […]. Nürnberg 1702, f. 10v. 106 Eine zeitgleiche, wenngleich kurzlebige Ausnahme mit nur einem Jahrgang: Gottfried Kirch: Alter und Neuer Historien- und Gespräch-Kalender/ Auffs Jahr nach Jesu Christi Geburt/ 1678./ Welchen mit Fleiß auffgesetzet Hipparchus/ ein Liebhaber der Stern-Kunst. Annaberg 1677. 107 Gottfried Kirch: Alter und Neuer Rechter Astronomischer Wunder-Kalender/ Darinnen/ über die Himmels=Begebenheiten an Sonne/ Mond und Sternen=Wunder/ im Jahre M.DC.LXXVII. […] Auch merckwürdige Wunder=geschichte […]. Leipzig 1677. 108 Ebd., f. 2r. 109 Ebd., f. 4r. Für die Passage greift Kirch als Quelle auf die für die Kompilationsliteratur des Barock äußerst einflussreiche Anthologie Thr¦sor des histoires admirables et memorables de nostre temps (Genf 1610) des französischen Humanisten und Übersetzers Simon Goulart (1543 – 1628) zurück. Seit 1613 lag Goularts Werk auch in deutscher Übersetzung als Schatzkammer, Uber Natürlicher, Wunderbarer und Waldenckwürdiger geschichten und fällen […] (Straßburg 1613) vor. 110 Kirch, Astronomischer Wunder-Kalender, 1677, f. 14r. 111 Gottfried Kirch: Anderer Theil Des Rechten Astronomischen WunderKalenders Auffs Jahr […] M.DC.LXXVII.: Darinnen die natürliche Wunder […] oder unfehlbare HimmelsBegebenheiten dieses Jahres enthalten […]. Leipzig 1677.

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sprächspartnern. Die Rollenkonstellation ist die gleiche wie im Himmels-Bothen und evoziert ein erhebliches Wissensgefälle – mit dem lediglich kosmetischen Unterschied, dass die Figur des Astronomen („Sternhold“) nicht auf einen Schäfer, sondern auf einen Bauern („Erdmann“) trifft.112 Der Auftakt des Dialogs lässt einmal mehr die natur- und physikotheologische Grundierung der zeitgenössischen Naturwissenschaft erahnen,113 wenn Sternhold im frommen Tonfall eingangs zunächst umfassend „Gott und Vater“ für den Schutz im vergangenen Jahr dankt. Darauf entspinnt sich das astronomische Frage- und Antwortspiel, angefangen bei der Venus: „Erdm. [Erdmann] Ich möchte gerne wissen/ was dieses vor ein schöner großer Stern ist/ der itzt alle Morge früh vor Tage auffe gehet. Stern. [Sternhold] Es ist die Venus/ welche ihr itzt den Morgenstern heisset.“114 Der Gesprächsverlauf macht keinen Bogen um amüsante Wissensfragen („Wie lange würde man zubringen müssen/ ehe man bis zur Venus gelangete?“115) und auch hier lanciert Kirch eine zumindest tendenzielle Abschwächung der Annahme vom astrologischen Einfluss der Planeten. Hier ist es jedoch ausgerechnet der Astronom, der sich nicht der endgültigen Leugnung alter Wahrheiten anschließen will: „Erdm. Vielleicht haben die Sterne gar keine Wirckung. Sternh. Es wollen heutigen Tages zwar etliche des Gestirns Wirckung gantz und gar leugnen/ aber ich meines wenigen Theils kann ihnen nicht beyfallen.“116 In der Diskussion dieses Punktes setzt sich Kirch überdies in der Figur des Sternhold über eine deutliche Spitze vom Gros der „Calender-Schmierer“ ab und platziert damit implizit auch eine Kritik am Kalender als verlässlichem Wissensmedium: „Erdm. Etliche Kalenderschreiber rühmen sich ja grosser Streiche/ wollen alles wissen/ was das Gestirn auf Erden wircke. Sternh. Eben diese verderben die Sache/ dichten den Sternen mehr Wirckung als sie haben […] und solches alles soll ihnen das Gestirn anzeigen/ da doch solche Pralhanse theils nicht die Planeten kennen noch die Ephemerides vestehen […].“117

Kirch lässt die Diskutanten in jedem Kalenderjahrgang von 1676 bis 1700 jeweils zu vier kurzen Gesprächen zusammenkommen, die auf die Prognostiken der vier Jahreszeiten folgen. Dieses Muster wird konsequent beibehalten, allerdings ergänzt der Autor mit den Jahren noch eine dritte, nicht näher charakterisierte Figur des „Kunstlieb“. Diese ist es auch, die im Austausch über die „Himmels112 Ebd., f. 7r. 113 Dazu etwa Anne-Charlott Trepp: Zwischen Inspiration und Isolation. Naturerkundung als Frömmigkeitspraxis in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert. In: Zeitenblicke 5.1 (2006), , [3. Jun. 2013]. 114 Kirch, Anderer Theil Des Rechten Astronomischen WunderKalenders, 1677, f. 7r. 115 Ebd. 116 Ebd., f. 7v. 117 Ebd.

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Begebenheiten“118 des Jahres 1685 die neuen Medien der gelehrten Welt in die Diskussion einbringt: „Sternhold. […] Was bringt der Herr gutes Neues mit? Kunstlieb. Hier habe ich die neueste Engelische Philosophical Transactions. Erdmann. Was sind das vor Sachen? Kunst. [Kunstlieb] In Engelland haben etliche gelehrte Leute eine Gesellschaft mit einander gemachet/ die Natur zuerkundigen/ so wol am Himmel/ als auf der Erden. Diese Leute haben viel schöne Sachen erfunden/ und wird diese Gesellschaft von allen verständigen Leuten geliebet/ und gelobet/ auch der König in Engelland selbst hat sie so hoch gewürdiget/ ihr Haubt zu seyn; daher sie jetzt die Königliche Englische Gesellschaft/ oder Societät genennet wird. So offt nun etwas Neues merckwürdiges erfunden oder observiret worden/ wird es durch den Druck in Engellischer Sprache bekannt gemachet/ und solche Schrifft ists die ich hier habe. Erdm. Ey/ es mögen wol schöne Sachen drinnen stehen: Ja wer es verstünde! Ist das Englisch?“119

Das Bemerkenswerte ist hier erstens die regelrechte Inszenierung der Philosophical Transactions gegenüber einem nicht-akademischen Publikum und zweitens, dass Kirch aktuelle Beobachtungen und Beiträge des Periodikums diskutieren lässt und die Figuren solcherart nutzt, um sich als Astronom selbst in die Debatte einzuschalten. Über diese Strategie gelangten die Kalenderleser äußerst ,nah‘ an den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs. So zeigt sich der Wissenschaftler Sternhold erfreut, dass sich seine Beobachtung einer Konjunktion mit denen des ersten königlichen englischen Astronomen John Flamsteed (1646 – 1719) decken: „Stern. Dieses erfreuet mich/ daß durch meine geringe Instrumentchen ich eben den Tag getroffen/ als dieser berühmte Observator, der mit sehr guten Instrumenten versehen“120 – ein Befund, der Sternhold und auch Kunstlieb direkt zu einem Lamento über den unterentwickelten Stand heimischer Beobachtungspraxis bringt: „Sternh. Es ist zu beklagen/ daß allhier in Teutschland so wenig auf Astronomische Observationen gewendet wird […]. Kunstl. Aber es wird wohl bey beklagen bleiben/ und die Ausländer werden in diesem Fall vor uns wol den Ruhm erhalten.“121 Nichtsdestotrotz erübrigt Sternhold auch für heimische Beiträge Lob und verweist mit den Leipziger Acta Eruditorum auf ein weiteres der frühesten Gelehrtenperiodika. Nicht zufällig hält er sich hier mit Beifall an Jan Hevelius, den Korrespondenzpartner Kirchs: „Stern. Das ist eben die Zeit in welcher der vortrefliche Astronomus Herr Joh. Hevelius zu Danzig sie [die Konjunktion] geschehen zu seyn schätzet/ wie aus denen Actis Eruditorum pag. 293.122 zu ersehen.“123 118 Gottfried Kirch: Anderer Theil des Astronomischen Wunder-Kalenders Auffs Jahr […] MDCLXXXV. […]. Leipzig 1685, f. 1r. 119 Ebd., f. 5r–v. 120 Ebd., f. 5v. 121 Ebd. 122 Gemeint ist Hevelius’ Beitrag „Succinta Historiola De tribus Conjunctionibus magnis,

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Diese Schlaglichter aus den Gesprächsteilen von Kirchs Kalendern zeigen nur einen kleinen Ausschnitt. Die überwiegende Masse der astronomischen Details wird dem Leser nicht über Dialoge, sondern in nüchterner ,wissenschaftlicher Prosa‘ ausgebreitet – insgesamt über Jahrzehnte gibt Kirch in zahllosen Kalenderreihen vielfältige Beobachtungsanleitungen, Berichte über anstehende Finsternisse, Planetenbedeckungen, Sternberechnungen etc., häufig anschaulich illustriert mit einfachen Holzschnitten (Abb. 4). Für die leicht fassliche Heranführung an die Breite des Grund- und Fachwissens erwies sich die Gesprächsform dabei als besonders tauglich. Stellt man Kirchs Hintergrund als professioneller Astronom in Rechnung, war es kein Zufall, dass die fiktiven Diskutanten auch auf die Philosophical Transactions und die Acta Eruditorum zu sprechen kommen – Kirch wusste um die bahnbrechende Bedeutung der Journale und brachte sie zu einem frühen Zeitpunkt einem weiteren Publikum nahe, das sich so ein Bild von aktuellen Entwicklungen in der ,Modewissenschaft‘ Astronomie machen konnte. Etwa zeitgleich vollzog sich in Norddeutschland in den 1680er Jahren ein ähnlicher Übertragungsprozess, der zugleich die Dynamik des Medienwandels illustriert: In Hamburg motivierten die gelehrten Periodika und ,neuen‘ Wissenschaften die Herausgabe der ersten ,allgemeinwissenschaftlichen‘ Zeitschrift in deutscher Sprache. Mit ihr verengte sich die gedehnte, jährliche Periodizität der Schreibkalender auf eine sogar wöchentlich getaktete Popularisierung des Wissens.

Die Relationes Curiosae: Wissen im Wochenrhythmus Auf Kompilationen und Schreibkalender folgte mit den ersten Zeitschriften eine weitere Säule in der Wissenspopularisierung des 17. Jahrhunderts. Neben Nürnberg, wo 1676 mit dem Götter-Both Mercurius die überhaupt erste deutschsprachige Zeitschrift erschien,124 erwies sich besonders Hamburg als Motor der Presseentwicklung.125 Schon in den 1670er Jahren teilten sich in Saturni scilicet, Jobis, nec non Martis, Gedani […]“ in Nr. VII der Acta Eruditorum von 1683, S. 209 – 298. 123 Kirch, Anderer Theil des Astronomischen Wunder-Kalenders, 1685, f. 5v. 124 Dazu Johannes Weber : Götter-Both Mercurius. Die Urgeschichte der politischen Zeitschrift in Deutschland. Bremen 1994. 125 Maßgeblich für die pressegeschichtliche Entwicklung Hamburgs sind Holger Bönings Arbeiten: Holger Böning, Emmy Moepps (Hg.): Deutsche Presse. Biobibliographische Handbücher zur Geschichte der deutschsprachigen periodischen Presse von den Anfängen bis 1815. Bd. 1.1: Hamburg. Von den Anfängen bis 1765. Stuttgart 1996; Holger Böning: Welteroberung durch ein neues Publikum. Die deutsche Presse und der Weg zur Aufklärung; Hamburg und Altona als Beispiel (Presse und Geschichte – Neue Beiträge 5). Bremen

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Abb. 4: Darstellung einer Mondfinsternis. Abbildung aus Gottfried Kirch: Anderer Theil des Astronomischen Wunder-Kalenders Aufs Jahr […] MDCLXXXV […]. Leipzig 1684, f. A2b. Altenburg, Stadtarchiv, Sign. KAL1:1685(4P), , [3. Jul. 2013].

Hamburg und dem angrenzenden Altona bereits acht Zeitungen den Markt der politischen Information,126 der Markt des Wissens folgte. Experimentierfreudige 2002. Für die Pressegeschichte Nürnbergs fehlen vergleichbar detaillierte Bibliographien bislang. 126 Holger Böning: Weltaneignung durch ein neues Publikum. Zeitungen und Zeitschriften als

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Verleger und Zeitungsherausgeber wie der niederländische Immigrant Thomas von Wiering127 (tätig von 1673 – 1703) versuchten eine Vielzahl neuer Publikationsformen zu etablieren und brachten so die Differenzierung des Mediensystems schubweise voran. Wiering erkannte als einer der Ersten, dass man nicht nur aus dem politischen Informationsbedürfnis der wachsenden städtischen Leserschaft Kapital schlagen konnte. Hier liegen die Anfänge des frühen populären Wissenschaftsjournalismus: Seit ungefähr Mitte 1681 ergänzte Wiering seine Zeitung Relations-Courier zwei Mal wöchentlich um eine ,allgemeinwissenschaftliche‘ Beilage, aus der alsbald eines der erfolgreichsten publizistischen Projekte des ausgehenden 17. Jahrhunderts wurde – Die Größten Denkwürdigkeiten der Welt oder so genannte Relationes Curiosae128 (1681 – 1691). Bereits der Titel verweist einmal mehr auf die Analogien der hier untersuchten Wissensmedien, das gilt besonders für die strukturelle Verwandtschaft mit Franciscis Kompilationen. So geht es auch dem Autor der Relationes Curiosae, dem hessischen Polyhistoren, Romancier und Journalisten Eberhard Werner Happel129 (1647 – 1690), um eine Anthologie des „curieusen“ Wissens der Zeit, um eine Zusammenstellung des Verblüffenden und Außergewöhnlichen unter der Ägide der Unterhaltung. Hier leistete Happel nichts anderes als eine Übertragung gängiger Mechanismen populärer Wissenskultur in den neuen periodischen Organisationsrahmen und lieferte sozusagen eine wöchentlich wachsende Enzyklopädie populären Wissens. Francisci gehört dabei zu seinen Hauptquellen. Anders als dieser oder Kirch setzte Happel in der Vermittlung seiner Themen jedoch nicht auf den Trend der Dialogliteratur. Stattdessen präsentiert er seine überwiegend kurzen wie prägnanten Wissensartikel in ,journalistischer‘ Be-

Medientypen der Moderne. In: Johannes Burkhardt, Christine Werkstetter (Hg.): Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit (Historische Zeitschrift. Beiheft 41), München 2005, S. 105 – 134, hier S. 109. 127 Werner Kayser : Thomas von Wiering von Erben. Ein bedeutendes Kapitel hamburgischer Druckgeschichte. In: Auskunft. Mitteilungsblatt Hamburger Bibliotheken 10 (1990), S. 343 – 371. 128 Eberhard Werner Happel: Gröste Denkwürdigkeiten der Welt Oder so genannte Relationes Curiosae [Bd. 1] Worinnen dargestellet/ und nach dem Probier-Stein der Vernunfft examiniret werden/ die vornehmste Physicalische/ Mathematische/ Historische und andere Merckwürdige Seltzahmkeiten […]. Hamburg 1683. Das Wochenblatt wies die für Periodika typische ,doppelte‘ Erscheinungsweise auf: Neben der periodischen Publikation in einzelnen ,Ausgaben‘ wurden diese jeweils jährlich und zweijährig in gesammelter Buchform zusätzlich veräußert. Insgesamt erschienen fünf Bände. Siehe dazu umfassend: Flemming Schock: Die Text-Kunstkammer. Populäre Wissenssammlungen des Barock am Beispiel der „Relationes Curiosae“ von E. W. Happel (Beiheft zum Archiv für Kulturgeschichte 68). Köln 2011. 129 Zur Biographie siehe Wilhelm Kühlmann: Art. Happel, Eberhard Werner. In: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Bd. 4. Gütersloh 1989, S. 511 – 512.

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richtsform, die den Standpunkt des Autors weitgehend unkenntlich macht und eine für die Zeit überraschend eingängige Wissenschaftsprosa liefert. Verleger und Autor waren sich ihrer Innovation bewusst und projektieren im Vorwort der Relationes Curiosae mit der publizistischen Konzeption auch ihre Idee der Wissenspopularisierung. Zeittypisch unterscheiden sie dabei nicht zwischen streng ,gelehrten‘ und anderen Inhalten. Ganz prägnant begründet Wiering die Motivation der Herausgabe zunächst mit der Intention des Wissenstransfers durch Übersetzung, damit, „wochentlich eine so-genandte Curieuse Relation außzugeben/ umb dadurch manchen ehrlichen Teutschen/ deme in Ermangelung der Lateinischen und andere frembden Sprache/ die Begierde dergleichen curieuse Materie zu lesen/ gewaltige anwächset/ einiger massen zu vergnügen“130 – ein Projekt, „welches insonderheit der Teutschen Nation zu einem unvergleichlichen Nutzen gereichen muß.“131 Emphatisch gelobt wird der gegenwärtige Stand der Wissenschaft. So sei die Zeit regelrecht ,reif‘, eine weitere Leserschaft an die verfügbare Breite des Wissens heranzuführen, und bei diesem Ziel spielen die Vorbilder der gelehrten Periodika eine zentrale Rolle. So „ist der menschliche Fließ heut zu Tage in so weit durchgedrungen/ daß keine oder doch gar wenige natürliche Dinge vorkommen/ darüber man nicht eine gründliche/ oder zum wenigsten warscheinliche Ursache geben könne. Die Naturkündiger sind hierinnen am meisten occupiret/ und […] so fället nunmehro wenig für/ darvon man nicht […] auß dem Collegio Regio Angliae [gemeint sind die Philosophical Transactions der Royal Academy, F.S.] aus dem Journal des Scavans, aus denen Miscellaneis Academiae naturae Curiosorum [gemeint sind die Miscellanea Curiosa, das 1672 gegründete Periodikum der Schweinfurter Akademie der Naturforscher,132 F. S.] […] einen grund- und umbständlichen Bericht ertheilen könnte.“133

In diesem ,Namedropping‘ maßgeblicher Gelehrtenjournale fehlen allein die Acta Eruditorum, de facto gehören sie jedoch auch zum Quellenbestand von Happels Wochenblatt, das darüber hinaus zahllose Bücher und nicht-periodische Wissenssammlungen unterschiedlichster thematischer Provenienz kompilierte. Mit der auszugsweisen Übersetzung der wissenschaftlichen periodischen ,Leitorgane‘ für ein größeres Publikum wurden die Relationes Curiosae zum frühen Multiplikationsmedium der res publica literaria – wenn auch mit einem gewissen Aktualitätsverlust, da Happel nicht auf die jüngsten Jahrgänge der Gelehrtenjournale zurückgreift. Beachtlich mit Blick auf die intendierten Kommunikationsdynamiken ist 130 Happel, Relationes Curiosae, 1683, Vorrede, f. 1v. 131 Ebd., f. 2v. 132 Dazu grundlegend: Benno Parthier, Dietrich von Engelhardt (Hg.): 350 Jahre Leopoldina – Anspruch und Wirklichkeit. Festschrift der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina 1652 – 2002. Halle 2002. 133 Happel, Relationes Curiosae, 1683, Vorrede, f. 1r.

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zudem, dass die Popularisierung szientifischen Wissens als ein wechselseitiger Austauschprozess gedacht war : So war der Rückgriff auf die gedruckte Presse und die zeitgenössischen Bücherwelten das Eine; das Andere war die erhoffte Akzeptanz des deutschsprachigen Projektes auch bei gelehrten Zirkeln. Sie wurden explizit gebeten, Berichte über aktuelle „Inventiones“ direkt an die Herausgeber in Hamburg zu schicken. In diesem Anspruch zeigt sich besonders deutlich, dass Wiering und Happel mit den Relationes Curiosae ein Bindeglied zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit etablieren wollten. In der metaphorischen Wendung Wierings: Es ging um den bewussten Weg aus der Dunkelheit der „privat Studier-Stuben“: „Die übrigen [Wissenschaftler] aber/ wo sie auch sind/ ersuchen wir mittelst dieses/ […] dafern etwa einer in ein und anderm etwas sonderliches und merckwürdiges elaboriet, oder außgefunden/ uns damit an die Hand zu geben/ solche Inventiones großgünstig mitzutheilen/ damit dergleichen löbliche Sachen nicht verdunckelt in einer privat Studier-Stuben verborgen bleiben/ sondern denen Lehr- […]Begierigen Gemüthern/ ja der gantzen Welt zu Beförderung der löblichen Wissenschafften mitgetheilet werden.“134

Wunsch und Realität klafften in diesem Punkt jedoch frappierend auseinander, denn die akademische Welt ignorierte den emphatischen Aufruf offenbar überwiegend. Allein Happels ehemaliger Lehrer, der renommierte Kieler Professor Johann Daniel Major (1634 – 1693), nahm mit Happel brieflichen Kontakt auf und bat um die Publikation des Berichts über eine ,curieuse‘ Schlangenhaut.135 Innerhalb der auf insgesamt mehreren tausend Seiten ausgebreiteten polyhistorischen Wissensfülle der Relationes Curiosae markiert die „HimmelsWissenschaft“136 nur ein Segment unter vielen. Dennoch zeigt sich ihr hoher Stellenwert schon dadurch, dass der überhaupt erste Artikel des Magazins „Die allereigentlichsten Betrachtung der Sonnen“137 ist und einen längeren Exkurs über sämtliche Planeten des Sonnensystems einleitet, die Happel im Einzelnen abhandelt. Zudem ist die Vermittlung astronomischer Inhalte paradigmatisch für die grundsätzliche Tonalität der Relationes Curiosae mit Blick auf die Popularisierung der ,neuen‘ Wissenschaften: Noch deutlicher als in den Kalendern von Kirch und den wuchtigen Enzyklopädien von Francisci geht es Happel vor allen Details um eine ,Zeitdiagnose‘, darum, den Erkenntnis- und Aufbruchsoptimismus der zeitgenössischen Naturphilosophie als Ganzes zu vermitteln – die Entdeckung neuer Welten im mikroskopischen und makroskopischen 134 135 136 137

Ebd., f. 2r. Siehe dazu: Schock, Die Text-Kunstkammer, 2011, S. 184. Happel, Relationes Curiosae, 1683, S. 13. Ebd., S. 1.

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Maßstab. Dank der neuen Instrumente (Teleskop und Mikroskop) und Methoden sei erst die Gegenwart, die ihr Wissen mehr und mehr auf das Prinzip der Erfahrung gründe und damit zur Betrachtung der Dinge selbst zurückkehre, ,den Alten‘ qualitativ überlegen. Diese wissenschaftliche Zeitenwende bündelt Happel in der prägnanten Metapher vom „bewaffneten Auge“, die zugleich Titel eines Artikels ist: „Das bewaffnete Auge/ oder wie viele unsern Vorfahren jederzeit unbekandte gebliebene/ nunmehr aber/ vermittelst der VergrösserungsGläser/ gefundene merkwürdige Dinge.“138 Zur wissenschaftlich-technischen Zeitenwende heißt es hier lakonisch: „Hätten unsere Vorfahren solche Hülffe [die des Teleskops und des Mikroskops] gehabt/ O wie weit würde ihre Fleiß in der Nachforschung durchgedrungen seyn? Aber diesselben musten sich leyder mit argumentiren/ speculiren/ philosophirn und raisonniren behelfen: waren demnach so viel übeler daran […] nemlich sie musten glauben/ was sie nicht sahen/ wir aber können wohl versichert seyn/ dessen/ was wir mit unseren Augen sehen.“139

Dieses demonstrative Vertrauen in die neue Erfahrungsqualität der Naturwissenschaft läuft bei Happel jedoch nicht prinzipiell auf eine Korrektur alter Wahrheiten hinaus, sondern mitunter auch auf ihre Bestätigung – auch wenn dies, was dem Kompilator nicht bewusst war, eine Reproduktion alter Irrtümer mit sich brachte, so etwa die bereits antike Annahme von Meeren auf der Mondoberfläche: „[…] so haben nicht allein die alten Philosophie dafür gehalten/ sondern es ist auch vermittelst der grossen Sterngläser/ zu unsern Zeiten befunden worden/ daß der Mond gleichsam eine andere Erd-Kugel sey/ und […] welches wir die Flecken/ oder den Mann in den Mond nennen/ das ist Wasser.“140

Ungeachtet eines überwiegend sachlich-nüchternen Tons ging es Happel im Sinne „curieusen“ Wissens aber nicht zuletzt um die buchstäblichen Schauwerte der Astronomie und ihrer revolutionären Geräte. Denn schließlich würden die neuen Einblicke auch neue Wunder erzeugen: „Die neuerfundene Tubi oder Fern-Gläser sind es/ welche uns so viele seltsame und verwunderungs würde Dinge in der Natur vorstellen […].“141 Es ist daher nur konsequent, dass Happel mit den Instrumenten auch die Akteure der ,neuen‘ Wissenschaften entsprechend heroisch verklärt – und hier kommt die Rede nicht zufällig einmal mehr auf Jan Hevelius, den „unvergleichliche[n] Astronomis zu Danzig“142. Happel stilisiert ihn wie Francisci in seinem Lust-Haus und reproduziert einmal mehr 138 139 140 141 142

Ebd., S. 65 ff. Ebd. Ebd., S. 5. Ebd., S. 2. Ebd., S. 6.

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Hevelius‘ epochemachenden Wissenschaftsbilder aus der Selenographia. Hinzu kommen weitere Autoritäten wie Otto von Guericke (1602 – 1686), dessen spektakuläre Experimente zum Luftdruck143 Happel ebenso aufgreift wie seine Beiträge zur Mathematik und Astronomie. So heißt es in der Diskussion über die ursächliche Beschaffenheit der Sonnenoberfläche zu Guericke: „Der hochgelahrte Otto Guericke schreibet das gewaltige Aufwallen der flüßigen Sonnentheilen einer sonderbahren Krafft der Sonnen zu/ vermittelt welcher sie die Lufft der umbschwebenden Planeten an sich ziehet/ dann daß unser Feuer auch die Lufft an sich ziehe/ ist ausser Zweiffel/ und daß es von der Lufft unterhalten werde/ erweist angeregter Herr Guericke zu Gnüge.“144

Jedoch spiegelt das Wochenblatt neben den qualitativ neuen Erkenntnispotentialen auch die Grenzen aktueller Astronomie. Denn Happel stellt ebenfalls klar, dass trotz der permanenten Beobachtungsfortschritte weiter erhebliche Unsicherheiten bestehen, etwa in der Frage, ob der Mars „auch einen oder andern ihn stets begleitenden Gefährten neben sich habe“145. In dieser Perspektive liegt zudem eine elementare Kommunikationsleistung des Periodikums, da Happel mit dem Ausschöpfen, Re- und Neukombinieren verschiedener Quellen zwangsläufig auch auf deren Widersprüche stößt. So wird der ehemals ,homogene‘ Blick in den Himmel von dem einer diskursiven Meinungsvielfalt abgelöst. Eindrücklich heißt es dazu bezüglich der strittigen Ausmaße der Sonne und einmal mehr unter Bezug auf Guericke: „Gleich wie die Astronomie in der Höhe der andern Planeten/ also differiren sie auch ziemlich in der Höhe der Sonnen. Albategnius146 [sic!] setzet die Höhe am geringsten/ nehmlich 1068 halbe Diametros der Erden […]. Der außbündige Mathematicus/ Herr Otto von Guericke, gibt dieser Distantz 2644 Semidiametros der Erden […].“147

Diese genaue Ausführung und Demonstration von astronomischen Berechnungen markiert im Hamburger Wochenblatt keine Ausnahme, im Gegenteil – als ehemaliger Student der Mathematik hatte sich Happel mit Begeisterung der spielerischen und möglichst genauen Vermessung des Kosmos verschrieben. Um diese auch gegenüber einem ,fachfremden‘ Publikum zu verdeutlichen, greift er nicht selten auf Vergleiche aus der lokalen Erfahrungswirklichkeit zu143 In deren Vermittlung zeigt sich die geradezu hyperbolische Heroisierung Guerickes. Dieser sei nichts Geringeres als ein „[…] Teutscher Archimedes […]. An diesem vornehmen Mathematico hat Teutschland eben dasjenige/ was andere Länder am Euclide/ Archimede/ Cartesio jemahlen gehabt […]“. Ebd., S. 129. 144 Ebd., S. 3. 145 Ebd., S. 10. 146 Gemeint ist der syrische Astronom Al-Battani (858 – 929). Dazu Fritz Kraft: Abu Abd Allah Muhammad Ibn Schabir Sinan Al Battani. In: ders.: Die bedeutendsten Astronomen. Frankfurt a. M. 2007, S. 48 f. 147 Happel, Relationes Curiosae, 1683, S. 4.

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rück – so vergleicht er beispielsweise die vermutete Höhe der Mondgebirge mit der St. Nicolai-Kirch, dem damals höchsten Bau im Hamburger Stadtbild.148 Dieses Vertrauen in die exakten Möglichkeiten der ,neuen‘ Wissenschaften gerät auch in den Relationes Curiosae – wie bei Erasmus Francisci und den Schreibkalendern – allerdings noch nicht in Opposition zu alten Schöpfungsgewissheiten. Auch Happels Pointe ist vielmehr die, dass die jetzt tiefere Erforschung des Himmels einerseits zwar eindrücklich die menschliche Erfindungskraft demonstriere; andererseits habe ja erst Gott dafür gesorgt, dass die Himmelskörper überhaupt noch in Reichweite der (schwachen) Teleskope liegen. So richte sich der empirische Blick in die Natur quasi von selbst auf die erneuerte Erkenntnis Gottes: „Sonder Zweiffel aber hat der allmächtige Schöpffer aller Dinge […] den Mond unter allen Sternen und Planeten am niedrigsten gesetzet, damit […] sein mannigfältiger Schein […] desto leichter und gewisser mögen erforschet und betrachtet werden.“149 Im Ganzen bieten die Relationes Curiosae den „Liebhaber[n] der SternSchau“150 eine anschauliche, aber auch zusammenhangslose Synopse astronomischen Grundwissens: Happel verstieß mit seinem Periodikum lustvoll gegen die Systemzwänge des Barock und trieb die bewusste Ordnungsschwäche der Buntschriftstellerei auf die Spitze – ein möglichst schneller Themenwechsel verstreute auch die vielen astronomischen Artikel des Periodikums nach dem stofflich geschlossenen Auftakt nahezu über den gesamten Erscheinungszeitraum. Diese Desorganisation, vor allem aber die maximale Verknappung des Wissens im Sinne der Vermeidung jeglicher „Umbständlichkeit“151 zeigt an, dass die Relationes Curiosae weniger ein astronomisches Handbuch waren denn ein ,Einstiegsmedium‘ für Diskussionsansätze und kommentierte Literaturverweise. Dennoch: Angesichts des zeitgenössischen Erfolges des Hamburger Zeitschriftenprojektes – gerade auch als Quelle für spätere Kompilationen – ist davon auszugehen, dass die Relationes Curiosae einen effektiven Beitrag zur Popularisierung der Astronomie leisteten. Wären Teleskope technisch einfach herzustellen gewesen, hätten Happel und Wiering überdies sicher versucht, diese ,an den Mann‘ zu bringen und so ein ursprünglich exklusives Wissensinstrument in ein modisches Unterhaltungsmedium zu verwandeln – bei den Mikroskopen wurde dieses Geschäftsmodell mit dem Verkauf von simplen ,Taschenmikroskopen‘ aus der Produktion Wierings sogar erprobt152 und nahm hier eine Entwicklung des 18. Jahrhunderts voraus.

148 149 150 151 152

Ebd., S. 6. Ebd., S. 5 f. Ebd., S. 38. Etwa: ebd., S. 721. Dazu Schock, Die Text-Kunstkammer, 2011, S. 312.

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Resümee Wie breitenwirksam die frühe Wissens- und Wissenschaftspopularisierung im späten 17. Jahrhundert tatsächlich war, lässt sich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Zweifellos gehörten Erasmus Francisci und Eberhard Happel zu den bekanntesten ,Wissensmanagern‘ des Barock, jedoch existieren jenseits von Ausleihverzeichnissen einiger Bibliotheken153 und der weiten Zitation ihrer Werke keine ,harten‘ Indikatoren für den realen Erfolg. Relativ hohe Auflagenzahlen lassen sich in Einzelfällen allein für die Kalender von Gottfried Kirch nachweisen.154 Dennoch hat der Ausschnitt der Astronomie als „zeitübliche[r] Lieblingsbeschäftigung“155 deutlich gemacht, dass ein wachsender Druckmarkt für Wissensvermittlung die Exklusivität gelehrter Diskurse im späten 17. Jahrhundert allmählich erodierte – die Möglichkeit zur Teilhabe am ,allgemeinen‘ und ,fachlichen‘ Wissen erhöhte sich dank vielfältiger Übersetzungs- und Übertragungsleistungen in einem sich wandelnden Mediensystem mehr als nur punktuell. Den Austausch begünstigte zudem eine bestimmte Konstellation innerhalb der Wissenskultur – Experten wie Laien fühlten sich als Teil des „curieusen Seculo“156 und häufig richtete sich ihre Neugier auf die identischen Objekte und gleichen Themen, zumal in der empirischen Erfahrung und Erforschung der Natur. Die für diesen Prozess exemplarischen Medien Buch, Kalender und Periodikum verbinden sich über die Merkmale der (dialogischen) Wissensunterhaltung und des (periodischen) Wissensjournalismus. Popularisierung bedeutete in jedem Fall, die möglichst mühelose Unterhaltung über und durch Wissen ,gesellschaftsfähig‘ zu machen und in der barocken Gesprächskultur zu verankern. Francisci und Happel als frühe Berufsschriftsteller und Kirch als ,fachwissenschaftlicher‘ Astronom lieferten die Stoffe dafür ; sie verschrieben sich dem Bemühen, teils schwer verständliche Themen einem breiteren Publikum zu öffnen und diesem praktisches Überblickswissen an die Hand zu geben, wenn 153 In den Ausleihbüchern der Herzog-August-Bibliothek rangierte Happel bis ins 18. Jahrhundert weit vorne, Francisci war vergleichbar lange beliebt. Dazu Alberto Martino: Lektüre und Leser in Norddeutschland im 18. Jahrhundert. Zu der Veröffentlichung der Ausleihbücher der Herzog-August-Bibliothek. Amsterdam 1993; sowie Mechthild Raabe: Leser und Lektüre im 18. Jahrhundert. Die Ausleihbücher der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 1714 – 1799. München 1989. 154 Herbst, Die Kalender von Gottfried Kirch, 2004, S. 117. 155 Notker Hammerstein: Die historische und bildungsgeschichtliche Physiognomie des konfessionellen Zeitalters. In: ders. (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. 1: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe. München 1996, S. 57 – 99, hier S. 88. 156 Nach Jacob Friedrich Reimann: Critisirender Geschichts-Calender Von der Logica […] Darin das Steigen und Fallen Dieser hoch-vortrefflichen Disciplin […] Dem Curieusen Seculu zur güstigen Censur überreichet […]. Frankfurt a. M. 1699.

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sicher auch aus teils divergierenden Motiven und Preisen – denn anders als Kirch richteten sich die ,freien‘ Kompilatoren nach den Bedürfnissen des Marktes, die Kommerzialisierung des Wissens war für sie nicht zuletzt ein existenzsicherndes und einträgliches Modell. Verbunden sind die drei Medien auch durch das hohe Niveau der Popularisierung. Gleich, ob auf über tausend Seiten wie in Franciscis Lust-Haus oder auf wenigen Bögen der Kalender von Kirch oder den Relationes Curiosae von Happel – für eine nur rudimentär alphabetisierte (eher ländliche) Leserschaft waren die Texte trotz aller Reduktion bei weitem zu komplex. De facto ist für alle drei Medien eher ein gebildetes Stadtbürgertum als realer Adressatenkreis anzunehmen, der seinen Wissenskonsum sowohl auf klassisch ,stationäre‘ als auch auf ,mobile‘ Weise einrichtete. Eine weitere Parallele von Kompilation, Kalender und Wochenblatt liegt zudem in der Rolle als kulturelle Orientierungsmedien157 – einerseits transportieren Francisci, Happel und Kirch ganz entschieden die neuen Wissensansprüche der Zeit, andererseits behauptet sich die theozentrische Rückbindung der Erfassung von Welt und Kosmos. Bei allen drei Autoren erscheinen die alten Schöpfungswahrheiten dank der revolutionären Instrumente nur in einem erneuerten, jetzt ,schärferen‘ Licht. Eine Wissenspopularisierung um ihrer selbst willen wäre im 17. Jahrhundert insofern noch an Legitimationsschwierigkeiten gescheitert, eine Verbrämung mit ,höheren‘ – erbaulichen – Zielen blieb verpflichtend. Charakteristisch ist in allen drei Medien auch das Miteinander divergierender Positionen (und Weltbilder); sie werden vielmehr undogmatisch miteinander ins Gespräch gebracht, so etwa der Geozentrismus und Heliozentrismus im astronomischen Diskurs. Die Popularisierung unterschiedlichster Quellen (und eigener Beobachtungen wie bei Kirch) brachte damit auch eine Pluralisierung des Wissens. Sie verabschiedete einseitige Wahrheiten und setzte zumindest partiell bereits auf die kritische Urteilsfähigkeit der Rezipienten.

157 Zu diesem Komplex: Dirk Niefanger : Konzepte, Verfahren und Medien kultureller Orientierung um 1700. In: Sylvia Heudecker, Dirk Niefanger, Jörg Wesche (Hg.): Kulturelle Orientierung um 1700. Traditionen, Programme, konzeptionelle Vielfalt. Tübingen 2004, S. 9 – 31.

Simona Boscani Leoni

Queries and Questionnaires. Collecting Local and Popular Knowledge in 17th and 18th Century Europe

Introduction In the last decades, historians have stressed the role of travels, travel narrative, and questionnaires as practical tools used by scholars to explore exotic, but also local, territories, to collect and exchange data on nature and natural history. This was a long-term process favoured by two parallel developments. First, the necessity – for several countries – to extend the political, economic and commercial control on their colonies and to improve the knowledge of natural resources which could be exploited. Secondly, this trend was led by increased scholarly curiosity for the newly discovered territories and for exotic countries, with the ambition to collect as much as possible information and observational material and to pursue wide-ranging, inductive, empirical natural history research, as Francis Bacon (1561 – 1626) strongly suggested in his works. Through the multiplication of the communication channels, scholars could establish contact with persons of different social background, sometimes without academic training, with “amateurs”, merchants, diplomats, clergymen and, occasionally, also with artisans and the common people. Considering these multiple networks which allowed to collect natural history data and information during the early modern period, we can say that research in this field was actually quite polyphonic and multifarious: a combination of different “cultures of natural history”, learned as well as popular, which come into contact through different research practices and that were finally combined in scholarly publications. It was a multi-layered, non-linear process, a “collective” enterprise that involved diverse institutions and different actors. Different projections and ideals formed the notion of “nature”.1 1 See, for example: Nicholas Jardine et al. (eds.): Cultures of Natural History. Cambridge 1996; Pamela H. Smith, Paula Findlen (eds.): Merchants and Marvels: Commerce, Science, and Art in Early Modern Europe. New York 2002; David Philipp Miller (ed.): Visions of Empire: Voyages, Botany, and Representations of Nature. Cambridge 1996; Londa Schiebinger, Claudia

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After the discovery of America, a flood of information poured into Europe, which played an important role for research in natural history and for the implementation of an empirical approach in this field. This event represented a further occasion for a critical re-reading of Aristotle and others classical texts: Renaissance scholars shared the view that the natural world was still largely unknown and that a lot of “secrets” were waiting to be investigated.2 A renewed curiosity for exotic and local nature arose; especially for exotic and local flora and fauna, but also for minerals, local characters of the terrain, orology and hydrology.3 Travels and travel narrative were often the only way to gather information about still unknown and little explored territories: “travel across the globe was a major means for extending experience and for testing the adequacy of scientific generalizations”.4 “Queries” or “general heads” became a useful tool to pursue the systematic collection of empirical data of a region, in order to improve knowledge of it and to make possible broader comparisons between different territories.5 Their use originated in similar systems of data collection, which spread after the discovery of the Americas and – in the Church – after the Council of Trent.6 The Spanish “Cuestionarios”, on the one hand, and pastoral visits on the other, were both designed to achieve better administrative communication between centres (of the Spanish Empire or of a diocese) and their

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3 4 5

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Swan (eds.): Colonial Botany : Science, Commerce, and Politics in the Early Modern World. Philadelphia 2005; Jorge CaÇizares-Esguerra: Nature, Empire, and Nation: Explorations of the History of Science in the Iberian World. Stanford 2006. For this process in botany : Brian W. Ogilvie: The Science of Describing. Natural History in Renaissance Europe. Chicago, London 2006. See also: Regina Dauser et al. (eds.): Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts. Berlin 2008. Alix Cooper : Inventing the Indigenous: Local Knowledge and Natural History in Early Modern Europe. Cambridge MA 2007. Steven Shapin: A Social History of Truth. Civility and Science in Seventeenth-Century England. Chicago, London 1994, p. 245. On “factual testimony” and the reliability of travellers’ tales or travel narrative: Ibid., pp. 243 – 253; Daniel Carey : Compiling Nature’s History : Travellers and Travel Narratives in the Early Royal Society. In: Annals of Science 54 (1997), pp. 269 – 292. On questionnaires and scientific method in seventeenth-century England, see Barbara J. Shapiro: A Culture of Fact: England, 1550 – 1720. Ithaca 2000, pp. 72 – 76; ead.: Empiricism and English Political Thought, 1520 – 1720. In: Eighteenth Century Thought 1 (2003), pp. 1 – 33. The use of “questions”, of “queries” played an important role also in the scholastic exercises in the university’s life during the 17th century. On Spanish “cuestionarios”: See e. g. Howard F. Cline: The Relaciones Geogr‚ficas of the Spanish Indies, 1577 – 86. In: Hispanic American Historical Review 44 (1964), pp. 341 – 374; Arndt Brendecke: Informing the Council. Central Institutions and Local Knowledge in the Spanish Empire. In: Wim Blockmans, Andr¦ Holenstein, Jon Mathieu et al. (eds.): Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe 1300¢1900. Farnham, Surrey 2009, pp. 235 – 252; Simona Boscani Leoni: Creazione e circolazione del sapere nell’Europa del Settecento. In: Rivista Storica Italiana 124/2 (2012), pp. 581 – 613.

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peripheries. Improved knowledge in geography, natural sciences, politics, and anthropology of a region – through a systematic collection of data – underpinned a more effective organisation and centralisation of the political and religious powers. In the first part of my paper, I’ll focus my attention on the role played by “queries” and “questionnaires” for travellers as an example of the implementation of Bacon’s empirical method: Questionnaires became one of the preferred ways adopted by the Royal Society to collect novel, popular or local knowledge. In the second part, I’ll investigate the transfer, the reception, and the adaptation of this research strategy in the German-speaking area. In the third part, I’ll show the impact of the use of questionnaires to collect local information and data, and of the role of local correspondents (who replied to these queries and were considered trustworthy by the naturalists) in this process, an aspect that, until now, has been little investigated by scholars.

Collecting Local Knowledge: Bacon, the Royal Society and the “Queries” The role of travels and travel narrative as an (almost) reliable source for compiling a comprehensive natural history played a central role in the early years of the Royal Society.7 Francis Bacon (1561 – 1626) in his Novum Organon already emphasized the role of travel explorations that allow to overcome the ancient knowledge of the world and the importance of travels and travel reports to get first-hand information about newly discovered territories and – more generally – about exotic countries far from Europe.8 In his Parasceve ad historiam naturalem et experimentalem (1620), he not only gave a series of suggestions about how to write a natural history text, but also named a series of topics underlining their usefulness for achieving such a commitment: “As soon as we have the leisure for the task, we plan to give detailed instructions by putting the questions that most need to be investigated and written up in each 7 On the history of the early Royal Society : Michael Hunter : Establishing the New Science. The Experience of the Early Royal Society. Woodbridge 1989. 8 “Rursus vero homines a progressu in scientiis detinuit et fere incantavit reverentia antiquitatis, et virorum qui in philosophia magni habiti sunt authoritas, atque deinde consensus. […] Neque pro nihilo aestimandum, quod per longiquas navigationes et peregrinationes (quae seculis nostris increbuerunt) plurima in natura patuerint, et reperta sint, quae novam philosophiae lucem immittere possint.“ Francis Bacon: Novum Organum, Part 1, LXXXIV. In: The Works of Francis Bacon, Baron of Verulam, Viscount of St. Albans, and Lord High Chancellor of England, collected and edited by James Spedding, Robert Leslie Ellis, Douglas Denon Heath. 14 vols. London 1857 – 1874, at vol. 1, pp. 290 f.

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history because they help to fulfill our purpose, like certain particular Topics”.9 Bacon also pointed out a range of queries (“topica particularia” or “Articuli Inquisitionis”) in his Historia naturalis et experimentalis ad condendam philosophiam (London 1622), published as Part III of his Instauratio magna, intended to define the state of research in the natural sciences and at the same time to promote new ones.10 Bacon’s scheme for gathering data is reflected in the early years of activity of the Royal Society. The struggle to gain information in a more systematic way led the Society to draw up a series of “articles of inquiry”, which provided a set of topics around which to organize observations. In 1661, the Society created a committee, formed, among others, by Sir Robert Moray, William Petty, Laurence Rooke, Thomas Povey, Robert Boyle, John Wilkins, John Evelyn and Henry Oldenburg (first secretary of the Society and editor of the Philosophical Transactions) with the goal to consider “proper questions to be inquired of in the remotest part of the world.”11 Thomas Povey himself (1613/14–c. 1705), colonial entrepreneur who held several administrative appointments, in 1661 sent Edward Digges (1620 – 1674/75), Colonial Governor of Virginia, a series of questions designed to steer his observations towards interesting and original aspects to be found in the Bermuda Islands and in Virginia.12 Ayear later the Society also commissioned Laurence Rooke (1622 – 1662), Gresham Professor of astronomy and later Geometry, to prepare a series of “Directions for Sea-men going into the East & West Indies”. The text was published by Oldenburg in January 1666 in the Philosophical Transactions with this programmatic introduction, which con9 Michael Hunter : Robert Boyle and the Early Royal Society : Reciprocal Exchange in the Making of Baconian Science. In: The British Journal for the History of Science 40 (2007), pp. 1 – 23, at pp. 6 f. Bacon, Works, vol. 2, p. 44: “Accedit etiam illud, quod coeptis nostris vix dignum esse aestimemus ut in re tali quae fere omnium industriae pateat nos ipsi tempus teramus. Quod autem caput rei est ipsi nunc praestabimus; ut eijusmodi historiae modum et descriptionem, qualis intentioni nostrae satisfaciat diligente et exacte proponamus […]”. English translation in Francis Bacon: The New Organon, ed. by Lisa Jardine and Michael Silverthone. Cambridge 2000, p. 232. For the list of topics: Bacon, Works, vol. 2, pp. 61 – 69. 10 Bacon, Works, vol. 3, pp. 217 – 224; Hunter, Robert Boyle, 2007, pp. 14 f.; id. (ed.): Robert Boyle’s “Heads” and “Inquiries”. In: Robert Boyle Project Occasional Papers, no. 1, 2005 (downloadable in the researchers’ area of the Boyle website: [22 Nov 2012]). Peter R. Anstey : The Methodological Origins of Newton’s Queries. In: Studies in History and Philosophy of Science 35 (2004), pp. 247 – 269, at pp. 249 – 253 (about Bacon and Boyle). 11 Carey, Compiling, 1997, p. 274.; Thomas Birch: The history of the Royal Society of London for improving of natural knowledge: from its first rise, in which the most considerable of those papers communicated to the Society, which have hitherto not been published, are inserted in their proper order, as a supplement to the Philosophical transactions. 4 vols. Bruxelles 1967 – 1968 [1756 – 1757], here vol. 1, p. 15. See also Hunter, Establishing, 1989. 12 “Enquiryes concerning those severall kind of things which are reported to be in Virginia & the Bermudas, not found in England”, see: Hunter, Robert Boyle, 2007, pp. 14 f.

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firms the interest and the utility of queries for voyagers to investigate natural history : “It being the Design of the R. Society, for the better attaining the End of their Institution, to study Nature rather than Books, and from the Observations, made of the Phænomena and Effects she presents, to compose such a History of Her, as may hereafter serve to build a Solid and Useful Philosophy upon; They have from time to time given order to several of their Members to draw up both Inquiries of things Observable in forrain Countries, and Directions for the Particulars, they desire chiefly to be informed about. And considering with themselves, how much they may increase their Philosophical stock by the advantage, which England injoyes of making Voyages into all parts of the World […].”13

Rooke’s nine questions covered several themes: the variations of the compass and in the needle, the latitude and longitude of a place and the observation of tides. He recommended mapping coastlines, promontories and their distances, registering the change of winds and weather, all extraordinary events (meteors, lightning, thunder) and to collect seawater samples in pint-sized bottles with indication of the latitude and calendar date. A longer version of the questionnaire was published a year later in the Philosophical Transactions by Robert Moray and Robert Hooke. A separate version of the text was additionally printed and delivered to sea captains, along with instruments for the experiments, hoping to get numerous answers to the queries.14 General Heads for a Natural History of a Countrey, Great or Small of Robert Boyle (first published in 1665/66) is to be seen in this context; in these years, Boyle dealt with the documentation of the effects of cold and confronted himself with the problem of travellers’ testimony.15 By contrast with Rooke’s text, which was thought for travellers by sea, Boyle’s questionnaire was addressed also to travellers overland: “The things, to be observ’d in such a [natural] History, may be variously (and almost at pleasure) divided: As, into Supraterraneous, Terrestrial, and Subterraneous; and 13 Laurence Rooke: Directions for Sea-men, bound for far Voyages. In: Philosophical Transactions 1 (1666), Nor. 8, pp. 141 f.; C. A. Ronan: Laurence Rooke (1622 – 1662). In: Notes and Records of the Royal Society of London 15 (1960), pp. 113 – 118, 115. 14 Robert Moray, Robert Hooke: Directions for Observations and Experiments to be made by Masters of Ships, Pilots, and other fit Persons in their Sea-Voyages. In: Philosophical Transactions 2 (1667), pp. 433 – 449; Birch, The history, vol. 2, p. 122.; Carey, Compiling, 1997, p. 272. 15 Boyle admitted that he must “either make use of other men’s testimony, or leave some of the remarkablest phaenomena of cold unmentioned”: Thomas Birch (ed.): The Works of the Honourable Robert Boyle. Vol. 2. London 21772, pp. 462 – 734, at pp. 476 f., quoted from: Shapin: Social History, 1994, p. 248. For the “General Heads”: Robert Boyle: General Heads for a Natural History of a Countrey, Great or Small. In: Philosophical Transactions 1 (1665 – 1666), pp. 186 – 189. See also: Cooper, Inventing, pp. 119 f.

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otherwise: but we will at present distinguish them into those things, that respect the Heavens or concern the Air, the Water, or the Earth.”16

Like Rooke, the first part contains a group of questions relating to problems of the right determination of a geographical place (i. e. the coordinates of a place, its climate, “what fixt stars are and what not seen there”17), about the air (i. e. weather, climate, winds, diseases related to the weather); the third question is about water and fishes, their variety and the methods used to catch them. The last group of questions is related to the earth, its configuration (dimensions, orology, the nature of soil), and its production. In this field, Boyle asked about the inhabitants: “And in particular their Stature, Shape, Colour, Features, Strength, Agility, Beauty (or the want of it), Complexions, Hair, Dyet, Inclinations, and Customs, that seems not due to Education”; then about “external production” (grasses, grain, flora, fauna), and “internal” (minerals, quarries, and stones).18 This partition evokes Bacon’s approach in his Parasceve, where he identified a group of topics to be investigated, like lightning and thunder, air and winds (Boyle’s “supraterraneous” subjects), then “Shape and Compass” of the Earth and sea, earthquakes, fossils, plants and animals (Boyle’s “terrestrial” themes), and then mines, gems and precious metals (Boyle’s “subterraneous” questions).19 Boyle also followed Bacon’s suggestion to establish a set of “Histories of Man”.20 To these “General Heads” Boyle added a list of queries concerning sea and mines.21 Boyle’s questionnaire saw remarkable success; it was reprinted in 1692 with some addition of queries by other authors and during the eighteenth century in collections of travel writings, like Jean-Fr¦d¦ric Bernard’s Recueil des voyages au nord: contenant divers m¦moires trÀs utiles au commerce & — la navigation (Amsterdam, 1715 – 1727). As Michael Hunter pointed out, the attention for “head and inquiries” was a leitmotif of the activities of the Royal Society in the earliest years after its foundation and maybe the most important common point of interest between the naturalist and the society :

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Boyle, General Heads, 1666, p. 186. Ibid., pp. 186 f. Ibid., pp. 188 f. Bacon, Works, vol. 2, pp. 61 – 69; Carey, Compiling, p. 273. Ibid., pp. 64 – 66. Robert Boyle: Other Inquiries concerning the Sea. In: Philosophical Transactions 1 (1665 – 1666), pp. 315 – 316; Id.: Articles and Inquiries touching mines. In: Philosophical Transactions 1 (1665 – 1666), pp. 330 – 343.

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“If one looks at the fledgling Royal Society, on the other hand, one finds an enthusiasm for such ‘heads of inquiries’ which could almost be seen as a leitmotif of the society’s activity in its earliest years, inspired by the Baconian imperative to data-collecting that was central to the society’s rationale. Here, it will be claimed that it was almost certainly due to the society’s stimulus that Boyle came to see the methodological value of such “heads”.”22

The essential role of these “queries” is clearly demonstrated by Henry Oldenburg’s soliciting the readers to provide answers to the questionnaires that were published in the Philosophical Transactions till 1667: “That the Queries, scattered up and down in these Tracts, may not seem lost, or left unregarded, the Publisher intends to impart at convenient times such of the Answers, shall be sent in by observing men, as may be thought acceptable to the Reader.”23

Boyle’s questionnaire was quite influential in increasing this trend: a large quantity of publications followed him until at least the late 1690s. Worth mentioning are Queries in Order to the Description of Britannia published by John Ogilby (1600 – 1676) in 1673, as well as, some years later, a list of questions compiled by Robert Plot (1640 – 1696), author of a natural history of Oxfordshire, of Staffordshire, and first curator of the Ashmolean Museum, and the Parochial Queries devoted to Wales in 1696 by Edward Lhwyd, naturalist and palaeontologist (c. 1660 – 1709).24 Similarly, the Irish natural philosopher and political writer William Molyneux (1656 – 1698), one of the founders of the Dublin Philosophical Society and since 1685 member of the Royal Society, in 1682, set up a list of queries about the history, commerce and natural history of Ireland. His goal was to collect information for the English Atlas of Moses Pitt (c. 1639 – 1697). The aim of the Atlas 22 Hunter, Robert Boyle, 2007, pp. 4 f., quotation 20. 23 Philosophical Transactions 2 (1667), p. 525. After this comment of Oldenburg was published a list of answers concerning the Mendip mines that followed the questions about the mines formulated by Boyle in the first volume of the Philosophical Transactions, issue 19 (see note 21). 24 Simona Boscani Leoni: Men of Exchange: Creation and Circulation of Knowledge in the Swiss Republics of the 18th Century. In: Andr¦ Holenstein, Hubert Steinke, Martin Stuber (eds.): Scholars in Action. The Practice of Knowledge and the Figure of the Savant in the 18th Century. Vol. 2. Leiden, Boston 2013, pp. 507 – 533, at pp. 515 f. Ead., Creazione, 2012. John Ogilby : Queries in Order to the Description of Britannia. S. l. [London] 1673; Edward Lhwyd: Parochial Queries in Order to a Geographical Dictionary, A Natural History, & c. of Wales. S. l. [Oxford?] s. a. [1696]. For Plot: Royal Society Classified Papers, 19, 93 and 94; Robert Plot: The Natural History of Oxfordshire. Being an Essay towards the Natural History of England. Chichelet 1972 (first edition: Oxford 1677); Id.: The Natural History of Staffordshire, Manchester 1973 (first edition: Oxford 1686). Interestingly, the answers to Lhwyd’s questionnaire were assembled and published: Rupert H. Morris (ed.): Parochialia Being a Summary of Answers to “Parochial Queries”. In: Archaeologia Cambrensis, Supplements, April 1909, April 1910 and April 1911.

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was to offer descriptions of different regions, as well as information on climate, population, monuments, minerals, costume, trade and soil. In order to collect data about Ireland, Molyneux printed the sheet of queries, which was available for free “at the shop of Mr Dudley Davis […] in Dublin” and solicited replies by his countrymen.25 Important was the intention to establish a correspondence network of informants to gather information about different topics, as Molyneux wrote: “Whereas there is an accurate Account and Description of Ireland designed to be made Publick in the English Atlas undertaken by Moses Pitt of London, and in order thereto, some Gentlemen in Dublin have agreed to meet weekly for reviewing such an Account […] This is earnestly to entreat all Persons that they would be pleased freely to communicate their Answers to these following Quaeries, or any them Directing them to Mr William Molyneux nigh Ormonds Gate in Dublin […] not forgetting to specifie in their Letters the place of their Habitation that they may be again written to if Occasion requires.”26

The sixteen questions concerned the nature of soil, plants, animals, fruits, the waters, ports and historical events which took place in the region, as well as the peculiar “Customs, Manner or Dispositions” of their inhabitants. The final questions were about public, ancient and ecclesiastical buildings. The same interest for making observations and collecting data is evident in the Brief Instructions for Making Observations in all parts of the World published by John Woodward (1665 – 1728) in 1696, a physician and Professor of Physics at Gresham College in London.27 Woodward’s questionnaire concentrated on the sea, the seashores and the land, with an appendix on queries about the “Natives of Guinea, Monomotapa, and other less known parts of Africa: of the East, and West Indies: Tartary, Greenland, or any other remote and uncivilized, or Pagan Countries”.28 The last part of the text contains the “Directions for the Collecting, Preserving, and Sending over Natural things, from Foreign Countries”.29 The section about the sea begins, like in Rooke and Boyle, with questions about latitude and longitude of a place, on the variations of compass (like Rooke), winds, storms and weather. The questions about the seashores concern the tides, marine flora and fauna. 25 Theodore H. Hoppen: The Common Scientist in the Eighteenth Ccentury. Charlottesville 1970, p. 201. (Italic of Molyneux). 26 Hoppen, The Common Scientist, 1970, p. 200; id.: The Royal Society and Ireland William Molyneux, F.R.S. (1656 – 1698). In: Notes and Records of the Royal Society of London 18 (1963), pp. 125 – 135. Stefan Siemer : Geselligkeit und Methode: Naturgeschichtliches Sammeln im 18. Jahrhundert. München 2004, pp. 248 f. 27 John Woodward: Brief Instructions for Making Observations and Collections, in order to the promotion of Natural History, in all parts of the World. London 1696. 28 Woodward, Brief Instructions, 1696, pp. 8 – 10. 29 Ibid., pp. 11 – 16.

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Several queries are dedicated to the observation of the land. Woodward underlines the importance of noticing weather conditions, winds, the presence of rivers and lakes, of metals, mines, and grottoes. His attention focused on “SeaShells and Marine Bodies at Land” (i. e. fossils), as well as on the observation of diseases, earthquakes, and finally on plants, and animals.30

The Royal Society as Model: Questionnaires in the German-speaking Area Henry Oldenburg tried to export the model of the Baconian way to investigate local territories on the Continent, especially by exploiting his widespread correspondence network.31 A strategy was to send a copy of Robert Plot’s Natural History of Oxford-shire: Being an essay towards the Natural History of England (Oxford, 1677) as a model for local investigations. His attempts remained unsuccessful. One of the first examples of making a natural history of the territory, following the inspiration of the Royal Society, is to be found in Switzerland, in the works of the physician and naturalist Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733).32 Scheuchzer is known, above all, for his leading role in the history of geology, palaeontology, and for his pioneering contribution to the advancement of naturalistic science and climatology in Switzerland and in the Alps.33 He was born in Zurich into a family of the local bourgeoisie; he studied medicine and natural sciences (mathematics, physics, and astronomy) in Germany (Altdorf, near Nuremberg) and Holland (Utrecht). His interests, however, encompassed broader fields of knowledge, from history to geography, to numismatics. Having completed his academic studies, he returned to Zurich, where he was appointed chief medical officer of the Foundling Hospital in 1695; some years later he was appointed professor of mathematics in the city’s most prestigious college, the Carolinum, which trained theologians to enter the Reformed Church. He was also named curator of the Bürgerbibliothek and of the Kunstkammer and was member as an actuary of one of the early pre-Enlightenment societies of the city, 30 Ibid., pp. 6 – 8. 31 A. Rupert Hall, Marie Boas Hall (eds.): The Correspondence of Henry Oldenburg. 13 vols. Madison et al. 1965 – 1986. 32 Cooper, Inventing, 2007, pp. 121 – 139, especially pp. 131 – 139 for Scheuchzer. 33 For a comprehensive overview of his publications and activity, please see part one of the volume: Simona Boscani Leoni (ed.): Wissenschaft – Berge – Ideologien. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung / Scienza – montagna – ideologie. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) e la ricerca naturalistica in epoca moderna. Basel 2010.

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Collegium der Wohlgesinnten. Scheuchzer was a fellow of the most distinguished academies of science of his time, including the Royal Society. A matter of months before his death, he was appointed Physics professor in the Carolinum, a great distinction for it was the top chair for the teaching of natural history in Zurich, as well as the rank of senior town physician.34 Scheuchzer’s aim was to continue the study of natural history undertaken by his predecessor in the position of doctor of the city’s foundling hospital and curator – as Scheuchzer was to become, too – of the Bürgerbibliothek, Johann Jakob Wagner (1641 – 1695). Wagner was the author of Historia naturalis Helvetiae curiosa (Zurich 1680), one of the first in Zurich to propound an empirical research method. In his book, he programmatically expressed his intention to follow Bacon in his commitment to write a novel natural history, applying the inductive method. In the first lines of his Dedicatio, he mentions Bacon as the most important person in this field and he admits the influence of his De dignitate et augmentis scientiarum on his personal work.35 Three years later, Wagner’s book was positively reviewed in the Philosophical Transactions; its Baconian leanings were recognised and appreciated by the reviewer.36 In the wake of Wagner and of the Swiss-German-speaking tradition, from Conrad Gesner (1516 – 1565) to Josias Simler (1530 – 1576), Scheuchzer focused his interests on the natural history of his land. He was one of the first scholars in a German-speaking country who adopted inductive and empirical methods in making a novel natural history of the territory. He used questionnaires, he travelled through Switzerland to make observations and collected samples for his natural historical and antiquarian collections, he did experiments (especially barometrical experiments and regular measurements of the temperature of the 34 Rudolf Steiger : Johann Jakob Scheuchzer (1672¢1733). In: Werdezeit (bis 1699). Zürich 1927; Hans Fischer : Johann Jakob Scheuchzer (2. August 1672 ¢ 23. Juni 1733). Naturforscher und Arzt. In: Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 175 (1973), pp. 3 – 168; Michael Kempe: Johann Jakob Scheuchzer. In: Neue Deutsche Biographie. Vol. 22. Berlin 2005, pp. 711 ff. 35 Johann Jacob Wagner : Historia naturalis Helvetiae curiosa. Zürich 1680: Dedicatio (not paginated) [p. 1 f.]: “Ad Scientiæ Naturalis exactam notitiam comparandam, multorum præclarorum Virorum, rerum naturalium maximÀ peritorum, judiciú, inter quos Magnus ille Angliæ Cancellarius, Franciscus Baconus, Baro de Verulamio (de Augmento Scietiarum Lib. II. C. 3) facile principem obtinet locum, erÀ maximÀ foret, si Historia Naturalis Inductiva cujuslibet regionis, quantum fieri poterit exactissima adornaretur, quý ex variis Observationibus & Experimentis inde collectis Regulæ tandem certae & indubitatæ elicit, System‚que absolutum componi ac perfici queam.” (Italic in the original text). 36 The reviewer in the Philosophical Transactions (13 (1683), pp. 268 – 271) commented: “The Author professes that he undertook to write the Natural History of Switzerland upon the Invitation of my Lord Bacon, and with Intention thereby to promote a true Experimental Philosophy” (p. 268, italic in the original text), the only doubts about the reliability of the contents are expressed in the case of the descriptions of dragons (p. 270).

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air), and he developed a wide correspondence network to exchange objects and information.37 Following the model of the Royal Society, in 1699 he published a questionnaire in Latin and German with approximately 190 questions to investigate the natural history of the Swiss Confederation.38 Like Wagner, Scheuchzer’s Einladungsbrief begins with a reference to Bacon and the English questionnaires; furthermore, it mentions the successful commitment of the members of the Royal Society to guide their countrymen and foreigners in making observations of all phenomena at sea and land, of air, animals, plants and minerals. As Wagner, Scheuchzer emphasises his interest in the “sweet Fatherland”: England was a power at sea and in international commerce, Swiss naturalists had mountains and its wild nature to investigate.39 The aim of the Einladungsbrief was also to prove to any foreign visitor travelling through the Confederation that, despite the ragged landscape, his homeland was not “harsh and wild” [rauh und wild], a godforsaken country, but, on the contrary, it possessed “so many and such great beauties and such heartwarming gifts of Nature that you would not look for or find anywhere else”.40 This publication represents a crucial stage in the research strategy launched by 37 See: Cooper, Inventing, 2007, pp. 152 – 166; Simona Boscani Leoni: Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) et la d¦couverte des Alpes : les “Itinera Alpina”. In: Catherine DemeulenaereDouyÀre (ed.): Explorations et voyages scientifiques de l’Antiquit¦ — nos jours. Paris 2008, pp. 81 – 100; ead.: Johann Jakob Scheuchzer und sein Netz. Akteure und Formen der Kommunikation. In: Klaus-Dieter Herbst, Stefan Kratochwil (eds.): Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 2009, pp. 47 – 67; ead.: Vernetzte Welten: Das Korrespondenznetz von Johann Jakob Scheuchzer. In: Urs Leu (ed.): Natura sacra – Der Frühaufklärer Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733). Zug 2012, pp. 130 – 165; ead.: Zwischen Gott und Wissenschaft: Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung. In: Sophie Ruppel, Aline Steinbrecher (eds.): “Die Natur ist überall bey uns.“ Mensch und Natur in der Frühen Neuzeit. Zürich 2009, pp. 183 – 194. 38 Johann Jakob Scheuchzer : Einladungs=Brief/ zu Erforschung natürlicher Wunderen/ so sich im Schweitzer=Land befinden. Zürich 1699; reprinted in Hansjörg Küster, Ulf Küster (eds.): Garten und Wildnis. Landschaft im 18. Jahrhundert. München 1997, pp. 14 – 31. There is also a Latin version of the text: Charta invitatoria, quaestionibus quae historiam Helvetiae naturalem concernunt. Zürich 1699. See: Simona Boscani Leoni: La ricerca sulla montagna nel Settecento sotto nuove prospettive: il network anglo-elvetico-alpino. In: Histoire des Alpes 12 (2007), pp. 201 – 213. 39 “Es gelte bei uns, was dorten Ulysses ausgesagt […], nihil sua patria quamvis aspera & inculta videri dulcius: Es seye nichts angenehmer als das eigene Vaterland, ob es schon sonsten rauh und ungebauet liege.“ Scheuchzer, Einladungsbrief. In: Küster, Küster : Garten, pp. 14 f. (also for Bacon and the Royal Society); “Et certÀ, nescio quomodo insitum cuique etiam cum Ithaco fumos patriæ amare; ut mirari nemo sapiens possit, quoýd in laudes domesticorum Naturae secretorum maximorfflmque illorum munerum, quæ Orbis Conditor nobis negata noluit, feramus.“ Wagner, Historia, 1680, “Dedicatio”, p. 4. 40 “… so viel und große Wunder und herrliche Gaben der Natur sich finden, als man kaum anderstwo wird suchen oder finden können.” Scheuchzer, Einladungsbrief. In: Küster, Küster : Garten, pp. 15 f.

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the Zurich scholar, first because it confirmed the close ties with Britain’s scientific circles, and secondly because it generated – especially in the outlying regions – fresh interest in the study of local history and natural history. There was a need to involve as many inquisitive (curious) people as possible in his project; a requirement expressed in the introductory pages, in which the naturalist appeals not only to the noble and the learned classes, but also to those who lived in direct contact with nature, fishermen, shepherds, alpine farmers, mountain dwellers: “Here I appeal to […] everybody, also to ordinary people who live close to nature and derive their food from her, whether as fishermen, shepherds, alpine farmers, alpine dwellers, farmers, herbs and roots gatherers, so that all – for their own honour and that of their homeland – may collect diverse facts and information about nature and [naturalistic] observations coming from anywhere, at least those that come into view and do not occur as man-made or unnaturally contrived, and that they communicate them [to me] even unsolicited, provided they care about it as much as I find it useful and convenient.”41

Like Molyneux, Scheuchzer hoped for numerous answers to his Einladungsbrief by his friends and correspondents and promised to name his sources in his publications.42 The genre of questionnaire was imported by him and adapted to the geography and the economy of his country. Scheuchzer follows Boyle’s organisation of the questions in “Supraterraneous, Terrestrial, and Subterraneous” topics, but he also adds about fifteen queries about milk, dairy produce and cheese at the end of the text, which he saw as very typical Swiss products and basic nourishment of his countrymen.43 Alps and mountains are mentioned almost twentyfive times in the Einladungsbrief, fourteen questions concerned snow, glaciers, avalanches or the ice.44 In several cases, Scheuchzer relies on the earlier English questionnaires. For example, the first group of questions concerns the coordinates of a place, the quality of air and climate, like Boyle’s did. Other questions concerning observation of local inhabitants, the weather forecast and the mountains’ height, their changes and the presence of snow can be interpreted as

41 “Ich will hiemit … auch gemeiste Leut, so mit der Natur viel umgehen und durch sie ihre Nahrung suchen, als da sind Fischer, Hirten, Sennen, Einwohner der Alpen, Baursleut, Kräuter-und Wurzengraberen, daß alle zu ihrem und des Vaterlands Lob allerhand Gattungen natürlicher Begebenheiten oder Observationen von allen Orten her zusammensuchen, aufs Wenigste dasjenige, was ihnen ungefähr aufstoßet oder umsonst zukommet, auch umsonst mitteilen, wann es ihnen so lieb als mir angenehm ist.” Ibid., pp. 15 f. 42 Ibid., pp. 16 f. 43 Ibid., questions number 175 – 189, pp. 30 f. 44 Ibid., questions number 22 – 28, 34 – 36, 47, 55, pp. 19 – 21.

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examples of an intertextuality between Boyle’s and Woodward’s questionnaires and Scheuchzer’s one.45 We must not underestimate the impact of Scheuchzer’s questionnaire on the regions of the Old Swiss Confederation and allied territories, particularly in the Alpine regions: here, especially in The Three Leagues (today Canton Grisons) between 1698 and the final years of his life Scheuchzer could rely on some thirty contacts (mainly with the local religious and political elites) which – if we look more closely at his works – turn out to be inexhaustible sources of information.46 The chronological evolution of contacts in this region is a clear demonstration of the domino effect produced by the invitation letter – the Einladungsbrief or Charta invitatoria.47 Before its publication Scheuchzer was able to resort to only one contact, the evangelical reformed minister Giacomo Picenino, with whom he had been exchanging letters regularly since 1698. It was to be another few years before the number of the doctor’s contacts – also thanks to Picenino’s mediation48 – rose to 15, prominent among them being clergymen and men of learning. 45 Ibid., pp. 17 f., questions number 1 – 15 (air, weather), pp. 97 f., questions number 97 – 99 (mountains, their height), p. 125, questions number 118 – 123 (inhabitants); see: Boyle, General Heads, 1666, pp. 186 f. (air, weather), 188 (inhabitants); Woodward: Brief Instructions, pp. 3 (weather), 6 (weather forecast). Woodward became one of the most important correspondents of Scheuchzer in London. The contacts between the two men remained very close from 1701 till 1726, on account of Scheuchzer’s keen interest in the diluvial theory advocated by the English doctor in his Essay toward a Natural History of the Earth (1695), which Scheuchzer translated into Latin: John Woodward: Specimen geographiae physicae. Zürich 1704. On Scheuchzer and the diluvial theory : Michael Kempe: Wissenschaft, Theologie, Aufklärung. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) und die Sintfluttheorie (Frühneuzeit-Forschungen 10). Epfendorf 2003. See also: Boscani Leoni: Men of Exchange, 2013. 46 So far researchers have considered the Charta invitatoria as rather inadequate, cf. Fischer, Scheuchzer, 1973, p. 76; Simona Boscani Leoni: Tra Zurigo e le Alpi: le “Lettres des Grisons“ di Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733). Dinamiche della comunicazione erudita all’inizio del Settecento. In: ead., Jon Mathieu (eds.): Die Alpen! Zur europäischen Wahrnehmungsgeschichte seit der Renaissance/ Les Alpes! Pour une histoire de la perception europ¦enne depuis la Renaissance. Bern, Berlin, Bruxelles 2005, pp. 157 – 171. 47 Correspondence from the Grisons Three Leagues accounted for 20 per cent of Scheuchzer’s Swiss correspondence, while Basle (a university canton) came first, with 25 per cent of Swiss contacts, the most substantial communication axis at home. On Scheuchzer’s network: Boscani Leoni, Scheuchzer und sein Netz, 2009. References to the charta invitatoria appear for example in the letters of Johannes Leonhardi to Scheuchzer, 12. 12. 1699 (Zentralbibliothek Zürich (ZBZ), Ms H 327, pp. 11 f.), 8. 2. 1700 (ZBZ Ms H 327, p. 30); Rudolf von Rosenroll to Johann Jakob Scheuchzer, 11.2.[1700] (ZBZ Ms H 326, pp. 361 – 366); Giovanni Donato Marlianico to Johann Jakob Scheuchzer, 21. 8. 1700 (ZBZ Ms H 327, p. 99). See also: Simona Boscani Leoni (ed.): Vernetzte Welten. Wissenschaft, Religion und Politik in der Korrespondenz von Johann Jakob Scheuchzer. Eine Edition ausgewählter Schweizer Briefe (1695 – 1730). Basel 2013. 48 The central role played by the minister Picenino is testified in the letter he wrote to Scheuchzer thanking him for sending him many copies of his questionnaire: “Invitatorias tuas accepi, quas Ill.mis Proceribus meis Aliis communicavi. Herculeu[m] tu Hercules aggrederis opus. Faveat conatibus tuis clementissime Clementissimus.” [I have received your

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These informants often referred to the Charta invitatoria in their own letters, replying quite articulately, and enclosing sketches of mountain outlines, alpine plants, minerals, crystals or again transcriptions of tales about dragons encountered by shepherds, hunters, and valley dwellers in the Alps. The 1699 questionnaire seems to have acted as a stone dropped into a pond: the circular ripples set off by the impact spread outwards to encompass friends of friends, other hunters and shepherds, in a word the voice of the local community. It is therefore a complex network that grinds into motion: the local correspondents stir into action, looking for new informants and gather unpublished material of natural history and local history.

Natural History as Collective Task Striking examples of this transfer of popular knowledge can be found in the correspondence of one of Scheuchzer’s major informants, namely the minister of the Reformed Church Johannes Leonhardi (1655 – 1725).49 Leonhardi is among the top ten correspondents of Scheuchzer altogether : Leonhardi’s corpus comprises, in fact, over 300 letters (purely in terms of numbers he is the most active correspondent over a 12-year period, from 1699 to 1711).50 He was active in the Three Leagues as a reformed church minister, but also as a political activist. His political commitment was aimed at strengthening the axis between the reformed churches of his country and those of England and Holland, which he had visited on various occasions. In addition to that, he was a tireless publicist in German, English and Dutch, which remains largely unknown. From Leonhardi, Scheuchzer got a long reply to his Einladungsbrief: the letter is interesting in that it confirms the enthusiasm aroused in local elites by the Einladungsbrief or Charta invitatoria.51 The letter is interesting, as it confirms questionnaires [chartas invitatorias, SBL] which I have passed on to Illustrious and influential fellow noblemen in my neighbourhood. Like Hercules indeed, you have undertaken a ‘herculean’ feat. May the most merciful Lord look benignly on your efforts.] Giacomo Picenino to Johann Jakob Scheuchzer, 30. 10. 1699, ZBZ Ms H 326, p. 101. 49 Erich Wenneker: Art. Leonhardi (Linnard), Joahnnes Christian. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Vol. 19. Nordhausen 2001, col. 887 – 891; his correspondence is preserved at ZBZ Ms H 327. See also: Thomas Maissen: ,Die Gemeinden und das Volck als höchste Gewalt unsers freyen democratischen stands‘. Die Erneuerung der politischen Sprache in Graubünden um 1700. In: Jahrbuch der Historischen Gesellschaft von Graubünden 131 (2001), pp. 39 – 84. 50 For an edition of Scheuchzer’s correspondence: Boscani Leoni, Vernetzte Welten, 2013. 51 See: Boscani Leoni, Tra Zurigo e le Alpi, 2005.

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the enthusiasm aroused by the questionnaire in the local elites. Leonhardi replies to almost thirty questions in a 15-page manuscript, devoting special attention to questions nos. 24 – 29, regarding what causes avalanches, their different typologies, the damage they bring about, means of avoiding them or their degeneration and to queries about milk, its conservation and possible uses also as medicine (nos. 143 – 144, 176 – 180, 184).52 Leonhardi describes the different types of avalanches (“Staublawine”, dry powder avalanche or “Windlawine”, avalanches caused by winds) and reports on several natural catastrophes due to such events, which brought death and destroyed houses, haylofts and stables. Leonhardi tells a story that was reported to him by somebody from the village of Tschiertschen in the Churwalden district, a region situated near the town of Chur, a number of kilometres to the north of the village where Leonhardi resided (Nufenen, in Rheinwald, on the road that climbs up to the alpine passes of Splugen and S. Bernardino). Scheuchzer was interested in this story because it showed empirically how – by creating a thin layer of air – one could survive under the snow of an avalanche: “At this point we cannot help mentioning the story that happened a few years ago in Tschiertschen in the jurisdiction of Churwalden; there two men wanted to take home the milk that was still warm from their salvo honore [sic] cows in the basket that they carried on their back and they were run over by an avalanche. The first man’s basket overturned and the milk spilled out and poured over his head and neck; it created some room in front of his mouth and nose, allowing him to breathe; so he was pulled out from under the snow alive, and he lived on for years after the event. The second man, whose basket had not overturned, was found dead.”53

Scheuchzer came back to these themes in his Natur-Geschichten des Schweitzerlands where the naturalist dwells on the description of various types of snow slides, what causes them, as well as what preventive measures have been put in place in the mountains; here, again, we see a subject to which he devoted ample space in his questionnaire. The question of how to survive under an avalanche of fresh snow was discussed by Scheuchzer in a chapter devoted to “Schnee-Lauwen” (snow slides), with an advanced reference to the Tschiertschen event, and later narrated in detail in the section entitled “Historical ac52 Johannes Leonhardi to Johann Jakob Scheuchzer, 23. 11. 1699, ZBZ Ms H 327, pp. 6 – 10c. 53 Johannes Leonhardi to Johann Jakob Scheuchzer, 23. 11. 1699, ZBZ Ms H 327, p. 4: “[…] hierher/ gehört eine geschickt, welche sich vor etliche jahren zu Tschiertschen, im Churwaldergericht begeben; da zwey männer ihrer S[alvo, SBL] H[onore, SBL] kühen warme milch nacher Haus tr[ugen] wolten in rückküblen; (die mann auff den rücken tragen thut) und beide von einer schneelöuwenen eingewicklet wurden; da gienge dem einte der rückkübel auff, und den milch rin[n]ete ihme über den hals und kopff hinab, und machete ihme ein wenig weite vor dem mud [sic] und nasen; den er athem holen möchte; der wurde lebendig außgegraben und hatt noch seithero zimlich lang. Aber der andere, welichem der rückkürbel nicht auffgegangen, wurde tod außgegraben.”

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count of all the damage caused to this day in the Helvetic lands”. Here he was going back to a series of accounts of catastrophes caused by avalanches, in order to prove both the regularity and the dangerous nature of such phenomena, not be interpreted as a “mere figment of one’s imagination” (“leeres hirn-gedicht”). The repertoire of natural disasters that have marked the history of the Old Swiss Confederation began with the episode of the onslaught in 1478 of the Confederate troops on Ticino’s territory, which was still under Milan’s rule. It took place on the St. Gotthard Pass. The Confederates were caught up in an avalanche that swept away 60 men. The list of catastrophes ended with contemporary events (namely in 1700).54 A further example illustrates the intense exchange between Scheuchzer, his correspondents and the British cultural circles close to the Royal Society.55 The circulation of data based on Woodward’s questionnaire is worth mentioning. Scheuchzer and Woodward were in contact since 1701. The questions formulated by the English physician in his Brief Instructions for Making Observations concerning the configuration of mountains and caves, also draw attention to the impact of rainfalls on the erosion of mountains and to the problem “whether their Tops be not covered with a Fog, or Mist; especially before Rain”.56 In an undated letter, but certainly sent between March and May 1702, Woodward posted another list of “queries concerning fogs upon the tops of high hills” to Zurich, with the aim of collecting all possible information in the field of meteorology.57 To answer the questions, Scheuchzer needs to refer to his correspondents, and use their letters as a starting point for his comments: “On the question whether before great rains and storms clouds or fogs are not observed arising out of the tops of the highest mountains, I am beholden to mountain dwellers who (alone) can determine the arrival or onset of rains or bad weather. Please accept 54 The sources mentioned by Scheuchzer are historical sources, often manuscripts: Fuesslin: Chronicon Helveticon, MS; Michael Stettler : Chronic oder gründliche beschreibung […] Nüchtlandischen Chronic. Lib. VI, p. 274; Bullinger: Hist. Helv., Lib. IX, MS; Johann Heinrich Rahn: Eydgenössische Geschichts-Beschreibung. Zürich 1630; Johann Jakob Scheuchzer : Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweitzerlands. Vol. 1. Zürich 1706, no. 39 (4 Nov 1705), no. 40 (11 Nov 1705), pp. 147 – 160; Georg Sulzer (ed.): Johann Jakob Scheuchzer, Naturgeschichte des Schweitzerlandes, samt seinen Reisen über die Schweitzerische Gebürge. Vol. 1. Zürich 1746, pp. 303 – 307. 55 Cf. Michael Kempe: Die Anglo-Swiss Connection. Zur Kommunikationskultur der Gelehrtenrepublik in der Frühaufklärung. In: Robert Seidel (ed.): Cardanus. Wissenschaftshistorisches Jahrbuch der Universität Heidelberg. Vol. 1: Wissen und Wissensvermittlung im 18. Jahrhundert. Beiträge zur Sozialgeschichte der Naturwissenschaften zur Zeit der Aufklärung 1 (2000), pp. 71 – 91; Simona Boscani Leoni, La ricerca, 2007. 56 Woodward, Brief, p. 6. Italics are Woodward’s. 57 John Woodward to Scheuchzer, undated (but March–May 1702), ZBZ Ms H 294, p. 85. About this topic: Katharine Anderson: Predicting the Weather : Victorians and the Science of Meteorology. Chicago 2005.

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this time [illegible word] this observation on rain. At Filisur in Rhaetia they have this proverb in Rhaetic language: Cura ch’il pitz da Stiervi fo chiapi, schi lascha der la fotsch, et piglia il rasti (this Rhaetic language, in common parlance called ‘Romantsch’, is a corrupt form of Italian dialect). The proverb means: When the top of Mount Stierwis [Stierva/Stürvis] (two miles to the west of Filisur) is shrouded in fog or cloud, cast aside your scythe, with which one cuts the grass, and pick up the rake, with which one gathers in the corn crops, because the rain is coming.”58

The quotations are from a letter of the pastor of the reformed church Johann Leonhardi dated February 1700: “In answer to question 9 of the charta invitatoria: here at Nufenen when the mountain (called Cucarnil) that towers over the village is wrapped in fog, or clouds, one may expect rain or bad weather the same evening or on the following day. Indeed I remember that a popular proverb in Filisur warns: “Cura ch’il pitz/ da Stiervi fo chiapi, schi lascha dar la fotsch et piglia il rasti”, in other words: when the top of Mount Stierwis [Stierva/Stürvis], which stands some three to four hours’ walk to the west, is covered or hidden behind clouds, you should abandon your scythe and pick up your rake because it will be raining soon.”59

The same reflections return in Itinera alpina of 1708, a book published with the financial support of the Royal Society, which contains the accounts of his alpine travels: “The issue of early-warning signs for rain I am not going to forget, but will demonstrate it later, with further new observations made by mountain dwellers. At Filisur in Raethia one can hear the following proverb: Cura ch’il pitz da Stiervi fo chiapi, schi lascha dar la fotsch et piglia il rasti. In Rhaeto-romantsch, which is an Italian dialect, it means: When the top of Mount Stierwis, located two miles to the west of Filisur, is shrouded in clouds 58 Johann Jakob Scheuchzer to John Woodward, 8. 6. 1702, ZBZ Ms H 150a, pp. 116 f. “Ad questionem whether before great rains and storms clouds or fogs are not observed arising out of the tops of the highest mountains, scias, inde certissium alpicolis desinui pluviarum et tempestatum Jndicia. Accipe h–c vice […] eamque pluviosam observationem. Filisurij in Rhaetia [restitas] viget Proverbium lingua Rhaetica: Cura ch’il pitz da Stiervi (lingua haec est Rhaetica Romana vulgý dicta Italicae coruptae dialectus) fo chiapi, schi lascha der la fotsch , et piglia il rasti. Sensum hic est: Quando cacumen montis Striewis quo duobus circiter miliaribus distat Filisuris versus occasum capitium facit, id est nube veluti pileo cingitur abyt falcem, qua secatur foenum, et accipe Rastrum, instrumentum aliud quo foenum in acervos colligitur : quod instet pluvia”, ibid., p. 116. 59 Johannes Leonhardi to Johann Jakob Scheuchzer, 8. 2. 1700, ZBZ Ms H 327, p. 32: “Ad quaest. 9. chartae invit: Wann mann hier zu Nuffenen einene kleinen Nebel, oder wolken, auff einen berg, so grad gegen dem dorff über ligt, und Cucarnil genen[n]et wird, sieht, so hatt mann gemeinlich an des selbigen tags abend, oder am anderen tag einen starke/ regen, oder ungewitter zu erwarten – So errinneren ich mich/ auch daß zu Fillisur ein gemein Spruchwort ist: Cura ch’il pitz/ da Stiervi fo chiapi, schi lascha dar la fotsch et piglia il rasti. das ist: wann der Spitz zu Stiervis [Stierva/Stürvis] (so 3. oder 4. stund von fillisur, gegen abend ligt) kappen macht; oder mit einem wolklein bedeckt/ wird, so lasse die Sägessen fallen, und nim[m]e dem rachen: anzeigende/ es volge gemeinlich bald ein regen darauff.“

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or fog, get rid of your scythe, which you use to cut the hay, and pick up your rake which you use to gather and stack it up, because it is about to rain. In Nufenen, too, a village close to the source of the Rhein, if you notice fog patches or clouds on or around the mountain, you can predict rain.”

A couple of lines below, he remembers the belief of the inhabitants of Nufenen, which says that if clouds cover the top of the mount Cucarnil a stormy rain will afflict the region. The reference to Leonhardi’s letter in Itinera alpina’s text is integrated in a section dedicated to the rain forecast. Scheuchzer mentions here different popular proverbs collected during his travels or through correspondence; he compares them with other observations found in literary sources like Jean Du Choul’s De varia quercus historia: accessit Pilaty montis descriptio (Lugduni 1555) and Johann Leopold Cysat’s Beschreibung dess Berühmbten Lucerner See (Luzern 1661).60 Scheuchzer indicates the contradiction between the different (popular) traditions, and promises the readers an accurate research in the field, as John Woodward had suggested to him.61 Another topic attracting a good deal of debate, which was also discussed in Historia naturalis Helvetiae curiosa by Johann Jakob Wagner (Zurich 1680), was the presence of dragons.62 In his book, Wagner mentioned several dragons observed in Switzerland; he reports different sources of information (from letters) from people he considered trustworthy.63 It was rumoured that there were a number of them inhabiting the Alps, and Scheuchzer argues the question at 60 Jean Du Choul : De varia quercus historia: accessit Pilaty montis description. Lugduni 1555; Johann Leopold Cysat: Beschreibung dess Berühmbten Lucerner oder 4. Waldstaetten Sees und dessen Fürtrefflichen Qualiteten und sonderbaaren Eygenschafften. Darinnen gemeldet wirdt Der Ursprung dess Flusses Ursa oder Reuess, dessen Lauff jnn- und auf dem See: dess Sees länge breitte tieffe und wie mancherley herrlicher guter Fisch in demselben zufinden. Luzern 1661. 61 Johann Jakob Scheuchzer : Oyresiphoites Helveticus sive itinera alpina tria. London 1708, pp. 16 f. “Materia hancce de Signis Pluviarum non ante dimitto, quam aliis homogeneis novisque Observationibus ab Alpicolis factis illustravero. Filisurii in Rhaeti– usitatum est Proverbium: Cura ch’il pitz da Stiervi fo chiapi, schi lascha dar la fotsch et piglia il rasti. Sensus Linguae Rhaeticae, quae est Italicae Dialectus, hic est: Quando cacumen montis Sterwis, qui duo circiter milliaria distat — Filisurio versus occasum, capitium facit, id est, nube velut pileo cingitur, abjice falcem, qu– secatur foenum, & accipe rastrum, instrumentum, quo foenum in acervos colligitur, quod pluvia instet. Ita quoque Novenae, qui pagus haud longÀ distat ab origine Rheni, si conspiciatur nubicula vel nubes in monte Cucarnil, praedicunt Incolae pluviam procellosam.” Italic in the original text. The same considerations come back in Johann Jakob Scheuchzer : Der Natur-histori des Schweitzerlands. Vol. 1. Zürich 1716, p. 268: “Von dem Cucarnil-Gebirg ist dieses auch ramarquabel, daß wann bey schönem Wetter ein Nebel-oder Wölklein fast im mitten im Berg sich sehen laßt, das gemeinlich am anderen Tag ein Regen folget.“ [Mount Cucarnil is remarkable in this, when in fair weather you happen to see some fog or a little cloud halfway up the mountainside, you know that as a rule there will be rain the day after.] 62 Wagner, Historia, 1680, pp. 245 – 254. 63 Ibid., e. g. pp. 248, 251.

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length in his Itinera alpina, providing a detailed description of Swiss dragons, canton by canton, “exactly as I have myself come across found in sources be they manuscript or in print, or as was reported to me”.64 At the end of his long reply to the Einladungsbrief, Leonhardi mentioned an account by eyewitnesses who saw some dragons in the Alps.65 He sent this account to Zurich some time later, as answer to Scheuchzer’s several questions about this topic in his Einladungsbrief.66 The accounts mentioned eyewitnesses from the area, for instance the story told by the shepherd Bartolomeo Alegro da Ponte (a locality in the jurisdiction of Piuro in Valtelline), related to Leonardi by the minister of the reformed church Peter de Juvalta, at Stuls (near Bergün in Grisons). In his letter sent to Zurich on 12 December 1699, Leonhardi transcribed the account received from Bartolomeo Alegro to the clergyman (which the latter had forwarded to Leonhardi on 29 October 1699) of the encounter the man had had with a dragon on the mountain of Foppatsch, in the Alps of Stuls, three years previously. The dragon allegedly had the head of a ginger cat, its paws covered in fish scales, tongue like a serpent’s and a forked tail. The shepherd claims that he managed to kill the monster, whose carcass was reportedly eaten up by insects in the space of three days. An animal like that one, asserted Leonhardi, had supposedly been seen flying by the inhabitants of the region twenty years earlier in the skies above the mountain of Foppatsch. The Zurich scholar, in Itinera alpina as well as in Naturgeschichten, returns to this letter, stating as its source the letter from the reformed minister de Juvalta, dated 29 October 1699 (but postdating it, arguably by mistake, to 29 October 1702). Dragons with similar characteristics were, in his opinion, to be found in Georgia and in other European regions: this is borne out in the work of Paolo Giovio (1483 – 1552).67 These examples show that, for Scheuchzer, local testimony was sound and valuable and, being contextualised and compared with other kind of sources, could be reused in his books.68

64 “[…] wie ich dieselbe in gedruckten oder geschriebnen Urkunden gefunden, oder aus Erzehlungen gehört habe.” Sulzer (ed.), Johann Jakob Scheuchzer, 1746, vol. 2, p. 221; Johann Jakob Scheuchzer : Oyresiphoites Helveticus sive Itinera per Helvetiae alpinas regiones facta annis 1702 – 1707, 1709 – 1711. Leiden 1723, pp. 378 – 397. 65 Johannes Leonhardi to Scheuchzer, 23. 11. 1699, ZBZ Ms H 327, p. 10c. 66 Scheuchzer, Einladungsbrief. In: Küster, Küster, Garten, 1997, p. 29, question no. 166: whether dragons have wings, feet, which form, colour and size they have, etc. 67 Sulzer (ed.), Johann Jakob Scheuchzer, 1746, vol. 2, pp. 235 f. (Journey through the Alps no. 5, 1706; German text); Johann Jakob Scheuchzer : Oyresiphoites Helveticus sive Itinera per Helvetiae. Leiden 1723, pp. 393 f. (Latin text), the inventory of dragons in the different regions of the Confederation begins on p. 37. Johannes Leonhardi to Johann Jakob Scheuchzer, 12. 12. 1699, ZBZ Ms H 327, pp. 11 f. See: Simona Boscani Leoni: Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) et la d¦couverte des Alpes, 2008. 68 Boscani Leoni, Men of Exchange, 2013.

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Conclusion The quoted examples suggest more general reflections on the spread of knowledge in the modern age. The success of “heads” and “queries” in early modern England can be understood as further proof of the influence of Bacon’s research strategies deployed by the early Royal Society. This success and the import of the genre to the Continent show how important it was to develop practical approaches to conduct empirical research of a territory and to gather new information and data, especially since this was a process, which involved people from different educational backgrounds. “Queries” or “general heads” became a useful instrument for the systematic collection of empirical data on a region, to allow broader comparisons between different territories and to test the adequacy of scientific generalizations. The Swiss naturalist Scheuchzer seems to have played a central role in importing and adapting the Baconian science to the Continent. As an authentic historian of nature, he collected all information available from every possible source (eyewitnesses, letters, books, field research, travels), compared them and gave them space in his publications in a polyphonic, eclectic way. The curiosity for a more practical knowledge was not only motivated by pure scientific interest. It was at the same time inspired by religious motivation, often combined with a physico-theological attitude, and by a patriotic economical interest. Discovering local nature and including popular knowledge in publications in the field of natural history was meant to not only show the beauty of a territory, as a region blessed by God, but also to show its economic, mercantilistic utility. These examples prove that early modern questionnaires were sometimes successful: the answers via letters clearly show the existence of a sort of “horizon of expectations” common to the educated classes (both urban and not). From this point of view, the interest in collecting observations on natural history was an ideal that spread not only across the educated urban elites, but which overlapped with a patriotic mission of promoting knowledge of one’s homeland. These considerations emphasize once more that the practice of natural history in early modern Europe was a collective enterprise, involving well-educated scholars as well as a larger group of “curiosi” (sometimes members of the elites, sometimes simple, less cultured people). The stimulus for investigating local nature which had originated and was adopted from the cultural centres was echoed among local elites and not only there. These, in turn, by selecting topics according to their own priorities, and questions they chose to answer, defined and gave shape to the image of natural history of the territory which scholars – thanks their wide-ranging networks and their contacts with societies and academies – were subsequently to deliver and

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distribute on the international market of knowledge. How the “invention” of the local nature was also an invention of a local “anthropological identity” seems to me the next interesting question to be discussed.

Bäderkunde – Balneology

Frank Fürbeth

Adaptationen gelehrten Wissens für laikale Zwecke in der Bäderheilkunde der frühen Neuzeit

Die Bäderheilkunde als wissenschaftliche Disziplin hat ihren Ursprung an den Universitäten Italiens ab dem frühen 14. Jahrhundert.1 Als ,Gründungsvater‘ einer solchen Balneologie im Sinne eines Teilgebiets der universitären Medizin kann Gentile da Foligno (1280/90 – 1348) gelten, der von 1338 bis zu seinem Tode 1348 einen medizinischen Lehrstuhl in Perugia innehatte und vor allem als Kommentator des Canon des Avicenna hervorgetreten ist.2 Mit seinen beiden Traktaten De balneis3 begründete Gentile einen balneologischen Diskurs in Italien,4 der neben den schon in der Antike bestehenden Laiendiskurs über die 1 Eine Geschichte der Balneologie als wissenschaftliche Teildisziplin der Medizin im Mittelalter und der frühen Neuzeit muß noch geschrieben werden. Die älteren Darstellungen sind kulturgeschichtlich orientiert; zu nennen ist die wegen ihres Quellenreichtums immer noch lesenswerte Sammlung von Alfred Martin: Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. Jena 1906. Vgl. a. Vladimir Krˇizˇek: Kulturgeschichte des Heilbades. Leipzig 1990; Ulrika Kiby : Bäder und Badekultur in Orient und Okzident. Antike bis Spätbarock (DuMont-Dokumente). Köln 1995. Die wichtigsten Texte der italienischen Balneologie sind gedruckt in Tommaso Giunti (Hg.): De balneis omnia quae extant apud Graecos, Latinos, et Arabas, tam medicos quam quoscunque caeterarum artium probatos scriptores. Venedig 1553. Eine erste Annäherung an die spätmittelalterliche medizinische Balneologie bei Frank Fürbeth: Heilquellen in der deutschen Wissensliteratur des Spätmittelalters. Zur Genese und Funktion eines Paradigmas der Wissensvermittlung am Beispiel des Tractatus de balneis naturalibus von Felix Hemmerli und seiner Rezeption. Mit einer Edition des Textes, seiner lateinischen Redaktion und seiner deutschen Übersetzung (Wissensliteratur im Mittelalter 42). Wiesbaden 2004. 2 Roger French: Canonical Medicine. Gentile da Foligno and Scholasticism. Leiden 2001. 3 Gentile da Foligno: De Balneis Tractatus primus. In: Giunti, De balneis, 1553, f. 181r–181v ; ders.: Tractatus secundus de Balneis. In.: ebd., f. 182r–182v. Vgl. JoÚl Chandelier : La naissance d’un savoir m¦dical sur les bains thermaux: les trait¦s de Gentile da Folignos (m. 1348). In: Didier Boisseuil, Marilyn Nicoud (Hg.): S¦journer au bain. Le thermalisme entre m¦dicine et soci¦t¦ (XIVe – XVIe siÀcle) (Collection d’Histoire et d’Arch¦ologie M¦di¦vales 23). Lyon 2010, S. 15 – 30. 4 Vgl. Marilyn Nicoud: Les vertus m¦dicales des eaux en Italie — la fin du Moyen ffge. In: Marie Gu¦rin-Beauvois, Jean-Marie Martin (Hg.): Bains curatifs et bains hygi¦niques en Italie de l’Antiquit¦ au Moyen ffge (Collection de l’Êcole franÅaise de Rome 383). Rom 2007, S. 321 – 344; Jean-Marie Martin: Les bains dans l’Italie m¦ridionale au Moyen –ge (VIIe – XIIIe siÀcles). In: Gu¦rin-Beauvois, Bains curatifs et bains hygi¦niques, 2007, S. 53 – 78; Gabriella

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Heilkraft der natürlichen Bäder hinzutritt. Dieser ältere Laiendiskurs, unter dessen Stimmen etwa Martial, Seneca, Strabon oder Plinius d. Ä. zu nennen sind, ist bestimmt einerseits durch eine unsystematische Sammlung von Heilanzeigen der jeweiligen Quellen, die aus mündlicher Überlieferung und empirischer Erfahrung gewonnen werden,5 und andererseits durch eine literarische, oft satirisch gefärbte Darstellung des Badelebens.6 Der medizinische Fachdiskurs der Antike7 hebt dagegen zwar in systematischer Weise auf die Heilanzeigen verschiedener Wasserarten ab, behandelt die Heilquellen aber nur marginal; im Corpus Hippocraticum werden zwar verschiedene Quellwasser thermaler und mineralischer Art beschrieben, aber nicht detailliert in Bezug auf ihre therapeutischen Wirkmöglichkeiten, und Galen entwirft eine Systematik der primären und sekundären Eigenschaften der einfachen und der kompositen Wasser, geht aber wiederum nicht auf bestimmte Heilbäder ein; der Fokus seiner Ausführungen liegt bei den künstlichen Bädern der römischen Thermen.8 Eine Überführung dieser antiken Grundüberlegungen in eine medizintheoretische Systematisierung erfolgt erst bei den Arabern;9 neben Rhazes und Averroes ist hier vor allem Avicenna zu nennen, der in seinem Canon nach der auf Galen zurückgreifenden Unterscheidung zwischen künstlichen und natürlichen Bädern10 auf die Frage eingeht, weshalb Wasser kühlen und erhitzen, feuchten und trocken könne: er erklärt dies mit der unterschiedlichen Ursache der einzelnen Wirkeigenschaften, die einmal per essentiam, einmal per accidens zustande kommen. Als akzidentelle Eigenschaften nennt er äußerliche Wärme

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Zuccolini: Les trait¦s m¦dicaux sur les bains d’Aqui Terme, entre XIVe et XVIe siÀcles. In: Boisseuil, Nicoud, S¦journer au bain, 2010, S. 31 – 61. Martial: Epigramme I, 12 u. VI, 42 u. 43 (Albula, Baiae); Seneca: Ad Lucilium, VI, 4 (Baiae); Strabon: Geographika (verschiedene Quellen); Plinius: Historia naturalis, Lib. 31 (verschiedene Quellen). Vgl. Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 26 – 34. Vgl. Erika Brödner : Die römischen Thermen und das antike Badewesen. Eine kulturhistorische Betrachtung. Darmstadt 1983, S. 163 – 179. Werner Helmut Heinz: Antike Balneologie in späthellenistischer und römischer Zeit. Zur medizinischen Wirkung römischer Bäder. In: Wolfgang Haase (Hg.): Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung. 2. Principat (Philosophie, Wissenschaften, Technik – Wissenschaften: Medizin und Biologie 37). Berlin, New York 1996, S. 2411 – 2432. Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 72 – 76. Vgl. unter kulturgeschichtlichem Aspekt Heinz Grotzfeld: Das Bad im arabisch-islamischen Mittelalter. Eine kulturgeschichtliche Studie. Wiesbaden 1970. Diese Unterscheidung findet sich schon bei Galen, der in seiner Schrift De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus zwischen dem eigentlichen Wasser, das seiner eigener Natur nach die Fähigkeit der Kühlung besitze, den in der Natur vorkommenden kompositen Wassern, die aus den Orten, über die sie fließen, die entsprechende Materie mitnehmen, und den künstlich erhitzten Wassern, wobei er an die römischen Thermalbäder denkt, differenziert. Vgl. Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 73 – 76.

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und die enthaltenen Minerale;11 hier gibt er nun als Erster eine Systematisierung der Mineralbäder nach ihren Inhaltsstoffen und führt auch die entsprechende Indikationen auf; so sagt er etwa über die Schwefelbäder, daß sie „lösen und verkleinern, sie entfernen die Schlaffheit, sie verhindern, daß die Säfte in die Geschwüre fließen“.12 Mit dieser Systematisierung der allgemeinen und der speziellen therapeutischen Eigenschaften und Wirkungen der natürlichen Wasser ist das grundsätzliche medizintheoretische Paradigma in der weiteren Behandlung des Gegenstandes im lateinischen Mittelalter vorgegeben, worauf nun auch wieder Gentile zurückgreift. Gentile geht allerdings den entscheidenden Schritt über Avicenna hinaus: er beschreibt zu jeder Species der Heilbäder bei Avicenna entsprechende Mineralquellen Oberitaliens und führt somit den systematisch-medizinischen Diskurs der arabisch-mittelalterlichen Medizin und den unsystematisch-empirischen Diskurs des traditionellen Heilquellengebrauchs erstmals zusammen. Damit hat er das Paradigma für alle folgenden wissenschaftlichen Beschäftigungen mit den Heilquellen geprägt, das deshalb immer eine gewisse Zwiegestalt besitzt: auf der einen Seite geht es um eine wissenschaftliche Erklärung der Ursachen und Wirkweise der Heilquellen, was insbesondere eine Theorie der Entstehung der inhärenten Wärme der Thermalquellen und der Übertragung der Wirkeigenschaften der durchflossenen Minerale auf das durchfließende Wasser sowie die Einordnung dieser Wirkeigenschaften in das humoralpathologische Krankheitsmodell der mittelalterlichen Medizin umfaßt, und auf der anderen Seite muß die Ein- und Zuordnung der konkreten Heilquellen zu dem jeweiligen Heilbädertypus begründet werden, was bei Gentile durch einen Verweis auf das eigene Urteil und das derjenigen, die darin erfahren seien,

11 Avicenna: De dispositionibus aquarum. In: ders.: Liber canonis. Reprogr. Nachdruck der Ausgabe Venedig 1507. Hildesheim 1964, f. 34v–35v, hier f. 36r. 12 „Aut sicut sulfur aut his similia resoluent et subtiliabunt et auferent laxitatem, et prohibebunt humorum decenionem ad apostemata, et venam habentibus ciuilem conferent. Aereae vero aquae, et ferreae, et salsae etiam, iuuant in egritudinibus renum, et fracturae restaurationem fortem efficiunt, et conferunt carbunculis et vlceribus. Et aeneae quaedem ori conferunt, et vuluae, et oculo laxo, et humiditatibus auris. Ferreae vero stomachum iuuant, et splenem. Et nitrosae quidem est salsae capitibus et pectori auxilium prebent, que materias recipere solent: et conferunt stomacho humido, et habentibus hydropysim, et inflationem. Aquis aluminosis et atramentalibus balneari confert spuro sanguineo et egressioni sanguinis ab ano, et menstruis, et nausee, et vomiti sine causa, et cachexiae, et multo sudori. Sulfuree vero aque neruos mundificant, et dolores distensionis, et spasmi sedant, et coprporis superficiem a bothor, et vlceribus malis antiquis, et signis violaceis munificant, et a panno, et morphea, et albaras: et resoluunt superfluitates ad iuncturas, et splenem, et hepar decendentes: et vulue duritiei conferunt, sed stomachum laxant, et desiderium deijicunt.“ Avicenna, De dispositionibus aquarum, 1964, f. 36v.

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begründet wird;13 wenig später, noch am Ende des 14. Jahrhunderts, kommen Analyseverfahren durch Sinnesproben, Verdunstung und Destillation hinzu.14 Gentile schreibt in seinem Vorwort, daß es eine für den Mediziner nützliche Sache sei, über die Natur und die Wirkeigenschaften der Heilbäder zu schreiben, damit die Ärzte wüßten, zu welchen Bädern sie die Kranken am besten schicken können; seine Traktate richten sich also an den praktizierenden Arzt und bieten diesem eine ,Practica‘, in der er die wichtigsten Informationen für die Auswahl einer Badekur für seinen Patienten entnehmen könne. Damit ist ein zweiter Punkt genannt, der zur Zwiegestalt der spätmittelalterlichen Balneologie beiträgt: einerseits gliedert die Disziplin das unsystematisierte Erfahrungswissen von der Wirkung der Heilquellen in die Komplexionenlehre und die QualitätenQuantitätenlehre der arabisch-mittelalterlichen Medizin ein und entwickelt weiterhin innerhalb des spätmittelalterlichen Empirismus Verfahren zur induktiven Bestimmung der jeweiligen Inhaltsstoffe; andererseits tendieren die balneologischen Texte aufgrund ihrer Praxisorientierung zu einer Verkürzung der theoretischen Teile, die weder von dem behandelnden Arzt als primärem Adressaten der Gattung noch von einem Patienten, der ein Heilbad zur Eigentherapie aussuchen will, gebraucht werden, um die Heilquelle erfolgreich anwenden zu können. Der wissenschaftliche Teil der balneologischen Fachtexte wird deshalb im weiteren auch, je nach Spezifizierung des Adressatenkreises, verkürzt und ersetzt durch normative Teile, welche Fragen des Heilbadbesuchs wie etwa Badedauer, begleitende Maßnahmen oder Nachsorge in entsprechenden Vorschriften zu regeln versuchen. Die italienische medizinische Balneologie, die mit über 30 Texten des 14. und 15 Jahrhunderts handschriftlich überliefert15 ist und schon bald auch in den Buchdruck gelangt,16 kommt erst mit Verspätung im Gepäck der transalpinen 13 Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 92. 14 Gustavo Tanfani: Jacopo Dondi, medico padovano del trecento, ed il suo metodo di estrazione del sale dalle acque termali. In: Rivista di storia delle scienze 17 (1935), S. 8 – 23; Gernot Rath: Die Mineralquellenanalyse im 17. Jahrhundert. In: Sudhoffs Archiv 41 (1957), S. 1 – 9, hier S. 1, läßt die Mineralquellenanalyse dagegen fälschlicherweise erst mit Leonhard Thurneysser (1572) beginnen. Vgl. a. ders.: Die Anfänge der Mineralquellenanalyse. In: Medizinische Monatsschrift 3 (1949), S. 539 – 541. 15 Zur handschriftlichen Überlieferung vgl. Lynn Thorndike, Pearl Kibre: A Catalogue of Incipits of Mediaeval Scientific Writings in Latin. Revised and augmented edition (The Mediaeval Academy of America Publications 29). Cambridge 1963; eine Zusammenstellung bei Frank Fürbeth: Ein Moralist als Wilderer. Felix Hemmerlis „Tractatus de balneis naturalibus“ (um 1450) und seine Rezeption in Deutschland. In: Sudhoffs Archiv 77 (1993), S. 97 – 113, hier S. 99, Anm. 14. 16 Arnold C. Klebs: Incunabula Scientifica et Medica (Nachdr. der Ausg. aus Osiris 4 (1938), S. 1 – 359). Bruges 1938, s. v. Bendinelli, Matteo de (De balneis Lucensibus. Pescia 1489), Bianchelli, Mengo (De aqua Porretae. Florenz 1487), Francesco da Siena (Dicta de balneo Petrioli. Padua 1473), Gentile da Foligno (De balneis. Padua 1473), Panteo, Giovanni Antonio

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Medizinstudenten Mitte des 15. Jahrhunderts auch in den deutschsprachigen Raum.17 Damit hinkt hier die wissenschaftliche Untersuchung und Behandlung der Heilwasserwirkung dem faktischen Gebrauch hinterher. Während nämlich schon einerseits ab dem Ende des 12. Jahrhunderts der einheimische Gebrauch der Heilquellen etwa in Warmbrunn, Aachen, Wildbad, Baden und Gastein durch urkundliche und chronikalische Nachweise belegbar ist18 und sich andererseits die sogenannte „Badenfahrt“ im 15. Jahrhundert als gesellschaftliche Institution etabliert, die den auswärtigen Bäderbesuch von Heilquellen mit kulturell-kommunikativen Funktionen verbindet,19 übernimmt erstmals um 1450 eine Anleitungsschrift zum Gebrauch der warmen Quellen in Baden in der Schweiz das italienische balneologische Paradigma, wobei der Autor über weite Strecken bei Gentile und Tura de Castello abschreibt, ohne jedoch seine Quellen zu benennen.20 Es handelt sich bei dem Autor Felix Hemmerli allerdings nicht um einen Mediziner, sondern um den Zürcher Theologen und Kantor Felix Hemmerli, der als Begründung für die Abfassung dieses für ihn fachfremden Textes anführt, daß die Mediziner als die eigentlich Zuständigen dies aus Ge-

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(De thermis Caldarianis. Venedig 1504), Puteoli (De mirabilibus et balneis Puteolorum. Neapel 1475), Savonarola, Michele (De balneis et thermis. Ferrara 1485 u. ö.), Tura de Castello (De utilitatibus aquae balnei de Porretta. Padua 1473; Recetta dell’aqua del bagno de Porretta. Padua 1473). Textzeugen italienischer Bäderschriften sind im Besitz von Konrad Schelling, dem späteren Leibarzt des Kurfürsten Philipp von der Pfalz, und von Hartmann Schedel, dem berühmten Nürnberger Stadtarzt und Büchersammler, nachzuweisen. Fürbeth, Felix Hemmerlis „Tractatus de balneis naturalibus“, 1993, S. 100 mit Anm. Einzelnachweise bei Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 35. Helmut Busch: Reisen zum Gesundwerden. Badereisen. In: Xenja von Ertzdorff, Dieter Neukirch (Hg.): Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (Chloe 13). Amsterdam, Atlanta 1992, S. 475 – 494; Frank Fürbeth: Badenfahrten im Spätmittelalter. Die Wiederentdeckung der Natur als kulturelles Ereignis. In: Alan Robertshaw, Gerhard Wolf (Hg.): Kultur und Natur in der deutschen Literatur des Mittelalters. Tagungsakten des 15. Anglo-Deutschen Kolloquiums in Exeter 1997. Tübingen 1999, S. 247 – 258; Birgit Studt: Die Badenfahrt. Ein neues Muster der Badepraxis und Badegeselligkeit im deutschen Spätmittelalter. In: Michael Matheus (Hg.): Badeorte und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit (Mainzer Vorträge 5). Stuttgart 2001, S. 33 – 52; dies.: Baden zwischen Lust und Therapie. Das Interesse von Frauen an Bädern und Badereisen in Mittelalter und Früher Neuzeit. In: Sylvelyn Hähner-Rombach (Hg.): „Ohne Wasser ist kein Heil“. Medizinische und kulturelle Aspekte der Nutzung von Wasser (Medizin, Gesellschaft und Geschichte, Beiheft 25). Stuttgart 2005, S. 93 – 117; Katalin R‚kûczi: Eine „Badenfahrt“ im 16. Jahrhundert. In: ebd., S. 83 – 92; Ute Lotz-Heumann: Repräsentationen von Heilwassern und -quellen in der Frühen Neuzeit: Badeorte, lutherische Wunderquellen und katholische Wallfahrten. In: Matthias Pohlig et al. (Hg.): Säkularisierungen in der Frühen Neuzeit. Methodische Probleme und empirische Fallstudien (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 41). Berlin 2008, S. 277 – 330; Pius Kaufmann: Gesellschaft im Bad. Die Entwicklung der Badefahrten und der „Naturbäder“ im Gebiet der Schweiz und im angrenzenden südwestdeutschen Raum (1300 – 1610). Zürich 2009. Ed. in Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 236 – 417.

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winnsucht unterlassen hätten und er nun diese Aufgabe als gleichsam seelsorgerische Pflicht übernehme, um die Badebesucher vor dem falschen, weil sündhaften Gebrauch des Heilwassers zu bewahren.21 Dieser Tractatus de balneis naturalibus kann als Initialzündung der Balneologie im deutschsprachigen Raum gelten, weil er einerseits heftige Gegenwehr und eine eigene, 1460 entstandene Schrift des Memminger Stadtarztes Ulrich Ellenbog provozierte,22 andererseits aber auch noch um 1530 von dem Saalfelder Arzt Caspar Schober ausgeschrieben,23 um 1470 von dem Münchner Bürger Jordan Tömlinger übersetzt24 und schließlich als Bearbeitung dieser Übersetzung von dem Nürnberger Barbierer und Dichter Hans Folz in Reimpaarversen um 1495 in den Druck gebracht wurde.25 Mit dieser Bearbeitung einer Übersetzung des lateinischen Tractatus de balneis naturalibus liegt die erste balneologische Schrift des deutschsprachigen Raumes vor, die im Druck erschienen ist. Sie begründet damit die Reihe der gedruckten Bäderschriften des 16. Jahrhunderts. Insgesamt sind im 16. Jahrhundert 47 Bäderschriften erschienen,26 bei denen es sich in 30 Fällen um Monographien zu einzelnen Badeorten oder Sauerbrunnen und in 17 Fällen um Führer zu mehreren Bädern oder Sauerbrunnen des deutschen Raums handelt. Unter den Autoren ist Paracelsus mit seinem Bäderbüchlin27 und Von dem Bade Pfeffers28 der Bestseller ; mit insgesamt acht Druckauflagen der Schrift zu Pfä21 Ebd., S. 236. 22 Ebd., S. 158 – 167. 23 Frank Fürbeth: Der ,Tractatus de balneis Germaniae‘ des Caspar Schober (um 1530). Zur Stellung der frühneuzeitlichen Balneologie in Deutschland zwischen Mineralquellenanalyse und Schrifttradierung. In: Sudhoffs Archiv 80 (1996), S. 150 – 166. 24 Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 173 – 178; ed. ebd., S. 235 – 417. 25 Hans Folz: Dises puchlein saget vns von allen paden die von natur heisz sein. [Hans Mair, Nürnberg, vor 1495]; Faksimile: ders.: Das Bäderbüchlein, hg. von Rüdiger Krüger (helfant edition). Stuttgart 1995; ed.: ders.: Die Reimpaarsprüche, hg. von Hanns Fischer (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 1). München 1961, S. 388 – 411. Zur Textabhängikeit vgl. Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 186 – 195. 26 Vgl. dazu Frank Fürbeth: Bibliographie der deutschen oder im deutschen Raum erschienenen Bäderschriften des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 13 (1995), S. 217 – 252. 27 Theophrastus Paracelsus: Baderbüchlin. Sechs köstliche Tractat/ armen vnd reychen/ nutzlich vnd notwendig/ von wasserbädern […], hg. von Adam von Bodenstein. Mülhausen 1562; ed.: ders.: Sämtliche Werke. Abt. 1. Bd. 2, hg. von Karl Sudhoff. München, Berlin 1930, S. 227 – 260; Übersetzung: ders.: Sämtliche Werke. Bd. 3, nach der 10bändigen Huserschen Gesamtausgabe (1589 – 1591) zum erstenmal in neuzeitliches Deutsch übersetzt […] von Bernhard Aschner. Jena 1928, S. 713 – 739. 28 Theophrastus Paracelsus: Vonn dem Bad Pfeffers in Oberschwytz gelegen/ Tugenden/ Krefften vnnd würckung/ Vrsprung vnnd herkommen/ Regiment vnd Ordinantz. Zürich 1535; Faksimile: ders.: Bücher und Schriften, hg. von Johannes Huser. Bd. 3. Basel 1589; Neudruck Hildesheim, New York 1972.

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fers29 und ebenfalls acht Auflagen des Bäderbüchleins30 wird er zwar von Fabian Sommer mit seinem Büchlein zu Karlsbad aus dem Jahr 157031 mit neun Auflagen32 bei den Badeconsilien und Tabernaemontanus mit seinem 1581 erschienenen Neuw Wasserschatz33 mit sieben Auflagen34 bei den Bäderführern übertroffen, aber von niemandem in der Gesamtzahl seiner Auflagen. Paracelsus hat damit beide Texttypen der Balneologie des deutschen Raums gleichsam in Personalunion vertreten, ohne daß er dabei grundlegend Neues geleistet hätte.35 Hier wie in der deutschen Balneologie generell ist das Paradigma durch die italienische Fachliteratur vorgegeben: Die Bädermonographie, erwachsen aus dem medizinischen Badeconsilium, bietet ein Gutachten zu den mineralischen Eigenschaften einer Heilquelle, ihren Heilanzeigen, möglichen Nebenwirkungen („Zufälle“), Gegenindikationen und Baderegeln inklusive eines diätetischen Regimens, wobei das Gutachten um Angaben zur Lage des Ortes und seiner Infrastruktur ergänzt wird. Der Bäderführer kann als Kompendium einer Reihe solcher Bädermonographien verstanden werden, um eine Übersicht und Auswahl der geeigneten Heilquelle zu ermöglichen; um Wiederholungen zu vermeiden, werden die Badevorschriften und Regimina aus den Consilien ausgegliedert und zusammengefaßt; ergänzt werden können Bädermonographie und Bäderführer jeweils auch um naturkundliche Überlegungen und Theorien zur Ursache der Heilwirkungen einer Quelle oder der Heilwasser überhaupt, um Verfahrensangaben zur Analyse der Quellen, zur Entstehung von warmen und mineralischen Wassern sowie um ethisch oder religiös begründete Hinweise zu dem richtigen Gebrauch der Wasser. Insbesondere bei den Bädermonograpien, die immer auch zur Propagierung einer neu entdeckten Heilquelle und den damit verbundenen Möglichkeiten eines wirtschaftlichen Aufschwungs des Ortes36 dienten, können noch entsprechende Werbepassagen mit Darstellungen außergewöhnlicher oder besonders zahlreicher Heilerfolge treten. Angesichts des Kompositcharakters der beiden balneologischen Texttypen 29 Fürbeth, Bibliographie der deutschen Bäderschriften, 1995, Nr. 13. 30 Ebd., Nr. 37. 31 Fabian Sommer : De inventione, Descriptione, Temperie, Viribus et imprimis usu, Thermarum D. Caroli IIII. […]. Leipzig 1571. 32 Fürbeth, Bibliographie der deutschen Bäderschriften, 1995, Nr. 42. 33 Jakob Theodorus Tabernaemontanus: Neuw Wasserschatz/ Das ist: Aller Heylsamen Metallischen Minerischen Bäder vnd Wasser […] beschreibung […]. Frankfurt a. M. 1581. 34 Fürbeth, Bibliographie der deutschen Bäderschriften, 1995, Nr. 51. 35 Vgl. Frank Fürbeth: Der Balneologe Paracelsus – Traditionalist oder Innovator? In: Paracelsus – Ein Innovator? Überlegungen zur wissenschafts- und theologiegeschichtlichen Stellung Hohenheims. Teil 2: Humanismus – Astrologie – Balneologie – wissenschaftliche Fachsprache (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 42). Salzburg 2011, S. 29 – 52. 36 Vgl. dazu die wirtschaftshistorischen Untersuchungen bei Kaufmann, Gesellschaft im Bad, 2009, S. 319 – 367.

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kann nicht verwundern, daß die einzelnen Teile unterschiedliche Funktionen haben und damit aus verschiedenen Wissens- und Diskurstraditionen stammen. Grundsätzlich kann dabei unterschieden werden zwischen einem naturkundlichen Diskurs, in dem es um mineralogische und hydrologische Fragen geht, einem medizinischen Diskurs, in dem Pathologie und Therapie die Themen sind, einem (im weitesten Sinne) kulturellen Diskurs, in dem Themen wie das Verhältnis von Arzt und Patient oder professioneller Therapie und Eigenmedikation sowie das Verhalten im Bad oder die infrastrukturellen Notwendigkeiten verhandelt werden, und schließlich einem theologisch-philosophischen Diskurs, in dem über das Bad als Teil einer gottgeschaffenen Welt reflektiert wird.37 Die balneologischen Texte nehmen je nach ihrer Gebrauchsintention in unterschiedlicher Weise an diesen Diskursen teil, wobei schon in der italienischen lateinischen Balneologie festzustellen ist, daß eine Ausrichtung an den Bedürfnissen des praktizierenden Arztes oder sogar des selbsttherapierenden Laien zum Verzicht auf jene Diskursteile führt, die genuin gelehrtem Interesse entspringen, wozu insbesondere alle naturkundlichen Überlegungen, aber auch medizinische Begründungen der Heilanzeigen mittels (humoral)pathologischer Theorien gehören: den Kranken interessiert es nicht, warum er geheilt wird, sondern nur, daß er überhaupt geheilt wird. Es ist nun zu vermuten, daß eine solche Differenzierung nach Texttypen je nach ihren Anteilen an gelehrten, akademischen Diskursen auf der einen und handlungsorientierten Diskursen auf der anderen Seite, die abhängig sind von der Anwendungsintention der Texte und schon in der lateinischen Balneologie Italiens zu finden sind, noch einmal deutlicher wird, wenn man die lateinischen Bäderschriften mit ihren deutschen Übersetzungen vergleicht. Dabei sind im deutschen Raum des 16. Jahrhunderts eindeutige Tendenzen zu beobachten. Dreizehn der insgesamt 30 Bädermonographien sind zuerst auf Lateinisch erschienen, wobei acht von ihnen auch ins Deutsche übersetzt worden sind; 17 Texte sind direkt in der deutschen Sprache veröffentlich worden. Insgesamt überwiegen bei den Bädermonographien die deutschsprachigen Drucke mit 47 Auflagen die der lateinischsprachigen Druck mit 22 Auflagen, wobei ab den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts der Anteil der deutschen Drucke immer größer wird. Unter den 17 Bäderführern dagegen sind nur fünf zuerst lateinisch veröffentlicht worden, während 12 Werke keine lateinische Vorlage mehr hatten. Während die lateinischen Bäderführer meistens nicht mehr als ihre erste Auflage erlebten, sind von den deutschsprachigen Übersetzungen und den deutschen 37 Vgl. dazu ausführlich Frank Fürbeth: Bäderdiskurse in den deutschsprachigen balneologischen Bestsellern des 16. Jahrhunderts (Paracelsus, Etschenreutter, Tabernaemontanus). In: Didier Boisseuil, Hartmut Wulfram (Hg.): Die Renaissance der Heilquellen in Italien und Europa von 1200 bis 1600. Geschichte, Kultur und Vorstellungswelt. Frankfurt a. M. et al. 2012, S. 193 ff.

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Erstdrucken insgesamt 35 Auflagen erschienen, so daß jeder deutschsprachige Bäderführer einen durchschnittlichen Erfolg von drei Auflagen erlebte. Zusammengefaßt kann gesagt werden, daß die Gattung der balneologischen Schriften ab den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts immer erfolgreicher wurde und daß dabei zwar doppelt soviele Bädermonographien wie Bäderführer gedruckt wurden, daß die Bäderführer aber, gemessen an ihrer durchschnittlichen Gesamtauflage, insgesamt die erfolgreichere Subgattung waren. Insgesamt liegen mehr als vier Fünftel aller Werke der Bäderheilkunde im 16. Jahrhundert auch in der Volkssprache vor, wobei eine Verschiebung des Verhältnisses von Latein und Volkssprache im Fortgang des Jahrhunderts festzustellen ist: sind in der ersten Hälfte mehr als zwei Drittel aller Werke auf Latein verfügbar, so ist es in der zweiten Hälfte nur noch ein Drittel; auch hier wird die Verschiebung noch deutlicher, wenn man jeweils die Gesamtzahl der Auflagen berücksichtigt. Es liegt nahe, die lateinischen Werke in toto einem gelehrten und die deutschsprachigen Werke einem laikalen Diskurs zuzuweisen. Dagegen aber spricht nicht nur eine entsprechende Differenzierung schon in der lateinischen Balneologie Italiens, sondern auch das Phänomen, daß in der ersten Hälfte des Jahrhunderts immerhin noch drei zuerst auf Deutsch erschienene Texte anschließend auch noch ins Lateinische übersetzt werden;38 da nicht davon auszugehen ist, daß es sich bei der Latinisierung um eine Verwissenschaftlichung handelt, kann als Grund nur der Versuch einer Erweiterung des potentiellen Käuferkreises auf ein internationales, lateinischsprechendes, aber unter medizinischer Perspektive gesehen laikales Publikum vermutet werden. Ob und wie gelehrtes Wissen für laikale Zwecke in der Übersetzung lateinischer Texte in die Volkssprache adaptiert worden ist, soll daher an drei Beispielen im Einzelnen untersucht werden; dazu wähle ich neben dem schon genannten Bäderbüchlein des Hans Folz den 1546 auf Latein gedruckten und 1552 in einer niederdeutschen Übersetzung erschienenen Libellus de balneorum des Stadtarztes von Deventer, Franz Schmitz,39 sowie die 1576 auf Latein und 1578 auf Deutsch gedruckte DIACQAVG Thermalium aquarum in Misnia apud Hermanduros sitarum: prope 38 Alexander Seitz: Menschlichs lebens art vnd ursprung/ vnd wie man daß befristen soll durch die wilbäder beuor zu Oberbaden […]. Basel 1516; lat. 1576; Johann Dryander : Vom Eymsser Bade […]. Mainz 1535 ; lat. Marburg 1535; Paracelsus, Von dem Bad Pfeffers […], 1535; lat. Basel 1570. Die beiden lateinischen Drucke von Seitz und Dryander sind bibliographisch allerdings nicht nachzuweisen; vgl. Fürbeth, Bibliographie der deutschen Bäderschriften, 1995, Nr. 8, 10 u. 13. 39 Franciscus Fabricius Ruremundanus [Franz Schmitz]: De balneorum naturalium praecipue eorum, quae sunt Aquisgrani et Porceti, natura et facultatibus, et qua ratione illis utendum sit, Libellus perutilis. Köln 1546. Das Werk ist 1552 in Maastricht in einer niederdeutschen und 1622 in s’Hertogenbusch in einer niederländischen Übersetzung erschienen, die lateinische Fassung wurde 1564 und 1616 in Köln und 1615 in Antwerpen nachgedruckt. Fürbeth, Bibliographie der deutschen Bäderschriften, 1995, Nr. 21.

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Annaebergum et Wolckensteinum des Leibarztes des sächsischen Kurfürsten, Johannes Goebel.40 Zwischen dem kleinen Bäderbüchlein von Hans Folz, das zuerst 1495 in Nürnberg und wenig später unter fingiertem Autornamen in Brünn nachgedruckt wurde,41 und dem ersten lateinischen Bädertraktat in Deutschland durch Felix Hemmerli liegen noch zwei Zwischenstufen, nämlich eine lateinische Redaktion durch den Münchner Arzt Johannes Hartlieb und eine deutsche Übersetzung durch Jordan Tömlinger. Hemmerli teilt seinen Traktat in sieben Kapitel ein, wobei erstes und letztes Kapitel eine theologisch-heilsgeschichtliche Rahmung abgeben, in der Hemmerli die Badebenutzer ermahnt, die Heilquellen als Schöpfung Gottes zu ehren und dementsprechend zu gebrauchen; gleichzeitig legitimiert hier Hemmerli auch den Text selbst. Im zweiten und dritten Teil gibt Hemmerli eine Zusammenstellung des antiken und des zeitgenössischen Wissens über Heilquellen, wobei er sich hauptsächlich bei der enzyklopädischen, patristischen und juristischen Literatur des Mittelalters bedient sowie den Tractatus secundus de balneis des Gentile und die Recepta aquae balnei de Porrecta des Tura de Castello ausschreibt. Der vierte, fünfte und sechste Teil ist dem Bad Baden in der Schweiz gewidmet, wobei im fünften Teil die Indikationen und im sechsten Teil ein Baderegimen gegeben werden. Insgesamt stellt sich der Tractatus als eine Kompilation aus mehreren Vorlagen dar, die unterschiedlichen Diskursen entstammen: die Informationen zu den italienischen Bädern und vermutlich auch diejenigen zu Baden in der Schweiz sind entweder wortwörtlich den balneologischen Texten Italiens entnommen oder folgen so genau dem balneologischen Paradigma, daß hier mit einer entsprechenden balneologischen Vorlage zu rechnen sein muß, die heute verloren ist. Dieser fachmedizinische Kern ist eingebettet in einen theologischen Diskurs, der entweder auf einschlägige Schriften des Mittelalters rekurriert oder historiographische Berichte entsprechend einbettet. Naturkundliche Argumentationen kommen dagegen so gut wir gar nicht vor ; die für die italienische Balneologie zwar nicht zentrale, aber doch immer mitdiskutierte Frage, welche Qualitäten die in der Erde verborgenen Minerale besitzen, wird mit einem Verweis darauf abgetan, daß dies nur Gott oder, mit seiner Erlaubnis, den Heiligen und den guten und bösen Engel bekannt sei;42 der medizinische Kern des Traktates wird so in einen 40 Erstdruck Leipzig 1576; deutsche Übersetzung Dresden 1576. Fürbeth, Bibliographie der deutschen Bäderschriften, 1995, Nr. 46. 41 DYss puchlein hat gemacht vnnd erfarn Mayster Clement von Gracz von allen paden dye von natur hayss sint. Brünn 1495. Fürbeth, Bibliographie der deutschen Bäderschriften, 1995, Nr. 5.1. 42 „mineras aut euncium absconditorum in interioribus terre visceribus qualitates soli deo cognitas aut die permissione sanctis hominibus aut angelis bonis vel malis.“ Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 262.

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übergeordneten gelehrt-theologischen Diskurszusammenhang gestellt und damit perspektivisch auf den von Hemmerli angestrebten laikalen Gebrauchszweck zugerichtet. Hemmerlis Traktat ist dann in der ersten Bearbeitungsstufe von dem Münchner Arzt Johannes Hartlieb mit Korrekturen und Einschüben versehen worden, die insgesamt der Tendenz folgen, den Text in medizinischer Perspektive zu professionalisieren. Die Hinzufügungen Hartliebs können dabei in drei Gruppen kategorisiert werden: er benennt zum einen die zahlreichen medizinischen Autoren, die über das Thema geschrieben haben, vor allem Galen und Avicenna, und bindet den Text dieserart qua Quellenverweis stärker an den fachmedizinischen Diskurs an;43 er erweitert zum zweiten die Angaben Hemmerlis in Bezug auf die Wirkweise der Heilquellen sowie auf Krankheitsursachen und -diagnostik, rekurriert also stärker und differenzierter auf den naturwissenschaftlichen Diskurs, wobei er gegen Hemmerli explizit auf den zweifel vnnter den gelerten maistern hinweist,44 also die deskriptive Darstellungsweise Hemmerlis mit Formen wissenschaftlicher Theoriebildung ergänzt, und drittens schließlich verweist er bei problematischen Fragen an die Fachkompetenz eines Arztes oder verweigert sogar, indem er weitergehende Informationen als für den Laien unziemlich erklärt, dem Leser die vollständige Teilhabe an dem medizinischen Diskurs: War vmb das sey, das ist nit guett zw schreiben. Weliche fraw aber dy vrsach wissen wold, dy frag in gehaym ainen gelerten artzt, der dan des selben pads natur vnd aigenschafft erkennndt. Der sagt wol, warum das sey oder von wan dy giftig vnrainikaytt kumbt.45 Deutlich wird hier eine diskursive Distanz zwischen gelehrtem Autor und medizinisch nicht gebildetem Leser markiert, die dazu führt, daß die fachwissenschaftlichen Informationen nur von dem Experten gewußt werden und allenfalls noch in persönlichem Gespräch mit entsprechender Aufbereitung vermittelt werden dürfen.46 Insgesamt könnte das

43 „Dw armer jurist, wann sagstu, das dy erleüchten maister jn der ertznei nit von den warmen paden geschriben haben, dw hast ny gelesen Auicenam in der andern vnd dritten fen, da er so lautter schreibt von aller natur der wasser.“ Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 237. 44 Ebd., S. 299. 45 Ebd., S. 373. 46 „Dar nach richt sich dann, vnd waß er nit selbs gemerkchen vnd versten mag, da sol er ratt haben der weisen ärtzt, dy da wol gelernet sein.“ Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 371. Ein ähnliches Verfahren Hartliebs, dort allerdings unter umgekehrten Vorzeichen, ist bei seiner Übersetzung der frauenheilkundlichen Fachschrift Secreta mulierum im Auftrag des Herzogs Siegmunds von Bayern zu beobachten; Hartlieb, der sich dem Übersetzungsauftrag offenbar nicht entziehen konnte, warnt vor einer Preisgabe der Informationen des Textes: „Aber ain vast gross sarg ist darauf, das diese gehaim haimlich gehalten wurd, wann sollten dye grossen gehaim werden gancz offenbar, das wär ymmer schad. Got würd es auch vngerochen nicht lassen.“ Kristian Bosselmann-Cyran: „Secreta

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Verfahren Hartliebs als Verwissenschaftlichung des Themas charakterisiert werden, wobei er einerseits darauf achtet, die Grenzen zu dem engeren professionellen Diskurs der Medizin nicht zu überschreiten, andererseits aber das dargebotene Wissen eben mit der Anzitierung dieses Diskurses aufzuwerten. Zwischen den Erweiterungen Hartliebs und denjenigen des Übersetzers Tömlinger ist in der handschriftlichen Überlieferung nur bedingt zu unterscheiden. Tömlinger führt dessen Tendenzen jedenfalls nicht zurück; die Erweiterungen und Korrekturen Hartliebs werden also stehen gelassen. Ob eine grundsätzliche Tendenz der Detaillierung und Erläuterung, die insbesondere im Ratgeberteil, also den Anleitungen zum richtigen Verhalten in und nach dem Bad, zu beobachten ist, auf das Konto Hartliebs oder Tömlingers gehen, muß daher offen bleiben; jedenfalls läßt sich feststellen, daß die oft sehr knappen Informationen Hemmerlis mit weiteren Angaben ergänzt werden, die dem Badenden weitere Alternativen eröffnen. Heißt es etwa bei Hemmerli nur, daß der Badende selten oder nie Käse zu sich nehmen soll, weil dies die Verdauung hart mache und zur Melancholie führe,47 dann fügt der Übersetzer noch ein Rezept für eine Käsebrühe hinzu.48 Diese Erweiterungen dienen offensichtlich dazu, dem Leser derart detaillierte Informationen an die Hand zu geben, daß er ohne weiteren Rückgriff auf eine ärztliche Autorität eine Badekur in Eigenregie durchführen kann, womit die Tendenzen der lateinischen Bearbeitung und der deutschen Übersetzung geradezu gegenläufig zu sein scheinen. Allerdings betrifft dies mit dem medizinisch-naturwissenschaftlichen, theoretischen Diskurs einerseits und dem Ratgeberteil andererseits unterschiedliche Textteile, so daß ihr jeweiliges Verhältnis und ihre Ausformung geradezu zum Prüfstein für die Frage nach der Adaptation gelehrten Wissens gemacht werden kann. Deutlich zu sehen ist dies an der Reimpaarbearbeitung des Hans Folz, wobei auch hier mehrere gegenläufige Tendenzen festzustellen sind. Zum einen kürzt Folz radikal um all jene Textteile, die für einen potentiellen Badebesucher belanglos sind. Dabei handelt es sich, neben den theologisch-moralischen Rahmenkapiteln bei Hemmerli, die aber für die Balneologie der Zeit sowieso nicht konstitutiv sind und deshalb problemlos wegfallen können, gerade um jene Partien, die die Gelehrheit der Vorlage, sowohl in dem Original wie auch verstärkt in der Bearbeitung Hartliebs, ausmachen, womit ich sowohl den inhaltlichen Rekurs auf den medizinischen Diskurs als auch auf die dazugehörigen Diskursformen wie Quellenangabe und Thesendiskussion meine. Folz nennt weder irgendeine wissenschaftliche Autorität noch geht er beispielsweise auf mulierum“ mit Glosse in der deutschen Bearbeitung von Johannes Hartlieb. Text und Untersuchungen (Würzburger medizinhistorische Forschungen 36). Pattensen 1985, S. 113. 47 „sed caseo raro uel nunquam, cum sit dure digestionis et pessimi nutrimenti melancolicam generat.“ Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 301. 48 Ebd.

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Formen der Quellenanalyse ein; hier verweist er nur auf die Kompetenz der Ärzte, die das jeweilige Wasser „wohl zu probiren wissen“. Auch die Frage, wodurch die Wasser ihre Qualitäten erhalten, interessiert ihn wenig; hier gibt er sich mit der Auskunft zufrieden, daß sie die Eigenschaften der Minerale, über die sie fließen, annehmen,49 während Hartlieb hier noch dergestalt zu differenzieren versuchte, daß er die Abnahme der Qualität der mineralischen Eigenschaften mit der Verringerung der Quantität der Überflußdauer korrelierte. Zum anderen ergänzt Folz wie der Übersetzer Tömlinger bei den Punken, die für einen Badekurinteressenten von besonderer Wichtigkeit sind, nämlich bei den jeweiligen Indikationen und bei dem Baderegimen. So schreibt er etwa zu Wiesbaden, wo es bei Hemmerli nur heißt, daß das Bad den Ausschlag heile,50 daß es außerdem bei kalten Flüssen und übermäßiger Feuchtigkeit nütze.51 Das Baderegimen ergänzt er durch wiederholte Verweise auf die unabdingbare Konsultation eines Arztes, der den Patienten nach Maßgabe seiner Komplexion nicht allein auf die Badekur vorbereiten, sondern ihm auch noch entsprechende Baderegeln zusammenstellen und ihn nach der Kur in einer Nachbereitung behandeln solle.52 Insgesamt kürzt Folz seine Vorlage erheblich; er übernimmt aus der Übersetzung des Tractatus de balneis naturalibus im Wesentlichen nur die Beschreibung der Bäder im deutschen Raum. Während diese im Tractatus nur Anhang zu der Beschreibung Badens waren, werden sie so bei Folz zum Kern seiner Schrift, die er mit einem Baderegimen ergänzt.53 Folz schreibt so den ersten Bäderführer der deutschen balneologischen Literatur ; dies erklärt die Tendenz, die Informationen zu den einzelnen Badeorten zu ergänzen. Seine Bearbeitung richtet sich also an den medizinischen Laien, ohne diesen allerdings aus der Betreuung des Arztes entlassen zu wollen; aus dem Fundus des heilkundlichen Fachwissens wird im Prinzip nur das übernommen, was zur Auswahl eines Badeortes und zur Durchführung einer Badekur an Wissen notwendig ist, ohne allerdings völlig darauf vertrauen zu wollen, daß der Badebesucher seine Kur auch in völliger Eigenverantwortung durchführen könne. In der Reihe der vier Phasen von Hemmerli bis Folz sind also folgende Stationen festzustellen: 1. Einbindung des fachmedizinischen Diskurses in einen übergeordneten laikalen (heilsgeschichtlichen) Diskurs, 2. Reduktion des laikalen Diskurses durch Professionalisierung, ohne die Grenze zu dem fachmedizini49 Folz, Reimpaarsprüche, 1961, S. 393 f., V. 177. 50 „contra pruritum tamen scabiei videntur profuture.“ Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 326. 51 Folz, Reimpaarsprüche, 1961, S. 403, V. 471 f. 52 Ebd., S. 390 – 393. 53 Das Baderegimen hat er aller Wahrscheinlichkeit aus der Schrift von Johannes May zu den warmen Bädern in Calb übernommen. Vgl. Fürbeth, Heilquellen in der Wissensliteratur, 2004, S. 190 f.

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schen Diskurs ganz zu überschreiten, 3. Ausweitung des laikalen Diskurses ohne Verringerung des fachmedizinischen Diskursanteils, 4. Auslagerung des fachmedizinischen Diskursanteils an die medizinische Autorität des behandelnden Arztes und Reduktion auf den reinen laikalen Diskurs. Mit dem zweiten Text sind wir jetzt 50 Jahre weiter als Folz, fast hundert Jahre weiter als Hemmerli. Es handelt sich um das zuerst 1546 auf Latein und dann sechs Jahre später auf niederdeutsch veröffentliche Buch über die Bäder in und um Aachen;54 Verfasser war der in Deventer tätige Stadtarzt Franz Schmitz, der in Köln sowohl die Artes als auch die Medizin bis zum Lizentiat studiert hatte und neben seinen medizinischen Schriften auch mit einer Versbearbeitung eines spätmittelalterlichen Dramas und der Beteiligung an einem Terenz-Kommentar hervorgetreten ist.55 Sein kleines Büchlein über Aachen folgt ebenfalls dem in der italienischen Balneologie entwickelten Paradigma des Badeconsiliums; in sieben Kapiteln behandelt er die Unterschiede der Heilbäder im Allgemeinen sowie ihre Ursachen, die Wirkungen gemäß der in ihren enthaltenen Minerale, die Geschichte und Lage der Stadt Aachen, die einzelnen Bäder in Aachen und in Burtscheid sowie allgemeine Vorschriften für den Badebesuch; die drei Abschnitte zu den einzelnen Bädern wiederum sind klassisch geordnet in Angaben zur Geschichte und Lage, Infrastruktur, Inhaltsstoffe, allgemeine Wirkungen und Heilanzeigen. Der augenfälligste Unterschied zwischen lateinischer und deutscher Ausgabe ist der Adressatenwechsel und der damit einhergehende Austausch der Vorrede. Widmungsempfänger des lateinischen Erstdrucks ist Johannes Hasenberg, Humanist und Erzieher der Kinder Erzherzogs Ferdinand, den mit Schmitz offensichtlich das Interesse an den studia humanitatis verbindet; Schmitz schreibt denn auch in der Vorrede, daß er das Buch gerade Hasenberg wegen dessen allerhöchter Bildung (summa maxima eruditionis56) zueigne. Dieser gemeinsame Hintergrund humanistischen Interesses prägt den gelehrten Diskurshorizont des Büchleins, was insbesondere in den historiographischen Teilen an den häufigen Rekursen auf antike Autoren wie Seneca,57 Plinius58 und andere zu sehen ist; besonders deutlich wird das an einem längeren Zitat aus Einhards Vita Caroli Magni.59 Die deutsche Ausgabe ist dagegen der Regierung der Stadt Aachen gewidmet; nicht mehr das humanistisch-gelehrte 54 Lateinischer Text mit Übersetzung und niederdeutscher Text in Karin Steinhart: Franciscus Fabricius Ruremundanus: „De balneorum naturalium libellus“. Franz Schmitzens „Wildbäderbüchlein“ und die Anfänge der Aachener balneologischen Literatur. Diss. Würzburg 1989. 55 Zu Leben und Werk Schmitzens siehe ebd., S. 11 – 28. 56 Ebd., S. 35. 57 „Nam ut Seneca dixit, placet in uulnus maxima ceruix.“ Ebd., S. 34. 58 „Iam uesuuij montis Plinij Secundi interitu nobile incendium.“ Ebd., S. 38. 59 Ebd., S. 41, über die Entdeckung der Heilquellen durch Karl den Großen und den Bau einer Pfalz. Schmitz folgt hier der Vita Caroli Magni Einhards, Abschn. 22.

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Interesse bestimmt die Rezeptionsperspektive, sondern der Nutzen und das Wohlergehen (profyt ende welfart)60 der Einwohner Aachens und der umliegenden Bewohner. Unabhängig von den topischen Eigenschaften der Vorreden schlägt sich dieser Adressatenwechsel aber auch in einer fast vollständigen Tilgung der Elemente des humanistisch-gelehrten Diskurses nieder ; keine einzige der antiken Quellen bleibt stehen, ebenso, wie die historiographischen Teile insgesamt sehr gekürzt werden. Anders sieht es bei dem naturwissenschaftlichen Diskurs aus, bei dem Schmitz wie sein Erst-Adressat Hasenberg durch ihr Universitätsstudium die Ausbildung in den Artes liberales und damit in den naturkundlichen Schriften des Aristoteles gemeinsam haben. In diesem Teil geht es, wie auch schon bei der italienischen Balneologie, um die Frage, wie die Thermal- und Mineralquellen entstehen und wie sie jeweils analysiert werden können. Schmitz verweist dafür sowohl in der lateinischen wie in der deutschen Ausgabe auf die Ausführungen bei Aristoteles in dessen Meteorologie; allerdings gehorcht die lateinische Ausgabe deutlicher den Anforderungen des wissenschaftlichen Diskurses: Schmitz leitet diesen Teil mit einem expliziten Hinweis darauf ein, daß Aristoteles in seiner Physica die Methode der Wissenschaft von der Gattung zur Species beschrieben habe;61 die folgende, heute sehr schematisch wirkende Einteilung der Wasser insgesamt gleicht denn auch in weiten Teilen den Ausführungen Avicennas in seinem Canon.62 In der deutschen Übersetzung wird diese Norm einer strengen Wissenschaftlichkeit nicht mehr erwähnt;63 im Gegenteil wird darauf hingewiesen, daß es unter den Gelehrten nicht immer eine Meinung gebe.64 Auffällig ist, daß die strenge, klassifizierende und systematisierende Beschreibung der Ursachen des Thermalwassers im lateinischen Text ersetzt wird durch einen eher rhetorisch geprägten Aufbau, der sich in zahlreichen Fragen direkt an den Leser wendet;65 statt des gliedernd-deduktiven Aufbaus im lateinischen Text versucht der deutsche Text so in einen Dialog mit dem Leser zu treten. Im medizinischen Diskurs schließlich, also bei den Fragen, wie die einzelnen Bäder wirken und welche Heilanzeigen sie besitzen, sind zwei gegenläufige Tendenzen zu beobachten. Einerseits ist schon der lateinische Text dadurch gekennzeichnet, daß die medizinische Fachterminologie der Krankheiten bei-

60 Ebd., S. 97. 61 „Hanc enim doctrinae rationem tradidit Aristoteles libro physicae auscultationis primo, ut a rerum generibus progressus est ad species fist.“ Ebd., S. 36. 62 Ebd. 63 Ebd., S. 98. 64 „Die gheleeren hebben ouch niet ein meininghe, ende geuoelen dar van ghehadt, ende sijn noch verschieden opienien onder hun.“ Ebd., S. 100. 65 „Dan waer vint men kalck oft aschen, daer en sy vuir ghewest?“ Ebd.

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behalten wird, diese aber lateinisch erläutert wird.66 Medizinischer Fachdiskurs und gelehrt-humanistischer lateinischer Diskurs mischen sich, was an die mittelalterliche Wissenschaftsform der Glossierung erinnert. In der deutschen Übersetzung werden weiterhin die Fachtermini verwendet, diesmal aber nur zur Benennung der Krankheitsphänomene, die vorher erläutert werden;67 oder statt der Fachtermini werden die lateinischen Glossen erläutert.68 Andererseits werden auch hier die Krankheitsbeschreibungen veranschaulicht; heißt es im Lateinischen nur schlicht, daß die Heilquelle lapidosa uitia emendat,69 so beschreibt die deutsche Übersetzung ausführlich die Symptome: Het is oock goet den ghenen die den linden stein oft graueel hebben, die den die blase bestopt is, dat sy niet pissen en kunnen.70 Beide Fassungen des Aachener Bäderbüchleins richten sich also an medizinische Laien, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Die lateinische Ausgabe rekurriert auf die humanistische und naturwisenschaftliche Bildung des Adressaten, die einerseits mit entsprechenden Informationen und Diskursformen angesprochen wird und die es andererseits erlaubt, die medizinischen Fachinformationen mittels eines in der Universität eingeübten hermeneutischen Verfahrens so weit zu entschlüsseln, wie es für einen medizinischen Laien überhaupt möglich ist. Die deutsche Übersetzung verzichtet insgesamt auf die Teile, die für den Ungelehrten nicht von Interesse oder nicht verständlich sind, und scheint durch Veranschaulichung, Ausführlichkeit und die rhetorische Form einer Schein-Dialogizität Adressaten anzusprechen, die auf weniger hohem Reflexionsniveau stehen. Beide Fassungen bewahren aber ihre Anbindung an den fachmedizinischen Diskurs, indem sie die lateinische Terminologie weiter verwenden; wie auch der Ratgeberteil zeigt, der in beiden Fassungen wie Folzens Bäderbüchlein die Konsultation eines Arztes vor und nach dem Bäderbesuch vorschreibt, soll dem Laien offensichtlich eine Grundinformation gegeben werden, um Heilquelle und Kurform (in der deutschen Übersetzng wird auch ausführlich auf die neuen Trinkkuren eingegangen) auswählen zu können; es wird aber weder erwartet noch empfohlen, daß die Kur ohne ärztliche Begleitung vorgenommen wird; auch hier ist wie bei Folz, wenn auch auf ungleich höherem sprachlichen und informativen Niveau, der fachmedizinsiche Diskurs ausgelagert, aber anders als dort durch die Anzitierung der lateinischen Fachterminologie nach wie vor präsent. Der dritte Text schließlich stammt von Johannes Goebel, der in der zweiten 66 „neruorum effectionibus, quales sunt spasmi, quos latine conuulsiones dicimus.“ Ebd., S. 44. 67 „van den slach oft rakinghe diemen Apoplexiam noempt.“ Ebd., S. 111. 68 „die spasmen, dat is den kramp/ van ouerulodighe vochticheyt.“ Ebd. 69 Ebd., S. 44. 70 Ebd., S. 112.

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Hälfte des 16. Jahrhunderts Stadtarzt in Annaberg war.71 Sein DIACQAVG Thermalium Aquarum in Misnia […] prope Annaebergum et Vuolckensteinum über die anfangs des 16. Jahrhunderts entdeckten dortigen Heilquellen,72 das 1576 in Leipzig erschien,73 ist für unsere Fragestellung nicht nur deshalb von Interesse, weil noch im selben Jahr auch eine deutsche Übersetzung auf den Markt kam,74 sondern auch, weil etwas mehr als dreißig Jahre später einer der Nachfolger im Amt des Annaberger Stadtarztes, Martin Pansa, nicht nur eine erneute Beschreibung der nahe bei Annaberg gelegenen Heilquelle gab,75 sondern dies mit explizitem Rekurs auf Johannes Goebel76 damit begründete, daß seine neue Beschreibung in besonderem Maße für den „gemeinen Mann“, also den Laien, gedacht sein sollte.77 Das kleine Werk Johannes Goebels ist in drei Bücher geteilt, wobei das erste dem Bad bei Annaberg, dem heutigen Wiesenbad,78 das zweite dem in Wolkenstein und das dritte anderen deutschen Bädern gewidmet ist. Die beiden ersten Bücher verfahren nach dem nun schon klassischen balneolgischen Pa71 Über den Autor ist wenig in Erfahrung zu bringen; Martin, Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen, 1906 und Bernhard M. Lersch: Geschichte der Balneologie, Hydroposie und Pegologie oder des Gebrauches des Wassers zu religiösen, diätetischen und medicinischen Zwecken. Würzburg 1863 kennen ihn nicht. Goebel hat nach Ausweis seiner 1557 in Wittenberg gedruckten Doktorarbeit ebendort die Medizin studiert; nach eigenen Angaben auf der Titelseite seines Bäderbüchleins war er Leibarzt des sächsischen Kurfürsten. 72 Vgl. Christian Lehmann: Historischer Schauplatz derer natürlichen Merckwürdigkeiten in dem Meißnischen Ober-Ertzgebirge […]. Leipzig 1699, S. 225 – 233. 73 Johann Goebel: DIACQAVG [diagraphe] Thermalium Aquarum in Misnia […] prope Annaebergum et Vuolckensteinum […] per Iohannem Goebelium […]. Leipzig 1576. 74 Johann Goebel: Beschreibung der Zweyen Warmen Bäder/ so im Lande zu Meissen/ nahe bey den löblichen Bergkstedten S. Annaberg vnd Wolkenstein gelegen sind. Daneben auch kürzlich anderer fürnebmbsten vnd berümpter Warmen Bäder/ so in Deutschland zu finden: Durch Johann Göbel […] mit fleis aus Lateinischer in die Deutsche sprache gebracht. Dresden 1576. 75 Martin Pansa: Klare Beschreibung deß Wiesenbades Sonst Jobsbad genant/ so eine vierthel Meilweges hinter den Rittergut Wiesen an der Tschoppe im Lande zu Meissen/ nahe bey der Stadt S. Annenbergk gelegen/ dem gemeinen Mann zum besten auffs new erkläret […] Durch Martinum Pansam. S. Annenberg 1609. 76 „Vnd ob mir zwar wol bewußt ist/ daß dieses Bad vor 30. Jahren/ vom H. Doctore Iohanne Göbelin, Weiland Churfürst. Sächsisch. Leibarzt/ auch der Stadt Annenbergk gewesenem Physico albereit/ vnd zwar kürzlich beschreiben sey : hab ich doch vmb etlicher Ursachen willen weitleüfftiger von diesem Bad zu schreiben mich vnterstanden.“ Pansa, Beschreibung deß Wiesenbades, 1609, S. [10]. – Lehmann, Historischer Schauplatz derer natürlichen Merckwürdigkeiten, 1699, meint fälschlicherweise, daß die entsprechende Passage Goebels zu dem Wiesenbad von Martin Pansa übersetzt worden sei. In der einschlägigen Literatur ist diesem Hinweis nicht nachgegangen worden; Teuber kennt Goebel nicht. Vgl. Christian Teuber : „Medicus Silesiacus“. Martin Pansa (1580 – 1626). Sozialmediziner und Volksaufklärer Ostdeutschlands (Würzburger medizinhistorische Forschungen 50). Pattensen 1991. 77 Vgl. Pansa, Beschreibung deß Wiesenbades, 1609, [Titelblatt] („dem gemeinen Mann zum besten auffs new erkläret“) u. unten. 78 Moritz von Süßmilch gen. Hörnig: Das Erzgebirge. Annaberg 1889, S. 425.

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radigma: zuerst werden die Lage des Ortes und seine Badeeinrichtungen beschrieben, dann die in der Heilquelle enthaltenen Minerale, wobei auch angegeben wird, wie sie durch Farbe, Geschmack, Geruch und Tastsinn festgestellt werden, es folgt die obligatorische Liste der Kräfte und Wirkungen, dann die Heilanzeigen und die Kontraindikationen und schließlich ein Baderegimen mit Angaben zur Jahres- und Tageszeit des Badens, der Dauer, der Ernährung und der Vorbereitung. In einer Praefatio wird in einer argumentatio a maiore ad minorem, die von der richtigen Verwendung der sex res non naturales ausgeht, nachgewiesen, welchen Nutzen die warmen Bäder im Allgemeinen und die Bäder Meissens im Besonderen besitzen, wobei der Autor auch eine kurze Übersicht über die verschiedenen mineralischen Quellen und ihre spezifischen Wirkungen gibt; die Vorrede schließt mit einem Seitenhieb auf die Konkurrenten des balneologischen Buchmarkts, die zwar sicherlich gelehrt seien, aber über die weitläufigen Erklärungen den Nutzen übersehen hätten und eher gefallen als nutzen wollten.79 Diesem Ziel der knapp gefaßten Belehrung nach ist das ganze Buch strukturiert; es fehlen sowohl die üblichen Ausführungen zu den Heilquellen als von Gott gegebenes Therapeutikum, die ausführliche Beschreibung zu Geschichte, Sehenswürdigkeiten und Infrastruktur des Badeortes wie auch breitere Angaben zu den Themen des naturwissenschaftlichen Diskurses; daß die Wasser ihre Kraft aus den visceribus terrae empfangen und dort die Eigenschaften der überflossenen Minerale an sich nehmen, wird nur am Anfang des Buches zu Annaberg summatim (S. 1; in einer summa; 8v) beschrieben.80 Um so ausführlicher allerdings widmet sich Goebel den verschiedenen Möglichkeiten der Bestimmung der jeweiligen Minerale, wobei er neben den vier Sinnen auch ein technisches Siedeverfahren beschreibt81 sowie ein Destillationsverfahren in einem Glaskolben (vitrea cucurbita), das er als sublimatio bezeichnet.82 Den größten Raum aber nimmt die Indikationenliste ein; ihre Anordnung folgt dem traditionellen medizinischen Paradigma a capite ad calcem und besteht aus der jeweiligen Nennung der Krankheit und der Art der Wasseranwendung mittels Bade-, Trinkkur oder Tropfdusche. Hieran nun ist deutlich zu erkennen, daß sich Goebel an den medizinischen Fachkollegen wendet; die lateinische Krankheitsterminologie wird nicht glossiert, sondern sogar zum Teil 79 „Nam si vtilibus ambitiosa praetulissem, aut placere magis quam prodesse laborastem.“ Goebel, DIACQAVG Thermalium Aquarum, 1576, S. [VII]. 80 „Et vt hanc rem summatim complectar, AQUAE omnes, quibus quoduis fossile medicamentum admiscetur, eandem facultatem praebent, quam quo illae imbuuntur.“ Ebd., S. 1. 81 „Verum vt rectius Alumen et Atramentum sutorium seu Cuprum discernere atque examinare possemus, primum aquas has in plumbeo alueo quadrato, fornacibus superposito, et igne subdito, statutis diebus excoqui feci.“ Ebd., S. 8. 82 „Nec non deinde in vitrea cucurbita eas iterum atque iterum destillare siui, hinc stillatitius liquor Alumen — Chalcantho certius gustu seiunxit, et qualitatem harum Aquarum illustriorem reddidit.“ Ebd., S. 9.

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in griechischer Begrifflichkeit und Schrift ausgedrückt;83 der Text ist also sowohl für den medizinisch nicht Ausgebildeten wie auch für den nicht fachmedizinisch Gelehrten unverständlich, ist Fachlektüre. Damit scheint mir auch die extensive Anleitung zur Mineralquellenanalyse erklärbar ; obwohl der Leser den Ergebnissen der von Goebel selbst vorgenommenen Analysen – er beruft sich mehrfach auf sein experimentum – ja vertrauen könnte, gibt sie einerseits eine nachvollziehbare Anleitung zur eigenen Analyse, sofern man über das technische Instrumentarium verfügt, andererseits könnte sie aber auch als Ausweis der Wissenschaftlichkeit in einem modernen Sinne als Offenlegung des Analyseverfahrens fungieren.84 Daß die Rezipienten tatsächlich der Ärzteschaft entstammten, zeigt das von mir benutzte Exemplar, das dem um 1760 in Hirschberg tätigen Stadtphysicus Adam Samuel Thebesius gehörte, der wiederum Sohn von Adam Thebesius war, der durch die Erforschung der Herzkranzgefäße berühmt geworden ist.85 Die deutsche Übersetzung folgt der lateinischen Vorlage sehr treu; es finden sich nur äußerst wenige Kürzungen oder Erweiterungen. Die Adaptation für einen laikalen, weder gelehrten noch medizinisch ausgebildeten Rezipientenkreis wird aber an zwei Besonderheiten der Übersetzung deutlich. Zum einen bemüht sie sich um eine anschaulichere Beschreibungssprache; wo etwa in der Vorlage bezüglich der Wirkungen des getrunkenen alaunhaltigen Wassers sachlich davon die Rede ist, ructus movere Aluminis ac Cupris odorem exhalantes,86 heißt es auf deutsch grültzet vnd reucht es doch einem aus dem munde nach Alaun vnd Kupfferschmack.87 Wesentlich aber ist die Verdeutschung der lateinisch-griechischen Fachterminologie: cephalalgia88 wird wörtlich als Kopffwehe übersetzt,89 epilepsia90 als Fraischlich Siechtage,91 ophthalmia92 als 83 „Oculi videlicet humiditatibus quae w^l~tGr vocantur, si aqua hac oculi ablauantur.“ Ebd., S. 17. 84 Tatsächlich ist Goebels Analyse von seinen Zeitgenossen in diesem Sinne diskutiert worden, indem ihm eine Art Meßfehler unterstellt wurde: „D. August. Hauptmann aber will nicht gestehen/ daß eine solche Menge Alaun darunter sey/ weil das Badewasser/ wenn das Oleum Tartari per deliquium facti hinein getropffet werde/ keine Milch-Farbe an sich nehmen/ und sey D. Göbel/ der es in einer bleyernen Pfannen abgesotten/ von resolvirtem Bley und astringirender cerussa verführet worden.“ Lehmann, Historischer Schauplatz derer natürlichen Merckwürdigkeiten, 1699, S. 228. 85 Goebel, DIACQAVG Thermalium Aquarum, 1576; Exemplar in meinem Besitz. Auf der Rückseite des Titelblattes Besitzeintrag: Dr. Adami Samuelis Thebesii Hirschbergae A. D. 1784. Zu Thebesius s. Andreas Mellenleiter : Adam Christian Thebesius (1686 – 1732) und die Entdeckung der Vasa Cordis Minima (Sudhoffs Archiv. Beiheft 47). Stuttgart 2001, S. 426. 86 Goebel , DIACQAVG Thermalium Aquarum, 1576, S. 10. 87 Goebel, Beschreibung der Zweyen Warmen Bäder, 1576, f. 13*r (das 14. Blatt ist in dem Druck ebenfalls als 13. gezählt). 88 Goebel, DIACQAVG Thermalium Aquarum, 1576, S. 16. 89 Goebel, Beschreibung der Zweyen Warmen Bäder, 1576, f. 18r. 90 Goebel, DIACQAVG Thermalium Aquarum, 1576, S. 17.

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andere Augenwehe,93 oder Nausea94 als das Eckeln95. Auffällig dabei ist auch die Umschreibung medizinischer Fachtermini mit beschönigenden deutschen Metaphern, so etwa bei den Hämorrhoiden,96 die als Güldene Ader benannt werden.97 Pansa verfährt nun mit der Beschreibung Goebels auf folgende Weise: er schreibt einzelne Passagen wörtlich ab, ohne seine Quelle zu nennen, und ergänzt oder variiert seine Vorlage.98 Die Erweiterungen erstrecken sich über den gesamten Text, betreffen aber in besonderem Maße folgende Aspekte: erheblich erweitert werden die Angaben zu den Mineralien und ihren Wirkungen; die einzelnen Indikationen werden durch zusätzliche Erklärungen, aber auch durch weitere Indikationen ergänzt,99 das Baderegimen mit seinen Angaben zu Badebzw. Trinkdauer, Vor- und Nachbereitung ist wesentlich erweitert, es begründet die jeweiligen Verhaltensweisen und gibt auch Rezepte zur Herstellung von Stärkungsmitteln. Insgesamt ergibt sich der Eindruck, daß Pansa sich an einen medizinischen Laien wendet, der allerdings das Bedürfnis hat, über die Ursachen der Krankheiten wie auch die Wirkweise der Heilquellen intensiv informiert zu werden, und der diese Informationen nur dann akzeptiert, wenn sie argumentativ-rational begründet werden. Dieser Laie ist allerdings nicht ungebildet; wie aus den zahlreichen lateinischsprachigen Einsprengseln Pansas deutlich wird, setzt der Autor voraus, daß sein Leser mit ihm eine höhere Schul-, Goebel, Beschreibung der Zweyen Warmen Bäder, 1576, f. 18v. Goebel, DIACQAVG Thermalium Aquarum, 1576, S. 17. Goebel, Beschreibung der Zweyen Warmen Bäder, 1576, f. 19r. Goebel, DIACQAVG Thermalium Aquarum, 1576, S. 20. Goebel, Beschreibung der Zweyen Warmen Bäder, 1576, f. 21v. Goebel, DIACQAVG Thermalium Aquarum, 1576, S. 23. Goebel, Beschreibung der Zweyen Warmen Bäder, 1576, f. 24r. Ein Beispiel möge genügen: Heißt es bei Goebel, Beschreibung der Zweyen Warmen Bäder, 1576, f. 10r : „Bey solchem Bade ist für alters eine Capelle gestanden/ dorin S. Jobs Bild sampt einem Altar gesetzet/ Solche Capell ist von Fürst Georgen Hertzogen zu Sachsen reichlich begabet […]“; so erweitert Pansa, Beschreibung deß Wiesenbades, 1609, S. 4 f.: „Bey dem Bade ist für alters ein Capelle gestanden/ darinn S. Jobs Bild/ welches newlich noch vorhanden gewest/ Sampt einem Altar gesetzet worden/ dardurch sie diß Wasser seiner vielfeltigen Tugent halben hoch zu achten zuverstehen geben wollen. Solche Capell ist von Fürst Georgen Hertzogen zu Sachsen/ etc. reichlich begabet […].“ 99 „Fur den Nieren vnd Blasenstein/ desgleichen fur den Harmwindt/ Geschwür/ geschwulst/ Blutgang/ vnd Harmzwnack/ Wo nur in diesn gebrechen keine hitzige geschwulst dobey ist/ so ist dis wasser gut getruncken vnd dorinnen gepadet/ dann es den schmertzen lindert/ austrucknet/ wermet vnd stercket.“ Goebel, Beschreibung der Zweyen Warmen Bäder, 1576, f. 22 f. „Für den Nieren vnnd Blasenstein. Deßgleichen für den Harnwind Geschwulst/ Blutgangk/ vnd Harngang/ wo nur kein hitzige Geschwulst darbey ist/ oder mit zu schlegt/ wirdt es sehr gerühmet/ so mans trincket/ vnnd viel mehr darinnen badet. Dann es thut auff die Verstopffung/ vnd zertheielt mit seiner wärmenden durchdringenden Krafft/ was den Harngängen im Wege ligt. Treibet demnach den sand/ vnd Zährenschleim/ darauß der der Stein wechset […].“ Pansa, Beschreibung deß Wiesenbades, 1609, S. 45. 91 92 93 94 95 96 97 98

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wenn nicht Universitätsbildung teilt. Im Sinne dieses Bildes eines aufgeklärtgelehrten, wenn auch fachmedizinisch ungebildeten Patienten ist vielleicht auch die umfangreichste Erweiterung zu erklären, die sich bei Goebel überhaupt nicht findet, nämlich ein Katalog der zahlreichen Heilerfolge des Bades. Diese Heilungsberichte verfahren alle nach dem gleichen Muster : sie machen den Bericht glaubwürdig durch Angabe des Jahres oder der eigenen Augenzeugenschaft, beschreiben die geheilte Krankheit, die Dauer und Art der Badetherapie sowie den Heilerfolg.100 Auch wenn diese Berichte sicher auch den Zweck gehabt haben, das Wiesenbad bei Annaberg anderen Bädern gegenüber zu protegieren, so zeigt doch schon die Benennung als ,Exempel‘, daß ihnen von Pansa auch eine argumentative Funktion zugewiesen wird; innerhalb des gelehrten Laiendiskurses über die Heilkraft des Bades dienen sie als Beweis für die Richtigkeit des Gesagten. Die Untersuchung zeigt, daß eine eindeutige Aussage dergestalt, daß die lateinischen Werke der Balneologie des 16. Jahrhunderts den gelehrt-wissenschaftlichen und die deutschsprachigen Werke einen für Laienzwecke adaptierten unwissenschaftlichen, auf die praktische Anwendung hin orientierten Diskurs repräsentieren, nicht möglich ist. Dies hat mehrere Gründe: zum einen ist schon die im spätmittelalterlichen Italien entstandene Balneologie nicht monodiskursiv ; je nach intendiertem Gebrauchszweck und professionellem (ärztlichen) oder laikalem (patientischen) Adressaten hat sie unterschiedlich große Anteile medizinisch-theoretischen und therapeutisch-anwendungsorientierten Wissens. Zum anderen entwickelt das balneologische Textparadigma die Möglichkeit und das Bedürfnis, dem eigentlichen balneologisch-heilkundlichen Kern Wissensbestände naturkundlicher, kultureller und heilsgeschichtlicher Art anzugliedern; insofern haben alle balneologischen Texte einen prinzipiellen Kompositcharakter. Wie an den drei untersuchten Textreihen zu erkennen ist, hängen die Adaptionsformen zuallererst davon ab, ob und wie sich die lateinische Vorlage an einen ärztlichen Adressaten richtet. Bei Hemmerli und Schmitz ist dies nicht der Fall, beide wenden sich an den medizinischen Laien. Der Unterschied liegt hier darin, daß in der Transformierung des Textes einmal die lateinische Vorlage (Hemmerli) ,professionalisiert‘, d. h. mit Elementen des medizinisch-gelehrten Diskurses aufgeladen wird (Hartlieb, Tömlinger), im weiteren aber dieser Diskurs wiederum ausgelagert und an die Autoriät des behandelnden Arztes verwiesen wird (Folz); im zweiten Fall werden die Formen eines gelehrten, aber nicht fachmedizinischen Diskurses (Schmitz, lat.) elimi100 Pansa, Beschreibung deß Wiesenbades, 1609, S. 51 – 63 (Von etlichen denckwirdigen Exempeln/ vnnd Personen/ welchs diß Warmen Bad wolgeholfen), z. B. S. 59: „Ein Bawer auß dem Ampt Delitsch ist vor sechs Jahren im Wiesenbad gewesen/ hat abscheuliche Schäden an Schenckeln gehabet voller löcher/ vnd zugleich geschwollen/ daß ihm kein Artz hat helffen können/ ist jnnerhalb acht wochen frisch vnnd gesund anheim gezogen.“

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niert und die Fachelemente des medizinischen Diskurses veranschaulicht (Schmitz, dt.). Auch hier wird aber grundsätzlich im lateinischen wie im deutschen Text an den Mediziner verwiesen. Das dritte Beispiel dagegen ist eine Fachschrift für den ärztlichen Kollegen (Goebel, lat.), die Adaptation des medizinischen Fachwissens für den laikalen Rezipienten erfolgt hauptsächlich durch Veranschaulichung und Verdeutschung der Fachterminologie (Goebel. dt.), ohne die eigentlichen Informationen zu erweitern oder zu verändern; die weitere deutschsprachige Bearbeitung nimmt dagegen Erweiterungen vor, um so einen ,aufgeklärten Patienten‘ ansprechen zu können (Pansa). Insgesamt könnte man so die balneologischen Schriften des 16. Jahrhunderts in einer Matrix verorten, deren eine Koordinate aus den drei Diskursformen eines medizinisch-professionellen, eines gelehrt-universitären-humanistischen und eines ungelehrt-laikalen Diskurses gebildet wird und deren andere Koordinate Wissensbestände des medizinischen, des naturkundlichen, des kulturellen und des heilsgeschichtlichen Diskurses verzeichnet. Wo die jeweiligen Texte der frühneuzeitlichen Balneologie in diesem Koordinatensystem zu verorten sind, hängt dabei offensichtlich weniger von ihrer Sprache ab als von den Gebrauchsintentionen der Autoren und ihrer Adressaten und ist in jedem einzelnen Fall neu zu bestimmen.

Ute Lotz-Heumann

Finding a Cure. Representations of Holy Wells and Healing Waters in Early Modern Germany

What is a healing water?1 This was a widely debated question in the early modern period, because until the nineteenth century it could only be determined by experience whether a water source springing from the earth was actually therapeutic. Therefore, the perceived healing quality of a specific well depended on successful attribution and social consensus. That is, somebody had to claim that a water had healing qualities, and then a sufficient number of people had to agree with this representation so that social practices and patterns of usage would ensue.2 But the healing quality of a well was far from the only question that mattered; another question central to the interpretation of a healing well immediately followed: How and through whom or what did the healing qualities come into existence? Although contemporaries agreed until far into the eighteenth century that all healing waters – just as nature in general – were Godgiven, this basic assumption still resulted in very different views of the exact nature of healing waters. This article explores the representations of healing waters in sixteenth and seventeenth century Germany as they were presented to a lay audience in broadsheets, pamphlets, and short treatises and their accompanying images. On the basis of around 300 works printed in the vernacular, I have identified three interpretations of healing wells which competed with each other in the public 1 This article is based on research I conducted as part of the Sonderforschungsbereich (research cluster) 640 „Representations of Social Order“ at Humboldt University, Berlin, between 2004 and 2008. I should like to thank my two research assistants in Berlin, Jacob Schilling and Lisa Wolff, for their invaluable help during those years, and Patrick Meeks, my research assistant at the University of Arizona, for proofreading. All remaining errors are, of course, my own. 2 See, e. g., the praise lavished by Tabernaemontanus on the waters of Langenschwalbach as opposed to the Wiesbaden wells and his condemnation of the Pyrmont waters, all three regarded as effective healing waters today : Jacob Theodor Tabernaemontanus: Neuw Wasserschatz: das ist: von allen heylsamen metallischen mineralischen Bädern und Wassern […]; auch wie man dieselbigen und alle metallische Wasser zu mancherley Kranckheiten und Leibs gebrechen […] gebrauchen soll […]/ alles […] widerumb ubersehen, verb., gemehret, beschrieben durch Iacobum Theodorum Tabernaemontanum. Frankfurt a. M. 1584.

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sphere in early modern Germany. First, healing waters were described as medicines in an emerging spa discourse which attributed the waters’ healing qualities to natural causes. Second, the healing qualities of Catholic holy wells were attributed to saints, and holy wells were therefore integral parts of Catholic pilgrimage sites. And third, Lutheran miracle wells were stand-alone phenomena, giving rise to Lutheran „pilgrimages“ to these sites.3 Although these views of healing waters cannot and should not be understood as rigid entities, the argumentative structures, visual representations, and material cultures associated with each of these three interpretations remained remarkably stable between the middle of the sixteenth and the beginning of the eighteenth centuries.4 Although therapeutic waters were a common treatment for all kinds of illnesses in the early modern period and people from all walks of life regularly went to spas, historians of medicine usually only touch on the question of healing waters briefly.5 One of the few historians of science interested in the subject is Katherine Park.6 Religious historians have also largely ignored holy and miracle wells, even though there is a rich literature on related phenomena. David Gentilcore, Craig Harline and Renate Dürr, for example, have worked on aspects of early modern religious and popular culture related to healing, but not specifically on holy and miracle wells.7 In addition, there is an extensive research 3 This confirms the general observation in recent research that early modern Calvinism was more „austere“ than the other confessional churches and did not condone such expressions of religiosity. – A note on terminology : In the following, I use „holy well“ to denote a well associated with a Catholic pilgrimage site and „miracle well“ to describe a Lutheran well because the term „holy well“ seems too closely associated with Catholicism and would not adequately reflect the Lutheran representation of the wells (i. e. Lutherans did not regard their miracle wells as „holy“). 4 For a more detailed explanation of some of the arguments made in this article (albeit with a different overall question), see Ute Lotz-Heumann: Repräsentationen von Heilwassern und -quellen in der Frühen Neuzeit. Badeorte, lutherische Wunderquellen und katholische Wallfahrten. In: Matthias Pohlig et al. (eds.): Säkularisierungen in der Frühen Neuzeit. Methodische Probleme und empirische Fallstudien. Berlin 2008, pp. 277 – 330. I am currently preparing a monograph on this subject. 5 Mary Lindemann, in her overview of early modern medicine, calls healing waters a „faddish cure“ (Mary Lindemann: Medicine and Society in Early Modern Europe, Cambridge 22010, p. 273). 6 Katharine Park discusses the tradition of Italian balneology in: Natural Particulars. Medical Epistemology, Practice, and the Literature of Healing Springs. In: Anthony Grafton, Nancy Siraisi (eds.): Natural Particulars. Nature and the Disciplines in Renaissance Europe. Cambridge, London 1999, pp. 1 – 16. 7 See, e. g., David Gentilcore: Contesting Illness in Early Modern Naples. Miracolati, Physicians and the Congregation of Rites. In: Past and Present 148 (1995), pp. 117 – 148; id.: Healers and Healing in Early Modern Italy. Manchester1998; Craig Harline: Miracles at the Jesus Oak. Histories of the Supernatural in Reformation Europe. New York 2003; Renate Dürr : Prophetie und Wunderglauben – zu den kulturellen Folgen der Reformation. In: Historische Zeitschrift 281 (2005), pp. 3 – 32.

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background on early modern popular religiosity in general and on miracles and pilgrimages in particular.8 While hardly any recent research has been done on holy wells and healing waters in Germany,9 Jens Johansen and Alexandra Walsham have worked on Danish and British holy wells respectively.10 These case studies provide interesting comparisons for my own research on Germany. In the following, I will describe the three representations – balneological, Catholic and Lutheran – which aimed at popularizing healing waters, and how they tried to persuade their readers (and viewers) of the validity of their interpretations. I proceed from the methodological assumption that images and material cultures – and the spaces they represented or created – served as distinct „markers“ to reinforce a specific interpretation of healing waters. I would argue, therefore, that „the interplay of things and words“, as Leora Auslander has put it,11 was essential to the early modern representation of holy wells and healing waters. Therefore, my questions are: How were healing waters and holy wells represented in German-language tracts, in broadsheets, in images, and in 8 See the works by Jürgen Beyer, Bob Scribner, Philip Soergel, Alexandra Walsham, David Sabean, and Rebekka Habermas among others: Jürgen Beyer: A Lübeck Prophet in Local and Lutheran Context. In: Bob Scribner, Trevor Johnson (eds.): Popular Religion in Germany and Central Europe, 1400 – 1800. New York 1996, pp. 166 – 182, pp. 264 – 272; Rebekka Habermas: Wallfahrt und Aufruhr. Zur Geschichte des Wunderglaubens in der frühen Neuzeit. Frankfurt, New York 1991; Robert W. Scribner: The Reformation, Popular Magic and the „Disenchantment of the World“. In: Journal of Interdisciplinary History 23 (1993), pp. 475 – 494; David W. Sabean: Power in the Blood. Popular Culture and Village Discourse in Early Modern Germany. Cambridge, New York 1984; Philip Soergel: From Legends to Lies. Protestant Attacks on Catholic Miracles in Late Reformation Germany. In: Fides et Historia 21 (1989), pp. 21 – 29; Alexandra Walsham: Miracles in Post-Reformation England. In: Kate Cooper, Jeremy Gregory (eds.): Signs, Wonders, Miracles. Representations of Divine Power in the Life of the Church. Woodbridge 2005, pp. 273 – 306. 9 Notable exceptions are: Hartmut Kühne: Märkisches Bethesda. Ein Wunderbrunnen des 17. Jahrhunderts und der lutherische Wunderglaube. In: Hartmut Kühne, Erdmute Nieke (eds.): Kirche – Kunst – Kultur. Beiträge aus 800 Jahren Berlin-Brandenburgischer Geschichte. Festschrift für Gerlinde Strohmeier-Wiederanders zum 65. Geburtstag. Frankfurt a. M. et al. 2008, pp. 131 – 147; id.: „… ein rechter Wunder-Brunn Gottes“. Ein Beitrag zur lutherischen Frömmigkeit im 16. und 17. Jahrhundert. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 68 (2008), pp. 63 – 92. See also footnote 4 above. 10 Jens Chr. V. Johansen: Holy Springs and Protestantism in Early Modern Denmark. A Medical Rationale for a Religious Practice. In: Medical History 41 (1997), pp. 59 – 69; Alexandra Walsham: Reforming the Waters. Holy Wells and Healing Springs in Protestant England. In: Diana Wood (ed.): Life and Thought in the Northern Church, c. 1100–c. 1700. Essays in Honour of Claire Cross. Rochester, New York 1999, pp. 227 – 255; ead.: Holywell: Contesting Sacred Space in Post-Reformation Wales. In: Will Coster and Andrew Spicer (eds.): Sacred Space in Early Modern Europe. Cambridge 2005, pp. 211 – 236. See also ead.: The Reformation of the Landscape. Religion, Identity, and Memory in Early Modern Britain and Ireland. Oxford 2011, pp. 395 – 470. 11 Leora Auslander : Beyond Words. In: American Historical Review 110 (2005), , [1 Jun 2013], paragraph 25.

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the material culture associated with the wells? Which arguments and visual representations did authors or groups of authors use in order to establish their interpretation of healing waters in the public sphere and differentiate it from other interpretations? How did texts, images and material objects together create a specific spatial representation of either a spa, a Catholic holy well or a Lutheran miracle well? The medical interpretation of healing wells was put forward mostly by physicians, with an occasional lay voice. This discourse community was decisively influenced by late medieval Italian works on the healing effects of bathing and mineral springs. In the fifteenth century, German physicians began to write balneological works in German, focusing both on instructions for bathing cures in general as well as on individual healing waters. These medical treatises also came to include a spa discourse, discussing the facilities provided at individual wells. The content of these works is best summarized by the title of Johann Dryander’s spa guide of 1535: „Of the spa of Ems/ What nature it has in itself/ How one should act when using it/ Also about what diseases it cures.“12 The authors of these bath guides describe the natural origins of healing waters, their healing qualities and their proper application. Above all, they stress observation and experience as the means to determine the healing qualities of a specific well. And they propagate the dietetics of the time – a balance of the four humors achieved by healthy living and the correct use of the healing waters.13 The authors of balneological works all give the influence of God a very specific place, usually in the preface or dedication, sometimes at the end of their treatises or in short sentences at the beginning of chapters. They briefly describe healing 12 See Johannes Dryander : Vom Eymsser Bade/ was natur es in jm hab. Wie man sich darin halten soll. Auch zu was kranckheit es gebraucht sol werdenn. Durch D. Johan Dryander genant Eichman. Des hochwirdigsten Fürsten und Herrn H. Johann Ertzbischoffs zu Tryer/ und Churfürst etc. diener und verordentenn der Artzeney Doctor zu Coblentz/ yetzt new in truck bracht. [Mainz 1535]. New ed. by Verein für Geschichte, Denkmal- und Landschaftspflege e.V., Bad Ems 1983. 13 See, e. g., also Lorenz Fries: Tractat der Wildbeder natuer, wirckung vnd eigenschafft mittsampt vnderweisung wie sich ein yeder bereiten sol ee er badet/ auch wie man baden/ vnd ettliche zufell der badenden wenden sol/ Gemacht mit grossem fleiß durch Laurentium Phriesen der freien kunst vnnd artzney doctorem. Stuttgart 1519; Georg Pictorius: Badenfartbüchlein. Gantz kurtzer bericht von allerhand einfachten/ und acht und dreissig componierter mineralischen teutsches lands wildbädern/ wie man im baden und darvor/ ordnung halten solle/ welchen baden gut/ und welchen böß/ von der bäder diet/ und wie man allen zufällen die sich gemeinlich den badenden zutragen/ begegnen soll. Mit angehenckter beschreibung/ was nutz schrepffen bringe/ welchen es füget/ un[d] was für schaden denen so es nit gezimet/ auch an welchen orten die ventosen anzusetzen/ Jetzunder mit fleiß ubersehen und zum dritten mal getruckt. Alles durch D. Georgium Pictorium der artzney Doctorn/ und der Keiserlichen regierung Ensißheim bestelten Phisicum/ auß den gelehrten/ und wie er vil selber erfaren/ allher in diß Büchlin zusammen getragen. Frankfurt a. M. [1560]; reprint Freiburg i. Br. 1980.

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waters as God-given, but their works are, for all intents and purposes, medical treatises, focusing on the length of bathing times and the medical benefits of a specific healing water learned about through experience.14 For example, in his Badenfahrtbüchlein of 1560, Pictorius uses the dedication to note that healing waters are part of God’s „heavenly pharmacy,“ but he warns that they can only be effective if proper dietary rules are followed.15 This did not mean that the authors of balneological works agreed about which waters were to be regarded as healing or how best to apply them.16 However, the argumentative structures employed are strikingly similar and they are found in authors of all confessions. The proliferation of German-language spa guides was a consequence of the proliferation of spas. In the late Middle Ages and the early modern period, spas became an established feature of life in central Europe; people from all social groups regularly went on bathing and drinking cures. As a consequence, healing wells were increasingly surrounded by permanent facilities catering to spa travelers. These included not only inns, but also bathing, showering and drinking facilities as well as gardens and other recreational spaces. In addition, spas welcomed patients irrespective of their religion. Spa regulations of the sixteenth and seventeenth centuries often explicitly forbade confessional discussions and controversies.17 The authors of spa guides used the close proximity of territories of different confessions in early modern Germany as an advertising message; they stressed the availability of worship services for all confessions in or near the respective spa.18 14 A striking and, at the same time, unusual example is Martin Maskosky’s treatise on the Göppingen well. Its title begins with the words: „In the Name of Jesus! The Göppingen Bethesda.“ However, Maskosky, a physician, goes on to write a medical treatise, covering all aspects of a balneological work, e. g. the mineral content of the well, cases of successful treatment with the healing water, dietetics etc. See Martin Maskosky : Im Namen JEsu! Das Göppingische Bethesda! Das ist Kunstmässige Beschreibung des uralten heilsamen Sauerbrunnen Bey der Hochfürstlichen Würtenbergischen Statt Göppingen! Von desselben Gelegenheit/ Chimischer Probe/ heilsamer Wirkung und ordenlichem Gebrauche/ aus eigener Zwanzigjähriger Erfahrung zur Ehre GOttes und Nuzzen des Nächsten wolmeinend entworfen von Martin Maskosky/ Medicinae Practico […]. Nördlingen 1688. 15 „auß der himmelischen appoteck artzney“, Pictorius, Badenfartbüchlein, 1560, f. Aii r [p. 9]. 16 Tabernaemontanus, Neuw Wasserschatz, 1584. 17 See, e. g., bathing ordinance for Baden-Baden, 1596, printed in: Gebhard Mehring (ed.): Badenfahrt. Württembergische Mineralbäder und Sauerbrunnen vom Mittelalter bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 1914, p. 161 f.; bathing ordinance for Griesbach 1605, printed in: Friedrich von Weech: Zur Geschichte der Renchbäder Antogast, Freiersbach, Griesbach und Petersthal. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 28 (1874), pp. 438 – 466, at p. 450. 18 See, e. g., Marsilius Weigel: Beschreibung des Embsischen Bades. In: Johann Daniel Horstius (ed.): Kurtzer Bericht Vom Embser-Bad an der Lahn/ in deutsch und frantzsösisch/ So dann Wiß- und Offenauer-Bad/ Auß Vier und viertzig Jähriger Erfahrung auffgesetzt. Wie auch D. Georg. Marii, and anderer Gelährten Gedanken über die Brunnen zu Offenau/ Derng/ St.

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In spas and places which aspired to become spas, special emphasis was put on the development of facilities associated with therapeutic cures. The material culture associated with a spa had to fulfill certain expectations. For example, Figure 1, a sixteenth-century woodcut of the spa of PlombiÀres or Plummers in Lorraine, close to the border with Germany, shows a spatial arrangement typical of late medieval and early modern spas established for bathing cures. The bathing pool is in the middle of the spa and the inns are built around it. These inns were permanent structures and the bathing pool is also surrounded by a stone wall and entered by built-in steps. Even the smallest spa was expected to give itself an air of urban solidity and density.19 In the sixteenth and seventeenth centuries the medical discussion of healing waters intensified. As a result, treatments were expanded and refined. This was also reflected in the facilities at the spas, where drinking the waters and therapeutic showers became part of the range of treatments available. The material culture and spatial arrangements of the spas changed accordingly. Bathing was transferred from the open air into houses, bathtubs came into use, and elaborate machines for showering were constructed. Similarly, permanent facilities were provided for drinking the healing waters. For example, as shown in Figure 2, an image of the Weinbrunnen in Langenschwalbach, it was essential that drinking wells had a solid stone surround where people could gather and where so-called Brunnenknechte and Brunnenmägde („well servants“) handed the filled drinking vessels to the spa visitors. In addition, spas were increasingly expected to provide gardens and other recreational facilities. In Figure 3, a seventeenth-century engraving of the spa of Adelholzen in upper Bavaria, the center of Adelholzen is occupied by a bowling alley and an enclosed garden while the combined inn and bathhouse (with the bulbous spire) dominates the spa. In contrast, the chapel sits at the furthermost right-hand corner of the image, and is therefore situated as much outside the spa as the stables below it. This spatial relationship speaks volumes about the relative importance of medical treatment, recreation and religion at a spa: Adelholzen, though situated in Catholic Bavaria, was not a holy well and people did not go there on pilgrimage. It was a spa and its healing water was defined by a medical representation. It put medical and leisure facilities at the center of its space, not a pilgrimage church with a holy well. However, holy and miracle wells provided an equally popular opportunity to search for a cure in early modern Germany. In contrast to the medical repreMenard/ Bachstainbach/ etc. Sambt angehängtem ausführlichem Bericht Doct. Marsilii Weigelii Vom Embser Bad und Brunnen. Darmstadt 1683, p. 1. 19 This architectural design, typical of spas offering bathing cures, has rarely survived into the modern era. Bagno Vignioni, a spa in Tuscany which has the same setup as PlombiÀres, is an exception in this regard since it is still intact.

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Fig. 1: Plummers (PlombiÀres). Woodcut from Conrad Gesner : De thermis Germanicis. In: De Balneis. Venice: Juntas, 1553 (taken from Alfred Martin: Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. Jena 1906, S. 281.).

sentation of spas, Catholic and Lutheran clergymen propagated an interpretation of healing waters as „holy“ or „miracle“ wells. Catholic and Lutheran wells were associated with a saint or with God, and miraculous healing powers were therefore attributed to them. The definition of a „miracle“ or „holy“ well meant that the healing water was seen as working against any illness. While medical pamphlets sought to define healing qualities by experience, a holy or miracle well was regarded as a universal healing instrument. For example, in one Lutheran broadsheet it was noted: „These waters are used against all kinds of internal and external illnesses which are completely hopeless and which no physician can heal.“20 The ultimate distinguishing mark of holy and miracle 20 „Dienen für allerhand inner- und euerliche gebrechen/ die gantz desperat und kein medicus heilen kan.“ [Anonym]: Eigentlicher Abriß Des Dorffes Hornhausen/ Darinnen nun in die Zwantzig Heil-Brunnen entsprungen/ welche vor allerley innerlich- und eusserlichen Schäden und Kranckheiten nützlich zu gebrauchen. S. l. 1646.

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Fig. 2: Matthäus Merian: Langenschwalbach with the Weinbrunnen. Engraving from Matthäus Merian: Topographia Hassiae […]. Frankfurt a. M.: Merian, 21655; reprint Kassel, Basel 1959, after p. 122 (taken from , [20 May 2013]).

Fig. 3: Das Wildtbad Aendelholtzen. Engraving from Matthäus Merian: Topographia Bavariae […], Frankfurt a. M.: Merian, 1644; reprint Zwickau 1914, [no pagination] (taken from , [20 May 2013]).

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wells was that they could cure demonic possession and bewitchment, that is, perform exorcisms.21 While medical pamphlets defined the right manner for approaching a healing water at a spa in terms of its proper medical application, the right manner for approaching a holy or miracle well was as a pious believer. However, the differences between the Catholic and the Lutheran definitions of healing wells are as pronounced as those between spas on the one hand and holy/ miracle wells in general on the other. In Catholicism, holy wells did not stand alone, but were – and are – deeply integrated into the worship of saints at pilgrimage sites. As a consequence, miracles were not ascribed to a holy well as such, but to the saint who gave the well its name. In early modern Germany, we find pilgrimage sites with holy wells in all Catholic areas, but especially in the Rhineland, Bavaria, and the Habsburg territories. These holy wells were associated with a number of different saints, notably Saint Ulrich, who is regarded as a patron saint of water and wells, and the Virgin Mary. But pilgrimage sites with holy wells were often also associated with Christ and named „Church of the Holy Blood.“22 A pilgrimage site was characterized by an ensemble of miracle-producing objects and objects of worship – the image of the saint, relics, statues, the holy well, the offertory box, the votive offerings, and so on. Miraculous wells were thus woven into a whole structure of holiness at a pilgrimage site. As a result, Catholic clergymen did not – as physicians and Lutheran clergymen did – discuss holy wells as a separate phenomenon; they were always integrated into the descriptions and miracle books of pilgrimage sites. Thus, Catholic holy wells were – and are – not only deeply woven into the argumentative structure, but also the visual and material culture of holiness which makes up a pilgrimage site and 21 See, e. g., [Christoph Barbarossa]: Wunder-brunnen Gottes/ Das ist: Waarhafftiger/ Christlicher und nothwendiger Bericht/ was von denen Brunnen zuhalten/ darbey so grosse Zeichen und Wunder geschehen/ auch was ein Christlich Hertz zu seiner Lehr/ Trost/ Warnung und Vermahnung/ ohne alle Superstition und Aberglauben/ dabey betrachten möge. In einem kurtzen Gespräch eines Beichtkindes mit seinem BeichtVatter verfasset/ und anno 1613. bei damaln gegebener Gelegenheit/ und begehren publiciert durch M. C. B. [Christoph Barbarossa] Jetzo aber in gleichem Fall/ und wegen der in Sachsen entsprungenen Heylbrunnen widerholt […]. Nürnberg 1646, f. Bi r–v. 22 See the overviews in: Rudolf Kriß: Volkskundliches aus altbayrischen Gnadenstätten. Beiträge zu einer Geographie des Wallfahrtsbrauchtums. Augsburg 1930; Gustav Gugitz: Österreichs Gnadenstätten in Kult und Brauch. Ein topographisches Handbuch zur religiösen Volkskunde in 5 Bänden. Wien 1955 – 58; Heidemarie Strauss, Peter Strauss: Heilige Quellen zwischen Donau, Lech und Salzach. München 1987; Franz Leskoschek: Heilige Quellen und Wunderbrunnen in Steiermark. In: Historischer Verein für Steiermark (ed.): Blätter für Heimatkunde 21 (1947), pp. 3 – 24; Johann Schleich: Heil- und Wunderquellen in der Steiermark. Graz, Wien, Köln 1998; Alois Döring: Heiliges Wasser. Quellenkult und Wassersegnungen im Rheinland. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 41 (1996), pp. 61 – 100.

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which guides the practices of worship. This interweaving can take different forms. Certainly most striking are statues of saints from which the healing water flowed directly into a basin underneath, as can be seen in a Baroque figure of Christ from the pilgrimage church of Rosenheim south of Munich (Figure 4): The healing water used to flow out of the wounds of Christ. Other holy wells sprang up from beneath the altar or right in front of the altar, as, for example, in the pilgrimage church near Einsbach in Bavaria.23 However, this immediate spatial relationship was not necessarily always the case as the holy well was often housed in a chapel of its own which nevertheless was clearly marked and described as an integral part of the spatial configuration of the pilgrimage site. Generally, a Catholic holy well was always in close mental and spatial association with the miraculous image of the saint, the altar and other material objects associated with the pilgrimage site, such as the votive tablets and votive offerings left by the pilgrims. Similar to spas, it was important for Catholic pilgrimage sites that – after an initial phase of makeshift arrangements – all material culture associated with the site was integrated into a permanent structure of holiness.

Fig. 4: Baroque figure of Christ, pilgrimage church of Rosenheim in Bavaria (taken from Heidemarie Strauss, Peter Strauss: Heilige Quellen zwischen Donau, Lech und Salzach. Munich 1987, p. XXX).

23 See Strauss, Strauss, Heilige Quellen, 1987, p. 102.

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The desire to integrate a miracle well into a permanent space was not only a concern of Catholic clergymen but penetrated deeply into the worship practices of common people. Starting in 1661, the Riemer (belt/harness maker) Thomas Amplatz wrote a chronicle to record in detail – and by making his own drawings – how he built up the pilgrimage site of Maria Brünnl near Landshut (Figures 5 and 6). After his journeymen had drawn his attention to the well, Amplatz enclosed it, built a wayside shrine with a small brass plaque of the Virgin Mary and an offertory box, and prayed there with his family (Figure 5). The well quickly became a local pilgrimage site, and miraculous healings were reported. Later, Amplatz was able to build a wooden chapel around the well. He added an altar with a painting of The Madonna and Child above it and a barrel (!) for votive offerings beside it (Figure 6). The pilgrimage site received official sanction when the chapel and holy well were visited by the Elector of Bavaria, Ferdinand, in 1663. Finally, a stone chapel was built in 1666 and consecrated in 1710.24 Thomas Amplatz obviously had a clear idea about how to build up a pilgrimage site from a well on the roadside. He single-handedly ensured that the holy well was made accessible to pilgrims and brought into a spatial relationship with the other material objects related to a saint, thereby stabilizing the material and spatial surroundings of the holy well and ultimately establishing a permanent pilgrimage site. Another interesting example of the popular beginnings of a Catholic pilgrimage site and the resulting negotiations between the clergy and the laity is the holy well at Schweich in the Electorate of Trier. In 1602, a man named Peter claimed that an angel had revealed to him the healing power of a holy well. A popular pilgrimage ensued, and the local priest, together with the village teacher and the Schultheiß (mayor), started to record the miraculous healings at the well. When the pilgrimage had already gained clerical approval and plans had been made to institutionalize it by building a chapel, it was discovered that many of the miraculous cures had been shams. While this destroyed all plans for a pilgrimage site in the seventeenth century, a Marian congregation named „Assumption of Mary“ revived the holy well at the end of the eighteenth century and successfully established a pilgrimage site.25 24 See Hans Bleibrunner: Die Wallfahrt Maria Brünnl bei Landshut, eine Tochterwallfahrt von Passau-Maria Hilf. In: Ostbairische Grenzmarken. Passauer Jahrbuch für Geschichte, Kunst und Volkskunde 10 (1968), pp. 29 – 53; id.: Ursprung der Wallfahrt Maria Brünnl in Berg ob Landshut, hg. zur 300. Wiederkehr des Jahres der Entstehung der Landshuter Marienwallfahrt. Passau, Landshut 1960; Strauss, Strauss, Heilige Quellen, 1987, p. 116. 25 See Limburger Chronik des Johannes Mechtel, reproduced in: Artur Gemmel: Chronik von Schweich. Trier 1960, pp. 74 – 77; Döring, Heiliges Wasser, 1996, pp. 61 – 100, at pp. 76 – 78; Josef Koch: Die Geschichte des Heilbrunnens und der Heilbrunnenkapelle zu Schweich. Schweich 2002.

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Fig. 5: Drawing from the chronicle of Thomas Amplatz about the pilgrimage site Maria Brünnl near Landshut (taken from Hans Bleibrunner : Ursprung der Wallfahrt Maria Brünnl in Berg ob Landshut. Passau, Landshut 1960, p. 9).

In contrast to Catholic pilgrimage sites with holy wells which often still exist today, Lutheran miracle wells were a phenomenon of the sixteenth and seventeenth centuries. Their existence confirms a point first made by Bob Scribner and Ernst-Walter Zeeden in their works on Lutheran rituals and practices in post-Reformation Germany. They argued – and their views have been confirmed in numerous works since – that many forms of popular religion in which the miraculous, the supernatural and magic played an important role remained part and parcel of Lutheran religious culture after the Reformation. Scribner defined this Lutheran version of sacrality as a „weaker and more ill-defined form.“26 26 Bob Scribner : Reformation and Desacralisation. From Sacramental World to Moralised

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Fig. 6: Drawing from the chronicle of Thomas Amplatz about the pilgrimage site Maria Brünnl near Landshut (taken from Hans Bleibrunner : Ursprung der Wallfahrt Maria Brünnl in Berg ob Landshut. Passau, Landshut 1960, p. 15).

The development of Lutheran miracle wells reflects the relationship between theology on the one hand and popular perceptions and worship practices on the other hand in sixteenth- and seventeenth-century Lutheranism. Luther and other early Lutheran reformers were rather skeptical about miracles. Luther himself argued that “the ‘age of miracles’ worked on the body had passed”;27 in his view, the occurrence of miracles had been restricted to the times of the Old Universe. In: Ronnie Po-Chia Hsia, Robert W. Scribner (eds.): Problems in the Historical Anthropology of Early Modern Europe.Wiesbaden 1997, pp. 75 – 92, at p. 76 f. See also Ernst Walter Zeeden: Die Entstehung der Konfessionen. Grundlagen und Formen der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe. München, Wien 1965, pp. 81 – 94. 27 Philip M. Soergel: Miracles and the Protestant Imagination. The Evangelical Wonder Book in Reformation Germany. Oxford 2012, p. 46.

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and New Testaments, and the miracles performed by Jesus had been necessary to establish the Christian faith.28 And with regard to the phenomenon discussed here, Andreas Althamer voiced the opinion in 1532 that „faith must do it, not the holy-water spring, but faith and trust in God through Jesus Christ […].”29 At the same time, Luther himself and subsequent Lutheran theologians did not regard the occurrence of miracles in their own day as impossible. Leaving room for the power of faith and prayer to bring about even healing miracles,30 they effectively declared the phenomenon an adiaphoron, a question not vital to the fundamentals of the faith.31 As a result, a certain flexibility for interpretation was created. Miracle wells and miraculous healings became an integral part of the above-mentioned „weaker and more ill-defined form of sacrality“ of Lutheranism, and they were often enthusiastically propagated by local clergymen. For example, Metobius in his pamphlet on Pyrmont of 1556 asserts: „Nowadays there are people who may say that in our times the almighty God does no longer show great miracles to mankind as he did in the time of Jesus Christ, his beloved son. But if they looked at this miracle, they would no longer be so ignorant about God and his miracles.“32 Lutheran miracle wells began to emerge slowly in the sixteenth century. The Pyrmont well, which was discovered in 1556, is usually regarded as the first Lutheran miracle well. But there was a lull after Pyrmont, and it was only at the beginning of the seventeenth century that Lutheran miracle wells became more numerous. Between the middle of the seventeenth and the early eighteenth centuries, miracle wells could be found in all Lutheran territories in northern 28 See Renate Dürr : Der schwierige Umgang mit dem schönen Wunder. Zur Rezeptionsgeschichte einer Wunderheilung aus dem Jahre 1644. In: Eberhard Gutekunst (ed.): Weib und Seele. Frömmigkeit und Spiritualität evangelischer Frauen in Württemberg. Katalog zur Ausstellung im Landeskirchlichen Museum Ludwigsburg vom 16. Mai 1998 bis 8. November 1998. Ludwigsburg 1998, pp. 89 – 95, at pp. 89, 93; Sabine Holtz: Das Luthertum. In: Kaspar von Greyerz, Anne Conrad (eds.): Handbuch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum. Vol. 4: 1650 – 1750, Paderborn 2012, pp. 145 – 307, at p. 229; Ronald K. Rittgers: The Reformation of Suffering: Pastoral Theology and Lay Piety in Late Medieval and Early Modern Germany. Oxford 2012, pp. 200 – 201. 29 Quoted in: Cameron, Euan: For Reasoned Faith or Embattled Creed? Religion for the People in Early Modern Europe, in: Transactions of the Royal Historical Society, Sixth Series, 8 (1998), pp. 165 – 187, at p. 175. 30 See Soergel, Miracles and the Protestant Imagination, 2012, p. 46. 31 See Holtz, Das Luthertum, 2012, pp. 145 – 307, at pp. 223 – 224. 32 „Man find heütigs tags leüt, die dörffen sagen, dz bey vnsern zeiten der allmechtig Gott nit so grosse wunderwerck und miracklen den menschen erzeigt, als zu˚n zeiten Christi seines geliebten su˚ns, nemen die selbige diß wunderwerck für augen, so werdens nit so vnwüssent von Gott vnd seinem wunderwerck reden.“ Reprinted in: Hermann Engel: Die Schriften von 1556 über die Pyrmonter Heilquellen. In: Andreas Lilge (ed.): Bad Pyrmont – Tal der sprudelnden Quellen. Zur Geschichte der Pyrmonter Heil- und Mineralquellen. Pyrmont 1992, pp. 29 – 45, at p. 40.

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and central Germany. The most spectacular case was Hornhausen in the Bishopric of Halberstadt, which belonged to the Electorate of Brandenburg. Shortly before the end of the Thirty Years’ War in 1646 – 47, thousands of people flocked to the miracle wells that had sprung up in this small village. Numerous pamphlets spread news of the wells all over Germany and as far as Britain and Russia. While its wells disappeared as quickly as they had appeared, Hornhausen remained the main reference point for miracle wells in the Lutheran discourse. The interpretation of Lutheran miracle wells propagated by Lutheran clergymen in pamphlets and broadsheets was strikingly different from both the medical and the Catholic discourse. God was at the center of the representation of Lutheran miracle wells; they were described as God-given, and God-given only. Therefore, Lutheran clergymen were keen to denounce Catholic holy wells associated with saints on the one hand and purely medical explanations of healing waters on the other. The local clergyman in Hornhausen, Friedrich Salchmann, stressed that Lutheran miracle wells had nothing to do with, as he called them, „dead saints and their powerless remains.“33 And the Lutheran preacher Bornmann insisted in a sermon given in Hornhausen: „I will not be persuaded by any chemist, physician or physicist that this is a natural phenomenon. This is God’s hand.“34 Lutheran clergymen also stressed the difference of Lutheran miracle wells from medically-defined healing waters by emphasizing the simple ways of applying the water. Complicated advice on bathing times or elaborate therapeutic showers was not to be a part of Lutheran miracle wells. For example, as Salchmann noted, wet rags were simply placed on or wrapped around a sick limb.35

33 „So darff man auch […] keines Weges solche Krafft und Wirckung den verstorbenen Heiligen und deren krafftlosen Todten-beinen zumessen/ […]“. Friedrich Salchmann: Continuatio prima, Oder Erster weiterer Bericht Von den Hornhausischen Sund-Brunnen/ Wie der Wunderthätige Gott dieselben wunderbarlicher weise vermehret/ und dadurch ferner seine Wunder-Krafft erzeiget habe/ Alles auffs fleissigste beschrieben/ und auff vielfältiges Begehren zum Druck verfertiget Durch Fridericum Salchmanum, Pfarrherrn daselbst […]. Halberstadt 1647, p. 26. 34 „Denn daß dieses natürlich zugehe/ sol mich nimmermehr kein Chymicus, Medicus oder Physicus bereden. […] Dis ist Gottes Hand/ […]“. Christmann Bornmann: Hornhausischer Heil- und Gnaden-Born/ Das ist: Kurtze und Einfältige Betrachtung/ Wie nemlich dieser Heil-Brunn zu Hornhausen/ mit dem Wunder-Teiche Betheßda zu Jerusalem Johan. 5. nach unterschiedlichen Stücken könne verglichen werden; Im Jahr MDCXLVI. Dominica X. post Trinitatis, nach Mittage zu Hornhausen bey und vor den Brunnen/ in Versamlung [sic] vieler tausend Personen geprediget: Und auff Anhalten vieler auch vornehmer Leute daselbst/ zu Außbreitung der Ehre Gottes/ nunmehr in Druck gegeben Durch Christmannum Bornmannum Diaconum zu Delitzsch. Leipzig 1646, C3 r. 35 See Friedrich Salchmann: Historischer Bericht Von den Hornhausischen Gesund-Brunnen/ Wann dieselbe entstanden/ wie sie bekandt worden/ Und was der Wunderthätige GOtt biß anhero Denckwürdiges durch dieselben gewürcket hat. Zur Außbreitung der Ehren Gottes/

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The deeper theological divisions between Lutheranism and Catholicism fundamentally influenced the representation of healing waters. Lutheran clergymen propagating miracle wells emphasized God’s grace (sola gratia) and justification by faith alone (sola fide) and denounced justification by works by contrasting Lutheran worship practices with the variety of rituals and religious practices associated with Catholic holy wells and their saints. Accordingly, Lutheran miracle wells were to be associated with a very limited range of practices of worship. In accordance with the reduction of rituals by the Lutheran Reformation as described by Susan Karant-Nunn,36 people seeking a cure at a Lutheran miracle well were supposed to engage in only two religious activities: praying and hearing the sermons. Another striking feature of Lutheran miracle wells was their makeshift character. They suddenly sprang up, thousands of people were miraculously healed, but no serious attempts were made to establish a permanent architectural and institutional framework. Considering the different attitudes of Catholics and Protestants toward sacred places in the landscape,37 it is no surprise that Lutherans were unwilling to mark their miracle wells with any kind of „permanent installation“ which could potentially remind people of a pilgrimage site. However, Lutheran clergymen dwelt on a different aspect of the temporary nature of miracle wells in their writings. For them, one of the defining characteristics of Lutheran wells was that, after a short time, they either lost their healing powers or (temporarily) disappeared,38 thus highlighting the unpredictability of the gift from God. How did Lutheran authors explain the transitory nature of their miracle wells? At first glance, miracle wells seem to be the complete opposite of prodigies, extraordinary occurrences in nature that were regarded as omens in the early modern period. Prodigies were omnipresent in early modern Lutheranism and were considered signs of impending catastrophes; God punished his people for their sins, but he did warn them of what was coming.39 In contrast, Lutheran

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mit sonderm Fleiß beschrieben/ Und auff vielfaltiges Begehren zum Druck verfertiget/ Durch Fridericum Salchmanum, Pastorem des Orths […]. Halberstadt 1646, p. 48. See Susan Karant-Nunn: The Reformation of Ritual. An Interpretation of Early Modern Germany. London, New York 1997. See recently with regard to Britian and Ireland: Walsham, The Reformation of the Landscape, 2011. My thanks to Kaspar von Greyerz for reminding me to raise this point in my essay. It should be noted that a water spring often disappears again rather quickly if it isn’t properly framed or enclosed with a well – a concern often discussed by spa owners. The makeshift nature of Lutheran miracle wells therefore probably contributed to the likelihood of the water springs disappearing again. See, e. g., Franz Mauelshagen: Verbreitung von Wundernachrichten als christliche Pflicht. Das Weltbild legitimiert das Medium. In: ders., Benedikt Mauer (eds.): Medien und Weltbilder im Wandel der Frühen Neuzeit. Augsburg 2000, pp. 130 – 154; Michaela Schwegler : „Erschröckliches Wunderzeichen“ oder „natürliches Phänomenon“? Frühneuzeitliche

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miracle wells were in the first instance interpreted as entirely positive and uplifting phenomena; God provided his people with a universal cure in a world of sickness and suffering. In fact, the Hornhausen wells of 1646/47 were not only interpreted as healing instruments, but also as a prediction of peace after a horrendous war of almost thirty years.40 However, the Lutheran clergymen’s discourse on the subject quickly turned to a rather pessimistic view of the world. Their pamphlets and sermons always warned that God might take away his gift at any moment if the community of believers did not thank God sufficiently for his grace or if sins were committed at the wells. Lutheran miracle wells were thus perceived as highly transitory, always threatened by God’s punishment for the sins committed by those seeking a cure. Untoward events were interpreted accordingly. The alleged loss of the healing powers of the Pyrmont well in 1557 was attributed to the sins that had been committed at the well, and God’s punishment appeared to go even further when the count of Spiegelberg was killed in battle in the same year.41 In the same vein, Metobius related that three mercenaries had made fun of the miraculous healing power of the Pyrmont well, saying that they would use the water to make them look more attractive. According to Metobius, the three men were punished by God on the spot: two became insane and the third was possessed by the devil.42 In contrast to Catholic pilgrimage sites, Lutheran miracle wells were therefore not given a permanent architectural framework and were institutionalized only Wunderzeichenberichte aus der Sicht der Wissenschaft. München 2002; Irene Ewinkel: De monstris. Deutung und Funktion von Wundergeburten auf Flugblättern im Deutschland des 16. Jahrhunderts. Tübingen 1995; Thomas Klingebiel: Apokalyptik, Prodigienglaube und Prophetismus im Alten Reich. In: Hartmut Lehmann, Anne-Charlott Trepp (eds.): Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts. Göttingen 1999, pp. 17 – 32; Benigna von Krusenstjern: Prodigienglaube und Dreißigjähriger Krieg. In: ibid., pp. 53 – 78. 40 See [anonym]: Eigentlicher Abriß Des Dorffes Hornhausen/ Darinnen nun in die Zwantzig Heil-Brunnen entsprungen/ welche vor allerley innerlich- und eusserlichen Schäden und Kranckheiten nützlich zu gebrauchen. S. l. 1646. 41 On Pyrmont see Wilhelm Mehrdorf, Luise Stemler : Chronik von Bad Pyrmont. Vol. 1. Bad Pyrmont 1967, p. 39. In general, see [anonym]: Zwo warhafftige newe Zeitung/ Von einem Brunnen/ welchen Gott der Allmechtige aus der Erden hat auffspringen lassen/ in Schlesien bey der Steina/ Zwo meyl weges von der Fürstlichen Stadt Neyß. Und wer des Wassers trincket/ er sey Krumb oder Lahm/ so wird er gesund davon/ Welches viel Hundert Personen probieret haben. Und ist der Brunnen entsprungen in dem grossen Wetter vor Mitfasten/ in diesem Tausendt Sechshundert und andern Jahre. Gesangßweise gestellet. Im Thon: Hilff Gott das mirs gelingt. Die ander Zeitung/ Von Zweyen unterschiedlichen Wettern/ auffs kürtzte Gesangsweise gestellet/ und zu singen. Im Thon/ Kompt her zu mir spricht Gottes Sohn. Neiße 1602. 42 See [Burckard Metobius]: Beschreibung des newen gefundnen Brunnens/ in welchem der allmechtig Gott täglich seine gaben unnd güthat reichlich den menschen erscheinen laßt/ deßgleichen vor nie erhört. Unnd ist der selb Brunn gelegen in der Graffschafft Speygelberg zwo meil wegs von Hamelen/ an dem fluß Weser gelegen. S. l. 1556; reprinted in: Alfred Martin, Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. Jena 1906, pp. 286 – 290, at p. 289.

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to a very limited degree. An engraving by Valentin Wagner which appeared in Merian’s Theatrum Europaeum (Figure 7) highlights Hornhausen’s status as a temporary Lutheran miracle well and thus a transitory space. Sick people are shown flocking to the wells to live in tents and makeshift huts scattered all over the village. Other important needs of people seeking a cure are also provided for on a makeshift basis: Food is prepared by a temporary cookshop (no. 15 in Wagner’s engraving), bread and straw are sold from carts (nos. 18 and 13). There is even a traveling bookshop (no. 12). All in all, the material culture associated with Lutheran miracle wells was never permanent, reflecting the perceived uncertainty of God’s grace associated with them. The Pyrmont miracle well of 1556/ 57 had been just as short-lived as the Hornhausen one ninety years later, but it is interesting to note that Pyrmont’s metamorphosis into a spa resulted in a complete transformation of its space. In 1698, when the Prince of WaldeckPyrmont had just started propagating it as a spa, Pyrmont already had a substantial Brunnenhaus („well building“) and an avenue of trees for recreation.43 At the Lutheran miracle wells, only the daily prayers and sermon were institutionalized to a certain degree. In Hornhausen these were given from a makeshift wooden walkway built on the side of a stone tower in the village (nos. 22 and 3 in Wagner’s engraving). Public thanksgiving prayers were held twice a day at seven in the morning and three in the afternoon. Friedrich Salchmann, the local pastor, had written a specific prayer for this purpose.44 In the foreground of his engraving (no. 17), Wagner also depicts people engaging in private prayers, another form of worship much encouraged by the Lutheran clergy. People were to make use of the healing water only after they had prayed to God. Preferably, they were to pray to God before, during, and after using the healing water. Praying to God meant ascribing the cure to God; otherwise, too much power might be attributed to the miracle well itself. For example, in the ordinance set down for the Pyrmont well, which Melanchthon had printed in Wittenberg in 1556, it was stipulated that people „should not honor the well as a god and not make an idol of it, but just use it in God’s honor because it flows from his grace.“45 In a similar vein, Salchmann emphasized that the public prayers institutionalized in Hornhausen were meant to „combat the super43 See engraving of Pyrmont 1698, in Joachim Garfs: Bad Pyrmont in Kupferstichen. Ein historisches Bilderbuch. Detmold 1984. 44 See [anonym]: Fernere Continuation und Bericht/ Von denen VI. wundersamen HeilBrunnen/ Welche zu Hornhausen/ in NiederSachsen/ eine halbe Meile von [sic] grossen Oschersleben/ den 26. Martij/ dieses 1646. Jahrs entsprungen. Zusambt einem Gebeth/ Welches der H. Pfarrer selbigen Orths auffgesetzt und alle Tage nach der Predigt/ und in den Bethstunden gebethet wird. S. l. 1646. 45 „Daß sie nicht Göttliche Ehr beweisen/ Diesem Brunn, und machen ihn nicht/ Zu einem Abgott, sondern schlicht/ Zu Gottes Ehrn sein geniessen/ Von dem kömmt diese Gnad herfliessen.“ Printed in Martin, Deutsches Badewesen, 1906, p. 293.

Fig. 7: Valentin Wagner (†1655): Hornhausen. Engraving from Matthäus Merian: Theatrum Europaeum. Vol. V. 1643 – 1647. Frankfurt a. M.: Merian, 1651, table 45).

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stition of the common people.“46 Obviously, there were tensions between clerical and popular perceptions of the Lutheran miracle wells. Clergymen were willing to use the concept of adiaphora to endorse miracle wells, but they were strongly opposed to forms of worship that smacked of the veneration of saints or sacred objects. In their interpretation, God was to be at the center of worship; the miracle well was God’s gift, as were the cures that the healing water affected. In early modern Germany, three representations of healing waters were offered to a lay audience in pamphlets and broadsheets, visual representations, and the material cultures and spatial arrangements associated with healing wells. The healing waters of spas were associated with a predominantly medical representation. Catholic holy wells were deeply integrated into the representations of saints and the rituals, images, and spatial structures of their pilgrimage sites. And Lutheran miracle wells were constructed as a transitory phenomenon based entirely on God’s grace. On the one hand, Catholic holy wells and Lutheran miracle wells exhibit the confessional differences which characterized sixteenth- and seventeenth-century Europe and which the clergy constantly tried to assert. At the same time, miracle and holy wells were objects of negotiation between the laity and the clergy who were willing to accept the healing waters as miraculous, but who tried to keep these miracles firmly within the confines of their respective confessions. On the other hand, miracle and holy wells exhibit the religious culture of sixteenth- and seventeenth-century Europe beyond confessional divisions. In spite of some Lutheran theologians’ rejection of miracle wells, both Lutherans and Catholics firmly believed in the miracles worked through their respective wells. However, this religious representation of healing waters already had a strong counterpoint in the medical representation of healing waters, which insisted on their limited healing qualities and on experience and testing to determine the extent of the therapeutic benefits of a specific well. Images, material culture, and the spatial arrangements of the wells’ surroundings served to establish and reinforce each representation of healing waters. Spas were meant to provide comfort and recreation for guests, and therefore material objects and spatial structures had to be permanent and durable, thereby reinforcing the representation of an unfaltering healing spring and a permanently successful spa. Catholic pilgrimage sites also strove for permanence and solidness in their imagery and material culture, albeit for very different reasons. Here, the structure of holiness – of which the healing well was a part – was geared toward the saint who was represented as an unwavering helper and intercessor and whose gifts to the pilgrims were to be perceived as enduring. In contrast to this, Lutheran miracle wells were characterized by unpredictability. God’s grace 46 See Salchmann, Historischer Bericht Von den Hornhausischen Gesund-Brunnen, 1646, p. 6.

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could be suddenly and generously bestowed on the faithful when he opened up a healing well. But it could also be taken away just as suddenly when the people who flocked to the well seeking a cure did not honor God’s gift. I would argue that this goes a long way toward explaining why we still have spas and holy wells at Catholic pilgrimage sites today while the inhabitants of Hornhausen do not even have local lore that connects them to their seventeenth-century miracle wells.

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Forscher vor Ort. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733), Bündner Gönner und die Balneologie

Im Sommer1 des Jahres 1704 machte der Zürcher Arzt und Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) in Begleitung seiner Frau Susanna2 (1670 – 1738) eine Badenfahrt3 nach Pfäfers – jene Reise, die später als Scheuchzers dritte Alpenreise bekannt werden sollte, ausführlich beschrieben im ersten Band seiner Itinera Alpina.4 Das zur gleichnamigen Abtei gehörende, naturwarme Bad Pfäfers war um 1700 neben Baden im Aargau und Leukerbad eines der berühmtesten Heilbäder der Eidgenossenschaft, genoss einen ausgezeichneten Ruf als balneologischer5 Kurort und war während der Sommermonate ein beliebter 1 Das Vortragsmanuskript wurde für die Publikation erweitert und überarbeitet. Mein Dank gilt Dr. Simona Boscani Leoni für wertvolle Hinweise Carl Gubert von Salis (1660 – 1740) betreffend sowie lic. phil. Christian Guerra (Seminar für Klassische Philologie der Universität Basel) für die Hilfe bei der Übersetzung einiger schwieriger lateinischer und griechischer Passagen. 2 Vgl. Zentralbibliothek Zürich (im Folgenden abgekürzt ZBZ) Ms H 150b, S. 25. Zur Reisegesellschaft gehörten vermutlich auch Schüler Scheuchzers und ein Diener. Vgl. Michael Kempe: Wissenschaft, Theologie, Aufklärung. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) und die Sintfluttheorie (Frühneuzeit-Forschungen 10). Epfendorf 2003, S. 189. 3 Statt ,Badenfahrt‘ wird heute oft ,Badefahrt‘ (ohne n) geschrieben. Der Begriff leitet sich jedoch nicht vom ,baden‘ als Zweck, sondern von den ,Baden‘ als Ziel der Reise ab. (,Baden‘ ist ein alter Plural von Bad, bedeutet also ,Bäder‘ oder im übertragenen Sinn ,Kurort‘. Prinzipiell konnte in der Frühen Neuzeit jedes Heilbad ,Baden‘ genannt werden, z. B. Leukerbad alternativ ,Baden im Wallis‘.) Daher wird hier an der Schreibung Badenfahrt festgehalten. Vgl. auch Thomas Murner : Ein andechtig geistliche Badenfart. Strassburg 1514. 4 Vgl. Johann Jakob Scheuchzer : Ouqesivoitgr [Uresiphoites] Helveticus, sive Itineris Alpini Descriptio Tertia, Anni MDCCIV. Editio Novissima, Auctior & Emendatior. In: Ouqesivoitgr Helveticus, sive Itinera per Helvetiae Alpinas Regiones [im Folgenden zitiert als Itinera Alpina]. Bd. 1. Leiden 1723, S. 145 – 167. 5 Die naturkundliche Beschäftigung mit als heilkräftig angesehenen Wässern wird im Folgenden der Kürze halber als ,Balneologie‘ bezeichnet, obwohl der Terminus erst im 19. Jahrhundert geprägt wurde, um damit die Bäderkunde als Fachgebiet der (akademischen) Medizin zu bezeichnen. Das dem Beitrag zugrunde liegende Dissertationsprojekt „Sammeln und verbreiten – Wechselwirkungen gelehrten und popularen balneologischen Wissens bei Johann Jakob Wagner und Johann Jakob Scheuchzer“, das ebenfalls die ,Balneologie‘ als Teil der Naturgeschichte um 1700 zum Inhalt hat, befasst sich mit gedruckten Werken und der

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Treffpunkt der höheren Stände.6 Dass der Zürcher Gelehrte sich für eine Fahrt in die Ostschweiz und unter den vielen damals genutzten Heilquellen für jene von Pfäfers entschied, hatte seinen Grund in der alpinen Lage des Bads und vor allem in Johann Jakob Scheuchzers guten persönlichen Kontakten in die Region.7 Der Aufsatz versucht, diesen Kontakten nachzuspüren und darzustellen, auf welche Weise sie die naturgeschichtlichen, darunter speziell die balneologischen Werke Scheuchzers prägten. Von besonderem Interesse sind die Beziehungen des Naturforschers zu Personen ausserhalb der Res publica literarum. Jene – nennen wir sie vorläufig ,popularen‘ – Akteure waren nicht bloss Zulieferer von Sammelobjekten (z. B. von Mineralien) und zu Belehrende, sondern teilten ihr subjektgebundenes Wissen mit Scheuchzer als dessen Gesprächs- oder Korrespondenzpartner. Sie wirkten, wie zu zeigen sein wird, ebenso auf Scheuchzers publizistischen Output wie auf dessen Perzeption der Alpen als Therapieraum. Der Beitrag setzt ein mit einer Badenfahrt Johann Jakob Scheuchzers und seiner balneologischen Selbsttherapie vor Ort, d. h. im alpinen Klima, die als Motor seiner diesbezüglichen Forschungen verstanden werden kann. Da Scheuchzer an sich starke Wirkungen der Kur beobachtete, ohne diese auf Inhaltsstoffe des Wassers zurückführen zu können (das Wasser stellte sich bei seinen Versuchen als sehr mineralienarm heraus), zwangen ihn seine empirischen Befunde, eine Korrespondenz Johann Jakob Scheuchzers und anderer Zürcher Gelehrter. Dabei handelt es sich in erster Linie um Johann Jakob Wagner (1641 – 1695, zeitweiliger Mentor Scheuchzers und dessen Vorgänger als Stadtarzt und Verwalter der Zürcher Bürgerbibliothek und Naturalienkammer), Johannes von Muralt (1645 – 1733, Stadtarzt und langjähriger Physikprofessor am städtischen Gymnasium Carolinum) und Salomon Hottinger (1649 – 1713, Arzt, Professor am Gymnasium und Freund Scheuchzers), die sich alle in der einen oder anderen Form als ,Balneologen‘ betätigten. 6 Als Scheuchzer sich 1704 in Pfäfers aufhielt, war unter Abt Bonifaz Tschupp (1677 – 1706) gerade der Bau grosszügiger neuer Bad- und Herbergsgebäude in Angriff genommen worden, um dem Besucherandrang einerseits sowie dem Luxus- und Repräsentationsbedürfnis der höhergestellten Badgäste anderseits Rechnung zu tragen. Vgl. Johann Anton Kaiser : Die Heilquelle zu Pfäfers. Chur 1833, S. 43 f. 7 Mit ,Region‘ meine ich hier und im Folgenden, wie auch der Titel des Beitrags nahelegt, Graubünden bzw. den Freistaat der Drei Bünde. Das Bad Pfäfers, im Besitz der gleichnamigen Abtei, befand sich zwar nicht auf Bündner Territorium, sondern war als Teil der Landvogtei Sargans in der Frühen Neuzeit eine Gemeine Herrschaft der sieben (ab 1712 acht) alten Orte der Eidgenossenschaft; heute gehört es zum Kanton St. Gallen. Nichtsdestoweniger wurden Abtei und Bad wegen der kulturräumlichen Nähe – und der Zugehörigkeit zum Bistum Chur – als ,rätisch‘ angesehen (vgl. Heinrich Goodt: Historia Physico Medica Thermarum Rhetiae Fabariensium. Basel 1719), und Scheuchzer verzeichnete Pfäfers auf einer Karte des Hinterrheins (Zentralbibliothek Bern, Sammlung Ryhiner, Sign. ZB Ryh 3217:33). Das Bad Pfäfers nenne ich deshalb in einem Atemzug mit den Bündner Quellkurorten wie Alvaneu, Fideris, St. Moritz oder Bormio (letzteres war bis 1797 bündnerisch). Vgl. auch Johann Jakob Scheuchzer : Hydrographia Helvetica. Beschreibung der Seen, Flüssen, Brünnen, warmen und kalten Bäderen und anderen Mineral-Wassern des Schweitzerlands (Natur-Histori des Schweitzerlands 2). Zürich 1717, S. 353.

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andere Erklärung zu suchen, was schliesslich in seine Theorie der gesunden Alpenluft mündete. Ein zweites Thema des Beitrags bilden die Beziehungen Scheuchzers zur Bündner Regimentsfamilie von Salis-Maienfeld, die sein Schaffen und insbesondere auch sein Frauenbild massgeblich beeinflussten. Drittens wird am Beispiel des von Salis’schen Bads Fläsch das balneologische Wissen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts in den Blick genommen, das sich im Spannungsfeld von lokalem Gebrauch und überregionalem Schrifttum entwickelte und sich in verschiedenen (Kon-)Texten manifestierte. So erhalten wir, indem wir uns Scheuchzers balneologischen Werken und seinen Bündner Gönnern von verschiedenen Seiten nähern, eine tiefere Einsicht in das frühneuzeitliche Badewesen zwischen ,popularer‘ Praxis und medizinisch-naturkundlicher Theoriebildung.

Hortensia von Salis und das Bad Pfäfers Anlass für Johann Jakob Scheuchzers Reise nach Pfäfers im Sommer 1704 waren – nach seinem eigenen Bekunden – häufig wiederkehrende Migräneanfälle, die er auf ,Stockungen‘ (obstructiones) des Blutes in der Kopfgegend zurückführte und die ihn zu einem Kuraufenthalt bewogen.8 Da es sich dabei um ein innerliches Leiden handelte, unterzog Scheuchzer sich, wie er schreibt, vor Ort einer Trinkkur,9 die er – Arzt der er war – nach Art der medizinischen Fallgeschichte10 aufzeichnete: 8 „Itineris occasio. Traxerunt me Mense Julio labentis Anni 1704. ad Thermas Fabarias, veluti ad sacram Anchoram, Obstructiones, quas inde ab aliquot Annis sensi in Partibus Capitis exterioribus cutaneis & glandulosis, cum tensionis non levi incommodo, tum praecipue oborto quando Luna lumine suo vel splendebat integro, vel albescebat Nova. […]“ Scheuchzer, Itinera Alpina 1, S. 147 f. Übersetzung: „Anlass für die Reise. Im Monat Juli des aktuellen Jahres 1704 zogen mich Stockungen zu den Bädern von Pfäfers wie zu einem Rettungsanker. Diese Stockungen verspürte ich seit einigen Jahren an Hautoberfläche und Drüsen des Kopfes, und sie verursachten mir erhebliche Beschwerden durch Schwellungen, die sich besonders bei Vollmond und Neumond zeigten. […]“ Scheuchzer beschreibt in der Folge die an sich selbst beobachteten, typischen Migränesymptome (halbseitiger Kopfschmerz, Sehstörungen, Erbrechen etc.) detailliert und führt sie gemäss seinem medizinischen Fachwissen auf zugrundeliegende physiologische Vorgänge zurück (gehemmter Blutfluss, Störung der spiritus animales). Dabei zeigt sich ein zeittypisches Konglomerat älterer und neuerer Körperkonzepte – etwa von Humoralpathologie und Iatromechanik (siehe auch weiter unten den Abschnitt zum Wissen vom Bad Fläsch). 9 Die Trinkkur, neben der Badekur seit jeher die zweitwichtigste balneologische Anwendung, wurde seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – zunächst vor allem bei der gesellschaftlichen Elite – immer beliebter und auch vielerorts von ärztlicher Seite gefördert, beispielsweise durch FranÅois Blondel (1613 – 1703) in Aachen. Von den führenden Bäderorten nördlich der Alpen (Aachen, Spa, Karlsbad) ausgehend, avancierte die Trinkkur bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts allmählich zur vorherrschenden Therapieform, welcher Paradigmen-

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„Ich habe beinahe den ganzen Monat Juli praktisch täglich frühmorgens 5 bis 6 Medizinische Pfund[11] jenes Wassers getrunken. Es verursachte Mattheit und ein Schwindelgefühl, bis das Wasser die Schlagäderchen des Gehirns durchflossen und gedehnt hatte; ebenso half es, die Nervenstränge ein wenig in ihrer Aktivität zu hemmen.“12

Die heftigen Auswirkungen auf seinen Körper, die Scheuchzer verspürt haben will und die er der Trinkkur zuschrieb, entsprechen einer weit verbreiteten zeitgenössischen Vorstellung; die Pfäferser Heilquelle wurde – unabhängig von der zugrundegelegten medizinischen Theoriebasis – als ausserordentlich kräftig und gegen verschiedenste Übel wirksam angesehen.13 Von den zu jener Zeit

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wechsel die Kurkultur und -architektur nachhaltig beeinflusste. Vgl. Hermann Sommer : Zur Kur nach Ems. Ein Beitrag zur Geschichte der Badereise von 1830 bis 1914 (Geschichtliche Landeskunde 48). Stuttgart 1999, S. 23. Ärzte erhofften sich von der innerlichen Anwendung (zu der auch ,Steigduschen‘ bzw. Klystiere zählten) bessere Erfolge bei bestimmten Krankheitsbildern, für den Kurgast war das Trinken zeitsparend und bequemer als stundenlanges Baden. Scheuchzer bewegte sich, indem er auf die Trinkkur setzte, im Gleichstrom mit den medizinischen und soziokulturellen Tendenzen der Zeit. Zur epistemischen Dimension der Fallgeschichte vgl. u. a. Carsten Zelle, Rudolf Behrens (Hg.): Der ärztliche Fallbericht. Epistemische Grundlagen und textuelle Strukturen dargestellter Beobachtung. Wiesbaden 2012. Siehe zum Konzept des epistemischen Genres auch Gianna Pomatas Beitrag in diesem Band. Angehörige der Medizinalberufe verwendeten in der Frühen Neuzeit ein eigenes, auf Galen und Dioskurides zurückgehendes Gewichtssystem. Das Medizinische oder Apotheker-Pfund (zu 12 Unzen bzw. 5760 Gran) unterschied sich vom Krämer- oder Handelspfund (zu 16 Unzen bzw. 9216 Gran). Wegen der in Nürnberg in grosser Zahl hergestellten Messinggewichte war das 1555 festgelegte Nürnberger Apothekerpfund, das umgerechnet 357,66 g wog, im deutschen Sprachraum weit verbreitet. Vgl. Jakob Leupold: Theatrum staticum. Das ist: Schau-Platz der Gewicht-Kunst und Waagen (Theatrum staticum universale 1). Leipzig 1726, S. 89 sowie Gilbert Zinsler : Was ist ein Gran …? Historische Masse und Gewichte in der Medizin. In: Virus 4 (2004), S. 67 – 73. So kann man ausrechnen, dass Scheuchzer pro Tag ungefähr zwei Liter Heilwasser trank. „[…] de quarum fonte potavi singulis fere mane per totum fere Julii Mensis decursum Libras 5. vel 6. Medicas, cum insecuto Vertiginis cujusdam stupido sensu, qui ante Meridiem duravit tamdiu, quamdiu Aquae tubulos Cerebri arteriosos pervagando distenderunt, ac proinde nervosas Fibras comprimere aliquatenus valuerunt.“ Scheuchzer, Itinera Alpina 1, 1723, S. 148. Vor allem die ältere Forschung betont den Einfluss, den Gelehrte wie Paracelsus (1535), Martin Ruland d. Ä. (1568) und Wilhelm Fabry (1623) mit ihren Schriften auf den Ruf von Pfäfers zweifellos genommen haben. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass die Reputation des Bades als ,symbolisches Kapital‘ primär auf der ihm von den Besuchern attestierten Wirkung beruhte, Zuschreibung (durch Patienten) und Beschreibung (durch Medizinautoren) sich gegenseitig verstärkten. Kurgäste kamen schon seit dem Mittelalter zahlreich nach Pfäfers; balneologische Schriften (zumal obrigkeitlich initiierte, wie sie zum Bad Pfäfers seit dem 17. Jahrhundert in immer kürzeren Abständen erschienen) wirkten als medialer Multiplikator. Vgl. Theophrastus Paracelsus: Vonn dem Bad Pfeffers in Oberschwytz gelegen, Tugenden, Krefften vnnd würckung, Vrsprung vnnd herkommen, Regiment vnd Ordinantz. [Zürich 1535]; Martin Ruland [d. Ä.]: Vom Wasserbaden drey Theyl. Dil-

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kursierenden Werbeschriften, in denen Bäder wie Pfäfers mitunter als wahre Panazeen (Allheilmittel) gepriesen wurden,14 suchten Autoren mit wissenschaftlichem Anspruch sich in ihren Traktaten und Badbeschreibungen durch eine differenzierte Darstellung abzugrenzen. Die Wirkung eines Wassers war nach humoralpathologischem Verständnis nicht per se positiv, sondern, je nach den individuellen Voraussetzungen eines bestimmten Patienten (Disposition15) und je nach Art des zu kurierenden Leidens, diesem nützlich oder auch schädlich. Entsprechend konstatierte Scheuchzer, trotz der an sich selbst beobachteten Vorgänge und der vorübergehenden Linderung, keine Besserung seiner Grunderkrankung: „Der Effekt liess aber, wie bei den meisten Leuten, die dieses Wasser trinken, grossenteils nach, sobald das Wasser über die Harnwege wieder ausgeschieden wurde. Daher habe ich damit aufgehört es zu trinken. Was aber mein vordergründiges Problem, meine Kopfschmerzen, betrifft, das liegt im Schosse der Götter … Möge Gott auch diesen [den Kopfschmerzen, Ph. S.] ein Ende setzen!“16

lingen 1568, f. 35r–36v ; Wilhelm Fabry : Consilium […] de conservanda valetvudine. Frankfurt a. M. 1629. 14 In diesem Zusammenhang erwähnenswert sind z. B. Johann Kolweck: Tractat von deß überauß heylsamen, weitberühmten, selbst warmen, vnser lieben Frawen Pfefersbad […], wunderthätiger Natur, Art, Eygenschafft, Tugent, Krafft vnd Würckungen. Dillingen 1631 sowie Augustin Stöcklin: Nymphaevm beatissimae virg: Mariae Fabariensis siue Tractatvs de celeberrimis Fabarianis thermis […]. Dillingen 1631 zu erwähnen, die von ,fachfremden‘ Autoren zu Werbezwecken verfasst wurden. Johann Kolweck war Sekretär der Abtei Pfäfers, als das zerfallene Bad um 1630 unter Administrator Augustin Stöcklin und Abt Jodok Höslin (der einen Gebetstext zum Nymphaeum beitrug) neu erbaut wurde. Die Werke Kolwecks und Stöcklins sind im Zusammenhang mit der Neulancierung des Kurbetriebs zu sehen, die publizistisch untermauert werden sollte. Gleiches gilt für Johannes Reydt: Hydrophylacium oder Neuwe Beschreibung deß Wunder-Heylsammen, weitberühmten, selbst-warmen, im Bistumb Chur und Herrschafft Pfeffers gelegenen Bads […]. Zug 1708 sowie Goodt, Historia Thermarum Fabariensium, 1719, die beide im Kontext der unter Abt Bonifaz eingeleiteten Erneuerung stehen (siehe auch Anm. 6). Als Pfäferser Badärzte (medici ordinarii) verfügten Reydt und Goodt jedoch im Gegensatz zu den vorgenannten über eine medizinische Ausbildung und balneologische Praxiserfahrung. 15 Die krasis (Mischung) der Säfte war in dieser Vorstellung beispielsweise von Geschlecht, Alter, Temperament, Ernährung und einer Vielzahl weiterer (insbesondere äusserer) Faktoren wie der Jahreszeit, Wetterlage oder auch Sternkonstellation abhängig. Vgl. etwa Harold J. Cook: Medicine. In: Katharine Park, Lorraine Daston (Hg.): The Cambridge History of Science. Bd. 3: Early Modern Science. Cambridge 2006, S. 407 – 434, hier S. 410 und Ursula Weisser : Hippokrates/Galen. In: Dietrich von Engelhardt, Fritz Hartmann (Hg.): Klassiker der Medizin. Bd. 1. München 1991, S. 11 – 29. 16 „Cessavit enim ex parte hoc plerisque rdqop|tair commune Accidens, evacuato per vias Urinarias hospite peregrino; prorsus autem, ex quo bibere desii. Quid autem de malo Capitis primario futurum sit, he_m 1m co}masi Áe?tai [theo¯n en gounasi keitai, nach Homer : Ilias 17.514, 20.435 bzw. Odyssee 1.267, 1.400, 16.129; Ph. S.]. Det DEUS his quoque finem!“ Scheuchzer, Itinera Alpina 1, S. 148.

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Angesichts der ausdrucksvoll vorgetragenen Fallgeschichte seiner Selbsttherapie, mit der Scheuchzer seine Reisebeschreibung in den Itinera Alpina einleitete, liegt es nahe, Scheuchzers Motiv für die Fahrt nach Pfäfers in der Behandlung seiner Migräne zu suchen. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass er die von ihm erwähnten Symptome zum Ausgangspunkt eines Selbstversuchs mit dem Pfäferser Heilwasser machte und auf diese Weise Badenfahrt und Forschungsreise verknüpfte. Bereits im Jahr davor, im August 1703, war Scheuchzer auf seiner zweiten Alpenreise für zwei Tage in Pfäfers vorbei gekommen, hatte barometrische Höhenmessungen und ein examen aquarum gemacht.17 Der chemische Nachweis bestimmter Inhaltsstoffe im Wasser, z. B. mit Gallapfelsäure und anderen Reagenzien, in der Tradition von Robert Boyle und Johann Christoph Sturm gehörte zu den am häufigsten von ihm praktizierten Experimenten.18 Dabei betonte er verschiedentlich den Nutzen solcher Untersuchungen für das Publikum, wonach die naturkundliche Erforschung der Heilquellen die Wahl des richtigen Kurorts für die Patientenschaft auf eine verlässliche, „vernunfft-mässige“ Basis stelle.19 Von den in seinem Einladungs-Brief, zu Erforschung natürlicher Wunderen, so sich im Schweitzer-Land befinden gestellten 189 Fragen nach dem Klima, der Landschaft, der örtlichen Tier-, Pflanzen- und Fossilienwelt betreffen die Nummern 71, 73 – 76 und 78 – 93 die Heilquellen, was immerhin gut einem Zehntel der Fragen entspricht.20 Auch verweist der Umstand, dass sich Scheuchzer im zweiten Band seiner Natur-Histori des Schweitzerlands über die schweizerischen Gewässer mit dem Titel Hydrographia 17 Scheuchzer, Itinera Alpina 1, 1723, S. 83 – 86. 18 Vgl. z. B. den Brief von J. J. Scheuchzer an C. G. von Salis, dat. 12.9.1705, ZBZ Ms H 150b, S. 127. Der Mathematiker und ,Experimentalphysiker‘ Sturm (1635 – 1703) war an der Universität Altorf bei Nürnberg Scheuchzers Lehrer gewesen und hatte ihn mit der Methode des Experiments vertraut gemacht. Vermutlich durch die Vermittlung Sturms – Korrespondent und Übersetzer Robert Boyles (1627 – 1692) – kannte er auch Boyles Schrift Short memoirs for the natural experimental history of mineral waters (London 1684/85). Vgl. auch Michael Albrecht: Hypothesen und Phänomene. Zu Johann Christoph Sturms Theorie der wissenschaftlichen Methode. In: Hans Gaab et al. (Hg.): Johann Christoph Sturm (1635 – 1703) (Acta historica Astronomiae 22). Frankfurt a. M. 2004, S. 119 – 135. 19 Vgl. etwa Johann Jakob Scheuchzer : Vernunfftmäßige Untersuchung des Bads zu Baden, dessen Eigenschafften und Würckungen. Zürich 1732, Vorrede [unpag.]. 20 Johann Jakob Scheuchzer : Einladungs-Brief, zu Erforschung natürlicher Wunderen, so sich im Schweitzer-Land befinden. Zürich 1699. Zuvor – gem. Johann Jakob Siegfried: Der Schweizerische Jura. Zürich 1851, S. 11 (Anm. 26) schon 1695; gem. Georg von Wyss: Art. Scheuchzer, Johann Jakob. In: ADB 34 (1892), S. 710 – 715, hier S. 711 im Jahr 1697; gem. Rudolf Steiger : Verzeichnis des wissenschaftlichen Nachlasses von Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733). Sonderabdruck aus der Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 78. Zürich 1933, S. 3 erst 1699 – hatte Scheuchzer bereits eine lateinische Fassung herausgegeben: Charta invitatoria, quaestionibus quae historiam Helvetiae naturalem concernunt praefixa. [Zürich 1695/97/99?]. Die Zahl 189 bezieht sich auf die deutsche Ausgabe des Flugblatts; die lateinische enthält nur 186 Fragen.

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Helvetica21 vornehmlich den Heilbädern und Mineralquellen widmete (davon allein 72 Seiten Text sowie mehrere Kupferstiche zu Pfäfers), auf sein grundsätzliches Interesse an der Nutzung von Wasser zu medizinischen Zwecken und am Bad Pfäfers im Besonderen. Indem er die Balneologie als naturkundliches Kernthema des Bandes wählte, unterstrich er zudem den wissenspopularisierenden, auf ein breites Publikum abzielenden Charakter der Natur-Histori. Bade- und Trinkkuren waren als gebräuchliche medizinische und gesellschaftliche Praxis der Leserschaft wohlvertraut und machten einen nicht unwesentlichen Teilbereich des heilkundlichen Angebots aus. In dieser Hinsicht mochte die Präsentation balneologischen Wissens auch dazu beitragen, beim Publikum ein Interesse an der Naturgeschichte im Allgemeinen zu erzeugen. Mit dem therapeutischen Selbstversuch in Pfäfers lehnte Scheuchzer sich offenkundig an eines seiner Vorbilder, den berühmten Zürcher Arzt und Humanisten Conrad Gesner (1516 – 1565) an, dessen Aufzeichnungen über in den 1560er Jahren in Baden gehaltene Trinkkuren Scheuchzer im Nachlass des Gelehrten gefunden hatte.22 Gesner war an der Entstehung des Corpus Venetum de balneis (Venedig 1553) beteiligt gewesen, der umfangreichsten balneologischen Wissenssammlung des 16. Jahrhunderts, aus der Scheuchzer sich verschiedentlich bediente.23 Auch Johann Jakob Wagner (1641 – 1695), Vorgänger Scheuchzers als Kurator der Zürcher Bürgerbibliothek und Kunstkammer, der von Scheuchzer-Biographen gern als dessen Mentor bezeichnet wird,24 hatte in 21 Scheuchzer, Hydrographia Helvetica, 1717 (siehe auch Anm. 7). 22 Scheuchzers handschriftliche Biographie Gesners ist leider verschollen. Vgl. Steiger, Nachlasses von Johann Jakob Scheuchzer, 1933, S. 45. J. J. Scheuchzer fügte die handschriftlichen Notizen Gesners (über 1562 bis 1564 in Baden unternommene Trinkkuren sowie einige Fallbeschreibungen und balneologische Consilia) dem Abschnitt Das Bad zu Baden der Hydrographia Helvetica bei, gefolgt von Scheuchzers „Eigene[n] Erfahrungen A [nno] 1715 gemachet“. Scheuchzer, Hydrographia Helvetica, 1717, S. 402 – 407. 23 Vgl. Eduard K. Fueter : Art. Konrad Gesner. In: NDB 6 (1964), S. 342 – 345, hier S. 344. Der Herausgeber Tommaso di Lucantonio Giunti versammelte auf rund tausend Seiten und mit einem bereits im Titel ausgewiesenen Vollständigkeitsanspruch antikes, mittelalterliches und zeitgenössisches balneologisches Wissen aus dem griechischen, lateinischen und arabischen Kulturkreis. Das Ergebnis von Giuntis Bemühungen als antiquarischer Sammler und Auftraggeber von ca. dreissig Autoren wird wegen seines umständlichen Titels meist schlicht – nach dem Erscheinungsort Venedig – als Opus bzw. Corpus Venetum de Balneis bezeichnet. Tommaso Giunti (Hg.): De balneis omnia quae extant apud Graecos, Latinos, et Arabas, tam medicos quam quoscunque caeterarum artium probatos scriptores: qui vel integris libris, vel quoquo alio modo hanc materiam tractaverunt: nuper hinc inde accurate conquisita & excerpta, atque in unum tandem hoc volumen redacta. in quo aquarum ac thermarum omnium, quae in toto fere orbe terrarum sunt, metallorum item, & reliquorum mineralium nature, vires atque usus exquisitissime explicantur. Venetiis 1553. Vgl. auch die unlängst erschienene Monographie von Serena Stefanizzi: Il „De balneis“ di Tommaso Giunti (1553). Autori e testi (Aquae. Studi e testi sulle terme 6). Firenze 2011. 24 Vgl. Robert Felfe: Naturgeschichte als kunstvolle Synthese. Physikotheologie und Bildpraxis bei Johann Jakob Scheuchzer. Berlin 2003, S. 86 (bes. Anm. 241).

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seiner Historia naturalis Helvetiae curiosa die Heilquellen ausgiebig dargestellt (III. Sectio: De Aquis25) und – besonders im Rahmen seiner Vorbereitungen für eine erweiterte Neuausgabe derselben – nebst etlichen anderen Kurorten Pfäfers selbst besucht.26 Wenn Johann Jakob Scheuchzer die Kur in Pfäfers an den Anfang seiner Reisebeschreibung setzte, ging es ihm demnach nicht so sehr darum, seine angeschlagene Gesundheit in den Vordergrund zu rücken, als vielmehr darum, die eigene Naturforschung in eine Gelehrtentradition sowie in einen Nützlichkeitskontext zu stellen und sie dadurch gegenüber seiner Leserschaft und der Zürcher Obrigkeit, von deren Gunst seine berufliche Laufbahn abhing, zu legitimieren. Die Balneologie diente ihm dabei sowohl als Exerzierplatz chemischer Nachweisverfahren (probae) als auch zur Demonstration medizinischen Fortschritts durch Naturwissenschaft. Scheuchzer veröffentlichte die während seiner Reisen gemachten Beobachtungen in verschiedenen Schriften: zuerst episodenhaft – und mit Buchwissen verschnitten – in der von ihm 1705 – 1707 im Selbstverlag herausgegebenen Wochenzeitung Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweitzerlands (mit jährlich wechselnden Nebentiteln), mit der er diese „jeden Privat-personen“, „sowol gelehrten, als ungelehrten“ (Nr. 1, S. 1) näherbringen wollte.27 An ein internationales Gelehrtenpublikum wandte er sich mit dem 1708 in London auf Latein erschienenen Uresiphoites Helveticus (,Schweizerischen Bergwanderer‘), der neben den Alpenreisen der Jahre 1702 und 1703 auch Scheuchzers Badenfahrt nach Pfäfers 1704 enthielt – mit dem imprimatur des Präsidenten der Royal Society Isaac Newton versehen, der sich auch mit zwanzig Pfund an den Druckkosten beteiligte.28 Selbst in spätere Pu25 Johann Jakob Wagner : Historia naturalis Helvetiae curiosa, in VII. sectiones compendiose digesta. Zürich 1680, S. 48 – 143. 26 J. J. Wagner weilte im August 1690 in Pfäfers, wobei auch er, wie später Scheuchzer, festgestellt haben will, dass die Trinkkur mit Pfäferser Wasser auf das Haupt einwirke: „Potae caput feriunt, ex obscura aliqua aciditate inter sorbillandum tempore matutino eas praeditas esse, mihi cum aliis visum.“ ZBZ Ms Z VIII 733, S. 93. 27 Der erste Jahrgang des Wochenblatts (1705) erschien unter dem Titel Seltsamer Naturgeschichten des Schweitzer-Lands wochentliche Erzehlung, der zweite (1706) unter dem Titel Natur-Geschichten des Schweitzerlands, zweiter Teil, der dritte (1707) unter dem Titel Schweizerische Berg-Reisen. Jeweils im darauffolgenden Jahr wurde der komplette Jahrgang noch einmal als Buch herausgegeben: Johann Jakob Scheuchzer : Beschreibung der NaturGeschichten des Schweitzerlands. 3 Bde. Zürich 1706 – 1708. Die Bände der Buchausgabe waren jeweils verschiedenen Exponenten der Bündner (Bildungs-)Elite gewidmet, vorab aus der verzweigten Familie von Salis. 28 Johann Jakob Scheuchzer : Ouqesivoitgr [Uresiphoites] Helveticus sive Itinera alpina tria, London 1708. Die dem Werk beigefügten Kupferstiche wurden grösstenteils von Mitgliedern der Gesellschaft wie John Woodward (1665 – 1728), Edmond Halley (1656 – 1742) und Martin Lister (1639 – 1712) finanziert, wie man den Bildunterschriften entnehmen kann. Scheuchzer hatte bereits 1702 ein Werk mit dem Titel Ouqesivoitgr Helveticus, sive Itineris alpini descriptio-physico-medica prima in Zürich publiziert. Bis 1711 unternahm er insgesamt neun

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blikationen wie die Natur-Histori flossen immer wieder Erfahrungen seiner Reisen mit ein.29 Der Ort Pfäfers war sehr bewusst – und keineswegs nur aus medizinischen Erwägungen – gewählt, bot er doch trotz seiner Lage „in einer tieffen BergKlufft“30 eine recht komfortable Herberge und war somit ideal als Ausgangspunkt für Exkursionen ins alpine Umland. Scheuchzer nutzte auf seinen Reisen durch die Alpen vielerorts die Infrastruktur der Heilbäder, da diese oft etwas abseits – d. h. inmitten der ,wilden‘ Natur – lagen, aber verkehrstechnisch erschlossen und auf die Unterbringung von Gruppen vorbereitet waren.31 Nach der frühmorgendlichen Trinkkur konnte Scheuchzer den Rest des Tages für Luftdruckmessungen, kartographische Skizzen und die Erkundung schweizerischer ,Naturwunder‘ nutzen. Zu den verzeichneten Erscheinungen gehörten nicht zuletzt Wasserquellen, allen voran jene, denen Heilkräfte zugeschrieben wurden, aber auch z. B. periodisch fliessende (sog. intermittierende) Quellen, welche die Neugierde (curiositas) des Naturforschers reizten, oder Wasserfälle, die den Heimatverbundenen zum ästhetischen Naturgenuss anregten. Die während der Reise gesammelten Daten, Objekte und Erfahrungen – kurz: das akkumulierte Wissen – dienten Scheuchzer nicht nur als Material für wissenspopularisierende Schriften, sondern auch, neben seine akademische ,Schulweisheit‘ tretend, als Grundlage für die wissenschaftliche Arbeit. Medizinisches und naturkundliches Interesse gingen dabei fliessend ineinander über.32 Dies zeigt sich besonders in Scheuchzers Luftdrucktheorie33, welche er auf den Kurort Pfäfers anwandte und – davon abgeleitet – für alle alpinen Kurorte generalisierte: „Weilen dieses Heil-Wasser [sich] so viel 100. Schuh über […] niedrigere Lande erhebt, so wird alldort die äussere Lufft eine geringere Truck-Krafft ausüben auf unsere Leiber, und diejenige Lufft, welche innert uns, in unserem Geblüt, Aderen, und allen kleinsten

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Alpenreisen. 1723 folgte in Leiden eine alle diese Reisen umfassende Ausgabe in vier Bänden: Scheuchzer, Itinera Alpina, 1723 (wie Anm. 4). Er scheint auch später noch Reisen unternommen zu haben (z. B. 1713 erneut nach Pfäfers), von denen er aber keine zusammenhängenden Reiseberichte mehr in Druck gab. Vgl. Steiger, Verzeichnis, 1933, S. 3 – 18. Scheuchzer, Hydrographia Helvetica, 1717, S. 409. Beispielsweise am 14./15. August 1705 Leukerbad. Vgl. Scheuchzer, Itinera Alpina 2, S. 308 – 316. Die Nähe von Medizin (medicina) und Naturwissenschaft (physica) in der Frühen Neuzeit kommt bereits im Wort physicus – sowohl Arzt als auch Naturwissenschaftler bedeutend – zum Ausdruck. Sie wurzelt in der aristotelischen Tradition der Universitäten, wonach die theoretische Medizin (in Abgrenzung zur praktischen Chirurgie) als ein Teilbereich (subdivisio) der Physik verstanden wurde. Vgl. Jürgen Schiewe: Sprachenwechsel – Funktionswandel – Austausch der Denkstile. Die Universität Freiburg zwischen Latein und Deutsch (Reihe Germanistische Linguistik 167). Tübingen 1996, S. 60. Siehe dazu auch den Beitrag von Marion Baumann in diesem Band und den Abschnitt unten zu Scheuchzers Beschreibung des Bads Fläsch.

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Theilen enthalten, ihre Ausdehn-Krafft mit erfolgender desto grösseren Wirkung zeigen, alle kleinste Bläs- und Aederlein unserer Leiberen erweiteren, worbey dann die sonst subtilen, häuffig eingetrunkenen Wasser-Theilichen desto leichter können alle Aederlein durchgehen, den Kreißlauff aller Säfften beförderen, die hier und dort an den Wänden der kleinsten Röhrlein anklebenden Schleimerigkeiten ablösen, und fortführen, folglich die Verstopfungen, welche der meisten krankheiten Ursachen sind, auflösen, endlich die Gesundheit wiederum erstatten. […] Aus gleichem Grundsatz kan man urtheilen von oben angerühmter gesunden Eigenschafft aller Gebirgischen Wasseren.“34

Das Bad Pfäfers als ein beliebter Aufenthaltsort der regionalen Elite ermöglichte es Johann Jakob Scheuchzer, im Rahmen seines Besuchs bestehende Kontakte zu pflegen und neue zu knüpfen – und zwar zu anderen Medizinern ebenso wie zu Wissenschaftsenthusiasten (Virtuosi) und Laien.35 Diese spielten in seinem Konzept einer genuin schweizerischen Naturgeschichte eine zentrale Rolle: Zum einen machten interessierte Laien die Hauptzielgruppe von Scheuchzers wissenspopularisierenden Publikationen aus,36 zum andern kamen ebenjene für ihn als Bezugsquellen naturkundlicher Sammelobjekte (z. B. Mineralien, Fossilien oder Pflanzen) infrage und erweiterten – als Korrespondenten – sein Netz von Informationsquellen, forschten für ihn gleichsam vor Ort nach relevanten Dokumenten, Dingen und Daten. In seinem Einladungs-Brief wandte sich Scheuchzer explizit an „alle in allen Ständen gelehrte Männer“, zu denen er ausser Pfarrern, Ärzten und Amtsträgern (als Repräsentanten der lokalen Oberschicht) auch einfache „Fischer, Hirten, Sennen, […] Kräuter- und Wurtzengraberen“ zählte.37 Das grosse Projekt Scheuchzers, eine Naturgeschichte der Schweiz von grösstmöglicher Vollständigkeit zu verfassen, war ein Hauptgrund für die Durchführung der ausgedehnten, planungs- und kostenintensiven Alpenreisen zwischen 1694 und 1714. Da sein schriftlicher Aufruf nicht nur unter den wenig alphabetisierten Bevölkerungsteilen zunächst kaum Resonanz erzeugte, waren persönliche Begegnungen umso wichtiger. Unter Johann Jakob Scheuchzers Bekanntschaften in der Nähe von Pfäfers ist besonders die Familie von Salis-Maienfeld hervorzuheben, die zur sozioökonomischen Elite der Drei Bünde gehörte.38 Maienfeld liegt im unteren Churer 34 Scheuchzer, Hydrographia Helvetica, 1717, S. 410. 35 Vgl. Simona Boscani Leoni: Vernetzte Welten. Das Korrespondenznetz von Johann Jakob Scheuchzer. In: Urs Leu (Hg.): Natura sacra. Der Frühaufklärer Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733). Zug 2012, S. 130 – 165, hier v. a. S. 45 f. Zum Austausch Scheuchzers mit lokalen Badärzten vgl. auch Reydt, Hydrophylacium, 1708, S. 6, 261. 36 Vgl. Johann Jakob Scheuchzer : Helvetiae Stoicheiographia, Orographia et Oreographia oder Beschreibung der Elementen, Grenzen und Bergen des Schweitzerlands (Natur-Histori des Schweitzerlands. Bd. 1). Zürich 1716, S. 2 f. 37 Vgl. Scheuchzer, Einladungs-Brief, S. 2. 38 Die Familie von Salis brachte, mit den Worten J. J. Seidels, „zahlreiche Politiker, Juristen und

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Rheintal gegenüber dem Eingang ins Taminatal, in dem sich das Bad Pfäfers befindet. Mitglieder der Familie zählten zu dessen Stammgästen und unterhielten, obwohl mehrheitlich reformiert, gute Beziehungen zur Abtei Pfäfers.39 Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Beitrag sind hauptsächlich die Geschwister Hortensia Gugelberg von Moos (geb. von Salis40, 1659 – 1715) und Carl Gubert von Salis (1660 – 1740) von Interesse.41 An Hortensia von Salis (Abb. 1) schrieb Scheuchzer am 8. August 1704, er habe gehofft, sie während seiner sommerlichen Kur daselbst anzutreffen.42 Jene war, wie die wenigen greifbaren Quellen über sie andeuten, eine für die Zeit ausserordentlich gebildete Frau und in ihrem Umfeld in Maienfeld eine gefragte Heilerin.43 Sie hatte als Kind (vermutlich durch Hauslehrer) die für Frauen ihres Standes übliche Ausbildung in Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion erhalten und darüber hinaus eventuell vom Unterricht ihres fast gleichaltrigen Bruders Carl Gubert profitiert.44 Da-

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Offiziere in franzo¨ sischen, holla¨ ndischen und englischen Diensten hervor. Viele von ihnen hatten Fu¨ hrungsa¨ mter im Bergell, im Veltlin und in der Grafschaft Chiavenna inne“. Johannes Jürgen Seidel: Die Anfänge des Pietismus in Graubünden. Zürich 2001, S. 74. Neben den von Salis-Maienfeld unterhielt Scheuchzer auch Beziehungen zu anderen Zweigen der Familie; so ist der erste Band der Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweitzerlands mit dem Titel Seltsamer Naturgeschichten des Schweitzer-Lands wochentliche Erzehlung den Geschwistern Hercules (1650 – 1727), Rudolf (1652 – 1735), Friedrich Anton (1653 – 1722), Andreas (1655 – 1725) und Anna Margaretha (1659 – 1727) von Salis-Soglio gewidmet; vgl. Scheuchzer, Natur-Geschichten des Schweizerlands 1, 1706. Beispielsweise konnte Hortensia von Salis’ Neffe Carl Ulysses (1707 – 1777, Sohn von Carl Gubert), wie er selbst in einem Brief an Beat Fidel Zurlauben (1720 – 1799) schreibt, jederzeit über eines der besten Zimmer in Pfäfers verfügen: Il y a „deux appartements au troisieme etage qui sont tr¦s jolis, […] j’ay toutes les ann¦es l’un de deux a ma disposition“. Brief von C. U. von Salis an B. F. Zurlauben, dat. Maienfeld 8. 5. 1764, Aargauer Kantonsbibliothek Aarau MsZF:1:179:230 (Zurlaubiana AH 179/230), f. 481v–482r. Für den Hinweis danke ich Raoul Richner. Nach dem Tod ihres Gatten verwandte sie die Form „Fr. Hortensia von Salis verwittibte Gugelbergin von Moos“, stellte also ihren Ledignamen voran (hier im Weiteren verkürzt als Hortensia von Salis wiedergegeben). Die Korrespondenz zwischen J. J. Scheuchzer und H. von Salis sowie C. G. von Salis ist ein bedeutender Quellenbestand für die frühneuzeitliche Wissensgeschichte, jedoch nicht vollständig überliefert. Im Nachlass Scheuchzers in der Zentralbibliothek Zürich finden sich Briefe von C. G. von Salis an Scheuchzer im Original (ZBZ Ms H 326); diejenigen Scheuchzers an C. G. von Salis und an H. von Salis sind, soweit mir bekannt, nur in Scheuchzers Kopienbuch (ZBZ Ms H 150) erhalten; die Briefe H. von Salis’ an Scheuchzer müssen als verloren gelten. „Unglaublich groß war meine hoffnung meine hochgeschätzte gönnerin in Pfeffers oder Mey¨enfeld disen sommer zusprechen, und durch ihre wehrteste gegenwart meiner vorgehabten cur großen nachtruk zu geben.“ Brief von J. J. Scheuchzer an H. von Salis, dat. 08. 08. 1704, ZBZ Ms H 150b, S. 25. Vgl. Seidel, Pietismus in Graubünden, 2001, S. 86. Vgl. ebd., S. 74; Maya Widmer : Einleitung. In: Hortensia Gugelberg von Moos-von Salis: Glaubens-Rechenschafft. Conversations-Gespräche. Gebät, hg. von Maya Widmer (Schweizer Texte. Neue Folge 19). Bern 2003, S. 13. Die von Maya Widmer besorgte Edition umfasst

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neben erwarb sie, primär von der Grossmutter45, umfangreiches popularheilkundliches Wissen und bildete sich durch Lektüre und im Austausch mit Gelehrten autodidaktisch in Medizin, ,Naturwissenschaft‘ und Theologie weiter.46 Somit stand Hortensia von Salis als Ärztin zwischen einer theoretisch-literarischen und einer empirisch-handlungsorientierten Tradition der Heilkunst. Sie bewegte sich einerseits in einem Kommunikationsnetz von Gelehrten, andererseits fusste ihr praktisches Wissen zu grossen Teilen auf einem popularen Erfahrungshorizont. Dabei gehörten Badekuren – z. B. im familieneigenen Bad Fläsch bei Maienfeld, in Pfäfers oder einem anderen der zahlreichen Kurorte der Region – zu den gängigen Therapien, und man darf annehmen, dass sie sich auch selbst während der Sommermonate regelmässig in Bädern aufhielt, um, wie sie schreibt, „ihre Gesundheit zuerhalten, oder dieselbige zuerholen“47. Nach dem Tod ihres Ehemanns 1692 früh verwitwet und ohne überlebende Kinder, war Hortensia von Salis materiell unabhängig und konnte sich ganz ihren Interessen widmen. Sie schrieb und publizierte zu religiösen und gesellschaftlichen Themen und unterstützte als langjährige Freundin und Korrespondentin Scheuchzers diesen auch finanziell.48

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von Salis’ Schriften Glaubens-Rechenschafft einer Hochadenlichen Reformiert-Evangelischen Dame, Geist- und Lehr-reiche Conversations Gespräche sowie Gebät. In den Conversations Gesprächen schreibt Hortensia von Salis, dass ihr Alter Ego Zenobia „die Artzneykunst, durch eine, von ihrer Großfrauen sel. anererbte lust, sonderlich liebet“. Anonym [Hortensia Gugelberg von Moos-von Salis]: Geist- und Lehr-reiche Conversations Gespräche, welche in ansehenlicher Gesellschafft bey unterschidlichem Anlaaß von göttlichen, sittlichen und natürlichen Sachen geführet, jetzund aber durch eine hoch-adenliche Dame alß fuornemstes Glid derselbigen zu gemeiner und eigener Belustigung, absönderlich dem Frauenzimmer zu Ehren, in Form eines Romans zu Papeir gebracht worden. Zürich 1696. Vgl. Widmer, Einleitung, 2003, S. 17. Von Salis, Conversations Gespräche, 1696, S. 3. Scheuchzer widmete der „Hoch- und Wol-Edelgebohrnen, mit hoher Gelehrte, und Tugenden gezierten Frauen […,] Meiner hochgeneigten, hochgeehrtesten Gönnerin“ Hortensia von Salis den zweiten Band seiner Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweitzerlands (Zürich 1707) aus „schuldiger Dankbarkeit vor bisher genossene hohe Gunst-Gewogenheiten“, was man als Dank für frühere – und gleichzeitige Bitte um künftige – finanzielle Zuwendung interpretieren kann. Zum Thema Widmung und Patronage vgl. u. a. Christian Wagenknecht: Art. Widmung. In: Jan-Dirk Müller et al. (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 3. Berlin, New York 2003, S. 842 – 845; G¦rard Genette: Kap. Les D¦dicaces. In: ders.: Seuils (Collection Po¦tique). Paris 1987, S. 120 – 146; Burkhard Mach¦: Author and Patron. On the Function of Dedications in Seventeenth-Century German Literature. In: James A. Parente Jr., Richard Erich Schade, George C. Schoolfield (Hg.): Literary Culture in the Holy Roman Empire. 1555 – 1720. Chapel Hill (NC) 1991, S. 195 – 205; Burkhard Moenninghoff: Die Kunst des literarischen Schenkens. Über einige Widmungsregeln im barocken Buch. In: Frieder von Ammon, Herfried Vögel (Hg.): Die Pluralisierung des Paratextes. Formen, Funktionen und Theorie eines Phänomens frühneuzeitlicher Kommunikation. Münster 2008, S. 337 – 352.

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Abb. 1: Hortensia von Salis (Jugendportrait eines unbekannten Künstlers). Reproduktion ab Glasnegativ aus dem Familienarchiv von Salis. Dauerdepositum im Staatsarchiv Graubünden, Sign. FR-D VI F 01 – 16/2.

In ihren Schriften kritisierte Hortensia von Salis die gesellschaftliche Einengung der weiblichen Rolle auf Mutterschaft und Haushaltsführung und verteidigte – unter Anführung etlicher biblischer Beispiele gelehrter Frauen – ihr Recht auf theologische und wissenschaftliche Bildung. Die Frauen in der Bibel,

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namentlich die Richterin Debora (Ri IV:4 – 5) und die Prophetin Anna (Lk II:36 – 38), seien zum Studium der Schrift ebenso berufen gewesen wie sie selbst und ihre Zeitgenossinnen, „die man nur allein zur Runkel [= Futterrübe, Ph. S.] und Nadel verbannen wil. Es ist zwar nichts frömbdes, was uns widerfahret, daß wir unter den Männeren nicht allezeit die besten Freund haben, die uns auch etwas wollen gelten lassen. […] Jch achte alle meine Gaben und Talent gegen den Männeren nur als einen kleinen Haller ; Jedoch wil ich ihn auch zu dem Gottskasten [= Opferstock] Tragen. Jch will in aller Stille, Demuth und Unterthänigkeit mein Talent anwenden […].“49

Gemäss Rosmarie Zeller war es von Salis’ Ziel, „nach französischem Vorbild eine neue Gesprächs- und Gesellschaftskultur einzuführen, in der auch den Frauen der Zugang zum Wissen und zu geistreicher Unterhaltung geöffnet werden soll.“50 Das Bad – ein Ort, an dem in der Frühen Neuzeit „die üblichen Regeln der Konversation umgewertet wurden“51 – eignete sich hervorragend für den kommunikativen Austausch zwischen Gelehrten und bildungsbeflissenen Laien, zumal Frauen, da sich im und am Wasser die ständischen Rollen- und Geschlechtermuster ein Stück weit aufweichen liessen. Zwar konnte Hortensia von Salis, wie Sabine Kolloch jüngst festhielt, „keine Wende in der Frauenbildung ihres Landes herbeiführen, aber sie sorgte […] für eine generelle Aufwertung der Bildungsarbeit von und für Frauen“52. Noch 1699 hatte Johann Jakob Scheuchzer in seinem Einladungs-Brief die Frauen mit keinem Wort gewürdigt; vielmehr richtete sich die Aufforderung zur Beteiligung an einer schweizerischen Naturgeschichte ausdrücklich und ausschliesslich an männliche Adressaten. In eben dieses Jahr fällt aber auch die Bekanntschaft Scheuchzers mit Hortensia von Salis.53 Bereits kurze Zeit später 49 Anonym [Hortensia Gugelberg von Moos-von Salis]: Copia Antwort-Schreibens deren Hochadenlichen, Reformiert-Evangelischen Dame, an einen fürnemmen Herren N. N. bey Anlaas deren neulich außgegebnen Glaubens-Rechenschafft abgelassen, darinn zu des Frauenzimmers, und zu eigner Beschirmung erscheint wird, daß dem Weiblichen Geschlecht auch wol anstehe, wann dasselbige die Lehr der Wahrheit fleissig ergründet, und davon offentliche abgeforderte Rechenschafft gibet. [o. O.] 1695, S. VIf. (zit. nach von Salis, Glaubens-Rechenschafft. Conversations-Gespräche. Gebät, 2003, S. 122 f.). 50 Rosmarie Zeller : Konversation und Freundschaft. Die Conversations Gespräche der Hortensia von Salis. In: Ferdinand van Ingen, Christian Juranek (Hg.): Ars et Amicitia. Beiträge zum Thema Freundschaft in Geschichte, Kunst und Literatur. Festschrift für Martin Bircher zum 60. Geburtstag am 3. Juni 1998 (Chloe. Beihefte zum Daphnis 28). Amsterdam 1998, S. 331 – 342, hier S. 340. 51 Thomas Lau: „Stiefbrüder“. Nation und Konfession in der Schweiz und in Europa (1656 – 1712). Köln 2008, S. 376. 52 Sabine Kolloch: Kommunikation, Macht, Bildung. Frauen im Kulturprozess der Frühen Neuzeit. Berlin 2011, S. 183. 53 Johann Jakob Scheuchzers erster dokumentierter Brief an Hortensia von Salis datiert just vom Juni 1699 und enthält (formuliert als Antwort auf einen – nicht überlieferten – Brief von

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wandte er sich in der Vorrede seines Physiklehrbuchs Physica, oder NaturWissenschaft dann auch an ein weibliches Publikum, wenn er betonte, er habe darin „die Sachen selbs also“ beschrieben, „daß sie von Gelehrten, und ungelehrten, ja auch von dem Wissens-begirigen, bis dato von dieser Wissenschaft so vil als außgeschlossenem Frauen-Zimmer mit lust gefasset werden“54. Der um 1700 festzustellende Wandel in Scheuchzers Auffassung von weiblicher Intelligibiliät scheint somit direkt von Hortensia von Salis angestossen worden zu sein, deren Auftreten als gebildete Kommunikationspartnerin und Förderin der Wissenschaft55 Scheuchzer wohl nachhaltig beeindruckte. Als Johann Jakob Scheuchzer 1704 nach Pfäfers aufbrach, rechnete er vielleicht damit, seine Gönnerin dort anzutreffen. Diese hingegen verbrachte den Sommer jenes Jahres in Cleven (Chiavenna), wo ihr Vater Gubert von Salis (1638 – 1710) seit 1701 als Commissari (Landvogt) amtete.56 Indes fanden er und seine Frau im Bad Pfäfers eine Schwester Hortensia von Salis’ vor, die Scheuchzer zufolge „durch ihre anmuthige gelehrt-höfliche conversation die stell meiner patronin ohnvermuthet ersetzet, und dar durch mir und meiner liebsten große freüde erwecket“57.

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Salis’ an Scheuchzer) ein überschwängliches Lob der weiblichen Gelehrsamkeit. Das lässt die Deutung zu, dass von Salis, nachdem sie Kenntnis des Einladungs-Briefs erhalten hatte, sich gerade wegen des Ausschlusses der Frauen von der Naturgeschichte bzw. ,Naturwissenschaft‘ erstmals an Scheuchzer wandte. Die viele Jahre dauernde Korrespondenz und Freundschaft hätte dann mit einer mahnenden Epistel der Autodidaktin an den Akademiker begonnen. Da von Salis’ Briefe an Scheuchzer nicht erhalten sind, lässt sich meine These freilich nicht beweisen. Der zweite Brief J. J. Scheuchzers vom 12. 8. 1699, in welchem er jener „zierde des gelehrten, wolgesinnten frauenzimmers“ (gemeint ist die Adressatin H. von Salis) einen Besuch in „ihrem studierzimmer, umb dorten meine schuldig aufwartung zu leisten“, in Aussicht stellt, lässt darauf schliessen, dass er inzwischen von ihr eine inhaltliche Rückmeldung auf den Fragenkatalog des Einladungs-Briefs erhalten hatte. ZBZ Ms H 150, S. 58, 68 f. Johann Jakob Scheuchzer : Physica, oder Natur-Wissenschaft. Bd. 1. Zürich 1701, Vorrede an den Leser [unpag.]. Siehe auch Anm. 48. Der Weg dorthin war Scheuchzer aber offenbar zu weit. Vom Bad in St. Moritz aus hätte er den Weg nach Chiavenna hingegen auf sich genommen, wie er von Salis gegenüber behauptet: „Freilich were meine gröste freude […] gewesen allein oder in gesellschaft meiner liebsten naher Cleven zu gehen, umb meine hochgeschetzte gönnerin alldort zu reveriren [?], wann namlich ich nicht in Pfeffers, sonder zu s. Mauritz gewesen were.“ Brief von J. J. Scheuchzer an H. von Salis, dat. 22. 8. 1704, ZBZ Ms H 150b, S. 29. ZBZ Ms H 150b, S. 25. Die Schwester wird nicht mit Vornamen genannt, es muss sich aber dem Stammbaum nach entweder um Dorothea (1662 – 1710) oder Margaretha (1668 – 1737) handeln. Vgl. Paul Hermann: Namensliste der Familie von Salis. Erstellt auf der Grundlage des Stammbaumes der Familie von Salis von Anton von Sprecher, Chur, 1941. Chur 2009, , [1. Dez. 2012] (Nr. 14/063 sowie 14/066).

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Carl Gubert von Salis und das Bad Fläsch Eine seiner Exkursionen ins Umland führte Johann Jakob Scheuchzer mit fünf Begleitern – seine Frau blieb offenbar in Pfäfers zurück – am 21. Juli 1704 in das Bad Fläsch, bei der gleichnamigen Ortschaft nahe Maienfeld gelegen, das sich seit Mitte des 17. Jahrhunderts im Besitz der Familie von Salis befand. Ob er schon vor Antritt seiner Badenfahrt nach Pfäfers einen Besuch im Fläscherbad erwogen hatte – schliesslich war es ihm aus Johann Jakob Wagners Historia naturalis Helvetiae curiosa (1680), vielleicht auch aus Hortensia von Salis’ Conversations Gesprächen (1696) oder aus einer alten Werbeschrift (1658/ 1669)58 bekannt – oder sich spontan dazu entschloss, z. B. aus der Konversation mit der genannten Schwester Hortensia von Salis’ während der Kur heraus, wissen wir nicht. Sicher ist, dass die Reisegruppe das Bad Fläsch im Rahmen eines Tagesausflugs gezielt aufsuchte. Zu jener Zeit war es im Besitz von Hortensias Bruder, dem Stadthauptmann von Maienfeld Carl Gubert von Salis (1660 – 1740), der es an einen Pächter verliehen hatte.59 Das im Vergleich zu Pfäfers kleine Bad verfügte über eine kalte Quelle, deren Wasser künstlich erwärmt werden musste. Johann Jakob Wagners Reiseführer Mercurius Helveticus nahm es 1701 in die dritte Auflage auf und nannte es „ein berühmt Heil-Bad“60. Dennoch wurde es zu der Zeit wohl fast ausschliesslich von der lokalen Bevölkerung genutzt;61 jedenfalls schreibt Hortensia von Salis in ihren an autobio-

58 P. N. N. P.: Fläscher-Badwasser. Das ist seiner Situation, Vrsprungs, Eigenschaft, Natur, Würckung, Gebrauchs, vnd was darvon zuwüssen Nutz vnd nohtwendig, kurtze andeutung. Zürich 11658 bzw. Fläscher-Baadwasser. Das ist seiner Sitvation, Vrsprungs, Eigenschafft, Natur, Würckung, Gebrauchs, vnd was darvon zuwissen Nutz vnd Nothwendig, kurtze Andeutung. Bregenz 21669. 59 Dass der Besitzer eines Bads dieses nicht selbst betrieb, sondern es an einen Wirt verpachtete, war vom Mittelalter bis ins 19. Jh. allgemein üblich. Viele Bäder waren – wie Mühlen, Wirtshäuser u. ä. – sog. Ehaften, Betriebe mit obrigkeitlicher Konzession. „In seiner Herrschaft hatte der Grundherr das Recht, Ehaften zu errichten mit einem Einzugsgebiet, in welchem er Konkurrenz verbieten und Hörige zur Benützung der Ehaften zwingen konnte (Twing und Bann).“ Anne-Marie Dubler: Art. Ehaften. In: Historisches Lexikon der Schweiz (im Folgenden zit. als HLS), , [1. Dez. 2012]. Auch das Bad Fläsch war aus einer Ehafte hervor- (die Gemeinde Fläsch gab es als Erblehen an Badwirte), aber mutmasslich während des Dreissigjährigen Krieges in Privatbesitz der Familie von Salis-Maienfeld übergegangen. Vgl. Karin Fuchs: Das ehemalige Bad Fläsch. Die Entwicklung eines Heilbades vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. In: Bündner Monatsblatt 2001, S. 276 – 296, hier S. 276. 60 Johann Jakob Wagner : Mercurius Helveticus, fürstellend die Denk- und Schauwürdigsten vornemsten Sachen und Seltsamkeiten der Eidgnoßschaft. Zürich 31701 (21688), S. 92. Die erste Ausgabe war 1684 – noch ohne Nennung des Autors – unter dem Titel Index memorabilium Helvetiae in Zürich erschienen und offenbar rasch vergriffen. 1688 und 1701 wurde der Inhalt jeweils erheblich erweitert: von 123 auf 216 und schliesslich auf 258 Seiten. 61 Vgl. Fuchs, Bad Fläsch, 2001, S. 286 – 288.

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graphischen Details reichen Conversations Gesprächen von diesem „Faliscer Bad, dessen gelegenheit, und würkung“, dass sie und ihr Bruder „unweit von ihrer Behausung [d. i. der Familiensitz in Maienfeld, Ph. S.], ein eigenes, an Lustigem Ort gelegenes, und mit aller nothwendigen Bereitschafft wol versehenes, Bad haben, so vor der zeit, mit grossem nutzen, von vilerley Personen, gebraucht worden. Dißmal wird es nicht sonderlich mehr besucht […].“62

Angesichts des sonst geringen Gästeaufkommens ist es nachvollziehbar, dass Johann Jakob Scheuchzer, wie aus seiner Korrespondenz mit Carl Gubert von Salis ersichtlich wird, mit seiner Reisegesellschaft bei den Betreibern für einiges Aufsehen sorgte, als er unangemeldet im Bad erschien, die Örtlichkeit in Manier des Naturforschers in Augenschein sowie vom Badwasser und dessen verfestigten Rückständen (,Badstein‘) Proben nahm, um sie später genauer untersuchen zu können, nebenbei noch einen „gestanck“63 im Badhaus beanstandete und gleich darauf wieder abreiste (ohne etwa nach dem Badherrn zu fragen und diesem seine Reverenz zu erweisen). Die Pächter informierten darauf eilends Carl Gubert von Salis, der Scheuchzer am nächsten Tag einen Brief nach Zürich schrieb: Scheuchzers Besuch in seinem Bad habe ihn zwar geehrt, „grösser aber vndt erfreülicher were mir diße heimmsuchung inn meinem eigenen hauß allhier [in Maienfeld, Ph. S.] geweßen oder aber dz mann mir den favor gethann vndt mich avisiert hette damit ich zu Flesch hette vfwarthen könen, welche occasion zuhaben von viele zeithhero schon öffters gewünscht habe vndt annoch wünsche vndt darvmb bitte.“64

Der virtuoso Carl Gubert von Salis, „welcher sehr scharffsinnig ist, und die Wüssenschafften hefftig liebet, brachte“ – Hortensia von Salis’ Conversations Gesprächen zufolge – des Sommers „seine Zeit meistens mit Lesung curieuser und nutzlicher Bücheren zu“65. Johann Jakob Scheuchzer, mit dem seine Schwester korrespondierte, war ihm zweifellos ein Begriff; bisher hatten sie sich aber nicht persönlich kennengelernt. Es kann daher nicht erstaunen, dass von Salis ziemlich indigniert darüber war, dass Scheuchzer ihn nicht besucht (sein Wohn- und Amtssitz in Maienfeld lag unmittelbar am Weg von Pfäfers nach Fläsch; siehe Abb. 2) oder ihm wenigstens den Ausflug nach Fläsch angekündigt hatte. Dies umso mehr, als von Salis sehr neugierig auf Scheuchzers Untersuchung des Badwassers war und „wegen deß badtß oder deßen eigenschafft halben hette gern weitleüfig conferieren mögen“66. Zudem war er ernstlich be62 63 64 65 66

Von Salis, Conversations Gespräche, 1696, S. 3. Brief von C. G. von Salis an J. J. Scheuchzer, dat. Maienfeld, 22. 7. 1704, ZBZ Ms H 326, S. 219. Ebd. Von Salis, Conversations Gespräche, 1696, S. 5. Brief von C. G. von Salis an J. J. Scheuchzer, dat. Maienfeld, 22. 7. 1704, ZBZ Ms H 326, S. 220.

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Abb. 2: Matthäus Merian: „Landschafft vmb das Wildebadt Pfäffers.“ Stich aus Matthäus Merian: Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Valesiae (Topographia Germaniae. Bd. 1). Frankfurt a. M. 21654, Bildteil [unpag.]. Die Blickrichtung in der Darstellung geht nach Westen. Das zur gleichnamigen Abtei (Nr. 17) gehörende Bad Pfäfers – Ziel von J. J. Scheuchzers Badenfahrt des Jahres 1704 bzw. Iter Alpinum tertium – ist in der Bildmitte situiert (Nr. 30). Der Wohn- und Amtssitz C. G. von Salis’, Maienfeld (am unteren Bildrand, Nr. 1), lag am Weg zwischen der Tardisbrücke über den Rhein (Nr. 5) und dem im Besitz der Familie von Salis befindlichen Fläscherbad unweit des Dorfes Fläsch (rechts unten, Nr. 2).

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sorgt, Scheuchzer könnte einen schlechten Eindruck vom Bad Fläsch erhalten haben, wie die Episode mit dem Gestank offenbart: „Inndeßen bitte mich doch zu berichten von ewer excellenz gestriger gesellschafft vndt von der der [sic] seltzammen geschicht deß salvo honore gestannckß dann eß were mir leidt wann mann inn disem [… Wort unles.] ohne eintzigen grundt ein vorvrtheil nennen wolthe.“67

Von Salis’ Sorge bezog sich weniger auf den potentiellen Badgast Scheuchzer, als vielmehr auf den Publizisten, lag es doch in seinem Interesse, dass der Gelehrte einen guten Eindruck von Fläsch in Erinnerung behielt. In der Frühen Neuzeit dienten Bäder der Repräsentation ihrer Besitzer. Balneologische Schriften – zumal von angesehenen Autor(ität)en – wirkten als mediale Multiplikatoren und hatten nicht nur erheblichen Anteil an der Beliebtheit eines Kurorts, sondern auch an der Geltung des Eigentümers.68 Der Ruf seines Bades war folglich verknüpft mit dem Ruf von Carl Gubert von Salis selbst, und während negative Publizität dem Ansehen des Badherrn abträglich sein konnte, trug positive Publizität zur Bekanntheit und Anziehungskraft eines Bads wie Fläsch bei, was wiederum – um mit Bourdieu zu sprechen – auf von Salis’ symbolisches Kapital zurückwirkte.69 Auch in rein wirtschaftlicher Hinsicht konnte die Intervention bei Scheuchzer angezeigt sein, schliesslich stiegen mit jedem zusätzlichen Gast die Einnahmen aus dem Bad.70 Entsprechend interessiert war Carl Gubert von Salis, den Kontakt zu Scheuchzer für seine Zwecke zu nutzen. Im Postscriptum des Briefs stellt er dem Wissenschaftler für eine gründliche Untersuchung der Fläscher Quelle eine Belohnung in Aussicht:

67 Ebd., S. 220 f. 68 Zur aktiven Nutzung von Heilbädern zu Repräsentationszwecken und zur Imagepflege vgl. Annette Dorgerloh: Franz Anton Graf von Sporck und sein Kukus-Bad in Bo¨ hmen. In: Raingard Esser, Thomas Fuchs (Hg.): Ba¨ der und Kuren in der Aufkla¨ rung. Medizinaldiskurs und Freizeitvergnu¨ gen (Aufklärung und Europa 11). Berlin 2003, S. 113 – 128 sowie Carmen Putschky : Wilhelmsbad, Hofgeismar und Nenndorf. Drei Kurorte Wilhelms I. von HessenKassel (= Diss. Univ. Marburg). Hannover 2000. 69 Vgl. u. a. Pierre Bourdieu: Sozialer Raum und symbolische Macht. In: ders.: Rede und Antwort (Edition Suhrkamp 1547; Neue Folge 547). Frankfurt a. M. 1992, S. 135 – 154; Dieter Groh: Pierre Bourdieus „allgemeine Wissenschaft der Ökonomie praktischer Handlungen“. In: ders.: Anthropologische Dimensionen der Geschichte. Frankfurt a. M. 1992, S. 15 – 26. Joseph Jurt: Bourdieu. Stuttgart 2008, S. 84 f. 70 Gemäss einem Pachtvertrag aus dem Jahr 1722 musste der Betreiber des Fläscherbads, Thomas Hermann, dem Besitzer C. G. von Salis für jeden Badgast einen halben französischen Taler abgeben, ausserdem durfte er nur Wein aus der Domäne des Badherrn ausschenken (vgl. Fuchs, Bad Fläsch, 2001, S. 281); für die Zeit vor 1722 dürfen wir eine ähnliche Praxis vermuten. (12 frz. Taler oder Ecu blanc hatte um 1700 den Wert von 1 Gulden. Vgl. Hans-Peter Reinhard: Art. Franztaler, Art. Laubtaler. In: ders.: Das grosse Münzen-Lexikon. Pirmasens 1999, , [1. Dez. 2012].)

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„P.S wann ewer excellenz mein hochgeehrter herr die mühe nemmen will vndt von dem Flescherbadt wasser die prob machen vndt auch von den steinen […], so werde [ich mich] für die patrocinierung deßen so weith inn meinen krefften recht danckbahrlich zu erkennen [geben, Ph. S.].“71

Johann Jakob Scheuchzer eröffnete sich dadurch die Möglichkeit, gleichzeitig auf dem Feld der Balneologie experimentell zu forschen, die Kontakte zu den wohlhabenden, ausgezeichnet vernetzten und an den Wissenschaften interessierten von Salis zu intensivieren – und dafür womöglich auch entschädigt zu werden, was für Scheuchzer, der in Zürich eine leidlich besoldete Stelle als zweiter Stadtarzt innehatte, eine willkommene Gelegenheit dargestellt haben dürfte.72 Nach seiner Rückkehr nach Zürich73 antwortete er Carl Gubert von Salis: „Über das kleine accidens [= das Unwesentliche/das Zufällige, Ph. S.] des gestanks, welchen wir in dem bad gewahret wolle [mein herr] keine apprehension faßen, weilen solcher nach meiner und der compagnie [= Reisegruppe] auslegung gantz gewiß herkommen von der jenigen weibsperson, welche damals im bad geseßen. Das bad selbs finde von solcher güte, das es wol meritierte grundtlich examinirt zu werden […].“74

Da Scheuchzers Wasserprobe sich auf der Heimreise noch vor einer genaueren Analyse verflüchtigt hatte75, und ein neuerlicher Besuch in Fläsch vorläufig nicht vorgesehen war76, verzögerte sich das Vorhaben zunächst. Im Jahr darauf sandte von Salis Scheuchzer „durch tregerenn […] ein flesche oder gutteren mit gesottenem flescherbadt wasser“77 und liess durchblicken, dass er ihn – wohl mit 71 Brief von C. G. von Salis an J. J. Scheuchzer, dat. Maienfeld, 22. 7. 1704, ZBZ Ms H 326, S. 221. 72 Vgl. u. a. Hanspeter Marti: Art. Scheuchzer, Johann Jakob. In: HLS, , [1. Dez. 2012]; Irmgard Müsch: Geheiligte Naturwissenschaft. Die Kupfer-Bibel des Johann Jakob Scheuchzer (Rekonstruktion der Künste 4). Göttingen 2000, S. 32 f. 73 Nach den in Scheuchzer, Itinera Alpina 1, 1723, S. 161 – 167 verzeichneten Messdaten zu urteilen, brach die Reisegesellschaft am 8. Juli 1704 von Zürich auf, weilte vom 9. Juli bis zum 31. Juli oder 1. August im Bad Pfäfers und kam am 2. August wieder in Zürich an. 74 Brief von J. J. Scheuchzer an C. G. von Salis, dat. Zürich, 8. 8. 1704, ZBZ Ms H 150b, S. 26. 75 Vgl. ebd. 76 Die Route von Scheuchzers vierter Alpenreise des Jahrs 1705 führte nicht ins Bündnerland, sondern über Glarus und Uri ins Wallis, von dort über den Gemmipass bei Leukerbad ins Berner Oberland, anschliessend der Aare entlang in den Aargau und wieder zurück nach Zürich. Vgl. die Überblickskarte zu Scheuchzers Alpenreisen in Arthur Dürst: Johann Jakob Scheuchzer – Vorlage (Handzeichnung) ca. 1712 zur Nova Helvetiae tabula geographica von 1712/1713. Zürich 1999, S. 3. Erst 1707 machte Scheuchzer – nun während seiner sechsten Reise – erneut Halt in Pfäfers und blieb dort vom 17. bis 25. Juli; von einem Besuch in Maienfeld oder Fläsch ist nichts bekannt. Vgl. Scheuchzer, Itinera Alpina 3, 1723, S. 433 – 436. 77 Brief von C. G. von Salis an J. J. Scheuchzer, ZBZ Ms H 326, S. 223.

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dem Ziel, dem Bad neues Leben einzuhauchen – mit einer aktualisierten Neuauflage der alten Badbeschreibung betrauen wolle: Er sei „des vorhabens dz büchlein sub auspiciis [unter der Leitung/Verantwortung, Ph.S.] ewer excellenz vndt einess hiesigen landts medici […] beßer vnd vßführlicher truken zu lassen“78. Johann Jakob Scheuchzer untersuchte das erhaltene Wasser, erbat von Carl Gubert von Salis eine grössere Menge ,Badstein‘, um daraus die Zusammensetzung der Mineralsalze noch genauer analysieren zu können79, und empfahl seinem Auftraggeber, doch gleich eine ganz neu konzipierte Werbeschrift herauszugeben: „1. mußte nach föllig gemachter prob […] dj beschreibung eingerichtet werden a la moderne, als namlich, dz mann erstlich zeiget dj wahren ingredientia des waßers, vnd aus demselben nach denen wahren grundtsetzen der naturlehr vnd medicin vnmittelbar herauszeuhe dj wirkungen, welche von disem bad zuhofen, vnd benennung der krankheiten, wor zu es dienstlich sein kann, und sonderbar bis dahin inß könftig erfunden worden, widerum mit andeutung der weis, wie es wirke, welche beschreibung dann nach gefallen des herren besitzers kan anderen sonderlich von medicis übergeben, vnd von herren censiert, corrigiert, vermindert oder vermehrt werden.“80

Damit regte Johann Jakob Scheuchzer eine auf dem damaligen Stand der physikalisch-chemisch-medizinischen Wissenschaft basierende Beschreibung des Heilwassers und seiner Applikationen an – in zumindest rhetorischer Abgrenzung von der älteren Balneologie, welche nach dieser Lesart weniger an der chemischen Zusammensetzung als an der konkreten medizinischen Anwendung interessiert gewesen sei und sich oft damit begnügt habe, die Inhaltsstoffe anhand humoralpathologischer Elementetheorie oder auf der Signaturenlehre fussender Sympathien aus den erfolgreich behandelten Krankheiten herzuleiten.81 78 Brief von C. G. von Salis an J. J. Scheuchzer, dat. 4./14. [?] 9. 1705, ZBZ Ms H 326, S. 227. 79 Vgl. Brief von J. J. Scheuchzer an C. G. von Salis, dat. Zürich, 12. 9. 1705, ZBZ Ms H 150b, S. 127. 80 Brief von J. J. Scheuchzer an C. G. von Salis, dat. Zürich 18. 9. 1705, ZBZ Ms H 150b, S. 130. 81 So gab sich Scheuchzer an anderer Stelle überrascht, dass ausgerechnet der von ihm als Esoteriker belächelte Paracelsus die Zusammensetzung des Pfäferser Wassers, welches nur Spuren von Mineralien enthält, trotz seines völlig verschiedenen Naturverständnisses ,richtig‘ erkannt hatte: „Fraget man von der eigentlichen Natur, oder Beschaffenheit des Pfefers-Bads, so ist zuwissen, daß bisdahin alle Naturforscher selbiges angesehen vor ein Mineralisches, oder solches Wasser, welches verschiedene Mineralische Theil in sich halte, und krafft derselben in dem Leib der Menschen wirke; und ware man eher bedacht solche frömbden Theil zubenennen, als aufzusuchen. Fuchsius, Rulandus, und andere, schreiben disem Wasser zu einen Schweffel, Salpeter, Kupfer, Eisen und Gold. […]“ (Scheuchzer, Hydrographia Helvetica, S. 410 f.). Dagegen hält Scheuchzer es für ein (kaum mineralisiertes) „reines subtiles Berg-Wasser, wie es Paracelsus genennet ein vollkommenes Element, in seinen Eigenschafften gleich dem [puren] Wasser, über welches Vernunfft-Urtheil dieses hocherleuchteten Manns, wie ihne seine Anhängere betittlen, man sich um so mehr zuver-

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Konkret empfahl Scheuchzer, von einer Wasseranalyse nach den Massstäben einer an Bacon orientierten neuen Wissenschaft ausgehend, die therapeutische Wirkung theoretisch zu bestimmen. In einem nächsten Schritt sollte dann dieser Befund an den praktischen Erfahrungen aus dem Umfeld des Bads, sprich: an den gesammelten lokalen exempla gemessen werden, wie sie insbesondere im alten Badprospekt aufgelistet wurden. In bester eklektischer Manier sollten so aktuelle Forschung und tradiertes Wissen in Einklang gebracht werden. Auch die Kollaboration mit lokalen Ärzten, von denen es um 1700 im Bündnerland freilich nicht eben viele gab,82 war Scheuchzer explizit erwünscht, wobei allerdings zu bezweifeln ist, dass er die vor Ort als Heilerin praktizierende Hortensia von Salis zu den von ihm erwähnten medici zählte. Die Endredaktion wollte er jedenfalls dem Auftraggeber und Badbesitzer überlassen, womit er sich dessen Interessen unterordnete. Über seine Dienstleistung als Wissenschaftler und Arzt hinaus bot Scheuchzer Carl Gubert von Salis zudem publizistische Beratung an: „2. achtete nothwendig, zu desto mehrerer beliebung sonderlich, vnd in ansehung des benachbarten am vngeheuren ohrt ligenden Pfeffers bads, vorzu setzen eine kurtze beschreibung der vmligenden schönen landschafft vnd selbige samit der repraesentation des badhauses in einem mahlerischen kupferiß vorzustellen, welches dann auch manchen, der komlich leben wil, her zu loken kan.“83

Mit der Betonung der freien Aussicht und schönen Landschaft um das Bad Fläsch sollte dieses sich von dem nahen und ungleich berühmteren Bad Pfäfers abheben, das in einem engen Tal liegt und nur über einen für Kranke und Gebrechliche beschwerlichen Saumpfad mit steilen Treppen zu erreichen war. Scheuchzer zielte, indem er Fläsch dem locus terribilis Pfäfers gegenüberstellte, auf jene komfortorientierte, anspruchsvolle Gästeschaft, die das Bad Fläsch um 1700 nicht mehr (oder noch nicht) frequentierte. Durch die ästhetische (Re-) Präsentation des Bades im Kupferstich sollte der Eindruck der Leserschaft vom locus amoenus Fläsch transmedial gesteigert werden und dieser in direkte Konkurrenz zu Pfäfers treten. Da uns keine reich ausgestattete Einzelschrift über das Bad Fläsch aus Scheuchzers Feder überliefert ist, müssen wir davon ausgehen, dass ein so umfassend angelegtes Projekt von Salis dann aber doch zu aufwendig, um nicht zu sagen: zu kostspielig gewesen zu sein scheint, wenn er auch in der Folge Scheuchzer mit der Anfertigung einer schriftlichen Expertise und Beschreibung beauftragte und ihm – nebst „einem geringen trunck fle-

wunderen hat, weilen er sonst aller Orthen auf seinem Schweffel-Mercurius-und SaltzWagen daher fahret.“ Scheuchzer, Natur-Geschichten des Schweitzerlands 1, 1706, S. 51. 82 Vgl. Paul Lorenz: Historisch-medizinische Skizzen aus Graubünden. In: Jahresbericht der Naturforschenden Gesellschaft Graubu¨ ndens. Neue Folge 14 (1869), S. 3 – 108, v. a. S. 72. 83 Brief von J. J. Scheuchzer an C. G. von Salis, dat. Zürich 18. 9. 1705, ZBZ Ms H 150b, S. 131.

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scherwein“84 als Belohnung – noch einmal „etliche pfundt von dem flescherbadt stein, so vß demm waßerkeßel kommen“85 zusandte. In der Korrespondenz über eine neue Beschreibung des Bads Fläsch tritt das Spannungsfeld zwischen Scheuchzers eigenem wissenschaftlichen Anspruch und der Verpflichtung gegenüber seinem Auftraggeber und Gönner deutlich zu Tage. Es zeigt sich hier die – beileibe nicht nur für die Frühe Neuzeit charakteristische – Abhängigkeit des Forschenden von seinem Patron, aber auch die Einflussmöglichkeiten eines Mäzens auf die Verbreitung und formale wie inhaltliche Prägung balneologischen Wissens. In der Beschreibung selbst, die schliesslich unter Scheuchzers alleiniger Autorschaft und ohne Kupferstich 1707 in dessen Wochenschrift Schweizerische Bergreisen86 erschien, findet sich dieser Dualismus wieder, wie im nächsten Abschnitt gezeigt werden soll.

Johann Jakob Scheuchzer und das Wissen vom Bad Fläsch Wie bereits angesprochen, war Johann Jakob Scheuchzers Beschreibung nicht das erste balneologische Werk über Fläsch. Erstmals greifbar (siehe auch Abb. 3) wird es durch den 1658 in Zürich gedruckten Prospekt Fläscher-Badwasser (1669 in überarbeiteter und erweiterter Form in Bregenz wieder aufgelegt).87 Dem Bekenntnis des anonymen Verfassers mit den Initialen P. N. N. P. nach diente dieser dazu, das im Dreissigjährigen Krieg zerstörte und um 1650 erneuerte Bad „offentlich zu rühmen“ und so den „krancken, dürfftigen vnd prästhafften zu nutz vnd meniglichen bekannt vnd wüssenhafft“88 zu machen. Der Autor des Fläscher-Badwassers – offenbar ausgebildeter Mediziner – folgt hier dem seit Gentile da Foligno (†1348) gängigen balneologischen Diskursparadigma89, angefangen mit der Lokalisation des Bades in einer fruchtbaren, fisch- und wildreichen Gegend „an einem sehr lustigen vnd erhöchten ort“ mit einem „schön lustig außsehen“90 auf die Bündner Berge und das Tal des Alpenrheins. Besonders hervorgehoben wird der in unmittelbarer Nähe zur Quelle wachsende, traditionsreiche und in der Frühen Neuzeit weitherum bekannte Fläscher Wein.91 84 Brief von C. G. von Salis an J. J. Scheuchzer, dat. Maienfeld 4. 3. 1706, ZBZ Ms H 326, S. 229. 85 Brief von C. G. von Salis an J. J. Scheuchzer, dat. Maienfeld 14. 5. 1706, ZBZ Ms H 326, S. 231. 86 Die Beschreibung des Fläscher-Bads in Pündten erstreckt sich über die Ausgaben Nr. 50 vom 14. 12. 1707, Nr. 51 vom 21. 12. 1707 und Nr. 52 vom 28. 12. 1707 der Schweizerischen Bergreisen. Scheuchzer, Natur-Geschichten des Schweitzerlands 3, 1708, S. 199 – 206. 87 P. N. N. P., Fläscher-Badwasser, 1658 bzw. ders., Fläscher-Baadwasser, 1669. 88 P. N. N. P., Fläscher-Badwasser, 1658, S. 3. 89 Vgl. den Beitrag von Frank Fürbeth in diesem Band. 90 P. N. N. P., Fläscher-Badwasser, 1658, S. 3 f. 91 Der Weinbau bildete seit dem 9. Jahrhundert den Haupterwerbszweig des Dorfes. Vgl. Adolf

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Abb. 3: Titelblatt von P. N. N. P.: Fläscher-Badwasser : Das ist seiner Situation, Vrsprungs/ Eigenschaft/ Natur/ Würckung/ Gebrauchs/ vnd was darvon zuwüssen Nutz vnd nohtwendig/ kurtze andeutung. Zürich 1658.

Darauf folgt eine Beschreibung des Wassers selbst, welches mit der Begründung, „daß diß Fläscher-Badwasser vilen krancken von vnderschiedlich-ihren gehabten anligen widerumb zu recht geholffen“92 habe, als heilkräftig ausgeCollenberg: Art. Fläsch. In: HLS, , [1. Dez. 2012]. 92 P. N. N. P., Fläscher-Badwasser, 1658, S. 5.

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wiesen wird. Daraus folgt, „das ja selbiges nicht ein schlecht gemeines blosses bach- oder brunnenwasser, sondern ein aqua composita medicata vnd mit spiritualischen essentijs vnd qualiteten gewüsser mineren vnd metalen impraegnirt seyn muß.“93 Diese Inhaltsstoffe werden aus dem ärztlichen Augenschein vor Ort (vermutlich in der Hauptsache Destillations- und Sinnesproben des Wassers und des ,Badsteins‘) und insbesondere nach humoralpathologischem Schema aus der am Ort bestehenden popularen Gebrauchstradition hergeleitet. Galt das Bad als wirksam gegen eine bestimmte Krankheit, so wurde daraus geschlossen, dass darin jene Mineralien oder anderen Inhaltsstoffe vorkommen mussten, welche gemeinhin eine solche Wirkung hervorriefen. Dem Fläscher-Badwasser nach enthielt das Wasser des Fläscherbads also „zweyerley arten terrae Sigillatae [Tonerden, Ph. S.] vnd einen kleinen theil Salpeter“94, der zweiten Auflage gemäss auch ,Stahl‘ (bzw. Eisen) und Schwefel95 – und eignete sich als Mittel u. a. gegen Schmerzen, Fieber, Durchfallerkrankungen, gegen Fussgicht, Steinleiden, offene Wunden, aber auch gegen Hernien, Gelbsucht, Unfruchtbarkeit und etliche ,Frauenleiden‘. Darüber hinaus mache das Bad „guten appetit zum Essen, auch bey gar Schwachen. Erfrewet das Hertz.“96 Da im humoralpathologischen System die Therapie grundsätzlich vom Arzt auf den einzelnen Patienten und dessen spezifische Disposition masszuschneidern ist, enthält das Fläscher-Badwasser – wie für die frühneuzeitliche Balneologie üblich – keine detaillierte Gebrauchsanweisung, sondern lediglich einige Warnungen sowie allgemeine Regeln, die vor, während und nach einer Kur beachtet werden sollen. Beispielsweise empfiehlt die Schrift dem Gast, ebenfalls konventionell, seinen Leib vor Beginn der Kur gründlich zu purgieren, im Becken nicht zu lange und nicht zu heiss zu baden und den Leib nicht zu tief einzutauchen, schliesslich nach dem Bad sich gründlich abzutrocknen und an der Wärme zu ruhen oder spazieren zu gehen.97 Dauer und genauer Ablauf der Bade- oder Trinkkur sollten dagegen individuell mit einem kundigen Arzt besprochen werden. Aus der Säftelehre notwendig folgende Kontraindikationen oder gar Beispiele von fehlgeschlagenen Therapien, die auf einen vom Badherrn und Patron unabhängigen Standpunkt des Autors hinweisen würden, fehlen in 93 Ebd. 94 Ebd. 95 Vgl. Fuchs, Bad Fläsch, 2001, S. 284. Besonders Schwefel galt wegen seiner nach humoralpathologischer Vorstellung wärmenden und trocknenden Eigenschaften in der Frühen Neuzeit als wirksames Mittel gegen verschiedenste Krankheiten und Übel, weshalb dessen Vorkommen in einem Quellwasser – und sei es ein nicht wahrnehmbarer (mithin nicht vorhandener), ,subtiler Schwefel‘ – ein eindeutiges Qualitätsmerkmal darstellte, welches in balneologischen Schriften entsprechend hervorgehoben wurde. 96 P. N. N. P., Fläscher-Badwasser, 1658, S. 8. 97 Vgl. ebd., S. 9 – 11.

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dieser Publikation gänzlich, was ihre Werbeintention unterstreicht. Ein allfälliger Misserfolg einer Kur in Fläsch wird nicht auf Inkompatibilität von Heilwasser und Patient, sondern allein auf unsachgemässe Anwendung zurückgeführt: „[…] daher kompts, daß auch nach dem gebrauch der heylsamsten Bäder vil der Patienten selbige vnverschampt beschuldigen vnd anklagen dörffen, alß weren sie ihnen nicht so wol bekommen, alß der Medicus ihnen hoffnung gemacht, oder sonsten vilfaltig seyen gerühmt worden, da doch, wann hernacher der sach recht vnd im grund nachgefragt wird, sich befindet, daß nicht das Bad, sonder dessen vnordenlicher gebrauch vnd vnverstand der Bäder, dessen einige vnd fürnemste vrsach seye gewesen.“98

Als Beweis für die Heilkraft des Bads Fläsch werden verschiedene Fallbeispiele angeführt, wobei auch Spitzen gegen die ,Konkurrenz‘ nicht fehlen. So habe das an einem offenen Bein leidende „Christoph Bregentzers von Malans Töchterlein […] anfangs das Pfeferser Bad gebraucht, welches aber selbigem nichts geholffen, hernacher aber dises Bad [d. i. Fläsch, Ph. S.] gebraucht, vnd allerdings heyl worden.“99 Legt man die Werbebotschaft des Textes zugrunde, kann man mit Karin Fuchs annehmen, dass die Schrift vonseiten der Familie von Salis in Auftrag gegeben wurde, wenige Jahre nachdem das Bad in deren Besitz übergegangen und wiederaufgebaut worden war.100 Diese Darstellung des Bads Fläsch fand 1680 sehr direkt Eingang in die erste Naturgeschichte der Schweiz: in Johann Jakob Wagners lateinisch verfasste Historia naturalis Helvetiae curiosa. Deren dritter, den Gewässern gewidmeter Teil enthält neben den Schweizer Seen, Flüssen und Wasserfällen ein Inventar der Wagner bekannten (Heil-)Quellen, unterteilt in warme und kalte Bäder, Sauerbrunnen, Schwefel-, Sole- und verschiedene merkwürdige, so z. B. versteinernde (aquae petrificantes) und angeblich kropfverursachende Wässer (fontes strumosi). Im Artikel zum Bad Fläsch werden in kondensierter Form die wichtigsten Punkte des Prospekts ohne Quellenangabe übernommen und, dem Zweck der Publikation als naturgeschichtliche Wissenssammlung gemäss, für ein gebildetes Publikum aufbereitet. Dementsprechend heisst es bei Wagner, das Bad Fläsch befinde sich an lieblichem Ort (in loco amoeno), sein Wasser enthalte Salpeter, Eisen und Schwefel und helfe u. a. gegen Verstopfungen (obstructiones) der Eingeweide, Hypochondrie, Nierenprobleme und chronische Wunden.101 Später nahm Wagner das Bad, wie oben erwähnt, in seinen Reiseführer Mercu98 99 100 101

Ebd., S. 8 f. Ebd., S. 7. Vgl. Fuchs, Bad Fläsch, 2001, S. 282 u. 291. Vgl. den Eintrag zum Bad Fläsch in Wagner, Historia naturalis, 1680, S. 117 f.: „Balneum Faliscanum, das Fläscherbad, hora j. Majavilla distans, a vico Falisca vel Faliscum, Fläsch dictum, in loco amoeno. Ex rupe tres ejus scaturigines, quae nitrum, chalybem & sulphur perfluunt, oriuntur. Salutare est in obstructionibus mesenterii, hypochondriacis, nephritide, ulceribus inveteratis & c.“

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rius Helveticus auf, was es als eine der Sehenswürdigkeiten der Schweiz qualifizierte.102 Dieser Mercurius Helveticus sollte, dem Bekenntnis des Autors bzw. Kompilators Wagner zur Heimatliebe entsprechend, das Bild der Eidgenossenschaft sowohl bei „denen Fremden als Einheimischen“ aufwerten und verzeichnen, „was etwann Seltsames dieser Enden anzutreffen und zubeobachten seye, damit ein jeder […] ersehen könne, was er zu seinem Nutzen in disem Lande zuobserviren habe.“103 Das Wissen vom Bad Fläsch transzendierte somit bei Wagner das Genre der balneologischen Werbeschrift und wurde zunächst Teil der Naturgeschichte, um wenig später in einen ,prototouristisch-patriotischen‘ Diskurs eingeschrieben zu werden. Dabei handelt es sich jeweils nicht nur um einen Wechsel des literarischen Genres, sondern gleichzeitig – durch Modifikation und Funktionalisierung der im weiteren Sinne balneologischen Wissensbestände – um eine epistemische Transformation.104 Das balneologische Wissen wurde auch innerhalb der Besitzerfamilie rezipiert; man wusste um den therapeutischen Nutzen des Fläscherbads. Carl Gubert von Salis beispielsweise schrieb 1704 an Johann Jakob Scheuchzer, dass er „wegen deß badtß oder deßen eigenschafft halben hette gern weitleüfig conferieren mögen[, …] von […] gutter würkung so diseß badt erzeiget in specie den jenigen so ofne schäden, oder vest contracte vndt lahme glider haben, vnfruchtbahre leüth vndt mehrere zustände“105.

Der Bezug zum im Fläscher-Badwasser verbreiteten Wissen wird hier namentlich durch die Erwähnung von offenen Wunden und Unfruchtbarkeit hergestellt. Wenn auch nicht letztgültig entschieden werden kann, ob von Salis auf die Textvorlage oder aber direkt auf die ihr zugrundeliegende lokale Gebrauchstradition abhebt, so ist doch bemerkenswert, dass der medizinische Laie hier nicht wörtlich von der ihm zweifellos zugänglichen Vorlage ab-, sondern in eigenen Worten über das Bad schreibt.106 Der Badbesitzer hat nicht im Sinn, sich durch den Arzt einseitig instruieren zu lassen, sondern denkt an einen Austausch auf Augenhöhe, wenn er mit Scheuchzer über das Bad Fläsch „weitleüfig conferieren“ will; das deutet auf einen souveränen und selbstbewussten Umgang mit balneologischem Wissen hin. Ebensowenig soll der Naturforscher Scheuchzer aus der Distanz urteilen, sondern seine Untersuchungen direkt vor 102 Vgl. Wagner, Mercurius Helveticus, 1701, S. 92. 103 Ebd., Vorrede [unpag.]. 104 Zum Konzept des epistemischen Genres siehe auch den Beitrag von Gianna Pomata in diesem Band. 105 Brief von C. G. von Salis an J. J. Scheuchzer, dat. Maienfeld 22. 7. 1704, ZBZ Ms H 326, S. 220. 106 Dass von Salis hier nicht erst die Literatur konsultiert, sondern sein inkorporiertes Wissen abruft, würde zusätzlich durch den Umstand gestützt, dass er den Brief, wie er am Ende vermerkt, offenbar in Eile verfasst hat: „pardonez la hate je vous suplies“ (ZBZ Ms H 326, S. 221).

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Ort durchführen – im Austausch mit lokalen medici und dem Badherrn selbst.107 Eine asymmetrische Kommunikationssituation zwischen Experte und Laie, wie sie in der sozialwissenschaftlichen Forschung gewöhnlich vorausgesetzt wird108, lässt sich im vorliegenden Fall jedenfalls nicht erkennen. Ausführlich widmet sich Hortensia von Salis dem Bad Fläsch in ihren Conversations Gesprächen. Auch hier wird auf die bekannten ,popularen‘ Wissensbestände rekurriert, wenn sie schreibt, „daß dises Wasser unvergleichlich gut ist für […] alte offene Wunden, für die Gelbsucht, Läme der Glideren […]; für Magen und [Gebär-]Muter schmerzen; absonderlich für Unfruchtbarkeit der Weiberen, für die Gleichsucht und Podagra [= Arthritis und (Fuss-)Gicht, Ph. S.]“109. Das balneologische Wissen lässt sich erwartungsgemäss mehrheitlich in das humoralpathologische System einordnen; darüber hinaus jedoch erweitert die Heilerin es in medizintheoretischer Hinsicht um iatrochemische Anteile: „Dann dises Wasser fliesset von einer alcalischen Erden, und führet Terram sigillatam [Tonerde, Ph. S.] bey sich, und ist seine Krafft zu trökenen, säuberen, heilen, und zusamen zuzeuhen; fürnemlich aber die Verstopfungen zueröffnen, und das scharffsaure zuverschlingen.“110 Von Salis empfiehlt das Bad Fläsch „in Summa für alle Zustände, die eine verstopfung der Lympha und des Nerven-Saffts zur Ursach haben, davon die Leibes feuchtigkeiten und Säffte scharff und saur werden müssen“111.

Der durch die Verwendung von ,alkalisch‘, ,scharf‘ und ,sauer‘ evidente Bezug zur Iatrochemie112 lässt erkennen, dass Hortensia von Salis sich mit den medi107 Dies kam dann freilich nicht zustande, weshalb die Kommunikation per Korrespondenz fortgesetzt wurde. C. G. von Salis musste sogar den ,lokalen‘ Untersuchungsgegenstand (Fläscher Wasser und ,Badstein‘) nach Zürich senden. 108 Vgl. Giancarmine Borgo: Asymmetrien in wissenschaftlicher Kommunikation. In: Konrad Ehlich, Dorothee Heller (Hg.): Die Wissenschaft und ihre Sprachen. Bern 2006, S. 175 – 190, hier S. 180 f.; Beatrice Herzog: Arzt-Patient-Kommunikation. Die Sicht des Anderen (= Diss. Univ. Jena). Saarbrücken 2007, S. 18. 109 Von Salis, Conversations Gespräche, 1696, S. 3. 110 Ebd., S. 3 f. Während das ,Trocknen‘ auf die in der Säftelehre verwendeten, aristotelischen Elementarqualitäten (warm, kalt, trocken, feucht) Bezug nimmt, stammen die Begriffe ,alkalisch‘ und ,scharfsauer‘ aus einem iatrochemischen Kontext. ,Zusammenziehen‘ meint die adstringierende Wirkung des Fläscher Wassers. 111 Ebd., S. 3. 112 Diese auf Paracelsus und Johan Baptista van Helmont (1577 – 1644) zurückgehende Strömung hatte einen starken Einfluss auf die Medizin des 17. Jahrhunderts. Die Lehren von Franz de le BoÚ (latinisiert Franciscus Sylvius, 1614 – 1672) und Thomas Willis (1621 – 1675), wonach physiologische Prozesse auf Fermentation der Körpersäfte und dem Gegensatz von Säure und Alkali beruhten, brachten das etablierte humoralpathologische System ins Wanken und führten letztlich – zusammen mit der Iatromechanik und weiteren innovativen Konzepten – zu dessen allmählicher Aufgabe bzw. zum Rückzug in die Alternativmedizin (siehe dazu auch den Beitrag von Andrew Wear in diesem Band). Krankheiten waren den Iatrochemikern zufolge Ausdruck von gestörten Fermentationsprozessen, die eine alkalische oder saure ,Schärfe‘ (Sylvius) beispielsweise des Blutes bewirkten bzw.

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zinischen Fachdiskursen der Zeit auseinandersetzte und das entsprechende Wissen in ihre Arbeit einfliessen liess. Die Hinwendung zur Iatrochemie weist nicht zuletzt auf die intellektuelle Unabhängigkeit von Salis’ gegenüber ihrem Kommunikationspartner Scheuchzer hin, der – bei aller eklektischen Offenheit – eher der cartesianischen Iatrophysik (Iatromechanik) zuzurechnen ist. Durch die Veröffentlichung der Conversations Gespräche, deren erstes Kapitel dem Bad Fläsch gewidmet ist, wurde dieses in ein weiteres Genre transferiert: in jenes der popularen Konversationsliteratur. Damit wurde das balneologische Wissen – analog zu den anderen darin verhandelten medizinischen, moralischen und theologischen Themen – nicht nur Exerzierplatz gepflegter Konversation, sondern auch und vor allem Gegenstand des gesellschaftlichen Diskurses über die Ideale vornehmer Lebensführung. Mit Johann Jakob Scheuchzers Beschreibung des Fläscher-Bads, die er wenige Jahre nach Erscheinen der Conversations Gespräche im Auftrag der Familie von Salis-Maienfeld erstellte und die formal wie inhaltlich an das Fläscher-Badwasser von 1658/69 anknüpfte, schliesst sich scheinbar der Kreis, da wir damit wieder zum Genre der Werbeschrift zurückkehren.113 (Wenn auch der Publikationskontext ein anderer ist, wie noch zu zeigen sein wird.) Tatsächlich betont Scheuchzer einleitend die besonderen Vorteile des Bads – zunächst weniger des Heilwassers selbst, als der angenehmen Lage und der fruchtbaren Umgebung, welche sich als „Eß-Trink-und Lust-Vortheile“ positiv auf die Badgäste auswirken sollen: „Wann irgend wo ein Mineralisches Bad, in unseren Helvetischen Landen, Nutzens, und Lusts halben soll besucht werden, so ist es das Fläscher-Bad. Deme über vil andere Bäder aus den Vorzug gibt eine kommliche, gesunde, und angenehme Situation. Es liget dasselbe nicht in einer wilden, tieffen, feuchten Kruft, noch auf einem hochen, schwerlich zu ersteigenden Berg, noch in einem unbewohnten rauchen Thal, dahin man über hoche, gefährliche Berge muß reisen, sondern in einem schönen fruchtbaren, an dreyen seithen […] offnen Gelände […] an einem sehr lustigen, erhöchten Ohrt […]; nächst darbey wachßt der edle Fläscher-Wein, welcher […] den Bad oder Trinkgästen zu grossem Heil, und Trost dienen kan, um so vilmehr, weilen der beste von allem Fläscher Wein in des edlen Herren Badbesizers eigenen Güteren wachßt, und Er sich mit Recht rühmen kan eines kostlichen Wasser- und Weinschazes.“114

dieses bitter, scharf oder sauer werden liessen (Willis). Vgl. Wolfgang Eckart: Geschichte der Medizin. Heidelberg 2009, S. 136 – 142. An welchem/n Iatrochemiker(n) – Sylvius, Willis oder anderen – Hortensia von Salis sich orientierte, ist im Einzelnen schwer zu bestimmen (vgl. auch Widmer, Einleitung, 2003, S. 30). 113 Johann Jakob Scheuchzer : Beschreibung des Fläscher-Bads in Pündten. In: ders., NaturGeschichten des Schweitzerlands 3, 1708, S. 199 – 206. 114 Ebd., S. 199 f.

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Die Anlehnung an die ältere Badbeschreibung von 1658/69, wie auch die Verpflichtung dem Gönner gegenüber, ist hier deutlich sichtbar ; Passagen wie „an einem sehr lustigen, erhöchten Ohrt“ sind fast buchstabengetreu von der Vorlage übernommen. Wie im Brief an Carl Gubert von Salis angekündigt, werden die Vorzüge Fläschs in Beziehung zu angeblichen Nachteilen benachbarter Bäder gesetzt, die zwar nicht namentlich genannt werden, aber von Kennern der Region durchaus zu identifizieren waren.115 Auch ist mir keine andere Badschrift Scheuchzers bekannt, in der der Badherr, wenn überhaupt, ähnlich prominent erwähnt wird. Diese endet damit, dass „der Besitzer des Bads allen Gästen “ eine erfolgreiche Kur (und nicht weniger als „die Befreyung von denjenigen Anligen, welches ihne hieher getriben“) „von Herzen anwünschet.“116 Der Autor der Badbeschreibung ist sich bewusst, dass derlei Konzessionen im Widerspruch zu der ansonsten sich selbst auferlegten ,wissenschaftlichen‘ Nüchternheit des Naturforschers stehen. Vor dem Leser, noch mehr vor sich selbst rechtfertigt er die Hervorhebung an sich nicht balneologischer Belange (schöne Aussicht, guter Wein) mit der Bedeutung der äusseren Verhältnisse für eine erfolgreiche Therapie: „Disere Situationes […] möchte mancher ansehen als unnöhtig, welche aber gar vil, ja oft das meiste beytragen zu glükseligem Außtrag der Cur, weswegen sie mit Fleiß habe der Beschreibung des Bads selbst vorsetzen wollen.“117 In Scheuchzers ohne Gönnerverpflichtung entstandenen balneologischen Texten spielen angenehme Begleitumstände freilich eine untergeordnete Rolle. Während er andernorts die Mässigung des Kurgasts im Essen, Trinken und in anderen Sinnesfreuden fordert118, unterstreicht Scheuchzer in der Beschreibung des Fläscher-Bads, es mangle daselbst nicht „an guten, annehmlichen Eßwahren, welche sie in wolfeilem Preiß haben, und zubereiten können nach Gefallen: Es kan auch ein Liebhaber der Jagd in diser Segne ihme selbs einen Braten auftreiben von fliegenden oder lauffendem Wildprät; so findt man auch den edelsten Fisch, und gutes Brodt zur Genüge.“119 115 J. J. Scheuchzer spielt hier vermutlich auf drei zur damaligen Zeit berühmte Kurorte der Ostschweiz an: Pfäfers, Bormio und St. Moritz, die auch in der Hydrographia Helvetica ausführlich behandelt werden. Das Bad Pfäfers (Abb. 4/5) liegt ,in einer wilden, tiefen, feuchten Kluft‘ (auf Pfäfers hatte Scheuchzer notabene bereits im Brief an C. G. von Salis hingedeutet); die Bagni vecchi von Bormio am „Wormbser-Joch“ (heute Umbrailpass) im – bis 1797 zu den Drei Bünden gehörenden – Veltlin erheben sich über einer steil abfallenden Felswand ,auf einem hohen, schwer zu ersteigenden Berg‘; der Weg in das damals sehr dünn besiedelte Engadin zum Bad von St. Moritz ,in einem unbewohnten, rauhen Tal hinter hohen, gefährlichen Bergen‘ war von Norden her relativ beschwerlich. Vgl. Scheuchzer, Hydrographia Helvetica, 1717, S. 144, 258, 353, 409. 116 Scheuchzer, Fläscher-Bad, 1708, S. 206. 117 Ebd., S. 200. 118 Vgl. u. a. Johann Jakob Scheuchzer : Vernunfftmäßige Untersuchung des Bads zu Baden, dessen Eigenschafften und Würckungen. Zürich 1732, S. 65 f. 119 Scheuchzer, Fläscher-Bad, 1708, S. 200.

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Abb. 4: „Prospect des Bad- und Gasthauses zu Pfäffers von der Seiten von Valentz her anzusehen“. Stich von Johann Georg Seiller (nach einer Vorlage von Daniel Teucher) aus Felix Meyer, Johann Georg Seiller: Underschiedliche rare Prospecten von Gebürg und Wasserfählen in dem Schweitzerland. Schaffhausen [um 1720].

Im Gegensatz zu diesen einleitenden Reklamepassagen kommt bei der darauf folgenden eigentlichen Beschreibung des Heilwassers und der medizinischen Wirkung des Bads Fläsch Johann Jakob Scheuchzers Wissenschaftlichkeitsanspruch sehr wohl zum Tragen. So werden zunächst die experimentell – d. h. durch Verdampfen, Behandeln der Rückstände mit chemischen Reagenzien sowie durch Sinnesproben – ermittelten Inhaltsstoffe aufgezählt: Es enthalte „reine[s], hellautere[s], an und vor sich selbs in vil Weg gesunde[s] Berg-Wasser“, Tonerde, Alaun und einen „subtilen Schwefel“120 ; Salpetergeist und Eisen, von denen im Fläscher-Badwasser von 1658/69 die Rede ist, seien hingegen nicht vorhanden. In einem zweiten Schritt werden die zu erwartenden Wirkungen theoretisch bestimmt, um diese anschliessend mit dem vor Ort gewonnenen 120 Ebd., S. 201. Auf das Vorhandensein von – nicht direkt nachweisbarem, eben ,subtilem‘ – Schwefel schloss J. J. Scheuchzer gestützt auf eine Sinnesprobe des ,Badsteins‘, bei der er „mit dem Mund […] eine […] öhlichte Fettigkeit […] in dem Salz gespühret“ habe. Subtilität oder ,Zartheit‘ in diesem Sinne ist ein cartesianisches Konzept. Da nach dieser Vorstellung der gesamte Raum mit Materie ausgefüllt ist (es also kein Vakuum geben kann), werden die Räume zwischen ,schwerer‘, sichtbarer Materie (unter hohem statischem Druck) als von ,subtiler‘ Materie (mit niedrigem Druck) ausgefüllt vorgestellt. Dies gilt auch und besonders für kleinste Zwischenräume in einem Stoffgemisch wie dem Fläscher Heilwasser.

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Abb. 5: „Prospect des Bad- und Gasthauses zu Pfäffers von der Seiten der Tammin anzusehen“. Stich von Johann Georg Seiller (nach einer Vorlage von Daniel Teucher) aus Felix Meyer, Johann Georg Seiller: Underschiedliche rare Prospecten von Gebürg und Wasserfählen in dem Schweitzerland. Schaffhausen [um 1720]. Das Bad Pfäfers war, u. a. wegen der zahlreich dort absteigenden Gäste aus den Drei Bünden, ein bevorzugter Kurort J. J. Scheuchzers. Gleichzeitig war es durch seine lange Tradition, seine internationale Gästeschaft und seine geographische Nähe zum Bad Fläsch aus Sicht der Familie von Salis-Maienfeld sowohl Vorbild, als auch Hauptkonkurrenz für ihr eigenes Bad. Die balneologischen Schriften reflektieren dieses Verhältnis.

Erfahrungswissen abzugleichen.121 Neben konventionellen, an die älteren Schriften angelehnten humoralpathologischen und iatrochemischen Befunden – das Bad Fläsch wirke durch die Tonerde „auftröknend“ und säureantagonistisch (alkalisch), durch das Alaun schleimlösend und adstringierend, durch den Schwefel „balsamisch, besänftigend, und Schmerzen linderend“122 – fällt besonders Scheuchzers Bewertung des Wassers an sich auf, aus dem er „eine anderen Bergbäderen, und Wasseren gemeine subtil durchtringende, das Geblüt, und Geister bewegende, die Gall innerlich demmende, den Jast derselben, und

121 Als Erfahrungswerte dienten Scheuchzer – mangels eigener Expertise als Badarzt vor Ort bzw. als ,eklektische‘ Ergänzung seines Wissens – die Indikationskataloge und exempla in den Schriften von P. N. N. P. und Hortensia von Salis. Vgl. P. N. N. P., Fläscher-Badwasser, 1658, S. 6 – 8; Scheuchzer, Fläscher-Bad, 1708, S. 202 – 204; von Salis, Conversations Gespräche, 1696, S. 3 f. 122 Scheuchzer, Fläscher-Bad, 1708, S. 202.

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des Geblüts hindernde, und die kleinsten Aederlein durchlauffende Kraft“ ableitet.123 Hier begegnen wir Scheuchzers eigener, von der Iatrophysik Decartes’schen Zuschnitts beeinflusster und gleichzeitig auf die antike Tradition gestützter Theorie, wonach die aussergewöhnlich starke Heilwirkung der Alpenbäder dem niedrigen (Luft-)Druck in jenen höheren Lagen zuzuschreiben sei.124 In dieser mechanistischen Logik dehnt sich aufgrund des tiefen äusseren Drucks die im Körper des Badgasts befindliche Luft aus, und es weiten sich die Adern und Fasern des Körpers, wodurch sich der Stoffwechsel beschleunigt und Ablagerungen oder Verstopfungen aufgelöst und ausgeschieden werden; zudem enthalten alpine Quellwässer selbst viel von der sie umgebenden und durchdringenden ,leichten‘ oder ,subtilen‘ Luft, weshalb sie am und im Körper eine umso stärkere Wirkung entfalten. Während die Auswirkungen des niedrigen Drucks auf den angepassten, das Höhenklima gewohnten homo alpinus helveticus begrenzt schienen, sollten nach Scheuchzer speziell die von hohen Drücken geplagten Bewohner tieferliegender Gegenden, namentlich Deutsche und Niederländer, von einer Kur in der Schweiz profitieren können. Die Nützlichkeit der Alpenbäder, die hier physikalisch-klimatologisch begründet wird, schlägt auch wiederum den Bogen zur Naturgeschichte, in deren Rahmen Scheuchzer – ebenso wie zuvor sein Lehrer Wagner aus patriotischen Motiven – das Wissen über die Schweiz international zu verbreiten suchte. Diesem Unterfangen war insofern Erfolg beschieden, als das von ihm propagierte ästhetische Ideal einer gesunden und unverfälschten Bergidylle das bislang vorherrschende Klischee (wilde, bedrohliche Natur und rohe, unkultivierte Menschen) konterkarierte und somit eine Grundlage für den deutschen Philhelvetismus des 18. Jahrhunderts bildete, der wesentlich auf den Landschaftsgenuss abhob.125 Bemerkenswerterweise liess Carl Gubert von Salis die Badbeschreibung nicht als Monographie herausgeben, sondern Scheuchzer fügte sie nahtlos in seine Schweizerischen Bergreisen ein (Nr. 50 – 52), wo sie zwischen den Artikeln 123 Ebd., S. 201. 124 Vgl. zur Decartes’ Materie- bzw. Raumbegriff etwa Dominik Perler : Ren¦ Descartes (Beck’sche Reihe. Denker 542). München 22006, Kap. III.2 (S. 102 – 114); Dirk Evers: Raum – Materie – Zeit. Schöpfungstheologie im Dialog mit naturwissenschaftlicher Kosmologie (Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 41). Tübingen 2000, S. 20 – 22. Zur Bedeutung des Klimas in der hippokratischen Heilkunde vgl. die Schriften De aeribus, aquis, locis sowie Epidemien I und III des Corpus Hippocraticum. Zu J. J. Scheuchzers Luftdrucktheorie vgl. auch ausführlich Marion Baumanns Beitrag in diesem Band. 125 Vgl. Uwe Hentschel: Mythos Schweiz. Der deutsche literarische Philhelvetismus zwischen 1700 und 1850 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 90). Tübingen 2002, S. 11 – 17; Michael North: Genuss und Glück des Lebens. Kulturkonsum im Zeitalter der Aufklärung. Köln 2003, S. 46 f. Die Aufwertung des Schweizbildes hatte freilich schon J. J. Wagner als Ziel ausgegeben; vgl. Wagner, Mercurius Helveticus, 1701, Vorrede [unpag.].

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Missgeburten von A. 1706 (u. a. ein Kalb mit zwei Köpfen bei Embrach), Feuriger Drach (Sichtung eines solchen bei Bischofszell) und Von dem Vrsprung des Hinteren Rheins erschien.126 Durch die Platzierung in der Wochenschrift tritt der ursprünglich intendierte Publikations-, d. h. der Werbezweck, etwas in den Hintergrund, und der Text übernimmt, dem Charakter der Zeitschrift als naturgeschichtliches Potpourri gemäss, eine stärker wissenspopularisierende Funktion. Auch verzichtete man – über den Grund lässt sich spekulieren – wie oben erwähnt auf den ,mahlerischen kupferriß‘, während beispielsweise dem Artikel zum Leukerbad im Wallis in den Schweizerischen Bergreisen (Nr. 33 – 35) eine Ansicht des Dorfes beigefügt war.127 Als Scheuchzer seine Beschreibung des Bads Fläsch rund zehn Jahre später in die Hydrographia Helvetica übernahm, scheint die Bindung an den ehemaligen Patron nicht mehr bestanden zu haben. Er entschärfte einige der Stellen mit Werbecharakter bzw. strich etwa den einleitenden Abschnitt mit Anzüglichkeiten gegen andere Bäder ganz und gliederte Fläsch in seine „Allgemeine Vorstellung der Mineral-Wasseren des SchweitzerLands“ ein.128 Die in diesem Beitrag präsentierte Abfolge der zum kleinen Bad Fläsch erschienenen Texte ist kennzeichnend für den frühneuzeitlichen balneologischen Wissenskomplex im Spannungsfeld von Heilkunst, Naturgeschichte und (zumal kommerziellen) Interessen der beteiligten Akteure. Im zeitlichen Verlauf und beim Transfer über Gattungsgrenzen hinweg wurde der humoralpathologischtraditionsgebundene Kern des Wissens mehrfach variiert und, je nach Genre, Publikationshorizont und Auftraggeber, um unterschiedliche Anteile angereichert, sei es vor dem medizintheoretischen Hintergrund der Autoren, sei es aus einer soziopolitischen Motivation heraus. Das Wissen über Bäder wurde, wie wir gesehen haben, situativ umgeformt und in die verschiedensten Formate, wie Werbe-, Zeit- und andere Schriften, beispielsweise Naturgeschichten, Gesellschafts-,Romane‘ oder Reiseführer, gegossen. Elemente wie der Katalog von Indikationen und Kontraindikationen blieben jedoch, aller publizistischer und epistemischer Vielfalt zum Trotz, bemerkenswert konsistent, was für die Robustheit der auf ,popularer Empirie‘ fussenden lokalen Kurkultur spricht.129 Die 126 127 128 129

Vgl. Scheuchzer, Natur-Geschichten des Schweitzerlands 3, 1708, S. 199 – 206. Ebd., zw. S. 136 u. 137. Scheuchzer, Hydrographia Helvetica, 1717, S. 140, 144, 217 – 224. Ein Beispiel hierfür sind die in vielen Kurorten zu findenden ,Frauenquellen‘; so wurden etwa das Verenabad in Baden, das Trou des capucins in PlombiÀres-les-Bains oder die Bubenquelle in Bad Ems bis ins 20. Jahrhundert unter Berufung auf die lokale Praxistradition und (zumindest in Baden) den örtlichen Heiligenkult von kinderlosen Patientinnen gegen Unfruchtbarkeit gebraucht, während diese Vorstellung in der medizinischen Literatur seit dem 16. Jahrhundert kritisch, aber noch um 1840 keineswegs als überholt beurteilt wurde. Vgl. Alexander Seitz: Warhafftige vnd fleissige beschreibung der Vralten Statt vnd Graueschafft Baden, sampt ihrer heilsamen warmen Wildbedern, so in der hochlo-

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vielfältige und vielschichtige balneologische Gebrauchsliteratur versorgte die Rezipienten, die prinzipiell nahezu allen sozialen Schichten und Gruppen angehören konnten, wahlweise mit direkt nutzbarem, heilkundlichem Anwenderwissen und/oder naturwissenschaftlich-landeskundlichem Kontextwissen. Eine scharfe Trennung von spezifisch ,gelehrten‘ und ,popularen‘ Wissensbeständen dagegen ist kaum möglich und erscheint auch wenig sinnvoll.

Résumé und Ausblick Johann Jakob Scheuchzers erster Besuch in Fläsch im Sommer 1704, der den Anstoss für die hier vorgestellte Badbeschreibung gegeben hatte, war, soweit wir wissen, gleichzeitig sein letzter. Im Kontext seiner Alpenreisen schien er ihm offenbar nicht erwähnenswert, jedenfalls fehlt im Abschnitt über seine Badenfahrt nach Pfäfers in den Itinera Alpina ein Hinweis darauf.130 Auch als Scheuchzer im Juli 1707, wenige Monate vor der Veröffentlichung seiner Beschreibung des Bads Fläsch, abermals eine Kur gegen seine Migräne machte, wählte er nicht etwa dieses, das doch ihm zufolge solche von schleimigen Verstopfungen in „dem Hirn […] herrührende Haubtschmerzen“131 sehr zuverlässig vertreibe, sondern setzte seine – wir erinnern uns – 1704 im Bad Pfäfers nicht sonderlich erfolgreich begonnene Therapie daselbst fort: „Am 17. Juli gingen wir zu den Bädern von Pfäfers, die ich neun Tage lang in Anspruch genommen habe, um die Überbleibsel der Migräne der rechten Seite zu vertreiben, deren Vorboten ich einige Jahre zuvor gefühlt hatte. Ich habe dem fortschreitenden blichen Eydgnoschafft inn dem Ergöw gelegen. Basel 1578, S. 73 f. Johann E. Wetzler : Baden im Kanton Aargau. In: ders.: Ueber Gesundbrunnen und Heilbäder überhaupt, oder über deren Nutzen, Einrichtung und Gebrauch (Ueber Gesundbrunnen und Heilbäder. Bd. 2). Mainz 1822, S. 3 – 92, hier S. 61 – 67; M. Guersant: Notice sur les eaux de PlombiÀres. In: Archives g¦n¦rales de m¦decine, journal compl¦mentaire des sciences m¦dicales s¦r. 3, t. 1 (1838), S. 194 – 209, hier S. 208 f.; Johann Ferdinand Heyfelder : Ueber Bäder und Brunnenkuren, besonders an den Mineralquellen des Taunusgebirges, namentlich Ems, Schlangenbad, Wiesbaden und Schwalbach. Stuttgart 1834, S. 106 – 108. Populares Wissen und populare Glaubensvorstellungen sind in den Gebrauchstraditionen freilich untrennbar verwoben. Zu den religiösen Implikationen der Heilquellen in den verschiedenen konfessionellen Kontexten siehe den Beitrag von Ute Lotz-Heumann in diesem Band. 130 Dieser Umstand markiert ebenfalls die selektive Verwendung von Wissen je nach Zweck der aktuellen Publikation. Während in der Hydrographia Helvetica die möglichst vollständige Aufzählung der Schweizer Bäder angestrebt wurde, sollten die Itinera Alpina einen Querschnitt der entlang der Reiseroute vorgefundenen und vor Ort erforschten Naturwunder abbilden. Nach der ausführlichen Beschreibung des Bads Pfäfers schliesst Scheuchzers Reisebericht mit einer Abhandlung über Steinböcke im Calandamassiv und einem Anhang der in Pfäfers und – zum direkten Vergleich zwecks Höhenbestimmung – in Zürich erhobenen Barometerdaten. Vgl. Scheuchzer, Itinera Alpina 1, 1723, S. 155. 131 Scheuchzer, Fläscher-Bad, 1708, S. 204.

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Übel glücklich einen Riegel vorgeschoben, indem ich die Anwendung ebendieser Wasser im Jahre 1704 aufgenommen habe, wenn auch ein gewisses spastisches Zucken der Lider des rechten Auges geblieben ist. Dessen Vertreibung wie auch die Befreiung von den Überbleibseln des Ischiasleidens, das meine rechte Seite um den Anfang dieses Jahres zu plagen begonnen hatte, luden mich zu den Bädern von Pfäfers wie zu einem Hafen der Gesundheit ein.“132

Die neuerliche Wahl des Bads Pfäfers hat also weniger mit Scheuchzers heimlicher Geringschätzung Fläschs oder mit im Vergleich zu anderen Bädern überragenden Wirkungen des Pfäferser Wassers zu tun, als mit den eingangs erwähnten Vorteilen, die der renommierte Kurort dem Naturforscher bieten konnte. Wie im Sommer 1704, so reiste Johann Jakob Scheuchzer auch 1707 nach Pfäfers, um anlässlich der Badenfahrt Kontakte zu bestehenden oder potentiellen Gönnern und Korrespondenten zu knüpfen und zu pflegen. Unter diesen, wie wir gesehen haben, besonders bedeutsam war nach wie vor die „berühmte Frau Hortensia von Salis und Gugelberg, deren aussergewöhnliche Bildung in theologischen Dingen, nicht weniger als in der Naturwissenschaft, schon dem Kreis der Gelehrten selbst bekannt geworden ist, und deren Erfahrung auf dem Gebiet der Medizin vielen Kranken in jener von Ärzten verlassenen Gegend grossen Trost gespendet hat.“133

Hortensia von Salis veränderte durch ihre Einflussnahme als Mäzenin und Korrespondentin nicht nur Scheuchzers Frauenbild, sondern trug längerfristig dazu bei, dass auch Frauen als Ziel von Bildungsinitiativen und als potentielle Wissenschaftsenthusiastinnen zunehmend, wenn auch noch lange nicht gleichberechtigt, in den Blick der eidgenössischen Res publica literarum traten. Ihr Bruder Carl Gubert, seinerseits Wissenschaftsenthusiast, betätigte sich – nicht nur aus Grosszügigkeit, sondern auch als Teil seiner persönlichen Interessenpolitik – ebenfalls zeitweilig als Gönner und brachte Scheuchzer dazu, eine ihm gewogene Beschreibung des familieneigenen Bads Fläsch zu verfassen und 132 „Die 17. Julii Thermas petiimus Fabarias quibus per Novendium usus fui, ut reliquias abigerem Hemicranieae dexteri lateris, cujus praeludia ante aliquot annos sensi, & felices malo progredienti obices posui, per earundem aquarum usum Anno 1704. susceptum, ut tamen remanserint palpebrarum oculi dexteri motus quidam spasmodici, quorum depulsio ut & reliquiarum mali Ischiadici, quod sub initium hujus anni dexterum latus afficere coepit, evacuatio ad Undas Fabarias, verluti sanitatis Portum me invitavit.“ Scheuchzer, Itinera Alpina 3, 1723, S. 433. 133 „[…] Ill.a D.na Hortensia de Salis & Gugelberg, cujus rara eruditio in Theologicis, non minus quam Physicis ipsi jam innotuit literato Orbi, & cujus Experientia in re Medica, multis aegris in illa peqiw~qy [perichûro, nach Mt. 14,35; Ph. S.] Medicis destituta est solatio insigni […].“ Johann Jakob Scheuchzer : Ouqesivoitgr Helveticus, sive itineris Alpini descriptio sexta, anni MDCCVII. Nunc primum edita. In: ders., Itinera Alpina 3, 1723, S. 429 – 463, hier S. 448. Vielen Dank an Dr. phil. Claude Brügger für das Aufschlüsseln der griechischen Ligatur und den Hinweis auf die Stelle im Matthäus-Evangelium.

Forscher vor Ort

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zu verbreiten. Anhand dieser und anderer balneologischer Arbeiten wiederum entwickelte Johann Jakob Scheuchzer seine Alpenquellen- und Luftdrucktheorie, deren patriotisch motivierte Verbreitung der im 18. Jahrhundert einsetzenden europäischen Schweizbegeisterung den Boden bereitete. Als Übertragungsmedium diente hier das naturgeschichtliche, und innerhalb dessen nicht zuletzt das balneologische Wissen. Die Naturgeschichte in ihrer eklektischen Ausprägung war dabei in der von ihr selbst geschaffenen, günstigen Position, Wissen unterschiedlichster Provenienz, aus sehr verschiedenen Genres und aus verschiedenen Theoriegebäuden miteinander zu verknüpfen und für ein relativ breites, heterogenes Publikum zugänglich und nutzbar zu machen. Johann Jakob Scheuchzer mit seinem Projekt einer „Historia Helvetica Naturalis, als eine Physica Specialis Applicata, oder besondere. [sic] Beschreibung der Natur-Wunderen des gantzen Schweitzerlands“134 spielte in diesem Prozess eine wichtige Rolle, war er schliesslich nicht nur ein reisender Wissenssammler von nationaler Bedeutung, sondern präsentierte vor Ort gewonnenes Wissen durch seine Kontakte, etwa zur Royal Society oder zur Leopoldina, in einem internationalen Kontext, in welchem die Rezeption der Schweizer Alpenbäder noch lange nachwirkte.135

134 Scheuchzer, Physica 1, 1701, Vorrede [unpag.]. 135 Zu Scheuchzers Rolle in der internationalen Vermittlung von kulturellen und wissenschaftlichen Informationen über die Schweiz vgl. Boscani Leoni, Vernetzte Welten, 2012, S. 151.

Tierkunde – Animal Worlds

Brian W. Ogilvie

Beasts, Birds, and Insects. Folkbiology and Early Modern Classification of Insects

Introduction European scholars first took serious interest in most insects in the sixteenth century.1 The first books devoted entirely to insects appeared in the seventeenth century, based on sixteenth-century scholars’ work: Thomas Moffett’s Theater of Insects, published in 1634 but compiled toward the end of the previous century, and Ulisse Aldrovandi’s Seven Books on Insect Animals, which appeared in 1602.2 As both writers observed, their works contained far more on insects than could be found in the ancients. The study of insects shows clear parallels with that of botany : as a result of serious, systematic study, Renaissance naturalists came to appreciate that the ancients had described only a small fraction of the plant species in the world; by the middle of the sixteenth century, many herbalists had decided that their main task was no longer to identify the plants used in ancient medical recipes but, 1 No adequate history of entomology exists, but for an introduction to the subject, see Friedrich S. Bodenheimer : Materialien zur Geschichte der Entomologie bis Linn¦. Berlin 1928, and Jacques d’Aguilar : Histoire de l’entomologie. Paris 2006. For a brief overview of developments from the sixteenth through the eighteenth centuries, see Brian W. Ogilvie: Nature’s Bible: Insects in Seventeenth-century European Art and Science. In: Tidsskrift for kulturforskning 7 (2008), pp. 5 – 21. On the new interest in insects taken by Renaissance naturalists and artists, see Marcel Dicke: Insects in Western Art. In: American Entomologist 46 (2000), pp. 228 – 37; Yves Cambefort: Artistes, m¦decins et curieux aux origines de l’entomologie moderne (1450 – 1650). In: Bulletin d’Histoire et d’Êpist¦mologie des Sciences de la Vie 11 (2004), pp. 3 – 29; Eric Jorink: Between Emblematics and the ‘Argument from Design’: The Representation of Insects in the Dutch Republic. In: Karl A. E. Enenkel, Paul J. Smith (eds.): Early Modern Zoology : The Construction of Animals in Science, Literature and the Visual Arts. Leiden, Boston 2007, pp. 1: 147 – 175; Eric Jorink: Reading the Book of Nature in the Dutch Golden Age, 1575 – 1715. Leiden 2010 and Janice Neri: The Insect and the Image. Minneapolis 2011. 2 Thomas Moffett: Insectorum sive minimorum animalium theatrum: Olim ab Edoardo Wottono, Conrado Gesnero, Thomaque Pennio inchoatum: tandem Tho. Moufeti Londinatis opera sumptibusq; maximis concinnabum, auctum, perfectum. London 1634; Ulisse Aldrovandi: De animalibus insectis libri septem […], Bologna 1602.

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instead, to discover and describe new species.3 Naturalists interested in insects, too, emphasized novelty and variety. Yet there are significant differences between Renaissance botany and protoentomology.4 Over the course of the sixteenth century, medical botany had been established in several universities; the study of insects remained the province of a small number of amateurs (including artists and collectors). Much of the knowledge that was expressed in Moffett’s and Aldrovandi’s works was folk knowledge: everyday knowledge possessed by common people that these writers systematized. For that reason, it seems productive to analyze Renaissance works on insects from the perspective of folkbiology—the study of pre-scientific classifications and conceptions of living creatures. This paper presents the results of a folkbiological investigation of insects in Renaissance natural history. I argue that the very concept of “insect” as an animal life form—one of the basic folkbiological divisions of the animal kingdom—emerged in the sixteenth century, as the result of Europeans’ engagement with both the classical heritage in natural history and the natural diversity of their environment. I begin with a brief overview of folkbiological theory. I will then discuss late medieval classifications of insects, before “insect” was a folk taxon, with a focus on the animal life-forms in which they were placed and on the kinds of insects described in late medieval sources. With this baseline established, I will then examine how the learned tradition of ancient natural history, reprised in the fifteenth and sixteenth centuries, contributed to establishing the category of “insect” as an animal life form, while at the same time the activities of Renaissance naturalists and collectors led to a much deeper understanding of the diversity of insect life. Finally, I will conclude with a few thoughts on how vernacular knowledge helped create the preconditions for the development of scientific classifications in the late seventeenth and eighteenth centuries.

3 I have traced this history in Brian W. Ogilvie: The Science of Describing: Natural History in Renaissance Europe. Chicago 2006. 4 The word “entomologia” appears to have been coined by Johann Heinrich Alsted in 1630, but it came into widespread use only in the wake of Linnaeus’s Systema naturae. Johann Heinrich Alsted: Encyclopaedia septem tomis distincta. Herborn 1630, pp. 794, 796. The first book to use the word in its title was Giovanni Antonio Scopoli: Entomologia carniolica exhibens insecta Carnioliae indigena et distributa in ordines, genera, species, varietates methodo Linnæana, Wien 1763. Hence I refer to “proto-entomology” to identify the pre-disciplinary period of the study of insects.

Beasts, Birds, and Insects

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The Folkbiological Perspective The theoretical perspective I am adopting for my analysis of Renaissance names and descriptions of insects is that of folkbiology, a subdiscipline within cognitive anthropology.5 As I have argued in my book The Science of Describing, Renaissance natural history is, in important respects, pre-scientific; its fundamental categories derive not from theoretical analysis but from common human cognitive patterns.6 Even if some Renaissance thinkers, such as Andrea Cesalpino, developed sophisticated theoretical analyses of biological concepts such as species, those analyses started from common-sense categories of thought. As Scott Atran has demonstrated, the transition to scientific taxonomy—that is, to a classification that was not based on common-sense categories—occurred in the late seventeenth and eighteenth centuries.7 From a folkbiological perspective, living kinds are divided into three fundamental taxonomic ranks: kingdom, life form, and folk genus. (The terminology varies somewhat; I am following Atran’s 1990 scheme as modified by Berlin 1992.)8 Each of these levels is in principle exhaustive: every living creature can be assigned to a taxon at each level, though sometimes this is through the use of residual categories, taxa that contain folk genera that do not fit into any other taxa at higher ranks. Many folk, especially experts, can identify two further, optional taxonomic ranks: (1) the folk species, a more precise differentiation of the folk genus, and (2) family fragments, which are often “covert,” i. e. recog-

5 Important works on folkbiology include Cecil H. Brown: Folk Zoological Life-forms: Their Universality and Growth. In: American Anthropologist 81 (1979), pp. 791 – 817; Cecil H. Brown: Folk Zoological Life-forms and Linguistic Marking. In: Journal of Ethnobiology 2 (1982) pp. 95 – 112; Cecil H. Brown: Language and Living Things: Uniformities in Folk Classification and Naming. New Brunswick, NJ 1984; Scott Atran: Origin of the Species and Genus Concepts: An Anthropological Perspective. In: Journal of the History of Biology 20 (1987), pp. 195 – 279; Scott Atran: Cognitive Foundations of Natural History : Towards an Anthropology of Science. Cambridge 1990; Brent Berlin: Ethnobiological Classification: Principles of Categorization of Plants and Animals in Traditional Societies. Princeton 1992; Scott Atran: Folk Biology and the Anthropology of Science: Cognitive Universals and Cultural particulars [with comments from 29 colleagues and author’s response]. In: Behavioral and Brain Sciences 21.4 (1998), pp. 547 – 609; Douglas L. Medin, Scott Atran: Introduction. In: Douglas L. Medin, Scott Atran (eds.): Folkbiology. Cambridge, MA London 1999, pp. 1 – 15; Earl R. Anderson: Folk-taxonomies in Early English. Madison and Teaneck, NJ 2003, chap. 11; and Scott Atran, Douglas L. Medin: The Native Mind and the Cultural Construction of Nature. Cambridge, MA 2008. 6 These patterns were noted long before folkbiological theory was elaborated: see Edward Lee Greene: Landmarks of Botanical History. Stanford 1983, a work originally written in the early 20th century and partially published in 1909. 7 Atran, Cognitive Foundations of Natural History, 1990. 8 Ibid., chap. 2; Berlin, Ethnobiological Classification, 1992, chap. 2 – 3.

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nized without necessarily having a name.9 However, neither of these ranks is necessary or exhaustive: that is, not every folk genus can be divided into folk species or placed in a family fragment. To illustrate folkbiological classification, take the example of the wolf. To contemporary Anglophones, it belongs to the folk kingdom of animals, and to the life form of mammals. Its folk genus is wolf. Folk experts can name different folk species of wolf, such as the gray wolf, tundra wolf, arctic wolf, etc. Finally, the wolf belongs to a family fragment which includes the domestic dog, the coyote, the fox, and other members of the scientific family of Canidae. Mutatis mutandis, the same applies to the contemporary Francophone or Germanophone classification of wolves. Though the terms used to analyze folkbiological classification are derived from scientific taxonomy, there is no necessary correspondence between taxonomic ranks in folk and scientific classifications. Wolf/loup is a folk genus but a Linnaean species (Canis lupus). Modern taxonomists consider the domestic dog (Canis lupus familiaris) to be a subspecies of the gray wolf (Canis lupus), but wolf/loup and dog/Hund/chien are distinct folk species. Bat/Fledermaus/chauvesouris, on the other hand, is a folk genus but a Linnaean order. (Though the vernacular German and French names for bat involve the word mouse, no competent native speaker of those languages would consider a bat to be a kind of mouse.) If creatures are not very relevant to a culture, or if they are difficult to perceive due to their size or their habits, the folk taxa to which they belong will represent greater scientific diversity. The folk genus beetle, for instance, like bat, corresponds to a Linnaean order. The hierarchy of folktaxonomic ranks, from kingdom to folk species, appears to be a human cognitive universal; at the very least, it has been found in every human society that folkbiologists have examined.10 The actual taxa at each rank, on the other hand, result from the interaction between cognition, history, and culture. This is as true of nonbiological folktaxonomies as it is of biological ones. Old English, for instance, named only two seasons, summer and winter.11 Cognitive anthropologists have also discovered regular patterns for differentiating colors.12 However, cross-cultural studies have revealed that the broad division of living creatures into two kingdoms, plants and animals, is universal, though this is

9 Edward Lee Greene noted this characteristic of Hieronymus Bock’s classification of plants: Greene, Landmarks of Botanical History. Vol. 1. Stanford 1983, pp. 330 – 47. 10 Berlin, Ethnobiological Classification, 1992, chap. 11, pp. 9 – 26. 11 Anderson, Folk-taxonomies, 2003, pp. 219 ff. 12 Brent Berlin, Paul Kay : Basic Color Terms: Their Universality and Evolution. Berkeley 1969, summarized with additions and revisions in Anderson, Folk-taxonomies, 2003, pp. 82 – 88.

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often linguistically unmarked.13 Furthermore, though folk genera and species are determined by the actual flora and fauna with which folk come into contact, there is a distinct pattern in the order in which folk taxonomies introduce new life form taxa. Based on study of 144 folk taxonomies, Cecil Brown has proposed the following multiple stage model of the development of words designating animal life forms. In the first stage (designated 0), no life forms are lexicalized. Folk refer to folk genera and species, but do not locate them in any life form that has a name. In the first through third stages, life forms names are found for fish, bird, and snake, in any order: some languages have words for only one, others for two, and still others for all three of those life forms. However, all of those life forms appear before either “wug” (a portmanteau word for “worm and bug”) or “mammal,” which in turn appear in the fourth and fifth stages, in either order.14 The only exceptions are found in cultures that have limited or no exposure to certain life forms, such as highland peoples in New Guinea who have not lexicalized “fish” because they do not encounter fish in everyday life.15 We can leave arguments over the cognitive foundations of this recurring pattern to folkbiologists and other anthropologists; further research is required to distinguish cognitive universals from cultural patterns.16 For present purposes, what is important is that medieval western European classifications of animals fit the folk taxonomic pattern: division of the living world into plant and animal kingdoms, division of the animal kingdom into a small number of life forms, and enumeration of a large number of folk genera, sometimes divided into folk species. In the Latin encyclopedias of Isidore of Seville, Thomas of Cantimpr¦, Albertus Magnus, and others, as well as in the vernacular works of Konrad von Megenberg and the Gart der Gesundheit tradition, we find five or six animal life forms. These do not include “insect,” and as we shall see, the life form of “worm,” present in some of these sources, does not necessarily include insects. Rather, they are divided among many different life forms, indicating that medieval European folk (including learned encyclopedists) did not see “insects” as a self-evident category of living beings.

13 Berlin, Ethnobiological Classification, 1992, pp. 190. 14 Brown, Language and Living Things, 1984, pp. 24 – 25; Anderson, Folk-taxonomies, 2003, pp. 405 – 407. 15 Brown, Language and Living Things, 1984, pp. 31 – 32. 16 See David Herman, Susan Moss: Plant Names and Folk Taxonomies: Frameworks for Ethnosemiotic Inquiry. In: Semiotica 167 (2007), pp. 1 – 11., and Matthias Urban: Terms for the Unique Beginner: Cross-linguistic and Cross-cultural Perspectives. In: Journal of Ethnobiology 30 (2010), pp. 203 – 230.

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Folk Life-Form Taxa in Medieval Latin Encyclopedias The life-form word “insect,” adopted from the Latin animal insectum, is lexicalized in French and English in the sixteenth century : 1542 in French and only 1586 in English.17 In German, it first appears only in the seventeenth century.18 As we will see, this is clearly due to the influence of the ancient tradition of natural history. For the moment, though, I mention it in order to underscore the alterity of pre-modern folkbiological classifications of those creatures that we lump together as insects. If we are to understand how speakers of early modern vernaculars thought about insects, we must first undo the very category of “insect” itself. Of course, the term insectum, used either as an adjective to qualify the noun animal, or by itself as a substantive, is classical. Pliny the Elder used it in Book 11 of his Natural History to translate Aristotle’s 5mtolom, meaning incised.19 Pliny’s encyclopedia was widely circulated throughout the European Middle Ages, though often in excerpted form, not as a complete work.20 It ensured that the word insectum remained part of the Latin heritage. But medieval Latin writers did not use it. In his Etymologiae, compiled in the early seventh century, Isidore of Seville ignored it, employing instead the categories of “minuta animantia” (small animals), “vermes” (worms), and “minuta volatilia” (small flying things) to describe the animals that Aristotle and Pliny had grouped together as insects.21 Moreover, Isidore included not only insects but also other creatures in those categories: mice, hedgehogs, moles, crickets, and ants were “small animals,” and sparrows “small flying things.” The closest Isidore came to separating insects from other animals as a distinct category was in his distinction between serpentes and vermes: the former have a stiff spine, while the latter do 17 Dictionnaire alphab¦tique et analogique de la langue franÅaise [“Le petit Robert 1“]. Paris 1984, s. v. The Oxford English Dictionary gives the date of the first citation as 1589, but I have found a 1586 usage in a polemical work by William Charke. See Oxford English Dictionary Online, , [10 May 2013], s. v.; William Charke: A treatise against the Defense of the censure, giuen upon the bookes of W. Charke and Meredith Hanmer, by an unknowne popish traytor in maintenance of the seditious challenge of Edmond Campion. Cambridge 1586, p. 89. 18 The Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache indicates that the word appears in Latin form in German texts from the sixteenth century, but is first used with German case endings in the seventeenth: Art. Insekt. In: Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS), , [10 May 2013]. 19 History of Animals, 487a33: “jak_ d³ 5mtola fsa 5wei jat± t¹ s_la 1mtol\r”; Pliny, Natural History, 11.1: “omnia insecta appellata ab incisuris.” 20 Arno Borst: Das Buch der Naturgeschichte: Plinius und seine Leser im Zeitalter des Pergaments. Heidelberg 1995. 21 Isidore of Seville: Etymologiarum sive originum libri xx. Oxford 1911, 12.3, 12.5, 12.8. See Bodenheimer, Entomologie, 1928, p. 118, who missed the insects in chap. 3 of book 12,

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not.22 Isidore referred explicitly to Pliny, though it is not clear whether he possessed book 11. In any case, for Isidore, “insect” was not an animal life form. Like Isidore, later medieval encyclopedists placed insects in several distinct life form taxa.23 Hrabanus Maurus followed Isidore’s division into small animals, worms, and small flying things. Hildegard of Bingen, too, divided animals into fishes, flying things, and animals, placing insects in the second and third of these life forms.24 Thomas of Cantimpr¦, whose De rerum natura was the chief source for the zoological portions of Bartholomaeus Anglicus’s and Vincent of Beauvais’s encyclopedic works, placed invertebrates among the serpentes and the vermes.25 His practice was followed in the fourteenth-century German adaptation by Konrad von Megenberg.26 Thirteenth century folk taxonomies, as recorded by these authors of encyclopedic works on nature, look remarkably similar to the seventh-century folk taxonomy of Isidore: birds, fish, serpents, worms, and “animals,” a residual category that included quadrupeds but also some invertebrates. There were no “insects.” Albertus Magnus is the main exception to this pattern—but an exception that does, in fact, prove the rule.27 The systematic part of Albertus’s De animalibus, contained in books 1 – 19, is a commentary with digressions on Aristotle’s zoological works.28 Following Aristotle, Albertus divided animals into the life form 22 Seville, Etymologiarum, 1911, 12.3, 12.7.68, 12.5.19. 23 For an overview of encyclopedic works and a discussion of their functions, see Christian Hünemörder: Antike und mittelalterliche Enzyklopädien und die Popularisierung naturkundlichen Wissens. In: Sudhoffs Archiv 65 (1981), pp. 339 – 365. 24 Bodenheimer, Entomologie, 1928, pp. 119 – 121, pp. 123 – 24. 25 Franz Pfeiffer : Einleitung. In: Konrad von Megenberg: Das Buch der Natur von Konrad von Megenberg: Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache, ed. by Franz Pfeiffer. Hildesheim 1962, pp. x–lii, at pp. xxxiv–xv. 26 Konrad von Megenberg: Buch der Natur : e. g. the scorpion is “ain slang” (282), while bees, spiders, toads, silkworms, glow-worms, caterpillars, ants, moths, etc. are “würm” (pp. 286 ff.). On the context and use of vernacular translations of Thomas’s work, see TraudeMarie Nischik: Das volkssprachliche Naturbuch im späten Mittelalter : Sachkunde und Dinginterpretation bei Jacob van Maerlant und Konrad von Megenberg. Tübingen 1986. Gerold Hayer has argued that the extant manuscripts of Konrad’s work suggest that it appealed largely to a lay audience with some knowledge of Latin and an interest in medicine: Gerold Hayer : Zu Kontextüberlieferung und Gebrauchsfunktion von Konrads von Megenberg “Buch der Natur“, in Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter, 1100 – 1500. In: Nikolaus Henkel, Nigel F. Palmer (eds.): Regensburger Colloquium 1988. Tübingen: 1992, pp. 62 – 73, and, more generally, Gerold Hayer: Konrad von Megenberg “Das Buch der Natur“: Untersuchungen zu seiner Text- und Überlieferungsgeschichte. Tübingen 1998. 27 On Albertus Magnus’ biological works, see in addition to the works cited below, Miguel J. C. De Asffla: The Organization of Discourse on Animals in the Thirteenth Century : Peter of Spain, Albert the Great, and the Commentaries on ‘De animalibus’. Ph.D. diss., University of Notre Dame, 1991, and the bibliography in Irven M. Resnick, Kenneth F. Kitchell: Albert the Great: A Selectively Annotated Bibliography, 1900 – 2000. Tempe Ariz. 2004. 28 Heinrich Balss: Albertus Magnus als Biologe: Werk und Ursprung. Stuttgart 1947; Christian

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taxa of gressibilia, volatilia, natatilia, and reptilia; “et in fine complebimus scientiam totam in consideratione vermium et anulosorum secundum omnes suas quae nobis notae sunt diversitates.”29 In other words, worms and insects were residual categories for creatures who could not be placed in one of the first four life forms. In using the substantive anulosum for these creatures, Albertus was following his source text: Michael Scot’s translation of Aristotle’s zoology books. However, he deviated from his source to a degree, for Scot had rendered 5mtolom as animal anulosi corporis, not as anulosum or insectum.30 (William of Moerbeke transliterated the word as entomon.)31 In book 4, tractate 1, Albertus discussed the diversity of insects, depending in the first instance on whether the rings that defined the group circled the creature’s entire body or were found only on the dorsal or ventral side.32 Albertus’s examples of anulosa, including ants, bees, wasps, cicadas, locusts, caterpillars, earthworms, centipedes, flies, beetles, and the like, leave no doubt that he is using it in the full Aristotelean sense that would later be revived by Renaissance naturalists.33 But Albertus used anulosa as a life form taxon only when following Aristotle’s text. He still thought in terms of the life forms that were familiar to Isidore, Hrabanus Maurus, and Hildegard. In one instance of his commentary, he slipped, referring to flying insects as “birds with rings”: “Aves autem anulosae quae volant in comitatu et habitant simul civiliter, quatuor habent ales et sunt levis corporis sicut apes et sibi similia…. Igitur quod ex istis animalibus est parvum, habet duas alas tantum sicut muscarum.”34 The clearest indication of Albertus’s way of thinking, however, is in the brief descriptions of individual animals (i. e., folk genera) that occupy books 22 – 26 of De animalibus. Book 22 describes man, followed by “quadrupeds” listed in alphabetical order. Book 23 is devoted to birds (aves), while book 24 contains aquatic animals. Serpents (including lizards) are the subject of book 25. The final book is devoted to “worms” (vermes), a category we have seen in Isidore. Aristotle did leave a deep impression: Al-

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Hünemörder: Die Zoologie des Albertus Magnus. In: Gerbert Meyer, Albert Zimmermann (eds.): Albertus Magnus, Doctor Universalis, 1280/1980. Mainz 1980, pp. 235 – 48. For the Latin text, see Albertus Magnus: De animalibus libri xxvi nach der Cölner Urschrift. Münster 1916; an annotated English translation is available in Albertus Magnus: On animals: A medieval Summa zoologica, trans. and ed. by Kenneth F. Kitchell, Irven M. Resnick. 2 vols. Baltimore, London 1999. Magnus, De animalibus, 1916, p. 4. See Aristotle, De animalibus: Michael Scot’s Arabic-Latin translation, ed. by Aafke M. K. van Oppenraajj, vol. 3, Leiden, New York, Köln 1992, here books xv–xix: Generation of animals, sect. 715b2. Aristotle: Guilelmi Moerbekensis translatio commentationis Aristotelicae, ed. by Leonhard Dittmeyer, Dillingen 1914, here chap. De generatione animalium, p. 8. Magnus, De animalibus, 1916, p. 359. Ibid., pp. 359 – 360, pp. 387 – 389. Ibid., pp. 951 – 952.

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bertus defined the animals in this book negatively, by their lack of blood.35 And he placed the bee here, not among the birds.36 But the life form appears to be residual, including not only invertebrates but also frogs and toads.37

Folk Life Form Taxa in the Vernacular Hortus Sanitatis Tradition As late as the end of the fifteenth century, “insect” was not used as a folk life form taxon. We can see this in the sections on animals and birds in the Hortus sanitatis, a Latin herbal first published in 1491, and its vernacular translations into French, German, and English. The textual history of this work is complicated. The Latin Hortus was published 1491 by Jakob Meydenbach, inspired by success of the Gart der Gesundheit (1485) compiled by Johann Wonnecke von Kaub (Cuba).38 The preface to the Hortus was “largely stole[n] from the Gart der Gesundheit.“ But the text of the Hortus goes back to an anonymous MS herbal (the Ur-hortus) c. 1450, itself largely based on Matthaeus Sylvaticus’s Pandectae (1317) and Vincent of Beauvais’s Speculum naturale.39 The original German Gart der Gesundheit did not initially contain a description of animals, birds, and fishes, but the 1508 – 09 edition published by Johann Prüß of Strasbourg did contain those sections, translated from the Latin Hortus. A French translation had appeared c. 1500, and Dutch and English versions were published in 1520 and 1527 respectively, both by the Antwerp publisher Jan van Doesborch.40 From a folkbiological perspective, even a glance at the Hortus and its vernacular versions reveals that the life forms of northern Europeans in the late fifteenth and early sixteenth centuries are still those of Isidore and the thirteenth-century encyclopedists. The principal life forms used to divide the animal 35 Ibid., p. 1578. 36 Ibid., p. 1580. 37 Ibid., pp. 1583, 1590., and see Kenneth F. Kitchell, Irven M. Resnick: Introduction. In Albertus Magnus, On Animals, vol. 1, p. xxxiii. 38 I consulted the incunable: Hortus sanitatis, Ortus sanitatis, Mainz 1491, Bodleian Library, Ms Douce 260, and Johannes von Cuba: Ortus Sanitatis De Herbis et Plantis. De Animalibus et Reptilibus. De Auibus et Volatilibus. De Piscibus et Natabilibus. De Lapidibus et in terre venis nascentibus. Urinis et earum speciebus. Straßburg 1517. 39 Luuk A. J. R. Houwen: The Noble Lyfe: An Early English Version of the Hortus Sanitatis. In: Alasdair A. MacDonald, Michael W. Twomey (eds.): Schooling and Society : The Ordering and Reordering of Knowledge in the Western Middle Ages. Leuven 2004, p. 63. 40 I consulted the following vernacular editions: Johannes von Cuba: Gart der gesuntheit, zu latin Ortus sanitatis. von allerley Thieren/Vögeln/Vischen oder Mörwundern/und Edlem gstein. Straßburg 1529; Johannes von Cuba: Le jardin de sante translate de latin en francoys. Paris 1539, and Lawrence Andrew: The noble lyfe and natures of man of bestes, serpentys, fowles and fisshes that be moste knowen. Antwerp 1527.

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kingdom are, in Latin, French, German, and English (I was not able to consult the Dutch translation): “1. Animalia/reptilia. Bestes. Thiere. Bestes/serpentys. 2. Aves/volatilia. Oiseaux. Vögel. Fowles. 3. Pisces/natatilia. Poissons. Vische. Fisshes.”41

These three life forms are the basis of the zoological section’s division into three “tractates,” one for each. The Latin Hortus uses word pairs for these life forms, the second part of which refers to a mode of locomotion, and by implication, the environment in which they live. It is worth noting that the Latin animalia does not designate in this instance a folkbiological kingdom, as it did in medieval translations of Aristotle’s Peri ton zoon historia and in Conrad Gessner’s Historia animalium (1551 – 58). Rather, it designates a life form equivalent to the French bÞte, English beast, and German Tier, and distinct from bird and fish. Tier has the same restricted sense. Turning to the text, however, the Hortus, in Latin and the vernaculars, we find the two further life forms used by Thomas of Cantimpr¦: 4. Serpens. Serpent. Schlang. Serpent.42 The English translation emphasizes this life form, placing it on the title page along with beasts, fowl, and fishes, but in the work’s division they are placed in the same tractate as the beasts. 5. Vermis. Ver. Wurm. Worm.43 In Old English this term extended to snakes (compare the German Wurm).44 The lexicalization of a new life form, serpent, in Middle English led to its use as a residual category for small legless (or seemingly legless) creatures. The English translation of the Hortus uses “worm” more consistently than the French or German translations, suggesting its greater salience as a life form for late medieval English speakers (though further research would be necessary to establish this point). Folkbiological theory suggests that perceptually marginal creatures that do not possess their own life form taxon, especially those with little salience to everyday life, will be relegated to a residual life form taxon, and possibly to be assigned indifferently or hesitatingly to multiple life form taxa. This is, in fact, what happens to small invertebrates in the vernacular Hortus translations. Here are a few examples from the approximately fifty terrestrial invertebrates discussed in the Hortus: 41 Cuba, Ortus sanitatis, 1529, sig. [I viii]r ; Cuba, Jardin de sante, 1539, sig. [a i]r ; Cuba, Gart der gesuntheit, 1529, t. p.; Andrew, The Noble lyfe, 1527, t.p.. 42 See Cuba, Ortus sanitatis, 1529, sig. K iiii v ; Cuba, Jardin de sante, 1539, sig. b[i]r; Cuba, Gart der gesuntheit, 1529, sig. b[i]r ; Andrew, The Noble lyfe, 1527, t.p.. 43 See Cuba, Ortus sanitatis,1529, sig. [K v]v ; Cuba, Jardin de sante, 1539, sig. b ii r ; Cuba, Gart der gesuntheit, 1529, sig. b ii v ; Andrew, The Noble lyfe, 1527, sig. C i v. 44 Anderson, Folk-taxonomies, 2003, p. 446.

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1. Insects are often placed in the life form of worms.45 “Bombex is a worme that spynnes silk.” “Bombex. Ein seiden wurm.” “Bombex est ung ver qui croist es branches des arbres.” “The Tode is a poyson worme.” The cicada is “a worme of the erth.” “Antees or pismers be very lytell wormes and they be very wyse.” “Cicendula is a flyenge worme.” “Papiliones be flyenge wormes.” 2. Insects are also referred to as beasts. “The haye sprynger is a beste wt .iiij. fete hauyn+ge a greate hede.” “Locusta ist ein vierfiessig thier/klein wie ein kefer.” “Locusta/ cest a dire en francois saulterelle est une beste qui a quatre piedz et est petite presque de la manie [sic] dung connin.” “Locusta est animal quadrupes parvum ad cuniculi fere modum.” (It is curious to note that the translators all kept the erroneous number of feet found in the Latin original.) “Scorpio is a beste semynge humble.” “Formi est une petite beste soliciteuse.” 3. Occasionally, the life forms are conflated: for example, “Cantarides be lytell bestes & wormes.” 4. Insects are rarely placed in the life form of birds. The bee is the best example of that. In the Latin, French, and German texts, which begin with a definition quoted from Aristotle, the bee is simply an animal. But in English, where the translator Lawrence Andrew has deviated from that text (not sure about Dutch), the bee is described as a “lytell byrde.” Most of the time, however, Andrew treats flying insects as “flying wormes.” In many cases the scholastic Latin animal is translated differently by vernaculars: the ant, an “animal parvum” in the Latin Hortus, becomes a worm in English but a beste in French, while the German renders it as Thierlin. I would like to emphasize that while in modern French, bestiole is often used as a synonym of insect, in the Hortus tradition Thierlin, litell beste, petite beste has a broader denotation: it includes, for example, not only insects and arachnids but also small four-footed creatures such as the mongoose (enidros).46 The varying translations for Latin animal provides strong evidence that the translators of the vernacular Hortus were not mechanically rendering Latin into the target language; rather, they were interpreting the word in terms of the life forms that structured their engagement with the animal kingdom.

45 The quotations come from the editions cited above. Because the books are not paginated or foliated, and because they are arranged alphabetically within each tractate, I will not give individual references to the signatures; my references may be easily found by referring to the proper tractate (beast, bird, or fish) and the animal’s name. 46 Cuba, Ortus sanitatis, 1529; Cuba, Jardin de sante, 1539; Cuba, Gart der gesuntheit, 1529; Andrew, The Noble lyfe, 1527, s. v. enidros.

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Further Evidence: Sixteenth-Century Latin-Vernacular Dictionaries The vernacular Hortus sanitatis tradition suggests strongly that “insect” was not established as a life form taxon in early sixteenth-century European vernaculars. Moreover, the life form taxon worm was not an equivalent: many small invertebrates were placed in the life form taxon beast, and some were occasionally placed in the taxon bird. However, the translations’ dependence on a Latin original, itself derived from thirteenth-century sources, might lead one to wonder how well the translations reflect vernacular usage in the early sixteenth century. We have already seen that Albertus Magnus used one life form taxon, anulosa, when following Aristotle’s zoological work, while setting it aside in his alphabetical list of animals. Other vernacular sources allow us to confirm what the Hortus tradition suggests. Bilingual Latin-vernacular dictionaries are among the most useful such sources. A new interest in Pliny’s Naturalis historia had reintroduced insectum to learned discourse, leaving dictionary writers with the task of providing a vernacular equivalent. When they did, they resorted to definitions that gave a life form taxon followed by several examples. In 1538, Sir Thomas Elyot defined Insecta as “all flyes and wormes, that be diuided in their bodies, the heed and breaste from the bealy and tayle, as bees, waspes, emotes, or pismeres, and suche lyke.”47 Five years later, in 1543, Robert Estienne glossed “Animalia insecta” as “generalement toutes bestes qui ont plusieurs coupures, comme entre la teste & la poitrine, ou entre la poitrine & le ventre, tenant l’ung a l’autre tant seulement par petis tuyaulx, comme sont mousches, mousches a miel, mouschens guespes, grillons, cantharides, & toutes semblables.”48 Petrus Dasypodius, too, in the 1540s, defined the Latin insecta (under the headword Entoma) as “Mucken/ immen/ würm/ etc. und der gleichen thier/ den das haupt oder anders vom ubringen leib zerteilt ist.”49 A similar description is found in the 1541 dictionary by the Swiss writers Petrus Cholinus and Joannes Frisius, who defined “Animalia insecta. Allerley thier so by nach alls abgeschnitten/ oder durchschnitten zind zwäschend dem haupt unnd brust/ oder zwäschend der brust und bauch so nun an eim [sic] kleinen an einanderen hangend/ als fliegen/ bynle/ wäspe/

47 Thomas Elyot: The dictionary of syr Thomas Eliot knyght. London 1538, s. v. 48 Robert Estienne: Dictionarium Latinogallicum, Thesauro nostro ita ex adverso respondens, ut extra pauca quaedam aut obsoleta, aut minus in usu necessaria vocabula, & quas consulto praetermisimus, authorum appellationes, in hoc eadem sint omnia, eodem ordine, sermone patrio explicata. Paris 1543, s. v. 49 Petrus Dasypodius: Dictionarium latinogermanicum et vice versa Germanicolatinum, ex optimis Latinae linguae scriptoribus concinnatum. Straßburg 1547, s. v.

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käfer/ gügen/ etc.” In case this wasn’t clear, they added a final word: “Ungezyfer.”50 In all these definitions, we see the common pattern: a life form taxon (worm, beste, Tier) followed by the restriction that the creatures are divided (derived from the etymology of insectum) and then several examples: bees, wasps, ants, crickets, beetles, and so forth. Meanwhile, insect did not appear in German lexica. Josua Maaler’s 1561 German-Latin dictionary omits “insect,” jumping from Innßbrugk to Insel to Instruction. Under “Thierlin” we find the Latin definition “bestiola,” but the precision “catuli” for “yetlich jung Thierlin” indicates that it refers to any small creature. “Ungeziffer” is defined as Insecta, insectorum.51 Yet in contemporary usage, Ungeziffer meant any kind of vermin. Indeed, the trilingual dictionary of Richard Huloet, published in 1572, blurred the line between vermin and insects too, defining “Vermyn. Vermes, mium. m. ge. vel potius Insecta animalia. Vermine.”52

Vernacular Folk Genera Evidently, there was no folk life form taxon insect in late medieval and early sixteenth-century French, German, or English. Of course, this does not mean that insects went unnoticed. Folkbiological theory suggests that in the absence of a clearly defined life form for insect, there should be a relative abundance of specific folk genera: the absence of a general category suggests intimate knowledge of specific instances.53 We can observe this phenomenon in late medieval vernaculars. Depending on the edition, German, English, and French translations of the Hortus name and describe a wide range of invertebrate animals: approximately fifty, depending on the edition, ranging from the spider, caterpillar, ant, cricket, locust, grasshopper, and silkworm to pests like intestinal worms, fleas, lice, and moths; and (because the tradition draws from learned encyclopedias) some less well defined creatures like the spoliator colubri, a “worme” that attacks snakes.54 These latter aside, the folk genera in the Hortus tradition can be ordered into three large groups:

50 Petrus Cholinus, Joannes Frisius: Dictionarium latinogermanum. Zürich 1541, s. v. 51 Josua Maaler : Die Teütsch spraach: Dictionarium Germanicolatinum novum. Hildesheim, New York 1971. 52 Richard Huloet: Huloets dictionarie newelye corrected, amended, set in order and enlarged. Also the Frenche therevnto annexed. London 1572. 53 Brown, Folk Zoological Life-forms, 1979; Brown, Folk Zoological Life-forms and Linguistic Marking, 1982. 54 Andrew, The Noble lyfe, 1527, sig. i ii r.

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1. Those that, for good or ill, affect human life: for example, bees, wasps, fleas, lice, clothes moths, locusts, and caterpillars. 2. Those that are frequently found around or near human habitations, such as spiders, ants, flies, gnats. 3. Those that are particularly salient due to size, coloration, or behavior : above all, butterflies, hawk moths, and large or brightly colored beetles, including the stag beetle. The Oxford English Dictionary includes more than fifty folk genera or species of insects attested before 1500, roughly the same number mentioned in the vernacular Hortus.55 Leaving aside those like “buprestis” and “gagrill” that come from the learned tradition, they again fall into the same three categories: wasps, silkworms, bees, caterpillars, midges, flesh-flies, and other harmful or beneficial insects; spiders (or “attercops”), ants, flies, gnats, and other domestic insects; and butterflies, beetles, glow-worms, and other striking or attention-getting insects. Other European vernaculars had similar numbers of folk genera by the sixteenth century. Helmut Carl’s list of names found in Old High German includes Ameise, Biene, Falter, Fliege, Floh, Grille, Heimchen, Hornisse, Hummel, Imme, Käfer, Laus, Made, Milbe, Motte, Mücke, Raupe, Schabe, Schnake, Skorpion, Spinne, and Wespe.56 He added a handful of further folk genera added to the German vocabulary in the fifteenth and sixteenth centuries: Kakerlak, Maikäfer, and Schmetterling. The list is far from complete; as Carl noted, no history had been written of German animal names (nor, to my knowledge, has one been written since).57 Once more, we see the same pattern: useful insects (the bee), insect pests (the hornet, the wasp, the louse), insects found in or around human dwellings (the ant, the spider, the cricket), and insects that are particularly salient or beautiful (the butterfly, the beetle) are those that have folk generic names in the medieval vernacular. Folk species, meanwhile, could have a dizzying variety of local names. The seven-spot ladybird (Coccinella septempunctata L.), known throughout medi55 Oxford English Dictionary Online, : search for entries attested up to 1550 that contain the word “insect” or “insects,” and scanned to include only words used in the sense of a folk genus or species up to 1550, with a few additions: adderbolt, ant, attercop, bee, beetle, blackfly, bombyx, bruchus, buprestis, butterfly, cantharides, caterpillar, chafer, cicada, corn-worm, crab-louse, cricket, dogfly, dor/dorr, drone, earwig, flea, flesh-fly, fly, gagrill, glow-worm, gnat, grasshopper, grub, handworm, hornet, horse-fly, locust, louse, maggot, midge, mite, moth, pismire, punaise, redworm, scarab, scorpion, sheep-tick, silkworm, spider, stone-fly, teredo, tick, tinea, wasp, and weevil. Some of these terms, e. g. bombyx and silkworm, are synonyms. 56 Helmut Carl: Die deutschen Pflanzen- und Tiernamen: Deutung und sprachliche Ordnung. Heidelberg 1957, pp. 197 – 203. 57 Carl, Deutsche Pflanzen- und Tiernamen, 1957, p. 187.

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eval Europe, was variously known in the Germanic linguistic region as gotteskäfer (High German: “God’s beetle”), liebgottrösslein (Tirolean: “Dear God’s little horse”), lieveheersbeestje (Dutch: “Dear God’s little beast”), marienwurm (Low German: “Mary’s worm”), lady-cow (English, from Our Lady), and muttergotteskäfer (High German and Alemannic: “mother of God’s beetle). These are only a handful of the well over sixty names for this one species that historical linguists have collected.58 The cultural salience of this colorful, sometimes nearly ubiquitous beetle has no doubt contributed to the range of its vernacular names, but folk experts in late medieval Europe could identify many other folk species of insects. But they did not think of them as members of a common life form, as insects. How did that come about?

The Latin Tradition and Insect as a Late Renaissance Life Form In the early twentieth century, the American botanist Edward Lee Greene observed that the naming patterns used in Renaissance botanical treatises were paralleled by folk taxonomies.59 Rather than being precursors to the Linnaean binomial of genus and species, Renaissance botanist’s Latin names invoked a general type (i. e., a folk genus) with a qualifying description, sometimes one word but often a descriptive phrase, that specified the folk species. In a penetrating study of “the cognitive foundations of natural history,” Scott Atran has shown that scientific classifications—classifications that required rejecting folkbiological perceptions of similarity—emerged in the late seventeenth century. Earlier taxonomies were still folk taxonomies. However, Renaissance classifications were a peculiar form of folk taxonomy.60 Most folk taxonomies are produced by cultures that are limited in time and space and that rely on oral transmission. The folk taxonomies of Renaissance naturalists were characterized, on the other hand, by two distinctive characteristics. First, they engaged with a long, polyglot tradition, going back to the “three languages” of Hebrew, Greek, and Latin, and drawing on such diverse sources as Jewish scriptures, Greek natural philosophy, Roman encyclopedias, and a wide range of literary texts.61 Second, they confronted a large range of rare and per58 Ellen Mooijman: Het lieveheersbeestje in de Germaanse talen: Een bijdrage tot het onderzoek naar benoemingsmotieven van Coccinella septempunctata. In: Taal en tongval 39 (1987), pp. 23 – 25. 59 Greene, Landmarks of Botanical History, 1983. 60 Atran, Cognitive Foundations of Natural History, 1990, pp. 135 – 138. 61 F. David Hoeniger : How plants and Animals Were Studied in the Mid-sixteenth Century. In: John W. Shirley, F. David Hoeniger id. (eds.): Science and the Arts in the Renaissance. Washington D.C, London, Toronto 1985.

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ceptually marginal invertebrates, driven by the culture of collecting and curiosity that characterized the period from c. 1550 onwards. As with botany, this confrontation involved bringing local folk knowledge into contact with folk knowledge from other places—“universalizing” it, in a certain sense. The quest for novelty also encouraged naturalists to pay attention to fine distinctions between species, multiplying their number at a dizzying rate.62 Both of these characteristics played a role in reintroducing and establishing the category of “insect” as a basic life form. The sustained engagement with the ancient tradition in natural history that began in fifteenth-century Europe revived the Aristotelian-Plinian notion of the “insect” as a basic life form. Aristotle had defined 5mtola in terms of their incised bodies; Pliny referred to this group as “animals of immense subtlety…which are all justly referred to as insects from their incisions.”63 This Latin usage became increasingly familiar over the course of the sixteenth century. Elyot’s and Estienne’s dictionaries presumed that readers would want to know what “animalia insecta” were, even as each writer defined them in terms of the familiar life forms of worms and beasts, respectively. And vernacular writers were incorporating the Latin insectum in their texts. In his Greene Forest, or a naturall Historie of 1567, John Maplet referred to “those small and siely Wormes be, who haue imperfection in their Nature as Waspes, Bees, Emites and such like, which by Latin worde are called Insecta.”64 A decade later, the chronicler Raphael Holinshed offered a translation of the Latin, referring to “The cut wasted, for so I Englishe the worde Insecta are the Hornettes, Waspes, B¦es, and such lyke whereof w¦e haue great store,” but he distinguished them from flies and places them under the general category of “beasts or wormes.”65 Elyot, Maplet, and Holinshed, though, assimilated the Insecta to existing life forms: beasts or worms, as did a 1595 English edition of the Problems of Aris-

62 Andr¦ Cailleux: Progression du nombre d’espÀces de plantes d¦crites de 1500 — nos jours. In: Revue d’Histoire des Sciences 6 (1953) pp. 42 – 49. 63 Pliny, Naturalis historia 11.1: “immensae subtilitatis animalia…iure omnia insecta appellata ab incisuris”; cf. Pliny the Elder : The historie of the world: Commonly called the natural historie of C. Plinius Secundus, trans. by Philemon Holland. London 1601, p. 310. 64 John Maplet: A greene forest, or A naturall historie vvherein may bee seene first the most sufferaigne vertues in all the whole kinde of stones & mettals: next of plants, as of herbes, trees, [and] shrubs, lastly of brute beastes, foules, fishes, creeping wormes [and] serpents, and that alphabetically : so that a table shall not neede. London 1569, f. 28v. 65 Raphael Holinshed: The first [and laste] volume of the chronicles of England, Scotlande, and Irelande London 1577), f. 111r. In the 1587 edition Holinshed (or the continuator : Holinshed died in 1580) clarified that he was referring to the “cut or girt wasted”: Raphael Holinshed: The first and second volumes of Chronicles comprising, 1 The description and historie of England, 2 The description and historie of Ireland, 3 The description and historie of Scotland. London 1587, pp. 227 – 228.

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totle, which refers to “those beasts which are called Insecta.”66 “Insect” became an English word first in the 1580s. The earliest citation in the Oxford English Dictionary dates from 1589, in George Puttenham’s Arte of English Poesie: “So also is the Ante or pismire, and they be but little creeping things, not perfect beasts, but insects, or wormes.”67 I have turned up an earlier use of the word, in an anti-Catholic polemic by William Charke published in 1586, in which the word locust is explained as being either a plant or “the insect or flying vermine.”68 In both cases the authors are at pains to gloss the term by placing in apposition a more familiar one: “worm” or “vermin.” By the time Philemon Holland rendered Pliny in English in 1601, he felt he could use the word “insects” without any gloss.69 Yet the word took a while to establish as a life-form. Sir William Cornwallis, in an essay published in the same year as Holland’s Pliny translation, stuck with the Latin, referring to the ant as “a seely creature, made by Nature without candle-light, imperfect, among those whom the Philosophers call Insecta Animalia.”70 This double character of the word “insect,” referring both to a new folktaxonomic life form and to a scientific taxon, would remain with it to the present. “Insect” was slowly becoming a life form taxon in other European languages as well, though it continued to compete with other life forms. Aldrovandi noted that the Italians said “insetti,” preserving the Latin, but the word had not yet established itself elsewhere: the Germans, for instance, said “Ungeziffer,” and the Spanish “cennidos,” while there were no fewer than four words used in Bohemia (though Aldrovandi confessed that he was using a dictionary).71 The slow spread of “insect” can be seen in book title pages and even in their typography. Moffett’s Theatrum, finally published in 1634, glossed “insecta” as “minima animalia.”72 Even later in the 17th century Jan Swammerdam’s Historia generalis insectorum used the Dutch “bloedelose Dierkens” to translate “insectum.”73 By the 18th century the term was firmly established: for example, in R¦aumur’s M¦moires pour servir — l’histoire des insectes.74 And though some 66 The problemes of Aristotle with other philosophers and phisitions: Wherein are contayned diuers questions, with their answers, touching the estate of mans bodie. Edinburgh 1595, sig. I3r. 67 Art. Insect. In: Oxford English Dictionary Online, , [8 May 2013]. 68 Charke, Treatise against the defense of the censure, 1586, p. 89. 69 Pliny the Elder, Historie of the world, 1601, p. 310. 70 William Cornwallis: Of Fame. In: id.: Essayes, 1600 – 01, essay 25, sig. [N5]v–[N6]r. 71 Aldrovandi, De animalibus insectis, 1602, p. 3. 72 Moffett’s book was titled Insectorum sive minimorum animalium theatrum. 73 Jan Swammerdam: Historia insectorum generalis, ofte Algemeene Verhandeling van de Bloedeloose Dierkens. Utrecht 1669. 74 Ren¦-Antoine Ferchauld de R¦aumur: M¦moires pour servir — l’histoire des insectes. Paris 1734.

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German publications continued to set “Insect” in Roman type, underscoring its foreign origins, by the 1740s it appeared in black letter in the title and text of August Johann Rösel von Rosenhof ’s Monatlich herausgegebene Insecten-Belustigung.75 Insects had arrived for good.

Curiosity and New Folk Genera in the Written Tradition If a closer engagement with the ancient Greek and Latin tradition was responsible for introducing Insect as a life form to late Renaissance Europe, that engagement took its motivation from the culture of collecting and curiosity that emerged in the second half of the sixteenth century.76 Insects were of increasing interest to artists, naturalists, and collectors.77 Though the first major publications devoted entirely to insects, Aldrovandi’s De animalibus insectis libri septem (1602) and Thomas Moffett’s Theatrum insectorum sive minimorum animalium (1634), appeared in the seventeenth century, they were the result of investigations conducted in the second half of the previous century : Aldrovandi was in his eightieth year when his book was published, while Moffett assembled and edited notes that had been written by Edward Wotton, Conrad Gessner, and Thomas Penny.78 These sixteenth-century naturalists would be succeeded by many others in 75 August Johann Rösel von Rosenhof: Der monatlich herausgegebenen Insecten-Belustigung erster[-vierter] Theil. Nürnberg 1746; cf. Johann Leonhard Frisch: Beschreibung von allerley Insecten in Teutschland, nebst nützlichen Anmerckungen und nöthigen Abbildungen von diesem kriechenden und fliegenden inländischen Gewürme, zur Bestätigung und Fortsetzung der gründlichen Entdeckung, so einige von der Natur dieser Creaturen heraus gegeben, und zur Ergänzung und Verbesserung der andern. Berlin 1720, which sets “insecten” in Roman type, whereas the 1766 reprint of the first part uses black letter. 76 Among the burgeoning literature on curiosity, curiosities, and collecting, I have found the following works most useful: Krzysztof Pomian: Collectionneurs, Amateurs et Curieux: Paris, Venise, XVIe – XVIIIe siÀcle. Paris 1987; Antoine Schnapper: Le g¦ant, la licorne et la tulipe: Collections et collectionneurs dans la France du XVIIe siÀcle. Paris 1988; Joy Kenseth (ed.): The Age of the Marvelous. Hanover 1991; Giuseppe Olmi: L’inventario del mondo: Catalogazione della natura e luoghi del sapere nella prima et— moderna. Bologna 1992; Paula Findlen: Possessing Nature: Museums, Collecting, and Scientific Culture in Early Modern Italy. Berkeley, Los Angeles 1994; Lorraine Daston: Curiosity in Early Modern Science. In: Word & Image 11 (1995), pp. 391 – 404; Barbara M. Benedict: Curiosity : A Cultural History of Early Modern Inquiry. Chicago, London 2001; R. J. W. Evans, Alexander Marr (eds.): Curiosity and Wonder from the Renaissance to the Enlightenment. Burlington, VT 2005. 77 Thea Vignau-Wilberg: In minimis maxima conspicua. Insektendarstellungen um 1600 und die Anfänge der Entomologie. In: Karl A. E. Enenkel, Paul J. Smith (eds.): Early Modern Zoology : The Construction of Animals in Science, Literature and the Visual Arts. Vol. 1. Leiden, Boston 2007, pp. 217 – 243. 78 On Moffett’s book, see Charles E. Raven: English Naturalists from Neckam to Ray : A Study of the Making of the Modern World. Cambridge 1947.

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the seventeenth century, especially after 1650.79 But naturalists were not alone; they participated in a broader movement of curiosity about insects, expressed in both the visual arts and in collections of curiosities. In a quantitative study of insects in western art, the entomologist Marcel Dicke noted a peak of interest in the late sixteenth and seventeenth centuries in the Netherlands, when still life paintings might contain dozens, or even over 100, different insects.80 Southern European floral still lives of the period, and later still lives, have far fewer insects than these northern productions; the interest in insects was not equally shared across Europe. Nonetheless, the evidence is clear that many artists—not only those like Joris Hoefnagel, Jan Goedaert, and Maria Sibylla Merian, who specialized in the study of insects—took a close interest in them. As naturalists exchanged information and specimens with collectors, and as they studied the works of artists or commissioned them to make illustrations, they brought vernacular knowledge into their natural histories. The dragonfly (French libelle, German Libelle, Italian perla) is an example. Though it is a wellknown folk genus, it is not found in ancient natural history groups, as Ulisse Aldrovandi observed with puzzlement: “Perlarum multa sunt genera, ut mirum plane sit veteres non meminisse tam frequentium, & vulgo notissimorum animantium.”81 Dragonflies were clearly known in the ancient world; some Minoan ring engravings and at least one painting show stylized dragonflies.82 Yet they did not make their way into ancient natural history books. Nor are they found in medieval natural histories. Therefore, Aldrovandi Latinized a common Italian name to give the folk genus a place in his history. Moffett included the creature among the flies, but in notes that might come from Wotton or, more likely, Penny, he gave names that clearly indicate that the creature was a folk genus in sixteenth-century England: “In English they are called Adders’ Boults, Dragon-flies, and Water butterflies; because they are seldome seen on land, but alwaies about waters, as rivers, or fens.”83 Aldrovandi, in a passage reprised by Moffett, gives the northern Italian name of cevettoni and the Dutch name rombouct, also clues that dragonflies constituted a folk genus. The dragonfly is an exception. Aldrovandi and Moffett were able to find classical antecedents for most of their insects. But their reporting of vernacular names indicates that sixteenth-century European folk were well aware of these creatures. The woodlouse (a terrestrial crustacean of the suborder Oniscidea, 79 80 81 82

See the texts in Bodenheimer, Entomologie, 1928. Dicke, Insects in Western Art, 2000 pp. 231 – 232. Aldrovandi, De animalibus insectis, 1602, p. 302. Nanno Marinatos: The Character of Minoan Epiphanies. In: Illinois Classical Studies 29 (2004), pp. 36 – 38. 83 Edward Topsell: The history of four-footed beasts and serpents.; whereunto is now added, The theater of insects, or, Lesser living creatures.by T. Muffet. London 1658, p. 939.

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considered an insect by early modern naturalists) was called sow and Tylers lowse (tailor’s louse) by the English; Esel, Eselgen, and Holzwentle by the Germans, and cloporte by the French, Moffett reports, giving additional names in Greek, Italian, Spanish, Arabic, and Flemish.84 Other insects show the same pattern: the learned tradition of the Renaissance was absorbing folk knowledge of insects and transforming it into learned Latin encyclopedias. While it is beyond my scope to give a thorough analysis of folk species in early modern languages, the evidence suggests that late medieval and Renaissance Europeans were generally content to refer to insects with the name of their folk genus: dragonfly, butterfly, beetle, and the like; only in particular instances, such as the ladybird or cockchafer, did they descend to the taxonomic level of folk species. Aldrovandi, for instance, enumerated 117 different butterflies and moths, some of them males and females of the same dimorphic species, but most of them separate species.85 But he did not name them. It is likely that they did not yet have vernacular names. The English common name “Admiral,” for a particularly striking butterfly, is attested first in 1699.86 In his Monatlich herausgebebene Insecten-Belustigung, published from 1740 to the late 1750s, August Johann Rösel von Rosenhof gave vernacular names to butterflies and other insects that were simply descriptions, beginning his work with “the big, social thorn caterpillar with gold-red spots.”87 Though the research remains to be done, I suspect that most vernacular names for folk insect species were developed by collectors, beginning in the seventeenth century, in parallel with the development of scientific taxonomy.

Conclusion The history of insects, and of the very idea of “insects,” in the European Middle Ages and Renaissance, reveals that vernacular and classical knowledge cannot be easily disentangled in certain domains. Medieval encyclopedists, from Isidore to Albertus Magnus, and the vernacular writers who imitated or adapted their works, from Konrad von Megenberg to the translators of the vernacular Hortus sanitatis, incorporated classical accounts of invertebrate animals into the folktaxonomy of their culture, a folktaxonomy that had no place for the recondite scientific taxon of “insect.” Even Albertus Magnus, whose taxon of anulosa drew on Aristotle’s 5mtola, abandoned it in his alphabetical list of animals. Medieval 84 Moffett, Insectorum theatrum, 1634, p. 202. 85 Aldrovandi, De animalibus insectis, 1602, pp. 236 – 53. 86 Art. Admiral. In: Oxford English Dictionary Online, , [8 May 2013]. 87 Rösel von Rosenhof, Insecten-Belustigung 1, 1746, p. 1.

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Europeans, be they scholars or plowmen, did not single out “insects” as a natural division of the animal world. Their late Renaissance successors did. A revival of interest in Pliny’s Naturalis historia and in new translations of Aristotle’s books on animals reintroduced 5mtola/insecta to scholars and humanistically educated laymen. At first treated as a foreign scientific term that needed to be glossed in terms of more familiar life forms, by the seventeenth century “insect” had been naturalized in many European vernaculars as a life form taxon. The culture of collecting and curiosity that characterized elite Europeans from the middle of the sixteenth century contributed vitally to “insect” becoming a folktaxonomic category, not simply a scientific taxon. Europeans’ interest in perceptually marginal arthropods in the late Renaissance and afterwards thus had striking effects on vernacular and scientific language. Classical Latin provided a new life form term, “insect,” which was established in European vernaculars, competing with and largely displacing earlier life forms of “beast,” “worm,” and sometimes “bird” in the case of terrestrial arthropods. At the same time, new folk genera, like the dragonfly, entered learned discourse. And, I have suggested, new folk species were identified by experts who were, at the same time, laying the foundation for a scientific taxonomy of the insect world. However, their terminology was not yet scientific in a strict sense. Rather, it retained the basic emphasis of folktaxonomies on the overall gestalt of organisms. Aldrovandi had mentioned Aristotle’s major divisions of bloodless animals, but a careful examination of the distinctions between them and the extent of their diversity would await Lamarck and Cuvier in the late 18th and early 19th centuries.88 For Jan Swammerdam in the seventeenth century, and August Johann Rösel von Rosenhof in the eighteenth, the life form “insect” included not only other arthropods, such as the spider and the crayfish, but also snails, slugs, and hydras. Even within the more limited taxon of arthropods, many modern orders date from Linnaeus and his student Fabricius in the second half of the eighteenth century (Odonata, for example). Scott Atran dates the origins of modern scientific taxonomy to the turn from the seventeenth to the eighteenth century, but he focused on botany ; in entomology, the shift occurred substantially later.89 If folkbiology helps us understand significant features of medieval and early modern classifications of insects, the medieval and early modern history of 88 On Linnaeus’s classification of insects, see Mary P. Winsor : The Development of Linnaean Insect Classification. In: Taxon 25 (1976), pp. 57 – 67; on Lamarck and Cuvier, see Richard W. Burkhardt, Jr: The Spirit of System: Lamarck and Evolutionary Biology. Cambridge, MA 1977, pp. 115 – 123. 89 Cf. Atran, Origin of the Species and Genus Concepts, 1987.

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“insect” also calls into question some anthropological truisms about how folktaxonomies develop. Folkbiological research has suggested that life-form taxa multiply as societies become more complex. Cecil Brown has concluded that a positive correlation “holds between the number of named zoological life-forms in languages and the societal complexity of peoples who speak them.” This is “a consequence of the decay of folk biological taxonomies ‘from the bottom up’ (from more specific classes to less specific classes) among peoples whose relationship with the world of plants and animals becomes attenuated as societies become more complex.”90 In other words, the fewer folk genera with which a typical person is familiar, the more often he or she will use a life form taxon to refer indiscriminately to a living creature. This conclusion seems obviously true in the case of twentieth-century urbanized cultures, where the average person may have little contact with animals or plants on a regular basis, outside of domestic pets and a narrow range of plants and wild animals. Douglas Medin and Scott Atran have suggested that North American college students, who tend to have little knowledge of nature, are poor research subjects for uncovering folktaxonomic patterns.91 However, it is far from evident that sixteenth- and seventeenth-century western Europeans were as unfamiliar with the natural world as twentieth-century urbanites. Seventeenth- and eighteenth-century Londoners, for example, had regular contact with the countryside and its flora and fauna.92 If we accept my argument that “insect” is not a scientific term for late Renaissance naturalists but, rather, a new folk taxon, we must seek an explanation for its occurrence not in decreased familiarity with the world of animals but, rather, increased familiarity with perceptually marginal creatures that, from ancient times to the middle of the sixteenth century, were largely ignored except when they were useful, harmful, annoying, or beautiful. In the case of insects, folktaxonomy and scientific inquiry proceeded hand in hand, each enriching the other as they produced a new way of dividing the natural world that, to their twenty-first-century heirs, seems entirely natural. The ambiguous meaning of “insect” – to scientists, a hexapod with head, thorax, and abdomen; to laypeople, any small creature with more than four legs – is itself a consequence of that process.

90 Brown, Folk Zoological Life-forms, 1979, p. 792. 91 Atran, Medin, Native Mind, 2008, pp. 36 – 39, 52, 89. 92 Owen Davies: Urbanization and the Decline of Witchcraft. In: Journal of Social History 30 (1997), pp. 599 f, 606.

Fabian Krämer

Why There Was No Centaur in Eighteenth-Century London. The Vulgar As a Cognitive Category in Enlightenment Europe

A curious rumour1 circulated in eighteenth-century Europe that a live centaur had been sighted in London. This essay analyses the circumstances under which this rumour came into being and uses it as a starting point for an enquiry into a more general problem: Why did eighteenth-century naturalists2 invest so much energy criticising the belief in the existence of creatures such as the centaur and similar staples of the naturalist discourse of the Renaissance? While it might seem obvious that enlightened naturalists would be critical of such fictional creatures because they valued direct observation over the experience of reading, the sources reveal a more complex picture. The strong incredulity of eighteenth-century naturalists regarding “fabulous” creatures cannot be fully explained by the rise of scientific observation. The changes that occurred to scholarly reading practices over the course of the late seventeenth and eighteenth centuries were in fact no less significant or consequential than those that occurred to scientific observation. I want to argue that these developments alone do not entirely account for the ways in which discussions of phenomena such as the centaur took shape. In order to understand more fully why eighteenth-century intellectuals argued so forcefully against the existence of certain creatures in the past or present, it is necessary to take cultural factors into consideration, in particular the role that was played in this context by the concept of the vulgar. Not only new ways of investigating emerged at the time; rather, naturalists developed a new mode of 1 I am grateful to the organisers and participants of the workshop for their many insightful comments and suggestions. Pamela H. Smith in particular was very generous with her time. Her suggestions helped me reframe some of the key insights of this paper. I would also like to thank the Italian Academy for Advanced Studies in America at Columbia University, where I did most of the work on this article, the participants of the seminar at the Italian Academy, where I presented a revised version of my original paper, for their numerous helpful comments, and Christopher Reid for his professional proofreading of the final version. 2 I use the term naturalist to circumvent the anachronistic term scientist. I use it for scholars who engaged in a systematic study of nature. But of course many of them also dealt with scholarly matters that today fall outside the boundaries of the natural sciences.

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being. Whole subject areas were devaluated in part because they did not seem appropriate for the kind of disciplined “elite” person a naturalist was now expected to be. The ways in which learned naturalists came to relate their own, disciplined ways of seeing and reading both to that of the vulgus – the common man – and to that of earlier generations of scholars thus changed dramatically at the time. Their vehement criticism of incessant “idle” curiosity and the credulity (or naivet¦) of allegedly unenlightened thinkers was informed by their notion of the vulgar as a cognitive category.

Introduction: A Lecture at the University of Göttingen, Summer Term, 1751 In a series of lectures on forensic medicine that the Swiss physiologist and polymath Albrecht von Haller (1708 – 1777) gave at the University of Göttingen in the summer term of 1751, he pointedly called a large number of formerly canonical components of the early modern discourse on monsters, that is, unusually built humans or animals, into question. He expressed doubt, for instance, about the so-called “perfect” human hermaphrodite, a figure he defined as an individual that was equipped with the reproductive organs of both sexes and able to reproduce as a man and as a woman.3 Even more dismissive was his assessment of accounts of monsters whose bodies were said to have both human and animal parts, and whom earlier authors had often attributed to inter-species sexual congress.4 Haller was not alone in his scepticism. “Perfect” hermaphrodites, humananimal hybrids and many other creatures that are frequently encountered in Renaissance writings on natural history and especially on rare and preternatural occurrences in nature were either no longer “part of the true” (“dans le vrai”), to use Georges Canguilhem’s insightful concept,5 or on the verge of being disqualified from it. This does not mean, however, that they disappeared from naturalist discourse by mid-century. 3 Albrecht von Haller : Albrechts von Haller weil. Herrn zu Goumoens le Jux und Eclagnens Ritter des Nordsternordens Präsidenten der Königl. Ges. der Wissenschaften in Göttingen und der ökonom. Ges. zu Bern; der Kaiserlichen, Edimburgischen, Bremischen, Schwebischen, Arcadischen, Bayerischen, Crainischen, Upsalischen Akademien und Gesellschaften der Wissenschaften Mitgliedes des großen Rathes der Republik Bern. Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft. Aus einer nachgelassenen lateinischen Handschrift übersetzt. Vol. 1 (Bern: bey der neuen typographischen Gesellschaft, 1782), pp. 205 – 209. 4 Ibid., pp. 190 – 193. 5 On the difference between Þtre vrai and Þtre dans le vrai in Canguilhem see Caspar GrondGinsbach: Georges Canguilhem als Medizinhistoriker. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 19 (1996), pp. 235 – 244, at p. 240.

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In one of his lectures on forensic medicine, Albrecht von Haller mentions a rumour about a recent sighting of a live centaur : “In the forties of our present century it was also rumoured that an actual centaur could be seen in London. However, this legend was never verified.”6 That Haller should be critical of a rumour of this sort is not particularly surprising to a modern reader. Almost like no other person, he seems to embody the virtues of the enlightened eighteenthcentury naturalist. We know that he was an ardent and diligent observer, and that he firmly believed that physiological knowledge (physiology arguably being his main field of study) should be based primarily on anatomical knowledge and on physiological experiments.7 How, then, could the Swiss physiologist possibly not be opposed to the very idea that centaurs existed? Still, the question arises as to why Haller even mentions the centaur at all. Both the centaur rumour as such and its presence in Haller’s lecture merit an explanation. So-called monsters had not disappeared from the discourse of European naturalists by the eighteenth century. They evoked great interest from a physiological point of view and, time and again, became the focal point of intense physiological debates. Monstrous births were of interest first and foremost to physiologists because their examination appeared to provide key evidence for one side or the other in the debate on preformationism and epigenesis. If it could be shown that a “monstrous” conformation found in a new-born baby was not attributable to a pre-existing anlage, but rather brought about by an accidental cause during pregnancy, this seemed to provide further evidence to support the epigenetic view of generatio, and vice versa. One of the main reasons why monsters were so heatedly discussed in the eighteenth century was because of the epistemic promise that they seemed to hold.8 6 “Es lief in den vierziger Jahren des Jahrhunderts, worinn wir leben, auch das Gerücht, man habe in London einen wahren Centauren lebendig sehen können, allein diese Sage hat sich niemals bestätigt.” Haller, Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft, 1782, p. 191. Unless otherwise indicated, all translations are mine. 7 Hubert Steinke: Anatomie und Physiologie. In: Albrecht von Haller : Leben – Werk – Epoche, ed. by Hubert Steinke, Urs Boschung, Wolfgang Pross. Göttingen 2008, pp. 226 – 254, here, pp. 237 – 241. Cf. also Ilse Jahn (ed.): Geschichte der Biologie: Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiographien. Jena 1998, p. 256 f and passim. 8 See Javier Moscoso: Monsters as Evidence: The Uses of the Abnormal Body During the Early 18th Century. In: Journal of the History of Biology 31 (1998), pp. 355 – 382; Michael Hagner: Enlightened Monsters. In: William Clark, Jan Golinski, Simon Schaffer (eds.): The Sciences in Enlightened Europe. Chicago, London 1999, pp. 175 – 217., and Michael Hagner: Vom Naturalienkabinett zur Embryologie. In: Michael Hagner (ed.): Der falsche Körper: Beiträge zu einer Geschichte der Monstrositäten. Göttingen 1995, pp. 73 – 107., amongst others. Even the Royal Society in spite of an older research position was still very much invested in the study of monsters in the eighteenth century. See See Palmira Fontes Da Costa: The Singular and the Making of Knowledge at the Royal Society of London in the Eighteenth Century. Newcastle 2009, esp. p. 10.

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However, some aspects of the learned discourse on monsters that had been passed down to eighteenth-century naturalists were clearly discussed for quite different reasons. The very existence of a large number of monsters was called into question as part of a larger process of redefining the boundaries of legitimate naturalist knowledge and legitimate ways of knowing. Those who insisted on believing in their existence came to be considered vulgar and unenlightened. In the following, I will first describe the circumstances under which the centaur rumour mentioned by Albrecht von Haller emerged. In order to do this, it will be necessary to reconstruct the cultural milieu from which the rumour originated. Second, I will use this rumour as the starting point for investigating the respective roles that observation and reading played in the disappearance of creatures such as the centaur from “the true”. Both the practices of observation and reading changed dramatically over the course of the late seventeenth and eighteenth centuries. The transformation of scholarly reading was in fact no less significant and consequential for the epistemic status of scientific objects such as the centaur than the rise of scientific observation regarding nature. However, these two factors by themselves still cannot fully account for the development under discussion here. Some important factors need to be considered that pertain to the scholarly culture of the period. In order to fully understand why eighteenth-century intellectuals argued so forcefully against the belief in certain creatures or objects that were frequently depicted and described in Renaissance natural history and medicine, it is necessary to note a dramatic change that occurred in how they related their world and the contemporary world of learning not only to the world of the vulgus, the common man, but also to that of earlier generations of scholars. Under certain circumstances, earlier “scientific” knowledge now became popular and even vulgar knowledge, and as such, it was the very type of knowledge that learned authors would use as a basis for defining their own scholarly body of knowledge. While these authors conceived of their own knowledge as being founded on disciplined practices of observation and reading, the knowledge they opposed appeared to not live up to these standards and to be vulgar. A key role in this was played by a prevalent notion of the “elite” person who distanced himself from all things commercial. This development was not confined to the discourse on monsters. It similarly affected other fields of knowledge that were once important fixtures of learned European culture such as astrology and alchemy.9 The history of the rumour about the centaur in London is particularly apt as a means for addressing these larger issues.

9 I am grateful to Pamela H. Smith for drawing my attention to these parallels.

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A Centaur in London or Credulity Exposed The inhabitants of London were very accustomed to seeing “wonders” of all kinds put on display. Nonetheless, the wonder that was advertised in a slim brochure that the bookseller Cooper in Pater-Noster-Row10 near St. Paul’s Cathedral published in March 175111 may have come as a surprise even to those city dwellers who believed that they had seen everything. Its title page (Fig. 1) announced nothing less than “the Greatest Wonder Produced by Nature in these 3,000 Years”.12 A live centaur, it stated, would soon be exhibited near Charing Cross. What were contemporary readers to make of this announcement? The phrase “true and faithful account” certainly had a familiar ring to them. It occurred in the titles of a great number of books or pamphlets published in the seventeenth and eighteenth centuries, many of which report on distant, rare or extraordinary events or phenomena. It was usually meant to elicit the public’s trust regarding the veracity of what it described. But could one have trusted the account at hand? In this instance, the readers of the pamphlet who knew some German may have done a double take upon reading the name of the centaur on the title page: Mr. Jehan-Paul-Ernest Christian Lodovick Manpferdt. The name’s combination of the English term man and the German term for horse, Pferd, indicates that it was obviously fabricated. It therefore might have been reasonably concluded that the bearer of this name was probably made up as well.13 10 According to its title page, the pamphlet was available for a sixpence and was “[p]rinted for M. Cooper, in Pater-Noster-Row”, that is, Mary Cooper, the widow of the London based bookseller and printer Thomas Cooper. Thomas Cooper was one of the most prolific printers and sellers of pamphlets. His widow Mary continued his business after his death (ca. 1740) and until 1761. See the entries on Cooper (Mary) und Cooper (Thomas) in Henry Robert Plomer, George Herbert Bushnell, Ernest Reginald MacClintock Dix, A Dictionary of Printers and Booksellers who were at Work in England, Scotland and Ireland from 1726 to 1775: Those in England by H. R. Plomer, Scotland by G. H. Bushnell, Ireland by E. R. McC Dix: Bibliographical Society Publication for the year 27. Wien, Leipzig 1932, pp. 60 f. 11 This date is given in the pamphlet itself, where the narrators speak of “this present Month of March”. Richard Bentley : A True and Faithful Account of the Greatest Wonder Produced by Nature in these 3000 Years, in the Person of Mr. Jehan-Paul-Ernest Christian Lodovick Manpferdt; the Surprising Centaur, who Will Be Exhibited to the Publick, on the First of Next Month, at the Sign of the Golden Cross at Charing Cross. London 1751, p. 21; italics in the original. The date is confirmed by the inclusion of the brochure in the list of works published in England between January and March 1751 in the Royal Magazine and in the list of recently published works in the march edition of The Gentleman’s Magazine. See “A Catalogue of Books published in January, February, and March,“ The Royal Magazine; or, Quarterly Bee, 1751, II.: For January, February and March 1751: 464 – 467, p. 466. On The Gentleman’s Magazine see below. 12 Bentley, A True and Faithful Account, 1751, title page. 13 A fabricated name as such was not unusual for monsters on display in early modern London,

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Fig. 1: Richard Bentley : ATrue and Faithful Account of the Greatest Wonder Produced by Nature in these 3000 Years, in the Person of Mr. Jehan-Paul-Ernest Christian Lodovick Manpferdt; the Surprising Centaur, who Will Be Exhibited to the Publick, on the First of Next Month, at the Sign of the Golden Cross at Charing Cross. London: Printed for M. Cooper, in Pater-Noster-Row, 1751 (title page). The British Library Board 12330.g.26.

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On the title page, there is a second hint to the eighteenth-century onlooker that the announcement was not to be taken at face value. The spectacle, namely, was supposed to commence on “the First of Next Month”,14 or 1 April. April Fools’ Day is not a modern invention. The April Fools’ joke was a well-known concept in eighteenth-century England, and in fact much earlier.15 Readers of the pamphlet thus had ample opportunity to recognize how they were supposed to interpret this text, that is, as a satire rather than as an actual advertisement for the arrival of the announced wonder. While this speculation about the reader’s reception of the announcement about the exhibit rests on the text itself, there is even more persuasive evidence of how it might have been understood at the time. The March issue of The Gentleman’s Magazine, namely, reports on the text in its list of recent publications. The short account of the booklet’s contents is clearly appreciative: “Contains a short narrative of the Centaur’s birth, adventures and peculiarities, with an answer to some objections against shewing him in publick, and is not destitute of humour or moral.”16 The author of this anonymously published summary for The Gentleman’s Magazine17 considered the piece to be a well-written satire – a witty text with a moral. The April edition of The Gentleman’s Magazine mentions the pamphlet once again, reviewing it rather favourably and at some length. In addition, it also reproduces the image of the centaur contained in the pamphlet (Fig. 2). The review’s introductory sentence gives us more than a hint of how the satire was read at the time, which is to say as a criticism of credulity : “OF [sic] the many attempts to expose the ridiculous credulity of the idle part of this city, that of the wonderful Centaur, lately proposed to be exhibited to public view, on the first of April seems to demand the preference.”18 It will be noted that “idle” here does

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however. Such shows were often advertised using stage indicating what made the individuals on display special. Cf. for instance the cases of Barbara Urselin, the “hairy-faced woman,” and Tannakin Skinker, the “dog-faced gentlewoman,” both of whom were advertised and displayed in London in the seventeenth century. On the significance of their names see Mark Thornton Burnett: Constructing ‘Monsters’ in Shakespearean Drama and Early Modern Culture: Early Modern Literature in History. New York 2002, p. 17. Bentley, A True and Faithful Account, 1751, (title page). The emergence of the European tradition of April Fools’ Day is usually dated into the sixteenth century. See art. April Fools’ Day. In: Encyclopædia Britannica, , [11 Jun 2012]. “Books publish’d MARCH 1751,“ The Gentleman’s Magazine 21 (1751), pp. 142 – 143, at p. 142. The pamphlet appears as no. 10 under the rubric “Miscellaneous”. Emily Lorraine de Montluzin: Attributions of Authorship. In: The Gentleman’s Magazine, 1731 – 1868: An Electronic Union List, Charlottesville, Virginia: University of Virginia, Bibliographical Society (2003) [distributed 2004]; ; [8 Jun 2012], does not contain any information on the author of the review. “An authentick Account of the surprising CENTAUR, the greatest Wonder produced by

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not signify “lazy”, but rather refers more generally to the moral deficiencies of the people in question – to their vulgarity, as it were. The phrase “the idle part of this city” thus appears to pertain to those dwellers of London who occupied themselves with frivolous things19 or, in a word, with matters that were unworthy of the attention of the kind of distinguished person who would read The Gentleman’s Magazine. The author of the satire on the centaur Manpferdt was Richard Bentley the Younger (1708 – 1782). Bentley was a writer and book illustrator who was however constantly overwhelmed by debt. Indeed, this may have been one of the reasons why he resorted to making his living partly by writing satires. He was also not bad at it. As a satire, his Manpferdt pamphlet hits the mark, a fact well attested to by the commentators in The Gentleman’s Magazine. This should not come entirely as a surprise: Bentley was the son of the famous philologist and textual critic Dr. Richard Bentley. He received a solid education in the liberal arts in Cambridge, where he was first granted a BA and then an MA, and where he was a fellow at Trinity College.20 His Manpferdt satire indicates his awareness of how contemporary intellectuals perceived the ways of knowing characteristic of both “the vulgar” and the polymathic scholars of old. An analysis of his pamphlet yields a number of important insights, both into the learned criticism of credulity and into the role that curiosity played in the cultural practices ridiculed in the pamphlet. It further sheds light on the critical stance assumed by a large number of intellectuals regarding the ceaseless curiosity they ascribed to the poorly educated and unenlightened – a form of curiosity that repeatedly drew “the idle” to commercial spectacles such as the exhibitions of so-called monsters. In an attempt to set themselves apart from their contemporaries, naturalists and other learned authors in the mid-eighteenth century from England and continental Europe frequently stressed the difference between their own form of curiosity and its vulgar equivalent. They thought of their own form of curiosity Nature these 3000 Years, lately proposed to be exhibited to public View, & c.,“ The Gentleman’s Magazine 21 (1751), pp. 153 – 154, at p. 153. Again, Emily Lorraine de Montluzin, Attributions of Authorship, (2003). [distributed 2004]; ; [8 Jun 2012], does not give an author for the passage. 19 Bentley appears to aim at the second meaning of the adjective “idle” as it is given by the Oxford English Dictionary, namely : “Of actions, feelings, thoughts, words, etc.: Void of any real worth, usefulness, or significance; leading to no solid result; hence, ineffective, worthless, of no value, vain, frivolous, trifling. Also said of persons in respect to their actions, etc.” “Idle,“ in Oxford English Dictionary, 2012; ; [12 Jun 2012]. 20 See the entry on Richard Bentley in Henry C. G. Matthew, Brian Harrison: In assoc. with the British Academy (eds.), Oxford Dictionary of National Biography. Vol. 5. Oxford 2004, pp. 298 – 299.

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Fig. 2: An authentick Account of the surprising CENTAUR, the greatest Wonder produced by Nature these 3000 Years, lately proposed to be exhibited to public View, & c. In: The Gentleman’s Magazine, 1751, No. 21, p. 153 – 154, at p. 153. The British Library Board 249.c.21.

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in terms of discipline, cultivation and elitism, whereas the curiosity of the masses was considered undisciplined and lacking in taste. And just like the anonymous reviewer of the centaur satire in The Gentleman’s Magazine, they frequently chastised the credulity of the “idle part” of their respective societies, but also that of earlier scholars. In the following, I will first analyse how and on what basis eighteenth-century intellectuals distinguished their ways of knowing from those of their “undisciplined” and “unenlightened” contemporaries. I will then turn to their criticism of earlier generations of scholars and traditional forms of scholarship.

How Did a Centaur Get to Early Modern London? Why Was He There? What does Bentley’s pamphlet tell us about how and why Manpferdt was brought to England? And what does this account tell us about the “idle part” of London, those inhabitants of the English capital whose credulity (The Gentleman’s Magazine suggests) Bentley skilfully exposed? To answer these questions, it is instructive to take a closer look at the pamphlet’s implicit reader (or target audience). The fictional authors of the piece – the “Proprietors of Mr. JehanPaul-Ernest-Christian-Lodovick Manpferdt”21 – allegedly want to inform “the Publick“22 and especially “the Curious“23 that they will soon be exhibiting a centaur in the heart of the English capital. They provide two reasons to explain why they are giving the public advance notice. First, they expect a vast number of people from all classes to turn out on 1 April to see their wonder. For this reason, they claim that they will not be able to answer all the questions these visitors might want to raise.24 Their brochure is therefore designed to deliver some answers up front. Second, they want to counter “the many fabulous Accounts of the Centaur which have been, it seems, industriously spread, by certain Persons, gifted with so unaccountable a turn of Mind, as to find greater Satisfaction in their own idle Interventions than from any Information of Truth”.25 This cryptic statement is only one of a large number of allusions to the fictional authors’ alleged opponents, who appear to be their competitors, i. e. other showmen. They run bars and inns with telling names like The Panopticon, Colossus, Sea-Lioness or Chien SÅavant.26 The proprietors of the 21 22 23 24 25 26

Bentley, A True and Faithful Account, 1751, p. 3; italics in the original. Ibid. Ibid., p. 4. See ibid. Ibid. See ibid., p. 5; italics in the original.

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centaur suggest that the owners of these establishments had done their best to prevent them from holding the exhibit because they were worried about their own profits. While the reader does not learn exactly what false information was spread, it seems that these competitors cast doubt on the authors’ ability to deliver on what they had apparently promised on an earlier occasion. Indeed, like many naturalists at the time, they may have cast doubt on the very existence of such creatures.27 The exhibitors, though, not only had to deal with the reputational damage caused by these rumours. They also had to overcome a whole series of major obstacles when they tried to bring Manpferdt to England. Just how they overcame these obstacles is not relevant to the discussion here. Apparently, against all odds, they were eventually able to ship Manpferdt to London.28 They were moreover willing to go to such lengths because they believed that they could earn a considerable amount of money by putting the centaur on display there. The only reason they were interested in a “natural particular”29 like Manpferdt was because it lent itself to doing business. Their interests in the centaur, in other words, were purely commercial.

Idle Curiosity and Commercial Interests The commercial interests of Manpferdt’s owners point to the potential customers that they targeted with their brochure – the “idle part” of London – and to the vices ascribed to them in the satire. Immediately after the relation of how Manpferdt was brought to England, Richard Bentley introduces a certain Mr. Whitfield, who expresses some of the general concerns connected to the contemporary consumption of wonders. Upon arriving at their London home, Manpferdt’s proprietors describe finding a letter written by Mr. Whitfield, entreating them “by every thing they hold sacred”30 to give up on their plan to present their centaur to the public. This spectacle, Whitfield fears, “will be giving an Encouragement to the most horrid Vices, among the fine Gentlemen of the Age, to which (he says) they are already only too much addicted; if not a Means of introducing new ones, to which they may be the proner, from an Appearance of Utility.

27 On the whole paragraph see ibid., pp. 4 – 5. 28 See ibid., pp. 5 – 6. 29 On the concept of the “natural particular” see Anthony Grafton, Nancy G. Siraisi (eds.): Natural Particulars: Nature and the Disciplines in Renaissance Europe: Dibner Institute Studies in the History of Science and Technology. Cambridge, Mass, 1999. 30 Bentley, A True and Faithful Account, 1751, p. 7.

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He owns his Apprehensions are exceedingly heightened by the near Approach of Newmarket Meeting.”31

Whitfield’s anxiety is twofold: he is worried that a certain sinful behaviour already widespread among the “fine Gentlemen of the Age” could be further encouraged, and also, even worse perhaps, he fears that an altogether new vice might be stimulated. The first vice, which Whitfield considers to be already flourishing, is more obvious than the second. It is possible to infer what he has in mind in consideration of the exhibitors’ plan, which he wants to discourage: the vice of ceaseless and wandering curiosity, the vice, that is, that corresponded to the steady influx of wonders that were exhibited for money in eighteenth century London. Curiosity was revaluated as a tendency among the learned over the course of the late sixteenth and seventeenth centuries. It was increasingly seen as a legitimate and useful affect in the process of knowledge production.32 However, it never fully lost its negative connotations. There are at least two reasons for this. First, theological and philosophical positions that condemned curiositas altogether were never completely silenced. Second, even those learned authors in whose epistemology curiosity played a prominent role were eager to dissociate themselves from the vulgus, the common man. Hence they forcefully argued that there was an important distinction between the focussed and diligent curiosity of the few, the learned, and the unrestrained curiosity of the many.33 The famous lexicographer and literary critic Samuel Johnson (1709 – 1784), for instance, was a champion of learned curiosity, and he rarely missed out on any opportunity to discern it from its vulgar equivalent. Johnson moved to London in 1737 and wrote for The Gentleman’s Magazine.34 He also established his own journal, The Rambler, which appeared twice a week between 1750 and 1752. He repeatedly published essays here that dealt with this topic. In the last one of these essays, which appeared in the final volume of The 31 Ibid., p. 7; italics in the original. 32 See Lorraine Daston: Die Lust an der Neugier in der frühneuzeitlichen Wissenschaft. In: Klaus Krüger (ed.): Curiositas. Göttingen 2002, pp. 147 – 175. 33 The ambiguous status of curiosity in the seventeenth and early eighteenth century certainly merits a more comprehensive treatment than can be offered here. I have discussed the above aspects of the history of curiosity as a cognitive affect more thoroughly elsewhere. See Fabian Krämer : Wie gelangte ein Zentaur ins frühneuzeitliche London: Lektüre und Beobachtung in der europäischen Naturforschung, ca. 1550 – 1750. (Unveröffentlichte Dissertation LudwigMaximilians-Universität). München 2012, chap. 4. See also Neil Kenny : The Uses of Curiosity in Early Modern France and Germany. Oxford 2004. 34 On Johnson’s numerous contributions to The Gentleman’s Magazine see Emily Lorraine de Montluzin, Attributions of Authorship, 2003 [distributed 2004]; ; [8 Jun 2012].

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Rambler, Johnson once again stresses the difference between “good” and “bad” curiosity. Only the latter, he contends, is concerned with novelty : “I have never complied with temporary curiosity, nor enabled my readers to discuss the topick of the day.”35 As Barbara M. Benedict has shown, Johnson advocated an “elite curiosity that concerns high matters of learning and beauty”36, a form of curiosity, that is, that could not have differed more – either in terms of its object or timespan – from the offensive “low wonder mongering” of the uneducated public.37 Johnson embodied almost perfectly his conception of the scholar as an elite kind of person. A third level on which the two types of curiosity differed, according to Johnson, pertains to epistemology or epistemic status. “Good” curiosity, he argues, deals exclusively with objects whose epistemic status is beyond doubt. In other words, we know for sure that they exist. “Bad” curiosity, on the other hand, is preoccupied with uncertain objects: “Noble curiosity explores the real, whereas ignoble curiosity explores the rumoured, marvellous or fantastic.”38 The first of the two vices of “the fine Gentlemen of the Age” that Mr. Whitfield mentions in his letter to Manpferdt’s proprietors is the “bad” curiosity that Johnson, amongst many others, was so critical of. It is the unsteady curiosity aimed at vulgar and ontologically uncertain objects. In his opinion, a live centaur put on display in the heart of London caters to and promotes the ignoble, insatiable passion for wonders. The new vice that Whitfield alludes to is of a sexual nature and, from an early modern perspective, contra naturam (a sin against nature).39 Arguably, this is why he only hints at it. Whitfield mentions that the “Newmarket Meeting” is quickly approaching. What he specifically has in mind is the annual horse race that had taken place on a regular basis in Newmarket, Suffolk, since the seventeenth century, not much more than a hundred kilometres away from London.40 The second hint that Whitfield gives the reader relates to the utility he ascribes to this vice. Indeed, he appears to be driving at bestiality, that is, the

35 Walter Jackson Bate (ed.): The Rambler : (The Third of Three Volumes). The Yale Edition of the Works of Samuel Johnson. Vol. 5. New Haven, Connecticut 1969, p. 316 f. (= The Rambler 208 (Saturday, March 14, 1752); cited in Barbara M. Benedict: Curiosity : A Cultural History of Early Modern Inquiry. Chicago 2001, p. 186. 36 Benedict, Curiosity, 2001, p. 186. 37 See ibid., p. 186. 38 Ibid., p. 185. 39 On this notion see Lorraine Daston: The Nature of Nature in Early Modern Europe. Configurations. In: A Journal of Literature, Science, and Technology 6 (1998), pp. 149 – 172. 40 For a first approximation to the history of horse racing in Newmarket see the short account on , [11 Jun 2002].

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sexual congress of human and horse, aimed at breeding centaurs for the purpose of commercial horse racing. The answer that Manpferdt’s proprietors give to Mr. Whitfield’s intervention is a small satirical masterpiece. By means of a series of rhetorical questions, they argue that his anxieties are quite unfounded – because things are in fact much worse: “[T]he Proprietors only beg the Favour of Mr. Whitfield seriously to ask himself if he really thinks the present Mode of Vice can actually be encreased? or, if any Kind of it can be introduc’d new? and, whether the Appearance of Utility, as he is pleased to call it (by which he must mean, if he means any thing, the establishing of a Bread of Centaurs here, as of Mules abroad) would not of itself be enough to deter any a fine Gentleman from a Crime? So that they have all the Reason in the World to flatter themselves, that if their Shew were of Consequence enough to bring about any Change in the present Taste, it is impossible it should not be for the better ; and that so far from being chargeable with giving a helping Hand to the Depravity of their Country, they should deserve Thanks for having diminished it or at least turn’d it to the publick Advantage.”41

The “present Mode of Vice”, they argue, could not possibly be increased, and the “Appearance of Utility” could only deter the “fine Gentlemen” from committing a crime. However, not only was the sinful behaviour associated with such spectacles devoid of any utility, but it was also intimately connected to commerce, which made things more debased. What was it that made the pursuit of commercial interests seem improper? Both the second sin that Whitfield alludes to and his protestations against exhibiting Manpferdt express a general view according to which an engagement in commerce was detrimental to a person’s virtue. Many naturalists, not to mention numerous other learned authors, shared this notion. Adrian Johns has shown, for instance, that natural philosophers in the early modern period often had an ambivalent relationship to the book trade, partly because, as gentlemen, they wanted to dissociate themselves from the idea that their scholarly output should pay off financially, especially for a third party.42 The contrast between commerce and virtue was not new to the early modern period. To some extent, the sentiments expressed in Bentley’s satire were still connected to the ancient Greek belief that bodily labour was detrimental to both one’s body and mind, and in particular to one’s ability to practice virtue. This view was revived during the Renaissance. The commercial aspect of bodily activity was central to its devaluation. It should therefore not surprise us that 41 Bentley, A True and Faithful Account, 1751, pp. 7 – 88; italics in the original. 42 See Adrian Johns: The Ambivalence of Authorship in early Modern Natural Philosophy. In: Mario Biagioli, Peter Galison (eds.): Scientific Authorship: Credit and Intellectual Property in Science. New York 2003, pp. 67 – 90.

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commercial endeavours tout court in this regard would come to be viewed as problematic. Henry Peacham’s (1576?–1643?) guide to gentlemanliness presents the following list of ignoble activities: “[W]hosoever labour for their livelihood and gaine have no share at all in Nobilitie or Gentry. As painters, stageplayers, Tumblers, ordinary Fiddlers, Inne-keepers, Fencers, Iugglers, Dancers, Mountebancks, Bearewards and the like […] The reason is, because their bodies are spent with laboure and travaile […].”43

As Peacham’s list indicates, this view of manual labour and commerce also diminished the work of showmen. From this standpoint, showmen were likely not virtuous, and, as Mr. Whitfield’s letter shows, neither was the consumption of their spectacles. So Bentley’s pamphlet does have “a moral,” as the reviewer in The Gentleman’s Magazine puts it, and the ills of ignoble curiosity and credulity appear to lie at the heart of it. Equally significant here is the belief that an elite person should not be concerned with matters of commerce. The critical attitude towards “idle curiosity,” credulity and the commercial spectacles that catered to them was not peculiar to the author of the satire, Richard Bentley. It is also vividly expressed by a large number of other critiques in the form of lectures and publications by learned authors both in England and on the continent. We have already discussed Samuel Johnson’s take on this matter. It is worth looking at another example. The physician and fellow of the Royal Society James Parsons (1705 – 1770) shared Johnson’s sentiments. An extremely popular hermaphrodite from Angola,44 who was on display at the very inn where (according to the title page of Bentley’s satire) Manpferdt was to be exhibited – the Golden Cross near Charing Cross – displeased him so much that he wrote a detailed treatise on the matter in which he sets out to disprove the existence of hermaphrodites altogether.45 His 43 Henry Peacham: The compleat gentleman: fashioning him absolute in the most necessary & commendable qualities concerning minde or bodie that may be required in a noble gentlema [n]. London: Imprinted at London [by John Legat] for Francis Constable, and are to bee sold at his shop at the White Lio[n] in Paules churchyard, 1622, pp. 12 – 13; cited in Pamela H. Smith: The Body of the Artisan: Art and Experience in the Scientific Revolution. Chicago, London 2004, p. 7 f. On the whole paragraph see ibid. 44 The Angolan hermaphrodite was continuously on display for at least eight months, which indicates how popular this particular show must have been. See Palmira Fontes Da Costa: ‘Mediating Sexual Difference’: The Medical Understanding of Human Hermaphrodites in Eighteenth-Century England. In: William de Bl¦court, Cornelie Usborne (eds.): Cultural Approaches to the History of Medicine: Mediating Medicine in Early Modern and Modern Europe. Houndmills, New York 2004, pp. 127 – 147, hier pp. 129 – 130. 45 On Parsons’ claim that the Angolan hermaphrodite triggered his monograph see James Parsons: A mechanical and critical inquiry into the nature of hermaphrodites. London 1741, p. liv. Cf. also Da Costa, ‘Mediating Sexual Difference’, 2004, pp. 127 – 147, hier p. 133.

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book was published the same year as the exhibit. It argues that “no hermaphrodital Nature can exist in human Bodies; and, in fine, that those Subjects hitherto so accounted, were only Females in all Respects, superstitiously, and through Ignorance, mistaken for those Kind of Creatures, or for Men”.46 The author of the article Hermaphrodite in the second edition of the Encyclopaedia Britanica rightly points out that Parsons, too, was waging war against the vulgar : “Dr. Parsons has given us a treatise on this subject, where he endeavours to shew the notion of hermaphrodites to be vulgar error ; and, in particular, the AngloNegro, shewn about this town some years ago, was a woman whose clitoris was overgrown.”47 For Parsons, there was also a connection between “vulgar error” and matters of commerce. James Parsons clearly disapproved of the commercial character of the exhibition of the alleged hermaphrodite from Angola. He moreover makes it clear that naturalists should distance themselves from those who engage in (these forms of) commercial enterprises. Such meddling in commercial matters, he suggests, could lead to error. Parsons surmises that Thomas Allen, who in 1667 published an article in the Philosophical Transactions on Anna, or Hanna, Wilde, one of the famous hermaphrodites of the seventeenth century, only came to the erroneous conclusion that he/she was an hermaphrodite because Allen incautiously believed what the owner, a showman, had told him.48 Parsons undertakes to prove Allen wrong and maintains instead that Wilde was a woman. He concludes by stressing “how little credit ought to be given to the Tales of Shew-men, by the Learned.”49 This was not Parsons’ only intervention of this sort, however. In a similar vein, he succeeded in having a showman expelled from the city of London who had exhibited in a glass case what he advertised as a mermaid, supposedly captured near the port city of Acapulco. Parsons argued that this so-called mermaid was nothing more than a monstrously deformed human foetus.50 For the reasons discussed above, many eighteenth-century naturalists and other learned authors highly disapproved of the public’s consumption of won46 Parsons, A mechanical and critical inquiry into the nature of hermaphrodites, 1741, p. 145. 47 James Fytler (ed.): Art. Hermaphrodite. In: Encyclopaedia Britannica. Vol. 5. Edinburgh [printed for J. Balfour and Co. W. Gordon, J. Bell, J. Dickson, C. Elliot [and 5 others], 21781, pp. 3621 – 3623; cited in Da Costa, ‘Mediating Sexual Difference’, 2004, pp. 127 – 147, hier p. 139. 48 See Parsons, A mechanical and critical inquiry into the nature of hermaphrodites, 1741, pp. 20 – 21. 49 Ibid., p. 21 f.; on the whole paragraph see ibid., pp. 13 – 21. 50 See John Nichols: Literary Anecdotes of the eighteenth Century comprizing biographical Memoirs of William Bowyer printer and many of his learned friends, … and biographical anecdotes. Vol. 5. London 1812, p. 487. Cf. Richard Daniel Altick: The Shows of London. London 1978, p. 49.

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ders. And, in many cases, they called the very existence of the wonders on display into question. Albrecht von Haller does precisely this in the instance of the rumour about the centaur allegedly on display in London.

Albrecht von Haller on the Centaur in London At this point, we will return to the University of Göttingen, where Albrecht von Haller mentioned an account of a centaur in one of his lectures in the summer term of the very year Bentley’s satire was published. As mentioned above, Haller qualified this account as a rumour: “In the forties of our present century it was also rumoured that an actual centaur could be seen in London. However, this legend was never verified.”51 Was Haller’s reference to a centaur in London merely a coincidence, or could the centaur in fact be identical with Mr. JehanPaul-Ernest Christian Lodovick Manpferdt? Haller’s remark about the centaur is only accessible to us indirectly, as his lecture manuscripts are lost. However, Haller was a professor of physiology, anatomy, and surgery at the comparatively young and reformed University of Göttingen. Moreover, during his lifetime he was already considered one of the leading figures in the first two fields in particular, but also in embryology.52 This may have played a role in the decision of German physician Friedrich August Weber (1753 – 1806) to publish the notes that Haller’s first-born son Gottlieb Emanuel (1735 – 1786) had taken while attending his father’s lectures on forensic medicine.53 Weber translated these lecture notes from the original Latin into German, amended them in a few places, added a lengthy appendix of annotations and had them published in the 1780s. In the introduction to the first volume of his edition of the Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft, Weber tells us that the lecture manuscript written by Haller’s son was “aus dem väterlichen Mund nachgeschrieben”54 and therefore a reliable record of the lectures. As Gottlieb 51 “Es lief in den vierziger Jahren des Jahrhunderts, worinn wir leben, auch das Gerücht, man habe in London einen wahren Centauren lebendig sehen können, allein diese Sage hat sich niemals bestätigt.” Haller, Albrechts von Haller weil., (Aus einer nachgelassenen lateinischen Handschrift übersetzt) 1782, p. 191. 52 See Steinke, Anatomie und Physiologie, 2008, pp. 226 – 254, hier p. 227. 53 On Weber’s biography see Thomas Ren¦ Rohrbach: Friedrich August Webers Edition von A. v. Hallers “Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft“ (1782 – 1784). (Unpublished Dissertation Universität Bern). Bern 2002, pp. 15 – 73. Unfortunately, we do not know how Weber obtained Gottlieb Emanuel’s lecture notes. See ibid., p. 127. 54 Vorrede des Uebersezers. In: Albrecht von Haller : Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft. Aus einer nachgelassenen lateinischen Handschrift übersetzt. Bd. 1. Bern 1782, f. *2r.

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Emanuel von Haller’s notes are not extant,55 we have to rely on Weber’s translation.56 Hence we do not know which Latin term Weber rendered as Gerücht (rumour). Nonetheless, an attempt can be made to reconstruct the place that rumours occupied within Albrecht von Haller’s epistemology. No matter whether Haller used the Latin term fama or rumor, the very nature of a rumour is that its origins are obscure. A rumour is the opposite, as it were, of the “authored observation”, which, over the course of the sixteenth and especially the seventeenth century had become a key epistemic category, as Gianna Pomata has demonstrated.57 Most of the articles published in scholarly journals devoted to natural history or medicine in the late seventeenth and eighteenth centuries were authored observations. In other words, they are written accounts of an observation furnished with the name of the person who made the observation, who was more often than not a naturalist. Rumours were further devaluated by their association, which dated back at least to the Middle Ages, with the common man, the vulgus. A rumour was the “geschrei, gemeine red, sag, eine red die under dem gemeinen volck herumb gehet,”58 as a medieval German source has it. Rumours were thus associated with those parts of society that scholars in the eighteenth century considered to be unenlightened. They therefore tended to be highly critical of the observations and opinions of their vulgar contemporaries. As discussed earlier, for instance, 55 Gottlieb Emanuel von Haller’s lecture notes are not mentioned in any of the search tools for either Albrecht’s or Gottlieb Emanuel’s nachlass in the Burgerbibliothek Bern, where the bulk of Albrecht von Haller’s manuscripts are kept. Nor are they mentioned in Hans A. Haeberli: Gottlieb Emanuel von Haller : Ein Berner Historiker und Staatsmann im Zeitalter der Aufklärung, 1735 – 1786. In: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 41 (1952), S. 114 – 337 (= Diss. Universität Bern 1951). It is therefore likely that they are not extant. I am grateful to Thomas Schmid (Burgerbibliothek Bern) for confirming this for me. Thomas Ren¦ Rohrbach, whose PhD dissertation provides the first systematic account of the printed edition of the Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft, also comes to the conclusion that Gottlieb Emanuel Haller’s notes are lost. See Rohrbach, Friedrich August Webers Edition, 2002, p. 127. 56 As the Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft were published only posthumously and therefore not authorised by Albrecht von Haller himself and as the original manuscripts appear to be lost, we cannot know for certain whether or not each and every passage truthfully reflects the lectures given by Haller in Göttingen in 1751. However, the Vorlesungen are generally in line with Haller’s physiological teachings as expressed in his other works. What is more, comparing a large sample of statements that Friedrich August Weber renders as Haller’s with other sources on his life, Thomas Ren¦ Rohrbach comes to the conclusion that Weber’s edition is overall very reliable. See See Ibid., pp. 110 – 118 and, concluding, p. 125. 57 Gianna Pomata: Observation Rising: Birth of an Epistemic Genre, ca. 1500 – 1650. In: Lorraine Daston, Elizabeth Lunbeck (eds.): Histories of Scientific Observation. Chicago, London 2010, pp. 45 – 80, especially pp. 46 – 47. 58 Jacob und Wilhelm Grimm (eds.): Art. Gerücht. In: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1897, col. 3751 – 3758, esp. col. 3755.

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Samuel Johnson considered the “bad” curiosity of the common man often to be attached to what was merely rumoured, whereas the diligent curiosity of the learned was exclusively attached to objects whose existence was beyond all doubt. Given the high epistemic status assigned to first-hand knowledge and also the imperative of repeating observations in the eighteenth century, it is not surprising that rumours were especially vilified by the naturalists of the period. If they were worth any consideration at all, they certainly had to be confirmed. Albrecht von Haller’s remark on the centaur rumour shows that he was highly sceptical of it partly because it could not be verified. Its origin remained obscure. Haller seems to have weighed his words carefully. In concluding his discussion of the centaur by characterising the rumour as a Sage (legend), he resorted to yet another term that was frequently used in the early modern period for a statement whose origin was unknown, and whose truth-value was uncertain.59 But where did this rumour come from in the first place? As mentioned above, the Swiss physiologist gave his lectures on forensic medicine, the Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft, the very same year that Richard Bentley’s satire appeared. Could the word about Bentley’s Manfperdt somehow have spread all the way to Haller in Göttingen? In other words, could the satire over the course of its reception have become the origin of a rumour about a “real” centaur? I would like to argue that this is not altogether impossible – even though Haller dates the rumour into the 1740s, whereas Bentley’s pamphlet was not published until 1751. Indeed, it is not unlikely that Haller’s and Bentley’s centaurs were actually identical. Albrecht von Haller had strong ties with England, and with London in particular. He spent most of his peregrinatio academica, which he undertook after he had finished his doctorate in Leiden in 1727, travelling to cities on the continent such as Paris, Strasburg and Basel. London and Oxford, though, were also included in his itinerary.60 Haller had numerous correspondents on the British Isles,61 and in 1739 he became a fellow of the Royal Society.62 Haller spoke 59 See Jacob und Wilhelm Grimm (eds.): Art. Sage. In: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1905, col. 1644 – 1649, here: col. 1647. 60 See Albrecht von Haller: Albrecht Hallers Tagebuch seiner Studienreise nach London, Paris, Straßburg und Basel, 1727 – 1728 In: Erich Hintzsche (ed.): Berner Beiträge zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften (N.F. 2) Bern et al. 1968. 61 Albrecht von Haller had correspondents in many parts of Europe, including England. Ca. 3 % of the extant letters to Haller were sent to him from Great Britain. From London alone 298 letters to Haller are extant. In this regard London comes ninth after Hannover, Bern, Lausanne, Zurich, Göttingen, Geneva, Basel und Paris. See Martin Stuber, Stefan Hächler, Luc Lienhard (eds.): Hallers Netz: Ein europäischer Gelehrtenbriefwechsel zur Zeit der Aufklärung. Basel 2005, pp. 66, 68. 62 See ibid., p. 5.

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some English, and about 14.5 % of his extant correspondence was written in English.63 What is more, he took some interest in English literature. In his lectures on forensic medicine, he mentions Jonathan Swift, whom he considered “one of the wittiest thinkers of all times”64. He was also an occasional reader of The Gentleman’s Magazine. His knowledge of one of the deformed births discussed in his monograph on monsters, De monstris libri II. (1768), stems from this journal.65 As shown above, Bentley’s satire is also discussed in two subsequent volumes of this very journal. Yet all of this is only circumstantial evidence. It is the very nature of rumours that their origins are unknown. We cannot be certain whether Bentley’s and Haller’s centaurs are one and the same.66 Still, we know the place that Haller’s elaborations on the rumour occupy within his lectures. On the basis of his extensive scholarly output on monsters, it is possible to reconstruct his take on centaurs more generally, and on related creatures for that matter. An assessment of the relevant passages shows that he finally considered both centaurs and other human-animal hybrids to be virtually impossible. Two reasons for this present themselves immediately. First, according to the physiological knowledge of his time, different species could only procreate if they were closely related.67 A horse and a human could not possibly produce offspring. Second, both Haller’s discourse and that of his contemporaries express the high epistemic value attached to authored observations, and especially to those of contemporary naturalists. On the other hand, the former ancient authorities of naturalist discourse and other groups of authors and knowledge sources that had still been considered trustworthy in the late Renaissance had lost much of their authority over the course of the early modern period. As the authority of these figures faded, a large body of accounts of monsters, and to some extent the knowledge about whole species such as the centaur, turned into false, or even vulgar, knowledge. 63 See ibid., p. 96 and diagram 6.16 on p. 97. Not all of these letters were sent to him from the British Isles, however. London, Hannover and Basel are the three places from where most of the English letters originated. See ibid., diagram 6.4 on p. 99. 64 “[E]inen der witzigsten Köpfe, die jemals gelebt haben”. Haller, Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft, 1782, p. 187. 65 See ibid., no. 5) in Weber’s note o) on p. 347. On Haller’s De monstris libri II. see below. 66 I am grateful to Martin Stuber from Historisches Institut, University of Bern, who was kind enough to search the Forschungsdatenbank zu Albrecht von Haller (accessible at: Institut für Medizingeschichte der Universität Bern, Historisches Institut der Universität Bern, Burgerbibliothek Bern) (in vain) for more traces of the centaur rumour or Richard Bentley’s satire in Haller’s letters, library and writings when I was trying to find out more about how Albrecht von Haller learnt about the centaur rumour. I am also grateful to Hubert Steinke from Medizinhistorisches Institut, University of Bern, who kindly joined our hunt and confirmed that Haller regularly read The Gentleman’s Magazine – even though he rarely cites it. 67 See below.

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Not only did ancient authors suffer from a dramatic loss in authority, however. From the point of view of many eighteenth-century intellectuals, their early modern predecessors were similarly prone to credulity. Their writings therefore had to be read with care when they dealt with certain subject matters, and especially natural particulars. I now want to take a close look at how these convictions play out in Albrecht von Haller’s discussion of the centaur. In this context, I will examine how intellectuals at the time generally tried to distinguish their body of knowledge and ways of knowing from their predecessors.

The Observations of Others: Albrecht von Haller on Centaurs First of all, the context in which Haller’s discussion of centaurs was staged needs to be clarified. He mentions the centaur rumour in chapter thirteen of the printed version of his lectures on forensic medicine. The chapter is entitled Von den Misgeburten or On Monsters. The rumour is discussed in the third subchapter, which deals with the classification of monsters.68 The Swiss physiologist distinguishes between three classes of monsters, none of which he devised himself. The first class comprises monsters with some superfluity, i. e. “Misgeburten, in denen ein Theil des Leibes zu viel ist”.69 The second one comprises monsters with some deficiency, i. e. a “Mangel wesentlicher Theile”70. The third class is discussed in much more detail than the first two, for most of the monsters that Haller finds fault with in the literature fall into this third category. This class involves “Misgeburten durch Ungestaltheit”,71 that is, monsters whose bodies display some form of deformation. Before defining the class in a detailed way, Haller already sets out to discuss the many problematic cases. There is, moreover, one particular group of phenomena that he seems especially eager to expand on. “I have to seize the opportunity,” he argues, “to express my opinion about births that are said to have sprung forth from the congress of humans with animals. I am of the opinion that such a birth never happens, and this for the following reasons.”72 The ensuing discussion of these reasons shows that Haller responded to the literature on monsters quite differently from his early modern predecessors up 68 “Einteilung der Misgeburten”; Haller, Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft, 1782 , pp. 187 – 190. 69 Ibid., p. 187. 70 Ibid., p. 190. 71 Ibid. 72 “Bei dieser Gelegenheit muß ich meine Meinung über die Geburten eröfnen, welche durch einen menschlichen und thierischen Congreß entstehen sollen. Ich halte dafür, daß niemals eine solche Geburt erfolge, und dies aus nachstehenden Gründen.” Ibid., pp. 190 – 191.

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until the latter half of the seventeenth century. First, he grants authors who are not naturalists in some way hardly any authority in matters that pertain to the study of nature. Renaissance natural historians such as Ulisse Aldrovandi or Conrad Gesner also scoured historiographical literature, for instance, to find titbits of knowledge on monsters. Similar textual practices could still be observed with the members of the Academia Naturae Curiosorum in the second half of the seventeenth century.73 The Swiss physiologist, furthermore, does not grant more authority to ancient authors than to his contemporaries. Rather, he views most of his predecessors more critically than his own learned contemporaries when it comes to their elaborations on monsters. Apparently, Haller was convinced that earlier authors were much more prone to credulity than their enlightened successors. These two aspects of his response to the literature are quite evident in his first argument against the possibility of human-animal hybrids: “Firstly, we do not have one single example of such a birth that we knew of with an absolute historical certainty, for the fact that ancient authors claim that there was a live centaur in Egypt during the lifetime of the emperor Tiberius, and that some more recent authors also report on a human who was perfectly human despite the fact that he/she had been given birth to by a female donkey, can hardly be considered sufficient proof.”74

Haller does not cite his source on the human child that was allegedly given birth to by a donkey. Nor does he do this in the case of the centaur allegedly on display in London, which he mentions directly thereafter. The phrase Schriftsteller des Alterthums (ancient writers), however, is telling. It appears to refer in particular to the Roman natural historian Pliny the Elder (23 – 79), who mentions the Egyptian centaur.75 Haller did not stop short of calling into question the trustworthiness of at least some of the former ancient authorities of the study of nature. If one relates statements like the one cited above to the many relations of his own observations of monsters that Haller weaves into his lectures, it becomes clear that the epistemic status of first-hand observation (at least that of contemporary naturalists) 73 See Fabian Krämer : Faktoid und Fallgeschichte: Medizinische Fallgeschichten im Lichte frühneuzeitlicher Lese- und Aufzeichnungstechniken. In: Frauke Berndt, Daniel Fulda (eds.): Die Sachen der Aufklärung – Matters of Enlightenment – La cause et les choses des LumiÀres. Hamburg 2012, pp. 535 – 346. 74 “Erstlich haben wir kein einziges Beispiel einer solchen Geburt, welches eine vollkommene historische Gewisheit hätte, denn daß Schriftsteller des Alterthums behaupten, es habe zu Kaiser Tiberius Zeiten sich ein lebendiger Centaur in Egypten aufgehalten, und daß uns ferner etwas neuere von einem Menschen Nachricht geben, der ein vollkommener Mensch war, obschon er von einer Eselinn zur Welt gebracht worden, macht die Sache noch lange nicht aus.” Haller, Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft, 1782, p. 191. 75 See Pliny, Naturalis historia, VII.3.35.

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had risen tremendously over the course of the seventeenth and early eighteenth centuries, while the testimony of ancient authors had declined considerably in status. Haller’s second argument against the possibility of human-animal hybrids is the following: “A second reason why I denounce the old opinion about such births is taken from the very nature of the thing and based upon the certain observation that animals can only procreate with animals who belong to the same species, and who only differ from them to the extent that varieties typically differ from the main type.”76

Haller grants that members of different species within the same group of species can produce what he calls a bastard, for instance, in the case of a (male) donkey and a (female) horse, a mule. He also at least ponders whether this possibility might exist for humans, but finally argues that the other animal would have to be very similar to a human. The only animal species that he even considers to be a possibility in this context is therefore the orang-utan, which he views to be more closely related to humans than other apes.77 According to Haller, his second argument is based upon certain observation (sichere Wahrnehmung). It is safe to assume that he considered it to be a certain observation, because it had been made repeatedly, at different times and by different trustworthy observers. The many textual and pictorial representations of human-animal hybrids that one can find in the publications of early modern naturalists such as Conrad Gesner, Ulisse Aldrovandi, Johann Georg Schenck von Grafenberg or Jacob Rueff, to mention only a few, are hardly mentioned at all. Apparently, Albrecht von Haller found the accounts of these predecessors to be too credulous to even merit serious discussion. Haller’s opinion was widely shared among his learned contemporaries. The appearance of the imaginary Swiss scholar, a certain Professor Zeiglerus, in Richard Bentley’s Manpferdt satire can be seen as an indication of this. At the time of the Manpferdt pamphlet, quotations from the writings of contemporary scholars were commonly inserted into the various forms of advertising used to promote the wonders exhibited in London. First and foremost, they were meant to lend authority to the announcements and thus attest to the authenticity of the wonder at hand. In this respect, the reference to the Swiss scholar in Bentley’s brochure mirrors a common practice. Manpferdt’s pro76 “Ein zweiter aus der Natur der Sache genommener Grund, aus welchem ich die alte Meinung von solchen Geburten verwerfe, beruht auf der sichern Wahrnehmung, daß die Thiere sich nie fortpflanzen können, als mit Thieren, die von einerlei Geschlechtsart mit ihnen sind, und nur darinn von ihnen abweichen, worinn Spielarten von der Hauptart abzuweichen pflegen.” Haller, Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft, 1782, p. 191. 77 See ibid., p. 192.

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prietors make use of this convention when they surmise that “it will be expected of us to give some Account of what the learned Professor Zeiglerus has already publish’d upon this Head in Two large Vols. folio, at Basle, 1744.”78 They even insinuate that they took great pains to get hold of one of the rare copies of this work in Great Britain.79 The Zeiglerus passage appears to serve two functions: first, to lend more authority to the discourse of Manpferdt’s proprietors80 and, second, to give an account of the centaur’s birth and early life. Zeiglerus both testifies to Manpferdt’s existence and relates the history of his birth in and subsequent flight from Switzerland. The narrators incorporate this account into their text in the form of a lengthy English citation.81 In this sense, the use of Zeiglerus in the brochure is consistent with the scholarly discourse that was found in real advertisements from this period. However, the function of Zeiglerus in the satire is more complex, for he also embodies a discredited type of scholar and way of knowing. Manpferdt’s proprietors argue that the account of the centaur’s birth is the only part of Zeiglerus’ treatise that actually has any value. Nonetheless, they decide to include both its title – somewhat dismissively rendered as “Læsæ Antiquitatis Vindiciæ, & c. & c. & c.” – and table of contents in their brochure. The chapter titles amply testify to Richard Bentley’s familiarity with the learned literature on centaurs and the socalled Querelle des ancients et des modernes. Bentley’s father famously participated in the English strand of this debate on the side of the modernes. Zeiglerus, conversely, embodies the defenders of the ancients, and he is depicted in such a way as to represent the older mode of scholarship. This is especially evident in the sixteenth chapter of his treatise, whose title indicates the prominent role of observation in the contemporary study of nature: “XVI. How cautious we ought to be how we charge Antiquity with Fable, for relating Things, the like of which have not happen’d in our Days, as if our own narrow Observation was the Test of all that had been, or could be in the World.”82

Here, Zeiglerus’ contentions appear untenable: not only are his claims hopelessly out of step with the intellectual standards of his time, but so is the very type of scholarship that supports them. Appropriately, Zeiglerus is himself indirectly characterised as an example of an outdated type of scholar in at least two ways. First, his name, which draws on 78 79 80 81 82

Bentley, A True and Faithful Account, 1751, pp. 9 – 10; italics in the original. See ibid., p. 10. See esp. ibid., p. 13. See ibid., pp. 14 – 17. Ibid., p. 13; the title and table of contents of Zeiglerus’ work are given on pp. 10 – 13.

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the German zeigen (to point or to demonstrate) characterises him as an oldfashioned professorial type. Second, he is said to be a Swiss professor. His nationality does not appear to be coincidental for Switzerland at the time was considered to be lagging behind the main centres of European scholarship.83 In short, Bentley has an old-fashioned scholar from the periphery of the European intellectual world defend his type of knowledge and way of knowing against cutting-edge eighteenth-century naturalists and intellectuals. It is safe to assume that Albrecht von Haller was similarly critical of the type of scholarship embodied by Zeiglerus. It also hardly seems unintentional that he cites neither Gesner nor Aldrovandi on human-animal hybrids. Both of these famous humanist zoologists of the Renaissance treated them at considerable length. Haller does, however, expand on a report written by his contemporary Thomas Shaw that dates considerably closer to the time of his lectures. In 1738, Shaw had published a widely read account of his travels to the East and especially to the eastern Mediterranean.84 Haller references two creatures in particular that Shaw mentions: a human child born by an animal, and the so-called Vumarren, allegedly the offspring of a hare and an ox. Haller’s assessment of this passage in Shaw is as follows: “However, if one considers this whole episode in its context, it becomes clear that Shaw must have been exceedingly credulous in regards to the account that the Arab shepherds gave him of the Vumarren.”85 Haller does not provide his view on Thomas Shaw’s ability to judge appearances. Yet he makes quite clear that Shaw made the mistake of blindly relying on the accounts of unenlightened sources. He should have only trusted his own observations or those of a trustworthy witness, which an Arab shepherd clearly was not. The only truly reliable witnesses were enlightened contemporaries. Haller’s discussion of Thomas Shaw’s travel narrative also hints at a more general problem pertaining to the relationship between observation and reading. Despite the belief shared by most eighteenth-century naturalists that an observation had to be made repeatedly to minimise the chance of error, 83 A particularly interesting piece of evidence of the then widespread prejudice against Swiss learning is the chapter Des dispositions des Suisses pour les Sciences & les Arts in Johann Georg Altmann’s L’¦tat et les d¦lices de la Suisse. Altmann therein argues forcefully against the view that the inhabitants of Switzerland are lacking the ¦sprit necessary to excel in the sciences and in the arts. See Johann Georg Altmann: L’¦tat et les d¦lices de la Suisse, en forme de relation critique, par plusieurs auteurs c¦lÀbres etc. Vol. 1: Le mouvement des id¦es au XVIIe siÀcle; 3, Amsterdam 1730 [1714], chap. XIX, pp. 379 – 397. I am grateful to Andr¦ Holenstein for drawing my attention to this remarkable source. 84 Thomas Shaw: Travels, Or Observations Relating To Several Parts Of Barbary And The Levant. Oxford 1738. 85 “Allein, wenn man die ganze Erzählung im Zusammenhange untersucht, so findet sich, daß Shaw muß ungemein leichtgläubig gegen den Bericht der arabischen Viehirten gewesen seyn, die ihm die Geschichte von den Vumarren aufgeheftet haben.” Haller, Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft, pp. 192 – 193.

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(re)assessing others’ observations was as much a matter of reading as it was of observing. What is more, if the observed phenomena were considered to be especially rare, preternatural, or even fantastical, one could hardly hope to repeat the observation. This left only reading.

Scholarly Reading Practices in the Heyday of Observation Albrecht von Haller has been characterised as “the most celebrated scientific observer of the Enlightenment”.86 His literary remains include a large number of notebooks containing notes on his observations. These notes as well as his writings indicate that he was an arduous and diligent observer. Especially when he treated controversial issues such as the question of the development of the embryo, he would usually try to make a large number of observations, and repeat those made by others. For instance, he repeated the embryological observations that Marcello Malpighi (1628 – 1694) had made on the basis of chicken eggs, without, however, completely calling Malpighi’s observations into question.87 Still, even the most celebrated of all observers had to take recourse to the observations and, more generally, the knowledge of others. During Haller’s lifetime, the collective empiricism that had developed over the course of the early modern period still formed the epistemic basis for the respublica litteraria medica. However, Haller’s approach differed from that of earlier naturalists, and particularly the members of the scientific academies of the second half of the seventeenth century, in one important respect: until the early eighteenth century the reliability of an observation was rarely called into question – even if it hinged exclusively on the testimony of its observer-author.88 Eighteenth-century empiricism was still to some extent a “learned empiricism” (to use Gianna Pomata’s and Nancy G. Siraisi’s concept), even though naturalists had a marked tendency to stress only the observational component of their scholarly practice. Haller was no exception. Reading was a key aspect of his research. He carefully and systematically sifted through both the earlier scholarly literature and the publications of his contemporaries that pertained to his fields of study. The bibliographies he published, the Bibliothecae, provide impressive testimony to these reading practices. During his lifetime, he managed to publish a Bibliotheca botanica (1771 – 1772) and a Bibliotheca anatomica (1774 – 86 Lorraine Daston: The Empire of Observation, 1600 – 1800. In: Lorraine Daston, Elizabeth Lunbeck (eds.): Histories of Scientific Observation. Chicago, London 2010, pp. 81 – 113, hier p. 106. 87 See ibid., endnote 103 on p. 113. 88 On the reasons see Lorraine Daston, Katharine Park: Wonders and the Order of Nature 1150 – 1750. New York 1998, pp. 248 – 251.

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1777), both of which came in two volumes. He had also planned to publish a Bibliotheca medica.89 However, unlike most of his predecessors in the sixteenth and seventeenth centuries, and typical of the eighteenth century, Haller historicised the knowledge that his bibliographies had made accessible. His take on the history of the study of nature was one of a steady progress. He considered it normal that a considerable portion of the available knowledge would be revised within a single generation.90 Albrecht von Haller’s reading practices, therefore, could not be aimed primarily at collecting titbits of knowledge. Documenting the literature was rather a means to an end, and his notion of the historicity of knowledge is inscribed into his Bibliothecae.91 Accordingly, the main purpose of his Bibliotheca anatomica was to provide the researcher with all the literature available on the issues in anatomy in which he might take an interest, and thereby promote future research. To this end, it documents and annotates the available anatomical and physiological knowledge on 1680 quarto pages.92 It is not a surprise, then, that the Swiss physiologist was also deeply involved in another flourishing practice related to assessing the literature: writing reviews. Between 1747 and 1753, Albrecht von Haller was the main editor of the Göttingischer Gelehrter Anzeiger, a review journal to which he single-handedly contributed around 9,000 reviews.93 Finally, I would like to argue that the imperative of repeating observations did not so much devalue reading as recalibrate the relationship between reading and observational practices. When Haller repeated Malpighi’s observations on chicken eggs, his observations were in a way part of his reading practices. Haller’s discussion of the centaur rumour and the way in which he approaches the question of whether or not such animal-human hybrids can exist show how central his reading practices were to his work. His careful assessments were based on the accounts of such beings that he found in the literature. Haller’s highly critical stance in relation to these accounts, however, is clearly due to cultural factors that were closely related to a particular “scientific per-

89 Cf. the entry on (Victor) Albrecht von Haller in Charles Coulston Gillispie (ed.): Complete Dictionary of Scientific Biography. Vol. 6. Detroit 2008, pp. 61 – 67, at pp. 66 f. 90 Steinke, Anatomie und Physiologie, 2008, pp. 226 – 254, hier p. 246; cf. on the whole paragraph ibid., pp. 246 – 248. 91 Cf. Ibid., p. 249. 92 Albrecht von Haller : Bibliotheca anatomica etc. 2 vols, Zürich 1774 – 1777. On the scope and content of the Bibliotheca anatomica cf. Steinke, Anatomie und Physiologie, 2008, pp. 226 – 254, hier p. 249. 93 Stuber, Hächler, Lienhhard, Hallers Netz, 2005, p. 5.

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sona”94 : the identity of the naturalist that was emerging at that time. It implied not only a way of investigating but also a way of being. As discussed, the way in which this persona was conceived and represented by the contemporaries implied that there was a stark contrast between the cognitive practices of contemporary naturalists and both their less educated and enlightened contemporaries and most of their learned predecessors. At the very heart of this purported difference were credulity and the corresponding ignoble type of curiosity. Like many of his learned colleagues in the eighteenth century, Albrecht von Haller advocated an attitude of incredulity. He suspected large numbers of his non-naturalist contemporaries to be as credulous as his unenlightened predecessors. Both these groups seemed to consist of undisciplined observers who were unable to keep their imagination in check at all times.

Conclusion or How to Empirically Prove that Centaurs Do Not Exist The disappearance of the centaur and other creatures from “the true” cannot be ascribed to a victory of empiricism over rote learning, of observation over reading. Albrecht von Haller was not less devoted a reader than, for instance, his Renaissance predecessors Conrad Gesner or Ulisse Aldrovandi, whose writings describe a large number of creatures at considerable length whose existence Haller and most of his learned contemporaries called into question. However, the learned practices of both scholarly reading and observation had since undergone, and were still undergoing, some profound changes. As Lorraine Daston has shown, observation by Haller’s time was fully established both as a scholarly practice and an epistemic category.95 This did not imply, however, that it was opposed to reading. Instead, observation and reading were still intimately connected, although in a new way. The reading practices of naturalists such as Albrecht von Haller or James Parsons were no longer aimed primarily at collecting, but at critically assessing the extant knowledge on monsters, as well as other natural particulars. Their view on conducting an observation was in fact not dissimilar from their view on reading: an observation should be repeated in order to minimise the chance of error, regardless of who the original observer was. These changes alone in scholarly observational and reading practices would not have had such a strong effect on the discourse on monsters, however, had it 94 On “scientific personae” see Lorraine Daston, H. Otto Sibum: Introduction: Scientific Personae and Their Histories (Science in Context 16) 2003, pp. 1 – 8. 95 See Daston, The Empire of Observation, 2010, pp. 81 – 113 , hier esp. p. 81 f and pp. 101 – 102.

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not been for the rise of a new conception of the naturalist and, simultaneously, a new cognitive sense of time. Many eighteenth-century intellectuals came to consider the observations and opinions of earlier generations of scholars to be no more reliable than those of their unenlightened contemporaries. In their view, outmoded scholarly knowledge and more recent popular, or vulgar, knowledge had something fundamentally in common at the level of the cognition of those who engaged in its production and consumption: both these groups lived, so to speak, in pre-enlightenment times. This meant that they were prone to a number of pathologies of perception and, above all, to credulity. The vulgar thus functioned as a cognitive category. The ideal of the reliable observer-reader was an elite person who was able to keep his distance from vulgar matters. He steadily and diligently observed and read up on the object of his studies. Unlike the “idle part” of a city like London, he neither succumbed to the restless, wandering form of curiosity, nor attended the commercial spectacles of showmen. (If he did visit such a spectacle, he at least did not readily believe their accounts of the supposed wonders on display.) He also did not believe in unverified rumours such as that of a live centaur allegedly seen in eighteenth-century London. This may also explain why Albrecht von Haller mentions the centaur rumour in his lectures, but not in his scholarly writings. It seems reasonable to surmise that he did not consider his students to be fully enlightened yet. Unlike the implicit reader whom he targeted with his learned publications on monsters, they still had to become disciplined observer-readers. This may well have been the reason why he decided to include a reference to the rumour in his lectures: it was an especially effective didactic tool for teaching them this particular lesson.

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Alpen-Tiere. Lokale Wissenswelten in der schweizerischen Naturgeschichtsschreibung „Das Stein=Wildpret steigt ueberhoch/ Oder steht in ein Felsig Loch/ Und ueber hoechste Felsen springt Mit List der Jaeger nach her tringt/ Und wann er mit geschwinder Hand/ Ein Gems getriben an ein Wand/ Daß sie nicht weiter weichen kan/ So fahet sie zu traehnen an/ Und plerret doch/ und wisplet nicht/ So aber ung’ferd sie durchsicht Zwischen dem Jaeger/ und der Wand/ Mit starkem sprung sie durchhin rant/ Und stuerzt den Jaeger in das Thal Zu seinem gwissen Todesfall“ Hans Rudolph Rebmann 16061

Die Tiere der Alpen waren den Naturforschern des 16. und 17. Jahrhunderts nicht selten ebenso fremd wie die exotischen Tiere aus der Neuen Welt. Der natürliche Lebensraum der Tiere – die Alpen – war nur schwer zugänglich und so stützten sich die Forscher auf lokale Geschichten und auf Erzählungen ortsansässiger Gewährsmänner wie beispielsweise dem Gemsjäger, der die Tiere aus eigener Erfahrung kannte. Lokales Wissen war eng mit popularem Wissen verbunden, formte aber zugleich den Gegenstand gelehrter Forschung. Das Sammeln von Beobachtungen erster oder zweiter Hand war Teil einer empirisch orientierten Naturforschung des 17. Jahrhunderts, in der die lokale Naturwelt vermehrt ins Zentrum des Interesses rückte.2 Die in den Naturgeschichten versammelten Erzählungen dokumentieren die Auseinandersetzung der lokalen Bevölkerung mit ihrer eigenen Umgebung. Sie berichten vor Ort über Orte, 1 Johann Rebmann: Einn Neuw/ Lustig/ Ernsthafft/ Poetisch Gastmal/ vnd Gespraaech zweyer Bergen in der loeblichen Eydgenoßschafft/ vnd im Berner Gebiet gelegen: Nemlich deß Niesens vnd Stockhorns/ als zweyer alter Nachbaren: Welches Jnnhalt Ein Physicam Chorographicam vnnd Ethicam Descriptionem Von der ganzen Welt in gemein/ Vnd sonderlich Von Bergen vnd Bergleuten. Bern 1606. S. 458. 2 Vgl. Alix Cooper : Inventing the Indigenous. Local Knowledge and Natural History in Early Modern Europe. New York 2007.

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deren Naturwelt als identitätsstiftende Projektionsflächen und deren natürliche Objekte als regionale Symbole dienen konnten. Die frühneuzeitliche Erkundung der Alpentiere zeigt exemplarisch, wie wissenschaftliche Empirie mit kultureller Bedeutung einherging. Die eingangs zitierten Verse des Berner Pfarrers Hans Rudolph Rebmann (1566 – 1605) erzählen von geschickten Sprüngen der Gemsen, von der List des Jägers und von tödlichen Gefahren der Gemsjagd. Noch im frühen 18. Jahrhundert wurden sie in der Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweitzerlands (1706 – 1708) des Zürcher Arztes und Naturforschers Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) rezipiert und rezykliert. Scheuchzer bemühte sich intensiv um die Sammlung lokaler Geschichten und Erzählungen. 1716 veröffentlichte er eine Bibliographie, die Bibliotheca scriptorum historiae naturalis, worin er nach Ländern geordnet zahlreiche lokale Naturgeschichten aufführte.3 In dieser auf Latein verfassten und mehrere Länder umfassenden Bibliographie finden sich auch Manuskripte sowie unter der Überschrift Anonymi Flugblätter.4 Zwischen 1702 und 1712 gab Scheuchzer jährlich eine weitere, ausschliesslich auf die Schweiz fokussierte und über die Naturgeschichte hinausreichende Bibliographie heraus, die Nova literaria Helvetica. Diese Zusammenstellung der Neuerscheinungen lebender oder erst kürzlich verstorbener Schweizer Autoren, ebenfalls Manuskripte enthaltend, zeugt wiederum von Scheuchzers Interesse an schweizerischer Regionalgeschichte. Scheuchzers bibliographische Arbeiten präsentieren insgesamt eine Naturforschung, die sich aus einer Vielzahl einzelner, lokaler und oft auch nur handschriftlich überlieferter Geschichten zusammensetzte. Die Verknüpfung einzelner lokaler Naturgeschichten bereitete letztlich den Boden einer als universal begriffenen und auf Beobachtung beruhenden Wissenschaft. Man könne, so Scheuchzer, die Naturgeschichte einer Region nicht ohne Mithilfe anderer erarbeiten.5 Die Schweiz müsse manchmal auch in Indien und Indien in der Schweiz gesucht werden.6 3 Johann Jakob Scheuchzer : Bibliotheca scriptorum historiae naturalis. Zürich 1716. 4 Letztere stammten mehrheitlich aus der Sammlung Johann Jakob Wicks (1522 – 1588), die Scheuchzer jedoch nicht genauer auswies. Die Flugschriften dienten Scheuchzer als Materialsammlung, während er sich zugleich auch kritisch über eine „abergläubische“ Prodigieninterpretation äusserte. Vgl. Franz Mauelshagen: Wunderkammer auf Papier. Die „Wickiana“ zwischen Reformation und Volksglaube. Epfendorf 2011. S. 241 – 271. 5 „Ita, nústi, innexa est unius Regionis Historia Naturalis cum aliarum, longissimÀ etiam dissitarum, Historia, ut vix unam plenÀ elaborare possis sine alia“, in: Johann Jakob Scheuchzer : Bibliotheca scriptorum historiae naturalis, 1716, S. 3v. Vgl. auch Alix Cooper: Inventing the Indigenous, 2007, S. 158. 6 „Helvetiam haud rarý quaerere necesse habeo in Indiis, & Indiam in Helvetia.“ Scheuchzer, Johann Jacob: Bibliotheca scriptorum historiae naturalis, 1716, Vorwort. Insbesondere bei seinen paläontologischen Studien war er auf ortsansässige Helfer angewiesen. Beim Vergleich fossiler Muscheln mit noch existierenden Tieren schreibt Scheuchzer beispielsweise, dass „bey Gelegenheit die Liebhaber Natuerlicher Geschichten, welche sonderlich in der Nach-

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Der vorliegende Beitrag untersucht einige in Scheuchzers Bibliographie erwähnte lokale Naturbeschreibungen des 16. und 17. Jahrhunderts. In diesem Kontext möchte ich chorographische, d. h. topographisch gegliederte Beschreibungen einzelner Regionen vorstellen. Die Chorographen vermittelten zwischen Alpenbewohnern und Gelehrtenrepublik. Neben der Rezeption lokalen Wissens trugen die Chorographien zur Aufwertung popularen Wissens und zu einem Bewusstsein lokaler Identität bei. Die Figur des Gemsjägers beispielsweise war Wissensträger und Identifikationsfigur zugleich. Die patriotisch orientierte Aufwertung lokalen Wissens ging mit einer Hierarchisierung lokaler Tierwelten einher. Scheuchzer wusste die verschiedenen Wissensfelder popularer und gelehrter Orientierung schliesslich zu bewirtschaften und nutzte sein lokales Wissen, um seinen Platz innerhalb einer international vernetzten Gelehrtenrepublik zu behaupten. Der Rückgriff auf lokales Wissen ermöglichte es ihm, sich einer empirisch verstandenen Wissenschaft zuzuordnen und sich (rhetorisch) von einer auf reinem Textwissen beruhenden Wissenschaft zu distanzieren. Die Wissenschaftsgeschichte blendete die kulturelle Dimension lokaler Naturgeschichten, die vor dem Hintergrund einer Wissenschaft universalen Anspruchs deutlich wird, bislang weitgehend aus. Die Chorographien zeigen jedoch wesentliche Ansätze empirischer Naturforschung. Als Schlussbetrachtung möchte ich somit den möglichen Beitrag einer stärkeren Berücksichtigung lokalen und popularen Wissens für eine Kulturgeschichte des Wissens skizzieren.

Wissen im Raum: Chorographische Werke der Schweiz Die 1548 erstmals in zwei Bänden erschienene Schweitzer Chronik des Zürcher Pfarrers Johannes Stumpf (1500 – 1577/78) ist wohl eines der bekanntesten Beispiele schweizerischen Schrifttums des 16. Jahrhunderts. Die Chronik enthält, wie auch Scheuchzer in seiner Bibliographie betont, viele naturgeschichtliche Informationen.7 In einer 1606 von seinem Sohn Johann Rudolph Stumpf barschafft des Meers wohnen, ersucht werden, durch genaue Beschreibung und Zergliederung der Meer=Sternen uns mehrern Bericht zu ertheilen.“ Johann Jakob Scheuchzer : KupferBibel/ In welcher Die Physica Sacra, Oder Geheiligte Natur-Wissenschafft Derer In Heil. Schrifft vorkommenden Natürlichen Sachen […]. Bd. 1. Ulm, Augsburg 1731, S. 71. 7 Johannes Stumpf: Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten, Landen vnd Voelckeren Chronick wirdiger thaaten beschreybung: Hierin[n] wirt auch die gelegenheit der gantzen Europe/ Jtem ein kurtzuergriffne Chronica Germanie oder Teütschlands/ in sonders aber ein fleyssige histori vnd ordenliche beschreybung Gallie oder Franckrychs fürgestellt/ darauff denn obgedachte der Eydgnoschafft beschreybung volget. Welchs alles mit gar schoenen Geographischen Landtaflen/ Contrafetischem abmalen der Stetten/ Flaecken vnd Schlachten/ auch mit vilen alten vnd herrlichen Waapen/ künigklicher/ fürstlicher vnd Edler geschlaechten

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herausgegebenen Edition bezeichnet dieser das Werk als Chorographia, welches im Gegensatz zur Chronologia den Inhalt nicht chronologisch, sondern topographisch gliedere.8 Von einer mathematisch-abstrahierenden Geographie unterschieden sich die Chorographien durch einen stark deskriptiven Charakter. Sie strebten im Prinzip nach vollständiger Bestandsaufnahme aller Einzelheiten einer Region, ihrer Historien und Naturhistorien.9 Sie sammelten Geschichten im dreidimensionalen Raum. Die Themenvielfalt chorographischer Werke findet sich oft bereits in der Titelei programmatisch angekündigt.10 Allgemeine oder Geburtstaflen fürgebildet/ darzuo mit fleyssigen Registern außgescheiden/ Durch Johann Stumpffen beschriben/ vnd in XIII. buecher abgeteilt ist. Welcher summen vnd inhalt nach 5. naechst vmbgewendten blettern eigentlich verzeichnet findst. beschriben. Zürich 1548. Eintrag in Johann Jakob Scheuchzer : Bibliotheca scriptorum historiae naturalis 1716, S. 110. Zu Stumpf vgl. Christian Moser : Art. Stumpf, Johannes. In: Historisches Lexikon der Schweiz., , [31. 05. 2013]. 8 Vgl. Johannes Stumpf: Schweytzer Chronick: Das ist/ Beschreybunge Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten/ Landen/ Völckeren vnd dero Chronickwirdiger Thaaten: Beneben vorbeschribner Gelegenheit Europe, vnd kurtzverzeichneter fleissiger Histori Teütschlands/ Franckreychs vnnd Niderlands: Alles Mit schoenen Landtafeln (der Stetten/ Flaecken vnd Schlachten contrafacturen/vilen Koenigl. Fürstl. vnd Adelichen alten Waapen vnd Genealogien gezieret: Erstlich durch H. Johan Stumpfen in XIII. Buechern beschriben: folgends durch H. Johan Ruodolph Stumpfen an vilen orten gebesseret/ gemehret vnd von Ano 1548. biß auf das 1587. continuiert: an jetzo aber biß auf das gegenwirtige 1606. außgefuehrt. Sampt einem volkommenen hierzuo erforderten zwyfachen Register. Zürich 1606. 9 Vgl. Markus Friedrich: Chorographica als Wissenskompilationen – Probleme und Charakteristika. In: Frank Büttner, Markus Friedrich, Helmut Zedelmaier (Hg.): Sammeln, Ordnen, Veranschaulichen: Zur Wissenskompilatorik in der Frühen Neuzeit. Münster et al. 2003. S. 83 – 111, hier S. 84 f. 10 Vgl. z. B. Johann Leopold Cysat: Beschreibung deß Beruehmbten Lucerner= oder 4. Waldstaetten Sees/ vnd dessen Fürtrefflichen Qualiteten vnd sonderbaaren Eygenschafften. Darinnen gemeldet wirdt Der Vrsprung deß Flusses Vrsa oder Reueß/ dessen Lauff jnn= vnnd auß dem See: deß Sees laenge/ breitte/ tieffe/ vnnd wie mancherley herrlicher guter Fisch in demselben zufinden. Jtem Was fuer Heylige/ Geistliche/ auch Vortreffliche Gelehrte vnd Kriegserfahrne Maenner vmb vnd an disem See gewohnet: mit meldung der Heerzuegen vnd Schlachten/ welchen die Angesaessene desselbigen von zeit zu zeiten beygewohnet. Da bey auch kuertzlich angedeuetet Was vor alten zeiten fuer Vnthier/ als Drachen vnd Lindtwuermb allda gesehen/ bestritten vnd vertriben worden, anjetzo aber an Zahm= vnd Wilden Thieren/ auch allerhand Voegel zu Wasser vnd Landt gefunden werden. Sampt durchgehender entwerffung Deren an dem See ligenden Schloessern/ alten Burgstaellen/ Laender/ Staett/ Flecken/ Doerffer/ Kloester/ Sommer=Residentzen/ nahmhaffter Bergen/ vnd Wasserfluessen […] so wol Kurtzweyl als Trawriger Geschichten/ die sich an ein= oder anderm Orth zugetragen. Luzern 1661 oder Hans Erhard Escher : Beschreibung Des Zuerich Sees: Wie auch Von Erbauung/ Zunemmen/ Stand und Wesen loblicher Statt Zuerich: von der Lust= und Nutzbarkeit des Sees: von vielen Thieren/ so sich in und um denselbigen befinden: Was sich freudiges und trauriges darauf zugetragen: Von den Staetten/ Schloesseren/ Flaeken/ Doerferen und Hoefen/ so an und um disen See gelegen: Von Gelehrten/ Kunstreichen und Wolgereißten Maennern/ so um disen See gewohnet: Auch von dieser anwohnenden Voelkeren Heerzügen/Schlachten/Buendnussen/ und anderen Denkwuerdigen Begebenheiten. Zürich 1692.

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Geschichte und Naturgeschichte wurden beide gleichermassen als Historia, als eine Sammlung von Beobachtungen unterschiedlicher Provenienz begriffen.11 Die 1538 erschienene Schrift Die uralt warhafftig Alpisch Rhetia sampt dem Tract der anderen Alpgebirgen des Aegidius Tschudi (1505 – 1572) sowie die 1574 gedruckte Alpenbeschreibung De Alpibus Commentarius des Zürcher Theologen Josias Simler (1530 – 1576) verbanden das chorographische Schreiben mit der Erforschung der Alpen.12 Im 17. Jahrhundert entstanden weitere chorographisch ausgerichtete Werke, die sich in deutscher Sprache an ein lokales und auch weniger gelehrtes Publikum richteten. 1661 beispielsweise publizierte Johann Leopold Cysat (1601 – 1663) die Beschreibung dess Berühmbten Lucerner oder 4. Waldstetten Sees.13 Der Enkel des Chronisten Renward Cysat konnte auf die 22 Bände umfassenden Kollektaneen seines Grossvaters zurückgreifen, dessen Ziel es bereits gewesen war, eine Luzerner und eine Schweizer Chronik zu verfassen.14 Die im Vergleich zu Stumpfs Schweizer Chronik kleinräumigeren, oft auf einzelne Regionen oder Seen eingegrenzte Chorographien liessen sich von ihren Vorgängern jeweils inspirieren. In der Schreibstube seines Gastgebers zu Cremona hatte Cysat die Beschreibung des Lago Maggiore des Jesuiten Paolo Morigia betrachtet und sogleich den Vorsatz gefasst, weitere Lokalgeschichten in der mailändischen Bibliothek aufzusuchen und schliesslich eine eigene Beschreibung des Vierwaldstättersees zu verfassen.15 1691 wurde die Beschreibung Des Zuerich Sees von Hans Erhard Escher (1656 – 1689) unter Mitwirkung des Zürcher Stadtarztes Johann Jakob Wagner postum herausgegeben.16 Die Anre11 Zum Begriff der Historia vgl. Gianna Pomata, Nancy Siraisi (Hg.): Historia: Empiricism and Erudition in Early Modern Europe. Cambridge 2005. Vgl. auch Gianna Pomata: A Word of the Empirics: The Ancient Concept of Observation and its Recovery in Early Modern Medicine. In: Annals of Science 68/1 (2011), S. 1 – 25. 12 Zu Tschudi vgl. Christian Sieber : „Enutritus sum in hac terra alpium“ – Geographie, Geschichte, Bevölkerung, Sprache: Aegidius Tschudi (1505 – 1572) und die Erforschung der Alpen im 16. Jahrhundert. In Simona Boscani Leoni (Hg.): Wissenschaft-Berge-Ideologien. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung. Basel 2010. S. 215 – 233; Jakob Vogel: Egidius Tschudi als Staatsmann und Geschichtschreiber : Ein Beitrag zur Schweizergeschichte des 16ten Jahrhunderts. Zürich 1856. 13 Cysat, Beschreibung deß Beruehmbten Lucerner- Oder 4. Waldstaetten-Sees, 1661. 14 Renward Cysat: Collectanea chronica und denkwürdige Sachen pro chronica Lucernensi et Helvetiae, hg. von Josef Schmid. Luzern 1961. Vgl. Fritz Glauser : Cysat, Renward. In: Historisches Lexikon der Schweiz, . [27. 06. 2012]; Daniel Karbacher, Anne Keller : Renward Cysat (1545 – 1614). In: Rudolf Schenda (Hg.): Sagenerzähler und Sagensammler der Schweiz: Studien zur Produktion volkstümlicher Geschichte und Geschichten vom 16. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Bern 1988, S. 91 – 121; Thomas Klöti: Cysat, Johann Leopold. In: Historisches Lexikon der Schweiz, , [27. 06. 2012]. 15 Cysat, Beschreibung deß Beruehmbten Lucerner- Oder 4. Waldstaetten-Sees, 1661, Vorwort. 16 Über den früh verstorbenen Hans Erhard Escher, Artilleriehauptmann, ist nur wenig bekannt. Vgl. Eduard Vischer : Glarus und Näfels am Ende des 17. Jahrhunderts. Aus den

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gung, ein solches Werk zu verfassen, hatte Escher wiederum von Cysat erhalten. Escher habe, so das Vorwort, „bej seinen Lebzeiten die Beschreibung des Lucerner oder vier Waldstaetten=Sees/ von Hrn. Leopold Cisaten Under=Stattschreiber Loblicher Statt Lucern aufgesezt/ besehen und gelesen/ [und es] hat Jhne bedunkt/ es wurde nicht minder lustig und angenehm seyn/ wann man den Zürich=See/ deßgleichen die daran gelegne Statt und Landschaft Zürich/ samt daselbst sich befindenden und vergangenen Sachen in die Federen fassete“.17

Die Beschreibung einer Region motivierte zur Beschreibung anderer Regionen. Dabei war auch die Idee der Sammlung als ein Gemeinschaftswerk, wie es sich Francis Bacon für die Naturgeschichte wünschte, in der lokalen Geschichtsschreibung bereits angelegt.18 Johann Leopold Cysat und andere forderten in ihren Vorreden weitere Gelehrte zur Verfassung ähnlicher Schriften auf.19 Nach dem Vorbild der Stumpf ’schen Schweizer Chronik beabsichtigte Simler, in Zusammenarbeit mit anderen Autoren eine umfassende Geschichte der Eidgenossenschaft zu verfassen.20 Für die Darstellung der Drei Bünde hatte Simler, wie aus seinen Briefen hervorgeht, Ulrich Campell (ca. 1510 – ca. 1582) angefragt, der daraufhin ein Manuskript über die Topographie und Geschichte Graubündens verfertigte.21 Für ein Gemeinschaftsprojekt, wie Simler es geplant hatte, schien Campells Werk allerdings dann zu umfangreich und blieb zu seinen Lebzeiten unpubliziert.22

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Reiseaufzeichnungen der Zürcher Junker Hans Erhard und Hans Conrad Escher. In: Jahrbuch des Historischen Vereins des Kantons Glarus 64 (1973), S. 11 – 18. Escher, Beschreibung des Zürich Sees, 1692, Gunstgeneigter Leser. Vgl. Vladimir Jankovic: The Place of Nature and the Nature of Place: The Chorographic Challenge to the History of British Provincial Science. In: History of Science 38, 119/1 (2000), S. 79 – 113, hier S. 98; Markus Friedrich, Markus: Chorographica als Wissenskompilationen, 2003, S. 95. Vgl. z. B. Cysat, Beschreibung deß Beruehmbten Lucerner- Oder 4. Waldstaetten-Sees, 1661, An den Guenstigen Leser ; Escher : Beschreibung des Zürich Sees, 1692, Gunstgeneigter Leser. Vgl. Traugott Schiess: Einleitung. In: Ulrich Campell: Dritter und vierter Anhang zu Ulrich Campells Topographie von Graubünden, hg. von Traugott Schiess. Chur 1900. S. 1 – 107, hier S. 12. Vgl. ebd., S. 4. Zu Campell vgl. auch Hermann Wartmann: Einleitung, in: Ulrich Campell: Dritter und vierter Anhang zu Ulrich Campells Topographie von Graubünden, hg. von Traugott Schiess (Beilage zum Jahresbericht der Naturforschenden Gesellschaft Graubündens 42 – 44), Chur 1900, S. v-cvii; Florian Hitz: Steinbock und Murmeltier in Graubünden. Repräsentationen und Nutzungen vom Hochmittelalter bis in die Frühneuzeit. In: Reto Furter, Anne-Lise Head-König, Luigi Lorenzetti (Hg.): L’homme Et L’animal Sauvage. Zürich 2010. S. 89 – 115, hier S. 101 f. Campells Chronik wurde erst im 19. Jahrhundert publiziert, vgl. Ulrich Campell: Raetiae alpestris topographia descriptio, hg. von Christian. J. Kind, in: Quellen zur Schweizer Geschichte, Basel 1884. Die naturgeschichtlichen Einträge finden sich v. a. im dritten und vierten Anhang zur Raetiae alpestris topographia, vgl. Campell, Dritter und vierter Anhang,

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Das ebenfalls in Scheuchzers Bibliographie erwähnte Einn Neuw/ Lustig/ Ernsthafft/ Poetisch Gastmal/ vnd Gespraech zweyer Bergen/ Jn der Loeblichen Eydgnoßschafft/ vnd im Berner Gebiet gelegen ist ein besonderes Dokument chorographischen Schrifttums. Das Werk fingiert einen eher monologisch gehaltenen Dialog zweier Berge, des Niesen und des Stockhorns.23 Der chorographische Inhalt erhielt hier eine Formatierung, die die Grenzen zu weiteren literarischen Formen, wie beispielsweise der an Platons Symposion orientierten Dialogliteratur oder des gleicherweise in Knittelversen verfassten Volksspiels, spielerisch verwischte. Im Untertitel nennt Rebmann sein Werk eine Physica, Chorographica vnd Ethica description der gantzen Welt in gemein Vnd sonderlich von Bergen/ vnnd Bergleuten. Es ist somit keine Regional-, sondern eine Weltbeschreibung, deren Inhalt in drei grössere Abschnitte – Physik, Chorographie und Ethik – aufgeteilt ist. Ein erster Teil handelt „Von der gantzen Welt in gemein“, von der Schöpfung, den Gestirnen und den Elementen. Der zweite und umfangreichste Teil behandelt die Erschaffung der Berge, die darauf lebenden Tiere, Pflanzen, die Bergflüsse, die Gletscher, die Lawinen. Der dritte Teil widmet sich den Bergleuten. Die besondere Bedeutung lokalen Wissens wird bei der Auswahl der sprechenden Berge, die beide im Berner Oberland liegen, sowie in der umfang- und detailreichen Darstellung lokaler Naturgeschichte, insbesondere in der chorographischen Beschreibung, deutlich.24 Darin rezipierte Rebmann auch intensiv die Schweyzer Chronik Stumpfs. Die chorographische Geschichtsschreibung beruhte auf Beobachtungen einzelner historischer und natürlicher Erscheinungen. Sie bildete damit die Grundlage einer induktiven Naturforschung, die ihre Erkenntnisse aus der Sammlung singulärer Ereignisse zu ziehen suchte, wobei zwischen eigenen und fremden Beobachtungen kaum unterschieden wurde. Stumpf berichtete nicht 1900. Vgl. auch Ulrich Campell: Historia Raetica. Bd. 1, hg. von Placid Plattner. In: Quellen zur Schweizer Geschichte. Bd. 8. Basel 1887 und Ulrich Campell: Historia Raetica. Bd. 2, hg. von Placid Plattner. In: Quellen zur Schweizer Geschiche. Bd. 9. Basel 1890. 23 Auch Cysats Anrede des Zürich-Sees, das seiner Chorographie vorangestellt wird, kann als ein Beispiel angeführt werden, in dem ein natürliches Objekt (der See) mit Sprache versehen und poetisch ausgeformt wird. Vgl. Cysat, Beschreibung deß Beruehmbten Lucerner- Oder 4. Waldstaetten-Sees, 1661, Anrede des Zürich-Sees. 24 Zu Rebmanns Gespräch vgl. Rosmarie Zeller : Die Wunderwelt der Berge. Literarische Form und Wissensvermittlung in Hans Rudolf Rebmanns Gastmal und Gespräch zweier Berge. In: Barbara Mahlmann-Bauer (Hg.): Scientiae et artes die Vermittlung alten und neuen Wissens in Literatur, Kunst und Musik. Wiesbaden 2004, S. 979 – 996; Rosmarie Zeller : Vom Wunder zur Kuriosität. Wunderbücher und ihre Rezeption in Deutschland. In: Flemming Schock (Hg.): Polyhistorismus und Buntschriftstellerei. Populäre Wissensformen und Wissenskultur in der Frühen Neuzeit. Berlin, New York 2012, S. 91 – 106; Hans Forster : Hans Rudolph Rebmann und sein „Poetisch Gastmahl zweier Berge“. Ein Beitrag zur Kultur- und Literaturgeschichte der deutschen Schweiz um die Wende des 16. Jahrhunderts. Frauenfeld, Leipzig 1942.

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selten aus eigener Anschauung und sah sich beispielsweise genötigt, ausführlicher über das Murmeltier zu berichten, „dann ich hab soelicher thierlin etwo manichs by mir in meinem hauß erzogen/ vnd etlichs in die zwey gantze jar enthalten/ auch derenn vil winterszeyt schlaaffend außgegraben/ helffen kauffen/ bereiten vnnd essen/ rc.“25 Escher sammelte die Beobachtungen „aus vielen Alten und Neuen getrukten und geschriebenen Buecheren“, habe seine Beschreibung des Zürichsees aber auch nach „selbs eigner erfahrung und fleissiger Nachforschung“ verfasst.26 Exkursionen im eigenen Land waren Teil des chorographischen Unternehmens und der lokalen Naturforschung.27 Die Zürcher Ärzte und Naturforscher Johann Jakob Wagner (1641 – 1695) und Johann Jakob Scheuchzer sammelten, im Bestreben eine gesamtschweizerische Naturgeschichte zu verfassen, die chorographischen Historien. 1689 publizierte Wagner eine erste Naturgeschichte der Schweiz, die Historia naturalis Helvetiae curiosa. Johann Jakob Scheuchzer, der Wagner als Stadtarzt und Kurator der Bibliothek der Wasserkirche in Zürich nachfolgte, hinterliess ein umfangreiches naturhistorisches Werk. Er unternahm mehrere Exkursionen in die Alpen und beschrieb seine Beobachtung in einer zwischen 1705 und 1707 jeweils mittwochs erscheinenden Wochenschrift, dem vermutlich ersten naturgeschichtlichen Wochenblatt der Schweiz.28 Unter dem Titel Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlandes fasste Scheuchzer die Blätter zu Jahresbänden zusammen und versah sie mit einem Register. Im Rückgriff auf die in seiner Bibliographie erwähnten Chorographien, auf Wagners Werk sowie auf die auf seinen Alpenreisen gesammelten Beobachtungen beabsichtigte er, eine umfassende Naturgeschichte der Schweiz zu verfassen. Dabei stützten sich die Naturforscher auf die Erfahrungen der Chorographen und suchten darüber hinaus weitere Geschichten über Mittler aus der alpinen Gegend zu erhalten.

25 Stumpf, Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten, Landen vnd Voelckeren Chronick wirdiger thaaten beschreybung, 1548, S. 288vf. 26 Escher, Beschreibung des Zürich Sees, 1692, Gunstgeneigter Leser. 27 Cysat schreibt: „Als ich nun dazumahlen fuer den Anfang vnd Fundament ein Notturfft zuseyn befunden […] mir ein Orth zuerkiesen/ wo ich den gantzen See auff einmahl zugesicht bringen/ vnd selbigen nach dem Compas/ vnd wie er sonsten eygentlich gelegen vnd situiert, in grund zulegen/ vnd zu solchem Ende mich auff die Hoehe deß Rigenbergs begeben/ alwo ich mich in ich mich in meiner Hoffnung guter verrichtung vmb den halben theil betrogen befunden […]. Disen Mangel hat mir aber bald ersetzt mein Reiß auff Sefflißberg vnnd Bauwen […].“ Cysat, Beschreibung deß Beruehmbten Lucerner- Oder 4. Waldstaetten-Sees, 1661, HochEhrende/ Gepietendt/ Gnaedige Herrn. 28 Zur Zeitschriftenliteratur in der Schweiz vgl. Carl Ludwig Lang: Die Zeitschriften der deutschen Schweiz bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts (1694 – 1798). Leipzig 1939, zu Scheuchzers Wochenblatt insbesondere S. 52 – 54.

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Mittlerfiguren zwischen lokalen und gelehrten Wissenswelten Die Chorographen und die Naturforscher vermittelten zwischen der Bergbevölkerung und der schweizerischen Naturgeschichtsschreibung. Sie nahmen lokales Wissen auf, sortierten und strukturierten es, schrieben es nieder. Eine wichtige Funktion in der Verbreitung lokalen Wissens übernahmen Theologen und Pfarrer wie Johannes Stumpf, Johann Rudolph Rebmann, Ulrich Campell oder Josias Simler. Wo Pfarrer nicht selbst als Geschichtsschreiber auftraten, dienten sie den Naturhistorikern als Informanten, welche dem Gesehenen durch ihre Amtswürde Glaubwürdigkeit verliehen. Auch Ärzte und Juristen wirkten zuweilen als Schreiber oder Beglaubiger und gesellten sich als Wahrheitsgaranten neben die antiken Autoritäten.29 Die zwischen der lokalen Umgebung und der „gelehrten Republik“ vermittelnden Chorographen und Naturhistoriker stammten eher selten aus dem Berggebiet. Johannes Stumpf, Josias Simler, Johann Jakob Wagner und Johann Jakob Scheuchzer wirkten vor allem in Zürich. Sie vermittelten zwischen Einheimischen und Gelehrten, zwischen überregionalen und lokalen Wissenswelten. Scheuchzer konnte sich zudem als Vermittler regionaler Landesbeschreibung und internationaler Naturgeschichtsschreibung präsentieren. Er war international gut vernetzt, was aus seiner Korrespondenz mit berühmten Wissenschaftlern wie Hans Sloane, Isaac Newton, Bernard de Fontenelle, Gottfried Wilhelm Leibniz oder Antonio Vallisneri und seine Mitgliedschaften in verschiedenen Akademien wie der englischen Royal Society, der deutschen Academia naturae curiosorum und der italienischen Accademia degli Inquieti hervorgeht.30 So finanzierte die Royal Society eine lateinische Version seiner Alpenbeschreibungen, die 1708 erschien.31 Eine weitere, überarbeitete und ergänzte Ausgabe erschien 1723 auf Kosten des Verlegers Petrus van der Aa in Leiden.32 Vor allem aber bemühte sich Scheuchzer, wie erwähnt, intensiv um die Sammlung lokaler Naturgeschichtsschreibung. Die chorographischen Werke und insbesondere auch Manuskripte waren häufig nur über lokale Kontakte erhältlich. Aus der Korrespondenz Scheuchzers wird ersichtlich, dass er sich fast zwei Jahre lang um die Bündner Chronik Ulrich Campells bemüht hatte, da die ihm zur Verfügung stehenden Abschriften unvollständig waren und er ihnen

29 Vgl. Peter Dear : Totius in Verba: Rhetoric and Authority in the Early Royal Society. In: Isis 76/2 (1985), S. 145 – 161. 30 Scheuchzers Korrespondenz findet sich in der Zentralbibliothek Zürich (ZBZ). 31 Johann Jakob Scheuchzer : Ouresiphoites helveticus, Sive Itinera alpina tria, London 1708. 32 Johann Jakob Scheuchzer : Ouresiphoites helveticus, Sive Itinera per Helvetae alpinas regiones Facta annis MDCCII, MDCCIII, MDCCIV,MDCCV, MDCCVI, MDCCVII, MDCCIX, MDCCX, MDCCXI. Leiden 1723.

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nicht traute.33 In der Bibliothek der Zürcher Wasserkirche versammelte und konsultierte Scheuchzer die lokalen Naturgeschichten. In der Vorrede des ersten gedruckten Bibliothekkatalogs von 1744 wird darauf hingewiesen, dass die Bibliothek ihren Anfang und den Zuwachs an Büchern allein den freiwilligen Schenkungen zu verdanken habe und die Vorsteher der Bibliothek – Wagner war seit 1677 und Scheuchzer nach Wagners Tod seit 1695 Mitglied der Bibliotheksgesellschaft – kein Buch zurückgewiesen hätten. Diese Praxis bewirkte, dass die Wasserkirche nicht nur „lauter grosse und kostbare oder fuerbuendig gute und gelehrte, sondern auch dann und wann mindere Werke“ ihr Eigen nannte. Die Tatsache, dass die Bibliothek „nach und nach voellig publica worden“ sei und nun „einem jeden Buerger, Gelehrten, Halbgelehrten und Ungelehrten“ offenstand, hatte ebenfalls Auswirkungen auf den Bücherbestand: „Dieser so weit ausgedaehnete Gebrauch der Bibliothec hat die Vorstehere derselben in die Nothwendigkeit gesetzet, bey Anschaffung neuer Buechern auf alle Arten der Lesern ihre Absichten gehen zu lassen, und also eint= und andern Schriften einen Platz zu goennen, die sonsten in Bibliothecken, die nur fuer Gelehrte gewidmet sind, keinen gefunden haetten.“34

Als Mitglieder der Bibliotheksgesellschaft bestimmten Wagner und Scheuchzer die populare Sammlungspolitik wesentlich mit. Um das zeitgenössische Wissen der lokalen Bevölkerung erfassen zu können, bediente sich Scheuchzer jedoch noch weiterer Methoden. 1699 verfasste Scheuchzer einen Einladungsbrief zu Erforschung natürlicher Wunderen, so sich im Schweizerland befinden. Adressiert war er an die „Gottesgelehrten, [den] Arzet, [den] Politico, Haushalter, Künstler und Handwerksmann“, an „alle in allen Ständen gelehrte Männer, [an] alle von edlem Geblüt entsprossene Spezial-Liebhaber der Jagden ja auch [an] alle, auch gemeinste Leut, so mit der Natur viel umgehen und durch sie ihre Nahrung suchen, als da sind Fischer, Hirten, Sennen, Einwohner der Alpen, Baursleut, Kräuter- und Wurzelgraberen“.35

Insgesamt 189 Fragen, welche mehrheitlich die Alpen und ihre Natur betreffen, wurden darin aufgelistet, so beispielsweise zu den Eigenschaften der Gemsen, zur Jagd und Zähmung wilder Tiere, zu Milchproduktion und Milchverarbei33 Vgl. u. a. die Korrespondenz von Leonhardi an Scheuchzer zwischen 1706 und 1709, ZBZ, Ms H 327. Ob Scheuchzer das gewünschte Original schliesslich erhielt, bleibt ungewiss, aber wahrscheinlich. 34 Johann Conrad Heidegger, Johann Rudolf Rahn: Catalogus librorum bibliothecae Tigurinae: in inferiore et media aedium parte collocatorum. Bd.1. Zürich 1744, Vorrede, § 5. 35 Johann Jakob Scheuchzer : Einladungsbrief zu Erforschung natürlicher Wunderen, so sich im Schweizerland befinden. In: Hansjörg Küster, Ulf Küster (Hg.): Garten und Wildnis. Landschaft im Achtzehnten Jahrhundert. München 1997, S. 14 – 31, hier S. 30 f.

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tung oder zum Nutzen von Fleisch, Fell und Horn. Versandt wurde der Brief an Pfarrer oder örtliche Beamte, die auch hier wieder als Mittler den Fragekatalog verbreiten und lokales Wissen sammeln sollten.36 Die Briefe, auch als „halbierter Dialog“ oder „schriftliches Gespräch“ bezeichnet, bildeten einen Umschlagplatz von mündlichem zu schriftlichem Wissen und fanden nicht selten auch direkten Eingang in Scheuchzers gedrucktes Werk.37 So wurden die Briefschreiber in Scheuchzer Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweitzerlands auch namentlich erwähnt. Johannes Leonhardi, Pfarrer der bündnerischen Gemeinde Nufenen, sowie Jacob Piceninus, Pfarrer der bündnerischen Gemeinde Soglio, berichteten beispielsweise als Antwort auf das Einladungsschreiben über Gemsen.38 Die Naturforscher waren aber nicht nur auf die Vermittlung lokaler Informationen angewiesen, sondern auch in materieller Hinsicht: Man wollte die alpinen Tiere und tierischen Objekte auch in den Händen halten und mit eigenen Augen sehen. Scheuchzer erhielt Murmeltiere vermittelt über den Bündner Pfarrer Leonhardi. Dieser hatte sich darüber hinaus, nach Scheuchzers Worten, bei einem „bedeutende[n] Jäger“ nach sogenannten Gemsballen – Kugeln aus Gräsern und Kräutern, welche durch die Verdauungsbewegung der Gemsmägen zusammengepresst wurden und als Talismane in der Medizin Verwendung fanden – erkundigt. Der Jäger berichtete, dass die Gemsballen nur sehr schwer zu bekommen und je nach Grösse oder Härte unterschiedlich kostbar seien. Er wolle sich, da er gerade keine zur Verfügung habe, nach weiteren Exemplaren umsehen. Der Jäger handelte somit indirekt im Auftrag Scheuchzers, konnte selbst aber durchaus vom Interesse des Gelehrten profitieren. Zusätzliche Informationen über die Gemsballen erhielt Scheuchzer von weiteren Jägern sowie von einem Hauptmann. Bei Soldaten waren die Gemsballen nämlich besonders beliebt, da ihnen nachgesagt wurde, dass die Träger eines solchen Talismans unverwundbar seien. Und auch Metzger wussten von Gemsen zu berichten.39 Die „aufklärerische Praxis“ bedeutete nicht nur einen erweiterten Zugang der Bevölkerung zu Wissen, beispielsweise über die Zürcher Bibliothek oder Scheuchzers Wochenschrift, sondern war umgekehrt auch eng mit der Erfassung popularen Wissens durch Gelehrte verbunden, wie Bettina Dietz bemerkte: 36 Vgl. auch den Beitrag von Simona Boscani Leoni in diesem Band. 37 Vgl. Robert Vellusig: Schriftliche Gespräche. Briefkultur im 18. Jahrhundert. Köln 2000; Michael Kempe: Gelehrte Korrespondenzen. Frühneuzeitliche Wissenskultur im Medium postalischer Kommunikation. In: Fabio Crivellari et al. (Hg.): Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive. Konstanz 2004, S. 407 – 431, hier S. 413 f. 38 Vgl. Scheuchzer, Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlands 1, Zürich 1706. S. 168. 39 Vgl. ebd., S. 165 f.

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„Abweichend vom Konzept der Popularisierung aufgeklärten Wissens läßt sich im Bereich der Naturgeschichte auch eine gegenläufige Bewegung beobachten: Lokales Wissen wurde in Form von Objekten, Daten und Beschreibungen von unten nach oben bzw. buchstäblich von den Graswurzeln in die Zentren transferiert“.40

In der Betrachtung der Bemühungen der Gelehrten um Sammlung und Auswertung des Wissens aus der lokalen Bevölkerung tritt ein vernachlässigter Aspekt der Aufklärungsgeschichte und Popularisierungsforschung hervor. Aus der Perspektive einer einseitig funktionierenden Wissensvermittlung von „oben nach unten“ befindet sich das Wissen der Bevölkerung in einem toten Winkel. Die Popularisierung der Wissenschaft ging jedoch mit der Rezeption popularen Wissens einher, wobei die Mittler in beide Richtungen wirkten. Pfarrer, Chorographen und Naturforscher konnten ihr Wissen über verschiedene Wege einholen; Wege, die nicht selten auch über felsige Hänge führten. Die Rezeption lokalen Wissens ermöglichte es dem Naturforscher zudem, sich auch rhetorisch von einer als ,veraltet‘ wahrgenommenen Wissenschaft abzugrenzen.

Die Rhetorik des Popularen Scheuchzer erlangte sein Wissen über lokale Kontakte, Beschreibungen und Erzählungen. Die konkrete geographische und quantitative Verbreitung der chorographischen Werke ist allerdings nur schwer nachvollziehbar. Die Rezeptionslage der lokalen Naturgeschichtsschreibung des 17. Jahrhunderts ist weitgehend unerforscht. Gerade Stumpfs umfangreiches Werk war wohl nur einer wohlhabenden Minderheit zugänglich, auch wenn sich Stumpf um eine günstigere, „[a]uß der grossen in ein handbuechle zuosamen gezogen[e]“ Ausgabe bemühte, deren Vorwort sich an die „aufwachsende jugend“ richtete.41 Andere chorographische Werke sind nur als Manuskripte überliefert, wobei 40 Bettina Dietz: Aufklärung als Praxis. Naturgeschichte im 18. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Historische Forschung 36/2 (2009). S. 235 – 257, hier S. 243. 41 „Nach dem ich/ günstiger lieber herr/ vergangener jaren ein allgemeine beschreybung Teuütscher/ Gallischer vnd Heluetischer Nationen vnd lender/ im Truck hab lassen außgon/ vnd aber die selbig aeber groß vnd weytloeuffig (Als darinn ein yedes Land/ Statt oder Fleck/ besonder seiner gelaegenheit nach verzeichnet wirdt) vnd deßhalb vilen gemeinen vnd schlechten leüten aeben scharpff vnd am kauff gnuog schwaer seyn will. Darmit dann auch die yenigen so soelche grosse Chronicken nitt wol vermoegend zekauffen/ vnnd besonder die aufwachsende jugend in einer Eydgnoschafft/ sich mit ringerem kosten in den Historien vnd Geschichten jrer Altfordern dest leychter ersaehen vnnd ueben moechtend/ So hab ich auff besonder vermanen ettlicher lieben Herren vnd fründen/ auß obbemelter meiner grossen Chronicken/ ein kurtzuergriffnen außzug vnnd handbuechle zuosamen gezogen loblicher Eydgnoschafft zeyt/ harkommen/ alte vnd neüwe/ gmeine vnd besondere thaaten vnd handlungen/ biß auff das jar Christi 1546. ergangen.“ Johannes Stumpf: Schwytzer Chronica/ Auß der grossen in ein handbuochle zuosamen gezogen […]. Zürich 1554.

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dennoch eine lokale Leserschaft vermutet werden kann.42 Ansätze der „boundary-work“, wie sie Thomas F. Gieryn beschrieben hat, bieten eine mögliche Orientierung, wie eine Geschichte popularen Wissens jenseits der Rezeptionsgeschichte aussehen könnte.43 Nicht quantitative Wissensverbreitung, sondern Zuschreibungen und Abgrenzungen von Wissenschaftlichkeit bilden darin Gegenstand der (historischen) Betrachtung. Im Folgenden möchte ich somit die „Popularität“ der Chorographien nicht über deren Verbreitung, sondern über textimmanente Positionierungen untersuchen, wobei sich das Populare auf mindestens drei verschiedene Arten äussern kann: als Anrede an den Adressaten, als populare Figur innerhalb des Textes sowie als rhetorisches Argument. Die chorographischen Werke richteten sich – so lassen zumindest die einleitenden „Anreden an die Leser“ vermuten – auch an ein weniger gelehrtes Publikum. Sie dienten dem Nutzen und zur Unterhaltung. Nachdem Eschers Freunde das Manuskript der Beschreibung des Zürich Sees entdeckt hatten, entschlossen sie sich, dieses „ehrlichen Personen/ so dem See hinauf und abfahren/ und zur Zeitvertreibung ihren Lust darinnen haben koenten/ durch den Truk mitzuteilen“.44 Rebmanns Knittelverse lassen ebenfalls eine populare Orientierung erkennen. Die gewählte Form des Dialoges zweier Berge sollte weniger an ein Gespräch zwischen Gelehrten erinnern, als vielmehr die populare Rezeption erleichtern, „[d]ann bey vielen Menschen ist durch solche Gleychnuß reden/ da man unvernünfftige Thier/ oder auch vnempfindtliche ding eynführt/ gleich als ob sie mit einander/ etwas von reden vil leichtlicher zu handlen/ dann durch weitere/ starcke gründ vnd Argument.“ Rebmann richtete sein Werk folglich an „die Bawren vnd Knecht/ als Herren vnd Edle: So wol die fürgesetzten vnd gelehrten/ als die Vnderthanen vnd vngelehrten“ und nicht zuletzt auch an seine Kollegen, an Pfarrer, die in ihren Predigten „die natürlichen Dinge, die in der Bibel vorkommen“ erklären müssten, davon aber keine „wissenschafft“ hätten – ein Motiv, das sich wiederum in Scheuchzers physikotheologischem

42 Eine vollständige Abschrift der Chronik Campells sei im Archiv der Familie von Salis in Zisers erhalten. Eine weitere wurde von — Porta erstellt. Vgl. Schiess, Einleitung, 1900, S. xxi. Zur Bedeutung der Manuskripte in der Naturgeschichte vgl. David McKitterick: Print, Manuscript and the Search for Order, 1450 – 1830. Cambridge 2003. 43 Thomas F. Gieryn: Boundary-Work and the Demarcation of Science from Non-Science: Strains and Interests in Professional Ideologies of Scientists. In: American Sociological Review 48/6 (1983), S. 781 – 795; Thomas F. Gieryn: Cultural Boundaries of Science Credibility on the Line. Chicago 1999. Exemplarisch für diesen Ansatz vgl. auch Marian Füssel: „The Charlatanry of the Learned“: On the Moral Economy of the Republic of Letters in Eighteenth-Century Germany. In: Cultural and Social History 3/3 (2006). S. 287 – 300. Vgl. ebenfalls Steven Shapin: Science and the Public. In: Robert C. Olby et al. (Hg.): Companion to the History of Modern Science, London, New York 1990, S. 990 – 1007. 44 Escher, Beschreibung des Zürich Sees, 1692, Gunstgeneigter Leser.

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Spätwerk finden lässt.45 Scheuchzers naturhistorische Wochenschrift übernahm diese populare Orientierung der Chorographien und richtete sich in der Anrede an den Leser sowohl an Gelehrte als auch an Ungelehrte.46 Das ,Populäre‘ blieb jedoch nicht auf die Vorreden beschränkt. Die Stilisierung des Bauern, des Hirten, des Fischers oder des Jägers zum lokalen Wissensträger und zur Identifikationsfigur gehört ebenfalls zum Programm.47 Insbesondere in der Figur des Gemsjägers fand sich ein heldenhafter und spezifisch eidgenössischer Repräsentant, der sich als Projektionsfläche einer popularen Kultur anbot.48 Schon in der Stumpf ’schen Chronik erschienen die Erzählungen der Gemsjagd als Topos schweizerischer Naturgeschichte.49 In Scheuchzers Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweitzerlands werden die Gemsjagd und damit die Tugenden des einfachen Alpenbewohners beschrieben. Die Gemsjagd sei „eine der beschwerlichsten/ und zugleich gefaehrlichsten/ Jagden/ bey deren 45 Rebmann, Ein neuw, lustig, ernsthafft, poetisch Gastmal und Gespra¨ ch zweyer Bergen, 1606, Vorrede. Eine literatur- und wissenshistorische Einordnung des Gastmahls wurde jüngst durch Rosmarie Zeller vorgenommen. Vgl. Zeller, Die Wunderwelt der Berge, 2004. Dabei weist auch Zeller darauf hin, dass Rebmanns Werk bisher in der Forschung kaum Beachtung gefunden hat: „Rebmanns Werk ist damit zugleich ein Repräsentant einer breiten Literaturströmung der Frühen Neuzeit, welche die Naturwissenschaftler heute und auch die Historiker der Naturwissenschaften wenig interessiert, weil in solchen Schriften eine scheinbar zu wenig „wissenschaftliche“ Naturbeschreibung vertreten wird; den Literaturwissenschaftlern ist sie hingegen zu wenig literarisch.“ Solche Werke hätten jedoch, wie Scheuchzers Beispiel zeige, dennoch „das Verständnis der Natur von Gelehrten und Ungelehrten bis in die Epoche der Aufklärung bestimmt.“ Ebd., S. 995. So wurde Rebmanns Buch eher im Kontext der Wunderbücher rezipiert. Zeller bemerkt zudem, dass man Rebmann „durchaus als einen Vorläufer von Johann Jakob Scheuchzers (1672 – 1733) Bemühungen zu Beginn des 18. Jahrhunderts sehen [könne], die Bibel im Einklang mit der Naturbeobachtung zu erklären.“ Ebd., S. 991. Zur Abgrenzung der Wissenschaft von literarischen Schriften vgl. Ralph O’Connor : Reflections on Popular Science in Britain: Genres, Categories, and Historians. In: Isis 100/2 (2009), S. 333 – 345, hier S. 338. 46 „Zu dem ende/ damit ich sowol gelehrten/ als ungelehrten/ aufwarte/ habe ich mir vorgenommen/ wochentlich in form eines halben Bogens/ eine oder etliche Natur-Geschichten Löbl. Eidgenoßschaft in teutscher Sprach vorzulegen […].“ Scheuchzer, Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlands 1, S. 1. 47 Bürgi bemerkte, dass in (Reise-)Berichten über die Alpen folgende Figuren besonders häufig erscheinen würden: der Wildheuer, der Strahler und der Jäger, insbesondere der Gemsjäger. Vgl. Andreas Bürgi: Höhenangst, Höhenlust: Zur Figur des Gemsjägers im 18. Jahrhundert. In: Histoire des Alpes / Storia delle Alpi / Geschichte der Alpen 3 (1998), S. 267 – 278, hier S. 268. Diese seien Zeugen eines popularen Wissens, das sich in der internationalen Wissenschaftslandschaft wiederfindet. Insbesondere der Strahler und der Gemsjäger lebten vom Handel mit kristallinen und tierischen Produkten. 48 Zur Figur des Gemsjägers vgl. ebd. 49 Cysat berichtete, dass die Anzahl der Gemsen, die in der Gegend um Luzern gefunden werden könnten, ungefähr darin ersichtlich würde, „daß zween Wildschuetzen […] deren der eine 350. der ander aber 1150. Gembs geschossen/ deren der letztste/ dem G’wild nachsteigende/ verfallen ist.“ Cysat, Beschreibung deß Beruehmbten Lucerner- Oder 4. Waldstaetten-Sees, 1661, S. 159.

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der Jaeger keinen fleiß muß sparen/ keine muehe sich dauren lassen/ die Stellund bewegungen der Thieren wol in acht nehmen/ Frost/ Hitz/ und andere ungemach außstehen/ ja gar oft in Leib= und Lebens=gefahr sich begeben. […]“.50 Der Gemsjäger trage einfachste Kleidung, esse Fleisch, Brot und natürlich Käse, schlafe in den Sennten auf blosser Erde oder zuweil auch im Heu. Stünden sich nach einer schwindelerregenden Verfolgungsjagd Gemse und Gemsjäger endlich einander gegenüber, so könne es auch vorkommen, dass es in den felsigen Berghängen keine Möglichkeit des Ausweichens mehr gäbe und schliesslich „der dem Gems eine Gruben gegraben/ nun selbs darein gefaellet“ werde. Scheuchzers Beschreibung erinnert stark an Rebmanns Verse und tatsächlich zitierte Scheuchzer folgend Wort für Wort aus dessen Werk.51 Auch wenn Scheuchzer Rebmanns „altmodische“ Sprache kritisierte, so hatte das poetische Werk offenbar genügend Informations- und vermutlich vor allem Unterhaltungswert.52 Doch Scheuchzer wusste die Dramatik der Gemsjagd noch zu steigern. So könne es vorkommen, dass sich der Jäger in den felsigen Hängen derart versteige, dass er weder vor noch zurück wisse und ihm lediglich ein Sprung auf einen kleinen, hervorragenden Felsvorsprung übrigbleibe. In dieser prekären Situation schneide sich der Jäger mit dem Messer seine Füsse blutig, damit er auf dem Felsen besseren Halt finde. In seinem Kapitel über die Gemsjagd rekurriert Scheuchzer auf keinerlei antike oder zeitgenössische, gelehrte Autorität und erwähnt lediglich Rebmann und „ein[en] gute[n] Jaeger von Nuffenen im Rheinwald“, dessen Name – Jörg Schöni – auch genannt wird. Nicht nur, dass Scheuchzer in seiner Naturgeschichte, begleitet von einem patriotischen Impetus, den Bergen und ihren Bewohnern eine positive Deutung gab, wie es bereits Stumpf gefordert hatte.53 Mehrfach mass Scheuchzer dem Wissen des einfachen Mannes gar besondere Beweiskraft zu und verband dies mit einer Kritik reinen Textwissens. Vom Sennen schreibt Scheuchzer, dass er ein „ehrlicher/ aufrichtiger Mann/ ja ein abtruck der alten Schweizerischen/ und redlichen/ einfalt“ sei.54 Einfalt verbindet Scheuchzer hier nicht mit Dummheit, sondern mit vorurteilsfreiem Urteil, das der Beschreibung der Natur am gerechtesten werde. „Die einfaeltigste Bauren urtheilen in Warheit weit besser und gluecklicher […]; gluecklicher, sage ich, als die Schein=Gelehrten, die mit so 50 Scheuchzer, Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlands 1, 1706, S. 41. 51 Vgl. Rebmann, Ein neuw, lustig, ernsthafft, poetisch Gastmal und Gespra¨ ch zweyer Bergen, 1606, S. 458. Wiedergegeben in Scheuchzer : Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlands 1, S. 42. Scheuchzer zitiert noch an weiteren Stellen die Verse von Rebmann, so z. B. im Kapitel „Fortsetzung von dem unterscheid der Lauwinen“, vgl. ebd., S. 150. 52 Vgl. ebd., S. 43. 53 Vgl. u. a. Jon Mathieu, Simona Boscani Leoni (Hg.): Die Alpen! Les Alpes! Zur europäischen Wahrnehmungsgeschichte seit der Renaissance. Pour une historie de la perception europ¦enne depuis la Renaissance. Bern 2005. 54 Scheuchzer, Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlands 1, 1706, S. 30.

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falschen als verfuehrischen Kluegeleyen die offenbarsten Wahrheiten zu verdunckeln und zu verwickeln trachten.“55 Und auch die Autoren der Chorographien zeigten sich nicht selten von ihrer ,popularen‘ Seite. Der Luzerner Goldschmied, Schreiber Gross- und Kleinrat Johann Leopold Cysat entschuldigte seinen „einfeltige[n] Vatterlaendischen Stylo“ und fragte den Leser, was er „vmb Gottes willen/ von einem vngestudierten/ einfaeltigen Mann kuenstliches oder zierliches erwarten woellen.“56 Die Chorographen gaben sich bescheiden und bedienten somit einen weiteren, beliebten Topos. Er bot einerseits Schutz vor Kritik, zugleich wurde dadurch das populare Wissen aufgewertet. Dies wird insbesondere in einer gewissen Polemik deutlich, durch die sich auch Scheuchzer von der scholastischen Wissenschaft abgrenzte und sich einer ,neuen‘ Naturforschung zuordnete. Im Lehrbuch Physica, oder Natur-Wissenschaft schreibt er, dass im Altertum „eine zweyfache Underweisung/ eine allgemeine/ und eine geheime“ existiert hätte. Während erstere das Wohlwollen und die Hochachtung der Laien zu erlangen suchte, schlossen sich die Vertreter letzterer in den „Geheim-Zimmeren der Gelehrten“ ein. Das gelehrte Wissen hätte sich, „anderst nit/ als in Denck- und SinnenBilderen vorgestellt/ ja auch in Fablen eingewicklet“. Die Scholastik hätte diese „verborgene Hinderhaltung/ ja arglistig politische verduncklung der hoeheren Wissenschaften“ weitergeführt: „Man lehrete allein in Lateinischer Sprach; […] dadurch dann die Wissenschaften so wol denen so genent Gelehrten/ als Ungelehrten sehr verfinsteret worden/ ja bald verlohren gangen weren/ wann nit innert juengst abgeflossenen Hundert Jahren/ herrliche/ und von Gott erleuchtete Maenner dieser unertraglichen Tyranney sich mit dapferem Muth entgegen gesetzt hetten.“57

Sein Lehrbuch wolle er in einer einfachen, „einfältigen“ Sprache verfassen. Er strebe nicht nach Ehre, sondern wolle lediglich „die Sachen selbs also vorzustellen/ daß sie von Gelehrten/ und ungelehrten/ ja auch von dem Wissensbegirigen/ bis dato von dieser Wissenschaft so vil als außgeschlossenem FrauenZimmer mit lust gefasset werden.“58 In der Physica, oder Naturwissenschaft stellte sich Scheuchzer als jemand dar, der die scholastische „Dünkelei“ zu überwinden suchte. Nicht in erster Linie die Überwindung des Lateins, sondern allgemein die Eliminierung des gelehrten Jargons und die Etablierung eines einfachen Stils war das erklärte Anliegen Scheuchzers. 55 Scheuchzer, Kupfer-Bibel 1, 1731, S. 64. 56 Cysat, Beschreibung deß Beruehmbten Lucerner- Oder 4. Waldstaetten-Sees, 1661, An den Guenstigen Leser. 57 Johann Jakob Scheuchzer : Physica, Oder Natur-Wissenschaft. Zürich 1701, Vorrede an den Leser. 58 Ebd.

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Populares Wissen wird somit auf mehreren Ebenen präsentiert: In den an ein ungelehrtes Publikum gerichteten Anreden, in wissensvermittelnden und identitätsstiftenden Figuren sowie in einer Polemik gegen scholastisches Wissen. Die Chorographen wandten sich an Ungelehrte, stilisierten die Figur des einfachen Mannes zum lokalen Helden, um sich damit gegen eine „falsche“ Gelehrtheit zu stellen. Die Rhetorik des Popularen war hier jedoch noch stark an die Lokalität des Wissens gebunden.

Patriotische Naturforschung und die Ordnung der Tiere Die chorographische Geschichtsschreibung und lokale Naturgeschichtsschreibung waren nicht zuletzt auch patriotisch motiviert. Durch die Erforschung der schweizerischen Natur wurde die Verbreitung (positiven) Wissens über die Schweiz und über ihre Natur sowie die Ablösung der eigenen Identitätsstiftung von einer (bis dahin tendenziell negativen) Fremdwahrnehmung angestrebt.59 Bereits Stumpf hatte das Anliegen deutlich formuliert. Gott habe jedem Land, so wild und rauh es auch anmute, auch etwas Gutes mitgeteilt, das von andern Ländern bewundert werden könne. So erscheine diesen die Eidgenossenschaft manchem als „vnfruchtbare wilde/ des saegens vnd der benedeyung Gottes beraubet“. Doch auch die höchsten Alpen hätten fruchtbare Täler und Überfluss an Vieh, „ja über das alles auch noch vil wildpraets […]/ des in andern landen gar nit gefunden wirt.“60 Stumpf mahnt die Bevölkerung, die Landleute und Alpenvölker, das eigene Land nicht zu verachten und auch im Gebirge die Güte Gottes zu erkennen. Scheuchzer formulierte in der ersten Ausgabe der Wochenschrift sowie im Einladungsbrief ähnliche Absichten.61 Die Berge wurden 59 Zum patriotischen Anliegen englischer Chorographien vgl. Richard Helgerson: Forms of Nationhood. The Elizabethan Writing of England. Chicago et al. 1992. Zur Wahrnehmungsgeschichte der Alpen vgl. u. a. Mathieu, Boscani Leoni, Die Alpen! Les Alpes!, 2005. 60 Stumpf, Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten, Landen vnd Voelckeren Chronick wirdiger thaaten beschreybung, 1548, Vorwort. 61 Vgl. Scheuchzer, Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlands 1, 1706, S. 1. Das patriotische Anliegen lokaler Naturgeschichtsschreibung ist im Einladungsbrief ebenfalls deutlich ersichtlich: „Wann nun alle Liebhaber der natürlichen Wüssenschaften auch auf alle Sachen Achtung geben, welche in weit entlegenen Orten sich zutragen, wie viel mehr soll ein jeder in seinem eignen Vaterland und wir in unserem genaue Achtung haben auf alle diejenigen Begebenheiten, welche die Natur vorbringet, ja aus sonderbarer Güte Gottes gegen uns reichlich darschüttet. […] Ausländische Leut, so etwan durch unser Land reisen, sagen aus, und wir bekennen, daß unser Land auch vom ersten Ansehen rauh und wild [ist]; aber darbei sollen jene lernen, wie wir wüssen, daß es weder ungebauet, wüst und öd noch in einem abschätzigen Winkel der Welt gesetzet und da von der Natur seie abgelegt worden dasjenige, was anderen Ländern beschwerlich oder unnütz oder unnötig gewesen.“ Auch in Scheuchzers Bibliographie, die ein Indien in der Schweiz und eine Schweiz in Indien pos-

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dabei in der chorographischen Beschreibung nicht nur topographisch hervorgehoben. Von den Seen ausgehend erstiegen die Chorographen die Berge und betrachteten deren Pflanzen- und Tierwelt. Escher musste in seiner Beschreibung des Zürichsees zwar einräumen, dass in der von ihm behandelten Region Gemsen und Murmeltiere fehlten, doch seien in der näheren Umgebung schon Gemsen gefangen und geschossen worden.62 Gemsen und Murmeltiere gehörten zum chorographischen Inventar, selbst wo sie kaum oder gar nicht vorkamen. Die Topographie der Berge wurde zu einem Topos chorographischen Schreibens über die Schweiz. Die Aufwertung popularen Wissens und der schweizerischen Bergwelt verband sich mit einer patriotisch inspirierten Aufwertung der Alpentiere.63 Die alpine Tierwelt manifestierte sich in Differenz zur Umgebung. Simler betonte, dass die Alpen eine „besondere Tierwelt [besässen], die man anderswo nicht leicht findet.“64 Er behandle in seiner Beschreibung deshalb nur Alpentiere, die sich von anderen Tieren signifikant unterscheiden würden. Ulrich Campell wiederum hob gegenüber den im alpinen Gebirge kaum vertretenen räuberischen Tieren die sich in den Alpen aufhaltenden wilden Tiere hervor, die weder dem Menschen noch dem Vieh schädlich zu sein begehrten und dadurch in seiner Hierarchie der Lebewesen eine (wörtlich) erhöhte Position einnahmen.65 Von wilden, aber unschädlichen Tieren gäbe es zwei Arten: „Die eine bilden jene alltäglichen Wildtiere, die allenthalben, auch in mehr angebauten, fruchtbaren Ländern allgemein bekannt, bei uns ebenfalls sich umhertreiben, nicht zuoberst auf den Bergen, aber in den unteren Teilen derselben und in den wärmeren, an das Flachland angrenzenden Waldungen, wie die Hirsche und Hirschkühe, die Rehe und die Eber ; die andre Art dagegen bilden die, welche ihren Weg über die Felsen

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tuliert hatte, bleibt eine Hierarchisierung der Wesen, wie sie in den chorographischen Werken beschrieben wurde, weiterhin ersichtlich. Alix Cooper bemerkte dazu: „While the image that Scheuchzer used to justify his theory of geographical interconnectedness, namely that of the chain, bears obvious resemblance to that of the Great Chain of Being, it is worth noting here that Scheuchzer uses it to suggest a horizontal link between places as well as a vertical link among species.“ Cooper, Inventing the Indigenous, 2007, S. 158. „Gemse und Murmelthierlein/ giebet es zwaren keine/ doch seind zun zeiten in den Lachnerischen Alpgebirgen gefangen worden. A. 1533. den 3. Mey haben die Ehrlibacher/ in ihren Reben daselbst/ einen Gemsbok gefangen. Auch hatte den 22. Wintermonat 1684. Hans Ulrich Schwarzenbach in Oberenstraas ein Gems nicht weit von der Statt geschossen.“ Escher, Beschreibung des Zürich Sees, 1692, S. 285. Um die Glaubwürdigkeit zu untermauern wurden Jahreszahlen und Namen genannt. Auch in britischen Chorographien lassen sich Tendenzen einer Aufwertung ländlichen, bäuerlichen Lebens finden. Vgl. Jankovic, The Place of Nature and the Nature of Place, 2000. Weitere Forschung ergäbe vermutl. Ähnliches für weitere Regionen. Josias Simler: De alpibus commentarius. Die Alpen, hg. und übers. von Alfred Steinitzer. München 1931, S. 181. Josias Simler : Vallesiae et Alpium descriptio, libri duo: De alpibus commentarius. Zürich 1574, S. 132. Campell, Dritter und vierter Anhang, 1900, S. 42.

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nehmen und, auf den höchsten Erhebungen der Bergketten weilend, deren Abhänge sozusagen in Besitz genommen haben.“66

Die Klassifikation der Tiere erfolgte somit gewissermassen nach Höhenmeter. Auch Simler hatte bemerkt, dass die Alpentiere stärker und kühner als die in niedrigeren Gebieten heimischen Tiere seien.67 Es fänden sich zwar in den Alpen durchaus auch den Flachlandtieren ähnliche Geschöpfe. Die Sperber und Falken seien jedoch, so Simler, den anderen weit überlegen und würden deswegen auch „in ferne Länder ausgeführt“.68 Die Pferde seien in den Bergen zwar kleiner, jedoch arbeitsamer.69 Johann Jakob Wagner betonte, dass die Bergpferde die gewöhnlichen Pferde an Stärke und Kraft weit übertreffen würden. Ulrich Campell schrieb über den Marder, dass die Schweiz besonders reich „an trefflicheren Exemplaren als jene, die in andern Ländern sich finden […]“ sei. Die kühlen und grasreichen Wiesen sowie die gute und gesunde Luft der Alpen kämen dem Vieh besonders gut, so Cysat.70 Doch nicht nur für die Heimat waren die Tiere von besonderer Bedeutung. Josias Simler erwähnte bereits die Ausfuhr der Sperber und Falken.71 Ulrich Campell schrieb über den Handel mit schweizerischen Fuchspelzen, dass diese „von Händlern selbst in die entferntesten Gegenden als eine wertvolle, kostbare Seltenheit ausgeführt“ würden.72 Und auch die Viehwirtschaft fand konkrete Wertschöpfung im In- und Ausland.73 Eine kulturelle Dimension lokaler Naturgeschichte zeigte sich in einer symbolischen Aufladung der Alpentiere. Der Steinbock beispielsweise wurde zur Identifikationsfigur der Drei Bünde: Er diente als Wappentier des Bischofs von Chur und erschien in der politischen Propaganda in Liedern und auf Flugblättern.74 Die Hervorhebung der Alpentiere als zwar wilde, aber eher unschädliche

66 Ebd., S. 46 f. 67 “Im übrigen kommen noch, wie ich schon sagte, Vierfüßler und Vögel in den Alpen vor und zwar von der gleichen Art wie im Flachland und auch ganz ähnlich, nur daß die alpinen Tiere meist kräftiger und kühner sind.” Simler, De alpibus commentarius, 1931, S. 184. 68 Ebd., S. 185. 69 Simler schreibt, dass die schweizerischen Vögel längere Flügel hätten und in andere Orte verschafft würden. Scheuchzer bezieht sich in seinem Manuskriptband zu den vierfüssigen Tieren der Schweiz auf Simler: „Equi alpini Germaniis, quos Tripia mittit, toto corpore et praezertim cruribus minores sunt: sed magis laboriosi, praesertim si per montes, aut loca faxosa iter faciendum fuerit. Simler. de Alpib. 133.6.“ Johann Jakob Scheuchzer : Historia quadrupedum Helveticorum, ZBZ Ms Z VIII 603, S. 1v. 70 Cysat, Beschreibung deß Beruehmbten Lucerner- Oder 4. Waldstaetten-Sees, 1661, S. 157. 71 Simler, De alpibus commentarius, 1931, S. 185. 72 Campell, Dritter und vierter Anhang, 1900, S. 42. 73 Vgl. Cysat, Beschreibung deß Beruehmbten Lucerner- Oder 4. Waldstaetten-Sees, 1661, S. 158. 74 Vgl. Hitz, Steinbock und Murmeltier in Graubünden. 2010; Florian Hitz: Schwabenkrieg

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Tiere, als zwar kleinere, aber eher kräftigere und mutigere Tiere sowie als regionale Symbole widerspiegelte ein patriotisches Anliegen lokalen Naturwissens, das das schweizerische Selbstbild prägte. Das Ziel der Chorographen lag in dieser herausragenden Positionierung der Alpentiere, während die Naturforscher diese in einem internationalen Kontext verorteten.

Lokales Wissen und universale Wissenschaft Der hierarchisierenden Klassifikation der Alpentiere stand eine nach Standardisierung strebende Naturforschung mit universellem Gültigkeitsanspruch gegenüber. Der Umwelthistoriker Vladimir Jankovic unterscheidet eine kulturell geprägte Empirie chorographischer Naturgeschichtsschreibung von einer kognitiven Empirie als Grundsatz und Anspruch einer international vernetzten Gelehrtengemeinschaft: „From the epistemological perspective, the chorographic natural study closely resembled the empiricism of new science, but the two had different origins. Where the empirical philosophy of nature required data-collecting as a means toward a cognitive end, chorographers directed these means toward a cultural end.“75

Die Chorographen nahmen eine patriotisch motivierte Bewertung der Natur vor. Sie gliederten die Tiere hierarchisch, mit den Alpentieren auf den Gipfeln der Berge, und behaupteten in den Alpen eine besondere Tierwelt, die sich deutlich von derjenigen des Flachlandes unterscheide und spezifische Eigenschaften aufweise. Der Fokus der Chorographen lag in der Beschreibung ihrer eigenen Umgebung, in deren Gesellschaft sie sich positionierten und wirkten. „Chorography’s special appeal“, schrieb Jankovic, „lay in its disregard for similarities between places, and its emphasis on the differences“.76 Darin unterschieden sich die Chorographien von anderen Wissensformaten wie beispielsweise der Enzyklopädie oder der international vernetzten Zeitschriftenliteratur. Zwei Beispiele enzyklopädischen und anatomischen Schreibens sollen im Folgenden kurz im Verhältnis zur lokalen Naturgeschichtsschreibung skizziert werden, wobei in diesem Rahmen keine umfassende Bewertung geboten werden kann. Das mehrbändige Tierbuch des Zürchers Conrad Gesner (1516 – 1565) richtete sich an eine internationale Leserschaft. Gesner empfahl sein Werk als „OPVS Philosophis, Medicis, Grammaticis, Philologis, Poetis & omnibus rerum linund Bündner Identität. In: Werner Fischer, Florian Hitz (Hg.): Vom „Freiheitskrieg“ zum Geschichtsmythos: 500 Jahre Schweizer- oder Schwabenkrieg. Zürich 2000, S. 123 – 154. 75 Jankovic, The Place of Nature and the Nature of Place, 2000, S. 98. 76 Ebd., S. 80.

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guarumque uariarum studiosis“ und somit vor allem als gelehrtes Nachschlagewerk.77 Dieses enzyklopädisch orientierte Werk wurde nachträglich in die deutsche Sprache übertragen und durch weitere Massnahmen wie der Kürzung philologischer Passagen auch einem wohlhabenden Laienpublikum nahegebracht.78 Gesners Enzyklopädie unterschied sich von den chorographischen Unternehmen weniger durch einen gelehrten Status als vielmehr durch das Bestreben, Wissen umfassend zu präsentieren. Es ging darum, eine verständliche Sprache zu finden, um einerseits lokales Wissen einer internationalen Wissenschaft zugänglich zu machen sowie andererseits Überlieferung mit zeitgenössischer Literatur in Einklang zu bringen und damit die unterschiedlichen Quellen miteinander zu verknüpfen und füreinander fruchtbar zu machen. Gerade für die Systematisierung und Klassifizierung tierkundlichen Wissens waren synchrone und diachrone Aushandlungen der verschiedenen Wissensbestände ein zentrales Anliegen. Während lokale Naturgeschichten meist deutschsprachige oder teilweise gar dialektale Tiernamen verwendeten, erforderte eine räumlich erweiterte Rezeption eine internationale Sprache wie das Latein.79 Zudem mussten die unterschiedlichen Namen zusammengeführt werden, um eine Identifizierung eines Tieres in seiner nomenklatorischen Heterogenität zu ermöglichen. In der lateinischen Ausgabe seiner Historia animalium führte Gesner die Tiernamen jeweils mehrsprachig auf. Gesner betonte zudem die Gemeinsamkeiten der Alpentiere mit ihren Artgenossen, beispielsweise diejenigen der Gemsen mit gewöhnlichen Ziegen. Gemsen „vergleychend sich mit form/ gestalt/ grösse deß leybs vnnd der hoerneren/ den heimischen Geissen/ ja mer dann sunst keine der wilden Geissen/ darumm sy billich vnder soeliche gezelt werdend.“ Von einer internationalen Tierlandschaft ausgehend bemerkte er, dass die wilden Ziegen „auch in vnseren landen gefunden werdend/ [als da wären] Gaemsem/ Reechboeck oder Reechgeyssen/ vnnd Steinboeck.“80 Die Gemsen wurden nicht in einem Kapitel über die Alpen, sondern bei den 77 Zu den verschiedenen Wissenschaften, welche durch Gesners Werk angesprochen waren, vgl. Udo Friedrich: Naturgeschichte zwischen artes liberales und frühneuzeitlicher Wissenschaft: Conrad Gessners „Historia animalium“ und ihre volkssprachliche Rezeption. Tübingen 1995. 78 Vgl. ebd. 79 „Die Buendtner heissen solche Ort Glaeck; andere nennen sie Sultzen/ Sultzlaeckinen/ Laeckinen.“ Scheuchzer, Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlands 1. 1706, S. 40. 80 Conrad Gesner : Thierbuoch, Das ist ein kurtze beschreybung aller vierfüssigen Thieren/ so auf der erden vnd in wassern wonend/ sampt jrer waren conterfactur : alles zuo nutz vnd guotem allen liebhabern der künsten/ Artzeten/ Maleren/ Bildschnitzern/ Weydleüten vnd Köchen/ gestelt. Erstlich durch den hochgeleerten herren D. Cuonrat Geßner in Latein beschriben/ yetzunder aber durch D. Cuonrat Forer zuo mererem nutz aller mengklichem in das Teütsch gebracht/ vnd in ein kurtze kommliche ordnung gezogen. Zürich 1603, S. 63. Erste, lateinische Ausgabe: Conrad Gesner : Historiae animalium. Bd. 1. Zürich 1551, S. 319.

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Ziegen, genauer bei den wilden Ziegen, behandelt. Gesner beschrieb die Tiere in Analogie und im Vergleich zu anderen Tieren. Das Murmeltier sei in Form, Gestalt und Grösse dem Kaninchen ähnlich, jedoch „niderer mit einem breiten rucken“, die Haare seien rauher als die eines Kaninchens. Oben und unten an seinem Maul habe es zwei lange Zähne, „welche sich schier den Biberzaenen vergleichen“. Schliesslich habe es „kurtze/ dicke/ harechtige bein/ tapen alß ein Baer/ mit schwartzen/ langen klawen“.81 Die patriotisch motivierte Hierarchisierung der Tiere in den Chorographien steht neben neutralisierenden Zuordnungsmuster in der Enzyklopädie; die Berge sind dort gewissermassen flachgewalzt.82 Form, Gestalt und Grösse der Tiere innerhalb einer internationalen Tierlandschaft wurden als universell gültige Klassifikationskriterien hervorgehoben. Auch die anatomischen Studien des Schaffhauser Arztes Johann Jakob Harder lassen standardisierende Elemente erkennen.83 Seine Dissertation über das Innere der Gemsen, welche in den Ephemeriden, dem Publikationsorgan der deutschen Academia Naturae Curiosorum, abgedruckt wurde, beginnt mit der Aufarbeitung der überlieferten Literatur und daran anknüpfend mit einer fast die Hälfte der Arbeit umfassenden Ausführung zur Etymologie und Nomenklatur der Gemse.84 In einer weiteren Abhandlung Harders über das Murmeltier, 81 „Form gestalt vnd grösse diß thiers vergleicht sich einem grossen Küniglein/doch niderer mit einem breiten rucken/ seine haar reüher dann de Künigleins/ an der farb schier roth an etlichen hell/an etlichen dunckler alß braun mit grossen/baussechtigen augen/hat an seinem maul oben vnd vnden zwen lange zaen/welche sich schier den Biberzaenen vergleichen/an der farb gellecht: die lenge seines schwantzes zwo spann oder mehr :kurtze/dicke/harechtige bein/tapen alß ein Baer/mit schwartzen/langen klawen/auß welcher huelff solch thier/tieff in das erdreich hinein grabt/hat einen feisten rucken/so doch der ander leib mager ist/wiewol solches eigentlich zu reden nicht feiste zu nemmen/sonder etwas mittels vnder dem fleisch vnd feiste/alß das eüter an der Kuo oder anderen thieren.“ Gesner, Thierbuoch, 1603, S. 110. In der lateinischen Ausgabe ist die Herausarbeitung von Ähnlichkeiten der Gemsen und Murmeltiere mit anderen, ausländischen (syrischen, ägyptischen) Tieren und mit den in der Überlieferung beschriebenen Tieren noch viel deutlicher. 82 Gessners Historia animalium erfuhr wiederum verschiedene Popularisierungsprozesse. Vgl. dazu Friedrich, Naturgeschichte zwischen artes liberales und frühneuzeitlicher Wissenschaft, 1995. 83 Auch Harder war für seine anatomischen Studien auf Kontakte mit der lokalen Bevölkerung angewiesen. So erhielt er von einem Jäger Gemsen und Murmeltiere: „Anno 1682. quum in thermis Fabriensibus degeremus, Venator loci, qui nuper Rupicapram attulerat, murem alpinum vivum adhuc donavit“. Johann Jakob Harder: Apiarium Observationibus Medicis Centum Ac Physicis Experimentis Plurimis refertum, & Scholiis atque Iconibus pulcherrimis illustratum […]. Uteri. Basileae 1687, S. 90. 84 Zum Format der Dissertation: „Eine Dissertation um 1700 ist formal ein alles andere als verstaubter Text. Er folgt Standards. Die Thesen werden eingeführt, dabei zunächst Begriffsdefinitionen und -herleitungen gegeben, dann die zum Thema vorliegende Texte besprochen, bevor man die Thesen systematisch bespricht. Konnte die Disputation sinnbildlich für scholastische Wortkrämerei werden – gerade am Ende des 17. Jahrhunderts erreichte

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welche ebenfalls in den Ephemeriden erschien, wird das Murmeltier innerhalb der überlieferten Literatur verortet und in die internationale Tierlandschaft eingegliedert.85 Seine anatomischen Untersuchungen fasste Harder in seinem Apiarium Observationibus Medicis zusammen. In einer 1682 gemachten Sektion des Murmeltiers verglich er selbst dessen Innereien mit denjenigen anderer Tiere.86 Der Observation fügte er ein Scholion bei, das der Kontextualisierung der anatomischen Studie in überliefertes Wissen diente und formal den Kommentar von der Beobachtung separierte.87 Anatomische Studien in Zeitschriften wirkten durch die Isolierung einzelner Beobachtungen standardisierend und brachten zugleich neue Klassifikationsmerkmale aus dem Innern an die Oberfläche. Das Scholion übernahm die Funktion einer Integration anatomischen Wissens in traditionelle und überlieferte Wissensbestände. Je nach den Erwartungen und Interessen der Produzenten und Rezipienten bedient sich das Wissen unterschiedlicher Formen und Formate. „In short“ – bemerken Cooter und Pumfrey in ihrem Aufsatz Separate Spheres and Public Places – „,popular science‘ may diverge from ,learned science‘ not because the latter is poorly understood, but because it is developed by its recipients for different purposes.“88

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die Kritik an ihr in diesem Sinn Höhen und ist Common sense geworden – so war die Disputation in ihrer schriftlichen Form doch lange schon ein wohl geordneter, in vielem sehr moderner, substantieller wissenschaftlicher Text.“ Martin Gierl: Korrespondenzen, Disputationen, Zeitschriften. Wissensorganisation und die Entwicklung der gelehrten Medienrepublik zwischen 1670 und 1730. In: Richard van Dülmen, Sina Rauschenbach (Hg.): Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Köln 2004, S. 417 – 438, hier S. 425. Vgl. Johann Jakob Harder: Observatio CXXII, Anatomia muris alpini, in: Miscellanea curiosa Sive Ephemeridum Medico-Physicarum Germanicarum Academiae Naturae Curiosorum. Nürnberg 1685, S. 237 – 244. „[A]uriculis ursi: colore leporis, caud– oblongiuscul–, ceu quoque pedum digiti sunt, magnitudine cuniculi. Vnetriculi & intestinorum facies, Porcelli Indici ferÀ similis erat: simplex ille fuit, tenuis membranaceus, — cujus sinistris lien rubellus, longiusculus, teres — dextrix verý hepar quatuor lobis conspicuum, cujus cavum cystis fellea occupavit: Mesenterium pingue, cujusmodi pinguedine etiam capsulae atrabilariae infarctae erant: Renes phaseolum perbellÀimitabantur : Ovarium elegans, cor cum pulmonibus uti in aliis hujus generis animantibus“. Harder, Apiarium Observationibus, 1687, S. 90. Diese Praxis bildete in der medizinischen Kommentierung ein neues „Genre“ der observationes heraus. Vgl. den Beitrag von Gianna Pomata in diesem Band. Roger Cooter, Stephen Pumfrey : Separate Spheres and Public Places: Reflections on the History of Science Popularization and Science in Popular Culture. In: History of Science 32 (1994). S. 237 – 267; Carsten Kretschmann (Hg.): Wissenspopularisierung. Konzepte der Wissensverbreitung im Wandel. Berlin 2003; Andreas W. Daum: Varieties of Popular Science and the Transformations of Public Knowledge: Some Historical Reflections. In: Isis 100/2 (2009). S. 319 – 332.

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Schlussbetrachtung: Populares Wissen und die Kulturgeschichte des Wissens Abschliessend möchte ich die Bedeutung lokaler Geschichts- und Naturgeschichtsschreibung für eine kulturgeschichtlich ausgerichtete Wissensgeschichte, insbesondere für die Erforschung popularen Wissens, zur Diskussion stellen. Vermehrt betont die neuere Wissensgeschichte die geographische Situiertheit des Wissens und stellt dies einem transzendentalen Wissenschaftsverständnis entgegen.89 Auch der Wissenschaftsberiff wird kaum mehr über vermeintliche Konstanten wie Rationalität oder Objektivität oder in Abgrenzung zu popularem Wissen definiert.90 In Folge einer sozial- und kulturhistorisch erweiterten Wissensgeschichte rückten auch traditionell unwissenschaftlich erscheinende Wissensbestände sowie Zusammenhänge gelehrten und popularen Wissens ins Blickfeld der Forschung.91 Dabei wurde das populare Wissen jedoch weitgehend im Rahmen der Wissenschaftspopularisierung, verstanden als die Vereinfachung komplexer Wissensbestände und deren Verbreitung für ein breites Publikum, thematisiert. Dieses Konzept ging von einem ,von oben nach unten‘ gerichteten Prozess aus und beruhte weiterhin meist auf einer hierarchisierenden Unterscheidung von Hoch- und Massenkultur. Im Sinne der älteren Wissenschaftsgeschichte wurde Wissen einer elitären Kultur zugeschrieben und erst nach Nachweis massenhafter Rezeption gelehrten Wissens von Popularisierung gesprochen, die nach diesem Narrativ mit dem Eintreten aufklärerischer Kräfte, mit zunehmender Textproduktion und Alphabetisierung im späten 18. Jahrhundert einsetzte.92 Für die Zeit vor und um 1700 fanden popu-

89 Vgl. Steven Shapin: Placing the View from Nowhere: Historical and Sociological Problems in the Location of Science. In: Transactions of the Institute of British Geographers 1/23 (1998), S. 5 – 12; Pamela H. Smith: Science on the Move: Recent Trends in the History of Early Modern Science. In: Renaissance Quarterly 2/62 (2009). S. 345 – 375; Adi Ophir, Steven Shapin: The Place of Knowledge. A Methodological Survey. In: Science in Context 4/1 (1991). 90 Vgl. z. B. Lorraine Daston: Wunder, Beweise und Tatsachen. Zur Geschichte der Rationalität. Frankfurt a. M. 22003; dies.: Die Kultur der wissenschaftlichen Objektivität. In: Michael Hagner (Hg.): Ansichten der Wissenschaftsgeschichte. Frankfurt a. M. 2001, S. 137 – 161. 91 So wurde in den 60er und 70er Jahren vermehrt hermetisches Wissen berücksichtigt, vgl. Shapin, Placing the View from Nowhere, 1998. 92 Vgl. Silvia Serena Tschopp: Popularisierung gelehrten Wissens im 18. Jahrhundert. Institutionen und Medien. In: van Dülmen, Rauschenbach, Macht des Wissens, 2004, S. 469 – 491; Angela Schwarz: Der Schlüssel zur modernen Welt. Wissenschaftspopularisierung in Grossbritannien und Deutschland im Übergang zur Moderne (ca. 1870 – 1914).Stuttgart 1999; Andreas W. Daum: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert: Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit, 1848 – 1914. München 2002. Kritisch dazu: Kretschmann, Wissenspopularisierung, 2003.

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lare Wissenswelten weniger Beachtung.93 Das Lokale widersetze sich einer auf Masse ausgerichteten Popularisierungsgeschichte. Die Gegenüberstellung popularen und elitären Wissens wurde in den letzten Jahrzehnten jedoch dahingehend kritisiert, dass sie alte Kategorisierungen der traditionellen Wissenschaftsgeschichte reproduziere.94 So plädierte James Secord dafür ,popular science‘ als Element der Kommunikationsgeschichte zu betrachten und den Begriff des Popularen zu vermeiden. Ralph O’Connor teilte zwar die Bedenken Secords, sprach sich dennoch für die Weiterverwendung des Begriffes als analytische Kategorie aus.95 Populares Wissen dürfe allerdings nicht als statisches Konzept gefasst werden, sondern müsse vielfältige Ausformungen und Anwendungen zulassen. In der neueren Wissensensgeschichte wird somit eine Erweiterung des Konzepts der Wissenschaftspopularisierung gefordert.96 In diesem Sinne möchte ich verschiedene Ergänzungen einer Geschichte popularen Wissens vorschlagen. Analog zur kultur- und sozialgeschichtlichen Entwicklung der Wissenschaftsgeschichte müsste auch die Popularisierungsforschung Wissenschaft nicht als eine elitäre Kategorie begreifen, sondern in einem breiten sozialen und kulturellen Kontext betrachten. Zudem können gelehrtes und populares Wissen nur eingeschränkt über rein quantitative Kriterien erfasst werden. Anstelle einer Trennung von Hoch- und Massenkultur könnten Aneignungsprozesse und Bedeutungszuschreibungen gesetzt werden.97 Popu-

93 Der Wissenspopularisierung im 17. Jahrhundert widmete sich jüngst ausführlich Flemming Schock, vgl. Flemming Schock: Die Text-Kunstkammer. Populäre Wissenssammlungen des Barock am Beispiel der „Relationes Curiosae“ von E. W. Happel. Köln 2011. 94 „Attaching ourselves to the term „popular“ would mean continuing to operate with the wellknown doubts about the appropriateness of the older concept of popularization. Speaking of knwoledge in „popular culture“ may seem to be an elegant way out of all dilemmas. But popular culture as a concept would need to be reconsiered if it is not meant to reproduce older notions that operated with rather rigid dichotomies of folk versus elite cultures and oppositional versus hegemonic discourses.“ Daum, Varieties of Popular Science, S. 331. 95 O’Connor, Reflections on Popular Science in Britain, 2009, S. 340. 96 Zur neueren Forschung der Wissenspopularisierung vgl. Cooter, Pumfrey, Separate Spheresres and Public Places, 1994; Kretschmann, Wissenspopularisierung, 2003; Daum, Varieties of Popular Science, 2009. 97 Parallel zu der neueren Wissensgeschichte fand in den 80er Jahren die Populärkultur die Aufmerksamkeit der Cultural Studies. Vgl. Cooter, Pumfrey, Separate Spheres and Public Places, 1994, S. 249 f. Stuart Hall und John Fiske begriffen die Populärkultur als ein Ort der Auseinandersetzung, an der „the people“ durch Bedeutungszuschreibungen und Aneignungsprozesse von Wissen Handlungsmacht zukommt. Das Populare befinde sich, nach Hall, in ständigem Wandel. „[T]he changing and uneven relations of force which define the field of culture – that is, the question of cultural struggle and its many forms“ stehe im Zentrum eines solchen Verständnisses des Popularen. „Its main focus of attention is the relation between culture and questions of hegemony.“ Stuart Hall: Notes on Deconstructing the „Popular“. In: Raphael Samuel (Hg.): People’s History and Socialist Theory. London et al. 1981, S. 227 – 240, hier S. 235. Cooter und Pumfrey schreiben, „science is a multifaceted

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lares Wissen wird dann nicht als feste Grösse begriffen, sondern in einem dynamischen Prozess von Zuschreibung und Abgrenzung verortet und damit über Verhältnisse statt Definitionen beschrieben. Eine weniger quantitativ ausgerichtete Betrachtungsweise ermöglicht es zudem, populares Wissen ausserhalb der Aufklärungsgeschichte zu begreifen.98 Drittens wird Wissenspopularisierung als ein wechselseitiger Prozess verstanden, an welchem Experten und Laien gleichermassen teilhaben.99 Im Sinne Jonathan Tophams wird Wissenspopularisierung als „form of communicative action“ Teil einer Kommunikationsgeschichte, in der keine klaren Grenzen zwischen Wissensgenerierung und Wissensverbreitung gezogen werden können.100 Die Popularisierung gelehrten Wissens sollte somit um die gelehrte Rezeption popularen Wissens ergänzt werden.101 Die chorographische Geschichtsschreibung zeigt, dass das populare Wissen viele Gesichter haben konnte: Verschiedene Adressatenkreise wurden angesprochen. Werke wurden umgearbeitet und für Studenten zugänglich gemacht. Andere richteten sich an interessierte Laien, darunter auch Frauen, oder an Theologen und Pfarrer, die das erworbene Wissen von der Kanzel aus weitersandten. Unter den Autoren finden sich Ärzte, Pfarrer und Juristen, aber auch Handwerker oder Politiker. Die Chorographen sammelten das empirische Wissen der Jäger oder Bauern und liessen sie in ihren Texten als lokale Wissensträger, Identifikationsfiguren und Garanten für die Glaubwürdigkeit eines Berichts erscheinen. Die empirische Naturforschung des 17. und frühen

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and higliy flexible symbolic resouce of multiple meanings.“ Cooter, Pumfrey, Separate Spheres and Public Places, 1994, S. 245. Die im von Kretschmann herausgegebenen Band versammelten Beiträge reichen gar in die griechische Antike zurück, vgl. Kretschmann, Wissenspopularisierung, 2003. Diese interaktionistische Sicht wird bereits seit den 80er Jahren vertreten: Vgl. ebd. Zur Bedeutung des Handwerks in der Wissenschaftsgeschichte vgl. Kretschmann, Wissenspopularisierung, 2003. Vgl. auch Pamela H. Smith: The Body of the Artisan: Art and Experience in the Scientific Revolution. 2004. Vgl. Jonathan R. Topham: Historicizing „Popular Science“. Introduction. In: Isis 100/2 (2009). S. 310 – 318, hier S. 311. Nach Martin Gierl ist Wissenschaft „eine Frage der Kommunikation, genauer der institutionalisierten Kommunikation. Wissen ist Macht. Das heißt: Wissen ist, was man daraus macht.“ In den Medien des Wissens „wird nicht beliebiges, sondern bestimmtes Wissen in bestimmter Form an bestimmte Leute mit bestimmten Aufgaben in bestimmten Rhythmen und Formaten vermittelt.“ Gierl, Korrespondenzen, Disputationen, Zeitschriften, 2004, S. 417. Ein ähnlich dynamisches, zwischen Zeit und Raum, popularen und gelehrten Wissenkulturen changierendes Konzept beschrieb James Secord jünst als „knowledge in transit“. James A. Secord: Knowledge in Transit. In: Isis 95 (2004), S. 654 – 672. Ähnlich auch Pamela H. Smith: „In the early modern period, knowledge of nature moved not just geographically, but also epistemically, as knowledge systems of different social and cultural groups intersected. Such movement resulted in new knowledge as well as in new hierarchies of intellectual authority.“ Smith, Science on the Move, 2009, S. 368. Vgl. auch Topham, Historicizing „Popular Science“, 2009, S. 310.

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18. Jahrhunderts griff auf die chorographische Geschichtsschreibung des 16. und 17. Jahrhunderts zurück. Durch sein lokales Wissen konnte sich Scheuchzer innerhalb einer empirisch orientierten und kooperativ arbeitenden Naturforschung positionieren und die Bedeutung lokalen Wissens für die „neue Wissenschaft“ hervorheben. Dabei sammelte er die einzelnen lokalen Naturbeschreibungen und ging damit schliesslich auch über die lokalen Grenzen hinaus. Die Schweiz müsse, wie Scheuchzer in seiner Bibliographie forderte, manchmal auch in Indien und Indien in der Schweiz gesucht werden.

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Marion Baumann Studium der Geschichte, Kulturanthropologie und Neueren Deutschen Literatur in Zürich und Basel. MA, Universität Basel, 2013. Veröffentlichung: „Chumm Bueb und lueg dis Ländli a“. Ansätze zu einer akustischen Historiographie der Schweizerischen Landesausstellung von 1939. In: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 62 (2012), S. 86 – 114.

Simona Boscani Leoni Studium der Geschichte, Kunstgeschichte, Lateinischen und Italienischen Literatur in Bologna. 2003 Promotion in Geschichte/Kunstgeschichte des Mittelalters, EHESS Paris. Seit 2005 Leiterin eines SNF-Forschungsprojekts über die unveröffentlichte Korrespondenz von Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) und seit 2009 Arbeit am Habilitationsprojekt: „Collecting and Staging Knowledge: Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) and Early Modern Natural History“ (Universität Heidelberg). Veröffentlichungen u. a.: Essor et fonctions des images religieuses dans les Alpes. L’exemple de l’ancien diocÀse de Coire (1150 – 1530 ca.). Bern, Berlin, Bruxelles 2008; Men of Exchange. Creation and Circulation of Knowledge in the Swiss Republic of the 18th Century. In: Andr¦ Holenstein, Hubert Steinke, Martin Stuber (Hg.): Scholars in Action. The Practice of Knowledge and the Figure of the Savant in the 18th Century. 2 Bde. Leiden, Boston 2013, S. 503 – 533; in Vorbereitung (Hg.): Vernetzte Welten. Wissenschaft und Politik in der Korrespondenz von Johann Jakob Scheuchzer. Eine Edition ausgewählter Schweizer Briefe (1698 – 1730), voraussichtlich 2013.

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Silvia Flubacher Studium der Allgemeinen Geschichte, neueren deutschen Literaturwissenschaft und älteren deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft in Basel (Lizentiat 2009). 2007 – 2008 Hilfsassistentin am Projekt „Schweizer Textkorpus“ und 2008 – 2010 Hilfsassistentin am Projekt „Orts- und Flurnamenbuch Basel Stadt“, Deutsches Seminar Basel. 2010 – 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts „Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens im Dialog: Schnittmengen bei Johann Jakob Wagner (1641 – 1695) und Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733)“ am Departement Geschichte der Universität Basel. 2013 – 2014 Mobilitätsstipendium des Schweizerischen Nationalfonds am Department of History, UC Berkeley. Silvia Flubacher arbeitet an einer Dissertation zur Tierklassifikation in der Naturgeschichtsschreibung um 1700. Veröffentlichung: Johann Conrad Schweighauser : Das Familienbuch des Johann Conrad Schweighauser. Ein Basler Selbstzeugnis aus den Jahren 1663 – 1712, hg. gemeinsam mit Simone Zweifel. Basel 2012.

Frank Fürbeth Studium der Germanistik in Saarbrücken, Köln und Frankfurt. Promotion Frankfurt a. M. 1988. Seit 2007 Professor für ältere deutsche Philologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Veröffentlichungen u. a.: Johannes Hartlieb: Untersuchungen zu Leben und Werk. Tübingen 1992; (Hg., gemeinsam mit Pierre Krügel, Erich Metzner und Olaf Müller): Zur Geschichte und Problematik der Nationalphilologien in Europa. 150 Jahre Erste Germanistenversammlung in Frankfurt am Main (1846 – 1996). Tübingen 1999; Flavius Vegetius Romanus: Von der Ritterschaft, hg. gemeinsam mit Rainer Leng. München 2002; Heilquellen in der deutschen Wissensliteratur des Spätmittelalters. Zur Genese und Funktion eines Paradigmas der Wissensvermittlung am Beispiel des „Tractatus de balneis naturalibus“ von Felix Hemmerli und seiner Rezeption, mit einer Edition des Textes und seiner frühneuhochdeutschen Übersetzung. Wiesbaden 2004; Vorausdeutungen und Rückblicke. Goethe und Goethe-Rezeption zwischen Klassik und Moderne. Heidelberg 2013.

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Kaspar von Greyerz Studium der Geschichte und Philosophie an den Universitäten Bern, Genf und Stanford. Promotion Stanford University 1979. 1980 – 85 Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Historischen Instituts London. Habilitation Universität Bern 1987. 1988 – 91 Lehrstuhlvertreter an der Universität Kiel. 1991 – 93 Athena-Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds. Seit Herbst 1993 Professor für Neuere Allgemeine und Schweizer Geschichte an der Universität Zürich, seit Frühjahr 1997 in derselben Funktion mit Schwerpunkt Frühe Neuzeit an der Universität Basel. Veröffentlichungen u. a.: Vorsehungsglaube und Kosmologie. Studien zu englischen Selbstzeugnissen des 17. Jahrhunderts. Göttingen 1990; Religion und Kultur. Europa 1500 – 1800. Göttingen 2000; Passagen und Stationen. Lebensstufen zwischen Mittelalter und Moderne. Göttingen 2010; (Hg., gemeinsam mit Thomas Kaufmann, Kim Siebenhüner und Roberto Zaugg): Religion und Naturwissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 210). Heidelberg 2010.

Fabian Krämer Studium der Geschichte, Anglistik und Amerikanistik an der Humboldt-Universität Berlin und am Goldsmiths College, University of London. 2006 – 2011 Mitarbeiter des Projekts „The History of Scientific Observation“ am MaxPlanck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin. 2011 – 12 Fellow der Italian Academy for Advanced Studies in America, Columbia University, New York. 2012 Promotion in Neuerer/Neuester Geschichte und Englischer Literaturgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Veröffentlichungen u. a.: The Persistent Image of an Unusual Centaur. A Biography of Aldrovandi’s Two-Legged Centaur Woodcut. In: Nuncius XXIV (2009), S. 313 – 340; Faktoid und Fallgeschichte. Medizinische Fallgeschichten im Lichte frühneuzeitlicher Lese- und Aufzeichnungstechniken. In: Frauke Bernd, Daniel Fulda (Hg.): Die Sachen der Aufklärung (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 34). Hamburg 2012; Hermaphrodites Closely Observed. The Individualisation of Hermaphrodites and the Rise of the observatio genre in Seventeenth-Century Medicine. In: Marianne Closson (Hg.): L’Hermaphrodite de la Renaissance aux LumiÀres. Paris (erscheint 2013).

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Ute Lotz-Heumann Studium der Geschichte, Anglistik, Germanistik, Psychologie und Pädagogik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. 1999 Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin. 1995 – 2000 Wissenschaftliche Mitarbeiterin, 2000 – 2007 Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2008 Heiko A. Oberman Professor of Late Medieval and Reformation History an der University of Arizona, Tucson. Veröffentlichungen u. a.: Die doppelte Konfessionalisierung in Irland. Konflikt und Koexistenz im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Tübingen 2000; Imposing Church and Social Discipline. In: Ronnie Po-chia Hsia (Hg.): The Cambridge History of Christianity. Bd. 6: Reform and Expansion, 1500 – 1660. Cambridge 2007, S. 244 – 260; Repräsentationen von Heilwassern und -quellen in der Frühen Neuzeit. Badeorte, lutherische Wunderquellen und katholische Wallfahrten. In: Matthias Pohlig et al.: Säkularisierungen in der Frühen Neuzeit. Methodische Probleme und empirische Fallstudien (Beiheft der Zeitschrift für historische Forschung 41). Berlin 2008, S. 277 – 330.

Brian W. Ogilvie Studium der Geschichte an der University of Chicago, Promotion Chicago 1997. Seit 2003 u. a. Forschungen an der University of Cambridge, am Max Planck Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin, und in Paris (Columbia University, Reid Hall). Brian Ogilvie ist seit 2003 Associate Professor am Department of History der University of Massachusetts Amherst und dort Graduate Program Director. Veröffentlichungen u. a.: The Many Books of Nature. Renaissance Naturalists and Information Overload. In: Journal of the History of Ideas 64 (2003), S. 29 – 40; Natural History, Ethics, and Physico-Theology. In: Gianna Pomata, Nancy Siraisi (Hg.): Historia. Empiricism and Erudition in Early Modern Europe. Cambridge MA 2005, S. 75 – 103; The Science of Describing. Natural History in Renaissance Europe. Chicago 2006.

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Gianna Pomata Universitäre Ausbildung an den Universitäten Florenz, Bologna und Cambridge. Professur an der Universität Bologna und Professur an der University of Minnesota. Seit 2007 Professorin am Institute of the History of Medicine der Johns Hopkins University, Baltimore. Veröffentlichungen u. a.: La promessa di guarigione. Malati e curatori in antico regime, Bologna XVI – XVIII secolo (Collezione storica). Roma, Bari 1994; Englisch: Contracting a Cure. Patients, Healers, and the Law in early modern Bologna. Baltimore 1998; (Hg., gemeinsam mit Nancy Siraisi): Historia. Empiricism and Erudition in Early Modern Europe. Cambridge MA 2005; Sharing Cases. The Observationes in Early Modern Medicine. In: Early Science and Medicine 15/3 (2010), S. 193 – 236; Observation Rising. Birth of an Epistemic Genre, ca. 1500 – 1650. In: Lorraine Daston, Elizabeth Lunbeck (Hg.): Histories of Scientific Observation. Chicago 2011, S. 45 – 80; Amateurs by Choice. Women and the Pursuit of Independent Scholarship in Twentieth-Century Historical Writing. In: Centaurus 55 (2013), S. 196 – 219.

Flemming Schock Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität DuisburgEssen. 2005 – 2008 Promotionsstipendiat im DFG-Graduiertenkolleg „Wissensfelder der Neuzeit“, Universität Augsburg (Promotion 2009). Seit April 2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Arbeitsstelle Leipzig). Veröffentlichungen u. a.: Die Text-Kunstkammer. Populäre Wissenssammlungen des Barock am Beispiel der Relationes Curiosae von E. W. Happel. Köln 2011; Bild und Text in der Theatrum-Literatur der Frühen Neuzeit. In: Christel Meier, Dorothee Linnemann (Hg.): Visualität, Theatralität und Zeremoniell. Übergänge und Grenzen der Medien (im Druck); Welt am Rande. Außereuropa in Kalendern des 17. Jahrhunderts. In: Klaus-Dieter Herbst (Hg.): Astronomie, Literatur, Volksaufklärung. Der Schreibkalender der Frühen Neuzeit mit seinen Text- und Bildbeigaben. Bremen, Jena 2012.

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Philipp Senn Studium der Geschichte, Russischen Philologie und Medienwissenschaft an der Universität Basel (Lizentiat 2009). 2006 – 2009 Hilfsassistent am Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit der Universität Basel (Prof. Kaspar von Greyerz). 2009 – 2010 Mitarbeiter des Projekts „Theo der Pfeifenraucher“ in Kooperation mit dem Naturhistorischen Museum Basel. Seit 2010 Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts „Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens im Dialog: Schnittmengen bei Johann Jakob Wagner (1641 – 1695) und Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733)“ am Departement Geschichte der Universität Basel. Philipp Senn arbeitet an einer Dissertation zur Wissensgeschichte der Balneologie um 1700. Veröffentlichung: Theos Welt. Basel um 1800, Leben und Arbeiten in Kleinbasel, Die Zünfte. In: Gerhard Hotz, Kaspar von Greyerz, Lucas Burkart (Hg.): Theo der Pfeifenraucher. Leben in Kleinbasel um 1800. Basel 2010, S. 106 – 131.

Emma C. Spary Studium am Newnham College der Universität Cambridge. Research Fellowship und Ph.D. am Girton College. 1995 Research Fellowship am Department of History der University of Warwick. 1998 Senior Researcher am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin. Ab 2006 am Wellcome Trust Centre for the History of Medicine at UCL. Seit 2010 Lecturer in Modern European History an der Faculty of History der University of Cambridge und Fellow des Corpus Christi College. Veröffentlichungen u. a.: Utopia’s Garden. French Natural History from Old Regime to Revolution. Chicago 2000; Of Nutmegs and Botanists. The Colonial Cultivation of Botanical Identity. In: Londa Schiebinger, Claudia Swan (Hg.): Colonial Botany. Science, Commerce, and Politics in the Early Modern World. Philadelphia 2005, S. 187 – 203; Eating the Enlightenment. French Food and the Sciences, 1670 – 1760. Chicago 2012.

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Anne-Charlott Trepp Studium der Germanistik, Geschichte und Lateinischen Philologie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel (Promotion 1993). 1994 – 2006 Lehrbeauftragte am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Georg-August-Universität Göttingen. 1994 – 2004 Wissenschaftliche Referentin am Max-PlanckInstitut für Geschichte in Göttingen im Bereich Neuzeit (Prof. Hartmut Lehmann). Ab 2006 Privatdozentin für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Göttingen. Seit 2009 Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Ruhr-Universität Bochum. Veröffentlichungen u. a.: Sanfte Männlichkeit und selbständige Weiblichkeit. Frauen und Männer im Hamburger Bürgertum zwischen 1770 und 1840. Göttingen 1996; Von der Glückseligkeit alles zu wissen. Die Erforschung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit (1550 – 1750). Frankfurt a. M. 2009; Religion und Wissenschaft im Luthertum zur Mitte des 17. Jahrhunderts. In: Kaspar von Greyerz, Thomas Kaufmann, Kim Siebenhüner, Roberto Zaugg (Hg.): Religion und Naturwissenschaft im 16. und 17. Jahrhundert (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 2010). Gütersloh 2010, S. 276 – 305.

Andrew Wear Studium am Imperial College London (Ph.D. 1973). 1973 – 1988 Lecturer in the History and Philosophy of Science an der Aberdeen University. Ab 1988 Lecturer in the History of Medicine am University College London, ab 1993 Senior Lecturer, ab 2002 Reader. Veröffentlichungen u. a.: (Hg.): Medicine in Society. Historical Essays. Cambridge 1992; (Hg., gemeinsam mit Roger French): British Medicine in an Age of Reform. London 1991; The Western Medical Tradition. Cambridge 1995, S. 207 – 361 (mit Lawrence Conrad, Michael Neve, Vivian Nutton, Roy Porter); Health and Healing in Early Modern England. Studies in Social and Intellectual History. Farnham 1998; Knowledge and Practice in English Medicine, 1550 – 1680. Cambridge 2000.

Personenregister (Der Zusatz „A.“ bezieht sich auf Anmerkungen. Letztere werden nur bei speziellen Ausführungen zu einer Person mit berücksichtigt.)

Aelianus, Claudius 159 Agatha, Heilige 103 Al-Batani 182 Albertus Magnus 299, 301 f., 306, 314 Albinus, (Bernhard?) 88 Aldrovandi, Ulisse 295 f., 311 – 315, 339, 341, 344 Alegro da Ponte, Bartolomeo 205 Allen, Thomas 332 Alsted, Johann Heinrich 296 A. Althamer, Andreas 246 Altmann, Johann Georg 341 A. Amatus Lusitanus 150 – 152, 154 Amplatz, Thomas 243 – 245 Andrew, Lawrence 305 Aristoteles / Aristotle 62 f., 64 f., 70, 116 – 119, 188, 225, 300 – 306, 310 f., 314 f. Atran, Scott 297, 309, 315 f. Auslander, Leora 235 Averroes 212 Avicenna 211 – 213, 225 Bacon, Francis 10 f., 25, 65 f., 79, 116, 187, 189, 190, 192, 196 f., 206, 276, 352 Bakhtin, Mikhail 131 Bartholomäus, Anglicus 301 Barton, Abel 75 Basso, Sebastiano 122 Baumann, Marion 26 Bausinger, Hermann 13 Bazerman, Charles 131, 135 A. Beerli, Urs-Peter 122 B¦nard, Robert 42 Benedict, Barbara M. 329

Bentley, Richard 324, 340 Bentley, Richard, the Younger 322, 324, 326 f., 330 f., 333, 335 f., 340 f. Bernard, Jean-Fr¦d¦ric 192 Biggs, Noah 66 Blondel, FranÅois 257 A. Bodmer, Johann Jakob 125 Boerhaave, Hermann 122 Böhme, Hartmut 172 Bolatu, Nappi 137 A. Bonnet, Charles 93 Bornmann, Christmann 247 Boscani Leoni, Simona 23, 28 Bösch, Alexander 102 Bourdieu, Pierre 59 Boyle, Robert 72 – 74, 77, 79 – 82, 118 – 120, 190 – 194, 198 f., 260 Bregentzer, Christoph 280 Brentano, Clemens Wenzeslaus 109 Brown, Cecil 299, 316 Brunnert, Klaus 100 f. Buffon, Georges-Louis Leclerc, Comte de 11 f., 14 Burnet, Thomas 124 Burney, Ian 52 Burton, Robert 106, 123 Cadet de Gassicourt, Charles-Louis 56, Campell, Ulrich 352, 355, 364 f. Canguilhem, Georges 10, 318 Cantimpr¦, Thomas of 299, 301, 304 Cesalpino, Andrea 297 Charke, William 311 Cheyne, George 82

384 Chipman, Lev 146 f. A. Cholinus, Petrus 306 Choul, Jean du 204 Cicero, Marcus Tullius 21, Clare, Henry 75 Cooper, Mary 321 Cooper, Thomas 321 Cooter, Roger 369 Cornwallis, Sir William 311 Custos, Raphael 19 Cuvier, Georges, Baron de 315 Cysat, Johann Leopold 204, 351 f., 362, 365 Cysat, Renward 351 Darcet , Jean 54 Darwin, Charles 97 Daston, Lorraine 21, 97, 344 Dasypodius, Petrus 306 Davis, Dudley 194 Demachy, Jacques-FranÅois 48 A. Descartes, Ren¦ 14, 26, 66, 90, 115 – 118, 120, 287 Detharding, George 115 Dicke, Marcel 313 Dietz, Bettina 357 f. Digges, Edward 190 Diogenes 118 Doesborch, Jan van 303 Doyle, Arthur Conan 132 Dryander, Johann 236 Dürr, Renate 234 Eamon, William 143 Einhard 224 Ellenbog, Ulrich 216 Elyot, Sir Thomas 306, 310 Endter (Familie) 157, 167, 169 Escher, Hans Erhard 351 f., 354, 359, 364 Estienne, Robert 306, 310 Euclid 132 Evelyn, John 190 Fabricius, Johan Christian 315 Fabry, Wilhelm 258 A.

Personenregister

Fairchilds, Cissie 59 Fallopio, Gabriele 21 Fastor, Ovidus 125 Felfe, Robert 16 Ferchault de R¦aumur, Ren¦-Antoine 93 Ferdinand, Elector of Bavaria 243 Ferdinand, Erzherzog 224 Feuerlein, Johann Conrad 157 f. A. Fischler, Claude 43 Flamsteed, John 175 Fleck, Ludwik 97 Flubacher, Silvia 31 Foligno, Gentile da 29 Folz, Hans 216, 220, 223 f., 226, 231 Fontenelle, Bernard de 10 – 12, 14, 355 Fourcroy, Antoine-FranÅois 54 Francisci, Erasmus 28, 157 – 165, 178, 180 f., 183 – 185 Freyman, Richard 135 Friesius, Joannes 306 Frisch, Johann Leonhard 88 Fuchs, Karin 280 Fürbeth, Frank 29 Furttenbach, Joseph 17 – 19 Fyge, Thomas 70 Galen 20, 25 f., 61 – 65, 67, 70 f., 73, 81, 105, 145, 212 f. Galilei, Galileo 12 f. Galloni, Paolo 143 Gassendi, Pierre 116, 122 Gentilcore, David 234 Gentile da Foligno 211, 213 – 215, 220, 277 Ges(s)ner, Conrad 22 f., 196, 239, 261, 304, 312, 338 f., 341, 344, 366 – 368 Gieryn, Thomas F. 359 Giovio, Paolo 205 Goebel, Johannes 220, 226 – 232 Goedaert, Jan 88, 313 Goethe, Johann Wolfgang von 109 Goltz, Dietlinde 136 Greene, Edward Lee 309 Grew, Nehemiah 120 Greyerz, Kaspar von 91, 248 A. Guericke, Otto von 182

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Personenregister

Gugelberg, von Moos (geb. von Salis), Hortensia (siehe auch: Salis, von) 30, 265 Haller, Albrecht von 21, 125, 318 – 320, 333 – 339, 342 – 345 Haller, Gottlieb Emanuel von 333 f. Happel, Eberhard Werner 28, 178, 179 A., 180 – 185 Harder, Johann Jakob 104, 368 f. Harline, Craig 234 Harrison, Robert 75 Hartlieb, Johannes 220 – 223, 231 Harvey, William 107, 118 Hasenberg, Johannes 224 f. Helmont, Johan Baptista 25, 66 – 68, 71, 77, 282 A. Helms, Hadwig 159 A. Hemmerli, Felix 215, 220 – 224, 231 Herbst, Klaus-Dieter 172 Hevelius, Johannes/Jan 162 f., 175, 181 f. Hildegard of Bingen 301 Hippokrates 11, 20, 64, 123, 141, 149, 152 f. Hoefnagel, Joris 313 Hofer, Johannes 99, 100 f., 104 f., 107, 109, 111 f., 121, 123, 126 f. Hoffmann Krayer, Eduard 12 f. Hoffmann, Friedrich 122 Holinshed, Raphael 310 Holland, Philemon 311 Hooke, Robert 93, 191 Hoppen, Theodore H. 194 A. Höslin, Jodok 259 A. Hottinger, Salomon 256 A. Hrabanus Maurus 301 Huber, Samuel 102 Huloet, Richard 307 Hunter, Michael 190 A., 192, 193 A. Isidore of Seville 299, 301, 303, 314 Jankovic, Vladimir 366 Johansen, Jens 235 Johns, Adrian 330 Johnson, Samuel 328, 331, 335

Jolles, Andr¦ 136 Jones, George 71 f., 75 Jones, Peter 68 Julliot, Balthazar 44 f. Jussieu, Antoine de 47 Juvalta, Peter de 205 Karant-Nunn, Susan 248, 329 Kempe, Michael 16, 101, 123 f. Kirch, Gottfried 28, 169 – 178, 180, 184 f. Klein, Ursula 36 Kolloch, Sabine 268 Kolweck, Johann 259 A. Krämer, Fabian 31 Lakatos, Imre 10 Lamarck, Jean-Baptiste de 315 Lavoisier, Laurent de 39, 51, 54 LeClerc, A., le jeune 36 Leibniz, Gottfried Wilhelm 116, 355 Leonhardi, Johannes 200 f., 203 – 205, 357 Lhwyd, Edward 193 Linnaeus (Linn¦, Carl von) 88, 315 Locke, John 72 Lockyer, Lionel 68 – 70 Long, Pamela 143 Lotz-Heumann, Ute 29 Louyet de Couvray, Jean-Baptiste 55 Ludwig XIV. von Frankreich 104 Luther, Martin 245 f. Maaler, Josua 307 Magnus, Olaus 23 Major, Johann Daniel 180 Malpighi, Marcello 120, 342 f. Maplet, John 310 Mariotte, Edme 110 Marrel, Jacob 88 Martial, Marcus Valerius 212 May, Johannes 223 A. Mayr, Ernst 132 Medin, Douglas 316 Megenberg, Konrad von 299, 301, 314 Melanchthon, Philipp 250 Mercier, Louis-S¦bastian 51 Merian, Maria Sibylla 26, 86 – 90, 92, 311

386 Merian, Matthäus 88, 240, 250 f., 272 Metobius, Burckard 246, 249 Meydenbach, Jakob 303 Michel, Paul 16 Moffet, Thomas 11, 295 f., 311 – 313 Molyneux, William 193 f., 198 Moray, Robert 190 f. Moretti, Franco 131 f. Morigia, Paolo 351 Muralt, Johannes von 117, 256 A. Müsch, Irmgard 16 Napoleon Bonaparte 52, 54 f. Nappi, Carla 137 A. Naumann, Hans 12 f Neickel, Caspar Friderich 92 f. Newton, Isaac 11, 66, 116, 262, 355 Nicoud, Marilyn 150 Nieuwentijt, Bernard 16 Nutting, Joseph 15 Nutton, Vivian 64 O’Connor, Ralph 371 Ogilby, John 193 Ogilvie, Brian 30 f. Oldenburg, Henry 190, 193, 195 Pansa, Martin 227, 232 Paracelsus 11 – 14, 65 f., 77, 160, 216 f., 258 A. Park, Katherine 234 Parker, Samuel 14 Parsons, James 331 f., 344 Peacham, Henry 331 Penny, Thomas 312 f. Petti, William 190 Picenino, Giacomo (Jacob) 199, 357 Pictorius, Georg 237 Pitt, Moses 194 Platon 353 Platter, Felix 20 Plinius d. Ä / Pliny the Elder 21, 212, 224, 300 f., 306, 310, 311, 315, 338 Plot, Robert 193, 195 Pomata, Gianna 21, 27, 334, 342 Pomet, Pierre 25, 35 – 37, 40, 59

Personenregister

Porter, Roy 68 Povey, Thomas 190 Prüß, Johann 303 Pumfrey, Stephen 369 Puttenham, George 311 Rankin, Alisha 142 Raynal, Guillaume Thomas FranÅois 57, 58 A. R¦aumur, Ren¦-Antoine Ferchauld de 311 Rebmann, Hans Rudolph 348, 353, 355, 359, 361 Reddy, William 96 Reid, Christopher 317 A. Rhazes (Muhammad ibn Zakariya alRazi) 212 Roberts, Lissa 36 Rohrbach, Thomas Ren¦ 334 A. Rooke, Laurence 190 – 192, 194 Rösel von Rosenhof, August Johann 88, 312, 314 f. Rousseau, Jean-Jacques 50 f., 108 f., 125 Rousselle, Aline 141 Rueff, Jacob 339 Ruland, Martin d.Ä. 258 A. Salchmann, Friedrich 247, 250 Salis-Maienfeld, von (Familie) 257, 264, 280, 283 Salis, Carl Gubert von 30, 265, 270, 271 – 276, 281, 284, 287, 290 Salis, Carl Ulysses von 265 A. Salis, Gubert von 269 Salis, Hortensia von (siehe auch: Gugelberg) 265 – 271, 276, 282 f., 290 Sarton, George 138 Schenk von Grafenberg, Johann Georg 339 Scheuchzer, Johann Jakob 9, 15 – 17, 22 – 24, 26 – 28, 30 f., 88, 99 – 101, 108 – 127, 195, 197 – 202, 204 – 206, 255 – 266, 268 – 277, 281, 283 – 291, 348 f., 353 – 358, 360 – 362, 373 Scheuchzer, Susanna 255 Schiller, Friedrich 109 Schmid-Cadalbert, Christian 101, 123

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Personenregister

Schmid, Thomas 334 Schmitz, Franz 219, 224 f., 231 f. Schober, Caspar 216 Schock, Flemming 27 Schöni, Jörg 361 Schurtz, Cornelius Nicolaus 164 f. Scott, Michael 302 Scribner, Robert W. 244 Scribonius Largus 145 Secord, James 371 Seiller, Johann Georg 285 f. Seneca 212, 224 Senn, Philipp 30 Sennert, Daniel 122 Shapin, Steven 188 Shaw, Thomas 341 Simler, Josias 196, 351 f., 355, 364 f. Siraisi, Nancy G. 342 Sloane, Hans 355 Smith, Pamela H. 65, 143, 317 A., 320 A. Sommer, Fabian 217 Spary, Emma C. 25 Spiegelberg, Graf von 249 Stöcklin, Augustin 259 A. Strabon 212 Stumpf, Johann Rudolph 349 Stumpf, Johannes 349 f., 353 – 355, 358, 360, 363 Sturm, Johann Christoph 116, 260 Suffold, Thomas 76 Swammerdam, Jan 26, 89 f., 311, 315 Swift, Jonathan 336 Sydenham, Thomas 72 Sylvaticus, Matthaeus 303 Sylvius, Franciscus 282 A. Tabernaemontanus, Jacob Theodor 217, 233 Telle, Joachim 11 A. Teuteberg, Hans Jürgen 41 Thebesius, Adam 229 Thebesius, Adam Samuel 229 Thompson, Edward P. 97 Thurneysser, Leonhard 214 A. Tissot, Samuel-Andr¦ 50

Tömlinger, Jordan 216, 222 f., 231 Topham, Jonathan 372 Torricelli, Evangelista 109 Towson, Elizabeth 75 Trepp, Anne-Charlott 26 Tschudi, Aegidius 351 Tschudi, Johann Heinrich 114 Tschupp, Bonifaz 256 A. Tura de Castello 215, 220 Vallisneri, Antonio 88, 355 van der Aa, Petrus 355 Vermij, Rienk H. 16 Villanova, Arnald of 148 Vincent of Beauvais 301, 303 Wagner, Johann Jakob 196 f., 204, 256 A., 261, 270, 280 f., 351, 354 – 356, 365 Wagner, Valentin 250 f. Waldeck-Pyrmont, Prince of 250 Walsham, Alexandra 235 Watts, John 70 Wear, Andrew 25 Weber, Friedrich August 333 f. White, Paul 97 Wick, Johann Jakob 348 A. Widmer, Maya 266 A. Wiering, Thomas von 178, 180, 183 Wilde, Anna (Hanna) 332 Wilkes, Benjamin 88 Wilkins, John 190 Willis, Thomas 25, 70, 72, 81, 105, 107, 118, 282 A. Wittmann, Reinhard 169 A. Wonnecke, Johann 303 Woodward, John 194 f., 199, 202, 204 Wotton, Edward 312 f. Zaugg, Roberto 17 A. Zedler, Johann Heinrich 22, 94, 108, 127, 157 Zeeden, Ernst-Walter 244 Zeller, Rosmarie 268, 360 A. Zurlauben, Beat Fidel 265 A. Zwinger, Theodor III. 108